Deutsches Verwaltungsrecht. I. und II. Band: (Aus Binding, Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft) [1 ed.] 9783428516391, 9783428116393


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Deutsches Verwaltungsrecht. I. und II. Band: (Aus Binding, Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft) [1 ed.]
 9783428516391, 9783428116393

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Systematisches Handbuch der

Deutschen Rechtswissenschaft, Unter Mitwirkung der Professoren Dr. H. Brunner, früher in Berlin, Dr. V. Ehrenberg in Leipzig, Dr. H. Gerland in Jena, Dr. 0. v. Gierke, früher in Berlin, des General -Prokurators Dr. J. Glaser, früher in Wien, der Professoren Dr. C. S. GrUnhut in Wien, Dr. A. Haenel, früher in Kiel, Dr. A. Heusler in Basel, Dr. E. Heymann in Berlin, Dr. H. Kantorowicz in Freiburg i. B., Dr. E. Kaufmann in Bonn, Dr. P. Krüger in Bonn, Dr. 0. Mayer in Leipzig, Dr. L. Mitteis, früher in Leipzig, Dr. Th. Mommsen, früher in Berlin, Dr. F. Oetker in Würzburg, Dr. M. Pappenheim in Kiel, Dr. F. Regelsberger, früher in Göttingen, Dr. C. v. Schwerin in Freiburg, Dr. Lothar Seuffert, früher in München, Dr. R. Sohm, früher in Leipzig, Dr. E. Strohal, früher in Leipzig, Dr. H. Triepel in Berlin, Dr. A. v. Tuhr in Zürich, Dr. A. Wach in Leipzig, Dr. R. Wagner, früher in Leipzig, Dr. L. Wenger in München, Dr. C. Wieland in Basel,

begründet von

Dr. K a r l B i n d i n g , früher Professor in Leipzig,

herausgegeben von

Dr. Friedrich Oetker, Professor i n W ü r z b u r g .

Sechste Abteilung, erster und zweiter Band:

O t t o M a y e r , Deutsches V e r w a l t u n g s r e c h t . I. und II. Band

Duncker & Humblot · Berlin

Deutsches Verwaltungsrecht Von

Otto Mayer

I. u n d II. Band Unveränderter Nachdruck der 1924 erschienenen 3. Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Unveränderter Nachdruck der 1924 erschienenen dritten Auflage (I. und II. Band) Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISBN 3-428-11639-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort zur dritten Auflage. So mußte ich denn doch noch einmal an diese Arbeit gehen! Groß Neues ist ja seit 1914 und 1917 nicht nachzutragen. „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht" ; dies hat man anderwärts schon längst beobachtet. W i r haben hier nur die Anknüpfungspunkte entsprechend zu berichtigen. Der reiche Stoff von Ordnungen verwaltungsrechtlicher Natur, die nur durch Krieg und Kriegsnot veranlaßt waren, bleibt hier planmäßig unberücksichtigt. Für die rechtswissenschaftliche Erkenntnis geht damit kaum etwas verloren. Der zweite Band wird diesmal erheblich kürzer ausfallen. Nachdem i n der vorigen Auflage diese meist nicht so beachteten Teile einmal etwas breiter behandelt werden konnten, glaube ich jetzt zu dem richtigen Ebenmaß gekommen zu sein. Möchte der Leser den Eindruck gewinnen, daß unser deutsches Verwaltungsrecht doch schon eine Wissenschaft geworden ist, an der man Freude haben kann. H e i d e l b e r g , den 29. August 1923.

Otto Mayer.

Vorwort zur ersten Auflage. W e n n ich ein deutsches Verwaltungsrecht schreiben sollte, so mußte ich dabei den Anforderungen zu entsprechen suchen, welche ich in meiner Theorie des Französischen Verwaltungsrechts an eine derartige Arbeit gestellt habe. Das bot aber hier ganz andere Schwierigkeiten. Dort hatte ich den Einheitsstaat vor mir mit schlechthin nationalem Recht. Hier die Mannigfaltigkeit der Landesrechte, ihrerseits wieder in verschiedenem Maße dem Einflüsse fremden, d. h. des französischen Rechtes unterliegend. Dort ein neues Recht aus einem Gusse, wie es aus dem Schmelzofen der Revolution hervorging. Hier allmähliche Übergänge und alles durchzogen von stehengebliebenen Resten des Alten. Dort, auf diese Voraussetzungen gegründet, eine wohlgefestigte Lehre mit einer verblüffenden Gleichartigkeit der Schriftsteller. Ich konnte damals aufrichtig schreiben, ich sei bloß Berichterstatter über die Taten der französischen Juristen. Alle Rechtsbegriffe waren fertig gegeben; ich hatte nur eine andere Ausdrucksweise und Anordnung hinzuzutun. Wer möchte behaupten, daß unsere deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft auch nur annähernd zu einem ähnlichen Abschlüsse gekommen sei? Wäre es nach meinen Gedanken gegangen, so würde dieses Buch wohl nicht geschrieben worden sein. Es müßte damit gewartet werden, meinte ich, bis eine gründlichere Durcharbeitung der einzelnen Materien den Weg geebnet hätte. Monographien sollten die Losung sein. Ich hatte mich selbst schon daran gemacht, dazu meinen Beitrag zu leisten. Als aber vor nun sieben Jahren die Aufforderung an mich erging, in dieser Sammlung für das Handbuch des deutschen Verwaltungsrechts einzustehen, glaubte ich mich nicht versagen zu dürfen. Vielleicht war es doch das Richtige, mutig das Ganze anzufassen, um es einheitlich nach gemeinsamen, großen Gesichtspunkten "aufzubauen. Da habe ich denn gesagt: in Gottes Namen, und mein Bestes getan. S t r a ß b u r g , den 3. Oktober 1895.

Otto Mayer.

Inhaltsverzeichnis I. Band. Einleitung. § 1. Der Begriff der Verwaltung § 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft

1 13

Allgemeiner Teil. E r s t e r Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen des deutschen Yerwaltun&srechts. § 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte § 4. Der Polizeistaat § 5. Der Rechtsstaat

25 38 54

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Yerwaltungsrechtsordnung. § § § § § §

6. 7. 8. 9. 10. 11.

Die Herrschaft des Gesetzes Die bindende Kraft des Verwaltungsrechtssatzes Die Verwaltungsrechtsquellen Der Verwaltungsakt Öffentliche Rechte Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Zivilrecht Dritter

.

64 73 81 92 103 113

Abschnitt.

Der Rechtsschutz in Terwaltungssachen. § 12. §13. §14. § 15. §16. §17. § 18.

Das Beschwerderecht Die Verwaltungsrechtspflege; Begriff Fortsetzung; die Partei Fortsetzung; Arten der Verwaltungsstreitsachen . . . . Fortsetzung; die Rechtskraft in Verwaltungssachen . . Zuständigkeit der Zivilgerichte gegenüber der Verwaltung Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen

122 131 138 151 162 172 183

Besonderer Teil. Erster Abschnitt. Die Polizeigewalt· § § § §

19. 20. 21. 22.

Entwicklung des Polizeibegriffs Grenzen der Polizeigewalt Der Polizeibefehl Die Polizeierlaubnis

203 212 226 239

Vili

Inhaltsverzeichnis. Seite

§ § § §

23. 24. 25. 26.

Die Polizeistrafe Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung Fortsetzung; unmittelbarer Zwang Fortsetzung; Besonderheiten des Zwangs durch Gewaltanwendung .

257 271 287 299

Zweiter Abschnitt.

Die Finanzgewalt· § § § § § §

27. 28. 29. 30. 31. 32.

Die Steuerauflage Fortsetzung; Rechte und Gegenrechte aus der Steuerauflage Fortsetzung; die abgeschwächte Steuerpflicht Der Finanzbefehl Die Finanzstrafe Der Finanzzwang

. . .

315 328 337 348 358 370

Inhaltsverzeichnis IL Band. Dritter

Abschnitt.

Das öffentliche Sachenrecht. § 33. § 34. § 35. § 36. § 37. § 38. § 39, § 40. §41.

Seite

Die Enteignung; Verfahren Portsetzung; die Wirkungen der Enteignung Das öffentliche Eigentum; Umfang Fortsetzung; die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums. . . . Gebrauchsrechte aiT öffentlichen Sachen; der Gemeingebrauch . . Fortsetzung; die Gebrauchserlaubnis Fortsetzung; verliehenes Gebrauchsrecht Auferlegte öffentlichrechtliche Dienstbarkeiten Öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung Vierter

1 22 39 57 73 89 95 107 118

Abschnitt.

Besondere Leistungspflichten· § § § § §

42. 43. 44. 45. 46.

Die öffentliche Dienstpflicht; Grundlagen Fortsetzung; die Anstellung im Staatsdienst Fortsetzung; Zwangsdienstpflicht und übernommenes Ehrenamt . . Fortsetzung; die Dienstgewalt Fortsetzung; vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnisse § 47. Öffentliche Lasten; gemeine Lasten § 48. Fortsetzung; Vorzugslasten und Verbandlasten . . . Fünfter

135 145 166 181 204 217 230

Abschnitt.

Besondere Empfänge. § § § § § §

49. 50. 51. 52. 53. 54.

Verleihung öffentlicher Unternehmungen Fortsetzung; Rechte und Pflichten des beliehenen Unternehmers Gewährte Anstaltsnutzung Fortsetzung; Nebenrechte aus der Anstaltsnutzung Öffentlichrechtliche Entschädigung Fortsetzung; Entschädigungsfälle unregelmäßiger Art Sechster

.

243 256 268 284 295 311

Abschnitt.

Die rechtsfähigen Verwaltungen. § § § § § § §

55. 56. 57. 58. 59. 60. 61.

Die jurÌ3tisohe Persönlichkeit des öffentlichen Rechts Die rechtsfähige öffentliche Anstalt Die öffentliche Genossenschaft Die Gemeinde Das Recht der Vertreterschaft Zusammenwirken der Verwaltungskörper Recht der Staatsaufsicht

Sachregister für Band I und I I

322 331 342 352 368 380 392 405

Abkürzungen. R.V. = Reichsverfassung von 1919. R.V. 71 = Reichsverfassuiig von 1871. B.G.B. = Bürgerliches Gesetzbuch. E.G. = Einführungsgesetz. A.G. = Ausführungsgesetz. Stf. G.B. = Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Stf.P.O. = Strafprozeßordnung. Z.P.O. = Zivilprozeßordnung. G.V.G. = Gerichts Verfassungsgesetz. Entw. d. B.G.B. = Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Erste Lesung. Mot. = Motive. Pol. Stf. G.B. = Polizeistrafgesetzbuch. A.L.R. = Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten. C. c. = Code civil. Gew.O. = Gewerbeordnung für das Deutsche Reich. L.V.G. = Landesverwaltungsgesetz. Zust.G. = Zuständigkeitsgesetz. R.B.G. = Reichsbeamtengesetz. R.A.O. = Reichsabgabenordnung. Ver.Zollges. = Vereinszollgesetz. Ausf.Best. = Ausführungsbestimmungen. G., Ges. = Gesetz. Verord. = Verordnung. R.G. = Urteil des Reichsgerichts in Zivilsachen. R.G.Stf.S. = Urteil des Reichsgerichts in Strafsachen. Dazu: Entsch. = Entscheidungen des Reichsgerichts, herausgegeben von den Mitgliedern des Gerichtshofes. O.Tr. = Urteil des preußischen Obertribunals. Dazu: Str. = Archiv für Rechtsfälle, die zur Entscheidung des Königlichen Obertribunals gelangt sind; herausgegeben von Striethorst. Kam.G. = Urteil des preußischen Kammergerichts. C.C.H. = Urteil des preußischen Gerichtshofes zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten (die entsprechenden Gerichtshöfe anderer Länder sind durch besondere Zusätze bezeichnet). O.L.G. = Urteil des Oberlandsgerichts. Obst.L.G. — Urteil des bayrischen Obersten Landesgerichts. J.M.BL = Justizministerialblatt. M.D.J. = Verfügung des Ministeriums des Innern. O.V.G. = Urteil des preußischen Oberverwaltungsgerichts (die gleichnamigen Gerichtshöfe anderer Länder sind durch besondere Zusätze bezeichnet). Dazu: Entsch. = Entscheidungen des Königlichen Oberverwaltungsgerichts, herausgegeben von Jebens u. a.

XII

Abkürzungen.

Jahrb. = Jahrbücher des Königlich sächsischen Oberverwaltungsgerichts. y.G.H. = Urteil des bayrischen Verwaltungsgerichtshofs (die gleichnamigen Gerichtshöfe anderer Länder sind durch besondere Zusätze bezeichnet). Dazu: Entsch. = Sammlung von Entscheidungen des Königlich bayrischen Verwaltungsgerichtshofs. Rechtspr. = Die Rechtsprechung des Großherz, badischen Verwaltungsgerichtshofes, herausgegeben von Wielandt. B.A. f. Heim.W. = Bundesamt für Heimatwesen. Als Zusatz zum Namen eines Autors bedeutet St.R. = Lehrbuch des Staatsrechts, Verw.R. oder V.R. = Lehrbuch des Verwaltungsrechts, St.R. = Lehrbuch des Straf rechts; der Zusatz: Stf. G.B., Z.P.O., Gew.O. bedeutet jeweils einen Kommentar zu diesen Gesetzbüchern. Annalen = Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik, begründet von G. Hirth. Arch. f. öff. R. = Archiv für öffentliches Recht (jetzt: des öffentlichen Rechts). Bl. f. adm. Pr. = Blätter für administrative Praxis. D.J.Z. = Deutsche Juristenzeitung. Fin.Arch. = Finanzarchiv, Zeitschrift für das gesamte Finanzwesen. Griinh. Ztsch. = Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, herausgegeben von Grünhut. Fischers Ztsch. = Dr. Fischers Zeitschrift für Praxis und Gesetzgebung zunächst für das Königreich Sachsen. Verw.Arch. = Verwaltungsarchiv, Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Preuß.Verw.Bl. = Preußisches Verwaltungsblatt. Württ. Arch. f. R. = Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung. Zeitsch. f. Gres. u. Pr. = Zeitschrift für Gesetzgebung und Pra xis auf dem Gebiete des deutschen öffentlichen Rechts, herausgegeben von Hartmann. Zeitsch. f. St.W. = Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Zeitsch. f. Stf.R.W. = Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft. Zeitschr. f. Z.Pr. = Zeitschrift für deutschen Zivilprozeß. Wörterb. d. V.R. = Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts, herausgegeben von v. Stengel. Wörterb. d. St. u. Verw.R. = Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, herausgegeben von Fleischmann. v. Bitter, Handwörterb. = Handwörterbuch der preußischen Verwaltung, herausgegeben von v. Bitter. v. Brauchitsch, Verw.Gcs. = v. Brauchitsch. die neuen preußischen Verwaltungs gesetze.

I. Band

Einleitung. § ι.

Der Begriff der Verwaltung. Die Lehre vom Verwaltungsrecht findet ihren Gegenstand am Staate. Der Staat kommt aber für die Rechtsordnung nach verschiedenen Richtungen in Betracht. Der Begriff der Verwaltung bezeichnet die Seite, von der er uns angeht. I . Der S t a a t ist das geordnete Gemeinwesen, zu welchem ein Volk zusammengefaßt ist, um seine Eigenart in der Geschichte zu entwickeln und zur Geltung zu bringen. Für dieses Gemeinwesen und zur Erfüllung seiner Zwecke wird mancherlei Tätigkeit geübt, die man wohl i n ihrer Gesamtheit mit dem Namen V e r w a l t u n g bezeichnet. Danach ist Verwaltung i m allgemeinsten Sinne T ä t i g k e i t des S t a a t e s z u r E r f ü l l u n g seiner Z w e c k e . Den Gegensatz dazu bildet dann die V e r f a s s u n g . Der Staat ist vor allen anderen Gemeinwesen ausgezeichnet durch eine oberste Gewalt, die i n ihm bestellt ist für ein bestimmtes Gebiet und die dazu gehörigen Menschen, die S t a a t s g e w a l t . Die Verfassung bedeutet die Regeln, nach welchen diese oberste Gewalt gebildet und eingerichtet wird. Allein dieser einfache Begriff der Verfassung hat, wie alle anderen, die uns hier beschäftigen, i m Verlaufe der geschichtlichen Entwicklung eine besondere Zutat erhalten. Wir nennen jetzt die Ordnung der obersten Gewalt nur dann eine Verfassung, wenn sie einer Volksvertretung Anteil gibt an der Staatsgewalt durch Mitwirkung bei der Gesetzgebung 1 . E i n Staat, i n welchem dieser Forderung entsprochen ist, heißt V e r f a s s u n g s s t a a t . A n den damit gegebenen 1

S a r w e y , Allg. V.K. S. 1 7 ; Z a c h a r i a e , Vierzig Bücher v. St. I I I . S. 1. Zwischen Friedrich dem Großen, der noch ruhig von „seiner Verfassung" spricht (P r e u ß , Urkundenbuch I S. 124), und Frau v. Staèl, welche dem Kaiser von Rußland die Schmeichelei macht: er sei „die Verfassung seines Reiches", in dem Gedanken, daß dieses Reich eigentlich keine Verfassung habe, liegt deutlich erkennbar der Markstein der Erklärung der Menschenrechte von 1789; in Art. 16 wird da einfach verfügt: ein Volk, das nicht so geordnet ist, daß eine Volksvertretung an Gesetzgebung usw. beteiligt wäre, „n'a point de constitution". B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1 : O t t o M a y e r , V e r w a l t u n g e n I . 3. Aufl.

1

Einleitung.

2

Unterscheidungen innerhalb der obersten Gewalt hängt unser ganzes Verwaltungsrecht. Der Verfassungsstaat ist seine Voraussetzung. Durch die verfassungsmäßige Trägerschaft der obersten Gewalt und unter ihr durch mancherlei Diener, mittelbare und unmittelbare Vertreter, wird nun die Tätigkeit geübt, zu welcher der Staat da ist. Die Verwaltung aber ist, genauer betrachtet, nur eine A r t davon. Das Ganze der staatlichen Tätigkeit stellt sich uns vielmehr dar i n der üblichen Dreiteilung: G e s e t z g e b u n g , J u s t i z , V e r w a l t u n g » Man nennt daneben als vierte Tätigkeitsart wohl noch die R e g i e r u n g . Allein der Begriff der Regierung, wie er sich nach allen Wandlungen, die er schon durchmachte, jetzt festgestellt hat, fällt völlig aus diesem Kreise heraus. A n seiner Geschichte spiegelt sich die Entwicklung unseres öffentlichen Rechtes gar merkwürdig wider. Ursprünglich wollte man m i t diesem Namen die g a n z e staatliche Tätigkeit bezeichnen, also Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung unausgeschieden. Der Fortschritt besteht i n einer stufenweise sich vollziehenden Absonderung der anderen Zweige, je nachdem staatsrechtliche Selbständigkeiten an ihnen sich geltend machen. Zuerst scheidet aus die Justiz, der Wirkungskreis der ordentlichen Gerichte: ,,Regierungssachen" und „Justizsachen" bedeuten nunmehr Gegensätze. M i t der Ausbildung des neuen Verfassungsrechtes wird auch die Gesetzgebung, sofern sie jetzt an die Mitwirkung der Volksvertretung gebunden ist, i n Gegensatz gestellt zu den übrigen Staatstätigkeiten. Endlich kommt auch noch für das, was außerhalb der Justiz und der Gesetzgebung für staatliche Zwecke geschieht, ein neuer Name auf, der Name Verwaltung. Die ist dann ebenmäßig nicht mehr gedacht als eine bloße Erscheinung der Regierung; sie soll vielmehr m i t ihrer Eigenart ein Seitenstück zur Justiz sein und ein Gegenstück zur Regierung, von der sie sich ablöst 2 . Das Ergebnis ist für unsere heutige Auffassung, daß alle Besorgung von Staatsgeschäften an diese selbständigen Begriffe verteilt ist. Für die Regierung ist nichts übrig geblieben, als das Allgemeine, das darüber steht. Man begreift darunter die O b e r l e i t u n g des Ganzen, das einheitliche Richtunggeben für die politischen Geschicke des 2

Die Stufenfolge bezeichnen: M o s e r , Landeshoheit in Regierungssachen Kap. I § 4 (wo die Regierung noch alles ist); Η ä b e r 1 i η , St.R. I I § 299 Note (wo die Regierung alles umfaßt, auch die Gesetzgebung, nur nicht die Justiz); S t a h l , PhiL des Rechts I I , 2 S. 43 (die Regierung als die „wirkliche, unmittelbare reelle Versorgung des Staates" im Gegensatz zu den Verrichtungen der Justiz und zur Gesetzgebung); endlich v. R ο e n n e , St.R. d. Preuß. Mon. I I I S. 1 Note 3 („Die Trennung von Regierung und Verwaltung gehört zu den Grundideen der repräsentativen Monarchie").

§ 1. Der Begriff der Verwaltung.

3

Staates u n d die K u l t u r e n t w i c k l u n g i m I n n e r n . Ausgehend v o n einer obersten Stelle, v o m F ü r s t e n selbst ursprünglich, beeinflußt sie alle A r t e n der w i r k s a m e n S t a a t s t ä t i g k e i t , ist aber f ü r sich selbst keine d a v o n u n d k o m m t hier n i c h t weiter i n B e t r a c h t 3 . II.

Unsere

drei

Staatstätigkeiten

unterscheiden

sich

nach

der

A r t , w i e sie den Staatszweck v e r w i r k l i c h e n sollen. W i r h a b e n sie dabei i n i h r e r g e s c h i c h t l i c h g e w o r d e n e n B e s t i m m t h e i t z u nehmen. E s h a n d e l t sich n i c h t u m begriffsnotwendig so sich gliedernde Ausflüsse des Wesens des Staates.

Es geht aber

ebensowenig an, sich einfach a n die schlichten W o r t b e d e u t u n g e n z u h a l t e n : alle d r e i haben sie als Ergebnis b e s t i m m t e r

geschichtlicher

Vorgänge b e s t i m m t e Z u t a t e n i n i h r e n Begriff aufgenommen,

über

die das W o r t selbst nichts sagt. Nur barer 3

so grenzt

Begriff

sich i n

dieser

der V e r w a l t u n g

ab,

Dreiteilung der

Begriff

ein für der

uns brauch-

Staatstätigkeit

Z a c h a r i a e , Vierzig Bücher I S. 124: „Bei dem Regieren ist der Blick auf das Ganze, bei dem Verwalten ist er auf das Besondere und Einzelne zu richten/' Ζ ö ρ f 1, Staatsrecht I I S. 352: „Regieren ist freie Selbsttätigkeit des Souveräns in der obersten Leitung des Staatswesens." — Wenn man jetzt noch zuweilen „Regierung" als eine Art Oberbegriff für die anderen Staatstätigkeiten behandelt, so klingt darin nur jene ursprüngliche umfassendere Bedeutung des Wortes nach. So L. S t e i n , Lehre v. d. vollziehenden Gewalt S. 92 („Regierung als Einheit der einzelnen Zweige der Verwaltung"); S c h u l z e , D.St.R. I S. 184 (Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung werden unter dem Namen „Regierungsrecht" zusammengefaßt). — Bevor noch diese oberste Einteilung der zu besorgenden Staatsgeschäfte mit dem Ausscheiden der „Regierung" zum Abschluß kam, schien sich von der anderen Seite her eine Vermehrung ihrer Zahl ergeben zu wollen. Von Frankreich aus hatte sich jene Theorie von der notwendigen Gestalt der Staatsverfassung verbreitet, die unter dem Namen Trennung der Gewalten bekannt ist. Montesquieu, mit dessen Namen das vor allem verknüpft ist, hatte zuerst drei solche Gewalten unterschieden, darunter zweierlei „vollziehende"; nachher begnügte er sich mit e i n e r solchen. Die deutschen Verfassungen standen mehr oder weniger unter dem Einfluß seiner Theorie. Zunächst aber fand sich in unserer Rechtslehre lange Zeit kein rechtes Verständnis dafür. Daher nachher das Bestreben, in unserer mehr naturwüchsigen Dreiteüung der Geschäfte auch die so gelehrt klingende „Vollziehung" unterzubringen, als eine F u n k t i o n wie die anderen. So H a e n e l , St.R. S. 121 ff.; J e l l i n e k , R . d. mod. St. S. 588 ff.; M e r k e l , Jur. Enzyklopädie § 416; G. M e y e r - A n s c h ü t z , D.St.R. S. 27; F 1 e i η e r , Instit. d. Verw.R. S. 4 f.; H a t s c h e k , Deutsch, u. Preuß. St.R. I S. 38. Markull, der sich im Verw.Arch. X X V I S. 33 ff. mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Verwaltung und vollziehender Gewalt beschäftigt, findet auch meine Ausführungen „nicht so ganz klar". Gehören sie nun zusammen oder nicht ? fragt er kategorisch. Sie hegen einfach in verschiedenen Ebenen. Wir handeln ohnehin hier alsbald noch von der Trennung der Gewalten, in deren Zusammenhang allein die Anwort gegeben ist. Vgl. unten § 5 Note 3.

Einleitung.

4 nämlich,

für

worden

ist4.

1.

welche

Gesetzgebung

das

Verwaltungsrecht

bedeutete

im

älteren

Rechte

geschaffen die

Tätigkeit

des F ü r s t e n als Trägers oberster Gewalt zur A u f s t e l l u n g v o n schlechthin v e r b i n d l i c h e n allgemeinen Regeln, v o n Rechtssätzen 5 . D a s nachmalige Verfassungsrecht h a t gerade f ü r diese A r t l i c h e r T ä t i g k e i t seine neu geordnete V o l k s v e r t r e t u n g b e s t i m m t .

staatDaß

die Gesetzgebung f o r t a n geschehen solle u n t e r M i t w i r k u n g der V o l k s v e r t r e t u n g , i s t der grundlegende Gedanke. Aufstellung

von Rechtssätzen

durch

D i e Gesetzgebung b l e i b t die

oberste

Gewalt;

aber diese oberste Gewalt g i b t sich j e t z t n u r z u erkennen d u r c h die V o l k s v e r t r e t u n g , welche das Gesetz beschließt oder mitbeschließt. D a s i s t die Z u t a t , die hier der alte B e g r i f f b e k o m m e n h a t .

E r setzt

sich aus zwei B e s t a n d t e i l e n zusammen: einem s a c h l i c h e n , d e m bes t i m m t e n I n h a l t der T ä t i g k e i t , u n d einem p e r s ö n l i c h e n ,

d e m be-

s t i m m t e n Ausgangspunkte dieser T ä t i g k e i t 6 . 4

Η a e η e 1, Ges. im form, und mat. Sinne S. 183, sagt von unserer Dreiteilung, sie widerspreche „jeder logischen Anforderung an eine wissenschaftlich e Einteilung". Aber sie ist ja auch nicht für Lehrbuchzwecke gemacht worden. 6 Ρ ü 11 e r , Inst. jur. pubi. §221; M o s e r , Landeshoh. in Reg.S. Kap. I V § 2; Η a b e r l i η St.R. I I § 221; A.L.R. I I , 13 § 6. 6 Der geschichtliche Zusammenhang läßt sich deutlich erkennen bei R o u s s e a u . Er hat einfach den alten Gesetzesbegriff mit der neuen Idee der Volks· Souveränität verschmolzen. I n diesem Sinne sagt er (Contr. soc. I I Kap. 6), Gesetzgebung sei es: „quand tout le peuple (Souverän) statue sur tout le peuple (Rechtssatz), alors la matière sur laquelle on statue est générale comme la volonté qui statue". Hier ist also aus dem alten Recht das doppelte Element: höchste Gewalt und Rechtssatz, beibehalten: neu ist nur, daß das Volk jetzt als alleiniger Träger der höchsten Gewalt erscheint. Seitdem hat sich insofern eine Änderung vollzogen, als die beiden Elemente des Rousseauschen Begriffs auch getrennt erscheinen können und der Name „Gesetz" dann gleichwohl beibehalten wird. Es ist also jetzt nach der unter L a b a η d s Führung eingebürgerten Ausdrucksweise G e s e t z i m f o r m e l l e n und G e s e t z i m m a t e r i e l l e n S i n n e zu unterscheiden, das erste jede Art von Willensäußerung der höchsten Gewalt bezeichnend, also den in Form des Gesetzes ergehenden Staatswillen, das letztere jeden angeordneten Rechtssatz, gleichviel wer ihn angeordnet hat (L a b a η d , St.R. I I S. 61 ff.). Immerhin kann auch jetzt noch beides verbunden sein; es ist sogar die Regel, daß das Gesetz im formellen Sinne einen Rechtssatz enthält, also zugleich Gesetz im materiellen Sinne ist: L a b a η d a. a. Ο. I I S. 64, § 56 I a. E. ; A n*s c h ü t ζ , Gegenwärt. Theor. über d. Begr. d. gesetzg. Gewalt S. 13ff.; H u b r i c h in Annalen 1904 S. 847 ; Η a e η e 1, Ges. im form, und mat. Sinne S. 278; A r n d t , Verord.R. d. Deutsch. Reichs S. 187 ff. Jedenfalls ist dieser vollere Sinn gemeint, wenn unsere Staatsrechtslehre bei der Grundeinteilung der Staatstätigkeiten, welche sie einleitungsweise zu

§ 1. Der Begriff der Verwaltung.

5

Wenn eines davon fehlt, ist der Begriff der Gesetzgebung nicht mehr erfüllt. Es können außerhalb der Volksvertretung Rechtssätze beschlossen werden von einer Behörde, früher auch vom Fürsten allein. Solche noch näher zu betrachtende V e r o r d n u n g e n (vgl. unten § 8 n. 2) zählen dann nicht mehr zur Gesetzgebung, sondern zu einer anderen Staatstätigkeit, und zwar ist das, wie wir sehen werden, die Verwaltung 7 . Hinwiederum kann die Volksvertretung, wie früher der Fürst mit ihr oder noch früher auch für sich allein, i n der äußeren Form eines Gesetzes auch andere Willensäußerungen von sich geben als aufzustellende Rechtssätze. Zur Gesetzgebung zählt das abermals nicht. Es kann Verwaltung sein oder sonst etwas. Die der Gesetzgebung von jeher wesentliche A r t des Willensinhaltes fehlt 8 . 2. J u s t i z — auch Rechtspflege, Rechtsprechung, Gerichtsbarkeit genannt — ist staatliche Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung mit obrigkeitlicher Gewalt. Die dazu bestimmten staatlichen Behörden sind die Gerichte. Als sich die Ausscheidung der Justiz von sonstiger staatlicher Tätigkeit bei uns vollzog (vgl. unten § 4, I n. 3), bestanden Gerichte nur für Zivil- und Strafrechtspflege. Damit legte sich der Begriff fest: Justiz ist d i e o b r i g k e i t l i c h e T ä t i g k e i t z u r A u f r e c h t e r h a l t u n g der R e c h t s o r d n u n g b e i den für Z i v i l - u n d Strafrechtspflege bestellten Gerichten, den ,,ordentlichen Gerichten", wie wir sie bezeichnen, oder Gerichten schlechthin 9 . Justiz in diesem Sinne begreift nicht bloß die eigentliche geben pflegt, von „Gesetzgebung" spricht: v. R ο e η η e , St.R. d. Preuß. Mon. I § 88; S c h u 1 ζ e , D. St.R. I S . 518; G. M e y e r - A n s c h ü t z , D. St.R. S. 25 und S. 27. 7 S a r w e y , Allg. V.R. S. 30; v. M a r t i t ζ in Ztschft. f. Stsw. X X X V I S. 258. I n Griinh. Ztschft. V i l i S. 40 will G . M e y e r allerdings nur die Polizeiverordnungen der Behörden zur Verwaltung rechnen; die Verordnungen des Staatsoberhauptes glaubt er „zweckmäßiger" an die Gesetzgebung als an die Verwaltung anzuschließen. Die Kaiserl. Verord. zur Verhütung der Zusammenstöße von Schiffen, die er als Hauptbeispiel anführt, ist aber eine Polizeiverordnung wie eine andere. 8 Über die freie Verwendbarkeit der Gesetzesform für alles mögliche, was nicht Rechtssatz ist, vgl. L a b a η d , St.R. I I S. 65 ff. ; dazu J e 11 i η e k , Ges. u. Verord. S. 255 ff. ; S a r w e y , Allg. St.R. S. 24 ff. ; S e 1 i g m a η η , Beiträge S. 3 ff. 9 L ο e η i η g , V.R. S. 2, gibt diesen Begriff mit einer kleinen, aber folgenreichen Verschiebung. „Die Rechtspflege oder Justiz in dem historisch gegebenen Sinne des Wortes umfaßt nicht die gesamte Tätigkeit des Staates, die gerichtet ist auf Herstellung und Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, sondern diese Tätigkeit nur insoweit, als sie die Herstellung und Aufrechterhaltung der Ordnung des Privatrechts und des Strafrechtes zum Zwecke hat." Danach würde die Entscheidung des Landgerichts über eine Enteignnngsentschädigung nicht Justiz

6

Einleitung.

R e c h t s p r e c h u n g , d. h. den obrigkeitlichen Ausspruch dessen, was nun i m Einzelfalle für die Parteien Rechtens sein soll. Es gehört dazu auch alles, was von den Gerichten und ihrer Gehilfenschaft zur Vorbereitung und Durchführung eines solchen Ausspruches geschiebt, d a s ganze i h r e r s t r e i t i g e n G e r i c h t s b a r k e i t d i e n e n d e V e r f a h r e n : Anklage und Voruntersuchung, Zustellung, Prozeßleitung, Pfändung und sonstiger Vollstreckungszwang, und überdies unter dem Namen f r e i w i l l i g e G e r i c h t s b a r k e i t ihre gesamte obrigkeitliche Betätigung außerhalb solchen Verfahrens zur Sicherung von Privatinteressen und zur Handhabung vormundschaftlicher Schutzgewalt : Beurkundungen, Genehmigungen, Aufsichtsmaßregeln verschiedener A r t sind hier von ihnen vorzunehmen 10 . Alles, was nicht die b e i d e n Voraussetzungen zusammen erfüllt : an den ordentlichen Gerichten zu hängen als dem Ausgangspunkte und ein Stück jener obrigkeitlichen Leistungen für das Gemeinwesen zu sein, ist nicht mehr Justiz. Wenn der staatlichen Tätigkeit das eine oder das andere dieser Merkmale fehlt, wird sie regelmäßig der Verwaltung zuzurechnen sein. Nicht zur Justiz zählen also einmal solche Tätigkeiten, welche wohl ihrem Inhalt und ihrer Form nach dem entsprechen, was auch bei den ordentlichen Gerichten geschieht, aber i m gegebenen Fall nicht bei diesen, sondern b e i a n d e r e n B e h ö r d e n stattfinden. Alle Beurkundungen, Genehmigungen, Beaufsichtigungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit haben ihre Seitenstücke i n der Verwaltung; Rechtsprechung ist vielleicht die Hälfte aller Verwaltungsakte; die Versein, wohl aber die früher so gern gehandhabte polizeüiche Zurückführung Vertragsbrüchiger Dienstboten. Das „subjektive Element" ist hier nicht gewürdigt, welches L a b a n d , St.R. I I S. 174, mit Recht betont. 10 Unsere Publizisten lieben es, bei Erwähnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu bemerken: sie sei eigentlich nicht Justiz, sondern „ihrem materiellen Gehalte nach" oder „der Art nach" Verwaltung. So G. M e y e r - D o c h o w , V.R. (1910) S. 3; L a b a n d , St.R. I I S. 179 Note 2 ; B e r n a t z i k , Rechtskraft S. 2; S e l i g m a n n , Beiträge S. 71. L e u t h o l d , Sächs. V.R. S. 137. bezeichnet sogar alle gerichtliche Tätigkeit, die nicht geradezu der Rechtsprechungsakt selbst ist, insbesondere auch die ganze Prozeßleitung, als einen „umfänglichen Teü der öffentlichen Verwaltung". R.G. 26. April 1906 (Entsch. L X I I I S. 238) nennt das Vormundschaftsgericht „Verwaltungsbehörde im Sinne des § 13 G.V.G."; es soll damit die Zulässigkeit des Ausschlusses des ordentlichen Rechtsweges durch B.G.B. § 1636 begründet werden — als ob ein Reichsgesetz wie das B.G.B, solcher Entschuldigung bedürfte! Die Prozessualisten verwahren sich mit Recht gegen diese Auffassungen: Η e 11 w i g , Lehrb. I S. 7δ Note 1; S t e i n , Z.Pr.Ord. I S. 9; V i e r h a u s in Verw. Arch. X I S. 233.

§ 1. Der Begriff der Verwaltung.

7

waltungsrechtspflege ist sachlich vollkommen gleicher Natur wie die Zivilrechtspflege. Die Ausscheidung ist lediglich begründet durch den verschiedenen Ausgangspunkt der Tätigkeit: was nicht von den Zivilgerichten ausgeht, ist Verwaltung; auch die Verwaltungsgerichte sind Verwaltungsbehörden 11 . Sodann gehören nicht zur Justiz solche Geschäfte, die wohl bei den Gerichten besorgt werden, ihrer A r t nach jedoch nicht die obrigkeitliche Leistung für Schutz und Ordnung i m Gemeinwesen darstellen, die der Justiz eigen ist. Darunter fallen namentlich die den Gerichten oder einzelnen Richtern etwa übertragenen Geschäfte der J u s t i z v e r w a l t u n g mit ihren Materialverwaltungen, Gebäudebesorgungen, Ernennungen usw. 3. Aus der Art, wie die Begriffe Gesetzgebung und Justiz sich abgesondert haben, folgt von selbst, daß die V e r w a l t u n g , die nun noch übrig bleibt, nicht abgegrenzt werden kann nach der besonderen A r t ihrer Geschäfte. E i n bestimmter Ausgangspunkt ist für jene wesentlich; ganz das nämliche, wenn es nicht von der Trägerschaft der obersten Gewalt unmittelbar ausgeht, ist nicht Gesetzgebung, sondern Verwaltung, und ebenso werden Tätigkeiten zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung Verwaltung, sobald sie losgelöst erscheinen von den Zivilgerichten. Deshalb ist der Begriff Verwaltung i n dieser Richtung nur v e r n e i n e n d zu bestimmen: als Tätigkeit des Staates, die nicht Gesetzgebung oder Justiz i s t 1 2 . 4. Aber nicht alles, was weder Gesetzgebung ist noch Justiz, ist Verwaltung. Zunächst bietet uns das V e r f a s s u n g s r e c h t eine Reihe von solchen Tätigkeiten. Das Verfassungsrecht soll den Staat fertig stellen als das handlungsfähige Gemeinwesen, damit er alsdann i n Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung seine Zwecke verfolgen könne. Die Fertigstellung kann aber nicht durch die ruhende Rechtsordnung allein geschehen; es bedarf mancherlei Anordnungen und Geschäftsbesorgungen, um die Verfassung gar einzurichten und in Gang zu halten. Diese v e r f a s s u n g s r e c h t l i c h e n H i l f s t ä t i g k e i t e n , wie wir sie nennen mögen, liegen noch jenseits des Punktes, wo der fertige Staat anfängt, für seine Zwecke tätig zu werden, entsprechen also auch nicht jenem allgemeinen Begriffe, von welchem die Verwaltung 11

So der Preuß. Justizminister Leonhardt bei Beratung des G.V.G. im Reichstage ( H a h n , Mat. zu G.V.G. S. 1185). 12 S a r w e y , A.V.R. S. 14; A r n d t , in B i r k m e y e r , Enzykl. S. 845; Γ ] e i η e r , Instit. S. 5.

8

Einleitung.

i m engeren Sinne, die wir hier betrachten, eine besondere Axt vorstellen soll. Bei manchen dieser Tätigkeiten ist das von vornherein einleuchtend, sofern sie genau genommen gar kein Handeln namens des Staates sind, sondern innere Vorgänge bei der sich ordnenden obersten Gewalt: Thronentsagung des Fürsten und ebenso jetzt Niederlegung des Amtes eines Reichspräsidenten sind persönliche Tat des Staatsoberhauptes; Auflösung des Reichstages und Anordnung eines Volksentscheides und umgekehrt der Antrag auf Absetzung des Reichspräsidenten durch den Reichstag ist ein Geltendmachen der Machtstellung des einen gegenüber der des anderen. Aber auch wo dieser innere Kreis verlassen und nach außen aufgetreten wird, vielleicht schon ganz ausdrücklich i m Namen des Staates als eines fertigen Ganzen, kann die Tätigkeit noch die Natur einer bloßen Ergänzung des verfassungsmäßigen Bestandes an sich tragen: Ausschreibung und Leitung der Wahlen zur Volksvertretung, Beschlüsse zur Änderung des Staatsgebietes, Aufnahme i n den Staatsverband und Entlassung daraus. Diese Dinge werden natürlich auch dadurch nicht zu Stücken der Verwaltung, daß das für sie geltende Recht m i t den Formen des Verwaltungsrechtes sich nahe berührt oder sie geradezu übernimmt 1 3 . Daneben gibt es aber allerdings noch eine andere Gruppe, die einen eigenen Platz beansprucht. Denn hier handelt es sich wirklich um Tätigkeit des Staates zur Verfolgung seiner Zwecke, und doch ist es keine Verwaltung. Es ist ein v i e r t e s G e b i e t , das wir vor uns haben. Der Grund der Ausscheidung liegt darin, daß auch der Begriff der Verwaltung noch eine besondere Zutat erhalten hat, einen geschichtlich mitgebrachten Begriffsbestandteil, den uns gerade der Gegensatz dieses vierten Gebietes zum Bewußtsein bringen muß. Die Verwaltung ist, wie wir das oben ausführten, die letzte der Staatstätigkeiten gewesen, die sich nach und nach ablösten von dem ursprünglich alles umfassenden Begriffe der Regierung. Die Ausscheidung des Begriffes der Verwaltung vollzog sich i n der deutschen Rechtssprache i n der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts i m Anschluß an die Einführung des neuen Verfassungsrechtes und des 13 I n diesem Sinne will auch L ο e η i η g , V.R. S. 2, von der Verwaltung ausscheiden „diejenige Tätigkeit des Staates, welche dem Gebiet der Verfassung angehört". — Über die genauere Abgrenzung kann man hin und her reden. Nach dem hier oben Gesagten ist der Gegensatz ohne besondere Wichtigkeit. Andererseits werden sich aber daraus auch die Einwendungen, welche J e l l i n e k , R. d. mod. Staates S. 597, und teilweise ihm folgend S p i e g e l , Verw. Rechtswissensch. S. 72 f., vorgebracht haben, von selbst beantworten.

§ 1. Der Begriff der Verwaltung.

9

damit einsetzenden Strebens nach weiterer Ausbildung des öffentlichen Rechtes. Der Begriff brachte die Forderung des Rechtsstaates m i t auf die Welt: die Verwaltung ist von Anfang an gedacht als Tätigkeit des Staates, die bestimmt ist, u n t e r s e i n e r R e c h t s o r d n u n g , unter der neugeschaffenen Form ihrer Erzeugung, unter seiner G e s e t z g e b u n g zu stehen 14 . Daraus ergibt sich von selbst, daß ausgeschlossen sind von der Verwaltung alle Tätigkeiten des Staates zur Verwirklichung seiner Zwecke, mit welchen er aus d e m B e r e i c h e d i e s e r R e c h t s o r d n u n g h e r a u s t r i t t . Daß der Staat das k a n n , wird nur dem einseitig zivilistisch geschulten Denken Schwierigkeiten machen. Es genügt hier zu verweisen auf die Fälle, i n welchen es wirklich zutrifft. Das erste Beispiel gibt der v ö l k e r r e c h t l i c h e V e r k e h r . Vertragsschlüsse m i t fremden Staaten und diplomatische Schritte bei ihren Regierungen, Vorstellungen, Beschwerden, Drohungen, der ganze nach Reichsverfassung Art. 112 Abs. 2 allen Deutschen zu gewährende Schutz, das alles steht für seine Verwirklichung nicht mehr unter den Regeln unserer eigenen Rechtsordnung. Es ist nach Grund und Form und Wirkung unmittelbar rechtlich bestimmt durch das alle Staaten verbindende Völkerrecht. Deshalb sind diese Tätigkeiten nicht als Verwaltung angesehen 15 . 14

Um den wesentlichen Zusammenhang der Verwaltung mit der Rechtsordnung auszudrücken, sagt Κ 1 ü b e r , D. St. u. Bd. R. § 41, von ihr, sie bestehe „in rechtmäßiger und zweckmäßiger Ausübung der Hoheits- und Eigentumsrecht« des Staates". Am deutlichsten wird die Loslösung der Verwaltung von der Regierung auf ihren besonderen Zusammenhang mit dem Recht begründet bei S c h m i t t h e n n e r , St.R. S. 483: „Die Regierungsgewalt darf mit dem bloßen Recht der Verwaltung, als demjenigen, innerhalb der Schranken des Rechtes die öffentlichen Interessen zu normieren, nicht für gleichbedeutend gehalten werden". — Daran knüpft sich dann der viel wiederholte Gedanke, daß die Rechtsordnung gelte für die Verwaltung wie für die Justiz, für diese aber Ζ w e c k , für jene S c h r a n k e sei: B a h r , Rechtsstaat S. 52, U 1 b r i c h in Grünh. Ztschft. I X S. 1; S c h u 1 ζ e , D. St.R. Π S. 67; L a b a η d , St.R. (1. Aufl.) I I S. 200; J e 11 i η e k , Ges. u. Veroni. S. 218; A n s c h ü t z , Krit. Studien S. 53; S t i e r - S o m l o , Einwirk, des Bürg.R. S. 12. Dieser Gedanke findet sich meines Wissens zuerst bei S t a h 1, Phil. d. R. (1837) I I , 2 S. 45: Regierung im engeren Sinne, auch Verwaltung, Administration genannt, ist „bloß negativ durch das Gesetz begrenzt". Zutreffend ist er nur halb; das Verhältnis des Gesetzes zur Verwaltung ist nicht einfach nur das einer Schranke, sondern viel manigfaltiger gestaltet; vgL unten §§6 und 7. 15 Deshalb gibt es natürlich gleichwohl „staatsrechtliche Regeln über die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten'*; aber diese „finden nur in sehr beschränktem Maße Anwendung" (L a b a η d , St.R. I I I S. 1 und Note). Worauf sich unsere staatsrechtlichen Regeln „beschränken", das ist die Ordnung und

Einleitung.

10

Ferner gehört hierher die K r i e g f ü h r u n g .

W e n n der Staat seine

H e e r e d e m F e i n d e entgegenwirft z u r V e r t e i d i g u n g des Vaterlandes, Menschenleben

massenweise

vernichtet

und

Städte

zerstört

und

d e n friedlichen B e v ö l k e r u n g e n Kriegsleistungen auferlegt, so i s t das die kraftvollste

Verfolgung

seiner Zwecke, i s t weder

n o c h Rechtspflege, aber a u c h keine V e r w a l t u n g .

Gesetzgebung

N i c h t unser R e c h t ,

sondern das V ö l k e r r e c h t g i b t a u c h dieser T ä t i g k e i t des Staates die äußere Regelung. Das Gleiche g i l t i m I n n e r n f ü r den F a l l des Bürgerkrieges.

A b e r a u c h die Niederwerfung

der E m p ö r u n g ,

die

noch

n i c h t f ö r m l i c h die N a t u r des Bürgerkrieges angenommen h a t , steht schon außerhalb

unserer

Rechtsordnung;

sie e n t l e h n t

die

Freiheit

d a v o n v o m Bürgerkriege, ohne zugleich dessen völkerrechtliche b u n d e n h e i t dafür z u erhalten.

Die harten Notwendigkeiten,

Ge-

welche

i n diesen D i n g e n die Herrschaft führen, werden auch schon i m F r i e d e n zurückwirken gesicht

zu

auf

die ganze Heereseinrichtung,

sehen b e s t i m m t

ist:

das

die i h n e n ins

militärische

welches sie i m inneren K e r n zusammenhält, i s t seiner N a t u r unbedingt

u n d a n Rechtsschranken

nur

notdürftig

An-

Kommando, gebunden;

nach das

g e n ü g t , u m auch dieses außerhalb der V e r w a l t u n g z u s t e l l e n 1 6 . Leitung der Behörden, durch welche unser dem Völkerrecht unterstehender Verkehr stattfinden soll. Was hierfür außer Justiz und Gesetzgebung geschieht, ist allerdings Verwaltung, Verwaltung des Äußeren. Auch die Ausscheidung, die wir hier machen, findet sich schon bei S t a h 1, Phil. d. R. (1837) I I , 2 S. 83: „Noch ein eigentümliches Gebiet der Tätigkeit für den Staat ist begründet durch sein Verhältnis zu anderen Staaten. Dieses gehört aber nicht mehr der eigentlichen Verwaltung an, weil es keine Leitung der Untertanen und ihrer Zustände ist und bezweckt." — S t i e r - S o m l o , Einwirkung S. 54, widerspricht dieser Ausscheidung, weil ja auch in der Verwaltung Tätigkeiten vorkämen, die von Rechtsregeln nicht ergriffen werden. Allein das ist doch etwas anderes: hier handelt es sich um eine grundsätzliche Unzugänglichkeit. 16

Die Frage wurde vor allem unter dem Gesichtspunkte erörtert, daß königliche Anordnungen, die in Ausübung der Kommandogewalt geschehen, der verfassungsmäßigen Gegenzeichnung nicht bedürfen: H e c k e r , in V.R. Wörterbuch I S. 63 (Wörterb. d. St. u. V.R. I S. 187, Bearbeitung von Α ρ e 1); L a b a n d , St.R. 4. Aufl. I V S. 34; M a r s c h a l l v. B i b e r s t e i n , Verantwortlichk. und Gegenzeichnung S. 76 ff. Durch R.Verf. Art. 50 ist jetzt diese formale Besonderheit beseitigt. Dagegen behält der militärische Dienstbefehl sachlich immer noch seine eigentümliche Strenge, die ihn über den gewöhnlichen Verwaltungsdienstbcfehl hinaushebt; vgl. unten Bd. I I § 45. — Diesen Herrschaftsbereich der militärischen Befehlsgewalt umschließt dann die mancherlei sonstige staatliche Tätigkeit zur Instandhaltung und Besorgung der großen Heeresanstalt, die M i l i t ä r v e r w a l t u n g : da sie unter der Rechtsordnung steht, weder Justiz noch Gesetzgebung ist, so führt sie wieder den Namen Verwaltung. Ihr wird insbesondere auch die Militärgerichtsbarkeit zugerechnet; da ihr das der

§ 1. Der Begriff der Verwaltung.

11

Verwaltung ist es endlich auch nicht, wenn i n Ausnahmefällen die bestehende Rechtsordnung um der höheren Forderungen des Staatswohles willen durchbrochen wird. Die ältere Lehre hat uns dafür den Begriff des S t a a t s n o t r e c h t e s überliefert. Die Möglichkeit derartiger formloser Gewaltmaßregeln ist auch i m Verfassungsstaate nicht ausgeschlossen; ob die Verantwortlichkeit dafür in Anspruch zu nehmen wäre, das hinge von der heiklen Frage ab, ob die „Staatsn o t " auch wirklich vorlag. Jedenfalls wäre es keine Verwaltung, was da gemacht würde. Unsere deutschen Verfassungen pflegten einen Ausweg zu geben durch Anerkennung eines N o t v e r o r d n u n g s r e c h t e s , das i n seinen Ansprüchen auf den Grad der Not ziemlich bescheiden ist. Die Notverordnung, weil sie die bestehende Rechtsordnung ausnahmsweise durchbricht, gehört i m Gegensatz zur Ausführungsverordnung und zur Polizeiverordnung nicht zur Verwaltung; aber sie t u t das verfassungsmäßig in vorläufiger Vertretung des Gesetzes, dessen vollen Wert sie ja nachträglich erhalten soll; deshalb rechnet sie sich selbst zur Kategorie der Gesetzgebung und nicht zu dem vierten Gebiet, das wir hier behandeln 17 . Dagegen werden zu diesem gehören die außerordnetlichen Maßregeln, zu welchen jetzt R.Verf. Art. 48 die Ermächtigungen gibt. U n d überdies liefert der Verfassungsstaat ganz von selbst eine neue A r t von Besorgung seiner Geschäfte, die in keiner der üblichen Rubriken unterzubringen ist. Das sind d i e E i n z e l v e r f ü g u n g e n i n Gesetzesform. Gesetzgebung i m Sinne der hier behandelten Grundeinteilung sind sie nicht, weil sie keine Rechtssätze enthalten. Man bezeichnet sie gern als Verwaltungsakte. Das sind sie aber auch nicht notwendig. Vielmehr ist zu unterscheiden. Es kann nach dem bestehenden Verwaltungsrechte eine bestimmte Maßregel, die i m Justiz wesentliche „subjektive Moment" fehlt, ist das nur folgerichtig: Η a e η e 1, St.R. I S. 472 ff.; L a b a n d , St.R. 4. Aufl. I V S. P8, S. 107. 17

Z a c h a r i a e , St.R. IT S. 171. Pr. Verf. Urk. Art 63: „Verordnungen mit provisorischer Gesetzeskraft"; dazu ν. R ο e η η e , St.R. d. Pr. Mon. I S. 78: „oktroyierte Gesetze", S. 348: „außerordentliche Gesetzgebung". Wo die Verfassung solche nicht zuläßt, wird gleichwohl, meint Ζ a c h a r i a e a. a. Ο. S. 172 Note 11, die Regierung „möglicher Weise in die Lage kommen, nach der Regel -,Nqt kennt kein Gebot4 zu handeln". Das würde aber dann nicht mehr als Gesetzgebung bezeichnet werden können; es wäre einfach das alte Staatsnotrecht, unserem vierton Gebiete zugehörig. Der Widerspruch, den S t i e r - S o m l o , Einwirkung S. 55, hier gegen meine Ausdehnung de3 vierten Gebietes erheben zu müssen glaubt, trifft gar nicht dieses Staatsnotrecht, sondern ausdrücklich nur die verfassungsrechtlich zugelassene Notverordnung, die ich selbst nicht zum vierten Gebiete rechne.

Einleitung.

12 Einzelfalle

getroffen

werden

soll,

dem

Gesetze

vorbehalten

sein,

Da nimmt

dann

z. B . die A n o r d n u n g eines Enteignungsverfahrens. das Gesetz einfach t e i l a n der V e r w a l t u n g . gierung etwa freiwillig

die

Gesetzesform

die sie eigentlich a l l e i n m a c h e n k ö n n t e . in

der

bestehenden

die vorzunehmende

Rechtsordnung

Ebenso, w e n n die R e -

wählt

für

eine

Maßregel,

E s k a n n aber a u c h sein, d a ß

ein

Maßregel ü b e r h a u p t

Vorbehalt

nicht

n i c h t als m ö g l i c h

gemacht, voraus-

gesetzt ist. Das Gesetz k a n n g l e i c h w o h l i m m e r t u n , was es w i l l , etwas Abweichendes, Außerordentliches verfügen, eingreifen i n die Rechtso r d n u n g f ü r d e n Einzelfall. ist nicht mehr Verwaltung. gebraucht,

ist

es m i t

D a s i s t r e c h t l i c h unanfechtbar, aber es Sobald das Gesetz seine

der begriffsmäßig

unter

der

Souveränität

Rechtsordnung

stehenden V e r w a l t u n g z u E n d e 1 8 . 18

Daß nach diesem Maßstab eine Unterscheidung zu machen ist zwischen den gesetzlichen Anordnungen für den Einzelfall, hebt auch J e l l i n e k hervor (Ges. und Verord. S. 239 ff.). Solche Gesetze können nach ihm die Natur von „Verwaltungsakten" haben, dann nämlich, wenn sie sich „in dem Rahmen der geltenden Rechtsordnung bewegen". Sie können aber auch „Tndividualgesetze" sein, wie er sie nennt; sie bedeuten dann ili e „Anordnung von Einzelakten contra legem" (S. 257). J e l l i n e k ist allerdings der Meinung, daß diese letzteren „neues Recht schaffen 4', und zählt sie deshalb zur Gesetzgebung. Wer mit an» in der Anordnung für einen bestimmten Einzelfall einen Rechtssatz nicht zu finden vermag (vgl. unten § 7 Note 1), muß dies'.. „Tndividualgesetz" auch von der Rubrik Gesetzgebung ausschließen; dann fällt es eben in das viert« Gebiet. Das Preußische Gesetz (ursprünglich Notverordnung) v. 2. März und 15. Febr. 186S zur Beschlagnahme des Vermögens des Königs von Hannover enthält einen Rechtssatz so wenig, wie der Beschluß des Gerichts zur Beschlagnahme des Vermögens des Angeklagten nach Stf.Pr.O. § 326. Da aber jene Maßregel getroffen worden ist, nicht auf Grund und in Gemäßheit bestehender Rechtsordnung, sondern in Durchbrechung des ordentlichen Rechts, so ist sie auch weder Justiz» noch Verwaltung gewesen, vielmehr ein Beispiel der hier besprochenen Art von Staatstätigkeit. — Es ist immerhin eine Reihe nicht unbedeutender Erscheinungen, die wir hier unter der Bezeichnung „viertes Gebiet" zusammengefaßt haben, und man könnte daran denken, ihnen auch einen ordentlichen gemeinsamen Namen auszusuchen. Nach dem bisherigen Gang, den die Gestaltung unserer Ausdnicksweise hier genommen hat, wo von dem ursprünglichen Einheitsbegriff Regierung sich nach und nach bestimmte Tätigkeiten ablösen und das jeweils Verbleibende dann weiter Regierung heißt, wäre es folgerichtig, hier von R e g i e r u n g s h a n d l u n g e n , R e g i e r u n g s a k t e n zu sprechen. I n der französischen Rechtssprache ist das so. Das entsprechende Wort „gouvernement" dient ganz besonders zur Bezeichnung der verfassungsrechtlichen Hilfstätigkeit des Staatsoberhauptes (décrets gouvernementaux), der ganzen völkerrechtlich bestimmten Tätigkeit nach außen und der Geltendmachung des Staatsnotrechtes durch den unter dem 2. Kaiserreich viel besprochenen „acte de gouvernement" (O.M. Theorie d. franz. Verw. St. S. 7 ff. Doch liegt schließlich an solcher Namengebung nicht allzuviel.

§ 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsissenschaft.

13

I I I . Als Ergebnis dieser Ausführungen stellt sich der Begriff der Verwaltung, m i t dem wir zu rechnen haben, dahin fest: V e r w a l t u n g i s t T ä t i g k e i t des S t a a t e s z u r V e r w i r k l i c h u n g seiner Z w e c k e u n t e r seiner R e c h t s o r d n u n g , a u ß e r h a l b d e r J u s t i z . § 2.

Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft· I . Verwaltungsrecht wäre dem einfachen Wortsinne nach ein auf die Verwaltung bezügliches, ihr zugehöriges Recht. Recht setzt menschliche Machtverhältnisse voraus, die es ordnet, Rechtssubjekte, die sich gegenüberstehen und zwischen welchen die Linie ihrer beiderseitigen Machtgrenzen gezogen werden soll. U m welche Verhältnisse es sich hier handelt, ergibt der Begriff der Verwaltung: es müssen Verhältnisse sein, die sich bei dieser ergeben. Damit ist auch von den Rechtssubjekten, zwischen welchen das Verwaltungsrecht gelten soll, das eine gleichmäßig bestimmt als der S t a a t , für den jene Tätigkeit geübt wird, der also verwaltet 1 . Dem verwaltenden Staate gegenüber steht die Masse d e r Menschen, die i h m Untertan sind, u n d solcher Menscheng e m e i n s c h a f t e n u n d j u r i s t i s c h e r Personen. Sie liefern das andere Rechtssubjekt i n der Einzahl oder Vielzahl, wie eben der Staat bei solcher Tätigkeit mit ihnen i n Berührung kommt. Verwaltungsrecht bedeutet also die rechtliche Ordnung der Verhältnisse zwischen dem verwaltenden Staate und den ihm dabei begegnenden Untertanen 2 . 1

Die gewöhnliche Redeweise behandelt den Staat hier ohne weiteres als das in erster Linie beteiligte Rechtssubjekt. Der Jurist muß sich das genauer zurechtlegen, und zwar geschieht das in Deutschland vorwiegend in der Weise, daß man ihm die Eigenschaft einer j u r i s t i s c h e n P e r s o n zuerkennt. Man kann auch andere Wege gehen. Wir werden im Zusammenhang mit der Lehre von den rechtsfähigen Verwaltungen (Bd. I I § 55) auf die Frage zurückkommen und lassen sie ohne Schaden einstweilen dahingestellt. 2 Das Wort Untertan bezeichnet ganz gut das Verhältnis des Menschen im Staate; man muß nicht allzu ängstlich sein, es zu gebrauchen. Selbst R o u s s e a u , contr. soc. I, cap. V I , nennt ihn darum ungescheut „sujet". Die Freiheit beruht bei ihm darauf, daß man zugleich auch citoyen ist und Anteü an der Staatsgewalt hat, also auf Verfassungsrecht. Uns scheint es noch wichtiger, daß der Untertan dem Staate jetzt nicht mehr schlechthin als Gegenstand seiner Machtübung dient, sondern mit seiner Eigenschaft ala Untertan die eines Rechtssubjektes sich verbindet, dem auch die öffentliche Gewalt in rechtlich geordneten und gebundenen Beziehungen gegenübei steht; die Freiheit beruht für uns wesentlich auf Verwaltungsrecht. Freie Untertanen in diesem Sinn sind aber auch Nicht bürger, denen der Staat auf seinem Gebiete begegnet.

Einleitung.

14

Aber auch das ist noch nicht genau genug. Denn nicht alles Recht, das für diese Verhältnisse maßgebend werden kann und mehr oder weniger häufig maßgebend wird, ist deshalb schon Verwaltungsrecht. Es findet nämlich auf diese Dinge i n weitem Maße einfach das gewöhnliche Recht Anwendung, das auch für die Einzelnen i n ihren Beziehungen zueinander gilt, das bürgerliche Recht (vgl. unten § 11, I I ) . Wollte man es also bei der soeben gegebenen Begriffsbestimmung belassen, so wäre damit das ganze zweite und dritte Buch des BGB. i n das Verwaltungsrecht einbezogen; das darf man sich nicht verhehlen. Wenn auch nicht i n gleichem Umfange, steht es ebenso mit anderen Rechtsarten: Strafrecht, Zivil- und Strafprozeßrecht, Verfassungsrecht. Alles das ist aber von unserem Begriffe Verwaltungsrecht auszuschließen. Es ist ja auch nicht alles Kirchenrecht, was auf die Kirche bezüglich ist und zur Anwendung kommt, sondern nur i h r Recht, woher es auch stamme, also das der Kirche e i g e n t ü m l i c h e Recht· W i r müssen also sagen: V e r w a l t u n g s r e c h t i s t das d e m V e r hältnisse zwischen dem v e r w a l t e n d e n Staate u n d seinen i h m dabei begegnenden U n t e r t a n e n e i g e n t ü m l i c h e Recht. Ob es eigenartig genug ist und reich genug entfaltet, u m eine besondere Darstellung zu verlohnen, das muß diese selbst zeigen 3 . I I . Das also abgegrenzte Verwaltungsrecht ist zu keinem Teile etwa nur ein besonders gestaltetes Zivilrecht, von dem gewöhnlich geltenden nur durch gewisse Abweichungen ausgezeichnet. Sondern es ist diesem gegenüber eine andere R e c h t s a r t : es gehört dem ö f f e n t l i c h e n R e c h t e an 4 . Das ist an seinen Einzelheiten leicht erkennbar — vorausgesetzt freilich, daß man erst einmal weiß, was öffentliches Recht ist —, ergibt sich aber auch von vorneherein m i t Notwendigkeit aus der Natur der Sache. Sobald wir nämlich, gemäß dem soeben Gesagten, davon ab3

Sie wird auch von selbst die Widerlegung jener älteren Auffassung werden, die da glaubte, dem Verwaltungsrecht seinen eigenen Platz an der Sonne versagen zu können^ indem sie die Hälfte davon für staatsrechtlich erklärte — was an sich nur ein anderer Name wäre, aber doch schon eine nebensächliche Behandlung bei Verfassungsrecht und Behördenordnung ankündigte; die andere Hälfte sollte einfach „modifiziertes" Strafrecht, Prozeßrecht und vor allem Privatrecht sein — was auf eine Denaturierung des Verwaltungsrechts hinauslief. So auch noch L a b a n d , St.R. 1. Aufl. I I S. 205 f.; teilweise beibehalten in 5. AufL Π S. 185 f. 4 Uber diesen Begriff und die verschiedenen Arten, ihn festzustellen, übersichtlich: S t i e r - S o m l o , Einwirkungen d. bürg. Rechtes auf das preußdeutsch. Verw.R. S. 12 ff.

§ 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsissenschaft.

15

sehen, den S t a a t wie einen E i n z e l n e n z u behandeln u n d das f ü r die E i n z e l n e n geltende R e c h t auf i h n anzuwenden, m u ß a n d e m S t a a t e eine

besondere

rechtliche

Wirkungskraft

zum

Vorschein

kommen,

die i n seiner N a t u r als Gemeinwesen begründet ist, die ö f f e n t l i c h e Gewalt.

U n t e r G e m e i n w e s e n s i n d z u verstehen: Menschengemein-

schaften für Zwecke, die über die Zwecke v o n Einzelmenschen h i n a u s gehen.

Das H a u p t b e i s p i e l ist gerade der Staat, der seine Menschen

massenweise opfern darf f ü r die Z u k u n f t der geschichtlichen Größe V o l k , der er die Gestalt z u geben b e s t i m m t i s t ; Gemeinden, K i r c h e n s i n d ähnlicher A r t .

D e r f ü r ein solches Gemeinwesen geäußerte W i l l e

ist ausgestattet m i t r e c h t l i c h ü b e r w i e g e n d e r M e n s c h e n seines M a c h t b e r e i c h e s . liche Gewalt.

die

U n d d a r i n besteht die öffent-

W o d i e öffentliche G e w a l t i n höchster Spitze erscheint,

überlegen auch a l l e n anderen Erscheinungen ihres

M a c h t über

Machtbereiches,

nennen

wir

sie

dieser

Staatsgewalt,

Art

innerhalb

Souveränität

(vgl. oben § 1, I ) 5 . Das öffentliche R e c h t i s t aber n i c h t s anderes als die von

Verhältnissen,

Gewalt

als

solcher

selbst beteiligt

an

welchen

und

damit

ein

Träger

die

öffentliche

Ordnung

öffentlicher Gewalt

ist6.

5 S c h m i t t h e n n e r , Allg. St.R. § 64: „Von dem Wesen der Staatsgewalt", beginnt S. 274 seine trefflichen Auseinandersetungcn wie folgt: „ G e w a l t (potostas), im allgemeinen gleichbedeutend mit Macht d. i. F ä h i g k e i t zu einer Wirkung und Tätigkeit . . . im Gebiet des Sittlichen die Möglichkeit, über ein Anderes, in Beziehung auf eine Person also über dieselbe mit Aufhebung oder doch Beschränkung ihrer Freiheit zu bestimmen." W e i g a n d , Wörterbuch der deutschen Synonyme, auf den S c h m i t t h e n n e r sich hier beruft, gibt den Begriff wieder mit „ W i r k u n g s t ü c h t i g k e i t " (2. Aufl. I I S. 342). S. 277 bestimmt dann Schmitthenner die „Öffentliche Gewalt" als „die sittliche oder rechtliche Macht, über eine Person oder über eine Sache zu dem Zwecke einer Gemeinheit, oder zu der Idee eines Vereins zu bestimmen." — Ähnlich S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 15: S t a a t s g e w a l t heißt es wegen der „wesentlichen E i g e n s c h a f t " des Staatswillens, „eine höhere über dem Willen der anderen stehende Geltung" zu haben. Über den Begriff „Gemeinwesen" vgl. H o l d e r , Nat. u. jurist. Pers. S. 156 ff. Mit Recht wird hier auf die „res publica" verwiesen, welche dem Begriff sein Gepräge gegeben hat. Dementsprechend ist auch unsere „öffentliche Gewalt'4 der Hauptsache nach nichts anderes als die alte „majestas populi Romani". Ihr Wesen im einzelnen zu entwickeln, wird unsere Hauptaufgabe sein: gerade darin erweist sich die Zugehörigkeit des Verwaltungsrechtes zum öffentlichen Recht. 6 Das „öffentliche Interesse", welches J h e r i η g (Geist d. röm. R. I I I § 61) und nach ihm M e r k e l (Enzykl. § 84 u. § 85) so stark betonen, hat gewiß seine Wichtigkeit für die Abgrenzung des öffentlichen Rechts; aber bloß mittelbar, sofern es eben die juristisch allein bedeutsame öffentliche Gewalt erscheinen läßt (vgl. unten § 11 Note 5).

16

Einleitung.

Die öffentliche Gewalt steht auch hinter dem bürgerlichen Recht, u m es zu schützen und wahrzunehmen. Aber dadurch wird sie nicht selbst an den von diesem geordneten Verhältnissen beteiligt, und wenn ausnahmsweise das Gemeinwesen als beteiligt angesehen wird, so bedeutet das gerade, daß abgesehen wird von seiner eigentlichen Natur und von der daran hängenden öffentlichen Gewalt. Überall, wo diese Ausnahme und folglich das bürgerliche Recht nicht Platz greift, sind die Verhältnisse des Staates Verhältnisse der öffentlichen Gewalt, und das dafür geltende Recht hat die Natur des öffentlichen Rechtes. Das öffentliche Recht i n seiner Gesamtheit spaltet sich wieder i n zwei Gruppen, wesentlich nach Gesichtspunkten wissenschaftlicher Behandlung geschieden. Verhältnisse der öffentlichen Gewalt bilden i n ausgesprochener Weise auch den Inhalt des S t r a f r e c h t e s , Z i v i l - u n d S t r a f p r o z e ß u n d K o n k u r s r e c h t e s . Aber gemeinsam ist ihnen, daß hier überall das Leben der Einzelnen i m Mittelpunkte steht, dem die Tätigkeit der öffentlichen Gewalt sich anpaßt und die wissenschaftliche Beobachtung entsprechend sich zuwendet. Dagegen entfaltet sich i n den Formen von V e r f a s s u n g s r e c h t . V ö l k e r r e c h t , K i r c h e n r e c h t und vor allem auch des V e r w a l t u n g s r e c h t e s i m ersten Plane das eigene Leben des Gemeinwesens. Daher diese Gruppe i m akademischen Gebrauch als das ö f f e n t l i c h e R e c h t i m e n g e r e n S i n n e verstanden wird, i m Gegensatze jener ersten Gruppe als des ö f f e n t l i c h e n R e c h t e s der Justiz. Das Verfassungsrecht als die Ordnung der Staatsgewalt steht gleichmäßig über Justiz und Verwaltung und ihren Rechten. Nach beiden Richtungen schiebt sich nur noch ein eigentümlicher Zwischenbau ein: die Einrichtung der Behörden, durch welche da unten diese besonderen Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt ausgeübt werden sollen, wird bestimmt und geregelt, und damit treten G e r i c h t s v e r f a s s u n g und V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n o r d n u n g als weitere Stücke öffentlichen Rechtes unserer Aufzählung hinzu. Wie es zweckmäßig erscheinen kann, die Darstellung der Gerichtsverfassung m i t der des Zivil- und Strafprozesses zu verbinden, so liegt das auch nahe bei Verwaltungsrecht und Verwaltungsbehördenordnung. Die letztere muß für die Besetzung der Ämter und Vertreterschaften und die Regelung der Rechtsstellung der dazu Berufenen ohnehin Formen des Verwaltungsrechts verwenden, und vor allem kann diese Gestalt der Verwaltungsbehörden selbst angesehen

§ 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechts Wissenschaft.

\ 7

werden als eine r e c h t l i c h b e s t i m m t e F o r m der E i n w i r k u n g , die

da

d u r c h d e n S t a a t auf d i e E i n z e l n e n g e ü b t werden s o l l 7 . A u f der anderen Seite h a b e n die Behördenordnungen a u c h wieder eine große innere V e r w a n d t s c h a f t m i t d e m R e c h t der Staatsverfassung. E n t h a l t e n sie doch, w i e diese, u n m i t t e l b a r keine R i c h t u n g auf Verhältnisse

der U n t e r t a n e n ,

v o n A u s ü b u n g öffentlicher

sondern,

die

ä h n l i c h w i e sie,

Zuweisung

Gewalt a n b e s t i m m t e , d u r c h

wechselnde

Menschen z u vertretende Stellen u n d M a c h t v e r t e i l u n g zwischen i h n e n . Dieses E l e m e n t

muß

um

so deutlicher i n d e n V o r d e r g r u n d

treten,

j e m e h r i n einem Staate d i e Selbständigkeit des B e r u f s b e a m t e n t u m s zur

Geltung k o m m t u n d je kräftiger

die untergeordneten

Gemein-

wesen m i t i h r e m eigenen Rechte e n t w i c k e l t s i n d 8 . D a ß das gerade f ü r D e u t s c h l a n d z u t r i f f t , i s t n i c h t z u verkennen. Daher

„Deutschen

Verwaltungs-

r e c h t e s " gewinnen a n E i n h e i t u n d K l a r h e i t ihrer

dürfte

die

Darstellung

des

Gedankenreihen,

w e n n w i r dieses i m m e r h i n etwas fremde E l e m e n t n i c h t m i t

herein-

nehmen. D i e B e h ö r d e n o r d n u n g m a g d a n n m i t d e m geistesverwandten Verfassungsrecht zusammen a u c h w e i t e r h i n das „ D e u t s c h e recht"

Staats-

bilden9.

7 L a b a η d , St.R. IT S. 184. — Den Gedanken, daß die Verwaltungsbehördenordnung Formen gibt für die vcrwaltungsrechtliche Einwirkung des Staates auf seine Untertanen, hat man wohl etwas einseitig betont, wenn man die „Verwaltungsorganisation" der Verwaltungsrechtslehre einreihte unter dem Titel „formelles Verwaltungsrecht" (R ο e s 1 e r V.R. I S. 1; v. K i r c h e n h e i m , Einf. in das V.R. S. 130 ff.). Noch weiter ging in dieser Richtung E. y. M e i e r , indem er in Holtzendorff, Rechtslex. Syst. Teü, unter dem Namen „Das Verwaltungsrecht" fast lediglich eine (im übrigen vortreffliche) Lehre von den Verwaltungsbehörden gab und namentlich auch von den Verwaltungsgerichten, vom Verw.R. selbst nur einige Stücke; in der 6. Aufl. 1904, herausgegeben von Κ ο h 1 e r , sind sie nicht umfangreicher geworden (S. 639 ff.). 8 Über die Art, wie für die Behandlung des Verfassungsrechts und der Behördenordnung der politische Hintergrund verwertbar wird, vgl. G e r b e r , Grundzüge d. deutsch. St.R. S. 237 ff. Ein ausgezeichnetes Vorbüd solcher Behandlung hat G η e i s t gegeben: Engl. V.R. 1883/84: Verwaltung, Justiz, Rechtsweg 1869; der Rechtsstaat, 2. Aufl. 1879. ö Wenn man nach älterer Weise unter „Staatsrecht" Verfassungs- und Verwaltungsrecht zusammenfaßt, bildet die Behördenordnung von selbst das Mittelglied, wobei es gleichgültig ist, ob sie unter diese oder jene Überschrift gestellt wird. Die akademischen Vorlesungen scheiden in der oben angegebenen Weise, und auch in der Literatur bürgert sie sich mehr und mehr ein. — Bezeichnend ist, daß die Franzosen anders verfahren. Beamtentum und Selbstverwaltung haben bei ihnen weitaus nicht die Machtstellung wie bei uns; daher eischeint hier die Behöidenordnung mehr im Lichte einer bloßen Form der Einwirkung des Staates auf die Einzelnen: sie pflegt einfach mit dem droit administratif verbunden zu werden, dem dann das droit constitutionnel gegenüber steht.

B i n d i n g - O e t k e r , H a n d b u c h V I . 1: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 3. A u ü .

2

18

Einleitung.

I I I . Unser Verwaltungsrecht ist ein junges Recht; es hat sich erst während des vorigen Jahrhunderts herausgebildet. Und die Rechtswissenschaft ist sich erst allmählich des Neuen ganz bewußt geworden, das sie da vor sich hatte. Die reiche Staatstätigkeit, die wir jetzt Verwaltung nennen, mußte schon vorher die Beachtung der Schriftsteller auf sich ziehen. Unter dem Namen P o l i z e i w i s s e n s c h a f t , K a m e r a l w i s s e n s c h a f t brachte man alles, was da geschah, i n eine übersichtliche, wohlgeordnete Darstellung und gab nützliche Belehrung, wie man es besser machen könnte. Was etwa an Rechtsordnung daran zu bemerken war, erwähnte man nebenbei; vielleicht suchte ein Lehrbuch des P o l i z e i r e c h t s es zusammenzustellen. Der eigentliche Sitz dafür war das Lehrbuch des Staatsrechts, das freilich i n dieser Hinsicht nur sehr Dürftiges zu vermelden hatte. Die Ausbildung des Verfassungsstaates, die sich unter französischem Einfluß vollzog, führte auch zur Annahme der französischen Zweiteilung des Staatsrechts in V e r f a s s u n g s r e c h t (droit constitutionnel) und V e r w a l t u n g s r e c h t (droit administratif). Da man das letztere nicht recht kannte, war auch die Scheidung der beiden Massen willkürlich und planlos, das Verwaltungsrecht ein loses Nebeneinander von allerlei. Das der deutschen Rechtswissenschaft eigentümliche Bedürfnis nach strenger Systematik suchte demgegenüber seine Befriedigung in der Anlehnung an die kräftig aufblühende S t a a t s w i s s e n s c h a f t , die Nachfolgerin der alten Polizei- und Kameralwissenschaft. Eine neue Richtung, welche seit den sechziger Jahren in Gang kam, hat es verstanden, unter Benutzung Hegelischer Ausdrucksformen die Verwaltungslehre so vorzutragen, daß die Einzelheiten der staatlichen Tätigkeit als wissenschaftlich notwendige Offenbarungen der dahinter stehenden großen Ideen angesehen werden wollten. Danach gliederte sich alles i n einem geschlossenen System nach den verschiedenen Zwecken, die da verfolgt werden, als Schulwesen, Gewerbewesen, Gesundheitswesen, Armenwesen, Eisenbahnwesen usw. Das Verwaltungsrecht wurde von diesen „Wesen" einfach ins Schlepptau genommen, indem ein jedes mit derselben wissenschaftlichen Notwendigkeit das ihm entsprechende Recht „erzeugte". So bekommt auch dieses ganz von selbst sein System 10 . 10 Der Führer auf diesem Gebiete war L. S t e i n : Verw.-Lehre 1865 bis 1868. zum Teil neu aufgelegt 1869, 1882—1884; Handbuch der Verw.-Lehre und des Verw.Kechts, 3. Aufl. 1888. — ,.Nicht frei von willkürlichen Konstruktionen, die zum Teil durch eine ungenügende Kenntnis des positiven Rechts ver-

§ 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsissenschaft.

19

Wenn die Juristen für die Darstellung des Verwaltungsrechtes dieser von staatswissenschaftlichen Gesichtspunkten ausgehenden Ordnung folgten, so geschah des vor allem deshalb, weil sie geeignet sein mag, zugleich dem Bedürfnis des Verwaltungsbeamten entgegenzukommen. Der hat einen bestimmten Geschäftskreis, ein „Wesen" zu besorgen, und es muß ihm erwünscht sein, wenn er alle darauf bezüglichen Rechtsvorschriften um das damit gegebene Stichwort vereinigt findet. Treffliche L e h r b ü c h e r des d e u t s c h e n u n d des e i n z e l s t a a t l i c h e n V e r w a l t u n g s r e c h t s entstanden in dieser Form und werden noch weiter entstehen 11 . Einen Schritt weiter geht in dieser Richtung, unter Verzicht auf alle Philosophie der Verwaltungslehre, das V e r w a l t u n g s r e c h t s w ö r t e r b u c h , mehr oder weniger bewußt den i n Frankreich so überaus beliebten Dictionnaires de Padministration nachgebildet 12 . Es muß aber einleuchten, daß neben dem allen der deutschen Rechtswissenschaft noch eine nicht unwichtige Aufgabe zu lösen bleibt. Die Darstellung des Verwaltungsrechtes nach dem staatswissenschaftlichen Systeme vereinigt um die verschiedenen Verwaltungszwecke und die ihnen dienenden Lebensäußerungen des Staates die Auskünfte über die dabei i n Betracht kommenden Rechtsbestimmungen, einerlei, woher sie stammen und welcher A r t sie sind. Seine Einheit und seine Zusammengehörigkeit findet alles nur i n jenem Zweck. Es bilden sich um diesen, nach einem klassisch gewordenen Ausdrucke, „Konglomerate verschiedenartiger R e c h t s s ä t z e " . Das Straßenwesen z. B. verwendet nebeneinander anlaßt sind", urteilt darüber L ο e η i η g , V.R. S. 26, ganz richtig. Nichtsdestoweniger konnte G r o t e f e n d , Preuß. V.R., I S. 64, noch 1890 sagen: , ; Die Steinschen Werke sind der Grund- und Eckstein der Wissenschaft des Verwaltungsrechts geworden". Und noch I n a m a - S t e r n e g g , Staatsw. Abhandl. S. 57 ff. (Vortrag in der Jur. Ges. in Wien 1902), beklagt die nicht erfolglosen Bestrebungen der Juristen, das Verwaltungsrecht dem gegenüber auf eigene Füße zu stellen. Neuerdings wird aber wieder eher umgekehrt die Loslösung der Verwaltungslehre von der übermächtig gewordenen Rechtswissenschaft befürwortet: ö a r g a s , in Ztschft. f. Stsw. 1903 S. 428; F. S c h m i d , ebenda 1909 S. 201 ff. 11 Hier sind vor allem zu nennen: R ο e s 1 e r , Lehrb. d. deutsch. V.R. 1872 u. 1873; G . M e y e r , Deutsch. V.R. 1883, 4. Aufl., herausgegeben von D ο c h ο w 1913; E. L o e n i n g , Deutsch. V.R. 1884; v. K i r c h e n h e i m , Einf. in das V.R. 1885; Β ο r η h a k , Grundriß des V.R. 1909. — Das Verwaltungsrecht der Einzelstaaten pflegt mehr nur als Anhang ihres Staatsrechts behandelt zu werden; da tritt dann das staatswissenschaftliche System nicht so entschieden hervor. 12 v. S t e n g e l , Wörterb. d. deutsch. V.R. 1890; F l e i s c h m a n n , Wörterb. d. St. und V.R. 1911 und 1913; ν. Β i 11 e r , Handwörterb. d. preuß. V. 2. Aufl. 1911; v. d. M o s e l , Handwörterb. d. siwihs. V.R. 12. Aufl. 1912.

20

Einleitung.

das Recht des Kaufes, der Enteignung, der Anstellung i m Staatsdienst, des privatrechtlichen Dienstvertrages, der öffentlichrechtlichen Gebühr und der privatrechtlichen Schadenersatzpflicht; Verpachtung von Obstbäumen und Verleihung besonderer Benutzungsrechte an Straßenbahnen, Straf recht, Prozeßrecht, alles spielt hier herein 1 3 . Bei den Angaben über diesen verschiedenen Rechtsstoff ist es zumeist möglich, sehr knapp zu sein; man arbeitet ja mit feststehenden Begriffen und Lehren: jedes einzelne Stück hat hinter sich einen reich entwickelten Zweig der Rechtswissenschaft, die rechtswissenschaftliche Disziplin, der es angehört und i n deren Zusammenhang es den Geist aufgeprägt erhält, i n dem es verstanden sein will, und die scharfe Bestimmung seiner Grenzen gegenüber den Nachbarerscheinungen. Was an Privatrecht, Staatsrecht, Strafrecht, Prozeßrecht an jenen Konglomeraten beteiligt ist, ist jedes mit einer solchen w i s s e n s c h a f t l i c h e n H e i m a t schon ausgestattet gewesen, als man die Konglomerate vorzutragen begann. Nur das Verwaltungsrecht war früher i n solcher Weise nirgends daheim. Es lag nahe, für dieses die gleiche selbständige Behandlung zu fordern. Wertvolle Eiiizeluntersuchungen sind uns in großer Zahl geliefert worden. Aber auch durch systematische Entwicklung und Zusammenordnung ihres ganzen Gehaltes an eigenartigen Rechtsideen mußte die Verwaltungsrechtswissenschaft darnach trachten, sich ebenbürtig den älteren Schwesterdisziplinen an die Seite zu stellen 14 . 13 L a b a η d , in Arch. f. öff. R. I I S. 156, möchte auf die geeignete Bildung und Bearbeitung solcher Konglomerate die Aufgabe der Wissenschaft gegenüber dem sogenannten Verwaltungsrecht beschränkt sehen. Auf diesen Standpunkt hat er auch noch in der jüngsten Auflage seines St.R. ( I I S. 186 Note 1) ausdrücklich verwiesen. Vgl. K o r m a n n , in Jur. Lit. Bl. X X V S. 123 ff. 14 I n diesem Sinne hat sich bei den österreichischen Juristen — bei welchen das öffentliche Recht überhaupt mehr noch als bei uns mit einer gewissen Großzügigkeit gepflegt wird — schon öfter der Ruf erhoben nach einem „Allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts": U 1 b r i c h , Öff. Rechte S. 71; B e r η a*t ζ i k , Rechtskraft, Vorrede S. I V ; selbst I n a m a - S t e r n e g g , Staatsw. Abhandl. S. 68 ff., will einen solchen, unabhängig von L. S t e i n , zulassen. Aber die Aufgabe konnte nicht sein, nur einen Allgemeinen Teil zu liefern, wie er in den Pandektenvorlesungen vorausgeschickt wurde. Damit wäre wenig gedient. Auf die Pandekten selbst kommt es an! Der erste, der das deutsche Verwaltungsrecht auf solche Weise zur Darstellung gebracht, war der Württembergische Oberamtmann F. F. M a y e r mit seinem Buche: Grundsätze des Verwaltungsrechts, 1862. Unter den späteren Arbeiten sind zu nennen: S a r w e y , Allg. V.R. 1884, wo (S. 119ff.) unter dem Namen „Verwaltungsrecht im engeren Sinne", unabhängig von der Verwaltungslehre, die reinen Rechtsinstitute des Verwaltungsrechtes erscheinen, und neuerdings vor allem die zusammenfassenden Darstellungen unserer Wissenschaft von

§ 2. Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsissenschaft.

21

I V . Unser Verwaltungsrecht ist naturgemäß zur Ausbildung gekommen bei den Einzelstaaten, bei welchen ja auch immer noch der Schwerpunkt der Verwaltung lag. Nach und nach hat das Reich sich lebhafter beteiligt; das von ihm bestimmte Verwaltungsrecht schließt sich gern dem preußischen an, hat aber doch auch wieder sein Besonderes. Besonderheiten haben sie alle. Aber immerhin: es gibt ein Gemeinsames, das überwiegt. Unser Verwaltungsrecht ist ein Erzeugnis unserer gemeinsamen Kultur, wenigstens i n seinen für die wissenschaftliche Behandlung, die hier stattfinden soll, maßgebenden Grundideen. Es gibt keine bayrische, sächsische, nicht einmal eine für sich bestehende preußische Verwaltungsrechtswissenschaft — Gott Lob! I n diesem Sinne lehren wir ein d e u t s c h e s Verwaltungsrecht mit derselben Zuversichtlichkeit, wie wir ja auch von einem deutschen Staatsrecht sprachen, unbekümmert durch die Tatsache, daß es eigentlich 25 oder 26 Staatsrechte waren und darüber noch ein Reichsrecht. Ebenso haben wir ein deutsches evangelisches Kirchenrecht, haben ein deutsches Privatrecht und Strafrecht und Zivilprozeßrecht gehabt, trotz aller einzelstaatlichen Verschiedenheiten. U n d bei der Darstellung dieses deutschen Verwaltungsrechtes grüßen wir über die Grenzen des Reichs hinweg die Genossen und Mitarbeiter auch an diesen Stücken deutscher Kultur, die Österreicher und die Schweizer, deren Recht und Schrifttum uns wertvolle Beiträge liefert. — Unser Hauptteil wird die Aufgabe haben, das S y s t e m d e r e i n z e l n e n R e c h t s i n s t i t u t e dieses Verwaltungsrechts vorzutragen. Dafür gibt es keine klassisehe Einteilung, die zu befolgen wäre. W i r geben den Stoff, wie er sich von selbst geordnet hat. Danach bildet den Kern das Rechtsgebiet der ö f f e n t l i c h e n U n t e r n e h m u n g e n u n d A n s t a l t e n (Abschnitt I I I — V ) : Der Staat t r i t t hier i n das Leben der Gesellschaft ein, mitten unter seine Untertanen, indem er wie sie und natürlich doch nicht wie sie seine Geschäfte besorgen will, äußere Mittel dafür aufstellt und verwendet und dabei in mancherlei Berührungen m i t jenen kommt, deren Ordnung öffentlichrechtliche Seitenstücke liefert zu den entsprechenden Privatrechtsinstituten: die häufigen entlehnten Namen bezeugen es 1 5 . F. F l e i n e r , Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 4. u. 5. Aufl. 1923, P. S c h ο e η , Deutsches Verwaltungsrecht in Holtzendorffs Enzyklopädie Bd. I V 1914, und H a t s c h e k , Lehrbuch des preußischen und deutschen Verwaltungsrechts 2. Aufl. 1922. 15 Die Sprache der französischen Verwaltungsrechtswissenschaft hat hier für

22

Einleitung.

Vorauszunehmen war eine Gruppe von Schuldverhältnissen, in welchen der Staat seine öffentliche Gewalt i n ihrer ganzen Einfachheit und Einseitigkeit zur Geltung bringt, um gewisse allgemeine Bürgerpflichten i n Anspruch zu nehmen: es sind die Rechtsinstitute der P o l i z e i g e w a l t und F i n a n z g e w a l t (Abschnitt I und I I ) . Und den Schluß macht das Recht der b e s o n d e r e n j u r i s t i s c h e n P e r s o n e n , welche berufen sind, eignen Namens an Stelle des Staates für gewisse Zweige der öffentlichen Verwaltung einzutreten (Abschnitt V I ) : sie knüpfen wieder an das Staatsrecht an, von welchem unser allgemeiner Teil ausgegangen war. Es wurde davon abgesehen, diese Gruppierungen durch besondere Überschriften hervorzuheben; dergleichen wird dann leicht überschätzt. den Staat die treffende Bezeichnung als „Geschäftsbesorger der bürgerlichen Gesellschaft". So A u c o c , Conf. sur l'adm. 1 n. 8: die Verwaltung, sagt er, „joue le róle d'intendant général de la société, mais intendant ayant autorité/* d. h. sie hört darum nicht auf, auch hier nach öffentlichem Rechte zu leben.

Allgemeiner Teil.

Erster Abschnitt.

Die geschichtlichen Entwicklungsstufen des deutschen Verwaltungsrechts. § 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte· Das heutige Verwaltungsrecht hat hinter sich seine Geschichte wie jede Rechtsart. Die rechte Erkenntnis seiner Vorstufen ist aber von einer ganz unvergleichlichen Wichtigkeit. W i r müssen uns nur gegenwärtig halten, wie merkwürdig für die geschichtliche Betrachtungsweise der Punkt ist, auf welchem wir heute stehen. W i r können von hier aus zurückblicken auf mehrere ungemein starke und tiefgehende Umwälzungen, die sich i n verhältnismäßig kurzem Zeitraum vollzogen und soeben erst ihren Abschluß gefunden haben. Die Rechtsgeschichte hat hier nicht wie sonst jene friedliche Fortentwicklung zu verzeichnen, wo der lebenskräftige Stamm nur neue Sprossen treibt und alte absterben läßt; nicht ein langsames Wachsen und Sichentfalten der einzelnen Gestalten, m i t denen wir heute zu t u n haben, ist i n Frage, sondern d i e g e s a m t e n G r u n d l a g e n sind jedesmal geändert. Das Verhältnis zwischen der öffentlichen Gewalt und ihren Untertanen, um dessen Ordnung es sich i m Verwaltungsrechte handelt, ist von vornherein ganz anders gedacht i m Staate der landesherrlichen Hoheitsrechte wie i m Polizeistaate und wieder anders i m Rechtsstaate der Gegenwart. M i t der maßvollen Entwicklungsgeschichte der Zivilrechtsinstitute ist da kein Vergleich. U m eine gleiche Schroffheit der Gegensätze dort zu finden, müßte man sich etwa vorstellen, es wäre eine Privatrechtsordnung von der A r t der gegenwärtigen zunächst durch die Verwirklichung eines anarchistischen Ideals abgelöst worden und darauf wieder eine Ordnung i m Sinne des Sozialismus gefolgt. Die Übergänge vollziehen sich nicht allerorten i n Deutschland gleichmäßig und i n einem Zuge; bald schreitet die eine, bald die andere Staatengruppe voran, und die übrigen bleiben daneben eine Zeitlang noch auf der vorausgehenden Entwicklungsstufe stehen. I m

26

Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

ganzen hat sich aber die ganze Entwicklung so rasch abgespielt, daß wir allgemeine Rechtszustände, die ganz auf den Grundlagen der ersten Stufe stehen, noch fast mit der Hand erreichen können. Langsam hatten sich die landesherrlichen Hoheitsrechte ausgebildet; einzelne deutsche Staatswesen beharrten i n dieser Grundform bis .zur Auflösung des alten Reichs. Rasch und mit gewaltiger Spannkraft war daneben der absolutistische Polizeistaat emporgestiegen, um die alte Ordnung zu zerstören: i m vorletzten Jahrhundert hat er seinen Höhepunkt erreicht. I m Zusammenhang m i t der Ausbildung des neuen Verfassungsrechts hat ihn erst i m Verlaufe des 19. Jahrhunderts die Idee des Rechtsstaates überwunden. Diesem raschen Gange entspricht der Zustand, der uns vor Augen liegt. Das wirkliche Recht ist noch erfüllt mit Trümmern vorausgehender Entwicklungsstufen, die als Widerspruch m i t den Grundgedanken des neuen Rechts dastehen und allmählich verschwinden oder sich umbilden müssen. Die Wissenschaft ihrerseits, von der Praxis zu schweigen, ist zum Teil noch gebunden in älteren Anschauungen, die zum neuen Rechte nicht mehr passen, und hängt an Ausdrucks weisen, welche heute nur i n gänzlich verändertem Sinne zu gebrauchen sind. Wer sich hier zurechtfinden soll, für den ist die erste Bedingung, daß er der damit gegebenen Gegensätze sich immer klar bewußt bleibt. I . Was wir jetzt Verwaltung nennen, hat seinen Ausgang genommen nicht vom alten deutschen Reich, sondern von den Territorien. Für die Ordnung des Verhältnisses zwischen den Einzelnen untereinander war das r ö m i s c h e R e c h t rezipiert; für die Ordnung des Verhältnisses zwischen dem Staat und den Untertanen nicht also. Die ihm eigentümliche Idee des allgewaltigen Staates ist verloren gegangen. Die majestas populi Romani, i n deren Namen der Wille der römischen Magistrate dem Einzelnen stets als der höhere, rechtlich bindende gegenübertrat, war in den Einrichtungen der römischen Kaiserzeit lebendig geblieben. Die germanischen Völker vermochten dieses Erbstück der alten K u l t u r nicht zu bewahren. Das fränkische Königtum hatte noch i m Zusammenhange damit eine bedeutende Machtfülle gewonnen, die es über die Stellung des alten Stammeshauptes weit hinaushob. Unter den Karolingern beginnt schon die Zersetzung. Das deutsche Kaisertum, obwohl es ausdrücklich die Nachfolge beansprucht und hier und da Anläufe nimmt, aus seinem Vorbild neue Kraft zu ziehen, wird i h m fremd und fremder, zugleich auch immer schwächer. Mit Ausgang des Mittelalters ist entschieden,

§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.

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daß der Schwerpunkt der staatlichen Entwicklung des deutschen Volkes in die Einzelländer verlegt ist. I n diesen aber baut sich die Staatsgewalt auf ohne alle Anknüpfung an das Altertum, ohne Tradition. Mühsam und langsam sammelt sie sich aus allerlei Stücken, und i n der deutlich ausgeprägten Gestalt eines solchen Sammelwerkes stellt sie sich uns zuerst dar 1 . Es ist nicht der S t a a t , der den Untertanen da gegenübersteht; dieses Abstraktum hält erst später seinen Einzug und äußert dann alsbald auch gewaltige Wirkung. D e r L a n d e s h e r r p e r s ö n l i c h ist allein i n Frage. Der Landesherr hat seine Rechte wie ein anderer Mensch. Er hat aber auch eine besondere A r t von Rechten, die ihm eigentümlich sind, die ihn ausstatten sollen für seine Aufgabe, dem Gemeinwesen vorzustehen und dessen Angelegenheiten zu führen. Sie heißen H o h e i t s r e c h t e , und ihre Gesamtheit bildet die L a n d e s hoheit2. Diese Rechte sind nicht etwa, so wie wir jetzt von Rechten der Staatsgewalt reden, Entfaltungen einer großen, allgemeinen Machtstellung, sondern sie sind jedes b e s o n d e r s e r w o r b e n , nach und nach auf verschiedene Titel. Anderseits können sie wieder durch Veräußerungen und Begründung von Gegenrechten verschiedentlich beschränkt sein. Deshalb hat von Ursprung an die Landeshoheit keineswegs überall den gleichen Umfang 3 . Ihre Veivollkommnung und Ausgleichung empfing sie vor allem unter dem Einfluß der alles beherrschenden Ideen des N a t u r r e c h t s . Den Glauben an ein in den menschlichen Verhältnissen selber liegendes Recht hatte die Gelehrtenwelt von der Antike und von der katholischen Kirche überliefert erhalten. Nun kommen, bevor noch der Staat recht fertig ist, immer anspruchsvollere Anschauungen auf von dem, was er zu leisten hat, von S t a a t s z w e c k e n u n d S t a a t s a u f g a b e n , die dem Fürsten obliegen, und dementsprechend von den Rechten, die i h m deshalb zustehen müssen. Die Fürstenmacht leiht diesen Programmen willig den starken Arm, um sie zur Wirklichkeit zu führen. So wurde die Naturrechtslehre rechtsschöpferisch 4. Sie 1 S e c k e n d o r f ^ Fürstenstaat, add. § 19 Ziff. 4: „So hat sich nach und nach die landesfürstliche Hoheit vergrößert, und an vielen Orten ist ein UniveraalWerk entstanden." 2 S c h m a u ß , Compend. jur. pubi. (1766) S. 312: „Es ist also heutzutage die Superioritas Territorialis ein Complexus aller derjenigen Rechte, die zur Regierung von Land und Leuten erforderlich." 3 E i c b h ο r η , Deutsche Staats- und R. Gesch. I I § 299; S e c k e n d o r f f Fürstenstaat, aid. § 19 Ziff. 7; K r e i t t m a y r , Allg. St.R. I § 31. 4 G i e r k e , Naturrecht und Deutsch. R. (Rektoratsrede) S. 28. Die durch

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wurde es i n Deutschland zugunsten der Fürsten, statt zugunsten des absterbenden Reichs; seit dem westfälischen Frieden galt der Satz: a l l e n e u a u f k o m m e n d e n H o h e i t s r e c h t e f a l l e n der L a n d e s h o h e i t z u 5 . Sie wirkte dabei auch ausgleichend: i n der bunten Mannigfaltigkeit von Territorien kommt ein gewisser N o r m a l s t a n d der L a n d e s h o h e i t zur Geltung 6 . Der K a t a l o g der H o h e i t s r e c h t e , der heutzutage, wo er etwa noch erscheint, nicht viel mehr als eine Spielerei ist, war für die damalige Stufe des öffentlichen Rechts von grundlegender Bedeutung r Seine Vollständigkeit und geschmackvolle Einteilung bildet auf lange Zeit eine Hauptaufgabe der Staatsrechtslehre, die sich nicht genug t u n kann, i h n zu vermehren und zu verbessern 7. Die ganze Erscheinung war ja nicht auf Deutschland beschränkt· Hier aber stellt sie einen ausgeprägten Zustand des Beharrens dar. Das lag zum Teil wohl an der Neigung zu langsamerer Entwicklung und an mangelndem Staatssinn. Vor allem aber wirkt hier doch noch der Reichsverband hemmend ein: über die Landeshoheit, bei welcher allein die Zukunft unseres Verwaltungsrechtes liegt, ist hier ein großer Regulator gesetzt i n der R e i c h s g e r i c h t s b a r k e i t . Noch i m letzten Moment, 1495, — ob es fünfundzwanzig Jahre später wohl noch möglich gewesen wäre? — gelang es den Reichsgewalten, das R e i c h s k a m m e r g e r i c h t zustande zu bringen, dem sich 1501 der R e i c h s h o f r a t anschloß. Beide stehen m i t konkurrierender Gerichtsbarkeit über den Landesherren, dieser m i t äußerem Ehrenvorzug und glänzender Stellung, jenes aber, auch in allem Elend seiner Zustände, von der größeren geistigen Bedeutung. Sie wachen insbesondere auch über die Einhaltung der Grenzen der landesherrlichen Hoheitsrechte gegenüber den Untertanen. Anderwärts, wo es an einer solchen Einrichtung fehlte, mußte die fürstliche den Einfluß des Naturrechts geschaffene Sachlage findet einen sehr bezeichnendeil· Ausdruck bei L ö t z , Nachrichten S. 693: „Das Staatsoberhaupt kann sich also die nötigen zufälligen Hoheitsrechte selbst beilegen." Ähnlich H ä b e r l i n , . St.R. I I S. 139. 5

Ρ ü 11 e r , Beitr. I S. 194. S c h m a u ß , Compend. jur. pubi. S. 312; G ü n d e r o d e , Abhandl. d. deutsch. St.R. S. 1128. 7 Das Urbild der Inventarisierung der Hoheitsrechte scheint Β ο d i η u s geliefert zu haben (De re pubi., lib. I cap. X). Zur höchsten Vollendung ist die Kunst des Aufbaues bei P ü t t e r , Inst. jur. pubi. lib. V I und V I I , gebracht; vgl. den conspectus p. X X V I I und X X V I I I . K r e i t t m a y r , Allg. St.R. §§ 8 bis 31, nannte noch 24 Arten von Hoheitsrechten, während G ö n n e r , St.R. § 275, sich schon mit der Unterscheidung von 11 solcher Rechte begnügt. 6

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Gewalt unter dem fortdauernden Antrieb des Naturrechts sich alsbald über alle Rechtsschranken hinaus ins ungemessene verlieren. Hier wird dieser Prozeß gehemmt. Solange die Reichsgerichtsbarkeit Macht hat, bleibt unsere Rechtsentwicklung bei den Hoheitsrechten stehen. Während sie i n Frankreich schon längst nur mehr der Wissenschaft Rubriken liefern zur Einteilung einer unbeschränkten königlichen Gewalt, ist es bei uns ernst gemeint damit. Die Staatsgewalt hat bei uns bis nahe an die Gegenwart heran die Gestalt einer Sammlung von einzelnen Befugnissen des Fürsten behalten. Das gibt aber dem Verhältnis, i n welches sie bei ihrer Tätigkeit zum einzelnen Untertanen t r i t t , seine allgemeine rechtliche Natur. Das V e r w a l t u n g s r e c h t j e n e r S t u f e i s t i n n e r l i c h g e s t a l t e t n a c h d e m V o r b i l d des Z i v i l r e c h t s . I I . Die Rechtsordnung zwischen Fürst und Untertan, zu deren Aufrechterhaltung die Reichsgerichte bestellt sind, erscheint vor ihnen i n dem Spiel von R e c h t e n u n d G e g e n r e c h t e n , wie sie für beide Teile begründet sein mögen. 1. Der Landesherr darf kraft der Landeshoheit den Untertanen nicht belasten noch i n Anspruch nehmen, als wofür er durch ein b e s t i m m t e s i h m z u s t e h e n d e s R e c h t sich ausweist. Seine R e c h t s t i t e l sind aber nicht gleichwertig. Von Haus aus gehören ihm sicher zu die ehemaligen A m t s g e w a l t e n des Reichs, die auf lehnrechtlichem Wege zu Hoheitsrechten geworden sind, vor allem die potestas jurisdictionis und das damit zusammenhängende jus legislatorium, das Recht der Aufstellung von Rechtssätzen für Zivil- und Strafrecht. Dagegen sind lange noch Gegenstände des Streits und der Bekämpfung die Ansprüche, die er erheben mag auf Leistungen von Diensten, jus sequelae, und vor allem auf Abgaben, collectae, vectigalia, conductum und sonstige Vorrechte v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e r A r t , jura fisci, regalia. Gemäß der altgermanischen Abneigung gegen Steuern ist der Widerstand zäh. Es muß Verleihung des Reichs nachgewiesen werden oder Ersitzung oder Vertrag; das Bewilligungsrecht der Landstände liefert den letzteren Rechtstitel 8 . 8 P h i l o p a r c h u s , Der gute Beamte I tit. 2S § 29, tit. 3 5 § 7 ; P ü t t e r , Beiti·. I S. 357; C r a m e r , Wetzl. Nebenst. V I I S. 85, IC S. 93, C S. 92. Der letztere äußert sich daselbst, V I S. 2, noch sehr ablehnend gegen die Neuerer: „Wenn man ein jus territoriale arbitrarium statuiert, so steht es freilich im arbitrio eines Landesherrn, das Abzugsgeld noviter einzuführen. Es hat aber sothanes jus territoriale Freuer in einer besonderen Abhandlung als ein monstrum dargestellt."

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Dafür geht wieder bei der Entwicklung voran das jus politiae, das frischeste und zukunftsreichste Stück der Landeshoheit. P o l i z e i ist alle Fürsorge für gute Ordnung und allgemeine Wohlfahrt, welche der Landesherr gewähren kann über das hinaus, was die Justiz leistet* Das ist der Punkt, an welchem die naturrechtlichen Gedanken am fruchtbarsten einsetzen. Eine äußere Grenze für das, was Polizei ist und was man berechtigt ist, dafür zu t u n und zu fordern, wird immer schwerer zu erkennen; das jus politiae ist schließlich eine A r t Generalt i t e l für alles mögliche 9 . Muß demnach der Schutz der Reichsgerichte häufig versagen,, so halten sie desto strenger darauf, daß wenigstens eine andere Grenze eingehalten werde, die auch für das erwiesene Recht g i l t : es darf nicht m i ß b r a u c h t werden. Die Hoheitsrechte sind i n dieser Beziehung besonders empfindlich: sind sie doch allesamt gemäß naturrechtlicher Anschauung dem Landesherrn nur gegeben für die Zwecke des allgemeinen Besten; er darf sie nur dafür verwenden; sonst mißbraucht er sie und handelt rechtswidrig 10 . Das gleiche gilt, wenn bei der A r t , wie er das Recht ausübt, bei dem beobachteten Verfahren, der schickliche geordnete Gang nicht eingehalten, unnötige Härte gezeigt, überhaupt aus der Rolle einer guten Obrigkeit herausgefallen w i r d 1 1 . Wo solches vorliegt, gewährt das Reichsgericht auch gegenüber dem Hoheitsrechte wirksamen Schutz. 9

Als ein Beispiel für die Art, wie man liier schließt, mag ein Fall dienen, den C r a m e r , Wetzl. Nebenst.. X I I I S. 1 ff., berichtet. Der Bischof von Speier will in seiner Stadt Bruchsal auf einem fremden Grundstücke ein Zuchthaus bauen; die Klage der wideisprechenden Eigentümerin wird abgewiesen: Es ist principium, daß ein Landesherr alles dasjenige unternehmen könne, was zum gemeinen Besten und Wohlfahrt des Landes gereichet; Zuchthäuser sind sehr nützlich; ,,also mußte man dem Herrn Fürsten auch die Befugnis einräumen, den Platz selbst zu wählen und ein Zuchthaus darauf zu bauen". Schon H o m m e l , Rhapsod. vol. I V obs. D U , klagt über die Folgen der Dehnbarkeit der Polizei: „Multiplicare solent collegia . . . causae politiae, ut liberiorem aliquid audendi potestatem nanciscantur". Und C r a m e r , Wetzl. Nebenst. V I I S. 87, bekennt schließlich: „Was ad politiam . . . gerechnet werden kann, davon ist dem summe imperanti das plenum arbitrium überlassen, dergestalt, daß kein 3ubditus hierbei sich eines begründeten juris contradicendi anmaßen kann." 10 L ο t ζ , Nachrichten S. 145: „Jede das allgemeine Staatswohl verleugnende Handlung (ist) wider den Zweck, warum die Staatsverwaltung den Regenten anvertraut ist, also unerlaubt und rechtswidrig." C r a m e r , Wetzl. Nebenst. I S. 88 ff.; P ü t t e r , Beitr. I S. 320, S. 354. " C r a m e r , Wetzl. Nebenst. I S. 90: Auch in Polizeisachen gilt „der modus ist juris". Ein praktisches Beispiel daselbst S. 104. — ν. Β e r g , Pol. R. I S. 161 : Der Bischof von Speier hat ein Ehepaar willkürlich auf den Schub bringen lassen, wobei es auch noch schlecht behandelt wurde. Er wird vom R.K.G. wegen höchst

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2. Von der anderen Seite her erfahren diese Hoheitsrechte Be· einträchtigungen und Hemmungen durch selbständige Gegenrechte, die zugunsten der Untertanen begründet sind, ihre w o h l e r w o r b e n e n R e c h t e , jura quaesita. Wohlerworben heißen sie i m Gegensatz einerseits zu dem, was schon als Inhalt der allgemeinen Freiheit dem Einzelnen von selbst zusteht, anderseits zu bloßen Erwerbsmöglichkeiten, welche die Rechtsordnung eröffnet: es muß ein bestimmter tatsächlicher Vorgang durch die Kraft der Rechtsordnung zugunsten dieses Untertanen bereits wirksam geworden sein, um i h n auszustatten m i t einer Willensmacht bestimmten Inhalts. Jus quaesitum ist das auf b e s o n d e r e n R e c h t s t i t e l gegründete Recht 1 2 . Die wohlerworbenen Rechte erhalten ja später ihre Stelle i n der Lehre von den zeitlichen Grenzen des Gesetzes, und ihre Bedeutung erschöpft sich dort i n einer Vermutung, die sie liefern. Der Wille des Gesetzes ist i m Zweifel so auszulegen, daß wohlerworbene Rechte, die es vorfand, nicht rückwirkend von ihm getroffen sein sollen 13 . Für die Stufe der landesherrlichen Hoheitsrechte bedeuten sie etwas anderes, eine wahre Rechtsschranke nämlich, welche der öffentlichen Gewalt sich entgegenstellt, i n welcher Form sie auch auftreten mag, selbst ihrer Gesetzgebung also: keines seiner ordentlichen Hoheitsrechte darf und kann vom Landesherrn dazu verwendet werden, daß er jemandem sein wohlerworbenes Recht entzöge 14 . „illegaler Transportierung" zu Schadensersatz und Geldstrafe verurteilt; das Verfahren sei ein „unanständiger Mißbrauch" gewesen, sagt ihm das Gericht. — Andere Fälle bei S t r u b e n , Rechtl. Bed, V (Just. S.) S. 56ff. (unförmlicher Vollzug einer fiskalischen Strafe), P f e i f f e r , Prakt. Ausf. I I I S. 425 (eine Landesverweisung der hannöverischen Regierung wird aufgehoben, weil keine Gründe angegeben sind). 12 Ρ ü 1 1 e r , Inst. § 119: „Non infringere liceat jus quaesitum i. e. ni fallor, quod, speciali titulo acquisitum, non ex sola libertate naturali obtinet." Vgl. auch S t r u b e n , Rcchtl. Bed. V (Just. S.) S. 93 und 94; W i p p e r m a n n , Beitr. z. St.R. § 8. 13 R.G. 17. Febr. 1883 (Entsch. S. I X S. 235). Die Übergangsbestimmungen, welche E.G. z. B.G.B. Art. 108 ff. bringt, behelfen sich ohne diesen Begriff. Sachlich gibt P l a n c k , Komm, zu Art. 170 Ziff. 1, die nämlichen Gedanken wieder, welchen er früher diente. 14 Ρ ü 11 e r , Beitr. I S. 317, handelt zunächst von der Bedingtheit der Landeshoheit, „daß sie nur zur gemeinen Wohlfahrt stattfindet" (vgl. oben Note 10), sodann S. 351 „von der Bestimmung, daß einem jeden sein wohlerworbenes eigentümliches Recht zu lassen ist". — Die Gesetzgebung ist damals nicht wie später eine besonders geartete Erscheinung des höchsten Staatswillens — noch eine Stufe höher als der Wille des Fürsten allein, — sondern Ausübung eines landesherrlichen Hoheitsrechtes wie die anderen. Deshalb wirken ihr gegenüber die wohlerworbenen Rechte gerade so kräftig wie sonst: M o s e r , Landeshoh. in

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Erster Abschnitt Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

Das erklärt sich sehr einfach, wo das wohlerworbene Recht gegen den L a n d e s h e r r n s e l b s t begründet worden ist. Die Hoheitsrechte stehen zu dessen Verfügung. Er kann sie veräußern und einschränken oder einfach darauf verzichten; wenn das m i t der erstarkenden Staatsidee zuletzt nur noch für die minder wichtigen Regalien zulässig erachtet wird, nicht aber für die jura majestatis essentialia, so bleibt doch allgemein die Möglichkeit, die Ausübung der Rechte näher zu bestimmen oder auf die Geltendmachung dem Einzelnen gegenüber i m voraus zu verzichten. Was der Vertrag bewirken kann, kann auch die Verjährung oder die Unvordenklichkeit. So entstehen den Hoheitsrechten gegenüber mancherlei privilegia und immunitates. Das hätte aber alles keinen Wert, wenn es den Landesherrn nicht bände, auch den gesetzanordnenden. Erst dadurch sind sie jura quaesita 1δ . Allein auf diese Fälle beschränkt sich unsere Erscheinung nicht. Vielmehr bilden Schranken der Landeshoheit alle jura quaesita schlechthin, die für die Untertanen gegenüber i r g e n d j e m a n d e m so erworbenen Rechte: Eigentum und Forderungsrecht, wie sie nach dem Zivilgesetze begründet sein sollen, Gewerberechte gemäß bestehenden Handwerksordnungen erworben, Mitgliedschaftsrechte i n allerlei Körperschaften binden auch den dabei nicht beteiligten Landesherrn auf solche Art. Sie können durch seine Gerichte beurteilt und abgesprochen werden als unbegründet oder verwirkt, können Gegenstand einer Zwangsvollstreckung werden, die er zur Deckung eigener oder fremder Forderungen vollziehen läßt. Aber einfach zuzugreifen, um ein solches Recht zu ändern, zu vernichten oder zu übertragen, dazu ist keines seiner Hoheitsrechte stark genug, selbst nicht das allerumfassendste, das jus politiae 1 6 . Reg.S. S. 307: L e i s t , St.R. S. 290; S t r u b e n , Rechtl. Bed. V (Just. S.) S. 37 ff. Bei G ö n n e r , St.R. S. 471 Anm. 5, tritt allerdings eine Unterscheidung hervor: „Nicht gegen allgemeine Normen (Gesetze), sondern gegen einzelne Befehle können beteiligte Individuen ein jus quaesitum behaupten." Das ist 1808 geschrieben. Es ist noch nicht der neue staatsrechtliche Gesetzesbegriff, aber er kündigt sich darin schon an. 15 K r e i t t m a y r , Allg. St.R. I § 17; Ρ ü 11 e r , Inst. § 261; G ö η η e r , St.R. § 273; S t r u b e n , Rechtl. Bed. V (Just. Sachen) S. 128, S. 272; L e i s t , St.R. § 155; K l ü b e r , Öff. R. § 102. — Ein verspäteter Nachzügler ist der „spezielle Rechtstitel", „besondere Rechtstitel" des Preuß. Ges. v. 11. Mai 1842 § 2 und des Sachs. A. Ges. v. 28. Jan. 1835 § 11. Vgl. O p p e n h o f f , Ressort verh. S. 57 n. 149, S. 350 n. 68; Ν i ρ ρ ο 1 d , in Sachs. Arch. f. Β. R. Bd. I I Erg. Heft S. 14 ff. Die ursprüngliche besondere Kraft des jus quaesitum klingt hier aus in einer der neueren Theorie gar nicht mehr verständlichen Ausnahmezuständigkeit der bürgerlichen Gerichte für öffentlich-rechtliche Fragen. 16 S t r u b e n , Rechtl. Bed. V (Just. S.) S. 272, scheint nur unmittelbar

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Diese Schwäche der Hoheitsrechte, zu deren Erklärung das zivilrechtliche Vorbild nicht ausreicht, hängt zusammen m i t dem besonderen Berufe des Landesherrn, dem sie gehören. Sie sollen ihm allesamt nur dienen für das gemeine Wohl; für das gemeine Wohl ist aber der Landesherr i n erster Linie der Hort des Rechtes i m Lande und hat als oberster Gerichtsherr die Aufgabe, die Rechte der Untertanen zu schützen und zu handhaben, wo er sie findet. Dieser richterliche Beruf wiegt dermaßen vor i n seiner öffentlichen Stellung, daß keines der anderen Rechte, welche diese Stellung ihm gibt, dazu führen darf, den Gegenstand der Pflichten jenes Berufes zu zerstören 17 . 3. Gegenüber diesen Beschränkungen der Hoheitsrechte entsteht nun wieder auf der anderen Seite ein neues Hoheitsrecht, welches berufen ist, auch sie zu durchbrechen, und demgemäß den Abschluß des ganzen Systems bildet. Die wohlerworbenen Rechte der Einzelnen bilden nämlich eine Grenze für die Hoheitsrechte nur i m gewöhnlichen Laufe der Dinge 1 8 . I n Ausnahmefällen ist die öffentliche Verwaltung auch daran nicht gebunden. Voraussetzung ist die K o l l i s i o n : es muß die Beseitigung eines wohlerworbenen Rechtes dringend notwendig sein für die Erreichung des Staatszweckes. Dann kann das Eigentum entzogen, das Privilegium aufgehoben, der Vertrag gebrochen werden. Diese «außerordentliche Gewalt ist selbst wieder als ein eigenes Hoheitsrecht gestaltet, welches hinter allen anderen ergänzend steht, genannt j u s e m i η ens, potestas, imperium oder dominium eminens, äußerstes Recht der Staatsgewalt, Machtvollkommenheit 19 . gegen den Landesherrn selbst erworbene Rechte, insbesondere aus Verträgen mit demselben, als Schranken der Hoheitsrechte anerkennen zu wollen. Daß jedes gegen wen immer erworbene Recht genügt, ist jedoch zweifellos herrschende Ansicht: ν. Β e r g , Polizei-R. I S. 166; Ρ ü 11 e r , Beitr. I n. 20; Η ä b e r 1 i η , St.R. I I S. 489; L e i s t , St.R. § 86: K r e i t t m a y r , Allg. St.R. § 32, § 35 in f.; N e u r a t h , De cognitione et potestate judiciaria in causis, quae politiae nomine veniunt, § 4. 17 Gerade die Sätze, welche den jeweiligen Zustand des öffentlichen Rechts am schärfsten kennzeichnen, pflegen als Axiome aufzutreten. So heißt es denn •auch hier einfach „fas est" (P ü 11 e r , Inst. § 119). i n Beitr. I S . 362 gibt Ρ ü 11 e r die obigo Begründung. Ähnlich auch noch G e r b e r , Grundzüge d. St.R. § 12. I m neuzeitlichen Verfassungsstaat muß das aber natürlich alles ganz anders gedacht werden. i a „Ordinarie", wie P ü t t e r sagt (Inst. § 119). Der Gegensatz ist das „si urget publica necessitai" des Bodinus und Hugo Grotius. 19 Η ä b e r 1 i η , St.R. I I § 266; Ρ ü 11 e r , Beitr. I S. 358. Κ 1 ü b e ι , Öff. R. § 552, nennt es etwas wehleidig „dieses traurige sogenannte Recht". — P ü t t e r a. a. O. S. 356 will sogar die Steuerauflage als einen Eingriff in jura quaesita B i n d i n g - O e t k e r , H a n d b u c h V I . 1: O t t o M a y er, Verwaltungsr. I . 3. Aufl.

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Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

I I I . Die R e i c h s g e r i c h t e sind über die Inhaber der Landeshoheit gesetzt i n doppelter Weise: 1. Zur Nachprüfung der von ihnen und i n ihrem Namen gehandhabten Gerichtsbarkeit auf Anrufen der Beteiligten durch das ordentliche Rechtsmittel der A p p e l l a t i o n . Der gemeine Prozeß, wie er beim Reichskammergericht zur Anwendung kam, zerfiel i n zwei Teile. Der eigentliche Prozeß, Judizialprozeß, beginnt erst m i t der Verhandlung der Parteien vor Gericht· Alles, was vorher und daneben geschieht in einseitigen Parteivorträgen und Beschlüssen des Richters, ist Extrajudizialprozeß. Gegen die Urteile i m ersteren Verfahren geht die eigentliche Appellation ; gegen Beschlüsse der letzteren A r t gibt es ein entsprechendes Rechtsmittel, die Extrajudizialappellation, gerichtliche Beschwerde nach heutigem Ausdrucke 2 0 . Die Appellation beider A r t unterlag Einschränkungen durch die in bunter Mannigfaltigkeit den einzelnen Reichsständen nach und nach verliehenen privilegia de non appellando. Sie beschränkt sich aber nicht auf die landesherrliche Zivil- und Strafrechtspflege i m heutigen Sinne. Wenn die Obrigkeit einen Ausspruch t u t , der die bestehende Ordnung auf den Einzelfall anwendet oder über Bestand und Wirksamkeit eines subjektiven Rechtes erkennt, so handelt sie als Richter, tamquam judex, ohne Unterschied, welche A r t von Hoheitsrecht dabei ausgeübt wird, die alte potestas judicaria oder das neue jus politiae. Geschah der Ausspruch zwischen streitenden Parteien, so war es ein Prozeß und die Appellation gegeben, geschah er auf einseitigen Antrag oder von Amts wegen, die Extrajudizialappellation. Das letztere war natürlich auf dem Gebiet, das wir heute Verwaltung nennen, das Regelmäßige 21 . vermöge des jus eminens behandeln. Das führt wohl auf Bodinus zurück, der das den französischen Ständen gegenüber so rechtfertigen möchte (de re pubi. lib. I cap. X). Aber seit H u g o G r o t i u s , Jus B. ac P. I l l cap. X X § 7, gilt der wichtige Grundsatz, daß der von der Ausübung des jus eminens Getroffene zu e n t s c h ä d i g e n ist; das betont auch Ρ ü 11 e r a. a. O. S. 357. Zu der Steuerauflage stimmt das natürlich nicht mehr. Vgl. die Lehre von der öffentlich-rechtlichen Entschädigung unten I I § 53. I n dem hier Note 9 erwähnten Bruchsaler Fall hat das R.K.G. die Enteignung zunächst ganz aus dem gewöhnlichen jus politiae begründet, dann aber allerdings doch noch das jus eminens ausdrücklich angerufen. Das ist gerade für die Frage der Entschädigung von Bedeutung, auf die dadurch hinübergeleitet wird. 20 C r a m e r , Wetzl. Nebenst. V I I S. 86; Η ä b e r 1 i η , St.R. I I S. 341 ; B a y e r , Gem. Z.Pr. I I § 309 B. 21 C r a m e r , Systema processus imperii § 1046; d e r s e l b e , Wetzl. Nebenst. I S. 119, I I I S. 1, V I I S. 84, S. 94, X X X V S. 143; S c h n a u b e r t , Anfangsgründe des St.R. S. 130; Η a b e r l i n , St.R. S. 457 Note 4.

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2. Außerdem haben die Landesherren bei den Reichsgerichten ihren o r d e n t l i c h e n G e r i c h t s s t a n d , um vor ihnen verklagt werden zu können wegen dessen, was sie dem Kaiser, ihren Mitständen oder anderen Personen, insbesondere auch ihren eigenen Untertanen, schuldig sind. Die e i n f a c h e K l a g e i m ordentlichen Verfahren, simplex querela, führt allerdings bei dem schleppenden Geschäftsgang der Reichsgerichte allzu schwer zu einem Ergebnis. Wenn irgend möglich, wird eine Sache auch gegen den eigenen Landesherrn i m summarischen Verfahren eingeleitet. Der M a n d a t s p r o z e ß ist die Regel. Man beginnt damit, ein mandatum prohibitorium, Inhibitorium oder restitutorium zu beantragen ob factum nullo jure justificabile oder ob damnum irreparabile. Auch diese Klagen gegen den Landesherrn haben ihre Beschränkung: vielfach sind hier A u s t r ä g e vorgesehen, ständige Schiedsgerichte, an welche die Sache zunächst gebracht werden muß, um erst i n zweiter Instanz an die Reichsgerichte zu gelangen 22 . Aber wiederum macht es keinen Unterschied, ob die Rechte, über die m i t dem Landesherrn gestritten wird, seine Hoheitsrechte sind oder gewöhnliche Privatrechte. Es kommt bloß darauf an, daß er bei ihrer Geltendmachung nicht ,,tamquam judex" aufgetreten ist, sonst wäre nach dem obigen die Appellation am Platze, sondern „tamquam privatus und nicht richterlicher Weis", also mit einfacher Rechtsbehauptung und tatsächlicher Ausübung 23 . Das Reichsgesetz forderte gewisse Rücksichtnahmen für den Herrn Beklagten. Die Reichsgerichte sollen auf Eröffnung des Prozeßverfahrens gegen die eigene Obrigkeit „nicht leicht erkennen", jedenfalls vorher Bericht von ihr einholen; Mandate, welche ohne Beobachtung dieser Form vom Gericht erlassen wären, sollen der A r t unwirksam sein, daß die Stände ,,denen mandatis impune nicht parieren dürfen". Das gilt wieder ohne Unterschied, um welche A r t von Rechten des Landesherrn es sich dabei handelt 2 4 . 22

M o s e r , Teutsch. Justiz. Verf. I Cap. 3 § 78. Gerade wo es sich um Hoheitsrechte handelt, lag es nahe, die Sache so zu wenden, als sei hier der Landesherr immer tamquam judex anzusehen; dann konnte man gleich zur Appellation greifen und vermied die unbeliebten Austrage. Demgegenüber schärfen die Reichsgesetze wiederholt ein, daß es für diese Unterscheidung lediglich auf die Form des Auftretens ankommt und demgemäß die Austräge beachtet werden müssen: R.A. v. 1594 § 94 u. 95; K.G.O. I I Tit. 31 § 16 u. 17; R.H.R.O. v. 1654 Tit. 2 § 2. 24 R.A. v. 1594 § 79; R.A. v. 1654 § 105; Wahlkap. Jos. I I . Art. 19 § 6 u. § 7. Vgl. M o s e r , Teutsch. Justiz.Verf. I S. 1090 ff.; daselbst wird eine Denk23

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Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

Nur in einem Punkte nehmen die Hoheitsrechte hier eine Sonderstellung ein: in der Zulässigkeit der S e l b s t h i l f e . Die Reichsgerichte sind ja i n erster Linie bestellt worden zur Aufrechterhaltung des Landfriedens und zur Beseitigung der überwuchernden Selbsthilfe. Sie haben davon den Zug einer übermäßigen Strenge beibehalten gegen alles Vorgehen, was nach dieser aussieht. Via facti ist unbedingt verboten allen Untertanen, den Ständen untereinander, auch den Landesherren gegenüber ihren Untertanen dann, ,,wenn fiscus agiret", d. h. wenn es sich um Privatsachen handelt. Erlaubt ist nur die ,,Selbsthandhabung bei der Landeshoheit". Wenn der Landesherr i m Besitze der Ausübung eines Hoheitsrechtes ist, so kann er auf eigene Faust m i t Gewalt sein Recht durchsetzen ohne Rücksicht auf etwaige Rechtsbestreitungen. Mandate und inhibitoria braucht er nicht zu beachten. Dem Untertanen bleibt nur der Weg der ordentlichen Klage 2 5 . Daß Verwaltungsexekution und Polizeizwang aufgefaßt werden als Selbsthilfe des Landesherrn zur Geltendmachung seiner Hoheitsrechte, ist ein ganz zivilrechtlicher Gedanke; daß aber die Selbsthilfe hier überhaupt zulässig ist, darin liegt doch schon eine Anerkennung der Eigenart dieser Rechte. — I n dieser Weise beherrscht das Reichsgericht m i t seiner Rechtsprechung, teils mitwirkend, teils äußerlich überwachend, die Tätigkeit schrift erwähnt (von 1750), in welcher ein Stand auszuführen sucht, daß das Kammergericht überhaupt nicht befugt sei, über Regalien und deren rechtmäßigen Gebrauch zu sprechen; das ist nicht das geltende Recht, aber das kommende ! 25 C r a m e r , Wetzl. Nebenst. I I S. 122, 133, 150. M o s e r , Wahlkap. Jos. I I . T. 2 S. 183 Anm. 2, S. 165 Anm. 1; G ü n d e r o d e , Abhandig. d. Teutsch. St.R. S. 1131. — Der Landesherr erscheint deshalb nicht leicht als Kläger vor dem Reichsgericht; er hat es nicht nötig. Ausnahmsweise sucht ein minder mächtiger Fürst den Schutz des Reichsgerichts gegen seine störrischen Untertanen, namentlich etwa ein mandatum de manutenendo zur Verstärkung seiner Selbsthilfe, wo ihm dann ein tüchtiger Nachbar zur Hilfeleistung beigegeben wird; Ρ ü 11 e r , Beitr. I , 18 §§ 2 und 3. Doch kommen auch sonst wenigstens Widerklagen häufig vor. Beispiele geben bei C r a m e r die endlosen Prozesse des Grafen von Crichingen mit seinen Bauern; Wetzl. Nebenst. I I C S. 129, IC S. 93, 99, 104, C S. 67, 92. Nach langer Abwesenheit des Hauses an fremden Höfen kommt endlich wieder einmal ein Graf dazu, seinen Wohnsitz in der Herrschaft zu nehmen, und beginnt nun sofort, „seine Regimentsverfassung nach den neuesten Maßregeln der Landeshoheit in forestalibus, politicis et oeconomicis, auch militaribus einzurichten, welches den Criechingischen Untertanen als eine ihren alten Rechten und Herkommen höchst nachteilige Neuerung angeschienen". Alte und neue Art platzen aufeinander, und das Reichskammergericht bemüht sich redlich, Sonne und Wind gleich zu verteilen.

§ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte.

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der Landesgewalt zur Verfolgung der Staatszwecke. E i n Gedanke, der heutzutage noch manchmal nachklingt, ist eine Wahrheit gewesen für die damalige Stufe der Entwicklung: Recht und Rechtspflege stehen über der Staatsgewalt. Freilich ist diese Machtstellung weit entfernt, eine vollkommene zu sein. Die Landeshoheit hat schon sehr bald angefangen, daran zu rütteln. Sie verschafft sich Ausnahmen über Ausnahmen, und gerade die wichtigeren Gebiete vermochten durch die vielgestaltigen privilegia de non appellando die eine Seite der reichsgerichtlichen Einwirkung gänzlich auszuschließen. Auch durch rechtswidrige Ränke und Gewaltstreiche sucht man den Weg der Appellation und der Klage zum Reichsgericht zu versperren 26 . Vor allem aber stand es mißlich m i t der Zwangsvollstreckung gegen mächtigere Herren. Tatsächlich ist der Rechtsweg nur gegen die Kleinen bis zu Ende gangbar 27 . Trotz alledem war doch immer das Prinzip gewahrt, wenn ein feierlicher Ausspruch erfolgen konnte, daß Unrecht geschehen sei, und wenn hier und da wenigstens es gelang, ein Exempel zu statuieren. Noch in der letzten Zeit des ärgsten Verfalls, um die Wende des 18. Jahrhunderts, dachten unsere Juristen gar nicht gering von dem Werte des ganzen Instituts und wußten seine Bedeutung für Aufrechterhaltung des allgemeinen Rechtsbewußtseins und des bürgerlichen Unabhängigkeitsgefühls wohl zu schätzen 28 . 2β

Μ ο s e r , Teutsch. Just. Verfassung I S. 566 ff., zählt ein langes Sündenregister auf. — Als der König von Preußen einmal wegen einer Finanzmaßregel vor dem Reichshofrat verklagt worden war, verfügte er an seine Behörde: „daß den renitenten Edelleuten allerlei Schikanen gemacht und ihnen solcher gestalt der Kitzel vertrieben werde, gegen ihren angeborenen Landesherrn und Obrigkeit an dergleichen frevelhaftes und gottloses Beginnen weiter zu gedenken" ( F ö r s t e r , Friedr. Wilh. I . I I S. 228). 27 M o s e r , a. a. 0. Cap. 54 § 28, handelt von diesem Punkte unter dem Titel „Bedenkliche Exekutionen". Ρ e r e 1 s , die allg. Appell. - Privilegion f. Brandenb. Preußen (in Zeuner, Quellen und Studien I I I , 1 S. 92 ff.), berichtet von einem mandatum de exequendo," welches das R.K.G. ganz korrekter Weise erteilt hatte „wider Herren Friedrich Wilhelm König von Preußen als Herzog von Kleve". Der Erzbischof von Köln und der Pfalzgraf bei Rhein, welche damit betraut waren, entledigen sich dieses Auftrags durch ein höfliches Schreiben an den exequendus mit dem Ersuchen um eigneVollziehung des „Exekutionsmandates" gegen seine Regierung zu Kleve. 28 S c h 1 ö ζ e r , Allg. St.R. (1793) Abschn. I I I § 8 in f.: „Glückliches Deutschland, das einzige Land der Welt, wo man gegen seine Herrscher, ihrer Würde unbeschadet, im Wege Rechtens bei einem fremden, nicht ihrem eigenen Tribunal aufkommen kann." Und gegenüber einem häufig gebrauchten Spottwort meint Η ä b e r 1 i η , St.R. I I S. 647: „Ein Glück, daß wir in Teutschland Revolutionsprozesse führen können." Das ist nach ihm ein Sicherheitsventil.

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Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

Die Rechtsordnung, die auf diese Weise gewahrt und aufrechterhalten wird, weicht gegen das Ende mehr und mehr i n die kleinen Territorien zurück. Sie entlehnt ihre ganze Lebenskraft nur dem Fortbestande der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte. I n dem Maße, wie diese erlischt, zieht für das Verwaltungsrecht, für die ganze Art, wie das Verhältnis zwischen dem verwaltenden Staate und dem Untertan grundsätzlich gedacht ist, eine neue Zeit herauf. § 4.

Der Polizeistaat. Wenn schon geraume Zeit vor dem gänzlichen Zusammenbruch der Reichsgerichtsbarkeit die öffentliche Gewalt überall die alten Rechtsschranken zu überfluten suchte, so geschah es unter dem Antrieb mächtiger neuer Ideen, neuer Aufgaben, die sie sich stellte. Die P o l i z e i , welche dem Ganzen den Stempel gibt, wird zu einer planmäßigen Bearbeitung des zur Verfügung stehenden Menschenmaterials, um es einem großen Ziele entgegenzuführen 1. Die S t a a t s i d e e t r i t t i n den Vordergrund: nicht für sich und zur Geltendmachung eines i h m zustehenden Hoheitsrechtes nimmt der Fürst das alles i n Anspruch, sondern i m Namen des Gemeinwesens, das er v e r t r i t t 2 . Neben der Verneinung der bisherigen Formen entwickeln sich aber auch schon wieder neue Ordnungen, die hinüberleiten zu dem Rechte der Gegenwart. I . Die schrankenlos gewordene öffentliche Gewalt wird ausgeübt durch den Fürsten selbst und unter ihm i n seinem Namen und damit 1

C h r i s t i a n v . W o l f f (1679—1754) gilt als der „offizielle Staatsphilosoph" Friedrichs des Großen. Seine hier einschlagenden Werke: Jus naturae (9 Bde. 1740—1748) und: Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen zur Beförderung der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts (4. Aufl. 1736), sind mit ihrer ganzen Süßlichkeit von der Art des preußischen Staatswesens weit genug entfernt. Der wahre Prophet der neuen Verwaltung, namentlich der preußischen, ist J u s t i , Grundsätze der Polizeiwissenschaft, 1756, wo schon in der Vorrede ein bewußter Gegensatz zu Wolffs Verflachungen betont wird. 2 Die berühmten Aussprüche: L'etat c'est moi (Ludwig X I V ) und „Der König ist der erste Diener des Staates" (Friedrich der Große) sind in diesem Sinne gleichwertig: der Patrimonialstait ist vorbei ! Wenn W a l d e c k e r 1915, drei Jahre vor der deutschen Republik, in Annalen d. d. Reichs S. 342 schreiben konnte, die alte „Patrimonialität" wirke im deutschen Staat noch recht kräftig fort und gebe ihm eine ganz eigentümliche Note, die ihn von den anderen unterschiede, so war das eine patriotische Verirrung, die ihn alsbald auch dazu führte, mit Kelsens Zerstörung des öffentlichen Rechtes zu liebäugeln. Die Grundideen unseres neu· zeitlichen Staatswesens dürfen nicht verleugnet werden.

§ 4. Der Polizeistaat.

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zugleich i m N a m e n des Staats d u r c h verschiedenartiges B e a m t e n t u m . D e r M a c h t a n t e i l , der j e d e m z u k o m m t , b e s t i m m t sich wie folgt. 1. D e r F ü r s t i s t der eigentliche Träger der ungeheuren Aufgabe der

Verfolgung

des

Staatszweckes.

Wäre

m ö g l i c h , so w ü r d e er alles a l l e i n t u n . Grundsatz

bestehen,

daß

kein

es nach

Menschennatur

So aber b l e i b t wenigstens der

Gegenstand

seiner u n m i t t e l b a r e n T ä t i g k e i t entzogen ist.

staatlicher

Verwaltung

W i c h t i g e r e D i n g e sind

i h m vorbehalten, m i n d e r w i c h t i g e r b e m ä c h t i g t er sich, wie sie gerade seine A u f m e r k s a m k e i t Dem

Untertanen

erregen 3 . gegenüber

hat

seine M a c h t

Grenzen; was er w i l l , i s t v e r b i n d l i c h . d e m N a m e n n a c h die Rede.

keine

rechtlichen

V o n Hoheitsrechten i s t

nur

Es g i b t keinen Mißbrauch mehr

und

g i b t keine beschränkenden j u r a quaesita.

Die Verantwortlichkeit

vor

G o t t u n d seinem Gewissen einerseits, die vernünftige E r w ä g u n g des Zweckmäßigen u n d T u n l i c h e n anderseits, w o h l auch noch vielfach, w e n n auch uneingestanden, die M a c h t des Hergebrachten einzigen Schranken. 3

sind seine

Das R e c h t h a t n i c h t s d a m i t z u t u n 4 .

Es ist bekannt, welch lebhaften Anteil Friedrich der Große an der PolizeiVerwaltung seiner Residenzstadt Potsdam genommen hat. P r e u ß , Urkunden buch zur Lebensgeschichte Friedrichs des Großen, gibt eine Sammlung solcher Kabinettsordres, die gerade wegen der Geringfügigkeit ihrer Gegenstände, des wahllosen Herausgreifens und des Wechsels in der Behandlung den Wert rechtsgeschichtlicher Denkmäler haben. Wir finden z. B. Bd. I V S. 271: „S. K. M. von Pr. usw. haben höchst mißfällig in Erfahrung gebracht, daß der hiesige Gastwirt Plöger samt seinen Leuten bereits seit geraumer Zeit eine sehr schlechte und liederliche Wirtschaft führt," Magistrat soll ihn „sogleich vorkriegen" und ihm eröffnen, wenn er nicht sofort eine ordentliche Wirtschaft führe, „würden S. K. M. den Plöger samt seinen Leuten nach Spandau schicken und sein Haus an dessen Kreditor weggeben". Vgl. auch die Fälle ebenda S. 276 (Hausanstrich), S. 303 (mißfallende Schaustellung), S. 273; 277, 296, 297 (Meisteraufnahmen). 4 So P e r t h e s , Deutsch. Staatsleben vor der Rev. S. 228 ff., insbesondere S. 237; den Zusammenhang zwischen dem Aufhören der kaiserlichen Autorität und dem Verschwinden der Grenzen der Hoheitsrechte hat Z i m m e r m a n n , Deutsch. Pol. im 19. Jahrh. I S. 197, gut hervorgehoben. — Der Mangel aller Rechtsformen setzt die Rechtspflege noch heute manchmal in Verlegenheit, wie ein königlicher Willensakt aus jener Zeit zu beurteilen sei. C.C.H. 8. Aprü 1854 hatte folgenden Fall zu entscheiden: Eine Kirchengemeinde klagt gegen Fiskus auf ihr Eigentum an einem ehemaligen Kirchhofsgrundstücke, das 1763 zum Kasernenbau verwendet worden war. Wie war das zugegangen ? Ein Oberbaubeamter hatte damals dem Kirchenvorstand geschrieben: daß er von S. M. dem Könige Befehl habe, für Allerhöchst dero Artillerie dort eine Kaserne zu bauen. Dann war der Bau vorgenommen worden. Der Gerichtshof entschließt sich anzunehmen, es habe damals eine Expropriation stattgefunden. Mit einer ebenso schwer zu beurteilenden Kabinettsordre aus späterer Zeit hat O.Tr. 7. Juli 1868 (Str. 71 S. 295) zu tun. — Bei dieser Gelegenheit mag man sich der schönen

4 0 E r s t e r

Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

2. Das B e a m t e n t u m erhält seinen Anteil an Besorgung der Staatsgeschäfte durch den Fürsten zugewiesen. Die Pflichten und Aufgaben sind i m Interesse des Staatszwecks möglichst umfassend gehalten; insbesondere die Hauptstellen der Verwaltung, die kollegialen Polizeibehörden, sind ohne weiteres berufen, alles zu tun, was von ihnen und in ihrem Bezirke für die öffentlichen Interessen geschehen kann und nicht einer anderen Stelle besonders vorbehalten ist. Sie stehen ihrerseits unter scharfer Zucht und Aufsicht ihrer Vorgesetzten, vor allem des obersten Verwalters, des Fürsten selbst. Jederzeit kann ein Befehl dazwischenfahren, um besondere Anweisung zu geben* Ihre Anordnungen selbst werden nicht bloß i m Instanzenzug, sondern häufig unmittelbar durch den Fürsten aufgehoben und abgeändert; oder auch der Fürst greift selbst ein, u m sie für diese oder jene Angelegenheit einfach beiseite zu schieben und an ihrer Stelle Verfügungen zu treffen 5 . Nach außen aber, dem Untertanen gegenüber, vertreten sie den Fürsten und durch ihn den Staat und sind innerhalb des Spielraums ihres Auftrags und ihrer Vollmacht ebendeshalb rechtlich unbeschränkt. Wenn dem Beamten des älteren Staats die Grenzen der Hoheitsrechte seines Herrn entgegengehalten werden konnten, so ist das jetzt weggefallen. Wie der Fürst für die Gesamtheit der Staatsaufgaben rechtlich alles vermag, was zur Durchführung erforderlich ist, so der Beamte für seinen Teil, und da dieser Teil allgemein und i n umfassender Weise bestimmt zu sein pflegt, so steht der Beamte den Untertanen tatsächlich gegenüber wie ein Fürst i m kleinen: der Untertan hat sich auch seinen Maßregeln schlechtbin zu fügen 6 . Der Erzählung vom Müller von Sanssouci erinnern, zu deren Andenken die Ruinen der Mühle noch stehen geblieben sind, und des geflügelten Wortes, das sich daran knüpfte : il y a des juges a Berlin. Der König drohte, ihm seine Mühle wegzunehmen, wenn er sie ihm nicht freiwillig verkaufte, der Müller aber erwiderte zuversichtlich: „Ja, wenn das Kammergericht in Berlin nicht wäre.4 4 Da wich der König zurück, — offenbar gerührt von der kindlichen Einfalt des Müllers, der da glaubte, mit einer Klage beim Kammergericht gegen einen solchen Eingriff des Königs etwas ausrichten zu können! Tatsächlich hat sich denn auch die Sache ganz anders zugetragen; vgl. die aktenmäßige Darstellung in: Märkische Forschungen Bd. V I (1858) S. 165 ff. 5 G r ä v e l l , Antiplatonischer Staat 1808 S. 196, 197. Beispiele von Durchbrechung aller Zuständigkeiten durch unmittelbare fürstliche Anordnungen oben Note 3. Gegen das Ende der Periode werden solche Eingriffe seltener; das Beamtentum sieht darin „Einmischungen4 4 in die ihm zustehende unmittelbare Geschäftsbesorgung, die zugleich „gewissermaßen ein Recht der Untertanen" sein soll. Vgl. darüber Z i m m e r m a n n , Deutsch. Pol. I S. 142. « So R o l l e r , Württ. Pol. R. 1800 Vorrede S. V.: „Ein solcher Staats-

§ 4 . Der Polizeistaat.

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Unterschied liegt nur darin, daß es gegen diese eine Abhilfe gibt bei einem höheren Herrn, der, wenn er angerufen wird, seinerseits wieder ,,machen kann, was er w i l l " . 3. Mitten i n diese Ordnung der öffentlichen Gewalt hinein baut sich aber nun ein ganz eigentümliches Element durch die Anerkennung des Grundsatzes der U n a b h ä n g i g k e i t der G e r i c h t e . Der Landesherr hat von lange her die oberste richterliche Gewalt in seinem Gebiet geübt, indem er selbst Recht sprach oder durch seine Räte Recht sprechen ließ, die Landesgerichte beaufsichtigte und insbesondere einzelne Sachen, die ihm geeignet schienen, von diesen abrief, um sie unmittelbar zu entscheiden. Ein solches Eingreifen des Fürsten i n die Rechtspflege war ganz i m Geiste des Polizeistaates. Die Zivil- und Staatsrechtspflege ist zwar ordentlicherweise i n die Hände der dazu bestellten Gerichte gelegt. Der Fürst aber kann jederzeit einen Zivil- oder Strafprozeß dadurch erledigen, daß er einen , , M a c h t s p r u c h " erläßt. Dadurch bestimmt er entweder selbst, was für den Fall Rechtens sein soll, oder er befiehlt den Gerichten das zu gebende Urteil. Aus einer übereifrigen Geltendmachung dieses Mittels entwickelte sich aber i n dem führenden Staate, Preußen, unter Friedrich dem Großen der entscheidende Umschlag in die entgegengesetzte Ordnung. Man erkannte, daß gerade der große Zweck des Staatswohls, der auf allen anderen Gebieten das rastlose persönliche Eingreifen des Fürsten fordern mochte, auf diesem besonderen Gebiete ein solches Eingreifen i m Einzelfalle verbot. E i n Machtspruch in der einen oder anderen Form gilt fortan als unzulässig. Der König hält sich nicht mehr dazu befugt. Damit aber bekommt die Zivil- und Strafrechtspflege eine ganz besondere Stellung i m Vergleich zur Verwaltung: die Behörden der Justiz werden ein selbständiges Machtelement innerhalb der staatlichen Ordnung, wohl befähigt, auch der sonst schrankenlosen öffentlichen Gewalt gegenüber Recht und Rechtsordnung i n gewissem Maße zur Geltung zu bringen 7 . beamter darf als ein kleiner Regent in seinem Bezirke betrachtet werden." Ähnlich S c h m o l l e r in Ztschft. f. preuß. Gesch. 1874 S. 564: „Die Steuerräte waren im kleinen, was der König im großen war". Über die Allgemeinheit der Amtsaufträge: K r e i t t m a y r , Anm. z. Cod. Max. V. S. 1731 ; L e i s t , St.R. § 101 (die Formel ist wie für die Bestimmung des Umfangs der obersten Gewalt, daß sie berechtigt sein müssen zu allem, was sie zur Erfüllung ihrer Amtspflichten nötig haben können; oben § 3 I); ebenso G ο e η η e r , Staatsdienst S. 219; P f e i f f e r , Prakt. Ausf. I I I S. 304, 306. 7 Vgl. die Darstellung des Ganges, den das Aufhören der Machtsprüche unter Friedrich d. Gr. genommen hat, bei S t ö 1 ζ e 1, Fünfzehn Vorträge aus d. Brandenb.-

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Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

I I . Das Fürstentum, zu dessen Gunsten die alten Formen zerstört sind, will dafür auf seine A r t Ordnung und Gleichmaß in das staatliche Wirken einführen. A n Stelle seines erworbenen subjektiven Rechts t r i t t jetzt die von ihm geschaffene bindende Regel i n den Vordergrund, das l a n d e s h e r r l i c h e Gesetz. Es benennt sich vorzugsweise Verordnung oder noch lieber m i t einem pomphaften Fremdwort: Edikt, Reskript, Publikandum, Patent, Reglement, Mandat, Dekret, Statut, Ordre, Konstitution, Instruktion 8 . Quod principi placuit, bindet jeden, den es trifft, Beamte, untergeordnete Obrigkeiten und Untertanen, gleichmäßig; es verlohnt sich nicht, nach sachlichen Unterschieden zu suchen, welche den verschiedenen Bezeichnungen entsprechen sollten. Gleichwohl ist der ältere Begriff des Gesetzes nicht verloren gegangen. Die potestas legis jubendae war, schon wegen ihres Zusammenhanges m i t der Gerichtsbarkeit, stets nur von V ors c h r i f t e n f ü r d i e U n t e r t a n e n s c h l e c h t h i n verstanden worden, und zwar, entsprechend den zweierlei Formen von Rechtssätzen i n Z i v i l - u n d S t r a f g e r i c h t s b a r k e i t , Vorschriften über das, was zwischen ihnen gelten und was ihnen von den Behörden widerfahren soll, erstere Befehle an die Untertanen und dadurch zugleich an die handhabenden Gerichte, letztere Befehle an die Gerichte und deshalb auch an die zu treffenden Untertanen. I n diesem Sinne hebt die Rechtslehre immer noch aus der Masse landesherrlicher Anordnungen das zweiseitig wirkende Gesetz oder e i g e n t l i c h e Gesetz heraus 9 . Preuß. Rechts- und Staat sgesch. S. 157 ff. Eine förmliche Abschaffung wollte man gleichwohl auch im A.L.R. noch nicht aussprechen ( H u b r i c h in Verw. Arch. X V I S. 571 f.). Ebenso sind in Sachsen die Machtsprüche Ende des 18. Jahrhunderts tatsächlich eingeschlafen ( R ö m e r , St.R. d. Kurf. Sachsen I I S. 445). 8 K r e i t t m a y r , Cod. Max. I cap. I I § X I V ; R ö m e r , St.R. d. Kurf. Sachsen I I S. 336; B e r g i u s , Preußen in staatsrechtl. Bez. § 8; K l ü b e r , Öff enti. R. § 361 c; Η u b r i c h , in Verw. Arch. X V I S. 408 ff. 9 M o s e r , Landeshoh. in Reg.S. S. 303: „Gesetze sind landesherrliche Befehle, Verordnungen, Gebote und Verbote, welche entweder alle Landesuntertanen oder doch eine gewisse Gattung derselben verbinden." — Das ist die festgehaltene Begriffsstimmung: B o d i n u s , De re pubi. ed. V I I S. 466; J. H . Β ο e h m e r , Jus pubi. P. spec. L. I I cap. I I I § X X X (feruntur leges, ut actiones civium secundum illas dirigantur); C h r i s t . W o l f f , Jus nat. V I I I § 965; Ρ ü 11 e r , Inst. jur. pubi. §221; S t ö l z e l , Svarez S. 378 (Dankelmanns Einwendungen gegen die preuß. Zivilrechtskodifikation); G l ü c k , Komment. I S. 45; S c h m a l z , Teutsch. St.R. § 232. Auch wenn es sich um Rechte der Landstände auf Anteilnahme an der Gesetzgebung handelt, ist dieser bestimmte Gesetzbegriff der maßgebende. Μ o s e r , Landeshoh. in Reg.S. S. 308: Wenn bloß gesagt ist, die Gesetze seien den Landständen vorzulegen, dann gehören dahin „alle Gesetze, Ordnungen

§ 4. Der Polizeistaat.

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M i t der sich durchsetzenden Unabhängigkeit der L a n d e s g e r i c h t e (oben I n. 3) t r i t t bei diesen noch eine besondere Wirkungskraft der für die Untertanen gegebenen Vorschriften ins Licht. Sie werden von diesen i n Zivil- und Strafrechtspflege angewandt auf die Einzelfälle, ohne rechts oder links zu sehen, i m „stracken Gang der Justiz". Nachdem noch der Landesherr ausgeschaltet ist, der gern etwas Abwechslung hineinbringen mochte, geschieht das m i t einer berufsmäßigen Berechenbarkeit. Unter Berücksichtigung der i n allen menschlichen Dingen vorzusehenden Fehlergrenze ist man hier stets i n der Lage, i m voraus zu wissen, was einem bei der Obrigkeit bevorsteht. So erhalten die von der Justiz gehandhabten Regeln die u n b e d i n g t e Z u v e r l ä s s i g k e i t , die eine R e c h t s o r d n u n g haben muß, um d i e s e n N a m e n z u v e r d i e n e n . U m jenes Vorherwissen zu vermitteln, ist dann aber weiter erforderlich, daß die Gesetze, die einen Teil bilden sollen der von den Gerichten zu handhabenden Rechtsordnung, dem Publikum, für das sie so wirken, kenntlich gemacht, publiziert, v e r ö f f e n t l i c h t seien. Das ist ja zunächst Zweckmäßigkeitssache : wollte man, daß die Untertanen sich freiwillig danach richteten, so war die möglichste Verbreitung der Kenntnis von dem Befehl, der Strafdrohung, der ganzen obrigkeitlich zu wahrenden Ordnung anzustreben. Unter Umständen allerdings konnte i m Gegenteil eine Geheimhaltung dessen, was bei den Behörden bevorstand, dem polizeilichen Nützlichkeitsstandpunkte besser erscheinen 10 . Demgegenüber ist es ein Sieg des Rechtsgedankens, wenn der unbedingte Grundsatz zur Geltung kommt: die G e r i c h t e h a n d h a b e n n u r v e r ö f f e n t l i c h t e Gesetze11. usw., welche nicht bloß des Landesherrn eigne Gerechtsame, seine Beamte u. dergl. betreffen, sondern auch in der Landstände und Untertanen Gerechtsame, wie auch in ihr Wohl und Wehe mit einschlagen". Vgl. auch H ä b e r l i n , St.R. I I S. 160. — Diese Abgrenzung des eigentlichen Gesetzes ragt sogar noch in die Anfänge des neuen Verfassungsrechtes hinein; vgl. Bayr. Verf. Urk. Tit. V I I § 2. 10 Über diese Entwicklung: L u k a s , Gesetzespublikation S. 45 ff. 11 Eine Zeitlang hatte man auch die von der Justiz anzuwendenden Strafgesetze von jenem polizeilichen Nützlichkeitsstandpunkte aus behandelt. Vorbildlich der Fall bei S c h l e t t e r , Die Konstitutionen Kurfürst Augusts von Sachsen v. Jahre 1572 S. 84 ff. : Mehrere dieser Vorschriften, welche Milderungen des geltenden Strafrechts brachten, hielt man zunächst geheim, damit die Missetäter sich nicht ermutigt fühlten. Nur die Gerichte und „distinguierte Kreise" bekammen vollständige Exemplare. Die Gerichte sprachen aber doch danach. Hundert Jahre später, 1673, empfand man das als einen Formmangel, dem nunmehr durch nachträgliche Veröffentlichung abgeholfen wurde. Daneben gab es noch eine andere Gruppe von Bestimmungen, ebenfalls 1572 erlassen und zunächst

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Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen. Diesen Gesetzen gegenüber stehen d a n n allgemeine V o r s c h r i f t e n ,

welche l e d i g l i c h i m inneren Verhältnisse zwischen d e m B e a m t e n u n d seinem D i e n s t h e r r n w i r k s a m s i n d (Dienstanweisungen, Organisationsbestimmungen, Verfahrensordnungen).

Instruktionen,

Solche A u s ü b u n g

des j u s circa officia schafft keine eigentlichen Gesetze 1 2 . I n n e r h a l b der J u s t i z , deren T ä t i g k e i t nach außen j a

wesentlich

d u r c h echte Gesetze b e s t i m m t ist, t r i t t der U n t e r s c h i e d n i c h t so z u t a g e ; er w i r d erst f ü h l b a r b e i m Vergleich m i t der V e r w a l t u n g oder, w i e m a n sie damals i n der Hauptsache nannte, der Polizei. herr seinen P o l i z e i b e h ö r d e n

W e n n der Landes-

b e f i e h l t : diese A r t H a n d l u n g ist

zu

v e r h i n d e r n oder i s t z u gestatten, ein P o l i z e i g e s e t z erläßt, w i e m a n es w o h l n e n n t , so besteht doch noch der große Unterschied v o n d e m echten Strafgesetz, daß er sich d a d u r c h nach außen noch gar n i c h t s vergeben h a t .

Wenn

nur

er es zufrieden

ist,

kann

der

Beamte

d a v o n abweichen, u n d es geht n i e m a n d e n etwas an. E r k a n n i h m a u c h beliebig

für

einen

Einzelfall

widersprechende

Anweisungen

geben,

l ä ß t i h m m i t Vorliebe schon v o n v o r n h e r e i n einen gewissen S p i e l r a u m frei, u m nach Ermessen v o n d e m A u f t r a g solchen Gebrauch z u m a c h e n von den Gerichten angewendet, die aber niemals veröffentlicht worden sind. Diesen begannen die sächsischen Dikasterien im 17. und 18. Jahrhundert, unter Hervorhebung des Mangels, die Anwendung zu verweigern (a. a. 0. S. 106, S. 107).— Schließlich ist die Veröffentlichung des Gesetzes überall als eine formale Bedingung seiner Gültigkeit und Wirksamkeit angesehen: J. H. B o e h m e r , Jus pubi. P. spec. cap. I I § 39; Η ä b e r 1 i η , St.R. § 222; G l ü c k , Komment. I S. 128 ff.; Κ . S. Z a c h a r i a e , Vierzig Bücher I V , I V ; Κ 1 ü b e r , Öff. R. § 362; K a n t , Rechtslehre § 43; H e g e l , Rechtsphilosophie § 215. 12 Κ 1 e i η , in Annalen der Gesetzgebung i. d. preuß. Staaten (1788) I I S. 21, handelt von der Frage: „Ob dem Richter geheime Instruktionen gegeben werden könnten?" I n Ansehung des „Gesetzes", d. h. des anzuwendenden Zivil- und Strafrechts, will er das nicht zulassen, wohl aber bezüglich des einzuhaltenden Verfahrens, der „Prozeßordnung". Sogar diese wäre also bezeichnender Weise kein „wahres Gesetz". H u b r i c h und K e l s e n , die sonst nicht viel Verwandtschaft haben, sind einig, in diesem Punkte kräftige Vorwürfe gegen mich zu erheben. Ersterer (Legalcharakter der preuß. Univers.-Statuten S. 59 f.) empört sich darüber, daß ich dem alten Staatswesen die Möglichkeit einer „gesetzlichen Ordnung des äußeren amtlichen Wollens", einer externen Willensregulierung durch Gesetz abgesprochen hätte. Das lag mir aber doch ganz fern. I n der Justiz ist es ja geschehen; für die Verwaltung hielt man es nur für zweckmäßiger es nicht zu tun. Der andere (Arch, d. öff. R. Bd. X X X I S. 68 f.) berichtet allerlei Merkwürdiges, das ich gesagt' hätte, insbesondere auch, daß Instruktionen, die der Fürst auf dem Gebiete derVerwaltung seiDen Beamten erteilt, keine Rechtsnormen seien; das stehe doch „in Widerspruch zu dem für den Polizeistaat gültigen Axiom, daß alles, was der Fürst will, Rechtsnorm ist". Also auch das, von dem er will, daß es blos Instruktion und keine Rechtsnorm sei? Mi das ähnlich?

§ 4. Der Polizeistaat.

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oder nicht. Deshalb gibt hier i m Gegensatz zur Justiz die erlassene Vorschrift k e i n e Rechtssicherheit. Was ihm von der Obrigkeit widerfahren soll, dessen ist der Untertan immer erst sicher, wenn er es spürt durch den Vollzug. Dementsprechend bleibt hier die Veröffentlichung der Anordnung ganz und gar Zweckmäßigkeitssache 13 . Es kann der polizeilichen Vorschrift auch die Gestalt einer N o r m f ü r d i e U n t e r t a n e n gegeben sein, also nach Vorbild eines Zivilrechtssatzes. Dann ist es selbstverständlich, daß eine Veröffentlichung stattfindet; sonst hätte ja die Anrede keinen Sinn. Meist wird es sich dann aber auch um eine Maßregel handeln, die zu gerichtlicher Entscheidung Anlaß geben kann und dafür wirksam zu machen ist: eine Strafdrohung steht etwa dahinter, oder zivilrechtlich gedachte, also auf dem zivilgerichtlichen Wege verfolgbare Rechte sollen darauf begründet werden können. Wo aber ein solches „Gesetz" auf dem gewöhnlichen Polizeiwege durchzuführen ist, hat es dem Publikum gegenüber keinen anderen Wert als den einer Aufforderung, Androhung, einer Inkenntnissetzung von den Absichten der Behörden; zugleich ergeht dann an diese die entsprechende Dienstanweisung; was wirklich geschehen wird, hängt von weiteren Erwägungen ab. Auch i n diesem Falle steht alles ganz anders als bei der Justiz 1 4 . Es ist also nicht an dem, daß die Staatstätigkeit, welche wir heute Verwaltung nennen, damals ganz wild und regellos gelassen worden wäre. I m Gegenteil, der landesherrliche Pflichteifer hatte eher zu viel an ordnenden Vorschriften über sie ausgeschüttet. Aber diese Ordnung war eben eine andere als die der Justiz, und wenn die letztere von alters her zum Maßstab genommen wurde für das, was R e c h t s o r d n u n g ist, so gab es das, wenn man näher zusah, für die Verwaltung n i c h t 1 5 . 13 \ y 0 Veröffentlichung einer Instruktion überhaupt angeordnet wird, pflegt der besondere Grund angegeben zu werden, „zur Beruhigung" oder „damit man wisse, an wen sich zu wenden" ( P r e u ß , Urkundenbuch I V S. 18, S. 28; Η u b r i c h , in Verw.Arch. X V I S. 433). Über die Geheimhaltung der Instruktionen für die Steuerräte: S c h m o l l e r in Ztschft. f. preuß. Gesch. 1874 S. 564. 14 Über die Schwankungen bei Durchführung der Polizeigesetze und Polizeiverordnungen: F o e r s t e m a n n , Preuß. Pol. R. S. 213 ff. 15 Um sich für den musterhaften altpreußischen Polizeistaat zu begeistern, ist es gar nicht nötig, ihn auch noch mit dem Lorbeer eines Schöpfers neuen öffentlichen Rechtes zu schmücken, der ihm doch nicht zu Gesichte steht. Die es tun, tragen immer gleich Sorge, diese neue Rechtsordnung so zu erläutern, daß jedermann sehen kann, sie sei keine. So G η e i s t , Rechtsstaat S. 149 ff. (ein „jus extraordinarium", ein „zuverlässiger Rechtsorganismus", wobei es sich aber nicht handelt „um gleichmäßige Anwendung einer Rechtsregei, sondern um Handhabung von Zwangsgewalten nach den Gesichtspunkten des Zweckes");

46

Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen. D e m G e s e t z e , welches R e c h t s o r d n u n g b r i n g e n k o n n t e , blieb hier

die K r a f t versagt, i h r das z u geben, was i h r e n W e r t ausmacht für die B ü r g e r u n d U n t e r t a n e n , die U n v e r b r ü c h l i c h k e i t .

D a r u m unterscheidet

m a n gegenüber j e n e m allgemeinen weitgefaßten Gesetzesbegriff schließe lieh n i c h t bloß ein ,,Gesetz i m eigentlichen S i n n e " als V o r s c h r i f t f ü r die U n t e r t a n e n , sondern, n o c h enger, das v o n der J u s t i z gehandhabte, das a l l e i n das wahre Gesetz, das ,,Rechtsgesetz", v o r s t e l l t 1 6 . Das W o r t

öffentliches

Recht

aber h a t t e

stets d a z u

dienen

müssen, die R e c h t s o r d n u n g z u bezeichnen, die zwischen d e m waltenden Zivilrecht

S t a a t u n d seinen U n t e r t a n e n besteht, soweit n i c h t aushilft

u n d das es handhabende Gericht.

verdas

H i e r ist denn

S c h m o l l e r , in Ztschr. f. preuß. Geschichte 1874 S. 511 ff. (neues Recht erzeugt „durch die Tätigkeit der Steuerräte in Instruktionen und Befehlen", sogar durch „einzelne Befehle": S. 552); Η i η t ζ e , in Acta Bor. V I S. 8 („das neue monarchische Verwaltungsrecht, dessen Normen zum großen Teil in geheimen Instruktionen für die Behörden niedergelegt waren und dem Lande unbekannt blieben"). 18 E i c h h o r n , Betrachtungen über die Verf. d. Deutsch. Bundes S. 41 : I n R e g i e r u n g s s a c h e n ( = Verwaltungssachen; vgl. oben § 1 Note 2) Ì3t es zulässig, „auch wenn eine bestimmte Norm vorhanden ist, auf die individuelle Lage der Dinge Rücksicht zu nehmen und, was dem gemeinen Wohle angemessen ist, zu verfügen, wenn es auch eine Abweichung von den in einer Rechtsnorm aufgestellten Regeln enthält . . . D i e s e G e s e t z e . . . s i n d e i g e n t l i c h n u r R e g e l n für die v o l l z i e h e n d e n B e h ö r d e n des S t a a t e s , welche bestimmen, wie weit diesen eine selbständige Verfügung zusteht". F u n k e , die Verw. in ihrem Verh. zur Just. (1840): Der Gegensatz zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht besteht darin, daß e s n u r a u f d e m G e b i e t e d e s e r s t e r e n „R e c h t s g e s e t z e " g i b t ( S . 40). Noch klarer die scharfsinnige Schrift eines Ungenannten, die Trennung der Just, und Administration 1840: Rechtsgesetze gibt es nur auf dem Gebiete des Privatrechts (S. 36); von den Gesetzen, welche für Finanz-, Polizei- und Militärsachen ergehen, gilt, daß „der Staatsbürger in bezug auf diese Gesetze und deren Wirkungen als Person gar nicht vorhanden ist" (S. 37); sie können daher „ n i c h t a l s R e c h t s g e s e t z e b e h a n d e l t w e r d e n " (S. 39). M o n t e s q u i e u s Lehre von der heilbringenden Herrschaft des Gesetzes hat auch auf die leitenden Männer Preußens ihren Eindruck nicht verfehlt. Das A.L.R. bringt dem Gesetze mehrfach seine Huldigung dar (EinL § 7, § 87; I , 8 § 32 usw.). Der Unterschied des Wertes dieser „Gesetze", je nachdem es sich um Justiz oder Verwaltung handelt, ist dadurch nicht beseitigt; der Landesherr war dadurch seinem fügsamen Polizei- und Finanzbeamtentum gegenüber an keine Zurückhaltung gebunden. Wenn man um des vielgebrauchten Namens willen für die damalige Zeit schon von der Herrschaft des Gesetzes im heutigen Sinne, von gesetzmäßiger Verwaltung und Rechtsstaat spricht, so ist das wieder Selbsttäuschung. Aber eine ziemlich verbreitete: R ο s i η , Polizei Verordnung S. 21; A n s c h ü t z , Gesetzgebende Gew. S. 128; H u b r i c h in Verw.Arch. X V I I S. 546.

§ 4. Der Polizeistaat.

47

f ü r d e n Polizeistaat der W e i s h e i t l e t z t e r Schluß die E r k e n n t n i s , daß es e i n solches R e c h t n i c h t g i b t .

Das öffentliche Recht ist

kein

Recht17. III. pflege

Dafür

nehmen

nunmehr

Zivilrecht

und

Zivilrechts-

einen m ä c h t i g e n A u f s c h w u n g u n d f ü l l e n d u r c h den

weiten

U m f a n g , i n welchem sie auf das V e r h ä l t n i s zwischen Staat u n d U n t e r t a n z u r A n w e n d u n g k o m m e n , die L ü c k e n aus, welche das Rechtsgefühl gegenüber diesem Stande des öffentlichen Rechts e m p f i n d e n möchte. 1.

Klagen

der

Untertanen

gegen

den

Landesherrn

sollen i m a l t e n R e c h t e a n die Austräge u n d v o n da a n die Reichsgerichte gehen. Unterschied

E s w a r j e d o c h B r a u c h geworden, daß m a n

machte,

ob

p r i v a t u s belangt wurde.

der

Landesherr

als

solcher

einen

oder

als

Ersteres sollte der F a l l sein, w e n n es sich

u m seine H o h e i t s r e c h t e handelte, letzteres, w e n n e i n V e r h ä l t n i s des gewöhnlichen Vermögensverkehrs i n Frage stand. die Scheidung v o n öffentlichem bruch.

Für

Hier kommt

Recht u n d Zivilrecht

zum

die K l a g e gegen d e n Landesherrn als p r i v a t u s ,

denn

Durchgegen

die fürstliche K a m m e r oder den landesherrlichen Fiskus, w u r d e die 17 I n offenem Gegensatze zu den späteren Verschönerungsversuchen der Theorie hat bei Beratung der preuß. Kreisordunng im Abg.-Hause der Berichterstatter Dr. Friedenthal das ungeschmeichelte Bild des Polizeistaates gezeichnet: „Das Privatrecht bleibt geheiligt; es werden für das Privatrecht Garantien geschaffen. Die Justiz soll unabhängig sein. Die Justiz geht ihren eigenen Weg, die Verwaltung ebenfalls. D a s ö f f e n t l i c h e R e c h t e r k e n n t m a n i n d i e s e r P h a s e g a r n i c h t a l s R e c h t a n , sondern es gilt nur als precarium; der Staat ist der absolute Herr aller öffentlichen Angelegenheiten" (v. Brauchitsch, Mat. ζ . Kr. Ord. I I , S. 650). I n gleichem Sinne schon O p p e n h o f f , Ressortverh. (1863), S. 16 Note 32: Der Unterschied zwischen „ J u s t i z r e s p . R e c h t s - u n d V e r w a l t u n g s s a c h e n " läßt sich charakterisieren „nach der Verschiedenheit der Normen, nach denen die eine und die andere Behörde sich zu richten hat". Danach sind Justizsachen diejenigen Angelegenheiten, „die nach den geltenden r e c h t l i c h e n G r u n d s ä t z e n behandelt werden müssen", Administrativsachen dagegen solche, „die nach den Grundsätzen des N u t z e n s , d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t oder f a k t i s c h e n N o t w e n d i g k e i t ihre Erledigung finden." Anders soll es nur sein bei der „Administrativjustiz", den Verwaltungsbehörden zugewiesene Parteistreitigkeiten betreffend, die dann allerdings auch „nach rechtlichen Grundsätzen entschieden werden müssen". Die neue Auflage (1904), S. 22 Note 43, beschränkt sich auf einen kleinen Zusatz» wonach diese Ausnahme durch die Einrichtung einer umfassenden Verwaltungsgerichtsbarkeit jetzt in erhöhtem Maße zutrifft, behält aber im übrigen jene Unterscheidungsformel bei, als ob das heute noch geltendes Recht in Preußen wäre! Bei unserem höheren Verwaltungsbeamtentum allerdings war sie bis vor noch nicht langer Zeit ein gern gebrauchtes geflügeltes Wort; man pflegte sich damit die anspruchsvolle Rechtswissenschaft vom Leibe zu halten.

48

Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

Zuständigkeit der ordentlichen Landesgerichte anerkannt. Die Rechtsgrundlage dafür fand man in der Annahme, daß dieselben stillschweigend als Austrägalgerichte gewählt worden seien. Dieser Grund hätte auch für die Klagen in hoheitsrechtlichen Sachen ausgereicht. Aber man schätzte diese Sachen für so unverhältnismäßig wichtiger, daß eine stillschweigende Unterwerfung der Untertanen unter die eigenen Gerichte ihres Gegners dafür nicht angenommen werden dürfe 1 8 . Waren die Landesgerichte i n jenen Privatsachen Austrägalgerichte, so mußte es von ihnen stets eine Berufung an die Reichsgerichte geben, selbst i m Fall eines allgemeinen privilegium de non appellando, weil solches hierfür nicht galt. Dem widerstrebten aber die Landesherren, und die Wahlkapitulationen entscheiden zuletzt dahin, daß die Reichsgerichte m i t derartigen Sachen weder unmittelbar noch i m Wege der Berufung mehr befaßt werden sollen. Die „Landesdikasterien" sind also Alleinherren 19 . Es ist bezeichnend, wie viele Umstände man machen zu müssen glaubte, u m i n diesen Sachen den Richtern, die doch nun einmal Beamte der Partei sind, Unparteilichkeit u n d Vertrauenswürdigkeit zu sichern. Zu dem gewöhnlichen Verzicht auf Machtsprüche kommt hier vor Einleitung des Verfahrens noch die förmliche Entbindung von der Pflicht, „unser Interesse zu wahren", und eifrige Fürsten machen die schärfsten Gewissensvorbehalte, wenn sie Verdacht haben, daß sie begünstigt würden 2 0 . Diese Rechtsprechung der Landesgerichte über den Landesherrn wird durch die allmähliche Einschränkung und den schließlichen Wegfall der Reichsgerichtsbarkeit nicht berührt; sie erhält mit der schärferen Ausprägung des Polizeistaates eine immer wachsende Bedeutung. 2. Für die Frage, ob die Zivilgerichte zuständig sind, ist es also entscheidend, ob der Staat in einem bestimmten Verhältnisse d e m Z i v i l r e c h t e u n t e r l i e g t ; das bedeutet aber nichts anderes als die Frage, ob er überhaupt i n den Schranken einer Rechtsordnung stehen soll; denn außerhalb des Zivilrechts gibt es kein Recht. Deshalb handelt es sich hier um mehr als bloß eine wissenschaftliche Grenzziehung zwischen zwei verschieden gearteten Rechtsgebieten. Es ist der Widerstreit zweier mächtiger Ideen, der seinen Ausgleich 18 S t r u b e n , Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 40 Note 3, gibt diese Begründung. " M o s e r , Wahlkap. Jos. I I . T. 2 S. 253; S c h m e 1 ζ e r , Wahlkap. Franz I I S. 153; Η ä b e r l i n , St.R. I I S. 460 ff. 2Q S t r u b e n , Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 41 ff., woselbst namentlich die kräftigen Äußerungen Friedrich Wilhelms I . gegen die Richter, die das in „gottpflicht-vergessener und gewissenloser Weise" tun möchten. P f e i f f e r , Prakt. Ausf. I I I S. 207.

§ 4. Der Polizeistaat.

49

finden soll: der Idee des allgewaltigen Staates, die sich eben erst durch Zerstörung der Grenzen der Hoheitsrechte bewährt hat, und der Idee des Rechts, welche darauf angewiesen ist, die einzige ihr zu Gebote stehende Form für Recht und Rechtsordnung möglichst weit vorwärts zu tragen i n die Lebensbeziehungen zwischen Staat und Untertan hinein. Die Lösung hat der Polizeistaat gefunden in jener eigentümlichen L e h r e v o m F i s k u s , welche i n dieser Zeit zur Ausbildung gelangt und heute noch bei ganz geänderten Voraussetzungen, uneingestanden, j a meist ausdrücklich verleugnet, die Rechtsanwendung und die Rechtslehre unverkennbar beeinflußt. Für den Begriff des Fiskus hat das römische Recht die Grundlagen geliefert. Der Fiskus erschien dort zuletzt als eine juristische Person neben dem Kaiser, als Träger der dem Staatszwecke dienenden Vermögensrechte, ausgestattet m i t besonderen Einkünften und m i t Vorzügen i n Zivilrecht und Prozeß 21 . Das deutsche Staatsrecht legt bei Übernahme dieses Begriffes zunächst den Schwerpunkt i n die ,,utilitates", die Vorteile, die damit verbunden sind: auf die jura fisci kommt es an, die Ansprüche auf Geldstrafen, verwirkte Güter, bona vacantia, gefundene Schätze usw. Der Fiskus ist eine Kasse, i n welche das fließt. Ursprünglich hat bloß der Kaiser diese Rechte; nachher gehen sie auf die Landesherren über: auch sie „können einen fiscus haben"; schließlich besitzen sie die umstrittenen Rechte allein 2 2 . Mit der Ausbildung des Polizeistaates verlieren diese einzelnen Rechte ihre Bedeutung; sie verschwinden hinter der Allgewalt des Staates. Dafür t r i t t j etzt die i m Fiskus gegebene j u r i s t i s c h e P e r s o n , 21

S a v i g n y , Syst. I I S. 272 ff.; W e i s k e , Rechtslex. I V S. 297 ff.; Μ ο m m s e η , Abriß des röm. St.R. S. 279; Μ i 11 e i s , Rom. Priv.R. I S. 349 ff. 22 M o s e r , Landeshoh. in Kam.Sachen S. 107: „Fiskus heißt die landesherrliche Kasse, darein die Gefälle fließen, welche der Regent nicht von seinen Kammer- oder eigentümlichen Gütern, sondern von denen Untertanen oder auch der ihme, nicht als Eigentümern, sondern als Landesherren unterworfenen Erde oder Wasser, oder auch von Fremden ziehet." Eine Kasse, zu deren Gunsten Hoheitsrechte bestehen, ist der Fiskus auch bei C r a m e r , Wetzl. Nebenst. I V S. 66; dadurch eben kommt es, daß „causae fiscales a causis principum privatis et propriis differiren". H ä b e r l i n , St.R. I I S. 238ff.: „ I n älteren Zeiten glaubte man, daß nur der Kaiser einen fiscus haben könne" (S. 240). Es handelt sich eben immer nur um die „Rechte des fiscus". Ebenso Κ 1 ü b e r , Öff. R. S. 700 ff., wo das jus fisci gar als ein besonderes Hoheitsrecht erscheint. Ζ ö ρ f 1, St.R. I I § 458 I I , bezeichnet den fiscus als „eine Behörde, welche die Rechte des Staates als Staatskasse ausübt". Die Ausdrucksweise wird allerdings immer seltsamer. — Zur Geschichte des Begriffes: H a t s c h e k , Stellung des Fiskus S. 24 ff. B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , V e r w a l t u n g s r . I . 3. Aufl.

4

50

Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

die Trägerin der dem Staatszwecke gewidmeten Vermögensrechte, mehr i n den Vordergrund. Die Staatsidee scheidet das Vermögen des Fiskus vom Privatvermögen, Schatullgeld usw. des Landesherrn. Der landesherrliche Fiskus verwaltet dieses Vermögen durch die dazu bestimmten Beamten und verteidigt es vor Gericht in Rechtsstreitigkeiten m i t den Untertanen als Prozeßpartei. E r ist jetzt eine Seite des Staates; aber diese Seite des Staates ist anerkannt und ausgebildet als juristische Person, bevor noch der Staat i m übrigen als juristische Person gedacht wurde. Der Fiskus steht n e b e n dem Fürsten u n d seinen Behörden, welche die öffentliche Gewalt ausüben, v e r t r i t t sie in allen zivilrechtlichen Vermögensverhältnissen, welche sich daran knüpfen 2 3 . N u n bricht aber immer deutlicher die Anschauung durch, daß auch für die Summe der Hoheitsrechte oder vielmehr jetzt die allgemeine hoheitliche Macht der Staat i n aller Form als das Rechtssubjekt zu denken ist, für welches sie ausgeübt wird; er soll juristische Person sein auch als Ausgangspunkt der öffentlichen Gewalt. Dadurch erhalten wir von selbst z w e i R e c h t s s u b j e k t e nebeneinander, i n welche der Staat juristisch zerlegt ist: einerseits den alten F i s k u s , den Staat als „Erwerbsgesellschaft" oder juristische Person des Zivilrechts; andererseits d e n e i g e n t l i c h e n S t a a t , die „Staatsgesellschaft", die juristische Person des öffentlichen Rechts, i n dem verneinenden Sinne wenigstens, den „öffentliches Recht" bedeutet, d. h. nicht dem Zivilrecht zugehörig 24 . Diese Scheidung ist i m Sinne jener Zeit zu verstehen. Es handelt sich dabei nicht um verschiedene Arten von Beziehungen eines und 23

Die Verbindung zivilrechtlicher juristischer Personen mit öffentlicher Verwaltung wiederholt sich mannigfach in kleineren Kreisen unterhalb der Staatsgewalt. Das Genauere über diese Entwicklung in der Lehre von den jurist. Personen des öff. R. (unten § 55 ff.). — Über den Fiskus als den V e r t r e t e r des Königs und der Behörden in zivilrechtlichen Verhältnissen: Preuß. Kab.Ord. 4. Dez. 1831 ; Ο ρ ρ e η h ο f f , Ress.Verh. S. 39; Κ ο c h , Komment, zum A.L.R. I I 5. 404; Braunschw. Landschaftsordnung § 198. Diese Vertretung bedeutet wesentlich eine zivilrechtliche Haftung. Der Fiskus seinerseits wird wieder von den Behörden vertreten, in dem Sinne, daß sie der juristischen Person vorstehen. Der Doppelsinn des Wortes läßt die Sache oft wie eine gegenseitige Vertretung erscheinen. So z. B. bei Κ ο c h a. a. 0 . S. 404 und S. 405. 24 Die klassische Formulierung gibt K o c h , Lehrbuch des Preuß. Priv. Rechts I S . 170 (§ 60): „Der Staat tritt in zweifacher Hinsicht als juristische Person auf, als Staatsgesellschaft zur Verwirklichung des Staatszweckes (Majestäts- und Hoheitsrechte) und als Erwerbsgesellschaft zur Herbeischaffung der Mittel zu diesem Zwecke. Beide Gesellschaften sind voneinander wohl zu unterscheiden.4' Die letztere ist der Fiskus.

§ 4. Der Polizeistaat.

51

desselben Rechtssubjektes, nicht lediglich um zwei Seiten, zweierlei Funktionen des Staates. Es ist kein I r r t u m der damaligen Schriftsteller, Richter und Staatsmänner und kein Mißgriff in der Ausdrucksweise, wenn sie den Fiskus ausdrücklich als eine Person für sich erklären i m Gegensatz zum Staat; sie wollen das wirklich, was sie sagen. Nur so verstanden reicht diese Idee aus zur Erklärung der Ordnung, welche die Sache i m wirklichen Rechte dieser Entwicklungsstufe erhält. Die beiden juristischen Personen sind nicht bloß dem N a m e n nach geschieden; für jede besteht auch eine besondere V e r t r e t e r s c h a f t und werden verschiedenartige Geschäfte besorgt. Vor allem aber haben sie verschiedene r e c h t l i c h e E i g e n s c h a f t e n . Der Fiskus ist seiner Natur nach der „gewöhnliche Privatmann 4 4 ; er unterliegt bei Besorgung seines Vermögens den Regeln des Zivilrechts und steht unter der Zivilrechtspflege. Der eigentliche Staat hat kein Vermögen; dafür hat er die obrigkeitliche Gewalt, das allgemeine Befehlsrecht. D e r F i s k u s i s t U n t e r t a n . Der Staat befiehlt dem Fiskus, legt ihm Lasten auf, zwingt ihn zur Zahlung gleich anderen Untertanen. Der Staat kann nicht unter seinen Gerichten stehen, und das Zivilrecht gilt nicht für ihn. I n diesem Staatsbegriff ist die Idee ungebrochen verwirklicht, welche der Polizeistaat zum Siege geführt hat; eine Halbheit, wie die, daß dieses nämliche Wesen doch eine Seite aufweise, an welcher es wie ein gewöhnlicher Privatmann erscheint, widerspräche der Unbedingtheit, m i t welcher derartige mächtige Ideen sich zunächst durchzusetzen pflegen. Nur durch die Ablösung einer damit in Zusammenhang bleibenden, aber minderwertigen juristischen Person k o n n t e Z i v i l r e c h t u n d Z i v i l r e c h t s p f l e g e a n n e h m b a r g e m a c h t werden. Die Fiskuslehre in ihrem alten unverfälschten Sinne war allein imstande, das sonst Unvereinbare zu vermitteln 2 5 . 25

Ρ e r r ο t , Verfassung, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte der Preuß. Rheinprovinzen (1842), I S. 174: Da der souveränen Staatsgewalt gegenüber die Staatsglieder schutzlos sind, so „hat man zu einer glücklichen Fiktion seine Zuflucht genommen. Man hat den Begriff des Fiskus als einer moralischen Person geschaffen, die den Beruf hat, die Mittel zu den Staatszwecken zu verschaffen und zu verwalten. Diese moralische Person wird durch Behörden in verschiedenen Abstufungen vertreten. Sie ist n i c h t s e l b s t s o u v e r ä n , sondern s t e h t u n t e r d e n G e s e t z e n d e s S t a a t e s , wie j e d e a n d e r e physische oder moralische Person, hat daher überall sich nach den bestehenden Gesetzen zu richten". Die Fiskuslehre in ihrer ganzen Schroffheit erscheint hier mit dem Bewußtsein ihres praktischen Zieles. Diese Anschauungsweise klingt auch aus der neueren Rechtssprechung dazwischen noch heraus. O.Tr. 27. Mai 1862 (Str. 46 S. 109): „nicht der Fiskus, sondern der Staat der richtige Beklagte"; O.Tr. 14. Juli 1865 (Str. 60 S. 111): „Vorderrichter verwechselt den Fiskus mit dem Gesetz-

5 2 E r s t e r

Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

Aber auch der U m f a n g der Anwendbarkeit von Zivilrecht und Zivilrechtspflege ließ sich nur auf dieser Grundlage so bestimmen, wie man ihn bestimmen wollte und wirklich zur Durchführung gebracht hat. Es ist unverkennbar, daß das Zivilrecht hier i m Vergleiche m i t heutigen Anschauungen um ein Beträchtliches tiefer i n das ganze Gebiet der Staatstätigkeit hineinreicht. Den Ausgangspunkt bildet der Grundsatz, daß Zivilrecht, folglich auch Zivilrechtspflege überall zur Anwendung kommen, wo es sich u m „Mein und Dein", um v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e Angelegenheiten handelt. Ausgeschlossen ist hier das Zivilrecht nur, wenn der eigentliche Staat auftritt. Daß er es ist, erweist sich bei durchgeführter Ausscheidung der fiskalischen Behörden schon äußerlich aus der Person seines Vertreters. Entscheidend aber ist immer die Gestalt seines Handelns: nur der Staat hat obrigkeitliche Macht. Die allgemeine Form, i n welcher diese erscheint, ist der B e f e h l und die G e w a l t a n w e n d u n g . Wo befohlen und gezwungen wird, ist der Staat, sonst überall der Fiskus. Damit erhält das Zivilrecht schon eine bedeutende Ausdehnung 26 . Aber Zivilrecht gilt hier nebenher auch, wo der Staat b e f i e h l t und wo es demnach bei Annahme einer einheitlichen Persönlichkeit des Staates nicht gelten k ö n n t e . Es gehört wenigstens mehr guter Wille dazu, als der Jurist haben darf, um auch dem Befehl so einfach eine „vermögensrechtliche Seite" abzugewinnen und i h m eine gleichzeitige Unterwerfung des Befehlenden unter das Zivilrecht anzuhängen. Die alte Fiskuslehre allein hat es möglich gemacht, ohne Nachteil des vernünftigen Denkens solche zivilrechtliche Wirkungen unmittelbar m i t obrigkeitlichen Akten zu verknüpfen. Es ist eben nicht der Staat selbst, den sie treffen, sondern der danebenstehende Fiskus; dieser erscheint in dem A k t nicht als Befehlender; folglich ist es kein Widergeber, wenn er sagt, Kläger (Fiskus) habe später vermöge seines Hoheitsrechta die Zollfreiheit der Verklagten aufgehoben; der Vertrag ist vom Fiskue abgeschlossen, das Zollgesetz ist aber nicht vom Fiskus, sondern vom Gesetzgeber erlassen." Ähnl. Bl. f. adm. Pr. 1880 S. 229. Noch O.Tr. 5. Januar 1877 (Str. 99 8. 132) läßt es dahingestellt, ob es richtiger ist, „im Staate eine zwiefache Persönlichkeit anzunehmen oder nur eine Persönlichkeit in privatrechtlichen und staatshoheitsrechtlichen Beziehungen". 28 Sobald nicht mehr befohlen wird, handelt es sich, wie die Gerichte sagen, um eine „reine Geldfrage", und dann hat man es mit dem Fiskus zu tun: C.C.H. 11. Dez. 1852, 4. Aprü 1855 ( K o s m a n n , Erkenntnisse I I S. 141, S. 249), 10. Okt. 1863 (J.M.BL 1863 S. 290). H a t s c h e k , Rechtl. Stellung S. 33, bringt dementsprechend das Auseinanderfallen der zwei Persönlichkeiten in Zusammen-

hang mit der Unterscheidung von dominium und Imperium.

§ 4. Der Polizeistaat

53

spruch, ihn dadurch zivilrechtlich zu verpflichten. I n den verschiedenartigsten Wendungen wird dieser Gedanke auf die einzelnen obrigkeitlichen Geschäfte zur Anwendung gebracht und dazu verwertet, um den Untertanen Rechtsansprüche zu sichern. Der Staat nimmt den Beamten durch die Ernennung unter seine besondere Befehlsgewalt \ vorher oder daneben aber schließt der Fiskus einen Vertrag m i t ihm, einen zivilrechtlichen Vertrag, in welchem er Gehaltszahlung verspricht. Der Staat läßt die schon einmal gezahlten Steuern einziehen; der Fiskus wird als der dadurch Bereicherte verpflichtet nach den Grundsätzen der condictio indebiti. Der Staat legt m i t seiner obrigkeitlichen Gewalt dem Einzelnen ein besonderes Opfer auf, und der Fiskus wird kraft zivilrechtlichen Rechtssatzes dem Betroffenen die angemessene Vergütung schuldig, auf welche er vor dem Zivilgerichte verklagt werden k a n n 2 7 . Auf diese Weise wird die Fiskuslehre von großer Bedeutung für die Gestaltung des Rechts i m Polizeistaate. Nichts leichter freilich, als die Grundidee, auf welcher sie beruht, von unserem heutigen Standpunkte aus wissenschaftlich zu bekämpfen. Damit wird die Tatsache nicht beseitigt, daß sie die Wirklichkeit unseres Rechtes lange Zeit hindurch beherrschte und unzweifelhaft große Dienste geleistet hat. Irgend etwas Willkürliches, Absonderliches haben am Ende alle Formen, in welchen menschliche Kunst die Stellung der Untertanen gegenüber der Staatsgewalt zu sichern gesucht hat, die französische Formel der séparation des pouvoirs, die wir jetzt tat27

I n dieser Gestalt erscheint damals unser jetziges Rechtsinstitut der öffentlich-rechtlichen Entschädigung; vgl. unten § 52. Da man gegen den Staat selbst nichts ausrichtet und der Fiskus nicht mehr tun kann als zahlen, so läuft alle Garantie der bürgerlichen Freiheit im Polizeistaate auf den Satz hinaus: dulde und liquidiere. So die Abhandlung bei K l e i n , Annalen der Gesetzgebung I I S. 15: „Ist es gut, daß die Justiz sich in alles mischt ?" Die Gerechtigkeit verlangt es. Inwiefern? Man darf nicht „den Staat auf Kosten seiner Glieder bereichern wollen". Also immer nur die Geldfrage! Κ 1 ü b e r , in Arch. f. d. neueste Gesetzgebung Bd. I S. 261, entwickelt den ganzen Standpunkt mit einer gewissen Befriedigung: „ D i e Landeshoheit darf nicht anders als nach Rechtsgesetzen geübt werden" (S. 287), d. h. der Souverän kann alles, „aber nur nicht ohne Entschädigung"; wenn der Fiskus für den Eingriff jedesmal entschädigen muß, so hat man nach Rechts gesetzen regiert (S. 292); dagegen heißt „die Staatsgewalt nach Willkür ausüben" nichts anderes als „durch Ausübung derselben Rechte des Privateigentums ohne vollständige Schadloshaltung wesentlich verändern". — B o r n h a k , Preuß. St.R. I I S. 464, hat diese Rechtsordnung des Polizeistaats etwas derb, aber nicht unzutreffend gekennzeichnet, wenn er spricht von der „Tendenz der preußischen Gerichte, den Fiskus als Privatrechtssubjekt zum allgemeinen Prügeljungen für den Staat zu machen".

54

Erster Abschnitt. Die g e s c h i c h t l i e n Entwicklungsstufen.

sächlich befolgen, n i c h t a m mindesten. i s t a u c h die Fiskuslehre z u rechnen.

U n t e r diese Sicherungsmittel

I n der v ö l l i g e n Zerstörung der

a l t e n F o r m e n w a r sie zunächst das einzige, das sich d a r b o t 2 8 . § 5.

Der Rechtsstaat. Der

Polizeistaat

füllt

die

Übergangszeiten

aus

zwischen

a l t e n R e c h t u n d derjenigen Gestalt der D i n g e , welche die w a r t uns zeigt.

dem

Gegen-

E r w a r n u r der Z u c h t m e i s t e r auf das neue Staats-

wesen. Dieses s t e h t aber auch auf seinen S c h u l t e r n : was er a n I d e e n geschaffen, w i r d n i c h t ausgelöscht oder r ü c k g e b i l d e t , sondern weiter entfaltet. Seine großen Errungenschaften Üb ermacht

der

Staatsgewalt,

s i n d einerseits die andererseits

die

eines staatlichen Lebensgebietes u n t e r die H e r r s c h a f t recht

und

Zivilrechtspflege.

Beides i s t

unbedingte Unterwerfung von

übernommen

Zivilworden.

E s g i b t keine H o h e i t s r e c h t e m e h r , i n deren Schranken der S t a a t d e m Einzelnen gegenüber sich bewegte; es g i b t j e t z t n u r die a l l g e m e i n e hoheitlich wirkende populi Romani1.

S t a a t s g e w a l t , i m Sinne der a l t e n majestas

Zugleich b l e i b t i m Gegensatz z u dieser nach d e m

28 Eine Ausnahmeerscheinung bietet in dieser Beziehung die Kurhessische Justiz. Das Ober-App. G. zu Kassel betrachtet sich als Rechtsnachfolger der Reichsgerichte für Klagen gegen den Landesherrn „ohne Untérschied der in dem Fürsten vereinigten juristischen Personen als Inhaber der Hoheitsrechte, als Vertreter des Fiskus". Es hält fest an dem alten Satze: „daß aus jeder Regierungssache eine Justizsache werden kann", sofern die Regierung dabei über „wohlerworbene Rechte" hinwegschreiten will. Bis zum Jahre 1817 nimmt es gegen solche Regierungsakte Extrajudizialappellationen an, prüft überhaupt die Einhaltung der Schranken der landesherrlichen Hoheitsrechte, selbst wenn es sich um ein vom Landesherrn erlassenes Gesetz handelt. P f e i f f e r , Prakt. Ausf. I S. 254, 258; I I I S. 441 ff.; Β ä h r , Rechtsstaat S. 135 ff. Später tritt dann eine Wendung ein im Sinne der neuen verfassungsstaatlichen Theorien: das Gesetz selbst wird nicht mehr nachgeprüft auf seine Zulässigkeit, aber jede sonstige Maßregel der Regierung auf ihre Gesetzmäßigkeit: P f e i f f e r , Prakt. Ausf. I S. 258, I I I S. 561. 1

Noch 1840 schreibt Μ i r u s s ein Deutsches Verwaltungsrecht unter dem Titel: Die Hoheitsrechte in den deutschen Bundesstaaten. Diese bilden denn mit den Begriffen des neuzeitlichen Staatsrechts die künstlichsten Verschlingungen (S. 1, 67, 81). G e r b e r , Grundlinien S. 67 Note, hat dem Begriff der Hoheitsrechte ein für allemal sein Urteü gesprochen. Den alten Namen mag man ja immer noch zu allerhand Einteilungen verwenden; so G a r e i s , Allg. St.R. S. 25 ff. ; die Sache ist nicht mehr dahinter. Am meisten wird das Wort jetzt gebraucht, um auszudrücken, daß wir uns auf öffentlich-rechtlichem Gebiete

§ 5. Der Rechtsstaat.

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Vorgang des Polizeistaates die M ö g l i c h k e i t eröffnet, i n gewissem Maße das jetzt wieder scharf ausgeschiedene, nur auf die Verhältnisse der Einzelnen untereinander berechnete Zivilrecht auf den Staat zur Anwendung zu bringen und die zur Erledigung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bestimmten Gerichte gegen ihn anzurufen. Dazu kommt aber jetzt, daß auch jene allgemeine hoheitliche Macht des Staates i n die Form und Gestalt des Rechtes gebracht wird. E i n wirkliches — nicht bloß euphemistisch so genanntes — ö f f e n t l i c h e s R e c h t f ü r d i e V e r w a l t u n g ist entstanden neben dem Zivilrecht, das auf sie Anwendung findet, aber nicht etwa nur gleichberechtigt m i t diesem, sondern als ihr e i g e n t l i c h e s R e c h t , dem gegenüber das Zivilrecht hier die Ausnahme bildet (vgl. unten § 11, I I ) . Es handelt sich um einen Neubau auf leerem Boden. I . Die Voraussetzung unseres Verwaltungsrechts ist der V e r f a s s u n g s s t a a t (vgl. oben § 1, I ) . Er bedeutet ein Gemeingut unseres Kulturkreises. Deutschland spielt bei seiner Ausbildung unverkennbar mehr die Rolle des Nachahmers, des Empfangenden, namentlich Frankreich gegenüber. Es hat deshalb keinen Sinn, sich dagegen zu sträuben, daß wir auch die Grundidee m i t übernommen hätten, nach welcher die anderen ihn nun einmal aufgebaut haben. Das ist die viel gescholtene und wenig verstandene T r e n n u n g der Gewalten2. befinden: „es handelt sich um ein Hoheitsrecht des Staates", sagt man dann, oder: der Staat „macht hier von einem Hoheitsrechte Gebrauch" usw. Das konnte man natürlich auch einfacher sagen; so ein bischen Anklang an altmodische Gelehrsamkeit steht dem Juristen immer gut. 2 Auch in Frankreich hat diese Lehre dazwischen Bekämpfungen erfahren. Wenn aber L. S t e i n , Verw.Lehre I S. 18 (1869), behauptete: die Franzosen hätten selbst schon eingesehen, daß nichts damit sei, „in der jetzigen Theorie Frankreichs ist sie verschwunden", so traf das nicht zu. Herrschend ist sie im Gegenteil dort immer geblieben. I n der öffentlichen Sitzung der Académie des sciences morales et politiques vom 10. Mai 1877 erstattete der berühmte Staatsrechtslehrer Aucoc Bericht über eine gekrönte Preisschrift, betreffend die gegenwärtige Bedeutung des Grundsatzes der Trennung der Gewalten, und rühmte daran besonders die Widerlegung der „critiques done il a été Γ ob jet et qui réposent souvent sur des m a l e n t e n d u s ou sur une t e n d a n c e au despotisme monarchique ou démocratique". Wir haben von solchen Kritiken unser reichliches Teü geliefert, und bei uns hatten sie viel größeren Erfolg. L a b a n d , St.R. I . Aufl. (1877) I I S. 7 Note, konnte feststellen: „Eine Kritik dieser Lehre, welche die Einheit des Staates zerstört und welche weder logisch haltbar noch praktisch durchführbar ist, kann hier unterbleiben, da in der deutschen politischen und staatsrechtlichen Literatur über die Verwerflichkeit dieser Theorie seit langer Zeit fast vollkommenes Einverständnis besteht". I n der neuesten Auflage (1911) I I S. 7, ist diese Note samt dem ablehnenden Satze im Texte, an den sie sich knüpft,

56

Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

Es handelt sich wesentlich nur um z w e i Gewalten: die g e s e t z g e b e n d e und die v o l l z i e h e n d e . Die sogenannte r i c h t e r l i c h e , die man gern noch einmal unterscheidet, hat keine selbständige Bedeutung 3 . Der Zweck der Trennung der Gewalten ist bei ihren Erfindern i n erster Linie ein p o l i t i s c h e r : das Ziel der gefeierten englischen Verfassung, welche diese Einrichtung darbieten soll, ist erfreulicherweise gestrichen. Die Sache steht nämlich nicht mehr so; vielmehr gelangt die Lehre von der Trennung der Gewalten in unserer Literatur mehr und mehr zur Anerkennung: A n s c h ü t z , Begriff der gesetzgeb. Gewalt 1. AufL S. 12,2. Aufl. S. 10 Note 8 ; V i e r h a u s , i m Verw. Arch. 1903 S. 222 ff. ; S m e η d „ Preuß. Verf.Urk. im Vergi, mit der Belg. S. 27 Note 3; F 1 e i η e r , Instit. S. 9 ff. Besonders bezeichnend ist für den eingetretenen Umschlag, daß bereits A r n d t (Arch. f. öff. R. X V . S. 346) den Anspruch erhebt, in der höheren Wertung dieser Lehre mir zuvorgekommen zu sein. 3

Bei L o c k e , dem eigentlichen Begründer dieser Lehre, ist sie in der „legislativen Gewalt" mit enthalten; bei M o n t e s q u i e u , der ihn nachahmen will, bildet sie zunächst einen Teil der puissance exécutrice und erhält erst nachträglich den Sondernamen. I n der alten preußischen Verfassung hat ja nach belgischem Vorbild die Trennung der Gewalten eine ziemlich auffallende Rolle gespielt. Bei Beratung der neuen Verf. wünschte man pietätvoll, „daß in der Verfassung im Anschluß an die Lehre von der Gewaltenteilung die drei wesentlichsten Grundfunktionen ( !) der Staatsgewalt - Gesetzgebung,Vollziehung und Rechtspflege - erwähnt würden." Dem so entstandenen Art. 7: „das Staatsministerium ist die oberste vollziehende und leitende Behörde des Staates" sieht man nicht viel davon an! Der Gang ist also der: die Justiz ist zuerst neben der Verwaltung von der vollziehenden Gewalt mit umfaßt als eine Art der S t a a t s t ä t i g k e i t wie jene. Dann wird eine selbständige Staatsgewalt neben der v o l l z i e h e n d e n G e w a l t daraus gemacht. Aber schließlich nimmt man die drei getrennten Gewalten, die man auch in den vorerwähnten preußischen Beratungen eigentlich gemeint hatte, sämtlich nur als verschiedene Arten staatlicher Geschäftsbesorgung, „wesentliche Grundfunktionen des Staates". Kein Wunder, daß es schwer ist, sich da noch auszukennen! Vgl. oben § 1 Note 3 Abs. 2. Die dort gestellte Frage dürfen wir wohl jetzt, wo es an die reinliche Scheidung der beiden Begriffsreihen geht, sofort einmal wie folgt beantworten: V e r w a l t u n g ist Tätigkeit des Staates zur Erfüllung seiner Zwecke außerhalb der Justiz, aber noch innerhalb seiner Rechtsordnung (vgl. oben S. 13). V o l l z i e h u n g ist Wirksam-machen des Gesetzes durch die öffentliche Gewalt in mehr oder weniger strenger Gebundenheit an dieses (vgl. unten § 7 n. 2), sodann aber auch, persönlich gedacht, wie das ja bei allem solchen ständigen Handeln gern geschieht, derjenige Teil der öffentlichen Gewalt, der die Bestimmung und Fähigkeit besitzt, in solcher Weise gebunden zu werden (vgl. unten § 7 S. 79). — Verwaltung und Vollziehung treffen oft zusammen. Aber es ist vieles Verwaltung, was keine Äußerung der vollziehenden Gewalt ist.. und Justiz ist Vollziehung, aber keine Verwaltung.

§ 5 . Der Rechtsstaat.

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nach Montesquieu die liberté politique. Die furchtbare Wucht der Staatsgewalt darf nicht an e i n e r Stelle vereinigt dem Bürger gegenüber stehen, sondern muß i n geeigneter Weise an v e r s c h i e d e n e W i l l e n s t r ä g e r verteilt sein, um gehemmt und gemäßigt zu werden. Die konstitutionelle Monarchie erfüllte diese Forderung durch die m i t einem Anteil an der gesetzgebenden Gewalt ausgestattete V o l k s v e r t r e t u n g , während die vollziehende Gewalt dem Fürsten verblieb, der überdies durch ein unmittelbar an das Gesetz gebundenes B e a m t e n t u m mehr oder weniger gehemmt und in festen Geleisen gehalten ist. I n der Republik geht zwar alle Gewalt vom V o l k oder seiner Vertreterversammlung aus; aber die lebendige, immer und überall gegenwärtige Handhabung der vollziehenden Gewalt muß es jener besonderen Trägerschaft der laufenden Staatsgeschäfte überlassen, an deren Spitze die R e g i e r u n g steht m i t ihrer tatsächlich notwendigen und vom Gesetze mehr oder weniger geförderten Selbständigkeit. Auch hier also läßt sich die Grundidee durchführen 4 . Der Wert der verfassungsstaatlich unterschiedenen Gewalten beruht darauf, daß es sich bei ihnen um keine bloße Theorie handelt. Es ist hier auch Vorkehrung getroffen, daß mit diesen überall der Wille einer tatsächlichen M a c h t i m S t a a t e sich verbindet, einer Macht, die i n ihren Rechten verletzt ist, wenn jene Schranken nicht beachtet werden. So wird i n dieser Verfassung für alle ihre Schutzvorkehrungen immer auch ein i m voraus und allgemein berufener Kämpfer bestellt, die Volksvertretung vor allem, dazu das Beamtentum und wer sonst vollziehende Gewalt zu üben berufen ist. Das Volk, das dahinter steht, erhält dadurch gegebenen Falles immer auch schon die berufenen Führer. Das gab ein viel kräftigeres Recht noch als die Unabhängigkeit der Richter, die jetzt, als gesetzlich oder verfassungsmäßig festgelegt, zugleich noch m i t unter seinen Schutz genommen wird. Vor allem war dadurch die Möglichkeit geboten, jene Herrschaft des Gesetzes auszudehnen über den Bereich der Justiz hinaus, auf die ganze V e r w a l t u n g , wie sie vom Fürsten selbst und seinem nicht mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Beamtentum geführt wurde. Das Mittel ist geschaffen, unverbrüchliches, zuverlässiges Recht, für welches die Justiz schon immer ein Vorbild bot, auch dort hineinzustellen, wo es bisher tatsächlich nicht zu verwirklichen gewesen war. I I . Als der erste Lärm des neuen parlamentarischen Lebens vorüber 4

Vgl. die treffenden Ausführungen zu diesem Punkt bei S c h a n z e Arch. d. öff. R. Bd. X L I I S. 257 ff.

ins

Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

58

war, setzte eine kräftige Geistesbewegung ein, die ihre Ziele zusammenfaßte i n das Schlagwort R e c h t s s t a a t . Es bedeutet weitere Forderungen, die erfüllt werden mußten, sollte nicht der alte Polizeistaat trotz der Verfassung fortbestehen 5 . Man spricht von einer Durchführung der Verfassung, von ihrem inneren Ausbau, vom Verfassungs- u n d Rechtsstaat 6 . Der Rechtsstaat soll, wie der Polizeistaat, die besondere A r t kennzeichnen, wie der Staat tätig ist, und zwar besteht sein Gegensatz zu jenem darin, daß er seine Wirksamkeit überall „ i n der Weise des Rechts bestimmt" 7 . Worum es sich dabei handelte, das erhält sofort eine genauere Bestimmung durch das Gebiet, auf welches sich die Forderungen des Rechtsstaates beschränken. Die Justiz ist außer Frage; bei ihr ist von vornherein alles in Ordnung. Was erst noch i n Ordnung zu bringen ist, das ist die daneben stehende Staatstätigkeit, für welche i n diesem Sinne seit der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der zusammenfassende Name V e r w a l t u n g durchdringt. Der Rechtsstaat ist der Staat des wohlgeordneten V e r w a l t u n g s r e c h t s 8 . Die Verfassung bietet dazu (wie zu I ausgeführt) das Mittel des Rechtssätze liefernden Gesetzes. Die Forderung des Rechtsstaates wäre nur, daß von diesem Mittel auch ein so reichlicher G e b r a u c h g e m a c h t w i r d , daß das Vorbild der Justiz erreicht werde: die Er5 L o e n i n g , i n Schmollers Jahrb. 1881 S. 801 ; S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 36. — Nach G η e i s t , Verw. Just. Rechtsweg S 189, wäre sogar erst nach Einführung der Verfassung durch die „konstitutionelle Parteiregierung" der bisherige „Rechtsstaat" zerstört worden. Beides, sowohl die konstitutionelle Parteiregierung (in Preußen!), wie der vorausgehende Rechtsstaat, dürfte aber zu bezweifeln sein. 6

R ο β i η , Pol. Verord.R. S. 3; S e y d e 1, Bayr. St.R. I S. 615; G a r e i s , Allg. St.R. S. 410; S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 17; S c h u 1 ζ e , Preuß. St.R. I S. 358. 7

So S t a h l , Rechts- und Staatslehre I I S. 137. Auch von seinen Gegnern wird diese Formel als richtig anerkannt: B a h r , Rechtsstaat S. 1; G n e i s t , Rechtestaat S. 33; G u m p l o w i c z , Rechtsstaat u. Sozialismus S. 13. Ahnlich G i e r k e in Ztschft. f. Stsw. X X X S. 13 : „Rechtsstaat ist ein Staat, welcher sich nicht über, sondern in das Recht stellt." Viel mehr als eine Umschreibung des Namens wird uns auf diese Weise freilich nicht gegeben. 8

Dabei wird bald mehr die objektive Rechtsordnung für die Verwaltung betont, bald mehr das Recht der Einzelnen gegenüber der Verwaltung; L e u t h o l d , Sächs. Verw.R. S. 9; S e y d e l , Bayr. St.R. I I I S. 615; S c h u l z e , Preuß. St.R. I S. 358; U 1 b r i c h , Österr. Verw.R. S. 2; J e 11 i η e k , Ges. und Verord. S. 216, S. 242; S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 17; ν. Κ i r c h e η h e i m , Einf. S. 15; G a r e i s, Allg. St.R. S. 140; L a b a η d , St.R. I I S. 186. Ziemlich unklar M a u r u s , Mod. Verf.St. als Rechtsstaat.

§ 5. Der Rechtsstaat.

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füllung des Lebens m i t Rechtsordnung. Die Verordnung wird hier noch hinzuzutreten haben als geeignete Gehilfin an diesem Werk. Aber das ist's nicht allein. Es gehört noch etwas anderes dazu. Die Justiz weist außer ihrer Beherrschtheit durch den gesetzlichen Rechtssatz eine Einrichtung auf, die damit nicht von selbst gegeben ist, die aber sehr wesentlich dazu beiträgt, sie als das Vorbild einer wohlgeordneten öffentlichrechtlichen Staatstätigkeit erscheinen zu lassen. Das ist das U r t e i l . Das Urteil ist, wie das Gesetz, eine Rechtsgewähr für den Einzelnen, dem es sicherstellt, wessen er sich von der öffentlichen Gewalt zu versehen hat. Sie t r i t t ihm nicht — auch zur Durchführung der gesetzlichen Regel nicht — unmittelbar mit ihrer Tat entgegen, sondern jeweils erst m i t einem dazwischen geschobenen o b r i g k e i t l i c h e n A k t , der für den Einzelfall ausspricht, was ihm Rechtens sein soll. Aus diesem A k t heraus erfolgt dann erst ihre Tat, als eine r e c h t l i c h b e s t i m m t e u n d g e b u n d e n e T a t . Eine lediglich durch Dienstbefehl geregelte Zwangsvollstreckung unmittelbar aus dem Gesetz wäre nicht das Rechtsbild der Justiz. Zwei Wege sind denkbar, um eine gleiche rechtliche Bestimmung des Einzelfalls auch für die Verwaltung zu schaffen: man kann das Justizurteil, so wie es ist, verwenden, um ihre Tat nachzuprüfen oder zu ermächtigen; aber man kann auch für sie selbständig etwas Entsprechendes gestalten. Der Entwicklungsgang war i n Deutschland und Frankreich der nämliche. I n F r a n k r e i c h hatten die alten unabhängigen Gerichtshöfe (Parlamente) sich als die allein berufenen Hüter der Rechtsordnung gefühlt. L o i war nur die von ihnen gehörig einregistrierte königliche Verordnung; nach diesem Gesetze richten sie aber auch die Leute des Königs und suchen deren Amtstätigkeit unter ihre Urteile zu bringen, nicht ohne starken Widerstand zu finden. Das aus der Revolution hervorgegangene neue Verfassungsrecht mit seiner alles umfassenden gesetzgebenden Gewalt hat dann den Gerichten jede Einmischung i n Verwaltungssachen streng verboten und die autorité administrative der autorité judiciaire als gleichwertig gegenübergestellt 9 . Die Verwaltung bewahrt aber ihre Gleichwertigkeit nur durch den ihr eigentümlichen acte d'autorité, den sie erzeugt, den a c t e a d m i n i s t r a t i f , das Seitenstück des gerichtlichen Urteils. Er ist keine planmäßige Schöpfung des Gesetzgebers, sondern von selbst gewachsen, durch eine A r t innerer Notwendigkeit hervorgetrieben; 9

0. M., Theorie d. franz. Verw.R. S. 87 ff.

60

Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

Schriftsteller,

Behördenaussprüche,

gelegentliche

m u n g e n h a b e n dafür z u s a m m e n g e w i r k t . p u n k t der v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e n In

Deutschland

hat

die

Gesetzesbestim-

H e u t e b i l d e t er den M i t t e l -

Ordnung10. unabhängig

gewordene

Justiz

zur

Polizeistaatszeit manche V e r w a n d t s c h a f t m i t d e n französischen Parlamenten. Als

Im

Gegensatz z u jenen w a r sie aber w e i t

n u n die Verfassungen

die Herrschaft

des

volkstümlicher.

Gesetzes

begründet

h a t t e n , ohne, w i e i n F r a n k r e i c h , die J u s t i z zugunsten der Selbständigkeit der V e r w a l t u n g eifersüchtig z u beschränken, t r a t hier erst recht der Gedanke auf,

zur V e r w a l t u n g des Rechtsstaates gehöre n u n

auch

die volle Herrschaft der J u s t i z u n d ihres U r t e i l s über die V e r w a l t u n g . D e n n die V e r w a l t u n g selbst sei unfähig, „ R e c h t u n d Gesetz z u realisieren".

Diese v o m Rechtsstaat geforderte

„Realisierung"

könnten

n u r die U r t e i l e der ordentlichen Gerichte l i e f e r n 1 1 . D i e Frage h a t t e sich p r a k t i s c h zugespitzt auf den einen P u n k t : k a n n es eine V e r w a l t u n g s r e c h t s p f l e g e

geben?

Im

Namen

der

Z w e c k m ä ß i g k e i t w i e i m N a m e n der Selbständigkeit der V e r w a l t u n g w u r d e es gefordert, i m N a m e n jenes starren Justizgrundsatzes ohne E r f o l g b e s t r i t t e n 1 2 .

nicht

Das w i r k l i c h e R e c h t h a t b e k a n n t l i c h

zu-

10 Die großen Repertorien des Rechts, die unmittelbar vor der Revolution erschienen, kennen noch keinen acte administrativ das Wort acte hat nur eine Bedeutung für Justiz und Zivilrecht: D e n i s a r t , ColL de décisions nouvelles (1771) I S. 45; G u y o t , Répertoire (1784) I S. 137. Aus letzterem ist nachher das berühmte Nachschlagewerk von M e r l i n entstanden, und in dessen Auflage von 1812 erscheint zum ersten Male ein Artikel „acte administratif". — C h a u ν e a u , Compét. et jurid. adm. (1841) I n. 406: „depuis un demi siècle que le pouvoir administiatif et judiciaire ont été séparés . . . dans les lois, dans les arrets, que de fois les mots acte administratif ont ils été employés". D a 11 ο ζ , Répert. v. acte administratif: im älteren Rechte, vor der Revolution, hätte es kein Interesse gehabt, ,,à rechercher les caractères des actes administratifs". Es gab einfach solche caractères noch nicht. — Auf die Zusammengehörigkeit des Verwaltungsaktes mit dem gerichtlichen Urteil hat der hoch angesehene Η e η r i ο t de P a n s e y , De Γ autorité judiciaire, chap. 39, bereits im Jahre 1810 hingewiesen. 11 So vor allem Β ä h r in seinem glänzend geschriebenen Buche: Der Rechtsstaat, S. 52 ff. — Ρ a η η , Reform d. Verw.R. S. 14 betrachtet es immer noch als „das Ideal eines Rechtsstaates . . . wenn in derartigen Fällen (bestrittene Militärpflicht, Einquartierung, Steuerleistung) der Staat wie jeder Private seinen Anspruch gerichtsordnungsmäßig im Wege der Klage geltend machen müßte". Das könnte schön werden! 12 Μ ο h 1, Enzyklop. § 35 Note 5 gibt eine Zusammenstellung der „Literatur für und gegen die Zulässigkeit einer Verwaltungsrechtspflege". Der höchste Triumph der Justizpartei war wohl § 181 der Frankfurter Reichs Verfassung: „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf. Über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte."

§ 5. Der Rechtsstaat.

61

gunsten der Verwaltung entschieden. Diese Entscheidung mußte von selbst hinauswirken über ihren unmittelbaren Gegenstand. Können Behörden, die der Verwaltung angehören, rechtlich bindend bestimmen für den Einzelfall, wenn sie es unter der Bezeichnung Verwaltungsgericht und unter Beobachtung gewisser Verfahrensgrundsätze tun, so ist nicht abzusehen, weshalb ihre gleichartigen Aussprüche nicht auch sonst solche Wirkungen haben sollten, nur etwa ohne die Besonderheiten, die an jenem Namen und Verfahren hängen mögen. U m das auszudrücken, bildete man den weiteren Begriff der „Verwaltungsjurisdiktion" 1 3 . Dann sprach man solche bindende Kraft wieder i n besonderem Grade den obrigkeitlichen Willenserklärungen zu, die als „Rechtsprechungsakte" oder als „Entscheidungen" sich genauer kennzeichnen sollen 14 . Wo die der Justiz entlehnten Ausdrücke nicht recht stimmen wollen, greift man daneben auch zu den schon i m Polizeistaat gern mißbrauchten Bezeichnungen „lex specialis" und „Privilegium". Die amtlichen Urkunden reden noch i n vielerlei Zungen: von Verfügungen, Beschlüssen, Entschließungen, Dekreten, Resoluten, Reskripten usw. Jedenfalls ist Tatsache, daß auch i n unserer gewöhnlichen Verwaltung, außerhalb der Verwaltungsrechtspflege also, sich immer deutlicher ein Seitenstück des zivilgerichtlichen Urteils ausgeprägt 13 G η e i s t will mit diesem dem englischen Rechte entlehnten Ausdruck die „quasirichterliche Stellung" der Verwaltungsbehörden bezeichnen: Verw. Just. Rechtsweg S. 167, S. 170; Engl. Verw.R. I S. 388, 390, 394. Ganz im Sinne unseres Begriffes S a r w e y , Öff.R. u. Verw.R.Pfl. S. 4: Verwaltungsjurisdiktion ist „jede mit zwingender Kraft erfolgende Bestimmung menschlicher Lebensverhältnisse durch die Organe des Staates" außerhalb der Justiz. Vgl. auch ebenda S. 639 Note 1 und S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 45 ff. 14 F. F. M a y e r , Grunds, v. Verw. Justiz (1862) S. 39: Die Verwaltung ist berufen, „mit rechtlicher Wirkung für die Einzelnen wie für den Staat zu b e s t i m m e n , R e c h t z u s p r e c h e n " ; das ist „im Rechtsstaat die natürlichste und erste Anforderung an die Verwaltung". L e u t h o l d , in Annalen 1884 S. 418 ff., sieht den Wert des Rechtsstaates darin, daß die Verwaltung ähnlich gegliedert sei wie die Justiz in „1. Normengebung, 2. Rechtsprechung"; die letztere braucht nicht ganz ein Urteil zu sein, aber doch etwas Verwandtes. Ähnlich L e h m a y e r , i n Grünh. Ztschft. X I I S. 221 ff. — Besonders kräftig wird die urteilsartige Wirkung betont in der von B e r n a t z i k , Rechtsprechung und materielle Rechtskraft (1886), vertretenen Lehre: Die „Entscheidung" ist bei der Verwaltung das, was bei der Justiz das Urteil (S. 8); an jede Entscheidung knüpft sich die „materielle Rechtskraft" (S. 129), worunter hier aber nicht das bekannte prozeßrechtliche Institut verstanden wird, sondern eben nur jenes „Bestimmen mit rechtlicher Wirkung für die Einzelnen wie für den Staat", das unserem Verwaltungsakt eigen ist; vgl. unten § 16 Note 4.

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Erster Abschnitt. Die geschichtlichen Entwicklungsstufen.

hat, ein verwaltungsbehördlicher Ausspruch, der für den Einzelfall bestimmt, was Rechtens sein soll, bindend für das, was weiter hier von der Verwaltung aus geschieht. Er bedeutet dasselbe, was i n der französischen Rechtssprache acte administratif heißt. Das Wort V e r w a l t u n g s a k t , dessen die deutsche Literatur sich seit einigen Jahrzehnten bedient, ist nur die Übersetzung davon 1 5 . W i r verwenden es i n dem gleichen Sinne für unsere entsprechende Rechtserscheinung 16 . I I I . Hatte die Trennung der Gewalten zunächst die Herrschaft des Gesetzes gesichert über das Gebiet der Justiz hinaus auch für das der Verwaltung, so führt die daran anknüpfende Forderung des Rechtsstaates zur weiteren Entfaltung dieses Gedankens : es muß nun auch möglichst umfassend Gebrauch gemacht werden von dieser Fähigkeit, Rechtssätze zu liefern für das neue Gebiet; und zugleich müssen auch für dieses obrigkeitliche Aussprüche, Verwaltungsakte vorgesehen sein und reichlich zur Verwendung kommen, u m i m Einzelfalle zu bestimmen, was Rechtens sein und als solches vollzogen werden soll. Auch diese Einrichtungen beruhen auf einer Entlehnung dessen, was in der vorausgehenden Entwicklungsstufe für die Justiz sich bereits bewährt hatte. W i r können also kurz sagen: d e r R e c h t s s t a a t b e d e u t e t d i e t u n l i c h s t e J u s t i z f ö r m i g k e i t der V e r waltung17. Soweit tunlich soll das durchgeführt werden. Nur eine weltfremde 15 Anfänglich, wo uns das französische Verwaltungsrecht noch nicht recht vertraut war, hat man allerdings häufig jede Art von Geschäften der Verwaltung unter dem voller tönenden Wort Verwaltungsakt verstanden, also das Beschottern der Straßen, das Schulehalten, mit Einschluß wohl auch der eigenhändigen Ausübung der Schuldisziplin. Hinterdrein wurde dann behauptet, der „klare Wortlaut" begreife solche Dinge mit und es handle sich um „einen Begriff, der sich in Deutschland selbständig entwickelt hat" (G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. § 117 Note 2; J e 11 i η e k , in Verw.Arch. V S. 306). Allein es handelt sich vielmehr darum, daß man für den ganz banalen, keineswegs neuen oder ausschließlich deutschen Begriff der einzelnen Verwaltungshandlung bisher eine fremdländische Ausdrucksweise verwendet hatte, deren richtigen Sinn man nicht kannte. 16 Neuerdings verwendet man das Wort „ S t a a t s a k t " , um außer unserem Verwaltungsakt noch andere obrigkeitliche Willensäußerungen zu begreifen, insbesondere das Urteil der ordentlichen Gerichte: Κ ο r m a η η , System der rechtsgeschäftl. Staatsakte S. 27; W. J e 11 i η e k , Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen S. 17, S. 26 ff. Die Verwandtschaft mit dem Urteil lassen wir natürlich gern betonen. Aber für unseren Zweck kommen wir mit dem Verwaltungsakte aus. 17 Was K e l s e n (Arch. d. öff. R. X X X I S. 75) Justizförmigkeit nennt oder Justizmäßigkeit (ebenda S. 216), ist etwas anderes als das hier Gemeinte.

§ 5. Der Rechtsstaat.

63

Verschrobenheit könnte sich die Arbeit des Staates für seine Zwecke, die lebendige Verwaltung, schlechthin eingezwängt denken i n die festumschließenden gleichmäßigen Formen der Justiz; nur soweit das vereinbar ist m i t dem Zwecke dieser Tätigkeit, darf es geschehen; in diesem Maße s o l l es aber auch geschehen. Das ist die F o r d e r u n g , d i e der R e c h t s s t a a t s t e l l t an die gesetzgebende Gewalt, welche die Rechtssätze schafft und die Schaffung solcher veranlaßt, und an die Behörden, welche Verordnungen und Verwaltungsakte erlassen können : sie sollen diese rechtsstaatsmäßigen Dinge möglichst weit und reich hinübertragen in das zu pflegende Arbeitsfeld. U m aber dieses Möglichst zu fördern, ist eine j u r i s t i s c h e D u r c h d r i n g u n g u n d A n p a s s u n g unseres Stoffes notwendig. Dem Möglichst würden ja sehr enge Grenzen gezogen sein, wenn es überall nur darauf ankäme, die Übertragung jener Justizeinrichtungen so einfach und plump vorzunehmen, daß sie mit Haut und Haar verschlungen würden, oder gar nicht. U m alles Wertvolle verwendbar zu machen, müssen vielmehr unsere wohlbekannten Begriffe sich z e r l e g e n lassen nach ihren einzelnen Wirkungen und Nützlichkeiten, müssen diese Stücke wieder neue V e r b i n d u n g e n eingehen; reicher und mannigfaltiger muß sich alles entfalten. Damit ist die Aufgabe gestellt für die nunmehr zunächst zu gebenden Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.

Zweiter Abschnitt.

Grundzüge der Yerwaltnngsrechtsordnnng. § 6.

Die Herrschaft des Gesetzes. Den Willen, der namens des Staates von der dazu verordneten Stelle geäußert wird, nennen wir den S t a a t s w i l l e n . Er ist ausgestattet m i t der öffentlichen Gewalt, vermöge deren er den Untertanen gegenüber als der rechtlich stärkere wirkt, sie überwiegt und bestimmt (vgl. oben S. 15). Diese W i r k u n g s k r a f t des Staatswillens ist nicht überall gleichartig und gleichwertig, sondern den v e r s c h i e d e n e n A u s g a n g s p u n k t e n verschieden zugemessen. Jede Behördenart hat ihre besondere Ausstattung, und die Kraft des Staatswillens wächst auf der höheren Behördenstufe. Darauf beruht die innere Ordnung der Staatsverwaltung 1 . Die oberste A r t von Staatswillen ist die, so da unter dem Namen Gesetz ausgesprochen wird, vordem vom Staatsoberhaupt unter Zustimmung der Volksvertretung, jetzt von dieser allein. Den Namen hat diese staatliche Willensäußerung erhalten von ihrer Bestimmung, Gesetze i m Sinne des älteren Staatsrechts zu liefern, also die Untertanen verbindende Rechtssätze (vgl. oben § 4, I I ) . Die Eigenschaft eines verfassungsmäßigen Gesetzes ist aber nicht davon bedingt, daß sein Inhalt sich auch wirklich als ein Rechtssatz erweise. Es können auch andere Dinge i n dieser Form ausgesprochen werden; dann trennt sich der ältere und der neuere Begriff Gesetz2. 1 I m Gegensatz dazu J e l l i n e k , Ges. und Verord. S. 249: Jede „Willensäußerung eines Staatsorgans" ist gleich stark; der Staatswille „hat keine Grade der Intensität"; „man kann nur entweder wollen oder nicht wollen". Das entspricht den psychologischen Formeln, welche die Organtheorie zum besseren Verständnis der Gemeinwesen sich zurechtgemacht hat, aber nicht der Wirklichkeit unserer Einrichtungen. S m e η d , Preuß. Verf.Urk. im Vergi, m. d. belgischen S. 38 Note 1, will auf Grund von J e l l i n e k s Bemerkung insbesondere auch nicht mehr zugeben, daß man von einer besonderen Fähigkeit des Gesetzes spreche, Rechtssätze zu machen. 2 Was hier der neuere oder verfassungsmäßige Begriff genannt wird, entspricht dem, was L a b a n d a l s G e s e t z i m f o r m e l l e n S i n n e be-

§ 6. Die Herrschaft des Gesetzes.

65

Der in Form eines Gesetzes ausgesprochene Staatswille ist um seiner bestimmungsgemäßen Aufgabe willen ausgestattet m i t der entsprechenden Wirkungskraft, die ihn befähigt, solche Rechtssätze zu schaffen. Diese Kraft heißt die gesetzgebende G e w a l t . Sie wendet sich wie alle öffentliche Gewalt gegen die Untertanen. Zugleich aber bedeutet sie eine rechtliche Mehrwertigkeit des so geäußerten Staatswillens gegenüber allen anderen Erscheinungsformen desselben, die man i m Gegensatz zum Gesetze unter dem Namen der v o l l z i e h e n d e n G e w a l t zusammenfaßt. Mit der H e r r s c h a f t des Gesetzes, die unser Yerfassungsstaat begründet haben soll, ist gerade diese zweite Seite besonders gemeint: seine b e v o r z u g t e S t e l l u n g g e g e n ü b e r der v o l l z i e h e n d e n G e w a l t . Sie ist nachgebildet der Machtstellung, die das Gesetz schon vor der Verfassung einnahm i n der J u s t i z . Nur ist für die bewegliche und mannigfaltige Verwaltung das, was dort fest und geschlossen erscheint, i n seine verschiedenen Bestandteile zu zerlegen, damit jeder für sich verwendbar und erkennbar sei. Drei Stücke sind es, aus welchen die Herrschaft des Gesetzes sich zusammensetzt: seine r e c h t s s a t z s c h a f f e n d e Kraft, sein V o r r a n g und sein V o r b e h a l t . Die daraus sich ergebenden besonderen Wirkungskräfte des Gesetzes sind als F ä h i g k e i t e n mit der Tatsache seiner formgerechten Erscheinung überall von selbst verknüpft. Inwieweit sie i m einzelnen Gesetze z u r W i r k s a m k e i t g e l a n g e n , das ist natürlich bedingt von dem jeweiligen I n h a l t des Gesetzeswillens3. zeichnet (vgl. oben § 1 Note 6). Ich stehe in dieser Hinsicht nicht bloß, wie L a · b a n d , St.R. I I S. 64 Note 1, von mir sagt, „auf dem Standpunkte des französischen formellen Gesetzesbegriffes", sondern auch auf seinem eigenen, der damit übereinstimmt. Der „ältere" Gesetzesbegriff bedeutete vom Fürsten angeordnete Rechtssätze (vgl. oben § 1 Note 5); er fällt nicht mit L a b a n d s G e s e t z im m a t e r i e l l e n S i n n e zusammen, indem dieses auch von anderen Stellen ausgehende Rechtssätze umfaßt und nur das Gewohnheitsrecht ausschließt (St.R. I I S. 2, 63). Von allem Zusammenhang mit der Form gelöst ist nur der vom Reichsrecht mehrfach verwendete Begriff (E.G. z. Z.Pr.O. § 12, z. Konk.Ord. § 2 ; z. Stf.Pr.O. § 7, z. B.G.B. Art. 2): Gesetz ist „jede Rechtsnorm". Der Name Gesetz im materiellen Sinne wäre wohl hier am besten verdient; nur handelt es sich eben dabei nicht um einen neuen Begriff, sondern um einen anderen Namen für den alten Begriff Rechtssatz. 3 L a b a n d , St.R. I I S. 68, unterscheidet gleichfalls verschiedene Seiten der „Gesetzeskraft", läßt sie aber auch äußerlich ganz auseinandergehen dadurch, daß die Wirkungen der einen „auf der Form", die der anderen „auf dem Inhalt" beruhen. Unsere nur scheinbar wenig abweichende Formulierung wird ein lebendigeres Bild geben von dem, was das Gesetz ist. B i n d i n g - 0 e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 3. Aufl.

5

66

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

Nach diesen Grundlinien entfaltet sich nun das Wesen des Gesetzes i m einzelnen wie folgt: 1. Die wichtigste Eigenschaft des verfassungsmäßigen Gesetzes, nach der es ja auch benannt ist, ist die ihm innewohnende bindende Kraft, die F ä h i g k e i t , i n R e c h t s s ä t z e n z u sprechen. Der Rechtssatz ist eine Bestimmung dessen, was Rechtens sein soll für jedermann, bei dem ein nach allgemeinen Merkmalen bezeichneter Tatbestand sich verwirklicht findet. So wirken zu können, ist aber etwas ganz Besonderes, was dem Einzelmenschen nicht gegeben ist, und auch nicht m i t jeder Erscheinung des Staatswillens von selbst verbunden. Nach der Verfassung soll es die e i g e n t ü m l i c h e Fähigkeit des vordem vom Fürsten m i t der Volksvertretung, jetzt von dieser allein zu erlassenden Gesetzes sein. Den anderen Arten von Erscheinungen des Staatswillens ist diese Fähigkeit nicht erst durch einen besonderen Vorbehalt des Gesetzes entzogen, sondern sie gehört ihnen von Natur nicht. Wenn das Gesetz i n der es kenntlich machenden Form erscheint, ist es immer ausgestattet m i t seiner bindenden Kraft. Es ist auch zu vermuten, daß es erlassen ist, um von dieser Gebrauch zu machen. Daher auch jedes Gesetz ohne Unterschied zu der förmlichen Veröffentlichung gebracht wird, die eigentlich nur Rechtssätzen zukommt. Dann mag ruhig abgewartet werden, daß das wirkliche Leben seiüe unberechenbare Mannigfaltigkeit diesen Gesetzesbestimmungen entgegenwirft, um erkennen zu lassen, was daran Rechtssatznatur hat. Vorher braucht man es auch nicht zu wissen; jedenfalls darf man nicht zu rasch bei der Hand sein, einem Gesetze diese Wirkung abzusprechen 4 . 4

S e l i g m a n n , Das Gesetz S. 103 ff., nimmt eine Reihe von Gesetzen durch, um genau auszuscheiden, was an jedem Rechtsnorm ist und was irgendwelcher anderen Natur. Als der unzweifelhafteste Fall einer Nicht-Rechtsnorm gilt ihm die Bestimmung der Dienststunden einer Behörde (S. 107). Allein für den Untertanen kann auch das wichtig werden, wenn es sich darum handelt, binnen gewisser Frist eine Erklärung abzugeben, eine Zahlung zu leisten. Da gibt ihm ein solches Gesetz die rechtssatzmäßige Sicherheit. S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 261, erklärt ganz allgemein, es sei klar, daß die Schaffung von Behördenorganisationen nicht unter den Begriff der Gesetzgebung im materiellen Sinn fällt. Zuzugeben ist, daß solche Ordnungen auch auf dem Wege der Dienstgewalt geregelt werden können, welche nach außen nicht unmittelbar wirkt. Von den meisten Bestimmungen wird sich aber im voraus nicht sagen lassen, sie könnten ihrem Inhalte nach niemals für die Untertanen rechtlich bedeutsam werden. Sind sie in Form eines Gesetzes erlassen, so ist im Zweifel auch gemeint,, daß sie das werden s o l l e n . Die zahlreichen Gesetze, von denen L a b a n d , St.R. I I S. 73, spricht, die „n u r die eigene Tätigkeit des Staates regeln", seine

67

§ 6. Die Herrschaft des Gesetzes. Es k o m m t g l e i c h w o h l v o r , daß der I n h a l t eines Gesetzes g e e i g n e t ist, einen Rechtssatz abzugeben. wissenschaftliche

Lehrmeinung

nicht

E s k a n n e t w a bloß eine

bekennen oder auch seine

wirksame A n o r d n u n g auf einen b e s t i m m t e n E i n z e l f a l l

rechtlich

beschränken.

A u c h w o das Gesetz seinen Gegenstand nach einen Rechtssatz w o h l e n t h a l t e n k ö n n t e , m a g sich aus d e m weiteren Z u s a m m e n h a n g ergeben, daß es keinen Rechtssatz d a m i t aufstellen w o l l t e , nur

eine D i e n s t v o r s c h r i f t

oder

gar

nur

einen W u n s c h ,

sondern eine

An-

empfehlung 5. — Das

Gesetz k a n n aber v o n der i h m

zustehenden F ä h i g k e i t

ursprünglicherweise

a u c h i n der Weise

Gebrauch mcahen,

allein daß

es andere Stellen für gewisse Zwecke d a m i t ausrüstet, seine rechtssatzschaffende

Kraft

insoweit

auf

sie

überträgt®.

So

entsteht

V e r o r d n u n g s r e c h t u n d A u t o n o m i e (vgl. u n t e n § 8 n. 2 u n d n. 3). D i e A r t , wie d a n n der v o m Gesetz selbst oder a n seiner erlassene Rechtssatz i n der V e r w a l t u n g w i r k t

u n d seine

Stelle

bindende

K r a f t über die vollziehende Gewalt entfaltet, w i r d u n t e n § 7 genauer z u betrachten sein. Verfassung, die Zusammensetzung, Geschäfte und Geschäftsformen der Behörden — sie werden bei näherer Betrachtung allermeist dennoch „auf den Untertanen und seine individuellen Rechtsbeziehungen anwendbar" sein. — Richtig R.G. 26. März 1901 (Entsch. X L V I I I S. 85): „Die Gesetzesvorschriften, welche z. B. die Bildung der Schwurgerichte regeln, die Aufstellung von Wahllisten etc. anordnen, sind nicht weniger Rechtsnormen, objektives Recht, als diejenigen, welche die Rechtsbeziehungen der einzelnen Staatsbürger regeln." Falsch ist nur, wenn dabei gesagt wird, daß bei solchen Gesetzen „der Gesetzesinhalt sich in Anweisungen an die Behörden erschöpft". Wäre das der Fall, so wären das eben k e i n e Rechtsnormen. 6 Man sagt hier wohl, die Gesetzesbestimmung habe bloß „instruktioneile" Bedeutung. — Ein Beispiel klarer Scheidung nach diesem Gesichtspunkte gibt die Sächs. Min.-Verord. z. Ges. v. 22. Okt. 1840: „Die unter heutigen Dato publizierte Armenordnung enthält teils gesetzliche (rechtssatzmäßige) Vorschriften, welche in jedem vorkommenden darunter gehörigen Falle Anwendung leiden, teils administrative Anordnungen und Anweisungen für die Behörden über zweckmäßige Verwaltung des Armenwesens, deren Anwendbarkeit im einzelnen nach Maßgabe des damit beabsichtigten Zweckes durch die Bedürfnisse und die Beschaffenheit der Umstände bedingt wird." 6 Die Übertragung geschieht selbst rechtssatzmäßig: die Einzelnen müssen erst zugänglich gemacht werden für die von der ermächtigten Stelle ausgehenden Rechtssätze. Tritt daher das ermächtigende Gesetz selbst erst mit einem späteren Termin in Kraft, so können auch die ermächtigten Rechtssätze nicht vorher wirken. Aber nichts hindert, sie schon vorher zu erlassen, damit sie bereit seien mit dem Inkrafttreten des Gesetzes: die Übertragung wirkt innerhalb der staatlichen Ordnung sofort. L a b a η d , St.R. I I S. 71, rechnet diese Erscheinung noch unter die „formelle Gesetzeskraft" (vgl. unten Note 7).

68

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

2. Das Gesetz ist zugleich die rechtlich stärkste A r t von Staatswillen. Bei der Justiz, die ja nur dazu da ist, das Gesetz anzuwenden und ihm zu dienen, scheint es unnötig, das noch besonders zu sagen. I n der Verwaltung aber begegnet das Gesetz einem auf eignen Bahnen einhergehenden Staatswillen, der nicht bloß dient, sondern selber herrscht von mehr oder minder hoher Stelle aus und selber frei bestimmen mag, was Rechtens sein soll und was nicht. Hier t r i t t dann selbständig zutage, was dort stillschweigend g i l t : der i n Form des Gesetzes geäußerte Staatswille geht rechtlich jeder anderen staatlichen Willensäußerung vor; das Gesetz kann nur wieder durch Gesetz aufgehoben werden, hebt aber seinerseits alles auf oder läßt gar nicht erst wirksam werden, was ihm widerspräche. Das ist es, was wir den V o r r a n g des Gesetzes nennen 7 . Auch diese Kraft des Gesetzes ist als Wirkungsfähigkeit jedesmal von selbst gegeben mit seiner verfassungsmäßigen Erscheinung; auch sie ist aber bedingt davon, daß der I n h a l t des Gesetzes g e e i g n e t sei, sie zur Wirkung gelangen zu lassen. Dazu braucht er keinen Rechtssatz vorzustellen. Aber von einem rechtlichen Vorrang kann nur die Rede sein, wo das Geäußerte überhaupt rechtliche Bedeutung hat. Ist es eine bloße Lehrmeinung, so gibt das trotz der Form des Gesetzes keinen Rechtssatz, und sein Vorrang kommt darin ebensowenig zur Geltung 8 . 7 So auch A n s c h ü t z , in Köhler Enzykl. I V S. 153. D y r ο f f , Rechtssatzung und Ges. S. 77 u. 78, bezeichnet das als die „Bestandsgarantie" und die „Gültigkeitsgarantie" der Gesetze. L a b a n d , St.R. I I S. 68 ff., nennt es die „formelle Gesetzeskraft". Ebenso J e l l i n e k , Ges. und Verord. S. 249 ff.; B o r n h a k , Preuß. St.R. (2. Aufl.) I S. 492. Damit soll angedeutet werden, daß diese Kraft an die F o r m des Gesetzes, d. h. seine besondere Entstehungsart, sich knüpft und unabhängig ist vom Inhalt. Allein alle Wirkungskräfte des Gesetzes knüpfen sich an die Tatsache seiner formgerechten Entstehung, und unabhängig vom Inhalt ist keine. 8 „Sie haben niemals gegolten, weder materiell noch formell", sagt J e l l i n e k von diesen Dingen mit Recht (Ges. und Verord. S. 338). E i s e 1 e , Unverbindl. Gesetzesinhalt (Freib. Progr. 1885) S. 33 ff. gibt eine Aufzählung solcher Fälle. — Vgl. auch L a b a n d , St.R. I I S. 63; derselbe, in Arch. f. öff. R. I S. 181 ff. Dort wird insbesondere auch der Cod. Max. Bav. § 1 verwertet, wo es heißt: „Die Rechtsgelehrsamkeit besteht nicht nur in gründlicher Kenntnis der Rechte, sondern auch in richtiger Anwendung." Gegen S e i d l e r , Z o r n , ν. Μ a r t i t ζ , war leicht darzutun, daß ein Gesetz dieses Inhalts keine Anordnung oder Norm, keinen Rechtssatz enthält und doch um seiner Form willen Gesetz bleibt. Die Frage ist aber: äußert auch ein solches Gesetz um seiner Form willen die „formelle Gesetzeskraft"? Ich kann seine rechtliche Wirkung nicht höher schätzen als die des großen Faustmonologs. Fehlt hier eine solche, so ist eine formelle Gesetzeskraft nicht denkbar. Dann darf man aber auch nicht sagen:

§ 6. Die Herrschaft des Gesetzes.

69

Auch wo der Inhalt des Gesetzes an sich geeignet wäre, rechtlich zu wirken, kann aus dem weiteren Zusammenhang sich ergeben, daß das Gesetz seinen Vorrang dafür nicht vollauf geltend machen will, sondern i n der einen oder anderen Beziehung darauf v e r z i c h t e t * Gewisse entgegenstehende Anordnungen eines geringerwertigen Staatswillens werden etwa nicht aufgehoben, sondern bestehen gelassen. Es gibt sogar Gesetze, welche bereit sind, ihre Bestimmungen durch Anordnungen geringerer A r t abändern zu lassen9. — Auch diese Kraft des Gesetzes ist ü b e r t r a g b a r . Es kann nicht nur eine zu erlassende Verordnung vom Gesetze i m voraus m i t der Kraft ausgestattet sein, daß sie nur durch ein Gesetz wieder geändert zu werden vermag, sondern es kann auch einer Verordnung und sogar einer Einzelverfügung durch das Gesetz die Macht gegeben werden, ältere Gesetze zu brechen 10 . 3. Das Gesetz gibt der Justiz die unentbehrliche Grundlage ihrer Tätigkeit; kein Urteil anders als auf Grund eines Rechtssatzes, nulla poena sine lege. Die Verwaltungstätigkeit kann nicht so abhängig gehalten werden. Das verfassungsmäßige Gesetz ist deshalb nur für gewisse besonders wichtige Gegenstände zur notwendigen Bedingung aller Staatstätigkeit gemacht worden. Für alle übrigen ist die vollziehende Gewalt an sich frei; sie wirkt aus eigner Kraft, nicht auf Grund des Gesetzes. Wir nennen den Ausschluß ihres selbständigen „Die formelle Gesetzeskraft ist unabhängig vom Inhalt" ( L a b a n d , St.R. I I S. 57 I n. 1). » L a b a n d , St.R. I I S. 72 n. 4. 10 S e l i g m a n n , Begr. d. Ges. S. 21, findet eine solche Delegation begrifflich unvereinbar mit der formellen Gesetzeskraft, wie er sie mit L a b a n d auffaßt, sofern eben diese auf der eigenen Form des Gesetzes beruht. Wenn B o r n h a k , Preuß. St.R. I S. 514, demgegenüber sich damit beruhigt: was auf Grund einer Delegation des Gesetzes geschieht, habe ja schließlich doch das Gesetz selbst gemacht, so verkennt er das Wesen der von ihm angenommenen Laband ischen formellen Gesetzeskraft. Diese „entspricht der Wirkung, welche die Form der Rechtsgeschäfte hat, insofern ein Vertrag, welcher in einer gesetzlich vorgeschriebenen Form abgeschlossen worden ist (z. B. ein Ehevertrag oder Erbvertrag), nur in entsprechender Form abgeändert oder aufgehoben werden kann" (L a b a n d , St.R. I I S. 68). Kann der notarische Vertrag seine „formelle Vertragskraft" delegieren ? Da hätte doch wohl S e l i g m a n n recht. Allein in Wirklichkeit geht eben L a b a n d in der Isolierung des formellen Elementes hier zu weit. Der notarische Akt bedeutet wirklich nichts als eine die Gültigkeit der Privatwillen bedingende Form: das Gesetz aber ist zugleich die Gestalt, in welcher der Wille der obersten Gewalt erscheint als ein Staatswille von besonderer rechtlicher Macht und Wirkungskraft. Eine solche zu äußernde Kraft ist e3, die auch hier übertragen wird, nicht der rechtliche Wert der vorgeschriebenen Form. Der Name „formelle Gesetzeskraft" ist irreführend.

70

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

Vorgehens,

der

bezüglich

jener

besonders

stände besteht, den V o r b e h a l t d e s Dieser

Vorbehalt

wird

in

den

schiedene Weise wiedergegeben.

ausgezeichneten

Verfassüngsurkunden

Die

Gegen-

Gesetzes11. klassische

Form

ist

auf

ver-

die

Auf-

s t e l l u n g sogenannter G r u n d r e c h t e oder F r e i h e i t s r e c h t e , den Bürgern

persönliche F r e i h e i t ,

Unverletzlichkeit

des

wonach

Eigentums

u n d sonstiger R e c h t e gewährleistet werden m i t a u s d r ü c k l i c h e m oder stillschweigendem V o r b e h a l t

der

d u r c h das Gesetz

oder auf

Grund

eines Gesetzes a u c h i n diese D i n g e z u machenden E i n g r i f f e 1 2 . Die Aufzählungen an

ihnen

Kritik

Schwierigkeiten.

zu

stimmen nicht üben.

überein·

Tarsächlich

E s ist

entstehen

auch kaum

E s erhält alles seine E r g ä n z u n g d u r c h

leicht, jemals

bestimmte

11 Daß das etwas anderes ist als die zwei bisher betrachteten Rechtsvorzüge des Gesetzes, sollte einleuchten. Gleichwohl wird es nur allzugern vermengt. So ist bei G n e i s t (Engl. Verw.R. I S. 131; Engl. Verf.geschichte S. 163, 164, 245, 247 ff.; Art. „Verordnungsrecht" in Holtzendorff, Rechtslex.) immer nur von dem „Vorbehalte der von der Gesetzgebung schon präokkupierten Gebiete" die Rede; das ist aber der V o r r a n g des Gesetzes; der richtige Vorbehalt braucht nicht erst von ihm „präokkupiert" zu werden. Das verkennt auch G i e s e , die Grundrechte, wenn er (S. 33 Note 4, S. 34 Note 9, S. 36 Note 6) den Satz bekämpft, „daß Grundrechte nur in Verfasssungen vorkommen können". A n s c h ü t z andererseits, in Κ ο h 1 e r , Enzykl. I V S. 153, beschränkt sich darauf, als dem Gesetze „vorbehaltene" Gegenstände zu bezeichnen: alle Rechtssätze. Vorbehalt und r e c h t s s a t z s c h a f f e n d e K r a f t sind da zusammen geworfen; das ist aber zweierlei. 12 Es ist bekannt, daß diese eigenartigen Bestandteile unserer Verfassungen zurückführen auf die Erklärung der Menschenrechte durch die französische Konstituante vom 26. August 1789. Sie bedeutete keineswegs, wie J e l l i n e k , Erklärung d. Menschenrechte (1904) S. 25, 26, meint, „die Aufstellung fester Schranken für die Staatsgewalt" und demgemäß einen Abfall von R o u s s e a u s puissance souveraine des allgemeinen Willens (S. 6, 7). Was dadurch beschränkt wird, ist lediglich das Königtum, die vollziehende Gewalt. Und zwar in echt demokratischer Weise. Die wichtigsten Seiten, an welchen der Mensch und Bürger der Staatsgewalt gegenüber empfindlich ist, werden unter die Obhut des Gesetzes und damit der Nationalversammlung genommen, die dafür gut steht, daß es nicht allzuschlimm werde; das ist ihr Pakt mit der Masse. Das Gesetz kann alles; alle Freiheitsrechte, Art. 4 bis Art. 11 der Erklärung, sind durch das Gesetz beschränkbar. Das Gesetz ist aber a u c h der Staat. — Für die amerikanischen Verfassungen mag das anders aussehen; da gelten die Beschränkungen für die ganze „konstituierte Staatsgewalt". Dort bleibt eben auch immer der eigentliche Souverän, „we the people", lebendig, um nötigenfalls mittels besonders beauftragter Versammlungen (conventions) die Verfassung schrankenlos zu ergänzen ( B r y c e , Americ. Commonwealth, Franz. Ausg. 1900, I S. 575 ff.). Für uns ist nur das in der Charte constitutionelle von 1814 festgelegte französische System der Freiheitsrechte maßgebend, dem unsere Verfassungen sich ja angeschlossen haben.

§ 6. Die Herrschaft des Gesetzes.

71

Anschauungen von dem, was nach „allgemeinem konstitutionellem Staatsrechte" zu dem so umhegten Rechtskreis gehören soll 1 3 . Wenn einmal i n einer Verfassung gar nichts davon gesagt ist, versteht es sich jetzt von selbst. So begnügte sich namentlich R.Verf. 1871 A r t . 5 zu bestimmen: „die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch Bundesrat und Reichstag" — und alles wußte, daß eine solche Willensäußerung von Bundesrat und Reichstag, wie einem Gesetze gebührt, allein auch ausgestattet sei mit der Kraft, Freiheit und Eigentum der Deutschen i n Anspruch zu nehmen. Nicht weil es für sie keine Freiheitsrechte gibt, nennt sie die Reichsverfassung nicht mehr, sondern weil sie, wenigstens i n diesem allgemeinen wesentlichen Begriff, selbstverständlich waren 1 4 . Sind die Verfassungen auf solche Weise zu ergänzen, so gehört andererseits nicht alles hierher, was sie i n dem Kapitel „ V o n den Rechten der Preußen", oder wie diese Überschriften lauten, aufzuführen für gut befunden haben, weil es für die Masse der Untertanen erfreulich sein kann. Das gilt namentlich auch von den bloßen Z u s a g e n , es solle über einen gewissen Gegenstand künftig ein ihn ordnendes Gesetz ergehen. Dadurch wird wohl das Verordnungsrecht soweit ausgeschlossen sein; i m übrigen ist die vollziehende Gewalt zunächst noch i n keiner Weise beschränkt. Das wird erst das künftige Gesetz t u n mit seinem VorTang und seiner bindenden K r a f t 1 5 . Zum Teil wird hier auch noch über das hinausgegangen, was die Freiheitsrechte sein wollen. Es kann bestimmt sein, daß gewisse Dinge überhaupt von Staats wegen nicht geschehen dürfen, auch nicht i n Form eines Gesetzes und auf Grund eines solchen. Da kann j a immer noch i m Wege eines verfassungsändernden Gesetzes künftig einmal Bahn frei gemacht werden. Aber das zählt nicht. Einstweilen 13

Z a c h a r i a e , St.R. I S. 458; S c h m i t t h e n n e r , Allg. St.R. S. 562; J e 11 i η e k , Subj. öff. R. S. 105; G i e s e , Die Grundrechte S. 26. Τ h ο m a , Polizeibefehi S. 99, will den Satz: „Eingriffe in Freiheit und Eigentum gehören zum Vorbehalte des Gesetzes" lediglich als „eines der obersten Postulate des monarchischen Konstitutionalismus" gelten lassen. Das ist er ursprünglich auch nur; aber die Verfassungen haben durch Aufnahme in ihren Text geltendes Recht daraus gemacht, das feststehende Auslegungen gestattet. Besonderheiten sind selbstverständlich zu beachten; hier kommt es aber darauf nicht an. 14 L a b a n d , St.R. I I S. 186; J e l l i n e k , Erklärung d. Menschenrechte S. 3. Letzterer scheint allerdings hierfür eine unmittelbare Rückwirkung der einzeletaatlichen Grundrechte auf das Reich anzunehmen, was ich nicht für richtig halte. 15 Preuß. Verf.Urk. 1850 Art. 26: „Ein besonderes Gesetz regelt das ganze Unterrichtswesen. 4 '

72

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

stehen bei einem also v e r s t ä r k t e n F r e i h e i t s r e c h t Gesetz und Regierung gleichmäßig vor verschlossener Tür, und von rechtlichen Vorzügen ist zwischen ihnen nicht die Rede 1 6 . Wir haben es hier nur mit den einfachen Freiheitsrechten zu t u n und der dadurch gegebenen Machtstellung des Gesetzes. Sie hat das Eigentümliche, daß sie von selbst und allgemein i m v o r a u s wirkt, i m Gegensatz zur bindenden Kraft und zum Vorrang, die jeweils erst an das bereits ergangene Gesetz sich anschließen. Man mag ja den Vorbehalt auch bezeichnen als die ausschließliche Fähigkeit des Gesetzes, auf dem vorbehaltenen Gebiete wirksam zu werden. Aber wenn das Gesetz nun davon Gebrauch macht, übt es ganz die nämlichen Wirkungskräfte, die es auch auf dem nicht vorbehaltenen Gebiete auszeichnen : rechtssatzschaffende Kraft und Vorrang. Nur eins kommt hier hinzu. Das ist aber nicht etwa eine neue Beschränkung der vollziehenden Gewalt, sondern i m Gegenteil stets nur ein Seitenstück der unter η. 1 und n. 2 erwähnten Übertragungen, eine M a c h t e r w e i t e r u n g , welche ein solches Gesetz der bisher von diesem Gebiete ausgeschlossenen bereitet: ihr wird dadurch die Tür aufgetan, so daß sie nun auch ihrerseits in entsprechendem Maße dort zu handeln befugt i s t 1 7 . Diese Wirkung knüpft sich v o n s e l b s t an jedes Gesetz, das einen Eingriff i n Freiheit und Eigentum enthält. Denn die vollziehende Gewalt ist ja vermöge der bindenden Kraft des Gesetzes rechtlich gehalten, es zu vollziehen, i m Einzelfall seinen Willen genauer zu 16 Preuß. Verf. Urk. 1850 Art. 10: „Der bürgerliche Tod und die Strafe der Vermögenseinziehung finden nicht statt." 17 Man mag darin ein Seitenstück sehen zu den beiden anderen zwei Wirkungskräften auch vorkommenden Übertragungen (oben S. 68, S. 70). — An Mißverständnissen wird viel geleistet. Die aufgestellten Grundrechte, die doch nur den Vorbehalt geben wollen, werden am Maßstab der gewöhnlichen Gesetzgebung gemessen und müssen sich dann sagen lassen, daß sie nichts als „hochtönende', „phrasenhafte", „unperfekte", „viel zu allgemein gehaltene", „wertlose" Sätze seien ( S c h u l z e , Preuß. St.R. bei Marquardsen S. 27 u. 28; T r e i t s c h k e , Politik S. 165; Ζ ο r η in Annalen 1889 S. 352; G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. S. 801; G i e s e , Grundrechte S. 18). Höchstens als eine Art vom Programm läßt man sie gelten, aus dem etwas Greifbares erst wird, wenn ein Gesetz kommt (das auf dem vorbehaltenen Gebiet bestimmende!) und sich der Sache annimmt; dann schaffe dieses erst die Freiheitssicherung, und deshalb will man den Namen „Ausführungsgesetz" dafür verwenden (G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. S. 801; G i e s e , Grundrechte S. 99). I n Wirklichkeit ist das Verhältnis ein ganz anderes. — Hier hat viel zur Verwirrung beigetragen, daß man die Übernahme von „Gesetzen" aus der Zeit vor der Verfassung nicht richtig gewürdigt hat; vgl. unten § 8 n. 1.

§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsrechtssatzes.

73

bestimmen und ihm die zwingende Tat zu leihen 1 8 . Damit folgt sie ihm nun auch i n das ihr sonst verbotene Gebiet hinein. Das Gesetz kann die Zulassung aber auch a u s d r ü c k l i c h aussprechen für gewisse Zwecke und Gegenstände und dabei den Behörden mehr oder weniger Spielraum lassen, um sich nach eigenem Ermessen zu betätigen. Das gibt dann die sogenannten g e s e t z l i c h e n E r m ä c h t i g u n g e n . Was die vollziehende Gewalt auf Grund einer solchen Ermächtigung vornimmt, ist nichts, was sie nicht auch so t u n könnte, wenn eben nur der Vorbehalt des Gesetzes sie nicht besonders davon ausgeschlossen hätte; denn auch sie ist Staatsgewalt und an sich fähig, dem Einzelnen nach jeder Richtung obrigkeitlich gegenüberzutreten 39 . I h r Vorgehen erhält durch die Ermächtigung nicht eine neue Kraft, sondern nur einen neuen Wirkungskreis. Mangels abweichender Regelung muß es dem Gesetze immer freistehen, auch auf dem vorbehaltenen Gebiete Bestimmungen für den Einzelfall zu treffen. Seiner Natur und der ihm zugedachten Aufgabe entspricht es aber, daß es auch hier vornehmlich i n Gestalt von R e c h t s s ä t z e n u n d a l l g e m e i n e n R e g e l n handelt 2 0 . Auf diese Weise dient der Vorbehalt des Gesetzes dazu, auf das ganze weite Gebiet der Verwaltung, das er umfaßt, einen mächtigen Druck auszuüben i m Sinne der Verwirklichung der Forderungen des Rechtsstaates. § 7.

