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German Pages 187 Year 1986
HANS-DIETER WEBER
Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht
Schriften zum Strafrecht Band 68
Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht
Von
Dr. Hans-Dieter Weher
DUNCKER
&
HUMBLOT / BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Weber, Hans-Dieter: Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht / von Hans-Dieter Weber.Berlin: Duncker und Humblot, 1986. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 68) ISBN 3-428-06095-4 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06095-4
Meinen Eltern
Geleitwort Es gilt als Fundamentalsatz des modernen Rechts, daß vertragliche Ansprüche als solche dem Anspruchsinhaber keine Befugnis zur Selbsthilfe gewähren. Wer hieran zweifelt, scheint am staatlichen Gewaltmonopol und damit an den Grundfesten der neuzeitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung zu rütteln. Dennoch gibt es in der Literatur verstreute Äußerungen, die darauf hindeuten, daß jener Fundamentalsatz Grenzen hat. Solche Äußerungen finden sich einmal in Randbereichen der strafrechtlichen Einwilligungsdogmatik. Hier behaupten mehrere Autoren beiläufig und ohne nähere Begründung, daß die Einwilligung in bestimmten Fallkonstellationen unwiderruflich sei. Typische Merkmale der dabei benannten Fälle sind: die rechtsgeschäftliche Pflicht eines Schuldners zur Gestattung eines Eingriffs in ein Vermögensgut, der Widerruf der in diesem Zusammenhang erteilten Einwilligung und - weniger deutlich - eine besitzrechtlich gesicherte Lage des Gläubigers, der trotz des Widerrufs berechtigt sein soll, den Eingriff vorzunehmen. Man denke z. B. daran, daß ein Verpächter in einem Pachtvertrag dem Pächter erlaubt, zum Zwecke der Erdbeerzucht die auf dem Pachtgrundstück wachsenden Bäume zu fällen, nach Überlassung des Grundstücks aber diese Einwilligung widerruft und Anzeige wegen Sachbeschädigung erstattet, als der Pächter eigenmächtig den vertragsgemäßen Zustand herstellt. Eine Bestrafung des Pächters käme hier nach den erwähnten Stimmen wegen der Unwiderrufbarkeit der Einwilligung nicht in Betracht. Freilich findet die Annahme einer "unwiderruflichen Einwilligung" in der Strafrechtslehre keine ungeteilte Anhängerschaft. Zum Teil insistiert man darauf, diese Lehre widerspreche der allgemeinen Einwilligungsdogmatik. Das hat manches für sich. Doch bleibt die Frage, ob es wirklich befriedigt, wenn man deshalb im Beispielsfall den Pächter, der nur den vertragsgemäßen Zustand herstellt, wegen Sachbeschädigung bestraft. Von Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang ferner die Dogmatik des Immaterialgüterrechts. Dort ist es wohl ganz herrschende Lehre, daß der Vertrag die Ausübung eines schuldrechtlichen Nutzungsanspruchs ohne Willen des dinglich Berechtigten rechtfertigt. Strafrechtler neigen dagegen auch hier dazu, eine "unwiderrufliche Einwilligung" zu unterstellen. Damit ziehen sie ebenfalls den Einwand auf sich, daß dies der allgemeinen Einwilligungsdogmatik widerspricht. Die These erscheint sogar gefährlich. Denn da eine wirksame Einwilligung nach herrschender Auffassung z. B. auch
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Geleitwort
von einem beschränkt Geschäftsfähigen erklärt werden kann, beschwört die Lehre von der Unwiderruflichkeit der Einwilligung die Gefahr herauf, daß mit ihrer Hilfe wichtige Rechtsnormen wie die zivilrechtlichen Vorschriften über den Minderjährigenschutz unterlaufen werden. Stellt man zwischen den erwähnten Äußerungen einen Zusammenhang her, so legt dies den Gedanken nahe, daß in den Fällen der "unwiderruflichen Einwilligung" in Wahrheit nicht die Einwilligung, sondern der Vertrag der strafrechtlich erhebliche Rechtfertigungsgrund ist. Allerdings kann er rechtfertigende Kraft offenbar nur in engeren Grenzen entfalten. Die eine Grenze wird durch das staatliche Gewaltmonopol bezeichnet: für die beiden erwähnten Fallgruppen ist kennzeichnend, daß die Selbstdurchsetzung des vertraglichen Anspruchs das staatliche Gewaltmonopol nicht antastet. Dies liegt im Bereich des Immaterialgüterrechts auf der Hand und ergibt sich in den Fällen der Selbsthilfe des Besitzers daraus, daß dieser die Friedensregel des § 858 BGB nicht verletzt. Eine zweite Grenze dürfte das allgemeine Persönlichkeitsrecht setzen. Einen Hinweis hierauf gibt z. B. das Immaterialgüterrecht, das in § 42 UrhG der vertraglichen Bindung bei gewandelter Überzeugung des Urhebers eine Grenze zieht. Ist die These richtig, daß der Vertrag Selbsthilfeakte rechtfertigt, die weder das staatliche Gewaltmonopol noch höchstpersönliche Rechtsgüter antasten, so bringt dies Einsichten in die Grenzen des Selbsthilfeverbots. Darüber hinaus wird auch systematische Klarheit bei der Lösung strafrechtsdogmatischer Probleme geschaffen. Einmal kommt man in Konstellationen wie dem erwähnten Verpächterfall ohne die systemwidrige Annahme einer "unwiderruflichen Einwilligung" zu dem erwünschten Ergebnis. Zum anderen ermöglicht es die Anerkennung des Vertrages als Rechtfertigungsgrund, daß bei einigen Straftatbeständen eine systematisch verwirrende Interpretation des Merkmals "rechtswidrig" vermieden werden kann. Dem üblichen Verständnis nach bezeichnet dieser Begriff kein Tatbestandsmerkmal, sondern nur ein allgemeines Merkmal eines jeden Delikts. Mit der "Rechtswidrigkeit" der Zueignung in §§ 242/246 StGB soll es nach herrschender Auffassung aber z. B. anders stehen. In diesen Strafnormen soll der Begriff der Rechtswidrigkeit ein Tatbestandsmerkmal sein, das dann vorliegt, wenn der Täter auf die Sache, die er sich zueignet oder zueignen will, keinen fälligen und einredefreien Anspruch hat. Diese Umdeutung eines allgemeinen Verbrechensmerkmals in ein Tatbestaridsmerkmal erscheint überflüssig, wenn man anerkennt, daß die Innehabung eines fälligen und einredefreien Anspruchs auf die Sache die Zueignung (nicht die besitzstörende Wegnahme!) rechtfertigt. Wer sich eine Sache zueignet, auf die er keinen Anspruch hat, handelt dann im Sinne des allgemeinen Verbrechensmerkmals "rechtswidrig", es sei denn, ein anderer Rechtfertigungsgrund greife ein.
Geleitwort
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Diese Überlegungen standen am Anfang der vorliegenden Arbeit, mit der Herr Weber im Sommersemester 1985 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier zum Doktor promoviert wurde. Herr Weber hatte den Auftrag, die dargestellten Ausgangsthesen zu überprüfen und gegebenenfalls auszuarbeiten. Er ist dabei jedoch nicht stehen geblieben, sondern hat eine Vielzahl eigener Gedanken hinzugefügt und Folgeprobleme geklärt, für die ich bei der Ausgabe des Dissertationsthemas noch keine Lösung wußte. Die im Herbst 1985 erschienene Untersuchung von W. B. Schünemann, Selbsthilfe im Rechtssystem, konnte nicht mehr berücksichtigt werden. New York im Februar 1986
Knut Amelung
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .......................................................
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2. Methodischer Ansatz und Gang der Untersuchung ....... . .............
27
3. Die private Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem ........ . . . ..
30
3.1. Die Anspruchsbeziehung und die Zueignungsdelikte
...............
31
3.1.1. Die Anspruchsbeziehung und die Rechtswidrigkeit der Zueignung ..................................................
31
3.1.2. Die Anspruchsbeziehung und der strafrechtliche Sachbegriff . ..
35
3.1.3. Die Anspruchsbeziehung und der strafrechtliche Fremdheitsbegriff ................................................
36
3.1.4. Die Anspruchsbeziehung und der strafrechtliche Zueignungsbegriff ................................................
37
3.2. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und der Tatbestand der Nötigung ....................................................
39
3.3. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und die Bereicherungsdelikte ......................................................
44
3.4. Die eigenmächtige Vertragsverwirklichung und der Tatbestand des Hausfriedensbruchs ...........................................
48
3.5. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und der Tatbestand des § 248b StGB .................................................
50
3.6. Die eigenmächtige Anspruchsverwirklichung und der Tatbestand der Sachbeschädigung ............................................
52
3.7. Die eigenmächtige Anspruchsverwirklichung und die Lehre vom Schutzbereich der Norm .......................................
53
3.8. Die eigenmächtige Vertragsverwirklichung und die Lehre von der Sozialadäquanz ..............................................
56
3.9. Die eigenmächtige Vertragsverwirklichung und das "erlaubte Risiko".
57
4. Die private Vertragsverwirklichung und die anerkannten Rechtfertigungsgründe ..........................................................
59
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Inhaltsverzeichnis 4.1. Die "Anspruchsproblematik" und die gesetzlichen Rechtfertigungsgründe ......................................................
59
4.1.1. Die private Anspruchsdurchsetzung und die Selbsthilfe (§ 229 BGB) als Rechtfertigungsgrund ...........................
59
4.1.2. Die eigenmächtige Forderungsdurchsetzung und der Rechtfertigungsgrund der Notwehr .................................
60
4.1.3. Die eigenmächtige Anspruchsverwirklichung und die "Wahrnehmung berechtigter Interessen" .........................
62
4.1.4. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und der zivilrechtliche Notstand (§ 904 BGB) ...................................
63
4.1.5. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) ..............................
64
4.2. Die "Anspruchsproblematik" und die übergesetzlichen Rechtfertigungsgründe ......................................................
66
4.2.1. Das nicht schutzwürdige Interesse als Rechtfertigungsgrund ...
66
4.2.2. Die private Vertragsdurchsetzung und das "Volksempfinden" als Rechtfertigungsgrund .................................
68
4.2.3. Der vertragliche Anspruch und der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung ...........................................
68
5. Der vertragliche Anspruch als allgemeiner Rechtfertigungsgrund .........
77
5.1. Einführung in die Problematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
77
5.2. Der Meinungsstand
79
5.2.1. Der Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Immaterialgüterrecht ..................................................
79
5.2.2. Der Vertrag als Rechtfertigungsgrund bei Eingriffen in materiegebundene Rechtsgüter ..................................
81
5.3. Kritik an der herrschenden Meinung .............................
86
6. Die private Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol ..
90
6.1. Die private Anspruchsverwirklichung und die gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen ...............................................
90
6.1.1. Die Auslegung des § 229 BGB .............................
92
6.1.1.1.
Die wörtliche Auslegung des § 229 BGB ..........
92
6.1.1.2.
Systematische Interpretation ...................
92
6.1.1.3.
Historische Auslegung .........................
95
6.1.1.3.1.
Dogmengeschichtlicher Überblick ...............
96
Inhaltsverzeichnis 6.1.1.3.1.1. Die Selbsthilfe im Römischen Recht .............
13 96
6.1.1.3.1.2. Das germanische Fehderecht bis zum ewigen Landfrieden ...................................... 100 6.1.1.3.1.3. Die Selbsthilfe im gemeinen Recht und in den Partikulargesetzen ................................ 103 6.1.1.3.2.
Zusammenfassung ............................ 105
6.1.1.4.
Teleologische Interpretation .................... 105
6.1.2. Zusammenfassung ...................................... 109 6.2. Die Begrenzung privater Anspruchsverwirklichung durch den Besitz des Schuldners ............................................... 111 7. Die Begrenzung der privaten Anspruchsverwirklichung durch das Persönlichkeitsrecht des Schuldners ....................................... 115 8. Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund und die Prinzipien der Rechtfertigung ................................................... 119 9. Die Abwehrrechte des Schuldners ................................... 127 9.1. Die friedfertige Anspruchsverwirklichung und der "Angriff" i. S. d. § 32 StGB ....................................................... 128 9.2. Die friedfertige Anspruchsverwirklichung und die Rechtswidrigkeit des Gläubigerangriffs ............................................. 130 9.3. Die friedfertige Anspruchsverwirklichung und die sozial-ethischen Einschränkungen der Notwehr ..................................... 135 10. Der zivilrechtliche Vertrag als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund und das Problem der Anwendbarkeit und der Auswirkung zivilrechtlicher Rückwirkungsregeln ................................................... 139 11. Die Erweiterung der gewonnenen Grundsätze auf die Verwirklichung gesetzlicher Ansprüche ................................................. 145 12. Das Verhältnis der anspruchsbedingten Rechtfertigung zu den anderen Rechtfertigungsgründen ........................................... 148 13. Der Irrtum des Täters über die Voraussetzungen und den Umfang gerechtfertigter Anspruchsverwirklichung .................................. 150 14. Die mit dem Anspruch als Rechtfertigungsgrund zu erzielenden Ergebnisse ............................................................ 154 15. Zusammenfassung
163
Literaturverzeichnis .................................................. 165
Abkürzungsverzeichnis a.A.
Abs. AcP a.E. a.F. AfP
allg. ALR Anm. AP arg.e. AT Aufl. AW
BayObLG BB Bd. BGBl. BGH BGH (Z) (St) BT BT-Drucks c. D. DAR
DB ders. Diss. DJ DJT DJZ DogmJ DRiZ DRZ
andere Ansicht Absatz Archiv für civilistische Praxis am Ende alte Fassung Archiv für Presserecht allgemeine (r) (s) Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Anmerkung Arbeitsrechtliche Praxis argumentum e(x) Allgemeiner Teil Auflage Altertumswissenschaft Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebs-Berater Band Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Besonderer Teil Drucksachen des Deutschen Bundestages capitel Digesten Deutsches Autorecht Der Betrieb derselbe Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Iherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift
Abkürzungsverzeichnis
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E 1927
Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung (Reichstagsvorlage 1927)
E 1962 Einl.
Entwurf eines Strafgesetzbuchs mit Begründung Bonn, 1962 Einleitung
EBO EStG
Eisenbahnbetriebsordnung
EV ff.
Eigentumsvorbehalt folgende
FS
Festschrift
GA
Goltdammers Archiv für Strafrecht
GebrMG
Gebrauchsmustergesetz
GG Gruchot Beitr.
Grundgesetz
Einkommenssteuergesetz
Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts begr. von Gruchot
GRUR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
GS HB
Der Gerichtssaal
HEST
Höchstrichterliche Entscheidungen. Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen
Halbband
h.M.
herrschende Meinung
HRG
Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte
HRR
Höchstrichterliche Rechtssprechung
hrsg.
herausgegeben
L c.
in concreto
LV.m.
Jh.v.Chr.
in Verbindung mit Jahrhundert vor Christus
JR
Juristische Rundschau
JURA
Juristische Ausbildung
JuS JW
Juristische Schulung Juristische Wochenschrift
JZ
Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
KG KO
Kammergericht
Komm.
Kommentar
KUG
Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Kunst und Photographie
LB
Lehrbuch Leipziger Kommentar
LK LM
Konkursordnung
Lindenmaier-Möhring: Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs
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Abkürzungsverzeichnis
LZ
Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht
Materialien Mugdan Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich hrsg. von Mugdan Bd. I - V MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
m.E.
meines Erachtens
MeckZ
Mecklenburgische Zeitschrift für Rechtspflege, Rechtswissenschaft und Verwaltung
Mot. I - V
Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich Bd. I - V
MRK
Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. 11. 1950
MuW
Markenschutz und Wettbewerb
WM
Wertpapier-Mitteilungen
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
Nds. Rpfl.
Niedersächsiche Rechtspflege
n.F.
neue Fassung
Niederschriften
Niederschriften über die Sitzungen der großen Strafrechtskommission
Nov.
Novelle
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
OGH ÖJZ
Oberster Gerichtshof Österreichische Juristen-Zeitung
PatG
Patentgesetz
pr.
preußisch (e) (s)
Prot.
Protokoll der Kommission für die zweite Lesung des Entwufs des Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. I - V
RdA
Recht der Arbeit
RG
Reichsgericht
RN
Randnummer
Rspr.
Rechtsprechung
S.
Satz oder Seite siehe
s. S./S. SchlHA S.K.
SR st.Rspr. XII-Tafeln
Schänke / Schröder Schleswig-Holsteinische-~eigen
Systematischer Kommentar Schuldrecht oder Strafrecht ständige Rechtsprechung Das Zwölftafelgesetz
u.
und
u.a.
unter anderem
UFITA
Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht
unstr.
unstreitig
UrhG
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte
Abkürzungsverzeichnis usw.
und so weiter
vgl.
vergleiche
Vor VRS
Vorbemerkung Verkehrsrechts-Sammlung
WZG
Warenzeichengesetz
WZR ZakDR
Warenzeichenrecht
z.B.
Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel
zit.
zitiert
ZMR
Zeitschrift für Miet- und Raumrecht
ZRG
Zeitschrift für Rechtsgeschichte
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
z.T.
zum Teil
z.Z.
zur Zeit
2 H.-D. Weber
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1. Einleitung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die strafrechtliche Untersuchung und systematische Einordnung eines besonderen Interessenwiderstreits, der zwischen Vertragsparteien aufzutreten pflegt, wenn der Schuldner unberechtigt die Vertragserfüllung verweigert. Dem Interesse des Gläubigers an anspruchsverwirklichenden Eingriffen in Rechtsgüter des Schuldners steht dann das Interesse des Schuldners an der Integrität seiner Rechtsgüter gegenüber. Die nachfolgenden Beispiele mögen dies verdeutlichen: Fall 1:
E verpachtet sein Gartengrundstück an P und erklärt in dem Pachtvertrag, daß P zur Rodung bestimmter Bäume berechtigt sei, die dem P bei der geplanten Nutzung im Weg stehen. Nachdem P das Grundstück in Besitz genommen hat, will E den Baumbestand erhalten und teilt dem P daher mit, daß er mit dem Fällen der Bäume nicht mehr einverstanden sei. P, der auf die Nutzung des Grundstücks angewiesen ist und zu Recht fürchtet, so schnell kein anderes Pachtgrundstück zu finden, will sich das zeitraubende Klage- und Vollstreckungsverfahren ersparen und stellt den E vor vollendete Tatsachen, indem er die Bäume kurzerhand selbst fällt. Der empörte E zeigt den P wegen Sachbeschädigung an. Fall 2:
E verpachtet an P ein Grundstück zum Betrieb eines Baumarktes. Nach dem Pachtvertag ist P berechtigt, auf der gesamten Grundstücksfläche Baumaterialien zu lagern. Als P besonders schwere Vierkanthölzer auf der Rasenfläche lagert, widerruft E seine "Einwilligung", weil dieser Beschädigungen des Rasens befürchtet. Er fordert den P auf, die Hölzer wegzuschaffen. P weigert sich, dies zu tun und beruft sich auf die Regelungen in seinem Pachtvertrag. Fall 3:
K, der von V eine Schreibmaschine gemietet hat, bittet den V nach Ablauf der vereinbarten Mietzeit, ihm die Maschine zu verkaufen. K und V werden sich über den Kaufpreis schnell einig. Die Übereignung der Schreibmaschine soll aus bestimmten Gründen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. V, den nachträglich der Verkauf reut, weigert sich nach Zahlung des Kaufpreises, den Übereignungsanspruch des K zu erfüllen. K scheut gerichtliche Schritte und veräußert die Schreibmaschine kurzerhand an einen gutgläubigen Dritten. V erstattet Anzeige gegen K wegen Unterschlagung. Fall 4:
Auf die Bestellung des Bauherrn B hat die Baustoffirma Stein KG Heizungsrohre auf dem Grundstück des B abgeladen. Nach den zum Vertragsinhalt gewordenen AGB der Firma Stein erfolgt die Übereignung des bestellten Materials gesondert erst nach der 2'
20
1. Einleitung
Zahlung des Kaufpreises. Nachdem B den Kaufpreis überwiesen hat, erklärt ihm der Geschäftsführer, das Material werde wieder abgeholt, da es anderweitig noch dringender benötigt werde. Eine Übereignung der Ware an B komme daher nicht in Betracht. B besteht auf sofortige Erfüllung des Vertrages. Der Abholung der Rohre kommt er zuvor, indem er diese noch am gleichen Tage in sein Haus einbauen läßt. Der Geschäftsführer der Firma Stein ficht darauf den Kaufvertrag an, weil er sich bei der Berechnung des Kaufpreises verrechnet und dem B deshalb nur die Hälfte des für die Lieferung tatsächlich zu zahlenden Preises berechnet habe. Fall 5: V versucht, seinen Pkw möglichst teuer zu verkaufen. Nachdem er sich bereits mit seinem Tankwart T über den Preis für den Pkw geeinigt hatte, bietet ein anderer Interessent, der dringend ein Fahrzeug benötigt, 500,- DM mehr als T. V nimmt dieses günstige Angebot an. Der Pkw soll umgehend nach Lieferung des von V bestellten Neufahrzeuges in einer Woche übereignet werden. Dem T schreibt V, daß er ihm den Pkw nicht übereignen werde. Dazu sei er nicht verpflichtet, weil man "nichts schriftlich gemacht habe". V meint, damit sei die Angelegenheit erledigt. Als er am nächsten Tag den Pkw zu T bringt, um vor der Übereignung des Wagens an I ein wertvolles Autoradio ausbauen zu lassen, stellt T nach diesen Montagearbeiten den Pkw in seiner Garage unter, weil er das Fahrzeug für sich behalten will. Dem zur Abholung erschienenen V überreicht T lediglich die Montagerechnung. Die Herausgabe des Pkw verweigert er unter Verweis auf den geschlossenen Kaufvertrag. V ist empört und zeigt T wegen Unterschlagung an. Fall 6: Wie Fall 5. T setzt sich allerdings in den Besitz des Wagens, indem er V zur Aushändigung des Pkw durch die wahrheitswidrige Behauptung veranlaßt, ihm (T) sei bei der letzten Reparatur ein Fehler unterlaufen. Eine Weiterbenutzung des Pkw sei lebensgefährlich, die sofortige Reparatur daher erforderlich. Fall 7: Wie Fall 6. T hat jedoch in dem Moment, als er den Pkw an sich bringt, diesen nicht in seinem Besitz. Als V sein Fahrzeug bei T auftankt, setzt sich T blitzschnell an das Steuer und fährt mit der Bemerkung" Gekauft ist gekauft; jetzt gehört er mir," davon. Fall 8: (Abwandlung von OLG Düsseldorf NJW 1984/810)
G ist Geschäftsführer der C-GmbH, die sich insbesondere mit dem Vertrieb von Rauchwaren beschäftigt. Eine größere Partie Pelze bestellte G bei der Fa. 0 KG. Die Fa. 0 KG lieferte die Ware unter Eigentumsvorbehalt, der für den Fall der Be- und Verarbeitung durch die C-GmbH verlängert war. Als Wiederverkäufer war die CGmbH zur Weiterveräußerung der gelieferten Waren im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes befugt. G stellt über die Kaufpreisforderung Wechsel aus, die bei Vorlage nicht bezahlt werden konnten und von der 0 KG prolongiert wurden. G veranlaßte die Weiterveräußerung der von der 0 KG gelieferten Waren, obwohl diese zuvor die Befugnis zur Weiterveräußerung widerrufen hatte. G, der meinte, aufgrund des Liefervertrages auch nach dem Widerruf zur Veräußerung berechtigt zu sein, wird wegen Unterschlagung angeklagt. Fall 9:
Zecher Z hat in der Gastwirtschaft "Zur Krone" wieder einmal sehr viel getrunken. Als ihn der Wirt W auffordert, die Zeche in Höhe von 20,- DM zu zahlen, überreicht Z
1. Einleitung
21
dem W seine Geldbörse mit der Bitte, sich die 20,- DM herauszunehmen und ihm die Börse vorsichtshalber am nächsten Tag, wenn er (Z) wieder nüchtern sei, zurückzugeben. W stellt fest, daß in der Geldbörse des Z neben einem 20-DM-Schein auch noch 20 100-DM-Scheine enthalten sind. Neben dem 20-DM-Schein nimmt er auch 4 100DM-Scheine, um so alte Zechschulden des Z in Höhe von 400,- DM zu realisieren. Als Z am nächsten Tag die Geldbörse zurückerhält und feststellt, daß W unerlaubt die 400,- DM entnommen hat, protestiert er dagegen energisch und stellt klar, daß W nur die 20,- DM nehmen sollte. Fall 10: Wie Fall 9, nur W befriedigt mit den 400,- DM einen ihm gegen Z zustehenden Schadenersatzanspruch. Z hatte nämlich vor einigen Wochen bei Weinen Teil des Inventars zerstört, wodurch ein Schaden in Höhe von 400,- DM entstanden war. Fall 11: Der Erfinder E, der für eine technische Neuheit ein Patent innehat, will dies wirtschaftlich nutzen und verpflichtet sich daher gegen einen monatlich zahlbaren Betrag, die Nutzung des Patents durch den Interessenten 11 auf bestimmte Zeit zu dulden. Als der Konkurrent des I!, nämlich der 12 den doppelten Monatsbetrag für die Einräumung eines obligatorischen Nutzungsrechts bietet, widerruft E die dem 11 erteilte Nutzungserlaubnis, um mit 12 ins Geschäft zu kommen. 11 erklärt dem E, er halte am Vertrage fest, und produziert weiterhin das patentrechtlich geschützte Produkt. Gegen 11 wird wegen Verstoßes gegen § 142 PatG ermittelt. Fall 12: Schriftsteller Sch hat sich mit dem Verleger V geeinigt, daß dieser gegen Zahlung von 10 000,- DM sein neues Buch herausgeben darf. Nach der Übergabe des Manuskripts - aber noch vor Erscheinen des Buches - verbietet Sch dem V die Veröffentlichung des Werkes, weil er zu Unrecht meint, V habe ihn übervorteilt. Als V das Buch dennoch verlegt, zeigt ihn Sch wegen einer Straftat gern. § 106 UrhG an. Fall 13: In dem Großkaufhaus des C werden häufig von dem Verkaufspersonal Waren entwendet. C läßt daher regelmäßig stichprobenartig Taschen und andere Behältnisse des Personals von dem Pförtner überprüfen. Die Befugnis dazu hat sich C ausdrücklich in den Arbeits- und Dienstverträgen einräumen lassen. Als der Pförtner eines Tages die Verkäuferin V kontrollieren will, weigert sich diese, ihre Handtasche vorzuzeigen. Der hinzugezogene C droht der V mit Entlassung, falls sie sich nicht kontrollieren lasse. V gibt schließlich nach, zeigt darauf den C aber wegen Nötigung an. Fall 14: Wie Fall 13. C wird aber außerdem handgreiflich. Er wendet der widerspenstigen V gegenüber den "Polizeigriff" an und nimmt kurzerhand die Taschenkontrolle selbst vor, ohne dabei etwas Verdächtiges zu finden. Fall 15: PHM Hartmann (H) hat frühzeitig für den 1. Weihnachtsfeiertag für sich und seine Frau einen Tisch in einem Feinschmeckerlokal "Lukullus" bestellt. Zur verabredeten Zeit wird er von dem Kellner K freundlich empfangen, der die Eheleute H zu dem reservierten Tisch führt und die Suppe serviert. Die Mahlzeit wird jedoch jäh unter-
1. Einleitung
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brochen, als Inhaber I in H den Beamten wiedererkennt, der ihn am Tag zuvor bei einer Trunkenheitsfahrt erwischt hat. I fordert H wütend auf, das Lokal zu verlassen. H bleibt jedoch unbekümmert sitzen und beruft sich darauf, daß er bis zur Beendigung der Mahlzeit in der Gaststätte verbleiben dürfe. I zeigt H wegen Hausfriedensbruch an. Fall 16:
Reisegast R, der mit dem Luxusdamper "Astor" eine Kreuzfahrt unternimmt, will nach Erhalt eines Telegramms seines Unternehmens die Fahrt abbrechen, um dringende geschäftliche Verhandlungen in seinem Betrieb zu führen. Er verlangt daher vom Kapitän, daß dieser den Kurs ändert und einen nicht auf der Reiseroute liegenden Hafen ansteuert, von wo aus R eine günstige Flugverbindung nach Hause hat. Kapitän K geht darauf nicht ein, weil er den anderen Passagieren die Kursänderung nicht zumuten will. Er meint, daß R die Route vor dem Abschluß des Reisevertrages bekannt gewesen sei; R müsse sich daher bis zum Anlaufen des nächsten Hafens der Reiseroute gedulden, um von dort seine Rückreise anzutreten. R meint, daß man ihn seiner Freiheit beraube.
Ein Weg, strafrechtliche Sanktionen mit Sicherheit zu vermeiden, hätte sich in den vorgenannten Fallbeispielen für die Gläubiger eröffnet, wenn sie das zeitraubende Verfahren einer Klage in Kauf genommen und soweit erforderlich! den staatlichen Organen die Vollstreckung aus den Titeln überlassen hätten. Damit ist aber den Gläubigern nicht gedient, zumal bereits mit dem verfahrensbedingten Zuwarten eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Anspruchs verbunden ist. Der Gläubiger kann nämlich auf prozessualem Wege nicht mehr das bekommen, was ihm vertraglich zusteht, die Leistungserbringung im Fälligkeitszeitpunkt2 . Der eigenständige Wert, der dem zeitlichen Leistungsaspekt zukommt, tritt augenscheinlich hervor, wenn z. B. der Schuldner nach der Fälligkeit des Anspruchs, aber vor dessen Verwirklichung, in Konkurs fällt. Ebenso unbefriedigend ist die zeitraubende Titulierung und die Vollstreckung für die Gläubiger in den vorstehenden Fallbeispielen. So könnten die Pächter in den Ausgangsfällen 1 u. 2 zwischenzeitlich die gepachteten Grundstücke überhaupt nicht sinnvoll nutzen, wenn ihnen die Rodung der Bäume bzw. die Materiallagerung erst nach Beschreiten des Rechtsweges gestattet wäre. Auch für den Produzenten im Fall 11 ist es äußerst entscheidend, möglichst schnell die patentierte Neuheit auf den Markt zu bringen, bevor die Konkurrenz mit vergleichbaren Produkten den Verbraucher anspricht. Bis zur Titulierung seines Anspruchs ist der Markt vielleicht schon unter den anderen Wettbewerbern aufgeteilt oder die Erfindung ist bereits wieder technisch überholt und damit unverkäuflich. Für den Kaufhausinhaber im Fall 13 ist schließlich eine Kontrolle seines Personals bereits sinnlos, wenn dies schon das Kaufhaus verlassen Unnötig z. B. im Fallbeispiel 3 (§ 894 ZPO). Arzt (Schaffstein - FS), S. 80; Kempf (Diss.), S.42; ähnlich bei den Bereicherungsdelikten Schröder (JZ 1965), S. 515. 1
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1. Einleitung
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und etwaig gestohlene Ware weggeschafft hat. Ähnlich ist die Situation im Fall 15, in dem der Gast H an einer Bewirtung in dem Feinschmeckerlokal nur für den 1. Weihnachtsfeiertag, nicht jedoch zu einem späteren Termin Interesse hat. Für den Gläubiger ist es daher wichtig zu wissen, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen er seinen vertraglichen Anspruch außerprozessual verwirklichen kann, ohne damit zugleich strafrechtliches Unrecht zu begehen. Bereits ein flüchtiger Blick auf Rechtsprechung und Literatur läßt erkennen, daß man in den überwiegenden Fällen den Gläubiger, der aufgrund eines einredefreien Anspruchs in die Rechtsgüter des Schuldners eingreift, um den Anspruch selbst zu "vollstrecken", gegenüber demjenigen privilegieren will, der keinen solchen Anspruch hat. Nimmt der Gläubiger die ihm geschuldete Sache dem Schuldner weg, soll nach ständiger Rechtsprechung 3 - und h. M.4 mangels Rechtswidrigkeit der Zueignungsabsicht schon tatbestandsmäßig kein Diebstahl vorliegen. Verschafft sich der Gläubiger die Erfüllung seines Anspruchs unter Täuschung des Schuldners, so soll der Betrugstatbestand nicht verwirklicht sein, weil - soweit nicht schon ein Vermögensschaden des Schuldners in Zweifel gezogen wird5 - die Absicht rechtswidriger Bereicherung fehle 6 • Denjenigen, die - wie in den Ausgangsfällen 1 + 2 - einen Anspruch auf die Duldung einer Sachbeschädigung vertraglich begründet haben, will ein Teil der Strafrechtslehre7 helfen, der den schädigenden Eingriff in das Schuldnervermögen als gerechtfertigt ansehen will. Begründet wird dieses Ergebnis mit der Behauptung, in dem vertraglichen Duldungsversprechen liege eine strafrechtlich relevante Einwilligung in den Eingriff, welche, da vertraglich erklärt, ausnahmsweise unwiderruflich sei. Auch außerhalb des Bereichs der Vermögens-, insbesondere der Bereicherungs- und Zueignungsdelikte soll das Bestehen eines vertraglichen Anspruchs die Straflosigkeit des eigenmächtigen Gläubigers zur Folge haben. So wird z. B. davon ausgegangen, daß der Gast in der Gaststätte oder 3 RGSt 64/210ff.; RG HRR 1937, Nr. 209; BGHSt 17/87ff.; BGH GA 1962/144f.; BGH GA 1968/338f.; OLG Hamm NJW 1969, 619; weitere Nachweise unter 3.1.1. 4 Dreher 1 Tröndle, § 242 RN 22; Heimann 1 Trosien 1 LK, § 242 RN 78; Lackner, § 242 Anm. 5 a; Maurach 1 Schröder (BT Bd. 1), S. 287 (§ 34 III C 1 a); im Ergebnis gleich, aber für eine Einstufung der Rechtswidrigkeit der Zueignungsabsicht als allgemeines Verbrechensmerkmal Eser 1 S. 1 S., § 242 RN 57, Samson 1 SK, § 242 RN 89; Schröder (DRiZ 1956), S. 69 m. w. N. 5 Vgl. Welzel (NJW 1953), S. 652. 6 RGSt 26/353ff.; RGSt 44/203; RGSt 64/342 (344); BGHSt 3/160 (162); BGHSt 191 206ff.; BGH GA 66/52f.; Maurach 1 Schröder (BT Bd. 1), S. 428, Blei (BT), S.211; Dreher 1 Tröndle, § 263 RN 43; Mohrbotter (GA 1967), S.213f; Otto (Vermögensschutz), S. 218; Cramer 1 S. 1 S., § 263 RN 170ff; w.N. unter 3.3. 7 Lenckner 1 S. 1 S., Vor § 32 RN 44; Welzel (LB), S. 96; Honig, S. 149ff. m. w.N.; Hirsch 1 LK, Vor § 51 RN 109; Binding (Handbuch), S. 713; w.N. unter 4.2.4.
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1. Einleitung
der Besucher einer Ausstellung wegen des vertraglich erworbenen Anspruchs auf den Aufenthalt in den jeweiligen Lokalitäten nicht unbefugt, sondern rechtmäßig verweile und deshalb auch dann keinen Hausfriedensbruch begehe, wenn er den Aufforderungen des Hausrechtsinhabers gemäß § 123 Abs. 1 2. Alternative keine Folge leistet8 • Sogar freiheitsbeschränkende und persönlichkeitstangierende Eingriffe werden aufgrund eines vertraglichen Anspruchs für zulässig erachtet. Verwiesen sei hier insoweit auf die arbeitsrechtliche Problematik der systematischen Präventivkontrollen an Werkstoren. Nach überwiegender Ansicht 9 ist der Arbeitnehmer verpflichtet, diese Maßnahme aufgrund der aus dem Einzelarbeitsvertrag oder aus entsprechenden Tarifvertragsregelungen bzw. Betriebsvereinbarungen 10 folgenden Kontrollbefugnis des Arbeitgebers zu dulden. Daß dieser vertraglichen Duldungspflicht nicht nur Bedeutung für das arbeitsrechtliche Verhältnis (Kündigung im Falle der Weigerung des AN etc.)l1, sondern ebenso für die Frage der strafrechtlichen Rechtfertigung bei zwangsweisem Vollzug des Duldungsanspruchs beigemessen wird 12 , zeigen Stellungnahmen, wonach der Duldungsanspruch gleichrangig neben den anerkannten Rechtfertigungsgründen (§§ 127 Abs. 1 StPO; 229 u. 859 BGB; 32 StGB) zur Rechtfertigung angewendet wird 13 . Die angeführten, keineswegs erschöpfenden Beispiele zeigen bereits die Sonderstellung, die der eigenmächtig handelnde Gläubiger im Strafrecht auch außerhalb der gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen einnimmt. Diese liegt darin begründet, daß der Gläubiger zu dem betreffenden Rechtsgut bereits in einer solchen Nähebeziehung steht, die es ihm erlaubt - jedenfalls im Klage- und Vollstreckungswege -, auf dieses einzuwirken. Umgeht der Gläubiger das zeitraubende Klage- und Vollstreckungsverfahren, und schreitet er zur Eigeninitiative, so steht der Schuldner in bezug auf das 8 RGSt 4/322 (323); Celle OLGSt § 123 S. 24; Lenckner / S. / S., § 123 RN 33; Dreher / Trändie, § 123 RN 14, Voraussetzung ist allerdings, daß der Gast nicht durch ungebührliches Verhalten den Grund für die Aufforderung selbst gesetzt hat; vgl. RGSt 4/322; BGHSt 24/64, BGH GA 50/289; Lenckner / S. / S., § 123 RN 33. 9 LAG Mainz in AP Nr. 1 zu § 71 HGB; LAG Mannheim BB 1954/129f. mit Anm. von Koch; LAG Mannheim in AP Nr. 1 zu § 242 BGB mit Anm. von Hueck; LAG Stuttgart RdA 1950/274ff. (277) mit Anm. von Hueck; RAG 10/29; RAG 4/117; Frey, S. 300; Maass, S. 145; Nikisch, Bd. 1 S.257; Hueck / Nipperdey (LB), S.240; Bobrowski / Gaul, S. 728; Gaul (DB 1963), S. 1771 f.; Canaris, S. 137. 10 Dazu insbesondere LAG Stuttgart RdA 1950/274; Nikisch, S. 257. 11 Grundlegend insoweit Hueck (Torkontrolle), S. 137ff. 12 Mitunter wird allerdings zu Unrecht auch auf den Rechtfertigungsgrund der gemäß § 157 BGB aus dem Arbeitsvertrag zu ermittelnden Einwilligung abgestellt (vgl. Hueck (RdA 1950), S. 137 ff. ders. / Nipperdey, S. 240), obwohl der sich gegen die Durchsuchung wehrende Arbeitnehmer gerade seinen der Kontrolle entgegenstehenden Willen zum Ausdruck bringt. 13 OLG Hamm NJW 1977/590 (591); Maass, S. 144f.; Birk, S. 339 u. 341 und LAG Stuttgart RdA 1950/274 (277); ablehnend Schwenk, S. 822 (825) u. Schumann (JuS 1979), S. 561, der bei Anwendung von Zwang und Gewalt in den gesetzlichen Rechtfertigungsgründen einen abschließenden Katalog sieht.
1. Einleitung
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angegriffene Rechtsgut oft nicht anders da, als wenn der Eingriff durch staatliche Organe erfolgt wäre. Von der Stellung des Schuldners als Rechtsgutsinhaber bleibt im Extremfall nur noch eine formale Rechtsposition übrig 14, während bei wirtschaftlicher Betrachtung dem Gläubiger bereits die materielle Berechtigung zugewiesen werden muß. Diese Erkenntnis ist heute die Grundlage zur Lösung der aufgezeigten Problematik. Wie bereits die wenigen Fallbeispiele zeigen, in denen zum einen auf der Tatbestands- zum anderen aber auch auf der Rechtswidrigkeitsebene die Begründung dafür gesucht wird, warum der anspruchsverwirklichende Gläubiger kein strafrechtliches Unrecht begeht, fehlt es allerdings an einer systematisch einheitlichen Problemerfassung. Das Phänomen der sogenannten "Anspruchsbeziehung"15 zwischen Gläubiger und Schuldner kommt daher in der strafrechtlichen Dogmatik über einen rein topologl.schen Status nicht hinaus 16 . Der Umstand, daß bei den jeweils in Rede stehenden Straftatbeständen differenzierende Betrachtungen vorzufinden sind, ist nun allerdings nicht nur von methodologischem Interesse. Dies wäre nur dann der Fall, wenn zum einen die tatbestandsspezifisch unterschiedlichen Begründungen für die Straflosigkeit des eigenmächtig handelnden Gläubigers in sich schlüssig wären, und es zum anderen für den Gläubiger gleichgültig wäre, ob sein Handeln aufgrund des vertraglichen Anspruchs bereits die Tatbestandsmerkmale einer Strafnorm nicht erfüllt oder durch Eingreifen von Unrechtsausschließungsgründen gerechtfertigt ist. Während bezüglich der ersten Prämisse eine Beurteilung erst nach gründlicher Analyse der verschiedenen Lösungsansätze möglich ist, wird bei der zweiten Voraussetzung bereits auf den ersten Blick die Relevanz der systematischen Einordnung sichtbar, sobald der Gläubiger bei der privaten Anspruchsverwirklichung auf den körperlichen Widerstand des Schuldners und Rechtsgutinhabers stößt. Ist das eigenmächtige Vorgehen des Gläubigers infolge eines vertraglichen Eingriffsrechts gerechtfertigt, darf mangels eines rechtswidrigen Angriffs der Schuldner die tatbeständsmäßige Beeinträchtigung seines Rechtsgutes nicht im Wege der Notwehr verhindern 17 . Dem Gläubiger bleibt damit der Druchgriff gestattet. Der Schuldner hat diesen zu dulden 18 . Scheitert hingegen der Nachweis strafbaren Unrechts bereits bei der Subsumtion unter den gesetzlichen Strafbestand, kann dieses für den Gläubiger günstige Ergebnis hingegen nicht ohne weiteres konsta14
Vgl. nur Witthaus (Diss.), S. 176, 182 und 192ff.; Schröder (DRiZ 1956), S. 70.
15 Begrifflich so bereits Witthaus (Diss.), S. 15. 16 Davon zeugen bereits die programmatischen Ausführungen Bindings (BT) Bd. 1,
2. Auflage, S. 272f. und Kuhlenbecks (Selbsthülfe), der seine Arbeit unter das Motto stellt: "hilf Dir selbst, so hilft Dir Gott"; Die divergierende dogmatische Behandlung beklagt auch Firnhaber (Diss.), S. 11. 17 Vgl. nur Lenckner / S. / S., Vor § 32 RN 8f; ders. (JuS 1968), S. 310. 18 Vgl. Seelmann, S. 48 u. 64.
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1. Einleitung
tiert werden 19 , da nach heute fast allgemeiner Auffassung20 nicht nur die durch Straftatbestände abgesicherten Rechtsgüter, sondern alle rechtlich geschützten Interessen notwehrfähig sind. Der systematischen Zuordnung der Begründung für die Straflosigkeit der Gläubigerhandlung zu bestimmten Stufen des Verbrechensaufbaus kommt damit heuristischer Wert zu. Eine bisher wenig beachtete Möglichkeit, die sich aus der "Anspruchsbeziehung" zwischen Gläubiger und Schuldner ergebende Problematik im Strafrechtssystem einer einheitlichen Lösung zuzuführen, stellt der in der strafrechtlichen Literatur beiläufig geäußerte Vorschlag dar, den aus dem zivilrechtlichen Vertrag resultierenden fälligen und durchsetzbaren Anspruch des Gläubigers als eigenständigen Rechtsfertigungsgrund zu behandeln 21 • Der Überprüfung dieses Lösungsvorschlags gilt das besondere Interesse der vorliegenden Arbeit.
