Designed to persuade: Mechanismen zur Beeinflussung von Verhalten verantwortungsvoll gestalten 3658419229, 9783658419226, 9783658419233

Den Stromverbrauch senken, den Abfall recyclen, den «Jetzt kaufen»-Button drücken - menschliches Verhalten wird beinahe

107 28 3MB

German Pages 101 Year 2023

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
1 Verhalten verstehen
1.1 Was ist Persuasives Design?
1.2 Persuasives Design heute: Das FBM-Modell von Fogg
1.3 Ein Blick zurück: Historische Erklärungsansätze
1.3.1 Verhaltensbiologische Ansätze
1.3.2 Kognitivismus und die Theorie des sozial-kognitiven Lernens
1.4 Motivation verstehen
1.5 Fazit
Literatur
2 Verhaltensänderung verstehen
2.1 Verstärkung
2.2 Modelllernen
2.3 Zentrale und periphere Verarbeitungswege
2.3.1 Zentral-analytische Route
2.3.2 Peripher-oberflächliche Route
2.3.3 Gestaltung der Verarbeitungsrouten-Wahl
2.3.4 Gestaltungsart der Botschaft
2.4 Soziale Norm und Fähigkeit
2.5 Sozialer Einfluss
2.6 Gestaltung der Aufgabe
2.7 Verhaltensauslösende Trigger
2.8 Fazit
Literatur
3 Verhaltensänderung gestalten
3.1 Das SANKT-Modell der Verhaltensänderungsgestaltung
3.1.1 Sendende
3.1.2 Aufgabe
3.1.3 Nutzende
3.1.4 Kontext
3.1.5 Trigger
3.2 Verhaltensauslösende Trigger
3.2.1 Mit Bezug zu Nutzenden-Charakteristika
3.2.2 Mit Bezug zu Sendenden-Charakteristika
3.2.3 Mit Bezug zu den Aufgaben-Charakteristika
3.2.4 Mit Bezug zum sozialen und technologischen Kontext
3.3 Design-Strategien für die Verhaltensgestaltung
3.3.1 Grundprinzipien persuasiver Systeme
3.3.2 Planung von Verhaltensgestaltung entlang der User Journey
3.4 Fazit
Literatur
4 Persuasive Design Toolkit
4.1 Die drei Phasen des Persuasive Design Toolkit
4.1.1 Phase 1: Sendende, Nutzende und erwünschtes Verhalten im Kontext analysieren
4.1.2 Phase 2: Erwünschtes Verhalten kategorisieren und effektive Umsetzungsideen generieren
4.1.3 Phase 3: Auslöser verorten und strategisch ausrichten
4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten
4.2.1 Facilitator Trigger
4.2.2 Signal Trigger
4.2.3 Spark Trigger
4.3 Anwendungsbeispiel
Literatur
5 Ethische Aspekte
Literatur
Recommend Papers

Designed to persuade: Mechanismen zur Beeinflussung von Verhalten verantwortungsvoll gestalten
 3658419229, 9783658419226, 9783658419233

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Esther Federspiel Andreas Peter

Designed to persuade Mechanismen zur Beeinflussung von Verhalten verantwortungsvoll gestalten

Designed to persuade

Esther Federspiel · Andreas Peter

Designed to persuade Mechanismen zur Beeinflussung von Verhalten verantwortungsvoll gestalten

Esther Federspiel Institut für Informations- und Prozessmanagement IPM Ostschweizer Fachhochschule St. Gallen, Schweiz

Andreas Peter Institut für Innovation, Design und Engineering IDEE Ostschweizer Fachhochschule St. Gallen, Schweiz

ISBN 978-3-658-41922-6 ISBN 978-3-658-41923-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-41923-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Barbara Roscher Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Den Stromverbrauch senken, den Abfall recyclieren, die Website-Cookies akzeptieren, den «Jetzt kaufen»-Button drücken – menschliches Verhalten wird beinahe überall und jederzeit beeinflusst. Manchmal in guter Absicht, manchmal nicht. Die Frage stellt sich deshalb immer drängender, wie Mechanismen zur Beeinflussung von Verhalten erkannt und verantwortungsvoll gestaltet werden können. Unter dem Begriff des «Persuasive Design» hat sich in den vergangenen Dekaden in der Wissenschaft ein beachtlicher Wissenskörper gebildet. Einige Erkenntnisse daraus haben den Weg in die Anwendungspraxis geschafft. Vieles scheint aber nach wie vor das esoterische Wissen weniger Eingeweihter zu bleiben. Dieses Buch versucht hier Abhilfe zu schaffen. Dazu wird zunächst ausgeführt, was aktuell über menschliches Verhalten, Verhaltensänderung und die Gestaltung von Verhaltensänderung bekannt ist. Im Anschluss wird aufgezeigt, wie diese Erkenntnisse mittels eines auf den entsprechenden wissenschaftlichen Grundlagen entwickelten Werkzeugkastens in der Praxis angewendet werden können. Die folgenden Kapitel bieten einen Einblick in einen strukturierenden Werkzeugkasten, dem Persuasive Design Toolkit, zur interdisziplinären Anwendung zentraler Verhaltensänderungs-Mechanismen in der Gestaltung digitaler oder analoger Lösungen. Dieses Buch differenziert sich von ähnlichen Publikationen zu persuasiven Design-Mustern (sogenannten Persuasive Patterns) durch seine theoriebasierte Struktur, die entlang des Werkzeugkastens durch die Entwicklung einer verhaltensgestaltenden Design-Lösung führt. Diese setzt die Design-Muster in Bezug zum Botschaftssender, dem Nutzenden und der UserJourney, ordnet sie entlang ihrer Funktionen ein und inspiriert für neue oder weiterentwickelte, nutzerfreundliche und effektive Design-Lösungen.

V

VI

Vorwort

Die persuasiven Design-Muster sind so konkret wie möglich und so abstrakt wie nötig gehalten, um auf breit gefächerte Kontexte wie E-Commerce, Marketing, Gesundheit, ökologische Nachhaltigkeit und vieles mehr anwendbar zu sein. Der Prozess bringt interdisziplinäre Teams von Produkt-Designerinnen und -Designern, Marketingfachleuten, Customer-Experience-Designerinnen und -Designer, Software-Entwicklerinnen und -Entwicklern und Fachexpertinnen und -experten zusammen und hilft ein Produkt so zu entwickeln oder zu optimieren, dass es sowohl Nutzende wie auch Unternehmen bereichert und Verhaltensziele fokussiert erreicht werden können. Für Praktikerinnen und Praktiker empfiehlt sich der direkte Einstieg in Kap. 4, in welchem das Persuasive Design Toolkit mit den Workshop Canvas und den dazugehörigen Komponenten vorgestellt werden. Für Lesende, die sich für die wissenschaftlichen Grundlagen interessieren, empfiehlt sich der Einstieg bei den Kap. 1 und 2; dort werden die Komponenten des Canvas systematisch aus den Feldern der Verhaltensbiologie und -psychologie und der Persuasionsforschung hergeleitet. Im Kap. 3 werden bereits bekannte PersuasiveDesign-Ansätze erörtert und zu einem eigenen Modell erweitert, das in das persuasive Design Toolkit integriert wird. Abschliessend beleuchtet dieses Buch die ethischen Aspekte. Damit bietet es einen praxisfokussierten und wissenschaftlich fundierten Blick auf das Thema der Verhaltensänderungsgestaltung – und damit idealerweise den Anreiz, das Gelesene in der eigenen Arbeit umzusetzen. Esther Federspiel Andreas Peter

Danksagung

Die in diesem Buch zusammengefassten Erkenntnisse sind im Rahmen eines mehrjährigen, von der Innosuisse (Schweizerische Agentur für Innovationsförderung) geförderten, Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit dem Forschungspartner Frontify AG entstanden. In diesem Zusammenhang danken wir insbesondere Daniel Demel, Rick Hummel, Willem Haen und Roger Dudler von Frontify AG. Danken möchten wir auch den rund 15 Unternehmen, Expertinnen und Experten aus der Schweiz und dem Ausland, die mit uns das Toolkit auf seine Anwendbarkeit hin geprüft haben. Darunter waren Leitende von Customer-Experience-Abteilungen, Teilhabende von Werbeagenturen sowie leitende Designschaffende und Produktgestaltende von Grossunternehmen. Ebenfalls gilt unser Dank Dr. André Briw und Dr. Matthias Albisser des Forschungspartners Hochschule Luzern HSLU für ihren wertvollen Beitrag zum Projektergebnis. Auch zu danken haben wir unseren Kolleginnen an der Ostschweizer Fachhochschule OST: Ulrike Rosenbaum, die uns das Buch lektoriert hat und Lea Sonderegger, die uns beim Satz des Buches unterstützt hat. Sowie dem Institut für Innovation, Design und Engineering IDEE-OST. Ohne sie und auch die Unterstützung unserer Freunde und Familien (insbesondere Henri, der uns während der Schreibarbeit mit aussergewöhnlich viel Geduld begegnet ist) wäre dieses Buch nicht entstanden.

VII

Inhaltsverzeichnis

1 Verhalten verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Was ist Persuasives Design? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Persuasives Design heute: Das FBM-Modell von Fogg . . . . . . . . . 1.3 Ein Blick zurück: Historische Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Verhaltensbiologische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1.1 Triebtheorie von Konrad Lorenz . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1.2 Behaviorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Kognitivismus und die Theorie des sozial-kognitiven Lernens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Motivation verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 2 3 3 3 5 6 8 9 10

2 Verhaltensänderung verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Verstärkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Modelllernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zentrale und periphere Verarbeitungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Zentral-analytische Route . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Peripher-oberflächliche Route . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Gestaltung der Verarbeitungsrouten-Wahl . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.1 Fördern der analytischen Route . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.2 Fördern der peripheren oberflächlichen Route . . . 2.3.4 Gestaltungsart der Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Soziale Norm und Fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Sozialer Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Gestaltung der Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13 14 15 16 16 19 19 20 20 21 23 25

IX

X

Inhaltsverzeichnis

2.7 Verhaltensauslösende Trigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 27 29

3 Verhaltensänderung gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Das SANKT-Modell der Verhaltensänderungsgestaltung . . . . . . . . 3.1.1 Sendende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Nutzende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Trigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Verhaltensauslösende Trigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Mit Bezug zu Nutzenden-Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Mit Bezug zu Sendenden-Charakteristika . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Vertrauen als Vereinfacher und Motivator mit folgenden Auslösern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2 Soziale Rolle (social role) als Vereinfacher und Motivator mit folgenden Auslösern . . . . . . . . 3.2.3 Mit Bezug zu den Aufgaben-Charakteristika . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Mit Bezug zum sozialen und technologischen Kontext . . . 3.2.4.1 Technologischer Kontext: Vereinfachende und motivierende Verhaltensauslöser . . . . . . . . . . . 3.2.4.2 Sozialer Kontext: Vereinfachende und motivierende Verhaltensauslöser . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Design-Strategien für die Verhaltensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Grundprinzipien persuasiver Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Planung von Verhaltensgestaltung entlang der User Journey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 34 35 35 35 36 36 37 38

4 Persuasive Design Toolkit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die drei Phasen des Persuasive Design Toolkit . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Phase 1: Sendende, Nutzende und erwünschtes Verhalten im Kontext analysieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Phase 2: Erwünschtes Verhalten kategorisieren und effektive Umsetzungsideen generieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Phase 3: Auslöser verorten und strategisch ausrichten . . . . 4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Facilitator Trigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39 40 41 42 42 43 45 46 46 48 49 51 53 53 57 63 65 65

Inhaltsverzeichnis

XI

4.2.2 Signal Trigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Spark Trigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Anwendungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71 73 80 90

5 Ethische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91 93

1

Verhalten verstehen

Zusammenfassung

Um Verhaltensänderungsdesign anwenden zu können, ist ein grundlegendes Verständnis darüber wichtig, was Verhaltensänderungsdesign ist und wie Verhalten entsteht. Das folgende Kapitel erklärt den Begriff „Persuasives Design“ und legt dann, entlang der historischen Entwicklung dar, was Verhalten ist und wie es ausgelöst werden kann.

Um Verhaltensänderungsdesign und die dazugehörigen persuasiven DesignMuster strukturiert verstehen und anwenden zu können, braucht es zunächst ein Verständnis davon, was Verhalten ist und welche Komponenten Verhalten auslösen. Dieses Kapitel zeigt, welche Komponenten historischer Verhaltenstheorien heute noch relevant sind, und das aktuelle Verständnis von Verhalten beeinflussen.

1.1

Was ist Persuasives Design?

Unter persuasivem Design1 beziehungsweise unter Verhaltensgestaltung wird eine Teildisziplin der Design-Profession verstanden, die darauf abzielt, das Verhalten oder die Einstellungen von Menschen zu ändern oder zu stärken (Fogg,

1

In diesem Buch werden die Begriffe persuasives Design und Verhaltensänderungsgestaltung synonym verwendet.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Federspiel und A. Peter, Designed to persuade, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41923-3_1

1

2

1 Verhalten verstehen

2002). Dazu werden Design-Prinzipien und -Techniken genutzt, um das Verhalten von Nutzerinnen und Nutzern in eine bestimmte Richtung zu lenken (Oinas-Kukkonen & Harjumaa, 2009). Persuasives Design, das teilweise auch überzeugendes Design genannt wird, ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das unterschiedliche Disziplinen und Bereiche integriert. Zahlreiche Prinzipien basieren auf Erkenntnissen aus der Psychologie und aus der Kommunikationswissenschaft (Fogg, 2002). In der Praxis wird dieser aktuelle Wissenskörper über menschliches Verhalten und die Wirkung von Botschaften genutzt, um das Design von Produkten, Dienstleistungen und Erlebnissen zu verbessern.

1.2

Persuasives Design heute: Das FBM-Modell von Fogg

Für das Design interaktiver digitaler Anwendungen wird heute am häufigsten auf das Verhaltensmodell von Fogg, das Fogg Behavior Model (FBM) zurückgegriffen. Fogg erklärt Verhalten als Kombination einer genügend hohen Motivation (Motivation) mit einer genügend hohen Fähigkeit (Ability), das mit Hilfe eines Auslösers (Prompt) angestossen wird (Fogg, 2009). Unter Motivation versteht Fogg den Drang, das Verhalten ausführen zu wollen. Mit Fähigkeit meint Fogg, ob eine Person die Kompetenz und die Möglichkeit besitzt, ein Verhalten auszuführen. Ist sowohl die Motivation als auch die Fähigkeit ein Verhalten zu zeigen, sehr tief, kommt das Verhalten trotz Vorhandensein eines Auslösers, kaum zustande (Fogg, 2009). Auf Basis einer ausführlichen Erörterung von verhaltenstheoretischen Grundlagen und Verhaltensänderungsansätzen erweitert und differenziert dieses Buch das FBM-Modell von Fogg und entwickelt eine eigene Ordnungsstruktur (vgl. Abschn. 3.1, das SANKT-Modell der Verhaltensänderungsgestaltung). Die kognitiven Vorgänge, der soziale Kontext und die sozialen Beeinflussungsmöglichkeiten, sowie unmittelbare physiologische und psychologische Zustände, die im FBM-Model nur sehr verkürzt behandelt werden, gehen in die Überlegungen ein. Auch die Fähigkeit wird unter Berücksichtigung psychologischer Variablen, wie der Selbstwirksamkeitserwartung2 , ausdifferenziert. Die für die Einstellungsänderung wesentlichen unterschiedlichen Verarbeitungsrouten 2

Selbstwirksamkeitserwartung bezieht sich auf die Überzeugung einer Person, dass sie in der Lage ist, bestimmte Aufgaben erfolgreich auszuführen und Herausforderungen zu bewältigen. Es ist ein zentraler Begriff in der Selbstregulation und Selbststeuerung und beeinflusst maßgeblich das Verhalten und die Handlungen einer Person (Bandura, 1977).

1.3 Ein Blick zurück: Historische Erklärungsansätze

3

von Informationen werden zusätzlich berücksichtigt. Zudem beziehen sich die Überlegungen dieses Buches sowohl auf analoge als auch auf digitale Anwendungen.

1.3

Ein Blick zurück: Historische Erklärungsansätze

Das FBM-Modell von Fogg (2009) ist eine gute Ausgangslage, vertiefter über Verhalten nachzudenken. Gibt es aus der Verhaltenspsychologie oder -biologie weitere Faktoren, die neben Motivation, Fähigkeit und Auslöser Verhalten erklären können? Und wie hat sich die Erklärung von Verhalten theoretisch entwickelt? Die Antworten auf diese Fragen helfen, Verhaltensänderungsgestaltung strukturiert und systematisch zu beschreiben und zu verstehen.

1.3.1

Verhaltensbiologische Ansätze

Die Verhaltensbiologie hat sich als erster Wissenschaftszweig mit dem menschlichen Verhalten auseinandergesetzt. Als interdisziplinäres Fachgebiet hat diese dabei nicht nur biologische, sondern auch evolutionäre, ökologische und psychologische Aspekte des Verhaltens untersucht (Eibl-Eibesfeldt, 1970). Obwohl sich die Theorien bis heute weiterentwickelt haben, bieten die Ursprungstheorien Hinweise zu Verhaltensaspekten, die im Kontext des Verhaltensänderungsdesigns bis heute nichts an Relevanz verloren haben. Im Folgenden werden die einflussreichsten Denkschulen beleuchtet: die Triebtheorie und der Behaviorismus.

1.3.1.1 Triebtheorie von Konrad Lorenz Die Triebtheorie von Lorenz und Tinbergen ist eine der ersten Verhaltenstheorien in der Verhaltensbiologie (Burkhardt, 2005). Sie postuliert, dass menschliches Verhalten durch bestimmte innere Bedürfnisse und Triebe motiviert ist, die auf vererbten Grundbausteinen basieren. Das Verhalten wird in der Triebtheorie als Ergebnis von Reizen verstanden, die primär von innen kommen (Alcock, 2009). Als innere Reize werden dabei Wirkursachen, evolutionsbiologische Zusammenhänge und individuelle Erfahrungen unterschieden (Alcock, 2009): a) Wirkursachen (proximate Faktoren), bezeichnen unmittelbare innere Faktoren; innere physiologische oder neuronale/psychologische Prozesse, die das Verhalten des menschlichen Organismus beeinflussen.

4

1 Verhalten verstehen

Beispiel: Ein Lachen z. B. löst die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter wie Serotonin oder Dopamin aus und belohnt über das limbische System unter anderem die soziale Interaktion, in der Lachen stattfindet. In der Praxis sind überraschende Belohnungen, wie ein unerwartetes Zimmer-Upgrade im Hotel oder ein anerkennendes Lob der Chefin in der Kaffeepause, ein Faktor, der die Dopaminausschüttung erhöht. b) Evolutionsbiologische Zusammenhänge (ultimate Faktoren), beschreiben anpassungsbedingt erlernte Verhaltensweisen einer bestimmten Art. Gemäss der natürlichen Selektion können sich bestimmte Gene verstärkt oder Verhaltensprogramme in einer Stammesgeschichte verankert haben, welche das individuelle Verhalten in der Gegenwart beeinflussen. Beispiel: Nach aktueller wissenschaftlicher Anschauung ist die Schaukelbewegung von Primaten ein Beispiel für einen ultimaten Faktor. Dieses Verhalten wurde vermutlich entwickelt, um Muskeln und Knochen zu stärken und die Fähigkeit zu verbessern, auf Bäume zu klettern und vor Feinden zu fliehen. c) Individuelle Erfahrungen früher gezeigter Verhaltensweisen sind Bestandteile eines erworbenen, persönlichen Entwicklungsnarrativs, das Verhalten in der Gegenwart beeinflussen kann. Beispiel: Ein häufig zu beobachtendes Beispiel für den Einfluss individueller Erfahrungen sind jene Personen, die sich mit einem verdorbenen Lachsbrot eine Nahrungsmittelvergiftung zugezogen haben und in Zukunft rohen Lachs wahrscheinlich meiden. 

Key Take-Aways zur Triebtheorie Ausgehend von Konrad Lorenz’

Triebtheorie sind also für innere physiologische oder neuronale/ psychologische Prozesse anpassungsbedingte Verhaltensprogramme sowie individuelle Erfahrungen verhaltensleitend. So kann eine Wirkursache mit einem physiologischen oder psychologischen Zustand grossen Einfluss darauf nehmen, wie offen jemand für ein Verhalten ist. Es ist beispielsweise wenig förderlich, einen Hinweisreiz für ein Tool-Onboarding im Mittagstief zwischen 13 und 15 Uhr zu platzieren. Hingegen kann eine Werbeschaltung in der Filmpause eines Actionstreifens aufgrund der inneren emotionalen Erregung zu einem Impulskauf animieren. Evolutionsbiologische Zusammenhänge können uns dabei helfen, Verhalten besser zu verstehen und Verhalten entsprechend zu gestalten. So kann die vielbekannte Abwehr von Neuem (vor allem Gemüse) bei Kleinkindern in Autonomiephasen als evolutionsbiologischer Zusammenhang verstanden werden. Sie schützt Kinder

1.3 Ein Blick zurück: Historische Erklärungsansätze

5

vor unbekannten Giftpflanzen, wenn sie vom beschützten Zuhause autonomer werden. Wird der grüne Spinat in einen roten Smoothie gemixt, kann das Problem behoben werden. Auch der Blick auf die persönlichen Erfahrungen hilft, initiales Verhalten besser zu verstehen. Zudem müssen Menschen individuell angesprochen werden, damit Verhalten ausgehend von ihrer spezifischen Situation gefördert werden kann. Die weitverbreitete Nutzung von Wearables und mobilen Technologien eröffnet in diesem Kontext neue Möglichkeiten der Datensammlung; diese hilft, verhaltensunterstützende Massnahmen datenbasiert auf die jeweiligen Nutzenden zuzuschneiden (We Are Social & Hootsuite, 2022). Werden innere Bedürfnisse und Triebe, die den Nutzenden oft wenig bewusst sind, von Designern bespielt, ist es besonders wichtig, ethische und moralische Überlegungen zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass das Verhalten nicht in unethischer oder schädlicher Weise beeinflusst wird (vgl. auch Kap. 5).