Die bindende Kraft des Verwaltungsrechtssatzes· Das Gesetz soll Rechtssätze liefern auch für die Verwaltung. Dieser Aufgabe kommen die weiteren Vorzüge zugute, Vorrang und Vorbehalt, mit welchen es ausgestattet ist (vgl. oben § 6 n. 2 u. n. 3). Solche Rechtssätze können noch aus anderen Quellen fließen, wo dann diese Vorzüge nicht mitwirken (vgl. unten § 8 n. 2—4). Der 18

Vgl. unten § 7 n. 1, § 9, I I n. 2. Der beste Beweis liegt darin, daß unter Umständen die gesetzliche Ermächtigung im Einzelfall ersetzt wird durch die Einwilligung des Betroffenen; vgl. unten § 9 Note 12. Der Akt wirkt auch dann gerade so, wie wenn der Vorbehalt nicht bestünde, aus eigener Kraft. 20 Dagegen halte ich es nicht für richtig, zu sagen: Eingriffe in Freiheit und Eigentum dürften s t e t s nur „auf Grund eines Rechtssatzes" geschehen (L a b a n d , St.R. I I S. 186; A r η d t , Verord.R. S. 67, Selbstd. Verord.R. S. 74 ff.; A n s c h ü t z , Begriff der gesetzgeb. Gewalt S. 9, S. 73 ff.). Der Vorbehalt ist zugunsten des verfassungsmäßigen Gesetzes, nicht des Rechtssatzes gemacht. Dieses k a n n auch auf dem vorbehaltenen Gebiete in Form von Einzelverfügungen vorgehen, indem es ζ. B. das Vermögen des Königs von Hannover beschlagnahmt. Vgl. aber zum Verständnis dieser Meinungsverschiedenheit unten § 7 Note 1. 19

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Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

Rechtssatz selbst bleibt nach Kraft und Wesen sich immer gleich, woher er auch stamme. I m Rechtssatz erscheint den Untertanen gegenüber die f o r m a l e G e r e c h t i g k e i t der öffentlichen Gewalt. Sie wirkt auf Grund des allgemeinen Untertanenverhältnisses, in dem alle gleichmäßig stehen, s c h l e c h t h i n v e r b i n d l i c h . Und ihre Wirkung knüpft sich an allgemein i m voraus bestimmte Merkmale, geschieht n a c h f e s t e r R e g e l . Der Rechtssatz ist die s c h l e c h t h i n v e r b i n d l i c h e f e s t e Regel1. Gegenüber der schrankenlos gewordenen Staatsgewalt war es eine Errungenschaft der Justiz, dieser Regel ihre F e s t i g k e i t und damit dem Recht seine Z u v e r l ä s s i g k e i t zu gewährleisten (vgl. oben § 4, I I ) ; der Rechtsstaat hat das durch die Ausbildung der bindenden Kraft des Gesetzes, seiner Rechtssatzkraft, verallgemeinert und vervollkommnet (vgl. oben § 5, I und § 6 n. 1). Daß die Regel dabei unter die Obhut erst der selbständigen Gerichte, dann auch der Volksvertretung gestellt wird, gibt ihr zunächst nur die nötige Machtstellung. Ihren vollen Wert erhält sie erst durch das feinere Gewebe rechtlicher Durchgestaltung, das sich darüber breitet. Die Eigenart des Rechtssatzes oder des Gesetzes, i n welcher Gestalt er ja nun vor allem erschien, hat sich seiner Zeit fühlbar gemacht am Gegensatz zur Instruktion oder Dienstanweisung: während diese nur dem Beamten gilt, wirkt das Gesetz auf seinen Untertanen schlechthin (vgl. oben § 4, I I ) . Es t u t das aber nie allein, sondern dieser seiner Wirkung nach außen entspricht immer eine solche auf das zuständige Richtertum, welches gehalten ist, danach zu verfahren. I n dieser Z w e i s e i t i g k e i t liegt die gesicherte Wirkung des Rechtssatzes geordnet; sie gehört zu seinem Wesen 2 . 1 Wir berühren damit eine alte Streitfrage, die keine sein sollte. Es kann ja sehr wohl zutreffen, daß, wie L a b a n d , St.R. I I S. 2, hervorhebt, ein Gesetz ( = Rechtssatz) „nur auf einen einzigen Tatbestand anwendbar wird". Es kann sogar möglicherweise überhaupt keinem Tatbestand begegnen, auf den es anwendbar wird. Aber ein „Rechtssatz", der seine Wirkung von vornherein auf einen bestimmten einzelnen Tatbestand beschränkt, leistet nicht, was eine Rechtsordnung soll, von der er doch ein Stück zu sein beansprucht. Und ein Staat, der eine Rechtsordnung besitzt, die aus lauter „Individualgeboten" besteht ( J e 11 i η e k , Ges. und Verord. S. 238; zustimmend A n s c h ü t z , Krit. Stud. ζ. Lehre vom Rechtssatz S. 25), hat überhaupt keine Rechtsordnung. — Die Schick sale des Wortes Gesetz, das ja mit dem Rechtssatz so eng zusammenhängt, ent schuldigen viel Mißverständnis. 2 Vortrefflich ist diese Eigenart des Rechtes gezeichnet bei J h e r i η g,

§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsrechtssatzes.

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Bei der Justiz stellt sicli das i n der bekannten Weise dar. Wenn das Z i v i l r e c h t die Machtverhältnisse der Einzelnen untereinander ordnet, so sieht es so aus, als sei die öffentliche Gewalt von den gegebenen Ordnungen unmittelbar gar nicht berührt. I n Wirklichkeit ist aber das Zivilrecht erst dadurch Recht, daß auch der Richter daran gebunden ist. Der Zivilrechtssatz ordnet immer z w e i e r l e i Rechtsverhältnisse zugleich: das zwischen den Einzelnen unter sich und das zwischen den Einzelnen und der öffentlichen Gewalt. Wenn er sagt: unter solchen Voraussetzungen soll der eine dem anderen die Sache liefern, so sagt er zugleich: der Richter soll nach diesen Regeln den einen zur Herausgabe zwingen, dem anderen zum Empfang verhelfen. Es knüpfen sich also an das zivilrechtliche Verhältnis zwischen den beiden zwei entsprechende öffentlichrechtliche Verhältnisse derselben zur richterlichen Gewalt. Der Prozeß gibt die Form, in welcher die letzteren wirksam gemacht werden. Das Zivilrecht hat damit den Beteiligten zugleich eine öffentlichrechtliche Bestimmung gegeben, ein Sollen und Dürfen gegenüber der öffentlichen Gewalt, und eine Gebundenheit des Gerichts begründet zur Verwirklichung dieses Sollens und Dürfens. Indem das Gericht danach tut, wird i n einem jene öffentlichrechtliche Bestimmtheit gehandhabt und das zivilrechtliche Verhältnis, an welchen sie hängt 3 . Das S t r a f r e c h t verfährt anders. Es bestimmt: wer das und das t u t , ist so und so zu bestrafen. Es beginnt also mit einer Gebundenheit der richterlichen Gewalt, wonach sie unter diesen Voraussetzungen diese Strafe, nicht mehr und nicht weniger, verhängen soll; der Strafprozeß gibt die Formen, in welchen diese Gebundenheit wirksam wird. Aber wiederum erschöpft sich der Strafrechtssatz Zweck im Recht I S. 333 ff. Von der einseitig wirkenden Norm der Despotie gelangt er S. 344 zur Bedeutung des Gesetzes im Rechtsstaat: „Recht im vollen Sinne des Wortes ist also die z w e i s e i t i g verbindende Kraft des Gesetzes." Insbesondere enthält die im Gesetze an die Untertanen gerichtete Norm immer auch das entsprechende Sollen für die Behörde (S. 337). Vgl. auch B i n d i n g , Stf.R. I S. 165 Note 27 ; Η a e η e 1, Ges. in form, und mat. Sinne S. 196; F 1 e i η e r Inst. S. 58, S. 63. — Ganz ahnungslos S c h e i n , Unsre Rechtsphilos. und Jurispr. S. 11, und nicht viel besser B o r n h a k , Preuß. St.R. (1. Aufl.) I S. 442, der nicht absehen will, weshalb eine Instruktion nicht ebensowohl den Charakter einer Rechtsnorm haben soll wie eine gesetzliche Bestimmung. Die 2. Aufl. I S. 470 hat diesen Satz weggelassen. 3 I n diesem Sinne T h o n , Rechtsnorm S. 8 ff.: Auch der Privatrechteanspruch besteht „vor allem in dem Erwachen neuer Imperative an die mit der Zivilrechtspflege betrauten staatlichen Organe4 4 (S. 10). Diese zweite Reihe von Imperativen bedeutet, wie Β ü 1 ο w , Prozeßeinreden S. 1—3, ausführt, „ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen Gericht und Partei".

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Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

nicht damit, die Tätigkeit der richterlichen Gewalt i n Bewegung zu setzen und zu bestimmen. Er wirkt sofort schon m i t dem E i n t r i t t der Straftat auf den Täter und gibt diesem unmittelbar eine entsprechende rechtliche Bestimmung in der Strafbarkeit: er soll die vorgesehene Strafe auferlegt bekommen, nicht mehr und nicht weniger. Darum wird i h m i m Strafausspruch sein Recht, und eine härtere Strafe ist Unrecht gegen i h n 4 . Hier ist nun alles öffentlich rechtlich, alles Verhältnis zwischen Untertan und öffentlicher Gewalt. Die rechtliche Bedeutung dieser letzteren Form ist aber i m wesentlichen ganz die gleiche wie die des Zivilrechtssatzes, soweit er öffentlichrechtlich in Betracht kommt: der Rechtssatz wirkt in beiden Fällen z w e i s e i t i g ; er gibt dem Untertanen die rechtliche Bestimmung eines Sollens oder Dürfens gegenüber der öffentlichen Gewalt und begründet zugleich eine rechtliche Gebundenheit der Behörde i h m gegenüber, daß sie danach verfährt. W i r nennen ersteres die ä u ß e r e , letzteres die i n n e r e W i r k u n g ; der Rechtssatz i n der Justiz hat immer beide Wirkungen zugleich. Der Verwaltungsrechtssatz bedeutet nun nichts anderes als die Übertragung dieser Form, rechtlich zu wirken, auf die Verwaltung. Die Idee des Rechtssatzes muß sich dabei wieder freier und reicher entfalten als auf dem eintönigen Gebiete der Justiz. 1. I n der Justiz bedeutet die Zweiseitigkeit der bindenden Kraft des Gesetzes, daß es sowohl auf den Einzelnen wirkt als auf das Gericht; beide s t e h e n u n t e r d e m Gesetze. Über diesen ganz allgemeinen Begriff geht aber die Gleichheit der Wirkung nicht hinaus. Man kann nicht sagen, daß das Gesetz für das Gericht a u f d i e s e l b e W e i s e maßgebend sei wie für den Einzelnen. Diesem befiehlt es, weist es sein rechtliches Schicksal an, i h m gibt es obrigkeitlich die Bedingungen seines Daseins, alles in der uns wohlvertrauten A r t . Das Gericht aber ist ja selbst Träger obrigkeitlicher Gewalt; die viva vox legis, steht es auf der Seite des Gesetzes; seine Gewalt ist von der des Gesetzes nur durch die besondere Ausprägung und dem Grade nach verschieden. Es wird vom Gesetze nicht w i e der U n t e r t a n b e h e r r s c h t , sondern w i e der u n t e r g e o r d n e t e Mitarbeiter geleitet. Das geschieht hier allerdings i n sehr fester und genauer Weise. Das Gesetz enthält für jeden Einzelfall i m voraus die volle Bestimmung dessen, was für ihn Rechtens sein soll. Was das Gericht 4 B i n d i n g , Stf.R. I S. 191: „Das Strafgesetz ist . . . Festsetzung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Straf berechtigten und dem Verbrecher."

§ 7. Die" bindende Kraft des Verwaltungsrechtssatzes.

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noch zu t u n hat, ist nur, daß es diesen Willen des Gesetzes finde und förmlich ausspreche. Es macht die A n w e n d u n g des Gesetzes. Das Verhältnis der Verwaltung zum Gesetz ist grundsätzlich das gleiche. Auch sie ist ihm Mitarbeiterin, Gehilfin, deren Tätigkeit von ihm gelenkt wird. Allein diese Lenkung kann hier nicht durchweg in so vollkommener Weise geschehen. Vielmehr zeigt sich hier eine Stufenfolge von der strengsten Gebundenheit bis zur freiesten Bewegung. Das Gesetz kann die Tätigkeit so genau bestimmen, wie bei der Justiz, so daß auch die Verwaltung nichts weiter zu t u n hat, als es a n z u w e n d e n auf den Einzelfall. Es kann i n derselben Weise das, was geschieht, nach A r t und Maß, genau bestimmen, aber der Verwaltung überlassen, nach den Umständen sich zu e n t s c h l i e ß e n , ob das i m Einzelfall von Staats wegen wirklich gewollt sein soll oder nicht. Es kann unvollständig bestimmen, derart, daß das, was Rechtens sein wird, erst noch e r g ä n z t werden soll durch die Verwaltung, die schöpferisch durch eigene Zutaten den Inhalt des staatlichen Willens, sein W i e u n d W a s , für den gegebenen Fall fertigstellt. Es kann auch sachlich gar nichts Genaueres bestimmen und nur der Verwaltung eine allgemeine Ermächtigung geben, daß sie ihrerseits für einen gewissen Gegenstand oder Geschäftszweig s e l b s t b e s t i m m e ^ was für die ihr anbefohlene Aufgabe des Gemeinwesens erforderlich und angemessen erscheint. Man mag hier von ,,Rechten" der Verwaltung sprechen, die das Gesetz begründete; sie sind alle nicht wesentlich verschieden von dem „Rechte" des Gerichtes, dem das Gesetz seine Anwendung auf den Einzelfall anvertraut. Es ist geordnete Mitarbeiterschaft für den gemeinsamen Zweck. Der Ausdruck ,,Anwendung des Gesetzes" paßt nicht mehr dafür, weil die Tätigkeit der Verwaltung ein viel freieres Verhältnis zuläßt. Die so beliebte Bezeichnung der Verwaltung als ein Handeln ,,in den Schranken des Gesetzes" ist allerdings zu sehr noch von zivilrechtlichen Anschauungen bestimmt; sie übersieht die alles beherrschende Idee des Zusammenarbeitens. Es ist vielmehr der Begriff der V o l l z i e h u n g des Gesetzes, der uns hier entgegentritt als das Handeln gemäß dem Gesetz, das W i r k s a m m a c h e n des Gesetzes i n m e h r oder w e n i g e r s t r e n g e r Gebundenheit d u r c h dieses. Die Vollziehung umfaßt die Tätigkeit zu einfacher Ausführung des Gesetzes wie auch die Ausfüllung des Spielraums,

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Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

den es läßt, i n dem Sinn und i n der Richtung, wie es sie dafür bestimmt hat 5 . I n der rechtlichen Notwendigkeit, gemäß dem vorhandenen Gesetze nach den Regeln der Vollziehung tätig zu sein, besteht die Gebundenheit, welche hier bei der Verwaltung erscheint. 2. W e r ist es nun, der auf solche Weise durch den Rechtssatz gebunden wird? Wenn wir bisher vom Gericht, von der Verwaltung sprachen, so muß es jetzt genauer gesagt werden; denn diese Bezeichnungen konnten doch nur vorläufig genügen. Das Nächstliegende ist, den S t a a t zu nennen. Handelt es sich doch beim Verwaltungsrecht um das Verhältnis zwischen Staat und Untertan. Also müßte die uns hier beschäftigende innere Seite der Rechtssatzwirkung den Staat treffen, wie die äußere den Untertan. Nun läßt sich freilich nicht verkennen, daß auch das Gesetz, das den Rechtssatz enthält, selbst wieder der Staat ist. Und so ist man denn dahin gelangt, die Wirkung des Gesetzes zu erklären als eine S e l b s t b i n d u n g des Staates. I n Wirklichkeit ist das aber keine Erklärung, sondern nur wieder ein neuer Name für das zu lösende Rätsel 6 . Dem gegenüber hat man etwas Greifbares geben wollen, indem man als die durch das Gesetz Gebundenen bezeichnete die einzelnen T r ä g e r s t a a t l i c h e r T ä t i g k e i t , die „Behörden und Beamten". Allein, wenn das die Beamten p e r s ö n l i c h bedeutet, so würde wieder nicht einleuchten, wie nun daraus das Verhältnis zwischen Staat und Untertan seine Ordnung erhalten soll. Die Behörde aber im Gegensatz zum Beamten ist entweder auch wieder der Staat selbst oder eine bloße Einrichtung des Staates, m i t der hier nichts anzufangen ist 7 . 5

Ähnlich Η a e η e 1, St.R. I S. 122; S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 22 u. 23; F 1 e i η e r , Instit. S. 4 u. 5. Der letztere will jedoch unter „Vollziehung" oder „vollziehender Verwaltung" einen besonderen „Kreis staatlicher Geschäfte" verstehen, welcher neben Rechtsetzung, Rechtsprechung und Regierung ( = „freie Verwaltung") träte. Wir gebrauchen hier das Wort lediglich zur allgemeinen Bezeichnung des Verhältnisses, in welchem die Verwaltung zum Gesetze steht, wo sie mit ihm in Berührung kommt. Die anderen Geschäfte können ebenfalls Vollziehung sein. Vgl. oben § 5 Note 3. β Der Führer ist hier J e 111 η e k , Staatenverträge S. 9 ff. ; Staatenverbindungen S. 30 ff.; Ges. und Verord. S. 198 ff.; R. des mod. St. S. 331 ff.; Subj. Rechte S. 195 ff. Eine Selbstbindung der „obersten Staatsorgane" durch „ s i t t l i c h e " Pflichten (Subj. Rechte S. 196, 197) wird man gern zugeben; wie aber daraus ohne weheres r e c h t l i c h e Gebundenheiten des Staates selbst werden, bleibt dunkel. 7 L a b a n d , St.R. I I S. 74: „Die Staatsgewalt in abstracto ist durch das

§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsrechtssatzes.

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Die Theorie findet das richtige Wort nicht, um auszudrücken, was sie meint, solange ihr jedes Verhältnis zu der Lehre von der T r e n n u n g der G e w a l t e n fehlt. Tatsächlich sind ja hier nicht bloß Behörden und Beamte gebunden, ist aber auch der Staat nicht schlechthin gebunden. Nicht gebunden ist er bekanntlich, wenn sein Wille in Form des verfassungsmäßigen Gesetzes auftritt; der durchbricht rechtlich alles, auch den älteren gesetzlichen Rechtssatz. Das ist aber nichts anderes als die Erscheinung der gesetzgebenden Gewalt. Diese also ist frei. Gebunden soll nur sein aller auf irgend welche andere Weise entstandene Staatswille. Sagen wir einfach die v o l l z i e h e n d e G e w a l t ; denn sie ist es, die i n diesem Gegensatze sich darstellt. Wie die gesetzgebende Gewalt ausgestattet ist mit besonderen Eigenschaften und Vorzügen, namentlich mit der Fähigkeit, Rechtssätze zu schaffen (oben § 6 n. 1), so ist die vollziehende Gewalt entsprechend a u s g e s t a t t e t m i t der E i g e n s c h a f t , g e b u n d e n z u w e r d e n d u r c h j e d e n R e c h t s s a t z , in dem Sinne, daß sie gehalten ist zu seiner Vollziehung. Das kommt hier zur Wirksamkeit. Die Gesetz walten Der

vollziehende Gewalt ist allerdings selbst der Staat, wie das auch, das sie bindet. Durch die Idee der Trennung der Gewird dieses Ergebnis erst denkbar 8 . Rechtssatz wäre nicht gesichert, bände er nicht jedesmal

Gesetz niemals gebunden . . . wohl aber jeder, der die Staatsgewalt nach dem Willen des Staates zu handhaben hat." Die Verwaltungsgesetze sind vielmehr „Befehle der Staatsgewalt an die Behörden und Beamten und an die übrigen Körperschaften und Personen, welche staatliche Funktionen zu verrichten haben. So auch S e 1 i g m a η η , Begr. d. Ges. S. 98 ff. ; Β i e r 1 i η g f Krit. d. jur. Grund« begr. 1 S. 334; F l e i n e r , Instit. S. 127. 8 Die ganze Herrschaft des Gesetzes hat ihre Spitze gegen die vollziehende Gewalt (vgl. oben § 6 Eing.). Für den Vorbehalt und den Vorrang haben wir das schon genauer nachgewiesen (§ 6 n. 2 u. n. 3); für die Rechtssatzkraft bekommt es hier seine Ergänzung. Dazu ist ja das kunstvolle Gebilde der Trennung der Gewalten erdacht und übernommen worden, um Ordnungen wie diese bindende Kraft des Gesetzes möglich und begreifbar zu machen. Hic Rhodus! So T h o n , Rechtsnormen S. 141: „Erst die Verteilung der verschiedenen staatlichen Funktionen unter verschiedenen Organe, insbesondere die Trennung der legislativen von der regierenden Gewalt, machen es möglich, daß dieser Willensentschluß, von bestimmten Organen des Staates gefaßt und verkündet, für den anderen zur Ausführung berufenen Teil zugleich einen Imperativ enthält." Vgl. S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 39. Auch bei L a b a n d scheint dazwischen die Idee der vollziehenden Gewalt hier aufzudämmern, wenn er, St.R. I I S. 68, als das, was durch Gesetz oder Gewohnheit so gebunden werden soll, daß die Anordnung „den Charakter des Rechtssatzes" habe, bezeichnet: „die Verwaltung als solche, d. h. den Staat in seiner verwaltenden Funktion". Was er hier Verwaltung nennt, ist eben die Vollziehung im Sinne von vollziehender Gewalt.

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Zweiter Abschnitt.

Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

die g a n z e vollziehende Gewalt.

Alle Zuständigkeiten i n Justiz u n d

V e r w a l t u n g s i n d n u r Stücke v o n i h r . durch

die ganze K e t t e ,

welche eine

So w i r k t ihre

Gebundenheit

Sache durchlaufen

u n t e n aus bis h i n a u f z u m Staatsoberhaupt.

mag,

von

K e i n e Stelle, welche i n

i h r e r Z u s t ä n d i g k e i t d a m i t i n B e r ü h r u n g k o m m t , k a n n sich i h r entziehen ohne R e c h t s w i d r i g k e i t 9 . D e r Rechtssatz w i r k t so, a u c h w e n n er n i c h t v o m Gesetz selbst ausgeht.

W o e i n Verordnungsrecht

besteht, b i n d e t die verordnende

Stelle s i c h s e l b s t ; sie k a n n v i e l l e i c h t i h r e V e r o r d n u n g wieder aufheben, aber solange diese besteht, i s t sie gehalten, i h r e n eigenen Rechtssatz z u vollziehen, u n d h a n d e l t r e c h t s w i d r i g , w e n n sie d a v o n a b w e i c h t 1 0 . N o c h mehr, a u c h die h ö h e r e Stelle, m i t Einschluß der obersten selbst, i s t i n der gleichen Weise gebunden a n den

Verordnungsrechtssatz

ihrer Untergebenen11. 9 Die Gebundenheit kommt natürlich nicht bei allen diesen Stellen der vollziehenden Gewalt gleichzeitig und gleichmäßig zum Vorschein, sondern je nachdem sie ihrer Zuständigkeit nach mit dem Gesetz in Berührung kommen: die einen haben vielleicht gar nichts damit zu tun, die anderen im Gregenteil sollen es vollziehen, wieder andere es wenigstens nicht durchkreuzen, wo in ihrer Zuständigkeit die Gelegenheit dazu gegeben wäre. Um letzteres handelte es sich in einem berühmt gewordenen Falle. Dem preuß. Minister v. L u c i u s war durch einen königlichen Gnadenakt die gesetzliche Stempelsteuer erlassen worden. Die Rechtsgültigkeit dieses Aktes war sehr zu bezweifeln. Aber nun erhob sich ein vergebliches Suchen nach preußischen Verfassungsartikeln, die ihn verbieten sollten. I m Landtag berief man sich auf Art. 62; auch Art. 101 sollte zutreffen. B o r n h a k , in Arch. f. öff. R. V I S. 318ff., stützt sich auf Art. 100, J o e l , in Annalen 1891 S. 417 ff., auf Art. 104. L a b a η d , in Arch. f. öff. R. V I I S. 169, hat mit dieser Paragraphenjuristerei leichtes Spiel; es kommt alles nur auf einen -allgemeineren Grundsatz an, der da gilt, obwohl die Verfassung ihn nicht ausdrücklich nennt: der konstitutionelle Monarch kann danach nicht „eine bestimmte Wirkung, welche kraft der Rechtsordnung an einen Tatbestand geknüpft wird, im einzelnen Falle durch einen Akt der Staatsgewalt aufheben" (S. 193, 194). I n unserer Ausdrucksweise gesagt: auch er unterliegt der bindenden Kraft des Rechtssatzes. L a b a n d freilich rechtfertigt nachher doch noch jenen Gnadenakt durch ein besonderes aus dem Absolutismus herüber gerettetes Steuerbegnadigungsrecht. Das ist eine andere Frage; vgl. unten § 28, I I I Eing. u. n. 1. 10 O.V.G. 20. Dez. 1876 (Entsch. I S. 399), 27. Juni 1877 (Entsch. I I S. 425): worüber eine Behörde Polizeiverordnungen erlassen kann, kann sie auch Verfügungen für den Einzelfall frei erlassen, aber nur, „solange Vorschriften solcher Art (Verordnungen) nicht ergangen sind" — auch von i h r s e l b s t nicht! Vgl. auch Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 75. 11 Der Rechtssatz selbst kann der Behörde, die ihn erließ, vorbehalten, im Einzelfall durch Erlaubnisse, Dispensationen davon zu entbinden; ebenso kann das einer oberen Stelle vorbehalten sein. Das lockert dann die Gebundenheit, ohne den grundsätzlichen Standpunkt zu verrücken. Vgl. S e y d e 1, Bayr. St.R. I I I S. 557, 558.

§ 8. Die Verwaltungsrechtsquellen.

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So erweist sich überall die vollziehende Gewalt als die Einheit, welche die allgemeine Wirkung des Rechtssatzes auch nach dieser inneren Seite vermittelt. 3. Die Zweiseitigkeit der Wirkung des Rechtssatzes läßt diesen in det doppelten Richtung auseinandergehen, daß für den getroffenen S t a a t s u n t e r t a n bestimmt wird, was für ihn Rechtens sein soll, und zugleich die v o l l z i e h e n d e G e w a l t gebunden wird, in entsprechender Weise mit i h m zu verfahren. Beides findet rückwärts seine Einheit i m Gesetz, dessen Ausflüsse unmittelbar oder mittelbar alle Rechtssätze sind, und folglich seine Gewähr i n allen staatlichen Mächten, die berufen sind, für das Gesetz einzutreten. Dazu kommt aber noch als Abschluß des Ganzen, daß auch die beiden Enden jener Wirkung noch einmal zusammengebunden sind durch das R e c h t des B e t e i l i g t e n . Er ist nicht bloßer Gegenstand des Rechtssatzes, der für ihn wirksam bestimmt, sondern zu seinen Gunsten wirkt rechtlich auch die Gebundenheit, welche dieser entsprechend begründet auf der anderen Seite: die Gebundenheit der vollziehenden Gewalt besteht unmittelbar auch ihm gegenüber. Soweit sie ihm zugute käme i n Gewährung von Vorteilen, Verhütung oder Begrenzung von Nachteilen, hat er Anspruch auf ihre Einhaltung, und die Nichteinhaltung ist R e c h t s v e r l e t z u n g a n i h m . Auch in der Verwaltung wird das, wie i n der Justiz, zu eigentlichen Rechtsbefugnissen sich verdichten (unten § 10) und in gewissem Maße ausgestattet werden mit besonderen Rechtsschutzeinrichtungen (unten § 12 ff.). Das bedeutsame Ergebnis ist auch hier, daß so der Einzelne berufen wird zum Mitarbeiter an der unverkümmerten Geltung des Rechtssatzes durch den Kampf ums Recht, den er um seines eigenen Vorteils willen führt. § 8.

Die Yerwaltungsrechtsquellen. W i r folgen der üblichen Einteilung: Gesetz, Verordnung, autonomisches Statut, Gewohnheit. Dabei sind uns aber ordentliche Rechtsquellen des Verfassungsstaates nur das Gesetz und die von ihm abgeleiteten Arten der Erzeugung von Rechtssätzen. Inwieweit älteren Rechtszuständen entsprechende Entstehungsarten noch hereinragen, ist zu untersuchen. Eine Hauptaufgabe wird sein die Ausscheidung gewisser nebenher laufender Erscheinungen, die Ähnliches wie Verwaltungsrechtssätze hervorbringen. 1. A n der Spitze steht das v e r f a s s u n g s m ä ß i g e Gesetz. Verwaltungsrechtsquelle ist es, sofern es auf das Verhältnis zwischen B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. i . 3. Aufl.

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82

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

der öffentlichen Gewalt und ihren Untertanen i n der Verwaltung sich bezieht und Rechtssätze dafür enthält. Wenn wir von V e r w a l t u n g s g e s e t z schlechthin sprechen, so verstehen wir ein Gesetz von solchem Inhalt darunter 1 . Unser Vorrat von Verwaltungsrechtssätzen weist aber daneben immer noch eine Menge von Anordnungen auf, die unter dem Namen von Gesetzen gehen, ohne die Form unseres verfassungsmäßigen Gesetzes zu haben. Sie entstammen der Zeit vor Einführung der Verfassung. Was damals als Gesetz auf die Untertanen wirken und von den Gerichten angewendet werden sollte, mußte gehörig veröffentlicht worden sein. Außerhalb des Bereiches der Justiz war die Veröffentlichung Zweckmäßigkeitsfrage (vgl. oben § 4, I I ) . Als nun die Verfassung kam und man überall die ihr entsprechenden Gesetze brauchte,, auch i n der Verwaltung, schon wegen der jetzt unentbehrlichen gesetzlichen Grundlage für Eingriffe i n Freiheit und Eigentum, da konnte man nicht daran denken, diese Gesetze eiligst i n der neuen Form fertig zu stellen. Man übernahm einfach als solche alle vorhandenen landesherrlichen Anordnungen allgemeinen Inhalts schlechthin nach dem äußerlichen Maßstab, daß sie v e r ö f f e n t l i c h t waren 2 . Das ist überall so geschehen, als selbstverständlich, ohne besondere Übergangsbestimmung. Aber natürlich hat man auf diese Weise für die Verwaltung eine Menge von Vorschriften zu Gesetzen i m neuen Sinne gemacht, bei welchen nie beabsichtigt gewesen war, den Fürsten selbst und die ganze vollziehende Gewalt zu binden oder eine Grundlage für polizeiliche Eingriffe zu gewähren, die ja keiner bedurft hatten 3 . Der Rechtsstaat hatte manchmal an dieser Erbschaft nicht leicht zu tragen. I h r Bestand wird durch die neue Gesetzgebung allmählich verdrängt. 2. Die wichtigste ordentliche Verwaltungsrechtsquelle abgeleiteter 1

G. M e y e r - D o c h o w , Verw.R. I S. 17; S a r w e y , Allg. V.R. S. 37. G n e i s t , Rechtsstaat S. 218; A r n d t , Verord.R. S. 30. — T h o m a , Polizeibefehl S. 111 ff., legt mehr Gewicht auf „die Konstruktion eines Übergangsrechts", wonach die Verwaltung einstweilen freie Hand haben sollte, die unvermeidlichen Eingriffe „ohne formellgesetzliche Rechtsgrundsätze" zu machen. Tatsächlich wird es häufig so gegangen sein, wie S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 32 mißbilligend von der Zeit nach der Verf.Urk. berichtet: wo die gesetzliche Grundlage fehlte, „half die Verwaltung sich selbst". Nur möchte ich das kein „Recht" nennen. 3 Das berühmteste Beispiel gibt A.L.R. I I 17 § 10, der ursprünglich nichta anderes bedeutete als: über die Polizei in ihrem bekannten Begriff wird im A.L.R. nichts bestimmt. 2

§ 8. Die Verwaltungsrechtsquellen.

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A r t finden wir in der V e r o r d n u n g . Sie sollen bedeuten eine s t a a t l i c h e W i l l e n s e r k l ä r u n g m i t R e c h t s s a t z k r a f t , die n i c h t i n F o r m des Gesetzes e r g e h t . „Staatliche Willenserklärung" zum Unterschied vom Statut (unten n. 3); „nicht in Form des Gesetzes" — sie findet ihren Ausgangspunkt bei den m i t der Ausübung vollziehender Gewalt betrauten Stellen. Da i n dieser Gewalt die Fähigkeit, Rechtssätze zu schaffen, nicht enthalten ist, so bedarf die Verordnung einer besonderen Übertragung dieser Fähigkeit von der gesetzgebenden Gewalt her. Sie wird gewährt durch a u s d r ü c k l i c h e E r m ä c h t i g u n g , welche die einzelnen Gesetze erteilen, wohl auch durch die kraft Verfassungsbestimmung sich an jedes Gesetz stillschweigend knüpfende Ermächtigung zu sogenannten A u s führungsverordnungen. Unabhängig vom Gesetz besteht die i n den Landesverfassungen vorbehaltene N o t v e r o r d n u n g , eine mit der vollen Kraft des Gesetzes wirkende allgemeine Anordnung der obersten Stelle, welche i n Notfällen und i n vorläufiger Weise, d. h. unter der Bedingung der nachzuholenden Genehmigung der Volksvertretung, erlassen werden konnte 4 . I m Gegensatze zum Gesetz muß die Willensäußerung der vollziehenden Gewalt, um Rechtssätze hervorbringen zu können, sich immer über den besonderen Rechtsgrund dafür ausweisen. Der Verordnende bedarf eines Rechtstitels, auf dem sein V e r o r d n u n g s r e c h t beruht. Daraus ergibt sich die äußerliche Abgrenzung der Verordnung von anderen Akten der vollziehenden Gewalt: sie ist der A k t eines V e r o r d n u n g s b e r e c h t i g t e n , d u r c h w e l c h e n dieser sein V e r ordnungsrecht ausüben will. Reicht das Verordnungsrecht dafür nicht aus, so ist es eine ungültige Verordnung, aber doch eine Verordnung. Es können i n ihr andererseits, wie i m Gesetz, auch nicht rechtssatzmäßige Vorschriften, Dienstanweisungen u. dgl. m i t enthalten sein 5 . 4

Unter den preußischen Juristen war die Ansicht aufgestellt worden, daß der Krone allgemein ein „selbständiges Verordnungsrecht" zustehe praeter legem: G η e i s t , Verw., Just., Rechtsw. S. 94; A r η d t , Verord.R. S. 64 ff. ; B o r n h a k , Pr. St.R. I S. 437. Dagegen vor allem A n s c h ü t z , Gegenwärt. Theorien S. 25 ff. Für Österreich hat Ζ ο 1 g e r , Östr. Verord.R. S. 93 ff., gleichfalls etwas wie ein selbständiges Verordnungsrecht behauptet. Das beruht aber wie bei seinen preußischen Vorbildern wesentlich auf einer Verwechslung mit der Verwaltungsvorschrift. Vgl. a. a. 0. S. 110ff.; dazu Arch. f. öff. R. X I V S. 137. 6 Nicht dagegen gibt es eine Verordnung für den Einzelfall, wie es ein Gesetz für den Einzelfall gibt: die Richtung auf den Rechtssatz ist der Verordnung wesentlich, dem Gesetz nicht. Dazu Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 61 Note 7. Un-

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Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

Verwaltungsrechtsquelle ist die Verordnung, sofern sie Rechtssätze enthält für das Verhältnis zwischen der öffentlichen Gewalt und dem Untertan i n der Verwaltung; dem Verwaltungsgesetz entspricht dann die V e r w a l t u n g s v e r o r d n u n g . — Neben der Verordnung stehen noch andere Vorschriften allgemeiner A r t , die von der vollziehenden Gewalt ausgehen, die V e r w a l t u n g s vorschriften 6. Sie setzen voraus eine besondere rechtliche Abhängigkeit, i n welche die Einzelnen getreten sind gegenüber der einen bestimmten Zweck verfolgenden öffentlichen Verwaltung, u m dessen willen sie ihnen nun das Erforderliche vorschreibt. Denn die Verwaltungsvorschrift wirkt nicht m i t der schlechthin verbindlichen Kraft des Rechtssatzes, vermöge vom Gesetze abgeleiteten Rechtes, sondern m i t der Kraft jenes besonderen Abhängigkeitsverhältnisses, Gew a l t v e r h ä l t n i s genannt, welche von der Verwaltung, der es zur Verfügung steht, aus e i g e n e m R e c h t e dadurch geltend gemacht wird. Sie wirkt eben deshalb nicht auf das Publikum, für jeden, den es angeht, sondern lediglich auf die i n dem Gewaltverhältnis schon Begriffenen. Sie wird daher auch nicht kundgegeben m i t den formalen Veröffentlichungsgrundsätzen des Gesetzes und der Verordnung, vorsichtiges Umgehen mit der Bezeichnung N o r m , die man bald für Rechtssatz, bald für rechtliche Bestimmung des Einzelfalles gebraucht, richtet hier Verwirrung an. Manchmal scheint man auch absichtlich die Sache damit im unklaren zu lassen. 6 So vor allem R.Verf. 1919 Art. 77 : „Die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften erläßt die Reichsregierung." Ähnlich schon R.Verf. 1871 Art. 7: „Der Bundesrat beschließt . . . 2. über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen VerwaltungsVorschriften und Einrichtungen." I m Anschluß an die älteren Verfassungen handelte H. A Z a c h a r i a e , St.R. I I S. 171 N. 8 von der Verordnung, die „aus dem Aufsichts- und Verwaltungsrechte fließt", und belegte damit die Befugnis des Landesfürsten „zur Anordnung der zur Ausführung der Gesetze erforderlichen A n s t a l t e n und die Erlassung allgemeiner I n s t r u k t i o n e n für die dazu bestimmten Behörden* '. Das ist der Art. 7. Das Wort Verordnung hatte inzwischen den bestimmteren Sinn aufgeprägt bekommen in der Richtung des Rechtssatzes. Deshalb wurde für die „aus dem Verwaltungsrechte (dem Rechte zu verwalten) fließende" ein anderer Ausdruck gewählt. I n der neueren Literatur ist dagegen die Unterscheidung beliebt geworden von Rechtsverordnung und Verwaltungsverordnung (Zusammenstellung bei L a b a n d , St.R. I I I S. 87 Note 2). Wenn aber jetzt Verordnung im Gegensatz zu Verwaltungsvorschrift schlechthin schon Rechtssetzung bedeutet, so ist die „Verwaltungsverordnung" eine solche, die Recht setzt für das Gebiet der Verwaltung wie in „Verwaltungsgesetz" der Zusatz ja auch nicht einfach die Verneinung der Rechtssetzung ausdrückt.

§ 8. Die Verwaltungsrechtsquellen.

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sondern hat ihre eigene Art, eine genügende tatsächliche Bekanntschaft zu erzielen, sich den Beteiligten zugänglich zu machen, die dann ihrerseits durch das Gewaltverhältnis gehalten sind, sich u m die gehörige Kenntnisnahme zu bemühen. Auf das grundlegende Gewaltverhältnis wird i n Zusammenhang m i t der Lehre vom Verwaltungsakt zurückzukommen sein 7 . Von einer Verwaltungsrechtsquelle ist hier selbstverständlich nicht die Rede. 3. I n beschränkterem Maße wirkt die dritte Rechtsquelle, das autonomische Statut, die m i t R e c h t s s a t z w i r k u n g a u s g e s t a t t e t e körperliche Satzung. Unter K ö r p e r s c h a f t verstehen wir eine i m Staate einbegriffene Menschengemeinschaft, die als Ganzes selbständig Rechtsfähigkeit besitzt. S a t z u n g e n sind die Vorschriften, die i n ihrem Namen erlassen werden zur Regelung ihrer Angelegenheiten. Ö f f e n t l i c h e K ö r p e r s c h a f t e n sind solche, deren Angelegenheiten zugleich als Stücke öffentlicher Verwaltung anzusehen sind (vgl. unten § 55). Ist ihren Satzungen die Kraft verliehen, Rechtssätze zu schaffen (Autonomie, Selbstgesetzgebungsrecht), so werden sie Verwaltungsrechtsquellen. Die Körperschaften, welche sich so ausgestattet finden, sind vor allem die Selbstverwaltungskörper (Ortsgemeinden und höhere Kommunalverbände; vgl. unten § 58), i n gewissem Maße auch öffentliche Genossenschaften (vgl. unten § 57). Nie versteht sich das von selbst. Das Selbstgesetzgebungsrecht bedarf i m Verfassungsstaate, wie das Verordnungsrecht, einer Grundlage, die nur das Staatsgesetz i h m geben kann. Es handelt sich wieder u m abgeleitete Rechtsschaffung 8 . Die Verwaltungsrechtsquelle : körperschaft7

Vgl. unten § 9, I I I . Der Ausdruck „allgemeine Verfügung", den Ζ a c h a r i a e , St.R. I I S. 168, dafür gebraucht, weist schon auf diesen Zusammenhang hin. 8 L a b a n d , St.R. I S. 106: „Autonomie setzt daher eine nicht souveräne öffentliche Gewalt voraus, der die Befugnis zusteht, kraft eigenen Rechts verbindliche Rechtsnormen aufzustellen"; I I S. 11: „Rechtsverbindliche Anordnungen von Rechtssätzen seitens der Gemeinden und anderer öffentlich-rechtlicher Verbände . . . k ö n n e n auch Gesetze im materiellen Sinne des Wortes sein, wenn ihnen der Staat eine solche Befugnis delegiert hat". Richtig auch S t i e r - S o m l o , Einwirkung S. 147. R ο s i η , Arbeiter-Vers. I S. 102, unterscheidet von der Satzung als der „autonomen Betätigung der eigenen Verbandspersönlichkeit, welche vom Gesetz zwar anerkannt, aber nicht verliehen ist", Erweiterungen der Satzungsgewalt über ihren natürlichen Herrschaftsbereich hinaus, die durch einzelne Reichsgesetze geschehen sind; das letztere nennt er „wahre Delegationen der gesetzgebenden Reichsgewalt". Rechtssätze gibt nach uns nur dieses. R ο s i η steht hier unter G i e r k e s Einfluß, für welchen Autonomie als Fähigkeit, in gewissem Umfange Rechtssätze zu schaffen, jedem Ver-

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Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungerechts Ordnung.

liehe Satzung, erscheint dann i n dem Akte, durch welchen der Selbstgesetzgebungsberechtigte von seinem Rechte Gebrauch machen will. Daß er nicht namens des Staates ergeht, sondern aus eigenem Rechte des Verbandes, macht den Unterschied von der Verordnung aus u n d hat namentlich eine größere Unabhängigkeit des Erlassenden zur Folge gegenüber oberen Behörden. Sonst steht die körperschaftliche Satzung der Verordnung gleich. Der S e l b s t v e r w a l t u n g s k ö r p e r fügt auch gern seiner Satzung, wie der Staat seiner Verordnung, noch andere Bestimmungen bei, die keine Rechtssätze sind, sondern V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t e n i m obigen Sinne (Dienstanweisungen für seine Beamten, Ordnungen für den Betrieb der Gemeindeanstalten) 9 . Das w i r d dann wohl alles unterschiedlos oder m i t einer gewissen Auswahl i n den zu Gebote stehenden örtlichen Blättern bekannt gemacht, von Zeit zu Zeit auch i n einer amtlichen Sammlung vereinigt. Wenn es darauf ankommt, müssen wir immer wieder die Scheidung vornehmen können nach dem Maßstab unserer festen Begriffe 1 0 . Bei der ö f f e n t l i c h e n G e n o s s e n s c h a f t findet sich ein eingeräumtes Selbstgesetzgebungsrecht und daraus hervorgehende Satzung verhältnismäßig seltener. Dafür gibt es hier noch zweierlei andere Ordnungen allgemeiner A r t , die man m i t dem Namen Statut bezeichnet. I m Gegensatz zur Gemeinde bilden nämlich die Angehörigen der bande von Natur zusteht: Deutsch. Pr. R. I S. 142, 148. So auch F l e i n e r , Inst. S. 72: die Autonomie ist „eine vom Staate unabhängige Rechtsquelle". Das aber bestreite ich. Mir scheint, daß hier ein Zusammenwerfen zweier verschiedener Dinge vorliegt; vgl. unten Note 11. 9 J e b e η s in Pr. Verw.Bl. X X I S. 330 ff. weist darauf hin, daß auch die Preuß. Kr.Ord. und die Prov.Ord. unterscheiden: „Besondere statutarische Anordnungen" und „Reglements über besondere Einrichtungen" des Verbandes; letztere sind nur „Direktiven für die leitenden Gemeindeorgane". Die herrschende Meinung, von welcher V o g e l s , Arch. d. öff. R. 39 S. 121 ff., berichtet, scheint auf den Unterschied zwischen den echten Ortsstatuten und diesen Verwaltungsvorschriften keinen Wert zu legen. 10 Als Leipziger Stadtverordneter besaß man zu meiner Zeit fünf Bände „Sammlung der Ortsgesetze der Stadt Leipzig". Die rechtliche Natur der darin enthaltenen Vorschriften läßt an Mannigfaltigkeiten nichts zu wünschen übrig. •— Die Unterscheidung wird vor allem unter dem Gesichtspunkte wichtig, daß alles, was Rechtssatz sein soll, an das „formelle Publikationsprinzip" gebunden ist (R ο s i η , Polizei verord. R. S. 259 ff.; L u k a s , Gesetzespubl. S. 7 ff.; L a b a η d , in Arch. f. öff. R. X V I I I S. 309 ff.; Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 430 ff.); für Verwaltungsvorschriften aber genügt, daß sachlich das Zweckmäßige geschehen ist. Das Preuß. O.V.G. und ebenso das R.G. haben hier die Grenzlinie nicht immer richtig gezogen: J e b e η s , in Pr. Verw.Bl. X X I S. 333 ff.; Α η s c h ü t ζ , in Pr. Verw.Bl. X X I I S. 86.

§ 8. Die Verwaltungsrechtsquellen.

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öffentlichen Genossenschaft einen Verein, dessen innere Gestaltung i m wesentlichen der des privatrechtlichen Vereines entspricht. Die Gründung des Vereins setzt voraus die Feststellung der Verfassung, nach welcher er leben soll, das G r ü n d u n g s s t a t u t . Das ist Vertrag oder Verwaltungsakt, i n keinem Falle Rechtssatz. Der ins Leben getretene Verein aber hat, nach Maßgabe dieses Statuts, eine gewisse Macht über seine Mitglieder, um durch seine Vertreterschaft genauer zu bestimmen, was ihnen zukommt und was sie zu leisten haben. Diese Macht ist die Vereinsgewalt. Die einzelnen Akte, durch welche sie ausgeübt wird, heißen Statuten, besser, zum Unterschied vom Gründungsstatut, s t a t u t a r i s c h e V o r s c h r i f t e n . Sie sind bei der öffentlichen Genossenschaft ebensowenig Rechtssätze wie beim privatrechtlichen Verein: sie wirken nur m i t der Kraft der bereits begründeten allgemeinen Mitgliedspflicht. Bei der öffentlichen Genossenschaft, wo diese Mitgliedspflichten öffentlichrechtlicher Natur sind, stehen die statutarischen Vorschriften unseren Verwaltungsvorschriften gleich 1 1 . 4. Alles bisher Betrachtete bedeutete gesetztes Recht; dem steht nun gegenüber das G e w o h n h e i t s r e c h t , als das ungesetzte, das seine Entstehung auf die tatsächliche Übung, die Gewohnheit, zurückführt. Man hat damit sehr viel juristische Mystik getrieben. Für uns gibt es kein Recht ohne die öffentliche Gewalt. Sie braucht es freilich nicht förmlich zu setzen und als verbindliche Regel ihren Unter11

Die Regelung des Lehrlingswesens nach Gew.O. § 81 a Ziff. 3 verpflichtet die Meister, die der Innung angehören, dieser gegenüber durch einen Akt der Vereinsgewalt. Wenn dagegen die Innung auf Grund der Ermächtigung in § 130 die im Innungsgewerbe zulässige Zahl von Lehrlingen beschränkt, so wirkt das a u c h für solche, die der Innung nicht angehören, insbesondere für die Lehrlinge, die das zivilrechtlich verwerten können. Daran zeigt sich aber die besonders verliehene Rechtssatzkraft. Sie bildet die Ausnahme. Ordentlicherweise beschränkt sich die Wirksamkeit der Innung auf ihre Mitglieder, und diesen gegenüber kommt sie mit der Vereinsgewalt aus. Die Lehrmeinung, welche hier überall Autonomie und rechtsnormschaffende Satzung sieht, kommt deshalb zu der für einen Rechtssatz auffallenden Feststellung, diese körperschaftlichen Rechtssätze gälten nur für die Angehörigen des Verbandes ( G i e r k e , Deutsch. Priv.R. I S. 152 ff.; R ο s i η , R. d. öff. Genossensch. S. 187 ff.; derselbe, Arb.Vers. I S. 101 ff.; S t i e r - S o m i o , Einwirkung S. 148; F 1 e i η e r , Instit. S. 73); dann wird aber doch die Ausnahme vermerkt, daß es Fälle gibt, wo die Satzung „von vornherein auch Nichtmitglieder verbindet" ( G i e r k e , Deutsch. Priv.R. I S. 158 Note 47; R o s i n , Arb.Vers. I S. 102; F l e i n e r , Instit. S. 73.). Es sollte einleuchten, daß die Satzung im zweiten Fall etwas ganz anderes ist als im ersten.

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gebenen aufzuerlegen. Sonst gäbe es kein V ö l k e r r e c h t für die Staaten und kein V e r f a s s u n g s r e c h t für die Könige; hier begnügen wir uns für den Namen Recht damit, daß t a t s ä c h l i c h gewisse R e g e l n v o n der ö f f e n t l i c h e n Gewalt beobachtet und w a h r g e n o m m e n sind und eine gewisse G e w ä h r b e s t e h t , daß sie dabei v e r h a r r e , Gewähr, die tatsächlich kräftig genug wirkt, um die Sache zuverlässig zu machen : eigener Vorteil, sittliches Pflichtgefühl, Gottes- oder Menschenfurcht; es braucht weiter gar nichts Juristisches dabei zu sein 12 . I n gleicherweise kann auch Recht entstehen für das Gebiet der J u s t i z . Sie ist durch ihr A m t dazu gedrängt, nach allgemeinen Regeln zu verfahren. Daher ihr „Hunger nach Rechtssätzen"; gibt ihr der Staat keine, so nimmt sie dafür, was bisher eingehalten worden ist zwischen den Leuten, von den Behörden, und macht es dadurch zu Recht 1 3 . Der Staat, der die Rolle des Dienstherrn der Justiz übernimmt, läßt sie gewähren, weist sie vielleicht ausdrücklich noch dazu an. Er kann aber auch, wenn er der Meinung ist, ausreichend gesetztes Recht zu liefern, das Gewohnheitsrecht ganz verbieten; dann gibt es keins mehr. Unsere Verwaltung findet sich jetzt einem Staate gegenüber, dem das für das Gebiet der Justiz eine offene Frage i s t 1 4 . Wenn die Juristen gleichwohl auch für sie das Gewohnheitsrecht wie etwas Selbstverständliches ansehen, so ist dieses nur ein Beweis für die ungeheure Macht der Gewohnheit 15 . Für die V e r w a l t u n g steht die Sache von Anfang an ganz anders. Der Hunger nach Rechtssätzen liegt nicht i n ihrer Natur. Sie ist lange Zeit ihren Weg gegangen ohne alle. Der Rechtsstaat erst w i l l sie „möglichst" m i t solchen versehen, soweit es nämlich vereinbar ist mit ihrer A r t und Aufgabe 16 . Er liefert sie ihr durch sein Gesetz 12

A. M e r k e l , Enzykl. I 870 Note; S t a m m l e r , Theorie d. R.wiss. S. 114 ff.; derselbe, Wirtsch. und R. S. 124, 488, 492, 493; O.M. Völkerrecht und Völkermoral, Arch. d. öff. R. Bd. 38 S. 24 ff. 13 Β ü 1 ο w , Briefe eines Unbekannten S. 95, 103 ff. ; R ü m e 1 i η in Jahrb. f. Dogmat. X X V I I S. 204 ff. ; B. S c h m i d t , Das Gewohnheitsrecht als Form des Gemeinwillens S. 39. Der Volksgeist, der Gemeinwille, die stillschweigende Approbation des Staates und all die schönen Dinge, die man sonst noch hinter die rechtsohaffenden Behörden stellt, sind überflüssige Zutat. 14 Entw. I des B.G.G. ,Mat. Bd. I S. 4 ff. 15 Bl. f. adm. Pr. 1871 S. 391; Μ ο h l , Württ. St.R. I S. 76; S c h u 1 ζ e , St.R. I S. 11; B o r n h a k , Preuß. St.R. I S. 98. — Ohne jeden Gedanken an die Möglichkeit von Fragen, die hier auftauchen könnten, ist namentlich auch das früher um seines Titels willen gern zitierte Buch: L ü d e r s , das Gewohnheitsrecht auf dem Gebiet der Verwaltung, 1863. 16 Vgl. oben § 5, I I I . S p i e g e l , V.R.Wiss. S. 187 Note 62, zieht daraus den

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und die von diesem wieder ermächtigten Stellen i m wohlerwogenen Maße. Hier gibt es kein selbstverständliches Recht der ausführenden Behörden, durch ihre Übung Lücken auszufüllen; das wäre geradezu Anarchie. Wo gesetztes Recht fehlt, da ist es so gewollt und soll so bleiben. Wenn kein gesetzlicher Rechtssatz besteht, der die Behörde zu gewissen Eingriffen i n Freiheit und Eigentum ermächtigt, so darf nimmermehr die Verwaltung die nötigen Rechtssätze durch längere Übung sich selbst beilegen wollen. Wo andererseits die zur Rechtssetzung berufenen Stellen dem Beamtentum überlassen haben, nach pflichtgemäßem Ermessen i m Einzelfalle das Gute und Nützliche zu schaffen, da kann es sich nicht unter irgendwoher genommene Regeln stellen, um sich der Pflicht und Verantwortlichkeit zu entziehen. Die Verwaltung hat ihre eigene vernünftige Ordnung, die der Routine nicht zum Opfer fallen darf, weder der der Praxis noch der der Theorie. Die E n t s t e h u n g v o n G e w o h n h e i t s r e c h t i n Widerspruch m i t ihr m u ß als ausgeschlossen g e l t e n 1 7 . — Die klare Beantwortung der Frage wird erschwert durch allerlei N e b e n e r s c h e i n u n g e n , die hier hereinragen. Es sind ihrer vornehmlich drei. Vor allem haben wir Verwaltungsgewohnheitsrecht ü b e r k o m m e n aus vorhergehenden Entwicklungsstufen. Der Polizeistaat behandelte Schluß, ich dürfte das Gewohnheitsrecht für die Verwaltung nicht für unzulässig erklären, da es doch gewiß „möglich" sei. 17 Ähnlich G r o t e f e n d , Pr, Verw.R. I S. 38 Note 1; F l e i n e r , Inst. S. 76 ff. ; Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 108 ; Β r ä u e r , in Arch. f. öff. R. X X I S. 540. — Der Widerspruch, den diese Lehre erfahren hat, stützt sich im wesentlichen immer nur auf Fälle der sogenannten Observanz, die ich ja auch meinerseits gelten lasse. So S e i d 1 e r , Zur Lehre v. Gewohnheits-R. S. 35 ff. (vgl. dazu Arch, f. öff. R. X I V S. 132ff.); S t i e r - S o m l o , Einwirkung S. 131 ff.; G o e z , Verw. R.Pfl. in Württ. S. 159 ff. (die Beispiele, die er anführt, sind lauter Observanzen); A n s c h ü t z in Preuß. Verw.BL X X I I S. 86. Β r i e , in Wörterb. d. St. u. Verw.R. I I S. 200, der S e i d 1 e r zustimmt, möchte einen Fall bringen, der nicht unter die Observanz fiele, und beruft sich auf R.G. 16. Mai 1895 (Entsch. X X X V I I S. 179). Wenn aber dort eine Vorschrift der Hafenordnung dafür angesehen wurde, daß sie mit dem vor sieben Jahren erfolgten Umbau des Hafens „gegenstandslos geworden ist", so ist die Bezeichnung Gewohnheitsrecht doch nur eine ganz überflüssige Verschönerung für das, was sich auch so verstände. Eine umfassendere Zusammenstellung von Einwendungen gegen die hier vertretene Lehre bei S c h ο e η in Verw.Arch. Bd. X X V I I I S. 1 ff. I n unserem Sinne unterscheidet O.V.G 5. November 1908 (Entsch. L I I I S. 337) Kosten, die „den beteiligten Privatpersonen zur Last fallen", wofür „Rechts· Sätze im Wege der gewohnheitsrechtlichen Übung entstehen können" (Observanz), während „in Ausübung des Staatshoheitsrechtes vorzunehmende Handlungen nicht einen Gegenstand der gewohnheitsrechtlichen Übung bilden".

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m i t Hilfe seines Fiskusbegriffes fast alle vermögensrechtlichen Beziehungen des Staates als zivilrechtlich (vgl. oben § 4, I I I ) . Für das Zivilrecht floß aber damals die Quelle des Gewohnheitsrechtes noch stark genug. Die Ordnungen, die es erzeugte für allerlei Ansprüche gegen den Staat und für den Staat, haben dadurch nicht aufgehört zu gelten, daß wir sie jetzt samt den Ansprüchen, die sie betreffen, für öffentlichrechtlicher Natur ansehen und daß sie jetzt durch Gewohnheitsrecht nicht neu entstehen könnten. Dieses e r e r b t e G e w o h n h e i t s r e c h t besteht fort als öffentliches Gewohnheitsrecht, ähnlich wie die übernommenen älteren Gesetze (vgl. oben n. 1), bis die lebhafte Tätigkeit unserer ordentlichen Verwaltungsrechtsquellen es nach und nach verdrängt 1 8 . — Sodann gehörte hierher ein Rechtsinstitut, das beansprucht, heute noch i n voller Wirksamkeit zu stehen: die O b s e r v a n z . Sie wird bezeichnet als eine Gewohnheit, welche sich ausgebildet hat innerhalb des Kreises der an dem Bestände einer öffentlichen Einrichtung Beteiligten für ihre auf diese Gemeinschaft bezüglichen Verhältnisse 19 . Die Observanz entstammt einer niederen Entwicklungsstufe des Gemeinlebens, wie sie besonders in ländlichen Verhältnissen sich darstellt. Was g e m e i n s a m e n B e d ü r f n i s s e n dient, wird von denen besorgt, die die nächsten dazu sind, i n einer von selbst sich ergebenden Ordnung, die nach dem Maße des Beteiligtseins und der Leistungsfähigkeit sich richtet. Das befestigt sich durch die Sitte, hängt a m Gut, am Grundstück, am Viehbestand und erfaßt jeden, der m i t solchen Beteiligungsmerkmalen neu i n diesen örtlichen Verband eintritt. Der Polizeistaat nimmt sich dieser Wege-, Brücken-, Schul-, Armenverbände kräftig an und erzwingt die üblichen Leistungen obrigkeitlich; es entsteht die öffentliche V e r b a n d s l a s t (vgl. unten § 48, I I ) . Wegen des Verteilungsmaßstabes beläßt er es bei dem Vorgefundenen. Es ist anerkannt, daß unter den Beteiligten Verschiebungen eintreten können durch die Rechtstitel des Vertrags oder der Ersitzung. Die ohne solche Besonderheiten schlechthin auf die Beteiligung am Verbände gegründete Pflicht führt man dann der guten Ordnung halber auf ein örtlich und persönlich beschränktes Gewohnheitsrecht zurück m i t dem aktenmäßig klingenden Namen Observanz. 18

Als Beispiel diene der in R.G. 13. Januar 1883 (Entsch. X I I S. 4) bezeugte gemeinrechtliche Rechtssatz, wonach eine Entschädigungsanspruch gegen den Staat begründet ist bei Aufhebung wohlerworbener Rechte. 19 O.Tr. 16. Dez. 1870 (Str. L X X X S. 179); O.V.G. 29. Okt. 1887 (Entsch. X V I S. 292), 2. Juli 1896 (Entsch. X X X S. 297), 28. Nov. 1896 ( X X X I S. 196), 12. Mai 1905 (Entsch. X L V I I S. 143), 24. Nov. 1905 (Entsch. X L V I I I S. 213).

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Der Verfassungs- und Rechtsstaat hat diese Verhältnisse fortbestehen lassen; sie haben ein ziemlich mannigfaltiges Anwendungsgebiet gewonnen, auch auf städtischem Boden; man meint sogar, daß dergleichen sich jetzt noch neu bilden könne. Dann hätten wir soweit allerdings auch heute noch die Gewohnheit als Verwaltungsrecht squelle. Es darf aber wohl der Zweifel aufgeworfen werden, ob es sich hier i n Wahrheit auch u m ein Gewohnheitsrecht handelt. Die Pflichtenverteilung innerhalb eines solchen Verbandes bedeutet keinen Rechtssatz, sondern Ordnung einer ganz bestimmten Reihe von Einzelverhältnissen. Das Übereinkommen und die Ersitzung, bei denen es sich doch n u r um subjektive Rechte handeln kann, liefern dazu vollkommen gleichwertige Stücke 2 0 . Was hier Observanz und was Ersitzung sei, hat von jeher den Gerichten Mühe gemacht zu unterscheiden. U n d andererseits ist auch schon die Meinung vertreten, die Observanz selbst beruhe eigentlich nur auf einem übereinstimmenden Willensakte er Beteiligten 21 . Das liefe zuletzt doch wieder auf ein stillschweigendes oder vermutetes Vertragsübereinkommen hinaus. Daß dieses wirkt auch für künftige personae incertae, sollte auf dem Boden des Zivilrechts nicht ohne Vorbild sein. Sind diese Bedenken zutreffend, dann würde auch die Observanz keine Ausnahme bilden von der Unzulässigkeit neuen Gewohnheitsrechtes für die Verwaltung. — Endlich ist hier noch eine Erscheinung zu erwähnen, die dem Gewohnheitsrecht nahe steht und tatsächlich seinen Dienst t u n kann. Es ist das, was man wohl als „ R e c h t s g r u n d s ä t z e " der Gerichte bezeichnet oder als ihre „ f e s t s t e h e n d e R e c h t s p r e c h u n g " . Die Franzosen nennen es die jurisprudence des tribunaux 22. Die Gesetze 20

O.V.G. 7. Febr. 1883 (Entsch. I X S. 69), 15. Mai 1885 (Entsch. X I I S. 258): „ I n welchem Maße Dominium und Untertanen zu den Polizeianstalten beizutragen hatten, regelte sich meist durch Vertrag und Herkommen". — Man hat sich bemüht, den Vertrag für die Rechtssatznatur dieser Dinge unschädlich zu machen, indem man ihn unter dem Namen „Vereinbarung" zu einer Art „Rechtssatzung" stempelt, wobei wieder der fabelhafte „Gemeinwille" seine Dienste leisten muß: B i n d i n g , Gründung d. Nordd. Bundes S. 70; J e l l i n e k , Subj. öff. R. S. 204 ff.; Α η s c h ü t ζ , in Preuß. Verw.Bl. X X I I S. 89. Darüber G l e i t s m a n n im Verw. Arch. X S. 395 ff. 21 Die alte republikanische Idee nach Inst. I , 2,11 kommt dabei zu Ehren: O.V.G. 22. Mai 1886 (Entsch. X I I I S. 294); B. S c h m i d t , Gewohnheitsrecht S. 55; A n s c h ü t z , in Preuß. Verw.Bl. X X I I S. 88; F 1 e i η e r , Inst. S. 75. Darüber S t i e r - S o m l o in Verw.Arch. X S. 520. 22 A u b r y u. R a u , cours de dr. civ. I § 39 bis.

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geben ja der Justiz eine große Freiheit für die Auffindung des i n ihnen enthaltenen Rechtes. Die Unabhängigkeit der Gerichte und die unverbrüchliche Rechtskraft ihrer Entscheidungen ermöglicht ihnen, tatsächlich durchzusetzen, was sie unter Führung der obersten Gerichtshöfe als geltendes Recht angesehen wissen wollen, und das stark ausgeprägte Standesbewußtsein macht sie geneigt, dabei zu beharren und ihrem Rechtsgrundsatz eine gewisse Zuverlässigkeit zu geben. So vermag namentlich i n Frankreich die feststehende Rechtsprechung der Gerichte das verbotene Gewohnheitsrecht zu ersetzen. Wirkliches Gewohnheitsrecht ist es nicht: wenn heute der Kassationshof anderer Meinung wird, bricht er m i t der Tradition und muß er mit ihr brechen. Auch bei uns ist dergleichen von großer Wichtigkeit geworden, namentlich durch die Machtstellung des Reichsgerichts; vor dem daneben noch möglichen Gewohnheitsrecht hat es den Vorzug, daß der Richter dabei die Freiheit seiner wissenschaftlichen Erkenntnis nicht verliert. Wenn wir nun fragen, ob nicht auch für die Verwaltung wenigstens eine derartige feste Rechtsprechung aufkommen möchte, so bieten ja unsere höchsten Verwaltungsgerichte an sich ganz ähnliche Voraussetzungen wie die Justiz. Aber dafür spielen sie für das Gebiet der Verwaltung keineswegs eine so beherrschende Rolle: ihre Zuständigkeit ist sehr beschränkt, und statt des geschlossenen Zusammenhaltens des gesamten an der Handhabung des Rechts beteiligten Beamtentums, worin die Stärke der Justiz besteht, machen sich hier Unabhängigkeitstriebe der reinen Verwaltungsbehörden geltend. Das Verwaltungsgericht behält immer nur Recht für den einzelnen F a l l 2 3 . § 9.

Der Vcrwaltungsakt. I m Gegensatz zur vorausgehenden Entwicklungsstufe hat unser Rechtsstaat nicht bloß die flutende Masse der Verwaltungstätigkeit 23

Das Preuß. O.V.G. hatte unterm 8. Aug. 1876 ausgesprochen, daß es rechtswidrig sei, eine Versammlung deshalb aufzulösen, weil die Redner sich der polnischen Sprache bedienten. Die Polizei fuhr fort. Auf eine Interpellation im Abg.Hause erklärte der Minister: das Erkenntnis des O.V.G. beziehe sich natürlich nur auf den konkreten Fall (Sten. Ber. 1896/97 I S. 296, 297). Unterm 5. Okt. 1897 entschied das O.V.G. nochmals in jenem Sinn. Auf eine neue Interpellation im Abg.-Hause erklärte der Minister: „erwarte ruhig ab" (Sten.Ber. 1902 V S. 5411, 5412), d. h. die Verwaltung blieb bei ihrem Verfahren, bis sie bekanntlich im Reichsges. v. 19. April 1908 ihren Willen durchsetzte. — Der Satz von G i e r k e , Deutsch. Priv.R. I S. 179 Note 10: „Dagegen können natürlich nicht bloß die Zivilgerichte, sondern alle Gerichte (mit Einschluß der Verwaltungsgerichte) ein materielles Gewohnheitsrecht erzeugen", geht also in zweifacher Hinsicht zu weit.

§ 9. Der Verwaltungsakt.

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eingedämmt durch das Gesetz, sondern er läßt auch noch mitten drin fort und fort feste Punkte auftauchen, welche dem Einzelnen H a l t gewähren und i h n darüber sicherstellen, wohin es geht. Die Rechtseinrichtung, die das bewirkt, ist der Verwaltungsakt, e i n der V e r w a l t u n g z u g e h ö r i g e r o b r i g k e i t l i c h e r A u s s p r u c h , der d e m U n t e r t a n e n i m E i n z e l f a l l b e s t i m m t , was f ü r i h n R e c h t e n s sein soll1. Sein Vorbild ist das g e r i c h t l i c h e U r t e i l . Es findet aber bei diesem, wie es auch beim Gesetze geschah, eijie Anpassung statt, um es für die freie bewegliche Verwaltung verwendbar zu machen, und eine Abstreifung der durch die besonderen Zwecke der Justiz gegebenen Bestimmtheiten. I . Nicht übernommen ist das eigentümliche Verfahren, aus welchem das Justizurteil hervorgeht, der Prozeß mit*allem, was daran hängt, die Rechtskraft vor allem. Es kann auch noch übernommen werden; das gibt dann den besonderen Fall der Verwaltungsrechtspflege, wovon unten § 13 ff. gehandelt werden soll. Der gewöhnliche Verwaltungsakt bewahrt auch ohne das noch sehr Wesentliches von der A r t , wie die öffentliche Gewalt i m Urteil wirksam wird. 1. Nicht alle Ämter der Justiz sind auch fähig und berufen, Willenserklärungen von der besonderen Kraft hervorzubringen, die das Urteil bedeutet. Dazu ist eine bevorzugte A r t von Ämtern ausersehen, die r i c h t e r l i c h e n Ä m t e r . Aus ihnen werden in planmäßiger Zusammenordnung die Stellen gebildet, von welchen solcher Ausspruch ausgeht, die Gerichte oder J u s t i z b e h ö r d e n . Ihnen entsprechen die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n als die Stellen, von welchen der obrigkeitliche A k t i n der Verwaltung auszugehen hat, der Verwaltungsakt 2 . Sie sind, wie i n der Justiz, einzelamtliche 1

Über die Entwicklung dieses Begriffs vgl. oben § 5, I I . Es werden immer noch Versuche gemacht, sich dagegen zu sträuben. So B o r n h a k , in Verw. Arch. V S. 142 ff., der uns dafür eine ganz polizeistaatlich gedachte „tatsächliche Anordnung" anpreist. Daß K e l s e n , nachdem er in seinem großen Buch: Hauptprobleme der Staatsrechtslehre 1911, den Unterschied zwischen öffentlichem und Privatrecht beseitigt hat, nun auch den Verwaltungsakt verwirft (Arch. f. öff. R. X X X I S. 195), war vorauszusehen. 2 L a b a n d , St.R. I S. 365 Note 3; J e 11 i η e k , Subj. öff. R. S. 81; O.Tr. 26. März 1863 (Str. X L I I I S. 274); R.G. Stf. S. 27. April 1904 ( R e g e r X X V S. 445), 14. April 1905 ( R e g e r X X V I S. 130). Koine Behördon sind insbesondere Gendarm, Polizoidicner, Schutzmann: R.G. Stf. S. 3. Jan. 1883 (Pr. Verw.Bl. I V S. 286); desgl. der Vorstand einer Berufsgcnossenschaft: R.G. Stf. S. 1. Okt. 1901 (R e g o r X X I I S. 112). — G.V.G. § 13 macht die Klarstellung des Bogriffs „Verwaltungsbehörde" unentbehrlich: einem Schutzmann können durch Landesgesetz keine bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten übertragen werden.

94

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

Behörden oder Gesamtbehörden; hier kommen noch die Vorstandschaftsbehörden hinzu (die „bureaukratisch organisierten"). Die Behördenordnung baut die Stufenfolge der ordentlichen Verwaltungsbehörden auf, entsprechend den gerichtlichen Instanzen. Darüber steht i m alten Staatswesen der F ü r s t , der keine Behörde ist, weil er kein A m t hat, der aber an der Erlassung solcher obrigkeitlichen Akte sich beteiligen kann, a l l e i n , soweit ihm solches vorbehalten ist, oder unter verfassungsmäßiger M i t w i r k u n g der V o l k s v e r t r e t u n g , als „das Gesetz", ohne Zuständigkeitsschranken 3 . Jetzt würde die V o l k s v e r t r e t u n g a l l e i n als das auch hierin handlungsfähige ,,Gesetz" in Betracht kommen, soweit nicht der Grundsatz der Trennung der Gewalten hemmend wird. Darunter steht, wie in der Justiz, das H i l f s- u n d V o l l s t r e c k u n g s p e r s o n a l und dazu noch hier das Heer der t e c h n i s c h e n Ä m t e r jeder A r t , alles ungeeignet, wie dort zum Urteil, so hier zum Verwaltungsakt. Es kann auch eine Behörde diese ihre Gewalt unter Umständen wohl auf eine andere Behörde zur Ausübung übertragen, niemals aber auf ein nichtbehördliches A m t 4 . 2. Die obrigkeitliche Willensäußerung bedarf, um wirksam zu werden, der gehörigen K u n d m a c h u n g . Beim Einzelakt besteht sie darin, daß dem Manne, über den er ergeht, besondere Mitteilung davon gemacht wird. Das ist, i m Gegensatz zu der dem Rechtssatz eigentümlichen Veröffentlichung, die E r ö f f n u n g . Die erfolgte Kundmachung hat eine Nebenwirkung, die bei Rechtssätzen nicht so leicht i n Betracht kommt, beim U r t e i l durch die Rechtskraft verdeckt wird, daher gerade beim Verwaltungsakt besondere Wichtigkeit erhält. Voraussetzung nämlich für die Wirksamkeit des gehörig kundgemachten obrigkeitlichen Aktes ist seine R e c h t m ä ß i g k e i t . Der 3

So R.G. 27. April 1904 (Reger X X V S. 445), das als Behörden im Sinne von Stf.G.B. § 328 auch gelten läßt den „Gesetzgeber" und den Kaiser, obwohl das keine Behörden seien „im landläufigen und gewöhnlichen Sinn". 4 A.L.R. I , 13 § 41, 43; O.V.G. 11. Mai 1896 (Entsch. X X X S. 290), 11. Febr. 1904 ( X L V S. 297), 30. Juni 1904 ( X L V I S. 312); R.G.Stf.S. 6. Okt. 1899 ( R e g e r X X S. 178). Ein Beamter ohne behördliche Eigenschaft kann von seiner vorgesetzten Behörde mit der Kundmachung ihres Aktes beauftragt werden; weicht er ab, so ist das ungültig; war eine Unterbehörde beauftragt, so ist die Abweichung möglicherweise durch ihre eigene Zuständigkeit gedeckt: O.V.G. 30. Juni 1904 (Entsch. X L V I S. 312). Vgl. auch Κ ο r m a η η , Rechtsgeschäftl. Staatsakte S. 254 ff.; T e z n e r , Östr. Adm. Verf. S. 60—62.

§ 9. Der Verwaltugsakt.

95

A k t , dem es hieran fehlt, ist ein u n g ü l t i g e r A k t und soll auch die Rechtswirkung, auf die er gerichtet ist, nicht hervorbringen, u n w i r k s a m sein 5 . Das t r i t t aber beim Verwaltungsakt, wie beim Urteil, so einfach nur zutage bei einer besonders starken A r t rechtlicher Fehlerhaftigkeit, i m Falle der N i c h t i g k e i t . Der Verwaltungsakt ist nichtig, wenn die Stelle, von der er ausging, keine Behörde ist oder Maßregeln dieser A r t überhaupt nicht i m Bereiche ihrer Zuständigkeit liegen. Dann erscheint die Kraft des Staatswillens von vornherein nicht i n i h m ; er wirkt n i c h t 6 . Wo die Fehlerhaftigkeit nicht soweit geht, also in den Fällen der e i n f a c h e n U n g ü l t i g k e i t , besteht auch der ungültige Verwaltungsakt vorerst einmal zu Recht, als wäre er gültig, und ist wirksam. Die Ungültigkeit wird erst von Bedeutung, wenn der A k t an eine z u r N a c h p r ü f u n g z u s t ä n d i g e B e h ö r d e gelangt. Die, kann ihn alsdann, je nach dem Umfang ihrer Nachprüfungszuständigkeit r für u n g ü l t i g e r k l ä r e n und ihn dadurch nichtig machen oder ihm wenigstens für ihren bestimmten Bereich die Beachtung versagen, als bestände er nicht. Die Ungültigkeit bedeutet also hier eine bloße Vernichtbarkeit 7. Hierin erweist sich wieder die grundsätzliche Verschiedenheit des Rechtswertes der Willenserklärungen der Obrigkeit von dem der Rechtsgeschäfte der Einzelnen. Die letzteren sind wirkungslos, wenn sie nicht ihre Rechtmäßigkeit nachweisen. Die Obrigkeit aber, wenn sie innerhalb ihrer allgemeinen Zuständigkeit bestimmt, b e z e u g t damit zugleich, daß die besonderen Voraussetzungen für die Gültigkeit ihres Aktes gegeben sind. Diese S e l b s t b e z e u g u n g und damit die 5

W i n d s c h e i d - K i p p , Pand. I § 70, § 82. Die Fachausdrücke scheinen etwas ins Schwanken geraten zu sein: W. J e l l i n e k , Fehlerh. Staatsakt S. 44 ff. ; K o r m a n n , Rechtsgeschäftl. Staatsakte 1910 S. 203ff.; F l e i n e r , Institi S. 194 ff. 6 L a b a n d , St.R. I I S. 196 Note 1. O.V.G. 14. Nov. 1911 ( X L S. 300). I m Gegensatze dazu gilt von einer geringeren Fehlerhaftigkeit: „örtliche Unzuständigkeit macht nicht unwirksam" (R.A.O. § 61). 7 Η e 11 w i g , Z.Pr.R. I I S. 78 f., 83: „Bis dahin behält die vernichtbare Entscheidung ihre Kraft". Die nachprüfende und ungültig erklärende Behörde kann auch die sein, die selbst den Akt erlassen hat. K o r m a n n , Rechtsgeschäftl. Staatsakte S. 209, spricht bei jeder Ungültigerklärung von „Anfechtung", was in dem eben erwähnten Fall zu dem wenig geeigneten Ausdruck „Selbstanfechtung" führt. — Insofern es sich hier nicht um eine vorausgesetzte Nichtigkeit handelt, ist diese „Außerkraftsetzung" mehr als „Beseitigung eines bloßen Scheins" ( R o s i n , Pol.-Verord. S. 300; S e y d e l , Bayr. St.R. I I S. 335).

96

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

Wirksamkeit des Aktes kann nur überwunden werden durch eine stärkere Zuständigkeit 8 . 3. Der Verwaltungsakt kann, auch ohne ungültig zu sein, aufgehoben, abgeändert oder sonst beeinträchtigt werden durch neue Verwaltungsakte. Solange nichts dergleichen über ihn gekommen ist, übt er die b i n d e n d e K r a f t des o b r i g k e i t l i c h e n E i n z e l a k t e s , wie das rechtskräftige Urteil. Er bestimmt für den, über welchen er ergeht, was dieser soll und darf. Aber nicht bloß für ihn: die bindende Kraft ist hier z w e i s e i t i g wie beim Rechtssatz (vgl. oben S. 76). Dem, was über den betroffenen Untertanen bestimmt wird, entspricht eine rechtliche Gebundenheit der vollziehenden Gewalt i n allem, was sie i n eadem re gegen eandem personam vornehmen wird, Gebundenheit nach den Regeln der Vollziehung. Ihre weiteren Verwaltungsakte müssen fortbauen auf der von dem ersten gegebenen Grundlage, und vor allem ihre T a t muß sich nach diesem richten. Die so gebundene Tat ist aber nicht wie beim gerichtlichen Urteil die verhältnismäßig einförmige Zwangsvollstreckung, sondern entfaltet sich in den viel reicheren Gestalten der lebendigen Verwaltung: Geben und Nehmen, Dulden und Zwingen, Belasten und Freilassen, Verdrängen und Weichen. Und die Einhaltung von dem allen ist wie beim Rechtssatz nicht bloß eine Sache der inneren Ordnung der Staatstätigkeit: die Gebundenheit besteht d e m gegenü b e r , aufweichen der obrigkeitliche A k t g e w i r k t hat. Nichteinhaltung dieser rechtlichen Bestimmtheiten zu seinem Nachteil verletzt ihn „ i n seinen Rechten" 9 . 8

L a b a n d , St.R. 1. Aufl. I S. 43, hat diesen Gedanken zuerst bezüglich dor Ausfertigung des Reichsgesetzes entwickelt. I n der 5. Aufl., I I S. 105, läßt er ihn auch für die Verordnung gelten. Er ist aber immer noch zu eng gefaßt, wenn er nur auf den Ausschluß des „richterlichen Prüfungsrechtes" zugespitzt wird. Ausschluß des „Prüfungsrechtes" für jeden, dem nicht eine besondere Zuständigkeit in dieser Hinsicht verliehen ist, muß die richtige Formel sein. Das trifft auch für die Urteile und Verwaltungsakte zu. F 1 e i η e r. Instit. S. 199, rechtfertigt diese Einrichtung durch „Verkehrsrücksichten". Folgerichtige Durchführung eines Rechtsgedankens dient allerdings meist auch der Sicherheit des Verkehrs. 9 O.V.G. 27. Nov. 1895 (Entsch. X X I X S. 371): Dor Regierungspräsident hat den Landrat angewiesen, den vom Bezirksausschuß gewährten baupolizeilichen Dispens „als nicht vorhanden" anzusehen und demgemäß vorzugehen. Das ist rechtswidrig; denn der Beschluß ist „keineswegs ein nichtiger Akt, wie etwa der einer völlig unzuständigen Behörde. Derselbe hat die rechtliche Wirkung, daß er, solange seine Aufhebung nicht erfolgt ist, dem Kläger den Bestaud des gestatteten Fensters in baupolizeilicher Beziehung sicherte". Vgl. auch D r o o p , Rechtsweg in Pr. S. 69 Anm. 5. I n Preußen spiegelt sich die Entwicklung vor allom ab an dem Begriff der

§ 9. Der Verwaltungsakt.

97

I I . A u c h der V e r w a l t u n g s a k t s t e h t u n t e r d e m G e s e t z w i e das Gerichtsurteil.

A b e r das V e r h ä l t n i s i s t n i c h t v o n der starren

Ein-

f ö r m i g k e i t , welche d o r t d e n R i c h t e r z u r v i v a v o x legis m a c h t . 1. Das G e r i c h t s u r t e i l ergeht n u r auf G r u n d d e s G e s e t z e s .

Der

V e r w a l t u n g s a k t auch, soweit der V o r b e h a l t des Gesetzes r e i c h t oder t a t s ä c h l i c h ein Gesetz sich der Materie b e m ä c h t i g t h a t . ist

entfernt

nicht

für

D a s letztere

alle Lebensbeziehungen der V e r w a l t u n g

schehen (absichtlich n i c h t ! ) ; der V o r b e h a l t

aber l ä ß t L ü c k e n

gefrei.

Soweit das der F a l l ist, w i r k t d a n n der V e r w a l t u n g s a k t s e l b s t ä n d i g . E r i s t n i c h t w i e das Rechtsgeschäft des P r i v a t e n , das alle seine rechtl i c h e W i r k s a m k e i t aus d e m Gesetze z i e h t , sondern ist selbst öffentliche G e w a l t , die aus sich selber r e c h t l i c h b e s t i m m e n d w i r k t , soweit i h r n i c h t besonders Schranken gesetzt s i n d 1 0 . „ p o l i z e i l i c h e n V e r f ü g u n g " . Der Polizeistaat, der den Verwaltungsakt nicht kannte, begreift darunter alles obrigkeitliche Vorgehen. So namentlich auch Ges. v. 11. Mai 1842 § 6, der die Zuständigkeit der Gerichte gegen polizeiliche Verfügungen ausschließt. E.G. 15. Mai 1902 (Entsch. L I S. 327): Der Amtmann befahl dem Eigentümer, seine H e c k e v o r s c h r i f t s m ä ß i g zu stutzen, ließ dann zur Zwangsvollstreckung die ganze Hecke beseitigen, einschließlich zehnjähriger Eichbäume, die vorschriftsmäßig hätten stehen bleiben dürfen. Die gerichtliche Klage ist unzulässig trotz „abweichender Ausführung", weil gegen eine polizeiliche Verfügung gerichtet, als welche auch diese Ausführung selbst noch einmal erscheint. Dagegen wird nach der Rechtsprechung des O.V.G. die Idee des Verwaltungsaktes lebendig in der „polizeilichen Verfügung", gegen welche die Klage nach L.V.G. § 127, § 128 erhoben werden kann. Regelmäßig geht sie als besondere Anordnung, gehörig erlassen und kundgemacht, dem Zwange voraus. Ausnahmsweise kann „unmittelbarer Zwang" angewendet werden, also ohne vorausgehende Anordnung; dann steckt darin stillschweigend die Verfügung, gegen die man klagen darf. v. A r η s t e d t , Pr. Pol.R. I S. 67; O.V.G. 9. März 1892 (Entsch. X X V S. 409). Der anzufechtende Verwaltungsakt wird also nötigenfalls „erdichtet". War er, wie es die Regel ist, dem Zwange greifbar vorausgegangen, so kann gegen diesen die Klage nicht erhoben werden, fährt das O.V.G. a. a. O. fort, sondern nur Beschwerde nach L.V.G. § 133 Abs. 2, „und zwar selbst dann, wenn die Zwangsausführung dadurch zu einer u n b e r e c h t i g t e n geworden sein sollte, daß in die Willensfreiheit des Gezwungenen w e i t e r e i n g e g r i f f e n w u r d e , als die d u r c h z u s e t z e n d e Anordnung d i e s e s e r f o r d e r t e " . Das ist die zweiseitig bindende Kraft des Verwaltungsaktes. Ähnlich O.V.G. 28. April 1888 (Pr. Verw.Bl. X S. 103). 10

Unkontrollierte Eindrücke des Privatrechtes und der Justiz wirken zusammen, um die Behauptuug nahe zu legen, jeder Verwaltungsakt, jede Verfügung oder wie man es nennen mag, müsse einen Rechtssatz hinter sich haben, um zu gelten. So L ο e η i η g , Verw.R. S. 241; S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 27; R ο s i η , Pol. Verord.R. S. 18. Von da aus wäre dann allerdings der Weg nicht weit zu der von K e l s e n beliebten „Zivilisierung" des g a n z e n öffentlichen Rechtes: „Wo immer jemand von Staats wegen zu handeln vorgibt, muß er sich B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , V e r w a l t u n g e n I . 3. Aufl.

7

98

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

Selbständige Verwaltungsakte erscheinen in zweierlei Weise: — wo der Staat durch obrigkeitlichen Ausspruch über den Einzelnen bestimmt, ohne dadurch i n seine Freiheit und sein Eigent u m einzugreifen, also a u ß e r h a l b des d e m Gesetze v o r b e h a l t e n e n G e b i e t e s bleibt. Beispiele geben die Zusagen staatlicher Unterstützungen für öffentliche Zwecke 11 . — wo der Staat zwar den Einzelnen belastet und in seine Freiheit eingreift, aber m i t dessen E i n w i l l i g u n g . Diese beseitigt die Schranke des verfassungsmäßigen Vorbehalts, die zugunsten der Untertanen errichtet ist, und der Verwaltungsakt wird frei. Das wichtigste Beispiel solcher „Verwaltungsakte auf Unterwerfung" bietet die Anstellung i m öffentlichen Dienst 1 2 . 2. Das Urteil des Richters ist seinem ganzen Inhalt nach d u r c h das Gesetz b e s t i m m t . Es wird gefunden durch Anwendung des Rechtssatzes auf den aus dem Verfahren sich ergebenden Tatbestand und spricht nur aus, was nach dem Willen des Gesetzes für diesen Fall Rechtens ist: darin besteht das innere Wesen der Entscheidung, die es gibt. Das Verhältnis zum Gesetz wird auch dann nicht anders, wenn der Richter die Entscheidung anzupassen hat einem i m voraus nicht genügend zu würdigenden Tatbestande, namentlich ein Mehr oder Weniger zu bestimmen, das dem anzunehmenden Willen des Gesetzes entspräche. Man nennt das r i c h t e r l i c h e s E r m e s s e n . Auch dieses ist noch g e b u n d e n , ist Gesetzesanwendung, E n t scheidung, Rechtsprechung 13 . auf einen Rechtssatz berufen können, der die Handlung als vom Staate gewollt erscheinen läßt" (Hauptprobleme S. 465). 11 Vgl. unten § 39, 51, 60. Hier hilft man sich natürlich gern mit gewaltsamer Annahme zivilrechtlicher Verträge. 12 G r ο t e f e η d , Pr. Verw.R. I S. 53, drückt das im Sinne der oben Note 10 erwähnten Anschauung so aus: „Es gibt eine ganze Reihe von Rechtssätzen auf dem Gebiete der Staatsverwaltung, welche . . . Pflichten nur demjenigen auferlegen, welcher in das Rechtsverhältnis eintreten will, ζ . B. das Beamtenverhältnis." Aber Anstellung im Staatsdienst hat immer schon stattgefunden, bevor ein Beamtengesetz da war, ebenso im Reichsdienste. Und man hat das getan, auch nachdem man die Sache nicht mehr als privatrechtlich ansah. Wo war da der Rechtssatz ? A l l e s kann man auch mit seiner Einwilligung dem Einzelnen nicht so auflegen. Strafbares, Gesetzwidriges, Unsittliches ist selbstverständlich ausgeschlossen: L a b a n d , St.R. I I S. 195 Note 1; K o r m a n n , Rechtsgeschäftl. Staatsakt S. 233 ff. Es gibt aber wohl noch andere Grenzen; Freiheitsstrafen ζ. B. oder öffentliche Ehrenämter werden über das gesetzlich Zugelassene hinaus nicht durch freiwillige Übernahme auflegbar. 13 L a b a η d , St.R. I I S. 187; S e y d e 1, Bayr. St.R. I S. 591; S t i e r -

§ 9. Der Verwaltungsakt.

99

D e r V e r w a l t u n g s a k t weist die gleichen Erscheinungen auf.

Aber

er g e h t n o c h w e i t e r i n d e m der Behörde zustehenden A n t e i l .

Das

Gesetz k a n n dieser überlassen, daß sie d u r c h i h r e n E n t s c h l u ß

den

Akt

ins

Werk

s e t z e oder s c h ö p f e r i s c h

e r g ä n z e , nicht u m zu

sagen, was es selbst hier g e w o l l t h a t , sondern was sie, die Behörde, f ü r r i c h t i g h ä l t . E s k a n n auch der g a n z e A k t der Behörde so a n h e i m gestellt sein, w e n n das Gesetz es b e s t i m m t , oder w e n n es sich u m einen selbständigen V e r w a l t u n g s a k t h a n d e l t (oben I I n. 1), b e i d e m sich das v o n selbst v e r s t e h t .

H i e r i s t es d a n n n i c h t m e h r eine, w e n n

auch

Auslegung

noch

äußernden des

so weitgehende

Gesetzes, was d e m

S t a a t s w i l l e n den I n h a l t g i b t , sondern eigene

Gemeinwohles

Zweckmäßigkeit.

(„öffentlichen Man

spricht

Interesses"),

von

was da g e ü b t w i r d , oder v o n f r e i e m Man

des

mag

die

Verwaltungsakte

der

Erwägung

Billigkeit,

administrativem

zu der

Ermessen,

Ermessen14. unter

diesem

einteilen, i n d e m m a n d e n E n t s c h e i d u n g e n ,

Gesichtspunkte

w o die Behörde

nur

t u t , was der R i c h t e r t u t , n ä m l i c h den W i l l e n des Gesetzes f ü r

den

Einzelfall

von

erklärt,

gegenüberstellt

die V e r f ü g u n g ,

wenn

sie

S ο m 1 ο , Festgabe f. L a b a n d I I S. 445 ff. — Ausnahmsweise ist auch dem Richter Spielraum gegeben über dieses gebundene Ermessen hinaus. Als Beispiel mag die alte actio communi dividundo dienen, wo der Richter durch Urteil jedem der Erben sein Teil zuweist, wie es für alle das Beste ist. T e z n e r , Theorien d. Verw.R.Pfl. S. 230 Note 66, teilt diese Auffassung und verteidigt sie gegen mich, weil ich angeblich für diesen Fall ein gebundenes Ermessen behauptet hätte. 14 S c h ο 1 ζ in Verw.Arch. X X I V S. 185, L a b a n d , St.R. I I S. 179: „Die Gebundenheit liegt im Wesen der (richterlichen) Entscheidung, die rechtliche Freiheit der Entschließung im Wesen des Verwaltungsaktes". Vielleicht wäre es genug zu sagen, daß diese Freiheit a u c h im Wesen des Verwaltungsaktes liegt, neben der Möglichkeit, gebunden zu sein. B e r n a t z i k , Rechtspr. und mat. Rechtskft. S. 8, bestimmt den Begriff der Entscheidung als Anwendung einer abstrakten Rechtsnorm auf den Einzelfall, erkennt aber dann (S. 46) als solche Rechtsnorm auch schon an die Pflicht,'nach bestem Wissen zu tun, was das öffentliche Wohl erheischt, anders ausgedrückt, den großen Rechtesatz: „Tue, was du glaubst, daß es durch das öffentliche Wohl bedingt sei" (S. 3, 39, 46). Das ist natürlich kein Rechtssatz, sondern die subjektive Beamtenpflicht gemäß dem eingegangenen Dienstverhältnis. Aber B e r n a t z i k , der an diesen Rechtssatz glaubt, hat dadurch auch das freieste Ermessen zu einem gebundenen gemacht, und damit nun nicht alles Entscheidung wird, sucht er ein noch freieres, ganz „unüberprüfbares " Ermessen auszuscheiden, das „technische" oder „diskretionäre". Daraus hat sich nun ein großer Schriftenwechsel ergeben über das sogenannte „Problem der Ermessenslehre": B e r n a t z i k , Rechtskraft S. 36 ff.; Τ e ζ η e r , Zur Lehre von dem freien Ermessen (Sep.Abdr. aus Allg. Östr. Ger.-Zeitung); B e r n a t z i k , in Grünh. Ztschft. X V I I I S. 148; Τ e ζ η e r , in Grünh. Ztschft. X I X S. 327 ff.; v. L a u η , d. freie Ermessen 1910; Τ e ζ η e r , in Jahrb. d. öff. R. 1911 S. 73 ff.; usw.

100

Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

eigener Willensentschließung dabei Gebrauch zu machen h a t 1 5 . I n ihrer A r t zu w i r k e n sind jedenfalls beide gleich. 3. Die r i c h t e r l i c h e Entscheidung spricht nicht bloß aus, was nach dem Gesetz für diesen Fall Rechtens ist, sondern bestimmt zugleich, wie die Obrigkeit sich nun demgemäß verhalten soll, leitet damit über zur Vollstreckung oder versagt sie ( L e i s t u n g s - und S t r a f u r t e i l ) . Sie kann auch auf das erste Stück sich beschränken ( F e s t s t e l l u n g s u r t e i l ) . Sie kann umgekehrt, wenn die Feststellung einen Anspruch auf Rechtsänderung zum Gegenstand hat, die Vollstreckung sofort selbst vornehmen, indem sie diese Rechtsänderung ausspricht ( G e s t a l t u n g s u r t e i l ) 1 6 . I n der V e r w a l t u n g erscheint der h a n d e l n d e Staat, der für seine Angelegenheiten tätig ist. Bloße F e s t s t e l l u n g e n haben hier keinen Platz; der einfache Verwaltungsakt, dem die Rechtskraft fehlt, gäbe ihnen auch wenig Wert17. I m übrigen ergeben sich wieder Seitenstücke zu den beiden anderen Arten des Justizurteils, nur, entsprechend der Mannigfaltigkeit des staatlichen Vorgehens, viel reicher entwickelt. Namentlich der dort wenig beobachtete V e r s a g u n g s a u s s p r u c h gewinnt hier selbständigere Bedeutung. Vor allem aber kann die Gesetzanwendung, m i t welcher jenes Urteil immer beginnt, hier fehlen, indem, was nun geschehen soll, m i t f r e i e m E r m e s s e n schöpferisch bestimmt oder die Rechtsänderung auf solche Weise unmittelbar ausgesprochen wird. Wer Lust an Einteilung und Namengebung hat, findet hier ein weites Feld offen 1 8 . U m die ganze Tragweite der Sache zu ermessen, mag es genügen, 15

So G. M e y e r - D o c h o w , deutsch. Verw.R. 4. Aufl. S. 44. Diese Ausdrücke wären nicht ungeeignet, den sachlichen Unterschied zu bezeichnen. Doch scheint es üblicher zu sein, das Wort Verfügung im allgemeineren Sinn zu nehmen, so daß es auch die Entscheidung mit umfaßt, als Ersatz geradezu für das etwas fremdartige Wort Verwaltungsakt. So jetzt auch R.A.O. § 73: „Verfügungen (Entscheidungen, Beschlüsse, Anordnungen) der Behörden für einzelne Personen." Als Gegensatz bliebe hier nur die Verordnung. Für den Einzelakt mit freiem Ermessen fehlt uns freilich dann eine besondere Bezeichnung. 16 F. S t e i n , Ziv.Proz.Ord. I S. 578ff.; K i s c h , Beitr. z. Urteilslehre S. 16 ff., 73 ff.; S t i e r - S ο m 1 ο , in Festg. f. L a b a η d I I S. 476. 17 Selbst die Verwaltungsrechtspflege verhält sich im allgemeinen ablehnend gegen eine Feststellungsklage: v. B r a u c h i t s c h , Verw.Ges. I , zu L.V.G. § 7 Note 10; Β a yr. V.G.H. 19. Dez. 1904, 14. April 1905 ( R e g e r - D y r o f f , Verw.Ger.Ges. 4. Aufl. S. 201). 18

B

e r n a t z i k , Rechtskraft S. 12; H e r z o g , Rechtskraft in Steuer- und Gebührensachen S. 142 ff.

Rechtsmittelverf. und

§ 9. Der Verwaltungsakt.

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wenn nur der letzte Ausläufer dieser Möglichkeiten noch besonders hervorgehoben wird, die r e c h t s g e s t a l t e n d e V e r f ü g u n g . Hier wird also in Form des obrigkeitlichen Aktes verwaltet, f ü r d e n S t a a t g e h a n d e l t z u r B e s o r g u n g seiner A n g e l e g e n h e i t e n , und zwar i n f r e i e m E n t s c h l ü s s e , n a c h E r w ä g u n g e n der Z w e c k m ä ß i g k e i t u n d des V o r t e i l s dessen, f ü r d e n g e h a n d e l t w i r d . Das Rechtsverhältnis aber, das da begründet, aufgehoben, geändert werden soll, ist ein R e c h t s v e r h ä l t n i s des S t a a t e s selber dem Einzelnen gegenüber, über den der A k t ergeht. Es ist nicht schwer, darin den Begriff des R e c h t s g e s c h ä f t e s wieder zu erkennen, wie ihn das Zivilrecht für sein Gebiet ausgebildet hat. Die Ähnlichkeit wird besonders groß, wenn etwa die Verfügung als s e l b s t ä n d i g e r Verwaltungsakt mit Einwilligung des davon Betroffenen ergeht (oben n. 1). Wir erhalten durch die bestimmte A r t des Inhalts geradezu öffentlichrechtliche Seitenstücke zu bekannten zivilrechtlichen Vertragsarten. Die Bezeichnung: öffentlichrechtlicher Vertrag mag dann dazu dienen, die Dinge anschaulicher zu machen 1 9 . Aber der Verwallungsakt verleugnet dadurch seine Natur nicht, die i h m seinen' Platz neben dem Urteil anweist, sondern bezeugt nur, wie weit die freie Beweglichkeit geht, die ihn vor diesem auszeichnet. I I I . M i t dem Verwaltungsakt nahe verwandt, aber doch sehr wesentlich von ihm verschieden, ist die A n w e i s u n g i m G e w a l t verhältnis. Als Gewaltverhältnis mag man die umfassende rechtliche Abhängigkeit bezeichnen, i n welcher der Untertan zum Staat steht 2 0 . Hier ist das besondere G e w a l t v e r h ä l t n i s gemeint als die v e r schärfte Abhängigkeit, welche zugunsten eines bes t i m m t e n Zweckes öffentlicher Verwaltung begründet " L a b a n d , St.R. 1. AufL I I S. 216, hatte die Verfügung schlechthin „das einseitige Rechtsgeschäft des öffentlichen Rechts" genannt. G. M e y e r , in Annalen 1878 S. 383, erklärte sich gegen diese Ausdrucksweise; B e r n a t z i k , Rechtskraft S. 10 Note, nannte es gar „ein ziemlich harmloses Vergnügen". Jetzt gebraucht umgekehrt Κ o r m a n n , Rechtsgeschäft!. Staatsakt S. 18 ff., den Ausdruck „publizistisches Rechtsgeschäft" für jede Willensäußerung eines Trägers öffentlicher Rechte und Pflichten, die auf Eintritt bestimmter Rechtswirkungen gerichtet ist, ausgenommen nur die Rechtssetzung. Über den „öffentlich-rechtlichen Vertrag": G r ο s c h , in Jahrb. d. öff. R. 1911 S. 269 ff. — I n vernünftigen Grenzen hat die Betonung des Zusammenhangs mit der Begriffswelt des Zivilrechts immer ihre Nützlichkeit. 20 S c h m i t t h e n n e r , St.R. S. 279; G e r b e r , Grundzüge § 16; R ο s i η , in Annalen 1883 S. 299.

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Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

w i r d f ü r a l l e E i n z e l n e n , d i e i n d e n v o r g e s e h e n e n bes o n d e r e n Z u s a m m e n h a n g t r e t e n 2 1 . Beispiele liefern die D i e n s t g e w a l t über die Beamten (unten § 45), die Ü b e r w a c h u n g s g e w a l t über die Benutzer gewisser Einrichtungen des Zoll- und Steuerwesens (unten § 28), die A n s t a l t s g e w a l t über alles, was i n den Betrieb der öffentlichen Anstalt aufgenommen ist (unten § 50). Das Gewaltverhältnis kann begründet sein durch Gesetz oder Verwaltungsakt oder auch von selbst aus dem E i n t r i t t in den Machtbereich der öffentlichen Einrichtungen sich ergeben 22 . Immer bedeutet es einen Zustand verminderter Freiheit, indem der Betroffene sich i m gegebenen Maße nach dem zu richten hat, was hier der Zweck der öffentlichen Verwaltung erfordert. Das Genauere wird ihm innerhalb des gegebenen Rechtes durch die berufene Leitung der Geschäfte und ihre Gehilfen rechtlich bindend bestimmt. Das wird meist die Gestalt eines Befehls zu Tun oder Lassen haben, kann aber auch auf ein Dulden gehen an Person oder Sache. Die kraft des Gewaltverhältnisses ergehende bindende Bestimmung nennen wir nach dem wichtigsten Beispiel eine A n w e i s u n g . Die Anweisung kann, wie der Verwaltungsakt, für den E i n z e l f a l l ergehen, an den bestimmten Gewaltunterworfenen. Dann zeigt sich an ihr schon äußerlich der große Gegensatz, daß sie nicht wie jener nur von einer Behörde zu erlassen ist, von einer obrigkeitlichen Stelle, gleichgeachtet dem Gericht (vgl. oben I n. 1): im Gewaltverhältnis befiehlt der Unteroffizier, der höhere Schreiber, der Lehrer, der Arzt, der Marktaufseher — lauter N i c h t b e h ö r d e n , deren Wort außerhalb des Gewaltverhältnisses nur eine Mahnung, eine Aufforderung, eine Erinnerung sein könnte; hier verpflichtet es 23 . Aber diese Anweisung wirkt auch nicht wie das Urteil und der Verwaltungsakt zweiseitig, die vollziehende Gewalt selber bindend, Recht stiftend 21

Der Begriff des besonderen Gewaltverhältnisses ist zuerst erfolgreich verwertet worden von L a b a n d , St.R. I. Aufl. I S. 386 ff. Er bediente sich seiner, um die Rechtsstellung des Staatsbeamten zu seinem Dienstherrn zu erklären. Die ausgedehntere Geltung dee Instituts ist aber nicht zu verkennen: J e l l i n e k , Subj. öff. R. S. 215 ; Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 17 ff. ; Ρ 1 e i η e r , Instit. S. 139 ff. ; N a w i a s k i , Forderungs- und Gewaltverh. (Festschrift Zitelmann). 22 J e l l i n e k , Subj. öff. Rechte S. 112, nennt: Gesetz, Rechtsgeschäft und Delikt. -— Die Begründungs weise bestimmt auch das Maß und den Zweck der zu übenden Gewalt. Die genauere Ausführung kann nur im Zusammenhang der Lehre von den einzelnen Arten der Gewaltverhältnisse gegeben werden. 23 Ijn GewaltVerhältnis kann daher auch der Schutzmann, für den K o r m a n n , RechtsgeschäftL Staatsakte S. 75, sich verwendet, dazu kommen, bindende Befehle zu erteilen; sonst nicht.

§ 10. Öffentliche Rechte.

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zwischen ihr und dem Untertan (vgl. oben I n. 3), sondern sie entfaltet einseitig dessen i m Gewaltverhältnis enthaltene Verpflichtbarkeit, die nach wie vor zur freien Verfügung bleibt. Sie wirkt wie der obrigkeitliche A k t i m Polizeistaat; vgl oben § 4, I . Zum Unterschied vom Verwaltungsakt kann die Anweisung auch i n Gestalt einer a l l g e m e i n e n R e g e l vorgehen, wirksam für alle, die in das zu ordnende Verhältnis eintreten. So entsteht die bereits besprochene V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t (vgl. oben § 8 n. 2). Nicht jeder, der i m Gewaltverhältnisse befehlen darf, kann es auch i n dieser Form tun. Das ist vielmehr gewissen leitenden Stellen vorbehalten, die dann als Behörden für dieses besondere Verhältnis bezeichnet werden, auch wenn ihnen nach außen eine obrigkeitliche Gewalt nicht zusteht: Dienstbehörde, Schulbehörde. Die Verwaltungsvorschrift verhält sich zum Rechtssatz ebenso wie die Einzelanweisung zum Verwaltungsakt: sie wirkt nicht wie der Rechtssatz zweiseitig bindend, hat keine innere und äußere Seite zugleich (oben § 7), sondern ist einseitig die Ausübung des Rechtes der Verwaltung über eine Gesamtheit von Gewaltunterworfenen 24 . § 10.

Öffentliche Rechte. Indem die Rechtsordnung wirksam wird, läßt sie R e c h t s v e r h ä l t n i s s e zwischen den Beteiligten entstehen und sichert ihnen die durch den Inhalt des Rechtsverhältnisses bezeichneten Vorteile: Rechtsvorteile, geschützte Interessen, auch einfach R e c h t e genannt. Soll damit nichts anderes gesagt sein, als daß die Rechtsordnung gewirkt hat, so mag es dabei bewenden. Wertvoll wird uns der Begriff Recht erst, wenn darin die Anerkennung liegen soll, daß etwas Neues i n die Welt getreten ist, um nunmehr den s e l b s t ä n d i g e n A u s g a n g s p u n k t w e i t e r e r W i r k u n g e n zu bilden. Dieses neue und folglich den Begriff Recht, der uns allein angeht, hat das Privatrecht ausgedrückt als eine dem Subjekte um seines Vorteils willen zustehende abgegrenzte W i l l e n s m a c h t anderen Subjekten gegenüber 1. 24

Deshalb ist der dafür gebrauchte Ausdruck „GeneralVerfügung" ( H a e η e I , St.R. I S. 235; L a b a η d , St.R. I I S. 198) oder „allgemeine Verfügung" ( B o r n h a k , in Verw.Arch. V S. 142; vgl. auch Z a c h a r i a e , St.R. I I S. 171 Note 3) nur in der Richtung auf Verneinung des Rechtssatzes unbedingt richtig. 1 So noch immer die vorherrschende Auffassung: R e g e l s b e r g e r , Pand. I S. 75 Note 3; ν. Τ u h r , Bürg.R. I S. 58. Wir sind ja freilich nicht mehr im Urzustand, wo der Mann mit der Stärke seines Armes „will" und sein Recht darauf

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Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

Soll ein so gestal eter Begriff auch auf dem Boden der ö f f e n t l i c h e n R e c h t s o r d n u n g sich verwirklichen, so wird er sofort vor eine große Frage gestellt. Denn hier handelt es sich um Verhältnisse, bei welchen die ö f f e n t l i c h e G e w a l t selbst beteiligt ist und damit die rechtlich überwiegende Macht des namens des Staates geäußerten Willens (oben § 2, I I ) . Also ist hier ein Recht nur insoweit denkbar, als es selber diese alles überwiegende Willensmacht i n s i c h b e g r e i f t ; es kann weder i m Widerspruch mit ihr stehen, noch an ihr vorbeigehen. Ausgeschlossen ist es nicht, daß die Ordnung unseres Verfassungs- und Rechtsstaates der öffentlichen Gewalt auch solche rechtlichen Bestimmtheiten gebe. Aber die öffentlichen Rechte, die wir suchen, müßten sich demnach darstellen als M a c h t ü b e r e i n S t ü c k ö f f e n t l i c h e r G e w a l t , dem B e r e c h t i g t e n d u r c h die R e c h t s o r d n u n g z u g e t e i l t u m seines V o r t e i l s w i l l e n . Es ist klar, daß die Frage für die zwei Rechtssubjekte, die sich i n der Verwaltung gegenüberstehen, Staat und Untertan, von vornherein sehr verschieden liegt. I . Von R e c h t e n des S t a a t e s ist ungemein viel die Rede. Die Lehrbücher wimmeln davon. Das ist die Art, wie sie die Machtfülle dieses Rechtssubjektes zum Ausdruck bringen wollen. Allein ein richtiges Verständnis der rechtlichen Allmacht des Staates wird i n ihr eher ein Hindernis sehen für solche Aufzählung i n Scheidemünze. Das subjektive Recht ist immer etwas Begrenztes; beim Staat aber schlägt das dahinter stehende Unbegrenzte immer durch. Das wird nicht anders dadurch, daß man seiner Einzelerscheinung den Namen eines Rechtes beilegt 2 . gründet. Unter der Rechtsordnung ist auch die für willensunfähig anzusehende Person mit einem geschützten Kreis von Rechten umgeben; aber um ihn zu verwalten und vor der Rechtsordnung zu vertreten, bedarf es immer noch eines für diese genügend starken Willens, der von der Person ausgeht oder ihr zugerechnet wird. Das genügt, um ihn im Mittelpunkte unseres Begriffs zu behalten: R e g e 1 s b e r g e r , Pand. I S . 7 6 ; W i n d s c h e i d - K i p p , Pand. I S. 156; M e r k e l , Enzykl. § 174. Für das öffentliche Recht insbesondere: B e r n a t z i k , i m Arch, f. öff. R. V S. 203; J e l l i n e k , Subj. öffentl. R. S. 44. 2 Wenn L o e n i n g , i n Verw.Arch. V S. 12ff., und J e l l i n e k , Subj. öff. R. S. 195 Note 1, wegen meiner Bedenken gegen die Annahme subjektiver Rechte des Staates sich darüber ereifern, daß ich zwischen diesem und den Untertanen nur „die nackte Tatsache der M a c h t " bestehen ließe, so ist das doch eine recht starke Verkennung der Sachlage. I n Arch. f. öff. R. X X I S. 39 Note 56 habe ich mich mit aller Schärfe dagegen verwahrt. Aber Κ u 11 η e r , Urteilswirkungen S. 244 Note 23, S. 245, 246 Note 25, hat es alsbald doch wieder nachgeredet. — ν. Τ u h r , Bürg.R. I S. 54 Note 2, meint freilich: „eine Rechtsordnung ohne subjektive Rechte können wir uns schwer vorstellen". Aber „wir", das sind eben die

§ 10. Öffentliche Rechte.

105

Die staatlichen Rechte pflegen uns i n einer gewissen Stufenfolge dargeboten zu werden. Ganz zu oberst finden sich manchmal noch die alten Hoheitsrechte (vgl. oben § 5 Note 1). Meist steht dafür jetzt ein umfassendes R e c h t a u f B e h e r r s c h u n g u n d G e h o r s a m , dem dann die allgemeine Gehorsamspflicht der Untertanen entsprechen soll; daraus folgen wieder mehrfache Unterrechte und Unterpflichten — alles nur Versuche, die große Tatsache der umfassenden Gewalt m i t den daraus sich ergebenden Möglichkeiten zu schabionisieren 3 . Der Vorbehalt des Gesetzes zieht gewisse Schranken. Wenn dann ein Gesetz ergangen ist, es soll enteignet, besteuert, einquartiert werden können, so beeilt man sich zu sagen: jetzt habe der Staat das Recht erworben, solche Dinge vorzunehmen. I n Wahrheit ist es vorerst nichts anderes als eine Z u s t ä n d i g k e i t s e r t e i l u n g zur Ausübung jenes großen Rechtes auf Gehorsam, das selbst keines i s t 4 . Die äußere Gestalt eines Rechtes des Staates erhält die Entfaltung seiner öffentlichen Gewalt erst, wenn sie sich v e r d i c h t e t z u b e s t i m m t e n e i n z e l n e n V o r t e i l e n , die dem Staate nun beigelegt sind: Steuerforderung, Anspruch auf Vornahme der befohlenen polizeimäßigen Herstellung eines Bauwerks, Rayonservitut an einem Grundstück, öffentliches Eigentum an einem Wasserlauf. I n solchen Fällen gewinnt wenigstens die Vorstellung an Leichtigkeit, wenn die Denk- und Sprechweise des Zivilrechts entlehnt wird. Die Verwandtschaft m i t den Rechten, welche dieses ausgebildet hat, zeigt sich am auffallendsten daran, daß unter Umständen jene „öffentlichen Rechte" des Staates einem Privatrecht gleichgestellt werden oder Zivilisten. Schon bei den Kriminalisten ist die Sache nicht so glatt; vgl. B i n d i n g , St.R. I S. 188 Note 4. 3 S c h m i t t h e n n e r , St.R.S. 280; Ζ ac h a r i a e, St. u. Bd.R. I S. 472 ff.; H e l d , Verf.R. I I S. 592; P ö z l , Bayr. St.R. I S. 360ff.; S c h u l z e , St.R. I S. 360 ff.; v. R ο e η η e , Preuß. St.R. I I S. 212 ff.; ν. R ο e η η e - Ζ ο r η I I S. 79 ff.; ν. Κ i r c h e η h e i m , Einf. S. 22; Β ο r η h a k , Preuß. St.R. I S. 253; G a r e i s, Allg. St.R. S. 9; G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R, S. 818 ff.; L a b a n d , St.R. I S. 140. 4 J e l l i n e k , Ges. u. Verord. S. 200, drückt das Verhältnis der beiden Stufen in der Weise aus, wie man früher den Staat sich Hoheitsrechte „beilegen" ließ (vgl. oben § 3 Note 4): Der Staat hat von vornherein „potenziell" alle ordentlichen Hoheitsrechte, „aktuell" erhält er sie, indem er durch Erlassung eines Gesetzes „seine Tätigkeit auf individuell bestimmte Se ten des Gemeinwesens richtet"; dabei soll dann (Subj. öff. R. S. 197 Note 2) „objektives und subjektives Recht ineinander übergehen". Bei einem alten Hoheitsrecht kann man am Ende so sagen. Aber das gibt es doch nicht mehr.

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Zweiter Abschnitt. Grundzüge der Verwaltungrechtsrdnung.

geradezu umschlagen können i n ein Privatrecht 5 . Die Fälle haben das Gemeinsame, daß das Verhältnis aus irgendeinem Grunde herausgesetzt wird aus dem ursprünglichen Zusammenhange m i t der öffentlichen Gewalt und in Beziehungen t r i t t , für welche diese nicht wirkt. Gerade darum sind das auch echte Rechte. Wo das nicht zutrifft, bringt dieser Zusammenhang immer etwas mit, wäs der Anwendung des Begriffes widerstrebt. Denn schließlich sind auch diese äußersten Verdichtungen der staatlichen Willensherrschaft nichts anderes als Ausflüsse und Ausübungen des einen großen ,,Urrechtes" auf Gehorsam 6 . Das Recht aber sollte etwas Neues sein, ein Stück des Machtkreises, welchen die Rechtsordnung um die Person herum entstehen läßt über das hinaus, was sie von sich selber ist und kann. Weil das fehlt, knüpfen sich hier auch nirgends irgendwelche weitere Wirkungen daran, daß man sich entschließt, da und dort ein s u b j e k t i v e s ö f f e n t l i c h e s R e c h t des S t a a t e s anzuerkennen. A n d e m f e i n e n Gewebe unseres R e c h t s s t a a t e s b l e i b t k e i n S t ü c k c h e n u n d e u t l i c h oder u n k l a r , w e n n m a n e i n solches D i n g n i c h t d a r i n zu entdecken vermag. Das ist kein Grund, sich des handlichen Namens nicht weiter zu bedienen; nur soll man nicht glauben, gar zu viel damit gesagt zu haben. I I . Öffentliche Gewalt ist rechtlich überwiegende Kraft des namens des Gemeinwesens geäußerten Willens. W i r rechnen diese Wirkungskraft dem persönlich gedachten Staate zu als etwas ihm Gehöriges. Der so ausgestattete Wille kann aber immer nur für ihn durch dazu berufene Menschen geäußert werden, die dadurch M a c h t b e k o m m e n über die öffentliche Gewalt, der Souverän, Fürst oder Volk, über das Ganze, alle anderen stückweise. Die rechtlichen Ordnungen unseres Staates haben diese Macht feiner ausgebildet nicht bloß zu eigener Ausübung, sondern auch zur Einflußnahme auf die anderen zu5

Steuerforderung im Konkurs, Pfandbestellung für eine solche; auch ihre Geltendmachung im Ausland oder Abtretung an einen Privaten kann so wirken ( G e r b e r , Öff. Rechte S. 44; Μ e i s e 1, in Österr. Wörterb. I I I Art. Zession von Steuern und Geb.). Hierher gehört auch, daß die Enteignung für den Fiskus dessen privatrechtliches Eigentum herbeiführt; vgl. unten § 34, I I . 6 F l e i n e r , Inst. S. 154: „Nicht subjektive staatliche Rechte, sondern Ausflüsse staatlicher Kompetenz". — Sehr deutlich ist die Kette bei J e 11 i η e k: Erst das „potenzielle" Urrecht des Staates; dann durch Erlassung des Gesetzes sein „aktuelles Recht" (oben Note 4); zuletzt, wenn der Staat sich auf Grund des Gesetzes „mit einem direkten Gebot an den Einzelnen wendet" (wo doch eigentlich ein Rechtsverhältnis erst entsteht), so ist das nur eine „Spezialisierung des Gehorsamsanspruches des Staates" (Subj. öff. R. S. 197, 198).

§ 10. Öffentliche Rechte. stehende A u s ü b u n g .

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Soweit solche M a c h t einem U n t e r t a n e n

zu-

g e t e i l t i s t u m seines eigenen V o r t e i l s w i l l e n , erscheint d a r i n ein R e c h t dem

Staate gegenüber,

subjektives öffentliches

d e m die öffentliche

G e w a l t gehört,

ein

7

Recht .

D i e Rechte, die hier i n B e t r a c h t k o m m e n , s i n d sehr verschiedener Art8. 1. A n d e n verfassungsmäßigen V o r b e h a l t des Gesetzes (vgl. oben § 6 n. 3) k n ü p f e n sich die sogenannten F r e i h e i t s r e c h t e .

Die Ver-

fassungen selbst s i n d j a bestrebt, sie als R e c h t e der B ü r g e r u n d U n t e r t a n e n z u betonen. I n der T a t h a n d e l t es sich h i e r u m V o r t e i l e , welche 7

Vom polizeistaatlichen Standpunkte aus sind öffentliche Rechte der Untertanen ausgeschlossen: E i c h h o r n , Betracht, über d. Verf. d. Deutsch. Bdes. S. 98; S c h u p p e , Begriff des subj. R. S. 88; Β o r η h a k , Preuß. St.R. I S. 269 („begrifflich unmöglich"). — Die früher viel gebrauchte Formel: „öffentliche Rechte sind solche, die sich aus dem Zusammenhange mit dem öffentlichen Gemeinwesen ergeben", war sehr unschädlich. Der Gedanke einer Macht des Einzelnen über die öffentliche Gewalt wird erst zugänglich, wenn man diesem letzteren Begriff etwas näher getreten ist. Wie mir scheint, hat zuerst D a η t s c h e r , Polit. Rechte S. 76, das subjektive öffentliche Recht so zu bestimmen versucht. J e l l i n e k , im Verw.Arch. V S. 307, hält mir vor: „Diese Verwandlung eines Anspruchs an den Staat in Macht über den Staat" sei ein schiefer Gedanke. Allein er hat ihn erst schief gemacht, indem er „Macht über den Staat" für Macht über die dem Staate zugehörige Gewalt setzte; daß e3 das gibt, soll Beamte wie privatrechtliche Diener und Angestellte, kann zugleich p e r s ö n l i c h schadensersatzpflichtig werden, ganz in der gleichen Weise wie auch die Vorstände und die Leute einer gewöhnlichen juristischen Person des Privatrechts, z. B. einer Aktiengesellschaft. Das öffentliche Recht geht die Ordnung der Schadensersatzpflichten nach beiden Seiten hin nichts an. Auch nicht mittelbar: um öffentliche Verwaltung handelt es sich hier allerwege nicht 5 . 2. Soweit der Staat nicht Fiskus ist, nicht auf privatwirtschaftlichem Boden sich bewegt und deshalb dem bürgerlichen Rechte unterworfen ist wie ein Untertan, hat das Bürgerliche Gesetzbuch darauf verzichtet, ihm eine Haftbarkeit für rechtswidrige Amtshandlungen aufzuerlegen. Das Landesrecht, dem ja grundsätzlich das öffentliche Recht und was damit zusammenhängt unberührt verbleiben soll, wird auch frei gelassen, ob und wie es eine Schadensersatzpflicht des Staates hier ordnen w i l l 6 . Gerade deshalb hat das Bürgerliche Gesetzbuch dem Geschädigten hier auf alle Fälle eine Gewähr der Schadloshaltung bereiten wollen durch besonders kräftige Ausprägung der persönlichen Haftbarkeit des B e a m t e n 7 . Es erklärt ihn in § 839 schadensersatzpflichtig für den Fall einer schuldhaften Verletzung der „ i h m e i n e m D r i t t e n g e g e n ü b e r o b l i e g e n d e n Amtspflicht". Diese Bestimmung entspricht den längst schon aufgestellten und 4

Mot. ζ . I . Entw. I S. 103: „Zur Begründung dieser Haftbarmachung hat man mit Recht darauf verwiesen, daß, wenn die Körperschaft durch die Vertretung die Möglichkeit gewinne, im Rechtsverkehr handelnd aufzutreten, ihr auch angesonnen werden müsse, die Nachteile zu tragen, welche die künstlich gewährte Vertretung mit sich bringe." 6 Vgl. aber unten I I I wegen der Vorbildlichkeit. 6 Wobei man stark damit rechnen mußte, daß es nichts dergleichen tun würde; vgl. oben Note 2. I n der Tat ist ja Preußen erst durch Ges. v. 1. Aug. 1909 der Sache näher getreten, das Reich selbst erst durch Ges. v. 22. Mai 1910. I n einer Anzahl deutscher Bundesstaaten war überhaupt keine allgemeine Haftung des Staates für rechtswidrige Ausübung der öffentlichen Gewalt gesetzlich ausgesprochen worden. 7 Kom. I I . Lesung, Prot. I I S. 662: „Da es nicht wohl angehe, reichsrechtlich eine solche Haftung des Staates einzuführen, müsse man den dritten wenigstens den Schutz in vollem Maße belassen, welchen ihnen . . . die Haftung der Beamten gewähre."

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Dritter Abschnitt. Der Rechtsschutz in Verwaltungs sachen.

teilweise auch schon verwirklichten Forderungen einer besonderen Gewähr für den rechtmäßigen Gang der öffentlichen Verwaltung, die auf solche Weise geschaffen werden soll. E i n ö f f e n t l i c h e r Bea m t e r , auf dem Gebiete der ö f f e n t l i c h e n V e r w a l t u n g tätig, das ist bei ihr vorausgesetzt 8 . Was sie verordnet, fällt denn auch unverkennbar aus dem Rahmen dessen, was sonst nach zivilrechtlichen Grundsätzen gilt für die persönliche Haftung des i n Vertretung und für Rechnung eines anderen Handelnden und paßt deshalb gar nicht auf den Verkehr des Fiskus. Die Amtspflicht, die nichts anderes ist als die D i e n s t p f l i c h t , besteht dem Dienstherrn gegenüber und geht ordentlicherweise den Dritten nichts an. Wenn der Handlungsgehilfe unter Verletzung seiner Dienstpflicht den Kunden seines Prinzipals schlecht bedient und so zu Schaden bringt, so haftet diesem etwa sein Prinzipal, niemals er persönlich. Hier steht es umgekehrt: der Dienstherr Staat gilt dem Bürgerlichen Gesetzbuch als nicht sicher faßbar; deshalb läßt es die ihm geschuldete Dienstpflicht zu Lasten des Beamten n a c h a u ß e n wirken9. Die Dienstpflicht muß für den Einzelfall einen b e s t i m m t e n I n h a l t bekommen haben, so daß durch sie eine Forderung an den Beamten gestellt ist, sich i n bestimmter Weise zu verhalten. Die Form, in welcher ihr diese Bestimmtheit gegeben wurde, ist gleichgültig; alles genügt, was den Erfolg hervorbringt 1 0 . 8

So wurde schon im früheren Rechte die besondere Beamtenhaftung abgegrenzt, an das ja § 839 sich anschließen will ( P l a n c k , Kom. I I zu § 839 η. 1 ; Ρ f i ζ e r in Arch. f. ziv. Praxis L X X I I S. 77). Richtig F l e i n e r , Instit. S. 262 Note 3 Abs. 3: Angestellte der öff. Verw., die nicht Beamte i. e. S. sind, haften nach B.G.B. § 823. Ebenso S c h e l h o r n , in Annalen 1906 S. 442, S. 460f. D e 1 i u s, Haftpflicht der Beamten § 35 n. 6 a, hat hier einen Unterschied nicht verspürt. 9 Diese Wirkung der Dienstpflicht nach außen galt immer schon als die auffallendste Besonderheit der Beamtenhaftung außerhalb des Fiskusbereichs. Man versuchte sich daran mit recht wunderlichen Erklärungen (K r a i s, in Bl. f. adm. Prax. X X X I I I S. 54 ff. : Der pflichtvergessene Beamte handle eben dadurch auch „außerhalb der Sphäre der öffentlichen Gewalt"; P f i z e r , in Arch, f. ziv. Prax. L X X I I S. 91 ff.: „Haftung quasi ex contractu"), und ebenso wunderlichen Ausdrücken ( L i p p m a n n , in Annalen 1885 S. 443, zitiert aus den Verhandlungen der bayr. Abg.Kammer den terminus technicus „Amtspflichtüberschreitung"; B o r n h a k , Preuß. St.R. I I S. 43ff., prägt das Wort „negative Überschreitung der Zuständigkeit"). 10 Der I. Entw. § 736 wollte nur die dem Beamten g e s e t z l i c h gegenüber Dritten obliegende Amtspflicht so wirken lassen. Man glaubte so eine Brücke zu finden für die ungewohnte Wirkung zugunsten des Dritten. Allein auch ein Rechtssatz — der ist hier gemeint — würde hier immer nur die vollziehende

§ 18 Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen.

187

Diese Forderung muß der Dienstpflicht zugleich die Richtung geben auf einen bestimmten Einzelnen, dem i h r e E r f ü l l u n g zug u t e k o m m e n s o l l ; wird dieser durch die schuldhafte Nichterfüllung geschädigt, so haftet i h m der Beamte 1 1 . Gewalt, den verwaltenden Staat unmittelbar binden, seinen Beamten aber, der für ihn das Gesetz zu erfüllen hat, erst durch Vermittlung der Dienstpflicht (vgl. oben § 7 n. 2). Es war also richtiger, die Sache schlechthin auf diese zu stellen. Diese kann aber nicht bloß rechtssatzmäßig ihre Bestimmung erhalten (durch Gesetz, Verordnung, Statut), sondern auch durch D i e n s t v o r s c h r i f t , kraft der Dienstgewalt; S c h e l h o r n , in Annalen 1906 S. 544. Es ist dabei nicht bloß an eine allgemeine Dienstanweisung, Instruktion, Verwaltungsvorschrift zu denken. Auch ein D i e n s t b e f e h l f ü r d e n E i n z e l f a l l genügt. Überdies kann die geforderte bestimmte Dienstpflicht auch ohne solche ausdrückliche Erklärungen sich von selbst ergeben aus dem a l l g e m e i n e n Z w e c k u n d S i n n d e s A m t e s , zu welchem der Mann im Staats- oder Gemeindedienst bestellt ist; der Nachtwächter wird haften, wenn er den Einbruch nicht verhindert, wo er konnte, auch wenn ihm nichts weiter gesagt war als: er sei zum Nachtwächter ernannt. 11 „Verletzt ein Beamter die einem Dritten gegenüber zu e r f ü l l e n d e Dienstpflicht" — so würde B.G.B. § 839 richtig lauten, denn so ist es gemeint. Nicht jede Verletzung der Dienstpflicht erzeugt also einen Schadensersatzanspruch. Die Verletzung von „internen disziplinarischen Vorschriften" fällt von vornherein weg: solange alles „intern" bleibt, ist an eine Schädigung des Dritten wohl kaum zu denken. Aber auch wo der Beamte „zu einem bestimmten Verhalten ganz allgemein im Verhältnis z u m P u b l i k u m verpflichtet ist" ( S c h e l h o r n , in Annalen 1906 S. 545) und aus Versäumnis dieser Pflicht jemandem ein Schade erwächst, trifft § 839 nicht ohne weiteres zu. Ν ö 1 d e k e in G r u c h o t , Beitr. 1898 S. 812, führte den Fall an, daß der Amtsrichter versäumt, seinen Gerichtsschreiber pflichtgemäß zu beaufsichtigen, und dieser dadurch in den Stand gesetzt worden ist, einem Dritten zu schaden; er entscheidet mit Recht, daß der Richter hier nicht hafte. Hätte der Richter dem b e s t i m m t e n F a l l g e g e n ü b e r Anlaß gehabt, zugunsten dieses Dritten mit seinem Aufsichtsrechte einzuschreiten, so wäre allerdings eine ihm dem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt gewesen. O e r t m a n n , Kom. I I zu § 839, 2 β αα u. γγ, erwähnt die Klage gegen den Kriminalbeamten, der pflichtwidriger, weise einen Verbrecher entkommen ließ; dieser hatte ungesäumt weiteren Schaden angerichtet; die Klage wurde aber von dem O.L.G. Hamburg mit Recht abgewiesen. Die verletzte Pflicht war nicht dem Beschädigten gegenüber zu erfüllen gewesen! — Aus dem älteren Recht: Das Brückengeländer war nicht in Stand durch die Schuld des Bauinspektors; eine Kuh ist heruntergefallen: der Eigentümer hat keinen Anspruch gegen den Beamten, weil gegenüber ihm besonders keine Pflicht vernachlässigt worden war (C.C.H. 13. Febr. 1864; J.M.B1. 1864 S. 93). Leiche gefunden, Bürgermeister versäumt die pflichtmäßige Anzeige beim Amtsgericht, Schadensersatzklage der Erben wegen der verlorengegangenen Kleider: keine Haftung, weil keine „Rechtsverletzung des Beamten gegenüber der Antragstellerin" (V.G.H. 26. Sept. 1882; Samml. I V S. 170). Hier fehlt überall die Voraussetzung der dem Dritten gegenüber zu erfüllenden d. h. diesem zugute kommen sollenden Dienstpflicht.

188

Dritter Abschnitt. Der Rechtsschutz i n Verwaltungssachen.

Erhält dadurch die Beamtenhaftung eine eigentümliche V e r s c h ä r f u n g über das hinaus, was i m privatrechtlichen Verkehr gilt, so bringt die Natur der Amtspflicht, die zuerst diese Haftung vermittelt, auch wieder besondere R ü c k s i c h t n a h m e n m i t sich. I m dienstlichen Interesse wird der Beamte unter den Zwang von Notwendigkeiten gestellt, die ihn besonderer Gefahr aussetzen, Unrecht zu tun, und ihm doch nicht gestatten, ihr aus dem Wege zu gehen. Soll das durchführbar sein, so darf ihm die daraus sich ergebende rechtswidrige Schädigung nicht angerechnet werden, solange er nicht nachweisbar durch eine Zutat eigener Fehlbarkeit die Gefahr über das Normale erhöht hat. Zweierlei kommt hier in Betracht. Das erste ist das, was wir die Berücksichtigung des a m t l i c h e n I r r t u m s nennen können. I m Verhältnisse zwischen Privaten — und ebenso zwischen dem Staat als Fiskus und einem Einzelnen — g i l t die Regel, daß der Vertreter, wenn das Recht des Geschäftsherrn zum Eingriff in die fremden Interessen zweifelhaft ist, sich des Eingriffes enthalten soll, oder er macht ihn auf eigene Gefahr, d. h. wird dem etwa rechtswidrig Geschädigten haftbar. Der Beamte hingegen, der berufen ist, an der öffentlichen Verwaltung mitzuwirken, obrigkeitliche Akte über die Einzelnen zu erlassen, Gewalt anzuwenden, die Vorteile öffentlicher Einrichtungen und Anstalten zu gewähren oder zu versagen, muß sich entschließen, meist auch recht rasch entschließen; denn diese Dinge wollen ihren Gang gehen, besser schlecht als gar nicht. Der Grundsatz „ i n dubio abstine" gilt nicht für ihn; vielmehr treibt ihn die Dienstpflicht in mehr oder weniger starkem Maße i n ein Handeln auf das Geratewohl hinein. Der schädigende Irrtum, der menschlicherweise dabei m i t Dagegen sind vorbildliche Fälle von lange her: die Haftung des Richters, der seine Richterpflicht gröblich verletzt und die Partei dadurch schädigt, des Grundbuchbeamten, der den Eintrag pflichtwidrig versäumt, des Vormundschaftsrichters, der den Mündel pflichtwidrig zu Schaden kommen läßt. — Der Gerichtsvollzieher, der gegen das Verbot ohne richterliche Erlaubnis am Sonntag pfändet, wird dem Gepfändeten haftbar werden, wenn nachzuweisen ist, daß diesem aus der Pflichtverletzung ein Schade entstand (a. M. S c h e 1 h ο r η , in Annalen 1906 S. 539). Hierher gehören auch die Haftungen für unrichtige Auskunft; es hängt alles davon ab, ob die Erteilung einer solchen noch in der zu erfüllenden Amtspflicht begriffen war ( O e r t m a n n , Kom. I I zu § 839, 2 b β β β). Endlich sei noch erwähnt die Haftung der Post- und Telegraphenbeamten wegen des Schadens, den sie dem Absender durch Nichtbesorgung der ihnen dienstlich obliegenden Geschäfte zufügen (M e i 1 i , Haftpflicht der Postanstalten S. 141 ff.). Die Angestellten eines Privatpostunternehmens würden nicht so haften. Auf diesen Punkt wird unten § 51 zurückzukommen sein.

§ 18. Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen.

189

unterläuft, ist ein amtlicher Irrtum, den ihm der Dienstherr nicht als Amtspflichtverletzung anrechnen darf und der folglich auch keine Haftung dem Dritten gegenüber für ihn begründet. Für die Beamten, die besonders stark der Möglichkeit ausgesetzt sind, durch ihren I r r t u m ihre Mitbürger zu schädigen, für die r i c h t e r l i c h e n B e a m t e n in ihrer eigentlichen Spruchtätigkeit, ist dies von jeher anerkannt und m i t besonderer Schärfe zum Ausdruck gebracht worden. Die Grenzen der Haftbarmachung sind hier sehr eng gesteckt : nur die s t r a f b a r e Handlung eröffnet dazu die Möglichkeit 1 2 . Diese weitgehende Einschränkung versteht sich natürlich nicht von selbst und ist nicht ohne weiteres übertragbar auf andere Fälle von Beamtenhaftung. Aber der Grundgedanke, der in ihr zum Ausdruck kommt, wirkt doch notwendig darüber hinaus überall, wo gleichartige Verhältnisse gegeben sind. Den Weg dazu öffnet gerade der Begriff der Amtspflichtverletzung, an welchen § 839 die Haftung bindet. Überall, wo von dem Beamten verlangt wird, mit selbständiger Prüfung und eigenem Entschlüsse öffentliche Gewalt zu handhaben, wie es dem Augenblick entspricht, besteht auch in größerem oder geringerem Maße das Bedürfnis und der Wille des Staates, daß dies unbefangen und ohne allzu große Ängstlichkeit geschehe. So ist denn namentlich auch den o b r i g k e i t l i c h e n B e a m t e n und den V o l l streckungsbeamten i n der V e r w a l t u n g nicht als Pflichtverletzung anzurechnen ein Mißgriff, den das gefährliche A m t naturgemäß auch bei einem pflichttreuen Beamten hervorbringen kann. 12

B.G.B. § 839 Abs. 2 Satz 1. — Mot. zu I. Entw. I I S. 824: „Der Spruchrichter darf der Gefahr nicht ausgesetzt sein, wegen irrtümlicher Auslegung des Gesetzes, wegen irriger Anwendung des letzteren usw. zur Verantwortung gezogen zu werden" . . . „Eine solche Gefahr raubt ihm schon die zur Ausübung des Richteramtes nötige Unbefangenheit und macht ihn zu dieser Ausübung ungeeignet." Das Wort „Unbefangenheit" trifft den entscheidenden Punkt. Der Richter, wie ihn der Staat haben will, wird ohne Kummer um die nicht ausbleibenden Irrtümer und Fehlgriffe seine Sache erledigen; der Mann, der sich, um ja nicht fahrlässig zu sein, in jeden einzelnen Fall vertieft, ist weniger geeignet. Geht es dabei recht menschlich zu, so handelt es sich doch hier, rechtlich genommen, gar nicht um eine „auf Fahrlässigkeit beruhende Pflichtverletzung" oder überhaupt „Pflichtverletzung", für die nur nicht gehaftet wird: der Staat verlangt ja nicht mehr. Wenn die Motive I I S. 824 und ebenso der jetzige Text des § 839 Abs. 2 den Ausdruck gebrauchen, so ist er im Sinne sonst üblichen Maßstabes verstanden, nach welchem es allerdings Pflichtverletzung wäre. Wo es auf diese unbefangene Entschlußfreudigkeit nicht abgesehen ist, tritt auch sofort wieder der strengere Maßstab für die Pflichtverletzung ein: § 839 Abs. 2 Satz 2 (pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amtes).

190

Dritter Abschnitt. Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.

U n d solange es i n diesen Grenzen b l e i b t , i s t der fehlgehende B e a m t e auch n a c h außen g e d e c k t d u r c h sein A m t s e l b s t 1 3 . D e n v o l l e n Gegensatz z u den F ä l l e n des Spruchrichters u n d dessen, was i n der V e r w a l t u n g i h m gleicht, w o die A m t s p f l i c h t also wesentl i c h auf die erforderliche K r a f t der Entschlußfassung abgestellt b i l d e n solche Fälle, i n denen der B e a m t e eine f ü r s o r g l i c h e

ist,

Tätigkeit

e n t w i c k e l n , den E i n z e l n e n v o r Schädigung bewahren u n d seine A n gelegenheiten d u r c h die G e n a u i g k e i t o b r i g k e i t l i c h e r Feststellung sichern soll.

H i e r i s t gerade der I r r t u m der F e i n d , s a m t der

dem Mißverständnis,

der V e r w e c h s l u n g ;

vor

ihrer

Unkenntnis,

Einwirkung

die

Sache z u h ü t e n , i s t des B e a m t e n erste P f l i c h t , u n d w o er n i c h t i n d e r L a g e i s t sicher z u gehen, m u ß er a u f k l ä r e n oder seine M i t w i r k u n g verweigern. D i e N i c h t v e r m e i d u n g des I r r t u m s i s t selber schon P f l i c h t v e r l e t z u n g ; die H a f t u n g d e m geschädigten D r i t t e n gegenüber erscheint i n i h r e r ganzen S t r e n g e 1 4 . 13 Aus der älteren Praxis: C.C.H. 14. Juli 1866 (J.M.B1. 1866 S. 209): Der Polizeibeamte soll bei Feuersbrunst eine Scheune unnötigerweise niedergerissen haben; „Irrtum befreit". C.C.H. 10. Okt. 1868 (J. M.B1. 1868 S. 360): Der Grenzaufseher war „befugt", die Ware zu beschlagnahmen, wenn er überzeugt war, daß sie geschmuggelt sei; ob sie das wirklich war, ist dann für seine Schadensersatzpflicht gleichgültig. — I n der B. G.B.Kommission I I . Lesung war geltend gemacht worden, die Gründe, welche den Entwurf bestimmt hatten, bei richterlichen Beamten die Haftung zu beschränken, „träfen bei allen Beamten zu"; es gehe nicht an, sie „wegen jedes Mißgriffs haften zu lassen". Die Mehrheit gab zu, daß die Haftung auch hier eine „unerwünschte Ängstlichkeit in der Amtsführung zur Folge haben könne", verwies aber namentlich auf eine Reihe von Beamtentätigkeiten, bei welchen „die Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit unmöglich sei" (Prot. I I S. 661, 662). Dieser Einwand trifft zu; der Antrag hatte die nötige Unterscheidung nicht gemacht. — Die Praxis kommt auch ohne ausdrückliche Bestimmung des B.G.B, innerhalb der richtigen Grenzen auf das alte Ergebnis hinaus; R.G. 1. Juli 1902 (Entsch. L I I S. 107): Polizeidirektor hat eine Schankwirtschaft geschlossen; Klage auf Schadensersatz, weil die Verfügung auf Irrtum beruhe; aber, indem der Beklagte „aus dem Ergebnisse der Ermittlungen die Überzeugung schöpfte, daß der Kläger sein Gewerbe zur Förderung der Unzucht mißbrauche, befand er sich in der rechtmäßigen Ausübung seiner amtlichen Befugnisse. Er war durch sein Amt verpflichtet, nach bestem Können die gegebene Sachlage zu beurteilen, und wenn er bei der Beurteilung des Beweisergebnisses geirrt haben sollte, so würde dadurch seine amtliche Handlungsweise nicht als eine gesetzwidrige erscheinen". Es verdient beachtet zu werden, wie hier der Irrtum nicht das Verschulden, sondern die Gesetzwidrigkeit, Amtspflichtverletzung im Sinne von § 839 ausschließen soll; vgl. unten Note 16 und Note 17. 14

Als die Gebiete, für welche eine Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit nicht möglich sei, wurden in der Kommission I I . Lesung bezeichnet: das Grundbuchwesen, das Vormundschafts- und Hinterlegungswesen (Prot. I I

§ 18. Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen.

191

Zwischen den beiden Endgruppen liegt dann das Gebiet amtlicher Tätigkeit, für welches die Amtspflicht eine besondere B e s t i m m t h e i t g e g e n ü b e r d e r F r a g e des I r r t u m s n i c h t e n t h ä l t 1 5 . D a n n kann der I r r t u m gleichwohl noch in Betracht kommen für die E n t scheidung über die Schadensersatzverbindlichkeit. Aber dieses nur nach Maßgabe der gewöhnlichen Regeln des Rechts der unerlaubten Handlungen, insofern auch bei der Beamtenhaftung ein V e r s c h u l d e n verlangt wird, welches der I r r t u m auszuschließen vermag 1 6 . — Noch eigentümlicher ist die zweite Besonderheit der Beamten· haftpflicht: Einwirkung des D i e n s t b e f e h l s . Auf dem Gebiete des Privatrechts, wo der eine für den anderen zu handeln berufen ist, kann der Geschäftsherr Anweisungen geben, die das Verhalten seines Vertreters näher bestimmen; kommt aber die rechtswidrige Schädigung eines Dritten dabei heraus, so wird der Vertreter, der persönlich i n Anspruch genommen werden soll, sich vergeblich auf die richtig ausgeführte Anweisung berufen. Die persönliche Haftung des Beamten aber gemäß B.G.B. § 839 richtet sich auch im Außenverhältnis nach seiner Dienstpflicht, und diese selbst wird durch den Dienstbefehl in maßgebender Weise bestimmt. Eine Nachprüfung und gegebenen Falles Gehorsamsverweigerung ist dem Untergebenen nur in beschränktem Maße gestattet. Wo die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, bindet den Untergebenen der Dienstbefehl schlechthin und bestimmt die Amtspflicht, selbst wenn der Erfolg für den Dritten eine rechtswidrige Schädigung bedeuten sollte (vgl. unten § 45 I). Also ist diese Schädigung gleichwohl für den Beamten keine Verletzung der dem Dritten gegenüber ihm obliegenden Amtspflicht, die S. 662). Das sind in der Tat die Hauptbeispiele verschärfter Haftpflicht aus dem der Kommission vertrauten Bereiche der Justiz. Ein Beispiel, wie sehr diese sich hier ins Einzelne nachrechnen lassen muß, in R.G. 21. Febr. 1908 (Entsch. L X V I I S. 408). — Bei der Verwaltung wird namentlich der Betrieb der öffentlichen Anstalten solche Fürsorgepflichten hervorbringen: Schulen, Leihhäuser, Schlachthäuser u. dgl. 15 Der I . Entwurf § 736 Abs. 3 hatte die Besonderheit des Spruchrichters auch gelten lassen wollen „bei der ihm obliegenden L e i t u n g einer Rechtssache". Das ist gestrichen worden. Damit ist dieses Geschäft aber nicht von selbst eingetreten in den Kreis der verschärften Verantwortlichkeiten, welche die besonderen Fürsorgepflichten bedeuten. I n der Verwaltung wird das als der Normalfall anzusehen sein, aber dem tatsächlichen Umfang nach lassen jene beiden gegensätzlichen Bestimmungen auch nicht soviel für ihn übrig. 16 Das ist aber dann eben nicht der besondere amtliche Irrtum, der die Amtspflichtverletzung ausschließt, und kommt deshalb bei der hier unter I I n. 2 zu behandelnden V o r e n t s c h e i d u n g nicht in Betracht: O p p e n h o f f , Ressortverhältnisse (1904) S. 410 Note 67. Vgl. auch hier unten Note 17.

Dritter Abschnitt. Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. i h n n a c h § 839 h a f t b a r m a c h e n k ö n n t e .

A u f diesem Wege m u ß t e es

d i e eigentümliche A r t , w i e die B e a m t e n h a f t u n g m i t t e l s eines N a c h außenwirkens der D i e n s t p f l i c h t geordnet i s t , v o n selbst a u c h m i t sich b r i n g e n , daß der D i e n s t b e f e h l d e m B e a m t e n als e i n

Befreiungs-

g r u n d zustatten k o m m t 1 7 . I I . D e r Schadensersatzanspruch des V e r l e t z t e n gegen d e n schuldigen B e a m t e n bedeutet, w e n n er g e l t e n d gemacht werden soll, ebenso wie der A n s p r u c h gegen d e n d u r c h Gesetz d a f ü r h a f t b a r e r k l ä r t e n S t a a t , eine zweifellose bürgerliche R e c h t s s t r e i t i g k e i t i m Sinne v o n

G.V.G.

§ 1318. E s s i n d aber gerade f ü r d e n F a l l , der uns a l l e i n angeht, w o n ä m l i c h die V e r l e t z u n g auf d e m B o d e n der öffentlichen V e r w a l t u n g , Ausübung

der öffentlichen

schwerungen

der

Gewalt",

zugefügt

Rechtsverfolgung

ist, eigenartige

eingerichtet

worden.

„in ErSie

h a b e n den Zweck, die V e r w a l t u n g gegenüber der J u s t i z , die j a d u r c h diese Sachen m i t t e l b a r einen sehr m ä c h t i g e n E i n f l u ß a u f sie ausübt, wieder 17

einigermaßen i n i h r e r

Selbständigkeit

sicherzustellen.

Eine

B a u e r , in Annalen 1902 S. 900: „Es kann nicht zweifelhaft sein, daß — soweit die Gehorsamspflicht reicht — der Gehorchende von zivilrechtlicher Haftung . . . frei bleiben muß." Mit Recht bezeichnet das B a u e r zunächst als ein bloßes Postulat; die Erfüllung sieht er aber gegeben in B.G.B. § 823, wonach jede Haftung ein Verschulden voraussetzt; von einem solchen könne aber „auf Seite des Gehorchenden dann keine Rede sein, wenn er nach Lage der Sache mit Recht glauben durfte, in Vollziehung eines für ihn verbindlichen Befehls zu handeln". — Damit geraten wir in ein falsches, wenn auch viel befahrenes Geleise. Das Postulat ist durch den Begriff der Amtspflichtverletzung in § 839 selbst erfüllt. E s h a n d e l t s i c h n i c h t u m I r r t u m , g u t e n G l a u b e n , V e r s c h u l d e n . Der Befehl deckt vor der Haftung, soweit er bindet; das tut er unter Umständen auch bei rechtswidriger Maßregel; dann tut er es aber auch, ohne daß noch ein Irrtum dazu zu kommen brauchte: auch der erfahrene Beamte, der den Kopf schüttelt über den Mißgriff seines jungen Vorgesetzten, muß unter Umständen gehorchen und ist dann gedeckt. Es wäre schlimm, wenn es anders wäre. Erst wenn ein bindender Befehl und eine Gehorsamspflicht nicht besteht, kann noch der Irrtum in Betracht kommen und die Frage, inwieweit er wegen mangelnden Verschuldens die Haftung ausschließt. Das wird vor allem der Fall sein, wenn der äußerliche Tatbestand einer strafbaren Handlung vorliegt, eben aus dem einfachen Grunde, weil hierfür der Dienstbefehl nicht bindet und folglich auch nicht deckt; vgl. unten § 45, I n. 1. Die beiden Gesichtspunkte sind säuberlich getrennt zu halten. Sonst ist es leicht, das Gesetz zu umgehen, indem man den rechtswidrigen und deshalb nicht bindenden Dienstbefehl bei dem Untergebenen jeweils wenigstens eine schützende Unzurechnungsfähigkeit wegen Irrtums erzeugen läßt. 18 Die Amtspflichtverletzung ist allerdings eine öffentlich-rechtliche Vorfrage, die aber als solche der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit keinen Eintrag tut: vgl. oben § 17, I I n. 2.

§ 18. Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen.

193

gewisse Verwandtschaft m i t der Grundidee des Kompetenzkonflikts ist von vornherein nicht zu verkennen. 1. Wie für den Kompetenzkonflikt, so hat auch für diese Hemmungen des Vorgehens wegen rechtswidriger Amtshandlungen das f r a n z ö s i s c h e R e c h t das Vorbild geliefert. Die Schadensersatzklage gegen den fehlenden Beamten gehörte immer auch dort vor die ordentlichen Gerichte. Allein sofern es sich dabei um die Beurteilung der Rechtsgültigkeit eines Verwaltungsaktes handelte, griff der strenge Grundsatz Platz, wonach die Gerichte dafür u n z u s t ä n d i g sind und aussetzen müssen, bis die Verwaltung über diese Vorfrage entschieden h a t 1 9 . Dazu kam dann durch die Verfassung vom 22. frim. V I I I Art. 75 die sogenannte g a r a n t i e cons t i t u t i o n n e l l e , wonach Beamte der öffentlichen Verwaltung wegen ihrer Amtshandlungen nur mit besonderer Erlaubnis (autorisation préalable) des Staatsrats als beratenden Verwaltungskollegiums gerichtlich verfolgt werden dürfen. Die fehlende Erlaubnis bedeutet einen w e s e n t l i c h e n F o r m f e h l e r · f ü r das Verfahren; die erteilte begründet aber zugleich die Zuständigkeit für jene Vorfrage 20 . Auf deutschem Boden haben vor den Reichs-Justizgesetzen beide Gesichtspunkte ihre Rolle gespielt, nicht immer m i t der erforderlichen Klarheit unterschieden. I n B a y e r n bestand für die Pfalz die garantie constitutionnelle fort m i t der Notwendigkeit einer V e r f o l g u n g s e r l a u b n i s ; i m Hauptlande war nur etwas wie die Z u s t ä n d i g k e i t s r e g e l des französischen Rechtes zur Geltung gekommen: das Gericht mußte ,,den Rechtsweg als zur Zeit unzulässig erklären", wenn die Verschuldung des angeklagten Beamten nicht vor Erhebung der Klage i m Dienstwege festgestellt w a r 2 1 . I n P r e u ß e n sollte nach Gesetz über polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 § 6 der Rechtsweg ,,zur Geltendmachung der Vertretungsverbindlichkeit der Beamten" nur dann zulässig sein, wenn die Verfügung ,,im Wege der Beschwerde als gesetzwidrig oder unzulässig aufgehoben wird". Das entspricht der soeben erwähnten 19

Vgl. oben § 17 Note 13. Theorie d. franz. Verw.R. S. 98 ff. Gegen das Verfahren ohne Verfolgungserlaubnis gibt es keinen Kompetenzkonflikt: D u f o u r , dr. adm. H i n . 531. 21 So bekundet S e v d e 1, Bayr. St.R. I , S. 599, die Praxis; sie hängt mit der grundsätzlichen Behandlung der öffentlich-rechtlichen Vorfrage im französischen Sinne zusammen; vgl. oben § 17 Note 13; die Abweichung, daß das Gericht um dieser Vorfrage willen, statt die Sache auszusetzen, sich „zur Zeit unzuständig" erklärt, ist nicht wesentlich. Vgl. S e y d e l a. a. Ο. S. 587 ff., S. 601; L i p p m a η η in Annalen. 1885 S. 451 ff., 456 Note 3; Κ a h r , Verw. Ger. Ges. S. 65. 20

B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , Verwaltunger. I . 3. Aufl.

13

194

Dritter Abschnitt. Der Rechtsschutz i n Verwaltungssachen.

bayrischen Z u s t ä n d i g k e i t s b e s c h r ä n k u n g um der öffentlich-rechtlichen Vorfrage willen. Dazu kam dann das Gesetz betreffend die K o n f l i k t e vom 13. Februar 1854 mit einer Nachbildung der garantie constitutionnelle. Die Notwendigkeit einer Verfolgungserlaubnis besteht aber hier nicht von vornherein, sondern nur dann, wenn die vorgesetzte Behörde des Verklagten die Frage auf wirft, ,,den Konflikt erhebt". Auch über diesen entscheidet der Kompetenzkonfliktsgerichtshof. Aber sein Ausspruch hat dabei nicht zum Inhalt eine Zuständigkeitsfrage, sondern : ,,ob dem Beamten eine zur gerichtlichen Verfolgung g e e i g n e t e Überschreitung seiner Amtsbefugnisse oder Unterlassung einer ihm obliegenden Amtshandlung zur Last fällt". Das ist die autorisation préalable des französischen Rechts, Zweckmäßigkeitserwägungen sind dabei maßgebend wie d o r t 2 2 , und der Mangel der Verfolgungserlaubnis macht das Verfahren unzulässig und ungültig wegen nichterfüllter Formbedingung 2 3 . 2. I n diese Rechtszustände greift nun die Reichsjustizgesetzgebung hinein m i t den schwer erkämpften Bestimmungen des § 11 E.G. zum G.V.G.: die Zulässigkeit der gerichtlichen Verfolgung von Beamten wegen einer Amtshandlung kann an eine reichsgesetzlich reglementierte V o r e n t s c h e i d u n g gebunden, sonst aber von der Landesgesetzgebung nicht beschränkt werden. Diese Vorentscheidung vertritt die Stelle der französisch-rechtlichen V e r f o l g u n g s e r l a u b n i s nach der garantie constitutionnelle; alle anderen Einrichtungen dieser A r t und Absicht sind durch § 11 ausgeschlossen. Nicht getroffen sind davon landesgesetzliche Bestimmungen, welche im Sinne des anderen Grundsatzes des französischen Rechts die Z u s t ä n d i g k e i t der Gerichte einschränken mit Rücksicht auf die Amtshandlung, die hier auf ihre Rechtsgültigkeit zu untersuchen und zu prüfen wäre. M i t diesen hat aber die Reichsjustizgesetzgebung bereits aufgeräumt durch die unverbrüchlichen Regeln, mit welchen sie die gerichtliche Zuständigkeit gerade vor solchen Beeinträchtigungen sichern wollte 2 4 . 22 Bei der zweiten Beratung des G.V.G. im Reichstagsplenum spendete G n e i s t dem Kompetenzkonfliktshof das Lob, daß er von dem ihm dadurch eingeräumten freien Ermessen keinen Gebrauch gemacht habe: H a h n , Mat. ζ. G.V.G. I I , S. 1407. 23 Die Fachaasdrücke waren von Anfang an sehr unglücklich. Der „Konflikt" betrifft nicht die Zuständigkeitsfrage, ist daher „kein eigentlicher Kompetenzkonflikt": O p p e n h o f f , Ressortverh. (1904), S. 396 Anm. 6. Vermengungen kamen immer vor; vgL ζ . B. C.C.H. 11. Dez. 1858 (J. M. Bl. 1864 S. 92). 24 Das gilt von den beiden oben besonders erwähnten Einrichtungen dieser Art, der bayrischen und der preußischen. I n Bayern hat man, in der Annahme, daß das bisher beobachtete Verfahren

§ 18. Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen. Das Vorentscheidungsinstitut

selbst gestaltete sich aber

195 gemäß

der reichsrechtlichen N o r m a t i v b e s t i m m u n g e n wie f o l g t : V o r a u s g e s e t z t w i r d , daß die V e r f o l g u n g , K l a g e i m Zivilprozeß oder K l a g e u n d A n k l a g e i m öffentlichen

Strafprozeß,

sich r i c h t e t gegen einen

B e a m t e n u n d gegründet w i r d auf a m t l i c h e s

Ver-

h a l t e n i n D i n g e n , die n i c h t eine V e r t r e t u n g des F i s k u s bedeuten, also a u f d e m G e b i e t e d e r ö f f e n t l i c h e n G e w a l t , des öffentlichen R e c h t s liegen. Das Anwendungsgebiet der Vorentscheidung d e c k t sich m i t d e m v o n B . G . B . § 839. D a s Landesgesetz k a n n alsdann die Zulässigkeit der gerichtlichen Verfolgung u n b e d i n g t a n eine dafür lautende V o r e n t s c h e i d u n g b i n den oder n u r f ü r den F a l l des V e r l a n g e n s der vorgesetzten Behörde des Verfolgten.

Ersterenfalls w i r k t das V e r b o t u n d die U n g ü l t i g k e i t

des Verfahrens ohne günstige Vorentscheidung sofort, letzterenfalls erst mit

diesem Verlangen,

das d a r i n der

Kompetenzkonfliktserhebung

gleicht. M i t der R e c h t s k r a f t des gerichtlichen U r t e i l s erledigt sich beides. Zuständig

zur Vorentscheidung w a r das oberste

Verwaltungs-

g e r i c h t oder, w o e i n solches n i c h t besteht, das Reichsgericht.

Dieser

unhaltbar geworden sei, durch Ges. vom 8. Aug. 1879 Art. 7 Abs. 2 eine Vorentscheidung im Sinne von § 11 E.G. z. G.V.G. schaffen wollen. Die bayrischen Schriftsteller behaupteten dann durchweg, diese Annahme sei ein Irrtum von Regierung und Volksvertretung gewesen: K a h r , V.G.H.Ges. S. 68 Note 1; Η a u s e r , in Ztschft. f. Reichs- u. Landesrecht I V , S. 285, 303 ff. ; Κ r a i * , in Bl. f. adm. Pr. X X X I I I , S. 114; S e y d e l , Bayr. St.R. (1. Aufl.) I I , S. 461; L i p p m a n n , in Annalen 1895 S. 467 Note 2. Wenn man, wie die genannten Schriftsteller wollen, diese Ordnung n e b e n der neuen Vorentscheidungseinrichtung fortbestehen läßt, so erhält die Klage nach der Schilderung, welche Η a u s e r , in Ztschft. f. Reichs- u. Landesrecht I V S. 306, V S. 21, gegeben hat, folgenden Gang: Zuerst muß der Kläger eine Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörde erwirken über die Rechtmäßigbeit der schädigenden Maßregel; ist diese verneint, so erwirkt er bei dem obersten Verwaltungsgericht eine Vorentscheidung über die Zulässigkeit der Verfolgung; ist diese bejaht, so kommt er — endlich ! — an das zuständige Zivilgericht, um eine Verurteilung zu beantragen. H a u s e r geht aber dabei von der irrtümlichen Meinung aus, das sei auch nach französischem Rechte so gewesen; vgl. jedoch oben bei Note 21. I n Preußen scheint es herrschende Meinung gewesen zu sein, daß die Zuständigkeitsbeschränkung wegen der öffentlich-rechtlichen Vorfrage, wie § 6 des Ges. v. 1842 sie schuf, neben der reichsgesetzmäßig eingerichteten Vorentscheidung noch fortbestehe; vgl. namentlich L.V.G. § 131. Man kommt dadurch ganz zu dem Gang des Verfahrens, wie wir ihn soeben von Hauser geschildert sahen: O.V.G. 11. Febr. 1882 (Entsch. S. 413) unterscheidet sorgfältig die nämlichen drei Verfahrensarten, die der bedauernswerte Kläger durchzumachen hat. Auch das Reichsgericht hat sich zu dieser Auffassung bekannt: R.G. 26. April 1887 ( X V I I I S. 123); 29. Mai 1902 ( G r u c h o t , Beitr. X L V I , S. 1103).

196

Dritter Abschnitt. Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.

Gerichtshof beobachtet äußerlich die gewöhnlichen Formen seiner Tätigkeit; namentlich werden die Beteiligten gehört. Aber ein Parteiverfahren ist das hier nicht, sowenig wie beim Kompetenzkonflikt, und die Entscheidung ist kein rechtskraftfähiges Urteil: sie fügt sich ein in jene besondere Gruppe von Beschlüssen oberster Überwachungsbehörden, die wir schon beobachtet haben (vgl. oben § 17 Note 21). Die Entscheidung hatte zum Inhalt die Erteilung oder Versagung der V e r f o l g u n g s e r l a u b n i s i m Sinne der garantie constitutionnelle und der preußischen Konfliktsentscheidung, nur daß das jetzt nicht mehr geschieht aus Zweckmäßigkeitserwägungen und m i t irgendwelchem freien Ermessen, sondern i m Wege des reinen A u s s p r u c h s dessen, was R e c h t e n s ist. Wenn festgestellt wird, daß von selben des Beamten der rechtswidrige Erfolg herbeigeführt worden ist durch Verletzung seiner Amtspflicht in dem oben I n. 2 genauer ausgeführten Sinne, so liegt i n dieser Feststellung die Verfolgungserlaubnis. Es ist eine gebundene Erlaubniserteilung 25 . Dem entspricht auch die W i r k u n g der e r g a n g e n e n V o r e n t s c h e i d u n g . Ist sie verneinend ausgefallen, so bewendet es bei dem Verbot und der formalen Unzulässigkeit der Rechtsverfolgung. H a t sie die Amtspflichtverletzung festgestellt, so beseitigt sie das Hindernis, aber ihre Wirkung geht nicht darüber hinaus: das ordentliche Gericht geht jetzt frei seinen Weg, ohne irgendwie an das Festgestellte gebunden zu sein. Das ganze Rechtsinstitut der Vorentscheidung, an welche die Klage gegen den haftenden Beamten gebunden sein soll, ist jetzt erloschen zufolge der Bestimmung der R.V. von 1919 Art. 131 Abs. 1 S. 3: ,,Der ordentliche Rechtsweg darf nicht ausgeschlossen werden." Besser gesagt : es ist e r s e t z t durch eine Einrichtung, welche seinen Zweck noch gründlicher und sicherer erreichen möchte: durch den Ausschluß der unmittelbaren Haftung gegenüber dem Beschädigten. Davon soll nunmehr noch die Rede sein. I I I . Der Gegensatz zwischen dem schädigenden Beamten des Fiskus, für welchen gemäß B.G.B. §§ 31 und 87 sein D i e n s t h e r r einzustehen hat, und dem des eigentlichen Staates, bei dem das nicht der Fall ist, hat nicht bloß dahin geführt, die persönliche Haftung der letzteren A r t von Beamten schärfer zu betonen. Die Hereinziehung des Fiskus 25 Die Errungenschaft, welche die neugeordnete Vorentscheidung für Preußen bedeuten sollte gegenüber dem bisherigen Rechtszustande, bezeichnete L a s k e r in den Reichstagsverhandlungen mit dem Satze: „Keine ins bloße Belieben gestellte Entscheidung, und die Entscheidung nicht von einer Verwaltungsbehörde, sondern von einem wahrhaften Gericht" ( H a h n , Mat. ζ . G.V.G. IT S. 1616 ff.).

§ 18. Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen.

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im ersten Falle wirkte auch als nachahmenswertes Beispiel für die Ordnung der Dinge diesem zweiten Dienstherrn gegenüber. Warum sollte der von dem Beamten des Fiskus Geschädigte allein den Vorzug haben, für seinen Anspruch durch einen so zahlungsfähigen Mitschuldner gesichert zu sein? Die Gerechtigkeit schien eine Gleichbehandlung des durch den obrigkeitlichen Beamten des Staates Geschädigten zu fordern. Nach der angenommenen Rollenverteilung hatte das wegen der Landesbeamten durch die Landesgesetze zu geschehen, die sich meist alsbald jener Strömung fügten. E.G. z. B.G.B. Art. 77 hatte sie sofort schon 4dazu ermächtigt. Ihnen schloß dann auch das Reich sich an wegen seiner eigenen Beamten. Man ging aber jetzt vielfach noch über jenes Vorbild hinaus, indem die Haftung des Beamten selber gänzlich ausgeschlossen wurde. Dem Verletzten gegenüber blieb also jetzt der Staat allein der Schuldner, der dann seinen Rückgriff nehmen mochte gegen den eigentlichen Urheber des Schadens. E.G. Art. 77 hatte auch hierfür sofort die Ermächtigung gegeben 26 . Hier hat offenbar der Gedankengang des Instituts der Vorentscheidung eingewirkt (oben I I n. 2): was dieses anstrebte, das Beamtentum der öffentlichen Verwaltung zu kräftiger Handhabung der ihm anvertrauten Gewalt zu ermutigen, wurde natürlich durch diese gänzliche Streichung der Ansprüche, m i t welchen man es von privater Seite behelligen konnte, noch besser erreicht 2 7 . Die R.V. von 1919 A r t . 131 erhob diese Einrichtung zu einem ihrer Grundrechte für alles obrigkeitliche Beamtentum. Gegenüber dem bisherigen Rechtszustand ist dabei eine Einschränkung nur insofern gemacht, als das nur „grundsätzlich* gelten soll. Die Gesetzgebung kann also Ausnahmen zulassen, in welchen der Beamte doch noch selbst haftet. Der Rückgriff auf ihn bleibt auch jetzt noch dem in Anspruch genommenen Staate ausdrücklich vorbehalten. 26

Pr. Ges. v. L Aug. 1909 § 1; bayr. A.G. z. B.G.B. Art. 60; württ. A.G. z. B.G.B. Art. 202; bad. A.G. z. B.G.B. Art. 5; oldenb. Ges. v. 22. Dez. 1908 § 1. Das Reich trat dem auch seinerseits wieder bei durch sein Gres. ν. 22. Mai 1910 § 1. 27 Auf dem Gebiete des Fiskus, wo die Vorentscheidung nie galt, ist denn auch die Befreiung der Beamten von der Haftung dem Geschädigten gegenüber nicht weggefallen. — Seltsamerweise hat man sie zum Teil durch die Landesgesetze, welche die neue Klage gegen den eigentlichen Staat selber zuließen, auch für diese einführen wollen (preuß. Ges. v. 6. Aug. 1909 § 2; bayr. V.G.H.Ges. v. 8. Aug. 1878 Art. 7 Abs. 2; bad. Ges. v. 17. Juni 1899 Art. 5 Abs. 2). Das war aber durch E.G. z. G.V.G. § 11 nicht gestattet und folglich durch E.G. zu Z.Pr.O. § 4 verboten. F. S t e i n , Inst. u. Verw. S. 119; Sc h e r er, Komm, zu E.G. z. B.G.B. S. 104; T h o m a . Jahrb. d. öff. R, I V S. 208; F 1 e i η e r , Institutionen S. 270 Note 22.

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Dritter Abschnitt. Der Rechtsschutz i n Verwaltungssachen.

Auf diese Weise hat aber das ganze Rechtsinstitut der Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen seine ursprüngliche A r t stark verändert, und zwar vornehmlich nach zwei Seiten hin: 1. Es hat aufgehört, i n erster Linie als ein wirksamer Schutz der Untertanen gedacht zu sein, der geeignet wäre, diese Werkzeuge der öffentlichen Gewalt aus Rücksicht auf ihr eigenes Wohlergehen i n den Bahnen des Rechts zu halten. Es geht zunächst nur noch auf Ausgleichung des zugefügten Vermögensnachteils und hält sich dafür statt an den Täter an den der Schuld unfähigen Staat. Dieser aber wäre durch gar nichts anderes berufen, so belastet zu werden, als durch den äußerlichen Zusammenhang des rechtswidrigen Vorkommnisses m i t dem ihm zugehörigen Stück öffentlicher Verwaltung, aus dem es hervorging. Das Gesetz hat ja der Sache — offenbar wegen des Gleichklanges mit der angeordneten unmittelbaren Haftung des Fiskus für seinen Beamten — die Gestalt einer bürgerlich-rechtlichen Deliktshaftung gegeben, und die darauf zu gründende Zuständigkeit der bürgerlichen Gerichte bleibt bestehn. Deshalb dürfen wir aber doch nicht übersehen, daß der Fall viel mehr wesensverwandt ist mit der Entschädigungspflicht des Staates für unschuldig erlittene Untersuchungshaft oder Freiheitsstrafe oder, noch besser, mit dem großen Rechtsinstitut der a u s g l e i c h e n d e n E n t s c h ä d i g u n g (vgl. unten Bd. I I §§ 53 und 54). Hier handelt es sich allerdings um ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e Rechtsinstitute. Aber bei der Vorbereitung des B.G.B, Ì61 es ja auch mehrfach zum Ausdruck gekommen, daß man sich bei dieser Frage der Staatshaftung mehr auf dem Boden des öffentlichen Rechtes bewege 28 . Das war der richtige juristische Instinkt. Erst hinterdrein, wenn der Staat den Geschädigten hat befriedigen müssen, kann es dazu kommen, daß der Verursacher selbst gefaßt wird, indem der Staat den ihm vorbehaltenen Rückgriff gegen diesen nimmt. K a n n ! Möglicherweise ist die Amtspflicht verletzt gewesen, der Beamte aber durch persönliche Entschuldigungsgründe gedeckt: Irrtum, Befehl 2 9 . Oder die leitende Behörde hat sonst Bedenken gegen den geltend zu machenden Anspruch, ob er rechtlich begründet sei, oder 28

Mot. zu I Entw. I S. 103: „eine öffentlich-rechtliche Frage"; Kommission I I . Lesung I S. 611: „Die Anordnung der Haftpflicht des Staates würde auf das tiefste in das öffentliche Recht einschneiden." I I S. 662: „enger Zusammenhang dieser Frage mit dem öffentlichen Rechte". 29 Vgl. S. 188 ff. Daß der Staat dem Geschädigten gegenüber auf den Irrtum seines Beamten sich nicht hat berufen können, dürfte selbstverständlich sein: erscheint er doch gerade durch diesen mit seiner Einrichtung als der wahre Urheber des Schadens. Der Gedanke der öffentlich-rechtlichen Entschädigung kommt darin klar zum Vorschein.

§ 18. Haftung für rechtswidrige Amtshandlungen.

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ob seine Geltendmachung der Billigkeit und dem wahren Besten des Staates entspräche 30 . 2. Bedeutsamer noch ist die p o l i t i s c h e Seite des so geschaffenen neuen Rechtszustandes, die Machtfrage, um die es sich dabei handelt. Die Hemmungen, welche das f r a n z ö s i s c h e Recht den Gerichten bereitet hatte zum Schutze der Verwaltung, bekamen von Anfang an ihre Schärfe durch die sozialen Gegensätze, die hier obwalteten. Das französische Richtertum war eine ausgeprägte Aristokratie, noblesse de robe, während das königliche Beamtentum, das i n der Verwaltung den Ton angab, aus dem brauchbaren Plebejertum sich rekrutierte. I n D e u t s c h l a n d hatte der auf den Universitäten ausgebildete gelehrte Berufsstand sich auch der Verwaltung bemächtigt, wie sie sich allmählich herausgestaltete. Die beiderlei Behördenreihen standen nie i n so schroffer Gegensätzlichkeit wie in Frankreich. Die von dorther übernommenen Schutzvorkehrungen wurden als überflüssig empfunden. Eine gemeinsame Standesehre umfaßt beide Teile, zur Strenge geneigt, wo man den fehlsamen Beamten überhaupt aufgeben will, aber auch geneigt, etwas durchgehen zu lassen, wenn man ihn doch behalten muß. Das würde, wie bisher bei den Gerichten, so künftig auch bei den oberen Verwaltungsbehörden zur Geltung kommen, die jetzt über die Frage des zu nehmenden Rückgriffes entscheiden. Nun aber wollte es das Schicksal, daß, bevor man noch m i t der neuen Einrichtung Erfahrungen gemacht hatte, auch die A r t und die politische Stellung unseres Verwaltungsbeamtentums einer großen Umwälzung ausgesetzt wurden: an die Stelle der i m wesentlichen sich selbst regierenden Bildungsaristokratie möchte jetzt ein politisches Parteiregiment maßgebend werden, vielleicht nach amerikanischem Muster, vielleicht auch besonders stark durch materielle Interessen bestimmt. Die Behandlung der Rückgriffsfrage würde sich dabei zu einem Machtmittel der Partei gestalten. W i r können zur Zeit noch nicht wissen, worauf es hinausläuft. 30

) Es kommen hier ähnliche Gesichtspunkte in Betracht wie bei der Verhängung einer verwirkten Disziplinarstrafe (vgl. unten § 45, I I I ) . Ein ausdrücklicher Erlaß pflegt in beiden Fällen nicht stattzufinden.

Besonderer Teil.

Erster Abschnitt.

Die Polizeigewalt. § 19.

Entwicklung des Polizeibegriffs. Die P o l i z e i ist eine besondere A r t der Verwaltungstätigkeit. Die P o l i z e i g e w a l t ist die dieser Tätigkeit eigentümliche Erscheinung der öffentlichen Gewalt. Die Rechtsinstitute, in welchen die letztere sich entfaltet, sind Gegenstand dieses Abschnittes. I . Der Begriff der Polizei hat eine bedeutungsvolle Geschichte hinter sich 1 . Der Name trägt das Gepräge seines Ursprungs im Zeitalter der Renaissance: πολιτεία, politia, das w o h l g e o r d n e t e Gem e i n w e s e n , sodann aber auch dieser g u t e S t a n d des G e m e i n wesens selbst als ein zu erstrebendes Ziel der Obrigkeit 2 . Von da überträgt sich der Name weiter auf die M a ß r e g e l n , mit welchen die Obrigkeit ihrerseits zur Erreichung dieses Zieles beitragen will über Zivil- und Strafrechtspflege und mancherlei schon vorhandene Wohlfahrtseinrichtungen hinaus. Die ganze Idee war ursprünglich auf dem Boden der s t ä d t i schen Gemeinwesen gewachsen3. Auch als sie sich davon losgelöst 1 F u n k e , Die Auffassung des Begriffs der Polizei im vorigen (18.) Jahrhundert, in Ztschschft. f. St.Wissenschaft 1863 S. 489 ff .; S c h i 11 i η g, in Verw.. Arch. I I S. 474 ff. ; J u η g e 1, Begriff der Polizei im württ. R. S. 13 ff. ; R ο s i η , in Wörterb. d. St. u. Verw.R. I I I S. 96 ff.; W ο 1 ζ e η d ο r f f, Die Grenzen der Polizeigewalt, Marburger jurist, staatsw. Seminar Heft 3 u. 5. 2 v . S e c k e n d o r f , Fürstenstaat I I Kap. V I I I , 2: „Der Hauptzweck dessen allen ist die heilsame Erhaltung der Polizei oder des ganzen Regiments in seiner Ehre, Kraft und Hoheit, und das letzte Ziel ist die Ehre Gottes." R e i n k i n gk, Biblische Polizei (1656), Vorrede. 3 L o i s e a u , Trait é des seigneuries (1609) chap. I X η. 1 ; D e 1 a m a r e, Τ rait é de la police (1722); J u s t i , Pol. Wissensch. Einl. § 3 Note. Vgl. auch Μ y 1 i u s , Const. March. V S. 59, S. 71 („Polizeiverordnungen" für Städte), und V S. 83 (die gleichen Dinge als „Ordnung und Konstitution für die Bauersleut"); Bd. V S. 98 finden sich dann die bekannten „Polizei-Ausreuter", wesentlich bestimmt, die städtische Nahrung gegen das platte Land zu schützen: es handelt sich um „das Polizeiwesen und das davon dependierende Wohlsein der Einwohner in Städten".

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Die Polizeigewalt.

hatte, umfaßte die Polizei zunächst nur einen beschränkten Kreis von Gegenständen, die i n den Reichs- und Landespolizeiordnungen m i t ziemlicher Regelmäßigkeit wiederkehren 4 . I m Übergang zur neueren Zeit aber nimmt sie jenen mächtigen Aufschwung, so daß sie schließlich ihren Namen leiht, um den Staat in seinem ganzen Verhältnis zum Untertanen zu kennzeichnen. Heer und Justiz sind gegeben. Was d a r ü b e r h i n a u s v o r z u k e h r e n i s t z u S c h u t z u n d F r o m m e n des G e m e i n w e s e n s u n d d e r e r , d i e i n i h m b e g r i f f e n s i n d , das ist alles P o l i z e i . Nicht bloß unsere ganze innere Verwaltung gehört zu ihr. Auch das Heer hat seine Polizei und wird durch polizeiliche Maßnahmen unterstützt, die Polizei macht sich nützlich für die Gestaltung und den Schutz der Privatrechtsverhältnisse, umgibt mit ihrer Aufsicht und Fürsorge Justiz, Kirchen- und Gemeindewesen5. Rastlos findet der Polizeistaat neue Gegenstände und Formen, um sich i n dieser Aufgabe zu betätigen. A n den aufzuwendenden Mitteln ist ihm dabei eine natürliche Grenze gesteckt; an der Freiheit der Untertanen nicht. War doch die Polizei von Anfang an von dem naturrechtlichen Grundsatz getragen, daß, der eine Aufgabe zu erfüllen berufen ist, auch ausgestattet sein müsse m i t den erforderlichen Rechten. So folgte ihr auch auf das weite Gebiet, das sie jetzt in Anspruch nahm, die entsprechende Z w a n g s g e w a l t , ohne weitere Bestimmtheit als die i m polizeilichen Zwecke selbst gegebene. Beim Landesherrn selbst, der ja ohnehin ,,tun konnte, was er wollte", wird das nicht verspürbar; desto mehr bei dem Beamtentum, das sein Recht von i h m ableitete und m i t dem man alltäglich zu t u n hatte. Der zur selbständigen Verwaltung der Polizei bestellte Beamte war eben dadurch ausgestattet m i t einer gewaltigen Machtfülle, um seine guten und schlechten Einfälle für die Erhaltung und Vermehrung der allgemeinen „Glückseligkeit" ins Werk zu setzen 6 . Demgegenüber erhoben sich nun seit Ende des 18. Jahrhunderts 4

ν. Β e r g , Deutsch. PoLR. I S. 50. J u s t i , Pol. W. Einl. § 2; Μ ο s e r , Landeshoh. in Pol. S. 2, 1 § 2; L ο t ζ , Begriff der Pol. und Umfang der Staatsgewalt § 7: „Unter Polizei kann unmöglich etwas anderes verstanden werden als die direkte Selbsttätigkeit der Staatsregierung für die Erreichung des Staatszweckes seinem ganzen Umfange nach." So ist z. B. die Post „Polizeiangelegenheit" ( M o s e r , St.R. V S. 174; J u s t i , Pol. W. § 71), in gewissem Maße auch die „Vorsorge für die Verwaltung der Gerechtigkeit" ( J u s t i , a. a. Ο. § 844), und: „Der Religionsunterricht des Volkes ist eine der wichtigsten auf die Sicherheit des Staates Bezug habenden Polizeianstalten" (v. R ö m e r , St.R. u. Statistik d. Kurfürstent. Sachsen I I S. 463). β Darüber oben S. 38 ff. 3

§ 19. Entwicklung des Polizeibegriffe.

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Philosophen und Juristen im Namen der Freiheit der Einzelnen. Auf die allzu umfassende Zwangsgewalt der Polizeibehörden ist es abgesehen. Die naturrechtlichen Ideen, welche geholfen hatten, diese Gewalt auszubilden, sollen jetzt wieder verwertet werden, um sie zu beschränken. Das Mittel ist eine U n t e r s c h e i d u n g , die man hineinträgt i n die formlose Masse, die bisher als Polizei ging. Die alten eudämonistischen Theorien hatten dem Staate eine allzu hohe Aufgabe gestellt und damit die ihm anvertrauten Menschen erniedrigt: sie sollen sich durch ihn zur Vollkommenheit führen und zur Vervollkommnung anderer verwenden lassen. Dazu sind sie naturrechtlich verpflichtet und entsprechend die Polizeibehörden zu Zwangsmaßregeln berechtigt. Jetzt unterscheidet man: die Staatsgewalt darf Zwang nur anwenden ,,zur Erhaltung des Sicherheitszustandes", nicht dagegen zur „Mehrung der Vollkommenheit ihrer Bürger". Auch das letztere ist ihre Aufgabe, ist noch Polizei, nur eben, da eine Verpflichtung der Bürger, sich vervollkommnen zu lassen, naturrechtlich nicht besteht, ohne Z w a n g s g e w a l t ; allerlei sonstige Maßregeln zur Hilfe und Förderung stehen auch dafür zur Verfügung. Den Gegensatz will man zum Ausdruck bringen, indem man die Polizei einteilt in S i c h e r h e i t s p o l i z e i einerseits, W o h l f a h r t s p o l i z e i andererseits 7. Die Tatsache, daß Zwang auch über diese Grenzen hinaus geübt wurde, ließ sich aber dadurch nicht aus der Welt schaffen. So begnügte man sich denn mit der Unterscheidung : Die Polizei hat es eigentlich nur m i t der Sicherheit zu t u n durch Abwehr dessen, was sie stört; hier ist der Zwang immer zu Hause. Zur Beförderung der Wohlfahrt kann sie wohl a u c h mit ihrem Zwange arbeiten, t u t es nur nicht so leicht. Also ein G r a d u n t e r s c h i e d 8 . 7

Die Unterscheidung selbst ist ziemlich allgemein; manchmal wird sie schon gleich in die Bestimmung des Polizeibegriffs aufgenommen: M o s e r , Landeshoh. in Pol. S. Kap. I § 2 ; L e i s t , St.R. § 152. Die Folgerung bezüglich der einzuschränkenden Zulässigkeit des Zwanges wird besonders kräftig betont von H u f e l a n d , Naturrecht § 394; volkstümlicher die anonyme Schrift (Broxter mann) Demophilos an Eukrates über die Grenzen der Staatsgewalt. Vgl. auch P ö l i t z , St.Wissensch. I S. 498, I I S. 453ff. L ö t z , Begriff der Pol. S. 79ff., bezeichnete diese beiden Polizeiarten direkt nach der Verschiedenheit der anzuwendenden Mittel als „Zwangs- und Hilfspolizei". 8 P ü t t e r , Inst. jur. pubi. § 331, sieht zunächst das Wesen der Polizei in der obrigkeitlichen Gewalt, verwendet zur Abwehr von Gefahren (Sicherheitspolizei). Das jus politiae ist „ea supremae potestatis pars, qua exercetur cura avertendi mala futura in statu reipublicae interno". Zur Wohlfahrtspolizei gelangt er von da aus erst mittelbar und uneigentlicher Weise: ,,V) Promovendae salutis cura proprie non est politiae, nisi quatenus ea mente agitur, ut tanto lautior sit status isti malo, quod metuebatur. directe oppositus". Ebenso H a e b e r l i n ,

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Die Polizeigewalt.

Je mehr man aber für das Wesen der Polizei Gewicht legte auf die dazu gehörige Zwangsgewalt, desto leichter konnte man dazu kommen, dieser zweiten A r t den Namen Polizei überhaupt zu versagen. So hat sich denn für die alte Wohlfahrtspolizei zuletzt eine neue Bezeichnung herausgebildet. Die Polizeigewalt, sagte man, ist nur dazu bestimmt, von dem Gemeinwesen und den einzelnen Bürgern Gef a h r e n a b z u w e n d e n (Sicherheitspolizei). Was die Obrigkeit darüber hinaus noch t u t , ist nicht mehr Polizei, sondern P f l e g e : Wohlfahrtspflege, Kulturpflege, Staatspflege 9 . I I . Inzwischen war unser Verfassungs- und Rechtsstaat herangewachsen, der Begriff Verwaltung hatte sich gebildet; vor den neuen Garantien der Freiheit gegenüber der obrigkeitlichen Gewalt treten alle bisherigen Bestrebungen in dieser Richtung zurück: kein Eingriff mehr ohne gesetzliche Grundlage, das ist die Hauptsache. Die Lehre glaubte deshalb eine Zeit lang, auf jede genauere Bestimmung der Polizei nach ihrem Zwecke verzichten zu können, und bezeichnete sie schlechthin als V e r w a l t u n g m i t Z w a n g s g e w a l t oder gar als die Z w a n g s g e w a l t i n der V e r w a l t u n g . Die Farbund Wertlosigkeit dieses Polizeibegriffes wurde dadurch nicht gehoben, daß man versuchte, ihn auf die i n n e r e Verwaltung zu beschränken; diese ist eben auch nichts als schlechthin die ganze Verwaltung mit Abzug der nur besonders ausgebildeten Zweige: Äußeres, St.R. I I §331: „ . . . ob B e f ö r d e r u n g des öffentlichen Wohles ein Gegenstand der Polizei sei . . . möchte i n s o f e r n allerdings zu bejahen sein, als durch die möglichste Beförderung des Wohlstandes zuverlässig das entgegengesetzte Übel angewendet wird . . . doch ist sie nur Neben-, nicht aber Hauptzweck." — Κ 1 ü b e r , Öff. R. § 386, bringt diese Unterscheidung schon in Zusammenhang mit den Grundsätzen des Verfassungsstaates: „Natürliche Freiheit und wohlerworbene Rechte der Einwohner sind einer Einschränkung durch Gebot oder Verbot der Polizeigewalt nur soweit unterworfen, als bei der Sicherheitspolizei der Staatszweck, bei der Wohlfahrtspolizei die im voraus oder gleichzeitig erteilte, ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung der Staatsgesellschaftsgenossen (Gesetz oder Gewohnheitsrecht) es gestattet." 9 Einen Anlauf zu förmlicher Absonderung dieser Dinge nahm schon ν. Β e r g , Pol. P . I S. 12 ff. Dagegen aber Widerspruch von D r a i s in Bl. f. Pol. u. Kultur 1803 S. 576 ff., worauf v. B e r g in Pol. R. I V S. 14 glattweg erklärt: „er hat recht", und auf die Ausscheidung der Wohlfahrtspolizei verzichtet. G ο e η η e r , St.R. (1804), stellt der Polizei, die es „immer nur mit Sicherheit zu tun hat 4 4 (§ 328), das „ R e g i e r u n g s r e c h t i m W o h l f a h r t s f a c h " gegenüber, ,,allemal ohne Zwang" (§ 275, I X ) . — Die Bezeichnung „Pflege" erscheint dann bei v. A r e t i η , St.R. d. konstitut. Monarchie I I S. 180, S. 181 ; Z a c h a r i a e , Vierzig Bücher I S. 29, S. 120, I I S. 288; Μ o h i , Pol. Wissensch. I S. 10; Z i m m e r m a n n , Deutsche Pol. des 19. Jahrh. I S. 133; R a u , in Ztschft.f. St.Wissensch. 1853 S. 605 ff.

§ 19. Entwicklung des Polizeibegriff.

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Heer, Justiz und Finanz. Sie gibt der obrigkeitlichen Gewalt, die bei ihr zur Verwendung kommt, nicht von selbst eine besondere Eigentümlichkeit, wie die Polizei sie doch haben soll. Darum stimmt es auch bei dieser Abgrenzung nach keiner Richtung mit der Wirklichkeit. Weder ist aller Zwang i n der inneren Verwaltung Polizei (Zwangsinnimg, Postzwang), noch fehlt es an richtiger Polizei außerhalb der inneren Verwaltung (Sitzungspolizei, Polizei der Festungswerke) 10 . Der Zusammenhang m i t der bisherigen Entwicklung darf nicht so jäh zerrissen werden; man kommt sonst zu keiner festen Wortbedeutung und verliert vor allem das Verständnis für ein noch sehr lebendig gebliebenes Stück der alten Anschauungen. Das ist der naturrechtliche Gedanke, daß für die A b w e h r v o n G e f a h r e n , für die Sicherheitspolizei, die eigentliche Polizei im Gegensatz zur Pflege, der Zwang etwas S e l b s t v e r s t ä n d l i c h e s sei. Es gehört von vornherein nicht zur Freiheit des Einzelnen, daß er auch die gute Ordnung des Gemeinwesens, i n das er hineingestellt ist, durch sein Verhalten stören dürfe; jeder hat vielmehr die gesellschaftliche P f l i c h t , solche Störungen zu unterlassen 11. 10

) Für diese formalistische Auffassung war tonangebend B l u n t s c h l i , Allg. St.R. I I S. 169 ff. VgL auch Μ e d i e u s , in Staatswörterb. V I I I S. 131; L. S t e i η , V.Lehre I S. 196 ff.; L ο e η i η g , V.R. S. 8; S a r w e y , Allg. V.R. S. 63; G. Μ e y e r , V.R. (1883) I S. 58/59; G . M e y e r - D o c h o w , V.R. (1910) S. 80 (anders 1913 S. 5 ff.); G . M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. S. 644; G e r l a n d , in Arch. f. öff. R. V S. 74; R ο s i η , Pol. Verord.R. S. 131. — S a r w e y , a. a. O. S. 46, bemerkt mit Recht: „Man hätte daher folgerichtig den Ausdruck Polizei überhaupt aufgeben sollen." 11 Über den Einfluß solcher Anschauungen im älteren Recht: B l u n t s c h l i , Gesch. d. Allg. St.R. S. 223 ff.; R ο s c h e r , Gesch. d. Nat.Ök. S. 347; F u η k e , in Ztschft. f. St.W. 1863 S. 523 ff.; G i e r k e , Althusius S. 293 ff. Vgl. vor allem: Chr. v. W ο 1 f f , Jus nat. V I I I § 29; ders., Vernünft. Gedanken v. d. gesellschaftl. Leben § 227; J u n g , Lehrb. d. Staats-Polizeiwiss. (1788); recht eigentümlich K a n t , R.Lehre I I Abschn. I Allg. Anm. A. — Aus der Gegenwart: O.V.G. 5. Dez. 1881 (Entsch. V I I I S. 330: Der Satz von den polizeilichen Pflichten des Eigentümers ergibt sich auch ohne ausdrückliche Hervorhebung durch ein Gesetz „ohne weiteres aus der Erwägung, daß ohne ihn eine geordnete menschliche Gemeinschaft überhaupt nicht bestehen kann"); 10. Nov. 1880 (Entsch. V I I S. 351); 12. Okt. 1889 (Entsch. X V I I I S. 406); 28. Okt. 1896 (Entsch. X X X S. 216); R.G. 12. Nov. 1887 (Entsch. X I X S. 355); S t i e r S ο m 1 ο , in Verw.Arch. V I S. 313; J u η g e 1, Begr. d. Pol. im württ. R. S. 94 ff. Von diesem Standpunkte aus wird jedes Gesetz, welches polizeiliche Verpflichtungen bestimmt, zu einem Schutz der Freiheit, indem nun wenigstens „aus allgemeinen polizeilichen Gründen" (O.V.G. 10. Nov. 1887; Entsch. V I I I S. 318), „aus Gründen des öffentlichen Rechtes" (O.V.G. 2. Jan. 1888; Entsch. X V I S. 326) ein Mehreres hier nicht gefordert werden kann. Zusammenfassend sächs. O.V.G. 20. Aug. 1904 (Jahrb. Π Ι S. 63) und ihm folgend sächs. Min. d. J. 26. Nov.

Die Polizeigewalt.

208

I m Gegensatze z u d e n längst ü b e r w u n d e n e n allgemeinen P f l i c h t e n , s i c h d e m W o h l e der anderen u n d des Ganzen d i e n s t b a r m a c h e n zu lassen, h a t diese P f l i c h t a u c h i h r e berechenbaren u n d n a c h p r ü f b a r e n Grenzen, u n d das m a c h t sie verwendbar f ü r rechtliche O r d n u n g e n . So h a t schon i n der a l t e n Staatsordnung der Landesherr, der sonst seinen B e h ö r d e n i h r e T ä t i g k e i t auf das genaueste reglementierte, gerade f ü r diese eigentliche Polizei, die Sicherheitspolizei, sie ü b e r a l l ausgerüstet gelassen m i t einem w e i t e n Spielraum z u r M a c h t b e t ä t i g u n g . U n d f ü r das gleiche Gebiet stehen a u c h h i n t e r den O r d n u n g e n der Gegenwart jene vorausgesetzten P f l i c h t e n der U n t e r t a n e n .

N i c h t als

ob sie j e t z t n o c h v o n s e l b s t u n d u n m i t t e l b a r r e c h t l i c h e samkeit äußerten12. -zu e r l ä u t e r n ,

Wirk-

A b e r sie dienen dazu, alles h i e r Angeordnete

zu e r g ä n z e n u n d g e n a u e r z u b e s t i m m e n .

So er-

m ö g l i c h e n sie a u c h d e m Rechtsstaat noch, daß er, ohne seine N a t u r zu

verleugnen,

scheinbar

ungemessene

Ermächtigungen

ausführenden Stellen erteilen l ä ß t (oben S. 60).

an

die

U n d v o r a l l e m ge-

s t a t t e n sie uns, solche E r m ä c h t i g u n g e n als genügend z u der v o m V e r fassungsstaate hier geforderten gesetzlichen Grundlage (oben S. 71 ff.) a u c h aus den kürzesten A n d e u t u n g e n der Gesetze herauszulesen 1 3 . 1908 (Pweger X X X S. 307): „Das ungeschriebene Recht der staatlichen Polizeigewalt, zum Schutze von Leben und Gesundheit des Publikums Anordnungen zu treffen, ist in Sachsen ein allgemeines und nur insoweit beschränkt, als besondere gesetzliche Bestimmungen eine Abweichung von diesen Grundsätzen rechtfertigen. 12 J e l l i n e k , in Verw.Arch. V S. 310, macht sich unnötig Sorge; ich möchte das alte Naturrecht an die Stelle unseres positiven Rechtes setzen; es bedeutet aber jedenfalls für unser positives Recht mehr als eine bloße geschichtliche Vergangenheit, zu welcher er es macht. Unter J e l l i n e k s Einfluß überschätzen auch W o l z e n d o r f f , i n Arch. d. öff. R. X X V I I S. 222, Τ h ο m a , Polizeibef. S. 50, und K i t z i n g e r , Verhinderung strafb. Handl. S. 65, die Rolle, die das Naturrecht in meiner Auffassung von der Polizei spielt. Über den „unmittelbaren Zwang", um den allein es sich handeln könnte; vgl. hier unten § 25 Eing. 13 Hier ist vor allem wichtig geworden § 10 A.L.R. I I , 17, den der Rechtsstaat unverändert übernommen hat: „Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizei." Das ist die alte Sicherheitspolizei: R ο s i η , Polizei verord. S. 122 ff, Vgl. oben S. 84 Note 3. — I n Frankreich, das doch vorbildlich geworden ist für rechtsstaatliche Einrichtungen, gründen sich umfassende polizeiliche Befugnisse auf die lakonische Zuständigkeitsbestimmung des Ges. v. 22. Dez. 1789: „Les administrations départementales sont chargées du maintien de la salubrité, de la sùreté et de la tranquillité publiques" (Theorie d. franz. Verw.R. S. 57). Für Österreich ähnlich Verord. v. 20. April 1854 ( B r o c k h a u s e n , in Grünh. Ztschrft. X X I I I S. 455 ff.). Für Sachsen: Verord. v. 7. Nov. 1831, die Einrichtung d. Min. Dep. betr., §4 C. n. 5; Ges. A. v. 28. Jan. 1835 § 2 Ziff. 1 (vgl. unten § 21 Note 2). Bad.: Pol. Stf.G.B. § 30. — Bayr. Pol. Stf.G.B. v. 28. Dez. 1871 Art. 16

§ 19. Entwicklung des Polizeibegriff.

209

Das a l l e i n i s t es, was schließlich a n d e m ganzen Polizeibegriff juristisch wertvoll u n d verwertbar bleibt. D i e umfassende M a c h t obrigkeitlicher E i n w i r k u n g auf die U n t e r t a n e n , die uns a u f solche Weise e n t g e g e n t r i t t , nennen w i r die P o l i z e i gewalt.

Sie i s t d i e ö f f e n t l i c h e

der V e r w a l t u n g der

guten

dasein an. recht

14

.

wirksam

Ordnung

des

Gewalt, die auf dem

wird

zur Abwehr

Gemeinwesens

von

aus

Gebiete

Störungen

dem

Einzel-

Sie n i m m t j e t z t möglichst die F o r m e n des Rechtsstaates

A b e r der gebliebene Zusammenhang m i t jener d e m a l t e n N a t u r entsprechenden

Untertanenpflicht

Grundlage

rechtfertigt

einer

vorausgesetzten

allgemeinen

ihren alten Namen u n d gibt ihr

zu-

g l e i c h i h r e E i g e n a r t , die sie auszeichnet v o r allen anderen Erscheinungen des Verwaltungsrechts. u. Art. 20 Abs. 1 gibt viel engere Ermächtigungen, über welche die Praxis denn auch hinausstrebt. Die Ansprüche an die erforderte gesetzliche Grundlage sind hier tatsächlich so gering, daß man eine solche manchmal überhaupt nicht mehr sehen wollte. So G. M e y e r (G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. S. 649, 650), der da glaubt, tur sicherheitspolizeiliche Maßregeln einen ausreichenden Rechtsgrund finden zu müssen „in der allgemeinen staatsrechtlichen Stellung der Polizei". Vgl. Z o r n , in Annalen 1885 S. 309 Note 1. Auch ein „öffentliches Gewohnheitsrecht" hat natürlich wieder herhalten müssen: S c h a d e , in Arch. f. öff. R. X X V S. 323, S. 365 ff. 14 So die Ρ ο 1 i ζ e i g e w a 11 bei S e y d e 1, Bayr. St.R. I I I S. 3 u. 4; G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. S. 649 ; R ο s i η , Begr. d. Pol., in Verw.Arch. I I I S. 289; Τ h ο m a, Polizeibef. S. 50. Über die „gute Ordnung" das Nähere unten § 20, I ; Versuche zur Hervorhebung einzelner Hauptrichtungen schon in der Begriffsbestimmung sind meist unschädlich, fördern aber nicht. — Unter P o l i z e i würde dementsprechend die Verwaltungstätigkeit zu verstehen sein, die mit jener Gewalt arbeitet. Gegenüber der laxeren Verwendung, die dieses Wort im täglichen Leben findet, ist die Sprache der Wissenschaft sichtlich bemüht, ihm die Abgrenzung zu geben, die zu dem soeben festgestellten Begriff der Polizeigewalt stimmt: S c h u l z e , D. St.R. I S. 620; P ö z l , Bayr. Verw.R. S. 203; L. S t e i n , in Wörterb. d. V.R. I I S. 248; U 1 b r i c h , Öff. Rechte S. 62; L e u t h ο 1 d , Sächs. Verw.R. S. 14; ν. Κ i r c h e η h e i m , Einf. S. 8 1 ; E r n s t M e i e r , Verw.R. bei Holtzendorf I S. 885; Α η s c h ü t z, Die Pol. »S. 12 ff.; F 1 e i η e r , Inst. S. 363; J u η g e 1, Begr. d. Pol. im württ. R. S. 88 ff.; S c h ο e η , in Holtzend. Enzykl. I V S. 207; W o l z e n d o r f f , in Arch. d. öff. R. X X V I I S. 224 ff. — Uns kommt es hier nur auf die Sauberhaltung unseres Begriffs der P o l i z e i g e w a l t an; das durch seine wechselvolle Geschichte etwas verschlisseneWort Polizei mag weiter rollen. Wo sich die Gesetze seiner bedienen, um Zuständigkeiten zu regeln, Rechtsmittel zu gewähren, behalten wir freie Hand, auszulegen, wie sie es gemeint haben. Vgl. z. B. O.V.G. 4. Juli 1901 (Entsch. X L S. 268); 15. Juni 1904 ( X L I V S. 58); 17. Juni 1904 (XLV S. 103); 13. März 1908 ( L I I S. 279).

ß i n d i n g - O e t k e v , Handbuch V I . 1 : O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 3. Autt.

14

210

Die Polizeigewalt.

I I I , Die Einteilungskunst unserer wissenschaftlichen Literatur h a t sich von jeher an der Polizei m i t ganz besonderem Erfolg betätigt. Wir erwähnen hier nur, was zugleich Besonderheiten der Polizeigewalt hervorheben und deshalb rechtswissenschaftliche Bedeutung i n Anspruch nehmen möchte. I n erster Linie unterscheidet man g e r i c h t l i c h e und a d m i n i s t r a t i v e P o l i z e i . Damit hat es folgende Bewandtnis. Jede Straftat des gemeinen Strafrechts ist zugleich eine Störung der guten Ordnung, welche die Polizei abzuwenden berufen ist (vgl. unten § 25, I I ) . Die gerichtliche Polizei aber geht über diese Aufgabe hinaus. Der Ausdruck selbst stammt aus Frankreich. M i t der Einsetzung des procureur du roi bei den Gerichten war das diesem Verwaltungsbeamten unterstehende Personal der Sicherheitspolizei in den Dienst der Strafrechtspflege gestellt worden und verdrängte da die alte schwerfällige Dienerschaft der selbständigen Gerichtshöfe. I n der Ziviljustiz blieb alles einheitlich Arbeit dieser Gerichtshöfe und ihrer Leute, der huissiers, notaires; für die Strafrechtspflege aber machte sich von da an eine Unterscheidung geltend: nur was die Gerichtshöfe selber dabei tun, ist justice; was die Staatsanwaltschaft und das i h r unterstellte Verwaltungsbeamtentum dazu beiträgt, um strafbare Handlungen zu entdecken und die Bestrafung des Täters zu ermöglichen, ist police judiciaire 1 5 . W i r haben den Namen beibehalten, ziehen aber den Kreis des zur gerichtlichen Polizei gehörigen Personals enger. Es handelt sich i m wesentlichen nur um Beamte, welche den allgemeinen Polizeibehörden unterstehen und zugleich oder ausschließlich für jene Zwecke der Strafrechtspflege Verwendung finden. Ihre Tätigkeit wird soweit nicht durch das Verwaltungsrecht geregelt, sondern durch die Strafprozeßordnung. Mag man sie m i t gutem Grunde für das Gebiet der Justiz i n Anspruch nehmen oder an der hergebrachten Bezeichnung Polizei festhalten: um eine Äußerung der Polizeigewalt in dem hier klargestellten Sinne handelt es sich jedenfalls dabei nicht; hier wird nichts erläutert noch ergänzt aus jenen natürlichen Grundlagen, welche der Polizeigewalt ihre Eigenart geben. Gerade die nämlichen Beamten können ja zugleich für Zwecke der Sicherheitspolizei verwendet werden; wo das der Fall ist, t r i t t der Gegensatz deutlich hervor 1 6 . 15

Theorie d. franz. Verw.R. S. 161 ff. Für die richtige Beschränkung Mat. ζ . G.V.G. S. 170 ( H a h n , Mat. I S. 152 ff.). 16

§ 19. Entwicklung des Polizeibegriff.

211

Bezeichnet gerichtliche Polizei eine Polizei, die eigentlich keine ist, sondern Strafjustiz, so ist der Ausdruck administrative Polizei noch unglücklicher: die Polizei ist ja administrativ, auch ohne Zusatz. Verwandt damit ist die sehr beliebte Unterscheidung von p r ä v e n t i v e r (vorbeugender) und r e p r e s s i v e r (zwingender) Polizei. Auch diese Ausdrücke sind den französischen Juristen entlehnt. Man hat da vornehmlich den Fall einer Straftat i m Auge und das verschiedene Verhalten der Polizeibeamten dabei: vor der Tat wollen sie verhindern, nach der Tat die Ahndung herbeiführen. Der Gegensatz wird also häufig zusammenfallen m i t dem von administrativer und gerichtlicher Polizei. Der Zweck der termini technici ist dann der, eine wohlklingende Formel dafür zu liefern, daß die Polizei bei gewissen Gewaltmaßregeln unter Umständen, weil,,präventiv", d. h. administrative Polizei, an die strengen Vorschriften der Strafprozeßordnung nicht gebunden w a r 1 7 . Die Ausdrücke erlauben auch einen umfassenderen Sinn, insofern die Polizei präventiv nicht bloß gegen schädigende Straftaten wirkt und repressiv nicht bloß m i t den Mitteln der Strafprozeßordnung. Da wird es sich also lediglich nach dem Zeitverhältnisse ihres Vorgehens zu der zu bekämpfenden Schädlichkeit richten, ob sie den einen Namen verdient oder den anderen 18 . Selbständig und ohne französisches Vorbild hat man neuerdings die Einteilung aufgebracht i n S i c h e r h e i t s p o l i z e i und V e r w a l t u n g s p o l i z e i . Die erstere bezeichnet dabei einen engeren Kreis als ursprünglich : es handelt sich lediglich um Abwehr von Störungen, welche der guten Ordnung bereitet werden können durch ü b e l g e s i n n t e M e n s c h e n ; Fremdenpolizei, Vereins- und Versammlungspolizei, Preßpolizei liefern die Hauptbeispiele. Dabei zeigt sich das Besondere, daß die Polizeigewalt für sich allein den ganzen Zweig amtlicher Tätigkeit ausfüllt, und das weist eben auf den Gegensatz hin, den man hier meint. Meistens nämlich werden ja mannigfaltigere Tätigkeitsarten zur Besorgung der verschiedenen öffentlichen Geschäfte zusammengefaßt als Straßenwesen, Forstwesen, landwirtschaftliche Verwaltung, Wasserbauverwaltung usw.; jede dieser „Verwaltungen" verwendet 17

So O.Tr. 4. Jan. 1872 (J.M.B1. 1872 S. 89); W a l t e r , in sächs. Ztschft. f. Pr. I I S. 49 ff. 18 „Repressive Polizei findet statt, wenn die Verletzung oder Störung bereits begonnen h a t . . . , präventive, wenn die Gefahr noch keine verletzende Wirkung geäußert hat": Ρ ö ζ 1, Grundriß z. Vorl. über Pol. S. 14. Ähnlich v. R ο e η η e , St.R. I V S. 96. Eine schlechte Polizei wird da natürlich immer repressiv sein und den Brunnen erst schließen, wenn das Kind hineingefallen ist.

212

Die Polizeigewalt.

auch ein Stück Polizeigewalt zur Abwehr von Störungen, die ihre Arbeit und ihre Erfolge beeinträchtigen könnten, und diese w i l l man nun m i t einer freilich recht verständnislosen Wortbildung als Verwaltungspolizei bezeichnen 19 . Ich sehe auch hier keinen Nutzen. Die einst so wichtige Unterscheidung von S i c h e r h e i t s - u n d W o h l f a h r t s p o l i z e i darf heute der amtlichen Sprache nur noch ihre leeren Namen liefern, um willkürlich abgegrenzte Zuständigkeitskomplexe danach zu benennen 20 .

§ 20. Grenzen der Polizeigewalt. Das ist das Besondere an unserem Gegenstande, daß hier die M a c h t b e f u g n i s s e der ö f f e n t l i c h e n G e w a l t unmittelbar sich bestimmen aus e i n e m a l l g e m e i n e n G e d a n k e n h e r a u s , aus der vorausgesetzten allgemeinen Untertanenpflicht. Indem die Verwaltungsrechtswissenschaft der Entfaltung dieses Gedankens nachgeht und zeigt, wie weit er führt und n u r führt, ist sie hier ganz besonders berufen, zugleich eine Lehre von der b ü r g e r l i c h e n F r e i h e i t zu sein. I . Was ist es, dessen Störungen der Einzelne von selbst zu vermeiden verpflichtet ist und was die Polizeigewalt vor solchen Störungen zu schützen hat? W i r haben es im Anschluß an den ursprünglichen Sinn des Wortes Polizei m i t „ g u t e O r d n u n g des G e m e i n w e s e n s " umfassen wollen. Dabei darf man aber jetzt nicht mehr ausschließlich an unseren staatsrechtlichen Begriff des Gemeinwesens denken und an dessen Verfassung (oben S. 15), an den Staat also oder die Gemeinde. Es handelt sich vielmehr zugleich um das G e m e i n l e b e n im Staate oder, wie man es gern ausdrückt, um das Stück m e n s c h l i c h e r G e s e l l s c h a f t , über welches dieser gesetzt ist 1 . 19 Hierüber G e r l a n d , in Arch. f. öff. R. V S. 9 ff. ; L ο e η i η g , Verw.R. S. 259; L. S t e i n , Handb. d. Verw.Lehre (3. Aufl.) S. 218; ders, in Wörterb. d. V.R. I I S. 247; v. K i r c h e n h e i m , Einf. S. 82; S e y d e l , Bayr. St.R. I I I S. 3. 20 So gehört in den sächsischen Großstädten die Wohlfahrtspolizei dem Stadtrat, die Sicherheitspolizei einem besonderen Polizeiamt (Regulativ v. 31. Jan. 1853, bzw. 18. Dez. 1883 und v. 12. Juni 1885). Die Sicherheitspolizei umfaßt unter anderem die Erlaubnis für Maskenbälle und künstlerische Produktionen (n. 12), die Wohlfahrtspolizei die Vertilgung der Maikäfer und Raupen (n. 27). I n Leipzig hatten wir „Sicherheitsschutzleute*' und „Wohlfahrtsschutzleute", jene unter dem Polizeidirektor, diese unter dem Stadtrat. 1 Den Zusammenhang zwischen Polizei und bürgerlicher Gesellschaft hat besonders H e g e l in seiner wuchtigen Weise aufgestellt und durchgeführt: Rechtsphilosophie § 182 ff., § 231 ff. Vgl. auch: G n e i s t , Rechtsstaat S. 25;

§ 20. Grenzen der Polizeigewalt.

213

Unter Gesellschaft versteht man dabei etwas Unjuristisches; es ist ein staatswissenschaftlicher Begriff und bedeutet die großen Lebensgemeinschaften, zu welchen Menschenmassen durch gemeinsame K u l t u r und ständigen Verkehr verbunden sind. Sie ist für uns von Wichtigkeit um der Wechselwirkungen willen, welche sie zwischen den in ihr begriffenen Einzelnen vermittelt: Nützliches wie Schädliches, was ihnen darin widerfährt, ist das Ergebnis unzähliger, im Besonderen nicht verfolgbarer Zusammenhänge; und umgekehrt: das Verhalten der Einzelnen hat über seine unmittelbare Wirkung hinaus, bald mehr, bald weniger, zugleich einen Einfluß auf den Gesamtzustand; ihre Lebensäußerungen bekommen gesellschaftliche Bedeutung. Die Gesellschaft in diesem Sinne greift über die Landesgrenzen hinweg. Der Staat schneidet sich nach Maßgabe seines Gebietes und seines Volkes das Stück davon heraus, das ihn angeht. Die Kräfte und die Leistungsfähigkeiten dieses Stückes Gesellschaft stehen ihm zur Verfügung, sind die Grundlage seiner eigenen Kraft und Leistungsfähigkeit. Darum waltet er darüber schützend, helfend, fördernd. Dieses a b g e g r e n z t e S t ü c k G e s e l l s c h a f t als Gegenstand solcher zielbewußter Behandlung durch den Staat ist m i t gedacht bei dem Gemeinwesen, auf dessen gute Ordnung es hier ankommt. Bei der Polizeigewalt handelt es sich immer nur um eine schützende, a b w e h r e n d e Tätigkeit des Staates, die zugunsten dieses Gemeinwesens geübt wird. Das Abzuwehrende sind Schädlichkeiten, die, von dem Einzeldasein ausgehend, die in ihm enthaltenen Werte beeinträchtigen können, g e s e l l s c h a f t l i c h e S c h ä d l i c h k e i t e n . Die g u t e O r d n u n g des Gemeinwesens, die aufrechterhalten werden soll, ist nichts anderes als das gedachte Ziel dieser Tätigkeit: ein allgemeiner Z u s t a n d des Gemeinwesens, bei welchem jene Werte durch gesellschaftliche Schädlichkeiten, die ihnen bereitet werden könnten und nicht bereitet werden sollen, möglichst wenig beeinträchtigt sind. Wo etwas auftaucht, geeignet, eine solche Schädlichkeit m i t sich zu führen, bedeutet das eine S t ö r u n g dieser guten Ordnung und als solche eine P o l i z e i w i d r i g k e i t . Der erstrebte Zustand läßt sich wieder zerlegen nach seinen eind e r s e l b e , Die nationalen Rechtsideen von den Ständen, durchweg; L. S t e i η , Der Begriff der Gesellschaft und die soz. Gesch. d. franz. Rev., I. Einl.; d e r s e l b e , Handbuch d. Verw.Lehre S. 738 ff.; R o e s l e r , Verw.R. I S. 2 ff.; K l ö p p e l , Staat und Gesellschaft S. 3 ff. G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. S. 11, S. 645 Note, will nichts mit der „Gesellschaft" zu tun haben, da sie „kein Rechtsbegriff" sei. Aber gar manches, was selbst nicht Rechtsbegriff ist, kann zum besseren Verständnis unserer Rechtsbegriffe sehr nützlich werden.

214

Die Polizeigewalt.

zelnen Seiten als ö f f e n t l i c h e S i c h e r h e i t , R u h e , G e s u n d h e i t , S i t t l i c h k e i t usw. Das gibt zugleich Namen für die einzelnen Richtungen der polizeilichen Tätigkeit. G e g e n s t a n d des polizeilichen Schutzes aber sind nicht diese abstrakten Begriffe, sondern sind in Wahrheit nur die i m Gemeinwesen e n t h a l t e n e n W e r t e , die als solche zugleich Nützlichkeiten vorstellen für den Staat. W i r können sie nach dem Vorbilde des von der Zivilrechtswissenschaft gebildeten Begriffes der „Rechtsgüter" als P o l i z e i g ü t e r bezeichnen 2 . Sie sind teils ä u ß e r l i c h e , reale Güter, teils g e i s t i g e , ideale. Für die rechtliche Ordnung der Polizeigewalt ergibt sich daraus eine große Verschiedenheit. 1. Unter den ä u ß e r l i c h e n P o l i z e i g ü t e r n steht voran, als das wertvollste, der S t a a t selbst m i t seinem D a s e i n , m i t seinen E i n r i c h t u n g e n u n d V e r a n s t a l t u n g e n f ü r das ö f f e n t l i c h e W o h l , d. h. sein eigenes Wohl, als Voraussetzung alles übrigen, und das der ihm anvertrauten Gesellschaft 3. Das gleiche gilt für alles, was sonst noch öffentliche Verwaltung eigenen Namens zu führen berufen ist: S e l b s t v e r w a l t u n g s k ö r p e r , ö f f e n t l i c h e Genossenschaften, Stiftungen. Dazu t r i t t nun die Masse der E i n z e l m e n s c h e n , der ,,Verwalteten", jeder für sich oder gruppenweise geordnet oder durch juristische Personen für bestimmte Interessen vertreten. Gesellschaftlicher Wert, Polizeigut ist an diesen in erster Linie ihr n a t ü r l i c h e s D a s e i n , in Bestand und Entwicklung und freier Bewegung. Dann folgen in weiterem Kreise die Besitztümer, die das öffentliche und 2

Ich glaube, den Ausdruck „Polizeigut" wagen zu dürfen. S c h i l l i n g , in Verw.Arch. I I S. 513, 514 ,nennt als Gegenstände des Schutzes der Polizei zunächst die Rechtsgüter, fügt aber hinzu, daß es noch andere gibt, denn es sei „die Gesellschaft auch durch Gebote der Religion, der Sitte und des Herkommens reguliert". F l e i n e r , Inst. S. 369ff., spricht schlechthin vom „Rechtsgut"; dazu rechnet er allerdings (Note 29) auch den Genuß frischer Luft. — Ein eigen tümlicher Versuch zu systematischer Aufzählung der „von der Polizei möglicherweise wahrzunehmenden Interessen" bei W. J e l l i n e k , Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung S. 271 ff. 3 Hier kommt vor allem die sogenannte Anstaltspolizei in Betracht: K o r m a η η in Annalen 1912 S. 198 ff. ; F 1 e i η e r , Inst. S. 307 ff. Es handelt sich dabei um den Selbstschutz des Staates in seiner öffentlichen Verwaltung, während der Staat als Fiskus den polizeilichen Schutz nicht anders genießt wie ein Einzelner für seinen Lebenskreis: W. J e l l i n e k . Gesetz, Gesetzesanwendung S. 278. — Die Sache hat in der Tat auch gewisse Besonderheiten, wodurch der besondere Name sich rechtfertigen mag. Vgl. unten § 21 Note 4, § 251. Zu W a 1 d e c k e r s polemischer Abhandlung in Annalen d. D. Reichs 1915 glaube ich keinen rechten Anlaß gegeben zu haben.

§ 20. Grenzen der Polizeigewalt.

215

das Privatrecht ihnen zuspricht, H a b u n d G u t , samt allen Einrichtungen und Unternehmungen, in welchen es verwendet wird. Überall handelt es sich hier um feste Werte, zweifellose Gegenstände polizeilichen Schutzes, sofern nicht besondere Gründe sie davon ausnehmen, wie noch zu zeigen sein wird. Hier kommen denn auch unbedenklich jene umfassenden Ermächtigungen zur Geltung, mit welchen die Polizeibehörden ausgestattet sind. 2. Nicht so steht es mit der zweiten A r t von Polizeigütern, mit den g e i s t i g e n . Es kommen allerdings gerade hier Werte in Betracht von der höchsten Bedeutung für die Gesellschaft, für Staat und Volk: sittliche und religiöse Anschauungen, Vaterlandsliebe, Treue gegen die geschichtlich überlieferten Ordnungen, ästhetisches Feingefühl und Sinn für Kulturpflichten. Das bildet alles einen Gemeinbesitz der Gesellschaft, in der es sich fortpflanzt und mehrt. Ebenso aber ist es gesellschaftlich verletzbar: alles, was in die Gesellschaft hineingestellt wird, um diese Gesinnungen und Gefühle zu verleugnen, mindert ihr Ansehen und ihre Macht über die Gemüter und wirkt dadurch wertzerstörend. Allein die Machtmittel des eifrigen Polizeibeamten sind keineswegs geeignet, sie dagegen i n Ehren zu bringen. Wir haben im Gegenteil gelernt, daß in diesen Dingen mit täppischem Dreinfahren viel geschadet werden kann. Vor allem aber ist das eine klar: auf diesem Gebiete gibt es keinen festen, allgemein einleuchtenden Maßstab für das, was sich von selbst versteht als zu erzwingende Untertanenpflicht, nichts, was einem Naturrecht gliche. Wenn die umfassenden polizeilichen Ermächtigungen auch hierfür gelten sollten, so würde der Willkür und dem Standesvorurteil Tür und Tor geöffnet sein 4 . 4

Wo tatsächlich der Versuch gemacht wird, diesen geistigen Gütern mit der allgemeinen Sicherheitspolizei beizuspringen, führt es zu merkwürdigen Dingen. So mußte die c h r i s t l i c h e R e l i g i o n sich gefallen lassen, bewahrt zu werden als „ein Teil der öffentlichen Ordnung" nach A.L.R. I I , 17 § 10 (O.V.G. 19. Jan. 1903; R e g e r X X I V S. 23 u. Entsch. X L I I I S. 300). — Dem Bestattungsunternehmer wird die vorläufige Aufbewahrung verboten nach A.L.R. I I , 17 § 10: „Wahrung der P i e t ä t gegenüber menschlichen Leichnamen gehört zu den Aufgaben der Polizei" (O.V.G. 5. März 1909; R e g e r X X X S. 172). — Ein Trödler hat Urnen mit der Asche der Bankierseheleute Α. aus der Konkursmasse erworben; die Polizei darf sie ihm wegnehmen und gewaltsam in die Synagoge stellen lassen auf Grund von A.L.R. I I , 17 § 10, „insofern die dort unter den Schutz der Polizei gestellte öffentliche Ordnung die öffentliche Sittlichkeit und den öffentlichen Anstand mit begreift" (O.V.G. 15. Febr. 1898; Entsch. X X X I I I S. 446). — Zwei Liebesleuten wird verboten, sich in den beiderseitigen Wohnungen Besuche zu machen, wegen darin liegender „öffentlicher Störung und Gefährdung der S i t t l i c h k e i t " (Sächs. O.V.G. 1. Nov. 1905; R e g e r X X V I S. 508). — Ein Institut zur Anferti-

216

Die Polizeigewalt.

Damit ist nicht gesagt, daß es für solche Dinge überhaupt keine Polizei geben soll. Dem Rechtsstaat entspricht es pur, daß das Gesetz sie i n der Hand behalte und m i t vorsichtiger Auswahl s e l b s t d i e F ä l l e b e s t i m m e , in welchen hier obrigkeitliches Einschreiten stattfinden soll 5 . I I . Auch liche Gewalt einschreite. natürliche

wo wirkliche Polizeigüter in Frage stehen, ist die öffentnicht so schlechthin berufen, daß sie zu ihrem Schutze Sie findet vielmehr von der anderen Seite her wieder G r e n z e n gezogen durch das, was der F r e i h e i t der

gung von Schulaufsätzen wird geschlossen zur Beseitigung „eines u n s i t t l i c h e n T r e i b e n s , das die gute Ordnung des Gemeinwesens in erheblichem Maße stört oder gefährdet" (sächs. O.V.G. 25. Juli 1906; R e g e r X X V I I S. 496). — Das gerichtliche Verfahren, wie es „unter der A u t o r i t ä t d e s S t a a t e s ausgeübt wird 4 , auf die Bühne zu bringen, ist „mit der öffentlichen Ordnung nicht vereinbar" (O.V.G. 16. Dez. 1907; R e g e r X X V I I I S. 485). — Die Autorität wird überhaupt mannigfach von der Polizei geschützt, namentlich mit der Begründung, daß e i n e I r r e f ü h r u n g d e s P u b l i k u m s zu verhüten sei. So wird vorgegangen gegen Führung eines auswärtigen Hoflieferantentitels (Ο.V. G. 23. Jan. 1908; Entsch. L I I S. 364), der Bezeichnung „ I n Amerika approbierter Zahnarzt", trotz gerichtlicher Freisprechung (O.V.G. 5. Okt. 1896; Entsch. X X X S. 331), der Bezeichnung „Kur- und Badeanstalt", welche den Anschein hervorbringt, als sei der Unternehmer im Besitze einer polizeilichen Erlaubnis, die doch gar nicht erforderlich war (O.V.G. 10. Juni 1895; Entsch. X X V I I I S. 326). — Zu weit ging dem Verwaltungsgericht das polizeiliche Einschreiten gegen den Grundbesitzer, der in Briefen seinen Wohnort nach dem älten Rittergutsnamen bezeichnet, statt nach der Gemeinde, wozu er jetzt gehört (O.V.G. 18. Okt. 1907; L I S. 228); gegen die Bezeichnung „Bahnhofhotel", die einer Wirtschaft neben dem schönen neuen Bahnhof gegeben worden war und das Publikum zu dem Irrtum verleiten konnte, es bestehe ein Zusammenhang mit der königlichen Bahnverwaltung Sächs. O.V.G. 19. Sept. 1903; Jahrb. V S. 33). — I m Wattenmeer hatten die Leute mit einem Bootsgeschütze auf Enten gejagt; der Landrat erließ ein (vom Gericht mißbilligtes) Polizeiverbot nach A.L.R. I I , 17 § 10 „wegen Massenmordes und unweidmännischer Jagdausübung" (O.V.G. 16. März 1903; Entsch. X L I I I S. 285). 5 Um die häßlichen Reklameschilder am Rheinufer spielte eine Zeitlang die Frage. Das Kammergericht hatte sie erst als polizeilich verbietbar behandelt: „die Störung kann auch in unangenehmen ästhetischen Empfindungen bestehen" (Entsch. v. 7. Sept. 1899). Später (Entsch. v. 4. Febr. 1901) stellte es sich aber auf den richtigen Standpunkt: „um solche Zwecke zu erreichen, bedarf es einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung" (Verw.Arch. I X S. 452; vgl. O.V.G. 16. April 1901, Entsch. X X X I X S. 415). — Eine Strafbestimmung wie die des § 360 Ziff. 11 Stf. G.B. : „wer groben Unfug" verübt, entspricht dieser Aufgabe des Gesetzes freilich ganz schlecht. Sie hat einfach die Wirkung, daß nun auch die Gerichte alle die curiosa zu iefern bekommen, welche bei Ausdehnung der allgemeinen Polizeiermächtigungen auf den Schutz geistiger Güter der Eifer der Polizeibehörde hervorbringt.

§ 20. Grenzen der Polizeigewalt.

217

E i n z e l n e n in der wohlgeordneten bürgerlichen Gesellschaft vorbehalten bleibt. 1. Vor allem kommt hier der Grundsatz zur Geltung, daß das Einzeldasein ursprünglich und in erster Linie sich selbst gehört; was dort m i t seinen Nachteilen nicht über einen gewissen nächsten inneren Kreis hinauswirkt, bedeutet keine gesellschaftliche Schädigung, deren Unterlassung polizeiliche Pflicht zu werden hätte. So bildet sich der Begriff des P r i v a t l e b e n s als desjenigen Gebietes des Einzeldaseins, welches der Polizei unzugänglich ist, weil es die Gesellschaft, das P u b l i k u m , nicht angeht. Wie weit diese Freiheit des Privatlebens reicht, das ist in erster Linie durch die Anschauungen, durch Sitte und Gewöhnung bestimmt, ohne daß man deshalb von Gewohnheitsrecht reden dürfte. Zum großen Teil fällt der Umfang des Privatlebens mit dem der P r i v a t w o h n u n g zusammen. Das meiste, was im geschlossenen Hause geschieht, ist ungeeignet, darüber hinaus auf die Zustände des Gemeinwesens zu wirken. Daher der scharfe Unterschied in der Behandlung der nämlichen Dinge, je nach der Örtlichkeit. Die lebensgefährlichsten Einrichtungen: unbefestigte Schränke, einsturzdrohende Decken, griinspanhaltige Gefäße, werden i n der Privatwohnung geduldet; der Blumentopf am Fenster, das Gefäß im Verkaufsladen sind der Polizei unterworfen 6 . Aber auch das Innere des Hauses fällt mit seinen Einrichtungen unter den Einfluß der Polizei, soweit es einer A r t Verkehr fremder Personen zugänglich i s t 7 . Noch mehr ist das der Fall bei allen denjenigen Seiten des häuslichen Lebens, welche ihrerseits geeignet sind, von selbst nach außen 6

O.V.G. 18. Nov. 1878 (Min.Bl. 1879 S. 7): Der Eigentümer muß seinen Bienenstand wegschaffen wegen eines in der Nähe befindlichen Feldweges; „es genügt, daß der Bienenstand des Klägers außer dessen Hausgenossen auch andere Menschen in ihren berechtigten Interessen belästigt und gefährdet"; die Hausgenossen selbst würden polizeilich nicht geschützt, die gehören zum Privatleben. R.G. 8. Febr. 1922 (Entsch. Strf.V. S. 376): Tanzlustbarkeit einer Kasinogesellschaft innerhalb eines befriedeten Besitztums nicht verbietbar nach A.L.R. I I , 17 § 10. 7 O.V.G. 19. Sept. 1883 (Entsch. X I I S. 393): Beleuchtung der Treppen in einem Privathaus nach A.L.R. I I , 17 § 10 vorzuschreiben, da wegen des großen Verkehrs darauf zahlreiche Menschen gefährdet würden, „welche die Wohnungen nicht wählen, aber weil sie bewohnt sind, in dem Hause verkehren müssen". Die Treppe der Villa würde also Privatleben sein. — Einen berühmten Fall lieferte seinerzeit die Berliner Polizeiverordnung gegen die Ofenklappen. R.G. 19 April 1881 und 10. Nov. 1881 (Entsch. Stf.S. I V S. 110 und S. 111) hat sie gebilligt, allerdings mit recht unzulänglicher Begründung. Der richtige Gesichtspunkt wird

218

Die Polizeigewalt.

zu wirken: Feuerpolizei vor allem und Gesundheitspolizei haben sich m i t solchen Dingen zu befassen. 2. Nicht jede Lebensäußerung, m i t welcher der Einzelne diese schwankende Grenze seines Privatlebens überschreitet und i n einen weiteren Kreis hineinstellt, was dort Schaden anrichten kann, ist als polizeiwidrige Störung betrachtbar. I n gewissem Maße b e g l e i t e t i h n seine F r e i h e i t u n d sein R e c h t a u c h i n diesen ä u ß e r l i c h e n V e r k e h r . Das Zusammenleben der Menschen wäre nicht möglich, wenn jeder verpflichtet wäre, alles zu unterlassen, was anderen Nachteil bereitet und gesellschaftliche Werte zerstört. U m der g e s e l l s c h a f t l i c h e n N o t w e n d i g k e i t willen wird der Freiheit auch auf diese Gefahr hin noch Spielraum gewährt; neben spärlichen Rechtssätzen ist es die Sitte, welche die genauere Grenze bestimmt. So wird auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts das Eigentum in naturrechtlicher Weise beschränkt zugunsten unvermeidbarer nachbarlicher Belästigungen, wie sie das Zusammenleben „gewöhnlich 44 mit sich bringt (B.G.B. § 906). Und der gleiche Gedanke macht auch auf dem Gebiete der Polizeigewalt das Publikum schutzlos gegenüber einem anzunehmenden Mindestsatz gesellschaftlicher freier Bewegung 8 . wohl sein, daß die Gefahren ei nei solchen ständigen Einrichtung im Großstadthause mit seiner wechselnden Bewohnerschaft, die das alles ohne eigene Wahl mit übernimmt, über das Privatleben hinausreichen. 8 Sächs. O.V.G. 27. April 1901 (Jahrb. I S. 43): Belästigungen durch wirtschaftliche und gewerbliche Tätigkeit sind nur dann polizeilich zu bekämpfen, wenn sie „über das Maß dessen hinausgehen, was die Allgemeinheit, das Publikum und daher auch der Einzelne als unvermeidliche Folge des gesellschaftlichen Zu sammenlebens der Menschen notwendigerweise zu tragen hat". Pr. Ο. V. G. 22. März 1917 ( L X X I I S. 380) läßt überempfindliche Nerven schutzlos. Vgl. auch bad. V.G.H. 26. Febr. 1901 ( R e g e r X X I S. 324); bayr. Oberst. L.G. 15. April 1912 ( R e g e r X X I I I S. 362); O.L.G. Jena 22. Okt. 1908 ( R e g e r X X I X S. 591); Sächs. O.V.G. 7. Nov. 1906 (Jahrb. X S. 25). Auch die öffentlichen Anstalten, deren ungestörter Gang schlechthin zur guten Ordnung des Gemeinwesens gehört, müssen sich Einwirkungen dieser gesellschaftlichen Freiheit gefallen lassen. Bad. V.G.H. 24. März 1896 ( R e g e r X V I I S. 234): zu verwechselnde Privatbriefkästen zugunsten der Postverwaltung nicht verbietbar. Hierher gehört aber andererseits auch der Fall bei v. d. Μ ο s e 1, Sächs. Verw.R.Wörterb. Art. Eisenbahnen V I , 3: Den Fabriken wird polizeilich verboten, Dampfpfeifen zu benutzen, deren Ton dem von Lokomotivpfeifen ähnlich ist; W. J e l l i n e k , Gesetz, Gesetzesanwendung S. 279, hält es für zulässig. Allein hier hat doch wohl die Eisenbahnverwaltung selbst ihre Signale so einzu richten, daß sie nicht verwechselt werden, ohne daß in die Freiheit der Privat betriebe eingegriffen werden dürfte. Durch besondere Eigentumsbeschränkungen kann eine Verschiebung zugunsten des öffentlichen Unternehmens eintreten. Vgl unten Note 16.

§ 20. Grenze

der Polizeigewalt.

219

N o c h deutlicher w i r d diese B e d i n g t h e i t der Polizei, w e n n es sich um

Wahrnehmung

ansprüche

handelt,

und

Durchsetzung

welche

den

wohlbegriindeter

Einzelnen

zustehen

Nächsten oder a u c h gegen den Staat, die Gemeinde.

Rechtsgegen

ihre

D a ß d e m freies

Spiel gelassen werde, das gehört selbst üur g u t e n O r d n u n g des Gemeinwesens, m a g es a u c h i m öffentlichen Interesse unerwünscht sein, u n d d i e Polizei k a n n , wenigstens auf G r u n d ihrer allgemeinen

Er-

m ä c h t i g u n g e n , n i c h t dagegen a u f k o m m e n 9 . Ebenso b l e i b t es d e m Einzelnen frei, über das, was i h m zugehört, zu v e r f ü g e n , werden.

mag auch

darin

gesellschaftlicher

Wert

vergeudet

E r i s t grundsätzlich i n erster L i n i e z u m H ü t e r berufen u n d

sein W i l l e m a ß g e b e n d 1 0 . 3. I n v e r w a n d t e m Gedankengange i s t das polizeiliche E i n s c h r e i t e n 9 Fiat just it ia gilt trotz der Polizei. Wo das öffentliche Wohl gesellschaftliche Werte auch dem subjektiven Rechte gegenüber geschützt verlangt, hat das Gesetz selbst dieses Recht beschränkt oder seine Geltendmachung ausgeschlossen. So in Gew.O. § 26 zum Schutz genehmigter gewerblicher Anlagen. Bei öffentlichen Sachen allerdings kann die Polizei, wie wir sehen werden, mit ihren Machtmitteln die störende Geltendmachung dinglicher Rechte abwehren; allein auch das wird erst wieder vermittelt durch ein besonderes eigentumbeschränkendes Gegenrecht der öffentlichen Verwaltung; vgl. unten § 36, I I , § 41, I . 10 Besonderes Gesetz kann ausnahmsweise der Polizeigewalt auch hier Macht geben. Beispiele bietet vor allem die F o r s t p o l i z e i mit Rodungsverbot, Verbot der Waldverwüstung usw. Vgl. S c h w a p p a c h , in Wörterb. d. St. u. Verw.R. Art. Forstwesen § 16; F o e r s t e m a n n , Preuß. Pol.R. S. 7; O.V.G. 16. Okt. 1908 (Entsch. L U I S. 346). Ein ähnlicher besonderer Schutz drängt das Verfügungsrecht des Eigentümers einer H e i l q u e l l e zurück; in den allgemeinen polizeilichen Ermächtigungen wäre das nicht enthalten: O.V.G. 29. Sept. 1900 (Entsch. X X X V I I I S. 291); 8. Nov. 1900 (Entsch. X X X V I I I S. 295); aber auch O.V.G. 2. Mai 1907 (Entsch. L I S. 205). Eigentümlich steht es mit dem polizeilichen Schutz des einzelnen M e n s c h e n l e b e n s gegen diesen Menschen selbst. Ihm gehört es, er kann darüber verfügen, aber doch nicht so frei, wie nach den Regeln des Privatrechts über seine Habe. Die Sitte setzt ihm Grenzen: er darf es einsetzen für eine gute Sache; auch ein keckes Vertrauen in die eigene Geschicklichkeit, mit der die Gefahr bestanden werden kann, muß ihm durchgehen (so der Fall des Löwenbändigers in O.V.G. 11. Mai 1903; R e g e r X X I V S. 402). Aber er darf es nicht wegwerfen wollen; die Polizeigewalt kann dagegen vorgehen als gegen unbefugte Gefährdung eines gesellschaftlichen Wertes, den Selbstmord gewaltsam verhindern (ein elsässischer Friedensrichter hat sogar einmal den Versuch dazu als groben Unfug bestraft), das Baden an gefährlichen Orten, das Betreten der noch allzu dünnen Eisdecke unter Strafdrohung stellen. Die Berufung auf das freie Verfügungsrecht wird dagegen nichts helfen. Andererseits setzt aber doch auch hier das befriedete Gebiet des Privatlebens der Polizei ihre Grenzen; das lebensgefährliche Bad in meinem Brunnenschachte kann man mir nicht verbieten; vgl. Kammergericht 30. Okt. 1902 (D.J.Z. 1903 S. 60): S c h u l t z e n s t e i n , in D.J.Z. 1904 S. 81 ff.

Die Polizeigewalt.

220

ausgeschlossen, wo die Rechtsordnung das schützende Vorgehen der Obrigkeit v o n d e m W i l l e n des u n m i t t e l b a r V e r l e t z t e n a b h ä n g i g g e m a c h t h a t . Die Ziviljustiz bietet das Hauptbeispiel. Auch das z i v i l r e c h t l i c h e U n r e c h t ist eigentlich eine Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens. Allein hier gehört es m i t zur guten Ordnung, daß der Verletzte selbst berufen ist, in Schimpf oder Glimpf die Sache m i t seinem Gegner auszutragen. Eine Einmischung der Polizei würde nicht sowohl eine Verletzung der Zuständigkeit der Gerichte bedeuten, denn die bleibt immer unversehrt, als eine Verletzung der Freiheit der Beteiligten 1 1 . Es gibt ja Fälle, i n welchen die Polizeigewalt auch gegen zivilrechtliches Unrecht auftritt, „ z u m Schutze von Privatrechten", wie man sagt. Bei genauerem Zusehen ist das aber nur der äußere Schein ; in Wirklichkeit handelt es sich da immer um ein selbständiges Anliegen der guten Ordnung, das bei dem zivilrechtlichen Unrecht m i t berührt worden i s t 1 2 . I I I . Sind die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Polizeigewalt gegeben, so werden Maßregeln zu treffen sein, die geeignet sind, die Störung abzuwehren. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung wird man sich dabei von dem Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit leiten lassen müssen. Aber nicht von diesem allein. Auch die Abwehr erhält ihren Inhalt nach Richtung, Maß und A r t genauer bestimmt durch den Zusammenhang mit der zu verwirklichenden polizeilichen Pflicht der Untertanen, die aller Polizeigewalt zugrunde liegt und ihr auch nach dieser Seite hin Rechtsgrenzen wirksam zieht. 1. Die obrigkeitliche Gewalt bedarf als solche eines Untertanen, gegen w e l c h e n sie vorgeht und w i r k t ; das liegt in ihrem rechtlichen Wesen. Für die Polizeigewalt ist dieser bezeichnet in dem Einzelnen, 11

O.V.G. 17. Mai 1901 (Entsch. X X X I X S. 397): „die Ordnung privatrechtlicher Beziehungen steht grundsätzlich der Polizei nicht zu". O.V.G. 25. Juni 1901 ( X X X I X S. 383), 19. Jan. 1903 ( X L I I S. 354); Sächs. O.V.G. 1. März 1902 (Jahrb. I I S . 238), 12. Okt. 1907 ( X I S. 215); Württ. Min. d. I. 7. Mai 1905 ( R e g e r X X V S. 396). 12 Früher sehr gern angenommen: F o e r s t e m a n n , Preuß. Pol.R. S. 6 bis 13; vor allem im Gesindewesen, wo privatrechtliche Verträge angeblich im öffentlichen Interesse geschützt werden: O.V.G. 20. Okt. 1905 (Entsch. X L V I I I S. 419); S c h 1 i c k a u , in Verw.Arch. X V S. 487. — Trotz aller Verbesserungen des Zivilprozeßverfahrens wird immer noch die Unentbehrlichkeit eines polizeilichen summariissimum in bürgerlichen Rechtstreitigkeiten behauptet für den Fall, daß „die Hilfe bei den zuständigen Behörden nicht rechtzeitig zu erlangen ist": O.V.G. 4. Mai 1897 (Entsch. X X X I I S. 425); 13. Mai 1901 ( X X X I X S. 278). Wo der Streit nicht zugleich in echte Polizeiwidrigkeiten ausartet, könnte ein solches Einschreiten für die beteiligten Beamten, je nach dem gerichtlichen Ausgange der Sache, recht bedenklich werden.

§ 20. Grenzen der Polizeigewalt.

221

von dem die abzuwehrende Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens a u s g e h t . Denn die Pflicht zur Vermeidung solcher Störung, um deren Verwirklichung es sich handelt, kann offenbar gegen sonst niemand geltend gemacht werden, als gegen den, der sie verletzte oder auf dem Wege ist, sie zu verletzen. Die Frage, wer das ist, wird allerdings nicht nach dem Maßstabe zu beantworten sein, der zur Anwendung kommt, wo eine Strafe des gemeinen Strafrechts oder ein sittliches Urteil ausgesprochen und das hierfür erforderliche V e r s c h u l d e n festgestellt werden soll. Die polizeiliche Verantwortlichmachung rechnet viel ä u ß e r l i c h e r . Sie hat es nicht m i t dem Menschen als sittlichem Wesen zu tun, sondern mit der gesellschaftlichen Einzelheit, die der Gesellschaft als Gesamtheit gegenübersteht. Für sie gilt die Störung als ausgehend von dem, dessen L e b e n s k r e i s e sie entspringt. Nicht bloß sein persönliches Verhalten wird ihm dafür zugerechnet, sondern auch der gefährliche Zustand seiner Einrichtungen, die Nachteile, die aus seinem Hauswesen, aus seinem Gewerbebetriebe, aus den von ihm verwalteten Angelegenheiten anderer der guten Ordnung drohen; wegen allem, wovon er der gesellschaftliche Mittelpunkt ist, trägt er die g e s e l l s c h a f t l i c h e V e r a n t w o r t l i c h k e i t und kann er durch obrigkeitliche Maßregeln in Anspruch genommen werden, damit er die Störungen vermeide, unterlasse, beseitige 13 . Andererseits aber haftet auch niemand für eine Polizeiwidrigkeit, die nicht i n solcher Weise auf ihn zurückzuführen ist. Geht sie von einem anderen aus, so hat die entsprechende polizeiliche Abwehr sich nur gegen diesen anderen zu richten 1 4 . Ist ein solcher verantwortlicher 13

Ein Verschulden ist für diese Verantwortlichkeit nicht gefordert (anders, wenn eine Polizeistrafe zur Anwendung kommen soll; vgl. unten § 23). Handelt es sich um den polizeimäßigen Zustand einer S a c h e , so kann jeder dafür in Anspruch genommen werden, der ihr vorsteht und so weit darüber verfügen kann, daß dem Übelstande abgeholfen wird, als Eigentümer, Mieter, Nutznießer, Generalbevollmächtigter, Zwangsverwalter, gleichviel. Die Polizei hat also uuter Umständen die Wahl zwischen Mehreren: O.V.G. 6. Febr. 1895 (Entsch. X X V I I I S. 389); 17. Mai 1897 ( X X X I I S. 335); 14. Okt. 1904 ( R e g e r X X V I S. 309). Über diese Fragen: S t i e r - S o m l o , in Verw.Arch. V I S. 275 ff. : d e r s e l b e , in Verw.Arch. X V I I I S. 140; B i e r m a n n , Privatrecht u. Pol. S. 124; S c h u l t z e n s t e i n , i n Verw.Arch. X I V S. 1 ff. ; S c h a d e , in Arch, f. öff. R. X X V S. 266. 14 O.V.G. 11. Okt. 1884 (Entsch. X I S. 382): I n einem Privathaus hält eine Sekte Erbauungsstunden; die Polizei befiehlt zu Unrecht, die Fenster zu schließen, damit die Passanten nicht belästigen; gegen die störenden Passanten war vorzugehen! Ähnlich O.V.G. 18. Dez. 1896 (Entsch. X X X I S. 409); 5. März 1906 (Pr. Verw.Bl. X X V I I I S. 833); sächs. O.V.G. 17. Jan. 1903 (Jahrb. IV S. 60).

Die Polizeigewalt.

222

Lebenskreis n i c h t gegeben, h a n d e l t es sich z. B . l e d i g l i c h u m störende u n d zerstörende W i r k u n g e n freier N a t u r k r ä f t e , d a n n i s t f ü r die A n w e n d u n g der Polizeigewalt ü b e r h a u p t k e i n P l a t z 1 5 . W o h l v e r s t a n d e n : I n allen F ä l l e n k a n n der V e r w a l t u n g die rechtl i c h e M ö g l i c h k e i t gegeben sein, auch das p o l i z e i l i c h t a d e l l o s e M i t g l i e d der Gesellschaft h e r a n z u z i e h e n , u m M i t t e l u n d Wege z u gewinnen

zur

Abwehr

der

Schädlichkeit.

Enteignung,

Eigentums-

beschränkung, A u f e r l e g u n g v o n Lasten, H i l f e n u n d D i e n s t e n s t e l l t i h r das Gesetz d a f ü r z u r V e r f ü g u n g gemäß d e n n o c h z u betrachtenden Rechtsinstituten.

N u r eben Polizeigewalt i s t das alles n i c h t , i n der

allgemeinen P f l i c h t , n i c h t z u stören, i s t es n i c h t begriffen, u n d a u f jene umfassenden polizeilichen E r m ä c h t i g u n g e n , die der Rechtsstaat n o c h b e i b e h a l t e n h a t , d a r f es sich n i c h t g r ü n d e n w o l l e n 1 6 . 2. D i e A b w e h r der Polizeigewalt d a r f den P f l i c h t i g e n a u c h n u r erfassen s o w e i t , als S t ö r u n g v o n i h m ausgeht.

W o der

erkennbare

Vgl. auch württ. Min. d. I. 28. April 1876 (R e g e r I I I S. 440); O.V.G. 21. März 1898 (Entsch. X X X I I I S. 409); 10. Nov. 1908 ( R e g e r X X I X S. 289); sächs. O.V.G. 5. Sept. 1906 (Jahrb. I X S. 316). Die Polizeiwidrigkeit kann auch mehrere gleichwertige Ausgangspunkte haben, im Zusammenwirken oder hintereinander; dann hat die Polizeibehörde wieder die Wahl: O.V.G. 27. Nov. 1899 (Entsch. X X X V I S. 400); 1. Okt. 1898 ( X X X I V S. 432). 15 O.V.G. 28. Okt. 1896 (Entsch. X X X S. 216): Absturzdrohender Felsblock; der Eigentümer kann nicht polizeilich angehalten werden zur Beseitigung der Gefahr; es handelt sich im wesentlichen um „elementare Vorgänge". Ähnlich württ. V.G.H. 29. Juni 1902 (Jahrb. f. württ. Rechtspfl. X I V S. 114). Die polizeiliche Verantwortlichkeit des Eigentümers der Sache ist also keine unbedingte; diese muß gesellschaftliche Form bekommen haben. G r a u , Diktaturgewalt d. Reichspräsidenten S. 38, erhebt den Vorwurf, ich ließe hier, der Generalklausel des § 10 I I 17 A.L.R. zum Trotz, „ein Recht der Polizei auf Abwendung von Naturgefahren nicht gelten". Das beruht auf Irrtum. Von mir aus mag sich die Verwaltung immerhin durch Bekämpfung von absturzdrohenden Felsblöcken und anderen Naturerscheinungen nützlich machen; sie mag sich meinethalben auch dabei Polizei nennen. Gegenüber solchen Verwendungen des verschlissenen Wortes habe ich mich ja gleichgültig erklärt (vgl. in Übereinstimmung mit Früherem oben § 19 Note 14). Nur für P o l i z e i g e w a l t , für Befehl und Zwang sind solche Naturgefahren nicht als geeigneter Gegenstand anzusehen. D a g e g e n habe ich mich um der Reinlichkeit unserer Begriffe willen verwahrt. 16

Daß dem belasteten Dritten in solchen Fällen eine selbstverständliche Entschädigung zugebilligt wird, ist der beste Beweis dafür, daß es sich nicht um seine polizeiliche Pflicht handelt. C.C.H. 12. Nov. 1881 (M.B1. d. 1.1882 S. 5): der Landrat befiehlt, das Spülwasser in des Nachbars Rinne zu schütten, der dafür Entschädigung verlangen kann; O.V.G. 27. Sept. 1900 (Entsch. X X X V I I I S. 448): polizeilich vorgeschriebenes Geländer der Treppe zum Schulhaus ragt in das Grundstück des Nachbars hinein, wofür dieser zu entschädigen ist. Vgl. über diese Befehle zu Lasten Dritter unten § 21 S. 247.

§ 20. Grenzen der Polizeigewalt.

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Wille eines Gesetzes auf schärferes Zugreifen geht, muß das selbstverständlich gelten. Aber i m übrigen bleibt von der naturrechtlichen Grundlage her die Forderung der V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t der A b w e h r bestehen und bestimmt das Maß der als zulässig anzusehenden polizeilichen Kraftentwicklung. Das wird wieder rechtlich wirksam, wie alle diese Dinge, i m Wege der Auslegung des besonderen Gesetzes und der allgemeinen Ermächtigungen. Die Störung, die von dem Einzelnen ausgeht, erscheint im Zusammenhange seiner sonstigen Lebensäußerungen häufig als Stück eines umfassenderen Tätigkeitsganzen. Die Polizeigewalt darf hier nicht m i t der Störung unnötigerweise zugleich das Zulässige, noch in der gesellschaftlichen Freiheit Liegende unterdrücken und so das Unkraut m i t dem Weizen ausraufen. Soweit wenigstens eine A u s s c h e i d u n g möglich ist, muß sie gemacht werden. Das wird namentlich da zutreffen, wo Polizeiwidrigkeiten als selbständige Handlungen i m Bereiche und bei Gelegenheit eines an sich erlaubten Unternehmens stattfinden, ohne daß das Unternehmen selbst dadurch seinen Stempel aufgedrückt bekäme. Die Polizeibehörde, welche unter solchen Umständen zur Bekämpfung der Störung gleich das ganze Unternehmen unterdrückte, würde eine Machtüberschreitung begehen 17 . Es kann sein, daß eine Einrichtung oder Tätigkeit des Einzelnen an sich noch i n der gesellschaftlichen Ordnung liegt und störend nur wird durch die besondere A r t und Weise der Ausführung. Solcher b e d i n g t e n Schädlichkeit entspricht nicht das unbedingte Verbot. Die Polizeigewalt kann nur bedingt verbieten, „wenn nicht die nötigen Vorkehrungen getroffen sind"; oder sie gebietet geradezu nur diese Zutaten, ohne zunächst den Bestand des Unternehmens selbst in Frage zu stellen. Das gleiche wird der Fall sein, wenn der vorliegenden Polizeiwidrigkeit, statt durch Vernichtung und Unterdrückung, auch schon durch leichtere V e r ä n d e r u n g e n des gegenwärtigen Zustandes abgeholfen werden kann. Das pflichtgemäße Ermessen bekommt hier 17 W. J e l l i n e k , Gesetz, Gesetzesanwendung S. 289ff., nennt das den „Ungültigkeitsgrund des Übermaßes". F l e i n e r , Instit. S. 376, will es mit dem Satze ausdrücken: „Die Polizei soll nicht mit Kanonen nach Spatzen schießen". Vielleicht läge der Vergleich mit den Kuren des Doktor Eisenbart näher. O.V.G. 10. April 1886 (Entsch. X I I I S. 424): Ein Kleinhändler schenkt unbefugterweise in seinem Geschäfte nebenher Branntwein; daß die Polizei deshalb den ganzen Laden schließt, ist unzulässig. Vgl. auch O.V.G. 16. Mai 1900 (Entsch. X X X V I I S. 292); 21. Sept. 1903 ( X L I V S. 342); 27. Mai 1907 ( L I S. 284); sächs. O.V.G. 25. Okt. 1905 (Jahrb. V I I I S. 136); 19. Jan. 1907 (Jahrb. X S. 122); sächs. Min. d. I . 26. Nov. 1908 ( R e g e r X X X S. 367); bad. V.G.H. 5. Mai 1909 ( R e g e r X X X S. 557).

Die Polizeigewalt.

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seinen Spielraum. Aber auch dieses ist ja nachprüfbar; vgl. oben § 15, I I I n. 3. Und wo danach die Herstellung des polizeimäßigen Zustandes durch die gelinderen Mittel ausreichend gesichert scheinen muß, begeht die Behörde eine Machtüberschreitung, wenn sie zu dem schärferen greift 1 8 . Es gibt ferner Fälle, wo eine Störung in dem, was der Einzelne gerade unternimmt und einrichtet und ins Werk setzt, nur als Mögl i c h k e i t enthalten ist. Vielleicht wird darin gar nichts je wirklich zur Erscheinung kommen, was für die gute Ordnung des Gemeinwesens gefährlich werden könnte. Das Unternehmen ist aber seiner Natur nach i n der Lage, daß solche Dinge leicht bei ihm entstehen oder gefördert werden; es ist verdächtig. Der entfernteren Störung entspricht dann die entferntere Gewalt. Die polizeilichen Eingriffe gegenüber dem Unternehmer schwächen sich ab zu Maßregeln besonderer Ü b e r w a c h u n g , welche über ihn verhängt werden. Statt alles sonstigen Zwanges hat er Nachforschungen und Kenntnisnahme zu dulden, welche andere, Unverdächtige, nicht zu dulden hätten; statt der Verpflichtung, Vorkehrungen zu treffen zur Bekämpfung einer von i h m ausgehenden Schädlichkeit, kann ihm die Pflicht auferlegt werden, Anzeigen, Mitteilungen, Aufzeichnungen zu machen zur Erleichterung der Überwachung gegen die möglichen Schädlichkeiten. Wiederum wird da ein breites Grenzgebiet bleiben, wo es zweifelhaft sein mag, ob die Gefahr schon droht oder nur als entferntere Möglichkeit zu denken ist, ob also Überwachungsmaßregeln genügen oder sofortige Unterdrückung am Platze ist. Aber auch hier kommt ein Punkt, wo die erkennbare Rechtsschranke der Polizeigewalt be18

B i n g n e r und E i s e n l o h r , Bad. Pol.Stf.G.B. S. 183; Sächs. O.V.G. 1. Mai 1907 (Jahrb. X S. 329); P a r e y und W i e d e m a n n , Rechtsgrunds, d. O.V.G. S. 89, S. 150, S. 163. — I n Preußen hatte man gemäß A.L.R. I I , 17 § 10 die Feuerbestattung verboten; man sah darin eine Verletzung religiöser Gefühle. O.V.G. 15. Mai 1908 (Entsch. L H S. 291) weist diese Begründung zurück, erklärt aber das Verbot für gültig auf Grund folgender Erwägungen: Der Staat habe Vorschriften zu erlassen, um die Beobachtung der beim Beerdigungswesen geltenden Grundsätze auch hier zu sichern und zu ermöglichen (also „bedingte Schädlichkeit"!); diese fehlen aber zurzeit noch; daher ist es nicht möglich, auf dem Boden der jetzigen Rechtsordnung die dem Staate zustehenden Rechte der Feuerbestattung gegenüber zur Geltung zu bringen; „die Rechtsordnung würde also durch diese unter Verletzung der staatlichen Befugnisse durchbrochen". Die Rechtsordnung wäre also verletzt, weil man handeln will, bevor der Staat eine Rechtsordnung aufgestellt oder überhaupt etwas zur Sache gesagt hat, nur weil es möglich ist, daß der Staat eine solche aufstellt, in welcher das, was man jetzt tut. verboten würde! Das ist noch einmal echtes polizeistaatliches Naturrecht!

§ 20. Grenzen der Polizeigewalt.

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ginnt und die gelindere Maßregel allein zulässig, die einschneidendere rechtlich ausgeschlossen i s t 1 9 . 3. Dadurch, daß die Abwehrmaßregeln der Polizeigewalt i n der soeben geschilderten Weise sich anpassen an das Maß der Störung, gegen welche sie sich richten, erhalten sie eine gewisse Mannigfaltigkeit i n der äußeren Erscheinung. Die enfache Urform: V e r h i n d e r u n g , wird nicht nur, nach der Weise des Rechtsstaates, in feineren Verzweigungen entfaltet, sondern es treten auch noch Anforderungen und Auflagen daneben, die äußerlich von ganz entgegengesetzter Gestalt sind: der Einzelne soll L e i s t u n g e n machen, die Störung beseitigen, die er bereitet hat, Vorkehrungen treffen gegen künftige Störungen, Anzeigen, Meldungen erstatten. Demnach ist es eine unzureichende Ausdrucksweise, wenn man die Polizeigewalt lediglich als ein System von V e r b o t e n erklärt; G e b o t e kommen massenhaft darin zur Anwendung 2 0 . Richtig ist, daß auch i n diesen polizeilichen Geboten, gemäß der allgemeinen Grundidee der Polizei, immer etwas steckt, ein Ziel und Absehen enthalten ist, das sie dem wesentlich verneinenden Verbote nahe bringt. Denn was auch durch solche Gebote dem Pflichtigen auferlegt sein mag, darf immer nur dazu bestimmt sein, die Störung zu bekämpfen, die von i h m ausgeht oder ausgehen könnte. Das Ergebnis aller Polizeigewaltübung ist i m letzten Ende nie mehr als dies: daß der i n A n spruch Genommene n i c h t s t ö r t 2 1 . 19 O.V.G. 25. Febr. 1902 (Entsch. L X I S. 419): Einem verurteilten Zuhälter verbietet die Polizeibehörde das „Herumstehen ohne nachweisbaren Zweck"; unzulässig, denn auch hier ist „Maß einzuhalten und beurteilbare Grenze". Sächs. O.V.G. 14. Sept. 1904 (Jahrb. V I S. 420): Ein Gewerbebetrieb war untersagt worden; eine dazu dienende Maschine bleibt gleichwohl im Kellergeschoß aufgestellt; Verbot wegen der dadurch gegebenen „Möglichkeit" heimlicher Benutzung; das wird für unzulässig erklärt. Ähnlich sächs. O.V.G. 24. Jan. 1903 (Jahrb. I V S. 77); 17. März 1906 (Jahrb. V I I I S. 326). 20 R ο s i η , Pol. Verord. R. S. 152. 21 Tatsächlich wird ja darüber hinaus auf den Namen Polizei mannigfach die Befugnis zu Befehl und Zwang gegründet, um allerlei n ü t z l i c h e L e i s t u n g e n zu erlangen; denn der alte Polizeistaat mit seiner Denkweise und seinen Ausdrücken ist noch keineswegs tot. Es geschieht das vor allem in zweierlei Richtung: — Die Gemeinde, welche eignen Namens ein Stück öffentlicher Verwaltung zu führen hat, und was ihr gleichsteht, auch der „Fiskus" in seinen besonderen Verwaltungen, Wegeverwaltung, Eisenbahnverwaltung, Strombauverwaltung, steht unter einer behördlichen A u f s i c h t , vermöge deren vorgeschrieben werden kann, was die öffentliche Sicherheit und Ordnung verlangt (vgl. oben S. 113); hier wird nicht die allgemeine Nichtstörungspflicht erzwungen, sondern die besondere Leistungspflicht für die anvertraute öffentliche Verwaltung. Gleichwohl nennt man das, wie von altersher, immer noch Polizei. So ist es eine „polizeiliche

B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , Verwaltungen I . 3. Aufl.

15

226

Die Polizeigewalt.

§ 21. Der Polizeibefehl. B e f e h l ist die auf einem Abhängigkeitsverhältnis beruhende Willenserklärung zu bindender Bestimmung des Verhaltens des Untergebenen. ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h ist der Befehl, wenn das zugrundeliegende Abhängigkeitsverhältnis das des Untertanen gegenüber der öffentlichen Gewalt ist; wir nennen i h n dann einen o b r i g k e i t l i c h e n Befehl. Verfügung", wenn der Polizeipräsident oder die Kommunalausichtsbehörde der Gemeinde aufgibt, für gutes Trinkwasser zu sorgen: O.V.G. 13. März 1908 (Entsch. L H S. 279); 11. Febr. 1901 ( X X X V I I I S. 371); 22. April 1909 (LIV S. 271). Ebenso die Auflage, welche der Amtsvorsteher dem Besitzer des selbständigen Gutsbezirks macht, daß er einen Nachtwächter anstelle: O.V.G. 8. März 1907 (Entsch. L. S. 42). Vgl. auch O.V.G. 30. Nov. 1900 ( X X X V I I I S. 179); 19. Juni 1899 ( X X X V S. 239); 28. Okt. 1896 ( X X X S. 214); 6. Febr. 1900 ( X X X V I S. 441); O.V.G. 22. Juni 1899 ( X X X V S. 73: baupolizeiliche Vorschriften der Gemeinde für die Art, wie sie selbst die Straße herstellen soll). Die „Bahnpolizeireglements" im Sinne von Reichs-Verf. 1871 Art. 43, jetzt Reichs-Verf. 1919 Art. 90, sind Vor Schriften für den Unternehmer über Ausrüstung, Unterhaltung, Bewachung der Bahn, welche ihm kraft der „Eisenbahnhoheit" gegeben werden; das kann der Bundesstaat selbst sein. Hier handelt es sich überall um Pflichten, welche bestehen und geltend zu machen sind, auch wenn man sie nicht Polizei nennt. Dieser Name erschwert nur das Verständnis der in Betracht kommenden Rechtsinstitute der A u f s i c h t s g e w a l t (vgl. unten § 50, § 69). — Bedenklicher ist die Ausdehnung des Namens Polizei in der Richtung, daß sie mit ihren allgemeinen Ermächtigungen den Rechtstitel liefern soll zur Beschaffung von allerlei Leistungen an den Staat, wofür sonst ein Rechtstitel nicht bestände. Einen Hauptfall bildet das sogenannte A u s k u n f t s r e c h t der Polizei. Es handelt sich nicht um die Pflicht, „sich auszuweisen", nach Paßges. § 3, auch nicht um die Anzeigepflicht, welche Gewerbetreibenden u. dergL auferlegt werden kann behufs ihrer Überwachung. Sondern ein polizeilich ganz „Unbeteiligter" wäre nach Meinung der Polizei in der Lage, ihr nützlich zu sein, indem er ihr Auskunft gibt wie ein Zeuge. Sie lädt ihn vor und holt ihn mit Gewalt, wenn er nicht kommt. Ein Gesetz besteht nicht; das Recht wird auf gut polizeistaatlich gefolgert: die Polizeibehörde hat ein Recht auf Erteilung von Auskunft, „soweit sie einer solchen zur Erfüllung ihrer Aufgabe bedarf": O.V.G. 1. Juni 1897 (Entsch. X X X I I S. 387); 26. Jan. 1903 ( R e g e r X X I I I S. 11); 18. Sept. 1908 (Entsch. L I I I S. 251); R.G. 30. Sept. 1880 (Entsch. Stf.S. I I S. 282: die Zweifel, ob streng genommen für den Vorgeladenen eine Rechtspflicht bestehe, sollen hier noch dadurch beseitigt werden, daß man sie eine „staatsrechtliche Pflicht" nennt). W. J e l l i n e k , Gesetz, Gesetzesanwendung S. 319, bemerkt richtig: „Hier entfaltet wieder der Schluß vom Zweck auf das Mittel seine ganze Kraft". Es ist dieselbe Kraft, die er seinerzeit zugunsten des Bischofs von Speier entfaltete, als er das Bruchsaler Grundstück für seine Zwecke wegnahm; vgl. oben § 3 Note 9-

§ 2 . Der P o l i z e i e e l .