Siehe dazu Kap. 9. RGSt 21/168 (170); RGSt 29/240f.; OGH 1/274; Lenckner I S.I S., § 32 RN 4ff.; Welzel (LB), S. 84; Maurach I Zipf (AT) Bd. 1, S. 339; Baumann (AT), S. 308; Jescheck, S. 272; Baldus I LK, § 53 Anm. 2f.; Samson I SK, § 32 RN 48. 21 GeerdsJDiss.), S. 217ff.; Schenke (Diss.), S. 105ff.; Traeger, S. 137f.; ähnlich auch Noll (URFG), S. 132, speziell zum Tatbestand der Nötigung Bergmann, S. 174; speziell zum Beförderungsvertrag als Rechtfertigungsgrund Noll (ÜRFG), S. 132 und Hirsch (Sozialadäquanz), S. 116; siehe dazu auch (Kap.) 3.8. 19
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2. Methodischer Ansatz und Gang der Untersuchung Die Erörterung der Frage, ob der zivilrechtliehe Vertrag oder genauer, der sich daraus für den Gläubiger ergebende Anspruch als selbständiger Erlaubnissatz die private Anspruchsverwirklichung rechtfertigen kann, ist nicht nur aus methodologischen Gründen an eine vorbestimmte Prüfungsabfolge gebunden. Die Untersuchung, ob die Konstituierung eines neuartigen Rechtfertigungsgrundes auf den richtigen Weg zur systematischen Erfassung der vorstehend skizzierten Problematik der sog. "Anspruchsbeziehung" führt, darf erst dann erfolgen, wenn feststeht, daß Problemlösungsansätze auf der Tatbestandsebene ebenso scheitern wie das Bemühen, anerkannte Unrechtsausschließungsgründe zur Rechtfertigung des Gläubigerverhaltens heranzuziehen!. Läßt sich für die Problemlösung nämlich einer der anerkannten Rechtfertigungsgründe fruchtbar machen, weist also der (offene) " klassische " Kanon der Rechtfertigungsgründe keine ergänzungsbedürftige Lücke auf, so verbleibt für einen neuartigen Rechtfertigungsgrund kein Raum, und für dessen Konstituierung besteht keine Notwendigkeit 2 . Letzteres gilt erst recht, wenn durch einengende Auslegung bereits auf der vorgelagerten Tatbestandsebene die Straflosigkeit des Gläubigerverhaltens begründet werden kann, und es daher auf das Eingreifen von Rechtfertigungsgründen nicht ankommt. Dafür, daß die Rechtfertigungslösung nur ultima ratio der Problembewältigung sein kann, sprechen aber auch andere Gründe. Gelingt es nämlich, zweckgerechte Ergebnisse durch Auslegung des jeweils in Rede stehenden Straftatbestandes zu erzielen, so ist dies auch deshalb der vorrangige Lösungsweg, weil die sich daraus ergebende Rechtsfolge auf die Person und auf das Verhalten des "Täters" beschränkt bleibt. Verläßt man hingegen die Tatbestandsstufe, um mit Hilfe von Rechtfertigungsgründen zur Ablehnung strafbaren Unrechts zu gelangen, werden auch Belange des Rechtsgutinhabers, i. c. also des Schuldners berührt, da - wie bereits einleitend aufgezeigt - mit der Annahme der Rechtfertigung des Gläubigereingriffs zugleich über die Abwehrrechte des Schuldners gegen die Eingriffe in sein Rechtsgut mit entschieden wird 3. Soll zum Unrechts ausschluß sogar ein neuartiger Recht1 Vgl. Suppert, S. 75, der bildhaft die Anlehnung an Baumann von dem "dornenreichen Weg des Aufspürens neuer Rechtfertigungsgründe" spricht. 2 Suppert, S. 77; Baumann (JZ 1960), S. 10. 3 Diese Konsequenz könnte allerdings vermieden werden, wenn man den Vertrag den von Guenther (a.a.O.), konzipierten sogenannten Strafunrechtsausschließungs-
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2. Methodischer Ansatz und Gang der Untersuchung
fertigungsgrund statuiert werden, verdichtet sich das Geflecht der zu berücksichtigenden Belange, weil mit der Erweiterung privater Eingriffsrechte die zusätzliche Gefahr einer Schwächung der staatlichen Durchsetzungsgewalt heraufbeschworen wird4 • Diese' Gefahr wird gerade bei dem hier zu erörternden Problem der privaten Anspruchsverwirklichung deutlich, wenn man das Augenmerk auf die gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen lenkt. Die darin zum Ausdruck kommende Begrenzung privater Anspruchsdurchsetzung zugunsten des staatlichen Gewaltmonopols kann nicht ohne weiteres durch die Einführung eines neuartigen Rechtfertigungsgrundes beseitigt werden. Trotz des aufgezeigten Vorrangs der Tatbestandsanalyse ist es möglicherweise gerechtfertigt, sich die damit verbundene Mühe zu ersparen, wenn aus systematischen Gründen die Beurteilung der problematischen Kollision zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen auf der Tatbestandsebene nicht den richtigen Sitz hat. Einen Grund die Problemlösung erst gar nicht auf der Tatbestandsebene zu versuchen, könnte die kriminalpolitische Systematik Roxins 5 geben, wonach die Aufgabe des Tatbestandes auf die Erfüllung der Anforderungen des nullum-crimen-Satzes beschränkt bleiben so1l6. Auf der Rechtswidrigkeitsebene soll es hingegen um die gerade hier anstehende Lösung sozialer Konflikte gehen, die aus dem Widerstand individueller und/oder gesamtgesellschaftlicher Interessen entstehen7 • Dieser von Roxin vorgenommenen systematischen Einteilung kann allerdings nicht beigepflichtet werden. Wie bereits Amelung8 kritisch bemerkt, geht es nämlich auch schon bei der Aufstellung von Straftatbeständen darum, Interessenkonflikte zu lösen, da jeweils der Wert des als schutzwürdig befundenen Rechtsgutes mit dem Wert von Gegeninteressen abzuwägen ist 9 • Diese bereits vom Gesetzgeber zu treffende kriminalpolitische Entscheidung wirkt über den vorkodifikatorischen Bereich hinaus und ist bei der Tatbestandsauslegung nachzuvollziehen. Die Tatbestandsauslegung bleibt damit auch und gerade im Falle von Rechtsguts- und Interessenkollisionen der erste Schritt auf dem Weg zur Problemlösung 1o . Die Rechtswidrigkeitsebene kann somit erst dann beschritten werden, wenn auf der Tatbegründen zuordnen wollte, die zwar nicht die Rechtswidrigkeit völlig beseitigen, aber das Unrecht unter die Schwelle der Strafwürdigkeit senken. 4 Courakis, S. 28. 5 Roxin (Strafrechtssystem), S. 15. 6 Roxin (StrafrechtssysteIl).), S. 16. 7 Roxin (Strafrechtssystem), S. 15 und 24. 8 Amelung (Kritik), S. 619 unter Verweis auf Schaffstein (teleologische Begriffsbildung), S. 249ff. 9 Siehe Fußnote 8. 10 Amelung (Kritik), S. 617.
2. Methodischer Ansatz und Gang der Untersuchung
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standsebene sämtliche Auslegungskünste versagen l l . Vor der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der zivilrechtliche Vertrag als eigenständiger Rechtfertigungsgrund anzuerkennen ist, muß daher die Problemlösung durch Auslegung der einschlägigen Straftatbestände versucht und außerdem das Nichteingreifen anerkannter Rechtfertigungsgründe festgestellt werden.
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Ähnlich Fukuda, S. 144 ff.
3. Die private Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem Wie bereits der kurze einleitende Überblick! über die wichtigsten der zur Straflosigkeit des eigenmächtigen Gläubigerverhaltens vorgetragenen Begründungen erkennen läßt, wird als systematischer Ansatz überwiegend die restriktive Auslegung der in Frage stehenden Straftatbestände bevorzugt. Die systematische Erfassung der privaten Anspruchsverwirklichung gerade als Tatbestandsproblem ist wenig erstaunlich, wenn man bedenkt, daß dies in Anbetracht der strengen und daher selten eingreifenden Selbsthilfebestimmungen oft der einzige Weg ist2 , zur Straflosigkeit des ungeduldigen Gläubigers zu gelangen. Ob dieser, wie ausgeführt, logisch vorrangige Lösungsweg auch der richtige ist, soll nachfolgend untersucht werden. Obwohl apriori das Bestehen eines vertraglichen Anspruchs zu einer restriktiven Interpretation nur solcher Straftatbestände führen kann, die dem Schutz disponibler Rechtsgüter dienen, ist es allerdings schon aus räumlichen Gründen nicht möglich, im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf jeden dieser zahlreichen Tatbestände einzugehen. Eine solche Vollständigkeit ist zur Gewinnung zuverlässiger Erkenntnisse auch nicht unbedingt erforderlich. Der Nachweis der Unmöglichkeit einer einheitlich systematischen Problemerfassung auf der Tatbestandsebene ist bereits dann geführt, wenn die Straflosigkeit des eigenmächtig handelnden Gläubigers bei den am häufigsten auftretenden Straftatbeständen nicht im Auslegungswege erzielt werden kann. Die Untersuchung der sogenannten "Anspruchsbeziehung" als Tatbestandsproblem kann daher auf die Straftatbestände der §§ 123; 240; 242; 246; 248b; 253; 263 und 303 StGB beschränkt werden, deren Verwirklichung bei dem Gros der Fälle privater Anspruchsdurchsetzung in Frage steht3 . Eine weitere Einschränkung ist zudem in bezug auf den Umfang der Darstellung der einzelnen Auslegungsprobleme unvermeidbar. Soweit Tatbestandsmerkmale zu interpretieren sind, deren inhaltliche Ausfüllung zu den Kemproblemen der strafrechtlichen Dogmatik gehören, können nicht alle Ansichten bis in die feinsten Differenzierungen verfolgt werden. Dies würde zu einer umfangreichen Strafrechtskommentierung führen, was nicht AufSiehe Kap. 1. Sofern man den vertraglichen Anspruch nicht als eigenständigen Rechtfertigungsgrund anerkennt. 3 Vgl. die unter Kap. 1. aufgeführten Beispielsfälle. 1
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3.1. Die Anspruchsbeziehung und die Zueignungsdelikte
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gabe der vorliegenden Arbeit sein kann. Die Ausführungen müssen daher auf die Grundlinien der Problemerörterung begrenzt werden.
3.1. Die Anspruchsbeziehung und die Zueignungsdelikte Zu den in der Praxis häufig auftretenden Fällen außerprozessualer Anspruchsverwirklichung durch den Gläubiger zählt die private Durchsetzung von Übereignungsansprüchen im Wege der Zueignung geschuldeter Sachen. Es nimmt daher nicht wunder, daß mittlerweile annähernd jedes Tatbestandsmerkmal der §§ 242; 246 StGB als Ansatz zur Normrestriktion benutzt wird. 3.1.1. Die Anspruchsbeziehung und die Rechtswidrigkeit der Zueignung
Die Rechtsprechung4 und der überwiegende Teil der Literatur5 gelangen zur Straflosigkeit des eigenmächtigen Gläubigers in bezug auf die Tatbestände der §§ 242ff.; 246f.; 249ff.; indem sie an die im Tatbestand aufgeführte Widerrechtlichkeit der Zueignung anknüpfen. Hat der Gläubiger einen fälligen und unbedingten Anspruch auf Übereignung der zugeeigneten Sache, so soll die objektive Widerrechtlichkeit der Zueignung fehlen, weil der eigenmächtige Gläubiger nur den von der Eigentumsordnung gewollten Zustand herbeiführe. Da die Rechtsprechung 6 und die herrschende Meinung7 die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung als Merkmal des Straftatbestandes ansehen, wird die "Anspruchsproblematik" bereits auf der Tatbestandsebene erledigt. Die favorisierte Tatbestandslösung ist in der Literatur allerdings heftiger Kritik ausgesetzt, welche an zwei argumentativ unterschiedlichen, sachlich jedoch zusammenhängenden Angriffspunkten ansetzt. Der erste Angriffspunkt betrifft die Einordnung des Wortes "rechtswidrig" als Tatbestandsmerkmal. Namhafte Autoren 8 treten dem entgegen und gehen, wie auch bei 4 RGSt 2/184; RGSt 24/171 (172); RGSt 64/210; RG HRR 1937, Nr. 209; BGHSt 17/ 87; BGHSt GA 1962/144; BGHSt GA 1966/212; BGHSt GA 1968/138; OLG Hamm NJW 1968/212; OLG Hamm NJW 69,619; OLG Stuttgart NJW 67/122; OLG Frankfurt NJW 64/508; Bay ObLG NJW 65/1924. 5 Eser / S. / S., § 242 RN 57; Dreher / Tröndle, § 242 RN 21; Blei (BT), S. 186; Samson / SK, § 242 RN 85; Bruns (Diss.), S. 54; Frank, § 242 Anm. VII 2 b; Binding (LB) Band 1, S. 272f.; Baldus (Niederschriften) VI, S. 16; Heimann-Trosien / LK, § 242 RN 70; Maurach / Schröder (BT) Bd. 1, S. 321 (§ 35 11 B 2 d); Olshausen, § 242 Anm. 27b; Schröder (JR 1962), S. 346; ders. (JR 1965), S. 26f.; ders. (DRiZ 1956), S. 69; Heinrichs (Diss.), S. 36; Heyer, S. 86. 6 RGSt 44/41 (42); RGSt 49/140 (143); BGH GA 1962/144f. 7 Vgl. nur Eser / S. / S., § 242 RN 59ff.; Dreher / Tröndle, § 242 RN 22. 6 Welzel (LB), S.48, 271 u. 311; Kempf (Diss.), S. 74ff.; Schroeder (DRiZ 1956), S. 71; Mohrbotter (GA) 1967, S. 205 und 207; Hirsch (JZ 1963), S. 153f.; Maurach / Schroeder (BT) Bd. 1, S. 321 (§ 35 11 B 2 d).
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3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
anderen Strafnormen, in denen die Rechtswidrigkeit nicht besonders benannt ist, von einem allgemeinen Verbrechensmerkmal aus. Der Übereignungsanspruch des eigenmächtigen Gläubigers kann nach dieser Auffassung strafrechtliches Unrecht erst auf der Rechtswidrigkeitsebene als Unrechtsausschließungsgrund beseitigen. Der zweite grundlegende Ansatz zur Widerlegung der herrschenden Meinung betrifft deren Begründung. Angriffsziel ist insbesondere die These, der eigenmächtig handelnde Gläubiger führe lediglich den von der Eigentumsordnung gewollten Zustand herbei. Dem Problem der systematischen Einordnung des Wortes "rechtswidrig" in den Zueignungsdelikten hat sich intensiv Hirsch 9 gewidmet. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die in §§ 242; 246 StGB besonders benannte Rechtswidrigkeit nicht Tatbestandsmerkmal, sondern allgemeines Unrechtsmerkmal1 0 sei. Nach seiner Ansicht kann, da die Tatbestandsmerkmale eines Zueignungsdeliktes in ihrer Gesamtheit einen Verstoß gegen die Eigentumsordnung beschreiben, dieser Verstoß nicht selbst Tatbestandsmerkmal sein. Ansonsten ergebe sich die logische Ungereimtheit, daß der Widerspruch zur Eigentumsordnung eine Voraussetzung des Widerspruchs zur Eigentumsordnung wäre ll . Neben der Funktion als allgemeines Unrechtsmerkmal mißt Hirsch der in den Zueignungstatbeständen besonders genannten Rechtswidrigkeit aber auch Bedeutung für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Zueignung" bei. Durch das beigefügte Adjektiv "rechtswidrig" würden aus der Vielzahl der von der Worlbedeutung des Merkmals "Zueignung" umfaßten Handlungsweisen die Fälle ausgeschieden, in denen eine Zueignung mangels Verstoßes gegen die Eigentumsordnung nicht unter den Tatbestand falle 12 . Der Zusatz "rechtswidrig" beinhalte insofern lediglich einen verdeutlichenden 13 Hinweis auf eine notwendig restriktive Interpretation des Tatbestandsmerkmals "Zueignung", das mit der Eigentumsordnung konforme Verhaltensweisen nicht erfasse. Mit dem von der herrschenden Meinung zur Straflosigkeit des eigenmächtig handelnden Gläubigers vorgebrachten Argument, der ungeduldige Gläubiger stelle den von der Eigentumsordnung gewollten Zustand her, läßt sich daher auch nach der Auffassung von Hirsch durchaus eine Lösung bereits auf der Tatbestandsebene herbeiführen, wobei Anknüpfungspunkt schon das Zueignungsmerkmal ist. Voraussetzung einer solchen Lösung ist allerdings, daß der Gläubiger tatsächlich bei der Anspruchsdurchsetzung im Einklang mit der Eigentumsordnung handelt. Selbst der geringfügigste EinHirsch (JZ 1963), S. 149ff. Hirsch (JZ 1963), S. 150ff.; ebenso Firnhaber (Diss.), S. 16f.; Kempf (Diss.), S.74ff. 11 Hirsch (JZ 1963), S. 153. 12 Hirsch (JZ 1963), S. 155. 13 Der nach Ansicht von Hirsch (JZ 1963), S. 155 Fn 53 aber entbehrlich ist. 9
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3.1. Die Anspruchsbeziehung und die Zueignungsdelikte
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griff in ein fremdes Eigentumsrecht hätte zwangsläufig die Unrechtsindikation zur Folge und ließ die Ablehnung strafrechtlichen Unrechts nur noch durch die Anwendung eines Rechtfertigungsgrundes zu. Abgesehen von sporadischen und wenig überzeugenden Versuchen in der älteren Literatur14, die herrschende Meinung argumentativ zu stützen, hat sich vor allem Schröder15 um den Nachweis dafür bemüht, daß der eigenmächtige Gläubiger den von der Eigentumsordnung gewollten Zustand herbeiführe. Schröder selbst sieht allerdings in der Rechtswidrigkeit der Zueignung kein Tatbestandsmerkmal und zielt daher letztlich mit seiner Argumentation auf eine Rechtfertigungslösung ab. Ein treffendes Argument für die h. M. folgt nach seiner Auffassung aus § 986 BGB16, der nach überwiegender Meinung dem Besitzer einer Sache die Möglichkeit eröffnet, sich gegen den Vindikationsanspruch des Eigentümers unter Berufung auf sein vertragliches Besitzrecht selbst dann zu behaupten, wenn er den Besitz der Sache verboten eigenmächtig erlangt hat1 7 . Schröder leitet daraus und zusätzlich aus der exeptio doli generalis ab, daß die Eigentumsordnung den vom Gläubiger hergestellten Zustand billige 18 . Schröder muß allerdings eingestehen, daß bei rein obligatorischen Eigentumsverschaffungsansprüchen wegen der noch ausstehenden Eigentumsübertragung auf den Gläubiger nicht von einer absoluten Übereinstimmung mit der Eigentumsordnung gesprochen werden könne, wenn der Gläubiger sich der Sachen des Schuldners bemächtigt. Den vom Gläubiger hergestellten Zustand bezeichnet Schröder daher unter Hinweis auf die durch den Übertragungs anspruch beseitigte Schutzwürdigkeit der Eigentümerstellung vorsichtig als der Eigentumsordnung "gemäß"19. Die hinter dieser vagen Begrifflichkeit kaum zu verbergenden Angriffs-. flächen, welche der Begründungsversuch Schröders aufweist, reizten zur Kritik und waren für viele Anlaß, auch im Ergebnis entgegen der Rechtsprechung die Rechtswidrigkeit der Zueignung zu bejahen20 . Insbesondere Hirsch21 und Kempf 22 haben die Argumentation der herrschenden Meinung widerlegt. Den Fehler in der Argumentation der Recht14
Ausführliche Nachweise bei Kempf (Diss.), S. 13ff.
15 Schröder (DRiZ 1956), S. 69ff. 16 Schröder (DRiZ), S. 70.
17 Wolff, S.153f.; Scherck (DogmJ), S.334; Erman / Hefermehl, § 986 RN 4; RGRK / Pikart, § 986 RN 4; Westermann (SR), S. 141ff.; Wolf / Raiser, S. 323; Palandt / Bassenge, § 986 Anm. 1 ff.; wohl auch Münch. / Komm. / Medicus, § 986 RN 10; Raape, S. 174. 18 Schröder (DRiZ 1956), S. 70; aufgegriffen in BGHSt 17/89. 19 Schröder (DRiZ 1956), S. 70. 20 Welzel (LB), S. 345f.; Gerland, S. 575, Gallas (Niederschriften) VI, S. 16; Bockelmann (Niederschriften) VI, S. 17; ders. (BT) Band 1, S.23f.; Kohlrausch / Lange, § 242 Anm. III 2 d; Sauer, S. 376f.; Liszt / Schmidt, S. 619; Kempf (Diss.), S.23ff. m. w. N. zur älteren Literatur, S. 18 Fn. 2; Hirsch (JZ 1963), S. 149 ..
3 H.-D. Weber
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3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
sprechung, wonach der eigenmächtige Gläubiger nur den von der Eigentumsordnung gewollten Zustand herstellt, führen sie zutreffend auf die Unvereinbarkeit mit dem zivilrechtlichen Abstraktionsprinzip zurück23 . Solange der Gläubiger nur einen obligatorischen Anspruch auf die geschuldete Sache hat, fehlt ihm jede dingliche Verfügungsbefugnis, die bis zur Erfüllung des Anspruchs dem Schuldner verbleibt. Setzt sich der Gläubiger darüber hinweg, so verletzt er fremdes Eigentum und damit die vorgegebene Eigentumsordnung24 . Daß die Eigentumsordnung die eigenmächtige Änderung wolle, bleibt somit eine nicht bewiesene Behauptung. Es entspricht vielmehr dem starren Wesen des Eigentums, daß es den status quo festschreibt. Der auf Rechtsänderung gerichtete Anspruch stört diesen Ruhezustand 25 . Das Recht schützt deshalb die Eigentumsordnung wie sie jeweils ist, nicht aber wie sie zukünftig werden so1l26. Das von Schröder aus § 986 BGB gewonnene Argument, der durch den eigenmächtigen Gläubiger geschaffene Zustand werde von der Eigentumsordnung nicht beanstandet, vermochte der Kritik ebenfalls nicht standzuhalten 27 . Zum einen weist bereits Firnhaber zutreffend darauf hin, daß § 986 BGB allenfalls ein Recht zum Besitz gebe, nicht aber auch zur Zueignung2B . Außerdem kann aus § 986 BGB insofern nur die rechtliche Anerkennung des durch den Eingriff bereits geschaffenen Zustandes abgeleitet werden, nicht auch die Anerkennung der vorhergehenden Tathandlung selbst. Daß der Gläubiger die geschuldete Sache weiter besitzen darf, heißt schließlich nicht, daß er diese vorher eigenmächtig in seinen Besitz bringen durfte 29 . Bei der Regelung des § 986 BGB geht es ausschließlich darum, den einmal eingetretenen possessorischen Zustand aus Zweckmäßigkeitsgründen beizubehalten3o . Müßte der Gläubiger nämlich die Sache dem Schuldner herausgeben, könnte er aufgrund des obligatorischen Anspruchs sofort die ÜberHirsch (JZ 1963), S. 149. Kempf (Diss.), S. 24. 23 Hirsch (JZ 1963), S. 152; Kempf (Diss.), S. 20ff.; ähnlich Bockelmann (Niederschriften) VI, S. 16f.; ders. (BT) Bd. 1, S. 23f. 24 Kempf (Diss.), S. 27; Hirsch (JZ 1963), S. 152. 25 Kempf (Diss.), S. 15. 26 Bockelmann (BT), Bd. 1, S. 23. 27 Hirsch (JZ 1963), S. 151; Kempf (Diss.), S. 35f.; Firnhaber (Diss.), S. 45. 28 Firnhaber (Diss.), S. 45; ähnlich Kempf (Diss.), S. 35f. 29 Hirsch (JZ 1963), S. 151. 30 Vgl. Erman / Drees, § 823 RN 22, der unter Verweis auf RG LZ 1918/258 eine rechtswidrige Eigentumsverletzung i. S. d. § 823 I bejaht, wenn der Käufer gegen den Willen des Verkäufers die verkaufte Ware eigenmächtig in Besitz nimmt. Der Verweis auf die vorstehende Entscheidung des RG ist allerdings verfehlt, weil das RG eine rechtswidrige Eigentumsverletzung infolge des vor dem Eingriff erfolgten wirksamen Rücktritts vom Vertrag bejahte, im Falle der grundlosen Erfüllungsverweigerung durch den Verkäufer aber ausdrücklich das Verhalten des Gläubigers als gerechtfertigt ansah (RG LZ 1918/259). 21 22
3.1. Die Anspruchsbeziehung und die Zueignungsdelikte
35
eignung und Übergabe der Sache verlangen. Nur dieses umständliche Hin und Her soll in Konkretisierung des dolo-facit-Satzes durch § 986 BGB vermieden werden. Steht somit der Eingriff in die formale EigentümersteIlung und damit die Unrechtsindikation 31 fest, bedarf es an dieser Stelle keiner Auseinandersetzung mit weiteren Argumenten, die von der die Rechtswidrigkeit der Zueignung bejahenden Ansicht gegen die herrschende Meinung vorgetragen werden. Der Austragungsort dieses Meinungsstreits kann nur die Rechtswidrigkeitsebene sein32 . Dies gilt insbesondere in bezug auf die Meinung von Mohrbotter33 , Jagusch 34 und anderer35 • Diese gestehen nämlich den Verstoß gegen das formelle Eigentumsrecht ohne weiteres ein, stimmen der h. M. aber dennoch im Ergebnis unter Verweis darauf zu, daß wegen des Übereignungsanspruchs des "Täters" die Zueignung nicht dem materiellen Recht widerspreche und daher die materielle Rechtswidrigkeit entfalle. Da diese sich mit der Unrechtsindikation abfinden, gewinnt für sie der Übereignungsanspruch als Rechtfertigungsgrund ebenfalls erst auf der Rechtswidrigkeitsebene Bedeutung36 . 3.1.2. Die Anspruchsbeziehung und der strafrechtliche Sachbegriff Faßt man als Ansatzpunkt einer restriktiven Interpretation der Zueignungsdelikte das Merkmal "Sache" ins Auge, so zeigt sich schnell, daß der Gläubigeranspruch auf die Auslegung dieses Merkmals keine Auswirkungen haben kann. Ein körperlicher Gegenstand bleibt ein körperlicher Gegenstand, unabhängig davon, ob jemand einen obligatorischen Anspruch auf Übereignung desselben hat. Soweit vereinzelt entgegen der herrschenden Meinung 37 eine engere, normative Bestimmung des Sachbegriffs vorgenommen wird, beschränkt sich diese darauf, völlig wertlose Sachen aus dem Kreis der tauglichen Tatobjekte auszuschließen 38 . Mit solchen Sachen hat man es in den sogenannten 31 Zur lückenlosen Indikation der Rechtswidrigkeit durch die Tatbestandsmerkmale der §§ 242; 246 BGB Kempf (Diss.), S. 17. 32 Vgl. Kempf (Diss.), S. 40f.; 71 und besonders 45 und Firnhaber (Diss.), S. 46: "Zu erwägen ist allenfalls, ob das Bestehen eines fälligen unbedingten Anspruchs ... als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen ist. In Wahrheit wird dieser Gedanke die h. L. geleitet haben." 33 Mohrbotter (GA 1967), S. 199ff. 34 Jagusch / LK (8. Aufl.), vor § 242 D VIII. 35 Ruhstrat, S. 390; Nagler / LK (7. Aufl.), vor § 242 VII A; Heyer, S. 86. 36 Zur Frage, ob der fällige und durchsetzbare Anspruch als Rechtfertigungsgrund zur Anwendung kommen kann vgl. Kap. 5.ff. 37 RGSt 51/97 (98); BGH MDR 1960/689; Dreher / Tröndle, § 242 RN 2; Lackner, § 242 Anm. 2 a; Samson / SK, § 242 RN 7. 38 Baumann (NJW 1964), S. 707; Schröder(JR 1964), S. 266; Eser / S. / S., § 242 RN 4 b.
3'
36
3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
"Anspruchsfällen" regelmäßig nicht zu tun. Eine Möglichkeit, die geschuldete Sache dennoch als untaugliches Tatobjekt erscheinen zu lassen, böte sich allenfalls, wenn man den von der Mindermeinung einmal eingeschlagenen Weg wirtschaftlicher Betrachtung konsequent weiterverfolgen und die Fälle, in denen der Eigentümer einen Wertausgleich für die geschuldete Sache erhält, ebenfalls als wirtschaftlich unschädlich behandeln würde. Da dann Diebstahl bzw. Unterschlagung nur noch denkbar wären, wenn bei der Tat das Vermögen des Täters vermehrt und das des Schuldners gemindert würde, wäre das Ergebnis der wirtschaftlichen Betrachtung die Angleichung der Zueignungstatbestände an die Bereicherungsdelikte, die vom Gesetzgeber aber gerade nicht gewollt war39 • Es entspricht daher allgemeiner Meinung40 , daß Diebstahl und Unterschlagung nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß der Täter dem Eigentümer einen adäquaten Gegenwert überläßt41 . 3.1.3. Die Anspruchsbeziehung und der strafrechtliche Fremdheitsbegriff
Als Ansatzpunkt für eine Normrestriktion aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen wird nicht nur bei den Zueignungsdelikten, sondern übergreifend bei sämtlichen Eigentumsdelikten nach vereinzelt zu findender Ansicht42 das Tatbestandsmerkmal "fremd" genutzt. Danach soll insbesondere bei Eingriffen in Vorbehalts- und Treuhandeigentum43 die Bestimmung der Fremdheit einer Sache nicht allein nach zivilrechtlichen Regeln erfolgen. Entscheidend sei im Rechtsleben vielmehr die wirtschaftliche Zuordnung einer Sache zu einer bestimmten Person. Während die einen diese Erkenntnis zum Anlaß nehmen, einen eigenen strafrechtlich-wirtschaftlichen Eigentumsbegriff zu entwickeln4 4, bestimmen andere den Fremdheitsbegriff unabhängig vom Eigentum ausschließlich danach, wessen Vermögen eine bestimmte Sache zuzurechnen ist45 . 39 Zur legislatorischen Abkehr vom "animus lucri faciendi" bei den Zueignungsdelikten Unger, S. 49ff. 40 Vgl. nur Maurach / Schroeder (BT) Bd. 1, S. 291 (§ 34 III C 2); Dreher / Tröndle, § 242 RN 25; Eser / S. / S., § 242 RN. 4. 41 Auf die hiervon auszunehmende Sonderproblematik des eigenmächtigen Geldwechsels und der Auswechselung vertretbarer Sachen (dazu Gribbohm (NJW 1968), S. 241f.) braucht hier nicht eingegangen zu werden. 42 Baumann (Sicherungsrechte), S.201ff.; ders. (ZStW 68), S. 522ff.; Blomeyer (AcP 162), S. 202f.; Dempewolf (MDR 1959), S. 802; Lampe (Eigentumsschutz), S. 63; Otto (Vermögensschutz), S. 143ff.; ders. (Rechtsgutsbegriff), S. 15ff. 43 Zur Zueignung von Gesellschaftseigentum durch den Alleingesellschafter vgl. Eser / S. / S., § 242 RN 7. 44 Baumann (Sicherungsrechte), S. 201ff.; Blomeyer (AcP 162), S. 202f.; Dempewolf (MDR 1959), S. 802; Lampe (Eigentumsschutz), S. 63. 45 Otto (Vermögensschutz), S. 143ff., 145, 151, 157; H. Mayer (GS 104), S. 100ff.
3.1. Die Anspruchsbeziehung und die Zueignungsdelikte
37
Der Vorteil beider Konstruktionen liegt zweifellos darin, daß unbillige Ergebnisse, die bei einer Anknüpfung an die formale EigentÜIDerstellung auftreten können, vermieden werden. Paradigmatisch sei hier nur auf die Fälle verwiesen, in denen der Sicherungsgeber aufgrund seines Rückübereignungsanspruchs eigenmächtig auf das Sicherungsgut Zugriff nimmt. Bei strenger Akzessorietät zum Zivilrecht hängt die Entscheidung über strafrechtliches Unrecht letztlich von geringfügigen Details zivilvertraglicher Vereinbarungen ab, nämlich davon, ob das Eigentum sofort mit Wegfall des Sichetungsgrundes auf den Sicherungsgeber zurückfallen oder erst durch den Sicherungsnehmer rückübertragen werden soll. Daß damit letztlich die privatrechtliche Konstruktion und nicht das Vorliegen einer strafwürdigen Vermögensschädigung den Ausschlag gibt, stößt zu Recht auf Kritik46 . Dennoch ist das Merkmal "fremd" als Regulativ ungeeignet. Zwar muß der zivilrechtlich definierte Fremdheitsbegriff nicht zwangsläufig auch in anderen Rechtsgebieten Geltung haben. Der Umstand, daß z. B. im Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht47 die Akzessorietät zur dinglichen Rechtslage zugunsten einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise an Boden verloren hat, macht dies deutlich. Gerade im Strafrecht ergibt sich der von der h. M.48 als selbstverständlich zugrunde gelegte strafrechtliche Bezug des Fremdheitsbegriffs zur zivilrechtlichen Eigentumsordnung aber eindeutig aus systematischen Erwägungen. Wie ein Vergleich zwischen den §§ 242ff. und 292 f. StGB zeigt, unterscheidet das Gesetz durchaus zwischen dem formalen Eigentumsrecht und dem Aneignungsrecht an Sachen. Hinge die Bestimmung der Fremdheit einer Sache nicht vom Zivilrecht, sondern von einer rein wirtschaftlichen Vermögenszuordnung ab, wäre diese Differenzierung überflüssig49 . 3.1.4. Die Anspruchsbeziehuug und der strafrechtliche Zueignungsbegriff
Einen anderen Weg, dem eigenmächtigen Gläubiger durch restriktive Tatbestandsauslegung zur Straflosigkeit zu verhelfen, geht Witthaus 5o • Da er gegenüber der an das Rechtswidrigkeitsmerkmal anknüpfenden h. M. eine 46
Baumann (ZStW 68), S. 524ff.; Witthaus (Diss.), S. 139f.
47 Vgl. zur umstrittenen vollstreckungsrechtlichen Behandlung des Sicherungsei-
gentums in § 771 ZPO (Hartmann in: Hartmann 1 Lauterbach ZPO, § 771 Anm. 6 b) und in § 43 KO (RGZ 118/209; RGZ 124/73 (75); BGHSt 3/32 (35); Böhle 1 Stammschräder KO, § 43 Anm. 9. 48 RGSt 61/336 (337); BGHSt 6/377; OLG Köln MDR 1954/695; OLG Saarbrücken NJW 1976/65; OLG Düsseldorf MDR 1969/862; Eser 1 S. 1 S., § 242 RN 6ff.; Lackner, § 242 Anm. 2c; Samson 1 SK, § 242 RN 10ff.; Dreher 1 Tröndle, § 242 RN 4; HeimannTrosien 1 LK, vor § 242 RN 15; Firnhaber (Diss.), S. 49, 72 m.w.N. 49 Sax (Laufke - FS), S. 331ff.; Witthaus (Diss.), S. 143 mit weiteren Argumenten gegen die Abkoppelung des Fremdheitsbegriffs vom Zivilrecht. 50 Witthaus (Diss.), S. 144ff.
3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
38
kritische Haltung einnimmt51 und darüber hinaus die Tatbestandsmerkmale "Sache" und "fremd" als untaugliche Ansatzpunkte restriktiver Interpretation bezeichnet52 , bleibt ihm als Lösungsansatz das Merkmal der Zueignung. Dieses kann nach seiner Auffassung nicht bejaht werden, wenn der Gläubiger auf eine Sache Zugriff nimmt, die ihm der Schuldner zu übereignen hat 53 . Zur Begründung seiner Ansicht geht Witthaus auf das Schutzgut der Zueignungsdelikte zurück, die er nicht als bloße Formalschutzdelikte verstanden wissen will 54 • Es gehe nicht um die Sicherung der Rechtstellung des Eigentümers nur deshalb, weil das Zivilrecht ihm eine derartige Position zuordne 55 • Vielmehr dürfe der strafrechtliche Schutz erst dann eingreifen, wenn durch das Täterverhalten dem Eigentümer mit der Sache zugleich die Möglichkeit zur Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung des "Ich" entzogen werde. Geschützt sei deshalb nicht die formale Eigentümerposition als solche, sondern das Interesse des Eigentümers an der auf seine Person ausgerichteten Funktion der Sache 56 , welches Witthaus als "Funktionserhaltungsinteresse" bezeichnet 57 und in die Unterformen des Bereitstehens- 58 , Bewahrungs- 59 und Vermögenserhaltungsinteresses60 zergliedert. Auf dieser Grundlage entwickelt Witthaus die für seinen Ansatz entscheidende These, daß mangels einer Verletzung des zu schützenden Rechtsguts von einer Zueignung nicht gesprochen werden könne, wenn die Interessen des Eigentümers nicht beeinträchtigt sind 61 . Besondere Bedeutung hat dieser, auf das Merkmal der Zueignung zielende Interpretationsversuch insofern, als er gerade dem Eigentümer, der sich zur Übereignung verpflichtet hat, jegliches Funktionserhaltungsinteresse abspricht 62 . Auf diesem Wege gelangt Witthaus zur Verneinung einer tatbestandlichen Zueignung selbst in solchen Fällen, in denen der Gläubiger eigenmächtig und gegen den aktuellen Willen des Schuldners vorgeht. Der Auffassung von Witthaus kann nicht gefolgt werden. Denn Witthaus beschreibt die Interessenlage des Schuldners unzutreffend. Weigert sich der Schuldner und Eigentümer, die geschuldete Sache zu übereignen, gibt er damit unmißverständlich seinem Interesse Ausdruck, die Sache weiterhin zu behalten. Die bei Abschluß des obligatorischen Rechtsgeschäftes signali51 52 53 54 55 56
57 58 59
60 61 62
Witthaus Witthaus Witthaus Witthaus Witthaus Witthaus Witthaus Witthaus Witthaus Witthaus Witthaus Witthaus
(Diss.), (Diss.), (Diss.), (Diss.), (Diss.), (Diss.), (Diss.), (Diss.), (Diss.), (Diss.), (Diss.), (Diss.),
S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S.
93 ff. 132ff. 178. 192. 192. 179ff. 171. 172. 172f. 173ff. 178. 194 und 181ff.
3.2. Vertragsdurchsetzung und der Tatbestand der Nötigung
39
sierte Übereignungsbereitschaft vermag daran nichts zu ändern, weil diese im entscheidenden Tatzeitpunkt nicht mehr vorhanden ist. Darüber hinaus kann das Erhaltungsinteresse des Eigentümers besonders dann nicht bestritten werden, wenn anstelle des Gläubigers ein Dritter auf die Sache Zugriff nimmt 63 , da in diesem Falle der Schuldner nicht von seiner Verpflichtung frei wird. Dem Eigentümer ist daher nicht schon mit der Begründung des Übereignungsanspruchs gleichgültig, was zukünftig mit der Sache geschieht. Eine andere Frage ist hingegen, ob das tatsächlich vorhandene Eigentümerinteresse im Falle eines fälligen und durchsetzbaren Übereignungsanspruches noch als schutzwürdig bezeichnet werden kann. Zu Recht geht Witthaus dieser Frage bei der Interpretation des Merkmals "Zueignung" nicht nach. Da auch der Schuldner mitunter gute Gründe haben kann, die Leistung zu verweigern 64 , läuft die Schutzwürdigkeitsprüfung letztlich auf eine Abwägung der zu berücksichtigenden Interessen der Vertragsparteien hinaus, die typischerweise erst auf der Rechtswidrigkeitsebene erfolgt. Selbst wenn man die Abwägung bereits auf der Tatbetandsebene vornehmen wollte, fehlt es an einer Begründung dafür, warum gerade das Merkmal der Zueignung der maßgebliche Anknüpfungspunkt sein so1l65. Die Meinung von Witthaus bietet daher für die Fälle eigenmächtiger Anspruchsverwirklichung keinen überzeugenden Lösungssatz. Damit steht zugleich fest, daß keines der in §§ 242, 246 StGB genannten Tatbestandsmerkmale eine interpretative Lösung der "Anspruchsproblematik" erlaubt.
3.2. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und der Tatbestand der Nötigung Ist der Schuldner nicht bereit, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, muß der auf die Inanspruchnahme staatlicher Durchsetzungsorgane verzichtende Gläubiger selbst Mittel und Wege zur Durchsetzung seines Anspruchs finden. Soweit er sein Ziel mit Drohungen oder unter Gewaltanwendung zu erreichen sucht, stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit gemäß § 240 Abs. 1 StGB66. Kempf (Diss.) S. 36f. Vgl. Hirsch (JZ 1963), S. 152. 65 Ob stattdessen der von Witthaus in Wirklichkeit angesprochene Aspekt der fehlenden Schutzwürdigkeit des Eigentümerinteresses unter dem Gesichtspunkt des "Schutzbereichs der Norm" zu einer akzeptablen Lösung führt, soll, da es sich dabei um einen tatbestandsübergreifenden generellen Aspekt handelt, nicht bereits im Rahmen der Zueignungsdelikte, sondern erst an nachfolgender Stelle (Kap. 3.7.) erörtert werden. 66 Auf den Mißstand, daß nach der Ablehnung der Strafbarkeit des eigenmächtigen Gläubigers aus Zueignungs- und Bereicherungsdelikten die Prüfung der Voraussetzungen des § 240 StGB verabsäumt wird, verweist zu Recht Hirsch (JZ 1963), S. 150. 63
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40
3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
Als möglicher Ansatzpunkt, bereits im Wege der Tatbestandsauslegung zur Straflosigkeit des Gläubigers zu gelangen, kommt die in § 240 Abs. 1 genannte Rechtswidrigkeit in Betracht. Diese entfällt gemäß § 240 Abs. 2 StGB, wenn die Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Schuldners zu dem angestrebten Zweck nicht als verwerflich anzusehen ist. Die erfolgreiche Behandlung der "Anspruchsproblematik" bereits innerhalb des Nötigungstatbestandes setzt zweierlei voraus. Zum einen muß es sich bei der in § 240 StGB genannten Rechtswidrigkeit um ein Tatbestandsmerkmal handeln. Zum anderen ist festzustellen, ob es überhaupt Fälle nötigenden, aber nicht verwerflichen Gläubigervorgehens gibt. Da bezüglich der zweiten Frage - dem Kernproblem zu § 240 StGB - zumindest in Teilbereichen gesicherte Erkenntnisse vorliegen, soll ihr der Vorrang eingeräumt werden. Nachdem seit der Einführung des § 240 Abs.2 StGB durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz von 1953 67 in Rechtsprechung 68 und Literatur69 anfangs unbestimmte 70 , mitunter sogar tautologisch erscheinende71 Versuche unternommen wurden, unter Zugrundelegung sittlicher Kriterien 72 die Verwerflichkeitsklausel zu konkretisieren, stehen heute präzisere Umschreibungsmodelle zur Verfügung73. Als praktikabel und heute überwiegend anerkannt darf die von Roxin 74 entwickelte und von Reents 75 verfeinerte Lehre von den sozialen Ordnungsprinzipien bezeichnet werden 76 • Ihr kommt im Zusammenhang mit der hier zu erörternden Problematik besonderes Gewicht zu, da zwei der sowohl von Roxin als auch von Reents genannten Prinzipien bei der außerprozessualen, die Willensfreiheit des 67 BGBI I S. 735ff. (742); zur Entstehungsgeschichte des § 240 Abs. 2 StGB siehe Isenbeck (NJW 1963), S. 117; C. U. Schmidt (Diss.), S. 131 f.; Bergmann, S. 185f. 68 BGHSt 2/194 (196); BGHSt 18/389f.: Verhalten, "das nach richtigem allgemeinen Urteil sittlich zu mißbilligen ist". BGHSt 17/328 (332); BGHSt 19/268; BGH VRS 40/104 (107); Bay ObLG NJW 1971/768, Hamburg NJW 1968/662 (663); Hamm NJW 1970/2074 (2075); Saarbrücken NJW 1968/458: "erhöhter Grad sittlicher Mißbilligung." 69 Maurach (BT 5. Aufl.), S. 118. 70 Kritisch dazu Isenbeck (NJW 1963), S. 117; Berz (JuS 1969), S.368; C. U. Schmidt (Diss.), S. 129f.; Roxin (JuS 1964), S. 373 m. w.N. und 375f. 71 Schäfer / LK, § 240 RN 63; C. U. Schmidt (Diss.), S. 127; siehe nur die Zitate in den vorstehenden Fußnoten. 72 Zu der daraus resultierenden Gefahr des Abgleitens in ein Gesinnungsstrafrecht Roxin (JuS 1964), S. 373. 73 Verwiesen sei hier nur auf die Präzisierungsversuche von Hansen (Diss.), S. 154ff.; Arzt (Welzel- FS), S. 823ff.; Roxin (JuS 1964), S. 373ff. und Reents (Diss.), S.94ff. 74 Roxin (JuS 1964), S. 373ff. 75 Reents (Diss.), S. 124 ff. 76 Siehe nur die zustimmende Übernahme der Lehre bei Krey (LB) Bd. 1, § 4 a.E. (S.111) und C.U. Schmidt (Diss.), S. 207ff.; kritisch allerdings wieder Bergmann, S.192.