1.3.1.2 Behaviorismus Ein weiterer einflussreicher Ansatz der Verhaltensbiologie ist der Behaviorismus, der in den 1920er Jahren vom US-amerikanischen Psychologen John B. Watson begründet wurde (Watson, 1913). Der Ansatz ist bereits über 100 Jahre alt und es wurden teilweise ethisch problematische Experimente verwendet (vgl. das unter dem Namen «Little Albert» bekannte Experiment, siehe unten). Trotzdem wird die Logik von Förderung und Löschung von Verhalten durch Belohnen und Bestrafen noch heute in zahlreichen Lernkontexten verwendet. Kern des Behaviorismus ist, dass Verhalten als Reiz-Reaktionsschema mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht wurde. Innere (z. B. kognitive) Vorgänge wurden dabei explizit als sogenannte Black Box ausser Acht gelassen, da sie nicht objektiv messbar waren. Die mit Hilfe von Assoziationen erreichten Lerneffekte, die Watson und später auch Skinner (Watson, 1913; Skinner, 1938) unter den Begriffen klassische und operante Konditionierung untersuchten, spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle, wenn es um Verhaltensgestaltung geht. Unter klassischer Konditionierung wird die Kombination eines Reizes mit etwas Angenehmen oder Unangenehmen verstanden. Bekannt ist hier vor allem das – heute ethisch nicht mehr haltbare – Experiment mit dem kleinen Albert. Das Experiment fusst auf den Vorarbeiten von Pavlov (1902, 1928). Darin wurde einem Hund Essen dargeboten und gleichzeitig ein Glöcklein geläutet. Mit der Zeit kam der Speichelfluss des Hundes bereits

6

1 Verhalten verstehen

beim Läuten des Glöckleins ohne Futter in Gang. Bei Zweiterem wurde einem 11-monatigen Kleinkind, Albert, Angst beigebracht. Dem Kleinkind wurden nacheinander eine brennende Zeitung, ein kleiner Affe, ein Hund, eine Ratte, ein Kaninchen, ein Pelzmantel und schliesslich Watson mit haariger Nikolausmaske gezeigt. Während das Kind anfänglich gleichgültig auf diese Reize reagierte, wurde in der Folge während des Zeigens mit einem Hammer auf eine Eisenstange geschlagen. Das Geräusch erschreckte den kleinen Knaben und festigte die Angst-Assoziation gegenüber den zuvor neutralen Reizen. 

Key Take-Aways zum Behaviorismus Der Behaviorismus hatte einen

grossen Einfluss auf die Verhaltensforschung und wurde in den folgenden Jahrzehnten von anderen Psychologen wie B.F. Skinner mit Ansätzen der Verhaltensverstärkung bzw. -löschung (klassische und operante Konditionierung) weiterentwickelt. Der Behaviorismus brachte vor allem hinsichtlich der Hebel, die Verhaltensänderung befördern können, spannende Erkenntnisse. Ausgehend von Watsons Behaviorismus spielen neben den hier genannten inneren Reizen auch die äusseren Reize eine wesentliche Rolle, wenn es um Verhaltensauslösung oder -verhinderung geht. Strategien wie Gamification beschäftigen sich primär mit solchen äusseren Reizen beziehungsweise Anreizen, die zu Verhalten führen können. Der Ansatz von Fogg geht hier noch einen Schritt weiter, indem er die äusseren Anreize nicht nur auf motivationaler Ebene sieht (hier wären Belohnungen und Bestrafungen einzuordnen), sondern auch auf der Fähigkeits- und Erinnerungsebene.

1.3.2

Kognitivismus und die Theorie des sozial-kognitiven Lernens

Abgeleitet aus den historischen Theorien waren inzwischen die inneren Reize bekannt, welche einen Einfluss darauf haben, wie ein Individuum auf äussere Reize reagiert. Es war zudem bekannt, dass durch die Kombination zweier Reize eine Assoziation geschaffen werden kann und mit Hilfe von positiven und negativen Anreizen Verhalten verstärkt oder gelöscht wird. Offen war aber nach wie vor, wie die im Behaviorismus bewusst ausser Acht gelassene Black Box aussieht und was dort passiert.

1.3 Ein Blick zurück: Historische Erklärungsansätze

7

Mit dieser Fragestellung hat sich der Kognitivismus auseinandergesetzt, der in den 1960er- und 70er-Jahren den Behaviorismus zunehmend abgelöst hat. Der psychologische Ansatz beruht hier nicht mehr auf nicht beeinflussbaren äusseren und inneren Reizen, auf den der Organismus reagiert, sondern auf der Funktion und Rolle mentaler Prozesse in Bezug auf das Verhalten. Miller (1956) war einer der ersten Wissenschaftler, der die Bedeutung von mentalen Prozessen für das Verständnis von menschlichem Verhalten betont hat. Im Kognitivismus spielt ausserdem der Begriff des reziproken Determinismus eine wichtige Rolle. Dieser besagt, dass das Verhalten (Behavior), die Umwelt (Environment) und die kognitiven Prozesse des Individuums (Person) in einem Wechselverhältnis stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Als Goldstandard-Beispiel des reziproken Determinismus werden vor allem die Arbeiten des kanadisch-amerikanischen Psychologen Albert Bandura herangezogen. Er hat in den 1950er und 1960er Jahren die Theorie des «sozial-kognitiven Lernens» entwickelt, die auf dem Konzept des reziproken Determinismus basiert (Bandura, 1976, 1986; Verres & Bandura, 1979). Die Kernaussage der Theorie ist, dass Menschen insbesondere durch Beobachtung und Interaktion im sozialen Kontext lernen. In diesem Prozess werden personenbezogene, verhaltensbezogene und umweltbezogene Faktoren aktiviert: 1. Personenbezogene Faktoren: Mit personenbezogenen Faktoren sind individuelle Merkmale wie Kognitionen (Wahrnehmung, Gedächtnis und Problemlösung), Motivationen und Emotionen gemeint. 2. Verhaltensbezogene Faktoren: Damit beschreibt Bandura eigene Fähigkeiten und persönliche Erfahrungen, die einen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie das Verhalten einer anderen Person beobachtet und bewertet wird, und wie es von anderen bestätigt oder korrigiert wird. 3. Umweltbezogene Faktoren: Hier sind physische und soziale Umstände gemeint, in welchen das Verhalten stattfindet. Der Aspekt des Modelllernens als wichtiger Aspekt der sozial-kognitiven Lerntheorie von Bandura wird im nächsten Kapitel, in dem es um Verhaltensänderungsansätze geht, ausführlicher behandelt. 

Key Take-Aways zum Kognitivismus Der Kognitivismus und die sozial-kognitive Lerntheorie zeichnen das umfassendste Bild von Verhalten. Neben biologischen inneren Reizen differenziert die Theorie personenbezogene Faktoren mit individuellen Merkmalen, wie Kognition, Motivation und Emotion, weiter aus. Sie nimmt

8

1 Verhalten verstehen

Fähigkeiten und persönliche Erfahrungen in den Blick, die das Modelllernen beeinflussen haben und ergänzt die in der Verhaltensbiologie erörterten inneren physischen Zustände mit sozialen Aspekten als Umweltfaktoren.

1.4

Motivation verstehen

Motivation wird sowohl im FBM-Modell von Fogg (2009), wie auch in der Theorie des sozial-kognitiven Lernens von Bandura als wesentlicher Faktor für die Erklärung von Verhalten eingeführt. Werden die Erkenntnisse der verhaltensbiologischen Ansätze mit jenen des Kognitivismus ergänzt und verdichtet, ergibt sich als verhaltensauslösende Faktoren eine Kombination äusserer und innerer Determinanten. Diese Perspektive teilen auch Heckhausen und Heckhausen und erklären Motivation ebenfalls „als Produkt von Person und Situation“ (Heckhausen & Heckhausen, 2010) (vgl. Abb. 1.1). Motivation als „Streben nach Wirksamkeit“ und die „Organisation des Handelns“ kommen also dann zustande, wenn Gelegenheiten und mögliche Anreize auf die passenden Bedürfnisse, Motive und Ziele einer Person treffen.

Abb. 1.1 Motivationsmodell. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Heckhausen & Heckhausen, 2010 (reprint mit freundlicher Genehmigung der Springer Publishing Company))

1.5 Fazit



9

Key Take-Aways zur Motivation Motivation kommt durch das Zusam-

mentreffen bestimmter Motive zustande, z. B. ein Leistungsmotiv mit dem Anreiz Leaderboard. Es ist zu beachten, dass Menschen über unterschiedliche Motive verfügen und je nach Motiv auf unterschiedliche Anreize ansprechen. Einen motivierenden UniversalAnreiz gibt es nicht.

1.5

Fazit

Die Theorie des sozial-kognitiven Lernens von Bandura (als exemplarisches Beispiel des Kognitivismus), die Triebtheorie von Lorenz als Ursprungstheorie der Verhaltensbiologie und der Behaviorismus, mit seinem Blick auf die von Aussen kommenden Reize, betrachten alle relevanten Aspekte des Verhaltens und erklären dieses in unterschiedlicher Weise. Ihr Verstehen ist deshalb die Basis für die Entwicklung von verhaltensanstossender Gestaltung. Die Theorie des sozial-kognitiven Lernens betont die Interaktion zwischen personenbezogenen Faktoren und Verhaltens- und Umwelteigenschaften und sieht vor allem auch mentale Prozesse als wesentlich für das Zustandekommen von Verhalten an. Dies ganz im Gegensatz zum Behaviorismus, der mentale Prozesse auf die Informationsverarbeitung reduziert und als «Black Box» gänzlich ausblendet und Verhalten lediglich als Ergebnis von Umweltreizen sieht, das mit Belohnung oder Bestrafung gesteuert werden kann. Dem gegenüber steht die Triebtheorie von Lorenz, der den Verhaltensmotor vor allem in der Beeinflussung durch instinktive Triebe und Bedürfnisse des Individuums sieht, die auf Fortpflanzung und Überleben der Art ausgerichtet ist. Alle genannten Theorien haben aufgrund ihrer spezifischen Perspektive in Bezug auf das Thema Verhalten heute noch Relevanz. B. J. Fogg fasst diese relevanten Elemente in einem vereinfachten Modell zusammen, indem er personale Faktoren unter Motivation und Fähigkeit subsummiert, verhaltensbezogene Faktoren ebenfalls bei Fähigkeiten unterbringt und verhaltensanstossende Reize von aussen als Trigger beziehungsweise Prompts subsummiert. 

Key Take-Aways zu ,Verhalten verstehen‘ Für verhaltengestaltendes

Design bedeuten die Theorien, dass sowohl personenbezogene Faktoren, verhaltensbezogene Faktoren sowie auch Umweltfaktoren in die Überlegungen einbezogen werden sollten – und dass diese Faktoren in einer gegenseitigen Wechselwirkung stehen.

10

1 Verhalten verstehen

Werden die verschiedenen Perspektiven kombiniert, kann unter den einzelnen Faktoren Folgendes verstanden werden: • Personenbezogene Faktoren: Emotionen, Kognitionen, biologische Merkmale, wie innere physiologische oder neuronale/ psychologische Prozesse und die Motivation. • Verhaltensbezogene Faktoren: Eigene Fähigkeiten und persönliche Erfahrungen, die einen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie das Verhalten einer anderen Person beobachtet und bewertet wird, und wie es von anderen bestätigt oder korrigiert wird. • Umweltbezogene Faktoren: Physische und soziale Umstände, in denen das Verhalten stattfindet, Anreize und Trigger, die von Aussen Verhalten verstärken oder befähigen, motivieren, erinnern oder löschen.

Literatur Alcock, J. (2009). Animal behavior: An evolutionary approach (9. Aufl.). Sinauer Associates. Bandura, A. (1976). Lernen am Modell: Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie (1. Aufl.). Klett. Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84(2), 191–215. Bandura, A. (1986). Social foundations of thought and action: A social cognitive theory. Prentice-Hall series in social learning theory. Prentice-Hall. Burkhardt, R. W. (2005). Patterns of behavior: Konrad Lorenz, Niko Tinbergen, and the founding of ethology. University of Chicago Press. Eibl-Eibesfeldt, I. (1970). Ethology – The biology of behavior. Holt Rinehart and Winston. Fogg, B. J. (2002). Persuasive technology: Using computers to change what we think and do. Morgan Kaufmann Publishers. Fogg, B. J. (2009). A behavior model for persuasive design. In Proceedings of the 4th International Conference on Persuasive Technology – Persuasive ’09. ACM Press. Heckhausen, J., & Heckhausen, H. (2010). Motivation und Handeln: Einführung und Überblick. In J. Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Springer-Lehrbuch. Motivation und Handeln (4. Aufl., S. 1–9). Springer. Miller, G. A. (1956). The magical number seven, plus or minus two: Some limits on our capacity for processing information. Psychological Review, 63(2), 81–97. Oinas-Kukkonen, H., & Harjumaa, M. (2009). Persuasive systems design: Key issues, process model, and system features. Communications of the Association for Information Systems, 24.

Literatur

11

Pavlov, I. (1902). The work of the digestive glands, translated by William H. Thompson. Charles Griffin & Company. Pavlov, I. (1928). Lectures on conditioned reflexes (translated and edited by WH Gantt). International Publishers. Skinner, B. F. (1938). The behavior of organisms: An experimental analysis. AppletonCentury-Crofts Inc. Verres, R., & Bandura, A. (Hrsg.). (1979). Konzepte der Humanwissenschaften. Sozialkognitive Lerntheorie (H. Kober, Trad.) (1. Aufl.). Klett-Cotta. Watson, J. B. (1913). Psychology as the behaviorist views it. Psychological Review, 20(2), 158–177. We Are Social & Hootsuite. (2022). Digital 2022: Global Overview Report.

2

Verhaltensänderung verstehen

Zusammenfassung

In diesem Kapitel geht es darum zu verstehen, wie Verhalten verändert werden kann. Die Theorie besagt, dass Verhaltensänderungsgestaltung bei der Umwelt ansetzen kann, bei der Verhaltensaufgabe, bei den SendendenCharakteristiken, bei der Botschaftsgestaltung und bei den sozialen Mechanismen. In diesem Kapitel werden die Hebel für Verhaltensgestaltung entlang der Theorien zu den zentralen und peripheren Verarbeitungswegen, zu den sozialen Beeinflussungsmechanismen und zu den Theorien zur Aufgabengestaltung entwickelt.

Nachdem im vorangegangenen Kapitel erörtert wurde, was unter Verhalten verstanden wird, geht es nun um das «Wie». Erste Stichworte, wie Verhalten gestaltet werden kann, z. B. durch Modelllernen oder Verstärkung, wurden bereits kurz erwähnt. Der theoretische Hintergrund von Verhaltensänderung und die Frage, wie Verhaltensänderung erreicht werden kann, sind Inhalte dieses Kapitels.

2.1

Verstärkung

Obwohl die Theorie des Behaviorismus längst weiterentwickelt wurde, sind die auf ihr basierenden Verhaltensänderungsansätze, die das Verstärken oder Löschen von Verhalten durch Belohnen und Bestrafen postulieren, hochaktuell. Sie basieren auf den Ansätzen der operativen Konditionierung. Diese Lerntheorie wurde in den 1950er Jahren von B. F. Skinner (vgl. Skinner, 1965) entwickelt. Mit © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Federspiel und A. Peter, Designed to persuade, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41923-3_2

13

14

2 Verhaltensänderung verstehen

zahlreichen Experimenten, das Berühmteste ist das sog. «Tauben- und Rattenexperiment», unterstützte er sein Modell, das Verhalten mit positiven Konsequenzen verstärkt und mit negativen Konsequenzen gelöscht werden kann. Im Tauben- und Rattenexperiment setzte Skinner Tiere in die sogenannte Skinner-Box, in der sie lernten, bestimmte Verhaltensweisen auszuführen, um eine Belohnung zu erhalten (Skinner, 1948). Zunächst wurden Ratten trainiert, einen Hebel zu drücken, um Futter als Belohnung zu erhalten. Sobald die Ratten den Zusammenhang zwischen dem Hebel-Drücken und der Futterbelohnung erkannten, wurden die Anforderungen gesteigert: Der Hebel musste beispielsweise mehrmals gedrückt werden, um die Belohnung zu erhalten. Beim Training der Tauben, wurden die Tiere regelmässig zur gleichen Zeit gefüttert. Dann stoppte Skinner die Fütterung und beobachtete, ob die Tauben sich nach einer Möglichkeit umsahen, um wieder an Futter zu kommen. Skinner konnte beobachten, dass die Tauben zufällige Verhaltensweisen wiederholten, die sie durchgeführt hatten, bevor sie zufällig Futter erhielten, z. B. sich im Kreis drehen, mit den Flügeln schlagen oder mit dem Kopf gegen die Wand stossen. Die Tiere lernten also, Verhaltensweisen zu wiederholen, die zufällig mit Belohnungen verbunden waren (Skinner, 1948). Will man diese Beobachtungen auf die Verhaltensgestaltung übertragen, ist zu beachten, dass eine Verhaltensweise durch Belohnung sowohl gefördert als auch durch Bestrafung gelöscht werden kann.

2.2

Modelllernen

Die sozial kognitive Lerntheorie postuliert, dass entlang der Beobachtung von Modellen, die als Vorbilder wahrgenommen werden (soziale Komponente) und der vorausschauenden Antizipation der entsprechenden Verhaltensfolgen (kognitive Bewertung) Verhalten geplant und ausgeführt wird (Bandura, 1976). Der Lernprozess kann gemäss Bandura durch direkte (Konditionierungslernen), symbolische (Instruktionslernen) und stellvertretende Erfahrung (Modelllernen) geschehen. Ein Beispiel für Konditionierungslernen ist das Tauben- und Rattenexperiment von Skinner. Das Instruktionslernen versinnbildlichte Bandura 1961 in einem Experiment mit einer Puppe, die für ihr aggressives Verhalten belohnt wurde (das sogenannte Bobo-Doll-Experiment). Kinder, die das aggressive Verhalten beobachteten, zeigten in der Folgezeit signifikant weniger prosoziales Verhalten als die Kinder in der Kontrollgruppe (Bandura et al., 1961). Beobachtungslernen beziehungsweise Modelllernen hat dabei den entscheidenden Vorteil, dass negative Folgen antizipiert und vermieden werden können.

2.3 Zentrale und periphere Verarbeitungswege

15

Lernmöglichkeiten ergeben sich auch ohne direkte Anwesenheit eines Modells. Modelllernen kann gemäss Bandura dazu führen, dass neue Verhaltensweisen erworben werden, bereits gelerntes Verhalten unterdrückt oder verstärkt wird und ein bereits verfügbares Verhalten in neuen Kontexten ausgelöst wird. Das Sehen von Modellverhalten allein bzw. das Modellieren von Verhaltensweisen führt aber noch nicht automatisch zu einer Übernahme des Verhaltens. Gemäss der sozial-kognitiven Lerntheorie muss das Zusammenspiel zwischen personalen Faktoren, Umweltfaktoren und verhaltensbezogenen Faktoren stimmen, damit ein Verhalten zustande kommt. So kann im Verhaltensänderungsdesign bei einer spezifischen Zielgruppe Modelllernen mittels Testimonials oder Best-Practice-Beispielen als Lernmöglichkeit eingesetzt werden.

2.3

Zentrale und periphere Verarbeitungswege

Neben der Verhaltensforschung eröffnete sich in der Medienwirkungsforschung unter dem Begriff «Persuasionsforschung» ein umfangreiches Forschungsfeld zu Verhaltensänderungsansätzen, das bereits in den 1940er Jahren mit dem Buch «The People’s Choice» begründet wurde (Schmitt-Beck, 2007). In diesem Initialwerk ging es um Auswirkungen der Medien auf die Wahlentscheidungen der Bevölkerung. In vorliegendem Kapitel sind primär die zentral analytische und die peripher oberflächliche Route der Zwei-Prozess-Theorien «Elaboration-LikelihoodModel» (ELM; Petty & Cacioppo, 1984, 1986)1 und das «Heuristic SystematicModel» (HSM; Chaiken, 1980)2 von Bedeutung. Diese erklären Einstellungsänderungen aufgrund zweier unterschiedlicher motivationaler und kognitiver Verarbeitungsrouten. Es wird dargelegt, bei welcher Ressourcen- und Motivationslage welche Informationsverarbeitungsroute in Gang kommt und welche 1

ELM: Das von Richard E. Petty und John T. Cacioppo im Jahr 1986 beschriebene Elaboration-Likelihood-Model (ELM) besagt, dass Menschen Informationen auf zwei verschiedenen Wegen, sogenannten Routen, verarbeiten. Es ist eines der bedeutendsten Modelle zur Erklärung von Überzeugungen und Einstellungsänderungen und wurde in zahlreichen Studien bestätigt und weiterentwickelt (Petty & Cacioppo, 1986). 2 HSM: Das von Shelly Chaiken im Jahr 1980 entwickelte Heuristische Systematische Modell (HSM) geht davon aus, dass Menschen zwei unterschiedliche Verarbeitungssysteme nutzen, um Entscheidungen zu treffen: das heuristische und das systematische Verarbeitungssystem. Das Modell hat im Bereich der Einstellungsänderung und Entscheidungsfindung weitreichende Anwendung gefunden (Chaiken, 1980).