227

Der Befehl unterscheidet sich von anderen Äußerungen obrigkeitlicher Gewalt durch die eigentümliche Wirkung, auf die er gerichtet ist: die bindende Bestimmung des Verhaltens des Befehlempfängers. Sie stellt sich juristisch dar in der Begründung einer dem Inhalt des Befehls entsprechenden G e h o r s a m s p f l i c h t 1 . Der Befehl kommt im Verwaltungsrecht in verschiedener Weise zur Anwendung; wir haben Polizeibefehle, Finanzbefehle, DienstAber ein derartiges Schöpfen aus dem Vollen gibt es heutzutage nur noch innerhalb der wohlzubeachtenden Grenzen der Polizeigewaltübung. Es scheint, daß die Frage der Zwangsfeuerwehr die Führung übernommen hat, um der richtigen Auffassung auf diesem Gebiete zum Durchbruch zu verhelfen. Früher hat man diese „polizeiliche Pflicht" den geeigneten Ortseinwohnern selbstverständlich auferlegt auf Giund der allgemeinen Polizeigewalt. Dann kamen Bedenken. Man versuchte eine besondere Begründung in Stf. G.B. § 360 Ziff. 10: bad. Min. d. I. 29. April 1887 ( R e g e r V I I I S. 180); oder in Stf.G.B. § 368 Ziff. 8: bayr. Oberst. L.G. 25. Nov. 1902 ( R e g e r X X I I I S. 312). Alles natürlich unzureichend. Sächs. O.V.G. 12. Febr. 1902 ( R e g e r X X I I I S. 311) fügt daher hinzu: „es handelt sich zugleich um § 29 Rev. Städteordnung und eine danach aufgelegte Zwangsdienstpflicht' 1 — also um eine Gemeindelast. Das ist gewiß richtig; aber eben darum handelt es sich nicht um eine Anwendung der allgemeinen Polizeigewalt. — I n Preußen hat noch O.V.G. 26. Juni 1886 (Entsch. X X X S. 429) und ebenso KammerG. 5. Juni 1900 ( J o h o w X S . 161) die Leute auf Grund der allgemeinen Polizeigewalt zum Dienst heranziehen lassen. KammerG. 25. Juni 1901 ( J o h o w X X I I S. 87) gibt das preis und verlangt ein besonderes Ortsstatut, also Gemeindelast. Das Ges. v. 21. Dez. 1904, betr. die Befugnis der Polizeibehörden zum Erlaß von Polizeiverordnungen über die Verpflichtung zur Hilfeleistung bei Bränden, macht nun reinen Tisch. I n der Begründung (Herrenhaus 1904/1905, Drucks, n. 7) ist eine treffliche Übersicht gegeben über die bisherige Entwicklung. Mit dem Ortsstatut, heißt es dann, kommt man nicht weit, weil Kom.Abg. Ges. v. 14. Juli 1893 § 68 bloß die Steuerpflichtigen zu Naturaldiensten heranziehen läßt; ferner steht fest: „die Polizeibehörde kann die einzelnen Ortseinwohner n i c h t k r a f t i h r e r P o l i z e i g e w a l t in Anspruch nehmen" für solche Dienste (S. 11); deshalb jetzt die neue Gesetzesbestimmung, „über die Errichtung von Pflichtfeuerwehren, die Regelung der mit derselben verbundenen persönlichen Dienstpflicht usw.". Daß diese Regelung Polizei Verordnung genannt wird, ist altmodisch, soll uns aber wenig kümmern. Sachlich sind die Grenzen der Polizeigewalt klar erkannt und festgelegt. 1 Über den Befehlsbegriff: L ο e η i η g , Verw.R. S. 241 ; Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 51 ff. ; Κ ο r m a η η , Rechtsgesch. Staatsakte S. 74 ff. — Die ältere Lehre mochte alle Äußerungen der Staatshoheit unter dem Namen „Befehl" zusammenfassen (vgl. oben S. 52, S. 114). Jetzt noch erklärt man wenigstens den Befehl überall „immanent" (S e 1 i g m a η η , Begr. d. Ges. S. 29 ; Β e r η a t ζ i k , Rechtskraft S. 11), rechnet auch die Steuerauflage, die Aushebung zum Heerdienste zu den Befehlen (G. M e y e r - D o c h o w , Verw.R. 3. Aufl. S. 33, in 4. Aufl. I S. 49 weggefallen) oder will in jeder Willensäußerung des Gesetzes einen „Gesetzesbefehl" finden ( L a b a n d , St.R. I I S. 4). Der Foitschritt verlangt genauere Begrenzung.

Die Polizeigewalt.

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befehle. Der P o l i z e i b e f e h l unterscheidet sich von den anderen obrigkeitlichen Befehlen dadurch, daß er seinen Inhalt nimmt aus der vorausgesetzten allgemeinen Pflicht, die gute Ordnung des Gemeinwesens nicht zu stören. Diese bringt er zu rechtlicher Gestalt und Geltung. E r t u t das durch eine den Regeln des Rechtsstaates unterworfene obrigkeitliche Willenserklärung, i n welcher jene natürliche Pflicht ausgesprochen wird, und zugleich so, daß er sie umprägt i n die polizeiliche Gehorsamspflicht. Diese rechtlich wirksame und erzwingbare Gehorsamspflicht ist gegenüber jener aus dem gesellschaftlichen Zusammenleben gefolgerten natürlichen Pflicht ein Mehr und ein Neues. Ihre Erzeugung bedeutet einen Eingriff in Freiheit und Eigentum. Daher dem bekannten Verfassungsgrundsatz gemäß kein Polizeibefehl gültig erlassen wird ohne g e s e t z l i c h e G r u n d l a g e , d. h. anders als durch Gesetz oder m i t gesetzlicher Ermächtigung 2 . I . Das Verwaltungsrecht hat zwei Formen, um rechtliche Verpflichtungen erzeugen zu lassen: die Aufstellung eines R e c h t s s a t z e s , der durch seine allgemeine Regel die Pflicht i n allen Fällen entstehen läßt, i n welchen die Voraussetzungen erfüllt sind, an die er sie hat knüpfen wollen, und den V e r w a l t u n g s a k t , der für den Einzelfall unmittelbar ausspricht und bestimmt, was hier Rechtens sein soll. I n der Form des v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n Gesetzes könnte beides zur Erscheinung kommen, allgemeine Regel und Bestimmung für den Einzelfall. Nur ist dieses seiner Natur nach zur Ordnung des Einzelfalles weniger berufen und geeignet; i m gewöhnlichen Gang der Dinge gibt es sich nicht damit ab und soll es auch nicht tun. Wie wir unter Verwaltungsgesetz ein solches verstehen, das Rechtssätze für die Verwaltung enthält (oben § 8 η. 1 Note 1), so verstehen wir auch unter P o l i z e i g e s e t z ein solches m i t einem Rechtssatz polizeilicher A r t , nicht m i t einer Bestimmung des Einzelfalls, und zwar vornehmlich — obwohl der gesetzliche Rechtssatz allerlei polizeiliche Dinge sonst noch regeln kann — m i t einem Polizeibefehlsrechtssatz. Beides, Rechtssatz wie Einzelbefehl, erscheint aber auch außerhalb der Form des Gesetzes, als Willensäußerung der „vollziehenden Gewalt", der Regierung selbst und der untergeordneten Behörden. Ersteres, soweit ein Verordnungsrecht besteht, abgeleitet von einem dazu ermächtigenden Gesetze (oben § 8 n. 2). Wenn wir von P o l i z e i 2

Der Befehl ist allerdings so sehr die natürliche Erscheinungsform der Polizeigewalt, daß er in der gesetzlichen Ermächtigung, Polizei zu üben, überall von selbst begriffen ist: R o s i n , Pol. Verord. S. 20; Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 103; A n s c h ü t z , in Pr. Verw.Bl. X X I I S. 84ff.; ders. in Verw.Arch. V S. 406.

229

§ 2 . Der P o l i z e i e e l . Verordnung

schlechthin sprechen, i s t wieder eine solche g e m e i n t ,

die einen Polizeibefehlsrechtssatz D e r Polizeibefehl f ü r

enthält3.

den E i n z e l f a l l w i r d i n Gestalt eines V e r -

waltungsaktes erlassen m i t rechtssatzmäßig gebundenem I n h a l t e oder auf G r u n d freien Ermessens (vgl. oben § 9 I I n. 2). Polizeiverfügung

spricht

Wenn man von

oder v o n p o l i z e i l i c h e r

Verfügung,

so versteht m a n d a r u n t e r einen V e r w a l t u n g s a k t m i t Polizeibefehl oder a u c h m i t Bescheid über eine nachgesuchte Polizeierlaubnis, gewährend oder versagend; der letztere geht uns hier vorerst n o c h n i c h t s a n 4 . — 3

Wo ein Stück Polizeigewalt einem Selbstverwaltungskörper zusteht, können solche Rechtssätze auch erscheinen als Statuten, Ortsgesetze (oben § 8 n. 3); das steht hier der Verordnung gleich. 4 Eine eigentümliche Art von Polizeibefehlen wird sich noch ergeben, wenn ein besonderes p o l i z e i l i c h e s G e w a l t v e r h ä l t n i - s anzunehmen ist in dem oben § 9, I I I entwickelten Sinn. Dem entsprächen dann Befehle in den erleichterten Formen der Anweisung, vor allem also auch Befehle, und zwar polizeiliche Befehle, die ausgehen von N i c h t b e h ö r d e n , einfachen Anstaltsbeamten, polizeilichen Vollzugsbeamten. U 1 b r i c h , österr. Verw.R. S. 339 f. tritt in der Tat für diesen Begriff ein und spricht von Polizeibefehlen als „Anweisungen kraft des Gewaltverhältnisses". Beispiele sollen liefern: die Stellung unter Polizeiaufsicht und die Verwahrung in einer Polizeianstalt. Vielleicht könnte man auch an die den öffentlichen Dirnen nach Stf.G.B. § 361 n. 6 zu erteilenden Vorschriften denken; doch handelt es sich hier wohl nur um gewöhnliche Polizeiverfügungen. Den wichtigsten Fall bietet jedenfalls die S t r a ß e n p o l i z e i . Hier ist es Brauch, in den zu Stf. G.B. § 366 n. 10 erlassenen „PolizeiVerordnungen" eine Bestimmung zu treffen, welche Gehorsam verlangt gegenüber den Einzelbefehlen der Schutzmannschaften. Wenn nach einer Münchener Ortspol. Vorschr. das nur für Befehle „zur Vermeidung von Verkehrsstörungen" gilt, so hat die Leipziger Verkehrsordnung § 150 einfach den Text des Stf.G.B. angepaßt: „Den zur Erhaltung der S icherheit usw. in einzelnen Fällen von den Aufsichtsbeamten mündlich erteilten Anordnungen ist sofort und unbedingt Folge zu leisten". I n Preußen sind derartige Bestimmungen sehr allgemein üblich. Diese „Zuständigkeit" der Schutzleute findet namentlich Anwendung gegen die Streikposten: KammerG. 23. Nov. 1899 (R e g e r X X S. 349); O.L.G. Dresden 14. Dez. 1905 ( F i s c h e r s Ztschft. X X X S. 363). Das Bedenken, welches hier entsteht, ist zum Ausdruck gekommen in O.L.G. München 28. Okt. 1897 ( R e g e r X V I I S. 92): Der Gendarm hatte die Angeklagten aufgefordert, ihren Standort am Trottoir zu verlassen; das Landgericht war der Meinung gewessn, die „für den einzelnen Fall zutreffenden Anordnungen" müßten wenigstens von einer „Behörde" ausgehen, nicht von einem „polizeilichen Hilfsorgan"; das O.L.G. aber erkennt den Befehl des Gendarmen als rechtsverbindlich an. Diese Befehlsgewalt der Nichtbehörde ist allerdings juristisch nur haltbar auf Grund der noch nicht völlig überwundenen Auffassung des Straßenverkehrs als einer besonderen Gewährung von Seiten des Staats, als einer Anstaltsnutzung, die den Benutzenden unter die A n s t a l t s g e w a 11 bringt; da sind dann solche Anweisungen des Anstaltspersonals erklärlich, die gleichwohl auch als Polizeibefehle gelten können. Wir werden unter § 38, I I n. 1 und § 52, I darauf zurückkommen.

230

Die Polizeigewalt.

Vom Standpunkte des R e c h t s s t a a t e s aus ist es nicht gleichgültig, i n welcher Weise diese verschiedenen Erscheinungsarten des Polizeibefehls zur Verwendung gelangen. Seine Forderung ist, daß alles möglichst durch Rechtssatz, also Polizeigesetz und Polizeiverordnung, bestimmt sei (vgl. oben § 5, I I I ) . Verfassungsrechtlich ist es zweifellos zulässig, daß das Gesetz Polizeiverfügungen mit weitestem Spielraum ermächtige, um für den Einzelfall den Inhalt der polizeilichen Rechtspflicht schöpferisch zu bestimmen und danach Gehorsam zu befehlen. Dem Réchtsstaate aber entspricht eine solche Abdankung des Rechtssatzes zugunsten der Willkür des Einzelaktes nicht 5 . Deshalb wird sein Gesetz möglichst nicht so verfahren. Es wird auch im Zweifel nicht so ausgelegt werden dürfen, als seien ihm Rechtssatz und Verfügung gleichwertig und gleichberechtigte Formen, um von seinen Ermächtigungen Gebrauch zu machen: seine Ermächtigung geht auf die Verordnung v o r z u g s weise. Daraus ergeben sich rechtlich bedeutsame Folgerungen: 1. Wo einer Behörde gesetzlich die Ermächtigung erteilt ist, i m Einzelfall zu befehlen, was polizeilich geschuldet sei, liegt darin allerdings nicht die Verleihung der Fähigkeit zur Verordnung; denn diese bedeutet ja wieder eine besondere, besonders zu verleihende Kraft des Gesetzes (vgl. oben § 6 n. 1). Aber auch umgekehrt: wo die Behörde zu Polizeiverordnungen ermächtigt ist, ist sie nicht von selbst befugt, die gleichen Dinge auch in Form der Polizeiverfügung unmittelbar zu erledigen. Der Schluß von dem Mehr auf das Weniger ist unstatthaft. Denn die Verordnung ist nicht bloß das Mehr, sondern i m Sinne des Rechtsstaates und des ermächtigenden Gesetzes auch das Bessere. Soweit also die Polizeiverordnung, die rechtssatzmäßige Regelung, m ö g l i c h ist, ist es i m Sinne des rechtsstaatlichen Gesetzes u n z u lässig, von der Polizeiverfügung Gebrauch zu machen 6 . 6

T b o m a , Polizeibefehl S. 59ff. So E d e l , Bayr. PoLStf.G.B. S. 152: „Dagegen wäre es sehr bedenklioh, wenn ein solcher Artikel der Polizei Gelegenheit geben würde, durch SpeziaiVerfügungen, die sie bei gleichen Voraussetzungen an verschiedene Personen in verschiedenem Sinne erläßt, eine Rechtsungleichhelt herbeizuführen." Vgl. auch Theorie d. franz. Verw.R. S. 66. — Das preußische Recht steht allerdings auf dem Standpunkte, daß es der Behörde, wo sie polizeiverordnungsberechtigt ist, freibleibt, statt der Verordnung die Einzelverfügung zu wählen: O.V.G. 14. März 1886 (Entsch. X I I I S. 395); v. A r n s t e d t , Preuß. Pol.R. I S. 66. Bei den unteren Verwaltungsgerichten bestand eine Zeitlang die Neigung, in solchem Falle nur die Verordnung für zulässig zu erklären (so noch O.V.G. 9. Juni 1877, 27. Juni 1877, 9. Juni 1884); meine Annahme, die Entwicklung werde in dieser Richtung weitergehen, hat sich seither nicht bestätigt. β

§ 2 . Der P o l i z e i e e l .

231

W e n n danach die Polizeiverfügung zugunsten der Polizeiverordnung ausgeschlossen w i r d , k a n n m a n sie n i c h t d a d u r c h einschlüpfen lassen, daß m a n sie u n t e r W a h r u n g der F o r m e n d e r V e r o r d n u n g

erläßt:

es g i b t keine selbständig w i r k e n d e F o r m der V e r o r d n u n g , wie es eine Gesetzesform g i b t ; die V e r o r d n u n g i s t wesentlich d u r c h i h r e n I n h a l t b e s t i m m t , der e i n Rechtssatz sein m u ß .

N o c h weniger h i l f t es selbst-

verständlich, diese behördliche V e r f ü g u n g als ßechtssatz f ü r den Einzelf a l l , lex specialis, Sondergesetz, Privilegium usw. z u b e t i t e l n ; das s i n d leere N a m e n , d u r c h welche das Gesetz sich n i c h t täuschen l ä ß t 7 . Es i s t a u c h n i c h t zulässig, daß d a n n die z u r V e r o r d n u n g e r m ä c h t i g t e Behörde einfach eine V e r o r d n u n g erläßt, i n welcher sie sich

vor-

b e h ä l t , das, was befohlen sein soll, i n den Einzelfällen d u r c h polizeiliche Verfügungen k u n d z u t u n .

Was das Gesetz i h r n i c h t freistellen

w o l l t e , k a n n sie sich n i c h t auf d e m U m w e g e der V e r o r d n u n g selbst wieder freistellen; das wäre j a geradezu e i n Streich, der d e m Gesetze gespielt würde8. ' R o s i n , Pol. Verord.R. S. 10, S. 102 Note 15, S. 155, bahnt den Weg zu, solchem Vorgehen durch seinen Begriff der „Individualverordnung". B o r n h a k , Pr.St.R. I I I S. 155, kennt ebenfalls „polizeiliche Rechtsnormen für den einzelnen Fall", hält sie nur für ausgeschlossen durch eigens zu diesem Zwecke angenommenes Gewohnheitsrecht. Für Preußen hat es aber gar keinen Wert, darüber zu streiten, da die Behörden beliebig statt zur Verordnung zu der auf Grund von A.L.R. I I , 17, § 10 zu erlassenden Verfügung greifen können, ohne daß sie nötig hätten, ihr zu diesem Zwecke erst noch den Titel Rechtsnorm oder Verordnung zu verleihen. Daß sie eine etwa auf den Fall anwendbare Verordnung durch eine Verfügung nicht durchbrechen können, ist wieder eine Sache für sich; es beruht nicht auf der Rechtsstaatsforderung, sondern auf der bindenden Kraft des Rechtssatzes und gilt deshalb auch in Preußen. R ο s i η , a. a. Ο. S. 102 Note 15, möchte selbst eine solche Durchbrechung zulassen, wenn die Verfügung als „eximierende Individualverordnung" bezeichnet wird. 8 Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 341. Bl. f. adm. Pr. 1876 S. 289 ff.: Feuerpolizeiliche Anordnungen können nach bayr. Pol. Stf. G.B. Art. 2 Ziff. 14 nur durch Verordnung (ortspolizeiliche Vorschrift) getroffen werden. Das ist für die Polizeibehörde unbequem. I n München hat man deshalb eine ortspolizeiliche Vorschrift dahin erlassen: „Die Hausbesitzer haben den ihnen besonders eröffneten Anordnungen zur Abstellung feuergefährlicher Zustände in oder an ihren Gebäuden in der dafür von der Behörde festgesetzten Frist nachzukommen." Die gleiche Fassung wäre aber für alle und jede ortspolizeiliche Vorschrift denkbar, und dann hätten wir gerade denjenigen Zustand hergestellt, den das bayr. Pol. Stf. G.B. verhüten wollte (vgl. oben Note 6). — Bayr. Oberst.L.G. 28. Juni 1901 ( R e g e r X X I I I S. 145) glaubt die beiden Dinge vereinigen zu können: Das Bezirksamt hat befohlen, eine Scheunenwand mit Blech zu verkleiden wegen Feuersgefahr; das Untergericht hat ausgesprochen, daß die Nichtbefolgung nicht unter § 368 Ziff. 8 Stf.G.B. falle. Jetzt wird entschieden: „Nach Literatur und Rechtsprechung eind hierunter (unter den feuerpolizeilichen Anordnungen der Ziff. 5) nur allgemein

232

Die Polizeigewalt.

2. Für die polizeiliche Verfügung bleibt gleichwohl auch bei durchgeführten Rechtsstaatsforderungen noch Raum genug übrig. Einerseits bedarf der rechtssatzmäßige Polizeibefehl, wo er unmittelbar den Einzelfall treffen soll, immer noch eines obrigkeitlichen Ausspruchs, der ihn darauf anwendet und seinen Willen deutlicher e r k l ä r t wie der Zivilrechtssatz des Urteils. Das geschieht hier durch einen befehlenden Verwaltungsakt, der nur ausspricht, was schon der Rechtssatz für diesen Fall gewollt hat, also einen A k t gebundenen Inhalts, eine E n t s c h e i d u n g , wenn der Fachausdruck i n dem oben § 9, I I 2 bezeichneten Sinne gebraucht werden soll. Daß ein solcher A k t sich einschiebe zwischen den Befehlsrechtssatz und seine t a t sächliche Durchführung m i t Zwang, ist ja gerade wieder eine rechtsstaatliche Forderung (vgl. oben § 5, I I I ) . Daneben stehen dann die e i g e n t l i c h e n P o l i z e i v e r f ü g u n g e n , polizeiliche Einzelbefehle m i t mehr oder weniger freiem Ermessen 9 . Vornehmlich wird der Einzelbefehl i n dieser Gestalt zur E r g ä n z u n g des rechtssatzmäßigen dienen, soweit dieser einer solchen bedarf, weil er den Fall nicht i m voraus voll erfassen konnte oder wollte. Das letztere wird i m Rechtsstaate allerdings zu vermeiden sein, u m das Justizvorbild nicht zu weit aus den Augen zu verlieren. Aber namentlich die A r t der anzuordnenden Maßregeln, welche der für alle geltenden Verordnungen, nicht aber individuelle Weisungen zu verstehen." Nun hat aber die entsprechende bayrische „allgemeine Verordung" v. 17. Juni 1898 befohlen, „den Verfügungen der Distriktspolizeibehörden nachzukommen"; also erscheint jetzt „die Nichtbeachtung einer solchen individuellen Anordnung als eine Übertretung der allgemeinen Vorschrift und demgemäß strafbar". Ähnlich R.G. 7. Juni 1887 (Entsch. Stf.S. I X S. 379); bayr. Oberst. L.G. 17. April 1905 ( R e g e r X X V I S. 294); O l s h a u s e n , Stf. G.B. zu § 360 Ziff. 10 Note a. Wenn man aber einmal dem Gedanken Raum gibt, daß rechtssatzmäßige Anordnung und Einzelverfügung vor dem Gesetze nicht gleichwertig sind, dann hat diese Art zu folgern ein Loch. 9

U l b r i c h , Österr. Verw.R. S. 340, unterscheidet in gleichem Sinne: „befehlende Entscheidungen" und „konstitutive Individualverbote" (oder -geböte). Die ersteren erläutert er richtig: „Damit verwandelt sich dann die Gehorsamspflicht des Einzelnen aus einer Gehorsamspflicht gegenüber dem abstrakten Rechtssatz in eine Gehorsamspflicht gegenüber der befehlenden Entscheidung." Auch die Bedenklichkeit der letzteren, der Individualverbote, gegenüber dem „Prinzip der Rechtsgleichheit" wird zutreffend hervorgehoben. — Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 56 ff., spricht hier von „vollziehender Polizeiverfügung", die erlassen wird auf Grund der „Entscheidung in concreto, daß der abstrakte Tatbestand der Verordnung sich verwirklicht habe", und „verpflichtender Polizeiverfügung", die „neue Polizeipflichten begründet", wie das Polizeigesetz, die Polizeiverordnung.

§ 2 . Der P o l i z e i e e l .

233

Abwehr der Störung dienen sollen, wird durch das Gesetz oder die Verordnung gern dem freien Ermessen des Einzelbefehls überlassen 10 . F r e i e s c h ö p f e r i s c h e E r z e u g u n g der g a n z e n polizeilichen Verfügung, wie sie früher vorherrschte, ist für den Rechtsstaat die Ausnahme, offen gelassen, nur soweit es notwendig ist, damit die Polizei, nicht vorauszusehenden Fällen gegenüber, nicht waffenlos sei· I I . Damit ein Polizeibefehl wirksam werde, muß er r e c h t m ä ß i g erlassen und gehörig k u n d g e m a c h t sein. 1. Die Voraussetzung der R e c h t m ä ß i g k e i t erfüllt der i n Form des Gesetzes ergehende Polizeibefehl unbedingt durch diese Form selbst. Alle übrigen müssen sich ausweisen durch den Rechtstitel der gesetzlichen Ermächtigung und dürfen nicht i n Widerspruch stehen m i t dem Gesetz oder m i t dem Polizeibefehl einer höheren Stelle; der polizeiliche Einzelbefehl ist überdies gebunden an jeden einschlägigen Rechtssatz, auch an den einer Verordnung der befehlenden Behörde selbst oder ihrer Untergebenen; vgl. oben § 7 Note 10 und 11. Eine Stelle, welcher das Gesetz eine solche Befehlsgewalt ausdrücklich zuweist, wird dadurch zur B e h ö r d e . Allgemeine Ermächtigungen des Gesetzes zur Erlassung von Polizeibefehlen wirken nur zugunsten von Polizeibehörden. Vgl. oben § 9, I n . 1. Der von einer solchen Behörde erlassene Polizeibefehl enthält zugleich die obrigkeitliche Bezeugung seiner Gültigkeit. Vgl. oben § 9, I . n. 2. Der von einer Nichtbehörde ausgehende Polizeibefehl ist nur der Schein eines solchen und unwirksam zur Begründung einer Gehorsamspflicht. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß die Äußerung i n irgendeiner anderen Hinsicht von Bedeutung sei 1 1 . 10 Damit hängt zusammen die Abgrenzung für die Zulässigkeit der Anfechtungsklage gegen polizeiliche Verfügungen nach Pr. L.V.G. § 127 Abs. 3 n. 2: „Daß die tatsächlichen Voraussetzungen nicht vorhanden seien, welche die Behörde zum Erlasse berechtigt haben würden." Vgl. oben § 15, I I I n. 3. 11 Einladungen, Aufforderungen, Mahnungen, Warnungen, Drohungen der Schutzleute spielen auf dem Gebiete der Polizei eine große Rolle. Früher floß das alles zusammen in der dumpfen Masse obrigkeitlicher Macht, deren Wünsche dem Untertanen „Befehl sind". Jetzt ist der Gehorsamspflicht erzeugende Rechtsakt eine wichtige Sache geworden und streng zu unterscheiden. Man darf nur nicht zu viel Gewicht legen auf den Befehlston des ehemaligen Unteroffiziers; sachlich ist das vielleicht doch nur eine Bitte. Und umgekehrt: wenn die sächsische Amtshauptmannschaft als Flußpolizeibehörde den Mühlenbesitzer um etwas „ersucht", so ist das „ein Verwaltungsakt, durch den für den Kläger eine bestimmt umgrenzte Gehorsamspflicht erzeugt werden sollte" (sächs. O.V.G. 9. Dez. 1908; R e g e r X X X S. 170) — also ein richtiger Polizeibefehl. Beispiele falscher Befehle unten § 23 Note 8; C.C.H. 20. Febr. 1870 (pr.Min.Bl. S. 102); O.V.G. 9. März 1903 (Entsch. X L I I I S. 209: Straßenbenutzung „durch

234

Die Polizeigewalt.

2. Der Polizeibefehl bedarf der K u n d g a b e an den, bei welchem die Wirkung eintreten, die Gehorsamspflicht erzeugt werden soll. Das wird i n verschiedener Weise geschehen, je nachdem der kundzugebende Befehl ein Rechtssatz ist oder ein Verwaltungsakt. — Der R e c h t s s a t z richtet seinen Befehl an jedermann, den es angeht, bei dem die Merkmale zutreffen werden, an welche der Befehl sich knüpfen will. Wer das ist, das kann i m voraus nicht übersehen werden. Die Form der Kundgabe ist demgemäß schlechthin die Willenserklärung an jedermann, an das Publikum, die Publikation, V e r öffentlichung. Dazu ist selbstverständlich nicht nötig, daß die Willenserklärung jedem Einzelnen zu Bewußtsein komme; aber auch nicht einmal, daß sie jedem Einzelnen so nahe gebracht werde, daß er sie hätte wahrnehmen können oder wahrnehmen sollen. Die Veröffentlichung geht immer nur darauf, daß das Wissen von der Erklärung eine A r t ges e l l s c h a f t l i c h e n G e m e i n g u t s werde; wie weit der Einzelne dann wirklich daran teil hat, ist für die Wirksamkeit der Erklärung gleichgültig. Die n a t ü r l i c h e A r t der Veröffentlichung lehnt sich deshalb stets an bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen an, die geeignet sind, Schutzleute verboten", die ohnedies schon durch Polizeiverorduung verboten i s t). Ebenso die drei „mündlichen Befehle" der Polizeibeamten, an welchen L a b a n d , St.R. I I S. 196, noch festhält: Auflösung einer Versammlung — das ist Aufforderung, den Raum zu verlassen, weil die Versammlung gesetzwidrig ist; Platzanweisung für einen Händler auf dem Markte — das ist eine Benutzungserlaubnis; Anhalten eines Hausbesitzers zur Straßenreinigung—das ist Mahnung an die bestehende Pflicht und Drohung mit Strafanzeige. Κ ο r m a η η , Rechtsgesch. Staatsakte S. 75, meint: „Wenn ein Schutzmann die Menge zum Auseinandergehen auffordert, so ist das sicher ein Befehl und die Aufforderung zum Ungehorsam dagegen nach Stf.G.B. § 110 strafbar." Allein die „Obrigkeit, welche innerhalb ihrer Zuständigkeit eine Anordnung getroffen hat", ist im Sinne des Stf. G.B. eine Stelle, welche „in gewissem Umfange die Staatsgewalt selbständig auszuüben hat", in lautem Gegensatz zu den „exekutiven Organen", wie die Schutzleute sind: R.G. 9. Okt. 1884 (R.Spr. V I S. 605); 4. Dez. 1890 (Entsch. Stf.S. X X I S. 197); Ο ρ ρ e η h ο f f , Stf.G.B. zu § 131 Ziff. 17. Die Aufforderung des Schutzmanns ist hier nichts als eine Androhung von Gewalt. — B o r n h a k , in Verw.Arch. V S . 161 Note 20, hat auf meine Bedenken gegen den Schutzmannsbefehl die glatte Widerlegung bereit: „Wenn nur der Schutzmann den, bei dem Ermahnungen (so setzt er mir für »Mahnungen4) nicht fruchten, nicht sofort beim Kragen nehmen und dadurch den Befehl verwirklichen würde." Daß er etwas verwirklicht, ist klar, ob einen Befehl, das ist die Frage — für jeden, der nicht allzu tief in den Ideen des Polizeistaates steckt. Über die Besonderheiten des Befehls bei der Straßenpolizei vgl. oben § 21 Note 4.

§ 2.

Der P o l i z e i e e .

235

diese Gemeinbekanntschaft, die Publizität, zu vermitteln. Die Form wird durch die gesellschaftlichen Zustände, durch die S i t t e bestimmt, und wenn danach verfahren ist, ist die Kundgabe gültig und wirksam, gleichviel ob der Einzelne sie tatsächlich wahrgenommen hat oder nicht. So finden wir als genügende Veröffentlichungsarten: Verlesen in der Kirche, Bekanntmachung in besonders berufenen Versammlungen, Anschlag an öffentlichen Orten, Austrommeln auf der Straße, M i t teilung durch die Presse und noch mancherlei anderes. Das geltende Recht ist allenthalben dazu übergegangen, an die Stelle dieser natürlichen Veröffentlichungsarten für die Gesetze und nach und nach i m Anschluß daran auch für die Verordnungen f o r m a l e Veröffentlichungsarten zu setzen. Es werden gewisse für die Öffentlichkeit bestimmte B l ä t t e r mit besonderer rechtlicher Bedeutung ausgestattet, Gesetzblätter, Amtsblätter usw. Was dann an Rechtssätzen darin gedruckt erschienen ist, gilt als gehörig veröffentlicht ohne Rücksicht darauf, ob das Blatt nach seiner Verbreitung und nach den Gewohnheiten des Volkes geeignet ist, den Befehl zur Gemeinbekanntschaft zu bringen; vielmehr umgekehrt werden erst durch die Bestimmung, daß die Veröffentlichung auf diese Weise gültig erfolge, die Untertanen gezwungen, sich um das Blatt zu kümmern. Diese Bestimmung einer formalen Veröffentlichungsart kann vom Gesetze selbst ausgehen; sie kann auch den Behörden übertragen werden. Sie stellt selbst einen besonderen Rechtssatz vor von bindender Kraft. Die Ermächtigung dazu ist nicht von selbst enthalten i n der Ermächtigung, Polizeiverordnungen zu erlassen. Denn es ist allerdings eine Gewalt, welche damit über die Untertanen geübt wird zur Vorbereitung künftiger Polizeigewaltübung; aber es ist nicht selbst schon Polizeigewalt. Sofern also das Gesetz nichts darüber bestimmt, müssen Polizeiverordnungen in den natürlichen Veröffentlichungsarten, „ i n der üblichen Weise", kundgegeben werden; die Presse spielt ja dabei eine immer größere Rolle, aber nicht so ohne weiteres von selbst die amtliche 1 2 . — Der polizeiliche E i n z e l b e f e h l ist, wie jeder Verwaltungsakt, dem bestimmten Untertanen kundzugeben, an den er gerichtet sein, bei dem er die Gehorsamspflicht erzeugen will. Das geschieht durch eine Erklärung, welche ihm gegenüber abgegeben wird, die E r ö f f n u n g des Befehls. Zum Besten des Betroffenen wäre schriftliche Mitteilung notwendig, damit er den Inhalt des Aktes gegenwärtig habe und prüfen 12

R ο s i n , Pol. Verord. S. 254 ff.; L u k a s , Gesetzespublikation S. 7 ff.; Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 428.

Die Polizeigewalt.

236

k a n n , was er soll, u n d o b er seine R e c h t e dagegen w a h r e n m u ß . Anliegen

der

Behörde

schehenen M i t t e i l u n g .

geht

nur

auf

gehörigen

Nachweis

der

Das ge-

I m Sinne des Rechtsstaates w ü r d e h i e r w i e d e r

a m besten das V o r b i l d der Z i v i l j u s t i z befolgt, die s c h r i f t l i c h

mit-

t e i l t ; n u r f ü r d e n N o t f a l l , b e i dringender Gefahr, sollte m ü n d l i c h e r B e f e h l offen bleiben.

D a s i s t aber n i c h t v o n selbst R e c h t e n s 1 8 .

Mangels besonderer V o r s c h r i f t e n m u ß v i e l m e h r die E r k l ä r u n g g ü l t i g i n derselben Weise geschehen können, wie a u s d r ü c k l i c h e erklärungen i n z i v i l r e c h t l i c h e n Rechtsverhältnissen.

Willens-

Die Form

der

stillschweigenden W i l l e n s e r k l ä r u n g p a ß t jedenfalls n i c h t f ü r d e n o b r i g keitlichen A k t . Urteil

14

.

Sie m u ß hier ebenso ausgeschlossen sein w i e b e i m

D i e Z u s t e l l u n g i n den F o r m e n der Z i v i l p r o z e ß o r d n u n g ge-

13 O.V.G. 28. Mai 1909 (Entsch. I V S. 230) bekennt sich zu dem richtigen Grundsatz: „Polizeiliche Verfügungen sind in tatsächlicher und rechtlicher Hinsich so zu begründen, daß dem Betroffenen die Möglichkeit gewährt ist, die Verfügung in ihren Grundlagen durch das ihm zustehende Rechtsmittel anzugreifen." I n diese Möglichkeit versetzt ihn aber die Verfügung, mag sie noch so schön begründet sein, erst, wenn sie ihm zu ruhiger Prüfung in die Hand gegeben wird. — Wo das Gesetz schriftliche Verfügimg verlangt, ist dem durch die so beliebte „Eröffnung zu Protokoll", wo die Behörde alles schön bei den Akten hat, die Hauptperson aber nach dem Verlassen des Amtszimmers in neun Fällen von zehn nicht weiß, worauf es ankommt, jedenfalls nicht entsprochen; die Schriftlichkeit soll doch für den Betroffenen gegeben sein, nicht bloß für die Behörde. So mit Recht O.V.G. 27. März 1878 (Entsch. I V S. 394) bezüglich der vom L.V.G. § 132 geforderten „schriftlichen Androhung". R.G. 9. Juni 1905 (Entsch. X L I S. 100) läßt dafür auch genügen, daß der Amtsdiener kommt und die Androhung vorliest, sie unterschreiben läßt und wieder mitnimmt. Die Unterscheidung, die hier gemacht wird, von der Eröffnung zu Protokoll, weil diese allerdings keine schriftliche, sondern nur eine beurkundete mündliche Androhung sei, scheint mir für die einfache Vernunft der Gesetzesbestimmung allzu fein. — Als besondere Art der Kundgabe einer polizeilichen Verfügung pflegt auch noch die „symbolische" hervorgehoben zu werden; die Warnungstafel, der Strohwisch, der die Straße sperrt, der aufgeworfene Graben, der gemalte Radschuh mit einem Ausrufezeichen dahinter (S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 29; L a b a η d , St.R. I I S. 196). Das beruht auf Mißverständnis. Diese Dinge sind entweder nur Warnungen von rein tatsächlichem Wert, oder, wenn es sich um Befehl und Strafandrohung handelt, so stehen die in Gestalt einer Polizeiverordnung dahinter und sind schon auf ihre gewöhnliche Weise bekannt gemacht. Jene Symbole dienen nur, um im kritischen Augenblicke kräftig daran zu erinnern. 14 Deshalb genügt auch nicht das bloße „Erfahren" von der an einen anderen erfolgten Kundgabe: Κ ο r m a η η , Rechtsgesch. Jtaatsakte S. 195. Abweichend scheinbar O.V.G. 3. Nov. 1904 (Entsch. X L V I S. 404:) Wegepolizeiliche Verfügung befiehlt Wegräumung eines störenden alten Pumpbrunnens; Nachbar behauptet Wasserschöpfgerechtigkeit und klagt erst vergeblich vor dem Zivilgericht gegen den Eigentümer auf Wiederherstellung, sodann verwaltungsgerichtlich gegen jene Verfügung; Frist versäumt, denn diese lief auch gegen den Dritten

§ 2 . Der P o l i z e i e e l .

237

nügt, sofern sie eben die Übermittlung einer ausdrücklichen Willenserklärung vorstellt. Besonderheiten, wie die Zustellungen durch Aufgabe zur Post, Hinterlegung auf der Gerichtsschreiberei oder öffentliche Bekanntmachung (Z.P.O. § 175, § 182, § 203) lassen sich nicht ohne weiteres hierher übernehmen 15 . Wo das Gesetz bestimmte Formen der Kundgabe vorgeschrieben hat, ist durch ihre Beobachtung im Zweifel die Gültigkeit der Kundgabe bedingt. I I I . Die Wirksamkeit des rechtmäßig ergangenen Polizeibefehls hat ihre Grenzen. 1. Der Polizeibefehl schafft ein Rechtsverhältnis nur zwischen dem Staate und dem Untertanen, welchem befohlen wird, und schafft inhaltlich kein anderes Rechtsverhältnis als das, welches in der Gehorsamspflicht des letzteren zum Ausdruck kommt. Das mag einem Dritten t a t s ä c h l i c h z u m N a c h t e i l g e r e i c h e n ; er wird dadurch nicht einbezogen i n das durch den Befehl geschaffene polizeiliche Rechtsverhältnis. Es kann daneben der rechtssatzmäßige Befehl auch ihn treffen oder eine entsprechende polizeiliche Verfügung gegen i h n ergangen sein oder in anderer Weise jener Befehl auf i h n zurückwirken; das sind dann immer Dinge für sich, die nach ihrer Rechtmäßigkeit und Wirkung selbständig beurteilt werden müssen 16 E i n solcher Befehl wird namentlich auch einen V o r t e i l für den D r i t t e n bedeuten können, der in diesem Punkte an der Aufrechterhaltung der guten Ordnung des Gemeinwesens m i t seinem Hab und Gut noch persönlich beteiligt ist. Auch dann treten rechtliche Wirkungen des Polizeibefehls nicht von selbst für ihn ein. Das bürgerliche Recht kann solche daran knüpfen und hat es gerade hier in ziemlichem Umfange getan; das gibt aber selbstverständlich keine polizeilichen, sondern zivilrechtliche Ansprüche 17 . von der „sicheren und vollständigen Kenntnis an, die ihm während des Zivilprozesses jedenfalls zuteil geworden ist". I n Wahrheit war das diesem Dritten gegenüber ein Befehl überhaupt nicht, sondern eine Maßregel, deren tatsächliche Durchsetzung erst sein Recht berührte. I m Zweifel sollte für ihn auch die Beschwerdefrist erst von da ab laufen. 15 K o r m a n n , Rechtsgesch. Staatsakte S. 194 f., will die Hinterlegung auf der Postanstalt gelten lassen, die öffentliche Zustellung nicht. Ich sehe keinen Unterschied. — Exorbitant war die Bestimmung im Sozialistenges, v. 21. Okt. 1878 § 28 Abs. 4. 16 Vgl. die Fälle oben § 12 Note 9, § 20 Note 16 und hier Note 14. 17 Wichtig vor allem B.G.B. § 823 Abs. 2; Polizeiverordnungen werden sehr häufig als solche Schutzgesetze in Betracht kommen. — Es kann auch sein, daß eine polizeiliche Anordnung derart zugunsten eines Dritten gebunden ist, daß die

Die Polizeigewalt.

238

2. Der rechtssatzmäßige Polizeibefehl ist in s e i n e m B e s t a n d unabhängig davon, ob gerade Leute vorhanden sind, die unter ihn fallen oder nicht; nur seine W i r k u n g i m einzelnen ist dadurch bedingt. Diese Wirkung hängt aber an denen, die sie trifft, und solange sie die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen erfüllen. Sie überträgt sich nicht auf andere, sondern, wenn ein anderer an Stelle des zuerst Getroffenen in diese Voraussetzungen eintritt, erzeugt sie sich durch die Kraft des Rechtssatzes bei diesem aufs neue. Die Polizeiverfügung hat ihren bestimmten Fall zum e i n z i g e n G e g e n s t a n d . Sie findet ihn bei dem Einzelnen, über den sie erlassen wird; wenn sie auf diesen nicht mehr wirken kann, geht sie unter. Sie endigt also spätestens mit dessen Tod. Schon vorher kann ihre Wirkung aufhören, weil sie an gewisse Lebensverhältnisse geknüpft war, die von i h m t r e n n b a r sind, an den Besitz eines Grundstücks, an ein bestimmtes Unternehmen, an einen Gewerbebetrieb. I n diesem Falle ist es denkbar, daß ein anderer an die Stelle des ersten Gehorsamspflichtigen t r i t t als Besitzer, Unternehmer, Gewerbsinhaber. Dann geht die Wirkung der Polizeiverfügung auf diesen sowenig über wie die eines Polizeirechtssatzes. Zum Unterschied von diesem erzeugt aber die Polizeiverfügung ihre Wirkung nicht von selbst wieder neu bei dem Nachfolger, der die nämlichen Voraussetzungen bietet. Es kann sich bloß darum handeln, sie auf Grund des jetzt immer noch gegebenen Tatbestandes zu wiederholen. Das ist aber dann in jeder Hinsicht eine neue Verfügung 18 . 3. Sein Ziel findet der Befehl i n der E r f ü l l u n g der Gehorsamspflicht. Dadurch endigt der rechtssatzmäßige Befehl in seiner einzelnen Polizeibehörde ohne dessen Zustimmung nicht davon abweichen kann. Beispiele geben gewisse baupolizeiliche Vorschriften, die den Nachbar schützen sollen: Sächs. O.V.G. 15. Febr. 1905 (Jahrb. V I I S. 43); 25. Juli 1906 (Jahrb. I X S. 216). Denkbar ist auch die Gebundenheit einer im Verwaltungsrechtsweg ergangenen Verfügung zugunsten der Gegenpartei des Betroffenen; vgl. oben § 16 Note 13. Hier handelt es sich aber stets nicht sowohl um eine Wirkung der Verfügung, als um ein subjektives öffentliches Recht an der ergangenen Verfügung. 18

F l e i n e r , Instit. S. 138 ff. ; W. J e 11 i η e k , Gesetz, Gesetzesanwendung S. 152. O.V.G. 19. Mai 1877 (Entsch. I I S. 356) scheint einen Übergang der Gehorsamspflicht auf den Nachfolger in dem Unternehmen, das der Befehl betraf, im Falle der mala fides beim Erwerb für denkbar zu halten. Das sind zivilrechtliche Gedanken. — Das Gesetz kann dergleichen besonders vorschreiben; dann muß es auch für die Verkehrssicherheit Sorge tragen. So das sächs. Bauges. v. 1. Juli 1900 § 2 mit dem dazu gehörigen „öffentlichen Oblastenbuch" (§ 4). — Daß die Polizeierlaubnis und ihre Auflage mit dem Unternehmen übergeht (vgl. unten § 22, I I n. 2 und I I I n. 3), hat seine besonderen Gründe; es darf von dort aus kein Rückschluß gezogen werden hierher.

§ 2. De

Polizeielaun.

239

Wirkung, die Polizeiverfügung jedoch überhaupt. Beide können auch b e f r i s t e t sein, z. B. auf die Dauer eines besonderen Anlasses. Auch ohne das kann der Befehl jederzeit z u r ü c k g e n o m m e n werden durch den, der ihn erlassen hat . Er kann a u f g e h o b e n werden durch den stärkeren Willen einer höheren Stufe; das Reichsgesetz allein hat keine höhere Stufe über sich. Eine Polizeiverordnung kann auch von dem, der sie erlassen hat, nur wieder in der gleichen Form beseitigt oder beeinträchtigt werden; vgl. aber das nun i m folgenden Paragraphen zu behandelnde Rechtsinstitut. Die Zurücknahme oder Aufhebung des Befehls beseitigt auch die Gehorsamspflichten, die er bereits hat entstehen lassen, nicht aber von selbst auch die selbständigen Rechtsfolgen an Strafbarkeiten und Entschädigungspflichten, die er dadurch schon nach sich zog. Anders die U n g ü l t i g e r k l ä r u n g wegen Rechtswidrigkeit des Befehls (vgl. oben § 9 I n. 2) ; sie hat eine stärkere Kraft, insofern nunmehr auch solche bereits eingetretene Rechtsfolgen als ungültig behandelt werden sollen m i t allem, was sich daraus ergibt 1 9 .

§ 22. Die Polizeierlaubnis. Der Polizeirechtssatz kann grundsätzlich von der Polizeiverfügung nicht durchbrochen werden; sie ist unfähig zu gestatten, was er verbietet, zu verbieten, was er erlaubt. Gesetz und Verordnung können aber, indem sie ihre Polizeibefehlsregel aufstellen, der Polizeiverfügung Ermächtigung erteilen, für den Einzelfall eine Ausnahme davon zu bewilligen. So entsteht das Polizeiverbot mit Erlaubnisvorbehalt 1. Die ganze Lehre muß davon ausgehen, daß ein derartiges Polizeiverbot durch den Zusammenhang m i t der in Aussicht genommenen Erlaubnis schon in sich selbst eine besondere rechtliche A r t bekommt. Das Polizeiverbot mit Erlaubnisvorbehalt wendet sich gegen solche Lebensäußerungen, welche nicht unbedingt als störend für die gute 19 1

W. J e l l i n e k , Fehlerhafter Staatsakt S. 146.

Statt Erlaubnis setzt man wohl auch Genehmigung, Gestattung, Zustimmung, auch Konsens, Approbation oder sonst irgend ein mehr oder weniger farbloses Fremdwort. Zu beklagen ist nur, daß sich aus einer Zeit, wo man noch keinen Anlaß hatte, die Rechtsinstitute scharf zu scheiden, das Wort K o n z e s s i o n als gleichbedeutend mit Polizeierlaubnis erhalten hat. Die Konzession oder Verleihung bezeichnet aber ein bestimmtes Rechtsinstitut von ganz anderer Art; vgl. unten § 49. So jetzt auch R e h m , Rechtl. Nat. d. Gew.konzess. S. 80; S c h a n z , Baugenehmigung S. 28; F l e i n e r , Instit. S. 382.

240

Die Polizeigewalt.

Ordnung des Gemeinwesens angesehen sind, welche aber störend werden können je nach der Person, von der sie ausgehen, nach der A r t und Weise, wie das Unternehmen begründet, eingerichtet und geführt wird. Darum wird an den B e g i n n der Tätigkeit das Erfordernis einer Prüfung gestellt: es soll gar nicht angefangen werden, ohne daß diese Prüfung vorgenommen worden und günstig ausgefallen und darüber obrigkeitliche Feststellung gemacht ist. Diese Feststellung ist enthalten i n der Erlaubnis, welche von dem Verbot entbindet. Es handelt sich bei dem Ganzen um eine Verwendung der Form des Verbotes zu einer " Ü b e r w a c h u n g s m a ß r e g e l gegen mögliche Gefährdung (oben § 20, I I I n. 2). Das Rechtsinstitut entfaltet sich stufenweise, wie folgt. I . Das Verbot m i t Erlaubnisvorbehalt ist ein Rechtssatz m i t z w e i v e r s c h i e d e n e n S t ü c k e n . Davon lautet das eine, das Verbot selbst, überall gleichmäßig: das bezeichnete Unternehmen soll nicht ins Werk gesetzt werden. Der Erlaubnisvorbehalt kann dagegen sehr verschieden gestaltet sein, je nach dem größeren oder geringeren Spielraum, welcher der Willensentschließung der Behörde dabei eingeräumt wird; vom völlig freien Ermessen geht das bis zur einfachen Anwendung •der rechtssatzmäßigen Bestimmung auf den Einzelfall 2 . 1. Das Verbot m i t Erlaubnisvorbehalt e n t s t e h t durch Gesetz oder Verordnung. Für die letztere allein kommt die Frage i n Betracht, inwiefern sie rechtlich zulässigerweise von dieser Form Gebrauch machen kann. Da es sich um eine Überwachungsmaßregel handelt, so ist Voraussetzung nicht die Polizeiwidrigkeit, sondern die Möglichkeit einer solchen, die Gefahr der Störung, die i n dem betreffenden Unternehmen liegt. Was i n dieser Beziehung verdächtig ist, das läßt sich nicht abgrenzen. Aus welcher A r t von Lebensäußerung können sich nicht Störungen ergeben? Es besteht nur eine Gradverschiedenheit. Andererseits ist aber das Verbot m i t Erlaubnisvorbehalt die schwerste A r t von Eingriff in die Freiheit, der um der bloßen Überwachung willen gemacht werden kann, und um so schwerer, je mehr die Entbindung vom Verbote, die Erlaubniserteilung, i n das freie Ermessen gestellt ist. Bei diesen Gegensätzen muß die den Äußerungen der Polizeigewalt innewohnende Bedingung der V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t wirksam werden. E i n gewisser Grad der Gefährlichkeit, entsprechend der Schwere der Maßregel, ist von dem ermächtigenden Gesetze stillschweigend vorausgesetzt. Die Abwägung ist der verordnenden Behörde überlassen; aber eine offenbare Überschreitung 2

Eine Musterkarte bietet Gew.O. § 55 ff.

§ 2.

De

Polizeielaun.

241

dieses Maßes überschreitet auch das Maß der Ermächtigung, und eine derartige Verordnung müßte als rechtsungültig angesehen werden 3 . 2. D i e W i r k u n g des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt ist eine mehrfache, entsprechend seinen zwei Stücken. Das Verbot, allgemein gehalten wie es ist, schafft zunächst ein gleichmäßiges H i n d e r n i s für das darin bezeichnete Unternehmen, die Pflicht für jedermann, den es betrifft, ein derartiges Unternehmen nicht ohne weiteres ins Werk zu setzen. Die Möglichkeit und selbst die rechtliche Notwendigkeit der daneben i n Aussicht gestellten Erlaubnis vermindert die Kraft des Verbotes i n keiner Weise, solange die Erlaubnis nicht wirklich erteilt ist. Das Verbot ist insofern f o r m e l l . A n seine Übertretung knüpfen sich unbedingt die Folgen des Ungehorsams: Polizeistrafe und Zwangsmaßregeln zur Verhinderung der strafbaren Handlung. Gegenüber dem tatsächlichen Zustande aber, der auf solche Weise geschaffen worden ist, s p a l t e t sich das Verbot m i t Rücksicht auf den verbundenen Erlaubnisvorbehalt: für das danach zu Erlaubende bewendet es bei seiner Wirkung als Überwachungsmaßregel; für das Nichtzuerlaubende wirkt es fort zur Abwehr der darin liegenden Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens. Insoweit ist es also kein formelles Verbot mehr, sondern ein s a c h l i c h e s , kein vorläufiges, sondern ein e n d g ü l t i g e s . Wegräumung, Schließung, Beseitigung der bestehenden Polizeiwidrigkeit mit allen Mitteln des Polizeizwangs kommen zur Anwendung und bei Neubeginn neue Polizeistrafe. Zur Ausscheidung dieser zweiten A r t von Verbotsinhalt wird jedesmal eine Prüfung vorzunehmen sein wie bei der Erteilung der Erlaubnis, nur daß sie jetzt hinauslaufen kann auf einen reinen Befehl, aufzuhören, zu unterlassen, zu beseitigen oder zu ändern 4 . 3 O.V.G. 14. Juni 1882 (Entsch. I X S. 370): Eine Baupolizeiverordnung behielt der Behörde vor, den zu erlaubenden Bau nach Höhe und sonstigen Einzelheiten jedesmal frei zu bestimmen; das Gericht hat Bedenken, „ob nicht schon das schrankenlose Ermessen, welches die Behörde für die in jedem einzelnen Falle zu erteilende Bauvorschrift sich selbst beüegt, der Rechtsgültigkeit der Verordnung grundsätzlich entgegensteht". 4

So wird namentlich bei der Baupolizei ein „formelles Baurecht" und ein „materielles Baurecht" unterschieden; nur das letztere führt zur Zwangsbeseitigung: O.V.G. 17. Febr. 1896 (Entsch. X X X S. 286); 15. Okt. 1907 (Entsch. L I S. 391). R u m p e l t , Sächs. Bauges. zu § 160 Note 1: Die Beseitigung des ohne die erforderliche Erlaubnis Gebauten „kann nur aus sachlichen Gründen angeordnet werden", wenn auch die Strafe nach Stf. G.B. § 367 Ziff. 15 verwirkt ist. Sehr deutlich Rayonges. v. 21. Dez. 1871 § 32. I n diesem Sinne ist auch Gew. Ord. § 147 Abs. 3 zu handhaben; es kann nicht die Rede davon sein, daß daraufhin B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I , 1: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 3. Aufl.

16

242

Die Polizeigewalt. Der

keit

Erlaubnisvorbehalt

seinerseits begründet

eine

Zuständig-

der Behörde, f ü r d e n E i n z e l f a l l das V e r b o t aufzuheben.

Die

W i r k u n g e n f ü r den U n t e r t a n e n , den es a n g e h t , s i n d a b h ä n g i g v o n d e r A r t , w i e der Rechtssatz die Voraussetzungen der E r t e i l u n g der Erlaubnis bestimmt. Soweit diese d e m freien Ermessen der Behörde überlassen

ist,

b e d e u t e t der V o r b e h a l t f ü r i h n i m m e r n u r eine M ö g l i c h k e i t , eine A u s s i c h t , welche j e nach der U m g r e n z u n g der z u erwägenden s i c h t e n u n d der äußerlichen

Sachlage eine größere oder

W a h r s c h e i n l i c h k e i t der E r f ü l l u n g haben mag.

Rück-

geringere

V o n einem R e c h t ist

k e i n e Rede. E s k a n n aber a u c h der F a l l , i n welchem die E r l a u b n i s z u gewähren i s t , v o n d e m Rechtssatze so genau b e s t i m m t sein, daß die jede nicht genehmigte Anlage blindlings weggeschafft werden dürfe, wie F 1 e i η e r , Inst. S. 382 Note 14 annimmt; die Polizeigewalt bleibt unter ihren natürlichen Gesetzen, auch wenn der Text des § 147 Abs. 3 nicht darauf verweist. Das schließt nicht aus, daß vor eingehender sachlicher Prüfung, die zuletzt allein entscheidet, gegen das unter so verdächtigen Umständen Hergestellte v o r l ä u f i g e Maßregeln getroffen werden, ζ. B. die ohne die Genehmigung errichtete Gewerbeanlage einstweilen außer Betrieb gesetzt wird: O.V.G. 24. Sept. 1885 (R e g e r V I S. 154); 10. Jan. 1887 (R e g e r V I I S. 359). Ebenso ist hiermit nicht der Fall zu verwechseln, wo das Verbotswidrige, statt mit einer Herstellungstätigkeit abzuschließen, sich in d a u e r n d e r Tätigkeit fortgesetzt. Die Verhinderung des „Dauerdeliktes 4' ( B i n d i n g , Stf.R. I S. 835) ist selbstverständlich; vgl. unten § 25, I I . Aber zu weit geht es, wenn man, um der Polizei mit dem Strafrecht zu Hilfe zu kommen, aus den polizeilichen Herstellungsdelikten möglichst Dauerdelikte macht. So L a n d m a n n , Gew.Ord. § 147 Note 4, wo die Strafbarkeit der „Errichtung" einer Anlage ohne weitere» auf den Fortbetrieb ausgedehnt wird. I n diesem Sinne will man namentlich auch bei unerlaubtem Bauen die Strafverjährung nicht laufen lassen, solange das Bauwerk besteht: Bayr. Obst. L.G. 6. Juli 1901, 8. Nov. 1904,18. Febr. 1905, 12. Okt. 1907 ( R e g e r X X V S. 131, 472, X X V I S. 459, X X V I I I S. 451). Der Satz: die Verjährung der Strafverfolgung laufe nicht, „solange ein das öffentliche Interesse gefährdender Zustand fortdauert", enthält eine Vermengung der polizeilichen und der strafrechtlichen Gesichtspunkte. Es kommt vor, daß die formelle Strafbarkeit wegen Ungehorsams gegen das Polizeiverbot mit Erlaubnisvorbehalt von vornherein ausgeschaltet wird und das polizeiliche Vorgehen gegen die sachliche Polizeiwidrigkeit allein bleibt. So im Falle Gew.Ordn. § 19a; vgl. L a n d m a n n , Kom. dazu, Note 2. Ebenso in dem Falle der Straßburger Baupolizei, den F 1 e i η e r , Instit. S. 378 Note 3, in Anlehnung an B r u c k , Verf. u. Verw. v. Els.-Lothr. I I S. 205, berichtet: es ist ein Irrtum, wenn hier behauptet wird, im franz. Recht bestehe kein Baukonsens (ich habe in Straßburg unzählige unterschrieben); aber nach Dekret v. 26. März 1852 Art. 4 kann man, wenn zwanzig Tage nach Einreichung der Pläne noch kein Bescheid erfolgt ist, bauen, ohne gestraft zu werden — ,,à see risques et périls" gegenüber dem sachlich begründeten Einschreiten der Baupolizei ( B l o c k , Diet. I I S. 2025).

§ 2. De

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Behörde, welche sich darüber auszusprechen hat, nur ausspricht, was der Rechtssatz schon w i l l ; ihr A k t hat die Natur einer Entscheidung Die Form, i n welcher der Ausspruch so gebunden wird, kann die sein, daß der Rechtssatz sagt: die Erlaubnis muß i n den und den Fällen erteilt werden; oder die, daß es heißt: die Erlaubnis darf nur i n den und den Fällen verweigert werden. Die Gebundenheit w i r k t dann wie alle rechtssatzmäßige Gebundenheit zugunsten des Beteiligten. Sie besteht i h m gegenüber. Er kann sich darauf berufen und sie für sich geltend machen, um die Erlaubnis zu erwirken. Dieser Anspruch auf die obrigkeitliche Handlung hat die Natur eines s u b j e k t i v e n ö f f e n t l i c h e n R e c h t e s i n dem oben (§ 10, I I I n. 2) festgestellten Begriffe. I I . E i n Ausspruch über die Erlaubnis wird von der Behörde tatsächlich nur gegeben werden auf Gesuch desjenigen, für welchen die Erlaubnis wirken soll. Es wird aber auch angenommen werden müssen, daß dieses Gesuch die rechtliche Bedingung des Aktes ist; sie ist stillschweigend i n den gebrauchten Worten. Erlaubnis, Genehmigung, Zustimmung, Bewilligung und ebenso i n dem Wort Versagung enthalten. Ohne das Gesuch wäre der A k t ungültig 5 . Der Ausspruch kann auf Versagung oder Erteilung der Erlaubnis lauten oder auf Erteilung m i t Bedingungen. 1. Die V e r s a g u n g der Erlaubnis bedeutet die Aufrechterhaltung des Verbotes für den Einzelfall. Dieses Verbot w i l l den Einzelfall nicht gleich unbedingt und endgültig treffen; durch den versagenden Verwaltungsakt wird es erst dahin bestimmt. Daher ist dieser als ein Eingriff in die Freiheit des Untertanen anzusehen, der als solcher auf seine gesetzliche Grundlage zu prüfen ist, wie ein Befehl 6 . Die Versagung ist aber auch nur soweit ein Eingriff, als sie das Verbot aufrechterhält. Sie hat keine selbständig verbietende Kraft. Sie entscheidet auch nicht darüber, ob das Verbot diesen Einzelfall wirklich erfaßt; trifft dies nicht zu, so ist die Erlaubnisverweigerung rechtlich bedeutungslos 7 . 5

Andererseits können die Behörden auch nicht, wo sie eine Genehmigung für erforderlich halten, die Einreichung eines Gesuches erzwingen, wie sie das wohl in bureaukratischem Schönheitssinne versuchen möchten: O.V.G. 24. Okt. 1905 (Entsch. X L V I I I S. 361); 25. Okt. 1905 (Entsch. X L V I I I S. 360); 8. Febr. 1909 ( R e g e r X X I X S. 495). 6 O.V.G. 17. Dez. 1881 (Entsch. I X S. 402); 16. Febr. 1885 (Entsch. X I I S. 365). Auch die „einstweilige Vorenthaltung der Genehmigung" kann als „polizeiliche Verfügung" nach L.V.G. § 127 ff. angefochten werden: O.V.G. 11. Mai 1896 (Entsch. X X X I I S. 408). 7 O.V.G. 3. Okt. 1881 ( R e g e r I X S. 387); 24. März 1902 (Entsch. X L I

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Die Polizeigewalt.

2. Die Erteilung der Erlaubnis macht das allgemeine Verbot unwirksam für diesen Fall und stellt für ihn die Freiheit her, wie sie ohne das Verbot bestünde 8 . Sie w i r k t nur gegen dieses Verbot. Der Empfänger erhält also durch die Erlaubnis keine Sicherheit gegen polizeiliche Eingriffe, welche auf selbständiger Grundlage, unabhängig von diesem Verbote gemacht werden können. Einen gewissen Vorteil hat er gleichwohl dadurch voraus vor demjenigen, dem für sein Unternehmen überhaupt niemals ein Verbot entgegengestanden war. Der Rechtssatz, welcher das Verbot enthielt, hat sich seiner Materie b e m ä c h t i g t der A r t , daß dieselbe durch Verwaltungsakt nicht i n Widerspruch m i t i h m geordnet werden kann. Zu der Ordnung, welche er auf solche Weise festlegte, gehört aber auch die auf seiner besonderen Grundlage erteilte Erlaubnis. Die g l e i c h e n p o l i z e i l i c h e n G e s i c h t s p u n k t e , welche das Verbot m i t Erlaubnisvorbehalt zur Geltung gebracht hat, können deshalb gegen das erlaubte Unternehmen nicht noch einmal selbständig durch Einzelbefehl geltend gemacht werden; sie sind durch jenes Verbot erschöpft. Soll nachträglich doch noch etwas geschehen, so mag man versuchen, es wieder i n Bewegung zu setzen durch Zurücknahme der Erlaubnis 9 . Diese hat aber wieder ihre eigenen Voraussetzungen (unten IV). I m Zusammenhange mit der größeren oder geringeren Festigkeit der erteilten Erlaubnis gegen Zurücknahme (vgl. unten S. 253 ff.) entsteht daraus für den Unternehmer ein gewisser Zustand rechtlicher Gesichertheit gegenüber der öffentlichen Gewalt. Wenn dieser für den Einzelnen seinen Wert hat, so ist er deshalb noch nicht gleichbedeutend mit einem subjektiven Rechte. Die Erlaubnis bedeutet nur die W i e d e r h e r s t e l l u n g der F r e i h e i t , sie hat keinen eigenen Inhalt. Sie gibt dem Empfänger nichts Neues hinzu zu dem, was er ohnedies hat. M i t der Aufhebung des Verbotes entsteht allerdings für S. 272); württ. Min. d. I . 15. Juni 1904 ( R e g e r X X I I S. 474). I n der Verweigerung einer gar nicht erforderlichen Erlaubnis hat man allerdings schon ein Verbot gefunden: O.V.G. 23. Jan. 1903 (Entsch. X L I I S. 411). Ich halte das nicht für richtig. Man könnte ja in solcher Verweigerung die Ansicht ausgesprochen finden, das rechtssatzmäßige Verbot treffe hier zu. Aber die Äußerung einer solchen Ansicht ist nicht selbst ein Verbot und nicht anfechtbar mit den gegen dieses gegebenen Rechtsmitteln. 8 Die Behörden, welche ja für ihre Befehle der Schriftlichkeit nicht so günstig sind (vgl. oben § 21 Note 13), halten mehr daran für ihre Erlaubnisse: Β a 11 ζ , Pr. Baupol.R. S. 113. Die Freiheit muß sich ausweisen! 9 O.V.G. 7. Juni 1879 (Entsch. V S. 286), 9. Jan. 1884 (Entsch. X I S. 377, 26. März 1909 (Entsch. L I V S. 245); R.G. 20. Mai 1896 ( R e g e r X V I I S. 377).

§ 2. De

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ihn die Möglichkeit der Verwertung der vorhandenen Kraft und des vorhandenen Vermögens i n der gegebenen Richtung. Er füllt den durch die Erlaubnis entstehenden Spielraum aus mit Vermögenswerten, und diese sind Dritten gegenüber geschützt, wie Vermögenswerte überhaupt geschützt sind, um ihrer selbst willen, nicht um der Erlaubnis willen 1 0 . Die Erlaubnis beseitigt das Verbot f ü r diesen F a l l . Es ist ein bestimmtes Unternehmen, welches für zulässig erklärt wird. W i r d ein anderes an die Stelle gesetzt, so wirkt für dieses die Erlaubnis nicht. T r i t t nur eine Erweiterung oder teilweise Änderung ein, so bleibt die alte Erlaubnis bestehen für das entsprechende Stück des Tatbestandes, soweit es a u s s c h e i d b a r ist. Wenn für das Neue, das hinzukommt, wieder eine Erlaubnis eingeholt werden muß, so kann bei dieser Gelegenheit nicht auf die bereits erteilte Erlaubnis zurückgekommen werden, anders als unter den besonderen Voraussetzungen der Erlaubniszurücknahme 1 1 . Die Frage ist aber: wodurch begrenzt sich das bestimmte Unternehmen, für welches die Erlaubnis gegeben ist, gegenüber dem neuen, worauf sie sich nicht erstreckt ? Wann ist es als Ganzes etwas anderes geworden, so daß es nicht mehr eadem res ist für diese Erlaubnis? Das entscheidet sich lediglich aus dem Willen des Verbotes selbst, aus der Richtung, welche der Rechtssatz seiner Maßregel gegeben hat. Das erlaubnisbedürftige Unternehmen ist immer bezeichnet nach seinem G e g e n s t a n d , nach der A r t der Tätigkeit, der A r t des Zweckes, der verfolgt wird; das ist das Feste, Gleichbleibende, Allgemeine, womit Erteilung wie Versagung der Erlaubnis sich verbinden kann. Das Besondere, was an dem einzelnen Unternehmen zu prüfen ist, das p o l i z e i l i c h W e s e n t l i c h e daran, das über Erteilung oder Versagung 10

Vgl. oben § 10, I I n. 1. Für die hier vertretene Auffassung: S c h a n z , Baugenehmigung S. 24 ff. ; A c k e r m a n n , Baukonsens S. 41 ff. ; L a g e n s t e i n , Gewerbepolizeierl. S. 99 ff. ; F 1 e i η e r , Inst. S. 382. Scheinbar zunächst auch Κ u 1 i s c h , Österr. Gew.R. I S. 502; aber anders S. 578, S. 582; er bemerkt, S. 280 Note, ganz richtig, daß hier alles darauf ankommt, was man eben unter einem subjektiven öffentlichen Recht versteht. — Auf die Verneinung eines solchen läuft es auch hinaus, wenn so häufig gesagt wird, die Polizeierlaubnis sei nur eine Feststellung der Behörde, daß „dem Unternehmen Hindernisse in dem öffentlichen Rechte nicht entgegenstehen": R.G. 1. Juni 1900 (Entsch. X L V I S. 283); O.V.G. 27. Nov. 1895, 25. März 1896, 7. April und 18. Okt. 1897 (Entsch. X I X S. 354, X X X S. 397, X X X I I S. 338, S. 341); sächs. O.V.G. 2. Dez. 1903 (Jahrb. V, S. 152). Aber mehr als ein solches Zeugnis bedeutet sie doch: ein Hindernis s t a n d ja entgegen, und sie hat es beseitigt. 11 Württ. V.G.H. 28. Nov. 1880 (Württ. Arch. f. R. X X I I S. 323); L a n d m a n n , Gew.Ord. zu § 25, Note 2 a.

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Die Polizeigewalt.

der Erlaubnis entscheidet, kann aber entweder die P e r s o n des Unternehmers sein, oder können die sachlichen M i t t e l sein, m i t welchen das Unternehmen ins Werk gesetzt wird, oder auch kann beides zumal sein. Danach bestimmt sich die Individualität des Unternehmens für die Erlaubnis, und danach w i r k t sie. Ist ein Unternehmen bestimmter A r t dem Erlaubnisvorbehalt unterstellt worden m i t Rücksicht auf die p e r s ö n l i c h e n E i g e n s c h a f t e n des Unternehmers, die das polizeilich Wesentliche dafür sind und geprüft werden sollen vor der Inswerksetzung, dann gilt die Erlaubnis nur für diese bestimmte Person, aber auch für jedes Unternehmen dieser A r t , das von ihr ausgeht, soweit nicht i n letzterer Beziehung besondere Beschränkungen beigefügt sind, namentlich auf eine bestimmte Örtlichkeit, auf bestimmte Zeit u. dgl. 1 2 . Ist dagegen der Erlaubnis vorbehält gerichtet auf die M i t t e l , m i t welchen das Unternehmen ins Werk gesetzt werden soll — die Änderungen, die dazu an einem Grundstück zu machen sind, die Anlagen, Vorrichtungen und Einrichtungen, welche dem Unternehmen dienen, sollen geprüft und gebilligt werden —, dann ist die Erlaubnis gleichwohl immer dem Unternehmer erteilt; aber seine Person ist am Unternehmen nicht das polizeilich Wesentliche. Er kann wechseln, ohne daß die Erlaubnis aufhört, für dieses Unternehmen gegeben zu sein. Sie w i r k t also zugunsten dessen, der an Stelle des ursprünglichen Empfängers der Erlaubnis t r i t t . Wer das ist, bestimmt das Zivilrecht ; die gewöhnlichen Formen der Rechtsnachfolge sind maßgebend. Die erteilte Erlaubnis wird scheinbar m i t übertragen, bei Rechtsgeschäften sogar manchmal ausdrücklich als Gegenstand der getroffenen Verfügung erwähnt. I n Wahrheit ist Gegenstand des Rechtsüberganges unter den Beteiligten immer nur das Unternehmen, das Grundstück, die Anlage, das Geschäft; für die Bewertung dieses Gegenstandes ist 12

Beispiele rein persönlicher Erlaubnisvorbehalte geben die gewerbepolizeilichen Approbationen. — Wenn nach besonderer Gesetzesbestimmung die erteilte Erlaubnis noch zugunsten der Witwe und minderjährigen Erben des Empfängers wirkt, so gelten diese gewerbepolizeilich einfach als Fortsetzung seiner Persönlichkeit; daher für sie auch die Anzeigepflicht wegen des Gewerbebetriebes nicht besteht ( L a n d m a n n , Gew.Ord. zu § 46 Note 2). Mir scheint, daß diese Auffassung übereinstimmt mit der inzwischen von S c h u l t z e n s t e i n , in Verw.Arch. 1902 S. 113 ff„ ausführlich begründeten Konstruktion. — Wo in solcher Art persönliche Eigenschaften des Erlaubnisempfängers rechtswesentlich sind für die Erteilung, da sollte die Erteilung an juristische Personen, die eine zu prüfende und gewährleistende Seite überhaupt nicht bieten, unzulässig sein. Die Rechtsprechung ist aber hier ins Schwanken geraten. VgL L a n d m a n n , Gew.Ord. § ö3 Note 6.

§ 2. De

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die vorhandene Erlaubnis möglicherweise von größter Bedeutung, weil sie damit verbunden bleibt, aber sie ist selbst nicht Gegenstand des. Vertrags oder Erbgangs, sondern sie folgt demselben aus eigener Bewegung von sich aus 1 3 . Die rechtliche Natur des Vorgangs ist so zu erklären, daß die Erlaubnis erteilt ist dem ersten Gesuchsteller nicht als dem Träger persönlicher Eigenschaften, sondern als dem Vertreter dieses Unternehmens m i t der bestimmten A r t der Mittel und Vorrichtungen und somit i m voraus zugleich jedem anderen, der etwa nach ihm in dieser Weise gekennzeichnet erscheint. Die Erlaubnis gilt für die persona certa, der sie erteilt ist, und für die persona incerta, die an ihre Stelle tritt14. Der Erlaubnisvorbehalt kann endlich das Unternehmen in b e i d e r l e i B e z i e h u n g zugleich erfassen: sowohl die persönlichen Eigenschaften des Unternehmers, als die Mittel, m i t welchen es betrieben wird, sind polizeilich wesentlich und müssen geprüft und gebilligt sein, damit das Unternehmen dem Verbot nicht unterliege. Die Folge ist, daß bei jedem Wechsel in der einen oder anderen Beziehung die Einholung einer neuen Erlaubnis erfordert wird, wenn das Unternehmen fortbetrieben werden soll. Unwesentliche Veränderung oder bloße Wiederherstellung zerstörter Einrichtungen und Anlagen gelten nicht als solch ein Wechsel 15 ; das Gesetz kann auch beim Wegfall der Person einen derartigen Ersatz zulassen, der nicht als Wechsel aufgefaßt ist, indem es z. B. die Angehörigen von selbst an die Stelle treten läßt (vgl. oben Note 12). Liegt nun aber wirklich ein Wechsel i n der Person vor, so ist die Erlaubnis stets von Grund aus neu zu erteilen; es ist nicht etwa die sachliche Seite der alten Erlaubnis i n Wirksamkeit geblieben, sondern es handelt sich jedesmal um die ganze Erlaubnis, welche Person und Mittel zugleich prüft. 13

S e y d e 1, in Annalen 1878 S. 578. Man bezeichnet in solchen Fällen wohl einfach das Unternehmen oder gar die Sache als den Erlaubnisträger; ν. Β i 11 e r , Handw. d. Pr. V.R. I S. 1075: „in Hessen-Nassau darf ohne Genehmigung des Gestütsdirektors kein Privathengst fremde Stuten decken". — Bezüglich der Ansiedelungserlaubnis unterscheidet O.V.G. 10. Dez. 1903 (Entsch. X L I V S. 409) : Das über das Gesuch schwebende Verfahren geht nicht auf den Käufer über; die erteilte Erlaubnis unmittelbar auch nicht, weil hier auch persönliche Eigenschaften zu prüfen sind; erst nach ausgeführten Bau wirkt sie dinglich; vgl. unten Note 30. 14 Das Zivilrecht bietet Vorbilder: R.O.H.G. 21. April 1874 (Entsch. X I I S. 359). 15 O.V.G. 30. Dez. 1881 ( R e g e r I I I S. 15).

Die Polizeigewalt.

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Das gleiche muß grundsätzlich der Fall sein bei einem Wechsel i n den Mitteln des Unternehmens, Übergang zu einer anderen Einrichtungsweise, Verlegung der Betriebsstätte. Denn die beiden Stücke der Prüfung und Erlaubnis durchdringen und bedingen sich gegenseitig: der persönlich geeignet erschien, das Unternehmen mit den bestimmten gebilligten Mitteln zu führen, ist es vielleicht nicht m i t den neu gewählten. Doch kann das Verhältnis der beiden Seiten der Erlaubnis vom Gesetze anders gemeint sein. Es ist vor allem möglich, daß sie nicht gleichwertig zusammen eine Erlaubnis bilden, sondern der Schwerpunkt ganz i n der Person liegt; dieser ist die Erlaubnis erteilt und nur die Bedingung hinzugefügt, davon nur m i t den besonders genehmigten Mitteln Gebrauch zu machen. Bei einem Wechsel der Mittel bleibt alsdann die erste Erlaubnis bestehen und kann nur nicht benutzt werden, bis die neu gewählten Mittel wieder Genehmigung gefunden haben, wobei dann auf die persönlichen Eigenschaften des Unternehmers nicht zurückzukommen i s t 1 6 . I I I . Anstatt die Erlaubnis einfach zu versagen oder zu erteilen, kann die Behörde sie auch erteilen unter Bedingungen, d. h. m i t N e b e n b e s t i m m u n g e n verschiedener Art, entsprechend den zivilrechtlichen Befristungen, Auflagen (modus) und eigentlichen Bedingungen. Solche Nebenbestimmungen sind nur möglich, soweit der Behörde Spielraum dafür gelassen ist, also jedenfalls nicht, wo schlechthin ein Recht auf die Erlaubniserteilung besteht. Aber auch, wo sie zulässig sind, dürfen sie nicht gegen den ausdrücklichen oder aus Zweck und Natur der polizeilichen Maßregel sich ergebenden Willen des Rechtssatzes verstoßen, der die Erlaubnis vorbehält und damit die Behörde zu ihrer Verfügung ermächtigt. Daraus ergeben sich i m einzelnen folgende Grundsätze. 1. Eine B e f r i s t u n g ist i n zweierlei Weise denkbar. Es kann der Erlaubnis eine Zeitangabe beigefügt sein, durch welche das Unternehmen selbst genauer gekennzeichnet wird: Erlaubnis für eine bestimmte Jahreszeit oder Tageszeit oder für be16

So Gew.O. § 55, § 56 Abe. 4 bezüglich dee Kolporteurs und seiner Druckschriften. Dagegen sind die persönlichen und sachlichen Rücksichten zu einem verbunden bei der Wirtschaftserlaubnis nach § 33; ob ein neuer Wirt oder ein neues Lokal in Frage kommt, immer ist eine ganz neue Erlaubnis nötig: preuß. Min. d. I. 1. Juli 1884 (R e g e r V S. 157); bayT. V.G.H. 25. Nov. 1903 ( R e g e r X X I V S. 238); F i s c h e r s Ztschft. X X X T I I S. 342: „Es geht nicht an, daß der Inhaber mit seiner Schankkonzession einfach umzieht."

§ 2.

De

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stimmte Gelegenheiten, die nur an einem Tag oder einer Reihe von Tagen gegeben sind (Festlichkeiten!). Das ist dann überhaupt keine Nebenbestimmung; es handelt sich nicht um die zeitlich beschränkte Erlaubnis für ein Unternehmen, sondern um die Erlaubnis für ein seiner A r t nach zeitlich beschränktes Unternehmen, und der Fall gehört nicht hierher. Wenn die Befristung eine echte Nebenbestimmung sein, willkürlich beigefügt werden soll, dann kann sie nur den Sinn haben, daß die erlaubende Behörde die polizeimäßige Zulässigkeit des Unternehmens für den Augenblick endgültig noch nicht zu überblicken vermag, daher die Hände frei behalten will und zu diesem Zweck dem Unternehmen zunächst eine Frist setzt, während deren es sich erprobt. Bejahenden Falles würde dann die Erlaubnis neu erteilt werden. Unmöglich ist eine solche echte Befristung nicht; aber dem polizeilichen Zwecke würde i n solchem Falle besser dadurch entsprochen, daß die Behörde sich dauernd oder für eine gewisse Zeit oder nach Ablauf einer gewissen Zeit den W i d e r r u f v o r b e h ä l t . Das wird i m Zweifel auch eher als gewollt anzunehmen sein. Der Unterschied ist der, daß hier die Erlaubnis nicht von selbst erlischt, sondern erst durch die vorbehaltene Erklärung des Widerrufs. 2. Bezüglich der B e d i n g u n g ist zunächst gleichfalls wieder auszuscheiden, was etwa dem Wortlaute nach sich als Bedingung gibt, i n Wirklichkeit aber nur genauere Bezeichnung des polizeilich Wesentlichen an dem Unternehmen enthält, wofür diesem die Genehmigung erteilt wird. Das ist keine Nebenbestimmung und wirkt nicht als solche, hat vielmehr Verwandtschaft mit einer conditio j u r i s 1 7 . Von einer Bedingung würde man nur sprechen können, wenn der Erlaubnis besondere Vorschriften hinzugefügt werden, bei deren Nichtbeobachtung die Erlaubnis zusammenfallen und das Verbot wieder in Kraft treten soll. Allein ein solcher zivilrechtlicher Formalismus paßt nicht i n die Polizei. Für diese gilt der oberste Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs. Es kommt immer darauf an, wie groß der Nachteil ist, der tatsächlich aus der Nichtbeobachtung der ge17

Es wird z. B. eine Wirtschaftserlaubnis erteilt unter der Bedingung, nur in dem genehmigten Lokale davon Gebrauch zu machen. JDas sieht wie eine Resolutivbedingung aus: braunschw. V.G.H. 29. Okt. 1902 ( R e g e r X X V S. 6). Als eine Suspensivbedingung möchte man es auffassen, wenn erlaubt wird für den Fall der Herstellung des genehmigten Lokals: O.V.G. 10. Okt. 1876 (Entsch. I S. 301); V.G.H. 23. Febr. 1898 ( R e g e r , X V I I I S. 422). Wirkliche Bedingung ist keines von beiden: Κ ο r m a η η , Rechtsgeschäft!. Staatsakte S. 139; L a g e η s t e i n , Gewerbepolizeierl. S. 115 f.

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gebenen Vorschriften erwächst, ob das Unternehmen wirklich nunmehr als schädliches oder gefährliches, polizeiwidriges aufzufassen ist; nur dann rechtfertigt sich die Unterdrückimg. Das kann aber nicht so i m voraus gesagt werden, sondern muß eintretenden Falles dem Ausspruche der erlaubenden Behörde überlassen bleiben. Daher ist nicht anzunehmen, daß diese sogenannten Bedingungen als echte gemeint sind, deren Nichterfüllung von selbst einfach vernichtend auf den Rechtsbestand des Unternehmens wirken soll. Vielmehr bedeuten sie nur, daß i m Falle der Nichterfüllung der besonderen Vorschriften der Behörde vorbehalten sein soll, auch gegenüber dem erlaubten Unternehmen die entsprechenden Maßregeln zu treffen, um den sich ergebenden Schädlichkeiten entgegenzutreten, es gegebenen Falles sogar ganz zu unterdrücken. Also sind sie keine Bedingungen, sondern fallen vielmehr unter den Begriff der Auflagen. Diese Bezeichnung wird denn auch abwechselnd m i t dem Namen Bedingung für sie gebraucht 18 . 3. Die wichtigste A r t von Nebenbestimmungen der Erlaubnis ist demnach die damit verbundene A u f l a g e , der polizeirechtliche modus. Die Auflage bedeutet eine Vorschrift, welche dem Unternehmer als Nebenbestimmung einer Erlaubnis gegeben wird zum Zweck der Verhütung polizeilicher Schädlichkeiten, welche aus dem erlaubten Unternehmen entstehen könnten 1 9 . Die Auflage bewegt sich i n derselben Richtung, wie der Rechtssatz, von dessen Verbot die Erlaubnis entbindet; sie bekämpft dieselbe Schädlichkeit. Folglich wäre sie nach einfach erteilter Erlaubnis ausgeschlossen (oben I I n. 2). Folglich kann sie nur bei Erteilung der Erlaubnis selbst gemacht werden als teilweise Einschränkung der befreienden und sichernden Wirkung, welche dieser an sich zukommt 2 0 . Das Maß dessen, was durch diese Vorschriften verlangt werden kann, bestimmt sich in erster Linie nach ihrer rechtlichen Grundlage. 18 Echte Bedingungen können mit der Polizeierlaubnis dann verknüpft erscheinen, wenn die Behörde andere Zwecke damit verfolgt als die von ihr wahrzunehmenden polizeilichen. So wird namentlich bei Baugenehmigungen gern die Bedingung gestellt, daß Anliegerbeiträge bezahlt, Landabtretungen an die Gemeinde vollzogen werden. Das O.V.G. behandelt das als ungültig: F r i e d r i c h s , Pr. Straßenges, v. 2. Juli 1875 zu § 15 Bern. 10 ff. — Etwas anderes ist die Versagung der Erlaubnis, solange nicht die gewünschte Verpflichtung eingegangen wird; da wird nur die Frage entstehen, ob diese Versagung zulässig und die etwa dadurch erzwungene Verpflichtung und Leistung gültig ist: R.G. 16. Dez. 1902 (Entsch. L U I S. 187). 19 S c h e l l o n g , in Verw.Arch. X V I I I S. 40ff. 20 Über die Zulässigkeit des Vorbehaltes späterer Auflagen: württ. Min. d. I . 22. Sept. 1888 ( R e g e r I X S. 408); bayr. V.G.H. 23. Sept. 1903 ( R e g e r X X I V S. 429); sächs. O.V.G. 26. April 1902 (Jahrb. I I I S. 313).

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Das Gesetz, oder was an seiner Stelle den verbietenden Rechtssatz schafft, kann seinerseits schon gewisse Verpflichtungen der Erlaubnis mitgeben 21 . Es kann auch der erlaubenden Behörde Ermächtigung erteilen, solche Auflagen zu machen 22 . Endlich liegt i n der Befugnis, die es verleiht, die Erlaubnis hier zu gewähren oder zu versagen, von selbst die Befugnis, sie nur unter Hinzufügung solcher besonderen Vorschriften zu gewähren 23 . Ihrer Natur nach ist die Auflage ein B e f e h l , ein Polizeibefehl, Gebot oder Verbot. Der Zusammenhang m i t der Erlaubnis gibt diesem Befehl aber gewisse Besonderheiten. Er hängt an der Erlaubnis. Die Erlaubnis kann, wie wir sahen, m i t dem erlaubten Unternehmen auf einen neuen Unternehmer ü b e r gehen. Dann geht notwendig die Auflage m i t über. Dadurch erhalten wir den Fall, daß ausnahmsweise ein Polizeibefehl wirksam wird gegen einen anderen, als für welchen er ursprünglich erging 2 4 . Die Erlaubnis hängt ihrerseits wieder an der Erfüllung der Gehorsamspflicht gegenüber diesem Befehl. Die Durchsetzung dieser Gehorsamspflicht kann m i t den gewöhnlichen Mitteln verfolgt werden, Polizeistrafe, Polizeizwang. Dahinter steht aber hier noch ein besonders scharfer Eingriff: die Zurücknahme der Erlaubnis selbst wegen Nichterfüllung der Auflage und damit Unterdrückung des ganzen U nternehmens 2 5 . 21

Namentlich wird gern vorgeschrieben, daß der Erlaubnisträger bei der erlaubten Tätigkeit versehen sei mit einem Papier, durch welches er sich über seine Erlaubnis ausweist: Wandergewerbeschein (Gew.Ord. § 55), Legitimationskarte für Handlungsreisende (Gew.Ord. § 44 a), Führerschein (Kraftfahrzeuge-Ges. v. 3. Mai 1909 § 2), Jagdschein (pr. Jagdscheinges. v. 31. Juli 1875 § 1). Die Ausstellung des Jagdscheins ist die Erteilung der Erlaubnis und zugleich die Gewährung des Mittels, der damit gesetzlich verbundenen Auflage zu genügen. 22 Gew.Ord. § 18 („Festsetzung der sich als notwendig ergebenden Bedingungen"); § 24 („unbedingt erteilen oder die erforderlichen Vorkehrungen und Einrichtungen vorschreiben"). 23 O.V.G. 9. März 1909 (Entsch. L I V S. 436). 24 Vgl. oben § 21 Note 18. Der Nachfolger in der gewerblichen Anlage wird unmittelbar straffällig durch Verletzung der auch ihn bindenden „wesentlichen Bedingungen, unter welchen die Genehmigung erteilt worden ist" (Gew.Ord. § 147 Abs. 1 Ziff. 2). — Nicht jede gelegentlich einer Erlaubnis gegebene Vorschrift ist eine Auflage; es kann dabei auch eine s e l b s t ä n d i g e Anordnung getroffen werden, „welche damit besonders verbunden wird als Gebot oder Verbot": O.V.G. 18. März 1886 (Entsch. X I I I S. 390); 19. Mai 1877 (Entsch. I I S. 358). Die geht dann nicht auf den Nachfolger über, kann dafür aber auch jeder Zeit wieder selbständig gegen ihn erlassen werden. 25 Bei der Wahl wird wieder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Gewalt maßgebend sein: O.V.G. 7. Nov. 1878 (Entsch. I V S. 378).

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Die Polizeigewalt.

I V . Die V e r s a g u n g der Erlaubnis ist kein Hindernis für ein neues Gesuch, selbst bei gleichbleibendem Tatbestand. Tatsächlich wird die Behörde sich meist einfach auf ihren früheren Bescheid beziehen können, wenn sie neuerdings abweist. Sie kann auch nochmals prüfen und je nachdem erlauben oder nochmals versagen. Durch die erste Versagung entsteht keinerlei rechtliche Gebundenheit für sie. Ausnahmen vermag i n dieser Beziehung die Verwaltungsrechtspflege zu schaffen 26 . Dagegen knüpft sich an die e r t e i l t e Erlaubnis eine besondere Lehre von den ihr eigentümlichen E r l ö s c h u n g s g r ü n d e n . Die Erlaubnis kann erlöschen infolge einer beigefügten besonderen B e d i n g u n g oder B e f r i s t u n g (oben I I I η. 1 und 2). Sie erlischt durch das W e g f a l l e n der V o r a u s s e t z u n g e n , an welche sie geknüpft ist: die persönliche Erlaubnis m i t dem Tode des Empfängers, die gemischte m i t dem Tode des Empfängers oder dem Verlust der genehmigten Mittel, die sachliche m i t dem Untergang der wesentlichen Stücke des Unternehmens, des Bauwerkes, des Tieres. Für manche Erlaubnisse ist gesetzlich zur Bedingung gemacht, daß das Unternehmen in einer bestimmten Frist zur Ausführung gebracht oder daß das einmal begonnene nicht während einer gewissen Frist außer Betrieb gesetzt werde. Dann kann die Erlaubnis erlöschen durch N i c h t g e b r a u c h 2 7 . Von selbst versteht sich dieser Endigungsgrund nicht. Kein Erlöschungsgrund der Polizeierlaubnis ist der V e r z i c h t . Die Erlaubnis ist ein obrigkeitlicher A k t , welcher diesem Unternehmen gegenüber das allgemeine Verbot für unanwendbar erklärt. Sie gibt dem Empfänger nichts, worüber er verfügen könnte, sondern stellt nur seine Freiheit wieder her, über das zu verfügen, was er sonst hat und haben wird. Der Erlaubnisträger kann die Erlaubnis unbenützt lassen ; von ihm hängt es i n gewissem Maße ab, ob die tatsächlichen Voraussetzungen i n Wegfall kommen; er kann auch eine Zurücknahme der Erlaubnis bewirken, wovon gleich noch die Rede sein soll. Aber er kann durch seine Willenserklärung den obrigkeitlichen A k t nicht aufheben, noch unwirksam machen, solange die Voraussetzungen da sind, unter welchen dieser nach seinem eigenen Willen wirken soll 2 8 . 26

V g l oben § 16 Note 13. Gew.Ord. §§ 49, 50. 28 Ein eigentlicher Verzicht wäre nur möglich, wenn die Erlaubnis ein subjektives öffentliches Recht begründete, über welches der Empfänger verfügen kann. So R e h m , Gewerbekonz. S. 18; Bayr. V.G.H. 2. Nov. 1880 Samml. I I S. 144). Vgl. oben S. 244). — Die Praxis läßt meist, ohne diese Frage zu unter27

§ 2 . De Polizeielaun.

253

Der wichtigste Erlöschungsgrund der Erlaubnis ist die Z u r ü c k nahme. Jeder Verwaltungsakt kann grundsätzlich von der Behörde, die i h n erließ, zurückgenommen oder, was gleichsteht, von ihren Oberen aufgehoben werden 29 . Hier aber handelt es sich möglicherweise um einen zuzufügenden Nachteil, einen Eingriff, und sofort kommen R e c h t s s c h r a n k e n zum Vorschein, welche dem Betroffenen gegenüber zu beobachten sind. Die Zurücknahme ist nicht frei, soweit das Gesetz anders will; das ist namentlich der Fall, wo es d i e G r ü n d e besonders bes t i m m t , die zur Zurücknahme ermächtigen sollen: darin liegt von selbst der Ausschluß anderer Gründe und des freien Beliebens. Ebenso ist die freie Zurücknahme ausgeschlossen, soweit die E r l a u b n i s g e s e t z l i c h n i c h t v e r s a g t w e r d e n d u r f t e ; an sich ist ja die Zurücknahme etwas anderes als die Versagung; aber der Rechtssatz der die Erteilung bindet, kann nicht gestatten wollen, daß die erteilte Erlaubnis durch freie Zurücknahme alsbald wieder vereitelt werde. Es wirkt aber noch ein allgemeinerer Grund: die Zurücknahme ist nicht mehr frei gegenüber dem erlaubten Unternehmen, sobald es einmal t a t s ä c h l i c h i n s W e r k g e s e t z t oder auch nur i n der A u s f ü h r u n g b e g r i f f e n i s t . Es leuchtet sofort ein, daß die Zerstörung des Geschaffenen etwas anderes ist und strenger beurteilt werden muß als die Verhinderung seines Entstehens. Der Unterschied ist aber auch i n der rechtlichen Natur des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt begründet, wie wir sie hier eingangs bestimmt haben. Die Zurücknahme der Erlaubnis beseitigt diese von nun an und setzt damit das allgemeine suchen, einen förmlichen Verzicht der Behörde gegenüber zu, verlangt nur zweckmäßigkeitshalber als Bedingung der Gültigkeit auch die Zurückgabe der Ausweispapiere: O.V.G. 12. Dez. 1900 ( R e g e r X X I S. 2); 19. Juni 1905 ( R e g e r X X V I S. 213); 26. März 1908 ( R e g e r X X I X S. 15); 4. März 1909 ( R e g e r L I V S. 36); Bayr. V.G.H. 22. Juli 1903 ( R e g e r X X I V S. 48); Braunschw. V.G.H. 31. Mai 1905 ( R e g e r X X V I S. 212). Wie durch Aushändigung dieser Papiere die Erlaubnis erteüt wird, so kann sie ja auch durch Einziehung der Papiere zurückgenommen werden. Die Frage wird sich zuspitzen auf den Fall, wo der Empfänger der Bauerlaubnis oder Gewerbebetriebserlaubnis der Behörde schreibt, er verzichte, ohne ein Papier zurückzugeben, noch Antwort zu erhalten, und nun widerruft und baut oder das Gewerbe beginnt. Soll er wegen mangelnder Erlaubnis strafbar sein? Mir scheint nicht. 29 So für die Erlaubnis insbesondere: O.V.G. 21. März 1877 (Entsch. I I S. 390). Soweit keine besondere Rechtsschranke wirksam wird, müssen auch für die Zurücknahme wenigstens die allgemeinen polizeilichen Gesichtspunkte angerufen werden können: O.V.G. 22. Febr. 1906 (Entsch. L S. 362); O.V.G. 25. Jan. 1896 (Entsch. X X I X S. 393); O.L.G. München 19. Juni 1897 ( R e g e r X I X S. 260).

254

Die Polizei gewalt.

Verbot, von welchem sie entband, wieder i n Wirksamkeit. Dieses Verbot t r i f f t aber nur das unerlaubte Inswerksetzen eines solchen Unternehmens und den Fortbestand des fehlerhafterweise ins Werk Gecetzten. Es geht an dem fehlerfrei, d. h. auf Grund einer erteilten Erlaubnis Begründeten vorbei. Folglich hat hier die e i n f a c h e Zurücknahme der Erlaubnis keinen Zweck. Es bedarf also eines besonderen Rechtsgrundes, um sie zurücknehmen zu können m i t der Wirkung, als wäre sie n i c h t e r t e i l t w o r d e n und folglich das jetzt vorgefundene Unternehmen fehlerhaft zustande gekommen 30 . So entsteht auf verschiedenem Wege, i m Gegensatze zu der von Haus aus frei zurücknehmbaren, eine nach der Erteilung g e b u n d e n e E r l a u b n i s . Wo das der Fall ist, kann gleichwohl immer noch eine Zurücknahme erfolgen; aber das bedarf dann einer besonderen Rechtfertigung, eines Z u r ü c k n a h m e g r u n d e s . Als solche Zurücknahmegründe sind zu nennen: 1. Soweit eine besondere g e s e t z l i c h e E r m ä c h t i g u n g zur Zurücknahme vorgesehen ist, ist die erteilte Erlaubnis i n dem vorgesehenen Maße von vornherein nicht gebunden; aber auch die tatsächliche Inswerksetzung wirkt demgegenüber nicht. Solcher E r mächtigung steht gleich die nachträgliche Einwilligung des Betroffenen, der sogenannte V e r z i c h t : die Unterwerfung unter den Eingriff ersetzt die gesetzliche Grundlage; vgl. oben S. 98, 108. Darüber hinaus kann sich die erlaubende Behörde selbst weitere Möglichkeiten schaffen durch eine N e b e n b e s t i m m u n g des Erlaubnis30

Es ist der gleiche Gedankengang, der auch dazu führt, daß ein neu eingeführter gesetzlicher Erlaubnisvorbehalt bereits zur Ausführung gebrachte Unternehmungen nicht trifft : S e y d e 1, Gew.PoLR. S. 25 ; L a η d m a η η , Gew.Ord. I S. 76; O.V.G. 2. Jan. 1897 (Entsqh. X X I S. 349). Lagens t e i η , Gewerbepolizeierl. S. 194 Note 2, findet hier in meinen Ausführungen Widerspruch und Verwechslung von Verbot und Strafrechtssatz. Das scheint mir aber nicht zuzutreffen; die beiden gehen ja hier in ihrer Wirkung zusammen. Vgl. unten § 23, I n. 2. — Die Zurücknahme einer Bauerlaubnis nach Ausführung des Baues mit der Wirkung, diesen zu zerstören, ist etwas anderes als die bloße Versagung, die von vornherein freigestanden hätte, und deshalb nicht von selbst gerade so zulässig: O.V.G. 2. Jan. 1897 (Entsch. X X X I S. 349); R.G. 1. Juni 1900 (Entsch. X L V I S. 283); G i 1 b e r t in Fischers Ztschft. X X V I I S. 283; Β a 11 ζ , Pr. Baupol.R. S. 145. — Auch in der Aushändigung des erforderlichen Ausweispapiers wird die Begründung eines solchen neuen Besitzstandes gesehen: O.V.G. 11. März 1899 (Entsch. X X X V S. 326); sächs. O.V.G. 21. Juni 1905 (Jahrb. V I I S. 291). Darin spiegelt sich wohl der Gedanke wieder, daß der Empfänger sich nun auch sofort danach eingerichtet habe. Ohne solche formale Maßstäbe wird es oft schwer sein, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann die Erlaubnis als „ins Werk gesetzt" gelten soll.

§ 2 . De Polizeielaun.

255

aktes: Vorbehalt des Widerrufs, soweit das zulässig ist, oder Hinzu fügung von Auflagen, deren Nichterfüllung dann gleichfalls die Zurücknahme statthaft macht. Endlich ist noch ein Weg zur Zurücknahme eröffnet, da wo das Gesetz gegen den die Erlaubnis erteilenden A k t einem anderen ein R e c h t s m i t t e l gewährt. Die Behörde, die darüber m i t voller Nachprüfung entscheidet, Oberbehörde oder Verwaltungsgericht, muß dann ebensogut wie die zuerst m i t dem Erlaubnisgesuch befaßte auch nicht wollen, folglich entsprechend der jetzigen Sachlage zurücknehmen können 3 1 . 2. Die Erlaubnis kann zurückgenommen werden wegen R e c h t s widrigkeit. Die Erlaubniserteilung, welche überhaupt nicht i n der allgemeinen Zuständigkeit des Erlaubenden lag — namentlich etwa von einem Beamten ausging, dem behördliche Polizeigewalt nicht zusteht, einem Schutzmann z. B. — ist n i c h t i g . Es bedarf keiner Zurücknahme oder Aufhebung 32 . Die Erlaubniserteilung, welche eine i m allgemeinen zu derartigen Akten berufene Behörde ausgesprochen hat, aber unter unrichtiger Anwendung des Gesetzes, Nichtbeobachtung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens, Überschreitung ihrer Ermächtigungen und ihrer geordneten Grenzen gegenüber den Zuständigkeiten anderer Behörden, ist entsprechend dem, was von obrigkeitlichen Akten überhaupt gilt, kraft ihrer Selbstbezeugung nicht ohne weiteres nichtig, sondern 31

Sachs. Min. d. I. 3. Aug. 1898 ( R e g e r X I X S. 2). Das läßt sich nicht ausdehnen auf einfache Beschwerde oder Zurücknahme von Amtswegen: sächs. Min. d. I . 21. Jan. 1897 ( R e g e r X V I I S. 249); sächs. O.V.G. 23. Nov. 1901 ( R e g e r X X I I I S. 218). 32 Vgl. oben § 9, I n. 2. — Eine eigentümliche Art von Nichtigkeit in O.V.G. 28. Sept. 1895 (Entsch. X X V I I I S. 375): Die Regierung hatte bei Fluchtlinienfestsetzung und darauf gegründeter Bauerlaubnis „etwas anderes gemeint als ausgedrückt4 4 ; es kann deshalb „dem formellen Verwaltungsakt eine Rechtswirkung nicht beiwohnen". Das stimmt zu A.L.R. I , 4 § 75, aber nicht mehr zu B.G.B. § 119; das Verwaltungsrecht ist allerdings nicht gehindert, bei jener älteren Auffassung zu bleiben. — K o r m a n n , Rechtsgeschäftl. Staatsakte S. 235, hält die sogenannten Bordellkonzessionen für nichtig. Allein diese geben sich gemeinhin als Schankwirtschaftserlaubnisse oder Erlaubnisse zum gewerbsmäßigen Zimmervermieten, von der zuständigen Behörde erteilt; der unsittliche Zweck macht sie nur ungültig, also vernichtbar und unbeachtlich für die nachprüfungsberechtigten Stellen. Das Strafgericht allerdings mit seinem Nachprüfungsrecht versagt ihnen demgemäß gegenüber Stf.G.B. § 180 die Wirkung; das beweist aber keine Nichtigkeit. Ähnlich die Ungültigkeit in R.G. 22. Nov. 1880 (R e g e r I S. 165).

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Die Polizeigewalt.

nur u n g ü l t i g , also zunächst wirksam. U n d das bleibt sie, solange und soweit nicht durch eine zuständige Behörde die Ungültigkeit erklärt und damit auch die Rechtswirksamkeit aufgehoben wird. Zuständig zu diesem Einschreiten ist aber die Behörde, die den fehlerhaften A k t erlassen hat, und ihre Vorgesetzte, je nach den getroffenen Einrichtungen auch ein Verwaltungsgericht 33 . Einen besonderen Zurücknahmegrund bietet endlich hier der Fall, daß die Erlaubniserteilung zugunsten des Empfängers durch eine r e c h t s w i d r i g e E i n w i r k u n g auf den handelnden Beamten herbeigeführt worden ist: durch Betrug, Drohung, Bestechung. Die Erlaubnis wird dadurch nicht von selbst nichtig; ungültig braucht sie auch nicht zu sein: sie kann noch ganz innerhalb der gesetzlichen Grenzen und namentlich i m Bereich des freien Ermessens sich bewegen. Die Behörde macht sich einfach frei von der Gebundenheit an die erschlichene Erlaubnis, und der Empfänger kann sich um der i h m zuzurechnenden Verfehlung willen nicht auf diese Gebundenheit berufen; eine A r t replicatio doli steht i h m entgegen 34 . 3. Hinter allen diesen aus dem Recht der Erlaubnis selber fließenden Gründen steht nun noch die vom Gesetze eingeräumte Möglichkeit eines a u ß e r o r d e n t l i c h e n E i n g r i f f e s zur Beseitigung des erlaubten Unternehmens wegen nicht vorhergesehener Nachteile für das öffentliche Wohl. Das ist kein Ausfluß der allgemeinen Polizeigewalt mehr, deren Befugnisse durch die unangreifbare Erlaubnis erschöpft sind ( v g l oben S. 245), sondern ein selbständiges Opfer, welches dem Unternehmer zugemutet wird. Daher auch der Entschädigungsanspruch, der hier, als seltene Ausnahmeerscheinung auf dem Gebiete der Polizei, an diese Maßregel sich k n ü p f t 3 5 . 33

O.V.G. 5. Nov. 1883 (Entsch. I V S. 373); 25. Jan. 1896 (Entsch. X X I X S. 390); 13. Juni 1901 (Entsch. X L S. 377); sächs. Min. d. I . 12. Sept. 1904 (R e g e r X X I S. 384); württ. V.G.H. 18. Nov. 1908 (Jahrb. f. württ. R. X X I S. 228); bad. V.G.H. 3. Nov. 1909 ( R e g e r X X X S. 406); braunschw. V.G.H. 24. April 1901 ( R e g e r X X I I S. 303). 34 L a g e n s t e i n , Gewerbepolizeierl. S. 153 u. Note 6; Κ or m a n n , RechtsgeschäftL Staatsakte S. 377; W. J e l l i n e k , Fehlerhafter Staatsakt S. 159 ff.; A c k e r m a η η , Baukonsens S. 138. O.V.G. 11. Febr. 1904 (Entsch. L I I I S. 263); bayr. V.G.H. 4. Juli 1900 (Entsch. X X I S. 195). — Der bloße Irrtum der Behörde ist kein Zurücknahmegrund, nur der Betrug, der ihn hervorruft, oder der selbständig wirkende sachliche Mangel, mit welchem er zusammenhängt, geben der Behörde solche Macht: R.A.O. § 78 Abs. 2. 35 Hauptbeispiel bietet Gew.Ord. § 51. Diese Bestimmung bezieht sich nur auf Anlagen, die nach Gew.Ord. § 51 genehmigt worden sind. Für unerlaubte ist sie unnötig (Gew.Ord. § 147 Abs. 3). Sie gilt auch nicht für solche Anlagen, die der Genehmigung nicht bedurften; diesen gegenüber ist das öffentliche Wohl

257

§ 2 . D e Polizeistre. § 23.

Die Polizeistrafe. Unter

Strafe

verstehen w i r h i e r n u r die ö f f e n t l i c h e

Strafe;

das i s t ein Ü b e l , welches v o n der öffentlichen Gewalt gesetzt i s t a u f e i n m i ß b i l l i g t e s V e r h a l t e n der U n t e r t a n e n . Sie d i e n t der V e r w a l t u n g i n mancherlei Weise, u m i h r e Zwecke z u erreichen 1 .

Insbesondere f i n d e t

sie a u c h A n w e n d u n g a u f

dem

Gebiete der Polizei. Das i s t d a n n der F a l l , w e n n die M i ß b i l l i g u n g des V e r h a l t e n s gerade darauf b e r u h t , daß es als eine S t ö r u n g der g u t e n Ordnung

des

Gemeinwesens

angesehen w i r d ,

als

Polizeiwidrigkeit.

P o l i z e i s t r a f e i s t d i e auf eine P o l i z e i w i d r i g k e i t gesetzte Strafe. D o c h i s t h i e r n o c h e i n m a l z u unterscheiden: die P o l i z e i w i d r i g k e i t k a n n a u c h b e k ä m p f t werden d u r c h eine Strafe, die i m E i n z e l f a l l d u r c h V e r w a l t u n g s a k t angedroht w i r d , u m den Gehorsam gegen die polizeil i c h e V e r f ü g u n g durchzusetzen, als E x e k u t i v s t r a f e Zwangsstrafe (vgl. u n t e n § 2 4 , 1 ) . I m Gegensatz z u dieser verstehen w i r u n t e r Polizeistrafe l e d i g l i c h die d u r c h R e c h t s s a t z angedrohte Strafe, die auf die Polizeigenügend geschützt durch die freigebliebenen allgemeinen gesetzlichen Ermächtigungen der Polizeigewalt: württ. V.G.H. 29. April 1897 ( R e g e r X V I I S. 381); O.V.G. 20. Mai 1901 ( R e g e r X X I I S. 9); 15. Febr. 1904, ( R e g e r X X V S. 211). Auf den „klaren Wortlaut" des Gesetzes ( B i e r m a n n , PrivatR. u. Pol. S. 45) darf man sich nicht steifen wollen, um auch genehmigungsfreie Anlagen einzubeziehen: „j e d e gewerbliche Anlage' ' im Sinne des § 51 ist eben nach dem Zusammenhang mit §§ 49 u. 50, die vorher von genehmigten Anlagen handeln mit gewissen rechtlichen Schwächen, eine genehmigte Anlage, bei der nichts fehlt. O.V.G. 21. Okt. 1883 (R e g e r I V S. 396) bringt den Fall ganz zutreffend „unter den Gesichtspunkt einer Zwangsenteignung im weiteren Sinne". Verwandt damit O.V.G. 9. Juni 1877 (Entsch. I I S. 415): Der Amtsvorsteher hatte das Abbrennen von Feldziegelöfen erlaubt, die Ofen sind vollendet, da verbietet der Landrat das Unternehmen; zulässig als „ein außerordentlicher Eingriff", wie er von der oberen Behörde „in dringenden Fällen" geübt werden kann, aber gegen Entschädigung. Der Vergleich mit der Enteignung, wie die Anrufung des § 75 Einl. d. A.L.R. ( L a n d m a n n , Gew.Ord. zu § 51 Note 3; O.V.G. 29. Okt. 1883, R e g e r I V S. 396) weisen hinüber auf das Rechtsinstitut der öffentlich-rechtlichen Billigkeitsentschädigung, von welchem unten § 53 u. § 54 noch zu 1 handeln Dassein läßtwird. sich alles unter dem Namen „Verwaltungsstrafrecht" zusammenfassen; nur muß man sich davon nicht allzuviel versprechen. Vgl. L. S t e i n , Verw.Lehre I , 3 S. X I I I u. S. 48; Handb. d. Verw.Lehre I S. 225. Ausführlich: J. G o l d s c h m i d t , Verw. Stf.R. ; dazu S c h u l t z e n s t e i n , in Verw.Arch. X I S. 149 ff.; Η of a c k e r , in Verw.Arch. X V S. 404 ff.; mit stärkeren Vorbehalten L a m p , in Arch. f. öff. R. X V I I I S. 104 ff., und die Besprechung in Verw.Arch. X I S. 348 ff. B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 8. Aufl.

17

258

Die Polizeigewalt.

Widrigkeit gesetzt ist, u m e i n z u s c h ä r f e n , daß sie n i c h t s e i n soll2. I . Die Polizeistrafe hat i m heutigen Recht den Anschluß an das gemeine Strafrecht gefunden, indem sie den Grundsatz annahm: nulla poena sine lege. Das bedeutet nicht einfach wieder die g e s e t z l i c h e G r u n d l a g e ; dieses Erfordernis wäre i m Verfassungsstaat gegenüber einem Eingriff i n Freiheit und Eigentum, wie die Strafe ihn vorstellt, selbstverständlich. I h m würde aber auch genügt sein m i t allgemeinen Ermächtigungen der Behörden, i m Einzelfalle Strafen zu verhängen. Hier ist gemeint, daß die Strafe i n Form des R e c h t s satzes bestimmt sei derart, daß die Verhängung der Strafe i m Einzelfall nur A n w e n d u n g des R e c h t s s a t z e s ist, nur ein Ausspruch dessen, was durch den Rechtssatz für diesen Fall bereits gewollt ist, eine Entscheidung (vgl. oben § 9, I I n. 2). M i t dieser rechtssatzmäßigen Strafbestimmung verhält es sich nun i m einzelnen folgendermaßen. 1. Das Gesetz pflegt auf dem Gebiete der Verwaltung und namentlich der Polizei die Schaffung von Rechtssätzen i n großem Umfange der V e r o r d n u n g zu überlassen, die m i t ihrer leichteren Beweglichkeit den Umständen von Zeit und Ort sich besser anpassen mag. Den Forderungen des Rechtsstaates würde es i n keiner Weise widersprechen, wenn auch die Strafbestimmung dem verordnungsmäßigen Rechtssatze anheimgestellt wäre. Allein hier wird verschieden verfahren. Soweit der Einfluß des f r a n z ö s i s c h e n Rechtes reicht, macht das Gesetz grundsätzlich von der Übertragung der Polizeistrafbestimmung an die Verordnung keinen Gebrauch. Der Satz nulla poena sine lege wird ganz formalistisch 2

Für die hier befolgte Auffassung vom Strafrecht ist A d o l f M e r k e l maßgebend gewesen; vgl. dessen Lehrb. § 65. Er gab namentlich auch viel im persönlichen Verkehr. — Eine Polizeiwidrigkeit bedeutet auch die Straftat des ordentlichen Strafrechts (vgl. unten § 25, II). Bei diesem kommt aber zugleich noch etwas mehr, ein ethisches Element, in Betracht, das im Polizeistrafrecht wegfällt. Dieses Verhältnis findet einen Ausdruck in der oft gebrauchten Formel, die das Wesen des Polizeideliktes stellt auf den „ b l o ß e n U n g e h o r s a m gegen die staatlichen Vorschriften": M e r k e l , Stf.R. § 15; v. L i s ζ t , Stf.R. § 32, I , n. 2; R ο β i η , in Wörterb. d. Verw.R. Art. Polizeistrafrecht § 4; R o t e r i n g , Polizeiübertret. S. 18. Aber das, was hier übrig bleibt, ist nicht der bloße formale Ungehorsam — damit käme man auch nicht durch; vgl. unten Note 5 —, sondern die sachliche Polizeiwidrigkeit. — Das gilt selbstverständlich nur von den r i c h t i g e n Polizeistraftaten; was man der Bequemlichkeit halber sonst wohl noch unter diesem Namen zusammenfaßt: Schulversäumnisse, Verweigerung von Pflichtehrenämtern und dergleichen, gehört nicht hierher: da handelt es sich nicht um Polizeiwidrigkeiten; vgl. oben S. 222 S. 225.

§ 2 . D e Polizeistre.

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durchgefühlt. Deshalb erfolgt nach den s ü d d e u t s c h e n Polizeistrafgesetzbüchern die Strafbestimmung stets durch Gesetz; nur die genauere Bezeichnung des Tatbestandes kann der Polizeiverordnung überlassen sein (davon unten n. 2). Es gibt hier P o l i z e i s t r a f g e s e t z e und P o l i z e i v e r o r d n u n g e n , aber keine P o l i z e i s t r a f v e r o r d n u n g e n , d. h. solche Verordnungen, welche eine Polizeistrafbestimmung enthielten 8 . I m Gegensatze dazu ermächtigt das p r e u ß i s c h e Gesetz über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 die Behörden, für den ihnen zugewiesenen Kreis polizeilicher Angelegenheiten „Vorschriften zu erlassen und gegen die Nichtbefolgung derselben Geldstrafen — bis zu einem näher bestimmten Maße — anzudrohen". Die Strafbestimmung erscheint also hier m i t der Bezeichnung des Tatbestandes in der gemeinsamen Form der Verordnung, deren allgemeine Regeln für Erlaß, Verkündung, Nachprüfungsrecht, Aufhebung und Zurücknahme auch für sie anwendbar sind. Neben diesen P o l i z e i s t r a f v e r o r d n u n g e n gibt es dann auch i m preußischen Recht einfache Polizeiverordnungen, welche für die etwa erforderliche Strafbestimmung an ein Polizeistrafgesetz, namentlich auch an reichsrechtliche Strafgesetze sich anlehnen; dadurch entsteht hier eine verhältnismäßig größere Mannigfaltigkeit 4 . 2. Der Polizeistrafrechtssatz wendet sich wie jedes Strafgesetz immer i n erster Linie an die zur Strafverhängung berufene Behörde: es wird beàtimmt, was von ihr aus dem Untertanen gegenüber geschehen soll; die zweiseitige Natur des Rechtssatzes erzeugt dann gleichzeitig auch die entsprechende rechtliche Bestimmtheit des Untertanen, wonach er solches von der Behörde zu gewärtigen hat; vgl. oben § 7 n. 3. Ihrer Natur nach ist die Strafsatzung stets ein b e d i n g t e r Ausspruch : es soll i n dieser Weise gestraft werden, wenn dieses Verhalten vorliegt. Die Bezeichnung des Verhaltens, welches diese Bedingung erfüllt, kann i n der Strafbestimmung selbst e n t h a l t e n sein: wer dies und jenes t u t , soll so und so bestraft werden, lautet die Formel. Sie kann auch selbständig d a n e b e n s t e h e n ; dann nimmt sie die Gestalt eines Befehls, Verbots oder Gebots an. Wir erhalten die zwei Sätze: es ist verboten (geboten), dies oder jenes zu tun; und: wer diesem Befehl zu3 Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 216 ff. — Auch das Stf. G.B. bedient sich dieser auszufüllenden Strafsatzung; vgl. vor allem § 366 Ziff. 10. 4 R o s i n , Pol. Verord. S. 75, S. 77 ff. L o e n i n g , Verw.R. S. 231, gibt eine allgemeine Begriffsbestimmung der Polizeiverordnung, die einseitig dem Gesetz v. 11. März 1850 angepaßt ist.

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Die Polizeigewalt.

widerhandelt, wird so und so bestraft. Der erste Satz kann m i t dem zweiten i n einem Akte verbunden oder auch äußerlich davon getrennt sein. Er ist ein Polizeibefehl, der i n allen Einzelheiten den i n § 21 entwickelten Regeln unterliegt. Die Strafbarkeit ist eine F o l g e des U n g e h o r s a m s dagegen. Auch die einfachere, dem gemeinen Strafrecht gewöhnlichere Formel: wer dies und jenes t u t , soll so und so bestraft werden, enthält dem Untertanen gegenüber nicht lediglich den Ausspruch, daß er unter dieser Bedingung bestraft werden soll. Die Verpönung des bezeichneten Tatbestandes bedeutet zugleich die Anerkennung seiner Polizeiwidrigkeit und die gesetzgeberische Willenserklärung, daß er nicht sein soll. Man mag also immerhin sagen, daß die Polizeistrafe auch i n diesem Falle, wie jede gemeine Strafe überhaupt, eine Folge der „ U n botmäßigkeit" gegenüber dem Gesetze sei; ein Zuwiderhandeln gegen das, was das Gesetz als seinen Willen ausgesprochen hat, liegt ja vor. Man mag auch sagen: auch diese unmittelbare Verpönung „ e n t h ä l t " einen Befehl, indem man eben das Wort i n einem allgemeineren, ungenaueren Sinne meint. E i n richtiger Polizeibefehl liegt hier nicht vor. Die i h m eigentümliche Gehorsamspflicht ist nicht begründet. Nicht der Ungehorsam gegen einen Befehl, sondern das m i ß b i l l i g t e V e r h a l t e n ist die Voraussetzung der Strafe überhaupt und ebenso der Polizeistrafe insbesondere. Der Ungehorsam ist nur eine besondere A r t des mißbilligten Verhaltens, die allerdings gerade bei der Polizeistrafe häufig vorkommen wird 5 . 3. Die B e d e u t u n g jedes S t r a f r e c h t s s a t z e s liegt darin, daß er durch die angedrohte und zur Verwirklichung bestimmte Strafe den Untertanen ein dem öffentlichen Interesse entsprechendes Verhalten e i n s c h ä r f t : die Drohung selbst und ihre regelmäßige Verwirklichung, beides i n der Öffentlichkeit vor sich gehend, üben zusammen den erforderlichen Druck auf die Gemüter aller. Der Polizeistrafrechtssatz ist dazu gegeben, ein p o l i z e i m ä ß i g e s Verhalten einzuschärfen, ein Verhalten gemäß der Untertanenpflicht, die gute Ordnung des Gemeinwesens nicht zu stören. Das Übel, welches er androht und 6 Wer die Polizeistrafe als Ungehorsamsstrafe kennzeichnet ( M e r k e l , Stf.R. S. 46, R o t e r i n g , Pol. Übertretungen S. 18), versteht unter dem Ungehorsam ganz allgemein ein Handeln gegen den Willen des Gesetzes; in diesem Sinne ist auch ungehorsam, wer nicht so tut, wie das Zivilgesetz es will, und steckt Ungehorsam in jeder Art von Delikt. Dementsprechend kann man auch bei jeder Strafbestimmung einen Befehl finden, gegen den der Ungehorsam sich richtet; B i n d i n g s Normen sind solche Befehle (Stf.R. I S. 156ff.; Normen I , Iff.). Befehle im Begriffe unserer Verwaltungsrechtsinstitute sind sie nicht.

§ 2 . D e Polizeistre.

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zufügen läßt, ist Mittel zum Zwecke. Der Polizeistrafrechtssatz berührt sich darin m i t dem P o l i z e i z w a n g und steht i m Gegensatz zu den bisher behandelten Rechtsinstituten des Befehls und der Erlaubnis, welche nur die rechtliche Ordnung selbst bestimmen, ohne noch das Mittel zu geben, m i t welchem sie aufrecht erhalten werden soll. Der vollendete Strafrechtssatz, indem er außer der Strafbestimmung auch die Bezeichnung des strafbaren Tatbestandes gibt, bedeutet noch ein Zweites daneben: er k e n n z e i c h n e t diesen T a t b e s t a n d als eine P o l i z e i w i d r i g k e i t und gibt damit die Grundlage weiteren polizeilichen Vorgehens. Ist der Tatbestand bezeichnet in Form eines B e f e h l s , auf dessen N i c h t b e f o l g u n g die Strafe gesetzt wird, so t u t dieser Befehl daneben noch seinen Dienst als Polizeibefehl wie sonst : er erklärt die natürliche Polizeipflicht genauer und prägt sie zugleich um i n eine Gehorsamspflicht (vgl. oben § 21 Eing.). Enthält statt dessen der Strafrechtssatz eine u n m i t t e l b a r e V e r p ö n u n g , so brandmarkt auch diese ihren Tatbestand als eine Verletzung der polizeilichen Pflicht, die nicht sein soll, und gibt damit eine feste Rechtsgrundlage für die Eingriffe i n Freiheit und Eigentum, die erforderlich sind, um die Polizeiwidrigkeit zu bekämpfen. Auf Grund dieser Verpönung können nun Polizeibefehle für den Einzelfall ergehen und findet Polizeizwang statt. Das wird von Wichtigkeit, insofern die allgemeinen polizeilichen Ermächtigungen auf den Fall nicht zutreffen oder auch zweifelhaft sein könnte, ob und wieweit sie zutreffen; der Polizeistrafrechtssatz gibt sicheren Boden. M i t diesem doppelten Gesicht, das er hat, steht der Polizeistrafrechtssatz verbindend i n der Reihe unserer Rechtsinstitute der Polizeigewalt. I I . Der enge Zusammenhang des Polizeistrafrechts m i t der Verwaltung und ihren Zwecken bringt es m i t sich, daß seine Strafbestimmungen starke B e d i n g t h e i t e n aufweisen von dem, was die Verwaltung an Willensäußerungen dazu tut. 1. Die Strafe kann gesetzt sein auf den Ungehorsam gegen einen P o l i z e i b e f e h l . Dann ist die Voraussetzung ihrer Wirksamkeit, daß dieser i n rechtsgültiger Form geliefert sei durch Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsakt. Die beiden letzteren bedürfen ihrerseits wieder der gesetzlichen Grundlage (vgl. oben § 21, I). Möglicherweise gibt das Gesetz, welches die Strafbestimmung enthält und wegen des Tatbestandes auf einen verletzten Polizeibefehl verweist, selbst zugleich diese Grundlage, indem es die Ermächtigung verleiht, solche Befehle zu erlassen. Es kann aber auch bloß verweisen wollen auf Befehle, die anderswoher ihren Rechtstitel nehmen. Das wird Sache der Aus-

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Die Polizeigewalt.

legung sein. Bei Strafbestimmungen des R e i c h s g e s e t z e s ist hier i m Zweifel anzunehmen, daß das Landesrecht freibleiben soll, ob und wieweit es die vorausgesetzten Befehle zuläßt, daß also den Landesbehörden von Reichswegen eine Ermächtigung zu solchen nicht erteilt wird6. 2. Ob das Strafgesetz seine Wirkung knüpft an den Ungehorsam gegen einen Einzelbefehl (Polizeiverfügung) oder gegen eine Polizeiverordnung, das macht in strafrechtlicher Hinsicht keinen Unterschied ; die Rechtsgestalt der Sache ist die gleiche. Es kann aber auch bei unmittelbarer Verpönung noch etwas vorausgesetzt sein, was aussieht wie ein Einzelbefehl, auch wohl ähnlich bezeichnet wird und doch keiner ist. W i r nennen das, um den Gegensatz zu wahren, eine M a h n u n g . Die Mahnung erscheint im Zusammenhange m i t dem Strafgesetz als eine Erinnerung des davon Bedrohten an das richtige Verhalten. Sie kann nach schon eingetretener Strafbarkeit erfolgen, um die Fortsetzung zu verhüten, und ist dann Drohung mit Anzeige oder Gewaltanwendung (vgl. oben § 21 Note 11). Sie kann auch als Bedingung der Strafbarkeit gesetzt sein; das ist unser Fall. Der Strafrechtssatz ist hier fix und fertig in sich selbst und bedarf keiner Ergänzung, um den Fall zu treffen, auf den er es absieht. Es ist aber umgekehrt eine Hemmung eingeschoben, indem es billig erscheint, die Strafbarkeit erst eintreten zu lassen, nachdem der Betroffene vergebens daran erinnert worden ist, was ihm bevorsteht, wenn er auf seinem Verhalten beharrt 7 . Weil, im Gegensatz zum Befehl, eine solche Mahnung keine Rechtsverpflichtungen selber zu erzeugen hat, kein Verwaltungsakt zu sein braucht, kann sie von a n d e r e n als v o n B e h ö r d e n ausgehen, von einfachen Vollzugsbeamten oder auch von den dazu berufenen Privatleuten, je nachdem eben der Strafrechtssatz diese Bedingung seiner Anwendbarkeit formuliert 8 . 6 L a b a n d , St.R. I I S. 103f.; R o s i n , PoL Verord. S. 71 ff. Anders L ο e η i η g , Verw.R. S. 235 Note 3; seine Berufung auf das Verordnungsrecht nach Stf. G.B. § 145 ist nicht stichhaltigi bei diesem besteht eben etwas wie die vorausgesetzte Autonomie der Länder nicht. 7 Nach Stf. G.B. §365 ist die Überschreitung der Polizeistunde bei den Wilts hausgästen nur strafbar, wenn man sie vergeblich „zum Fortgehen aufgefordert hat". Indem der Gesetzgeber die Strafbarkeit so bedingt, zeigt er ein menschliches Verständnis für die Sachlage. R o t e r i n g , Polizeiübertret. S. 65, verlangt hier einen „bestimmten und unzweideutigen Befehl". Ein Befehl im Sinne unseres Rechtsinstituts mit seinem festen juristischen Wert ist jedenfalls nicht gemeint. 8 Die soeben erwähnte „Aufforderung zum Fortgehen" kann nicht bloß der S c h u t z m a n n (Nichtbehörde!) vornehmen, sondern mit der nämlichen Folge

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§ 2 . D e Polizeistre. Des weiteren m a c h t sich der Unterschied i m Strafverfahren merkbar.

be-

H a n d e l t es sich bloß u m eine M a h n u n g , so p r ü f t das Ge-

r i c h t frei u n d selbständig, ob das V e r h a l t e n des Beschuldigten sachlich d i e Voraussetzungen des Strafrechtssatzes e r f ü l l t u n d d a n n a u c h dessen besonderer B e d i n g t h e i t d u r c h die M a h n u n g entsprochen w o r d e n i s t . W a r es keine M a h n u n g , sondern e i n Befehl, auf dessen N i c h t b e f o l g u n g d i e Strafe gesetzt ist, so genügt es, den Ungehorsam

festzustellen.

A l l e r d i n g s v e r b i n d e t sich d a m i t a u c h noch eine N a c h p r ü f u n g Rechtsgültigkeit

der

des o b r i g k e i t l i c h e n A k t e s selbst; diese i s t aber

i h r e m Wesen nach beschränkt u n d u m f a ß t n i c h t die v o n der V e r waltungsbehörde i n n e r h a l b i h r e r Z u s t ä n d i g k e i t erledigten F r a g e n des öffentlichen Interesses u n d der Z w e c k m ä ß i g k e i t 9 . auch der S c h a n k w i r t . — Die Aufforderung zur Hilfeleistung bei Waldbrand nach Pr. Feld- u. Forstpol. Ges. § 44 Ziff. 4 kann von dem e i n f a c h e n F o r s t b e s i t z e r wirksam ergehen; R o s i n , Pol.Verord. S. 80 Note 26, will das als polizeiliche Verfügung ansehen; es handelt sich aber hier weder um Polizei noch um Verfügung. Der Fall mag nur dazu dienen, die strafrechtliche Bedeutung der Mahnung überhaupt zu erläutern. Dagegen gehört wieder ganz hierher bayr. Pol. Stf.G.B. von 1861 Art. 171 Ziff. 1: hier ist eine Strafbarkeit des Hausbesitzers wegen Feuerpolizeiübertretung bedingt durch die Mitteilung des K a m i n f e g e r s von der abzustellenden Gefährlichkeit. Um eine Μ a h η u η g in diesem Sinne kann es sich nie handeln, wo der Inhalt der polizeilichen Pflicht, auf deren Nichterfüllung die Strafe steht, durch die Aufforderung erst bestimmt werden soll. Da muß es ein B e f e h l sein und der Auffordernde eine mit Befehlsgewalt ausgestattete Zuständigkeit besitzen. Das ist der Fall bei den vorläufigen Anordnungen des b e a m t e t e n T i e r a r z t e s nach Reichs-Viehseuchenges, ν. 1. Mai 1894 § 66 Ziff. 3. Ähnlich die Anordnungen des b e a m t e t e n A r z t e s nach R.G. v. 30. Juni 1900 § 9. Das sind keine ordentlichen Polizeibehörden, abei es gibt ja auch Behörden für besondere Fälle. R.G. Stf. S. 5. Jan. 1909 ( R e g e r X X I X S. 430) nimmt mit Recht an, es sei dem Tierarzt hier, um rechtsverbindlich anordnen zu können, eine „eigene veterinärpolizeiliche Machtvollkommenheit, also eine beschränkte polizeiliche Zuständigkeit verliehen' 9 Vgl. oben § 17, I I n. 3 . R ο s i η , Pol. Verord. S. 293; O p p e n h o f f , Ressortverh. (1904) S. 322; W. J e l l i n e k , Ges., Ges.anw. S. 3 ff., S. 201 ff. Bayr. Obst.L.G. 13. Okt. 1900 ( R e g e r X X I I S. 438): „Der Strafrichter hat nur zu prüfen, ob die Verfügung der zuständigen Behörde im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften erlassen, nicht aber ob die getroffene Anordnung notwendig oder zweckmäßig ist.*' — Die Frage des strafrichterlichen Nachprüfungsrechtes ist vor allem zur Erörterung gekommen im Anschluß an Stf.G.B. § 367 Ziff. 13: „wer trotz der polizeilichen Aufforderung es unterläßt, Gebäude, welche den Einsturz drohen, auszubessern oder niederzureißen". Es wird vom Landesrecht abhängen, ob diese Aufforderung sich als Befehl gestaltet. A.L.R. I I , 17 § 10 gibt der Behörde die breite Grundlage dafür; ihre Verfügung unterliegt vor Gericht nur jener beschränkten Nachprüfung ( R o t e r i n g , Polizeiübertret. S. 90). I n Bayern wurde für die Anwendung der gleichlautenden Bestimmung des Pol. Stf. G. v. 1861 Art. 18£,

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Die Polizeigewalt.

3. Wenn das Strafgesetz seine Wirkung knüpft an den Ungehorsam gegen ein r e c h t s s a t z m ä ß i g e s V e r b o t i n Gesetz oder Verordnung, so kann gegenüber diesem Verbot eine E r l a u b n i s vorbehalten sein; die erteilte Erlaubnis verhütet dann die Strafbarkeit, weil die Voraussetzung des Strafrechtssatzes selbst, der Ungehorsam, nicht vorliegt. Das hat gar nichts Besonderes; die Erlaubnis ist nach der i n § 22 vorgetragenen Lehre zu beurteilen. Wiederum kann aber etwas wie eine obrigkeitliche Erlaubnis auch vorkommen i m Zusammenhang m i t einem Strafrechtssatz, der eine u n m i t t e l b a r e V e r p ö n u n g vorstellt; und zwar gleichfalls m i t der Wirkung, die Strafbarkeit zu verhüten. Ihrer rechtlichen Natur nach bedeuten aber solche Erlaubnisse sehr Verschiedenes. Es kann sich auch hier um eine g e w ö h n l i c h e P o l i z e i e r l a u b n i s handeln von der i n § 22 behandelten A r t . Die unmittelbare Verpönung m i t einem solchen Zusatz kann nämlich ein Verbot m i t Erlaubnisvorbehalt bedeuten. Wenn anerkanntermaßen ein solches auch zu finden ist in Formeln, wie die von der Gewerbeordnung gern gebrauchte : für die und die Tätigkeit ,,ist eine Genehmigung erforderlich", oder: dazu „bedarf man einer Erlaubnis", so wird die gleiche Auslegung Platz greifen können, wenn das Gesetz einfach sagt: wer die und die Tätigkeit vornimmt „ohne Erlaubnis", wird soundso bestraft. Diese Erlaubnis folgt dann wieder den bekannten Regeln 1 0 . Die Erlaubnis erhält aber i m Gebiete des Strafrechts noch ein weiteres Wirkungsfeld i m Zusammenhang der Idee von der entlastenden Kraft der E i n w i l l i g u n g des V e r l e t z t e n , volenti non fit injuria. Hier ist es nicht das formelle Spiel des vorbehaltenen obriggemäß der Abneigung des bayrischen Rechts gegen polizeiliche Einzelbefehle (vgl. oben § 21 Note 6), eine bloße Mahnung vorausgesetzt. Das hatte dann zur Folge, daß das Gericht nachprüfte, ob das Gebäude wirklich den Einsturz drohte, ob der Angeklagte seiner polizeilichen Pflicht durch Ausbessern oder durch Niederreißen nachzukommen hatte, gerade wie es jetzt bei Polizeistundenübertretung, trotz der Aufforderung, die Wirtschaft zu verlassen, nachprüft, ob die Stunde auch wirklich geschlagen hatte und ob das Verweilen in der Wirtschaft unbefugt war; die Aufforderung gab dieser Pflicht keine selbständige Bestimmtheit: E d e l , Pol. Stf.G.B. S. 426, 427; Ν a r , Handb. d. Distr.Verw. Behörden S. 735. ZurZeit stimmt die bayrische Auffassung mit der preußischen überein; eine rechtliche Notwendigkeit dafür dürfte von Reichs wegen nicht bestehen; anders B i n d i n g , Lehrb. d. Stf.R. I I S. 106 Note 6. 10 Stf.G.B. § 286; § 367 Ziff. 3, 8 und 11; § 369 Ziff. 1. Bad. Pol. Stf.G.B. § 41 Ziff. 3. — I n Stf. G.B. § 361 Ziff. 2 handelt es sich bei der „Erlaubnis" vielmehr um die Zurücknahme oder zeitweilige Außerkraftsetzung einer Ausweisungsverfügung, auf deren Nichtbeachtung die Strafe gesetzt ist (O.L.G., Hamburg, 27. März 1890; R e g e r , X I S. 73). Daa ist etwas anderes.

§ 2 . D e Polizeistre.

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keitlichen Aktes, der i m Einzelfall den rechtssatzmäßigen Befehl beseitigt, sondern der berufene Vertreter des Polizeigutes, zu dessen Schutze der Polizeistrafrechtssatz dienen soll, bestimmt kraft seiner Verfügungsmacht das diesem gegenüber rechtlich Zulässige. Folglich auch über die Strafbarkeit: diese ist von Haus aus dem angepaßt, insofern sie das Verhalten, welches dem Polizeigute zu nahe treten könnte, nur treffen soll, wenn es zugleich ein u n b e f u g t e s ist. Anwendungen dieses Gedankens finden sich i n der einfachsten Weise da, wo die „Privatrechtsverletzung" aus polizeilichen Rücksichten unter Strafe gestellt ist. Der Angriff auf dieses Rechtsgut ist ganz naturgemäß keine Störung der guten Ordnung, wenn der Verfügungsberechtigte zugestimmt hat, folglich auch nicht strafbar. Diese Zustimmung mag man dann als Erlaubnis bezeichnen; m i t unserer Polizeierlaubnis hat sie keine Verwandtschaft 11 . I n gleicher Weise können auch die Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung m i t einem besonderen Schutzkreis von Strafrechtssätzen umgeben werden, um zu verhüten, daß ihre Kraft und Nützlichkeit beeinträchtigt oder von Unbefugten Mißbrauch damit getrieben werde zum Nachteil der guten Ordnung des Gemeinwesens. I m Falle das i n Form unmittelbarer Verpönung geschieht, pflegt die Strafe gesetzt zu sein auf das bedenkliche Verhalten allgemein und schlechthin. Die Behörde, welche dem beteiligten Dienstzweige vorsteht, darf aber dadurch nicht gehindert sein, solche Dinge zu gestatten und sogar zu veranlassen, soweit es eben für diesen Dienstzweig selbst geschieht oder sonst ein überwiegender öffentlicher Nutzen dabei herausspringen mag. Insofern verfügt sie über den Gegenstand des Schutzes und n i m m t dadurch der Handlung, die sonst m i t Strafe bedroht ist, die dabei vorausgesetzte Eigenschaft der Unbefugtheit 1 2 . Das kann durch 11

So Stf.G.B. § 368 Ziff. 9, 10 u. 11 Pr. Feld- und Forst.Pol.Ges. § 10; bayr. Pol. Stf. G.B. Art. 93. Warum das keine „echten Polizeidelikte" sein sollen ( B i n d i n g , Stf.R. I S. 708 Note 7), ist nicht abzusehen. Aber selbstverständlich ist die Erlaubnis des Eigentümers, welche die Strafbarkeit ausschließt, keine Polizeierlaubnis, auch wenn dieser Eigentümer der Fiskus wäre. — I n Stf. G.B. § 369 Ziff. 1 (Anfertigung von Schlüsseln) steht die „obrigkeitliche Anweisung" nur an Stelle der Genehmigung des Wohnungsinhabers, juristisch gleichwertig: R o t e r i n g , Polizeiübertret. S. 107. Mit Polizeierlaubnissen, wie sie § 360 Ziff. 9 und § 369 Ziff. 1 im zweiten Teile bringen, darf das nicht zusammengeworfen werden: B i n d i n g , Stf.R. I S. 708 Note 4. 12 B i n d i n g , Stf.R. I S. 707; der einwilligende Staat ist aber hier nicht „als Inhaber des Gehorsamsrechts" beteiligt, sondern mit Werten und Zweckmäßigkeiten seiner Verwaltung. — Beispiele: Stf.G.B. § 360 Ziff. 1; § 360 Ziff. 4 u. 5; bad. Pol. Stf. G.B. § 42; bayr. Pol. Stf. G.B. § 23. Ganz besonders beweiskräftig sind die Fälle, wo der Strafrechtssatz eine Handlung schlechthin zu treffen

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Die Polizeigewalt.

eine obrigkeitliche Verfügung geschehen, einen ermächtigenden Verwaltungsakt; es kann auch statt von der Behörde von untergeordneten Bediensteten geschehen, die damit beauftragt sind. Die Wirkung ist die gleiche 13 . Eine Polizeierlaubnis i n dem zu § 22 entwickelten Begriff liegt auch i m ersteren Falle nicht vor; um das aus dem Verwaltungsakt zu machen, müßte man erst einen allgemeinen Verbotsrechtssatz hinzu erdichten, von dem er entbände; das wäre aber eine unnötige Konstruktionskünstelei; die Wahrheit der Sache ist einfacher. I I I . Die Polizeistrafe ist rechtssatzmäßige Strafe. Ihre V e r h ä n g u n g geschieht durch obrigkeitliche Anwendung des Polizeistrafrechtssatzes auf den Einzelfall. 1. Zuständig, über diese Strafe zu erkennen, sind grundsätzlich die o r d e n t l i c h e n G e r i c h t e , und zwar, der Höhe der angedrohten Strafe entsprechend, die Schöffengerichte, die i n dem durch die Strafprozeßordnung geregelten Verfahren vorgehen. Dadurch schiebt sich zwischen die Verwaltung und die Anwendung des ihren Zwecken dienenden Mittels eine selbständige Prüfung ein, die sich auch noch rückwärts auf die Rechtsgültigkeit der für den Tatbestand maßgebenden Verwaltungsanordnungen erstreckt. Vgl. oben Note 9. Die Verwaltung ist dabei nicht einflußlos. Nicht nur setzt sie durch ihre Anzeigen die Justiz i n Bewegung, sondern die auf Grund von Stf.P.O. § 453 landesrechtlich zugelassene Polizeistrafverfügung gestattet den Polizeibehörden, selbständig das Verfahren einzuleiten und mangels eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung auch zu erledigen; und überdies gestaltet sich das Zusammenarbeiten tatsächlich so, daß die Justiz ihrerseits nicht leicht in Polizeistrafsachen vorgeht, ohne daß die Polizeibehörde es w i l l 1 4 . scheint, weil sie die Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung beeinträchtigen würde, und doch die Bestrafung ausgeschlossen ist, wenn die zur Obhut Berufenen nach dem Maße der ihnen zustehenden Verfügungsmacht einen derartigen Eingriff gestattet haben. So Stf. G.B. § 366 Ziff. 9 (Aufstellung von Gegenständen auf öffentlichen Wegen, durch welche der freie Verkehr gehindert wird); dazu O l s h a u s e n , Kommentar, Note b. Keine Polizeierlaubnisse sind die Erlaubnisse in Stf. G.B. § 360 Ziff. 3 (O lsh a u s e n , Kom. Note c α; S c h l u s s e r , Bad. Pol. Stf. G.B. S. 442) und Stf. G.B. § 370 Ziff. 3 Ziff. 3 ( O l s h a u s e n , Kom. Note α). 13 Militärische Befehlshaber, die keine Polizeibehörden sind, spielen hier eine Rolle. Aber auch Marktaufseher, Schleusenwärter, Bauinspektoren. Als Aufsichtsbeamter, der im Sinne von bayr. Pol. Stf. G.B. Art. 23 die Erlaubnis zum in Verkehr treten mit dem Gefangenen erteilen kann, gilt „jeder, dem amtlich die Aufsicht über einen Gefangenen übertragen ist": R e g e r - D a m e s , PoL Stf. G.B. S. 210. 14 Daß hier eine gewisse Abschwächung des Legalitätsprinzips sich geltend

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2. Es ist eine längst beobachtete Erscheinung, daß bei der Handhabung des Polizeistraf rechts eine eigentümliche Strenge obwaltet. Nicht in der Höhe der verhängten Strafen; die pflegen ja schon den gesetzlichen Strafandrohungen gemäß auf niedrige Sätze sich zu beschränken. Aber die Schuldfrage wird hier anders behandelt, als man das im ordentlichen Strafrecht gewohnt ist, und zwar strenger: man wird in Polizeisachen leichter verurteilt als sonst. Der Eindruck ist so stark, daß sogar die Ansicht zur Geltung kommen konnte: das Polizeidelikt setze überhaupt k e i n e S c h u l d voraus, die Begriffe von Vorsatz und Fahrlässigkeit seien hier gleichgültig und alles hänge nur an dem o b j e k t i v e n T a t b e s t a n d . Das würde sagen, daß die Verursachung der Polizeiwidrigkeit genügt, um strafbar zu sein; sie muß auf den Beschuldigten zurückzuführen, aus dem Lebenskreis, für den er einsteht, hervorgegangen sein; dann trifft ihn die Strafe ohne Rücksicht auf die gute oder schlechte Beschaffenheit seines Wollens 15 . Allein die Strafe ist begriffsmäßig ein Übel, gesetzt auf ein von der Obrigkeit mißbilligtes Verhalten. Dieses Übel trifft hier wie beim ordentlichen Strafrecht den Menschen, der vor der Obrigkeit steht; er wird mißbilligt in seinem Verhalten, und diese Verbindung kann nur hergestellt werden durch die Annahme eines Verschuldens. Wenn die Polizeistrafe besonders streng ist, so bedeutet das nur, daß der Verursacher der Polizeiwidrigkeit besonders leicht dafür angesehen wird, in Verschulden zu sein, seine Schuldigkeit nicht getan zu haben. Das Maß der S o r g f a l t , welches h i e r v e r l a n g t w i r d , i s t e i n besonders hohes. Das hängt zusammen m i t der n a t ü r l i c h e n G r u n d l a g e , auf welcher alle Polizeigewalt steht: mit der vorausgesetzten allgemeinen Pflicht des Menschen im Staate, Störungen der guten Ordnung des Gemeinwesens zu vermeiden; vgl. oben § 19, I I . Diese Pflicht ist sehr anspruchsvoll, folglich leicht zu verletzen, und wenn Strafe gesetzt ist auf eine Polizeiwidrigkeit, so ist bei Vorliegen des objektiven Tatbestandes, der hätte vermieden werden sollen, eine Pflichtverletzung dessen, auf den er zurückzuführen ist, folglich ein zur Strafbarkeit macht, wird mit Recht hervorgehoben von G o l d s c h m i d t , Verw. Stf.R. S. 584 Note 147; H o f a c k e r , in Verw.Arch. X V S. 430. 16

So die französischen Juristen: Theorie d. franz. V.R. S. 184 ff. Auch deutsche Gerichtshöfe haben unzählige Male den Satz ausgesprochen: L ο ο s , in Holtzend. Stf.R.Ztg. X S. 323; aber auch noch O.L.G. München 2. Mai 1896 ( R e g e r X V I I I S. 65). Vgl. über diesen Punkt H a e l s c h n e r , Stf.R. I S. 309 Anm. 1 ; Β i η d i n g , Normen I I S. 215; W e i n g a r t , in Ger.Ztg. f. Sachsen 1879 S. 161.

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Die Polizeigewalt.

genügendes Verschulden verhältnismäßig sehr leicht gegeben. Daraus fließen alle Einzelheiten von selbst. Man hat m i t Recht hervorgehoben, daß für das ordentliche Strafrecht die Bestrafung der F a h r l ä s s i g k e i t die Ausnahme bildet, für das Polizeistraf recht aber keineswegs 16 . I m Gegenteil: hier ist die Regel, daß Fahrlässigkeit genügt. Das Strafgesetz kann natürlich auch Vorsatz, Wissentlichkeit geradezu verlangen; dann ist aber sehr die Frage, ob es sich noch um ein Polizeidelikt handelt 1 7 . Andererseits scheint bei zweifellosen Polizeidelikten manchmal der Tatbestand, wie er bezeichnet ist, von selbst nur auf v o r s ä t z l i c h e s Handeln gemünzt; dann wird man sehr vorsichtig sein müssen, bevor man schlechthin verneint, daß nicht auch einmal Fahrlässigkeit zutreffen und genügen mag, wenn sonst der äußere Tatbestand, der vermieden werden sollte, erfüllt i s t 1 8 . Dadurch ergibt sich auch die V i e l s e i t i g k e i t der K r a f t a n s t r e n g u n g , die dem Verpflichteten zugemutet wird, um straflos zu bleiben. Es genügt nicht, daß er unmittelbar bei Vornahme des Geschäftes sich redlich Mühe gibt, die Störung nicht zu bieten; er muß sich auch gehörig v o r b e r e i t e t u n d a u s g e r ü s t e t haben, damit i h m das gelinge 19 . Er muß auch alle Vorsichtsmaßregeln treffen, u m dem Spiel des Z u f a l l e s entgegenzutreten, der Einwirkung von Naturkräften wie der Launen seiner Haustiere und Mitmenschen, wodurch seine Sorgfalt vereitelt werden könnte 2 0 . 18

F r a n k , Stf.G.B. zu Abschn. 29, I I ; R o t e r i n g , Polizeiübertret. S. 2 0 ; S t e n g l e i n , StrafrechtL Nebenges., zu Ges. v. 25. Juni 1887 § 5 Note 4. 17 Die kleinen „wissentlichen" Fälschungsdelikte, Stf.G.B. § 363 u. § 364, die R ο t e r i η g , a. a. O. S. 22, besonders erwähnt, sind sicherlich keine P o l i z e i übertretungen. 18 Grober Unfug nach Stf. G.B. § 360 Ziff. 11 kann in harmlosester Fahrlässigkeit berübt werden, und auch des § 366 Ziff. 6 (Hetzen von Hunden auf Menschen) sollte man für das unbedingte Erfordernis des Vorsatzes nicht so sicher sein ( O l s h a u s e n , Stf.G.B. zu § 366 Ziff. 6 Note a; R o t e r i n g , Polizeiübertret. S. 73): wer seinen Dachshund abgerichtet hat, daß er auf eine bestimmte Armbewegung einen Menschen anfällt, kann ihn sehr wohl aus Versehen „hetzen' 19 Der junge Mann, der Stf. G.B. § 366 Ziff. 2 zuwider Sonntags „übermäßig schnell reitet", pflegt sein Möglichstes zu tun, um das zu vermeiden; strafbar ist es, weil er ohne genügende Vorbildung das Pferd bestieg. 20 Manchmal klingt das recht hart. So O.L.G. München 2. März 1895 ( R e g e r X V I I S. 195): der Hund hat in Abwesenheit seines Herrn übermäßig gebellt; O.L.G. Dresden 16. März 1908 ( F i s c h e r s Ztschft. X X I X S. 178): ein eifriger Tänzer war nachher, von Müdigkeit überwältigt, auf einer Bank in den Anlagen verbotswidrig eingeschlafen.

§ 2 . D e Polizeistre.

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Er darf sich nicht auf seine L e u t e verlassen, deren er sich zur Erfüllung seiner Pflicht bedient, sondern bleibt haftbar, wenn durch deren Schuld etwas versäumt w i r d 2 1 . Vor allem spielt hier der I r r t u m eine ganz andere Rolle wie i m ordentlichen Strafrecht : er deckt nicht, sondern er ist es gerade, den der Polizeipflichtige durch seine Sorgfalt vermeiden soll; der ist zum Hüter der guten Ordnung, der öffentlichen Gesundheit, der öffentlichen Sicherheit bestellt gegenüber seinen eigenen Unternehmungen und muß i n der vom Strafgesetz bezeichneten Richtung das Auge offen halten, damit aus diesen nichts hervorgehe, was jenen zuwider sei22. Es gibt natürlich doch eine Grenze dessen, was auch von einem ganz polizeimäßigen Bürger verlangt wird; sie wird durch die allgemeinen Anschauungen bestimmt, durch die Sitte und den gesunden Menschenverstand. Wenn der Mann bloß durch Überschreitung dieser Grenze den polizeilichen Mißerfolg verhindern konnte, bleibt er frei 2 3 — zum Zeichen, daß schließlich doch auch die Polizeistrafe ein Verschulden voraussetzt und jene Lehre falsch ist, welche den objektiven Tatbestand hier genügen lassen möchte. 3. A n der Herbeiführung einer Polizeiwidrigkeit können mehrere n e b e n e i n a n d e r selbständig beteiligt sein, so daß der Polizeistrafxechtssatz sie nebeneinander t r i f f t 2 4 . Wo die verletzbare polizeiliche Pflicht nur bei dem allein bestimmenden Unternehmer entsteht, trifft die auf die verletzte Pflicht gesetzte Strafe nur diesen, nicht auch seine Leute, deren er sich i n seinem Unternehmen bedient und durch welche seine Pflicht zur Erfüllung kommen sollte. Das Strafgesetz kann aber weiter ausgreifen und auch die Gehilfen und Ausführenden mittreffen, als verantwort21

R.G. 16. Febr. 1898 (Entsch. X L I S. 211). Der Milchmann, der abgerahmte „Vollmilch" verkauft, kann sich nicht auf seinen Bauern hinausreden. Vgl. O.Tr. 16. Juli 1875 ( O p p e n h o f f , Stfpr. I X S. 458); Mot. ζ . Nahrungsmitteiges. S. 73. Auch die Berufung auf falsche amtliche Auskünfte sollte nicht helfen: dem Rechtsstaat entspricht die eigne Verantwortlichkeit des Bürgers für sein Verständins des Gesetzes. Hierüber Meinungsverschiedenheit: O.L.G. München 15. Juni 1888 (Samml. V S. 116); L o o s , in Stf.R. Ztg. X S. 327; B i n d i n g , Stf.R. I S. 708 Note 2. 23 Pr. Kam.G. 6. April 1905 (D.J.Z. X S. 706); R.G. 3. Mai 1906 (Entsch. Stf.R. X X X I X S. 2). 24 Bayr. Obst. L.G. 9. März 1901 ( R e g e r X X I I I S. 310) erkennt eine Mittäterschaft in folgender Gestalt: „Nicht bloß derjenige stellt einen Gegenstand auf (Stf. G.B. § 366 Ziff. 9), welcher die hierzu erforderliche Handlung selbst vornimmt, sondern auch derjenige, welcher den Platz zur Aufstellung anweist oder das Aufstellen auf diesem Platze veranlaßt". 22

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Die Polizeigewalt.

lieh für die von ihnen n i c h t v e r h ü t e t e Polizeiwidrigkeit, möglicherweise so, daß es den Unternehmer selbst dafür entlastet 2 5 . Dadurch trennt sich das Subjekt, an welchem die polizeiliche Pflicht i n erster Linie entsteht und obrigkeitlich bestimmt wird, von dem, an welchem sie durch die Strafe eingeschärft wird. Diese Erscheinung t r i t t besonders scharf hervor bei der polizeirechtlichen Behandlung der j u r i s t i s c h e n Personen. Der Grundsatz, daß die juristische Person, weil eines Verschuldens unfähig, der öffentlichen Strafe nicht zugänglich ist, gilt auch für das Polizeistrafrecht. Die juristische Person wird i n weitem Maße auf wirtschaftlichem Gebiete wirksam als Besitzerin, Gewerbetreibende, Unternehmerin neben Einzelmenschen oder gesellschaftlich verbundenen Menschen und das unter den gleichen Rechtsbedingungen wie diese. Insbesondere gelten auch für sie die für Unternehmen dieser A r t ergehenden allgemeinen Polizeivorschriften, und können dementsprechend auch ihr polizeiliche Einzelbefehle und Polizeierlaubnisse erteilt werden. Sowie aber nun wegen Nichtbeachtung der so bestimmten Verpflichtungen eine Bestrafung Platz greifen müßte, hört die Gleichstellung auf. Das wichtige polizeiliche Machtmittel müßte also hier unter Umständen ganz entfallen, wenn nicht immer Menschen gegeben sind, die für die Erfüllung der der juristischen Person obliegenden polizeilichen Pflichten die strafrechtliche Verantwortlichkeit zu tragen haben. Das Gesetz kann solche ausdrücklich bestimmen. Auch ohne das hilft sich die Rechtsübung, indem sie sich an den v e r f a s s u n g s m ä ß i g e n V e r t r e t e r hält. Die Grundlage dafür gibt die polizeiliche Verantwortlichkeit, die jeden trifft, der an der Hervorbringung der Polizeiwidrigkeit selbständig beteiligt ist (vgl. oben § 20, I I I n. 1). Das ist der verfassungsmäßige Vertreter neben der juristischen Person; da aber diese strafrechtlich nicht verantwortlich ist, so bleibt er i n dieser Beziehung allein: wie die juristische Person zivilrechtlich für ihn haftet, so haftet wieder er polizeistrafrechtlich für sie. Natürlich nur, wenn ein Verschulden auf seiner Seite vorliegt. Das Verschulden wird aber wieder darin gefunden, daß er nicht das Menschenmögliche getan hat, um die seiner juristischen Person obliegende polizeiliche Verpflichtung zur Erfüllung zu bringen, als wäre es seine eigene 26 . 25

Stf.G.B. § 367 Ziff. 15 (Bauherr, Baumeister oder Bauhandwerker); aber Gew.Ord. § 151 (Vorschriften für den Unternehmer vom Betriebsleiter übertreten, ersterer nur beschränkt haftbar). 26 L a n d m a n n , Gew.O. zu § 151 Note 2 a möchte die Bestimmung des § 151 Satz 1 auch auf d i e g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r der Aktiengesellschaft anwenden und dadurch unsere obige Regel erklären; allein das sind keine „An-

§ 24. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

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§ 24.

Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung. Unter Polizeizwang verstehen wir die A n w e n d u n g ä u ß e r l i c h e r M a c h t m i t t e l gegen d e n E i n z e l n e n z u r H e r s t e l l u n g des seiner p o l i z e i l i c h e n P f l i c h t e n t s p r e c h e n d e n t a t s ä c h l i c h e n Z u s t a n d e s . Solche Machtmittel besitzt die öffentliche Gewalt von Haus aus unbegrenzt; die Ordnungen des Verfassungs- und Rechtsstaates geben ihnen Maß und Form. Unter Umständen werden diese Machtmittel geraden Weges losgelassen gegen die Polizeiwidrigkeit, sowie sie auftaucht. Das gibt die Fälle des u n m i t t e l b a r e n Zwanges, wovon i n § 25 die Rede sein wird. Daneben findet sich, dem Grundgedanken des Rechtsstaates deutlicher entsprechend, eine p o l i z e i l i c h e Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g . Hier erscheint der Zwang erst nach einem Versuch, die Herstellung des polizeimäßigen Zustandes durch den Verpflichteten selbst herbeizuführen: die polizeiliche Zwangsvollstreckung ist das g e o r d n e t e V e r f a h r e n z u r D u r c h s e t z u n g eines n i c h t b e f o l g t e n P o l i z e i befehls. Und zwar ist das notwendig eine Verfügung, ein E i n z e l befehl. Denn die polizeiliche Zwangsvollstreckung ist der zivilprozeßrechtlichen nachgebildet, und der Polizeibefehl vertritt für sie die Stelle des zu vollstreckenden Urteils 1 . gestellten zur Betriebsleitung und Beaufsichtigung" im Sinne dieser Bestimmung; auch darf man doch die Anwendbarkeit des Satzes 2 nicht so einfach wegfallen machen. Richtig R.G. 3. Mai 1900 ( R e g e r X X S. 423): „Wird ein Gewerbe von einer juristischen Person betrieben, so gehen die durch § 151 Abs. 1 Gew.O. mit dem Gewerbebetrieb und seiner Ausübung verknüpften, dem Gewerbetreibenden auferlegten gewerblichen Verpflichtungen v o n s e l b s t auf den Vertreter der juristischen Person über." „Von selbst" will sagen „schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen" und gemäß der im B.G.B. § 26 anerkannten „unbedingten Notwendigkeit eines gesetzlichen Vertreters". Ähnlich für die Baupolizeistrafe O.V.G. I I . Mai 1909 (Entsch. L I V S. 454): Der Eisenbahnfiskus als Bauherr des Eisenbahndienstgebäudes unterliegt den Vorschriften der örtlichen Baupolizeiverordnung, wonach Anzeige zu erstatten ist vor der Vollendung des Rohbaues; diese ist versäumt worden, der Vorstand der Eisenbahnbetriebsinspektion als Vertreter des Eisenbahnfiskus ist strafbar. — I n dem Falle bayr. Obst. L.G. 25. Juni 1903 ( R e g e r X X I V S. 436) würde der Bürgermeister, wenn es sich wirklich um eine polizeiliche Pflicht der Gemeinde handelte, durch den Beschluß des Gemeinderates, diese nicht zu erfüllen, wohl nicht gedeckt gewesen sein. 1

I n dieser Weise unterscheidet schon F o e r s t e m a n n , Pol. R. S. 293. Ausführlicher jetzt L. M a y e r , in Arch. d. öff. R. X X X I I S. 154 ff. Der Ausdruck „unmittelbarer Zwang", der den Gegensatz sehr klar bezeichnet, wird leider vielfach verwendet für „Gewaltanwendung"; vgl. unten Note 28.

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Die Polizeigewalt.

Die M i t t e l der Zwangsvollstreckung sind i m wesentlichen die der Zivilprozeßordnung für Erzwingung von Handlungen und Unterlassungen: Ungehorsamsstrafen, Vornahme der schuldigen Handlung auf Kosten des Schuldners und einfache Gewaltanwendung 2 . Bei solcher wesentlicher Übereinstimmung m i t dem Zwangsvollstreckungsverfahren des Zivilprozesses darf der große Gegensatz nicht übersehen werden, welchen die Versetzung des ganzen Vorganges auf den Boden der Verwaltung mit sich bringt. Die Polizeibehörde, die ihre Sache hier durchsetzen will, ist nicht i n der Stellung einer Partei, welche das Gericht und seine Vollstreckungsbeamten um Hilfe angeht. Sondern, wie sie den Vollstreckungstitel selber schafft i n ihrem Befehl, so leitet sie auch selbst i n obrigkeitlicher Weise das Vollstreckungsverfahren. Sie ist für sich allein, was dort Partei und Gericht zusammen sind. Wiederum ist es der m i t öffentlicher Gewalt seine Geschäfte besorgende, der h a n d e l n d e S t a a t , den wir vor uns haben. Daraus ergibt sich von vornherein eine ganz eigentümliche Stellung zu der Frage der zulässigen Zwangsmittel. Der Staat, vertreten durch die Polizeibehörde, kann von vornherein dem Untertanen gegenüber rechtlich a l l e s , soweit nicht wegen eines Eingriffes i n Freiheit und Eigentum eine g e s e t z l i c h e G r u n d l a g e notwendig wird. E i n solcher grundlagebedürftiger Eingriff liegt nicht vor, soweit es sich um die einfache g e r a d l i n i g e D u r c h s e t z u n g des Befehles handelt. Dieser hat ja seinerseits als Eingriff i n die Freiheit einer gesetzlichen Grundlage bedurft; was jetzt weiter geschieht dem Gehorsamspflichtigen gegenüber i m Sinne des Befohlenen, ist dadurch gedeckt. Eine besondere gesetzliche Grundlage wird erst dann wieder notwendig sein, wenn dem Pflichtigen zwecks Durchsetzung des Befehls m e h r und anderes auferlegt werden soll, als in diesem schon an Freiheitsbeschränkung enthalten ist. Die Grenzlinie zwischen dem Selbstverständlichen und dem eines ausdrücklichen Rechtstitels Bedürftigen für die Polizeigewalt wohl zu bestimmen, ist eine der Hauptaufgaben der Lehre von der polizeilichen Zwangsvollstreckung 3 . I. Die Ungehorsamsstrafe ist ein dem U n t e r t a n e n aufzulegendes Ü b e l , das der B e h ö r d e z u r V e r f ü g u n g s t e h t z u m 2

Z.Pr.O. § 883 ff. — Pr. L.V.G. § 132; bayr. Pol. Stf.G.B. Art. 20 u. 21; sächs. Α.-Ges. v. 28. Jan. 1835; württ. Ges. v. 12. Aug. 1879 Art. 2; bad.Pol. Stf. G.B. 30, 31; hess. Ges. v. 12. Juni 1874 Art. 80. 3 A n s c h ü t z , i n Verw.Arch. I S. 389 ff. — G η e i s t , in Holtzend. Rechtsl. I I I , 2 S. 1106 ff., hat zu wenig acht auf die Umgestaltung aller juristischen VorAussetzungen, welche der Rechts- und Verfassungsstaat mit sich gebraoht hat.

§ 24. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

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Z w e c k e der E r z w i n g u n g des Gehorsams gegen einen v o n i h r erlassenen E i n z e l b e f e h l 4 . Es liegt darin ein doppeltes: Einmal handelt es sich um eine wirkliche S t r a f e , ein obrigkeitlich aufzulegendes Übel wegen mißbilligten Verhaltens. Was mißbilligt wird, ist ein rein Äußerliches: wenn die Obrigkeit sich kraft ihrer Amtsgewalt m i t einem besonderen Befehl an den Einzelnen persönlich gewandt hat, so darf sie von ihm nicht unbefriedigt stehen gelassen werden. Sonst m u ß sie nicht gerade m i t einem Übel antworten; aber wenn sie es t u t , so hat es die allgemeine Natur einer Strafe 5 . Zum anderen aber handelt es sich dabei um ein Z w a n g s m i t t e l : das zuzufügende Übel, das sich durch seinen äußerlichen Zusammenhang mit einem mißbilligten Verhalten des Getroffenen als Strafe darstellt, ist bestimmt, einen Druck auf diesen zu üben, um die Erfüllung der Gehorsamspflicht herbeizuführen. Dieser Zweck ist der beherrschende Gedanke bei dem ganzen Rechtsinstitut; er bestimmt alle Einzelheiten der Zwangsstrafe und scheidet sie von allen anderen Strafen. Insbesondere ist sie keine Strafe im Sinne des Reichsstrafgesetzbuches6. Die Mißbilligung, die in der Ungehorsamsstrafe steckt, wie der tatsächliche Erfolg, auf den sie zielt, sind nicht bedingt durch eine bestimmte A r t des sachlichen Inhalts des Befehls, an den sie sich knüpft. Sie findet sich auf allen Gebieten behördlicher Tätigkeit, um die A m t s g e w a l t m i t dem nötigen Nachdruck auszustatten. Der Fall, wo der Befehl seinem Inhalte nach sich als Polizeibefehl erweist, ist nur der wichtigste; was wir für ihn hier ausführen, hat aber allgemeinere Bedeutung. 4

Andere Namen: Exekutivstrafe, Zwangsstrafe, Ordnungsstrafe, Beugestrafe. I n der Reichstagskommission wurde die entsprechende Bestimmung der Z.P.O. auf eine „Rechtsverletzung" und auf „Böswilligkeit" zugespitzt ( H a h n , Mat. I S. 861); für den Strafgedanken genügt schon weniger. 6 A n s c h ü t z , in Verw.Arch. I S. 455; H o f a c k e r , in Verw.Arch. X I V S. 447 ff. Gemeint ist unser obiger Satz auch in den etwas seltsamen Wendungen: Die „Strafe" hat hier „keinen strafrechtlichen Charakter" (Mot. B.G.B. I V S. 1064); „trägt niemals einen Strafcharakter" (P r e g e r , in Arch. f. öff. R. V I I I S. 422); „stellt keine Strafe im Rechtssinne dar" (F1 e i η e r , Instit. S. 210). Die notwendige Folgerung ist, daß die allgemeinen Bestimmungen des Stf.G.B. auf die Ungehorsamsstrafe (im Gegensatze zur Polizeistrafe) keine Anwendung finden. — Die Zwangsstrafe des württembergischen Rechtes nimmt eine Ausnahmestellung -ein, insofern sie der des ordentlichen Strafrechts sich nähert: S c h i c k e r , Württ. Pol. Stf.R., zu Pol. Stf.G.B. Art. 1 Note 3 u. zu Ges. v. 12. Aug. 1879 Art. 3 Note 1. 6

B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 3. Aufl.

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Die Polizeigewalt.

1. Die Ungehorsamsstrafe bedarf einer eigenen g e s e t z l i c h e n G r u n d l a g e . Sie teilt nicht einfach die, auf welcher der Befehl steht. Denn wenn sie auch dem Befehl und seiner Durchführung dient, so t u t sie das doch in der Weise, daß sie eine Last auflegt, die nicht i m Befehl selbst schon begriffen ist. Dieses andere, womit sie zum Gehorsam gegen den Befehl drängen will, ist ein neuer, durch den Ungehorsam nur veranlaßter, aber nicht von selbst zulässiger Eingriff in Freiheit und Eigentum, der nach den Grundsätzen des Verfassungsstaates nur vermöge einer gesetzlichen Ermächtigung geschehen darf. Unter dem Einfluß des Althergebrachten hat die Gesetzgebung des Verfassungsstaates die behördliche Amtsgewalt i n sehr umfassender Weise m i t diesem Machtmittel, das zugleich eine A r t Ehrensache zu sein schien, ausgestattet. Wo ausnahmsweise ein solcher gesetzlicher Titel fehlt, muß die Zwangsstrafe unterbleiben, und wo das Gesetz sie nur in beschränkter Weise zuläßt, hat es auch dabei sein Bewenden 7 . Das Gesetz bestimmt die Strafen der A r t nach, meist als Geldstrafen, unter Festsetzung eines H ö c h s t b e t r a g e s . Der Zusammenhang m i t dem zu schützenden Ansehen der Amtsgewalt erweist sich auch hier, insofern als die Höhe der zulässigen Strafen verschieden bemessen wird, je nach dem Range, welchen die befehlende und strafdrohende Behörde in der Stufenfolge der Behördenordnung einnimmt: die untere Behörde verfügt über ein geringeres Strafmaß zur Stütze ihrer Amtsgewalt als die obere 8 . 2. Da die Zwangsstrafe bestimmt ist, als Mittel zu dienen zur Brechung des Ungehorsams gegen den obrigkeitlichen Befehl, so ist sie zu diesem Zwecke der Behörde z u r V e r f ü g u n g g e s t e l l t . Damit t r i t t sie in scharfen Gegensatz zur Polizeistrafe. 7

Bayr. Pol. Stf.G.B. Art. 21 läßt die Ungehorsamsstrafe nur zu für Befehle zum Vollzug von Gesetzen, deren Übertretung nicht schon mit rechtssatzmäßiger Strafe bedroht ist. Die pfälzischen Abgeordneten hatten sie auch in diesem beschränkten Umfange bekämpft ( R i s c h b e i D o l m a n n , Gesetzgebung I I I , I I I S. 146); ähnlich der rheinländische Abgeordnete R e i c h e n s p e r c h e r gegen Z.Pr.O. § 888 'in der Reichstagskommission ( H a h n , Mat. I I S. 860). Aus dem französischen Rechte ist nämlich seit der Revolution die Ungehorsamsstrafe verschwunden; c. pén. Art. 471 § 15, den L o e n i n g , Verw.R. S. 252, unter den Gesetzen über Exekutivstrafe aufführt, enthält vielmehr eine unzweifelhafte Polizeistrafe. I n Elsaß-Lothringen war es im wesentlichen dabei verblieben. Man kann auch ohne diese Verherrlichung der Amtsgewalt ganz kräftig verwalten. 8 Vgl. die Rangskala in L.V.G. § 132 Ziff. 2:5 M., 60 M., 150 M., 300 M . — Grafenbann und Königsbann! — Ohne Abstufung und Grenze sächs. Α.-Gesetz v. 28. Jan. 1835 § 2: „Den Verwaltungsbehörden bleibt das Recht, in einzelnen Fällen sachgemäße Strafen anzudrohen und zu vollstrecken."

§ 24. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

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Sie ist nicht rechtssatzmäßig ein für allemal a n g e d r o h t auf den Ungehorsam gegen obrigkeitliche Befehle. Die Behörde hat selbst zu ermessen, ob sie im Einzelfalle ihren Befehl ausrüsten will mit diesem Zwangsmittel. Dann droht sie durch Verwaltungsakt die Strafe an für den Fall des Ungehorsams 9 . Sie kann diesen sofort m i t dem Befehle verbinden. Sie kann ihn auch in einer selbständigen Willenserklärung unter Hinweis auf den Befehl, vielleicht unter ausdrücklicher Wiederholung, ergehen lassen. Immer ist diese Verfügung kundzugeben nach den Regeln, die auch für die Kundgabe des Befehles gelten. Doch finden sich gerade hier noch am ersten die sonst so selten bestehenden Formvorschriften; namentlich schriftliche Behändigung wird gern gesetzlich vorgesehen. Die kundgegebene Androhung begründet für den Betroffenen den rechtlichen Zustand einer b e d i n g t e n S t r a f b a r k e i t ; die Bedingung ist beim Verbote das Zuwiderhandeln schlechthin, beim Gebote das Nichtbefolgen innerhalb einer bestimmten Frist, die entweder eine natürlich gegebene oder besonders gesteckte ist. M i t dem E i n t r i t t der Bedingung in der einen oder anderen Gestalt wird die bedingte Strafbarkeit frei; die Behörde ist befugt, die Strafe a u s z u s p r e c h e n . Allein die Natur dieser Strafe als eines Zwangsmittels macht sich nun auch bei ihrer Verhängung geltend, in doppelter Weise. Einmal steht auch diese Verhängung z u r V e r f ü g u n g der B e h ö r d e . Die Strafe wird nicht verwirkt durch den Ungehorsam, wie die Polizeistrafe und die des ordentlichen Strafrechts, derart, daß die Behörde nach den Grundsätzen der Vollziehung gebunden wäre, auszusprechen, was nun gemäß der geschehenen Androhung Rechtens ist. Es steht vielmehr in ihrem freien Ermessen, ob sie es für zweckmäßig hält, m i t diesem Zwangsmittel weiter vorzugehen. Meist wird sie die Folgerung ziehen, daß sie die Strafe verhängt, und zwar auch gleich i n dem einmal angedrohten Maße. Sie kann aber auch anderer Meinung geworden sein, sei es, daß sie auf die Durchsetzung ihres Befehles überhaupt kein solches Gewicht mehr legt, sei es, daß sich andere Wege besser empfehlen, um das Ziel zu erreichen; dann wird sie von dem Strafausspruch ganz absehen. Sie kann auch glauben, schon mit einem geringeren Drucke zum Ziele zu kommen; dann mag sie eine • Abweichend württ. Ges. vom 12. Aug. 1879 Art. 2, wo rechtssatzmäßig Strafe gesetzt wird auf Ungehorsam gegen behördliche Einzelbefehle. Auch hier pflegt man bei Eröffnung des Befehles „die eventuell eintretende Bestrafung anzudrohen" ( S c h i c k e r , Pol. Stf.R. zu Art. 2 Note 5); das hat aber rechtlich nur die Bedeutung einer Warnung.

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geringere als die angedrohte Strafe verfügen und das Weitere sich aufsparen 10 . Ferner aber: auch nach erfüllter Bedingung, also trotz des an den Tag getretenen Ungehorsams kann eine Strafe nicht mehr verhängt werden, wenn, bevor das geschieht, i h r Z w e c k als Z w a n g s m i t t e l e n t f ä l l t . Die schuldige Leistung ist vielleicht nachträglich doch noch gemacht worden, nachdem die Frist verstrichen und nach den Grundsätzen des reinen Strafrechts die Strafe verwirkt gewesen wäre. Dem steht es gleich, wenn die Erfüllung der befohlenen Pflicht inzwischen ganz unmöglich geworden ist. Da „ i s t nichts mehr zu erzwingen* 4, und m i t ihrem Zweck verliert die Zweckstrafe ihr Recht; die Verhängung hat zu unterbleiben 11 . Die einmal a u s g e s p r o c h e n e S t r a f e schafft ein neues Rechtsverhältnis des Verurteilten, aus welchem das Weitere von selbst sich ergibt. Die Androhung und die Erfüllung ihrer Bedingung bedeuteten für die Behörde nur eine eröffnete Möglichkeit, von der sie keinen Gebrauch machen darf, wenn es dem Zweck nicht mehr entspricht. Jetzt handelt es sich um einen Vollziehung fordernden Verwaltungsakt. Er kann zurückgenommen werden durch die Behörde, die ihn erließ, oder durch ihre Vorgesetzte deshalb, weil er nicht hätte erlassen werden sollen nach seinen eigenen Rechtsgründen. Aber der nachträgliche Wegfall des polizeilichen Zweckes setzt ihn nicht von selbst außer Vollzug, noch rechtfertigt er die Zurücknahme; Erlaß der gehörig erkannten Strafe ist dem B e g n a d i g u n g s r e c h t vorbehalten 12 . 10 Nach hess. Ges. v. 12. Juni 1874 Art. 80 hat die Behörde die von ihr angedrohte Strafe nachher nicht selbst zu verhängen, sondern bei dem ordentlichen Gericht darauf anzutragen; dieses wird dann eine Nachprüfung der Rechtsgültigkeit des Befahles vorzunehmen haben, im übrigen aber die Schuldfrage nach den der Ungehorsamsstrafe eigentümlichen Grundsätzen behandeln; vgl. unten Note 15. 11

O.V.G. 31. Jan. 1877 (Entsch I I , S. 382); 9. Juni 1877 (Entsch. I I S. 414); bad. V.G.H. 23. Jan. 1900 ( R e g e r , Erg.Bd. I I S. 170). Anders auch hier wieder Württemberg: S c h i c k e r , Württ. Pol. Stf.R., zu Ges. v. 12. Aug. 1879 Art. 2 Note 2. 12 F r i e d r i c h s , in Pr. Verw.Bl. X X X I S. 405; vgl. unten § 31, I V n. 3; I s a a k , in Ztschft. f. d. ges. Stf.R.Wiss. X X I S. 686, fügt sich widerstrebend dem für uns selbstverständlichen Grundsatz: „Keine Verurteilung ohne Vollstreckung." F l e i n e r , Instit. S. 210, 211, will im Gegenteil auch die schon erkannte Ungehorsamsstrafe nicht mehr beitreiben lassen, wenn der Ungehorsame inzwischen nachgibt; allein im Falle bad. V.G.H. 23. Jan. 1900, auf den er, Note 23, sich beruft, handelte es sich nicht darum, die erkannte Geldstrafe nach erreichtem Zwecke noch beizutreiben, sondern darum, sie jetzt erst noch a u s z u s p r e c h e n ; dieses ist allerdings nicht zulässig (vgl. oben Note 11), ist aber auch etwas anderes.

§ 24. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

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Aber damit ist die Sache noch nicht erledigt. Wenn die Zuwiderhandlung gegen das Verbot f o r t d a u e r t , dem Gebote immer noch nicht genügt wird, steht die Strafe nach ihrer Natur als Zwangsmittel der Behörde noch weiter zur Verfügung. Daß der Tatbestand, gegen welchen sie sich wendet, einfach der gleiche ist, der nur fortdauert, hindert nicht; der Satz ne bis in idem gilt für sie nicht. Die Strafe kann v o n n e u e m angedroht werden für den nämlichen Befehl und wegen des nämlichen Ungehorsamsfalles, weshalb der Strafausspruch soeben erfolgt ist. Die neue Androhung geschieht gleichzeitig m i t der Verhängung der verwirkten Strafe oder nachher. Es ist dem Zwecke widersprechend und deshalb unzulässig, mehrmalige Androhungen zusammenzusparen und schließlich m i t einem Male die Strafen daraus zu verhängen. Denn die Kundgabe der verwirkten Strafe soll jedesmal die Kraft der neuen Androhung verstärken; die Verhängung ist, wie erwähnt, selbst als ein Mittel zur Brechung des Ungehorsams gedacht und muß als solches gebraucht werden 13 . Die Wiederholung der Strafandrohung und Strafverhängung kann so lange fortgesetzt werden, bis der Zweck erledigt oder aber die Grenze des der Behörde im ganzen zur Verfügung stehenden Strafmaßes erreicht ist. I n dieser Beziehung kommt es darauf an, wie das Gesetz die zulässige Grenze bestimmt hat: sie kann für die einzelne Strafandrohung gemeint sein, dann ist die Wiederholung unbeschränkt; sie kann aber auch einen höchsten Gesamtbetrag aller für den einzelnen Ungehorsamsfall zulässigen Strafen bedeuten, dann muß die Behörde sich danach einrichten und wird regelmäßig nicht gleich das erstemal an die äußerste Grenze gehen, um sich die Möglichkeit eines weiteren Druckes offenzuhalten 14 . Τ h ο m a , Polizeibefehl S. 93 Note 93, möchte den Beamten die ausgesprochene Strafe schon zurücknehmen lassen, wenn ihn „seine Strenge reut". Ich würde das für einen unzulässigen Gnadenakt ansehen. — H o f a c k e r , in Verw.Arch. X I V S. 451, 452, stellt die Vollstreckung der ausgesprochenen Strafe grundsätzlich in das Ermessen der Behörde; nur bei der einmal erkannten G e l d s t r a f e wäre ein unentziehbares „öffentliches Forderungsrecht erzeugt". Dieser letztere Gesichtspunkt war auch hier in der 1. Aufl. betont worden. Allein der Fiskus und die etwa sonst zum Genuß der Geldstrafe berufenen Korporationen müssen nehmen, was bei dem Polizeiverfahren übrig bleibt ( Η ο f a c k e r , a. a. 0. S. 454; Τ e ζ η e r, Österr. Adm.Verf. S. 406 Note 1). Der wahre Grund der Nichtzurücknehmbarkeit ist allgemeinerer Natur und trifft bei jeder Strafart zu. 18 O.V.G. 10. Juni 1880 (Entsch. V I I S. 341); 11. Dez. 1880 (Entsch. V I I S. 388). 14 I m Gegensatz zu Z.P.O. § 888 begrenzen die Gesetze über die Verwaltungszwangsstrafen meist keinen „Gesamtbetrag". Für Baden wurde die Maßbestimmung Pol. Stf. G.B. § 31 im Sinne eines solchen ausgelegt von J ο 11 y , in seinem

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3. Die Verhängung der Zwangsstrafe setzt k e i n V e r s c h u l d e n i m Sinne des gemeinen Strafrechts voraus. I h r Grund ist die N i c h t e r f ü l l u n g der G e h o r s a m s p f l i c h t und das dadurch gegebene Ärgernis. Die Frage, wie weit der Pflichtige dafür verantwortlich gemacht werden kann, bemißt sich nach denselben Grundsätzen, wie sie auch für z i v i l r e c h t l i c h e L e i s t u n g s p f l i c h t e n gelten. Er wird nur frei, wenn es nicht an ihm lag, daß die Erfüllung unterblieb 1 5 . Daraus folgt, daß grundsätzlich einer solchen Zwangsstrafe jeder unterliegen kann, der auch verpflichtbar ist durch einen Polizeibefehl. Denn die Nichterfüllung der durch diesen erzeugten Gehorsamspflicht führt durch Vermittlung der vorgängigen Androhung von selbst zu dieser Strafe, sofern nicht der besondere Entlastungsbeweis geführt wird. Auch Handlungsunfähige können durch solche Polizeibefehle verpflichtet werden, die gehörige Kundgabe zuhanden ihrer gesetzlichen Vertreter vorausgesetzt. Ist die Nichterfüllung der polizeilichen Pflicht durch Schuld ihrer Vertreter geschehen, so sind. sie dadurch nicht entlastet. Der Vertreter wird ihnen natürlich haftbar werden, und das genügt, auch ihn anzutreiben, daß er das Seinige tue, um dem Befehle Gehorsam zu verschaffen 16 . Kommentar S. 93; diese Ansicht ist übernommen worden von B i n g n e r und E i s e n l o h r , Bad. Stf.R. S. 194, und jetzt wieder von S c h l u s s e r , Pol. Stf. G.B., zu § 31 S. 94; T h o m a , Polizeibefehl S. 93 Note 16, widerspricht ihr. 15

B.G.B. § 275. I s a a k , in Ztschft. f. d. ges. Stf.R.W. X X I S. 652; Η ο f a c k e r , in Verw.Arch. X I V S. 483 („die Exekutivstrafe vorzugsweise auf die entsprechende Anwendung des bürgerlichen Rechts, nicht des Strafrechts angewiesen"). R.G. 23. Jan. 1896 (Entsch. X X X V I S. 417) verlangt eine „subjektive Verschuldung", die aber möglicherweise auch bei einem Dritten liegen könnte, den der zu Bestrafende „vertreten muß". 16 Damit erledigen sich wohl die Bedenken, welche E l e i n e r , Instit. S. 150, gegen die Zweckmäßigkeit dieses Vorgehens erhebt. — Über diese Fragen vor allem S c h u l t z e n s t e i n , in Ztschft. f. d. Z.P. X X V S. 475ff.; d e r s . in Verw.Arch. X I V S. 1 ff.; Η ο f a c k e r , in Verw.Arch. X I V S. 457. Auch die Ungehorsamsstrafe nach Z.P.O. § 888 richtet sich gegen die juristische Person, die als Partei verurteilt worden ist: S e u f f e r t , Kom. zu § 888 Note 1; W e i s m a n n , Lehrb. 179 Note 4. S t e i n , Kom. zu § 888 Note I V , erklärt die Anwendung des Zwangsmittels „dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Schuldner eine juristische Person ist"; nur soll es sich sofort gegen den gesetzlichen Vertreter richten. Das ist aber s o o h n e w e i t e r e s (vgl. unten Note 17) nicht möglich: was hat der Vertreter persönlich mit dem siegreichen Gegner der juristischen Person zu tun und mit dem an diese ergangenen Urteilsbefehl? Ebenso ist zu rasch der Satz, den Ρ r e g e r , Arch. f. öff. R. V I I S. 423, für das Verwaltungszwangsverfahren aufstellt: „Für die juristische Person haften deren Vorstände". Zuerst ist diese selbst in Frage. Als Zwangsmittel dient hier gegen die Handlungs-

§ 24. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

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Daneben steht die Möglichkeit für die Behörde, sich mit ihren B e f e h l e n auch an den gesetzlichen Vertreter persönlich zu halten, insofern eben auch dieser als gesellschaftlicher Ausgangspunkt der Störung i n Betracht kommt; dann schließt daran auch das entsprechende Z w a n g s v e r f a h r e n gegen diesen in Strafandrohung, Strafausspruch und Strafvollzug 17 . 4. Die Ungehorsamsstrafe findet noch eine besondere Schranke ihrer Zulässigkeit in dem Z u s a m m e n t r e f f e n m i t e i n e r r e c h t s s a t z m ä ß i g a n g e d r o h t e n Strafe. Für sich ist sie ihrer Natur nach dem Satz ne bis in idem nicht unterworfen. Sie ist ja gerade zur Wiederholung bestimmt. Aber sie ist ausgeschlossen, wo für den Tatbestand, den sie treffen soll, rechtssatzmäßig eine Strafe gedroht ist. Das hängt zusammen mit den allgemeinen Grundsätzen über die bindende Kraft des Rechtssatzes für die vollziehende Gewalt (oben § 7 n. 3). Es wirkt wieder der Gedankengang, der uns oben § 22 I I n. 2 bei der Polizeierlaubnis begegnete. Wenn der Rechtssatz auf einen Tatbestand eine bestimmte Strafe gesetzt hat, so hat er sich dieser M a t e r i e b e m ä c h t i g t ; die vollziehende Gewalt kann hierfür Strafe verhängen nur nach Maßgabe seiner Bestimmungen. Die Ungehorsamsstrafe ist aber gleichfalls Strafe trotz ihrer besonderen Natur und deshalb durch die Alleinherrschaft des Rechtssatzes ausgeschlossen, soweit dieser reicht 1 8 . unfähigen, insbesondere die juristische Person (wegen des Mündels vgl. S c h u l t z e n s t e i n , i m Verw.Arch. X I V S. 9), die Geldstrafe; es sollte nicht notwendig sein, die Androhung einer Haftstrafe gegen die&e noch ausdrücklich für unzulässig zu erklären (v. B r a u c h i t s c h , Verw.Ges. I , zu L.V.G. § 132 Note 262). 17 Vgl. oben § 20, I I I n. 1. Daß dazu ein gegen den Vertreter persönlich gerichteter Befehl gehört, darf natürlich nicht übersehen werden. Nur die rechtssatzmäßige Polizeistrafe trifft den Vertreter ohne weiteres mit (vgl. oben § 23 Note 26): sie richtet sich eben von vornherein gegen jeden, den es angeht. 18 R ο s i η , Pol.Verord. S. 103 ff.; Α η s c h ü t ζ , im Verw.Arch. I , S. 457. O.V.G. 22. Okt. 1896 (Entsch. X X X I S. 346); 4. Dez. 1897 ( R e g e r X I X S. 103); sächs. O.V.G. 16. Nov. 1901 (Jahrb. I I S. 208); 27. Febr. 1904 (Jahrb. V S. 195), — Die oben vorgetragene Lehre, welche durch diese Praxis bestätigt wird, stützt sich auf die aufzehrende Kraft des Rechtssatzes, der sich der Materie bemächtigt, nicht auf die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage; deshalb geht H o f · a c k e r s Bemerkung (Verw.Arch. X I V S. 272), auch der Verwaltungsakt der Strafdrohung müsse ja eine solche haben, nebenhin. Sie stützt sich auch nicht, wie F 1 e i η e r , Instit. S. 211 Note 25, berichtet, auf die Lösung, die das bayrische Recht gegeben hat, indem es Ungehorsamstrafe „zum Vollzuge von Gesetzen, deren Übertretung mit Strafe bedroht ist," überhaupt nicht zuläßt (vgl. oben Note 7). Das geht ja viel weiter, hängt mit der Abneigung des französischen Rechts gegen die Ungehorsamsstrafe überhaupt zusammen und hat mit der aufzehrenden Kraft des Rechtssatzes nichts zu tun. — I n der Literatur macht sich eine gewisse

Die Polizeigewalt.

280

Ausgeschlossen i s t sie u n b e d i n g t f ü r d e n Z w a n g , der v o n der B e hörde g e ü b t werden m a g z u r V e r h i n d e r u n g der e n t s t e h e n d e n P o l i z e i w i d r i g k e i t , die zugleich das D e l i k t w ä r e 1 9 . Desgleichen k a n n sie aber a u c h n i c h t v e r w e n d e t werden, u m d i e Fortsetzung

des strafbaren V e r h a l t e n s z u h i n d e r n .

Solches

fällt

entweder u n t e r eine neue Polizeistrafe oder i s t m i t d e r e i n m a l v e r w i r k t e n , f ü r die Strafzufügung wenigstens, a b g e t a n 2 0 . D i e Ungehorsamsstrafe k a n n n u r a n solche T a t b e s t ä n d e n o c h a n knüpfen, w e l c h e d a s D e l i k t n i c h t s e l b s t d a r s t e l l e n , auch m i t

i h m i n Zusammenhang

stehen.

vorgenommen, E i n r i c h t u n g e n getroffen,

E s werden

w e n n sie

Handlungen

welche selbst n i c h t

strafbar

sind, aber das D e l i k t erleichtern u n d vorbereiten u n d d a d u r c h i h r e r seits schon eine P o l i z e i w i d r i g k e i t b e d e u t e n 2 1 . Oder, was der w i c h t i g s t e F a l l i s t : das D e l i k t h a t Z u s t ä n d e geschaffen, äußere Spuren z u r ü c k Bewegung geltend zur Beseitigung dieser Grenze der Zwangsstrafe: Ν e u k a m p , im Verw.Arch. I I I S. 85, S. 91; I s a a k , in Ztschft. f. d. ges. Stf.R.Wiss. X X I S. 642; H o f a c k e r , im Verw.Arch. X I V S. 967 ff.; F 1 e i η e r , Instit. S. 211 Note 25. Die Genugtuung des eifrigen Verwaltungsmannes ist allerdings noch größer, wenn er sie sich durch „eigene Betätigung" verschaffen darf ( H o f a o k e r a. a. 0 . S. 493); aber die Sache hat doch auch eine andere Seite. 10 O.V.G. 12. April 1878 (Min.Bl. S. 125): Polizeiverordnung verbietet Tanzmusik ohne Erlaubnis; nach verweigerter Erlaubnis erfährt die Behörde, daß der Gastwirt doch will tanzen lassen, und schickt ihm ein besonderes Verbot mit Strafdrohung; das ist als eine unzulässige Verstärkung des Strafrechtssatzes angesehen worden. 20 Nach Gew.Ord. § 147 Abs. 1 wird bestraft, wer ohne die erforderliche Genehmigung den Gewerbebetrieb „unternimmt oder fortsetzt". Die Unterlassung des rechtswidrig unternommenen Betriebes könnte nach der Strafsetzung auf dieses „Unternehmen" durch Ungehorsamsstrafen nicht erzwungen werden; durch den Zusatz „oder fortsetzt" ist nur die Wiederholung der Polizeistrafe zulässig gemacht, die dann selbst wie eine Ungehorsamsstrafe wirkt. Die Anwendung anderer Zwangsmittel als unserer Ungehorsamsstrafe bleibt frei: L a n d m a n n , Gew.Ord. zu § 147 Note 2e, 4 c ; v. B r a u c h i t s c h , Verw.Ges. I , zu L.V.G. § 132 n. 263. 21 O.V.G. 9. April 1879 (Entsch. V S. 289: der strafbare Geschäftsbetrieb ist eingestellt; Beseitigung der verbliebenen Geschäftseinrichtung, Wirtshausscbild usw. durch Ungehorsamsstrafe erzwingbar); 6. Juni 1885 (Entsch. X I I S. 387: Konsumverein gibt Marken aus, die Fünfzigpfennigstücken gleichen; Polizeistrafe verwirkt; Polizeidirektion befiehlt überdies, die Marken einzuziehen, bei Ungehorsamsstrafe; das ist eine „neue Pflicht"); 7. Mai 1908 (Entsch. L I I S. 302: Hausbesitzer wegen unterlassener Straßenreinigung bestraft; zugleich Ungehorsamsstrafe angedroht, wenn nicht städtisches Straßenreinigungsinstitut fortan ständig beauftragt. „Das ist etwas von demjenigen Verschiedenes, dessen Tun oder Unterlassen die Straßenpolizeiordnung unter Strafe stellt." Die Unterlassung genügender Vorbereitung zur künftigen Erfüllung der weiteren polizeilichen Pflicht ist hier das Polizeiwidrige).

§ 24. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

281

gelassen, welche beseitigt werden müssen als Störung der guten Ordnung, ohne daß sie selbst die fortgesetzte Verübung des Deliktes enthielten oder eine Neuverübung vorbereiteten. Wenn die Polizeibehörde m i t Befehl und Zwang gegen solche Dinge vorgeht, so steht ihr auch die Ungehorsamsstrafe zur Verfügung. Sie trifft damit immer einen Tatbestand von Pflichten und Nichterfüllung derselben, dessen Strafbarkeit der Strafrechtssatz nicht erledigen wollte 2 2 . I I . Das deutsche Zivilprozeßrecht gibt eine besondere Form der Zwangsvollstreckung für den Fall, daß es auf die Erzwingung der Vornahme einer Handlung ankommt, welche an Stelle des Schuldners durch einen Dritten vorgenommen werden kann: der Gläubiger wird durch das Gericht ermächtigt, die Handlung a u f K o s t e n des S c h u l d n e r s v o r n e h m e n zu lassen (Z.P.O. § 887). I n das polizeiliche Zwangsvollstreckungsverfahren übersetzt, gestaltet sich dies zu der Befugnis der Behörde, ihren Befehl, welcher auf eine derartige Handlung lautet, selbständig i n solcher Weise zur Durchführung zu bringen. Für diese Z w a n g s e r s a t z v o r n a h m e gelten folgende Regeln. 1. Die Ersatzvornahme bedarf k e i n e r e i g e n e n g e s e t z l i c h e n G r u n d l a g e . I m Gegensatz zur Ungehorsamsstrafe legt sie keine neue Last daneben auf, welche mittelbar zur Erfüllung der Pflicht drängte, sondern setzt nur ins Werk, was auf Grund des Befehles bereits geschuldet ist. Sie prägt die Schuld nur um gemäß den Notwendigkeiten des Zwanges: an die Stelle des einfachen Handelns, wie es freiwillig zu leisten wäre, setzt sie den Zwang zur Duldung des Handelns und zum Ersatz der Kosten. Daß das lästiger und nachteiliger empfunden wird, als die eigene freiwillige Erfüllung, liegt i n der Natur des Zwanges überhaupt; die Fähigkeit, i n den Zwang einfach übergeführt zu werden, ist aber i m obrigkeitlichen Befehl von selbst enthalten. Die neuere Gesetzgebung hat sich auch dieses Zwangsmittels bemächtigt und namentlich das Verfahren dafür geordnet. Soweit sie es nicht besonders beschränkt hat, ist es innerhalb seines natürlichen Gebietes zulässig auch ohne Gesetz 23 . 22

Das Bauen ohne Erlaubnis ist strafbar; das Bauwerk selbst kann in Ordnung sein; stellt es sachlich eine Polizeiwidrigkeit vor, so kann die Beseitigung mit Ungehorsamsstrafe erzwungen werden; denn die Polizeistrafe ist nur auf das fehlerhafte Herstellen, nicht auf das weitere Besitzen des fehlerhaften Bauwerkes gesetzt. R o s i n , Polizeiverord. S. 118. 23

Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 16 läßt die Ersatzvornahme regelmäßig nur zu> „auf Grund eines wegen einer Übertretung ergangenen rechtskräftigen Straf-

282

Die Polizeigewalt.

Es muß sich also handeln um eine befohlene Tätigkeit, welche s t a t t des Pflichtigen auch durch einen anderen verrichtet werden kann. Den Hauptgegenstand bilden solche Fälle, wo ein äußerer Zustand von Sachen i n Frage ist, der geändert werden soll: polizeiwidrige Bauten und Aufstapelungen sind zu entfernen, Schutzvorrichtungen anzubringen, störende und schädliche Dinge zu verbessern; namentlich die übrig gebliebenen Spuren strafbarer Handlungen werden in dieser Weise beseitigt. Es kann sein, daß zur Erreichung des Zweckes neben der Ersatzvornahme auch das erste Zwangsvollstreckungsmittel, die Ungehorsamsstrafe, möglich ist. Das Verhältnis zwischen beiden hat die Zivilprozeßordnung dahin geordnet, daß i n solchen Fällen die Ungehorsamsstrafe ausgeschlossen sein soll (Z.P.O. § 888). Das Natürliche wäre, daß alsdann die Behörde die W a h l hätte zwischen beiden Mitteln, um eines oder das andere oder auch beide nebeneinander anzuwenden. Durch besondere Gesetzesbestimmungen kann aber auch die polizeiliche Ersatzvornahme i m Interesse des Betroffenen bevorzugt sein, so daß sie unter gewissen Voraussetzungen statt der Ungehorsamsstrafe ausschließlich stattfinden s o l l 2 4 . 2. Das Verfahren geht aus von dem gehörig eröffneten Befehle, die Handlung vorzunehmen. Die Einleitung geschieht durch die A n d r o h u n g der Ersatzvornahme i m Falle des Ungehorsams. Diese Androhung kann nach gesetzlicher Vorschrift ausdrücklich gemacht werden müssen; sie liegt aber möglicherweise auch schon genügend enthalten i n dem Befehle selbst, der seiner Natur nach geeignet ist, so vollstreckt zu werden. iirteils" (besondere Falle außerdem in Art. 20 u. 21). Diese Regel ist wieder ganz französisch. Vgl. oben Note 18; Theorie d, franz. V.R. S. 190; bayr. Obst.L.G. 25. Mai 1905 ( R e g e r X X V I S. 61). I m Elsaß war die erforderliche Ermächtigung des Strafgerichts zur Zwangsbeseitigung polizeiwidriger Bauten seit Einführung der Stf.Pr.O. nicht mehr zu erlangen; die Baupolizeibehörden hatten sich darein gefügt, bei dem Zivilgericht Klage zu erheben auf entsprechende Verurteilung des Übeltäters. I n der Überzeugung, daß die Zwangsersatzvornahme für meine Polizeibefehle selbstverständlichen Rechtes sei, habe ich nachher als Leiter der Straßburger Baupolizei etliche Feuerwehrmänner als baupolizeiliche Vollstreckungsbeamte vereidigt und mit ihnen polizeiwidrige Bauwerke zwangsweise abreißen und ändern lassen. Es ging ohne Schwierigkeiten und fand in anderen Städten Nachahmung. 24 Nach Pr. L.V.G. § 132 ist umgekehrt statt Ersatz vornähme Ungehorsamsstrafe zu wählen, „sofern es tunlich ist". Es sollen dabei Erwägungen der Zweckmäßigkeit und schonende Rücksichtnahme auf den Gezwungenen Raum finden: O.V.G. 2. Okt. 1880 (Entsch. V I I S. 342); 21. April 1888 (Entsch. X V I S. 392).

§ 24. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

283

Auch die Verstattung einer F r i s t zur Selbstvornahme des Befohlenen kann vorgeschrieben sein; wo nicht, ergibt sich die Belassung einer solchen als ein Gebot der Natur der Sache. Mangels einer Bezeichnung der Dauer ist die Frist eine „moralische", d. h. von der notdürftigen Dauer, um die Selbstvornahme noch zu ermöglichen. Der Zwang selbst entfaltet sich alsdann in doppelter Richtung. Zunächst wird die Handlung an Stelle des Pflichtigen vorgenommen. Die Behörde beauftragt dazu ihre Untergebenen oder nimmt die Dienste anderer Leute dafür in Anspruch durch zivilrechtliche Dienstmiete oder Werkverdingung. Die Ausführung des Geschäftes braucht sich äußerlich in nichts zu unterscheiden von derartigen Arbeiten, die ein Privatmann an seinen Sachen vornehmen läßt. Nur steht hinter diesen die öffentliche Gewalt, deren Geschäfte hier besorgt werden, m i t ihrer ganzen Unwiderstehlichkeit, um nötigenfalls die D u l d u n g z u e r z w i n g e n . Der Zwang geschieht durch die sich nebensächlich verbindende G e w a l t a n w e n d u n g (unten I I I ) , welche den Widerstand bricht und Störung der Arbeiten abwehrt. Dazu bedarf es nicht der Umwege, welche der Zivilprozeß macht, indem der Gläubiger erst den Gerichtsvollzieher hinzuruft und dieser dann die polizeilichen Vollzugsbeamten ; Die öffentliche Gewalt ist unmittelbar beteiligt und ihre Polizeimannschaft erscheint entweder von vornherein, um dem Vollzuge „Assistenz" zu leisten, oder wird bei dem geringsten Zeichen von Widerstand formlos zugezogen. Der Pflichtige ist alsdann schuldig, den durch die Ersatzvornahme erwachsenen Aufwand zu erstatten. Die Schuld besteht nicht gegenüber den verwendeten Arbeitern und Lieferanten; diese stehen nur i m Rechtsverhältnis zu dem, der sie beauftragt hat, zum Staate oder zur Gemeinde, der die Polizeiverwaltung obliegt. Diese letzteren haben den Ersatzanspruch. Der Anspruch ist kein zivilrechtlicher, wenn auch die Zahlungen, durch welche er begründet wird, zivilrechtliche Kaufpreis-, Dienstlohn- oder Werkverdingungsforderungen betrafen. Er hat insbesondere keine Verwandtschaft m i t dem Anspruch des negotiorum gestor gegen den dominus negotii, womit ihn die ältere Auffassung gerne verglich. Die Erstattungspflicht hat vielmehr die rechtliche Natur der K o s t e n z a h l u n g s p f l i c h t der P a r t e i i m Z i v i l p r o z e ß , und zwar der Kostenzahlungspflicht gegenüber dem Gericht, gegenüber der Staatskasse. Die Arbeitslöhne, Preise von verwendeten Materialien und sonstigem, die Entschädigungen Dritter, welche etwa zu bezahlen waren, sind Kosten des Verfahrens ähnlich den Zeugengebühren, welche

284

Die Polizeigewalt.

das Gericht aus der Gerichtskasse zur Zahlung angewiesen hat und der Partei, welche sie veranlaßte, i n Rechnung stellt 2 6 . Dadurch bestimmt sich das Maß der Zahlungspflicht. Es ist nicht mehr an Kosten zu erstatten, als der Staat hat aufwenden müssen zur Durchführung des Befohlenen, weil der dadurch Verpflichtete dem Befehle nicht nachgekommen ist; nur das hat er „veranlaßt" 2 6 . Der Betrag der Kosten wird durch einen Beschluß der die Vollstreckung leitenden Behörde gegen den Schuldner festgesetzt. Der K o s t e n f e s t s e t z u n g s b e s c h l u ß dient als „vollstreckbarer Titel" für die Beitreibung i m finanzrechtlichen Zwangsverfahren, in dessen Formen die Sache damit übergeht (unten § 32) 2 7 . I I I . Das schärfste Zwangsmittel ist die G e w a l t a n w e n d u n g , d. h. überwältigende körperliche Einwirkung auf den zu Zwingenden und was zu ihm gehört. Die tatsächliche Macht dazu steht der Obrigkeit immer sofort und ausreichend zur Verfügung. Rein natürlich genommen ist die Gewaltanwendung wohl auch geeignet, alles mögliche damit durchzusetzen. I m Kriege zeigt sich das jetzt noch, und die polizeistaatliche Obrigkeit hat viel Vorteil daraus zu ziehen verstanden. I n unserem Verfassungs- und Rechtsstaat fragt es sich aber jetzt: wie weit ist ein so starker Eingriff in Freiheit und Eigentum zulässig und erlaubt? Das ist selbstverständlich der Fall, soweit das Gesetz für den gegebenen Tatbestand die Anwendung dieses Zwangsmittels gestattet. Möglicherweise ergibt sich seine Zulässigkeit auch ohne ausdrücklichen Gesetzestext von selbst aus der Natur der Sache. I n der Lehre vom u n m i t t e l b a r e n Z w a n g (unten § 25) wird sich zeigen, in welch ausgedehntem Maße dort dergleichen stattfindet. Zunächst stellt sich uns hier die Frage, inwieweit das auch zutrifft bei der p o l i z e i l i c h e n Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g , wie weit also die Gewaltanwendung ein zulässiges Mittel ist zur Erzwingung des Gehorsams gegen einen polizeilichen Einzelbefehl 28 . 25

R. G. 25. Febr. 1899 (Entsch. X L I I I S . 293) ; 20. Okt. 1906 (Entsch. L X I V S. 197). Über Berechnungsfragen: Rechtspr. d. bad. V.G.H. I S. 126, 130, 131; C.C.H. 11. April 1868 (Just.Min.Bl. 1869 S. 255). 27 Ersatzpflichtig ist der, gegen den der Befehl erging und folglich die Zwangsvornahme. Wenn der Gegenstand, an welchem die Arbeiten vorzunehmen sind, während des Verfahrens den Besitzer wechselt, so kann dieses gegen den Nachfolger nur dann einfach fortgesetzt werden, wenn auch der Befehl, der vollstreckt werden soll, von selbst auf ihn wirkt; vgl. oben § 21 Note 18, § 22 Note 23. Bl. f. adm. Pr. 1872 S. 127; F o e r s t e m a n n . Pol.R. S. 402; O.V.G. 21. Oktober 1876 (Entsch. I , S. 361). 28 Pr. L.V.G. § 132 Ziff. 3 nennt das Zwangsmittel der Gewaltanwendung 26

§ 24. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

285

E s g i b t j a Gesetze, welche Gewaltanwendung gestatten zur D u r c h setzung v o n Befehlen.

A b e r gerade für Polizeibefehle findet sich der-

artiges n u r sehr v e r e i n z e l t 2 9 .

D i e Landesgesetze, welche b e i der Re-

gelung der behördlichen Zwangsgewalt

auch die

Gewaltanwendung

aufzählen, wollen selbstverständlich d a m i t n i c h t sagen, daß diese n u n auch überall P l a t z greifen dürfe, wo es sich u m den Gehorsam gegen einen Befehl handelt.

Mangels einer besonderen E r m ä c h t i g u n g k a n n

sie v i e l m e h r n u r soweit i n B e t r a c h t k o m m e n , als sie nach e i n m a l ergangenem

Befehl

ein

natürliches

und

selbstverständliches

Z w a n g s m i t t e l f ü r i h n v o r s t e l l t , wie w i r das für die Ersatzvornahme anerkennen m u ß t e n (oben I I n. 1). Das ist sie aber offenbar n u r da, wo sie den d e m Befehle entsprechenden Z u s t a n d geradewegs d u r c h sich selber herzustellen vermag. Sie k ö n n t e dieses Z i e l j a auch so erreichen, daß sie zunächst n u r sehr unglücklicherweise den „unmittelbaren Zwang". Darüber R o s i n , Pol. Verord. S. 111 Note 23. Ursprünglich, bei der Beratung der Kreisord. v. 13. Dez. 1872, deren § 79 vorbildlich geworden ist, sprach man hier von „physischem Zwang" (v. B r a u c h i t s c h , Mat. ζ . Kr.O. I I S. 1208ff.), nachher wurde „persönlicher Zwang" daraus gemacht (a. a. O. I I I S. 1622), und zuletzt kam als Velegenheitsausdruck der „unmittelbare Zwang" (a. a. 0. S. 1625). Das sollte den Gegensatz bilden zu der Ungehorsamsstrafe als „psychologischem Zwang". Allein da wurde doch die Ersatzvornahme ungewollter Weise auch mit umfaßt, insofern sie in diesem Sinne gleichfalls „unmittelbar" wirkt: R ο s i η , Pol.Verord. S. 111 Note 23; S c h l u s s e r , Bad. Pol.Stf.R. S. 21; v. S u t η e r , Bayr. Pol Stf. G.B. zu Art. 21 η. 1 u. 3. Da das also nicht stimmte, so suchte man allmählich das Wesen der „Unmittelbarkeit" in etwas ganz anderem, nämlich in dem Verfahren „ohne vorgängige Androhung": v. B r a u c h i t s c h , Verw.Ges. I zu § 132 Note 264 a; Μ a r k u 11, im Pr. Verw.Bl. X X V I , S. 558; aber auch das ist kein festes Unterscheidungsmerkmal. Das Zwangsmittel Gewaltanwendung bleibt ja dasselbe, ob es mit oder ohne Androhung gebraucht wird. Zur Zwangsvollstreckung eines Einzelbefehles kann es dienen mit oder ohne Androhung und außerhalb solcher Zwangsvollstreckung — also „unmittelbar" in unserem Sinne (unten § 25) — mit oder ohne Androhung verwendet werden (vgl. unten § 25 Note 3). Wahrscheinlich denkt man bei der „vorgängigen Androhung" gern auch an etwas wie einen zu vollstreckenden Befehl; das könnte dann auf unsere Unterscheidung der zwei Verfahrensarten, Zwangsvollstreckung und unmittelbarer Zwang, hinauslaufen; aber so recht bestimmt ist es meist doch nicht gemeint. — Wir sind darauf angewiesen, eine vernünftige Ausdrucksweise durchzuführen, ohne uns durch die des Gesetzes beirren zu lassen. 29

Seitenstücke zu dem Rechte der ordentlichen Gerichte, widerspenstige Zeugen und Parteien gewaltsam vorführen zu lassen (Z.Pr.O. § 380, § 619; Stf.Pr.O. § 50, § 133), finden sich vor allem noch in den vorsintflutlichen Gesindeordnungen: Pr. Gesind.Ordn. v. 8. Nov. 1810, § 167 (ν. Β r a u c h i t s c h , Verw.Ges. I, zu L.V.G. § 132 Note 263); bayr. PoLStf.G.B. Note 106 Abs. 4 (v. S u t n e r , Pol.Stf.G.B. zur Art. 106 Note 12); sächs. Gesinde-Ord. 14. Febr. 1835 § 111.

286

Die Polizeigewalt.

b e s t i m m e n d w i r k t a u f d e n W i l l e n des Gezwungenen d u r c h Ü b e l , welche sie i h m z u f ü g t oder m i t welchen sie i h n b e d r o h t .

A l l e i n das

wäre d o c h ein Mehr v o n N a c h t e i l e n , das sie d e m Gehorsamspflichtigen b r i n g t über das hinaus, was i m Befehl schon e n t h a l t e n i s t , u n d d u r c h diesen n i c h t gedeckt. D a s Gesetz k a n n diese A r t v o n Z w a n g besonders gestatten, wie es b e i der Zwangsstrafe t u t . gestatten.

Nur

v o n selbst versteht

Es k ö n n t e auch die F o l t e r

sich ein solcher Z w a n g

durch

B r e c h u n g des W i l l e n s n i c h t 3 0 . Also l ä u f t die Frage der Zulässigkeit der G e w a l t a n w e n d u n g z u r Erzwingung

des Befehls

darauf h i n a u s ,

w i e w e i t dieses M i t t e l

im-

stande ist, d u r c h s i c h s e l b s t den gewollten Z u s t a n d z u v e r w i r k l i c h e n . D a s w i r d verschieden sein, j e nachdem es dabei auf e i n

Dulden,

U n t e r l a s s e n oder H a n d e l n des Gezwungenen a n k o m m t . F ü r das letztere, das H a n d e l n , i s t die G e w a l t a n w e n d u n g niemals e i n selbstverständliches Z w a n g s m i t t e l , w e i l sie eben hier bloß d u r c h B r e c h u n g des W i l l e n s zu w i r k e n vermag, u n d dazu m ü ß t e sie schon die N a t u r der F o l t e r annehmen.

W e n n das Gesetz

ausnahmsweise

Versuche dieser A r t gestattet, so sind sie eng z u begrenzen auf i h r e n b e s t i m m t e n Zweck u n d G e g e n s t a n d 3 1 . 30 S e y d e 1, Bayr. St R. I I I S. 6: „Dagegen darf ohne gesetzliche Ermächtigung der körperliche Zwang als Mittel des Vollzuges niemals da angewendet werden, wo das Befohlene durch die körperliche Gewalt nicht unmittelbar durchgesetzt werden kann, wo also die körperliche Gewalt nur durch ihre Einwirkung als zugefügtes Übel mittelbar die Gehorsamsleistung veranlassen würde." 31

Tatsächlich wird noch viel zu viel mit Gewaltanwendung gearbeitet. Das mißbräuchlich in Anspruch genommene Recht auf persönliches Erscheinen zur Auskunftserteilung (vgl. oben § 20 Note 21) vervollständigt sich durch mißbräuchliche Gewaltanwendung, um die Befolgung der Einladung zu erzwingen: Realzitation, Sistierung, Zwangsgestellung nennt es der Kanzleistil. Das, was man braucht, die nützliche Aussage, läßt sich dadurch nicht erzwingen; es gibt ja keine Vereidigung, keine Bestrafung der unrichtigen Aussage, auch keinen Zwang zum Reden, sofern nicht die Gewaltanwendung bei der Vorführung als Folter wirkt. F 1 e i η e r , Instit. S. 215 Note 36, findet sich mit diesen Bedenken ab durch die Bemerkung: der Erfolg sei „eine Sache für sich". Aber alle Polizeigewaltübung rechtfertigt sich nur durch ihre Geeignetheit für den bestimmten Erfolg, durch ihren Zweck. Nun haben ja diese Gewaltmaßregeln allerdings ihren Zweck, aber der ist kein polizeilicher und wird überhaupt nie so gerade heraus eingestanden: die verletzte Autorität verschafft sich eine eklatante Genugtuunng an dem Menschen, der ihre Einladung nicht ehrt. Das tritt auch sonst bei der Verwendung dieses „Zwangsmittels" recht unverkennbar zutage. Sehr hübsch sind ζ . B. die Fälle in O.V.G. 1. Dez. 1880 (Min.Bl. 1880 S. 49) und 16. Nov. 1881 (Entsch. V I I I S. 407). I m ersteren hatte bei einer Feuersbrunst der Bürgermeister einem zuschauenden Apothekerlehrling befohlen, eine Handspritze zu tragen; Ungehorsam; sofortige Verhaftung; im Arrestlokal erklärt er sich zu allem bereit, auf den Platz

§ 25. Unmittelbarer Zwang.

287

Bleibt also nur Dulden und Unterlassen. Auch da ist zu sagen: wenn die Gewaltanwendung ihr Ziel nur durch ein völliges Unschädlichmachen der Person erreichen könnte, ist sie kein selbstverständliches Zwangsmittel zur Durchsetzung des Befehls: der Eingriff würde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen und ist deshalb besonderer gesetzlicher Eegelung vorbehalten 32 . Außerdem darf nicht übersehen werden, daß der Zwang zum Dulden behufs gewaltsamer Beseitigung und Veränderung von Sachen des Pflichtigen in den meisten Fällen in das Zwangsmittel der Ersatzvornahme übergehen w i r d 3 3 , der Zwang zum Unterlassen aber sich vielfach verschmelzen wird m i t der Verhinderung strafbarer Handlungen, die auch ohne besonderen Befehl sich von selbst versteht 3 4 . Nach alledem spielt die einfache Gewaltanwendung bei der polizeilichen Zwangsvollstreckung nur eine geringe Rolle. Ihr Hauptgebiet ist der nun zu betrachtende unmittelbare Polizeizwang. § 25. Fortsetzung; unmittelbarer

Zwang·

Die polizeiliche Zwangsvollstreckung findet erst statt, nachdem der Versuch, den Einzelnen durch besonderen Befehl zur Herstellung des seiner polizeilichen Pflicht entsprechenden tatsächlichen Zustandes zu bewegen, erfolglos geblieben ist. Sie setzt das Gewollte durch mittels geführt versagt er aber aufs neue; neue Verhaftung. Das Gericht erklärt dieses Verfahren für zulassig nach Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit (!) v. 12. Febr. 1850 wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die ansteckende Macht des schlechten Beispiels, das der Ungehorsam den Leuten gab. Ähnlich erging es im zweiten Falle dem Kommandanten der freiwilligen Feuer· wehr, der trotz Anordnung des Polizeibeamten nach gelöschtem Brande nicht mehr dableiben wollte, da dieser ihm nichts zu befehlen habe, sondern ihn nur ersuchen könne. Von Erzwingung eines Polizeibefehls ist natürlich auch hier keine Rede. Die Bekämpfung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist nur ein Vorwand. Es handelt sich um ein Stück russischen Verwaltungsrechts. 32 Vgl. unten § 26 I I n. 1. Auch im Zivilprozeß ist diese beschränkte Brauchbarkeit der Gewaltanwendung anerkannt: H a h n , Mat. I S. 466. 33 O.V.G. 1. Aug. 1876 (Entsch. I S. 319): Vor Genehmigung des Schankwirtschaftsgesuches ist das Wirtshausschild am Hause angemalt worden; die Behörde befiehlt die Beseitigung, und als der Mann nicht gehorcht, läßt sie das Schild „im Interesse der öffentlichen Ordnung" mit Teer überstreichen. Es war ein Handwerksmann mit dieser Zwangsersatzvornahme beauftragt worden. Hätte der Schutzmann den Teer mit eigner Sachkunde aufgestrichen, so wäre es einfache Gewaltanwendung („unmittelbarer Zwang") gewesen (v. B r a u c h i t s c h , Verw.-Ges. I zu L.V.G. § 132 Note 264 a) und der Widerstand des Schildbesitzers nach Stf. G.B. § 113 zu ahnden. 34 Vgl. unten § 25 I I .

Die Polizeigewalt.

288

E r z w i n g u n g dieses Befehls. U n t e r U m s t ä n d e n k a n n aber solcher Z w a n g zur Verwendung

kommen

ohne den U m w e g über einen

Gehorsam

heischenden Einzelbef ehi. Das g i b t d a n n den u n m i t t e l b a r e n P o l i z e i zwang1. D a s M a c h t m i t t e l i s t hier einzig die G e w a l t a n w e n d u n g ,

welche

v o r g e n o m m e n w i r d d u r c h polizeiliche Vollstreckungsbeamte u n d sonstige Gehilfen.

A l s u n m i t t e l b a r e r Z w a n g w i r d es sich a m einleuchtendsten

darstellen, wo diese Mannschaften m i t einer gewissen S e l b s t ä n d i g k e i t vorgehen, w i e das z. B . b e i der V e r h i n d e r u n g v o n Verbrechen h ä u f i g der F a l l sein w i r d . D i e Z u g e h ö r i g k e i t der G e w a l t a n w e n d u n g zu dieser A r t v o n Z w a n g w i r d d a d u r c h n i c h t aufgehoben, daß das V o r gehen

durch

allgemeine

Dienstvorschrift

oder

geradezu

einen

D i e n s t b e f e h l i m E i n z e l f a l l i n B e w e g u n g gesetzt u n d genauer bes t i m m t i s t : was d e m Betroffenen gegenüber w i r k t , i s t j a a u c h hier i m m e r erst die äußere G e w a l t 2 . D a d u r c h ergeben sich zweierlei Gründe, weshalb der u n m i t t e l b a r e Polizeizwang n u r i n b e s c h r ä n k t e r Weise zur A n w e n d u n g k o m m e n k a n n , also einen A u s n a h m e f a l l b i l d e t . 1 Über den Ausdruck „unmittelbarer Zwang" vgL oben § 24 Note 28. F l e i n e r » Instit. S. 216, in dem berechtigten Wunsche, nicht in Gegensatz zu treten zu dem unglücklichen Sprachgebrauch des Pr. L.V.G., setzt hier statt dessen „sofortiger Zwang". Das paßt aber doch nur bei schleunigen Fallen. Wenn nach längeren Erörterungen, ob man den reblausverdächtigen Weinberg nach pr. Ges. v. 27. Febr. 1878 § 1 Ziff. 2 ganz vernichten soll, schließlich der Oberpräsident verfügt, daß es geschehe, so ist das auch ohne die Schleunigkeit unverkennbar unser Rechts institut; „sofortig" kann man das nicht nennen, wohl aber mit allen gleichgearteten Fällen „unmittelbar". — I n dem hier gebrauchten Sinne wird der unmittelbare Zwang durch Gewaltanwendung dem Zwang zur Vollstreckung eines Polizeibefehls gegenübergestellt in O.V.G. 9. März 1872 (Entsch. X X I I S. 421): „Nun liegt der unmittelbare Zwang des § 132 n. 3 des L.V.G. vor, wenn die Behörde die Herstellung nicht von einer Handlung des Verpflichteten erwartet und a u f d e s s e n W i l l e n auch nicht durch die Mittel der n. 1 und 2 des § 132 (durch Erfordern von Kosten oder durch Strafen) einwirkt, sondern jenen Zustand s e l b s t t ä t i g durch eigenes Handeln herstellt. Tut sie letzteres, o h n e d e m V e r p f l i c h t e ten eine H a n d l u n g durch vorgängige A n o r d n u n g auf z u e r l e g e n , so enthält die tatsächliche Herstellung des verlangten Zustandes nicht lediglich die Anwendung eines Zwangsmittels, sondern zugleich das — durch die Tat ( !) ausgedrückte — Verlangen (die Anordnung), daß dieser Zustand hergestellt werden muß." Es kommt dem Gericht darauf an, die „polizeiliche Verfügung" aufzuweisen, gegen die nach L.V.G. §§ 127, 128 geklagt werden kann. Irrtümlich ist nur hier die Annahme, daß das Zwangs m i t t e l der n. 3 nicht doch a u c h zur Erzwingung einer „durch vorgängige Anordnung auferlegten Handlung'4 (Befehl) verwendet werden könnte, wo es dann kein unmittelbarer Zwang im festgestellten Begriffe wäre. Das Gesetz hat eben die Gewaltanwendung in beiden Verwertungsformen zusammengeworfen.

§ 25. Unmittelbarer Zwang.

289

Einmal besitzt die Gewaltanwendung selbst schon ihrer Natur nach überhaupt nur eine b e s c h r ä n k t e V e r w e n d b a r k e i t als Z w a n g s m i t t e l (vgl. oben § 24 I I I ) . Darauf brauchen wir nicht weiter mehr einzugehen. Sodann aber muß auch vom Standpunkte des R e c h t s s t a a t e s aus die Form des Befehls mit Zwangsvollstreckung grundsätzlich den Vorrang haben vor dem unmittelbaren Zwang als die schonendere und rechtlich gesichertere. Und deshalb bedarf dieser, auch wo die Gewaltanwendung selbst an sich möglich wäre, doch noch b e s o n d e r e r R e c h t f e r t i g u n g s g r ü n d e , um zulässig zu sein 3 . Hierüber werden einige Erörterungen nötig. Solche Reohtfertigungsgründe würden wir ja am einfachsten dadurch erhalten, daß das Gesetz selber den unmittelbaren Zwang gestattete. Der Fall ist nicht häufig, und wo er statthat, sind immer auch besondere sachliche Rücksichten gegeben, weshalb es dem Betroffenen nicht wie sonst zunächst überlassen werden soll, die um des polizeilichen Zweckes willen erforderlichen Maßregeln und Vorkehrungen selbst ins Werk zu setzen. Sie laufen immer auf den Gedanken hinaus: damit der Erfolg als hinreichend gesichert angesehen werden könne, m u ß d i e B e h ö r d e d i e Sache i n der H a n d b e h a l t e n . Die Reichsgesetze zur Bekämpfung von allerhand Seuchen, Menschen-, Tier- und Pflanzenseuchen, geben die vornehmsten Beispiele 1 . 2

Solange man noch nicht recht wußte, was ein richtiger Verwaltungsakt bedeutet, machte man aus der Gewaltanwendung selbst etwas ganz anderes, je nachdem sie auf Dienstbefehl geschah oder nicht: O.Tr. 4. Juni 1892 (J.M.B. S. 89). 3 Pr. L.V.G. § 132 Ziff. 3 versteht ja unter „unmittelbarer Zwang" das, was wir einfach Gewaltanwendung nennen; es schwebt ihm aber doch dabei auch wieder u n s e r unmittelbarer Zwang vor, bei dem in der Tat die Gewaltanwendung vornehmlich erscheint. Die Beispiele, welche bei der ersten Formulierung des Textes angeführt wurden (v. B r a u c h i t s c h , Mat. ζ. Kr.Ord. I I I S. 1622), zeigen, wie das zusammenfloß. Das ist der oben erwähnte Gedanke. B e i d e s , Zwangsvollstreckung durch Gewaltanwendung und unmittelbarer Zwang, ist gemeint, wenn das Gesetz von dem in Ziff. 3 aufgeführten Zwange sagt, daß er nur zur Anwendung kommen soll, „wenn die Anordnung (d. h. was die Behörde will) ohne einen solchen unausführbar ist". Man nennt das, ziemlich verschroben, aber doch nicht ganz unrichtig, die „Subsidiarität" des unmittelbaren Zwangs gegenüber den nur auf „Androhung" zu verwendenden Zwangsmitteln. 4 Seuchen-Ges. v. 30. Juni 1900 § 11 ff.; Viehseuchen-Ges. v. 26. Juni 1909 § 19 ff.; Rinderpest-Ges. v. 7. April 1869 § 2; Reblaus-Ges. v. 6. Juli 1904 § 2. Hier wird den Behörden gestattet, die nötigen Maßregeln anzuordnen zur Absonderung von Personen, Vernichtung von Sachen und sonstiger Unschädlichmachung. Was geschehen soll, wird niemals dem Betroffenen anbefohlen und zur Ausführung überlassen, sondern der Sicherheit halber will es die Obrigkeit von B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 3. Aufl.

1y

290

Die Polizeigewalt.

Daneben aber steht i n noch größerer Bedeutsamkeit eine zweite A r t , wie die Abweichung von dem, was der Rechtsstaat fordert, gerechtfertigt werden kann. Sie führt auf n a t u r r e c h t l i c h e Grundlagen zurück und hat ihre Seitenstücke auf dem Boden des bürgerlichen Rechtes. Wenn wir nämlich die einzelnen Fälle überblicken, die hier i n Betracht kommen, so ergibt sich eine gewisse Übereinstimmung i n der Grundidee m i t derjenigen, in welcher das bürgerliche Recht von jeher, ausdrücklich oder vermöge allgemein angenommener Selbstverständlichkeit, eine gewisse Gewaltanwendung des Einzelnen gegen seinen Nächsten oder dessen Habe zuläßt. Sie gilt da als natürliches Recht. Vernünftige Rücksichten der S e l b s t b e h a u p t u n g vor allem und des Übermaßes einer dadurch abzuwendenden N o t nehmen dort der Gewalthandlung die Rechtswidrigkeit 5 . So ganz einfach läßt sich das nicht hierher übernehmen; dazu sind die allgemeinen Voraussetzungen zu verschieden, auf denen wir hier stehen. Aber es sind doch ä h n l i c h e Lagen, in welche die Polizeigewalt geraten kann, aus welchen ihr i n ähnlicher Weise geholfen wird, indem sie die Hände frei bekommt. Vor allem aber ist ein großer Gegensatz nicht zu übersehen: I m Zivilrecht bildet in der Tat das Naturrecht die ursprüngliche Grundlage für die Rechtmäßigkeit solcher Machtübung des Einzelnen, dem grundsätzlich Selbsthilfe nicht zusteht ; das positive Recht hat sich nachträglich der Sache mehr oder weniger deutlich angenommen, läßt aber immer noch eine gewisse Ergänzungsbedürftigkeit durch jenes übrig. I m öffentlichen Rechte dagegen h a t die Polizeigewalt immer auch für solche Fälle den erforderlichen gesetzlichen Boden unter sich in ihren allgemeinen Ermächtigungen; das Recht der Selbsthilfe besitzt sie von vornherein. Was sie hemmt und hindert, den erforderlichen Gebrauch davon zu machen, das sind die Grundvornherein selbst besorgen. Die Anordnung kündigt das im Sinne des Rechtsstaates vorher an, damit der Mann weiß, wie er daran ist. Das mag man dann eine „Androhung4' nennen (oben § 24 Note 28); es mag unter Umständen auch einen wirklichen Verwaltungsakt bedeuten, der da bestimmt: „Solches soll dir widerfahren". Ein zu vollstreckender Polizeibefehl ist es jedenfalls nicht, und der Gegensatz zur polizeilichen Zwangsvollstreckung, die ja gleichfalls von einem Verwaltungsakt ausgeht, bleibt gewahrt, indem der unsrige sich nicht zunächst an den Willen des Betroffenen wendet und erst, von dort zurückprallend, ein eigenes Vorgehen der Behörde wird, sondern von vornherein unmittelbar und unentrinnbar auf solches Eigenvorgehen, auf den Zwang gerichtet ist. 6 B.G.B. §§ 227, 228, 904. An die Selbsthilfe nach § 229 und § 230 fehlt hier jede Anknüpfungsmöglichkeit; sie bedeutet ein Vorgehen des Beteiligten an Stelle der nicht rechtzeitig herbeizurufenden Obrigkeit; die ist aber hier von vornherein selbst die Beteiligte.

§ 25. Unmittelbarer Zwang.

291

sätze des R e c h t s t a a t e s , die nach allgemeiner Anschauung sie an gewisse F o r m e n u n d Y e r f a h r e n s s t u f e n binden. Diese sollen nun nach denselben allgemeinen Anschauungen wegfallen, nicht mehr bindend sein in solchen besonderen Fällen der Not und der Dringlichkeit und der Selbstverständlichkeit der Gewaltanwendung. Mag man das Natur recht nennen, so ist es doch nicht dieses, auf welches die Machtbefugnisse, die da geübt werden, sich gründeten; die gründen sich stets auf die gesetzliche Ermächtigung. Das Naturrecht leistet nur den Dienst, die künstlichen rechtspolitischen Hemmungen wegzuräumen, die ihnen hier im Wege stehen möchten. Damit dürfte aber auch die letzte Besorgnis beseitigt sein, als sollte hier eine Erneuerung der alten naturrechtlichen Polizeilehre versucht werden; vgl. oben § 19 Note 12. Die Fälle, welche hier i n Betracht kommen, ordnen sich aber in einem gewissen Anschluß an das Zivilrecht nach folgenden Gruppen. I . Die öffentliche Verwaltung verfolgt ihre Zwecke durch sächliche und persönliche Mittel i n mancherlei Unternehmungen, Anstalten und Einrichtungen. Die Abwehr von Störungen, welche ihr dabei von dem Einzelnen bereitet werden, hat die Natur der Polizei 6 . Besteht die Störung in einem rechtswidrigen Angriff, so erfolgt die Abwehr mit unmittelbarem polizeilichem Zwang ohne besondere gesetzliche Grundlage nach den Grundsätzen der erlaubten S e l b s t v e r t e i d i g u n g . 1. G e g e n s t a n d der polizeilichen Selbstverteidigung, das „wehrhafte Rechtsgut", besser ,,Polizeigut", ist hier die ö f f e n t l i c h e V e r w a l t u n g selbst i n ihrer äußeren Erscheinung. Also das l i e g e n d e E i g e n t u m , das Grundstück im Besitz des Staates nicht unbedingt, sondern nur soweit es dem öffentlichen Zwecke zu dienen bestimmt ist. Eine Staatsdomäne, ein Staatsfabrikgebäude ist geschützt wie anderes Privateigentum auch. Öffentliche Sachen dagegen, Wege, Brücken, Festungswerke u. dgl., werden in ihrer Unversehrtheit und Benutzbarkeit verteidigt durch die Gewaltanwendung des unmittelbaren Polizeizwangs. Auch Plätze, Gebäude und Räumlichkeiten, die nicht die besondere rechtliche Natur öffentlicher Sachen haben, werden so behandelt, soweit sie im Zusammenhange m i t dem öffentlichen Dienste selbst stehen. Es kann in einem und demselben Gebäude eine juristisch verschiedene Wehrhaftigkeit der einzelnen Teile gegeben sein: die Versperrung des Zuganges zu den Amtsräumlichkeiten, Bureaus, Sitzungssälen wird ohne weiteres polizeilich mit Gewaltanwendung beseitigt werden; wenn aber etwa der 6

Vgl. oben § 20 Note 3 und unten Bd. I I §§ 33 ff.

292

Die Polizeigewalt.

Mieter eines Gewölbes im Dienstgebäude nur den Zugang zur Dienstwohnung durch Warenaufstapelung und dergleichen erschwert, so gilt Zivilrecht. I n gleicher Weise wird bei b e w e g l i c h e n Sachen, Geräten, Waffen, Vorräten, unterschieden werden müssen. Der polizeiliche Schutz erstreckt sich auch auf Sachen, welche zwar nicht dem Staate selbst, sondern etwa den Beamten persönlich gehören, jedoch zum Dienste bestimmt sind. Die P e r s o n des Beamten genießt diesen Schutz i n der gleichen Beschränkung: nur soweit er i m Dienste ist, der Dienst i n ihm gestört wird. Alsdann bekommt einerseits seine persönliche Selbstverteidigung die schärfere polizeiliche Natur, weil er das Gemeinwesen m i t verteidigt; i n ihm aber wird dieses Verwaltungsinteresse zugleich kraft selbständigen Rechtes von jedem anderen Beamten verteidigt, der zur Durchführung dieses bestimmten Unternehmens oder zum Schutze der öffentlichen Ordnung überhaupt berufen ist. Endlich t r i t t der wahre Gegenstand der polizeilichen Selbstverteidigung möglicherweise auch ganz unverhüllt hervor: gewaltsame Abwehr findet sogar statt, wo der obrigkeitliche A k t , die ruhige Abwicklung des V e r w a l t u n g s g e s c h ä f t e s , eine Störung erleidet, ohne daß die Sachen oder Personen angegriffen werden. Es stört z. B. jemand durch lautes Sprechen die i m Freien stattfindende Verhandlung oder beeinträchtigt durch sein Benehmen die Würde und Feierlichkeit des Aktes. Aus dem Gesichtspunkte der Beamten oder des staatlichen Besitzes würde sich keine Gewaltanwendung zur Entfernung jenes Mannes rechtfertigen; aber die Verwaltung selbst in ihrem äußerlichen Gang und Erscheinen ist eben das Geschützte 7 . 2. Damit zivilrechtlich die Notwehr Platz greife, ist weiter vorausgesetzt ein r e c h t s w i d r i g e r A n g r i f f auf das wehrhafte Gut. Als Angriff, der die polizeiliche Selbstverteidigung hervorruft, ist anzusehen jede u n b e r e c h t i g t e ä u ß e r l i c h e E i n w i r k u n g auf das Erscheinen der soeben gekennzeichneten Verwaltungstätigkeit, die hier zu stören geeignet ist. Diese Einwirkung muß vom Einzeldasein ausgehen. Es ist nicht nötig, daß sie eine s c h u l d h a f t e , eine d e l i k t i s c h e sei. Auch von R e c h t s w i d r i g k e i t kann man nur in einem abgeleiteten Sinne sprechen« Denn die Sache steht so, daß jede Störung, woher sie auch komme, 7

Die Empfindlichkeit für Störung durch unangemessenes Benehmen ist nicht bei allen Amtshandlungen gleich. Gerichtliche Akte, kirchliche Feierlichkeiten sind am empfindlichsten für ihre Würde. Dann kommen gleich die militärischen Schaustellungen und Aufzüge; vgl. unten § 26, I I I n. 1.

§ 25. Unmittelbarer Zwang.

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welche i n die Verwaltungstätigkeit hineingreift, nicht sein und m i t Anwendung der dem Staate zur Verfügung stehenden Kräfte beseitigt werden soll. K o m m t die Störung aus Naturgewalten oder herrenlosen Dingen, so ist die Beseitigung einfach A r b e i t und weiter nichts. 1st aber ein Mensch dabei beteiligt m i t seiner Person, seinen Sachen, seiner Tätigkeit, so richtet sich die Arbeit gegen ihn und seinen Rechtskreis und wird zur G e w a l t a n w e n d u n g , und um ihres bewußten Zieles willen Z w a n g . I n diesem Falle allein ist auch denkbar, daß die störende Einwirkung eine Rechtfertigung erhalte und gedeckt sei durch ein mehr oder minder ausgeprägtes Recht, welches dem Störenden zusteht. Hinter Naturgewalten und herrenlosen Dingen steht diese Möglichkeit nicht. Wenn wir also sagen: Voraussetzung der Gewaltanwendung ist ein rechtswidriger Angriff, so heißt das nur: eine störende Einwirkung von einer Seite aus, welche ein Recht zu Einwirkungen h a b e n k ö n n t e , es aber i n dieser A r t oder für diesen Fall nicht hat. Daraus folgt, daß auch ein A n g r i f f s w i l l e nicht vorausgesetzt ist; das Hindernis, die Störung kann durch Sachen bereitet sein, welche durch Zufall ohne Wissen des Eigentümers i n diese Lage gekommen sind oder gegen seinen Willen. Das gesunkene Schiff wird gesprengt, um das Fahrwasser des öffentlichen Kanals freizumachen, ohne daß man den Eigentümer nur kennte. Ob dieser davon weiß, daß sein Schiff die Schiffahrtsanstalten „angreift", ob er oder sein Vertreter irgend etwas dafür kann, ist alles gleichgültig 8 . 3. Die G e w a l t a n w e n d u n g zur Selbstverteidigung, wie sie durch den Angriff gerechtfertigt wird, ist auch in U m f a n g und Maß durch die A r t des zu schützenden Gutes und des abzuwehrenden Angriffes bestimmt. Die Verwaltung wirft ohne weiteres alles beiseite, was störend i n ihre Lebensäußerungen eingreift. Alle dazu erforderliche Gewaltanwendung an Personen und Sachen ist durch diesen Zweck allein schon gerechtfertigt. E i n Abwägen zwischen dem Interesse des Staates an der Ungestörtheit seines Besitzes und Unternehmens und dem Nachteil, welcher dem Einzelnen durch die gewaltsame Beseitigung der Störung zugeht, kann dabei nötig werden gemäß dem Grundsatz der Ver8

So R.G. 30. Nov. 1910 (Entsch. L X X I V S. 362). — O.V.G. 19. Nov. 1903 (Entsch. X L I V S. 419) hat dagegen in einem ähnlichen Fall (Beseitigung eines gestrandeten Wracks) den Anspruch auf Kostenerstattung abgewiesen, weil das Wrack zwar durch den Inanspruchgenommenen, aber „ohne ein Verschulden'4 in die störende Lage gekommen war.

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Die Polizeigewalt.

hältnismäßigkeit der Polizeigewalt (oben § 20 I I I n. 2), Das gilt namentlich von der W a h l der M i t t e l der Gewalt. Was m i t geringerer Schädigung erreicht werden kann, darf grundsätzlich nicht sofort m i t härteren Schlägen gefaßt werden 9 . Die Gewaltanwendung h ö r t v o n s e l b s t a u f , berechtigt zu sein, sobald der Zweck, der sie rechtfertigt, erreicht ist. Das ist dann der Fall, wenn der Angriff vollständig überwunden und beseitigt ist. Auch i n seinen Wirkungen. Die Selbstverteidigung ist nicht darauf beschränkt, ihn noch i n der B e w e g u n g zu fassen. Die strafrechtliche Notwehr ,,hört auf mit dem endgültigen Gelingen des rechtswidrigen Angriffs"; die polizeiliche Selbstverteidigung erstreckt sich auch noch auf die durch das Gelingen des Angriffs geschaffenen Zustände, sofern sie als fortdauernde Störung sich darstellen. Gewalt findet z. B. nicht bloß statt gegen denjenigen, der seine Sache als Verkehrshindernis aufstellen will, sondern auch noch, nachdem es ihm gelungen ist, wird nachträglich die vorgefundene Sache von der Straße geschafft oder vernichtet werden können. Desgleichen kann eine Behörde ihre Akten und sonstige wesentliche Dienstsachen nicht bloß gegen Wegnahme verteidigen, sondern auch gewaltsam abholen lassen, wenn sie ihr, selbst von einem gutgläubigen Dritten, ohne Recht vorenthalten werden. Diese V e r t e i d i g u n g d u r c h W i e d e r h e r s t e l l u n g nimmt selbst die äußere Gestalt des Angriffs an, aber sie wird nichts wesentlich anderes; es handelt sich immer nur um Gewaltanwendung zur Beseitigung einer Störung, welche aus dem Einzeldasein heraus der Verwaltung bereitet wird10. I I . Jede strafbare Handlung ist zugleich eine Polizeiwidrigkeit, die nicht sein soll. U n d zwar eine besonders glatte Polizeiwidrigkeit, vom Gesetz i m voraus als solche für jedermann kenntlich gemacht und gebrandmarkt. Daher, sobald sich ihr Tatbestand erfüllen will, die Polizeigewalt ohne weitere Erörterungen zum Einschreiten berufen ist. Die g e w a l t s a m e V e r h i n d e r u n g s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n bildet den zweiten Hauptfall unmittelbaren Zwanges 11 . 0 Der Aedile, der in D. 18, 6, 12 die auf der Straße stehen gebliebenen Gerätschaften einfach zerschlagen läßt, beginge heutzutage eine Machtüberschreitung. — Das Nähere über die anzuwendenden Mittel unten § 26 I I . 10 O.V.G. 9. Sept. 1885 (Entsch. X I I S. 412): Ortspolizeibehörde läßt auf Ersuchen der Militärbehörde einem Dritten den zurückbehaltenen Militärpaß abnehmen. — Die Bücher der Leipziger Universitätsbibliothek werden, wenn nicht bibliotheksordnungsgemäß zurückgeliefert, schlimmsten Falles durch einen Schutzmann abgeholt — Selbstverteidigung der öffentlichen Verwaltung! 11 R.G. 15. Okt. 1908 ( R e g e r X X I X S. 426): Hartnäckige PolizeistundenÜbertreter, vom Schutzmann gewaltsam aus der Wirtschaft entfernt; das Recht

§ 25. Unmittelbarer Zwang.

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1. U m Gewaltanwendung zum Zweck der Verteidigung handelt es sich auch hier. Aber der zu schützende Angegriffene ist nicht wie im vorigen Falle die Verwaltung selbst. Wenn man dort von einem Seitenstück zur Notwehr sprechen könnte, so wäre hier eher an die N o t w e h r h i l f e zu denken; in den auffälligsten Erscheinungen dieser Gewaltanwendung, wo etwa der Polizeibeamte dem räuberisch Angefallenen zu Hilfe kommt, trifft sie äußerlich ganz damit zusammen. Allein sie findet auch statt, wo tatsächlich ein solcher Notwehrberechtigter nicht gegeben ist, wo durch die Straftat überhaupt niemand, weder ein Einzelner, noch ein Gemeinwesen, mit Einschluß des Staates, in seinem besonderen Besitz und äußeren Dasein angegriffen wird. Auch die Gotteslästerung, das Sittenvergehen, die Aufforderung zum Hochverrat, der grobe Unfug werden, wo es sein kann, durch unmittelbaren Zwang verhindert. Das wahrzunehmende Polizeigut ist ein geistiges, allgemeines, durch das Strafgesetz als solches hinreichend bestimmt (vgl. oben § 20 I n. 2). 2. Nicht jeder rechtswidrige Angriff genügt also hier; das zivilrechtliche Unrecht zu bekämpfen, ist überhaupt nicht Aufgabe der Polizei (oben § 20 I I n. 3). Was sich verwirklichen will, muß eine strafbare Handlung vorstellen, so wie sie durch die Regeln des Strafrechts gekennzeichnet ist. Deliktsunfähigkeit, Exemtionen und besondere Strafausschließungsgründe schließen auch die Berechtigung zu der entsprechenden polizeilichen Gewaltübung aus. Der Zeitpunkt, m i t welchem diese zulässig wird, ist nach den strafrechtlichen Tatbestandsmerkmalen bestimmt: die bestimmte Straftat muß begonnen haben oder wenigstens die Bewegung an einem Punkte angelangt sein, daß sie unmittelbar bevorsteht 12 . 2. Bezüglich des Maßes der Gewalt und der Gewaltmittel gilt das oben ( I n. 3) zur Selbstverteidigung Gesagte 13 . Doch hört hier, ebenso dazu „ergibt sich schon ohne weiteres aus der Natur des Rechtsstaates". Diese Begründung ist wohl etwas zu hochtrabend; aber der Grundsatz steht außer Zweifel: R o s i n , PoLVerord. S. 114; N e u k a m p , im Verw.Arch. I I I S. 23; v . S u t n e r , bayr. Pol. Stf. G.B. zu Art. 20 Note 1. K i t z i n g e r , Verhinderung Stf.b Handl. T. 2. 12 Zu eng E d e l , Bayr. Pol. Stf. G.B. S. 153, der mindestens einen strafbaren Versuch verlangt. Ähnlich S t a u d i n g e r bei D o l l m a n n , Bayr. Gesetzgebung I I I , V I I , S. 184 n. 4; F ο e r s t e m a η η , Pol.St. S. 411. Zu weit R.G. 16. Nov. 1885 (Entsch. Stf.S. V I I S. 668): der Gendarm nimmt einem jungen Mann seinen Stock ab mit Rücksicht auf eine möglicherweise entstehende Schlägerei. Besser O.V.G. 4. Okt. 1882 (Entsch. X S. 376): im Wirtshaussaale will eine Schlägerei in Gang kommen, und der Polizeibeamte versperrt den Hineindrängenden die Tür. 13 Bedenklich bayr. Obst.G.H. 7. Jan. 1879 (Samml. I X S. 29): Ein Fuhr-

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Die Polizeigewalt.

wie bei der Notwehr, die berechtigte Gewaltanwendung auf, sobald die strafbare Handlung beendigt und zum Ziele gelangt ist; der Beginn der Strafverfolgung gehört der gerichtlichen Polizei, die Beseitigung störender Zustände, die sich etwa aus dem Delikt ergeben haben, anderen Formen des Polizeizwangs. I I I . Hinter all dem steht noch ein dritter Rechtfertigungsgrund für die unmittelbare Gewaltanwendung; das ist das polizeiliche N o t s t a n d s r e c h t . Das bürgerliche Recht kennt unter diesem Namen Fälle, wo die Einwirkung auf eine fremde Sache als erlaubt gilt m i t Rücksicht auf das M i ß v e r h ä l t n i s zwischen dem Schaden, der dem Eigentümer entsteht, und der Gefahr, welche für den Handelnden dadurch abgewendet w i r d 1 4 . I n ähnlicher Weise wird nun auch für die Zulässigkeit polizeilicher Gewaltanwendung ein solches Mißverhältnis wirksam : der Nachteil, der dem Betroffenen widerfährt, soll klein sein gegenüber dem Unglück, das dadurch verhütet werden wird; das ist die Voraussetzung 15 . I s t diese Voraussetzung gegeben, so wird nicht etwa, wie i m bürgerlichen Notstandsrecht, der Eingriff überhaupt erst erlaubt. E» handelt sich um p o l i z e i l i c h e s Notstandsrecht, also muß eine Polizeiwidrigkeit i n Frage sein, und gegen eine solche vorzugehen, ist von vornherein das Recht und der Beruf der Polizeigewalt; dazu bedarf es nicht erst eines besonderen Notstandes. Was der Notstand hier mann läßt strafbarerweise sein Gefährt unbeaufsichtigt stehen; die Gendarmen holen ihn gewaltsam aus dem Wirtshaus und setzen ihn auf den Bock, damit er wegfahre. Aus solchen Gewaltanwendungen spricht eben oft mehr derber Humor als Rechtssinn. Zur Beseitigung der Polizeiwidrigkeit war hier ein eigenes Handeln des Fuhrmanns nicht unentbehrlich und zur Erzwingung dieses Handelns die Gewalt kein zulässiges Mittel (oben S. 285ff.). — Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann auch noch zur Geltung kommen bei der Frage, ob neben dem unbedingten strafrechtlichen Vorgehen eine polizeiliche Verhinderungstätigkeit sich überhaupt notwendig macht; die Polizei hat eben hier ihren selbständigen Standpunkt. Das kommt zum Ausdruck in den Anempfehlungen an die zum Einschreiten berufenen Beamten, zuweilen ein Auge zuzudrücken: E d e l , P.Stf.G.B. S. 180 ff.; v. S u t η e r , Bayr. Pol.Stf.G.B. zu Art. 20 Note 2. — Zu dieser Frage K i t z i n g e r , Verhinderung stfb. Handl. S. 122ff. Die dort empfohlene Einschiebung einer besonderen „Rechtspolizei" zwischen Verwaltungsrecht und Strafrecht dürfte aber wohl die Sache nicht klarer machen. M B.G.B. § 228, § 904. v. T u h r , Notstand im Zivilrecht; W e s s e l y , Befugnisse des Notstandes und der Notwehr; R. M e r k e l , Kollision rechtmäßiger Interessen. 16 S c h u l t z e n s t e i n , im Verw.Arch. X V I S. 121 ff., bespricht unter der Überschrift „Nothandlungen im Verwaltungsrechte" vor allem die Frage, inwieweit solche hier zugunsten der Einzelnen anerkannt werden. Das ist etwas anderes als unser Gegenstand, kann sich aber doch damit berühren.

§ 25. Unmittelbarer Zwang

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bewirkt, ist immer nur eine E r l e i c h t e r u n g des o h n e h i n z u l ä s s i g e n V o r g e h e n s , die eben vor allem der Gewaltanwendung zugute kommt i n ihrem Ob und Wie. 1. Jenes Mißverhältnis, das den Notstand kennzeichnet, ergibt sich vor allem da, wo die Polizeiwidrigkeit keine ganz unbedeutende und die G e f a h r , die sie mit sich bringt, d r i n g e n d e r A r t ist. Das genügt jedesmal, um das zu bewirken, worauf es allein hier noch ankommt: die Ausschaltung des durch die grundsätzliche Ordnung der Dinge gebotenen Umweges über das Verfahren m i t Befehl und Zwangsvollstreckung und das Freiwerden des unmittelbaren Zwangs (vgl. oben S. 289). Der tobsüchtige Mensch wird unschädlich gemacht, das bösartige Tier getötet, das brennende Gebäude zusammengerissen, der Selbstmordversuch m i t starker Hand vereitelt, der gefahrdrohende Wasserlauf in Ordnung gebracht 16 . 2. Unter Umständen erhält dieses polizeiliche Notstandsrecht noch eine besondere Verschärfung. Das sind vor allem die Fälle der ö f f e n t l i c h e n N o t , wo Naturgewalten m i t großer Macht auftreten, um Lebensgefahr und Zerstörung wirtschaftlicher Werte ins Weite zu tragen, Feuersnot, Wassersnot. Alle Maßregeln, die da getroffen werden, auch die polizeilichen, nehmen von selbst einen größeren Zug an. Juristisch bedeutsam ist aber die eigentümliche W e n d u n g , welche die letzteren dabei bekommen können : man zerstört nicht bloß die brennenden Häuser, sondern schießt wohl auch benachbarte Häuserreihen m i t Kanonen zusammen; man durchsticht den Damm, m i t welchem der Eigentümer sein Grundstück schützt, um der gestauten F l u t Abfluß zu verschaffen. Das ist noch Polizei, sofern das Zerstörte die Gefahr erhöht, als Polizeiwidrigkeit wirkt. Aber genauer besehen, ist es doch nur eine Nebenursache, an die man sich hält, weil die Menschenkraft sich ohnmächtig erweist gegenüber der eigentlichen Quelle des Übels. Daß die Polizeimaßregeln hier nicht die Form von Befehl und Zwangsvollstreckung zu befolgen brauchen, ist selbstverständlich wegen der Dringlichkeit der Gefahr. Die Ablenkung auf den minder schuldigen Gegenstand, welche die Unwiderstehlichkeit bewirkt, m i t der sie auftritt, läßt die Frage einer billigen Entschädigung 16 O.V.G. 8. Nov. 1899 (Entsch. X X X V I S. 302); 22. Dez. 1905 ( R e g e r X X V I I S. 334). I m letzteren Falle handelte es sich um einen wutverdächtigen Hund; die Behörde kann an den Besitzer „ein Gebot richten", ihn unschädlich zu machen; das führt dann auf den korrekten Weg der polizeilichen Zwangsvollstreckung; sie kann den Hund aber auch „mit Anwendung unmittelbaren Zwanges4 * selbst töten lassen, sofern er, frei herumlaufend, eine dringliche Gefahr bedeutet.

298

Die Poizeigewat.

aufkommen zugunsten dessen, der m i t seinem Eigentum der bedrohten Gesamtheit zum Opfer gebracht w i r d 1 7 . 3. Das Verhältnis zwischen den Einzelnen kennt Fälle, wo erlaubterweise Gewalt geübt wird von dem Menschen an dem Menschen u m einer Gefahr willen, i n welcher der Vergewaltigte selbst schwebt. Der Geisteskranke, den der Begegnende aufgreift, um ihn zur Anstalt zu bringen, der Trunkene, welchen der Freund gewaltsam nach Hause schleppt, darf sich über solche wohlwollende Gewalttat nicht beklagen. Der Hauptfall ist der der Rettung aus Lebensgefahr, die nach Umständen geradezu unter Mißhandlungen stattfindet, wie z. B. der im Wasser Versinkende an den Haaren gepackt oder sogar, um für den Retter ungefährlich zu werden, durch einen Faustschlag betäubt wird. Das Mißverhältnis zwischen der kleinen Gewalttat und dem großen Dienst deckt den Täter. Dieser Notstandsgedanke wird noch deutlicher in der r e t t e n d e n G e w a l t a n w e n d u n g , die auf polizeilichem Gebiete vorkommen kann. E i n Mensch wird nachts auf der Straße von der Übermacht seiner Gegner verfolgt und bedroht; die Polizeimannschaft ist seinen Angreifern gegenüber zu schwach oder wenigstens einem harten Kampfe ausgesetzt. Wenn sie ihn verhaftet und gewaltsam wegschafft, sind die anderen zufrieden und ist er gerettet. Vielleicht bittet er selbst darum; aber auch gegen seinen Willen kann ihm solcher Schutz bereitet werden. Das ist Polizei, insofern m i t obrigkeitlicher Gewalt die Störung der guten Ordnung beseitigt wird; die Gewalt muß unmittelbar auftreten wegen der Dringlichkeit der Gefahr; die Eigenart der Gefahr bringt es aber m i t sich, daß sie sich zweckmäßigerweise nicht gegen deren Ausgangspunkt wendet, sondern den mehr oder weniger unschuldigen Gegenstand erfaßt;, auch das ist zulässig wegen der Geringfügigkeit des Nachteils, den der kurze Polizeigewahrsam bedeutet gegenüber dem geretteten Leben 1 8 . Von Entschädigung ist eben deshalb hier keine Rede. 17 Nach preußischem Rechte wollte man früher dem Eigentümer des zur Abwehr der Feuersbrunst niedergerissenen Hauses eine actio de in rem verso gegen die Feuersozietaten gewähren, weil sie den Vorteil haben. Auch die Grundsätze der Havariegemeinschaft sollten zwischen den beteiligten Hausbesitzern zur Anwendung gebracht werden: F o e r s t e m a n n , Pol. R. S. 460ff. Ebenso rufen die Franzosen in diesem Falle die lex Rhodia de jactu an: Theorie d. franz. V.R. S. 190. Die Möglichkeit einer Haftbarmachung der „Behörde", worauf F o e r s t e m a n n a. a. 0. S. 461 noch hinweist, bedeutet die Frage einer öffentlich-rechtlichen Entschädigung, von der unter § 53 noch zu handeln sein wird. 18 Preuß. Ges. v. 12. Febr. 1850 § 6 . G. M e y e r - D o c h o w , Verw.R. § 146: „Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung muß der Polizei

§ 26. Besonderheiten des Zwanges durch Gewaltanwendung.

299

§ 26. Fortsetzung; Besonderheiten des Zwanges durch Gewaltanwendung. Die Gewaltanwendung dient sowohl der polizeilichen Zwangsvollstreckung als dem unmittelbaren Zwang. Die Voraussetzungen, unter welchen dieses Zwangsmittel zulässig ist, sind in § 24 I I I und i n § 25 festgestellt worden. Für die Art, wie es gebraucht und wirksam gemacht wird, gelten gewisse gemeinsame Regeln. I . Zur Gewaltanwendung bedient sich die Verwaltung der ihr zur Verfügung stehenden Menschenkräfte, wie sie ihr die öffentlichrechtliche Dienstpflicht i n ihren verschiedenen Formen verschafft oder zivilrechtlicher Dienstvertrag oder die Hilfeleistung zugezogener Bürger. Darunter ragt nun aber hervor eine besondere A r t von niederen Beamten, welche berufsmäßig dazu bestimmt sind, der polizeilichen Gewaltanwendung den Arm zu leihen. Das sind die p o l i z e i l i c h e n Vollstreckungsbeamten. Die Verwaltung des französischen Königtums hatte m i t ihrer maréchaussée den deutschen Fürsten das Vorbild gegeben für ein militärisch geordnetes Polizeibeamtentum, das als Polizei-Miliz, PolizeiDragoner, Polizei-Husaren usw. allenthalben entstand; zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde daraus unsere G e n d a r m e r i e . I h r steht gleich die militärisch geordnete S c h u t z m a n n s c h a f t der größeren Städte. Dazu kommen dann polizeiliche Vollstreckungsbeamte mit ,,Zivilorganisation", ö r t l i c h e Polizeibedienstete: Schutzleute, Polizeidiener, Nachtwächter; b e s o n d e r e Polizeibedienstete, wie das Forstund Flurschutzpersonal. Allen diesen Vollstreckungsbeamten eigentümlich ist ein besonderer Rechtsvorzug, der sie bei Vornahme der Gewaltanwendung, zu der sie bestimmt sind, auszeichnet. Er kommt zur Geltung bei der rechtlichen Behandlung des W i d e r s t a n d e s , den sie dabei erfahren mögen. Dieser Widerstand gegen die Staatsgewalt ist strafbar nach Stf.G.B. § 113. Damit die Strafbarkeit eintrete, muß die Person, gegen welche der Widerstand sich richtet, irgendwie befugt gewesen sein, obrigkeitliche Gewaltanwendung auszuüben oder dabei mitzuwirken. Da macht es also zunächst keinen Unterschied, ob es ein Vollstreckungsbeamter war oder sonst ein Berufener Vorausgesetzt ist aber, daß die Gewaltübung eine r e c h t m ä ß i g e war. Das Strafals Ausfluß ihrer allgemeinen Zwangsgewalt die Befugnis zugestanden werden, Verhaftungen vorzunehmen, wenn diese zum eigenen Schutze der verhafteten Person notwendig erscheinen." So einfach hingesetzt, hat dieses „Muß" immerhin den Wert eines Zeugnisses für die allgemeine Anschauung.