3.2. Vertragsdurchsetzung und der Tatbestand der Nötigung
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Schuldners beeinträchtigenden Anspruchsdurchsetzung, Anwendung finden. Nach dem Prinzip des Vorrangs staatlicher Zwangsmittel 77 sind alle Fälle nötigender Gewalt verwerflich, sofern nicht ein Rechtfertigungsgrund, das Güterabwägungs- oder Geringfügigkeitsprinzip eingreift. Durch das Prinzip des mangelnden Zusammenhangs 78 wird auch die Zulässigkeit von Drohungen erheblich begrenzt, da sie als Mittel zur Erreichung eines an sich legitimen Zwecks (hier der Anspruchsverwirklichung) nicht eingesetzt werden darf, wenn sie mit dem Ziel in keiner inneren Beziehung steht. Als zulässige Nötigungsmittel verbleiben z. B. 79 die Drohung mit zivilprozessualen Mitteln (Klage, Mahnverfahren etc.)80 und die Drohung mit einer Strafanzeige, sofern damit zugleich der aus der anzuzeigenden Tat erwachsende Schadensersatzanspruch durchgesetzt werden so1l8!. Besteht bezüglich der Verwerflichkeitsbeurteilung jedenfalls in diesen, mit der Friedensordnung noch durchaus verträglichen Fällen, fast allgemeiner Konsens, gehen die Ansichten zur Frage der systematischen Einordnung der Rechtswidrigkeit in § 240 StGB als Tatbestands- oder als allgemeines Unrechtsmerkmal82 auseinander. Die Rechtsprechung 83 und ein Teil der Literatur84 vertreten die Auffassung, daß die in § 240 Abs. 1 StGB genannte Rechtswidrigkeit nicht einen zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Tatumstand beschreibt, sondern allgemeines Verbrechensmerkmal sei. Die besondere Erwähnung der Rechtswidrigkeit habe lediglich den Sinn, den zur Entscheidung Berufenen darauf hinzuweisen, daß es nicht nur unter den engen Voraussetzungen der allgemeinen Rechtfertigungsgründe, sondern auch durch unmittelbare Wertung anhand der in § 240 Abs. 2 vorgegebenen Entscheidungskriterien zu einem Unrechtsausschluß kommen könne. Nach h. M. in der Literatur85 ist hingegen die Prüfung des § 240 Abs. 2 StGB bereits bei der Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit der Nötigung Roxin (JuS 1964), S. 377; Reents (Diss.), S. 124ff. Roxin (JuS 1964), S. 377; Reents (Diss.), S. 186ff. 79 Weitere Beispiele bei Dreher / Tröndle, § 240 RN 9. 80 Reents (Diss.), S. 266; Fezer (JR 1976), S. 97. 81 BGHSt 5/254, BGHSt NJW 1957/596 (598); Bay ObLG MDR 1957/309; Reents (Diss.), S. 266; Dreher / Tröndle, § 240 Anm. 9; kritisch allerdings Fezer (JR 1976), S.97f. 82 Umfassende Darstellung der Ansichten bei Bergmann, S. 156f. 83 BGHSt 2/194 (195f.); Bay ObLG NJW 1963/824f.; OLG Braunschweig NJW 1976/60 (62); abweichend OLG Hamburg HESt 2/295. 84 Baumann (AT), S. 275; Krey (LB) Bd. 1, § 4 II 2 (S. 104); Isenbeck (NJW 1963), S. 117; Welzel (LB), S. 326; Busch (Mezger-FS), S. 180; Schäfer / LK § 240 RN 53 und 57. 85 Eser / S. / S., § 240 RN 15f.; ders., III S. 148 RN 41; WesseIs (BT) Bd. 1., S. 64; Reents (Diss.), S. 10f.; Stratenwerth (AT), RN 355; Lenckner (JuS 1968), S.254; Schröder (ZStW 65), S. 201 f.; Hansen (Diss.), S. 67 und 103; Roxin (JuS 1964), S. 374; ders. (ZStW 82), S. 682f.; Hirsch (ZStW 74), S. 118ff.; Zipf (ZStW 82), S. 653, der in 77
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3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
vorzunehmen. Soweit diese Auffassung nicht schon zwangsläufige Folge einer besonderen Tatbestandslehre (Lehre von den offenen Tatbeständen, Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, Sozialadäquanz) ist, wird sie damit begründet, daß das Gesetz nicht beabsichtigt haben könne, zunächst in Abs. 1 jeden Zwang als tatbestandliche Nötigung zu umschreiben und die Korrektur erst durch den "Rechtfertigungsgrund" des § 240 Abs. 2 vorzunehmen 86 • Zu finden sind allerdings auch differenzierende Ansichten. So wollen Jescheck87 , Samson88 , Wessels 89 und Hansen 90 den Rechtswidrigkeitsbegriff im Hinblick auf eine sachgerechte Behandlung der Irrtumsproblematik aufspalten in das Verwerflichkeitsurteil selbst, das zur Rechtswidrigkeit gehören soll, und die dem Tatbestand zuzuordnenden tatsächlichen Grundlagen des Werturteils. Anders differenziert wiederum Bergmann91 , der die Rechtsprechungsansicht mit Gedanken der Sozialadäquanz kombiniert. Er unterscheidet bei den häufigen und alltäglichen Willensbeeinflussungen zwischen den sozial üblichen, aber erforderlichen Beeinträchtigungen der freien Entfaltung der Persönlichkeit und den sozial üblichen, aus übergeordneten Wert- und Zweckgesichtspunkten erlaubten Beeinträchtigungen. Bergmann geht davon aus, daß es im ersten Falle an einer Rechtgutverletzung und damit an der Tatbestandsmäßigkeit fehle, während im zweiten Fall eine tatbestandsmäßige, aber gerechtfertigte Willensbeeinflussung vorliege 92 • Angesichts des Gesetzeswortlauts ("rechtswidrig ist die Tat, wenn"), der die Verwerflichkeitsklausel eindeutig als allgemeines Unrechtsmerkmal aufweist 93 , vermögen die von der Rechtsprechung abweichenden Ansichten, die von einer Sonderstellung des Nötigungstatbestandes in der allgemeinen Tatbestandslehre ausgehen, nicht zu überzeugen, weshalb hier die Rechtsprechungsansicht zugrunde gelegt wird 94 .
§ 240 abs. 2 einen Fall der Sozialadäquanz sieht, welche nach seiner Auffassung immer Tatbestandsproblem ist. 86 Vgl. nur Eser / S. / S., § 240 RN 16. 87 Jescheck (AT), S. 198. 88 Samson / SK, Vor § 32 RN 18. 89 Wesseis (BT) Bd. 1, S. 64 (§ 8 III 6). 90 Hansen (Diss.), S. 100f. 91 Bergmann, S. 174. 92 Bergmann, S. 174. 93 Bergmann, S. 178; Isenbeck (NJW 1963), S. 117. 94 Hätte der Gesetzgeber die Verwerflichkeitsprüfung als Problem der Tatbestandsmäßigkeit regeln wollen, bestand genügend Anlaß zu einer entsprechenden Änderung des § 240 Abs. 2 StGB gern. dem Alternativentwurf BT, 1. HB 1970 S. 62 (Abs. 2: "eine Drohung bleibt außer Betracht, wenn"), zu der sich der Gesetzgeber aber gerade nicht entschlossen hat.
3.2. Vertragsdurchsetzung und der Tatbestand der Nötigung
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Eine erschöpfende kritische Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansichten kann hier jedoch unterbleiben, weil diese jedenfalls im Ergebnis die weiteren Untersuchungen nicht beeinflussen. Selbst wenn man nämlich mit der h. L. die Verwerflichkeitsklausel systematisch dem Tatbestand der Nötigung zuordnen wollte, würde dies nicht zugleich bedeuten, daß allgemeine Rechtfertigungsgründe keine Anwendung finden könnten. Richtig ist zwar, daß nach den Gesetzen der Logik ein Unrechtsausschließungsgrund nicht zu gebrauchen ist, wenn mangels Tatbestandsmäßigkeit schon kein Unrecht indiziert wird. Die daraus resultierende grundsätzlich nachrangige Prüfung von Rechtfertigungsgründen ist im Rahmen des Nötigungstatbestandes allerdings ausnahmsweise an vorrangiger Stelle vorzunehmen, weil bei Eingreifen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes die Tatbestandsverwirklichung im Einklang mit der Rechtsordnung steht und schon deshalb die betreffende Tathandlung nicht verwerflich sein kann 95 • Folgerichtig wird daher fast allgemein - auch von denjenigen, die die Verwerflichkeitsklausel systematisch als Tatbestandsmerkmal einordnen - vor der Anwendung des § 240 Abs. 2 StGB die Überprüfung der allgemeinen Rechtfertigungsgrüllde gefordert 96 • Die Frage, ob allgemeine Rechtfertigungsgründe eingreifen, insbesondere ob - wie dies Bergmann annimmt 97 der fällige und durchsetzbare Anspruch als eigenständiger Rechtfertigungsgrund in Betracht kommt, ist daher auch bei § 240 StGB von Bedeutung. Dies gilt selbst dann, wenn man mit Jakobs 98 und Horn 99 die Drohung des Gläubigers, den Anspruch notfalls zwangsweise durchzusetzen, schon nicht als tatbestandsmäßige "Drohung mit einem empfindlichen Übel" ansehen wollte. Jakobs 100 und Horn 10 1, die beide die Konnexitätslehre angreifen, kommen zu dem Ergebnis, daß bereits eine tatbestandsmäßige Drohung ausscheide, wenn der Betroffene aus Rechtsgründen verpflichtet sei, die Zufügung bzw. Nichtabwendung des" Übels" seitens des damit Drohenden hinzunehmen. Dies sei bei der Durchsetzung eines Vertrages regelmäßig der Fall. Insbesondere der Vertragsschuldner habe sich nämlich bei der Schuldbegründung in Ansehung der Leistungspflicht eines Stückes seiner Freiheit begeben 102 • Durch die vertragliche Verpflichtung seien die Freiheitsräume der Parteien von diesen selbst neu festgelegt worden 103 • Vgl. Eser 1 S. 1 S., § 240 RN 22 und 25. RGSt 32/391 (393); BGHSt 5/254ff.; Hansen (Diss.), S. 154; Welzel (LB), S. 327; Horn 1 SK, § 240 Anm. 53; Krey (LB) Bd. 1, § 4 II 2; Bergmann, S. 197; Jescheck (AT), S. 198; Hirsch (negative Tatbestandsmerkmale), S. 292; Dreher 1 Tröndle, § 240 Anm. 7; Eser 1 S. 1 S., § 240 RN 25; Kunert, S. 93 Fußnote 1; Kressel (Diss.), S. 10 A.A.: Zipf (ZStW 82), s. 653. 97 Bergmann, S. 174. 98 Jakobs, S. 69 ff. 99 Horn, S. 497ff. 100 Jakobs, S. 74. 101 Horn, S. 499. 102 Jakobs, S. 75. 95
96
·3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
44
Auch dieser, der Konnexitätsprüfung vorgelagerter Lösungsansatz kommt ohne die Bestimmung der Rechtmäßigkeit des in Aussicht gestellten Gläubigerverhaltens nicht aus. Da der Schuldner nämlich nur Eingriffe, die von der Rechtsordnung zugelassen werden, hinzunehmen hat, stellt sich die Frage, in welchen Fällen der eigenmächtig "vollstreckende" Gläubiger gerechtfertigt auf das geschuldete Rechtsgut Zugriff nehmen darf. Denn Durchsetzungsmaßnahmen, die der Gläubiger in Einklang mit der Rechtsordnung vornehmen darf, darf er dem Schuldner selbstverständlich auch "ankündigen"lo4.
3.3. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und
die Bereicherungsdelikte
Verschafft sich der Gläubiger die ihm gebührende Leistung unter Umgehung der staatlichen Durchsetzungsorgane von dem Schuldner durch Täuschung oder unter Anwendung von Nötigungsmitteln, führt nach h. M. schon der Umstand, daß der Gläubiger einen Anspruch auf den so erlangten Gegenstand hat, zum Ausschluß der Strafbarkeit gern. § 263 bzw. § 253 StGB. Lediglich in der dogmatischen Begründung gehen die Ansichten zur Erfassung der sogenannten "Anspruchsbeziehung" zwischen Gläubiger und Schuldner bei den Betrugs- und Erpressungstatbeständen auseinander. Ein Teil der Literatur 105 nimmt an, daß dem Getäuschten bzw. Erpreßten schon kein Vermögensschaden entstehe, wenn er dem "Täter" infolge Selbsthilfebetruges oder Selbsthilfeerpressung das gewährt, worauf dieser einen Anspruch hat. Dem durch die Vermögensverfügung entstehenden wirtschaftlichen Verlust stehe als Äquivalent die Befreiung von der Verbindlichkeit gegenüber, so daß sich im Vermögen des Schuldners insgesamt kein Negativsaldo ergebe 106 . Einen anderen Begründungsweg für das tatbestandslose Vorgehen des Gläubigers geht hingegen die Rechtsprechung und der verbleibende Teil der Horn, S. 499. Horn, S. 498. 105 Cramer (Vermögensbegriff), S. 160; Welzel (LB), S. 375; ders. (NJW 1953), S. 652ff.; Lackner / LK, § 263, RN 192; Bockelmann (Kohlrausch-FS), S. 235 und 245; ders. (Metzger-FS), S. 368f.; ders. (JZ 1952), S. 461f.; Preisendanz, § 263 Anm. IV 2, der andererseits aber auch unter § 263 Anm. VI 4 auf die fehlende Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils abstellt. 106 Zur Saldierung und Kompensation Cramer / S. / S., § 263 RN 99ff. m.w.N.; Lenckner (MDR 1961), S.652; Gutmann (MDR 1963), S. 91ff.; Bockelmann (Kohlrausch-FS), S. 248; Cramer (Vermögensbegriff), S. 103; Mohrbotter (GA 1975), S. 41, denen es allerdings nicht um eine rein rechnerische Erfassung aller geldwerten Güter geht. Zur Schadensberechnung speziell beim gutgläubigenden Erwerb vom Nichtberechtigten vgl. Weigelin, S. 291 (297ff.); zur Schadenskompensation aufgrund eines bestehenden Unternehmerpfandrechts s. Amelung (NJW 1975), S. 624. 103
104
3.3. Vertragsdurchsetzung und die Bereicherungsdelikte
45
Literatur. Als Folge des seit RGSt 44/230 mit unbeachtlichen Einschränkungen l07 vertretenen wirtschaftlichen VermögensbegriffslOB, wonach der Besitz einer Sache grundsätzlich gegenüber der Befreiung einer Verbindlichkeit als effektiv höherwertig anzusehen istl 09 , muß die Rechtsprechung zwangsläufig einen Vermögensschaden des entäußernden Schuldners bejahen llo . Um dennoch zur Straflosigkeit des sich selbst helfenden Gläubigers zu gelangen, läßt sie aufgrund des fälligen Übereignungsanspruchs die als Tatbestandsmerkmal verstandenelll Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils entfallen 112 • Ziel der auf diesen Grundlagen beruhenden bekannten Formel des Reichsgerichts 113 , "rechtswidrig ist jeder Vorteil, auf den der Täter keinen Anspruch hat", ist die Einschränkung der Rechtswidrigkei tsindika tion. Diese an die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils anknüpfende Argumentation ist bis heute berechtigter Kritik ausgesetzt. Zu Recht wird die schmale Argumentationsbasis gerügt. Sie läßt bei verwandten Vermögensdelikten, wie zum Beispiel der Untreue, die als reines Schädigungsdelikt keine "rechtswidrige Absicht" des Täters voraussetzt, keine sachgerechte Problemlösung ZU1l4 . Noch treffender und zur Widerlegung der Rechtsprechungsmeinung geeigneter ist der Vorwurf Cramers, der auf die Unvereinbarkeit der Rechtsprechung mit dem von ihr selbst zugrunde gelegten wirtschaftlichen Vermögensbegriff abzielt. Tatsächlich ist - wie Cramer richtig bemerkt -, wenn man auch eine dem Recht widersprechende Vermögensposition als Schutzobjekt der Vermögens delikte ansieht und ihre Beeinträchtigung als Schaden 107 Abweichende Reichsgerichtsentscheidungen zitiert bei Bockelmann (MezgerFS), S. 368 Fn 2. 108 RGSt 44/230 (233); RGSt 66/281 (285); BGHSt 2/364ff.; BGHSt 3/99; BGHSt 16/220ff.; 321 (325); BGHSt 26/346 (347); Maurach / Schroeder (BT) Bd. 1, S. 415f. (§ 46 11 A 4 b) Bruns (Befreiung), S. 227; ders. (Mezger-FS), S. 355; Wesseis (BT) Band 11, § 13 11 4 a; Dreher / Tröndle, § 263 Anm. 27; Blei (BT), S. 231ff.; wie auch schon Binding (LB) 2. Aufl., S. 237ff. 109 RGSt 75/227 (230); RG DJ 1938/597; BGH NJW 1953/1479; Schröder (DRiZ 1956), S. 71; ders. (JZ 1965), S. 513; Cramer / S. / S., § 263 RN 116. 110 Siehe die Rechtsprechung unter vorstehender Fn. 111 Vgl. nur Maurach / Schroeder (BT) Bd. 1, S. 428 (§ 46 11 B 2) A.A. und für allgemeines Verbrechensmerkmal allerdings Welzel (NJW 1953), S. 652f. 112 RGSt 64/342 (344); BGHSt 3/160 (162); BGH GA 1966/52; BGHSt 20/136 (137); BGH bei Dallinger MDR 1956/10f.; Kohlrausch / Lange, § 263 VI 1; Preisendanz, § 263 VI4. 113 RGSt 26/353 (354); RGSt 57/370f. 114 Welzel (NJW 1953), S. 652; Cramer (Vermögensbegriff), S. 159; ders. / S. / S., § 263 RN 116 und 83. Das Reichsgericht mußte daher in RGSt 75/227 (230) zur Begründung der Straflosigkeit des Gläubigers im Rahmen des § 266 StGB auf den Gesichtspunkt des fehlenden Schadens ausweichen. Zu der unbefriedigenden Möglichkeit, durch restriktive Interpretation der Merkmale "Treuepflichtverletzung" und "Mißbrauch" der Vertretungsmacht in § 266 Abhilfe zu schaffen vgl. Cramer (Vermögensbegriff), S. 159f. Fn 214.
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3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
qualifiziert, kein Grund ersichtlich, warum eine durch Täuschung bzw. Zwang veranlaßte Wertverschiebung durch die materielle Rechtslage gedeckt sein sollte. Auf die materielle Rechtslage darf schließlich bei der Bestimmung von Vermögensvorteil und Vermögensschaden gerade nicht abgestellt werden 1l5 . Wenn das Vermögen ohne Rücksicht auf seine rechtliche Zuordnung geschützt und auch der Schaden nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt wird, kann schließlich die Vermögensverfügung als das beide Merkmale verbindende Glied nicht nach anderen Maßstäben beurteilt werden ll6 . Cramer schlägt unter Verzicht auf die "Hintertür" der rechtswidrigen Absicht als denkbare Lösung dieses Widerspruchs eine Verlagerung des Problems in den allgemeinen Bereich der Rechtswidrigkeit vor 117 • Die entscheidende Frage, ob der zivilrechtliehe Anspruch im Rahmen der Bereicherungsdelikte aus dem subjektiven Tatbestand ausgeklammert und als selbständiger Rechtfertigungsgrund zur Verschaffung wirtschaftlichen Vorteils eingestuft werden kann, wirft Cramer zwar auf, geht ihr aber nicht weiter nach. Als Verfechter des materiellen Vermögens- und Schadensbegriffs, einer Spielart der "juristisch-ökonomischen Vermittlungslehre"118, hält er diese Frage für uninteressant, weil er aufgrund seines durch rechtliche Kriterien eingeengten Vermögensbegriffs bereits den Vermögensschaden auf seiten des Schuldners verneint. Nach Ansicht Cramers wird der Schuldner zwar wirtschaftlich ärmer, erleidet aber keinen Schaden im Rechtssinne 1l9 . Cramer und auch anderen Vertretern "juristisch-ökonomischer" Vermittlungslehren geht es bei der Eingrenzung des Vermögensbegriffs mittels rechtlicher Kriterien letztlich um eine Einschränkung der Vielstraferei im Bereich der Vermögensdelikte 120 • Das strafrechtlich geschützte Vermögen wird danach auf solche wirtschaftlich wertvollen Güter beschränkt, die eine Person unter Billigung der rechtlichen Güterordnung innehat. Entsprechend liegt ein Vermögensschaden nur in einer solchen Einbuße wirtschaftlicher Werte, die im Widerspruch zur Rechtsordnung steht l21 .
115 Cramer (Vermögensbegriff), S. 158. Diesem Vorwurf entzieht sich allerdings Schröder (JZ 1965), S. 515, der strikt bei der wirtschaftlichen Betrachtung verbleibt und als Regulativ ein zusätzliches Tatbestandselement, die rechtliche Mißbilligung der Vermögensverschiebung bemüht. 116 Cramer (Vermögensbegriff), S. 158. 117 Cramer (Vermögensbegriff), S. 160. 118 Cramer (Vermögensbegriff), S. 100 Fn 182; ders. / S. / S., § 263 RN 84. 119 Cramer (Vermögensbegriff), S. 160 und 110. 120 Cramer (Vermögensbegriff), S. 60ff. unter Verweis auf kriminalogische Überlegungen von Peters (Schmidt-FS, S. 488ff.; Naucke (H. / Mayer-FS), S. 146ff. und H. Mayer (Strafrechtsreform), S. 68f. 121 Cramer (Vermögensbegriff), S. 100; grundlegend zur juristisch-ökonomischen Theorie Nagler (ZAkDR 41), S. 294; ders. / LK (6./7. Aufl.) 11 vor § 249; Welzel (LB), S. 375; Kohlrausch / Lange, § 263 V 1; Hirschberg, S. 319.
3.3. Vertragsdurchsetzung und die Bereicherungsdelikte
47
Der von den Vertretern der Vermittlungslehre eingeschlagene Weg führt zwar in Teilbereichen widerspruchslos zum Ziel, erweist sich bei der Problematik des Selbsthilfebetruges und der Selbsthilfeerpressung jedoch als Irrweg. Zwar lassen sich bei Fragen des strafrechtlichen Schutzes, z. B. von sitten- und verbotswidrigen, damit nichtigen Ansprüchen oder von vitiös erlangten Vermögensvorteilen aus der Rechtsordnung eindeutige Wertungen und Güterzuordnungen ableiten, die gegen die Schutzwürdigkeit der angegriffenen wirtschaftlichen Vermögensposition und damit für die Tatbestandslosigkeit der Vermögensverschiebung sprechen. Anders verhält es sich bei der durch Täuschung bzw. Nötigung herbeigeführten Anspruchsverwirklichung. Hier treten dingliches Recht und obligatorischer Anspruch in offenen Widerstreit. Der Schuldner soll zwar das betreffende Vermögensgut dem Gläubiger überlassen (§§ 433 Abs. 1; 535 BGB etc.), der Gläubiger hat seinerseits aber bis zur Übereignung bzw. tatsächlichen Besitzeinräumung die Eigentümerposition des Schuldners zu respektieren (§ 903 BGB)122. Diesen Widerstreit kann die Vermittlungslehre unter Heranziehung juristischer Komponenten auf der Tatbestandsebene nicht lösen. Da die zivilrechtliche Güterzuordnung an die gegenwärtige formale Eigentümerposition anknüpft und nicht an den obligatorischen Anspruch auf eine zukünftige Änderung bzw. Einschränkung derselben, kann dem außerprozessual vorgehenden Gläubiger unter Verweis auf die rechtliche Güterzuordnung nicht geholfen werden. Auch Cramer kann zu einem Einklang mit der Rechtsordnung und zu einem für den Gläubiger günstigen Ergebnis nur deshalb gelangen, weil er unter Hintanstellung des dinglichen Rechts ausschließlich auf das Bestehen des materiellen Anspruchs abstellt 123 • Nicht rechtliche Güterzuordnung, sondern Güterabwägung zwischen dinglichem und obligatorischem Recht ist somit Grundlage seiner Argumentation, die auf die Rechtfertigung tatsächlicher Eingriffe in ökonomisch wertvolle Positionen hinausläuft. Cramer weist die Parallele seiner Argumentation zum Unrechtsausschluß durch Rechtfertigungsgründe selbst auf124, glaubt aber seine an das Merkmal des Vermögensschadens anknüpfende Lösung unter Verweis darauf retten zu können, daß das für die Rechtfertigung typische Regel-Ausnahme-Verhältnis bereits im normativen Begriff des Vermögensschadens enthalten seil 25 . Die damit verbundene Belastung des Schadensmerkmals mit Fragen des Unrechtsausschlusses erweist sich allerdings im Hinblick auf die zu erzielenden Ergebnisse als durchaus problematisch, wie folgendes Beispiel deutlich machen soll: 122 Insoweit können auch im Rahmen der Bereicherungsdelikte die Gedanken von Hirsch (JZ 1963), S. 152 zu der parallelen Problematik bei den Zueignungsdelikten fruchtbar gemacht werden; s. dazu Kap. 3.1. 123 Cramer (Vermögensbegriff), S. 109 124 Cramer (Vermögensbegriff), S. 109 Fn 224. 125 Siehe vorstehende Fn.
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3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
Steht dem "Täter" als Rechtfertigungsgrund § 904 S. 1 BGB zur Seite, so müßte bei einer in das Schadensmerkmal vorverlagerten Rechtswidrigkeitsprüfung ein Vermögensschaden des betroffenen Rechtsgutinhabers verneint werden, obwohl in § 904 S. 2 BGB der Ausgleich des angerichteten Schadens angeordnet wird. Für diesen Normwiderspruch ergibt selbst der Hinweis auf die verschiedenartigen Schadensbegriffe im Straf- bzw. Zivilrecht keine plausible Erklärung 126 • Da somit unter Anwendung eines rein wirtschaftlichen Vermögensbegriffs in der Subsumtion unter das Merkmal der Rechtswidrigkeit des beabsichtigten Vermögensvorteils ebensowenig eine Patentlösung für die Problematik der Selbsthilfeerpressung und des Selbsthilfebetruges zu finden ist, wie in der restriktiven Auslegung des Schadensmerkmals durch die juristisch-ökonomische Vermittlungslehre, bleibt die Frage, ob der von Cramer selbst vorgeschlagene Lösungsweg, nämlich die Anerkennung des zivilrechtlichen Anspruchs als selbständigen Rechtfertigungsgrund, beschritten werden kann 127 •
3.4. Die eigenmächtige Vertragsverwirklichung und der Tatbestand des Hausfriedensbruchs Dem Tatbestand des Hausfriedensbruchs kommt bei der Frage nach der Strafbarkeit eigenmächtiger Vertragsdurchsetzung besondere Bedeutung zu, da die Ansprüche auf den Zutritt zu den in § 123 Abs. 1 StGB genannten Räumlichkeiten bei den häufig zugrunde liegenden Vertragsverhältnissen Miete und Pacht gleich bei beiden Vertragsparteien entstehen. Bei Abschluß des Vertrages erhält zunächst der Mieter/Pächter einen obligatorischen Anspruch auf den Gebrauch der Räumlichkeiten. Während der Vertragszeit gewähren die meisten Formularverträge ein Zutrittsrecht des Eigentümers zu Renovierungs- und Kontrollzwecken. Nach dem Ablauf der Miet- bzw. Pachtzeit entsteht schließlich das Recht des Vermieters auf Räumung und Überlassung. Handelt es sich - wie fast allgemein angenommen _128 bei dem Merkmal "widerrechtlich" in der ersten Alternative und "ohne Befugnis" in der zweiten Alternative des § 123 Abs. 1 StGB nicht um ein Tatbestands-, sondern 126 Dieser Widerspruch wiegt um so schwerer, als gerade von Cramer der Anspruch erhoben wird, vermittelts des von ihm mit juristischen Komponenten ausgestatteten Schadensbegriffs Normwidersprüche im Rechtssystem zu eliminieren; vgl. Cramer (Vermögensbegriff), S. 112f. 127 Die beim Erpressungstatbestand zusätzlich auftretende Frage, ob infolge der "Anspruchsbeziehung" die Verwerflichkeit der Willensbeeinflussung fehlt (§ 253 Abs. 2 StGB), bedarf hier keiner weiteren Erörterung, da diese bereits unter 3.2. angesprochen wurde.
3.4. Vertragsdurchsetzung und der Tatbestand des Hausfriedensbruchs
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um ein allgemeines Deliktsmerkmal, so kommt im Rahmen des § 123 Abs. 1 StGB als denkbarer Anknüpfungspunkt zur Begründung der Straflosigkeit eigenmächtiger Vertragsdurchsetzung auf der Tatbestandsebene lediglich die Berechtigung des Hausrechtsinhabers in Betracht. Da der Hausrechtsinhaber nicht zugleich Berechtigter und Verletzer ein und desselben Rechts sein kann, fehlt es bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 StGB, wenn ein vertraglicher Anspruch auf Überlassung oder Betreten der Räumlichkeiten den Gläubiger zum Hausrechtsinhaber und damit zum Berechtigten machen würde. Die Auslegung des § 123 Abs. 1 StGB aufgrund solcher rein zivilrechtlicher Erwägungen kann in Anbetracht der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht apriori als abwegig abgetan werden. Der Rückgriff auf die Privatrechtsordnung liefert schließlich in all den Urteilen 129 Argumentationsmaterial, in denen einem zwar mit Billigung des Mieters, aber entgegen dem ausdrücklichen Verbot des Vermieters in den Räumen verweilenden Besucher ein Hausfriedensbruch zur Last gelegt wird. Um den privatrechtichen Anspruch des Hauseigentümers und Vermieters auf das Unterbleiben störender und vertragswidriger Nutzungen strafrechtlichem Schutz zu unterstellen, läßt man das Hausrecht des Vermieters neben der Berechtigung des Mieters wieder aufleben und gibt diesem wegen der Schutzinteressen des Vermieters den Vorzug, wenn es zu einer vertragswidrigen Nutzung durch den Mieter oder durch dessen Gäste kommt. Daß eine solche Begriffsbestimmung des Merkmals der Berechtigung anhand der privatrechtlichen Interessen des Anspruchsberechtigten aber nicht richtig sein kann, wird bei Besinnung auf den Schutzbereich des § 123 Abs. 1 StGB deutlich130 , der allein die Verfügungs- und Bewegungsfreiheit eines Menschen innerhalb der genutzten Räume umfaßtl 31 • Inhaber des Hausrechts kann daher nur derjenige sein, der auch die tatsächliche Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten innehat. Nicht allein das obligatorische Nutzungs- und Eintrittsrecht, sondern der Besitz an den Räumen ist grundlegende Voraussetzung und Bedingung des Hausrechts 132 . In praxi bedeutet dies, daß der Mieter nicht schon rechtsgeschäftlich mit Abschluß des Mietvertrages, sondern originär erst mit dem Beginn der Raumnutzung 128 RGSt 5/109 (l11f.); OLG Hamburg JZ 1977/477ff. mit Anmerkung von Gössel JR 1978/292ff.; OLG Celle VRS 29/20 (22, 23); Lenckner 1 S. 1 S., § 123 RN 31; a.A. wohl Dreher 1 Tröndle, § 123 Anm. 19. 129 OLG Braunschweig NJW 1966/263f.; OLG Köln NJW 1966/265; OLG Hamm GA 1961118lff.; OLG Köln MDR 1954/359f.; Schröder (NJW 1966), S. 263 m.w.N. 130 Schröder (NJW 1966), S. 263; Schall, S. 138; Stegmaier (ZMR 1967), S. 326. 131 Lau (ZMR 1977), S. 194f.; enger noch Schall, S. 90f., der den Inhalt des Hausrechts aus seiner sozialen Funktion ableitet und daher zur Hausrechtsverletzung neben dem Eindringen in die räumliche Besitzspähre auch eine Beeinträchtigung der jeweils nach der in Frage stehenden Räumlichkeit unterschiedlichen sozialen Funktion verlangt; kritisch dazu: Wagner (GA 1977), S. 156f. 132 Schall, S. 137; Lau (ZMR 1977), S. 195.
4 H.-D. Weber
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3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
Berechtigter im Sinne des § 123 Abs. 1 StGB wird 133 . Daher kann der Mieter, solange ihm der Vermieter die Räumlichkeit noch nicht zur Verfügung gestellt hat, seine Berechtigung zur eigenmächtigen Nutzung des Mietobjektes nicht auf einen obligatorischen Anspruch zurückführen. Hat der Mieter aber seinerseits rechtmäßig den Besitz an den Räumen erlangt, geht die Berechtigung des Vermieters unter, so daß der Mieter weder durch vertragswidrige Nutzung noch durch Verbleib in den Räumen nach Ablauf der Mietzeit Hausfriedensbruch begehen kann 134 • Betritt der Vermieter in diesen Fällen gegen den Willen des Mieters die Räume, bevor er die tatsächliche Herrschaftsmacht wiedererlangt hat, ist er es, der den Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfülltl 35 • Ein vertraglicher Anspruch auf Zutritt in die Räume zu Renovierungszwecken oder der Räumungsanspruch nach Ablauf der Mietzeit macht den Vermieter nicht schon zum Berechtigten im Sinne des § 123 Abs. 1 StGB. Der Anspruch hat lediglich Bedeutung für die Privatrechtsordnung 136 und ist für die Auslegung des § 123 Abs. 1 StGB irrelevant. Die in der Kommentarliteratur zu findende Auffassung, der Mieter bzw. Pächter habe unter Ausschluß seines Vertragspartners das Hausrecht inne, darf daher nur auf den Regelfall bezogen werden, in dem der Vermieter oder Verpächter bereits vereinbarungsgemäß seinem Gläubiger den Vertragsgegenstand zur tatsächlichen Nutzung überlassen hatl 37 • Das Bestehen eines obligatorischen Anspruchs auf den Zutritt in die gem. § 123 Abs.1 StGB geschützten Raum schließt allein den Tatbestand des Hausfriedensbruchstatbestand noch nicht aus.
3.5. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und der Tatbestand des § 248 b StGB Hat der Gläubiger einen obligatorischen Anspruch auf die Nutzung eines Kraftfahrzeuges oder Fahrrads und setzt er diesen Anspruch eigenmächtig durch, indem er gegen den Willen des Schuldners das Fahrzeug in Gebrauch nimmt, so stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit gem. § 248 b StGB. Eine Möglichkeit, aufgrund des bestehenden Nutzungsanspruchs bereits die Tatbestandsmäßigkeit des eigenmächtigen Gläubigerverhaltens zu ver133 Schall, S. 138; Leiser (Diss.), S. 52f. Voraussetzung ist selbstverständlich die tatsächliche Mitwirkung des Vermieters bei der Ingebrauchnahme der Wohnung, so daß allein die tatsächliche Nutzung (zum Beispiel im Falle einer Hausbesetzung) zur Erlangung des Hausrechts nicht ausreicht; vgl. insoweit Dreher / Tröndle, § 123 Anm. 2. 134 RGSt 36/322; Schröder (NJW 1966), S. 263; Schall, S. 138. 135 RGSt 36/322 (323); Dreher / Tröndle, § 123 Anm. 2; Lenckner / S. / S., § 123 RN 17. 136 Schröder (NJW 1966) S. 263. 137 Vgl. Firnhaber (Diss.), S. 73 Fn 1.
3.5. Vertragsdurchsetzung und der Tatbestand des § 248b StGB
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neinen, wäre dann gegeben, wenn nach dem Abschluß des obligatorischen Rechtsgeschäfts (Miete, Leihe etc.) nicht mehr der Schuldner und Eigentümer, sondern bereits der Gläubiger alleiniger "Berechtigter" im Sinne des § 248 b StGB wäre, und es daher auf den entgegenstehenden Willen des Schuldners nicht ankäme. Nach der in Rechtsprechung und Literatur zu findenden Definition des Merkmals "Berechtigter" wäre es durchaus möglich, dem Gläubiger bereits vom Vertragsschluß an die alleinige Berechtigung zuzusprechen. Berechtigter ist danach jeder, der kraft dinglichen, obligatorischen oder sonstigen Rechts befugt ist, das Fahrzeug zu benutzen 138 . Ebenso wie bereits zum Tatbestand des § 123 StGB ausgeführt, ist diese Definition des Merkmals "Berechtigter" aber auch in § 248 b StGB nur für den Regelfall, in dem der Gläubiger das Vertragsobjekt schon vom Schuldner überlassen bekommen hat, zutreffend, in toto jedoch unvollständig. Auf die entscheidende, in dieser Definition nicht erkennbare Differenzierung zwischen der strafrechtlichen und der bürgerlich-rechtlichen Bedeutung des Merkmals "Berechtigter" hat bereits Franke l39 hingewiesen. Für den strafrechtlichen Schutz ist nicht allein das Bestehen eines obligatorischen Anspruchs relevant. Hinzutreten muß die tatsächliche Verfügungsrnacht über den zu nutzenden Gegenstand. Hat der Schuldner, weil der obligatorische Anspruch noch nicht erfüllt ist, das Fahrzeug noch in seinem Gebrauch, kann ein Dritter einen sogenannten Gebrauchsdiebstahl jedenfalls nicht zuungunsten des Gläubigers begehen. Verletzt werden kann dann allenfalls dessen obligatorischer Nutzungsanspruch, der gegebenenfalls durch Unmöglichkeit (§ 275 BGB) hinfällig zu werden droht. Der Anspruch auf die zukünftige Nutzung ist aber nicht geschütztes Rechtsgut des § 248 b StGB14o, denn dieser Tatbestand soll vor einer tatsächlichen Entziehung der Verfügungsrnacht durch fremde Gebrauchsanmaßung schützen 141 . Unabhängig von dem Streit, ob das Gebrauchsrecht als solches 142 oder nur als Ausfluß des Eigentums 143 ' geschützt ist, knüpft die Berechtigung im Sinne des § 248b StGB an die befugte und tatsächliche Innehabung des Fahrzeugs an. Das Merkmal setzt sich somit sowohl aus einer rechtlichen als auch aus einer tatsächlichen Komponente zusammen. Vor der willentlichen Überlassung des Fahrzeuges durch den Schuldner verbleibt die Berechtigung daher 138 BGHSt 11/47 (51); Schleswig SchlHA 1976/168; BGH VRS 39/199; LG Mannheim NJW 1965/1929; Dreher 1 Tröndle, § 248 b Anm. 4; Wesseis (BT) Bd. 2, S. 80 (§ 10 I 2); Wagner (JR 1932), S. 255. 139 Franke (NJW 1974), S. 1805. 140 Daß in § 248 b StGB nicht der strafrechtliche Schutz eines zivilrechtlichen Verhältnisses im Vordergrund steht, wird auch in BGHSt 11/47ff. bestätigt. 141 LG Mannheim NJW 1965/1929 (1930); Wagner JW 1932/3679ff.; Bay ObIG NJW 1953/193f. 142
Wohlh.M.: vgl. nurWesseis (BT) Bd. 2, S. 80 (§ 10 I 3) m.w.N.
143 Eser 1 S. 1 S., § 248 b RN 1; im Ergebnis ebenso Maurach 1 Schroeder (BT) Bd. 1,
S. 344; Samson 1 SK, § 248 b Anm. 14. 4-
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3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
allein bei diesem. Erst mit der vom Schuldner abgeleiteten tatsächlichen Gebrauchsmöglichkeit tritt insoweit eine Änderung zugunsten des Gläubigers ein144 • Käme es hingegen für den Übergang der Berechtigung bereits auf das Entstehen des obligatorischen Gebrauchsrechts an, hätte dies die kuriose Folge, daß der Schuldner das ihm gehörende Fahrzeug ohne die Erlaubnis des Gläubigers nicht mehr nutzen dürfte. Der Schutzzweck der Norm, die ungestörte Gebrauchsmöglichkeit zu gewährleisten, würde sich in sein Gegenteil verkehren, da ein Fahrzeug, das der Schuldner nicht mehr nutzen darf und der Gläubiger mangels tatsächlicher Zugriffsmöglichkeit noch nicht nutzen kann, seiner Funktion beraubt wird. Die Strafbarkeit des eigenmächtig handelnden Gläubigers kann somit im Rahmen des § 248b StGB nicht im Wege der Tatbestandsauslegung ausgeschlossen werden.
3.6. Die eigenmächtige Anspruchsverwirklichung und der Tatbestand der Sachbeschädigung Daß eine einheitlich systematische Erfassung und Lösung des Problems der eigenmächtigen Anspruchsverwirklichung letztlich erst auf der Rechtswidrigkeitsebene möglich ist, zeigt sich, wenn man das Gläubigerverhalten an einfach strukturierten Straftatbeständen wie dem der Sachbeschädigung mißt. Hat der Gläubiger wie in den Ausgangsfällen Nr. 1 und 2 einen Anspruch auf Duldung eines substanzverletzenden Eingriffs in eine Sache des Schuldners, und nimmt er diesen Eingriff gegen den Willen des Eigentümers vor, halten viele eine Bestrafung des Gläubigers nach § 303 StGB für unangemessen 145 • Dennoch unterliegt, anders als bei den im hohen Maße ausfüllungsbedürftigen Zueignungs- und Bereicherungstatbeständen, niemand der Versuchung, das Problem der sogenannten "Anspruchsbeziehung" bei der Sachbeschädigung im Wege restriktiver Auslegung zu lösen. Die Tatbestandsmerkmale des § 303 StGB bieten dafür auch keinen Ansatz: Die in § 303 genannte Rechtswidrigkeit ist nach übereinstimmender Auffassung 146 allgemeines Unrechtsmerkmal. Auch das Tatbestandsmerkmal "fremd" ist selbst bei Zugrundelegung des bereits kritisierten strafrechtlich-wirtschaftlichen Eigentumsbegriffs erfüllt, da der Anspruch des Gläubigers nur auf die Duldung des tatsächlichen Eingriffs, nicht auch auf die Verschaffung des Eigentums an der betreffenden Sache gerichtet ist. 144 145 146
Franke (NJW 1974), S. 1805; Maurach / Schroeder (BT) Bd. 2, S. 345 (§ 38 II 1). Siehe Kap. 1 und insbesondere Kap. 4.2.3. Vgl. nur Dreher / Tröndle, § 303 RN 11.
3.7. Vertragsdurchsetzung und die Lehre vom Schutzbereich der Norm
53
Auch der Witthaussche Gedanke, den strafrechtlichen Schutz des Eigentümers aufgrund des vertraglichen Anspruchs entfallen zu lassen, läßt sich auf den Tatbestand der Sachbeschädigung nicht übertragen. Zwar wird auch zu § 303 StGB die Ansicht vertreten, daß, sofern der Eigentümer kein Interesse an der Sacherhaltung habe, das strafrechtliche Schutzbedürfnis entfalle. In diesem Falle soll es an einer Sache im Sinne des § 303 StGB fehlen 147 • Voraussetzung für diese restriktive Interpretation des Sachbegriffs ist jedoch der Wegfall jeglichen Vermögens- oder Affektionsinteresses des Eigentümers 148 • Diese Voraussetzung ist aber gerade nicht erfüllt, wenn der Eigentümer durch den Widerspruch gegen den Sacheingriff das weiterbestehende Interesse an seiner Sache erkennbar geltend macht.
3.7. Die eigenmächtige Anspruchsverwirklichung und die Lehre vom Schutzbereich der Norm Ist die "Anspruchsproblematik" nicht durch restriktive Interpretation der verschiedenen Tatbestandsvoraussetzungen lösbar, verbleibt noch die Möglichkeit zur Problemlösung vor der Rechtswidrigkeitsebene durch die Eingrenzung des Anwendungsbereichs der in Frage stehenden Straftatbestände aufgrund des jeweils zugrunde liegenden Schutzzwecks. Die sich darum bemühende Lehre vom Schutzzweck der Norm, die nach ihrer Anerkennung im Zivilrecht 149 allmählich Eingang in die Strafrechts dogmatik gefunden hat1 50 , ist hier von besonderem Interesse. Denn sie steht - an bestimmte Tatbestandsmerkmale nicht gebunden - normübergreifend als allgemeines Regulativ zur Verfügung, und zwar mittlerweile über den Bereich der Fahrlässigkeits- und Gefährdungstatbestände hinaus auch bei der strafrechtlichen Beurteilung von Vorsatzdelikten 151 • Die Beantwortung der entscheidenden Frage, ob die zu beurteilende Handlung des eigenmächtigen Gläubigers in bestimmten Fällen jenseits des Schutzbereichs der Norm liegt und deshalb nicht als strafrechtliches Unrecht bezeichnet werden kann, wird nun allerdings dadurch erschwert, daß über Inhalt und Bedeutung der Schutzbereichslehre verschiedenartige 147 Vgl. Hirschberg (Vermögensbegriff), S.278; Stree / S. / S., § 303 RN 3; Maurach / Schroeder (BT) Bd. 1, S. 266 (§ 33 11 2). 148 RGSt 10/120 (122); Busch / LK, § 303 RN 2; Stree / S. / S., § 303 RN 3 m. w.N. 149 BGHZ 27/137; grundlegend von Caemmerer, S. 395; ders. (DAR 1970) S.283 (290). 150 Rudolphi / SK vor § 1 RN 64 und 7lff.; Sax (Laufke-FS), S. 321ff.; ders. (JZ 1976), S. 9ff.; 80ff.; 429ff.; Jescheck (AT), S. 189; Roxin (Honig-FS), S. 140ff.; ders. (Gallas-FS), S. 241ff.; Eser / S. / S. vor § 13 RN 101f!. m. w.N. 151 Krey (BT) Band II, S. 27f; Blei (BT), S. 179; Sax (JZ 1976), S. 9ff. und 80ff.; Roxin (Honig-FS), S. 144; Schmidhäuser (AT), S. 108 RN 99ff.; kritisch allerdings Witthaus (Diss.), S. 119.
3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
54
Vorstellungen zu finden sind l52 . Da es schließlich auch bei der teleologischen Interpretation der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale darum geht, diese auf den Schutzzweck der Norm zurückzuführen l53 , erscheinen insbesondere neben rein teleologischen, von den Einzelmerkmalen des Tatbestandes gelösten Betrachtungen unter dem Stichwort "Schutzbereich der Norm" auch immer wieder Stellungnahmen, die sich in Wirklichkeit mit der inhaltlichen Bestimmung eines Tatbestandsmerkmals befassen. Verwiesen sei hier nur auf die vielfältigen Probleme der objektiven Erfolgszurechnung im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte. Diese Fälle können hier allerdings unberücksichtigt bleiben, weil die zweckgemäße Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale bereits Gegenstand der vorhergehenden Ausführungen war. Als Anhänger der hier allein noch zu berücksichtigenden, von Einzelmerkmalen des gesetzlichen Tatbestandes losgelösten Betrachtung sind vor allem Sax 154 und Schmidhäuser155 zu nennen. Am deutlichsten hat Sax die Unabhängigkeit der Schutzzweckerörterung vom gesetzlichen Tatbestand herausgestellt. Nach seiner Auffassung ist die nach Schutzzweckgesichtspunkten zu ermittelnde, strafwürdige Rechtsgutsverletzung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aller Straftatbestände zu betrachten. Den Unrechtstatbestand muß Sax daher aufteilen in die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale und in den Tatbestandsteil der strafwürdigen Rechtsgutsverletzung l56 .