16

2 Verhaltensänderung verstehen

Aspekte aus (sozialer) Umwelt-, Aufgaben-, Botschafts- und Sendergestaltung eingesetzt werden können, um die eine oder andere Route zu aktivieren. Gleichzeitig werden die gängigsten peripheren Effekte und Heuristiken erklärt, die bei der oberflächlichen Route zum Tragen kommen und gestalterisch genutzt werden können. Wichtig zu beachten ist, dass eine geänderte Einstellung nicht automatisch zu geändertem Verhalten führt. Wie diese Faktoren verbunden sind, verdeutlicht die Theorie des geplanten Verhaltens, die in Abschn. 2.4 erklärt wird.

2.3.1

Zentral-analytische Route

Bei einer hohen Motivation und hohen kognitiven Ressourcen beziehungsweise bei der langsamen Route (vgl. Kahneman, 2013) werden Informationen vertieft verarbeitet. Beim langsamen Denken ist ein bewusstes abwägendes Reflektieren charakteristisch. Hier spielen sowohl Werte, Normen und Überzeugungen, aber auch kognitive Ressourcen eine Rolle. Zum Tragen kommt der langsame Weg bei Entscheidungen, die ein erstes Mal gefällt werden, bei Situationen, die von hoher persönlicher Relevanz sind und in ausgeruhtem Zustand (vgl. Kahneman, 2013). Bei der zentralen Route ist die rationale Ansprache über vertiefende sachliche Informationen der Schlüssel. Die rational verarbeiteten Informationen führen demnach eher zu einer stabilen Einstellungsänderung.

2.3.2

Peripher-oberflächliche Route

Bei tiefer Motivation und tiefen kognitiven Ressourcen beziehungsweise bei der schnellen Route kommt es zu einer oberflächlichen Verarbeitung der Informationen. Je nach Route, die die Information passiert (zentral (vertieft) vs. peripher (ELM) oder heuristisch (HSM) (oberflächlich)) müssen die Informationen anders gestaltet sein, um zu einer Einstellungsänderung führen zu können. Beim schnellen Denken entscheiden Menschen automatisch intuitiv, basierend auf Emotionen, Gewohnheiten und beeinflusst vom Kontext. Schnell denken Menschen bei Wiederholung, bei Entscheidungen von geringer Relevanz und bei Erschöpfung. Bei der peripheren Route entscheiden einfache (emotionale) Hinweisreize über eine Verarbeitung. Eine oberflächlich verarbeitete Information führt eher zu einer volatilen Einstellungsveränderung (Petty & Ciacoppo, 1986; Chaiken, 1980). Sowohl im Kontext des HSM wie auch im Kontext des ELM werden als Beispiele für den peripheren Verarbeitungsweg Heuristiken und weitere Effekte

2.3 Zentrale und periphere Verarbeitungswege

17

beschrieben, auf die in den folgenden Kapiteln näher eingegangen wird. Periphere Effekte und Heuristiken lassen sich insbesondere durch eine entsprechende Umweltgestaltung triggern. Exkurs: Periphere Prozesse und Heuristiken Auf der peripheren Route nimmt das Gehirn kognitive Abkürzungen, um sich zu entlasten. Sowohl die peripheren Effekte «Priming» und «Mere Exposure», die vor allem in Zusammenhang mit dem ELM erforscht wurden (Petty & Cacioppo, 1986), als auch die (Urteils-) heuristiken in Zusammenhang mit beiden Modellen (sowohl ELM als auch HSM), bieten Ansätze für die Verhaltensänderungsgestaltung. Sie werden im Folgenden erklärt und ihre Anwendung auf die Verhaltensänderungsgestaltung dargelegt. Priming und Mere-Exposure-Effekt Im Kontext des Elaboration Likelihood Models ELM werden sowohl das Priming wie auch der Mere-Exposure-Effekt als Beispiele peripherer Prozesse aufgeführt (Petty & Cacioppo, 1986). Unter diesen Effekten versteht sich Folgendes: • Priming: Schema aktivieren. Beim Priming geht es vor allem darum, dass die Verarbeitung eines Reizes von einem vorangehenden Reiz beeinflusst wird, der ein entsprechendes Gehirn-Areal aktiviert (Molden, 2014). In einer der ältesten prominenten Studien zum Thema wurde ein Teil der Probanden mit positiven und ein anderer Teil mit negativen Wörtern konfrontiert. Im Anschluss mussten die Probanden eine Person beurteilen, die sie anhand einer identischen Verhaltensbeschreibung kennenlernten. Während die mit positiven Wörtern vorgeprägten Personen als „abenteuerlustig“ und „selbstsicher“ beschrieben wurden, neigte die andere Gruppe zu Äusserungen wie „leichtsinnig“ oder „überheblich“ (Higgins et al., 1977). Obwohl die Gesamtheit der Experimente zu Priming kein vollständig einheitliches Bild ergibt, kann doch davon ausgegangen werden, dass es zumindest einen Versuch wert ist, in einem Überzeugungsprozess ein Priming zu versuchen (vgl. z. B. Fogg, 2002; Hassenzahl & Tractinsky, 2006). So können auf einer Website jene Worte, die positiv mit der Unternehmens- oder Produktmarke verknüpft sind, prominent verwendet werden. Diese Worte werden unbewusst die zugehörigen (positiven) Schemen aktivieren (Nahai, 2012). • Mere-Exposure-Effekt: Darbietungshäufigkeit erhöhen. Der Mere-Exposure-Effekt geht auf den Stanford-Psychologen Robert Zajonc zurück. Er konnte in mehreren Experimenten aufzeigen, dass ein Reiz durch seine blosse Darbietungshäufigkeit und -dauer die Einstellung verbessern kann (Zajonc, 1968). Es handelt sich hier vor allem um eine einfachere Verarbeitung der Stimuli, die durch die Darbietungshäufigkeit erreicht und dann positiver bewertet wird. So kann eine wiederholte Darbietung eines Produktes beispielsweise dazu führen, dass sich unsere Einstellung dazu positiv verändert. Heuristiken und kognitive Biases Eines der meistzitierten Werke zum Thema Urteilsheuristik ist das von Kahnemann und Tversky, dass 1974 unter dem Titel «Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases» veröffentlicht wurde. Heuristiken werden dort als schnelle Urteilsprozesse beschrieben, die mit eher wenig Verarbeitungskapazität erreicht werden. Im Folgenden werden die im Kontext des HSM und ELM populärsten Heuristiken dargestellt:

18

2 Verhaltensänderung verstehen

• Verfügbarkeitsheuristik: Relevante Informationen leicht und regelmässig verfügbar machen. Je besser ein Ereignis vorgestellt werden kann, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens eingeschätzt. Die Schätzung oder Einschätzung des Eintreffens eines Ereignisses wird demnach auf der Grundlage der jüngsten oder der am leichtesten verfügbaren Informationen getroffen (Kahneman & Tversky, 1973). Wer in einem Spielkasino andere Spielende beim Gewinnen beobachtet, schätzt die Wahrscheinlichkeit eines eigenen Gewinns beim Spielen höher ein, als jemand der diese Beobachtung nicht macht. • Verankerung- und Anpassungsheuristik: Anker bewusst wählen. Der Anker-Effekt ähnelt dem oben beschriebenen Priming-Effekt. Umgebungsinformationen aktivieren eine bestimmte Hirnregion und liefern die Ausgangslage für einen bestimmten bewussten Gedankengang (Tversky & Kahneman, 1974). Auf Aktionspreisschildern findet man häufig zusätzlich zum heruntergesetzten Preis den durchgestrichenen Originalpreis als psychologischen Anker, der unterbewusst das Gefühl einer attraktiven Kaufgelegenheit vermitteln soll. • Repräsentativitätsheuristik: Auffällige Eigenschaften mit Bedacht wählen. Ein Objekt wird aufgrund einiger weniger auffälliger Eigenschaften einer bestimmten Kategorie zugeordnet. Das hat wenig mit der objektiven Wahrscheinlichkeit, aber viel mit Stereotypen zu tun (Kahneman & Tversky, 1972). So wird der Beruf einer Person, deren Hobbies mit Schachspielen, Museumsbesuchen und Geschichte angegeben werden, von Probanden häufiger als Archäologen, denn als LKW-Fahrer eingeschätzt. • Primacy und Recency-Effekt: Erste und letzte Informationen mit Bedacht wählen. Das Konzept von Primacy und Receny wurde von Ebbinghaus entwickelt (Ebbinghaus, 1885). Es beschreibt die Tendenz des menschlichen Gedächtnisses, sich besser an die ersten und letzten Elemente einer Liste von Informationen zu erinnern als an die mittleren Elemente. Diese ersten Elemente können auch als prototypische Elemente betrachtet werden, die als Referenzpunkt für den Rest der Liste dienen. Kinder erhalten bei der Kinderärztin bzw. dem Kinderarzt häufig ein kleines Spielzeug nach der Untersuchung. Als Referenzpunkt wird so am Schluss ein positives Erlebnis verankert, welches Verweigerungshaltung und Angst zu einem späteren Zeitpunkt vor einem Arztbesuch verringert. • Kognitiver Bias Heuristiken können zu kognitiven Biases führen, müssen aber nicht. Kognitive Biases sind menschliche Denkverzerrungen, die dazu führen, dass der Mensch nicht logisch und kognitiv denkt, sondern Informationen verzerrt interpretiert oder verarbeitet (Kahneman & Tversky, 1972). Ein Beispiel dafür ist der Confirmation Bias. Menschen neigen demzufolge dazu, Bestätigungen für ihre Einstellungen zu suchen und mögliche Widerlegungen zu ignorieren (Wason, 1960). Heuristiken hingegen sind Regeln oder Methoden, die verwendet werden, um eine schnellere Entscheidung zu treffen (Kahnemann & Tversky, 1972).

Gewisse Heuristiken können mit der Gestaltung digitaler Anwendungen beeinflusst werden (z. B. die Verfügbarkeits- oder Verankerungsheuristik). Andere

2.3 Zentrale und periphere Verarbeitungswege

19

wiederum bieten lediglich die Information, wie eine wenig motivierte Person mit wenig kognitiven Ressourcen auf der peripheren Verarbeitungsebene Informationen verarbeiten würde.

2.3.3

Gestaltung der Verarbeitungsrouten-Wahl

Neben der Art der Informationsdarstellung, beeinflussen auch die Motivation und die Fähigkeiten bzw. die Ressourcen der Zielgruppe, die Verarbeitungsroute, die eine Botschaft nimmt. Kolenda beschreibt dazu folgende Gestaltungsmöglichkeiten, um die Wahl der einen oder anderen Verarbeitungsroute entsprechend zu triggern (Kolenda, 2013).

2.3.3.1 Fördern der analytischen Route Im Folgenden werden diejenigen Taktiken beschrieben, die im Kontext von verhaltensgestaltendem Design relevant sind und die Verarbeitung von Informationen auf der analytischen Route gemäss Kolenda (2013) fördern: Pique-Technik: Anfragen/Aufgaben auf ungewöhnliche Art und Weise stellen Wenn Anfragen in einer speziellen Art und Weise gestellt werden, antworten Personen lieber, da sie aus ihrem «Autopiloten-Programm» geholt werden. Kolenda führt als Beispiel ein Bettler-Experiment aus, bei welchem der Bettler entweder nach 17, 25 oder 37 Cent fragt. 25 Cent sind in den USA «a quarter» und ein üblicher Betrag, der einem Bettler gegeben wird. Der Bettler hat bei den Fragen um 17 respektive 37 Cent mehr Geld erhalten als bei der Bitte um «a quarter» (Kolenda, 2013). Persönliche Relevanz fördern: Konsequenzen aufzeigen, Du-Form, Storytelling und rhetorische Fragen verwenden Die systematische Verarbeitung kann auch auf der motivationalen Ebene gefördert werden, indem die persönliche Relevanz einer Information erhöht wird. Folgende möglichen Taktiken fasst Kolenda dazu zusammen: Die Konsequenzen eines Verhaltens sollen in der Botschaft erlebbar gemacht werden, z. B. durch bildhaftes Beschreiben. Mit dem «du»-Pronomen soll eine persönliche Ansprache vorgenommen werden, mit Storytelling sollen Inhalte partizipierbar gemacht oder eine Identifikationsmöglichkeit mit dem Hauptakteur geschaffen werden. Weiter können rhetorische Fragen dabei helfen, Argumente auf das eigene Leben zu beziehen und erhalten damit ebenfalls eine höhere persönliche Relevanz (Kolenda, 2013).

20

2 Verhaltensänderung verstehen

2.3.3.2 Fördern der peripheren oberflächlichen Route Es gibt Taktiken, die die Verarbeitung von Informationen auf der peripheren Route fördern (vgl. Kolenda, 2013): Stimmung: Positive Stimmung triggert die oberflächliche Verarbeitung und den Fokus auf Belohnungen Zahlreiche Studien zeigen, dass die Stimmung einer Person, die Art und Weise beeinflusst, wie sie Informationen verarbeitet und bewertet. Positive Stimmungen erhöhen die Tendenz, Informationen oberflächlich zu bewerten mehr als negative Stimmungen (Forgas, 1995). In der Überblicksstudie von Lerner et al. (2015) wird zudem gezeigt, wie die Stimmung die Entscheidungsfindung beeinflusst. Menschen in einer positiven Stimmung, neigen unter anderem dazu, grössere Risiken einzugehen und mehr auf Belohnungen als auf Bestrafungen zu achten.

2.3.4

Gestaltungsart der Botschaft

Je nach Verarbeitungsroute ist eine unterschiedliche Art der Informationsdarbietung bzw. -gestaltung gefordert. So spielen auf der analytischen Route die Glaubwürdigkeit und Expertise einer Quelle (vgl. Petty & Cacioppo, 1986) eine grössere Rolle als auf der peripheren Route; dort haben eher Charakteristiken wie Ähnlichkeit (vgl. z. B. Montoya et al., 2008), Attraktivität oder Popularität (Dillard & Shen, 2002) einen Einfluss darauf, wie wirkungsvoll eine Botschaft die Einstellung verändern kann. Die Übersicht in Tab. 2.1 zeigt die unterschiedlichen Arten von Informationsdarbietung und wie diese die Überzeugungskraft einer Botschaft auf der jeweiligen Verarbeitungsroute fördern. Für die Verhaltensgestaltung bedeuten die obengenannten Erkenntnisse, dass je nach Ressourcen und Motivation der Zielgruppe, Botschaften unterschiedlich gestaltet sein müssen, um zu einer Einstellungsänderung zu führen. Insbesondere Ressourcen und Befindlichkeiten können volatil sein. In der Praxis werden deshalb häufig beide Informationsverarbeitungsrouten bedient. Beispiel: So kann eine Person im Nachmittagstief nach dem Mittagessen beispielsweise so wenige Ressourcen verfügbar haben, dass – obwohl ein Thema sonst für die Person relevant ist – die periphere Verarbeitungsroute genommen wird.

2.4 Soziale Norm und Fähigkeit

21

Tab. 2.1 Informationsdarbietung nach Routen. (Quelle: eigene Darstellung) Informationsdarbietung

Analytische Periphere oberflächliche Verarbeitungsroute (langsam) Verarbeitungsroute (schnell)

Rational/emotional:

Rational (Petty & Cacioppo, 1986)

Emotional mit Bildern und Grafiken (Chatterjee, 2011)

Informationstiefe:

Vertiefend sachlich (Petty & Cacioppo, 1986)

Oberflächlich (Dillard & Shen, 2002)

Begründungsart:

Logische, evidenzbasierte Informationen (Chaiken & Eagly, 1989)

Beliebige Begründung (Langer et al., 1978)

Bezug zum Hauptargument:

Direkte Verbindung zum Hauptargument (Areni & Lutz, 1988)

Möglichst viele Informationen ohne Bezug zum Hauptargument (Kolenda, 2013)

Erörterung möglicher Gegenargumente:

Gegenargumente und mögliche Einwände gegen das Hauptargument (Rucker et al., 2008)

2.4

Soziale Norm und Fähigkeit

Die theoretischen Ansätze aus den Zwei-Prozess-Theorien und der Persuasionsforschung zielen primär auf eine Einstellungsänderung ab. Eine Einstellung allein führt aber noch nicht automatisch zum entsprechenden Verhalten. Die Einstellung ist lediglich eine einzelne Komponente, die über die Verhaltensabsicht auf das Verhalten wirkt (Ajzen, 1985, 1991; Ajzen & Fishbein, 1977) (vgl. Abb. 2.1). Bei Massnahmen, die auf eine Verhaltensänderung zielen, muss berücksichtigt werden, dass auch der soziale Faktor der subjektiven Norm (wie denken andere wichtige Bezugspersonen im Umfeld über das Verhalten) und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle (fühle ich mich subjektiv fähig, das Verhalten entsprechend kontrollieren zu können), eine Art Fähigkeitsvariable, eine entscheidende Rolle spielen. Beispiel: Möchte beispielsweise ein alter Mann, dessen Frau für ihn nach traditionellem Rollenbild kocht, seine Ernährung umstellen und seine Frau zieht nicht mit, wird es für ihn schwierig, das Verhalten auch entsprechend umzusetzen. Diese Zusammenhänge werden durch die Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behavior) (Ajzen, 1985, 1991; Ajzen & Fishbein, 1977) erklärt. Das Modell besteht aus den Faktoren Einstellung (Attitude), subjektive

22

2 Verhaltensänderung verstehen

Abb. 2.1 Theorie des geplanten Verhaltens. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Ajzen, 1991 (reprint mit freundlicher Genehmigung von Elsevier))

Norm (Subjective Norm), wahrgenommene Verhaltenskontrolle (Perceived Behavioral Control), Verhaltensabsicht (Intention) und dem Verhalten (Behavior) selbst (vgl. Abb. 2.1). Als Weiterentwicklung zur Theorie des überlegten Handelns (Theory of Reasoned Action) wurde die Verhaltenskontrolle ergänzt. Fogg differenziert den Fähigkeitsbegriff weiter aus und spricht in seinem Buch «Tiny Habits» aus dem Jahr 2019 von der «Fähigkeitskette» (Ability Chain) (Fogg, 2019). Er erweitert den psychologischen Fähigkeitsbegriff, der sich auf den physischen oder mentalen Aufwand bezieht und darauf, ob hinsichtlich der Aspekte Zeit und Geld etwas eine Routine darstellt oder nicht. Eine solche Fähigkeitskette sei nur so stark wie sein schwächstes Glied, betont der Autor. Alles, was nicht einer bestehenden Routine entspreche, sei aufwändig. 

Key Take-Away zum Zusammenhang Einstellung und Verhalten Die Theorie zeigt noch einmal, dass sowohl die subjektiv wahrgenommene Fähigkeit wie auch der soziale Kontext eine wesentliche Rolle spielen, ob ein Verhalten gemäss einer Einstellung ausfällt oder nicht. Unter Fähigkeit können dabei der physische und mentale Aufwand bzw. die Ressourcen sowie Aspekte wie Zeit und Geld subsummiert werden.

2.5 Sozialer Einfluss

2.5

23

Sozialer Einfluss

Der Mensch ist ein soziales Wesen (vgl. soziale Normen oder soziale Fähigkeiten im Kap. 1). Er möchte positiv in einer Gruppe eingebunden sein und reagiert deshalb vielgestaltig auf sozialen Einfluss. Zu diesem Thema hat der Sozialpsychologe Robert B. Cialdini 2011 das vielbeachtete Buch «Influence: The Psychology of Persuasion» veröffentlicht (Cialdini, 2011). Darin geht es um die sechs primären sozialen Einflussfaktoren 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Reziprozität (Reciprocity), Verpflichtung (Commitment) und Konsistenz (Consistency), Konsens oder Sozialer Beweis (Consensus or Social Proof), Autorität (Authority), Sympathie (Liking) und Knappheit (Scarcity),

die das Verhalten von Menschen beeinflussen (Cialdini, 2011). Diese Mechanismen werden oft einzeln oder kombiniert in der Verhaltensänderungsgestaltung verwendet. Im Folgenden werden sie kurz dargestellt: • Reziprozität: Geben und Nehmen Menschen neigen dazu, sich reziprok zu verhalten. Das heisst, sie fühlen sich verpflichtet Gefälligkeiten oder Geschenke zurückzugeben (Cialdini, 2011). Beispiel: Für die Verhaltensänderungsgestaltung können beispielsweise kostenlose Trial-Perioden, Inhalte oder Ähnliches angeboten werden, worauf sich Nutzende verpflichtet fühlen können, sich auf der Plattform anzumelden. • Verpflichtung & Konsistenz: Frühe Commitment-Zusagen erwirken Menschen tendieren dazu, Handlungen und Einstellungen mit ihren früheren Aussagen und Verhaltensweisen in Einklang zu bringen (Cialdini, 2011). Beispiel: Online-Plattformen können Nutzende ermutigen, konsistent mit ihren vorherigen Handlungen und Entscheidungen zu sein, indem sie Belohnungen für das Komplettieren gewisser Aufgaben offerieren oder Aktivitäten bzw. vergangene Aktivitäten der Nutzenden auf der Plattform aufzeigen. • Soziale Bewährtheit/Konsens: Das Verhalten anderer sichtbar machen Das Verhalten anderer wird als Indikator für das richtige Verhalten in einer bestimmten Situation angesehen (Cialdini, 2011).