300

Die Polizeigewalt.

gericht nimmt also eine Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung vor, gegen welche der Widerstand sich richtete. Was dazu gehört, damit sie rechtmäßig sei, dafür gibt die Rechtsordnung für das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Staat, den der Handelnde vertritt, den Maßstab. Dieser Maßstab gilt schlechthin für jeden anderen als den Vollstreckungsbeamten; für die Amtshandlung desVollstreckungsbeamten aber kommt er nur mit einer wichtigen Abweichung zur Anwendung, und darauf beruht dessen besondere Rechtsstellung1. Es greifen nämlich hier die gleichen Rücksichten wieder Platz, welche schon wirksam geworden sind bei der Ordnung der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Haftbarkeit gewisser Beamten (vgl. oben § 18 I n. 2). Wie es dort nicht angemessen schien, diese die im Amte selbst liegende Gefahr des Fehlgehens selber tragen zu lassen in den g e r i c h t l i c h e n F o l g e n der Rechtswidrigkeit, so sollen sie hier um eines solchen Fehlgehens willen nicht des besonderen Schutzes beraubt werden gegen die G e w a l t t a t der M e n s c h e n , die sie obrigkeitlich anzufassen haben. Sie müssen vielmehr auf diesen Schutz rechnen können, solange sie ihre Pflicht t u n ; wo nicht, so trüge wieder der Staat selber den Schaden der zaghaft gewordenen Vollstreckung. Deshalb ist auch hier „rechtmäßig" zu verstehen als a m t s p f l i c h t m ä ß i g , und die nämlichen Gründe, welche die Haftung des Beamten für die äußerlich rechtswidrige Amtshandlung ausschlossen, belassen hier den Widerstand gegen diese bei seiner Strafbarkeit 2 . Es ist einerseits der I r r t u m ; der a m t l i c h e I r r t u m allein kommt in Betracht. Wenn der Vollstreckungsbeamte genötigt ist, entschlossen vorzugehen m i t selbständiger Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse, können ihm die dadurch bedingten Mißgriffe nicht angerechnet 1 Die Vollstreckungsbeamten bilden also einen engeren Kreis innerhalb der „zur Vollstreckung von Gesetzen usw. berufenen Beamten" des § 113 Stf. G.B. 11. G. 10. Jan. 1887 (Entsch. Stf.S. V I I S. 289): Ein Gerichtsassessor hatte eine sofortige Verhaftung wegen Ungebühr beschlossen und selbst dabei Hand angelegt; das Gericht erklärt den Widerstand „als gegen einen zur Vollstreckung einer Verfügung des Geriohts berufenen Beamten verübt" und strafbar. Berufen hatte sich der Assessor etwas tumultuarisch selbst. Vollstreckungsbeamter war er nicht; denn dazu gehörte die amtliche Pflicht, Hand anzulegen. Auf die hier zu erörtende besondere Rechtsstellung hätte er sich gegebenen Falles nicht berufen können. 2 Man hat einen Maßstab für die „rechtmäßige Ausübung des Amtes*4 zu gewinnen geglaubt, indem man auf die Notwehr zurückging und das daraus sich ergebende „Widerstandsrecht": v. S t r e i t , Widersetzung S. 14ff.; M. E. M a y e r , Vergi. Darst. d. Stf.R. I S. 443 ff. Allein der § 113 steht auf sich selbst; erst wenn seine Anwendbarkeit verneint wird, kann die Frage der Notwehr übrig bleiben; „Widerstandsrecht" ist ein Widerspruch in sich selbst.

§ 26. Besonderheiten des Zwanges durch G e w a l t a n w e n d u n g . 3 0 1 werden.

Seine A m t s h a n d l u n g g i l t , w e n n a u c h äußerlich rechtswidrig,

dennoch als r e c h t m ä ß i g z u seinen G u n s t e n gegenüber dem stand3.

Wider-

E r s t w o er noch etwas Besonderes, etwas Persönliches dazu

getan hat an Verabsäumung pflichtmäßig

obliegender

Achtsamkeit

oder gar bösem W i l l e n , w i r d i h m der Schutz des § 113 entzogen 4 . Andererseits w i r k t a u c h hier der D i e n s t b e f e h l des Vorgesetzten, d e r die A m t s h a n d l u n g v e r l a n g t , insoweit wenigstens, als er für den Vollstreckungsbeamten b i n d e n d ist.

Das i s t er aber i n w e i t e m Maße

a u c h da, wo die befohlene H a n d l u n g äußerlich, also d e m Gezwungenen gegenüber, r e c h t s w i d r i g sein würde. D e n n d e m Untergebenen i s t über d i e Frage, ob das i h m Befohlene nach außen r e c h t s w i d r i g ist oder n i c h t , n u r ein sehr begrenztes Nachprüfungsrecht das n i c h t der F a l l ist, m u ß er gehorchen 5 .

eingeräumt, u n d

soweit

N o c h w i c h t i g e r i s t die so

3 Man bezeichnet das wohl als den Fall, wo die Gewaltanwendung nach Ob und Wie „in das pflichtmäßige Ermessen des Beamten gelegt ist": O p p e n h o f f , Stf.G.B. zu § 113 n. 13; Ο 1 s h a u s e η , Stf.G.B. I zu § 113 n. 14; Η i 11 e r , Rechtmäßigkeit der Amtsausübung S. 80; S e e g e r , Abhandl. aus d. Stf.R. S. 314; J o h n , i n H o l t z e n d o r f f , Hdb. I I I S. 120 ff.; F r e u η d im Arch, f. öff. R. I S. 126 ff. ; B i n d i n g , Stf.R. I S. 742; Verhandl. des Nordd. Reichstags 1870 I S. 478 ff. Der Ausdruck kann irreführen: wenn dem Beamten ein freies Ermessen zusteht und er innerhalb dieses Spielraumes bleibt, liegt überhaupt keine Rechtswidrigkeit vor, die durch Irrtum gedeckt werden müßte: F r e u n d , Arch. f. öff. R. I S. 131. J o h n freilich, a. a. O. S. 121, will in der Tat, daß der Widerstand nur strafbar sei, soweit für den Beamten ein solcher Spielraum gegeben war. Daher läßt er ihn straflos, wenn z. B. der Beamte in der irrtümlichen Meiung, ein Auflösungsgrund sei gegeben, die Versammlung auflöst. Da hätte dann der Vollstreckungsbeamte nichts Besonderes. Mit Recht erklärt aber Η i 11 e r , Rechtmäßigkeit S. 80, gerade in dem von J o h n gewählten Beispiel den Widerstand für strafbar. In gleichem Sinne: O.Tr. 24. Sept. 1874 ( O p p e n h o f f , Rspr. X V S. 389): die Voraussetzungen zum Einschreiten waren irrtümlich für vorliegend erachtet; O.Tr. 9. Okt. 1876 ( O p p e n h o f f , Rspr. X V I I S. 104): irrtümliche Annahme, das Holz sei gestohlen, und Beschlagnahme desselben; R.G. 5. Nov. 1881 (Entsch. Stf.S. V S. 296): der Gerichtsvollzieher pfändet gegen den Ehemann irrtümlich Sachen der Frau; R.G. 19. Nov. 1881 (Entsch. Stf.S. V S. 208): der Gerichtsvollzieher pfändet nötige Lebensmittel in der irrigen Annahme, es sei noch hinreichend davon da. — Überall war hier trotz des Irrtums der Widerstand sträfbar. 4 O.Tr. 29. Okt. 1871: Der Exekutor hat wissentlich pfandfreie Sachen gepfändet; Widerstand ist straflos. Bayr. Ob.G.H. 19. Jan. 1874 (Samml. I V S. 39): Eine Gesellschaft hatte Polizeistundenverlängerung erhalten; zwei Polizeisoldaten, die davon nichts wissen, wollen die Räumung des Lokals vorzeitig erzwingen. Der Widerstand ist strafbar. Die Gäste, sagt das Gericht, hätten Aufklärung geben müssen. Wenn die Beamten alsdann auf der Räumung beharrten, so wäre der Widerstand straflos gewesen, allerdings auch nur, wenn die gegebene Aufklärung die Möglichkeit eines Fortbestehens ihrer irrigen Annahme billiger5 weise ausschloß. Vgl. unten § 45 I n. 1.

Die Polizeigewalt.

302

h ä u f i g gar n i c h t beachtete tatsächliche U n m ö g l i c h k e i t einer solchen N a c h p r ü f u n g v o n selten des U n t e r g e b e n e n : er b e k o m m t j a doch d i e A k t e n n i c h t z u r E i n s i c h t , er weiß n i c h t , was d e m D i e n s t b e f e h l zug r u n d e l i e g t , w i e die d u r c h i h n z u vollstreckende A n o r d n u n g ,

Urteil

oder V e r w a l t u n g s a k t , sich r e c h t f e r t i g e n w i l l ; er k e n n t bloß seine Order u n d was er demgemäß z u t u n h a t ; wegen allem, das vorausgeht u n d wov o n die äußere R e c h t m ä ß i g k e i t der A m t s h a n d l u n g , die er n u n v o r n i m m t , sehr wesentlich b e d i n g t sein k a n n , v e r t r a u t er b l i n d l i n g s seinen Dienstvorgesetzten, u n d es i s t g u t , daß das so ist, u n d m u ß so s e i n 6 . D a n n m u ß aber a u c h die A m t s h a n d l u n g als r e c h t m ä ß i g angesehen werd e n i m Sinne v o n S t f . G . B . § 113 : d e n p f l i c h t g e t r e u seiner Dienstbehörde gehorchenden

Vollstreckungsbeamten

einem

straflosen

Widerstande

entgegenschicken, das k a n n der S t a a t u m seiner selbst w i l l e n vernünftigerweise n i c h t g e w o l l t haben, u n d schließlich ist es doch der S t a a t , der a u c h die Strafgesetze m a c h t 7 . II.

Gestalt u n d Maß der anzuwendenden G e w a l t b e s t i m m e n sich

beide nach d e m z u erreichenden Zwecke, nach der A r t der z u bek ä m p f e n d e n P o l i z e i w i d r i g k e i t u n d der M ö g l i c h k e i t , i h r b e i z u k o m m e n 8 . β

Das Verständnis der ganzen Frage wird sehr erschwert, wenn man hier die zu vollstreckende Anordnung (Urteil, Verwaltungsakt) mit dem Vollstreckungsauftrag (Dienstbefehl) zusammenwirft. So N e u m a n n , in Goltdammer Arch. X X I I S. 223; er spricht von der „Vollstreckung" von A u f t r ä g e n , statt von Anordnungen, rechnet aber dann unter die Aufträge auch die Befehle, Anordnungen, Urteile und Verfügungen", welche § 113 nennt, und macht schließlich die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung des Vollstreckungsbeamten abhängig von der „Gesetzmäßigkeit des Auftrags". Scheint hier alles im Auftrag oder Dienstbefehl aufzugehen, so stellt umgekehrt Μ. E. M a y e r , Vergi. Darstellung d. Stf.R. I S. 450 ff., im Anschluß an v. S t r e i t , Widersetzung S. 99 ff., einfach Anordnung („richterliche Verfügung, Verwaltungsakt oder sonst ein Vorgang") und Vollstreckung einander gegenüber (wobei er uns die erstere als „konkretisierten Gesetzeswillen" verständlicher macht) und wundert sich dann (Festschrift f. L a b a n d S. 141 Note 1) sehr über mich, daß ich, die „übliche Darstellungsweise verschmähend", von einem Dienstbefehl spreche. Den sieht er nicht. — Richtig O l s h a u s e n , Stf.G.B. zu § 113 Note 15 a; er unterscheidet für den Vollstreckungsbeamten zweierlei Befehle: den von der „anordnenden Stelle erlassenen", und den „ihm gewordenen". 7 Diese Notwendigkeiten sind zutreffend hervorgehoben bei O l s h a u s e n , Stf.G.B. zu § 113 Note 15 a. VgL auch R.G. 1. Nov. 1880 (Entsch. Stf.S. I I S. 424). B i n d i n g , Lehrb. I I S. 771 u. 772, meint im Gegensatz dazu: „Was in solchem Falle der Beamte tut, ist gar nicht seine Handlung", es kommt darin nicht „seine Individualität zur Geltung" . . . er ist doch nur „Organ des Unrechts und kann als solches keine Respektierung verlangen". Allein wenn der Schutzmann auch nur „als Organ" verhauen werden dürfte, geht er einfach das nächste Mal nicht mehr hin. 8 Was man alles machen kann, vgl. oben § 24 Note 33, § 25 Note 3, 12, 13,

§ 26. Besonderheiten des Zwanges durch G e w a l t a n w e n d u n g . 3 0 3

Gewisse Gewaltmittel sind aber um ihrer besonderen A r t willen ein für allemal von dem natürlichen Maßstabe losgelöst und auf bestimmte formelle Grundlagen gestellt. Es sind die folgenden. 1. Die p o l i z e i l i c h e V e r w a h r u n g . Zur Beseitigung von Störungen, welche ein Mensch durch sein Verhalten verursachen mag, gibt es kein gründlicheres Mittel als die Festnahme und Einsperrung. Den polizeilichen Vollstreckungsbeamten liegt es auch besonders nahe, insofern ihre Aufgabe für die Strafrechtspflege ihnen die nötigen Räumlichkeiten ohnehin zur Verfügung stellt. Allein der Verwendung dieses Zwangsmittels steht das Bedenken entgegen, daß es leicht das Ziel überschießt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Gewalt verletzt. Deshalb kann keine Rede davon sein, daß i n den allgemeinen polizeilichen Ermächtigungen schon von selbst auch für diese A r t des Vorgehens die genügende Grundlage gegeben wäre. Vielmehr greift es nur Platz, soweit ein Gesetz es besonders für zulässig erklärt. Das kann mittelbar geschehen dadurch, daß es eine andere Gewaltmaßregel gestattet, die nur durchführbar ist, indem man sich auf solche Weise der zu maßregelnden Petson bemächtigt 9 . Das Gesetz kann aber auch ausdrücklich das Mittel der Gefangenhaltung für polizeiliche Zwecke i n größerem oder geringerem 14, 15, 18. Dazu R.G. 11. Juli 1899 ( R e g e r X X S . 241); 6. Dez. 1909 ( R e g e r X X X S. 505); O.V.G. 19. April 1895 (Entsch. X X V I I I S. 86); 16. Mai 1902 (Entsch. X L I S. 432); 14. Nov. 1902 (Entsch. X L I I S. 436). Kam.G. 19. April 1907 ( R e g e r X X V I I I S. 7); bad. V.G.H. 12. Dez. 1908 ( R e g e r X X I X S. 318). Namentlich auch zur Bekämpfung der Gefahren unrichtiger Wohnungsverhältnisse bedient sich die preußische Polizei der Gewaltanwendung in kräftig ausgeprägten Formen. O.V.G. 30. Juli 1883 (Entsch. X X V I I I S. 401): Ein Leutnant hat eine gesundheitsschädliche Wohnung bezogen; die Polizei schafft sein ganzes Mobiliar heraus und stellt es auf die Straße. O.V.G. 13. März 1899 (Entsch. X X X V S. 390): auf einem ehemaligen Gutsbezirke ist vor Erledigung des polizeilichen Genehmigungsverfahrens für neue Ansiedlung eine Anzahl von Wohnstätten errichtet worden; die Polizei macht sie alsbald unbrauchbar durch Zerstörung der Feuerungsanlagen (innere Kolonisation). 9

Ein Hauptfall ist die vorläufige Verwahrung auszuweisender Ausländer („polizeiliche Zwischenhaft": v. B i t t e r , Handw.B. I S. 174). — Vorübergehend eines Menschen sich zu bemächtigen, kann auch notwendig werden zu seiner Absonderung aus seuchenpolizeilichen Gründen oder behufs einer Zwangeheilung oder Zwangsimpfung: S c h i c k e r , Wiirtt. Pol.Stf.R. zu Ges. v. 12. Aug. 1879 Art. 2 Note 10; O.V.G. 30. Juli 1883 (Entsch. X X I I I S. 396); O.V.G. 1. März 1895 ( R e g e r X V I S. 202); O.L.G. Darmstadt 18. Nov. 1898 ( R e g e r X X S. 101). Sehr weitgehend R.G. 23. März 1880 (Entsch. St.S. I S. 503): eine ehemalige Tänzerin wird gewaltsam aus dem Zimmer eines Herrn herausgeholt, um sie unter sittenpolizeiliche Kontrolle zu stellen.

304

Die Polizeigewalt.

Umfange zur Verfügung stellen 1 0 . I n diesem Falle ist es notwendig, die Dauer zu bestimmen, für welche der Gewahrsam aufrechterhalten werden darf. Die Frist pflegt kurz bemessen zu sein: nach 24 Stunden, 48 Stunden oder „spätestens i m Laufe des folgenden Tages" muß der Gefangene wieder i n Freiheit gesetzt werden. U n d zwar selbst dann, wenn die zu bekämpfende Störungsgefahr, um derenwillen die Festnahme erfolgte, zu dieser Zeit noch fortdauert. Aber andererseits wirkt diese Fristbestimmung auch zugunsten der Polizei: wenn sie die Grenze einhält, braucht sie nicht erst Rechenschaft zu geben, ob die zu verhütende Störung nicht auch eine frühere Entlassung gestattet hätte. Das Gesetz hat ihr den Mann für die kurze Zeit i n die Gewalt gegeben; insofern liegt der Gedanke einer verdienten Strafe m i t darin 1 1 . Ohne solchen besonderen Rechtsgrund ist eine polizeiliche Verwahrung unzulässig 12 . 2. Das E i n d r i n g e n i n d i e W o h n u n g ist Gewaltanwendung gegen den, welchem die Wohnung gehört. Es besteht in dem Betreten der Wohnung oder Verweilen daselbst gegen seinen Willen. Der Wohnung stehen gleich „Geschäftsräume und anderes befriedetes Besitztum" 1 3 . Damit dieses Vorgehen der Polizeibeamten zulässig sei, genügen nicht die allgemeinen polizeilichen Ermächtigungen; es bedarf eines besonderen Rechtsgrundes dazu 1 4 . Diese Grundlage liefern für die g e r i c h t l i c h e P o l i z e i ganz von selbst die pflichtmäßig in der fremden Wohnung zu erfüllenden Aufträge zur Vornahme von Zustellungen und Verhaftungen, daneben aber auch in ausgeprägtester Weise die Bestimmungen der Stf.P.O. § 102 ff. Hier verbindet sich mit dem Eindringen in die sonst geschützten Räume auch die innere D u r c h s u c h u n g . 10

Preuß. Ges. v. 12. Febr. 1850 § 6; bayr. PoLStf.G.B. Art. 55; bad. Pol. Stf.G.B. § 30, § 76. 11 Nach B i n g e r u. E i s e n l o h r , Bad. Stf.R. S. 224, und S c h l u s s e r , Bad. Pol.Stf.R. S. 94, wäre der Eintritt der Nüchternheit bei dem festgenommenen Trunkenbold unbedingt der rechtliche Endpunkt des Gewahrsams; dafür wäre aber die Frist von 24 Stunden, die bad. PoLStf.G.B. § 76 setzt, reichlich hoch bemessen. 12

Den Ausnahmefall des polizeilichen Notstands (oben § 25 Note 20) vorbehalten. 13 Der äußere Tatbestand trifft zusammen mit dem des Hausfriedenbruches nach Stf.G.B. § 123. 14 Pr. Ges. v. 12. Febr. 1850 § 7. Der streng klingende Gesetzestext wird nichtssagend, wenn man mit F o e r s t e m a n n , PoLR. S. 439, die geforderte Befugnis in den umfassenden Ermächtigungen von A.L.R. I I 17 § 10 schon enthalten sein läßt.

§ 26. Besonderheiten des Zwanges durch G e w a l t a n w e n d u n g . 3 0 5

Für das Gebiet des Verwaltungsrechtes ist das polizeiliche Eindringen in die fremden Räume vor allem wieder von selbst gestattet, soweit eine d e m I n h a b e r g e g e n ü b e r d o r t v o r z u n e h m e n d e A m t s v e r r i c h t u n g das m i t sich bringt. Wenn und soweit die Polizeibeamten durch Mitteilungen, die sie ihm und seinen Leuten zu machen haben, durch Anfragen, die dort zu stellen sind, i n diese Räume geführt werden, so geschieht dies selbstberechtigterweise, auch gegen seinen Willen. Ebenso bedingt die polizeiliche Zwangsvollstreckung wie der zulässig gewordene unmittelbare Zwang auch das Recht des entsprechenden Eindringens. Darüber hinaus erscheint hier ein abgeschwächtes Seitenstück zu Stf.P.O. § 102, indem besondere Gesetze das Eindringen gestatten für bestimmte Fälle bloßer B e a u f s i c h t i g u n g , wo es sich also nicht darum handelt, etwas dort vorzunehmen und durchzusetzen, sondern lediglich um ein sich Vergewissern, ob Anlaß zu solchem amtlichen Vorgehen bestehen möchte oder nicht. Hiermit verbindet sich dann auch, i n gelinderer Form und beschränkt auf die zu beaufsichtigenden Dinge, etwas wie eine Durchsuchung 15 . Gegenüber diesen allgemeinen Ordnungen bestehen nun aber Abweichungen nach beiden Seiten hin. Das Recht zum Eindringen erleidet eine Beschränkung, entsprechend der für die gerichtliche Polizei vorgeschriebenen: zur N a c h t z e i t soll die Wohnung und was zu ihr gehört von einer ganz besonderen Unzugänglichkeit sein. Die Gründe, die bei Tage berechtigen mögen, t u n es jetzt nicht mehr. Es muß sich um einen Ausnahmsfall handeln, um eine dringende Gefahr, die das Einschreiten der Polizei gerade auch für die Bewohner selbst erforderlich machen kann: Feuersnot, Wassersnot, rechtswidrige Gewalttat. E i n Hilferuf, der aus der Wohnung heraus ergeht, kann dafür einen genügenden Beleg abgeben 16 . Auf der anderen Seite wird das Recht der Polizei erweitert bei den p o l i z e i o f f e n e n R ä u m e n . Das sind solche, die gemäß der ihnen 15 Nahrungsmitteiges, v. 14. Mai 1879 § 2 u. § 3; Gew.Ord. § 139 a. Landesrechtlich: Feuerschau, gesundheitspolizeiliche Wohnungsbesichtigung, Apothekenvisitation. — Bedenklich R.G. 22. Febr. 1881 (Entsch. Stf.S. I I I S. 63): der „von zuständiger Seite beauftragte Polizeibeamte" kann die Wohnung betreten behufs Umsehens, ob ein verdächtiger Dritter da sei. Die „zuständige Seite" müßte doch jedenfalls ein Gesetz hinter sich haben. Vgl. auch R.G. 24. Sept. 1880 (Entsch. Stf.S. I I S. 249); O.V.G. 8. Nov. 1896 (Entsch. I S. 375); 31. März 1903 (Entsch. X L I I I S. 414). 18 Preuß. Ges. v. 12. Febr. 1850 §§ 8 u. 9.

B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: 0 1 1 ο Μ a y e r, Verwaltungsv. I . 3. Aufl.

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Die Polizeigewalt.

von ihrem Inhaber gegebenen Bestimmung allgemein zugänglich sein sollen: Wirtschaften, Theater, Tanzplätze, Konzerte, offene Geschäftsläden. Wo das der Fall ist, haben Beamte der Polizei u n b e d i n g t e n Z u t r i t t , das w i l l sagen: nicht bloß für den bestimmten Zweck, für welche die Räume anderen Leuten geöffnet sind, und auch nicht unter der Bedingung der Entrichtung des sonst etwa geforderten Eintrittsgeldes; und weiter: unter Beseitigung des sonst dem Inhaber zustehenden Rechtes, bestimmte Personen von dem allgemeinen freien Verkehr auszuschließen; endlich: auch ohne die Voraussetzung einer bestimmten vorzunehmenden Amtsverrichtung, also auch zu bloßen Beaufsichtigung und Kenntnisnahme. Diese Polizeioffenheit besteht gerade solange, als diese Räumlichkeiten dem öffentlichen Verkehr überhaupt zugänglich gehalten sind, also auch ohne Rücksicht auf die Nachtzeit. 3. Die E i n z i e h u n g von Gegenständen i m Sinne von Stf.G.B. § 40 steht der Polizei nicht zu. Wenn sie sich fremder Sachen bemächtigt, so geschieht es nicht, u m ein verwirktes Eigentum zu erwerben. U m Störungen der guten Ordnung entgegenzutreten, genügt vorübergehende Wegnahme und Wegnahme zur Unschädlichmachung durch geeignetes Behandeln oder einfaches Vernichten 1 7 . Auch die vom Gesetz gestattete Wegnahme von Proben feilgehaltener Nahrungsmittel, um sie auf ihre Unschädlichkeit zu prüfen, führt zur Wertvernichfcung. Hier kann ausnahmsweise eine Entschädigung des Betroffenen i n Frage kommen; davon unten § 53 das Nähere. Auf keinen Fall soll die Obrigkeit dabei etwas gewinnen 1 8 . 4. Das schärfste Mittel polizeilicher Überwältigung ist der W a f f e n g e b r a u c h , d. h. die bestimmungsgemäße Anwendung des 17

R.G. 19. Sept. 1895 ( R e g e r X V I S. 208): gerichtliche Einziehung von Handfeuerwaffen mit unechten Prüfungsstempel abgelehnt; nachher gleichwohl von Polizei dem gutgläubigen Erwerber weggenommen „zum Schutze des Publikums'4. R.G. 19. März 1897 ( R e g e r X V I I S. 76): amtlicher Hundefänger nimmt maulkorblosen Hund von der Straße weg; Beschlagnahme im Sinne von Stf.G.B. §*137. I n beiden Fällen erwirbt der Staat kein Eigentum an diesen Sachen. Bei O.L.G. Dresden 9. Juni 1904 ( R e g e r X X V I S. 191) — ein ganzes Weinlager weggenommen, weil es unerlaubtem Schankbetriebe gedient hatte — scheint die polizeiliche Verhütungsmaßregel und die strafrechtliche Einziehung durcheinander zu laufen. 18 Nahrungsmitteiges, ν 14. Mai 1879 § Abs. 2. Säehs. O.V.G. 23. März 1904 (Jahrb. VS. 198): Behufs der vorgeschriebenen Trichinenschau sind Fleischproben bei den Metzgern entnommen worden; die Reste davon hat die Stadt verkauft, aber den Erlös darf sie nicht behalten; denn sie „hat ein Eingriffsrecht nur, insoweit das von ihr zu schützende öffentliche Interesse reicht".

§ 26. Besonderheiten des Zwanges durch Gewaltanwendung.

zu seiner Ausrüstung dienenden Körperverletzungswerkzeuges ( D i e n s t waffe) durch den polizeilichen Vollstreckungsbeamten. Es versteht sich nicht überall von selbst, wo Gewaltanwendung zulässig ist. Denn die Gewaltanwendung soll die Störung abwehren, den Störer hindern, sie fortzusetzen; sie soll ihm aber kein Übel zufügen, welches fortdauert, wenn die Störung überwunden ist. Der Waffengebrauch führt seiner Natur nach immer zu einem solchen Übel. Er kann zulässig werden auf zweierlei Weise. Einmal nach dem gemeinen Rechte der N o t w e h r . Der Beamte kann bei seinem Dienste i n die Lage kommen, einen rechtswidrigen Angriff von sich selbst oder von einem anderen abzuwehren. Dafür gelten dann die Regeln Stf. G.B. § 53. Daß die Dienstwaffe bei der Hand ist, macht nur einen tatsächlichen Unterschied 19 . Daneben steht aber noch eine besondere R e g e l u n g des W a f f e n g e b r a u c h s durch das Gesetz. Polizeiliche Vollstreckungsbeamte erhalten dadurch das Recht, sich der Dienstwaffe und nur dieser zu bedienen über den F a l l der Notwehr hinaus20. Das Gesetz bestimmt, für welche B e a m t e n das gilt. I n erster Linie ist überall die militärisch organisierte Gendarmerie so ausgezeichnet. Dieses Sonderrecht wird dann auf Schutzmannschaften und ähnliche polizeiliche Vollstreckungsbeamte ausgedehnt, teilweise auch auf Forst- und Jagdschutzpersonal, Gefängnisbeamte und dergleichen 21 . I n der Ausstattung eines Beamten m i t einer Waffe liegt nicht von selbst auch die Gewährung besonderer Waffengebrauchsbefugnisse 22. Die F ä l l e , i n welchen der bevorzugte Waffengebrauch stattfindet, zählt das Gesetz auf, möglicherweise verschieden für die einzelnen 19 W i l f l i n g , Adm. Waffengebr. Waffengebr. d. Milit. S. 7 ff.

S. 16ff.; E i s e o m , Notwehr und

20 v a n C a l k e r , R. d. Milit. z. admin. Waffengebr. S. 17, S. 39. Es ist nicht einzusehen, weshalb das Gesetz die genauere Bestimmung nicht einer Verordnung sollte überlassen k ö n n e n ; die Bedenken, die v a n C a l k e r , übereinstimmend mit W i 1 f 1 i η g a. a. 0. S. 12, vorbringt, liegen auf dem Gebiete der Zweckmäßigkeit. 21 v. A r η s t e d t , Pr. PoLR. I . S. 326 ff.; D e 1 i u s , im Arch. f. öff. R. X I S. 84; W i 1 f 1 i η g , Adm. Waffengebr. S. 29 ff.; Η a t s c h e k , V.R. S. 412. — Die pr. Kab.Ordre v. 4. Febr. 1854 (nicht in der Ges. Samml. publiziert) stellt nur fest, was bisher schon galt; das Wort „zu denen auch die Schutzmannschaft gehört", bezieht sich auf die militärisch organisierte Schutzmannschaft der großen Städte. Die Praxis neigt zu weiterer Ausdehnung. 22 D e 1 i u s , im Arch. f. öff. R. S. 85 Note 1. Über den Dienstspieß des Nachtwächters: W i l f l i n g a. a. O. S. 91.

Die Polizeigewalt.

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Beamtenklassen. Die ohnehin zulässige Notwehr läßt sich dann meistens zugleich bei einer dieser Rubriken unterbringen. Jedenfalls ist der Waffengebrauch, der nicht so gedeckt ist, unzulässig 23 . Durch einen Dienstbefehl, der dem Beamten von seinem Vorgesetzten erteilt wird, kann das so geregelte Waffengebrauchsrecht nicht erweitert werden 2 4 . I I I . D a s s t e h e n d e H e e r , der miles perpetuus, hat unserer werdenden Staatsgewalt den Boden i n der harten Wirklichkeit geschaffen; auch die innere Souveränität ist sein Werk. Nachdem jetzt die Verwaltung, besonders die Polizei, sich längst gerüstet hat m i t eigenen Zwangsmitteln, steht noch immer das Heer und sein unerschöpflicher Kraftvorrat daneben, um der Aufrechterhaltung der guten Ordnung des Gemeinwesens durch die nötige Gewaltanwendung zu dienen. Nicht bloß i m äußersten N o t f a l l erscheint es als letztes Zwangsmittel; weniger auffallend, aber viel bedeutsamer ist die Mitwirkung, die es i m täglichen G a r n i s o n w a c h d i e n s t e leistet. Was wir bisher über die polizeiliche Gewaltübung und ihre Rechtsgrundlagen ausgeführt haben, findet auf diese Tätigkeit nicht von selbst schon Anwendung. Denn der Soldat ist kein polizeilicher Vollstreckungsbeamter; die wesentliche Bestimmung des Heeres ist eine andere als die, polizeiliche Zwecke zu verfolgen. 23 Wichtig vor allem pr. Gendarmerie-Instruktion v. 30. Dez. 1820 § 28: „Die Gendarmen sind befugt, auch ohne Autorisation der vorgesetzten Behörde, sich der ihnen anvertrauten Waffen zu bedienen:

a) wenn Gewalt oder Tätlichkeiten gegen sie selbst, indem sie in Dienstfunktion sich befinden, ausgeübt werden; b) wenn auf der Tat entdeckte Verbrecher . . . sich mit offener Gewalt oder mit gefährlichen Drohungen widersetzen; c) wenn sie auf andere Art den ihnen angewiesenen Posten nicht behaupten oder die ihnen anvertrauten Personen nicht beschützen können." R i s s ο m , Notw. u, Waffengebr., S. 63, geht erschreckend weit, wenn er in lit. c die allgemeine Ermächtigung sieht, sich der Waffen zur „Durchsetzung seiner Aufgaben" zu bedienen. Darf der Gendarm, der am anderen Ende des überfüllten Saales eine Bestellung zu machen hat, sich den Weg mit der Waffe bahnen ? Der „anvertraute Posten" ist doch wohl nur örtlich zu verstehen als der zu verteidigende Raum. 24

Die Worte „auch ohne Autorisation der vorgesetzten Behörde" wollen nicht sagen: m i t Autorisation auch in anderen Fällen, wie D e 1 i u s, Arch. f. öff. R. X I S. 124, entnehmen möchte; dagegen mit Recht R i s s o m , Notw. u. Waffengebr. S. 64. — Umgekehrt kann ein dienstliches Verbot den Waffengebrauch amtspflichtwidrig machen, weil es eben auch nach außen wirkt (oben § 18 I n. 2). Nur die Notwehr bleibt immer frei, auch mit der Waffe; die ist Menschenrecht: W i l f l i n g , Adm. Waffengebr. S. 17.

§ 26. Besonderheiten des Zwanges durch G e w a l t a n w e n d u n g . 3 0 9

W i r fragen also: wie rechtfertigt sich die Gewaltanwendung des Militärs gegenüber anderen Staatsangehörigen oder, wie man es auch ausdrückt, i n Friedenszeiten? Davon, daß die Gewalt schon u m deswillen rechtlich zulässig wäre, weil sie tatsächlich nur allzu leicht möglich ist, kann ja für uns keine Rede sein. W i r haben ausdrückliche Gesetze, welche sich auf diesen Gegenstand beziehen. Sie bilden teils besondere Rechtsinstitute für außerordentliche Fälle aus, wie den B e l a g e r u n g s z u s t a n d , die B e k ä m p f u n g des A u f r u h r s . Andernteils regeln sie ganz allgemein den W a f f e n g e b r a u c h des M i l i t ä r s i n Friedenszeiten. Die letzteren Bestimmungen gehen uns hier vor allem a n 2 5 . Da ist nun zu beachten, daß i n ihnen stets ein p f l i c h t m ä ß i g e s u n d r e c h t m ä ß i g e s T ä t i g w e r d e n des M i l i t ä r s s c h o n v o r a u s g e s e t z t i s t , i n dessen Verlauf es zu dem Waffengebrauch, den sie regeln, kommen kann. U n d zwar muß es sich handeln u m eine befohlene Dienstleistung ( „ e i n Kommando"), die ein Auftreten „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit" m i t sich bringt — also P o l i z e i z w a n g . Die rechtlichen Grundlagen dieser vorausgesetzten Tätigkeiten selbst sind aber erst noch i n Frage. Durch die Bestimmungen über den Waffengebrauch des Militärs ist noch nicht gesagt, wie und wann das M i l i t ä r überhaupt berufen ist, polizeiliche Zwecke dem Bürger gegenüber zu vertreten und dafür t ä t i g zu sein 2 6 . 25

Maßgebend geworden ist das preuß. Ges. über d. Waffengebr. d. Milit. v. 20. März 1837. Es bestimmt in § 1: „Das in unserem Dienste zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit auftretende Militär ist berechtigt, auf Wachen und Posten, bei Patrouillen, Transporten und allen anderen Kommandos, auch wenn solche auf Requisition oder zum Beistande einer Zivilbehörde gegeben werden, in den nachstehend §§ 2—6 bezeichneten Fällen von seinen Waffen Gebrauch zu machen." Was für die Gendarmerie gilt (oben Note 23), ist hier etwas verschärft. G. M e y e r , in Verw.R.Wörterb. I I S. 848 ff. ; ν a η C a 1 k e r , R. d. Milit. z. adm. Waffengebr. ; R i s s ο m , Notw. u, Waffengebr. S. 53 ff.; W i l f l i n g , Adm. Waffengebr. S. 162 ff. 26

Bei Besprechung des Falles Zabern gibt L a b a η d , in D.J.Z. 1914 S. 189 den § 1 els.lothr. Ges. v. 28. März 1872 wieder, der mit dem in der vorigen Note angeführten Texte des preuß. Ges. übereinstimmt, und fügt hinzu: „Hieraus folgt, daß das Militär die selbständige Aufgabe hat, die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit aufrecht zu erhalten und zu diesem Zwecke aufzutreten." Allein die genügende Rechtsgrundlage für solches Einschreiten, wie L a b a η d sie für seine Verteidigungsschrift brauchte, folgt aus jenem Texte nicht. Vielmehr folgt daraus nur, daß diese Gesetzesbestimmung ihrerseits voraussetzt, es werde dafür Rechtsgrundlagen geben; daß solche bestehen und im gegebenen Falle zutreffen, wäre jedes Mal erst noch nachzuweisen gewesen.

310

Die Polizeigewalt.

Dies kann auf zweierlei Weise geschehen

27

:

1. Der ungestörte Gang der öffentlichen Anstalten und Einrichtungen ist ein Bestandteil der guten Ordnung des Gemeinwesens und die Abwehr von Störungen davon durch obrigkeitliche Gewalt ein Hauptstück der Polizei. Sie kann durch unmittelbaren Zwang geschehen nach den Grundsätzen der v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e n S e l b s t v e r t e i d i g u n g (oben § 25, I). Eine derartige Anstalt ist auch das Heer, bei welchem nur das Besondere obwaltet, daß es die persönlichen Kräfte zu selbständiger Abwehr überreich und überstark besitzt. Auf Grund dieses Rechtes schützt das Heer durch besonders dazu befohlene Mannschaften seine D i e n s t s a c h e n : Dienstgebäude, Übungsplätze, Festungswerke und alles, was dazu gehört, Geräte, Werkzeuge, Waffen, Vorräte und Inventarstücke jeder A r t , verschossene Munition usw. Schädigungen und Störungen der Brauchbarkeit werden abgewehrt m i t unmittelbarem Zwang. Alle Formen der Gewaltanwendung mögen dazu dienen. Die Erlaubnis zum Gebrauch der Waffe fügt das ausdrückliche Gesetz noch obendrein hinzu. I n gleicher Weise wird auch der G e s c h ä f t s b e t r i e b der großen Heeresanstalt selbst gegen Störungen verteidigt. Dieser Geschäftsbetrieb begreift jede A r t von dienstlicher Tätigkeit: „auf Wachen und Posten, bei Patrouillen, Transporten und a l l e n anderen K o m m a n d o s " . E r hat nicht bloß seine eigenen Räumlichkeiten, sondern entfaltet sich auch i n Märschen, Aufstellungen, Paraden auf öffentlichen Straßen und Plätzen, das Publikum verdrängend und seinerseits keinerlei Beeinträchtigungen duldend: wir sehen die Straße durch Posten gesperrt, welche die Vordrängenden m i t dem Kolben abweisen, wir sehen den eiligen Mann, der durch die lange Reihe der marschierenden Truppe hindurch den jenseitigen Bürgersteig gewinnen will, m i t der flachen Degenklinge behandelt. Das ist nicht, wie es scheinen könnte, einfache Gewalttat, sondern die Selbstverteidigung einer gegen 27

Die Einteilung ergibt sich von selbst dai aus, daß das Heer nicht in erster Linie für die Polizeiübung da ist. Es hat nur wie andere Verwaltungszweige neben der allgemeinen Polizei seine besondere, seine V e r w a l t u n g s p o l i z e i nach der oben S. 211 erwähnten Ausdrucksweise. Dazu kommt dann die eigentümliche Gehilfenschaft, die es gesetzmäßig der allgemeinen, der S i c h e r h e i t s p o l i z e i , zu leisten hat auf dem dieser vorbehaltenen Gebiet. — Dem entspricht die Einteilung, welche in der grundlegenden preuß. Instr. v. 4. Juli 1863 gemacht wird, wenn sie unterscheidet: „I. Waffengebrauch des Militärs aus eigenem Recht" und „ I I . Waffengebrauch bei Verwendung des Militärs zur Unterdrückung innerer Unruhen und zur Ausführung der Gesetze".

§ 26. Besonderheiten des Zwanges durch G e w a l t a n w e n d u n g . 3 1 1

Störungen allerdings sehr empfindlichen öffentlichen Anstalt — Polizei 2 8 . 2. Bildet das Bisherige eine A r t eigner Polizeigewalt der militärischen Anstalt gegenüber den Untertanen, so kann das Heer andererseits auch berufen sein, an fremder Polizei durch Gewaltübung teilzunehmen, d. h. an der anderen Verwaltungen zustehenden Polizeitätigkeit. Das ist a b g e l e i t e t e r m i l i t ä r i s c h e r P o l i z e i z w a n g . Gegenstand und Umfang richten sich nach dem Rechte des Verwaltungszweiges, welchem die militärische Hilftstätigkeit sich anschließt. Nur sind naturgemäß die Voraussetzungen und die Formen dieser Hilfstätigkeit möglichst einfach und gleichförmig gestaltet, so daß die Mannschaft in deutlich gezeichneten Bahnen sich bewegt. Es können andere staatliche E i n r i c h t u n g e n u n d A n s t a l t e n eines stärkeren Schutzes bedürfen, als ihre eigenen Kräfte und das allgemeine Polizeipersonal ihnen zu gewähren vermögen; das Heer gibt für sie alsdann Wachen und Posten ab. Das geschieht vor allem zur Bedeckung von Gefängnisanstalten und sonstigen wichtigen staatlichen Gebäuden. Was hier für das Militär zu t u n ist, bestimmt die Dienstinstruktion. Das Recht zum Zwang aber entlehnt sie einzig aus dem Selbstverteidigungsrechte der beschützten Anstalt; immer mit Hinzufügung der besonderen gesetzlichen Zwangsform des Waffengebrauchs. I n der gleichen Weise gewährt das Militär der bürgerlichen Polizei die gewünschte A u s h i l f e zur Verstärkung des Forst- und Jagdschutzes oder auch, bei Feuersbrünsten i m Garnisonsorte, zur gründlicheren Absperrung der Brandstätte. Es kann daneben auch zu s e l b s t ä n d i g e r e r M i t w i r k u n g bei der allgemeinen Sicherheitspolizei ermächtigt sein durch besonderes Gesetz 29 . 28 Daneben steht das allgemeine Recht der Notwehr nach Stf. G.B. § 53, welches kein „Kommando" voraussetzt. Der Gebrauch der Waffe, die ja bei der Hand ist, ergibt sich aber hier von selbst. Die besonderen militärischen Anschauungen von Ehre erzeugen die Neigung, die Voraussetzungen der Notwehr verhältnismäßig leichter als vorhanden anzunehmen, andererseits aber einen etwa gegebenen Rechtstitel zum Waffengebrauch auch voll auszunutzen. Vgl. die preuß. Instr. v. 4. Juli 1863 I n. 3 und bayr. Garnisondienst-Instr. v. 5. April 1885 § 12: „nur hierdurch ist die Wahrung der Würde des Militärdienstes verbürgt". Etwas anderes ist es, wenn R e h m , in Krit. Viert. Schft.N.F. X I I I S. 160, aus diesem Ehrbegriff unter dem Namen Ehrennotwehr sogar einen selbständigen „Rechtstitel" machen will für Waffengebrauch zu allerlei Zwecken, auch ohne Gesetz. 29 F o e r s t e m a n n , Preuß. PoLR. S. 113: „Soweit sich der militärische Wachdienst nicht auf das unmittelbare Militärinteresse bezieht, wird dadurch der Ortspolizei ein Dienst abgenommen, den diese eigentlich selbst verrichten müßte." — Gelegentlich einer Feuersbrunst kann das Militär eine e i g n e Polizei

312

Die Polizeigewalt.

Vor allem steht aber auch hier wieder das g e m e i n e R e c h t dahinter, welches, wie jeden anderen, auch den Soldaten unter Umständen beruft, daß er der Polizei behilflich werde. Wenn die Polizeimannschaften Widerstand finden, kann es für jeden, der zur Hand ist, förmlich aufgefordert oder nicht, eine B ü r g e r p f l i c h t sein, ihnen Beistand zu leisten; die alsdann geübte Gewalt ist durch das Recht der unterstützten Polizeibeamten gedeckt. Eine Unterstützung der Sicherheitspolizei (nicht bloß eine Teilnahme an gerichtlicher Polizei) liegt auch i n der nach Stf.Pr.O. § 127 „jedermann" zustehenden vorläufigen F e s t n a h m e a u f f r i s c h e r T a t : die strafbare Handlung selbst wird dadurch kräftig unterbrochen. Das w i r k t alles auch zugunsten des Soldaten. Bei i h m erhält es aber durch den Zusammenhang m i t seiner Dienstpflicht eine besondere Bedeutung. Der Dienst kann bei i h m die Ausübung solcher allgemeinen Befugnisse ausschließen, von selbst oder durch Verbot. Umgekehrt aber kann ihm seine Dienstvorschrift zur Pflicht machen, i n dieser Weise einzugreifen, wo der Fall sich bietet. Dann beruht seine Befugnis zum Eingriff nach wie vor auf jenen allgemeinen Menschenrechten. Die Dienstvorschrift aber macht, daß die Ausübung jetzt erfolgt, „ i n unserem Dienste zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit"; es wird Polizei, was hier geübt wird. I n solcher Weise sind namentlich die W a c h e n u n d P o s t e n m i t polizeilicher Hilfstätigkeit betraut 3 0 . — Von allen diesen Fällen hebt sich aber noch einmal scharf ab die Polizeigewaltübung, zu welcher das Heer berufen sein kann i m Falle innerer Unruhen 31. Hier hatte das frühere Recht nach französischem Vorbild das zu üben bekommen, wenn militärische Gebäude zu schützen sind oder die Garnisonsfeuerwehr in Tätigkeit tritt und vor Störungen bewahrt werden soll. Auch das Rettungswerk der Pioniere bei Überschwemmungen umgibt sich von selbst mit einer entsprechenden eigenen militärischen Polizei. 30 Preuß. Instr. für die* Wachen v. 27. Juli 1850 § 6 n. 1: Festnahme von „Personen, welche bei Ausführung einer strafbaren Handlung oder gleich nach derselben betroffen oder verfolgt werden". Nach der Instr. geschieht das „vermöge eigener Amtsgewalt" — im Gegensatz zu der Festnahme auf Befehl (§ 7), der nur ,.in den gesetzlich zulässigen Fällen" erfolgen soll, aber von der Wache stets auszuführen ist „auf Gefahr des Befehlenden". Die eigene Amtsgewalt der Wache ruht auf dem oben erwähnten allgemeinen Verhaftungsrecht. Die in § 15 der Instruktion erwähnte Befugnis, in dringenden Fällen Personen kurze Zeit „in Verwahrung zu nehmen" (vgl. § 26 I I n. 1), ist den Wachen durch das Ges. v. 12. Febr. 1850 § 6 besonders überwiesen. Beides bedeutet Stücke der allgemeinen Sicherheitspolizei. 31 Preuß. Ges. v. 4. Juni 1861 § 4.

§ 26. Besonderheiten des Zwanges durch G e w a l t a n w e n d u n g . 3 1 3 I n s t i t u t des B e l a g e r u n g s z u s t a n d e s

(Kriegszustandes)

geschaffen.

E r w i r d v o n der d a z u berufenen Stelle f ö r m l i c h e r k l ä r t u n d b e k a n n t gemacht u n d bedeutet d a n n f ü r das betroffene Gebiet einen Z u s t a n d v e r m i n d e r t e r F r e i h e i t , gekennzeichnet d u r c h zeitweilige B e s e i t i g u n g der schützenden Verfassungsbestimmungen u n d Ü b e r g a n g der bürgerl i c h e n V e r w a l t u n g ganz oder teilweise i n die H ä n d e des m i l i t ä r i s c h e n Befehlshabers.

F a l l s es w i r k l i c h z u r „ m i l i t ä r i s c h e n A k t i o n "

kommt,

w i r d sie d u r c h g e f ü h r t m i t der ganzen H ä r t e des K r i e g e s ; v o n V e r w a l t u n g u n d P o l i z e i i s t d a b e i ü b e r h a u p t keine Rede mehr.

Deshalb

h i e l t das Gesetz daran, daß g r u n d s ä t z l i c h die bürgerliche

Behörde

den Z e i t p u n k t z u b e s t i m m e n habe, da solches E i n s c h r e i t e n des Heeres s t a t t f i n d e n solle u n d dürfe

(Requisitionsprinzip)32.

D i e Reichsverfassung v o n 1919 A r t . 48 h a t dieses System verlassen u n d ersetzt d u r c h eine weitgehende E r m ä c h t i g u n g des Reichspräsidenten, die n ö t i g e n M a ß n a h m e n z u treffen, m i t H i l f e der bewaffneten M a c h t einzuschreiten u n d gewisse Freiheitsrechte ganz oder teilweise vorübergehend außer K r a f t z u setzen. k l ä r u n g l e i t e t diesen A u s n a h m e z u s t a n d n i c h t e i n

E i n e förmliche 33

Er-

. D a s Requisitions-

32

Die preuß. Verf.Urk. Art. 36 behält dem Gesetz vor, Ausnahmen vom strengen Requisitionsprinzip zu bestimmen. Ein solches Gesetz ist nie ergangen. Dagegen war eine Kab.Ord. v. 17. Okt. 1820 vorhanden, die allerdings, niemals publiziert, als bloße Instruktion seit der Verf.Urk. keine Rechtsgültigkeit mehr besaß. Gleichwohl wurden die Ausnahmen vom Requisitionsprinzip, welche sie aufgestellt hatte, immer w;eder zum Inhalt der preußischen Instruktionen gemacht. Darunter war auch die, daß der Militärbefehlshaber, wenn er der Überzeugung ist, „daß die Zivübehörde mit der Requisition um Militärbeistand zu lange zögert", auf eigne Faust einschreiten könne. Das stammte nach aus der alten Zeit des „soldatischen Mitregimentes in allen Pclizeisachen". Nun aber begab es sich, daß 1914 in Zabern ein junger Offizier, der sich durch schlechte Behandlung elsässischer Rekiuten unbeliebt gemacht hatte, Gegenstand unliebsamer Demonstrationen geworden war, welche nach Ansicht des Obersten von der Verwaltung nicht kräftig genug unterdrückt wurden; er ließ eines Abends seine Truppen mit schußfei'tigen Gewehren einen Ausfall machen auf die öffentliche Straße und an Bürgern und Beamten zusammenfangen, was man in die Hände bekamen, um alles in einen großen Keller der Kaserne einzusperren. Die deutsche Regierung zahlte nachher Entschädigungen und gab eine neue Instruktion heraus, in welcher der verhängnisvolle Passus gestrichen war. Vgl. über diesen Fall: W i l f l i n g , Adm. Waffengebr. S. 198; W. J e 11 i η e k , Zabern; derselbe in Arch. d. öff. R. X X X I I I S. 247; L a b a n d , in D.J.Z. 1914 S. 197. Schade nur, daß vorher niemand dahinter gekommen ist, daß hier, offenbar unbewußt, der Keim zu argen Gesetzwidrigkeiten gelegt worden war. 83 Was wohl kaum eine Verbesserung ist; vgl. G r a u , Diktaturgewalt S. 20. Unsere neue Gesetzgebung hat ja auch sonst die Bedeutung des Verwaltungsaktes für Recht und Rechtsbewußtsein nicht hoch eingeschätzt.

314

Die Polizeigewalt.

prinzip ist für überflüssig angesehen, da der bürgerliche Anschauungen vertretende Reichspräsident selber den Oberbefehl hat über die gesamte Wehrmacht (RVerf. A r t . 47). Wenn der Soldat i n der einen oder anderen Weise polizeilich tätig werden und insbesondere auch Waffengebrauch dabei üben soll, so verbleibt er selbstverständlich auch hierin unter der Befehlsgewalt seiner militärischen Vorgesetzten. I h r Dienstbefehl schafft für ihn die Voraussetzungen solcher Tätigkeit überhaupt, verpflichtet ihn, von der rechtlich zulässig gewordenen Gewaltanwendung Gebrauch zu machen, vermag aber den Kreis ihrer rechtlichen Zulässigkeit hier sowenig zu erweitern wie beim bürgerlichen Vollstreckungsbeamten. Doch deckt er i h n wie diesen vor der persönlichen Verantwortlichkeit (oben S. 191), und zwar abweichend von dem, was für diesen gilt, auch vor der strafrechtlichen. Das hängt zusammen m i t der strengeren Gehorsamspflicht, welche der militärische Dienstbefehl erzeugt (vgl. unten § 45 I n. 1.) Gegen Widerstand und tätlichen Angriff genießt andererseits der i n polizeilichen Verrichtungen begriffene Soldat gemäß Stf.G.B. §. 113 Abs. 3 m i t dem Vollstreckungsbeamten den gleichen Schutz 3 4 . 34

B i n d i n g , Lehrb. d. Stf.R. I I S. 782, verlangt mit Recht einen inneren Zusammenhang zwischen Abs. 3 und Abs. 1 des § 113. Der Angriff auf exerzierende Soldaten fällt nicht unter jenen. Es ist aber auch nicht nötig, daß der Soldat gerade „in einem Vollstreckungsakte4' begriffen sei, wie B i n d i n g verlangt; es genügt, daß er in Ausübung polizeilichen Dienstes steht: § 113 Abs. 3 trifft auch den Angriff auf die Zuchthauswache, die im Augenblick an keinen Vollstreckungsakt denkt. Beim patrouillierenden Schutzmann ist es ebenso: O l s h a u s e n , Stf.G.B., zu § 113 Note 4.

Zweiter Abschnitt.

Die F i n a n z g e w a l t § 27.

Die Steuerauflage. F i n a n z e n sind die Staatseinnahmen; F i n a n z v e r w a l t u n g ist die auf die Staatseinnahmen gerichtete staatliche Tätigkeit; F i n a n z g e w a l t ist die öffentliche Gewalt, wenn sie ausschließlich sich richtet auf die Staatseinnahmen. So abgegrenzt bildet die Finansgewalt m i t der geschlossenen Einseitigkeit ihrer Rechtsinstitute das Seitenstück zur Polizeigewalt. Es wiederholen sich die Formen des Befehls (§ 30), der Strafe (§ 31), des Zwanges (§ 32). Dazu kommt hier als neue eigenartige Form: die Auferlegung v o n Z a h l u n g s p f l i c h t e n an die Staatskasse. Dergleichen kann sich bei sonstigen Tätigkeiten, Betrieben und Veranstaltungen des Staates i n mancherlei Weise nebenher ergeben: Geldstrafen, Kostenersätze, Gebühren und Beiträge. Das findet dann jeweils die genauere Bestimmung seiner rechtlichen Natur i n seinem b e s o n d e r e n Z w e c k u n d Z u s a m m e n h a n g , der die Auferlegung der Zahlungspflicht rechtfertigt. Sie bedeutet: — bei der G e l d s t r a f e die obrigkeitliche Zufügung eines Übels wegen mißbilligten Verhaltens (oben S. 257); — beim Κ o s t e n e r s a t z die Deckung der dem Staate erwachsenen besonderen Auslagen durch den, der sie veranlaßt hat (oben S. 283); — bei der G e b ü h r einen Entgelt dafür, daß der Einzelne die öffentliche Anstalt oder Einrichtung i n besonderer Weise für sich in Anspruch n i m m t ; — beim B e i t r a g einen Entgelt dafür, daß der Einzelne an dem Bestände des öffentlichen Unternehmens besonders beteiligt erscheint 1 . Aber das so Gerechtfertigte gehört eben deshalb nicht i n unsere Lehre von der Finanzgewalt. W i r haben es bei der Steuerauflage nur m i t solchen Zahlungspflichten zu tun, i n welchen diese dem 1 Über Gebühren vgl. unten § 37, I V ; § 38, I V ; § 52, I I ; über Beiträge unten § 48, I . Dazu Ν e u m a η η , Die Steuer und das öffentliche Interesse S. 391 ff.; T o e p f e r , in Fin.Arch. X X V I , S. 491 ff.

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Die Finanzgewalt.

Untertanen r e i n u n d v o r a u s s e t z u n g s l o s entgegentritt, um ihn zur Vermehrung der Staatseinkünfte in Anspruch zu nehmen. Gerade wegen ihrer Losgelöstheit von bedingenden Zusammenhängen ist es i m geordneten Staate undenkbar, daß solche Inanspruchnahme erfolge nach der Willkür des Einzelfalles. Es gehört zum Wesen der Steuer, daß ihre Auflage geschieht nach einem a l l g e m e i n e n M a ß stabe. Anderenfalls wäre sie keine Steuer mehr, sondern Brandschatzung. D i e Steuer i s t eine G e l d z a h l u n g , welche dem U n t e r t a n e n d u r c h die ö f f e n t l i c h e Gewalt auferlegt w i r d schlechth i n z u r V e r m e h r u n g der S t a a t s e i n k ü n f t e , a b e r n a c h e i n e m allgemeinen Maßstabe2. Der staatliche Willensakt, der diese Zahlungspflicht bei dem dadurch Betroffenen erzeugt, ist die S t e u e r a u f l a g e . Bei der A r t , wie er das macht, soll der Staat sich leiten lassen von den Grundsätzen der Gerechtigkeit, die ihn anweist, die Last nach Verhältnis der Tragfähigkeit zu verteilen, und von den Rücksichten einer gesunden Finanzpolitik, die möglichst wenig Erhebungsaufwand und Störung der Volkswirtschaft mit möglichst hohen Erträgnissen verbinden will. Für die rechtswissenschaftliche Betrachtung ist vor allem die Frage, wie dieses staatliche Vorgehen, unter die Forderungen des V e r fassungs- u n d R e c h t s s t a a t e s gestellt, seine besonderen Rechtsformen entwickelt. I . Die Steuerauflage bedarf, als Eingriff, selbstverständlich der g e s e t z l i c h e n G r u n d l a g e . Sie muß überdies, dem Wesen der Steuer entsprechend, das einen allgemeinen Maßstab verlangt, r e c h t s s a t z m ä ß i g geregelt sein, ohne Zutat irgend welchen freien Ermessens. Der ordentliche Fall wäre, daß das Gesetz selbst den erforder2

Sehr gut ist der Steuerbegriff zusammengefaßt in R.A.O. § 1: „Steuern sind: — einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen" (also Ausschluß von Gebühren und Beiträgen) — und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Ein» künften" (also Ausschluß von Geldstrafe und Kostenersatz und überhaupt von allen besonderen Zweckzusammenhängen) — allen auferlegt worden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft" (also nach einem allgemeinen Maßstabe auferlegt). Ν e u m a η η a. a. Ο. S. 395 bestimmt die Steuer als „die kraft der Finanzgewalt behufs Erzielung öffentlicher Einnahmen angeordneten Zahlungen". Das Merkmal das allgemeinen Maßstabes fehlt; darauf kann nicht verzichtet werden: O.V.G. 21. Dez. 1900 (Entsch. X X X V I I I S. 117); 3. Dez. 1903 (Entsch. X L I V S. 75).

§ 27. Die Steuerauflage.

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liehen Rechtssatz aufstellt. E i n solches S t e u e r g e s e t z hat dann einen dreifachen Inhalt: es bestimmt die äußerlichen Merkmale, an welche die Steuer sich knüpft, den G e g e n s t a n d der B e s t e u e r u n g ; sodann die Höhe des Betrages, m i t welchem die Steuerpflicht den Einzelfall treffen soll, der sich berechnet aus S t e u e r f u ß u n d S t e u e r s a t z , und endlich das Verfahren, i n welchem die Steuerpflicht zur Durchführung kommt, die E r h e b u n g s f o r m . Das gehört alles dazu, damit das Gesetz i m Sinne von R.A.O. § 1 „die Leistungspflicht an einen bestimmten allgemeinen Tatbestand knüpft". Das „Gesetz" ist aber auf diesem Gebiete noch besonders betont, was sich i n zweierlei Richtung erweist: 1. Nach allgemeinen Grundsätzen müßte das Gesetz in der Lage sein, den ganzen Steuerrechtssatz der V e r o r d n u n g zu übertragen (vgl. oben § 6 n. 3); das ergäbe dann auch, was hier verlangt ist: gesetzliche Grundlage und rechtssatzmäßige Regelung. Allein tatsächlich findet eine solche Machtübertragung nur statt bezüglich des dritten Stückes, der Erhebungsform; die beiden anderen, Steuergegenstand und Steuerbetrag, behält das Gesetz eifersüchtig in seiner Hand 3 . Es kommen darin verfassungsrechtliche Ideen zum Ausdruck: das Steuerbewilligungsrecht der Volksvertretung hängt an diesen zwei Punkten; sie dem Gesetze vorbehalten, heißt sie i h r vorbehalten. Gegenüber der A u t o n o m i e der Selbstverwaltungskörper besteht bezeichnenderweise diese Sprödigkeit des Gesetzes nicht : für Gemeindesteuern gibt es die Machtübertragung voll, auch zur Bestimmung des Gegenstandes der Steuer und des Betrags. Dem politischen Gedanken, der die Verordnung ausschließt, ist hier wieder Genüge geleistet durch die Mitwirkung der Gemeindevolksvertretung. 2. Dem nämlichen verfassungsrechtlichen Ideenkreis entspricht eine andere Besonderheit, die der Steuerrechtssatz erhalten kann. Rechtssätze sind ordentlicherweise auf die Dauer berechnet; lex i n perpetuum valitura! So sind auch i n Preußen und im Reich alle Steuergesetze dauernd; m i t jedem jungen Jahre erscheint ihre Wir8 I n der Regel wenigstens. Das allmächtige Gesetz kann auch anders. Bezeichnend ist aber, daß alsdann die Verordnung als außerordentliche Maßregel auftritt und geradezu die Natur einer Notverordnung erhält. So Reichsges. v. 15. Juli 1879 betr. d. Zolltarif § 6: Anordnung von Zollzuschlägen als Retorsionsmaßregel durch Kaiserliche Verordnung, die alsbald dem Reichstag vorzulegen ist und von selbst dahinfällt, wenn dieser seine Zustimmung nicht erteilt. Ebenso Tabaksteuerges. v. 16. Juli 1879 § 27. Vgl. auch die landesrechtlichen Verordnungen zur „provisorischen Steuerausschreibung", hier unten Note 4. — Die Steuer erweist in dieser Sprödigkeit gegen die Verordnungsform eine gewisse Verwandtschaft mit der Strafe; vgl. oben § 23, I n. 1.

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Die Finanzgewalt.

bung wieder, ganz von selbst, und erzeugt bei den Bürgern die gleichgeartete Steuerpflicht. Das sind feste Steuern. I n den älteren deutschen Verfassungen findet sich aber eine andere Einrichtung: die Steuern werden jeweils nur für einen kurzen Zeitraum, die Steuerperiode, bewilligt und müssen immer wieder neu bewilligt werden, damit wieder Steuerpflichten entstehen, p e r i o d i s c h e o d e r b e w e g l i c h e Steuern. Das dient zur Verstärkung der Macht der Volksvertretung und ihres Budgetrechts. Es ist von verwaltungsrechtlicher Bedeutung, weil die Wirkung nach außen, auf die Untertanen, davon abhängt. Das Steuergesetz, Einkommensteuergesetz z. B., besteht auch hier auf die Dauer. Aber sein Rechtssatz ist unvollkommen: von jenen drei Stücken gibt er nur die Bestimmung des Steuergegenstandes und der Erhebungsformen und für die Bestimmung des zu erhebenden Betrages den Steuerfuß; die Bestimmung des Wieviel, das nach dieser Verhältniszahl zu erheben ist, der S t e u e r s a t z , bleibt frei. Er wird jeweils erst eingefügt durch ein auf Grund des vereinbarten Staatshaushaltplanes in den gewöhnlichen Formen zu vereinbarendes Gesetz, als vorübergehender Rechtssatz zur Ergänzung des unfertigen dauernden. Ohne diese Ergänzung ist das Steuergesetz unbrauchbar und entstehen die Steuerpflichten nicht, auf die es zielt 4 . I I . Was das Gesetz gewollt hat, soll, bevor es durch die Tat vollzogen wird, im Einzelfalle erklärt und bindend ausgesprochen werden durch V e r w a l t u n g s a k t ; das ist die weitere Forderung des Rechtsstaates. Bei dieser Steuer heißt dieser A k t die V e r a n l a g u n g . Die Forderung ist, wie wir wissen, keine unbedingte, sondern bedeutet nur ein Möglichst (vgl. oben § 5, I I I ) . Gründe höherer Zweckmäßigkeit können das Gesetz veranlassen, von einem solchen abgestuften Wirksamwerden Umgang zu nehmen und die Entstehung der Zahlungspflicht u n m i t t e l b a r an den dazu ausersehenen Tatbestand zu knüpfen. Danach zerfallen die Steuern unter rechtswissenschaftlichem Gesichtspunkte in zwei Gruppen; denn der vom Gesetz dazwischengeschobene Verwaltungsakt muß selbstverständlich für uns ein Unterscheidungsmerkmal von erster Wichtigkeit sein. W i r bezeichnen die 4

So vordem bayr. Verf.Urk. Tit. V I I , § 5; sächs. Verf.Urk. § 98, § 104; württ. Verf.Urk. § 114; bad. Verf.Urk. § 53, — Kommt das ergänzende „Finanzgesetz4 „Steuererhebungsgesetz", „Auflagegesetz" nicht rechtzeitig zustande, so kann eine vorläufige Forterhebung der Steuern im Verordnungswege ausgeschrieben werden: S e y d e 1, Bayr. St.R. I I , S. 600 ff.; O.M. Sächs. St.R. S. 207 ff. — I n der parlamentarischen Republik sollte diese Vorsichtsmaßregel zwecklos geworden sein. Gleichwohl ist sie auch in neueren Verfassungen beibehalten worden: Bayern § 80 ( P i l o t y , Komm, zu Abs. 1); Württemberg § 71; Baden § 36*

§ 27. Die Steuerauflage.

Steuer, bei welcher das der Fall ist, als V e r a n l a g u n g s s t e u e r ; das Gegenstück dazu bildet dann die u n m i t t e l b a r z u erhebende. Sie decken sich i m großen und ganzen m i t dem, was man als d i r e k t e und i n d i r e k t e Steuern sich gegenüberstellt. Dieses sind von Haus aus finanzwissenschaftliche Begriffe, und ihre Bezeichnung stammt daher, daß man ursprünglich annahm, gewisse Steuern hätten die Eigenschaft, das Nationalvermögen unmittelbar an seinen Quellen zu erfassen, während andere mehr auf Umwegen ihm beikämen; das glaubte man allerdings später nicht mehr und setzte dafür als direkte solche, die sich an feste B e s i t z s t ä n d e hängen, Besitz eines Grundstückes, eines Gewerbebetriebes, eines Einkommens; die indirekte dagegen ergriffe die wirtschaftlichen Werte in der B e w e g u n g , bei der Hervorbringung oder Ortsveränderung, i m Verbrauch 5 . Es leuchtet ein, daß jene zugleich sich mehr dafür eignen, i m Einzelfalle durch bedächtige obrigkeitliche Prüfung und förmlichen Ausspruch Verwirklichung zu finden, als die der zweiten A r t . Daher die tatsächliche Übereinstimmung m i t den juristischen Seitenstücken, die von selbst dazu führte, daß man für diese die entsprechenden finanzwissenschaftlichen Bezeichnungen zu verwenden begann. Dazu eigneten sie sich nun allerdings sehr schlecht : sagten sie doch eigentlich eher das Gegenteil von dem, was über die A r t des juristischen Wirksamwerdens der entsprechenden Steuer zu sagen war 6 . Sodann stimmt es ja auch nicht 6 Über die Frage, wie der Gegensatz zu formulieren sei, vgl. vor allem die feinsinnigen Untersuchungen bei Ν e u m a η η , Die Steuer und das öffentliche Interesse, S. 449 ff. Wegen der genaueren Abgrenzung herrscht in der Finanzwissenschaft große Meinungsverschiedenheit (W i 1 k e , in Finanz-Arch. X X X V I I I S. 74 ff.), und der Jurist, der da drüben Anknüpfung sucht, findet sich einer nur allzureichlichen Auswahl gegenüber; vgl. G. M e y e r - D o c h o w , V.R. S. 646 Note 4; v. B i t t e r , Hand.W.B. d. pr. Verw., Art. direkte Steuern I , S. 494. Daher auch in der Finanzwissenschaft die wachsende Neigung, diese Art der Unterscheidung ganz aufzugeben: E l s t e r , im Fin.Arch. X X X V I I S. 4. β F 1 e i η e r , Instit. S. 392, versteht unter „direkte" und „indirekte" Steuer einen rein finanzwissenschaftlichen Gegensatz, von dem nun diese juristische Einteüung sich erst loszulösen hätte; das tut sie aber bei ihm nicht. Ebensowenig bei Β 1 ü h e r , in sächs. Arch. f. R.Pfl. n. 10, der ihm widerspricht. Die f r a n z ö s i s c h e n Juristen sind umgekehrt geneigt, die beiden Ausdrücke ausschließlich für den juristischen Gegensatz: Veranlagung oder nicht, in Anspruch zu nehmen. So J è z e , Cours él. de science de finance S. 702: „ I I y a impót direct toutes les fois que la dette individuelle d'impót est recouvrée en vertu d'un role nominatif, impót indirect toutes les fois que la dette individuelle d'impót n'est pas perdue en vertu d'un róle nominatif." Für das ö s t e r r e i c h i s c h e Recht bezeugt H e r z o g , Rechtsmittelverfahren u. Rechtskraft S. 2 Note 2 r den gleichen Sprachgebrauch, indem er zugleich den für die direkte Steuer wesentlichen Veranlagungsakt im Sinne der hier festgehaltenen Lehre sehr klar heraushebt.

Die Finanzgewalt.

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immer m i t dem tatsächlichen Zusammenfallen der beiderlei Eigenschaften: es ist keineswegs so selbstverständlich, daß das, was finanzwissenschaftlich direkte Steuer heißt, rechtlich auch ausgestaltet sein muß als Veranlagungssteuer. Das kann also heillose Verwirrungen geben 7 . Die neue Reichsgesetzgebung, vor allem unsere bedeutsame Reichsabgabenordnung, steht unter dem ungünstigen Eindruck dieser Ausdrucksweise. Deshalb hat diese jetzt die ganzen Rubriken „direkte" und „indirekte Steuern" über Bord geworfen, um sich gegebenen Falles dafür zu behelfen m i t dem nüchternen Gegensatze von „Zöllen und Verbrauchssteuern" einerseits und solchen, die das „nicht sind", andererseits (R.A.O. § 217). Die Sammlung der Entscheidungen des R.Fin.Hofes hat jetzt von ihrem dritten Bande ab ohne weiteres eine Dreiteilung an die Stelle gesetzt: Steuern vom Einkommen und Vermögen, — Verkehrssteuern, — Zölle und Verbrauchsabgaben; warum auch nicht? Es handelt sich aber daneben anscheinend um einen tieferen Gegensatz, der ganz und gar auf dem Boden rechtswissenschaftlicher Auffassungen sich bewegt. Trotz allem, was da störend hereinspielte, hat sich doch die „Veranlagung" i n neuerer Zeit mehr und mehr i n den Vordergrund geschoben als ein Vorgang, welcher dem Steuer7

Wenn bei uns das Gesetz sich dieser Ausdrücke bedient, so ist es jedesmal Auslegungssache, wie es sie gemeint hat; meist wird hier der wirtschaftliche, finanzwissenschaftliche Sinn überwiegen. Ein Beispiel gibt das R.Ges. wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870 (jetzt 22. März 1909): Es richtet sich nach § 1 nur gegen doppelt zu erhebende d i r e k t e Steuern; dafür kann ihm nicht die von den Staaten beliebte Erhebungsform maßgebend sein, Veranlagung oder nicht; nichts wäre sonst leichter, als es zu umgehen. R.G. 8. März 1897 (Entsch. X X X I X S. 11) gibt deshalb hier mit Recht dem Wort einen sachlichen, finanzwirtschaftlichen Sinn und erklärte die Erbschaftssteuer für eine indirekte „nach der Auffassung des Gesetzes", da sie „nicht von dem V e r m ö g e n a l s s o l c h e m erhoben wird, sondern von einem gewissen R e c h t s v o r g a n g e , der sich in Ansehung der betreffenden Vermögensteile ereignet." — Gerade die Erbschaftssteuer, %deren sich seitdem das Reich bemächtigt hat (R.Ges. v. 3. Juni 1906), gab bei dieser Gelegenheit Anlaß zu lebhaften Auseinandersetzungen über die Frage: ist sie nicht eine direkte Steuer, die als solche nach dem angenommenen Brauch den Bundesstaaten zu verbleiben hätte ? Für uns ist sie zweifellos eine direkte Steuer, im Sinne einer Veranlagungssteuer. Der E r b e c h a f t s t e u e r b e s c h e i d , den das Erbschaftssteueramt nach Prüfung der Sache erließ, war ein richtiger Veranlagungsakt. Das Gesetz kann eine Erbschaftssteuer auch anders gestalten und sie etwa ohne weiteres auf Grund der abgegebenen Erklärungen einziehen lassen (mit Vorbehalt späterer Strafverfolgung und Nachzahlung); die französische Erbschaftssteuer verfährt so und wird unter diesem Gesichtspunkt den impóts indirects zugerechnet: J è ζ e , Cours él. de science de fin. S. 844.

§ 27. Die Steuerauflage.

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ansprach Bestimmtheit und Vollziehbarkeit bereiten soll und beiden Teilen dabei ihre rechtliche Stellung gewährleistet. Uns ist er nichts Neues und Ungewohntes mehr, sondern einfach ein Stück der J u s t i z f ö r m i g k e i t der Verwaltung, die den Rechtsstaat ausmacht. Die Veranlagung findet ihr Vorbild am typischen Inhalt des gerichtlichen Urteils. U n d zwar ist es nicht sowohl das zivilgerichtliche, das hier maßgebend sein müßte,·als das S t r a f u r t e i l , i n welchem ja gleichfalls, wie bei der Steuer, der Staat nur seine eigene Sache verfolgt, wenn er das Gesetz i m Einzelfall zur Anwendung und Durchführung bringen läßt. Sowenig wie bei der Strafe darf er bei der hierher gehörigen Steuer das, was das Gesetz ihm zuspricht, unmittelbar aus dem Gesetz heraus durch die Tat i n Anspruch nehmen. Auch freiwillige Unterwerfung des Betroffenen kann nicht davon entbinden. Niemand kann nach begangener Straftat bei zuständiger Stelle sich melden, um die wohlberechnete Strafe abzubüßen, und ebensowenig wird man durch das wieder einmal i n Wirksamkeit getretene Steuergesetz von selbst zum rechtmäßigen Steuerzahler: die geschuldeten Beträge müssen zuvor auch durch obrigkeitlichen Ausspruch i m Einzelfalle festgestellt gestellt und kundgegeben sein. So will es die Rechtsstaatsordnung. Die Sache entfaltet sich demnach ganz gleichlaufend dem strafrechtlichen Vorbild in einer gewissen Stufenfolge. Den Ausgangspunkt bildet hier wie dort der dauernde, zum Wirksamwerden i n einer unbegrenzten Zahl von Fällen fähige Rechtssatz: S t r a f r e c h t s s a t z , S t e u e r r e c h t s s a t z . Wo er zutrifft, soll die entsprechende Pflicht entstehen. Das geschieht aber nicht so unmittelbar; was zunächst entsteht, ist vielmehr nur eine Verurteilbarkeit, S t r a f b a r k e i t hier, V e r a n l a g b a r k e i t dort: der entsprechende obrigkeitliche Spruch erst macht daraus die vollziehbare S t r a f e r d u l d ' u n g s p f l i c h t , S t e u e r zahlungspflicht 8. Überall erläutern sich rechtliche Wirkungen und Eigenschaften •des Aktes aus dieser seiner Aufgabe i m System. Wenn es auch bei der immer noch etwas einseitig zivilrechtlichen Ausbildung unserer Juristen nicht immer zu klaren Formulierungen ausreicht, so ist doch die praktische Handhabung i n diesem Sinne hinreichend gesichert 9 . Der Ge8

Man darf sich nicht irre machen lassen, wenn in Gesetzen und Urteilen als Entstehungspunkt der Steuerschuld der Augenblick des Wirksamwerdens des Steuergesetzes auf einen vor der Veranlagung verstorbenen Steuerschuldner bezeichnet wird: das hängt zusammen mit der scharfen Rückbezüglichkeit, die hier zur Geltung kommt; vgl. R.F.H. 9. Nov. 21 (Bd. V I I S. 291). 9 Das Material ist ja groß. Doch seien hier nur einige bezeichnende Aussprüche angeführt: So O.V.G. 14. Mai 1895 (Entsch. X X V I I I S. 117): Bei Binding-Oetker,

Handbuch V I . 1 : O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . S. Aufl.

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Die Finanzgewalt.

setzgeber der R.A.O. hat auch i n dieser Hinsicht offenbar einen sehr ungünstigen Eindruck gewonnen. E r wendet sich grundsätzlich ab von der ganzen „Rechtslehre" und ihren Unklarheiten, um die Dinge „einfach und klar zu gestalten" (Begründung, Ani. Bd. 338 S. 85). I n diesem Sinne hat er es sogar über sich gebracht, auf den gang und gäbe gewordenen Namen „Veranlagung" grundsätzlich zu verzichten; die R.A.O. bietet uns dafür die farblose Bezeichnung „ S t e u e r b e s c h e i d " , brauchbar für jegliche A r t amtlicher Mitteilung i n Steuersachen. E r kann „Verfügungen (Entscheidungen, Beschlüsse, Anordnungen)" enthalten (§ 73, § 76). Als Steuerbescheid gilt aber auch „jede Willenskundgebung eines Finanzamtes" (§ 220 Abs. 1), unter Umständen auch eine einfache „schriftliche Auskunft", die es erteilt (§ 220 Abs. 2). Danach dürften wir also zunächst einmal annehmen, daß der Steuerbescheid auch einen Verwaltungsakt in unserem Sinne, eine Veranlagung bedeuten k a n n . Das führt aber weiter: I n einer Reihe von Fällen knüpft die R.A.O. an den Steuerbescheid besondere rechtliche Gebundenheiten zugunsten des Steuerpflichtigen (§§ 76, 212, 217 Ziff. 1), und zwar handelt es sich durchweg um Steuern, die „ n i c h t Zölle und Verbrauchssteuern" sind, also was man früher direkte Steuern nannte und wir jetzt im Wesentlichen unter Veranlagungssteuern begreifen. I n einem besonders wichtigen dieser Fälle, wo jede künftige Änderung des Bescheides von der Zustimmung des Steuerpflichtigen abhängig gemacht ist, entschlüpft dem Gesetze sogar die ausdrückliche Bezeichnung „Veranlagungsbescheid" (§ 212 Abs. 2). Offenbar: so ablehnend es sich theoretisch gegen unsere Theorie verhält, so nahe liegt doch eine praktische Übereinstimmung: es ist offenbar doch unsere alte Sache in einem anderen Gewände. Die gleichzeitigen Gesetze scheuen sich denn auch gar nicht, jenen alten Namen wieder i m der Stempelsteuer entsteht die Verpflichtung durch Abschluß des stempelpflichtigen Rechtsgeschäftes, lediglich und allein, bei der direkten (Ver· anlagungs-)Steuer aber gilt: „die Verpflichtung entsteht erst d u r c h d i e V e r a n l a g u n g " . Daraus ergibt sich die von O.V.G. 14.Dez. 1900 (Entsch. X X X V I I I S. 100) gezogene Folgerung: Für die direkte Steuer „muß zur Zeit der Veranlagung ein S u b j e k t i o n s v e r h ä l t n i s (des Pflichtigen) bestehen"· v. B i t t e r , Handwörterbuch, der sich 1906, I I S. 539 gegen unsere Unterscheidung noch gleichgültig verhielt, tritt 1921, I I S. 642 mit großer Klarheit ein für die Veranlagung als den der direkten Steuer eigentümlichen „ k o n s t i t u t i v e n A k t " . Auf staatswissenschaftlicher Seite, wo man natürlich weniger Herz für den Wert des Verwaltungsaktes hat, mochte man unterschiedslos von einer Veranlagung auch bei Zöllen und dergleichen sprechen. Aber selbst W a g n e r , Finanzwissenschaft I I § 311, § 315, erkennt die „Veranlagung der indirekten Steuern als eine „ b l o ß e R e c h n u n g s o p e r a t i o n " , also doch keine Veranlagung im richtigen Sinn!

§ 27. Die Steuerauflage.

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Mittelpunkte stehen zu lassen m i t all den Anschauungen, die daran hängen. So preuß. Korn. Abg. Ges. v. 14. J u l i 1896 (26. Aug. 1921); R.Erbsch.St.Ges. v. 10. Sept. 1919 § 45; R.Eink.St.Ges. v. 29. März 1920 § 20. Der Verwaltungsakt der Veranlagung unterliegt den Regeln solcher Akte überhaupt. Namentlich ist auch seine Wirksamkeit bedingt durch die Erlassung von der i m allgemeinen zuständigen Behörde und durch gehörige Kundgabe. Die Zweckmäßigkeitsbedürfnisse der Finanzverwaltung lassen i h n besondere G e s t a l t u n g e n annehmen. 1. Die zu veranlagenden Steuern eignen sich regelmäßig zu einer A r t G r o ß b e t r i e b . Alle Jahre wieder um die gleiche Zeit ist i m ganzen Lande die nämliche Steuerart für eine große Zahl von Steuerfällen nebeneinander zu veranlagen. Werden sie für jeden Steuerbezirk i n einem einheitlichen Verzeichnis zusammengefaßt, so gewinnt das Geschäft an Klarheit und Einfachheit. Jedesmal bleiben die Gegenstände großenteils die nämlichen, und ebenso die Steuerschuldner; die Beträge aber, auch soweit sie sich verändern, erhalten ihre erläuternde Grundlage aus der vorhergehenden Steuerperiode. So wird das Verzeichnis eine stehende Einrichtung, an der nur jedesmal das Erforderliche nachzutragen und zu ändern ist. E i n derartiges Verzeichnis heißt ein S t e u e r k a t a s t e r . Auf Grund des berichtigten Katasters oder, bei größerer Beweglichkeit des Gegenstandes, auch ohne einen solchen erfolgt alljährlich die Ausfertigung der S t e u e r l i s t e n oder H e b e r o l l e n durch die Steuerbehörde. E i n Prüfungs- und Klarstellungsverfahren geht voraus, vor allem auch die Einholung der vom Gesetze verlangten Steuererklärungen. Diese Liste ist nichts anderes als eine S a m m l u n g v o n i n k n a p p s t e r W e i s e a u s g e d r ü c k t e n V e r w a l t u n g s a k t e n . Die werden dann einzeln abschriftlich herausgenommen und zugestellt 10 . 2. Die Finanzwissenschaft unterscheidet Q u o t i t ä t s - und R e p a r t i t i o n s s t e u e r . Die erstere bedeutet eine Steuerauflage, bei welcher der auf den Einzelfall treffende Satz aus dem Gesetze selbst zu entnehmen ist, folglich jeder sofort schon berechnen kann, was ihn trifft, der Staat aber erst aus der Zusammenrechnung der i m voraus nicht zu übersehenden Einzelfälle erfährt, was er im ganzen bekommt. Bei der Repartitionssteuer ist umgekehrt der Gesamtbetrag, den der Staat daraus beziehen soll, von vornherein gewiß; was auf jeden Einzelnen trifft, ergibt sich erst aus dem im voraus noch nicht zu übersehenden Anteil der Mittragenden. Diese letztere Form findet 10

Nach diesem Verfahren bezeichnet man wohl die direkten Steuern sämtlich als K a t a s t e r s t e u e r n : N e u m a n n , Die Steuer S. 461.

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Die Finanzgewalt.

sich lediglich bei direkten Steuern und wird bedeutsam durch eine Eigentümlichkeit des Veranlagungsaktes, die dabei erscheint. Ohne diese wäre die ganze Unterscheidung verwaltungsrechtlich gleichgültig. Es handelt sich nämlich hier um Veranlagungen, die gesetzlich zugewiesen sind e h r e n a m t l i c h e n V e r t r e t e r n eines engeren Kreises von Steuerpflichtigen. Auf diese wird durch die Repartitionssteuer ein Zwang ausgeübt, ihre Mitbürger nicht allzu schonend zu behandeln, weil, was sie den einen zu wenig abnehmen, zur Erreichung des Gesamtbetrages den anderen wieder zugeschlagen werden muß. Eben deshalb ist es notwendig, daß diese Gesamtsumme festgesetzt sei für den engeren Kreis, für welchen diese ehrenamtlichen Steuerverteiler t ä t i g sind; sonst würde die Neigung sich geltend machen, die für das ganze Staatsgebiet festgesetzte Gesamtsumme doch lieber von den Nachbarbezirken tragen zu lassen. Die Veranlagung findet also statt auf Grund eines diesem Bezirk zugewiesenen S t e u e r k o n t i n g e n t s . Die Berechnung dieses Kontingents kann natürlich nicht geschehen nach dem erst bei der Veranlagung zu verwendenden Maßstab; das hieße ja diese vorwegnehmen und Widersprüche zwischen den beiden Veranlagungen herausfordern. Es wird nach allgemeineren Merkmalen der Leistungsfähigkeit der zu besteuernden örtlichen Gemeinschaft festgesetzt, die i h m die Natur einer Pauschsumme geben. Dieser W e c h s e l des M a ß s t a b e s macht die Eigentümlichkeit der richtigen Repartitionssteuer aus 1 1 . Die F e s t s e t z u n g des K o n t i n g e n t s bedeutet nicht einen das Steuergesetz ergänzenden Rechtssatz. Sie ist auch kein Verwaltungsa k t ; von einer Belastung des Steuerbezirks oder der darin enthaltenen Steuerpflichtigen kann man nur i m finanzwissenschaftlichen Sinne sprechen. Diese Festsetzung w i r k t überhaupt nicht unmittelbar nach 11

So die französischen Reparationssteuern: Grundsteuer, Personal- und Mobiliarsteuer, Tür- und Fenstersteuer (Theorie d. franz. Verw.R. S. 84), die älteren württembergischen „Umlagesteuern" nach Verf.Urk. § 114 ( G o e t z , Württ. St.R. § 62), die preußische Grundsteuer nach Ges. v. 21. Mai 1861 u. 8. Febr. 1867 ( W a g n e r , Finanzwissensch. I I , S. 598), preuß. Gewerbesteuer nach Ges. v. 19. Juli 1861 u. 24. Juni 1891. Bei der letzteren nimmt die Sache ihren Gang wie folgt: Die der I I . — I V . Klasse angehörigen Steuerpflichtigen eines größeren Erhebungsbezirkes (Regierungsbezirk oder Kreis) bilden je eine „Steuergesellschaft''; jeder Steuergesellschaft wird nun zunächst ihr Kontingent durch die Behörde bestimmt nach der Zahl der in ihr enthaltenen Steuerpflichtigen, die mit festen Durchschnittssätzen (Mittelsätzen) dabei in Rechnung kommen; gewählte Abgeordnete der Klasse (Steuerausschuß) verteilen dieses Kontingent auf die einzelnen Betriebe, die erst hierbei nach ihrer verhältnismäßigen Leistungsfähigkeit einzuschätzen sind. F u i s t i η g , Die preuß. dir. Steuern I I I , S. 89; J è ζ e f Cours él. S. 706 f.

§ 27. Die Steuerauflage.

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außen, sondern immer erst durch die Vermittlung der durch sie gebundenen Veranlagungen, welche das Steuergesetz vollziehen. Das S t e u e r g e s e t z verpflichtet also die Einzelnen, die es trifft, sich veranlagen zu lassen m i t einem nach den von ihm aufgestellten Leistungsfähigkeitsmerkmalen zu bemessenden Anteil an der vorschriftmäßig festgesetzten Kontingentssumme. Die V e r a n l a g u n g erzeugt dementsprechend die Zahlungspflicht. Das sind auch hier wieder die zwei einzigen verwaltungsrechtlichen Wirkungsstufen. I I I . Dem, was man unter indirekten Steuern zusammenfaßt, entspricht mehr die E r h e b u n g u n m i t t e l b a r aus d e m Gesetz. Das w i l l nicht sagen, daß dabei obrigkeitliche Akte zu bindender Bestimmung des Geschuldeten überhaupt nicht vorkommen. I m Beschwerdeverfahren oder auf dem Rechtsweg geschieht das verschiedentlich; auch m i t der Strafverfolgung wegen Hinterziehung wird es sich verbinden sowie m i t den Änderungen i m Abfindungsverfahren und bei Nachlässen. Allein der Verwaltungsakt ist hier immer etwas Zufälliges, aus besonderem Anlaß Hinzutretendes. Die Steuerpflicht entsteht ohne i h n und soll ohne ihn zu voller Erledigung kommen. Was an rechtlich bedeutsamen Handlungen auf Seiten des Staates hier vorgenommen wird, beschränkt sich regelmäßig auf R e c h n u n g s a u f s t e l l u n g e n , M a h n u n g e n , Q u i t t u n g e n ; es gibt sogar Fälle, wo derartiges überhaupt fehlt (unten n. 2). Dieser Gegensatz zu den veranlagten Steuern findet auch i n der Gestaltung des beiderseits verwendeten Beamtentums Ausdruck. Dort ist alles zugespitzt auf den entscheidenden Verwaltungsakt, der sorgfältig vorbereitet und m i t gründlicher Prüfung erlassen werden soll; Behörden, zum Teil i n kollegialer Verfassung, dazu ehrenamtliche Vertreter der beteiligten Volkskreise leisten die Hauptarbeit, unterstützt von einem Heer von Schreibern und Rechnern. Hier dagegen liegt der Schwerpunkt i n dem V e r e i n n a h m u n g s - u n d Ü b e r w a c h u n g s p e r s o n a l , das die Vorgänge, an welche die Steuerpflicht durch das Gesetz geknüpft wird, wie m i t einem Netze u m g i b t 1 2 . Dem entspricht, daß auch das hier anzuwendende Steuergesetz von einer besonderen Schlagfertigkeit sein muß: von diesem Personal kann keine gründliche Einschätzung, kein richterliches Ermessen gefordert werden; die gesetzliche Steuerpflicht hängt sich an äußerlich erkennbare und meßbare Dinge, die sie m i t festen Sätzen belegt. Daher T a r i f s t e u e r n . Noch bezeichnender für den Wesensgegensatz ist die verschiedene Rolle, welche hier und dort die P e r s o n des S t e u e r s c h u l d n e r s i m 12

N e u m a n n , Die Steuer, S. 461.

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Die Finanzgewalt.

Erhebungsverfahren spielt. Die führenden direkten Steuern ziehen diese i n eine A r t Prozeß und reden sie i n dem förmlichen Verwaltungsakt, der über sie ergeht, m i t Namen an: du, des Namens und Vornamens, des Berufs und Wohnorts, sollst diese Summe zahlen. Daher N a m e n s s t e u e r n 1 3 . Den indirekten Steuern kommt es nicht darauf an, den Schuldner aktenmäßig zu machen; wenn nur der Fiskus das erhält, was er aus dem Falle ziehen soll; dann mag der Zahler wieder i n der Masse verschwinden. Es gibt Fälle, wo auch hier die Erhebungsform so gestaltet ist, daß die Verwaltung einem bestimmten Schuldner gegenübersteht, um ihn anzufordern, wo also das Gesetz ganz freie Hand hatte, ob es auch noch den letzten Schritt t u n wollte und die förmliche Veranlagung zur Bedingung der entstehenden Steuerzahlungspflicht machen. Tut es ihn, so wird eine Veranlagungssteuer i n unserem Sinne daraus. Andernfalls bleibt der Schuldner i m Halbdunkel, i n welchem ihn ja die unmittelbar zu erhebende Steuer gleichwohl zu fassen vermag. Wir haben unseren formellen Maßstab. I n besonders wichtigen Fällen ist das aber gar keine Frage mehr, sondern das Erhebungsverfahren von vornherein darauf angelegt, die Person des Schuldners verschwinden zu lassen; hier trägt die Steuer ihre Eigenart besonders ausgeprägt zur Schau. 1. Die W a r e n v e r k e h r s s t e u e r n haben zum Gegenstand die Ware, welche über eine örtlich bestimmte Linie hinwegbewegt wird, über die Grenze des Staates, der Gemeinde, über den abgeschlossenen Raum einer Niederlage. Jenseits dieser Linie liegt wieder die steuerfreie Bewegung, der freie Verkehr. Steuerpflichtig wird, wer die Ware diese Bewegung machen läßt, sie also i n f r e i e n V e r k e h r b r i n g t . Beispiele sind die Zölle, die reichsrechtliche Salzsteuer und Tabaksteuer, die städtischen Aufschläge (Oktrois). Die maßgebende Grenze w i r d bewacht von Steuerbeamten, welche beauftragt und befugt sind, die Ware an diesem Punkte a n z u h a l t e n und n i c h t l o s z u l a s s e n , bis die Steuer bezahlt ist. Diese Gewaltübung ist die wichtigste Gewähr für den Eingang »der Steuer. Die Verwaltung hält sich an die Ware; die persönliche Steuerpflicht, zu deren Sicherung diese Maßregel doch nur dient, kommt für die Abwicklung des Geschäftes kaum mehr i n Frage. Erst wenn irgend etwas nicht i n Ordnung geht, zeigt sich, daß auch diese Warenverkehrssteuer, m i t Zurückbehaltungsrecht 13

Daher auch die Empfindlichkeit des höheren Gemeinwesens (Reich gegen Bundesstaat) für Belastung mit direkten Steuern, im Sinne von Veranlagungssteuern, die als solche „auf einer persönlichen Subjektion beruhen": O.V.G. 8. Juni 1901 (Entsch. X X X I X S. 91). — Die Subjektion ist am Ende auch bei den indirekten in Frage, aber hier wird sie allzu geradewegs ausgesprochen.

§ 27. Die Steuerauflage.

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einen ganz bestimmten Steuerschuldner hat; jetzt wird festgestellt: wer ist es, für den die Steuerpflicht begründet worden ist, und an diese Person allein wird man sich dann halten. Das ist namentlich der Fall, wenn eine Hinterziehung der Steuer stattgefunden hat, so daß eine Strafe auszusprechen ist, oder wenn zu wenig erhoben wurde, als man die Ware freigab, und nunmehr die Nachforderung geltend zu machen ist. Da verschwindet der Schein einer Last der Ware und einer Auslösung: der Mann, der die Ware die entscheidende Bewegung hat machen lassen, der wirkliche Schuldner, wird jetzt auf die Bühne gezogen 14 . 2. Noch weiter geht in dieser Richtung die S t e m p e l s t e u e r . Der Begriff ist hier ganz bestimmt durch die Erhebungsform, ohne Rücksicht auf den Steuergegenstand. Stempelsteuer ist jede Steuer, welche durch Verwendung von Stempeln (Stempelpapier, Stempelmarken) erhoben wird, u r d zwar dadurch, daß der S t e u e r p f l i c h t i g e sie v e r w e n d e t . Der Stempel kann bei der Erhebung auch von der Steuerverwaltung selbst gebraucht werden; dann bedeutet er eine Quittung oder eine Kontrollmaßregel. So beim Reichsspielkartenstempel, beim Reichsstempel auf Aktien und Schuldverschreibungen. Die Steuer bekommt dadurch keine besondere Gestalt; die Erhebung geschieht durch unmittelbare Zahlung des Pflichtigen an die Steuerverwaltung oder das sie für diesen Zweck vertretende sonstige Amt. Wo dagegen eine Stempelsteuer i n jenem beschränkten Sinne vorliegt, da vollzieht sich die Erhebung i n einer Weise, die von dem gewohnten Bilde stark abweicht. Die wichtigsten Beispiele bieten reichsgesetzlich die Wechselstempel- und die Börsensteuer 15 , landesrechtlich die Vorschriften über Verwendung von Stempelpapier bei der Nieder14

Der Eindruck des Eigenartigen ist immerhin so groß, daß manche die Entstehung einer Zollzahlungspflicht in der Weise einer Steuer hier überhaupt in Abrede stellen; es handle sich vielmehr, sagt man, um eine „rechtliche Verstrickung" der einzuführenden Ware, aus der sie gelöst wird durch Bezahlung des Zolles. So L a b a η d , St.R. I V § 123 I I ; Β u 11 i η g , in Arch. f. Stf.R. S. 120. Vgl. darüber B e h r , in Arch. f. öff. R. X I V S. 176 ff.; L a m p , in Festgab. f. L a b a n d I S. 463; R.G. 13. Dez. 1907 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X V I S. 127), 17. März 1909 (Entsch. L X X S. 405); v. M y r b a c h , Grundriß des (österr.) Finanz.R. S. 65ff.; V ο g e 1, in Fin.Arch. X X I X S. 531 ff. 15 Wechselstempelsteuerges. v. 10. Juni 1869 § 13 und ebenso Reichsstempelges. v. 15. Juli 1909 § 66 e lassen dem Pflichtigen die Wahl zwischen Stempelpapier und Stempelmarke. Zigarettensteuerges. v. 3. Juni 1906 § 3 läßt das „Steuerzeichen", statt an dei Ware selbst, an der Verpackung anbringen und bedarf deshalb besonderer Überwachungsvorschriften; ebenso der Verpackungszwang nach Tabaksteuerges. v. 12. Sept. 1919 § 14. Wesentlich Neues bedeutet auch das nicht.

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Die Finanzgewalt.

schritt von Rechtsakten. Der Gang ist äußerlich folgender 16 . Der Staat verfertigt Stempelpapier und Stempelmarken und hält sie feil. E r verbietet jedermann, die gleichen Stempel zu verfertigen, so daß man sie nur von ihm haben kann. Sodann gebietet er jedem, der gewisse Rechtsakte vornimmt, einen derartigen Stempel zu verwenden. Die Untertanen sind dadurch genötigt, immer wieder die an sich wertlosen Stempel bei ihm zu kaufen. Juristisch ist aber dieses letztere Rechtsgeschäft nur von nebensächlicher Bedeutung; es verschafft dem Käufer das vorgeschriebene M i t t e l zur Tilgung einer entsprechenden Steuerschuld. Der gesetzliche Befehl, bei einer bestimmten Handlung Stempel von einem gewissen Wertbetrage zu verwenden, setzt eine Steuerauflage gleichen Inhalts voraus oder begreift sie selbst i n sich. Steuerpflichtig ist, wer den bezeichneten A k t vornimmt. Durch die Verwendung des Stempels wird dem Gesetzeswillen gemäß die Steuer e n t r i c h t e t . Das Gesetz kann das dafür gelten lassen; denn die vorgeschriebene Unbrauchbarmachung des Stempels für weitere Verwendung bewirkt eine entsprechende Bereicherung des Staates, insofern dieser Stempel unfähig wird, weitere Steuerfälle zu decken, folglich ersetzt werden muß durch Neuanschaffungen bei der feilhaltenden Staatskasse. Andererseits dient der so verwendete Stempel als Beweis der Steuerentrichtung und erfüllt damit den Dienst einer Q u i t t u n g und zugleich eines leicht erkennbaren M e r k m a l s der erfüllten oder nicht erfüllten Steuerpflicht. Auf diese Weise ist es möglich, daß hier die Steuerschuld entsteht, ohne daß der Staat davon Kenntnis bekommt, daß sie ebenso ohne seine Kenntnis durch Leistung getilgt wird. Der Schuldner bleibt ordentlicherweise i m Verborgenen. Aber die zu stempelnden Waren oder Schriftstücke legen dauernd Zeugnis davon ab, wie der Schuldner seine Pflicht an ihnen erfüllt hat, ob richtig oder ungenügend. Die Überwachungsmaßregeln sind darauf eingerichtet, solche Dinge hie und da zu behördlicher Kenntnis zu bringen, der Behörde gewissermaßen Stichproben zu gestatten, und alsdann vermag die entstandene, aber nicht erfüllte Steuerpflicht noch recht kräftig zur Geltung zu kommen.

§ 28. Fortsetzung; Rechte und Gegenrechte aus der Steuerauflage· Das Endziel der Steuerauflage geht dahin, daß die bei dem Einzelnen begründete Steuerschuld durch Zahlung getilgt werde; erfolgt 16

Nach L. S t e i η , Fin.Wise. 4. Aufl. I S. 351, ist „der Kauf des Stempele die Steuererhebung und -Zahlung". Das gibt der finanzwirtschaftlichen Auf· faesung eine erfreuliche Einfachheit; juristisch ist es unmöglich.

§ 28. Rechte und Gegenrechte aus der Steuerauflage.

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sie nicht freiwillig, so hilft die öffentliche Gewalt nach i n den Formen des Finanzzwanges (unten § 32). Dabei ergeben sich Abweichungen von dem ordentlichen Gang i m Zusammenhang m i t den beiden Teilen zustehenden besonderen R e c h t e n , dieses Wort hier nicht i m strengeren Begriff verstanden (oben § 10 S. 104ff., 107 ff.), sondern i n dem üblichen weiteren, wo es jeden rechtlich gesicherten Vorteil begreift. I . I n erster Linie stehen natürlich die A n s p r ü c h e des S t a a t e s auf die Steuerleistung; diese können v e r l o r e n gehen oder bee i n t r ä c h t i g t werden mangels gehöriger Wahrnehmung. 1. Jeder Steueranspruch hat seinen Z e i t p u n k t , in welchem er kraft des Steuergesetzes durch die Umstände, an die es ihn knüpft, der Verwaltung zur Verfügung gestellt wird. Die Unterlassung rechtzeitiger Geltendmachung bringt für diese die Gefahr der Verjährung m i t sich, wovon unten n. 2. Solange diese nicht eingetreten ist, steht ihr die N a c h h o l u n g (Nachforderung, Nacherhebung) frei. Für den Betroffenen kann das insofern von Nachteil sein, als er der Anforderung vielleicht nicht mehr gewärtig war und sich anders eingerichtet hatte. Eine Unbilligkeit soll namentlich dann darin gefunden werden, wenn die Verwaltung durch erteilte Auskunft, durch Feststellungen, Berechnungen, Quittungserteilungen zu dieser Meinung, ledig zu sein, noch besonders beigetragen hat. Unter N a c h h o l u n g i m engeren S i n n e versteht man gerade den Fall, wo die Anforderung erhoben wird i n Widerspruch m i t einer vorausgegangenen amtlichen Freibehandlung oder Minderberechnung. Immerhin genügen solche Rücksichten i m allgemeinen nicht, um den einmal entstandenen Steueranspruch hinfällig zu machen 1 . Eine ganz besondere A r t von Nachholung ergibt sich aber bei den veranlagten Steuern i n Gestalt der N a c h v e r a n l a g u n g . Diese haben ja das Eigentümliche, daß die Steuerforderung selbst erst zur Geltendmachung fertiggestellt wird durch den Verwaltungsakt; ist das Verfahren gegen den einzelnen Steuerpflichtigen durchgeführt m i t dem Erfolg, daß er frei erklärt oder m i t einem bestimmten Betrage veranlagt ist, so könnte hinterdrein versucht werden, darauf zurückzukommen und das etwa Versäumte durch eine neue Veranlagung nachzuholen. Hier kommen aber jene Billigkeitsrücksichten m i t besonderer Wucht 1

Ein häufiger Fall: Die Zollverwaltung hat die Ware eingehen lassen zu einem ganz niedrigen Tarifsatz; der Empfänger hat seinen Preis danach gemacht und ordentlioh verkauft; jetzt kommt die Nachforderung, die das Geschäft in ein verlustreiches verwandelt. Hier werden nur die kurzen Verjährungen einigermaßen helfen.

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Die Finanzgewalt.

zur Geltung. Die Veranlagung zu den direkten Steuern enthält eine Einschätzung, die zwar kein freies Ermessen bedeutet, aber doch ein richterliches Ermessen, das ja ebenfalls schwankende Grenzen hat; es wäre nicht wohl getan, den Steuerträger diesem Ermessen immer wieder von neuem auszusetzen; man kann sagen, die Verwaltung hat i h r Recht über ihn, vermöge dessen sie ihn zu ihrem Schuldner machen kann, e r s c h ö p f t durch den einmaligen Gebrauch, und eine Nachveranlagung sollte unzulässig sein. Auch hier ist, was die Billigkeit, i m Anschluß an die Natur des Veranlagungsaktes, fordert, nicht von selbst Rechtens. Aber tatsächlich haben die Gesetze ihr Rechnung getragen, indem sie d i e N a c h v e r a n l a g u n g a u s s c h l o s s e n o d e r n u r aus b e s t i m m t e n G r ü n d e n z u l i e ß e n . Wieweit sie darin gehen wollen, steht i n ihrem Ermessen. Die vorbehaltenen Fälle pflegen solche zu sein, bei denen umgekehrt die Billigkeit der Nachveranlagung einleuchtet 2 . Hier macht sich dann die Bedeutsamkeit der alten Unterscheidung von direkten und i n d i r e k t e n Steuern geltend. Für die letzteren, die unmittelbar erhobenen also, ,,Zölle und Verbrauchssteuern" der R.A.O., findet unsere Anspruchsverwirkung keine Anwendung, weil ihnen der veranlagende Verwaltungsakt fehlt, an den sie anknüpft 3 . War etwa die Sache i n ein richtiges Prozeßverfahren gegangen, Verwaltungsrechtspflege oder Ziviljustiz, so kann die materielle Rechtskraft des Urteils das Verhältnis der veranlagten Partei zum Staate förmlich festgelegt haben; das folgt den gewöhnlichen Regeln. Eine gewisse Verwandtschaft damit hat die Veranlagung wie jeder Verwaltungsakt aber auch ohne das 4 . 2 Preuß. Ges. v. 18. Juni 1840 § 10: Die Nachforderung von direkten Steuern ist zulässig im Falle einer „Kontravention". Preuß. Einkommensteuerges. v. 24. Juni 1891 § 80 (nur wegen neuer Tatsachen und Beweise). Die grundsätzliche Unabänderlichkeit der „Steuerveranlagung" wird sehr kräftig hervorgehoben in sächs. O.V.G. 18. Febr. 1904 (Jahrb. V S. 191). Auch unsere dem Gebilde der Rechtslehre sonst so abgeneigte R.A.R. läßt hier die Besonderheit des richtigen Verwaltungsaktes zu Ehren kommen: Zurücknahme und Änderung der Veranlagung von anderen als „Zöllen und Verbrauchssteuern" sind auch bei ihr auf besondere Fälle beschränkt oder an die Zustimmung der Veranlagten gebunden (§ 76, § 212 Abs. 2 u. 3; vgl. oben S. 320). 3 Nebensächliche Verwendungen obrigkeitlicher Aussprüche finden sich auch bei diesen, kommen aber für den entscheidenden Punkt nicht in Betracht: L ö b e , Deutsch. Zoll.Stf.R., zu § 135 Ver.Zoll.Ges. Note 12. 4 Bemerkenswert sind die Versuche, die in der unzulässigen Nachveranlagung erscheinende Gebundenheit wirklich auf eine „Rechtskraft" der einfachen Veranlagung zurückzuführen. So S e y d e l , Bayr. St.R. (1. Aufl.) I V S. 201; in der 2. Aufl. I I S. 485 hat er auf diese Verwertung des prozeßrechtlichen Instituts

§ 28. Rechte und Gegenrechte aus der Steuerauflage.

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2. Die A n s p r u c h s v e r j ä h r u n g ist, wenigstens für Geldfordexungen, auch im öffentlichen Rechte eine durch die Zweckmäßigkeit gebotene Einrichtung. Die Regeln des bürgerlichen Rechtes sind darauf nicht von selbst anwendbar 5 . Eine besondere öffentlich-rechtliche Verjährungsgesetzgebung hilft für die wichtigsten Fälle aus: das ist namentlich für das Gebiet der öffentlichen Abgaben geschehen. Und zwar macht sich dabei alsbald wieder der so bezeichnende Gegensatz der Erhebungsform von direkten und indirekten Steuern geltend (vgl. oben § 27 I I ) . Bei den direkten Steuern kommt nach dem älteren Recht eine d o p p e l t e V e r j ä h r u n g i n Betracht. Es ergeben sich nämlich bei ihr ganz naturgemäß Seitenstücke zu den im Stf.G.B. § 66ff. unterschiedenen Verjährungen der S t r a f v e r f o l g u n g und der S t r a f vollstreckung. Durch Zeitablauf, d. h. durch Nichtgeltendmachung ihres Rechtes während einer bestimmten Dauer, verliert die Verwaltung die Befugnis, die durch die Wirkung des Steuerrechtssatzes Erfaßten zur Veranlagung mit dieser Steuer heranzuziehen, anders ausgedrückt: Veranlagungsakte dürfen sich nur auf solche Fälle erstrecken, für welche der Entstehungspunkt der entsprechenden Verpflichtbarkeit noch innerhalb dieser Frist rückwärts gerechnet zu finden ist 6 . Da aber ohne den vermittelnden Verwaltungsakt kein Fall der direkten Steuer für sie greifbar wird, so wirkt das wie eine Verjährung der Steuer selbst, richtiger gesagt als A u s s c h l u ß f r i s t für ihre Geltendmachung. Die rechtzeitig vorgenommene Veranlagung erzeugt dann die v o l l z i e h b a r e Steuerzahlungspflicht, entsprechend der durch das Strafurteil begründeten Strafduldungspflicht. Auch diese kann dann noch verjähren. Da diese echte Verjährung damit einsetzt, daß der geschuldete Steuerbetrag zu einer Zeit, wo er ordnungsgemäß schon wieder verzichtet und wohl daran getan. Noch weiter ging sächs. O.V.G. 12. Dez. 1904 (Jahrb. V I I S. 68), indem es sogar die Nachholung zu wenig erhobener Besitzwechselabgaben (indirekte Steuer!) versagte wegen der grundsätzlichen Unergänzbarkeit einer „rechtskräftig eifolgten Veranlagung". 6 F l e i n e r , Instit. S. 406, behauptet eine allgemeine dreißigjährige Verjährung für öffentlich-rechtliche Ansprüche; seine Berufung auf W i n d s c h e i d K i p p , Pand. I § 110, und auf B.G.B. § 195 scheint mir nicht zutreffend zu sein. Inwiefern ältere Verjährungsgesetze aus der Zeit vor der Scheidung des öffentlichen und des Privatrechts noch in Kraft stehen, bedürfte allerdings genauerer Untersuchung. 6 Preuß. Eink. Steuer-Ges. v. 24. Juni 1891 § 80 („auf die drei Steuerjahre zurück"); sächs. Eink.Steuer-Ges. v. 24. Juli 1900 § 77 („auf fünf Jahre zurückgerechnet4 4).

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Die Finanzgewalt.

hätte eingegangen sein sollen, draußen stehengeblieben ist, so spricht man hier von R ü c k s t a n d s v e r j ä h r u n g 7 . Bei der i n d i r e k t e n Steuer gibt es keinen die Zahlungspflicht vermittelnden Verwaltungsakt, keine Veranlagung; die Pflicht entsteht unmittelbar aus dem Gesetze, fix und fertig. Also ist hier nur eine Verjährung denkbar, die Rückstandsverjährung 8 . Es können dabei Berechnungsmitteilungen, Mahnungen, Zahlungsaufforderungen ergehen. Die können dann wie bei der veranlagten direkten Steuer, so auch hier vor allem die Bedeutung haben, die begonnene Rückstandsverjährung zu unterbrechen. Die neuere Reichsgesetzgebung i n ihrem Bestreben, die Sache „einfach und klar zu gestalten", hat auch hier wieder diese Unterschiede tunlichst verwischt. Die Verjährung ist nach R.A.O. § 120 einheitlich geregelt für beide Arten von Steuern. Die Verjährungsfrist zwar ist nach § 121 erheblich kürzer bemessen bei Zöllen und Verbrauchssteuern (1 Jahr) als bei den übrigen Steuern (5 Jahre). Aber hier wie dort beginnt sie m i t dem Ablauf des Jahres, i n welchem der Anspruch entstanden ist (§ 122). Als Entstehungspunkt gilt aber gemäß § 81 die Verwirklichung des Tatbestandes, an welchen das Gesetz die Steuer knüpft: „daß es zur Feststellung der Steuerschuld noch der Festsetzung des Betrages bedarf, schiebt die Entstehung nicht hinaus". Damit ist dein Veranlagungsakt, für die Verjährung wenigstens, seine frühere Bedeutung genommen. Die der Veranlagungssteuer eigentümliche Zwischenstufe der Ausschlußfrist ist weggefallen; es gibt nur noch eine Rückstandsverjährung 9 . 7 Preuß. Eink. Steuer-Ges. § 81 mit Ges. v. 18. Juni 1840 § 8; sächs. Eink. Steuer-Ges. § 80 („Steuerrückstände verjähren in drei Jahren vom Ablaufe des Jahres ab, in welchem der Steuerbetrag zur Erhebung gestellt worden ist"). 8 Ver.Zoll-Ges. § 15; Zuckersteuerges. v. 27. Mai 1896 § 4; Brausteuergesetz V. 3. Juni 1906 § 12. 9 Die Erbschaftssteuer, die ja zwischen den beiden Hauptsteuerarten schwankt, ist durch Erbsch.Steuerges. v. 3. Juni 1906 bezüglich des notwendigen Veranlagungsaktes nach Weise der direkten Steuern geordnet worden (vgl. oben § 27 Note 7), bezüglich der Berechnung der Verjährung nach Weise der indirekten Steuern: diese läuft nach § 54 des Ges. schlechthin von dem Schlüsse des Jahres ab, „in welchem der Anspruch auf die Steuer entstanden ist". Sie ist damit vorbildlich geworden für die einheitliche Behandlung der Verjährungsfrage in R.A.O. § 120 ff. Damit ist der ursprüngliche Gedankenzusammenhang mit der entsprechenden Stufenfolge der Strafrechtspflege verlassen worden. Die Frist kann nicht als Ausschlußfrist zu laufen beginnen, um mit der vollzogenen Veranlagung in eine eigentliche Verjährungsfrist überzugehen. Das Strafurteil, wie die Veranlagung, bekundeten ursprünglich übereinstimmend, nicht etwa bloß, daß das Gesetz diese bestimmte Strafduldungs- oder Steuerzahlungspflicht erzeugt hat, sondern erzeugten diese Pflicht auf Grund des Gesetzes. Die R.A.O. hat ein anderes Vorbild im Auge: das des zivilrechtlichen Urteils. Dieses allerdings hat eine außer«

§ 28. Rechte und Gegenrechte aus der Steuerauflage.

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I I . Die Rechte der Untertanen auf der anderen Seite bedeuten vor allem S c h u t z m i t t e l gegen unbegründete oder übermäßige Steuerbelastung. Für ihre Geltendmachung besteht wieder die Bedingung der R e c h t z e i t i g k e i t m i t der Folge, daß es andernfalls bei dem, was die Verwaltung gegen ihn bestimmt oder tatsächlich durchgesetzt hat, sein Bewenden habe. Die Erfüllung dieser Bedingung nimmt aber je nachdem verschiedene Gestalt an. 1. Was man als direkte Steuer zu bezeichnen pflegt, t r i t t dem Pflichtigen zuerst entgegen i m Verwaltungsakt der Veranlagung. Gegen diesen hat sich seine Abwehr zu richten und für Einspruch, Beschwerde, Berufung, Reklamation oder wie sie heißen, ist eine F r i s t bestimmt, laufend von der gehörigen Kundgabe der Veranlagung ab. Sie hat wieder die Natur einer A u s s c h l u ß f r i s t . Ist sie versäumt, so bekommt die Steuer i n der geschehenen Veranlagung einen unanfechtbaren Rechtstitel. War dagegen die rechtzeitig erhobene Bekämpfung der Steuerauflage von Erfolg gekrönt, so wird das etwa Gezahlte zurückzuerstatten sein. Der Ausspruch der angegangenen Behörde: die gezahlte Steuer ist nicht geschuldet gewesen, bedeutet, auch ohne besondere Anordnung nach den Grundsätzen über die bindende K r a f t des Verwaltungsaktes, daß die Tat sich danach zu richten habe, und das t u t sie durch Z u r ü c k e r s t a t t u n g des Gezahlten 10 . 2. Der indirekten Steuer gegenüber wäre es ja möglich gewesen, die nämlichen Rechtsmittel einzurichten; sie würden sich aber statt gegen die entscheidende Behörde zunächst gegen die Erhebungsämter wenden und statt gegen einen obrigkeitlichen Verwaltungsakt gegen deren Anforderungen, Mahnungen, mitgeteilte Berechnungen und gegen die sich daran schließenden Zwangsmaßregeln: Zurückhaltung von Waren, Pfändung und dergleichen. Tatsächlich hat die Sache aber hier eine andere Form erhalten. Bei dem raschen und kräftigen Zwangsrechte, m i t welchem die Verwaltung ausgestattet ist, spielt sich ordentlicherweise alles so ab, daß sie alsbald i n den Besitz der Geldbeträge gelangt, auf welche ihre Berechnungen lauten; der Betroffene, der sich nicht m i t diesen zufrieden geben will, wird das also dadurch zum halb des Gerichts durch das Gesetz erzeugte und fertig und wirksam gewordene Leistungspflicht vor sich, die es nur feststellt und mit Zwangsgewalt ausstattet. Die ältere Art zu unterscheiden hatte offenbar mehr innere F o l g e r i c h t i g k e i t . Vielleicht ist die neue Einrichtung doch z w e c k m ä ß i g e r , obwohl man der Meinung sein kann, daß beides gewöhnlich zusammentrifft. 10

Vgl. oben § 9 I n. 3. Versäumnis der Reklamationsfrist und Verlust des Rückforderungsrechtes treffen demgemäß hier zusammen.

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Die Finanzgewalt.

Ausdruck bringen, daß er sein Geld zurückverlangt. So erhält der Jurist äußerlich das B i l d einer c o n d i c t i o i n d e b i t i 1 1 . I n Wirklichkeit gehört dieses zivilrechtliche Institut überhaupt nicht hierher 1 2 ; aber aus der polizeistaatlichen Zeit hatte man seine Verwendung zu diesem Zwecke übernommen, womit ja der Vorteil verbunden war, daß man für solche Fälle den zuverlässigen Rechtsschutz der ordentlichen Gerichte gewann. Dadurch bekam aber auch die erforderliche Zeitschranke für die Geltendmachung dieses Schutzmittels hier, statt der Form einer Ausschlußfrist, die der ordentlichen zivilrechtlichen Verjährung. 3. Die letztere Lösung der Frage würde uns zur Zeit kaum mehr zugänglich sein. Die Zugehörigkeit derartiger Rechtsverhältnisse zum Herrschaftsbereich des öffentlichen Rechtes hat sich allzu unbestreitbar durchgesetzt, und wenn dadurch auch die Gerichte nicht notwendig aufgehört haben zuständig zu sein (vgl. oben § 17 Note 6), so ist doch die Anwendbarkeit zivilrechtlicher Verjährungsfristen jedenfalls ausgeschlossen. Die R.A.O. hat für beides einen Ersatz gegeben, indem sie für das ganze Gebiet des Steuerwesens eine einheitliche Ordnung rein öffentlichrechtlicher Natur schuf. D i e R e c h t s m i t t e l , die es in §217 ff. aufstellt, sind innerhalb Monatsfrist einzulegen. Sie richten sich gegen „Steuerbescheide" und sind, „soweit es sich nicht um Zölle oder Verbrauchsabgaben ( = indirekte Steuern) handelt", B e r u f u n g , andernfalls A n f e c h t u n g . I n den Steuerbescheiden der ersterenArt steckt der Veranlagungsakt, der sich nur nicht zu erkennen geben will; allein die Berufung über welche das Finanzgericht entscheidet (§ 218 Abs. 3) verrät ihn: sie bedeutet volle Nachprüfung einer ergangenen Sachentscheidung, und das ist eben hier der Veranlagungsakt. Die Tragweite der Rechtsmittel erhält aber eine große Ausdehnung: als Steuerbescheid, gegen welchen sie sich richten können, das eine oder das andere, „ g i l t jede W i l l e n s k u n d g e b u n g eines Finanzamtes oder einer Hilfsstelle eines Finanzamtes, m i t der erstmalig ein bestimmter Betrag von einer bestimmten Person beansprucht w i r d " (§ 220 Abs. 1). 11

R.G. 1. Juli 1881 (V, S. 38); 22. Sept. 1888 ( X X I I S. 288); 29. Okt. 1909 ( L X X I I S. 153). 12 Nach unanfechtbar gewordener Veranlagung kann auch bei der sogenannten direkten Steuer ein Befreiungsgrund eingetreten sein, der bei einer späteren Zahlung nicht berücksichtigt worden ist; dann wäre auch hier eine condictio indebiti zur Abhilfe denkbar gewesen. Schon geleistete Zahlung und Erlaß werden wohl allein in Betracht kommen. W a c h , Z.P.O. I S. 108 und ihm zustimmend H e r z o g , Rechtsmittelverf. S. 117 Note 14 sehen hier die Doppelzahlung als „zivilrechtlichen Rechtsgrund" an.

§ 28.

echte und Gegenrechte aus der Steuerauflage.

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Überdies wird auch die alte Bereicherungsklage wegen bezahlter und nicht geschuldeter Steuern ersetzt dadurch, daß § 223 die nämlichen Rechtsmittel gewährt gegen „Bescheide über E r s t a t t u n g s - u n d V e r g ü t u n g s a n s p r ü c h e , die aus Rechtsgründen zugelassen sind". Der zur Anerkennung gelangte Erstattungsanspruch muß jedoch nach § 128 vor Ablauf des Jahres, i n welchem es geschah, geltend gemacht werden; sonst erlischt er wieder (Ausschlußfrist). I I I . I n gewissem Maße unterliegt der Steueranspruch des Staateseiner V e r f ü g u n g s m a c h t der B e h ö r d e n . Sie können keine reinen Freigebigkeiten damit vornehmen, sowenig wie m i t sonstigen Mitteln des Staates. Sie können über den Steueranspruch selbst auch insoweit nicht verfügen, als es zu einem vernünftigen Staatszwecke dienen möchte oder i n der gewöhnlichen Verfügungsmacht eines Verwalters fremder Gelder gelegen wäre. Es versagen hier alle zivilrechtlichen Vorbilder. Vielmehr ist das, was alles hier beherrscht, die b i n d e n d e K r a f t des S t e u e r g e s e t z e s , das seine V o l l z i e h u n g v e r l a n g t und von dem die Verwaltung nur entbunden werden kann, soweit es selbst wieder einen Spielraum dafür f r e i g e l a s s e n h a t 1 3 . Das ist in! zweierlei Richtung der Fall. 1. Es kann unter Umständen ein S t e u e r e r l a ß stattfinden. Das bedeutet einen Verzicht des Staates auf gesetzmäßig für ihn begründete Rechte gegen den der Steuerauflage Unterworferen. Er unterscheidet sich von der S t e u e r b e f r e i u n g , welche eine i m Steuerrechtssatz selbst oder i n einem besonderen Gesetze enthaltene Ausnahme von der Steuerauflage vorstellt. Hier bedarf es keines Verzichtes; vermöge dieser Ausnahme wird eine Verpflichtung, die er tilgen könnte, überhaupt nicht erzeugt 14 . E r unterscheidet sich von der N i e d e r s c h l a g u n g der als uneinbringlich angesehenen Steuerforderung; denn dies ist lediglich eine Ordnungsmaßregel des staatlichen Rechnungswesens, welche die Steuerpflicht selbst unberührt läßt 1 5 . W i r nennen den Steuererlaß einen V e r z i c h t , insofern der Staat hier vermöge einer darauf gerichteten Willenserklärung seiner Ver13 Gelegentlich des oben § 7 Note 9 erwähnten Falles hat man ein „Kronrecht" des Königs von Preußen behaupten wollen, vermöge dessen er den Vollzug aller Steuergesetze durch Steuererlaß durchbrechen dürfte: L a b a η d, in Arch, f. öff. R. V I I S. 190; C u r t i u s, in Annalen 1893 S. 670 ff. Vor der Verfassung von 1851 hatte der König dieses Recht zweifellos. Es war aber unrichtig zu folgern, daß er es noch habe, weil in der Verfassung kein Artikel zu finden sei, der es ihm ausdrücklich entzöge. Vgl. auch sächs. O.V.G. 11. Jan. 1902 (Jahrb. I S. 359). 14 R.Not.Opf.Ges. v. 31. Dez. 1919 § 5: „Abgabefrei sind":. 16 R.A.O. § 107.

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waltungsstelle tatsächlich den Steuerbetrag nicht erhält, den er nach dem Gesetze erhalten sollte. Das kann auch teilweise geschehen; dann nennen wir es einen S t e u e r n a c h l a ß . Es wird dadurch verwirklicht, daß ein behördlicher Ausspruch dem Steuerpflichtigen gegenüber ergeht, der seine Pflicht oder Verpflichtbarkeit aufhebt oder vermindert; dann gleicht es dem Schulderlaß des bürgerlichen Rechts, nur daß hier ein Vertrag, eine Annahme von seiten des Befreiten nicht nötig i s t 1 6 . Der gleiche tatsächliche Erfolg kann auch dadurch herbeigeführt werden, daß die zuständige Behörde auf Grund des dazu ermächtigenden Gesetzes dienstliche Anordnung trifft, daß die ausführenden Ämter die zur Durchführung der Steuerpflicht erforderlichen Schritte unterbleiben lassen. Diese zweite Form bedeutet eigentlich keinen Erlaß und keinen Verzicht i m Rechtssinne. Sie ist die unvollkommenere, mehr dem Polizeistaat entsprechende: sie schützt den Betroffenen innerhalb der Fristen zur Geltendmachung der staatlichen Rechte nicht gegen Meinungswechsel der leitenden Behörden. Das Gesetz gestattete früher den Erlaß nur aus bestimmtem Grunde und nur für die bestimmte Steuerart, bei welcher dieser als wirksam anerkannt i s t 1 7 . R.A.O. § 108 ermächtigt jetzt den Reichsfinanzminister, aus Billigkeitsgründen Steuererlaß zu gewähren oder dergleichen für Fälle bestimmter A r t allgemein vorzusehen. Das kann er dann wieder i n verschiedener A r t tun. 2. Der V e r t r a g ü b e r d i e S t e u e r p f l i c h t e n war für das alte Recht eine sehr gewöhnliche Erscheinung, namentlich m i t Veräußerungsverträgen über staatliches Grundeigentum gern verknüpft. Durch die bindende Kraft des Steuergesetzes ist er heutigentages grundsätzlich ausgeschlossen18. Ausnahmsweise kann etwas Derartiges noch vorkommen bei bestimmten Steuerarten vermöge ausdrücklicher Zulassung des Gesetzes. 16

I m Gegensatze zu B.G.B. § 397 wirkt hier die Willenserklärung des Gläubigers allein. Denn es ist ein Verwaltungsakt, der auch der Zustimmung des Betroffenen nicht bedarf, da er keinen Eingriff in Freiheit und Eigentum enthält; vgl. oben § 9 I I n. 1. 17 Pr. Grundst.Ges. v. 21. Mai 1861 § 52, dazu Ges. v. 15. April 1889 § 1; Gewerbest. Ges. v. 24. Juni 1891 § 44; Reichs-Braust.Ges. v. 3. Juni 1906, dazu Ges. v. 15. Juli 1909 § 10; Tabakst.Ges. v. 15. Juli 1909 § 34 Abs. 3. 18 Untergeordnete öffentliche Gemeinwesen mit eigenem Besteuerungsrechte kommen wohl noch in Versuchung, Verträge über künftige Steuerverhältnisse -abzuschließen. Namentlich mit Eisenbahngesellschaften ist das zuweilen geschehen. Die Gerichte waren aber dann geneigt, den Vertrag als gegen die guten Sitten verstoßend und ungültig zu behandeln: R.G. v. 14. Dez. 1884 (Entsch. X I I & 273); O.V.G. 28. Mai 1885 (Entsch. X I I S. 120).

§ 29. Die abgeschwächte Steuerpflicht.

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I n Fällen nämlich, wo die genaue Bestimmung des geschuldeten Steuerbetrages m i t besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, namentlich wenn etwa noch dazu kommt, daß die geringe Höhe des zu erwartenden Ertrages i n keinem Verhältnis steht zu dem Kraftaufwand der Beamten und der Belästigung des Steuerpflichtigen, die für eine solche Bestimmung erfordert würden, gestattet das Gesetz dafür die Festsetzung einer A b f i n d u n g s s u m m e . Das kann von Amtswegen geschehen, wobei dann immerhin einige Anhaltspunkte für die, wenn auch ungenaue, Schätzung vorausgesetzt sein werden. Es kann von einem Antrag des Betroffenen abhängig gemacht sein. Es kann endlich auch die Bestimmung der Höhe der Abfindungssumme einem Übereinkommen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Behörde überlassen bleiben. Letzteren Falles ähnelt der Vorgang tatsächlich einem Vertrag, namentlich einem V e r g l e i c h . I n Wirklichkeit ist es aber doch wieder nur die Anordnung der Behörde, ihr Verwaltungsakt, der den Rechtserfolg trägt, die Steuerpflicht zu ersetzen durch die Abfindungssumme. Die Zustimmung des Schuldners ist nur die Rechtsbedingung der Zulässigkeit dieses Verfahrens 19 . Wo die Abfindung i m voraus für periodisch wiederkehrende Steuerfälle festgestellt ist, wird bei Veränderung der die Grundlage bildenden Tatsachen eine Neubestimmung des Pauschalbetrages vorzunehmen sein. Die vereinbarte Abfindung unterliegt außerdem für bestimmte Termine beiderseitiger Kündigung; das bedeutet für die Behörde den freigewordenen Widerruf ihres Aktes, für den Schuldner den öffentlichrechtlichen Anspruch auf dessen Zurücknahme. I m übrigen bleibt auch das auf diese besondere Weise Festgesetzte Steuer; die Regeln liber Verjährung, Stundung, Erlaß, Beitreibung und alle Nebenwirkungen einer solchen finden darauf Anwendung. § 29.

Fortsetzung; die abgeschwächte Steuerpflicht· Die durch Gesetz oder Verwaltungsakt zu begründende Steuerpflicht, i m Sinne der bestimmten einzelnen Steuerleistung, kann i n 19

Von älteren Reichsgesetzen sind hier zu nennen: Brantweinst.Ges. v. 15. Juli 1909 § 15; Braust. Ges. v. 15. Juli 1909 § 33; von neueren: Erbschaftst. Ges. v. 10. Sept. 1919 § 61. An letzterer Stelle heißtes: „Das Landesfinanzamt ist ermächtigt, auf Antrag der Steuerpflichtigen . . . einen Pauschbetrag für die Steuer anzunehmen". — Pr. Komm. Abg. Ges. v. 14. Aug. 1893 § 13 Abs. 2 gestattet den Gemeinden Vereinbarungen mit den Beteiligten, „wonach der Jahresbetrag der zu entrichtenden indirekten Steuern für mehrere Jahre im voraus fest bestimmt wird". Ebenso für Gemeindeeinkommensteuer von Fabriken und Bergwerken (§ 43). Bind in g-Oetker,

Handbuch V I . 1 : O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 3. Aufl.

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ihrer K r a f t und Wirkung beeinträchtigt werden durch besondere Zutaten, welche ihr beigefügt sind, den Nebenbestimmungen privatrechtlicher Rechtsgeschäfte vergleichbar. So wird vor allem eine B e f r i s t u n g Platz greifen können durch die Vorschrift, wonach die begründete Steuerschuld i n gewissen Terminen zu entrichten ist 1 . Oder das Gesetz ermächtigt die Behörde, daß sie unter Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse dem Steuerschuldner S t u n d u n g gewähre 2 . Seitenstücke zur privatrechtlichen B e d i n g t h e i t finden sich nicht i n gleicher Weise. Daß die gesetzlichen Voraussetzungen der Entstehung der Steuerpflicht gegeben sein müssen, ist nicht als Bedingung aufzufassen, und eine echte Bedingung hinzuzufügen, pflegt den Behörden nicht überlassen zu sein 3 . Für gewisse Arten von Steuern haben sich aber solche Abschwächungen der Pflicht i n überaus umfassender und zugleich hervorragend eigentümlicher Weise entfaltet. Das sind die namentlich für das Reichsrecht so wichtigen Steuern auf den W a r e n v e r k e h r und den V e r b r a u c h . Hier handelt es sich nicht so sehr um eine Berücksichtigung der Lage des Steuerpflichtigen. Vom Standpunkte des Gemeinwohles aus war zu erwägen, daß eine straffe Durchführung dieser Steuerpflichten die Gütererzeugung und den Güterverkehr übermäßig stören und belasten würde. Deshalb werden E r l e i c h t e r u n g e n gewährt, nicht von Fall zu Fall, sondern in allgemeiner Weise und m i t mehr oder weniger gesicherter Zugänglichkeit. Zu diesem Zwecke sind gewisse E i n r i c h t u n g e n geschaffen, die zugleich dazu dienen, die Steuer selbst trotz der gewährten Erleichterung sicherzustellen. Die Einrichtungen bestehen darin, daß mit den Waren, an welche die Steuer sich knüpft, ein durch Verwaltungsvorschriften geregeltes V e r f a h r e n zu beobachten ist, von Seiten der Beamten, wie von Seiten der Beteiligten; an die Einhaltung dieses Verfahrens knüpft sich dann» 1

Tabakst.Ges. v. 15. Juli 1909 § 25 Abs. 2; Braust. Ges. v. 3. Juni 1906 § 8 Abs. 1; preuß. Einkommenst.Ges. v. 24. Juni 1891 § 62 ( F u i s t i n g , Komm, zu § 62 Anm. 2); sächs. Einkommenst.Ges. v. 24. Juli 1900 § 9, Ausf.Verord. v. 25. Juli 1900 § 11. R.Einkommenst. Ges. v. 29. Aug. 1920 § 42 a (vier Termine für die vorläufig zu entrichtende Steuerschuld). 2 Braust. Ges. v. 3. Juni 1906 § 8 Abs. 2; Zuckerst. Ges. v. 27. Mai 1896 § 3 Abs. 3; Tabakst.Ges. v. 15. Juli 1909 § 30. R.A.O. § 105 gibt den Finanzämtern umfassende Ermächtigungen dieser Art; die Stundung geschieht in der Regel nur gegen Sicherheit und Verzinsung. 3 Wenn der Rechtserwerb, auf welchen die Steuer gelegt sein soll, seinerseits bedingt erfolgt, so wirkt das auf die Steuer zurück, auch wenn diese unbedingt, gemeint ist: Erbschaftsst.Ges. v. 3. Juni 1906 § 21 Abs. I.

§ 29. Die abgeschwächte Steuerpflicht.

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kraft des Gesetzes die von diesem vorgesehene Abschwächung der Steuerpflicht 4 . Solches Verfahren m i t abgeschwächter Steuerpflicht hat seine ursprüngliche Ausbildung erhalten i m Z o l l w e s e n ; dort bietet es auch immer noch die größte Mannigfaltigkeit der verschiedenen Rechtsformen dar. Je nach der A r t der Abschwächung unterscheiden wir drei Gruppen. I . Das Verfahren m i t g e s t u n d e t e r S t e u e r . Eine Stundung der Steuer setzt voraus, daß die Pflicht e n t s t a n d e n sei. Dann kann, wie hier eingangs erwähnt, möglicherweise eine Stundung bewilligt werden für den einzelnen Schuldposten und durch Einzelverfügung der Behörde. Es kann aber die Stundung auch gesetzmäßig eintreten durch Benutzung der dafür vorgesehenen besonderen Einrichtungen und Verfahrensarten, an die sie i n allgemeiner Weise geknüpft ist 5 . I n diesem Sinne wirkt nach unseren Zollbestimmungen das Institut des B e g l e i t s c h e i n I I . Der Warenführer kann bei dem Grenzzollbeamten beantragen, daß die Erhebung des Zolles bei einem anderen Amte, also bei einem weiter binnen gelegenen, erfolgen soll. Der Zollbetrag wird alsdann sofort festgestellt, und die Zollpflicht entsteht sofort zu Lasten des Antragstellers. Es kann Sicherheitsleistung dafür verlangt werden. Die Ware reist unter amtlicher Überwachung an 4

„Die näheren Bestimmungen über das zu beobachtende Verfahren enthalten die zu erlassenden Regulative" (Ver.Zollges. § 73, § 90) oder „die allgemeinen Bedingungen und Kontrollen, unter denen die in den § 111 bis 117 erwähnten Erleichterungen und Befreiungen eintreten, werden vom Bundesrate vorgeschrieben werden" (Ver.Zollges. § 118), so lauten die gesetzlichen Verweisungen hier. Sie bedeuten keine Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen, und der Bundesrat erläßt hier keine „Spezialgesetze", wie L a b a η d , St.R. I V S. 422, es nennt (vgl. oben § 8 S. 84). 5 Die beiden Arten von Stundung („Geldkredit" und „Zollkredit": Privatlagerordnung v. 8. Juni 1888 § 16 Abs. 3) sind bei der nämlichen Ware denkbar. Gemäß Zolltarifges. v. 25. Dez. 1902 § 12 Abs. 1 ist für Zölle allgemein eine Stundung bis zu drei Monaten zulässig nach näherer Anordnung (Verwaltungsvorschrift) des Bundesrates. Weinlagerordnung v. 28. Juni 1905 § 11 ff. regelt das Stundungsverfahren des „Eisernen Zollkredits" (vgl. unten Note 8); nach Erlöschen des Kredits hat die Barzahlung zu erfolgen, aber nun kann gemäß § 16 die Direktivbehörde Zahlungsaufschub gewähren im Sinne von Zolltarifges. § 12 Abs. 1, als Geldkredit. — Von der Wohltat der Einzelstundung sollen nach Zolltarifges. v. 25. Dez. 1902 Abs. 2 gewisse Waren (Getreide, Hülsenfrüchte usw.) ausgeschlossen sein; diese sollen dann gleichwohl in Niederlagen aufgenommen werden können, mit welchen eine Zollstundung verfahrensgemäß sich verbindet. Um den Einklang mit der ersten Bestimmung herzustellen, sind die auf solche Waren entfallenden, durch die Aufnahme in das Lager gestundeten Zollbeträge mit 4 % zu verzinsen; S c h m a u s e r , in Arch. f. öff. R. X V I I I S. 477 ff.

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den Bestimmungsort. Diese Überwachung hat, zum Unterschied von dem, was bei Begleitschein I gilt, lediglich den Zweck, dafür zu sorgen, daß dem Fiskus sein Pfandrecht an der Ware nicht entgehe. A m Bestimmungsort hat die Zahlung zu erfolgen; bis die Ware dort ankommt, ist sie gestundet, kraft Gesetzes6. Eine andere Einrichtung dieser A r t bilden die P r i v a t k r e d i t l a g e r . Der Zweck ist, dem Unternehmer, der den Zoll zu entrichten hat, eine Ersparnis an Betriebskapital zu verschaffen: er braucht den Zoll erst zu zahlen, wenn er sich durch den Absatz der damit belasteten Ware wieder einigermaßen dafür gedeckt haben kann. Bedingung ist die einstweilige Unterbringung der Ware i n einer dazu bestimmten Niederlage, die unter amtlicher Überwachung gehalten wird; dadurch soll wieder das Pfand gesichert sein, das dem Staate wegen des gestundeten Zolles an dieser Ware zusteht: solange die Ware i n dem überwachten Lager sich befindet, bleibt sie dem Staate greifbar. Für den Pflichtigen wird ein Zollkonto angelegt, auf welchem er belastet wird m i t dem Betrage des Zolles für die eingehenden Waren; jeder Posten ist auf höchstens sechs Monate gestundet. Ohne Rücksicht auf diese Stundung wird der Zoll sofort fällig für die ausgehenden Waren; die unter Berichtigung des Zolles geschehenen Ausgänge werden dem Konto gutgeschrieben. Von Zeit zu Zeit werden Revisionen des Lagerbestandes vorgenommen; erweist er sich geringer, als nach den Zugängen und Abgängen des Kontos der Fall sein sollte, so ist für das festgestellte Manko, gleichviel woher es kommt, der Zoll sofort zu entrichten: die Bedingung der Stundung, der Verbleib der Ware, ist auch hier weggefallen 7 . Eine besondere Form bildet daneben der sogenannte eiserne Z o l l k r e d i t für Weingroßhändler. Voraussetzung ist, daß der Begünstigte ständig größere Mengen von zollpflichtigen Waren, Weinen oder Spirituosen, lagern hat, mindestens 35000 kg. Dann kann i h m für eine ein für allemal festzusetzende Menge dieser Flüssigkeiten ein dauernder Zollkredit eröffnet werden: so viel darf er stets m i t rückständigem Zoll auf Lager haben; der Zoll dafür ist gestundet; so viel muß er aber auch mindestens auf Lager haben, sonst wird der eiserne K r e d i t herabgesetzt. Durch amtliche Registerführung und Bestandsaufnahme wird das überwacht. Was über den eisernen Kredit hinaus auf Lager geht, muß bezahlen und ebenso der diesem entsprechende 6 Ver.Zollges. § 51; Zollbegleitschein-Ordnung v. 5. Juli 1888 § 1 bis § 3, § 48 ff. („durch spezielle Revision ermittelter Zollbetrag" wird dem anderen Amt „zur Erhebung überwiesen"). 7 Ver.Zollges. § 108; Privatlagerordnung v. 8. Juni 1888 § 1 bis § 11, § 23.

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Vorrat selbst, wenn die Verwaltung die bewilligte Erleichterung zurücknimmt 8 . Die Stundung, die für den einzelnen Steuerfall gewährt werden kann oder sich, wie wir jetzt gesehen haben, i n allgemeiner Weise an gewisse zu diesem Zweck geschaffene Einrichtungen knüpft, verbindet sich außerdem noch m i t dem nunmehr zu betrachtenden Rechtsinstitut der bedingten Steuer; das ist eine dritte Form, wie sie zur Geltung kommt. I I . Das Verfahren m i t b e d i n g t e r Steuer. Für viele indirekte Steuern ist der wirtschaftliche Gesichtspunkt, unter welchem sie auferlegt werden, der, daß eine Ware im Inlande verbleibt und darin gebraucht und verbraucht wird; „Verbrauchssteuern" wollen sie sein. Wird diese Voraussetzung widerlegt durch nachträgliche Ausfuhr der Ware, so soll es, der wahren Absicht der Steuerauflage zu entsprechen, nicht bei der Belastung bleiben. Das gleiche kann der Fall sein, wenn die Steuer eine gewisse regelmäßige Verwendungsart der Ware voraussetzt und nun eine andere Verwendung erfolgt, die sie nach der finanzpolitischen Absicht nicht treffen wollte. Das bürgerliche Recht würde für einen solchen Fall seine beiden Formen der a u f l ö s e n d e n und der a u f s c h i e b e n d e n Bedingung zur Verfügung stellen, je nachdem i n der Zwischenzeit, bis die Bedingung sieh entscheidet, das bedingt Gewollte einstweilen ins Werk gesetzt wird oder nicht 9 . Für das öffentliche Recht der Steuer gestaltet sich die Sache anders. Der auflösenden Bedingung entspricht hier wirtschaftlich die Ein8

Weinlagerordnung v. 8. Juni 1887 und 28. Juni 1905 § 11 ff. Auf den eisernen Kredit können immer nur gleich tarifierte Weine angeschrieben werden (§ 11 Abs. 3); sie werden deshalb auch nur mit ihrer Menge, nicht mit dem schon berechneten Zollbetrag angeschrieben; ändert sich der Zolltarif und daueit der eiserne Kredit unter dem neuen Tarif fort, so ist bei einer Auflösung des Verhältnisses der ganze dem Kredit entsprechende Vorrat nach dem neuen Tarif zu bezahlen (§ 1 Ziff. 2). Das stimmt scheinbar nicht zu der Annahme einer gestundeten Steuerpflicht. Denn bei einer solchen richtet sich die Bemessung der Höhe nach dem zur Zeit ihrer Entstehung geltenden Tarif, die Fälligkeitszeit ist nicht maßgebend. So beim Privatkreditlager (Ver.Zollges. § 9). v. M a y r , in Verw. R. Wörterb. I I S. 967, nennt deshalb den eisernen Kredit „keine eigentliche Kreditierung bereits geschuldeten Zolles". Allein Weinlagerordnung § 11 Abs. 2 sagt mit Recht: es werde auf den eisernen Kredit „bloß der im freien Verkehr befindliche Wein des Kreditnehmers" eingerechnet. Das ist Wein, für welchen die Zollpflicht schon entstanden ist; also kann es sich doch nur um Stundung handeln. Die einheitliche Berechnung nach dem bei der Auflösung des Kredits geltenden Tarif erklärt sich wohl aus technischen Schwierigkeiten der Ausscheidung. 9 B.G.B. § 158.

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richtung, daß die Steuer zunächst sich einfach durchsetzt, für den Fall aber, daß steuerpflichtig gewordene Ware nachträglich eine Verwendung findet, bei welcher die Steuerpflicht sie, der maßgebenden wirtschaftlichen Idee nach, nicht hätte treffen sollen, eine R ü c k v e r g ü t u n g Platz greift. Diese Rückvergütung ist dann nicht zum Ausdruck gebracht als die juristische Verneinung eines bestimmten Besteuerungsaktes. Sie bildet vielmehr ein selbständiges Rechtsinstitut daneben, welches i n den geeigneten Fällen einen wirtschaftlichen Ausgleich für die Wirkungen der bestehenden Besteuerung dieser A r t von Waren schaffen soll. Von einer Bedingtheit der Steuerpflicht ist überhaupt keine Rede 1 0 . Eine aufschiebende Bedingung scheint auf den ersten Blick die nun zu betrachtende Gruppe von Fällen darzubieten, i n welchen tatsächlich die Steuer vorläufig nicht eingezogen wird und je nachdem später ganz wegfällt. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich zwar hier um eine e c h t e B e d i n g u n g , aber nicht um eine aufschiebende: die Steuerpflicht e n t s t e h t i n dem Augenblick, wo sie nach allgemeinen Grundsätzen entstehen sollte; sie ist auf Grund gesetzlicher Ermächtigung a u f l ö s e n d b e d i n g t , so daß sie rückgängig wird, wenn innerhalb einer gesetzten Frist der Fall eintritt, für welchen gemäß der wirtschaftlichen Idee der Steuer die Ware nicht getroffen sein soll. Damit verbindet sich die Einrichtung, daß bis zu dem Zeitpunkt, wo die Bedingung entschieden wird, die Steuer g e s t u n d e t werden soll: sie wird, obwohl sofort entstanden, nicht gleich eingezogen, sondern einstweilen nur vorgemerkt, möglicherweise unter Sicherheitsleistung für die künftige Zahlung. Die einzelnen Anwendungsfälle dieser A r t der Steuererleichterung unterscheiden sich durch die besonderen Formulierungen der auflösenden Bedingung. Nach Ver.Zoll.Ges. § 110 können den Großhandlungen f o r t l a u f e n d e K o n t e n bewilligt werden für zollpflichtige Waren, die sie vom Ausland einführen, um sie wieder auszuführen. Die Abgabe ist sofort m i t der Einfuhr geschuldet, der Betrag wird auf dem Konto des Empfängers diesem zur Last geschrieben; dadurch w i r d sie ihm gestundet bis zum jährlichen Abrechnungstermin. Wenn er dabei eine Wiederausfuhr nachweist, wird er für den entsprechenden Betrag ent10

Rückvergütung mit und ohne Identitätsnachweis, Einfuhrscheine, Ausfuhrprämien, offne und versteckte. — das hat für die volkswirtschaftliche Betrachtungsweise seinen guten Zusammenhang mit der Steuer. Für uns tritt damit jedesmal etwas Neues in Wirksamkeit, η a c h d e m die Steuerauflage ihren Weg gegangen ist, ihrerseits vorbehaltlos und unbedingt.

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lastet; das w i l l sagen: seine Steuerpflicht war auflösend bedingt durch die Wiederausfuhr und ist rückgängig geworden durch E i n t r i t t dieser Tatsache. Für das Übrige wird jetzt die vorgemerkte Steuer unwiderruflich und fällig 1 1 . Beim sogenannten V e r e d l u n g s v e r k e h r (Ver.Zoll.Ges. § 115) gestaltet sich das Verfahren folgendermaßen: Die Zollbehörde läßt die eingehende Ware kraft gesetzlicher Ermächtigung zum Veredlungsverkehr zu. Dadurch fügt sie der jetzt begründeten Steuerpflicht des Empfängers die auflösende Bedingung bei, daß die Ware innerhalb bestimmter Frist zur Wiederausfuhr gebracht wird. U m das feststellen zu können, wird die Ware m i t Marken oder Stempeln versehen, an welchen man sie seinerzeit wiedererkennen soll. Einstweilen wird der schuldige Zollbetrag nicht eingezogen, sondern gestundet. Erfolgt nun innerhalb der Frist die Wiederausfuhr, so erlischt durch die Kraft der erfüllten Bedingung die vorgemerkte Steuerpflicht; wo nicht, so wird sie endgültig und verfällt 1 2 . Verwickelter stellt sich die Sache dar i n den Fällen, i n welchen nicht die Steuerpflicht selbst auflösend bedingt sein soll, sondern die Wirkung eines Verfahrens, welches sie vorläufig beseitigt. Nach den Zolltarifgesetzen können gemäß eingeschobenen Anmerkungen gewisse Waren vom Zolle befreit werden, wenn sie zu einer b e s t i m m t e n V e r w e n d u n g eingeführt sind. Dahin gehören nach Ges. v. 25. Dez. 1902, Tarif Nr. 65: „Tee zur Gewinnung von Theün", Nr. 239 Anm. 1: „mineralische Öle, die für andere gewerbliche Zwecke als für die Herstellung von Schmieröl, Leuchtöl oder Leuchtgas bestimmt sind". Da wird dann die Ware zunächst „zollfrei abgelassen"; aber das geschieht „unter Kontrolle", wie es früher hieß, jetzt „unter Überwachung". Denn die „Freilassung ist bedingt durch die Nichtverwendung für andere Zwecke. Findet eine solche nachher gleichwohl statt, so fällt die Freilassung weg, und die Steuerpflicht, welche sie beseitigen sollte, t r i t t wieder in K r a f t 1 3 . 11 Kontenordnung v. 15. Dez. 1887. Bei Tarifänderungen werden folgerichtig die bereits „kontierten" Waren nach dem alten Tarif berechnet (§ 31, § 32). 12 Veredelungsordnung v. 5. April 1906. Maßgebend ist der Tarifsatz, „welcher zur Zeit der Abfertigung zur Veredelung in Geltung stand" (§ 14). — Ähnlich die Erleichterungen für Meß- und Marktverkehr (Ver.Zoll-Ges. § 112) und für Retour waren (Ver.Zoll-Ges. § 114). 13 Mineralöl-Zollordnung v. 15. Febr. 1906. — Β e h r , in Arch. f. öff. R. X I V , S. 196 will hier einen „auflösend bedingten Zollanspruch" annehmen. Allein, wenn das Gesetz sagt: „Öle, die für andere gewerbliche Zwecke als Herstellung von Schmieröl usw. bestimmt sind, sollen frei gelassen werden", so bedeutet das eine Maßregel, die schon bei der Abfertigung der Entstehung des Zolles entgegen-

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I I I , Verfahren m i t s c h w e b e n d e r S t e u e r p f l i c h t . Unter Umständen t r i t t vermöge einer vom Gesetze gestatteten Ausnahme die Steuerpflicht da nicht ein, wo sie nach ihrer allgemeinen Ordnung eintreten sollte, und wird statt dessen ihre Entstehung von später zu erfüllenden Voraussetzungen abhängig gemacht; der Entstehungspunkt wird verschoben. Die Grundidee gibt die rechtliche Lage, wie sie an der Grenze sich gestaltet. Die Ware, deren Bewegung über die Zollinie zum E i n t r i t t i n den Verkehr die Steuerpflicht gesetzmäßig begründen wird, liegt der Behörde vor. Die Steuerpflicht ist noch nicht entstanden. Die Ware kann den Schritt vorwärts machen, um sie zu begründen; sie kann aber auch wieder zurückkehren in das Zollausland, ohne eine Pflicht begründet zu haben, wenn der Beteiligte dies beantragt 1 4 . Das Gesetz gewährt nun gewisse Verfahrensarten, bei welchen diese Unentschiedenheit vorläufig b e w a h r t b l e i b t , auch wenn die Ware nun doch ins Inland weitergeht und sogar dort zeitweise niedergelegt wird. Während dieses Schwebezustandes kann die Ware ins Ausland zurückkehren oder untergehen; dann ist das verpflichtende Steuergesetz an ihr vorübergegangen, ohne seine Wirkung auf den Beteiligten zu äußern. Es kann aber statt dessen die Ware nachträglich aus dem Bannkreis dieses künstlichen Rechtszustandes heraustreten, u m dem freien Verkehre des Inlandes anzugehören, mit oder ohne den Willen des Beteiligten; dann knüpft sich an die Tatsachen, die das bedeuten, das ungehemmte Wirksamwerden des Steuergesetzes, und die Steuerpflicht e n t s t e h t j e t z t . Das Verfahren m i t schwebender Steuerpflicht bedarf erklärlicherweise einer besonders kräftigen Ausstattung mit Schutzvorkehrungen für die Steuer, die etwa doch noch an diese Ware sich knüpfen wird. Denn durch den Verzicht des Staates auf die Entstehung und Geltendmachung der Steuer an ihrem ordentlichen Entstehungspunkt werden auch die ordentlicherweise dort vorgesehenen Sicherungsmittel der Finanzverwaltung wirkungslos. Deshalb muß die Ware einer besonderen Ü b e r w a c h u n g unterstellt werden, damit sie nicht unbemerkt und spurlos i n dem sie rings umgebenden freien Verkehr verschwinde und dem Staate die Kenntnis von seiner jetzt entstandenen Steuerforderung zugleich m i t seiner Pfandsicherheit verloren gehe. Dazu kommt hier wirkt, nicht eine erst hinterdrein kommende Wirkung der auflösenden Bedingung. Β e h r a. a. O. S. 197 bemerkt selbst, daß in der Art, wie die Einrichtung gehandhabt wird, die Folgerungen aus seiner Auffassung nicht voll gezogen sind; mit der unsrigen stimmt es. 14 „Deklaration zur Wiederausfuhr"; T r o j e , Zolltarif S. X X X .

§ 29. Die abgeschwächte Steuerpflicht.

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eine persönliche Verpflichtung des Beteiligten, für welchen dieses Verfahren i m Einzelfall zur Anwendung gekommen ist : er muß eine H a f t p f l i c h t übernehmen dafür, daß es m i t der für diese Ware i n Betracht kommenden Steuerpflicht in Ordnung gehe. Zu diesem Zwecke verbindet sich m i t dem Beginne der schwebenden Steuerpflicht eine F e s t s t e l l u n g der A r t und Menge der Ware, welcher gegenüber seine Befreiung dargetan werden muß. Das kann geschehen durch den Nachweis, daß für diese Ware die wirkliche Steuerpflicht nachträglich entstanden und erfüllt worden ist, indem sie unter Gestellung zu amtlicher Abfertigung i n freien Verkehr überging 1 5 . Es kann aber auch geschehen durch den Nachweis der Ausfuhr der Ware oder auch, in mehr oder weniger beschränktem Maße, ihres Untergangs. Für die Erbringung solcher Nachweise ist eine gewisse Frist verstattet, m i t deren Ablauf die Haftpflicht geltend gemacht wird durch die Erhebung des nicht erledigten Zollbetrags, für welchen eingestanden werden mußte 1 6 . Die Idee der schwebenden Steuerpflicht zeigt im geltenden Rechte eine vielseitige Verwertbarkeit. 1. Die Erleichterung, daß an die Stelle der sofort entstehenden eine schwebende Steuerpflicht t r i t t , setzt regelmäßig voraus, daß der Beteiligte darum n a c h s u c h t . Dann hängt die Gewährung i n verschiedenem Maße von dem Entgegenkommen der Finanzverwaltung ab. ·— Das Gesetz kann die Erleichterung an eine Einrichtung knüpfen, die jedem Steuerpflichtigen zugänglich gehalten werden m u ß ; man mag dann von einem Rechte auf die Erleichterung sprechen. Das ist der Fall des B e g l e i t s c h e i n I , m i t welchem „die Ware von der Grenze auf ein A m t i m Innern oder zur Durchfuhr abgelassen w i r d " 1 7 . 16 Gemäß Ver.Zoll-Ges. § 9 Abs. 2 Ziff. 1 bestimmt isch bei einem Wechsel der Zolltarifsätze der anzuwendende nach diesem Vorgang; das ist also auch der Entstehungspunkt der Pflicht. 16 Diese Haftung entseht kraft Gesetzes. Wenn der Beteiligte allein den Gewahrsam hatte, ist sie strenger, als wenn das Gut in amtlicher Aufbewahrung oder in amtlichem Mitverschluß sich befand (Ver.Zoll-Ges. § 44, § 108 Abs. 2; § 103). Zivilrechtlich ist jedenfalls gar nichts an ihr; sie ist nichts anderes als die durch Feststellungen, Vermutungen und Beweisverschiebungen gesicherte Steuerpflicht selbst, für welche mit der Ware einzustehen war. — V ο g e 1, in Fin.Arch. X X I X S. 540 Note 3, hat Bedenken gegen die Bezeichnung „abgeschwächte Steuerpflicht", soweit es sich um diese, eigentlich noch gar nicht entstandene, schwebende Steuerpflicht handelt. Da aber ihr mögliches Entstehen in gewissen Wirkungen doch schon seine Schatten vorauswirft, wird man für diesen den anschaulichen Ausdruck wohl durchgehen lassen können. 17 Ver.Zoll-Ges. § 41; Zollbegleitscheinordnung v. 15. Juli 1888 § 4 ff.

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Die Finanzgewalt.

— Das Gesetz kann statt dessen der Behörde a n h e i m s t e l l e n , an geeigneten Orten Einrichtungen zu treffen, durch deren Benutzung die Erleichterung erworben wird. Dahin gehören die ö f f e n t l i c h e n N i e d e r l a g e n , die an der Grenze oder i m Innern errichtet werden, letzteren Falles durch Begleitschein I m i t schwebender Zollpflicht erreichbar, die sich dann einfach darin fortsetzt. Die einmal geschaffenen Niederlagen werden nach Maßgabe der dafür zu erlassenden Verwaltungsvorschriften jedermann ordnungsmäßig und gleichmäßig zugänglich sein. Einen Rechtsanspruch auf ihre Zulassung zur Benutzung haben die Einzelnen dem Staate gegenüber so wenig, wie auf die Bereitstellung einer solchen Niederlage überhaupt 1 8 . — Endlich kann es der Behörde überlassen sein, den Steuerpflichtigen den Genuß einer solchen erleichternden Einrichtung nach ihrem freien Ermessen im Einzelfalle zu gewähren, zu versagen, zu entziehen. I n dieser Weise ist die Gestattung von P r i v a t - T r a n s i t l ä g e r n geordnet. Hier ist also die Gewährung nicht einmal durch zu befolgende allgemeine Verwaltungsvorschriften gesichert. Solange sie besteht, hat sie die gesetzliche Wirkung zur Abschwächung der betroffenen Steuern ebensogut wie die Benutzung der Einrichtungen von rechtlich besser gesicherter Zugänglichkeit 1 9 . 2. Die Verbrauchssteuern des Reichs verwenden die schwebende Steuerpflicht auch i n der Weise, daß sie nicht auf Ansuchen des Beteiligten Platz greift, sondern umgekehrt auch ohne seinen Willen über i h n und seine Ware v e r h ä n g t wird. Die Steuer, welche die Ware an ihrem Entstehungsort fassen soll, wird hier nach dem Gesetze erst wirksam, wenn die Ware diesen Ort verläßt, aus den H e r s t e l l u n g s - u n d A u f b e w a h r u n g s r ä u m e n heraustritt i n den freien Verkehr. Innerhalb dieser Räume steht sie unter amtlicher Überwachung m i t Rücksicht auf die möglicherweise noch an sie sich knüpfende 18

Ver.Zoll-Ges. § 97 ff.; Niederlageordnung v. 5. Juli 1888. Diese Niederlagen haben neben ihrer finanzrechtlichen Seite auch noch die Bedeutung von öffentlichen Anstalten, welche den Beteiligten ihre Benutzung gewähren nach dem ihnen eigentümlichen Rechte; vgL unten § 51 und § 52. — Man hat diese zollfreien Niederlagen „gewissermaßen Enklaven des Auslandes" genannt: v. M a y r , in Verw.R. Wörterb. I I S. 948. Das Bild versagt bei dem rechtlich gleichartigen plombierten Güterwagen, der auf der Eisenbahn rollt, und stimmt nicht zu der scharfen Überwachungsgewalt unseres Staates, die in diesem sogenannten Ausland herrscht. 19 Privatlagerordnung v. 8. Juni 1887 § 12 ff. — Einen besonderen Fall bilden noch die Teilungslager, bei welchen „eine Feststellung der Identität der einzelnen Packstücke nicht stattfindet": Privatlagerordnung § 1, § 17ff.; Weinlagerordnung v. 8. Juni 1887 § 2 ff.

§ 29. Die abgeschwächte Steuerpflicht.

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Steuer. Der Rechtszustand hat alle Merkmale einer schwebenden Steuerpflicht. Statt i n den freien Verkehr kann die Ware auch mit Begleitschein weiter gehen i n eine steuerfreie Niederlage; dann besteht die schwebende Steuerpflicht fort. Oder ins Ausland; dann ist entschieden, daß eine Steuerpflicht wegen dieser Ware jetzt nicht zur Entstehung kommt20. 3. Die gewöhnliche Bestimmung der schwebenden Steuerpflicht ist demnach, daß sie für die Ware die Überleitung vorstellt zu der Entscheidung ihres endgültigen Rechtszustandes: Steuerfreiheit oder Steuerpflicht. Es findet aber auch umgekehrt eine Überleitung aus diesen letzteren beiden Rechtslagen statt, w e n n sie s c h o n e n d g ü l t i g g e w o r d e n s i n d , i n die Rechtslage der schwebenden Steuerpflicht. Das geschieht von beiden Richtungen aus nur m i t dem Willen des Beteiligten, um dessen Pflicht es sich ja eigentlich handelt; Steuerpflicht der Ware ist dafür nur bildliche Redeweise. Er kann unter Umständen Waren, die im inländischen f r e i e n V e r k e h r sich befinden, auf denen also keine wirkliche noch schwebende Steuer lastet, i n eine steuerfreie Niederlage bringen, in den dort herrschenden „gebundenen Verkehr", um sie mit seinen dort schon befindlichen Waren zu vereinigen. Dann entsteht auch für die jetzt eingebrachten die schwebende Steuerpflicht; treten sie nachher wieder von dort heraus i n den freien Verkehr, so muß für sie die Steuer bezahlt werden, als wären sie aus dem Auslande dorthin gekommen 21 . Umgekehrt kann das Gesetz dem Steuerschuldner sogar gestatten, sich durch das Mittel der Einlegung in eine steuerfreie Niederlage von einer wegen dieser Waren entstandenen, v o n i h m s c h u l d i g g e w o r d e n e n S t e u e r z u b e f r e i e n . Die entstandene und von der Verwaltung i m Betrage festgestellte Verbrauchssteuerpflicht verwandelt sich dann durch die Einlagerung zunächst i n eine schwebende Steuerpflicht, um für den Fall der Ausfuhr der Ware, wie andere schwebende Steuerpflichten, gänzlich unterzugehen 22 . 20

Salzst.Ges. v. 12. Okt. 1887 § 9; Zuckerst. Ges. v. 27. Mai 1896 § 3, § 7 ff. — Eine „Erleichterung" kann man diese Maßregel nur unter dem Gesichtspunkte nennen, daß eigentlich die Steuer sofort mit der Entstehung der Ware zugreifen sollte, selbstverständlich dann unter viel stärkerer Belästigung des Erzeugers. 21 Ver.Zoll-Ges. § 101; Weinlagerordnung v. 8. Juni 1887 § 3, I I Abs. 1. 22 Tabakst.Ges. v. 15. Juli 1909 § 25, § 27. Der Rechts Vorgang ist sehr eigenartig. Die darin liegende Begünstigung der Landwirtschaft fällt aber weniger auf, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das nur ein Ersatz ist für den Vorteil der über Fabrikationsräume verhängten schwebenden Steuerpflicht; vgl. oben Note 20.

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Die Finanzgewalt.

§ 30.

Der Finanzbefehl. Die Finanzgewalt ist die öffentliche Gewalt, verwendet zur Förderung der Staatseinnahmen. Dieses Ziel erstrebt sie in der einfachsten Weise, wenn sie den Untertanen Zahlungspflichten, Steuerpflichten gegen den Staat auferlegt. Sie kann ihm aber auch dienen durch Bestimmung ihres p e r s ö n l i c h e n V e r h a l t e n s , indem dieses so eingerichtet wird, wie es für die Staatseinnahmen am besten ist, insbesondere, um diese zu sichern und vor Störung und Verminderung zu bewahren. Der eigentliche Grund der Einnahme liegt dann neben der Maßregel; die Finanzgewalt schützt m i t dieser nur seine Wirksamkeit und befördert so die Staatseinnahmen mittelbar. Er kann liegen in der anderen Erscheinungsform der Finanzgewalt, i n der Steuerauflage, kann aber auch jede andere Gestalt von Einnahmequellen haben. Diese zweite Form der Finanzgewalt umfaßt also ein viel weiteres Gebiet als die bisher betrachtete, aber ohne es so gründlich auszufüllen, wie jene das ihre: sie w i r k t immer nur n e b e n s ä c h l i c h 1 . Man hat diese zweite A r t von Einwirkungen auf die Untertanen häufig als F i n a n z p o l i z e i bezeichnet 2 . Der Name ist deshalb verfehlt, weil die Polizei, wenn man sie richtig abgrenzen will, nur durch ihre eigentümliche Grundrichtung gekennzeichnet werden kann, die dann einen Gegensatz zur Finanzgewalt bezeichnet. Denn hier handelt es sich durchweg nicht um die gute Ordnung des Gemeinwesens und seine öffentlichen Nützlichkeiten. Die Polizei ist sozial, die Finanzgewalt fiskalisch. Das kann sich nicht mischen. Aber richtig ist, daß gerade an dieser Seite der Finanzgewalt, wo es sich um Bestimmung des persönlichen Verhaltens der Untertanen handelt, ihre äußerliche Verwandtschaft m i t der Polizei am deutlichsten zutage t r i t t . Denn diese Einwirkung auf die Untertanen vollzieht sich geradezu i n Formen, welche denen der Polizeigewalt entsprechen: Befehl, Strafsetzung, Zwang. Die Regeln, nach welchen diese Begriffe dort sich entfalteten, gelten in weitem Umfange auch hier: es sind gemeinsame Begriffe. Nur haben sie eben hier ihre besondere 1

Der Gegensatz dieser beiden Richtungen der Finanzgewalt ist gut zum Ausdruck gebracht von Μ e i s e 1, in Finanz-Arch. I S. 7. 2 S o F o e r s t e m a n n , Pol.R.S.272; B o r n h a k , Gesch. d. preuß. V.R. I I S. 332; M e r k e l , Krim.Abhandl. I S. 94, S. 99; Τ e m m e , Lehre vom Betrüge S. 73; Μ e i s e i , in Finanz-Arch. V 1 S. 5 („Überwachung des Verhaltens der Verpflichteten mittels der Finanzpolizei"); O.Tr. 6. April 1875 (J.M.B1. S. 222: , ,pol izeiliche Kontroll Vorschriften 4 ').

§ 30. Der Finanzbefehl.

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Ausprägung ebenso wie dort: sie sind Finanzbefehle, Finanzstrafen, Finanzzwang. I . B e f e h l ist die obrigkeitliche Willenserklärung zu bindender Bestimmung des Verhaltens des Untertanen (oben § 226); der F i n a n z b e f e h l ist ein solcher, der Gehorsamspflichten auferlegt zum Besten der Staatseinnahmen, Pflichten zum Handeln, Unterlassen, Dulden. Derartige Befehle kommen i n verschiedenen Zusammenhängen zur Verwendung, und danach unterscheiden sich Arten von Finanzbefehlen. 1. Sie begleiten vor allem die S t e u e r a u f l a g e und ihre Durchführung. I h r Hauptzweck ist dabei, der Verwaltung die Erkenntnis der Steuerpflicht zu erleichtern 3 . Deshalb erscheinen sie tatsächlich i n desto größerem Umfange, je schwerer die Steuerpflicht an sich der Verwaltung wahrnehmbar ist, je leichter sie sich dieser Wahrnehmung entziehen kann 4 . Bei den d i r e k t e n ( V e r a n l a g u n g s - ) S t e u e r n beschränken sie sich demgemäß auf Gebote der Anzeige der eingetretenen Verpflichtbarkeit, der Auskunfterteilung darüber oder auch der ausführlichen Darstellung des Sachverhaltes. Dagegen treten sie in viel reicherer Entwicklung neben den i n d i r e k t e n S t e u e r n auf. Nicht bloß gelegentlich der entstehenden Steuerpflicht sind hier die erforderlichen Erklärungen und Anzeigen zu machen. Auch schon der entferntere Zusammenhang genügt: der Vorgang oder Zustand, aus welchem möglicherweise eine Steuerpflicht entstehen kann, ist i m voraus offen zu legen; und auf der anderen Seite wird der steuerpflichtig Gewordene dazu angehalten, die Erfüllung seiner Pflicht in einer bestimmten Form zu betätigen, die eine nachträgliche Prüfung erleichtern soll. Dazu kommen Verbote steuergefährlicher Handlungen, d. h. solchen Verhaltens, das geeignet ist, eine etwa entstehende Steuerpflicht des Beteiligten zu verbergen oder nicht in vollem Umfange zur Kenntnis der Verwaltung kommen zu lassen 5 . 3 R.A.O. S. 162 ff. gibt unter der Überschrift: „Ermittlung und Festsetzung der Steuer" zunächst eine umfassende Aufstellung von „Pflichten der Steuerpflichtigen und anderer Personen" — lauter Finanzbefehle! 4 Über diesen Zusammenhang Μ e i s e 1 in Finanz-Arch. V 1 S. 14 ff. 5 Wechselstempelsteuerges. v. 10. Juni 1869 § Iff. enthält die Steuerauflage; die Verordnung des Bundesrats über die Verwendung der Wechselstempelmarken v. 16. Juli 1881 gibt dem Steuerpflichtigen die nötigen Finanzbefehle dazu, um die Überwachung der erfüllten Steuerpflicht zu sichern. Salzsteuerges. v. 12. Okt. 1867 § 7 Ziff. 8 befiehlt dem Steuerpflichtigen, ein angemessenes Lokal für die Überwachungsbeamten zu liefern. Sehr weit in der Vorsicht gehen die Verbote, den Gewerbebetrieb, aus dem man Steuerschuldner werden könnte, überhaupt

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Die Finanzgewalt.

M i t den gleichen Schutzvorkehrungen umgibt die Finanzgewalt auch die B e f r e i u n g e n , E r l a s s e , R ü c k v e r g ü t u n g e n , welche m i t dem Steuerwesen zusammenhängen: der, dem solche Vergünstigungen zuteil werden sollen, muß ein Verhalten beobachten, das diese an sich zugelassenen Schmälerungen der Staatseinkünfte vor Mißbrauch sichert. I n geringerem Maße wieder ist der Finanzbefehl verwendet zum Schutz der G e b ü h r e n u n d B e i t r ä g e : sie sind ihrer Natur nach ohnehin nicht dazu angetan, sich der Wahrnehmung der Verwaltung leicht zu entziehen. 2. Bedeutet i n den bisher behandelten Fällen der Finanzbefehl nur eine N e b e n p f l i c h t zu der vorausgesetzten, begründeten oder noch zu begründenden Zahlungspflicht dessen, dem befohlen wird, so kann er i n anderen Fällen gemeint sein als Inanspruchnahme eines Unbeteiligten, um die Steuerpflicht eines Dritten zu sichern. Er soll durch seine Anzeigen und Auskünfte dazu beitragen, daß die Verwaltung die Zahlungspflicht des anderen zu erkennen und durchzusetzen vermag. Es wird ihm hier eine von seinen eigenen Geldleistungspflichten ganz unabhängige H i l f s l a s t auferlegt 6 . 3. Noch einen Schritt weiter geht die dritte A r t der Verwendung des Befehls. Sie setzt überhaupt keine Zahlungspflicht voraus, die ohnehin entstünde und nur gesichert werden soll, weder dessen, dem befohlen wird, noch eines Dritten, sondern bezweckt, die Entstehung von freiwillig einzugehenden Zahlungspflichten zum Vorteil des Staates erst herbeizuführen. Es handelt sich um ein gegebenes Unternehmen des Staates, aus dessen Betrieb er eine Einnahme erzielen w i l l durch freien Absatz seiner Leistungen an die, welche sie begehren, gegen Entgelt; damit er reichen Absatz finde und die Höhe des zu fordernden Entgeltes frei bestimmen könne, erläßt er ein Verbot an jedermann, die gleichen Leistungen anzubieten wie er und ihm dadurch einen störenden Wettbewerb zu bereiten. Dadurch entsteht ein staatliches M o n o p o l . Es hat zu seinem Kern den öffentlich-rechtlichen Finanzbefehl. Die Einnahmen, welche dem Staate dadurch gesichert werden, auszuüben, wenn keine genügende Sicherheit gegen Hinterziehung gegeben ist: Zuckersteuerges. v. 27. Mai 1896 § 56; Brausteuerges. v. 21. Juli 1909 § 27 Abs. 4. Jetzt verallgemeinert durch R.A.O. § 366. 6 Sächs. Einkommensteuerges. v. 24. Juli 1900 § 35: Die Hausbesitzer sind verpflichtet, die Bewohner anzuzeigen, welche ein eigenes Einkommen haben. — Ver.Zollges. § 124 Abs. 3: Verpflichtung von Handeltreibenden im Grenzbezirk, über die Herkunft ihrer Waren Buch zu führen und Nachweis zu geben. — Wiederum verallgemeinert durch R.A.O. § 177 ff.

§ 30. Der Finanzbefehl.

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bezieht er nach der A r t , wie sein Unternehmen arbeitet, durch privatrechtliches Rechtsgeschäft 7 . I I . Die Form, i n welcher der Finanzbefehl gegeben wird, ist, wie die des Befehls überhaupt, entweder der Rechtssatz oder der Verwaltungsakt. Zum Unterschied von der Polizei fehlt hier der Hintergrund einer selbstverständlichen natürlichen Pflicht, der der Befehl nur den rechtlichen Ausdruck zu geben hätte. Es ist alles g e m a c h t , frei erfunden nach Zweckmäßigkeit und Bedürfnis. Deshalb gibt es hier kein Seitenstück zu jenen großen allgemeinen Ermächtigungen, welche das Gesetz auf dem Gebiete der Polizeigewalt der Verwaltung erteilen kann, weil eben dort Maß und Richtung i n der Sache selbst gegeben sind. Das Gesetz erläßt hier selbst die notwendigen Befehle oder bestimmt genau, welche Befehle die Verwaltung erlassen darf. So wenigstens im allgemeinen und abgesehen von besonderen Abhängigkeiten, welche für die Einzelnen begründet sein mögen. Zum Unterschiede aber von der Polizei, die ordentlicherweise G e w a l t v e r h ä l t n i s s e nicht kennt und nicht verwendet, spielen solche bei der Finanzgewalt, und zwar vornehmlich auf dem Gebiete der indirekten Steuern, eine sehr bedeutsame Rolle. U n d dementsprechend erscheint hier der Finanzbefehl vor allem i n der dem Gewaltverhältnis eigentümlichen Form der V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t , des Regulativs oder, wie die neuere Rechtssprache es nennt, der O r d n u n g 8 . 7 Hier scheiden sich wieder in schroffem Gegensatze die finanzwissenschaftliche und die juristische Auffassung. Für jene liegt das Wesentliche des Monopols in seinem wirtschaftlichen Erfolge: daß der Staat, als freier Herr der Preisbestimmung, Geld gewinnt auf Kosten der Untertanen, für die er der einzige Lieferant wird; man rechnet es geradezu unter die Steuern: Ν e u m a η η, Die Steuer S. 64 ff. ; Μ e i s e 1, in Finanz-Arch. V 1 S. 45; ν. Β i 11 e r , Handw. d. preuß. V. I I S. 160; F l e i n e r , Instit. S. 403 („zu Zwecken der Steuererhebung"). Uns ist die Steuer eine auferlegte Z a h l u n g s p f l i c h t , das Branntweinmonopol nach Ges. v. 24. Juli 1918 ein Verbot der Konkurrenz verbunden mit einem Gebot, .den Geschätsbetrieb des Staates durch Ablieferung der eigenen Erzeugnisse zu unterstützen, beides F i n a n z b e f e h l e . Daneben stehen richtige Befehle anderen Zweckes: Postregal, Wegeregal, Eisenbahnregal sind Verbote der Privatkonkurrenz, damit diese Anstalten um des G e m e i n w o h l s willen einheitlich gestaltet werden können (vgl. unten § 491, § 521). Das Verbot der Privatschlachthäuser ist p o l i z e i l i c h e r N a t u r . Das Verbot des Spielens in auswärtigen Lotterien (preuß. Ges. v. 29. Aug. 1909) ist finanzrechtlicher Natur; aber dadurch wird die Staatslotterie keine Steuer; G. M e y e r - D o c h o w , Verw.R. S. 637, stellt sie mit Recht unter die Rubrik „privatrechtliche Einnahmen". 8 Über das Gewaltverhältnis und die ihm eigentümliche Verwaltungsvorschrift vgl. oben § 8 n. 2 u. Note 6, § 9 I I I u. Note 24. Das Verfahren mit ab-

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Die Finanzgewalt.

Von diesen Finanzordnungen gilt folgendes: 1. Das R e i c h , welches sich des an Finanzbefehlen besonders fruchtbaren Gebietes der indirekten Steuern alsbald so umfassend bemächtigte, hat auch die Form der Verwaltungsvorschrift dafür zur Entwicklung gebracht. Das preußische Recht lieferte ihm Vorbilder. R.Verf. 1871 A r t . 7 Abs. 1 Ziff. 2 (übereinstimmend R.Verf. A r t . 77) hat unseren Fall im Auge, wenn dort bestimmt wird: ,,der Bundesrat (die Reichsregierung) beschließt über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen". U n d umgekehrt verweisen wieder die Zoll- und Steuergesetze des Reichs auf diese vom Bundesrat (von der Reichsregierung) zu erlassenden Verwaltungsvorschriften, Regulative oder Anordnungen 9 . Der Bundesrat selbst hat auch nie die Absicht gehabt, ,,Rechtsverordnungen" damit zu erlassen. Sonst hätte man sie i n der dafür einzig zulässigen Form, nämlich durch Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt verkündet. Statt dessen erschienen sie von Anfang an lediglich i m Amtsblatt des Bundesrats, i n dem Zentralblätt des Deutschen Reichs, und das hat stets genügt, sie i n Wirksamkeit zu setzen 10 . Wenn gleichwohl die rechtswissenschaftliche Lehre an Bemühungen es nicht hat fehlen lassen, diesen Finanzordnungen auf irgendwelchem geschwächter Steuerpflicht (oben § 29) erhält durch das hier Darzustellende seine notwendige Ergänzung. 9 Über Reichsverf. 1871 Art. 7 Ziff. 2: L a b a η d , St.R. I I S. 91 ff.; Η a e η e 1 St.R. S. 282 ff. — L a b a η d möchte nur für die Verwaltungsvorschriften des Bundesrates, die nach Reichsverf. Art. 7 Rechtsvorschriften nicht sein sollen, diese Eigenschaft doch noch in Anspruch nehmen, soweit sie auf Zölle und Verbrauchssteuern sich beziehen. Und zwar gibt er dafür zwei Gründe. Erstens: Ver.Zollges. § 152 bedroht die Übertretung dieser Verwaltungsvorschriften mit Strafe, und diesem Blankettstrafgesetz „verdanken sie die Kraft der Reichsvorschrift" (a. a. O. S. 93). Der Schluß ist nicht richtig: auch die Nichtbefolgung von Dienstbefehlen kann so mit Strafe bedroht sein, ohne daß diese dadurch zu RechtsSätzen würden. Zweitens enthielten sämtliche Zoll- und Steuergesetze des Reichs ,,umfassende Delegationen für den Bundesrat", auf Grund deren er „eine große Masse von Regulativen beschlossen hat, welche ihrem Inhalte nach wahre Spezialgesetze sind" (a. a. O. 4. Aufl. I V S. 422). Allein, wenn Reichs-Verf. Art. 7 mit dem Ausdruck „Verwaltungsvorschriften" keine Rechtssätze meint, dann ist nicht einzusehen, weshalb eine besondere Ermächtigung zu Rechtssätzen darin gefunden werden soll, daß die einzelnen Gesetze auf die Verwaltungsvorschriften, Regulative usw. des Bundesrates verweisen. 10 L a b a n d , St.R. I I S. 110 Note 2, beklagt sich von dem Standpunkt aus, daß es sich um Rechtsverordnungen handele, mit gutem Grunde über die „im Deutschen Reiche herrschende Verkündigungsunordnung". Für unsere Zollund Steuerregulative löst sich das aber alles in Wohlgefallen auf, wenn sie in Wirklichkeit Rechtssätze gar nicht sein wollen.

§ 30. Der Finanzbefehl.

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Wege Rechtssatznatur zu verschaffen, so lag das daran, daß man für ihre rechtlichen Wirkungen eine andere Erklärung nicht zu finden glaubte. Man braucht aber nur die Kräfte, die i n der Verwaltungsvorschrift stecken, sich recht entfalten zu lassen. 2. Es handelt sich bei den hier fraglichen Befehlen stets um ein größeres Ganze, um eine p l a n m ä ß i g e E i n r i c h t u n g . Zum Besten der Finanzen soll dadurch das Unternehmen des beteiligten Untertanen, aus welchem der Steuerpflicht Beeinträchtigung erwachsen könnte, m i t einem Netz von sichernden Bestimmungen umgeben werden. Diese Bestimmungen äußern ihre rechtliche Wirksamkeit nach verschiedenen Seiten hin. I n erster Linie sind sie gegeben für die Beamten, die m i t der Steuererhebung betraut sind. Es wird ihnen gesagt, wie sie bei Ausfertigung von Begleitscheinen verfahren, welche Revisionen sie vornehmen, unter welchen Voraussetzungen sie zur zollfreien Niederlage zulassen sollen usw. Das sind D i e n s t v o r s c h r i f t e n . Sie haben nicht notwendig, Rechtssätze zu sein, um bindend zu wirken: sie wirken m i t der Kraft des bereits bestehenden Gewaltverhältnisses, das sie nur zur Geltung bringen. Von diesem Gewaltverhältnis wird i n der Lehre von der öffentlichen Dienstpflicht (§ 45 I ) noch die Rede sein 1 1 . I n beschränktem Maße handelt es sich bei diesen „Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen" auch darum, daß den Beteiligten die Benutzung gewisser ö f f e n t l i c h e r A n s t a l t e n gewährt werden soll, öffentlicher Niederlagen z. B., wobei sie dem geregelten Gang dieser Anstalten sich zu fügen und Gebühren zu entrichten haben. Sie unterliegen soweit den Vorschriften der A n s t a l t s o r d n u n g , die sich hier m i t den finanzrechtlichen Vorschriften verbinden. Auch die sind keine 11 Das Besondere ist, daß hier der Bundesrat Dienstvorschriften gibt für die Zoll- und Steuerbeamten, welche im Dienste der Bundesstaaten stehen; das Reich bemächtigte sich also der diesen Staaten zustehenden Dienstgewalt. L a b a η d , St.R. I S. 207: „Die vom Bundesrat auf Grund des Art. 7 Abs. 2 erlassenen Vorschriften . . . sind lediglich Instruktionen oder Anweisungen für die Regierungen und deren Behörden. Sie sind daher nur für die Amtsführung der letzteren verbindlich." — Nach S e y d e l , Komment. S. 142, wirkten diese Vorschriften nur so, daß sie den Regierungen Anlaß gäben, ihrerseits die entsprechenden Dienstbefehle an ihre Beamten zu richten. Ebenso Η a e η e 1, St.R. I S. 289, der deshalb hier nur ein „mittelbares Verordungsrecht" des Bundesrats annimmt. Diese Auffassung wurde schon damals der machtvollen Zusammenfassung, die hier gewollt, war, nicht gerecht. I n R.Verf. 1919 Art. 77 ist der zweite Satz gerade auf diese Inanspruchnahme der Dienstgewalt über die Landesbeamten gemünzt, die in der Verwaltungsvorschrift liegt: „Sie (die Reichsregierung) bedarf dazu der Zustimmung des Reichsrates, wenn die Ausführung den Landesbehörden zusteht." Das entspricht ja der allgemeinen Stellung des Reichsrates.

B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 3. Aufl.

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Die Finanzgewalt.

Rechtssätze, sondern Ausflüsse des besonderen Gewaltverhältnisses, das sich bei solcher Anstaltsbenützung entwickelt. Darüber ist i n der Lehre von diesem Rechtsinstitut (unten § 52 I ) das Nähere zu sagen 12 . Dazu kommt aber i n noch größerem Umfang eine dritte A r t von rechtlich bestimmender Einwirkung. Sie richtet sich nicht gegen die Dienstpflichtigen und ist auch nicht daran gebunden, daß dem Betroffenen irgendeine Benutzung von öffentlichen Mitteln, Gebäuden oder Verwahrungsgelegenheiten gewährt sei. Voraussetzung ist lediglich, daß er m i t Rücksicht auf seine Steuerpflicht und m i t Rücksicht auf seine Waren, an welche diese sich geknüpft hat oder knüpfen soll, einer besonderen Ü b e r w a c h u n g von Seiten der Finanzverwaltung unterstellt ist. Kraft dieses Verhältnisses kann ihm dann vorgeschrieben werden, was er zur Erfüllung des Zweckes, dem es dient, nämlich zur Sicherung der Steuer, zu t u n und zu lassen und zu dulden hat. Es können ihm insbesondere Befehle gegeben werden. Diese Befehle werden i n allgemeine Regeln gefaßt und zusammen m i t jenen für dieselbe steuerliche Einrichtung bestimmten Dienstvorschriften und etwaigen Anstaltsordnungen in einem und demselben ,,Regulativ" kundgegeben. Sie wollen, wie sie, keine Rechtssätze sein, sondern Ausflüsse eines besonderen Gewaltverhältnisses, i n welches der Angeredete getreten ist. Es ist selbständiger A r t gegenüber den beiden schon erwähnten und gehört hierher i n die Lehre von der Finanzgewalt: es gründet sich auf die besondere f i n a n z r e c h t l i c h e Ü b e r w a c h u n g s g e w a l t , welcher die Einzelnen unterworfen werdenkönnen 13 . 12

Die N i e d e r l a g e o r d n u n g v. 5. Juli 1888 enthält neben den Vorschriften zur Sicherung des Zolles auch solche, die sich auf die Beschaffenheit, Verpackung und Besorgung der niederzulegenden Waren und die Benutzung der öffentlichen Aufbewahrungsanstalt als solcher beziehen. (§ 4, § 16 ff.) — Die H a f e n r e g u l a t i v e , auf welche Ver.Zollges. § 90 verweist, verbinden gleichfalls Vorschriften über richtige B e n u t z u n g der Einrichtungen mit solchen für die S i c h e r u n g des Zolles; die „Grundbestimmungen für die Hafenordnungen", die der Bundesrat dazu erlassen hat (R.Zentr.Bl. 1889 S. 241), betonen natürlich die letztere Seite. 13 Unser Ergebnis stimmt im wesentlichen überein mit den Ausführungen bei H a e n e l , St.R. I S. 285ff., vor allem S. 287 Anm. 15: „Jene Regulative haben die doppelte Bedeutung teils von Anweisungen für die Behörden für die Handhabung der i h n e n e i n g e r ä u m t e n K o n t r o l l g e w a l t . . . teils . . . von Befehlen, zu deren Befolgung die Beteiligten k r a f t j e n e r K o n t r o l l g e w a l t d e r B e h ö r d e n oder kraft rechtsgeschäftlicher Unterwerfung verpflichtet sind." R.A.O. behandelt den Gegenstand in § 193 ff. uuter der Überschrift „Steueraufsicht". Die dazu gehörigen „Ausführungsbestimmungen" (§§ 193, 194) ordnen an, „welchen Bedingungen die der Aufsicht unterliegenden Betriebe zu genügen haben". Ausführungsbestimmungen heißen sie gemäß

§ 30. Der Finanzbefehl.

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Was wir hier vor uns haben, ist also nur eine Erscheinungsform eines allgemeineren, auch sonst wohl bekannten Rechtsbegriffes. 3. Müssen wir demnach ein dem Gebiete der Finanzgewalt eigentümliches Gewaltverhältnis annehmen, so ist die weitere Frage: wie wird diese Überwachungsgewalt gegenüber den Beteiligten beg r ü n d e t ? Jene Verminderung der Freiheit, welche ein Gewaltverhältnis für den ihm Unterstellten bedeutet, versteht sich nie von selbst. Sie muß immer zurückführbar sein auf einen der zwei Rechtsgründe, welche i n unserem Verfassungs- und Rechtsstaat Eingriffe in die Freiheit allein zu rechtfertigen vermögen: Gesetz oder freiwillige Unterwerfung· Bei den Gewaltverhältnissen kommt aber noch eine Voraussetzung hinzu, an der ihr Wesen hängt und durch deren Erfüllung sie immer erst fertig werden: es handelt sich durchweg u m eine E i n r i c h t u n g , eine V e r a n s t a l t u n g der ö f f e n t l i c h e n Gew a l t , bei der sie für den bestimmten Zweck maßgebend sein und das Nähere bestimmen will; erst der t a t s ä c h l i c h e E i n t r i t t i n d i e s e n M a c h t b e r e i c h bringt das Gewaltverhältnis zur vollen Entstehung 1 4 . Bei unserem finanzrechtlichen Gewaltverhältnisse vollzieht sich das i n der Weise, daß zunächst das Gesetz i n allgemeiner Weise die Verhältnisse bezeichnet, in welchen zur besseren Sicherung der Finanzen dienliche Verwaltungsmaßregeln getroffen werden sollen, bindend für jeden, der m i t seiner Person und vor allem m i t seinen Sachen sich hineinbegibt 1 5 . Der E i n t r i t t in diesen Bereich kann dann jedesmal f r e i w i l l i g erfolgen wegen der Vorteile, welche der Staat durch die m i t solchen Überwachungsmaßregeln ausgestattete Einrichtung dem Beteiligten bietet; dann mag man das GewaltVerhältnis, außer auf das Gesetz, auch noch auf Unterwerfung zurückführen 16 . R.Verf. 1919 Art. 77 als die „zur Ausführung der Reichsgesetze bestimmten allgemeinen Verwaltungsvorschriften". Diese „Bedingungen4' sind vor allem Finanzbefehle. 14 Wenn der Dienstpflichtige, Beamte, Schöffe, Soldat, seinen Dienst angetreten hat, eingereiht ist in das große öffentliche Unternehmen, dem er dienen soll, dann beginnt mit der „aktiven Dienstpflicht 4' für ihn der neue Rechtszustand, der die D i e n s t g e w a l t weckt; vgl. unten § 43 I n. 2. Ebenso bewirkt der tatsächliche Eintritt des Benutzers in den Betrieb der öffentlichen Anstalt, in den Bannkreis ihres Hausrechts jenes Abhängigkeitsverhältnis, das wir als A n s t a l t s g e w a 11 bezeichnen ; vgl. unten § 52 I I . 15 Insofern hier immer ein gesetzlicher Hinweis auf solche Vorkehrungen dahinter steht, ist es in gewissem Maße richtig, wenn H a e n e l , St.R. I S. 287 Note 15, sagt: es handle sich hier immer um „Ausübung in Rechtssätzen begründeter subjektiver obrigkeitlicher Rechte". 16 Das sind die Fälle der Inanspruchnahme der verschiedenen Vorkehrungen,

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Die Finanzgewalt.

Der Staat kann aber auch, unmittelbar durch Gesetz oder durch Anordnung seiner gesetzlich ermächtigten Behörden, diese Überwachungsgewalt über die bestimmten wirtschaftlichen Betätigungen der Einzelnen verhängen, als eine diesen a u f e r l e g t e Beschränkung 17 . Dann sind diese immer noch i n der Lage, sich der Freiheitsminderung zu entziehen, wenn sie die fraglichen Unternehmungen und Betriebe unterlassen. Allein das ist keine bessere Freiheit als die, m i t welcher man der Baupolizei sich entziehen kann, indem man nicht baut. 4. Wenn das Gesetz über die Z u s t ä n d i g k e i t für die hier zu erlassenden Verwaltungsvorschriften nichts bestimmt hat, ist jede Finanzbehörde für ihr Gebiet dafür zuständig, außerdem aber immer die Reichsregierung nach Reichs-Verf. A r t . 77. Diese bleibt auch daneben noch zuständig, wenn nach ausdrücklichem Gesetz die örtliche Finanzbehörde die Ordnung erlassen soll. Und stets geht das von ihr Geordnete allen behördlichen Ordnungen v o r 1 8 . U m r e c h t s g ü l t i g zu sein, müssen diese Ordnungen sich innerhalb der Grenzen der begründeten Überwachungsgewalt bewegen; was der Zweck erfordert, gibt dafür den Maßstab. Sie ziehen ihre Kraft nicht aus der Unterwerfung der Beteiligten unter sie, sondern aus dem Gewaltverhältnis, das ja seinerseits möglicherweise durch Unterwerfung begründet worden ist; ist es aber einmal begründet, so unterliegt der darin Begriffene auch den Änderungen, welche die zur Zeit seines Eintritts bestehenden Verwaltungsvorschriften nachträglich erfahren. Die A r t der K u n d g a b e ist selbstverständlich nicht an die formale Strenge gebunden, welche für die Kundgabe von Rechtssätzen gelten mit welchen das Gesetz „Steuererleichterung" verbunden hat: Begleitscheine, zollfreie Niederlagen, Veredelungsverkehr usw. Vgl. über diese Dinge oben § 29 I I I n. 1. 17 Das kann geschehen im Zusammenhang mit der Verhängung einer schwebenden Steuerpflicht über die Waren in gewissen Herstellungs- und Aufbewahrungsräumen; vgl. oben § 29 Note 20 und hier Note 12. Aber auch ohne das; Ver.Zollges. § 124 Abs. 3. 18 Nach Ver.Zollges. § 90 sind die einzelnen Hafenordnungen „unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse44 von den Landesbehörden zu erlassen; der Bundesrat hat gleichwohl maßgebende „Grundbestimmungen für die Hafenordnungen" aufgestellt (Zentr.Bl. 1889 S. 241). Die Reichsregierung kann auch, indem sie ihre Ordnungen erläßt, bestimmen, wieweit diese durch die Landesbehörden zu ergänzen sind; vgl. Ausf.Best. zu Zuckersteuerges. v. 27. Mai 1896 (Zentr.Bl. 1896 S. 231 ff.) § 10, § 12, § 14, § 19. Ohne diesen Vorbehalt wird eine solche Ergänzung, durch Einzelbefehl wie durch Verwaltungsvorschrift, nachdem die Reichsregierung sich einmal des Gegenstandes bemächtigt hat, ausgeschlossen sein.

§ 30. Der Finanzbefehl.

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mag; vgl. oben Note 10. Die Bekanntmachung durch das für den dienstlichen Gebrauch der Beamten bestimmte Amtsblatt empfiehlt sich von selbst, da die Vorschriften vor allem auch an diese sich wenden. Tatsächlich wird noch durch Anschläge, besondere Aushändigungen oder Zugänglichmachen zur Anschaffung nachgeholfen. Eine Erkundigungspflicht nach dem, was obliegt, bringt jedes Gewaltverhältnis m i t sich, das der Überwachungsgewalt so gut, wie das der Dienstgewalt. Das genügt, um die Bekanntschaft überall schlechthin vorauszusetzen. I I I . Die Polizeierlaubnis hat hier ihr Seitenstück in der Aufhebung des allgemein erlassenen Finanzbefehls für den Einzelfall. Zum Unterschied vom Polizeirechte finden sich hier ebenso häufig auch Gewährungen von Ausnahmen von allgemeinen G e b o t e n , wofür das Wort E r l a u b n i s nicht paßt. Man spricht dann von G e s t a t t u n g e n . Außerdem hat hier diese Entbindung vom Befehl das Besondere, daß sie zweierlei Arten von allgemeinen Regeln gegenüberstehen kann: dem Rechtssatz und der Verwaltungsvorschrift. 1. Die Durchbrechung eines r e c h t s s a t z m ä ß i g e n Finanzbefehls für den Einzelfall folgt ganz den Regeln, die für die Polizeierlaubnis zur Geltung kommen. Es bedarf eines Vorbehaltes im Rechtssatze selbst, und die Durchbrechung — Erlaubnis oder Entbindung vom Gebot — geschieht dann durch den also ermächtigten Verwaltungsakt, Erteilung und Zurücknahme pflegen hier noch viel mehr als bei der Polizei in das freie Ermessen der Behörde gestellt zu sein 1 9 . 2. Wenn der allgemeine Finanzbefehl in Form einer V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t gegeben ist, gelten andere Regeln. Die Behörde, von welcher diese ausging, und ebenso natürlich ihre Vorgesetzte, kann alsdann, auch ohne besonderen Vorbehalt, solche Ausnahmen jederzeit bewilligen; nur der verordnungsmäßige Rechtssatz, entlehnt von der gesetzgebenden Gewalt, ist höherwertig als die Einzelverfügung der Behörde, die ihn erlassen h a t 2 0 . Die ihr untergeordnete Behörde dagegen bedarf einer Ermächtigung i n der Verwaltungsvorschrift selbst, wenn sie eine Ausnahme 19

Rechtssatzmäßiges Finanz v e r b o t mit Erlaubnisvorbehalt in Ver.ZollGes. § 21: Mit zollpflichtigen Waren darf die Grenze zur Nachtzeit nicht überschritten werden; in besonderen Fällen erteilt das Zollamt dazu die Erlaubnis. Rechtssatzmäßiges Finanz g e b o t mit Entbindungsvorbehalt in Tabakst. Ges. v. 15. Juli 1909 § 32 Ziff. 3: Bis zum bestimmten Termin muß die zur Regelung der Blätterzahl erforderliche Behandlung der Tabakpflanzen auf dem Felde vollständig bewirkt sein; von dieser Vorschrift kann in gewissen Fällen „die Steuerbehörde die betreffenden Tabakpflanzer entbinden". 20 Vgl. oben § 7 n. 1, § 22 Eing.

Die Finanzgewalt.

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gewähren soll. Andernfalls wäre ihre Gestattung rechtsungültig, auch nach außen. Denn jene Vorschrift ist nicht eine Dienstanweisung für sie, die lediglich i m inneren Verhältnis wirkte, sondern sie ist eine „Generalverfügung" den Untertanen gegenüber, die i n ihrer Wirkung auf diese durch die entgegengesetzte Willensäußerung der unteren Behörde sowenig beeinträchtigt werden kann wie eine Einzelverfügung oder wie das Urteil des Obergerichts durch das des Untergerichts 21 . § 31.

Die Finanzstrafe· Die Strafe ist ein Übel, welches von der öffentlichen Gewalt auf ein mißbilligtes Verhalten des Einzelnen gesetzt wird. Die Finanzgewalt verwendet sie zum Besten der Staatseinnahmen: ein gewisses Verhalten wird als nachteilig für die Staatseinnahmen mißbilligt und deshalb mit Strafe bedroht. Eine Strafe dieser A r t heißt f i s k a l i s c h e S t r a f e oder F i n a n z s t r a f e . Finanzstrafdrohungen verbinden sich m i t direkten und indirekten Steuern, m i t Gebühren, Monopolen und Steuervergünstigungen, überhaupt m i t allen Beziehungen des Staetsvermögens, für welche der Staat seine Finanzgewalt auch i n Form des Befehls einsetzt. I . Die Finanzstrafe bedarf, wie die Polizeistrafe, der gesetzl i c h e n G r u n d l a g e . Die Straf Setzung selbst erfolgt auch hier regelmäßig nur durch das Gesetz; Ermächtigungen dazu für die Verordnung sind nicht üblich (vgl. oben § 23 I n. 1). Das mißbilligte Verhalten, an welches die Strafe sich knüpft, nennen wir F i n a n z v e r g e h e n ; Steuerzuwiderhandlung heißt es in R.A.O. § 356 ff. Es kann wieder auf zweierlei Weise bezeichnet werden: Entweder das Finanzstrafgesetz bezeichnet es u n m i t t e l b a r mit 21

Zwischen Verwaltungsvorschrift und Einzelanweisung entscheidet lediglich der Vorrang der höheren Behördenstufe, wie zwischen einfachen Verwaltungsakten unter sich. — Vorbehaltene Ausnahmebewilligungen in Bundesratsvorschr. z. Branntweinst. Ges. v. 1887 2 I I I b und c (Zentr.Bl. 1887 S. 354): An den Rohrleitungen dürfen sich keine Ventile befinden, „sofern nicht durch besondere von der Steuerbehörde genehmigte Einrichtungen die Möglichkeit usw... . beseitigt wird". Ausf.Best. z. Branntweinst. Ges. v. 10. Juli 1900 § 321 (Zentr. Bl. 1900 Beilage N. 33): Alle Röhrenleitungen müssen von bestimmter Beschaffenheit sein; bestehenden Brennereien „kann die Fortbenutzung abweichender Rohre widerruflich gestattet werden". Zuckerst.Regulativ zu § 12 und § 13 des Ges. v. 1887 (Zentr.Bl. 1888 S. 268): Die Fenster des Fabrikgebäudes müssen so vergittert sein, daß die Stäbe nicht weiter als 5 cm voneinander entfernt sind, „vorbehaltlich der bei bereits vorhandenen Gittern zu gestattenden Ausnahmen". Vgl. auch Ausf.Best. z. Zuckerst. Ges. v. 27. Mai 1896 § 29 (Zentr.Bl. 1896 S. 231).

§ 31. Die Finanzstrafe.

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der Straf Setzung selbst: wer dies oder jenes tut, oder nicht t u t , wird so und so bestraft. Diese Form wird vor allem Verwendung finden, wenn es sich um ganz einfache, allgemein zu bezeichnende Tatbestände handelt: um Versuche, sich der Erfüllung finanzrechtlicher Zahlungspflichten zu entziehen, oder Verletzung amtlicher Sicherungsvorkehrungen. Oder die Strafsetzung verweist für die Bestimmung des Tatbestandes auf einen vorausgesetzten F i n a n z b e f e h l und bedroht den Ungehorsam gegen diesen 1 . Neben diesen vom Polizeirecht her schon bekannten Formen der Strafsetzung erscheint aber hier noch eine ganz eigentümliche, die unter dem Namen der V e r t r a g s s t r a f e geht. Sie findet sich auf dem Gebiete der Zollvergünstigungen 2 . Die gesetzliche Grundlage wird dabei ersetzt durch die Einwilligung des Betroffenen, seine Unterwerfung unter die Strafdrohung, die Strafsetzung für den künftigen Fall; kraft dieser auf Grund der Unterwerfung geschehenen Strafsetzung erfolgt dann bei Verwirklichung des bezeichneten Tatbestandes der Strafausspruch, der einer weiteren Unterwerfung nicht bedarf 3 . I I . Man unterscheidet zwei Arten von Finanz vergehen: die D e f r a u d a t i o n oder H i n t e r z i e h u n g und die sonstige Verfehlung gegen die Sicherungsvorschriften, die mit einer „bloßen Ordnungsstrafe" bedroht ist und als O r d n u n g s w i d r i g k e i t bezeichnet werden mag 4 . I m Zollstrafrecht pflegt noch ein drittes Delikt in der Reihe mit 1

Beispiele dieser verschiedenen Formen: Wechselstempelst.Ges. v. 10. Juni 1869 § 15; Ver.Zollges. § 151, § 152; Postges. v. 28. Okt. 1871 § 27. Die Begriffsbestimmung in R.A.O. § 356 hat bloß den zweiten Fall im Auge. 2 Das Muster gibt die „Konventionalstrafe" bei zollfreier Einfuhr von Roheisen und altem Brucheisen zur Verarbeitung für Schiffsbau oder Wiederausfuhr: L ο e b e , Zollstrafrecht S. 165. Ähnlich Mineralöl-Zollordnung v. 15. Febr. 1906 §10 ( T r o j e - D ü f f e , Ordnungen z. d. Zollges. I I I S. 128), SeefischereiZollordnung § 19 (T r ο j e - D ü f f e a. a. Ο. I V S. 109). 3 Nach der Begründung z. Seefischerei-Zollord. § 19 wäre die Meinung, daß man mit diesen Vertragsstrafen dem ausländischen Unternehmer besser beikommen könne, während sonst „seine Strafverfolgung nicht möglich sein wird" ( T r o j e D ü f f e , Ordnungen I V S. 109). Es ist also an eine Zivilklage vor den ausländischen Gerichten gedacht oder an Vollstreckbarerklärung eines inländischen zivilgerichtlichen Urteils durch jene. Bei unserer eigentlichen Finanzstrafe würden sie allerdings nicht mithelfen. Sollten sie aber hier die Verkleidung nicht auch durchschauen ? 4 R.A.O. § 355 ff. unterscheidet ihre „Steuerzuwiderhandlungen" in hergebrachter Weise mit der obigen Formulierung (§§ 359 u. 377). Die dazwischen geschobenen §§ 371—373 gehören eigentlich zu den „mit einer Ordnungsstrafe zu bestrafenden Zuwiderhandlungen", sind nur eben ausgezeichnet mit einer verschärften Strafe — was allerdings zu der beliebten Bezeichnung nicht stimmt.

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Die Finanzgewalt.

aufgezählt zu werden: die K o n t r e b a n d e . Man versteht darunter die strafbare Verletzung eines Verbotes der Ein- oder Durchfuhr. Es ist aber klar, daß ein derartiges Verbot kein Finanzbefehl, daß die Kontrebande keine Verletzung eines Finanzanliegens, kein Finanzvergehen sein kann. Tatsächlich dienen Verbote der Einfuhr zur Fernhaltung gemeinschädlicher Dinge von den Staatsgrenzen, namentlich zur Abwehr der Einschleppung ansteckender Krankheiten von Menschen, Vieh und Pflanzen. Deshalb verknüpft sich auch von selbst damit das Verbot der Durchfuhr, die ja vom bloßen Finanzstandpunkt aus betrachtet etwas ganz anderes wäre. Die Einfuhrverbote sind P o l i z e i befehle. Daß die Durchführung dieser Maßregel m i t der Überwachung der Zölle verbunden ist, zieht auch die Übernahme der Formen des Zollstrafverfahrens nach sich. Dadurch wird ihre rechtliche Natur nicht geändert. Die Verbindung ist lediglich Zweckmäßigkeitssache. Die ältere Wirtschaftspolitik hatte allerdings mit ihren zahlreichen Einfuhrverboten eine verwandtere Umgebung innerhalb des Zollwesens geschaffen. Jetzt steht die Kontrebande auch äußerlich darin vereinsamt 5 , 1. Hinterziehung und Ordnungswidrigkeit bewähren ihre Eigenart als Finanzvergehen darin, daß die Bezeichnung des strafbaren Tatbestandes ganz und gar nur geleitet ist von Erwägungen der Zweckmäßigkeit, die Strafe ist nichts als ein Mittel der Finanzgewalt zu klug berechneter Sicherung der von ihr wahrzunehmenden öffentlichen Einkünfte. Nichts versteht sich hier von selbst, und keine Natur der Sache gibt dem zu Wollenden genauere Bestimmtheit und Ergänzung, wie das i m gemeinen Strafrecht der Fall sein mag und i n besonders wirksamer Weise auf dem Gebiete der Polizeigewalt zutage trat. Es 5

Die polizeiliche Natur der Einfuhrverbote betont Ver.Zollges. § 2. Vgl. auch G. M e y e r - D o c h o w , Verw.R. § 232. Anders L a b a n d , St.R.I V, S. 441, entsprechend seiner oben § 27 Note 14 erwähnten Theorie der Zollpflicht. R.A.O. hat jetzt einige Finanz vergehen, Hinterziehungen und Ordnungswidrigkeiten hervorgehoben und ihre besondere Strafe geregelt. So die Steuergefährdung (§ 367), die Steuerhehlerei (§ 368), letztere im Rückfall verschärft behandelt (§ 369). Daneben wendet sie ein besonders strenges Gesicht auch gewissen Schlauheiten zu, durch welche Steuerersparungen angestrebt werden mögen: Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts ( § 5 , § 359 Abs. 4) oder geschäftsmäßiges Aufmerksammachen auf solche Vorteile (§ 367). Eine selbständige Bestrafung tritt nur im letzteren Falle ein; im ersteren Fall, wenn er nicht geradezu selber schon die Merkmale der Hinterziehung aufweist, begnügt man sich der Künstelei den steuerlichen Erfolg zu versagen. Es handelt sich hier keineswegs um einen neuen Grundsatz: R.F.H. 12. Nov. 1920 (Samml. I V S. 119).

§ 31. Die Finanzstrafe.

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ist derselbe Gegensatz wie bei Polizeibefehl und Finanzbefehl; vgl. oben § 30 I I . Deshalb gibt es keine allgemeinen festen Begriffe der Hinterziehung und der Ordnungswidrigkeit, auf welche die Strafe unmittelbar gesetzt werden könnte. Die einzelnen Tatbestände müssen durch die Strafsetzung besonders herausgehoben werden aus allem dem Vielen, was den Finanzen nachteilig sein kann: der Strafrechtssatz muß sie kenntlich machen durch dieVerpönung oder verweisen auf die übertretenen Finanzbefehle, die dem Tatbestand die erforderliche Bestimmtheit geben. Nur das i n solcher Weise ausdrücklich mißbilligte und unter Strafe gestellte, den Finanzen nachteilige Verhalten ist Finanzvergehen, sei es dann Hinterziehung oder Ordnungswidrigkeit. Die Hinterziehung ist die schwerere Straftat. Daß ein Schade wirklich angerichtet worden sei, ist aber auch für sie nicht wesentlich. Die beiden unterscheiden sich nur dadurch, daß die Hinterziehung auf diesen Erfolg unmittelbar gerichtet ist, während er bei der Ordnungswidrigkeit höchstens als entferntere Möglichkeit denkbar wäre. Genauer gesagt: — Die H i n t e r z i e h u n g ist ein mit Finanzstrafe bedrohtes Verhalten, das i m Falle des Gelingens der Finanzverwaltung einen Vermögensentgang b ereitet 6 . — Die O r d n u n g s w i d r i g k e i t ist ein m i t Finanzstrafe bedrohtes Verhalten, das der Finanzverwaltung lediglich ungünstigere Bedingungen schafft für die Überwachung des ihr Zukommenden 7 . Aus diesem Verhältnis ergibt sich im Finanzstrafrecht die Erscheinung, daß ein und derselbe äußere Tatbestand, der sich zunächst als Hinterziehung darstellte, weil anzunehmen war, daß jene gerad6

O.L.G. München 30. Dez. 1884 ( R e g e r V S . 440): Der Α η g r i f f auf das Gefälle ist hier mit der Strafe bedroht; es braucht keine Vermögensbeeinträchtigung wirklich gelungen zu sein. Ver.Zollges. § 135: „Wer es unternimmt, die Abgaben zu hinterziehen, macht sich der Defraudation schuldig." Der Versuch wird hier der Vollendung gleichgeachtet (RAO. § 360). Es gibt also rechtlich keinen Versuch. 7 Daher „Kontrollvergehen": Μ e i s e i , in Finanz-Arch. V, S. 35 ff. — Die „bloße Ordnungsstrafe", von der der Name sich herschreibt, bezeichnet zunächst lediglich die Geringfügigkeit ihres Geldbetrages und damit den Gegensatz zur Hinterziehungsstrafe, die ja auch Ordnungsstrafe sein will, aber darüber hinaus einen Gewinn und eine Entschädigung für den Fiskus vorstellt; vgl. unten IV. Daher „ b l o ß e " Ordnungsstrafe und entsprechend auch die Bezeichnung der Straftat als „bloße Ordnungswidrigkeit". R.A.O. § 377 hat jetzt diesen mildernden Zusatz weggelassen.

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Die Finanzgewalt.

linige Richtung auf den schädlichen Erfolg, auf die Verkürzung der Finanzen, vorlag, zur bloßen Ordnungswidrigkeit herabsinken kann, sobald nachgewiesen wird, daß die Tat diese Richtung nicht hatte 8 . 2. Die Hinterziehung bedarf der genaueren Abgrenzung noch nach einer anderen Seite hin, gegenüber dem gemeinen Strafrecht nämlich, insbesondere gegenüber dem durch Stf.G.B. § 263 geregelten Vergehen des B e t r u g e s . M i t diesem zeigt ja ihr Tatbestand eine ausgeprägte Verwandtschaft; indem hier wie dort ein rechtswidriger Vermögensvorteil zum Schaden der Staatskasse angestrebt wird in einer Weise, die der Name Hinterziehung, Defraudation, Defraude kennzeichnen und brandmarken will. Man nimmt also an, daß beiderlei Strafrechtssätze sich decken. U n d zwar erwiese sich dabei das Finanzvorgehen als das stärkere. Es soll nach der herrschenden Meinung eine Bestrafung wegen Betrugs überall nicht stattfinden, wo eine Hinterziehung i n Frage kommt. Die übliche Begründung ist die, daß das Finanzstrafrecht ein S o n d e r r e c h t sei, als solches bestimmt und befähigt, für seinen Fall das gemeine Recht zu ersetzen; die Hinterziehung müßte also angesehen werden als eine diesem Sonderrecht überlassene U n t e r a r t des B e t r u g e s , für welche eben dadurch die Anwendung von Stf.G.B. § 263 ausgeschlossen wäre 9 . Diese Auffassung ist unhaltbar. Die Hinterziehung kann deshalb nicht als Unterart des Betruges angesehen werden, weil für sie das diesem eigentümliche Element der rechtswidrigen Täuschung („durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen I r r t u m erregt oder unterhält") nicht begriffswesentlich ist. Es gibt vollwichtige Fälle der Hinterziehung, in welchen der Täter m i t dem, der getäuscht worden sein müßte, oder seinen Leuten überhaupt nicht i n Berührung k o m m t 1 0 . I n anderen Fällen 8

Ver.Zollges. § 137 Abs. 2; vgl. unten I I I n. 2. Es ist auch der umgekehrte Gang denkbar: R.A.O. § 371 Abs. 2. 9 E s c h e r , Lehre v. straf b. Betrug S. 235; Μ e i s e 1, in Finanz-Arch. V S. 57 ff.; S c h w e i g e r , in Gerichtssaal X L S. 401 ff.; B i n d i n g , Stf.R. I S. 345; Η . Μ e y e r , Stf.R. § 95 n. 10; v. L i s ζ t , Stf.R. S. 664; L ο e b e , Zoll-, Stf.R. S. 179; O l s h a u s e n , Stf.G.B. I S. 16; D r ο s t e , in Verw.Arch. V I I I S. 424. R.G. 4. April 1881 (Entsch. Stf.S. I I I S. 193); 13. Juli 1886 (Entsch. Stf.S. X I V S. 293); 10. Nov. 1898 ( R e g e r X I X S. 378); 29. April 1899 ( R e g e r X I X S. 440). R.A.O., Begründung zum Entw. S. 598. 10 Wechselstempelst. Ges. § 15: Hinterziehung ist schlechthin die „Nichterfüllung der Verpflichtung zur Entrichtung der Stempelabgabe'4; vgl. oben § 27, I I I n. 2. Ähnlich die Postdefraude durch Verletzung des Postzwanges, die Zolldefraudation durch Verwendung einer zollfrei abgelassenen Ware zu anderen Zwecken, als wozu sie begünstigt war; vgl. oben § 29 Note 13. H a e l s c h n e r , Stf.R. S. 1005.

§ 31. Die Finanzstrafe.

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mag zwar eine unwahre Erklärung der Finanzverwaltung gegenüber zur Hinterziehung gehören, aber nicht wegen des damit zu bewirkenden Irrtums — was die Beamten dabei tatsächlich davon geglaubt haben, ist ganz gleichgültig — sondern einfach wegen der dadurch geschaffenen Schwierigkeit, dem Erklärenden für den richtigen Steuerbetrag beizukommen 1 1 . Allerdings mag man sagen: nachdem das Gesetz und was dazu gehört, den Steuerpflichtigen einmal vorgeschrieben hat, gewisse Anzeigen zu erstatten und Bekundungen zu machen, darf die Verwaltung sich darauf verlassen, daß dies i n gutem Treu und Glauben geschehe, und ist getäuscht und betrogen, wenn sie dabei i m Stiche gelassen wird. Das wäre bürgerlich-rechtlich gedacht. Aber auf diesem Boden stehen wir nicht. Die Verwaltung verläßt sich auch nicht einfach auf Treu und Glauben, sondern t r i t t dem Bürger von vornherein m i t Befehl und Zwang gegenüber, auf daß er ihr durch seine Mitwirkung behilflich sei, ihre Forderungen gegen ihn in ausreichender Weise aufzustellen. Damit hängt dann aber zusammen, was man von jeher als eine besondere Laxheit des Steuergewissens beobachtet und beklagt hat, hängt auch zusammen die Tatsache, welche uns i n der Rechtshandhabung unverkennbar entgegentritt, daß diese nämlich einen Betrug i n der Hinterziehung nicht sehen will: s o w e i t der S c h u l d n e r n i c h t s anderes t u t , als j e n e m Z w a n g e s i c h e n t z i e h e n , w i r d i h m das n i c h t als r e c h t s w i d r i g e T ä u s c h u n g i m S i n n e des Betrugs angerechnet. Man kann dieser Erscheinung wohl auch einen genaueren wissenschaftlichen Ausdruck zu geben suchen 12 . Jedenfalls ist sie eine Wirk11

Ungefähr in dieser Richtung Κ a u 11 a , Rechtl. Natur der Defraud. S. 18 f. : Zolldefraudation ist keine Unterart des Betrugs, denn die Vermögensbeschädigung entsteht nicht aus der „etwa gewollten Täuschung", sondern aus der „bewußt und gewollt objektiv oberflächlichen Geschäftsbehandlung seitens der Behörde". 12 Hierher gehört vor allem die von A. M e r k e l vertretene Lehre, wonach der Betrug seinem Wesen nach Kommissivdelikt ist, „Angriffsnatur" hat, während die Hinterziehung gleichsteht dem Verfahren des Schuldners, der sich unter Ausflüchten der Zahlung entzieht, also im Gegensatz zum Betrug Omissivdelikt ist: M e r k e l , Krim.Abhandl. I S. 93, I I S. 108ff.; S c h ü t z e , Stf.R. S. 472; H a e l s c h n e r , Stf.R. I I S. 257. — Ähnlich v. L i s ζ t , St.R. § 199 I , wo diese Erscheinung zurückgeführt wird auf die „Rechtsanschauung des Volkes, das von den Zeiten des Kampfes zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Polizeistaat her sich scheut, die Übervorteilung der Gesamtheit mit der bezüglichen Benachteiligung Einzelner auf dieselbe Stufe zu stellen". Es handelt sich in der Tat um die Verteidigung der natürlichen Freiheit gegen die Zwangsmaßregeln

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Die Finanzgewait.

lichkeit. Darüber hinaus steht überall die Betrugsstrafe selbständig neben der Hinterziehung 1 3 . I I I . W i r d i m Einzelfalle der Tatbestand der rechtssatzmäßig angedrohten Finanzstrafe erfüllt, so ist sie über den Schuldigen zu v e r h ä n g e n durch einen obrigkeitlichen Ausspruch. Insofern es sich hierbei lediglich darum handelt, auszusprechen, was gemäß dem Strafrechtssatz Rechtens ist, also eine „Entscheidung" zu geben, sind diese Sachen geneigt, i n die Form der Rechtspflege gebracht zu werden, bei ordentlichen Gerichten oder Verwaltungsgerichten. Wie weit das geschieht, ist Frage der Ordnung des Rechtsschutzes; die Erledigung im reinen Verwaltungswege ist nicht ausgeschlossen14. Bei Verhängung der Finanzstrafe ergeben sich gegenüber dem, was für die Anwendung des gemeinen Strafrechts gilt, gewisse Besonderheiten. 1. Die Finanzstrafe setzt, wie die Polizeistrafe, ein Verschulden voraus; wie bei jener wird auch bei ihr dieses Verschulden nach einem besonders s t r e n g e n Maß s t a b e beurteilt (vgl. oben § 23 I I I n. 2). Die einzelne Strafbestimmung kann den Nachweis der bösen Absicht oder sonst eines Grades von Fehlerhaftigkeit des Willens verlangen. Wo nichts weiter gesagt ist als: dies und jenes soll geschehen oder nicht geschehen bei Strafe, bedeutet das die Zumutung an den, den es angeht, alle seine Kräfte anzuspannen und alle Maßregeln zu treffen, damit der Erfolg sei, wie ihn die Obrigkeit von ihm gefordert hat. W i r d das nicht erreicht, so klagt ihn der äußerliche Tatbestand allein schon des Verschuldens an, und dabei bleibt es hier, solange nicht der Beweis geliefert werden kann, daß es nicht menschenmöglich war, die Dinge anders zu wenden. Das ist noch mehr, als das Polizeistrafrecht verlangt, bei dem immerhin noch ein billiges Abwägen stattfindet. der Finanzgewalt; die ist zwar nicht erlaubt; die Volksanschauung sträubt sich aber dagegen, sie als gemeinen Betrug zu behandeln. 13 Ausgeschlossen ist sie nur in den oben abgegrenzten Fällen. Die Behandlung der Hinterziehung als besondere Betrugsart führt hierin zu weit. R.G. 25. April 1900 ( R e g e r X X I S. 427): Der Kontrollbeamte will die Ergänzung der ungenügend beklebten Versicherungskarte vornehmen; der Pflichtige löst im Nebenzimmer die nötigen Marken von der Karte eines anderen und bringt sie dem Beamten, der sofort erkennt, daß sie schon verwendet gewesen waren; daher trifft I.V.G. § 187 nicht zu, aber das Gericht will auch Stf.G.B. § 263 nicht anwenden, weil das „Spezialgesetz" ihn ausschließt. So ging der Mann frei aus. 14 L ö b e , Zollstrf.R. S. 205ff.; pr. Ges. betr. d. Verw.Stf.Verf. v. 26. Juli 1897 § 34 ff. R.A.O. § 386 ff. begründet eine allgemeine Zuständigkeit des Finanzamtes zur Untersuchung und Entscheidung von Straftaten, di e sich gegen die von ihm verwalteten Steuern richteten. Gegen seinen Strafbescheid ist Antrag auf gerì chtliche Entscheidung zulässig.

§ 31. Die Finanzstrafe.

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Das Finanzstrafrecht hat nicht den tragenden natürlichen Untergrund wie jenes; dafür ist es, wo es einmal einsetzt, strenger und formeller 15 . 2. Das Finanzstrafrecht arbeitet auch — sehr bezeichnenderweise — m i t R e c h t s v e r m u t u n g e n . U n d zwar dienen solche verschiedenen Zwecken. Einerseits stellt das Gesetz Vermutungen auf, um die beiden Arten des Finanzvergehens, Hinterziehung und Ordnungswidrigkeit, auseinanderzuhalten. Wenn die Finanzgewalt ein Verhalten verbietet oder unter Strafe stellt, so kann das eine oder das andere gemeint sein. Für die Annahme einer Hinterziehung bedarf es des auszeichnenden Merkmals der bestimmten R i c h t u n g dieses Verhaltens auf die Verkürzung des Gefälle (vgl. oben I I n. 1). Insofern der Erfolg, an welchem das am deutlichsten erkennbar wird, noch nicht eingetreten sein muß, damit die Hinterziehung vollendet sei, würde diese Richtung oft eine schwierige Beweisfrage abgeben. Das Finanzstrafgesetz aber schlägt hier durch und knüpft an eine Reihe von unfertigen Tatbeständen dieser A r t die Vermutung, daß jene auszeichnende Richtung vorhanden war. Dem Angeschuldigten liegt alsdann ob, den Entlastungsbeweis zu führen. Der geht nicht darauf, darzutun, daß er selbst frei sei von Schuld und Fehle, sondern darauf, seinem Verhalten die Spitze abzuschlagen, die es dem schädigenden Erfolg zugewendet haben soll: die äußeren Umstände standen dem entgegen, oder die Absicht, der es diente, führte nicht dahin. Daher die vorbildliche Formel des von dem Angeschuldigten zu führenden Beweises: „daß er eine Defraudation nicht habe verüben können, oder eine solche nicht beabsichtigt gewesen sei". W i r d dieser Beweis geliefert, so liegt der Tatbestand einer Hinterziehung nicht vor. Was übrig bleibt, genügt dann immer noch, um eine Ordnungswidrigkeit vorzustellen, die ja gerade durch den Mangel einer solchen unmittelbaren Richtung auf den Vermögensnachteil sich von der Hinterziehung unterscheidet 16 . 15 M e r k e l , Krim.Abhandl. I I S. 110. Die Idee des „formalen Deliktes" taucht hier wieder auf: L o e b e , Zollstrf.R. zu § 137 Note I ; D r o s t e , in Verw.Arch. V I I I S. 382. Vgl. oben § 23 I I I n. 2. 16 Ver.Zollges. § 136, § 137; Braust.Ges. v. 3. Juni 1906 § 39, § 40 und § 43. — Entw. z. Branntweinst.Ges. v. 24. Juni 1887 § 18 gab die Formel des Ver.Zollges. § 137 wieder. Die Reichstagskommission fühlte hier Bedenken, ob diese Strenge mit der Strf.P.O. übereinstimmte (Bericht n. 164 S. 29); so kam in § 20 des Gesetzes die liberalere Formel: „Wird festgestellt, daß eine Defraudation nicht hat verübt werden können, oder wird nicht festgestellt, daß eine solche beabsichtigt gewesen sei". Ebenso dann auch Zuckerst. Ges. v. 9. Juli 1887 § 43. Das bedeutete statt einer gesetzlichen Vermutimg der Hinterziehung zugunsten der Branntwein- und Zuckerleute das gerade Gegenteil. Zuckerst. Ges. v. 27. Mai 1896

366

Die Finanzgewalt.

Daneben gibt es auch Rechtsvermutungen für die S c h u l d f r a g e . Für gewöhnlich sind sie der Finanzgewalt entbehrlich; die außerordentliche Strenge des Maßstabes, nach welchem das Verschulden hier berechnet wird (vgl. oben n. 1), setzt sie ohnedies auch für den Beweis i n die allergünstigste Lage. Ihren Boden finden sie erst i n den Fällen, wo der m i t der Finanzstrafe i n Anspruch Genommene an der Tat selbst nicht unmittelbar beteiligt ist. Es gehört vor allem zu den Eigentümlichkeiten dieses Strafrechts, daß hier auch H a f t u n g e n für die Straftat anderer geordnet sind (vgl. unten IV). Wenn dabei immerhin wieder ein gewisses Verschulden des Haftenden selbst vorausgesetzt wird, hat das Gesetz es um der entfernteren Zusammenhänge willen notwendig gefunden, m i t besonderen Vermutungen nachzuhelfen. Dies geschieht dann dadurch, daß der gewerbliche Unternehmer, und wer ihm gleichsteht, für das Finanzvergehen seiner Leute schlechthin haftbar gemacht wird, wenn er nicht beweist, daß es ohne sein Wissen verübt worden i s t 1 7 . Das Finanzstrafrecht setzt aber unter Umständen auch eine selbständige Strafe auf das N i c h t v e r h i n d e r n der Tat eines anderen. So vor allem zu Lasten des Unternehmers, i n dessen Räumen die strafbare Finanzwidrigkeit vorgekommen ist. Da wird dann, damit die nötige Verschuldungsgrundlage gegeben sei, zum mindesten seine Kenntnis von dem Tatbestande und seine Untätigkeit demgegenüber vorausgesetzt werden müssen. Das Gesetz kann aber auch eine Vermutung für diese Kenntnis aufstellen und einen Entlastungsbeweis verlangen 18 . I V . Die Finanzstrafe zeigt auch noch Eigentümlichkeiten i n der rechtlichen Natur ihrer S t r a f m i t t e l . Als solche erscheinen bei der Ordnungswidrigkeit Geldstrafen i n der gewohnten Gestalt, daß die erkennende Behörde innerhalb eines gesetzlichen Strafrahmens das Strafmaß den Umständen des Falles gemäß bestimmt. Außerdem sind schwerere Fälle hervorgehoben, wie sie namentlich durch die besonders gefährliche A r t der begangenen § 46 und Branntweinst. Ges. v. 15. Juli 1909 § 114 kehrten dann ohne besondere Schwierigkeiten wieder zu der Formel des Ver.Zollges. zurück. — R.A.O. § 359 Abs. 5 hat diese Rechtsvermutung im wesentlichen Aufrechterhalten. 17 Ver.Zollges. § 153. Braust. Ges. v. 3. Juni 1906 § 50: Der Brauereibesitzer haftet für seine Verwalter, Gehilfen usw., wenn er fahrlässig war bei Anstellung und Beaufsichtigung; ist er selbst schon einmal wegen absichtlicher Braust.Defr. bestraft worden, so wird jene Fahrlässigkeit bei ihm vermutet. — Allgemein: R.A.O. § 369. 18

Spielkartenst. Ges. v. 3. Juli 1878 § 10 Abs. 3.

§ 31. Die Finanzstrafe.

367

Hinterziehung sich kennzeichnen, bei welchen dann i n derselben Weise auf höhere Geldstrafen und auf Freiheitsstrafe erkannt werden soll. I m Mittelpunkte steht die eigentliche Hinterziehungsstrafe, m i t ihrer ausgeprägten Sonderart sich scharf abhebend von dem gewohnten B i l d der i m gemeinen Recht zur Anwendung kommenden Strafmittel. Es handelt sich vor allem um G e l d s t r a f e n , die aber besonders bemessen werden; sie berechnen sich als ein M e h r f a c h e s der „vorenthaltenen Abgabe", genauer gesagt: des Gefälls, gegen das die Hinterziehung sich richtete, oder der Verkürzung, welche der Staat erlitt, wenn die Hinterziehung gelang. Die so gefundene Summe bildet den unverbrüchlichen Satz der Strafe, ohne Rücksicht auf das Maß der Schuld und sonstige Umstände über den Schuldigen zu verhängen m i t formaler Strenge, als hätte er diese Summe dem Fiskus weggenommen und sollte zur Rückerstattung gezwungen werden. Dazu kommt noch i n wichtigen Fällen eine bedeutsame Verschärfung von der gleichen Natur: das ist die E i n z i e h u n g „der Gegenstände, in bezug auf welche das Vergehen verübt worden ist". Gemeint sind vor allem die Waren, wegen deren die Steuer zu entrichten war. Hier trifft nicht zu, was für das gemeine Strafrecht Sinn und Zweck einer solchen Maßregel ist: Sicherung des Strafzwecks und Verhütung fernerer strafbarer Handlung 1 9 . Nicht auf Unschädlichmachung, sondern auf den Wert dieser Sachen ist es abgesehen. Sie werden für den Fiskus verkauft, und wenn sie ihm m i t dem daraus zu ziehenden Gewinne aus irgendeinem Grunde entgehen, t r i t t ein Anspruch gegen den Schuldigen auf Zahlung des Wertes an die Stelle 2 0 . Beide, Geldstrafe wie Einziehung, kommen also hier gleichmäßig nicht bloß als ein Übel i n Betracht, welches dem Straffälligen zugefügt wird, sondern zugleich und noch mehr als ein V e r m ö g e n s a n s p r u c h des Staates, bestimmt, diesem e i n e n V o r t e i l z u g e w ä h r e n . Indem sich dieser Anspruch an eine rechtswidrige Handlung des Schuldners knüpft, wird eine innere Verwandtschaft m i t zivilrechtlichen S c h a d e n s e r s a t z a n s p r ü c h e n nahegelegt. Der leitende Gedanke ist in der Tat, daß hier dem Staat eine A r t Schadensersatz zuteil werden soll für die Mehrkosten der Überwachung, welche durch derartige Untaten veranlaßt werden, und für die Verluste, welche er tatsächlich 19

O l s h a u s e n , Stf.G.B. I S. 132. Ver.Zollges. § 155. Die Einziehung ist hier nicht, wie nach Stf.G.B. § 40, Nebenstrafe, sondern Hauptstrafe, wie die Geldstrafe, steht sogar nach der Fassung des Gesetzes (§ 134) in erster Linie: L ο e b e , Zoll-Strf.R. S. 25, S. 171. R.A.O. § 365 Abs. 2. 20

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Die Finanzgewalt.

bei den dazwischen doch immer wieder gelingenden Hinterziehungen durch solche Leute erleidet; wer einmal ertappt wird, muß für die anderen mitbüßen 2 1 . Aus diesem Gesichtspunkte ergab sich schon die Zulässigkeit einer A r t Vertragsstrafe (vgl. oben I), die sich keineswegs so von selbst verstünde. Er ist aber auch sonst noch wirksam geworden in einer Anzahl auffallender Besonderheiten der Finanzstrafe. 1. Zur besseren Sicherung des Anspruchs des Fiskus, den die Finanzstrafe bedeutet, werden hier noch andere als die Täter diesem gegenüber dafür h a f t b a r gemacht, und zwar offenbar nach Grundsätzen, die mehr dem bürgerlichen Rechte verwandt sind als dem gemeinen Strafrecht. Die Haftung kann sich knüpfen an ein p e r s ö n l i c h e s V e r h ä l t n i s , i n welchem der Haftende zu dem Täter steht nach Vorbild der zivilrechtlichen Bestimmungen über die Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn, des Aufsichtsführers. Sofern dabei ein Verschulden des Haftenden vorausgesetzt ist, treten hier die vorhin ( I I I n. 2) erwähnten Rechtsvermutungen ein. Es kann aber die Haftung auch verordnet sein unabhängig von solchem Verschulden 22 . Eine A r t der Haftung ist es auch, wenn das Gesetz den gewerblichen Unternehmer selbständig und m i t einem besonderen Ansatz strafbar macht für Gefällsgefährdungen, die i n seinen B e t r i e b s e i n r i c h t u n g e n entdeckt werden, wobei also der eigentliche Täter i m Dunkeln bleiben mag. Hier erscheint dann die eigentümliche Bestimmung, daß er sich schützen kann vor solchen Inanspruchnahmen, indem er dem Fiskus einen verantwortlichen Betriebsleiter stellt 2 3 . 21

Der Gedanke eines solchen Schadenersatzes schimmert schon bei Η . Μ e y e r , Stf.R. § 123, durch, wenn dort als Eigentümlichkeit der Hinterziehungsstrafe hervorgehoben wird, daß „das Gesetz bei bloßen Geldstrafen stehen bleibt und die zu entrichtende Strafe nur als eine Art gesteigerter Zivilschuld behandelt". Seither hat Κ a u 11 a , Rechtl. Natur d. Defr. S. 12, S. 26, die „Ersatzfunktion in der Defraudationsstrafe" selbständig noch einmal entdeckt und, wie ich, benützt, um die Besonderheiten dieser Strafe zu erklären. Auch er nennt das freilich einen „zivilrechtlichen Gedanken"; von Zivilrecht ist aber hier keine Rede; Ersatzansprüche gibt es auch im öffentlichen Recht. 22 Die „subsidiarischen Vertretungsverbindlichkeiten" nach Ver.Zollges. § 153 knüpfen an persönliche Verhältnisse zwischen dem Täte und dem Haftenden an, die denen in B.G.B. §§ 831, 832 entsprechen. Dabei wird für Ziff. 1 und Ziff. 2 ein Verschulden des Haftenden vorausgesetzt, für Ziff. 2 (Eisenbahnund Dampfschiffunternehmungen) nicht. — R.A.O. § 381. 23 Branntweinst. Ges. v. 15. Juli 1909 §§ 122—124 und 125; Zuckerst. Ges. v. 27. Mai 1896 §§ 54 und 55 Abs. 2.

§31. Die Finanzstrafe.

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Endlich gehört hierher auch die Haftung des E i g e n t ü m e r s der W a r e , mit welcher die Hinterziehung begangen wurde: er haftet für die Hauptstrafe, die Einziehung der Ware, und zwar schlechthin, m i t einer eng begrenzten Ausnahme 24 . Der leitende Gedanke ist einigermaßen verwandt m i t dem, der auch in der soeben erwähnten Haftung des Betriebsunternehmers steckt: der, dem die Hinterziehung, wenn sie gelingt, zum Vorteil gereichen würde, soll herangezogen werden 2 5 ; als ein Vorteil des Eigentümers wird es aber angesehen, wenn seine Ware — ob m i t oder ohne seinen Willen — ohne Zollaufschlag i n den freien Verkehr gelangt. 2. Der hereinspielende Schadensersatzgedanke ermöglicht, daß durch diese Geldstrafe oder, was gleichsteht, die Haftung dafür auch solche Personen getroffen werden, die für Strafen des gemeinen Straf-· Techts nicht i n Betracht kämen. Nach gemeinem Strafrecht wird die Geldstrafe erst dann vermögensrechtlicher Anspruch des Fiskus schlechthin, wenn das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden ist; nur dann trifft sie auch den E r b e n und kann gegen diesen vollstreckt werden. I m Gegensatz dazu war i n den süddeutschen Gesetzen über Einkommensteuer und Kapitalrentensteuer mehrfach vorgesehen, daß die vom Erblasser verwirkte Hinterziehungsstrafe gegen den Erben ausgesprochen werden soll 2 6 . Andererseits ist auch der Satz universitas non delinquit hier nicht ausnahmslos durchgeführt. Wenigstens soweit es sich um Haftung des Unternehmers handelt für die von seinen Leuten oder i n seinem Betriebe verwirkten Finanzstrafen, trifft diese Haftung auch j u r i s t i s c h e P e r s o n e n u n d P e r s o n e n v e r e i n i g u n g e n , die i n einem solchen Verhältnisse zu dem eigentlichen Schuldigen stehen 27 . 3. Über Strafen des gemeinen Rechtes steht den Behörden grundsätzlich keine Verfügung zu; hier gibt es nur das Begnadigungsrecht des Staatsoberhauptes. Ebenso sind sie wegen des Steueranspruchs des Staates schlechthin an das zu vollziehende Gesetz gebunden; ein Steuererlaß kann nur aus dem bestimmten Grunde geschehen, für welchen das Gesetz die Behörde dazu ermächtigt hat (vgl. oben 24 Ver.Zollges. § 154; Der Verlust „trifft stets den Eigentümer. Eine Ausnahme findet statt, wenn die Defraudation von dem bekannten Frachtfuhrmann usw. verübt worden ist". R.A.O. § 379. 25 So Μ e i s e 1, in Finanz-Arch. X I X 2 S. 78. 26 Darüber Κ a u 11 a , Recht!. Natur S. 46 ff. 27 L ο e b e , Zoll-Stf.R. S. 169. R.A.O. § 357. Auch der Fiskus kann auf diese Weise für die Zollstrafen in Anspruch genommen werden!

B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 1 : O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I . 3. Aull.

24

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Die Finanzgewalt.

§ 28 I I I ) . Auf dem Gebiete der Finanzstrafe jedoch findet i n weitem Maße eine V e r f ü g u n g der F i n a n z b e h ö r d e n ü b e r d e n d e m S t a a t e z u s t e h e n d e n A n s p r u c h s t a t t z u g u n s t e n des S t r a f s c h u l d n e r s . Sie können auch hier nicht Willkür üben, aber sie können nach pflichtmäßigem Ermessen abwägen, inwieweit der von ihnen wahrzunehmende Vorteil des Staates i m gegebenen Falle m i t schonender Nachsicht sich verträgt, und danach vorgehen. Danach ist gestattet: — der einfache Verzicht auf die Durchführung der verwirkten Strafe ( N i e d e r s c h l a g u n g ) 2 8 ; — gerade auch i n schwereren Fällen nach Landesrecht Festsetzung der Strafe auf einen geringeren Satz als den gesetzlichen, möglicherweise auch m i t Verzicht auf die verwirkte Einziehung, unter der Bedingung, daß der Strafschuldner sich dieser Festsetzung ohne weiteres Verfahren unterwirft (Submissionsoder Unterwerfungs29 verfahren) . Die formale Strenge des Finanzstrafrechts und seiner Strafmittel erhält dadurch die nötige Biegsamkeit. Das Ganze ist aber wieder nur ermöglicht durch den Grundgedanken eines Schadensersatzanspruchs des Staates, den die Behörden nach Gesichtspunkten höherer Zweckmäßigkeit verwalten sollen. § 32.

Der Finanzzwang. Unter F i n a n z z w a n g verstehen wir den obrigkeitlichen Eingriff i n Freiheit und Eigentum der Untertanen zum Zweck der t a t s ä c h l i c h e n H e r s t e l l u n g des dem Besten des Staatsvermögens entsprechenden Zustandes. Dieser Zwang entwickelt sich hier in zweierlei Gestalt, je nach der besonderen Richtung, die er nimmt. E r kann gerichtet sein auf die Durchführung eines dem Besten des Staatsvermögens entsprechenden V e r h a l t e n s des Untertanen i n seinem persönlichen Handeln, Dulden und Unterlassen. I n dieser Gestalt ist er verwandt m i t dem Polizeizwang, dessen Formen er auch 28

Μ e i s e 1, in Finanz-Arch. X I X , 2 S. 53 ff. — Über ältere Kabinettsorders und Allerh. Erlasse dieser Art vgl. v . R ö n n e , St.R. d. pr. Monarchie I S. 545 ff. Jetzt nach R.A.O. § 443 Niederschlagungsrecht des Reichsfinanzministers, für geringere Fälle auch der Finanzämter. 29 G. Μ a y r , in Verw.R.Wörterb. I I S. 977; v. B i t t e r , Handwörterb. d. pr. Verw. I I , S. 984f.; pr. Ges. über d. Verw.Stf.Verf. v. 26. Juli 1897 § 21. Es ergibt sich hier ein Seitenstück zu dem „Abfindungsvertrag" über die Steuerpflicht (oben § 28 I I I n. 2). Vertrag ist eines so wenig wie das andere.

§ 3 . Der

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zum Teil entlehnt. Der Ausdruck F i n a n z p o l i z e i (vgl. oben § 30 Note 2) wird insbesondere von dieser A r t des Finanzzwanges gebraucht. E r kann aber auch gerichtet sein auf Erzwingung einer dem Staate geschuldeten G e l d z a h l u n g . Hier ist die zivilprozeßrechtliche Vollstreckung wegen einer Geldschuld das maßgebende Vorbild. W i r bezeichnen das als a d m i n i s t r a t i v e Z w a n g s b e i t r e i b u n g . I . Der Finanzzwang zu einem bestimmten ä u ß e r l i c h e n V e r h a l t e n , Tun oder Lassen, ist neben seinem polizeirechtlichen Seitenstück ganz unverhältnismäßig weniger reich entwickelt. Ist er doch, wie der Finanzbefehl und die Finanzstrafe, an die er sich zumeist anschließt, nur bestimmt, eine nebensächliche Hilfe zu geben für das, was hier die Hauptsache ist, die Erhaltung und Mehrung des Staatsvermögens. Er ist entbehrlich, wo dieser Zweck sich unmittelbar durchsetzt in der Form der Zwangsbeitreibung. W i r können wieder unterscheiden, wie bei der Polizei: Zwangsvollstreckung für Befehle und unmittelbaren Zwang. Die Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g setzt einen Einzelbefehl voraus, und diese sind hier selten. Gesetzliche Eechtssätze und Verwaltungsvorschriften beherrschen das Gebiet fast ausschließlich. Zur Zwangsvollstreckung geeignete Einzelbefehle erscheinen nur i n der Schließung von finanzgefährlichen Gewerbeanlagen und i n Verbot oder Anordnung besonderer Vorrichtungen an solchen Anlagen. Da wird eben der entsprechende Zwang sich vollziehen i n den Formen der Zwangsersatzvornahme oder der einfachen Gewaltanwendung, die beide einer eigenen Gesetzesgrundlage nicht bedürfen, wenn sie nur ihrer Natur nach diesem Zwecke zu dienen geeignet sind 1 . Die Zwangsstrafe, die nicht so selbstverständlich ist, wird nur dann zulässig sein, wenn die allgemeinen gesetzlichen Ermächtigungen dazu auch für die Finanzbehörde gelten oder für sie eine besondere Ermächtigung vorgesehen i s t 2 . Dagegen greift der u n m i t t e l b a r e Z w a n g wieder i n größerem Maße Platz, vor allem zur Verhinderung strafbarer Handlungen (vgl. oben § 25 I I ) . 1 Zu weit ging die Gewaltanwendung in dem Falle sächs. O.V.G. 20. Dez. 1902 (Jahrb. I V S. 73): Um die Lustbarkeitssteuer zu sichern, hatte man ein Orchestrion plombiert; zu einer solchen „polizeilichen Vorbeugungsmaßregel", sagt das Gericht, „fehlte die gesetzliche Grundlage" — wie mir scheint, deshalb, weil es eine polizeiliche Maßregel nicht war. 2 I n vollem Maße will diese gewähren R.A.O. § 202. Hier wird wieder die einfache Gewaltanwendung als „unmittelbarer Zwang" bezeichnet, auch wenn sie in der Zwangsvollstreckung, dann also keineswegs u n m i t t e l b a r , vorsieh geht; vgl. oben § 24 Note 28.

372

Die Finanzgewalt.

Zum Schutze der indirekten Steuern und namentlich der Zölle gegen Hinterziehungen ist ein zahlreiches Hilfsbeamtentum bestellt, zum Teil mit einer Dienstwaffe ausgerüstet und unter ein besonderes Recht des Waffengebrauchs gestellt gleich den ausführenden Beamten der Polizei. Hierbei finden auch wieder die Regeln Anwendung, welche oben.§ 26 I für die polizeilichen V o l l s t r e c k u n g s b e a m t e n entwickelt worden sind. Aber die ganze A r t , wie die Gewaltanwendung dem Finanzdelikt entgegentritt, hat ein anderes Gepräge als das entsprechende Tun der Polizei. 1. Die Polizei läßt die strafbare Handlung nicht zur Erscheinung kommen oder verhindert wenigstens, soweit sie kann, ihre Vollendung. Die Finanzverfehlung dagegen hat auch ihre gute Seite: sie gibt Gelegenheit, einmal ein Exempel zu statuieren gegenüber der stets im Gange befindlichen Hinterziehung, und verschafft dem Staate durch die A r t der Strafe eine Deckung für die vielen Gefälle, die ihm auf diese Weise doch immer wieder entgehen, und für die Kosten, die er aufwenden muß gegen solches Treiben. Die Aufgabe ist daher keineswegs, die strafbare Handlung unbedingt zu v e r h i n d e r n , sondern durchzusetzen, daß sie dem Täter nicht frommt und das bedrohte Gefäll samt den verwirkten Strafen hereingebracht werde. Die Begebung des ungestempelten Wechsels kann sich vor den Augen der Steueraufsichtsbehörde, des Vollstreckungsbeamten vollziehen; es wird nicht der mindeste Versuch gemacht, die Straftat zu verhindern; nur, sobald sie vollendet und nichts mehr zu bekämpfen ist, beginnt die Feststellung der Namen, die Beschlagnahme und alles, was zur Strafverfolgung gehört. Noch auffallender sind die Vorgänge bei der Zolldefraude. Die Zollschutzbeamten stehen bewaffnet an der Grenze. I h r bloßes Erscheinen genügt, daß von dem drüben beabsichtigten Schmuggelversuche abgestanden wird. So würde die Polizei verfahren. Die Finanzbeamten i m Gegenteil lassen das Delikt zur Entwicklung und Vollendung kommen; sie verbergen sich geradezu, um ihm Raum zu geben, und haben nur Sorge, daß sie noch rechtzeitig erscheinen, um es, i n seinem ganzen Umfange gesichert und festgestellt, der Strafverfolgung zu überliefern. 2. Man könnte also sagen: was hier geschieht, ist einseitig ger i c h t l i c h e P o l i z e i , nicht die administrative, die uns allein angeht (vgl. oben § 19 I I I ) . Aber auch hier kommt wieder der Gegensatz zum Vorschein: der gerichtlichen Polizei ist vor allem gelegen an dem Täter, seiner Feststellung und Ilabhaftmachung; die Zollwächter, wenn sie in die Lage kommen, wählen zu müssen, greifen unbedingt

§ 3 . Der

F i n a n z .

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nach der einzuziehenden Ware. Daher auch die in Ver. Zollges. § 157 angeordnete Maßregel gegen „Unbekannt": Gegenstände zollpflichtiger A r t , welche im Grenzgebiete gefunden werden — dabei ist natürlich vor allem an die von den Schmugglern im Stiche gelassenen gedacht — unterliegen ohne weiteres der Beschlagnahme zum Vorteil des Fiskus. Daß dieser seine Deckung bekomme, ist überall die Hauptsache. 3. H a u s s u c h u n g e n und D u r c h s u c h u n g e n der Person sind namentlich für das Zollwesen wichtige Formen der Gewaltanwendung. Es gelten dafür die Regeln der Str.Pr.Ord. § 102ff. mit gewissen Erleichterungen zugunsten der nach zollpflichtigen Gegenständen forschenden Zollbeamten 3 . Eine selbständige Grundlage finden solche Durchsuchungen noch in besonderen Gewaltverhältnissen, die sich bilden. Hier kann die Ermächtigung dazu durch V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t e n gegeben werden 4 . I I . Die a d m i n i s t r a t i v e Z w a n g s b e i t r e i b u n g ist obrigkeitlicher Eingriff der Verwaltung i n Freiheit und Eigentum des Untertanen zum Zwecke tatsächlicher Befriedigung einer Geldschuld. Von der zivilprozessualen „Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen", deren Formen sie vielfach entlehnt, unterscheidet sie sich durch ihre Eigenschaft als Verwaltungstätigkeit, als Erscheinungsform der Finanzgewalt. Der Staat zwingt hier zur Zahlung, nicht um die Rechtsordnung aufrecht zu erhalten, sondern „zur Verwirklichung seiner Zwecke unter seiner Rechtsordnung" (oben § 1 I I n. 3) : er verwaltet, indem er zwingt 5 . 3

Ver.Zollges. § 126, § 127. Über diese „Nachsuchungen, Haussuchungen und körperlichen Visitationen" vgl. L ö b e, Zollstrafrecht S. 186 ff. — R.A.O. § 196, § 401 ff. 4 Ver.Zollges. § 124 Abs. 3; Niederlageordnung § 1 Abs. 2: Personen, welche die Niederlage verlassen, können nach Maßgabe des § 127 Ver.Zollges. einer körperlichen Visitation unterworfen werden. Der § 127 gilt für den Grenzbezirk und nicht für die im Binnenlande eingerichtete Niederlage. Aber wer diese besucht, unterliegt der darin herrschenden Aufsichtsgewalt, und kraft dieser verpflichtet ihn die Verwaltungsvorschrift, sich durchsuchen zu lassen. Vgl. oben § 30, I I n. 3. 5 Es ist deshalb etwas zuviel gesagt, wenn G. M e y e r - D o c h o w , Verw.R. § 12,1 (4. Aufl. I S. 63), das bezeichnet als „eine gewöhnliche Zwangsvollstreckung in das Vermögen, wie sie auch im Zivilprozeß vorkommt". Aber ganz verfehlt ist das Zusammenwerfen der Zwangsbeitreibung mit der polizeilichen Zwangsvollstreckung: G n e i s t , i n H o l t z e n d o r f f , Rechtslex. I I I 2 S. 1106 ff. ; Β ο r η h a k , Preuß. St.R. I I I S. 519. Selbst S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 346 ff. u. S. 348 ff., begreift beides unter dem „staatlichen Zwangsrecht gegen die Person" und als zusammengehörigen Gegensatz zu der Enteignung als dem „staatlichen" Zwangsrecht gegen das Vermögen"!

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Die Finanzgewalt.

1. Die administrative Zwangsbeitreibung ist demnach selbstverständlichen Rechtes überall, wo der Staat dem Untertanen m i t einem irgendwie entstandenen ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n G e l d a n s p r u c h e gegenübersteht 6 . Indem er diesen einfach geltend macht und zur Durchführung bringt, t r i t t er nicht auf den Boden des Zivilrechts und der gleichberechtigten Parteistellung herab, sondern bleibt, was er ist, öffentliche Gewalt, und sofern er hier die Richtung auf den Vorteil des Staatsvermögens beibehält, Finanzgewalt 7 . Das gleiche gilt, wenn es sich handelt um einen Selbstverwaltungskörper oder sonst eine untergeordnete juristische Person des öffentlichen Rechts, die ihre öffentlich-rechtlichen Geldansprüche durchsetzen soll, sei es, daß sie i n eigener Zuständigkeit vorgeht, sei es, daß der Staat sich ihrer ann i m m t und m i t seiner Zwangsgewalt für sie eintritt, gemäß der A r t , wie er überhaupt mitwirkt bei dem ihr überlassenen Stück öffentlicher Verwaltung, das zugleich immer ihn selbst angeht (vgl. unten § 59). I m Gegensatz dazu ist die Zwangsvollstreckung wegen zivilrechtlicher Geldansprüche eine b ü r g e r l i c h e R e c h t s s t r e i t i g k e i t , grundsätzlich unter der Hand der ordentlichen Gerichte verbleibend und nach den Regeln der Zivilprozeßordnung sich richtend, auch dann, wenn der Staat m i t einer solchen Forderung auftritt oder ein Selbstverwaltungskörper statt seiner. Aber wie für die Sachentscheidung, so sind auch für die Vollstreckung V e r s c h i e b u n g e n angeordnet, durch Reichs- oder Landesgesetz; und zwar wieder nach doppelter Richtung: — Öffentlich-rechtliche Ansprüche des Staates und der Selbstverwaltungskörper können auf den Weg der zivilprozeßrechtlichen Zwangsvollstreckung und damit unter die Oberhoheit der ordentlichen Gerichte verwiesen werden; das ist von selbst der Fall, wenn sie 6

Über die Selbstverständlichkeit dieser Befugnis vgl. G n e i s t, i n H o l t z e n d o r f f , Rechtslex. I I I 2 S. 1106; O p p e n h o f f , Ressortverh. (2. Aufl.) S. 155 ff.; Bl. f. adm. Prax. X X V I I I S. 253 (Beispiele aus der älteren bayrischen Praxis). I m Anschluß an die in Kraft tretende Z.P.O. haben die bundesstaatlichen Ausführungsgesetze dieses Zwangsbeitreibungsverfahren zumeist neu geordnet. Seither vor allem: preuß. Ges. v. 15. Nov. 1899; bad. Ges. v. 12. April 1899; bayr. Ges. v. 26. Juni 1899; sächs. Ges. v. 18. Juli 1902. R.A.O. § 298 ff. („Beitreibung"). 7 Ebensowenig wird seine Tätigkeit hier „Justizsache", wie F. S t e i n , Justiz und Verwaltung, S. 55 aufstellt, um nicht unerhebliche Folgerungen daraus zu ziehen. Der Umstand, daß die einzelne Vollstreckungshandlung hier „Rechtsverwirklichung" ist, „im Dienste der Verwirklichung eines konkreten Rechtes" steht, darf uns ncht irre machen. So tut die Verwaltung im Rechtsstaat mit Vorliebe.

§ 3.

Der

F i n a n z .

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von diesen zuerst sachlich entschieden werden sollen, kann aber auch ohne das besonders verfügt sein (vgl. oben § 17 I n. 2). — Zivilrechtliche Ansprüche andererseits können im administrativen Zwangsbeitreibungsverfahren zur Vollstreckung gebracht werden, sofern das Gesetz das so bestimmt; der Landesgesetzgebung eröffnet G.V.G. § 13 hierzu die Möglichkeit 8 . I m letzteren Falle wird das Verfahren von selbst geneigt sein, sich mehr als sonst den Formen der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung anzupassen. Umgekehrt kann die Gesetzgebung auch i m ersteren Falle Abweichendes bestimmen gegenüber dem, was der Zivilprozeßordnung entspräche 9 . 2. Den ordentlichen Ausgangspunkt der administrativen Zwangsbeitreibung bilden demnach die Entstehungsgründe öffentlich-rechtlicher Geldansprüche gegen den Untertanen: der V e r w a l t u n g s a k t samt dem ihm gleichstehenden Verwaltungsurteil und der unmittelbar wirkende V e r w a l t u n g s r e c h t s s a t z . Die Beitreibung der Forderung ist nichts anderes als die Vollziehung dieser bindenden Bestimmungen. Zu diesem Zwecke ruft hier der Gläubiger nicht, wie i m Zivilprozeß, die ihm zur Verfügung gestellte öffentliche Gewaltan. E r i s t s e l b s t d i e ö f f e n t l i c h e G e w a l t , die sich nach den Regeln der Vollziehung in Bewegung setzt auf dieses Ziel. Seine rechtliche Ordnung erhält das Vorgehen wieder i n der Weise des Verwaltungsrechts: von innen heraus durch Verteilung der Zuständigkeiten und Amtsbefugnisse. I n führender Stellung erscheinen d i e d e m b e t e i l i g t e n F i n a n z z w e i g v o r s t e h e n d e n Ä m t e r , die als solche berufen sind, namens des Gläubigers die Zwangsbeitreibung in Gang zu bringen, ihr die Wege zu weisen und die zur Durchführung erforderlichen Beschlüsse zu fassen. Man bezeichnet sie als V o l l s t r e c k u n g s b e h ö r d e n 1 0 . 8

Beispiel: Beitreibung des dem Fiskus geschuldeten Mietzinses nach preuß. Verord. v. 26. Dez. 1808 § 42. Hier könnte das Bedenken entstehen, daß es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt, für die nach E.G. z. Z.P.O. § 4 wegen Beteiligung des Fiskus der Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden darf; R.G. 28. Mai 1903 (Entsch. 55 S. 61 ff.) beseitigt dieses Bedenken durch die Erwägung, daß dem Schuldner bei diesem Verfahren die Rückforderungsklage vor den ordentlichen Gerichten offen bleibt, der Rechtsweg also nicht gänzlich ausgeschlossen ist, vielmehr die Justiz das letzte Wort behält. 9 Tatsächlich tut sie es auch. F. S t e i n , Justiz und Verwaltung S. 66, hat von seinem oben § 17 Note 7 erwähnten Standpunkte aus Zweifel, ob das zulässig sei, nachdem von der Landesgesetzgebung hier doch einmal „die Sache den Gerichten als bürgerliche Rechtsstreitigkeit übertragen wird". 10 Der Name Behörde stimmt nicht ganz. Vgl. oben § 9 I n. 1. Pr. Verord.

376

Die Finnzgewalt.

Darunter stehen dann die Beamten, welche der Zwangsbeitreibung die starke Hand leihen, sie nötigenfalls m i t Gewalt ins Werk setzen sollen. Dazu können allerlei untere Beamte der leitenden Verwaltungsbehörde herangezogen werden, nebenher und gelegentlich. Es hat sich aber für die wichtigeren Finanzzweige ein eigenes Personal von V o l l s t r e c k u n g s b e a m t e n ausgebildet 11 . I n dieser Ordnung schreitet nun die öffentliche Gewalt zur Anwendung der verschiedenen M i t t e l , welche der Zwangsbeitreibung zu dienen bestimmt sind. Sie laufen ursprünglich auf ein sehr derbes äußerliches Anfassen des Schuldners hinaus. Das „Einlager" namentlich wird gern verwendet; die ,,Presser' 4 des württembergischen Rechts, wie die garnisaires des französischen geben Beispiele. Als einfachster und geradester Weg dient von jeher die Pfändung: Wegnahme von beweglichen Sachen des Schuldners, um durch ihren Verkauf die Forderung des Staates zu decken. Das neuere Recht bringt die Zwangsmittel i n die Rechtsformen des Zivilprozesses. Die P f ä n d u n g b e w e g l i c h e r Sachen bleibt noch immer an der Spitze. Aber das Gesetz stattet sie jetzt aus m i t den Wirkungen, die an die zivilprozeßrechtliche Pfändung sich knüpfen, und fügt hinzu die feiner durchgebildeten Formen, die sich dort noch entwickelt haben: Forderungspfändung, Früchtepfändung, Zwangsvollstreckung i n Grundeigentum. Soweit dabei Rechtswirkungen hervorzubringen sind ohne Vermittlung des tatsächlichen Zugriffes, sind es die Vollstreckungsbehörden selbst und unmittelbar, an deren Mitteilungen diese Folgen geknüpft werden 12 . Wenn sie insofern das VollV. 15. Nov. 1899 § 4: „Diejenigen B e h ö r d e n oder B e a m t e n , welchen die Einziehung der der Beitreibung im Verwaltungszwangsverfahren unterliegenden Geldbeträge zusteht, bilden die zur Anordnung und Leitung des Zwangsverfahrens zuständigen Vollstreckungsbehörden. 44 Ebenso R.A.O. § 299 Abs. 2. Noch deutlicher sächs. Ges. v. 18. Juli 1902 § 1: „Durch Verordnung des zuständigen Ministeriums können auch solchen Verwaltungsstellen, welche nicht Verwaltungsbehörden im Sinne von § 2 des A. Gesetzes v. 28. Jan. 1835 sind, in Ansehung der von ihnen einzuziehenden Geldleistungen in Verwaltungssachen die Befugnisse einer Verwaltungsbehörde zuerteilt werden.4 4 11 Preuß. Verord. v. 15. Nov. 1899 § 6, Anweisung dazu v. 28. Nov. 1899 Art. 13 ff. („Vollziehungsbeamte4'); bayr. Ausf.Ges. zu Z.P.O. nach Bekanntm. v. 26. Juni 1899 Art. 7 („besondere Vollzugsorgane44); sächs. Ges. v. 19. Juli 1902 § 4; württemb. Ges. v. 18. Aug. 1879 Art. 12; bad. Ges. v. 12. April 1899 § 2. R.A.O. § 306 unterscheidet Vollstreckungsbehörden und Vollziehungsbeamte. 12 Nach pr. Verord. v. 15. Nov. 1899 § 36 erfolgt die P f ä n d u n g e i n e r G e l d f o r d e r u n g durch schriftliche Verfügung der Vollstreckungsbehörde, mit der dem Drittschuldner verboten wird, an den Schuldner zu zahlen; das

§ 3 . Der

F i n a n z .