Auch Schmidhäuser stellt als Korrektiv auf die strafwürdige Rechtsgutsverletzung ab, die er von den "scheinbaren Rechtsgutsverletzungen" abzugrenzen versuchtl 57 • Im Gegensatz zu Sax arbeitet er aber nicht mit einem zusätzlichen Begriffsmerkmal des Unrechtstatbestandes. Vielmehr sucht er die Grundlage seiner Differenzierung in der negativen Bedeutung des Handlungsunwerts. Nach seiner Meinung ist Ursache der bloß scheinbaren, aber nicht strafwürdigen Rechtsverletzungen allein die typisierte Erfassung rechtsgutsverletzenden Verhaltens im Unrechtstatbestand. Um diese bei der Subsumtion unter den formalen Tatbestand verbleibenden Fälle nur scheinbarer Rechtsgutsverletzungen zu eliminieren, macht Schmidhäuser die Erfüllung des Unrechtstatbestandes von dem Vorliegen des materiellen Handlungsunwerts abhängig 158 • Wichtiger als der konstruktive Ansatz ist die Frage, in welchen Fällen eine strafwürdige Rechtsgutsverletzung ausscheiden soll, da die geschilderten' 152 153 154 155 156 157 158
Roxin (Honig-FS), S. 140. Roxin (Gallas-FS), S. 242; Rudolphi / SK vor § 1 RN 71. Sax (JZ 1976), S. 9ff.; 80ff.; 429ff.; ders. (Laufke-FS), S. 321ff. Schmidhäuser (AT), S. 107 RN 95ff. Sax (JZ 1976), S. 9. Schmidhäuser (AT), S. 107 RN 95ff. Schmidhäuser (AT), S. 107 RN 96.
3.7. Vertragsdurchsetzung und die Lehre vom Schutzbereich der Norm
55
Auffassungen nur insoweit von Interesse sind, als sie auch Fälle eigenmächtiger Anspruchsdurchsetzung erfassen. Sowohl Sax I59 als auch Schmidhäuser I60 stellen als Kriterium auf das Interesse des Rechtsgutinhabers ab. Um im Bereich der Eigentumsdelikte den strafrechtlichen Schutzumfang von der formalen EigentümersteIlung abzukoppeln, knüpft Sax an das materielle Eigenbeherrschungs- und Eigenverwertungsinteresse des Eigentümers an 161 • Fehle dieses Interesse oder werde die Tat sogar dem Interesse des Eigentümers gerecht, liege keine strafwürdige Rechtsgutsverletzung vor. Als Beispielsfälle nennt Sax die Zueignung völlig wertloser Sachen l62 , den Austausch wertgleicher SachenI63 (z. B. Geldwechseln) und die Selbstbedienung eines eiligen Kunden unter gleichzeitiger Hinterlegung des Kaufpreises l64 • Ähnlich bewertet Schmidhäuser die von ihm aufgestellten Fallgruppen "scheinbarer Rechtsgutsverletzungen". Das Interesse des Eigentümers werde nicht verletzt, wenn der "Täter" eigenmächtig Geld wechselt oder auf einem fremden Grundstück eine Blume ausgräbt, kurz bevor dort eine Baugrube ausgehoben wird l65 • Wegen der unerheblichen Beschleunigung des Erfolgseintritts bestehe ebenfalls dann kein Handlungsunwert, wenn jemand einen fremden Hund tötet, der infolge einer Vergiftung qualvoll eine Stunde später gestorben wäre l66 • Wie die genannten Fallbeispiele verdeutlichen, geht die Eingrenzung des Anwendungsbereichs einer Strafnorm auch nach der Lehre vom Schutzbereich der Norm nur soweit, wie es das tatsächliche Interesse des Rechtsgutsinhabers zuläßt. Da der Schuldner, der kategorisch die Leistungserfüllung verweigert - wie unter 3.1.4. ausgeführt - trotz seiner Verpflichtung ein nicht zu leugnendes tatsächliches Interesse an dem betreffenden Rechtsgut hat, vermag auch die Schutzbereichslehre in den sogenannten "Anspruchsfällen" nicht die Straflosigkeit der eigenmächtigen Anspruchsdurchsetzung zu begründen. Einer weiteren Auseinandersetzung mit der Schutzbereichslehre, die nicht nur wegen der nur schwer erklärbaren Einordnung in den traditionellen Verbrechensaufbau, sondern auch wegen ihrer "Leerformelhaftigkeit" erheblicher Kritik ausgesetzt ist 167 , bedarf es somit nicht. Sax (JZ 1975), S. 144; ders. (Laufke-FS), S. 333. Schmidhäuser (AT), S. 108 RN 99ff. 161 Siehe Fn 159. 162 Sax (Laufke-FS), S. 333f.; ebenso Eser / S. / S., § 242 RN 4 b. 163 Sax (Laufke-FS), S. 334f. 164 Sax (Laufke-FS), S. 335; ebenso Schröder / S. / S. (17. Auf!.), § 242 RN 4a. A. A. Krey (BT) Band II, S. 28. 165 Schmidhäuser (AT), S. 108 RN 99. 166 Schmidhäuser (AT), S. 109 RN 101. 167 Otto (Schröder-Gedächtnisschrift), S. 61ff.; ders. (Maurach-FS), S. 98; ders. (JuS 1974), S. 706; Witthaus (Diss.), S. 116ff.; Burgstaller, S. 99ff.; Schünemann (JA 159 160
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3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
3.8. Die eigenmächtige Vertragsverwirklichung und die Lehre von der Sozialadäquanz Lediglich in singulären Fällen der Durchsetzung vertraglicher Ansprüche wird zur Lösung die von Welzel als Korrektiv auf der Tatbestandsebene 168 entwickelte, zwischenzeitlich auch als Rechtfertigungsgrund behandelte 169 Lehre von der Sozialadäquanz bemühtl 70 • Dies gilt insbesondere für die viel zitierten Fahrgastbeispiele l7l , in denen ein irrtümlich in den falschen Zug, in das falsche Schiff oder in das falsche Flugzeug gelangter Passagier vom Betriebspersonal an der Unterbrechung der Fahrt und damit am Verlassen des Beförderungsmittels gehindert wird. Während Noll172 und Hirsch173 in diesen Fällen davon ausgehen, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Fahrgastes sei zulässig, weil der Beförderungsvertrag bzw. die zum Vertragsinhalt gewordene Betriebsordnung (z. B. §§ 80f. EBO) dies gebieten, berufen sich andere l74 zur Erreichung des gleichen Ergebnisses auf die Sozialadäquanzlehre. Eine eigenständige Bedeutung käme der Sozialadäquanzlehre im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen nur dann zu, wenn diese Lehre über die angeführten Fahrgastbeispiele hinaus einen generellen Ansatz zur Lösung der "Anspruchsfälle" bieten würde. Dies ist jedoch nicht der Fall: Ungeachtet des Umstandes, daß sich selbst die Befürworter dieser Lehre über die Anwendbarkeit auf der Tatbestands- bzw. Rechtswidrigkeitsebene nicht einig sind l75 , kann diese Lehre keine Patentlösung der vorliegenden 1975), S.715ff.; Schroeder / LK, § 59 RN 203; kritisch auch Roxin (Honig-FS), S. 140ff. und Krümpelmann (Bockelmann-FS), S. 447 Fn 27. 168 Welzell. Aufl., S. 35ff.; ders. (ZStW 58), S. 514ff. 169 Welzel (Strafrechtssytem), S. 25ff.; ders. 8. Aufl., S. 76, der bis zur 8. Aufl. die Sozialadäquanz als gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund auffaßte, diese aber später wieder als allgemeine Auslegungsregel auf der Tatbestandsebene ansah (Welzel AT) 11. Aufl., S. 57f. 170 Engisch (ZStW 70), S. 592; Lange (ZStW 73), S. 89f.; Stratenwerth (ZStW 68), S. 66; Schaffstein (ZStW 72), S. 369; Geerds (Diss.), S. 30 u. 60; Dilcher / Staudinger, § 227 RN 12; Soergel / Fahse, § 227 RN 16; Nipperdey (NJW) 1957, S. 1777. 171 Schaffstein (ZStW 72), S. 373 und 384; Hirsch (Sozialadäquanz), S. 89 u. 115ff.; ders. / LK, vor § 51 RN 109; Peters (Sozialadäquanz), S.421; Klug, S.264; Welzel (AT) 8. Aufl., S. 76; ders. (Strafrechtssystem), S. 25. 172 Noll (ÜRFG), S. 132 unter Berufung auf Holer, S. 82 und Traeger, S. 138. 173 Hirsch (Sozialadäquanz), S. 116, der jedoch in LK vor § 51 RN 109 die Rechtfertigung auf die Einwilligung des Fahrgastes stützt, die nach Fahrtbeginn wegen der fortgeschrittenen Handlung unwiderruflich sein soll. 174 Jescheck (AT), S. 203; Welzel (AT), 8. Aufl. S. 76; Klug, S. 264. 175 Für Tatbestandsausschluß: Krauß (ZStW 76), S.48; Schaffstein (ZStW 72), S. 369; Zipf (ZStW 82), S. 650; ders. (EuR), S. 80; für Unrechtsausschluß: Dreher / Tröndle, vor § 32 RN 12; Schmidhäuser, S. 169 RN 102ff.; für Schuldausschluß sogar: Roeder (Risiko), S. 14ff. weitere Nachweise bei Klug, S. 260 und Hirsch (Sozialadäquanz), S. 87 u. 117 u. Peters (Welzel-FS), S. 420.
3.9. Vertragsdurchsetzung und das "erlaubte Risiko"
57
Problematik bieten. Schon ihre Voraussetzungen sind zu undifferenziert 176 , um eine nachvollziehbare Abgrenzung der rechtmäßigen Privatvollstrekkung von rechtswidrigen Durchsetzungsakten zu ermöglichen. Sozialadäquat sind nach der Welzelschen Lehre solche Handlungen, die sich völlig im Rahmen der geschichtlich gewachsenen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen, d. h. alle Betätigungen, die mit dem Sozialleben derart verknüpft si~d, daß sie als völlig normal angesehen werden 177 . Diese aus teils normativen, teils empirischen Komponenten zusammengesetzten TopoF78, lassen eine sichere Entscheidung im Einzelfall nicht zu. Versucht man, die eingangs geschilderten Fallbeispiele vermittels der SoziiiladäqJ,lanz zu lösen, zeigt sich, daß dafür sichere Entscheidungskriterien fehlen. Zur Lösung der vorliegenden Problematik die Sozialadäquanzlehre zu bemühen, ist zudem auch deshalb verfehlt, weil diese Lehre auf die Einbeziehung außerrechtlicher Ordnungsvorstellungen in die strafrechtliche Betrachtung abzielt. Darauf kann es vorliegend nicht ankommen, da - wie noch auszuführen sein wird - dem positiven Recht eindeutige Wertungen der zu berücksichtigenden widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien entnommen werden können. Darüber hinaus läßt die Sozialadäquanzlehre schon per definitionem eine Beurteilung nur gebräuchlicher, d. h. alltäglich auftretender Verhaltensmuster zu, versagt mithin bei neu auftretenden und atypischen Verhaltensweisen des "Täters". Die Lehre von der Sozialadäquanz ist aus diesen Gründen nicht geeignet, eine sichere Beurteilung der unterschiedlichen Fälle eigenmächtigen Gläubigervorgehens zu ermöglichen 179 .
3.9. Die eigenmächtige Vertragsverwirklichung und
das "erlaubte Risiko" Auch wenn der Schuldner durch die Nichterfüllung seiner Verpflichtung Selbsthilfemaßnahmen ungeduldiger Gläubiger geradezu provoziert1 8o , ist nicht bereits aus diesem Grunde die eigenmächtige Vollstreckung vertrag176 Zu der deshalb berechtigten Kritik an der Sozialadäquanzlehre siehe: Baumann (AT), S. 182f.; Graf zu Dohna (ZStW 60), s. 292; Gallas (ZStW 67), S. 22ff.; Wussow (NJW 1958), S. 891; Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 107 a; von Weber (Mezger-FS), S. 188f.; Jescheck (AT), S. 203; Hirsch (Sozialadäquanz), S. 135; ders. / LK, vor § 51 RN 22; ablehnend wohl auch BGHZ 24/21 (26). 177 Welzel (AT) 8. Aufl., S. 33ff. 178 Zur Analyse des Begriffs der Sozialadäquanz ausführlicher: Maurach / Zipf (AT) Bd. 1, S. 209ff. (§ 17 II B); Zipf (ZStW 82), S. 633ff.; Peters (Welzel-FS), S. 429. 179 Die Sozialadäquanz der eigenmächtigen Anspruchsverwirklichung ausdrücklich verneinend: Firnhaber (Diss.), S. 40 und Kempf (Diss.), S. 40. 180 Mohrbotter (GA 1967), S. 211.
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3. Die Vertragsverwirklichung als Tatbestandsproblem
licher Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des "erlaubten Risikos" gerechtfertigt. Zwar wird die viel kritisierte l8l Lehre vom "erlaubten Risiko" -letztlich ein Unterfall der Lehre von der Sozialadäquanz _182 von einigen183 heute über den hauptsächlichen Anwendungsbereich der Fahrlässigkeitsdelikte hinaus auch bei bestimmten risikoabhängigen Vorsatz delikten zur restriktiven Tatbestandsauslegung184 herangezogen. Selbst wenn man sich dieser vereinzelt vertretenen Auffassung anschließen wollte, könnte aber die Lehre vom "erlaubten Risiko" zur Lösung des hier anstehenden Problems der eigenmächtigen Vertragsdurchsetzung nicht beitragen. Der Gedanke des "erlaubten Risikos" setzt danach voraus, daß eine typisch gefahrintensive Handlung, nicht aber der durch diese eingetretene Erfolg unmittelbar gebilligt wird 185 . Vorliegend geht es aber gerade um den spiegelbildlichen Fall: Der Schuldner ist keineswegs mit dem eigenmächtigen Handeln des Gläubigers einverstanden. Damit braucht er auch nicht in jedem Fall zu rechnen. Vorhersehbar und zumindest aus der Sicht des Gläubigers bei Vertragsabschluß konsentiert ist hingegen der der schuldrechtlichen Verpflichtung nachfolgende Erfolg, nämlich die Befriedigung des Anspruchs unter Aufopferung der betroffenen Rechtsgüter des Schuldners. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung gehört daher keinesfalls zu den Fallkonstellationen, in denen ausnahmsweise auch die Ausführung eines vorsätzlichen Erfolgsdeliktes unter dem Gesichtspunkt des "erlaubten Risikos" sanktionslos bleibtl 86 .
181 Kienapfel, S.9 u. 29; Hirsch I LK, RN 25 f. vor § 51; kritisch auch Preuss, S. 225ff. u. Krey (ZStW 90), S. 199. 182 Hirsch I LK, vor § 51 RN 24 m.w.N.; Jescheck (AT), S. 326. 183 Jescheck (AT), S. 324 u. 326; Hirsch (ZStW 74), S. 99. Die Auswirkungen sogenannter Risikogeschäfte auf § 266 StGB untersucht Hillenkamp, S. 161ff., der zu einer Lösung auf der Tatbestandsebene neigt. 184 Während vorwiegend das "erlaubte Risiko" als Auslegungshilfe auf der Tatbestandsebene verstanden wird (siehe nur Hirsch I LK, vor § 51 RN 24 m. w. N.) sehen Jescheck (AT), S. 325f. und Schaffstein (ZStW 72), S.385 darin einen Rechtfertigungsgrund. Anders wiederum Preuss, S. 186ff., 193, 227, der zwischen "sozialkongruentem" Risiko (Tatbestandsausschluß) und "sozialinkongruentem" Risiko (Rechtfertigungsgrund) differenziert. Kritisch dazu: Krey (ZStW 90), S. 199. 185 Preuss, S. 187. 186 Zu den einzelnen Fallgruppen und zu den dogmatischen Einordnungsversuchen der Lehre von dem "erlaubten Risiko" vgl. Preuss, S. 194ff.
4. Die private Vertragsverwirklichung und die anerkannten Rechtfertigungsgründe Läßt sich die "Anspruchsproblematik" nicht im Wege restriktiver Interpretation lösen, kann das infolge der Tatbestandsverwirklichung i~dizierte Unrecht nur durch einen Rechtfertigungsgrund ausgeschlossen werden. Ob dies mit den bisher zur Verfügung stehenden gesetzlichen und übergesetzlichen Rechtfertigungsgründen möglich ist!, soll nachfolgend untersucht werden.
4.1. Die "Anspruchsproblematik" und die gesetzlichen Rechtfertigungsgründe 4.1.1. Die private Anspruchsdurchsetzung und die Selbsthilfe (§ 229 BGB) als Rechtfertigungsgrund/ Betrachtet man die zur Verfügung stehenden gesetzlichen Rechtfertigungsgründe, kommt von der Regelungsmaterie hier insbesondere das Selbsthilferecht des § 229 BGB zur Rechtfertigung anspruchsverwirklichender Handlungen des Gläubigers in Betracht. Gerade in § 229 BGB hat der Gesetzgeber sich mit der in den "Anspruchsfällen" typischen Situation beschäftigt, in der zwischen dem Interesse des Gläubigers an der Anspruchsverwirklichung und dem Interesse des Schuldners an der Integrität seiner Rechtsgüter abzuwägen ist 2 . Da § 229 BGB dem Gläubiger nur unter strengen Voraussetzungen ein Selbsthilferecht gibt, lassen sich allerdings die meisten "Anspruchsfälle" keiner sachgerechten Lösung zuführen3 . Überwiegend scheitert die Anwendung des § 229 BGB daran, daß dieser dem Gläubiger ein Selbsthilferecht nur in solchen Fällen gewährt, in denen Zur Notwendigkeit dieser Untersuchungen siehe Kap. 2. Zur gesetzlich vertypten Interessenabwägung in den besonderen Rechtfertigungsgründen Seelmann, S. 60ff. 3 Dieses Ergebnis ist die Folge der hier zunächst zugrunde gelegten allgemein anerkannten Auslegungsweise des § 229 BGB. Die Frage, ob diese zutreffend ist oder ob davon abweichend im Wege extensiver Auslegung oder durch Analogieschluß § 229 BGB zumindest in friedfertigen Fällen der Anspruchsverwirklichung zur Anwendung kommen kann (dazu Kap. 6), bedarf hier keiner Erörterung, da zunächst sämtliche bekannte Rechtfertigungsmöglichkeiten zu prüfen sind. Erst wenn diese nicht greifen, ergibt sich gegebenenfalls die Notwendigkeit, eine von der h. M. abweichende Auslegung vorzunehmen. Erst dann kann auch eine Gesetzeslücke vorliegen, die Voraussetzung eines jeden Analogieschlusses ist. 1
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4. Vertragsdurchsetzung und anerkannte Rechtfertigungsgründe
ohne sofortiges Einschreiten die Vereitelung des Anspruchs zu befürchten ist. Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung4 und Literatur5 werden gerade an das Merkmal der Vereitelungsgefahr hohe Anforderungen gestellt. Solange - wie in den Ausgangsfällen - gerichtliche Hilfe zur Titulierung und Vollstreckung der Forderung in Anspruch genommen werden kann, soll keine Vereitelungsgefahr bestehen. Unberücksichtigt bleibt das mit dem Zuwarten verbundene allgemeine Prozeßrisiko selbst dann, wenn infolge des prozeßbedingten Zeitverlustes der Vermögensverfall des Schuldners und erhöhte Beweisschwierigkeiten des Gläubigers drohen. Da es sich bei § 229 BGB um zwingendes Recht handelt 6 , kommt man um die strengen Voraussetzungen dieser Vorschrift sogar in solchen Fällen nicht herum, in denen die Parteien eine erweiterte Selbsthilfemöglichkeit des Gläubigers vereinbaren wollten. 4.1.2. Die eigenmächtige Forderungsdurchsetzung und der Rechtfertigungsgrund der Notwehr Nach fast allgemeiner Ansicht 7 bleibt dem eigenmächtigen Gläubiger schon aus systematischen Gründen die Berufung auf das im Vergleich zur Selbsthilfe sowohl nach den Vorausetzungen als auch nach den Eingriffsmöglichkeiten weitere Notwehrrecht versagt. Überwiegend 8 wird dieses Ergebnis mit der fehlenden Notwehrfähigkeit von Forderungsrechten begründet, deren Durchsetzung gegen den Willen des Schuldners ausschließlich aufgrund der spezielleren Selbsthilferegelungen gerechtfertigt sein könne 9 • Freilich erscheint es angesichts der engen Selbsthilfevoraussetzungen auf den ersten Blick plausibel, § 229 BGB als lex specialis zu den Notwehrbestimmungen zu begreifen und dementsprechend von einer prinzipiellen Unterscheidbarkeit von Notwehr und Selbsthilfe nach den jeweils unterschiedlichen Schutzobjekten (faktische Rechtsgüter bzw. "bloße" FordeBGH NJW 1962/1923 = BGHSt 17/328. Staudinger / Dilcher, § 229 RN 12; RGRK / Johannsen, § 229 RN 12; Erman / Hefermehl, § 229 RN 4; Palandt / Heinrichs § 229 Anm. 2. 6 Staudinger / Dilcher, § 229 RN 2; Palandt / Heinrichs, § 229 Anm. 5; Soergel/ Fahse, § 229 RN 2; Erman / Hefermehl, § 229 RN 12; Enneccerus / Nipperdey, § 242 11 3; Plank, § 229 Anm. 2a; Titze (Diss.), S. 124; Heyer, S. 66; Motive I, S. 355. 7 Binding (Handbuch), S. 750; Fischer (Rechtswidrigkeit), S. 211; Felber (Diss.), S. 184; Jescheck (AT), S. 272; Larenz (BGB AT), § 15 lIla (S. 265) Baldus / LK, § 53 RN1; Welzel (ZStW 76), S. 631; Lencker / S. / S., § 32 RN 11, sowie bereits Jaeger (Diss.), S. 59ff., Stratenwerth (ZStW 1968), S. 62. 8 Vgl. die vorstehende Fn. A. A.. Eltzbacher (DJZ 1905), S. 240. 9 Zum Spezialitätsverhältnis der Selbsthilfe zur Notwehr vgl. Stratenwerth (ZStW 68) S. 62ff. Felber (Diss.), S. 184; Lenckner / S. / S., § 32 RN 11. 4
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4.1. "Anspruchsproblematik" und gesetzliche Rechtfertigungsgründe
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rungsrechte) auszugehen. Welchen Sinn hätte schließlich die strenge Limitierung der erlaubten Selbsthilfemaßnahmen, wenn sich der Gläubiger kumulativ auf Notwehr berufen könnte? Dennoch ist die strikte Trennung von Selbsthilfe und Notwehr nicht zweifelsfrei. Zum einen beruht der Spezialitätsgedanke auf der bisher unbewiesenen Prämisse, daß der Regelungsbereich des § 229 BGB alle Fälle der Anspruchsverwirklichung umfaßtl 0 , von denen nur bestimmten der Makel der Rechtswidrigkeit genommen wird. Zum anderen steht der rigorose Ausschluß relativer Forderungen aus dem Kreis der notwehrfähigen Rechte in Widerspruch zu der herrschenden Meinung ll , nach der jedes rechtlich geschützte Interesse notwehrfähig istl 2 . Ist anerkanntermaßen das Vermögen als solches ein schutzwürdiges Rechtsgut, welches in Notwehr verteidigt werden darf13 , so kann für das Forderungsrecht als Bestandteil des Vermögens 14 nichts anderes gelten 15 . Wird das Forderungsrecht selbst tangiert, z. B. durch Angriffe auf die Forderungszuständigkeit1 6 oder auf den rechtlichen Bestand des Anspruchs, müßte der Gläubiger demzufolge notwehrberechtigt sein. Die bei dem Versuch einer systematischen Abgrenzung von Notwehr und Selbsthilfe verbleibenden Zweifel führen allerdings zu keiner Unsicherheit im Ergebnis. Wie man die Trennung von Notwehr und Selbsthilfe auch immer vornehmen mag, der Gläubiger kann sich, wenn der Schuldner die Anspruchserfüllung ablehnt oder hinauszögert, bei der eigenmächtigen Durchsetzung seines Anspruchs jedenfalls deshalb nicht auf Notwehr berufen, weil durch die schlichte Nichterfüllung die Voraussetzungen des § 32 StGB nicht verwirklicht werden17 . Erfüllt der Schuldner seine vertragliche Pflicht nicht, so liegt darin noch kein Angriff i.S.d. § 32 StGB18. Das Merkmal des Angriffs im § 32 StGB setzt grundsätzlich ein aktives Tun voraus 19 . Da aus den rein obligatorischen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien regelmäßig keine Garanten- bzw. straf- und ordnungsrechtlich sanktionierte Handlungspflichten resultieren, liegen auch die Voraussetzungen, Zum Regelungsbereich des § 229 BGB siehe Kap. 6. Vgl. nur Lenckner / S. / S., § 32 RN 4ff. m. w.N.; Dreher / Tröndle, § 32 RN 6. 12 Kritisch zu der begrifflichen Unterscheidung von Notwehr und Selbsthilfe bereits Kitzinger, S. 86ff. und Suppert, S. 266 und 324f. 13 Vgl. nur Lenckner / S. / S., § 32 RN 5a und Suppert, S. 325. 14 Dreher / Tröndle, § 263 RN 27 a. 15 Vgl. Felber (Diss.), S. 184 für eine Einschränkung der Notwehrbefugnis nur zum Schutz absoluter Rechte allerdings Stratenwerth (ZStW 68), s. 62 f. wie bereits früher Sommerfeld (Diss.), S. 52ff. m.w.N. 16 Vgl. Felber (Diss.), S. 184, der Notwehr bei sozial offenkundigen Angriffen auf die Forderungszuständigkeit ausdrücklich zuläßt. 17 Kempf (Diss), S. 40 und 49; Witthaus (Diss.), S. 45. 18 Mohrbotter (GA 1967), S. 207; Welzel (ZStW 76), s. 629; Kempf (Diss.), S. 40; Witthaus (Diss.), S. 45; Stratenwerth (ZStW 1968), s. 61. 19 RGSt 19/298 (299); Baumann (AT), § 21 II 1 (S. 309); Lenckner / S. / S., § 32 RN 10; Bockelmann (AT), S. 91; Jescheck (AT), S. 271. 10
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4. Vertragsdurchsetzung und anerkannte Rechtfertigungsgrunde
unter denen heute ausnahmsweise pflichtwidriges Unterlassen als Angriff bewertet wird 20 , nicht vor21 • Der Gläubiger, der seinen Anspruch eigenmächtig durchsetzt, verteidigt damit nicht sein Recht, sondern versucht, den status quo zu seinen Gunsten zu verändern. Mit der in § 32 StGB umschriebenen Angriffs- und Abwehrsituation hat dies nichts gemein 22 . 4.1.3. Die eigenmächtige Anspruchsverwirklichung und die "Wahrnehmung berechtigter Interessen"
Von den gesetzlichen Rechtfertigungsgründen kann auch die "Wahrnehmung berechtigter Interessen" zur Lösung der Anspruchsproblematik nicht beitragen. Bei unmittelbarer und wortgetreuer Anwendung des überwiegend 23 als Rechtfertigungsgrund verstandenen § 193 StGB versteht sich dies von selbst: Der Gläubiger verfolgt zwar mit der Verwirklichung seines Anspruchs im Fälligkeitszeitpunkt einen schutzwürdigen Zweck und kann daher durchaus ein berechtigtes Interesse geltend machen. Der Wortlaut und die systematische Stellung im Gesetz weisen § 193 StGB jedoch als besonderen Rechtfertigungsgrund im Gebiet der Ehrverletzungen aus, während es bei der vorliegenden Problematik fast ausschließlich um Eingriffe in andere Rechtsgüter geht. Da nach der ratio legis eine Ausdehnung der "Wahrnehmung berechtigter Interessen" auf jeden Straftatbestand unzulässig wäre 24, kann ein allgemeiner Ansatz auch nicht durch analoge Anwendung bzw. durch Übertragung des dem § 193 StGB zugrunde liegenden Gedanken auf andere Bereiche des Strafrechts gewonnen werden. Soweit die entsprechende Anwendung des § 193 StGB außerhalb der Beleidigungsdelikte nicht schon von vornherein abgelehnt wird25 , erkennen dies auch diejenigen an, die zwar eine weitere Anwendung des § 193 StGB befürworten, jedoch auf 20 Vgl. Baldus / LK, § 53 RN 3; Samson / SK, § 32 RN 7; Stratenwerth, S.135; Jescheck (AT), S. 271f.; Mezger (LB), S. 233; Baumann (AT), § 21 II 1 (S. 310); Welzel (LB), § 14 11 1 a (S. 84); Geilen (JURA 1981), S. 204; weitere Nachweise bei Lenckner / S. / S., § 32 RN 10. 21 Vgl. nur Felber (Diss.), S. 198. 22 Vgl. Haas, S. 241 Fn. 71, der das Angriffsmerkmal in § 32 StGB von der Störung des status quo abhängig macht. 23 RGSt 59/414 (415); RGSt 65/333 (335); BGHSt 12/287 (293); BGHSt 18/182 (184); BGHZ 3/270 (281); BGHZ 31133lf.; Blei (BT), S. 106; Dreher / Tröndle, § 193 Anm. 1; Eser (Wahrnehmung berechtigter Interessen), S. 18ff.: Rudolphi / SK, § 193 Anm. 1; Maurach / Schroeder (BT) Bd. 1, S. 226 (§ 26 III 1) Lenckner / S. / S., § 193 RN 1; wohl auch von Wick, S. 121. A. A.: Roeder (Heinitz-FS), S. 240; Erdsiek, S. 311; Zartmann, S. 73ff., die in § 193 StGB einen Schuldausschließungsgrund sehen. Anders wiederum Eike Schmidt (JZ 1970), S. 10, der § 193 als Einschränkung des Beleidigungstatbestandes begreift. 24 Ausführlich dazu Eser (Wahrnehmung berechtigter Interessen), S. 67. 25 Suppert, S. 226ff.; Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 80; Erdsiek, S. 313ff.
4.1. "Anspruchsproblematik" und gesetzliche Rechtfertigungsgrunde
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solche Tatbestände beschränken, die einen besonderen Gemeinschaftsbezug aufweisen 26 • Eser, der sich mit der Konstituierung der "Wahrnehmung berechtigter Interessen" als allgemeinen Rechtfertigungsgrund 27 beschäftigt hat, kommt unter Verweis auf die besonders starke Sozialverflochtenheit und die evolutive Funktion dieses Rechtfertigungsgrundes zu dem gleichen Ergebnis 28 • 4.1.4. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und der zivilrechtliche Notstand (§ 904 BGB) Auch in § 904 BGB findet sich kein geeigneter Ansatz zur Lösung der "Anspruchsproblematik" . Zwar ist § 904 BGB über seinen Wortlaut hinaus auch bei Einwirkungen auf andere Vermögensrechte als das Eigentum an Sachen anwendbar29 , so daß § 904 BGB zur Lösung der "Anspruchsfälle" nicht schon wegen des zu geringen Regelungsumfanges ausscheidet. In § 904 BGB kann aber deshalb kein Ansatz zur Problemlösung gefunden werden, weil dort eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für das zu rettende Rechtsgut vorausgesetzt wird. Dabei muß der drohende Schaden gegenüber dem Schaden des Eigentümers unverhältnismäßig groß sein. Die zivilrechtliche Notstandsregelung geht dabei von der Kollision unterschiedlicher und verschiedenwertiger Rechtsgüter aus und läßt bei der Wertbeurteilung die vertraglichen Sonderbeziehungen zwischen dem Eingriffsberechtigten und dem Eingriffsschuldner unberücksichtigt. In den "Anspruchsfällen " streiten hingegen Gläubiger und Schuldner um dasselbe Rechtsgut unter Berufung auf ihr dingliches bzw. obligatorisches Recht. Für diesen Sonderfall fehlen in § 904 BGB die zur Güterabwägung erforderlichen Kriterien zur Bewertung der konkurrierenden Gläubiger- und Schuldner-Interessen, so daß sich eine Entscheidung dieses Interessenkonfliktes nicht unmittelbar aus § 904 BGB ableiten läßt. Schließlich würde die Anwendung des § 904 BGB in Anbetracht der Schadenersatzpflicht des Eingriffsberechtigten in § 904 S. 2 BGB zu unbilligen Ergebnissen führen. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum sich der Gläubiger für Eingriffe, die der Schuldner nach den vertraglichen Vereinbarungen zu dulden hat, schadenersatzpflichtig machen soll. 26 Schröder / S. / S. (17. Aufl.) , vor § 51 RN 62a; Eser (Wahrnehmung berechtigter Intererssen), S. 67; NoH (ZStW 77), s. 31ff.; Tiedemann (JZ 1969), S. 721; Krey (JuS 1974), S. 423; Schmidhäuser (AT), S. 166 RN 95. 27 So der Titel seiner Arbeit, siehe Eser (Wahrnehmung berechtigter Interessen). 28 Eser (Wahrnehmung berechtigter Interessen), S. 67. 29 Palandt / Bassenge § 904 Anm. 1; Ballerstedt (JZ 1951), S. 228; Hubmann (JZ 1958), S. 489f.; Baur (SR) § 251II 1 e); Soergel / Baur, § 904 Anm. 3; Staudinger / Seufert, § 904 Anm. 4; Enneccerus / Nipperdey, § 167 Anm. IV 4; Heck (SR), § 49 Nr. 10. A. A. noch RGRK / Augustin § 904 Anm. 3.
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4. Vertragsdurchsetzung und anerkannte Rechtfertigungsgründe
§ 904 S. 2 BGB läßt zugleich einen Rückschluß auf den Regelungsumfang des § 904 S. 1 BGB zu, der die Duldungspflicht des Eigentümers ausschließlich von dem Vorliegen einer Notstandssituation abhängig macht, vertragliche Sonderverbindungen zwischen den Parteien jedoch offensichtlich unberücksichtigt läßt. Würde § 904 BGB auch zur Beurteilung des sich allein aus der vertraglichen Verpflichtung ergebenden Interessenwiderstreits zwischen Gläubiger und Schuldner Anwendung finden, wäre die spezielle Regelung dieses Interessenwiderstreits in § 229 BGB nicht erforderlich gewesen.
§ 904 BGB, in dem eine gesetzliche Regelung des allgemeinen Aufopferungsanspruchs gesehen wird 30 , ist zur Lösung der "Anspruchsfälle" mithin ungeeignet. 4.1.5. Die eigenmächtige Vertragsdurchsetzung und der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) Greifen die vorgenannten Rechtfertigungsgrüllde, in denen der Gesetzgeber typische Konfliktsituationen geregelt hat, in den "Anspruchsfällen" nicht ein, bleibt letztlich nur § 34 StGB als Generalklausel unter den gesetzlichen Rechtfertigungsgrüllden übrig. Der Versuch, § 34 StGB auf die eingangs geschilderten Beispielsfälle anzuwenden, erweist sich jedoch als untauglich. § 34 StGB kommt nach dem heutigen Stand der Strafrechtsdogmatik grundsätzlich schon deshalb nicht zur Rechtfertigung der außerprozessualen Anspruchsdurchsetzung in Betracht, weil aus dem Merkmal der "Erforderlichkeit" und aus der Angemessenheitsklausel in § 34 S. 2 StGB der Vorrang verfahrensmäßiger Abwicklungen der in § 34 S. 1 StGB geregelten Interessenkonflikte abgeleitet wird 31 . Für den Gläubiger bedeutet dies, daß er zunächst die prozessualen Rechtsbehelfe zum Zwecke der Anspruchsdurchsetzung ergreifen muß und nur bei ernsthafter und gegenwärtiger Gefährdung des Anspruchs ausnahmsweise selbst eingreifen darf 32 . Daß der bloße Zeitverlust nicht als eine derartige Gefährdung angesehen wird, wurde bereits ausgeführt33 • Aber selbst wenn man insoweit einer großzügigeren und gläubigerfreundlichen Auslegung des § 34 StGB den Vorrang geben und in jeder Leistungsverweigerung nach Eintritt der Fälligkeit eine Gefährdung der Gläubigerin30 Münch. / Komm. / Säcker, § 904 Anm. 1;. Palandt / Bassenge, § 904 Anm. 1a); Erman / Westermann, § 904 RN 8; RGRK / Augustin, § 904 RN 1; Soergel / Baur, § 904 RN 27. 31 Lenckner / S. / S., § 34 RN 46; Grebing (GA 1979), S. 86 u. 106; Stratenwerth (AT), RN 450; Samson / SK, § 34 RN 22. 32 Zur Notwendigkeit einer gegenwärtigen Gefahr (Kollisionslage) grundlegend Lenckner (Notstand), S. 82 u. 121. 33 Siehe unter 4.1.1.
4.1. "Anspruchsproblematik" und gesetzliche Rechtfertigungsgründe
65
teressen sehen wollte, ließe § 34 StGB ebenfalls keine sichere Lösung des Interessenwiderstreits zu. § 34 beinhaltet nämlich keine besonderen auf den Gläubiger-SchuldnerKonflikt zugeschnittenen Tatbestandsmerkmale. Insbesondere erlauben die normativen Merkmale des § 34 StGB ("Gefahr", "überwiegendes Interesse", "Angemessenheit") keine exakte Subsumtion34 •
Seelmann sieht aus diesem Grunde in der Notstandsregelung des § 34 StGB einen offenen Wertungsrahmen, der durch richterliche Interessenabwägung beliebig ausgefüllt werden könne. Selbst wenn man sich dieser weiten Auffassung Seelmanns nicht anschließt 3 5, sondern versucht, die vorgefundenen Tatbestandsmerkmale durch Auslegung zu konkretisieren, zeigt sich, daß wegen der vielgestaltigen Kombinationen der zur beurteilenden Gläubiger- und Schuldnerinteressen eine sichere Bewertung nicht möglich ist. In jedem der anfangs beschriebenen Fallbeispiele sind bei der Beurteilung der Gläubiger- und Schuldner-Interessen - wie noch zu zeigen sein wird _36 besondere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, zu deren Bewertung § 34 StGB jedoch keine Kriterien aufzeigt. Bezeichnenderweise hat es daher auch der Gesetzgeber für erforderlich gehalten, in § 229 BGB eine über allgemeine Rechtfertigungsgrundsätze hinausgehende, auf den besonderen Widerstreit der Gläubiger- und Schuldner-Interessen ausgelegte Regelung zu schaffen. Wenn hier der Versuch unternommen wird, neben den gesetzlichen Selbsthilferegelungen mit dem Vertrag eine weitere besondere Rechtfertigungsmöglichkeit aufzuzeigen, geht es ebenfalls darum, das Eingriffsrecht des Gläubigers durch die Benennung spezieller Tatbestandsmerkmale auf ein für den Schuldner und die Allgemeinheit akzeptables Maß zu beschränken. Wegen dieser an dem Gläubiger-Schuldner-Konflikt ausgerichteten Sonderregelungsfunktion ist ein solcher spezieller Rechtfertigungsgrund selbst dann nicht überflüssig, wenn sich die Rechtfertigung des Gläubigerverhaltens daneben auch aus § 34 StGB ergeben sollte. Durch die Präzisierung der Rechtfertigungsvoraussetzungen in einem speziellen Unrechtsausschließungsgrund wird nämlich die Gefahr der Rechtsunsicherheit beseitigt, die mit Anwendung von mit normativen Begriffen besetzten Generalklauseln wie § 34 StGB verbunden ist 37 • Anders als bei den vorstehend geprüften besonderen Rechtfertigungsgründen ist die Nutzung des zivilrechtlichen Vertrages als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht selbst dann sinnvoll, wenn parallel dazu auch § 34 StGB den Gläubigereingriff rechtfertigen 34
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37
Seelmann, S. 46 u.63. Siehe die berechtigte Kritik von Peters (GA 1981), S. 445ff. u. 466ff. Siehe Kap. 8. Vgl. Seelmann, S. 48.
5 H.-D. Weber
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4. Vertragsdurchsetzung und anerkannte Rechtfertigungsgründe
könnte 38 • Entscheidend ist allein, daß aus § 34 StGB wegen der generalklauselartigen Voraussetzungen nicht mit Sicherheit entnommen werden kann, in welchen Fällen das Unrecht des Gläubigereingriffs ausgeschlossen ist und daher eine Präzisierung durch einen speziellen vertraglichen Rechtfertigungsgrund erforderlich ist 39 • Bereits aus diesem Grunde erübrigt sich die Untersuchung, in welchen Fallkonstellationen § 34 StGB zur Rechtfertigung des Gläubigervorgehens in Betracht kommt. Aus SpezialitätsgrÜllden ist schließlich auch § 34 S. 2 StGB ausgeschlossen, der an § 34 S. 1 anknüpft und daher zusammen mit diesem verdrängt wird.
4.2. Die "Anspruchsproblematik" und die übergesetzlichen Rechtfertigungsgründe 4.2.1. Das nicht schutzwürdige Interesse als Rechtfertigungsgrund Der zur Lösung der sogenannten "Anspruchsfälle" bereits unter 3.7. verworfene Gedanke, als Regulativ den Schutzzweck der Norm zu bemühen, wird von Unger40 aufgegriffen, der das sogenannte "nicht schutzwürdige Interesse" als eigenständigen Rechtfertigungsgrund präsentiert. Ähnlich wie Mohrbotter4 1 und andere 42 differenziert auch Unger43 zwischen der tatbestandlichen Verletzung des formal geschützten Rechtsguts und dem materiellen Unrecht, welches erst zum strafrechtlichen Unwerturteil führt. Nach Ansicht Ungers liegt das materielle Unrecht einer tatbestandsmäßigen Handlung erst dann vor, wenn auch das nach dem Schutzzweck der verletzten Norm zu schützende, mit einem Achtungs- oder Respektierungsanspruch gegen jedermann ausgestattete Interesse verletzt sei 44 • Da Unger selbst feststellt, daß es wegen des unbestimmten Begriffs des "Interesses" kaum möglich ist, die schutzwürdigen Interessen immer sauber von den schutzunwürdigen zu trennen, bemüht er sich um eine Präzisierung 38 Da sämtliche Rechtfertigungsgrunde, die auf dem Gedanken der Interessenabwägung basieren, letztlich nur eine Konkretisierung des in § 34 StGB zum Ausdruck kommenden Rechtfertigungprinzips darstellen, verwundert es nicht, wenn häufig neben anderen Rechtfertigungsgrunden auch § 34 StGB eingreift. Zu den dann entstehenden Konkurrenzfragen: S. / S. / Lenckner, § 34 RN 6; Seelmann, S. 19ff. 39 Zu der Tendenz, von den Rechtfertigungsgrunden die größtmögliche Präzision zu verlangen, vgl. Jung, S. 62; Roxin (Strafrechtssystem), S. 3lf.; Seelmann, S. 48. 40 Unger (Diss.) S. 37 Fn. 68, der die Parallele zur Schutzbereichslehre selbst aufzeigt. 41 Mohrbotter (GA 1967), S. 199ff. 42 Siehe Fn. 4 u. 5. auf Seite 22. 43 Unger (Diss.), S. 35ff. 44 Unger (Diss.), S. 88.