24

2 Verhaltensänderung verstehen

Beispiel: Dieser Konsens kann in der Verhaltensänderungsgestaltung beispielsweise durch das Sichtbarmachen der Anzahl der Nutzenden und der Menge an Inhalten, von welchen andere profitieren, genutzt werden. • Autorität: Credentials, Testimonials, Awards oder Partnerschaften mit reputablen Organisationen nutzen Menschen lassen sich von Personen, die als Autoritäten oder Experten angesehen werden, eher beeinflussen (Cialdini, 2011). Dies vor allem auf der analytischen langsamen Verarbeitungs-Route (vgl. Abschn. 2.3.4: Verhaltensänderung durch die Gestaltungsart der Botschaft). Beispiel: Für die Verhaltensänderungsgestaltung könnte das bedeuten, dass auf einer Plattform Credentials, Testimonials, Awards oder Partnerschaften mit reputablen Organisationen eingegangen werden. • Sympathie: Ähnlichkeit und Attraktivität schaffen Personen, die sympathisch wirken, haben mehr Wirkung, wenn es um Verhaltensänderungsgestaltung geht (Cialdini, 2011). Ähnlichkeit ist beispielsweise einer der Faktoren, der Sympathie befördert (Byrne, 1971). Attraktivität allgemein ist vor allem auf der peripheren, schnellen Verarbeitungs-Route unseres Hirns ein Aspekt, der die Einstellungsänderung befördert (vgl. Abschn. 2.3.4: Verhaltensänderung durch die Gestaltungsart der Botschaft). Beispiel: Im Bereich der Verhaltensänderungsgestaltung kann dieses Prinzip genutzt werden, indem Nutzer-Reviews oder -Ratings mit sozialen Funktionen kombiniert werden, sodass gemeinschaftliche Interessen und eine Ähnlichkeit mit anderen Nutzenden eruiert werden können, oder indem die Plattform Ähnlichkeit durch ähnliche humanoide Chatbots suggeriert. • Knappheit: Begrenzte Verfügbarkeit schaffen Der Wert von Dingen, die begrenzt verfügbar sind, wird als höher eingeschätzt als scheinbar unbegrenzt verfügbare Dinge (Cialdini, 2011). Beispiel: Scarcity kann im Verhaltensänderungsdesign auf Plattformen beispielsweise so eingesetzt werden, dass der Zugang zu gewissen Produkten oder Services nur eingeschränkt vorhanden ist. Die sozialen Beeinflussungsmechanismen betreffen unterschiedliche Aspekte der Verhaltensänderungsgestaltung. Bei der Sympathie und der Autorität geht es um Charakteristiken des Senders, die je nach Informationsverarbeitungsroute unterschiedlichen Einfluss auf die Überzeugungskraft einer Botschaft haben. Beim Commitment, der sozialen Bewährtheit und der Knappheit, geht es um Effekte, die als periphere Effekte wirken können.

2.7 Verhaltensauslösende Trigger

25

In den Abschn. 2.1 bis 2.5 wurden bisher die Effekte externer Reize wie Belohnung und Bestrafung, der soziale Mechanismus des Modelllernens, die Botschaftsgestaltung für eine oberflächliche vs. analytische Informationsverarbeitung dargestellt. Es wurde gezeigt, wie welche Informationsverarbeitungsroute getriggert werden kann und welche kognitiven Abkürzungen bei der oberflächlichen Verarbeitung beachtet werden müssen. Zudem wurden soziale Mechanismen erörtert, die bei der Verhaltensgestaltung berücksichtigt werden können. Was ebenfalls einen Einfluss darauf haben kann, ob ein Verhalten ausgeführt wird oder nicht, ist die Art und Weise der Aufgabengestaltung.

2.6

Gestaltung der Aufgabe

Ein weit gestecktes abstraktes Ziel, das nichts mit den aktuellen Fähigkeiten und Motivationen einer Person zu tun hat, wird wenig zum Handeln anregen. Ist das Ziel jedoch in kleine erreichbare Subschritte unterteilt, die den Fähigkeiten und der Motivation entsprechend Schritt für Schritt schwieriger werden, kann sogar der Flow-Zustand erreicht werden, der Personen zu Höchstleistungen in Bezug auf Aufmerksamkeit, Konzentration und Durchhaltevermögen antreibt. Welche Theorien bieten die Basis für diese Aussagen? Die sogenannten Unterziele gehen auf die Goal-Setting-Theorie von Locke und Latham zurück (Latham & Locke, 1979; Locke & Latham, 2002). Kernaussage der Theorie ist, dass Ziele als Motivatoren und Regulatoren das Handeln leiten. Dabei sollen die in Zukunft gesetzten Ziele leicht höher sein als die in der Vergangenheit. Zudem müssen sie spezifisch genug sein, um handlungsleitend sein zu können. Die Flow-Theorie von Csikszentmihalyi, wurde in den 1970er Jahren entwickelt (Csikszentmihalyi, 1975) und besagt, dass der Flow als Zustand des vollständigen Aufgehens und Vertiefens in einer Tätigkeit dann stattfindet, wenn sich Herausforderungen und Fähigkeiten die Balance halten (vgl. Abb. 2.2). Für die Verhaltensänderungsgestaltung heisst das nun, dass grosse abstrakte Ziele auf spezifische inkrementelle Zielschritte heruntergebrochen werden sollten, die den Fähigkeiten und der Motivation entsprechend laufend angepasst werden, damit sie eine motivierende und handlungsleitende Funktion haben können.

2.7

Verhaltensauslösende Trigger

Fogg kombiniert mit seinem FBM-Modell die Verhaltenskomponenten Fähigkeit, Motivation und äussere (An-)Reize (vgl. auch Abschn. 1.2: Persuasives Design heute: Das FBM-Modell von Fogg).

26

2 Verhaltensänderung verstehen

Abb. 2.2 Flow. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Csikszentmihalyi, 1975 (reprint mit freundlicher Genehmigung von John Wiley & Sons – books))

Wie bereits der Behaviorismus greift Fogg auf verhaltensauslösende Momente von äusseren (An-)Reizen zurück. Er definiert drei verschiedene Trigger-Arten: Facilitator, Signal und Spark Trigger. Mit Facilitator Trigger sind Verhaltensauslöser gemeint, die es dem Benutzer erleichtern, ein gewisses Verhalten auszuführen. Sie kommen dann zum Tragen, wenn die Motivation für ein Verhalten hoch ist und die Fähigkeit es auszuführen gering ist. Ist die Fähigkeit hoch und die Motivation tief kommen Spark Trigger zum Einsatz, die eine starke emotional-motivationale Reaktion auslösen. Wenn sowohl die Motivation wie auch die Fähigkeit hoch sind, ist nur noch eine Erinnerung nötig, die an das entsprechende Verhalten erinnert und dieses dann entsprechend auslöst, ein sogenannter Signal Trigger. Die Triggerarten werden oft miteinander kombiniert. Die Activation Matrix von Fogg ist Teil des Verhaltensmodells (Fogg, 2002) und hilft Entwicklerinnen und Entwicklern, geeignete Trigger für eine bestimmte Verhaltensweise zu identifizieren: 1. Hohe Motivation/Hohe Fähigkeit: In diesem Quadranten kommen am ehesten als Erinnerung (Signal) fungierende Trigger zum Einsatz.

2.8 Fazit

27

2. Hohe Motivation/Geringe Fähigkeit: Hier sind Facilitators nötig, die es dem Benutzenden erleichtern, ein gewisses Verhalten auszuführen. 3. Tiefe Motivation/Hohe Fähigkeit: Hier sind Sparks nötig, die eine starke emotional/motivationale Reaktion auslösen. 4. Tiefe Motivation/Geringe Fähigkeit: Hier kann kein Verhalten ausgelöst werden. Trigger sollen gemäss Fogg also der Motivations- und Fähigkeitslage einer Person angepasst werden. Neue technische Möglichkeiten bieten hier zusätzliche Chancen (vgl. auch Abschn. 3.2.4, Auslöser mit Bezug zum sozialen und technologischen Kontext).

2.8

Fazit

Aus theoretischer Perspektive kann Verhalten entlang von (sozialer) Umwelt-, Aufgaben- und Botschaftsgestaltung entwickelt werden. Die Charakteristiken des Senders haben ebenfalls einen wesentlichen Einfluss. Die bekanntesten und am häufigsten angewendeten Hebel in der Praxis sind Umwelttrigger mit positiven und negativen Anreizen und die Ausgestaltung von Botschaften. Bei tiefer Motivation und tiefen Fähigkeiten punkten von der Botschaft her emotionale, mit Bildern vereinfachte, oberflächliche Informationen. Ist die Stimmung einer Person gut, wird ebenfalls eher die oberflächliche schnelle Verarbeitung von Informationen aktiviert. Auch eine Darstellung mit vielen Informationen ohne Bezug zum Hauptargument führt eher zu einer oberflächlichen Informationsverarbeitung. Zudem ist es wichtig, in Verbindung zur oberflächlichen Verarbeitungsroute, die Heuristiken zu kennen. Dazu gehört zu wissen, dass eine positive Schema-Aktivierung in Form eines Primings die Einstellung beeinflussen kann. Zu bedenken ist zudem, dass die Häufigkeit und die Verarbeitungsleichtigkeit einer Information einen Einfluss auf die Einstellungsänderung hat. Zudem müssen Eigenschaften, die im Zentrum stehen sollen, auffällig gestaltet sein, um auf der oberflächlichen Route Einfluss nehmen zu können. Auf der analytischen Verarbeitungsroute überzeugen rationale, vertiefend sachliche, logische evidenzbasierte Informationen mit Argumenten, die eine direkte Verbindung zum Hauptargument haben und darüber hinaus Gegenargumente und mögliche Einwände gegen das Hauptargument aufführen. Sender-Charakteristiken wie Ähnlichkeit und Attraktivität, soziale Mechanismen wie Gefälligkeiten, frühe Selbst-Verpflichtungen und das Sichtbar-Machen

28

2 Verhaltensänderung verstehen

von Verhalten anderer sowie das Schaffen einer begrenzten Verfügbarkeit sind soziale Aspekte, die auf der peripheren Route wirken. Die analytische, langsame Verarbeitung wird einerseits durch die hohe Fähigkeit und Motivation der Personen gefördert. Alles, was die persönliche Relevanz einer Aufgabe fördert, zahlt auf die Motivation ein und kann damit ebenfalls den analytischen Weg triggern. Ebenso ungewöhnliche Aufgaben oder Anfragen, die eine Person aus dem Autopilot-Modus aufwecken. Sender-Charakteristiken wie Autorität und Expertise wirken auf der analytischen langsamen Route. Die Aufgabe an sich kann motivierend und handlungsleitend sein, wenn sie nicht als (über-)grosse Aufgabe angelegt ist, sondern in kleinere Aufgaben geteilt wird, die sich stets den Fähigkeiten der Zielpersonen anpassen und laufend leicht schwieriger werden. Mit Blick auf die Persuasionsforschung ist es zentral, Einstellungen und Verhalten nicht gleichzusetzen und die entsprechenden Zusammenhänge zu sehen. Eine Einstellung führt erst dann zu Verhalten, wenn eine Person überzeugt ist, ein Verhalten ausführen zu können (Selbstwirksamkeitserwartung) und das Umfeld das Verhalten befürwortet (soziale Norm). Das Modell des geplanten Verhaltens zeigt diesen Zusammenhang auf und erläutert, was auch die sozialkognitive Lerntheorie von Bandura bereits aufnimmt, nämlich, dass auch der soziale Kontext hochrelevant ist, wenn es um Verhaltensänderung geht. 

Key Take-Aways zu ,Verhalten verändern‘ Verhalten kann aus theore-

tischer Perspektive entlang folgender Aspekte gestaltet werden: Ansätze zur Umweltgestaltung • Periphere, oberflächliche schnelle Route: – Stimmungsaufhellende Kontextgestaltung – Positive Schema-Aktivierung in Verbindung zur Botschaft – Häufiges Darbieten von zentralen Stimuli für eine vereinfachte Verarbeitung – Auffälliges Gestalten von zentralen Eigenschaften – Frühes bzw. spätes Darbieten von Stimuli für besseres Erinnern • Analytische langsame Route: – Ungewöhnliche Anfragen, die aus dem Autopilot-Modus aufwecken • Routenunabhängig: Allgemein Positive und negative Anreize

Literatur

29

Ansätze zur Aufgabengestaltung • Kleine Aufgaben, die sich den Fähigkeiten der Zielpersonen anpassen und laufend schwieriger werden. Ansätze zur Botschaftsgestaltung • Periphere, oberflächliche schnelle Route: – emotionale, – mit Bildern vereinfachte, – oberflächliche Informationen. – Viele Informationen ohne Bezug zum Hauptargument. – Mit ähnlichen, attraktiven Sendenden. • Analytische langsame Route: – rationale vertiefend sachliche, logische evidenzbasierte Informationen – mit Argumenten, die eine direkte Verbindung zum Hauptargument haben, Gegenargumente. – Mit Sendenden, die Autorität und Expertise ausstrahlen. Gestaltungsansätze auf Basis sozialer Mechanismen • • • •

Gefälligkeiten, frühe Commitment-Zusagen Sichtbar-Machen des Verhaltens anderer sowie das Schaffen einer begrenzten Verfügbarkeit.

Literatur Ajzen, I. (1985). From intentions to actions: A theory of planned behavior. In J. Kuhl & J. Beckmann (Hrsg.), Springer series in social psychology. Action control: From cognition to behavior (S. 11–39). Springer. Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50(2), 179–211. Ajzen, I., & Fishbein, M. (1977). Attitude-behavior relations: A theoretical analysis and review of empirical research. Psychological Bulletin, 84(5), 888–918. Areni, C. S., & Lutz, R. J. (1988). The role of argument quality in the elaboration likelihood model. ACR North American Advances, NA-15.

30

2 Verhaltensänderung verstehen

Bandura, A. (1976). Lernen am Modell: Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie (1. Aufl.). Klett. Bandura, A., Ross, D., & Ross, S. A. (1961). Transmission of aggression through imitation of aggressive models. Journal of Abnormal and Social Psychology, 63, 575–582. Byrne, D. E. (1971). The attraction paradigm. Academic. Chaiken, S. (1980). Heuristic versus systematic information processing and the use of source versus message cues in persuasion. Journal of Personality and Social Psychology, 39(5), 752–766. Chaiken, S., & Eagly, A. H. (1989). Heuristic and systematic processing within and beyond the persuasion context. In J. S. Uleman & J. A. Bargh (Hrsg.), Unintended thought (1. Aufl., S. 212–252). Guilford Press. Chatterjee, A. (2011). Neuroaesthetics: A coming of age story. Journal of Cognitive Neuroscience, 23(1), 53–62. Cialdini, R. B. (2011). Influence: The psychology of persuasion (Rev. Ed.). Collins. Csikszentmihalyi, M. (1975). Beyond boredom and anxiety. In R. Spiro, B. Bruce, & W. Brewer (Hrsg.), Theoretical issues in reading comprehension (S. 287–309). Lawrence Erlbaum Associates. Dillard, J. P., & Shen, L. (2002). Elaboration likelihood model. In J. P. Dillard & M. Pfau (Hrsg.), The persuasion handbook: Developments in theory and practice (S. 69–94). SAGE Publications. Ebbinghaus, H. (1885). Über das Gedächtnis: Untersuchungen zur experimentellen Psychologie. Duncker & Humblot. Fogg, B. J. (2002). Persuasive technology: Using computers to change what we think and do. Morgan Kaufmann Publishers. Fogg, B. J. (2019). Tiny habits: The small changes that change everything (1. Aufl.). HarperCollins Publishers. Forgas, J. P. (1995). Mood and judgment: The affect infusion model (AIM). Psychological Bulletin, 117(1), 39–66. Higgins, E. T., Rholes, W. S., & Jones, C. R. (1977). Category accessibility and impression formation. Journal of Experimental Social Psychology, 13(2), 141–154. Hassenzahl, M., & Tractinsky, N. (2006). User experience – A research agenda. Behaviour & Information Technology, 25(2), 91–97. Kahneman, D. (2013). Thinking, fast and slow (First paperback edition). Psychology/ economics. Farrar Straus and Giroux. Kahneman, D., & Tversky, A. (1972). Subjective probability: A judgment of representativeness. Cognitive Psychology, 3(3), 430–454. Kahneman, D., & Tversky, A. (1973). On the psychology of prediction. Psychological Review, 80(4), 237–251. Kolenda, N. (2013). Methods of persuasion: How to use psychology to influence human behavior. Kolenda Entertainment LLC. Langer, E. J., Blank, A., & Chanowitz, B. (1978). The mindlessness of ostensibly thoughtful action: The role of „placebic“ information in interpersonal interaction. Journal of Personality and Social Psychology, 36(6), 635–642. Latham, G. P., & Locke, E. A. (1979). Goal setting—A motivational technique that works. Organizational Dynamics, 8(2), 68–80.

Literatur

31

Lerner, J. S., Li, Y., Valdesolo, P., & Kassam, K. S. (2015). Emotion and decision making. Annual Review of Psychology, 66, 799–823. Locke, E. A., & Latham, G. P. (2002). Building a practically useful theory of goal setting and task motivation. A 35-year odyssey. The American Psychologist, 57(9), 705–717. Molden, D. C. (2014). Understanding priming effects in social psychology. Guilford Publications. Montoya, R. M., Horton, R. S., & Kirchner, J. (2008). Is actual similarity necessary for attraction? A meta-analysis of actual and perceived similarity. Journal of Social and Personal Relationships, 25(6), 889–922. Nahai, N. (2012). Webs of influence: The psychology of online persuasion; the secret strategies that make us click. Pearson. Petty, R. E., & Cacioppo, J. T. (1984). The effects of involvement on responses to argument quantity and quality: Central and peripheral routes to persuasion. Journal of Personality and Social Psychology, 46(1), 69–81. Petty, R. E., & Cacioppo, J. T. (1986). The elaboration likelihood model of persuasion. In Communication and persuasion. Central and peripheral routes to attitude change (S. 1– 24). Springer. Rucker, D. D., Petty, R. E., & Briñol, P. (2008). What’s in a frame anyway? A meta-cognitive analysis of the impact of one versus two sided message framing on attitude certainty. Journal of Consumer Psychology, 18(2), 137–149. Schmitt-Beck, R. (2007). Paul F. Lazarsfeld/Bernard Berelson/Hazel Gaudet, The People’s Choice. How the Voter Makes Up his Mind in a Presidential Campaign, New York/ London 1944. In S. Kailitz (Hrsg), Schlüsselwerke der Politikwissenschaft (1. Aufl., S. 229–233). VS Verlag. Skinner, B. F. (1948). ‘Superstition’in the pigeon. Journal of Experimental Psychology, 38(2), 168–172. Skinner, B. F. (1965). Science and human behavior. Freepress. Tversky, A., & Kahneman, D. (1974). Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases: Biases in judgments reveal some heuristics of thinking under uncertainty. Science, 185(4157), 1124–1131. Wason, P. C. (1960). On the failure to eliminate hypotheses in a conceptual task. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 12(3), 129–140. Zajonc, R. B. (1968). Attitudinal effects of mere exposure. Journal of Personality and Social Psychology, 9(2, Pt.2), 1–27.

3

Verhaltensänderung gestalten

Zusammenfassung

In diesem Kapitel geht es um die konkrete Verhaltensgestaltung entlang der (in den vorherigen Kapiteln) relevanten Kategorien: Sendende, Aufgabe, Nutzende, sozialer und technischer Kontext sowie Trigger bzw. Auslöser, die Verhalten vereinfachen, motivieren oder erinnern können. Es werden eine Vielzahl Auslöser mit Bezug zu diesen Charakteristiken beschrieben und erklärt. Zudem wird die Trigger-Entwicklung und -Auswahl für eine zielgerichtete Gestaltung in den Kontext der User Journey gesetzt. Nudging und Gamification sind als bereits bekannte Verhaltens-Design-Strategien ebenfalls Thema.

Die vorhergehenden Kapitel haben dargestellt, was Verhalten ist (Kap. 1) und wie aus theoretischer Perspektive Hebel bei der Verhaltensgestaltung angesetzt werden können (Kap. 2). In diesem Kapitel geht es um die konkrete Gestaltung der Verhaltensauslöser (auch Trigger genannt).