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streckungsgericht des Zivilprozesses vorzustellen scheinen, so ist doch nie dabei zu übersehen, daß sie i n Wahrheit immer die Vertreter des Gläubigers Staat sind, der selbst durch sie vollstreckt 1 3 . 3. Dem entspricht der andere Grundton, den hier alle Einzelstücke des Verfahrens gegenüber dem zivilprozeßrechtlichen Urbilde erhalten. Den Übergang aus dem Erkenntnisverfahren i n das Zwangsvollstreckungsverfahren bildet dort der v o l l s t r e c k b a r e T i t e l . E r bedeutet nichts anderes als die dem Gläubiger zur Verfügung gestellte öffentliche Gewalt behufs Erzwingung seines Geldanspruchs. Eben deshalb ist er hier nicht notwendig: der Gläubiger hat diese Gewalt von vornherein ganz zu seiner Verfügung. Nur, selbstverständlich, wenn er sich nun erhebt, um von ihr Gebrauch zu machen, so soll das i n einer gewissen Form und Ordnung geschehen, die er sich selber auferlegt. Dazu gehört einmal, daß seine Vollstreckungsbehörde, wo sie selbst vorgeht, sich tunlichst an die Regeln hält, die auch das V o l l s t r e c k u n g s g e r i c h t des Zivilprozesses zu beobachten hätte. Sodann aber: daß die Vollstreckungsbeamten nie auf eigene Faust zugreifen, sondern immer nur auf Grund und in Gemäßheit eines ihnen erteilten A u f t r a g s . Dieser Vollstreckungsauftrag ist durch das Gesetz zur Bedingung der Rechtsgültigkeit ihrer Zwangseingriffe gemacht worden. Er steht nicht an der Stelle des vollstreckbaren Titels, sondern an der Stelle des i n Z.P.O. § 753ff. vorgesehenen Auftrags des Gläubigers an den Gerichtsvollzieher. Er ist kein Verwaltungsakt. Die sogenannten Vollstreckungsbehörden (vgl. oben Note 10), von denen er ausgeht, bieten aber durch ihre planmäßige Leitung der Männer der Tat immerhin eine gewisse Gewähr für Einhaltung von Schranken und Regeln 14 . machen Gemeindeeinnehmer, Kreisteuereinnehmer, Forstkassenrendanten, Intendanturen usw. ohne wirkliche Behördeneigenschaft ( K a u t z , Verw. Zwangsverfahren zu § 4 Note 1). Sachs. Ges. v. 18. Juli 1902 § 47 Abs. 2: „Mit dieser Zustellung des Einziehungsbeamten ist die Überweisung bewirkt." Es sind also auch hier wieder keine Verwaltungsakte, die da erlassen werden (vgl. oben Note 10); daß hier gleichwohl auch nach außen, nicht bloß im Dienstverhältnisse, rechtlich gewirkt wird, beruht unmittelbar auf dem Gesetz. Das ist etwas Besonderes nicht bloß gegenüber dem Zivilprozeß, sondern auch gegenüber dem gewöhnlichen Verwaltungsverfahren. Richtiger R.A.O. § 334. 13 So auch Β ü h 1 e r , Zuständigkeit der Zivilgerichte, S. 228. 14 Pr. Anweisung v. 28. Nov. 1899 Art. 16: „Dem Schuldner und Dritten gegenüber wird der Vollziehungsbeamte zur Vornahme der Zwangsvollstreckung durch dem ihm erteilten und auf Verlangen einer beteiligten Person vorzuzeigenden schriftlichen Auftrag seiner Vollstreckungsbehörde ermächtigt." „Seiner Vollstreckungsbehörde" ist bezeichnend; vgl. oben Note 10 u. 11. Vgl. auch sächs.

378

Die Finanzgewalt.

Daraus bestimmt sich auch die prozessuale Behandlung der R e c h t s s t r e i t i g k e i t e n , welche i n diesem Vollstreckungsverfahren auftauchen können. — Handelt es sich um Einwendungen, welche d e n z u erz w i n g e n d e n A n s p r u c h s e l b s t betreffen, so kann die Rechtslage ähnlich sein wie die i n Z.P.O. § 767 vorgesehene: der Anspruch kann durch das rechtskräftige Urteil eines Verwaltungsgerichts festgestellt worden sein; die nachträglich entstandenen Einwendungen wären dann i m Wege der Klage an dieses zu bringen. Beruht aber der Anspruch auf einem einfachen Verwaltungsakt, so sind die Mittel geltend zu machen, welche diesem gegenüber bestehen mögen: Gegenvorstellung, Beschwerde, Verwaltungsklage, je nachdem. Steht endlich keinerlei obrigkeitliche Feststellung der Schuld hinter der eingeleiteten Zwangsbeitreibung, so kommt es darauf an, wer zuständig ist, über diese Schuld zu befinden; je nachdem geht die Einwendung auf den Verwaltungsweg oder Verwaltungsrechtsweg oder auch — namentlich i n dem Falle, wo das administrative Zwangsbeitreibungsverfahren für eine zivilrechtliche Forderung zugelassen wurde — an die ordentlichen Gerichte 1 5 . — Einwendungen, die das V e r f a h r e n betreffen, entsprechend den i n Z.P.O. § 766 vorgesehenen, gehen hier naturgemäß an die das Verfahren leitende „Vollstreckungsbehörde" und weiter über sie hinaus auf den Verwaltungsweg oder den etwa eröffneten Verwaltungsrechtsweg 16 . I n derselben Weise wäre auch der Widerspruch zu beGes. v. 18. Juli 1902 § 15; bad. Ges. v. 12. April 1899. — Bayr. A.G. z. Z.Pr.O. v. 26. Juni 1899 Art. 7 schließt sich äußerlich dem Vorbild der Zivilprozeßordnung näher an, indem es verlangt, daß die „Beschlüsse oder Urkunden derjenigen Verwaltungsbehörden, welchen das Vollstreckungsrecht zusteht", mit der Vollstrekkungsklausel versehen werden. R.A.O. § 307 sagt wieder einfach: Der Vollziehungsbeamte hat seinen schriftlichen Auftrag vorzuzeigen. 15 Pr. Verord. v. 15. Nov. 1899 § 2 Abs. 1 ( K a u t z , Kom. zu § 2 Note 1; O p p e n h o f f , Ressortverh. S. 505 ff.); sächs. Ges. v. 18. Juli 1902 § 10; bad. Ges. v. April 1899 § 2 lit. b.; R.A.O. § 300. 16 Pr. Verord. v. 15. Nov. 1899 § 2 Abs. 2: „Beschwerde bei der vorgesetzten Dienstbehörde des Beamten, dessen Verfahren angefochten wird." Das Ergebnis ist günstigen Falles ein Dienstbefehl oder auch, wo Rechtswirkungen hervorgebracht worden waren, eine Verzichtserklärung namens des betreibenden Gläubigers; die Sache liegt demnach ganz anders als bei der Entscheidung des Vollstreckungsgerichtes nach Z.P.O. § 766 Abs. 1. Sächs. Ges. v. 18. Juli 1902 § 11 verweist diese Fragen an das Amtsgericht, welches also hier sachlich Verwaltungsrechtspflege zu machen hat. Für das bayrische Recht ist das, bei der grundsätzlichen Überleitung der administrativen Zwangsbeitreibung in das Verfahren des Zivilprozesses, welche die Forderung der Vollstreckungsklausel bedeutet (vgl. oben Note 14), ganz selbstverständlich: A.G. z. Z.Pr.O. v. 26. Juni 1899 Art. 7 Abs. 2.

§ 3.

Der F i n a n z .

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handeln, den ein Dritter i m Sinne von Z.P.O. § 771 erhebt. Doch liegt es hier besonders nahe, daß das Gesetz eine Klage vor den Zivilgerichten gewährt, gemäß einer der beim administrativen Zwangsbeitreibungsverfahren so häufigen Zuständigkeitsverschiebungen, wie sie jetzt noch weiter zu besprechen sind 1 7 . 4. Gegenüber dieser natürlichen Ordnung des administrativen Zwangsbeitreibungsverfahrens können durch das Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen sein, welche die Stellung der leitenden Verwaltungsbehörde der einer b e t r e i b e n d e n P r i v a t p a r t e i nach dem Vorbild des Zivilprozesses näherbringen. Diese Wirkung knüpft sich von selbst daran, daß Stücke der administrativen Zwangsvollstreckung den Behörden und ausführenden Beamten der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung übertragen werden. Das Gesetz kann gewisse Vollstreckungsmaßregeln, die an sich zu einer administrativen Zwangsbeitreibung gehören, dem ordentlichen Gerichte zuweisen, das als Vollstreckungsgericht zuständig wäre, wenn es sich um eine der Zivilprozeßordnung unterstehende Zwangsvollstreckung handelte. Das ist mehrfach vorgeschrieben für die Anordnung der Pfändung und Überweisung von F o r d e r u n g e n , namentlich auch für die Zwangsvollstreckung i n L i e g e n s c h a f t e n 1 8 . Das Gericht faßt alsdann seinen Beschluß i n den Formen und m i t der Wirkung, wie die Zivilprozeßordnung sie gibt. Die betreibende Verwaltung steht vor i h m wie ein gewöhnlicher Antragsteller, wenn auch die Äußerlichkeiten des behördlichen Verkehrs dabei gewahrt werden. Aber die Voraussetzungen des Beschlusses bleiben die der administrativen Zwangsbeitreibung: statt eines vollstreckbaren Titels im Sinne der Zivilprozeßordnung genügt als Grundlage des Verfahrens der erklärte Wille des leitenden Amtes, Zwangsbeitreibung vornehmen zu wollen für eine von i h m wahrzunehmende Forderung. Er erscheint i n dem die Aufstellung dieser Forderung enthaltenden Antrag, der von ihm bei dem Vollstreckungsgerichte gestellt wird. 17

Pr. Verord. v. 15. Nov. 1899 § 19; sächs. Ges. v. 18. Juli 1902 § 8; R.A.O. § 300. Von selbst versteht sich diese Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Beseitigung der Verwaltungsmaßregel keineswegs. 18 Pr. Verord. v. 15. Nov. 1899 § 51,: „Die Zwangsvollstreckung in das un bewegliche Vermögen erfolgt nach den für gerichtliche Zwangsvollstreckung bestehenden Vorschriften. Die erforderlichen Anträge sind durch die Vollstreckungsbehörde zu stellen.'4 Sächs. Ges. v. 18. Juli 1902 § 72: „auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörde nach den für gerichtliche Zwangsvollstreckung geltenden Vorschriften". Bad. Ges. v. 12. April 1899 § 3 behandelt auch die Zwangsvollstreckung in Forderungen auf diese Weise. Für das bayrische Recht ist das selbstverständlich. R.A.O. § 345.

Die Finanzgewalt.

380

Es können andererseits Vollstreckungsakte äußerlicher A r t , wie vor allem die Pfändung körperlicher Sachen, vorgenommen werden durch die ausführenden Beamten der zivilprozessualen Zwangsvollstreckung, durch die G e r i c h t s v o l l z i e h e r . Die Verwendbarkeit des Gerichtsvollziehers für administrative Zwangsbeitreibung ist nicht selbstverständlich; denn dieser Beamte hat seinen gesetzlich umschränkten Amtskreis, der von Haus aus einem anderen Gebiete und einem anderen Grundverhältnis der Beteiligten angehört. Es bedarf also eines Gesetzes, welches ihn der Verwaltung für ihr Geschäft zur Verfügung stellt. Das Gesetz t u t das i n der Form, daß es die Verwaltung anweist, sich eines Gerichtsvollziehers zu bedienen, oder auch so, daß es ihr die Wahl läßt, die Vollstreckung durch eigene Beamte oder durch einen Gerichtsvollzieher vornehmen zu lassen 19 . Außerhalb solcher gesetzlicher Ermächtigung wäre der Gerichtsvollzieher zur Mitwirkung bei der administrativen Zwangsvollstreckung nicht berufen und sein A k t ungültig. Die gesetzmäßige Inanspruchnahme des Gerichtsvollziehers bringt dann die Verwaltung wiederum i n die Lage eines gewöhnlichen Auftraggebers. Der Gerichtsvollzieher verbleibt unter der ausschließlichen Dienstgewalt der Justizbehörde 20 . Sein Vorgehen steht aber, soweit nicht eine größere Annäherung an die Zivilprozeßordnung ausdrücklich vorgesehen ist, unter den für die administrative Zwangsbeitreibung auch sonst geltenden Regeln. Das erweist sich namentlich an der diesem Verfahren eigentümlichen Rechtsgrundlage: anstatt des vollstreckbaren Titels genügt hier der Auftrag der Vollstreckungsbehörde, der auch i n der Aushändigung einer Feststellung liegen kann, wonach sie gewillt ist, für eine bestimmte Forderung gegen einen bestimmten Schuldner die Zwangsvollstreckung durchzuführen 21 . I I I . Derselbe Gedanke, welcher der administrativen Zwangsbeitreibung zugrunde liegt und darin die öffentliche Gewalt selbständig auftreten läßt, um ihre Rechte als Gläubigerin durchzusetzen, 19

Pr. Verord. v. 15. Nov. 1899 § 6: regelmäßig besondere Beamte; nur in Zwangsbeitreibungen für die Justizverwaltung Gerichtsvollzieher, und wo sonst es die „Ressortchefs" vorschreiben. Sächs. Ges. v. 18. Juli 1902: entweder eigene Vollstreckungsbeamte oder Gerichtsvollzieher; wann letzterer, wird durch Vereinbarung des Justizministeriums und des beteiligten Verwaltungsministeriums bestimmt. Bayr. A.G. z. Z.Pr.O. v. 26. Juni 1899 Art. 7: freie Wahl zwischen eigenen „Vollzugsorganen" und Gerichtsvollziehern. Ebenso bad. Ges. v. 12. April 1899 § 2. R.A.O. § 306 Abs. 3: Der Reichsfinanzminister kann die Zwangsvollstreckung Gerichtsvollziehern übertragen. 20 F a 1 k m a η η , Die Zwangsvollstreckung I S. 283, S. 284, S. 575. 21 Pr. Geschäftsanweisung f. d. Gerichtsvollzieher v. 1. Dez. 1899 § 108.

§ 3 . Der

F i n a n z .

381

greift noch einmal i n der umgekehrten Richtung ein, um die gegen d e n S t a a t zu erwirkende Zahlung einer Geldforderung aus der Zwangsvollstreckung herauszunehmen und diese zu ersetzen durch ein angemessenes Verwaltungsverfahren 22 . Der Staat kann vor den ordentlichen Gerichten Recht genommen haben und rechtskräftig zur Zahlung verurteilt sein; in gleicher Weise kann durch verwaltungsgerichtliches Urteil oder in einem einfachen Verwaltungsverfahren eine Zahlungspflicht gegen ihn ausgesprochen worden sein wie gegen einen Untertanen, an sich bestimmt, mit den Zwangsmitteln der Zivilprozeßordnung oder des administrativen Zwangsbeitreibungsverfahrens von dem Schuldner herausgeholt zu werden. Wenn es aber soweit ist, dann schlägt das Verfahren auf einmal um: es zeigt sich, daß der Schuldner, der bisher wie ein gewöhnlicher Privatmann erschien, doch kein solcher ist. Er war nur einem solchen gleich behandelt worden, um die Sache in einer Recht und Gerechtigkeit sichernden Form von überzeugender Zweckmäßigkeit zur Entscheidung zu bringen. Nun es ernsthaft an den Zwang geht, ergibt sich der Widersinn, daß der H o r t des Rechtes im Namen dieses Rechtes mit äußerem Zwang dazu gebracht werden soll, sein Recht zu achten und ihm genug zu tun. Hier muß die Gleichstellung aufhören: gegen den Staat greifen die gewöhnlichen Zwangsmittel nicht Platz 2 3 . 22 Er findet ein abgeschwächtes Seitenstück in dem aufsichtsrechtlichen Zwang gegen Gemeinden und andere Verwaltungskörper; darüber unten § 61 I I n. 3. 23 Dafür hat E. G. z. Z.P.O. § 15 Ziff. 3 (ursprünglich Ziff. 4) den bundesstaatlichen Ordnungen freies Spiel gelassen, und zwar ganz folgerichtiger Weise, da hier der Bereich des öffentlichen Rechtes beginnt, den das Reichsrecht nicht berühren wollte. Die ältere Auffassung, der alles Heil nur bei der Ziviljustiz lag (vgl. oben § 4, I I I n. 2), fand etwas Erhebendes darin, daß die Gerichte die Verwaltung jederzeit auspfänden lassen könnten. Dieser Standpunkt kam noch bei den Reichstagsverhandlungen über die Bestimmung des E.G. zum Ausdruck ( H a h n , Mat. ζ. Z.Pr.O. I I S. 1090 ff.). Die wachsende Ausbildung des Rechtsstaates macht aber wegfallen, was zu seiner Rechtfertigung dienen konnte. I m größten Teil des Reichsgebietes ist die gerichtliche Zwangsvollstreckung für Geldforderungen gegen den Staat ausgeschlossen oder eingeschränkt. Preuß. A.G.O. I Tit. 35 § 33. ( R e i t z e n s t e i n , Preuß. Z.Pr.Normen S. 155 ff.); bayr. A.G. z. Z.Pr.O. v. 23, Febr. 1879 Art. 9; ( S c h i e r l i n g e r , Bayr. Z.Pr.Normen S. 43); sächs. A.G. z. Z.P.O. v. 20. Juni 1900 §2—§6 ( G r e n g e l , Sächs. Z.P. Normen S. 386ff.); württ. A.G. z. Z.P.O. v. 31. Juli 1899 Art. 18 (Gaupp, Württ. Z.P.Normen S. 105; B ü h l e r , Zuständigkeit der Zivilgerichte S. 231). Dazu O p p e n h o f f , Ressortverh. S. 12, F. S t e i n , Justiz und Verw. S. 69 ff. ; F l e i s c h m a n n , Zwangsvollstreckung gegen fremde Staaten S. 101 ff.; F 1c. i η e r , Inst. S. 207. — Die Gesetzgebung ist noch unfertig; es fehlt ein einheitlicher, entschlossen durchgeführter Grundgedanke. Am besten noch das

382

Die Finanzgewalt.

Es wird einfach P f l i c h t der F i n a n z b e h ö r d e n , für die Berichtigung der Schuld des Staates zu sorgen. Die dienstlichen, gesetzlichen und verfassungsmäßigen Verantwortlichkeiten der beteiligten Beamten sprechen darüber das letzte W o r t 2 4 . U n d schließlich muß noch ein gesundes Gerechtigkeitsgefühl der Allgemeinheit dahinterstehen, ohne welches das schönste Verwaltungsrecht hier nichts hilft. sächs. A.G. z. Z.Pr.O. v. 20. Juni 1900, wenn es über die Zwangsvollstreckung gegen den Fiskus gar nichts bestimmt und in der Begründung von ihr sagt: sie liege „so fern, daß darauf keine Rücksicht genommen zu werden brauche" (Landt. Akten 1899/1900 Dekret n. 22). Meist wird das Sonderrecht matt genug begründet durch den Zweck, Störungen der Kassen und Rechnungen zu vermeiden, oder damit, daß die Pfändung je nach den Verhältnissen „sich als unangemessen darstellen könnte" ( H a h n , Mat. ζ. Z.Pr.O. I , S. 424). I n Wahrheit ist solches Vorgehen mit einem gesunden Staatsbewußtsein unvereinbar. Das hat gerade in neuerer Zeit eine scharfe Beleuchtung erfahren durch die Anerkennung des Grundsatzes, daß der f r e m d e Fiskus auf unserem Gebiete nicht gepfändet werden kann. Vgl. preuß. C.C.H. 25. Juni 1910 in S. Hellfeld c. Fiskus des Russischen Reichs ( F l e i s c h m a n n , Zwangsvollstreckung gegen fremde Staaten S. 110 ff.). Die dort beliebte Begründung mit der Exterritorialität des fremden Fiskus trifft wohl nicht zu; wenn dieser bei einem deutschen Bankhaus Gelder hinterlegt, so tritt er damit unter deutsches Recht. Aber richtig ist, daß seine Pfändung unvereinbar ist mit dem sogenannten „Recht auf Achtung und Ehre", das das Völkerrecht anerkennt. Diese Auffassung müßte aber geradeso auch unserem eigenen Staate zugute kommen. Und zwar, wie dem fremden Staate, von selbst, auch ohne besonderes Gesetz: die ordentlichen Zwangsvorrichtungen sind für ihn so wenig bestimmt wie für diesen. Das gäbe auch die Lösung für die Frage der Auspfändbarkeit des Reichs, von der die Gesetze schweigen: F. S t e i n , Justiz und Verwaltung, S. 71. 24 Damit kehrt die Zwangsvollstreckung in die gewohnten Formen des öffentlichen Rechtes zurück: rechtliche Ordnung des obrigkeitlichen Tuns von innen heraus, nicht durch äußerliche Beherrschung. Es ist mit Recht hervorgehoben worden, daß hier eine Parallele besteht mit der Gewährung von Rechtsschutz gegen den fremden Staat auf diplomatischem Wege, um diesen zu Zahlung zu vermögen ( F l e i s c h m a n n , Zwangsvollstreckung gegen fremde Staaten, S. 117). Die Verweisung auf unseren Verwaltungsweg ist für den Gläubiger noch erheblich günstiger. I n den Verhandlungen des Reichstages zu E.G. z. Z.Pr.O. § 15 Ziff. 3 sprach allerdings die gute alte Zeit noch ihr Verdammungsurteil: „Ein solcher Zwang dürfe dem Gläubiger nicht angetan werden; er brauche sich nicht auf die Pflichttreue der oberen Verwaltungsbeamten verweisen zu lassen" ( H a h n , Mat. I I S. 1091). Wir wollen aber andererseits auch keine Beschönigungsversuche machen und es „gerichtliche Zwangsvollstreckung gegen den Fiskus" nennen, wenn das Gericht nach preuß. A.G.O. I Tit. 35 § 33 die vorgesetzte Finanzbehörde angeht, damit diese „die nötigen Anstalten treffe" (F. S t e i n , Justiz und Verwaltung, S. 69).

II. Band

Dritter Abschnitt.

Das öffentliche Sachenrecht. § 33.

Die Enteignung; Enteignungsverfahren, D i e E n t e i g n u n g i s t e i n o b r i g k e i t l i c h e r E i n g r i f f i n das u n b e w e g l i c h e E i g e n t u m des U n t e r t a n e n , u m es i h m z u entziehen für ein öffentliches Unternehmen. Das ö f f e n t l i c h e U n t e r n e h m e n ist ein durch seinen besonderen Zweck gekennzeichnetes und abgegrenztes Stück öffentlicher Verwaltung. Es kann sich darstellen als ein Bestand von Mitteln, welche in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung einem solchen Zwecke dauernd zu dienen bestimmt sind. Dann sprechen wir von einer ö f f e n t lichen Anstalt1. Die für das öffentliche Unternehmen ausgebildeten Rechtsinstitute, insbesondere die Enteignung, sind durch das Gesetz ausnahmsweise auch anwendbar gemacht worden für bestimmte Arten p r i v a t w i r t s c h a f t l i c h e r Unternehmungen, die dadurch gefördert werden sollen wegen ihrer Bedeutung für das Gemeinwohl. Beispiele liefern das Bergwesen, das Forstwesen, die nichtöffentlichen Gewässer, die Heilquellen. Als solche H i l f s i n s t i t u t e des P r i v a t r e c h t s werden sie gewisse anpassende Veränderungen erleiden. Hier kommt das aber alles nicht weiter i n Betracht. — I . Die Entwicklungsstufen unseres öffentlichen Rechts haben der Enteignung jeweils ihr besonderes Gepräge aufgedrückt 2 . Zuerst erscheint sie als ein Stück i n jener Sammlung eigenartiger Rechte, aus der die Landesherren die Staatsgewalt bilden sollten. Die 1

Vgl. unten § 51 Eing. Darüber das Genauere bei G. Μ e y e ϊ , R. d. Expropr. S. 115 ff.; L a y e r , Prinz, d. Ent.R. S. 64 ff. I m Gegensatz zu G. Μ e y e r s gründlichen Forschungen ist, was L. S t e i η , Verwaltungslehre V I I I S. 301 ff., als „Elemente der Geschichte des Enteignungsrechtes" gibt, großenteils Willkür. Wenn er aber die Stufenfolge unterscheidet: „Regalität, verordnungsmäßiges Enteignungsrecht, verfassungsmäßiges Enteignungsrecht", so wird ihm dabei wohl das Richtige vorgeschwebt haben. 2

B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.

1

Das öffentliche Sachenrecht.

2

Befugnis, Privateigentum zu entziehen, wo das Gemeinwohl das erheischt, wird als ein H o h e i t s r e c h t anerkannt. Ursprünglich ist es das jus eminens, hier dominium eminens genannt, was darin zur Anwendung kommt; zuletzt gilt auch das als ein Stück des jus politiae, womit das Ungewöhnliche des Eingriffs abgestreift ist 3 . Der P o l i z e i s t a a t verwischt alle vorgefundenen Bedingtheiten und Formen zugunsten eines schrankenlosen Beliebens der Obrigkeit. Indem er für die „zivilrechtlichen Wirkungen", Eigentumserwerb und Entschädigungspflicht, den Fiskus als vom Staate unterschiedenes Rechtssubjekt eintreten läßt, entsteht hier das bekannte polizeistaatliche Mischgebilde 4 . Der Y e r f a s s u n g s - u n d R e c h t s s t a a t der Neuzeit hat dann für diesen Rechtsvorgang die i h m eigentümlichen Formen besonders kräftig entwickelt. 1. Die Enteignung, als der stärkste Eingriff i n das Eigentum des Untertanen, gehört i m Yerfassungsstaate selbstverständlich zum Vorbehalte des Gesetzes. Nach dem Vorbild der déclaration des droits de l'homme pflegen die Verfassungsurkunden bei Aufzählung der G r u n d r e c h t e ihrer ausdrücklich zu gedenken, um hervorzuheben, daß sie nur nach Maßgabe des Gesetzes geschehen könne 5 . Wenn sie demnach stets einer g e s e t z l i c h e n G r u n d l a g e bedarf, so wird diese ordentlicherweise und i m Sinne des Rechtsstaates dadurch geliefert werden, daß das Gesetz r e c h t s s a t z m ä ß i g bestimmt, wann die Enteignung stattfinden soll, und dann auf Grund dieses Rechtssatzes die vollziehende Gewalt, die Verwaltung und ihre Behörde, i m Einzelfalle die Enteignung durchführt 6 . 3

Ein Beispiel bietet der Bd. I § 3 Note 9 und 19 besprochene Fall. Wenn G i e r k e , D. P.R. I I S. 469, den Staat bei der Enteignung vorgehen läßt, „in Ausübung des Staatshoheitsrechtes am Boden", so kommt darin jenes alte jus eminens noch einmal zu Ehren. 4 Vgl. Bd. I S. 52, S. 53 Note 27. Ein Beispiel für die Formlosigkeit des Vorgehens ebenda S. 39 Note 4. — Die Juristen sträuben sich gerade an diesem Punkte besonders lebhaft gegen die folgerichtige Entfaltung des Polizeistaates. So ist noch M o s e r , Landeshoheit in Ansehung der Untertanen Pers. u. Verm. cap. 20 § 3, bemüht, die gemäß dem alten Hoheitsrechte allein zulässigen Enteignungsfälle aufzuzählen, kommt aber dabei auf zweifelhaftes Gebiet und schließt mit dem Satze: „Man wird in solcherlei Fällen schwerlich fragen, was Rechtens sei." Das ist eben der Polizeistaat. 5 Bayr. V.U. Tit. 4 § 8; Bad. V.U. § 14; Württ. V.U. § 30; Sächs. V;U. § 31; Preuß. V.U. Art. 9; R.Verf. Art. 153 Abs. 2. Vgl. Bd. I S. 70 ff. 6 Wir nennen vor allem: Bayr. Ges. v. 17. Nov. 1837 u. 8. Aug. 1878; Pr. Ges. v. 11. Juni 1874; Bad. Ges. v. 26. Mai 1908; Sächs. Ges. v. 24. Juni 1902; Württ. Ges. v. 20. Dez. 1888; Hess. Ges. v. 30. Sept. 1899.

§ 33. Enteignungsverfahren.

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Gültig ist es natürlich auch, wenn statt dessen das Gesetz von freien Stücken i m E i n z e l f a l l e selbst zugreift und eine Enteignung ausspricht. Das Gesetz, d. h. der i n Form des Gesetzes erscheinende Staatswille, kann rechtlich alles; nur eben unser Rechtsinstitut ist das nicht 7 . Davon ist zu unterscheiden, wenn etwa das Enteignungsgesetz bei seiner rechtssatzmäßigen Regelung der Sache für den Ausspruch i m Einzelfalle ein besonderes Gesetz, einen gesetzlichen Einzelakt, verlangt. Das ist dann sachlich auch nichts anderes wie ein Verwaltungsakt und bewegt sich i m Rahmen unseres Enteignungsinstitutes, gemäß dem hier weiter Vorzutragenden 8 . Die rechtssatzmäßige Regelung kann freilich hier nie so weit gehen, daß i m Einzelfalle nur das Gesetz anzuwenden wäre, wie das bei der Steuererhebung oder bei der strafrechtlichen Einziehung der Fall ist. Es gehört zum Wesen der Enteignung, daß sie i n gewissem Maße frei und beweglich bleibe, u m i m Einzelfalle zu finden, was der Lebendigkeit des öffentlichen Unternehmens entspricht. Das Gesetz wird also der Verwaltung hier immer einen gewissen Spielraum lassen müssen, den diese m i t f r e i e m E r m e s s e n ausfüllt 9 . Den Forderungen des Rechtsstaates entspricht es, daß der Eingriff auch hier sich dann nicht vollziehe durch die einfache Tat der Wegnahme des Grundstückes, dessen das öffentliche Unternehmen bedarf, sondern daß sich zwischen den grundlegenden Rechtssatz und diese Tat der obrigkeitliche A k t einschiebe, der bestimmt, daß das für den Betroffenen so Rechtens sein soll. Beim Enteignungsinstitut, das sich auf den Rechtserfolg des Eigentumswechsels an dem Grundstücke 7 G i e r k e , D. Ρ .R. I I S. 475 Note 44, sagt von diesem Falle: „Natürlich kann dasselbe Gesetz, das den Enteignungsfall feststellt, zugleich erst den grundlegenden Rechtssatz schaffen." Tatsächlich tut es das nie. Der Rechtssatz soll ihm lediglich der Gleichförmigkeit halber aufinterpretiert werden. Da es eines solchen nicht bedarf, so ist das eine unnötige Gewaltsamkeit. 8 Hamb. Ges. v. 14. Juli 1879; Brem. Verord. v. 14. Juni 1843. F l e i n e r in Festg. f. Laband I I S. 23. Auch hier kann es dann allerdings geschehen, daß das Gesetz, das diesen Verwaltungsakt geben soll, aus der Rolle fällt und sich auf seine Allmacht besinnt, um unter Durchbrechung der Bestimmungen des allgemeinen Enteignungsgesetzes für diesen Fall frei zu bestimmen, was es will. Insofern ist hier, wie v. R o h l a n d , Ent.R. S. 26, bemerkt, „der Schutz gegen einen Mißbrauch des Enteignungsrechtes problematisch" oder, wie wir wohl richtiger sagen würden: die Herrschaft des Rechtssatzes über die Enteignung im Einzelfall ist hier nicht unbedingt gesichert. 9 Die Enteignung bleibt immer, wie P r a z a k , R. d. Ent. S. 18, es ausdrückt, „jene Funktion der Verwaltung, kraft welcher diese i m G r u n d e f r e i e n E n t s c h l u s s e s ein Recht aufhebt oder beschränkt".

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Das öffentliche Sachenrecht.

richtet, bedeutet das, daß dieser Erfolg i m Einzelfalle hervorzubringen ist durch einen V e r w a l t u n g s a k t entsprechenden Inhalts. 2. Wie die Dinge sich ordentlicherweise sonst entwickeln, erläßt j e d e B e h ö r d e die f ü r i h r e n V e r w a l t u n g s z w e i g erforderlichen obrigkeitlichen Anordnungen. Dementsprechend macht sie auch die Anschaffung der Sachen, deren ihr Betrieb bedarf, und s o l l t e sie eigentlich auch die Grundstücke, welche sie nicht durch freihändigen Kauf erwerben kann, durch Vornahme der Enteignung an. sich bringen. Militärbehörde, Justizbehörde, Straßenbehörde, Schulbehörde usw., jede ginge gegebenen Falles dazu über, selbst den Eingriff in das Privateigentum zu machen, der dieses dem Untertanen entzöge, um es ihrem Unternehmen zu widmen. So ist das auch früher gehandhabt worden, bevor die Enteignung i n die festen Formen des Verfassungs- und Rechtsstaates gebracht war. Die neuen Enteignungsgesetze aber haben dem V e r f a h r e n eine ganz besondere Gestalt gegeben, für welche das französische Recht vorbildlich geworden i s t 1 0 . Die Besonderheit des Verfahrens besteht darin, daß die Einheit des rechtsgeschäftlichen Willensaktes aufgehoben und ersetzt ist durch ein Zusammenwirken mit v e r t e i l t e n Rollen. Die obrigkeitliche Anordnung der Enteignung geschieht danach gleichmäßig und allgemein durch die dafür ein für allemal bestimmten Stellen, die E n t e i g n u n g s b e h ö r d e n . Die Besonderheit des öffentlichen Unternehmens, welchem die Enteignung dienen soll, macht dabei keinen Unterschied; aus allen Verwaltungszweigen laufen die Enteignungen bei diesen Behörden zusammen 11 . Die Stellen, welche berufen sind, das beteiligte öffentliche Unternehmen zu vertreten, und von welchen sonst die dafür erforderliche Enteignung selbst vorzunehmen wäre, werden durch diese Einrichtung aus dem Enteignungsverfahren nicht gänzlich ausgeschlossen; aber sie werden zurückgedrängt auf die Rolle eines A n t r a g s t e l l e r s u n d 10 Franz. Ges. v. 8. März 1810. Auf diesen Zusammenhang verweisen: G r ü n h u t , Ent.R. S. 46; S e y d e l , Bayr. St.R. I I S. 352. 11 Die Gesetze bezeichnen als solche Enteignungsbehörden die Behörden der allgemeinen Landesverwaltung, ordentlichen Verwaltungsbehörden, und zwar meist die der Mittelstufe. — Das französische Gesetz vom 8. März 1810 hat das Bild noch verschärft durch eine sehr eigentümliche Hereinziehung des bürgerlichen Gerichts: Die ordentliche Verwaltungsbehörde, bei welcher das Verfahren stattfindet (Präfekt), erläßt, wenn alles fertig ist, den Ausspruch nicht selbst, sondern legt die Sache dem Zivilgericht erster Instanz vor (Landgericht), damit dieses ihn als „jugement d'expropriation" auf seinen Namen nehme. Das war von Napoleon nur als Blendwerk gedacht: die Verwaltung soll das Odium nicht haben. Vgl. Theorie d. franz. Verw.R. S. 236 ff.

§ 33. Enteignungsverfahren.

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b e t r e i b e n d e n Teiles. Die Enteignungsbehörde wird nur tätig auf Antrag des Vertreters des öffentlichen Unternehmens und nach Maßgabe seines Antrages. Das Gesamtbild erinnert äußerlich stark an die A r t , wie es i n der J u s t i z zugeht, und bereitet den Juristen eine Versuchung, bei seiner Beurteilung i n die altgewohnten Geleise einzubiegen und den Staat, oder wem sonst das Unternehmen gehört, geradezu wie einen Kläger anzusehen, der den Rechtsschutz der Obrigkeit i n Anspruch nimmt. Allein von Parteien und Prozeßverfahren i m richtigen Sinne (vgl. Bd. 1 § 13, I I ) ist hier keine Rede 1 2 , auch von Rechtsprechung nicht, die ja gern damit verwechselt wird (vgl. Bd. 1 § 13, I ) 1 3 . Vor allem aber entspricht es nicht der Wirklichkeit, wenn die Enteignung als ein Verfahren betrachtet wird, i n welchem dem Unternehmer ein obrigkeitlicher R e c h t s s c h u t z zuteil wird nach der A r t , wie der Kläger ein ihm günstiges Urteil, der Baulustige die gesicherte Polizeierlaubnis erwirken kann 1 4 . Das Urbild des betreibenden Unternehmers i m Enteignungsverfahren ist nicht der einfache Privatmann, und der Staat, der als Unternehmer Anträge auf Enteignung stellt, steigt nicht auf die Stufe eines solchen herab und handelt als Fiskus, der Aktiengesellschaft gleich, die solches t u t ; sondern umgekehrt: die Gemeinde wie die Aktiengesellschaft, welche für ihr Unternehmen die Enteignung betreiben dürfen, sind auf die Stufe des Staates emporgehoben, handeln hier als Träger öffentlicher Verwaltung zur Geltendmachung der Kraft ihres Unternehmens. Die Einsetzung besonderer Enteignungsbehörden samt ihrem ge12

Das schließt nicht aus, daß die Sache nachträglich behufs der Nachprüfung auf einen förmlichen Rechtsweg, vor ein Gericht gebracht werden kann, wenn das Gesetz das so vorschreibt (Bayr. Ges. v. 8. Aug. 1878 Art. 8 Ziff. 10; Württ. Ges. v. 20. Dez. 1888 Art. 25.) Vgl. Bd. I § 15, I . 13 Das zeigt sich da, wo das Gesetz, wie in Bayern, eine verwaltungsgerichtliche N a c h p r ü f u n g grundsätzlich nur für Rechtsprechungsakte zuläßt: die Enteignung gehört dann nur dazu, wenn das Gesetz es besonders bestimmt hat. D y r ο f f , Kom. Anm. 1. I n diesem Sinne auch G ο e ζ , Württ. V.R.Pfl. S. 457: Indem der Verw.G.H. mit dem ganzen Ausspruch der Enteignungsbehörde „einschließlich der Ermessensfragen" befaßt werden kann, ist ihm „eine besondere, außerhalb seiner regelmäßigen Funktion liegende Funktion übertragen". 14 Man hat diesen Gedanken sogar dahin zugespitzt, daß man sich die Möglichkeit, welche dem Unternehmer gegeben ist, auf dem Wege der Enteignung das Eigentum des andern zu erwerben, geradezu als einen R e c h t s a n s p r u c h für ihn vorstellt, als den E n t e i g n u n g s a n s p r u c h , zu dessen Anerkennung und Verwirklichung das Verfahren dienen soll: S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 365 Note 16, und vor allem L a y e r , Ent.R. S. 320 ff. Aber der ganze Rechtsanspruch beruht auf Täuschung; vgl. unten Note 27.

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Das öffentliche Sachenrecht.

ordneten Verfahren bedeutet vielmehr ein Rechtsschutzmittel für die Gegenseite, für d e n z u E n t e i g n e n d e n : er soll einer kühleren, unparteiischeren Beurteilung gegenübergestellt werden, als der Tatendrang des unmittelbaren Vertreters des öffentlichen Unternehmens i h m gewähren könnte. Für das Unternehmen handeln sie b e i d e , Unternehmer wie Behörden des Enteignungsverfahrens, um g e m e i n s a m den zur Enteignung erforderlichen Willensentschluß der öffentlichen Gewalt hervorzubringen, wenn auch diese Behörden das letzte Wort haben. Sie teilen sich dabei i n die zu würdigenden Gesichtspunkte; auch Erwägungen der Z w e c k m ä ß i g k e i t u n d des f r e i e n Ermessens werden hier wie dort geübt. Der Unternehmer ist maßgebend für das eigentlich Geschäftsmäßige: ob die Sache ins Werk gesetzt werden soll, ob die Vorteile groß genug sind, um den Aufwand zu rechtfertigen, und die zur Verfügung stehenden Mittel ausreichen, die Enteignungsbehörde für die Fragen der zu nehmenden Rücksichten und des Bedürfnisumfanges 15 . 3. Der behördliche Ausspruch darüber, ob und wieweit durch dieses Unternehmen der Eingriff i n das Privateigentum gerechtfertigt ist und sich vollziehen soll, bildet demnach das Ziel der Anträge des Unternehmers und den Kern des Verfahrens. Dieses erhält aber nun eine Verbreiterung nach zwei Seiten hin: — Einerseits kann der Ausspruch selbst a u s e i n a n d e r g e z o g e n werden, indem von den i n i h m enthaltenen Fragen die erste, grundlegende verselbständigt und i n einem besonderen V o r v e r f a h r e n beschieden wird. Das ist die Frage, ob das geplante Unternehmen derart ist, daß dafür das erforderliche Privateigentum i m Wege der Enteignung beschafft werden darf. Sie pflegt wegen ihrer Wichtigkeit 15 Das eben geschilderte Zusammenwirken macht es erklärlich, daß hier eine Meinungsverschiedenheit entstehen konnte, für welche der Prozeß kein Seitenstück bietet. Man spricht hier natürlich nicht vom Kläger und Beklagten, sondern dem E n t e i g n e t e n , E x p r o p r i a t e n , dem betroffenen Eigentümer, der etwa als Beklagter angesehen werden könnte, steht gegenüber der E n t e i g n e r , E x p r o p r i a n t . Wer ist aber das ? Da sagen nun die einen mit derselben Entschiedenheit, der Staat sei es, der durch seine Behörde die Enteignung aussprechen läßt, wie die anderen, der Unternehmer sei es, der diesen Ausspruch zu seinen Gunsten erwirbt: G r ü n h u t , Ent.R. S. 78 ff. ; L a b a η d in Arch. f. ziv. Pr. 52 S. 170; J e 11 i η e k , Öff. Rechte S. 253; G. M e y e r , R. d. Expropr. S. 261; G i e r k e , D. Priv.R. I I S. 476; G. Μ e y e r - D ο c h ο w , Verw.R. I S. 233; E g e r , Ent.Ges. I S. 18; S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 253 ff.; F 1 e i η e r , Instit. S. 291. Wir weichen dem wertlosen Streit um den Namen aus, indem wir dem Enteigneten die Enteignungsbehörde einerseits, den Unternehmer oder betreibenden Teil andererseits gegenüberstellen.

§

3. Enteignungsverfahren.

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von der Enteignungsgesetzgebung einer höheren Stelle vorbehalten zu sein: der Regierung oder auch einem zu erlassenden Sondergesetz. W i r nennen das die F e s t s t e l l u n g des E n t e i g n u n g s f a l l e s . Von diesem Ausspruche hängt es ab, ob i m gegebenen Falle überhaupt Enteignung stattfindet oder nicht. Lautet er verneinend, so ist das weitere Verfahren unzulässig; andernfalls kann die Sache jetzt i n das Hauptverfahren übergeführt werden. Das H a u p t v e r f a h r e n selbst findet dann vor der ordentlichen Enteignungsbehörde statt. Nach dem, was vorweggenommen worden ist, beschränkt es sich darauf, festzustellen, in welchem Umfange das zur Enteignung zugelassene Unternehmen seinem Zwecke und Bedürfnis nach das Privateigentum i n Anspruch nehmen soll. Es geht auf F e s t s t e l l u n g des E n t e i g n u n g s g e g e n standes. Damit verbindet sich die obrigkeitliche Erklärung, welche dem Verfahren seinen Abschluß und seine Wirksamkeit gibt, der E n t eignungsausspruch16. — Auf der andern Seite schließt sich an das so gegliederte Verfahren, Feststellung des Enteignungsfalles und Enteignungsausspruch, noch ein weiteres an. Eine Folge und Nachwirkung der Enteignung ist nämlich die, daß dem Enteigneten E n t s c h ä d i g u n g zu leisten ist. Die Festsetzung dieser Entschädigung geschieht wieder i n einem besonders dafür eingerichteten Verfahren, welches aber auf verschiedene Weise i n das Enteignungsverfahren selbst hineinverwoben zu sein pflegt. Darüber das Nähere unten § 34, I I n. 2. I I . Das erste Stück des Enteignungsverfahrens, die F e s t s t e l l u n g des E n t e i g n u n g s f a l l e s , besteht i n der Anerkennung des geplanten Unternehmens als eines solchen, für das Enteignung stattfinden soll. Dazu gehört mehrerlei: es muß ein geeignetes Unternehmen sein sowohl nach seinem Träger, dem U n t e r n e h m e r , als auch nach dem Zwecke, für welchen es des Privateigentums bedarf, und es muß des Privateigentums für diesen Zweck m i t einem genügenden Maße von D r i n g l i c h k e i t bedürfen. 1. Wer ein zur Enteignung geeignetes Unternehmen ausführen und dafür als betreibender Teil auftreten will i m Enteignungsverfahren, muß f ä h i g s e i n z u r T r ä g e r s c h a f t der h i e r i n F r a g e k o m m e n 16

Diese Gliederung des Enteignungsverfahrens ist nichts, was aus dem Wesen der Enteignung notwendig hervorginge, sondern reine Zweckmäßigkeitssache. Die Zusammengehörigkeit der beiden Stücke tritt namentlich im Bayr. Ges. v. 17. Nov. 1837 art. X I V , verbunden mit Ges. v. 8. Aug. 1878 Art. 8 Ziff. 10, deutlich hervor. Wenn G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 492, das „Verfahren" schlechthin erst beginnen läßt, nachdem der Enteignungsfall festgestellt ist, so wird damit das Gesamtbild zerrissen.

Das öffentliche Sachenrecht

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d e n A r t v o n ö f f e n t l i c h e r V e r w a l t u n g , die Zuständigkeit besitzen für ein solches Unternehmen 17 . Die P r ü f u n g , die hier anzustellen ist, geht auf ein Doppeltes: Ob überhaupt ein Träger öffentlicher Verwaltung auftritt, und ob das geplante Unternehmen noch in den Kreis dieser i h m zustehenden öffentlichen Verwaltung fällt. Sie nimmt je nachdem verschiedene Gestalt an. Drei Fälle sind möglich. Der erste ist der, wo der S t a a t s e l b s t der Unternehmer sein will, als welcher hier sowohl das Reich als das Land i n Betracht kommen kann. Seine Fähigkeit, öffentliche Verwaltung zu führen, ist von Natur unbeschränkt. Bs wäre höchstens zu prüfen, ob nicht gerade dieses bestimmte Stück rechtlich abgezweigt ist zugunsten einer besonderen Trägerschaft, eines Selbstverwaltungskörpers z. B. Dazu kommt dann noch die Frage, ob er hier gehörig vertreten ist, ob die für ihn handelnde Stelle sich dabei noch in ihrer Zuständigkeit bewegt. Wo i n der einen oder anderen Richtung ein Mangel vorläge, wäre es denkbar, daß der Ausspruch zur Feststellung des Enteignungsfalles ihn aus eigner Machtvollkommenheit deckte durch eine Erweiterung der Zuständigkeit der betreibenden Behörde. Die zweite Möglichkeit bietet der Fall, wo eine besondere j u r i s t i sche P e r s o n des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s als Unternehmer auftritt (vgl. unten § 55). Hier ist überall Fähigkeit zu öffentlicher Verwaltung von vornherein gegeben, aber diese Fähigkeit wirkt nur für den Kreis eigner Angelegenheiten, womit die juristische Person ausgestattet ist. Als Gegenstand der Prüfung kommt also nun hinzu die Frage, ob das Unternehmen, für welches enteignet werden soll, i n diesen Kreis geh ö r t 1 8 . Auch hier kann sich mit der Feststellung des Enteignungsfalles 17

Wenn das Preuß. Ent.Ges. § 2 von der Kgl. Verordnung, die den Enteignungsfall festzustellen hat, sagt, daß sie „den Unternehmer" bezeichnet, so bedeutet das nicht eine bloße Bekanntgabe, wer das ist, auch nicht so ohne weiteres nur die Eröffnung des Enteignungsweges für diese Person, sondern vor allem auch die Anerkennung ihrer rechtlichen Berufenheit zu solchem Tun. 18 G r ü n h u t , Ent.R. S. 79: „Rücksichtlich gewisser öffentlicher Angelegenheiten, . . . welche in den natürlichen Bereich der Selbstverwaltung fallen, räumt der Staat seinen Platz unter Wahrung seines Rechts zur Überwachung der Provinz-, Kreis-, Gemeinde-Verwaltung; diese kann daher rücksichtlich der ihrer Selbstverwaltung überlassenen öffentlichen Angelegenheiten das Enteignungsrecht geltend machen." Hervorzuheben ist demgegenüber: Der Staat räumt seinen Platz nicht erst jetzt, im Enteignungsverfahren, sondern er hat ihn schon, in dem entsprechenden Maße wenigstens, geräumt, indem er den Selbstverwaltungskörper schuf und ihn mit öffentlicher Verwaltung ausstattete; jetzt läßt er nur die Folgerung daraus ziehen durch Zulassung dieses Gemeinwesens mit seinem Unternehmen zum Gebrauch des Enteignungsweges. Aber ganz

§ 3.

Enteignungsverfahren.

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eine erforderliche Ergänzung der Voraussetzungen verbinden, namentlich bei Gemeinden und dergleichen die Erteilung der etwa notwendigen Genehmigung des Unternehmens von Staatsaufsichts wegen. Endlich kann das Unternehmen, für welches enteignet werden soll, auch ausgehen von einem Unternehmer, der von Natur nicht dazu berufen ist, öffentliche Verwaltung dieser A r t zu führen. Dann muß er besonders dazu fähig gemacht worden sein. Das geschieht durch das Rechtsgeschäft der Konzession, der V e r l e i h u n g des b e s t i m m t e n ö f f e n t l i c h e n U n t e r n e h m e n s (vgl. unten § 49). Der Beliehene kann ein einzelner sein oder auch eine Gesellschaft oder eine juristische Person des Zivilrechts, Aktiengesellschaft vor allem. Er kann auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts sein, eine Gemeinde oder Provinz, zu deren Angelegenheiten ein derartiges Unternehmen nicht von selbst gehört. Immer hat er sich dann hier auszuweisen, durch diesen besonderen Rechtstitel 1 9 . Möglicherweise verbindet sich hier wieder m i t der Feststellung des Enteignungsfalles die Schaffung des besonderen Rechtstitels, dessen der Unternehmer bedarf, die Verleihung des öffentlichen Unternehmens. Vorausgesetzt ist, daß die Stelle, von der das ausgeht, die Zuständigkeit zu beidem i n sich vereinigt. 2. I m Einzelfall muß dann auch das bestimmte Unternehmen eines solchen Unternehmers s e i n e m G e g e n s t a n d e n a c h fähig sein, den Eingriff i n das Privateigentum zu rechtfertigen: es muß dessen bedürfen, u m d a m i t e i n e n ö f f e n t l i c h e n Z w e c k z u e r f ü l l e n . Was als ein zur Enteignung genügender öffentlicher Zweck anzuerkennen sei, das bestimmt das Gesetz unmittelbar für den E i n z e l f a l l , wo es die Enteignung i n Gestalt eines außerordentlichen Eingriffes selber beschließt. Es kann den Fall auch der A r t n a c h beunrichtig sind Wendungen wie die bei G. Μ e y e r , R. d. Expropriation S. 260, wonach der Staat die Gemeinde „mit dem Expropriationsrechte ausstattet", oder bei T h i e l , Expr.R. S. 17, 20, wonach die Gemeinde hier ein mandatum ad agendum erhält, zur Zessionarin des Staates gemacht wird, da das Expro19 priationsreoht „zessibel" ist. Der Fall des beliehenen Unternehmers, der zur Enteignung zugelassen wird, war natürlich besonders verführerisch, um dem Gedanken einer „Verleihung des Enteignungsrechtes" hier Eingang zu verschaffen, mit dem in der Literatur gern gespielt wird. Allein hier handelt es sich um zwei Akte: die Verleihung des Unternehmens (Konzession) bringt die Eisenbahngesellschaft oder Kanalgesellschaft erst auf die Stufe, auf welcher der Staat für diese nämlichen Dinge, die Gemeinde für ihre Straßenunternehmungen und Schulanlagen v o n v o r n h e r e i n stehen; erst nunmehr hätten alle drei gleichmäßig die Fähigkeit, für ein solches öffentliches Unternehmen vorzugehen und für das Enteignungsverfahren die zweite „Verleihung" zu begehren.

Das öffentliche Sachenrecht.

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zeichnen, indem es gelegentlich der Ordnung eines besonderen Verwaltungszweiges die dafür etwa erforderlichen Enteignungen regelt. Über allem stehen die zusammenfassenden a l l g e m e i n e n E n t e i g n u n g s g e s e t z e , welche grundsätzlich auch diesen Punkt erschöpfend zu regeln bestimmt sind. Sie bezeichnen gebräuchlicherweise das Unternehmen, welches seinem Zwecke nach die Voraussetzungen der Enteignung erfüllt, ganz einfach durch Verweisung auf das, was das Rechtsinstitut s e i n e m B e g r i f f u n d W e s e n n a c h i n dieser Hinsicht erfordert. Sie bedienen sich dazu, ziemlich übereinstimmend, der dehnbaren Ausdrücke: „aus Gründen des öffentlichen Wohles" finde die Enteignung statt oder „für öffentlichen Nutzen", „öffentliche Nützlichkeit", „für ein dem öffentlichen Nutzen gewidmetes Unternehmen" 2 0 . Das allgemeine Enteignungsgesetz kann auch versuchen, die zulässigen Arten von Enteignungszwecken selber i m voraus zu benennen und zusammenzustellen. Es gibt eine A u f z ä h l u n g , davon. Was nicht irgendwie unter einer solchen Rubrik Unterkunft findet, dafür kann nicht enteignet werden — außerordentlicher Gesetzeseingriff natürlich immer vorbehalten 21 . Andererseits gilt aber auch für das Aufgezählte, soweit es nicht imbedingt gemeint ist, jene aus dem Wesen der Enteignung fließende Forderung der Dienlichkeit für das öffentliche Wohl. Ausgeschlossen sind demnach Bestrebungen privatwirtschaftlicher Axt, auch wenn sie vom Staate selbst ausgehen, f i s k a l i s c h e V e r w a l t u n g e n und die zu ihnen gehörigen einzelnen Unternehmungen. Erweiterung und Abrundung von Staatsdomänen z. B. gehört nicht zu den enteignungswürdigen Zwecken. Ebensowenig zählen hierher p r i v a t w i r t s c h a f t l i c h g e d a c h t e N e b e n z w e c k e , die gelegentlich eines richtigen öffentlichen Unternehmens durch den Grunderwerb befriedigt werden sollen 2 2 . 20

Preuß. Ges. v. 11. Juni 1874 § 1; Bad. Ges. v. 26. Mai 1889 (24. Dez. 1908) § 1; Sächs. Ges. v. 24. Juni 1902 § 1; Württ. Ges. v. 20. Dez. 1888 Art. 1; Hess. Ges. v. 30. Sept. 1899 Art. 1; R.Verf. Art. 153 Abs. 2: „zum Wohle der Allgemeinheit". 21 Wichtigstes Beispiel das Bayr. Ges. v. 17. Nov. 1837 Art. I A. mit seiner Aufzählung der Fälle, in welchen Enteignung zulässig ist. Der Entw. hatte die allgemeine Formel: „Rücksichten des öffentlichen Nutzens'1 und „allgemeine Staats- und öffentliche Gemeindezwecke". Erst bei den Kammerverhandlungen wurde die beschränkende Aufzählung hineingebracht: H a r t m a n n , Ges. über Zwangsabtretung S. 25 ff. — G i e r k e , D. P.R. I I S. 474. 22 v. R o h l a n d , Ent.R. S. 14: „private Gemeindezwecke"; G r ü n h u t , Ent.R. S. 79: „im vermögensrechtlichen Interesse des Ärars". Durch stärkere

§ 33. Enteignungsverfahren.

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— H i e r m i t h ä n g t zusammen als weitere E i n s c h r ä n k u n g die bes t i m m t e A r t , wie das z u enteignende G r u n d s t ü c k V e r w e n d u n g f i n d e n soll:

es m u ß

dem

öffentlichen

dienstbar gemacht werden,

Unternehmen

so daß

es auf

unmittelbar

solche Weise

selber

dessen Zweck erfüllen h i l f t . Ausgeschlossen ist demnach die E n t e i g n u n g , w e n n sie dazu dienen würde, G r u n d s t ü c k e z u erwerben, die n i c h t b e h a l t e n werden sollen, sondern d u r c h i h r e Wiederveräußerung einen G e w i n n abwarfen.

Das

g i l t auch, w e n n solches gelegentlich der A u s f ü h r u n g eines öffentlichen Unternehmens geschieht u n d der G e w i n n d a z u b e s t i m m t ist, die K o s t e n decken z u helfen: die I d e e der E n t e i g n u n g v e r l a n g t , daß das G r u n d stück m i t seiner K ö r p e r l i c h k e i t seinem V e r k a u f s w e r t

23

d e m U n t e r n e h m e r diene, n i c h t

mit

.

Betonung des öffentlichen Interesses suchen manche der Abgrenzung mehr Genauigkeit zu geben: L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 224 ff,; L e u t h o l d , in Annalen 1884 S. 321 ff.; Ν e u m a η η in Annalen 1886. Dabei pflegt nicht viel herauszukommen. Das Preuß. Ent. Ges. § 23 Abs. 1 hat bestimmt, für welche einzelnen Zwecke bei einem Eisenbahnunternehmen die Enteignung in Anspruch genommen werden kann; es hebt hervor: „Dagegen ist das Enteignungsrecht auf den Grund und Boden für solche Anlagen nicht auszudehnen, welche, wie Warenmagazine und dergleichen, nicht dem unter Nr. 2 gedachten allgemeinen Zweck (Dienlichkeit der Bahn als öffentliche Straße oder Erforderlichkeit im öffentlichen Interesse infolge der Bahnanlage), sondern nur das P r i v a t i n t e r e s s e d e s E i s e n b a h n u n t e r n e h m e r s (auch des Staates!) angehen." — Bestritten wurde die Verwendbarkeit der Enteignung zur Herstellung von Anschlußgeleisen industrieller Werke: S e y d e 1, Ges. über d. Ent. S. 178; E g e r , Ges. über d. Ent. I I S. 142. Selbstverständlich kann hier die Enteignung nicht für den Besitzer jenes Werkes beansprucht werden; der ist ja als solcher überhaupt nicht berufen, öffentliche Verwaltung zu führen. Dagegen der Eisenbahnunternehmer, Staat oder beliehene Gesellschaft, schafft hier ein Zubehör seines Schienenweges, wenn es auch zugleich dem Fabrikbesitzer besonders zugute kommt. Vgl. auch die zutreffenden Ausführungen in S e h e I c h e r , Sächs. Ent. Ges. S. 173 ff. — Nicht unbedenklich ist die Verwendung der Enteignung für herzustellende Arbeiterwohnhäuser, Dienstwohnungen der Beamten nebst Dienstland: S e y d e l , Ges. über d. Ent. S. 182; E g e r , Ges. über d. Ent. I I S. 184; L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 613 Note 2. Daß die Durchführung des Unternehmens selbst solches nötig macht, wird doch wohl nur in Ausnahmefällen behauptet werden können. 23 Hierher gehören die hier und da durch die Gesetze zugelassenen sog. Z o n e n - E x p r o p r i a t i o n e n ; N e u m a n n , in Annalen 1886 S. 405, und ausführlicher Β r e d t , Die Zonenenteignung und ihre Zulässigkeit in Preußen, 1909. Daß hier mehr genommen werden darf, als das Unternehmen selbst fordert, um das mit Vorteil weiter veräußern zu können, bezeichnet v. R o h l a n d , Ent.R. S. 22 Note 3, geradezu als das „Verwerfliche" an der Einrichtung. Das „Ungewöhnliche" wäre richtiger gesagt. B r e d t a. a. 0. S. 9 hat mich miß-

12

Das öffentliche Sachenrecht. Unzulässig ist i n diesem Sinne die E n t e i g n u n g auch, w e n n es sich

bloß d a r u m h a n d e l t , die Besitzverhältnisse z w i s c h e n d e n E i n z e l n e n z u ändern, so daß das G r u n d s t ü c k gar n i c h t i n den H ä n d e n der V e r w a l t u n g b l e i b t : ein dauerndes U n t e r n e h m e n der letzteren, d e m es dienstbar gemacht würde, ist hier gar n i c h t gegeben. M a n denke e t w a a n eine E n t e i g n u n g v o n Großgrundbesitz z u r V e r t e i l u n g a n die B a u e r n oder v o n F a b r i k e n behufs genossenschaftlicher U n t e r n e h m u n g e n der Arbeiter

24

.

Ebensowenig w ü r d e sich aus der allgemeinen E n t e i g n u n g s e r m ä c h t i gung eine E n t z i e h u n g v o n P r i v a t e i g e n t u m rechtfertigen, die n u r bezweckte, die S t ö r u n g e n

z u beseitigen, die aus seinem bisherigen

Z u s t a n d u n d der A r t seiner B e n u t z u n g d e m G e m e i n w o h l erwachsen m ö g e n : V e r u n s t a l t u n g e n des A n b l i c k e s der öffentlichen Straße, Gesundheitswidrigkeiten, Feuersgefahr.

A u c h hier soll das G r u n d s t ü c k wieder

n i c h t dienen, sondern n u r n i c h t schaden.

Maßregeln dieser A r t

sind

i h r e r N a t u r n a c h b e s t i m m t , i n d e n F o r m e n der P o l i z e i v o r g e n o m m e n z u werden, u n d dazu gehört die E n t e i g n u n g n i c h t .

D u r c h besonderes

Gesetz k a n n sie auch hierfür verwendbar gemacht werden.

Sie g i b t

verstanden, wenn er meint, daß ich mit v. R o h l a n d die „finanzielle Zonenenteignung v e r u r t e i l e". Ein Hauptbeispiel gibt das Preuß. Wasserstraßenges, v. .1. April 1905 § 16: Bis auf 1 km von der Mittellinie des zu erbauenden Kanales aus darf der Staat enteignen, damit die „Spekulation" nicht dieser Grundstücke sich bemächtige. Bei der Beratung des Gesetzes stellte man es so dar, als wenn eigentlich das bestehende Enteignungsgesetz schon genüge und das neue Sondergesetz nur gemacht werde, „um jeden Zweifel zu beseitigen", oder, wie von Seiten der Regierung ausgeführt wurde, um „eine Deklaration der bestehenden Gesetzgebung" zu geben; denn nach dieser „könne es zweifelhaft sein, ob Grundstücke enteignet werden könnten, die nicht unmittelbar zur Kanalanlage Verwendung fänden" (vgl. das Material bei Β r e d t a. a. 0. S. 107 f.). Meines Erachtens sind das nur die üblichen Redensarten zur leichteren Durchbringung einer Sonderbestimmung. Daß das Pr. Ent.Ges. v. 1874 hierfür nicht ausreichte, liegt auf der Hand. 24 G r ü n h u t , Ent.R. S. 3, übertreibt den richtigen Gedarfken, wenn er als wesentlich für die Enteignung aufstellt „die Übertragung in das öffentliche Gut" = öffentliches Eigentum. — Hierher gehört das Preuß. Ges. v. 20. März 1908 Art. I § 13 ff., wonach der Staat zur Beförderung der deutschen Ansiedlung in Westpreußen und Posen Grundbesitz im Wege der Enteignung soll erwerben können. Rechtlich steht es so, daß diese Maßregel nach der Preuß. Verf.Urk. Art. 9 nicht ausgeschlossen ist: „aus Gründen des öffentlichen Wohles" will ja auch das geschehen. Andererseits hätte sie — wenn auch die Regierung das selbstverständlich wieder nur als „zweifelhaft" hinstellte (Fürst Bülow im Abg.-Haus 28. Nov. 1907) — auf Grund des Ent.Ges. v. 11. Juni 1874 § 1 niemals getroffen werden können: „für ein öffentliches Unternehmen, dessen Ausführung es erfordert", d e m es d i e n e n s o l l , wird hier das Grundeigentum nicht entzogen.

§ 33. Enteignungsverfahren.

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einen passenden Weg, um den Eingriff gründlich und dauernd zu machen, zugleich aber auch die Vermögenswirkungen i n billiger Weise auszugleichen 25 . 3. Es genügt nicht, daß das Unternehmen i n der angegebenen Weise dem öffentlichen Nutzen diene: es muß auch dieser öffentliche Zweck m i t s o l c h e r S t ä r k e z u r V e r w i r k l i c h u n g d r ä n g e n , daß sie groß genug ist, die entgegenstehenden Rücksichten zu überwinden. Hier kommt vor allem die Rücksicht auf das Eigentum i n Betracht, dessen Unversehrtheit der Staat grundsätzlich gewährleisten soll. Dazu treten unter Umständen noch andere Bedenken, gerade auch vom Standpunkte des öffentlichen Wohles aus, dem der zu enteignende Grundbesitz auf seine A r t irgendwie schon dient. Dem allen gegenüber muß das durchzuführende Unternehmen die überwiegende Nützlichkeit vorstellen, sonst ist die Enteignung nicht zuzulassen. Ob das aber der Fall ist, das ist unbedingt eine Frage des reinsten f r e i e n E r m e s s e n s 2 6 . Danach werden wir nun, zusammenfassend, die Rechtsstellung des betreibenden Teiles, des Unternehmers, in diesem ersten Teil des Verfahrens kennzeichnen wie folgt: Ob er z u g e l a s s e n w i r d zur Enteignung, das hängt zum Teil von festen Voraussetzungen ab, zum Teil von freiem Ermessen und billigem Abwägen der verschiedenen Rücksichten, die da Beachtung verlangen. E i n Rechtsanspruch ist also nicht gegeben, nicht gegen den Staat, der den Enteignungsfall feststellen läßt, noch weniger natürlich gegen den zu Enteignenden, der ja auf dieser Stufe des Verfahrens überhaupt noch keine Rolle spielt. W e n n er z u g e l a s s e n i s t , wenn also der Ausspruch über den Enteignungsfall bejahend lautet, so begründet das für den Unternehmer die rechtliche Möglichkeit, das Verfahren weiter zu betreiben und durch Antragstellung bei der Enteignungsbehörde die Grundstücke zu erlangen, deren er zur Durchführung des Unternehmens bedarf. Diese Behörde wird nun erst z u s t ä n d i g , den obrigkeitlichen A k t zu erlassen, der das bewirkt. Sie ist dem beantragenden Unternehmer gegenüber rechtlich g e b u n d e n , den Ausspruch zu t u n ; er hat ein s u b j e k t i v e s ö f f e n t l i c h e s R e c h t darauf, ähnlich dem Recht auf zu erlassendes 25 So findet ihr Verfahren möglicherweise Anwendung zur Beseitigung gesundheitswidriger Wohnungen ( H e η 1 e , Zwangsent. S. 80), zur Bildung eines Schutzstreifens gegen Feuersgefahr für Kunstsammlungen (E g e r , Ges. über d. Ent. I S. 21). 2e Bayr. V.G. v. 10. März 1905 (Entsch. X X V I S. 234); E g e r , Ges. über d. Ent. I S. 16; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 473 f. („ein Werturteil"); L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 270 ff., 303, 304, 313.

14

Das öffentliche Sachenrecht.

Urteil, welches dem Kläger vor dem bürgerlichen Gerichte zusteht. Das bedeutet aber noch kein Recht gegen die Eigentümer der von ihm begehrten Grundstücke, noch auch ein Recht an diesen Grundstücken selbst. Erst der ergehende Enteignungsausspruch wird ein solches begründen 2 7 . I I I . Auf Grund der Feststellung des gegebenen Enteignungsfalles eröffnet sich nunmehr der zweite Teil des Verfahrens, der den E n t e i g n u n g s a u s s p r u c h selbst zum Ziele hat . Es kommt vor allem darauf an, diesem Ausspruch seinen bestimmten Inhalt zu geben durch B e z e i c h n u n g der G r u n d s t ü c k e , welche Gegenstand der Enteignung sein sollen. Damit erhält der betreibende Unternehmer, wie er i m ersten Teil des Verfahrens anerkannt und festgestellt wurde, auch seine bestimmte G e g n e r s c h a f t . Sie umfaßt eigentlich alle, die unter dem beabsichtigten Eingriffe zu leiden haben werden. Die Enteignung ist bestimmt, dem Unternehmen das Grundstück schlechthin und frei von aller Belastung zur Verfügung zu stellen; alle dinglichen Rechte werden dadurch untergehen. U n d überdies werden auch persönliche Ansprüche, die sich auf das Grundstück beziehen (Pacht- und Mietverhältnisse), unerfüllbar oder getilgt. Daraus ergibt sich also ein Kreis von B e t e i l i g t e n . Bei der Entschädigungsfrage tauchen sie insgesamt wieder auf. Für das Enteignungsverfahren aber sind sie nicht gleichwertig. Das Gesetz bestimmt hier, wer als der berufene Verteidiger des Grundstückes gilt für alle, die daran beteiligt sind, so daß der Enteignungsantrag gegen ihn allein zu richten sein wird. Das ist der E i g e n t ü m e r als Hauptbeteiligter. Die anderen sind der Enteignung gegenüber durch ihn m i t vertreten. Er allein ist i n dem Enteignungsantrag zu bezeichnen und darüber zu hören. Daneben kann auch den anderen, den Nebenberechtigten, Gelegenheit gegeben werden, ihre Einwendungen vorzubringen. Die genauen Pläne der von der Enteignung betroffenen Grundstücke werden i n den Räumen der Behörde a u f g e l e g t und durch ö f f e n t l i c h e B e k a n n t m a c h u n g alle Beteiligten aufgefordert, davon Kenntnis zu nehmen und innerhalb einer bestimmten Frist sich dazu zu äußern, wenn sie es für gut finden. I n einer besonderen T a g f a h r t , zu welcher die Eigen27 I m Gegensatze dazu kann hier die Literatur wieder ihr verschieden benanntes subjektives Enteignungsrecht nicht früh genug anbringen: E g e r , Ges. über d. Ent. S. 4; L a y e r , Prinz. S. 304, 310; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 477 Note 55; 0. F i s c h e r , Expr.Vertr. S. 10.

§ 3.

Enteignungsverfahren.

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tümer und alle, die sich sonst inzwischen gemeldet haben, zu laden sind, wird dann über die Enteignungsanträge und die zu erhebenden Einwendungen vor der Enteignungsbehörde verhandelt. Daran schließt sich auch die endgültige Feststellung der E n t e i g n u n g s g e g n e r , der berufenen Eigentümer, gegen welche das Verfahren durchgeführt wird. Diese sind ursprünglich aus dem Grundbuch (Flurbuch, Steuerkataster) entnommen. Das öffentliche Verfahren hat den Zweck, diese Angaben zu bereinigen und endgültig zu machen. Der so festgestellte Eigentümer wird dadurch nicht Eigentümer, wenn er es nicht schon war. Er wird dadurch nicht Partei; denn es handelt sich nicht um Prozeß und Verwaltungsrechtspflege. Er wird der rechtmäßige Widersacher des die Enteignung betreibenden Unternehmers, legitimus contradictor in dem Sinne, daß das Verfahren gültig durchgeführt ist und wirksam für das Eigentum und sonstige Rechte am Grundstück, wenn es gegen i h n durchgeführt wird, und daß der Ausspruch der Enteignung gegen i h n erfolgt 2 8 . — So bildet denn für diesen zweiten Teil des Verfahrens das z u e n t e i g n e n d e G r u n d s t ü c k den festen Mittelpunkt. U n d es fragt sich jetzt, i n w i e w e i t d i e E n t e i g n u n g es erfassen k a n n u n d soll. 1. Der allgemeinen Regel nach sind fähig, der Enteignung zu unterliegen, s ä m t l i c h e G r u n d s t ü c k e des S t a a t s g e b i e t e s ohne Unterschied der Beschaffenheit und der A r t der Benutzung und ohne Ansehen des Eigentümers. Auch die Grundstücke des S t a a t e s selbst sind davon nicht ausgenommen. Man hat vermeint, es als eine „Absurdität" bezeichnen zu können, daß der Staat, der doch allein enteignet, sich selbst Gewalt antun solle 2 9 . Allein hier ist wohl zu unterscheiden. Sinnlos wäre es, wenn i m Enteignungsverfahren gegen ein staatliches Grundstück der S t a a t s e l b s t als der b e t r e i b e n d e U n t e r n e h m e r aufträte. Er kann unmöglich den Anspruch erheben, daß i h m auf diesem Wege rechtlich zugeteilt werde, was er rechtlich schon hat. Ganz das gleiche gälte aber auch von der Gemeinde, die ihr Gemeindegut, von der Eisenbahngesellschaft, die ihr Privatgrundstück zum Gegenstand eines derartigen Angriffes machen wollte. Schon äußerlich 28 Preuß. Ges. über d. Ent. § 25 Abs. 2, §§ 44 u. 45; E g e r , Ges. über d. Ent. I I S. 200, 202, 218; B a h r u. L a n g e r h a n s , Ges. über d. Ent. S. 81; K o f f k a , Ges. über d. Ent. S. 237. — Ähnlich noch Bayr. Zwangsabtr.Ges. Art. X V ; H a r t m a n n , Ges. über d. Zwangsabtr. S. 68 Note 1 ; Η e η 1 e , Die Zwangsent. S. 69; S c h e i c h e r , Sächs. Ent. Ges. S. 427 ff.; für das frühere Recht: d e r s e l b e , Rechtswirkungen der Ent. S. 94. 29

T r e i c h l e r , in Ztschr. f. deutsch. R. X I I S. 140.

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Das öffentliche Sachenrecht.

würde das seheitern an dem Mangel des für das Verfahren unentbehrlichen Enteignungsgegners 30 . Die Frage kann nur so gemeint sein: I s t es zulässig, daß die Enteignungsbehörde, die doch immer namens des Staates spricht, auf Betreiben irgendeines a n d e r e n Unternehmers ein Grundstück des Staates der Enteignung unterwirft, d i e E n t e i g n u n g v o l l z i e h t gegen i h r e n D i e n s t h e r r n u n d M a c h t g e b e r s e l b s t ? Dies ist keineswegs ausgeschlossen. Daß es der Fall ist und i n welchem Umfang es der Fall ist, bestimmt sich vielmehr nach festen allgemein gültigen Regeln. Es handelt sich um eine R ü c k b e z ü g l i c h k e i t der ö f f e n t l i c h e n G e w a l t a u f d e n S t a a t i n dem oben Bd. I S. 119 f. dargelegten Sinne. So gut der Staat der Anwendbarkeit seines Zivilgesetzbuches und dem Urteilsspruch seines ordentlichen Gerichtes unterliegt, kann auch sein Enteignungsgesetz und der Ausspruch seiner Enteignungsbehörde ihn erfassen. Voraussetzung ist nur, daß er in privatwirtschaftliche Verhältnisse eingetreten ist wie ein Untertan und soweit denn auch bestimmt ist, n a c h U n t e r t a n e n r e c h t z u l e b e n , mit anderen Worten: daß er i n seiner Eigenschaft als F i s k u s erscheint. So ist es denkbar, daß die Enteignung sogar Platz greife gegen Dienstgebäude, Schlachthäuser, Schulhöfe, Spitalgärten, öffentliche Anlagen, überhaupt i n allen Fällen, wo das Grundstück zum sogenannten „ V e r w a l t u n g s v e r m ö g e n " gehört. Daß es der Staat ist, der hier enteignet werden soll, kann t a t s ä c h l i c h doch von großer Wichtigkeit sein; seine entgegenstehenden Anliegen haben Gelegenheit genug, sich wirksam zur Geltung zu bringen. Das wird vor allem i m ersten Teile des Verfahrens geschehen, wo sich ja bereits übersehen läßt, ob und wie weit staatlicher Grundbesitz von den zuzulassenden Unternehmen berührt werden soll. Daß es wünschenswert erscheint, ein bestimmtes Grundstück unversehrt zu lassen, kann Anlaß geben, die Anerkennung des Enteignungsfalles 30

Wir kämen sonst zu dem Bd. I S. 148 Note 19 gezeichneten Bild: der Staat als Eisenbahnunternehmer beantragt beim Staat als Inhaber der Enteignungshoheit, den Staat als Forstbesitzer zu enteignen. Gegen diese Doppelrolle des Staates vor der Enteignungsbehörde mit Recht: L o e b e l l , Preuß. Ent.Ges. S. 25; E g e r , Ges. über d. Ent. I S. 14. Nur ein wild gewordener Ressortpartikularismus könnte hier ein solches Schauspiel aufführen wollen. Die Sache erledigt sich vielmehr durch „eine Überweisung des erforderlichen fiskalischen Terrains von der einen fiskalischen Station an die andere", und zwar „durch Entschließung des zuständigen Ressortchefs oder, falls verschiedene Ressorts beteiligt sind und Einigung nicht zu erzielen ist, durch Entscheidung des Staatsministeriums" (E g e r a. a. O. I S. 14).

§ 33. Enteignungsverfahren.

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für dieses Unternehmen zu verweigern oder vorerst einmal eine entsprechende Änderung zu verlangen. Auch der zweite Teil bietet noch Gelegenheit, solche Gesichtspunkte in Gestalt von Einwendungen gegen den aufgestellten Plan zur Geltung zu bringen, und die Enteignungsbehörde hat Spielraum zu entsprechender Berücksichtigung. I n geringerem Maße können auf diesem Wege auch untergeordnete Gemeinwesen einen Schutz finden gegen allzu schwere Beeinträchtigungen, mit welchen die Enteignung sie etwa zu treffen droht. Das bedeutet alles nur dazwischentretende H e m m u n g e n , welche die Enteignung i n ihrem Verfahren finden kann, als solche wichtig genug zum Verständnis ihrer Einrichtungen. Es bedeutet überall keine r e c h t l i c h e U n z u g ä n g l i c h k e i t solcher Grundstücke für die Enteignung 3 1 . Wohl aber ergibt sich aus dem Gesagten schon der Punkt, wo auch .eine r e c h t l i c h e U n z u l ä s s i g k e i t der Enteignung einsetzen muß. Er liegt da, wo sie auf die öffentliche Verwaltung selber stößt, wo ein Fiskus als Herr der zu enteignenden Sache i n der Weise eines gewöhnlichen Privatmannes sich nicht mehr ausscheiden läßt, vielmehr die öffentliche Verwaltung sich in dem staatlichen Grundstücke unmittelbar verkörpert. Daß es das gibt und wie es sich rechtlich gestaltet, ist i n der Lehre von den ö f f e n t l i c h e n Sachen genauer darzustellen (vgl. unten §§ 35 u. 36). Daß hier die E n t e i g n u n g v e r s a g t , ist selbstverständlich. Das, was sie möglich machte gegen den Staat, fällt weg: seine privat wirtschaftliche Erscheinung und damit zusammenhängende Stellung unter Untertanenrecht. Nun kommt seine eigene Natur zur Geltung, wonach 31

Man hat diese Fälle zusammengefaßt mit der nun gleich zu besprechenden Erscheinung und ein rechtliches Hindernis der Enteignung darin erkennen wollen. Es soll hier vorliegen „W i d e r s t r e i t ( K o l l i s i o n ) v e r s c h i e d e n e r E n t e i g n u n g s r e c h t e", und die Frage sei, ob die Enteignung auch ausgeübt werden könne gegen „solche Grundstücke, welche einem selbst mit dem Enteignungsrecht ausgestatteten (ausgerüsteten) Unternehmer angehören". Da glaubt man denn Grundsätze aufstellen zu können, nach welchen hier der „ A u s g l e i c h " zu erfolgen hat: „das mindere Recht muß dem stärkeren weichen", „das ältere Recht ist tunlichst zu schonen," „sind beide Rechte gleich stark, so muß ein gegenseitiges Nachgeben stattfinden". So E g e r , Ges. über d. Ent. S. 15ff. I m gleichen Sinne S e y d e l , Ges. über d. Ent. S. 16ff.; G l e i m , R. d. Eisenb. S. 145, 205f.; D a l c k e , Ges. über d. Ent. S. 36; B ä h r u . L a n g e r h a n s , Ges. über d. Ent. S. 12 Note 1. Allein das ist doch nur eine ganz willkürliche Aufbauschung der oben gezeichneten Rücksichtnahmen. Die Enteignung, einmal durchgeführt, hat kein anderes, vor allem kein widerstandsfähigeres Eigentum zur Folge als der freihändige Kauf. B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.

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Das öffentliche Sachenrecht.

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er sich nicht selbst enteignen kann. Nur gegen Untertanen geht die Enteignung und was ihnen gleichgestellt w i r d 3 2 . Damit ist nicht alles zu Ende; ein Unternehmen, das eines bestimmten Grundstückes bedarf, ist deshalb nicht schlechterdings unausführbar, weil dieses Grundstück eine öffentliche Sache ist. Es gibt die Möglichkeit, einem Grundstück diese Eigenschaft wieder zu entziehen. Das geschieht durch die i n gehöriger Weise vom Herrn der Sache oder von seinem Oberen vorgenommene E i n z i e h u n g (Aufhebung, Auflassung) der ö f f e n t l i c h e n Sache. Damit wird das Eigentum daran gewöhnliches Privateigentum des Fiskus und zugänglich auch der Enteignung 3 3 . 2. Die auf solche A r t der Enteignung zugänglichen Grundstücke werden nun durch den Ausspruch der Enteignungsbehörde so weit in Anspruch genommen, als das zugelassene Unternehmen ihrer b e d a r f . Das damit gegebene Maß bildet die Kechtsgrenze, innerhalb deren der Enteignungsausspruch sich zu halten hat. Kein Grundstück darf genommen werden, bei dem jene Voraussetzung nicht zutrifft, und auch von den so bezeichneten Grundstücken nur so viel, als danach erfordert wird. Wo diese Grenze läuft, das ist schließlich eine Frage des E r messens, welches der Enteignungsbehörde hier anheimgestellt wird. Dieses Ermessen ist aber nicht das freie der Verwaltungsverfügung, sondern das g e b u n d e n e der r i c h t e r l i c h e n Entscheidung, gleichstehend dem Ermessen, welches geübt wird bei Festsetzung des Schadens32

G r ü n h u t , Ent.R. S. 76ff.; L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 590ff.; F 1 e i η e r , Instit. S. 334; S c h e 1 c h e r , Sachs. Ent.Ges. S. 52 (die Bemerkung Note 78 daselbst: „eine g e s e t z l i c h e Erstreckung der Enteignung auf das öffentliche Eigentum sei für rechtlich möglich zu halten", kann ich nicht bestreiten; nur wird man zusehen müssen, ob das dann noch öffentliches Eigentum ist!). — I n diesem Sinne auch schon das französische Recht: d e L a l l e a u , Traité de l'exprop. I n. 182. 33 Vgl. unten § 36, I I I . Da solche Einziehung formlos vor sich geht, kann sie in jeder Art von Zustimmung des Eigentümers zu der Enteignung zum Ausdruck kommen: S e y d e 1, Ges. über d. Ent. S. 16 ff.; Sächs. Ent.Ges. v. 24. Juni 1902 § 7 Abs. 4. Sie entzieht sich deshalb leicht der Wahrnehmung der Autoren. Statt auf Entziehung des Eigentums kann ja die Enteignung auch gerichtet sein auf eine rechtliche Belastung für das öffentliche Unternehmen (vgl. unten Note 39). Die Zustimmung des Herrn der öffentlichen Sache wäre in diesem Fall keine Einziehung, sondern die Ermöglichung einer besonderen Benutzung. So kann nach Schweiz. Bd. Ges. v. 24. Juni 1902 öffentliches Eigentum „auf dem Expropriationsweg" für Starkstromleitungen in Anspruch genommen werden — jedoch nur „unter Wahrung der anderen Zwecke", was zum Ausdruck gebracht wird in einer „besonderen polizeilichen Bewilligung", die hier zu der Enteignung noch weiter erholt werden muß: Schw. Bd.Ges. v. 20. Mai 1908 (Eisenb.Entsch, X X V S. 163).

§ 33. Enteignungsverfahren.

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ersatzanspruches oder des zu gewährenden Unterhalts 3 4 . Der Unternehmer hat also gegenüber der Enteignungsbehörde ein subjektives Recht nicht bloß auf einen Ausspruch überhaupt, sondern auf einen Ausspruch, welcher m i t seinem Inhalt dieser Gebundenheit entspricht, ein Recht auf Begründung seines Eigentums an den Grundstücken, s o w e i t er i h r e r f ü r s e i n U n t e r n e h m e n b e d a r f . Gegenüber dieser Grundform der Bestimmung des Enteignungsgegenstandes ergeben sich nun Abweichungen und Besonderheiten in verschiedener Weise: — Das Gesetz kann für die Zwecke des zugelassenen Unternehmens die Enteignung von Grundstücken gestatten ü b e r dieses Maß hinaus: für die Beschaffung von Arbeits- und Lagerplätzen während des Baues, für Gewinnung von Baumaterial, für Herstellung von Anlagen, die zugunsten Dritter als Bedingung der Zulassung zur Enteignung auferlegt worden s i n d 3 5 . Wo ein besonderes Gesetz die Enteignung außerordentlicherweise verwenden läßt, nicht zum Dienste eines öffentlichen Unternehmens, wie es dem eigentlichen Sinne des Rechtsinstituts entspricht, sondern zur Abwehr von Schädlichkeiten, zur Gewinnung von Finanzmitteln für Straßendurchbrüche und dergleichen, da hat es Sorge, den Umfang, i n welchem das Grundeigentum so erfaßt werden kann, jedesmal eigens zu bestimmen und zu kennzeichnen 36 . — Behufs besserer L ö s u n g der E n t s c h ä d i g u n g s f r a g e pflegt den Beteiligten frei gestellt zu sein, der Enteignung eine größere Ausdehnung zu geben, als ihren reinen Grundsätzen entspricht. Das trifft solche Fälle, i n welchen das Unternehmen von einem bestimmten Grundstück nur einen T e i l i n Anspruch nähme. Hier kann der Enteignete die Ausdehnung der Enteignung auf das Ganze oder ein größeres Stück davon verlangen, falls sie, i n ihren natürlichen Grenzen durchgeführt, ein für seine Zwecke nicht wohl brauchbares Restgrundstück übrig ließe. So vor allem, wenn die Enteignung Gebäudeteile trifft oder ein Grundstück allzusehr zerstückelt. Die Minderwertigkeit des Übrigbleibenden würde ohnehin durch Entschädigung ausgeglichen werden müssen. Der Z w a n g z u r Ü b e r n a h m e des G a n z e n macht aber die Erledigung dieses Punktes einfacher und gründlicher zugleich. Der Zwang besteht darin, daß auf die berechtigterweise erhobene Forderung des Enteignungsgegners hin die Behörde 34

Vgl. Bd. I S. 98 f. und hier oben Note 9. I n dieser Hinsicht gibt Genaueres das Preuß. Ges. über d. Ent. § 23; ähnlich Säch. Ent. Ges. § 9. 36 Hier fehlte eben sonst das natürliche Maß. Vgl. oben Note 24 und 25. 2* 35

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Das öffentliche Sachenrecht.

n u r einen auf. das Ganze gestellten E n t e i g n u n g s a n t r a g des B e t r e i b e n d e n zusprechen darf, den gestellten u n d aufrechterhaltenen T e i l a n t r a g aber v o n selbst als auf das Ganze e r w e i t e r t anzusehen h a t 3 7 .

Manche Ge-

setze — sie b i l d e n die A u s n a h m e — h a b e n u m g e k e h r t a u c h d e m U n t e r nehmer gestattet, i n solchen F ä l l e n eine einfachere u n d

gerechtere

Regelung seiner E n t s c h ä d i g u n g s p f l i c h t herbeizuführen, i n d e m er freiw i l l i g den A n t r a g auf E n t e i g n u n g des Ganzen stellt, a u c h gegen den W i l l e n des E i g e n t ü m e r s 3 8 . — Das R e c h t der I n a n s p r u c h n a h m e des einzelnen G r u n d s t ü c k s k a n n aber n i c h t bloß r ä u m l i c h , sondern auch d e m I n h a l t nach begrenzt sein. E s ist möglich, daß es f ü r das B e d ü r f n i s des U n t e r n e h m e n s genügt, w e n n 37 G. M e y e r , R. d. Expropr. S. 283; L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 421 ff.; Preuß. Ges. über d. Ent. § 9; Sächs .Ent. Ges. § 13. Der Fall wird namentlich bei Enteignung von Gebäudeteilen wichtig: R.G. 3. April 1897 (Entsch. X X X I X S. 273). — Früher hat man den Vorgang gern als ein reines Gegenstück aufgefaßt zu der von dem Unternehmer bewirkten Enteignung, als eine „Zwangszueignung", die der andere Teil hier bewirkte. So v. R ο h 1 a η d, Enfc.R. S. 95; G r ü n h u t , Ent.R. S. 152; S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 257; S c h e 1 c h e r , Rechtsw. d. Ent. S. 65. Nach der oben vorgetragenen Auffassung ist es selbstverständlich, daß auch das Restgrundstück „im Wege der Enteignung" auf den Unternehmer übergeht und mit den dazu gehörigen Wirkungen. E g e r , Ges. über d. Ent. I S. 302 ff., gibt sich unnötigerweise viel Mühe, das jenen älteren Auffassungen gegenüber nachzuweisen, weil er selbst nicht zu voller Freiheit davon gelangt ist. Richtig L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 432; S c h e i c h e r , Sächs. Ent. Ges. S. 200 f. 88 Braunschw. Ges. v. 13. Sept. 1867 § 7; Sächs. Ent.Ges. § 13 Abs. 2. Über die Gründe dieser Maßregel vgl. S c h e i c h e r , Sächs. Ent.Ges. S. 95 f. Bei den Beratungen zum Preuß. Ges. über d. Ent. war eine gleiche Bestimmung in Frage; sie wurde jedoch vom Abgeordnetenhause abgelehnt: B ä h r u. L a n g e r h a n s , Ges. über d. Ent. S. 41 ; E g e r , Ges. über d. Ent. I S. 299 ff. Man nimmt an, der Unternehmer sei genügend geschützt durch das Ausdehnungsrecht des Eigentümers, der nun gewiß nicht mehr Entschädigung zugesprochen bekomme, als er infolge der Geltendmachung des Ausdehnungsrechts hätte erhalten können. Die Rechnung scheint mir etwas unsicher zu sein. — Dieses Recht der Ausdehnung der Enteignung kommt nicht nur vor, wenn es sich um eine körperliche Teilung des Grundstücks handelt, sondern ebenso auch bei dinglicher Belastung, so daß der Ausdehnungsberechtigte statt dieser die Vollenteignung wählen kann. Auch hier handelt es sich um Erleichterung der Entschädigungsfrage. So zugunsten des Eigentümers nach Pr. Ges. über d. Ent. § 9 (E g e r I S. 288 f.); Sächs. Ent.Ges. § 13 (S c h e 1 c h e r S. 199); ebenso im Falle „vorübergehender Beschränkungen" (die keine Enteignungen sind!) nach Pr. Ges. § 4. — Rayon-Ges. v. 21. Dez. 1871 § 41 knüpft dieses Ausdehnungsrecht sogar an die gesetzliche Rayonbeschränkung, und zwar zugunsten des Militärfiskus, der dadurch vor allzu hohen Entschädigungsansprüchen geschützt werden soll. Die alsdann durchzuführende Enteignung benützt im übrigen das gewöhnliche Verfahren.

§ 33. Enteignungsverfahren.

21

das Eigentum nicht gänzlich entzogen, sondern nur einer r e c h t l i c h e n B e l a s t u n g unterworfen wird. Dann sollte grundsätzlich nicht weitergegangen werden. Eine derartig beschränkte Enteignung ist aber i n Wirklichkeit nicht sehr gebräuchlich, auch soweit das Gesetz sie zuläßt. Man kann i m voraus meist gar nicht berechnen, wie weit der verbleibende Rest des ursprünglichen Eigentums dem sich entwickelnden Unternehmen noch störend werden k a n n 3 9 . Auf alle Fälle muß es sich um einen Eingriff i n das Grundeigentum handeln, der sich ausdrücken läßt als ein R e c h t des U n t e r n e h m e r s a n d e m b e t r o f f e n e n G r u n d s t ü c k , ein Recht, das i h m durch die vollzogene Enteignung begründet werden soll. Inwieweit das Grundeigentum für solche Rechte zugänglich ist, entscheidet das bürgerliche Recht. Nur für Rechte, die danach möglich sind, ist die Enteignung zu gebrauchen 40 . E r b b a u r e c h t e können so begründet werden i n dem Maße, wie das B.G.B, sie zuläßt. Desgleichen G r u n d d i e n s t b a r k e i t e n oder b e s c h r ä n k t e p e r s ö n l i c h e D i e n s t b a r k e i t e n ; eine nach bürgerlichem Rechte unmögliche Dienstbarkeit ist auch durch Enteignung nicht herstellbar. Hypothek, Grundschuld, Rentenschuld, Nießbrauch und Miteigentum kommen nicht in Betracht, weil sie nicht geeignet sind, das Grundstück dem öffentlichen Unternehmen in der erforderlichen Weise zur Verfügung zu stellen 4 1 . 3. Gegenstand der Enteignung kann auch statt des Grundstücks selb st, also des Eigentums daran, e i n a n d i e s e m b e r e i t s b e s t e h e n d e s b e s c h r ä n k t e s d i n g l i c h e s R e c h t sein. Dieses auf zweierlei Weise: — Das dingliche Recht, das einem Dritten zusteht, soll für das 39

L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 358ff.; G r ü n h u t , Ent.R. S. 74; S c h e i c h e r , Sächs. Ent.Ges. S. 181 ff.; Κ ο f f k a , Ges. über d. Ent. S. 30; E g e r , Ges. über d. Ent. I S. 38 f. 40 S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 355: „Gegenstand des Enteignungsanspruches ist der Erwerb des Eigentums oder eines sonstigen dinglichen Rechts an fremder unbeweglicher Sache". Daß der Ausdruck „Dienstbarkeiten' 4 im Bayr. Zw.Abtr.Ges. Art. I nur im Sinne z i v i l r e c h t l i c h e r Beschränkungen des Eigentums aufgefaßt werden darf, vgl. Η e n i e , Zwangs-Ent. S. 72; Bayr. V.G.H. v. 15. Dez. 1885 (Entsch. V I S. 241). 41 Öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen haben jeweils ihren eigenen Grund und ihre eigene Art. Vgl. unten § 40. Es ist unzulässig, unter Verwendung der allgemeinen Enteignungsgesetze solche auf anderem Wege oder in anderer Gestalt begründen zu wollen. Das ist nicht bloß die Wirkung des ergangenen Sondergesetzes, das sich seines Bereiches bemächtigt hätte (E g e r , Ges. über d. Ent. I S. 39 u. 458), sondern gilt auch ohne Sondergesetz. Die Enteignung ist nicht dafür gegeben.

22

Das ffentliche Sachenrecht.

Unternehmen beansprucht werden, um für dessen Zwecke Verwendung zu finden: statt auf die soeben erwähnte Weise eine Wegedienstbarkeit i n Form der Enteignung zu schaffen, w i r d d i e v o r h a n d e n e ge£ o m m e n . Das hat weiter nichts Besonderes. — Das dingliche Recht, das einem Dritten zusteht, soll u n t e r d r ü c k t werden, um das Unternehmen nicht i n der erforderlichen Verfügung über das Grundstück zu hemmen. Das kann nebenher die Folge der am Grundstück selbst durchgeführten Enteignung sein; vgl. unten § 34,1 n. 2. Es kann aber auch selbständig zum Gegenstand eines Enteignungsverfahrens gemacht werden, indem das Grundstück dem Eigentum nach dem Unternehmer auf andere Weise schon zur Verfügung steht und nur noch dieser Reinigung bedarf. Sachlich trifft ja auch der für die Enteignung wesentliche Zweck zu: zu bewirken, daß das Grundstück dem Unternehmen d i e n s t b a r gemacht werde (vgl. oben I I n. 2) ; aber das erreicht sie hier nicht auf dem gewöhnlichen Wege, m i t Hilfe des zu enteignenden Rechts, sondern durch seine einfache Verneinung 4 2 . § 34.

Fortsetzung; die Wirkungen der Enteignung. Die Enteignung hat zur Hauptwirkung den ihrem Wesen entsprechenden E i n g r i f f i n das f r e m d e R e c h t a m G r u n d s t ü c k . Dazu kommt als Rückwirkung der E n t s c h ä d i g u n g s a n s p r u c h des Betroffenen. Beides unterliegt nach eingeleitetem wie nach durchgeführtem Verfahren b e s o n d e r e n V e r f ü g u n g s r e c h t e n der B e t e i l i g t e n . I . Die Hauptwirkung der Enteignung wird darzustellen sein an dem wichtigsten und einfachsten Fall, wo es sich darum handelt, das Eigentum an dem Grundstück dem bisherigen Eigentümer g ä n z l i c h z u e n t z i e h e n zugunsten des öffentlichen Unternehmens und seines Herrn. Bloße Beschränkungen des Eigentums oder Unterdrückungen von daran bestehenden dinglichen Rechten regeln sich entsprechend. 1. Die Wirkung der Enteignung erscheint hier als Eigentümerwechsel, U n t e r g a n g des E i g e n t u m s bei dem bisherigen Eigentümer unter N e u b e g r ü n d u n g bei dem die Enteignung betreibenden Unternehmer. 42

E g e r , Ges. über d. Ent. I S. 102 ff.; S c h e l c h e r , Sächs. Ent.Ges. S. 49. - L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 567 ff., zieht hier noch allerlei zu beseitigende „dingliche Rechte" herein: Gebrauchsrechte an öffentlichen Sachen, Gewerberechte u. a. Das wird aber wohl alles als s e l b s t ä n d i g e r Gegenstand der Enteignung nicht in Betracht kommen.

23

§ 34. Wirktingen der Enteignung.

D i e ältere L e h r e w a r noch unzugänglich d e m Gedanken, daß e i n solcher Wechsel sich anders erklären k ö n n t e als v e r m i t t e l t d u r c h die gewohnten F o r m e n des Zivilrechts.

D i e herrschende Auffassung w a r

demgemäß, daß die E n t e i g n u n g n i c h t s anderes sei als ein Z w a n g s verkauf 1. Die Entwicklung

des öffentlichen

R e c h t s u n d insbesondere

nach u n d n a c h sich ausbildende Enteignungsgesetzgebung diese Auffassung u n m ö g l i c h .

Gegenüber d e m so geschaffenen

l i c h e n R e c h t w a r sie eine U n w a h r h e i t geworden. vom

Kauf

fanden

auf

wirk-

D e n n die Regeln

diesen sogenannten Zwangskauf

W i r k u n g e n offenbar keine A n w e n d u n g .

die

machten

und

seine

D i e Theorie suchte zunächst

andere Auswege, v o r a l l e m a u c h i n der A n n a h m e einer z i v i l r e c h t l i c h e n O b l i g a t i o n s u i g e n e r i s , aus der d a n n die p f l i c h t m ä ß i g e E i g e n t u m s übertragung fließe 2.

Schließlich fügte sie sich zögernd i n die Tatsache,

daß es sich hier u m die u n m i t t e l b a r e W i r k u n g eines

öffentlich-

r e c h t l i c h e n A k t e s der Staatsgewalt h a n d l e 3 . 1 I n diesem Lichte sieht die Enteignung A.L.R. I , 11 § 4: „Auch der Staat ist jemanden zum Verkauf seiner Sachen zu zwingen nur alsdann berechtigt, wenn es zum Wohl des gemeinen Wesens notwendig ist.4 4 Es wäre wunderlich, wenn man damals, auf der Höhe .des Polizeistaates, wo das öffentliche Recht kein Recht und der Staat als solcher eigentumsunfähig war, die Sache anders aufgefaßt hätte. Seitdem hat sich manches geändert in unseren Anschauungen ; insbesondere ist auch eine Verwaltungsrechtswissenschaft neben der alleinherrschenden Zivilrechtswissenschaft entstanden. Wo man aber dieser etwas fremd gegenübersteht, erweist sich immer noch in der Anhänglichkeit an den alten Zwangskauf die Kraft des Beharrungsvermögens. So namentlich bei den Kommentatoren des Preußischen Enteignungsgesetzes: L o e b e l l S. 23, D a l c k e S. 129, B ä h r u . L a n g e r h a n s S. 110, E g e r I S. 26 ff. Auch die Justiz behalf sich lange damit; E g e r a. a. 0 . S. 26, 31 u. 32 beruft sich noch auf eine „ständige Rechtsprechung" des Reichsgerichts. Das von ihm mit angeführte Urteil v. 2. Dez. 1884 (Entsch. X I I S. 405 f.) spricht allerdings für das Gegenteil, und R.G. 9. Juni 1905 (Entsch. L X S. 102 ff.) sagt sich in ausführlicher Begründung von dem veralteten Zwangskauf los, um der hier ausgesprochenen Anschauung beizutreten. 2 So G. M e y e r , R. d. Expropr. S. 184 ff. I n D. V.R. (1. Aufl.) I S. 269 hat er sich diesen Aufbau des Rechtsinstituts nur mehr vorbehalten für den Ausnahmefall, wo das Enteignungsgesetz den Enteigneten zu einer (eigentumbegründenden) Besitzübertragung verpflichte. I n den späteren Auflagen fällt auch das hinweg. Es gibt nämlich kein solches Gesetz. 3 Wichtig in diesem Sinne H. A. Z a c h a r i a e , St.R. I I S. 116 u. 128, wobei nur das alte jus eminens immer wieder dazwischenkommt; derselbe in Gött. Gel.Anz. 1861 I S. 113 ff. Mit durchschlagendem Erfolge, wenigstens soweit es die kritische Abweisung der alten zivilrechtlichen Theorien anlangt, L a b a η d im Arch. f. civil. Pr. L H S. 169. — Daß sich auch die Lehrbücher des Deutschen Privatrechts dieser Auffassung allmählich fügen, ist besonders

24

Das öffentliche Sachenrecht.

Die mangelnde Vertrautheit m i t öffentlich-rechtlichen Dingen führte zunächst noch zu allerlei Notbehelfen. Man nannte den Enteignungsausspruch eine lex s p e c i a l i s ; damit war wieder gar nichts erklärt, sondern nur dem Begriff des Gesetzes i n verständnisloser Weise Gewalt angetan 4 . Oder die Enteignung mußte sich als E r w e r b d u r c h Gesetz bezeichnen lassen 5 . Der Begriff des V e r w a l t u n g s a k t e s mußte sich erst ausbilden, um die volle Erklärung des rechtlichen Vorganges auf die einfachste und kürzeste Weise zu geben. Indem wir den Enteignungsausspruch als einen solchen auffassen, weisen wir ihn nicht i n allgemeiner unbestimmter Weise dem Gebiete der Verwaltung zu als einer Tätigkeitsäußerung derselben, als Verwaltungsmaßregel, Verwaltungshandlung. Als Verwaltungsakt ist er die bindende Bestimmung dessen, was für den Untertanen i n diesem Falle Rechtens sein soll (vgl. Bd. I S. 93). So gut der Verwaltungsakt Gehorsamspflichten und Befreiungen davon begründet, Zahlungspflichten auferlegt und Rechtsansprüche gewährt, kann er auch Eigentum dem einen entziehen, um es für einen anderen entstehen zu lassen. Tut er dieses dem Untertanen gegenüber zugunsten eines öffentlichen Unternehmens, so ist er das Wirkende in der Enteignung 6 . anerkennenswert: sie berauben sich dadurch ja eigentlich der Zuständigkeit zur Behandlung dieses Rechtsinstituts, auf die sie gleichwohl nicht verzichten wollen. Vgl. R o t h , D. Pr.R. I I S. 256; Β e s e l e r , D. Pr.R. Aufl. v. 1885 I S. 382 Note 5; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 470. Umgekehrt allerdings G e r b e r , D. Pr.R. Aufl. v. 1886 S. 321 Note 1: nachdem er früher die Expropriation als einseitigen Akt aufgefaßt, habe er sich jetzt überzeugt, „daß allein die Auffassung als eines Zwangskaufs berechtigt ist". 4

H. A. Z a c h a r i a e in Gött. Gel.Anz. 1861 I S. 119; G r u c h o t in Beitr. zur Erl. d. Preuß. R. I X S. 83: „Die Expropriation vollzieht sich schon mit dem staatsrechtlichen Akt der Enteignung, also mit der wirklichen Durchführung der gegebenen lex specialis." Die Expropriation, die sich durch die Enteignung vollzieht, ist zugleich wieder ein guter Beweis für die Nützlichkeit der Fremdwörter. 5 L a b a n d im Arch. f. civ. Pr. L H S. 178; G r ü n h u t , Ent.R. S. 183. I m Gegensatz zu der Lehre von der lex specialis wird hier ein R e c h t s s a t z (Gesetz im mat. S.) verlangt. Darauf käme wohl auch L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 597 ff. hinaus. Nach ihm vollzöge sich die Enteignung durch „eine Art Okkupation"; erst durch die Entschädigungsleistung „ist die Okkupation vollzogen" (S. 604). 6 G. M e y e r , Verw.R. (1893) I S. 286: „Rechtsbegründender Verwaltungsakt" — wobei nur unnötigerweise zweierlei, erst ein verpflichtender und dann ein dinglich wirkender rechtsbegründender Verwaltungsakt verlangt wird. P r a z a k , R. d. Ent. S. 48: „Staatsakt"; v. R o h l a n d , Ent.R. S. 37: „eine Verwaltungsmaßregel, eine Verfügung"; S c h e i c h er, Rechtswirkungen d.

§ 34. W i r k n g e n der Enteignung.

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2. Die Wirkung des Enteignungsausspruches, vermöge deren er das Eigentum entzieht, kann man sich wieder auf zweierlei Weise vorstellen. Entweder das Eigentum geht durch die Kraft des Enteignungsausspruches von ihm über auf den Unternehmer. Oder solches begründet sich hier unmittelbar für den Unternehmer; daß der bisherige Eigentümer sein Eigentum verliert, ist nur die Folge davon; es wird erdrückt durch die eigentumschaffende Kraft der Enteignung. Beides kann als d i n g l i c h e Wirkung gemeint sein. Aber die erstere Auffassung ist nichts anderes als ein Rest der alten Idee des Zwangsverkaufs. Sie bedeutet einen a b g e l e i t e t e n Erwerb, der als solcher bedingt wäre von dem Nachweis des Eigentums dessen, gegen welchen die Enteignung gerichtet, von welchem demgemäß durch sie Eigentum erworben worden sein soll 7 . Unser jetziges Enteignungsinstitut dagegen bedeutet einen selbständigen u r s p r ü n g l i c h e n Erwerb. Deshalb ist seine Wirkung unabhängig von einer freiwilligen oder gezwungenen Beteiligung des bisherigen Eigentümers. Das Gesetz schreibt wohl vor, daß das V e r f a h r e n den r i c h t i g e n Eigentümer des beanspruchten Grundstücks bezeichnen und auf diesen eingestellt sein soll. Geht es gleichwohl fehl und trifft den unrichtigen Mann, so ist der endgültig erlassene Enteignungsausspruch dennoch gültig und vollwirksam. Also geht, auch wenn man den richtigen Eigentümer gefaßt hat, das Eigentum nicht über, sondern wird bei dem einen zerstört, bei dem anderen neu begründet 8 . Ent. S. 16: „ein öffentlichrechtlicher Akt"; F l e i n e r , Instit. S. 295: „eine Verfügung der zuständigen Staatsbehörde"; Κ o r m a n n , Rechtsgeschäft. Staatsakt S. 112: „eine sachenrechtliche Verfügung"; K o f f k a , Ges. über d. Ent. S. 296: „staatlicher Verwaltungsakt". 7 Der Zusammenhang mit der alten Lehre kann in der Weise betont werden, daß man zunächst einen öffentlichrechtlichen Enteignungsanspruch entstehen läßt, der seinerseits „ e i n p e r s ö n l i c h e r , o b l i g a t o r i s c h e r ist" und aus dem dann der Vollzug das dingliche Recht macht ( S e y d e l , Bayr. St.R. I I I S. 628; E g e r , Ent. Ges. I I S. 503 f.; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 496 ff.). 8 Vgl. oben § 33 Note 28. G r ü n h u t , Ent.R. S. 180: „Die Übertragung des Eigentums findet bei der Enteignung in einer absoluten Weise statt." Ähnlich v. R o h l a n d , Ent.R. S. 32; L a b a n d im Arch. f. civ. Pr. L H S. 174; P r a z a k , R. d. Ent. S. 48 („originäre Erwerbsart"); S c h e i c h e r , Rechtswirkungen S. 71 („Eigentumserwerb auf Seiten des Unternehmers nicht derivativer, sondern originärer Natur"); d e r s e l b e , Sächs. Ent.Ges. S. 23ff.; F l e i n e r , Instit. S. 291; Κ or m a n n , Rechtsgeschäft!. Staatsakt S. 112. — R.G. v. 9. Juni 1905 (Entsch. L X I S. 106): Der Akt „begründet für den Unternehmer vollständig neues, selbständiges, ursprüngliches Eigentum". Pr. Kam. Ger. 14. März 1904 (Eisenb.rechtl. Entsch. X X I I S. 5): Die Enteignung wirkt „absolut".

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Das öffentliche Sachenrecht.

I n der gleichen Weise t i l g t die ausgesprochene Enteignung auch alle an dem Grundstück haftenden s o n s t i g e n R e c h t e . Sie stellt es dem Unternehmen zur Verfügung frei von allen hindernden Belastungen 9 . Es ist ein und derselbe Grundgedanke, der nach allen Seiten hin zur Wirkung kommt. 3. Das Eigentum, welches für den Unternehmer so begründet wird, erweist sich regelmäßig als zivilrechtlicher Natur. Man bringt diese Beobachtung i n der Formel zum Ausdruck: die Enteignung sei e i n öffentlichrechtliches Rechtsinstitut mit zivilrechtlicher Wirkung10. Gemeint ist damit zumeist, daß die Enteignung am Ende doch kein so ganz reines Öffentlichrechtliches Rechtsinstitut wäre, sondern eher den „gemischten Rechtsinstituten" sich anschlösse 11 . Zugleich nimmt, wie von jeher die Darstellung des deutschen Privatrechts, so jetzt noch die des Landesprivatrechts diese Formel zum willkommenen Anlaß, ihren etwas dürftig gewordenen Stoff durch unser ganzes schönes Rechtsinstitut zu bereichern 12 . Demgegenüber ist es wichtig, den obigen Satz auf sein rechtes Maß zurückzuführen. Was ist E i g e n t u m ? W i r sagen: die auf das Volle gehende rechtliche Herrschaft über eine körperliche Sache. Diese Herrschaft kann geregelt sein durch die Ordnungen des Zivilrechts; dann haben wir z i v i l r e c h t l i c h e s Eigentum. Sie kann aber auch geregelt sein durch öffentliches Recht; dann erscheint das, was wir ö f f e n t l i c h e s Eigent u m nennen und nun alsbald genauer darstellen werden (vgl. unten §§ 35 u. 36). Ob das eine oder das andere zutrifft, das hängt davon ab, ob ein Träger öffentlicher Verwaltung Herr der Sache ist und dabei nicht als „gewöhnlicher Privatmann" (Fiskus) auftritt, sondern seine richtige Natur durch Kennzeichen der öffentlichen Gewalt bewährt. 9 Sachs. Ent. Ges. § 72; Pr. Ent.Ges. § 45. E g e r , Ent.Ges. I I S. 509, will das darauf zurückführen, daß „die zu dem Unternehmen erforderlichen Grundstücke aus dem Privatverkehr treten, res extra commercium werden". Es handelt sich aber hier um eine einmalige Wirkung, nicht um einen dauernden Rechtszustand der Sache. 10 v. R ο h 1 a η d , Ent.R. S. 33; L a b a η d im Arch. f. civ. Pr. L H S. 182; Württ. Ob.Trib. 21. Febr. 1872 (Seuff. Arch. X X V I I I η. 247); R.G. 2. Dez. 1884 (Entsch. X I I S. 406). 11 So G i e r k e , D. Pr.R. I S. 32, unter dem Gesichtspunkt einer „Beschränkung des Privatrechts durch staatliche Machtmittel"; I I S. 472 wird dann noch die Idee des gemischten Rechtsinstituts hinzugefügt („Verbindung öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher Bestandteile"). 12 Vgl. oben Bd. I S. 118.

§ 34. W i r k n g e n der Enteignung.

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Wie er das macht, das werden wir ja noch zu untersuchen haben 1 3 . Für das Rechtsinstitut des Erwerbsaktes genügt es zu wissen, daß einfach E i g e n t u m begründet ist; damit ist es abgeschlossen; die Würdigung des Zuständlichen, das sich daran knüpfen wird, ist eine cura posterior. Von der Enteignung insbesondere können wir ja sagen, daß das Eigentum, das sie begründet, nachher meist als zivilrechtliches sich darstellen wird; es kann aber auch öffentliches sein. Die Enteignung selber wird durch diesen Unterschied nicht weiter berührt. Für sich betrachtet bleibt sie öffentlichrechtlicher Natur bis zu Ende. 4, Die Wirkung, auf welche die Enteignung ihrem Wesen nach gerichtet ist, besteht i n der Begründung des Eigentums für den Unternehmer, und der Enteignungsausspruch, durch welchen diese Wirkung erzielt wird, ist ein obrigkeitlicher Ausspruch, der für den Einzelfall bestimmt, was Rechtens sein soll, ein Yerwaltungsakt. Danach richtet sich auch der Z e i t p u n k t , in welchem ordentlicherweise diese Wirkung einzutreten hat : der Yerwaltungsakt wirkt m i t der gehörigen Kundgabe an die Beteiligten, mit seiner Eröffnung (Bd. I S. 94). Als beteiligt kommt i n erster Linie der i n Betracht, gegen welchen als den Eigentümer des i n Frage stehenden Grundstücks das Verfahren gerichtet war und über den der Enteignungsausspruch ergeht. Das Gesetz kann weitere Eröffnungen und Kundmachungen vorschreiben ünd zur Bedingung der Wirksamkeit machen 1 4 . Mit der gehörigen Kundgabe gelangt das öffentliche Rechtsgeschäft zu seiner V o l l e n d u n g ( P e r f e k t i o n ) 1 5 . 13

G. Μ e y e r , Eigentumserw. bei der Ent. S. 113, und G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 471 Note 27, sagen mir nach, ich spräche dem enteignenden Staate stets „eine umfassende öffentlichrechtliche Herrschaft" zu, also öffentliches Eigentum. Das tue ich aber nicht. Das tut G r ü η h u t , Ent.R. S. 3 u. 76; ihm nachfolgend auch L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 610. Ich habe dem schon in der ersten Auflage widersprochen ( I I S. 13 Note 18). Ich sage: Die Enteignung bewirkt volle rechtliche Herrschaft über die Sache, Eigentum. Dieses wird meist fortan nach Zivilrecht zu beurteüen, also zivilrechtliches Eigentum sein. Es kann aber auch sofort nach öffentlichen Rechten sich regeln; dann ist es eben kein zivilrechtliches Eigentum. Andere Mißverständnisse zu diesem Punkte bei G. Μ e y e r a. a. Ο. S. 113; S p i e g e l , Verw.R.Wiss. S. 159. 14 Sächs. Ent. Ges. § 71: „Mit der Eröffnung der Enteignungserklärung an denjenigen, dem dadurch Grundeigentum entzogen wird, tritt die Rechtsänderung ein." Pr. Ent.Ges. § 44 Abs. 1: „Mit Zustellung des Enteignungsbeschlusses an Eigentümer und Unternehmer geht das Eigentum auf den Unternehmer über." Bei Zeitverschiedenheit gilt hier die zuletzt erfolgte Zustellung (Abs. 2). 15 Für die alte Lehre, welche in der Enteignung einen Zwangskauf sieht, gestaltet sich die Perfektion anders. Sie kann eine Perfektion für die ο b 1 i g a -

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Das ö e t l i c h e Sachenrecht. E s ist n i c h t ausgeschlossen, daß schon m i t der E i n l e i t u n g des V e r -

fahrens oder i m L a u f e desselben d u r c h Gesetz oder besondere behördliche A n o r d n u n g R e c h t s w i r k u n g e n eintreten.

Das k a n n

namentlich

geschehen, u m d e n E r f o l g der E n t e i g n u n g u n d die b i l l i g e Berechnung u n d p r o m p t e L e i s t u n g der sich d a r a n k n ü p f e n d e n E n t s c h ä d i g u n g z u sichern.

Das s i n d N e b e n w i r k u n g e n , welche d e n S c h w e r p u n k t des

R e c h t s i n s t i t u t s n i c h t verlegen

lf

\

U n t e r U m s t ä n d e n schiebt aber das Gesetz d e n E i n t r i t t jener eigentl i c h e n W i r k u n g selbst hinaus bis z u r E r f ü l l u n g einer besonderen B e d i n g u n g , bis z u r E r l e d i g u n g der Entschädigungsfrage n ä m l i c h ; d a v o n u n t e n I I n. 2. D a n n ist allerdings a u c h die V o l l e n d u n g der E n t e i g n u n g so lange noch n i c h t eingetreten. D i e M ö g l i c h k e i t einer A n f e c h t u n g des Enteignungsausspruches u n d seiner W i e d e r a u f h e b u n g t u t a n sich der V o l l e n d u n g k e i n e n E i n t r a g . D i e A u f h e b u n g i n diesem Verfahren bedeutet aber d a n n gegebenenfalls eine Beseitigung m i t r ü c k w i r k e n d e r

Kraft 17.

t o r i s c h e W i r k u n g (Zustandekommen des erzwungenen Kaufvertrags) und eine solche für die d i n g l i c h e W i r k u n g (Eiegntumsübertragung zur Erfüllung des Kaufvertrags) unterscheiden. Dabei liegt für sie der Schwerpunkt naturgemäß auf dem Zustandekommen des obligatorischen Verhältnisses, des Kaufs, demgegenüber die Eigentumsübertragung nur einen Vollzug bedeutet. Der eigentliche Perfektionspunkt würde sich also wesentlich verschieben. So Η ä b e r 1 i η im Arch. f. civ. Pr. X X X I X S. 203; G r u c h o t i n Beitr. z. Erl. d. Preuß. R. I X S. 85; L o e b e l l , Preuß. Ent.Ges. S. 188; G. M e y e r D o c h o w , V.R. I S. 236; G l e i m in Arch. f. Eisenbahnwesen V I I I S. 45; E g e r , Ent.Ges. I I S. 472 u. 503; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 406; R.G. 17. März 1891 (Entsch. X X V I I S. 265), 23. Okt. 1908 (Entsch. L X I X S. 348). Das beruht lediglich auf einer zivilistischen Zwangsvorstellung. 16

Von solchen Nebenwirkungen des vorausgehenden Verfahrens kommt vor allem in Betracht das Recht des Unternehmers, an den in Aussicht genommenen Grundstücken die nötigen Vorarbeiten auszuführen, um seine genaueren Pläne aufstellen zu können (Pr. Ent.Ges. § 5; Sächs. Ent.Ges. § 14; Bad. Ent.Ges. § 4; Hess. Ent.Ges. Art. 3; Württ. Ent.Ges. Art. 6. Vgl. auch unten § 41 Note 15). Sodann die dem Unternehmer zu gewährende v o r l ä u f i g e B e s i t z e i n w e i s u n g (unten n. 6), V e r f ü g u n g s b e s c h r ä n k u n g e n des Eigentümers (Bayr. Ent.Ges. Art. X I I u. X V I ) , Ä n d e r u n g s - u n d B e n u t z u n g s v e r b o t e an diesen (Sächs. Ent.Ges. § 27; Bayr. Ent.Ges. Art. X I I ; Hess. Ent.Ges. Art. 9). Auf der anderen Seite kann dem Untrenehmer für beschleunigtes Verfahren oder für Einleitung des Verfahrens überhaupt S i c h e r h e i t s l e i s t u n g zugunsten seines Gegners auferlegt werden (Pr. Ent.Ges. § 34; Sächs. Ent.Ges. § 6). 17 Wo das Gesetz über eine Anfechtung und Zurücknahme nichts bestimmt, versteht sich die Möglichkeit einer Wiederaufhebung des Enteignungsausspruches nicht von selbst. S e y d e 1, Pr. Ent.Ges. S. 242, begründet das mit der Rechtskraft dieses Ausspruches. Allein von Rechtskraft ist hier keine Rede. E g e r ,

§ 34. Wirkungen der Enteignung.

29

5. Die Eigentumsbegründung durch den öffentlichrechtlichen Enteignungsausspruch ist nicht bedingt durch E i n t r a g u n g i n das G r u n d b u c h . Wenn das Gesetz der Enteignungsbehörde vorschreibt, die Eintragung von Amts wegen zu veranlassen, so ist das eine bloße Ordnungsmaßregel 18 . Zugleich ist die Eintragung für den Unternehmer geboten zur Sicherheit seines durch die Enteignung erworbenen Rechts an der Sache gegen künftige Gefährdung. Dieses Recht kann öffentlichrechtliche Natur annehmen, sofort oder nachträglich. Dann ist es den Zufällen des Privatrechtsverkehrs entzogen; vgl. unten § 36, I I n. 2. Soweit das aber n i c h t der Fall ist, unterliegt auch das so erworbene Eigentum den Regeln des bürgerlichen Rechts und kann nach diesen wegen mangelnder Eintragung i n das Grundbuch verlorengehen: — Es kann e i n D r i t t e r i m Vertrauen auf den noch fortbestehenden Grundbucheintrag von dem bisherigen Eigentümer Rechte erwerben und eintragen lassen; da weicht alsdann das durch die Enteignung erworbene, nicht eingetragene R e c h t 1 9 . — Es kann der Enteignete und sein Rechtsnachfolger auf Grund des fortbestehenden Grundbucheintrags, sofern ihnen trotz der Enteignimg der Besitz nicht entzogen worden ist, das Eigentum z u r ü c k ersitzen20. Pr. Ent. Ges. I I S. 356, erklärt eine Aufhebung für unzulässig, weil „das enteignete Grundstück durch den Enteignungsbeschluß res extra commercium wird". Allein auch von res extra commercium ist hier keine Rede. Der Rechtsweg ist vielmehr ausgeschlossen, weil die Rückgängigmachung eines Verwaltungsaktes keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit ist. Die Verwaltungsbehörden aber sind gebunden durch das entstandene Eigentum, in welches einzugreifen durch Zurücknahme seines Begründungsaktes sie eines besonderen Rechtsgrundes bedürften. Von solcher Gebundenheit würden sie sich nur befreien können durch die Feststellung einer rechtswidrigen Entstehung des begründenden Verwaltungsaktes nach den gleichen Regeln, nach welchen auch die bindend gewordene Polizeierlaubnis zurückgenommen werden kann. Vgl. oben Bd. I S. 22, I V n. 2. 18

S c h e i c h e r im Wörterb. d. St. u. V.R. I S. 722. — Nach Pr. Ent.Ges. § 33 hat die Enteignungsbehörde gleichzeitig mit der Enteignungserklärung um die Eintragung zu ersuchen, obwohl erst mit deren Zustellung der EigentumsWechsel sich vollzieht (§ 44). Das hat man absichtlich so vorgeschrieben, damit die Eintragung ja nicht vergessen wird ( E g e r , Ent. Ges. I I S. 366 ff.). — S c h e i c h e r , Sächs. Ent.Ges. S. 26, bemerkt gegen mich: „Erwirbt der Unternehmer Eigentum ohne Eintrag, so kann er es auch ohne Eintrag geltend machen." Das ist auch meine Meinung. 19 Nach S c h e i c h e r , Sächs. Ent.Ges. S. 27, würde das so erworbene Eigentum auf alle Zeit gegen die Gefahren des Grundbuches gefeit sein. Ob das Landesgesetz das zu bestimmen vermag, kann bezweifelt werden. 20 B.G.B. § 900 Abs. 1 (Tabularersitzung).

30

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

6. Die wirksam gewordene Enteignung, die das Eigentum des Unternehmers begründet, erzeugt eben dadurch für diesen auch einen Anspruch auf den B e s i t z des enteigneten Grundstücks. Dieser Anspruch erscheint aber zunächst, entsprechend der Natur des Rechtsinstituts, in öffentlichrechtlicher Form als eine Verwaltungsanordnung,, daß dem Unternehmer der Besitz eingeräumt werden solle. Das ist die von der Enteignungsbehörde auszusprechende B e s i t z e i n w e i s u n g . Sie setzt sich erforderlichenfalls durch i n den Formen des V e r w a l t u n g s z w a n g s — so sehr ist die Enteignung bis zuletzt öffentlichrechtlicher Natur21. I I . Durch die Enteignung wird dann auf der anderen Seite ein E n t s c h ä d i g u n g s a n s p r u c h begründet zugunsten des von dem Nachteil der Enteignung Betroffenen. Dieser Anspruch beruht unmittelbar auf Gesetz und knüpft sich kraft dessen Vorschrift von selbst an die ausgesprochene Enteignung als eine Rechtsfolge davon 2 2 . Die Enteignungsentschädigung ist nichts anderes als die besondere Anwendung, allerdings zugleich auch die hervorragendste, eines a l l g e m e i n e r e n B i l l i g k e i t s g r u n d s a t z e s , wonach der einzelne, dem zugunsten der öffentlichen Verwaltung ein besonderes Opfer zugemutet werden mußte, von dieser Verwaltung einen Ausgleich in Geld erhalten soll. Darüber unten § 53. Die Regeln für die Gewährung dieser Entschädigung haben aber bei der Enteignung eine besonders scharfe Ausprägung erhalten. 1. Für die H ö h e der E n t s c h ä d i g u n g gibt keinen Maßstab der K a u f p r e i s , den der Enteignete vernünftigerweise hätte fordern können, und ebensowenig der S c h a d e n s e r s a t z a n s p r u c h eines i n seinen Rechten Verletzten. Sie bezweckt lediglich den Ausgleich des 21 Sachs. Ent.Ges. §§ 49 u. 79; Pr. Ent.Ges. § 32 Abs. 2. Über „die zwangsweise Einsetzung in den Besitz": E g e r , Ent.Ges. I I S. 364. Wenn dort gesagt wird, kraft der Einweisung besitze fortan der Enteignete für den Unternehmer als mittelbaren Besitzer nach B.G.B. § 868, so scheint mir das nicht zutreffend zu sein. Am bestehenden Besitze selbst wird durch die Einweisung gar nichts geändert; er kann nur von jetzt ab durch Verwaltungszwang zerstört werden. 22 L a b a n d in Arch. f. civ. Pr. L H S. 182: „Logisch ist die Enteignung das Frühere, die Verpflichtung zur Schadloshaltung erst die Konsequenz davon." Dagegen wendet sich, vom Standpunkte einer anderen Auffassung der Enteignung aus, G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 471 Note 24. Nach ihm soll die Entschädigung mit dem inneren Wesen der Enteignung selbst verschmolzen sein: sie ist nichts anderes als Zwangsumwandlung einer Sache in Geld. Der Vater dieser Idee ist wieder L. S t e i n , Verw.Lehre V I I S. 298: Die S a c h e wird genommen, aber der W e r t nicht, und daß dem Enteigneten der Wert verbleibt, findet in der Entschädigung seinen Ausdruck.

§ 34. Wirkungen der Enteignung.

31

Nachteils, der dem Enteigneten durch die Inanspruchnahme seines Grundstücks für die öffentliche Verwaltung entstand, beschränkt sich demnach auf die Berücksichtigung der i n d i e s e m G r u n d s t ü c k e verkörperten Vermögens v o r t e i l e 2 3 . Bei T e i l e n t e i g n u n g e n bildet einen besonderen Entschädigungsposten der M i n d e r w e r t des R e s t g r u n d s t ü c k s . Störende Einwirkungen des Unternehmens, die n i c h t erst durch die dem Grundstück widerfahrene Enteignung vermittelt sind, können auch noch Entschädigungsansprüche begründen. Aber das ist dann eine Sache für s i c h 2 4 . Umgekehrt können auch W e r t s t e i g e r u n g e n , die der verbleibende Teil des Grundstücks dem enteignenden Unternehmen selbst verdankt, auf die Entschädigungssumme nicht i n Gegenrechnung und Abzug gebracht werden 2 5 . 2. Die F e s t s e t z u n g d e r E n t s c h ä d i g u n g , d. h. die obrigkeitliche Entscheidung über die von dem Unternehmer dem Enteigneten zum Ausgleich des ihm zugefügten Nachteils zu zahlende Summe bedeutet keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit 2 6 . Die Heranziehung der ordentlichen Gerichte kann gleichwohl hier sehr zweckmäßig erscheinen und ist i n großem Umfange geschehen, zumeist i n der Weise, daß die Enteignungsbehörde die Entschädigung festsetzt m i t Vorbehalt des ordentlichen Rechtswegs für beide Beteiligte 2 7 . Das Verfahren würde sich naturgemäß so abwickeln, daß zunächst die Enteignung ausgesprochen wird, woran sich die Besitzeinweisung schließt; m i t ersterem schon entsteht der Entschädigungsanspruch, und der ist nun festzusetzen. Allein die folgerichtige Abwicklung wird hier durchkreuzt, indem die Gesetze zugunsten des Enteigneten besondere Schutzvorkehrungen treffen wollten und zu diesem Zwecke H e m m u n g e n eingeschaltet sind i n das Verfahren. Den Ausgangspunkt bildet der Art. 47 der Erklärung der Menschen23

E g e r , Ent. Ges. I S. 119 ff.: Der „objektive Maßstab" soll entscheiden (S. 119), der „objektive Wert" (S. 121) ersetzt werden. 24 R.G. 17. Juni 1884 (Entsch. X I I I S. 254); R.G. 17. Juni 1884, (Entsch. X I I I S. 246); 6. Okt. 1899, (Entsch. X L I V S. 334). 25 Ein vielumstrittener Punkt: S c h e i c h e r , Rechtswirkungen S. 415ff.; O e r t m a n n , Vorteilsausgleichung S. 453 ff.; E g e r , Ent. Ges. I S. 264 ff. 2e Anders nach R.G. 9. Nov. 1915 (Jur. Wochenschrift 1916 S. 32). Vgl. oben Bd. I S. 173 f. 27 Pr. Ent.Ges. §§ 24 u. 30; Bayr. Ent.Ges. Art. 20 u. 21; Sächs. Ent.Ges. §§ 32 u. 33; Württ. Ent. Ges. Art. 36 u. 37; Bad. Ent. Ges. § 36 u. 45; R.Verf. 153 Abs. 2.

32

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

rechte vom 26. August 1789. Danach darf die Enteignung nur geschehen unter der Bedingung v o r g ä n g i g e r Entschädigung. Mißtrauen i n die Zahlungsfähigkeit des Unternehmers und, wenn es der Staat selbst ist, gegen welchen ja die Zwangsvollstreckung versagt, i n den guten Willen der Verwaltungsbehörden, welche die Zahlung zu besorgen haben, sprechen aus dieser Vorschrift. Die deutschen Verfassungen haben sie nachgeahmt 28 . Auf diese Weise wird ein Druck auf den Unternehmer ausgeübt: sein eigener Vorteil verbietet ihm, die Entschädigungsfrage hinauszuziehen, da er das Grundstück nicht zu seiner Verfügung bekommt, bevor sie erledigt ist. Die Enteignungsgesetze zeigen aber verschiedene Arten der Ausführung jenes leitenden Gedankens: die Hemmung kann in dem Verfahren bald früher, bald später einsetzen, um den Erfolg zu erreichen 29 . 3. Die Durchführung des öffentlichen Unternehmens, das der Enteignung bedarf, kann durch die zu beobachtenden Formen des Verfahrens einen erheblichen Aufschub erleiden. Namentlich wird das fühlbar, sofern das Grundstück erst nach Erledigung auch der Entschädigungsfrage dem Unternehmer zur Verfügung gestellt wird, um m i t den Arbeiten daran zu beginnen. U m einer daraus entspringenden Schädigung des öffentlichen Wohles vorzubeugen, gestatten die Gesetze ein D r i n g l i c h k e i t s v e r f a h r e n , behufs v o r l ä u f i g e r B e s i t z e i n w e i s u n g oder auch behufs s o f o r t i g e r E n t e i g n u n g . Die Enteignungsbehörde erläßt auf Antrag des Unternehmers die grundlegende Anordnung 3 0 . I I I . Das Enteignungsverfahren ist wesentlich ein Handeln der staatlichen Behörde und ihr Wille erzeugt die Wirkungen, auf die es dabei abgesehen ist. Die B e t e i l i g t e n , der Unternehmer und sein Gegner, begleiten das Verfahren mit ihren Angriffen und Verteidigungen und tragen damit bei zu seinem Erfolg. Sie sind keine Parteien i m Sinne des Prozeßrechts. Aber ihre sachliche Beteiligung gibt ihnen eine V e r f ü g u n g s m a c h t , die auch auf das Verfahren und seine Wirkungen von Einfluß wird. 28 Pr. Verf. Art. 9; Bayr. Verf. Tit. I V § 8; Sächs. Verf. § 31 (etwas ab geschwächt); Württ. Verf. § 30; Bad. Verf. § 14 Abs. 4. 29 Von dieser dem französischen Rechte eigentümlichen Verhätschelung des Eigentümers scheint man aber bei uns doch jetzt abzukommen. Wenigstens dem Staat und der Gemeinde gegenüber läßt der Sächs. Ent.Ges. von 1902 § 50 nur noch die Forderung der vorgängigen F e s t s t e l l u n g der Entschädigung übrig. 30 Vorbildlich Franz. Ges. v. 3. Mai 1841 Art. 53. Bayr. Ent.Ges. Art. 22; Pr. Ent.Ges. § 34; Bad. Ent.Ges. § 52; Württ. Ent.Ges. Art, 58 Abs. 4; Sächs. Ent.Ges. § 70.

§ 34. Wirkungen der Enteignung. 1.

Die

Beteiligten

können

das V e r f a h r e n

33

überflüssig

machen,

i n d e m sie sich v o r s e i n e r E i n l e i t u n g über die freiwillige A b t r e t u n g verständigen.

Das n i m m t d a n n die F o r m eines gewöhnlichen z i v i l -

r e c h t l i c h e n Rechtsgeschäfts an, ordentlicherweise die einer E i g e n t u m s übertragung auf Grund

Kaufvertrags.

Das gleiche k a n n a u c h n a c h eingeleitetem Enteignungsverfahren n o c h geschehen, w o es d a n n eine besondere B e d e u t u n g h a t 3 1 .

Dann

b e h ä l t n ä m l i c h der V e r t r a g seine allgemeine R e c h t s n a t u r , h a t aber zugleich

die

Wirkung,

jenes Verfahren

seitigen, u n d zieht zugleich aus diesem,

abzubrechen

und

soweit die Gesetze

zu

be-

solches

vorsehen, gewisse rechtliche Besonderheiten. D e n n er k a n n angesehen werden als eine zweckmäßige E r l e d i g u n g der Sache, die

begünstigt

werden s o l l 3 2 . Z u d e m E n d e werden der V e r e i n b a r u n g gewisse E r l e i c h t e r u n g e n bezüglich der F o r m d e s A b s c h l u s s e s g e w ä h r t , i n d e m n a m e n t l i c h d i e B e u r k u n d u n g d u r c h die Enteignungsbehörde oder i h r e n V e r t r e t e r d a s sonst v o m bürgerlichen R e c h t dafür Vorgeschriebene e r s e t z t 3 3 . V o r a l l e m aber d a r f der U n t e r n e h m e r , w e n n er sich auf diese A r t 31

Das mindeste, was dafür vorauszusetzen ist, wird die erfolgte Feststellung des Enteignungsfalles sein (oben § 33, I I ) . 32 Das sind die eigentlichen sogenannten E x p r o p r i a t i o n s v e r t r ä g e . Darüber im allgemeinen: S c h e i c h e r , Rechtswirkungen S. 55ff.; O. F i s c h e r , Expropriations Verträge S. 34 ff. — S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S.353f. u. 358, findet, es handle sich um eine „rechtliche Notwendigkeit", der sich der Abtretende „unterwirft", und eben deshalb „kann man von keinem Vertrage, also auch von keinem Kaufe sprechen". Dieselbe Auffassung von unserem Rechtsvorgang läßt sich auch an das angeblich durch die Anerkennung des Enteignungsfalles entstehende, das „verliehene" Enteignungsrecht, also an einen späteren Punkt knüpfen: L a b a η d in Arch. f. civ. Pr. L H S. 172; G r ü n h u t , Ent.R. S. 185ff.; v. R o h l a n d , Ent.R. S. 36; S c h e i c h e r , Rechtswirkungen S. 23 u. 31. Der Eigentümer, sagt man: „verkauft nicht sein Grundstück, sondern er läßt es sich nehmen". Allein dieses „Sichnehmenlassen" könnte, selbst nach entstandenem „Enteignungsanspruch", Eigentum doch nur dann erzeugen, wenn ein Rechtssatz, ein Gesetz bestünde, das diese Wirkung damit verbinden wollte als einen Erwerb ex lege. Dergleichen ist nicht vorhanden; also muß ein Rechtsakt da sein, der den Eigentumswechsel bewirkt, entweder ein Verwaltungsakt, das wäre die Enteignung, oder ein Vertrag, das ist unser Fall. Will man weder das eine noch das andere voraussetzen, so ist nicht einzusehen, wie eine Rechtsänderung überhaupt zustande kommen soll. — I n diesem Sinne gegen L a b a η d und G r ü n h u t auch schon G. M e y e r in Ztschr. f. d. deutsche Gesetzgebung V I I I S. 581 Anm. 73. 33 Pr. Ent.Ges. § 26 Abs. 2; Bayr. Ent.Ges. (A.G. z. B.G.B.) Art. 55, jetzt 26; Sächs. Ent. Ges. § 78. Ältere Gesetze enthalten noch besondere Erleichterungen für die Verträge Geschäftsunfähiger: Pr. Ent.Ges. § 17.

B i n d i n g - O e t k e r , H a n d b u c h V I . 2: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.



34

Das

etliche Sachenrecht.

der Erledigung einläßt, nicht des Vorteils verlustig gehen, welchen die durchgeführte Enteignung ihm durch ihre u r s p r ü n g l i c h w i r k e n d e K r a f t bereitet hätte (vgl. oben I n. 2). Deshalb verbindet das Gesetz m i t dem Abtretungsvertrag, der zwischen dem Unternehmer und seinem rechtmäßig gewählten Enteignungsgegner (oben § 33 S f 15) geschlossen wird, die gleichen Wirkungen gegen Dritte, welche ein Enteignungsausspruch erzeugt haben würde. Das kann nicht so geschehen, daß einfach dem Vertrage selbst diese Wirkungen zugeschrieben würden. Denn der Vertrag ist zivilrechtlicher Natur und steht unter dem B.G.B.; der Vorbehalt i m E.G. Art. 109 trifft nicht z u 3 4 . Das Erlöschen der dinglichen Rechte wird vielmehr bewirkt durch eine dem Vertrag angehängte, seine Bestimmungen zum Inhalt nehmende „obrigkeitliche Verfügung". Der Vertrag wird in dieser Hinsicht gewissermaßen ergänzt durch ein vereinfachtes Enteignungsverfahren 35 . — Anstatt die Enteignung i m vollen Umfange zu ersetzen, kann der Vertrag sich auch nur des einen oder anderen S t ü c k e s d a v o n bemächtigen, der Frage der Abtretung etwa, der Entschädigung, der Besitzüberlassung. Dann ist er natürlich kein Kaufvertrag, sondern zivilrechtlicher Vertrag irgendeiner anderen Benennung oder unbenannt. 2. Ganz auf dem Gebiet des öffentlichrechtlichen Rechtsinstituts liegt die Befugnis des Unternehmers zum R ü c k t r i t t samt den entsprechenden Gegenrechten des Angegriffenen. Dem Unternehmer ist das Enteignungsverfahren zur Verfügung gestellt für die Zwecke seines Unternehmens; er leitet es ein und betreibt es; er kann es auch nach Erwägungen der Zweckmäßigkeit seines Unternehmens abschneiden und vor erreichtem Ziele z u E n d e bringen. Das kann geschehen durch a u s d r ü c k l i c h e E r k l ä r u n g , Rücktrittserklärung, Die Behörde ist gehalten, dem Antrage jederzeit stattzugeben. Die grundsätzliche Zeitgrenze für solche Rücktrittserklärung ist die Vollendung, die Perfektion der Enteignung 3 6 . 34

P l a n c k , Komm. z. E.G. Art. 109 Anm. 1. So Pr. Ent.Ges. § 16 Satz 3: das gewöhnliche Enteignungsverfahren wird n a c h t r ä g l i c h d o c h n o c h d u r c h g e f ü h r t , aber so, „daß alle Streitfragen ausscheiden, welche den Unternehmer und Eigentümer selbst betreffen und das Verfahren sich nur auf die Realberechtigten beschränkt". E g e r , Ent.Ges. I I S. 56. — Sächs. Ent.Ges. § 78 läßt die Wirkungen gegen Dritte einfach dadurch entstehen, daß die Enteignungsbehörde den vor ihr abgeschlossenen oder ihr vorgelegten Vertrag des Unternehmers und des Eigentümers b e s t ä t i g t. 36 Dem steht es gleich, wenn durch vertragsmäßige Eigentumsübertragung 35

§ 34. Wirkungen der Enteignung.

35

Das Gesetz knüpft aber die gleiche Folge auch an die t a t s ä c h l i c h e U n t e r l a s s u n g des W e i t e r b e t r i e b s des Verfahrens. Wie lange das gedauert haben muß, um so zu wirken, bestimmt das Gesetz selbst; es kann auch den staatlichen Stellen vorbehalten sein, eine Frist zu stecken. Der Rücktritt bekommt hier die Natur der VerWirkung. I n beiden Fällen handelt es sich nicht bloß darum, daß das Verfahren nicht mehr weitergeht, sondern auch das bisher darin Geschehene fällt zusammen und kann nicht durch eine Wiederaufnahme der Betreibung noch einmal verwertet werden. Der Unternehmer könnte nur etwa ganz von vorn beginnen. Das ist rechtlich nicht ausgeschlossen, sofern eben die Voraussetzungen der Zulassung noch gegeben s i n d 3 7 . Solchem Verhalten des Unternehmers gegenüber bedarf der, gegen welchen das Verfahren sich richtet, eines Schutzes. Das Einfachste ist die Gewährung eine s e l b s t ä n d i g e n E n t schädigungsanspruchs wegen n i c h t d u r c h g e f ü h r t e r Ente i g n u n g . Der Anspruch ist von der nämlichen rechtlichen Natur wie der auf die eigentliche Enteignungsentschädigung. Er setzt kein Verschulden voraus und gründet sich nicht auf Vertrag, ist überhaupt nicht zivilrechtlicher A r t 3 8 . oder Verpflichtung dazu, etwa durch Kauf im Sinne der oben n. 1 erwähnten Expropriationsverträge, das Enteignungsverfahren ganz oder teilweise ersetzt und sein Ziel erreicht worden ist. A. M. S e y d e 1, Ent.Ges. S. 207. Allein R.G. 9. Juni 1905 (Entsch. L X I S. 102 ff.), worauf er das stützt, stimmt nicht. Es ist dort ausdrücklich vorausgesetzt (S. 110), daß man „einen privatrechtlichen Kaufvertrag nicht hat abschließen wollen". 37

Dieser Vorbehalt kommt vor allem in Betracht, wenn es sich um Enteignung für einen beliehenen Unternehmer handelt: er kann auf das ganze Unternehmen, d. h. auf seine Beleihung damit und das dadurch für ihn begründete Recht, verzichten; dann hört er auf, fähig zu sein zur Betreibung eines Enteignungsverfahrens. Es bedürfte zuerst einmal einer neuen Verleihung des öffentlichen Unternehmens selber. Bei dem Rückrtitt, von welchem hier die Rede ist, handelt es sich lediglich um einen solchen vom Enteignungsverfahren. Er steht der Zurücknahme einer zivilgerichtlichen Klage gleich. Pr. Ent.Ges. § 42 Abs. 1 faßt beides zusammen, Verwirkung durch Nichtgebrauch und Rücktritt vom Unternehmen, und setzt auf beides das Erlöschen des Enteignungsrechts. Die Kommentatoren beeilen sich aber zu bemerken, daß das nicht so zu verstehen sei: „Vielmehr hat die Versäumnis der Frist und ebenso der Rücktritt des Unternehmers nur zur Folge, daß das eingeleitet gewesene Verfahren hinfällig wird und gegebenenfalles wiederholt werden muß" ( S e y d e l , Ent.Ges. S. 275; zustimmend E g e r , Ent.Ges. I I S. 257). Beides ist falsch; die beiden Arten von „Verleihung" dürfen nicht so ineinander verschwimmen; vgl. oben § 33 Note 19, 38 Pr. Ent.Ges. § 42; Sächs. Ent.Ges. § 76. Die Festsetzung und Erzwing8*

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

36

Eine andere A r t der Abhilfe ist die, daß dem Enteignungsgegner gestattet wird, i n solchen Fällen die B e t r e i b u n g des V e r f a h r e n s s e i n e r s e i t s z u ü b e r n e h m e n . Das Ziel bann immer nur sein, i h m das zu verschaffen, was er erhalten haben würde, hätte der Unternehmer selbst die Enteignung durchgeführt. Das ist nichts anderes als die alsdann zu gewährende volle Entschädigung 3 9 . Deshalb muß das Verfahren durch den Unternehmer mindestens schon so weit geführt worden sein, daß der Gegenstand der Enteignung feststeht; denn diese Grundlage des Umfangs der Entschädigung kann der Gegner nicht an seiner Statt bestimmen. Kommt auf diese Weise der zu Enteignende in den Besitz der Entschädigung, so muß er dafür das Grundstück dem Unternehmer zur Verfügung stellen, obwohl dieser es nicht mehr erwerben w o l l t e 4 0 . 3. A n das durchgeführte Verfahren, wenn Eigentum übergegangen und Entschädigung geleistet ist, knüpft sich möglicherweise noch eine letzte Nachwirkung: es kann ein Recht des R ü c k e r w e r b s zugunsten des Enteigneten zur Entstehung kommen. Möglicherweise wird das so erworbene Grundstück nachher gleichwohl nicht für diesen Zweck verwendet: das Unternehmen wird überhaupt nicht ins Werk gesetzt, oder nach der A r t , wie es geschieht, ist das Grundstück, den ursprünglichen Absichten zuwider, nun doch nicht dafür erforderlich geworden; es bleibt zur Verfügung. Damit fällt das Eigentum des Unternehmers nicht von selbst dahin. E i n Rückforderungsanspruch des Enteigneten barmachung dieser Entschädigung erfolgt nach Pr. Ges. im Rechtswege, nach Sächs. Ges. durch die Enteignungsbehörde mit Vorbehalt des Rechtsweges. 39

Geradewegs geht auf dieses Ziel los Pr. Ges. § 42 Abs. 2: Der Eigentümer hat die Wahl, ob er „Zahlung der festgestellten Entschädigung beanspruchen will". Die von der Enteignungsbehörde vorgenommene Feststellung soll ordentlicherweise nur die Bedingung genauer bestimmen, unter welcher der Unternehmer den Enteignungsausspruch erhalten wird; sie gibt keinen Rechtstitel und setzt auch keinen schon begründeten Anspruch des Eigentümers voraus. Wenn der Gesetzgeber diesem jetzt erlaubt, Zahlung zu beanspruchen, so hat er nicht „jeden Zweifel darüber beseitigen wollen, daß mit dem Entschädigungsfeststellungsbeschluß ein obligatorisches, vertragsmäßiges Verhältnis zwischen Unternehmer und Expropriaten geschaffen wird" ( E g e r , Ent.Ges. I I S. 483), noch auch „ausnahmsweise ein gewisses obligatorisches Verhältnis zwischen dem Unternehmer und dem Eigentümer anerkannt" (S e y d e 1, Ent.Ges. S. 273). — I m wesentlichen hier wohl übereinstimmend L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 443 ff. Vgl. auch D a 1 c k e , Ent.Ges. S. 126 Note 103; G. Μ e y e r in Ztschr. f. deutsche Gesetzgebung V I I I S. 579 Anm. 79. 40 Bayr. Ent.Ges. nach A.G. z. Z.P.O. Art. 46 Abs. 2, jetzt 17 Abs. 2; Pr. Ent.Ges. § 42 Abs. 2; Hess. Ent.Ges. Art. 68 Abs. 2; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 498, gibt ihm sogar ein Recht auf „Abnahme des Gegenstandes".

§ 34. Wirkungen der Enteignung.

37

aus Billigkeitsgründen ist ebenfalls nicht so ohne weiteres anzuerkennen. Denn die Billigkeit hat ihre ausreichende Abfindung erhalten durch, die volle Entschädigung, die zu gewähren war. Die schonende Rücksicht auf das Eigentum und seine grundsätzliche Unverletzlichkeit kann gleichwohl jetzt, wo der sachliche Grund seiner Inanspruchnahme für das Gemeinwohl weggefallen ist, den Gesetzgeber bestimmen, dem Enteigneten rechtliche Möglichkeiten zu eröffnen, daß er es zurückerlange, selbstverständlich unter gleichzeitiger Erstattung des Wertes in Geld. Inwieweit diese Rücksicht geübt und zur Geltung gebracht werden soll, ist Sache des freien Ermessens des Gesetzgebers 41. I m geltenden Rechte erscheint aber solches in zweierlei Formen: — Es kann dem Enteigneten ein Anspruch gewährt sein auf R ü c k g ä n g i g m a c h u n g der E n t e i g n u n g 4 2 . Voraussetzung ist die Vereitelung des Zweckes der Enteignung, i n dem obigen Sinne: das Grundstück findet nicht die Verwendung i m Dienste des Unternehmens, um derentwillen die Enteignung stattfand. Das Gesetz wird diese Voraussetzung genauer bestimmen, eine gewisse Zeitdauer verlangen von der wirksam gewordenen Enteignung ab, während welcher die beabsichtigte Verwendung unterblieben ist, oder sonst greifbare Merkmale (Aufgabe des Unternehmens, anderweite Benutzung oder Verwertung des Grundstücks). B e r e c h t i g t ist der Enteignete, oder wer als Erbe an seine Stelle getreten i s t 4 3 . 41

S c h e l c h e r , Rechtswirkungen S. 173ff.; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 506 ff. ; L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 432 ff. Der letztere nimmt, im Gegensatz zu dem oben Ausgeführten, ein s e l b s t v e r s t ä n d l i c h e s Rückerwerbsrecht an, das geltend gemacht werden könnte auoh ohne „ausdrückliche gesetzliche Normierung" (a. a. 0. S. 435). Das hängt zusammen mit seiner eigentümlichen Lehre von dem öffentlichen Interesse als Rechtstitel des Unternehmers (vgl. oben § 33 Note 22). Die Nichtverwendung für den öffentlichen Zweck beweist nachträglich, daß dieser Rechtstitel nicht vorlag (a. a. O. S. 434). — Früher hin hat man dem Enteigneten auch noch andere nachträgliche Hilfen solcher Art herauszufinden gesucht. So L. S t e i n , Verw. Lehre V I I S. 336; G. Μ e y e r , R. d. Expropr. S. 264; G r ü n h u t , Ent.R. S. 162ff.; S c h e l c h e r , Rechtswirkungen S. 176. 42 Bayr. Ent.Ges. Art. X I I Abs. 4; Sächs. Ent.Ges. § 83; Bad. Ent.Ges. § 59. 43 Es ist ein öffentlichrechtlicher Anspruch aus dem beleidigten Eigentum, folglich nicht selbständig abtretbar, sondern beschränkt auf den, der die Person des Beleidigten vertritt; daher nur vom „Gesamtrechtsnachfolger" geltend zu machen: S e y d e l , Bayr. St.R. I I S. 363; Sächs. Ent.Ges. § 83. Ebenso die Schweizerischen Enteignungsgesetze bei d e W e i s s , De l'expropr. S. 167. Das

38

Das ö e t l i c h e Sachenrecht. D i e R ü c k g ä n g i g m a c h u n g w i r d b e w i r k t d u r c h A n t r a g b e i der zu-

ständigen B e h ö r d e ; das i s t ordentlicherweise die Behörde, welche den rückgängig

zu

machenden

Enteignungsbehörde44.

Enteignungsausspruch Sie p r ü f t ,

ob

erlassen h a t ,

die gesetzlichen

die

Voraus-

setzungen gegeben sind, u n d s p r i c h t bejahendenfalls d e m A n t r a g s t e l l e r das E i g e n t u m wieder z u 4 5 .

D u r c h die K r a f t

dieser

Entscheidung

w i r d er E i g e n t ü m e r , gerade so, w i e er d u r c h d e n w i r k s a m gewordenen Enteignungsausspruch aufgehört h a t , es z u s e i n 4 6 .

E r w i r d dadurch

andererseits a u c h v e r p f l i c h t e t , die empfangene Entschädigungssumme a n den Unternehmer

zurückzuzahlen.

I n s o f e r n s t e l l t sich der V o r g a n g äußerlich dar als e i n Gegenstück zur E n t e i g n u n g 4 7 .

W i e b e i dieser k a n n a u c h h i e r das behördliche

V e r f a h r e n ganz oder stückweise ersetzt w e r d e n d u r c h z i v i l r e c h t l i c h e n V e r t r a g zwischen den B e t e i l i g t e n ; v g l . h i e r oben n. 1. — D i e andere F o r m , i n welcher e i n R ü c k e r w e r b v e r m i t t e l t w e r d e n k a n n , erscheint i n der G e w ä h r u n g eines g e s e t z l i c h e n rechts

48

.

Vorkaufs-

Gemeinsam i s t die Voraussetzung der N i c h t V e r w e n d u n g f ü r

Zusammenwerfen mit dem sofort zu besprechenden Vorkaufsrecht läßt diesen Schriftsteller zu keinem klaren Standpunkt kommen; dort steht die Sache anders. 44 Gegen O e r t m a n n , Landesprov.R. S. 159, der ein von den Gerichten zu schützendes Wiederkaufsrecht behauptet:. H e n l e , Zwangsent.Ges. S. 134. 45 Dies ist kein Akt des freien Ermessens, wie S c h e i c h e r , Rechtswirkungen S. 176, annimmt; die Enteignung allerdings wurde ausgesprochen, weil das öffentliche Unternehmen des Grundstücks bedurfte; das war Sache eines gewissen Ermessens (oben § 33, I I I n. 2). Hier handelt es sich jetzt rein um ein formelles Recht des Enteigneten. 46 Deshalb ist es ebenso falsch, den Rechtsvorgang hier als ein „gesetzliches Wiederkaufsrecht" zu bezeichnen ( G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 507), wie es falsch ist, die Enteignung selbst einen Zwangskauf zu nennen. 47 T h i e l , Expropr.R. S. 61 ff., betont das durch die Bezeichnung „Recht der Reexpropriation" oder „Wiederaneignung"; S e y d e l , Bayr. St.R. I I S. 362, spricht von „Wiederenteignungsrecht" und „Wiederenteignung". Allzu genau darf man es mit diesen Namen nicht nehmen. 48 L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 436, sieht darin eine durch ausdrückliches Gesetz verfügte Abschwächung seines selbstverständlichen Rückerwerbsrechts (oben Note 41). G. Μ e y e r , R. d. Expropr. S. 269, betrachtet vielmehr, im Gegensatz zu diesem, das Vorkaufsrecht als ein besonderes Zugeständnis des Gesetzes. Beide kommen auf den richtigen Satz hinaus, daß das Vorkaufsrecht nur besteht, soweit das Gesetz es ausdrücklich anerkennt. So Pr. Ent.Ges. § 57 (ohne Rückgängigmachungsrecht daneben); Sächs. Ent.Ges. § 88 (nebenRückgängigmachungsrecht). — E g e r , Ent. Ges. I I S. 615, findet darin einen Beweis, daß der Gesetzgeber die Enteignung für einen Kauf ansieht: „Denn wäre die Enteignung kein K a u f , wie würde sich dann das Vorkaufsrecht begründen lassen." Allein zum Wesen des Vorkaufsrechts gehört doch nur, daß der Unternehmer, gegen dem es geht, j e t z t v e r k a u f t , nicht, daß er g e k a u f t h a t .

§ 35 Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang.

das Unternehmen, das den Grund für die Enteignung g a b 4 9 . Aber das muß sich hier dahin zuspitzen, daß der Unternehmer die Entbehrlichkeit des Grundstücks besiegelt durch einen zivilrechtlichen Verkauf, den er darüber abschließt m i t einem Dritten. Da kann alsdann der Enteignete, oder wer rechtmäßig an seiner Stelle s t e h t 5 0 , ein Vorkaufsrecht geltend machen nach allen Regeln, die das bürgerliche Recht für ein solches gegeben hat. Auch hier erhalten wir also wieder ein zivilrechtliches Anhängsel unseres öffentlichrechtlichen Rechtsinstituts.

§ 35.

Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang. I . Gewisse Sachen sind dazu da, mit ihrer Körperlichkeit einem bestimmten Zwecke des Gemeinwesens unmittelbar zur Erfüllung zu dienen. Dahin gehören vor allem öffentliche Wege, öffentliche Flüsse, Festungswerke. W i r nennen sie ö f f e n t l i c h e Sachen. Ihre Bestimmtheit für den öffentlichen Zweck kommt zum Ausdruck : — einmal i n ihrer äußerlichen B e s c h a f f e n h e i t , wonach sie zur Erfüllung dieses Zweckes geeignet sind; — sodann i n ihrer Z u g e h ö r i g k e i t an ein Subjekt öffentlicher Verwaltung, das sie für diesen Zweck bereithält und verwaltet. Nicht alle Sachen, bei denen das zutrifft, sind deshalb schon öffentliche Sachen i m Rechtssinn. Vielmehr wird hier noch vorausgesetzt, daß die Bedeutung der Sache für den öffentlichen Zweck eine u n m i t t e l b a r e sei. Sie ist nicht ein Mittel wie ein anderes, dessen sich das Gemeinwesen bei seiner Tätigkeit zur Verfolgung dieses Zweckes bedient, sondern stellt selbst m i t ihrem körperlichen Dasein den verwirklichten Zweck vor, das Unternehmen, die Anstalt als ein Stück 49 Der Unterschied, den L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 437, hervorheben möchte, daß die Rückgängigmachung versage, wenn das Grundstück einmal für das Unternehmen verwendet und nur nachträglich wieder ausgeschaltet sei, ist nicht wesentlich. Sächs. Ent.Ges. § 83 läßt die Rückgängigmachung auch zu, wenn das Grundstück durch nachträgliche Einstellung des Betriebs überflüssig wird. Für das Bayr. Ent.Ges. Art. X I I Abs. 4 stimmt die herrschende Meinung mit L a y e r überein (S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 363; H a r t m a n n , Ges. über d. Zwangsabtr. S. 63; Η e η 1 e , Zwangsent.Ges. S. 132). Der Wortlaut des Gesetzes („sollte das Unternehmen rückgängig werden") spricht eigentlich nicht dafür. 50 Pr. Ent.Ges. § 75 und Sächs. Ent.Ges. § 88 geben das Recht bei der Teilenteignung zugunsten der Wiederherstellung des Restgrundstücks. Daraus folgt von selbst, daß nur der Enteignete und sein Rechtsnachfolger im Eigentum des Restgrundstücks das Vorkaufsrecht haben.

40

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

öffentlicher Verwaltung. Das Gemeinwesen ü b t ö f f e n t l i c h e V e r w a l t u n g d a d u r c h a l l e i n s c h o n , daß es sie b e s i t z t u n d i h r e m Z w e c k e e r h ä l t . Bei dem öffentlichen Wege, dem Hauptbeispiel, wird das ja sofort anschaulich. Das gibt denn auch der öffentlichen Sache ihre rechtliche Eigenart. Der Staat, wenn er öffentliche Verwaltung übt, bewegt sich grundsätzlich auf dem Boden des öffentlichen Rechts. Wenn er die Mittel dazu beschafft und bereithält, t u t er es vielfach i n privatwirtschaftlicher Form und untersteht damit dem bürgerlichen Recht. Seine Herrschaft über körperliche Sachen namentlich, deren er sich dabei bedient, trägt regelmäßig zunächst den Stempel des Privatwirtschaftlichen und ist für sich selbst nach Privatrecht zu beurteilen, mag auch der Endzweck, dem er sie widmet, öffentliche Verwaltung sein. Bei unseren öffentlichen Sachen aber ist diese Herrschaft selbst schon zur öffentlichen Verwaltung gehörig, und so ergibt sich hieraus als Forderung die I d e e eines ö f f e n t l i c h e n S a c h e n r e c h t s , vor allem die eines ö f f e n t l i c h e n E i g e n t u m s , das nichts anderes ist als ein ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e s , ein ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h g e d a c h t e s Eigentum. E i n öffentlichrechtliches Rechtsinstitut wird dadurch erkennbar, daß alle seine Einzelheiten nach den Gesichtspunkten der Beteiligung der öffentlichen Gewalt und der Ungleichheit der Rechtssubjekte sich gestalten müssen (vgl. Bd. I S. 116f.). Die Erscheinung der öffentlichen Gewalt kann, wie wir wissen, sehr mannigfaltige Gestaltungen annehmen. Doch äußert sie sich rechtlich niemals einer Sache gegenüber; die ist kein Untertan. Die dem öffentlichen Rechte eigne Ungleichheit der Rechtssubjekte kann nicht i m Verhältnis zwischen dem Eigentümer und seiner Sache zur Erscheinung kommen; sie ist kein Rechtssubjekt. Als solches erscheint sie ja auch nicht beim privatrechtlichen Eigentum; zwischen ihr und dem Eigentümer besteht auch dort kein Rechtsverhältnis, keine rechtlich geordnete Beziehung. Macht über die Sache ist hier immer nur etwas Tatsächliches. Das Eigentum bedeutet aber zugleich einen Inbegriff von rechtlichen Beziehungen, die solche Macht umgeben, um sie zu sichern und zu ordnen. Diese Beziehungen bestehen stets nur zu anderen Rechtssubjekten, bestimmten oder noch unbestimmten. Ihre Regelung macht die R e c h t s o r d n u n g des E i g e n t u m s aus. Sie vollzieht sich gewöhnlich auf der Grundlage der rechtlichen Gleichheit der beteiligten Rechtssubjekte, des Eigentümers und der ihm Gegenübertretenden. W i r erhalten dann, was wir Privateigentum, besser p r i v a t r e c h t l i c h e s E i g e n t u m nennen.

§ 35

Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang.

Sie muß sich aber jetzt auch vollziehen können auf Grundlage einer rechtlichen Ungleichheit, indem der Eigentümer dabei als Träger öffentlicher Gewalt den anderen als Privaten gegenübertritt. Das ist dann öffentliches, besser ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e s E i g e n t u m 1 . U n d das so gefundene Recht wird sich hier zugleich erweisen als das, was man das „ r i c h t i g e R e c h t " nennt, den zu schützenden Gütern angepaßt und das damit gegebene Ziel i n der einfachsten und vollkommensten Weise erreichend. Die öffentliche Sache soll ja vor allem b e i i h r e m Z w e c k e r h a l t e n b l e i b e n . Die privatrechtliche Rechtsordnung, die dafür gleichgültig ist, muß eben deshalb ausgeschlossen sein. A n ihre Stelle t r i t t hier eine Ordnung, bei der i m wesentlichen stets die Behörde, die der öffentlichen Sache vorsteht und für sie zu sorgen hat, es i n der Hand behält, alles nur so zu regeln und gelten zu lassen, wie es m i t jenem Zwecke vereinbar ist. Das rechtliche Schicksal· der öffentlichen Sache bestimmt sich, wie die ganze öffentliche Verwaltung, planmäßig von innen heraus, statt durch das freie Spiel der durcheinanderwirkenden privatrechtlichen K r ä f t e 2 . I I . Man kann ja auch m i t anderen Einrichtungen auskommen. Diese Dinge sind eben Fragen der Kulturentwicklung; das t r i t t hier besonders deutlich hervor. Als das r ö m i s c h e R e c h t bei uns rezipiert wurde, achtete man kaum seines so scharf ausgeprägten Verwaltungsrechtes. Es fehlte, was das Verständnis dafür vermitteln mußte: der gewaltige römische Staatsgedanke. Zwischen dem römischen Staate der republikanischen Zeit und seinen Bürgern gilt überhaupt nicht das jus civile. Auch i m einfachen 1

Wir können sehr wohl J e l l i n e k s Satz unterschreiben (Allg. Staatslehre S. 399): „Daher gibt es auch kein öffentliches Eigentum, das seinem inneren Wesen nach etwas ganz anderes wäre als das Privateigentum." Es ist eben einfach Privateigentum ins Öffentlichrechtliche übersetzt. Wer allerdings, wie J e l l i n e k , im öffentlichen Recht nur imperium, d. h. Befehlsgewalt sehen will, wird für dieses weniger derbe Rechtsgebilde kein Auge haben. 2 Das besondere Ziel, das hier erreicht werden soll, ist oft genug schon bezeichnet worden mit der bekannten Formel: „Die öffentliche Sache ist unfähig, ihrer Zweckbestimmung durch Akte privatrechtlicher Natur entzogen zu werden. Vgl. D e r n b u r g , Pand. I § 71; R e g e l s b e r g e r , Pand. I S. 425; U b b e l o h d e , Forts, von Glück, Bd. 43 u. 44, I V S. 68 u. 71; S t ο b b e , D. Priv.R. § 64; W i n d s c h e i d - K i p p , Pand. I S. 636; F o e r s t e r E c c i u s , Preuß. Priv.R. I I I § 159 n. 4, § 177 n. 13; Β e k k e r , Pand. I S. 345; R a n d a , EigentumsR. nach Österr. R. S. 30, 33, 38; W a ρ ρ ä u s , D. Rechtsverkehr entzogene Sachen S. 46; v. B r a u c h i t s c h , Verw.Gesetze I V S. 3; B e r i n g , Die Rechte an öff. Wegen. O.V.G. 20. Febr. 1888 (Entsch. X I I I S. 32), 21. März 1888 (Entsch. X I I S. 282).

42

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

vermögensrechtlichen Verkehr macht sich die majestas populi Romani noch bemerkbar. Dadurch entsteht neben dem System der Privatrechtsinstitute ein „korrespondierendes" System von Verwaltungsrechtsinstituten 3 . I n der Kaiserzeit hat sich dann die große Scheidung vollzogen, die jetzt noch für uns maßgebend ist. Der Staat wird privatrechtlicher Ordnung zugänglich für vermögensrechtliche Beziehungen; wenigstens teilweise wird hier das bürgerliche Recht zwischen i h m und seinen Untertanen anwendbar. Die Brücke bildet der P r i n z i p a t und der m i t i h m verbundene F i s k u s b e g r i f f 4 . F r a n k r e i c h , das i n der kräftigen B e wicklung des neuzeitlichen Staatswesens uns vorausging, hat i m Zusammenhange damit auch für das S t a a t s g u t (domaine) feste Regeln gefunden. Es ist, wie i m späteren römischen Recht, zweierlei A r t : p r i v a t r e c h t l i c h e s Staatsgut (domaine privé de l'Etat) und ö f f e n t l i c h e s Gut, d o m a i n e p u b l i c . Das letztere wird i m code c i v i l (Art. 539f.) behandelt, der allerdings nichts weiter darüber zu sagen weiß, als daß es nach seinem Eigentümer unterschieden sei. Erst die Juristen haben tatsächlich daraus gemacht, was wir jetzt unter öffentlichem Eigentum verstehen 5 . Die Fragen, welche unseren d e u t s c h e n Rechtszustand i n diesen Dingen bewegen, führen zurück auf vorstaatliche Zeit und auf ihre urwüchsigen b ä u e r l i c h e n A n s i e d l u n g e n . Die sind genossenschaftlicher Natur. Das unverteilte Gut, das keinem Genossen gehört und allen nützen soll, ist die A l l m e n d . Sie umfaßt namentlich auch Wege und Plätze. Über die Instandhaltung und die Ordnung der Benutzung wacht die Vorstandschaft, die nachmalige Gemeindeobrigkeit 6 . 3 K a r I o w a , Rom. Rechtsgeschichte I I S. I f f . : „Auch wo der populus als Subjekt vom Eigentum erscheint, ist es zwar nicht der populus als Inhaber eines imperium über die Bürger, aber immer die von den Privatpersonen begrifflich verschiedene publica persona κατ' εξοχήν, welche in Frage kommt." Μ ο m m s e n , Abriß der Rom. St.R. S. 366; d e r s e l b e , Rom. St.R. I S. 162 ff.; E l v e r s , Rom. Servitutenlehre S. 267 ff. ; W e i s k e , Rechtslexikon X S. 239 ff. ; Μ i 1 1 e i s , Rom. Priv.R. I S. 349; E i s e 1 e , R.verh. d. res publicae S. 21, 24; D e r n b u r g , Gutachten z. Basier Schanzenstreit S. 17. 4 M i t t e i s , Rom. Priv.R. I S 369 Note 54: „Es gibt privatrechtlich geordnete res fiscales" (1. 2 § 4 D. 43, 8) und „unter kaiserlicher Verwaltung stehende öffentliche Sachen" — letztere öffentliches Eigentum wie bisher. 5 Ο. M., Theorie d. Franz. V.R. S. 227 ff. — I n der französischen Ausgabe meines deutschen Verw.R. (Droit adm. allemandlll S. 87 ff.) habe ich dann meine Lehre vom öffentlichen Eigentum breiter vorgetragen, der sich jetzt G. J è ζ e in seinem Verw.R. d. Franz. Republik anschließt, indem er meine wichtigsten Sätze ins Deutsche übersetzt. 6 G i e r k e , Genossensch.R. I I S. 229 u. 234.

§ 35 Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang. M a n c h f a l t i g e r e n t w i c k e l n sich derartige gemeinsame E i n r i c h t u n g e n i n den S t ä d t e n : B r u n n e n , M ä r k t e , Waschhäuser, aber a u c h M a u e r n , Tore, S t a d t t ü r m e w e r d e n h i e r als A l l m e n d b e t r a c h t e t 7 . I m R e i c h u n d i n den T e r r i t o r i e n ,

die j a a l l m ä h l i c h die F ü h r u n g

übernehmen, g i b t es d a n n größere Straßenzüge, u n d v o r a l l e m a u c h d i e schiffbaren Flüsse u n d Seen t r e t e n dazu. D e r

Gemeingebrauch

b l e i b t das kennzeichnende M e r k m a l auch dieser neuen A l l m e n d ;

um

seinetwillen n e n n t m a n sie j e t z t „ ö f f e n t l i c h e S a c h e " 8 . A b e r n a c h K r a f t u n d W i r k s a m k e i t t r i t t h i e r die A u f s i c h t der O b r i g k e i t s t a r k i n d e n Vordergrund.

Sie gestaltet sich z u einem alles aufsaugenden l a n d e s -

h e r r l i c h e n H o h e i t s r e c h t : Wegehoheit, Wasserhoheit, w o n a c h d e n F ü r s t e n das R e c h t zusteht, Straßen anzulegen u n d einzuziehen, Flüsse z u regulieren, die B e n u t z u n g z u ordnen, v o r a l l e m a u c h A b g a b e n d a v o n z u erheben u n d die ganze P o l i z e i darüber z u h a n d h a b e n 9 . U n d so i s t d e n n h i e r zunächst

das E r g e b n i s :

gebrauch stehenden Sachen s i n d r e s n u l l i u s ,

Die i m

Gemein-

u n d z w a r beharrliche

res n u l l i u s , die a u c h n i c h t f ä h i g wären, jemandes E i g e n t u m z u werden, res

extra

commercium

1 0

.

7

G i e r k e , Genossensch. R. I I S. 667, 670, 677, 678 Note 105. Spiritum quasi ac vitam potius ab usu publico quam ab autoritate principis habere videntur", heißt es von denWegen (P. H e i t z in F r i t s c h , Jus fluviale I S. 173 ff.). 9 P ü t t e r , Instit. § 336; K r e i t t m a y r , St.R. § 16; Η a b e r I i n , St.R. I I I S. 5 ff. 8

10

So die juristische Literatur, die sich jetzt mehr und mehr mit diesen Dingen beschäftigt hat. W e s e m b e c bei F r i t s c h , Jus fluv. I I S. 79: „Publica flumina non sunt in commercio, sed jure gentium publicis usibus omnium serviunt, proprietate vero sunt nullius, quamvis quoad protectionem ad principem spectant," Die nämliche Konstruktion für die öffentlichen Straßen bei F r i t s c h , opuscula I 5 14, tract, de regali viarum publicarum jure, cap. I I I n. 4. Vgl. S c h w a b in Arch. f. civ. Prax. X X X Beil. S. 39 Note 59 ff., S. 58 Note 81. — Ein merkwürdiges Wiederaufleben feierten diese Gedanken in dem berühmten Baseler Schanzenstreit. Um den Anspruch des abgetrennten Kantons Basel-Land auf Anteil an den Festungswerken der Stadt Basel auszuschließen, betonen J h e r i n g und K e l l e r in ihren Gutachten den für ihre Sache unschädlichen Gemeingebrauch, der von vornherein weder Eigentum noch Eigentümer aufweist, und das „sogenannte Eigentum des Staates" muß dann denselben Weg gehen, da es ja doch nur die „Rückseite des Gemeingebrauchs" ist ( J h e r i η g , Der Streit zwischen Basel-Land und Basel-Stadt, S.38) oder, da es „ein reines Hoheitsrecht4 4 des Staates ist, „folglich jedes Privatrecht, mithin auch das Eigentum ausschließt" ( K e l l e r , Erwiderung auf das Gutachten R ü 11 i m a η η S. 4), Dazu jetzt die kritische Besprechung des Falles bei A m b e r g , Schw. Zentr.Bl. f. St. u. Gem.Verw. X I X , welche das als die damals herrschende Auffassung bestätigt. War doch auch noch im A. L.R. I I , 15 § 2 die öffentliche Sache

44

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

Später hat dann auch der kräftiger gewordene P o l i z e i s t a a t sein eigenartiges System für die Behandlung vermögensrechtlicher Verhältnisse auch hier zur Geltung gebracht. A n die Stelle, die ursprünglich die genossenschaftliche Gesamtheit einnahm, nachher die res nullius und extra commercium markierte, setzte er den minderwertigen Zwillingsbruder des Staates, den F i s k u s , gerade stark genug, um das Eigentum an diesen Sachen zu vertreten und von dem „eigentlichen Staat" dazu angehalten zu werden, daß er sie ihrem öffentlichen Zwecke entsprechen läßt (vgl. oben Bd. I S. 47 ff.). I n ihrem Zusammenwirken bilden sie auch für die Ordnung des Rechts der öffentlichen Sache wieder eines jener „gemischten Rechtsinstitute", das sich m i t wohltuender Folgerichtigkeit i n das ganze System einf ü g t 1 1 . Man kann es verstehen, daß der fertigausgebildete Jurist von seinem Fachstandpunkt aus Wohlgefallen daran fand und — noch findet. Auch diese Lehre hat aber ihre Zeit g e h a b t . W i r sind zweifelhaft geworden, ob es sich verlohnt, das eigentümliche Gebilde juristischer Technik, das sie bietet, als nationale Besonderheit festzuhalten, da doch namentlich auch die b e i d e n Völker, von denen wir gewohnt, für die A r t der Gestaltung rechtlicher Dinge zu lernen, die Römer und die Franzosen, darin übereinstimmen, daß sie der Frage eine andere Lösung geben: die des einheitlichen ö f f e n t l i c h e n E i g e n t u m s . Es konnte nicht ausbleiben, daß sich auch bei uns Bestrebungen geltend machten, mitzugehen i n dieser Richtung. Nach Lage der Sache war nicht zu erwarten, daß man sofort damit durchdringen werde. Juristen sind meist konservative Leute. Der Kampf wird von den Gegnern der neuen Richtung denn auch noch sehr i m Tone der beati possidentes geführt, die sich durch kräftiges Behaupten jeden Zweifel am Werte ihres Besitztums fernhalten wollen 1 2 . ins „gemeine Eigentum" des Staates verwiesen, was nach der Rechtsprechung des O.Tr. bedeutet, daß sie nicht res fisci, folglich überhaupt nicht Eigentum des Staates sei. Und R.G. 23. Sept. 1880 ( I I I S. 232) hat diesen alten Faden wieder aufgenommen mit dem Satz: Das Bett des Flusses „ist naoh A. L.R. I I , 14 § 21 gemeines Eigentum des Staates, somit res communis omnium, eine res nullius und deshalb res publica"! 11

Vgl. oben Bd. I S. 118; W a p p ä u s , Dem R.verkehr entzog. Sachen, S. 43. Besonders deutlich R.G. 23. Febr. 1880 ( I S. 366): Meeresufer ist Eigentum des F i s k u s , aber beschränkt durch Gemeingebrauch ; wenn jener ihn hindert, hat man sich an den S t a a t um Abhilfe zu wenden. 12 Das geschieht selbst an hervorragenden Stellen. So z. B. das Sächsische O.V.G. hat sich ja eine Zeitlang selbst zur Lehre vom öffentlichen Eigentum bekannt, dann aber in der Begründung zum Urteil vom 9. Febr. 1910 (Jahrb. X V

§ 35 Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang. Übrigens

ist

die

vermeintlich

noch

herrschende

Meinung

sich selber j e t z t n u r einig

i n der V e r n e i n u n g unseres

Eigentums.

allein

Zur

Zeit

der

geltenden

Fiskuslehre

war

anders. Z u dieser w i l l m a n sich aber heutzutage i m E r n s t e n i c h t m e h r bekennen.

So h a t

in

öffentlichen

sich d e n n i n neuerer Z e i t

das meist

nament-

l i c h a u c h eine bedeutsame A b s c h w e n k u n g vollzogen zugunsten der Lösung: „ P r i v a t e i g e n t u m m i t gen"13.

publizistischen

Beschränkun-

D a s ist j a möglicherweise n u r e i n Versuch der V e r h ü l l u n g

des a l t e n Dualismus.

M a n geht aber j e t z t m e i s t n o c h w e i t e r u n d w i l l

geradezu

daß

verneinen,

hinter

der

publizistischen

Beschränkung,

welche zugunsten des Zweckes, d e m sie d i e n t , d e n E i g e n t ü m e r

der

öffentlichen Sache t r i f f t , ü b e r h a u p t e i n anderes R e c h t s s u b j e k t stehe, sei es der S t a a t selbst oder e i n P r i v a t e r . D a s f ü h r t z u der u n m ö g l i c h e n S. 175), das eigentlich zu solchen Ausführungen gar keinen Anlaß gab, sich mit einem gewissen Bedauern davon abgewendet: es sei „schon mit Rücksicht auf den bestehenden Rechtszustand nicht anhängig, die auf dem Boden des französischen Rechts durch ausdrückliche Gesetzesvorschrift wurzelfest gemachte Lehre vom öffentlichen Eigentum (domaine public) nach Deutschland zu verpflanzen". Nun beruht aber auch in Frankreich diese Lehre durchaus nicht auf „ausdrücklicher Gesetzesvorschrift", sondern auf „Wissenschaft und Rechtsprechung" (vgl. oben S. 42), und gar jener „bestehende Rechtszustand" ist doch nichts als eine völlig unzulänglich gewordene Theorie! — Noch stärker die amtliche Begründung zum Pr. Wasserges. v. 7. April 1913 (Abg.H. Drucks. I S. 671), die es ablehnt, „um unbestimmter Vorstellungen willen, die sich nach dem geltenden Rechte bietende feste Grundlage des Eigentumsbegriffes zu verlassen". Diese feste Grundlage böte dem öffentlichen Eigentum der Text des A. L.R. mit seinem „gemeinen Eigentum des Staates" so gut und so schlecht wie der c. c. mit seinem domaine public. Hier wie dort macht doch erst die Rechtsprechung der Gerichte ein bestimmteres geltendes Recht daraus. Und das tut z. B. unser Reichsgericht, wenn es (1. Okt. 1912, X X X , 123) vom Strombett des Rheines bei Düsseldorf erklärt, es bilde, wie der Strom überhaupt, nicht „privatrechtliches Eigentum des Staates, es handle sich vielmehr um ein Verhältnis öffentlichen Rechts". Darf man das von der Spree aus so ohne weiteres als „unbestimmte Vorstellungen" verurteilen? I n eine Polemik mit der gegnerischen Literatur möchte ich hier nicht nochmals eintreten. Dafür verzichte ich auch darauf, die Zustimmungen hier zu begrüßen, die ich gefunden habe. Ziemlich objektiv die Zusammenstellung bei F r i e d r i c h s in Arch. d. öff. R. X L S. 257 ff. 13 J e l l i n e k in Verw.Arch. V S. 311; B e k k e r , System d. Pand.R. § 76; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 23 u. 24; Β ο r η h a k in Verw.Arch. V I I I S. 69; R a u s n i t z in G r u c h o t Beitr. X X X I X S. 522ff.; M o l l , daselbst L I V S. 348; P a r i s , Entschädigungsberechtigung S. 10; v. B i t t e r , Handwörterb. d. Pr. Verw. I I S. 924; Β i e r m a η η , Öff. Sachen S. 24 ff. u. 39 ff.; Η a w e 1 k a , Österr. Friedhofsrecht S. 45ff.; G e r m e r s h a u s e n , Wegerecht I S. 84. R.G. 16. Juni 1899 (Preuß. Verw.Bl. X X I S. 97).

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

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Annahme subjektloser Rechte 1 4 und i m weiteren Verlauf notwendig zu der Verschmelzung von Eigentum und damit zu führender öffentlicher Verwaltung bei dem Träger der letzteren als dem einzigen Subjekt, das hier gegeben ist; dieses letztere wird man dann auch nicht mehr Fiskus nennen, und sein einheitliches Eigentum, u m das es sich dann handelt, kann nur unser öffentliches Eigentum sein. Das entspricht dem natürlichen Ausgange jenes „Kampfes m i t der eigenen Vergangenheit 4 i n welchem die Entwicklung unseres Verwaltungsrechtes sich vollziehen muß (vgl. oben Bd. I S. 134) 1 5 . I I I . Die öffentliche Sache setzt das Zusammentreffen von zweierlei voraus: Z u g e h ö r i g k e i t der Sache a n eine T r ä g e r s c h a f t ö f f e n t l i c h e r V e r w a l t u n g und e i n u n m i t t e l b a r e s D i e n s t b a r werden für den b e s t i m m t e n ö f f e n t l i c h e n Zweck. Das erstere Erfordernis kann i n verschiedener Weise geleistet werden nach der A r t der T r ä g e r s c h a f t sowohl wie nach der A r t der r e c h t l i c h e n Z u g e h ö r i g k e i t an sie. 1. Die öffentliche Sache bedeutet eine Erscheinungsform öffentlicher Verwaltung ähnlich wie das öffentliche Unternehmen bei der Enteignung (oben § 33 Eing. und I I ) . Was dort Unternehmer sein kann, erscheint demgemäß hier i n der Gestalt eines Herrn der öffentlichen Sache. — I n erster Linie kommt hier wieder der Ausgang aller öffentlichen Verwaltung i n Betracht, der S t a a t selbst. Entsprechend seiner unbeschränkten Zuständigkeit i n öffentlicher Verwaltung finden sich bei i h m auch alle Arten von öffentlichen Sachen. Das Reich und die Länder teilen sich bei uns darein. Die Auseinandersetzung zwischen ihnen bleibt richtiger der Staatsrechtslehre überlassen. — A n Stelle des Staates sind aber Träger öffentlicher Verwaltung vor allem auch die S e l b s t v e r w a l t u n g s k ö r p e r , die Gemeinden. Folglich können wir erwarten, daß auch ein öffentliches Eigentum der Provinzen, Kreise, Ortsgemeinden uns entgegentritt. I n welchem Umfange solches sich verwirklicht, das hängt ab von dem Umfange des Selbstverwaltungsrechts: nur für Zwecke, die innerhalb der Grenzen 14

Bezeichnend B e k k e r s Verzweiflung über diese „unfertige" Theorie: „Nur um betretene Pfade nicht ohne genügenden Grund zu verlassen, akzeptieren wir sie "(System d. Pand. S. 337). Die gleichen Bedenken bei R.G. 16. Juni 1899 (Pr. Verw.Bl. X X I S. 167): „Ein dieser Beschränkung gegenüberstehendes berechtigtes Subjekt ist nicht vorhanden." 16 Dahin weisen auch die Verhandlungen zum Schweizerischen Z.G.B., über welche A m b e r g , Das öff. Eigentum nach schweizerischem Recht, berichtet. Wenn die öffentlichen Sachen „nicht im Privatrecht des Staates stehen, sondern unter dem der Staatshoheit", so ist das eben doch wohl schon öffentliches Eigentum.

§ 35 Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang.

dieses Rechts liegen, nur für die verfassungsmäßig bestimmten Provinz-, Kreis-, Gemeindeangelegenheiten ist hier die Fähigkeit gegeben, öffentliche Verwaltung zu führen, und damit die Möglichkeit öffentlichen Eigentums. So finden wir öffentliche Sachen der Gemeinden i n Gestalt von Straßen, Plätzen, Brücken, aber nicht i n Gestalt von Festungswerken. Es gibt ja neben den Selbstverwaltungskörpern noch andere juristische Personen des öffentlichen Rechts: r e c h t s f ä h i g e ö f f e n t l i c h e S t i f t u n g e n und ö f f e n t l i c h e Genossenschaften. Bei diesen finden sich überhaupt keine öffentlichen Sachen: die ihnen verfassungsmäßig zustehende Verwaltung erstreckt sich nicht auf Angelegenheiten, welche i n dieser Form zu verfolgen wären. Dazwischen ragt aber die öffentliche Religionsgesellschaft, die K i r c h e , hervor m i t der besonderen Stellung, welche unser Staat i h r zuweist, und vermöge deren auch ihre Angelegenheiten als öffentlich und folglich ihre Tätigkeiten wie öffentliche Verwaltung anzusehen sind 1 6 . Innerhalb dieses Bereiches liefern denn auch die ihr angehörigen juristischen Personen i n Gestalt von Kirchengebäuden und Friedhöfen öffentliche Sachen ganz besonderer A r t . Alle diese untergeordneten Subjekte öffentlicher Verwaltung haben gemeinsam, daß sie m i t ihrer Verwaltung unter einer gewissen Einflußnahme des Staates stehen. Sie faßt sich i n dem Begriff der S t a a t s a u f s i c h t zusammen (unten § 61). Selbstverständlich begreift sie auch deren öffentliches Eigentum und äußert sich dann i n Gebundenheiten, welche ihnen der Staat bezüglich dieses Stückes ihrer Verwaltung auflegt. — Den dritten Fall bildet dann wie bei der Enteignung der Fall des b e l i e h e n e n U n t e r n e h m e r s , des Konzessionärs. Einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, i n deren allgemeiner Zuständigkeit es nicht liegt, öffentliche Sachen dieser A r t zu haben, ebenso aber auch einer juristischen Person des bürgerlichen Rechts, einer Gesellschaft oder einem einzelnen Privatmann kann durch das Rechtsgeschäft der Verleihung die Fähigkeit begründet werden, ein bestimmtes öffentliches Unternehmen auszuführen und zu verwalten (vgl. unten § 49). Sofern dieses Unternehmen seiner Natur nach durch eine öffentliche Sache zu verwirklichen ist, wird der Unternehmer zugleich befähigt, Herr 16

Darauf läuft ja auch ihre Bezeichnung als öffentliche Korporation, öffentliche Anstalt hinaus. H i n s c h i u s , Staat und Kirche, in Marquards. Hdb. § 20; vgl. auch H e r z o g , Realenzykl. f. prot. Theol., Art. Staat u. Kirche, I V ; R o t h e n b ü c h e r , Trennung von Staat und Kirche S. 451 ff. R.Verf. Art. 137 Abs. 5.

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Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

einer solchen Sache z u sein.

Aktiengesellschaften f ü r

Eisenbahnen,

K u n s t s t r a ß e n , Schiffahrtskanäle geben die B e i s p i e l e 1 7 . 2. D i e Z u g e h ö r i g k e i t der öffentlichen Sache a n d e n Träger öffentlicher V e r w a l t u n g , ordentlicherweise also a n d e n Staat, k a n n m e h r o d e r w e n i g e r t i e f g e h e n ; j e nachdem i s t a u c h die Z u g e h ö r i g k e i t des Rechts a n der Sache z u m Gebiete des öffentlichen Rechts eine m e h r oder weniger v o l l k o m m e n e 1 8 . — Das V o l l k o m m e n s t e u n d zugleich das Regelmäßige i s t die u m fassende rechtliche Herrschaft des Staates ü b e r die Sache, also das E i g e n t u m , welches d a n n hier als öffentliches E i g e n t u m erscheint. — Es k a n n aber a u c h sein, daß d i e öffentliche Sache d e m S t a a t e n u r insoweit zugehört, daß er e i n beschränktes R e c h t d a r a n erworben h a t , vermöge dessen die f ü r d e n öffentlichen Zweck erforderliche Ben u t z u n g v o n d e m E i g e n t ü m e r geduldet werden m u ß .

Das bedeutet

17 Über dieses Verhältnis Μ e i 1 i , Das Recht der modernen Verkehrs- und Transportanstalten S. 40. I n Frankreich pflegt der Konzessionär verpflichtet zu sein, den Schienenweg sofort dem das Unternehmen verleihenden Staate zu Eigentum zu übertragen; dieser ist dann schon während der ganzen Konzessionsdauer domaine public de l'Etat: B l o c k , Dictionnaire v° chemins de fer n. 132 ff. — Für unsere ältere Auffassung, die noch von der Fiskuslehre beherrscht war, fügte sich dieser Fall sehr leicht in das Schema ein: der beliehene Unternehmer vertritt an der Sache den Fiskus, der Staat behält sich die Polizei darüber vor und behält den „Polizeibesitz". Das Eigentum des Unternehmers bleibt privatrechtlich. So sind ja in Preußen ursprünglich die Chausseen vielfach durch Privatunternehmer, insbesondere durch Aktienvereine, hergestellt worden „gegen Bewilligung von Prämien aus Staatsfonds beziehungsweise der Erhebung von Chausseegeld und gegen Verleihung fiskalischer Vorrechte" ( G e r m e r s · h a u s e n , Pr. Wegerecht I S. 373). Die Polizei und die Macht, eine öffentliche Sache zu haben, war auch hier nicht verliehen. Die Aktiengesellschaft wurde Eigentümerin des Grund und Bodens nach Privatrecht. Dagegen dürfen wir schon in unserem Sinne auffassen das Gesuch der ersten deutschen Eisenbahngesellschaft um ihre Konzession, wenn darin gebeten wird: „der zu erbauenden Eisenbahn die Rechte und den Schutz der Staatsstraßen zuzusichern". Vgl. unten § 49 Note 25. 18

Württ. V.G.H. 1. Mai 1907 (Jahrb. f. Württ. R.Pfl. X I X S. 346) unterscheidet nach dem Gesichtspunkt der Frage gerichtlicher Zuständigkeit unsere drei Fälle: — Behauptung des Wegeherrn, „daß die Grundfläche in seinem Eigentum stünde"; — Annahme, die Grundfläche stünde im Eigentum des anderen, „ea bestehe aber eine öffentlich rechtliche Dienstbarkeit, kraft deren ein dem Gemeingebrauch dienender Weg darüber führe"; — „Eigentum dahingestellt und nur Dienstbarkeit auf alle Fälle behauptet". Der letztere Fall ist ersichtlich unklar gefaßt: auch die Dienstbarkeit ist dahingestellt und nur Besitz behauptet.

§ 35 Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang.

dann ein dingliches Recht an fremder Sache, eine D i e n s t b a r k e i t , die ihm zusteht. Diese ist dann ebensogut öffentlichrechtlicher Natur geworden wie i n jenem ersten Falle das Eigentum; ein Recht an der Sache, vermöge dessen öffentliche Verwaltung durch sie unmittelbar geführt w i r d 1 9 . Das Gesamtbild bietet gegenüber dem ersten Falle nur die bedeutsame Abweichung, daß hier das Recht des Eigentümers an der belasteten Sache übrigbleibt, welches seinerseits m i t öffentlicher Verwaltung nichts zu t u n hat, sondern ganz und gar dem bürgerlichen Rechte angehört, veräußerlich, verpfändbar, ersitzbar, belastbar nach dessen Regeln, selbstverständlich alles unbeschadet der öffentlichrechtlichen Dienstbarkeit. Die öffentliche Sache auf so beschränkter Grundlage kommt verhältnismäßig selten v o r 2 0 . — Endlich kann die Zugehörigkeit der öffentlichen Sache an den Staat oder sonstigen Träger öffentlicher Verwaltung auch zum Ausdruck kommen i n dessen bloßem B e s i t z . Solcher Besitz gehört immer zur öffentlichen Sache; ihr Wesen besteht ja darin, daß sie tatsächlich dem öffentlichen Zwecke dient und ihn erfüllt, daß öffentliche Verwaltung durch sie geführt wird; und das bedeutet eben den Besitz des Subjektes dieser Verwaltung. Zur Not steht aber der Besitz hier auch einstweilen auf sich allein, um die öffentliche Sache wenigstens vorläufig zu halten und sicherzustellen 21 . 19

L u t h a r d t in Bl. f. adm. Prax. 1870 stellt auf: „Eine öffentliche Wegeservitut ist eine privatrechtliche Servitut für einen öffentlichen Weg." Richtiger wäre zu sagen: eine Servitut, die als privatrechtliche begründet sein kann; sobald sie dem öffentlichen Wege dient, eine „öffentliche Wegeservitut" geworden ist, hat sie eben aufgehört, eine privatrechtliche zu sein. — G ο e ζ , Verw.R.Pfl. in Württ. S. 399: „Ein öffentlicher Weg kann auch in der Form einer öffentlichen Wegeservitut vorkommen; die Begründung setzt einen ausreichenden Titel des öffentlichen Rechts, Vertrag oder Herkommen voraus; Ersitzung genügt nicht." Aber die öffentlichrechtliche Wegeservitut bedarf eines öffentlichrechtlichen Titels so wenig wie das dem Wege dienende öffentliche Eigentum. 20 Bayr. Ob.G.H. 9. Nov. 1868 (Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 391): öffentlichrechtliche Wegeservitut über den Hof eines Privatgrundstücks. Württ. V.G.H. 5. Mai 1880 (Württ. Arch. f. R. X X I I S. 221): öffentliche Dohle unter einem Privathaus, welche der Stadt vermöge einer „öffentlichrechtlichen Servitut" gehört. Sächs. O.V.G. 1. Dez. 1906 (Jahrb. X S. 132): Nach Bauvorschrift sollen die Hausbesitzer „Laubengänge" für den öffentlichen Verkehr einrichten, als Dienstbarkeit zugunsten der Stadt; das kann nur im Wege der Enteignung erzwungen werden, gibt aber dann eine öffentlichrechtliche Dienstbarkeit. R.G. 10. Jan. 1883 (Entsch. V I I I S. 152): Ein Hamburger Siel, welches unter einem Privathaus durchführt, bedeutet für die Stadt „ein öffentliches Recht, welches nach Art einer Dienstbarkeit das Privateigentum beschränkt". — 21 Unten § 36 I I n. 3, § 41 I I n. 4. B i n d i n g - O e t k e r , H a n d b u c h V I . 2: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.

4

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Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

I V . Die Zugehörigkeit der Sache an einen Träger öffentlicher Verwaltung genügt nicht. Sie muß auch von i h m vermöge dieser Zugehörigkeit i m Dienste eines b e s t i m m t e n ö f f e n t l i c h e n Z w e c k e s g e h a l t e n w e r d e n , d e n sie u n m i t t e l b a r z u e r f ü l l e n g e e i g n e t i s t . Man hat die äußeren Güter des Staates einer Grundeinteilung unterworfen: Wenn sie für i h n m i t ihrem Vermögenswert und m i t ihrer Fähigkeit, Vermögenswerte privatwirtschaftlich zu erzeugen, i n Betracht kommen, dann zählen sie zu seinem F i n a n z v e r m ö g e n . Wenn sie dagegen m i t ihrer Körperlichkeit i n der öffentlichen Verwaltung für deren Zwecke verwendet werden sollen, dann nennt man sie V e r w a l t u n g s v e r m ö g e n 2 2 . Unsere öffentlichen Sachen bilden i n diesem letzteren einen engeren Kreis, abgegrenzt durch das Merkmal jener besonderen U n m i t t e l b a r k e i t der Erfüllung des öffentlichen Zweckes, die sie auszeichnen soll. Zugleich muß dieser Zweck so empfindlich sein, daß er auch vorübergehende Störungen, wie sie die Geltendmachung fremder Rechte an diesen Sachen verursachen könnte, nicht verträgt. Unsere G e s e t z g e b u n g hat zu der Frage regelmäßig Stellung genommen bei Ordnung des bürgerlichen Rechts, wie das der älteren Auffassung von der öffentlichen Sache entsprach. Die großen Gesetzbücher der Neuzeit versuchen sich gern i n einer den Lehrbüchern entnommenen Aufzählung. Der Hauptzweck ist dabei, das Eigentum des Staates außer Zweifel zu stellen und dabei doch hervorzuheben, daß es kein gewöhnliches Eigentum sei. Die Aufzählung enthält stets gewisse besonders wichtige Sachen, die nach dem soeben betonten Merkmal zweifellos hierher gehören 23 . Dazwischen wohl auch anderes, und es ist bemerkenswert, wie diese fremdartigen, d. h. unserem Merkmal nicht entsprechenden Zutaten von der Rechtsübung unbedenklich, 22

L a b a η d , St.R. I V S. 392 Note 5: „Die Richtigkeit und staatsrechtliche Bedeutung dieser Unterscheidung ist allgemein anerkannt." Es ist leicht zu sehen, daß sie von Haus aus den Staatswissenschaftlern angehört; das schließt nicht aus, daß das öffentliche Recht seine Bestimmungen daran hängt; für uns hier ist sie wertlos. R e g e l s b e r g e r , Pand. I S. 416 ff., unterscheidet Finanzvermögen als Gruppe A und Verwaltungsvermögen als Gruppe B, fügt aber mit Recht als Gruppe C die öffentlichen Sachen hinzu. Daß diese Gruppe bei L a b a η d fehlt, entschuldigt er S. 416 Note 6 damit, daß L a b a η d „keinen Anlaß hatte, diese Gruppe in Betracht zu ziehen". 23 A. L.R. I I , 14 § 21: „Die Land- und Heeresstraßen, die von Natur schiffbaren Ströme, die Ufer des Meeres und die Häfen sind gemeines Eigentum des Staates." Bayr. L.R. I I , 1, 5 und Gem. Ed. v. 1808 §§ 1 5 - 1 7 ; code civil art. 538ff.; Österr. B.G.B. § 287. — Das deutsche B.G.B, handelt absichtlich nicht von öffentlichen Sachen, da es sich von öffentlichrechtlichen Dingen überhaupt fernhält. So Mot. ζ. 1. Entw. I I I S. 27.

§ 35 Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang.

auch dem klaren Wortlaut des Gesetzes zum Trotz, abgestoßen zu werden pflegen, welche andererseits auch wieder Sachen, die offenbar diesem Merkmal entsprechen sollen, neu hinzufügt 2 4 . So wenig ist das Gesetz hier geneigt, jenen m i t formaler Strenge zu handhabenden „Rechtszustand" vorzustellen, m i t dem man sich jetzt brüsten möchte. Danach ist es immerhin möglich, einen K a t a l o g der i n unserem geltenden Rechte anerkannten öffentlichen Sachen aufzustellen 25 . W i r werden folgende Gruppen zu unterscheiden haben. 1. Den festen Kern aller öffentlichen Sachen bilden von jeher die ö f f e n t l i c h e n Wege, abgegrenzte Grundstücke und Grundstücksbestandteile, die dazu bestimmt sind, daß der öffentliche Verkehr sich auf ihnen bewege. Dahin gehören nicht bloß die e i g e n t l i c h e n Wege v e r s c h i e d e n e r R a n g s t u f e , vom Fußpfad bis zur Kunststraße, sondern auch ihre Erweiterungen, die öffentlichen V e r k e h r s p l ä t z e , und ihre Verlängerungen zur Überwindung unterbrechender Hindernisse, die öffentlichen B r ü c k e n . Als öffentlicher Weg ist auch von Anfang an behandelt worden die öffentliche E i s e n b a h n , der Schienenweg, umfassend die dem öffentlichen Verkehr dienenden Fahrgeleise nebst dem dazu gehörigen Unterbau, dem Planum, und was dieses t r ä g t 2 6 . Endlich kommen hinzu die Wasserstraßen: s c h i f f - oder f l ö ß b a r e Flüsse, Ströme oder öffentliche Flüsse genannt 2 7 , und 24

Code civ. art. 539 benennt als Bestandteil des „domaine public" auch das herrenlose Gut, art. 540 die aufgelassenen Festungswerke. Das wird gleichwohl alles ohne weiteres als domaine privé behandelt: Theorie d. franz. Verw.R. S. 227; D e m o l o m b e , cours de code Nap. I X η. 458. Umgekehrt besteht kein Zweifel, daß Festungswerke auch nach preußischem Rechte zu den öffentlichen Sachen gehören, obwohl das A.L.R. sie nicht nennt. Darüber mit zutreffender Begründung O.Tr. 31. März 1863 (Strieth. L V I I S. 92). Von Gewohnheitsrecht dürfen wir in solchen Fällen nicht sprechen; vgl. Bd. 1 § 8 n. 4. 25 Nur um u n b e w e g l i c h e Sachen handelt es sich hier wie bei der Enteignung (vgl. oben § 33 Eing.): vilis mobilium possessio. F 1 e i η e r , Inst. S. 328, nennt auch „Stühle und Bänke auf einer öffentlichen Promenade". Allein diese Promenade selbst ist wohl richtiger nicht als öffentliche Sache anzusehen (vgl. unten § 38), und was da herumsteht, erst recht nicht. — Auch das Kriegsschiff (a. a. O. S. 337 Note 3) ist keine öffentliche Sache. Seine Unpfändbarkeit, die R.G. 5. Jan. 1910 (Entsch. L X X I I S. 347) mit Recht hervorhebt, erklärt sich aus den oben Bd. I S. 400 dargestellten Grundsätzen. 26 Hierüber Arch. f. öff* R. X V I S. 76 ff. R.G. 4. Okt. 1881 (Entsch. V S. 333); O.V.G. 18. Okt. 1904 (Entsch. X L V I I S. 76); 2. Febr. 1906 (Entsch. X L V I I I S. 79). 27 Die S t r ö m e haben unter den öffentlichen Sachen ihr eigenes Schicksal gehabt. Länger als bei den übrigen hielt sich bei ihnen die Auffassung, daß sie als freie Naturgabe niemanden rechtlich zugehörten, res nullius seien (darüber G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 29 und Note 40; vgl. oben Note 11). Die Wasserwelle 4*

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Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

S c h i f f a h r t s k a n ä l e sowie, entsprechend den Verkehrsplätzen, die See- u n d B i n n e n h ä f e n und die dem öffentlichen Verkehre dienenden Seen28. wenigstens widerstrebt ja auch der einfachen Anwendung der Regeln des Eigentums. Als in den neuen Wassergesetzen Stellung genommen werden mußte zu der Frage, hielt man es immer noch für notwendig, vor allem zu betonen, daß auch hier Eigentum sein solle. Da aber unsere Gesetzgeber darin übereinstimmten, daß sie nicht wußten, was öffentliches Eigentum ist, so haben sie tatsächlich bei der Erklärung, die Ströme stünden „im Eigentum des Staates", sich nichts anderes vorgestellt als privatrechtliches Eigentum. Das bindet uns nicht. Es kommt darauf an, wie dieses Eigentum nun in der Wirklichkeit durchgeführt und rechtlich behandelt wird. Je nachdem ist -es am Ende doch öffentlichrechtlich gedacht. Vgl. oben Bd. I S. 119 Note 6. Das Sächs, Wasserges. v. 12. März 1909 § 5 Abs. 3 spricht das Bett der Elbe scheinbar nicht anders dem Staate zu Eigentum zu wie das der Freiberger und Zwickauer Mulde. Bei den Verhandlungen wurde aber doch sehr wohl anerkannt, daß es mit der Elbe seine besondere Bewandtnis habe. Der Bericht der Zwischendeputation der I . Kammer S. 12 sagt von ihr: Bei der Straße läßt sich „der Gegenstand ebensowohl als Objekt des Individualeigentums denken wie als öffentliche Sache. Dagegen ist ein großer Strom, ein schiffbares Gewässer durch seine Natur der Individualherrschaft entrückt". Das ist die Idee des öffentlichen Eigentums. — I m Preuß. Wasserges. v. 7. April 1913 hat man sehr rationalistisch mit allem Hergebrachten aufgeräumt und an die Stelle des Begriffs „öffentlicher Fluß" den nichtssagenden „Wasserlauf erster Ordnung" gesetzt — entsprechend dem auch sonst so beliebten papierenen Stil unserer Gesetzgebung. Was dazu gehört, sind „die in dem anliegenden Verzeichnis aufgeführten Strecken natürlicher Wasserläufe" (§ 2 Abs. 1 Ziff. 1), womit tatsächlich die schiffbaren Flüsse umfaßt werden. An ihnen „steht dem Staate das Eigentum zu" (§ 7). Wiederum ist das als Privateigentum gedacht im Gegensatz zur res nullius und zu den Schwierigkeiten, welche die Wasserwelle bietet. Das öffentliche Eigentum ist nicht abgelehnt, weil man nicht im entferntesten daran dachte, daß es so etwas dem Privateigentum Gleichwertiges gibt. Vgl. die Auseinandersetzungen bei H o l t ζ u. K r e u t z , Preuß. Wasserges. I S. 45 ff. Auch diese Gesetzgebung läßt der wissenschaftlichen Auffassung freie Hand. Bayr. Wasserges. v. 23. März 1907 Art. 1 und Bad. Wasserges. v. 12. April 1913 sind einfach bei dem alten deutschrechtlichen Begriff des öffentlichen Flusses geblieben und haben wohl daran getan. Württ. Wasserges. v. 1. Dez. 1900 Art. 1 Abs. 1 zieht die Grenzlinie der „öffentlichen Gewässer" nach den „privaten Gewässern", römisohrechtlichem Muster folgend, so, daß zu ersteren alle „ständig fließenden" gerechnet werden ( N i e d e r , Württ. Wasserges. S. 4). Wenn einmal ein richtiger schiffbarer Fluß durch das Land führt, wird es fühlbar werden, daß unter dieser alten Formel rechtlich sehr verschieden zu beurteilende Dinge zusammengefaßt sind. 28 Wegen der Zugehörigkeit des Bodensees an die Uferstaaten bestehen verschiedene Meinungen; das Richtige wird sein, daß er verteilt ist nach der Länge der Uferlinien (Wörterb. d. D. St. u. Verw.R. I S. 484 f.). Dieser völkerrechtlichen Abgrenzung entspricht denn auch das jedem Staate daran zukommende Stück öffentlichen Eigentums — ein hübsches Beispiel für den inneren Zusammenhang

§ 35» Das öffentliche Eigentum; Begriff' und Umfang.

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A n diesen Wegen offenbart sich am einleuchtendsten die Eigenart der öffentlichen Sache, e m p f i n d l i c h zu sein gegen jede rechtliche Bestimmtheit, die nicht planmäßig eingeordnet ist i n den hier zu erfüllenden Zweck: das muß alles glatt durchgehen können in seiner geraden Linie. Zugleich erscheint hier vor allem jene Rechtseinrichtung, die man von jeher gern als ein Kennzeichen der öffentlichen Sache hervorhob: der G e m e i n g e b r a u c h (vgl. unten § 37). Er ist i n der Tat die unzweideutigste Bekundung, daß die Sache ihrer Beschaffenheit nach geeignet ist, eine öffentliche Sache i n dem festgestellten Begriffe zu sein. Der Eigentümer, der durch sie die öffentliche Verwaltung führt, zu der er berufen ist, hat nichts zu t u n und nichts zu leisten, als sie dem Gemeingebrauch dienstbar zu halten, dann verwaltet die Sache für ihn: das Publikum greift zu, und der öffentliche Zweck erfüllt sich dadurch unmittelbar und von selbst. Andererseits aber beweisen schon diese öffentlichen Wege, wie haltlos die ältere Annahme ist, wonach der Gemeingebrauch das Wesen der öffentlichen Sache ausmachen sollte. Die S c h i e n e n w e g e stehen nicht i m Gemeingebrauch 29 . Auch die Schiffahrtskanäle da nicht, wo man erst die besondere Hilfeleistung und Nutzungsgewährung der Beamten anrufen muß, um die Verkehrseinrichtung benutzen zu können : die S c h l e u s e n t r e p p e steht nicht i m Gemeingebrauch, aber öffentliche Sache ist sie gleichmäßig wie der ganze Kanal. 2. Neben der umfassenden Gruppe des Wegewesens finden sich dann öffentliche Sachen v e r s c h i e d e n e r Verwaltungszweige, die ihre Eigenschaft keiner so einheitlichen Grundidee verdanken. Sie ordnen sich i n dieser Hinsicht wieder nach verschiedenen Gesichtspunkten. Der M e e r e s s t r a n d , dargestellt von dem Küstenstreifen, der den Spielraum v o n Ebbe und Flut bildet, empfängt seine rechtliche Besonderheit durch den Zusammenhang m i t dem Meere. Dieses steht als der einzelnen Zweige des öffentlichen Rechts. — Die zum Staatsgebiet gehörigen M e e r e s t e i l e (Küstengewässer und Eigengewässer) würden wohl in gleicher Weise zu behandeln sein. Große Hilflosigkeit bezüglich des Seehafens bei O.V.G. 11. April 1908 (Entsch. L H S. 345). 29

W a p p ä u s , Dem Rechts verk. entz. Sachen S. 107, hat noch die Staatsbahnen für öffentliche Saehen wegen Gemeingebrauchs ansehen wollen, weil ja „die Benutzung jedem Zahlung anbietenden Reisenden gewährt werden muß". Allein die Benutzung des Schienenwegs, um den es sich doch allein handelt, wird bekanntlich niemandem so gewährt; den benutzt ausschließlich die Bahnverwaltung mit ihren Wagen, und sie läßt ihrerseits dann ihre Wagen benutzen, die doch als öffentliche Sachen überhaupt nicht in Betracht kommen.

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

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Küstengewässer unter der Gebietshoheit, ist aber, wenn nicht als herrenlos, als öffentliches Eigentum angesehen und jedenfalls allgemeiner Benutzung offen. Der Meeresstrand vermittelt dem Lande solche Benutzung i n der Form von allerlei entsprechendem G e m e i n g e b r a u c h , der an i h m zu üben ist. Außerdem ist sein unversehrter und wohlgeordneter Bestand je nachdem von größter Bedeutung für den S c h u t z der Küste gegen die Einwirkung der Meereswogen. Der Staat ist als Eigentümer angesehen. Seine Herrschaft ist ganz auf jene Zwecke öffentlicher Verwaltung gerichtet, die von der Sache unmittelbar erfüllt und dargestellt werden; sie ist deshalb empfindlich für jede Beeinträchtigung und erhält durch das öffentliche Eigentum des Staates ihr richtiges R e c h t 3 0 . Der Gedanke der besonderen Rechtsgewähr für den zweckgemäßen Bestand der Sache kommt noch stärker und ausschließlicher zur Geltung bei den F e s t u n g s w e r k e n . Nach der früheren Bauart und der Rolle, welche die Befestigungswerke damals i m Kriege spielten, mußte ihre selbständige Wirkung für den wichtigen Zweck der Landesverteidigung — die unmittelbare Verwaltung, die i n ihnen erscheint, wie wir sagen — noch viel handgreiflicher hervortreten als jetzt. Immerhin ist noch genug geblieben, um jene rechtliche Sonderstellung zu rechtfertigen. Die Unersetzlichkeit jeder Stelle und die hochgradige Empfindlichkeit gegen jede rechtliche Einwirkung, die dem Zwecke nicht angemessen sein könnte, ist gewiß nicht geringer als bei den Verkehrswegen. Von Gemeingebrauch ist hier selbstverständlich keine Rede 3 1 . I n gleichem Sinne werden auch S c h u t z d e i c h e und Ü b e r s c h w e m m u n g s d ä m m e zu den öffentlichen Sachen zu rechnen sein, wegen der Gefahrenabwehr, die jedes Stück von ihnen für das Gemein30

G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 30. Vgl. auch R.G. 23. Febr. 1880 (Entsch. I S. 366). 31

Daß der Versuch, die öffentliche Sache dem „Publikum" zuzueignen, dem der Gemeingebrauch gehört, gerade an den Baseler Festungswerken gemacht werden mußte (vgl. oben Note 10), verdient als eine Merkwürdigkeit verzeichnet zu werden. Auch W a p p ä u s , D. Rechtsverk. entz. Sachen S. 107, will diese unter seinen Begriff der öffentlichen Sache bringen, der da hängt an der „Bestimmung zum öffentlichen allgemeinen bestimmungsmäßigen Gebrauch aller Staats- resp. Gemeindeangehörigen, dann aber auch aller Fremden" (S. 106). Namentlich der bestimmungsmäßige Gebrauch der Festungswerke durch „alle Fremden" möchte sich gut ausnehmen! — Richtig O.V.G. 28. März 1896 (Entsch. X X I X S. 232): „Öffentliche Wege sind, ganz ebenso wie Festungswerke, öffentlichen Zwecken unmittelbar bestimmte Sachen, die als solche, als sogenannte öffentliche Sachen, soweit ihre Bestimmung für öffentliche Zwecke reicht, dém gewöhnlichen Privatrechtsverkehr entzogen sind."

§ 35 Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang.

wesen bedeutet. Auch hier gibt es keinen Gemeingebrauch, auf welchen die Sonderstellung zurückzuführen w ä r e 3 2 . Auf dem Gebiete der Ortsgemeindeverwaltung begegnen wir allerlei Vorkehrungen, bei welchen der Gesichtspunkt der Unentbehrlichkeit und der rechtlichen Unantastbarkeit der Zweckbestimmung i n Betracht kommen kann. Je nachdem werden sich dann diese Dinge — auch ohne ausdrückliches Gesetz — i m geltenden Recht zu öffentlichen Sachen gestalten. Das wird namentlich zutreffen bei den allgemeinen A b zugs- u n d A b l e i t u n g s k a n ä l e n (im Gegensatz zu den bloßen Hausanschlüssen) 33 . Auch öffentliche G e m e i n d e b r u n n e n hat man schon hierher rechnen wollen 3 4 . W i r müssen uns dabei bescheiden, daß die Grenze gerade bei solchen minder wichtigen Dingen immer etwas schwankend sein wird. Das Meinen und Schätzen spielt hier seine Rolle* bis etwa ein klarbewußtes Gesetz eine auch von der Rechtswissenschaft und Rechtsübung anerkannte Ordnung schafft 3 5 . 3. Noch ist eine ganz eigenartige Gruppe von öffentlichen Sachen zu erwähnen: das sind solche, die ihre besondere Rechtsstellung i m Zusammenhang m i t k i r c h l i c h e n Anschauungen und kirchlichem Recht erhalten haben. Es kommen hier i n Betracht die K i r c h e n g e b ä u d e und die F r i e d h ö f e . Beide haben alte Anknüpfungen i m römischen Recht der Heidenzeit, an den Tempel als res sacra, an die Begräbnisstätte als res religiosa. I m Mittelalter gab ihnen das kanonische Recht selbständig rechtlich bevorzugte Stellung, die durch kirchliche Weihehandlungen, consecratio und benedictio, begründet, einen Ausschluß des weltlichen Verkehrsrechts bedeutete 36 . Der neuzeitliche Staat ist darüber gekommen m i t dem Anspruch auf die unbedingte Souveränität seines Rechts. Wenn diese Sachen noch irgendwie einer Sonderstellung teilhaftig sein sollen, 32 J h e r i n g , Der Streit zwischen Basel-Land und Basel-Stadt S. 44, hält auch hierfür seine einseitige Betonung des Gemeingebrauchs aufrecht. 33 So der Fall des Hamburger Siels in R.G. 10. Jan. 1883 (Entsch. V I I I S. 152); vgl. oben Note 20. 34 W a p p ä u s , D . Rechtsverk. entz. Sachen S. 107; R o t h , Bayr. Ziv.R. I S. 332. Bayr. Ob.Ger.G. 21. März 1863 (Bayr. Reg.Bl. 1863 S. 527): „Die Gemeindebrunnen sind gleich den Gemeindewegen im öffentlichen Interesse als unveräußerüches, d e m P r i v a t v e r k e h r e n t z o g e n e s E i g e n t u m gesetzlich erklärt und der a u s s c h l i e ß l i c h e n O b h u t d e r V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n u n t e r s t e l l t". 35 F l e i n e r , Instit. S. 328, erwähnt unter den „öffentlichen Sachen im engeren Sinne", die im Gemeingebrauch stehen, namentlich die G l e t s c h e r . Vielleicht finden da auch die so interessanten Vulkane ihren Platz. 36 M e u r e r , HeiL Sachen I S. 170ff.

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

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müssen sie eingeordnet werden i n entsprechende Kategorien dieser weltlichen Rechtsordnung. Das ist bei den K i r c h e n g e b ä u d e n i n der Weise geschehen, daß angeknüpft wird an den unserem Staate geläufigen Begriff der ö f f e n t l i c h e n R e l i g i o n s g e s e l l s c h a f t , Kirche i n seinem Sinne (vgl. oben Note 16). Nicht alle gottesdienstlichen Gebäude also kommen hier i n Frage, sondern nur die, welcher einer derart ausgezeichneten Religionsgesellschaft dienen. Die ganze Tätigkeit einer solchen ist angesehen als gleichwertig der eigenen Verwaltungstätigkeit des Staates, sie gilt als öffentliche Verwaltung. Das ihr zugehörige Kirchengebäude dient dieser Verwaltung, und zwar i n besonders unmittelbarer Weise: sein Besitz und Bestand selbst stellt schon Gottesdienst dar. So wenigstens nach der hier maßgebend gewordenen katholischen Anschauung. Damit erfüllt sich an ihm wieder die Idee der öffentlichen Sache. Die Rechtsfolgen davon treffen zusammen m i t denen, welche die alte res sacra ergeben mußte, und das erleichtert das Durchdringen dieser Auffassung. Die besondere Heiligkeit der Sache macht sie empfindlich gegen jede Rechtseinwirkung, die nicht geordnet ist nach der besonderen Rücksichtnahme auf ihren Zweck; die Behandlung als öffentliches Eigentum des Staates, der Gemeinde oder der kirchlichen Gemeinschaft entspricht wieder dem Bedürfnis 3 7 . Ähnlich die K i r c h h ö f e . Das kirchliche Recht hatte hier die alte res religiosa durch die res benedicta ersetzt, m i t ähnlicher Wirkung, wie sie die consecratio an den Kirchengebäuden hervorbrachte. Von da führt dann wieder eine ähnliche Entwicklung zu der öffentlichen 37

G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 32 ff., unterwirft sie dem „Gemeingebrauch", der „objektiven Zweckgebundenheit" und den damit gesetzten „Schranken des Privatrechtsverkehrs". Die „mitgliedschaftlichen Sonderrechte" an Kirchstühlen (a. a. O. S. 33 Note 59), welche „nicht reine Privatrechte" sind, werden wir unten § 39 als verliehene besondere Nutzungen genauer kennen lernen. Ein Gemeingebrauch, den G i e r k e gleichfalls hier bejahen möchte, besteht allerdings an den Kirchen nicht (vgl. unten § 37); es gibt überhaupt kein öffentliches Gebäude, das einem solchen unterliegt. Es gibt auch, außer den Kirchen, kein Gebäude, das eine öffentliche Sache im Rechtssinn vorstellte; solche dienen überall dem öffentlichen Zweck nur mittelbar; die öffentliche Anstalt oder Einrichtung, der sie zum Obdach dienen, ist das eigentlich Wirkende. Wenn bei den Kirchen diese Eigenschaft ganz ausnahmsweise doch erscheint, so hängt das offenbar zusammen mit gefühlsmäßig übernommenen Anschauungen der res sacra. Ebenso gefühlsmäßig erstreckt sich die gleiche Behandlungsweise auch auf -die protestantischen Kirchen, für welche doch jene grundlegende Rechtsidee von Haus aus fehlt. Woher die besondere Empfindlichkeit der öffentlichen Verwaltung für ihre Sache kommt, dafür gibt es eben keine einheitliche Formel. Es muß uns genügen, festzustellen, wo sie besteht.

§ 36. Die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums.

57

Sache. Die Kirchhöfe der öffentlichen Religionsgesellschaften bilden ein Stück von deren Verwaltung, welche der neuzeitliche Staat der seinigen gleichstellt. I m weiteren Verfolg vollzieht sich dann mehr und mehr eine Verweltlichung der Kirchhöfe; sie werden öffentliche Sachen der bürgerlichen Gemeinde. Gemeingebrauch besteht an den Kirchhöfen sowenig wie an den Kirchengebäuden. Wie das Kirchengebäude unmittelbar eine A r t Gottesdienst der öffentlichen Religionsgesellschaft verkörpert, so der Kirchhof die öffentliche Fürsorge für die ungestörte Aufbewahrung der Toten. Dabei soll nicht verkannt werden, daß wie dort so auch hier Erinnerungen an das alte kirchliche Recht noch fortwirken, dazu auch nach wie vor Gefühle frommer Ehrfurcht diese Stätten umgeben, die es erleichtern, dieses Stück öffentlicher Verwaltung wieder als besonders empfindlich anzusehen und als eines besonderen Schutzes der Erhaltung bei seinem Zweck bedürftig. Die Zugehörigkeit des Kirchhofs zu den öffentlichen Sachen, wie das geltende Recht sie anerkennt, ist das Ergebnis 3 8 . § 36.

Fortsetzung; die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums. I n Gemäßheit des aufgestellten Begriffs des öffentlichen Eigentums entfaltet sich nun die besondere Rechtsordnung, die es umgibt, i n ihren Einzelheiten. Anfang und Ende seiner Wirksamkeit, und worin diese selbst sich äußert, ist alles danach zu bestimmen 1 . Diese Rechtsordnung findet dann entsprechende Anwendung auf die Fälle, wo die öffentliche Sache auf Grund bloßen Besitzes besteht oder einer Dienstbarkeit. Die Abweichungen, die sich dabei ergeben, sind gelegentlich besonders hervorzuheben. I . Die E n t s t e h u n g des öffentlichen Eigentums, d. h. der Beginn des rechtlichen Zustandes, den wir so nennen, t r i t t ein m i t dem Augenblick, i n welchem seine begriffsgemäßen Voraussetzungen erfüllt sind: 38

Μ e u r e r , Heil. Sachen I I S. 18 ff. ; Η a w e 1 k a , Österr. Friedhofsrecht S. 45. — R.G. 15. April 1909 (Entsch. L X X I S. 20) will die Bestimmung von E.G. z. B.G.B. Art. 133 über „öffentliche Begräbnisstätten" sogar auf den Friedhof eines „eingetragenen Vereins" anwenden. Hier ginge allerdings der Zusammenhang mit der öffentlichen Verwaltung verloren. Auch die res religiosa des römischen Rechts besitzt einen solchen nicht; sollte das hier nachwirken? Sachlich ließe sich übrigens die Entscheidung des R.G. sehr wohl auch ohne diesen etwas bedenklichen Exkurs aufrechterhalten. 1

Mangels anderer Originalität behaupten neuere Leitfaden des Verwaltungs rechts, ich hätte nicht gesagt, welche Regeln das seien. — Unsere Darstellung wurde hier gegen früher stark gekürzt.

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

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Eigentum und öffentliche Verwaltung durch die damit beherrschte Sache i n der ausgeprägten Weise, auf die es hier ankommt, müssen zusammentreffen. 1. Der gewöhnlichste Fall, i n welchem auch der ganze Vorgang i n der übersichtlichsten Weise sich abspielt, ist der, daß der Staat oder der sonstige berufene Träger öffentlicher Verwaltung die öffentliche Sache n e u h e r s t e l l t . Damit das seinen Anfang nehmen könne, muß der Staat die rechtliche Verfügungsmacht über die erforderlichen Grundstücke besitzen. Soweit er nicht schon m i t verwendbarem Grundbesitz ausgestattet ist, b e s c h a f f t er sich i h n durch Kauf oder Enteignung. Nun beginnen die H e r r i c h t u n g s a r b e i t e n , um die Grundstücke geeignet zu machen, als öffentliche Sache zu dienen. Man gibt ihnen die äußere Gestalt eines Weges, eines Kanals, eines Festungswerkes. Diese Arbeiten, als auf den öffentlichen Zweck gerichtet, gehören ihrerseits schon zur öffentlichen Verwaltung und sind auch möglicherweise m i t besonderen rechtlichen Vorzügen ausgestattet. Der bearbeiteten Sache selbst gibt das zunächst keine veränderte Rechtslage; das Eigentum daran bleibt privatrechtlicher Natur. Auch die Fertigstellung des Werkes bewirkt nicht von selbst einen Umschlag. Das ist alles noch etwas rein Tatsächliches. Entscheidend ist und abschließend der Wille der Verwaltung, durch welchen die also hergerichtete Sache i n d e n D i e n s t des ö f f e n t l i c h e n Z w e c k e s g e s t e l l t w i r d , ihre W i d m u n g für diesen Zweck 2 . Sie ist keine obrigkeitliche Anordnung, kein Verwaltungsakt, enthält keinen bindenden Ausspruch dessen, was Rechtens sein soll, und bedarf keiner Form. Der i r g e n d w i e zutage tretende Wille des Herrn der öffentlichen Sache, von nun an durch die bereitgestellte Sache die entsprechende öffentliche Verwaltung zu führen, macht aus dem Privateigentum öffentliches, aus der privatrechtlichen Wegedienstbarkeit eine öffentlichrechtliche und gibt ebenso auch dem bloßen Besitz jene öffentlichrechtliche Natur, die wir schilderten 3 . 2

G e r m e r s h a u s e n , Preuß. Wegerecht I S. 5; F l e i n e r , Instit. S. 329; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 20ff.; R.G. 4. Febr. 1901 (Entsch. X L V I I I S. 297); O.V.G. 20. Febr. 1889 (Entsch. X V I I I S. 321); 6. Mai 1896 (Entsch. X X X S. 212); 30. Okt. 1905 (Fischers Ztschr. X X X I S. 355). 3 Mißverständnis der römischen publicatio hat hier dazu geführt, einen formell wirksamen Akt anzunehmen, der der Sache die öffentlichrechtliche Natur gibt, und dieses kraft eines der Verwaltung zustehenden jus publicandi, eines „schöpferischen Rechts". So E i s e 1 e , Rechtsverh. der res public. S. 35. Folgerichtig erklärt E i s e 1 e es nicht für nötig, daß die Sache auch schon zugerichtet

§ 36. Die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums.

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2. D e r H e r g a n g b r a u c h t n i c h t i m m e r n u r i n dieser Reihenfolge sich z u vollziehen. E s g i b t v o r a l l e m öffentliche Sachen, welche die B e s t i m m u n g , einem öffentlichen Zwecke z u dienen, schon vermöge i h r e r n a t ü r l i c h e n Beschaffenheit besitzen.

Natürliche öffentliche

S a c h e n mögen w i r

sie nennen: schiffbare Flüsse, Seen, Meeresstrand sind, j e t z t öffentliche Sachen, w i e die anderen. A b e r es b l e i b t d o c h i m m e r e i n w i c h t i g e r Unterschied, daß der S t a a t sie n i c h t gemacht, sondern v o r g e f u n d e n h a t : sie w a r e n d u r c h i h r e Beschaffenheit geeignet, d e n öffentlichen Zweck z u erfüllen, bevor er sie ü b e r n o m m e n h a t t e , u n d d i e n t e n diesem, ohne daß erst er i h n e n die B e s t i m m u n g d a f ü r gegeben h ä t t e . D i e W i d m u n g w i r d hier ersetzt d u r c h die B e i b e h a l t u n g dieser v o n der N a t u r

schon dargebotenen

allgemeinen B e n u t z b a r k e i t . U n t e r U m s t ä n d e n vollziehen sich d a n n Verschiebungen a m B e s t a n d der öffentlichen Sache ganz i n gleicher Weise, n ä m l i c h a u f

natür-

l i c h e m W e g e : der S t r o m verlegt sein B e t t / d i e S t r a n d l i n i e schiebt und fähig sei, dem öffentlichen Zwecke zu dienen: der Beschluß genüge (a. a. O. S. 33 Note 2). Das trifft nicht zu. Richtig bezüglich der öffentlichen Kirchengebäude O.Tr. 12. Nov. 1867 (Strieth. L X I X S. 73): „Die Bestimmung zum Gottesdienste macht das Gebäude nicht zur res sacra (öffentlichen Sache); es muß auch die tatsächliche Verwendung hinzutreten." Β r i η ζ , Pand. § 128, nennt unsere Widmung mit Rücksicht auf den sich daraus ergebenden Gemeingebrauch geradezu „eine Art öffentlicher Stiftung". Auch R e g e i s b e r g e r , Pand. I S. 420, sieht darin „ein Rechtsgeschäft" zur „Hingabe der Sache in die allgemeine Benutzung", eine „Stiftung". Daraus haben dann verwaltungsrechtliche Schriftsteller eine „Erklärung der Öffentlichkeit" oder „Verleihung der Eigenschaft der öffentlichen Sache" gemacht. Auch F l e i n e r behandelt die Sache zu formell, wenn er von der Widmung sagt: die Sache werde hier „durch einen öffentlichrechtlichen Akt des zuständigen Staatsorgans zu einer öffentlichen gestempelt" (Instit. S. 328/329). Mit dem bloßen „Stempeln" ist es hier nicht getan; F 1 e i η e r selbst erläutert ja die Widmung mit mir als „Indienststellung" (S. 329). G e r m e r s h a u s e n , Preuß. Wegerecht I S. 5: „Es genügt auch die stillschweigende Bestimmung für den öffentlichen Verkehr." Dem Bedürfnis bureaukratischer Korrektheit entspricht die in Preußen üblich gewordene Formel, wonach für das Zustandekommen eines öffentlichen Weges stets die Zustimmung von den „Rechtsbeteiligten" nötig wäre: Eigéntümer, Wegebaupflichtiger, Polizeibehörde. Vgl. O.V.G. 6. Mai 1896 (Entsch. X X X S. 112); 30. Okt. 1905 (Fischers Ztschr. X X X I S. 355); R.G. 4. Febr. 1898 (Entsch. X L V I I I S. 297). Daß der Eigentümer des Grund und Bodens ein anderer ist als der Wegeherr, ist doch nur eine abnorme Komplikation, die man nicht zu einem wesentlichen Stücke des Begriffes aufbauschen sollte. Der Schwerpunkt liegt aber ordentlicherweise bei dem Gemeinwesen, dem der Weg gehören soll, und das ja regelmäßig auch wegebaupflichtig, sein wird; dié Polizeibehörde, wo sie gesondert auftritt, gibt doch nur ihren Segen dazu.

60

Das

etliche Sachenrecht.

sich landeinwärts. I n Kraft des Rechtssatzes, der diese Dinge dem Staate zuspricht, folgt sein Eigentum jeweils dem neuen Bestand, ohne Erwerbsakt, ohne Herrichtung, ohne neue Widmung; die alte Zweckbestimmung und ihre Aufrechterhaltung durch den Staat gehen einfach m i t 4 . Der neuen Zeit und ihrer gehobenen Technik entsprechen mehr k ü n s t l i c h e Veränderungen: ein Durchstich wird ausgeführt, der das Strombett verlegt, der bisherige Privatfluß wird durch Kunstbauten schiffbar gemacht. Hier beginnt das Unternehmen wieder nach A r t der meisten öffentlichen Sachen damit, daß der Staat m i t den betroffenen Privatrechten sich abfindet; dann werden die Herrichtungsarbeiten vorgenommen, und zuletzt wird eine mehr oder weniger förmliche Indienststellung erfolgen, eine Widmung 5 . — 3. E i n anderer Fall von besonderer Gestaltung der Reihenfolge ist der der Begründung öffentlichen Eigentums durch Ü b e r n a h m e . Sie findet sich namentlich bei Straßen. E i n Unternehmer hat, um seine Grundstücke verkäuflich zu machen, den städtischen Vorschriften entsprechend die i m Bebauungsplan vorgesehene Straße fertiggestellt. Mit Duldung der Polizei läßt er vielleicht bisher schon jedermann darauf verkehren, wie wenn es eine öffentliche Sache wäre; das wird sie aber erst, wenn auf seinen Antrag die Stadt nunmehr die Straße übernimmt. Hier haben dann die Herstellungsarbeiten zunächst noch gar nichts m i t öffentlicher Verwaltung zu tun. Die Widmung, der entscheidende A k t , wird äußerlich nicht erkennbar: was die Straße bisher i m Namen des Privatunternehmers leistete, leistet sie von der Übernahme ab i m Namen der Stadt, des Subjekts öffentlicher Verwaltung, und deshalb ist sie jetzt öffentliche 4

Daher vergleicht 1. 30 § 3 D. 41, 1 den Fluß mit einem Katasterbeamten, der das Grundstück umschreibt: flumina enim censitorum vice funguntur, ut ex privato in publicum addicant et ex publico in privatum. 5 A.L.R. I I , 15 §§ 39 u. 40 schreibt für diesen Fall Entschädigung der „bisherigen Eigentümer" vor; § 41 fügt hinzu: „Übrigens gehen durch die Schiffbar machung eines Privatflusses die Eigentumsrechte, soweit dieselben mit der nunmehrigen Bestimmung des Flusses bestehen können, noch nicht verloren." Das will nicht sagen, daß der „bisherige Eigentümer" nun schlechthin Eigentümer bleibt nur mit angemessenen Beschränkungen. Die Schiffbarmachung gegen Entschädigung ist eine Enteignung im Sinne von A.L.R. I , 11 § 4. Aber diese erstreckt sich nur auf den für die neue Wasserstraße in Anspruch genommenen Teil des Privatflusses; nur so weit wird er jetzt „öffentlicher Fluß" wie die von Natur schiffbaren. So O.V.G. 26. Sept. 1889 (Entsch. X V I I I S. 125): „Die Einwirkung auf die rechtliche Natur des Privatflusses reicht in solchen Fällen nicht weiter als die Absicht des Staates, die von demselben ausgehende Bestimmung des Privatflusses bezüglich seiner Benutzung als Verkehrsstraße geht."

§ 36. Die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums.

61

Sache. Die Übertragung des Eigentums, die nach B.G.B, sich vollzieht, kann schon vorher erfolgt sein; dann wird die Straße sofort m i t der Übernahme öffentliches Eigentum. Sie kann auch erst nachher geschehen; dann hat die Stadt die Straße einstweilen nur i n öffentlichrechtlichem Besitz, öffentliches Eigentum entsteht für sie mit der privatrechtlichen Übertragung 6 . I I . Die Rechtsordnung des einmal entstandenen öffentlichen Eigentums regelt die Beziehungen des Herrn der öffentlichen Sache als solchen zu anderen. 1. Die öffentliche Sache ist n i c h t a u ß e r V e r k e h r . Kraft seines Eigentums kann der Herr der öffentlichen Sache über sie verfügen. Diese Verfügungen vollziehen sich aber nach den Formen und Bedingungen des öffentlichen Rechts: — Eine öffentliche Sache kann v e r ä u ß e r t werden. Voraussetzung ist, daß der Empfänger ebenso befähigt ist, öffentliche Verwaltung weiterhin durch sie zu betreiben; sonst kann sie eben nicht als öffentliche Sache veräußert werden, sondern fällt die Abtretung unter die Regeln einer Einziehung (unten I I I ) . Es handelt sich also stets um eine V e r w a l t u n g s v e r s c h i e b u n g , die das Eigentum m i t begreift. Die Form ist die eines Sondergesetzes oder eines Verwaltungsaktes, der dann besondere Gestaltungen annehmen k a n n 7 . 6 Auf derartige Fertigstellung von gemeindlichen Straßen behufs künftiger Übernahme durch die Gemeinde beziehen sich Preuß. Straßenges, v. 2 f Juli 1875 § 15 und Sächs. Bauges. v. 1. Juli 1900 § 77. — Ein Fall einfacher Besitzergreifung von einer bisherigen Privatstraße durch die Stadt in R.G. 6. Okt. 1905 (Entsch. L X I S. 322): Das Gericht spricht dem bisherigen Eigentümer Entschädigung zu, weil sonst die „Gemeinde o h n e Gegenleistung das p u b l i z i s t i s c h e E i g e n t u m der von ihr in Besitz genommenen Grundstücke erwerben würde". R.G. 10. Juli 1908 ( E g e r , Eisenb. Entsch. X X V S. 280): Privatstraße wird enteignet; das bedeutet eine Änderung nur, „soweit an die Stelle privatrechtlicher Verhältnisse öffentlichrechtliche getreten sind". Hier blitzt auch beim Reichsgericht schon einmal die Idee des öffentlichen Eigentums auf. 7 Das bewegt sich alles auf dem Boden der unten § 60 noch besonders zu behandelnden Rechtsbeziehungen zwischen den verschiedenen Verwaltungskörpern. — E.G. z. B.G.B. Art. 126 hat wesentlich solche Vorgänge im Auge. Mot. ζ. Entw. 1. L. bemerken zu dem entsprechenden Art. 68: „Die im Art. 68 bezeichneten Eigentunisübertragungen sind eine innere, den Privatverkehr nicht interessierende Angelegenheit der beteiligten öffentlichen Gemeinwesen" (S. 193). Hier ist umschrieben, was wir eine Verwaltungsverschiebung nannten. Ein Beispiel gibt das Preuß. Ges. v. 8. Juli 1875 § 18 Abs. 2, wodurch die Chausseen des Staates mit allen Rechten und Pflichten auf die Kommunalverbände übergehen. Sehr häufig ist der Fall, daß Straßen des Staates oder eines höheren Kommunalverbandes einer sich baulich ausdehnenden Stadt überwiesen werden. Das geschieht durch eine „Vereinbarung", bei welcher der Erwerber nicht etwa einen

62

Das ö e t l i c h e Sachenrecht. — D i e öffentliche Sache k a n n z u g l e i c h n o c h e i n e m

anderen

Z w e c k dienstbar gemacht werden als dem, f ü r welchen sie ursprüngl i c h b e s t i m m t ist. I s t das e i n Zweck des n ä m l i c h e n H e r r n , so ü b t er d a m i t auch f o r t a n n u r sein E i g e n t u m aus, vermöge dessen es i h m freisteht, über die V e r w e n d u n g seiner Sache z u b e s t i m m e n .

H a n d e l t es

sich u m einen Zweck, der d u r c h die öffentliche Sache eines anderen Verwaltungsträgers z u erfüllen wäre, so w i r d die öffentliche

Sache

zweien H e r r e n dienstbar, z u gleichem R e c h t e oder so, daß d e m einen n u r e i n beschränkter A n t e i l z u e r k a n n t ist.

E s entsteht eine

Ver-

w a l t u n g s g e m e i n s c h a f t a n der Sache. D i e F o r m e n , i n welchen das eingerichtet u n d geordnet w i r d , s i n d die gleichen wie b e i der V e r waltungsverschiebung 8 . Kaufpreis oder sonstigen Gegenwert leistet, sondern im Gegenteil eine Entschädigung erhält für die fortan ihm obliegenden Kosten der Unterhaltung. Vgl. Erläuterungen z. Ausf.Best. v. 22. Mai 1891, betr. die Übereignung von in Stadtgebieten belegenen Teilen von Provinzialstraßen an die Stadtgemeinden (Schleswig-Holstein), bei G e r m e r s h a u s e n , Preuß. Wegerecht I I S. 624ff. Staat und Gemeinden haben ihr G e b i e t (Gebietskörperschaften!); öffentliche Wege haben sie ordentlicherweise nur, soweit ihre öffentliche Gewalt, ihr Gebiet reicht. Daher auch der Wechsel des öffentlichen Eigentums zwischen Staaten und zwischen Gemeinden unmittelbar an die Gebietsveränderung sich knüpft. U b b e l o h d e , Forts, zu Glück Bd. 43 u. 44, I V S. 88ff., zieht daraus mit Recht einen Beweis für die Übertragbarkeit von öffentlichen Sachen. Er bemerkt: „Allerdings wird es nicht eben häufig vorkommen, daß ein Staat dem anderen etwa eine Chaussee als solche überträgt. Warum indessen sollte das nicht bei einer Grenzregulierung, also in der Weise sich ereignen können, daß an dem abgetretenen Stück zugleich die Staatshoheit übertragen wird?" Das scheint uns keine Frage zu sein; wir wüßten gar nicht, wie sich das anders sollte „ereignen können". Zwischen Gemeinden spielt dergleichen noch eine größere Rolle. Unsere wachsenden Großstädte saugen Nachbargemeinden ganz oder stückweise auf; die Gemeindestraßen gehen von selbst mit über; O.V.G. 20. Febr. 1884 (Entsch. X S. 233): Die aufnehmende Gemeinde erwirbt die vorhandenen Wege „in dem Rechtszustande, in welchem der aufgenommene Teil sie besaß, ohne weiteres und ohne daß derselben auch nur besonders Erwähnung getan werden müßte". 8 Über „ e i s e n b a h n r e c h t l i c h e W e g e g e m e i n s c h a f t " vgl. Arch. f. öff. R. X V I S. 218 ff. Dazu noch Pr. Min. d. öff. Arb. 30. Dez. 1901 (Pr.Eisenb.Arch. 1902 S. 467: Kreuzung); O.VG. 18. Dez. 1902 (Entsch. X L I I S. 215: Unterführung); Österr. V.G.H. 6. Febr. 1908 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X V S. 44: Kreuzung). — C h a u s s e e u n d a n d e r e r W e g : O.V.G. 6. Mai 1896 (Entsch. X X X S. 212), 11. April 1896 (Entsch. X X X S. 207). - S t r a ß e n b r ü c k e ü b e r ö f f e n t l i c h e n F l u ß : O.V.G. 29. April 1901 (Entsch. X X X I X S. 221), 21. Febr. 1898 (Entsch. X X X I I I S. 263). Dagegen über P r i v a t f l u ß : O.V.G. 28. März 1898 (Entsch. X X X I I I S. 123; in diesem Fall ist die Straße allein maßgebend). — S t r a ß e n b r ü c k e ü b e r S c h i f f f a h r t s k a n a l : O.V.G. 24. Juni 1909 (Entsch. L I V S. 307). - Ö f f e n t -

§ 36. Die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums.

63

— A n der öffentlichen Sache k ö n n e n aber a u c h E i n z e l n e n , also n i c h t

Träger

öffentlicher

V e r w a l t u n g sind, R e c h t e u n d

die Ge-

b r a u c h s m ö g l i c h k e i t e n e i n g e r ä u m t werden, P r i v a t r e c h t e i m Sinne v o n Rechten Privater.

D i e darauf bezüglichen R e c h t s i n s t i t u t e b i l d e n

einen w i c h t i g e n T e i l des öffentlichen

Sachenrechts; v g l . hier

unten

§§ 3 7 - 3 9 . 2. D i e öffentliche Sache i s t d e m Rechte, welches f ü r G r u n d s t ü c k e i m P r i v a t e i g e n t u m gegeben i s t , e n t z o g e n .

Anders a u s g e d r ü c k t : der

S t a a t als H e r r der öffentlichen Sache i s t n i c h t Fiskus, l e b t n i c h t n a c h Untertanenrecht.

V g l . B d . I S. 118ff.

E s i s t falsch, z u sagen: die öffentliche Sache sei unveräußerlich. Sie ist veräußerlich, w i e w i r soeben feststellten. i n s t i t u t e des bürgerlichen Rechts, welche f ü r

A b e r die Rechts-

Veräußerungsgeschäfte

gegeben sind, f i n d e n darauf keine A n w e n d u n g 9 . U n d der Ausschluß beschränkt sich andererseits n i c h t auf

Ver-

äußerungsgeschäfte: das g a n z e bürgerliche R e c h t h a t m i t d e m öffentlichen Eigentum nichts zu t u n 1 0 . Ausgeschlossen ist das R e c h t s i n s t i t u t der Ausgeschlossen

sind

alle

Rechtsinstitute

Eigentumsersitzung.

des b ü r g e r l i c h e n

Rechts,

l i c h e r W e g a u f F e s t u n g s g e l ä n d e : O.V.G. 28. März 1896 (Entsch. X X I X S. 232). — Überall stoßen hier „polizeiliche" Zuständigkeiten ^feinander, meist eine stärkere und eine schwächere. Von Mitbesitz und Grunddienstbarkeiten auf zivilrechtliche Art kann nur vergleichsweise gesprochen werden. 9

Wenn U 1 b r i c h , Öff enti. Rechte S. 49, sagt: „daß an öffentlichen Sachen Privatrechte konstituiert werden können, ist sowohl nach römischem als nach modernem Privatrechte unzweifelhaft", so ist es notwendig, den Doppelsinn des Wortes „Privatrechte" zu beseitigen. Rechte der Privaten können konstituiert werden, aber nicht privatrechtliche Rechte, und daß erstere konstituiert werden können, das wird erst möglich durch das öffentliche Recht und in dessen Formen. Die scheinbaren Ausnahmen werden jetzt ihre Erklärung finden (vgl. unten S. 65 ff.). 10 Samt seinen Hilfseinrichtungen. Das Reichsgericht hat das in einem hochbedeutsamen Urteil bezeugt. Es handelte sich um ein Hamburger Siel, einen städtischen Abzugskanal, der unter einem Privathaus durchführte, als öffentliche Sache kraft öffentlichrechtlicher Grunddienstbarkeit. Das Haus wurde versteigert, und der Erwerber klagte gegen die Stadt auf Beseitigung des Siels, weil nach dem hamburgischen Gesetz v. 4. Dez. 1868 der Zuschlag alle nicht besonders angemeldeten und vorbehaltenen Rechte an der Sache tilgte. Das Reichsgericht erkannte: es handle sich um eine res publica, um eine öffentliche Anlage; auf die findet das Privatrecht keine Anwendung und folglich auch nicht die zu seiner Sicherung gegebene Verwirkungsvorschrift; das Recht der Stadt blieb gewahrt, und nur auf diese Weise konnte es gewahrt bleiben: R.G. 10. Jan. 1883 (Entsch. V I I I S. 162). Der Grundsatz gilt natürlich auch unter dem B.G.B, noch.

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Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

welche B e l a s t u n g e n und B e s c h r ä n k u n g e n des Eigentums zu bewirken hätten. U n d zwar sind nicht bloß Verträge und Ersitzungen dieses Inhalts ausgeschlossen; auch gesetzliche Dienstbarkeiten und Eigentumsbeschränkungen, soweit sie dem bürgerlichen Recht entstammen, wirken hier nicht. Für Bestellung von R e a l l a s t e n , H y p o t h e k , G r u n d s c h u l d , R e n t e n s c h u l d ist das öffentliche Eigentum unzugänglich. Die Anwendbarkeit der G r u n d b u c h o r d n u n g versteht sich nicht von selbst. Wenn das Gesetz die Eintragung der i m öffentlichen Eigentum stehenden Liegenschaften i n das G r u n d b u c h anordnet, so versteht es sich nicht von selbst, daß die Nichteintragung m i t den gleichen Gefahren der Rechtsverwirkung bedroht sei wie bei Privatgrundstücken. I m Zweifel bedeutet die Vorschrift lediglich eine Ordnungsmaßregel zur Warnung derer, die den vergeblichen Versuch machen sollten, auf privatrechtlichem Wege an diesen Grundstücken Rechte zu erwerben 11 . Weiter: auch das V e r w a l t u n g s r e c h t findet auf das öffentliche Eigentum keine Anwendung, sofern es eben Untertanenrecht ist, für die Einzelnen und ihr Eigentum gegeben. Daher die bereits hervorgehobene Unanwendbarkeit der E n t e i g n u n g 1 2 . Daher auch der Ausschluß von gesetzlichen G r u n d d i e n s t b a r k e i t e n u n d E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g e n des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s : die Verständigung der beiderseits die öffentliche Verwaltung vertretenden Behörden, nötigenfalls das Eingreifen der gemeinsamen Oberen schafft den wünschenswerten Ausgleich. 3. Der auf solche A r t gefeite Kreis hat seine G r e n z e n , jenseits welcher wieder das U n t e r t a n e n r e c h t · seine Herrschaft behauptet. 11

Gr.B.O. § 90 scheint die „öffentlichen Wege und Gewässer" nur dann vom Grundbuch zu befreien, wenn landesherrliche Verordnung dies vorschreibt. Allein das ist im Geiste der ganzen Reichszivilgesetzgebung zu verstehen: handelt es sich nach dem Landesrecht um öffentlichrechtliches Eigentum, so gibt die Gr.B.O. dafür ihre ordentliohe Vorschrift ohnedies nicht, so wenig wie für Rayonservituten; aber Tatsache ist, daß vielfach das geltende Recht noch auf dem Standpunkte verweilt, öffentliche Sachen stünden im Privateigentum ihres Herrn; für diesen Fall mußte also, wollte man nicht solche alte Auffassungen von der öffentlichen Sache ganz beseitigen, was dem sonstigen Brauch des B.G.B, zuwiderliefe, allerdings, wie für „die Grundstücke des Fiskus", die Befreiung vom Grundbuch besonders zugelassen werden. So viel gegen Β i e r m a η η , Die öffentlichen Sachen S. 15 Note. Beispiele solcher Ordnungsmaßregeln geben die Sächsischen Oblastenbücher ( R u m p e l t , Komm. S. 95f.) und die Berliner Verzeichnisse über von den Grundstücken noch zu entrichtende Anliegerbeiträge (v. S t r a u ß u. T o r n e y , Ges. betr. die Anlegung von Straßen S. 25 ff.). 12

Vgl. oben § 33 Noten 33 u. 34.

§ 36. Die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums.

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Werden sie nicht genau wahrgenommen, so entstehen allerlei Mißverständnisse und Zweifel an der Echtheit des öffentlichen Eigentums: — Bürgerliches Recht wird selbstverständlich anwendbar, sobald die öffentliche Sache aufhört öffentliche Sache zu sein. Die Form dafür gibt die unter I I I . zu betrachtende E i n z i e h u n g . Es ist denkbar, daß i m Hinblick auf eine künftige Einziehung jetzt schon zivilrechtliche Akte vorgenommen werden, um Wirksamkeit zu erlangen m i t jenem Zeitpunkt. Einstweilen bleiben sie wirkungslos 1 3 . — Öffentliche Sachen können bestehen nicht bloß i n Gestalt von öffentlichem Eigentum, sondern auch kraft einer bloßen öffentlichen G r u n d d i e n s t b a r k e i t oder gar nur durch V e r w a l t u n g s b e s i t z . Dann bleibt dem bürgerlichen Recht wieder Spielraum: ihm gehört die vom öffentlichen Recht nicht ergriffene Zugehörigkeit der Sache, also das m i t der Dienstbarkeit, m i t dem öffentlichrechtlichen Besitz belastete Eigentum. Der Eigentümer kann es v e r ä u ß e r n , v e r p f ä n d e n , selbstverständlich immer unbeschadet der Zuständigkeiten der öffentlichen Verwaltung an eben dieser Sache. Der Eigentümer könnte dem Rechte nach alle Arten von zivilrechtlichen G r u n d d i e n s t b a r k e i t e n d a r a n b e s t e l l e n , nur würden solche dem Erwerber tatsächlich keinen Genuß noch Vorteil bringen, solange jene anspruchsvollen Zuständigkeiten nicht aufgegeben sind. Die Verschiedenheit der Rechtslage wäre also ganz klar und deutlich : Steht die öffentliche Sache e i n h e i t l i c h i m öffentlichen Eigentum, so ist jede privatrechtliche R e c h t s b e g r ü n d u n g d a r a n ausges c h l o s s e n ; steht sie dagegen nach der oben beschriebenen Weise in g e t e i l t e m R e c h t , so ist nach Maßgabe des fortbestehenden Privatrechts auch die N e u b e g r ü n d u n g eines s o l c h e n z u l ä s s i g , aber die A u s ü b u n g des neuen wie die des alten nach Maßgabe der Zweckbestimmung der Sache und der darauf sich gründenden Zuständigkeiten der öffentlichen Verwaltung g e h e m m t 1 4 . 13

BL f. adm. Pr. 1874 S. 374: Ein Gutsbesitzer will den öffentlichen Weg verlegen lassen und läßt sich den alten Weg von der Gemeinde vor Notar übereignen. Das Bezirksamt befiehlt die Offenhaltung ohne Rücksicht auf jenes Privatrechtsgeschäft, „solange nicht die Aufhebung des öffentüchen Weges in einer von den Verwaltungsbehörden anerkannten Weise ausgesprochen ist". 14 Ein eigentümliches Nebeneinander der beiden Rechtsarten ergibt sich bei fruchttragenden öffentlichen Sachen (zur Landstraße gehören auch Obstbäume, zum Festungswerk Graswuchs). Das Eigentum an den zu trennenden Früchten ist immer Fahrnis; die Ernte wird verpachtet. Daraus hat man schließen wollen, daß meine Unterscheidung von öffentlichrechtlichem und privatrechtlichem Eigentum nicht durchführbar sei ( H a w e 1 k a , R. an öff. Wegen S. 64; B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: 0 1 1 ο Μ a y e r, V e r w a l t u n g sr. I I . 3. Aufl.

5

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

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Die herrschende Lehre wirft die beiden Fälle ganz unbefangen durcheinander und bildet so eine allgemein gültige Formel für die Yerkehrsentzogenheit der öffentlichen Sache überhaupt. D a n a c h k ö n n e n a n i h r , auch wenn sie i n vollem öffentlichem Eigentum steht, grundsätzlich aller A r t Rechte nach bürgerlichem Recht b e g r ü n d e t w e r d e n , s o f e r n sie n u r v e r e i n b a r s i n d m i t der Z w e c k b e s t i m m u n g 1 5 . Auf diese Weise sollen die Grenzen des Bedarfes und der Macht der öffentlichen Verwaltung sinnwidrig durch Zivilrecht festgelegt und von der J u s t i z gehütet werden. Das führt aber von selbst zu Zusammenstößen m i t der Polizei der öffentlichen Sache, die ihren eigenen Standpunkt wahren muß. Die Justiz pflegt dabei den kürzeren zu ziehen und verschafft sich wenigstens dadurch eine Genugtuung, daß sie die Verwaltung zu einer Entschädigung an den von ihr anerkannten Rechtsbesitzer verurteilt. W i r werden ein erfreulicheres B i l d des Zusammenwirkens erzielen können. I I I . Wie jedes subjektive Recht, so äußert sich auch das öffentliche Eigentum neben den materiellen Befugnissen, die es gewährt, i n dem i h m zukommenden R e c h t s s c h u t z . 1. Dieser Rechtsschutz erscheint i n erster Linie als P o l i z e i d e r ö f f e n t l i c h e n Sache. Die öffentlichen Sachen gehören zu den äußerlichen Polizeigütern, für welche die öffentliche Gewalt sich unbedingt einsetzt. Jede Störung ihrer Unversehrtheit und Benutzbarkeit ist zugleich eine Störung der guten Ordnung des Gemeinwesens, und die Abwehr begriffsgemäß Polizei 1 6 . I m älteren Rechte war ja Polizei ziemlich gleichbedeutend mit öffentlicher Verwaltung überhaupt (Bd. I S. 204). W i r behandeln jetzt unter dem Namen Polizei der öffentlichen Sache lediglich die für die öffentliche Sache ausgeübte P o l i z e i g e w a l t 1 7 . H. S c h e i c h e r , Öff. Weg S. 32; G u b a , Öff. Grundlagen S. 36). Ebensogut könnte man daraus einen Schluß ziehen gegen die Unterscheidung von liegenschaftlichem und Fahrniseigentum! 15

So in feststehender Praxis des Pr. O.Tr., ausdrücklich übernommen von R.G. 4. Dez. 1884 (Entsch. X I I S. 284). Ähnlich R.G. 5. Mai 1882 (Entsch. V I I S. 136), 29. Juni 1886 (Entsch. X V I S. 159), 8. Febr. 1893 (Entsch. X X X I S. 217). Dazu F o e r s t e r - E c c i u s , Pr. Priv.R. I I I S. 27 Anm. 4; U b b e l o h d e , Forts, z. Glück Bd. 43 u. 44 S. 78; Bl. f. adm. Pr. 1814 S. 374; L a y e r , Prinz, d. Ent. S. 650; Η a w e l k a , Rechte an öffentl. Wegen S. 64; G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 24 Note 15; F l e i n e r , Instit. S. 333. 16 Und zwar eine Art der Anstaltspolizei; vgl. Bd. I S. 214 Note 3. Straßenpolizei, Strompolizei, Kirchhofspolizei sind bekannte Dinge. Über Polizei der Festungswerke vgl. C.C.H. 4. Juli 1863 (J.M.B1. 1863 S. 267). 17 Vgl. oben Bd. I S. 209. Der Unterschied ist gut herausgefühlt in O.V.G.

§ 36. Die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums.

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Sie ist der Schutz der öffentlichen Sache und damit auch des öffentlichen Eigentums. Die Formen, i n welchen dieser Schutz sich vollzieht, sind die allgemeinen polizeilichen: Befehle, i n Rechtssatzgestalt oder als Einzelbefehle, Strafsetzungen, Zwangsvollstreckung durch Ungehorsamsstrafe, Ersatz vornähme, Gewaltanwendung; vor allem findet der unmittelbare Zwang gerade auf diesem Boden sein Hauptanwendungsgebiet (Bd. I S. 291). Daneben hat die Polizei der öffentlichen Sachen, ihrer Eigenart entsprechend, noch eine besondere Form obrigkeitlichen Ausspruches entwickelt: die F e s t s t e l l u n g der r ä u m l i c h e n G r u n d l a g e ihres Rechts und ihrer Wirksamkeit. Es kann sich darum handeln, ob eine öffentliche Sache ü b e r h a u p t v o r l i e g t : ein Weg kann ja Privatweg sein oder öffentlicher Weg. I s t es ein Privatweg, so geht er die Verwaltungsbehörde nichts an oder doch nur äußerlich aus Gründen der allgemeinen Ordnung und Sicherheit, ähnlich wie er die Justiz angeht; er gehört ihr auch. W i l l sie ihn aber als einen öffentlichrechtlichen behaupten, so klagt sie nicht bei Gericht auf seine Anerkennung, sondern sie vollzieht nach der A r t der öffentlichen Verwaltung diese Anerkennung selbst durch ihren Verwaltungsakt, um sich dann m i t ihrem Vorgehen danach zu richten18. I n gleicher Weise wird auch der U m f a n g der öffentlichen Sache festgestellt und die Zugehörigkeit bestimmter Geländeteile. Alles das wird gegebenenfalls seinen Abschluß finden in einer obrig18. April 1901 (Entsch. X X X I X S. 217): Bei den eigentlichen polizeilichen Verfügungen handelt es sich „um einen Eingriff in die Rechte der einzelnen". Die Genehmigung des Polizeipräsidenten zur Eröffnung einer von der Stadtgemeinde hergestellten Straße ist auch Polizei, aber nicht in diesem Sinne: „Die öffentlichen Wege sind polizeiliche A n s t a l t e n , die Tätigkeit der Polizei ist bei Schaffung der öffentlichen Wege eine d u r c h a u s p o s i t i v e , s c h a f f e n d e . " 18 So die „Inanspruchnahme von Wegen für den öffentlichen Verkehr" nach Pr. Zust.Ges. v. 1. Aug. 1883 § 56 Ziff. 1. G e r m e r s h a u s e n , Pr. Wegerecht I S. 467 ff. Das wird als eine „polizeiliche Funktion", als ein „interimisticum" aufgefaßt. Aber auch die endgültige Entscheidung bleibt bei der Verwaltung und dem etwa noch eröffneten Verwaltungsstreitverfahren (Zust.Ges. § 56 Ziff. 8). - O.L.G. Dresden 8. Mai 1903 (Fischer Ztschr. X X V I I I S. 352): „Verwaltungsbehörde allein entscheidet, was öffentlicher Weg sei." O.L.G. Stuttgart 27. Nov. 1903 (Württ. Jahrb. X V I I S. 219) will die Frage, ob ein öffentliches Gewässer vorliegt, sogar als Vorfrage dem bürgerlichen Gericht nicht überlassen (vgl. Bd. I S. 184 Note 13). Dagegen wieder R.G. 13. Nov. 1901 (Entsch. I L S. 319: „Es ist stets von der allgemeinen Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auszugehen"), 15. Nov. 1905 (Preuß. Verw.Bl. X X V I I S. 521). 5*

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Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

keitlichen G r e n z f e s t l e g u n g und Beurkundung durch gesetzte G r e n z steine19. 2. I n demselben Maße, i n welchem in die Rechtsordnung der öffentlichen Sache bürgerliches Recht sich hereinstreckt (oben I I n. 3), öffnet sich auch die Möglichkeit b ü r g e r l i c h e r R e c h t s s t r e i t i g k e i t e n , welche sie zum Gegenstande haben. Drei Fälle sind zu unterscheiden: — E i n Rechtsstreit ü b e r das ö f f e n t l i c h e E i g e n t u m s e l b s t , so daß jeder der beiden Streitenden es als solches i n Anspruch nimmt, ist nur denkbar zwischen Subjekten öffentlicher Verwaltung. Es ist eine A r t Zuständigkeitsstreit; mit rei vindicatio hat er nichts zu tun. — Es kann auch ein Rechtsstreit vorliegen über das z i v i l r e c h t l i c h e E i g e n t u m , das ja möglicherweise h i n t e r der ö f f e n t l i c h e n Sache steht (vgl. oben I I n. 3). Das mögen dann die Parteien nach den Regeln der Eigentumsklage vor den bürgerlichen Gerichten miteinander ausmachen; die öffentliche Sache und ihr Verwalter sind dabei nicht beteiligt. — Bleibt demnach nur der dritte Fall für uns übrig, den wir bezeichnen können als den Streit z w i s c h e n z i v i l r e c h t l i c h e m u n d ö f f e n t l i c h e m E i g e n t u m : der Verwalter der öffentlichen Sache behauptet öffentliches Eigentum; der Gegner, der Privatmann oder wer ihm gleichgeachtet ist, nimmt zivilrechtliches Eigentum daran i n Anspruch. Für die Ordnung eines solchen Streites sind maßgebend vor allem die Rechtsinstitute des Schutzes der öffentlichen Sache (oben I I I n. 1): die Behörde bestimmt seloständig, was sie als öffentliche Sache ansehen und behandeln will, und behauptet sich i m Besitz durch die ihr hierfür gegebene Polizeigewalt. Daher bedarf die Verwaltung niemals einer B e s i t z k l a g e ; sie setzt sich selbst in Besitz und erhält sich darin. Ebenso bedarf sie keiner E i g e n t u m s k l a g e auf Herausgabe; ihr Gegner ist immer der geborene Kläger als der nicht besitzende Eigentümer, der er sein will. Die Rollen können auch nicht dadurch verschoben werden, daß der Gegner m i t der Besitzklage beginnt, um dadurch zunächst einmal den Besitz und die Beklagtenstellung zu erlangen: gegen den Herrn der öffentlichen 19 Das ist in der Inanspruchnahme für den öffentlichen Verkehr mit enthalten. — Uber die französischrechtlichen actes de délimitation vgl. Theorie d. franz. Verw.R. S. 250 ff. R.G. 29. April 1899 (Entsch. X L I V S. 124) sucht die Grenzen des öffentlichen Flusses gegenüber dem Privateigentum selbst festzustellen und kommt dabei in schwierige Auseinandersetzungen mit U 1 ρ i a η in 1. 1 § 5 D. 43, 12, beruft sich aber auch auf das französische Recht, ohne die öffentlichrechtliche Seite zu beachten.