4.2. Forderungsdurchsetzung und Notwehr des Schuldners
67
der Voraussetzungen seines neuartigen Rechtfertigungsgrundes, indem er zur Bewertung der Schutzwürdigkeit auf das zivilrechtliche Mißbrauchsund Schikaneverbot rekurriert 45 . Interessen sollen danach dann nicht schutzwürdig sein, wenn das positive Beharren auf diesen rechtsmißbräuchlich oder schikanös im Sinne des § 226 BGB wäre 46 • Von einem solchen Fall geht Unger aus, wenn der Schuldner gegenüber seinem Gläubiger auf seinem formalen Eigentumsrecht besteht, obwohl er dem Gläubiger zur Übereignung der geschuldeten Sache verpflichtet ist 47 . Diese Auffassung Ungers hat sich mit Recht nicht durchzusetzen vermocht. Richtig ist zwar die Erkenntnis, daß im Rahmen der Zueignungsdelikte der Eingriff in die formale Eigentümerposition unrechtsindizierend wirkt und daher zum Unrechtsausschluß ein Rechtfertigungsgrund aufgefunden werden muß. Im Gegensatz zu dem Lösungsvorschlag von Witthaus, der in den "Anspruchsfällen" unzutreffend bereits das tatsächliche Interesse des Eigentümers am Erhalt seiner Sache entfallen lassen will, findet Unger - grundsätzlich zutreffend - in der fehlenden Schutzwürdigkeit des Eigentümerinteresses einen normativen Ansatz. Dennoch ist der Rechtfertigungsgrund des "nicht schutzwürdigen Interesses" abzulehnen, da konkrete und subsumtionsfähige Voraussetzungen dieses neuartigen Rechtfertigungsgrundes fehlen. Unger gelingt es nicht, den höchst ausfüllungsbedürftigen Begriff der Schutzwürdigkeit durch den Rekurs auf das Rechtsmißbrauchsprinzip inhaltlich zu konkretisieren. Dies gesteht Unger selbst ein 48 , wenn er zugibt, daß die angestrebten Ergebnisse aus dem Mißbrauchsprinzip nicht im Wege fehlerfreier Subsumtion zu erzielen seien. Diesen Mangel nimmt Unger unter Verweis auf die "Lebensnähe" der mit dem Mißbrauchsprinzip zu gewinnenden Ergebnisse in Kauf. Mit dieser ergebnisorientierten Argumentation vermag Unger die Schwächen seines Ansatzes nicht auszugleichen. Denn bei der Konstituierung eines Rechtfertigungsgrundes kommt es nicht nur darauf an, irgendwie ein sachgerechtes Ergebnis zu erzielen, sondern auch und insbesondere darauf, den Weg zu diesem Ziel nachvollziehbar zu gestalten. Diese Gewähr bietet der Rechtfertigungsgrund Ungers, der als Lösungsalternative auf ähnliche vage Begriffe wie "Billigkeits- und Gerechtigkeitsempfinden" , "Sozialethik", "Volksmoral" und "Vernunftsprinzip" verweist 49 , gerade nicht. Der gegenüber der Schutzbereichslehre geäußerte Vorwurf der "Leerformelhaftigkeit"50 trifft damit ebenso auf den Ansatz Ungers zu. Unger (Diss.), S. 84ff. Unger (Diss.), S. 89. 47 Zur näheren Begründung beruft sich Unger in diesem Fall wie bereits Schröder (DRiZ 1956), S. 70 auf das Besitzrecht des eigenmächtig handelnden Gläubigers aus § 986 BGB. 48 Unger (Diss.), S. 95ff. 49 Unger (Diss.), S. 94. 50 Vgl. Kap. 3.7. 45 46
5'
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4. Vertragsdurchsetzung und anerkannte Rechtfertigungsgründe
4.2.2. Die private Vertragsdurchsetzung und das "Volksempfinden" als Rechtfertigungsgrund
Bei der Begründung der Rechtmäßigkeit der Zueignung geschuldeter Sachen wird mitunter die Überzeugung des Volkes nicht nur zur Argumentation de lege ferenda 51 , sondern auch bei der Bestimmung der Strafbarkeit de lege lata erörtert52 • Richtig an diesem Ansatz ist zwar, daß Rechtfertigungsgründe gewohnheitsrechtlichen Regeln entnommen werden können 53 • Dabei muß es sich aber um faßbare und auch subsumierbare Regeln handeln. Die Volks anschauung selbst erfüllt - da kaum feststellbar _54 diese Voraussetzung nicht 55 • Selbst wenn man durch statistische Erhebungen und Hochrechnungen mit dem heute zur Verfügung stehenden Instrumentarium relativ einfach die entsprechenden Mehrheiten ermitteln wollte, bestünde die Gefahr einer ideologisch und emotional beeinflußbaren Strafrechtspflege. Bereits eine im Einzelfall- unter Mediennachhilfe - eintretende Meinungsänderung weniger Volkskreise hätte eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Das "Volksempfinden" ist daher als Rechtfertigungsgrund ungeeignet 56 • 4.2.3. Der vertragliche Anspruch und der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung
Innerhalb des Teils des Schrifttums, das die Problematik der sogenannten "Anspruchsbeziehung " auf der Rechtswidrigkeitsebene löst, kann die Ansicht als herrschend bezeichnet werden, die die "Anspruchsbeziehung" als Problem der Einwilligung sieht57 • Während die Einwilligung grundsätzlich jederzeit frei widerruflich ist 58 , soll nach dieser Ansicht die vertraglich erklärte Einwilligung ausnahmsweise unwiderruflich sein59 • Vgl. Begründung zum E 1927, S. 164. Kempf (Diss.), S. 18; Unger (Diss.), S. 94, kritischer allerdings auf S. 87. 53 Vgl. RGSt 61/242 (247); dazu auch Kap. 5.1. 54 Kempf (Diss.), S. 44. 55 Vgl. dazu die bedenklichen Ausführungen Mühlmanns (Diss. 1938), S. 11 u. 20, der dem damaligen Zeitgeist entsprechend auf das gesunde Volksempfinden und die Verpflichtung gegenüber der Volksgemeinschaft abstellt. 56 Kempf (Diss.), S. 44; grundsätzlich kritisch auch Witthaus (Diss), S. 79. 57 Nach noch h. M. (für viele: Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 33) ist die Einwilligung ein Rechtfertigungsgrund. Die im Vordringen befindliche Ansicht, die Einwilligung sei Tatbestandsproblem, wird hingegen vertreten von Arzt (Willensmängel), S. 12f. u. 20ff.; Eser, I Nr. 8 A 2; Kientzy (Diss.), S. 65ff.; Rudolphi (ZStW 86), S. 87; Zipf, S. 31 u. 80; Maurach / Zipf (AT) Bd. 1, § 17 III 39 (S. 218); Schmidhäuser (AT), S. 111 RN 106; Kühne (JZ 1979), S. 242f. Weitere Nachweise und zur Kritik dieser Meinung siehe Fn. 5 in Kap. 12. 58 Baumann (AT), S.336; Blei (AT), S. 122; von Blomberg, S.89; Jescheck, S. 308ff.; Klee, S. 252f..i Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 44; Mezger, S. 212; Samson / SK., § 32 RN 44; Zipf (OJZ), S. 382; Köhler, S. 416; grundlegend: Honig, S. 149; speziell bei Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht: Hubmann, S. 171. 51 52
4.2. Forderungsdurchsetzung und Notwehr des Schuldners
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Auf den Ausgangsfall1. bezogen, bedeutet dies, daß der Pächter, dem vom Verpächter die Berechtigung zum Ausroden der Bäume unter gleichzeitiger ausdrücklich erteilter oder im Vertrag konkludent zum Ausdruck kommender Einwilligung eingeräumt wurde, die Bäume auch dann fällen dürfte, wenn der Verpächter vor dem Roden seine Einwilligung widerruft. Genauso verhält es sich im Ausgangsfall 2. Damit wird die Bindungswirkung des schuldrechtlichen Vertrages auf die Einwilligung erstreckt. 4.2.3.1. Das damit erzielte Ergebnis, die Rechtfertigung der tatbestandsmäßigen Sachbeschädigung, ist zwar billig, wenn man bedenkt, daß der Pächter auf den Bestand der Eingriffsbefugnis vertrauen durfte und daher schutzwürdig ist 6o . Durch die Vermengung von Vertrag (schuldrechtliches Eingriffsrecht) und Einwilligung (tatsächliche Eingriffserlaubnis) wird jedoch verschleiert, daß der Gläubiger actualiter gerade gegen den Willen des Schuldners handelt. Fehlt aber im Zeitpunkt der Tat der Wille des "Opfers" zu dem Eingriff 6!, so liegt schon per definitionem keine Einwilligung vor. Der tatsächliche Wille des Betroffenen wird sowohl von den überwiegend früher vertretenen Willensrichtigungs-62 und Willenserklärungstheorien 63 als auch von der heute herrschenden "abgeschwächten Willenserklärungstheorie"64 für die grundlegende und unverzichtbare Wirksamkeits59 Creifelds, S. 53ff.; Honig, S. 149ff. m.w.N.; Welzel, S. 96; Hirsch 1 LK, vor § 51 RN 109; Rosenfeld (Diss.), S. 55; Binding (Handbuch), s. 713, der andererseits aber schon die Rechtsgutverletzung bei Bestehen eines vertraglichen Eingriffsrechts ablehnt; Zitelmann, S. 45 ff., der außerdem voraussetzt, daß der" Täter" im Besitz des Rechtsguts ist; ebenso von Tuhr (AT), S. 469; Lenckner 1 S. 1 S., vor § 32 RN 44, auf die Fälle beschränkend, in denen der Vertrag ein Eingriffsrecht des Gläubigers und eine entsprechende Duldungspflicht des Schuldners begründet. Ausdrücklich gegen die Unwiderruflichkeitslehre: Fischer (Rechtswidrigkeit), S. 272; Holer, S. 81 und 83; Noll (ÜRFG), S. 133; Schenke (Diss.), S. 105f.; Traeger, S. 137ff.; Samson 1 SK, vor § 32 RN 42; Geerds (Diss.), S. 85 und 226, der wie Schenke (Diss.), S. 108 den Widerruf der Einwilligung allerdings deshalb für unbeachtlich hält, weil bereits das subjektive Recht rechtfertigend wirke. 60 Arzt (Willensmängel), S. 30 und 50. 61 Ob sich der Wille auf die Tathandlung und/oder den Taterfolg beziehen muß, ist umstritten: für Handlung und Erfolg: Geppert (ZStW 83), S. 971; Kienapfel (JR 1978), S. 298; Eser, S. 87, Traeger, S. 144; Lenckner 1 S. 1 S. vor § 32 RN 33; Jescheck (AT), S. 307; nur für Handlung: Keßler, S. 26; Schrey, S. 47 m. w.N. auf S. 37ff.; von Blomberg, S. 62; Mühlmann, S. 25 und 31, der nur ausnahmsweise die Einwilligung auch auf den Erfolg bezieht; nur für Erfolg: Maurach 1 Zipf Bd. 1, S. 223 (§ 17 III RN 56); Zipf (ÖJZ), S. 382; ders. (EuR), S. 21; Holer, S. 75ff.; Köhler, S. 414; Klee, S. 247f.; Zitelmann, S. 70 und 87; w.N. bei Schrey, S. 33 Fn. 12. 62 Creifelds, S.45 und 60f.; Holer, S.72; von Liszt 1 Schmidt, S.218; Mezger, S. 209; Schrey, S. 22 und 25; Sieverts, S. 238; Schmidhäuser (AT), S. 117 RN 126; KG
JR 1954/428.
63 Traeger, S. 136; Welzel, S. 97; Keßler, S. 99ff.; Geerds (Diss.), S. 81; ders. (ZStW 72), S. 44; ders. (GA 1954), S. 267, der zudem Kenntnis des Täters von der Einwilligung voraussetzt. 64 OLG Celle MDR 1969/69f.; OLG Oldenburg NJW 1966/2132; Jescheck, S. 307f.; Maurach 1 Zipf, S.325 (§ 17 III RN 63); Zipf (EuR), S.48ff.; ders. (ÖJZ), S.381; Honig, S. 153ff.; Stratenwerth, RN 386; Dreher 1 Tröndle, vor § 32 RN 3b; Hirsch 1 LK, vor § 51 RN 107; Lenckner 1 S. 1 S., vor § 32 RN 43; von BIomberg, S. 64; Eser,
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4. Vertragsdurchsetzung und anerkannte Rechtfertigungsgründe
voraussetzung der Einwilligung gehalten. Soweit heute für die Wirksamkeit der Einwilligung verlangt wird, daß n Verletzter und Verletzer" bei Vornahme des Eingriffs im Willen übereinstimmen, hat dies auch seinen guten Grund. Erst diese Vorausetzung garantiert nämlich, daß sich niemand auf die Einwilligung des Verletzten berufen kann, der Gewalt gegen den Rechtsgutsträger übt bzw. Handlungen vornimmt, die die gewaltsame Gegenwehr des Rechtsgutsträgers heraufbeschwören. Da die aktuelle Willensübereinstimmung zwischen Verletztem und Verletzer nur durch die jederzeitige Widerruflichkeit der Einwilligung gesichert werden kann, ist sie es, die das Institut der Einwilligung erst für die Rechtsordnung - insbesondere im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopl - tolerierbar macht. Auf die Widerruflichkeit der Einwilligung kann daher nicht ohne weiteres verzichtet werden. Die zur Rechtfertigung benutzte Formel von der Unwiderruflichkeit der Einwilligung verdeckt, daß der Versuch unternommen wird, einen Akt der Selbsthilfe zu rechtfertigen, der der Durchsetzung eines vertraglichen Anspruchs dient 65 • Der Einwilligungsdogmatik, die im Bereich disponibler Rechtsgüter auf dem Gedanken der Willensfreiheit des Rechtsgutsträgers basiert 66 , werden damit letztlich Fälle zugewiesen, für die sie keine Lösung bereitstellen kann 67 . 4.2.3.2. Der im Tatzeitpunkt (noch) vorhandene Wille des Berechtigten ist aber nicht nur Garant für die Gewaltlosigkeit des Eingriffs, sondern trägt zugleich dafür Sorge, daß es neben dem Eingriff in das konkrete strafrechtlich geschützte Rechtsgut nicht auch zu einer Verletzung des verfassungsrechtlich abgesicherten 68 Persönlichkeitsrechts des Schuldners kommt 69 • Solange der Berechtigte in den zu duldenden Eingriff tatsächlich einwilligt, sind Persönlichkeitsrechtsverletzungen bei der Vornahme des Eingriffs undenkbar, weil selbst in der schädlichen Verfügung über disponible, höchst-persönliche Rechtsgüter eine respektable Form der Persönlichkeitsentfaltung und Willensbetätigung liegt7 0 • Wird ein solcher Eingriff allerS. 86, Blei (AT), S. 122 und 124; Bockelmann (AT), S. 103f.; Mühlmann (Diss.), S. 28f.; Samson / SK, vor § 32 RN 42; Baumann (AT), S. 332f. und 339, der seine Ansicht allerd~~gs selbst als "abgeschwächte Willensrichtungstheorie" bezeichnet; ebenso: Noll (URFG), S. 134. 65 Schenke, S. 106; Noll (ÜRFG), S. 132. 66 Vgl. nur Samson / SK, vor § 32 RN 38. 67 Honig, S. 152f.; vgl. auch Keßler, S. 21 und Traeger, S. 137, die die Berufung auf den Satz "volenti non fit injuria" im Falle der Ausübung zivilrechtlicher Ansprüche als Verstoß gegen die "elegantia juris" bezeichnen. 68 Vgl. Hubmann, S. 172. 69 Zur freien Widerrufbarkeit der Einwilligung bei Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht siehe Köhler, S. 416; Hubman, S. 171; zum Verhältnis einzelner Persönlichkeitsrechte zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht siehe Rosener (Diss.), S. 89f.; Hubmann, S. 172. 70 Hubmann, S. 184.
4.2. Forderungsdurchsetzung und Notwehr des Schuldners
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dings gegen den Willen des Berechtigten vorgenommen, droht die Gefahr, daß zugleich unzulässigerweise in das Persönlichkeitsrecht des Schuldners eingegriffen wird. Die Unwiderruflichkeitslehre, welche sich zur Begründung des Rechtswidrigkeitsausschlusses auf die einmal erklärte und als fortbestehend fingierte Einwilligung stütz!?!, verstellt die Sicht auf dieses Gefahrenmoment. Dies belegen Stellungnahmen in der Einwilligungslehre, welche eine Auseinandersetzung mit der persönlichkeitsrechtlichen Problematik vermissen lassen. Genannt sei hier nur das zuerst von v. Bar gebildete FrisörbeispieF2: Eine Frau, die einem Frisör ihr Haar verkauft und sich mit dem Abschneiden der Haarpracht einverstanden erklärt hat, widerruft kurz vor dem Eingriff ihre Einwilligung. Als sie darauf im Frisörstuhl einschläft, greift der Frisör zur Schere, um seinen kaufvertraglichen Anspruch durchzusetzen. Von Bar, der das Vorgehen des Frisörs aufgrund der rechtsgeschäftlich erteilten und damit unwiderruflichen Einwilligung der Frau für gerechtfertigt hält, übersieht bei der Fallösung den persönlichkeitsrechtlichen Aspekt. Für ihn ist entscheidungserheblich allein der Umstand, daß der Frisör seinen Anspruch gewaltlos verwirklichen konnte. Sicherlich handelt es sich hier um den zu Recht kritisierten 73 extremen Fall einer Persönlichkeitsverletzung. Diese würde schon heute deshalb niemand mehr tolerieren, weil sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß das Unwiderruflichkeitsdogma bei Eingriffen in höchstpersönliche Rechtsgüter nicht aufrechterhalten werden kann 74 • Die von der Unwiderruflichkeitslehre heraufbeschworene Gefahr von Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist damit allerdings nicht vollständig beseitigt. Die Ausgrenzung der höchstpersönlichen Rechtsgüter wie Leben, Leib, Freiheit etc. erfaßt nämlich nur einen Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches wegen seines generalklauselartigen Charakters nicht in einzelne, aufzählbare Persönlichkeitsrechte zerlegt werden kann 75 . Selbst die von einigen76 propagierte weiterreichende Einschränkung der Unwiderruflichkeitslehre auf Eingriffe in reine Vermögensrechte führt zu keiner akzeptablen Lösung des Problems. Zum einen ist der generelle Ausschluß der vertraglichen Bindungswirkung bei Eingriffen in Rechtsgüter Vgl. Fn. 59 in Kap. 4.2.3.1. von Bar, S. 61 Anm. 95. 73 Vgl. nur Traeger, S. 138 Fn. 4; NoH (ÜRFG), S. 133, S. 132f. 74 Hirsch / LK, vor § 51 RN 109; Köhler, S. 416; Traeger, S. 138; Holer, S. 81; von Tuhr, S. 469; Rosener, S. 12lf.; grundsätzlich auch Hubmann, S. 171. 75 BGHZ 24/72 (78); BGHZ 30/7 (11); BGHZ 35/363 (368); BGH NJW 1959/525; von Caemmerer (DJT-FS), S. 112f.; Siebert (NJW 1958), S. 1373f.; Larenz (NJW 1955), S. 523f.; Hubman, S. 136 m.w.N. 76 So NoH: (ÜRFG), S. 133; Binding (Handbuch) Bd. 1, S. 713f.; Zitelmann, S. 46f. 71 72
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4. Vertragsdurchsetzung und anerkannte Rechtfertigungsgründe
mit nur geringem Persönlichkeitsbezug zu weitgehend 77 . Daß der Gläubiger in bestimmten Fällen sein schutzwürdiges Vertrauen in die Einhaltung vertraglicher Zusagen auch einmal über persönlichkeitsrechtliche Belange des Schuldners stellen darf, beweisen z. B. Regelungen wie das Rückrufrecht des Urhebers nach § 42 UrhG. Kann der Urheber nur bei gewandelter Überzeugung und selbst dann nur, wenn ein Festhalten am Vertrage für ihn unzumutbar wäre, von seinem Rückrufrecht Gebrauch machen, bedeutet dies, daß er leichtere persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigungen als Folge der vertraglichen Bindung hinnehmen muß78. Zum anderen ist die Eingrenzung der Bindungswirkung auf den vermögensrechtlichen Bereich wiederum nicht weit genug. Auch reine Vermögensgüter können nämlich einen schutzwürdigen Persönlichkeitsbezug erhalten, wenn Vermögensgüter beeinträchtigt werden, die zum Mindestbestand menschenwürdiger Existenz gehören. Setzt der Gläubiger hier gegen den Willen des Schuldners seinen Anspruch eigenmächtig durch, indem er z. B. die zum Heizen notwendigen Kohlen des Schuldners an sich bringt, führt dies neben dem Eingriff in das Eigentumsrecht auch zu einer unerträglichen Persönlichkeitsrechtsverletzung79 . Lenckner80 , der sich bei der grundsätzlichen Begrenzung der Unwiderruflichkeitslehre an dem Umfang des vertraglichen Eingriffsrechts des Gläubigers bzw. an der korrespondierenden Duldungspflicht des Schuldners orientiert, findet damit - wie zu zeigen sein wird - zugleich den richtigen Weg, das Persönlichkeitsrecht81 des Schuldners in den Fällen gerechtfertigter Durchsetzung vertraglicher Ansprüche angemessen zu berücksichtigten82 . Damit werden aber, wie schon beim Versuch, die vertragliche Bindungswirkung auf die Einwilligungslehre zu übertragen, für die vertragliche Sonderverbindung typische Kriterien herangezogen, zu denen in der Einwilligungsdogmatik Entsprechungen fehlen. 4.2.3.3. Die somit in mehrfacher Hinsicht feststellbare Übernahme von Vertragselementen in die Einwilligungsdogmatik ist auch insofern problematisch, als Vertrag und Einwilligung wesensverschieden und sowohl bei 77 Vgl. Schenke (Diss.), S.107, der sich für die Behauptung des vertraglichen Anspruchs gegen den Willen des Schuldners in geringem Maße auch bei Eingriffen in persönliche Rechtsgüter einsetzt. 78 Zu den kumulativen Voraussetzungen der "gewandelten Überzeugung" und der "Zumutbarkeit" der weiteren Werkverwertung: von Gamm (UrhG), § 42 RN 6; Möhring / Nicolini (UrhG), § 42 Anm. 6b. 79 Vgl. die insofern vorbeugenden Pfändungsschutzbestimmungen der ZPO. 80 Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 44. 81 Zur Schwierigkeit der inhaltlichen Festlegung des Persönlichkeitsrechts vgl. Hubmann, S. 135. 82 Dazu näher Kap. 7.
4.2. Forderungsdurchsetzung und Notwehr des Schuldners
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der Hervorbringung als auch bei der Beendigung nach unterschiedlichen Grundsätzen zu beurteilen sind. Während die Zielrichtung des Vertrages, die Rechtsbegründung, eine positive ist, geht es bei der auf den Rechtswidrigkeitsausschluß gerichteten Einwilligung um eine Negation 83 • Vielgestaltig sind die Unterschiede bei den jeweiligen Wirksamkeitsvoraussetzungen: a) Zum Abschluß eines Vertrages sind Angebot und Annahme erforderlich. Bei der Einwilligung reicht nach h. M.84, daß der Wille des Berechtigten dem "Täter" erkennbar geworden ist. b) Ein Vertrag kann nur unter den Voraussetzungen des § 104ff. BGB wirksam geschlossen werden. Bei der Einwilligung kommt es nach h. M.85 auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nicht an. c) Ein Verstoß gegen die guten Sitten führt gemäß § 138 BGB immer zur Nichtigkeit des Vertrages. Die Einwilligung ist in dieser Beziehung unempfindlicher. Nach überwiegender Ansicht 86 führt nämlich nicht die Sittenwidrigkeit der Einwilligung selbst, sondern nur die Sittenwidrigkeit der aufgrund der Einwilligung ausgeführten Tat zu einem rechtsHoler, S. 82. Vgl. nur Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 43 mit zahlreichen Hinweisen auf Rspr. und Lit. 85 RGSt 71/349f.; BGHSt 4/88 (90); BGHSt 5/362; BGHSt 8/357f.; BGHSt 12/379 (382); BGHSt 23/1ff.; BGH GA 1963/50; Mühlmann (Diss.), S. 24; Firnhaber (Diss.), S. 66; Geppert, S. 954; Kientzy, S. 17; Baumann (AT), S. 333f.; Maurach / Zipf (AT) Bd. 1, S. 223 RN 57; ders. (ÖJZ), S. 383; Blei (AT), S. 122; Hirsch / LK, vor § 51 RN 113; Mezger, S. 211; von Blomberg, S. 107; Rosener (Diss.), S. 126 und 146ff.; Welzel, S.96; Honig, S. 167ff.; Jescheck, S. 307; Eser, S.87; Stratenwerth (AT), RN 379; Schmidhäuser (AT), S. 116 RN 123; speziell bei Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht: Hubmann, S. 171. A. A. und für die Anwendung der §§ 104f. BGB bei Eingriffen in Vermögens- und Eigentumsrechte: Lenckner / S. / S. vor § 32 RN 39, mit der Begründung, daß wenn dem Geschäftsunfähigen im Zivilrecht verwehrt ist, wirksam über Vermögensstücke zu verfügen, diese Möglichkeit auch bei der strafrechtlichen Einwilligung in Beeinträchtigungen des Rechtsguts nicht eröffnet werden dürfe, ebenso: Dreher / Tröndle, vor § 32 RN 3; Samson / SK, vor § 32 RN 41; Traeger, S. 148f.; U. Weber, S. 279, der für eine Anwendung der §§ 104ff. im Urheberrecht stimmt; ebenso bei der Einwilligung zur Bildveröffentlichung nach § 22 KUG: OLG München AfP 82/230. A. A. und für volle Anwendung der §§ 104ff. BGB: Zitelmann, S.62; ähnlich Fischer (Rechtswidrigkeit), S.277, der sich lediglich gegen eine schablonenhafte Anwendung der §§ 104ff. BGB wehrt. 86 RGSt 74/91 (95); RG DR 1943/243 (A. A. noch RG JW 1928/2229 (2232)); BGHSt 4/88 (91); Bay ObLG VRS 53/349ff.; Dreher / Tröndle, § 226 a Anm. 10; Arzt (Willensmängel), S. 24 und 36ff.; Kientzy, S. 96ff.; Stratenwerth (AT), RN 393; Samson / SK, vor § 32 RN 46; Hirsch / LK, § 226a RN 7 m. w.N.; Geppert, S.957; Blei (AT), S. 121ff.; Maurach / Zipf (AT) Bd. 1, S. 227 RN 67; Lenckner / S. / S. vor § 32 RN 36ff.; Welzel, S. 97; Berz (GA 1969), S. 150f. A. A.: Baumann (AT), S. 337; Mezger / LK (8. Aufl.), vor § 51 Anm. 10; Hörster, S. 123ff.; Geerds (Diss.), S. 176 und 182; ders. (GA 1954), S. 268; ders. (ZStW 72), S.44. 83 84
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4. Vertragsdurchsetzung und anerkannte Rechtfertigungsgrunde
widrigen Eingriff, wobei dies nach heute herrschender Ansicht 87 entsprechend dem Wortlaut des § 226 a StGB auch nur für die konsentierte Körperverletzung gelten soll. d) Beim Vertrag führen gemäß §§ 142 Abs. 1; 119; 123 BGB Willensmängel nur zur Anfechtbarkeit, mit der Folge, daß der Vertrag bis zur Anfechtung wirksam bleibt. Im Gegensatz dazu führt bei der Einwilligung nach überwiegender Auffassung 88 - bis auf unerhebliche Motivirrtümer _89 jeder zu Fehlvorstellungen über die Bedeutung und die Tragweite der Einwilligung führende Willensmangel zur Unwirksamkeit der Einwilligung. e) Ein nichtiger Vertrag kann nachträglich konvaleszieren (z. B. gem. §§ 313, S. 2; 141 BGB). Er kann auch-zunächst schwebend unwirksammit rückwirkender Kraft durch Genehmigung wirksam (§§ 177 Abs. 1; 108 Abs. 1 BGB i. V.m. 181 Abs. 1 BGB) bzw. zunächst wirksam durch Anfechtung (§§ 142 Abs. 1; 119; 123 BGB) mit ex-tunc-Wirkung hinfällig werden. Die Einwilligung ist im Tatzeitpunkt nach h. M.90 entweder wirksam oder unwirksam. Eine nachträgliche Einwirkung auf die Wirksamkeit der Einwilligung wird fast allgemein für unmöglich erachtet. f) Der Vertragsabschluß kann grundsätzlich nach §§ 164ff. BGB durch einen Vertreter erfolgen 91 . Eine Stellvertretung im Willen ist bei der Ein-
87 Jescheck, S.304; Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 37; WesseIs (AT), S. 54; Noll (ZStW 77), S. 21; Maurach / Zipf (AT) Bd. 1, S. 226 RN 65; Zipf (EuR), S. 35; ders. (ÖJZ), S. 381; Arzt (Willensmängel), S. 37; Kientzy, S. 96f.; Stratenwerth (AT), RN 376; Hirsch / LK, vor § 51 RN 118; Eser, S. 89; Geppert, S. 956; Bockelmann (AT), S. 106; Blei (AT), S. 142; Berz (GA 1969), S. 145; Samson / SK, vor § 32 RN 45; Lackner, I15bvor § 32; Preisendanz, vor § 3211 4b) dd; zur verfassungsmäßigen Auslegung des § 226a StGB auch: Roxin (JuS 1964), S. 373; Roth-Stielow, S. 211; gegen die Vorgenannten: Welzel, S. 95. 88 Geerds (Diss.), S. 183f.; Geppert, S. 954; Mezger, S. 212; Samson / SK, § 32 RN 43; Schrey, S. 57f.; Welzel (AT) S. 95; Blei (AT), S. 122; Baumann (AT), S. 335; speziell für die Umgehung staatsrechtlicher Handlungsbeschränkungen im Wege der durch Täuschung herbeigeführten Einwilligung: Amelung (Einwilligung), S.103; A. A.: Zitelmann, S. 66; Holer, S. 99f.; für die Einwilligung in die Verarbeitung von Daten gern. § 3 BDatSchG Simitis, S. 236; für eine rechtsgutbezogene Beachtlichkeit von Willensmängeln: OLG Stuttgart NJW 1962/62; Arzt (Willensmängel), S. 19ff.; Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 46f.; Eser, S. 87. 89 RGSt 41/392 (396); BGHSt 16/309ff.; OLG Stuttgart NJW 1962/62 (63); Baumann (AT), S. 335f.; Blei (AT), S. 122; Hirsch / LK, vor § 51 RN 115; Jescheck, S. 307; Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 47; Schmidhäuser (AT), S. 118 RN 129; A. A. zum Teil Kühne, S. 245 f. 90 Eser, S. 86; Hirsch / LK, vor § 51 RN 108f.; Kühne, S. 243; Geerds (Diss.), S. 63, 8lf., 178 und 220; Lobe, S.42ff.; Kern (RG-Festschrift), Bd. 5 S. 146; Bernhöft, S. 267f.; Schubert (Diss.), S. 19; Rosener (Diss.), S. 152; Klee, S. 254; Baumann (AT), S.336. A. A.: U. Weber, S. 276 speziell zum Urheberrecht; Zitelman, S. 62 für die Anfechtung, der bei der Genehmigung aber wie die h. M. entscheidet (a. a. o. S.100ff.; 122ff.). 91 Daß dies in wenigen Ausnahmefällen höchstpersönlicher Art, wie z. B. Verlöbnis, Eheschließung etc. nicht gilt, versteht sich von selbst.
4.2. Forderungsdurchsetzung und Notwehr des Schuldners
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willigung hingegen - sofern überhaupt _92 nur in begrenztem Umfang möglich 93 • g) Auch in bezug auf die Beendigung unterscheiden sich Vertrag und Einwilligung erheblich. Beim vertraglichen Anspruch sind exemplarisch als Beendigungsgründe Anfechtung, Aufhebungsvertrag (actus contrarius), Kündigung bei Dauerschuldverhältnissen, Eintritt einer auflösenden Bedingung, Unmöglichkeit, Erlaß und Erfüllung zu nennen. Die Einwilligung wird hingegen immer einseitig durch Widerruf beseitigt94 • Die vorstehend beschriebenen Unterschiede belegen, daß für die strafrechtliche Einwilligung - im Gegensatz zum Vertrag - nicht zivilrechtliche, sondern ausschließlich strafrechtliche Grundsätze zur Anwendung kommen 95 . Einwilligung und vertragliche Eingriffsgestattung sind daher stets selbständig96 und voneinander unabhängig zu beurteilen97 • Dies ist insbesondere dann zu beachten, wenn die Selbständigkeit beider Rechtsinstitute nicht offensichtlich zutage tritt 98 , sei es, daß der Schuldner nur eine Erklärung abgibt, die sowohl als Einwilligung als auch als vertragliche Willenserklärung zu interpretieren ist, sei es, daß zwei getrennte Erklärungen abgegeben werden, dies jedoch uno actu erfolgt. Da Vertrag und Einwilligung zueinander in einem ähnlichen Verhältnis stehen wie im Zivilrecht das Kausalgeschäft zu dem abstrakten Erfüllungsgeschäft 99 , darf das Schicksal von Einwilligung und Vertrag auch nicht 92 Generell ablehnend: Geerds (Diss.), s. 67ff.; Holer, S. 120f.; Firnhaber (Diss.), S.66f.; Mezger, S. 211; Simitis, S.238 für d~p. Bereich des Datenschutzes; A. A.: Kientzy, S. 115ff.; Binding, Bd. 1 S. 715; Zipf (OJZ), S. 384. 93 Für den Ausschluß der Vertretung bei höchstpersönlichen Rechtsgütern: Blei (AT), S. 123; Traeger, S. 15lf.; Lenckner (ZStW 72), S. 462; Geerds (Diss.), S. 69 für den Ausschluß der gewillkürten Vertretung: RGSt 74/91 (93); J3lei (AT), S. 123; Stratenwerth (AT), RN 381; Mezger / Blei (StuBu), S. 123; Noll (URFG), S. 126ff.; Baumann (AT), S. 335; Köhler, S. 414f., der allerdings in Grenzen auch die Vertretung durch einen Bevollmächtigten zulassen will. 94 Siehe Fn. 58 in Kap. 4.2.3.l. 95 Baumann (AT), S. 332; Allfeld, S. 142 Fn. 37; Firnhaber (Diss.), S. 66 und 72f.; Geerds (Diss.), S. 178 und 181; Lampe, S. 49; Lobe, S. 40; Schrey, S. 57ff.; Jescheck, S. 306 (§ 34 IV 1); von Liszt, S. 218; Maurach / Zipf (AT) Bd. 1, S. 223 (§ 17 III RN 57); Traeger, S. 113; A. A.: Zitelmann, S. 62ff. bedingt durch die von ihm entwickelte Rechtsgeschäftstheorie. 96 Schenke (Diss.), S. 109; Creifelds, S. 54f.; Fischer (Rechtswidrigkeit), S. 279; von Tuhr, S. 468. 97 RGZ 131/335 (336); Creifelds, S. 51, 54, 57 und 59; Firnhaber (Diss.), S. 66 und 73; Geerds (Diss.), S. 41, 51, 80 und 220; Rosener (Diss.), S. 120f.; Sieverts, S. 238; Fischer (Rechtswidrigkeit), S.279; Mühlmann (Diss.), S. 22; Zitelmann, S.44 und 49 f.; Schenke (Diss.), S. 113 f., der die Unterscheidung bestätigt, indem er Vertrag und Einwilligung als zwei selbständige Rechtfertigungsgründe behandelt; Honig, S. 150 und 152; Keßler, S. 20f.; grundlegend zur unterschiedlichen Beurteilung der Rechtswidrigkeit im vertraglichen Schuldverhältnis und im Strafrecht Deutsch (Wahl-FS), S. 339ff. 98 Firnhaber (Diss.), S. 66 und 110. 99 Schenke (Diss.), S. 111 Fn. 9; Honig, S. 152.
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4. Vertragsdurchsetzung und anerkannte Rechtfertigungsgründe
durch entsprechende Anwendung des § 139 BGB oder durch Übertragung dogmatischer Besonderheiten von einem Rechtsinstitut auf das andere miteinander verknüpft werden100 • Das Postulat der Unwiderruflichkeit einer vertraglich erklärten Einwilligung stellt aber gerade eine solche unzulässige Gleichstellung dar, weil die für den Vertrag typische Bindungswirkung auf die Einwilligung projiziert wird. 4.2.3.4. Letztlich spricht gegen die Lösung des Problems der eigenmächtigen Durchsetzung vertraglicher Ansprüche innerhalb der Einwilligungslehre, daß mit der Formel der" unwiderruflichen Einwilligung" nur willkürliche Ergebnisse erzielt werden. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Einwilligung nur dann durch das Unwiderruflichkeitsdogma konserviert werden kann, wenn sie bereits vor der Tatausführung erklärt wurde. Ist hingegen der Schuldner vorsichtiger und erklärt nicht uno actu mit der Eingehung der vertraglichen Verpflichtung die Einwilligung zu dem Eingriff, sondern behält sich die Erteilung der Einwilligung für einen späteren Zeitpunkt vor, macht sich der eigenmächtig handelnde Gläubiger bei Ausbleiben der versprochenen Einwilligung strafbar. Dieses Ergebnis ist unbillig, weil das strafwürdige Unrecht des Gläubigervorgehens nicht höher eingestuft werden kann als in dem Fall, in dem der Schuldner zwar einwilligt, die Einwilligung jedoch vor der Tatausführung widerruft. In beiden Fällen hat der Gläubiger einen Anspruch auf die Duldung des Eingriffs gegen den Schuldner, und der Wille des Schuldners richtet sich im Zeitpunkt der Tat gegen diesen Eingriff. Daß der Schuldner in dem einen Fall vor der Tat die Einwilligung erklärt hat, kann nicht entscheidungserheblich sein. Da die Einwilligung durch Widerruf jederzeit vor dem Eingriff des Gläubigers beseitigt werden kann und der Gläubiger damit auch rechnen muß, wäre eine Privilegierung des Gläubigers nur deshalb, weil er auf den Fortbestand der Einwilligung vertraut hat, verfehlt. Vertrauenschutz darf der Gläubiger für sich nur insoweit in Anspruch nehmen, als er auf die Erfüllung der vertraglichen Zusagen vertraut hat, weil der Schuldner an seine vertraglichen Verpflichtungen gebunden ist. Nur auf die Erfüllung des Vertrages, nicht auch auf den Fortbestand der Einwilligung, darf der Gläubiger daher "bauen". Darauf daß der Schuldner seine Pflichten erfüllen wird, vertraut aber nicht nur der Gläubiger, dem bereits die Einwilligung zum Eingriff in das Rechtsgut des Schuldners erteilt wurde, sondern ebenso der Gläubiger, bei dem die strafrechtliche Einwilligung noch aussteht. Das Problem der "Anspruchsbeziehung" kann somit innerhalb der Einwilligungslehre keiner akzeptablen Lösung zugeführt werden.
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Schenke (Diss.), S. 112 Fn. 9.
5. Der vertragliche Anspruch als allgemeiner Rechtfertigungsgrund 5.1. Einführung in die Problematik Schlägt der Versuch, das durch das eigenmächtige, tatbestandsmäßige Gläubigervorgehen indizierte Unrecht durch Heranziehen anerkannter Rechtfertigungsgründe auszuschließen, fehl, so darf nicht voreilig das Rechtswidrigkeitsurteil gefällt werden. Dies wäre nur dann möglich, wenn der Katalog der Rechtfertigungsgründe abschließend und nicht erweiterungsfähig wäre!. Das Gegenteil ist der Fall 2 • Die in Art. 103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Forderung nach einer geschriebenen Regelung bezieht sich nach heute überwiegender Auffassung 3 unmittelbar nur auf die konkrete Handlungsweisen beschreibenden Straftatbestände und nicht auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe4 • Das Strafrecht kann daher im Wege täterbegünstigender Analogien oder unter Rückgriff auf gewohnheitsrechtliehe Grundlagen durch neue Rechtfertigungsgründe bereichert werden, ohne daß der Gesetzgeber bemüht werden müßte 5 • Es ist entsprechend möglich, auch auf allgemeine Prinzipien und ungeschriebene Normen zurückzugreifen. Wie die steigende Anzahl neuer übergesetzlicher Rechtfertigungsgründe dokumentiert 6 , wird von dieser Möglichkeit gerade in jüngster Zeit wegen 1 Zum Verhältnis des Vertrages zu den gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen siehe Kap.6. 2 BGHZ 24/21 (25); Geerds (Diss.), S.7, Suppert, S.297ff.; Lobe, S.37 u. 57; Schrey, S. 20; Stoll, S. 140; Kempf (Diss.), S. 47; v. Gamm (WZR), S. 459; Dreher (Heinitz-FS), S. 222 Fn. 49. Mißverständlich hier Arzt (Welzel-FS), S. 838. 3 Welzel (AT), S. 23; Jescheck (AT), S. 105 (§ 15 III); Maurach / Zipf (AT) Bd. 1, S. 105 RN 38; Dreher (Heinitz-FS), S. 222; Rudolphi / SK, § 1 RN 71; Hirsch / LK, vor § 51 RN 28; Lenckner (GA 1968), S.9; ders. (JuS 1968), S.252; Suppert, S.81 u. 293ff.; Eser / S. / S., § 1 RN 17 m. w.N. 4 Zur Unmöglichkeit einer umfassenden gesetzlichen Umschreibung von Rechtfertigungsgrunden Roxin (Strafrechtssystem), S. 29f.; Eser / S. / S., § 1 RN 17. 5 Vgl. Fn.2 in Kap. 5.1.; kritisch allerdings Kratzsch (GA 1971), S. 65ff.; Roxin (Strafrechtssystem), S. 31 f. und insbesondere zur Frage der analogen Anwendung von § 127 StPO Gribbohm (JuS 1966), S. 159 Fn. 15 u. Krey (JuS 1970), S. 291 sub. 10. Die Problematik der Ausweitung von Rechtfertigungsgrunden über den gesetzlich normierten Rahmen hinaus, welche daraus resultiert, daß mit der Anwendung neuartiger Rechtfertigungsgrunde nicht nur zugunsten des "Täters" dessen sanktionsfreier Aktionsradius vergrößert wird, sondern zugleich die Abwehrrechte des Gegners beschnitten werden, braucht hier nicht näher erörter zu werden. Siehe dazu Kap. 9.
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5. Der vertragliche Anspruch als allgemeiner Rechtfertigungsgrund
der Beengtheit des offenen Kataloges der etablierten Rechtfertigungsgründe 7 reger Gebrauch gemacht. Als Auswirkung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung 8 spielt es dabei keine Rolle, ob der zu konstituierende Rechtfertigungsgrund strafrechtlicher, zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Herkunft ist. Es stellt sich daher die entscheidende - bereits von Kempf 9 aufgeworfene - Frage, ob nicht der vertragliche Anspruch selbst als eigenständiger Rechtfertigungsgrund in Betracht zu ziehen ist. Diese Frage drängt sich aus mehreren Gründen auf. Zum einen ist dem Vertrag die von den Vertretern der Unwiderruflichkeitslehre bei der Einwilligung propagierte, auf die Einwilligung - wie ausgeführtl 0 - aber nicht übertragbare Bindungswirkung eigen. Der Grundsatz "pacta sunt servanda" ist seit altersher anerkannt l l und könnte auch ohne eine gesetzliche Normierung bei der Durchsetzung vertraglicher Ansprüche rechtfertigende Kraft entfalten 12 . Zum anderen bietet sich die rechtsgeschäftlich eingeräumte Berechtigung als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund auch deshalb an, weil dieser schon in weiten Bereichen des Zivilrechts die Aufgabe eines Unrechts ausschließungsgrundes zugewiesen wird 13 • Nimmt man den Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung ernst, kann dem vertraglichen Anspruch im Strafrecht dieselbe unrechtsausschließende Funktion nicht versagt bleiben. Außerdem spricht für die Konstituierung des obligatorischen EingriffsGenannt seien hier nur folgende Rechtfertigungsgrunde: "Pflichtenkollision" (Mangakis; Otto (PuR); v. Weber (Pflichtenkollison) jeweils a.a.O.; "Verkehrsrichtiges Verhalten"; "Sozialadäquanz"; "Erlaubtes Risiko" (zu den letztgenannten Rechtfertigungsgrunden ausführliche Übersicht bei Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 71ff.); "Präventiv-Notwehr" (Suppert, S.404); "Wettbewerbliehe Abwehr" (RG MuW 1933/71 (73); RGZ 143/362 (365) zur Ableitung von Rechtfertigungsgrunden unmittelbar aus den Grundrechten BVerfGE 25/256 (263ff.). 7 Arzt (Welzel-FS), S. 838. s RGSt 61/242 (247); Rudorff, S. 90ff.; Lobe, S. 57; Zitelmann, S. 105; Hirsch / LK, vor § 51 RN 10; ausführlicher dazu Kap. 9.2. 9 Kempf (Diss.), S. 7 u. 54. 10 Vgl. Kap. 4.2.3. 11 Siehe schon D. 2, 14, 7, 7 (Ulpian unter Berufung auf das Edikt des römischen Prätors) u. D. 2, 14, 1 pr. a. E. (Ulpian). 12 Zur gewohnheitsrechtlichen Entwicklung übergesetzlicher Rechtfertigungsgrunde RGSt 61/247; Lobe, S. 57; Kempf (Diss.), S. 38 Fn. 5 u. S. 47; Eser / S. / S., § 1 RN 17ff.; Hirsch / LK, vor § 51 RN 28; Rudolphi/ SK, § 1 RN 18. Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang insbesondere der gläubigergünstigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Kap. 1) zu (vgl. dazu Maurach / Zipf (AT) Bd. 1 (S. 105 RN 39). 13 Zum Unrechtsausschluß durch vertraglich eingeräumte Duldungspflichten im negatorischen Recht: BGH NJW 1958/2061f.; OLG Köln NJW 1955/1072; Staudinger / Gursky, § 1004 RN 136; Münch. / Komm. / Medicus, § 1004 RN 54; Palandt / Bassenge, § 1004 Anm. 7b; ausführlicher dazu Kap. 7; zur Rechtfertigung durch vertraglich eingeräumte Befugnisse im Deliktsrecht: RG LZ 1918/258 (259); Erman / Drees, § 823 RN 112; Soergel / Zeuner, § 823 RN 162. 6
5.2. Der Meinungsstand
79
rechts als eigenständiger Rechtfertigungsgrund - wie insbesondere bei den Tatbestandsuntersuchungen 14 deutlich geworden ist - der Umstand, daß damit die Einzeltatbestände übergreifende "Anspruchsproblematik" einer einheitlichen Lösung zugeführt werden kann. Dies entlastet die strafrechtliche Dogmatik erheblich. An Stelle vielfältiger, häufig die Grenzen des noch möglichen Wortsinns überschreitender Interpretationsversuche auf der Tatbestandsebene, tritt ein an wenige und klare Voraussetzungen l5 gebundener Rechtfertigungsgrund. Die einheitliche Problemerfassung unter einem neuen Rechtfertigungsgrund macht es möglich, in vielen Bereichen des Strafrechts mit einfacheren und vor allem widerspruchsfreien Doktrinen zu arbeiten l6 .