3.1

Das SANKT-Modell der Verhaltensänderungsgestaltung

Wie die Trigger in alle vorangehenden Überlegungen eingeordnet werden können und wo sie ansetzen, ist Teil dieses Kapitels. Die bisherigen Überlegungen werden in einem eigenen Modell der Verhaltensänderungsgestaltung zusammengeführt:

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Federspiel und A. Peter, Designed to persuade, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41923-3_3

33

34

3 Verhaltensänderung gestalten

Abb. 3.1 Das SANKT-Modell der Verhaltensänderungsgestaltung (Quelle: eigene Darstellung)

dem S – A – N – K – T – Modell. Abgeleitet von den Theoriekapiteln zu Verhalten und Verhaltensänderung werden folgende Dimensionen als relevant angesehen und zur weiteren Strukturierung genutzt: Sendende (einer Aufgabe/Botschaft), eine Aufgabe bzw. Nutzung an sich, Nutzende (des Systems), der soziale und technologische Kontext und Trigger beziehungsweise Auslöser, die die Ausführung des Verhaltens vereinfachen, motivieren oder daran erinnern können (vgl. Abb. 3.1). Die Modell-Dimensionen werden im Folgenden auf der Basis des bisher aufgeführten Wissenskörpers dargestellt und in den kommenden Kapiteln mit den Erkenntnissen aus dem Bereich der Verhaltensänderungsgestaltung angereichert.

3.1.1

Sendende

Sendende sind Menschen oder Systeme, die verhaltensauslösende Botschaften senden. Die Charakteristik des Sendenden spielt eine wesentliche Rolle, wenn es um Einstellungs- oder Verhaltensänderung geht. Auf der peripher oberflächlichen Route spielen vor allem Attraktivität und Sympathie eine wesentliche Rolle, auf der zentral analytischen Route sind es Autorität beziehungsweise Expertise und Glaubwürdigkeit. Sind Glaubwürdigkeit und Autorität sowie Expertise vorhanden, hat eine verhaltensauslösende Botschaft das Potenzial, eine stabile

3.1 Das SANKT-Modell der Verhaltensänderungsgestaltung

35

langfristige Einstellungsänderung in Bezug auf ein spezifisches Verhalten zu evozieren.

3.1.2

Aufgabe

Aufgaben sind Anforderungen, welche an die Nutzenden zur Erreichung ihrer Ziele im Zusammenhang mit dem genutzten System herangetragen werden. In den vorangehenden Kapiteln zu Verhaltensänderung durch die Aufgabengestaltung wurde sichtbar, dass nicht nur die Charakteristiken der Sendenden sowie die Verhaltensauslöser entscheidend sind für die Ausführung eines bestimmten Verhaltens bzw. für das Lösen einer Aufgabe, sondern auch die Art und Weise, wie die Aufgabe an sich gestaltet ist. Grosse Aufgaben sollten in kleine erreichbare Unteraufgaben unterteilt werden, die sich laufend den Fähigkeiten des Nutzenden anpassen. Damit wird sowohl Langeweile als auch Überforderung verhindert und im besten Fall eine Art Flow-Zustand evoziert, der Höchstleistungen ermöglicht.

3.1.3

Nutzende

Nutzende sind Personen, welche eine Aufgabe oder eine Verhaltensunterstützung in einem digitalen oder analogen System nutzen. Abgeleitet aus den Verhaltens- und Verhaltensänderungstheorien haben sich folgende NutzendenCharakteristiken für die Verhaltensauslösung als entscheidend erwiesen: Die Einstellung in Bezug auf das Verhalten, frühere Erfahrungen in Bezug auf das Verhalten beziehungsweise die Aufgabe, Werte und Motive, Motivation in Kombination von Emotionen und Motiven und Ressourcen beziehungsweise Fähigkeiten in Bezug auf das anvisierte Verhalten. Unter Ressourcen können Faktoren wie Zeit, Geld, mentale und physische Ressourcen subsummiert werden. Bei den Fähigkeiten geht es insbesondere um die Selbsteinschätzung, ob sich jemand die Ausführung eines bestimmen Verhaltens zutraut oder nicht (Selbstwirksamkeitsüberzeugung).

3.1.4

Kontext

Es hat sich gezeigt, dass einerseits sowohl der technologische wie auch der soziale Kontext eine wesentliche Rolle spielt, wenn es um Verhalten geht. Der technologische Kontext bietet datenbasiert bedeutsame Möglichkeiten, die

36

3 Verhaltensänderung gestalten

einer Verhaltensgestaltung Vorschub leisten. Heuristiken, wie der Mere-ExposureEffekt oder das Priming, können technisch problemlos genutzt werden. Auch betreffend Personalisierung kann mithilfe datenbasierter Technik inzwischen nahezu eine One-to-One-Lösung erreicht werden. Dass der soziale Kontext ebenfalls ein Verhalten entscheidend verhindern oder fördern kann, ist Thema aller neuzeitlicher Modelle zu Verhalten und Verhaltensgestaltung. Was die eigene Gruppe zu einem Verhalten vermeintlich denkt, ist einer der Schlüsselfaktoren dafür, ob ein Verhalten auch tatsächlich ausgeführt wird oder nicht. Soziale Aspekte, wie der soziale Vergleich, soziales Lernen und soziale Vereinfachung, können ein Verhalten simpler machen, Kooperation und Wettbewerb können motivieren.

3.1.5

Trigger

Trigger schliesslich sind Verhaltensauslöser. Sie können sich auf Charakteristiken des Sendenden, des Nutzenden, der Aufgabe und des Kontextes beziehen. Sie können – gemäss Fogg (2002) – vereinfachend, motivierend oder erinnernd wirken und werden in den folgenden Abschnitten weiter ausgeführt.

3.2

Verhaltensauslösende Trigger

Auf Basis des oben entwickelten Modells für Verhaltensgestaltung werden in diesem Kapitel verschiedene Möglichkeiten von Verhaltensauslösern beschrieben. Sie orientieren sich entlang den Charakteristiken der Sendenden, Nutzenden, der Aufgabe und des sozialen und technologischen Kontextes. Die Kategorien der einzelnen Auslöser stützen sich auf die Strukturen von Fogg (2002) und Oinas-Kukkonen und Harjumaa (2009). Die Erklärungen zu den einzelnen Verhaltensauslösern verdichten zudem das Wissen aus dem Kap. 1 (Verhalten verstehen) und Kap. 2 (Verhaltensänderung verstehen), für die konkrete Anwendung in der Verhaltensgestaltung. Was sind Trigger? Trigger sind Vorschläge bzw. verhaltensauslösende Momente, die ein analoges oder digitales System im richtigen Moment ausspielt. Die Triggeransätze sind Sendenden-Charakteristika, Nutzenden-Charakteristika, Aufgaben-Charakteristika sowie Charakteristika des sozialen und technologischen Kontexts. Persuasive Technologien können im richtigen Moment Vorschläge machen. Fogg (2009) nennt in diesem Zusammenhang das altgriechische Konzept des «Kairos» und erklärt das

3.2 Verhaltensauslösende Trigger

37

Prinzip mit «den opportunen Moment zu finden, um die Botschaft zu präsentieren» (S. 41). Auch Vorschläge können Trigger sein. Um das richtige Timing zu erwischen, müssen die entsprechenden personalen oder kontextbezogenen Faktoren messbar oder aus vorhandenen Daten ableitbar sein. Wie in Abschn. 2.7 erwähnt, gibt es aber neben antizipierenden Triggern auch Trigger, die die Situation beziehungsweise den Kontext verändern. Trigger können vereinfachender, motivierender oder erinnernder Art sein (vgl. Trigger-Arten gemäss Fogg Abschn. 2.7). Die unten beschriebenen Auslöser werden mit einer Tendenz diesen drei Trigger-Arten zugeordnet. Je nach Interpretation kann aber ein motivierender Trigger durchaus auch vereinfachend sein oder umgekehrt.

3.2.1

Mit Bezug zu Nutzenden-Charakteristika

Alle aus den vorangehenden Kapiteln abgeleiteten Charakteristika von Nutzenden, die für Verhalten und Verhaltensänderung entscheidend sind, können für die Gestaltung von Auslösern herangezogen werden. Das sind die Einstellungen in Bezug auf das Verhalten, frühere Erfahrungen in Bezug auf das Verhalten beziehungsweise die Aufgabe, Werte und Motive, Motivation in Kombination von Anreizen und Motiven (vgl. Heckhausen & Heckhausen, 2010) und Ressourcen beziehungsweise Fähigkeiten in Bezug auf das anvisierte Verhalten. Unter Ressourcen können Faktoren wie Zeit, Geld, mentale und physische Ressourcen subsummiert werden. Bei den Fähigkeiten geht es insbesondere um die Selbsteinschätzung, ob sich jemand die Ausführung eines bestimmen Verhaltens zutraut oder nicht (Selbstwirksamkeitsüberzeugung). Sowohl die Ermöglichung zur Selbst-Beobachtung wie die Personalisierung, die bereits Fogg (2002) in seinem Grundlagenwerk beschrieben hat, aber auch ganz grundlegende äussere Belohnungsanreize, können hier als Auslöser ausgeführt werden: Selbst-Beobachtung: Selbst-Feedback als Motivator (Self-Monitoring)1 Feedback (und sei es lediglich das Feedback anhand von Self-Monitoring) kann zum Kompetenzerleben beitragen und die Motivation erhöhen, und zwar insbesondere dann, wenn eine Aufgabe grundsätzlich intrinsisch motiviert ist (vgl. Self Determination Theory von Deci & Ryan, 1985).

1

In jedem Trigger-Titel wird zum deutschen der englische Trigger-Titel eingeführt, der bei der Beschreibung der Trigger-Arten im Persuasive Design Toolkit in Kap. 4 wieder zur Anwendung kommt.

38

3 Verhaltensänderung gestalten

Bei der Selbst-Beobachtung geht es darum, das eigene Verhalten in Bezug auf eine Aufgabe mit Hilfe von (technischen) Hilfsmitteln selbst zu überwachen. SelbstBeobachtung wird meist in Echtzeit betrieben und kann z. B. Feedback geben zum eigenen physischen Zustand in Bezug auf das Verhalten oder den Fortschritt in einer komplexeren Fragestellung (Fogg, 2002). Personalisierung: Persönliche Relevanz als Motivator (Personalisation) Durch die Personalisierung einer Aufgabe – entlang der NutzendenCharakteristika – kann diese für den Nutzer relevanter gemacht werden (Fogg, 2002). Dass Relevanz die Motivation erhöht und Informationen dann eher auf der zentral analytischen Route verarbeitet werden – und damit stabile Einstellungsveränderungen in Bezug auf das anvisierte Verhalten evozieren –, hat sich in den vorangehenden Kapiteln gezeigt. Konditionierung: Verhaltensverstärkung anhand von Belohnungen (Rewards) Die bekanntesten Trigger, mit der wohl ältesten Historie im Rahmen der Verhaltenswissenschaften sind die Belohnungen bzw. Bestrafungen (vgl. Abschn. 2.1 Verhaltensänderung durch Verstärkung) im Rahmen einer Konditionierung. Wie in Kap. 1 beschrieben, können Belohnungen oder Bestrafungen Verhalten fördern, verhindern oder formen. Es gibt unterschiedliche Arten von Belohnungen. Aus der Persuasionsstrategie Gamification kennen wir z. B. Punkte, Badges und Leaderboards. Unvorhersehbare Belohnungen haben den grössten Effekt, da sie die grösste Dopaminausschüttung bewirken (vgl. z. B. Murayama et al., 2010).

3.2.2

Mit Bezug zu Sendenden-Charakteristika

Die Basis jeglicher Verhaltensgestaltung ist die Glaubwürdigkeit des sendenden Menschen oder des sendenden Systems (Fogg, 2002). Oinas-Kukkonen und Harjumaa (2009) differenzieren die Glaubwürdigkeit mit konkreten TriggerBeschrieben wie Verifizierbarkeit, Vertrauenswürdigkeit, Kooperation mit glaubwürdigen Partnern und die Realitätsnähe. Je nach Interpretation können die Auslöser sowohl motivierend als auch vereinfachend eingeordnet werden.

3.2 Verhaltensauslösende Trigger

39

3.2.2.1 Vertrauen als Vereinfacher und Motivator mit folgenden Auslösern Haben Nutzende z. B. Vertrauen in ein System, kann dies ihre Motivation erhöhen, das System zu nutzen und den darin enthaltenen Empfehlungen und Anleitungen zu folgen. Gleichzeitig kann Vertrauen auch vereinfachend wirken, und zwar dahingehend, dass Nutzende Entscheidungen akzeptieren und Anweisungen folgen, ohne sie kritisch hinterfragen zu müssen. Je nach Verarbeitungstiefe der Informationen spielen zusätzliche Charakteristika der sendenden Dimension eine relevante Rolle. Auf der oberflächlichen Verarbeitungsroute sind eher Attraktivitäts- und Sympathie-Merkmale entscheidend. Auf der zentral analytischen Verarbeitungsroute Expertise und Autorität. Verifizierbarkeit: Nachvollziehbarkeit als Basis der Verhaltensgestaltung (Verifiability) Um Glaubwürdigkeit zu schaffen, müssen die Inhalte einer Anwendung beziehungsweise eines Produkts verifizierbar sein, z. B. mit Hilfe von Quellenangaben (Oinas-Kukkonen & Harjumaa, 2009). Vertrauenswürdigkeit: Wahre Information als Basis der Motivation (Trustworthiness) Vertrauenswürdigkeit wird als wahre, faire und unvoreingenommene Information beschrieben (Fogg, 2002; Oinas-Kukkonen & Harjumaa, 2009). Diese Art von Informationen spielen vor allem bei der zentralen Informationsverarbeitung eine entscheidende Rolle (vgl. Abschn. 2.3.4). Dort sind für eine Einstellungsänderung logische und evidenzbasierte Informationen mit Bezug zum Hauptargument gefragt. Gegenargumente sowie mögliche Einwände können die Glaubwürdigkeit zusätzlich steigern (Rucker et al., 2008). Auch Ähnlichkeiten in Bezug auf Meinungen, Sprache oder den persönlichen Hintergrund erhöhen die Vertrauenswürdigkeit (Fogg, 2002; Stiff & Mongeau, 2016). Realitätsnähe: Menschen statt Abstraktheiten zur Vertrauensbildung (RealWorld-Feel) Eine abstrakte Organisation ist weniger vertrauenswürdig als die Menschen, die dahinterstehen (Oinas-Kukkonen & Harjumaa, 2009). Ein mögliches Umsetzungsbeispiel dieses Triggers wäre es, die Menschen, die hinter einer Organisation stehen, in ihrem Arbeitsalltag zu zeigen.

40

3 Verhaltensänderung gestalten

Kooperation mit glaubwürdigen Partnern: Als Basis der Verhaltensgestaltung (Third-Party-Endorsements) Bekannte und vertrauensvolle Dritt-Parteien können das Vertrauen in das sendende System oder den sendenden Menschen fördern (Oinas-Kukkonen & Harjumaa, 2009). Umsetzungsbeispiele sind hier Zertifikate oder bekannte Kooperationspartner, auf die öffentlich Bezug genommen wird. Expertise und Autorität: Als Vereinfacher oder Motivator (Expertise, Authority) Expertise ist ein Teilaspekt von Autorität und bezieht sich laut Fogg (2002) auf das Wissen, die Fähigkeiten und die Erfahrungen. Das Diplom des Arztes im Wartezimmer beispielsweise oder die weissen Kittel von Laborspezialisten auf der Website sind Beispiele von Autoritäts-Demonstration on- und offline. Auch Content, welcher die Expertise zeigt, kann Autorität online unterstreichen (vgl. z. B. Nahai, 2012). Autorität kann sowohl als Vereinfacher wirken, wenn Verhaltensauslöser von Autoritäten nicht mehr kritisch hinterfragt werden (vgl. z. B. Cialdini et al., 2006), als auch als Motivator, wenn eine Botschaft glaubwürdiger und überzeugender wirkt (vgl. z. B. Wegener et al., 2004). Sympathie und Attraktivität: Als Vereinfacher zur Basis der Verhaltensgestaltung (Similarity, Liking) Sympathie und Attraktivität können – wie Glaubwürdigkeit – eine wesentliche Basis dafür sein, ob wir für jemanden etwas tun oder nicht. Der tiefe Wunsch nach sozialer Eingebundenheit ist hier wesentliche Triebkraft. Der Erfolg von Facebook mit seinem Like-Button beruht darauf. Menschen bauen Sympathie oft auf Ähnlichkeit. Mit gelikten und geteilten Beiträgen zeigt jemand seine soziale Identität (Nahai, 2012). Attraktivität ist dabei ein wesentlicher Faktor, der Sympathie befördert (Nahai, 2012).

3.2.2.2 Soziale Rolle (social role) als Vereinfacher und Motivator mit folgenden Auslösern Sowohl Lob (Praise) als auch Anerkennung (Recognition) können als verstärkende Belohnung, verbunden mit einem Feedback, verstanden werden. Bei der Anerkennung spielt zusätzlich der soziale Aspekt eine Rolle – es geht um einen Gruppenstatus. Soziale Anerkennung kann auch an die soziale Eingebundenheit angebunden werden, die für die Motivation (gemäss Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan, 1985) neben Feedback und Autonomie entscheidend ist. Aufgrund sozialer Anerkennung fühlt sich eine Person in der Gruppe wertgeschätzt

3.2 Verhaltensauslösende Trigger

41

und eingebunden. Wie bereits weiter oben erwähnt, ist (ungerichtetes) Feedback ein Beitrag zum Kompetenzerleben und erhöht die Motivation (Deci & Ryan, 1985). Weitere soziale Aspekte, die in sogenannte Verhaltensauslöser (Trigger) integriert werden, werden im Abschn. 3.2.4, Auslöser mit Bezug zum sozialen und technologischen Kontext, erklärt.

3.2.3

Mit Bezug zu den Aufgaben-Charakteristika

Im Abschn. 2.6 hat sich gezeigt, dass Verhalten durch die Art der AufgabenCharakteristika ausgelöst werden kann. Einerseits ist hier die Vereinfachung grosser Aufgaben in kleine Aufgabenblöcke entscheidend, die für den Nutzenden erreichbar und doch fordernd sind. Zudem ist es wichtig, die Aufgaben den (steigenden) Fähigkeiten des Nutzenden anzupassen, damit längerfristig keine Langeweile entsteht. Bei den Aufgaben-Charakteristika können die von Fogg aufgeführten Trigger Reduktion, Tunneling und Personalisierung (gemäss Fogg, Tailoring) ansetzen: Reduktion: Ein vereinfachender und motivierender Auslöser (Reduction) Strategien, die eine Aufgabe vereinfachen (im Sinne von Zeit, Geld oder kognitiven Ressourcen einsparen) sind Reduktionsstrategien. Oft werden komplexe Aufgaben in einzelne einfache kleine Schritte unterteilt. Für den Wechsel der KrankenkassenGrundversicherung in der Schweiz ist es so zum Beispiel nur nötig, den neuen Vertrag zu unterzeichnen. Um die Kündigung des alten Vertrags kümmert sich die neue Versicherung (Fogg, 2002, 2019). Ein kleines spezifisches Ziel kann eher erfolgreich erreicht werden als ein komplexes weiter weg liegendes Ziel. Jeder Erfolg stärkt die Selbstwirksamkeitserwartung und fördert das Angehen des nächsten Schrittes (vgl. Fogg, 2009; Locke & Latham, 2002). Tunneling: Vereinfachen durch eine enge Prozessbegleitung (Tunneling) Ein System kann Schritt für Schritt durch einen Prozess mit vordefinierten Einzelaktionen leiten (Fogg, 2002). Der Nutzende lässt sich auf einen längerfristigen Prozess ein. Damit wird, angelehnt an das Prinzip der Konsistenz von Cialdini die Nutzenden-Bindung gegenüber Einzel-Aktionen erheblich erhöht (vgl. Fogg, 2009; Cialdini, 2011).

42

3 Verhaltensänderung gestalten

Personalisierung: Motivieren durch nutzerspezifische Aufgabengestaltung (Personalisation, Tailoring) Die nutzerspezifische Aufgabengestaltung kann mit dem Berücksichtigen des Fähigkeitslevels im Idealfall Motivation und Flow-Zustände provozieren. Dies ist allerdings nur möglich, wenn der Fähigkeitslevel des Nutzenden erhoben und die Aufgabe entsprechend angepasst werden kann (vgl. Abschn. 2.6. Gestaltung der Aufgabe). So gibt es z. B. das Fitness-Programm Zwift.com, bei dem Nutzer zuerst ihren aktuellen Konditionslevel testen, um ein massgeschneidertes Trainingsprogramm zusammenstellen zu können.