§ 36. Die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums.

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Sache g i b t es keine Besitzklage; sie wäre gegen eine polizeiliche M a c h t äußerung, gegen den „ P o l i z e i b e s i t z " gerichtet, u n d dagegen ist n u r Beschwerde

oder

keine bürgerliche IV.

Verwaltungsklage

zulässig;

seine A n f e c h t u n g

ist

Rechtsstreitigkeit20.

D i e E n d i g u n g des öffentlichen E i g e n t u m s e n t s p r i c h t i n i h r e r

r e c h t l i c h e n Gestalt der E n t s t e h u n g . 1. Sie w i r d d a d u r c h herbeigeführt, daß die Sache a u f h ö r t , der öffentl i c h e n V e r w a l t u n g i n d e m besonderen Sinne z u dienen, d e n es hier h a t , d a d u r c h also, daß n i c h t m e h r u n m i t t e l b a r der Zweck der öffentlichen V e r w a l t u n g d u r c h sie e r f ü l l t w i r d . D a s geschieht, i n d e m i h r H e r r sie dieser B e s t i m m u n g

entzieht,

anders ü b e r sie v e r f ü g t , also eine Willensäußerung v o l l z i e h t , die das Gegenstück b i l d e t z u der oben I

η . 1 behandelten W i d m u n g .

Wir

nennen das d i e E i n z i e h u n g der öffentlichen Sache, Straße, Festungsw e r k oder was es sonst sein m a g 2 1 .

Sie geht aus v o n der Behörde, die

d e m Verwaltungszweige v o r s t e h t , d e m die öffentliche Sache z u g e h ö r t : 20

Die Unzulässigkeit einer Besitzklage gegen die Verwaltung wegen der öffentlichen Sache, die sie in Anspruch nimmt, wurde in Preußen stets gegründet auf den Satz: g e g e n p o l i z e i l i c h e V e r f ü g u n g e n g i b t es k e i n p o s s e s s o r i u m . F o e r s t e m a n n , Pol. R. S. 472ff. Umgekehrt erklärt R.G. 19. Febr. 1902 (Pr. Verw.Bl. X X I V S. 188) den Rechtsweg auch für unzulässig, wenn der Wegeherr von dem Angrenzer die Beseitigung von Übergangsbrücken verlangt, die dieser über den Straßengraben gelegt hatte; das sei Wegepolizei. Schwankende Entscheidungen im älteren Recht: O.Tr. 31. Dez. 1863 (Str. L I S. 332), 9. Dez. 1856 (Str. X X I I I S. 137). Der Bayr. Oberste G.H. hatte in ständiger Praxis die Polizei für allein zuständig erklärt, ist aber mit Entscheidung v. 17. Dez. 1872 umgeschlagen (Bl. f. adm. Pr. 1873 S. 127). Die Polizei der öffentlichen Sache versagt, wenn sie mit den Anforderungen eines gleichwertigen Verwaltungszweiges zusammenstößt. Hier ist die Einigung durch Vermittlung der oberen Stellen der gewiesene Weg. O.V.G. 23. Dez. 1896 (Entsch. X X X I S. 210); 24. Juni 1897 (Entsch. X X X I I S. 219); 26. Sept. 1904 (Pr. Eisenb.Arch. 1905 S. 968). Unter Umständen hat das tatsächliche Schwierigkeiten. O.Tr. 28. März 1873 (Str. L X X X V I I I S. 341): Der Militärfiskus hat einen Zaun errichtet und dabei in die städtische Straße übergegriffen. Die Wegepolizei versagte, sei es, daß sie unter staatlichem Einfluß nicht wollte, sei es, daß man sich an diesen Gegner nicht traute; die Stadt erhob Besitzstörungsklage, mit welcher sie durchdrang. Eigentlich hätte sie wegen Unzuständigkeit des Gerichts ab- und auf die Wegepolizei verwiesen werden müssen. Das Gericht hat eben ein gutes Werk an ihr tun wollen, indem es die Sache auf sich nahm. 21 Der Ausdruck „Einziehung" scheint der gebräuchlichste zu sein, obwohl das Wort auch Konfiskation bedeutet, was natürlich etwas ganz anderes ist. Außerdem sagt man wohl noch: Aufhebung, Aufgabe, Auflassung, Unterdrückung, Ausreihung, Deklassierung, Kassierung.

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Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

Straßenverwaltung, Militärverwaltung, Gemeindeverwaltung; aber auch der beliehene Unternehmer kann durch seine Vorstände und Geschäftsführer in dieser Weise über seine Sache verfügen, m i t oder ohne Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Bs handelt sich um keinen obrigkeitlichen Ausspruch, keinen Verwaltungsakt, so wenig wie bei der Widmung22. Neben der Einziehung erwähnt man wohl noch als besonderen Endigungsgrund den Fall, daß das Grundstück d i e e r f o r d e r l i c h e B e s c h a f f e n h e i t v e r l i e r t . Allein bei denjenigen Sachen, deren Geeignetheit für den öffentlichen Zweck auf künstlicher Herrichtung und Instandhaltung beruht — und das sind die meisten —, würde es sehr bedenklich sein, jede Vernachlässigung und Verwahrlosung immer schon als Grund ihres Austrittes aus dem Bereiche des öffentlichen Rechts gelten zu lassen. Es wäre auch gar nicht richtig gedacht, so zu verfahren: schlechte Verwaltung ist immer noch Verwaltung. Die Tatsache, daß der Weg, das Festungswerk usw. i n Unstand gekommen ist, wird deshalb richtiger nur so weit hier bedeutsam werden, als daraus der andere Endigungsgrund, die Einziehung, sich ergibt, wofür ja dieser Zustand eine hinreichende Vermutung begründen mag. W i r sehen also darin nur eine s t i l l s c h w e i g e n d e E i n z i e h u n g neben der förmlichen, welche die Regel b i l d e t 2 3 . Anders scheint es zu stehen bei den n a t ü r l i c h e n ö f f e n t l i c h e n Sachen. Hier möchte man jedenfalls eine Verschiebung der Grenzen annehmen unmittelbar durch Veränderung der Beschaffenheit: das freiwerdende Gelände bei Änderung des Flußlaufes, des Meeresstrandes, des Seeufers besitzt nicht mehr die Merkmale der öffentlichen Sache. Aber auch der ganze versandete Fluß, der nicht mehr schiffbar ist, 22 So wenig wie die Verwaltungstätigkeit zur Eröffnung einer Straße eine „polizeiliche Verfügung" vorstellt (oben I n. 1), ist dies der Fall bei der „Entziehung der Eigenschaft als Landstraße": O.V.G. 4. Febr. 1901 (Entsch. X X X I X S. 100). Die Einziehung hat allerdings wichtige Folgen für die einzelnen, die an der öffentlichen Sache, Straße, Brücke beteiligt sind, angrenzende Hausbesitzer z. B. Daher schreibt das Gesetz außer der Genehmigung einer höheren Stelle auch wohl ein bestimmtes Verfahren vor, in welchem Einwendungen vorgebracht werden können. So Pr. Zust.Ges. v. 1. Aug. 1883 § 57; Sächs. Ges. v. 2. Jan. 1871 § 14. Dann kann die Einziehung rechtmäßig nur nach Beobachtung dieser Formen geschehen: O.V.G. 9. Mai 1896 (Entsch. X X X S. 226). Die Natur des Rechtsvorganges selbst wird dadurch keine andere. 23 Eine stillschweigende Einziehung ergibt sich namentlich leicht bei der WegeVerlegung: mit der Ingebrauchnahme des neuen Straßenstückes rechtfertigt sich von selbst der Schluß, daß das alte Stück eingezogen sei: O.V.G. 11. Dez. 1895 (Entsch. X X I X S. 211); Sächs. O.V.G. 20. Juni 1908 (Jahrb. X I I S. 323).

§ 36. Die Rechtsordnung des öffentlichen Eigentums.

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sollte aufhören, eine solche zu sein 2 4 . Der ä u ß e r l i c h e T a t b e s t a n d würde also hier wirken ohne alle Willensauslegung. Das ist wohl richtiger, als auch hier an eine stillschweigende Einziehung und Aufgabe der öffentlichen Sache zu denken. W i r erhalten dadurch ein Seitenstück zu der Art, wie auch die Entstehung dieser öffentlichen Sachen ihre Eigenart bekommt, indem die Widmung von Seiten des Staates bei ihnen ersetzt wird dadurch, daß er seine Sache einfach so, wie sie ist, bestehen und wirken läßt. Vgl. oben I n. 2. 2. Die Bedeutung der Einziehung und des Wegfallens der Eigenschaft einer öffentlichen Sache für das R e c h t a m G r u n d s t ü c k w i r d eine verschiedene sein, je nach dem Rechtstitel, auf den sein Dienen für die öffentliche Verwaltung bisher gegründet war. — Beruhte das bisher lediglich auf der Tatsache des öffentlichrechtlichen B e s i t z e s , so hat dieser m i t der Einziehung seinen Zweck und Daseinsgrund eingebüßt. Es ist anzunehmen, daß m i t der Einziehung zugleich der Besitz hat aufgegeben werden wollen. Jedenfalls gibt es jetzt eine Polizei der öffentlichen Sache nicht mehr, die ihn hielte; es entsteht eine unbedingte Herausgabepflicht nach bürgerlichem Recht. Die Eigentumsklage gegen den Fiskus kann m i t einer Verurteilung zur Herausgabe schließen und führt möglicherweise zur Durchsetzung dieser Herausgabe i n Formen der zivilprozeßrechtlichen Zwangsvollstreckung 2 5 . — Bestand eine öffentlichrechtliche D i e n s t b a r k e i t , auf Grund deren die öffentliche Sache eingerichtet war, so wird sie durch die Einziehung tatsächlich außer Ausübung gesetzt sein. Es kann sich damit ein Verzicht der Verwaltung auf das Recht selbst verbinden; der würde i n den durch das bürgerliche Recht vorgeschriebenen Formen zu vollziehen sein. Denn m i t dem Wegfall der Verwendung für den öffentlichen Zweck ist die Dienstbarkeit wieder auf den Boden des Privatrechts gestellt worden. Wenn die Verwaltung es vorzieht, nicht zu verzichten, vielmehr die Dienstbarkeit beibehalten will für privatwirtschaftliche Zwecke oder gelegentliche Wiederverwendung i m öffentlichen Dienst, dann besteht diese als bürgerlichrechtliche Grunddienstbarkeit vorläufig fort i n derselben Weise, wie das i n dem nun zu betrachtenden Falle des Eigentums geschieht. — Der wichtigste Fall ist der, daß die jetzt eingezogene öffentliche 24

O.V.G. 5. Jan. 1898 (Entsch. X X X S. 301). E.G. z. Z.Pr.O. § 15 Ziff. 3, welche den Landesgesetzen gestattet, eine Vollstreckung gegen den Fiskus w e g e n G e l d f o r d e r u n g e n auszuschließen (vgl. Bd. I S. 399 ff.), beschränkt das ausdrücklich durch den Zusatz: „soweit nicht dingliche Rechte verfolgt werden". 25

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Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

Sache i n Form des öffentlichen E i g e n t u m s der umfassenden rechtlichen Macht ihres Herrn unterworfen war. Dann verliert jetzt dieses Eigentum das, was seine Zugehörigkeit zum öffentlichen Rechte bestimmte. Der bisherige Eigentümer, Staat, Gemeinde, beliehenerUnternehmer, bleibt Eigentümer. N u r : die rechtlichen Beziehungen, i n welche er als solcher zu anderen Rechtssubjekten t r i t t , regeln sich fortan nach den Bestimmungen des B.G.B. Das ist es, was wir zivilrechtliches Eigentum nennen. Das darf man sich nicht vorstellen als ein Freiwerden zivilrechtlichen Eigentums von einer öffentlichrechtlichen Last, die darauf ruhte. Falsch wäre auch die Auffassung des Vorganges als eines Eigentumserwerbsaktes. Vom einseitigen Standpunkte des Zivilrechts aus ist ja wirklich bisher n i c h t s dagewesen, und aus dem Nichts entsteht durch die Einziehung der öffentlichen Sache ein Eigentum, welches es anerkennt und ordnet. Wenn das öffentliche Recht die nämliche fesselnde Kraft der Einseitigkeit auf seine Wissenschaft übte, so würde diese den umgekehrten Satz aufstellen müssen: Eigentum geht unter durch die Einziehung der öffentlichen Sache. I n Wahrheit bleibt das Wesen des Eigentums, die umfassende rechtliche Macht über die Sache, hier unverändert bestehen. Die Regeln für die fernere Ordnung der daran sich knüpfenden rechtlichen Beziehungen allein werden gewechselt. Daß das möglich ist, das ist die Folge der großen Tatsache, daß wir für alle diese Dinge jetzt zwei ebenbürtige Rechtsarten nebeneinander haben, bürgerliches Recht und öffentliches Recht. I n der Idee des öffentlichen Eigentums findet sie ihren klarsten Ausdruck 2 6 . 26 B e k k e r . Syst. d. Pand.R. S. 335, der selbst nichts sehnlicher wünschte, als von der alten unbefriedigenden halbzivilrechtlichen Lehre loszukommen (vgl. oben § 35 Note 26), hat nur e i n große? Bedenken, das ihm die rettende Idee des öffentlichen Eigentums unzugänglich macht: „Der Privatrechtslehrer müßte doch auch anzugeben vermögen, welche anderen Rechte seinem eigenen Eigentum den Platz vorwegnehmen und wieder in sein eigenes Eigentum sich zu verwandeln vermögen." Das Sächsische Oberverwaltungsgericht spricht ihm nach, wenn es als Grund seiner Abwendung von meiner Lehre, außer dem Mangel einer „gesetzlichen Bestimmung" (vgl. oben § 35 Note 12), hervorhebt, „daß noch niemand das Rätsel gelöst hat, wie sich ein derartiges Recht bei Widmung des ihm unterworfenen Grundstücks zu Straßenzwecken ohne besondere gesetzliche Vorschrift plötzlich aus einem privatrechtlichen Institut in ein solches des öffentlichen Rechts verwandelt, und wie umgekehrt bei der Einziehung des öffentlichen Weges das ,öffentliche' Eigentum ohne weiteres wieder zu einem Bestandteile des Privatrechts wird." Die Lösung beruht einfach auf einer Auslegung des Zivilrechts, das die sachenrechtliche Ordnung nicht geben will, wenn es sich

§ 37. Der Gemeingebrauch.

73

§ 37.

Gebrauchsrechte an öffentlichen Sachen; der Gemeingebranch. D i e öffentlichen allgemeinen

Sachen dienen der V e r w a l t u n g f ü r Zwecke des

Wohles.

gerade d a d u r c h e r f ü l l t ,

Solche

Zwecke

werden

aber

möglicherweise

daß d i e Sache d e n einzelnen Menschen

im

Staate einen N u t z e n u n d V o r t e i l g e w ä h r t . D a s V e r h ä l t n i s , i n welches sie d a b e i z u d e m H e r r n der Sache t r e t e n , f i n d e t naturgemäß Regelung d u r c h das ö f f e n t l i c h e

seine

Recht1.

D i e r e c h t l i c h gesicherten V o r t e i l e , welche i h n e n daraus erwachsen, m a g m a n m i t d e m N a m e n G e b r a u c h s r e c h t e bezeichnen. scheinen

in

dreierlei

Gestalt:

Gemeingebrauch,

Sie er-

Gebrauchs-

e r l a u b n i s und V e r l e i h u n g . I.

Gewisse öffentliche

Sachen, b e i w e i t e m n i c h t alle, sind d e m

R e c h t e des G e m e i n g e b r a u c h s u n t e r w o r f e n 1 .

Ü b e r die hier i n Be-

t r a c h t k o m m e n d e n v g l . oben § 35, I V n. 1. W a s i s t das n u n f ü r eine A r t v o n Recht? D i e öffentliche Sache h a t , w i e w i r sahen (oben § 35, I I ) , i h r e wechselv o l l e Geschichte h i n t e r sich, u n d dieser entsprechen auch verschiedene Auffassungen v o m R e c h t e des Gemeingebrauchs. 1. D i e erste Stufe b i l d e t die A l l m e n d , getragen v o n der genossendabei um Wirksamkeit der öffentlichen Gewalt handelt, und sofort mit seinen Regelungen wieder einsetzt, sobald das Hindernis wegfällt. 1 Indem wir hier nur von dem Gemeingebrauch an öffentlichen Sachen sprechen, scheiden für uns von vornherein aus zwei innerlich ganz anders geartete Fälle: — Es kann durch die Willkür des Besitzers gewöhnliches Privateigentum dem Publikum zur mehr oder weniger freien Benutzung überlassen sein. Das kann sich dann äußerlich wie ein öffentlicher Weg darstellen; es können auch Strafbestimmungen und Schadensersatzpflichten bei Unfällen zur Anwendung zu bringen sein wie dort (Stf.G.B. § 304 u. 305). Eine öffentliche Sache ist das gleichwohl nicht, und was daran geübt wird, hat mit unserem Gemeingebrauch nichts zu tun: O.V.G. 13. März 1899 (Entsch. X X X V S. 295); O.V.G. 23. Okt. 1905; O.L.G. Dresden 29. Aug. 1906 ( R e g e r X V I I I S. 182); R.G.Stf.S. 7. Jan. 1909 ( R e g e r X X X S. 314), 26. April 1909 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X V I S. 164). — Die Gesetze haben eine Art Gemeingebrauch an Privatflüssen anerkannt, übernommen aus älteren Allmendzeiten. Soweit damit eine Benutzung des Bachbettes verbunden ist, bedeutet das gesetzliche Eigentumsbeschränkungen im Sinne des B.G.B. § 904 ff. Insofern auch dieser „Gemeingebrauch" der Regelung der Verwaltungsbehörde unterstellt ist, bedeutet das wieder eine der Übertragungen öffentlichrechtlicher Rechtsinstitute in das privatwirtschaftliche Gebiet, auf welche oben § 33 Eing. verwiesen wurde ( H i l f s i n s t i t u t e des P r i v a t r e c h t s ) . Vgl. Sächs.Wasserges. v. 12. März 1909 §22; Bad. Wasserges. v. 12. April 1913 § 12; Preuß. Wasserges. v. 7. April 1913 § 25.

74

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

schaftlichen I d e e (oben § 35, I I ) . brunnen

sind

Wege, Plätze, B r ü c k e n , Gemeinde-

genossenschaftliches

Eigentum.

Die

Mitglieder

des

ö r t l i c h e n Verbandes, i n d e m sie solches f ü r sich benutzen, ü b e n n u r i h r e u n m i t t e l b a r e s g e n o s s e n s c h a f t l i c h e s R e c h t d a r a n aus. H i e r h a b e n w i r also ein w i r k l i c h e s subjektives R e c h t des Gemeingebrauchs

und

einen fest abgegrenzten K r e i s v o n T r ä g e r n dieses Rechts, v o n Berechtigten. Diese Auffassung

hat

man

ja

auch

noch

in

die neuere Z e i t

h e r ü b e r g e r e t t e t : D e r Gemeingebrauch soll e i n M i t g l i e d s c h a f t s r e c h t sein, b e r u h e n d auf der M i t g l i e d s c h a f t i n d e m Gemeinwesen, d e m j e t z t die

öffentliche

Sache z u g e h ö r t 2 .

D i e anderen,

die

Staatsfremden,

Gemeindefremden, w ä r e n also eigentlich ausgeschlossen. D a das n u n t a t s ä c h l i c h n i c h t der F a l l ist, so pflegt m a n der B e g r i f f s b e s t i m m u n g noch einen Zusatz zugunsten der N i c h t b ü r g e r z u geben, der diese v ö l l i g verleugnet.

Das gibt keinen haltbaren Standpunkt

mehr3.

U n d so w i r d d e n n schließlich der W a h r h e i t gemäß a n e r k a n n t , daß berechtigt

ist

zum

Gemeingebrauch

„Menschengesellschaft",

das

„Publikum"

oder

die

genauer gesagt — d e n n das s i n d keine

2

D e r n b u r g , Preuß. Priv.R.. I S. 597: „Die Benutzung der Gemeindewege ist ein Recht der Gemeindemitgliedschaft". U b b e l o h d e , Glücks PancL Bd. 43 u. 44, I V , 1 S. 38 u. 46: Die Benutzung der öffentlichen Sachen des Staates steht den Einzelnen zu „nicht kraft eines persönlichen Privatrechts", sondern „kraft ihres Bürgerrechts". Bl. f. adm. Pr. 1874 S. 23: „Gegenüber allen juristischen Personen, welche öffentliche Sachen besitzen, hat der Einzelne das Recht der Benutzung als Glied der Gesamtheit." G i e r k e , D. Pr.R, I I S. 25: Das subjektive Recht auf Teilnahme am Gemeingebrauch gebührt „jedem Staatsgenossen, in anderen Fällen nur jedem Mitgliede einer Gemeinde oder einer sonstigen öffentlichen Körperschaft. Immer aber fließt es für den Einzelnen unmittelbar aus seiner Gliedstellung im gesellschaftlichen Körper". — Dagegen mit Recht Η a w e 1 k a , Rechte an öff. Wegen S. 86. 3

G i e r k e a. a. Ο. Note 19 fügt seinem im Text aufgestellten strengen Mitgliedschaftsrecht alsbald die Milderung hinzu: „Allerdings werden auch Fremde zum Mitgebrauche verstattet." Ganz richtig ist auch die beigefügte Bemerkung: „Ihre Zulassung beruht auf der Gleichstellung mit den Staatsangehörigen." Damit hört aber eben der Gemeingebrauch auf, ein Vorrecht der Staatsangehörigen zu sein. Vergeblich der Versuch der weither geholten Unterscheidung: Der einzelne Fremde habe „schon deshalb, weil er kein Recht auf Aufenthalt im Staatsgebiet hat, kein festes Recht auf den Gemeingebrauch". Dann hätte er wohl auch kein „festes Recht" auf den gemieteten Sperrsitzplatz im Theater ! — Κ 1 ο e β , Die allg. Sachen S. 26, hat in ähnlicher Weise im Text den Gemeingebrauch nur „allen Staatsuntertanen" freigegeben, um dann in Note 1 mildernd zu bemerken: „Gebietsangehörigen Ausländern steht das öffentliche Gebrauchsrecht nicht zu; gleichwohl werden ihnen die gleichen Vergünstigungen gewährt wie den Staatsangehörigen." Also ! — Vgl. auch R e g e l s b e r g e r , Pand. I S. 419.

§ 37. Der Gemeingebrauch.

75 4

Rechtssubjekte — jeder Einzelne, der zu diesen Massen gehört . Was das heißt, ist aber leicht zu sagen. Wenn man ganz ehrlich sein will, spricht man es aus: Berechtigt zum Gemeingebrauch ist j e d e r m a n n 5 . Es ist klar, daß damit die ursprüngliche Idee des genossenschaftlichen Rechts völlig verloren und aufgegeben ist. 2. Neben der genossenschaftlichen Auffassung hat sich schon frühzeitig auch für die Behandlung der öffentlichen Sachen die „herrschaftliche" geltend gemacht. I m P o l i z e i s t a a t vollendet sie sich. Die öffentliche Sache gehört der Obrigkeit, dem Staat, der darüber verfügt. Er kann auch zugunsten der Untertanen, subditi perpetui und temporarii, darüber verfügen. Der Gemeingebrauch ist eine Wohltat, die er ihnen erweist: er g e s t a t t e t ihnen solche Benutzung. Er t u t das i n ähnlicher Weise, wie er dem Publikum Lustgärten, Kunstsammlungen, schließlich auch Schulen, Krankenhäuser, Sparkassen zugänglich macht, m i t oder ohne Entgelt von Seiten der Benutzenden. Die Straße, der Fluß, der Meeresstrand sind große A n s t a l t e n , die i n solcher Weise verwaltet werden, grundsätzlich wie andere ö f f e n t l i c h e A n s t a l t e n auch. Die Bedingungen und Maßgaben der Benutzung setzt der gewährende Staat 6 . Die Form des Rechts wird i n der bekannten 4

Das Publikum spielt seine Rolle als Gemeingebrauchsberechtigter bei W a ρ ρ ä u s , Dem Rechtsverk. entzog. Sachen S. 112 u. 113. Bei J h e r i η g , Gutachten zum Baseler Schanzenstreit S. 38, wird es ja deshalb geradezu zum Eigentümer der öffentlichen Sache. Vgl. auch O.Tr. 12. Juni 1852 (Str. I V S. 244), 28. März 1873 (Str. L X X X V I I I S. 341); Ο e r t m a n n , Bayr. Landespr.R. S. 397 ff. Auch die Franzosen drücken sich gern so aus; P r o u d h o n , Dom. pubi. I η. 220: „un droit d'usage ou d'usufruit établi sur ce fonds au profit du public". Vgl. über diese Dinge H a w e l k a , Rechte an öff. Wegen S. 88. 5 R.G. 12. Juni 1882 ( R e g e r I I I S. 93): „Das an öffentlichen Wegen jedermann zustehende Recht". B e k k e r , Pand. I S. 341: „Rechte, die allen zukommen". S a r w e y , Öff. R. u. Verw.R.Pfl. S. 429. — F l e i n e r , Instit. S. 349, führt den Gemeingebrauch zurück auf einen „allgemeinen Anspruch der Gebietsangehörigen". Die Gebietsangehörigen, die bei Κ 1 ο e ß erst in zweiter Linie erscheinen nach den Staatsangehörigen, die eigentlich allein berechtigt sein sollten (vgl. oben Note 3), kommen also hier sofort und ursprünglich. Sie scheinen mir aber auch nichts anderes zu sein als „jedermann". Denn daß der Russe, wenn er an der Weser Gemeingebrauch ausüben will, erst „gebietsangehörig", d. h. anwesend sein muß, ist selbstverständlich. Das wird auch für den Deutschen nötig sein. 6 Die Ausdrucksweise unserer großen Gesetzbücher des Polizeistaates ruht auf dieser Anschauung. A. L.R. I I , 15 § 7: „Der freie Gebrauch der Land- und Heerstraßen ist einem jeden zum Reisen und Fortbewegen seiner Sachen gestattet." Dieses „ist gestattet", soweit es mehr sagt als „steht frei", bedeutet keine Rechtsvorschrift, sondern die Bekundung einer Rechtsanschauung. Α η s c h ü t z , Entschäd.Anspr. S. 110 Note, erklärt, sich über diesen Satz des

76

Das ö e t l i c h e Sachenrecht

Weise hergestellt, daß der Fiskus Eigentümer ist; der eigentliche Staat steht über ihm wie über den Benutzenden und sorgt, daß auch den letzteren ihr Teil werde, immer selbstverständlich, soweit er ihnen das verstatten zu können glaubt 7 . Wenn hier ein Recht ist, so ist es eines von Polizei-Gnaden, das als solches den Namen nicht verdient 8 . 3. Unser Y e r f a s s u n g s - u n d Rechtsstaat scheint hieran äußerlich kaum etwas geändert zu haben. Die Fiskuslehre zwar ist so ziemlich überwunden; aber die alten Gesetzestexte sind geblieben, und die neueren Gesetze über Wasserrecht und Wegerecht weichen i n ihren Ausdrücken über den Gemeingebrauch davon nicht wesentlich ab. Die ursprüngliche genossenschaftliche Auffassung bleibt nach wie vor unmöglich. Das Subjekt, welches als Rechtsträger i n Betracht käme, ist immer noch der unfaßbare „jedermann". Ihrem Inhalt nach sind diese Gebrauchsrechte nach wie vor nichts anderes als Möglichkeiten, sich an der Sache zu betätigen, ohne etwas wie einen Besitz daran und ohne Verfügungsmacht darüber, insofern immer noch ganz gleich den „Verstattungen' 4 des alten Polizeistaates. Aber hinzugekommen ist, daß diese Möglichkeiten jetzt einen gesicherten Rechtsgrund erhalten haben, entsprechend der Hebung, die den Lebensäußerungen des Menschen i m neuen Staat überhaupt zuteil geworden ist. Es gibt jetzt einen gewissen Kreis solcher Lebensäußerungen, der als natürlich und selbstverständlich angesehen wird der A r t , daß auch die öffentliche Gewalt ihn zu achten hat und i n ihn A. L.R. nicht so leicht hinwegzusetzen zu können wir ich. Es ist eben überhaupt nicht immer leicht, von den Anschauungen des Polizeistaates loszukommen. — Österr. B.G.B. § 287: „Jene (Sachen), die ihnen (allen Mitgliedern des Staates) nur zum Gebrauch verstattet werden, heißen öffentliches Gut." — Vgl. auch Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 337: „Die Benutzung der Straße ist die Ausübung einer von der Staatsgewalt eingeräumten Befugnis." B u r k h a r d ! in Ztschr. f. Reichs- u. LandesR. I S. 107. Von Älteren vor allem M a u r e n b r e c h e r , D. Pr.R. § 156. 7 Wie das gedacht ist, zeigt R.G. 23. Febr. 1880 (Entsch. I S. 366). — Die Gewährung des Gemeingebrauchs wird auf diesem Umwege eine gebundene; M a u r e n b r e c h e r , D. Pr.R. § 156: „Öffentliche Sachen sind Staatseigentum, aber den Gebrauch m u ß der Staat den Untertanen überlassen." Der Staat, das ist hier natürlich der Fiskus. 8 U b b e l o h d e , Glücks Pand. Bd. 43 u. 44 S. 174: „ein dingliches, einem servitutischen Nutzungsrechte sehr ähnliches Recht"; S. 175: „Quasiservituten mit der wesentlichen Verschiedenheit von eigentlichen Servituten, daß sie ohne weiteres erlöschen, sobald die Gemeinde den Gemeingebrauch aufhebt." Vorsichtiger Β e k k e r , Pand. S. 342: „ein Recht besonderer Art, da es vom Einzelnen nicht erworben noch verloren, folglich auch nicht übertragen werden kann". R e g e l s b e r g e r , Pand. I S. 422: „Ein Privatrecht, genauer ein Sachenrecht eigentümlicher Art".

§ 37. Der Gemeingebrauch.

77

eingreifen darf n u r i n d e r K r a f t d e s G e s e t z e s . W a s d a h i n gerechnet w i r d , bezeichnen w i r als die d e m Menschen i m Staate z u k o m m e n d e Freiheit. Benutzung

U n d d a z u w i r d a u c h gerechnet die bestimmungsgemäße der

öffentlichen

Sachen,

welche

dem

Gemeingebrauch

g e w i d m e t s i n d u n d so lange sie das sind. Das ist das Neue. N u r das. U m e i n subjektives öffentliches R e c h t h a n d e l t es sich n a c h w i e v o r n i c h t .

A b e r aus der Eigenschaft des

Gemeingebrauchs als eines Stückes der verfassungsmäßig gewährleisteten F r e i h e i t ergeben sich j e t z t Folgerungen, die derPolizeistaat n i c h t k a n n t e , u n d die den Gemeingebrauch z u einem r e c h t l i c h wohlgesicherten V o r t e i l des E i n z e l n e n erheben 9 . II.

G e m e i n g e b r a u c h i s t die i n d i e F r e i h e i t d e s

gestellte Dienste

bestimmungsmäßige gewidmeten

Der I n h a l t

öffentlichen

Benutzung

der

Einzelnen solchem

Sachen.

des Gemeingebrauchs e r g i b t sich d e m n a c h i n erster

L i n i e aus d e m Zweck der z u benutzenden Sache, f ü r welchen sie z u r B e n u t z u n g steht.

Dieser w i r d erkennbar d u r c h die ä u ß e r l i c h e

s c h a f f e n h e i t , i n welcher sie erscheint u n d u n t e r h a l t e n w i r d . 9

BeDazu

S a r w e y , Öff. R. u. Verw.R.Pfl. S. 429 ff. : „wenn jemand von der Teilnahme an den Einrichtungen des menschlichen Lebens, die allgemein jeder Person als solcher zustehen, ohne zureichenden Grund ausgeschlossen wird", ist das Nichtanerkennung der Persönlichkeit und als solche Rechtsverletzung. „Es gehört dahin der Gebrauch der öffentlichen Wege, des öffentlichen Wassers usw." Geschieht der Ausschluß des Einzelnen durch Verfügung der Verwaltungsbehörde, so ist das eine Verletzung seiner Persönlichkeit, „ein rechtlich unbegründeter Eingriff in ein subjektives Recht" — Recht, offenbar in sehr uneigentlichem Sinne. — So etwas Uneigentliches ist ja auch das am eifrigsten von Κ ο h 1 e r vertretene „Individualrecht"; ganz folgerichtig rechnet er denn auch den Gemeingebrauch darunter: Autorrecht S. 130 u. 133. — Sehr bezeichnend ist auch, daß man häufig, um nicht zu sagen, daß der Gemeingebrauch ein richtiges Recht sei, ausweicht und ihn einen „Anspruch" oder eine „Befugnis" ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e r A r t nennt. Daran merkt der Zivilist sofort, daß es mit diesem Rechte doch nicht so ganz in Ordnung sei. So Bl. f. adm. Pr. 1870 S. 337: „kein Privatrecht, sondern ein verwaltungsrechtlicher Anspruch"; ebenda 1874 S. 43: „kein klagbares Privatrecht, sondern bloß (!) eine administrative Befugnis". R.G. 23. Febr. 1880 (Entsch. I S. 366): „eine öffentlichrechtliche Befugnis"; 23. Juni 1900 (Entsch. X L V I S. 297): „öffentlichrechtliche Befugnis". J e l l i n e k , in Verw.Arch. V S. 311, hält mir vor: „Den Anspruch auf den Gemeingebrauch führt er zurück auf ein dem Menschen als solchem zustehendes R e c h t . . . Dieses Recht unterscheidet sich aber in nichts von jedem der von Mayer verworfenen Grundrechte." Letzteres ist allerdings auch meine Meinung. Die sogenannten Freiheitsrechte halte ich ja für keine Rechte im richtigen Sinne (oben Bd. I S 107 f.), und eben deshalb gehen auch meine von J e l l i n e k angezogenen Ausführungen (Bd. I I S. 116 der 1. Aufl.) in Wahrheit dahin, daß ein Recht auf den Gemeingebrauch nicht bestehe.

78

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

kommen a u s d r ü c k l i c h e E r k l ä r u n g e n der öffentlichen Gewalt: Rechtsvorschriften können versuchen, das Nähere zu bestimmen; auch kann der Herr der öffentlichen Sache seiner Widmung genauere Bezeichnungen des Zweckes mitgeben. Alles das würde nicht ausreichen, u m den Inhalt des Gemeingebrauchs für seine Ausübung und für die obrigkeitliche Handhabung seines Rechts m i t der nötigen Bestimmtheit zu versehen. Die Beschaffenheit der Sache läßt natürlich ein weites Spiel; die ausdrücklichen Erklärungen der Gesetze und anderen obrigkeitlichen Vorschriften aber sind hier dazu verurteilt, Stückwerk zu bleiben; sie kommen nie über die Hervorhebung einzelner wichtiger Beispiele hinaus. Das hat auch seinen guten Grund. I s t das Recht des Gemeingebrauchs nichts anderes als ein Stück der Freiheit des Menschen i m Staate, so teilt es m i t diesem Begriff die Eigenschaft, abhängig zu sein i n seinem Umfang von Sitte und Gewöhnung. Freiheit ist, was die herrschende Meinung an diesem Ort und zu dieser Zeit dafür hält. Aus der Ü b u n g allein ist das schließlich zu erkennen: Übung der Benutzenden, die alle, sowie sie i n die Lage kommen, unbedenklich zu solcher Gebrauchsart greifen, anderer sich regelmäßig enthalten, auch wo sie naheläge; Übung der Verwaltungsbehörden, die jenes geschehen lassen und diesem wehren; Übung auch der Gerichte, die auf solche Weise bei Handhabung der auf Mißbrauch gesetzten Strafen ihre unzulänglichen Rechtsnormen zu ergänzen wissen 10 . Das ist kein Gewohnheitsrecht. M i t diesem Ersatzmittel juristischen Denkens haben wir auch hier wieder nichts zu tun. Es ist lediglich eine Entfaltung des dem Gemeingebrauch zugrunde liegenden Freiheitsbegriffes; dieser ist nachzugehen und ihrer Beobachtung das geltende Recht zu entnehmen. Sein Formenreichtum spottet allerdings jeder erschöpfenden Aufzählung. Wenn wir hier Einzelheiten geben, so geschieht es nur, um das ganze Rechtsinstitut anschaulicher zu machen. — Den weitaus wichtigsten Gegenstand des Gemeingebrauchs bilden die ö f f e n t l i c h e n Wege. Sie sind selbst unter sich nicht gleichartig. Es gibt Wege für alles: Landstraßen z. B. Es gibt Wege m i t beschränktem Zwecke: Fußpfade, Reitwege, Radfahrwege, bald auch Kraftwagenstraßen. Es gibt zusammengesetzte Wege: Fahrstraße in 10

Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Abgrenzung des Gebietes der Freiheit gegenüber der allgemeinen Sicherheits- und Ordnungspolizei, wo ebenfalls Sitte und Gewöhnung ihre Rolle spielen. Vgl. oben Bd. I S. 218 ff. Auch hier steht ja schließlich die im Gemeingebrauch erscheinende Freiheit der Polizei der öffentlichen Sache gegenüber.

§ 37. Der Gemeingebrauch.

79

der Mitte, links und rechts Bürgersteig, dazwischen vielleicht noch ein Reitweg oder ein Radfahrweg. Auch der beschränkte Zweck bedeutet noch Gemeingebrauch. Aber nur bei den allgemeinen Straßen: Landstraßen und Ortsstraßen bekundet er seine ganze Fülle. Den Gemeingebrauch an L a n d s t r a ß e n scheint A.L.R. I I , 15 § 7 zusammenfassen zu wollen i n der Bestimmung, daß sie jedem verstattet sind „zum Reisen und Fortbringen seiner Sachen". Wir würden uns aber schwer beengt fühlen, wenn die ganze Poesie der Landstraße i n diesen Rahmen gezwängt werden müßte. A m meisten würde das der Fall sein, wo die Landstraße eine Ortschaft durchzieht. Alle O r t s s t r a ß e n sprengen völlig einen solchen Rahmen. Man hat eine erschöpfende Formel zu geben geglaubt, wenn man von der Straße sagte: sie diene dem a l l g e m e i n e n V e r k e h r . Das ist gewiß ein Hauptpunkt oder der Hauptpunkt. Aber Gemeingebrauch ist es auch, wenn die gesprächigen Hausfrauen sich begegnen und nun für längere Zeit auf den eigentlichen Verkehr verzichten. Ganz losgelöst vom Begriff des allgemeinen Verkehrs erweist sich, der Gemeingebrauch i n den mancherlei Vorteilen, die er durch die Straßen den angrenzenden Grundstücken gewähren läßt, vor allem den bebauten und hier wieder vorzugsweise den W o h n g e b ä u d e n innerhalb der Ortschaften 1 1 . Der Zugang zum Hause wird von der Straße her genommen, Türen und Tore sind nach dieser h i n angebracht; es bezieht von dort Licht und Luft und öffnet dahin seine Fenster; sein Wasserablauf wird dahin gerichtet. Alles ohne besonderen Rechtstitel, schlechthin auf Grund des Rechts des Gemeingebrauchs, dem die öffentliche Sache dient 1 2 . 11 Nicht jede öffentliche Straße ist auch dieser Art von Gemeingebrauch zugänglich; es kommt auf die ausdrückliche oder stillschweigende Widmung an. Je nachdem ist es eine „Baustraße" oder nicht: Jahrb. f. Württ. R.Pfl. X X I S. 228; X X I I S. 221. Pr. Ges. v. 2. Juli 1875 § 15 Abs. 1: „wenn solche zur Bebauung bestimmt ist". Sächs. O.V.G. 27. Aug. 1904 (Jahrb. V I S. 272): „Staatsstraße nur dem Verkehr, nicht dem Anbau zu dienen bestimmt". 12 Für das alles gilt der Grundsatz in O.V.G. 10. Mai 1897 (Entsch. X X X I I S. 213): „Die Benutzung eines öffentlichen Weges durch die Anlieger beruht der Regel nach auf keinem anderen und weitergehenden Rechtsgrunde als die Benutzung der öffentlichen Wege durch jedermann, der an solcher Benutzung ein Interesse hat." — B e k k e r , Pand. S. 341 ff., unterscheidet Rechte, die ohne weiteres aus dem Gemeingebrauch hervorgehen und deshalb allen zukommen, und Vorzugsrechte, „die den Gemeingebrauch nur zur Voraussetzung haben, übrigens besonders erworben werden müssen und also auch nur denen zukommen, die sie erworben haben". Das sind vor allem die hier oben genannten „Anliegerrechte", eigentlich auch nur „eine Reihe von Vorteilen, Nutzungen aus dem Gemeingebrauch", aber man erwirbt sie doch erst durch das Eigentum an einem Anliege-

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

80

Sodann w i r d der z u r Straße gehörige L u f t r a u m v o m W o h n g e b ä u d e aus m i t allerlei V o r k e h r u n g e n i n A n s p r u c h g e n o m m e n : B l u m e n b r e t t e r , Fahnen, Vogelkäfige werden über i h r angebracht, Fensterladen, Stellvorhänge spielen darüber her — alles u n e r l a u b t gegenüber einem P r i v a t g r u n d s t ü c k , befugter Gemeingebrauch gegenüber der S t r a ß e 1 3 . D e r Straßenboden selbst v o r d e m H a u s g r u n d s t ü c k w i r d i n einer Weise i n A n s p r u c h genommen, die m i t d e m V e r k e h r n i c h t s m e h r z u t u n hat.

W a g e n h a l t e n daselbst u n d werden abgeladen,

Brennholz

w i r d niedergelegt, v i e l l e i c h t a u c h k l e i n gemacht, K o h l e n werden z u m K e l l e r l o c h eingeschaufelt.

Das k a n n sogar verkehrsstörend

werden;

w e n n es z u a r g w i r d , schreitet m a n a u c h w o h l dagegen e i n ; i m ü b r i g e n geschieht

es ohne

Erlaubnis

kraft

selbstverständlichen

Gemeinge-

brauchs14. grundstück; daher Vorzugsrechte, weil sie „dem Nichteigentümer niemals ebenso zukommen können . . . Unter anderem die Möglichkeit, usw.". Nun ist ja klar, daß, wer nicht Hausbesitzer ist, auch keine Möglichkeit hat, Fenster nach der Straße zu besitzen. Allein in der gleichen Weise hat auch nur der Wagenbesitzer die Möglichkeit, auf der Straße zu fahren, der Pferdebesitzer die Möglichkeit, darauf zu reiten. Sollten die gleichfalls Vorzugsrechte im Gemeingebrauch „erworben" haben? Es handelt sich offenbar auch hier wieder bloß um eine tatsächliche Voraussetzung für die Ausnutzung der durch den Gemeingebrauch eröffneten rechtlichen Möglichkeiten — ein vollwichtiges Seitenstück zu dem oben Note 5 erörterten unnützen Begriffsmerkmal der „Gebietsangehörigkeit". — Wie eine Art „Vorzugsrecht" kann es manchmal aussehen, wenn der Anlieger eine Benutzung an der Straße ausübt, die jeder andere auch machen könnte, aber nicht machen darf. Der Anlieger darf z. B. über den Bürgersteig in sein Anwesen fahren, der dem durchgehenden Verkehr zum Fahren n i c h t dient. Davon O.V.G. 30. Juli 1883 (Entsch. X X V I I I S. 196); 27. Febr. 1908 (Entsch. L H S. 320): „Ein den gewöhnlichen Gemeingebrauch übersteigender Gemeingebrauch." Aber auch dieses ist, wie das ganze Anliegerrecht, nicht eigentlich ein bevorzugter Gemeingebrauch, sondern nur eine a n d e r e S e i t e des allgemeinen. 13 U b b e l o h d e , Glück Pand. Bd. 43 u. 44 S. 111, berichtet über einen Rechtsfall, wo der Anlieger die Stockwerke seines Gebäudes über die Straße soll vorspringen lassen dürfen, weil der Straßeneigentümer ja auch „Fahnen, Marquisen, auswärts schlagende Fenster'dulden müsse. Das letztere ist richtig; es ist im Gemeingebrauch begriffen. Der Vorbau hat eine andere Natur; vgl. unten § 38, I I I n. 2. 14 Stf.G.B. § 366 Ziff. 9 bedroht seinem Wortlaut nach ganz unbedingt mit Strafe, „wer auf öffentlichen Wegen . . . Gegenstände, durch welche der freie Verkehr gehindert wird, aufstellt, hinlegt oder liegen läßt". Das Wort „unbefugt" ist gleichwohl zu ergänzen, und der Gemeingebrauch deckt, soweit er eben reicht. O l s h a u s e n , zu Stf.G.B. § 366 Ziff. 9b, führt ein Erkenntnis des O.L.G. Darmstadt v. 28. Nov. 1899 an, wo Freisprechung erfolgte, „weil die durch das Haltenlassen des Fuhrwerkes in einer engen Sackgasse bedingte Verkehrsstörung nicht länger dauerte, als zur Abladung des Heues nötig war". Die nämliche Verkehrsstörung durch die haltende Droschke ist straflos, wenn sie mit dem ab-

§

7. Der Gemeingebrauch.

81

Gerade f ü r diese B e n u t z u n g e n des Raumes auf der Straße v o r den H ä u s e r n l ä ß t sich gar keine allgemeine Regel aufstellen. ö r t l i c h - s i t t l i c h u n d soweit R e c h t .

H i e r ist alles

J e kleiner, j e altmodischer die O r t -

schaft ist, desto stärker w i r k e n Anschauungen aus der u r s p r ü n g l i c h e n A l l m e n d z e i t n o c h nach.

E i n großer T e i l des Lebens der B e v ö l k e r u n g

spielt sich auf der Straße ab.

M a n l ä ß t allerlei Geräte, K a r r e n u n d

Fässer da herumstehen, stellt sich des Abends B ä n k e vors H a u s , u m Luft

z u schnappen, der H a n d w e r k s b e t r i e b

f i n d e t teilweise auf

der

Straße s t a t t , w i e n i c h t m i n d e r die K i n d e r e r z i e h u n g . D i e neu angelegten Straßen sind w e i t strenger abgeschlossen gegenüber der F r e i h e i t des Privatlebens, sie dienen i m m e r ausschließlicher n u r d e m

wirklichen

V e r k e h r u n d dem, was einigermaßen d a m i t zusammenhängt.

Innerhalb

ein u n d derselben S t a d t zeigt der Gemeingebrauch Verschiedenheiten, j e nachdem m a n die A l t s t a d t b e t r a c h t e t oder die N e u s t a d t . D a s Ü b l i c h e , H e r k ö m m l i c h e , Gewohnte, die gemeine A n s c h a u u n g über die Grenzen der F r e i h e i t i s t alles.

Mit

Gewohnheitsrecht,

Ersitzung u n d

allen

sonstigen formellen R e c h t s t i t e l n i s t hier n i c h t a u s z u k o m m e n 1 5 . — V o n den ü b r i g e n öffentlichen Sachen stehen P l ä t z e u n d B r ü c k e n d e n Straßen a m nächsten, der

Gemeingebrauch ist hier

ähnlichen

zuladenden Gepäck zusammenhing, und strafbar, wenn mit dem Frühschoppen des Kutschers oder mit einer anderweit von diesem unternommenen Gesohäftsbesorgung: Bayr. Obst. L.G. 7. Febr. 1901 ( R e g e r X X I I I S. 142). 15 Es kommt vor, daß der alte ausgedehntere Gemeingebrauch sich nur an der einen oder anderen Stelle noch tatsächlich aufrechterhält. Das gibt dann für die Gerichte, welche die Sache nicht einfach geschichtlich verstehen wollen, Schwierigkeiten der Konstruktion. Bl. f. adm. Pr. 1886 S. 129 ff. bringen den Fall: Ein Schmied hielt vor seinem Hause eine Huf beschlagbrücke. Das O.L.G. sagt: „Nach alter deutscher Rechtsanschauung wird der längs der Häuser hinziehende Fuß- oder Bürgersteig als Teil der Straße behandelt", aber vielfach ist den Handwerkern gestattet, darauf zu arbeiten, freilich nur „begünstigungsweise"; es meint, das sei ein precarium, das, wie jeder Vertrag, auch stillschweigend möglich sei. Der Rechtsbeistand des Schmiedes behauptete eine Servitut. Der Schmied selbst hatte offenbar die Straße „nach alter deutscher Rechtsanschauung" noch als Allmend behandelt. Das war als im Gemeingebrauch begriffen anzusehen, solange nicht die Polizei der öffentlichen Sache mit ihren Ordnungen dagegen eingeschritten ist, um den Erfordernissen des neuen Verkehrs gerecht zu werden. Vgl. unten I I I n. 2. — R.G. 16. Febr. 1887 ( R e g e r V I I I S. 309) behandelt den Fall, wo ein Hausbesitzer auf der Straße vor seinem Hause Wagen und Ackergeräte aufzustellen pflegt. Das Reichsgericht findet, daß das kein Gemeingebrauch sei, da es sich um eine „dauernde und vorzugsweise Nutzung" handle, die nicht im Gemeingebrauch enthalten sein könne; es nimmt deshalb, nicht ohne Bemühung, die Ersitzung eines dinglichen Rechts an der Straße an. Aber andere Ortsbewohner machen es wohl auch so oder machten es früher so. Es ist einfach ein Rest alten ausgedehnteren Gemeingebrauchs, was man da vor sich hatte. B i n d i n g - O e t k e r , H a n d b u c h V I . 2: O t t o Μ a y e r, Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.

6

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Das

etliche Sachenrecht.

Inhalts. Nur ist er bei den B r ü c k e n strenger auf den eigentlichen Verkehr beschränkt: viele Dinge sind schon demnach hier ausgeschlossen, namentlich aber auch aller Gemeingebrauch, der mit angrenzenden Wohngebäuden zusammenhängt. Umgekehrt ist der P l a t z geeignet, noch zugänglicher zu sein für allerlei Benutzung als die eigentliche Straße; das äußert sich aber mehr in besonderen Gebrauchserlaubnissen (unten § 38) als in Erweiterung des Gemeingebrauchs. — Bei den S t r ö m e n , schiffbaren Flüssen, natürlichen Wasserstraßen ist die Schiffahrt, einschließlich Floßfahrt, das wichtigste Stück des Gemeingebrauchs, dem Range nach allem anderen vorgehend. Dazu kommt aber noch das Schöpfen, Trinken, Viehtränken, Waschen, Baden, Schwimmen, Schlittschuhlaufen, Durchwaten und die mancherlei Benutzung der dazu gehörigen Ufer. Eine erschöpfende Aufzählung wird nicht zu geben sein. Man möchte sagen: es liegt alles noch i m Gemeingebrauch, was nicht B e s i t z e r g r e i f u n g oder Z e r s t ö r u n g a m S t r o m e b e d e u t e t oder b e s o n d e r s v e r b o t e n ist. W i r erhalten auch von den Gesetzen, die sich damit abgeben, niemals einen bestimmten Umfang des behaupteten subjektiven Rechts von jedermann, sondern wieder nur gewisse Anwendungsfälle einer sich entfaltenden, auf allgemeiner Anschauung beruhenden Freiheit 1 6 . — Die S c h i f f a h r t s k a n ä l e stehen den Strömen gleich, insofern auch bei ihnen die Schiffahrt Hauptgegenstand des Gemeingebrauchs ist. Sie sind aber i m Gegensatz zu diesen k ü n s t l i c h e V e r a n s t a l 16

Bayr. Wasser.Ben.Ges. v. 28. Mai 1852 Art. 9 versucht aufzuzählen: „Der Gebrauch des Wassers aus öffentlichen Gewässern durch Schöpfen, Baden, Waschen und Tränken ist jedem unverwehrt." P ö z l , Komm. S. 62, ergänzt: „Als unter Art. 9 fallend dürften noch anzuführen sein: die Benutzung des gefrorenen Wassers zum Schlittschuhlaufen, das Waschen der Schafe, das Fleien, das Einlassen von Gänsen und Enten." I n der Fußnote fügt er dem Waschen der Schafe noch hinzu: „Ob auch von Schweinen, ist uns zweifelhaft". Wir möchten aber dann fragen: Wo bleiben die Hunde, die man doch von allen Tieren am häufigsten ins Wasser schickt? Es läuft schließlich auf Kleinigkeiten hinaus. Aber gerade das ist die Freiheit, daß es auf den Wert der Handlung gar nicht ankommt. — Sächs. WasserGes. v. 12. März 1909 § 22 umgrenzt den Gemeingebrauch ungefähr in der oben bezeichneten Weise, wonach die Gewässer zu allerlei Zwecken gebraucht werden dürfen, „soweit dies o h n e Ä n d e r u n g o d e r B e s c h ä d i g u n g des Wasserlaufes, des Bettes oder der Ufer und ohne B e e i n t r ä c h t i g u n g d e r R e c h t e a n d e r e r geschehen kann". Jene Zwecke selbst möchte das Gesetz auch noch genauer bestimmen und läßt nur zu „häusliche oder wirtschaftliche Zwecke". Als solche gelten ihm aber „insbesondere" auch „Benutzung zum Kahnfahren" und als „Eisbahn". Beides kann sowohl nach seiner Wirtschaftlichkeit wie nach seiner Häuslichkeit angezweifelt werden. Wenn es aber mit solchen Schranken doch nicht stimmt, läßt man sie besser ungezogen.

§ 37. Der Gemeingebrauch.

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t u n g e n und darin den Straßen gleich. Von beiden unterscheiden sie sich dadurch, daß sie k e i n e V o r g e s c h i c h t e haben als res communes omnium oder als Allmend. Sie bringen den Gedanken nicht mit, daß sie ein selbstverständlicher Gegenstand der Betätigung von allerlei Freiheit seien. Gemeingebrauch besteht daher über jenen Hauptzweck hinaus nur i n dem vom Herrn der Sache ein für allemal bewilligten Umfang, als b e s o n d e r e E i n r ä u m u n g u n d G e w ä h r u n g a n das Publikum17. — Der M e e r e s s t r a n d endlich weist ein Gemisch von verschiedenen Arten von Gemeingebrauch auf. Er hat seinen V e r k e h r , dem er dient zum Gehen, Fahren, Reiten, Anlanden. Er macht sich der Ausübung der F i s c h e r e i nützlich, die mittels Gemeingebrauchs von dort aus betrieben wird: er nimmt die Fischerboote auf und dient zum Ausspannen der Netze.. Er gibt dem B a d e b e t r i e b seine Grundlage, die dann allerdings durch Gebrauchserlaubnisse (§ 38) und Verleihungen (§ 39) einen weiteren Ausbau erfährt. I I I . Das Recht des Gemeingebrauchs — Recht i n dem jetzt genügend klargestellten Sinne., — hat demnach seine Grenzen. Jede Ü b e r s c h r e i t u n g bildet einen Eingriff i n den Bestand der öffentlichen Sache, an welcher sie geübt wird. Der ungestörte Bestand der öffentlichen Sache rechnet zu den Polizeigütern, und die Abwehr geschieht durch die dazugehörige Anstaltspolizei, die Polizei der öffentlichen Sache 18 . Sie umfaßt insbesondere auch die P o l i z e i des Gem e i n g e b r a u c h s . Polizeibefehle, Polizeistrafe, Polizeizwang sind ihre Mittel; insbesondere kommt der unmittelbare Zwang hier i n verhältnismäßig reicherem Umfang zur Anwendung 1 9 . Die Polizei ist dabei gebunden an den Gemeingebrauch, weil er rechtmäßige Freiheit darstellt. Sie kann ihn nicht beseitigen, solange die öffentliche Sache dieser A r t von Gemeingebrauch gewidmet bleibt. 17

Bayr. Wasser.Ben.Ges. v. 28. Mai 1852 Art. 8: „Von dem Staate errichtete Kanäle sind nur insoweit dem freien Gebrauche eröffnet, als dieses durch die Staatsregierung bestimmt wird." Freier Gebrauch, Gemeingebrauch ist es also doch im Gegensatz zu Einzelerlaubnissen; der Unterschied vom Gemeingebrauch an Strömen liegt nur in der formelleren Umgrenzung der Freiheit. Die Bayr. Kanal-Ord. v. 9. Jan. 1842 § 63 hat übrigens den Gegensatz gemildert, indem sie ausdrücklich bestimmt, welche von den an Strömen üblichen Benutzungsarten am Kanale verboten sein sollen; die anderen gelten also auch hier. — Abzugskanäle unterliegen überhaupt keinem Gemeingebrauch: die Stadt gewährt den Hausbesitzern ein für allemal den Anschluß und übernimmt dadurch deren Abwasser; durch ihren Abzugskanal führt sie dann i h r e so gesammelten Abwasser weiter. 18 Vgl. oben § 36, I I I . 19 Vgl. oben Bd. I S. 291. 6*

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Das ötieiitliche Sachenrecht.

Sie kann i h n aber regeln, damit seine Ausübung durch den Einzelnen verträglich bleibe mit der gleichen Freiheit der anderen und m i t dem guten Bestände der Sache, der dieser Freiheit dient. Auch bloße Möglichkeiten der Schädigung kommen hier i n Betracht; die Polizei wirkt insofern vorbeugend. Wer dann diese Regelung nicht achtet, begeht wieder eine Überschreitung des Gemeingebrauchs 20 . Die R e g e l u n g des G e m e i n g e b r a u c h s äußert sich hauptsächlich in folgenden Punkten: 1. Bei künstlich hergestellten oder hergerichteten Sachen wird der Gemeingebrauch immer m i t einer gewissen A b n u t z u n g verbunden sein; das ist unvermeidlich. Es können aber polizeiliche Vorschriften dahin ergehen, daß Gebrauchsarten zu vermeiden sind, welche diese Abnutzung übermäßig steigern oder sofortige Zerstörungen zu bewirken imstande sind. Dahin gehören die Vorschriften über die Breite der Radkränze, über das Schleifen von Pflügen, von Baumstämmen, über das zulässige Gewicht beim Befahren von Brücken, über die Anwendung wellenerregender Fortbewegungsmaschinen auf Kanälen. 2. Die verschiedenen Benutzungsarten, die i m Gemeingebrauch enthalten sind, haben nicht alle gleichen Wert. Vom Standpunkte der öffentlichen Verwaltung aus sind wichtigere und minder wichtige zu unterscheiden ; es besteht eine R a n g f o l g e . Sofern nun diese Benutzungsarten sich untereinander stören und stoßen, ist es Aufgabe der Polizei des Gemeingebrauchs, zu bewirken, daß die minder wertvolle ausweicht. Dies kann dahin führen, daß ganze Seiten des Gemeingebrauchs unterdrückt werden müssen. W i r sehen diesen Grundsatz vor allem wirksam werden bei unseren Ortsstraßen. Der Hauptzweck ist hier offenbar der Verkehr, die Fortbewegung, die ihrerseits immer lebhafter und immer empfindlicher 20 Bezeichnend ist, daß die alte genossenschaftliche Auffassung sich zuweilen in ortspolizeiliche Anordnungen einschleicht, um unzulässige Beschränkungen des Gemeingebrauchs durchzusetzen. Ein Beispiel in Bl. f. adm. Pr. 1874 S. 369: Eine ortspolizeiliche Vorschrift hatte bestimmt, daß eine Gasse nur von Ortseinwohnern befahren werden dürfe. Das wurde für unzulässig erkannt: „Die allgemeine Benutzung, die Haupteigenschaft jedes öffentlichen Weges, würde aufhören." Wollte man die Gasse schützen, also nur wirkliche Polizei des Gemeingebrauchs üben, so konnte man einen sachlichen, für die Benutzung selbst bedeutsamen Unterschied machen und etwa schweres Fuhrwerk ausschließen. — Ähnlich der Fall in Bl. f. adm. Pr. 1872 S. 359, wo die Benutzung eines Gemeindeverbindungsweges „Fremden" verboten werden sollte. Diese Vorschrift wurde außer Kraft gesetzt, da ein öffentlicher Weg jedermann ohne Rücksicht auf Gemeindeangehörigkeit zur Benutzung zusteht.

§ 37. Der Gemeingebrauch.

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wird gegen Hemmnisse. Gar manche von den alten hergebrachten Benutzungsarten erweisen sich mehr und mehr unverträglich damit, und sobald dies ein gewisses Maß übersteigt, wird die Polizei berechtigt, solche zu beschränken oder gänzlich zu verbieten. Darauf beruht der Entwicklungsgang, i n welchem der Gemeingebrauch unserer Straßen ersichtlich begriffen ist. Der Verkehr selbst hat wieder verschiedene Arten, die unter sich nicht gleichwertig sind. Auch dasFahrrad hat seinRecht des Gemeingebrauchs, aber als die minderwichtige Verkehrsart muß es sich gefallen lassen, dem Fuß- und Wagenverkehr zuliebe von engeren Straßen und Brücken verbannt zu sein. Der Fußverkehr ist innerhalb der Ortschaften die Hauptsache; der langsam fahrende schwere Lastwagen kann i h m zuliebe von der Benutzung besonders belebter oder enger Straßen ausgeschlossen werden 2 1 . 3. Auf besonders belebten Straßen und Plätzen wird der Gemeingebrauch vor Selbst Zerstörung dadurch bewahrt, daß dem Strom der Fuhrwerke und Fußgänger eine gewisse L e i t u n g gegeben wird. Dazu dient schon allgemein und ohne besondere Not die Vorschrift des Rechtshaltens für Fuhrwerke auf allen Arten von Straßen, auch für Fußgänger auf Brücken. Unter jenen besonderen Voraussetzungen steigert es sich aber zu starken Beschränkungen der Freiheit. Der Einzelne muß sich einfügen i n die festen Bahnen, i n welchen der Verkehr laufen soll: er darf nicht stehenbleiben, muß andererseits stehenbleiben, wenn die sich kreuzenden Ströme es verlangen, muß den Augenblick benutzen, wo die Straße von der angehäuften Menge zu überqueren ist, muß auf der bestimmten Straßenseite und i n der bestimmten Richtung sich bewegen, wenn er überhaupt am Gemeingebrauch teilnehmen, d. h. auf der Straße vorhanden sein will. Fuhrwerke, wo die Sache gut gemacht wird, bewegen sich i n wahrhaft militärischer Ordnung, der Reihe nach, bestimmte Wege hin, bestimmte zurück. Das wird alles bewirkt durch Polizeiverordnungen, ergänzt durch Aufforderungen, welche von den Polizeimannschaften i m Einzelfalle gegeben werden, um den Beteiligten kundzutun, welches Verhalten nach jenen Vorschriften jetzt von ihnen zu beobachten sei. Die Gehor21 U b b e l o h d e , Glücks Pand. Bd. 43 u. 44 S. 149, spricht hier wieder von einer „bevorzugten Art des Gemeingebrauchs". Der Ausdruck ist hier passender als in den oben Note 13 erwähnten Fällen. Ein ähnliches Ausweichen der einen Gemeingebrauchsart vor der anderen bei O.V.G. 9. Mai 1887 (Entsch. V I I I S. 292): Das Hausgrundstück darf nicht einen zweiten Ausgang nach der Kückseite einrichten, damit der auf der schmalen Dammstraße stattfindende Fischmarktverkehr ungestört bleibe.

Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

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samspflicht besteht der Polizeiverordnung gegenüber, die Aufforderung hat nur den Wert einer M a h n u n g und einer Bedingung der Strafbarkeit des Ungehorsams gegen die Verordnung 2 2 . So gestaltet sich die Sache nach den allgemeinen Grundsätzen des Polizeirechts. Häufig erhält sie aber eine andere Rechtsform dadurch, daß den überwachenden Polizeimannschaften selbst eine Befehlsgewalt übertragen ist, vermöge deren sie für die Beteiligten bindend bestimmen, wie sie sich nun zu verhalten haben. Eine Gehorsamspflicht gegenüber dem Schutzmann entsteht. Das ist nichts Selbstverständliches, sondern bildet eine scharfe Abweichung von der Regel, wonach eine solche obrigkeitliche Bestimmung des Einzelfalles den B e h ö r d e n vorbehalten ist. Eine Ausnahme findet sich nur i m Gewaltverhältnisse, wo auch der Beamte ohne behördliche Eigenschaft durch seine Anweisungen Gehorsamspflichten zu erzeugen vermag 2 3 . U n d das Besondere ist eben, daß ein solches Gewaltverhältnis auch hier angenommen wird. Die öffentliche Straße wird behandelt i n jenem älteren Sinne, nicht als Gegenstand einer Betätigung der Freiheit des Menschen i m Staate, sondern als eine öffentliche Anstalt, deren Benutzung der Staat den Einzelnen „verstattet", wofür sie sich dann unter die Ordnung und Leitung der A n s t a l t s g e w a l t zu beugen haben 2 4 . Daraus ergibt sich von selbst auch das Anweisungsrecht des m i t der Überwachung betrauten Anstaltsbeamten. So wird dieses immerhin vom Gewöhnlichen abweichende Stück der Polizei des Gemeingebrauchs erklärlich. Es beruht auf einer i m wesentlichen jetzt überwundenen Auffassung des Gemeingebrauchs und steht als ein fremdartiger Rest der alten polizeistaatlichen Machtentwicklung des unteren Beamtentums i n unserem neuzeitlichen Verwaltungsrecht allein. 4. Unter Umständen können sogar die wesentlichsten Benutzungsarten des Gemeingebrauchs z e i t w e i s e a u s g e s c h l o s s e n werden, namentlich also bei dem Verkehr dienenden Sachen dieser Verkehr selbst: die Straße wird a b g e s p e r r t . Solches rechtfertigt sich ganz allgemein durch die Notwendigkeiten der I n s t a n d h a l t u n g : die Straße soll umgepflastert werden oder der Kanal den alljährlichen Säuberungsarbeiten unterzogen; bis das erledigt ist, wird der öffentliche Verkehr darauf polizeilich gesperrt. I n regelmäßiger Weise erscheinen solche Sperrungen da, wo zweierlei 22

Vgl. Vgl. 24 Vgl. oben Bd. I 23

oben Bd. I S. 262. oben Bd. I S. 102. unten § 52, I . Über diese Behandlung der Straßenpolizei die Belege S. 229 Note 4; vgl. auch T h o m a , Polizeibefehl S. 374 Note 17.

§ 37. Der Gemeingebrauch.

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Verkehrsstraßen sich i n gleicher Höhe k r e u z e n : die Schienengeleise der Eisenbahn durchschneiden die Straße; wenn der Zug naht, schließen sich die Schranken. Die Joche der Schiffbrücke werden ausgefahren, um die Schiffe des Stromes durchzulassen. E i n sichtbares „ H a l t " erinnert insbesondere die Fuhrwerke daran, daß es zurzeit verboten ist, über eine gewisse Entfernung heranzukommen. Es kann auch der Raum der Straße, des Platzes, der Brücke zeitweilig für eine A r t b e v o r z u g t e n V e r k e h r s i n Anspruch genommen sein, dessen polizeilicher Schutz dann als Absperrung für alles andere w i r k t : erlaubte Festaufzüge, Leichenkondukte, Prozessionen. I V . A n den Gemeingebrauch knüpfen sich gewisse L e i s t u n g e n i n G e l d u n d G e l d e s w e r t , die wieder Gegenstücke bilden zu dem, was i n dieser Hinsicht bei der gewährten Benutzung einer öffentlichen Anstalt i m allgemeinen gilt (vgl. oben I n. 2 u. 3). 1. Für die Benutzung der öffentlichen Anstalten pflegt von den Benutzenden eine G e b ü h r entrichtet zu werden, die meist i m einfachen Verwaltungswege festgesetzt und erhoben wird (vgl. Bd. I S. 313 und unten § 52, I I ) . Doch bedarf die Auferlegung einer Gebühr auf den Gemeingebrauch, vor allem auf den Straßenverkehr, einer gesetzlichen Grundlage. Denn dieser beruht nicht auf einer besonderen Verstattung, m i t welcher sich die Erhebung einer Abgabe von selbst verbinden mag, sondern auf der natürlichen Freiheit, und die Belastung m i t der Gebühr ist ein Eingriff in diese 25 . So bekommt sie von vornherein eine gewisse Ähnlichkeit m i t der Steuerauflage, und zwar ist es die unmittelbar erhobene (indirekte), welche das Vorbild liefert 2 e . I m Gegensatz zu einer solchen ist sie allerdings nicht voraussetzungslos, sondern bedingt durch den Benutzungsfall. Sie hat auch 25 Den Gegensatz zur Anstaltsnutzung bezeichnet der Fall in O.V.G. 18. Mai 1909 (Entsch. L I V S. 262): „Der Fiskus will von Privatstrandkörben (Gemeingebrauch) einen Mietzins (Gebühr) erheben; wer nicht zahlt, dem wird sein Korb „polizeilich weggeschafft". Dieses bei eigentlicher Anstaltsnutzung vollkommen angemessene Verfahren ist hier unzulässig: die polizeiliche Verfügung (Polizei des Gemeingebrauchs) ist „nicht gegeben zur Wahrung der Interessen des Fiskus". — Die oben I I I n. 3 erwähnte Behandlung des Gemeingebrauchs als eine „verstattete" Anstaltsnutzung ist also nur bezüglich der Anstaltspolizeiausübung noch bestehen geblieben als vereinzelte, widerspruchsvolle Erscheinung. Für die Begründung der Gebührenpflicht wird von dieser Auffassung kein Gebrauch mehr gemacht. 26

Brückengeld, Chausseegeld, Hafengeld werden demgemäß, im Gegensatz zu anderen Gebühren, zu den „allgemeinen Anlagen" im Sinne von A. L.R. I I , 14 § 78 f. gerechnet (C.C.H. 8. Okt. 1870; J.M.B1. 1870 S. 352). Auch als „Abgaben" werden sie behandelt (C.C.H. 9. Dez. 1865; J.M.B1. 1866 S. 125).

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Das ö e t l i c h e Sachenrecht.

einen natürlichen Höchstbetrag an dem zu deckenden Gesamtaufwand für die benutzte Sache 27 . Dieses gegebene Maß ermöglicht es, die Bestimmung solcher Zahlungspflichten hier der V e r o r d n u n g zu überlassen, während ja die eigentliche Steuer vom Gesetze streng i n der Hand behalten w i r d 2 8 . 2. Bei Hausgrundstücken m i t ihrem dauernden und vielseitigen Gemeingebrauch, den sie an der Straße genießen lassen, nimmt die besondere Gegenleistung vornehmlich die Gestalt des B e i t r a g e s an (Anliegerbeiträge, Straßenreinigungspflicht, Bürgersteigunterhaltungspflicht; vgl. Bd. I S. 313 und unten § 48 I n. 1). Dem entspricht ein besonderes Verhältnis zu dem unmittelbar angrenzenden Teil der Straße: nach i h m bemißt sich der Umfang der Last. Andererseits geht die Last m i t dem beteiligten Hausgrundstück auf den etwaigen neuen Erwerber über: sie hängt an dem Grundstück wie der zuständliche Gemeingebrauch selbst. Vgl. unten § 48, I n. 3. 3. Umgekehrt ist der dem Hausgrundstück dienende Gemeingebrauch an der Straße, die bei ihm vorüberführt, auch wieder i n gewissem Maße dinglich m i t i h m verbunden. Dem Herrn der Straße bleibt zwar immer frei, über diese zu verfügen, sie zu verändern oder ganz zu unterbinden. Aber dem Eigentümer des Hauses hat er dann für die diesem so bewirkte Minderwertigkeit Ersatz zu leisten nach den Grundsätzen der öffentlichrechtlichen Entschädigung, wie sie unten § 53 f. zur Darstellung kommen sollen 2 9 . 27 W a g n e r , Finanzwiss. I I S. 171. Vgl. auch meine Schrift „Schiffahrtsabgaben" I I S. 7. ff.; G e r m e r s h a u s e n , Preuß. Wegerecht I S. 575ff. 28 Vgl. oben Bd. I § 27,1 n. 1. ν. Β i 1 1 e r , HandW.B. d. Preuß. Verw. I v* Gebühren I I I ; S e y d e l , Bayr. St.R. I I I S. 258. 29 So O.C.H. 13. Okt. 1866 (J.M.Bl. 1867) S. 39: Dem Kläger gebührt Entschädigung, „weil seine nur auf dem bisherigen Wege zugängliche Anlage unbrauchbar und wertlos durch das Verbot des Weges geworden, er also gewissermaßen einen Teil seines Privateigentums im Interesse des allgemeinen Nutzens hat aufgeben müssen". Wir vernehmen hier die Stimme des A. L.R. Einl. § 75 r die im Geiste unseres öffentlichen Rechtes spricht. Dafür ist man aber im allgemeinen noch schwer zugänglich gewesen, und so versuchte man noch lange Zeit, die Sache lieber in den vertrauteren Tönen des Zivilrechts auszudrücken. Die einen wollten ein stillschweigendes Garantieversprechen annehmen, das Staat oder Gemeinde bei Anlegung der Baustraße gegeben hätten, oder gar die Fiktion einer cautio damni infecti ( B e k k e r , Pand. S. 346, U b b e l o h d e , Glücks Pand. Bd. 43 u. 44 S. 183 ff.; Senff.Arch. X X I I S. 144). Andere suchten die Anlehnung an die Enteignung, die durch Analogie oder durch ein besonderes Gewohnheitsrecht ermöglicht werden sollte (D r e y e r in Ztschr. f. franz. Z.R. I V S. 383; R.G. 1. Febr. 1898 (Entsch. X L I S. 145 f.). Der Schwerpunkt der Untersuchungen verlegte sich dabei mehr und mehr in die Frage, wie das dem Hause zustehende Recht an der Straße zu benennen sei: als „Grunddienstbarkeit",

§ 38. Die Gebrauchserlaubiiis.

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§ 38.

Fortsetzung; die Gebranchserlaubnis. Das Recht des Gemeingebrauchs an der öffentlichen Sache wird, wie wir sahen, für den Einzelnen begründet ohne staatliche Willensäußerung, die darauf gerichtet wäre, ihn zuzulassen zu solcher Benutzung; es bildet von selbst einen Bestandteil der F r e i h e i t des Menschen i m Staate. I m Gegensatze dazu kann dem Einzelnen ü b e r d e n G e m e i n g e b r a u c h h i n a u s noch eine Benutzung der öffentlichen Sache zustehen. Das ist dann jedesmal zurückzuführen auf den Willen der Verwaltung, i h m solches zuzuwenden, a u f eine G e w ä h r u n g u n d E i n r ä u m u n g , d i e sie i h m g e m a c h t h a t . Dieses kann aber wieder auf zweierlei Weise geschehen. Es kann zugunsten des Einzelnen ein Verwaltungsakt erlassen werden, der einen ausschließlichen Besitz und eine rechtliche Herrschaft an einem bestimmten Stücke der öffentlichen Sache für ihn begründet, ein s u b j e k t i v e s ö f f e n t l i c h e s R e c h t . Das nennen wir die V e r l e i h u n g e i n e r b e s o n d e r e n N u t z u n g , wovon hier unter § 39 gehandelt wird. Es kann aber auch sein, daß dem Einzelnen nur die rechtliche Möglichkeit gewährt werden soll, sich der Sache auf eine nicht i m Gemeingebrauch schon gegebene Weise zu bedienen, ohne daß ein entsprechendes Recht an ihr begründet würde, also lediglich i n Gestalt einer besonderen E r w e i t e r u n g der F r e i h e i t . Das ist die G e b r a u c h s e r l a u b n i s , von der hier zunächst die Rede sein soll 1 . „grunddienstbarkeitähnliches Recht", „servitutarisches Recht"; privatrechtlicher Natur sollte es immer bleiben, und als Grundlage diente immer wieder der mehr oder weniger imaginäre „Vertrag", dem schließlich R.G. 2. Dez. 1908 (Entsch. L X X S. 81) wenigstens den Titel „öffentlich-rechtlich" zu verleihen versuchte. Für das Verständnis des Gemeingebrauchs ist diese mit so viel Liebe behandelte Frage nichts weniger als förderlich gewesen. 1 G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 27, unterscheidet die „obrigkeitliche Verleihung", die ein „Rechj" begründet, von der „bloßen Gebrauchserlaubnis", bemerkt aber in Note 30 dazu: „doch sind die Grenzen flüssig". Auch dieses ist richtig. Die Flüssigkeit liegt aber wesentlich an dem mangelnden juristischen Unterscheidungsvermögen der Schriftsteller. Bei G e r m e r s h a u s e n , Preuß. Wegerecht I S. 81 ff., geht alles in der halb privatrechtlich, halb polizeirechtlich gedachten Verleihung auf, und die selbständige Gebrauchserlaubnis erscheint höchstens in der Bemerkung, daß man kein „Recht" erwerben kann, Wagen und andere verkehrhemmende Gegenstände auf öffentlichen Wegen aufzustellen (a. a. O. S. 91). Dieses ganze reiche Zwischengebiet zwischen Gemeingebrauch und Verleihung bleibt also brach liegen. Η a w e l k a , Recht an öff. Wegen S. 107 ff.,

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Das

etliche Sachenrecht.

I . Das A n w e n d u n g s g e b i e t unserer Gebrauchserlaubnis sind öffentliche Sachen. Sie geht entweder über den an dieser Sache bestehenden Gemeingebrauch h i n a u s , oder es handelt sich um eine Sache, die einem Gemeingebrauch ü b e r h a u p t n i c h t zu dienen bestimmt ist. 1. Fälle der ersteren A r t finden sich vor allem zahlreich an öffentlichen S t r a ß e n u n d P l ä t z e n . Hier sind es i n erster Linie gewerbliche Tätigkeiten, die Vergünstigungen dieser A r t i n Anspruch nehmen. Droschkenhaltestellen werden eingeräumt, Zeitungskioske, Sodawassertrinkhallen, Backwarenstände und andere Verkaufsbuden dürfen sich dort niederlassen. Der Marktverkehr gestattet weitere Benutzungen dieser Art, zeitweilig kommen noch Meßbuden, Schauzelte, Karussells und andere Vergnügungseinrichtungen dazu. Die Wohnhäuser aber lassen Nasenschilder, Schaukästen, Balkone und Erker m i t besonderer Erlaubnis i n das Gebiet der Straße hineinragen. Ebenso dienen die W a s s e r s t r a ß e n den Schiffen nicht bloß zu dem i m Gemeingebrauch begriffenen Verkehr; es kann ihnen darüber hinaus gestattet werden, an besonders dazu angewiesener Stelle still zu liegen und die Ufer zum Ab- und Zugang, zum Ein- und Ausladen zu benutzen, auch außerhalb der dazu gemeingebrauchsmäßig bestimmten Hafenstaden. Auch die Benutzung der Schleusen i n Schiffahrtskanälen ist kein Gemeingebrauch mehr. Zudem verbindet sich eine entsprechende Erlaubnis notwendig m i t der Ausübung eines Fischereirechts am öffentlichen Gewässer und m i t der Gestattung der Entnahme von Eis, Sand, Kies, Schlamm und Steinen 2 . 2. Bei öffentlichen Sachen, die nicht wie die erwähnten dem Gemeingebrauch dienen, zeichnen sich solche Gewährungen noch deuthat den Unterschied zwischen besonderer Nutzung mit einem Recht an der öffentlichen Sache und Nutzungen, welche „die Straße nur oberflächlich und vorübergehend benutzen" (S. 131), nicht übersehen. Aber seine Aufzählung von Beispielen solcher Nutzungen, die über den Gemeingebrauch hinausgehen (S. 107), enthält Gebrauchserlaubnisse und Verleihungen durcheinander. Ebenso mischen sich2 diese bei neueren den dann folgenden Untersuchungen. Unsere Wassergesetze zeichnen sich leider nicht aus durch großes Verständnis für die Tragweite des Unterschiedes zwischen öffentlichen und privaten Gewässern wie zwischen tatsächlicher Gestattung und rechtsbegründendem Verwaltungsakt. So gehen denn in Sächs. Ges. v. 12. März 1909, Bad. Ges. v. 12. April 1913, Pr. Ges. v. 7. April 1913 Verleihung, Gebrauchserlaubnis und entsprechendes Hilfsinstitut des Privatrechts arg hilflos durcheinander, und rein polizeiliche Überwachungsmaßregeln nach bergrechtlichem Vorbild mischen sich auch noch darunter. Vgl. H o l t ζ und K r e u t z , Pr. Wasserges. I S: 228; S c h e i c h e r , Sächs. Wasserges. S. 83; W i e n e r , Bad. Wasserrecht S. 94ff. Es ist eine gute Übung, sich hier durchzuwinden.

§ 38. Die Gebrauchserlaubiiis.

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licher ab. Das Überschreiten des B a h n k ö r p e r s kann m i t Rücksicht auf besondere Verhältnisse dem benachbarten Grundbesitzer einmal oder dauernd gestattet sein. Ebenso der Weg über F e s t u n g s w e r k e oder die Benutzung des F e s t u n g s g r a b e n s für Eis- und Rudersport. Der Verkauf der Grasnutzung, die Verpachtung der Fischerei enthält von selbst zugleich eine solche Erlaubnis. K i r c h e n u n d F r i e d h ö f e liefern hier besonders wichtige Beispiele. A n ihnen besteht kein Gemeingebrauch, so wenig wie an anderen umschlossenen Räumen. Beide aber werden zu gewissen Zeiten dem freien E i n t r i t t geöffnet zu den entsprechenden Zwecken: Teilnahme am Gottesdienst, Besuch der Gräber. Beim Kirchhof verbindet sich m i t der Anweisung eines Grabes zur Beerdigung immer zugleich die Erlaubnis für die Angehörigen, dieses Grab zu schmücken; auch die Errichtung eines Grabsteines und Umhegung des Grabes kann gestattet sein. Immer unterscheidet sich ein solches Reihengrab rechtlich scharf von dem durch Verleihung erworbenen Erbbegräbnis; von Gemeingebrauch aber ist hier schon ohnehin keine Rede. I I . Die E r t e i l u n g der G e b r a u c h s e r l a u b n i s ist immer ein Ausfluß des Rechts des Herrn der öffentlichen Sache. 1. Sofern die Befugnis, für diesen zu handeln, auf verschiedene Stellen, Ämter und Vertretungen verteilt ist, wird sich die Gebrauchserlaubnis m i t den Tätigkeitszweigen verbinden, welche z u r g e w ö h n l i c h e n l a u f e n d e n V e r w a l t u n g gehören. Es liegt nichts von einer Veräußerung i n i h r 3 . 3

Deshalb bleibt sie gleichwohl ein Ausfluß des Rechts an der Sache. H a w e l k a , Rechte an öff. Wegen S. 138 f., meint, es sei ein „wichtiges Argument gegen die Lehre vom öffentlichen Eigentum", daß häufig „Nutzungsrechte an öffentlichen Wegen von Organen einer Körperschaft verliehen werden, der die Sache nicht gehört", und ebenso auch „die Bewilligung zur Aufstellung von Droschken auf Gemeindestraßen nicht die Gemeinde, sondern die (staatliche) Gewerbebehörde erteilt. Das geht ganz daneben: Warum soll die staatliche Behörde nicht auch einmal Geschäfte der Gemeinde besorgen? Meinetwegen mag man sie dann auch deren „Organ" nennen. Die Straßenpolizei in größeren Städten z. B. ist vielfach staatlichen Polizeidirektionen, Polizeipräsidien anvertraut; diese üben dann auch die „laufende Verwaltung" der der Stadt gehörigen Straßen aus und geben daher an deren Stelle auch die vorkommenden Gebrauchserlaubnisse; die Begründung von R e c h t e n an der Straße bleibt der Gemeinde selbst vorbehalten. Ein Beispiel in Württ. V.G.H 9. Mai 1887 ( R e g e r V I I I S. 96): Die Privatpost wollte Briefkasten an der Hauswand anbringen. Wenn das ein gesichertes „Privatrecht" werden sollte, setzte es voraus „die privatrechtliche Zustimmung" des Eigentümers der Straße, also „der Gemeinde", und „die polizeiliche Erlaubnis"; über die letztere entscheidet das Stadtpolizeiamt und an höherer Stelle die staatliche Aufsichtsbehörde. Wird sie ohne jene Zustimmung

Das

92

fentliche Sachenrecht.

Sie kommt dadurch i n mehr oder weniger engen Zusammenhang mit der P o l i z e i der ö f f e n t l i c h e n Sache. Nicht als ob sie selbst eine obrigkeitliche Willensäußerung darstellte, insbesondere also einen Verwaltungsakt zur Ausübung der Polizeigewalt. Sie ist insbesondere keine Polizeierlaubnis i n dem oben Bd. I S. 239 entwickelten Sinne als obrigkeitliche Bewilligung einer Ausnahme für den Einzelfall von einem Verbotsrechtssatz. Sie kann i n einer richtigen Polizeierlaubnis mitenthalten sein; das ist etwas anderes. Sie ist ihrer rechtlichen Natur nach nichts als eine V e r w e n d u n g , die der Herr der öffentlichen Sache von dieser macht zugunsten derer, denen er solches gewähren will. Daher die Gebrauchserlaubnis auch nicht notwendig zu erteilen ist, wie die Polizeierlaubnis, von einer hierfür zuständigen B e h ö r d e . Sie kann sich äußerlich m i t der behördlichen Tätigkeit verbinden und so die Form eines Verwaltungsaktes annehmen. Aber an sich kann und wird sie ebensogut ausgehen von einfachen Beamten und Bediensteten, die m i t der äußeren Besorgung dieser öffentlichen Sache betraut sind, von den A u f s i c h t s b e a m t e n 4 . 2. Die Wirkung der erteilten Gebrauchserlaubnis richtet demgemäß ihre Spitze, statt auf eine Änderung des Rechtszustandes, gegen die A b w e h r maßregeln, m i t welcher ohne sie der Herr der öffentlichen Sache gegen diese Benutzung vorgehen würde, und die jetzt ausgeschlossen sind. Denn dank der Gebrauchserlaubnis ist sie jetzt n i c h t u n b e f u g t , sondern i n der rechtmäßigen Freiheit m i t enthalten. Sie bedeutet für die, denen sie zugute kommt, eine Erweiterung dieser Freiheit 5 . Nicht aber bedeutet sie d i e B e g r ü n d u n g eines s u b j e k t i v e n ö f f e n t l i c h e n R e c h t s — so wenig wie der Gemeingebrauch, dem diese Erweiterung der Freiheit unter Umständen hinzutritt, und i m Gegensatze zur Verleihung einer besonderen Nutzung, die gerade das subjektive Eecht des Empfängers zum Ziel und zur Wirkung h a t 6 . I I I . Die Gebrauchserlaubnis erhält ihre festere Gestalt, indem sie erteilt wird i m a n s t a l t s m ä ß i g e n B e t r i e b . Die öffentliche Sache erteilt, so sind diese Behörden „jederzeit befugt, die nur als Vergünstigung eingeräumte Erlaubnis wieder zurückzuziehen". Hier wird es also eine bloße Gebrauchserlaubnis sein. Daß die den Gegensatz dazu bildende Verleihung hier wieder halb privatrechtlich ausgedrückt ist, darf nicht stören. 4

Der Marktaufseher, der Totengräber, der Schleusenwärter spielen hier eine Rolle, die ihnen nicht zukommen könnte, wenn ein echter Verwaltungsakt in Frage wäre; vgl. oben Bd. I S. 94. 5 Hier knüpft sich dann der Zusammenhang mit dem oben Bd. I S. 265 f. zur Polizeistrafe Gesagten; vgl. insbesondere S. 266 Note 13. 6 Insofern wäre die Bezeichnung „gesteigerter Gemeingebrauch", die F l e i n e r , Instit. S. 353, wählt, zutreffend! sie verneint ein Recht an der Sache.

§ 38. Die Gebrauchserlaubiiis.

93

fällt ja noch unter den allgemeineren Begriff der öffentlichen Anstalt, wie wir i h n oben § 33 Eing. festgelegt haben, und die Gebrauchserlaubnis daran unter den der öffentlich rechtlichen Anstaltsnutzung, wovon unten § 51 noch die Rede sein soll. Der Zweck, solche Leistungen zu gewähren, t r i t t nur bei dieser mehr i n den Vordergrund, wo eben die Besonderheit der öffentlichen Sache nicht so überwiegend andere Gesichtspunkte hereinspielen läßt. Diesem Zweck entsprechend bringt sie diese Dinge i n eine A r t G r o ß b e t r i e b , der durch Dienstanweisung und Anstaltsbetrieb geregelt wird. Auch vereinzelte Rechtssätze können dazu kommen. Unsere Gebrauchserlaubnis verwendet die gleichen Formen. Wo die Sache nicht i m Gemeingebrauch steht, geschieht die Erteilung solcher Erlaubnis durch die einfache Z u g ä n g l i c h m a c h u n g 7 : Öffnung der Türen bei Kirche und Kirchhof zu bestimmten Stunden, wie beim Kunstmuseum, Bedienung der Kanalschleuße zum Durchfahren, Platzanweisung vor allem für Marktverkehr 8 , Liegestelle für das haltmachende Kanalschiff 9 , Haltestelle für die Fahrgäste erwartende Droschken, alles i m Gemeingebrauch nicht begriffen, andererseits aber doch auch keinen förmlichen Rechtsanspruch vorstellend, wie die Verleihung. Wo Rechtssätze sich einmischen, können einzelne Stücke der Leistung dadurch festgelegt werden, woraus hier noch nicht geschlossen werden darf, daß das nun einen Rechtsanspruch auf die ganze Leistung selber bedeute: die Zulassung zum Marktsitze, die Anweisung des Reihengrabes, der Droschkenhaltestelle begründen kein Recht auf den be7 Versuche, die Gebrauchserlaubnis auf zivilrechtliche Rechtsgeschäfte zu gründen, namentlich etwa auf einen Mietvertrag, bleiben auch hier nicht aus (vgl. unten Note 17). Nur ist bei den öffentlichen Sachen die Rolle der Polizei doch unmöglich zu übersehen. Da läuft es dann auf ein „gemischtes Rechtsgeschäft" hinaus, wie H a w e l k a , Recht an öff. Wegen S. 131, es schildert: ,Zwar wird noch mit der Formel des Bestandvertrags (Mietvertrags) operiert; zu diesem Vertrage tritt aber ein öffentlichrechtlicher Akt in Form einer Erlaubnis der Straßenpolizeibehörde". Diese Doppelung ist, wie H a w e l k a richtig hervorhebt, nur möglich mit Hilfe von H a t s c h e k s Restauration der Fiskuslehre; vgl. dessen „Rechtliche Stellung des Fiskus" S. 20. 8 Über das Recht auf Zulassung zum Markt verkehr Gew.Ord. § 64 Abs. 1. I n gleicher Weise entspringt aus der Mitgliedschaft in Kirchgemeinden nach Gesetz oder Statut der Anspruch auf Gewährung des Begräbnisplatzes für verstorbene Angehörige. Manche Gemeindeordnungen erkennen ausdrücklich ein Recht auf Benutzung der vorhandenen Anstalten an (Preuß. StädteOrd. v. 30. Mai 1853 § 4). Das findet dann auf die Gebrauchserlaubnis an öffentlichen Sachen nur insoweit Anwendung, als sie in dem hier geschilderten regelmäßigen Betriebe „anstaltsmäßig" erteilt zu werden pflegt. 9 Beispiel in Bayr. Kanalordnung § 44; P ö z l , Bayr. Wasserges. S. 489.

Das

94

fentliche Sachenrecht.

s t i m m t e n P l a t z 1 0 , sowenig wie die A n n a h m e des Poststückes e i n R e c h t auf D u r c h f ü h r u n g

des Transportes.

Das ist O r d n u n g der A n s t a l t s -

nutzung. D a n e b e n s i n d i m m e r n o c h n a c h Ermessen z u gewährende E r l a u b nisse f ü r Einzelfälle d e n k b a r 1 1 . liegern

der

öffentlichen

Das k o m m t v o r a l l e m a u c h den A n -

Straße

zugute, denen g e s t a t t e t

wird,

d e n L u f t r a u m über dieser z u benutzen. D a s k a n n aber i n verschiedener Weise geschehen: n a c h Gemeingebrauch, d a n n ist es i n der bürgerl i c h e n F r e i h e i t e i n b e g r i f f e n 1 2 ; d u r c h eine Verleihung, d a n n bedeutet es e i n wohlerworbenes R e c h t ; endlich auch d u r c h Gebrauchserlaubnis, formlos oder i n ausdrücklicher baupolizeilicher E r l a u b n i s

enthalten,

d a n n ist es eine widerrufliche G e s t a t t u n g , n u r eben, w e n n der V o r b a u e i n T e i l des Gebäudes geworden ist, k a n n dieser B e s i t z s t a n d n i c h t einfach d u r c h W i d e r r u f beseitigt werden: der zerstörende E i n g r i f f eines neuen Rechtsgrundes (vgl. oben B d . I S. 2 5 3 f . )

13

bedürfte

.

A u c h die Gebrauchserlaubnis pflegt G e b ü h r e n z u erheben.

Da

i n dieser R i c h t u n g die Besonderheit der öffentlichen Sache k a u m m e h r i n B e t r a c h t k o m m t , w i r d f ü r i h r e Erhebungsformen das V o r b i l d der 10

Das Recht der Benutzenden besteht überhaupt nur nach Maßgabe der von der Verwaltung für die zu benutzende Sache getroffenen Ordnungen. So bezüglich des Marktsitzes O.V.G. 6. Nov. 1905 ( R e g e r X X V I I S. 382). 11 I n der Stadt Leipzig gehört es nicht mehr zum Gemeingebrauch, daß man vor seinem Hause das Brennholz klein machen lasse. Nach § 9 der Verkehrsordnung kann es im Einzelfalle vom Rate gestattet werden. — O.V.G. 3. Nov. 1905 (Entsch. X L V I I I S. 113): Aufstellung von Baugerüsten, Lagerung von Baumaterialien können durch Polizeigenehmigung im Einzelfalle auf der Straße zugelassen werden. Das Gericht möchte freilich ein zivilrechtliches Verhältnis daraus machen und deckt diese Anschauung durch die Wendung: der Erlaubnisträger benutze nicht „die Straße als Verkehrsanstalt", sondern das „Straßengelände", wovon die Gemeinde Eigentümerin ist. Gleichwohl bedarf er der Polizeigenehmigung wegen der „Verkehrsinteressen". 12 Sächs. O.V.G. 8. Juni 1904 (Jahrb. V S 326): Zulässige Benutzung des Luftraumes über der Straße durch die Hausbesitzer zu Schildern, Schaukästen und ähnlichen Gegenständen, die hineinragen; aber sie haben kein Recht darauf. 13 O.V.G. 7. Jan. 1899 (Entsch. X X X V S. 27); v. S t r a u ß u. T o r n e y , Kom. z. Preuß. StraßenAnl. Ges. S. 90. Man könnte ja die Gestaltung des Vorbaues sich auch als Verleihung eines besonderen Nutzungsrechts vorstellen nach dem unten § 39 zu behandelnden Rechtsinstitut. Aber die Abhängigkeit von dem Fortbestand des Gebäudes und dem daran gebundenen Fortbestand der Bauerlaubnis ist durchschlagend: für die etwaige Neuerrichtung kommt diese nicht mehr in Betracht; wenn sie bezüglich des Vorbaues in freies Ermessen gestellt ist oder in der Zwischenzeit strengere Bauvorschriften ergangen sind, dann zeigt sich, daß der Eigentümer ein wohlerworbenes Recht nur besaß an seinem Grundstück und dem rechtmäßig darauf errichteten Gebäude, nicht aber an der Straße.

§ 39 Verliehenes Gebrauchsrecht. Anstaltsnutzung

schlechthin maßgebend sein.

95 W i r können dafür

Darzustellende14.

einfach verweisen auf das § 51, I I § 39,

Fortsetzung; das verliehene Gebrauchsrecht. Die V e r l e i h u n g ,

Konzession, i s t ein R e c h t s i n s t i t u t des öffent-

l i c h e n Rechts v o n allgemeinerer B e d e u t u n g . I m m e r h a n d e l t es sich dabei u m einen V e r w a l t u n g s a k t .

Dieser

V e r w a l t u n g s a k t h a t i m m e r z u m I n h a l t , daß dem, über welchen er ergeht, d e m Beliehenen, r e c h t l i c h e über

ein Stück

öffentlicher

scheinende öffentliche

Macht

gegeben werden

Verwaltung

u n d die darin

soll er-

Gewalt1.

14

Lange herrschte hier die gewaltsame Annahme eines M i e t v e r t r a g e s , der in all diesen Gebrauchserlaubnissen stecken soll; die Gebühr ist vereinbarter Mietzins: O.Tr. 11. Juni 1857 (Str. X X V S. 161), 6. Nov. 1877 (Str. X C V I I I S. 98), 30. April 1878 (Str. X C V I I I S. 328). So erklärt sich schließlich die Ängstlichkeit der Gemeinde in dem Falle Württ. O.G.H. 9. Mai 1887 ( R e g e r V I I I S. 96), die für die bewilligte Anbringung eines Privatpostbriefkastens an ihrer Straße keine Gebühr erheben will, „um zu vermeiden, daß die Angelegenheit von einem anderen als polizeilichen Standpunkt aufgefaßt werde". Man behilft sich dabei mit der Unterscheidung: die Straße werde ja behufs Erzielung der „privatrechtlichen Vergütung" nicht als Verkehrsanstalt, sondern als Straßengelände zur Benutzung gegeben (O.V.G. 3. Nov. 1905, Entsch. X L V I I I S. 113; vgl. oben Note 12). Als ob sich das trennen ließe ! — Aber wenn auch die ganze Konstruktion eigentlich nur der Gebührenforderung zuliebe gemacht ist, so sieht man sich dann folgerichtigerweise doch genötigt, das Schema des zivilrechtlichen Vertrags auch da beizubehalten, wo für die Gebrauchserlaubnis nichts gezahlt wird. U b b e l o h d e , Glücks Pand. Bd. 43 u. 44 S. 103, führt das durch: Der Marktgast ist Mieter, wenn Marktstandgeld erhoben wird, anderenfalls wird er Prekarist oder Kommodatar oder „einem Kommodatar ähnlich". Der Marktaufseher, der ihm in Handhabung der Marktpolizei den Platz anweist, begnügt sich also nicht mit dieser öffentlich-rechtlichen Handlung, sondern vollzieht zugleich, den Pandekten zuliebe, ein precarium völlig gleichen Inhalts! — G e r m e r s h a u s e n , Preuß. Wegerecht I S. 90, benutzt umgekehrt den Mietvertrag, um eine Unterscheidung zu verwischen, die für uns wichtiger ist: „Ein Vertrag, durch welchen ein Straßenteil zum Feilhalten von Waren überlassen oder durch welchen das Einlegen von Schienen in die Straße gestattet worden ist, wird als Mietvertrag anzusehen sein." Aber das erste ist eine Gebrauchserlaubnis, das zweite eine Verleihung. Für den Mietvertrag haben sie nur das gemeinsam, daß er auf das eine so wenig paßt wie auf das andere. 1 Gerne würden wir für unsere Verleihung die Kategorie „rechtsbegründender Verwaltungsakt" gelten lassen, die G. M e y e r unterscheidet (G. M e y e r D ο c,h ο w , V.R. S. 34; G. M e v e r - A n s c h ü t z , St.R. S. 648). Allein unter den Anwendungsfällen, die er aufzählt, findet sich leider gerade dieser, der wichtigste und richtigste, nicht.

96

Das

fentliche Sachenrecht.

Solche Verleihung erscheint i n zwei Hauptformen: als V e r l e i h u n g eines ö f f e n t l i c h e n U n t e r n e h m e n s (unten § 49) u n d als V e r l e i h u n g eines b e s o n d e r e n G e b r a u c h s r e c h t s an einer öffentlichen Sache. Nur diese, von welcher hier zunächst zu handeln sein wird, gehört zugleich auch i n den Kreis der Rechtsinstitute des öffentlichen Sachenrechts. Sie ist die dritte und ausgeprägteste Art, wie Gebrauchsrechte an öffentlichen Sachen begründet werden. Zugleich die einzige, bei der ein wahres subjektives öffentliches Recht i m strengen Sinne des Begriffs i n Frage kommt. Sie bedeutet rechtliche Macht über die öffentliche Sache, von der ein Stück dem Beliehenen ausgeantwortet wird, um zu seinem Vorteil und i n seinem Namen einen Besitz daran zu üben. Da aber das Wesen der öffentlichen Sachen darin besteht, selbst eine unmittelbare Erscheinung öffentlicher Verwaltung zu sein (oben § 35, I ) , so ist die rechtliche Macht über die öffentliche Sache Macht über die öffentliche Verwaltung, entspricht dadurch dem Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts, und der A k t , der diese Macht begründet, entspricht so wieder dem oben festgestellten Begriff der Verleihung 2 . I . Das A n w e n d u n g s g e b i e t der Verleihung findet gegenüber dem der Gebrauchserlaubnis seine natürliche Abgrenzung durch den Unterschied der Wirkung. Der Gebrauchserlaubnis gehören alle über den Gemeingebrauch hinausgehenden Benutzungen, die eine öffentliche Sache nur oberf l ä c h l i c h u n d v o r ü b e r g e h e n d berühren. Dafür hat ja die Dar2 Als Abart stellt sich hier daneben die Verwendung der Form der Verleihung zur Begründung von besonderen Nutzungen an n i c h t ö f f e n t l i c h e n S a c h e n . Hauptbeispiel: die Verleihung von W a s s e r n u t z u n g e n a n P r i v a t f l ü s s e n . Auch hier entstehen durch den Verwaltungsakt subjektive Hechte der Beliehenen, welche jedoch ihrerseits dann nicht dem öffentlichen Hechte angehören, sondern der bürgerlichen Rechtsordnung zuzuweisen sind. Unsere Verleihung ist das also nicht, sondern ein ihr nachgebildetes Hilfsinstitut des Zivilrechts. Die Lehrbücher des Landes-Privatrechts werden diesen Verleihungen von Wassernutzungen und ähnlichem nach wie vor Unterkunft gewähren. — Das neuere Recht brachte noch eine weitere Verwendung der „Konzession" in dieser Richtung: die Landkonzessionen in den Schutzgebieten, wodurch einem Einzelnen oder einer Gesellschaft Kronland überwiesen wird, um durch Besitzergreifung privatrechtliches Eigentum daran zu erwerben: R.G. 1. Juli 1912 (Entsch. L X X X S. 19). F 1 e i η e r , Inst. S. 322 Note 14 a, wirft das mit der Verleihung öffentlicher Unternehmungen zusammen und will die daraus abgeleiteten Berechtigungen des Beliehenen als öffentlichrechtliche ansehen. Das Reichsgericht a. a. O. S. 23 zählt auch mich zu den Vertretern dieser Auffassung. Allein es handelt sich hier nur um die im Französischen Rechte schon länger ausgebildete concession de propriété: Theorie des Franz. Verw.R. S. 385.

§ 39. Verliehenes Gebrauchsrecht.

97

Stellung in § 38, I Beispiele geliefert. Eine Rechtsverleihung wäre für solche Dinge ein ganz unangemessener Kraftaufwand. Umgekehrt enthalten die V o r r i c h t u n g e n , durch welche gewisse Benutzungen sich vollziehen, einen so schwerwiegenden Eingriff in die Körperlichkeit der öffentlichen Sache und sind m i t einem solchen Aufwand von Mitteln ihr fest eingefügt, daß man nicht wohl anders daran gehen wird als auf Grund der rechtlichen Sicherheit, welche nur die Verleihung zu bieten vermag: S t a u w e h r e , a b g e l e i t e t e M ü h l k a n ä l e , B e w ä s s e r u n g s a n l a g e n an öffentlichen Flüssen, Verlegung von S c h i f f a h r t s k e t t e n , F ä h r a n s t a l t e n und A n l e g e s t e l l e n , ebenso u m f a n g r e i c h e R ö h r e n l e i t u n g e n und festeingefügte B a h n geleise i m Straßenkörper, kostbare G r a b d e n k m ä l e r werden niemals auf den unsicheren Rechtsgrund einer bloßen Gebrauchserlaubnis gestellt werden. Dazwischen freilich bleibt noch ein weites Gebiet von Benutzungsfällen übrig, deren äußere Gestalt und Erscheinung nicht so notwendig auf eine bestimmte Rechtsform hinweist; man kann sie sich am Ende i n der einen so gut denken wie i n der anderen. Insbesondere gibt es so von vornherein noch kein Unterscheidungsmerkmal, ob die betreffende Vorrichtung m i t dem Boden fest verbunden ist als res soli, und noch weniger, ob sie als Bestandteil des Grundstücks gilt i m Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs 3 . S c h i f f m ü h l e n , B a d e a n s t a l t e n i m öffentlichen Flusse werden zumeist auf Verleihung beruhen, obwohl sie nur verankert sind und i m Winter oder wenigstens bei Eisgang abgefahren werden. Andererseits pflegt der Z e i t u n g s k i o s k , die Sodawasserb u d e trotz des eingemauerten Fundaments nur eine Gebrauchserlaubnis für sich zu haben. I n ihrer äußeren Erscheinung brauchen sich R e i h e n g r ä b e r u n d E r b b e g r ä b n i s s e nicht zu unterscheiden. Auch der erworbene K i r c h e n s t u h l wird vor anderen Sitzen meist nur ausgezeichnet sein durch äußerlich angebrachte Merkmale der rechtlichen Zugehörigkeit. Auf diesem Gebiete kommt es also nur darauf an, jedesmal zu erkennen und festzustellen, was b e i der B e n u t z u n g s e i n r ä u m u n g g e w o l l t i s t . Dazu dient i n gewissem Maße die dabei beobachtete F o r m 4 . Der Schwerpunkt liegt aber in der Willens3 Nach B.G.B. § 95 Abs. 1 S. 2 würde das mit dem Grundstück Verbundene kein Bestandteil sein, wenn es verbunden würde „in Ausübung eines Rechts". Um diese Bestimmung anwenden zu können, müßten wir also schon wissen, was wir fragen, ob es sich nämlich um Gebrauchserlaubnis oder Verleihung handelt. Vgl. übrigens unten Note 15. 4

Vgl. unten I I n. 1. Ein Hauptpunkt wurde bereits oben § 38 Note 3 be-

B i n d i n g - O e t k e r , H a n d b u c h V I . 2: O t t o M a y e r , Ver w a l t u n gsr. I I . 3. Aufl.

7

98

Das

fentliche Sachenrecht.

r i c h t u n g , d i e aus d e m I n h a l t des Gesuches u n d des Bescheides u n d der Gesamtheit der begleitenden U m s t ä n d e i m Einzelfalle z u g e w i n n e n sein w i r d 5 . Im

Gegensatze z u

der

raschlebigen

Gebrauchserlaubnis

ragen

der V e r l e i h u n g entsprechende besondere N u t z u n g s r e c h t e aus älterer Zeit mannigfach

n o c h i n die Gegenwart

herein.

Kauf,

landesherrliches P r i v i l e g i u m b i l d e n i h r e Entstehungsgründe.

Ersitzung, Sie s i n d

n o c h ganz z i v i l r e c h t l i c h gedacht : Mühlengerechtigkeiten, Bewässerungsanlagen a n öffentlichen Flüssen h a b e n hier die gleiche Rechtsgestalt w i e die a n Privatflüssen. D i e Gegenwart b e k o m m t einen festeren M a ß stab f ü r die B e h a n d l u n g solcher alter R e c h t e dadurch, daß m a n sie i n bezug auf jene o b r i g k e i t l i c h e n M a ß n a h m e n d e n d u r c h V e r l e i h u n g n e u erworbenen gleichstellt 6 .

F ü r die N a t u r unseres n e u e n Rechts-

rührt: die Polizeibehörde bedarf zur Rechtsverleihung an der städtischen Straße der Zustimmung der Stadtvertretung. Für die Anbringung von Briefkästen der Privatpost, um welche es sich in dem Erkenntnis des Württ.-V.G.H. handelte, hatte man vernünftigerweise diese Form nicht erfüllt; hier war doch lediglich eine5 Gebrauchserlaubnis am Platze. R.G. 12. Mai 1908 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X V S. 259) „erachtet diese Rechtsverhältnisse, mögen die Verträge auch hinsichtlich der Stempelpflicht als privatrechtlich, als Mietverträge zu beurteilen sein, als i m w e s e n t l i c h e n öffentlichrechtlich". So schon Bayr. K.K.S. 19. April 1884 (BL f. adm. Pr. 1887 S. 193) Verleihung einer Grabstätte zu verfügbarem Rechte „erfolgt in der Regel durch autoritären Akt der Gemeinde als öffentlicher Korporation"; die Gemeinde handelt dann „keineswegs als Privatrechtssubjekt, sondern als verantwortlicher Träger der öffentlichen Gewalt in Ausübung öffentlichen Rechts". Ebenso Sächs. Min. d. I . 3. Aug. 1907 (Fischer Ztschr. X X X I I I S. 67): Bei Verleihung des Geleiserechts an die Straßenbahn handelt es sich für den Gemeinderat „nicht um Ausübung eines ihm an den Ortsstraßen zustehenden Privateigentums, sondern lediglich um Führung öffentlicher Verwaltung und die Handhabung der hierauf sich gründenden öffentlichrechtlichen Herrschaft über diese Straßen". 6 Ein Beispiel boten die Schlächterscharren auf dem Neumarkt zu Berlin, deren rechtliche Lage O.Tr. 8. Febr. 1856 (Str. X I X S. 336) behandelt. Insofern hier ein zivilrechtlich begründetes Recht unter die gleichen Rechtsregeln gestellt wird, die jetzt für das entsprechende öffentlichrechtlich begründete gelten, hat der Satz, den das Gericht aufstellt, „daß der Privatrechtstitel auch auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts anwendbar ist", eine gewisse Richtigkeit. Namentlich für die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte mag unter Umständen der ursprüngliche Rechtstitel von Bedeutung werden. So O.Tr. 13. Dez. 1859 (Str. X X X V S. 345) wegen der alten Wollschweifen, die das Tuchmachergewerbe zu Spremberg an der Spree besaß. Hätte es sich um eine neue Verleihung gehandelt, so wäre eine Verwaltungssache in Frage gewesen. — Bad. Wasserges. § 113 bestimmt jetzt in obigem Sinne für die vorgefundenen „kraft besonderer privatrechtlicher Titel" begründeten Rechte: „Soweit sie sich auf öffentliche Gewässer beziehen, gelten sie hinfort als dem öffentlichen Recht angehörige

§ 39. Verliehenes Gebrauchsrecht.

99

instituts darf man aus solchen Überbleibseln keine Folgerungen ziehen 7 . I I . I m einzelnen entfaltet sich nun unser Rechtsinstitut wie folgt: 1. Indem die Verleihung einen Besitz an der öffentlichen Sache begründet, der dem Beliehenen fortan zu eigenem Rechte zustehen soll auch dem Herrn der öffentlichen Sache gegenüber, hat sie für diesen die Bedeutung einer Verfügung über diese Sache, einer V e r ä u ß e r u n g . M i t h i n ist die Befugnis dazu nicht enthalten i n der Zuständigkeit, die laufende Verwaltung, insbesondere die Polizei der öffentlichen Sache zu führen. Falls diese Zuständigkeit einer besonderen Behörde übertragen ist, um sie i m Namen des Gemeinwesens, dem die öffentliche Sache gehört, oder statt seiner i m Namen eines höheren Gemeinwesens auszuüben, erweist sich die Eigenart der Verleihung darin, daß, um sie wahrzunehmen, zurückgegriffen werden muß auf die ordentliche Vertretung des ersteren. Sie schiebt dann die Polizeibehörde nicht zur Seite, sondern das Zusammenwirken beider ist notwendig, damit die Verleihung gültig sei und durchführbar 8 . Für den auf solche Weise zustande gekommenen Verleihungsbeschluß wird schriftliche Ausfertigung vorgeschrieben sein oder tatsächlich beobachtet werden. Mit der Aushändigung der Verleihungs(Konzessions-) Urkunde entsteht das Recht an der Sache m i t allen Nebenwirkungen. Das Grundbuch des B.G.B, hat nichts damit zu t u n 9 . Nutzungsrechte im Sinne dieses Gesetzes. Ihre Ausübung unterliegt den Vor· Schriften dieses Gesetzes". 7 Auch abgesehen von diesen besonderen Fällen, ist man bis in die neueste Zeit geneigt gewesen, hier, wie bei der Gebrauchserlaubnis, einen wohlstilisierten M i e t v e r t r a g anzunehmen. Wo für das verliehene Nutzungsrecht nicht eine wiederkehrende Abgabe, sondern eine einmalige Zahlung zu leisten ist, wurde dann gern statt des Mietvertrags ein K a u f gesetzt. Davon sagt sehr hübsch Sächs. K.G.H. 26. Mai 1905 (Fischer Ztschr. S. 166): der „Kauf" eines Erbstuhles in der Kirche ist nur die Form, „in die der eine obrigkeitliche Verleihung gegen ein Bezeigungsquantum bildende Vorgang, um dem Verständnis der Beteiligten entgegenzukommen, eingekleidet worden ist" — die Beteiligten, für die solches lange Zeit geschehen ist, waren vor allem die Gerichte selbst und die juristischen Schriftsteller. 8 Vgl. oben § 38 Note 3. Wen die alte Fiskuslehre noch gefangen hält, der hat es freilich nicht leicht, diese innere Einheit des Kechtsvorganges zu erkennen. Da gibt der Staat seine polizeiliche Erlaubnis und der Fiskus als Wegeeigentümer die erforderliche privatrechtliche Verfügungsmacht dazu. Die Art, wie unsere neuen Wassergesetze die Verleihung behandeln, ist nur zu sehr geeignet, die Vorstellungen der Juristen in diesem alten Geleise festzuhalten. 9 Vgl. oben § 36 Note 11. — Für besondere Wassernutzungen haben die neueren Gesetze W a s s e r b ü c h e r oder W a s s e r r e c - h t s b ü c h e r ge7*

Das

100

fentliche Sachenrecht.

2. D i e V e r l e i h u n g geschieht n u r auf A n t r a g des z u Beleihenden. D e r z u s t ä n d i g e n Behörde i s t es regelmäßig i n i h r f r e i e s

Ermessen

gestellt, die nachgesuchte V e r l e i h u n g z u gewähren oder z u versagen E s bedarf besonderer Rechtsgründe, w e n n eine Gebundenheit der einen oder anderen Seite h i n bestehen soll. h e i t e n f i n d e n sich i n z w e i H a u p t f o r m e n

11

Solche

10

.

nach

Gebunden-

.

— W i e die Gebrauchserlaubnis k a n n a u c h die V e r l e i h u n g

zu-

e r t e i l t werden i n einem a n s t a l t s m ä ß i g e n B e t r i e b e , so daß jeder, der gewisse allgemeine Voraussetzungen die V e r l e i h u n g b e k o m m e n s o l l Dienstvorschriften

bestimmt

12

.

erfüllt,

auf

seinen

Antrag

Das k a n n wie dort lediglich durch

sein;

dann gewährt

auch

eine gewisse tatsächliche Sicherheit f ü r d e n Bewerber.

dies

schon

Es k a n n auch

auf Rechtssatz beruhen, m i t oder ohne ergänzende A n s t a l t s o r d n u n g e n ; d a n n bedeutet das einen Rechtsanspruch auf die V e r l e i h u n g . I n dieser Weise v o l l z i e h t sich die V e r l e i h u n g v o n nissen,

Familiengrabstätten,

Dauergräbern,

weisung einfacher Reihengräber.

Erbbegräb-

gleichlaufend

der

An-

E i n b e s t i m m t e r T e i l des K i r c h h o f s

schaffen, welche die Kenntnis davon und den Beweis erleichtern, ausgestattet zu sein mit den soharfen Rechtswirkungen, die sich einträge knüpfen: Sächs. Wasserges. § 50ff.; Württ. Wasserges. Wasserges. Art. 196; Bad. Wasserges. § 24; Preuß. Wasserges.

ohne im übrigen an GrundbuchsArt. 101; Bayr. § 182 ff.

10

N i e d e r , Württ. Wasserges. S. 239: „daß ein Rechtsanspruch auf die Verleihung nicht besteht, ergibt sich von selbst aus den Grundsätzen dieses Gesetzes über die rechtliche Natur der öffentlichen Gewässer". — Bad. Wasserges. § 41: „Über den Antrag auf Verleihung eines Wasserbenutzungsrechts beschließt die zuständige Verwaltungsbehörde nach freiem Ermessen". Sächs. Wasserges. § 27 gestattet, die „Erlaubnis" nur zu versagen aus bestimmten Gründen, worunter allerdings die „Verletzung öffentlicher Interessen". Ähnlich Preuß. Wasserges. § 47, § 49. Beide setzen aber, im Gegensatz zum Badischen Wassergesetze, die Zustimmung namens des Eigentümers des Wasserlaufs, also beim öffentlichen des Staates, voraus, und da kommt dann eben das freie Ermessen voll zur Wirkung. Vgl. oben Note 8. 11

Wir sprechen hier nur von Gebundenheiten, die aus der eigenen Ordnung der Verleihung hervorgehen. Daneben besteht noch die Möglichkeit rechtsgeschäftlicher Verpflichtung des Herrn der öffentlichen Sache; Beispiel: Vertrag der Stadt mit einer Gasgesellschaft, in welchem dieser im voraus die Erteilung des Rechts der Röhrenverlegung in den alten und neuen Straßenkörpern versprochen wird. Es kann auch dem Selbstverwaltfingskörper, wenn das* Gesetz dafür genügenden Spielraum gibt, möglicherweise kraft Aufsichtsrechts befohlen werden, derartige Befugnisse einzuräumen. So wird in Sächs. O.V.G. 8. Okt. 1902 (Jahrb. I I I S. 204) die Frage behandelt, ob die Aufsichtsbehörde einer Dorfgemeinde auferlegen darf, die Wasserleitungsröhren der Nachbarstadt in ihre Straße einlegen zu lassen, ob also eine „Verleihung" erzwingbar ist. 12

Vgl. oben § 38, I I I .

§ 39. Verliehenes Gebrauchsrecht.

101

pflegt für solche bevorrechtete Gräber vorbehalten zu sein. Ähnlich wird es gehalten bei der Verleihung von K i r c h s t ü h l e n . Begründet die e i n m a l e r t e i l t e V e r l e i h u n g ein Recht, so bedeutet sie immer eine Schranke für weitere Verfügungen über die Sache: Neuverleihungen dürfen grundsätzlich nicht zu seiner Beeinträchtigung führen. Insofern ist also die verleihende Behörde durch sie gebunden. Diese Gebundenheit wird vor allem wirksam werden bei den b e s o n d e r e n N u t z u n g e n a n ö f f e n t l i c h e n Gewässern. Hier sind die vorgefundenen Rechte mannigfaltiger und i n ihrer Ausdehnung und Verletzbarkeit nicht immer von selbst klar umgrenzt. Daher sind besondere Vorkehrungen dafür getroffen 1 3 , vor allem aber das V e r f a h r e n , i n welchem neue Verleihungen erteilt werden sollen, darauf eingerichtet ist, daß die alten Berechtigten darin gebührend zu Worte kommen. Die Vorbilder lieferte teils das Enteignungsverfahren, teils Gew.Ord. § 16 ff. 1 4 . 3. Den I n h a l t des verliehenen Rechts bildet der Besitz des durch die Verleihung bestimmten Stückes der öffentlichen Sache, um den verleihungsmäßigen Gebrauch davon zu machen. Ob auf die Erteilung der Verleihung ein rechtlicher Anspruch bestand oder nicht, macht für die Wirkung des einmal ergangenen Aktes keinen Unterschied. Auf Grund dieses Rechts darf nun der Beliehene gewisse V e r ä n d e r u n g e n an der öffentlichen Sache vornehmen und V o r r i c h t u n g e n an ihr anbringen, wie es dem Zwecke des verliehenen Nutzungsrechts entspricht. Die Sachen, welche dabei tatsächlich trennbar m i t ihr verbunden werden, sei es auch durch Befestigung i m Boden, Eingraben, Einrammen, Einmauern, bleiben Eigentum des Beliehenen und unterliegen seinem Verfügungsrecht 1 5 . 13

Hierher gehört vor allem die Staumarke, der Eichpfahl; vgl. Wörterb. d. St. und V.R. I I I S. 521 f. Die Einrichtung gilt für öffentliche wie für nichtöffentliche Wasserläufe. 14 Sächs. Wasserges. § 31, § 33 ff.; Bad. Wasserges. § 54; Preuß. Wasserges. § 64 ff. ; Württ. Wasserges. Art. 33. Bei Neuanlagen für Wassertriebwerke sind die Vorschriften der Gew.Ord. in §§ 17 — 22 bindend (Gew.Ord. § 23 Abs. 1). Wie sich das dann mit den Landeswassergesetzen vereinbaren soll, macht Schwierigkeiten; vgl. Z i m m e r m a n n in Annalen 1912 S. 801 ff. ; Η ο f a c k e r in Annalen 1913 S. 130 ff. is Wäre B.G.B. § 95 Abs. 1 Satz 2 hier anwendbar, so würden wir für diese Zutaten zu dem gleichen Ergebnis kommen. Das gäbe dann einen Gegensatz zur Gebrauchserlaubnis, die kein „Recht" des Verbindenden bedeutet: das Verbundene würde da Bestandteil des Grundstücks, man müßte denn immer einen „vorübergehenden Zweck" bei der Gebrauchserlaubnis annehmen. P l a n c k , Kom. Bd. I I zu § 95 Note 4, läßt als „Recht" im Sinne des B.G.B, hier nur gelten Erb-

102

Das

fentliche Sachenrecht.

D e r ganze Besitzstand, der sich so b i l d e t , u n d der

Gebrauch,

der d a v o n gemacht w i r d , t r i t t n u n v o n selbst i n d e n B a n n k r e i s der P o l i z e i d e r ö f f e n t l i c h e n S a c h e , a n welcher er h ä n g t . Diese k o m m t dabei i n zweifacher R i c h t u n g z u r W i r k s a m k e i t : — Sie h ä l t die A u s ü b u n g des verliehenen R e c h t s i n i h r e n G r e n z e n , d a m i t sie sich gebührend e i n f ü g t i n d e n allgemeinen Zweck der öffentl i c h e n Sache u n d die d a f ü r angemessene O r d n u n g . — Sie s c h ü t z t eines gegebenen

d e n Besitz u n d die A u s ü b u n g des R e c h t s als

Stückes dieser

Ordnung

gegen Störungen,

welche

D r i t t e bereiten könnten. E i n e n Rechtsanspruch auf diesen polizeilichen Schutz h a t Beliehene n i c h t 1 6 .

Sein R e c h t a n der Sache bedeutet i m m e r

der nur,

daß die öffentliche G e w a l t i h m gegenüber gebunden ist, i h n verleihungsm ä ß i g i n B e s i t z u n d N a h r u n g z u belassen. Dieses sein R e c h t i s t vermögensrechtlicher,

aber nichtsdestoweniger

öffentlichrechtlicher

als M a c h t über die d a d u r c h beschränkte öffentliche V e r w a l t u n g

Art 17

.

I n d e m er es aber a u s ü b t , ü b t er n i c h t selbst wieder öffentliche V e r w a l t u n g ; er b e n u t z t die öffentliche privatwirtschaftlich

18

Sache f ü r

seine

Sonderzwecke,

.

D e m e n t s p r e c h e n d i s t a u c h sein E i g e n t u m a n d e n angebrachten baurecht, Grunddienstbarkeit und Nießbrauch. Das träfe also unser verliehenes Nutzungsrecht nicht, und die verbundenen Sachen würden auch hier Bestandteil. Entscheidend dürfte aber ein anderer Gesichtspunkt sein: die Anziehungskraft des Grundstücks auf seine Bestandteile, wie B.G.B. § 93 ff. sie regelt (das alte Akzessionsrecht), ist eine privatrechtliche Wirkung des Privatrechts am Grundstück; für die öffentliche Sache, die dem öffentlichen Rechte unterliegt, sind diese Bestimmungen des B.G.B, nicht gegeben. 16

Ein Recht auf polizeiliches Einschreiten gibt es überhaupt nicht. Vgl. oben Bd. I S. 219 f. 17 Wenn die neuere Wassergesetzgebung, insbesondere auch die Preußische, bei den Vorschriften über die Verleihung keinen Unterschied macht zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Wasserläufen (vgl. oben § 35 Note 27), so ist es eben Sache der Wissenschaft, auf diesen zu achten und ihn hervorzuheben. Für den Privatfluß ist es richtig, daß das verliehene Recht „ein reines Privatrecht sei, obgleich es auf einem öffentlichrechtlichen Akte beruht" ( Η ο 11 ζ u. K r e u t z , Preuß. Wasserges. I S. 431). Aber nun darf man doch nicht der an sich recht erklärlichen Neigung nachgeben und ohne weiteres verallgemeinern. Es ist etwas anderes, ob dem Untertanen ein Recht begründet wird am privatrechtlichen Rechte seines Mituntertanen, und ob ihm ein solches begründet werden soll am Machtgebiete der öffentlichen Verwaltung. Auch letzteren Falles ist es ein Privatrecht, aber kein privatrechtliches Recht. 18 Stichkanal, Anlegestelle, Badeanstalt, Privathafenanlage, Kirchstuhl, Grabstätte, Privatbrücke über den öffentlichen Fluß werden für ihre Benutzung Privatangelegenheiten des Beliehenen.

§ 39. Verliehenes Gebrauchsrecht.

103

Vorrichtungen privatrechtlicher Natur. U n d die Beziehungen, i n welchen er bei Besitz und Ausübung des Nutzungsrechts selbst zu anderen t r i t t , sind bestimmt, durch das bürgerliche Recht geordnet zu werden. Rechtswidrige Beschädigung, die ihm zugefügt wird, begründet einen Schadensersatzanspruch nach B.G.B. Das Recht ist grundsätzlich übertragbar 1 9 ; die Regeln des B.G.B, über vertragsmäßige und erbrechtliche Rechtsübergänge sind maßgebend. Überall gilt hier das Recht zwischen Gleichen, nicht öffentliches Recht. Aus der A r t , wie die Grenzlinie zwischen öffentlichem und bürgerlichem Recht hier läuft, ergibt sich dann auch die Verteilung der Z u s t ä n d i g k e i t e n zur E n t s c h e i d u n g v o n S t r e i t f ä l l e n 2 0 . 4. Das E r l ö s c h e n der Verleihung findet statt aus den Gründen a l l g e m e i n e r Natur, die bei jedem Verwaltungsakt denkbar sind; desgleichen durch die einseitige V e r z i c h t s e r k l ä r u n g des Berechtigten und dem steht gleich das W e g f a l l e n des b e s t i m m t e n U n t e r nehmens, für welches ihm diese Bewilligung zuteil geworden war. Vor allem erleidet sein Recht Beschränkungen und gänzliche Unterdrückungen durch E i n g r i f f e der V e r w a l t u n g . Der Berechtigte muß sich alle Arbeiten und Vorkehrungen an der öffentlichen Sache gefallen lassen, die erforderlich erachtet werden, um sie bei ihrem Hauptzweck zu erhalten oder noch besser geeignet zu machen, i h n zu erfüllen, d. h. der öffentlichen Verwaltung m i t ihrer Körperlichkeit unmittelbar dienstbar zu sein. Wenn aber die erforderlichen Änderungen so tiefgreifend sind, daß das verliehene Recht nicht dabei bestehen kann, so wird es i m Verwaltungswege unterdrückt durch W i d e r r u f der Verleihung 2 1 . Dafür ist ein dringendes öffentliches Bedürfnis gefordert, „überwiegende Gründe des öffentlichen Interesses" müssen vorliegen. Dieser 19

Die Gesetze bestimmen jetzt meistens, daß der Rechtsübergang nur m i t dem „Unternehmen" stattfindet: Sächs. Wasserges. § 26 Abs. 2; Preuß. Wasserges. § 81 Abs. 1; Württ. Wasserges. Art. 39. 20 Vgl. oben Bd. I S. 173 ff. Verschiebungen der Zuständigkeit durch besondere Gesetzesbestimmungen (Bd. I S. 175 f.) finden sich namentlich auf dem Gebiete wasserrechtlicher Verleihungen; vgl. z. B. Bad. Wasserges. § 117 ff. Wenn das Preuß. Wasserges. § 81 sagt: „das verliehene Recht ist im Rechtswege verfolgbar", so ist damit keineswegs wie H o l t z u. K r e u t z I S . 431 aufstellen, „zum Ausdruck gebracht, daß das verliehene Recht ein reines Privatrecht ist". Vgl. oben Bd. I S. 175 f. 21

Hierüber die trefflichen Ausführungen bei S c h w a b , in Arch. f. ziv. Pr. Beil. X X X S. 155 ff. — Man nennt wohl diesen Widerruf eine straßenpolizeiliche, strompolizeiliche Verfügung; das entspricht der älteren, ausgedehnten Verwendung des Wortes Polizei. Polizei in unserem Sinne ist das nicht.

104

Das

fentliche Sachenrecht.

W i d e r r u f h a t also V e r w a n d t s c h a f t m i t der E n t e i g n u n g , so daß das Gesetz möglicherweise f ü r die V o r n a h m e des W i d e r r u f s die B e o b a c h t u n g ihrer F o r m e n vorschreibt. D i e H a u p t a n w e n d u n g s f ä l l e b i e t e n die öffentlichen Flüsse die Straßen Verkehrs

23

.

22

und

H i e r s i n d alle Nutzungsrechte d e n Erfordernissen des

untergeordnet.

Andere

Beispiele liefert

häufig

auch

die

N e u o r d n u n g der K i r c h s t ü h l e , w o b e i möglicherweise a u c h verliehene R e c h t e ausweichen müssen

24

.

I n allen diesen Fällen, tatsächliche B e e i n t r ä c h t i g u n g oder f ö r m l i c h e Rechtsentziehung,

ist

d e m betroffenen

s c h ä d i g u n g geschuldet. m i t der E n t e i g n u n g

25

Nutzungsberechtigten

Ent-

A u c h h i e r i n zeigt sich die V e r w a n d t s c h a f t

.

E s g i b t aber n o c h eine andere A r t , w i e d u r c h eine V e r w a l t u n g s maßregel eingegriffen werden k a n n i n den Rechtsbestand der V e r leihung.

D a s i s t die E i n z i e h u n g der öffentlichen Sache, a n welcher

das besondere N u t z u n g s r e c h t begründet ist. Selbstverständlich schließt 22

Die neuen Wassergesetze pflegen diesen Widerruf ausdrücklich vorzusehen; Gew.Ord. § 51 liefert das Vorbild: Sächs. Wasserges. § 28, Preuß. Wasserges. § 84, Württ. Wasserges. Art. 45, Bad. Wasserges. § 47. — Auch ohne solches Gesetz wurde früher schon so verfahren; die Strompolizei gab genügende Grundlage: C.O.H. 9. Juni 1866 (Just.Min.Bl. S. 222). — Das Bayr. Wasserges. Art. 43 Abs. 3 gestattet die Entziehung oder Schmälerung der unwiderruflich verliehenen Nutzung „nur im Wege der Zwangsenteignung". E y m a η η , Kom. I S. 438 Note 12, bemerkt dazu richtig: dies sei ein Fall der Zwangsenteignung eines „öffentlichen Rechts". Dem steht aber als wesensgleich zur Seite die verfrühte Entziehung eines widerruflich erteilten Rechts nach Art. 62 Abs. 2: sie geschieht nicht in Form der Enteignung. 23 So in dem Falle der Berliner Schlächterscharren (vgl. oben Note 6) welche von der Straßenpolizeibehörde eingeschränkt wurden: O.Tr. 8. Febr. 1856 (Str. X I X S. 336). 24 Hier wird der Eingriff wieder als „polizeiliche Verfügung" aufgefaßt: C.C.H. 12. Okt. 1872 (J.M.B1. S. 315); O.V.G. 10. Dez. 1884 (R e g e r V S. 388). Die bürgerlichen Gerichte suchen die Verfügungsmacht der Verwaltung gern damit zu erklären, daß dem Kirchenstuhlberechtigten nur eine Forderung auf Leistung eines solchen Platzes zustehe: O.Tr. 25. Mai 1877 (Str. IC S. 173); R.G. 19. Nov. 1889 (Entsch. X X I V S. 174). Damit wird aber die sonst anerkannt dingliche Natur des Kirchenstuhlrechts verleugnet. 25 So die oben Note 22 angeführten wassergesetzlichen Bestimmungen. Möglicherweise verhelfen aber die Gerichte auch ohne das dem Geschädigten zu einer Vergütung, wie wir das unten § 53 noch genauer erörtern werden. So wird auch hier dem Manne, dem „durch Verjvaltungsakte, welche die Kirchenbehörden in Ausübung der ihnen zustehenden kirchenpolizeilichen Befugnisse vornehmen", sein Kirchstuhl entzogen wurde, „für die Beseitigung der gedachten Privatrechte . . . Entschädigung geleistet werden müssen" — und zugesprochen: R.G. 29. Juli 1886 (Entsch. X V I S. 161).

§ 39. Verliehenes Gebrauchsrecht.

105

dieses Recht die Befugnis der Verwaltung zu der lediglich nach Gesichtspunkten des Gemeinwohles zu treffenden Maßregel nicht aus. Mit ihr verliert es dann aber seinen Gegenstand. Denn an einer Saohe des bürgerlichrechtlichen Verkehrs ist das öffentlichrechtliche Nutzungsrecht nicht möglich. Eine zivilrechtliche Grunddienstbarkeit oder persönliche Dienstbarkeit entsprechenden Inhalts wäre denkbar. Das ist aber dann ein anderes Recht, welches bei der Verleihung nicht gewollt war 2 6 . I I I . Mit der Verleihung, deren Wesen die Begründung eines Rechts des Beliehenen ausmacht, verbinden sich zumeist noch gewisse Nebenbestimmungen, die darauf gerichtet sind, V e r p f l i c h t u n g e n für ihn entstehen zu lassen^ W i r sprechen hier von A u f l a g e n , die dem Beliehenen gemacht werden: 1. Das verliehene Recht steht unter den Bedingungen der Polizei der öffentlichen Sache. Seine Ausübung darf nicht dazu führen, daß deren Brauchbarkeit mehr als i n der verliehenen Nutzung notwendig gegeben ist, beeinträchtigt werde. Die Polizei setzt das durch i n ihren gewöhnlichen Formen. Der Verleihungsakt selbst hilft dazu, indem er das Recht genauer abgrenzt und Vorschriften gibt, wie der Beziehen e sich zu verhalten und einzurichten hat, um Störungen zu verhüten. Das sind dann A u f l a g e n p o l i z e i l i c h e r N a t u r , die nur i n der A r t ihrer Entstehung abweichen von den gewöhnlichen Formen polizeilicher Befehle. Sie gleichen den Auflagen bei der Polizeierlaubnis 2 7 und werden von der Behörde, welche der Polizei der öffentlichen Sache vorsteht, nach dem Vorbilde jener gehandhabt. Auch eine Zurücknahme der 26

Statt der in Note 25 erwähnten Entschädigung kann möglicherweise anderweitiger Ersatz geboten werden. So gibt die Verlegung von Gemeindekirchhöfen, weiter hinaus vor die Stadt, häufig Anlaß zum Untergang erworbener Grabstätten. Die Entschädigung wird hier am liebsten durch Verleihung einer Ersatzgrabstätte auf dem neuen Kirchhof geleistet. — Mit der Einziehung der städtischen Straße erlischt auch das daran verliehene Geleiserecht der Straßenbahngesellschaft; werden die Schienen gleichwohl belassen und weiter befahren, so ändert sich die Rechtsgrundlage dieser Benutzung; im Zweifel wird es ein Mietvertrag werden. — Der Einziehung steht es in bezug auf die hier zu betrachtende Wirkung gleich, wenn die öffentliche Sache zwar die allgemeine rechtliche Natur einer solchen beibehält, aber eine öffentliche Sache anderer Art wird, für welche eine Verleihung dieses Inhalts nicht möglich ist. O.Tr. 4. Jan. 1867 (Str. L X V I I S. 13): Beim Erweiterungsbau einer Kirche wird ein Erbbegräbnis mit in die Kirche hereingenommen. Die Klage auf Anerkennung des Rechts und Wiederherstellung behufs weiterer Benutzung wird abgewiesen, dafür aber dem Beliehenen eine Entschädigung zugesprochen für sein verlorenes Recht. 27 Vgl. oben Bd. I S. 250. Die Verwandtschaft tritt namentlich beim Sächs. Wasserges. § 27 Abs. 1 stark hervor; dazu S c h e l c h e r , Kom. S. 104 Note 1.

106

Das

fentliche Sachenrecht.

Verleihung wegen Nichterfüllung solcher Auflagen ist statthaft; sie geschieht aber durch die Verleihungsbehörde 2 8 . 2. Die Verleihung geschieht zwecks der Verwendung und Ausnutzung des verliehenen Rechts, zunächst zum Vorteil des Beliehenen. Es kann aber darüber hinaus ein Vorteil A n d e r e r i n engerem oder weiterem Kreise damit erstrebt werden, denen das so geförderte Unternehmen nützlich gemacht werden soll. Das führt dann zu V e r w e n d u n g s a u f l a g e n . Sie sind selbstverständlich nicht polizeilicher, aber doch wie die ganze Verleihung öffentlichrechtlicher Natur. Die Verwaltung nimmt sie wahr m i t ihren gewöhnlichen Zwangsmitteln; am letzten Ende steht auch hier die Möglichkeit der Zurücknahme der Verleihung. I n solcher Weise werden namentlich Stauwerke zu Kraftanlagen •und Bewässerungsvorrichtungen anderen nutzbar gemacht 2 9 . Die umfassendste Bedeutung erlangt aber diese A r t der Behandlung des verliehenen Rechts, wenn das Unternehmen, dem es zu dienen hat, selbst als ein öffentliches angesehen ist und der m i t der besonderen Nutzung Ausgestattete z u g l e i c h der B e l i e h e n e ist f ü r dieses ö f f e n t l i c h e U n t e r n e h m e n . Hier treffen dann die zwei verschiedenen Arten von Verleihung zusammen. Der Nutzungsberechtigte erhält durch seine Stellung als beliehener Unternehmer zugleich feste Pflichten auferlegt für die A r t , wie er sein Recht behandeln und verwenden soll 3 0 . 28

Pr. Wasserges. § 85 Abs. 1 Ziff. 4; Bad. Wasserges. § 47 Abs. 3 Ziff. 2. Die „Bedingungen", deren Nichterfüllung hiernach die Zurücknahme ermöglicht, umfassen auch die übrigen jetzt noch zu besprechenden Lasten. 29 30

Besonders ausführlich sieht das vor Bad. Wasserges. § 44.

Wenn ein Straßenbahnunternehmen „konzessioniert" wird, das die Landstraße benutzen soll, so gewährt der Staat hier zweierlei verschiedene Dinge: das öffentliche Unternehmen zur Ausübung und seine öffentliche Sache zur Benutzung. Brücken und Fähranstalten, die dem öffentlichen Verkehr dienen sollen, bedürfen möglicherweise schon als solche einer staatlichen Verleihung vermöge des Wegeregals (unten § 49 Note 12). Kommt hinzu, daß sie über einen öffentlichen Fluß führen, so bedeutet das zugleich die Verleihung eines besonderen Nutzungsrechts an diesem (Wörterb. d. D. St. u. Verw.R. I S. 750 ff.). Die Urheber der beiden Arten von Verleihung können aber auch auseinandergehen. Hauptfall: Straßenbahngesellschaft, vom Staate konzessioniert, welche die Gemeindestraße benutzen soll. Jeder der beiden würde dann berufen sein, diejenigen Vorschriften zu machen, die sein Stück öffentlicher Verwaltung erheischen mag. Ein Widerstreit kann durch einen Vorrang des staatlichen Verleihers seine Lösung finden. So nach Preuß. Kl.Bahnen-Ges. v. 28. Juli 1892 § 7, wonach „die Zustimmung des Unterhaltungspflichtigen (des Straßenherrn) ergänzt werden kann". Das wird aber wichtiger in dem jetzt gleich zu behandelnden Fall.

§ 40. Auferlegte öffentlichrechtliche Dienstbarkeiten.

107

3. D e r Verleihende k a n n f ü r d i e G e w ä h r u n g des Gebrauchsrechts a u c h besondere V e r m ö g e n s v o r t e i l e sich ausbedingen: der Beliehene soll i h m die K o s t e n der I n s t a n d s e t z u n g eines entsprechenden Teiles der Straße,

des Wasserlaufes

abnehmen oder sich verpflichten, i h m z u

gelegener Z e i t das ganze U n t e r n e h m e n z u einem berechenbaren Preise z u überlassen

31

.

V o r a l l e m gehört hierher die Auferlegung einer G e b ü h r e n p f l i c h t . E i n e gesetzliche Grundlage i s t a u c h h i e r n i c h t erforderlich.

E s genügt,

daß das Gesetz es n i c h t v e r b i e t e t , d a n n k a n n der verleihende V e r w a l t u n g s a k t vermöge der U n t e r w e r f u n g des neuen Gebrauchsberecht i g t e n i m E i n z e l f a l l das angemessen Scheinende b i n d e n d festsetzen

32

.

§ 40.

Auferlegte öffentlichrechtliche Dienstbarkeiten· Auferlegte

öffentlichrechtliche

Dienstbarkeit

und

Dienstbarkeit

der öffentlichen Sachen, v o n welcher oben § 35, I I I , 2 die Rede w a r , 31

Pr. Kl.Bahnen-Ges. § 6 Abs. 2 schreibt unmittelbar eine Verpflichtung des Unternehmers vor zur Unterhaltung und Wiederherstellung des benutzten Wegeteils; Abs. 3 gibt dem Wegeherrn das Recht, sich den späteren Erwerb der Bahn auszubedingen. Die Gerichte fassen solche Abmachungen zwar als privatrechtliche Verträge auf. So R.G. 14. Okt. 1904 (E g e r , Eisenb.Entsch. X X I S. 373) ohne weiteres: es handle sich um eine öffentlich-rechtliche Pflicht, die sich nach Privatabkommen richte (!). O.V.G. 31. Mai 1906 (Entsch. X L S. 252) verwirft diesen Gedanken, nimmt aber privatrechtlichen Vertrag und privatrechtliche Pflicht an. 32 S c h w a b , in Arch. f. ziv. Prax. X X X Beil. S. 103, bezeichnet den Vorgang als „Konzession gegen Entrichtung einer stipulierten Abgabe (Mühlenzins)". R.G. 29. Sept. 1906 (Entsch. L X I V S. 137) behandelt den Fall einer Wasserableitung aus einem öffentlichen Fluß. Die Anlage war erst „landespolizeilich" genehmigt worden gegen eine „an die Wasserbauverwaltung zu entrichtende Gebühr", dann aber trat die Regierung, Abteilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten, bei und „wiederholte die Auflage". Ressortpartikularismus? Preuß. Wasserges. § 54 verbietet die Auferlegung „eines Entgeltes für die Benutzung des Wasserlaufes" bei der Verleihung. Das Gesetz hat einseitig den Fall im Auge, wo die Behörde die Verleihung gewährt am Privatfluß, also das Hilfsinstitut des bürgerlichen Rechts. Allein nun ist doch hier vom Gesetz die Verleihung am öffentlichen Flusse, der dem Staate Öffentlichrechtlicherweise gehört, ohne weiteres mit diesem andern Falle zusammengeworfen (vgl. oben Note 8). Da stimmt das Verbot nicht. Aber hier hilft eben die Gleichstellung dieses Staates mit dem Bauern, dem der Bach gehört: er kann sich einen Wasserzins ausbedingen wie dieser: „Auch der Staat als Eigentümer der Wasserläufe erster Ordnung ist nicht gehindert, einen Wasserzins zu erheben ( H o l t z u. K r e u t z , Preuß. Wasserges. I S. 327). Gerade als ob der Staat, der verleiht, ein anderer wäre als der, dem der öffentliche Fluß gehört! Die ganze Unnatur der vom Gesetze hier beliebten Außerachtlassung des Wesensunterschiedes von öffentlichen und nichtöffentlichen Gewässern tritt hier wieder zutage.

108

Das

fentliche Sachenrecht.

bedeuten beide einen besonderen R e c h t s z u s t a n d des betroffenen Grundstückes. Beide wirken zugunsten eines bestimmten ö f f e n t l i c h e n U n t e r n e h m e n s : letztere so, daß das Grundstück selbst ein solches darstellt als öffentliche Sache, erstere, indem sie von a u ß e n h e r es belastet Letztere gleichgültig gegen die A r t des B e g r ü n d u n g s a k t e s , der öffentlichrechtlicher Natur sein kann (Enteignung) oder privatrechtlicher (Kauf); die Widmung erst macht die öffentliche Sache fertig, erstere vom Ursprung her dem öffentlichen Recht angehörig; a u f e r l e g t zu sein, macht ihr Wesen aus. Danach formulieren wir: Auferlegte öffentliche Grunddienstbarkeit bedeutet e i n e n E i n g r i f f i n d i e F r e i h e i t des E i g e n t u m s , u m d i e b e t r o f f e n e n G r u n d s t ü c k e z u g u n s t e n eines a u ß e r h a l b stehenden öffentlichen Unternehmens öffentlichrechtlich zu belasten 2. Zu unmittelbarer Anwendung kommt unser Rechtsinstitut vor allem : — für die Herstellungsarbeiten eines dem öffentlichen Wohle dienenden Unternehmens i n Gestalt von allerlei v o r ü b e r g e h e n d e n B e n u t z u n g e n , deren Duldung dem Grundstück auferlegt wird; — für neuanzulegende Ortsstraßen i n Gestalt von B a u v e r b o t e n , die auf das künftige Straßengelände oder auch auf die angrenzenden Grundstücke gelegt werden; — für schiffbare Flüsse als L e i n p f a d g e r e c h t i g k e i t ; — für Festungswerke als reichsgesetzliche R a y o n s e r v i t u t . I . Es beginnt m i t einem Eingriff i n das Privateigentum, der als 1

Nur bei dieser könnte man von einem „herrschenden" Grundstück sprechen: Straße, Strom, Festungswerk. Vgl. D i e r s c h k e , Bauverbot S. 42f. 2 Der freie Gebrauch des Eigentums kann auch beschränkt werden durch P o l i z e i v e r b o t e . Es ist wichtig, unser Rechtsinstitut auch diesen gegenüber abzugrenzen, weil sie erlassen werden können auf Grund der allgemeinen gesetzlichen Ermächtigungen, die der Polizei zuteil geworden sind, und wegen der Entschädigungsfrage. Darüber Bl. f. adm. Prax. 1876 S. 10 f.; O.L.G. München 19. Okt. 1886 (R e g e r V I I S. 266). Es handelte sich im letzterwähnten Erkenntnis um behördliche Vorschriften, welche befahlen, hart an der öffentlichen Straße nicht zu pflügen, keine Kiesgruben dort anzulegen, den Wald längs der Straße auszuhauen. Entscheidend ist, daß hier bei den Verboten immer nur die Abwehr eines möglichen Eingriffs in den guten Stand der Straße bezweckt ist (durch Anpflügen, Angraben, Beschatten); das ist's, was der Maßregel die polizeiliche Natur und den Gegensatz zur Dienstbarkeitsauferlegung gibt. Richtig heißt es in diesem Sinne in Bl. f. adm. Prax. a. a. Ο. S. 17 von solchen Anordnungen: es werde dadurch nur die „Polizeigewalt über das Straßenwesen" gewahrt. Die richtige öffentliche Dienstbarkeit geht über solche Abwehr hinaus.

§ 40. Auferlegte öffentlichrechtliche Dienstbarkeiten.

solcher nach bekannten Regeln einer g e s e t z l i c h e n bedarf 3 .

109

Grundlage

Die dem Gesetze angemessene ordentliche Art, sie zu liefern, besteht darin, daß es r e c h t s s a t z m ä ß i g die Dienstbarkeit auferlegt. Sie entsteht dann unmittelbar mit Erfüllung seines Tatbestandes 4 . 3 Ein Ersatz durch freiwillige Unterwerfung unter einen auferlegenden Verwaltungsakt, „öffentlichrechtlichen Vertrag", dürfte hier nicht zulässig sein (vgl. oben Bd. I S. 98 u. Note 12 ebenda). Das Gesetz behält die möglichen Belastungen des Grundeigentums auch hier in seiner Hand, wie im bürgerlichen Recht. 4 So bei der L e i n p f a d g e r e c h t i g k e i t und bei der R a y o n S e r v i t u t . Bezüglich der letzteren bestimmt Rayonges. v. 21. Dez. 1871 § 8, daß die Gürtel amtlich abgesteckt und ausgesteint werden sollen: „Von diesem Zeitpunkt an treten die gesetzlichen Beschränkungen in der Benutzung des Grundeigentums in Wirksamkeit." G. M e y e r - D o c h o w , Verw.R. S. 606, bemerkt: „die Setzung der Rayonsteine hat den Charakter einer Verwaltungsverfügung, durch welche . . . verboten wird," usw. Unter Verfügung wird ein „Befehl der höheren Verwaltungsorgane", und zwar eine „Anordnung für konkrete Angelegenheiten" verstanden (a. a. 0. S. 30), also was wir einen Verwaltungsakt nennen. Die Aussteinung ist aber kein Verwaltungsakt, sondern nur die Sichtbarmachung des vom gesetzlichen Rechtssatz gewollten Umfangs der Belastung. Was wirkt, ist dieser gesetzliche Rechtssatz und die Aussteinung nur die Bedingung des Eintritts seiner Wirkung. Sie ist kein Verwaltungsakt, sondern eine bloße Mahnung und Erinnerung, ähnlich wie die, welche im Polizeistrafrecht die Strafbarkeit bedingen (vgl. oben Bd. I S. 262 f.). Wenn die Wirksamkeit der Strafverordnung gegen das Befahren gesperrter Straßen abhängig gemacht würde von der Aufpflanzung des bekannten Strohwisches (Bd. I S. 246 Note 13), so wäre das ein vollgültiges Seitenstück. Der Rayonstein bedeutet so wenig eine Verfügung in unserem Sinne wie der Strohwisch. — Ähnlich verhält es sich mit dem auf das k ü n f t i g e S t r a ß e n g e l ä n d e g e l e g t e n B a u v e r b o t . Das Gesetz knüpft dieses Verbot rechtssatzmäßig an die gehörig erfolgte Festsetzung eines B e b a u u n g s p l a n s . Das ist keine „baupolizeiliche Maßnahme", und ebensowenig ist sie die „Schaffung einer Rechtsnorm", sondern nichts weiter als ein technisches Projekt der Gemeinde, nach welchem sie ihre künftigen Baustraßen herstellen will. Die Wichtigkeit der Sache rechtfertigt es, wenn dieser Plan in einem förmlichen Verfahren, unter Anhörung der Beteiligten und Genehmigung höherer Behörden, festgestellt und allgemein bekanntgemacht wird. Dadurch wird er selbst nichts anderes. O.V.G. 11. Juli 1896 (Entsch. X X X S. 68); v. S t r a u ß und T o r n e y , Preuß. Straßenges. S. 67; W a l z , Bad. Ortsstr.R. S. 58. — Vor dem Preuß. Straßenges, v. 2. Juli 1875 knüpfte sich an den Bebauungsplan noch keine rechtliche Belastung des künftigen Straßengeländes. Die Gemeinde konnte nur die Polizeibehörde veranlassen, daß sie mit Rücksicht auf diesen Plan die baupolizeiliche Erlaubnis im E i n z e l f a l l e verweigerte. Für diesen Eingriff mußte sie dann nach A. L.R. Einl. § 75 Entschädigung zahlen. So O.V.G. 24. Febr. 1902 (Entsch. X L I S. 117); R.G. 11. Mai 1906 (Entsch. L X I I I S. 298). Ähnliches kann auch jetzt noch vorkommen, wenn die Verweigerung vor gehöriger Veröffentlichung des Plans erfolgt: v. S t r a u ß und T o r n e y , Straßenges. S. 141. Von einer „Auferlegung der Servitut der Un-

Das

110

fentliche Sachenrecht.

D a s Gesetz k a n n a u c h die V e r o r d n u n g oder die k ö r p e r s c h a f t l i c h e S a t z u n g ausstatten m i t der F ä h i g k e i t , a n seiner S t a t t so z u wirken

5

.

A u ß e r d e m Rechtssatz k a n n a u c h der V e r w a l t u n g s a k t liche B e s t i m m t h e i t e n erzeugen.

recht-

H i e r k a n n er das wieder n u r t u n auf

G r u n d gesetzlicher E r m ä c h t i g u n g . Diese E r m ä c h t i g u n g pflegt das Gesetz aber n i c h t w i e b e i der P o l i z e i i n ganz allgemeiner Weise z u geben, so daß n u r das Z i e l der z u treffenden Maßregeln b e s t i m m t wäre.

Vielmehr

bezeichnet es m ö g l i c h s t genau die A r t des z u befriedigenden Bedürfnisses u n d der Belastung, die dafür i n A n s p r u c h genommen werden k a n n . Innerhalb

des verbleibenden

Spiebaums schafft

d a n n die

Behörde

für das v o n i h r gewählte G r u n d s t ü c k die D i e n s t b a r k e i t d u r c h eine m i t freiem Ermessen z u treffende V e r f ü g u n g . M i t d e r K u n d g a b e d i e s e r Verfügung

an den betroffenen

Besitzer

entsteht

sie6.

D a s Gesetz k a n n d e m V e r w a l t u n g s a k t eine E i n w i r k u n g auf die D i e n s t b a r k e i t auch i n umgekehrter R i c h t u n g zugestehen: E s schafft sie d u r c h seinen Rechtssatz, e r m ä c h t i g t aber die Behörde, f ü r

den

E i n z e l f a l l A b w e i c h u n g e n , insbesondere E r m ä ß i g u n g e n u n d M i l d e r u n g e n e i n t r a t e n z u l a s s e n 7 . D a n n r i c h t e t sich der endgültige B e s t a n d bebaubarkeit" sollte man da aber nicht reden. Unser Rechtsinstitut ist dabei außer Frage. 5

Hier kommen namentlich die Bauverbote in Betracht, welche durch Gemeindestatut zugunsten des Ortsstraßenwesens auf die der künftigen Straße anliegenden Grundstücke gelegt werden können, die sogenannten ortsstatutarischen Bauverbote: Preuß. Straßenges, v. 2. Juli 1875 § 12. 6 Preuß. Enteignungsges. § 4: „Vorübergehende Beschränkungen werden von der Bezirksregierung angeordnet." § 50: „Die zum Bau öffentlicher Wege erforderlichen . . . Materialien ist ein jeder verpflichtet nach Anordnung der Behörden von seinen Grundstücken entnehmen zu lassen". E g e r , Ent.Ges. I I S. 525 Note 6, schreibt immer noch (jetzt unter Beifall von G e r m e r s h a u s e n , Wegerecht I S. 519): „das Recht ist ein g e s e t z l i c h e s , unmittelbar k r a f t d e s G e s e t z e s vorhandenes". Als „Gegenstand des Rechts" hat er vorher (Note 2) ausdrücklich die „Entnahme "jener Stoffe bezeichnet. Das Recht dazu entsteht aber erst durch die „Anordnung der Behörde". Der Wegebaupflichtige hat ein Recht auf den Ausspruch einer solchen Anordnung zu seinen Gunsten. Das ist aber doch etwas anderes! Wenn er seine Arbeiter schickt ohne solche Anordnung, können sie herausgeworfen werden. 7 So Rayonges. § 23: „Einschränkung der räumlichen Ausdehnung der Rayons oder Ermäßigung der gesetzlichen Beschränkungen bestimmt die Reichsrayonkommission". Sächs. Wasserges. § 97: „die Lage und Breite des Leinpfads wird von der Verwaltungsbehörde bestimmt. Die Breite soll in der Regel 3,4 m betragen". — Eine andere Bedeutung erhält der nachträgliche Ausspruch der Behörde in dem für die Rayonservitut vorgeschriebenen Rayonplan und Rayonkataster (Rayonges. § 9). Das ist eine Sammlung von Verwaltungsakten, wie die

§ 40. Auferlegte öffentlichrechtliche Dienstbarkeiten.

der Belastung nach der m i t freiem Ermessen ergehenden Verfügung^ solange sie nicht ergangen ist, bleibt es bei dem Rechtssatzmäßigen. I I . Nachdem die rechtliche Belastung des Privateigentums einmal zustande gekommen und die ins Öffentlichrechtliche hinüberführende Widmung erfolgt ist, äußert sich die W i r k u n g der D i e n s t b a r k e i t d e r ö f f e n t l i c h e n Sache i n der Wahrnehmung des dieser eigentümlichen sachenrechtlichen Zustandes. Der belastete Eigentümer kommt dabei, solange das dauert, gar nicht mehr i n Betracht. Unsere a u f e r l e g t e D i e n s t b a r k e i t dagegen behält die Richtung gegen diesen bei als durchzuführender und wahrzunehmender Eingriff in sein Recht. 1. Der Eingriff besteht i n einer rechtlichen Verminderung der i m Eigentum und den von ihm abgeleiteten Rechten enthaltenen Befugnisse. U n d zwar wirkt diese Belastung wie bei der bürgerlichen Dienstbarkeit nach zweierlei Richtung: Der Berechtigte soll das durch den Inhalt der Dienstbarkeit Bezeichnete u n t e r l a s s e n , obwohl e& eigentlich aus seinem Rechte flösse. Oder er soll eine ebenso näher bestimmte Einwirkung auf die Sache d u l d e n , die er ohne die Dienstbarkeit abzuwehren befugt wäre. Von der ersteren A r t sind die Rayonservituten und die zugunsten der anzulegenden Ortsstraßen vorgesehenen Baubeschränkungen. Die Dienstbarkeit t r i t t bei der R a y o n s e r v i t u t auf als ein die Unterlassungspflicht begründendes Verbot, das sich m i t dinglicher Kraft an jeden wendet, der das Recht des Grundstücks vertritt und zur Geltung bringt. Dadurch unterscheidet es sich vom Polizeiverbot: die Rayonservitut geht auf den Erwerber des Grundstücks auch dann über, wenn sie beim Rayonkatasterverfahren ihre nähere Bestimmung durch E i n z e l a k t erhalten hat und so wie sie das erhalten hat 8 . Auch die Form des Verbots m i t Erlaubnisvorbehalt findet sich h i e r 9 ; die erteilte Genehmigung wirkt gleichfalls dinglich. Die s t r a ß e n r e c h t l i c h e n B a u b e s c h r ä n k u n g e n nehmen zunächst die gleichen Formen an, decken sich aber dann mit einem anderen Verbot polizeilicher Natur: dem Verbot, überhaupt zu bauen ohne baupolizeiliche Erlaubnis. Diese ist ihrerseits gebunden, so daß sie nicht versagt werden darf anders als aus rechtsmäßig vorgesehenen Gründen. Die Baubeschränkung gewinnt ihre Bedeutung wesentlich dadurch, daß sie einen solchen Grund liefert. W i r d dann um ihretwillen Grundsteuerliste. Die Rayonservituten werden aber dadurch nicht erst geschaffen (vgl. oben Note 4), sondern nur förmlich f e s t g e s t e l l t . Daran knüpft sich ein Anfechtungsverfahren (Rayonges. § 11). 8 Vgl. die vorhergehende Note und Bd. I S. 251. 9 Rayonges. § 13, § 15 B, § 17 B.

112

Das

fentliche Sachenrecht.

die baupolizeiliche E r l a u b n i s verweigert, so b l e i b t auch das p o l i z e i l i c h e B a u v e r b o t bestehen, das f ü r sich a l l e i n genügt, u m z u v e r h i n d e r n , was auch die baubeschränkende D i e n s t b a r k e i t v e r h i n d e r n w i l l . diese Weise verschmelzen sich hier die b e i d e n R ü c k s i c h t e n . Baubeschränkung selbst ist aber deshalb n i c h t polizeilicher In

anderen

Fällen geht

die auferlegte

Dienstbarkeit

Auf

Unsere

Art10. auf

das

D u l d e n einer b e s t i m m t e n T ä t i g k e i t , die a n d e m belasteten G r u n d stücke

zugunsten

eines

öffentlichen

Unternehmens

vorgenommen

werden soll u n d ihrerseits als z u diesem gehörig z u b e t r a c h t e n ist. H i e r h e r rechnet v o r a l l e m die L e i n p f a d g e r e c h t i g k e i t .

Der

Ufereigentümer b l e i b t i m Besitz u n d Genuß des B o d e n s ; er m u ß n u r dulden, daß f ü r die daneben herlaufende öffentliche Wasserstraße der Schiffszug, u n d was d a m i t zusammenhängt, d o r t ausgeübt w i r d u n d d a r f das n i c h t stören. D a s belastete G r u n d s t ü c k w i r d n i c h t zur öffentl i c h e n Sache u n d die B e n u t z u n g , welche d e n Schiffahrttreibenden u n d i h r e n L e u t e n freisteht, ist k e i n Gemeingebrauch 10

n

.

So wenig, wie es

Das Verhältnis der beiden Verbote ist namentlich beim ortsstatutarischen Bauverbote (oben Note 5) viel untersucht worden: D i e r s c h k e , Ortsstatutarische Bauver bote S. 50; ν. S t r a u ß u. T o r n e y , Straßenges. S. 132 ff. Wo Baupolizei und Gemeindeverwaltung nicht in derselben Hand liegt, erstere vielmehr namens des Staates geübt wird, muß der Gemeinde zur Wahrung ihrer Rechte eine Beschwerde gegen die erlaubende Polizeibehörde zustehen: v. S t r a u ß und Τ ο r η e y a. a. Ο. S. 135 u. 136. — R e i n a r t z , in Preuß. Verw.Bl. X V I I I S. 396 u. 397, will beides streng auseinanderhalten: das Bauverbot nach Straßenges. J 12 sei für die Baupolizeibehörde nicht maßgebend, hier handle es sich um ein rein privatrechtliches Verhältnis zwischen Gemeinde und Bauunternehmer; die Gemeinde, fügt er, Preuß. Verw.Bl. X I X S. 246 u. 248 hinzu, müsse ihr Bauverbot selber handhaben mit der Zwangsgewalt, die ihr L.V.G. §§ 132 u. 133 gewährt. Nun wird dieses Verbot allerdings der Gemeinde die Möglichkeit geben, sich Deckung zu verschaffen für einen entsprechenden Teil der Straßenkosten, sie auch sichern gegen vorzeitigen Aufwand für den Ausbau. Insofern mag man von einem vermögensrechtlichen Zwecke sprechen; aber das ist ja nicht gleichbedeutend mit privatrechtlich. Sodann ist aber doch der Hauptzweck der Einrichtung, daß die Gemeinde nicht infolge der schreienden Notstände, welche das „wilde Bauen" herbeiführt, tatsächlich aus dem planmäßigen Ausbau ihres Straßennetzes herausgedrängt wird; dieser soll nur von dem Bedürfnis des „öffentlichenVerkehrs "bestimmt sein, und dafür muß die Gemeinde ihre Kräfte zusammenhalten können. O.V.G. 10. Okt. 1894 (Entsch. X X V I I S. 170); P i n e t t i und B r e d t , Das komm. Bauverbot (Arbeiten zum Hand.-, Gew. - und Landwirtsch.-R. herausg. v. H e y m a n n n. 2) S. 12; D i e r s c h k e , Bauverbot S. 42 u. 43. 11 Hier muß man sich vor Verwechslungen hüten. Nicht alles, was als Leinpfad dient, hat juristisch die Gestalt unserer Leinpfadgerechtigkeit. Der Leinpfad kann auch als öffentlicher Weg gestaltet sein und das Recht des Staates daran als öffentliches Eigentum oder als Dienstbarkeit der öffentlichen Sache, sei es, daß dieser Weg dem öffentlichen Verkehr allgemein dienen soll, sei es, daß

§ 40. Auferlegte öffentlichrechtliche Dienstbarkeiten.

113

Gemeingebrauch ist, wenn an unfahrbar gewordenen Stellen der Straße das Fuhrwerk über das angrenzende Grundstück ausbiegen d a r f 1 2 . Die öffentliche Dienstbarkeit, die das Gesetz auf die Ufergrundstücke legt, ist nur eine Hilfseinrichtung für den am Strome auszuübenden Gemeingebrauch. Ferner gehören hierher die v o r ü b e r g e h e n d e n B e n u t z u n g e n , welche Privatgrundstücken auferlegt werden können zugunsten öffentlicher Arbeiten, Straßenherstellung und -ausbesserung, Eisenbahnbau, Brückenbau und dergleichen. Für solche öffentliche Unternehmungen bedarf es der Lagerplätze, Werkplätze, Zufuhrwege, Arbeiterunterkünfte, Gerüstaufstellungsräume. Die Verwaltung, soweit sie über das nötige Gelände nicht ohnehin verfügt, kann es sich verschaffen auf bürgerlichem Wege. U n d zwar werden vor allem Mietverträge am Platze sein, weil das Bedürfnis und die Verwendung nur vorübergehend sind; nach Beendigung der Arbeiten ist es damit aus. Es kann aber die Befriedigung dieses Bedürfnisses nicht abhängig bleiben von dem guten Willen des anderen Vertragsteils und von seiner Bemessung der Gegenleistung. Enteignung würde das Ziel überschießen: der dauernde Eingriff i n das Grundeigentum, den sie bedeutet, wäre zu scharf und zu kostspielig. Daher das Gesetz die Auferlegung solcher Benutzungsdienstbarkeiten gestattet als öffentlichrechtlicher Seitenstücke der Miete 1 3 . er dieser bestimmten Art von öffentlichem Verkehr vorbehalten ist, wie der Reitweg, der Radfahrweg. Mit dem Fortschritt der Wasserbautätigkeit verlieren unsere Ströme mehr und mehr ihre urwüchsige Gestalt und werden weithin von Dämmen begleitet, die dem Staate ohnedies gehören, und auf denen er dann auch seinen Leinpfad einrichtet. Das ist nicht unser Fall. Unser Leinpfad bedeutet „eine allgemeine öffentlichrechtliche Dienstbarkeit" (Bl. f. adm. Prax. 1871 S. 35), „eine öffentlichrechtliche Berechtigung", eine „dem Ufereigentümer auferlegte Duldung" (Bayr. Oberst.G.H. 25. Nov. 1878 Samml. V I I S. 505). 12

So der Postwagen nach Postges. v. 28. Okt. 1871 § 17. Der Faü mag zugleich den Unterschied von auferlegter Dienstbarkeit und öffentlichrechtlicher Eigentumsbeschränkung anschaulich machen. Er gehört zur letzteren; vgl. unten § 41 Note 16. Hier ist nicht das kenntlich gemachte Grundstück mit einer rechtlichen Belastung im voraus getroffen, die dann im Einzelfall nur ausgeübt wird; sondern eine dem Eigentum ü b e r h a u p t anhängende Schwäche offenbart sich durch die tatsächliche Inanspruchnahme für den Zweck der öffentlichen Verwaltung, sobald der Notstand für sie an dieser oder jener Stelle zum Vorschein kommt, ohne daß dem Grundstück eine besondere rechtliche Bestimmtheit gegeben worden wäre. 13

Vgl. oben Note 6. — Von der alten zivilrechtlichen Forderung einer causa perpetua (B.G.B. § 1019; Prot. d. I I . Les. I I I S. 308) ist also hier keine Rede. B i n d i n g - O e t k e r , H a n d b u c h V I . 2: O t t o M a y e r , Verwaltunger. I I . 3. Aufl.

8

114

Das

fentliche Sachenrecht.

Damit ist der Verwaltung nicht ein Benutzungsrecht gewährt, über welches sie frei verfügen könnte i m Rahmen ihres „persönlichen Bedürfnisses" (B.G.B. § 1091), sondern nur für dieses bestimmte Unternehmen und für die Dauer ; seines Bedürfnisses ist das Recht an der Sache gegeben. Der Herr des Unternehmens, Staat, Gemeinde, beliehene Eisenbahngesellschaft, übt es selbst aus durch seine Leute, Beamte und Bedienstete; es kommt aber i n gleicher Weise auch dem Geschäftsmann und seinen Arbeitern zugute, dem die Ausführung selbständig i n Gestalt einer Werkverdingung übertragen worden ist. I n ähnlicher Weise kann sich die Verwaltung die vorübergehende Verfügung über ein fremdes Grundstück verschaffen, um daraus für ihre Straßenbauten, Eisenbahnbauten und Ausbesserungsarbeiten die erforderlichen S t o f f e z u e n t n e h m e n : Sand, Kies, Steine, Rasen. Auch hier erfolgt die Ausübung der Dienstbarkeit durch die zur Entnahme des Materials bestellten Leute der Verwaltung oder ihres Unternehmers. Es wird i m Sinne des zugrunde liegenden Rechtssatzes sein, daß dadurch das Eigentum an dem Weggenommenen auf sie übergehe, welches fortan wieder den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts unterliegt 1 4 . 2. Die D i e n s t b a r k e i t der ö f f e n t l i c h e n Sache wahrt ihren Besitzstand mit den Mitteln der Polizeigewalt, die der öffentlichen Sache sich annimmt. Der Streit um das Recht selbst wird je nach dem Erwerbstitel bürgerliche Rechtsstreitigkeit sein oder nicht; ersteres also i n der Regel. Vgl. oben § 36, I I n. 4. Der Streit über die a u f e r l e g t e D i e n s t b a r k e i t ist immer Verwaltungssache. Die Mittel, m i t welchen die Dienstbarkeit sich nötigenfalls durchsetzt, bekommen ein verschiedenes Gepräge je nach ihrem Inhalt. Geht sie auf ein U n t e r l a s s e n , bedeutet also i m wesentlichen ein Verbot, so wird gegen das Zuwiderhandeln i n gleicher Weise vorgegangen wie beim Polizeiverbot: rechtssatzmäßige Strafe für die Übertretung, Zwangsstrafe und Gewaltanwendung zur Beseitigung des servitutwidrig Eingerichteten. Handelt es sich um ein D u l d e n , so wird von Seiten der Ver14 Die alte zivilrechtliche Auffassung macht sich viel unnötige Mühe, hier überall den ihr unentbehrlichen zivilrechtlichen Eigentumserwerbsakt herauszukonstruieren. Aber auch mit der rechtsähnlichen Anwendung der Enteignung ist hier nichts zu machen: mangels eines diese Fahrnisgegenstände betreffenden eigentumändernden Verwaltungsaktes fehlt jede Anknüpfung. Wir werden den gleichen Fragen noch einmal begegnen unten § 47, I I n. 4 in der Lehre von der A n f o r d e r u n g (Requisition).

§ 40. Auferlegte öffentlichrechtliche Dienstbarkeiten.

JJ5

waltung vorgenommen, was sie zu t u n bat, nötigenfalls unter Brechung des Widerstands m i t Gewalt. Wo andere die Benutzung sollen vornehmen dürfen, macht sie ihnen i n derselben Weise Bahn frei und schützt sie gegen Störung 1 5 . 3. I n allen Fällen unserer auferlegten Dienstbarkeit geht die öffentliche Gewalt einseitig vor mit ihrem Eingriff und schließt niemals ein zweiseitiges Rechtsgeschäft m i t dem Betroffenen, in welchem dieser sich eine G e g e n l e i s t u n g ausbedingen könnte. Dafür knüpft sich gerade an diesen Eingriff die Frage, ob nicht für das damit zugemutete Opfer eine Entschädigung zu gewähren sei. I n einem Teile unserer Fälle hat nun ein besonderes Gesetz den Forderungen der Billigkeit Rechnung getragen und ausdrückliche Bestimmungen getroffen über zu leistende Entschädigung. Das ist reichsgesetzlich geschehen für die R a y o n s e r v i t u t e n 1 6 , landesrechtlich vielfach durch die neuere Gesetzgebung für die Fälle der zeitweiligen I n b e s i t z n a h m e von Privatgrundstücken für das Bedürfnis öffentlicher Arbeiten, desgleichen für das A u s g r a b e n von Kies, Sand und sonstigem M a t e r i a l 1 7 . Wo das Gesetz einen Willen nicht kundgegeben hat, wird unterschieden werden müssen. Die durch den Rechtssatz selbst m i t unmittelbarer Wirkung begründete Dienstbarkeit hat keine Entschädigung zur Folge: sie ist als allgemeine Last anzusehen, die keine Ungleichheit bedeutet. Die Entschädigung kommt nur in Frage, wo die Dienstbarkeit sich erst verwirklicht durch Maßregeln, die von der Verwaltung nach eigenem Ermessen zu treffen sind. Hier ist nun nach Preußischem Recht eine Entschädigung für das V e r b o t des B a u e n s a n n i c h t f e r t i g g e s t e l l t e n Straßen ausdrücklich versagt 1 8 . Wo das nicht ausgesprochen ist, wird gleichwohl hierfür ein Entschädigungsanspruch auch aus etwa der Billigkeitsforderung zur Verfügung stehenden „allgemeinen Grundsätzen" nicht zu folgern sein: jenes Verbot hat zugleich die Bedeutung, den Baulustigen davor zu schützen, daß er sich zu eigenem Schaden i n unhaltbare Zustände s t ü r z t 1 9 . Das Bauverbot 15 I m älteren preußischen Recht nannte man die Maßregeln zur Wahrung der Rayonservitut durchweg „polizeiliche" Verfügungen: C.C.H. 9. Okt. 1869 (J.M.B1. 1869 S. 250). Der Zusammenhang mit der Festungspolizei und die Gleichheit der verwendeten Formen legen die Bezeichnung jetzt noch nahe. Ebenso ist es die „Strompolizeibehörde", welche die Freihaltung des Leinpfades erzwingt: O.V.G. 19. Nov. 1898 (Entsch. X X X I V S. 292). 16 Rayonges. v. 31. Dez. 1871 § 34 ff. 17 Preuß. Ent.Ges. v. 11. Juni 1874 § 4, § 53. 18 Straßenges, v. 2. Juli 1875 § 13. Vgl. oben Note 8. 19 Vgl. oben Note 10 über das „wilde Bauen". 8*

Das oft entliche Sachenrecht.

116

bezüglich, des i n d i e k ü n f t i g e S t r a ß e f a l l e n d e n G e l ä n d e s w i r d ebenfalls einen besonderen Entschädigungsanspruch i n der Regel nicht begründen: der Ausgleich findet sich in der Berechnung des Wertes dieses Geländes gelegentlich der kommenden freiwilligen Abtretung oder Enteignung für den Straßenherrn; das Gesetz wird nur etwa um der Billigkeit willen noch nachzuhelfen haben, indem es dem betroffenen Eigentümer Mittel gibt, zu verhindern, daß diese ihn befriedigende Abwicklung sich allzu lange hinausziehe 2 0 . Soweit es das nicht getan hat, muß angenommen werden, daß jene schließliche Vergütung durch Kaufpreis oder Enteignungsentschädigung genügen s o l l 2 1 . Bezüglich des L e i n p f a d e s pflegt das Gesetz von Entschädigung zu schweigen. Es handelt sich hier um längst bestehende Lasten, die es aus älteren Zeiten fertig übernommen hat. Höchstens könnte sich fragen, wie es sich verhielte, wenn infolge einer Neuschiffbarmachung oder Vorrückung der bisherigen Schiffbarkeitsgrenze die Leinpfadsgerechtigkeit neu entsteht. Hier würde der Billigkeitsgrundsatz allerdings Entschädigung gebieten, und ihm eine Rechtsverwirklichung zu verschaffen, dafür würden sich, wie unten § 53 zu erörtern, zweifellos auch die Formen finden 2 2 . I I I . Für die Dienstbarkeit der öffentlichen Sache haben wir nur e i n e n Erlöschungsgrund angenommen, wie beim öffentlichen Eigent u m (oben § 36, I V n. 1): die Einziehung der öffentlichen Sache. Für unsere auferlegte Dienstbarkeit kommen die Erlöschungsgründe der bürgerlichen Dienstbarkeiten ebensowenig i n Betracht 2 3 . Dafür hat sie ihre eigenen Arten. 20

Der Eigentümer kann seine Entschädigungsforderung fällig machen durch Freilegung des betroffenen Grundstückteils (Preuß. Straßenges. § 13; Sächs. Bauges. § 31 Satz 3), oder indem er durch Einreichung eines Baugesuchs eine ausdrückliche Versagung hervorruft (Sächs. Bauges. § 32; Sächs. O.V.G. 5. März 1910, Jahrb. X I S. 208; Bad. Ortsstraßenges. Art. 28 Abs. 2). 21 Nachträgliche Änderungen des Straßenplans können diese Aussicht vereiteln; Änderungen der Höhenlage der geplanten Straßen und ähnliches finden hierin überhaupt keine Deckung des den Grundbesitzern dabei entstehenden Schadens. Inwieweit da Entschädigung geschuldet ist, gehört aber nicht in den Zusammenhang der Lehre von der auferlegten Dienstbarkeit, sondern richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen; vgl. unten § 54, IV. 22 Die gleiche Frage in anderer Gestalt bei O.V.G. 7. Febr. 1900 (Entsch. X X X V I I S. 289): Der Strom hat ein Stück Ufer abgerissen, die Verwaltung läßt des Klägers Zaun zurücksetzen, um wieder Raum für den nötigen Leinpfad zu gewinnen; Kläger behauptet, sie sei schuld wegen schlechter Uferunterhaltung und verlangt Entschädigung. Das Gericht hat sich für unzuständig erklärt. 23 O.V.G. 19. Nov. 1898 (Entsch. X X X I V S. 292): Der Leinpfad ist öffentlichrechtlicher Natur und nicht eine Last, welche nach den Regeln des Privatrechts

§ 40. Auferlegte öffentlichrechtliche Dienstbarkeiten. Besondere B e a c h t u n g verdienen h i e r n o c h folgende z w e i : 1.

Gegenüber

einer

rechtssatzmäßig

geschehenen

Auferlegung

der D i e n s t b a r k e i t g i b t es eine B e f r e i u n g d a v o n f ü r d e n E i n z e l f a l l , welche die V e r w a l t u n g u n t e r U m s t ä n d e n gewähren k a n n . D a s H a u p t beispiel i s t die Z u s t i m m u n g der Gemeinde z u einem A n b a u a n der u n f e r t i g e n Straße (oben N o t e 5). Diese ortsstatutarischen B a u v e r b o t e sind gerade n u r b e s t i m m t , die d u r c h den A u f w a n d f ü r die k ü n f t i g e Straße i n A n s p r u c h genommenen V e r m ö g e n s m i t t e l der Gemeinde z u schonen (vgl. oben N o t e 10). D a h e r i s t die Gemeinde a u c h i n der Lage, i h r e E i n w i l l i g u n g z u m B a u a n entsprechende Β e d i n g u n g e n z u knüpfen. D i e A u s n a h m e b e w i l l i g u n g selbst i s t ganz öffentlichrechtlicher die L e i s t u n g e n des B a u l u s t i g e n : A b t r e t u n g , oder

Versprechen

geschehen i n

einer

weiteren

zivilrechtlichen

Vergütung

Formen.

Der

Sicherstellung, zur

Natur; Zahlung

Schadloshaltung,

Zusammenhang

beider

s t e l l t sich d a d u r c h her, daß die Gemeinde die B e w i l l i g u n g n i c h t endg ü l t i g m a c h t , b e v o r sie die Gegenleistung r e c h t l i c h i n der H a n d h a t . E s i s t n i c h t n ö t i g , den V o r g a n g sonst noch rechtsgeschäftlich auszugestalten

24

.

dem einen Grundstück zum Vorteile des anderen auferlegt ist, „ohne daß demgegenüber die Berufung auf die privatrechtlichen Grundsätze des non usus und der usucapio libertatis zulässig sein könnte". Ebenso O.V.G. 1. Mai 1902 (Entsch. X L I S. 260). Preuß. Ent. Gres. § 4 begrenzt die von der Bezirksregierung anzuordnenden „vorübergehenden Beschränkungen" auf die Dauer von drei Jahren. 24 Zivilrechtliche Voreingenommenheiten suchen hier wieder alles in einen zweiseitigen Vertrag zusammenzufassen. Womöglich soll es ein rein zivilrechtlicher sein, zur Not läßt man auch einen gemischten gelten, halb öffentlich, halb zivilrechtlich: R.G. 10. Nov. 1903 (Entsch. L V I S. 4), 30. Dez. 1907 (Entsch. L X V I I S. 291); R e i n a r t z , i n Preuß. Verw.Bl. X V I I I S. 395 ff. ; Β e η k a r d in Verw.Arch. X V I I S. 365ff.; D i e r s c h k e , Ortsstatutarisches Bauverbot S. 57 Note 7. Der letztere sucht allerdings den Ubergang zu finden ins volle öffentliche Recht. Β e η k a r d , der einen privatrechtlichen Vertrag annimmt, sagt doch wieder, daß das niemals binden kann (a. a. O. S. 367). Wozu also? Der Vertrag, von dem die Judikatur und Literatur orakelt, ist lediglich Dekorationsstück. I n diesem Sinne wohl auch F l e i n e r , in Arch. f. öff. R. X X I I I S. 524. Die Verfügungsrechte, welche der Militärbehörde über die Rayonservitut zustehen (vgl. oben Note 7), können auch nach Wirksamwerden der Servitut noch ausgeübt werden; dann bedeuten sie Befreiungen. Sie haben wohl den Zweck, die Notwendigkeiten des Festungswesens tunlichst zu vereinbaren mit der Schonung des Privateigentums. Das letztere kann allerdings wegen der zu leistenden Entschädigung zusammentreffen mit der Schonung der Reichskasse. I n Straßburg lag eine große Kalkbrennerei unmittelbar vor der neuen Umwallung im ersten Rayon; der Besitzer säumte nicht, um eine Abschlagszahlung von 100 000 Mk. einzukommen auf die ihm gebührende Entschädigung, worauf das Grundstück sofort in den dritten Rayon versetzt wurde — eine sehr merkwürdige Oase bildend.

118

Das

fentliche Sachenrecht.

2. Der wichtigste Endigungsgrund ist der W e g f a l l des bes t i m m t e n U n t e r n e h m e n s , zu dessen Gunsten die Dienstbarkeit auferlegt worden ist. Dem steht es gleich, wenn die Voraussetzungen weggefallen sind, unter denen man ihrer b e d u r f t e . Die Rayonservitut erlischt m i t der Einziehung des Festungswerkes* der Leinpfad m i t dem Aufhören der Schiffbarkeit des Flusses, das Recht der Materialentnahme oder vorübergehenden Besitzausübung m i t dem Aufhören der öffentlichen Arbeiten, für die es gegeben war, das Bauverbot m i t dem Verzicht auf die geplante Straße oder ihrer Fertigstellung 2 5 . § 4L

Öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung. W i r knüpfen hier an den Gegensatz zweier Rechtsinstitute, den uns das Bürgerliche Recht überliefert hat. Neben die D i e n s t b a r k e i t , welche ja ihrer Natur nach den Namen einer Eigentumsbeschränkung wohl zu führen berechtigt wäre, stellt es eine E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g i m e i g e n t l i c h e n Sinne. Während jene ein bestimmtes für den anderen b e g r ü n d e t e s R e c h t voraussetzt, das wirksam geworden ist an dem bestimmten Grundstück und das Eigentum daran r e c h t l i c h z u r ü c k g e d r ä n g t h a t , bedeutet die Eigentumsbeschränkung eine dem Eigentum a l l g e m e i n u n d i m v o r a u s a n h ä n g e n d e S c h w ä c h e . Sie erfaßt die Seite des Eigentums, wonach es die r e c h t l i c h e M a c h t enthält, a n d e r e v o n der E i n w i r k u n g a u f d i e v o n i h m e r g r i f f e n e Sache a u s z u s c h l i e ß e n , und verneint diese Macht i n bestimmter Beziehung; i n dieser Beziehung wirkt das Eigentum nicht, ist w e h r l o s . Auch das kommt dann dem anderen zugute, der jeweils in die bestimmte Beziehung eintritt, und diesen rechtlichen Vorteil mag man ein Recht nennen, das i h m zustünde. Aber es ist ein Recht, das nur die Wirkung vorstellt der gegebenen Eigentumsbeschränkung, nicht ist die Eigentumsbeschränkung eine Wirkung seines Rechts H a t nun das Vorausgehende uns öffentlichrechtliche Seitenstücke der bürgerlichrechtlichen Dienstbarkeit geliefert, so entspricht jetzt dieser letzteren Rechtsgestalt, was wir hier vor uns haben und deshalb die ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e Eigentumsbeschränkung nennen 2 . 25

Auch mit ihrer Fertigstellung: daß man nachher nicht in sie hineinbauen darf, beruht nicht mehr auf der Dienstbarkeit des Grundstücks, sondern auf dem eigenen Recht des Straßenherrn. 1

W i n d s c h e i d - K i p p , Pand. I S. 862 Note 2. Das deutsche Privatrecht war von jeher eine Zufluchtsstätte für allerlei, was in den Pandekten keinen Platz fand. Noch jetzt gibt G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 407 ff. unter dem Titel „ Ö f f e n t l i c h e B e s c h r ä n k u n g e n d e s 2

41. Öfentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.

119

I . Sie betrifft, wie die bürgerÜchrechtliche, nür G r u n d s t ü c k e 3 . Sie bedeutet, wie diese, nur eine Wehrlosigkeit des Grundeigentums gegenüber der Einwirkühg: es gibt k e i n e n R e c h t s s c h u t z und ist k e i n e S e l b s t v e r t e i d i g u n g zulässig 4 . Sie beruht, wie diese, auf gewissen a l l g e m e i n a n e r k a n n t e n N o t w e n d i g k e i t e n des g e o r d n e t e n m e n s c h l i c h e n Z u s a m m e n lebens: Die bürgerlichrechtliche Eigentunisbeschränkung hat zur Gründl läge den einfachen Gedanken, daß i n der Gesellschaft das E i g e n t u m s e l b s t am meisten darunter litte, wenn j e d e Störung und Beeinträchtigung von seiten des Nächsten durch Kampf ums Recht zurückgewiesen werden dürfte. Die öffentlichrechtliche stellt nicht die Eigentümer einander gegenüber, sondern den Eigentümer und die öffentliche Gewalt und hat zur Grundlage den Gedanken, daß die geforderte Kraft der V e r w i r k l i c h u n g der S t a a t s z w e c k e unzulässigerweise beeinträchtigt würde, wenn jedesmal haltgemacht werden müßte bis zur vollen Auseinandersetzung m i t der Heiligkeit des Eigentums. Beide stehen sie demnach vor der Aufgabe, das Maß dessen, was um dieser allgemeinen Rücksichten willen ertragen und hingenommen werden muß, genauer zu bestimmen. Erklärlicherweise wird das den Notwendigkeiten der öffentlichen Verwaltung gegenüber viel w e i t e r u n d r e i c h e r sich entfalten als i n dem bescheidenen bürgerlichen Nachbarrecht 5. E i g e n t u m s i n h a l t e s " eine große Menge von Dingen, die für uns allerdings fast durchweg hier nicht in Betracht kommen. 3

J h e r i η g in Jahrb. f. Dogm. V I S. 63 ff. Man darf es nicht schlechthin eine D u l d u n g s p f l i c h t nennen. Es gibt keinen Rechtsschutz gegen die überfliegenden Kugeln des Militärschießplatzes (vgl. unten Note 13); aber der Grundbesitzer ist auch nicht verpflichtet, diese Kugeln aufzunehmen, sondern kann ihnen durch Wall und Mauer den Zutritt verwehren. Der Postwagen kann bei unfahrbarer Straße auf die angrenzenden Grundstücke ausbiegen, wenn das dienlich ist, die fahrbare Strecke wiederzugewinnen; aber der Eigentümer ist nicht gehindert, Gräben zu ziehen, die solche Dienlichkeit ausschließen. 5 Für letzteres gibt J h e r i n g , Jahrb. f. Dogm. V I S. 128, die Grenze folgendermaßen: „Niemand braucht unmittelbare Eingriffe von seiten seines Nachbarn zu dulden, welche entweder der Person oder Sache s c h a d e n oder die Person in einer das gewöhnliche M a ß des E r t r ä g l i c h e n überschreitenden Weise belästigen." Für die öffentlichrechtüche Eigentumsbeschränkung bildet auch die Schädlichkeit keine unbedingte Grenze. Auf das gewöhnliche „Maß des Erträglichen" kommt es auch für sie an. Aber dieses bedarf eben für sie wie für die privatrechtliche Eigentumsbeschränkung der näheren Bestimmung. 4

120

Das

fentliche Sachenrecht

Diese Bestimmung suchen sie wieder i n erster Linie i n ausdrücklichen Rechtssätzen des Gesetzes. Beide ergänzen das aber durch ungeschriebenes Recht. Wie bei den Grenzen der persönlichen Freiheit, macht sich auch bei den Grenzen der Freiheit des Eigentums eine a l l g e m e i n e g e s e l l s c h a f t l i c h e A n s c h a u u n g geltend von dem, was notwendig dazu gehört, und was unter Umständen zurückstehen muß 6 . Diese Anschauung wird erkennbar aus der jeweiligen Rechtshandhabung der Behörden. Sie ist schmiegsamer und wandelbarer als der förmliche Rechtssatz und gerade deshalb so geeignet, das zu liefern, was wir hier brauchen. Endlich steht hinter beiden, der bürgerlichen wie der öffentlichen Eigentumsbeschränkung, gemeinsam eine Forderung zugunsten dessen, der unter der Wirkung der als notwendig erkannten Eigentumsbeschränkung zu leiden hat: er muß, sofern der Vermögensnachteil eine gewisse Bedeutung und greifbare Gestalt hat, e n t s c h ä d i g t werden. Für das bürgerliche Recht bedeutet das besondere Ausnahmefälle einer sonst nicht bekannten A r t von Entschädigungspflicht (B.G.B. § 904: S. 2, § 912 Abs. 2, § 917 Abs. 2). Gegenüber der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung aber wird gerade hierin leicht erkennbar ein richtiger Anwendungsfall der großen öffentlichrechtlichen Billigkeitsentschädigung, i n deren Zusammenhänge er denn auch einmünden soll. Die F ä l l e , i n welchen unsere öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung i n Frage kommt, grenzen sich ab durch sichere Erkennungszeichen : — Es muß sich handeln um eine t a t s ä c h l i c h e E i n w i r k u n g a u f e i n f r e m d e s G r u n d s t ü c k , d i e a n s i c h eine V e r l e t z u n g des E i g e n t u m s w ä r e , insbesondere auch nicht gedeckt durch ein diesem bestimmten Grundstücke gegenüber erworbenes R e c h t 7 . 6

Über die Wichtigkeit der allgemeinen Anschauungen von der persönlichen Freiheit gegenüber der Polizeigewalt vgl. oben Bd. I S . 216 ff. D e r n b u r g , Pand. I § 199 n. 2: „Das Recht des Grundeigentums ist nach den nationalen Anschauungen, den jeweiligen Bedürfnissen, den Zeitströmungen von verschiedenem Umfang." Auch das B.G.B, hat die privatrechtlichen Eigentumsbeschränkungen nicht „erschöpfend geordnet"; vor allem steht hinter dem von ihm in § 904 ff. ausdrücklich Hervorgehobenen der „Chikaneparagraph" § 226 ( P l a n c k , Kom. I I I Einl. zu Abschn. I I I Tit. 1 n. 4). G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 416, bemerkt am Schlüsse seiner etwas allzu reichhaltigen Aufzählung von „öffentlichrechtlichen Beschränkungen des Eigentumsinhaltes" richtig: „Schließlich ist, soweit ein notwendiges öffentliches Interesse durchgreift, das Grundeigentum auch solchen Einschränkungen unterworfen, die nicht besonders vorgesehen sind." Die Beispiele aus dem Polizeirecht, die er allein dafür anruft, gehören allerdings nicht hierher. 7 Sonst würde es sich um eine Dienstbarkeit handeln; vgl. hier oben Eing.

41. Öfentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.

121

— Diese Einwirkung muß ausgehen, beabsichtigt oder unwillkürlich, von der ö f f e n t l i c h e n V e r w a l t u n g und ihren Einrichtungen, von einem öffentlichen Unternehmen i n dem Sinne, wie wir i h m bei dem hier behandelten Kreise von Rechtsinstituten ständig begegnet sind. — Weil sie von der öffentlichen Verwaltung ausgeht, werden daran nicht die b ü r g e r l i c h e n Rechtsfolgen der Eigentumsv e r l e t z u n g g e k n ü p f t : kein Anspruch entsteht auf Beseitigung der Störung und auf künftige Unterlassung, kein Anspruch auf Schadensersatz wegen rechtswidriger Schädigung, weder gegen den Täter selbst noch gegen das Gemeinwesen, für welches er tätig ist. Dieser letztere Punkt, auf welchen sich alles zuspitzt, kommt zum Ausdruck i n der V e r s a g u n g der Z u l ä s s i g k e i t e i n e r K l a g e v o r d e m o r d e n t l i c h e n G e r i c h t auf Beseitigung der Störung und künftige Unterlassung. Das neuere Recht, das auch Rechtsansprüche kennt, die i m Verwaltungswege verfolgbar sind, läßt jetzt den s a c h l i c h e n M a n g e l hinter der alten Zuständigkeitsregel erst recht hervortreten. D i e o r d e n t l i c h e R e c h t s f o l g e der E i g e n t u m s v e r l e t z u n g s o l l v e r n e i n t b l e i b e n . Das ist unser Rechtsinstitut. Den Grund dieser Erscheinung hat man von jeher gesucht i n der besonderen rechtlichen Natur der staatlichen Tätigkeiten und Einrichtungen, von welchen der Eingriff hier ausgeht. Je nach den verschiedenen Entwicklungsstufen unseres öffentlichen Rechts spricht man wieder von besonderen H o h e i t s r e c h t e n oder von p o l i z e i l i c h e n Verfügungen 8. Für uns läuft es immer wieder hinaus auf den Z u s a m m e n s t o ß der ö f f e n t l i c h e n V e r w a l t u n g m i t d e m E i g e n t u m , das i h r i m Wege s t e h t . Das Rechtsinstitut wird erst verständlich von dem Boden dieses Kernbegriffs aus, um welchen unser neuzeitliches Verwaltungsrecht sich gebildet hat. I I . Die Anwendungsmöglichkeiten, welche danach für das Rechtsinstitut der öffentlichen Eigentumsbeschränkung sich ergeben, sind überaus mannigfaltig. 1. Dem bürgerlichen Nachbarrecht (B.G.B. § 906) stehen am nächsten die Fälle, wo die Tätigkeiten und Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung von ihrem Grundbesitz aus hinübergreifen i n das 8

Vgl. oben Bd. I S. 204 Note δ. — Die preußischen Gerichte finden bei solcher Ausdrucksweise Anlehnung an den Wortlaut der Zuständigkeitsregeln in Verord. v. 26. Dez. 1808 § 36 und Ges. v. 11. Mai 1842. Die Ausführungen bei O p p e n h o f f , Ressortverh. I. Aufl. S. 95 ff. u. 338 ff., sollten genügen, um zu sehen, daß für das neuzeitliche Recht gar nichts damit anzufangen ist.

122 Nachbargrundstück; Nachbarrecht

Das

fentliche Sachenrecht.

wir

köninen

sie

als

öffentlichrechtliches

bezeichnen.

D e r E i s e n b a h n d a m m l e n k t das W a s s e r d e m N a c h b a r g r u n d s t ü c k zu, der Straßenkörper v e r h i n d e r t d e n n a t ü r l i c h e n A b l a u f , der hochgeführte

Schiffahrtskanal m a c h t d u r c h sein Sickerwasser die Wiese

versumpfen,

die Tieferlegung

der Straße, die Ausschachtungen

der

städtischen Abzugskanäle gefährden die H ä u s e r längs der Straße — ü b e r a l l keine K l a g e auf B e s e i t i g u n g oder U n t e r l a s s u n g ;

Schadens-

ersatzanspruch i s t denkbar, aber das k a n n u n t e r diesen U m s t ä n d e n n u r unsere B i l l i g k e i t s e n t s c h ä d i g u n g sein, w e n n sie a u c h v o n d e n Gerichten meist nicht erkannt w i r d 9

9

.

O.Tr. 20. Juni 1871 (Str. L X X X I I I S. 37): Das Regenwasser fließt vom E i s e n b a h n d a m m auf Privatgrundstücke; die Klage auf Herstellung geeigneter Vorkehrungen, um das zu verhüten, wird abgewiesen; „nur die R e g i e r u n g kann bestimmen, was geschehen soll". — O.Tr. 25. Sept. 1877 (Str. L X X X X V I I I S. 21): Die neuerbaute K r e i s c h a u s s e e bedroht die Angrenzer mit Überschwemmung und Versumpfung; nur Entschädigung kann verlangt werden. — C.C.H. 7. Juni 1873 (J.M.B1. 1873 S. 239): Die Eisenbahnverwaltung schüttet nachträglich einen Damm auf zum Schaden der Nachbarn; Besitzstörungsklage für unzulässig erklärt, denn „durch die von dem Herrn Minister amtlich abgegebene Erklärung steht fest, daß die von der Verklagten bewirkté Anlage p o l i z e i l i c h g e b o t e n ist". — Die Genehmigung von E i s e n b a h n e n geschieht nach Pr. Eisenb.Ges. v. 3. Nov. 1838 § 14 und Kleinbahnges. v. 28. Juli 1892 nach landespolizeilicher Prüfung der ganzen Anlage; daher ist Klage wegen g e ä n d e r t e n W a s s e r a b l a u f e s gegen eine „ p o l i z e i l i c h e V e r f ü g u n g " gerichtet und unzulässig: R.G. 22. April 1903 (E g e r , Eisenb.Entsch. X X S. 156); 22. Febr. 1908 (E g e r , Eisenb.Entsch. X X V S. 51). R.G. 13. Mai 1893 (Entsch. X X X I S. 287) erläutert aber diese Fälle übereinstimmend mit den in R.G. 20. Sept. 1882 (Entsch. V I I S. 267) zur Geltung gekommenen Grundsätzen, wo gesagt ist: „ I n der Erteilung der Konzession zum Betriebe der Bahn liegt die a l l g e m e i n e A n o r d n u n g der Staatsgewalt, daß sich die benachbarten Grundbesitzer diejenigen nachteiligen Einwirkungen auf ihre Grundstücke gefallen lassen müssen, ohne welche der Betrieb nicht ausführbar ist." Die „allgemeine Anordnung" ist natürlich keine Verordnung, enthält keinen Rechtssatz. Es ist bei der „Konzession" in der Tat an einen Verwaltungsakt gedacht, an eine Verfügung. Aber die ergeht doch nicht über die Grundbesitzer, sondern über den Konzessionär allein und gewährt ihm das öffentliche Unternehmen oder, wo etwa der Staat selbst in Frage wäre, erkennt förmlich an, daß es sich hier um ein öffentliches Unternehmen handle dieser Art und dieses Umfangs. Daraus ergeben sich dann allerdings auch Folgen für die Dritten, denen nun das Unternehmen, dieses Stück öffentlicher Verwaltung, begegnet. Mit diesem allein haben wir es hier zu tun. Daß man von Polizei und polizeilicher Verfügung spricht, geschieht lediglich zu Ehren der alten preußischen Zuständigkeitsbestimmungen. — I m wesentlichen richtig und mit anerkennenswerter Freiheit gegenüber der überkommenen Idee der polizeilichen Verfügung wird die Frage für alle Arten solcher Einwirkungen behandelt bei E g e r , Kleinbahnenges.

41. Öfentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.

123

Betriebe und Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung kann der Grundbésitzer sich nicht fernhalten, auch wenn sie ihm Geräusch, S. 197: Die Genehmigung der Kleinbahn „hat den Charakter einer Eisenbahnkonzession", man darf sie n i c h t „auf das Niveau der p o l i z e i l i c h e n G e n e h m i g u n g einer privatgewerblichen Anlage herabsetzen". Sie geschieht „unter dem Vorbehalte der Rechte Dritter, die nur im Wege der Enteignung entzogen werden können"; aber a u c h o h n e das erfahren diese Rechte wegen der „wirtschaftlichen Bedeutung der Bahnen als öffentliche Straßenund Verkehrsanstalten" eine „im Wesen der Sache liegenden Modifikation": gegenüber den durch den vorschriftsmäßigen Bau und Betrieb notwendig werdenden Eingriffen gibt es keinen Anspruch auf Beseitigung der Änderung oder auf Schutzanlagen, sondern „ n u r a u f G e l d e n t s c h ä d i g u n g " . Das wäre ungefähr unser Rechtsinstitut. Die „wirtschaftliche Bedeutung" ist nur ein matter Ausdruck für die geahnte Kraft des öffentlichen Unternehmens. E g e r glaubt allerdings, es bedeute, „daß der Unternehmer z i v i l r e c h t l i c h durch die Genehmigung unbedingt befugt wird, die Bahn zu bauen und zu betreiben". Mir scheint das eine sehr ausgeprägte öffentlichrechtliche Natur zu haben. Eine ähnliche Scheinrolle spielt die polizeiliche Verfügung auch noch bei anderen öffentlichen Einrichtungen, die über die Grenze greifen. So in C.C.H. 4. Febr. 1854 (J.M.B1. 1854 S. 295): Die Klage eines Angrenzers auf Beseitigung einer von der Straßenbauverwaltung angelegten P a p p e l p f l a n z u n g , deren Wurzeln sein Grundstück durchwachsen, ist unzulässig; denn diese beruht auf „polizeilichen Anordnungen des Oberpräsidenten zur Sicherung der Passage". Desgleichen in C.C.H. 13. Okt. 1860 (J.M.B1. 1861 S. 269): D i e S t r a ß e n r i n n e wird von der Gemeinde an die klägerische Mauer verlegt; das ist „rein polizeiliche Verfügung und die Klage auf Änderung unzulässig". Selbstverständlich sind diese Dinge geradeso gedeckt, wenn sie einfach von der Straßenverwaltung in ihrem pflichtmäßigen Betrieb eingerichtet worden sind; schlimmstenfalls kann die polizeiliche Verfügung ja auch nachträglich erfolgen durch die zu erhebende amtliche Erklärung der Oberbehörde, daß die Anlage „polizeilich geboten ist"; vgl. oben den Fall C.C.H. 7. Juni 1873. Auf deutsch heißt aber doch auch das nichts anderes, als daß es sich hier um ein Zubehör eines richtigen öffentlichen Unternehmens handelt. Abweichend R.G. 7. Febr. 1906 (Entsch. L X I I S. 370): Straßenkanalisationsarbeiten, Grundwasser dabei weggepumpt mit der Wirkung, daß ein angrenzendes Wohnhaus Risse kriegt; Klage gegen die Stadt wegen Verstoß gegen B.G.B. § 909 und auf Ersatz des erwachsenen Schadens. Der wird auch zuerkannt, obwohl die Stadt dartut, es sei technisch gar nicht möglich gewesen, die Einwirkung zu vermeiden. Das Gericht antwortet hart: „Sei eine genügende Befestigung des Bodens des Grundstücks des Klägers technisch nicht möglich gewesen, so h a b e d i e b e a b s i c h t i g t e V e r t i e f u n g u n t e r b l e i b e n m ü s s e n , oder es sei Schadensersatz zu leisten." Schadensersatz würden wir wohl gewähren, wenn auch nicht wegen rechtswidriger Handlung, sondern nach dem bekannten Billigkeitsrecht. Das Gericht scheint aber auch eine Klage auf Unterlassung für möglich zu halten, welche die ganze wichtige Tiefkanalisation zum Scheitern gebracht hätte — fiat justitia, pereat mundus ! Den unentbehrlichen Schutz des öffentlichen Unternehmens findet man allerdings nur, wenn man den Reohtsboden kennt, auf den es gehört.

124

Das

fentliche Sachenrecht.

Erschütterung und „Immissionen" bringen, die bedeutend über das hinausgehen, was man i n dieser „Lage" der Stadt von seinem Nachbar zu gewärtigen h a t 1 0 . Υοτ allem der Betrieb der öffentlichen E i s e n b a h n e n ist es, von dem man die mannigfaltigsten Störungen dieser A r t wehrlos hinnehmen muß. Die Entschädigungsfrage bleibt allein übrig 1 1 . 10 P r i v a t u n t e r n e h m u n g e n gegenüber zieht B.G.B. § 906 die Grenze des zu Ertragenden. Auf die Besonderheit g e w e r b l i c h e r A n l a g e n werden wir unten Note 30 noch zu sprechen kommen. Die Behandlung störender ö f f e n t l i c h e r U n t e r n e h m u n g e n ist wesentlich anders. R.G. 6. Juni 1899 (Entsch. X L I V S. 225): I n den M i l i t ä r w e r k s t ä t t e n ist ein Maschinenbetrieb eingerichtet, der für den Nachbar übermäßige „Belästigungen und Übelstände" mit sich bringen soll; Klage auf Untersagung oder zeitliche Beschränkung erklärt das Gericht für unzulässig, denn „ein Eingriff in diesen Betrieb seitens der Gerichte" würde sich richten „gegen die Ausübung staatlicher Hoheitsrechte" (S. 226). — R.G. 19. Nov. 1903 (Entsch. L V I S. 25): Ein Hausbesitzer klagt gegen die evangelische Kirchengemeinde auf Unterlassung des störenden G l o c k e n l ä u t e n s . Das O.L.G. verurteilt ! Das R.G. weist ab: „Das Recht, mit Glocken zu läuten, ist den Kirchen zum Wohle des Gesamtstaates eingeräumt; zu Beschränkungen sind nur die zur Überwachung und Handhabung des öffentlichen Rechts bestellten Behörden berufen." Die Gerichte könnten höchstens nur um „Entschädigung wegen Verletzung wohlerworbener Privatrechte" angerufen werden. — R.G. 16. April 1910 (Entsch. L X X I I I S. 270): R o h r p o s t a n l a g e ; Klage des Nachbars auf Unterlassung der Geräusche; kein „staatliches Hoheitsrecht", aber „Pflege oberster staatlicher Aufgaben", also Geltendmachung der Rechte Dritter zur Lahmlegung unzulässig; nur Entschädigung zu fordern nach A.L.R. Einl. § 75! Dagegen wieder R.G. 20. Febr. 1909 (Entsch. L X X S. 311): Die Gemeinde will P u m p s t a t i o n anlegen für Abwässer; Klage der Anlieger auf Untersagung nach B.G.B. § 906 wegen übermäßigen Geräusches und Geruchs; zugesprochen, weil die Gemeinde mit ihrer Anlage, „auch wenn die Anlage dem Wohlfahrtsinteresse diente", den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften, d. h. dem § 906, unterstand. Hier wäre doch die Annahme einer „polizeilichen Verfügung" sehr am Platze gewesen; aber dieser terminus technicus gibt eben keinen sicheren Maßstab. 11 Man bestrebt sich ja dazwischen, auch hier mit B.G.B. § 906 auszukommen. R.G. 26. Juni 1910 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X V I S. 432): „Die gewöhnlich von einem solchen Eisenbahnbetriebe (Straßenbahn) ausgehenden Einwirkungen werden die benachbarten Grundeigentümer als unvermeidlich sich gefallen lassen müssen." Das beansprucht eine Anwendung des § 906 B.G.B, zu sein. Dagegen R.G. 30. März 1904 (Entsch. L V I I S. 225): Das Geräusch des fahrenden Tram muß man sich gefallen lassen, nicht aber das einer dazu gehörigen „Wagenhinterstellungshalle". Hier war allerdings Bayr. Ausf.Ges. Art. 80 anzuwenden; vgl. unten Note 30. Meist sucht man die Sache bei solchen Störungen mit den bekannten unbeholfenen Wendungen öffentlichrechtlich zu erklären, auch wenn man es nicht so nennt. So das oben Note 10 erwähnte Urteil R.G. 20. Sept. 1882 (Entsch. V I I

41. Öfentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.

125

Die M i l i t ä r s c h i e ß p l ä t z e machen sich nicht bloß durch das Knallen der Flinten sehr empfindlich fühlbar, sondern dienen auch, den besten Schutzvorrichtungen zum Trotz, immer wieder dazu, die dahinter liegenden Grundstücke m i t verirrten Kugeln zu beschicken S. 267): Es handelte sich um eine Klage des Angrenzers wegen Funkenwurfes durch die Lokomotive; die Eisenbahn hat d u r c h d i e K o n z e s s i o n das Recht zu solcher Beeinträchtigung erhalten. Ebenso in einem Immissionsfall" O.L.G. Karlsruhe 6. Mai 1904 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X I S. 252): „Die Konzessionserteilung begründet für den Angrenzer Eigentumsbeschränkungen im öffentlichen Interesse." Gelegentlich der Klage eines Berliner Hausbesitzers gegen die Hochbahn auf Unterlassung ihres übermäßigen Geräusches hat das R.G. 12. Okt. 1904 (Entsch. L I X S. 70) die Lehre von der ρ ο 1 i ζ e i 1 i c h e η V e r f ü g u n g noch einmal verwertet: „Die polizeiliche Genehmigung einer im Interesse des öffentlichen Verkehrs notwendigen oder zweckmäßigen Anlage hat die Bedeutung einer polizeüichen Verfügung." „Eine solche Verfügung richtet sich nicht bloß gegen den Hersteller der Anlage, sondern g e g e n j e d e r m a n n " (S. 72). Diese seltsame Eigenschaft einer polizeilichen Verfügung ist aber hier auch einigermaßen zu begründen versucht worden (S. 71): „Die Kleinbahn steht unter staatlicher Aufsicht . . . Der Unternehmer hat den Betrieb ohne Unterbrechung zu führen, widrigenfalls die Genehmigung zurückgenommen werden k a n n . . . er ist also in der Freiheit, über das Unternehmen und den Betrieb zu verfügen, durch den Staat wesentlich beschränkt, darf insbesondere von dem einmal festgesetzten und genehmigten Plane auch in Einzelheiten nicht abweichen . . . daraus folgt wiederum, daß auch Dritte, die durch den Betrieb in der Benutzung ihrer Grundstücke wesentlich beeinträchtigt zu sein glauben, gegen den Unternehmer Änderungen der Bahnanlage und des Betriebes im ordentlichen Rechtswege nicht erzwingen können.4· Das wird also ganz richtig nicht als eine bloße Zuständigkeitsregel aufgefaßt, sondern als sachliche Rechtsverneinung; darin besteht ja eben die Wirkung „gegen jedermann". Nun steht es aber mit polizeilichen Anordnungen doch so, daß sie — sofern das Gesètz nicht ausdrücklich Abweichendes bestimmt — stets mit Vorbehalt der Rechte Dritter ergehen (vgl. oben Bd. I S. 222 u. 238). Wenn dem Apotheker nach dem D e u t s c h e n A r z n e i b u c h polizeilich vorgeschrieben ist, ein Arzneimittel zu bereiten, das einen sehr üblen Geruch verbreitet, so kann er auch nicht davon absehen; aber daraus folgt n i c h t , daß der Nachbar sich das gefallen lassen muß. Die vermeintliche Polizeiverfügung über den Hochbahnunternehmer ging als bloße Beschränkung der Freiheit desselben, welche das Reichsgericht daran hervorhebt, den Dritten nichts an; aber sie ist eben in Wirklichkeit vielmehr die Ordnung eines öffentlichen Unternehmens, das als solches Kraft auch gegen Dritte hat, und d a r u m liegt die Sache hier anders. Richtig O.L.G. Königsberg 19. Jan. 1903 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X S. 132): Klage gegen die Kleinbahn wegen Funkenwurfs; „die Art, in der die Beklagte durch den Eisenbahnbetrieb das Eigentumsrecht des Klägers beschränkt, ist ein der Enteignung im Erfolg gleichkommender Eingriff in fremdes Eigentum"; daher Entschädigung nach A. L.R. Einl. § 75; also, weil er „seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird". Deutlicher kann die öffentlichrechtliche Natur des Vorgangs nicht gekennzeichnet werden.

Das

126

fentliche Sachenrecht.

u n d t a t s ä c h l i c h z u gewissen Z e i t e n u n b e n u t z b a r

z u machen.

Den

o r d e n t l i c h e n G e r i c h t e n f ä l l t es sehr schwer, d e m P r i v a t e i g e n t u m hier k e i n e n Schutz z u gewähren.

G l e i c h w o h l müssen sie sich bescheiden.

E s h a n d e l t sich weder u m eine bürgerliche R e c h t s s t r e i t i g k e i t noch u m einen r e c h t s w i d r i g e n E i n g r i f f

12

.

2. J e d e r m a n n h a t das R e c h t , das B e t r e t e n seines G r u n d s t ü c k s d u r c h andere, denen n i c h t e i n besonderes R e c h t dafür erworben ist, d u r c h Selbstverteidigung z u v e r h i n d e r n , w i e a u c h K l a g e z u erbeben auf k ü n f t i g e U n t e r l a s s u n g u n d Schadensersatz wegen rechtswidriger Verletzung.

Für Z o l l a u f s i c h t s b e a m t e

und

polizeiliche

Hilfs-

b e a m t e jeder A r t besteht diese Schranke n i c h t , w e n n sie d i e n s t l i c h A n l a ß haben, ein fremdes G r u n d s t ü c k z u b e t r e t e n oder sich d o r t aufzustellen

13

.

Die F e u e r w e h r

d r i n g t i n G ä r t e n u n d H o f r ä u m e ein,

12 Die Rechtsprechung hat es an Versuchen nicht fehlen lassen, einen Standpunkt zu finden. Mit der Berufung auf das alte Hoheitsrecht wie auf die polizeiliche Verfügung kommt man nicht aus. C.C.H. 13. Aug. 1870 ( S t ö l z e l , Rspr. S. 72): Besitzstörungsklage gegen Militärfiskus wegen überfliegender Kugeln für zulässig erklärt. Gegen das Hoheitsrecht des Königs, heißt es, richte sich die Klage gar nicht, sondern nur gegen die Nachlässigkeit der Militärbehörde bei Einrichtung des Schießplatzes; sie solle auch nicht in der Benutzung i h r e s Schießplatzes gehindert werden, sondern in der des Nachbargrundstücks, auf das geschossen wird. Polizeiliche Verfügung aber könne nicht in Betracht kommen: „Der Gouverneur hat ja gar nicht verfügt, daß Kugeln hinüberfliegen sollen." Das klingt geradezu wie eine Verspottung der üblichen Konstruktionen. — R.G. 24. Sept. 1889 (Entsch. X X I V S. 36) hat es bloß mit dem Geräusch der Schießübungen zu tun, die in einer Kaserne abgehalten werden. Die Klage des Nachbars auf Unterlassung wird abgewiesen, da es sich „um Ausübung des Militärhoheitsrechts" handle; nur Entschädigung kann in Frage sein. — R.G. 26. Sept. 1894 ( R e g e r X V I S. 99): Klage auf Unterlassung wegen überfliegender Kugeln zugesprochen; es handle sich um keine Ausübung eines Militärhoheitsrechts, weil ja das Überfliegen der Kugeln nicht „gewollt" sei. Mit dem Knallen, das R.G. 24. Sept. 1889 verbot, soll es etwas anderes sein, weil es „gewollt" ist. Das ist aber wieder reine Spitzfindigkeit. Denn wer die Schießübungen „will", muß sich auch die unausbleiblich damit verbundenen Fehlgänger als gewollt anrechnen lassen. I n der Veranstaltung solcher Schießübungen auf die Gefahr hin, daß solche Nebenwirkungen eintreten, besteht eben das, was hier Ausübung des Militärhoheitsrechts genannt wird, und was wir unter „öffentlicher Verwaltung" mit begreifen. — R.G. 27. Mai 1903 (Entsch. LV S. 55) läßt einfach den Reichsmilitärfiskus wegen Besitzstörung durch fehlgehende Geschosse der Militärschießstände verurteilen zur U n t e r l a s s u n g bei Geldstrafe von 300 Mk. für jeden Übertretungsfall. Die Tatsache der objektiven Beeinträchtigung des fremden Grundbesitzes genügt „bei dem Mangel eines den Beklagten berechtigenden Gesetzes". Daß es öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen gibt ohne Gesetz, wäre aber doch wohl zu bedenken gewesen. 13 O.Tr. 1. Dez. 1875 ( O p p e n h o f f , Rspr. X V I S. 769): Zollaufsichtsbeamte verbergen sich auf einem Bauerngut, um vorüberkommenden Schmugglern

41. Öfentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung. um

der Feuersbrunst

Gesetz

14

im

Nachbarhause b e i z u k o m m e n .

127 Alles

ohne

. D e r P o s t w a g e n f ä h r t über die angrenzenden Wiesen, w e n n

die Straße unwegsam geworden ist. D a s Reichsgesetz e r m ä c h t i g t d a z u ; es w a r aber schon i m m e r so u n d k e i n A b w e h r m i t t e l dagegen gegeben Zur

Vorbereitung

von

Straßenbauten,

15

t

Eisenbahnbauten

b e t r e t e n die T e c h n i k e r u n d i h r e L e u t e die G r u n d s t ü c k e , welche in. A u s s i c h t genommen sind, messen u n d stecken ab u n d n e h m e n P r o b e n v o n d e m aufgegrabenen Boden.

D i e neuere Enteignungsgesetzgebung

h a t Gelegenheit genommen, solches Vorgehen a u s d r ü c k l i c h z u ordnen

16

.

aufzulauern; der Eigentümer darf sich nicht widersetzen. O.V.G. 28. Nov. 1885 (Entsch. X I I S. 421): „Der (Polizei-) Beamte ist, falls es sich um Erfüllung einer Amtspflicht handelt, berechtigt, auch ohne Erlaubnis des Eigentümers fremde Grundstücke zu betreten." Es handelte sich um einen Fischereiaufseher, der bei Verfolgung eines Fischereikontravenienten über fremde Wiesen und bestellte Äcker gelaufen war. Ähnlich O.V.G. 11. Dez. 1900 (Preuß. Eisenb.Arch. 1901 S. 674): Ein Bahnpolizeibeamter, der einen Kontravenienten über die fremde Wiese verfolgt, tut das „nicht unbefugt". Das bedeutet eine Eigentumsbeschränkung; sie steht nirgends geschrieben; aber die Übeltäter hätten es zu bequem, wenn sie allein über fremde Wiesen liefen; das genügt. 14

Bei Beratung des Enteignungsges. v. 11. Juni 1874 in der Kommission des Preuß. Abg.Hauses war zu § 4 der Zusatz beantragt worden: „Zu Eingriffen in das Grundeigentum in Notfällen, namentlich bei einer Feuersbrunst oder Wassersnot oder einer Lebensgefahr, für die Dauer des Notfalles sind die Polizeibehörden befugt." Damit sollten namentlich auch solche „polizeiliche Anstalten" wie die Feuerwehr gedeckt sein. Die Regierung betrachtete aber diese Eigentumsbeschränkung als etwas so Selbstverständliches, daß sie die hier angebotene gesetzliche Ermächtigung ablehnte, weil man ihrer nicht erst bedürfe. 15 Reichs-Post-Ges. v. 28. Okt. 1871 § 17. Nach 1. 14 § 1 D. 8, 6 würde eine gleiche Befugnis auch zugunsten des sonstigen auf die Straße angewiesenen Verkehrs bestehen. I m neueren Rechte wird das manchmal noch besonders anerkannt: Preuß. Feld- u. Forst-Pol. Ges. § 10 Abs. 2. Das ist nicht, wie R. M e r k e l , KplL rechtm. Interessen S. 51, ausführt, eine Wirkung des Notstandsrechts der Einzelnen — weshalb wirkte es dann nicht im Falle eines Privat-, weges? —, sondern es ist die öffentliche Verkehrsanstalt allein, die darin wieder das Nachbareigentum für ihre Zwecke in Anspruch nimmt. — Verwandt O.V.G. 21. Juni 1900 (Entsch. X X X V I I I S. 249): Ein öffentlicher Fußweg führt kraft Dienstbarkeit über den Acker eines Bauern und über Gemeindeland; der Amtsvorsteher läßt zur Ausbesserung der letzteren Strecke Steine über die erstere Strecke fahren in Widerspruch mit A. L.R. I , 22 § 65; der Bauer ist nicht berechtigt gewesen, sich zu widersetzen; eine derartige Benutzung muß der Wegepolizeibehörde freistehen. Das O.V.G. meint allerdings, das sei eine „Inanspruchnahme des Weges für den öffentlichen Verkehr" nach Zust.Ges. § 55 gewesen. Es war aber wohl eher eine Geltendmachung der Eigentumsbeschränkung des Privat grundstücks zugunsten des öffentlichen Weges. 16

Pr. Ent.Ges. v. 11. Juni 1874 § 5: „Handlungen, welche zur Vorbereitung eines die Enteignung rechtfertigenden Unternehmens erforderlich sind, muß auf

128

Das

fentliche Sachenrecht.

Es geschah und geschieht auch ohne Gesetz ebenso 1 7 . Die L a n d e s v e r m e s s u n g beansprucht das Grundeigentum auf ähnliche Weise 1 8 . Das eindrucksvollste Beispiel dieser A r t bieten jedoch die T r u p p e n ü b u n g e n . Fußvolk, Keiterei und Geschütz, das geht alles unaufhaltsam durch das gewählte Gelände, ohne Gesetz und doch rechtmäßigerweise: die öffentliche Verwaltung erscheint hier i n all ihrer angeborenen Kraft und Wirksamkeit, der das Privateigentum von selber w e i c h t 1 9 . Anordnung der Bezirksregierung der Besitzer auf seinem Grund und Boden geschehen lassen." Die „vorübergehenden Beschränkungen" nach § 4 desselben Gesetzes bedeuten auferlegte Dienstbarkeiten (oben § 40 Note 6); sie entstehen durch eine dem belasteten Eigentümer kundgemachte Anordnung (E g e r , Ent. Ges. I S. 80). Die „Anordnung" des § 5 dagegen ist nichts als eine allgemeine Anerkennung der Fähigkeit des in Frage stehenden Unternehmens, die Eigentumsbeschränkung zur Wirksamkeit gelangen zu lassen. Sie wird deshalb einfach im „Regierungs-Amtsblatte generell bekanntgemacht" (Ent. Ges. § 5 Abs. 2). — Sächs. Ent.Ges. v. 24. Juni 1902 § 14 stellt in gleicher Weise die Bedingung einer vorgängigen „Ermächtigung" des Unternehmers durch die zuständige Behörde, welche „Gestattung der Vorarbeiten" in den „Amtsblättern der Verwaltungsbezirke bekanntzumachen ist" (Abs. 2). S c h e i c h e r , Kom. S. 208 Note, glaubt deshalb die „Verpflichtung zur Duldung von Vorarbeiten" nach Sächsischem Recht nicht zu den öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen in meinem Sinne rechnen zu dürfen: da sie „durch besonderen Verwaltungsakt begründet wird, wird man sie (wie die, vorübergehenden Eigentumsbeschränkungen') unter den Gesichtspunkt der Enteignung zu stellen haben". Allein der Verwaltungsakt („Ermächtigung", „Gestattung") wirkt hier so wenig dinglich wie die preußische „Anordnung". Er ergeht ja gar nicht über den Grundbesitzer, sondern nur über den Unternehmer des öffentlichen Unternehmens, der als solcher „v ο r der Verleihung des Enteignungsrechts" (§ 14 Abs. 1) öffentlich anerkannt und legitimiert wird. 17 So O.Tr. 9. März 1874 (Str. 91 S. 175). — Ähnliche Befugnisse zugunsten der Telegraphenverwaltung nach Telegr.Wegeges. v. 18. Dez. 1899 § 12. 18 Sächs. O.V.G. 30. Nov. 1907 (Jahrb. X I S. 294): Die Grundstücksvermessung ist im öffentlichen Interesse angeordnet; daher das Recht, die Grundstücke zu betreten, selbstverständlich, auch ohne Gesetz. 19 Die Reichstagsverhandlungen zum Ges. v. 13. Febr. 1875 über die Friedensleistungen (ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben von S e y d e 1 in Annalen 1875 S. 495 Anm. 1) förderten sehr unklare Anschauungen zutage von diesem Anwendungsfalle unseres Rechtsinstituts und von seinem Verhältnisse zum Gesetz. Der Entwurf hatte ausdrücklich bestimmen wollen, daß Privatgrundstücke zu Truppenübungszwecken benutzt werden dürften. Die Kommission hat diese Bestimmung gestrichen und erklären lassen: man habe große Bedenken gehabt, „denn dies würde dann nichts weiter sein als die Konstituierung einer allgemeinen Servitut auf sämtlichen Privatgrundstücken des ganzen Reichs zugunsten der Militärbehörde". Man ließ es deshalb bei Bestimmungen über vorgängige Anzeige und Entschädigungsverfahren bewenden (§§ 11 u. 16), war aber im übrigen einig, daß auch ohne Gesetze die Grundstücke naoh wie vor zu Truppenübungen benutzt werden sollten. Man bezeichnete das

41. Öfentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.

129

3. W e i t über das bürgerliche N a c h b a r r e c h t h i n a u s geht die der öffentlichen V e r w a l t u n g freistehende I n a n s p r u c h n a h m e fremder G r u n d stücke m i t allerlei V o r r i c h t u n g e n ,

die i h r e n Z w e c k e n dienen.

Es

h a n d e l t sich m e i s t u m geringfügige E i n g r i f f e , die n i c h t e i n m a l z u einer E n t s c h ä d i g u n g A n l a ß geben. S t r a ß e n s c h i l d e r u n d H a u s n u m m e r n z u r besseren O r d n u n g des Straßenwesens werden unbedenklich, a u c h ohne z u fragen, a n d e n P r i v a t g e b ä u d e n befestigt braucht ihren B r i e f k a s t e n

20

. Die Postverwaltung

m e i s t n i c h t gerade a n der b e s t i m m t e n

Stelle anzubringen, d a r u m w e i c h t sie aus, w e n n der Hausbesitzer n i c h t w i l l ; läge es e i n m a l so, daß n u r der eine P l a t z i n B e t r a c h t k ä m e , so w ü r d e der W i d e r s p r u c h w o h l n i c h t s helfen, u n d d e n e i n m a l angebrachten B r i e f k a s t e n gewaltsam z u beseitigen, wäre n i c h t ratsam, das G e r i c h t aber w ü r d e f ü r eine Verbietungsklage n i c h t z u s t ä n d i g sein.

Straßen-

l a t e r n e n , m i t eisernen A r m e n a n der H a u s m a u e r befestigt,

haben

h ä u f i g n u r e i n e n P u n k t , w o sie i h r e n Zweck recht erfüllen; der k a n n i h n e n n i c h t verweigert werden.

Das gleiche w i r d gelten f ü r die Be-

festigung der ü b e r der Straße schwebenden e l e k t r i s c h e n L a m p e I n der neueren Rechtsprechung h a t a u c h der L e i t u n g s d r a h t

21

.

der

als ein „tatsächliches Verhältnis", eine „vis major", einen „historisch begründeten Rechtszustand". Man wollte ihm nur nicht den Stempel der Gesetzlichkeit ausdrücklich aufgedrückt haben. Eine recht überflüssige Empfindsamkeit! Jedenfalls wäre es nicht richtig, zu sagen, das Gesetz habe auf diese Weise das Recht der Truppenübungen stillschweigend begründet. Aber das ist richtig, daß der Reichstag bei dieser Gelegenheit Zeugnis abgelegt hat für eine allgemeine deutsche Rechtsanschauung, wonach das Grundeigentum wehrlos sei gegen Truppenübungen. Das genügt hier. Vgl. R.G. 20. Okt. 1900 ( R e g e r X X I S. 101), 30. März 1903 (Entsch. L I V S. 209); Bayr. Oberst. L.G. 24. März 1898 ( R e g e r X X S. 111); Preuß. Kriegsminist. 10. Jan. 1904 ( R e g e r X X V S. 165). 20

O.V.G. 13. Mai 1909 (Jur.Ztg. I X S. 1094): „Die Straßen- und Häuserbezeichnung bildet einen Teil der von der Ortspolizeibehörde aufrechtzuerhaltenden öffentlichen Ordnung". O.V.G. 7. Jan. 1909 (Entsch. L I I I S. 255): Die Polizeiverwaltung läßt am Zugangsweg zu einer Kleinbahn ein Schild „Bahnhofstraße" anbringen; der Eigentümer entfernt es und erhält den Befehl, es wieder anzubringen bei Zwangsvollstreckung. 21

O.V.G. 11. Jan. 1879 (Entsch. V S. 412) behandelt einen Fall, wo die Gemeinde eine öffentliche Laterne auf Privateigentum gesetzt hatte. Die Klage auf Beseitigung wird angesehen als gegen eine „polizeiliche Anordnung" gerichtet. — Das Grundeigentum ist übrigens von lange her zur Fügsamkeit gegen solche gemeindliche Beleuchtungseinrichtungen e r z o g e n worden. Die alte Öllaterne, die am Drahte über der Straße hing und mit Hilfe der Vorrichtung in einem häßlichen Kasten an der Hauswand täglich mehrmals herab- und hinaufgezogen wurde, um angezündet, gelöscht und gereinigt zu werden, mußte auch ertragen werden. Was Gas und Elektrizität nachher brachten, war eher eine Erleichterung. B i n d i n g - O e t k e r , Handbuoh V I . 2: Ο t t o M a y e r , Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.

9

Das

130

fentliche Sachenrecht.

elektrischen S t r a ß e n b a h n sich schon durchgesetzt: er w i r d festgehalten m i t t e l s der widerstandslos a n den H a u s m a u e r n a n z u b r i n g e n d e n H a k e n („Rosetten")

22

.

T e l e g r a p h e n - u n d T e l e p h o n d r ä h t e w e r d e n über

die P r i v a t g r u n d s t ü c k e hinweggezogen, f i n d e n auch S t ü t z e n a n den unscheinbaren T r ä g e r n , welche m a n i n die H a u s m a u e r n einfügt, m a n c h m a l a u c h i n gewaltigen T e l e p h o n k r e u z e n , die d e n D ä c h e r n aufgesetzt werden

23

.

F ü r d e n einen oder anderen P u n k t m a g die R e c h t s e n t w i c k -

l u n g noch i m F l u ß sein. M a n k a n n darüber streiten, ob sich eine allgemeine A n s c h a u u n g ü b e r die Grenze der F r e i h e i t des E i g e n t u m s ü b e r a l l schon gebildet h a t , n a m e n t l i c h b e i schwereren E i n g r i f f e n .

I m ganzen

i s t das B e w u ß t s e i n v o n den N o t w e n d i g k e i t e n der öffentlichen V e r w a l t u n g s i c h t l i c h i m F o r t s c h r e i t e n begriffen u n d d a m i t a u c h die W e i t e r a u s b i l d u n g der öffentlichen

Eigentumsbeschränkungen.

4. E n d l i c h f i n d e t h i e r a u c h seine Stelle der oben § 36, I I n . 2 besprochene B e s i t z d e r ö f f e n t l i c h e n

S a c h e : w e n n danach die Ver-

w a l t u n g das G r u n d s t ü c k , das t a t s ä c h l i c h i n d e n B e s t a n d einer öffentl i c h e n Sache geraten i s t , v o r l ä u f i g

noch i n diesem

zurückzuhalten

v e r m a g , b i s daß anderweit Fürsorge getroffen i s t , so bedeutet das 22

O.V.G. 2. März 1903 (Entsch. X L I I I S. 387): Kläger hatte eingewilligt, daß Rosetten für die Straßenbahnleitung in seiner Hausmauer angebracht wurden, aber mit Vorbehalt der Kündigung; er kündigt und klagt auf Beseitigung. Das Polizeipräsidium verbietet diese vorläufig bis zur durchgeführten Enteignung; „wenngleich jetzt Kläger privatrechtlich den Anspruch auf Beseitigung haben mag, so hat doch das Privatrecht jetzt vor dem berechtigten polizeilichen Verlangen zurückzutreten". Also wieder die „polizeiliche Verfügung" (die keine ist !), aber diesmal vor dem Verwaltungsgericht wirksam, nicht zur Zuständigkeiten versagung, sondern sachlich. — O.L.G. Karlsruhe 4. April 1905 (Bad. Verw.G. X X X V I I S. 105; E g e r , Eisenb.Entsch. X X I I I S. 118): Straßenpolizeiverordnung legt den Hauseigentümern die Duldung der Rosetten für die elektrische Straßenbahn auf; dadurch soll B.G.B. § 903 gemäß E.G. Art. 109 eingeschränkt werden. Polizei ist das also eigentlich nicht. 23 A n s c h ü t z in Verw.Arch. X I V S. 331 Note 19 findet, daß hier eine Lücke besteht, die nur durch ein Gesetz auszufüllen wäre. Das hier schon Angeführte hat gezeigt, wie die deutschen Gerichte solche Lücken auszufüllen wissen auch ohne Gesetz. Das geht auch alles mit rechten Dingen zu, ohne Verleugnung des Rechtsstaates, der doch nicht ganz so knöchern ist, wie A n s c h ü t z meint. — Nützlich wird es in allen solchen Fällen sein, wenn das Gesetz ausdrückliche Ordnungen trifft. So hier Telegr.Wege-Ges. § 12 Abs. 1 zugunsten der über Privatgrundstücke zu führenden Telegraphenlinien. Aber daraus darf man nicht schließen, daß überall, wo kein solches Gesetz zu finden ist, keine Eigentumsbeschränkung bestehe. Insbesondere ist auch das argumentum a contrario, welches L.G. Düsseldorf 15. Febr. 1909 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X V S. 410) aus jenem § 12 Abs. 1 für ähnliche, nicht so vorgesehene Fälle ziehen will, unberechtigt.

41. Öfentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.

131

eben eine Eigentumsbeschränkung zugunsten dieser Erscheinungen öffentlicher Verwaltung 2 4 . I I I . Die äußeren G r e n z e n d e r W i r k s a m k e i t der Eigentumsbeschränkung sind nicht abgesteckt nach dem Umfang eines R e c h t s , das an dem betroffenen Grundstücke erworben worden wäre. Es handelt sich um eine a l l g e m e i n e r e c h t l i c h e E i g e n s c h a f t aller Grundstücke, die da zur Geltung kommt. Es gibt deshalb auch keinen Punkt, der als E n t s t e h u n g oder E n d i g u n g der Eigentumsbeschränkung bezeichnet werden könnte. Es gibt bloß t a t s ä c h l i c h e A n l ä s s e , welche diese Eigenschaft i m Einzelfalle und an dem einzelnen Grundstücke wirksam und erkennbar machen, gibt einen Anfang und ein Ende dieser Wirksamkeit, gebunden an den Beginn und den Wegfall der Tatsachen, welche sie herausforderten. Diese Tatsachen sind nicht gekennzeichnet durch bestimmte j u r i s t i s c h e F o r m e n , i n welchen sie erscheinen. Desto wichtiger ist es, die s a c h l i c h e n Grenzen zu hüten, welche ihnen gesetzt sind durch die Natur dieses Rechtsinstituts selbst. 1. Vor allem muß die Einwirkung ausgehen von einer bestimmten Erscheinung ö f f e n t l i c h e r V e r w a l t u n g . Es ist nicht nötig, daß das p l a n m ä ß i g geschähe und nach den A b s i c h t e n der leitenden Beamten. Auch was der Zufall, das Fehlgehen menschlicher Unvoükommenheit m i t sich bringt, gehört noch m i t zum Leben und Dasein der öffentlichen Verwaltung, das nicht bestehen könnte, wenn man Freiheit von solchen Mängeln zur rechtlichen Bedingung machte 2 5 . Ausgeschlossen sind und nicht gedeckt durch die öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung : — Einwirkungen des Staates auf fremdes Eigentum, die nicht von seiner öffentlichen Verwaltung ausgehen, sondern von privatwirtschaftlichen Lebensäußerungen bei Besorgung seines Vermögens, Beschaffung und Herrichtung der Mittel, deren er bedarf, Ausführung von Miet- und Pachtverträgen m i t den Eigentümern 2 6 . 24 Vgl. oben § 36 Note 21 u. 22. Aus der älteren Rechtsprechung: O.Tr. 11. April 1860 (Str. X X X V I I S. 160), 12. Okt. 1863 (Str. L I I S. 20), 3. Febr. 1871 (Str. L X X X I S. 110), 12. Juli 1875 (Str. XCV S. 63). O.V.G. 13. Febr. 1877 (Entsch. I I S. 236). C.C.H. 13. Okt. 1873 ( J.M.B1. 1874 S. 39). O.Tr. Stuttgart 21. Febr. 1872 (Seuff.Arch. X X V I I I n. 247). Bayr. Ob.G.H. 25. Juni 1872 u. 17. Dez. 1872 (Bl. f. adm. Pr. 1873 S. 126 ff.). - Verwandte Fälle: R.G. 28. März 1905 ( R e g e r X X V I S. 51), 16. Okt. 1906 (Entsch. L X I V S. 184). 25 Deshalb ist es so unfruchtbar, was die Gerichte über die überfliegenden Kugeln der Militärschießplätze philosophiert haben; vgl. oben Note 12. 26 Über diesen Gegensatz vgl. oben Bd. I § 11, I I , und hier § 33, I I n. 2, S. 18. Nach dem gleichen Maßstab ist in diesen Fällen die ausgleichende 9*

Das

132

fentliche Sachenrecht.

— Eigentumverletzende A u s s c h r e i t u n g e n der Leute der öffentlichen Verwaltung, die diese auf eigene F a u s t und a u ß e r h a l b des R a h m e n s i h r e r d i e n s t l i c h e n V e r r i c h t u n g e n begehen mögen 2 7 . 2. Die Einwirkung muß sich nach dem, was sie zumutet, als Geltendmachung einer Beschränkung der Verteidigungsfähigkeit des Grundeigentums darstellen. Sie darf nicht bestehen i n Forderung einer T ä t i g k e i t , einer vom Eigentümer oder für i h n zu l e i s t e n d e n n ü t z l i c h e n A r b e i t 2 8 . Ebensowenig darf sie bestehen i n der E n t z i e h u n g v o n Sachen, sei es des Grundstücks selbst oder eines Teils davon, sei es von dazu gehörigen oder darauf befindlichenFahrnisgegenständen. Soll derartiges verlangt werden, so muß das unter irgendein anderes Rechtsinstitut zu bringen sein; hier kommt es nicht unter. 3. Nicht alles ist gedeckt, was i n solcher Weise, von der öffentlichen Verwaltung ausgehend, i n die Freiheit des Grundeigentums eingreifen möchte. Eine gewisse Z w a n g s l a g e ist auch dabei vorausgesetzt; és muß eine der Notwendigkeiten vorliegen, die Anerkennung gefunden haben i m Gesetz oder i n der allgemeinen Rechtsüberzeugung. Andererseits darf nicht gerade diese A r t von Inanspruchnahme besonders ausgeschlossen sein. Das Gesetz, indem es eine Eigentumsbeschränkung anordnet oder voraussetzt, kann gewisse schonende Rücksichten gebieten, indem es zu beobachtende Formen verlangt oder genauer bezeichnete übermäßige Störungen und Schädigungen ausnimmt. Die Einhaltung des rechten Maßes und des rechten Verhältnisses zwischen dem Wert des Eingriffs und dem Wert des zu erreichenden Zwecks ist auch hier wesentlich für die Machtäußerung der Verwaltung und kann erkennbare Rechtsschranken bedeuten 2 9 . 4. Der geschädigte Eigentümer kann K l a g e erheben bei den ordentlichen Gerichten wegen Verletzung seines Rechts dann, wenn der Entschädigung I I I n. 1.

des öffentlichen

Rechts

ausgeschlossen;

vgl. unten § 53,

27

Auch diese Unterscheidung kommt noch einmal zur Geltung, wenn es sich um die Frage der etwa vom Staate geschuldeten Billigkeitsentschädigung handelt: bei den hier gekennzeichneten Ausschreitungen findet sie n i c h t statt. Vgl. unten § 53, I I I n. 1. 28

Das Rayonges. v. 21. Dez. 1871 gibt in § 43 dem Festungskommandanten im Armierungsfalle das Recht, von den Grundbesitzern im Gürtelbezirk die Wegschaffung von Gebäuden, Pflanzungen, Vorräten zu verlangen; sie sind verpflichtet, seinem Befehle nachzukommen und werden nötigenfalls „durch administrative Zwangsmaßregeln" dazu angehalten. Das ist keine öffentliche Dienstbarkeit und keine Eigentumsbeschränkung, sondern eine öffentliche Last nach Art der Requisition, Anforderung; vgl. unten § 47. 29

Ähnlich wie bei der Polizeimaßregel; vgl. oben Bd. I S. 223 ff.

8 41. Öften tlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.

133

A n g r i f f n i c h t ausgeht v o n der öffentlichen V e r w a l t u n g , sondern v o n irgendeinem fiskalischen B e t r i e b .

E r k a n n stets eine solche K l a g e

erheben, w e n n sein E i g e n t u m b e s t r i t t e n oder eine

privatrechtliche

B e l a s t u n g b e h a u p t e t w o r d e n i s t ; die K l a g e geht d a n n auf A n e r k e n n u n g des E i g e n t u m s u n d seiner F r e i h e i t .

E r k a n n auch k l a g e n gegen d e n

Schuldigen persönlich n a c h d e n Regeln, welche f ü r diese

Haftbar-

m a c h u n g des B e a m t e n bestehen; v g l . oben B d . I S. 185 ff. E i n e K l a g e gegen d e n S t a a t selbst, dessen öffentliche V e r w a l t u n g die E i g e n t u m s b e s c h r ä n k u n g z u r G e l t u n g gebracht h a t u n d w e i l sie das g e t a n h a t , wäre keine bürgerliche R e c h t s s t r e i t i g k e i t .

U n d zwar

m a c h t es k e i n e n Unterschied, ob die K l a g e sich r i c h t e t auf gänzliches Unterlassen der störenden Lebensäußerung oder n u r auf H e r s t e l l u n g von

Einrichtungen,

schließen.

welche

die

benachteiligende

Einwirkung

aus-

D a s eine w i e das andere bedeutet eine V e r k e n n u n g des

Wesens der öffentlichen V e r w a l t u n g , die v o n N a t u r d e m öffentlichen R e c h t e angehört u n d n i c h t v o n selbst a u f h ö r t d o r t z u stehen dadurch, daß v o n i h r i n das E i g e n t u m eingegriffen w i r d

30

.

30

Auf solcher Verkennung beruht ja auch die Formel, welche alle öffentlichen Unternehmungen nur dadurch der Anwendbarkeit des Zivilrechts zu entziehen weiß, daß sie eine dahinter stehende „ p o l i z e i l i c h e V e r f ü g u n g " aufzeigt; die hält dann die schützende Hand darüber. So R.G. 6. Dez. 1905 (Entsch. L X I I S. 131), wo eine öffentliche Straßenbahn zu Schutzvorkehrungen gegen ihren belästigenden Rauch und Ruß vom Gericht verurteilt wird: Nur wesentliche Änderungen, heißt es, bedürften der Genehmigung der Landespolizeibehörde; „was aber der Unternehmer aus eigener Entschließung und Machtvollkommenheit ohne Rückfrage bei der Landespolizeibehörde vornehmen darf, dazu kann er auch im Rechtswege angehalten werden". Die befohlenen Einrichtungen könnte aber doch immer die Landespolizeibehörde selbst anordnen; vielleicht hat sie es nicht getan, weil nach ihrer Meinung der dem öffentlichen Wohle dienende Eisenbahnbetrieb dann nicht gut durchzuführen wäre. Soll da das Gericht hineinregieren dürfen? Noch eigentümlicher ist die Verwertung von Gew.Ord. § 26, die zu dem gleichen Zwecke gemacht wird. Dieser bezieht sich gerade auf die Erledigung der Z u l a s s u n g s f r a g e ( S e y d e l in Annalen 1881 S. 596 u. 634), nicht auf die Bedingungen der A u s ü b u n g . Für die A u s ü b u n g des Gewerbebetriebs aber können nachträglich noch Bedingungen gesetzt und Vorschriften gemacht werden, sowohl polizeilicher Art als privatrechtlicher. I n dieser Richtung hat die Gewerbeordnung nach dem von ihr einmal angenommenen System auch dem Privatrecht den freien Lauf lassen wollen, der ihm ja eigentlich von Anfang an gebührte. Mit öffentlichen Unternehmungen steht es von Anfang an umgekehrt, weshalb die ganz aus den besonderen Bedingungen der reichsrechtlichen Gewerbepolizei herausgewachsene Unterscheidung zwischen ausgeschlossener Unterdrückung des Unternehmens und zugelassener Belastung mit Schutzvorkehrungen nicht ohne weiteres auf sie übertragen werden darf. Das tut R.G. 6. Juni 1899 (Entsch. X L I V S. 225): Nachdem die Klage auf Untersagung oder

Das

fentliche Sachenrecht.

Das ordentliche Schutzmittel des Geschädigten ist die V o r s t e l l u n g bei der leitenden Behörde und die B e s c h w e r d e bei der höheren Stelle. Dabei bann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs bestritten, aber auch Unterlassung oder Einschränkung des schädigenden Tuns aus Rücksichten der Billigkeit und Zweckmäßigkeit begehrt werden; auch die Abhilfe durch Herstellung geeigneter Schutzvorkehrungen ist darin begriffen. Verwaltungsrechtspflege wie der ordentliche Rechtsweg könnten nur durch besondere gesetzliche Bestimmung eröffnet sein. zeitliche Beschränkung des den Nachbar störenden Betriebs der Militärwerkstätte abgelehnt worden war, weil das einen unzulässigen „Eingriff der Gerichte in die Ausübung staatlicher Hoheitsrechte" bedeutete (vgl. oben Note 11), wird gleichwohl die Justiz für zuständig erklärt, den Militärfiskus zu verurteilen, „alle nach dem Gutachten von Sachverständigen zu bestimmenden Einrichtungen und Vorrichtungen zur Verhinderung aller das Maß nachbarlicher Duldung überschreitender Übelstände zu treffen" — als ob das nicht erst recht ein Eingriff der Justiz „in die Ausübung des staatlichen Hoheitsrechtes" wäre!

Vierter Abschnitt.

Besondere Leistungspflichten. § 42.

Die öffentliche Dienstpflicht; Grundlagen. U m Schuldverhältnisse handelte es sich auch bei den Rechtsinstituten der Polizeigewalt und der Finanzgewalt (Bes. Teil. I Abschn. I u. I I ) . I m Gegensatze dazu sind die jetzt zu betrachtenden b e s o n d e r e n Leistungspflichten der Einzelnen, dem öffentlichen Sachenrechte gleich, dazu bestimmt, den Staat zu begleiten bei der Besorgung seiner verschiedenen Geschäfte und Unternehmungen und diesen Lebenstätigkeiten sich anzupassen. Die ö f f e n t l i c h e D i e n s t p f l i c h t bringt die Rechtsformen, i n welchen der Staat die wichtigsten Arbeitskräfte, deren er dabei bedarf, sich verschafft und leitet. Sie bedeutet d i e ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e P f l i c h t des E i n z e l n e n d e m S t a a t e g e g e n ü b e r , d i e s e m eine bestimmte A r t von T ä t i g k e i t m i t persönlicher Hingabe zu leisten. I . Das eigentümliche Merkmal, welches die öffentliche Dienstpflicht auszeichnet, das ist die besondere Kraft, m i t welcher die Person von ihr erfaßt wird, die persönliche Hingabe, welche sie von dem Verpflichteten fordert. Insofern das von selbst über die Erfüllung des rechtlich Geschuldeten, wie sie der Mietling leisten würde, hinauswirkt und eine innere Zugehörigkeit an den Dienstherrn bedeutet, spricht man von einer T r e u e p f l i c h t , die hier dem Schuldner obliegt. Auf diese Treuepflicht läuft es also hinaus 1 . 1 A.L.R. I I 10 § 2: Militär- und Zivilbediente sind, „außer den allgemeinen Untertanenpflichten, dem Oberhaupte des Staates besondere Treue und Gehorsam schuldig". Das gilt auch von den ihre gesetzliche Dienstpflicht erfüllenden „Kantonisten": § 48 ff. a. a. O. — L a b a n d , St.R. I S. 434 ff. hat die Treuepflicht beim öffentlichen Dienst mit gehörigem Nachdruck als das Wesentliche daran hervorgehoben. Er glaubt aber dabei ausgehen zu sollen von der durch c o m m e n d a t i o begründeten Treuepflicht des Lehensmannes und findet von da den Anschluß nur an das durch „Staatsdienstvertrag" begründete Dienstverhältnis des Staatsbeamten. Wo der Dienst kraft „Untertanenpflicht" gefordert wird, wie also namentlich bei Erfüllung des gesetzlichen Heeresdienstes, versagt dieser Zusammenhang.

136

Besondere Leistungspflichten.

Damit ist nun allerdings zunächst eine Forderung s i t t l i c h e r N a t u r aufgestellt, die als solche keine kennzeichnende Linie vorstellt in dem juristischen Bild. Mittelbar wird sie nichtsdestoweniger von Bedeutung, indem sie M a ß s t ä b e l i e f e r t für die Frage, ob der Dienstpflicht i m Einzelfalle genügt worden ist oder nicht; namentlich bei der Dienststrafgewalt (unten § 45, I I ) hat das seine Wichtigkeit. Vor allem aber erzeugt diese sittliche Beigabe gewisse r e c h t l i c h e E i g e n t ü m l i c h k e i t e n u n d Z u t a t e n unseres Rechtsinstituts, die um ihretwillen da sind und nur i n ihrem Zusammenhange verständlich werden 2 . Das sind die folgenden: 1. Die öffentliche Dienstpflicht kann ordentlicherweise nur einem S t a a t s a n g e h ö r i g e n obliegen. Das Yerwaltungsrecht ist zwar, wie wir gesehen haben, grundsätzlich gleichgültig gegen die Staatsangehörigkeit: die Polizeigewalt, die Finanzgewalt, das öffentliche Sachenrecht nehmen als den Untertanen, der dort der öffentlichen Gewalt gegenübergestellt sein soll, schlechthin den Menschen i m Staate. Die besondere Hingabe aber, die h i e r verlangt wird, soll nur bei einem Angehörigen des Gemeinwesens vorausgesetzt werden, für welches der Dienst zu leisten ist. Handelt es sich um Dienste für ein untergeordnetes Gemeinwesen, Provinz, Gemeinde, so ersetzt die Reichsangehörigkeit die besondere Staatsangehörigkeit 3 . Demgemäß würde denn, sofern die Begründung der öffentlichen Dienstpflicht durch einen Verwaltungsakt zu erfolgen hat, die Gültigkeit dieses Aktes abhängen von der für notwendig erklärten Voraussetzung der Staatsangehörigkeit oder was an ihrer Stelle steht. Die Innigkeit des Zusammenhanges der beiden Verhältnisse kann aber auch dadurch zum Ausdruck kommen, daß das Gesetz m i t diesem dienstpflichtbegründenden A k t auch die erforderliche Staatsangehörigkeit von selbst und stillschweigend entstehen läßt 4 . 2. Die öffentliche Dienstpflicht unterscheidet sich von anderen 2

Es ist unrichtig, die Treuepflicht bei Aufzählung der Pflichten des Staatsdieners eine besondere Rubrik bilden zu lassen, als hätte sie einen Inhalt für sich: Β 1 u η t s c h 1 i , Staatswörterb. I X S. 693; v. R ο e η η e , St.R. d. Preuß. Mon. I I I S. 473; L a b a n d , St.R. I S. 456; R a d η i t ζ k i in Arch. f. öff. R. X X S. 120 ff. Ebenso unrichtig ist es andererseits, wenn man der Treuepflicht j e d e juristische Bedeutung absprechen will: G . M e y e r in Annalen 1880 S. 345; R e h m in Annalen 1885 S. 86; L o e n i n g , V.R. S. 121 ff. 3 R.Verf. Art. 110 Abs. 2. 4 Staatsangehörigk. Ges. v. 22. Juli 1913 §§ 14 u. 15 Abs. 1. - Für Reichsbeamte, die ihren Sitz im Ausland haben, ist allerdings die Möglichkeit offen gelassen, daß sie Ausländer bleiben (§15 Abs. 2), ebenso für Staatsbeamte vermöge besonderen Vorbehalts (§ 14 Abs. 6).

§ 42. Die öffentliche Dienstpflicht

Grundlagen.

137

Schuldverhältnissen durch den von dem Pflichtigen abzulegenden D i e n s t e i d , der m i t dem Beginn der Tätigkeit sich verbindet. Dieser E i d enthält übereinstimmend das Versprechen, die dem Schwörenden obliegende Pflicht getreulich zu erfüllen 5 . Der E i d ist bestimmt, das i n der öffentlichen Dienstpflicht enthaltene sittliche Element, das ja rechtlich nicht vollkommen greifbar ist, zu verstärken durch einen Anruf des Gewissens und der Gottesfurcht 6 . Zur Ablegung dieses Eides ist aber der Dienstpflichtige als solcher rechtlich verbunden. Es handelt sich also wieder, um eine rechtliche Eigentümlichkeit der Dienstpflicht, die jenem sittlichen Element entspringt. U n d zwar ist es gleichgültig, welcher A r t der Gegenstand der zu erfüllenden Dienstpflicht sei 7 . 3. Das öffentliche Dienstverhältnis, wegen des i n ihm enthaltenen Treuebandes, h ä n g t a u c h r e c h t l i c h s t r e n g a n der P e r s o n des P f l i c h t i g e n . Jedes sittliche Verhältnis wird ein anderes, wenn ein anderer darin steht. Daher gibt es hier k e i n e S c h u l d ü b e r n a h m e ; es gibt Entbindung von der Pflicht und gleichzeitige Annahme eines neuen Pflichtigen, was dann aber ein völlig neues Verhältnis bedeutet. Es gibt auch k e i n e E r f ü l l u n g d u r c h e i n e n a n d e r e n ; es gibt „Vertretung" durch einen anderen Pflichtigen; der erfüllt aber immer nur die ihm selbst dem Geschäftsherrn gegenüber obliegende Pflicht, nie die des „Vertretenen". Es gibt auch k e i n e n E i n t r i t t eines n e u e n D i e n s t h e r r n i n das alte Dienstverhältnis. Die Übernahme eines Gemeindebeamten i n den Staatsdienst oder sogar die Übernahme eines Gemeindebeamten durch die Gemeinde, welche die bisherige Dienstherrin einverleibt hat, ist Begründung eines neuen Dienstverhältnisses unter Erlöschen des alten. Möglich ist dagegen die Erfüllung der dem Dienstherrn geschuldeten Pflicht an einen anderen Empfänger nach des Ersteren Weisung: das Band der Treue zu diesem, das die A r t der Erfüllung bestimmt, wird dadurch nicht berührt 8 . 5 Zusammenstellung solcher Formeln in Wörterb. d. St. u. V.R. I S. 562,. Art. Diensteid. Bezeichnend ist die persönliche Wendung, welche der Eid in der Monarchie zu nehmen pflegte: der Dienst ist rechtlich dem Staat geschuldet, der Eid, der das ethische Element dabei bekräftigen soll, wird in erster Linie dem Fürsten geschworen. I n der Republik rückt dafür das Abstraktum „Verfassung" in erste Linie: R.Verf. Art. 176; Verord. v. 11. Aug. 1919. 6 Preuß. Kab.Ordre v. 11. Aug. 1832. Dazu wird gegebenen Falles auch das von R.Verf. Art. 177 übriggelassene „ich schwöre" ausreichen. 7 Dem entspricht die Gleichgültigkeit des Gegenstandes der Geschäfte für die öffentliche Dienstpflicht: O.V.G. 16. März 1906 (Entsch. X L V I I I S. 59). 8 Die Reichsbank ist eine gesonderte juristische Person; die Beamten, die

138

Besondere Leistungspflichten.

4. Endlich: die öffentliche Dienstpflicht kann selbstverständlich nur einem T r ä g e r ö f f e n t l i c h e r V e r w a l t u n g geschuldet sein. Aber auch n i c h t j e d e m . Vielmehr sehen wir tatsächlich diese Fähigkeit auf einen engeren Kreis beschränkt. Der Grund liegt i n einer Unzugänglichkeit der übrigen Trägerschaften öffentlicher Verwaltung für die besondere Zugabe, welche gerade dieses Rechtsinstitut der öffentlichen Dienstpflicht vor den anderen Verwaltungsrechtsinstituten auszeichnet. Das ist aber die Treuepflicht. Die dazu gehörige Opferwilligkeit kann i n Anspruch genommen werden für die umfassenden ö f f e n t l i c h e n G e m e i n w e s e n , nicht aber für eine rechtsfähige Verwaltung m i t bestimmtem Sonderzweck. Demnach sehen wir öffentliche Dienstpflichten begründet gegenüber dem R e i c h als Dienstherrn, desgleichen gegenüber dem L a n d , den G e m e i n d e n u n d o b e r e n K o m m u n a l v e r b ä n d e n , auch gegenüber den ö f f e n t l i c h e n R e l i g i o n s g e m e i n s c h a f t e n . Nicht dagegen kann Herr eines solchen öffentlichen Dienstverhältnisses werden, mögen auch andere öffentlichrechtliche Rechtsinstitute i h m offen stehen, der b e l i e h e n e U n t e r n e h m e r . U n d ebensowenig wird das der Fall sein bei ö f f e n t l i c h e n G e n o s s e n s c h a f t e n sowie bei ö f f e n t l i c h e n A n s t a l t e n und S t i f t u n g e n m i t juristischer Persönlichkeit. Wo bei diesen öffentliche Dienstpflicht und demgemäß öffentliches Beamtentum erscheint, ist es i n Wahrheit Beamtentum i m Dienst des Staates oder der Gemeinde, das von seinem richtigen Dienstherrn beauftragt ist, für sie tätig zu sein 9 . So führen alle Eigentümlichkeiten unseres Rechtsinstituts immer wieder auf den einen Punkt zurück. I I . Jedes Dienstverhältnis hat regelmäßig auch eine äußere S e i t e : der Dienstherr verwendet den Dienstpflichtigen, um durch i h n seine G e s c h ä f t e b e s o r g e n z u l a s s e n ; dieser wirkt dann für i h n nach außen, schafft insbesondere für i h n die Voraussetzungen rechtlicher Beziehungen zu anderen. Solche können sich schon knüpfen an seine r e i n t a t s ä c h l i c h e Wirksamkeit. Er kann aber auch ermächtigt sein, anderen gegenüber Willenserklärungen abzugeben namens ihre Geschäfte besorgen, sind Reichsbeamte: Bank-Ges. v. 14. März 1875; § 28. Ähnlich die beamteten Vorstandsmitglieder der Versicherungsanstalten nach R.V.O. § 134 und bei verweigerter Bestätigung der von den Stadtverordneten getroffenen Wahl des Stadtvorstandes die „kommissarische Verwaltung 4 4 durch einen staatlichen Beamten nach Pr. StädteOrd. f. d. osti. Prov. § 33. 9

So nach R.Vers.Ord. § 359 Abs. 4 die Angestellten der Krankenkasse vgl. auch R.G.Stf. S. 14. April 1905 ( R e g e r X X V I S. 131). Bezüglich der Beamten der Berufsgenossenschaften: R.G. 3. März 1908 (Entsch. L X X I S. 236).