5.2. Der Meinungsstand Durchmustert man die einschlägige Literatur nach Antworten auf die Frage, ob der zivilrechtliche Vertrag als eigenständiger allgemeiner Rechtfertigungsgrund anzuerkennen ist, muß man feststellen, daß eine ergebnisorientierte Einteilung und Gewichtung der Ansichten nicht einheitlich vorgenommen werden kann. Vielmehr nimmt der Vertrag im Immaterialgüterrecht eine besondere Stellung ein, die eine gesonderte Darstellung notwendig macht. 5.2.1. Der Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Immaterialgüterrecht Im Patent-, Gebrauchsmuster-, Urheber- und Warenzeichenrecht ist h. M.l7, daß der Lizenzvertrag unabhängig von einer etwa erteilten Einwilligung18 die Nutzung geschützter Rechte rechtfertige. Mit "Lizenzvertrag" ist dabei nicht die Übertragung des dinglichen Gebrauchsrechts 19 gemeint, sondern gerade der hier interessierende Fall der Ausübung eines rein obliga14
Vgl. Kap. 3.
15 Zu den Voraussetzungen vertraglicher Rechtfertigung vgl. Kap. 15. 16 Dazu ausführlicher Kap. 14. 17 Lindenmaier (PatG), § 47 RN 15; Benkard (PatG), § 139 RN 10; Kisch (PatG), S. 424; Bernhardt (PatG), § 5511,2 (S. 311); Althammer / Busse (Pat- und Gebr. MG), S.736; Möhring / Nicolini (UrhG), § 97 Anm. 4b; Bappert / Maunz, § 28 IV, 3; v. Gamm (UrhG), § 97 Anm. 15; ders. (WZR), S. 459; Storkebaum / Kraft (WZR), § 24 RN 49; Hartgen (WZR), § 24 RN 15; Reimer / Trüstedt (WZR), S. 577, der allerdings von einem vertraglichen Verzicht auf das Verbotsrecht des Lizenzgebers spricht; ähnlich auch Troller, S. 773 u. 811 m. w.N.; Busse / Woeseler (WZR), § 24 RN 10; Zitelmann, S. 41; Traeger, S. 137 zur Patentnutzung; wohl auch BGH MDR 1973/998; A. A.: aber im Ergebnis gleich Weber (UrhG), S. 279, der von einer vertraglich erklärten, unwiderruflichen Einwilligung ausgeht. 18 Welche deshalb aber nicht ihre Funktion als Rechtfertigungsgrund einbüßt (siehe z. B. § 106 UrhG). 19 Zur Unterscheidung zwischen dinglichem Nutzungsrecht und schuldrechtlich wirkender Lizenz: BGH GRUR 1959/S. 202f. und ausführlich Troller, S. 807ff.
80
5. Der vertragliche Anspruch als allgemeiner Rechtfertigungsgrund
torischen Nutzungsrechts 20 , aufgrund dessen der Lizenzgeber dem Lizenznehmer die Benutzung des Immaterialgutes zu gestatten hat. Ein Grund für die überwiegende Anerkennung des obligatorischen Lizenzvertrages als Rechtfertigungsgrund bei strafbewehrten Eingriffen in Immaterialgüterrechte dürfte darin liegen, daß zur Erfüllung des Nutzungsanspruchs kein dinglicher Vollzugsakt erforderlich ist. Es besteht aus diesem Grunde immer eine Konkordanz zwischen zivilrechtlicher und strafrechtlicher Rechtswidrigkeit. Die zivilrechtliche Rechtmäßigkeit der Nutzung von Immaterialgüterrechten auch gegen den Willen des Lizenzgebers wird aus einer entsprechenden Anwendung des § 986 BGB abgeleitet21 • Damit wird der Versuch Schröders 22 in Erinnerung gerufen, die Rechtmäßigkeit der eigenmächtigen Zueignung beim Diebstahl mit dem Bestehen eines Übereignungsanspruches zu begründen. Im Gegensatz zu der umstrittenen23 Argumentation Schröders im Bereich der Zueignungsdelikte, ist im Immaterialgüterrecht der infolge der vertraglichen Nutzung bestehende Zustand nicht nur der zivilrechtlichen Ordnung "gemäß", er stimmt vielmehr - da das Recht keinen weiteren Vollzugsakt erwartet 24 - mit dieser ohne Einschränkung überein. Der Grundsatz "qui iure suo utitur, neminem laedit" beschreibt diese rechtliche Situation zutreffend. Rechtmäßig ist aber nicht nur der einmal eingetretene Zustand (Erfolg); rechtmäßig ist auch die Tathandlung selbst, womit bereits ein weiterer Grund für die Anerkennung des Lizenzvertrages als Rechtfertigungsgrund angesprochen ist. Während im Diebstahlsfalle bei der Tatausführung ein Eingriff in den Machtbereich des Schuldners stattfindet, der, wie Umkehrschlüsse aus §§ 859,229 BGB und anderen Selbsthilfevorschriften beweisen, zumindest in bezug auf die Durchsetzungshandlung nicht gerechtfertigt sein kann 25, und von dem Schuldner daher im Wege der Notwehr abgewehrt werden darf, verhält es sich im Immaterialgüterrecht anders 26 : 20 v. Gamm (UrhG), § 97 RN 15; ders. (WZR), S. 459; ders. (Geschm. MG), § 14 RN 14. . Dies folgt schon aus dem Umstand, daß in weiten Gebieten des Immaterialgüterrechts eine dingliche Lizenz nicht anerkannt ist: vgl. zum WZR: Busse (WZR), § 8 RN 10; Reimer 1 Trüstedt (WZR), S. 574; zum UrhG: RGZ 82/17; Bappert 1 Maunz, § 28 RN 26; Troller, S. 833; für das PatG insoweit allerdings unzutreffend Troller, S. 833. 21 BGH GRUR 1957/34; Busse 1 Woesler, § 24 RN 13 (S. 477). 22 Schröder (DRiZ 1956), S. 70. 23 Ablehnend Witthaus (Diss.), S. 21 und Hirsch (JZ 1963), S. 149ff. unter Verweis auf die Arbeiten von Scherck, S. 335 und Raape, S. 165. 24 Daß das Recht den dinglichen Vollzugsakt erwarte, wird beim Übereignungsanspruch als Argument genutzt von Firnhaber (Diss.), S. 44,46 und 50; Hirsch (JZ 1963), S. 152; Kempf (Diss.), S. 18ff. und 26f.; Bockelmann (Niederschriften Vi), S. 16f. 25 Arzt (Welzel-FS), S. 835; Welzel, S. 346; Hirsch (JZ 1963), S. 152f.; Firnhaber (Diss.), S. 47 m.w.N.; Kempf (Diss.), S. 43 und 56; Traeger, S. 138; Zitelmann, S. 36 und 39; Roxin (JuS 1964), S. 377.
5.2. Der Meinungsstand
81
Eine Veränderung der gegenständlichen Außenwelt findet nicht statt. Das geschützte Rechtsgut ist immateriell, so daß an ihm keine tatsächliche Herrschaftsgewalt ausgeübt werden kann und somit kein verbotener possessorischer Eingriff (§ 858 BGB) denkbar ist 27 . Ohne Materie ist aber auch eine Kollision mit den gesetzlichen Selbsthilfevorschriften undenkbar, da der Schuldner nicht durch Wegnahme, Sachbeschädigung, Festnahme etc. zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflicht "angehalten" wird. Der äußere Frieden, um dessen Bewahrung es in den §§ 858f. und 229 BGB geht 28 , ist im Immaterialgüterrecht nicht bedroht 29 • Ein Verstoß gegen das staatliche Gewaltmonopl ist aus diesem Grunde ausgeschlossen. Damit ist eine deutliche Ähnlichkeit des Immaterialgüterrechts mit den ebenfalls materielosen Forderungsrechten erkennbar. Bei diesen hat der Gesetzgeber im Sinne einer Vereinfachung und größeren Effektivität selbst aus der gewaltlosen und damit für die Rechtsordnung tolerierbaren Selbstbefriedigungsmöglichkeit die legislatorische Konsequenz gezogen, als er die Aufrechnungsbestimmungen der §§ 387ff.BGB schuf30 • Letztlich stellen diese Bestimmungen nichts anderes dar, als die rechtliche Anerkennung einer friedlichen Selbsthilfeform31 . 5.2.2. Der Vertrag als Rechtfertigungsgrund bei Eingriffen in materie-gebundene Rechtsgüter
Außerhalb des strafrechtlichen Schutzbereichs immaterieller Güter ist die Meinung als herrschend zu bezeichnen, die den vertraglichen Anspruch als allgemeinen Rechtfertigungsgrund ablehnt3 2 • Neben sporadischen Stellungnahmen in der älteren Literatur33 , welche sich häufig nur auf die Rechtfertigung der Mietraumnutzung aufgrund eines Mietvertrages beziehen, treten heute für eine Konstituierung des subjektiven Rechts als eigenständigen Sommerfeld (Diss.), s. 5lf.; Jaeger (Diss.), S. 66ff. A. A.: Eltzbacher (DJZ 1905), S. 240. 27 Gegen die Anerkennung immateriellen Rechtsbesitzes ausdrücklich Motive, III S. 119 und III S. 489; Soergel / Mühl, § 854 RN 8; Westermann (SR), § 27 I 1; Titze (Diss.), S. 76; Lenz, S. 418 m. w.N. und Pawlowski, S. 6 m.w.N. 28 Siehe die Nachweise in Fn. 155, Kap. 6.2. 29 Vgl. Münzberg, S. 430f.; Pawlowski, S. 17. 30 Vgl. RGSt 64/210 (212); Firnhaber (Diss.), S. 47 Fn. 3 m.w.N.; Olshausen, § 246, 12b. 31 So auch Friedemann, S. 32. 32 Zitelmann, S. 44ff.; Creifelds, S. 50 und 58; Hirsch (JZ 1963), S. 151ff.; Firnhaber (Diss.), S. 41, 44, 48, 63ff., 67, 72 und 110; Kempf (Diss.), S. 26, 42f., 56, 62 und 92; Arzt (Welzel-FS), S. 834f. 33 Binding (Handbuch), S. 88; Honig, S. 150; Traeger, S. 137 unter Berufung auf den Rechtssatz: "qui iure suo utitur, neminem laedit"; ebenso Keßler, S. 21; vgl. auch Welzel, S. 96. 26
6 H.-D. Weber
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5. Der vertragliche Anspruch als allgemeiner Rechtfertigungsgrund
Rechtsfertigungsgrund ausdrücklich 34 nur Geerds 35 und Schenke36 ein. Noll37 und Hirsch 38 sehen in den bereits unter 3.8. erörterten Fahrgastfällen speziell im Beförderungsvertrag bzw. den zugrunde liegenden Betriebsordnungen einen Rechtfertigungsgrund. Geerds führt in seiner bekannten Arbeit "Einwilligung und Einverständnis des Verletzten" aus, daß außer beim Vorliegen besonderer Unrechts ausschließungsgründe wie z. B. Notwehr, Notstand, Selbsthilfe und den Hoheitsrechten des öffentlichen Rechts auch das Verhalten eines Menschen nicht widerrechtlich sein könne, zu dem er ein subjektives Recht habe. Damit meint Geerds nicht nur dingliche Rechte39 , sondern auch die hier interessierenden rein 0 bliga torischen Ansprüche40 . Die Gefahr gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Gläubiger und Schuldner41 unter Umgehung der staatlichen Durchsetzungsorgane42 will Geerds bannen, indem er von einer rechtfertigenden Wirkung des Vertrages bei Eingriffen in die Vermögenssphäre des Schuldners nur dann ausgeht, wenn der Gläubiger den betreffenden Vermögensgegenstand in seinem unmittelbaren Besitz hat43 . Befindet sich der Gegenstand hingegen im unmittelbaren Besitz des Schuldners, so soll die rechtfertigende Kraft des subjektiven Privatrechts nicht zum Tragen kommen. Dann verbleibe dem Gläubiger zur straflosen Durchsetzung seiner Ansprüche nur noch der Rechtsweg44 . Auch Schenke45 sieht mit den gleichen besitzabhängigen Einschränkungen den Vertrag als selbständigen Rechtfertigungsgrund an. Schenke geht allerdings im Gegensatz zu Geerds, der für Eingriffe in höchstpersönliche Rechtsgüter eine Rechtfertigung nicht aufgrund eines subjektiven Rechts annehmen wi1l46 , von einem weiteren Anwendungsbereich aus, wenn er die rechtfertigende Wirkung des vertraglichen Anspruchs auch bei Eingriffen in persönliche Rechtsgüter bejaht 47 . 34 Weniger deutlich: Lobe, S. 56; Jescheck (AT 1. Aufl.), S. 249 und Noll (ÜRFG), S. 132 ff. 35 Geerds (Diss.), S. 217ff. 36 Schenke (Diss.), S. 105ff. 37 Noll (ÜRFG), S. 132. 3B Hirsch (Sozialadäquanz), S. 116. 39 Bei denen die Begehung von Eigentumsdelikten bereits mangels Tatbestandes ausscheidet. 40 Geerds (Diss.), S. 220f. 41 Dazu Geerds (Diss.), S. 223 und 225. 42 Geerds (Diss.), S. 22lf. 43 Geerds (Diss.), S. 221 f. und 225. 44 Geerds (Diss.), S. 225. 45 Schenke (Diss.), S. 108f. 46 Vgl. Geerds (Diss.), S. 221. 47 Schenke (Diss.), S. 107 insbesondere zur Freiheitsbeschränkung in den sogenannten "Fahrgastfällen ".
5.2. Der Meinungsstand
83
Geerds und Schenke begründen ihre Auffassung nicht weiter und gehen insbesondere auf die Probleme, die mit der Konstituierung des vertraglichen Anspruchs als Rechtfertigungsgrund verbunden sind, nicht ein. Weniger sparsam mit Argumenten sind die Vertreter der den Anspruch als Rechtfertigungsgrund ablehnenden Auffassung. Zitelmann 48 mißt dem vertraglichen Anspruch deshalb keine rechtfertigende Wirkung zu, weil dieser nur zum Inhalt habe, den Schuldner zu der Erklärung der strafrechtlich relevanten Einwilligung zu verpflichten. Unterbleibe diese oder widerrufe der Schuldner die Einwilligung, so verletze er zwar seine obligatorische Pflicht. Dies gebe dem Gläubiger aber keine Berechtigung, die anspruchsverwirklichenden Handlungen selbst vorzunehmen. Nur in Fällen, in denen die Anspruchsverwirklichung ohne Gewalt gegen Personen oder Störungen des Besitzes bewerkstelligt werden können - namentlich, wenn der "Täter" im Besitz der streitigen Sache sei 49 - soll der Gläubiger gerechtfertigt sein50 . Rechtfertigungsgrund sei dann aber nicht der Vertrag als solcher, sondern die darin verborgene unwiderrufliche Einwilligung5l. Auch Firnhaber52 kommt zu dem Schluß, das Rechtsgeschäft sei nur die "Hülle" der strafrechtlich allein maßgeblichen Einwilligung. Seine Auffassung, daß der Vertrag nicht selbständiger Rechtfertigungsgrund sein könne, begründet Firnhaber bei den in Frage kommenden Vermögensdelikten - auf die er seine Untersuchungen beschränkt53 - unterschiedlich: Im Fall der eigenmächtigen Sachzueignung durch den Gläubiger lehnt Firnhaber den fälligen und unbedingten Anspruch als Rechtfertigungsgrund mit dem Argument ab, die Rechtsordnung werde in unzulässiger Weise aufgespalten, wenn sich das Strafrecht nicht mit der zwischen obligatorischem und dinglichem Recht trennenden Eingentumsordnung des Zivilrechts abfinde 54 . Das Recht erwarte die Erfüllung des obligatorischen Vertrages, die nur durch Einigung und Übergabe herbeigeführt werden könne 55 . Vor der Übereignung habe der Gläubiger noch kein Recht, wie der Eigentümer mit der Sache zu verfahren. Tue er dies dennoch, verletze er die Zitelmann, S. 44 und 47. Zitelmann, S. 47, der damit jedenfalls im Ergebnis ebenso wie Geerds und Schenke entscheidet. 50 Zitelmann, S. 46f . . 51 Zitelmann, S. 45f., der zur Unwiderruflichkeit der Einwilligung zwangsläufig durch die von ihm entwickelte Rechtsgeschäfstheorie gelangt, wonach in der Einwilligung ein bindendes Rechtsgeschäft zu sehen ist. 52 Fimhaber (Diss.), S. 110. 53 Fimhaber (Diss.), S. 1. 54 Fimhaber (Diss.), S. 44ff. und 50. 55 Fimhaber (Diss.), S. 45. 48 49
6'
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5. Der vertragliche Anspruch als allgemeiner Rechtfertigungsgrund
Eigentumsordnung und handle daher rechtswidrig56 • Die Rechtsordnung mißbillige zudem grundsätzlich die eigenmächtige Durchsetzung privater Ansprüche 57 . Im Ergebnis erscheint aber auch Firnhaber eine Bestrafung des eigenmächtigen Gläubigers unangemessen. Um dem Gläubiger zur Straflosigkeit zu verhelfen, greift Firnhaber zu folgender Begründung: Wolle der Gläubiger die Sache erwerben, fehle ihm die Zueignungsabsicht. Selbst dort, wo die Zueignungsabsicht außer Frage stehe, könne noch ein entschuldbarer Verbotsirrtum vorliegen, wenn nämlich der Gläubiger meine, er dürfe sich aufgrund des bestehenden Anspruchs die Sache zueignen 58 • Bei Rechtsgeschäften, die eine Sachbeschädigung zum Gegenstand haben 59 , kommt nach Ansicht Firnhabers als Rechtfertigungsgrund ausschließlich die in dem Rechtsgeschäft enthaltene, jederzeit widerrufliche Einwilligung und nicht das Rechtsgeschäft selbst in Betracht60 . Die gegenteilige Ansicht Honigs 61 , der bei einer vertraglich erklärten Erlaubnis zur Sachbeschädigung nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung, sondern (zur Rechtfertigung) auf das eingeräumte Recht als solches abstellt, verwirft Firnhaber62 . Da der Eigentümer stets Herr des Geschehens an der Sache sei und insbesondere bei Dienst- und Werkverträgen, die notwendig einen Sacheingriff zum Inhalt haben, dem Eingriff jederzeit widersprechen dürfe, könne von der Ausübung eines eingeräumten Rechts keine Rede sein63 . Bei Rechtsgeschäften, die auf die Nutzung von Sachen gerichtet sind 64, stellt Firnhaber, wenn es anläßlich der Nutzung zu Sacheingriffen kommt, zur Rechtfertigung derselben ebenfalls nicht auf das Rechtsgeschäft ab 65 . Entspreche der Eingriff der sozialen Funktion der Sache (Abfahren der Autoreifen eines Mietwagens; Abwohnen der Mieträume etc.), liege bereits tatbestandsmäßig keine Sachbeschädigung vor 66 • Darüber hinausgehende Eingriffe, welche den objektiven Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllen, seien nicht aufgrund des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts (Pacht, Miete etc.), sondern infolge der Übertragung der tatsächlichen Herrschafts56 Firnhaber (Diss.), S. 49; ebenso Bockelmann (BT) Bd. 1, S. 23f. und Hirsch (JZ 1963), S. 151 ff. 57 Firnhaber (Diss.), S. 47. 58 Firnhaber (Diss.), S. 47. 59 Firnhaber (Diss.), S. 62 ff. 60 Firnhaber (Diss.), S. 67. 61 Honig, S. 151ff. 62 Firnhaber (Diss.), S. 64. 63 Firnhaber (Diss.), S. 64ff. 64 Firnhaber (Diss.), S. 69ff. 65 Firnhaber (Diss.), S. 74. 66 Firnhaber (Diss.), S. 70.
5.2. Der Meinungsstand
85
gewalt gerechtfertigt67 . Die Wirksamkeitsvoraussetzung dieses besonderen Rechtfertigungsgrundes soll den zur Einwilligung entwickelten strafrechtlichen Grundsätzen entsprechen68 • Im Rahmen der Bereicherungsdelikte (§§ 263 69 , 266 70 StGB) kommt nach Ansicht Firnhabers dem Rechtsgeschäft schon deshalb keine eigenständige Bedeutung als Rechtfertigungsgrund zu, weil bei der Durchsetzung eines berechtigten Anspruchs dem Schuldner kein Vermögensschaden entstehe. Thematisch beschränkt auf den Bereich der Zueignungsdelikte lehnen auch Hirsch 71 und Kempf 72 den Anspruch des eigenmächtig handelnden Gläubigers ausdrücklich als Rechtfertigungsgrund ab 73 . Hirsch verneint die Möglichkeit, den Anspruch als Unrechtsausschließungsgrund einzusetzen, weil bei der Bejahung eines der Eigentumsordnung widersprechenden Verhaltens 74 eine Rechtfertigung eigenmächtiger Anspruchsverwirklichung nur noch unter den strengen Voraussetzungen der Selbsthilfebestimmungen, insbesondere des § 229 BGB, möglich sei7 5 • Diese würden ansonsten unterlaufen 76 • Außerdem besteht nach seiner Auffassung keine Veranlassung, die Strafbarkeit des eigenmächtigen Gläubigerverhaltens - sei es durch Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsausschluß - einzuschränken. Solange der Schuldner Eigentümer sei, bestehe ein strafrechtliches Schutzbedürfnis 77 • Der Schuldner könne schließlich gute Gründe für das Nichterbringen der Leistung haben, so daß seine Position nicht als eine rein formale bezeichnet werden dürfe 78 • Daß nach allgemeiner Auffassung nur ein fälliger Anspruch zur Straflosigkeit führen kann, gibt Hirsch zu dem weiteren Bedenken Anlaß, die Schutzfunktion der Zueignungsdelikte werde auf die Beachtung von Fälligkeitsvorschriften reduziert7 9 . Ähnlich wie Hirsch leitet auch Kempf aus den gesetzlichen Selbsthilfevorschriften Argumente gegen die Konstituierung des obligatorischen GläuFirnhaber (Diss.), S. 72 ff. Firnhaber (Diss.), S. 73. 69 Firnhaber (Diss.), S. 87ff. 70 Firnhaber (Diss.), S. 97ff. 71 Hirsch (JZ 1963), S. 149 Fn. 7. 72 Kempf (Diss.), S. 45ff., 56, 62 und 92. 73 Die Rechtfertigungsfrage behandeln beide separat neben der bereits unter Kap. 3.1.1. erörterten Fragen nach dem Tatbestandsausschluß wegen der fehlenden Rechtswidrigkeit der Zueignung. 74 Nur in diesem Falle kann es zu einer Strafrechtsindikation kommen; vgl. Kap. 3.1.1. 75 Hirsch (JZ 1963), S. 149 Fn. 7 und 152. 76 Hirsch (JZ 1963), S. 152; wie zuvor bereits Zitelmann, S. 39; ebenso bezogen auf den Nötigungstatbestand Arzt (Welzel-FS), S. 835. 77 Hirsch (JZ 1963), S. 152. 78 Hirsch (JZ 1963), S. 152. 79 Hirsch (JZ 1963), S. 152. 67
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5. Der vertragliche Anspruch als allgemeiner Rechtfertigungsgrund
bigeranspruchs als Rechtfertigungsgrund ab 80 • Kempf verweist zur Begründung seiner Ansichten allerdings nicht unmittelbar auf die Exklusivität der gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen. Vielmehr nutzt er die Existenz dieser Regelung zu einem prinzipiellen Ansatz. Nach seiner Auffassung scheidet der Übereignungsanspruch als Rechtfertigungsgrund deshalb aus, weil er mit dem anerkannten 81 Rechtfertigungsprinzip der Güterabwägung nicht vereinbar sei 82 • Zwar stünde dem Interesse des Schuldners am Schutz seines Eigentums vor eigenmächtigen Eingriffen das Interesse des Gläubigers an der Befriedigung seines Anspruchs gegenüber83 • Die Güterabwägung dürfe aber deshalb nicht angestellt werden, weil es an einer wirklichen Rechtsgüterkollision fehle 84 . Wie die Selbsthilferegelung des § 229 BGB erweise85 , seien so einschneidende Maßnahmen, wie der Eingriff in ein fremdes Rechtsgut, nur dann gerechtfertigt, wenn keine andere Möglichkeit zur Wahrnehmung eigener Interessen bestehe. Von einer solchen Kollisionslage sei zugunsten des Gläubigers nur dann auszugehen, wenn die Anspruchsdurchsetzung ohne sofortiges Eingreifen ernsthaft gefährdet sei. Solange der Gläubiger sein Ziel ebenso mit den zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln erreichen könne, sei diese Voraussetzung nicht erfüllt 86 •
5.3. Kritik an der herrschenden Meinung Mit den vorstehenden Ausführungen sind die wesentlichen Argumente, die gegen die Konstituierung des vertraglichen Anspruchs als Rechtfertigungsgrund vorgetragen werden, umrissen. Die kritische Untersuchung der einzelnen Begründungen zeigt, daß den verschiedenen Argumenten qualitativ unterschiedliches Gewicht zukommt. Als bloßes Scheinargument erweist sich bei näherer Betrachtung der Hinweis darauf, daß der vertragliche Anspruch lediglich zum Inhalt habe, den Schuldner zur strafrechtlich relevanten Einwilligung zu verpflichten. Zitelmann, Firnhaber u. a. machen damit zwar zutreffend die Notwendigkeit deutlich, das obligatorische Rechtsverhältnis und die Einwilligung als wesensverschiedene Institute unabhängig voneinander zu betrachten. Die eigentliche Frage, ob dem zivilrechtlichen Anspruch bei der Rechtfertigung von Eingriffshandlungen eigenständige Bedeutung zukommt, verfolgen sie jedoch nicht, da sie von der überkommenen Prämisse ausgehen, daß strafrechtlich bedeutsam allein die Einwilligung des Verletzten sein könne. Damit wird jedoch apriori die BO
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82 83
84 85 86
Kempf (Diss.), S. 45, 56, 62 und 92. Unter Verweis auf RGSt 61/242; BGHSt 2/242 (244). Kempf (Diss.), S. 56. Kempf (Diss.), S. 55. Kempf (Diss.), S. 43 und 56. Kempf (Diss.), S. 43. Kempf (Diss.), S. 42f.
5.3. Kritik an der herrschenden Meinung
87
Sicht auf das eigentliche Problem, ob nämlich neben der Einwilligung auch der obligatorische Anspruch Unrecht ausschließen kann, verstellt. Das speziell auf den Bereich der nichtkonsentierten Sachzueignung abzielende Argument, der eigenmächtige Gläubiger verstoße gegen die Rechtsordnung, weil er vor der Eigentumsübertragung kein Recht habe, wie der Eigentümer mit der Sache zu verfahren, läßt ebenfalls keine schlüssige Beweisführung zuungunsten der vertraglichen Rechtfertigung erkennen. Der unrechtsindizierende Verstoß gegen die Eigentumsordnung ist nicht Ausschlußgrund, sondern logische Grundlage für die Anwendung eines Rechtfertigungsgrundes. Zutreffend ist allenfalls die Bemerkung, daß bei der eigenmächtigen Sachzueignung Anspruch und Realisierung desselben nicht inhaltlich identisch sind. Dies zeigt deutlich die Gegenüberstellung der Ausgangsfälle 1 und 2 mit den Fallbeispielen 3 und 4. In den Fällen 1 und 2 tun die Pächter, die aufgrund der vertraglichen Berechtigung die im Wege stehenden Bäume fällen bzw. den Rasen beschädigen, genau das, worauf ihr Anspruch gerichtet ist. Hingegen weichen die Gläubiger in den Ausgangsfällen 3 und 4 (Unterschlagungsbeispiele) durch die eigenmächtige Zueignung der geschuldeten Sachen von dem rechtlich vorgesehenen Handlungsprogramm ab. Vorgesehen ist nach dem obligatorischen Recht (§ 433 Abs. 1 BGB) die Eigentumsübertragung unter Mitwirkung des Schuldners 87 . Geht der Gläubiger eigenmächtig vor, gestaltet sich die Anspruchsverwirklichung grundlegend anders. Der Gläubiger erlangt im Wege der unkonsentierten tatsächlichen Zueignung regelmäßig 88 nur die Sachherrschaft, nicht aber das Eigentum an der geschuldeten Sache. Außerdem fehlt die anspruchs erfüllende Mitwirkungshandlung des Schuldners. Diese Abweichungen lassen aber keinen Schluß darauf zu, daß der Übereignungsanspruch zur Rechtfertigung des Gläubigers nicht geeignet sei. Wenn sich im Ergebnis nämlich der Gläubiger mit der tatsächlichen Sachherrschaft als "minus" im Vergleich zu dem Umfang seines auf Besitz- und Eigentumsverschaffung gerichteten Anspruchs begnügt, ist nicht einzusehen, warum der insoweit umfassendere Anspruch das Unrecht eines geringfügigeren tatsächlichen Eingriffs in das Eigentum des Schuldners nicht ausschließen können soll. Die fehlende Schuldnermitwirkung, welche, sofern der Gläubiger die Sache bereits besitzt, auf die Abgabe der Übereignungserklärung beschränkt bleibt, gibt ebenfalls zu einer Beurteilung zuungunsten des Gläubigers keinen Anlaß. Wie aus § 894 ZPO geschlossen werden kann, wonach auch bei der prozessualen Anspruchsdurchsetzung auf die Mitwir87 Hier ziehen allerdings Hirsch (JZ 1963), S. 149f. und Kempf (Diss.), S. 27 die Voraussetzungen zu eng, wenn sie nur auf die Anspruchsverwirklichung gemäß § 929 BGB abstellen. § 433 BGB spricht ausdrücklich weitergehend von der Pflicht des Verkäufers, das Eigentum (irgendwie) zu "verschaffen". 88 Ein einseitiger Eigentumserwerb ist nur originiär gern. §§ 946ff. BGB denkbar wie z.B. im Ausgangsfall 4. durch den Einbau der gekauften Rohre.
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5. Der vertragliche Anspruch als allgemeiner Rechtfertigungsgrund
kung des zur Abgabe einer Willenserklärung verpflichteten Schuldners verzichtet wird, kommt der tatsächlichen Mitwirkungshandlung keine entscheidende Bedeutung zu. Dem Schuldner entsteht daraus, daß der Gläubiger anstelle prozessualer Behelfe die Eigeninitiative ergreift, kein zusätzlicher Nachteil. Schließlich besteht - wie noch zu zeigen sein wird 89 - entgegen der Auffassung Kempfs keine Veranlassung, das Schutzbedürfnis (Erhaltungsinteresse) des Schuldners höher zu bewerten als das Erfüllungsinteresse des Gläubigers. Auch bei Rechtsgeschäften, die eine Sachbeschädigung zum Inhalt haben, vermag das von Firnhaber angeführte Argument der inhaltlichen Diskrepanz zwischen der rechtlich vorgesehenen und der tatsächlich ausgeführten Anspruchsverwirklichung nicht zu überzeugen. Zur Stützung der These, der Eigentümer sei immer Herr des Geschehens und brauche daher den schädigenden Eingriff nicht zu dulden, verweist Firnhaber ausschließlich auf Sacheingriffe anläßlich der Ausführung von Dienst- und Werkverträgen 9o • Wie sich aus §§ 631, 649 BGB ergibt, kann in diesem Bereich der Gläubiger jederzeit den Auftrag widerrufen und deshalb auch dem Sacheingriff ohne weiteres widersprechen. Wie Firnhaber selbst bemerkt91 , handelt es sich allerdings bei den von ihm genannten Fällen um solche, bei denen der Beauftragte zur Besorgung des Geschäftes zwangsläufig zu zerstörenden Eingriffen verpflichtet ist, selbst aber keinen obligatorischen Anspruch auf den Eingriff, sondern nur auf die Zahlung des vereinbarten Entgelts hat 92 • Gerade in den hier interessierenden - von Firnhaber ausgesparten - Fällen eines durchsetzbaren Anspruchs auf Duldung der Sachbeschädigung kann die Begründung Firnhabers nicht greifen. Schließlich verdient auch die Ansicht Firnhabers keine Zustimmung, wonach bei Rechtsgeschäften, die auf die Nutzung von Sachen gerichtet sind, die etwa mit der Nutzung verbundenen Rechtsgutsverletzungen nicht durch das Rechtsgeschäft, sondern durch die Besitzeinräumung gerechtfertigt seien. Wie bereits Schenke93 kritisch bemerkt, gewährt allein der Besitz noch kein Recht zur Vornahme von Verletzungshandlungen. Die Besitzverhältnisse sind zwar bei der Frage nach dem Unrechtsausschluß von Bedeutung, da Eingriffe in das Possessorium in Form verbotener Eigenmacht a priori rechtswidrig sind und durch neue übergesetzliche Rechtfertigungsgründe nicht gerechtfertigt werden können (§ 858 I BGB). Den eigentlichen Grund für den Unrechtsauschluß liefert aber erst das obligatorische Eingriffsrecht. 89 90
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Siehe Kap. 8. Firnhaber (Diss.), S. 64ff. Firnhaber (Diss.), S. 65f. Firnhaber (Diss.), S. 63ff. mit weiteren praktischen Beispielen. Schenke (Diss.), S. l06f. Fn. 4.
5.3. Kritik an der herrschenden Meinung
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Um die Berücksichtigung der Herrschaftsbereiche geht es letztlich auch Hirsch und Kempf, die mit dem Bedenken, rechtsgeschäftlich begründete Eingriffsrechte könnten die gesetzlichen Selbsthilferegelungen unterlaufen, das wichtigste Problem der Anerkennung des Vertrages als eigenständiger Rechtfertigungsgrund ansprechen. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob mit der Zulassung eines rechtfertigenden obligatorischen Eingriffsrechts die beim Staat monopolisierte Durchsetzungsgewalt angetastet wird. In den von Kempf und Hirsch beispielhaft genannten Raub- und Diebstahlsfällen 94, in denen es zu gewaltsamer bzw. verboten-eigenmächtigen Formen der Anspruchsdurchsetzung kommt, bestätigt ein Umkehrschluß aus §§ 859, 229 BGB diese Befürchtung und liefert in diesem Bereich ein treffendes Argument gegen die rechtfertigende Kraft obligatorischer Ansprüche. Dieses Argument verliert allerdings an Überzeugungskraft in Fällen friedfertiger Anspruchsverwirklichung. Betrachtet man z. B. die Ausgangsfälle 3 und 4, so fällt auf, daß die Zueignung ohne Wegnahme erfolgt und somit keiner der in § 229 BGB genannten Eingriffsakte vorliegt. Eine verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Soll in diesem Fall dennoch ein Verstoß gegen das staatliche Gewaltmonopol vorliegen? Soll der Gläubiger, dem aufgrund der bereits bestehenden Sachherrschaft über das Tatobjekt die tatsächliche Durchsetzung seines Anspruchs ohne Beeinträchtigung der Friedensordnung möglich ist, auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden? Die entscheidende Frage lautet, ob das staatliche Gewaltmonopol der eigenständigen Rechtfertigung durch den vertraglichen Anspruch entgegensteht oder diese nur auf friedfertige Formen beschränkt. Diesem Problem soll im nachstehenden Abschnitt nachgegangen werden, in dem auch der Vorwurf Kempfs, vertragliche Rechtfertigung sei mit den Rechtfertigungsprinzipien nicht vereinbar, sowie weitere bei der Konstituierung des Vertrages als Rechtfertigungsgrund auftretende Probleme erörtert werden.
94 Kempf (Diss.), S. lf. u. 43; Hirsch (JZ 1963), S. 149ff., der als Beispiel insbesondere den berühmten "Moos-raus"-Fall (BGHSt 17/87) benennt.
6. Die private Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol 6.1. Die private Anspruchsverwirklichung und die gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen Soweit gegen den Vertrag als Rechtfertigungsgrund im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol Einwände erhoben werden, dient zur Begründung der ablehnenden Haltung ein Umkehrschluß aus den gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen, inbesondere aus der lex generalis des § 229 BGBl. Anknüpfend an das vom historischen Gesetzgeber 2 ausgesprochene umfassende Selbsthilfeverbot wird aus § 229 BGB geschlossen, daß eigenmächtige Vertragsdurchsetzung nur im Notfalle und ausschließlich unter Gebrauch der in § 229 BGB normierten Selbsthilfemittel zulässig sei3. Neben die ordentlichen Rechtsbehelfe der Klage bzw. des Mahnverfahrens und die Eilbehelfe des Arrestes und der einstweiligen Verfügung soll als ultima ratio im Notfalle die Selbsthilfe treten, die durch das sich gern. § 230 Abs. 2 BGB anschließende Vollstreckungs- bzw. Arrestverfahren in das prozessuale System eingebunden bleibt. Diese verfahrensorientierte Sicht4 hat zur Folge, daß, sobald der Gläubiger sich anderer, vielleicht sogar schonenderer Mittel als der gesetzlich aufgeführten bedient oder es an der Dringlichkeit seines Vorgehens mangelt, eine unzulässige Umgehung des § 229 BGB und die Verletzung des staatlichen Durchsetzungsmonopols gerügt wird 5 • Darauf, daß § 229 BGB schon nach seinem Wortlaut nur bestimmte, friedensgefährdende Selbsthilfemaßnahmen, nicht jedoch die hier interessierenden gewaltlosen Selbsthilfeakte anspricht, wird nicht näher eingegangen. 1 Arzt (Welzel-FS), S. 834f.; Heyer, S. 61; Hirsch (JZ 1963), S. 149 Fn. 7 und S. 152; Kempf (Diss.), S. 42f.; Traeger, S. 138; Welzel (LB), S. 346; Wilfferodt (Diss.), S. 12. 2 Motive I, S. 353. 3 Siehe Fn. l. 4 Deutlich besonders Heyer, S. 88: "Ob die Voraussetzungen rechtmäßiger Selbsthilfe vorliegen oder nicht, darauf kommt es nicht an, da das Verfahren stets rechtswidrig ist. " 5 Siehe oben Fn. l. A. A. Schröder (DRiZ 1956), S. 70; Mohrbotter (GA 1967), S. 213. Ob dieses Urteil für alle Durchsetzungsakte gelten soll oder nur für die gewaltsame und verboten eigenmächtige (§ 858 BGB) Selbsthilfe, ist den häufig Diebstahlsfälle aufgreifenden Stellungnahmen allerdings nicht immer eindeutig zu entnehmen. Zumindest Kempf (Diss.), S. 43ff. und Heyer, S. 88, die auch Unterschlagungsfälle untersuchen, in denen die in § 229 BGB genannten Selbsthilfemittel nicht zur Anwendung kommen, entscheiden sich eindeutig für die erstgenannte Möglichkeit.
6.1. Anspruchsverwirklichung und gesetzliches Selbsthilferecht
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Richtig ist an diesem argumentativen Ansatz zwar, daß sich die Durchsetzungsakte, die der Erfüllung eines vertraglichen Anspruchs dienen, grundsätzlich an dem gesetzlich normierten Selbsthilferecht messen lassen müssen. Allein der Umstand, daß der Wille des Gläubigers nicht auf Anspruchssicherung, die der grundsätzlichen Konzeption des § 229 BGB entspricht (arg. e. § 230 Abs. 2 BGB), sondern auf endgültige Erfüllung gerichtet ist, gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß6. Zweifel muß der aus § 229 BGB gezogene Umkehrschluß aber deshalb erwecken, weil - wie durchgehend feststellbar - der Schlußfolgerung keine exakte Auslegung der Selbsthilfebestimmung vorausgeht. Steht der durch Auslegung zu ermittelnde Regelungsumfang einer Norm nicht fest, so stößt die Anwendung juristischer Schlußverfahren auf methodologische Grenzen 7 , weil dem Schluß keine festen Axiome zugrunde liegen8 . Erst wenn der Regelungsinhalt des § 229 BGB durch Auslegung ermittelt worden ist, kann entschieden werden, ob ein Umkehrschluß aus § 229 BGB auch zu dem Verbot friedfertiger Selbsthilfemaßnahmen führt, oder ob, sofern in bezug auf die friedfertige Anspruchsverwirklichung eine planwidrige Regelungslücke festzustellen ist, diese Lücke durch gesetzesanaloge Anwendung des § 229 BGB bzw. rechtsanaloge Anwendung solcher Regelungen, die sich mit friedfertigen Selbsthilfeformen befassen (§§ 387ff.; 1003 BGB etc.), geschlossen werden darf. Statt die zur Vorbereitung exakter Schlußverfahren erforderliche Interpretationsarbeit zu leisten, wird mehr oder weniger unreflektiert die Verletzung des Gewaltmonopols konstatiert und vorschnell der Umkehrschluß aus § 229 BGB unter Hinweis darauf gezogen, daß die Selbsthilfe als solche schon immer verboten gewesen sei und daß es zum Schutze des öffentlichen Friedens auch heute dabei bleiben müsse 9 • Diese der privaten Anspruchsverwirklichung außerhalb der gesetzlichen Selbsthilferegelungen ungünstige Ansicht hält einer kritischen Würdigung nur dann stand, wenn die vorstehende knappe, teils historische teils teleologische Begründung auch im Falle friedfertiger Durchsetzungsakte zutrifft. Außerdem müßte die sorgfältige Auslegung der Selbsthilferegelung tatsächlich Argumente für einen Umkehrschluß aus § 229 BGB zutage fördern.
Hirsch (JZ 1963), S. 152. Larenz (Methodenlehre), S. 376. 8 Da der Gesetzgeber, wie bereits Friedemann, S. 30 feststellt, die Definition des Begriffs der "Selbsthilfe" bewußt der Wissenschaft überlassen hat, kann der Umfang des Selbsthilferechts nicht ohne weiteres aus dem Gesetzeswortlaut ermittelt werden. 9 Mot. I, S. 352f. 6
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
6.1.1. Die Auslegung des § 229 BGB 6.1.1.1. Die wörtliche Auslegung des § 229 BGB
Geht man bei der Erforschung des Regelungsumfangs zunächst vom Wortlaut aus 10 , scheint § 229 BGB auf den ersten Blick keine besonderen Auslegungsschwierigkeiten zu bereiten. Die Tatbestandsmerkmale, die sich auf die zulässigen Selbsthilfemittel beziehen - "Wegnahme", "Sachbeschädigung", "Festnahme", "Widerstandbrechen " - enthalten keinen wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriff mit großem Bedeutungsspielraum. Über den Regelungsumfang der Norm erhält man im Wege grammatikalischer Interpretation allerdings erst dann ein vollständiges Bild, wenn festgestellt werden kann, ob der in § 229 BGB aufgeführte Katalog zulässiger Selbsthilfemittel abschließend enumerativ l l oder lediglich exemplarisch istl 2 . Die Bedeutung der Fragestellung wird deutlich, wenn man über Fallkonstellationen zu entscheiden hat, in denen der Gläubiger zu anderen als im Gesetz aufgeführten Durchsetzungsmitteln greift. Insbesondere, wenn die Durchsetzungshandlungen - wie in den Unterschlagungs beispielen der Ausgangsfälle 3 und 4 - an Gefährlichkeit weit hinter den im Gesetz genannten Selbsthilfemitteln zurückbleiben, fragt es sich, ob der Gläubiger dann nicht auch in den Genuß des Eingriffsrechts des § 229 BGB kommen kann. Bei streng grammatikaler Interpretation ist diese Frage zu verneinen, da die Eingriffsmittel in § 229 BGB enumerativ aufgeführt sind. Formulierungen wie ". . . oder in ähnlichen Fällen ... " oder ". . . insbesondere durch ... " etc., die eine exemplarische Auflistung kennzeichnen, sind in § 229 BGB gerade nicht zu finden. Die naheliegende Frage, ob der Wortlaut den tatsächlichen Regelungsinhalt des § 229 BGB eventuell nicht zutreffend wiedergibt, mithin eine extensive Auslegung angezeigt ist, kann nur aufgrund anderer Auslegungsmethoden beantwortet werden l3 . 6.1.1.2. Systematische Interpretation
Führt die Wortinterpretation nicht zu einer völlig eindeutigen Fixierung des Anwendungsbereichs des § 229 BGB, bleibt die Frage, ob sich nicht aus 10 Die schulmäßige sukzessive Erörterung der einzelnen Interpretationsgesichtspunkte erfolgt hier hauptsächlich zur systematischen Untergliederung des Argumentationsmaterials (vgl. zum Verhältnis der Auslegungskriterien zueinander: Larenz (Methodenlehre), S.328), ohne damit ignorieren zu wollen, daß die verschiedenen Interpretationsansätze sachlich ineinander verwoben sind (vgl. Müller (Juristische Methodik), S. 151). 11 So die oben Fn. 1 aufgeführten Ansichten. 12 So Heyer, S. 63. 13 Hierzu Heyer, S. 63.