3.2.4

Mit Bezug zum sozialen und technologischen Kontext

Sowohl im Kap. 1 wie auch im Kap. 2 hat sich gezeigt, dass der soziale Kontext für die Verhaltensgestaltung entscheidend ist. Neben dem sozialen Kontext spielt in der Verhaltensgestaltung auch der technologische Kontext eine wesentliche Rolle. Er kann sowohl hinderlich wie förderlich sein. Die Technik kann Auslöser wie Echtzeit-Personalisierung ermöglichen, die ohne Daten-Tracking nicht möglich wäre, gleichzeitig kann Technik aber auch hinderlich sein, wenn es z. B. um Vertrauensaufbau geht. Gewährleistet eine technische Anwendung keine Datensicherheit, Benutzerfreundlichkeit, Verlässlichkeit und Transparenz wird der Vertrauensaufbau massgeblich beschränkt (vgl. z. B. Dourish, 2004; Metcalf & Crawford, 2016).

3.2.4.1 Technologischer Kontext: Vereinfachende und motivierende Verhaltensauslöser Verlässlichkeit und Transparenz sind Aspekte, die in der Kategorie «Sendende» behandelt wurden. Gemäss Fogg (2002) sind in diesem Kontext auch noch Tunneling und Simulation zu beachten. Tunneling wurde bereits im Kapitel Auslöser mit Bezug zu den Aufgaben-Charakteristika besprochen: Simulation: Vereinfachen durch sichtbare UrsachenWirkungszusammenhänge (Simulation, rehearsal) Technik kann Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sowie die Umwelt als auch Objekte simulieren. Bei Ursache-Wirkungssimulationen können Nutzende in einem sicheren Umfeld ohne Konsequenzen mit verschiedenen Verhaltensweisen experimentieren. Im Explorationsmodus sind Menschen offen und neugierig und eher bereit, ihr Verhalten und ihre Einstellung zu verändern. Der Link zwischen Ursache

3.2 Verhaltensauslösende Trigger

43

und Effekt wird klar und unmittelbar aufgezeigt. Eine Umwelt kann so simuliert werden, dass sie auf das Verhalten eines Nutzenden eine motivierende und belohnende Funktion hat. So kann eine Fitness-App beispielsweise mit einer Abenteuerwelt verknüpft werden, durch die man rudern oder mit dem Velo fahren kann. Ein Zielverhalten kann in einem simulierten Umfeld geübt und damit die Fähigkeit in Bezug auf das Zielverhalten gefestigt werden. Die Exposition in neue oder furchterregende Situationen kann kontrolliert werden, Rollenspiele sind möglich und können die Übernahme der Perspektive einer anderen Person begünstigen. Objekt-Simulationen wie z. B. Puppen, die sich wie Babys verhalten, können im Alltag einer Person die Wirkung zeigen, die eine Entscheidung – in diesem Fall für eine Elternschaft – konkret im Alltag haben kann (Fogg, 2009).

3.2.4.2 Sozialer Kontext: Vereinfachende und motivierende Verhaltensauslöser Die soziale Norm bezieht sich auf ungeschriebene Regeln, Erwartungen und Verhaltensweisen, die in einer bestimmten Gruppe üblich sind (Cialdini & Goldstein, 2004; Bicchieri, 2005). Weitere Aspekte des sozialen Kontextes, die mit Verhaltensauslösern adressiert werden können sind der soziale Vergleich, soziales Lernen, die soziale Vereinfachung, Kooperation und Wettbewerb (vgl. Fogg, 2002). Normativer Einfluss: Vereinfachen durch Widerspiegelung oder Verstärkung sozialer Normen (Normative Influence) Sowohl die sozial-kognitive Lerntheorie (vgl. Kap. 1) wie auch die Theorie des geplanten Verhaltens (vgl. Kap. 2) betonen die Relevanz des sozialen Kontextes bzw. der sozialen Norm für das Zustandekommen von Verhalten. Die soziale Norm bezieht sich vor allem auf die eigene Gruppe, in der man sich vorwiegend bewegt. Bilder oder Texte können nun beispielsweise so gestaltet werden, dass sie soziale Normen widerspiegeln oder verstärken, um eine bestimmte Zielgruppe zu beeinflussen (Bicchieri, 2005). Auch das Bewusstmachen von sozialen Normen kann eine wirksame Strategie sein, um Verhalten zu beeinflussen. So haben Goldstein et al. (2008) in einem Experiment Hotelgäste gebeten, die Handtücher aus ökologischen Gründen wiederzuverwenden. In der einen Gruppe wurdezudem die Information platziert, dass die Mehrheit der Gäste im bewohnten Hotelzimmer, die Handtücher wiederverwenden würden. Die Gruppe mit der Zusatzinformation hat die Handtücher signifikant öfters wiederverwendet als die Gruppe ohne Zusatzinformation.

44

3 Verhaltensänderung gestalten

Reziprozität und Konsens: Automatisch ablaufende Prozesse als Vereinfacher Menschen neigen gemäss Cialdini (2011) dazu, Gefälligkeiten oder Geschenke zu erwidern, was im Fachjargon «Reziprozität» genannt wird. Auch der Konsens ist ein sozialer Beeinflussungsmechanismus. Hierbei geht es darum, dass sich Menschen an Verhalten anderer orientieren und dazu neigen, sich im Konsens der Gruppenumgebung zu verhalten (Cialdini, 2011). Beide Mechanismen können als Vereinfacher verstanden werden, da das reziproke bzw. konsente Verhalten nicht mehr überdacht werden muss, sondern gewissermassen automatisch abläuft und somit kognitiven Aufwand spart. Sozialer Vergleich: Vereinfachung durch Anlehnung an das Verhalten anderer (Social Comparison) Beim sozialen Vergleich geht es darum, dass Menschen ihre eigenen Fähigkeiten, Meinungen oder Verhaltensweisen mit anderen vergleichen, um ihre eigene Position in der Gruppe oder Gesellschaft zu bestimmen (Fogg, 2002). Eine Möglichkeit, den sozialen Vergleich als Verhaltensauslöser zu verwenden ist es, Feedback zu geben, dass auf Leistungen anderer basiert bzw. aufzuzeigen, wie sich andere Personen der Gruppe in einer spezifischen Situation verhalten haben. Eine konkrete Möglichkeit sozialen Vergleich als Verhaltensauslöser anzuwenden ist der Wettbewerb: Wettbewerb: Motivation durch das Messen mit anderen (Competition) Wettbewerb ist ein wesentliches Prinzip von Gamification und bei vielen Menschen erfolgreich (vgl. den Exkurs zu Gamification in Abschn. 3.3.2). Je nach Persönlichkeitstyp können Menschen unterschiedlich auf diesen Aspekt reagieren – vom eifrigen Wettstreiten bis zur absoluten Interaktionsverweigerung. Wettbewerbsprinzipien können aber in vielen Situationen als Anreiz motivierend wirken. Soziales Lernen: Vereinfachung und Motivation durch Modelllernen (Social Learning) Ein wichtiger Aspekt der sozial-kognitiven Lerntheorie, die sowohl Lernen wie auch Verhalten(-sänderung) erklärt, ist der Aspekt des Modelllernens (vgl. Abschn. 2.2. Modelllernen). Menschen lernen an Modellen und durch Modelle. Anhand von Modellen können Menschen beispielsweise negative Folgen von bestimmten Verhaltensweisen antizipieren, ohne sie selbst erleben zu müssen. Im Kontext von Verhaltensgestaltung können beispielsweise prominente Vorbilder genutzt werden, die erwünschte Verhaltensweisen zeigen (vgl. z. B. Vafeiadis et al., 2022).

3.3 Design-Strategien für die Verhaltensgestaltung

45

Soziale Vereinfachung (Social Facilitation) Soziale Vereinfachung beschreibt ein Phänomen, bei welchem die Leistung von Personen durch die Anwesenheit anderer steigt. Das Phänomen geht zurück auf den amerikanischen Psychologen Norman Triplett (1898). Floyd Allport hat das Phänomen mit seinen Arbeiten ausdifferenziert. Er unterscheidet in seiner Arbeit von 1924 zwei verschiedene Arten sozialer Vereinfachung: (1) Die ko-aktive und (2) die rein soziale Vereinfachung (Allport, 1924). Bei ersterem kommt es dann zu einer Leistungssteigerung, wenn andere anwesende Personen dieselbe Aufgabe ausführen, z. B. effektiveres Lernen durch Lernen in der Bibliothek, wo andere anwesende Personen ebenfalls lernen. Bei zweiterem genügt die alleinige Anwesenheit anderer Personen. So wird beispielsweise im Café in Anwesenheit anderer Personen effektiver gelernt als zuhause allein. Kooperation: Motivation durch Kooperation (Cooperation) Kooperation ist eines der sieben Prinzipien sozialen Einflusses von Cialdini (2011) und wird auch von Fogg (2002) als Auslöser für Verhalten beschrieben. Durch die Möglichkeit von Kooperation können Nutzende – ebenso wie durch die Möglichkeit des Wettbewerbs – zu Verhaltensweisen motiviert werden. Die Design-Techniken auf Seiten der Sendenden und, Nutzenden, bei Aufgaben, im technologischen und sozialen Kontext sowie auch bei den Triggern sind nun bekannt. Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, wie diese im Design-Verbund genutzt werden können. Diese Frage wird im nächsten Abschnitt beantwortet.

3.3

Design-Strategien für die Verhaltensgestaltung

Wie vorangehende Design-Techniken im Verbund als Strategie oder Taktik angewendet werden können, soll im Folgenden erläutert werden. Zunächst stellt das folgende Kapitel das Planungsmodell persuasiver Systeme vor. Auch die User Journey in Kombination mit den Design-Taktiken der Persuasion wird beschrieben. Die im vorhergehenden Kapitel erläuterten Taktiken und Techniken sollen nun in Einzeltrigger übersetzt und entlang Foggs Kategorisierungen Facilitator Trigger, Spark Trigger und Signal Trigger geordnet werden. Ausserdem ist ein Exkurs in die Strategien Gamification und Nudging integriert.

46

3.3.1

3 Verhaltensänderung gestalten

Grundprinzipien persuasiver Systeme

Um überzeugendes System-Design entwickeln zu können, ist es wesentlich, vor der Gestaltung der Systemqualitäten gewisse Grundprinzipien zu verstehen und den Kontext zu analysieren (vgl. z. B. Oinas-Kukkonen & Harjumaa, 2009). Die beiden Autoren führen Aspekte als Grundprinzipien an, die wir bereits bei den Systemqualitäten integriert haben. Im Folgenden liegt der Fokus auf den beiden wichtigsten Prinzipien, die zum Teil bereits in den Design-Prinzipien integriert sind: 1. Persuasion als laufender inkrementeller Prozess. Insbesondere bei längerfristigen Verhaltensänderungen der Nutzenden wie z. B. gesünderes Ernährungsverhalten, ist Persuasion ein laufender Prozess und nicht eine Einzel-Aktion. Die Ziele der Nutzenden können sich während des Prozesses ändern. Sie entwickeln sich entlang kleiner Unterziele. Ein persuasives System sollte sowohl kleine Unterziele als auch Adaptionen der Ziele ermöglichen. 2. Verschiedene Verarbeitungswege von Informationen: In der Persuasion ist sowohl die direkte wie auch die indirekte Verarbeitungsroute von Informationen relevant. Die Verarbeitungsrouten können sich während des Prozesses ändern und sind von vielfältigen physischen und psychischen Zustandssituationen und auch vom Kontext abhängig. Ein persuasives System sollte deshalb Botschaften zur Verfügung stellen, die beide Routen bedienen können.

3.3.2

Planung von Verhaltensgestaltung entlang der User Journey

Damit ein persuasives System zielführend geplant werden kann, ist es wesentlich, die Design-Techniken entlang des oben beschriebenen Verhaltensänderungsdesign-Modells und der Customer Journey in einen logischen Ablauf zu bringen. Wir unterscheiden dabei motivierende und vereinfachende Trigger in Kombination mit emotionalen oder rationalen Botschaften, die entweder auf der direkten oder indirekten Verarbeitungsroute überzeugen. Als Bezugsweg kann dabei eine User- oder Customer Journey dienen, die sich einerseits aus dem für die Nutzenden zielführenden Verhalten und dem für das Unternehmen gewünschte Verhalten ergibt. Nutzenden müssen die Entscheide stets bewusst gemacht werden, damit diese frei gewählt werden können. Andererseits besteht die Gefahr sogenannter Dark Patterns (vgl. auch Kap. 5, die es aus ethischen Gründen zu vermeiden gilt.

3.3 Design-Strategien für die Verhaltensgestaltung

47

Exkurs: Gamification und Nudging Sowohl in der Theorie wie in der Praxis sind vielfältige Strategien bekannt, die persuasive Einzel-Techniken im Verbund mit bestimmten Zielen als Substrategie anwenden. Im Folgenden werden die beiden viel diskutierten Strategien ,Gamification‘ und ,Nudging‘ im Kontext der Verhaltensgestaltung kurz umrissen. Gamification Gamification wird in zahlreichen Feldern als Methode angewendet, um Verhalten oder Einstellungen zu verändern. Gamification ist ein Design- oder Entwicklungsprozess, in dem Spiel-Elemente im Non-Spiel-Kontext eingesetzt werden (Deterding et al., 2011). Gamification zielt insbesondere auf das Aufteilen grösserer Aufgaben in kleinere Schritte, auf kontinuierliches Feedback und Motivation durch unterschiedliche Arten von Belohnungen. Es wird in der Anwendung zwischen Spiel-Mechanik, -Dynamik und -Ästhetik unterschieden (Hunicke et al., 2004). Spielmechaniken beschreiben die Spielkomponenten wie Punkte, Badges und Ranglisten, die die Motivation und das Engagement von Usern beeinflussen sollen. Die Dynamiken beschreiben den Sinn, den die User für sich hinter den Spielmechaniken sehen. Während die einen Leadership-Dynamiken ansprechen, sind es bei anderen, Selbstdarstellung, Wettbewerb oder Altruismus, um nur einige davon zu nennen. Die Ästhetik schliesslich beschreibt wünschbare emotionale Reaktionen, die die Mechaniken gemeinsam mit den Dynamiken im User auslösen, als Ziel des gamifizierten Systems (Hunicke et al., 2004). Gamification kann mit Belohnungen, Trophäen oder Lob (Stieglitz et al., 2017) sowohl die Motivation wie auch mit kleinen Zielen, die Schritt für Schritt zum grossen Ziel führen, bei der persönlichen Verhaltensänderungsplanung unterstützen. Die Unterziele werden – analog zu Computer-Spielen – mit dem Lernzuwachs der Nutzenden kontinuierlich schwieriger und ermöglichen so ein Verbleiben im Idealzustand zwischen Fähigkeit und Anforderung, was zu einem Flow-Erlebnis und hohem Engagement führen kann. Im Verhaltensänderungskontext können die Gamification-Elemente sowohl im Nutzungskontext (grosse Aufgabe in kleine Subaufgaben mit steigendem Schwierigkeitsgrad unterteilen) und beim Nutzer (Motivationssteigerung) verortet werden. Nudging Wie Gamification setzt Nudging ebenfalls bei der Aufgabe an. Es geht um das Design von Umwelten, welche persönliche und sozial erwünschte Entscheide vereinfachen, ohne die Freiheit oder Wahl zu beschränken. Mehr noch, die Intervention muss sogar einfach zu vermeiden sein (Thaler & Sunstein, 2020). Nudging ermöglicht es also, den Verhaltensprozess durch Kontextgestaltung entsprechend zu steuern. Nudges sind vor allem bekannt aus Beispielen von Verwaltungen und Behörden, aber auch Unternehmen können solche implementieren. Ein klassisches Beispiel ist es, bei Organspendeausweisen das Antwortfeld per Default auf «Ja» zu setzen. Auch die Fliege, die im Pissoir den Strahl in die gewünschte Richtung lenken soll, ist inzwischen ein weit bekanntes Beispiel. In Bezug auf Verhaltensänderungen kann Nudging also insbesondere dann eine sinnvolle Unterstützung bieten, wenn (a) ein beschränkter Zugang zu entscheidungsrelevanten Informationen besteht, (b) eine limitierte Kapazität, um Entscheidungsmethoden zu evaluieren und zu vergleichen vorhanden ist, und (c) eine eingeschränkte Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle herrschen (Mertens et al., 2022). Das bedeutet, dass Nudging vor allem im Kontext der heuristischen Verarbeitungsroute angewendet wird.

48

3.4

3 Verhaltensänderung gestalten

Fazit

In diesem Kapitel werden Trigger-Möglichkeiten entlang der relevanten Kategorien Sendende, Nutzende, sozialer und technischer Kontext sowie der Aufgabe entwickelt. Weiter wurden die für eine Verhaltensgestaltung wichtigsten Grundprinzipien festgehalten und eine mögliche Anbindung an die User Journey als Planungs- und Strategiehilfe erörtert. Diese schliesst einerseits Überlegungen zu Grundprinzipien von Verhaltensgestaltung sowie ein stringentes Zusammenspiel der Design-Techniken entlang der User Journey mit ein. Ein Exkurs zu bereits bestehenden Design-Taktiken wie Gamification oder Nudging, die vor allem bei der Nutzungsgestaltung und der Nutzenden-Motivation ansetzen, schliessen das Kapitel ab. Vorliegende Erkenntnisse werden nun in das Toolkit zur Verhaltensänderungsgestaltung übersetzt und im folgenden Kapitel ausgeführt. 

Take-Aways zu ,Verhaltensänderung gestalten‘

1. Für Verhaltensänderungsgestaltung können verhaltensauslösende Trigger bei Charakteristiken der Sendenden, Nutzenden, beim technologischen und sozialen Kontext sowie bei der Aufgabe ansetzen. 2. Persuasives Design ist – bei komplexeren (und längerfristigen) Verhaltensgestaltungsprozessen, wie z. B. dem Ernährungsverhalten – ein inkrementeller Prozess, bei dem sich Ziele, Motivation und Fähigkeiten stetig verändern können. Diese Volatilität muss bei der Entwicklung einer Verhaltensgestaltung berücksichtigt werden. 3. Eine Verhaltensgestaltungsstrategie kann entlang einer User Journey geplant und für unterschiedliche Personas durchgespielt werden. 4. Es kommen sowohl Trigger zum Einsatz, die die analytische langsame wie auch die periphere oberflächliche Verarbeitungsroute bedienen. 5. Dieselben Trigger können – je nach Interpretationsart – sowohl vereinfachend wie auch motivierend wirken. Die möglichen Anwendungsgebiete einer persuasiven Design-Strategie sind Thema des folgenden Kapitels. Idealerweise wird der Canvas zu Beginn eines digitalen Projektes hinzugezogen. Er kann aber auch noch während eines Projektes wertvolle Dienste leisten.

Literatur

49

Literatur Allport, F. H. (1924). Social psychology. Houghton. Bicchieri, C. (2005). The grammar of society: The nature and dynamics of social norms. Cambridge University Press. Cialdini, R. B. (2011). Influence: The psychology of persuasion (Rev. Ed.). Collins. Cialdini, R. B., Demaine, L. J., Sagarin, B. J., Barrett, D. W., Rhoads, K., & Winter, P. L. (2006). Managing social norms for persuasive impact. Social Influence, 1(1), 3–15. Cialdini, R. B., & Goldstein, N. J. (2004). Social influence: Compliance and conformity. Annual Review of Psychology, 55, 591–621. Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic motivation and self-determination in human behavior. Plenum Press New York. Deterding, S., Dixon, D., Khaled, R., & Nacke, L. (2011). From game design elements to gamefulness. In A. Lugmayr, H. Franssila, C. Safran, & I. Hammouda (Hrsg.), ACM Other conferences, Proceedings of the 15th International Academic MindTrek Conference Envisioning Future Media Environments (S. 9). ACM. Dourish, P. (2004). Where the action is: The foundations of embodied interaction (1. MIT Press paperback ed.). A Bradford book. MIT Press. Fogg, B. J. (2019). Tiny habits: The small changes that change everything (1. Aufl). HarperCollins Publishers. Fogg, B. J. (2009). A behavior model for persuasive design. In Proceedings of the 4th International Conference on Persuasive Technology – Persuasive ’09. ACM Press. Fogg, B. J. (2002). Persuasive technology: Using computers to change what we think and do. Morgan Kaufmann Publishers. Goldstein, N. J., Cialdini, R. B., & Griskevicius, V. (2008). A room with a viewpoint: Using social norms to motivate environmental conservation in hotels. Journal of Consumer Research, 35(3), 472–482. Heckhausen, J., & Heckhausen, H. (2010). Motivation und Handeln: Einführung und Überblick. In J. Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Springer-Lehrbuch. Motivation und Handeln (4.Aufl., S. 1–9). Springer. Hunicke, R., LeBlanc, M., & Zubek, R. (2004). MDA: A formal approach to game design and game research. Proceedings of the Challenges in Games AI, Workshop on Challenges in Game AI, 4(1). Locke, E. A., & Latham, G. P. (2002). Building a practically useful theory of goal setting and task motivation. A 35-year odyssey. The American Psychologist, 57(9), 705–717. Mertens, S., Herberz, M., Hahnel, U. J. J., & Brosch, T. (2022). The effectiveness of nudging: A meta-analysis of choice architecture interventions across behavioral domains. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 119(1). Metcalf, J., & Crawford, K. (2016). Where are human subjects in big data research? The emerging ethics divide. Big Data & Society, 3(1), 1–14. Murayama, K., Matsumoto, M., Izuma, K., & Matsumoto, K. (2010). Neural basis of the undermining effect of monetary reward on intrinsic motivation. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 107(49), 20911–20916. Nahai, N. (2012). Webs of influence: The psychology of online persuasion: The secret strategies that make us click. Pearson.