§ 42. Die öffentliche Dienstpflicht 5 Grundlagen.

139

des D i e n s t h e r r n u n d m i t rechtlicher W i r k u n g f ü r diesen, also V e r t r e t u n g s m a c h t besitzen. F ü r das öffentliche D i e n s t v e r h ä l t n i s selbst i s t es g l e i c h g ü l t i g , welcher A r t die f ü r d e n D i e n s t h e r r n z u leistende Geschäftsbesorgung

sei.

U n t e r der einzigen Voraussetzung, daß es

sich u m öffentliche D i e n s t p f l i c h t h a n d e l t , werden alle auf G r u n d dieser P f l i c h t z u besorgenden Geschäfte zusammengefaßt des A m t e s

oder,

z u d e m Begriffe

was hier gleichbedeutend ist, des

öffentlichen

Amtes. 1. E s g i b t keine D i e n s t p f l i c h t Geschäfte schlechthin. solcher

z u r Besorgung a l l e r

V i e l m e h r w i r d i m m e r ein b e s t i m m t e r

Geschäfte abgegrenzt

u n d herausgenommen,

ausersehenen Männern, die i n öffentlicher v e r t r a u t z u werden.

staatlichen

u m den

Dienstpflicht

Kreis dazu

stehen, an-

D a s A m t i s t e i n K r e i s v o n G e s c h ä f t e n des

S t a a t e s oder einer untergeordneten j u r i s t i s c h e n Person des öffentl i c h e n Rechts, w e l c h e m i t sorgen sind 10

10

öffentlicher

Dienstpflicht

zu

be-

.

So auch Sächs. O.V.G. 7. Febr. 1907 (Jahrb. X S. 244). - L a b a n d , St.R. I S. 365, bestimmt nach wie vor: „Ein Staatsamt ist ein durch das öffentliche Recht begrenzter Kreis von staatlichen Geschäften." I n der Note dazu bemerkt er, meine Begriffsbestimmung sei keine erhebliche Abweichung von der seinigen, „welche ebenfalls die Begrenzung der Amtsgeschäfte durch das ö f f e n t l i c h e Recht im Gegensatze zu zivilrechtlichen Rechtsgeschäften betonen will". Eine Abweichung ist insofern nicht vorhanden, als wir beide das Öffentlichrechtliche betonen wollen. Nur tun wir's eben an sehr verschiedenen Punkten, und das ist am Ende doch erheblich, weil daraus eine verschiedene Bestimmung des Umfangs der Verhältnisse sich ergibt, die noch als Ämter anzusehen wären. L a b a η d richtet seine Forderung der Begrenztheit durch das öffentliche Recht an den Inhalt des Amtes, an die zu besorgenden Geschäfte: es dürfen keine „zivilrechtlichen Rechtsgeschäfte" sein; die bilden den Gegensatz. Mir ist die Art der zu besorgenden Geschäfte gleichgültig, und die Forderung der Öffentlichrechtlichkeit bezieht sich mir nur auf die Dienstpflicht, mit der sie besorgt werden. L a b a η d ist im ersten Punkt j e t z t derselben Meinung; er erkennt jetzt Ämter an, die „fiskalische, technische, wissenschaftliche" sind nach der Art der zu besorgenden Geschäfte (a. a. 0. Note 3); da bilden also die zu besorgenden zivilrechtlichen Rechtsgeschäfte keinen Grund mehr, die Annahme eines Amtes auszuschließen. I n der ersten Auflage ( I S. 293 u. 294) war das nicht so: da gehörte zu j e d e m Amt „auch ein entsprechender Kreis von öffentlichrechtlichen Befugnissen (Hoheitsrechten)". Dem entsprach damals die Begriffsbestimmung: „ein durch das öffentliche Recht begrenzter Kreis staatlicher Geschäfte". Inzwischen hat L a b a η d seine ursprüngliche Auffassung des Amtes als zu eng erkannt und läßt die früher ausgeschlossenen „Geschäfte rein wirtschaftlichen Inhalts" jetzt zu (5. Aufl. I S. 293 Note 2). Die alte Begriffsbestimmung ist gleichwohl stehengeblieben. Sie läßt sich nur noch historisch erklären. Deswegen wird sie aber doch immer gern nachgeschrieben: Wörterb. d. D. V.R. I S . 39 ( H a r s e i m ) ; Wörterb. d. D. St. u. V.R. I S. 102 (v. R h e i η b a b e n);

140

Besondere Leistungspflichten.

Ö f f e n t l i c h e s A m t heißt es, weil es mit öffentlicher Dienstpflicht zu besorgen ist, und nur deshalb; die r e c h t l i c h e N a t u r der f ü r d e n S t a a t z u b e s o r g e n d e n G e s c h ä f t e ist auch i n dieser Hinsicht g l e i c h g ü l t i g . Ob sie auf dem Gebiete des P r i v a t r e c h t s sich bewegen oder auf dem des öffentlichen Rechts, kommt nicht in Betracht: der Fahrkartenverkäufer der Staatseisenbahn hat ein öffentliches A m t , desgleichen der Reichsbankbeamte, der das Diskontierungsgeschäft besorgt. Sie können auch gar k e i n e r e c h t l i c h e F a r b e haben: wer als Ofenheizer angestellt ist für das Landgerichtsgebäude, als Assistenzarzt am atädtischen Spital, als außerordentlicher Professor an der Universität, hat ein öffentliches A m t 1 1 . 2. Keine öffentlichen Ämter bedeutet Besorgung von Geschäften i m Dienste s o l c h e r P e r s o n e n , für welche eine öffentliche Dienstpflicht n i c h t b e g r ü n d e t w e r d e n k a n n , selbst dann nicht, wenn sie i m übrigen befähigt sind, öffentliche Verwaltung zu führen. Der Fahrkartenverkäufer der Privateisenbahn ist nicht öffentlicher Beamter, obwohl er dasselbe t u t wie der der Staatseisenbahn. Er steht nicht in öffentlichem Dienstverhältnis; das entscheidet. 3. Auch der Staat, die Gemeinde, für welche öffentliche Dienstverhältnisse begründet werden k ö n n e n , verwenden dazwischen d i e F o r m des b ü r g e r l i c h e n D i e n s t v e r t r a g s , um Kräfte zu gewinnen zur Besorgung ihrer Geschäfte: Straßenarbeiten auszuführen, Dienstgebäude i n Ordnung zu halten, Holzschläge vorzunehmen. Alle diese Leute haben kein öffentliches Amt. Neben ihnen stehen andere, die ganz das nämliche machen und damit ein A m t verwalten, Beamte sind. Der Unterschied liegt lediglich i n der öffentlichen Dienstpflicht, m i t der diese letzteren an ihre Geschäfte gebunden sind kraft einer Anstellung i m Staatsdienst 1 2 . v. B i t t e r , Handwörterb. d. Pr.V. I S. 47. Auch das Reichsgericht hat sich angeschlossen: R.G. 9. März 1896 (Entsch. X X X V I I S. 243). - F o l sc h e , Das Ehrenamt S. 35 f., erläutert das Amt als „den Geschäftskreis einer Organperson, einer öffentlichen Körperschaft". Für ihn enthält das Wort Organperson in seiner vollendeten Klarheit von selbst alles, was man zu wissen braucht. Deshalb wird L a b a η d s Formel „durch das öffentliche Recht begrenzt4 4 ohne weiteres verworfen als ü b e r f l ü s s i g und ebenso als überflüssig meine „Betonung des öffentlichen Dienstes44 (S. 36). Das scheint mir doch etwas zu anspruchsvoll zu sein. 11

Es gilt hierin für das öffentliche Amt ganz dasselbe wie für die öffentliche Dienstpflicht; vgl. oben Note 7. 12 Das sind die „kontraktlichen Diener 44 der preußischen Rechtssprache: R.G. 24. März 1882 (Entsch. V I S. 107); 16. Juni 1882 (Entsch.Stf.S. V S. 337). Es ist rechtlich nicht ausgeschlossen, daß der Staat sich, Hilfskräfte auch für

§ 42. Die öffentliche Dienstpflicht

Grundlagen

141

4. Der Staat kann sich Arbeitsleistungen auch i n ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e r Form verschaffen und sie zur Erledigung bestimmter öffentlicher Geschäfte verwenden, welche er die Verpflichteten zu besorgen zwingt: sofern die Pflicht, die er da auferlegt, nicht die besondere Gestalt der öffentlichen Dienstpflicht hat, namentlich also nicht die dieser eigentümliche Forderung der persönlichen Hingabe und Treue enthält, wird hier kein A m t begründet. Beispiele: die öffentlichen Lasten zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen, die Anforderung von Vorspannleistung und Arbeitskräften für Heereszwecke. 5. Hierher gehört noch eine besonders wichtige Gruppe von Fällen. Das V e r f a s s u n g s r e c h t der Staaten, ebenso wie die G e m e i n d e o r d n u n g e n , weisen öffentliche Angelegenheiten i n gewissem Maße an V e r s a m m l u n g e n v o n V e r t r e t e r n des V o l k s oder eines V o l k s t e i l s , sei es, daß deren Beschlüsse dann allein entscheiden, sei es, daß nur ihre Mitwirkung erforderlich ist, damit etwas zustande kommt; so die Volksvertretungen, Gemeindevertretungen, Gemeindeversammlungen. Die Mitglieder dieser Versammlungen haben kein Amt, weil sie keine Dienstpflicht haben, keine öffentliche nicht nur, sondern überhaupt keine 1 3 . K e i n A m t ohne ö f f e n t l i c h e D i e n s t p f l i c h t ! Wohl aber ist umgekehrt die öffentliche Dienstpflicht denkbar ohne A m t . Das kann auf zweierlei Gründen beruhen. — Es ist möglich, daß die Entstehung der Dienstpflicht und die Übertragung des Amtes Schlag auf Schlag zusammenfallen. Tatsächlich erscheint beides oft durch einen gewissen Zeitraum getrennt. Und zwar, da das A m t ohne Dienstpflicht nicht sein kann, ist es dann immer die Dienstpflicht, die zuerst entsteht und z u n ä c h s t während dieser seine öffentliche Verwaltung (wegen der Besonderheit der Ausübung o b r i g k e i t l i c h e r Tätigkeit im eigentlichen Sinne vgl. unten § 43 Note 4) durch bürgerlichen Dienstvertrag verschaffte; nur eben gäbe es kein Amt und keine Beamten. Daher unrichtig S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 199 : „Die Erteilung der Amtsvollmacht kann ein Akt öffentlichrechtlicher Natur auch dann sein, wenn das Dienstverhältnis dem bürgerlichen Rechte angehört." 13 Ebenso der F ü r s t in der Monarchie hat ein Amt nur deshalb nicht, weil ihm die Dienstpflicht fehlt. Der P r ä s i d e n t d e r R e p u b l i k dagegen ist Beamter, da er durch eine öff entliche Dienstpflicht gebunden ist. — L o e n i n g , V.R. S. 115, sagt von den Volksvertretern und Vertretern der Kommunalverbände: sie seien keine Beamte, weil sie „zwar staatliche Funktionen auszuführen haben, aber nicht einem Organ des Staates oder eines Kommunalverbandes dienstlich untergeordnet sind". Das letztere ist eine unnötige Verschnörkelung und stimmt nicht: da wäre ja auch der Reichspräsident kein Beamter. — Vgl. Stf. G.B. § 33; § 34 Ziff. 3 u. 4.

142

Besondere Leistungspflichten.

Pause a l l e i n b l e i b t , bis das A m t hinzukommt, um sie nach außen zu verwerten und wirksam zu machen. Das t r i t t i n der deutlichsten Weise hervor beim berufsmäßigen Staatsdienst. Ebenso kann es umgekehrt geschehen: daß das A m t z u e r s t w i e d e r a u f h ö r t und die Dienstpflicht allein läßt. Vgl. unten § 44, I I n. 2. — Der zweite Grund ist der, daß die den Inhalt der Dienstpflicht bildende Tätigkeit für den Staat nicht notwendig i n Besorgung von Geschäften, in einem äußeren Wirksamwerden für den Staat bestehen muß, das dem Pflichtigen anvertraut wäre. Es kann sein, daß diese pflichtmäßig zu leistende Tätigkeit nur den Zweck hat, eine gewisse Wirkung an d e m V e r p f l i c h t e t e n s e l b s t hervorzubringen, nämlich i h n auszubilden und geschickt zu machen für die von i h m künftig einmal, „ i m Ernstfall", wirklich zu besorgenden Geschäfte. Dann bleibt die Dienstpflicht i n dieser Vorbereitungszeit, was sie ist; aber ein A m t ist zunächst nicht damit verbunden. Die gesetzliche Heeresdienstpflicht gibt das hervorragendste Beispiel dafür; aber nicht das einzige 1 4 . I I I . Das Amt, i n dem hier festgestellten Begriff, wird nach zweierlei Richtung h i n bedeutsam. 1. Insofern es die Geschäfte angibt, welche der damit Betraute führen soll, bedeutet es für diesen die Ausstattung m i t der entsprechenden F ä h i g k e i t , f ü r d e n S t a a t i n s o l c h e r W e i s e w i r k s a m z u sein, tatsächlich oder m i t rechtlicher Vertretungsmacht. Dadurch wird es verwertbar für die Darstellung des S t a a t s r e c h t s , insbesondere der i n diesem enthaltenen B e h ö r d e n o r d n u n g . Die Ämter pflegen ständig zu sein i n dem Sinne, daß immer wieder die gleichen Amtsaufträge an die wechselnden Inhaber erteilt werden. Diese Ämter können dabei einzeln Verwendung finden, jedes für sich, oder verbunden sein, so daß die für den Staat zu entwickelnde Tätigkeit i n einem gewissen Zusammenwirken von ihnen ausgehen soll. Handelt es sich dabei um obrigkeitliche Tätigkeit, so bezeichnet man ihre so gebildeten Ausgangspunkte als B e h ö r d e n 1 5 . Diese erscheinen nebeneinander und übereinander aufgebaut als ein dauerndes einheitliches Ganze, das als solches dargestellt und geschildert werden mag. Leben und Wirksamkeit kommt immer erst hinein durch die Amtsträger, m i t welchen diese stehenden Rollen besetzt werden. 14

L a b a η d in Arch. f. öff. R. I I I S. 519: „Die Wehrpflicht im Frieden ist eine militärische Schulpflicht." Vgl. auch unten § 43, I V n. 1. 15 Vgl. oben Bd. I S. 93. Verwandt ist der Ausdruck die „Stelle". Er ist weiter als „Behörde" und hat den Vorteil, auch solche Ausgangspunkte obrigkeitlicher Gewalt zu umfassen, die nicht durch Ämter gebildet sind.

§ 42. Die öffentliche Dienstpflicht

Grundlagen.

143

E s d i e n t v i e l l e i c h t der A n s c h a u l i c h k e i t , w e n n m a n die Ä m t e r so behandelt, als wären s i e die S u b j e k t e , welche m i t d e n Geschäften u n d der d a z u gehörigen W i r k u n g s k r a f t d a u e r n d b e t r a u t sind, u n d die wechselnden A m t s t r ä g e r n u r i h r e V e r t r e t e r .

Das sieht d a n n fast aus

w i e eine juristische Person; i m E r n s t e i s t d a r a n n a t ü r l i c h n i c h t z u denken

16

.

E i n e andere Ausdrucksweise a r b e i t e t f ü r d e n gleichen Zweck m i t einem der Naturwissenschaft

e n t l e h n t e n B i l d e u n d n e n n t das

Amt

oder die Behörde ein „ O r g a n " des Gemeinwesens, u n d dieses O r g a n w i r d d a n n wieder d u r c h d e n „ O r g a n t r ä g e r " , d e n B e a m t e n , m i t d e m erforderlichen „ O r g a n w i l l e n " ausgestattet. A u c h das t u t seinen D i e n s t , solange m a n es i m H a l b d u n k e l poetischen Vergleichs l ä ß t 1 7 . W i r haben 16 L a b a η d , St.R. I S. 366: „Man kann deshalb das Amt selbst personifizieren und als das dauernde Subjekt von Rechten und Pflichten sich denken, im Gegensatz zu dem Beamten, dem das Amt zeitweilig übertragen ist." Vgl. auch Theorie d. Franz. Verw.R. S. 27: „Für die praktische Anschauung tritt das Amt selbständig in den Vordergrund, im Gegensatze zu der wechselnden Person seines Inhabers. Es wird behandelt wie ein Wesen für sich, von welchem die staatliche Tätigkeit ausgeht, fast persönlich, und die Befugnisse, welche die jeweils beauftragte Person zu üben hat, werden angesehen wie seine Befugnisse." B e r · η a t ζ i k , in Arch. f. öff. R. S. 174, 213 u. 214, hat daraus Anlaß genommen, sich über meine angebliche Behauptung lustig zu machen, daß Ämter „fast Persönlichkeit besitzen"! K e l s e n , der mich, Hauptprobleme S. 600, hier von einer „Fast-Persönlichkeit" sprechen läßt, ist dann das Opfer seines Scherzes geworden. 17

Dieser bildliche Ausdruck bietet der Rechtslehre den Vorteil, im verschiedensten Sinne verwendbar zu sein. Wir hatten oben den Fall im Auge, wo man das Organ dem Organträger mit der Organstellung gegenübersetzt wie das Amt dem Amtsträger mit der Amtsstellung. So J e l l i n e k , A. St.Lehre S. 559: „Es ist scharf zu unterscheiden zwischen den Organen und den sie tragenden Menschen . . . Das Organ hat kein eigenes Recht, sondern nur staatliche Zuständigkeiten"; mehr haben auch nicht „die das Organ versehenden Persönlichkeiten", die „Organpersonen". Besonders deutlich P r e u ß , Städt. AmtsR. S. 56: „Der Begriff des öffentlichen Amtes als Organ eines öffentlichen Gemeinwesens"; S. 337: „Zwar ist jedes städtische Amt ein Stadtorgan und jeder städtische Beamte eine Organperson der Stadtgemeinde . . . " Man kann aber auch umgekehrt den Beamten das Organ nennen und das Amt dann die „Organfunktion" oder die „abstrakte Institution der Organschaft". So L o e n i n g , Verw.R. S. 11: „Organe, die kraft ihres Amtes das Recht des Staates geltend zu machen haben." Ebenso H a e n e l , St.R. I S. 87: „Organe sind diejenigen Individuen, welche . . ."; S c h o e n b o r n , Oberaufsichtsrecht S. 15: „Personen und Personenmehrheiten, die . . . den Willen des Staates zum Ausdruck bringen." K e l s e n , Hauptprobleme S. 524: „Alles, was staatsrechtlich Relevantes von den ,Organen' ausgesagt wird, kann sich nur auf die

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hier nur das eine Anliegen, daß nicht von dorther auch ein Schatten fällt auf die klare öffentlichrechtliche Natur des Dienstverhältnisses des beamteten ,,Organträgers". Den Hinweis, daß dieses nach „organischem Rechte" geordnet s e i 1 8 , wird man besser zunächst einmal so behandeln, als wäre gar nichts damit gesagt. 2. Für das V e r w a l t u n g s r e c h t s i n s t i t u t des öffentlichen Dienstverhältnisses wird der unverfälschte Begriff des Amtes als eines bestimmten Kreises staatlicher Geschäfte schon dadurch von Wichtigkeit, daß er dazu dient, die A r t u n d d e n U m f a n g der D i e n s t p f l i c h t genauer zu bestimmen, welche für den zur Führung eines solchen Amtes Berufenen begründet werden soll (vgl. unten § 43, I I n. 1). Namentlich aber ist je nach der A r t des Amtes die B e s t e l l u n g dazu verschieden und die Erzeugung der entsprechenden Dienstpflicht. A l l e öffentliche Dienstpflicht entsteht durch Verwaltungsakt. Auch das, was man „gesetzliche Dienstpflicht" zu nennen pflegt, kommt erst durch einen solchen zustande, der nur eben auf Grund des gesetzlichen Rechtssatzes erlassen wird 1 9 . Das freieste Spiel hat dieser A k t bei der A n s t e l l u n g i m b e r u f s m ä ß i g e n S t a a t s d i e n s t , wo er ergeht auf Grund freiwilliger Unterwerfung, die ihrerseits herbeigeführt wird durch die gleichzeitig zu gewährenden Vorteile dieses Verhältnisses. Beim E h r e n a m t erreicht er diesen Zweck durch Vermittlung einer zu erfüllenden Rechts- oder Ehrenpflicht. Die Z w a n g s d i e n s t p f l i c h t endlich wird kraft Gesetzes von ihm ohne weiteres begründet durch einseitige Auferlegung 2 C . Organträger beziehen . . ., denn die juristische Person braucht nur insofern ,Organe', als sie Menschen braucht, die handeln." Diese beiden Auffassungen sollten sich eigentlich gegenseitig ausschließen. Tatsächlich laufen sie aber meist sehr unbefangen durcheinander, „durchdringen sich gegenseitig", wie es ordentliche juristische Begriffe nicht tun sollen. Vgl. R e g e l s b e r g e r , Pand. I S. 322 f.; Η e 1 f r i t ζ , Die Vertretung der Städte S. 29 ff.; J e l l i n e k , A. St.L. S. 540. Die Verwendbarkeit des Wortes geht sogar noch weiter ins Unbegrenzte, in das wir ihm nicht folgen wollen. 18 H a e n e i , St.R. I S. 86; J e l l i n e k , Allg. St.L. S. 560 Note 1; P r e u ß , Städt. AmtsR. S. 339 ff. 19 Namentlich auch die vielgenannte „gesetzliche Heeresdienstpflicht" ist nicht gesetzlich in dem Sinne, wie wir das Wort vom Zivilrecht her zu verstehen gewohnt sind, d. h. durch die Kraft des Rechtssatzes selbst erzeugt. Es steht damit geradeso wie mit der „gesetzlichen Vormundschaft", die unser B.G.B., von einem Ausnahmefalle abgesehen, durch das Bestellungsprinzip beseitigt hat. Vgl. Mot. d. Entw. I , I V S. 1035. 20 L a b a n d , St.R. I S. 432 ff., kennt neben der privatrechtlichen Dienstmiete, also an öffentlichrechtlichen Dienstverhältnissen, nur zwei Arten; die Zwangsdienstpflicht der Soldaten, Schöffen, Geschworenen usw., die er eine

§ 43. Anstellung im Staatsdienst

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Jede der drei Arten hat nicht nur ihr Besonderes bei Erzeugung des Dienstpflichtverhältnisses, sondern dieses Verhältnis nimmt auch für seine ganze Zweckbestimmung und demgemäß für alle Einzelheiten seiner weiteren Entfaltung jeweils eine ausgeprägte Eigenart an. Es sind deutlich unterschiedene Rechtsinstitute, i n welche das Institut der öffentlichen Dienstpflicht sich hier zerlegt. W i r werden also die dreierlei Dienstverhältnisse zunächst nach dieser Verschiedenheit ihres ä u ß e r e n V e r l a u f s betrachten, um dann die W i r k u n g e n der öffentlichen Dienstpflicht zusammenfassend zu untersuchen. § 43.

Fortsetzung; die Anstellung im Staatsdienst. Die Anstellung i m Staatsdienst ist die eigentümliche Form, i n welcher der E i n t r i t t i n den berufsmäßigen Staatsdienst bewirkt wird 1 . Das schließt nicht aus, daß die gleiche Form auch Verwendung findet, wo der E i n t r i t t i n solchen Dienst nur i n vorübergehender Weise oder bloß nebenbei geschehen soll, also kein berufsmäßiger Dienst beabsichtigt ist. Die Eigentümlichkeit der Anstellung i m Staatsdienst besteht darin, daß e i n ö f f e n t l i c h e s D i e n s t v e r h ä l t n i s b e g r ü n d e t w i r d a u f f r e i e E i n w i l l i g u n g des B e t r o f f e n e n u n d z u m Z w e c k e d e r Ü b e r t r a g u n g eines A m t e s . Anstatt des Staates kann dabei auch ein anderes Gemeinwesen erscheinen, welches fähig ist, Dienstherr für ein öffentliches Dienst„Untertanenpflicht" nennt, und unseren berufsmäßigen Staatsdienst, das „Dienstverhältnis der Beamten". Dagegen wurde in Bl. f. adm. Prax. X X X I I I S. 49 der Vorwurf der Unvollständigkeit erhoben, weil die „auf Erfüllung einer allgemeinen Bürgerpflicht beruhenden Ämter", namentlich die gemeindlichen Ehrenämter, fehlten. L a b a η d selbst hat aber wenigstens in der Darstellung des G e r i c h 18 d i e η s t e s von der 1. Aufl. an ( I I I S. 126) bis zur 5. ( I I I S. 465) d r e i e r l e i öffentlichrechtliche Arten von G e r i c h t s d i e n s t e n unterschieden: den „gesetzlichen", den „berufsmäßigen" und den „Ehrendienst" der Handelsrichter. Das sind unsere drei Arten. Sie waren nur zu verallgemeinern, da ja auch die V e r w a l t u n g gerade an Ehrenämtern sehr reich ist. 1

„Beruf" ist die Beschäftigung, in welcher der Mann die wirtschaftliche und gesellschaftliche Grundlage seines Daseins gewinnen soll; S a r w e y , Allgem. Verw.R. S. 98. Das Wort „Anstellung" im Staatsdienst deutet schon darauf hin, daß das Dienstverhältnis als ein dauerndes gedacht ist, das auch ein Unterkommen gewährt. Daraus ergibt sich eine Gegenleistung des Staates als natürlicher, wenn auch nicht begriffswesentlicher Bestandteil. B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: O t t o M a y e r , V e r waltungsr. I I . 3. Aufl.

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Verhältnis zu sein (oben § 42, I n . 4); überall bringt die Anstellung den gleichen Rechtsgedanken zum Ausdruck. Diese Anstellung ist die o r d e n t l i c h e F o r m , i n welcher sich die Gemeinwesen die Dienstleistungen verschaffen, deren sie zur Besorgung ihrer Geschäfte bedürfen. Sie greift überall Platz, wo Z w a n g s p f l i c h t oder zu ü b e r n e h m e n d e s E h r e n a m t (unten § 44) rechtlich nicht zur Verfügung steht oder, obwohl dieses der Fall ist, nicht zweckentsprechend erscheint. Vor allem kann sie i n gewissem Maße ersetzt werden durch b ü r g e r l i c h e D i e n s t v e r t r a g s v e r h ä l t n i s s e . Diesen gegenüber ist die Grenzlinie besonders achtsam wahrzunehmen. Denn einerseits haben sie kein so festumgrenztes Gebiet zugewiesen erhalten, wie Zwangsdienstpflicht und Ehrenamt, und andererseits kann auch der äußerliche Hergang der Begründung und die Bestimmung eines Entgelts Verwechslungen hier erleichtern. Rechtlich liegt die Sache so, daß die Anstellung i m Staatsdienst überall als zulässig zu erachten ist, wo auch ein bürgerlicher Dienstvertrag möglich wäre. Dagegen ist dieser letztere vielfach durch die Gesetze ausgeschlossen, so daß nur das öffentliche Dienstverhältnis der Anstellung möglich bleibt. Das t u n die Gesetze vornehmlich in der Form, daß sie für gewisse Geschäfte eine „Ernennung" vorschreiben, oder einen „Beamten" damit beauftragt wissen wollen oder auch sie als ein „ A m t " bezeichnen, das hier zu versehen ist; ein ö f f e n t l i c h e r Beamter, ein ö f f e n t l i c h e s A m t ist dann gemeint. Soweit aber danach noch eine Wahl zwischen den beiden Formen offen gelassen ist, geben Brauch und allgemeine Anschauung gewisse Maßstäbe für die Verwendung des einen oder anderen Rechtsinstituts. Dabei wird von dem Gesichtspunkt ausgegangen, daß die Anstellung i m Staatsdienst eine höhere Wertung der zu besorgenden Geschäfte bedeutet. Deshalb sollen insbesondere m i t der Ausübung o b r i g k e i t l i c h e r M a c h t nur öffentliche Beamte i n diesem Sinne betraut werden dürfen, nicht auch bloße kontraktliche Diener 2 . Außerdem kommt aber auch noch in 2

R.G. Stf.S. 14. April 1905 ( R e g e r X X V I S. 131): Den Mitgliedern des Vorstandes der Ortskrankenkasse wird hier mit Recht Beamteneigenschaft abgesprochen, weil die Kasse „dem Staate nicht organisch eingegliedert", d. h. unfähig ist, Dienstherrin im öffentlichen Dienstverhältnis zu sein (vgl. oben § 42 Note 10). Es wird aber außerdem noch geltend gemacht, daß hier ihnen zum Beamten der richtige Inhalt der Dienstpflicht fehle, nämlich „Ausübung von Funktionen öffentlichrechtlicher Natur, die aus der Staatsgewalt abzuleiten sind und unmittelbar oder mittelbar staatlichen Zwecken dienen". Dieser Grund trifft nicht zu. Denn einmal gibt es öffentliche Beamte des Staates und der Gemeinde, deren Amtstätigkeit sich ganz auf privatrechtlichem Gebiete bewegt (vgl. oben § 42 I I n. 1). Sodann aber s i η d ja die Geschäfte der Krankenkassen im wesent-

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Betracht, daß dieser Staatsdienst eine vermehrte Sicherheit der rechtlichen Stellung des Beamten i m Dienstverhältnis und dem Dienstherrn gegenüber m i t sich bringt, die nicht immer sofort erworben sein soll; deshalb ist es namentlich oft der Brauch, gewisse untergeordnete Stellen jedesmal zunächst m i t bürgerlichem Dienstvertrage zu vergeben und zur Anstellung erst zu schreiten, nachdem der Diener sich bewährt hat. Er rückt dann i n eine „etatsmäßige Stelle" ein, d. h. in ein A m t m i t öffentlicher Dienstpflicht. Was in den offenen Fällen gemeint war, muß mangels ausdrücklicher Erklärung aus den Umständen entnommen werden. Für die Anstellung spricht die Aushändigung einer B e s t a l l u n g s u r k u n d e sowie die Abnahme eines D i e n s t e i d e s . I m Zweifel wird man zurückgreifen auf das i n derartigen Fällen Übliche 3 . I . Die rechtliche Natur des Vorgangs, durch welchen die Anstellung i m Staatsdienste zustande kommt, unterlag i m Laufe der Geschichte verschiedener Auffassung. Ursprünglich, bevor man bürgerliches und öffentliches Recht unterschied, war er wie ein gewöhnlicher Vertrag gedacht i m Sinne des ersteren 4 . — Dabei blieb es auch auf der Höhe des Polizeistaates: der Staat könnte sich ja, wie er alles kann, auch seine Beamten zwangsweise aus der Masse des Volkes herausholen; es wäre nur nicht zweckmäßig, denn die Leistungen wären danach; deshalb liehen Öffentlichrechtücher Art: die Erhebung der Beiträge wie die Befriedigung der Ansprüche der Versicherten bewegt sich auf öffentlichrechtlichem Boden. Es hat hier offenbar eine Verwechslung stattgefunden mit „Funktionen o b r i g k e i t l i c h e r Natur". Die bedeuten einen engeren Kreis, nämlich Befehl und Zwang: R e h m , Annalen 1885 S. 163; L a b a n d , St.R. I S. 365. Ganz deutlich wird der Grundsatz ausgesprochen in O.V.G. 8. Juli 1899 (Entsch. X X X V S. 60): Schlachthaustierarzt ist von der Stadt ausdrücklich mit „Privatdienstvertrag" angestellt. Das ist zulässig, denn das Schlachthaus ist kein gewerbliches, aber doch ein wirtschaftliches Unternehmen (öffentliche Anstalt ?). Wenn der Mann „ o b r i g k e i t l i c h e F u n k t i o n e n " dort wahrzunehmen gefunden hätte, so wäre er „beim Fehlen der Beamteneigenschaft gar nicht in der Lage, jene Funktionen mit Rechtswirksamkeit auszuüben". Mit anderen Worten: um obrigkeitliche Funktionen auszuüben, muß man als „Beamter" also nicht mit „Privatdienstvertrag", sondern mit öffentlichrechtlicher Dienstpflicht angestellt sein. 3

Die Preußischen Ministerien des Innern, der Finanzen und des Kultus haben sich laut Mitteilung der amtlichen Berliner Korrespondenz Juli 1895 über gewisse Grundsätze geeinigt, nach welchen hier verfahren wird. Ein privatrechtliches Verhältnis", heißt es dort, „wird regelmäßig dann vorliegen, wenn es sich um gering gelohnte, lediglich mechanische Dienstleistungen handelt , welche aus sächlichen Fonds vergütet werden". Den Gegensatz bildet die „etatsmäßige Stelle". 4 Darüber Genaueres bei R e h m , in Annalen 1884 S. 565 ff.

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schließt er zivilrechtliche Staatsdienstverträge 5 . — Als dann der Gedanke eines öffentlichen Rechts zwischen Staat und Untertan lebendiger geworden war, konnte man sich dieses zunächst nur denken als Befehl und Zwang, also ist aller Staatsdienst öffentlichrechtliche Zwangsdienstpflicht; man merkt es nur nicht so, weil die Betroffenen, wissend, daß es doch nichts helfen würde, sich zu sträuben, freiwillig dem Zwange zuvorkommen und dem „gebietenden Auftrag" sich darbieten 6 . — I m Verfassungsstaat wurde diese Begründimg unmöglich, weil die jetzt erforderliche gesetzliche Grundlage offenbar nicht zu finden ist. Man beließ es deshalb wieder bei dem alten Staatsdienstvertrag. Nur b e n a n n t e man ihn jetzt als einen „öffentlichrechtlichen'' oder nahm wegen der vermögensrechtlichen Beziehungen einen g e m i s c h t e n Vertrag a n 7 . Inzwischen hat sich aber die Sache geklärt. Daß die Begründung des Staatsdienerverhältnisses öffentlichrechtlicher Natur sein muß, steht ja außer Zweifel. Der Vertrag aber bedeutet, daß der Rechtserfolg des Vorgangs getragen wird durch die gleichwertig zusammen wirkenden Willenserklärungen beider T e i l e 8 . I h m entspricht auf öffentlichrechtlichem Gebiet der V e r w a l t u n g s a k t a u f U n t e r w e r f u n g : der Ausspruch der Behörde über den Untertan ist für sich allein das Wirkende; die Zustimmung des Betroffenen ist nur eine 6 S o K r e i t t m a y r , Allg., Deutsch, u. Bayr. St.R. I § 10, bei Erläuterung des jus munerum, des Hoheitsrechts der Ämterbestellung: Zwang zu üben zum Eintritt in den Staatsdienst, meint er, sei einerseits nicht nötig, weil die Leute auch so kommen, um bürgerliche Dienstverträge zu schließen; andererseits nicht ratsam gemäß dem Sprichwort: noli canem invitum venatum ducere. 6 G o e n n e r , Der Staatsdienst S. 56ff. u. 91 ff., P e r t h e s , Der Staatsdienst in Pr. S. 55. 7 L a b a n d , St.R. 1. Aufl. I S. 401 ff. u. 402 Note 1 (Vertrag des öff. Rechts), S. 404 (staatsrechtl. Vertrag); S e y d e l , Grundzüge S. 59; d e r s . , Bayr. St.R. 1. Aufl. I I S. 526; L o e n i n g , Verw.R. S. 119; G a r e i s , Allg. St.R. S. 165; S a r w e y , Württ. St.R. S. 276; R e h m , in Annalen 1885 S. 121 f. - So auch R.G. 10. Febr. 1903 (Entsch. L U I S. 427): „Man kann zugeben, daß das Beamtenverhältnis durch einen Vertrag öffentlich-rechtlicher Natur begründet wird." Und in wunderlichem Gemisch R.G. 26. Juni 1906 (Entsch. L X I I I S. 430): „Es steht in der Rechtsprechung des Reichsgerichts fest, daß das Staatsbeamtenverhältnis öffentlichrechtlicher Natur ist und durch einen e i n s e i t i g e n A k t d e r Staatsgewalt begründet wird, sowie daß, soweit jenes Verhältnis v e r t r a g l i c h e E l e m e n t e enthält, diese jedenfalls nicht in einem privat-, sondern in einem ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e n Vert r a g e ihren Ursprung finden. Dies schließt aber keineswegs aus, daß das Beamtenverhältnis privatrechtliche Wirkungen hervorbringt, insoweit also q u a s i k o n t r a k t l i c h e r Natur ist." 8 Darüber die Ausführungen in Arch. f. öff. R. I I I S. 37 ff.

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Voraussetzung dafür, daß dieser Ausspruch rechtmäßig und zuständigerweise ergehe; sie ist notwendig, um diese Belastung der Freiheit des Einzelnen gegenüber den verfassungsmäßigen Vorbehalten des Gesetzes zu decken: sie vertritt die gesetzliche Ermächtigung, weiter nichts. Die Begründung der öffentlichen Dienstpflicht des Schöffen durch die Einberufung auf Grund des Gesetzes ist dem rechtlichen Wesen nach der gleiche Vorgang wie die Begründung der Dienstpflicht des Amtsrichters durch die Ernennung auf seine Einwilligung h i n 9 . Daraus ergibt sich die wichtige Folge, daß für die rechtliche Würdigung des ganzen Rechtsgeschäfts die Grundsätze maßgebend sind, die für den Verwaltungsakt überhaupt gelten. U n d zwar handelt es sich hier, da immer ein mehr oder weniger freies Ermessen bei der Auswahl des zu Ernennenden obwaltet, um eine Verfügung i m eigentlichen Sinne (vgl. oben Bd. I S. 99). Diese Verfügung kann nur a u s g e h e n von einer Stelle, welche fähig ist und berufen, i n obrigkeitlichen Willenserklärungen solcher A r t wirksam zu werden, also von einer B e h ö r d e oder von einer noch höheren Stelle, vom Staatsoberhaupt, Reichsoberhaupt (vgl. oben Bd. I S. 9 3 ) 1 0 . Wirksam wird diese Verfügung wie jeder Verwaltungsakt durch die gehörige K u n d m a c h u n g an den, über welchen sie ergeht (vgl. 9 Vgl. oben Bd. I S. 98. Über die Bezeichnung als „öffentliches Rechtsgeschäft", „öffentlichrechtlichen Vertrag" vgl. ebenda S. 101. R.G. 6. Mai 1910 ( L X X I I I S. 328) spricht hier von „staatsrechtlichen Verträgen". Selbstverständlich kann das keinen Vertrag im Sinne des bürgerlichen Rechts bedeuten, so wenig wie öffentliches Eigentum, öffentliche Grunddienstbarkeit usw. einfach das bürgerliche Rechtsinstitut gleichen Namens wieder geben wollen. Ob solche Entlehnung zweckmäßig ist, darüber kann man streiten. Es kommt darauf an, ob ein bezeichnenderer Name zur Verfügung steht. Mit G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. § 11 Note 7, bin ich eigentlich ganz einverstanden. — J e l l i n e k , Subj. öff. Rechte S. 210, will einen echten Staatsdienstvertrag und erklärt unsere „Konstruktion" für verfehlt; sie wäre nach ihm nur stichhaltig, wenn „die Subjektion des Individuums auf Grund der geltenden Rechtsordnung eine allseitige wäre". Aber sie i s t eine allseitige und nur gehemmt durch die Ordnungen des Verfassungs- und Rechtsstaates; durch Gesetz oder Unterwerfung werden die Hemmungen beseitigt, und soweit dies der Fall ist, wirkt die allseitige Untertanschaft sofort wieder frei. 10

Ein ganz besonderer Fall wird uns unten § 44, I I n. 2 beschäftigen: die W a h l von Beamten durch V e r t r e t e r s c h a f t e n , die nicht Behördeneigenschaft haben, Volksvertretung, Gemeindevertretung, oder durch ihre Vorstände. Was dort von Ehrenbeamten gesagt wird, findet auch auf Berufsbeamte Anwendung. Beispiele bieten vor allem Gemeindebeamte (vgl. unten § 59, I I n. 1), aber auch die Reichstagsbeamten führen ihre Dienststellung auf die Volksvertretung zurück: R.B.G. § 156.

Besondere Leistungspflichten.

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o b e n B d . I S. 94). D e n F o r d e r u n g e n des Rechtsstaates e n t s p r i c h t auch hier a m m e i s t e n die schriftliche M i t t e i l u n g des Ernennungsaktes (vgl. oben B d . I

S. 236).

U n g ü l t i g w i r d die i n anderer F o r m ergehende

K u n d m a c h u n g n u r d a n n sein, w e n n das Gesetz die B e o b a c h t u n g der b e s t i m m t e n E r ö f f n u n g s a r t i n diesem Sinne vorschreiben w o l l t e Durch

n

.

Gesetz oder V e r o r d n u n g k ö n n e n rechtssatzmäßig gewisse

Voraussetzungen

bezeichnet

sein,

welchen

der

Anzustellende

sprechen soll, sogenannte A n s t e l l u n g s b e d i n g u n g e n .

Die

entNicht-

e i n h a l t u n g dieser R e g e l n w i r d i m Zweifel die W i r k u n g haben, daß die E r n e n n u n g u n g ü l t i g i s t u n d z u r ü c k g e n o m m e n oder aufgehoben werden soll (oben B d . I sam

12

S. 91 f.); solange das n i c h t geschah, b l e i b t sie w i r k -

.

11 So jetzt Preuß. Kom.Beamten-Ges. v. 30. Juli 1899 § 1: „Die Anstellung erfolgt durch Aushändigung einer Anstellungsurkunde." Vorher galt mangels einer besonderen Gesetzesvorschrift auch die formlose Anstellung: O.V.G. 26. März 1897 (Entsch. X X X I S. 124). - Anders R.B.Ges. § 4: „Jeder Reichsbeamte erhält bei seiner Anstellung eine Anstellungsurkunde." R e h m in Annalen 1885 S. 140, L a b a η d , St.R. I S. 451, fassen das als Formbedingung auf, die bei Meidung der Nichtigkeit eingehalten werden müsse. Die Motive zum R.B.G. (Drucks, d. R.T. 1872,1 n. 9 S. 31) sagen allerdings: „Der Paragraph schließt also die mündliche Bestellung aus." Allein das könnte doch, dem Wortlaut entsprechender, als bloße Ordnungsvorschrift gemeint sein, die tatsächlich verhindern wird, daß die Anstellung eine bloß mündliche bleibe. Unmittelbar vorher erklären ja die Motive (a. a. O. S. 30 u. 31): „Über die Form der Anstellung ist es nicht nötig, ausdrückliche Vorschriften zu geben." Also wollte der Entwurf es wohl auch nicht tun. — Nach L a b a η d a. a. Ο. handelte es sich um eine dem altdeutschen Recht entnommene „Form der Vertragsabschließung", wie sie Β r u η η e r in Ztschr. f. HandelsR. X X I I S. 525 ff. u. 548 ff. schildert. Danach ist das zu übergebende beschriebene Papier das Symbol, das der Kenntlichmachung des Vertragswillens dient. B r u n n e r , a. a. 0. S. 551, hebt ausdrücklich hervor, daß das etwas wesentlich Verschiedenes bedeutet gegenüber der neuzeitlichen Schriftform des Rechtsgeschäftes. Wenn also R.B.G. § 4 jene altdeutsche Abschließungsform wirklich vorschriebe bei Nichtigkeit, könnte sie unmöglich ersetzt werden durch „schriftliche Eröffnung" des Ernennungsaktes ( L a b a n d a. a. O. S. 451; R.G. 7. Febr. 1887, bei B o l z e , Praxis I V n. 1020). Indem man dieses ohne weiteres als gleichwertig gelten läßt, wird auf die ernsthafte Behauptung der Auslegung des Gesetzes im ersteren Sinne verzichtet. Noch mehr trifft das zu, wenn L a b a η d in den neueren Ausgaben seines Werkes (a. a. Ο. I S. 452) auch eine Anstellung gelten läßt, die perfekt wird „durch tatsächlichen Eintritt des Beamten in die Amtstätigkeit und Annahme derselben durch die Behörde", wobei „der beiderseitige Vertragswille in konkludenter Weise erklärt wird". 12 Hier gilt, was Η e 11 w i g , Lehrb. d. Z.Pr.R. I I S. 79, vom Urteil des nicht anstellungsfähigen Richters sagt: „Bis zur Vernichtung hat es alle Urteilswirkungen." R.G. 26. März 1901 (Entsch. X L V I I I S . 84) ist der Meinung, daß bloße Verwaltungsvorschriften doch Rechtsnormen sein können, „da auch objektive

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Eine Bedingung der Gültigkeit der Anstellung, und zwar eine selbstverständliche, ist dann auch die E i n w i l l i g u n g dessen, über den der A k t ergeht, dem die Dienstpflicht dadurch aufgelegt werden soll. Diese Einwilligung bedarf keiner bestimmten Form. Sie kann auch stillschweigend geschehen. Niemals ist jedenfalls daran gedacht, die Bestallungsurkunde dem darin Ernannten etwa ins Haus zu schicken i m Sinne einer Anfrage, ob er wohl bereit sein würde, auf ein zu begründendes Dienstverhältnis dieser A r t sich einzulassen. Das wäre, namentlich wo die Urkunde von einer höheren Stelle ausgeht, geradezu unwürdig 1 3 . Es kann gleichwohl ein I r r t u m unterlaufen: die vorausgesetzte Einwilligung lag i m gegebenen Falle vielleicht doch nicht vor. Aber sie fällt nicht von selbst zusammen, sobald die Einwilligung bestritten und ein Beweis dafür nicht zu erbringen ist. Denn der obrigkeitliche Ausspruch, der Verwaltungsakt bezeugt, wie überall, dadurch, daß er erlassen und kundgemacht wird, daß auch die Voraussetzungen seiner Gültigkeit gegeben seien (vgl. oben Bd. I S. 95). Demgegenüber genügt es nicht, einfach zu bestreiten; der obrigkeitliche A k t , kraft der Selbstbezeugung seiner Rechtmäßigkeit, steht auf sich selbst und bleibt bestehen, solange nicht von einer dafür zuständigen Behörde dieses Zeugnis nachgeprüft und die Ungültigkeit ausgesprochen worden ist. Der Mann, der wider seinen Willen eine Ernennung zum Staatsdiener erhalten hat, darf nicht die Hände i n den Schoß legen, weil i h n das nichts angehe: er ist zunächst einmal Staatsdiener geworden und muß sich rühren, damit das wieder rückgängig werde 1 4 . Rechtssätze lediglich Anweisungen an Behörden enthalten können". Aber dann wären es eben keine Rechtssätze; vgl. oben Bd. I S. 74 ff. 13 Bei der Investitur durch Übergabe und Empfangnahme einer Urkunde, wie sie von B r u n n e r in Ztschr. f. Handelsr. X X I I S. 525 ff. geschildert und von L a b a η d , St.R. I S. 452, zum Vorbild der Anstellung im Staatsdienst genommen wird, ergeben sich solche Unstimmigkeiten nicht: geschieht ja inter praesentes beides in e i n e m Akt. Aber auf die Vornahme eines neuzeitlichen Verwaltungsaktes läßt sich das eben nicht übertragen. 14 D e r n b u r g , Preuß. Priv.R. I I S. 561 Anm. 8: „Wurde jemand zum Beamten ernannt, welcher, schwer erkrankt, längere Zeit von der Anstellung nichts erfährt, so war er Beamter, wenn er nur nicht ablehnt, von Zustellung des Dekrets an; er war Beamter, wenn er in der Krankheit stirbt". Die Nicht Ablehnung, die auf die Eröffnung des Dekrets zurückbezogen wird, ist offenbar gedacht als eine Nichtanfechtung: die Ablehnung würde erscheinen als Antrag auf Zurücknahme. Bayr. Beamtenges, v. 16. Aug. 1908 Art. 5 verlangt (wie R.B.G. § 4, aber als Formbedingung) die Aushändigung einer Anstellungsurkunde. Dazu die Begründung des Entwurfs (Abg.Kam. 1907/1908 Beil. I I I S. 51): „Die Ernennung

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Besondere Leistungspflichten.

I I . Bei der Anstellung i m Staatsdienste wird die öffentliche Dienstpflicht begründet „ z u m Zwecke der Übertragung eines A m t e s " . Durch diese Zuweisung eines bestimmten Kreises seiner Geschäfte verwertet der Staat die i h m geschuldeten Dienste und gibt dem Diejistpflichtigen Raum, sich für i h n zu betätigen und seine Pflicht zu erfüllen 15 . Für solche Verwendung i m A m t ist die Dienstpflicht derart wesentliche Voraussetzung und Grundlage, daß niemand ein A m t haben kann vor Begründung der entsprechenden Dienstpflicht und andererseits das Amt, jedenfalls aufhört, dem bisherigen Träger zuzustehen, sobald seine Dienstpflicht beendigt ist (vgl. oben § 42, I I n. 5). Zwischen diesen beiden Punkten steht das A m t grundsätzlich zur f r e i e n V e r f ü g u n g des D i e n s t h e r r n : er bestimmt über die Verwendung seines Dieners und bestimmt, inwieweit er zu diesem Zwecke m i t einem Amte betraut sein soll. Dabei sind ihm zugunsten des letzteren gewisse Schranken gesetzt, die teils aus dem Dienstverhältnisse selbst sich ergeben, teils auf eine festere Verbundenheit des Beamten m i t seinem Amte zurückzuführen sind. 1. Die Begründung der Dienstpflicht geschieht stets f ü r eine b e s t i m m t e A r t v o n A m t . Damit wird gesagt, daß die diesem A m t entsprechenden Dienste geschuldet sein sollen. Das kann vereinfacht ausgedrückt werden durch die Ernennung zum Beamten bestimmter A r t : zum Staatsanwalt, Regierungsrat, Oberlehrer; damit ist die Bewird durch die Aushändigung dieser Urkunde... wirksam." Die Begründung zum Gesetzentw. drückt sich sehr unzweideutig aus: Die Behändigung der Urkunde ist wesentlich für die gültige Begründung des Verhältnisses. „Dagegen bedarf es zur Rechtswirksamkeit der Ernennung keiner Annahmeerklärung von seiten des Beamten. Die Beamteneigenschaft wird vielmehr durch einseitigen Verwaltungsakt begründet". Wenn R e i η d 1, Kom. S. 30 Anm. 6 zu § 5, dagegen einfach die alten Sprüche der Staatsvertragstheorie wieder vorbringt, so findet das im Gesetz keinen Anhalt. Anders S e y d e 1, Bayr. St.R. 1. Aufl. I I I S. 324 ff: Das Besondere ist, daß „mit der Bekanntgabe der Anstellungsentschließung der Berufende gebunden ist"; (S. 341): „zur Wirksamkeit der Berufung keine ausdrückliche oder stillschweigende Annahme, sondern zur Unwirksamkeit die Ab15 diesem Sinne vor allemerfordert L a b a ηwird". d , St.R. I S. 429 ff. Der SprachlehnungI n(sagen wir: Anfechtung) gebrauch verwendet das Wort „Beamter", „öffentlicher Beamter" zur Bezeichnung eines Mannes, der im Staatsdienst angestellt ist, um demgemäß im Amte Verwendung zu finden — auch wenn er zurzeit noch keins oder keins mehr hat. Eigentlich ist das falsch; denn der Beamte ist der „Beamtete", der mit einem Amt Ausgestattete. Manche Gesetze gebrauchen dafür den zutreffenden Ausdruck „Staatsdiener"; R e h m , in Annalen 1885 S. 160 ff., möchte das allgemein durchgeführt sehen. Aber wir kämen damit auch auf den „Gemeindediener" zur Bezeichnung des Bürgermeisters und den „Reichsdiener" zur Bezeichnung des Reichsgerichtsrates; das klingt nicht gut.

§ 43. Anstellung im Staatsdienst.

gründung der entsprechenden Dienstpflicht gewollt. Das A m t k a n n zugleich m i t übertragen sein: Ernennung zum Staatsanwalt am Landgericht zu X . , zum Regierungsrat bei der Kreisverwaltungsbehörde zu Y., zum Oberlehrer am Gymnasium zu Z. Es kann aber auch die Übertragung des Amtes nachfolgen: dem heute ernannten Staatsanwalt wird nach einigen Tagen die offene Staatsanwaltsstelle am Landgerichte zu X . übertragen. Damit wird dann Gebrauch gemacht von der durch den ersten A k t begründeten Dienstpflicht 1 6 . Das kann gültig nur geschehen innerhalb des durch diesen bezeichneten Rahmens. Der T a g des b e g i n n e n d e n A m t e s , Amtsantritt, Amtsübernahme, kann i n der Ernennung oder nachträglichen Amtszuweisung selbst angegeben sein („vom 1. Oktober dieses Jahres ab"); er kann auch genauerer Bestimmung einer vorgesetzten Behörde überlassen werden. ]Er bedeutet einen wichtigen Abschnitt i n der Entwicklung des Dienstverhältnisses: die Dienstpflicht erhält jetzt ihren bestimmteren Inhalt, sie wird „Amtspflicht", „aktive Dienstpflicht", vielleicht sagen wir am besten „ w i r k l i c h e D i e n s t p f l i c h t " . Bedeutete die Dienstpflicht bis dahin ein bloßes Zur-Verfügung-Stehen, so wird der Zweck jetzt verwirklicht, für den sie begründet ist, der Dienstpflichtige e i n g e r e i h t als dienendes Glied i n die Ordnung der staatlichen Tätigkeiten. Das hat, wie wir sehen werden, bedeutsame Rechtsfolgen 1 7 . 2. Denkbar ist, daß die Dienstpflicht nur begründet wurde für ein bestimmtes einzelnes Amt, das kein gleichartiges neben sich hat. Regelmäßig bedeutet das erste A m t eine nur der G a t t u n g nach bestimmte Dienstpflicht, die ihre Erfüllung und Verwirklichung auch noch i n anderen daneben oder darüber stehenden Ämtern finden kann. Dann liegt es i n der Gewalt der für den Dienstherrn handelnden Stelle, der „Anstellungsbehörde", einen Wechsel des Amtes eintreten zu lassen durch V e r s e t z u n g des D i e n s t p f l i c h t i g e n i n e i n anderes A m t . 16

R e h m in Annalen 1885 S. 141: „Die Erklärung der Aufnahme in den Staatsdienst erfolgt durch Ernennung zur Dienstleistung in einer b e s t i m m t e n S p a r t e . Die Überweisung eines nach Sache und Art näher bezeichneten Amtes ist gewöhnlich den Zentralstellen überlassen". Vgl. auch die Ausführungen über „Staatsdienstverhältnis und Staatsamtsverhältnis" a. a. 0. S. 160 ff. 17 Deshalb ist es gut, diesen Zeitpunkt besonders kenntlich zu machen durch einen förmlichen Dienstantritt, eine Amtsübernahme, Einführung in das Amt. Vor allem die Ablegung des Diensteides, Amtseides, findet jetzt statt. Die Tatsache, daß Dienstpflicht und Beamtenverhältnis bereits vorher entstanden sind, darf man aber nicht darüber verloren gehen lassen. SoG. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. § 145, 6 und R.G. 12. Mai 1898 (Entsch. X L I S. 112). Daß für die Berechnung des Ruhegehalts die Dienstzeit erst von dort ab läuft, ist etwas anderes.

154

Besondere Leistungspflichten.

Beförderungen, Ortswechsel, Übernahme i n verwandte Dienstzweige werden auf solche Weise verfügt. Das ist wiederum nur ein Gebrauchmachen von der einmal begründeten Dienstpflicht, i n deren Rahmen auch diese Verwendung begriffen ist. Soll darüber h i n a u s g e g a n g e n werden, so bedarf es der Zustimmung des Betroffenen; denn es handelt sich alsdann um eine Änderung der m i t seiner Zustimmung begründeten und nur m i t dieser wieder zu ändernden Dienstpflicht 18. Die Versetzung i n ein anderes A m t kann darüber hinaus noch Schranken finden: — Auch wenn die künftig zu leistenden Dienste noch i n dem Rahmen der ursprünglich übernommenen begriffen wären, braucht der Beamte sich nicht gefallen zu lassen, daß die nach dem bestehenden Dienstverhältnis ihm zukommenden rechtlichen V o r t e i l e an Einkommen und persönlicher Ehrenstellung i m Wege der Versetzung i n ein anderes A m t vermindert würden. Willigt er ein, so kann es geschehen. Das bedeutet dann aber nicht eine Veränderung der A r t der Dienstpflicht 1 9 . — Das Gesetz kann eine Versetzung auch da ausschließen, wo eine Änderung der A r t der Dienstpflicht nicht damit verbunden wäre und auch keine Minderung der Amtsvorteile. Das t u t es zu besserer Sicherstellung der U n a b h ä n g i g k e i t des i n solcher Weise ausgezeichneten Beamtentums. Auch hier kann durch die Einwilligung des Betroffenen die Maßregel ermöglicht werden, ohne daß die Grundlagen der Dienstpflicht dadurch berührt würden 2 0 . 18

Die Frage wurde seinerzeit in Württemberg brennend bei „Versetzung" eines Tübinger Universitätsprofessors (R. v. Mohl) in das Amt eines Regierungsrates zu Stuttgart. Daher dann die ausdrückliche Bestimmung Württ. Beamtenges. v. 28. Juni 1896 Art. 19, wonach der Beamte sich nur gefallen lassen muß die Versetzung in ein anderes, „seiner Berufsbildung und bisherigen Tätigkeit entsprechendes Amt". G ο e ζ , Württ. St.R. § 49, 1. — Vgl. auch O.V.G. 5. April 1907 (Entsch. L I S. 414). 19 R.B.G. § 23. Der Zusatz: „wenn es das dienstliche Bedürfnis erfordert", bedeutet freiestes Ermessen; das „dienstliche Bedürfnis" steht dem „öffentlichen Interesse" (vgl. oben Bd. I S. 99) gleich. Die Möglichkeit eines Vorgehens des Reichstags wegen Mißbrauchs, die man durch den Zusatz wahren wollte (R.T. 1873 Sten.Ber. S. 185), bestünde auch ohne das. — Weder R.B.G. § 23 noch Kol.B.Ges. v. 8. Juni 1910 § 11 haben die in der A r t der übernommenen Dienste liegende Schranke beseitigt. 20 G.V.G. § 8 Abs. 1. — Die Versetzung ist ein Verwaltungsakt; wo sie der Einwilligung des Versetzten bedarf, ein Verwaltungsakt auf Unterwerfung. Wer die Anstellung als Vertrag ansieht, wird auch diesen zweiten Fall der Versetzung so behandeln. R.G. Stf.S. 28. Jan. 1895 ( R e g e r X V I S. 215): Ein Landgerichts-

§ 43. Anstellung im Staatsdienst.

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3. D e m D i e n s t p f l i c h t i g e n k a n n auch, t r o t z fortdauernder

Dienst-

p f l i c h t , das A m t g ä n z l i c h entzogen werden. Diese A m t s e n t z i e h u n g bedeutet die A u f h e b u n g der Befugnis, f ü r d e n D i e n s t h e r r n t ä t i g z u sein z u Besorgung seiner Geschäfte. W ä h r e n d p r i v a t r e c h t l i c h e i n solcher V e r z i c h t auf die L e i s t u n g e n des Dieners g r u n d s ä t z l i c h freisteht, i s t das b e i m öffentlichen A m t e n i c h t der F a l l .

D i e d e m B e a m t e n t u m e zu-

erkannte U n a b h ä n g i g k e i t u n d M a c h t s t e l l u n g einerseits, die R ü c k s i c h t auf

die

durch

unbenutzte

Dienstpflichten

den

Staatsfinanzen

er-

wachsende B e n a c h t e i l i g u n g andererseits b r i n g e n es m i t sich, daß eine derartige Maßregel n u r als zulässig g i l t , soweit das Gesetz sie selbst angeordnet oder d e n l e i t e n d e n Stellen die E r m ä c h t i g u n g d a z u gegeben h a t ; sie müssen sich auf e i n besonderes R e c h t d e r A m t s e n t z i e h u n g berufen k ö n n e n

21

.

E s k o m m e n zweierlei A r t e n v o n A m t s e n t z i e h u n g i n B e t r a c h t . — D i e z e i t w e i l i g e A m t s e n t z i e h u n g setzt d e n M a n n aus d e m A m t e f ü r einen gewissen Z e i t r a u m . Sie g e h t u n t e r d e n N a m e n : v o r läufige D i e n s t e n t h e b i m g , vorläufige A m t s e n t h e b u n g , Suspension. Sie k a n n ausgesprochen werden als Strafe i m Wege des D i e n s t s t r a f rat, der vom 13. bis 16. Oktober an der Verhandlung teilnahm, war mit Dekret vom 13. Oktober zum Staatsanwalt ernannt worden „mit Wirkung vom 16. Oktober", hatte dieses aber erst nach Ende jener Verhandlung erhalten. Die Revision behauptet, er sei schon in der Schlußverhandlung vom 16. nicht mehr Richter gewesen, zumal er im voraus seine Einwilligung erklärt hatte. Das Gericht hilft sich mit der Staatsvertragstheorie von L a b a n d , S e y d e l , R e h m (vgl. oben Note 14), wonach die vorherige Einwilligung „kein öffentliohrechtlicher Akt" und der Ernannte immer noch zur „Verweigerung der Annahme des Dekrets" berechtigt gewesen wäre. Das hat er allerdings nicht getan, also würde diese Möglichkeit überhaupt nicht mehr in Betracht kommen. Uns genügt es, daß die Versetzung, was die Fähigkeit für den Staat, zu handeln, anlangt, nicht wirksam werden kann vor der Eröffnung. Eine Rückwirkung kann sie nur für die Be21 Äußerlich hatund diedesAmtsentziehung, zumal die zeitweilige große rechnung des Gehalts Dienstalters haben. Ähnlichkeit mit der U r l a u b s e r t e i l u n g . Diese bedeutet einen zeitweiligen, stets zurücknehmbaren Verzicht auf die Erfüllung der dem Amte entsprechenden Dienstpflicht, läßt aber die Dienstgewalt über den Beurlaubten und namentlich auch seine Ausstattung mit dem Amte unberührt: wenn er trotz des Urlaubs Geschäfte seines Amtes verrichtet, so ist das gültig und wirksam geschehen. Erteilung eines Urlaubs gegen den Willen des Beurlaubten entspricht nicht dem Wesen der Einrichtung, die lediglich dazu bestimmt ist, die notwendige Rücksichtnahme auf den Beamten zu üben. Wo sie doch geschieht, läuft das meist auf eine verhüllte zeitweilige Amtsentziehung hinaus: anstatt zu suspendieren, legt man dem Beamten nahe, um einen Urlaub einzukommen oder sich einen solchen gefallen zu lassen; er wird klug tun, das wie einen Befehl zu behandeln, sonst suspendiert man ihn doch.

156

Besondere Leistungspflichten

Verfahrens (vgl. unten § 45, I I ) . Sie kann auch als N e b e n w i r k u n g eintreten eines gemeinen Strafverfahrens oder eines Dienststrafverfahrens, sei es, daß das Gesetz sie unmittelbar selbst m i t gewissen Ergebnissen eines solchen Verfahrens verknüpft, sei es, daß es die vorgesetzten Stellen ermächtigt, sie daran zu knüpfen 2 2 . Wenn die Frist, für welche sie verhängt wurde, oder der Zustand, von welchem sie eine Folge sein soll, vorüber ist, lebt das A m t hier von selbst wieder auf. Die „Wiedereinsetzung ins A m t " , von der hier oft gesprochen wird, ist keine Neubegründung des Amtes, sondern nur die tatsächliche Wiederzulassung zu der nunmehr rechtmäßig wieder zustehenden Amtstätigkeit. — Daneben gibt es eine u n b e f r i s t e t e oder u n b e s c h r ä n k t e A m t s e n t z i e h u n g , Amtsentziehung schlechthin, Entfernung aus dem Amte. Insofern das Dienstverhältnis fortbesteht, kann der Dienstpflichtige auf Grund desselben jederzeit wieder herangezogen werden zur wirklichen Dienstleistung durch Verleihung eines neuen Amtes. Daher die Bezeichnungen: Stellung zur Disposition, Zur-VerfügungStellung, einstweilige Versetzung i n Ruhestand, Setzung auf Wartegeld. Die Zulässigkeit dieser Maßregel kann i n verschiedener Weise geregelt sein: S c h l e c h t h i n z u l ä s s i g , ohne daß es eines besonderen Grundes bedürfte, ist sie für gewisse Arten von Ämtern, bei welchen es nach der Absicht des Gesetzes darauf ankommt, daß der Träger von den Vorgesetzten als geeigneter Gehilfe oder, wenn man will, als taugliches Werkzeug für die Durchführung ihrer Absichten angesehen werde. Das gilt überall von den O f f i z i e r e n . Nach Preußischem Recht und Reichsbeamtengesetz für eine Klasse von Verwaltungsbeamten, bei denen diese Rücksicht vornehmlich zur Geltung kommt, den sogenannten p o l i t i s c h e n B e a m t e n 2 3 . Nach bayerischem und säch22

R.B.G. § 125 ff. Auch hier spielen wieder bei der Ausdrucksweise der Gesetze Amts- und Dienstverhältnis ineinander; Bayr. Beamtenges, v. 10. Aug. 1908 Art. 170 ff. spricht von „vorläufiger Dienstenthebung". — G. M e y e r St.R. hatte in früheren Auflagen nach R.B.G. § 131, Württ. Beamtenges. Art. 114 u. a. eine besondere Art von vorläufiger Amtsentziehung annehmen wollen „wegen Unzuträglichkeiten" (§ 154 a. E.). I n Wirklichkeit handelt es sich aber nur darum, daß bei Gefahr auf Verzug eine gewöhnliche vorläufige Entziehung auch ausgesprochen werden kann von unmittelbaren Vorgesetzten, welche sonst nicht dafür zuständig wären, an Stelle des höheren Vorgesetzten, der es wäre. 23

R.B.G. § 25; Preuß. Ges. v. 21. Juli 1854 § 87.

§ 43. Anstellung im Staatsdienst.

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sischem Recht sowie nach dem einer Reihe kleiner Staaten für alle nichtrichterlichen, also für a l l e V e r w a l t u n g s b e a m t e n 2 4 . Aus b e s t i m m t e n G r ü n d e n kann die Amtsentziehung auch über diesen Ereis hinaus durch das Gesetz zulässig gemacht sein. So wird namentlich als ein Grund anerkannt die U m b i l d u n g v o n B e h ö r d e n , wobei ein A m t i n Wegfall kommen soll; da darf der Amtsinhaber kein Hindernis sein. Das gilt nach G.V.G. § 8 Abs. 3 für alle deutschen Richter. Nach preußischem Recht und Reichsbeamtengesetz auch für alle Verwaltungsbeamten über die politischen hinaus 2 5 . I n allen übrigen Fällen, für welche also das Gesetz nichts bestimmt hat, ist die Amtsentziehung u n z u l ä s s i g 2 6 . Und zwar kann der Mangel eines ermächtigenden Gesetzes auch nicht durch die Einwilligung des Betroffenen ersetzt werden, weder i m voraus durch Beifügung einer darauf gerichteten Klausel i m Anstellungsakte, noch nachträglich der Maßregel selbst gegenüber. Es steht der Regierung nicht frei, sich m i t zur Verfügung gestellten Beamten zu umgeben, soweit das Gesetz selbst ihr das nicht gestattet hat. Wenn es, abgesehen von diesen Fällen, m i t dem Beamten nicht stimmt, so bleibt nur der ordentliche Weg: die Lösung des Dienstverhältnisses i n der einen oder anderen Weise, womit dann das A m t von selbst wegfällt. I s t auch das nicht möglich, so muß man den Beamten ertragen. Hier handelt es sich nicht um nachgiebiges Recht. I I I . Die E n d i g u n g des D i e n s t v e r h ä l t n i s s e s kann bei der Anstellung b e s o n d e r s v o r g e s e h e n sein, i n derselben Weise, wie das beim bürgerlichen Dienstvertrag geschieht. Der Verwaltungsakt, der 24

Bayr. Staatsdiener-Ed. § 19 Abs. 1, ersetzt durch Beamtenges. § 170. Es wird hier gern von Suspension, vorläufiger Dienstenthebung gesprochen; in Wahrheit handelt es sich aber doch um eine unbefristete, also endgültige Entziehung des Amtes, die eben nur wegen Fortbestehens des Dienstverhältnisses eine Neuverwendung und eine neue Amtsübertragung in Aussicht behält. Das Sächs. Staatsdienerges. v. 3. Juni 1876 § 19 hemmt die an sich freie „ Quieszierung" (Zur-Verfügung-Stellung) des Verwaltungsbeamten durch ein umständliches Verfahren (0. M. Sächs. St.R. S. 250). 25 R.B.G. § 24; Preuß. Ges. v. 21. Juli 1852 § 87. Ebenso Württ. Beamtenges. Art. 22. — Wenn manche Gesetze auch eine Amtsentziehung wegen andauernher Kränklichkeit zulassen (G. M e y e r · A n s c h ü t z § 154 Note 3), so vertritt das die Stelle eines Zwangsurlaubs (vgl. oben Note 21) und leitet über zur Versetzung in Ruhestand. 26 So wurde insbesondere angenommen, daß bei Beamten der Selbstverwaltungskörper, sog. mittelbaren Staatsbeamten, nach Preuß. R. eine unbeschränkte Amtsentziehung nicht statthabe, da das Ges. v. 21. Juli 1852, welches eine solche gestattet, auf sie keine Anwendung findet, folglich gesetzlich nichts vorgesehen sei: F. S e y d e 1, Dienstvergehen S. 274.

Besondere Leistungspflichten.

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die Anstellung i m Staatsdienste vollzieht, ist als öffentliches Rechtsgeschäft befähigt, allerlei N e b e n b e s t i m m u n g e n aufzunehmen auch i n dieser Richtung. Die Unterwerfung des Anzustellenden deckt auch solche Zutaten. Es gibt demnach Anstellungen a u f b e s t i m m t e Z e i t 2 7 , auf K ü n d i g u n g m i t Einhaltung einer gewissen Kündigungsfrist, auf f r e i e n W i d e r r u f , auf W i d e r r u f f ü r b e s t i m m t e F ä l l e 2 8 . Das Gesetz kann solche Nebenbestimmungen ausschließen, namentlich i n der Form, daß es l e b e n s l ä n g l i c h e Anstellung v e r l a n g t 2 9 . Auch ohne das ist dergleichen durch Brauch und Sitte des Beamtentums, die das für unvereinbar ansehen lassen m i t seiner Stellung, stark eingeschränkt und findet eine ausgedehntere Anwendung nur, wo es sich um n i e d e r e D i e n s t e handelt. Als Übergangsmaßregel und Einrichtung einer A r t P r o b e z e i t kommt es allerdings auch sonst vor: der lebenslänglichen Anstellung geht zunächst eine befristete oder kündbare voraus 3 0 . Die r e g e l m ä ß i g e O r d n u n g für die Endigung des öffentlichen Dienstverhältnisses, welche Platz greift überall, wo dergleichen Besonderheiten nicht i n Betracht kommen, läßt wieder seine Eigenart gegenüber dem bürgerlichen Dienstvertrag m i t voller Kraft zutage treten. Wenn dieser ein beiden Teilen gleichmäßig zustehendes Kündigungsrecht ordnet oder für den Fall der Nichterfüllung der Vertragsverpflichtungen ein Rücktrittsrecht des Verletzten, m i t der Wirkung, daß der Berechtigte, ob es der Dienstherr oder der Diener sei, durch seine Willenserklärung dem Verhältnis das rechtliche Ende bereitet, so gelangt hier wieder das Überwiegen des m i t öffentlicher Gewalt ausgestatteten Dienstherrn zum unzweideutigen Ausdruck : die Endigung wird stets herbeigeführt durch s e i n e n V e r w a l t u n g s a k t , wenn sie nicht statt dessen von selbst sich knüpft an einen aus anderem Anlaß ergehenden obrigkeitlichen Ausspruch, ein S t r a f u r t e i l . 27

So die Kapitulantenverträge nach Preuß. Kab.Order v. 8. Juni 1876. Nach A.L.R. I I , 10 § 102, § 97 ist aber auch im Falle solcher Befristung noch eine Entlassung nötig, um das Verhältnis zu beenden: O.V.G. 22. Nov. 1907 (Entsch. L I S. 438). Das steht in Einklang mit der rechtlich überwiegenden Stellung des Dienstherrn. 28 Ein Hauptbeispiel gab die Nichterfüllung der Kautionspflicht von seiten der Beamten, welche mit Verwaltung öffentlichen Vermögens betraut sind. Das bedeutete nicht etwa eine echte Bedingung der Anstellung, sondern nur ein Widerrufsrecht für den Fall, daß die Kaution nicht rechtzeitig bestellt wurde. Seit Reichsges. 20. Febr. 1898 sind diese Sicherheitsleistungen mehr und mehr außer Übung gekommen. 29 Hauptfall: die Anstellung der Richter nach G.V.G. § 6. 30 So vor allem bei Berufsbeamten der Gemeindeverwaltung: Bürgermeister, besoldete Stadträte usw.

§ 43. Anstellung im Staatsdienst.

159"

D r e i e r l e i F ä l l e s i n d es, die hier i n B e t r a c h t k o m m e n . 1. D i e e i n f a c h e D i e n s t e n t l a s s u n g . gungsrecht

des bürgerlichen Dienstvertrags

D e m gesetzlichen K ü n d i entspricht

es, daß

der

S t a a t s d i e n e r jederzeit i n der Lage i s t , sich v o n der D i e n s t p f l i c h t z u befreien, i n d e m er i h r e rechtliche E n d i g u n g h e r b e i f ü h r t .

D a s ist,,

w o das Gesetz oder der A n s t e l l u n g s a k t es n i c h t a u s d r ü c k l i c h b e s t i m m t , stillschweigender I n h a l t des letzteren. D e r Staatsdiener v e r m a g diese L ö s u n g freilich,

der

Natur

des

öffentlichrechtlichen

Verhältnisses

entsprechend, n i c h t u n m i t t e l b a r z u b e w i r k e n d u r c h seine darauf gerichtete Willenserklärung.

Er

k a n n n u r die staatliche Behörde

in

Bewegung setzen, daß sie es t u e , i n d e m sie auf sein Gesuch die D i e n s t e n t l a s s u n g ausspricht.

Sein R e c h t k o m m t d a d u r c h z u m A u s d r u c k ,

daß sie auf dieses Gesuch h i n gebunden i s t , d e n Ausspruch z u t u n u n d die E n t l a s s i m g z u gewähren.

E s besteht e i n subjektives öffentliches

R e c h t auf die E r t e i l u n g der Dienstentlassung, sobald m a n sie v e r l a n g t . Verweigerung ist U n r e c h t , l ä ß t aber das D i e n s t v e r h ä l t n i s w i r k s a m bestehen, bis daß d u r c h A u f h e b u n g

dieses

rechtlich

rechtswidrigen

A k t e s u n d G e w ä h r u n g der E n t l a s s u n g das U n r e c h t wieder g u t g e m a c h t ist31. 31 Das Recht auf die Entlassung findet einen sehr ungenauen Ausdruck,, wenn man es bezeichnet als „das Recht, das Amt niederzulegen" (G. M e y e r A n s c h ü t z , St.R. § 152, 1). Niederlegung des Amtes wäre auf Seiten des Beamten das Gegenstück zur Amtsentziehung durch die Regierung. Das gibt es aber nicht; man kann nur Entlassung begehren und nur Entlassung aus dem Dienst, womit das Amt von selbst aufhört, nicht Entlassung aus dem Amt, wobei das Dienstverhältnis fortbestünde. I n den neueren Staatsdienergesetzen ist das Recht auf Entlassung zumeist ausdrücklich anerkannt. Es gilt aber auch, wo das nicht geschehen ist. Über den Rechtsgrund besteht dann Meinungsverschiedenheit. Die Frage ist dadurch besonders wichtig geworden, daß das R.B.G. über das Recht auf Entlassung nichts bestimmt. Da hat man denn alsbald die Lücke wieder ausgefüllt durch „ein wirkliches gemeines Gewohnheitsrecht" neben der auch früher schon immer angerufenen „Natur des Beamtenverhältnisses": L a b a n d , St.R. (1. Aufl.) I S. 488. Das ist herrschende Meinung geworden. Da dieses Gewohnheitsrecht sofort für die ersten Reichsbeamten wirksam geworden ist, so mußte sich seine Entstehung mit einer unnatürlichen Plötzlichkeit vollzogen haben. Dagegen mit Recht L ο e η i η g , Verw.R. S. 134 Anm. 1; A n s c h ü t z in Holtzend. Enzykl. I I S. 590. Nur geht man zu weit, wenn mit dem unbegründeten Gewohnheitsrecht das Recht auf Entlassung überhaupt verneint wird. Die Anstellung im Staatsdienst geht nicht, wie man sich das gern vorzustellen scheint, nach einem eisernen Formular, sondern ist ein lebendiges Rechtsgeschäft des öffentlichen Rechts, fähig, allerlei Inhalt aufzunehmen, der nicht besonders ausgeschlossen ist, ausdrücklichen und stillschweigenden. Es wäre sicher zulässig, dabei zu bestimmen: der Beamte solle jederzeit seine Entlassung begehren können. Und ebenso muß das als stillschweigend bestimmt gelten, auch wenn nichts

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Besondere Leistungspflichten.

Die Notwendigkeit der Entlassung hat allerdings nicht bloß eine formale Bedeutung, so daß sie gewissermaßen nur zu Ehren der öffentlichrechtlichen Natur des Dienstverhältnisses stattfände. Der Entlassungsakt ist nicht schlechthin gebunden. Vielmehr ermächtigt das Gesetz zum Teil die Behörde ausdrücklich, die Entlassung vorläufig zu verweigern, wenn die Bedürfnisse des Dienstes das Verbleiben des Beamten noch erheischen. Das ist gegenüber dem einseitigen Rechte, jederzeit die Entlassung zu beantragen, nichts anderes als eine Übersetzung des bürgerlichrechtlichen Verbots einer Kündigung zur Unzeit i n das Öffentlichrechtliche 32 . Ob unzeitgemäß gekündigt ist oder nicht, und wie lange noch zugewartet werden soll, darüber entscheidet freilich hier wieder der stärkere Wille i m Rechtsverhältnis einseitig. Insofern aber eine solche Einschränkung des freien Austritts i n der Natur dieses Verhältnisses begründet ist, wird die einstweilige Verweigerung der Entlassung auch da für zulässig erachtet werden müssen, wo das Gesetz sie nicht besonders vorsieht 3 3 . K o m m t auf diesem Wege der Dienstpflichtige zu seinem Rechte, jederzeit von dem Dienstverhältnisse befreit werden zu können, so gilt für die andere Seite nicht das gleiche: dem rechtlich stärkeren Teil, dem S t a a t e als Dienstherrn, steht ohne das Gesuch des Staatsdieners, also aus eigenem Antrieb, die Endigung des Dienstverhältnisses durch einfache Entlassimg überhaupt nicht zu. Das ist wenigstens für das heute geltende Recht das Ergebnis, zu welchem eine sehr bewegte Entwicklung unseres Rechtsinstituts geführt hat. gesagt ist, sobald man einmal annimmt, daß es der „Natur des Beamtenverhältnisses" entspreche. Das folgt alles aus dem riohtig erkannten Wesen des Verwaltungsaktes: so wie er einen Rechtsanspruch auf den Gehalt begründet gemäß der Gehaltsregulative, vermag er auch einen Rechtsanspruch auf Entlassung zu begründen gemäß dem, was man allgemein für geziemend hält. Dazu bedarf es keiner Rechtssätze, die das gestatteten. Vgl. oben Bd. I S. 98. Ich nehme auch einen solchen hier nicht an, wie L a b a η d , St.R. I S. 524 Note meint, und ebensowenig handelt es sich hier bei mir um eine Fiktion; es ist, in unserem alten juristischen Geschäftsstil gesprochen, eine praesumtio facti vel hominis, aber keine praesumtio juris, geschweige denn eine Fiktion. 32

B.G.B. § 627 Abs. 2, § 723 Abs. 2. So für das Reichsbeamtenrecht K a n n g i e ß e r , Kom. S. 116: „Als Grundsatz wird auch im Reiche festzuhalten sein, daß der Beamte den Abschied nicht u η ζ e i t i g verlangen darf." Dieser „Grundsatz" erhellt zunächst wieder als allgemeine Rechtsanschauung aus den ausdrücklichen Bestimmungen der Landesgesetze und aus der Art, wie das Entlassungsverfahren tatsächlich gehandhabt wird. Rechtswirksam wird er als stillschweigender Inhalt des Anstellungsaktes, geradeso wie das Recht auf Entlassung überhaupt; vgl. oben Note 30. 33

§ 43. Anstellung im Staatsdienst.

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Ursprünglich, als die Anstellung noch schlechthin als bürgerliches Vertragsverhältnis aufgefaßt war, hat man dem Fürsten als Dienstherrn auf verschiedenem Wege das freie Entlassungsrecht zu sichern gewußt durch geeignete Konstruktion des Vertrags : als mandatum, als precarium oder sonst ein Rechtsgeschäft m i t clausula ad bene placitum 3 4 . Die öffentlichrechtliche Auffassung, die sich allmählich regt, mußte zunächst die freie Verfügung des Dienstherrn über den Staatsdiener und seine Stellung zur selbstverständlichen Folge haben. Allein demgegenüber wurde nun eine Einschränkung zur Geltung gebracht zugunsten der vermögensrechtlichen Ansprüche des Dieners. Sofern die Anstellung nicht i n widerruflicher Weise oder auf Kündigung geschah, also auf Lebenszeit, können sie nicht so ohne weiteres entzogen werden. E i n entsprechender Teil der Besoldung bildet dann einen „unwiderruflichen Nahrungsstand" 3 6 . Oder auch die ganze Besoldung wird als wohlerworbenes Recht unter den Schutz der Gerichte gestellt, die einer willkürlichen Entlassung, die gegen den Willen des Dieners und ohne ausreichendes Verschulden von seiner Seite geschieht, die Wirkung darauf versagen 3 6 . M i t der weiteren Ausbildung des deutschen Beamtenrechts erhielt nun alles das seine festere Gestalt: Amtsentziehung m i t Belassung eines gewissen „Nahrungsstandes" wird nach Voraussetzungen und Wirkungen geordnet; Entlassung auf Antrag, zur Strafe und wegen Dienstunfähigkeit erhält ihr bestimmtes Gebiet. Wenn darüber hinaus der Dienstherr seine öffentlichrechtliche Macht über das Dienstverhältnis gebrauchen sollte, um es zu lösen, so blieb nach den angenommenen Grundsätzen die Gegenleistung unberührt; es liefe also wieder auf eine Amtsentziehung hinaus, deren Gebiet doch abgegrenzt sein sollte, nur m i t höherem Wartegeld und 34

R e h m in Annalen 1884 S. 583 ff. So vor allem G ο e η η e r , Staatsdienst S. 142 ff. u. 276 ff. Diese Schrift ist ja überhaupt besonders lehrreich für die unbeholfenen Anfänge des öffentlichrechtlich aufgefaßten Staatsdienstverhältnisses; vgl. oben Note 6. 36 So noch in neuerer Zeit R.G. 11. Okt. 1883 (Entsch. X S. 183): „ I n Mecklenburg hatte ein Magistrat den ,ohne Kündigungsvorbehalt auf Lebenszeit' angestellten Gemeindebeamten wegen Dienstwidrigkeiten im Disziplinarstrafverfahren entlassen. Das Gericht spricht diesem gleichwohl den Fortbezug des vollen Gehaltes zu. „Die Disziplinargewalt des Konstituenten reicht nicht so weit, daß dieser dem Beamten auch die aus der Anstellung erworbenen Vermögensrechte durch Entfernung aus dem Amte entziehen könnte. Es ist vielmehr ein feststehender Grundsatz des gemeinen deutschen Staatsrechts, daß Staatsbeamten diese Rechte wegen Dienstvergehen nur durch g e r i c h t l i c h e s Urteil entzogen werden können, soweit nicht partikularrechtlich abweichende Vorschriften bestehen." 35

B i n d i n g - 0 e t k e r , H a n d b u c h V I . 2 : O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.

11

162

Besondere Leistungspflichten.

Dreingabe eines überflüssigen Verzichts auch auf die Dienstpflicht. Demnach hat die einfache Entlassung i n der gegenwärtigen Ordnimg der Dinge keinen Platz mehr. So entstand die auf den ersten Blick recht auffallende Ungleichheit i n der Behandlung der beiden am Dienstverhältnis Beteiligten 3 7 . 2. Die S t r a f e n t l a s s u n g bedeutet die Aufhebung des Dienstverhältnisses wegen Dienstwidrigkeit durch einen i n dem dafür geordneten Verfahren (Disziplinarverfahren) ergehenden obrigkeitlichen Ausspruch. Darüber das Nähere unten § 45, I I i n der Lehre von der Dienststrafgewalt. Die gleiche Wirkung knüpft sich nach gesetzlicher Vorschrift an d i e g e r i c h t l i c h e V e r u r t e i l u n g i m S t r a f p r o z e s s e . Die Verurteilung zu Zuchthausstrafe zieht das von selbst nach sich. Die für gewisse Fälle zugelassene Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte begreift auch den Verlust einer etwaigen Anstellung i m Staatsdienst. Das Gericht kann i n solchem Falle, ohne die Ehrenrechte i m übrigen anzutasten, die „Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter" für sich allein aussprechen, was dann ebenfalls die Aufhebung eines etwa schon bestehenden öffentlichen Dienstverhältnisses zur Folge h a t 3 8 . 3. Den Gegensatz zu der jetzt besprochenen Endigung des Dienstverhältnisses w e g e n U n w ü r d i g k e i t bildet die Entlassung w e g e n D i e n s t u n f ä h i g k e i t (Verabschiedung, Versetzung i n Ruhestand, Pensionierung, Quieszierung, Emeritierung). Sie t r i t t wieder ein durch einen Ausspruch der Behörde. Der Staatsdiener hat aber, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, ein Recht auf diesen Ausspruch und die damit verbundene Zubilligung des vorgesehenen Ruhegehalts. Darüber das Nähere unten § 46, I n. 1. I V . Die Rechtsformen des berufsmäßigen Staatsdienstes erscheinen noch i n gewissen A b a r t e n , die sich diesem zur Seite stellen. 1. Der V o r b e r e i t u n g s d i e n s t bezeichnet das Verhältnis der Leute, die geeignet gemacht werden sollen, künftig einmal angestellt zu werden behufs Übernahme eines öffentlichen Amtes und zu diesem Zwecke geübt werden i m öffentlichen Dienst: R e f e r e n d a r e , S u p e r n u m e r a r e des Finanzwesens, L e h r l i n g e des Forst- und Jagdwesens. 37 L a b a n d , St.R. I S. 525, bemerkt zutreffend, daß „juristisch" eine Gleichheit in diesem Punkte nicht gefolgert werden dürfe, da ja hier auf beiden Seiten „durchaus ungleiche Rechte und Pflichten entstehen". 38 Stf.G.B. § 35 Abs. 2. „Verlust der bekleideten Ämter" ist wieder ein ungenauer Ausdruck; das behufs Bekleidung solcher Ämter begründete D i e n s t v e r h ä l t n i s wird zerstört und infolgedessen natürlich auch die daran hängende Amtsstellung. Es bleibt nicht etwa das Dienstverhältnis bestehen.

§ 43. Anstellung im Staatsdienst.

163

Sie treten i n den Dienst des Staates durch Ernennung und werden kraft dieser Dienstpflicht bei einer Behörde b e s c h ä f t i g t , die sie i n ihrem Geschäftskreise angemessen verwendet. Ihre Tätigkeit ist aber dem Hauptzwecke nach auf ihre eigene Ausbildung, nicht auf die Besorgung der Geschäfte des Staates gerichtet: die öffentlichrechtliche Dienstpflicht, die ihnen obliegt, erfüllen sie an sich selbst. Sie gleichen i n dieser Beziehung den kraft gesetzlicher Heerdienstpflicht einberufenen Soldaten. Sie haben ein A m t so wenig wie diese 3 9 . Die E n d i g u n g dieses Dienstverhältnisses t r i t t von selbst ein m i t dem Ablaufe der dafür vorgeschriebenen Zeit. Vorher schon kann sie erfolgen durch Entlassung. Der Pflichtige hat jederzeit das Recht, sie zu verlangen. Aus eigenem Antrieb kann auch hier die Behörde die Entlassung n u r aussprechen wegen U n w ü r d i g k e i t und U n f ä h i g k e i t . Die Ernennung bedeutet die Übernahme des künftigen Staatsdieners für die ganze ordnungsmäßig zu seiner Ausbildung erforderliche Zeit; von der dadurch gegebenen rechtlichen Bestimmtheit kann nur aus solchen besonderen Gründen wieder abgewichen werden. Die Unwürdigkeit wird wieder nach denselben Gesichtspunkten zu behandeln sein wie beim wirklichen Staatsdiener, nur ist das Verfahren hier formloser, patriarchalischer. Die Unfähigkeit dagegen kann hier nur i n entsprechender Umgestaltung als Entlassungsgrund wirken; denn sie ist ja bei Begründung des Verhältnisses vorausgesetzt und soll durch dieses mit seiner erziehlichen Kraft erst gehoben werden. A n ihre Stelle t r i t t deshalb der Mangel an den zu fordernden Fortschritten, der das ganze Unternehmen als aussichtslos erscheinen läßt 4 0 . 2. Es gibt ö f f e n t l i c h e B e a m t e m i t z i v i l r e c h t l i c h e r D i e n s t p f l i c h t . Sie üben ein öffentliches A m t aus auf Grund eines bürgerlichen Dienstvertrags. U n d zwar besteht der Vertrag nicht zwischen diesem Beamten und dem Staate oder einem gleichwertigen Gemeinwesen, sondern Dienstherr ist danach ein e i n f a c h e r a n d e r e r U n t e r t a n , ein Grundeigentümer, ein Gewerbetreibender, eine Aktiengesellschaft. 39 Der Sprachgebrauch neigt allerdings mit einer gewissen gesellschaftlichen Liebenswürdigkeit dazu, allen Referendarien schlechthin die Bezeichnung als „Beamte" zuzuerkennen. Es ist eine proleptische Ausdrucksweise. Unbedenklich P r e u ß , Stadt. AmtsR. S. 74: „Beamte im Vorbereitungsdienst." Ebenso v. B i t t e r , Handwörterb. I I S. 371: „Regierungsreferendare sind die zur Vorbereitung für den höheren Verwaltungsdienst bei den Regierungen beschäftigten Beamten." Anders F. S e y d e l , Dienstvergehen S. 264: „Sie sind, wenn man sie einmal Beamte nennen will, doch nur solche, die auf Probe angestellt sind." Auch das stimmt nicht: sie sind „auf Fähigwerden" angestellt. 40 Preuß. Ges. v. 21. Juli 1852 § 84. — Wegen der Entlassung von Supernumerarien: Fr. S e y d e l , Dienstvergehen S. 265 ff.

1*

Besondere Leistungspflichten.

164

D i e Hauptbeispiele s i n d : die Eisenbahnpolizeibeamten i m Dienste der Privateisenbahngesellschaften,

das P r i v a t - F o r s t - u n d - Jagdschutz-

personal, die Stellvertreter v o n Besitzern selbständiger i m A m t e des Gutsvorstehers

41

Gutsbezirke

.

D i e Sache e r k l ä r t sich einfach daraus, daß h i e r m i t d e m b ü r g e r lichen Dienst- und Auftragsverhältnis

zugleich ein

liches A m t u n d eine öffentliche D i e n s t p f l i c h t sich

öffent-

verbinden

i n F o r m e n , welche ihrerseits d e m öffentlichen R e c h t e angehören u n d die bekannten

Erscheinungen

unseres R e c h t s i n s t i t u t s

wiedergeben,

w e n n a u c h i n m i n d e r scharfer u n d v o l l s t ä n d i g e r W e i s e 4 2 . — Das öffentliche A m t w i r d i n diesen F ä l l e n niemals d u r c h den bürgerlichen D i e n s t v e r t r a g i m m i t t e l b a r begründet.

Das A m t

kommt

stets erst h i n z u d u r c h die W i l l e n s e r k l ä r u n g einer staatlichen Behörde. 41

Ihre Eigenschaft als öffentliche Beamte erweist sich insbesondere daran, daß die strafrechtlichen Bestimmungen wegen Amtsvergehens und andererseits auch die wegen Widerstandes gegen öffentliche Beamte bei ihnen Anwendung finden: Ο ρ ρ e η h ο f f , Stf.G.B. zu § 359 η. 36, 37, 40; Ο 1 s h a u s e η , Stf.G.B. zu § 359 η. 15 a I u. I l l ; B i n d i n g , Lehrb. d. Stf.R. I I S. 388 ff., namentlich die dort S. 389 Note 2 angeführte Judikatur des Reichsgerichts. — Auch auf dem Gebiete des Postwesens kommen solche Erscheinungen vor. So der von B i n d i n g a. a. Ο. S. 389 Note 3 besprochene Fall R.G.Stf.S. 1. Juli 1880 (Entsch. I I S. 189): der Privatgehilfe eines Postexpeditors wird in Anwendung von Stf.G.B. § 350 wegen Unterschlagung im Amte verurteilt. 42 O.Tr. 3. Febr. 1862 (Str. X L I V S. 188): „Ein Postilion ist, soweit und solange er Postdienste verrichtet, öffentlicher Beamter. Diese relative Beamtenqualität schließt die Annahme nicht aus, daß derselbe nach anderen Richtungen zu dem dingenden Posthalter gleichzeitig auch in einem privatrechtlichen, einem Gesindeverhältnis stehe". Ganz ebenso kennzeichnet R.G.Stf.S. 6. März 1900 (Entsch. X X X I I I S. 167) die Doppelstellung des Postilions: er ist „Privatdiener" des Posthalters und Beamter des Staates. — L o e n i n g , Verw.R. S. 115, möchte derartigen Beamten gegenüber den Staat selber möglicherweise als zwieschlächtigen Dienstherrn auftreten lassen, insofern er zugleich privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Dienstherr für sie würde. Undenkbar wäre das nicht: die alte Fiskustheorie eröffnete auch zu einer solchen Konstruktion die Möglichkeit. I n diesem Sinne hatte man die Sache auffassen wollen in dem Falle O.V.G. 18. Mai 1909 (Entsch. L I V S. 172): Der Fiskus besitzt einen selbständigen Gutsbezirk und hält dort „Forstbeamte"; diese stehen zu ihm, hatte man behauptet, in privatrechtlichem Vertrags Verhältnis; für den dazu gehörigen polizeilichen Forstschutz können sie dann durch die staatliche Behörde ausgestattet werden mit staatlichem Amt und folglich entsprechender Dienstpflicht — wie die „Beamten" anderer Gutsbesitzer. Mit unserer heutigen Auffassung von der Einheit der Staatspersönlichkeit wird sich das nicht vertragen; ihr Diener kann für die Besorgung derselben Geschäfte nicht zugleich in öffentlichrechtlichem und in privatrechtlichem Dienstverhältnisse zu ihr stehen. Das O.V.G. hat schlechthin ein öffentlichrechtliches Dienstverhältnis angenommen, und das wird wohl das Richtige sein.

§ 43. Anstellung im Staatsdienst.

165

Sie h a t die N a t u r eines Verwaltungsaktes u n d erscheint Namen

einer

Bestätigung

oder

einer

Annahme

unter dem des

Dienst-

p f l i c h t i g e n für das öffentliche A m t , das er b e k l e i d e n soll. Dieser A k t v e r b i n d e t sich m i t der V o r n a h m e seiner V e r e i d i g u n g f ü r das A m t oder k a n n geradezu d a r i n a l l e i n seinen A u s d r u c k f i n d e n : d u r c h die V e r e i d i g u n g w i r d der M a n n a u s g e s t a t t e t m i t d e m A m t e , m i t der F ä h i g k e i t , die Geschäfte z u besorgen, auf die es hier a n k o m m t 4 3 . 3. E i n i g e r m a ß e n v e r w a n d t m i t d e m soeben B e t r a c h t e t e n s i n d d i e Hilfsämter

der

Justiz

und

des

bürgerlichen

Rechts.

Es

h a n d e l t sich w i e d o r t u m öffentliche Ä m t e r m i t der entsprechenden öffentlichen D i e n s t p f l i c h t d e m Staate gegenüber; d a h i n t e r steht a u c h wieder z u genauerer

Bestimmung

der z u leistenden T ä t i g k e i t

ein

bürgerliches P f l i c h t v e r h ä l t n i s z u einem E i n z e l n e n oder einem K r e i s v o n Einzelnen.

D e r U n t e r s c h i e d besteht darin, daß dieses letztere

k e i n Dienstverhältnis

ist.

Auch tritt

hier

das öffentliche

Dienst-

v e r h ä l t n i s n i c h t z u d e m vorausgesetzten b ü r g e r l i c h e n P f l i c h t v e r h ä l t n i s h i n z u , sondern u m g e k e h r t k n ü p f t sich dieses erst a n das i n A n s p r u c h genommene A m t 4 4 . 43

L.V.G. § 125; S c h w a p p a c h , Forstverwaltungskunde S. 140 u. 149; G ü n t h e r , Pr. Feld- u. Forst-Pol.Ges. v. 1. April 1880 S. 101; K o c h , Deutschlands Eisenbahnen I I Ani. 1 S. 9 Note 17. Auch der Hundefänger, der vom Tierschutzverein gedungen, vom Polizeipräsidium aber „genehmigt und bestätigt" ist (R.G. Stf.S. 19. März 1897; R e g e r X V I I I S. 76), gehört hierher. — B i n d i n g , Lehrb. d. Stf.R. I I S. 309, will die oben bezeichnete Bedeutung der Bestätigung und Vereidigung nicht gelten lassen. Sie wären nach ihm lediglich Feststellung der Tauglichkeit und Bestätigung vorher schon übernommener Verbindlichkeiten. Es würde also so etwas wie die Ordination eines evangelischen Geistlichen dabei herauskommen. Bestätigung und Vereidigung k a n n das unter Umständen bedeuten. Die Bestätigung ist aber zweifellos etwas anderes als eine bloße „Feststellung der Tauglichkeit", wenn sie mit freiem Ermessen erfolgt, je nachdem der Bestätigende den Mann w i l l oder nicht; dann macht er das gleiche wie der Anstellende (vgl. v. B r a u e h i t s c h , Verw. Gesetze I I I S. 275 Note 1 zu § 125 L.G.O., S. 239 Note 5 zu § 84 L.G.O.). Ebenso kann die Vereidigung die „Anstellung" des Auktionators nach Gew.Ord. § 36 mit enthalten: O.V.G. 19. Juni 1905 (Entsch. X V I I S. 324); R.G. Stf.S. 28. März 1888 ( R e g e r I X S. 13), und wird die Vereidigung des stellvertretenden Gutsvorstehers, wenn dieser nicht schon bestätigt ist, zugleich die Bestätigung gewähren und damit die Übertragung des öffentlichen Amtes, das er führen soll, vollziehen und die Begründung der dazu gehörigen öffentlichen Dienstpflicht. 44 Das bürgerliche Verhältnis wird wie das Verhältnis des Arztes und des Rechtsanwaltes zu seinen Kunden aufzufassen sein. Vgl. S t a u d i n g e r , . Kom. zu B.G.B. I I S. 383 f.; wegen des Notars a. a. O. S. 381. Früher wurden diese Dinge gern unter den Begriff des Mandates, des Auftrags gebracht: R.G» 10. Juni 1886 (Entsch. X V I S. 396).

Besondere Leistungspflichten.

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Es sind zweierlei Fälle, die hier erscheinen: — Einmal der der ö f f e n t l i c h e n D i e n e r : Beamte, ausgestattet m i t einem Stück öffentlicher Gewalt durch staatliche Ernennung, die ihnen zuteil ward, dazu auch unter dienstliche Aufsicht und Dienststrafrecht gebracht, die aber ihre Tätigkeit dem rechtsuchenden Publik u m zur Verfügung stellen und sie ausüben auf Grund eines jeweils m i t dem Kunden zustande kommenden bürgerlichen Vertrags. Die Hauptbeispiele liefern G e r i c h t s v o l l z i e h e r und N o t a r e 4 5 . — Sodann die ö f f e n t l i c h e n V e r w a l t e r f r e m d e r A n g e l e g e n h e i t e n , namentlich von Privatvermögensmassen. Auch sie sind obrigkeitlich bestellt, treten unter Aufsicht und Disziplin der Gerichte und zugleich i n ein zivilrechtliches Pflichtverhältnis zu denen, für welche und zu deren Bestem die ihnen anvertraute Verwaltung geführt wird. Hauptbeispiele: K o n k u r s v e r w a l t e r und V o r m u n d 4 6 . § 44.

Fortsetzung; Zwangsdienstpflicht und übernommenes Ehrenamt. Die Anstellung i m Staatsdienste ist die allgemeine Form für die Begründung öffentlicher Dienstpflichten jeden Inhalts. I m Gegensatze dazu haben die jetzt zu betrachtenden Formen ein beschränktes Gebiet der Anwendbarkeit. Das liegt an der besonderen Art, wie sie die Dienstpflicht zustande bringen. Während nämlich die Anstellung i m Staatsdienste von dem Grundsatze der u n b e d i n g t e n F r e i w i l l i g k e i t ausgeht (vgl. oben § 3, I ) , ist bei den zwei anderen Arten von Dienstpflichtbegründung alles darauf abgestellt, daß das Dienstverhältnis zustande gebracht wird durch geeignete Einwirkung auf den zu Verpflichtenden; es handelt sich hier überall um o b r i g k e i t l i c h z u z u m u t e n d e D i e n s t p f l i c h t e n . Die Mittel solcher Einwirkung mögen verschieden sein: von der äußersten Strenge, die einfach zugreift, bis zu der sanftesten Einladung, die immerhin dem, der sich weigert, vor seinen Mitbürgern i n aller Form den behördlichen Stempel auf45

Ihre Rechtsstellung ist nachgeahmt der der französischen officiers ministériels. Vgl. Theorie d. franz. Verw.R. S. 315 ff. 46 Über das „Amt" des Vormunds H o l d e r , Nat. u. jur. Pers. S. 124ff. Die Haftung des Vormunds wird immer noch gern auf ein vertragsartiges Verhältnis zurückgeführt, quasi ex contractu. P l a n c k , Kom. zu B.G.B. I V zu § 1833 Note 1. — Nicht hierher gehören die in Gew.Ord. § 36 behandelten Feldmesser und Auktionatoren. Das sind gewöhnliche Gewerbetreibende. Ihre „Anstellung" bedeutet kein Amt und keine öffentliche Dienstpflicht, sondern lediglich ein behördliches Zeugnis der Vertrauenswürdigkeit; daher auch hier die Veröffentlichung die große Rolle spielt, die für die wirkliche Amtsbegründung unwesentlich zu sein pflegt: O.V.G. 19. Juni 1905 ( R e g e r X X V I S. 198).

§ 44. Zwangsdienstpflicht und übernommenes Ehrenamt.

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drückt, daß es m i t seinem Bürgersinn nicht so ist, wie es sein sollte. Die Anwendung solcher Mittel steht aber ganz naturgemäß der Obrigkeit nur innerhalb gewisser Grenzen zu. Wie bei der Anstellung i m Staatsdienst, so steht auch bei der A r t solcher herbeigeführten Verpflichtung neben der öffentlichen Dienstpflicht das A m t als die Gelegenheit und das Feld ihrer Betätigung. Auch hier nur r e g e l m ä ß i g : es gibt Zwangsdienstpflichten ohne Amt, wie durch Anstellung begründete Dienstpflichten bestehen können ohne ein solches (vgl. oben § 43, I I η. 1 u. 3, I V n. 1). Soweit aber ein A m t m i t der i n der besonderen Weise herbeigeführten Dienstpflicht sich verbindet, erhält es eben dadurch selbst seine Eigenart von der i h m zugedachten Trägerschaft. Man bezeichnet es als E h r e n a m t , i m Gegensatz zu dem m i t der Anstellung i m Staatsdienste zusammenhängenden B e r u f s a m t . Ist bei dem letzteren die Besoldung ein äußerliches Kennzeichen, so kann man sagen, bei dem Ehrenamt sei es das Fehlen einer solchen. Über sein rechtliches Wesen ist damit keine Auskunft gegeben Dieses hängt m i t der üblichen Bezeichnung nur so zusammen, daß es dem Manne zur E h r e n s a c h e gemacht wird, solches A m t zu übernehmen und zu führen, wie B e c k e r , Kom. z. R.A.O. § 16,2 sagt: „es soll i h m eine Ehre sein". Daraus ergeben sich allerdings auch die Einzelheiten der juristischen Ausgestaltung des Rechtsinstituts; aus der Nichtbesoldung ergibt sich weiter nichts 2 . I . Die Z w a n g s d i e n s t p f l i c h t . Darunter verstehen wir eine öffentliche Dienstpflicht, welche schlechthin o b r i g k e i t l i c h a u f 1 Sehr beliebt ist die witzige Formel: wie der Berufsbeamte mit Geld, so wird der Ehrenbeamte m i t E h r e b e z a h l t ; die vom Staat zu verleihende Ehre ist gemeint, die als Gegenleistung gewährt wird. S o L o e n i n g , Verw.R. S. 138; Ρ r e u ß , Städt. Ämterrecht S. 51; J e 11 i η e k , Allg. St.Lehre S. 638. Genau genommen läuft das doch bloß wieder auf den verneinenden Gedanken hinaus, daß der Ehrenbeamte keine Besoldung erhält, sondern eben n u r Ehre. Diese staatliche Ehre erhält aber der Berufsbeamte a u c h , der Minister ζ. B. neben seinem Gehalt, in höherem Maße noch als der Ortsvorsteher. 2 Der Preuß. Städte-Ord. v. 19. Nov. 1908 gebührt ja vor allem der Ruhm, das Ehrenamt in unserem neuzeitlichen Staatswesen wieder zur Geltung gebracht zu haben. Sie sagt in § 141 von den unbesoldeten Magistratsstellen: „Jeder mit Gemeinsinn erfüllte Bürger wird, auch ohne Vorteile für seine Person dabei zu beabsichtigen, dieses ehrenvolle Amt gern übernehmen." Hier erscheinen Unbesoldetheit, Gemeinsinn und Ehre in ihrem richtigen Verhältnis. I n diesem Sinne auch S a r w e y , Allg. Verw.R. S. 99. Unsere Auffassung vom Ehrenamt klingt auch an bei L a b a η d , St.R. I S. 433, insofern er alles, was nicht berufsmäßiger Staatsdienst ist, zurückführt auf „die Erfüllung von Untertanen- oder Bürgerpflichten'

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Besondere Leistungspflichten.

e r l e g t w i r d ohne R ü c k s i c h t a u f d i e Z u s t i m m u n g des d a v o n b e t r o f f e n e n U n t e r t a n e n . Sie entsteht ohne seine Mitwirkung durch den e i n s e i t i g e n Willensakt der öffentlichen Gewalt. Das bedeutet stets einen Eingriff i n die Freiheit, der als solcher, dem verfassungsmäßigen Vorbehalte entsprechend, einer g e s e t z l i c h e n G r u n d l a g e bedarf. Man spricht deshalb von einer g e s e t z l i c h e n D i e n s t p f l i c h t i m Gegensatz zu der durch die Einwilligung des Dieners vermittelten. Das Reichsrecht bietet als Beispiele die g e s e t z l i c h e H e e r d i e n s t p f l i c h t und die Gerichtsdienstpflicht der G e s c h w o r e n e n und S c h ö f f e n 3 . W i r werden daraus i n erster Linie die Vorbilder entnehmen zur Erläuterung unseres Rechtsinstituts nach der Art, wie es die Dienstpflicht entstehen und ablaufen läßt. 1. Indem das Gesetz der Verwaltung die Macht gibt, öffentliche Dienstpflichten einseitig, also zwangsweise aufzulegen, zieht es dieser Befugnis zugleich ihre Grenzen. Es bestimmt den Z w e c k , für welchen das geschehen darf, und damit die A r t der z u l e i s t e n d e n T ä t i g k e i t , bestimmt zugleich ein z e i t l i c h e s Maß des zu Fordernden; es gibt keine Zwangsdienstpflichten auf Lebenszeit. Dann wird auch der K r e i s der M e n s c h e n bezeichnet, welchen diese Pflicht auferlegt werden kann: nach Geschlecht, Alter und sonstigen Voraussetzungen der Geeignetheit. Insbesondere erscheint wieder, wie bei allen öffentlichen Dienstpflichten, die Forderung der S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t 4 . Dazu kommen noch, nach der A r t des Dienstes verschieden, die Voraussetzungen b e s o n d e r e r G e e i g n e t h e i t f ü r d e n Z w e c k , welche bei den zu Verpflichtenden vorhanden sein müssen; es handelt sich dabei nicht sowohl um nachgewiesene Ausstattung m i t erworbenen Fähigkeiten, Kenntnissen und Geschicklichkeiten; der Zwangsdienst verlangt keine Berufsbildung. Sondern das Hauptaugenmerk ist gerichtet auf Abwesenheit störender Mängel körperlicher und sittlicher A r t ; Mängel der geistigen Entwicklung, wenn sie nicht zu sehr übertrieben werden, finden bei der Zwangsdienstpflicht keine Berücksichtigung 6 . Endlich 3 Reichsmilitär-Ges. v. 2. Mar 1874; G.V.G. §§ 3 1 - 5 7 , §§ 8 4 - 9 7 . Die erstere, mag sie auch zurzeit ausgesetzt sein, bleibt doch ein wesentliches Stück unserer öffentlichrechtlichen Gedankenwelt und kann hier nicht unberücksichtigt bleiben. 4 G.V.G. § 31, § 84; R.Verf. Art. 57. Der Mangel der Reichsangehörigkeit wird hier nicht dadurch gedeckt, daß die Auferlegung der Dienstpflicht selbst sie verliehe: Begründung der Zwangsdienstpflicht ist keine Anstellung im Sinne des Staatsangeh.Ges. § 14. 5 G.V.G. § 33 Ziff. 4: „wegen geistiger Gebrechen zu dem Amte nicht geeignet.4' Mot. ζ. G.V.G. § 20 Ziff. 2 ( H a h n , Mot. I S. 83): „Die Nr. 2 muß notwendig dem Ermessen einen nicht unerheblichen Spielraum lassen.4' Derselbe Ausdruck in R.Mil.Ges. § 16.

§ 44. Zwangsdienstpflicht und übernommenes Ehrenamt.

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verengert sich der Kreis noch durch die Anerkennung von Β e f r e i u n g s g r ü n d e n , wodurch sonst Geeignete i n Berücksichtigung besonderer Verhältnisse, i n welchen sie stehen, von der Inanspruchnahme ausgeschlossen werden sollen; der Heerdienst ist i n dieser Hinsicht naturgemäß weniger freigebig als der Gerichtsdienst. Über das Menschenmaterial, welches gemäß diesen gesetzlichen Bestimmungen für die einzelne A r t von Dienstpflicht i n jedem Bezirk zur Verfügung steht, werden L i s t e n geführt. Der Eintrag i n diese Listen bedeutet nicht schon eine Dienstpflicht, sondern lediglich eine Klarstellung dessen, was i m Gesetze selbst angeordnet ist, der V e r p f l i c h t b a r k e i t . Sie haben insofern ihrer rechtlichen Bedeutung nach Verwandtschaft m i t den Wählerlisten. Sie werden etwa wie diese durch Veröffentlichung und Zulassung von Einsprüchen i n angemessener Weise der B e r i c h t i g u n g ausgesetzt 6 . Andererseits können den darin Einzutragenden M e l d e p f l i c h t e n auferlegt sein, wohl auch unter vorläufiger Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, damit alles greifbar und bei der Hand sei, wenn der Zeitpunkt kommt, i n welchem nun die also gesicherte Dienstpflicht zur Entstehung gebracht werden s o l l 7 . 2. Die Dienstpflicht wird alsdann begründet durch einen obrigkeitlichen Anspruch, der über den einzelnen also verpflichtbaren Untertanen zu diesem Zweck ergeht, einen Verwaltungsakt zur A u f e r l e g u n g der D i e n s t p f l i c h t , als A u s w a h l oder A u s h e b u n g bezeichnet. Dazu sind meist besondere Behörden bestellt, Ausschüsse, Kommissionen, bestehend aus Berufsbeamten und ehrenamtlichen Mitgliedern. Der Ausspruch enthält eine Anwendung des Gesetzes, indem er erklärt, ob danach i n diesem Fall eine Dienstpflicht zu begründen ist, möglicherweise, namentlich bei Befreiungsfragen, unter Ausübung eines r i c h t e r l i c h e n Ermessens; zugleich kann aber auch eine Handhabung f r e i e n Ermessens dazu kommen, sofern es der Behörde anheimgegeben ist, unter Gleichverpflichtbaren eine gewisse Auswahl zu treffen nach Erwägungen des Bedarfs. Der Ausspruch läßt für den Betroffenen die öffentliche Dienstpflicht entstehen m i t seiner K u n d gabe 8. 6

G.V.G. § 36 ff. (Urliste für den Schöffendienst mit Berichtigungsverfahren); § 85 ff. (die nämliche Liste für den Geschworenendienst verwendet). 7 R.Milit.Ges. § 31 ff. (Stammrolle mit Meldepflichten); dazu Staatsangeh.Ges. § 22 Ziff. 1. 8 Behufs der Entscheidung der M i l i t ä r e r s a t z b e h ö r d e n besteht vorbereitend die G e s t e l l u n g s p f l i c h t zur Musterung und zur Aushebung (R.Milit. Ges. § 10). Die Entscheidung kann dann sofort eröffnet werden. Sie ist kein Urteil und der materiellen Rechtskraft nicht teilhaftig. Aus den Erlassen des preuß. Kriegsministeriums ergibt sich aber, daß man durch den

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Besondere Leistungspflichten.

M i t der Kundgabe der auferlegten Dienstpflicht kann auch der Befehl zur Erfüllung derselben, die E i n b e r u f u n g z u m D i e n s t a n t r i t t , sofort sich verbinden; diese Kundgabe kann sogar einfach die Form eines solchen Befehls, einer Ladung und Einberufung an sich tragen. Der Befehl kann aber auch vorbehalten sein und später selbständig erteilt werden. Er ist der erste A k t der Geltendmachung der Dienstpflicht. 3. Mit dem D i e n s t a n t r i t t beginnt die Erfüllung der v e r w i r k l i c h t e n Dienstpflicht, a k t i v e n Dienstpflicht, wie es beim Heere heißt, und erhält das Rechtsverhältnis seine volle Ausprägung. Er vollzieht sich durch die t a t s ä c h l i c h e E i n r e i h u n g oder E i n s t e l l u n g des Dienstpflichtigen i n das öffentliche Unternehmen, dem seine Dienste gewidmet sein sollen, das Gericht, das Heer. Der Gang ist übereinstimmend der, daß der dienstpflichtig Gewordene Weisung hat, wann und wo er erscheinen soll, um dem öffentlichen Unternehmen, der staatlichen Anstalt, die seiner bedarf, zur Verfügung zu sein. Ungehorsam gegen diesen Befehl ist m i t rechtssatzmäßiger S t r a f e bedroht. Beim Heerdienst kommt noch hinzu der Erfüllungszwang durch Anwendung von Gewalt, die Z w a n g s e i n s t e l l u n g des unsicheren Heerespflichtigen 9 . I s t er zur Stelle, so bemächtigt sich diese Anstalt seiner. Sie erfaßt i h n durch ihre Leute und ihre Einrichtungen, fügt i h n ein i n ihren Betrieb, m i t mehr oder weniger Begrüßung, aber ohne rechtlich bedeutsame Willenserklärung von der einen oder anderen S e i t e 1 0 . Bei Gerichtsdienst wie bei Heerdienst knüpft sich an die verwirklichte Dienstpflicht die V e r e i d i g u n g , zum Zeichen wieder, daß ergangenen Spruch immerhin soweit gebunden zu sein glaubt, daß zum Nachteil des Betroffenen nur in Ausnahmefällen darauf zurückzukommen ist (vgl. R e g e r X V S. 102, X V I S. 220). Das ist nicht Rechtskraft, sondern ähnlich dem Rechtsverbrauch bei der Steuerveranlagung (vgl. oben Bd. I S. 322). 9

G.V.G. §§ 56 u. 96; R.Milit.Ges. § 33. Und doch wird, namentlich beim Heeresdienst, der Vorgang für den Betroffenen sofort von einschneidender Wichtigkeit. Er wird dadurch ein ganz anderer Mensch, tritt in den S o l d a t e n s t a n d ein, was ja geradezu ein besonderes Standesrecht bedeutet, in strafrechtlicher Hinsicht wie in bezug auf den Gerichtsstand, und Vorzüge gegenüber der Zwangsvollstreckung, der Besteuerung, dem Justizzwangsdienst mit sich bringt, aber auch Benachteiligungen in Wahlrecht, Vereinsrecht, Gewerbefreiheit. Vgl. L a b a η d , St.R. I V S. 218 ff. Daß es die nüchterne Tatsache ist, die so wirbt, betont schlagend R.Milit.Ges. § 38 A Ziff. 3: Zu den Militärpersonen des Friedensstandes gehören . . . „die ausgehobenen Rekruten von dem Tage, mit welchem ihre V e r p f l e g u n g durch die Militärverwaltung beginnt". 10

§ 44. Zwangsdienstpflicht und übernommenes Ehrenamt.

171

n

es sich um ö f f e n t l i c h e Dienstpflicht h a n d e l t . Dieser feierliche A k t begründet aber die Dienstpflicht hier so wenig wie beim berufsmäßigen Staatsdienst. Diese ist ja durch die Kundgabe der Auswahl oder Aushebung entstanden. Die wirkliche Dienstzeit des Schöffen aber, der i n der Sitzung vereidigt wird 1 2 , hatte schon begonnen dadurch, daß der Vorsitzende i h n aus dem Beratungszimmer herauskommen hieß; und der Fahneneid wird erst geleistet, wenn der Soldat so weit ist, daß er öffentlich gezeigt werden kann. — M i t dem Dienstantritt des Geschworenen und des Schöffen verbindet sich eine Rechtswirkung, welche der Zwangsdienstpflicht des Soldaten fehlt: sie haben ein A m t 1 3 . Das Gesetz bezeichnet es als ein E h r e n a m t 1 4 . Als solches ist es äußerlich erkennbar durch das Fehlen der Besoldung; dem inneren Wesen des Ehrenamtes entspricht es dadurch, daß auch hier die Bürgerpflicht i n Anspruch genommen wird zur Leistung der Dienste, deren die Justiz bedarf. Daß der Staat sich auf die freiwillige Erfüllung dieser Pflicht nicht verläßt, sondern mit geeigneten Mitteln, die i h m zur Verfügung stehen, nachhilft, ändert an dem Wesen des Ehrenamtes nichts. Hier ist nur die Nachhilfe so stark, daß der Staat nicht bloß die Annahme der dazugehörigen Dienstpflicht durch geeignete Einwirkung herbeizuführen sucht, sondern diese auch ohne und gegen den Willen des Inanspruchgenommenen entstehen läßt, einseitig durch den Willen seiner Behörde. Das Verhältnis zwischen A m t und Dienstpflicht ist aber hier ein ganz anderes als bei der Anstellung i m Staatsdienst. Während bei dieser das A m t als eine Zugabe zur Dienstpflicht sich darstellt, kommt beim Geschworenen und Schöffen das A m t stets erst m i t dem Dienstantritt i m Einzelfalle zur Entstehung. Es wird ihnen nicht verliehen, sondern hängt sich kraft Gesetzes an die jedesmalige Anwesenheit bei Gericht zur Erfüllung der auferlegten Dienstpflicht 1 5 . Der Landrichter wie der Regierungsrat bringen ihr A m t m i t i n das Dienstgebäude; den Geschworenen und Schöffen erwartet es dort. U n d umgekehrt nehmen jene ihr A m t wieder m i t nach Hause, um es aus dem Privatleben heraus j ederzeit wieder ausüben zu können, j ederzeit einer etwaigen 11 12 13 14 15

Vgl. oben S. 245 u. 270. G.V.G. § 51. Warum dies dem Soldaten fehlt, vgl. oben § 42, I I a. E. G.V.G. §§ 31 u. 84.

Es wird auch nicht „angenommen" von ihnen. Der Vorgang ist eher umgekehrt, daß s i e vom Gericht übernommen werden, geradeso wie nach Heerordnung § 11 Ziff. 6 die aktive Heerdienstpflicht entsteht durch „die Übernahme der Rekruten durch die Truppenteile".

172

Besondere Leistungspflichten.

Inanspruchnahme der darin enthaltenen aktiven Dienstpflicht gewärtig zu sein und sich i n ihrer ganzen Lebensführung dessen würdig zu erweisen, alles, bis daß das A m t oder die ganze berufsmäßige Dienstpflicht ihnen wieder entzogen ist. Der Geschworene und Schöffe läßt nach geschlossener Sitzung das A m t m i t allen daran hängenden Pflichten bei Gericht; denn nur für die Dauer seiner jedesmaligen Anwesenheit bei Gericht zur Erfüllung der auferlegten Dienstpflicht hat das Gesetz es i h m geben wollen. Draußen ist er jedesmal wieder ein freier Mann. Dieser tiefgehende Unterschied kommt zum Ausdruck darin, daß das Gesetz vom Geschworenen wie Schöffen nicht sagt, er h a b e ein Amt, sondern er „ v e r s e h e " ein Amt. Aber auch darin, daß diese beiden, obwohl sie ein A m t auszuüben bekommen, doch deshalb k e i n e B e a m t e n sind. Das hängt nicht m i t dem Ehrenamte zusammen; es gibt Ehrenbeamte. Sondern damit, daß sie keine B e a m t e t e n sind, nicht ausgestattet für ihre Person m i t dem dieser anhaftenden Amte16. Dagegen bringt der A n t r i t t des Zwangsdienstes eine andere Wirkung für den Gezwungenen hervor, welche umgekehrt gerade beim gesetzlichen Heerdienst ihre Kraft i n ausgezeichneter Weise verspüren läßt, während sie bei Geschworenen und Schöffen sich nur i n abgeschwächter Weise fühlbar macht. Das ist das besondere G e w a l t v e r h ä l t n i s , das hier zur Entstehung kommt und i n der Lehre von der Dienstgewalt (unten § 45) i n seiner einschneidenden Bedeutung gewürdigt werden soll. Es greift bei Geschworenen und Schöffen nicht Platz; beide unterliegen keinem Dienstbefehl. Der Gerichtsdienst, i n welchen sie eingereiht sind, verlangt zwar auch seine gute Ordnung und seinen sicheren Gang, dem sie sich einfügen müssen. Insofern stehen auch sie, solange sie dabei beschäftigt sind, unter einer A r t Gewaltverhältnis. Das ist das der ö f f e n t l i c h e n A n s t a l t e n überhaupt gegenüber den i n ihren Betrieb Aufgenommenen: der Gerichtsvorsitzende übt die entsprechende 16

I n diesem Sinne auch P r e u ß , Städt. Amtsrecht S. 72 f. — Wenn man als Grund hervorhebt die kurze Dauer des Amtes und die einzelnen Funktionen, zu denen es nur beruft ( H a e l s c h n e r , Stf.R. I I , 2 S. 1033 u. Note 3; G. M e y e r - A n s c h ü t z , D. St.R. § 143, 1), so ist wohl das gleiche gemeint, aber nur nach einem äußerlichen Symptom bezeichnet. — Der Umstand, daß das Amt auf Zwang oder „Untertanenpflicht' 1 beruht ( O l s h a u s e n , Stf.G.B. 9. Aufl. I S. 114 Note 10. L a b a n d , St.R. I S. 434), kann nicht maßgebend sein; der „freie Willensentschluß", der allein den Beamten ausmachen soll, ist auch beim Amtsvorsteher und Kreisausschußmitglied nicht vorhanden. Laband a. a. 0. Note 2 verkennt das nicht. „Es gibt allerdings Fälle usw.", meint er* befriedigt sich aber damit, das als „Zwischenbildung" zu bezeichnen.

§ 44. Zwangsdienstpflicht und übernommenes Ehrenamt.

Leitungs- und Ordnungsgewalt Geschworenen 17 .

173

auch über seine Schöffen und

4. Dieser Entfaltung der Zwangsdienstpflicht i n stufenweise fortschreitender Bestimmtheit entspricht ihre R ü c k b i l d u n g i n der gleichen Stufenfolge. — Die m i t dem Dienstantritt v e r w i r k l i c h t e D i e n s t p f l i c h t erlischt durch die erteilte E n t l a s s u n g : der Dienstpflichtige ist i n der Hand der leitenden Behörde und wird nur frei dadurch, daß sie diese Hand von i h m abzieht. Das kann geschehen, wenn durch Unwürdigwerden oder körperliche Gebrechen die Verpflichtbarkeit aufhört oder das gesetzte Maß für diesmal oder endgültig erfüllt ist. Hier besteht dann auch je nachdem ein Recht auf Entlassung. I n anderen Fällen kann sie aus Billigkeitsgründen gewährt werden; da ist dann von einem Rechtsanspruch keine Rede. Die Dienstpflicht, die zwischen den einzelnen Dienstleistungszeiten bestehen bleibt, ist eine r u h e n d e . Sie macht sich bei den Justizdiensten rechtlich nicht bemerkbar anders als i n der Notwendigkeit, sich einzurichten, daß man zu Beginn der neuen Dienstleistung bei der Hand sei. Die Heerdienstpflicht äußert sich auch i n diesem ruhenden Zustand durch Hilfsverpflichtungen, die sie auferlegt, und Beschränkungen der freien Bewegung 1 8 . — Die V e r p f l i c h t b a r k e i t endet durch E i n t r i t t von Unfähigkeit oder Unwürdigkeit oder Wirksamwerden eines Befreiungsgrundes, von selbst, ohne Entlassung. Mit Wegfallen eines solchen Grundes kann sie wieder lebendig werden. Der ordentliche Endigungsgrund ist die E r f ü l l u n g der auferlegten Dienstpflicht. Diese wirkt bei der umfangreichen Heerdienstpflicht schlechthin; bei den Justizdiensten schützt sie nur für eine von der geschehenen Dienstleistung ab zu berechnende Schonzeit i n 17 Darüber unten § 52, I . Ein Beispiel aus den Gewaltverhältnissen der Anstalten des Finanzrechts oben Bd. I S. 373 Note 4. G.V.G. § 56 gibt unter Umständen eine Anlehnung. 18 Ähnlich wie vor ihrer Begründung (vgl. oben I n . 1), nur natürlich noch schärfer; vor allem kommen hier die Kontrollversammlungen hinzu. L a b a n d , St.R,. I V S. 108 ff. — I n dieser Zwischenzeit heißen die hier behandelten Dienstpflichtigen „Mannschaften des Beurlaubtenstandes". Da ist denn hervorzuheben, daß es sich hier nicht um einen Urlaub handelt von der oben § 43 Note 21 erwähnten Art. Einen solchen Urlaub gibt es ja für den Soldaten auch neben dem Übertritt in den Beurlaubtenstand und im Gegensatz zu ihm. Aber hier wird das Dienstverhältnis, die auferlegte Dienstpflicht selbst, außer Wirksamkeit gesetzt mit Vorbehalt jener Hilfsverpflichtungen einerseits und der Wiederinkraftsetzung durch Neueinberufung zur Dienstleistung andererseits.

Besondere Leistungspflichten.

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der Form eines Ablehnungsrechts, das dem i n Anspruch Genommenen zuerkannt wird gegen die neu aufzulegende Dienstpflicht 1 9 . I I . Das ü b e r n o m m e n e E h r e n a m t . Der Zwangsdienstpflicht stellen wir nicht die dem Ehrenamte entsprechende Dienstpflicht gegenüber; denn auch zu der Zwangsdienstpflicht gesellt sich i n wichtigen Fällen ein zu versehendes Ehrenamt und läßt jene als eine Amtspflicht erscheinen. "Worauf es ankommt ist vielmehr, daß die zum Ehrenamte gehörige Dienstpflicht, statt durch eine vorausgehende Auferlegung selbständig begründet und bei der Führimg des Ehrenamtes nur verwendet und verwertet zu sein, hier erst m i t d e m R e c h t s v o r g a n g der A n n a h m e des a n g e t r a g e n e n A m t e s fertig wird. Das ü b e r n o m m e n e Ehrenamt, von dem allein wir deshalb hier sprechen, bedeutet auf diese Weise eine besondere A r t der Begründung einer öffentlichen Dienstpflicht. Das Ehrenamt, das bei der Zwangsdienstpflicht als ein bloßes Anhängsel erscheint, steht hier von vornherein i m Mittelpunkte des ganzen Rechtsinstituts und gibt ihm seine Eigenart i n allen Einzelheiten 2 0 . 1. Während bei der Zwangsdienstpflicht des Geschworenen und des Schöffen das Ziel i n der u n m i t t e l b a r s t e n Weise erreicht wird durch Auferlegung der Dienstpflicht, erscheint die entsprechende Einwirkung hier i n der Form eines moralischen oder rechtlichen D r u c k e s a u f d e n W i l l e n des zu Verpflichtenden, damit er sich zur Übernahme des Amtes und damit der Pflicht bereit finde. Der Kreis derer, denen das für jede der dafür i n Betracht kommenden Ämterarten von der Obrigkeit zugemutet werden darf, die also einem solchen Drucke ausgesetzt sein sollen, wird durch das Gesetz bestimmt oder durch den Rechtssatz der von i h m ermächtigten Verordnung oder körperschaftlichen Satzung. Dabei kommt es einerseits an auf die F ä h i g k e i t des Mannes zu dem zu verwaltenden Amte, andererseits auf ein besonderes Verhältnis zu den zu besorgenden Angelegenheiten, wonach er wohl b e r u f e n erscheint, ein Opfer dafür zu bringen, als Gemeinde19

G.V.G. § 35 Ziff. 2, § 91 Abs. 2. Eine andere, ziemlich verbreitete Einteilung faßt den freiwilligen Ehrenämtern gegenüber unter dem Namen Zwangsdienstpflichten oder Pflichtehrenämter die beiden ersten Arten, auferlegte Dienstpflicht und Bedrohung der Nichtannahme mit Rechtsnachteilen, unterschiedslos zusammen, erhält also gleichfalls nur zwei Gruppen. So G a r e i s , Allg. St.R. S. 148; S a r w e y , Württ. St.R. I S. 230; G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. § 225 n. 1; F ö l s c h e , Ehrenamt S. 114 ff. Dabei wird übersehen, daß doch auch die letzteren nicht so ganz „freiwillig" sind, die wesentlich gleiche Rechtsgestaltung des Vorganges bei a l l e n durch A n n a h m e b e d i n g t e n Dienstpflichten kommt nicht zur Geltung. 20

§44. Zwangsdienstpflicht und übernommenes E h r e n a m t . 1 7 5

glied, Staatsangehöriger, Gewerbsgenosse. Die also Bezeichneten bilden also hier wieder einen abgegrenzten Kreis der V e r p f l i c h t b a r k e i t . 2. Die Ausstattung m i t dem Ehrenamte erfolgt stets durch einen. W i l l e n s a k t der d a z u b e f u g t e n S t e l l e , der nur i n seiner Wirkung bedingt ist durch die Annahme von seiten des dazu Ausersehenen. E r erscheint i n zweierlei Form: — I n erster Linie wird die Berufung zum Ehrenamt wieder die ordentliche Gestalt des obrigkeitlichen Ausspruchs annehmen, die des Verwaltungsaktes: sie geschieht durch E r n e n n u n g . Die geht dann aus von einer Stelle, welche fähig ist, Verwaltungsakte zu erlassen, von einer Behörde. I n dieser Weise erfolgt die Bestellung des Handelsrichters und des Wahlkonsuls. Der Eigenart des Ehrenamtes entspricht es aber, daß die Ernennung dazu oft gebunden erscheint durch V o r s c h l a g s r e c h t e 2 1 , möglicherweise sogar durch ein eigenes R e c h t des zu Bestellenden selbst (preußischer Gutsvorsteher) 2 2 . — Die Berufung zum Ehrenamte kann statt dessen auch geschehen durch W a h l . U n d zwar handelt es sich nicht um den ernennenden Beschluß eines behördlichen Kollegiums, den man wohl auch als Wahl bezeichnet 2 3 , sondern um eine s t a a t s b ü r g e r l i c h e W a h l , ausgehend von nicht i m Amte stehenden Staatsbürgern. Es ist eine Besonder· 21

Für Handelsrichter nach G.V.G. § 112 (Vertretung des Handelsstandes); für preuß. Amtsvorsteher nach Kreisordn. v. 13. Dez. 1872 § 56 Abs. 2 (Kreistag); für Reserveoffiziere nach Heerordnung § 47 (Offizierskorps). Der Reserveoffizier ist kein Berufsbeamter. L a b a η d , St.R. I V S. 184, nimmt an, daß es sich bei ihm einfach um die gesetzliche Heerdienstpflicht handle, die nur in „modifizierter" Weise erfüllt werde, wie beim Einjährig-Freiwilligen auch. Für diesen letzteren trifft es zu; er erfüllt die gemeine Dienstpflicht mit Vergünstigungen und Erschwerungen. Beim Reserveoffizier dagegen wird durch die Ernennung die gesetzliche Dienstpflicht e r s e t z t durch die auf die Ernennung gegründete ehrenamtliche. 22 Preuß. L.G.O. § 125. Der Gutsbesitzer hat den Anspruch, zum Gutsvorsteher bestellt zu werden, kraft seines Besitzes, vorausgesetzt, daß er persönlich befähigt sei, insbesondere, da es sich um ein öffentliches Amt handelt, die Reichsangehörigkeit besitze (a. a. 0. § 124 Abs. 1 Ziff. 2). Die Bestätigung des Landrates, durch welche Amt und Dienstpflicht erst entstehen, kann nur mit Zustimmung des Kreisausschusses versagt werden. 23 F ö l s c h e , Das Ehrenamt S. 23 ff., behandelt die Wahl als eine „Art der Übertragung des Ehrenamtes" und führt dabei auf: die „Wahl" der Geschworenen durch das Landgericht nach G.V.G. § 89 (die keine Wahl ist, sondern eine Auswahl durch Gerichtsbeschluß), die Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhause (wobei es sich doch überhaupt nicht um zu besetzende Ämter handelt, und die Wahl der unbesoldeten Magistratsmitglieder durch die Stadtverordneten (S. 101), der Mitglieder der Steuerveranlagungskommission durch die Gemeindevertretung (S. 103). Nur die beiden letztgenannten Fälle gehören hierher.

176

Besondere Leistungspflichten.

heit der öffentlichen Dienstpflicht, daß bei ihrer Begründung der Yerwaltungsakt durch diese Wahl ersetzt werden kann. Das Gesetz hat hier, m i t vollem Bewußtsein, ein demokratisches Element i n unsere neuzeitliche Verwaltungseinrichtung hineingestellt; das Wahlamt weist auf den anderen Pol unseres Verfassungsstaates hin: führt der Verwaltungsakt, die Ernennung, i m letzten Grunde immer auf das Staatsoberhaupt und die Regierung zurück, so die Bestellung von öffentlichen Beamten durch Wahl auf das Volk oder engere Kreise davon 2 4 . Der natürliche Sitz des Wahlamtes sind die unteren Gemeinwesen, die O r t s g e m e i n d e n : Magistratsmitglieder, Stadträte, Bürgermeister, Ortsvorstände verdanken ihr A m t solcher Wahl. Es handelt sich um Ehrenämter; von da aus ist der Schritt nicht weit, um auch den Berufsbürgermeister, den besoldeten Stadtrat i n gleicher Weise bestellen zu lassen (vgl. oben § 43 Note 10). Aber das E h r e n a m t ist hier immer des Wahlrechts liebstes Kind. I n steigendem Maße hat die neuere Gesetzgebung die Wahl herangezogen auch zur Besetzung s t a a t l i c h e r Ehrenämter, die mitzuwirken haben bei der Bildung staatlicher Behörden. So die vom Provinzialausschuß, der Vertretung der Provinz als Selbstverwaltungskörper, gewählten Laienmitglieder des Provinzialrates und des Bezirksausschusses, desgleichen die von der Kreisversammlung gewählten Mitglieder des Kreisausschusses (LV.G. § 10, § 28 Abs. 3; Kr.O. § 131). Das Reichsrecht liefert vor allem die ehrenamtlichen Beisitzer der Versicherungsbehörden, die als „Versicherungsvertreter" von Vertretern der beteiligten Bevölkerungskreise zu wählen sind (R.Vers.Ord. § 35ff.; vgl. auch Gew.G.Ges. vom 1. Januar 1902

§ 20).

3. Ernennung und Wahl werden wirksam durch Kundgabe an den, für welchen sie ergangen sind. Seine A n n a h m e ist Bedingung der Rechtsgültigkeit 2 5 . 24 Von Haus aus dient ja die Wahl der Bestellung von nichtbeamteten V e r t r e t e r n im Verfassungsrecht des Staates, der Gemeinden und anderen öffentlichen Körperschaften. Mit der Begründung von Dienstpflichten greift sie dann herein in die hier zu erörternden Lehren. Wir werden auf diese Dinge unten § 59, I I η. 1 zurückkommen. 25 Es handelt sich um die Annahme von D i e n s t p f l i c h t u n d A m t zugleich, um die Unterwerfung unter den Akt, der beides auflegt·. Sie wird regelmäßig in ausdrücklicher Weise erfolgen, darauf ist schon aus Zweckmäßigkeitsgründen zu halten. So bei der Ernennung des Reserveoffiziers, wo man sich das Wichtigste der zu übernehmenden Verpflichtungen vorher schriftlich versprechen läßt (Heerordnung § 48 Ziff. 3a); L a b a n d , St.R. I V S. 185 Note 2, scheint mir die Bedeutung dieser Maßregel zu überschätzen, wenn er darin einen Beweis sieht- daß die besonderen Verpflichtungen, die den Offizier ausmachen, nicht

§ 44. Zwangsdienstpflicht und übernommenes E h r e n a m t . 1 7 7 D i e Beweggründe, die i h n b e s t i m m e n k ö n n e n , sich d u r c h Ü b e r n a h m e des A m t e s f ü r das G e m e i n w o h l z u b e t ä t i g e n , liegen schon i n seiner gesellschaftlichen S t e l l u n g u n d w i r k e n v o n selbst.

Erforder-

lichenfalls genügt eine geringe N a c h h i l f e d u r c h V o r h a l t der Behörde, u m sie d u r c h d r i n g e n z u m a c h e n

26

.

S o w e i t es das f ü r zweckmäßig erachtete, h a t das Gesetz das Gew i c h t dieses Druckes z u v e r s t ä r k e n gesucht, i n d e m es S t r a f e n d r o h t e für d i e A b l e h n u n g des angetragenen A m t e s

an-

(Pflichtehren-

a m t ) . D i e Strafen bestehen i n E n t z i e h u n g der F ä h i g k e i t , z u w ä h l e n durch eine Verfügung des Staates, sondern durch einen Willensakt des Wehrpflichtigen begründet werden. — I n dieser Bedeutung der Annahme liegt der Gegensatz zu der Begründung des Schöffen- und Geschworenenverhältnisses. Die Begründung der Dienstpflicht badarf dort überhaupt keiner Annahme, sondern geschieht durch die obrigkeitliche Wahl schlechthin einseitig, daher Zwangsdienst. Das Amt findet sich dann dazu durch den t a t s ä c h l i c h e n Beginn der Erfüllung jener Pflicht und Eintritt in die gerichtliche Tätigkeit, ohne ausdrückliche oder stillschweigende Annahmeerklärung; vgl. oben Note 15. Dieses Sich-Einfügen in den Dienst mag man ja am Ende auch eine „Annahme" der zugemuteten Rechtslage nennen, das ist sie aber in keinem anderen Sinne wie bei dem Heerdienstpflichtigen, der sich in das Regiment einstellen läßt. G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. § 225 Note 2, will diesen Unterschied zwischen den übernommenen Ehrenämtern der Verwaltung einerseits, dem Schöffen- und Geschworenendienst andererseits nicht zugeben; „wenn man dort in der tatsächlichen Leistung der Amtspflichten", meint er, „eine s t i l l s c h w e i g e n d e Annahme sieht, so kann auch in dem Erscheinen der Schöffen und Geschworenen bei der Sitzung eine stillschweigende Übernahme der Funktionen erblickt werden". Eine Übernahme der Funktionen — ja; aber die Pflicht zur Übernahme und Leistung dieser Dienste war eben hier schon vorher begründet worden, o h n e daß es irgendwie von einer Annahme abhinge; darum handelt es sich. 26 Bei gewissen Ämtern wirkt der Ehrenpunkt besonders kräftig, so daß irgendwelche rechtliche Nachteile auf die Ablehnung nicht gesetzt zu werden brauchten. So beim W a h l k o n s u l und beim R e s e r v e o f f i z i e r . Für den ersteren mag das Lockende der mit dem Amte verbundenen Ehrenauszeichnung vor allem in Betracht kommen; auch beim Reserveoffizier spielt das seine Rolle, doch wirkt hier noch mehr die echte Triebfeder des übernommenen Ehrenamtes: dem Vaterlande den Dienst nicht zu verweigern, den zu leisten man für fähig und berufen angesehen werden kann. Beim Wahlkonsul wird derartiges auch nicht fehlen. Der deutsche Kaufmann im Ausland, der das Amt übernimmt, wird gern damit auch eine vaterländische Bürgerpflicht erfüllen, zugleich mag es auch als Standespflicht erscheinen, den Berufsgenossen gegenüber. Dies letztere, neben den vorhin erwähnten Ehrenvorteilen, wirkt bei dem A u s l ä n d e r , der unser Wahlkonsul werden soll, allein.

B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.

12

Besondere Leistungspflichten.

178

u n d g e w ä h l t z u werden u n d ein A m t z u f ü h r e n f ü r den V e r b a n d , d e m m a n h ä t t e dienen sollen, also i n eigentlichen E h r e n s t r a f e n .

Es findet

a u c h w o h l eine v e r h ä l t n i s m ä ß i g stärkere H e r a n z i e h u n g s t a t t z u den A b g a b e n dieses Verbands, sogenannte S t e u e r s t r a f e n .

Oder es s i n d

Geldstrafen darauf gesetzt, d u r c h einen gewissen H ö c h s t b e t r a g begrenzt u n d als O r d n u n g s s t r a f e n

bezeichnet27.

A l l e diese Strafen werden v o n den l e i t e n d e n Stellen ausgesprochen. Sie

sind

keine

Zwangsstrafen.

Ihr

Zweck

ist

überall

s c h ä m u n g des A b l e h n e n d e n d u r c h diese handgreifliche v o n Seiten der O b r i g k e i t

28

eine

Be-

Mißbilligung

.

Soweit solche S t r a f e n n i c h t z u r V e r f ü g u n g stehen, w i r d m a n auch h i e r , w i e b e i der A n s t e l l u n g i m Staatsdienst, sich v o r der E r n e n n u n g sorgfältig erkundigen, ob der i n A u s s i c h t Genommene einwillige, m i t d e m E h r e n a m t e belastet z u werden.

D i e kundgegebene

Ernennung

w i r d d a n n wie d o r t das Vorhandensein dieser Voraussetzung

ihrer

G ü l t i g k e i t bezeugen ( v g l . B d . I S. 95 u n d hier oben § 4 3 , 1 ) . W o h i n gegen die N i c h t a n n a h m e m i t Strafen b e d r o h t ist, bedeutet die k u n d gegebene E r n e n n u n g

nur

d a n n zugleich die Feststellung der

vor-

handenen E i n w i l l i g u n g , w e n n sie das sagt. D e n n die Bestrafung setzt 27 Zusammenstellung bei F ö 1 s c h e , Ehrenamt S. 127 ff. Für den Gutsbesitzer, der das Ehrenamt eines Gutsvorstehers übernehmen soll, liegt ein gewisser Zwang darin, daß ein Stellvertreter auf seine Kosten ernannt werden kann (L.G.O. § 126). Auch auf die Nichterfüllung der Zwangsdienstpflicht sind ja Strafen angedroht; vgl. oben Seite 170. Die Sache liegt aber rechtlich anders wie hier. F ö 1 s c h e a. a. Ο. S. 132 unterscheidet: „Der erste (der zum Versicherungsamt Gewählte) wird bestraft, weil er nicht das Amt übernehmen will, der zweite (der zum Schöffendienst Berufene), weil er, obwohl er ein Amt hat, dessen Pflichten nicht erfüllt. Die Bestrafung des letzteren ist also eigentlich eine Disziplinarstrafe." Davon weiche ich gar nicht so überraschend weit ab, wie F ö l s c h e a. a. O. Note 38 annimmt. Ich meine nur, daß der zum Schöffendienst Berufene, der nicht bei Gericht erscheint, kein Amt hat, unter keiner Dienstgewalt steht und folglich auch einer Disziplinarstrafe nicht unterliegt. Vgl. aber auch unten § 45 Note 36. 28 Bei der Beratung der Kr.O. im Herrenhause wurde von den zu ver hängenden Vermögensnachteilen wegen Ablehnung von Ehrenämtern gesagt: „Es ist diese Straffestsetzung mehr ein moralisches Gericht... aber ein solches compelle muß bestehen." Preuß. Herrenhaus Sess. 1871/1872 Sten. Ber. S. 415. — Sehr bezeichnend für die rechtliche Natur dieser Strafen ist das Strafmittel, welches das Französische Gesetz v. 3. frim. V I I Art. 13 ff. anzuordnen gestattet gegen den, der sich weigert, ehrenamtliches Mitglied des Steuereinschätzungsausschusses (commission des répartiteurs) zu werden. Er wird vor den Bürgermeister geladen, der ihm eine Ansprache hält in sakramenteilen Worten, also beginnend: „Citoyen, vous avez refusé de rendre service à la patrie." Dann ißt es erledigt.

§ 44. Zwangsdienstpflicht und übernommenes Ehrenamt.

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voraus eine Ablehnung trotz förmlicher Antragung des Amtes 2 9 . Die Ernennung kann also gerade zu dem Zweck geschehen, den Mann dieser Strafdrohung gegenüberzustellen. Dann ist sie für sich allein noch nicht zur Übertragung des Amtes wirksam und bricht zusammen, wenn durch die Ablehnung die Nichterfüllung der Bedingung ihrer Gültigkeit sich ergibt. Bei der Wahl ist stets erst auf die nachträgliche Erfüllung dieser Bedingung gerechnet; es bedarf i m Falle der Ablehnung keiner Zurücknahme; höchstens macht man eine förmliche Feststellung, daß sie mißlungen ist. 4. Mit der Kundgabe der Bestellung zum Ehrenamte oder, wo diese i n der Erwartung künftiger Annahme geschah, m i t der Annahmeerklärung wird für den Bestellten das A m t begründet und dadurch zugleich die entsprechende Dienstpflicht. Der E i n t r i t t dieser Wirkung kann der Ordnung halber verschoben sein auf einen bestimmten Termin, mit welchem die Amtsinhaber gleichmäßig wechseln sollen. Aber stets beginnt beides miteinander, A m t und Dienstpflicht. Die Dienstpflicht bringt hier immer sofort auch ihr Verwendungsgebiet mit, besteht dafür aber auch nur für dieses bestimmte Gebiet. Nur für dieses A m t wird dem Manne das Opfer zugemutet und bringt er es. A m t u n d D i e n s t p f l i c h t d e c k e n s i c h v o n A n f a n g b i s z u E n d e . Die Dienstpflicht bedeutet hier nicht, wie bei der Anstellung i m Staatsdienst, ein Zur-Verfügung-Stehen zur Betätigung i n Ämtern bestimmter A r t 3 0 ; es gibt keine Versetzung i n ein anderes A m t und keinen einstweiligen Ruhestand 3 1 . Die Dienstpflicht wird auch nicht begründet, um nachher bei beginnender Dienstleistung vorübergehend 29

F ö 1 s e h e , Das Ehrenamt S. 128. O.V.G. 9. Juni 1885 (Entsch. X I I S. 6). Richtig J e l l i n e k , Subj. öff. Rechte S. 183: „Die so kreierten Beamten werden nicht auf Grund eines speziellen Gewaltverhältnisses mit einem beliebigen Amte versehen, sondern sie werden unmittelbar in ein bestimmtes Amt berufen." Vgl. dagegen oben § 43, I I n. 2. 31 J e 11 i η e k a. a. Ο. S. 184. L a b a η d , St.R. I S. 481, sagt von den Handelsrichtern: „Sie führen das Amt als Ehrenamt, d. h. unentgeltlich; es finden daher auch die Regeln über Beförderung, Versetzung an eine andere Stelle oder in den Ruhestand für sie keine Anwendung." Es ist aber das innere Wesen des Ehrenamtes, das so wirkt, nicht jenes äußerliche Merkmal. — Selbst beim Reserveoffizier wird dieser besondere Zusammenhang mit dem Amte noch fühlbar. Eigentlich sollte der Offizier schlechthin zur Verfügung stehen. Gleichwohl gilt hier das Amt doch nur für einen engeren Kreis des Heeres so ohne weiteres übernommen. Daher Heerordnung § 52 Ziff. 8: „Versetzungen von Reserveoffizieren zur Reserve eines anderen T r u p p e n t e i l s bedürfen der Allerhöchsten Genehmigung. Versetzungen zu einer anderen T r u p p e n g a t t u n g sind nur mit Einverständnis der Betreffenden zu beantragen." 12 * 30

Besondere Leistungspflichten.

180

m i t d e m n ö t i g e n A m t e ausgestattet z u werden, sondern das A m t ist m i t seinem Träger fest v e r b u n d e n w ä h r e n d der ganzen D a u e r D i e n s t p f l i c h t : der H a n d e l s r i c h t e r , W a h l k o n s u l , Reserveoffizier, vorsteher i s t , i m Gegensatz z u m Schöffen u n d Geschworenen,

der

Amts„Be-

amteter". D e r U n t e r s c h i e d w i r d f ü h l b a r außerhalb dieser beschränkten D i e n s t zeiten.

D a s i n d der Schöffe w i e der Reservist, letzterer v o n einiger

K o n t r o l l e abgesehen, freie M ä n n e r ; den E h r e n b e a m t e n aber f o l g t auch i n die Zeiten, f ü r welche es n i c h t so i n A n s p r u c h genommen w i r d , i h r A m t n a c h m i t seiner Auszeichnung u n d teilweise m i t seiner L a s t . Sie k ö n n e n deshalb i m m e r dazwischen z u einer nebensächlichen T ä t i g k e i t herangezogen werden, s i n d v o n selbst gebunden, a u c h n a c h t r ä g l i c h n o c h gewisse R ü c k s i c h t e n z u n e h m e n auf die geübten A m t s v e r r i c h t u n g e n 3 2 , u n d v o r a l l e m haben sie f o r t d a u e r n d die besondere P f l i c h t z u erfüllen, daß sie sich dieses A m t e s w ü r d i g erweisen i n i h r e m ganzen V e r h a l t e n , verbleiben auch z u diesem Zwecke u n t e r der entsprechenden Dienststrafgewalt

33

.

D i e rechtliche Stellung des E h r e n b e a m t e n gleicht i n diesem P u n k t e v i e l eher der des berufsmäßigen Staatsdieners als der des Zwangsdienstpflichtigen 32

34

.

Den Schöffen läßt man nicht einmal das von ihm mit beschlossene Urteil unterschreiben, um die „Weiterungen" zur nachträglichen Einholung seiner Unterschrift zu ersparen (Stf.P.O. § 275; Mot. ζ. Entw. § 233; H a h n , Mat. S. 214). Den Schöffen und Geschworenen legt G.V.G. § 200 Amtsverschwiegenheit besonders auf; für die Handelsrichter ist nichts bestimmt, „da sich für sie diese Pflicht von selbst aus ihrer Beamtenstellung ergibt" ( L a b and, St.R. I I I S. 481). 33 G.V.G. § 116; Mot. ζ. Entw. § 90 ( H a h n , Mat. S. 127): „Die Handelsrichter sind auch wegen ihres außeramtlichen Verhaltens den Disziplinarvorschriften, welche für die rechtsgelehrten Richter gelten, unterworfen." — Die Offiziere des Beurlaubtenstandes stehen als solche nach Verord. v. 2. Mai 1874 gleich den Berufsoffizieren unter einer besonderen Disziplinargewalt, die unter Mitwirkung der Offiziers-Ehrengerichte geübt wird; für die Mannschaften des Beurlaubtenstandes gibt es nichts dergleichen. Nach L a b a η d , St.R. I V S. 187, handelt es sich dabei um die Überwachung besonderer „Standespflichten"; aber was den Stand ausmacht, das ist eben hier nichts anderes als das Amt des Offiziers, das auch bei dem nicht eingezogenen fortdauert, die beibehaltene „Dienststelle" macht es aus; vgl. oben Note 31. 34 Diese Gleichstellung ist bei den bürgerlichen Ehrenbeamten ohne weiteres einleuchtend: Beim Handelsrichter, Amtsvorsteher, Wahlkonsul besteht das Amt gleichmäßig fort, und seine Ausübungen spielen, ohne immer nach Ort und Zeit scharfe Grenzlinien merkbar zu machen, in das außeramtliche Leben hinein. Anders beim Offizier des Beurlaubtenstandes. Der Heerdienst bedeutet jedesmal, wo er in Gang kommt, eine Dienstgewalt von außerordentlicher Kraft und Eindringlichkeit: solange sie den Menschen hat, gehört er ihr ganz (vgl. unten § 45, I

§ 45. Die Dienstgewat.

181

5. Eine E n d i g u n g des Verhältnisses erscheint hier entsprechend der Eigenart des Ehrenamtes nur so, daß A m t und Dienstpflicht zugleich erlöschen; Stufen dazwischen gibt es nicht. Der ordentliche Endigungsgrund ist, wie bei der Zwangsdienstpflicht, der A b l a u f der b e s t i m m t e n Z e i t . Die Ehrenämter sind regelmäßig befristet 3 5 . Der E i n t r i t t des Endtermins kann von selbst wirken; das wird namentlich der Fall sein, wo der Amtswechsel an bestimmte Kalendertage geknüpft ist. I s t eine solche Wirkung nicht vorgesehen, so erfordert auch hier das einmal begründete Amtsverhältnis, um zu endigen, einen Entlassungsausspruch. Der E i n t r i t t des Endtermins gibt nur ein Recht des Dieners, i h n zu verlangen, des Dienstherrn, ihn von freien Stücken zu geben. Zuweilen hat das Gesetz ausdrücklich bestimmt, daß der Ablauf einer gewissen Dienstzeit ein derartiges Recht nur zugunsten des Ehrenbeamten erzeugen soll. Außerdem endigt auch das Ehrenamt aus b e s o n d e r e n G r ü n d e n , welche den Endigungsgründen des berufsmäßigen Staatsdienstes nachgebildet sind: gerichtliche Aberkennung, Entlassung wegen Unfähigkeit oder Unwürdigkeit einerseits, Entlassung auf Antrag andererseits. E i n Anspruch auf vorzeitige Entlassung besteht nur, wenn nachträglich Umstände eintreten, welche ein Recht auf Ablehnung des Amtes begründet haben würden. 45.

Fortsetzung; die Dienstgewalt. Die öffentliche Dienstpflicht, wie sie auch entstanden sein mag, begründet eine besondere rechtliche Macht, die namens des Gemeinwesens, dem der Dienst geschuldet ist, Staat oder Selbstverwaltungskörper, über den Dienstpflichtigen geübt wird, um ihn bei der richtigen Erfüllung seiner Pflicht zu halten und zu leiten. Diese Macht ist die D i e n s t g e w a l t , auch D i e n s t a u f s i c h t genannt. Die amtliche Stelle, die für jeden Dienstpflichtigen berufen ist, diese Macht ordentlicherweise über i h n auszuüben, ist seine D i e n s t b e h ö r d e . Die Dienstgewalt entfaltet sich dabei i n zwei Formen: als D i e n s t b e f e h l und als D i e n s t s t r a f g e w a l t oder Disziplin. Note 20). Der Offizier des Beurlaubtenstandes, der nicht eingezogen ist, hat dagegen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem zur Verfügung gestellten Berufsbeamten. 35 R.Vers.Ord. §50 mit § 16; G.V.G. § 112. Die preußischen Verwaltungsehrenämter sind zumeist auf sechs Jahre verliehen. Zusammenstellung bei F ö 1 s c h e , Das Ehrenamt S. 146 ff.

Besondere Leistungspflichten.

182

I . Der D i e n s t b e f e h l . Der Inhalt der Dienstpflicht wird bei ihrer Begründung i m allgemeinen bestimmt durch Bezeichnung des Zwecks, der zu erfüllen, des Amtes, das zu führen ist. Rechtssätze, die Gesetz, Verordnung oder Satzung für die hier wahrzunehmende Tätigkeit der öffentlichen Gewalt aufstellen, bedeuten zugleich genauere Bestimmung mehr oder weniger großer Stücke des Inhalts der Pflichten ihrer Diener. I n gleicher Weise sind Urteile und Verwaltungsakte pflichtmäßig von ihnen zu vollziehen, wo sie ihnen begegnen Κ Soweit das Gemeinwesen, für das sie handeln, unter dem bürgerlichen Rechte steht wie ein Privatmann, ist die Einhaltung seiner Regeln für sie zugleich dienstliche Pflicht. Das Strafrecht bedeutet auch dienstpflichtmäßig einzuhaltende Grenzen. Aus all dem unter Würdigung der tatsächlichen Umstände die Folgerungen richtig zu ziehen für das, was nun i m einzelnen zu t u n ist, ist selbst Aufgabe der Dienstpflicht. Der Dienstherr wirkt aber seinerseits dabei noch mit, indem er kraft der Dienstgewalt solche Folgerungen selber ziehen läßt, und zwar i n maßgebender Weise für den Dienstpflichtigen und i m Vorrang vor der Art, wie dieser es t u n möchte. Die öffentliche Dienstpflicht nämlich, einmal entstanden, bringt den, der sie schuldet, i n ein G e w a l t v e r h ä l t n i s gegenüber seinem Diensth e r r n 2 . Demgemäß kann i h m jetzt durch die berufene Leitung der ihm obliegenden Geschäfte und deren Gehilfen rechtlich bindend näher bestimmt werden, was er schuldet. Eine solche nähere Bestimmung der Wirkungen des Gewaltverhältnisses nennen wir eine A n w e i s u n g 3 . Hier, wo es sich stets nur um das persönliche Verhalten des Dienstpflichtigen handelt, hat die Anweisung die Natur eines B e f e h l s . D i e n s t b e f e h l nennen wir sie nach der A r t des Gewaltverhältnisses, aus dem sie entspringt. Wer dem i m öffentlichen Dienste Stehenden einen solchen Dienstbefehl geben kann, ist sein V o r g e s e t z t e r . Er muß nicht notwendig die Eigenschaft einer B e h ö r d e haben; denn für das Gewaltverhältnis ist es bezeichnend, daß die bindende Anweisung auch von einer Nicht1

Wie der Rechtssatz die vollziehende Gewalt und mittelbar jeden bindet, der für sie tätig zu sein hat, darüber oben Bd. I S. 78 ff.; wegen der entsprechenden Wirkungen des Verwaltungsaktes vgl. oben Bd. I S. 96. 2 Mit Recht spricht L a b a η d , St.R. I S. 433, 434 u. 438, hier abwechselnd von „GewaltVerhältnis" und „öffentlichem Dienstverhältnis". Ebenso R e h m , in Annalen 1885 S. 146. 3 Vgl. oben Bd. I S. 101 ff. Auch „Weisung", „dienstliche Weisung" wird dafür gesagt, namentlich wenn es sich um eine Bestimmung für den Einzelfall handelt.

§ 45. Die Dienstgewat.

183

behörde, einem Unteroffizier, einem älteren Amtsschreiber usw., ausgehen kann. Die Anweisung kann als E i n z e l b e f e h l erscheinen für den bestimmten Fall, aber auch als allgemeine Regel: D i e n s t v o r s c h r i f t , I n s t r u k t i o n , A r m e e v e r O r d n u n g . Nur die Stellen, von welchen auch solche allgemeine Anweisungen ausgehen können, werden als Behörden, als D i e n s t b e h ö r d e n bezeichnet. Rechtssätze gibt das nicht; es sind bloße Verwaltungsvorschriften. Daraus folgt, daß die für Rechtssätze (Rechtsverordnungen) bestehenden formellen Veröffentlichungsregeln hierfür nicht gelten. Die Dienstvorschrift wird d i e n s t l i c h b e k a n n t g e m a c h t , d. h. i n einer Weise, die genügt, damit der Dienstpflichtige, wenn er seine Schuldigkeit t u t , sich Kenntnis davon verschaffen kann 4 . Sie hat auch nicht den V o r r a n g des Rechtssatzes vor dem Einzelakte derselben Stelle, die den Rechtssatz erließ; vielmehr geht umgekehrt der Einzelbefehl der Dienstbehörde, der den Fall unmittelbarer und bestimmter erfaßt, ihrer allgemeinen Dienstvorschrift vor 5 . 1. Die Wirkung des Dienstbefehls ist die Pflicht zum d i e n s t l i c h e n Gehorsam. Die Nichtbefolgung des Befehls ist Verletzung der Dienstpflicht, kraft deren er erlassen ist, und hat die darauf gesetzten Nachteile zur Folge 6 . 4

Wenn Dienstvorschriften einmal in ein Gesetzblatt geraten, so kann das genügen. Nur das Umgekehrte ist nicht möglich: Gesetze und Rechtsverordnungen können nicht wirksam veröffentlicht werden in solchen bloßen Dienstblättern. Diese tun sich übrigens auch leicht durch Verweisungen und lakonische Abkürzungen. Das Gewaltverhältnis gestattet solche Einfachheiten. 5 Es steht hier ebenso wie bei den Verwaltungsvorschriften der Finanzgewalt; vgl. oben Bd. I S. 353. Daß eine Behörde an ihre eigenen Rechtssätze gebunden ist, hängt damit zusammen, daß sie diese mit der entlehnten höheren Kraft des Gesetzes erläßt; vgl. oben Bd. I S. 83. Von selbst versteht es sich keineswegs, daß das in Form einer allgemeinen Regel Ausgesprochene mehr bindet als der Einzelbefehl. Dieser wirkt im Gegenteil von Natur bestimmter und kräftiger. Daher man unter dienstlichem Ungehorsam im eigentlichen Sinne nur die Nichtbefolgung eines Einzelbefehls versteht, die auch mit besonderer Strafbarkeit verbunden ist; Η e c k e r , in Gerichtssaal X X I S. 506. 6 Ohne zu dieser bestimmten Rechtswirkung berufen zu sein, wäre es kein Befehl; vgl. oben Bd. I S. 226, 233 Note 11. — Ganz unrichtig ist es, wenn man Gehorsams- und Dienstpflicht einfach für gleichbedeutend erklären will. So S c h u l z e , Preuß. St.R. I S. 315. Das gäbe eine schlechte Pflichterfüllung, wo nichts geschähe, als was befohlen ist. — I n dem weiteren Sinne eines sich danach Richtens spricht man von Gehorsam gegen die Rechtsordnung, gegen das Gesetz. Solchen Gehorsam übt der Beamte und der einfache Untertan, jeder auf seine Art. Aber „die Pflicht zum Gehorsam gegen die Rechtsordnung ist kein Bestandteil der besonderen dienstlichen Gehorsamspflicht . . . Die letztere besteht in der

184

Besondere Leistungspflichten.

Der Dienstvorgesetzte kann auch auf Grund des Gewaltverhältnisses nicht schlechthin befehlen, was er will. Die Befugnis dazu hat ihre rechtlichen Grenzen, innerhalb deren ihre Geltendmachung sich halten muß. Nur wenn der Dienstbefehl r e c h t m ä ß i g ergangen ist, erzeugt er die Gehorsamspflicht (Bd. I S. 94 f. und 233 f.). Da es sich dabei lediglich handelt um eine Wirkung auf den Befehlsempfänger, den Dienstpflichtigen, so ist die Frage der Rechtmäßigkeit auch n u r d i e s e m g e g e n ü b e r zu prüfen, i h m gegenüber muß der Befehl rechtmäßig sein. Wie die Ausführung des Befehls nach außen, Dritten gegenüber w i r k t , ist nur mittelbar von Bedeutimg, nur so weit nämlich, als es zurückwirkt auf den Ausführenden selbst, Haftungen, Verantwortlichkeiten, Widerstandsrechte zu seinem Nachteil begründet. Bei sehr vielen vollwichtigen Dienstbefehlen kommt eine solche Wirkimg nach außen überhaupt nicht i n Frage 7 . Für die Frage der Rechtmäßigkeit dem Befehlsempfänger gegenüber ist aber allein entscheidend, ob der Befehl, der ja nichts anderes sein soll als eine angemessene Entfaltung der Dienstpflicht, z u m N a c h t e i l des E m p f ä n g e r diesem etwas zumutet, was sie unter den gegebenen Umständen nicht rechtfertigen würde. Die Nachteile können i n übermäßigen Anstrengungen, Zeitaufwänden, Kosten und Auslagen, Gefahren, rechtlichen und moralischen Verantwortlichkeiten bestehen. Was zu viel ist, ist Unrecht gegen den Dienstpflichtigen und nimmt dem Dienstbefehl den Rechtsboden. Aber wann ist das der Fall ? Wessen Meinung entscheidet darüber ? Es ist klar, daß es nicht einfach dabei bleiben kann, daß der Untergebene überall den Gehorsam verweigert, wo er den Dienstbefehl nicht mehr für rechtmäßig oder zweckdienlich hält. Die Frage nach dem P r ü f u n g s r e c h t des U n t e r g e b e n e n erheischt eine Lösung 8 . Pflicht des Gehorsams gegen den Dienstbefehl, d. h. gegen eine Weisung des Vorgesetzten, durch welche die dienstliche Tätigkeit des Untergebenen bestimmt Wird" ( S e y d e l , Bayr. St.R. I I S. 223). 7 Insofern das Gemeinwesen durch seinen vom Dienstbefehl gelenkten Diener nach außen wirkt, vermöge des Amtes vor allem, tritt es selbst in mancherlei Rechtsbeziehungen, tritt in den Verkehr und nimmt teil an seinem Getriebe. Das darf uns nicht irremachen an dem eigentlichen Gegenstande unserer Untersuchung, der nichts anderes ist und bleibt als das Rechtsverhältnis zwischen dem Gemeinwesen und dem in seinen Dienst Gestellten, das Dienstpflichtverhältnis. Sehr störend hat ja hier die unten Note 16 zu betrachtende politische Tendenz gewirkt. Noch mehr vielleicht auch hier wieder die Organlehre, wo der Dienstpflichtige nicht mehr weiß, ist er noch Mensch und Rechtssubjekt oder nur eine Ausschwitzung seines großen Dienstherrn; vgl. oben § 42 Note 17. 8 Soweit kein Prüfungsrecht besteht, die G e h o r s a m s p f l i c h t also

§ 45. Die Dien stgewait.

185

2. Die Lösung liegt darin, daß die Grundsätze, welche für jeden obrigkeitlichen Ausspruch gelten, auch beim Dienstbefehl zur Anwendung kommen; er b e z e u g t dadurch, daß er erlassen wird, von selbst auch schon, daß die Voraussetzungen seiner Rechtsgültigkeit gegeben sind. Dieses Zeugnis macht i h n maßgebend und bindend ohne weiteres überall, wo nicht eine besondere Zuständigkeit gegeben ist zur Nachprüfung und Ungültigerklärung; vgl. oben Bd. I S. 95. Daher kommt es, daß auch der Dienstbefehl zunächst für den Untergebenen schlechthin eine Gehorsamspflicht begründet. Vorausgesetzt ist nur, daß es eben wirklich um einen Dienstbefehl sich handelt. Denn die Selbstbezeugung, welche das Prüfungsrecht ausschließt, ist selbst nichts anderes als ein Ausfluß der obrigkeitlichen Natur des Aktes und t r i t t deshalb nur ein, wenn erst einmal feststeht, daß ü b e r h a u p t e i n o b r i g k e i t l i c h e r A k t dieser A r t v o r l i e g t . Die Voraussetzungen d a f ü r hat der, den es betrifft, allerdings zu prüfen; er kann auch den Gehorsam verweigern, wenn sie fehlen. Bei der Frage der Rechtswirksamkeit des gewöhnlichen Verwaltungsaktes kommen solche Voraussetzungen nach zwei Richtungen i n Betracht: er muß ausgehen von einer richtigen B e h ö r d e , und Maßregeln dieser A r t müssen noch i m Bereiche der Dinge liegen, die sie m ö g l i c h e r w e i s e a n o r d n e n kann. Ebenso unterscheiden wir nun hier wieder für das Prüfungsrecht des Untergebenen 9 : — Der Dienstbefehl muß, um als solcher Anerkennung zu fordern, ausgehen von dem Dienstvorgesetzten dessen, dem befohlen w i r d 1 0 . Wenn F o r m e n vorgeschrieben sein sollten, deren der Vorgesetzte sich dabei zu bedienen hat, so wäre sein formloser Befehl nichtig, wenn das Gesetz das so gemeint hat. Aber auch ohne das wäre anzunehmen, daß er nicht als solcher spricht, wo er diese Formen unschlechthin begründet ist, deckt auch der Befehl zu ungesetzlichen Handlungen den Untergebenen gegen V e r a n t w o r t l i c h k e i t ' nach außen (vgl. oben Bd. I S. 191) und ist die Amtshandlung gegenüber dem W i d e r s t a n d e als eine rechtmäßige anzusehen (vgl. oben Bd. I S. 301). 9 L a b a η d , der die Grundidee unserer Lehre an der Promulgation des Gesetzes aufgewiesen hat (St.R. 1. Aufl. I S. 43) und seither auch eine Erweiterung auf die Verordnung zugesteht (vgl. oben Bd. I S. 96 Note 8), stellt tatsächlich auch für das Prüfungsrecht gegenüber dem Dienstbefehl Einschränkungen auf, die so ziemlich mit dem zusammentreffen, was wir hier aus jener Grundidee folgern. — I m wesentlichen wie hier A n s c h ü t z in H o l t z e n d o r f f Enzykl. I V S. 150. 10 Das dürfte der genauere Ausdruck sein für „Behörde, die kompetent ist, den Befehl zu erlassen", wie L a b a η d a. a. Ο. es bezeichnet, was die Möglichkeit offen läßt, auch einen nach außen, an einen Dritten gerichteten Befehl zu meinen. Wir werden sehen, wie notwendig hier Vorsicht ist.

Besondere Leistungspflichten.

186 beachtet l ä ß t .

I n s o f e r n w ü r d e a u c h e i n Prüfungsrecht bezüglich der

E r f ü l l u n g der F o r m e n b e s t e h e n 1 1 .

U m g e k e h r t k a n n eine förmliche

K e n n t l i c h m a c h u n g des Vorgesetzten d u r c h gewisse ä u ß e r e

Zeichen

eingerichtet sein, denen gegenüber d a n n eine N a c h p r ü f u n g des U n t e r gebenen, ob es a u c h w i r k l i c h der Vorgesetzte ist,

ordentlicherweise

nicht stattfinden s o l l 1 2 . — D e r B e f e h l m u ß seinem I n h a l t e n a c h das d i e n s t l i c h e

Ver-

h a l t e n des Untergebenen betreffen, d. h. etwas v o n i h m verlangen, was denkbarerweise n o c h i n der D i e n s t p f l i c h t begriffen

ist13.

E s s i n d j a i m m e r n u r T ä t i g k e i t e n b e s t i m m t e r A r t , die geschuldet werden, allerdings s a m t allem, was nebensächlich n o c h d a z u gehört, u n d s a m t d e n entsprechenden Unterlassungen.

Ob es i m Einzelfalle

r i c h t i g oder u n r i c h t i g w a r , gerade das z u fordern, i s t für die Frage, die uns h i e r beschäftigt, g l e i c h g ü l t i g : es genügt, daß derartiges k r a f t der D i e n s t p f l i c h t ü b e r h a u p t g e f o r d e r t w e r d e n k a n n ; d a n n i s t es Sache des Vorgesetzten, z u bestimmen, ob er es j e t z t i n A n s p r u c h n e h m e n w o l l t e , u n d sein B e f e h l w i r d w i r k s a m ohne e i n R e c h t des anderen z u r eigenen P r ü f u n g u n d z u r Gehorsamsverweigerung. 11

Danach

L a b a η d , St.R. I S. 462, bemerkt von dieser Forrufrage ganz richtig, sie sei „praktisch gewöhnlich von untergeordneter Wichtigkeit und gibt zu Zweifeln selten Anlaß". Der Grund liegt darin, daß für den Dienstbefehl solche Formvorschriften kaum bestehen. Die Beispiele, die er S. 463 Note 1 anführt, treffen nicht zu. 12 Der Beamte gehorcht dem Dienstsiegel, meistens sogar schon dem vorgedruckten Namen der Behörde, ohne die Unterschrift entziffern zu können. Nachprüfung würde ihm wohl als passive Obstruktion ausgelegt werden. — Der Soldat gehorcht der Uniform; das muß auch so sein, aber darauf beruht der Erfolg des Hauptmanns von Köpenik. Vgl. D i e t ζ in Ztschr. f. ges. Stf.R.Wiss. X X V I I S. 714 ff. 13 Das wird schief ausgedrückt, wenn man sagt: das Zugemutete müsse noch in der „Kompetenz", in der „Zuständigkeit" des Dienstpflichtigen liegen. So L a b a η d , St.R. I S. 462 (S. 463 soll er sich sogar fragen, „ob die ihm zustehende A m t s g e w a l t ihn ermächtigt, die ihm aufgetragene Handlung vorzunehmen"); S e y d e l , Bayr. St.R. I I S. 223; G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. § 146 n. 3 c; F r e u η d , in Arch. d. öff. R. I S. 136; L ο e η i η g , V.R. S. 122 Note 5 (nur „Handlungen, zu deren Vornahme er eine allgemeine Zuständigkeit besitzt"). Dabei schielt man immer schon auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung dem Dritten gegenüber und die hierbei in Betracht kommende Zuständigkeit zur Erlassung obrigkeitlicher Akte. Aber die Frage des Umfangs der Gehorsamspflicht steht doch auf einem viel breiteren Boden. Sie kann auch auftauchen, wenn dem Kanzleibeamten befohlen wird, etwas Tinte nachzugießen. Von Zuständigkeit und Amtsgewalt ist da auf seiner Seite gar keine Rede. Und der Soldat, der doch auch eine Gehorsamspflicht hat, wäre bei jedem Befehl in der Lage, seine Zuständigkeit in der hier vorgesehenen Weise zu verneinen, da er ja überhaupt keine besitzt.

§ 45. Die Dienstgewat.

187

kann der Spielraum, innerhalb dessen der Befehl vorläufig bindet, sehr weit gehen. Ausgeschlossen sind grundsätzlich p e r s ö n l i c h e A n g e l e g e n h e i t e n des B e f e h l e n d e n i m Gegensatz zu Angelegenheiten des Gemeinwesens: nur diesem letzteren gehört der Dienst. Doch kann sich beides verbinden 1 4 . Andererseits gibt auch das P r i v a t l e b e n des D i e n s t p f l i c h t i g e n keinen möglichen Gegenstand für einen Dienstbefehl. Nicht als ob es dienstlich gleichgültig wäre: die Dienststrafgewalt (vgl. unten I I ) ist i n der Lage, sich sehr stark damit zu beschäftigen. Aber was i n dieser Hinsicht dem Dienstherrn geschuldet wird, kann durch Dienstbefehl nicht näher bestimmt werden 1 5 . 3. Der Dienstbefehl hat aber n o c h a n d e r e G r e n z e n , um derentwillen dem Untergebenen ein Nachprüfungsrecht zusteht, damit er je nachdem den Gehorsam verweigere. Sie sind gesetzt mit Rücksicht auf die Wirkungen, welche die Ausführung des Befohlenen n a c h a u ß e n haben würde. Damit betreten wir das Gebiet einer alten, vielverbreiteten Lehre, aus der auch jetzt noch das rechte Verständnis des Dienstbefehls manche Erschwerung erfährt. Die Ideen des Verfassungs- und Rechtsstaates ließen ja alles willkommen erscheinen, was dazu dienen konnte, Recht und Gesetz sicherzustellen gegen Mißbräuche der Behörden und so den Untertanen Schutz zu gewähren. U n d ein wirksames Mittel sah man i n dem Grundsatze, daß jeder Beamte oder sonstige Diener des Staates f ü r d i e G e s e t z m ä ß i g k e i t a u c h der v o n i h m ausgeführten Anordnungen seinerVorgesetzten verantwortlich, folglich befugt, ja verpflichtet sei, diese nachzuprüfen und den Gehorsam zu verweigern, wenn er findet, daß es damit nicht i n Ordnung 14 Es gibt Beamte, die geradezu dafür bestellt sind, anderen Beamten, höheren natürlich, bei ihrer Tätigkeit persönliche Dienste zu leisten. Vor allem beim Heere vermischen sich diese Dinge: der Burschendienst ist zugleich Erüllung der öffentlichen Dienstpflicht, und Ungehorsam dabei hat die Folgen der Verletzung des militärischen Gehorsams. 15 I n Leipzig hat es der Stadtrat für unzulässig befunden, städtischen Beamten die Bildung von Konsumvereinen zu verbieten, wie von mittelstandlicher Seite gewünscht war. Das Verbot des Besuchs gewisser Wirtshäuser läßt sich bei den Beamten nicht durchführen. Dabei bleibt die Frage offen, ob solcher Besuch nicht, abgesehen von einem Verbote, disziplinarisches Einschreiten rechtfertigt. Ganz anders beim Soldaten: die militärische Befehlsgewalt erfaßt seine Person viel eingreifender und läßt vom Privatleben nicht gar sehr viel übrig. R.Milit. Gericht 25. April 1902 (Entsch. I S. 105): Unteroffizier befiehlt einem Soldaten aus anderer Truppe, mit dem er zufällig in der Eisenbahn zusammen reist, das Fenster zu schließen; Dienstsache!

Besondere Leistungspflichten.

188

gehe. So entstünde eine Gewähr des Gesetzes, w i e sie n i c h t besser ged a c h t werden k a n n : jeder B e a m t e i s t j a n u n z u dessen H ü t e r b e s t e l l t gegenüber seinem Vorgesetzten, der ohne i h n n i c h t s vermag

16

durchzuführen

.

I n W i r k l i c h k e i t w a r es aber doch n u r eine v e r k e h r t e W e l t , m a n sich auf diese Weise zurechtgedacht h a t t e . V e r w a l t u n g k o n n t e d a m i t nie zustande k o m m e n . sächlich n i e a n diese Grundsätze g e h a l t e n 1 7 . denn des

auch

bestrebt

gewesen,

Untergebenen

drängen.

in

demgegenüber

vernünftige

Eine

die

lebensfähige

M a n h a t sich t a t -

Die n e u e r e L e h r e ist das

Prüfungsrecht

Schranken

zurückzu-

A b e r es b l e i b t dabei, daß das ganze Prüfungsrecht

unter

d e m Gesichtspunkte der W i r k u n g n a c h a u ß e n b e t r a c h t e t w i r d u n d eines S c h u t z e s d e r U n t e r t a n e n g e g e n U n g e s e t z l i c h k e i t e n v o n selten des Vorgesetzten.

Gegenstand der P r ü f u n g i s t also auch h i e r

i m m e r n o c h die o b r i g k e i t l i c h e Maßregel, die d i e s e r ü b e r den U n t e r t a n e n verhängt18. 16

Es gab ja eine Zeit, welche die zuverlässigste Tugend nur in den Hütten des Subalternbeamtentums suchte, ganz oben aber lauerte der „Ministerialdespotismus" und die von Gneist so sehr gefürchtete „Parteiregierung". Diese Auffassung mit ihren Folgerungen datiert weit zurück. Erst noch maßvoll, sofern die Sache wesentlich auf ein „Recht der Gegenvorstellung" hinausläuft: S e u f f e r t , Verh. des Staates und der Diener des Staates § 57; v. d. Β e c k e , Von Staatsämtern § 83; G o e n n e r , Der Staatsdienst § 78. Später aber mit voller Entschiedenheit: P e r t h e s , Der Staatsdienst S. 126: „Keine Behörde darf das bestehende Recht durch eine ihm widersprechende Anordnung aufheben. Geschieht es dennoch, so darf kein Beamter einer solchen Anordnung Folge leisten." So jetzt noch L ο e η i η g , V.R. S. 122 Note 5. G. M e y e r , St.R. § 146, glaubt einen vernünftigen Mittelweg gehen zu können, indem er den Beamten nur „in allen zweifelhaften Fällen" an den Befehl bindet; dagegen soll er den Gehorsam verweigern bei „Verfügungen, welche dem klaren Wortlaut eines Gesetzes widersprechen". Aber wann ist er klar ? Und wer entscheidet, was der Wortlaut des Gesetzes besage, der Dienstbefehl oder die Meinung des Untergebenen ? 17 P e r t h e s a. a. 0. bemerkt darum selbst: Die Vorgesetzten brauchen sich aber durchaus nicht jede Gehorsamsverweigerung wegen ungesetzlicher Anordnung gefallen zu lassen, sonst „würde Regierung unmöglich sein". Also entscheiden schließlich doch sie? Die Lösung des Widerspruchs, in welchen er gerät, erhofft er vom „guten Geiste des Beamtenstandes". Dann braucht man allerdings keine juristischen Formeln und keine Juristen. 18 Es ist leicht zu beobachten, wie die Vertreter der hier besprochenen Lehre von dem Dienstbefehl, um den es sich eigentlich handelt, ganz unbefangen auf die nach außen ergehende Anordnung hinübergleiten, deren Rechtmäßigkeit nun geprüft werden soll. S e v d e l , Bayr. St.R. I I S. 223: „Es ist Dienstbefehl nur dann, wenn der Befehlende zuständig ist, die Anordnung zu erlassen". Die Note 12 fügt hinzu „örtlich und sachlich". Der Untergebene aber muß zuständig

§ 45. Die Dienstgewat.

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Für die Gehorsamspflicht des Untergebenen kommt es aber nach der Natur der Sache auf s e i n Verhältnis zu dem Dienstherrn an, nicht auf das Verhältnis des Dienstherrn zu dem Dritten, auf den gewirkt werden soll. I m Polizeistaat, der die rechtliche Kraft und Bedeutung des Verwaltungsaktes, der auf den Dritten wirkt, nicht kannte, floß das alles mit dem Dienstbefehl, der nur den Untergebenen angeht, zu einer unförmlichen Masse zusammen 1 9 . W i r aber unterscheiden. Die p o l i z e i l i c h e V e r f ü g u n g über den Hausbesitzer, daß sein Haus abgerissen werden solle, und der gleichzeitig an den Schutzmann ergehende D i e n s t b e f e h l , den Handwerksleuten dabei „polizeiliche Assistenz" zu leisten, das sind zwei verschiedene Dinge, die verschiedene Rechtsverhältnisse betreffen. Die Gültigkeit des letzteren hängt nicht von der Gültigkeit der ersteren ab. Deshalb kann aus dem Wesen des Dienstbefehls keineswegs von selbst ein Prüfungsrecht des Untergebenen gegenüber der n a c h a u ß e n zielenden Maßregel des Vorgesetzten geschlossen werden und ist es auch vergeblich, eine allgemeine Formel für ein Prüfungsrecht i n dieser Richtung aufstellen zu wollen. Damit ist nicht gesagt, daß ein solches Prüfungsrecht überhaupt nicht besteht. I m Gegenteil: es ist nicht zu verkennen, daß der Untergebene u n t e r U m s t ä n d e n m i t Rücksicht auf die Wirkung, welche seine Tat nach außen haben kann, den Gehorsam verweigern darf. Falsch sind nur jene tendenzmäßigen Verallgemeinerungen. Es handelt sich i n Wirklichkeit hier stets um b e s o n d e r e g e s e t z l i c h e V e r a n s t a l t u n g e n , die ihren Sinn und Zweck für sich haben, und aus welchen dann eben für die Kraft des Dienstbefehls eine entsprechende Hemmung sich ergeben muß. Es ist wichtig, diese Fälle genau abzugrenzen. Zweierlei kommt i n Betracht: sein, „die Anordnung zu vollziehen". L a b a η d , St.R. I S. 463 Note 1, führt unter den zu prüfenden Befehlen der vorgesetzten Behörde auch an die „E r k e n n t n i s s e " , bei welchen die Formen der Urteilsausfertigung zu beobachten sind. Das sind doch sicher keine Dienstbefehle. Die Entscheidung des O.Tr. v. 19. Jan. 1872, auf welche er S. 464 sich beruft, spricht von einem Befehl, „um dessen V o l l s t r e c k u n g es sich handelt", und bei dem nicht zu untersuchen ist, „ob die vorgesetzte Behörde von ihren A m t s b e f u g n i s s e n einen angemessenen Gebrauch macht". — Zuständigkeit, Form der Willenserklärung, Vollstreckung, Amtsbefugnisse, alles das zielt ja auf die Anordnung •für den Untertanen, zu deren Durchführung dem Untergebenen der Dienstbefehl erteilt wird. 19

Für die auch jetzt noch bestehende Unfähigkeit, hier zu unterscheiden, ein paar Beispiele oben Bd. I S. 302 Note 6.

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— Was eine Hemmung bereiten muß, ist vor allem das S t r a f gesetz. Jedes Strafgesetz, aucli wenn es das Dienstverhältnis gar nicht i m Auge hat, wird hier bedeutsam, sobald der Dienstbefehl seinem Inhalte nach i m gegebenen Falle dahin führen würde, daß der Untergebene, der i h n befolgt, einer strafbaren Handlung sich dadurch schuldig machte, als Täter oder Mittäter oder Gehilfe oder Begünstiger, gleichviel. Es ist aber unmöglich, beides nebeneinander bestehen zu lassen: die Strafdrohung, durch welche das Gemeinwesen abhalten w i l l von einer Tat, und den wirksamen Dienstbefehl, durch welchen es dazu anhalten will. Die schwächere Seite muß weichen; das ist ordentlicherweise der Dienstbefehl: er wird unverbindlich i n dem Sinne, daß er dem Strafgesetz gegenüber auch unfähig ist, seine Gültigkeit wirksam für den Untergebenen zu bezeugen; der Untergebene hat das Recht, gegebenenfalls den Gehorsam zu verweigern 2 0 . — Zum anderen wird die unmittelbare Wirksamkeit des Dienstbefehls dadurch ausgeschlossen, daß i h m ein s t ä r k e r e r D i e n s t b e f e h l entgegentritt oder, wie wir — um alles zu umfassen — besser sagen: ein s t ä r k e r e s R e c h t , d i e D i e n s t p f l i c h t z u b e s t i m m e n . Es kann ein Dienstpflichtiger m e h r e r e V o r g e s e t z t e haben. Damit ist dann die Möglichkeit gegeben, daß ihm mehrere Dienstbefehle zugehen widersprechenden Inhalts. Da nur einer befolgt werden kann, muß er prüfen, welcher davon diesen Vorzug verdient, und dem anderen den Gehorsam verweigern. Der Maßstab für diese Entscheidung ist ihm natürlich nicht frei überlassen, sondern bestimmt vorgeschrieben. Regelmäßig werden die Vorgesetzten selbst i n der S t u f e n f o l g e der Behördenordnung stehen, so daß es einen unmittelbaren und einen höheren Vorgesetzten gibt; der Dienstbefehl des höheren wird dann vorzugehen haben 2 1 . — Es gibt auch Fälle, wo ein und derselbe Beamte m e h r e r e n V e r w a l t u n g s z w e i g e n , vertreten durch verschiedene Behörden, zur Durchführung ihrer Anordnungen 20

Ausnahmsweise weicht umgekehrt das Strafgesetz dem Dienstbefehl. Mil. Stf.G.B. § 47: Wenn die befohlene Handlung eine Übertretung darstellt, haftet der befehlende Vorgesetzte allein; ebenso auch im Falle eines Verbrechens oder Vergehens, wenn nicht dem Untergebenen bekannt gewesen, daß es sich um ein solches handelte. — Hieran erweist der m i l i t ä r i s c h e Dienstbefehl wieder seine eigentümliche Stärke. 21 Das stimmt zu der die ganze Behördenordnung durchziehenden Auffassung, wonach der Staatswille auf den höheren Stufen jeweils reiner und kräftiger zum Ausdruck kommt als auf den niederen (vgl. oben Bd. I S. 123 f). Anders wieder im Gebiet des militärischen Dienstbefehls: hier geht immer der l e t z t e vor, ohne Unterschied der Stufe: R.Mil.Gericht 7. Mai 1904 (Entsch. V I I S. 86), 16. Febr. 1905 (Entsch. V I I I S. 143).

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zur Verfügung s t e l l t 2 2 . Da ist es für gewöhnlich nicht Sache des Untergebenen, darüber zu wachen, daß jeder der verschiedenen Vorgesetzten nicht i n die Zuständigkeit des anderen übergreife; für i h n muß es genügen, daß das, was von i h m verlangt wird, noch i m allgemeinen Rahmen der von i h m geschuldeten Dienstpflicht liegt. Wenn aber auch v o n der anderen Seite befohlen worden ist, Dienstbefehl gegen Dienstbefehl steht i n unvereinbarer Weise, dann wird wiederum der Untergebene prüfen müssen, welcher von beiden für i h n allein maßgebend ist. Das wird der Befehl desjenigen Vorgesetzten sein, zu dessen Dienstzweig die Sache nach seinem Urteil eigentlich gehört. Der andere Befehl bleibt unbefolgt. Es braucht sich aber nicht notwendig um einen Widerspruch zwischen verschiedenen Dienstbefehlen zu handeln. Die gleiche Wirkung kann auch eintreten, wenn der Dienstbefehl auf ein anderes Recht zu näherer Bestimmimg der Dienstpflicht stößt. U n d zwar ist der andere, dessen Zuständigkeit hier i n Betracht kommt, der D i e n s t p f l i c h t i g e selbst. Es gibt nämlich besondere Fälle, i n welchen die gute Ordnung des Dienstes gerade darin gesucht wird, daß der Dienstpflichtige selbständig und auf eigene Verantwortung finde und wahrnehme, was seine Pflicht gebietet. Er ist sich dann sozusagen selber Dienstbehörde. W i r sprechen alsdann von einer S e l b s t ä n d i g k e i t des A m t e s , von einer d i e n s t l i c h e n U n a b h ä n g i g k e i t . Das bekannteste und einleuchtendste Beispiel bietet die r i c h t e r l i c h e U n a b h ä n g i g k e i t . Auch die Richter stehen unter Dienstgewalt und können Dienstbefehle erteilt bekommen. Aber bezüglich der eigentlichen rechtsprechenden Tätigkeit sollen sie selbständig finden, was ihre Pflicht ist, und danach tun. Der Dienstbefehl eines Vorgesetzten, der sie darin beeinflussen wollte, wäre unzulässig. Er stößt auf jenes stärkere Recht der Bestimmung der eigenen Dienstpflicht, welches der Richter selbst zu wahren hat. Statt Gehorsam zu leisten, müßte dieser die Einmischung zurückweisen. Wiederum sehen wir die Voraussetzungen für die bindende Selbstbezeugung des Dienstbefehls hier alle erfüllt: es ist der Vorgesetzte, der befiehlt, es werden Dinge befohlen, die zu t u n i n der Dienstpflicht sehr wohl begriffen sein können. Die besondere Einrichtung, durch welche das Gesetz die Kraft des Dienstbefehls hier bricht, beruft den Untergebenen zu eigener 22

So die Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes, welche ihrer vorgesetzten Polizeibehörde unterstehen und zugleich, als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, dieser: G.V.G. § 153; Mot. S. 170f. ( H a h n , Mat. I S. 152). Zweierlei Vorgesetzte hat auch der preußische Gendarm: Gendarmerie-Verord. v. 30. Dez: 1820 § 17.

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Prüfung, ob diese Schranke eingehalten ist, und verneinendenfalls zur Verweigerung des Gehorsams 2 3 . Diese Einrichtung besteht nicht bloß für die ordentlichen Gerichte; sie ist unbedenklich auch anzuerkennen bei den V e r w a l t u n g s g e r i c h t e n , ob das Gesetz es ausdrücklich bestimmt oder n i c h t 2 4 . Dienstliche Unabhängigkeit i n gleichem Sinne findet sich auch für eigentliche V e r w a l t u n g s ä m t e r besonders angeordnet, oder sie ergibt sich von selbst aus der Natur der berufsmäßigen Tätigkeit, z. B. aus dem Amtsauftrag zur Lehre der Wissenschaft. Wo das Gesetz die sogenannten B e s c h l u ß b e h ö r d e n eingerichtet hat, unter Verwendung des dem Dienstbefehl ohnehin schwerer zugänglichen E h r e n a m t e s , muß angenommen werden, daß für die Mitwirkung bei der Beschlußfassung selbst die gleiche dienstliche Unabhängigkeit gewollt sei wie bei den Gerichten. Auch bei einfachen V o l l s t r e c k u n g s b e a m t e n 2 5 erscheint eine solche Selbständigkeit des Rechts und der Pflicht zur Prüfung der Voraussetzungen ihrer Amtstätigkeit. Das wird wenigstens da anzunehmen sein, wo das Gesetz diese von der Erfüllung gewisser Formbedingungen abhängig gemacht hat. Der Gerichtsvollzieher und, wo er i h m gleichgestellt ist, der Exekutor, darf zur Pfändung nur vorschreiten auf Grund eines vollstreckbaren Titels i n gehöriger Form, den er i n Händen haben muß ; die eigene Prüfung, ob das der Fall ist, kann ihm kein Dienstbefehl ersetzen. Ebenso ist die Verhaftung von der Ausfertigung des Haftbefehls, die Aufnahme i n eine Gefangenenanstalt von der Aushändigung der nötigen schriftlichen Nachweise abhängig gemacht, so daß der Vollzugsbeamte selbständig sich zu vergewissern hat, ob er handeln darf oder nicht. U m eine Nachprüfung 23 G.V.G. § 1 . — S e y d e l , Bayr. St.R. I I S. 223, stellt, abweichend-von uns, die Frage der Grenzen der Gehorsamspflicht auf die Z u s t ä n d i g k e i t des Vorgesetzten, „die Anordnung zu erlassen", und des Untergebenen, „sie zu vollziehen" (vgl. oben Note 24). „All dies", meint er, „sind keine Beschränkungen des Begriffs Dienstbefehl, sondern nur Entwicklungen dieses Begriffs." Als Beispiele von Dienstbefehlen, die deshalb unverbindlich wären, nennt er in Note 11 den Befehl zu einer strafbaren Handlung und in Note 12 die Weisung an den rechtsprechenden Richter; beides „scheide aus dem Begriff des Dienstbefehls aus", sei „kein Dienstbefehl". Aber der vorgesetzte Richter kann ja für die Erlassung eines Urteils dieser Art sehr wohl selbst zuständig sein, und für den angewiesenen handelt es sich sicher um eine Ausübung seiner allgemeinen Zuständigkeit. Überall ist es nicht sein enger Begriff, der die Kraft des Dienstbefehls für diese besonderen Fälle bricht, sondern die positive Gegenwirkung des Gesetzes, das die richterüche Unabhängigkeit anordnet. 24 Vgl. oben Bd. I S. 136 Note 12 u. S. 143 Note 8. 25 Vgl. oben Bd. I S. 299 ff.

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der Formen des Dienstbefehls, wovon man so gerne redet, handelt es sich überall nicht; es sind selbständige Formvoraussetzungen der eigenen Handlung des vollziehenden Beamten, neben dem Dienstbefehl erforderlich. I I . Die Dienststrafgewalt. Die öffentliche Strafe, als das obrigkeitlich zuzufügende Übel wegen mißbilligten Verhaltens, kommt i n Zusammenhang mit der öffentlichen Dienstpflicht auf mehrfache Weise zur Anwendung. Zum Teil gehören diese Strafen den Rechtsformen des gemeinen Strafrechts an. Da unterscheiden sich von den gewöhnlichen Straftaten die V e r g e h e n i m D i e n s t e oder i m A m t e nur dadurch, daß das Dienstverhältnis des Täters ein Tatbestandsmerkmal bildet, das die Strafbarkeit begründet oder verschärft (Stf.G.B. § 331 ff.). Daneben findet sich auch hier die Strafe verwendet als ein Z w a n g s m i t t e l des Dienstherrn zur Herbeiführimg des dienstpflichtmäßig geschuldeten Verhaltens. Hier gibt dann die polizeiliche Ungehorsamsstrafe oder Zwangsstrafe das Vorbild 2 6 . Voraussetzung ist wieder der Dienstbefehl, und zwar als Befehl für den Einzelfall, auf dessen Nichtbefolgung der Befehlende die Strafe setzen darf, um sie über den ungehorsamen Beamten nachher zu verhängen. Denkbar sind daneben auch die anderen Mittel der Zwangsvollstreckung, Zwangsersatzvornahme und einfache Gewaltanwendung 2 7 . Das t r i t t aber alles zurück hinter einer anderen Machtäußerung welche dem Dienstherrn noch zur Verfügung steht und die dritte A r t von Strafe vorstellt, die hier erscheint. Diese dritte A r t ist die 26

G. Μ e y e r , in Annalen 1876 S. 673; d e r s., St.R. § 148 n. 1. Warum dabei der Arrest als „ d i r e k t e s Zwangsmittel" anerkannt werden soll, um den Beamten zur Vornahme der geschuldeten Geschäfte anzuhalten, die Geldstrafe nur als i n d i r e k t e s , wird nicht gut einleuchten. — v. B a r , Stf.R. I S. 353^ spricht hier von einer „sog. Ordnungsstrafe im eigentlichen Sinne", die a u c h Disziplinarstrafe sein soll, aber wesentlich Zwangsmittel. Das sind aber sehr verschiedene Dinge; „Ordnungsstrafe" sagt gar nichts. Das ältere preußische Recht warf diese Zwangsstrafe einfach mit der polizeilichen Zwangsstrafe zusammen. Dagegen mit Recht F o e r s t e m a n n , Pol.R. S. 403. Bad. Verord. v. 14. Jan. 1890 handelt aber gleichfalls von dieser Strafe unter der Rubrik „Dienstpolizei". 27 Eigenartig das in Mil.Stf.G.B. § 124 vorgesehene Zwangsmittel: „Diejenigen Handlungen, welche der Vorgesetzte begeht,. . . um seinen Befehlen im Falle der äußersten Not und dringendsten Gefahr Gehorsam zu verschaffen, sind nicht als Mißbrauch der Dienstgewalt anzusehen." Damit soll doch geradezu eine Ermächtigung zu diesen „Handlungen" gegeben sein; denn einer solchen bedarf es. B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: O t t o M a y e r , V e r w a l t u n g e n I I . 3. Aull.

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Besondere Leistungspflichten.

D i s z i p l i n a r s t r a f e , D i e n s t s t r a f e . Sie fließt aus dem GewaltVerhältnis, i n dem der Dienstpflichtige steht. Die öffentliche Dienstpflicht enthält ja die Forderung einer besonderen Treue und Hingabe, welche der Diener bei Erfüllung der i h m obliegenden Aufgaben betätigen und i n seinem ganzen Verhalten beobachten soll (oben § 42, I ) . Auf die r e c h t e G e s i n n u n g kommt hier alles an; ohne die kann sich der Staat auf den Mann nicht verlassen. Jede Pflichtwidrigkeit, die etwa zutage t r i t t , kann deshalb eine doppelte Seite haben: — eine b e s o n d e r e , sofern eine Unordnung, eine störende Tatsache vorliegt, welche beseitigt werden muß: die mißbräuchlich benutzten Dienstgegenstände werden dem Schuldigen abgenommen, die unterlassene Amtshandlung wird erzwungen 2 8 ; — eine a l l g e m e i n e , sofern aus dem Vorgefallenen zugleich erhellt, daß es bei dem Schuldigen an der unentbehrlichen Gesinnung fehlt: dagegen richtet sich die Dienststrafgewalt i n ihrer eigenen "Weise 2 9 . Es geht nicht an, nach beseitigter Störung ein derartiges Element i m öffentlichen Dienste, der darunter leidet, ruhig m i t fortzuschleppen. Deshalb wird auf den Schuldigen eingewirkt m i t Strafen, die man über i h n verhängt. Diese Strafen sind poenae medicinales. Sie ziehen ihre ganze Rechtfertigung aus dem Erfolge, der dadurch angestrebt werden soll, aus der f ü r d e n D i e n s t z u e r z i e l e n d e n B e s s e r u n g . Diese Besserung kann an dem Schuldigen selbst gesucht werden; das kommt dann auch dem allgemeinen Zustande des Dienstes zugute. I s t sie an diesem Punkte nicht möglich, so bleibt als letztes Mittel die Entfernung des schadhaften Gliedes aus dem Dienste, so daß wenigstens dieser, der die Hauptsache ist, gereinigt und gebessert wird: quod medicamenta non sanant, ferrum s a n a t 3 0 . 28 Davon sprachen wir soeben. Richtig G. Μ e y e r in Annalen 1876 S. 676: „Nun ist allerdings in vielen Staatsdienergesetzen den vorgesetzten Behörden eine Zwangsgewalt gegen ihre Untergebenen beigelegt worden. Aber diese Zwangsgewalt muß von der Disziplinarbestrafung genau unterschieden werden." 29 Früher suchte man dieser Strafgewalt natürlich wieder eine privatrechtliche Seite abzugewinnen: H e f f t e r in Neues Arch. d. Crim.R. X I I I S. 177. ν. Β a r , Handb. d. Stf.R. I S. 357. Daß aber auch L a b a η d , St.R. I S. 487 Note 2 u. S. 488 Note 2, unter Berufung auf diese beiden hier von „Privatrecht" und „privatrechtlicher Seite" spricht, das ist ein bedauerlicher Rückfall. Denn L a b a η d steht, wie das heutzutage auch wohl nicht anders sein kann, auf dem Standpunkte, daß „das Dienstverhältnis des Staatsbeamten zum Staate nicht privatrechtlicher, sondern öffentlichrechtlicher Natur ist" (a. a. 0. S. 434). 30 Es ist immer ein bedeutsamer Entschluß, wenn die Dienststrafgewalt

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D a diese Maßregeln stets zugleich b e i d e m Betroffenen e i n V e r h a l t e n voraussetzen, das d a d u r c h m i ß b i l l i g t w i r d , u n d e i n Ü b e l vorstellen, das i h m die vorgesetzte O b r i g k e i t zufügt, b l e i b t gleichwohl der allgemeine B e g r i f f der Strafe a u c h h i e r noch e r f ü l l t 3 1 . 1. B e i Polizeistrafe u n d Finanzstrafe h a b e n w i r gesehen, w i e die o b r i g k e i t l i c h e Z u f ü g u n g des Ü b e l s stets einer g e s e t z l i c h e n

Grund-

l a g e bedarf. D i e Disziplinarstrafe dagegen setzt das öffentliche D i e n s t v e r h ä l t n i s voraus, u n d dieses b i e t e t d e m o b r i g k e i t l i c h e n D i e n s t h e r r n v o n selbst allerlei M i t t e l ü b e l z u empfindender E i n w i r k u n g .

Das k o m m t

vor

a l l e m d e m B e a m t e n gegenüber z u r G e l t u n g , sofern der B e s t a n d des Verhältnisses selbst v o n seinen Oberen a b h ä n g t , die i h n

versetzen

oder entlassen k ö n n e n ; die Vorgesetztenstellung b r i n g t die M ö g l i c h k e i t v o n o b r i g k e i t l i c h e n V o r h a l t e n u n d Zurechtweisungen

mit

sich

sowie v o n strengerer A u s n u t z u n g der Dienstbefehlsgewalt gegen d e n sich sagt: jetzt geht es nicht mehr so weiter, es muß ein Ende gemacht werden, und von der „korrektiven" zur „epurativen" Disziplin übergeht. Aber deshalb darf man die Dienststrafgewalt doch nicht auseinanderreißen, als wäre sie etwas ganz anderes je nachdem. Beides muß auf einen Generalnenner gebracht werden. Die Idee der Besserung ist in der ersten Hälfte klärlich gegeben; das Gemeinsame ist von da aus unschwer zu erkennen. Wegen der Verwandtschaft mit der censura des kanonischen Rechts vgl. H i n s c h i u s in H o l t z e n d o r f f Rechtslex. I S. 458; d e r s., System des kath. K.R. I V S. 748 u. 756 Note 8. So auch schon H e f f t e r , i n Neues Arch. f. Crim.R. X I I I S. 78. — Indem wir diesen Zusammenhang der Disziplinarstrafen aufrechterhalten, wird es sich von selbst verbieten, daß wir hier von E r f ü l l u n g s z w a n g für die g e s c h u l d e t e D i e n s t p f l i c h t reden, wie z. B. L a b a η d , St.R. I S. 486 f., R e h m in Annalen 1885 S. 192. Darüber auch v. B a r , Handb. d. Stf.R. I S. 358 Note 409. 31 B i n d i n g , Grundr. d. Stf.R. S. 153: „keine Strafe im Rechtssinn, sondern ein pädagogisches Zuchtmittel". Das letztere ist für die „korrektive" Disziplin sehr zutreffend. Aber warum soll ein solches Zuchtmittel nicht zugleich dem allgemeinen Begriff der Strafe entsprechen können? Daß wir den Satz G. M e y e r s in Annalen 1876 S. 675: „ein begrifflicher Gegensatz zwischen Amtsdelikten und Dienstvergehen (mit Disziplinarstrafe zu ahndenden Pflichtverletzungen) existiert gar nicht", nicht annehmen, versteht sich nach dem Ausgeführten von selbst. Die Disziplinarstrafe bedeutet kein „Spezialstrafrecht für Beamte"; sie ist ganz anderer Natur wie die gemeine Strafe. Das Militärstrafgesetzbuch bedeutet ein Spezialstrafrecht für den Soldatenstand; aber gerade ihm steht das militärische Disziplinarstrafrecht gegenüber als etwas anderes, wohl unterschiedenes: Verhängung der Strafe in gebundener Vollziehung des sie androhenden Rechtssatzes und Verhängung der zur Verfügung gestellten Strafe zwecks Besserung des Dienstes, das ist juristisch zweierlei. L a b a n d , St.R. I V S. 158; D i e t z , in Wörterb. d. St. u. V.R. I I S. 856 („Verwaltungsstrafe" und „Rechtsstrafe"). Wegen der Disziplinarstraford. f. d. Heer vgl. unten Note 34. 13 *

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Saumseligen, um ihm den Ernst der Sache zum Bewußtsein zu bringen. Denkbar wäre es auch, den Beamten bei der Anstellung noch weiteren Benachteiligungen, namentlich zu verhängenden Geldbußen und Gehaltsabzügen für gewisse Fälle sich unterwerfen zu lassen. Da kommt nun die Beamtengesetzgebung darüber, wesentlich zu dem Zwecke, dem schwächeren Teil, dem Untergebenen, eine gesichertere Rechtsstellung zu verschaffen. Sie beschränkt die Entlassung und Versetzung, regelt Geld- und Freiheitsstrafen nach Maß und Anwendbarkeit überhaupt, so daß man dergleichen nicht mehr besonders ausbedingen braucht, aber auch darüber hinaus nicht ausbedingen darf, und läßt nur die nicht so geregelten natürlichen Machtmittel daneben bestehen. Das Gesetz t r i t t also hier mehr o r d n e n d u n d e r g ä n z e n d hinzu, als daß es die ganze Strafgewalt von Haus aus allein schüfe und trüge 3 2 Diese Besonderheit der Disziplinarstrafe t r i t t noch deutlicher hervor i m H e e r d i e n s t v e r h ä l t n i s . Die überwältigende Macht des Dienstbefehls, die i h m eigen ist, gibt dem Dienstherrn von selbst die ausgedehnteste Möglichkeit, allerlei nachteilige Behandlung zuzufügen, die als Disziplinarstrafmittel verwendbar ist. Es steht nichts i m Wege, zur Besserung des Dienstes dem Soldaten, der seine Pflicht verletzt hat, auch einmal den Befehl zu erteilen, daß er ein paar Tage das Zimmer hüte oder i n Arrest sich begebe oder Straf ex erzieren, Strafwache halte, überzählige Kniebeugen mache, über den Topp entere. Auch die Duldung der etwa dazu gehörigen Gewaltmaßregeln liegt noch i m Rahmen der weitgehenden militärischen Gehorsamspflicht. Die Verfügung über die dienstliche Stellung, desgleichen über die Löhnung, auf die der Soldat einen Rechtsanspruch nicht hat, geben dem Vorgesetzten weitere Mittel an die Hand. Gewisse Dienstpflichtverletzungen werden ja als so schwer angesehen, daß sie durch rechtssatzmäßige Strafdrohung unbedingt mißbilligt sind; von diesen hat das Gesetz zu handeln, hier das Militärstrafgesetzbuch 3 3 . Für das übrige bringt 32

Es hat ein Reichsbeamtenrecht gegeben und eine Disziplinarstrafgewalt über Reichsbeamte vor dem Reichsbeamtengesetz; vgl. auch oben Bd. I S. 98 Note 12. Die ganze machtvolle Dienststrafgewalt über das französische Verwaltungsbeamtentum baut sich auf, ohne Disziplinargesetz, mit den Mitteln, die das Dienstverhältnis von selbst bietet: Theorie d. franz. Verw.R. S. 311. 33 H e c k e r i n Wörterb. d. V.R. I I S. 106, spricht hier von „Dienstpflichtverletzungen, welche eine ö f f e n t l i c h e S t r a f e nach sich ziehen" und so „in die Reihe der Kriminalverbrechen resp. Vergehen aufgenommen sind". Öffentliche Strafe, die von der öffentlichen Gewalt ausgesprochen wird, wäre auch die Disziplinarstrafe; Η e c k e r versteht es hier im Sinne von rechtssatzmäßig angedrohter Strafe.

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die Kommandogewalt eine gewisse Ordnung i n diese Dinge zwar auf ihre A r t : durch A r m e e v e r o r d n u n g , d. h. eine k r a f t o b e r s t e r m i l i t ä r i s c h e r D i e n s t g e w a l t erlassene V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t , um Vorgesetzte zu binden, welche jene Disziplinarstrafmittel handhaben, und Untergebene, welche sie erdulden 3 4 . 2. Die A r t und Stufenfolge der als Strafe zuzufügenden Übel, der D i s z i p l i n a r s t r a f m i t t e l , ist für das deutsche Beamtenrecht i m wesentlichen überall übereinstimmend geordnet. Als Disziplinarstrafen sind schon anzusehen d i e f o r m l o s e n M i ß b i l l i g u n g e n u n d Z u r e c h t w e i s u n g e n , die jeder Vorgesetzte naturgemäß berechtigt ist, seinem Untergebenen zukommen zu lassen. Doch begreift man unter dem Namen Disziplinarstrafen vorzugsweise nur solche, die i n geordneter Stufenfolge ihrer Schwere und mehr oder weniger ausgebildetem Verfahren verhängt und überdies noch beurkundet werden zu dauernder Kennzeichnung des Betroffenen 3 5 . Diese f ö r m l i c h e n D i s z i p l i n a r s t r a f e n werden, entsprechend den zweierlei Wegen, auf welchen die Disziplin ihren Zweck zu erreichen sucht, eingeteilt i n korrektive oder Z u c h t d i s z i p l i n und epurative oder r e i n i g e n d e D i s z i p l i n 3 6 . _ Zur Zuchtdisziplin zählen W a r n u n g , V e r w e i s , G e l d b u ß e 34 Die D i s z i p l i n a r s t r a f o r d n u n g f ü r d a s H e e r v. 31. Okt. 1872 hat im Beamtenrecht kein Seitenstück. Man mag sie der äußeren Erscheinung und dem tatsächlichen Erfolge nach mit L a b a η d , St.R. I V S. 158, „ein zweites Militärstrafgesetzbuch" nennen, „das gleichsam für leichtere Fälle die Ergänzung des eigentlichen bildet". Aber nur gleichsam! Ein Gesetz ist sie weder im formellen noch im materiellen Sinne. Für eine Rechtsverordnung fehlt die gesetzliche Delegation. — D i e t ζ , Die Disziplinarstf.Ord. S. 4, erklärt diese für eine Rechts Verordnung; sie sei „Ausfluß der allgemeinen Regierungsgewalt" und deshalb nach Gutdünken verkündbar. Aber ein derartiger Ausfluß gibt eben keine Rechtssätze; solche hängen immer irgendwie am Gesetz. Vgl. oben Bd. I S. 83 Note 4. 35

v. R h e i n b a b e n , Preuß. Diszipl.Gesetz, S. 185. — Jene Dinge sind so selbstverständlich, daß sie in den Gesetzen, welche die Disziplinarstrafen regeln, manchmal gar nicht erwähnt werden. Deshalb kennzeichnen sich dann die anderen Rügen, welche förmliche Disziplinarstrafen sein wollen, durch die ausdrückliche Bezugnahme auf das Gesetz: L a b a n d , St.R. I S. 489; K r i e c h e , Sächs. Staatsdienerges., Note 1 zu § 16. 36 Diese althergebrachten Bezeichnungen werden in unserer neueren Gesetzgebung dadurch verdrängt, daß man die Mittel der Zuchtdisziplin O r d n u n g s s t r a f e n nennt, die der reinigenden Disziplin E n t f e r n u n g a u s d e m A m t oder auch Disziplinarstrafen schlechthin (Preuß. Disziplin.Ges. v. 21. Juli 1852 § 15, R.G.B. § 74, Bayr. Beamtenges. Art. 107). Das Sächs. Staatsdienerges. v. 7. März 1855 hatte die Verhängung der sog. Ordnungsstrafen sehr bezeichnend „das Besserungsverfahren" genannt (§§ 26 u. 27).

Besondere Leistungspflichten.

198

oder sonstige Vermögensnachteile und gelinde F r e i h e i t s s t r a f e n ; außerdem auch S t r a f v e r s e t z u n g und z e i t w e i l i g e Amtse n t z i e h u n g (Suspension). Diese bilden aber schon den Übergang zur reinigenden Disziplin, zur Reinigung des Dienstes durch Entfernung des schadhaften Gliedes, insofern sein Verbleiben gerade nur am gegebenen Orte oder nur für die nächste Zeit bedenklich erscheint und dagegen die Abhilfe so getroffen wird. — Das eigentliche Strafmittel der reinigenden Disziplin ist die endgültige Entfernung aus dem Dienste, die S t r a f e n t l a s s u n g . Diese Strafmittel sind der Dienstgewalt nicht überall gleichmäßig zur Verfügung gestellt. Die Zulässigkeit des einen oder anderen bestimmt sich wohl auch nach der A r t der Dienstpflicht und des damit zu bekleidenden Amtes. Es wird ein Unterschied gemacht zwischen h ö h e r e n u n d n i e d e r e n B e a m t e n . Bei jenen wird unter Umständen schon ein geringes Anfassen schwer empfunden werden, das bei diesen versagen könnte. 3 7 So pflegt das M i t t e l der Freiheitsstrafe, wo überhaupt, nur für niedere Beamte anwendbar zu sein. Dem R i c h t e r gegenüber wird aber möglicherweise auch eine Geldstrafe nicht i n unverhüllter Gestalt zugelassen.38 A m schärfsten sind die Mittel der Dienststrafgewalt naturgemäß entwickelt i m H e e r e 3 9 . Das Heer kann ja dienstwidrige Gesinnung am allerwenigsten ertragen. Bei der gesetzlichen Heerdienstpflicht kommt hinzu, daß es sich hier um eine möglichst rasch ausbildende Schule, auch der Gesinnung, handelt, und daß die reinigende Disziplin ausgeschlossen ist: die Strafentlassung als Maßregel der Dienstgewalt 37 Was D i e t ζ in Wörterb. d. St. u. Verw.R. I I S. 858 von den Strafmitteln der Militärdisziplin sagt: „je höher der Rang, desto milder die Straf art", enthält einen Grundsatz von allgemeiner Gültigkeit. 38

Das Preuß. Richter-DiszipLGes. v. 7. Mai 1851 § 15 kennt die Geldbuße nicht mehr als s e l b s t ä n d i g e Disziplinarstrafe; sie erscheint nur als Zusatzstrafe oder in Gestalt einer von selbst sich anschließenden Verminderung des Diensteinkommens. T h i l o , Preuß. Diszipl.Gesetzgebung S. 21. Für S c h ö f f e n und G e s c h w o r e n e sind Disziplinarstrafen gesetzlich überhaupt nicht vorgesehen. Die „Ordnungsstrafen" nach G.V.G. §§ 56 u. 96 gegen den, der sich „seinen Obliegenheiten entzieht", sind keine Disziplinarstrafen, sondern entsprechen der in Stf.G.B. § 140 Ziff. 1 auf Verletzung der Wehrpflicht gesetzten Strafe. I n Verbindung mit G.V.G. § 177 wird das aber genügen. Zuchtdisziplin, Erziehung der rechten Gesinnung an dem Manne zu üben, den man nie wieder sieht, wenn er seine paar Stunden abgesessen hat, ist zwecklos. Reinigende Disziplin gegenüber dem Zwangsdienst ist widersinnig; die Reinigung vollzieht sich ja auch von selbst. 39

Diszipl.Stf.Ord. v. 31. Okt. 1872 § 3.

§ 45. Die Dienstgewat. widerspräche der Zwangsdienstpflicht.

199

E s m u ß also alles m i t

kräftigerer Z u c h t d i s z i p l i n durchgesetzt werden k ö n n e n 3. D i e Disziplinarstrafe mißbilligendes

Verhalten,

setzt eine V e r f e h l u n g

40

voraus, e i n z u

das sich der D i e n s t p f l i c h t i g e

zuschulden

k o m m e n l ä ß t gegenüber d e n P f l i c h t e n , welche i h m obliegen. sie w i r d d a d u r c h n i c h t v e r w i r k t m ä ß i g e n Strafen,

gemeine Strafe,

desto

.

Aber

i n d e m Sinne, w i e d i e rechtssatzPolizei-

u n d Finanzstrafe,

sonst

v e r w i r k t werden: es h a n d e l t sich n i c h t d a r u m , daß sie n u n a u c h verh ä n g t werden m ü ß t e m i t der entsprechenden Gebundenheit der v o l l ziehenden G e w a l t 4 1 .

V i e l m e h r g i b t die Tatsache der

vorgefallenen

V e r f e h l u n g n u r der Behörde d e m S c h u l d i g e n gegenüber dieses M a c h t m i t t e l i n die H a n d , u m die etwa n o t w e n d i g erscheinende Besserung des Dienstes i n s W e r k z u setzen. Ob sie d a v o n Gebrauch m a c h e n soll u n d i n welcher Gestalt, das ist Sache der E r w ä g u n g der d i e n s t l i c h e n Zweckmäßigkeit42.

Die

Disziplinarstrafgewalt

tpgt

nicht

jene

B i n d e der G e r e c h t i g k e i t v o r d e n Augen, u m n u r d u r c h eine enge Ö f f n u n g d e n A u s s c h n i t t aus der W i r k l i c h k e i t z u sehen, der d e n T a t b e s t a n d der Verfehlung bildet.

Sie b e r ü c k s i c h t i g t die bisherigen Verdienste u n d die

40 Die Entfernung aus dem Heere und die Dienstentlassung erscheinen als Nebenstrafen nach Mü. Stf. G.B. § 31. Das gehört natürlich nicht hierher. — H e c k e r , in Gerichtssaal X X X I S. 495ff., erklärt diesen „Verzicht auf die Straf mittel der reinigenden Disziplin" in der obigen Weise. Gegen Offiziere, auch Reserveoffiziere, weil sie eben alle nicht kraft gesetzlicher Zwangsdienstpflicht dienen (vgl. oben § 44 I I n. 2), gibt es allerdings auch eine reinigende Disziplin, die nur in der Diszipl.Stf.Ord. nicht vorgesehen ist: die E n t l a s s u n g m i t s c h l i c h t e m A b s c h i e d oder E n t f e r n u n g a u s d e m O f f i z i e r s s t a n d e auf Grund eines ehrengerichtlichen Spruches (Verord. über d. Ehrengerichte v. 2. Mai 1874 § 51 ff., als D i e n s t v o r s c h r i f t veröffentlicht; D i e t ζ in Wörterb. d. St. u. Verw.R. I I S. 865). Nicht zu verkennen ist, daß die schlechthin freistehende Zur-Disposition-Stellung auch dazu dienen mag, für minder schwere Dienstwidrigkeiten die reinigende Disziplin entbehrlich zu machen. 41 R.B.G. § 72: „Ein Reichsbeamter, welcher die ihm obliegenden Pflichten verletzt, begeht ein Dienstvergehen und hat die Disziplinarbestrafung verwirkt" — scheint mir nicht bloß unschön formuliert ( L a b a n d , St.R. I S. 488), sondern im letzten Wort auch unrichtig: die Disziplinarstrafe wird so wenig „verwirkt" wie die Zwangsstrafe; vgl. oben Bd. I S. 275. 42 L a b a n d , St.R. I S. 488: „Ein Recht, keine juristische Pflicht des Staates" — aber, um alles, kein „Privatrecht" des Staates, wie die in der Note dort angezogene Stelle bei Η e f f t e r versichert; vgl. oben Note 29. S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 273: „Dieser Rechtsanspruch ist lediglich Rechtsanspruch; seine Geltendmachung steht mithin zur freien Verfügung des Inhabers." Die Bezeichnung Rechtsanspruch für das, was die Obrigkeit mit freiem Ermessen vorkehren kann, ist wieder allzusehr mit privatrechtlicher Denkweise erfüllt.

200

Besondere Leistungspflichten.

Hoffnungen für die Zukunft, welche der Fehlende darbietet, die Schädigung, welche das dienstliche Ansehen durch die Bestrafung erleiden, den schlechten Eindruck, welchen die Nichtbestrafung auf das übrige Beamtentum machen würde, und was sonst noch einer klugen Verwaltung als beachtenswert erscheinen kann. Das ist ihre Eigenart und ihr Recht 4 3 . I m V e r f a h r e n zur Verhängung der Disziplinarstrafe findet möglicherweise eine Trennung statt nach den verschiedenen Gesichtspunkten. Für schwerere Verfehlungen und die Verhängung entsprechend höherer Strafen werden dabei neben dem ordentlichen Dienstvorgesetzten eigene D i s z i p l i n a r Strafbehörden gebildet oder es kommen die gegebenen Zivil- und Verwaltungsgerichte als solche zur Verwendung 4 4 4. Das Verhalten, welches Anlaß gibt zu dienstlichem Einschreiten, kann zugleich den Tatbestand darbieten, auf welchen eine S t r a f e des g e m e i n e n R e c h t s gesetzt ist. Selbstverständlich läßt sich der Strafrichter dadurch nicht beirren; aber auch umgekehrt ist die Möglichkeit einer Verurteilung durch ihn kein Hindernis für das Disziplinarverfahren. Beides hat seinen selbständigen Zweck, dessen Wahrnehmung dem anderen Teil nicht überlassen werden kann 4 5 . Gilt nach dem Gesagten der Satz ne his i n idem nicht zwischen Disziplinarstrafen und gemeinen Strafen, so gilt er doch zwischen 43 Der Gegensatz tritt sehr scharf hervor in dem durch E.G. z. Mil.Stf.G.B. § 3 vorgesehenen Falle. Danach können gewisse im Gesetzbuch geordnete Strafsachen leichterer Art auch „im Disziplinarwege" erledigt werden, das will sagen: nicht vom Militärgericht, sondern von dem für das entsprechende Maß von Disziplinarstrafe zuständigen Militärvorgesetzten und ohne gerichtliches Verfahren. Dieser Vorgesetzte handelt aber dabei an Stelle des Richters und wie ein solcher: „Das anwendbare materielle Straf recht muß angewendet werden" ( D i e t ζ in Wörterb. d. St. u. Verw.R. I I S. 756, § 2 n. 2; vgl. damit die Schilderung der freien Disziplinarstrafgewalt ebenda S. 858, § 6 n. 2: Der Militärvorgesetzte hat hier „innerhalb der Grenzen seiner Disziplinarstrafgewalt, unter möglichster Schonung des Ehrgefühle des zu Bestrafenden, mit Berücksichtigung seiner Eigenart und bisheriger Führung, der Natur der zu bestrafenden Handlung und des durch diese mehr oder weniger gefährdeten Dienstinteresses zu bestimmen"). 44 D i e t ζ , Ehrengerichtsverord. S. 34 Note 27; v. R h e i n b a b e n , Diszipl. Ges. S. 205, 222. 45 Die aufzehrende Kraft des Strafrechtssatzes läßt die Androhung einer polizeilichen Ungehorsamsstrafe für den g l e i c h e n T a t b e s t a n d nicht zu; vgl. oben Bd. I S. 279. Um die Beseitigung des polizeiwidrigen Zustandes zu erzwingen, den das Delikt hinterlassen hat, ist gleichwohl die Ungehorsamsstrafe verwendbar; vgl. S. 280 a. a. O. Das letztere entspricht unserem Fall: der Dienst ist in Unstand geblieben; ob hier noch etwas zu tun ist, ermißt die mit dieser Sorge betraute Behörde.

§ 45. Die Dienstgewat.

201

Disziplinarstrafen unter sich: der gleiche Tatbestand kann n i c h t m e h r f a c h zur Grundlage disziplinarischen Einschreitens dienen 4 6 . 5. Der enge Zusammenhang der Disziplinarstrafgewalt m i t dem zu schützenden Dienstverhältnis erweist sich daran, daß sie Dinge nicht a u f g r e i f e n kann, die vor seiner Zeit liegen: — Auf Verfehlungen, die v o r E n t s t e h u n g eines D i e n s t v e r h ä l t n i s s e s stattgehabt hätten, kann die Strafverfolgung nicht gegründet werden; nur v e r l e t z t e D i e n s t p f l i c h t setzt sie ja i n Bewegung 4 7 . Es mag sich etwa nachträglich herausstellen, daß der Mann nach dem, was geschehen ist, dem Gesetze gemäß unfähig geworden war, angestellt oder gewählt zu werden. Dann wird der u n g ü l t i g e A k t zurückgenommen werden können; das bedeutet aber kein Disziplinarverfahren. Es kann auch i n der Annahme des Dienstverhältnisses und des Amtes unter V e r s c h w e i g u n g von Vorkommnissen, bei deren Kenntnis man ihm die Stellung vielleicht nicht übertragen haben würde, eine Verletzung der Treue gefunden werden, die das so begründete Verhältnis von vornherein erfordert, und unter diesem Gesichtspunkt m i t einem richtigen Disziplinarverfahren vorzugehen sein. Dann handelt es sich eben nicht um eine v o r h e r i g e Verfehlung 4 8 . 46 Die rechtssatzmäßige Strafe wird ja einfach verbraucht durch einmalige Verhängung auf den Fall, der sie verwirkt hat; für die Disziplinarstrafe ist der einzelne Fall nur ein Anzeichen, daß Besserung nottut; sie würde sich aber selbst verleugnen, wenn sie nicht davon ausginge, daß dieser Zweck durch ihr Mittel ordentlicherweise als erreicht anzusehen sei; d e s h a l b ist die Sache zunächst erledigt. Das schließt natürlich nicht aus, daß durch Rückfälle der Gegenbeweis geliefert wird; dann setzt auch die Disziplinarstrafe von neuem ein. Vgl. v. R h e i n b a b e n , DiszipLGessetze S. 183 u. 213; v. B r a u c h i t s c h , Preuß. Verw.Gesetze I S. 833 Note 24; D i e t ζ in Wörterb. f. St. u. Verw.R. I I S. 458 § 6 N. 3. 47 O.V.G. 30. März 1892 (Entsch. X X I I S. 423); 9. März 1906 (Entsch. X L S. 415); Preuß. Gr.Diszipl.Sen. 20. Dez. 1904 (D. Jur.Ztg. X S. 364). 48 v. R h e i n b a b e n , Preuß. Diszipl.Gesetze S. 97: „Der Beamte verletzt dadurch, daß er nach dem Eintritt in das Beamtenverhältnis die Täuschung der Behörden über seine Qualifikation zum Beamten aufrechterhält, die jedem Beamten obliegende Pflicht der Wahrhaftigkeit." Warum „nach dem Eintritt"? B e i m Eintritt würde wohl die entscheidende Zeitbestimmung sein. Sonst wäre ja der Mann gedeckt, wenn er gleich nach der Anstellung eingesteht? — Bestimmungen, wie die des Bayr. Beamtenges. Art. 112 Abs. 2, wären ebenfalls hierher zu rechnen: das Gesetz erklärt ein Einschreiten wegen der vorher begangenen Handlung für „nur dann zulässig, wenn die Handlung die Strafversetzung oder Dienstentlassung begründet". Verschwiegene Handlungen sind gemeint („erst später entdeckte": Beamtenges., Ausg. Brügel S. 100). Vgl. auch V ürttemb. Beamtenges. Art. 73.

202

Besondere Leistungspflichten.

— Ebenso wird die Sache zu beurteilen sein, wenn die Verfehlung stattgefunden hat zu einer Zeit, da der Schuldige schon i m öffentlichen Dienste stand, aber i m Dienste eines a n d e r e n Gemeinwesens, als dem er jetzt dient. Wenn die Sache dort schon ihre Erledigung gefunden hat, kann man selbstverständlich nicht noch einmal damit anfangen. Aber auch ohne das ist die neue Dienstgewalt nicht berufen, die bessernde Hand an die fremden Dienstzustände zu legen; gegen die ihrigen aber ist nichts zutage getreten. Nur unter den soeben bezeichneten zwei Gesichtspunkten kann auch hier das Vorleben ihres Beamten herüberwirken 4 9 . — W i r müssen noch einen Schritt weiter gehen: E i n Dienstverhältnis bestand zur Zeit der Verfehlung, und zwar zu dem gleichen Gemeinwesen, i n dessen Diensten der Schuldige jetzt noch steht. Aber er ist i n einen anderen D i e n s t z w e i g übergetreten, dessen Besonderheiten die Stelle, welche die Disziplinarstrafe dort handhabt, entspricht. Diese kann dann nicht berufen sein, wegen der alten Verfehlung, die ganz andere Rücksichten herausforderte, als die sie zu wahren hat, auf ihre A r t vorzugehen und zu erkennen 5 0 . Die obigen zwei Fälle kämen aber auch hier i n Betracht. 6. Die Disziplinarstrafgewalt kann dem Schuldigen auch nicht f o l g e n über den Boden hinaus, auf dem sie erwächst. Daher erlischt die Zulässigkeit jeder Disziplinarstrafe m i t E n d i g u n g des D i e n s t v e r h ä l t n i s s e s : wenn der Schuldige aus diesem ausgeschieden ist, ist am Dienste nichts mehr zu bessern durch ein Vorgehen gegen ihn; die Disziplinarstrafe hat ihren Zweck verloren und damit auch ihre Berechtigung 5 1 . 49

Das Gesetz kann die Verfolgbarkeit durch die neue Dienstgewalt weiter ausdehnen: Bayr. Beamtenges. Art. 112 Abs. 1. v. R h e i n b a b e n , Preuß. Diszipl.Gesetze S. 94, in Anschluß an das O.V.G., will ein Zurückgreifen auch ohne solches Gesetz zulassen, namentlich gegen frühere, weil „die Disziplinargewalt Ausfluß der einheitlichen Staatsgewalt ist". 50 Soll der Berufskonsul von seiner neuen Disziplinarbehörde verfolgbar sein wegen der Verfehlung, die er sich vorher als Richter hat zuschulden kommen lassen ? Die besonderen Garantien der richterlichen Disziplin kämen ja dann in Wegfall, v. R h e i n b a b e n , Preuß. Diszipl.Gesetze S. 429f., berichtet zustimmend die Grundsätze des Gr. Diszipl. Sen. d. Kam.G., aufgestellt in . dem Erkenntnis gegen einen Richter wegen unwürdiger Handlungen, die er als Reférendar begangen hatte (Erk. 15. Mai 1895): Strafe und Verfahren richten sich nach den für Richter geltenden Voraussetzungen, für die sachliche Würdigung -„kommen das frühere Disziplinargesetz und die Pflichten, die dieses dem späteren Richter auferlegte, in Betracht". Das scheint doch ein recht künstliches Er zeugnis zu werden. 51 Daher der fehlende Beamte sich allen Weiterungen entziehen kann, auch

§ 45. Die Dienstgewalt.

203

Dieser Grund wirkt nicht, soweit für ein i m alten Dienstverhältnisse b e g r ü n d e t e s D i s z i p l i n a r e i n s c h r e i t e n trotz seiner Endigung noch ein selbständiger Zweck übrigbleibt. Es kann sich nur um einen Nebenzweck handeln: um Erstattung der i m Verfahren bishßr schon erwachsenen Kosten oder um Entziehung der dem Schuldigen sonst verbleibenden Ansprüche auf Titel, Rang und Ruhegehalt 5 2 . 7. Die i n dauerndem öffentlichen Dienste Stehenden bilden eben dadurch eine zusammengehörige Menschengemeinschaft, einen S t a n d : Beamtenstand, Soldatenstand, Offiziersstand. Die Wahrung des Ansehens dieses Standes durch würdiges Verhalten gehört mit zu den Pflichten des Dienstes. Die Disziplinargewalt setzt sich nötigenfalls auch dafür mit ihren Strafmitteln ein als S t a n d e s d i s z i p l i n . Dies ist meist nur eine Seite von ihr; i n den Ehrengerichten der Offiziere erhält sie auch äußerlich eine selbständige Stellung angewiesen. Die Standesdisziplin hat die Eigentümlichkeit, daß sie für sich allein f o r t d a u e r n kann über die anderen Stücke der Disziplin hinaus, sofern eben die Standeszugehörigkeit fortdauert ohne entsprechende Dienstpflicht. So nach bayrischem, sächsischem und württembergischem Recht für dauernd i n Ruhestand versetzte Beamte 5 3 . So vor allem auch die Zuständigkeit der Offiziersehrengerichte über Offiziere des Beurlaubtenstandes auch für die Zeit, da sie der militärischen Disziplin i m eigentlichen Sinne nicht unterstehen, und über die verabschiedeten Offiziere, die das Recht haben, die Uniform zu tragen 5 4 . nach schon eingeleitetem Verfahren, durch Entlassungsgesuch unter Verzicht auf alle Vorteile der Stellung; R.B.G. § 100. Nach Preußischem Recht kann freilich die Behörde die Genehmigung des Gesuches unter Umständen gerade deshalb zurückhalten, um das Disziplinarverfahren durchzuführen; v. R h e i n b a b e n , Preuß. Diszipl. Gesetze S. 170f. — K a n n g i e ß e r , R.BeamtenR. S. 163, w i l l die Unzulässigkeit nachträglicher Disziplinar Verfolgung auf eine Art reinigender Kraft des Aktes der Pensionierung zurückführen, der eine „endgültige Feststellung pflichttreuer Dienstführung" bedeute. Allein die Unzulässigkeit besteht doch auch dann, wenn das Dienstverhältnis ohne solche Feststellung geendet hat. 52

R.B.G. § 75 Ziff. 2.

53

Bayr. Beamtenges, v. 16. Aug. 1,908 Art. 167 Abs. 3; Sächs. Ges. v. 3. Juni 1876 § 47 (dazu die bezeichnende weitere Ausdehnung, die der Regierungsentwurf beabsichtigt hatte: O.M. Sächs. St.R. S. 244 Note 38); Württ. Beamtenges, v. 28. Juni 1876 Art. 80 Abs. 2 (nur wegen nachträglich bekannt gewordener schwerer Verfehlungen zur Zeit des aktiven Dienstes). 54 Zusammenstellung bei D i e t ζ i n Wörterb. d. St. u. Verw.R. I I S. 866 § 3, I I , S. 846 § 2, I I .

204

Besondere Leistungspflichten. § 46.

Fortsetzung; vermögensrechtliche Ansprüche aas dem Dienstverhältnisse. M i t d e m öffentlichen D i e n s t v e r h ä l t n i s v e r b i n d e n sich Ansprüche auf

Geld

und

Geldeswert,

vermögensrechtliche

Ansprüche

beider Teile. I . D i e vermögensrechtlichen A n s p r ü c h e des

Dienstpflichtigen

stehen i m V o r d e r g r u n d als Gegengewicht des Yorwiegens des Staates i n der D i e n s t p f l i c h t selbst. I h r e m i n n e r e n Rechtsgrunde n a c h u n t e r scheiden w i r einerseits d e n G e h a l t u n d was d a r a n h ä n g t , andererseits die dienstrechtlichen

Schadloshaltungen1.

1. D e r G e h a l t (Besoldung) h a t seine o r d e n t l i c h e Stelle b e i m berufsmäßigen Staatsdienst, w i e er d u r c h die A n s t e l l u n g b e g r ü n d e t w i r d . E r b e d e u t e t stofflich ganz dasselbe w i e der D i e n s t l o h n i m z i v i l r e c h t l i c h e n D i e n s t v e r t r a g u n d i s t demnach e i n e G e g e n l e i s t u n g i n G e l d wert

für

die durch

Dienstpflicht, herrn

geschuldet

fällig wird 1

2

die A n s t e l l u n g begründete

die nach und

der D a u e r in

öffentliche

derselben v o m

regelmäßigen

Dienst-

Zeitabschnitten

.

Der Gehalt wird m i t dem ständigen Teil der Schadloshaltungen zusammengefaßt als D i e n s t e i n k o m m e n , Amtseinkommen, Amtse i n k ü n f t e . Das bedeutet dann, was dem Beamten für die Dauer der Amtsverwaltung rechtlich gesichert ist und deshalb auch "die Grundlage bildet für die Berechnung des Ruhegehalts: R e i η d l , Bayr. Beamt enges. S. 156 Ziff. 3; O.M. Sächs. St.R. S. 240f.; Reichsges. v. 15. J u l i 1909 § 3. — Die Ausdrucksweise schwankt; man kann auch zwischen Besoldung und Gehalt noch einmal einen Unterschied machen: B r a n d , Beamtenrecht (Pr.) S. 117 f. 2 So O.V.G. 26. Sept. 1885 (Entsch. X I I S. 45). - Zwischen unserem Gehalt und dem Dienstlohn ist ein Unterschied wie zwischen öffentlichem Eigentum und privatrechtlichem Eigentum. Das hat zu ähnlichen Schwierigkeiten geführt wie dort. Ursprünglich stellte man sich die Sache natürlich ganz privatrechtlich vor. G ο e η η e r , der zuerst versuchte, sie auf öffentlichrechtlichen Boden zu stellen (oben § 43 Note 6), sieht i n der Anstellung ein gewaltsames Herausreißen des Bürgers aus seinem Nahrungsstand, und für das dadurch auferlegte Opfer gewährt der Staat den Gehalt als Ersatznahrungsstand. Also ein derbes öffentliches Recht. Die Späteren kehrten zum Anstellungsvertrag zurück und begnügten sieb, diesen einen „öffentlichrechtlichen* 4 zu n e n n e n . Da man aber der Sache doch nicht recht traute, behielt man wenigstens die G ο e η η e r sehe Formel für die andere Seite bei und erklärt den Gehalt für eine „ A l i m e n t a t i o n " . So G e r b e r , St.R. I § 36; so auch L a b a η d , St.R. I S. 500. Unter des letzteren Einfluß ist es geradezu üblich geworden, den Gegensatz zum Dienstlohn so zu bestimmen: G. M e y e r - A n s c h ü t z , St.R. § 150, I Ziff. 2; Z o r n , St.R. I S. 318; L o e n i n g , Verw.R. S. 131; H a r s e i m i n Wörterb. d. Verw.R. I S. 184; J e l l i n e k , Subj. öff. Rechte

§ 46. Vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnisse. 205

Die Bewilligung, Verleihung des Gehaltes kann sich m i t der Anstellung i n einer einzigen Urkunde verbinden oder gesondert neben ihr hergehen. Der innere Zusammenhang bleibt derselbe. Denkbar ist, daß der Gehalt nach den Umständen des E i n z e l f a l l e s besonders bemessen wird, wie das z. B. bei der Anstellung von Universitätsprofessoren manchmal geschieht. Ordentlicherweise richtet sich die Bewilligung n a c h a l l g e m e i n e n R e g e l n , durch welche für die einzelnen Arten von Ämtern bestimmte Geldsätze aufgestellt werden (Gehaltsordnungen, Besoldungsordnungen). Sie binden die Bewilligung schlechthin oder setzen ihr wenigstens einen Rahmen, innerhalb dessen sie noch für Abweichungen Spielraum läßt. Diese Regelung kann r e c h t s s a t z m ä ß i g geschehen durch Gesetz oder Verordnung, bei Selbstverwaltungskörpern durch Statut 3 . Sie kann auch i m einfachen V e r w a l t u n g s w e g e geschehen: es wird von der leitenden Behörde, Regierimg oder auch Gemeindeobrigkeit ein allgemeiner Plan für die zu bewilligenden Besoldungen kundgemacht, nach dem man sich zu richten gedenkt und nach dem die untergeordneten Stellen gehalten sein sollen, sich zu richten, also ein Programm i m ersten Fall, eine Dienstanweisung i m zweiten (Gehaltsregulative). Stets wird diese Regelung i m Einzelfall erst wirksam durch den danach sich richtenden Bewilligungsakt, der sie ausdrücklich oder stillschweigend zu seinem Inhalte macht 4 . S. 182; v. R h e i n b a b e n i n Wörterb. des St. u. V.R. I S. 364; P r e u ß , Städt. Amtsrecht S. 106 ff.; E b n e r i n Verw.Arch. I X S. 30, 32; R e i n d l , Bayr. Beamtenges. S. 157; v. B i t t e r , Handwörterb. d. Preuß. Verw. S. 213; B r a n d , Beamtenrecht (Pr.) S. 116. Der letztere wiederholt noch einmal recht deutlich den Gedanken der Alimente für den durch seinen Beruf an der Beschaffung des Unterhalts „gehinderten 44 Beamten: nicht für das, was er leistet, also wird er bezahlt, sondern für das, was er nicht mehr leisten kann ! J e l l i n e k , Subj. öff. Rechte I I S. 238, wendet sich gegen die von S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 238, und mir vertretene Auffassung des Gehaltes, als Gegenleistung für den Dienst, mit dem Vorhalt: „Man kann doch nicht i m Ernste behaupten, daß der Oberlandesgerichtsrat Dienste verrichte, die an sich einer größeren Gegenleistung würdig seien als die des Amtsrichters! 44 Aber die kostspieligere „Alimentation 4 4 , deren man ihn für würdig hält, läuft doch auf das gleiche hinaus! Auch diese Frage kommt wohl erst zur Ruhe mit der entschlossenen Durchführung des öffentlichrechtlichen Gedankens. 3 R.Ges. v. 15. Juli 1909 (Besoldungsgesetz); Preuß. Besoldungsges. v. 26. Mai 1909; Bayr. Verord., die Gehaltsverh. betr. v. 6. Sept. 1908. 4 Uber das Verhältnis zwischen Regulative und Bewilligung: O.V.G. v. 24. Mai 1895 (Entsch. X X V I I I S. 184). Seit dem Kriege ist im Drange der Geschäfte die rechtsstaatliche Ordnung hier vielfach nicht mehr beobachtet worden; namentlich der Wert des Verwaltungsaktes scheint verkannt zu werden. Darüber wäre aber ein besonderes Kapitel zu schreiben!

Besondere L e i s t u n g s p f l i e n .

206

H i n t e r a l l d e m stehen n o c h die verfassungsmäßigen

Gebunden-

h e i t e n der R e g i e r u n g a n d e m v o n der V o l k s v e r t r e t u n g festgestellten S t a a t s h a u s h a l t p l a n , wegen dessen auf d i e L e h r e des Staatsrechts z u verweisen i s t 5 . — D i e B e w i l l i g u n g w i r k t w i e jeder V e r w a l t u n g s a k t m i t der E r ö f f n u n g .

D e r B e z u g des Gehaltes b e g i n n t j e t z t z u laufen.

D o c h i s t h ä u f i g e i n anderer T e r m i n dafür vorgesehen, n a m e n t l i c h der Dienstantritt lich

oder die V e r e i d i g u n g ,

d u r c h welche dieser sich

förm-

bekundet. Die

wirksam

gewordene B e w i l l i g u n g bedeutet

pflichtigen ein s u b j e k t i v e s

öffentliches

für

Recht

den

Dienst-

auf Z a h l u n g

in

6

d e n geordneten Zielern . E s u n t e r s t e h t grundsätzlich seiner freien V e r f ü g u n g d u r c h Rechtsgeschäfte u n t e r L e b e n d e n w i e v o n Todes wegen, d i e d a b e i j e n a c h d e m übergehen werden i n d i e F o r m e n des bürgerl i c h e n Rechts.

D a aber d e m Gemeinwesen d a r a n l i e g t , d i e Lebens-

h a l t u n g seiner B e a m t e n n i c h t u n t e r e i n gewisses Maß s i n k e n z u lassen, i s t die P f ä n d u n g u n d dementsprechend a u c h d i e A b t r e t u n g u n d V e r p f ä n d u n g gesetzlich ausgeschlossen oder b e s c h r ä n k t 7 . 5 W i r gehen nämlich davon aus, daß das Staatshaushaltsgesetz keine Rechtssätze für die Verwaltung zu geben bestimmt ist, auch keine Ermächtigung der Regierung bedeutet, von welcher die Gültigkeit der zu machenden Ausgaben abhinge. Vgl. Sächs. St.R. S. 201 Note 22. Die Übereinstimmung m i t L a b a η d ist größer, als dieser annimmt; vgl. dessen St.R. I V S. 583. 6 Das alte Vorurteil, daß vermögensrechtlich mit zivilrechtlich notwendig zusammentreffe (vgl. oben Bd. I_S. 114 Note 2), hat gerade bei dieser Materie sich noch sehr lange wirksam erwiesen. So auch noch E b n e r i n Verw.Arch. V I I I S. 291: „Das einzige zivilrechtliche Element des (Anstellungs )Vertrags sind die aus ihm erwachsenden vermögensrechtlichen Ansprüche 4 '. Ebenda I X S. 34 gelangt er aber zu dem pessimistischen Schluß : „die rechtliche Natur des Gehaltsanspruchs ist streitig. Manche nennen ihn öffentlichrechtlich, manche privatrechtlich geschützt oder bestimmt, manche quasikontraktlich, manche privatrechtlich. Der Streit ist müßig, ein brauchbares Ergebnis ist damit nicht zu erreichen 44. Auf diese A r t allerdings nicht! E i n wohlgemeinter Vermittlungsvorschlag i n Mot. ζ. G.V.G. S. 74 ( H a h n , Mot. S. 94): „vermögensrechtliche Ansprüche der Beamten, welche neben der privatrechtlichen eine staatsrechtliche Seite haben44. I n Prot. z. B.G.B. I I , Bd. 1 S. 375 machte sich die Abneigung der drei süddeutschen Staaten gegen die vorherrschende privatrechtliche Auffassung i n der Bemerkung Luft, daß „die Gehaltsansprüche der Beamten auf einem Verhältnisse des öffentlichen Rechts beruhen und, wenn auch die geschichtliche Entwicklung ihnen einen privatrechtlichen Charakter beigelegt habe, nicht dem Gebiete des bürgerlichen Rechts, sondern dem Staatsrechte der Einzelstaaten angehören 44. 7 Z.Pr.O. § 850 Ziff. 8; B.G.B. § 400; E.G. z. B.G.B. Art. 81 (Zulassung weiterer Beschränkung der Übertragbarkeit durch Landesgesetz). Auf verfallene Gehaltszieler kann verzichtet werden, nicht aber i m voraus auf künftige. So für Pensionsansprüche Sächs. O.V.G. v. 10. Sept. 1906 (Jahrb. I X S. 249).

§ 46. Vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnisse.

207

F ü r die A r t der G e l t e n d m a c h u n g i s t i n erster L i n i e maßgebend seine öffentlich-rechtliche N a t u r .

D o c h i s t hier i m weiteren Maße die

Z u s t ä n d i g k e i t der b ü r g e r l i c h e n Gerichte b e g r ü n d e t w o r d e n 8 . W ä h r e n d des Dienstverhältnisses k a n n der Gehaltsanspruch V e r ä n d e r u n g e n erfahren. E i n e E r h ö h u n g f i n d e t s t a t t b e i Beförderungen, aber a u c h ohne das b e i u n v e r ä n d e r t e m A m t e d u r c h Zulagen, Aufbesserungen, w i e sie n a m e n t l i c h d u r c h d i e Gehaltsordnungen p l a n m ä ß i g vorgesehen s i n d : der höheren D i e n s t a l t e r s s t u f e haltssatz 9 . ordnung

entspricht jeweils e i n höherer

D u r c h die A n s t e l l u n g u n t e r einer b e s t i m m t e n

erwerben

d a n n die B e a m t e n d e n A n s p r u c h ,

Ge-

Gehalts-

danach

be-

handelt z u w e r d e n 1 0 . 8

R.B.G. (das dieser Möglichkeit nicht bedarf) § 149; ebenso für Richter G.V.G. § 9. Pr. Ges. v. 24. Mai 1861 § 1; Bayr. Beamtenges. Art. 176 Abs. 1; Württ. Verw.R.Pf 1. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 2; Sächs. Komp. Ges. v. 28. Jan. 1835 § 6 m i t Staatsdienerges. v. 7. März 1835 § 51. — Zu leicht nimmt es R.G. v. 11. Juli 1902 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X I X S. 252): „ E i n allgemeiner Satz, daß Verpflichtungen aus einem öffentlichrechtlichen (Staatsdienst-) Verhältnis vor den Zivilgerichten nicht verfolgbar wären, besteht nun allerdings nicht." Darauf kann man noch keine übertragene Zuständigkeit gründen! Wohl aber ermöglicht die neuerdings durchgedrungene Auffassung des R.G. von dem durch G.V.G. § 23 anerkannten Besitzstand auch hier ein Festhalten an ausgedehnter gerichtlicher Zuständigkeit. Vgl. Bd. I S. 174. 9 Reichsbesold. Ges. v. 15. Juli 1909 § 11, § 12. Pr. Finanz-Min.Vorschr. v. 17. Aug. 1911; B r a n d , Beamtenrecht S. 148. Bayr. Beamtenges. Art. 28: „ B e i befriedigender Dienstleistung und tadelfreiem dienstlichem und außerdienstlichem Verhalten". Das wird wohl nicht m i t R e i η d 1, Bayr. Beamtenges· S. 188 als ein „Rechtsanspruch auf Vorrückung" anzusehen sein. Vielmehr wird ein solcher wie die ursprüngliche Bewilligung erst wirksam durch die Kundgabe an den begünstigten Beamten: O.V.G. v. 26. A p r i l 1895 (Entsch. X X V I I I S. 163).— E i n Recht auf unbedingte dienstaltersmäßige Gehaltserhöhung pflegt bloß bei Richtern anerkannt zu sein. Auch sie erwerben aber den erhöhten Gehaltsanspruch erst durch die zur Befriedigung jenes Rechts ergehende Bewilligung: R.G. v. 25. Sept. 1883 (Entsch. X I S. 289, insbesondere S. 293). 10 Wenn hier der ordentliche Richter angerufen werden kann, so ist es keine Zahlungsklage, über die er zu urteilen hat, denn das, was den Zahlungsanspruch erst begründen würde, die Bewilligung, ist ja gar nicht gemacht worden. Der Richter soll sie jetzt an Stelle der Verwaltungsbehörde durch sein Urteil selbst machen, durch dieses bestimmen, was sie durch ihren Verwaltungsakt hätte machen sollen. Das mag er dann immerhin i n der ihm geläufigen Form zum Ausdruck bringen und sagen, er verurteile den Staat, von nun an den entsprechend erhöhten Gehalt zu bezahlen; auch der Verwaltungsakt würde ja so wirken; beides wird von den verwaltenden Staatsbeamten schließlich durchzuführen sein nach den Regeln der Vollziehung. Aber sachlich kann es doch einen Unterschied ausmachen. R.G. ν. 1. März 1886 (Entsch. X V S. 274): ein Richter ist am 24. Sept. gestorben; am 25. Okt. wird einem jüngeren Richter die etatsmäßige

Besondere Leistungspflichten.

208

V e r m i n d e r u n g des Gehalts können gleichfalls die Folgen der Versetzung i n ein anderes A m t sein; doch ist dann die Einwilligung des Betroffenen erforderlich. Außerdem knüpft sich eine solche an bestimmte Rechtsgründe, die zum Teil dem bürgerlich-rechtlichen Nichtzur-Verfügung-Stehen des Dienstpflichtigen entsprechen 11 , zum Teil die Natur einer Strafe an sich t r a g e n 1 2 . Der U n t e r g a n g des Gehaltsanspruchs verbindet sich m i t der Endigung des Dienstverhältnisses. Doch kann er hier je nach der A r t dieser Endigung i n mehr oder weniger großem Umfange ersetzt werden durch gewisse Nachwirkungen. Vor allem pflegt der Gehaltsbezug dem i n Ruhestand Getretenen oder seinen Hinterbliebenen noch für eine kurze N a c h f r i s t voll belassen zu bleiben, Gnadenquartal oder Sterbemonat. Das ist aber dann nicht Gnadensache, sondern Rechtsanspruch. Sodann aber knüpft sich an diese A r t der Endigung des Dienstverhältnisses die Entstehung eines neuen, dem bisherigen Gehaltsanspruche entsprechenden Rechtes auf Ruhegehalt und Hinterbliebenengehalt. Der R u h e g e h a l t ist eine i n regelmäßigen Zeitabschnitten verfallende Geldleistung des Staates an seinen i n Ruhestand getretenen Beamten, die sich nach der Höhe der zuletzt bezogenen Besoldung bemißt. Der Anspruch darauf wird begründet durch eine neue Bewilligung, ordentlicherweise wieder gemäß den aufgestellten „Pensionsregulativen, Pensionsordnungen". Auf diese Bewilligung erwerben aber die unter diese Ordnungen fallenden Beamten ein R e c h t 1 3 . Zulage bewilligt, und zwar vom 1. Juli ab zu rechnen; die Erben klagen auf den ihrem Erblasser gebührenden Teil der Zulage für die Zeit vom 1. Juli bis 24. Sept., und das Reichsgericht erkennt demgemäß, da sich die Bewilligung vom 25. Okt. m i t Wirkung vom 1. Juli „als ein unzulässiges Übergehen" des am 24. Sept. vorher Verstorbenen darstelle. Das klingt etwas seltsam, wäre jedoch richtig, wenn der Anspruch auf Zahlung des erhöhten Gehaltes unmittelbar durch das Gesetz an den E i n t r i t t der Verfügbarkeit der Mittel geknüpft wäre. So faßt es auch R.G. v. 14. Febr. 1893 auf (Entsch. X X X I S. 222); da wird die Verleihung der Zulage zu einer bloßen „Benachrichtigung von der Gehaltserhöhung" (S. 224). Wenn aber dieser Verwaltungsakt nach seinem richtigen Werte eingeschätzt wurde, konnte das Gericht für die nachträglich erhobene Klage sich doch nur auf den Standpunkt des Bewilligungsaktes vom 25. Okt. stellen und das anordnen, was es an Stelle der Verwaltungsbehörde angeordnet haben würde; zu den ins Auge zu fassenden Möglichkeiten gehörte sicherlich die Bewilligung einer Gehaltszulage an den Verstorbenen nicht. 11

Tatsächliches Sich-Fernhalten vom Amte, Urlaub über das zugestandene Maß, einstweilige Versetzung i n Ruhestand. 12 Verhängte Ordnungsstrafe, Suspension, Strafversetzung. 13 Die Lehre von der Verleihung des Gehalts und der GehrdtserhÖhung

§ 46. Vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnisse.

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Das H i n t e r b l i e b e n e n g e h a l t ist Gegenstand eines Rechtsanspruches schon bei Lebzeiten des Beamten. M i t dessen Ableben entsteht dann für seine Hinterbliebenen der Anspruch auf Festsetzung nnd daraus der auf die regelmäßigen Zahlungen 1 4 . Die Ruhegehälter haben das Besondere, daß sie als endgültig verdient gelten durch die geleisteten Dienste und unabhängig von dem weiteren Verhalten des Berechtigten 1 5 . findet hier entsprechende Anwendung; vgl. oben Note 4 u. Note 10. — Die Bedeutung des Festsetzungsaktes ist verkannt i n R.G. 19. Dez. 1905 (Entsch. L X I I S. 237 ff.), wo zu Unrecht die „Deutlichkeit" des § 1 Pr. Ges. v. 27. März 1872 angerufen wird. Der gesetzliche Anspruch auf Ruhegehalt wird ein Anspruch auf Zahlung nicht u n m i t t e l b a r d u r c h d a s G e s e t z , sondern durch Vermittlung jenes Aktes, auf welchen der Anspruch zunächst geht. Das schließt nicht aus, daß das Gericht, wo es dazu berufen ist, eine Nachprüfung der Gültigkeit des Aktes, seiner Verweigerung und Zurücknahme ausübe und ihn nötigenfalls selbst an Stelle der Behörde durch sein Urteil ausspreche. Vgl. oben Note 11. 14 Sofern der Gehalt den Hinterbliebenen durch Gesetz oder Verordnung bestimmt ist, könnte man an die allgemeine Wirkung des Rechtssatzes anknüpfen. I h r Recht besteht aber auch bei einfacher Verwaltungsordnung. Auf den für sie wirkenden Rechtserwerb des Beamten selbst kommt es allein an. Selbst ein anders bestimmendes Gesetz ändert das nicht von selbst. R.G. 26. Okt. 1880 (Entsch. I I S. 114): E i n badischer Postbeamter war vom Reich übernommen worden; die Witwe klagte auf die Pension, wie sie nach badischem Rechte zu bemessen gewesen wäre. Durch die Anstellung, sagt das Gericht, war ein wohlerworbenes Recht auf Pensionierung der Witwe nach badischem Rechte begründet worden. Das Reichsbeamtengesetz, unter welches der Verstorbene nachher getreten war, hatte nicht „den privatrechtlichen ( ?) Inhalt der Anstellung mit der Tragweite verändert, daß wohlerworbene Rechte dadurch entzogen wären". — Die Wirkung zugunsten der Hinterbliebenen beruht nicht auf Erbrecht, sondern •einzig darauf, daß sie bezeichnet sind als die, zu deren Gunsten das Recht des Beamten erworben sein soll. Daher schadet auch Ausschlagung der Erbschaft oder Gütergemeinschaft nichts. R e i η d 1, Bayr. Beamtenges. S. 360. (Der Anspruch auf den Sterbemonat dagegen ist, wie dort richtig bemerkt wird, dem Beamten selbst noch wirksam geworden und gehört, falls der Gehalt noch nicht erhoben worden war, zum Nachlaß). 15 R.G. 11. Febr. 1887 (Entsch. X V I I S. 240): E i n Beamter wird i m August für 1. Oktober pensioniert, i m September wegen Sittlichkeitsverbrechens suspendiert. Mitte Oktober zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt: der Pensionsanspruch besteht, weil das Stf.G.B. nur Verlust des Amts und Gehalts, nicht auch der Pension als Straffolge vorsieht. Die Pension ist aber rechtswirksam erworben durch den Verleihungsakt vom August. Wer das Recht darauf kraft Gesetzes entstehen läßt, also vom 1. Oktober ab, würde hier Schwierigkeiten bekommen. — Das Gesetz kann anders. Es ist möglich, daß auch dem mit Ruhegehalt oder Hinterbliebenengehalt Ausgestatteten noch gewisse Staatspflichten würdigen Verhaltens auferlegt sind, bei deren Verletzung sie ihrer Ansprüche i n einem .Disziplinarverfahren verlustig erklärt werden sollen (oben § 95 Note 51). B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: 0 1 1 ο Μ a y e r. Verwaltungsr. IT. 3. Aufl.

14

210

Besondere Leistungspflichten.