6.1. Anspruchsverwirklichung und gesetzliches Selbsthilferecht
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dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes Erkenntnisse gewinnen lassen 14 • Einen solchen Bedeutungszusammenhang stellt das Gesetz über § 230 Abs. 2 bis Abs. 4 BGB zum 8. Buch der ZPO her, wenn es verlangt, daß im Falle der Wegnahme der geschuldeten Sache die Zwangsvollstreckung zu betreiben oder der dingliche Arrest bzw. im Falle der Festnahme des Schuldners der persönliche Sicherheitsarrest zu beantragen sei. In Rechtsprechung 15 und Literatur16 wird aus diesem Verweis geschlossen, daß die Selbsthilfe nur solche Maßnahmen gestatte, welche die Organe der Obrigkeit im Falle der Anrufung ihrer Hilfe selbst hätten treffen dürfen 17 . Selbsthilfe wird damit als Form privater Zwangsvollstreckung angesehen, die lediglich zur Vorbereitung der öffentlichen dientl 8 • Da die Selbsthilfe als einseitige private Durchsetzungsmaßnahme keinen rechtsgestaltenden Hoheitsakt ersetzen kann, kommt als Analogon allerdings nur die unmittelbare und tatsächliche Exekutivtätigkeit des Gerichtsvollziehers (z. B. die Wegnahme einer Sache etc.) in Betracht1 9 . Die rechtsgestaltende Vollstrekkung durch das Vollstreckungsgericht (z. B. der Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses etc.) scheidet hingegen apriori aus. Lediglich aus Gründen der Verständlichkeit beinhaltet § 229 BGB anstatt eines Verweises auf die einschlägigen Vorschriften der ZPO die Aufzählung einzelner Eingriffsbefugnisse des Gerichtsvollziehers, die im Dringlichkeitsfalle der Gläubiger selbst vornehmen dürfen soll20. Die Koppelung der Selbsthilfemittel an die prozessualen Befugnisse des Gerichtsvollziehers führt im Ergebnis zu einer restriktiven Auslegung des § 229 BGB, da alle Selbstbefriedigungsakte, die keinen Eingriff in den Herrschaftsbereich des Schuldners erfordern, außerhalb des Regelungsbereichs der Selbsthilfe liegen. Hat z. B. der Gläubiger die ihm geschuldete Sache bereits im Besitz, kommt es ihm daher nur noch auf die Übereignung der Sache an, bleibt für eine Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher keinen Raum (§ 894 ZPO!). Selbst wenn der Gläubiger entsprechend einer vorher vertraglich eingeräumten Befugnis eine in seinem Besitz befindliche Sache des Schuldners Zur systematischen Interpretation: Larenz (Methodenlehre), S. 310. RGSt 33/248 (249); RGSt 35/403 (406). 16 Staudinger / Dilcher § 229 RN 14; Soergel / Fahse, § 229 RN 10; Palandt / Heinrichs, § 229 Anm. 3; Münch. / Komm. / Feldmann, § 229 RN 5; Erman / Hefermehl, § 229 RN 6; ältere Literatur: Heyer, S. 66f.; Wilfferodt (Diss.), S. 12f.; vgl. auch Materialien Mugdan, I. S. 844. 17 Lediglich die Formvorschriften der Zwangsvollstreckung sollen für den Privaten nicht maßgeblich sein; vgl. Heyer, S. 62 und 68. 18 Heyer, S. 63. 19 Titze (Diss.), S. 125f.; Heyer, S. 65; zweifelnd allerdings Motive, I S. 354f. 20 Materialien I, S. 844. 14
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beschädigt und damit zu einem vom Wortlaut des § 229 BGB erfaßten Selbsthilfemittel greift, kann § 229 BGB die Sachbeschädigung nicht rechtfertigen, da der dem Gläubiger zustehende, auf Duldung des schädigenden Eingriffs gerichtete Anspruch nicht vom Gerichtsvollzieher vollstreckt werden kann (vgl. § 890 ZPO)21. Das in § 229 BGB genannte Selbsthilfemittel der Sachbeschädigung wird daher entsprechend § 758 ZPO nur als Hilfsbefugnis angesehen, die der Wegnahme der geschuldeten Sache bzw. der Sistierung des Schuldners dienen soll. Die in der Literatur angeführten typischen Fallbeispiele (Erbrechen von Behältnissen, in denen sich die geschuldete Sache befindet; Zerstechen von Autoreifen, um den Schuldner an der Flucht zu hindern) belegen dies 22 . Die eigenmächtige Durchsetzung der zahlreichen Ansprüche, deren Vollstreckung keinen Eingriff in den Herrschaftsbereich des Schuldners voraussetzt und daher nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtsvollziehers fällt, kann danach nicht durch § 229 BGB gerechtfertigt sein. Daß der Regelungsumfang der Selbsthilfebestimmungen auf Eingriffe des Gläubigers in den Herrschaftsbereich des Schuldners beschränkt ist, läßt sich auch nachweisen, wenn man den systematischen Zusammenhang zwischen den Selbsthilferegelungen und dem negatorischen Recht herstellt. Nach § 1004 Abs. 1 BGB hat der Eigentümer, sofern das Eigentum in anderer Weise als durch die Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wird, Beseitigungs- bzw. Unterlassungs ansprüche gegen den Störer. Diese negatorischen Ansprüche bestehen nach h. M.23 nur bei rechtswidrigen Beeinträchtigungen. Gerechtfertigte Eingriffe hat der Eigentümer hingegen nach § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden. Die Rechtsprechung 24 und die Literatur 25 gehen dabei übereinstimmend davon aus, daß die durch den Eigentumseingriff indizierte Rechtswidrigkeit der Störung nicht nur dann ausgeschlossen ist, wenn zugunsten des Störers ein herkömmlicher Rechtfertigungsgrund eingreift. Vielmehr soll sich der Störer zu seiner Rechtfertigung auch auf rechtsgeschäftlieh eingeräumte Duldungspflichten des Eigentümers berufen können. So dürfen z. B. die Pächter in den Ausgangsfällen 1 und 2 das Eigentum des Verpächters durch Fällen der Bäume bzw. 21 Nur ausnahmsweise ist der Gerichtsvollzieher gern. § 892 ZPO zuständig, nämlich dann, wenn der Schuldner Widerstand leistet, mit der Folge, daß im entsprechenden Fall auch dem Gläubiger private Selbsthilfe erlaubt ist; vgl. Heyer, S. 74. 22 Soergel / Fahse, § 229 RN 19; Erman / Hefermehl, § 229 RN 7; Enneccerus / Nipperdey, § 242 III 3; Titze (Diss.), S. 126; Kuhlenbeck (Selbsthülfe), S. 71; Heyer, S. 82f.; Cosack / Mitteis, S. 326; vgl. auch Lenckner / S. / S., § 32 RN 11. 23 Westermann (SR), § 36 I 2; ders. (JZ 1960), S. 695; Baur (SR), § 12 II 2; Erman / Hefermehl, § 1004 RN 32; Palandtl Bassenge, § 1004 Anm. 7; Picker, S. 171ff. und 175; Münch. / Komm. / Medicus, § 1004 RN 49; Deutsch (Fahrlässigkeit), S.261; Weitnauer (NJW 1962), S. 1190. 24 BGH NJW 1958/2061 f.; OLG Köln NJW 1955/1072. 25 Staudinger / Gursky, § 1004 RN 136; Münch. / Komm. / Medicus, § 1004 RN 54; Palandt / Bassenge, § 1004 Anm. 7.
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durch die Materiallagerung aufgrund der in den Pachtverträgen eingeräumten Eingriffsrechte beschädigen. Die Verpächter sind in beiden Fällen zur Duldung der Eingriffe verpfhchtet 26 • Entscheidend für die Eingriffsbefugnis des Störers ist allein die vertraglich vereinbarte Duldungspflicht des Eigentümers, ohne daß die in § 229 BGB einschränkend genannten Voraussetzungen (Vorrang hoheitlicher Maßnahmen, Vereitelungsgefahr etc.) hinzutreten müßten. Die strengen Selbsthilfevorschriften erlangen erst Bedeutung, wenn von den anspruchsverwirklichenden Handlungen des Gläubigers auch der Besitz des Eigentümers betroffen ist. In diesen Fällen der Eigentumsstörung durch Besitzentziehung oder Vorenthaltung finden die negatorischen Regelungen keine Anwendung (§ 1004 Abs. 1). Nach der gesetzlichen Systematik verhält es sich mithin so, daß der Schuldner die Anspruchsverwirklichung durch den Gläubiger und den damit verbundenen Zugriff auf das betreffende Rechtsgut aufgrund der vertraglichen Verpflichtung ohne weiteres zu dulden hat, sofern sich der Eingriff außerhalb des Herrschaftsbereichs des Schuldners vollzieht. Dringt der Gläubiger hingegen in den Herrschaftsbereich des Schuldners ein, so bleibt zur Rechtfertigung der tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung nur der Rekurs auf die dann Anwendung findenden gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen. 6.1.1.3. Historische Auslegung
Neben der Wortinterpretation und der Auslegung aus dem Regelungszusammenhang bietet die Entstehungsgeschichte einer Rechtsnorm hermeneutische Anhaltspunkte 27 • Einen wichtigen Aufschluß über den Inhalt des § 229 BGB gibt insbesondere ein dogmengeschichtlicher Überblick über das Selbsthilferecht, da der historische Gesetzgeber - wie die Motive unter Verweis auf die geschichtliche Entwicklung der Selbsthilfe offenbaren _28 im wesentlichen die tradierten Vorstellungen übernommen hat. Zugleich ermöglicht ein dogmengeschichtlicher Überblick eine kritische Auseinandersetzung mit dem gegen die eigenmächtige Anspruchsverwirklichung vorgebrachten Argument, Selbsthilfe sei schon immer verboten und nur aufgrund gesetzlicher Eingriffsrechte (Notrechte) zulässig gewesen.
26 Unmaßgeblich ist dabei, daß die Eigentümer in den Ausgangsfällen nicht unmittelbare Besitzer der Grundstücke sind, da die negatorischen Regelungen auch für die nicht besitzenden Eigentümer gelten; vgl. Palandt / Bassenge, § 1004 Anm. 3 a; RGRK / Pikart, § 1004 Anm. 130; Staudinger / Gursky, § 1004 RN 18. 27 Zippelius (Methodenlehre), S. 54. 28 Motive, I S. 352ff.
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
6.1.1.3.1. Dogmengeschichtlicher Überblick
6.1.1.3.1.1. Die Selbsthilfe im Römischen Recht Bereits in den ältesten Aufzeichnungen des Römischen Rechts, den XII Tafeln 29 , vermutet man Selbsthilferegelungen3o . Tatsächlich läßt sich aus den Tafelfragmenten eine weitgehende Mitwirkungsbefugnis des Gläubigers bei der Anspruchsdurchsetzung entnehmen. Neben der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere durch die Sistierung des Schuldners 31 , lag die Vollstreckung des Anspruchs ebenfalls in den Händen des Gläubigers 32 • Dieser durfte z. B. bei Geldschulden 30 Tage nach gerichtlicher Anerkennung der Zahlungspflicht und bei rechtskräftig entschiedener Sache den zahlungsunfähigen bzw. zahlungsunwilligen Schuldner fesseln und 60 Tage in Haft nehmen. Unterblieb dann immer noch die Zahlung und stellte sich auch kein Bürge zur Verfügung, wurde der Schuldner entweder verkauft oder getötet 33 • Da diese archaische Form der Personalexekution (legis actio per manus iniectionem) allerdings eine vorherige gerichtliche Entscheidung über den Anspruch des Gläubigers voraussetzte, kann dieser Rechtsbehelf allenfalls als Selbsthilfe im weitesten Sinne bezeichnet werden 34 • Einen Schluß auf die Zulässigkeit außerprozessualer Selbsthilfe läßt diese legis actio daher nicht ZU 35 .
Der heutigen Form der Selbsthilfe näher kam bereits die legis actio 36 per pignoris capionem. Inhaltlich handelt es sich dabei um die Erlaubnis, für einen genau umschriebenen Kreis von Ansprüchen (z. B. auf Militärsoldzah29 Zu diesem im 5. Jh. v. ehr. entstandenen, nur in Fragmenten erhaltenen Gesetz; Söllner (RRG), § 7; Düll (XII-Tafeln), Dulckeit / Schwarz / Waldstein, S. 46ff.; Voigt (XII-Tafeln). 30 Friedemann, S. 7; Söllner (RRG), S. 50; Voigt (XII-Tafeln), Bd. 1 § 53. 31 Tabula III: aeris confessi rebusque iure iudicatis XXX dies iusti sunto. post deinde manus iniectio esto. in ius ducito. ni iudidatum facit aut quis endo eo in iure vindicit, secum ducito, vincito aut nervo aut compendibus XV pondo, ne maiore aut si volet minore vincito; zit. bei Friedemann, S. 7; Söllner (RRG), S. 32ff.; grundlegend Düll (XII-Tafeln), S. 32f.; Voigt (XII-Tafeln), Bd. 1 S. 449f. 32 Voigt (XII-Tafeln), Bd. 1 S. 499f. 33 Gellius 20, 1. 46, 47: erat autem ius interea paciscendi ac, nisi pacti forent, habebantur in vinculis dies sexaginta. inter eos dies trinis nundinis continuis ad praetorem in comitium producebantur, quantaeque pecuniae iudicati essent, praedicabatur. tertiis autem nundinis capite poenas dabant, aut trans Tiberim peregre venum ibant; dazu auch Düll (XII-Tafeln), S. 80ff. 34 Kennzeichnenderweise wird in der Literatur "Selbsthilfe" häufig als Sammelbegriff benutzt, der auch Notwehr, Privatrache und andere Rechtsinstitute umfaßt; vgl. nur Voigt (XII-Tafeln), Bd. 1 S. 498ff. und Kaser (Handbuch AW), § 21 II. 35 A. A.: wohl Friedemann, S. 7. 36 Die Zugehörigkeit der pignoris capio zu den leges actiones ist umstritten; vgl. nur Kaser (Handbuch AW), § 21 II m.w.N.
6.1. Anspruchsverwirklichung und gesetzliches Selbsthilferecht
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lung oder Kaufpreiszahlung für ein Opfertier etc.) Pfändungen vorzunehmen 37 . Dieses Recht kann zwar, weil es erst nach dem Widerspruch des Schuldners zum Rechtsstreit kam 38 , als echter außerprozessualer Rechtsbehelf bezeichnet werden. Die legis actio per pignoris capionem unterschied sich aber insofern erheblich von der Befugnis, zivilrechtliche Ansprüche selbst durchzusetzen, als die zugrunde liegenden Ansprüche ausschließlich wegen ihrer öffentlichen bzw. sakralen Bedeutung privilegiert und deshalb auch dem öffentlichen bzw. dem sakralen Recht zugeordnet wurden 39 . Die Charakterisierung der pignoris capio als staatlich gewährte Selbsthilfebefugnis muß daher Zweifel erregen40 . Mißlingt mithin der Versuch, eine Bewertung der Haltung des Staates gegenüber der privaten, außerprozessualen Anspruchsdurchsetzung von den gesetzlichen Eingriffsrechten her vorzunehmen, bleibt nur die Möglichkeit, auf die bereits zu republikanischer Zeit auftretenden Selbsthilfeverbote abzustellen. Die wachsende Autorität des Staates ließ auf Dauer keine sanktionslose Ausübung willkürlicher Selbsthilfe zu41, mit der Folge, daß unbefugte Selbsthilfe als "iniuria" in der Form unbefugter Vergewaltigung (vis)42 betrachtet und unter Privatstrafe gestellt wurde43 . Diese Maßnahme bedingte eine konkrete Umschreibung der verbotenen Selbsthilfeakte. Als unbefugte Selbsthilfe galt zum einen die Gewaltanwendung4 4, soweit die XII Tafeln diese nicht ausdrücklich erlaubten (so z. B. beim ius rapere)45, zum anderen 46 aber auch der Besitzentzug gegen den Willen des Besitzers wie z. B. bei der unzulässigen manus iniecti047 oder bei der pignoris capio an fremden Sachen48 . Diese kasuistische Umschreibung sanktionierter Selbsthilfeakte läßt bereits den Schluß zu, daß entgegen anderslautender 37 Dilll (XII-Tafeln), S. 62f.; Kaser (Handbuch AW), § 2111 m.w.N.; Voigt (XIITafeln), Bd. 1 S. 502ff. m.w.N. 38 Dilll (XII-Tafeln), S. 98. 39 Kaser (Handbuch AW), § 21 11. 40 Ablehnend auch Kaser (Handbuch AW), § 21 11, Fn. 4 m. w.N.; anders allerdings Dilll (XII-Tafeln), S. 98 und Voigt (XII-Tafeln), Bd. 1 S. 502, die in der pignoris capio allerdings nur deshalb eine Selbsthilferegelung sehen, weil sie von einem sehr weiten Selbsthilfebegriff ausgehen; vgl. nur Voigt (XII-Tafeln), Bd. 1 S. 498. 41 Heyer, S. 45; Friedemann, S. 2 u. 5. 42 Cic. p. Caec. 12, 35: actio iniuriarum non ius possessionis assequitur, sed dolorem imminutae libertatis iudicio poenaque mitigat. 43 Voigt (XII-Tafeln), Bd. 1 S. 511f.; Wilfferodt (Diss.), S. 4. 44 Liebs (Römisches Recht), S. 263. 45 Voigt (XII-Tafeln), Bd. 1 S. 519 m.w.N. 46 Zu dem unbestimmten Begriff "vis" schon Krey (JZ 1979), S. 703. 47 Cic. p. Caec. 3, 9 Ulp ad Ed. (D. 47,10,15,31): si quis bona alicuius vel rem unam per iniuriam occupaverit, iniuriarum actione tenetur; dazu: Voigt (XII-Tafeln), Bd. 1 § 129. 48 D. 19, 1, 25.
7 H.-D. Weber
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
Ansichten 49 im Römischen Recht die Selbsthilfe nicht generell verboten war, sondern nur bestimmte, dem öffentlichen Frieden besonders abträgliche Selbsthilfehandlungen50 . Auch die spätrepublikanischen Gewaltgesetze offenbaren noch eine durchaus tolerante Haltung des Staates gegenüber der privaten Selbsthilfe, da weiterhin nur die gewaltsamen Auswüchse derselben sanktioniert wurden 51 . So verbot die Lex Plautia de vi (78 - 63 v. Chr.)52 - ihrem Inhalt nach ein Aufruhrgesetz _53 lediglich die bewaffnete Selbsthilfe und berührte dieses Rechtsinstitut damit nur peripher. Nichts anderes gilt für die bekannten Leges Iulia de vi publica et de vi privata 54, die sich ausschließlich gegen die qualifizierte und besonders gefährliche Gewaltform der "vis atrox" richteten. Ansonsten blieb die Selbsthilfe bis weit in die Kaiserzeit grundsätzlich zulässig 55 . Eine entscheidende Einschränkung erfuhr das Selbsthilferecht erst im 2. Jh. n. Chr. durch das Decretum Divi Marci 56 , welches für den - auch ohne vis atrox - eigenmächtig handelnden Gläubiger private Strafen androhte. Bemächtigte sich der Gläubiger einer Sache57 des Schuldners, so verlor er sein Forderungsrecht58 . In diesem Dekret wurde der Begriff der bereits von der Lex Iulia de vi privata sanktionierten Gewalt zwar erheblich erweitert59 . Es setzte aber zumindest einen eigenmächtigen Eingriff in den Besitz des Schuldners voraus. War der Gläubiger im Besitz der Sache, blieb Selbsthilfe weiterhin zulässig, die Aneignung des geschuldeten Gegenstandes mithin erlaubt60 . Siehe nur Windscheid, (3. Aufl.) S. 326. Diese Erkenntnis hatte sich erst spät durchzusetzen vermocht, siehe: Windscheid, (6. Aufl.) S. 397 u. (9. Aufl.) S. 619f. (anders noch in der 3. Aufl., vgl. Fn. 49); Puchta, S. 123 Fn. b); Heyer, S. 51; richtig auch Förster / Eccius, S. 237: "Gewalt" soll nicht öffentliche Ruhe und Sicherheit gefährden; Wesener, S. 101. 51 Vgl. Wesener, S. 101. 52 D. 43, 16, 1, 3. 53 Friedemann, S. 12f. 54 D. 48, 7. 55 Luzzatto (ZRG), S. 36 und 38f.; zustimmend auch Wesener, S. 103. 56 D. 48, 7, 7: optimum est, ut si quas putas te habere petitiones, actionibus experiaris: interim ille in possessione debet morari, tu petitor es; et cum Marcianus diceret: "vim nullam feci". Caesar dixit: "tu vim putas esse solum, si homines vulnerentur? vis est et tunc, quotiens, quis id, quod deberi: sibi putat, non per iudicem resposcit. non puto autem nec verecundiae nec dignitati nec pietati tuae convenire quicquam non iure facere. quisquis igitur probatus mihi fuerit rem ullam debitoris non ab ipso sibi traditarn sine ullo iudice temere possidere, eumque sibe ius in eam rem dixisse, ius crediti non habebit. " 57 Die Einziehung von Geldschulden wurde vom Dekretum Divi Marci zunächst nicht erfaßt; vgl. Wesener, S. 104. 58 D. 48, 7 am Ende: "ius crediti non habebit" vgl. Wesener, S. 104; Kaser (Römisches Privatrecht), 1. Abschn. § 222; Heyer, S. 45. 59 "tu vim putas esse solum, si homines vulnerentur? vis est et tunc, quotiens quis id, quod deberi sibi putat, non per iudicem resposcit." 60 Wesener, S. 104f. 49
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6.1. Anspruchsverwirklichung und gesetzliches Selbsthilferecht
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Eine Erweiterung des Dekrets durch Anordnung öffentlicher Strafen enthielt ein Gesetz Konstantins von 319 n. Chr. und die Dreikaiserkonstitution von 389 n. Chr. 61 • Nach dem erstgenannten Gesetz verlor der Gläubiger bei eigenmächtigem Vorgehen die Hälfte der geschuldeten Sachen, der bloß vermeintliche Gläubiger sogar sein ganzes Vermögen 62 • Weitergehend bestimmt die Dreikaiserkonstitution sogar, daß auch der Eigentümer, der dem Schuldner den Besitz entzog, das Eigentum verlieren 63 , und wenn er nur vermeintlicher Eigentümer der geschuldeten Sache war, um den Wert derselben bestraft werden sollte64 • Außerdem befinden sich in den Novellen Strafandrohungen für den Fall, daß der Gläubiger den Schuldner zur Herausgabe der geschuldeten Sache zwang, indem er sich Sachen eines Dritten65 oder der Kinder des Schuldners bemächtigte66 • Schließlich enthalten die justinianischen Digesten (D. 50, 17, 176) eine vom Wortlaut über das Decretum Divi Marci weit hinausgehende, auf ein umfassendes staatliches Durchsetzungsmonopol hindeutende Bestimmung, die einige deshalb als generelles Selbstbefriedigungsverbot verstehen 67 • Tatsächlich ist von einem Verbot lediglich bestimmter Selbsthilfe akte keine Rede mehr, wenn es dort heißt: "non est singulis concedendum, quod per magistratum publice possit fieri, ne occasio sit maioris tumultus faciendi "68. Bei ausschließlich grammatikalischer Interpretation liegt zwar der Schluß nahe, daß nach D. 50, 17, 176 jede - auch die gewaltlose - Art der Rechtsverfolgung dem Staat vorbehalten sein sollte. Im Zusammenhang mit anderen Digestenstellen wird jedoch deutlich, daß diese im Wortlaut zu allgemein geratene Stelle sinngemäß nur auf die eigenmächtige Besitzergreifung des Gläubigers gemünzt war69 • Darauf weist inbesondere der ursprüngliche Bezug der Stelle auf das Interdiktenrecht hin 7o , in dem die Stelle - vor der Aufnahme in den Digestentitel 50, 17 -lediglich der Auslegung einer Interdiktsformel diente 7l • Von einem absoluten Selbsthilfeverbot kann daher nicht gesprochen werden. Dazu Friedemann, S. 26. D. 9, 10, 3. 63 D. 8, 4, 13. 64 D. 8, 4, 13. 65 D. 4, 2, 13, Nov. 52 c. 1. 66 D. 4, 2, 13, Nov. 134 c. 7. 67 Vgl. nur Wesener, S. 120. 68 Übersetzung von Otto / Schilling / Sintenis, Bd. 4 S. 1283; "es ist das, was öffentlich durch die Obrigkeit bestehen kann, nicht den einzelnen (Privatpersonen) zu gestatten, damit keine Gelegenheit, einen größeren Aufruhr zu machen, vorhanden sei." 69 Kaser (Römisches Privatrecht), S. 64 Fn. 6. 70 Zum Besitzschutz durch Interdikte: Weiss, S. 145f. 61
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
Am Ende dieser dogmengeschichtlichen Entwicklung erhielt die Selbsthilfe normativ die Form, in welcher sie sich auch im kanonischen Recht präsentierte und schließlich in Deutschland rezipiert wurde 72 • 6.1.1.3.1.2. Das germanische Fehderecht bis zum ewigen Landfrieden
In Deutschland hatte die Selbsthilfe - allerdings mit erheblicher zeitlicher Verzögerung - eine ähnliche Entwicklung genommen wie im Römischen Recht. In beiden Rechtssystemen nahm sich ursprünglich sanktionslos jeder, was ihm zustand. Eine uneingeschränkte Selbsthilfeausübung bot im germanischen Raum die Fehde73 , die als älteste Form der Rechtsdurchsetzung ohne vorheriges gerichtliches Verfahren bezeichnet werden kann 74 . Sie umfaßt nicht nur die private Sanktionierung strafwürdigen Unrechts, welche bei Tötung, Verwundung und schwerer Beleidigung eines Sippenangehörigen als Blutrache auch Bürgern und Bauern erlaubt war75, sondern diente darüber hinaus Adligen, Rittern und gemeinschaftlichen Verbänden zur Regelung aller streitigen Angelegenheiten (Ritterfehde)16, insbesondere auch der Duchsetzung privater Ansprüche 77 • Um diesem ursprünglichen "bellum omnium contra omnes"78, der zur Dezimierung ganzer Sippen79 und zu unbeschreiblichen Verwüstungen führte, Einhalt zu gebieten, verboten bereits in germanisch-fränkischer Zeit in bestimmten Territorien Volksgesetze80 die Fehde oder schränkten diese zumindest auf bestimmte Notfälle ein. Dem Gläubiger wurde als Ausgleich zur Sicherung seines Anspruches häufig ein Privatpfändungsrecht zugestanden81 . Die Fehde konnte durch diese Bestimmungen allerdings nur eingedämmt, nicht aber völlig abgeschafft werden. Das Fehlen einer straffen Zentralgewalt führte im frühen 71 Lenel (Palinginesia), S. 1167, der D. 50, 17, 176 unter der Überschrift "de interdictis" (S. 1176) aufführt; ausführlich dazu Aru, S. 116ff.; Wesener, S. 120; wohl auch Kreller, S. 5. 72 Heyer, S. 46 m. w.N. zum kanonischen Recht. 73 Courakes, S. 28 Fn. 52 u. S. 53. 74 Heyer, S. 47; Kuhlenbeck (Selbsthülfe), S. 14; Friedemann, S. 4. 75 Brunner, S. 19ff. 76 Dies war die Fehde im eigentlichen Sinne; vgl. Brunner, S. 19ff.; Eb. Schmidt (G. d. Strafrechtspflege), S. 48. 77 Vgl. z. B. die Fehde Georg von Pucheim gegen Friedrich 111 1453, die der Durchsetzung eines Aufwendungsersatzanspruches diente, oder die Fehde des Gamaret Fronauer gegen Friedrich III 1460 (Darstellung jeweils bei Brunner, S. 12ff. bzw. 44f.). 78 Kroeschell, Bd. 1 S. 45; Krusch / Levison, Buch VII Kap. 47; Ek. Kaufmann (JuS 1961), S. 85. 79 Als anschauliches Beispiel sei die Sicharfehde benannt (Darstellung bei Ek. Kaufmann (JuS 1961), S. 85ff. 80 Z. B. L. Salica (507 - 511) 37 §§ 1 - 3; L. Luitprandi (733) c. 15,41134; L. Visigothorum (506) VI, 1, 7; L. Baiuv. (741 - 744) XII c I u. III, 1; L. Burgund. (506) 2, 9; Edicturn Rothari (643) 249/250; Edictum Theod. (ca. 460) 123/124. 81 Vgl. z. B. die Leges Liutprandi (733) c. 15; eines der wenigen Landesgesetze, das keine Privatpfändung zuließ, war das L. Visigothorum (506); vgl. dazu Heyer, S. 50.
6.1. Anspruchsverwirklichung und gesetzliches Selbsthilferecht
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Mittelalter vielmehr erneut zu einer zunehmenden Bedeutung des Fehdewesens82 . Mitursächlich für diese Renaissance der Fehde war zudem die mittelalterliche Denkweise, in der Verzicht auf ein subjektives Recht zugleich Ehrverlust bedeutete 83 . Aus dieser Anschauung heraus bestand nicht nur ein Recht, sondern sogar eine Pflicht zur eigenmächtigen Selbsthilfe84, die als legitime Form der Wiederherstellung des Rechts verstanden 85 und erst in späterer Zeit als primitives Faustrecht diskreditiert wurde 86 . Die verheerenden Folgen der mit aller Heftigkeit auflebenden Privatkriege waren Anlaß zu dem Bestreben um eine Einschränkung des Fehderechts durch die Gottes- und Landfriedensbewegung87. Um eine erste zeitliche Eingrenzung durch ein Fehdeverbot an bestimmten Tagen bemühte sich die an den Sonderfriedensgedanken des Frühmittelalters anknüpfende 88 Gottesfriedensbewegung, die nach der cluniacensisehen Reform von der Kirche ausging und erstmals im 11. Jahrhundert zur Verkündung sogenannter Gottesfrieden führte 89 . Die Einschränkung des Fehdewesens war auch das Ziel der nachfolgenden Landesfriedensbewegung des 12. Jahrhunderts 90 . Ein erstes absolutes Fehdeverbot, welches sich aber als undurchführbar erwies 91 , sprach auf Reichsebene der Landfrieden von 1152 aus 92 . Die zahlreichen nachfolgenden Landfrieden 93 ließen die Fehde wieder zu, stellten diese aber unter strengere Voraussetzungen 94 . So war reichsrechtlich seit dem Landfrieden Friedrichs 1. von 1186 die Ansage der Fehde 95 und seit dem Mainzer Landfrieden von 1235 die vorhergehende Klage 96 Vorbedingung "rechter Fehde". Merten, S. 33; Quaritsch, S. 125; His, Bd. 1 S. 263f. Brunner, S. 23 u. 49; Merten, S. 34. 84 Brunner, S.48; Kuhlenbeck (Selbsthülfe), S. 16, der von der Selbsthilfe als Grundrecht des Individuums spricht. 85 Merten, S. 33f.; Schmidt (G. d. Strafrechtspflege), S. 23. 86 Gegen eine solche Diskreditierung Schmidt (G. d. Strafrechtspflege), S. 47. 87 Brunner, S. 18; Schmidt (G. d. Strafrechtspflege), S. 48ff.; Gernhuber (Landfrieden). 88 HRG / Kaufmann, S. 1088; His, Bd. 1 S. 3ff. 89 1043 führte Heinrich der III. und 1085 Heinrich der IV. den Gottesfrieden in Deutschland ein. Abdruck des Gottesfriedens für die Kölner Kirchenprovinz von 1083 bei Kroeschell, Bd. 1 S. 187ff. 90 Der erste Landfrieden für das Deutsche Reich war 1103 der Mainzer Frieden Heinrich IV.; vgl. Kroeschell, Bd. 1 S. 192; zu vorhergehenden Friedensgesetzen der Einzelstaaten His, Bd. 1 S. 8. 91 Kuhlenbeck (Selbsthülfe), S. 17; Brunner, S. 34. 92 Nachweise bei His, Bd. 1 S. 17 u. HRG / Kaufmann, S. 1088. 93 Vgl. His, Bd. 1 S. 8ff.; Heyer, S. 49. 94 HRG / Kaufmann, S. 1088; Kuhlenbeck (Selbsthülfe), S. 17; His, Bd. 1 S. 17 f. 95 His, Bd. 1 S. 275. 96 Brunner, S. 49; His, Bd. 1 S. 18 und 277; HRG / Kaufmann, S. 1089; Kuhlenbeck (Selbsthülfe), S. 17. 82
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
Die rechtlichen Voraussetzungen für die endgültige Bekämpfung des Fehdewesens wurden mit dem absoluten Fehdeverbot des Wormser (Ewigen) Landfriedens von 1495 und durch die gleichzeitige Errichtung des Reichskammergerichts geschaffen97 • Da mangels einheitlicher einheimischer Rechtsquellen an das Kammergericht die Weisung erging, "nach des Reiches und gemeinen Rechts zu urteilen", erreichte damit zugleich die Rezeption des Römischen Rechts ihren Höhepunkt 98 • Den tatsächlichen Erfolg im Kampf gegen die Fehde brachte schließlich das Funktionieren des Reichskammergerichts und die Reichsexekutionsordnung von 1555 99 • Absolutes Fehdeverbot bedeutete aber keineswegs die Unterbindung aller Formen der Anspruchsdurchsetzung. Wie bereits der Wortlaut des Ewigen Landfriedens von 1495 offenbartl 0o , betraf das Fehdeverbot nur gewaltsame Akte der Selbsthilfe 101 : ,,§ 1 ... den anderen bevehden, bekriegen, berauben, vahen, überziehen, belagern - sloß, stete, merkt, bevestigung, dorfer, hove oder weiler absteigen oder an des anderen Willen mit gewaltiger tat frevelieh einnehmen oder geverlich mit brand oder in anderer wege der massen beschedigen solle ... ". Gewalt, Verletzung des befriedeten Besitztums und verbotene Eigenmachtl 02 nach heutigem Verständnis 103 waren die Mittel, mit denen der zur Fehde Greifende die Anerkennung seines Rechtsstandpunktes erzwingen wollte und die es mit der Friedensbewegung zu bekämpfen galt. Da somit friedfertige Formen der Anspruchsverwirklichung nicht erfaßt wurden, darf das absolute Fehdeverbot des Ewigen Landfriedens nicht mit einem umfassenden Selbsthilfeverbot gleichgesetzt werden.
Brunner, S. 34; His, Bd. 1 S. 19; Kuhlenbeck (Selbsthülfe), S. 17f. Vgl. Heyer, S. 5l. 99 Zu einer Schwächung der Friedensbewegung trug zwischenzeitlich die Fehderegelung der Constitutio Criminalis Carolina bei, die wiederum zwischen rechtmäßiger und unrechtmäßiger Fehde unterschied (vgl. dazu Brunner, S. 34 und HRG / Kaufmann, S. 1092). 100 Abgedruckt in: Neue und vollständige Sammlung der Reichsabschiede, Neudruck der Ausgabe von 1747, Osnabrück 1967, Bd. II S. 3ff. und bei Eb. Schmidt (G. d. Strafrechtspflege), S. 52f. 101 Vgl. die Gewaltdefinition im Weistum des Wiener Hofgerichts von 1369, wiedergegeben bei Brunner, S. 97: "wenn ein Herr oder ein anderer Mann mit offenen Banner in Burg oder in ein Haus zieht oder in diese eindringt, wenn ein Edelmann mit bewaffneter Hand Tür und Tor aufstößt oder sie beschädigt, schließlich wenn er Sachen, an denen ein Gegner eine rechte Gewehre hat, Eigen, Leben, Burg- oder Bergrecht oder fahrende Habe in der Burg und im Felde entwertet." 102 Unter Raub im mittelalterlichen Sprachgebrauch wurde auch die offene Wegnahme einer fremden Sache verstanden, so daß auch ein gewaltloser Gewahrsamsbruch als Raub bezeichnet wurde; vgl. His., Bd. 2 S. 201 ff.; Brunner, S. 84. 103 Brunner, S. 80. 97 98
6.1. Anspruchsverwirklichung und gesetzliches Selbsthilferecht
103
6.1.1.3.1.3. Die Selbsthilfe im gemeinen Recht und in den Partikulargesetzen In den neuzeitlichen Kodifikationen erfuhr das übernommene römischrechtliche Selbsthilfesystem erhebliche Veränderungen 104 . Als erstes entfielen die Privatstrafanordnungen 105 . Im ALR106 und in den meisten Länderstrafgesetzbüchern finden sich nur strafrechtliche Sanktionen 107 . Diese knüpfen allerdings an unterschiedliche Tatbestände an. So beinhalten einige Strafgesetzbücher108 Strafanordnungen nur für die gewalttätige Selbsthilfe. Andere Gesetzbücher lassen eine solche Eingrenzung hingegen nicht erkennen 109 . Mehrdeutige Selbsthilferegelungen enthält insoweit das ALR. Während ALR Einl. § 77 lediglich die gewaltsame Verschaffung des Rechts untersagte, waren die Strafregelungen in ALR II 20 § 157ff. vom Wortlaut her der Selbsthilfe wesentlich ungünstiger. So läßt ALR II 20 § 157 die in § 77 Einl. ALR enthaltene Einschränkung auf gewaltsame Verschaffungsakte nicht erkennen, wenn es dort heißt: "Wer in Vorbeygehung der Obrigkeit, sich selbst, ohne besondere Zulassung der Gesetze Recht verschaffen sucht ... ". Ein allumfassendes Selbstbefriedigungsverbot kann dem im Wortlaut zu weit geratenen ALR II 20 § 157 dennoch nicht entnommen werden. Vielmehr lassen schon die possessorischen Regelungen, insbesondere ALR I 7 § 144ff., die dem Besitzherrn den Gewahrsamsentzug - ohne gleichzeitige Störung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit - gegen den Sachinhaber (Besitzdiener) erlaubten, den Schluß zu, daß auch ALR II 20 § 157 sinngemäß zumindest ein Eindringen in einen fremden Herrschaftsbereich voraussetzte. Bereits Klein llo , der Mitverfasser des ALR, vertrat zutreffend die Auffassung, daß ALR II 20 § 157 einschränkend auszulegen und die Selbsthilfe nur dann verboten sei 111 , wenn die Inanspruchnahme obrigkeitlicher Hilfe unbedingt erforderlich ist. Dies war nach Meinung Kleins aber nur bei gewaltHeyer, S. 51ff.; Kuhlenbeck (Selbsthülfe), S. 20. Heyer, S. 53f.; Wilfferodt, S. 5. 106 ALR II 20 § 157ff. abgedruckt bei Hattenhauer. 107 Zur unterschiedlichen systematischen Zuordnung der Selbsthilfe in den Strafgesetzbüchern Beyer (LB), § 213 S. 457 Fn. 2. 108 StGB von Hessen von 1841 § 167; StGB für Braunschweig von 1840 § 118; StGB für Hamburg von 1869 § 98. 109 StGB für Bayern von 1813 Art. 420ff.; StGB für Oldenburg von 1814 § 449; StGB für Württemberg von 1839 § 200; StGB für Sachsen von 1838 § 204; StGB für Baden von 1845 § 279. 110 Klein (Peinliches Recht 1809), § 189 S. 358f. 111 Die Ansichten Kleins und der nachstehend genannten Autoren beziehen sich zwar auf den Umfang strafrechtlich sanktionierter Formen der Selbsthilfe. Aus dem Gesamtzusammenhang ergeben sich allerdings Anhaltspunkte dafür, daß diese nachdem auch die Privatstrafandrohungen entfallen waren - die strafrechtlich nicht relevanten Selbsthilfemaßnahmen als erlaubt ansahen. 104 105
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
samen Eingriffen, Störungen des Hausfriedens und bei unkonsentierten Besitzergreifungen der Fall l12 • Daß von dem Selbsthilfeverbot des Pr. ALR nicht alle, sondern nur besonders friedensgefährdende Selbstbefriedigungsakte des Bürgers, nämlich Gewalt und verbotene Eigenmacht betroffen wurden, bringt auch der Hauptverfasser des ALR, Svarez ll3 , in den berühmten "Kronprinzen-Vorträgen" zum Ausdruck. Svarez hält damit letztlich die bereits zuvor in der Kameralwissenschaft vertretene Auffassung aufrecht, wonach der Sinn des Selbsthilfeverbotes insbesondere in der Unterbindung eigenmächtiger Besitzergreifung lag114 • Schließlich wurden in den Partikulargesetzen auch die strafrechtlichen Sanktionen der Selbsthilfe aufgehoben l15 , da man nunmehr davon ausging, mit der Erfassung besonders schwerer Straftatbestände wie Raub, Erpres112 Klein (Peinliches Recht), § 189 S. 358f.: " ... die bloße Selbsthülfe ... ist nicht strafbar; sie wird es nur durch die damit verbundene Gewalt oder durch die Störung des Hausfriedens ... Hiernach scheint es, als solle die bloße Selbsthülfe bestraft werden; allein der § phus 157 setzt die Bedingung hinzu, wenn sich jemand mit Vorbeygehung der Obrigkeit, ohne besondere Zulassung der Gesetze, Recht zu verschaffen sucht; dies gibt zu erkennen, daß ein Fall vorausgesetzt wird, wo die obrigkeitliche Hilfe nöthig war; dies ist aber nicht möglich, wo es keinen Beklagten gibt, und ich meine Sache ohne Widerspruch eines Anderen wieder zurücknehme; man muß aber auch wohl den Fall ausnehmen, wo zwar die obrigkeitliche Hilfe gedacht werden konnte, aber es deren gar nicht bedurfte, weil die Sache ohne Beleidigung eines Anderen wieder in den vorigen Zustand gebracht werden konnte, z. B. wenn ich den mir gestohlenen Hund auf der Straße antreffe, ihn anrufe und mit nach Hause nehme, ob ich gleich den Dieb kenne und ihn wegen Auslieferung des Hundes hätte belangen können, wenn der Zufall mir nicht auf eine kürzere Art geholfen hätte. Widerspricht aber der Besitzer meiner Besitznehmung, und ist dieser eine Person, die ich belangen kann, so muß ich den Weg Rechtens wählen." Weniger deutlicher ders. (Grundsätze), S. 32ff., wo Klein zwischen Selbsthilfe und Notwehr nach heutigem Verständnis nicht eindeutig unterscheidet und auch die gewaltlose Selbsthilfe als Sonderrecht auffaßt, das wohl nur bei Abwesenheit obrigkeitlicher Hilfe eingreifen soll. 113 Conrad / Kleinheyer, Carl Gottlieb Svarez, Vorträge über Recht und Staat, S. 243f.: "Wenn also ein Bürger des Staats sich in dem Fall zu befinden glaubt, wo er im Stande der Natur Zwang gebrauchen könnte, um sich gegen unbefugte Störungen im Besitz und Genusse des seinigen zu schützen und andere zur Erfüllung ihrer Pflichten gegen ihn zu nötigen, so muß er diesen Zwang nicht durch sich selbst ausüben, er muß sich nicht durch eigenmächtige Gewalt Recht schaffen wollen, sondern er muß den Schutz der Obrigkeit anrufen und von hier erwarten, daß sie ihm zu dem Seinigen nach dem Gesetz des Staates verhelfe." Ähnlich später auch Abegg (LB) 1836 § 453f., S. 582f. und Berner (LB) 1857, § 213, S. 455ff., die auch die Selbsthilfe im engeren Sinne nur im Falle gewaltsamen Vorgehens für unzulässig erachten. 114 Vgl. Justi, § 364 S. 310f.: " ... es muß dannen-hero kein Vorwand der Selbsthülfe zur Entschuldigung dienen; und die Besitzergreifung, diese so sehr gewöhnlichen Titel der Selbsthülfe, wodurch so viel Gewalttätigkeiten und zuweilen Blutvergießen und Unglück veranlasset werden, reichen der Beschaffenheit unserer bürgerlichen Gesetze zu schlechter Ehre ... ; so kann es jedermann gleichgültig seyn, ob er ein viertel Jahr eher zu dem Besitz seines Gutes gelanget, oder nicht, deren Nutzungen ihm von dem unrechtmäßigen Besitzer auf das genaueste ersetzet werden müssen. 115 Vgl. Preußisches StGB von 1851; Bayerisches StGB von 1861; ReichsStGB von 1871.