50

3 Verhaltensänderung gestalten

Oinas-Kukkonen, H., & Harjumaa, M. (2009). Persuasive systems design: Key issues, process model, and system features. Communications of the Association for Information Systems, 24. Rucker, D. D., Petty, R. E., & Briñol, P. (2008). What’s in a frame anyway? A meta-cognitive analysis of the impact of one versus two sided message framing on attitude certainty. Journal of Consumer Psychology, 18(2), 137–149. Stieglitz, S., Lattemann, C., Robra-Bissantz, S., Zarnekow, R., & Brockmann, T. (Hrsg.). (2017). Springer eBook collection business and management. Gamification: Using Game Elements in Serious Contexts. Springer. Stiff, J. B., & Mongeau, P. A. (2016). Persuasive communication (3. Aufl.). Guilford Press. Thaler, R. H., & Sunstein, C. R. (2020). Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt (C. Bausum, Trad.) (Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch, 16. Aufl.). Bd. 37366. Ullstein. Triplett, N. (1898). The dynamogenic factors in pacemaking and competition. The American Journal of Psychology, 9(4), 507. Vafeiadis, M., Wang, W., Baker, M., & Shen, F. (2022). Examining the effects of celebrity (vs. noncelebrity) narratives on opioid addiction prevention: Identification, transportation, and the moderating role of personal relevance. Journal of Health Communication, 27(5), 271–280. Wegener, D. T., Petty, R. E., Smoak, N. D., & Fabrigar, L. R. (2004). Multiple routes to resisting attitude change. Resistance and Persuasion, 13–38.

4

Persuasive Design Toolkit

Zusammenfassung

Dieses Kapitel erläutert das von der Autorenschaft entwickelte Persuasive Design Toolkit, das den aktuellen Stand der Wissenschaft auf das Wesentliche komprimiert und in verständlicher Art und Weise anwendbar macht. Der strukturierende Werkzeugkasten eignet sich zur interdisziplinären Anwendung zentraler Verhaltensänderungsmechanismen in der Gestaltung digitaler oder analoger Lösungen.

Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, besteht bereits ein beträchtlicher Wissenskörper im Bereich der Verhaltensgestaltung beziehungsweise des Persuasiven Designs. In der Praxis zeigt sich aber auch die Schwierigkeit, die entsprechenden Modelle und Theorien in den Gestaltungsprozess einzubinden. Hier setzt das Persuasive Design Toolkit an. Es stellt den aktuellen Stand der Wissenschaft verständlich dar, ist auf das Wesentliche komprimiert und gut anwendbar. Der strukturierende Werkzeugkasten ermöglicht die geleitete interdisziplinäre Anwendung zentraler Verhaltensänderungs-Mechanismen in der Gestaltung digitaler und analoger Lösungen. Als Einstiegs- oder Kollaborationsmethodik unterstützt er den individuellen oder gruppenbasierten Findungsprozess geeigneter Auslöser für Verhalten, führt durch die zentralen Denk- beziehungsweise Entwicklungsschritte und bietet Übersicht und Vertiefung in Bezug auf die unterschiedlichen Methoden des Persuasiven Designs. Er ist dabei gedacht als Einstiegs- und Kollaborationsmethodik, die es erlaubt, Personen unterschiedlicher Disziplinen in den Gestaltungsprozess einzubinden. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Federspiel und A. Peter, Designed to persuade, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41923-3_4

51

52

4

Persuasive Design Toolkit

Abb. 4.1 Die fünf Bestandteile des Persuasive Design Toolkits. (Quelle: eigene Darstellung)

Die verhaltensgestaltenden Design-Muster sind so konkret wie möglich und so abstrakt wie nötig gehalten, um auf breit gefächerte Kontexte wie E-Commerce, Marketing, Gesundheit, ökologische Nachhaltigkeit und vieles mehr anwendbar zu sein. Der Prozess bringt interdisziplinäre Teams von Produkt-Designerinnen und -Designern, Marketingexperten, Customer-Experience-Designerinnen und Designer, Software-Entwicklerinnen und -Entwicklern sowie Fachexpertinnen und -experten zusammen und hilft ein Produkt so zu entwickeln oder zu optimieren, dass es sowohl Nutzenden wie auch Unternehmen dient und Verhaltensziele fokussiert erreicht werden können. Das Toolkit setzt die Design-Muster in Bezug zu (Botschafts-)sendenden, Nutzenden, Aufgaben bzw. Zielen, dem sozialen und technologischen Kontext sowie der User-Journey. Es ordnet die Design-Muster entlang ihrer Funktionen ein und soll zu neuen bzw. weiterentwickelten, nutzerfreundlichen und effektiven Design-Lösungen inspirieren. Das Toolkit setzt sich dabei aus fünf unterschiedlichen Bestandteilen zusammen (vgl. Abb. 4.1): 1. Auf der Sender Card werden die Charakteristika des Sendenden festgehalten. 2. Auf der User Card werden die Nutzenden beschrieben; 3. Auf der Strategy Map werden die erwünschten Verhaltensweisen sowie die beeinflussenden Faktoren der sozialen und technologischen Kontexte festgehalten. 4. Der Persuasive Design Canvas leitet durch die Denkschritte zur Kategorisierung und Ideenfindung zu den einzelnen Verhaltensweisen und

4.1 Die drei Phasen des Persuasive Design Toolkit

53

5. die Inspiration Cards mit den 28 verhaltensauslösenden Triggern dienen zur Ideenstimulierung.

4.1

Die drei Phasen des Persuasive Design Toolkit

Das Persuasive Design Toolkit leitet in drei Phasen durch die Entwicklung von Verhaltensgestaltung: (1) Analyse des Senders, der Nutzenden und der erwünschten Verhaltensweisen, (2) Kategorisierung der Verhaltensweisen und Ideengenerierung für mögliche verhaltensauslösende Trigger, und (3) Verortung und kritische Reflexion der Trigger entlang der User Journey. Im Folgenden werden die drei Phasen genauer erläutert.

4.1.1

Phase 1: Sendende, Nutzende und erwünschtes Verhalten im Kontext analysieren

Zu Beginn der Systemgestaltung werden die Sendenden, Nutzenden sowie die erwünschten Verhaltensweisen analysiert. Es gilt dabei zu untersuchen, wer welche Absicht verfolgt, wie der konkrete Anwendungskontext aussieht, wie die Aufgaben in einen strategisch sinnvollen Ablauf gebracht werden können und welchen Einfluss der technologische und soziale Kontext hat. 1. Sendende analysieren Jedes von Menschen gestaltete System wird mit einer ihm zugrundeliegenden Absicht entwickelt. Die erkenntnisleitenden Fragen lauten in dieser Phase deshalb: Wer beeinflusst mit welcher Absicht bei der Verhaltensgestaltung als (Ab)sender die Botschaften? Vier Faktoren beeinflussen dabei besonders die Wirkungsfähigkeit der Botschaften beziehungsweise der Trigger. Sie werden im Toolkit in der ,Sender Card‘ festgehalten (vgl. Abb. 4.2). Nutzende sind einfacher zu überzeugen, wenn der Sender bzw. die Senderin wahrgenommen wird als Entität, die über ein hohes Mass an Glaubwürdigkeit, Expertise, Autorität und Ähnlichkeit mit den Nutzenden verfügt. Die Analyse dieser vier Dimensionen gibt einerseits darüber Auskunft, wie leicht oder schwierig es sein wird Nutzende vom erwünschten Verhalten zu überzeugen beziehungsweise wie viel Aufwand betrieben werden muss, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Andererseits gibt die Analyse aber auch Hinweise auf die Eignung bestimmter Trigger. So

54

Abb. 4.2 Sender Card. (Quelle: eigene Darstellung)

4

Persuasive Design Toolkit

4.1 Die drei Phasen des Persuasive Design Toolkit

55

kann, zum Beispiel, eine eher niedrige Glaubwürdigkeit durch die Trigger ,Surface Credibility‘ oder ,3rd Party Endorsement‘ adressiert werden. Die Beurteilung dieser Kriterien erfolgt aus Sicht der Nutzenden. Hier empfiehlt es sich in der Analysephase nicht nur die Innensicht zu verwenden, sondern bewusst unterschiedliche Aussensichten in die Beurteilung einfliessen zu lassen. Im Idealfall können dazu reale Kundinnen und Kunden befragt werden. Während die Wahrnehmung in Bezug auf die Glaubwürdigkeit, Expertise und Autorität relativ direkt erhoben werden kann, muss bei der Dimension ,Ähnlichkeit mit dem Nutzenden‘ je nach Anwendungsfall etwas weiter ausgeholt werden. Diese SystemQualität bezieht sich darauf, inwiefern sich Nutzende im System wiederfinden beziehungsweise davon besonders angesprochen fühlen. 2. Nutzende analysieren Wesentlich für den ganzen Prozess sind die Eigenheiten der Nutzenden. Heutige technologische Möglichkeiten der Datenerfassung bieten – unter Berücksichtigung des Datenschutzes – neue Möglichkeiten in der Verhaltensgestaltung nutzerzentriert zu arbeiten. Je nutzerzentrierter Aufgaben gestaltet sind und Trigger gesetzt werden können, desto eher sind diese für die Nutzenden relevant und damit verhaltensleitend. Auf einer übergeordneten Ebene sind aber folgende Dimensionen von besonderer Relevanz: (1) Der individuelle Use Case, (2) der persönliche Hintergrund, (3) die zu erledigenden Aufgaben bzw. Jobs-to-be-done, (3) die Erfahrungen und (4) die verfügbaren Ressourcen und Fähigkeiten der Nutzenden. Für die Arbeit im Persuasive Design Toolkit empfiehlt sich die Verwendung einer Persona, welche die entsprechenden Eigenschaften festhält (vgl. Abb. 4.3). Das Template stellt eine vereinfachte Sicht auf die Nutzenden dar. Die vorgeschlagenen Dimensionen könnten je nach Bedarf weiter vertieft werden. Folgende Nutzenden-Charakteristiken haben sich theoriegeleitet als wesentliche Aspekte von Verhalten- und Verhaltensänderung gezeigt: Die Einstellung bezüglich eines Verhaltens, frühere Erfahrungen in Bezug auf das Verhalten beziehungsweise die Aufgabe, die Werte und Motive, die Motivation als Kombination von inneren Motiven und äusseren Anreizen, die Ressourcen beziehungsweise Fähigkeiten und die benutzte Verarbeitungsroute von Informationen (heuristisch vs. systematisch). Unter Ressourcen können Faktoren wie Zeit, Geld, mentale und physische Ressourcen subsummiert werden. Bei den Fähigkeiten geht es insbesondere um die Selbsteinschätzung, ob sich jemand die Ausführung eines bestimmen Verhaltens zutraut oder nicht (Selbstwirksamkeitsüberzeugung). Nutzenden-Charakteristika können in einem Persona-Template erfasst werden und dann mit entsprechenden Triggern im Sinne von Anreizen und Aufgaben-Charakteristika bespielt werden.

56

4

Persuasive Design Toolkit

Abb. 4.3 User Card bzw. Persona als Hilfestellung zur Definition des User Context. (Quelle: eigene Darstellung)

4.1 Die drei Phasen des Persuasive Design Toolkit

57

Werte und Motive können erfasst und mit passenden Anreizen bespielt werden (Federspiel et al., 2014). Auch ein Fähigkeitsstand kann erfasst und mit der entsprechenden Aufgabenschwierigkeit bespielt werden. Wenn bekannt ist, welche Ressourcen mentaler und physischer Art – aber auch Zeit und Geld – vorhanden sind, kann passgenau auf die individuelle Situation eines Nutzenden eingegangen werden. 3. Erwünschte Verhaltensweisen im Kontext analysieren Nach der Identifikation der Sendenden- und Nutzenden-Charakteristika werden abschliessend die erwünschten Verhaltensweisen entlang der User Journey definiert. Hier stellt sich die Frage, welche Unteraufgaben in einem spezifischen Use Case ausgeführt werden müssen und welche Verhaltensweisen entlang dieses Ablaufs ausgelöst werden sollen? Dazu eignen sich bestehende User Journeys, Experience Journeys oder Customer Journeys beziehungsweise das vereinfachte Template des Persuasive Design Toolkits (vgl. Abb. 4.4). Sowohl Charakteristiken des sozialen als auch des technologischen Kontextes haben einen starken Einfluss darauf, wie verhaltensgestaltende Trigger eingesetzt werden können und ob sie schliesslich zu Verhalten führen oder nicht. Deshalb ist es entscheidend, den sozialen und technologischen Kontext für jede Aufgabe von Anfang an im Blick zu haben. Die zwei Hauptfragen sind hier: (1) In welchem sozialen Kontext findet die Verhaltensgestaltung statt und welche engen Bezugsgruppen des Nutzenden spielen hier eine Rolle? (2) Findet die Verhaltensgestaltung in einem technologischen Kontext statt und welche zusätzlichen Möglichkeiten und Hindernisse bieten sich dadurch? Diese Dimensionen sind bei der vertieften Betrachtung der User Journey zusätzlich zu beachten.

4.1.2

Phase 2: Erwünschtes Verhalten kategorisieren und effektive Umsetzungsideen generieren

Nachdem in der Vorbereitungsphase der Anwendungskontext analysiert wurde, kann mit der Findung und Beurteilung der geeigneten Verhaltensauslöser begonnen werden. Der Canvas (vgl. Abb. 4.5) führt dazu durch drei zentrale Schritte: (1) der Identifikation des erwünschten Verhaltens, (2) der Kategorisierung des erwünschten Verhaltens, und (3) der Zuordnung der angemessenen Verhaltensauslösern und Generierung entsprechender Umsetzungsideen.

4

Abb. 4.4 Strategy Map. (Quelle: eigene Darstellung)

58 Persuasive Design Toolkit

4.1 Die drei Phasen des Persuasive Design Toolkit

Abb. 4.5 Persuasiver Design Canvas. (Quelle: eigene Darstellung)

59

60

4

Persuasive Design Toolkit

Abb. 4.6 Schritt 1. (Quelle: eigene Darstellung)

Schritt 1: Das erwünschte Verhalten identifizieren In einem ersten Schritt zur Auswahl und Findung geeigneter Gestaltungsideen des persuasiven Systems, werden zunächst die verschiedenen erwünschten Verhalten definiert (vgl. Abb. 4.6). In diesem Punkt empfiehlt es sich auf die erwünschten Verhaltensweisen einer Persona beziehungsweise deren User Context zu fokussieren. In der Entwicklung empfiehlt es sich zudem weitere User-Kontexte nachfolgend in einem separaten Canvas zu bearbeiten und am Schluss die unterschiedlichen Gestaltungsideen zusammen zu führen. Die erwünschten Verhaltensweisen beziehen sich auf das System, welches es zu optimieren oder neu zu gestalten gilt. Die Frage lautet hier: Welches Verhalten wollen wir von einer bestimmten Nutzerin oder einem Nutzer im Umgang mit dem System sehen und fördern? Schritt 2: Das erwünschte Verhalten kategorisieren Nachdem die erwünschten Verhaltensformen im ersten Schritt definiert wurden, werden sie im zweiten Schritt kategorisiert. Dazu verwendet der Canvas eine einfache Struktur zur Gliederung der erwünschten Verhaltensweisen (Abb. 4.7). Die handlungsanleitende Struktur weist die Verhaltensweisen zunächst einer von zwei Spalten zu: (1) Erwünschtes Verhalten, welches Nutzende als schwer auszuführen wahrnehmen und (2) erwünschtes Verhalten, welches Nutzende als leicht auszuführen wahrnehmen. Im zweiten Schritt wird diese Zuweisung innerhalb der jeweiligen Sparte im Hinblick auf die Motivation zur Verhaltensausführung

4.1 Die drei Phasen des Persuasive Design Toolkit

61

Abb. 4.7 Schritt 2. (Quelle: eigene Darstellung)

präzisiert. Verhalten, zu dessen Ausführung sich Nutzende hoch motiviert fühlen, wird in der oberen Hälfte der Spalten angeordnet und Verhalten, zu dessen Ausführung sich Nutzende wenig motiviert fühlen, in der unteren Hälfte aufgeführt. Daraus ergeben sich vier Bereiche, in welche das jeweilige erwünschte Verhalten zugewiesen werden kann: a) Schwierig auszuführen und hoch motiviert: Wenn die Nutzenden zwar hochmotiviert sind, das Verhalten aber schwierig auszuführen ist, wird dieses in der oberen Hälfte der linken Spalte verortet. Hier empfiehlt sich besonders die Verwendung der Facilitator Trigger zur Verhaltensauslösung. b) Schwierig auszuführen und wenig motiviert: Verhalten, das für die Nutzenden einerseits schwierig umzusetzen ist und für deren Ausführung sie sich wenig motiviert sehen, wird der unteren Hälfte der linken Spalte zugewiesen.

62

4

Persuasive Design Toolkit

Um Verhalten in diesem Bereich auszulösen, müssen häufig alle Trigger-Arten angewendet werden. c) Einfach auszuführen und hoch motiviert: Der oberen Hälfte der rechten Spalte werden Nutzenden-Verhalten zu geordnet, welche leicht auszuführen sind und zu denen die Nutzenden zur Ausführung motiviert sind. Zur Verhaltensauslösung dieser Verhaltensweisen, reichen oft Signal Trigger. d) Einfach auszuführen und wenig motiviert: Nutzenden-Verhalten, die der unteren Hälfte der rechten Spalte zugeteilt werden, zeichnen sich dadurch auch, dass sie zwar leicht auszuführen sind, aber die Nutzenden nur schlecht motiviert sind, dieses Verhalten auch auszuführen. Zur Steigerung der Motivation zur Verhaltensumsetzung werden hier meist Spark Trigger eingesetzt. Schritt 3: Das erwünschte Verhalten richtig auslösen Im dritten Schritt geht es schliesslich um die Suche nach konkreten Gestaltungsideen für das persuasive System. Der Canvas ist so gegliedert, dass die KlassifikationsSpalten jeweils zu den entsprechenden Leitfragen der Ideensuche führen (vgl. Abb. 4.8). Die Gliederung unterscheidet dabei im Wesentlichen zwischen zwei Verhaltenscharakteristika: a) Verhalten, die schwierig auszuführen sind

Abb. 4.8 Schritt 3. (Quelle: eigene Darstellung)

4.1 Die drei Phasen des Persuasive Design Toolkit

63

Für die linke Spalte, mit Verhalten, das als schwierig auszuführen wahrgenommen wird, geht es im Wesentlichen um eine Vereinfachung, welche es erleichtern soll, ein erwünschtes Nutzenden-Verhalten auszuführen. Die ideenleitenden Fragestellungen lauten dabei: Wie können wir das Ausführen des Verhaltens vereinfachen durch... • … eine Zeit- und/oder Geldersparnis? • … eine Reduktion des physischen und/oder kognitiven Aufwands? • … das Umwandeln in eine Routine? b) Verhalten, die leicht auszuführen sind Bei der rechten Spalte, mit Verhalten, das als leicht auszuführen wahrgenommen wird, steht die Motivation zur Ausführung des erwünschten Verhaltens im Vordergrund. Der Canvas leitet hier zur Fragestellung: Wie können wir zur Ausführung des erwünschten Verhaltens motivieren, indem wir... • … es unterhaltsamer oder angenehmer gestalten? • … eine positive Erwartungshaltung fördern? • … die soziale Akzeptanz für das Verhalten unterstützen?

4.1.3

Phase 3: Auslöser verorten und strategisch ausrichten

In der letzten Phase der Anwendung des Persuasive Design Toolkits werden die entwickelten Umsetzungsideen für effektive Auslöser entlang der User Journey in der Strategy Map verortet (vgl. Abb. 4.9). Dies ermöglicht es, sie in ihrer Gesamtsicht auf die Effektivität in Hinblick auf die Verhaltensauslösung zu beurteilen und – wo angezeigt – aufeinander abzustimmen. Zu diesem Zweck wird zunächst (1) die Sender Card als Ausgangspunkt auf die Strategy Map gelegt. Anschliessend wird (2) pro Nutzenden-Persona beziehungsweise User Card und der, in der Phase 1 identifizierten, User Journey mit den entsprechenden erwünschten Verhaltensweisen eine Zuordnung der verhaltensauslösenden Umsetzungsideen auf der Karte angebracht. Im abschliessenden Bearbeitungsschritt werden (3) die Umsetzungsideen und deren Sequenz vor dem Hintergrund der Sender-Charakteristika, der UserCharakteristika und der Kontext-Charakteristika kritisch reflektiert und – wo angezeigt – so angepasst, dass sie maximal effektiv aufeinander aufbauen.