2. Neben dem Gehalt, dem Entgelt der Dienstpflicht, wird in verschiedener Weise S c h a d l o s h a l t u n g gewährt für die mit der Erfüllung der Dienstpflicht verbundenen Nachteile, Auslagen und Beschädigungen. Hierher ist nicht zu rechnen, was der Dienstherr seinem Diener leistet und zur Verfügung stellt, um i h m die richtige Erfüllung seiner Pflichten zu ermöglichen und zu erleichtern. Das geschieht um desDienstherrn selber willen und zu besserer Besorgung seiner Geschäfte. Der Staat stellt die Amtsräumlichkeiten, Schreibstubenbedürfnisse,. Fuhrwerke, Werkzeuge und Waffen, alles fix und fertig. Das k o m m t ja schließlich auch dem Manne persönlich zugute. A m deutlichsten wird das beim gesetzlichen Heerdienst: die große staatliche Anstalt nimmtden Soldaten vollständig i n ihre Pflege und sorgt für alle seine Bedürfnisse, Nahrung, Kleidung, Obdach, versieht i h n mit ärztlicher Pflege, reicht ihm überdies für Nebenbedürfnisse ein kleines Taschen geld, Löhnung genannt. Alles das bleibt aber hier eigene Verwaltung des Staates. Der Dienstpflichtige hat keinen Rechtsanspruch darauf. Seine Sicherheit, daß er bekommt, was er bekommen soll, ruht auf dem eignen Anliegen seines großen Dienstherrn, daß der Dienst i n gutem: Stande bleibe 1 6 . Unter Umständen allerdings kann das, was dem Beamten um des Dienstes willen geleistet wird, gerade darin bestehen, daß ein p e r s ö n l i c h e s , a u ß e r d i e n s t l i c h e s B e d ü r f n i s i n entsprechender Weise befriedigt wird. Dann stellt das zugleich einen greifbaren eigenen Vorteil dar, der entweder schlechthin als Zubehör des Gehalts anzusehen ist oder wegen des Überschusses zu einer Vergütung an den Staat führt. Das Hauptbeispiel wird hier die D i e n s t w o h n u n g bilden: sie wird gewährt, um den Beamten in der Nähe des zu versehenden Amtes zu halten; es ist Dienstpflicht, sie zu übernehmen, für die Ordnung des i n dieser Hinsicht zu begründenden Rechtsverhältnisses liefert aber der zivilrechtliche Mietvertrag die Regeln 1 7 . 16

L a b a n d , St.R. I V S. 162: „ D i e Verpflegung der dienstpflichtigen Mannschaften hat vielmehr durchaus den Charakter einer V e r w a l t u n g s t ä t i g k e i t des Staates." Der Gegensatz ist aber zu eng bezeichnet mit dem Satz: „Der A n s p r u c h des Wehrpflichtigen auf Unterhalt hat demnach nicht den Charakter eines v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n s u b j e k t i v e n Rechts und der F i s k u s ist nicht z i v i l r e c h t l i c h obligiert." Auch der S t a a t , ist nicht obligiert, es besteht auch kein s u b j e k t i v e s ö f f e n t l i c h e s R e c h t , überhaupt kein R e c h t s a n s p r u c h des Soldaten. Der Staat ernährt ihn um seiner eigenen Zwecke willen, um sein Heer i n gutem Stand zu halten; deshalb ist es eher eine Pflicht als ein Recht des Soldaten, daß er den guten warmen Rock anziehe und das nahrhafte Kommißbrot zu sich nehme. 17 B r a n d , Beamtenrecht (Pr.) S. 182ff. Es werden, je nachdem ein

§ 46. Vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnisse.

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Die zwei ordentlichen Fälle der dienstrechtlichen Schadloshaltung knüpfen sich an Auslagen und an Beschädigungen. — Soweit es irgend möglich, verhütet ja der Staat, daß seine Diener für die Erfüllung ihrer Dienstpflicht noch irgendwie einen besonderen A u f w a n d zu bestreiten haben. Sie sind auch nicht berufen, mit selbständigem Entschlüsse eine vermeintliche Lücke auszufüllen. Es gibt für sie keine Geschäftsführung ohne Auftrag, die sie nach den Grundsätzen des B.G.B, zu Ersatzansprüchen berechtigte. Wohl aber ist, soweit es zweckmäßig und billig erschien, Vorkehrung getroffen, Aufwendungen, welche der Dienst gleichwohl i n seinem geordneten Gange regelmäßig mit sich bringt, ihnen zu vergüten, und dann wird auch ein Rechtsanspruch darauf begründet sein. I n diesem Öinne gewährt der berufsmäßige Staatsdienst W o h n u n g s g e l dz uschüsse zum Ausgleich des Aufwandes aus der Notwendigkeit, um des Amtes willen an einem verhältnismäßig teuren Orte wohnen zu müssen 1 8 . R e p r ä s e n t a t i o n s g e l d e r für die vermeintlich mit dem Amte verbundene Verpflichtung, sich durch Gastereien ein erhöhtes Ansehen zu verschaffen. U m z u g s k o s t e n bei Versetzungen, R e i s e k o s t e n und T a g e g e l d e r für Wahrnehmung von Amtsgeschäften außerhalb des Wohnsitzes, Pauschsummen für S c h r e i b m a t e r i a l i e n , die der Staat, um billiger wegzukommen, den so ausgestatteten Beamten selber anschaffen und bezahlen läßt. Das Ehrenamt gibt A m t s u n k o s t e n e n t s c h ä d i g u n g e n , A v e r s e n f ü r S c h r e i b h i l f e ; auch der S o l d und die E q u i p i e r u n g s g e l d e r des zur Dienstleistung eingezogenen R e s e r v e o f f i z i e r s haben diese rechtliche Natur 1 9 . Selbst die zwangsdienstpflichtigen S c h ö f f e n und Zubehör des Gehalts darin liegen soll oder nicht, „freie" und „nicht freie" Dienstwohnungen unterschieden. I n ähnlicher Weise kann sich auch die Lieferung von Dienstkleidern an die Schutzmannschaften als Zugabe zum Gehalt gestalten: es besteht ein Anspruch darauf, und das Gelieferte wird Eigentum des Empfängers (O.V.G. 26. Sept. 1885; Entsch. X I I S. 38 ff.). 18

Daher die Beträge nach Ortsklassen abgestuft sind und Einbuße am Wohnungsgeld infolge Versetzung an einen Ort niedrigerer Klasse nicht als unzulässiger Eingriff i n die erworbenen Rechte anzusehen ist. Folgerichtig müßte der Anspruch auf Wohnungsgeld wie alle diese Schadloshaltungen mit dem zu verwaltenden Amte, das dazu Anlaß gibt, untergehen. Allein es ist doch nicht zu verkennen, daß man gewöhnlich unter diesem Namen zugleich eine allgemeine Gehaltsaufbesserung beabsichtigt hatte (O.Tr. 11. Nov. 1864; Str. LV. S. 275). Daher ein gewisser Teil davon als „pensionsfähig" behandelt wird. 19 Vgl. oben § 44 Note 21. Daß der Reserveoffizier die Entschädigung i n Form und Maß gerade so erhält wie der entsprechende Berufsoffizier seine Besoldung, geschieht i n der Absicht völliger Gleichstellung i n allen Äußerlichkeiten des Standes. Besoldung wird es deshalb doch nicht. 14*

212

Besondere Leistungspflichten.

G e s c h w o r e n e n haben durch das neuere Recht Tagegelder erhalten zur Vergütung des mit der Wahrnehmung des Pflichtehrenamtes verbundenen Zeitaufwandes; dazu noch Reisekostenentschädigung 2 0 . — Von B e s c h ä d i g u n g e n , die den Dienstpflichtigen treffen können, kommen hier nur solche i n Betracht, die er i m D i e n s t e , bei Erfüllung seiner Dienstpflicht, erleidet. Da ist denn zu sagen, daß das öffentliche Dienstverhältnis an sich einen Entschädigungsanspruch für die i m Dienste erlittenen Vermögensnachteile nicht m i t sich bringt. Die darauf hinauslaufenden Gesetzesbestimmungen für privatrechtliche Verhältnisse lassen sich nicht von selbst hierher übertragen. Selbst wenn man aufstellen kann, das Dienstverhältnis schließe für den Dienstherrn Staat und für die leitenden Behörden die Pflicht ein, Vorkehrungen zu treffen zum Schutze der Dienstpflichtigen gegen solche Nachteile, begründet der durch ihre Vernachlässigung entstandene Schaden k e i n e n d i e n s t r e c h t l i c h e n u n d demnach ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e n A n s p r u c h auf Ersatz. Ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e P f l i c h t e n z u T u n oder U n t e r l a s s e n v e r w a n d e l n s i c h i m F a l l e der N i c h t e r f ü l l u n g n i c h t i n G e l d z a h l u n g s a n s p r ü c h e des Berechtigten 2 1 . Dafür hat die neuere S o z i a l v e r s i c h e r u n g s g e s e t z g e b u n g hier 20

Reichsges. v. 29. Juli 1913. Auch auf diesen öffentlichrechtlichen Anspruch müßte eigentlich verzichtet werden können. Das Gesetz hat den Verzicht ausdrücklich verboten behufs demokratischer Gleichheit. 21 W i r haben kein Seitenstück zu den allgemeinen Grundsätzen des B.G.B. § 280 ff. Es ist nicht erlaubt, auf dem Wege angeblicher Analogie Entlehnungen von dort zu machen behufs Erzielung einer ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e n Schadensersatzpflicht. Vgl. oben Bd. I S. 117. Öffentlichrechtliche Verbindlichkeiten des Dienstherrn verwandeln sich aber auch nicht, i m Falle ihrer Nichterfüllung, i n z i v i l r e c h t l i c h e Geldzahlungspflichten. Wo man gemeint hat, das dem Staat gegenüber durchzuführen können, arbeitet man, bewußt oder unbewußt, mit vorausgesetzten zivilrechtlichen Verpflichtungen dieses Dienstherrn, die er doch als solcher η i c h t h a t. So R.G. 4. Nov. 1886 (Entsch. X V I I I S. 171): E i n Eisenbahnbeamter ist auf dem Bahnhofe eine schadhafte Treppe herabgestürzt; Fiskus haftet, weil nach dem anzuwendenden Zivilrecht „der D i e n s t v e r t r a g den Dienstherrn für Außerachtlassung der Diligenz i n Ansehung der körperlichen Sicherheit des Dienenden bei seinen Dierstverrichtungen verantwortlich macht". R.G. 10. Nov. 1887 (Entsch. X I X S. 348): Staatsbeamter bei Ausführung des unvorsichtigen Auftrags seines Vorgesetzten verunglückt; Fiskus haftet wegen „positiver Vertragsverletzung", er ist „nach den Grundsätzen des D i e n s t m i e t k o n t r a k t e s zu Schadensersatz verpflichtet". So auch R.G. 6. Nov. 1903 (Pr. Verw.Bl. X X V S. 527); R.G. 18. Mai 1909 (Entsch. L X X S. 243); R.G. 1. März 1908 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X V S. 69). — Über den Grenzgraben zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht wird hier mit der größten Leichtigkeit hin und her gesprungen.

§ 46. Vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnisse.

213

ihre Rückwirkung geäußert. Nach ihrem Muster wird nun auch der Staat entschädigungspflichtig gemacht, indem ihn das Gesetz zum Träger der Unfallversicherung bestellt für seine Betriebe, nicht bloß für privatwirtschaftliche, sondern auch für solche, die als Zweige öffentlicher Verwaltung anzusehen s i n d 2 2 . Davon werden allerdings i n erster Linie nur mit zivilrechtlichem Dienstvertrage gedungene Arbeiter und Angestellte berührt, i n öffentlichem Dienste Stehende, die uns hier allein angehen, nur i n geringerem Umfang. Für i h r e Unfallsentschädigung ist i n anderer Weise gleichwertige Fürsorge getroffen 2 3 . Durch Landesgesetze ist die gleiche Einrichtung für die einen L a n d e s b e a m t e n i m Dienste treffenden Unfälle eingeführt worden, um die Ruhegehaltsordnungen zu ergänzen. I I . Vermögensrechtliche Ansprüche gegen seine Diener erwachsen dem D i e n s t h e r r n i n der Gestalt, daß diese h a f t b a r gemacht werden können für die Vermögensnachteile, die ihr dienstliches Verhalten ihm bereitet, i n Gestalt von E r s a t z a n s p r ü c h e n also. Für die Anschauungsweise des Polizeistaates sind das natürlich Ansprüche des F i s k u s , die der privatrechtlichen, vertragsmäßig geregelten Seite des Dienstverhältnisses entspringen und ihrem Wesen nach vor die ordentlichen Gerichte gehören. Demgegenüber hat sich ja i n den s ü d d e u t s c h e n S t a a t e n die e i n h e i t l i c h e Auffassung des Dienstverhältnisses als eines öffentlichrechtlichen durchgesetzt. Sollen Ersatzansprüche daraus entstehen, so können sie wieder nur ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e r Natur s e i n 2 4 . Allein auch hier ist dann davon auszugehen, daß ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e P f l i c h t e n zu T u n u n d Lassen sich i m F a l l e i h r e r Verl e t z u n g n i c h t v o n s e l b s t i n G e l d a n s p r ü c h e v e r w a n d e l n . Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz des öffentlichen Rechts, 22

R.Vers,Ord. § 624 ff., § 892 ff. R.Vers. Ord. § 554, indem sie große Gruppen solcher i n öffentlicher Dienstpflicht Stehender von der Unfallversicherung frei erklärt, verweist zugleich auf die entsprechenden Ersatzeinrichtungen. 24 S e y d e 1, Bayr. St.R. I S. 605: „Der Entschädigungsanspruch des Dienstherrn gegen den öffentlichen Bediensteten (ist) aus der Behauptung abgeleitet, daß der Beklagte seine Dienstpflicht gegenüber dem Dienstherrn verletzt habe. Der Anspruch entspringt also unmittelbar aus einem öffentlichrechtlichen Verpflichtungsverhältnisse, ist mithin selbst öffentlichrechtlicher Natur." — Für Württemberg Β ü h 1 e r , Zuständigkeit der Zivilgerichte gegenüber der Verwaltung S. 161 : „Man wird also sagen können, daß das württembergische Recht schon beinahe seit Errichtung der Verfassung das Institut des öffentlichrechtlichen Ersatzanspruchs gegen Beamte wegen eines dem Staat durch Amtspflichtverletzung zugefügten Schadens gekannt hat." 23

Besondere Leistungspflichten.

214 der das vorschreibt.

D i e d a h i n l a u t e n d e n Grundsätze des bürgerlichen

Rechts s i n d n i c h t hierher z u übertragen

26

.

A b e r das G e s e t z k a n n d u r c h b e s o n d e r e B e s t i m m u n g öffentlichrechtliche H a f t u n g e n

solche

ordnen26.

aus verletzter D i e n s t p f l i c h t

I n gewissem Maße b i e t e t w o h l auch die Dienststrafgewalt M i t t e l , eine unanständige Ersatzverweigerung u n m ö g l i c h z u machen

27

.

I n manchen Gebieten, v o r a l l e m i n P r e u ß e n , h a t sich i m Gegensatz dazu die a l t e Grundauffassung erhalten.

D o r t w i r d j e t z t noch i n

Theorie u n d P r a x i s eine umfassende H a f t u n g des B e a m t e n d e m Staate gegenüber gegründet auf die besonderen B e s t i m m u n g e n i n A . L . R . I I , 10 § 88ff., u n d z w a r eine p r i v a t r e c h t l i c h e H a f t u n g , auch w o m a n das Schuldverhältnis,

der neuzeitlichen Wissenschaft

e i n öffentlichrechtliches n e n n t 25

28

entgegenkommend,

.

Vgl. oben Note 21. Grundsätzlich übereinstimmend Β ü h 1 e r a. a. O. S. 159. Auch L a b a η d , St.R. I S. 474 f., vertritt für das Reichsrecht diesen Gedanken; er drückt ihn nur anders aus wie wir. 26 So vor allem Bayr. Beamtenges, v. 16. Aug. 1908 Art. 13, Art. 179; Bad. Beamtenges, v. 24. Juli 1888 (Fassung v. 12. Aug. 1908) § 76, Vollz.Verord. dazu v. 10. Juli 1909 § 78. 27 Auf diesen Weg verweist auch H e r r f u r t h , Kassen- und Rechnungswesen S. 290. 28 E.G. z. B.G.B. Art. 80 hält solchen privatrechtlichen Vorschriften neben dem B.G.B, den Fortbestand frei. Darauf beruft man sich denn auch, um A. L.R. I I , 10 § 88 ff. noch anzuwenden, was überflüssig wäre, wenn es sich um eine öffentlichrechtliche Ordnung handelte: R.G. 25. Jan. 1904 (Entsch. L V I S. 340). Sehr mühselig R.G. 26. Juni 1906 (Entsch. L X I I I S. 431). Dort lag der Fall zugrunde, daß ein preußischer Eisenbahnbeamter auf dem Güterbahnhof zu Barmen einen anderen verletzt hatte; der Eisenbahnfiskus hatte während der Krankheit des letzteren die Kosten seiner Vertretung bestritten und klagte den Betrag gegen den Täter ein. Es wird nun zunächst ausgeführt, daß c. c. Art. 1382 u. 1383 (außerkontraktliche Schädigung) für das Rheinland „auch i m Gebiete des öffentlichen Rechts nicht mehr gelten 44 und A. L.R. I I , 10 § 88 ff., weil dort niemals publiziert, nicht anwendbar sei. Aber die Klage wird dadurch gerettet, daß „das Staatsbeamtenverhältnis zwar öffentlichrechtlicher Natur ist' 4 , aber „nicht nur für den Beamten, sondern auch für den Staat privatrechtliche Wirkungen hervorbringt, insoweit also quasikontraktlicher Natur ist 4 4 (!), welche Wirkungen „ i n Ermangelung positiver Gesetzesbestimmungen und aus der öffentlichrechtlichen Natur des Beamtenverhältnisses sich ergebender Ausnahmen nach Analogie des Dienstvertrages zu beurteilen sind 44 . So auch R.G. 9. Nov. 1910 (Entsch. L X X I V S. 342): Beamter muß Postfiskus für verlorenen Einschreibebrief entschädigen wegen „Ähnlichkeit seiner Stellung m i t der eines Verwahrers nach B.G.B. 4 4 — I m Sinne der Reichsgerichtsentscheidungen B r a n d , Beamtenrceht S. 579: Die Haftung des Beamten dem Staat gegenüber regelt sich nach A. L.R. I I , 10 § 88 oder, soweit das nicht gilt, „nach den Vorschriften des B.G.B, über den Dienstvertrag und den Schadensersatz44. Vgl. auch N i p p o l d i n Sächs. Arch. f. bürg. R. I I , Erg.Hft. S. 50.

§ 46. Vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnisse.

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Dahinter stehen die selbständigen Ansprüche des Staates gegen seinen Beamten wegen rechtswidriger Schädigung und nicht herausgegebener Sachen; sie sind zivilrechtlicher Natur und durch das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis nicht ausgeschlossen. Unabhängig von dieser Verschiedenheit der Auffassung des Dienstverhältnisses stehen überall einheitlich hinter diesem gewisse r e i c h s r e c h t l i c h g e r e g e l t e p r i v a t r e c h t l i c h e H a f t u n g e n des Dienstpflichtigen dem Gemeinwesen gegenüber, dem er dient. Das ist einmal die Schadensersatzpflicht nach B.G.B. § 823 und § 827 wegen rechtswidriger Schädigung und die Rückgriffshaftung des Beamten nach R.Verf. Art. 131. U n d weiter ist als gemeinsame Rechtseinrichtung anzusehen die besondere Strenge, mit welcher überall die aus dem R e c h n u n g s w e s e n sich ergebenden Haftungen der Beamten gegenüber ihrem Dienstherrn geordnet sind. Das staatliche Rechnungswesen begreift die Verwaltung der ö f f e n t l i c h e n K a s s e n und die der Materialbestände 2 9 . Die Beamten, denen diese Werte anvertraut werden, sind durch ihre Dienstpflicht gehalten, daß sie alles zu Vereinnahmende einziehen und vor allem nur ordnungsmäßige Ausgänge geschehen lassen. Sie stehen dem Staate m i t ihrem eigenen Vermögen ein für das, was durch ihre Zuwiderhandlung ungerechtfertigterweise fehlt. A u c h d i e s e D e c k u n g s p f l i c h t , H a f t u n g , V e r t r e t u n g ist bei ihnen Dienstpflicht und als solche öffentlich' rechtlicher Natur, obwohl sie auf Geldzahlung oder Gehaltsabzug hinausläuft. Die i n Betracht kommenden Ämter sind zweierlei A r t 3 0 : — K a s s e n ä m t e r (und entsprechend die unmittelbaren Materialverwaltungsämter), welche über die vorhandenen Staatsgelder gesetzt sind, um sie zu bewahren, Ausgaben daraus zu machen und Einnahmen hinzuzufügen. Sie sind dabei gebunden an die Anweisungen (Dienstbefehle), welche ihnen für den Einzelfall oder zusammenfassend von den dafür zuständigen Stellen erteilt werden 3 1 . Die formell richtige 29

Schon v. K r e i t t m a y r , Anm. z. Cod. Max. V cap. 24 § 7 u. 8 hebt diesen Unterschied hervor zwischen der Haftung des Beamten „ i n Rechnungen" einerseits und „ i n praestatione culpae" überhaupt. Darüber allgemein: W a g n e r , Finanzwiss. I S. 253 ff. ; O. S c h w a r z , Formelle Finanzverwaltung S. 91 ff. 30 Frankreich, das i n der „Komptabilitätsgesetzgebung" überhaupt vorausgegangen war (O. S c h w a r z a. a. O. S. 3 f.), hat auch für diese „séparation des fonctions d ' o r d o n n a t e u r et des fonctions de c o m p t a b l e " das Vorbild geliefert. Vgl. B o u c a r d e t J è z e , Sciences des finances I S. 515 ff. 31 Preuß. Geschäftsanweisung für die Reg.Hpt.Kassen v. 21. Mai 1887 § 52 ( H e r r f u r t h , Kassen- u. Rechnungswesen S. 76). Allgemeine Anweisungen

Besondere Leistungspflichten

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Anweisung mit den erläuternden Rechnungen und Aufstellungen rechtfertigt ihre einzelnen Handlungen als „Kassenbeleg". — A n w e i s u n g s ä m t e r , welche diese Verfügungen treffen als Einnahmeanweisungen, Ausgabeanweisungen, und dadurch die Tätigkeit der Kassenämter i n Bewegung setzen. Sie sind, was die Ausgabeanweisungen anlangt, gebunden, sich formell i n den Grenzen der für die Zwecke ihres Amtes bestimmten Mittel zu halten und sachlich diesen Mitteln nach pflichtgemäßem Ermessen die richtige Verwendung zu geben. Das erstere hat der Kassebeamte zu prüfen, bevor er die An^ Weisung befolgt. Die Grundlage für die ganze Staatsgelderverwaltung gibt der von der Volksvertretung genehmigte S t a a t s h a u s h a l t s p l a n , und für die Minister werden diese Bestimmungen des Plans unmittelbar Bestandteil ihrer Dienstpflicht, für jeden, soweit es sein Fach angeht. Von ihnen aus ergeht dann an alle Kassen- und Anweisungsämter die Mitteilung der sie betreffenden Stücke (Spezialetats) auf dem Dienstwege und m i t der Wirkung eines Dienstbefehls, sich daran zu halten 3 2 . Dahinter steht dann eine scharfe R e c h n u n g s a u f s i c h t . Sie wendet sich i n erster Linie gegen die Kassenbeamten, welche alljährlich eine Zusammenstellung der ganzen Geldbewegung ihrer Kasse der prüfenden Oberbehörde vorzulegen haben. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt bei der Oberrechnungskammer, dem Rechnungshof, (jler für diesen Zweck allen Rechnungspflichtigen des Staates zur obersten Dienstbehörde bestellt ist. Führt die Prüfung zu einer endgültigen Bemängelung, so wird die E n t l a s t u n g v e r w e i g e r t . Der Rechnungspflichtige hat seiner Pflicht nicht Genüge getan. Dieses Prüfungsverfahren zieht weitere Kreise. Es erstreckt sich von selbst auch auf die Rechtmäßigkeit der von den Anweisungsbeamten ausgestellten Anweisungen und die etwa diesen zur Last fallende Verantwortlichkeit. Außerdem kommen E r s a t z a n s p r ü c h e des Staates dabei i n Frage, gegen die K a s s e b e a m t e n und die ihnen gleichgestellten eine strenge Haftpflicht geltend zu machen i n dem D e f e k t e n v e r f a h r e n , wie es mehr oder weniger übereinstimmend überall zur Anwendung k o m m t 3 3 . Der D e f e k t ist ein Ausfall an dem vorgefundenen Bestand der werden namentlich bei Gehaltsbewilligungen i m voraus ausgestellt werden wegen aller künftig fällig werdenden Zieler. 32

0 . S c h w a r z , Form. Fin.Verw. S. 92ff. Preuß. Verordnung v. 24. Jan. 1844; R.B.G. § 134ff. ; L a b a n d , St.R. I S. 480ff. ; 0 . S c h w a r z , Form. Fin. Verw. S. 158 ff. ; d e r s e 1 b e, i n Wörterb. d. St.- u. Verw.R. I S. 547; H e r r f u r t h , Kassen- u. Rechnungswesen S. 288 ff; 33

§ 47. Gemeine Lasten.

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Kasse gegenüber dem, was nach der Rechnung, wie sie aus der Prüfung als richtig sich ergab, vorhanden sein sollte. Die Behörde, welche Kasse und Rechnung i m ordentlichen Verfahren oder aus besonderem Anlaß geprüft und den Defekt festgestellt hat, kann den Kassebeamten dafür verantwortlich und zur Deckung verpflichtet erklären. Der D e f e k t e n b e s c h l u ß ist bindend für i h n und vollstreckbar. Die Deckungspflicht, die er feststellt und erzwingbar macht, ist zwar Folge der D i e n s t p f l i c h t . Einmal entstanden, kann sie aber auch nach Endigung der Dienstpflicht, insbesondere gegen die Erben,, geltend gemacht werden. Auch das Deckungsverfahren ist alsdann noch anwendbar. Diese A r t der Geltendmachung ist nicht Ausfluß der D i e n s t g e w a l t , die ja allerdings dann nicht mehr bestünde, sondern beruht auf der öffentlichrechtlichen Natur des Anspruchs, die bestehen bleibt 3 4 . Gegen den Defektenbeschluß gestatten die Gesetze dem Betroffenen den R e c h t s w e g v o r d e n o r d e n t l i c h e n G e r i c h t e n , den er innerhalb einer bestimmten Ausschlußfrist beschreiten kann 3 5 . § 47.

Öffentliche Lasten; gemeine Lasten. Das ö f f e n t l i c h e U n t e r n e h m e n als die Einheit eines durch seinen bestimmten Zweck abgegrenzten Stückes öffentlicher Verwaltung lieferte den Rechtsinstituten des öffentlichen Sachenrechts wie der öffentlichen Dienstpflicht mannigfach Voraussetzungen und Richtlinien. Bei der öffentlichen Last t r i t t es nun wieder ganz i n den Mittelpunkt des Begriffs. W i r verstehen darunter die dem Untertanen obliegende Pflicht, e i n e m ö f f e n t l i c h e n U n t e r n e h m e n durch 34 H e r r f u r t h , Kassen- u. Rechnungswesen S. 290 n. 5. R.G. 31. Mai 1880 (Entsch. I I S. 188), 3. Juli 1882 (Entsch. V I I S. 335). Das Sächsische Recht zeigt hier die Neigung, möglichst rasch wieder auf zivilrechtlichen Boden zurückzukehren: das Defektenverfahren und der Zwang daraus sind nicht anwendbar, wenn der Schuldner nicht mehr i m Dienste, und ebenso, wenn es sich um ein Verschulden bei Erhebung von Einnahmen handelt; dann „ist diese Verbindlichkeit eine privat recht liehe" (N i ρ ρ ο 1 d i n Sächs. Arch. f. bürg. R. I I Erg.Hft. S. 50). 35 Von einer „provisorischen N a t u r " des Defektenbeschlusses kann man so wenig reden wie bei einem erstinstanzlichen U r t e i l . K a n n g i e ß e r , Reichsbeamtenrecht S. 236 n. 1, der sich unter anderem so ausdrückt, bemerkt S. 237 n. 6: bei den Reichstagsverhandlungen habe man sogar angenommen, daß das Gericht auszugehen habe von einer „dem Defektenbeschluß zur Seite stehenden Vermutung der Wahrheit". Das ist bei einem nachzuprüfenden Verwaltungsakt nichts Besonderes.

Besondere Leistungspflichten.

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L e i s t u n g an den U n t e r n e h m e r M i t t e l zu gewähren, es z u r E r f ü l l u n g seines Z w e c k s b e d a r f 1 .

deren

Der G e g e n s t a n d der L e i s t u n g kann seiner A r t nach verschieden bestimmt sein: Geld, Sachen zu Gebrauch oder Verbrauch, Dienste. Dabei t r i t t dann eine gewisse Verwandtschaft zutage m i t Inanspruchnahmen entsprechenden Inhalts, wie sie i n den schon behandelten Rechtsinstituten sich darstellen. Immer bietet sich aber ein wesentlicher Punkt, i n welchem die öffentliche Last gegenüber dem äußerlich nahestehenden Institut sich scharf abgrenzt. Von der Steuer unterscheidet sie sich durch ihr Gepräge des Zusammenhangs mit einem bestimmten Unternehmen 2 , von der dinglich wirkenden Enteignimg durch die vermittelnde Leistungspflicht 3 , von der Heranziehung zu öffentlichen Diensten durch das mangelnde Element der besonderen Treue, die verlangt w i r d 4 . Das Rechtsinstitut der öffentlichen Last entfaltet sich i n verschiedenen A r t e n . Maßgebend ist für uns lediglich die Verschiedenheit der R e c h t s f o r m e n , in welchen die Last den Einzelnen erfaßt. Diese ergibt sich aber daraus, daß der Pflichtige dem Unternehmen, für das er leisten soll, von vornherein i n dreierlei verschiedenen G r u n d v e r h ä l t n i s s e n gegenüberstehen kann, aus denen seine Verpflichtung hervorgeht: — Die Last kann die Einzelnen treffen schlechthin nach Maß1

Das Wort Last wird wohl auch noch i n anderem, mehr wirtschaftlichem Sinne gebraucht. Man spricht von S t a a t s l a s t e n , um zusammenfassend izu begreifen, was der Untertan alles für seinen Staat zu leisten hat. Ahnlich bedeutet dann G e m e i n d e l a s t e n , K r e i s l a s t e n , was jedem seine Gemeinde, sein Kreis kostet. Dann wieder betrifft es die Aufgabenverteilung zwischen dem großen Gemeinwesen i m Staate: ein jedes findet seine S e l b s t v e r w a l t u n g s l a s t e n . Davon unten § 58, I I I n. 1. M i t dem Rechtsinstitut, -das wir hier behandeln, hat das alles nichts zu tun. 2

So auch Ν e u m a η η , Die Steuer S. 325. E i n mehr äußerlicher, aber keineswegs bloß zufälliger Unterschied ist der, daß die Enteignung nur auf u n b e w e g l i c h e s , die Last vorzugsweise auf b e w e g l i c h e s Gut geht. Ich sage: kein bloß zufälliger; denn es ist eine alte Rechtsidee, daß die Liegenschaft für den Rechtsübergang förmlicher obrigkeitlicher Akte bedarf, die Zugehörigkeit der Fahrnis aber an der Tatsache des Besitzes hängt und durch Forderungsrechte vermittelt wird (Ο. M., Dingl. Wirkung der Obi. S. 4 u. 61). 3

4

I n diesem Sinne nennt Ν e u m a η η , Die Steuer S. 55, die Hand- und Spanndienste „Vermögenswerte i m Gegensatz zu den idealeren Leistungen des Beamten, des Soldaten". Das „Ideale" an diesen ist nichts anderes als die rechtlich nicht völlig greifbare besondere Treuepflicht. Vgl. auch L a b a n d , St.R. I V S. 255.

§ 47. Gemeine Lasten.

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gäbe des Bedürfnisses des Unternehmens und ihrer Fähigkeit, dieses zu befriedigen — g e m e i n e L a s t e n ; — die Last kann dem Einzelnen auferlegt sein m i t Rücksicht auf eine besondere Beteiligung an dem öffentlichen Unternehmen, die bei i h m angenommen wird — Y o r z u g s l a s t e n ; — die Last kann einen Kreis von Einzelnen verbinden, so daß sie m i t dem Gesamtergebnisse ihrer Leistungen das Bedürfnis des öffentlichen Unternehmens zu decken bestimmt sind — V e r b a n d lasten. Die Besonderheit dieses Grundverhältnisses spiegelt sich dann jedesmal wieder i n der ganzen juristischen Ausgestaltung der Last. W i r handeln hier zunächst von den gemeinen Lasten. I . Die Leistungspflicht, welche wir als g e m e i n e L a s t bezeichnen, ist die Last o h n e b e s o n d e r e Z u t a t und ohne w e i t e r e r e c h t l i c h e V o r a u s s e t z u n g b e i d e m B e l a s t e t e n , als daß er i n der Lage ist, das Bedürfnis des öffentlichen Unternehmens, um das es sich handelt, zu befriedigen. I n unserem neuzeitlichen Gemeinwesen herrscht die Geldwirtschaft. Die öffentliche Dienstpflicht m i t ihrem besonderen Wert ist eine Sache für sich. Was i m übrigen seine öffentlichen Unternehmungen an sächlichen und persönlichen Mitteln nötig haben, beschafft es ihnen ordentlicherweise nach der A r t einer Privatwirtschaft nnd i n den Formen des Privatrechts: durch zweiseitige Verträge, nach welchen es seinerseits den Gegenwert i n G e l d zu leisten hat. Seine Kassen, aus denen es zahlt, füllt es zu diesem Zwecke m i t allerlei Einnahmen, vor allem m i t Steuern. Das gibt dann keine öffentlichen Lasten i n dem bestimmten Sinne unseres Rechtsinstituts. Das A n g e p a ß t s e i n der L e i s t u n g a n das b e s t i m m t e U n t e r n e h m e n findet bei gemeinen G e l d l e i s t u n g e n nicht seinen Ausdruck. Nur die N a t u r a 11 e i s t u n g ist imstande, auch als gemeine Last den für diese begriffswesentlichen Zusammenhang m i t dem Unternehmen durch ihren besonderen I n h a l t zu bewähren 5 . Solche kommen aber daneben auch jetzt noch zum Vorschein, und zwar auf zweierlei A r t : — Einmal sind Reste alter Naturalwirtschaft stehengeblieben. Das ist einleuchtenderweise vor allem der Fall i n bäuerlichen Ver6

F l e i n e r , Instit. S. 364 ff., teilt die „ ö f f e n t l i c h e n L a s t e n " ein i n „ N a t u r a 11 e i s t u η g s ρ f 1 i c h t e η " und „ ö f f e n t l i c h e A b g a b e n " . Der letztere Ausdruck umfaßt aber wohl auch Steuern und Zölle und kann unter Lasten nur begriffen werden i n dem oben Note 1 angegebenen Sinne.

Besondere Leistungspflichten.

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hältnissen und zur Beschaffung der Mittel für bestimmte Einrichtungen und Veranstaltungen von D o r f g e m e i n d e n . I n dieser Weise sind noch i n Ü b u n g : Hand- und Spanndienste für Gemeindewege (Fronen), Versehung des Nachtwächter- und Tagwächterdienstes durch die Bürger, Naturalverpflegung von Gemeindearmen und Gemeindebediensteten 6 . Das sind richtige gemeine Lasten. Sie sind keine Steuern, sondern verhüten Steuern. Sie tragen i m Gegensatz zu diesen den Zusammenhang m i t dem Bedürfnis des öffentlichen Unternehmens der Gemeinde deutlich aufgeprägt, insofern der I n h a l t der Leistung wie auch ihr Maß sich nach jenem unmittelbar rechtlich bestimmt. Allein ihr wirtschaftlicher Zweck bringt es m i t sich, daß hier die Leistung unbedingt, vertretbar ist: durch die gleichartige Leistung eines anderen oder einfach i n G e l d 7 . — Weit wichtiger ist der zweite Grund, der eine solche I n anspruchnahme der Einzelnen zu unmittelbarer Befriedigung des Bedürfnisses des öffentlichen Unternehmens auch heute noch notwendig macht: das ist die U n e n t b e h r l i c h k e i t dieser Leistung an sich selbst. Es handelt sich nicht um Naturalleistung s t a t t Geldleistung. M i t Geld i n erster Linie wäre dem Unternehmen überhaupt nicht gedient. Es braucht die Leistung i n der zu seiner u n m i t t e l b a r e n V e r w e n d u n g g e e i g n e t e n G e s t a l t , an diesem Ort, zu dieser Zeit, oder von diesem Menschen. Nur so erhält sein Bedürfnis die richtige Befriedigung 8 . I n der ganzen Strenge erweist sich jene Unentbehrlichkeit vor allem an den eigentlichen N o t l a s t e n : E i n z e l n o t bei Unglücksfällen, wo die Hilfe als Angelegenheit öffentlicher Verwaltung behandelt wird, oder g e m e i n e N o t , bei der diese Voraussetzung stet» eintritt, können sofortige Leistungen durch Arbeit, Gerätschaftsstellung, Materiallieferung nötig machen, und wer damit bei der H a n d ist, dem kann das zur öffentlichrechtlichen Pflicht werden, zur Lastpflicht. 6

Es ist noch nicht so lange her, daß es Ortschaften gab, i n welchen der Schullehrer seinen Mittagstisch abwechselnd bei den besseren Gemeindegliedern fand. 7 Preuß. Korn.Abg. Ges. v. 14. J u l i 1893 § 68 Abs. 3 u. 4; Bayr. Gem.Ord. v. 29. A p r i l 1869 Art. 50 Abs. 3. 8 Wo das zur Befriedigung des Bedürfnisses Dienende i n gleichwertiger Weise sonst zur Verfügung steht, mag der Pflichtige nach dem Gesetz durch einen anderen leisten oder sogar durch Gewährung der Geldmittel seiner Last genügen dürfen. So Quartierleistungsges. v. 25. Juni 1868 § 10. — Nicht auageschlossen ist, daß auch sonst der Lastpflichtige durch einen anderen leisten lasse, wenn nur die eigene Leistung i n erster Linie gemeint bleibt.

§ 47. Gemeine Lasten.

221

I n der gleichen Weise greift die M i l i t ä r l a s t zu i n R e q u i s i t i o n und E i n q u a r t i e r u n g s l a s t : das, was das Heer bedarf, ist ihm unmittelbar zu gewähren, zu Gebrauch und Verbrauch bereit, je nachdem. Endlich wird eine dritte Gruppe gebildet hauptsächlich von den J u s t i z l a s t e n : Z e u g e n p f l i c h t und S a c h v e r s t ä n d i g e n p f l i c h t . Z u kommen und die Aussage zu machen, das Gutachten abzugeben, das eine wie das andere zu beeidigen, das bedeutet eine Leistung zugunsten des großen öffentlichen Unternehmens, Justiz genannt, ohne welche diese nicht auskommen k a n n 9 . A n Stelle der D r i n g l i c h k e i t , welche bei den Notlasten wirkt, steht hier die U n e r s e t z b a r k e i t . I I . I m einzelnen entwickelt sich nun das Rechtsinstitut wie folgt. 1. Als Eingriff i n die Freiheit bedarf die gemeine Last nach den Regeln des Verfassungsstaates einer g e s e t z l i c h e n G r u n d l a g e . Das Gesetz, wie sonst auch, liefert selbst die nötigen Rechtssätze dafür oder ermächtigt eine Verordnung, ein Statut, sie aufzustellen. I n den allgemeinen Ermächtigungen der Polizeigewalt ist die Befugnis nicht enthalten, öffentliche Lasten zu begründen, insbesondere i n der Ermächtigung zu P o l i z e i v e r o r d n u n g e n nicht die Befugnis, sie rechtssatzmäßig vorzuschreiben 10 . Aus älteren Rechtszuständen, Markgenossenschaften und gutsherrlichen Verhältnissen, haben sich zuweilen noch Verpflichtungen zu Hand- und Spanndiensten und sonstigen Naturalleistungen erhalten, die, von Hàus aus privatrechtlich gedacht, auf Vertrag oder 9

Auch andere Behörden als die Gerichte sind befugt, eidliche Zeugenaussage zu fordern. E i n Verzeichnis bei L a b a η d , St.R. I I I S. 485 ff. Eine Lastpflicht dieser Art bedeutete Reichsges. v. 25. März 1907 § 5, Beantwortung der Berufszählungsfragen betreffend. Hierher wird auch zu rechnen sein die Entnahme von Proben feilgehaltener Nahrungsmittel nach Reichsnahrungsmittelges. v. 14. Mai 1879 § 2 Abs. 2. Die Unvertretbarkeit der Leistung ist hier die gleiche wie beim Zeugen. 10 Darüber die bedeutsame Auseinandersetzung zwischen Polizeigewalt und öffentlicher Last gelegentlich des Preuß. Ges. v. 21. Dez. 1904, oben Bd. I S. 227 Note. — Daß auch sonst die alte Idee von der Grenzenlosigkeit der Polizei heute noch den Rechtstitel liefern soll für allerlei Leistungen, bei denen es sich nicht um Polizei, sondern um unsere Lasten handelt, davon hat Bd. I S. 226 Note ein Beispiel gegeben (Auskunftsrecht). Vgl. noch Kam. Ger. 24. Sept. 1894 ( R e g e r X V I S. 82), 12. Juni 1902 ( R e g e r X X I I I S. 310); W o l t z e n d ο r f f i n Verw.Arch. X V S. 564. Umgekehrt werden dafür einfache polizeiliche Pflichten, aus dem Seinigen keine Störung kommen zu lassen und der etwa bereiteten entgegenzuwirken, sobald ein Grundstück dabei i n Frage ist, mit einem ganz überflüssigen Anschein von Gelehrsamkeit als „eine auf dem Grundstück ruhende öffentliche Last" bezeichnet: O.V.G. 13. Okt. 1905 (Pr. Verw.Bl. X X V I I I S. 105); v. B i t t e r , Handwörterb. I S. 577.

222

Besondere Leistungspflichten.

Herkommen zurückgeführt werden. Sofern die Pflicht am Grundbesitz hängt, spricht man von einer R e a l l a s t . Sofern die Leistung gemeinnützigen Einrichtungen, Wegen, Brücken, Flurschutz dient, hat die neuzeitliche öffentliche Verwaltung die richtige Erfüllung i n ihre Obhut genommen, und man spricht dann wohl von einer ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e n E e a l l a s t . Das sind Übergangsgebilde, m i t welchen die staatliche Gesetzgebung und Verwaltung nach und nach a u f r ä u m t 1 1 . Wie auf dem Boden der Polizeigewalt und ganz von selbst auch i m Bereich der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung 12 , so kommt bei Beschaffung sächlicher Mittel für ihre Unternehmungen unter Umständen ein N o t s t a n d s r e c h t der öffentlichen Verwaltung zur Geltung. Wenn i n solcher Weise fremde bewegliche Sachen für den öffentlichen Zweck beansprucht und weggenommen werden, so bietet der Vorgang äußerlich fast das gleiche Bild, i n welchem auch die Durchführung einer öffentlichen Last sich darstellen könnte. Genauer betrachtet, ist es etwas ganz anderes: Die gesetzliche Grundlage fehlt; eine Lastpflicht wird nicht begründet, ebensowenig ein Recht an der i n Anspruch genommenen Sache; das Zugreifen der öffentlichen Gewalt wird i n keinerlei Rechtsgewand gekleidet. Erst i m Falle des Widerstandes merkt man, daß sie es ist. Zu unserem Rechtsinstitut ist diese Erscheinung nicht zu rechnen 1 3 . 2. Der Rechtssatz, welcher der öffentlichen Last zugrunde liegt* 11 Über die Ausscheidung öffentlichrechtlicher Reallasten: F o e r s t e r E c c i u s , Preuß. Priv.R. I I I S. 411 ff.; S t o b b e , D. Pr.R. § 100 η. I V . Namentlich die Wegebaulast kann diese Gestalt angenommen haben: G e r m e r s h a α s e η , Wegerecht I S. 304 ff. 12 Vgl. oben § 41 I I η. 1. Die öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung würde sich fast immer auf eine A r t Notstand der öffentlichen Verwaltung berufen können; doch genügt eben der bloße Zusammenstoß zwischen dieser und dem Privateigentum, um ihre rechtliche Übermacht erscheinen zu lassen. — Wegen des Notstandes der Polizei vgl. oben Bd. I S. 297. 13 Der wichtigste Pali dieser A r t ist die Κ r i e g s η ο t. Man glaube doch nicht, daß m i t dem Gesetz über die Kriegsleistungen alles zum Abschluß gebracht ist, was der Staat von seinen Volksgenossen i m Kriegsfalle zu fordern imstande ist; es wird nicht viel weniger sein, als was der feindlichen Bevölkerung zugemutet wird. Zu untersuchen, „wieweit Militärbefehlshaber aus militärpolizeilichen (!) Rücksichten zur Vernichtung von Privateigentum ermächtigt gewesen sind" ( F o e r s t e m a n n , PolizeiR. S. 463), ist dann überhaupt keine verwaltungsrechtliche Frage mehr. Vgl. oben Bd. I S. 10. — Aber auch sonst läßt sich dieses Notrecht nicht i m voraus erledigend ordnen. Wenn E g e r , Enteignungsges. I I S. 564, die Fälle des öffentlichen Notstandes allgemein mit der Bemerkung versieht, „für welche bezügliche Bestimmungen gänzlich fehlen und de lege ferenda dringend notwendig erscheinen", so liegt es wohl i n der Natur der Sache, daß dieser Wunsch nie ganz erfüllt werden wird.

§ 47. Gemeine Lasten.

223

läßt sie niemals v o n selbst entstehen und als unmittelbare Wirkung der Erfüllung des äußeren Tatbestandes, ex lege. Es bedarf vielmehr stets erst noch einer W i l l e n s ä u ß e r u n g i m Namen des öffentlichen Unternehmens, für das die Leistung i n Anspruch genommen werden soll. Erst durch die Willensäußerung i m einzelnen Fall und gegenüber dem zu Verpflichtenden kommt die Lastpflicht zustande. Der Rechtssatz selbst erzeugt zunächst nur eine V e r p f l i c h t b a r k e i t für einen mehr oder weniger weitgezogenen Kreis, innerhalb dessen jene Willensäußerung den Pflichtigen und seine Leistung genauer zu bestimmen hat14. Die Willensäußerung kann aber i n rechtlicher Hinsicht von verschiedener Natur sein, und zwar ergibt sich hier von selbst der Gegensatz, ob es sich um eine die S t e u e r e r s e t z e n d e Naturalleistung, (Fronen) handelt oder die Lastpflicht deshalb i n Anspruch genommen wird, weil diese Leistung, so wie sie ist, für das Unternehmen U n e n t b e h r l i c h k e i t besitzt (oben S. 220). I m ersteren Fall richtet sich die Heranziehung der Einzelnen nach dem Vorbild der direkten Steuer, welcher die Maßregel ja, von dem unmittelbaren Zusammenhange m i t dem öffentlichen Unternehmen abgesehen, nahe verwandt ist. Die Obrigkeit, die dem Unternehmen vorsteht, spricht eine V e r a n l a g u n g aus, einen Verwaltungsakt oder vielmehr eine Zusammenfassung von Verwaltungsakten, die 14

Quartierleistungsges. § 4: „Der Bund ist berechtigt, die Beschaffung der Quartierleistungen zu verlangen und dazu alle benutzbaren Baulichkeiten i n Anspruch zu nehmen' . Dazu §§ 5 u. 11. Entsprechend Kriegsleistungsges. § 3 Ziff. 1, § 6 Abs. 1, § 4 Abs. 3. Rechtlich gleichwertig Friedensleistungsges. § 3: „Zur Stellung von Vorspann sind alle Besitzer von Zugtieren und Wagen verpflichtet". Mehr als eine Verpflichtbarkeit ist damit zunächst nicht gegeben, namentlich ist noch kein Grundstück dadurch rechtlich berührt, so wenig wie durch Preuß. Enteignungsges. § 1: „Das Grundeigentum kann aus Gründen des öffentlichen Wohles entzogen oder beschränkt werden." Quartierleistungsges. § 8 bestimmt: „Die Verpflichtung zur Gewährung der Quartierleistung t r i t t i n den einzelnen Fällen i n Wirksamkeit: 1. i n der Garnison durch Requisition der militärischen Kommandobehörde usw.". Verpflichtet ist aber gemäß § 5 Abs. 1 zunächst nur die Gemeinde. Diese macht nach Abs. 2 die „Unterverteilung",, und jetzt erst entstehen „Verbindlichkeiten" der Quartierträger (§ 10). Aus der eingangs wiedergegebenen Fassung des § 4 hat man Anlaß genommen, hier von einer „Reallast" zu sprechen, die „auf allen benutzbaren Baulichkeiten i m Reiche liegt" (L a b a η d , St.R. I V S. 263), oder zu sagen: „ D i e Quartierlast haftet auf der Wohnung und ist i n diesem Sinne eine Reallast" (G. M e y e r - D o c h o w , V.R. § 209 η. 1). Bei den Beratungen des Gesetzes i m Nordd. Reichstag gab es ziemlich ergebnislose Verhandlungen über diese Namen. Mir scheint er hier wieder einmal lediglich dekorative Bedeutung zu haben.

224

Besondere Leistungspflichten.

j e d e m b e s t i m m e n , was f ü r i h n i n bezug auf z u erfüllende L a s t p f l i c h t Rechtens sein soll. Das w i r d eröffnet i n den F o r m e n , w i e V e r w a l t u n g s a k t e eröffnet werden, u n d R e c h t s m i t t e l s i n d dagegen zulässig i n der gleichen Weise w i e gegen Veranlagung z u d i r e k t e n Steuern

15

.

D i e große Masse der öffentlichen L a s t e n h a t k e i n V o r b i l d a n d e n d i r e k t e n Steuern.

D o c h b l e i b t auch h i e r die F o r m der L a s t gewahrt,

insofern z u r E n t s t e h u n g der i h r e i g e n t ü m l i c h e n L e i s t u n g s p f l i c h t eine f ü r das U n t e r n e h m e n ergehende Willensäußerung vorausgesetzt w i r d . D i e h e i ß t hier A n f o r d e r u n g ,

Aufforderung,

Requisition.

Sie

ist k e i n V e r w a l t u n g s a k t , erzeugt n i c h t die P f l i c h t , sondern erfüllt n u r d i e B e d i n g u n g , u n t e r der der Rechtssatz sie erzeugen soll.

Sie h a t

d i e gleiche B e d e u t u n g w i e die M a h n u n g , welche den rechtssatzmäßigen Polizeibefehl oder die rechtssatzmäßige Polizeistrafdrohung i m E i n z e l falle w i r k s a m m a c h t 1 6 .

W i e diese, geht sie n i c h t n o t w e n d i g aus v o n

einer behördlichen Stelle, die berufen ist, d u r c h Schaffung v o n obrigk e i t l i c h e n A k t e n Rechtsgewalt z u ü b e n nach A r t des Richters. geordnete A m t e r genügen, u m sie g ü l t i g z u erlassen. a m t e t e L e u t e k ö n n e n das t u n m i t gleicher W i r k u n g 16

Unter-

Sogar n i c h t be17

.

Sie i s t n i c h t

Über diese oben Bd. I § 27, I I . Damit zu vergleichen Preuß. Kom.Abg.Ges. §69: „Dem Abgabenpflichtigen steht gegen die Heranziehung (Veranlagung) zu Gebühren, Beiträgen, Steuern und N a t u r a l d i e n s t e n der Einspruch zu." Immer steht hinter dieser Veranlagung die Gemeindebehörde. 16 Vgl. oben Bd. I S. 262 f. 17 So bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not die Aufforderung zur Hilfe, die eine Lastpflicht begründet; sie geht aus „von der Polizeibehörde oder deren Stellvertreter". Letzteres bedeutet einen bloßen Vollzugsbeamten •ohne behördliche Eigenschaft, einen Schutzmann oder einen Gendarm. Daß die Willenserklärung eines solchen hier ausnahmsweise rechtliche Bedeutung hat, w i l l O.L.G. München 31. Dez. 1898 ( R e g e r X I X S. 256) damit zum Ausdruck bringen, daß von ihm gesagt wird, er sei „hier selbständiges Polizeiorgan". Jetzt versteht man's! — Nach Berufszählungsges. v. 25. März 1907 § 5 läßt die Frage des freiwilligen Zählers die Beantwortungspflicht entstehen, auf deren Nichterfüllung die Strafe gesetzt ist. — Die Löschung eines Waldbrandes wird nach Preuß. Feld- u. Forstpol. Ges. § 44 Ziff. 4 als ein öffentliches Unternehmen angesehen, für welches die Hilfeleistung eine öffentliche Lastpflicht sein soll; namens dieses Unternehmens kann der Privatförster, kann der Waldeigentümer selbst die Aufforderung ergehen lassen mit der Wirkung, daß die Pflicht entsteht, die Nichterfüllung strafbar wird. Vgl. darüber oven Bd. I S. 262 Note 8. — Nach Kriegsleistungsges. § 4 Abs. 3 kann i n dringenden Fällen die Militärbehörde «(welche dem „ Z i v i l " gegenüber keine behördliche Gewalt hat) die Leistungen „ v o n den Leistungspflichtigen i n der Gemeinde unmittelbar requirieren". Die Requisition ist eben kein behördlicher Akt. — Die Zeugenladung ist eine Requisition, Anforderung, welche die Lastpflicht zur Entstehung bringt. Sie kann vom Gericht selbst ausgehen. Aber auch die Partei kann ja die Anforderung machen, die Ladung wirksam ergehen lassen gemäß Stf.Pr.Ord. § 219. Die

§ 47. Gemeine Lasten.

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selbständiger Gegenstand einer Anfechtungsklage, sondern die Rechtsverteidigung des Getroffenen richtet sich gegen die Maßregeln, die wegen Nichterfüllung der gesetzlichen Pflicht gegen ihn ergriffen werden, Zwang und Strafverfolgung; die Anforderung kommt dabei nur insoweit i n Frage, als es sich darum handelt, ob diese Bedingung für das Wirksamwerden des Gesetzes i m gegebenen Falle erfüllt war. Das schließt nicht aus, daß die durch die Anforderung geltend zu machende Last auch hier i m voraus i n eine gewisse Ordnung gebracht wird, äußerlich dem K a t a s t e r der direkten Steuer und der Aufstellung für die Verteilung der steuerartig auferlegten Naturalleistungen vergleichbar. Zweckmäßigerweise wird namentlich da so verfahren, wo die Leistungsfähigkeiten, die für das zu befriedigende Bedürfnis gegebenenfalls zur* Verfügung stehen werden, i m voraus zu überblicken sind und die Inanspruchnahme, falls sie stattfinden muß, i n einer A r t von Großbetrieb geschieht. Immer bedeutet hier der Kataster i n der Hauptsache nur einen Plan für die künftig etwa zu machenden Anforderungen 1 8 . Wenn ihm daneben auch eine bindende Kraft verliehen wird, so ist es nur die, i m voraus den Höchstbetrag festzustellen, bis :zu welchem die einzelnen Beteiligten b e l a s t b a r sein sollen 1 9 . 3. Die Erfüllung der m i t der Anforderung zur Geltung gebrachten Leistungspflicht ist gesichert durch S t r a f e und Z w a n g . Die allgemeinen Ermächtigungen zu S t r a f d r o h u n g e n für polizeiliche Zwecke sind hier nicht anwendbar (vgl. oben Note 10). Es muß eine Ladung wirkt dann geradeso, als wenn das Gericht sie verfügte. Also ist sie überhaupt kein „Befehl" ( L a b a n d , St.R. I I I S. 485): die Partei kann nicht befehlen. Die Zeugenpflicht ist auch kein „Anwendungsfall des Gehorsams gegen die Gerichtsgewalt" ( L a b a n d a. a. O. S. 492): die Partei macht, daß sie entstehe, nachdem das Gericht selbst sich dessen geweigert hat. Die Partei h a n d e l t k r a f t e i g e n e n R e c h t s f ü r das ö f f e n t l i c h e U n t e r n e h m e n R e c h t s p f l e g e , an dem sie als solche beteiligt ist, und für welches das Gesetz diese öffentliche Last vorsieht — wie der Waldeigentümer wirksam die Aufforderung ergehen läßt zur Hilfeleistung für den brennenden Wald. Beide können sie das, weil es eben um einen obrigkeitlichen A k t sich nicht handelt. 18 Den Hauptfall bietet Quartierleistungsges. § 6. Der Kataster ist aber auch hier Zweckmäßigkeitsfrage geblieben; der Gemeinde steht frei, ihn nicht anzulegen (§ 6 Abs. 6). 19 M i t Rücksicht auf diese Rechtswirkung ist hier ein Einspruchsverfahren eröffnet für die Militärbehörde einerseits und „die übrigen Interessenten" andererseits. Die Wirkung des Gesetzes wird hierdurch nach oben begrenzt, so daß möglicherweise die gesetzliche „Leistungsfähigkeit" geringer ist als die tatsächliche {Instr. v. 31. Dez. 1868 § 8 Abs. 1). Das Umgekehrte würde der Militärbehörde nichts helfen. Daher war die Regierung dieser Einrichtung überhaupt abgeneigt 4Nordd. Reichstag 1868, Sten. Ber. I S. 277). B i n d i n g - O e t k e r , H a n d b u c h V I . 2: O t t o M a y e r , V e r w a l t u n g s r . I I . 3. Aufl.

15

226

Besondere Leistungspflichten.

besondere gesetzliche Grundlage nachgewiesen werden 2 0 . Dann wird die Verhängung der Strafe den o r d e n t l i c h e n G e r i c h t e n zustehen» Handelt es sich um eine durch obrigkeitliche V e r a n l a g u n g auferlegte Lastpflicht, so ist wieder nur nachzuprüfen, „ob die Verfügung der zuständigen Behörde i m Rahmen der gesetzlichen Vorschriften erlassen, nicht aber, ob die getroffene Anordnung notwendig oder zweckmäßig ist. War es eine e i n f a c h e A n f o r d e r u n g , kommt es darauf an, ob die tatsächlichen Voraussetzungen auch wirklich gegeben waren, an welche das Gesetz die Entstehung der Lastpflicht durch sie knüpfen lassen will 2 1 . — Die Durchsetzung der Lastpflicht mittels obrigkeitlichen Z w a n g e s wird ja gern wieder einfach als eine A r t der p o l i z e i l i c h e n Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g (oben Bd. I § 24) behandelt. Das* ist sie ihrer Natur nach nicht, selbst wenn sie sich i n gleichen Formen bewegt. W i r begegnen aber auch ausgeprägten Seitenstücken dessen, was wir dort u n m i t t e l b a r e n Z w a n g nannten (oben Bd. I § 25), insofern eben hier die Voraussetzung eines zu vollstreckenden Verwaltungsaktes nicht, von vornherein gegeben ist und auch nicht immer erst nachgeholt z u werden braucht. Von den einzelnen Zwangsmitteln steht das der U n g e h o r s a m s s t r a f e insofern auch hier zur Verfügung, als diese ja eine Ausstattung, nicht bloß der Polizeibehörde, sondern der Amtsgewalt überhaupt sein will (Bd. I S. 273). Die E r s a t z v o r n a h m e dagegen ist bei der v e r t r e t b a r e n Lastpflicht das von selbst gegebene Zwangsmittel. B e i 20

So enthalten die Reichsgesetze über Quartierleistung, über Friedensleistungen und über Kriegsleistungen mancherlei Lastpflichten, und nur eine davon ist durch Strafdrohung geschützt: die Pferdeaushebung nach Kriegsleistungsges.. § 27. Bei den anderen geht es auch ohne das. 21

Das Gesetz kann die Voraussetzungen der Lastpflicht ganz formell bestimmt haben. So für die Zeugenpflicht nach Z.Pr.O. §§ 358, 377 u. 380 dea Beweisbeschluß, für die Pferdeaushebung nach Kriegsleistungsges. §§ 1 u. 25 dioMobilmachung. Wenn das fehlt, wird der Strafrichter trotz erfolgter Anforderung die Bestrafung dessen, der sich der Last entzieht, verweigern. Für die Anwendung von Stf. G.B. § 360 Ziff. 10 wird ein Unglücksfall oder gemeine Gefahr oder Not vorausgesetzt; die Nichtleistung der als Hilfe beanspruchten Tätigkeit, wenn sie überhaupt als solche Sinn haben konnte, ist unter dieser Voraussetzung strafbar, ohne sie nicht; ob sie zweckmäßig war, prüft das Gericht nicht nach. Bayr*. Ob.G.H. 29. März 1873 (Samml. I I I S. 132): Nach einem Brande beordert der Bürgermeister mehrere Gemeindeangehörige zur Sicherheitswache an den Brandplatz für die Nacht. Die Säumigen wenden gegen die Strafverfolgung ein, die Maßregel sei unnötig gewesen. Allein „der Polizeirichter hat nur zu prüfen, ob die a l l g e m e i n e n V o r a u s s e t z u n g e n gegeben seien, unter welchen das Gesetz die der Polizeibehörde gestattete Tätigkeit überhaupt eintreten läßt".

§ 47, Gemeine Lasten.

227

dèn lastmäßigen G e m e i n d e d i e n s t e n (Fronen) ist es von vornherein bereitgestellt i n Gestalt des entsprechenden Steuerbetrags 2 2 . I n der gleichen Weise pflegt auch die Q u a r t i e r l e i s t u n g geordnet zu sein: der Quartierpflichtige kann selbst ein Ersatzquartier beschaffen, dann erfüllt er; das gemeindliche Quartieramt beschafft nötigenfalls i n Zwangsersatzvornahme ein solches für ihn und läßt die Kosten beitreiben 2 3 . Das wichtigste Zwangsmittel bildet hier die einfache G e w a l t a n w e n d u n g . Sie findet vor allem statt, wo es sich um G e w ä h r u n g v o n S a c h e n handelt. Die Kriegsleistungen geben Beispiele: Quartier* Nahrungsmittel, Futter, Gerätschaften, Zugtiere werden zur Erzwingung der Lastpflicht m i t Gewaltanwendung beschafft durch tatsächliche Inbesitznahme unter Brechung des etwaigen Widerstandes. Der Übergang i n das einfache „Kriegsnotrecht", wo das Verwaltungsrecht überhaupt aufhört, liegt nahe 2 4 . Auch zur Erzwingung von Lasten, die eine p e r s ö n l i c h e T ä t i g k e i t auflegen, wie das Kriegsleistungsgesetz sie vorsieht, werden, unter solchen Ausnahmezuständen, die Mittel der Gewalt und Drohung dam i t verwendet werden können. I m übrigen verfährt i n so scharfer Weise wohl nur noch die Justiz, indem sie kraft besonderer gesetzlicher Ermächtigung die Lastpflicht des Zeugen durch gewaltsame Vorführung erzwingen läßt 2 5 . 22

Preuß. Kom.Abg.Ges. § 68 Abs. 4; Bayr. Gem.Ord Art. 53 Ziff. 2; Sächs. Rev.Städteord. § 29. 23 Quartierleistungsges. § 11. — C.C.H. 11. Jan. 1873 (J.M.B1. S. 73) behandelt einen Fall, wo das Einquartierungsamt von den Hausbesitzern ohne weiteres statt der Naturalleistung Einquartierungskosten erhoben hat, um dann das Quartier von der Stadt aus zu stellen. Das wurde für unzulässig erklärt: die Naturalleistung sei i m Sinne des Gesetzes als eine Vergünstigung anzusehen, die dem Pflichtigen nicht entzogen werden darf; die Umwandlung i n Geld sei immer bloß Zwangsmittel. Anders 0,V.G. 11. Dez. 1906 (Entsch. L S. 138): Die Gemeinde besorgt die Einquartierung i n Mietquartieren und erhebt die Kosten von dem „Verpflichteten 4 4 ; sie handelt hier „gleichsam als Geschäftsführer ohne Auftrag 4 ', aber m i t ihrem Kostenerstattungsanspruch fordert sie „nur die E r r füllung einer dem Verpflichteten nach Reichsrecht obliegenden Leistung"; also kein Rechtsweg, die Aufsichtsbehörde entscheidet. Für dieses Verfahren dürfte Quartierleistungsges. § 7 Abs. 5 den Weg eröffnen. Von selbst versteht sioh seine Zulässigkeit für die ausführenden Beamten nicht. 24 Kriegsleistungsges. § 5. — Auch die Entnahme von Proben feilgehaltener Nahrungsmittel nach Nahrungsmitteiges. § 2 Abs. 2 vollzieht sich nötigenfalle durch Gewaltanwendung ( S t e n g l e i n , Stfrechtl. Nebengesetze I S. 626, Note zu Nahrungsm.Ges. § 2 Abs. 2: „kann . . . g e g e n d e n W i l l e n des Verkäufers weggenommen werden 44 ). 26 Z.Pr.O. § 380 Abs. 2, StfPr.O. § 50. 15*

Besondere Leistungspflichten.

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4. Die E r f ü l l u n g der L a s t p f l i c h t stellt das zu Leistende zur Verfügung des öffentlichen Unternehmens, für welches die Anforderung geschah. Je nach dem Gegenstand wird die rechtliche Bedeutung, die das hat, verschieden sein. — Handelt es sich um D i e n s t e , die zu gewähren sind, Arbeitsleistung, Auskunfterteilung, Begutachtung, so t r i t t der Erfüllende damit i n den Bannkreis der Ordnung des Unternehmens, der er sich zu fügen hat, um seine Lastpflicht recht zu erfüllen. Der Leiter des Unternehmens gibt i h m bindende Anweisungen dafür, wie das geschehen soll, übt die dem Zwecke des Unternehmens entsprechende L e i t u n g s g e w a l t über i h n aus. Nichtbefolgen der Anweisung ist gleichbedeutend mit der Weigerung, überhaupt mitzutun an dem, was hier zu geschehen hat, und wird i n Rücksicht auf Strafen und Zwangsmittel ebenso behandelt wie einfache Nichterfüllung der Lastpflicht 2 6 . Wo vermöge der Lastpflicht S a c h e n z u m G e b r a u c h e überlassen werden mußten, t r i t t das öffentliche Unternehmen durch seine Leute i n den Besitz dieser Sachen, i n welchem es sich durch Selbsthilfe schützt. Die Dauer ist begrenzt durch den Zweck des Unternehmens, welchem die Last zu dienen bestimmt ist 2 7 . — I s t die der Lastpflicht entsprechende Sachleistung so gemeint, daß die Sache dem Unternehmen s c h l e c h t h i n z u r V e r f ü g u n g g e s t e l l t s e i n s o l l ohne Vorbehalt eines zeitlichen Maßes und eines Anspruchs auf Zurückgabe, zum Verbrauche also oder zu sonstiger Verwendung, dann muß es als der Wille des die Last begründenden Rechtssatzes angesehen werden, daß ein E i g e n t u m s ü b e r g a n g statt26

W i r sahen diese Leitungsgewalt schon i n das Gebiet der Zwangsdienstpflicht hereinspielen; vgl. oben § 44 I n. 3. I n der Lehre von der öffentlichrechtlichen Anstaltsnutzung (unten § 52, I ) wird sie ihre breiteren Zusammenhänge finden. M i t der Aufforderung zur Hilfeleistung nach Stf. G.B. § 360 Ziff. 10 wäre es nicht getan und ebensowenig mit der erwirkten Überlassung von Mannschaften zu allerlei Diensten und Arbeiten nach Kriegsleistungsges. § 3 Ziff. 3, käme nicht die Leitungsgewalt dazu, welche die riohtige Verwendung der so gewonnenen Kräfte sichert. — Der Apothekerlehrling wie der Kommandant der freiwilligen Feuerwehr i n den oben Bd. I S. 286 Note 31 angeführten Fällen hatten sich beide gegen die so ihnen unbekannte Gewalt verfehlt, der letztere hatte sich freiwillig darunter gestellt, der erstere i n zögernder Erfüllung einer Lastpflicht naoh Stf.G.B. § 360 Ziff. 10. Die Leitungsgewalt war dieselbe. Nur die Verhaftung war i n beiden Fällen zu viel. 27 E i n Beispiel dieser A r t von Sachleistungen i n Kriegsleistungsges. § 23: „ D i e Besitzer von Schiffen und Fahrzeugen sind verpflichtet, dieselben zur Benutzung für Kriegszwecke der Militärverwaltung auf Erfordern zur Verfügung zu stellen."

§ 47. Gemeine Lasten. finde

28

229

. D e r V o r g a n g m a g d a n n äußerlich einer E i g e n t u m s ü b e r t r a g u n g

gleichen.

Das E i g e n t u m geht über d u r c h d i e

Besitzergreifung,

die auf G r u n d der geltend gemachten L a s t p f l i c h t gegen einen i h r U n t e r liegenden vollzogen w i r d , ob dieser d a m i t einverstanden ist oder n i c h t 2 9 . 5.

Die Erfüllung

der L a s t p f l i c h t ,

ob f r e i w i l l i g

oder

k a n n die E n t s t e h u n g eines E n t s c h ä d i g u n g s a n s p r u c h s haben.

gezwungen, z u r Folge

D a b e i ist es wieder n u r die ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e

k e i t s e n t s c h ä d i g u n g , die i n B e t r a c h t k o m m t Ausdrückliche gemessen

Gesetzesvorschriften

erscheint,

die

Durchführung

30

erleichtern, durch

Billig-

. soweit

Aufstellung

es

an-

fester

Sätze, n a c h denen d i e E n t s c h ä d i g u n g z u bemessen i s t , als Zeugengebühren, „ S e r v i s " f ü r Quartierlasten, Abschätzungsverfahren

31

oder ordnen

ein

besonderes

.

28 Kriegsleistungsges. § 24: „ D i e Besitzer von Schiffen und Fahrzeugen sind verpflichtet, zum Zwecke der Verwendung für Hafen- und Flußsperren ihre Schiffe und Fahrzeuge der Militärverwaltung... eigentümlich zu überlassen." § 25: „Alle Pferdebesitzer sind verpflichtet, ihre Pferde . . . an die Militärbehörde zu überlassen". § 3 Ziff. 5: „Gewährung des i m Gemeindebezirke vorhandenen Feuerungsmaterials und Lagerstrohes . . . sowie (Ziff. 6) der sonstigen Gegenstände, deren Leistung beziehungsweise Lieferung das militärische Interesse erforderlich machen könnte". Das läuft alles gleichmäßig auf Eigentum hinaus. Die „Überweisung von Materialien" i n Ziff. 4 geht nur auf Gebrauch. — „Proben entnehmen" nach Nahrungsmitteiges. § 2 bedeutet Eigentumsübergang. 29 Wenn die Leistungen nach Kriegsleistungsges. § 3 Ziff. 5 u. 6 nicht erfolgen und die Militärbehörde sie nach § 5 „zwangsweise herbeiführt", geht das Eigentum geradeso über, wie wenn die Sachen freiwillig gestellt worden wären. Die nach § 25 ff. gestellten Pferde werden Eigentum des Reiches durch die Auswahl; sind Pferde nicht gestellt worden, so hat das leitende Mitglied der Musterungskommission „die Herbeischaffung der fehlenden zu veranlassen" (Preuß. Pferdeaushebungsreglement v. 3. Febr. 1900 S. 26 ff.). Der Eigentumsübergang daran vollzieht sich i n der gleichen Weise durch Besitzergreifung wie an den ordnungsmäßig vorgeführten. — Die „gewaltsam entnommene" Probe nach Nahrungsmitteiges. § 2 wird ebenso Eigentum wie die gern dargereichte; vgl. oben Note 24. 30 Vgl. oben § 34, I I . Wenn danach eine Verwandtschaft mit der Enteignung besonders deutlich hervortritt, so darf man doch nicht vergessen, daß auch für Dienstleistungen hier die gleiche Entschädigung stattfindet. Es handelt sich um ein Rechtsinstitut, das weit über die Enteignung hinausgeht. — Den zivilrechtlichen Konstruktionsbestrebungen hat auch die öffentliche Last hier wieder ihren Tribut zahlen müssen. Nach C.C.H. 11. Mai 1861 (J.M.B1. 1862 S. 44) u. 8. Dez. 1865 ( J.M.B1. 1866 S. 98) ist die Entschädigung für die Quartierlast (Servisvergütung) „privatrechtlicher Natur und bloß an Stelle eines Kontraktes durch das Gesetz festgesetzt". 31 Vgl. oben § 34, I I n. 1. - Nach R.G.Stf.S. 7. März 1908 ( R e g e r X X V I , 7 S. 141) wäre die Entschädigungspflicht für entnommene Warenproben gemäß Nahrungsmitteiges. § 2 nicht sofort zu erfüllen, denn es sei kein Kauf und Bar-

230

Besondere Leistungspflichten.

Wo diese Einrichtungen nicht ausreichen möchten, um den Forderungen der Gerechtigkeit voll zu genügen, ist wohl auch die Gewährung besonderer Entschädigungen vorgesehen. Das trifft Fälle, i n welchen nach den allgemeinen Grundsätzen eine Entschädigung überhaupt nicht zu gewähren sein würde, wie auch Fälle, i n welchen die ausgeworfenen festen Sätze einer Ergänzung zu bedürfen scheinen 3 2 · § 48.

Fortsetzung; Yorzugslasten und Yerbandlasten. Zum Unterschied von der gemeinen Last haben die jetzt zu betrachtenden Arten das Merkmal gemeinsam, daß hier der Lastpflichtige selbst schon i n einem e n g e r e n Z u s a m m e n h a n g m i t d e m U n t e r n e h m e n steht, dem er dienen soll. Dieser Zusammenhang g i b t der Lastpflicht rechtliche Bestimmtheiten, die sie als solche kennzeichnen, auch wenn der Inhalt des zu Leistenden sie durch seine Besonderheit noch nicht verraten würde, wenn sie also nicht auf Naturalleistung für das Unternehmen geht, sondern auf eine an sich farblose G e l d l e i s t u n g . Je nach der Form, i n welcher jener besondere Zusammenhang sich ausprägt, unterscheiden wir die beiden Fälle: V o r z u g s l a s t und V e r b a n d l a s t . I . Die ö f f e n t l i c h e V o r z u g s l a s t bewährt den besonderen Zusammenhang des Pflichtigen m i t dem Unternehmen durch den inneren Grund, der seine Belastung rechtfertigen soll, die justa causa, die sie i h m gegenüber voraussetzt. A n sich sollen alle öffentlichen Lasten gleich verteilt sein; wo sie ungleich treffen, greift die öffentlichrechtliche Billigkeitsentschädigung Platz. Hier ist beides nicht der Fall, aber die Abweichung ist g e r e c h t f e r t i g t d u r c h e i n e n v o r der B i l l i g k e i t b e s t e h e n d e n „ R e c h t s g r u n d " : der Belastete kann dafür angesehen werden, daß er an dem Bestand und der Instandhaltung des öffentlichen Unternehmens, für das er so besonders herangezogen wird, seinerseits auch b e s o n d e r s b e t e i l i g t sei. Das öffentliche Unternehmen bedeutet zugleich einen besonderen Vorteil, eine bezahlung nicht selbstverständlich; die Entschädigung fiele ja auch möglicherweise nachträglich ganz weg, wenn gemäß dem Ergebnis der sachverständigen Untersuchung die Ware als gesundheitsschädlich eingezogen würde. 32 ;So Bayr. Gem.Ord. Art. 53 Ziff. 1: „Die Gemeinden sind befugt, zur Abwendung etwaiger Überbürdung mäßige Vergütung bei L e i s t u n g v o n G e m e i n d e d i e n s t e n aus der Gemeindekasse zu bewilligen." Andererseits Quartierleistungsges. § 5 Abs. 4: „Das Statut kann auch Festsetzungen über Aufbringung von Gemeindezuschüssen z u d e n Quartierents c h ä d i g u n g e n oder über sonstige Geldausgleichung enthalten."

§ 48. Vrzugslasten und Vrbandlasten.

231

sondere Angelegenheit für ihn; daß der Aufwand, den es erfordert, i n entsprechendem Maße von i h m besonders getragen werde, ist deshalb kein besonderes Opfer, das die Allgemeinheit ihm zumutet, sondern ist i m Gegenteil selbst eine Forderung ausgleichender Gerechtigkeit. Wo die Erfüllung der Vorzugslast durch eine Geldzahlung an den Herrn des Unternehmens erfolgt, nennen wir sie einen B e i t r a g . Dieser i n der Lehre von der Steuer bereits angedeutete Begriff (vgl. oben Bd. I S. 315) findet hier seinen Sitz und seine Würdigung 1 . 1. Die b e s o n d e r e B e t e i l i g u n g des Einzelnen, welche der Lastpflicht hier zugrunde liegt, hebt sich ab von einer vorausgesetzten allgemeinen Beteiligung, der Beteiligung von j e d e r m a n n . Diese ist gegeben i n der Tatsache allein schon, daß es sich um ein öffentliches Unternehmen, eine öffentliche Anstalt handelt, bestimmt, dem Gemeinwohl zu dienen; ob es das t u t i n unmittelbarer Weise durch Erzielung diesem günstiger Zustände und Ergebnisse oder mittelbar, indem es den vielen Einzelnen seine Anstaltsleistungen bietet, ist für sein begriffliches Wesen gleichgültig. Letzterenfalls aber knüpft sich an die j e d e s m a l i g e L e i s t u n g , wenn das so eingerichtet ist, eine Gegenleistung als Entgelt für die bezogene Nutzung; das ist die G e b ü h r (vgl. oben Bd. I S. 315 und hier unten § 52, I I I ) . U n d i m einen wie i m anderen Falle kann schon das Z u s t a n d e k o m m e n u n d der B e s t a n d eines s o l c h e n U n t e r n e h m e n s Einzelne i m voraus begünstigen durch einen Vorteil, den sie unmittelbar davon haben, oder den für sie schon die eröffnete Möglichkeit der Anstaltsleistungen bedeutet. Dann werden sie als besonders Beteiligte anzusehen und Vorzugslasten gerechtfertigt sein, die ihnen als B e i t r ä g e oder e n t s p r e c h e n d e N a t u r a l l e i s t u n g e n obliegen sollen. — Beiträge und Gebühren, nach diesen Begriffsmerkmalen unterschieden, bestehen ganz u n a b h ä n g i g v o n e i n a n d e r . Das G e r i c h t erhebt für seine Leistungen Gebühren; dafür, daß es eingerichtet und zur Verfügung gestellt wurde, sind niemals Beiträge erhoben worden: niemand wird dafür angesehen, daraus einen besonderen Vorteil zu haben. Öffentliche E n t w ä s s e r u n g s a n l a g e n , S t a u w e r k e zur Regulierung der Wasserkräfte erheben Beiträge von den Besitzern, denen 1

Der Beitrag ist, wie alle diese Unterscheidungen, zunächst ein finanzwissenschaftlicher Begriff. Vgl. Ν e u m a η η , Die Steuer S. 327. Er ist enger als unsere Vorzugslast, sofern diese auch Naturalleistungen umfaßt, und ist weiter als sie, sofern die Finanzwissenschaft als Beitrag auch privatrechtlich geordnete Leistungen gelten lassen kann, unsere Vorzugslast aber rein öffentlichrechtlicher Natur ist.

Besondere Leistungspflichten.

232

ihre Herstellung zugute kommt; Gebühren gibt es nicht, sofern eben einzelne Anstaltsleistungen überhaupt nicht i n Betracht kommen, an die sie zu knüpfen wären. Für eine B r ü c k e sind Beiträge zu ihren Herstellungs- und Unterhaltungskosten auferlegt den Grundbesitzern, die für ihren Verkehr auf sie angewiesen sind; eine andere Brücke erhebt Brückengeld (Gebühr) von jedem Benutzungsfall. Eine s t ä d t i s c h e S t r a ß e gibt Anlaß zu mehrerem nebeneinander: P f l a s t e r z o l l von den Fuhrwerken, die sie benutzen (Gebühr); A n l i e g e r b e i t r ä g e (Vorzugslast i n Geld) zu den Kosten der ersten Herstellung, von den nächstbeteiligten Hausbesitzern geschuldet; S t r a ß e n r e i n i g u n g s p f l i c h t (Vorzugslast i n Naturalleistung) für alle „Adjazenten— Die Beziehungen zu dem Bestände des öffentlichen Unternehmens, welche eine Vorzugslast rechtfertigen, können von sehr mancherlei A r t sein. Die Billigkeitsforderung ist für sich noch nicht Recht; sie drängt nur dazu, es zu werden. Uns gehen daher auch jene besonderen Beteiligtheiten nur insoweit an, als sie durchgedrungen sind zur Gestaltung einer der Vorzugslasten, die i n der Wirklichkeit unseres Rechts zur Erscheinung kommen. Öffentliche Unternehmungen und Vorzugslasten dafür hat es schon vordem gegeben, vor allem i n untergeordneten Gemeinwesen für städtische und ländliche Straßen, für Brücken, Schulen, Kultusgebäude. Der V e r f a s s u n g s - u n d R e c h t s s t a a t stellt die Vorzugslast als Eingriff i n Freiheit und Eigentum unter seine Forderung einer gesetzlichen Grundlage. Dabei übernimmt er aus der Vergangenheit, was er auch sonst übernimmt — Einmal dafür entstandene Rechtssätze werden jetzt als öffentlichrechtliche angesehen und bleiben bestehen, auch wenn sie jetzt i n dieser Form nicht mehr entstehen könnten: l a n d e s h e r r l i c h e O r d nungen, Gewohnheitsrecht 2. — Einmal begründete Rechtsverhältnisse dauern fort, bis sie i n den Formen des neuen Rechts geändert oder beseitigt sind. I n dieser Beziehimg hätten natürlich rein persönliche Verbindlichkeiten nicht 2

Vgl. oben Bd. I S. 82 f. u. 89 f. So O.V.G. 5. Okt. 1892 (Entsch. X X I I I S. 379): Straßenreinigungspflicht der Hausbesitzer durch altes Gewohnheitsrecht (Observanz) begründet. Ähnlich O.V.G. 13. Febr. 1884 (Entsch. X S. 203) wegen einer Observanz, welche die Hausbesitzer zur Unterhaltung der Bürgersteige verpflichtete. Vgl. auch G i 1 b e r t i n Sachs. Ztschr. f. Pr. I X S. 241 über „Sonderverbindlichkeiten beim Wegebau".

§ 48. Vorzugslasten und Verbandlasten.

233;

viel zu bedeuten, da sie von selbst aussterben; wichtig sind allein die am Besitze hängenden und mit ihm übergehenden. Die R e a l l a s t e n spielen hier ihre Rolle 3 . 2. Die Neuentstehung einer Vorzugslast vollzieht sich auf zweierlei Art. Die Formen von Rechtssatz und Verwaltungsakt können verwendet werden, um eine solche Last den dadurch Bezeichneten aufzulegen ohne Rücksicht auf ihre Zustimmung kraft der gesetzlichen Grundlage, die den Eingriff rechtfertigt: a u f e r l e g t e V o r z u g s l a s t · Die gesetzliche Grundlage kann aber, wie wir sahen, bei manchen Eingriffen i n Freiheit und Eigentum dadurch ersetzt werden, daß der Betroffene diesem Eingriff zustimmt, dem Verwaltungsakt, der i h n auferlegt, sich unterwirft 4 . Die Vorzugslasten geben dieser Begründungsform ein Anwendungsgebiet: es gibt ü b e r n o m m e n e V o r zugslasten. 3. Bei der a u f e r l e g t e n V o r z u g s l a s t kann die gesetzliche Grundlage so gegeben sein, daß das Gesetz selbst durch den von ihm aufgestellten R e c h t s s a t z oder durch den Rechtssatz der Verordnung, oder des Statuts innerhalb der ihnen eingeräumten Zuständigkeit die Belastung entstehen l ä ß t 5 . Der Tatbestand, an welchen dieser Rechtssatz die Entstehung der Lasten sich knüpfen lassen will, weil i n ihm die vorausgesetzte besondere Beteiligung zum Vorschein kommt, ist dann je nachdem ein V o r g a n g : so für die Pflicht, den entsprechenden Teil der Herstellungskosten der städtischen Straße zu zahlen (Anliegerbeiträge), das Zusammentreffen der hergestellten Straße und des daran errichteten Gebäudes 6 . Oder es ist ein Z u s t a n d , an welchem die 3 Die Frage, ob solche Verpflichtungen als öffentlichrechtlich oder als privatrechtlich anzusehen seien, taucht erst i n der neueren Zeit auf. I n Bl. f. adm. Pr. 1884 S. 383 ff. und i n O.V.G. 2. Dez. 1887 (Entsch. I X S. 287) wird sie damit zu lösen gesucht, daß man „dingliches Recht" und „öffentliches Recht" als die maßgebenden Gegensätze erklärt; dingliches Recht wäre immer auch privatrechtlich. Von dem, was danach als öffentlich-rechtlich erfunden werden muß, sagt G i e r k e , D. Pr.R. I I S. 713, m i t Recht, das seien „für das geltende· Recht überhaupt nicht Reallasten i m technischen Sinne und somit den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Reallasten nicht unterworfen". Uber den Namen wollen wir nicht streiten. Vgl. oben § 47 Note 14. 4 Vgl. oben Bd. I S. 98. 5 Hier ist auch der Platz, wo altes Gewohnheitsrecht gern noch wirksam, wird. Vgl. Bd. I S. 90. ® v. S t r a u ß u. T o r n e y , Straßenanlegungsges. (Pr.) S. 245ff.: Diese öffentlichrechtliche Abgabenforderung „entspringt unmittelbar aus dem Gesetz oder einer auf Grund des Gesetzes geschaffenen Norm des öffentlichen Rechts,. Ortsstatut" (S. 247); „der erste Zeitpunkt für das Entstehen kann nur der sein.

Besondere Leistungspflichten.

2 34

L a s t p f l i c h t h ä n g t , u m wiederkehrende L e i s t u n g e n hervorzubringen: so die

Straßenreinigungspflicht

des H a u s b e s i t z e r s 7 .

Im

ersteren

Fall

t r i f f t die L a s t den, b e i welchem der V o r g a n g s t a t t f i n d e t , i m z w e i t e n jeden, der nach u n d nach i n diesen Z u s t a n d e i n t r i t t , w ä h r e n d der Austretende entlastet w i r d . D e r Rechtssatz k a n n s t a t t dessen die Schöpfung der L a s t einem Verwaltungsakt

anheimstellen.

D e r legt sie d a n n auf, b e i Ver-

besserungen städtischer Straßenanlagen z. B . , g e b u n d e n a n dafür gegebene Vorschriften,

also nach A r t

einer E n t s c h e i d u n g n u r

aus-

sprechend, was der Rechtssatz f ü r das M a ß der B e l a s t u n g u n d die B e s t i m m u n g des Lastträgers gewollt h a t 8 . i n welchem zuerst das Vorhandensein b e i d e r tatsächlichen Voraussetzungen zusammentrifft" (S. 248). O.V.G. 4. A p r i l 1898 (Entsch. X X X I I I S. 125); R.G. 10. Febr. 1904 (Entsch. L V I S. 396). — Dadurch bestimmt sich i m Falle eines Eigentumswechsels am Baugrundstück der richtige Schuldner. Das Gesetz kann allerdings die einmal entstandene Leistungspflicht an dem Grundstück haften lassen, so daß auch der Erwerber i n Anspruch zu nehmen ist; dann ist jener Entstehungspunkt immer noch von Wichtigkeit für den Rückgriff unter den Beteiligten; v. S t r a u ß u. T o r n e y a. a. 0. S. 255ff.; R u m p e l t , Sächs. Bauges. S. 161 n. 13. Die entstandene Pflicht bedarf hier, um vollziehbar zu sein, noch einer Berechnung und Feststellung, die durch Verwaltungsakt geschieht, der Veranlagung -der direkten Steuer vergleichbar (oben Bd. I S. 318 ff.), manchmal auch wohl so genannt. Man hat ihr sogar wie dort (oben Bd. I S. 330) die Wirkung beigelegt, eine Nachforderung auszuschließen: Sächs. O.V.G. 29. Mai 1907 (Jahrb. X S. 353). 7

Die Straßenreinigungspflicht zeigt nicht nur die häufigsten Fälle von gewohnheitsrechtlicher Entstehung (oben Note 5), sondern berührt sich auch m i t der Polizei. Vgl. unten Note 10. Bayr. Obst. L.G. 11. A p r i l 1900 (Bl. f. adm. Pr. L I S. 107), 28. Dez. 1903 ( R e g e r , Erg.Bd. I I I S. 159), 17. A p r i l 1906 ( R e g e r X X V I I S. 324) w i l l sie durch „ortspolizeiliche Vorschriften" auferlegen lassen auf Grund von Bayr. Gem.Ord. Art. 38. Zu diesem Zweck hat man schon behaupten wollen, es bestehe i n Bayern ein besonderes Herkommen, das diese Dinge von vornherein dem Gebiete der Polizei noch zuweise: V.G.H. 1. Febr. 1881 (Samml. I I S. 530); Bl. f. adm. Pr. 1888 S. 104. - Richtig O.V.G. 7. Mai 1908 (Entsch. L H S. 302), 24. Sept. 1908 (Entsch. L U I S. 289): Die Polizeiverwaltung kann nur für die Durchführung der anderweit schon begründeten Reinigungspflicht sorgen, nicht sie neu begründen. Ebenso Württ. V.G.H. 24. A p r i l 1908 (Jahrb. f. Württ. R.Pfl. X X S. 379): Reinigungspflicht der Anlieger nicht durch ortspolizeiliche Vorschrift, sondern durch Ortsstatut aufzulegen. 8 So Sächs. Bauges. v. 1. Juli 1900 § 78. Hier handelt es sich um die berechenbaren Kosten einer Brücke, eines Schmuckplatzes, von welchen durch die Stadt den b e s t i m m t e n Grundstücken der sie treffende Anteil auferlegt wird ( R u m p e l t , Kom. S. 200 Note 3). Das ist dann nicht Rechtssatz, sondern Verwaltungsakt. Ausgedehnter Pr. Kom. Abg. Ges. v. 14. Juli 1893 § 9. Die i n § 20 vorgesehene Mehrbelastung mit Gemeindesteuern hat wohl die Billigkeits-

§ 48. Vorzugslasten und Verbndlasten.

235

Oder er t u t es m i t f r e i e m E r m e s s e n , als Verfügung, innerhalb des i h m gelassenen Spielraumes als Vorzugsbelastung von Fabrikunternehmern, Steinbruchbesitzern wegen der besonderen Inanspruchnahme Öffentlicher Straßen durch ihre Fuhrwerke 9 . I n beiden Fällen entsteht dann die Last durch die Kundgabe des Beschlusses an den davon Betroffenen. I m letzteren Falle kann sie auch als Dauerlast des gewerblichen Unternehmens gedacht sein, i n wiederkehrenden Leistungen sich erfüllend, die an diesem Unternehmen hängt und m i t ihm auf einen etwaigen neuen Unternehmer übergeht. Die ü b e r n o m m e n e V o r z u g s l a s t gründet sich auf ein Übereinkommen zwischen dem Vertreter des öffentlichen Unternehmens und dem künftigen Lastpflichtigen. E i n solches Übereinkommen ist wohl z u unterscheiden von einem echten V e r t r a g des b ü r g e r l i c h e n R e c h t s . Es fehlt die privatwirtschaftliche Farbe. Das Gemeinwesen bleibt vielmehr auch hier auf dem seiner Natur entsprechenden Boden des öffentlichen Rechts. Das Rechtsgeschäft kommt zustande durch einen i n seinem Namen erlassenen V e r w a l t u n g s a k t , dem der andere, der zu Verpflichtende, sich u n t e r w i r f t — die bekannte Form des „öffentlichrechtlichen Vertrags" 1 0 . rücksicht i n gleicher Weise zum Ausgangspunkt; wegen der gewählten Form handelt es sich aber nicht um eine Last von der hier behandelten Art. 9

So die Preußischen Wegeordnungen: G e r m e r s h a u s e n , Wegerecht I S. 329 („die außerordentliche Wegelast der gewerblichen Betriebe"). Hierher gehört wohl auch der Fall der Verlegung eines öffentlichen Gemeindeweges infolge eines Eisenbahnbaues: die Wegepolizeibehörde kann die dadurch entstandenen Mehrkosten der Wegeunterhaltung der Eisenbahnverwaltung auflegen (O.V.G. 1. Febr. 1896; Entsch. X X X S. 185). 10 Vgl. oben Bd. I S. 98, 101 u. 104. — Diese neuere Auffassung äußert sich zunächst darin, daß man von dem „Vertrag zwischen den Beteiligten" ganz absieht und die Last einfach entstehen läßt durch „Erklärung gegenüber der Polizeibehörde": O.V.G. 7. Okt. 1896 (Entsch. X X X S. 253); Sächs. Min. d. Inn. 9. Nov. 1900 (Fischers Ztschr. X X I I S. 224). Das rechte Gefühl für den Wert des Verwaltungsaktes fehlt noch; die alte Zeit konnte sich mit dem schweigenden Kopfnicken der allmächtigen Polizeibehörde begnügen; das war schon ein „Befehl". I m Rechtsstaat muß die Behörde einen Anspruch tun, wenn sie bestimmen will, was Rechtens ist; es gibt keinen stillschweigenden obrigkeitlichen A k t (vgl. oben Bd. I S. 236). Deshalb ist auch m i t der einseitigen „Erklärung" des Lastübernehmers nichts getan, und der „öffentlich-rechtliche Titel der Verhandlung", von dem O.V.G. 7. Okt. 1896 (Entsch. X X X S. 253) spricht, ist kein Titel: wie soll die Last, für die Pflasterung eines öffentlichen Weges aufzukommen, dadurch entstehen können, daß jemand „zu Protokoll des Kreissekretärs" erklärt, er verpflichte sich? Die Versuchung liegt nahe, das als p o l i z e i l i c h e A u f l a g e n an-

Besondere Leistungspflichten.

236

Straßen, B r ü c k e n , Eisenbahnen, Staubecken, öffentliche Abwasserleitungen, öffentliche Schulen geben wieder die H a u p t a n w e n d u n g s f a l l e unseres R e c h t s i n s t i t u t s . V o n öffentlichrechtlicher E n t s c h ä d i g u n g

f ü r die L a s t i s t k e i n e

Rede. D i e B i l l i g k e i t s f o r d e r u n g , der sie d i e n t , soll j a hier gerade d u r c h d i e Vorzugslast befriedigt werden; d a m i t i s t es d a n n z u E n d e . II.

Verbandlasten.

D i e Leistungspflicht

für

das öffentliche U n t e r n e h m e n k a n n da-

d u r c h besonders gekennzeichnet

sein, daß

U n t e r t a n e n obliegt als eine g e m e i n s a m e .

sie einer M e h r h e i t

sammengefaßten b i l d e n d a n n einen L a s t e n v e r b a n d . w i r d eine V e r b a n d l a s t . fallende E i g e n t ü m l i c h k e i t .

von

D i e auf solche Weise Z u D i e L a s t selbst

D a s g i b t i h r schon äußerlich eine sehr aufDie Rechtsinstitute

der gemeinen

Last

u n d der Vorzugslast h a t t e n i m m e r n u r e i n e i n f a c h e s R e c h t s v e r h ä l t n i s zum

Gegenstande:

das zwischen der öffentlichen

einzelnen Belasteten.

Gewalt u n d

den

H i e r schließt sich n u n d a r a n als e i n z w e i t e s

R e c h t s v e r h ä l t n i s das der nebeneinander stehenden Belasteten u n t e r eich. 1.

D i e Verbandlasten

f ü h r e n uns z u r ü c k auf jene u r s p r ü n g l i c h e n

zusehen (oben Bd. I S. 261), namentlich wenn eine Polizeierlaubnis davon abhängig gemacht ist, daß die bestimmte öffentliche Einrichtung hergestellt werde. O.Tr. 5. Juni 1877 (Str. IC S. 182): Nach Preuß. Ges. v. 3. Jan. 1845 §§ 25 u. 26 bedürfen neue Ansiedlungen außerhalb der Ortschaft einer polizeilichen Genehmigung. Diese wurde hier erteilt unter der mit gesundheitspolizeilichen Rücksichten gerechtfertigten Bedingung, daß eine Abwasserleitung hergestellt werde; das kann nur die Gemeinde, und sie t u t es auf Kosten des sich dieser Last unterwerfenden Ansiedlers. O.V.G. 25. A p r i l 1878 (Entsch. I I I S. 304): A n noch nicht fertiggestellten Straßen darf laut Ortsstatut nur m i t besonderer Genehmigung der Gemeindeverwaltung gebaut werden, wobei diese ihre Bedingungen stellt, namentlich wegen der nötigen vorläufigen Straßenanlagen auf Kosten des Bau-· lustigen; durch die Annahme der Genehmigung unterwirft er sich der damit verbundenen Last. Aber die eigentliche Bedeutung der Last liegt ja nicht i n der Beseitigung einer Polizeiwidrigkeit, sondern i n der Beschaffung der Mittel für eine öffentliche Nützlichkeit. Polizeiliche Rücksichten stehen erst i n zweiter Linie dahinter. — Einen besonders schönen Fall besprechen Bl. f. adm. Pr. 1871 S. 352: Die Gemeindestraße soll durchgraben werden m i t einem Mühlkanal; die Wegepolizeibehörde w i l l ihre Genehmigung erteilen unter der Bedingung der Bestellung einer Brückenbaulast, die auf dem Mühlenanwesen haften soll; darüber sollen Müller und Gemeinde sich verständigen, aber die Verständigung „erlangt erst definitive Existenz durch die polizeiliche Genehmigung4', und nötigenfall» „ i s t der Beschluß allein die Rechtsquelle für die beiderseitigen Rechtsverhältnisse" — sofern der Müller dann noch will, natürlich, und sich der so formulierten Last unterwirft.

§ 48 Vorzugslasten und Verbandlasten.

237

Zustände, die oben § 35, I I gezeichnet worden waren: eine bäuerliche Gesellschaft, vom g e n o s s e n s c h a f t l i c h e n Gedanken erfüllt, wie sie die öffentliche Sache durch die Allmend vorbereitet, so die Leistungen für die Gesamtzwecke durch die Verbandlast. Der P o l i z e i s t a a t kommt darüber, nimmt die Wege, die Ströme für seine Hoheitsrechte i n Anspruch, und ebenso wird er der Forderungsberechtigte für die Verbandlasten. Die Verteilungsweise zwischen den darin begriffenen Lastträgern läßt er grundsätzlich bestehen und die zwischen ihnen dafür begründeten Entlassungsansprüche desgleichen. Für i h n gilt das öffentliche Recht seiner Polizei, das mehr und mehr -alle Schranken verliert; i m inneren Leben des Verbandes und der Verbandsgenossen herrscht das Privatrecht 1 X . Recht und Rechtsordnimg gibt es schließlich nur i n dieser letzteren Form; das Ganze bildet ein Seitenstück zu dem Doppelleben von Staat und F i s k u s 1 2 . Der neuzeitliche V e r f a s s u n g s - u n d R e c h t s s t a a t will dann auch für dieses Untergeschoß Recht und Freiheit der Einzelnen zur Geltung kommen lassen, und die Form dafür ist vor allem die, daß eigene Verwaltungskörper dafür herausgebildet werden: der „passive" Verband wird ein Verwaltungskörper, die verbundenen Genossen werden seine Mitglieder, der Selbstverwaltungskörper, die öffentliche Genossenschaft führen Schritt für Schritt die neue Ordnung der Dinge herauf. Der Zweck ist immer gerichtet auf ein bestimmtes einzelnes Unternehmen für das gemeine Wohl: Wegeunterhaltung, Schutzdämmeunterhaltung, Be- und Entwässerungen, Schulen, Armenpflege, Kirch11

Über diesen Entwicklungsgang: G i e r k e , Genossenschaftsrecht I S. 765 ff. O.V.G. 7. Febr. 1883 (Entsch. I X S. 69) und 15. Mai 1885 (Entsch. X I I S. 258) gibt die Grundzüge der polizeistaatlichen Ordnung dieser Dinge folgendermaßen: „Nach der Rechtsauffassung i m vorigen Jahrhundert standen dem Staate i n der Ausübung der Polizeihoheit zur Förderung der Wohlfahrt und Sicherheit des Ganzen als die ihm zunächst Verpflichteten die für die obrigkeitliche Ver' waltung verantwortlichen Korpora, die Magistrate, Dominien, Domänenämter gegenüber, vorbehaltlich der Unterverteilung jure collectandi. I n welchem Maße dominium und Untertanen zu den Polizeianstalten beizutragen hatten, regelte 'eich meist nach Vertrag und Herkommen.' 4 Es handelt sich nach heutiger Auedrucksweise nicht bloß um „Polizei", sondern um die ganze innere Verwaltung. Die „Korpora" sind nichts anderes als die Behörden. Das „jus subcollectandi" i s t hier nicht das landesherrliche Besteuerungsrecht, das man gewöhnlich darunter versteht, sondern die Geltendmachung der Lastpflicht, die innerhalb der Gruppen Verpflichteter gemäß „Vertrag und Herkommen" verteilt ist. 12 W i r erhalten hier ein Seitenstück zu der Entwicklung der ö f f e n t l i c h e n S a c h e aus der Allmend; vgl. oben § 35, I I .

238

Besondere

eistungspflichten.

höfe, Spitäler, Hebammen usw. 1 3 . Die Verwaltung liegt ausschließlich i n den Händen einer l a n d e s h e r r l i c h e n B e h ö r d e , einer ,,Polizeib e h ö r d e ' ^ V o n dieser wird schließlich auch gegen den Verband und seine Mitglieder der nötige Zwang geübt, um die Leistungen herbeizuführen, deren die Sache bedarf. Die Formen liefert die Finanzgewalt, soweit es sich um Geldleistungen handelt, zur Erzwingung von Sachleistungen dient wohl auch geradezu die einfache Gewaltanwendung. 2. Getroffen soll sein von den hier aufzulegenden Pflichten nicht die Gesamtheit des Verbandes, sondern jeder darin begriffene Einzelne besonders. Deshalb entsteht nun die Frage, wie die Last sich unter ihnen v e r t e i l t . Auch das macht die über den Verband gesetzte Behörde, aber nicht frei nach ihrem Ermessen, sondern gebunden durch die zwischen den Verbandsgenossen dafür geschaffene Ordnung. Als eine Ordnung zwischen Gleichen ist sie privatrechtlicher A r t i n den Formen, die dabei zur Verwendung gebracht werden. V e r t r a g und G e w o h n h e i t s r e c h t , die das Verwaltungsrecht sonst vermeidet, treten hier i n W i r k s a m k e i t 1 4 . Das erstere wird hier als Herkommen oder Observanz bezeichnet. Der Vertrag ist zunächst als rein zivilrechtlicher Natur nur zwischen den Vertragschließenden wirksam. Erst wenn i h m die leitende Behörde ihre B e s t ä t i g u n g gegeben hat, wird er auch maßgebend für diese und die von ihr vorzunehmende Inanspruchnahme der Lastverbundenen, bildet insofern einen Bestandteil der Verbandsverfassung 1 5 . N u n soll auch deutlicher werden, was diesen Leistungen hier das besondere Gepräge der öffentlichen Last gibt (vgl. oben § 47 Eing.). Die Verbandlast geht ja immer auf das Ganze des für das Unternehmen erforderten Aufwandes. Die einzelnen Leistungen können, für sich betrachtet, auch hier N a t u r a l l e i s t u n g e n sein und dadurch 13

Das Preußische Recht ist reich an solchen Verbänden: F o e r s t e r E o c i u s , Preuß. Priv.R. I V § 283; R o s i n , Öff. Genossenschaft S. 75 ff.; v. B i t t e r , Handwörterb. I S. 301 u. 369, I I S. 521. 14

Vgl. oben Bd. I § 8 n. 4; O.M. i n Arch. d. öff. R. I H S. 37 ff.; A ρ e 1 1 , i n Arch, d, öff, R. X L S, 344, 15

O.V.G. 16. März 1897 (Entsch. X X X I S. 152); Vereinbarung der Beteiligten über Aufbringung von Schulbaukosten „hat öffentlichrechtliche Wirk· samkeit nur durch hinzutretende Genehmigung der Schulaufsichtsbehörde". O.V,G, 17. März 1899 (D. Jur.Ztg. I V S. 443); 24. Mai 1901 (Entsch. X L S. 198): Die Zustimmung der Aufsichtsbehörde macht den Vertrag zu „einem Teil der Ortsschulverfassung". Man kann also nicht sagen, daß der — ganz zivilrechtlich gedachte — Vertrag der Beteiligten öffentlichrechtliche Wirkungen habe. Das t u t erst der behördliche Ausspruch, Genehmigung genannt. Der Vertrag liefert nur die Voraussetzung dafür, daß jener es rechtmäßig tun könne.

§ 48. Vorzugslasten und Verbandlasten.

schon den Zusammenhang m i t dem Unternehmen betonen; sie können als Vorzugslasten den an solchem Unternehmen b e s o n d e r s B e t e i l i g t e n als solchen auch bloß m i t Geldbeiträgen treffen; hier aber ist das Merkmal die vollkommene Deckung, die der Bedarf des Unternehmens durch die Gesamtheit der Lastverbundenen finden muß.. Dieser ganze B e d a r f wird nach dem Verteilungsmaßstab, den die Verfassung liefert, i n seinem vollen Umfang auf sie ausgeschlagen,, und so bekundet hier auch die nur i n einem Geldbeitrag bestehende Leistung jenen kennzeichnenden Zusammenhang noch i n ausreichender Weise. 3. Wie die anderen Lasten, bedeutet auch die Verbandlast zunächst nur eine öffentlichrechtliche Leistungspflicht der Obrigkeit gegenüber. Dazu t r i t t nun durch die Kraft des Verbandes eine Verbindlichkeit der so Zusammengefaßten zu gegenseitiger Entlastung nach Maßgabe dessen, was einen jeden treffen soll. Diese ist zunächst zivilrechtlich und wird gegebenen Falles durch Klage vor dem bürgerlichen Gerichte geltend zu machen sein auf Ersatz dessen, was der Kläger etwa über das richtige Maß hinaus zum Vorteil des Beklagten zu zahlen gezwungen war. Hatte der Vertrag oder das Herkommen die behördliche Bestätigung gefunden, so kann die dadurch gegebene öffentlichrechtliche Begrenztheit der Pflicht auch der Obrigkeit gegenüber geltend gemacht werden durch Anfechtung ihrer zu weit gehenden Verfügung wegen P r ä g r a v a t i o n l 6 . 4. Der Lastenverband, sobald er i n der angegebenen Weise über das bloße gemeinsame Dulden der staatlichen Inanspruchnahme hinauswächst, bekommt zunächst die Rechtsgestalt einer Gesellschaft.. Diese kann dann auch mit irgendeiner A r t von juristischer Persönlichkeit ausgestattet werden 1 7 . 16 I m früheren Preußischen Recht bestand die Schwierigkeit, daß für die Beitragspflichtigen untereinander die bürgerlichen Gerichte zuständig waren,, jedoch der Behörde gegenüber nur der Beschwerdeweg offen stand. Deshalb war, wenn die Festsetzung von dieser bereits erfolgt war, möglicherweise ein doppeltes Verfahren nötig: O p p e n h o f f , Ressortverh. 1. Aufl. S. 105. Das Zuständigkeit*?gesetz §§ 46, 47 u. 56 verweist auch die Streitigkeiten zwischen den Beteiligten vor die Verwaltungsgerichte. Wenn der wegen Verbandlasten für Schule oder Weg i n Anspruch Genommene behauptet, daß ein anderer statt seiner verpflichtet sei, so kann er nicht gegen die Behörde allein, sondern muß auch gegen diesen anderen klagen; die Entscheidung wirkt aber dann auch bindend für die Behörde: G e r m e r s h a u s e n , Wegerecht I S. 432 ff.; ν. Β r a u ο h i t s c h ,, Verw.Ges. I zu § 56 Zust.Ges. 17 R o s i n , Öff. Genossensch. S. 52: „So treten neben die öffentlichen Genossenschaften (juristische Personen) auch G e s e l l s c h a f t e n des öffentlichen Rechts." E i n Beispiel i n O.V.G. 9. Mai 1885 (Entsch. X I I S. 171).

240

Besondere Leistungspflichten.

Die einfachste und der Gedankenwelt des Polizeistaates angemessenste ist die Beigabe einer besonderen juristischen Person des bürgerlichen Rechtes, i n der Weise etwa, wie der Fiskus neben den Staat gestellt ist, eines V e r b a n d s f i s k u s . Das Unternehmen selbst bleibt dann nach wie vor unter der Leitung des Staates; die Kostpflichtigen sind nach wie vor nur eine Gruppe von misera contribuens plebs; das Zusammengesteuerte gehört ihnen nicht mehr, die juristische Person schützt es zu ihrem eigenen Besten vor ihnen selbst, schützt ves aber zugleich vor der Vermischung m i t dem Staatsvermögen. Sie können eine A r t Vertreterschaft dieser juristischen Person zu liefern haben, namentlich für wichtigere Beschlüsse i n ihrer Vermögensverwaltung; die ordentliche Vertreterin, die auch die ganzen laufenden Geschäfte besorgt, ist die staatliche „Polizeibehörde", der das öffentliche Unternehmen u n t e r s t e h t l d . Bei vielen Lastenverbänden liegt von Anfang an der Anschluß mehr an die O r t s g e m e i n d e . Wo die Gemeinde früher und kräftiger entwickelt ist, i n Süd- und Westdeutschland vor allem, läßt sie die ganze Ordnung der Lastenverbände ja überhaupt nicht zur Geltung kommen. Anderwärts bewährt sie stufenweise ihre Aufsaugungskraft. Der Staat beginnt sich der Gemeindeobrigkeit zur Durchführung der i h m geschuldeten Last zu bedienen; das gibt für die Gemeinde einen sogenannten ü b e r t r a g e n e n W i r k u n g s k r e i s (vgl. unten § 58, I I I n. 1). Enger noch wird die Verbindung, wenn die Gemeinde dem Staate gegenüber auch gesetzlich verpflichtet wird, für ihren lastpflichtigen Angehörigen nötigenfalls selber einzutreten. Das bedeutet dann jedesmal eine Umwandlung der Verbandlast i n eine G e m e i n d e l a s t 1 9 . Noch einen Schritt weiter, und die Gemeinde treibt aus der 18

Auf solche A r t sind Deichverbände, Armenverbände, Wegeverbände, Schulsozietäten allmählich zu juristischen Persönlichkeiten gelangt. F o e r s t e r E c c i u s , Preuß. Priv.R. I V S. 671, 687. Über die juristische Person eines Schulverbandes S c h n e i d e r u. B r e m e n , Volksschulwesen I I S. 62ff. Vor allem hat G i e r k e , Gen.R. I S. 766, diesen Verbandsfiskus i n vortrefflicher Weise gezeichnet bei den preußischen Kirchengemeinden alten Stils: sie sind .„bloße Kirchenverwaltungssprengel ohne eigenes Leben und ohne eine kirchliche Persönlichkeit", aber es wurde den Pfarrkindern doch „ i n der Regel eine privatrechtliche Persönlichkeit zugestanden und als Äquivalent für die ihnen auferlegten Kirchenlasten ein selbständiges Recht am Kirchenvermögen und eine Teilnahme an dessen Verwaltung". 19

Dieses ist die Form, i n welcher die Last sich der Gemeinde bedient für die Kriegsleistungen (Kriegsleistungsges. §§ 3 u. 5: „Für die vollständige und rechtzeitige Erfüllung der geforderten Leistungen sind die Gemeinden verantwortl i c h " ) , während die zuerst erwähnte Form, die bloße Inanspruchnahme für die -Erhebung, den Quartierleistungen und sonstigen Naturalleistungen i m Frieden

§ 48. Vorzugslasten und Verbandlasten.

241

zweiten Linie i n die erste, um unmittelbar für die Aufbringung des Bedarfs des Unternehmens einzustehen. Dann hört Lastpflicht der Einzelnen und Lastenverband von selbst auf; es bleibt nichts als eine G e m e i n d e a n g e l e g e n h e i t , möglicherweise ihrerseits wieder besorgt von einer Mehrzahl von Gemeinden in G e m e i n d e v e r b ä n d e n (vgl. unten § 58 I I I , § 60 I ) . Eine Reihe besonders wichtiger ehemaliger Verbandlasten hat das Schicksal gehabt, auf diese A r t aufzugehen i n den ganz anders gedachten Ordnungen der Selbstverwaltung : Wegeverbände, Schulverbände, Armenverbände und sonst noch manches ähnlichen Zwecken Dienende haben allmählich ihren Stoff großenteils ausgeleert i n diese von der Ounst der Zeit getragenen Formen. —- I n der gleichen Linie, wie die soeben betrachtete Entwicklung, liegt die dritte A r t von juristischer Persönlichkeit, die für die Verbandlast bedeutsam werden kann: statt der beigegebenen juristischen Person des Zivilrechts, statt der Verbindung m i t dem umfassenden öffentlichen Gemeinwesen unteren Ranges, der Gemeinde, kann die ö f f e n t l i c h e Genossenschaft auf den Plan treten. Zum Unterschied von «der Gemeinde bedeutet sie eine besondere juristische Person für dieses bestimmte Unternehmen. Zum Unterschied von den fiskusartigen Gebilden der älteren Zeit bedeutet sie eine juristische Person des öffentlichen Rechts. I h r gehört das öffentliche Unternehmen an, als Genossenschaftsangelegenheit i n der Weise, wie es der Gemeinde als Gemeindeangelegenheit angehören würde. Die Verbandlastmitglieder hören i n ihr auf, bloße Lastträger zu sein; sie sind anteilsberechtigt an der Vertretung und Verwaltung der Genossenschaft und ihres Unternehmens; es besteht ein ähnlicher Gegensatz zu den alten Lastgenossen wie bei den Gemeindegliedern. Wenn ihre Leistungen immer noch den Namen B e i t r ä g e führen, so sind es doch jetzt nicht mehr Lastbeiträge, sondern Genossenschaftsbeiträge und als solche von ganz anderer rechtlicher Natur. Darüber unten § 57 Note 17. -eigentümlich ist (Quartierleistungsges. § 5; Naturalleistungsges. § 2: „durch Vermittlung der Gemeinden können i n Anspruch genommen werden"). Über diesen Unterschied: L a b a η d , St.R. I V S. 288 f. — G. M e y e r - D o c h o w , V.R. § 210 (ebenso schon i n 1. Aufl. § 229), und übereinstimmend R ο s i η , Öff. Genossensch. S. 53, nehmen an, es seien bei den Kriegsleistungen die „verpflichteten Subjekte", die Lastträger also, „nicht die Einzelnen, sondern staatliche und kommunale Verbände", die dann ihrerseits wieder an „ihren Angehörigen" sich erholen. Aber wenn die Zivil- oder Militärbehörde nach Kriegsleistungsges. § 5 bei Weigerung oder Säumnis der Gemeinde die Leistungen „zwangsweise herbeif ü h r t " , so faßt sie selbstverständlich sofort die Einzelnen an; also müssen doch •diese als unmittelbar verpflichtet gedacht sein. . B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: O t t o M a y e r , V e r w a l t u n g e n I I . 3. Aufl.

16

242

Besondere Leistungspflichten.

D i e öffentliche Genossenschaft e n t s p r i c h t , i m Gegensatz z u r V e r bandlast, ebenso d e m Zuge unserer Z e i t w i e d i e einrichtungen.

Selbstverwaltungs-

A l t e Verbandlasten n e h m e n i h r e F o r m a n : der D e i c h -

v e r b a n d w i r d z u r Deichgenossenschaft. Neuschöpfungen greifen ü b e r a l l z u i h r , w o m a n früher eine einfache Verbandlast eingerichtet h ä t t e : Krankenkassen, Berufsgenossenschaften 20

20

.

Neben die beiden letztgenannten hat das Gesetz für ähnliche Zwecke seine V e r s i c h e r u n g s a n s t a l t e n gestellt (Il.Vers.OrdL § 1326ff.). Auch sie haben ihre Versicherten um sich versammelt, um durch ihre Beiträge die Mittel geliefert zu erhalten, deren sie zur Erfüllung ihrer Auf gaben bedürfen. Hier handelt es sich aber um k e i n e V e r b a n d l a s t . Sie stehen überhaupt i n keinem rechtlich bestimmten Verhältnis zueinander und für die juristischen Personen haben sie nicht die Bedeutung von Angehörigen; sie dient ihnen als Sicherung für ihre künftigen Ansprüche, ähnlich wie die öffentliche Sparkasse n^it Anstaltspersönlichkeit ihren Einlegern (vgl. unten § 56 Π n. 3). Der Gegensatz ist geeignet, das Wesen der Verbandlast und der etwa dazu gehörigen Genossenschaft zcl beleuchten.

Fünfter Abschnitt.

Besondere Empfänge. § 49.

Verleihung öffentlicher Unternehmungen. Die V e r l e i h u n g , Konzession, bedeutet einen Verwaltungsakt, wodurch dem, über welchen er ergeht, dem Beliehenen, rechtliche Macht gegeben wird über ein Stück öffentlicher Verwaltung zur Ausübung eigenen Namens (vgl. oben § 39 Eing.). Das von der Verleihung betroffene Stück öffentlicher Verwaltung kann sich verkörpern i n einer öffentlichen Sache. Dadurch entsteht das oben § 39 behandelte sachenrechtliche Rechtsinstitut. Es kann sich auch darstellen als eine T ä t i g k e i t , die durch ihren besonderen Zweck gekennzeichnet und abgegrenzt ist als ein öffentliches Unternehmen (vgl. hier oben S. 1). Das gibt dann unseren F a l l 1 . I . Die Verleihung des öffentlichen Unternehmens hat Verwandtschaft mit der Ü b e r t r a g u n g eines ö f f e n t l i c h e n A m t e s . Der Unterschied besteht darin, daß der Beliehene sein Stück öffentlicher Verwaltung" eigenen Namens ausübt und zu eigenem Recht. I n dieser Hinsicht gleicht die Stellung des Beliehenen einigermaßen der eines Selbstverwaltungskörpers oder sonst einer untergeordneten juristischen Person des öffentlichen Rechts (vgl. unten § 55, I I n. 3). Aber der Selbstverwaltungskörper ist dazu geschaffen und bestimmt, öffentliche Verwaltung zu führen; es gehört zu seiner Natur als juristische Person des öffentlichen Rechts, daß er so ausgestattet sei. Die Verleihung dagegen bringt dem Beliehenen das öffentliche Unternehmen als eine äußerliche Z u t a t , die sein eigenes Wesen nicht berührt. Er kann ein einzelner Privatmann sein und bleiben oder eine Aktiengesellschaft; er kann eine Gemeinde sein oder ein sonstiger Verwaltungskörper, dem hier zu der öffentlichen Verwaltung, i n der er seine Eigenschaft als juristische Person des öffentlichen Rechts betätigen soll, noch eine zufällige Ausstattung mit öffentlicher Ver1 Man nennt wohl auch das durch die Verleihung oder Konzession Erworbene Konzession. So erklären sich Ausdrücke wie „Verleihung einer Konzession"; vgl. z. B. E g e r , Eisenbahnrecht I S. 33. „Konzession einer Konzession" klänge schlechter; sonst ist kein Wertunterschied zwischen beiden Ausdrucksweisen.

16*

244

Besondere Empfänge.

waltung erwächst, für welche seine Verhältnisse geregelt sind nicht nach Selbstverwaltungsrecht, sondern nach dem Rechte, das auch für eine Aktiengesellschaft oder einen einzelnen Privatmann i n solcher Stellung gelten würde 2 . Dem äußeren Schein nach steht die Verleihung der Erteilung einer g e w e r b e p o l i z e i l i c h e n E r l a u b n i s viel näher, insofern auch hier ein bestimmtes einzelnes Unternehmen i n Frage ist, welches dem Empfänger durch den über i h n ergehenden obrigkeitlichen A k t zugänglich gemacht werden soll. Das macht erklärlich, daß man den Namen „Konzession" für beide Dinge unterschiedslos gebraucht findet, für unsere Verleihung wie für diese Erlaubnis 3 . I n der Sache besteht zwischen ihnen eine tiefgreifende Verschiedenheit. Die gewerbepolizeiliche Erlaubnis stellt für den Empfänger einfach die natürliche Freiheit wieder her. Sie gibt i h m nichts Neues hinzu, begründet insbesondere kein subjektives öffentliches R e c h t 4 . I m Gegensatz dazu liegt die Tätigkeit, welche Gegenstand einer Verleihung sein soll, als ein Stück öffentlicher Verwaltung von Haus aus nicht i m Machtbereich des Einzelnen, sondern ausschließlich i n dem des Gemeinwesens; die Befähigimg dazu macht nicht ohnehin vorhandene Kräfte frei, sondern gibt über diese hinaus eine rechtliche Macht und Fähigkeit, die eben deshalb für den Empfänger den Inhalt eines besonderen subjektiven Rechts bildet. Es leuchtet ein, daß der ganze innere Aufbau des Rechtsinstituts hier ein anderer sein muß als bei der Polizeierlaubnis und eine Vermengung beider nicht stattfinden darf 5 . — 2

Der Staat kann nicht beliehener Unternehmer sein. Sobald auf seinem Gebiet ein öffentüches Unternehmen zulässigerweise i n seinem Namen geführt wird, offenbart sich darin seine allgemeine Fähigkeit zu jeglicher A r t öffentlicher Verwaltung. Auch der fremde Staat, der auf unserem Gebiet eine Eisenbahn betreibt, t u t das nicht als beliehener Unternehmer, sondern kraft völkerrechtlichen Vertrags als Staat sich betätigend. Der Pachtvertrag des Deutschen Reiches m i t Luxemburg vom 15. Juli 1872 wegen der Wilhelm-Luxemburg-Bahn war kein Pachtvertrag nach zivilrechtlicher Art, aber auch keine verwaltungsrechtliche Verleihung. 3 Darüber oben Bd. I S. 239 Note 1. * Vgl. oben Bd. I S. 244 und Note 10. 6 I n den 70er Jahren hatten die westschweizerischen Bahnen einen Rechtsstreit mit der Eidgenossenschaft, wobei sie behaupteten, es sei i n ihre durch die Konzession begründeten Rechte durch staatliche Maßregeln eingegriffen worden. Der Bundesrat formulierte damals seine Auffassung von der rechtlichen Bedeutung des Verhältnisses dahin: „Konzessionen sind Akte der Staatshoheit. Der Staat pazisziert mit der Eisenbahngesellschaft sowenig als mit dem Wirte, Metzger, Apotheker usw., welchen er Konzessionen gewährt, über die Ausübung seiner Staatshoheit i n diesen Materien" ( H e u s l e r , Die rechtliche Natur der Eisenbahnkonzession S. 3). S e i l e r , Rechtliche Natur der Eisenbahnkonzession S. 34, bemerkt dazu, daß i n der Tat die Eisenbahn an sich einem Privatunternehmen

§ 49. Verleihung öffentlicher Unternehmungen.

245

I s t der Gegenstand der Verleihung stets gedacht als ein Stück öffentlicher Verwaltung, so folgt daraus, daß dahinter stets ein Rechtssubjekt besteht, bei welchem diese Tätigkeit eigentlich daheim wäre und besorgt werden sollte. Von diesem u r s p r ü n g l i c h z u s t ä n d i g e n T r ä g e r ö f f e n t l i c h e r V e r w a l t u n g leitet dann der Beliehene sein Recht ab. I m Zweifel ist es der S t a a t (Reich oder Land). A n seiner Stelle kann es auch eine G e m e i n d e sein, Ortsgemeinde oder höherer Selbstverwaltungskörper. I I . Das wichtigste A n w e n d u n g s g e b i e t der Verleihung bilden die öffentlichen V e r k e h r s w e g e . Die Straßen und Wege, die dem Gemeingebrauche dienen, sind öffentliche Sachen des Staates oder eines Selbstverwaltungskörpers an seiner Statt. Sie bedeuten als solche öffentliche Anstalten oder Unternehmungen gemäß dem entwickelten Begriff. Sie haben ihre ausgeprägte öffentlichrechtliche Ordnung, vor allem auch i n Polizeiund Abgabenwesen 6 . I m Gegensatz dazu sind Privatwege solche, die privatwirtschaftlich verwaltet werden, nicht dem öffentlichen Verkehre dienen, sondern der Bewegung innerhalb des Privateigentums und seiner Benutzbarkeit. Sie erhalten ihre Ordnung durch das bürgerliche R e c h t 7 . gleichstehe und nur wegen ihrer eminent öffentlichen Bedeutung eine fortwährende Kontrolle und Aufsicht des Staates erfordere: „ V o n diesem Gesichtspunkte aus ist die (bundesrätliche) Vergleichung m i t den gewerblichen Konzessionen entschieden gerechtfertigt." — Stünde die Verleihung eines öffentlichen Unternehmens der gewerbepolizeilichen Erlaubnis des Wirtes, Metzgers usw. gleich, so wäre es allerdings richtig, zu sagen: der Staat pazisziert nicht i n dieser Materie über die Ausübung seiner Staatshoheit. I n Wirklichkeit „pazisziert" er aber durch die Verleihung über seine „Staatshoheit", indem er ein Stück seiner öffentlichen Verwaltung zur Ausübung eigenen Namens überläßt. Deshalb ist eben jene Gleichstellung m i t der gewerbepolizeilichen Erlaubnis unrichtig gewesen. — J e l l i n e k , Subj. Rechte S. 110 Note 1, stimmt meiner Scheidung von „Verleihung" und „Erlaubnis" zu. Diese Zustimmung verliert aber viel von ihrem Wert dadurch, daß er (im Text S. 110 u. 111) auch die Eisenbahnkonzession (unseren Hauptanwendungsfall!) der polizeilichen Jagderlaubnis und der Erlaubnis zum Waffentragen gleichstellt. 6 I n diesem Sinne gleichbedeutend Ρ ü 1 1 e r , Instit. jur. pubi. §§ 335 u. 336: Zu den regalia gehört das „jus supremae potestatis circa vias publicas", und S e y d e l , Bayr. St.R. I I I S. 297: „ D i e öffentlichen Wege sind Verwaltungseinrichtungen des Staates oder der Gemeindeverbände." 7 ν. Β i 1 1 e r , Handw.B. d. Pr. Verw. I I S. 316; Α. Ζ ο r η i n Wörterb. d. St. u. Verw.R. I I I S. 898. — Die Begriffsbestimmung „solche nichtöffentliche Straßen, welche für mehrere Grundstücke als Einfahrten zum Hinterlande dieneji" ( R u m p e l t , Sächs. Bauges. S. 125), hat nur die Verhältnisse der Ortsstraßen i m Auge.

246

Besondere Empfänge.

Nun wäre es allerdings denkbar, daß ein derartiger privatrechtlich geregelter Weg gleichwohl von seinem Eigentümer der Allgemeinheit zugänglich und benutzbar gehalten würde und etwas wie ein öffentlicher Verkehr darauf sich entwickelte, tatsächlich also eine Nachahmung des richtigen öffentlichen Weges darstellend. Es wurde aber angenommen, daß ein Privatunternehmen dieser A r t durch ein landesherrliches Regal rechtlich ausgeschlossen sei. Dabei hatte man wohl vornehmlich die Einkünfte aus den öffentlichen Straßen i m Auge, die nicht geschmälert werden sollten. Später traten dann höhere Gesichtspunkte der öffentlichen Verwaltung und des Gemeinwohls an die Stelle: das öffentliche Straßenwesen soll planmäßig und zuverlässig sich gestalten ohne Irreführungen des Verkehrs durch wilde Nachahmungen und Einmengungen 8 . Auf diesen Grundlagen baut sich nun auf die Verleihung von Straßenunternehmungen an Privatunternehmer. Den Anlaß gab der sich entwickelnde K u n s t s t r a ß e n b a u , wofür der Staat selbst die Mittel nicht i n genügendem Umfange aufbrachte; dazu vor allem dienten dann eben die beliehenen Gesellschaften 9 . — I n der gleichen Weise können künstliche Wasserstraßen verliehen werden, öffentliche S c h i f f a h r t s k a n ä l e 1 0 . Natürliche Wasserstraßen sind nicht als verleihbar anzusehen. 8

I n dieser Hinsicht ist der Wechsel der Ausdrucksweise bedeutsam: statt auf das nutzbare Regal wollte man jene Einschränkung später auf die Rechte der Landespolizei gründen; vgl. den Streit zwischen Κ ο c h , Deutschlands Eisenbahnen I S . 3 Note 3, I I S. 484 Note5 und G e r b e r , D.Pr.R. 14. Aufl.S. 162Note5. 9 So wurden i n Preußen häufig die Chausseebauten von einer Aktiengesellschaft übernommen „gegen Verleihung angemessener Abgaben". Darüber das Material bei v. R ö η η e , Verf. u. Verw. des Preuß. Staates Τ. I V , Bd. I V Abt. 2 (Wegepolizei) S. 178ff. Vgl. auch G e r m e r s h a u s e n , Pr. Wegerecht I S. 373 ff. Keine Verleihung ist es, wenn ein Privatunternehmer eine i m Bebauungsplan vorgesehene öffentliche Straße ausbauen darf, um die Verwertung der angrenzenden Bauplätze zu beschleunigen. Der Zweck ist, daß die Stadt die Straße, wenn sie fertig ist, übernehmen soll; erst dadurch wird sie dann öffentliche Sache. Vorher nicht. Der Unternehmer hat weder Rechte noch Pflichten eines Beliehenen, noch soll er sie je bekommen. Die Vorschriften, die ihm gegeben werden, setzen ihn nur i n Stand, zu wissen, was er tun muß, um jenen Erfolg zu ermöglichen. R.G. 22. Sept. 1888 (Entsch. X X I I S. 294): Die Anordnungen der Stadt (über die A r t des Ausbaues der Straße) geben ihr „zwar wohl das Recht, die Übernahme der Straße zur eigenen Unterhaltung so lange abzulehnen, als ihren Anordnungen nicht völlig entsprochen war; sie bieten ihr vielleicht auch unter Umständen die Möglichkeit, die Benutzung der Straße für den öffentlichen Verkehr und der Besetzung mit Wohngebäuden entgegenzutreten"; aber sie hat keinen „Anspruch auf die Ausführung", ein „Vertrag" liegt nicht vor. 10 Der bayrische Ludwigs-Donau-Main-Kanal war ursprünglich einer zu

§ 49. Verleihung öffentlicher Unternehmungen.

247

Ferner sind Gegenstand der Verleihung B r ü c k e n und F ä h r a n s t a l t e n , beide unter der Voraussetzung, daß sie dem öffentlichen Verkehr zu dienen bestimmt sind. Hier kommt aber noch eine eigentümliche Verwicklung zum Vorschein. Brücken und Fähreinrichtungen bedeuten nämlich zugleich einen Besitz an dem Wasserlauf, über welchen sie führen. Untersteht dieser dem Privatrecht, so wird die Zustimmung des Eigentümers notwendig sein oder was sie ersetzt; wasserpolizeiliche Gesichtspunkte können außerdem i n Betracht kommen. Handelt es sich dagegen um einen öffentlichen Fluß, so wird auch für eine Brücke oder Fähre, die nicht dem öffentlichen Verkehre dienen soll, die Einräumung eines besonderen Gebrauchsrechts durch eine Verleihung der oben § 39 dargestellten A r t erforderlich werden. Das ist dann etwas anderes als die Verleihung eines öffentlichen Unternehmens, von der wir hier handeln. Soll es aber eine öffentliche Brücke oder Fähre werden, die ein Einzelner oder eine Gesellschaft herstellt und betreibt, so bedarf es hier einer Verleihung von beiderlei A r t : Verleihung des besonderen Nutzungsrechts am Fluß und Verleihung des öffentlichen Unternehmens der Brücke oder Fähre. Das wird zweckmäßigerweise i n die Zuständigkeit einer einzigen Stelle gelegt und zu einem Akte verbunden werden. Die doppelte Natur des rechtlichen Vorgangs darf darüber nicht verkannt werden 1 1 . diesem Zwecke gebildeten Aktiengesellschaft zum Bau und Betrieb verliehen gewesen (Bayr. Ges. v. 1. Juli 1834); erst nachträglich hat ihn der Staat erworben. 11

I n Preußen bestehen das Fährregal und das Brückenregal, beide i n dem Sinne, daß solche Einrichtungen zur Benutzung durch andere gegen Entgelt, also für allgemeinen Verkehr, nur m i t Genehmigung des Staates geschaffen und betrieben werden können. Für die Fähren bestimmt das ausdrücklich A. L.R. I I , 15 § 51, soweit es sich um öffentliche Flüsse (Ströme) handelt, aufrechterhalten durch Wasserges. v. 7. A p r i l 1913 § 397, soweit es sich um „Wasserläufe erster Ordnung" handelt (vgl. oben § 35 Note 41). Für die Brücken bestimmt A. L.R. I I , 15 § 52 auch wieder nur beim Strome die Notwendigkeit einer staatlichen „Erlaubnis", ohne es Regal zu nennen: H o l t z u . K r e u t z , Pr. Wasserges. I zu § 26 Ziff. 4. Beides hat die Einräumung einer Benutzung des öffentlichen Gewässers i m Auge. Die eigentliche Regalität beruht für beides auf A. L.R. I I , 15 §§ 88 u. 90: A n die Verleihung des Rechts, Brücken- und Fährgeld zu erheben, knüpft sich nach § 138 ebenda die Unterhaltungspflicht; das macht aber unser Rechtsinstitut aus. G e r m e r s h a u s e n , Pr. Wegereeht I S. 296ff. u. 325ff. Die Sache liegt also so, daß für jede solche dem allgemeinen Verkehr dienende Einrichtung ohne Unterschied der A r t des Gewässers die Verleihung nötig ist; beim öffentlichen Flusse kommt außerdem noch die staatliche Genehmigung wegen der Benutzung dieses seines Herrschaftsraumes hinzu. — Über die verschiedenen Rechtsbeziehungen der Brücken zum Gewässer und zur Straße vgl.

248

Besondere E m p f n g e

I n der großartigsten Weise i s t aber nnser R e c h t s i n s t i t u t z u r W i r k samkeit gelangt b e i d e n E i s e n b a h n e n .

D i e E i s e n b a h n ist

gleich

v o n i h r e m ersten A u f t r e t e n a n u n d b e v o r n o c h besondere gesetzliche O r d n u n g e n u n d V o r b e h a l t e gemacht w o r d e n waren, als e i n U n t e r n e h m e n b e t r a c h t e t worden, daß der E i n z e l n e oder, w i e es h i e r i m m e r der F a l l ist, die Aktiengesellschaft n u r herstellen u n d betreiben k a n n auf G r u n d einer V e r l e i h u n g v o n Seiten des Staates.

D a ß regelmäßig

E n t e i g n u n g d a z u n o t w e n d i g wurde, gab n u r d e n äußerlichen G r u n d . Durchschlagend war, daß die E i s e n b a h n sofort u n t e r d e n Gesichtsp u n k t des öffentlichen Verkehrswegs gebracht wurde, der als solcher sein R e c h t n u r v o m

Staate h e r l e i t e n k a n n u n d n i c h t

nachgeahmt

werden d a r f 1 2 . D a h e r a u c h b e i d e n Eisenbahnen sofort eine grundlegende U n t e r scheidung gemacht w i r d , w i e sie ä h n l i c h schon f ü r d i e gewöhnlichen Straßen a n e r k a n n t w a r : n u r die ö f f e n t l i c h e E i s e n b a h n , d. h. d i e d e m öffentlichen V e r k e h r gewidmete, k o m m t h i e r i n B e t r a c h t . linien für

einzelne Bergwerke,

Hütten,

Fabriken

Zufuhr-

(Schleppbahnen),

Schienenwege i n n e r h a l b eines Landgutes, Fabrikanwesens oder zwischen solchen (Betriebsbahnen), n u r f ü r die Zwecke dieser U n t e r n e h m u n g e n v. B i t t e r , Handw.B. d. Pr. Verw. I S. 337 Art. Brücken i m Zuge öffentlicher Wege. Das wird auch für die Verleihung von Wichtigkeit. Bayr. Wasserges. v. 23. März 1907 Art. 78 behandelt Brücken und Überfahrtsanstalten nur unter jenem zweiten Gesichtspunkte: Zustimmung des Staates ist nötig wegen seines Eigentums und aus polizeilichen Rücksichten; es handelt sich bloß um eine „Schutzbestimmung": E y m a η η , Bayr. Wasserges. I I S. 32ff. — Sachs. Wasserges. ν. 12. März 1909 § 25 fordert zum „gewerbsmäßigen Betrieb von Fähren" eine „Erlaubnis der Verwaltungsbehörde". Es handelt sich dabei um „strompolizeiliche Aufsicht". Bei „Regalflüssen" (Elbe, Mulden, weiße Elster) „ i s t hierzu Verleihung durch die Ministerien des Innern und der Finanzen erforderlich". Das ist als Verleihung eines besonderen Gebrauchsrechts gedacht. Die Verleihung eines öffentlichen Unternehmens würde aber auch noch i n Frage kommen, sofern die Fähre zugleich als ein der öffentlichen Brücke gleichstehendes Verkehrsmittel anzusehen ist. 12 Die Anknüpfung wurde dadurch erleichtert, daß man ursprünglich das Eisenbahnunternehmen sich so vorstellte, daß hier nur der vorteilhafte Schienenweg geliefert wird, auf welchem man gegen Entrichtung eines Wegegeldes („Bahngeldes") m i t seiner Lokomotive oder seinem Pferdewagen fahren darf. So noch Pr. Eisenb.Ges. v. 3. Nov. 1838 § 27. Vgl. vor allem auch die erste deutsche Eisenbahnkonzession, unten Note 26. R e y s c h e r , i n Ztschr. f. D. R. Χ Π Ι S. 285, w i l l denn die Eisenbahnen ohne weiteres unter das Straßenregal fallen lassen. Andere nehmen wenigstens ein damit verwandtes besonderes Eisenbahnregal an: K o c h , Deutschlands Eisenb. I I S. 484; H a b e r e r , Österr. Eisenbahnrecht S. 3; E g e r , Preuß. Eisenbahnrecht I S. 26.

§ 49. Verleihung öffentlicher Unternehmungen.

249

bestimmt, fallen nicht darunter, sowenig wie die Privatstraßen (vgl. oben S. 245) 1 3 . Während durch das mehr und mehr sich durchsetzende Staatseisenbahnwesen die Verleihung bei den Hauptbahnen stark i n den Hintergrund geschoben ist, hat sie noch für die Kleinbahnen und vor allem für die S t r a ß e n b a h n e n eine große Bedeutung. Die Straßenbahngesellschaft bedarf für ihr öffentliches Verkehrsunternehmen der staatlichen Verleihung 1 4 . Außerdem bedarf sie, um ihre Schienen i n den Straßenboden legen zu dürfen, der Verleihung eines besonderen Gebrauchsrechts an der Straße, wofür die Herrin der Straße, also regelmäßig die Gemeinde, zuständig ist. Beide, Staat wie Gemeinde, können ihre Bedingungen stellen, jedes für seine Verleihung. Das Gesetz wird hier geneigt sein einzugreifen, um dem Willen der staatlichen Behörde i m Widerspruchsfalle die überwiegende Kraft zu sichern 1 5 . Greift schon m i t den Kleinbahnen das verleihbare Unternehmen leicht über die öffentlichen Sachen hinaus, so ist das noch deutlicher der Fall bei den T e l e g r a p h e n a n s t a l t e n . E i n solches Unternehmen für den allgemeinen Nachrichtenverkehr ist an sich wieder als ein öffentliches, zur öffentlichen Verwaltung gehöriges denkbar oder als Privatgeschäft. Das Gesetz erklärt es zum Eegal mit der Wirkung, daß auch die entsprechenden privatgeschäftlichen Nachahmungen ver13 K o c h , Deutschlands Eisenb. I S. 2; E g e r , Preuß. Eisenb.R. I S. 2 Anm. 3; H a b e r e r , Österr. Eisenb.R. S. 22; v. R ο e n n e , Preuß. St.R. I V S. 579 Note 1 a ; 111 i η g , Handb. f. Preuß. V.Beamte I S. 964 Note (Reskript v. 18. Dez. 1869: eine Eisenbahn zur Privatbenutzung unterliegt nur einer Prüfung „ i n landespolizeilicher Hinsicht, insbesondere i n Anbetracht der von der Eisenbahn zu überschreitenden öffentlichen Wege"). — O.V.G. 13. Sept. 1890 ( E g e r , Eisenb.Entsch. V I I I S. 48) spricht hier von einer Konzession i m Sinne von Polizeierlaubnis. Ähnlich wegen der Genehmigung eines Privatanschlußgeleises R.G. 25. Nov. 1908 (E g e r , Eisenb.Entsch. X X V S. 313. 14 Aus den dem Kleinbahnunternehmer auferlegten öffentlichrechtlichen Pflichten, vor allem auch aus der Betriebspflicht, schließt E g e r , Kleinbahnenges. S. 36, mit Recht: „Alle diese Pflichten charakterisieren die Genehmigung einer Kleinbahn zu einer über die bloß polizeiliche Genehmigung hinausgehenden Konzession." 15 Pr. Kleinbahnenges, v. 28. Juli 1892 verlangt neben der staatlichen Verleihung (§ 2: „Genehmigung") noch die Zustimmung des Wegeunterhaltungspflichtigen ( § 6 ; also vor allem i n der Stadt der Gemeindevertretung); diese Zustimmung kann aber durch Beschluß des Provinzialrates bzw. Kreisausschusses „ergänzt" werden (§ 7; nach Erwägungen des öffentlichen Interesses: E g e r , KleinbahnGes. S. 137). — I n Sachsen, wo eine derartige Bestimmung nicht besteht, ist es fraglich, ob ein Zwang gegen die Stadt geübt werden kann. T h e i s s i g i n Fischer Ztschr. X X X V I I S. 24 ff. - Ρ a s q u a y , Elektr. Starkstromanl. S. 87 ff.

250

Besondere Empfänge.

boten sind. Die Ausübung des Rechts kann an Privatunternehmer „verliehen "werden. Dann wird nicht bloß das Verbot beseitigt, sondern auch die Telegraphenanstalt dieses Privatunternehmers eine öffentliche 1 6 . Nachträglich hat das Gesetz auch die d r a h t l o s e T e l e g r a p h i e i n den Kreis seiner Vorschriften gezogen. Solche Anlagen und ihr Betrieb sind schlechthin von einer G e n e h m i g u n g des Reiches abhängig gemacht 1 7 . Das wird dann verschiedene Rechtsgestaltungen .annehmen können. Wenn das Reich selbst die Anlage errichtet, so bedarf es keiner Genehmigung; es kommt bloß darauf an, daß die Zuständigkeitsgrenzen der verschiedenen Reichsstellen dabei beobachtet werden. Wenn ein Einzelstaat die Genehmigung erhält, so bedeutet das, daß er nun die Anlage errichten kann, ohne das Recht des Reiches -zu verletzen, eine Erlaubnis also, die von dem verfassungsmäßigen Verbot entbindet. Die Natur eines öffentlichen Unternehmens gibt er «einer Einrichtung dann aus eigener Kraft. I s t es ein anderer Unternehmer, der die Anlage machen und betreiben will — und auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, Gemeinden z.B., können als solche hier i n Betracht kommen —, so mag gemeint sein, daß sie öffentlichen Zwecken und dem Dienste der Allgemeinheit gewidmet sein soll als öffentliches Unternehmen: dann bedeutet die Genehmigung die Verleihung eines solchen i m Sinne des hier erörterten Rechtsinstituts. Möglicherweise ist es aber auf einen beschränkten Zweck der Privatwirtschaft des Unternehmers abgesehen, dann wird die Genehmigung die Natur einer bloßen Polizeierlaubnis erhalten 1 8 . Als ein Fall der Verleihung eines öffentlichen Unternehmens wird endlich auch aufgefaßt werden müssen die R e i c h s b a n k . E r weist gewisse Besonderheiten auf, die sich aber sehr leicht erklären: wenn das Gesetz ausnahmsweise einmal eingreift, um einen E i n z e l f a l l unmittelbar zu ordnen, ergeben sich immer solche Besonderheiten; zu diesem 16

R.Tel. Ges. v. 6. A p r i l 1892 § 1 (Regal), § 3 (die freigelassenen Anlagen, vor allem Privatanlagen, entsprechend den Privatstraßen und Privateisenbahnen). § 2 (Verleihung des i n § 1 vorbehaltenen Rechts an Privatunternehmer). 17 R.G. v. 7. März 1908 fügt zu Ges. v. 6. A p r i l 1892 § 3 hinzu: „Elektrische Telegraphenanlagen, welche ohne metallische Verbindungsleitungen vermitteln, dürfen nur m i t Genehmigung des Reiches errichtet und betrieben werden." Nachdem das Gesetz von 1892 „Verleihung" zum Fachausdruck erhoben hat, ist die Wahl von „Genehmigung" hier bedeutsam. 18 R.Tel. Ges. v. 6. A p r i l 1892 § 4, der die Kontrolle anordnet über Errichtung und Betrieb der Privattelegraphenanlagen, daß sie „sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen halten", gilt auch für drahtlose Telegraphie. Wo eine Verleihung stattfindet, fügt sie frei ihre weiteren Bedingungen hinzu.

§ 49. Verleihung öffentlicher Unternehmungen. Zwecke greift zuheben:

es j a gerade ein. — D r e i P u n k t e

— D i e Reichsbank i s t zweifellos e i n ö f f e n t l i c h e s eine öffentliche

Anstalt

des Reiches:

251

sind hier hervorUnternehmen,

sie d i e n t z u r

Wahrnehmung

v o n A u f g a b e n seiner öffentlichen V e r w a l t u n g u n d i s t ausgestattet m i t entsprechenden r e c h t l i c h e n V o r z ü g e n u n d Auszeichnungen — Diese Reichsbank w i r d n i c h t i m N a m e n u n d f ü r

19

.

Rechnung

des Reiches betrieben, sondern sie gehört einer j u r i s t i s c h e n P e r s o n d e s P r i v a t r e c h t s , gestaltet auf Grundlage eines Vereins v o n A n t e i l s eignern n a c h d e m Muster einer Aktiengesellschaft.

Diese n e n n t sich

selbst wieder die Reichsbank, gerade wie die juristische Person Deutsche B a n k n a c h i h r e m Geschäfte sich n e n n t —

Daß

aber

20

.

n u n diese verpersönlichte

Privatgesellschaft

aus-

g e s t a t t e t w o r d e n i s t m i t d e m S t ü c k öffentlicher V e r w a l t u n g , das die R e i c h s b a n k v o n H a u s aus bedeutet, d a m i t es i n i h r e m N a m e n u n d f ü r 19 L a b a η d , St.R. I I I S. 143 Note, bemerkt m i t Recht, daß die „Form des Privatbetriebes" (sagen wir „privatwirtschaftlichen Betriebes") kein Hindernis sei, daß die Reichsbank „öffentliche Aufgaben und staatliche Zwecke" verfolge. Das Beispiel der Eisenbahnen, das er anführt, trifft zu. Betont muß nur werden, daß auch samt dieser privatwirtschaftlichen Form, welche dazu neigt, i m Einzelfall privatrechtlich geordnete Verhältnisse entstehen zu lassen, die Reichsbank wie die Eisenbahn ein Stück öffentlicher Verwaltung, ein öffentliches Unternehmen, eine öffentliche Anstalt bedeutet. Das ist ein bestimmterer Begriff als die Verfolgung öffentlicher Aufgaben und staatlicher Zwecke. Die Eigenschaft der Reichsbank als einer öffentlichen Anstalt des Reiches ist auch von Anfang an viel betont worden. Vgl. B e u t l e r , Die Reichsbank S. 232ff. Unrichtig ist es nur, wenn man von dieser Erkenntnis i m Zusammenhang m i t der anderen, daß eine besondere juristische Persönlichkeit vorliegt, so ganz glatt hinübergleitet zu der Annahme, es müsse hier eine Anstalts p e r s ö n l i c h k e i t oder ö f f e n t l i o h e A n s t a l t s p e r s ö n l i c h k e i t vorliegen. So R ο s i n , Öff. Genossensch. S. 50; G i e r k e , Genossenschaftstheorie S. 869 u. 913; d e r s . , D. Pr.R. I S. 637; B e u t l e r , Die Reichsbank S. 237. Meine Verwahrung i n Arch. f. öff. R. I S. 717 hat nichts geholfen. Hier kommt es aber doch erst noch darauf an, zu prüfen, welche Rechtsgestalt die m i t dieser Anstalt verbundene besondere juristische Person erhalten hat. Vgl. unten § 56 Note 21. 20

Bankges. § 23 ff. - Richtig L a b a η d , St.R. I I I S. 141 ff. ; G. Μ e y e r D ο c h ο w , D. Verw.R. S. 342; R.G. 31. Dez. 1902 (Entsch. L I H S. 231): „ D a die Reichsbank, wenn nicht eine Aktiengesellschaft, so doch gewiß ein der Aktiengesellschaft ähnlicher Personenverein i s t . " R o s i n , Öff. Genossensch. S. 51, glaubt einen Unterschied aufweisen zu können, indem bei Eis enb ahnakt ienges eil Schäften „die Verfolgung des öffentlichen Zweckes nur als Mittel für die Erwerbszwecke ihrer Mitglieder fungierte", während bei der Reichsbank „das Erwerbsinteresse der Anteilseigner i n den Dienst ihres öffentlichen Zweckes gestellt i s t " . Meines Eraòhtens trifft dieses letztere geradeso bei den Aktionären der beliehenen Eisenbahngesellschaft zu. Kapitalisten sind sie beide i n erster Linie.

252

Besondere Empfnge.

ihre Rechnung geführt werde, das ist das gewöhnliche Ergebnis unseres verwaltungsrechtlichen Rechtsinstituts: m i t der Gründung der juristischen Person Reichsbank vollzog das Gesetz zugleich die Verleihung des öffentlichen Unternehmens Reichsbank an j e n e 2 1 . Daß die Geschäfte der juristischen Person Reichsbank für sie durch Reichsbeamte besorgt und überwacht werden, ist nichts Unerhörtes. Dafür haben beliehene Eisenbahnaktiengesellschaften mehrfach die Vorbilder geliefert, deren Linien i n ausgiebigste staatliche Verwaltung gekommen sind. Auch die Gewinnbeteiligung des Reiches und was damit sonst noch zusammenhängt, stimmt ganz vortrefflich zu unserem Rechtsinstitut. I I I . Die r e c h t l i c h e N a t u r der V e r l e i h u n g zu bezeichnen, diente i m älteren Rechte vor allem das so vielerlei umfassende Wort Privilegium 22 Dem Polizeistaat entspricht es, auch hier wieder seine Zweiteilung durchzuführen. Der Staat ist es, der den Unternehmer m i t den besonderen Befugnissen ausstattet, die er etwa für das geplante öffentliche Unternehmen nötig haben kann. Dahinter steht aber ein umfassender V e r t r a g zwischen dem Unternehmer und dem Fiskus für alles, was auf Geld geht und deshalb privatrechtlicher Natur i s t 2 3 . 21

E i n Seitenstück dieses rechtlichen Vorganges i n Bayr. Ges. v. 11. Juli 1834, den Ludwig-Donau-Main-Kanal betreffend. § 1 bestimmt, daß die Herstellung des Kanals als eine „öffentliche Anstalt" i m Sinne von Verf.Urk. I V § 8 (Enteignung) behandelt werden soll. § 2: „ I n der Ausführung dieses Unternehmens wird einer zu bildenden Privataktiengesellschaft das Privilegium erteilt." Die „Erteilung des Privilegiums" ist eben nach damaliger Spreohweise die Verleihung der „öffentlichen Anstalt", wie sie nachher auch bei der Reichsbank sich vollzieht. L a b a η d , m i t dem wir i n den beiden ersten Punkten (öffentliches Unternehmen und juristische Person des Privatrechts) übereinstimmen, legt auf dieses Zwischenglied (die beides verbindende Verleihung) keinen Wert. Unseres Erachtens ist es unentbehrlich, um zu erklären, wie die Aktiengesellschaft nun dazu kommt, zuständigerweise „staatliche Zwecke zu verfolgen". — Es werden hier manchmal recht seltsame Brücken geschlagen. R.G. 18. Jan. 1886 (Entsch. X V S. 236) : „Die Reichsbank ist ein Organ des Reiches." - ß o s i n . Öff. Genossensch. S. 50, erklärt die Reichsbank für „eine öffentliche Anstalt m i t gewissen korporativen Elementen". Die „Elemente" haben i n der Rechtswissenschaft fast so viel Segen gestiftet wie die „Organe". — Bei D a l c h o w , i n Annalen 1912, S. 386 f., ist die Reichsbank eine juristische Person des öffentlichen Rechts, aber „ m i t ihren weitverzweigten einzelgeschäftlichen Wurzeln auf dem Privatrechtsboden fußend", ähnelt sie „der Weltesche Yggdrasil aus der nordischen Mythologie". 22 H a e b e r l i n , St.R. I I I S. 64ff.; v. K r e i t t m a y r , Cod. Max. I cap. I I § 16; M o s e r , St.R. I V S. 252; K l ü b e r , Öff. R. § 486 m i t § 461 ff. 23 v. R ο e η η e , Verf. u. Verw. d. Preuß. Staates Τ. I V Bd. I V Abt. 2 (Wege-

§ 49. Verleihung öffentlicher Unternehmungen.

253

Die neue Ordnung des Rechts- und Verfassungsstaates hat auf solche Weise eine Erbschaft von festgewurzelten Anschauungen überkommen, der gegenüber die ihr entsprechende Auffassung des Verleihungsaktes nur mühsam durchdringt. Der am wichtigsten gewordene Anwendungsfall des Rechtsinstituts, die E i s e n b a h n k o n z e s s i o n , erschwerte die Aufgabe durch die Mannigfaltigkeit ihres Inhalts. Es handelte sich dabei von Anfang an um Aktiengesellschaften; dem damaligen Stande des Handelsrechts gemäß beginnt deshalb der A k t immer m i t der Genehmigung der Gesellschaft selbst. Sodann verbindet sich damit sehr gern die Gewährung eines ausschließlichen Rechts für gewisse Linien; das ist wichtig für den Unternehmer, aber, juristisch betrachtet, eine Zutat, die auch fehlen kann. Dazu werden noch Steuerbefreiungen, Zuschüsse, Zinsgarantien bewilligt, Rückfallsrechte vorbehalten, Kautionspflichten auferlegt. Von allen diesen Zufälligkeiten gilt es abzusehen, um den wesentlichen Kern herauszuschälen: die Verfügung über das öffentliche Unternehmen selbst 2 4 . Eine Zeitlang entstand nun zwischen dem Staat und den Eisenbahngesellschaften eine Reihe von aufsehenerregenden Streitigkeiten über ihre beiderseitigen Rechte. Die dadurch veranlaßten Untersuchungen der Natur der Eisenbahnkonzession waren stets auf die Frage abgestellt, inwiefern aus dieser ernsthaft zu nehmende R e c h t e des U n t e r n e h m e r s hervorgehen k ö n n t e n 2 5 . polizei) S. 181: „ Z u jedem Unternehmen dieser A r t (Chausseebau der Privatgesellschaft) ist der Abschluß eines Vertrages erforderlich, welcher die Rechte und Verpflichtungen zwischen dem Unternehmer und dem F i s k u s feststellt." 24 Das erste deutsche Eisenbahnkonzessionsgesuch wurde am 16. Dezember 1833 an den König von Bayern gerichtet und enthielt folgende Bitten: „1. die vorgelegten Gesellschaftsstatuten zu bestätigen; 2. der solchergestalt sanktionierten Gesellschaft ein ausschließliches Privilegium zur Herstellung und immerwährenden Benutzung der Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth und deren künftigen Fortsetzungen nach allen Richtungen unter Befreiung von allen indirekten Staatsauflagen zu verleihen; 3. der Eisenbahn selbst und ihren Fortsetzungen die Rechte und den Schutz der Staatsstraßen allerhuldreichst zuzusichern." ( H a g e n , Die erste deutsche Eisenbahn S. 77.) Der letzte Satz ist das Wesentliche. Man sieht hier deutlich, wie angeknüpft w i r d an das Straßenregal. 25 Hierher gehören: R ü t t i m a n n , Rechtsgutachten über die Frage, inwieweit durch die Eisenbahnkonzessionen der schweizerischen Kantone und die Beschlüsse der schweizerischen Bundesversammlung für die beteiligten Gesellschaften Privatrechte begründet werden. — Drei Rechtsgutachten, betreffend die rechtliche Natur der Eisenbahnkonzessionen, von C a r r a r d , H e u s l e r und Η i 1 1 y •(aus Anlaß des Broyetalbahnstreites verfaßt). — Zur Nordbahnfrage, Gutachten von Ε χ η e r und G r ü n h u t i n des letzteren Ztschr. f. Priv. u. öff. R. X I V

Besondere E m p f n g e .

254

D a s Nächstliegende w a r n a t ü r l i c h e i n p r i v a t r e c h t l i c h e r

Ver-

t r a g , den der S t a a t m i t d e m U n t e r n e h m e r a b s c h l i e ß t 2 6 . D a n n g l a u b t e m a n wenigstens e i n g e m i s c h t e s dürfen

27

Rechtsgeschäft

annehmen

zu

.

E i n e andere M e i n u n g geht darauf aus, jedes R e c h t des U n t e r nehmers gegen den S t a a t z u verneinen, i n d e m sie die Konzession schlechthin f ü r einen öffentlichrechtlichen A k t e r k l ä r t , der als solcher seiner N a t u r nach den S t a a t n i c h t b i n d e n k ö n n e

28

.

A u c h dieses i s t

j a polizeistaatliche Auffassung, f ü r welche j a öffentliches R e c h t u n d rechtloses Gebiet gleichbedeutend sind. Daneben k a m

dann allmählich

eine neuzeitlichere A n s i c h t

Geltung, w o n a c h die V e r l e i h u n g allerdings öffentlichrechtlicher N a t u r

ein A k t

von

zur

durchaus

ist, g l e i c h w o h l aber n i c h t bloß P f l i c h t e n ,

sondern auch R e c h t e des U n t e r t a n e n , des Beliehenen

z u begründen

vermag. U m aber z u erklären, w i e die V e r l e i h u n g i m s t a n d e sei, so z u w i r k e n , k a m m a n i m m e r wieder auf die a l t e n Bezeichnungen z u r ü c k : die Eisenbahnkonzession e i n A k t der G e s e t z g e b u n g , e i n S p e z i a i - » g e s e t z , ein P r i v i l e g i u m 2 9 . S. 704 ff. — Denkschrift über die Verstaatlichung der i m Großherzogtum Hessen gelegenen Strecke der Hessischen Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft, von L a b a η d verfaßt als Entgegnung auf ein von G. M e y e r über diese Frage erstattetes Gutachten; dazu dann des letzteren „Erwiderung" auf diese Denkschrift. 26

I n diesem Sinne R ü t t i m a n n i n seinem erwähnten Gutachten. Dazu die treffende Widerlegung von S a c h s , i n Ztschr. f. H.H. X I X S. 330 ff. C a r r a r d i n seinem Gutachten S. 14 und ebenso Μ e i 1 i , R. d. mod. Verkehrsanst. S. 22, glauben darauf hinweisen zu sollen, daß auch die französischen Juristen hier von einem Vertrage sprechen. Allein der „contrat administratif", von welchem bei D u f o u r , B a t b i e , P e r r i q u e t u . a. die Rede ist, soll ja i n Wahrheit kein Vertrag sein, sondern hat nur den Namen eines solchen; vgl. Arch. f. öff. R. I I I S. 25. 27 S o C a r r a r d a. a. O. S. 8 ; ebenso Η i 11 y i n seinem Note 25 erwähnten Gutachten S. 16: „Es nimmt also jede Eisenbahnkonzession an Private unwillkürlich (!) neben dem Charakter einer Verleihung von Souveränitätsrechten auch den Charakter eines zweiseitigen Privatvertrages an." Ähnlich Η a b e r e r , Österr. Eisenb.R. S. 24. 28 Dies ist der Standpunkt des Schweizerischen Bundesrates i n der Botschaft über Eisenbahnwesen v. 16. Juni 1871. Ebenso S e i l e r , Rechtl. Natur der Eisenbahnkonzession S. 24. 29 Μ e i l i i n Ztschr. f. H.R. X X I V S. 359; K o c h , Deutschlands Eisenbahnen I I S. 489; G1 e i m , R. der Eisenb. I S, 77; Τ e ζ η e r , i n Arch. f. öff. R. I X S. 539; H e u s l e r , Rechtsgutachten zum Broyetalbahnstreit S. 9; S e i l e r , RechtL Natur der Eisenb.Konz. S. 28; E g e r , Eisenb.R. I S. 93; d e r s., Kleinbahnenges. S. 32 u. 35 ff.; F r i t s c h i n Wörterb. d. St. u. Verw.R. I S. 661; d e r s . , Handb. d. Eisenb.Gesetzgebung S. 12. Etwas schwankend

§ 49. Verleihung öffentlicher Unternehmungen.

Für uns handelt es sich einfach um einen Verwaltungsakt 3 0 . Aber der war eben i n weiteren Kreisen lange noch unbekannt. 1. Z u s t ä n d i g zur Verleihung ist die Behörde des Gemeinwesens,, dem das durchzuführende Unternehmen eigentlich gehört. Durch Sondergesetz ist natürlich alles zu machen. I m übrigen ist der Krei& der v e r l e i h b a r e n Unternehmungen herkömmlich begrenzt i n der hier angegebenen Weise. Er kann nicht willkürlich, d. h. ohne gesetzliche Grundlage erweitert werden. 2. Die Verleihung begründet für den Beliehenen die Fähigkeit, das öffentliche Unternehmen eigenen Namens zu besitzen und zu betreiben; sie begründet aber vor allem auch eine P f l i c h t für ihn, daß er dieses auf seine Kosten durchführe. Eine solche Belastung als Eingriff i n Freiheit und Eigentum bedürfte nach allgemeinen Grundsätzen einer gesetzlichen Grundlage. Diese kann aber hier wieder ersetzt werden durch die U n t e r w e r f u n g des Betroffenen, die i n dessen Gesuch oder i n der Annahme der Verleihung zu finden ist. Die Verhandlungen, welche vorausgehen, stellen Bedingungen und Umfang dieser Unterwerfung fest und bestimmen den genaueren Inhalt des dadurch zulässig gewordenen Verwaltungsaktes. Was wirkt, ist wiederum dieser allein 3 1 . Das Gesetz könnte statt dessen auch das Unternehmen dem dafür auserwählten Unternehmer einseitig a u f e r l e g e n oder auferlegen lassen. Es t u t es nur für gewöhnlich nicht, ebensowenig wie es auf solche A r t i m Staatsdienste anstellen läßt, und aus guten, der menschlichen Natur entnommenen Gründen. Ausnahmsweise jedoch findet das statt, und zwar i n der Form, daß es eine juristische Person für diesen Zweck eigens gründet, um ihr das Unternehmen als auferlegte Verpflichtung sofort mitzugeben 3 2 . E n d e m a n n , R. d. Eisenb. S. 280 bis 282: Die Konzession ist „nicht ein nach den Grundsätzen des Privatrechts zu beurteilender Vertrag' 4 ; das daraus entstehende Verhältnis ist zwar als „ein vertragsmäßiges zu bezeichnen"; allein ihrem Wesen nach ist die Konzession ein „Verwaltungsakt"; sie ist „für den Erwerber ein Privileg"; doch „als Spezialgesetz darf sie nicht behandelt werden". — Über die Wertlosigkeit dieser Ausdrucksweise: Κ ο r m a η η , Rechtsgeschäft!.. Staatsakt S. 120; B ü h l e r , Subj. Rechte S. 233. 30

SoG. M e y e r - D o c h o w , Verw.R. S. 286; R e h m , Gewerbekonzession S. 36; K o r m a n n , Rechtsgeschäftl. Staatsakt S. 106ff.; F l e i n e r , Instit.. S. 322; O.L.G. Karlsruhe 6. Mai 1904 ( P u c h e l t , Ztschr. X X X V S. 611). I m Ergebnis auch H e r o l d , Der schweizerische Bund und die Eisenbahnen S. 75. 31 Deshalb hat es keinen Zweck, i n diesen Verhandlungen, die der Erteilung des „Privilegiums" vorhergehen, schon einen Vertrag zu sehen: E g e r , Eisenb.R. I S. 94. 32 Nach H.G.B. § 195 Abs. 2 Ziff. 6 wird die Verleihungsurkunde schon bei

Besondere Empfnge.

256

3. Die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes t r i t t ein, wie immer, m i t der E r ö f f n u n g an den beliehenen Unternehmer. Ordentlicherweise wird dies durch Aushändigung einer Verleihungsurkunde geschehen, Seitenstück der Bestallung. Die Zweckmäßigkeit kann verlangen, daß auch die Allgemeinheit davon i n Kenntnis gesetzt werde, daß ihr nunmehr ein neues öffentliches Unternehmen entgegentreten soll,- und daß sie diesen Unternehmer als den zu betrachten hat, der es vertritt. Veröffentlichungen Bind angebracht. Das Gesetz schreibt wohl auch vor, daß die behördliche Verleihung Dritten gegenüber erst m i t der Vornahme solcher Veröffentlichungen rechtliche Wirkung haben soll. Von selbst versteht sich das nicht; es handelt sich nicht um Rechtssätze, die i n Kraft zu Betzen wären 3 3 . § 50.

Fortsetzung; Rechte und Pflichten des beliehenen Unternehmers. Das Rechtsgeschäft der Verleihung begründet für den beliehenen Unternehmer Rechte und Verbindlichkeiten gegenüber dem Verleihenden. Sie ergeben sich aus dem bestimmten I n h a l t des Verleihungsaktes. Für gewisse Arten von verleihbaren Unternehmungen hat das Gesetz allgemeine Regeln aufgestellt, nach welchen die Verleihung sich richten soll. Das ist vor allem für die Eisenbahnkonzessionen geschehen 1 . Die einzelnen Bestimmungen binden aber, teilweise nach Vorbild des bürgerlichen Rechts, m i t verschiedener K r a f t : — Vorschriften über das Verfahren bei der Verleihung und bei Geltendmachung der Rechte des Staates daraus sowie für die Ordnimg der beteiligten Behörden, also F o r m v o r s c h r i f t e n i m weitesten Sinne, sind schlechthin zu beobachten bei Nichtigkeit. der Anmeldung der Eisenbahnaktiengesellschaft zum Handelsregister vorzulegen sein, also bevor diese entstanden ist. Hier haben die Gründer, für die künftige Gesellschaft handelnd und m i t Wirkung für sie, angenommen: E g e r , Eisenb.R. I S. 124. Die Verleihung des Ludwig-Donau-Main-Kanals durch Bayr. Ges. v. 11. J u l i 1834 (vgl. oben Note 21) ist noch bedingt durch die Annahme des Bauentwurfs seitens der zu bildenden Gesellschaft (§ 2 des Gesetzes). Ohne weiteres bewirkt Bankges. v. 14. März 1875 § 12 die Verleihung der Reichsbank, sobald der dafür i n Aussicht genommene Verein m i t juristischer Persönlichkeit zustande gekommen ist (vgl. oben Note 24). 33 So verlangt Preuß. Ges. v. 10. A p r i l 1872 § 1 Ziff. 5 m i t § 4 die Veröffentlichung von Eisenbahnkonzessionen durch die Amtsblätter als Bedingung ihrer „Wirksamkeit". 1

Preuß. Ges. über die Eisenbahnunternehmungen v. 3. Nov. 1838; Ges. über die Kleinbahnen v. 28. J u l i 1892.

§ 50. Rechte und Pflichten des beliehenen Unternehmers.

257

— Vorschriften über das sachliche Verhältnis des Beliehenen zum Staate, eigentliche K o n z e s s i o n s b e d i n g u n g e n , welche das Gesetz aufstellt, haben i m Zweifel nur die Bedeutung des nachgiebigen Rechtes. Das Gesetz will nur gelten, soweit der Verleihungsakt nicht Abweichendes bestimmt. — Die Gesetze enthalten aber auch Bestimmungen über besondere Befugnisse und Gewalten öffentlichrechtlicher Art, welche dem Beliehenen zustehen oder zu seinen Gunsten von den Behörden ausgeübt -werden sollen D r i t t e n gegenüber. Soweit es sich dabei handelt u m Eingriffe i n Freiheit und Eigentum, bezeichnen diese Bestimmungen unüb er schreitbare Machtgrenzen. Die verleihende Behörde kann weniger .geben, aber nicht mehr. Das Überschießende verbleibt unter dem Vorbehalte des Gesetzes 2 . Auszugehen ist hier von den P f l i c h t e n des U n t e r n e h m e r s . Seine R e c h t e haben nur die Bedeutung, ihn zur Übernahme dieser zu bestimmen und ihm die Erfüllung zu ermöglichen. Von beiden Seiten her ergeben sich dann E n d i g u n g s a r t e n des Verhältnisses. I . Durch die Verleihung wird der Beliehene v e r p f l i c h t e t , das ö f f e n t l i c h e U n t e r n e h m e n a u f seine K o s t e n i n s W e r k z u setzen und zu betreiben. E i n ähnlich gestalteter Pflichtenkreis ließe sich, für den äußeren Anschein wenigstens, auch i n den Formen des bürgerlichen Vertragsrechts begründen und durchführen. Die öffentlich-rechtliche Natur der Verleihung bekundet sich aber auch hier wieder durch die rechtliche Ungleichheit, i n welcher die Beteiligten nicht bloß bei dem grundlegenden Rechtsgeschäft, sondern auch bei Geltendmachung der Ansprüche daraus sich gegenüberstehen. Der Staat, oder wer sonst als der Verleiher aufgetreten ist, sichert die seinigen durch obrigkeitliche Maßregeln, m i t welchen er gegen den Beliehenen und sein Unternehmen vorgeht. Den Inbegriff der Rechtsgewalt, die ihm zu diesem .Zwecke zukommt, bezeichnet man als sein A u f s i c h t s r e c h t . Es ist ein Seitenstück der „Dienstaufsieht' 4 (oben § 45 Bing.) und bedeutet wie diese ein Gewaltverhältnis, das sich i n entsprechenden Formen entfaltet. 2

Man darf nicht glauben, die rechtliche Bedeutung dieser verschiedenen Vorschriftsarten mit ein und derselben Formel ausdrücken zu können. L ο e η i η g, Verw.R. S. 628, hat nur unsere zweite A r t i m Auge, wenn er überall die Bestimmungen der Konzession i n erster Linie maßgebend sein läßt; E g e r , Eisenb.R. I S. 118, nur die dritte, wenn er verlangt, daß die besonderen Bedingungen der Xonzession „sich i m Rahmen der gesetzlichen Vorschriften halten müssen". B i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.

17

Besondere Empfänge.

258 1.

Auf

rechtlich

Grund

des Aufsichtsrechts

bindender Weise

wird

genauere

dem Unternehmer

Bestimmung

gegeben, was zu seinen verleihungsmäßigen P f l i c h t e n hört.

in

darüber ge-

D i e E i n z e l h e i t e n seiner P f l i c h t , die neuen Wendungen, welche

sie n e h m e n k a n n , werden aus der Aufgabe heraus, d i e er ü b e r n o m m e n h a t , d u r c h o b r i g k e i t l i c h e Aussprüche e n t w i c k e l t u n d festgestellt.

Sie

h a b e n die gleiche rechtliche N a t u r w i e die auf G r u n d der D i e n s t gewalt erlassenen Dienstbefehle

3

.

W i e diese k ö n n e n solche Aussprüche h i e r ergehen i n allgemeinen Regeln,

welche

den Beteiligten i n

geeigneter

Weise

kundgemacht

werden als R e g u l a t i v e , Ordnungen, Betriebsreglements. b e s t i m m t sein für alle einzeln

Sie k ö n n e n

noch n i c h t bezeichneten U n t e r n e h m e r

z u gelten, b e i welchen i h r e Voraussetzungen zutreffen.

Sie s i n d d a n n

g l e i c h w o h l keine Rechtssätze, sondern Verwaltungsvorschriften,

all-

g e m e i n e A n w e i s u n g e n , wie die D i e n s t a n w e i s u n g e n 4 . 3 K o c h , Deutschi. Eisenb. I I S. 503: „Dieses dem Staate unveräußerlich zustehende Recht wird durch die Vorbehalte i n den Konzessionen nicht erschöpft, sondern erstreckt sich so weit, als die Pflicht des Staates reicht, dafür zu sorgen, daß die Eisenbahn ihre Eigenschaft als öffentliche Transportanstalt erfüllt. 4 * Der dieser Pflicht entsprechende Anspruch des Staates beruht aber selbst wieder auf der übernommenen Verleihung. Das muß gesagt werden, damit nicht naturrechtliche Ideen des Polizeistaates hier hereinfließen. 4 Eine allgemeine Anweisung dieser A r t bedeutet die Bayr. Verord. v. 20. Juni 1855, die Erbauung von Eisenbahnen betreffend, welche zugleich die Verpflichtungen der beliehenen Eisenbahnunternehmer regelt. S e y d e 1, Bayr. St.R. I I I S. 328 ff., behandelt sie als Rechtsverordnung. Dagegen V.G.H. 13. A p r i l 1886 (Entsch. V I I S. 213) und 4. Mai 1886 (Entsch. V I I S. 228): Die Verordnung, der „eine gesetzliche Kraft nicht innewohnt", wird bindend und wirksam nur „nach A r t eines Vertragsverhältnisses", als „lex contractus 4 '. Die zivilrechtliche Ausdrucksweise für das EisenbahnkonzessionsVerhältnis wird nicht irremachen. Zu beachten ist aber, daß diese Vorschrift auch für die schon gegebenen Verleihungen maßgebend ist; das erklärt sich nicht mehr unter dem Gesichtspunkt einer lex contractus, sondern nur aus dem begründeten Gewaltverhältnis, insofern allerdings wird nur „nach Art eines Vertragsverhältnisses 4 4 gewirkt. Hierher gehören auch die Eisenbahnbetriebsreglements des Bundesrates, soweit sie die Privateisenbahngesellschaften treffen. Vgl. G e r s t n e r i n Arch. f. öff. R. X I S. 161 ff. Die herrschende Meinung, wonach die Verkehrsordnung jetzt Rechtssätze enthielte (L a b a η d , St.R. I I I S. 103; Arndt, Verf. d. D. R. S. 288 f. ; Giese, Verf. d. D. R. Art. 9 Note 4), scheint mir nicht begründet. Der Umschlag soll dadurch bewirkt sein, daß jetzt H.G.B. § 471 Vereinbarungen, die „ m i t der Eisenbahnverkehrsordnung i n Widerspruch stehen 44 , für ungültig erklärt. Dann müßten aber auch die nach Gew.O. § 134 a erlassenen Arbeitsordnungen der Fabrikherren Rechtssätze enthalten, denn Gew.O. § 134 c Abs. 2 knüpft die gleiche Folge daran. Damit das Widersprechende ungültig sei, bedarf es eines Rechtssatzes, der das erklärt, nicht aber muß auch das, dem widersprochen wird, ein Rechtssatz

§ 50. Rechte und Pflichten des beliehenen Unternehmers.

259

Die Feststellung der Pflicht kann auch geschehen i m Einzelfall durch einen eröffneten Befehl, der ein Gebot sein kann, eine A u f l a g e . Die Auflage ist der Befehl, eine Vorkehrung oder Einrichtung zu treffen, welche für die Durchführung des Unternehmens erfordert und demgemäß i n der Pflicht des Beliehenen enthalten i s t 5 . Das Maß solcher Forderungen beschränkt sich nicht darauf, daß das Unternehmen einfach fortgeführt und instand gehalten werde,, noch auf die Fernhaltung neu auftauchender Schädlichkeiten. Auch seine Verbesserung des Unternehmens und die Erhöhimg seiner Nützlichkeit für das öffentliche Wohl kann von dem Beliehenen verlangt werden. E r hat das Unternehmen zu dem seinigen machen lassen als etwas Lebendiges samt dem natürlichen Wachstum, das einem solchen Stück des gesellschaftlichen Körpers eigen zu sein pflegt 6 . Es sind allerdings Fälle denkbar, wo diese Mehrleistungen nicht angesehen werden können als eine Last, die aus dem Unternehmen selbst herauswächst, und der die Aussicht auf ausgleichende Vorteile zur Seite steht. Eine Besonderheit wird hier nur insofern sich ergeben, als eine Entschädigung des benachteiligten Unternehmers i n Betracht kommt. Dabei handelt es sich möglicherweise um einen Rechtsanspruch, beruhend auf einem allgemeinen Billigkeitsrechtssatz der öffentlichrechtlichen Entschädigung 7 . 2. Wie die Dienstgewalt entwickelt auch das Aufsichtsrecht neben sein, damit diese Wirkung an den Widerspruch geknüpft werden könne. — Nicht hierher gehören ortspolizeiliche Vorschriften für die Sicherheit des Verkehrs einer Kleinbahn: Kam.G. 3. Juni 1909 ( E g e r , Eisenb.Entsch. X X V I S. 293). Sie beruhen nicht auf der Verleihung und den dadurch begründeten Pflichten. δ

C.C.G. 25. Juni 1853 (J.M.B1. 1853 S. 485); O.Tr. 28. Sept. 1871 (Strieth. L X X X I I S. 333); O.L.G. Hamm 28. Okt. 1908 (E g e r , Eis.Entsch. X X V I S. 135); R.G. 27. Okt. 1893 (Entsch. X X X I I S. 133); Sächs. Min. d. Inn. 5. Aug. 1904 (Fischers Ztschr. X X V I I I S. 168); Sächs. O.V.G. 25. Jan. 1902 (Fischers Ztschr. X X V S. 179). 6 Österr. V.G.H. 30. Juni 1909 ( E g e r , Eis.Entsch. X X V I S. 292): Die Eisenbahn ist „zur Ausgestaltung ihrer Anlagen entsprechend der Verkehrsentwicklung durch die Aufsichtsbehörde anzuhalten". 7 Diese Fragen wurden eingehend erörtert i n dem Rechtsstreit der westschweizerischen Bahnen gegen die Eidgenossenschaft, worüber die Rechtsgutachten von C a r r a r d , H e u s l e r und Η i 11 y (vgl. oben § 49 Note 5 u. 25). Der Bundesrat hatte der Gesellschaft aufgegeben, auf ihrer Broyetallinie einen vierten Zug täglich einzustellen. Dieser war für notwendig erachtet wegen des durchgehenden Verkehrs der anderen Bahnen. Das Recht des Bundesrates zu dieser Auflage wurde allseitig anerkannt. Aber Entschädigung ist geschuldet. H e u s l e r , Gutachten S. 28, begründet dies damit, „daß der S.O. die Kosten des vierten Zuges b i l l i g e r w e i s e nicht zugemutet werden dürfen." 17*

Besondere Empfänge.

260

dem die Pflichten genauer bestimmenden Befehl noch gewisse M a c h t m i t t e l z u r S i c h e r u n g der P f l i c h t e r f ü l l u n g . Die Dienststrafgewalt, welche bei der öffentlichen Dienstpflicht die Hauptrolle spielt (oben § 45, I I ) , hat hier ein Seitenstück i n dem V e r w i r k u n g s a u s s p r u c h , der über den beliehenen Unternehmer ergehen kann. Es ist „epurative Disziplin", der Strafentlassung vergleichbar. Der Verwirkungsausspruch hat seinen Platz vor allem da, wo der Beliehene das Unternehmen überhaupt nicht ins Werk setzt. Es pflegt ihm eine Frist gesteckt zu sein für den Beginn oder die Fertigstellung. Versäumt er die, so kann er seiner Rechte verlustig erklärt werden, besser: das ganze Verleih Imgsverhältnis kann aufgehoben werden m i t Einschluß seiner Pflichten. Das kann auch nach Fertigstellung des Unternehmens noch geschehen, wenn er seine Schuldigkeit nicht tut. Darüber noch weiter i n der Lehre von den Endigungsgründen der Verleihung, hier unten I I I , n. 2. E i g e n t l i c h e Z w a n g s m i t t e l , die ja auch bei der öffentlichen Dienstpflicht nebenbei vorkommen, sind hier verhältnismäßig wichtiger. Sie erscheinen i n der Form von U n g e h o r s a m s s t r a f e n , Zwangsstrafen, die gegen den Unternehmer ausgesprochen werden können auf Grund des Gesetzes (vgl. oben Bd. I S. 274 ff.) oder auf Grund einer ihm auferlegten Konzessionsbedingung. Vor allem aber als Ζ w a n g s e r s a t z v o r n ä h m e i n mehrfacher Gestalt: — Der Vorgang kann das gleiche B i l d bieten wie bei der polizeilichen Zwangsvollstreckung (oben Bd. I S. 281 ff.): die durch die Auflage geforderte Maßregel wird i m Falle der Säumnis an Stelle des Pflichtigen Unternehmers durch die Behörde zur Ausführung gebracht, der Kostenbetrag festgesetzt und beigetrieben. — Umfassender t r i t t die Ersatzvornahme 'hier auf, indem der Staat das ganze verliehene Unternehmen vorübergehend i n die Hand nimmt, um zum Rechten zu sehen und den hervorgetretenen Mangelhaftigkeiten abzuhelfen. I n diesem Sinne findet namentlich bei Eisenbahnunternehmungen eine S e q u e s t r a t i o n s t a t t 8 . — t)ie Ersatzvornahme kann aber insbesondere hier auch darin bestehen, daß der Staat die R e c h t e seines b e l i e h e n e n U n t e r n e h m e r s gegen dessen A n g e s t e l l t e und B e d i e n s t e t e selber g e l t e n d m a c h t , um gegen Versäumnisse und Pflichtwidrigkeiten vorzugehen, die zugleich eine Verletzung seiner eigenen Ansprüche aus der Verleihung zur Folge haben. E r verfügt alsdann an Stelle des unmittelbar berechtigten Dienstherrn die diesem ausbedungenen 8

H a b e r e r , Österr. Eisenb.R. S. 309ff.

§ 50. Rechte und Pflichten des beliehenen Unternehmers.

261

Vertragsstrafen oder spricht geradezu die Dienstentlassung aus. Das ist selbstverständlich nur zulässig, soweit Gesetz oder eine Klausel der Verleihung dafür die Grundlage geben 9 . I I . Die Rechte, die wir a u f Seiten des B e l i e h e n e n finden, sind allesamt „Privatrechte" i n dem Sinne, daß sie eigene Rechte eines Privaten, eines Untertanen vorstellen. I m übrigen ist zu unterscheiden. 1. Die Verleihung bewirkt, daß dem Beliehenen Macht gegeben wird über das von ihm zu führende öffentliche Unternehmen. Das ist ein Stück aus der öffentlichen Verwaltung, die dem Verleiher zusteht, und soll auch i n seiner Hand öffentliche Verwaltung bleiben. Diese für ihn rechtlich begründete Macht bedeutet demnach ein subjektives öffentliches Recht gemäß dem oben Bd. I § 10 n. 3 entwickelten Begriffe: ein abgesondertes öffentliches Recht i n Form des B e s i t z e s eines Stückes öffentlicher Verwaltung. Das Recht des Unternehmers äußert sich — nach A r t der subjektiven Rechte überhaupt — i n doppelter Richtung: i m A n s p r u c h a u f S c h u t z und i n der V e r f ü g u n g ü b e r das R e c h t . — Der S c h u t z a n s p r u c h richtet sich gegen den Staat, gegen die vollziehende Gewalt: der Besitz des Beliehenen an seinem Unternehmen ist unter die Gewähr des Vorbehalts des Gesetzes gestellt, Entziehung und Einschränkung bedürfen, wie Eingriffe i n das Eigentum, eines besonderen Rechtstitels, um zulässig zu sein. Und nicht bloß das: der Staat ist auch gebunden, die i m Unternehmen erscheinende Willensmacht des Beliehenen andern gegenüber zu handhaben und zu schützen als rechtlich gleichgeartet seiner eigenen Verwaltung und vollgültig i n ihrem Wirkungskreis; er verletzt dessen Recht, wenn er nicht danach v e r f ä h r t 1 0 . — Der Beliehené kann auch über sein Recht v e r f ü g e n . 9

Insofern

H a b e r e r , Österr. Eisenb.R. S. 311; E g e r , Preuß. Eisenb.R. I S. 45 Note 28, S. 53 Note 37. - R.Ges. v. 27. Juni 1873 § 5 Ziff. 1. 10 L a b a η d , St.R. I S. 495, nennt unter den Rechten des Reichsbeamten als erstes „das Recht auf Schutz", womit ein besonderer Schutz gegen „Angriffe" bei seinen Amtshandlungen gemeint ist. Der Beamte genießt aber eines solchen nicht i n Gestalt eines Rechtsanspruches, der ihm darauf zustünde, sondern weil der Staat um seiner selbst willen die für ihn vorzunehmenden Amtshandlungen nicht gestört haben will. I m Gegensatze dazu hat der beliehene Unternehmer allerdings ein Recht auf Schutz und Handhabung i n der rechtmäßigen Vornahme der dazugehörigen Tätigkeiten, so daß er nicht bloß gedeckt ist gegen Angriff und Inanspruchnahme dafür, sondern daß sie auch zu seinen Gunsten als rechtswirksam behandelt werden müssen. Daher der Unternehmer Rechtsschutzmittel hat, um die Gültigkeit seines Vorgehens zur Anerkennung zu bringen, der Beamte nicht. Vgl. oben Bd. I S. 108 Note 9.

262

Besondere Empfnge.

hier mit dem Rechte eine Pflicht zur Führung des Unternehmens verbunden ist, die ohne jenes Recht nicht erfüllt werden kann, ist die Verfügung nicht frei. Es bedarf der Zustimmung dessen, dem die Pflicht geschuldet ist, damit sie wirksam werde. Was wirkt, ist dann gleichwohl der Wille des Beliehenen. Auch eine bedingte Verfügungsmacht ist noch Verfügungsmacht. I n dieser Weise setzt der einfache V e r z i c h t auf die Verleihung eine Entbindung des Beliehenen von seinen Pflichten voraus. Ohne diese gilt auch sein Verzicht nicht, mit ihr wird sein Verzicht wirksam (vgl. unten I I I n. 1). I n gleicher Weise kann auch ein R e c h t s ü b e r g a n g stattfinden. E r ist dann immer davon bedingt, daß der Verleihende den neuen Herrn des Unternehmens als ihm verpflichtet an Stelle des ursprünglichen Unternehmers annimmt und dadurch auch den Rechtsübergang genehmigt und wirksam macht n . Diese Zustimmung kann auch schon i m voraus erteilt werden, indem die Verleihung ausdrücklich oder stillschweigend an den Beliehenen und seine Rechtsnachfolger ergeht. Der Rechtsübergang vollzieht sich zwischen den unmittelbar Beteiligten i n den Formen des bürgerlichen Rechts: Erbrecht oder V e r t r a g 1 2 . Bei wichtigeren Unternehmungen, Kunststraßen, Kanälen, Eisenbahnen, gilt eine ausdrückliche Genehmigung für notwendig, auch wenn sie nicht besonders vorbehalten ist. Die Genehmigung hat nicht die Bedeutung einer Neuverleihung, sondern nur die einer Annahme des durch die geschehene Verfügung über das Recht bezeichneten Nachfolgers als künftigen Verpflichteten und damit einer Erfüllung der Bedingung des gültigen Rechtsüberganges. Es kann aber auch bei der Verleihung im voraus ein Rechts11

H a b e r e r , Österr. Eisenb.R. S. 30; E η d e m a η η , R. d. Eisenbahnen S. 285; E g e r , Kleinb.Ges. S. 45: „Das Recht des Unternehmers ist ein persönliches Privileg. Es darf daher grundsätzlich ohne Genehmigung der zuständigen Behörde auf Dritte nicht übertragen werden." Aber die Sache liegt doch vielmehr umgekehrt: Das Recht darf, weil mit einer Pflicht verbunden, ohne Genehmigung der Behörde nicht übertragen werden. Daher mag man es denn ein „persönliches Privileg" nennen, wenn man sich von dieser Bezeichnung etwas verspricht. 12

Das Recht einer öffentlichen Fähranstalt wird namentlich dann i n solcher Weise einfach übertragbar sein, wenn es an einem bestimmten Grundbesitz haftet (v. B i t t e r , Handwörterb. d. Pr. Verw. I Art. Fähren I I ) . Die Wahrung der Rücksichten des öffentlichen Wohles gegenüber dem zu bestellenden Nachfolger vollzieht sich bei den Fähren i n den Formen der Polizei; L a n d m a n n , Gew.Ord. zu § 37 Anm. 2 ; S c h e l o h e r , Sächs. Wasserges. v. 12. März 1909 zu § 25 Anm. 1.

§ 50. Rechte und Pflichten des beliehenen U n t e r n e h m e r s . 2 6 3

nachfolger bestimmt und angenommen sein. Der t r i t t dann von selbst an die Stelle des Erstbeliehenen, wenn dieser wegfällt 1 3 . Das Verfügungsrecht des Beliehenen t r i t t noch freier hervor, wenn es sich nicht um das Eecht auf das Unternehmen selbst handelt, das den Kern der Verleihung bildet, sondern um gewisse N e b e n a n s p r ü c h e , die damit verbunden waren. U m ihm seine Aufgabe zu erleichtern, werden ihm bei der Verleihung oder nachträglich besondere Vorteile noch zugesagt, Zuschüsse, Zinsgarantien, Steuerbefreiungen, Ausschluß von Wettbewerbsunternehmungen 14 . Das sind öffentlichrechtliche Ansprüche, der Begründung wie dem Inhalt nach. Ihrem Wesen widerspräche es, sie gesondert auf einen anderen als den Unternehmer zu übertragen; aber frei verzichtbar sind sie zweifellos. 2. Auf Grund des von der Verleihung geschaffenen Rechts, das öffentliche Unternehmen zu führen, entwickelt der Beliehene nunmehr seine Tätigkeit i n Herstellung, Betrieb und Ausnutzung desselben. Dabei t r i t t er i n die verschiedensten R e c h t s b e z i e h u n g e n n a c h a u ß e n gerade wie der Staat selber, wenn er das Unternehmen für sich behalten hätte 1 5 . Sie sind nicht Wirkungen der Verleihung; die Verleihung macht nur, daß sie statt beim Staat bei dem Beliehenen eintreten können. Ihre rechtliche Natur ist selbständig zu beurteilen nach ihrer Entstehungsart und ihrem Inhalt. Kauf und Dienstmiete und Frachtvertrag sind auch bei dem beliehenen Unternehmer bürgerlichen Rechts, seine Betriebsmittel, Vorräte, Dienstgebäude hat er i n bürgerlichrechtlichem Eigentum; Enteignung, öffentliches Eigentum und öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen kommen seinem Unternehmen zugute, wie wenn es der Staat selbst führte, und ebenso 13

E g e r , Kleinb.Ges. S. 45. — Bei Straßenbahnverleihungen an Aktiengesellschaften pflegt die künftige Übernahme durch die Stadtgemeinden vorgesehen zu werden. Die Stadt läßt sich entweder selbst die Verleihung geben und betraut die Gesellschaft vorerst m i t der selbständigen Ausübung ihres Rechts. Oder sie bedingt sich die Übernahme aus bei Einräumung der Benutzung ihrer Straßen und erhält dafür die Zustimmung der Regierung i n Gestalt einer A r t von Eventualbelehnung. Ρ a s q u a y , Elektr. Starkstromanl. S. 41 ff. 14 Den Stadtgemeinden gegenüber, welche die Verleihung eines Straßenbahnunternehmens oder der Benutzung ihrer Straßen dafür vollzogen haben, wird von den Gerichten eine stillschweigend eingegangene Verpflichtung angenommen, kein weiteres Unternehmen zuzulassen, welches mit jenem i n Wettbewerb treten würde: E g e r , Eisenb.Entsch. X V S. 70 ff., X X S. 99 ff. Man kann der Meinung sein, daß dieses allzusehr privatrechtlich gedacht ist. 15 I n diesem Sinne unterscheidet E n d e m a n n , R. d. Eisenb. S. 284: „Das Verhältnis des Staates zu dem Konzessionär", das der Verleihungsakt zunächst begründet, und die daraus sich ergebende „Rechtsstellung des Konzessionärs nach außen, dem Publikum gegenüber."

264

Besondere Empfnge.

ist es ausgestattet m i t Anstaltspolizei und mit Rechten der Finanzgewalt für zu erhebende Gebühren. Daß tatsächlich die bürgerlichrechtlichen Beziehungen überwiegen, liegt i n der Natur der Arten von Unternehmungen, die verliehen zu werden pflegen 1 6 . I I I . Die E n d i g u n g des durch die Verleihung begründeten Rechtsverhältnisses, wie sie auch herbeigeführt sein möge, bedeutet immer ein Erlöschen der Pflicht des Beliehenen, für das Unternehmen zu sorgen, andererseits aber auch ein Erlöschen seines Rechts an diesem Unternehmen, das er ja als ein öffentliches nur i n Kraft der Verleihung zu haben und zu führen befähigt war und zumeist auch als ein privates wegen des Regals nicht führen darf. Nicht aber bedeutet diese Endigung auch von selbst das Erlöschen der Rechtsbeziehungen nach außen, i n welche er für das Unternehmen getreten ist, soweit ihr Bestand nicht durch seine öffentlichrechtliche Stellung bedingt war. Insbesondere verbleiben auch die Sachwerte und die Vertragsverhältnisse, welche bisher dem Unternehmen dienten, seine A u s s t a t t u n g bildeten, dem Rechte nach i n seiner H a n d 1 7 , nur eben als eine bestimmungslose Masse, zu vergleichen dem Geschäftsvermögen eines aufgelösten Handelsunternehmens. Das bisherige öffentliche Eigentum insbesondere an Straße, Kanal, Bahnkörper, ist mit der Endigung des Unternehmens aufgehoben und i n privatrechtliches verwandelt. Alles ist nunmehr für den bisherigen Unternehmer f r e i v e r f ü g b a r nach Regeln des bürgerlichen Rechts. A n diesem Punkte setzt aber noch ein besonderes, dem Verleiher zustehendes Recht ein. Es kann erforderlich scheinen, um des Gemeinwohls willen, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern, sei es, daß der Staat es selbst weiter betreibt, sei es, daß er einen neuen Unternehmer damit beleiht. U m das zu erleichtern, kann der Staat eingreifen und die M i t t e l , welche bisher dem Unternehmen dienten, das zwecklos werdende Geschäftsvermögen, a n s i c h ziehen. Das Recht dazu beruht auf dem Verleihungsverhältnis selbst. Wer sich diesem unterwirft, übernimmt damit die Pflicht, die i n das öffentliche 16 Es ist unrichtig, hier von „zivilrechtlichen Wirkungen" der Verleihung zu sprechen. Das sind wieder nur Nachwirkungen, Folgen, wie wir solche auch i n der Lehre von der Enteignung zu unterscheiden hatten; vgl. oben § 34 I n. 3. 17

H a b e r e r , Österr. Eisenb.R. S. 27, nennt das wenig passend „die reale Existenz des Unternehmers" i m Gegensatz zu der „persönlichen Existenz" desselben, die m i t der Einziehung der Konzession aufhört. — Der hier abzugrenzenden Masse entspricht auch die durch das Preuß. Ges. v. 11. Juni 1902 geschaffene „Bahneinheit", die wesentlich auf privatrechtlichem Gebiete ihre Bedeutung hat.

§ 50 Rechte und Pflichten des beliehenen U n t e r n e h m e r s . 2 6 5

Unternehmen verwendeten Werte nötigenfalls darin zu belassen, richtiger ausgedrückt: er unterwirft sich i m voraus auch der etwa über ihn ergehenden Verfügung, welche i n diesem Sinne b e s t i m m t 1 8 . Die I n anspruchnahme der Mittel ist eine obrigkeitliche Willenserklärung, ein Verwaltungsakt, der nicht aus dem Aufsichtsrechte fließt. Es ist keine Enteignung, die da vor sich geht; denn diese setzt nicht voraus eine besondere Verpflichtung und Unterwerfung, welche vorhergegangen sein müßte, sondern greift zu, unvermittelt. Die Erklärung der I n anspruchnahme bewirkt durch ihre Kundmachung an den Unternehmer den Übergang der Rechte. Dafür steht dem Unternehmer nach Billigkeitsgrundsätzen eine E n t schädigung zu (vgl. unten § 53). Den Maßstab gibt der Wert, der i h m entzogen wird, also nicht der Wert, den die Sachen i m Unternehmen hatten, sondern ihr R o h w e r t , derjenige, für welchen sie nach E r löschen des Unternehmens sonst verwertbar wären. Je nach der besonderen A r t der Endigung des Verleihungsverhältnisses kann sich aber die Berechnung abweichend gestalten. Die E n d i g u n g s g r ü n d e selbst sind die folgenden 1 9 : 1. V e r z i c h t . Wie vorhin ausgeführt (oben S. 262), ist die Gültigkeit eines Verzichtes des Beliehenen bedingt durch die Zustimmung des Verleihers, der ihn dadurch von den übernommenen Pflichten entbindet. Der Verleiher hat freie Hand, diese Zustimmung 18 Darüber H a b e r e r , Österr. Eisenb.G. S. 27. — L a b a η d , Denkschrift f. d. Hess. Ludwigsbahn S. 8, bestreitet dieses Recht des Staates, da er ein solches auch nicht habe i m Falle des Erlöschens der Polizeierlaubnis zu Pulverfabriken,. Theatern, Gastwirtschaften. G. M e y e r i n seiner Erwiderung S. 21 bemerkt richtig, daß die Eisenbahnen eben „keine privaten Erwerbsgeschäfte, sondern öffentliche Verkehrsanstalten seien". Wir fügen hinzu, daß auch die Verleihung etwas anderes ist als die Polizeierlaubnis. 19 Gegen die alte Lehre, daß öffentliche Rechte von Natur unverzichtbar seien, vgl. oben Bd. I S. 10 Note 14. Das Gegenteil ist auch hier richtig. Es liegt nur eben ein besonderes Hindernis vor, das erst wegzuräumen ist. Man hat sich gerade hier viel Mühe gegeben, die Unzulässigkeit des Verzichtes näher zu begründen. O.V.G. 7. Dez. 1887 (Entsch. X V I S. 301) schließt ihn aus, weil es sich um ein „unverzichtbares Privilegium" handle. O.Tr. 6. Jan. 1879 (Str. C S. 369) läßt Verzicht auf eine Fährgerechtigkeit zu, da diese eine Gewerbekonzession sei (was ja zu dem entgegengesetzten Ergebnisse führen müßte; vgl. oben Bd. I S. 252). H a b e r e r , Österr. Eisenb.R. S. 27, w i l l den Verzicht gelten lassen deshalb, weil die Konzession keine „privatrechtliche Pflicht zum Betriebe" begründe (als ob es nicht auch öffentlich-rechtliche Pflichten gäbe!). E n d e m a n n , R. der Eisenb. S. 286, unterscheidet: nach Herstellung des Unternehmens i s t Verzicht unzulässig, vorher soll er zulässig sein, weil da ja auch durch Nichtausführung einfach „die Verwirkungserklärung herbeigeführt werden kann" (wasaber doch etwas ganz anderes ist).

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Besondere Empfänge.

zu gewähren oder zu versagen oder auch sie an Bedingungen zu knüpfen. Wenn der Fortbestand des Unternehmens für nötig er.achtet ist, wird die wichtigste Bedingung gerade die sein, daß die Entschädigung für die zu belassenden Anlagen und Betriebsmittel i n einem dem Verleiher annehmbar scheinenden Maß sich halte* 2. V e r w i r k u n g . Wenn der Beliehene seinen Pflichten tatsächlich nicht nachkommt, das Unternehmen nicht rechtzeitig herstellt oder den gehörigen Betrieb nicht leistet oder wesentliche Konzessionsbedingungen unerfüllt läßt, so ist der Verleiher berechtigt, ihm das Unternehmen zu entziehen, sein Recht daran für verwirkt zu erklären und damit auch seine entsprechenden Verpflichtungen für erloschen. Der Ausspruch geschieht nach vorgängiger Mahnung. Die Behörde kann sich auf diese Zerstörung des Unternehmens beschränken 2 0 . Sie kann auch einen Ersatz beschaffen durch Selbsteintritt oder Beleihung eines neuen Unternehmers und zu diesem Zwecke wieder von dem Rechte Gebrauch machen, jene Mittel an sich zu ziehen. Dann t r i t t der Fall ein, daß für diese Entschädigung geleistet wird nach ihrem Rohwert. Es kann aber auch so verfahren werden, daß zwischen den i n Betracht kommenden Bewerbern um die neue Verleihung eine V e r s t e i g e r u n g eröffnet wird. Wer dabei am meisten bietet für die zu übernehmenden Mittel, erhält diese und die Verleihung zugleich. Der Erlös wird ein höherer sein als bei jenem Verkauf „auf Abbruch", da die Fortverwendung i m lebendigen Unternehmen den Wert des zu Übernehmenden bewahrt; daß dies dem ursprünglichen Unternehmer zugute komme, entspricht der Billigkeit 2 1 . 3. F r i s t a b l a u f . Die Verleihung pflegt auf eine bestimmte Reihe von Jahren erteilt zu sein. Erfolgt keine Erneuerung, so erlischt sie m i t Ablauf dieser Zeit. Meist wird man für diesen Fall schon vorgesehen haben, was m i t den Anlagen und Betriebsmitteln geschehen 20 Das wird namentlich dann geschehen, wenn die Verwirkung ausgesprochen wurde, weil der Unternehmer die Frist zur Herstellung des Unternehmens verstreichen ließ. Der Zweck der Konzession, dem Staat eigenen Kapitalaufwand .zu ersparen, würde durch eine Zwangsersatzvornahme nicht erreicht. Kleinb.Ges. § 23 bezeichnet das als ein ,,Für-erloschen-Erklären' 21 Preuß. Eisenb. Ges. v. 3. Nov. 1838 § 47; Bayr. Verord. v. 20. Juni 1855 § 12; E n d e m a n n , R. der Eisenbahnen S. 28 f.; Κ ο c h , Deutschlands Eisenb. I S. 158 Note 2. — Preuß. Kleinb.Ges. § 24 setzt bei der „Zurücknahme", wie beim „Erlöschen" der Verleihung wegen nicht erfüllter Verpflichtungen, an die ^Stelle eines Übernahmerechts des Staates ein Recht des Wegeherrn, und zwar bloß bezüglich der Anlagen, nicht auch der Betriebsmittel.

§ 50. Rechte und Pflichten des beliehenen Unternehmers.

267

soll, n a m e n t l i c h auch, ob der Verleiher sie alsdann ü b e r n i m m t , u n d w i e die E n t s c h ä d i g u n g dafür z u bemessen sei. einem H e i m f a l l des Unternehmens.

M a n spricht d a n n

von

F e h l t es a n einer solchen B e -

s t i m m u n g , so h a t wieder der Verleiher die W a h l , ob er es d e m bisherigen U n t e r n e h m e r überläßt, w i e er seine M i t t e l v e r w e r t e t , oder sie a n sich ziehen w i l l gegen E n t s c h ä d i g u n g . z u bemessen nach d e m R o h werte

22

A u c h diese i s t d a n n wieder

.

4. D e m Verleiher k a n n das R ü c k k a u f s r e c h t

v o r b e h a l t e n sein,

d. h. das R e c h t , n a c h seinem Belieben jederzeit oder v o n einem bes t i m m t e n Z e i t p u n k t e ab die V e r l e i h u n g z u widerrufen u n d behufs W e i t e r f ü h r u n g des U n t e r n e h m e n s A n l a g e n u n d B e t r i e b s m i t t e l a n sich z u ziehen, selbstverständlich gegen Entschädigung. D a s Rückkaufsrecht besteht n u r , soweit der Unternehmer sich i n der V e r l e i h u n g oder n a c h t r ä g l i c h i h m u n t e r w o r f e n h a t oder das Gesetz eine selbständige Grundlage dafür gewährt

23

. D i e Geltendmachung

geschieht d a n n d u r c h einen Ausspruch der B e h ö r d e ; a n diesen k n ü p f t sich u n m i t t e l b a r die rechtentziehende W i r k u n g

24

.

D i e Bemessung der E n t s c h ä d i g u n g k a n n b e i B e g r ü n d u n g des so22 G r ü n h u t i n seinem Gutachten zur Nordbahnfrage (Grünh. Ztschr. X I V S. 715 ff.) w i l l i n einem solchen Falle der „Nichterneuerung des Privilegs" den vollen Wert des Unternehmens vergüten lassen. Es sei keine wirkliche, aber doch eine mögliche Eisenbahn. Möglich wäre sie aber für den bisherigen Unternehmer doch nur dann, wenn er die Verleihung noch hätte; so aber ist das ja gerade nicht der Fall. 23 Preuß. Eisenb. Ges. v. 3. Nov. 1838 § 42; Kleinb.Ges. § 30; R.Bankges. § 41. Schweiz. Eisenb. Ges. v. 23. Dez. 1872 § 27 verfügt bloß, daß ein entsprechender Vorbehalt bei jeder Eisenbahnkonzession gemacht werden soll. Erst dieser ist es dann, der wirkt. E i n Beispiel vorbehaltenen Rückkaufs ohne gesetzliche Grundlage gibt die Konzessionsurkunde der Hess. Ludw.B. v. 15. Aug. 1845 § 15, worüber die widerstreitenden Gutachten von L a b a η d und G . M e y e r . Der erstere hebt mit Recht hervor (Denkschrift S. 2), daß gegenüber dem subjektiven Rechte des Beliehenen an dem Unternehmen ein allgemeines Recht der Verstaatlichung nicht bestehe. Damit ist aber auch G. M e y e r einverstanden (Erwiderung S. 6 ff.). 24 L a b a η d .in seinem Gutachten für die Hess. Ludw.B. erklärt das vorbehaltene Rückkaufsrecht für ein pactum de vendendo, welches nach der Erklärung der Regierung, davon Gebrauch machen zu wollen, und Vornahme der erforderlichen Abschätzung zu einem zivilrechtlichen Kaufvertrag führe. Der Behauptung von G. Μ e y e r , daß es sich um eine Enteignung handle, hält er (Denkschrift S. 7) entgegen, daß die Enteignung nur auf Gesetz beruhe, niemals vorbehalten werden könne. Das ist ja richtig; aber um öffentlichrechtlicher Natur zu sein, braucht die vorbehaltene Entziehung des Bahnunternehmens durch einseitige obrigkeitliche Erklärung nicht als eine Anwendung des Rechtsinstituts der Enteignung sich auszuweisen. Sie kann das auch auf andere Art sein. W i r müssen uns bei Betrachtung solcher Erscheinungen viel freier bewegen.

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Besondere Empfänge.

genannten Rückkaufsrechts besonders geregelt sein. Soweit das nicht der Fall ist, gelten dafür andere Grundsätze als bei den bisher betrachteten Arten des Ansichziehens der vorhandenen Anlagen und Betriebsmittel nach erloschener Verleihung. Denn was dem Unternehmer hier genommen wird, ist nicht der Rohwert dieser Vermögensstücke, sondern das Unternehmen selbst und sonach auch das darin Verwendete m i t dem vollen Werte, den es hatte als Mittel zu seiner Durchführung und Ausnutzung. Der Börsenkurs der Aktien gibt i m Zweifel die Grundlage für das zu Vergütende 2 5 .

§ 61. Gewährte Anstaltsnutzung. Die ö f f e n t l i c h e A n s t a l t ist ein Bestand von Mitteln, sächlichen wie persönlichen, welche i n der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung einem besonderen öffentlichen Zwecke dauernd zu dienen bestimmt sind Sie fällt unter den allgemeinen Begriff des ö f f e n t l i c h e n U n t e r n e h m e n s (vgl. oben § 33 Eing.) und bezeichnet wie dieses ein durch seinen besonderen Zweck abgegrenztes Stück öffentlicher Verwaltung. Sie bedeutet nur ihm gegenüber einen engeren Kreis insofern, als hier die öffentliche Verwaltung erscheint i n einem Bestand, einer dauernden Einrichtung, während das öffentliche Unternehmen auch rein als vorübergehende Tätigkeit gedacht sein kann, die m i t Er25 Der Unterschied der Entschädigungsbemessung ist i n der vorerwähnten Konzession der Hess. Ludw.B. sehr deutlich wiedergegeben. Die Verleihung ist auf 99 Jahre erteilt; für das alsdann eintretende Heimfallsrecht des Staates ist der Taxwert der Bahnanlage und der Betriebsmaterialien zu ersetzen, also der „Rohwert" (Konz. v. 15. Aug. 1845 § 15). Schon vorher kann das Rückkaufsrecht geltend gemacht werden; dann ist die Entschädigung nach dem Reinertrag der letzten fünf Betriebsjahre zu berechnen (Konz. v. 3. Jan. 1856 § 22). 1 F. F. M a y e r , Verw.R. S. 231 ff.; S a r w e y , Öff. R. u. Verw.R.Pfl S. 501 ff. ; S e y d e 1, Bayr. St.R. I I S. 627 f. ; Τ ο e ρ f e r i n Fin.Arch. X X V I S. 529; J e l l i n e k , Subj. öff. Rechte S. 224 („Individuell-bestimmten Verwaltungszwecken gewidmete Verwaltungsmittel werden zur staatlichen Anstalt"); U 1 b r i c h , Öff. Rechte S. 57 (Verwaltungsanstalt [öffentliche Anstalt] ist „ e i n persönlicher Organismus mit einer sachlichen [wirtschaftlichen] Grundlage"). Großh. S. Just.-Min. 24. A p r i l 1881 ( R e g e r l S . 382) erklärt Armenhäuser für öffentliche Anstalten: „denn dieselben befinden sich i m Eigentum einer öffentlichen Korporation, dienen öffentlichen Zwecken und stehen unter Aufsicht des Gemeindevorstandes". Es trägt nicht zur Erleichterung des Verständnisses bei, daß i n nachlässiger Redeweise „öffentliche Anstalt" auch die besondere juristische Persönlichkeit bezeichnet, die mit einer öffentlichen Anstalt verbunden sein kann. Vgl. unten § 56 Note 1.

§ 51. Gewährte Anstaltsnutzung.

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reichung des vorgesetzten Zieles endigt. Austrocknung eines Sumpfes, Aufforstung von Ödland sind öffentliche Unternehmungen, aber keine öffentlichen Anstalten. Die Bisenbahn ist öffentliches Unternehmen und öffentliche Anstalt, der Eisenbahnbau ist bloß das erstere. Die öffentliche Anstalt kann nun das Gemeinwohl u n m i t t e l b a r fördern, indem sie Sicherheit und Ordnung gewährleistet, wie die großartigste Anstalt des Staates, das Heer, oder indem sie allgemeinen Kulturaufgaben dient, wie eine Sternwarte, eine Akademie. Sie kann ihren öffentlichen Zweck auch dadurch erfüllen, daß sie > dem Publikum, d e n v i e l e n E i n z e l n e n , jedem für sich, Vorteile gewährt und Dienste leistet, wie Schulen, Sparkassen, Krankenhäuser, Post, Eisenbahn. Diese letztere A r t hat man vorzugsweise i m Auge, wenn man von öffentlichen Anstalten spricht 2 . Das Verhältnis, welches dabei entsteht zwischen dem Herrn der Anstalt, der den Vorteil gewährt, und dem Einzelnen, der ihn empfängt, bezeichnen wir vom Standpunkte des Empfangenden aus als das der A n s t a l t s n u t z u n g oder das N u t z u n g s v e r h ä l t n i s . Die rechtliche Ordnung dieses Verhältnisses ist hier i n Frage. I . Was hier vor sich geht, findet äußerlich mehr oder weniger vollkommen zutreffende Seitenstücke auf dem Boden des Verkehrs der Einzelnen untereinander. Die Form, i n welcher dort die Leistungen dem Empfänger vermittelt werden, liefert naturgemäß der V e r t r a g . Wer der Leistung bedarf, wendet sich an den geeigneten Mann und schließt mit i h m Kauf, Miete, Leih-, Dienst-, Werkvertrag; anders kriegt er das Gewünschte nicht, kann wenigstens nicht darauf rechnen. Alles, was weiter von beiden Seiten geschieht, fällt notwendig unter die Gesichtspunkte der V e r t r a g s e r f ü l l u n g und erhält dadurch seinen gebundenen Gang. Die öffentliche Anstalt dagegen ist immer Tätigkeit für das Gemeinwohl, auch wenn sie diesen ihren Zweck dadurch erreichen soll, daß sie den vielen Einzelnen zugute kommt. U m i h r e r s e l b s t w i l l e n , von i n n e n h e r a u s , erhält sie genügenden Antrieb, ihren Vorteil zu gewähren, sie muß nicht erst eingefangen werden durch den Köder eigenen Nutzens i n die Maschen eines zur Leistung verpflichtenden Rechtsgeschäftes. Wenn eine Ordnung für dieses Vorgehen bestehen soll, so wird dementsprechend auch sie von innen heraus kommen, aus der Bestimmung und Leitung, die der Herr der Anstalt selbst seinem Unter2 U l b r i c h , Öff. Rechte S. 57, nimmt die Beschränkung auf diesen Fall schon i n seinen Anstaltsbegriff auf: „ m i t einer dem Interesse der Einzelnen zugewandten Tätigkeit".

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Besondere Empfänge.

nehmen mitgibt. Das dient dann dazu, dem Einzelnen, der ihrer bedarf, die Anstaltsnutzung zu sichern. Dient vielleicht auch dazu, dem Herrn der Anstalt eine Vergütung zu beschaffen. Äußerlich kann dann die Sache ganz ähnlich aussehen wie bei dem privatwirtschaftlich tätigen Geschäftsherrn. Aber das rechtliche Wesen des ganzen Verhältnisses bleibt grundverschieden. W i r können uns diesen Gegensatz anschaulich machen an einer dem Juristen besonders nahestehenden öffentlichen Anstalt, obwohl man sie nicht so zu nennen pflegt. Das ist das b ü r g e r l i c h e G e r i c h t . Es dient dazu, den Einzelnen i n bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ihr Recht zu verschaffen. Den Rechtsuchenden steht es frei, statt an die öffentlichen Gerichte sich zu wenden, einen S c h i e d s r i c h t e r zu ernennen. Das ist ein Privatunternehmer. U m seine Dienste sich zu sichern, muß man ihn zuvor binden durch einen bürgerlichrechtlichen Vertrag. Aus diesem Vertrage ist er alsdann verpflichtet, die schiedsrichterliche Tätigkeit getreulich zu leisten. Es gibt gegen ihn eine Klage auf Erfüllung und auf Schadensersatz wegen Verletzung der übernommenen Pflicht 3 . I m ö f f e n t l i c h e n G e r i c h t e dagegen ist der Unternehmer der Staat. Dieser hat seine Richter durch die Dienstpflicht gebunden, Klagen, welche den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechen, anzunehmen und zu erledigen. Die Vorlegung der Klageschrift ist kein Antrag an den Gerichtsunternehmer Staat auf Vertragsschließung, sondern nur eine Aufforderung an den richterlichen Beamten, die ihm vom Staate schon auferlegte Dienstpflicht an diesem Falle zu erfüllen, und alles, was die Partei weiter tut, hat dieselbe Natur. Die Entgegennahme der Klageschrift und Terminsbestimmung durch den Vorsitzenden des Gerichts bedeutet keine Annahme des Vertragsantrags namens des Staates, wodurch dieser sich zur Erledigung der Streitsache verpflichtete, sondern bedeutet nur den Beginn der Erfüllung der Pflicht, die dem Richter hier dem Staate gegenüber obliegt. Wenn die Partei glaubt, daß ihre Sache nicht so behandelt werde, wie sie sollte, so hat sie keinen Rechtsanspruch gegen den Herrn der Anstalt, den Staat, auf bessere Leistung oder raschere Erledigung, sondern i n den eigenen inneren Ordnungen seiner Anstalt selbst hat sie die Abhilfe zu suchen durch Anträge, Beschwerden und Berufungen bei der Anstaltsleitung und ihren oberen Behörden. Dieses letztere ist die Gestalt jeder Anstaltsnutzung, w e n n das V e r h ä l t n i s auf ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e m Boden sich b e 3

Z.P.O. § 1033 Ziff. 1; R.G. 29. Nov. 1904 (Entsch. L I X S, 247).

§51. Gewährte Anstaltsnutzung.

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w e g t . Beim Gericht freilich bekommt sie ihr besonderes Gepräge durch die stark hervortretende Mitarbeit des Gesetzes und die beherrschende Stellung, die der obrigkeitliche Einzelakt i n dem Gang und der Erledigung der Sache einnimmt. I m Gegensatz dazu geziemt den A n stalten der Verwaltung, die so verschiedenartige Lebensbedürfnisse befriedigen sollen, nicht diese strenge Form, sondern leichtere, freiereBewegung. Ordnung und Regel muß auch hier gegeben sein. Das kann durch V e r w a l t u n g s g e s e t z geschehen und s o n s t i g e R e c h t s sätze; es ist Zweckmäßigkeitsfrage und nicht das Gewöhnliche. Der eigentliche V e r w a l t u n g s a k t spielt eine geringe Rolle, verschwindet meist ganz. Die Rechtsform, i n welcher die Anstaltstätigkeit gelenkt wird, ist vor allem der D i e n s t b e f e h l , als allgemeine Dienstanweisung wie als Einzelbefehl, und die D i e n s t a u f s i e h t . Eine Zusammenfassung der Regeln, nach welchen so die Anstalt lebt, wird von der Oberleitung aufgestellt und i n der den Verwaltungsvorschriften eigentümlichen Form kundgegeben. W i r bezeichnen das als die Anstaltsordnung. Dem entspricht noch ein anderer Gegensatz. Privatrechtlich geordnete Leistungen beginnen damit, daß durch Vertrag ein Rechtsanspruch auf sie begründet y^ird, i n dessen Befriedigung sich das ganze Verhältnis abspielt. Die Justiz setzt dafür das gesetzlich geordnete Verfahren m i t den prozessualen Rechten der Partei, welche Schritt für Schritt die Obrigkeit i n ihrer Tätigkeit binden und begleiten bis an& Ende. Die öffentliche Anstalt der Verwaltung kann dazwischen ebenfalls s u b j e k t i v e ö f f e n t l i c h e R e c h t e erscheinen lassen zugunsten derer,, die sie benutzen sollen. Wesentlich ist das nicht. Auf keinen Fall bilden solche Rechte hier eine einheitliche Grundlage für alles, was geschieht, noch begleiten sie die Tätigkeit der Anstalt ständig auf ihrem Gange. Sie sind höchstens eingestreut an diesem oder jenem Punkte oder fehlen ganz und gar. Die planmäßige Leitung und Beaufsichtigung, welche der öffentlichen Anstalt um ihrer selbst willen zuteil w i r d r bietet auch den auf ihre Leistungen Angewiesenen tatsächlich eine A r t Sicherheit, daß ihnen zuteil wird, was sie zu bekommen haben 5 . 4

Nicht der Anstaltsnutzung überhaupt, wie L a b a η d , St.R. I I I S. 84,. mich sagen läßt. Es gibt öffentlich-rechtliche und gibt privatrechtliche Anstaltsnutzung. Darin stimmen wir ja überein. 6 Anders Z o r n St.R. (1. Aufl.) I I S. 27: „Durch die Benutzung der staatlichen Post- und Telegraphenanstalten seitens des Publikums wird i m einzelnen. Fall zwischen der Staatsanstalt und dem dieselbe Benutzenden eine Obligation des öffentlichen Rechts begründet." Ebenso 2. Aufl. S. 283: Der Absender t r i t t m i t der Post „ i n ein öffentlichrechtliches Obligationsverhältnis". M i t der öffentlichrebhtlichen Behandlung bin ich ja einverstanden. Aber ich sehe dann wegen.

Besondere Empfänge.

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Wenn das Auge, das verwöhnt ist durch den Glanz des festen Gefüges der Rechtspflegeanstalt, hier nicht findet, was es sucht, so hat dieses leicht geschürzte Verfahren doch auch wieder seine besonderen Zweckmäßigkeiten. Das muß einleuchten. I I . Für die öffentliche Anstalt als ein Stück öffentlicher Verwaltung ist die öffentlichrechtliche Ordnung als das Natürliche und Selbstverständliche anzusehen. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß unter Umständen auch bürgerliches Recht auf ihre Beziehungen anwendbar wird. D a s G e l t u n g s g e b i e t der ö f f e n t l i c h r e c h t l i c h e n A n s t a l t s n u t z u n g ist i n Frage. Seine Grenze wird vor allem zu ziehen sein 6 . Da scheiden nun vor allem aus die f i s k a l i s c h e n U n t e r n e h m u n gen. Der Staat oder ein untergeordnetes Gemeinwesen kann m i t •einem ganzen Tätigkeitszweig von vornherein auf dem Boden der Privatwirtschaft stehen, ein Privatunternehmer wie die anderen neben ihm. Was man dabei an Sachwerten, Diensten und sonstigen Nutzungen von ihm geleistet bekommt, geschieht nach dem gleichen Recht, das auch für diese gilt. Das sind bekannte Erscheinungen, die zu Zweifeln überhaupt nicht Anlaß geben: Betrieb staatlicher Landgüter und Forsten, Absatz der Erzeugnisse staatlicher Bergwerke, Fabriken und Bierbrauereien, Verwaltung von Zinshäusern, die i n die Hand des Staates oder der Gemeinde gekommen sind. U m öffentliche Anstalten i a n d e l t es sich aber dabei überhaupt n i c h t 7 . Sodann ist es möglich, daß eine richtige öffentliche Anstalt n e b e n b e i für die Beschaffung und Besorgung ihrer Mittel i n Beziehungen sich begibt, die ganz dem gewöhnlichen privatwirtschaftlichen Verkehr -der Anstaltsnutzung überhaupt kein einheitliches Obligationsverhältnis des Gemeinwesens entstehen, weder privatrechtlich noch öffentlichrechtlich. Sowenig "wie bei der Inanspruchnahme des Gerichtes. 6

Vgl. oben Bd. I S. 115 ff. Hierzu die Untersuchungen bei T o e p f e r i n Tin.Arch. X X V I S. 529 ff. Vgl. auch Μ e i s s i η g er i n Fin.Arch. X X X S. 553 ff.; M o l l , Über Gebühren S. 20ff. 7 Eine Zusammenstellung solcher fiskalischer Unternehmungen gibt L a b a η d , St.R. I I I S. 53 unter dem Namen „privatwirtschaftliche Gewerbebetriebe". Er nennt: „Porzellanfabriken, Tabakmanufakturen, Bierbrauereien, Bergwerke, land- und forstwirtschaftliche Betriebe", was mit unserer Aufzählung übereinstimmt, fügt aber allerdings noch hinzu: die Post, die Staatseisenbahnen u n d die preußische Seehandlung, die dann S. 85 noch einmal aufgeführt werden unter den öffentlichen Anstalten mit privatrechtlicher Nutzungsordnung, wie wir -es hier unter Note 15 nennen. Die der Reichsbank verwandte S e e h a n d l u n g gehört aber, wie die S t a a t s e i s e n b a h n auch, aus dieser Gruppe heraus, die P o s t aus beiden Gruppen: sie ist weder „fiskalisches Unternehmen" noch „öffentliche Anstalt mit privatrechtlicher Nutzungsordnung". Vgl. unten Note 8.

§ 51. Gewährte Anstaltsnutzung.

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angehören, mag ihre eigentliche Aufgabe noch so entschieden die hoheitliche Natur der staatlichen Willensäußerung bekunden: Futterlieferungen für das Heer sind gewöhnliche Kaufgeschäfte, Miete eines Amtsgerichtsgebäudes unterscheidet sich nicht von der eines Warenmagazins, und beim Ausweißen der Krankensäle entstehen die gleichen Beziehungen zu den Handwerkern, wie wenn es sich um eine Bierwirtschaft handelte. Hiermit fällt dann die öffentliche Verwaltung zeitweise und stellenweise aus ihrer Rolle, und der übliche Redebrauch bringt das zum Ausdruck, indem man sagt: nicht der Staat, sondern der Fiskus sei hier aufgetreten, Militärfiskus, Justizfiskus oder sonst einer. Die Frage ist, ob ein derartiger Umschlag ins Privatwirtschaftliche und Privatrechtliche auch stattfinden soll an einem so w e s e n t l i c h e n Punkte, wie die Gewährung der Anstaltsnutzungen ihn bedeutet, i n der doch die eigentliche Aufgabe der öffentlichen Anstalt erfüllt wird, und wie die Fälle abzugrenzen sind, i n welchen das zutrifft. Früher wollte man ja öffentliches Recht überhaupt nur da sehen, wo der Staat dem Einzelnen entgegentritt mit Befehl u n d Z w a n g 8 . Damit kreuzt sich dann der noch ältere Gedanke, daß das Privatrecht überall das von Natur Gegebene sei, wo es für den Staat auf G e l d u n d G e l d e i n n a h m e hinausläuft 9 . Mit der alten Fiskuslehre ist aber auch die damit verbundene Abgrenzungsweise ins Schwanken gekommen 1 0 . 8 So nach O.V.G. 19. Mai 1908 (Entsch. X I I S. 28): Betreibt die Gemeinde i h r Wasserwerk ohne Zwang für die Hausbesitzer, sich anzuschließen, so besteht „das einem gewerblichen Unternehmen entsprechende privatrechtliche Nutzungsverhältnis, durch Vertrag geregelt". St.G. 5. A p r i l 1910 (Entsch. L X X I I I S. 197): wo „polizeilicher Zwang" zum Anschluß an die städtische Kanalisation stattfindet, ist es „rechtlich unmöglich", das entstehende Benutzungsverhältnis der Hausbesitzer privatrechtlich zu beurteilen. O.L.G. Rostock 12. März 1902 { B e y e r X X I I I S. 299): Höhere Schule, für deren Besuch kein Zwang besteht und d a h e r das zu zahlende Schulgeld nicht wie bei den Volksschulen Gebühr, .sondern vertragsmäßige Gegenleistung. 9 Vgl. Bd. I S. 52; Μ e i s s i n g e r i n Fin.Arch. X X X S. 590. 10 L a b a η d selbst ist der beste Zeuge dafür. I n der ersten Auflage des St.V., Bd. I I S. 294 ff. wurde noch schlechthin daran festgehalten: Privatrecht gelte überall, wo nicht Befehl und Zwang zur Verwendung kommen; i n der fünften ( I I S. 192) läßt er auch Gewährungen, Konzessionen, Ermächtigungen als öffentlichrechtlich gelten, und zu den richtigen „staatlichen", d. h. öffentlichrechtlichen Betrieben rechnet er neben Rechtspflege und Polizei jetzt auch den „Unterr i c h t " schlechthin, auch ohne Zwang (St.R. I I I S. 52). Daneben war bei ihm seit der zweiten Auflage auch der Gesichtspunkt des Geldgewinnes maßgebend geworden. I n der fünften ist er das aber auch nicht mehr schlechthin, sondern

E i n d i n g - O e t k e r , Handbuch V I . 2: O t t o M a y e r , Verwaltungsr. I I . 3. Aufl.

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Besondere Empfänge.

Es muß hier wieder der Standpunkt festgehalten werden: die Tätigkeit des Staates für seine Zwecke ist von Natur öffentliche Verwaltung. Die Anwendbarkeit des Zivilrechts ist demgemäß die A u s n a h m e (vgl. oben Bd. I S. 115 ff.). Wie weit solche Ausnahme Platz greift, dafür ist uns maßgebend nicht eine beliebig gewählte Formel, sondern was wir i n Brauch und Handhabung des geltenden Rechts tatsächlich verwirklicht sehen (ebenda S. 116f.), wobei es wieder nicht darauf ankommt, was man etwa nur privatrechtlich nennt, sondern was i n der W i r k l i c h k e i t mit den bekannten M e r k m a l e n des P r i v a t r e c h t s ausgestattet ist. Da begegnen wir nun allerdings neben den vorhin bereits angeführten Erscheinungen rein privatwirtschaftlicher Staatstätigkeit auch einer größeren Gruppe von öffentlichen Unternehmungen,, deren Nutzungsgewährung ebenso unzweifelhaft zur öffentlichen Verwaltung gerechnet werden muß und i n der Wirklichkeit unseres Rechtes gleichwohl der A n w e n d b a r k e i t des B ü r g e r l i c h e n R e c h t e s unterliegt. Die Sonderstellung dieser Gruppe wird um so bedeutsamer sein,, als für die dazu gehörigen Dinge durchweg auch ein ganz bestimmter Grund vorliegt, der es erklärt und einleuchtend macht, weshalb die Wirklichkeit des Rechts hier diese Ausnahmebehandlung eintreten läßt,, eine Besonderheit, welche diese Abweichung von dem naturgemäß zu Erwartenden hinreichend erklärt und begründet. Die hier vereinigten Geschäfte sind nämlich allesamt ursprünglich auf privatwirtschaftlichem Boden erwachsen als Ä u ß e r u n g e n des U n t e r n e h m u n g s g e i s t e s E i n z e l n e r oder ihrer Vereinigungen zu solchem Gewerbebetrieb. Erst nachträglich hat auch das Gemeinwesen sich dieser Dinge bemächtigt und hat sie selbst i n die Hand genommen, um sie eigenen Namens zu führen und zu betreiben. Dabei hat es aber die einmal für diese Geschäfte festgelegte Auffassung und A r t der entsprechenden Rechtsordnung beibehalten: sie gehörten von Haus aus dem Privatrecht an und sind ihm treu geblieben 11 . nur, wenn besondere „Einrichtungen" getroffen sind, eine „planmäßige Vornahme von Rechtsgeschäften und tatsächlichen Verrichtungen für den wirtschaftlichen (pekuniären) Erfolg" des Unternehmens stattfindet (Bd. I I I S. 52 ff.). Wo ist da die Grenze? Man hat die Abhilfe jetzt i n anderen Formeln gesucht. So F 1 e i η e r, Instit. S. 302: es soll darauf ankommen, welcher Zweck „ i n e r s t e r L i n i e " genannt sei. Ebenso O.V.G. 8. Juni 1908 (Entsch. X X X I X S. 134): „Sparkassen und andere kommunale Betriebe" können gemeinnützig (öffentlichrechtlich) sein oder auch privatrechtlich: „es kommt auf den H a u p t z w e c k , an." Damit würde man schwerlich auskommen. 11

Unserer Aufzählung von ö f f e n t l i c h e n A n s t a l t e n m i t p r i v a t r e c h t l i c h e r N u t z u n g s o r d n u n g entspricht i n der Hauptsache die bei L a b a n d , St.R. I I I S. 85, gegebene: „Staatliche oder städtische Theater,.

§51. Gewährte A s t a l t s n u t z u g .

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Das großartigste Beispiel bieten die E i s e n b a h n e n : die Unternehmer sind ursprünglich überall Aktiengesellschaften gewesen. Sie gaben der Ordnung der Leistungen für das Publikum das privatwirtschaftliche Gepräge, bei denen es der Staat beließ, als er selbst Eisenbahnunternehmer wurde und die überkommenen Betriebsformen nachahmte. Die Anstaltsnutzung vollzieht sich hier nach wie vor handelsrechtlicherweise. Ähnlich verhält es sich mit den nachträglich entstandenen staatlichen D a m p f s c h i f f a h r t s u n t e r n e h m u n g e n , desgleichen m i t den von den Städten übernommenen S t r a ß e n b a h n e n , m i t den öffentlichen B a n k e n von Staat und Reich. Die G e b ä u d e f e u e r v e r s i c h e r u n g e n , vom Staat oder öffentlichen Verbänden veranstaltet, sind den gleichen Weg gegangen: die Privatgesellschaften haben das Vorbild geliefert. Das städtische T h e a t e r , das städtische O r c h e s t e r hat sich neben die ursprünglichen Privatunternehmungen gleicher A r t gestellt und wirbt um seine Kundschaft i n den von diesen gebildeten Rechtsformen. G a s a n s t a l t e n und W a s s e r w e r k e zur Versorgung der Wohnhäuser wurden überall zuerst von Aktiengesellschaften eingeführt; die Stadt, die an ihre Stelle t r i t t , übernimmt die Erbschaft der gewordenen Form der Anstaltsnutzung. Das sind g e s c h i c h t l i c h g e w o r d e n e , t a t s ä c h l i c h i n G e l t u n g s t e h e n d e A u f f a s s u n g e n , m i t welchen zu rechnen ist. Allerdings ist es denkbar, daß eine solche Anstalt gerade bei Gelegenheit ihrer Übernahme i n die Verwaltung des öffentlichen Gemeinwesens auch selber nun umschlägt und fortan ihre Nutzungsgewährungen aufgefaßt werden als dem Gebiete des öffentlichen Rechtes zugehörig. Dafür ist entschieden Neigung vorhanden 12 . Auch ohne solchen äußerlichen Gasanstalten, Wasserleitungen, Reichsbank, preußische Seehandlung, Lotterie, Eisenbahnen und staatliche Dampf Schiffunternehmungen". Nur die staatliche L o t t e r i e gehört nicht i n diese Gesellschaft. Sie bedeutet ein rein fiskalisches Unternehmen. Daß es aus Gründen der Sittenpolizei verboten wäre, wenn es nicht der Staat selbst betriebe, verleiht ihm n^cht die rechtliche Natur einer öffentlichen Anstalt. — Die anderen aufgezählten Fälle allerdings s i n d ö f f e n t l i c h e A n s t a l t e n und haben nur als Besonderheit gemeinsam die trotzdem p r i v a t r e c h t l i c h g e o r d n e t e A n s t a l t s n u t z u n g . Hierzu wäre wohl auch zu rechnen die öffentliche Fähre: R.G. 15. Okt. 1909 (Entsch. L X X I I S. 53): Öffentliche Fähre vom Staate betrieben mit privatrechtlichem Beförderungsvertrag; Fiskus hatte behauptet „Benutzung einer öffentlichen Anstalt gegen Zahlung einer Verkehrsabgabe". Er meinte „öffentlichrechtlichen Betrieb". 12

I n diesem Sinne Bl. f. adm. Pr. 1880 S. 321 ff.: Das von einer Aktiengesellschaft betriebene Wasserwerk zu Regensburg wurde 1879 von der Stadt übernommen. „ M i t der Übernahme des Wasserwerks als Gemeindeanstalt ist das ganze Rechtsverhältnis aus dem Privatrecht herausgenommen und dem öffent18*

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Besondere Empfnge.

Anlaß kann bei öffentlichen Anstalten mit privatrechtlicher Nutzungsordnung wie sogar bei bisherigen fiskalischen Anstalten die Auffassung zugunsten der öffentlichrechtlich geordneten Nutzungsgewährung sich ändern. Darin liegt dann immerhin eine Korrektur der bisherigen, die aber einen Fortschritt i n der besseren Würdigung des Wirklichen bedeuten kann. Daß wir mitten i n einer solchen Entwicklung stehen, ist nicht zu verkennen 1 3 . lìchen Rechte eingefügt worden." Daher Recht aller Gemeindeglieder auf Zulassung zur Benutzung, kein Gewerbebetrieb, keine Gewerbesteuer; Wasserzins ist öffentliche Abgabe, nicht Entgelt aus Vertrag; Ortsstatut regelt die Benutzung. — Für die öffentlichrechtliche Auffassung hier auch: O.V.G. 30. Sept. 1904 (Entsch. X L V I S. 154); Württ. V.G.H. 17. Juni 1903 (Jahrb. f. Württ. R.Pfl. X V S. 225); Sächs. O.V.G. 25. Sept. 1905 (Jahrb. V I I I S. 68). 13 Die Bewegung macht sich ztirzeit vor allem geltend auf dem Boden der P o s t , der T e l e g r a p h e n - und T e l e p h o n a n s t a l t e n . Die B r i e f p ο s t hat dabei die Führung. N a w i a s k y , Deutsch, u. österr. Postrecht S. 14 ff.; S t a e d 1 e r , Postordnung S. 8 ; G e r l a c h i n Wörterb. d. St. u. V.R. I I S. 4; Β u s e r , Rechtl. Stellung der Postanstalt nach Schweiz. R. S. 29 ff.; S c h o l z i n E h r e n b e r g , Handb. d. H.R. V S. 602 ff., widerspricht zwar noch, da die Post „keine Staatshoheitsreohte wahrnimmt", verkennt aber nicht die Schwierigkeiten der privatrechtlichen Auffassung. — O.V.G. 8. Juni 1900 (Entsch. X X X I X S. 93); Sächs. O.V.G. 16. Mai 1907 (Jahrb. X S. 255). - Nach L a b a η d , St.R. I I I S. 52, 53, betriebe das Reich die Post als „privatwirtschaftliches Gewerbe", sie stünde „auf völlig gleicher Stufe" mit den staatlichen Eisenbahnen nicht nur, sondern auch mit staatlichen Tabakmanufakturen und Bierbrauereien. Allein ein privatwirtschaftliches Gewerbe ist die von den Reichsstädten nach dem Vorbild Ludwigs X I . eingerichtete Post nicht gewesen, ebensowenig das 1615 vom Kaiser zu Lehen gegebene Generalpostmei- teramt. A.L.R. I I , 15 handelt von der Post neben Land- und Heerstraßen, Strömen, Häfen und Meeresufern, Zollgerechtigkeiten in Abschn. 4 unter dem Titel „ V o m Postregal". Der Staat unterhält die nötigen Anstalten, die Postämter und Postwärtereien. Den Benutzenden gegenüber bestehen zweierlei Verhältnisse: die P o s t m e i s t e r u n d P o s t w ä r t e r , also die „Postbedienten" persönlich, haben ihnen gegenüber die Pflichten einee Frachtführers (§ 157), woraus sich für sie eine Schadensersatzpflicht entsprechend der im B.G.B. § 839 geregelten ergeben würde. Dagegen: „die P o s t ä m t e r sind zur Annahme und Fortechaffung der ihnen vorschriftsmäßig überlieferten Briefe und Sachen verbunden" (§ 161 entsprechend dem jetzigen Reichs-Post-Ges. § 3) und haften für Schaden und Verlust an Briefen und Sachen (§ 185). Sie sind die öffentliche Verwaltung und werden nicht als Frachtführer behandelt, sowenig wie jetzt. Es ist die gleiche Rollenverteüung wie bei Landstraßen ( I I , 15 §§ 11 u. 12) und bei schiffbaren Strömen ( I I , 15 § 78): Der Staat hat die Pflicht, für die „Sicherheit und Bequemlichkeit" der Verkehrsanstalt zu sorgen; verantwortlich dem Publikum gegenüber sind allein die Beamten, die er mit der Besorgung beauftragt hat (R.G. 20. April 1899; Entsch. X L I V S. 173). Das alte H.G.B. Art. 421 Abs. 2 geht davon aus, daß seine Bestimmungen über den Frachtvertrag auf die Post Anwendung finden sollen, soweit Gesetz oder

§ 51. Gewährte Anstaltsnutzung. III.

277

D i e öffentliche A n s t a l t h a t einem Zwecke öffentlichen W o h l e s

z u dienen u n d erhält i h r e treibende K r a f t v o n d o r t , w o das öffentliche W o h l seine V e r t r e t u n g f i n d e t .

D e r E i n z e l n e b i e t e t i h r n u r die G e -

legenheit, w i r k s a m zu werden. 1.

D i e öffentliche A n s t a l t g r e i f t n i c h t v o n s e l b s t ein, u m i h r e

N u t z u n g i m E i n z e l f a l l z u gewähren, sondern w a r t e t auf die A n r e g u n g dazu. I h r e eigene O r d n u n g b e s t i m m t die V o r a u s s e t z u n g e n ,

unter

welchen sie sich als gehörig berufen anzusehen h a t , sowohl was d e n Gegenstand ihres Tätigwerdens anlangt, als auch nach der A r t , w i e er i h r nahegebracht w o r d e n ist. D i e D a r b i e t u n g dieserVoraussetzungen nennen w i r i h r e l n a n s p r u c h nahme. I h r e B e j a h u n g , daß sie hier bestimmungsgemäß i h r e

Nutzungen

z u gewähren haben w i r d , i s t die Z u l a s s u n g dazu. D a s erstere, d i e I n a n s p r u c h n a h m e , k a n n geschehen i n einer W i l l e n s e r k l ä r u n g u n t e r E r f ü l l u n g b e s t i m m t e r vorgeschriebener F o r m e n , w i e die E i n r e i c h u n g der K l a g e s c h r i f t b e i Gericht.

Regelmäßig genügen i n

der V e r w a l t u n g ganz formlose Vorgänge, aus welchen e i n W u n s c h , d i e N u t z u n g e n gewährt z u erhalten, hervorgeht, w i e das E i n t r e t e n i n d i e Gemäldegalerie, die V o r f ü h r u n g des K i n d e s i n der Schule.

Bei

Verordnung nicht ein anderes bestimmen. Die Kommissionsminderheit wollte das Handelsrecht ganz ausgeschlossen haben, weü „die Post als eine Staatsanstalt erscheine und nicht als ein Institut für Erzielung von Gewinn durch Betrieb eines Handelsgewerbes" (Prot. I X S. 5049). Die Mehrheit, welche jene Bestimmung aufrechterhielt, vertrat den Standpunkt, „daß die Verwaltung der Staatsposten die Ausübung eines Staatshoheitsrechts i n sich begreife und kein Gewerbe im engeren Sinne des Wortes sei". Es finde aber hier bei „Übernahme des Transportes von Gütern" ein gewerbsmäßiger Betrieb i n dem bei der Abgrenzung des Begriffs der Handelsgeschäfte adoptierten Sinne insofern statt, als „gewisse Geschäfte i n der Weise wiederholt und gegen Entgelt ausgeführt würden, wie es bei dem Betriebe eines Gewerbes der Fall sei". Also etwas wie Handelsgeschäfte eines Nichtkaufmanns! Ausdrücklich wurde hervorgehoben, daß es sich bei der vorgeschriebenen subsidiären Anwendung des H.G.B.s nur um „Versendung von Gepäckstücken", also Paketpost handle — „also abgesehen von dem hier selbstverständlich g a r n i c h t i n B e t r a c h t k o m m e n d e n B r i e f ρ o s t v e r k e h r " . Auch war die Vorschrift nur als Aushilfe gedacht, um gegenüber der herrschenden Zerfahrenheit etwas Festes zu bieten (Prot. I X S. 5052, 5053). — Das neue Handelsgesetzbuch § 452 hat die Regeln des Frachtgeschäftes auch i n diesen engen Grenzen außer Anwendbarkeit gesetzt. Für den Briefpostverkehr haben sie nie gegolten. F l e i n e r , Inst. S. 303 glaubt schon verallgemeinern zu dürfen: „Man kann heute schon behaupten, daß diese Entwicklung auf eine Unterwerfung aller nicht gewerblichen Unternehmungen (Post, Telegraph, Wasserversorgung usw.) des Staates und der öffentlichrechtlichen Verbände unter die Herrschaft des öffentlichen Rechts drängt."

278

Besondere Empfänge.

Massenbetrieben zu Behandlung fremder Sachen kann es genügen, der Anstalt die Gegenstände, an welchen sie bestimmungsgemäß sich zu betätigen hat, i n der vorgesehenen Weise z u r V e r f ü g u n g z u s t e l l e n ; dann muß sie sich als i n Anspruch genommen ansehen und beginnt daran zu arbeiten. So der i m Pöstbriefkasten gefundene Brief. Der Wunsch, daß dieser befördert werde, der Wille, die Postanstalt darum anzugehen, wird ja regelmäßig dahinterstehen. Es braucht aber nicht geprüft zu werden und soll nicht geprüft werden, ob er auch wirklich vorhanden ist, nicht, ob er m i t der vom bürgerlichen Recht geforderten Geschäftsfähigkeit ausgestattet war. Die Anstaltsleistung wird durch den äußerlichen Tatbestand ordnungsmäßig i n Bewegung gesetzt auch ohne das 1 4 . Auf Seiten der Anstalt erfolgt die Zulassung nicht blindlings. Ihre Beamten prüfen mehr oder weniger gründlich, ob die Voraussetzungen der Nutzungsgewährung i n dem dargebotenen Falle vorliegen. Dies kann geschehen durch den prüfenden Blick des Museumsdieners, die wägende Hand des Postsekretärs, die Durchsicht von Geburtsschein, Impfschein, Heimatschein, ärztlichem Zeugnis. Das Ergebnis ist günstigenfalls die T a t : die Aufnahme i n den Betrieb durch Eintretenlassen, Anweisung eines Krankenbettes, Eintragung i n die Register, Aufdrücken des Poststempels und Weitergabe des Stückes. R e c h t s g e s c h ä f t ist das ebensowenig wie die Inanspruchnahme, weder ist es die zweite Hälfte eines V e r t r a g e s noch ein V e r w a l t u n g s a k t 1 5 . 14

Diese grundsätzliche Gleichgültigkeit einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung des Benützers widersteht allen Versuchen, ein v e r t r a g s m ä ß i g e s R e c h t s v e r h ä l t n i s hier zu fordern. D a m b a c h , Postges. S. 48, folgert zwar: „ D a die Postverwaltung durch die Annahme der Sendung i n ein Vertragsverhältnis zu dem Absender t r i t t , so ist sie berechtigt, die Annahme von Sendungen nicht geschäftsfähiger Personen abzulehnen". W i r schließen umgekehrt: da die Post, wie auch D a m b a c h nachher zugibt, „sich selbstverständlich i m allgemeinen um die Geschäftsfähigkeit der Absender nicht kümmert", kann es sich um ein Vertragsverhältnis nicht handeln. Daß sie nach D a m b a c h ausnahmsweise die Annahme verweigern würde, wenn „ein für geisteskrank erklärter Mensch durch Aufgabe von Sendungen Unfug treiben sollte", beweist nichts für einen Vertrag: auch der Vertragsfähige hat kein Recht, durch Aufgabe von Sendungen Unfug zu treiben. Das gilt ebenso von dem Wahnsinnigen, der bei L a b a η d , St.R. I I I S. 84, „eine Anzahl von unfrankierten Paketen einliefert, welche Ziegelsteine enthalten". Dem Manne wurde nicht etwa der Vertragsabschluß verweigert, den er ja gar nicht braucht, sondern er wurde vermöge der bekannten Anstaltspolizei mitsamt seinen Ziegelsteinen hinausgetan. Sind die Ziegelsteine des Wahnsinnigen gleichwohl angenommen worden, so wird m i t ihnen nach Post.Ord. § 46 Abs. 4 verfahren werden, „vertragsmäßig", selbst wenn man inzwischen erfahren hat, daß er wahnsinnig ist. Es geht alles auch ohne wirklichen Vertrag. 15 Von Vertrag ist nach dem soeben Ausgeführten ohnedies keine Rede. —

§ 51. Gewährte Anstaltsnutzung.

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2. Für die Beteiligten ist es eine sehr wichtige Sache, ob sie auf die Leistungen der öffentlichen Anstalten rechnen können oder nicht. Diese Sicherheit gewährt ihnen die g e b u n d e n e Z u l a s s u n g , beruhend auf V e r w a l t u n g s v o r s c h r i f t e n , die i n der Anstaltsordnung sich zusammengestellt finden und auch den Benutzern der Anstalt zugänglich sind 1 6 . Sie können von der Stadtobrigkeit, von der Regierungsbehörde, die sie erlassen hat, jederzeit abgeändert und auch i m Einzelfall durchbrochen werden (vgl. oben § 45 Note 8). Aber für die unmittelbare Anstaltsverwaltung sind sie bindend mit der Kraft der Dienstgewalt und Aufsiehtsgewalt, und Abweichungen davon können i n dem entsprechenden Beschwerdewege angefochten und rückgängig gemacht werden. I n manchen Fällen, so namentlich bei reinen Wohltätigkeitsanstalten, ist den Beamten und Vertretern der Anstalt wohl auch eine Auswahl und ein freies Ermessen eingeräumt, vielleicht mit besonderen Vorkehrungen zu Gewähr gerechter Abwägung. Meist geben die Anstaltsordnungen feste, unbedingt sprechende Bestimmungen, die von den ausführenden Beamten einfach zu handhaben sind. I n manchen Fällen hat aber auch das Gesetz nachgeholfen, u m durch rechtssatzmäßige Bestimmung diese Sicherheit noch zu erhöhen. Das geschieht i n der Weise, daß von ihm ausgesprochen wird: die Anstaltsnutzung dürfe unter den durch die Verwaltungsvorschrift aufgestellten Bedingungen keinem verweigert werden 1 7 . Das bedeutet N a w i a s k y , Deutsch, u. österr. Postrecht S. 16, indem er den Vertrag entschieden ablehnt, verlangt statt dessen für die Zulassung eine „Entscheidung", eine „konstitutive Verfügung* c. Denn es soll das Nutzungsverhältnis hier begründet werden, dieses ist ein R e c h t s v e r h ä l t n i s , also bedarf es einer „konstitutiven Verfügung' Aber weshalb muß das Nutzungsverhältnis ein Rechtsverhältnis sein ? N a w i a s k y hat einen Grund: weil eine andere Auffassung „dem deutschen Rechtsbewußtsein nicht entspricht" (a. a. 0. S. 15). Sagen wir: sie entspricht nicht N a w i a s k y s eigener Lehrmeinung, die, wie er denkt, allgemeines deutsches Rechtsbewußtsein sein sollte. 16

Vgl. S. 271 u. 288. Hauptfälle: Postges. v. 28. Okt. 1871 § 3 („Die Annahme und Beförderung von Postsendungen darf von der Post nicht verweigert werden, sofern die Bestimmungen dieses Gesetzes und des Reglements beobachtet sind"). Telegr.Ges. v. 6. A p r i l 1892 § 5 (ebenso). Gew.Ord. § 64 Abs. 1 (Besuch der Märkte). — Landesrechtlich bestehen gesetzliche Vorschriften, wonach alle Gemeindeangehörigen zur Benutzung gemeindlicher Anstalten zugelassen werden müssen: Preuß. Städte-Ord. § 4: „Die Gemeindeangehörigen sind nach Maßgabe der bestehenden Bestimmungen zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und Anstalten der Stadt berechtigt." Bayr. Gem.Ord. v. 29. A p r i l 1869 Art. 19 Abs. 2 Ziff. 4: „ D e r Gemeindebürger genießt das Recht, . . . die Gemeindeanstalten zu be17

280

Besondere Empfänge.

dann den A u s s c h l u ß v o n a b w e i c h e n d e n B e s t i m m u n g e n f ü r d e n E i n z e l f a l l und ein s u b j e k t i v e s ö f f e n t l i c h e s R e c h t auf Zulassung für jeden, für den die Anstaltsnutzung unter Erfüllung jener allgemeinen Voraussetzungen i n Anspruch genommen w i r d 1 8 . Das so eröffnete Nutzungsverhältnis selbst wird dadurch nicht anders 19 . nutzen." — Wo ein Verbot besteht, sich anderer Unternehmungen für den bestimmten Zweck zu bedienen, versteht es sich von selbst, daß die so geschützte öffentliche Anstalt entsprechend allgemein zugänglich gehalten werden solL F l e i n e r , Instit. S. 311 Note 47 a; R.G. 19. Nov. 1900 (Entsch. X L V I I S. 76). 18 Es handelt sich um M i t w i r k u n g s r e c h t e i n F o r m d e r F o r d e r u n g nach der oben Bd. I S. 108 ff. beschriebenen Art. Sie sind nicht verfügbar. Man kann sie ausüben oder nicht ausüben, mehr nicht. Sie entstehen auch erst m i t der Ausübung. W i r laufen nicht fortwährend schon herum m i t dem Recht auf Briefbeförderung i n der Tasche. Erst wenn die Gebundenheit der Post wirksam gemacht wird, erscheint auch mein Recht. Wenn man ein Bedürfnis nach Namen hat, kann man den vorausgehenden (juristisch wertlosen) Zustand aller Menschen i m Staate m i t J e l l i n e k , Subj. öff. R. S. 114ff., einen „positiven Status" oder „status civitatis" nennen. Das Recht auf Zulassung t r i t t nicht immer m i t der Deutlichkeit auf wie beim Kläger, der dem Gerichte seine Klageschrift vorlegt. Der kranke Gemeindebürger, der an die Pforte des Gemeindekrankenhauses pocht, gleicht diesem noch am ersten. Schon weniger vernehmlich spricht der Berechtigte aus dem flüchtigen Besucher des städtischen Kunstmuseums. Wessen Recht aber steht hinter dem Brief, der i m Briefkasten gefunden wurde ? Und doch ist ein subjektives Recht auf Annahme zur Beförderung mit dem Einwurf entstanden für den, um dessen Vorteils willen die Post so i n Anspruch genommen worden ist. Möglicherweise t r i t t der Berechtigte nachher noch hervor; i n der großen Mehrheit der Fälle bleibt er i m Dunkel bis zum Schluß, wo sein Recht durch Erfüllung erloschen ist. 19 S c h o t t i n E n d e m a n n s Handb. Bd. I I I S. 531 hat als erster den Versuch gemacht, die Begründung des Nutzungsverhältnisses bei Post und Telegraph zu befreien von dem üblichen Vertragsschema. Diese Anstalten leisten nach ihm lediglich zur Erfüllung einer gesetzlichen Obligation; die Aufgabe zur Post ist deshalb nicht Vertragsofferte, sondern eine Aufforderung an die Anstalt, ihrer gesetzlichen Beförderungspflicht Genüge zu leisten (S. 539). Das nähert sich unserer Auffassung. Zur vollen Freiheit ist S c h o t t deshalb nicht durchgedrungen, weil er immer noch das Bedürfnis hat, die Leistungen der Post als Erfüllung einer Obligation sich vorzustellen, wobei der Nutzende von vornherein als ihr Gläubiger erscheint. Die Pflicht, welche Postges. § 3 auferlegt, ist aber erfüllt dadurch, daß die Post Annahme zur Beförderung n i c h t v e r w e i g e r t h a t . Was die Anstalt nun weiter tut, ist nicht durch sein Recht gebunden, sondern einzig durch ihre innere Ordnung. Beim Gericht liegt die Sache insofern anders, als es auch für das, was es nun weiter i n der Sache vornimmt, gesetzlich gebunden ist m i t Wirksamkeit der Partei gegenüber, die es auf Schritt und T r i t t mit ihren das Gesetz anrufenden Anträgen begleitet; auch der Inhalt des Urteils, das das Endziel bildet, ist noch durch das Recht der Partei fest bestimmt. Das ist bei den Verwaltungsanstalten nicht so. Hier herrscht nach geschehener Zulassung die

§ 51. Gewährte Anstaltsnutzung.

281

3. Als Gegenstück zu der Gebundenheit der Anstalt, ihre Leistungen überall zu gewähren, wo die dafür bestimmten allgemeinen Voraussetzungen zutreffen, finden wir dann wieder einen B e n u t z u n g s z w a n g . Er kann verschiedene Gestalten annehmen. — Wo er am schärfsten auftritt, erscheint er geradezu als g e w a l t same N ö t i g u n g : Gefängnis, Besserungsanstalt, Heer verbinden mit. der ihnen eigentümlichen Verfügung über den Menschen auch einen eingreifenden Zwang zur Benutzung ihrer Einrichtungen und Leistungen. Aber auch selbständig kann die Anstaltsbenutzung durch Gewaltanwendung herbeigeführt werden, namentlich aus polizeilichen Gründen: Absonderung von Seuchenverdächtigen, Zwangsheilung ansteckender Krankheiten, Unterbringung von Geisteskranken 20 . Gerade der letztgenannte Fall ist geeignet, die rechtliche Würdigung klarzustellen: Das Benutzungsverhältnis des durch die Polizei i n die Irrenanstalt Verbrachten ist dasselbe wie das des Mannes, der sich freiwillig dahin begeben hat. Nur i n bezug auf die Endigung kann sich Abweichendes ergeben; vgl. unten n. 5. — Es kann die Benutzung auch herbeigeführt werden durch E i n w i r k u n g a u f d e n W i l l e n dessen, der benutzen soll. Das kann auch wieder geschehen zu polizeilichen Zwecken, wo dann die Formen de& Polizeirechts zur Anwendung kommen: Polizeibefehl, Polizeistrafe, Ungehorsamsstrafe 21 . Außerhalb des Gebietes der Polizei bietet ein Hauptbeispiel der Schulzwang mit seinen Strafbestimmungen gegen die auf Verwaltungsvorschriften beruhende Anstaltsordnung. Das Verhältnis de® Briefabsenders zur Post geht m i t der Annahme des Briefes unter i n dem Massenbetrieb der Anstalt, der dafür sorgt, daß etwas Richtiges herauskommt, aber eben nach seinen Bedingungen. Insofern gleicht das Recht des Absenders, eher als dem des Klägers, dem des Wahlberechtigten: auch dieses erschöpft sich i n der Zulassung zur Wahl, der weitere Gang des Wahlverfahrens vollzieht sich ausschließlich nach Rücksichten staatlicher Ordnung. Vgl. oben Bd. I S. 110 Note 12. Etwas ganz anderes ist der i m zivilrechtlich geordneten Eisenbahntransportrecht geltende Kontrahierungszwang (H.G.B. § 453 Abs. 2). 20 Mangels einer besonderen gesetzlichen Grundlage kann hier das allgemeine polizeiliche Notstandsrecht zur Geltung kommen; vgl. oben Bd. I S. 296 ff. Die Bewahrung des so Eingebrachten i n der Anstalt geschieht aber dann nicht kraft Polizeigewalt, sondern kraft Anstaltsgewalt; vgl. unten § 52, I . — Daß i n all diesen Fällen der Zwang zur Anstaltsbenutzung nur stattfinden kann, wenn die Behörde auch die Möglichkeit hat, für den Gezwungenen die Zulassung zu bewirken,, versteht sich von selbst. Das ist aber eine Frage für sich und i n der Polizeigewalt nicht enthalten. 21 So die Polizeiverordnungen, welche die Benützung einer kommunalen Kadaververwertungsanstalt gebieten oder den Anschluß der Wohnhäuser an die städtische Wasserleitung: v. R o h r s c h e i d t , Gew.Ord. zu § 1 Anm. 22.

Besondere Empfänge.

'282

Erziehungsberechtigten 22.

So auch die U n t e r b r i n g u n g

des H i l f s b e -

d ü r f t i g e n i n einem A r m e n h a u s m i t A n w e i s u n g entsprechender A r b e i t u n d m i t A n d r o h u n g des Verlustes der U n t e r s t ü t z u n g i m F a l l e der Weigerung23. — E n d l i c h w i r d die B e n u t z u n g der öffentlichen A n s t a l t m i t t e l b a r d a d u r c h z u fördern sein, daß e i n V e r b o t ergeht, die Bedürfnisse, denen i h r e L e i s t u n g d i e n t , a u f a n d e r e W e i s e z u b e f r i e d i g e n , odersolches u n m i t t e l b a r v e r p ö n t w i r d (vgl. B d . I

S. 260f.).

Postzwang u n d der S c h l a c h t h a u s z w a n g

24

D a h i n gehört

der

.

4. D i e A n s t a l t , w e n n sie d u r c h die irgendwie geschehene Zulassung f ü r den E i n z e l f a l l i n Bewegung gesetzt w o r d e n ist, f ü g t diesen e i n i n 22

S c h n e i d e r und B r e m e n , Volksschule i m Preuß. R. I I I S. 37. Der Schulzwang bedarf stets einer selbständigen gesetzlichen Grundlage. Der Versuch, i h n unter den allgemeinen Begriff der Sicherheitspolizei zu bringen, als obrigkeitliche Tätigkeit zur Abwehr „der Gefahren der Unwissenheit" (P ö ζ 1, Grundriß zu Vorlesungen über Polizei S. 19), kann doch bloß als rechtsgeschichtliche Merkwürdigkeit angesehen werden. Auf die Erzielung von Nützlichkeiten ist es hier abgesehen, und das ist allerwege keine Polizei; vgl. oben Bd. I S. 209, 225. 23 E g e r , Unterst.Wohns.Ges., zu § 1 Anm. 7. 24 Postges. § 1, § 27 Abs. 1 Ziff. 1; Gew.Ord. § 23 Abs. 2; Preuß. Schlachthausges. v. 9. März 1881 § 1 Abs. 1, § 14. Das Postges. hat eine doppelte Spitze: gegen den Unternehmer, der Wettbewerb machen wollte, und gegen den Benutzer, der die Dienste, welche die Post zu leisten bestimmt ist, sich anderweit verschafft e a m t e I S. 299; Vollstreckungsbehörden I S. 375. V o r e n t s c h e i d u n g I S. 194. Vorfrage fremder Zuständigkeit I S. 178, 184. W. W a f f e n g e b r a u c h I S. 306. W a h l von Körperschaftsvertretern I I S. 371; Wahlämter I I S. 376. W i d m u n g der öff. Sache I I S. 58. W i l l e der jur. Pers. I I S. 323f. W i r k u n g s k r e i s der Gemeinde I I S. 378; eigener und übertragener Π S. 362. W o h l e r w o r b e n e R e c h t e I S. 31. Z. Z e u g e n p f l i c h t I I S. 221. Z i v i l r e c h t , Anwendbarkeit auf Verwaltung I S. 115. Z o l l I S. 326, 339. Z u r ü c k n a h m e des Polizeibefehls I S. 239; der Erlaubnis I S. 254. Zuständigkeit der Zivilgerichte gegenüber der Verwaltung I S. 172. Z w a n g s b e i t r e i b u n g I S. 371. Z w a n g s d i e n s t p f l i c h t I I S. 167. Z w a n g s e i n s c h r e i b u n g I I S. 402. Z w a n g s g e n o s s e n s c h a f t I I S. 345. Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g gegen den eigenen S t a a t I I S. 380f.; gegen den f r e m d e n Staat I S. 381 Note 23. Z w e c k v e r b a n d I I S. 382.