4

Abb. 4.9 Strategy Map zur Verortung der verhaltensauslösenden Umsetzungsideen. (Quelle: eigene Darstellung)

64 Persuasive Design Toolkit

4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten

4.2

65

Exkurs: Die 3 Trigger-Arten

Entlang der Überlegungen von B. J. Fogg (2002) werden die Verhaltenstrigger in Facilitator Trigger, Signal Trigger und Spark Trigger kategorisiert. Diese drei Trigger-Typen empfehlen sich jeweils unterschiedlich für die Verwendung zur Auslösung eines Verhaltens je nach Quadranten. Die Facilitator Trigger sind besonders geeignet Verhalten auszulösen, das schwierig auszuführen ist. Die Spark Trigger empfehlen sich für Verhalten, zu welchem Nutzende zunächst motiviert werden müssen. Die Signal Trigger schliesslich lösen Verhalten aus, welches einfach auszuführen ist und zu welchem die Nutzenden motiviert sind (vgl. Fogg, 2002). Dieselben Trigger können – je nach Interpretationsart – oft sowohl auf der Fähigkeits- wie auch auf der motivationalen Ebene umgesetzt werden. Die in diesem Kapitel vorgenommenen Zuordnungen basieren auf einer Schwerpunkt-orientierten Verortung und sind deshalb als empfehlend zu verstehen. Je nach inhaltlicher Interpretation der einzelnen Trigger kann die entsprechende Kategorisierung ändern (für inhaltliche Herleitungen und Ausführungen zu den einzelnen Triggern vgl. Abschn. 3.2). Die Unterkategorien der Trigger wurden durch Oinas-Kukkonen und Harjumaa (2009) inspiriert. Zu jedem Trigger wurde zudem eine Leitfrage entwickelt, die zu den wesentlichen Antworten führen und bei der Trigger-Gestaltung unterstützen kann.

4.2.1

Facilitator Trigger

Die Facilitator Trigger, auf Deutsch «Erleichterungs-Auslöser», werden verwendet, um Verhalten zu fördern, welches aus Nutzenden-Sicht schwierig auszuführen ist. Sie bedienen sich dabei unterschiedlichen psychologischen Methoden:

66

Tunneling

Reduction

4

Persuasive Design Toolkit

4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten

Rehearsal

Tailoring

67

68

Personalisation

Social Facilitation

4

Persuasive Design Toolkit

4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten

Cooperation

Social Role

69

70

Social Comparison

Trustworthiness

4

Persuasive Design Toolkit

4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten

71

Expertise

4.2.2

Signal Trigger

Signal Trigger sollen erwünschtes Verhalten bei Nutzenden auslösen, die motiviert sind und für die das entsprechende Verhalten leicht auszuführen ist. Dabei kommen folgende Auslöser zur Anwendung: Reminders

72

Suggestions

Third-party Endorsements

4

Persuasive Design Toolkit

4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten

73

Verifiability

4.2.3

Spark Trigger

Spark Trigger werden verwendet, wenn das erwünschte Verhalten zwar leicht auszuführen ist, die Nutzenden allerdings wenig dazu motiviert sind. Unterschiedliche Techniken empfehlen sich dafür: Liking

74

Rewards

Similarity

4

Persuasive Design Toolkit

4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten

Competition

Social Learnings

75

76

Normative Influence

Self-Monitoring

4

Persuasive Design Toolkit

4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten

Praise

Simulation

77

78

Recognition

Authority

4

Persuasive Design Toolkit

4.2 Exkurs: Die 3 Trigger-Arten

Surface credibility

Real-World-Feel

79

80

4.3

4

Persuasive Design Toolkit

Anwendungsbeispiel

Ein einfaches Anwendungsbeispiel verdeutlicht die oben beschriebenen drei Phasen des Persuasive Design Toolkits. Dazu wird ein fiktiver Auftrag einer nationalen Tourismus-Organisation angenommen. Die Auftraggebenden wünschen sich die Optimierung ihrer Website im Hinblick auf die Frage: «Wie können wir das Engagement unserer Website-Besuchenden steigern und ein positives Erlebnis schaffen, das ultimativ zu einer Buchung und Empfehlung führt?» Im Folgenden wird in vereinfachter Form Schritt für Schritt der Umsetzung dieses Auftrags exemplarisch nachgegangen. Schritt 1: Sendende, Nutzende und erwünschtes Verhalten im Kontext analysieren Zunächst wird die Sender Card für das zu optimierende System erstellt (vgl. Abb. 4.10). In diesem Fall soll die Website einer Tourismusorganisation betrachtet werden, die für die Präsentation der touristischen Möglichkeiten eines Landes verantwortlich ist. Auf der Karte werden deshalb zunächst der Name der Organisation sowie die Art des Systems – hier eine Website – festgehalten. Anschliessend werden die vier zentralen Sendenden-Charakteristika aus der Wahrnehmung der Nutzenden heraus beurteilt. Die Glaubwürdigkeit des Systems kann aus Nutzenden-Perspektive als hoch beurteilt werden, da es sich um ein System einer von der Landesregierung beauftragten Organisation handelt. Die wahrgenommene Expertise kann ebenfalls als hoch beurteilt werden, da das System das gesammelte Wissen der angegliederten Teilorganisationen widerspiegelt. Die von Nutzenden wahrgenommene Ähnlichkeit zu ihnen selbst ist eher gering, da es sich gerade bei ausländischen Website-Besuchenden um User handelt, die möglicherweise die Schweiz noch nie besucht haben. Die Autorität der Website ist aus Sicht der Nutzenden, ebenfalls eher gering, da diese keine Form von Macht auf sie auszuüben oder eine solche auszustrahlen vermag. Nachdem die Sender Card ausgefüllt ist, kann eine oder je nach Bedarf mehrere User Cards erstellt werden (vgl. Abb. 4.11). Als Beispiel einer möglichen WebsiteBesucherin wird in diesem Fall Lizzie festgehalten. Sie ist eine 28jährige Ärztin aus Chicago, die als Use Case ihre bislang, hoffentlich, beste Reise bislang in das Land der entsprechenden Tourismusorganisation plant. Zur Beurteilung und Ideenfindung möglicher Verhaltensauslöser werden ihr persönlicher Hintergrund, die Aufgaben, welche sie im Zusammenhang mit dem Use Case erledigen möchte, sowie ihre Use-Case-relevanten Erfahrungen, Ressourcen und Fähigkeiten festgehalten. Um den ersten Schritt abzuschliessen, werden die dem Use Case entsprechenden erwünschten Verhaltensweisen sowie der erkennbare Kontext definiert (vgl.

4.3 Anwendungsbeispiel

81

Abb. 4.10 Beispielhafte Sender Card für das zu optimierende System. (Quelle: eigene Darstellung)

82

4

Persuasive Design Toolkit

Abb. 4.11 Beispiel einer ausgefüllten User Card. (Quelle: eigene Darstellung)

4.3 Anwendungsbeispiel

83

Abb. 4.12). In diesem Fall möchte die Auftraggeberin folgendes Verhalten auslösen: (1) Website-Besuchende sollen aktiv nach passenden Reiseerlebnissen suchen, (2) sie sollen entsprechende Reiseerlebnisse vergleichen, (3) sie sollen nach Reiseunterkünften suchen, (4) sie sollen nach den besten Reisedaten suchen, (5) sie sollen eine Buchung auslösen und (6) sie sollen die Website an Freunde weiterempfehlen. Als soziale und technologische Kontextfaktoren werden diese erwünschten Verhaltensweisen durch, beispielsweise, soziale Normen oder technische Möglichkeiten beeinflusst. In diesem Beispiel könnte die Nutzerin Lizzie durch eine, in ihrem Freundeskreis herrschende, ablehnende Haltung gegenüber Werbung, gehemmt sein, die Website über ihre Social-Media-Kanäle weiterzuempfehlen. Schritt 2: Erwünschtes Verhalten kategorisieren und effektive Umsetzungsideen generieren. Nachdem die Sender Card, die User Card sowie die erwünschten Verhaltensweisen und der Kontext definiert sind, kann mit der Ideenfindung geeigneter verhaltensauslösender Umsetzungsideen mittels des Persuasive Design Canvas begonnen werden (vgl. Abb. 4.13). Zunächst werden die verschiedenen erwünschten Verhaltensweisen nochmals festgehalten (vgl. Abb. 4.14). Diese können vom vorherigen Schritt, beispielsweise

Abb. 4.12 Ausschnitt aus der Strategy Map mit den erfassten, erwünschten Verhaltensweisen. (Quelle: eigene Darstellung)

84

4

Persuasive Design Toolkit

Abb. 4.13 Beispiel eines ausgefüllten Persuasive Design Canvas. (Quelle: eigene Darstellung)

4.3 Anwendungsbeispiel

85

Abb. 4.14 Festhalten der erwünschten Verhaltensweisen. (Quelle: eigene Darstellung)

in Form vom Post-its, direkt übernommen werden. Der Persuasive Design Canvas kann aber als Brainstorming-unterstützendes Instrument auch ohne Strategy Map verwendet werden. In diesem Anwendungsfall können hier die erwünschten Verhaltensweisen in der Gruppe besprochen und festgehalten werden. Anschliessend werden die einzelnen Verhaltensweisen hinsichtlich der vorhandenen Motivation und der Fähigkeit zur Ausführung des Verhaltens beurteilt (vgl. Abb. 4.15). Dies geschieht vor dem Hintergrund einer spezifischen die Website nutzenden Person, in diesem Fall von Lizzie, der 28jährigen Ärztin aus Chicago. Das erste Verhalten, die Suche nach passenden Reiseerlebnissen, erlebt sie auf der bestehenden Website als leicht und ist dazu hoch motiviert. Das entsprechende Verhalten findet sich also in der oberen Hälfte der rechten Spalte. Zur Auslösung dieses Verhaltens empfehlen sich die sogenannten Signal Trigger (vgl. Abschn. 2.7). Die zweite erwünschte Verhaltensweise, die Reiseerlebnisse miteinander zu vergleichen, erlebt Lizzie auf der aktuellen Website bereits als schwieriger, da kein entsprechendes Feature verfügbar ist. Sie ist aber motiviert die unterschiedlichen Angebote miteinander zu vergleichen. Das Verhalten wird deshalb in der oberen Hälfte der linken Spalte verortet. Zur Aktivierung dieses Verhaltens empfehlen sich die sogenannten Facilitator Trigger (vgl. Abschn. 2.7). Das Verhalten, die Website weiterzuempfehlen, wäre für Lizzie zwar einfach über einen entsprechenden Social Media Button auszuführen, aber sie fühlt sich dazu nicht motiviert. Dieses Verhalten wird deshalb in der unteren Hälfte der rechten Spalte verortet, wo sich die sogenannten Spark Trigger (vgl. Abschn. 2.7) als Auslösungsanreiz empfehlen.

86

4

Persuasive Design Toolkit

Abb. 4.15 Kategorisierung der Verhaltensweisen (Quelle: eigene Darstellung)

Diesen Schritt schliesst das kreative Finden geeigneter Auslöser mit entsprechenden Umsetzungsideen ab (vgl. Abb. 4.16). Dazu kann zunächst für jedes der vorher kategorisierten Verhalten in der entsprechenden Spalte nach Antworten auf die drei jeweils erkenntnisleitenden Fragen gesucht werden. Für das Verhalten ,Reiseerlebnisse vergleichen‘ können die relevanten Fragen nach einer Vereinfachung des Verhaltens als Inspiration dienen: (1) Kann das Verhalten durch eine Zeit- oder Kostenersparnis vereinfacht werden? (2) Kann das Verhalten durch die Reduktion des physischen oder kognitiven Aufwands vereinfacht werden? (3) Kann das Verhalten dadurch vereinfacht werden, indem es zu einer Routine gemacht wird? In diesem Fall lässt sich der kognitive Aufwand reduzieren, indem der Facilitator Trigger ,Reduktion‘ verwendet wird. Eine mögliche Umsetzungsidee dazu könnte ein Website-Feature sein, das erlaubt, die zentralen Facts (wie

4.3 Anwendungsbeispiel

87

Abb. 4.16 Ideenfindung mithilfe der Fragestellungen und die drei Trigger-Arten. (Quelle: eigene Darstellung)

Kosten, Zeitbedarf, Transportmöglichkeiten, etc.) unterschiedlicher Reiseerlebnisse in Tabellenform auf einen Blick vergleichen zu können. Für das Verhalten ,Website Freunden weiterempfehlen‘ sind die Fragen nach motivationssteigernden Ideen relevant: (1) Wie kann die Verhaltensausführung angenehmer und freudvoller gestaltet werden? (2) Wie kann die Motivation zur Verhaltensausführung durch eine positive Erwartungshaltung gesteigert werden? (3) Wie kann die Motivation zur Verhaltensausführung durch eine Unterstützung der sozialen Akzeptanz des Verhaltens gesteigert werden? In diesem Fall kann der Spark Trigger ,Simulation‘ genutzt werden, um die soziale Akzeptanz der WebsiteWeiterempfehlung bei den eigenen Freunden von Lizzie zu steigern, und damit verbunden auch die Motivation, ihr Verhalten zu zeigen. Beispielsweise kann Lizzie Freunde zu einem virtuellen Reiseerlebnis in Form von exklusiven 360-Grad-Videos mit Prominenten einladen, die sonst nicht verfügbar sind. Dies erhöht die Akzeptanz seitens ihrer Freunde, Werbung entgegenzunehmen und reduziert damit Lizzie’s Hemmung, ihr Verhalten zu zeigen. Das Verhalten ,nach geeigneten Reiseerlebnissen suchen‘ ist das am einfachsten auszulösende, da Lizzie bereits hochmotiviert ist und sie es auf der bestehenden Website leicht ausführen kann. Zu deren Auslösung werden deshalb keine findungsleitenden Fragen benötigt. Entsprechende Inspiration bieten die sogenannten Signal Trigger (vgl. Abschn. 2.7). In diesem Fall kann beispielsweise der Trigger ,Third-Party Endorsement‘ verwendet werden, in dem eine bekannte Persönlichkeit,

88

4

Persuasive Design Toolkit

in Lizzie’s Fall aus den USA, die zehn Dinge benennt, die sie gerne vor der Reise gewusst hätte – verbunden mit dem Trigger ,Reminder‘, der sie auffordert nach ihrem persönlichen Reisehighlight zu suchen. Schritt 3: Auslöser verorten und strategisch ausrichten Im finalen Schritt werden die erarbeiteten Umsetzungsideen beziehungsweise Auslöser entlang der User Journey verortet und in der Gesamtsicht auf ihre Effektivität überprüft (vgl. Abb. 4.17). Die Zusammenführung der in der Sender Card und der User Card identifizierten Charakteristika, der erwünschten Verhalten entlang der User Journey, der kontext-bezogenen Einflussfaktoren sowie der konkreten Umsetzungsideen für verhaltensgestaltende Auslöser erlaubt es, die Strategie, mit welcher die Nutzenden zur Verhaltensausführung bewogen werden sollen, ganzheitlich kritisch zu reflektieren und wo nötig anzupassen. Im Use Case von Lizzie sind z. B. noch keine Ideen für Auslöser generiert worden, welche die beiden eher dürftigen Wahrnehmungen der Ähnlichkeit und Autorität adressieren. Obwohl nicht alle Charakteristika einen gleichermassen wichtigen Einfluss auf die Verhaltensauslösung zeigen, kann es sich je nach Ausgangslage empfehlen, in diesem Schritt die entsprechend beobachtete Lücke nachzubessern. In diesem Fall könnte beispielsweise die Ähnlichkeit über den gleichnamigen Trigger ergänzt werden. Die Umsetzungsidee dazu wäre, Testimonialgebende aus den wichtigsten Reiseländern in unterschiedlichen Alters- und Geschlechtskategorien (angepasst an Alter und Geschlecht der Nutzenden) auf der Website zu integrieren. Ebenfalls können die unterschiedlichen Umsetzungsideen in der Gesamtsicht leichter aufeinander bezogen beziehungsweise ergänzende Überlegungen zu deren Verbindung entwickelt werden. Im Anwendungsbeispiel könnten die beiden Auslöser beziehungsweise Umsetzungsideen ,vergleichende Fact-Tabelle‘ und ,Third-Party Endorsement durch Prominente‘ konzeptionell so verbunden werden, dass die Prominenten-Empfehlung direkt zu einer Vergleichsdarstellung unterschiedlicher Reiseerlebnisse entlang der im Endorsement genannten Aspekte führt. Damit bleiben die unterschiedlichen Ideen nicht nur singuläre Anreize entlang der User Journey, sondern können in ihrer Verbindung gegenseitig aufeinander aufbauen und so die Effektivität der Gesamtstrategie erhöhen.

Abb. 4.17 Ausgefüllte Strategy Map zur Verortung und Überprüfung der persuasiven Strategie. (Quelle: eigene Darstellung)

4.3 Anwendungsbeispiel 89

90

4

Persuasive Design Toolkit

Literatur Federspiel, E., Schaffner, D., & Mohr, S. (2014). Customer engagement in online communities: A new conceptual framework integrating motives, incentives and motivation. In BLED Proceedings at AIS Electronic Library (AISeL). Fogg, B. J. (2002). Persuasive technology: Using computers to change what we think and do. Morgan Kaufmann Publishers. Oinas-Kukkonen, H., & Harjumaa, M. (2009). Persuasive systems design: Key issues, process model, and system features. Communications of the Association for Information Systems, 24.

5

Ethische Aspekte

Zusammenfassung

Ein ethischer Exkurs erklärt die Stolpersteine persuasiven Designs und ordnet persuasive Massnahmen anhand der Absicht und der Resultat-Qualitäten. Hier ist eine professionelle und achtsame Herangehensweise gefragt. Nur wenn negative Wirkungen durch sorgfältiges Abwägen möglicher Wirkungszusammenhänge schwer absehbar bzw. nach bestem Wissen und Gewissen unmöglich sind, kann die Vorgehensweise trotzdem als ethisch beurteilt werden.

Wenn Systeme versuchen Verhalten auszulösen oder zu ändern, ergeben sich zahlreiche ethische Fragen, die beachtet werden wollen. Eine gute Orientierung über diese Thematik zu nachzudenken, bietet die Intention-Outcome Matrix von Stibe und Cugelman (2016). Sie klassifiziert die Resultate der persuasiven Einflussnahme entlang der Absicht und der Resultat-Qualitäten (vgl. Abb. 5.1). Die Wirkungen persuasiver Gestaltung können absichtlich (intended) oder unabsichtlich (unintended) erzeugt werden. Auf der zweiten Achse können die Wirkungen als positive oder negative Outcomes qualifiziert werden. Sind die Wirkungen beabsichtigt und aus Nutzendensicht positiv bewertet, bezeichnet sie die Matrix als Zielverhalten (Target Behaviour). Diese Verhaltensbeeinflussung ist für die Personen, welche das Verhalten zeigen sollen, erwünscht und wird deshalb in der Regel begrüsst (beispielsweise bei der Gewichtskontrolle). Sind die Wirkungen unbeabsichtigt erzeugt, aber aus Sicht der Nutzenden positiv bewertet, identifiziert diese die Matrix als unerwarteten

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 E. Federspiel und A. Peter, Designed to persuade, https://doi.org/10.1007/978-3-658-41923-3_5

91

92

5

Ethische Aspekte

Abb. 5.1 Intention-Outcome Matrix. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Stibe & Cugelman, 2016 (reprint mit freundlicher Genehmigung von Springer Nature))

Nutzen (Unexpected Benefits). Da hinter diesen keine Absicht steht und die Verhaltensbeeinflussung als positiv betrachtet wird, stellen sie aus ethischer Sicht kein dringendes Handlungsfeld dar. Sind die Resultate absichtlich und negativ, so spricht man von sogenannten Dark Patterns. Diese können als bewusste Täuschungen, Fälschungen oder Nötigungen auftreten. Solche Gestaltungsmuster sind als unethisch zu bewerten und aus der Perspektive der Nutzenden unerwünscht und verwerflich. Trotzdem lässt sich ihre Verwendung in der Praxis noch immer beobachten. Solche Einflussnahmen auf Verhalten darf in der Profession keinen Platz mehr finden. Sind die Wirkungen unbeabsichtigt und negativ, spricht die Matrix von Rückzündungen (Backfiring). Solche können schwerwiegende oder eher leichte Schweregrade aufweisen (Major/Minor Severity), und hohe oder niedrige Eintretenschancen aufweisen (Low/High Likelihood). Solche Backfirings sind ebenfalls als unethisch zu bewerten. Da den Backfirings die Absicht fehlt, sind sie eher als unprofessionelle oder unachtsame Gestaltungspraxis einzustufen, die vermieden werden sollte. Hier kann insbesondere der Grad der Absehbarkeit als Beurteilungskriterium für die

Literatur

93

Klassifikation als ethisch oder unethisch herangezogen werden. Wenn negative Wirkungen bei der Gestaltung von Verhalten nach bestem Wissen und Gewissen unmöglich oder nur sehr schwer absehbar waren, so kann eine Verantwortlichkeit nur bedingt zugeteilt werden. Sind aber die negativen Wirkungen durch sorgfältige Abschätzung möglicher Wirkungszusammenhänge absehbar, ist die Gestaltung der Verhaltensbeeinflussung als unethisch zu beurteilen und deshalb zu vermeiden.

Literatur Stibe, A., & Cugelman, B. (2016). Persuasive backfiring: When behavior change interventions trigger unintended negative outcomes. In Persuasive Technology: 11th International Conference, PERSUASIVE 2016, Salzburg, Austria, April 5–7, 2016, Proceedings 11 (S. 65–77). Springer International Publishing.