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sung etc. auskommen zu können, ohne die Selbsthilfe als solche unter Strafe stellen zu müssen 116 . Für den rechtlichen Charakter einer Handlung verlor damit der Selbsthilfezweck seine Bedeutung, der nunmehr eine rechtswidrige Handlung nicht zu einer rechtmäßigen, und eine rechtmäßige nicht zu einer rechtswidrigen ändern konnte 117 • Auf den Abbau der Rechtsnachteile unrechtmäßiger Selbsthilfe folgte der Ausbau des Selbsthilferechts als Notinstitut. Bereits das ALR Einl. § 78 118 ließ die Selbsthilfe in Notfällen ausdrücklich ebenso zu wie das Gesetzbuch des Königreichs Sachsen §§ 179 f., das als Selbsthilfe die Wegnahme der Sache, die Nötigung sowie die Festnahme des flüchtigen Schuldners vorsah119 • Der Gesetzgeber des BGB setzte diese Entwicklung in den §§ 229 f. BGB weiter fort1 20 und ergänzte durch die Überleitung der Privatvollstreckung in das Arrestverfahren (§ 230 II BGB) das Selbsthilferecht zur prozessualen Seite hin 121 . 6.1.1.3.2. Zusammenfassung
Aus der dogmengeschichtlichen Entwicklung der Selbsthilfe lassen sich zusammenfassend folgende Erkenntnisse gewinnen: Selbsthilfe war zu Anfang Urrecht. Erst die erstarkende staatliche Macht drängte sie soweit zurück, als sie dem einzelnen hoheitliche Durchsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen konnte 122 . Dies führte jedoch nicht zu einer völligen Beseitigung, sondern lediglich zu einer Einschränkung der Selbsthilfebefugnis. Gewaltbeschränkung durch die Untersagung friedensgefährdender Selbsthilfeakte war das Ziel auch solcher Regelungen, deren Formulierungen eher auf ein umfassendes Selbsthilfeverbot hindeuteten. 6.1.1.4. Teleologische Inerpretation
Die in den Motiven 123 erkennbare Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers, wonach die Selbsthilfe grundsätzlich unerlaubt war, kann 116 117 118
S.76.
Heyer, S. 54, Windscheid (6. Aufl.) S. 397. Titze (Diss.), S. 69 m. w.N.; Heyer, S. 54; Windscheid (6. Aufl.) S. 396f. Der allerdings als Entschuldigungsgrund konzipiert war, vgl. Rönne, Bd. 1
Heyer, S. 55. Vgl. §§ 188ff. des Entwurfs, siehe auch Motive, I S. 352ff. 121 Heyer, S. 56. 122 Courakis, S. 58 Fn. 127 m. w. N.; zu den materiell-rechtlichen Grundlagen siehe: Hufeland, S. 250ff.; Höpfner, S. 187f. 123 Motive, Bd. 1 S. 352. 119
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nicht alleiniger Auslegungsmaßstab sein. Dagegen spricht bereits die Erkenntnis, daß die Rechtsinstitute nicht in der einmal vom Gesetzgeber geschaffenen Form bestehen, sondern einer eigenständigen dynamischen Weiterentwicklung unterliegen 124 . Zur Auslegung eines Gesetzes ist man daher neben den gesetzgeberischen Intentionen auf objektiv-teleologische Kriterien 125 angewiesen. Dies zwingt zur Konzentration auf die Ratio der Selbsthilfebestimmungen. Zweck der Selbsthilferegelungen ist zum einen die Verwirklichung des Individualgüterrechtsschutzes durch Gewährung von Selbsthandlungsbefugnissen 126 , zum anderen der Friedensschutz 127 durch Zulassung nur begrenzter Selbsthilfemittel. Dem Friedensschutzgedanken entsprechend soll sich der Bürger grundsätzlich der prozessualen Rechtsbehelfe bedienen und sich nicht durch gewaltsame und damit friedensgefährdende Selbsthilfeakte die Erfüllung seines Anspruchs verschaffen 128 . Da andererseits der Güterschutzgedanke stark vernachlässigt würde 129 , wenn der Anspruchsberechtigte außer den prozessualen keine anderen Möglichkeiten der Rechtssicherung hätte, kann der Staat, sofern die von ihm zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe nicht mehr rechtzeitig zum Ziele führen, kein absolutes Selbsthilfeverbot statuieren. Der Kompromiß zwischen den kollidierenden Interessen (Friedensschutz und Rechtsgüterschutz) findet sich in der Ausgestaltung der Selbsthilfebefugnis als Notrecht unter enumerativer Auflistung zulässiger Eingriffsmittel. Liegt nun aber bereits in bestimmten Fallkonstellationen, in denen der Gläubiger ohne Gewalt und ohne verbotene Eigenmacht seinen Anspruch verwirklichen kann, keine Friedensgefährdung vor, so fehlt es an der in § 229 BGB geregelten Kollisionslage, und für die Zulassung der Vertragsdurchsetzung nur im Dringlichkeitsfalle besteht keine Notwendigkeit. Dies um so weniger, als der Verweis auf die prozessualen Rechtsbehelfe an sich schon eine Verkürzung des materiellen Rechts bedeutet, weil - wie bereits ausgeführt - der Gläubiger auf diesem Wege das, was er zu beanspruchen hat, nämlich die Leistung im Fälligkeitszeitpunkt, nicht mehr erlangen kann 130 • Dem Gläubiger die Möglichkeit der Selbstverwirklichung seines Anspruchs selbst dann zu verwehren, wenn 124 Vgl. Engisch (Methodenlehre), S. 90; beispielhaft insoweit die Kritik Felbers (Diss.), S. 179 an H. Mayers ausschließlich historischer Auslegung der Notwehrregelung. 125 Zur teleologischen Interpretation Larenz (Methodenlehre), S. 319ff. 126 Staudinger / Dilcher, § 229 RN 1; RGRK / Johannsen, § 229 RN 1; Wilfferodt (Diss.), S. 14ff. 127 Motive, Bd. 1 S.352; Roxin (JuS 1964), S.377; zum Friedensschutz durch Gewaltmonopolisierung auch Scholz (NJW 1983), S. 707. 128 Pawlowski, S. 17; Scholz (NJW 1983), S. 707. 129 Ahsbahs (Diss.), S. 41; Felber, S. 88; Suppert, S. 374, die den Gedanken aufgreifen, daß Rechtseinräumung ohne gleichzeitige Befugnis, den Bestand des Rechts zu wahren, sinnlos ist. 130 Arzt (Schaffstein-FS), S. 80.
6.1. Anspruchsverwirklichung und gesetzliches Selbsthilferecht
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unter dem Gesichtspunkt des Friedensschutzes dafür kein Grund besteht, wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in das subjektive Recht. Zu den Fällen, in denen bei der Durchsetzung des Anspruchs tätliche Auseinandersetzungen zwischen Gläubiger und Schuldner nicht zu befürchten sind, gehört die Nutzung von Immaterialgüterrechten, da mangels Sachgewalt des Schuldners über einen körperlichen Gegenstand131 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den Vertragsparteien nicht auftreten können 132 • Gleiches gilt aber auch für den Gläubiger, der einen Anspruch auf eine Sache hat, sofern er diese bereits besitzt. Die Selbstbefriedigung, die der Gläubiger nämlich in seinem eigenen Machtbereich vollzieht, ist keine Friedensstörung. Hat der Berechtigte bereits die Sachherrschaft erlangt, wird somit bei außerprozessualer Anspruchsverwirklichung der Regelungsbereich des § 229 BGB nicht berührtl 33 . Losgelöst von den genannten Beispielsfällen, zu einem übergreifenden Grundsatz verallgemeinert, bedeutet dies, daß das staatliche Gewaltmonopol sich nicht auf solche Durchsetzungsakte erstreckt, bei deren Vornahme nicht in die räumliche Herrschaftssphäre anderer eingegriffen wird 134 • Diese Annahme wird durch zahlreiche gesetzliche Wertungen in anderen Regelungsbereichen bestätigt. Wie unter 5.2.1. bereits angesprochen, hat der Gesetzgeber durch die Zulassung der Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) eine friedfertige Form der Anspruchsverwirklichung akzeptiertl 35 . Daß die friedfertige Anspruchsdurchsetzung aber auch über den immaterialgüterrechtlichen Bereich hinaus Anerkennung findet, beweisen vor allem die Regelungen über den privaten Pfand- und Selbsthilfeverkauf (§§ 1221; 1235 BGB; 383; 385; 398 f. HGB) sowie über das Befriedigungsrecht des Zurückbehaltungsberechtigten (vgl. nur §§ 1003 BGB und 371 HGB). Bei diesen Selbsthilfeverfahren136 ist ebenfalls zur Anspruchsverwirklichung durch den besitzenden Gläubiger keine Gewalt oder Beugung fremden Willens erforderlich, weshalb sie an die strengen Voraussetzungen des § 229 BGB nicht gebunden sind 137 , und der Gesetzgeber insbesondere auf die Ausgestaltung als reines Notrecht verzichten konnte. 131 Daher stößt auch das Institut des Rechtsbesitzes auf Ablehnung; vgl. Motive, Bd. III S. 119; Pawlowski, S. 6ff. 132 Pawlowski, S. 17; siehe dazu auch Kap. 5.2.1. 133 Erman / Hefermehl, § 229 RN 1; undeutlich Schröder (DRiZ 1956), S.69f.: ,,§ 229 beschäftigt sich mit der Art und Weise der Durchsetzung von Ansprüchen." 134 So bereits Pawlowski für das Immaterialgüterrecht, S. 17. Da der gewaltlose, besitzende Gläubiger bei der Anspruchsverwirklichung auch keinen Zwang auf den Schuldner ausübt, geht insoweit auch der Verweis von Arzt (Welzel-FS), S. 835 auf den Vorrang der staatlichen Zwangsmittel fehl. 135 Friedemann, S. 32. 136 Die Ähnlichkeit zum Selbsthilferecht unterstreicht Heyer, S. 113, wenn er von der Selbsthilfe als erweitertes Pfändungspfandrecht spricht. 137 Heyer, S. I11f.
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
Eine weitere Bestätigung für die Zulassung friedfertiger Formen privater Anspruchsverwirklichung läßt sich durch einen Umkehrschluß aus dem speziellen Selbsthilferecht des § 859 Abs. 2 und 3 BGB gewinnen. Bei dieser Vorschrift, die eine Eingriffsbefugnis in das Possessorium beinhaltet, handelt es sich um eine ausnahmsweise Durchbrechung des staatlichen Durchsetzungsmonopols. Gelingt es dem Gläubiger, sich ohne verbotene Eigenrnacht zu befriedigen, b~darf es einer solchen ausdrücklichen Rechtfertigung seines Vorgehens schon deshalb nicht, weil das staatliche Gewaltmonopol durch diese, die Gefahr von tätlichen Auseinandersetzungen vermeidende Form der Anspruchsverwirklichung nicht berührt wird. Dafür, daß nicht schon der historische Gesetzgeber diesen vom staatlichen Gewaltmonopol unberührten Freiraum deutlich aufgezeigt hat, sind im wesentlichen zwei Gründe verantwortlich. Zum einen hatte der Gesetzgeber noch die Vorstellung, Selbstdurchsetzung von Ansprüchen sei immer mit Eingriffen in fremde Sachherrschaft verbunden 138 • Erst mit der in diesem Jahrhundert zunehmenden Bedeutung des Immaterialgüterrechts und solcher Rechtsinstitute wie z. B. EV-Kauf, Sicherungsübereignung gern. § 930 BGB, Kommissionsgeschäft, Mietkauf etc. 139 , bei denen der Leistungsgläubiger bereits vor der Erfüllung die tatsächliche Sachherrschaft erlangt, bzw. der Schuldner diese vorzeitig aufgibt, wurde deutlich, daß Selbstbefriedigung auch ohne Gewalt oder verbotene Eigenrnacht möglich sein kann. Zum anderen läßt die vom Gesetzgeber mit dem Satz: "Die Selbsthilfehandlung ist eine schon an sich unerlaubte 140 " geäußerte Meinung ein hohes Maß an Selbsthilfefeindlichkeit erkennen. Diese Grundeinstellung hat sich inzwischen jedoch erheblich geändert. Die unter 5.2.1.1 41 besprochenen immaterialgüterrechtlichen Stellungnahmen, wonach der schuldrechtliche (Lizenz-) Vertrag als eigenständiger Rechtfertigungsgrund zu betrachten ist, und die in der strafrechtlichen Literatur im Vordringen befindliche Auffassung zur Rechtfertigung der Durchsetzung eines Vertragsanspruchs durch vertragsbedingt unwiderrufliche Einwilligung142 zeigen, daß heute die Einschaltung von Gerichten bei gewaltfreier Rechtsdurchsetzung nicht mehr unbedingt für erforderlich gehalten wird. Auch der Umstand, daß entgegen dem Wortlaut des § 230 Abs. 2 BGB viele 143 bereits die bei der Sachwegnahme durch den 138 Vgl. die Motive, Bd. 1 S. 353 und 355; die gleiche Tendenz auch in der älteren Literatur: siehe nur die bei Heyer, S. 38f. zahlreich aufgeführten Selbsthilfefälle. 139 Siehe zu dieser Entwicklung: Marburger, S. 497. 140 Motive, Bd. 1 S. 353. 141 Vgl. Kap. 5.2.1. Fn. 17. 142 Dazu ausführlich unter Kap. 4.2.3. 143 Larenz (AT), § 15 lIla; Erman / Hefermehl, § 230 RN 3f.; RGRK / Johannsen, § 230 RN 2; Mohrbotter (GA 1967), S. 213; Kleinrath (GruchotBeitr.), S. 481, 486 und 488f.; Heyer, S. 65. A. A.: Münch. / Komm. / Feldmann, § 230 RN 2; Staudinger / Dilcher, § 230 RN 4f., die nur unter den Besitzkehrvoraussetzungen von den gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungs- bzw. Arrestmaßnahmen absehen wollen.
6.1. Anspruchsverwirklichung und gesetzliches Selbsthilferecht
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Gläubiger nachfolgend angeordneten Zwangsvollstreckungs- bzw. Arrestmaßnahmen für überflüssig erachten, wenn der Gläubiger einen sachlichrechtlichen Anspruch auf die weggenommene Sache hat, ist Indiz für eine zunehmend liberalere Einstellung gegenüber außerprozessualen Formen der Anspruchsverwirklichung.
6.1.2. Zusammenfassung Im Ergebnis ist festzuhalten, daß der Regelungsbereich des § 229 BGB nicht alle Akte der Anspruchsverwirklichung umfaßt. § 229 BGB ist als Durchbrechung des Prinzips der ausschließlichen Gewaltausübung durch den Staat zu sehen 144 . Dem Zweck des staatlichen Gewaltmonopols entsprechend, den öffentlichen Frieden durch alleinige Ausübung physischer Gewalt 145 mittels staatlicher Durchsetzungsorgane zu garantieren, regelt § 229 BGB auch nur solche Durchsetzungsakte, die Gewalt gegen die Person des Schuldners oder Eingriffe in dessen Herrschaftsbereich beinhalten146 . § 229 BGB begnügt sich allerdings damit, die äußerste Grenze aufzuzeigen, bis zu der der Gläubiger im Dringlichkeitsfalle gehen darf. Gelingt es dem Gläubiger bei der privaten Verwirklichung seines Anspruchs, gewaltlos und ohne verbotene Eigenmacht vorzugehen, kann als Rechtfertigungsgrund § 229 BGB nicht unmittelbar herangezogen werden. Nachdem der Regelungsumfang und die Ratio des § 229 BGB bestimmt worden sind, bereitet auch die Entscheidung für die eingangs vorgestellten Argumentationsalternativen (Umkehrschluß oder Gesetzes- bzw. Rechtsanalogie) keine Schwierigkeiten mehr. Als unzutreffend kann das durch einen Umkehrschluß aus § 229 BGB gefolgerte Verbot auch friedfertiger Selbsthilfemaßnahmen abgetan werden. Die gewaltlose Vertragsverwirklichung stellt keinen Verstoß gegen das staatliche Gewaltmonopol und keine Umgehung der gesetzlichen Selbsthilferegelungen dar, welche sich ausschließlich mit friedensgefährdenden Selbsthilfeakten beschäftigen. Das gegen den Vertrag als eigenständigen Rechtfertigungsgrund vorgetragene Argument, eigenmächtige Anspruchsverwirklichung sei außerhalb der gesetzlichen Selbsthilfebefugnisse nicht zulässig, erweist sich somit als unzutreffende Verallgemeinerung. Dieser Fehlschluß ist um so erstaunlicher, als bereits Heyer 147 (1901) die notwendige Differenzierung zwischen gewaltsamer und gewaltloser Anspruchsverwirklichi.mg aufgezeigt hat. Zutreffend grenzt er die Rechtsdurchsetzung als Gegenstand der Selbsthilfe von der bloßen Rechtsausübung ab. Während die 144 145 146
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Merten, S. 57. M. Weber, S. 822; Merten, S. 31; Brodmann, S. 68 und 72; Rehak, S. 28. Friedemann, S. 5. Heyer, S. 57f.
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
Rechtsdurchsetzung die Beugung eines auf fremden Willen beruhenden Widerstandes zum Ziel hat1 48 , steht bei der Rechtsausübung der Geltendmachung des Rechts zwar ebenfalls der Wille des Schuldners gegenüber, der sich aber nicht in einem materiellen Widerstand verkörpert 149 . Schon Heyer hielt daher das Eingreifen des Staates nur in den Fällen für erforderlich, in denen sich der Schuldner corpore et animo der Rechtsverwirklichung durch den Gläubiger widersetzt (Rechtsdurchsetzung)15o. Neben dem durch die Selbsthilfebestimmungen abgedeckten Regelungsbereich verbleibt somit noch Raum für friedfertige Formen der privaten Anspruchsverwirklichung. Diesen Raum durch analoge Anwendung des § 229 BGB auszufüllen, verbietet sich ebenfalls. Zwar liegt bezüglich friedfertiger Formen der Anspruchsverwirklichung eine planwidrige, mithin ausfüllungsbedürftige Regelungslücke vor. Wie bereits ausgeführt l5l , hat der Gesetzgeber, der in den Motiven bei der Selbsthilfe immer von Eingriffen in fremde Innehabung152 und der gewaltsamen Störung des öffentlichen Friedens 153 ausging, die Möglichkeit friedfertiger Selbsthilfearten nicht gesehen und deshalb für diese Fälle versehentlich keinen Rechtfertigungsgrund normiert. Diese Regelungslücke kann nicht durch analoge Anwendung des § 229 BGB ausgefüllt werden, weil es im Hinblick auf den dieser Norm zugrunde liegende Friedensschutzgedanken in Fällen friedfertiger Anspruchsverwirklichung an der zum Analogieschluß erforderlichen Vergleichbarkeit der zu beurteilenden Sachverhalte fehlt. Da der friedfertig sich befriedigende Gläubiger den öffentlichen Frieden nicht stört, besteht auch keine Veranlassung, das Vorgehen des Gläubigers nur im Notfalle (drohende Anspruchsvereitelung, Abwesenheit obrigkeitlicher Hilfe) zu erlauben. Außerdem ist für eine analoge Anwendung des § 229 BGB - wie unter 6.1.1.2. näher begründet - auch aus systematischen Erwägungen kein Raum. Die in §§ 1004 und 858 Abs. 1 BGB zum Ausdruck gebrachte Differenzierung zwischen gewaltsamen und verbotenen eigenmächtigen Selbsthilfehandlungen, deren Unrechtsausschluß eines gesetzlichen Rechtfertigungsgrundes bedarf, und friedfertigen Selbsthilfemaßnahmen, die bereits aufgrund eines vertraglichen Eingriffsrechts erlaubt sind, würde verwischt. Zweckgerecht und der gesetzlichen Wertung entsprechend erweist sich letztlich der Weg, die im Falle friedfertiger Vertragsverwirklichung bestehende Rechtfertigungslücke durch eine Rechtsanalogie zu den bereits 148 149 150 151 152 153
So auch Oetker, S. 22. Heyer, S. 57. Heyer, S. 58. Siehe Kap. 6.1.2. a.E. Motive I, S. 353. Motive 111, S. 111.
6.2. Begrenzung der Anspruchsverwirklichung durch den Besitz
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gesetzlich normierten Fällen friedfertiger Selbsthilfe (§§ 387ff.; 1221; 1235; 1003 BGB; 371; 383; 385; 398f. HGB) auszufüllen, die vergleichbare Sachverhalte regeln. Gerade die vorbezeichneten Bestimmungen geben dem Gläubiger ein nicht nur auf Notfälle beschränktes Selbsthilferecht, weil die Sachherrschaft des Schuldners nicht verletzt wird und unter diesen Voraussetzungen die private Anspruchsverwirklichung nicht nur im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol tolerierbar, sondern auch angesichts des Gläubigerinteresses an der rechtzeitigen Befriedigung außerhalb förmlicher Verfahren äußerst praktikabel ist. Der Umfang der Rechtfertigung friedfertiger Anspruchsverwirklichung hängt nach alledem nicht von den Voraussetzungen des § 229 BGB ab, aus dem daher auch keine Argumente gegen die Zulassung friedfertiger Formen privater Anspruchsverwirklichung abgeleitet werden können.
6.2. Die Begrenzung privater Anspruchsverwirklichung durch den Besitz des Schuldners Für die Präzisierung der Voraussetzungen zulässiger Formen privater Anspruchsverwirklichung kommt insbesondere den possessorischen Regelungen der §§ 854 ff. BGB Bedeutung zu. Der diesen Regelungen zugrunde liegenden Wertung läßt sich nämlich der Maßstab zur Abgrenzung der friedfertigen und somit zulässigen privaten Anspruchsverwirklichung von friedensgefährdenden Durchsetzungsakten, die den staatlichen Vollstreckungsbehörden vorbehalten sind, entnehmen. Daß gerade Eingriffe in die räumliche Herrschaftsspähre einer Person häufig den Anlaß für Gewalttätigkeiten geben, hat der Gesetzgeber erkannt. Er hat daher unabhängig von etwaig bestehenden petitorischen Besitzansprüchen (vgl. § 868 BGB) zur Erhaltung des allgemeinen Rechtsfriedens die tatsächlich bestehende Sachherrschaft des Besitzers unter Schutz gestellt und dem Besitzer Abwehrrechte gegen den Entzug und gegen die Störung des Besitzes eingeräumt1 54 . Entsprechend dieser Intention des Gesetzgebers sieht die h. M.l55 den Sinn der possessorischen Regelungen in der Sicherung der öffentlichen Ruhe und Ordnung durch das Verbot der eigenmächtigen Rechtsdurchsetzung (sog. "Friedenstheorie"). Danach beinhalten die §§ 854ff. BGB die normative Umschreibung des Friedensschutzgedankens. 154 Prot. IH, S.31: "Den Grundgedanken des Besitzschutzes, den Rechtsfrieden durch Aufrechterhaltung der äußeren tatsächlichen Ordnung der Verhältnisse der Personen zu den Sachen zu bewahren", siehe auch Motive III S. 111. 155 Soergel / Mühl, vor § 854 RN 13; Münch. / Komm. / Haase, vor § 854 RN 7; Staudinger / Kregel, vor § 854 RN 2; Wolf (SR), RN 82; Wolff / Raiser, § 17 vor I; Westermann (SR), § 8 Anm. 3 a; RGRK / Kregel, vor § 854 RN 2; Haas, S. 340ff.; Medicus (AcP 165), S. 119; Pawlowski, S. 15; zu den historischen Quellen des Besitzund Friedensschutzes Rudorff, S.90ff.; Pernice, S. 167ff. und die Ausführungen unter Kap. 6.1.1.3.1.
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
Die davon abweichenden individualistischen Theorien 156 , insbesondere die heute noch von Wieling 157 vertretene Auffassung, wonach der Besitzschutz auf das Persönlichkeitsrecht des Besitzers zurückzuführen sei, werden heute mit guten Gründen fast allgemein verworfen 158 • Durch die Anknüpfung an die körperliche Beziehung einer Person zu einer Sache hat der Gesetzgeber den Umfang des staatlichen Gewaltmonopols bestimmt und damit zugleich die verbleibenden Freiräume für eine private Anspruchsverwirklichung erkennbar werden lassen. Danach liegt in der friedfertigen Anspruchsverwirklichung, die gewaltlos und ohne verbotene Eigenrnacht vonstatten geht, kein Verstoß gegen das staatliche Gewaltmonopol. Kürzer, aber um so prägnanter, bringt Pawlowski1 59 diese Erkenntnis mit der Bemerkung zum Ausdruck, daß das Possessorium erst das Rechtsdurchsetzungsmonopol des Staates begründe. Da das BGB nur den Besitz an körperlichen Sachen, nicht aber das Institut des sogenannten Rechtsbesitzes anerkennt1 6o , ergeben sich im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol keine Bedenken gegen die Zulässigkeit anspruchsverwirklichender Eingriffe in die naturgemäß besitzlosen Immaterialgüterrechte des Schuldners 161 • Anders verhält es sich aber auch nicht bei Sacheingriffen des besitzenden Gläubigers, der seinen Anspruch, ohne verboten eigenmächtig zu handeln, selbst verwirklichen kann. Der im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol angestrebte Rekurs auf die Besitzverhältnisse nach den §§ 854ff. BGB ist allerdings nicht ganz unbedenklich, da es nicht in allen Fällen gelingt, den zivilrechtlichen Besitzbegriff auf den Friedensschutzgedanken zurückzuführen. Wie die nachfolgenden Fallbeispiele verdeutlichen sollen, geht in manchen Fällen der possessorische Schutz weiter, als dies zur Verhinderung friedensgefährdender Situationen unbedingt erforderlich wäre. Nimmt z. B. der Wanderer W. im Walde das ihm vom Eigentümer E. verkaufte und von diesem dort gestapelte Holz weg, um dieses für sich zu behalten, während E. zur gleichen Zeit 30 km entfernt seinen Mittagsschlaf hält, ist dem W. die tatsächliche Durchsetzung seines kaufvertraglichen Anspruchs gelungen, ohne daß eine ernsthafte Gefahr von gewaltsamer Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Eigentümer des Holzes bestanden hätte 162 • Dennoch handelte W. gemäß § 858 BGB verboten 156 Planck / Brodmann, vor § 854 Anm. 6; Puchta, § 122; Eberhard (MeckZ 1935), S. 215 und 218f. Zur philosophischen Betrachtung des Friedens als Rechtswert TammelD (Coing-FS), S. 681ff.; Radbruch (Rechtsphilosophie), S. 169; Coing (Rechtsphilosophie), S. 18f. 157 Wieling (Lübtow-FS), S. 576 und 584. 158 Für viele: Pawlowski, S. 15. 159 Pawlowski, S. 13. 160 Mot. III, S. 120; Palandt / Bassenge, vor § 854 Anm. 4 b; Pawlowski, S. 17; Titze (Diss.), S. 75f. 161 Münzberg, S. 430; Pawlowski, S.17. 162 Zu einer ähnlich gelagerten Fallkonstellation so auch Pawlowski, S. 18.
6.2. Begrenzung der Anspruchsverwirklichung durch den Besitz
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eigenmächtig, weil nach dem soziologischen Besitzbegriff nicht ihm, sondern dem weit entfernten E. die tatsächliche Sachherrschaft an dem Holz zugerechnet wird. Zu erheblich gravierenderen Differenzen zwischen tatsächlicher Zugriffsmöglichkeit und normativer Besitzlage kommt es in den Fällen der §§ 855 und 857 BGB: Steckt der Geselle das von ihm bisher im Betrieb seines Meisters genutzte und diesem abgekaufte Arbeitsgerät ein, um es wegzuschaffen, handelt er verboten eigenmächtig, obwohl er im Vergleich zu dem Eigentümer die "tatsächliche" Gewalt an den Werkzeugen ausübte. Gleiches gilt, wenn die im Hause des Erblassers wohnende Haushaltshilfe zum Zwecke der Verwirklichung ihres Vermächtnisanspruchs ein wertvolles Schmuckstück an sich bringt, während der im Ausland lebende Erbe von dem Anfall der Erbschaft überhaupt noch keine Kenntnis hat. Im letzten Fall kann der Begriff der tatsächlichen Sachgewalt (§ 854 Abs. 1 BGB) nur noch im Wege der Fiktion (§ 857 BGB) aufrechterhalten werden. Daß die possessorischen Regelungen nicht immer ihrer friedensbewahrenden Funktion vollends gerecht werden, sondern dieser sogar entgegenwirken können, zeigt sich, sobald man in den Fällen der §§ 855, 857 BGB die Sicht auf die possessorischen Eingriffsrechte des Besitzherrn bzw. des Besitzerben lenkt. Entreißen diese dem Besitzdiener bzw. Erbschaftsbesitzer als den tatsächlichen "Inhabern der Gewalt" eine Sache, so genießen letztere, da sie letztlich nicht als Besitzer betrachtet werden 163 , keinen possessorischen Schutz. Gerade in diesen Fallkonstellationen darf aber die Gefahr gewalttätiger Auseinandersetzungen nicht unterschätzt werden. Die sich im Hinblick auf die Befriedungsfunktion des Possessoriums aus der Weite des Besitzbegriffs in den §§ 854ff. BGB ergebenden Ungereimtheiten rechtfertigen es allerdings nicht, die Einschränkungen rechtfertigende Anspruchsverwirklichung durch das staatliche Gewaltmonopol von den normativen Besitzverhältnissen abzukoppeln und von anderen Voraussetzungen (z. B. Gewahrsam etc.) abhängig zu machen. Wenn sich vorstehend Fälle bilden ließen, bei denen zwischen Possessorium und Streitgefahr keine zwingende Abhängigkeit bestand, ist dies Folge der notwendigen formalen Ausformung des Besitzbegriffs, die diesen und zugleich das staatliche Durchsetzungsmonopol erst praktikabel macht1 64 • Daß es bei der 163 Vgl. nur Baur (SR), § 7 CI 1- vorausgesetzt ist allerdings, daß diese nicht vorher bereits die Sache des Patrons bzw. des Erben erkennbar in Eigenbesitz genommen und damit im Wege verbotener Eigenmacht unmittelbaren Besitz erlangt haben (siehe Münch. / Komm. / Haase, § 855 RN 21). In diesem Fall kann der Vorbesitzer den verlorenen unmittelbaren Besitz außerprozessual rechtmäßig nur unter den strengen Voraussetzungen der §§ 859 Abs. 2 und 3, 229 BGB zurückerobern. 164 Pawlowski, S. 18.
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6. Anspruchsverwirklichung und das staatliche Gewaltmonopol
Anwendung formaler Regelungen ausnahmsweise auch solche Fälle gibt, auf die diese Regelungen nach ihrem Zweck nicht anwendbar wären, die wegen der formalen Ausgestaltung aber dennoch nach diesen Regeln zu entscheiden sind, ist ein allgemeines Problem, mit dem der Rechtsanwender leben muß, und das dieser nur durch seine Auslegungskünste abmildern kann. Die Relevanz gerade des Possessoriums für den Umfang der staatlich monopolisierten Durchsetzungsgewalt wird besonders deutlich, wenn der Gesetzgeber - wie im Falle des § 855 BGB165 - aus Praktikabilitätsgründen das staatliche Durchsetzungsmonopol aufgelockert und damit bewußt das erhöhte Risiko für die Friedensordnung in Kauf genommen hat. Diese in den possessorischen Regelungen zum Ausdruck kommenden Nuancierungen des Umfangs staatlich monopolisierter Gewalt werden bei der praktischen Falllösung nur dann genügend berücksichtigt, wenn man auch bei der Frage nach dem Umfang zulässiger Formen privater Anspruchsverwirklichung entscheidend auf die bestehenden Besitzverhältnisse abstellt. Geerds und Schenke lassen daher zutreffend das obligatorische Recht nur in solchen Fällen der Anspruchsverwirklichung als Rechtfertigungsgrund zu, bei denen der Gläubiger nicht in den Herrschaftsbereich des Schuldners einbricht.
165 Zur Eingrenzung des Regelungsumfanges dieser oft als "Relikt des Sklavenrechts" titulierten Norm vgl. Pawlowski, S. 19f., der die in § 855 BGB getroffene Regelung nur in Fällen unzumutbaren Abwartens auf staatliche Hilfe für sinnvoll erachtet.
7. Die Begrenzung der privaten Anspruchsverwirklichung durch das Persönlichkeitsrecht des Schuldners Neben dem staatlichen Gewaltmonopol ist bei der Zulässigkeitseinschränkung der privaten Anspruchsverwirklichung auch der Persönlichkeitsschutz des Schuldners zu berücksichtigen. An vielen Stellen des Rechtssystems wird deutlich, daß in bestimmten Situationen den persönlichkeitsrechtlichen Belangen des Schuldners größere Bedeutung zugemessen wird als dem Interesse des Gläubigers an der Vertragserfüllung. So schränkt der Gesetzgeber zum Beispiel in den §§ 39 Abs. 2; 42 UrhG bereits die Bindungswirkung des Vertrages erheblich ein, wenn er dem Urheber unter den Voraussetzungen des Rückrufrechts (§ 39 Abs. 2 UrhG) erlaubt, die Durchführung des Vertrages zu verhindern. Nach dem berechtigten Rückruf darf der Verleger das Werk des Urhebers nicht mehr veröffentlichen. Er erhält allenfalls eine Entschädigung in Geld für den ihm entstandenen Verdienstausfall (§ 42 Abs. 3 UrhG). Das ursprünglich vereinbarte Nutzungsrecht hingegen entfälltl. Ausfluß des Persönlichkeitsrechts des Schuldners sind aber auch die vielzähligen vollstreckungsrechtlichen Schuldnerschutzvorschriften (vgl. nur §§ 811ff.; 888 Abs.2 ZPO), die dem Leistungsrecht des Gläubigers die Durchsetzbarkeit in der Zwangsvollstreckung nehmen. Während bei der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe die Beachtung dieser Bestimmungen und damit die Respektierung des Persönlichkeitsrechts des Schuldners gewährleistet ist, liegt hingegen die Gefahr unzulässiger Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht nahe, wenn man den Schuldner uneingeschränkt der Willkür des privat vollstreckenden Gläubigers ausliefern wollte. Dies zeigen die bereits kritisierten Stellungnahmen innerhalb der Unwiderruflichkeitslehre2, die dem Persönlichkeitsrecht des Schuldners bei der Limitierung der Eingriffsrechte des Gläubigers keine Bedeutung beimessen. Nach dieser Lehre kann der Gläubiger ohne weiteres selbst dann seinen Anspruch durchsetzen, wenn dem Schuldner dadurch die Existenzgrundlage entzogen wird. Gleiches gilt für die strafrechtlichen Doktrinen zur Rechtswidrigkeit bei den Zueignungsdelikten. Auch hier reicht zur Rechtfertigung der Zueignung das Bestehen eines fälligen und einredefreien 1 Grundlegend zu den Auswirkungen des Persönlichkeitsrechts im Verlagsvertrag Hilt (Diss.). 2 Siehe unter Kap. 4.2.3.2.
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7. Anspruchsverwirklichung und Persönlichkeitsrecht des Schuldners
Übereignungsanspruchs aus. Ob der Gläubiger jemals in der Zwangsvollstreckung zum Ziel gelangt oder aber die Durchsetzung an dem Eingreifen schuldnerschützender Bestimmungen gescheitert wäre, spielt keine Rolle. Das Außerachtlassen der verfassungsrechtlich geschützten persönlichkeitsrechtlichen Belange des Schuldners führt jedoch zu bedenklichen Ergebnissen. Der Gläubiger kann schlechterdings die zu Schutzzwecken gesetzlich errichteten Vollstreckungshindernisse nicht einfach umgehen, indem er zur Eigeninitiative greift. Anhand vieler zivilrechtlicher Vorschriften wie z. B. §§ 394; 400; 559 S.3 BGB läßt sich vielmehr belegen, daß auch der sich selbst befriedigende Gläubiger die gesetzlichen Schutzbestimmungen zu beachten hat. So darf der Gläubiger z. B. selbst bei der friedfertigen und daher grundsätzlich gern. §§ 387ff. BGB zulässigen Selbsthilfe "im Wege der Aufrechnung" dem Schuldner die notwendige Existenzgrundlage nicht gänzlich entziehen. Gern. § 394 BGB darf er nämlich nur gegen solche Forderungen des Schuldners aufrechnen, die der Pfändung unterworfen sind. Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, daß die Zugriffsmöglichkeiten des Gläubigers auf die Rechtsgüter des Schuldners nicht umfassender sein können als die der staatlichen Durchsetzungsorgane. Es ist auch durchaus interessengerecht, die Zulässigkeit privater Anspruchsverwirklichung von der Einhaltung der gesetzlichen Schutzvorschriften abhängig zu machen. In den Fällen, in denen überhaupt eine friedfertige private Selbstverwirklichung des Anspruchs möglich ist, liegt der Grund für die Rechtfertigung des außerprozessualen Vorgehens des Gläubigers letztlich darin, daß dem Gläubiger damit die Verwirklichung seines Rechts auf die Leistungserbringung im Fälligkeitszeitpunkt ermöglicht wird. Dieses Ziel wird erreicht, indem bei der privaten Anspruchsverwirklichung auf das Vorliegen der allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen (Titel, Klausel, Zustellung) verzichtet wird. Dem Gläubiger soll darüber hinaus aber keineswegs die Möglichkeit eröffnet werden, bei der Selbstdurchsetzung seines Anspruchs zwingende Schutzvorschriften zu umgehen und dadurch das Recht zu brechen3 • Der Gläubiger würde andernfalls in unzulässiger Weise seine Rechte unter Einschränkung der Rechte des Schuldners eigenmächtig erweitern. Da nach alledem der Vertrag als Unrechtsausschließungsgrund abgelehnt werden müßte, wenn er auf die verfassungsrechtlich geschützten persönlichkeitsrechtlichen Belange des Eingriffsschuldners keine Rücksicht 3 Vgl. z. B. Eser / S. / S., § 242 RN 57, der im Falle eines Zug-um-Zug zu erfüllenden Anspruchs die Zueignung der geschuldeten Sache durch den Gläubiger vor dem Erbringen der Gegenleistung als rechtswidrig bezeichnet, weil der Schuldner entgegen § 756 ZPO zur Vorleistung gezwungen werde.
7. Anspruchsverwirklichung und Persönlichkeitsrecht des Schuldners
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nimmt, stellt sich die Frage, ob und inwieweit nach den Voraussetzungen der vertraglichen Rechtfertigung die Respektierung des Persönlichkeitsschutzes und der zu diesem Zweck aufgestellten Regelungen sichergestellt ist. Eine erhebliche Verringerung der Gefahr der Verletzung von Persönlichkeitsrechten ergibt sich bereits aus der im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol unumgänglichen Limitierung der Rechtfertigung auf friedfertige Eingriffsakte. Damit scheiden nämlich Einschränkungen der Bewegungs- und Willensfreiheit des Schuldners aus 4 • Da die Rechtfertigung durch den vertraglichen Anspruch bei verboten eigenmächtigem Vorgehen des Gläubigers ausscheidet, sind Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts des Schuldners selbst dann nicht zu befürchten, wenn man mit Wieling5 den Besitzschutz auf das Persönlichkeitsrecht des Possessors zurückführen wollte. Eine weitere Einschränkung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen ergibt sich zudem aus den Voraussetzungen zulässiger Anspruchsverwirklichungen, daß nämlich der zugrunde liegende Anspruch fällig und auch durchsetzbar sein muß. So gelangt in vielen Fällen ein Anspruch auf nicht konsentiert einseitige Eingriffe in höchstpersönliche Rechte des Schuldners gem. §§ 134; 138 BGB erst gar nicht zur Entstehung, oder dem Schuldner wird - wie bei dem urheberrechtlichen Rückrufrecht (§ 39 Abs. 2 UrhG) die Möglichkeit eingeräumt, sich bei unzumutbaren Eingriffen in seine Persönlichkeitssphäre von der vertraglichen Leistungspflicht selbst zu befreien. In anderen Fällen persönlichkeitsrechtlicher Beeinträchtigungen hat der Gläubiger zwar einen materiellrechtlichen Anspruch auf die Erfüllung des Leistungsversprechens des Schuldners. Diesem Anspruch fehlt jedoch angesichts der vollstreckungsrechtlichen Schutzvorschriften die Durchsetzbarkeit. So darf der Gläubiger den Schuldner zum Beispiel nicht zur Erfüllung höchstpersönlicher Pflichten zwingen (§ 888 Abs. 2 ZPO). Ebensowenig darf er, in den Besitz der Geldbörse des Schuldners gelangt, die Gelegenheit zur Tilgung eines Zahlungsanspruchs durch Zueignung des gesamten Geldes nutzen, sofern der Geldbetrag nicht der Pfändung unterworfen ist (§ 811 Ziffer 8 ZPO). Dann kann sich der eigenmächtig vorgehende Gläubiger zur Rechtfertigung seiner tatbestandsmäßigen Handlung nicht auf sein obligatorisches Leistungsrecht berufen. Bei der Beachtung der strengen Voraussetzungen der vertraglichen Rechtfertigung unter Einbeziehung der gesetzlich vorgezeichneten persönlichkeitsrechtlichen Wertungen wird somit der Anwendungsbereich des Vertra4 Zur Bedeutung der staatlichen Zentralisierung physischer Gewalt für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen siehe Luhmann, S. 56. 5 Wieling (Lübtow-FS), S. 576.
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7. Anspruchsverwirklichung und Persönlichkeitsrecht des Schuldners
ges als Rechtfertigungsgrund auch auf ein für den Schuldner akzeptables Maß eingeschränkt6 • In diesem eingeschränkten Umfang können aus persönlichkeitsrechtlichen Erwägungen keine Argumente gegen die außerprozessuale Anspruchsverwirklichung hergeleitet werden.
6 Die Voraussetzung gerechtfertigter Vertragsverwirklichung, daß der Anspruch des Gläubigers - die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen unterstelltauch in der staatlichen Zwangsvollstreckung durchsetzbar sein muß, führt aber nicht nur zu einem ausreichenden Schuldnerschutz. Diese Voraussetzung garantiert zudem, daß auch die Interessen der Allgemeinheit und beteiligter Dritter gewahrt bleiben. So liegt es schließlich auch in allgemeinem Interesse, wenn durch das Verbot der Kahlpfändung das Existenzminimum des Schuldners gesichert wird und der Schuldner dadurch nicht der Allgemeinheit zur Last fällt. Weiterhin bleiben z. B. auch die Interessen der übrigen Gläubiger eines bereits in Konkurs gefallenen Schuldner gewahrt, wenn auch der "privat vollstreckende" Anspruchsberechtigte den Konkurs des Schuldners als absolutes Vollstreckungshindernis zu beachten hat.
8. Der zivilrechtliche Vertrag als Rechtfertigungsgrund und die Prinzipien der Rechtfertigung Insbesondere Kempf 1 greift zur Argumentation gegen einen vertraglichen Rechtfertigungsgrund auf die Prinzipien der Rechtfertigung zurück, mit denen nach seiner Auffassung die Rechtfertigung des Gläubigerzugriffs nicht in Einklang zu bringen ist. Kempf erkennt nach kurzen kritischen Bemerkungen über die monistischen Prinzipienlehren, insbesondere über die Zwecktheorie (Dohna 2 , Bi~ding3 und andere4 ) und das Nutzen-SchadenPrinzip Sauers 5 den Güterabwägungsgedanken als maßgebliches Rechtfertigungsprinzip an und macht dies zur Grundlage seiner Schlußfolgerungen6 • Nach seiner Auffassung stünden sich zwar das Interesse des Schuldners an der Erhaltung seines Rechtsguts und das Interesse des Gläubigers, sofort bei Fälligkeit des Anspruchs befriedigt zu werden, abwägbar gegenüber. Es fehle aber an der Voraussetzung der Güterkollision, solange der Gläubiger die Möglichkeit habe, sein Erfüllungsinteresse mittels gesetzlicher Rechtsbehelfe durchzusetzen. Der Eingriff in ein fremdes Rechtsgut zur Erhaltung eines anderen Gutes sei schließlich eine so einschneidende Maßnahme, daß diese nur dann berechtigt sein könne, wenn wirklich keine andere Möglichkeit zur Erhaltung des gefährdeten Rechtsguts bestehe7 • Zur Bestätigung seiner Meinung, daß der Gläubiger nur in ganz eingegrenzten Kollisionsfällen ein Notrecht zum Eingriff in die Rechte des Schuldners habe, verweist Kempf auf § 229 BGB8, den er offensichtlich als umfassende Regelung des Gläubiger-Schuldner-Konflikts begreift. Die Schlußfolgerung Kempfs, eine Güterabwägung sei mangels einer Kollisionslage unzulässig, mit der Folge, daß eine Rechtfertigung des Gläubigerverhaltens schon aus prinzipiellen Gründen ausscheide, vermag allerdings nicht zu überzeugen. Zum einen handelt es sich bei den sog. Prinzipien der Rechtfertigung um reine Erklärungsmodelle9 , denen nicht ohne weiteres Kempf (Diss.), S. 49ff. Graf von Dohna (Rechtswidrigkeit), S. 48. 3 Binding (Handbuch), S. 792. 4 Heinitz (Rechtswidrigkeit), S. 266ff.; von Liszt / Schmidt, S. 187; Nagler (Lehre von der Rechtswidrigkeit), S. 11l. 5 Sauer, S. 649. 6 Kempf (Diss.), S. 41 ff. und 55. 7 Kempf (Diss.), S. 43. 8 Kempf (Diss.), S. 43. 9 So wohl auch Peters (GA 1981), S. 453. 1
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8. Anspruchsverwirklichung und Prinzipien der Rechtfertigung
die Funktion einer Hemmschwelle bei der Konstituierung von Rechtfertigungsgrüllden zugewiesen werden darf10 • Auch ein Rechtfertigungsgrund zivilrechtlichen Ursprungs kann schließlich unter Beachtung methodischer Grundregeln ll nur durch höherrangiges Recht (Verfassungsrecht, Völkerrecht etc.) derogiert werden. Die Rechtfertigungsprinzipien, die lediglich als ungeschriebene materielle Ordnungsgrundsätze vorhanden sind 12 , sind dazu nicht in der Lage. Kempf bemüht zudem zu Unrecht den Güterabwägungsgedanken, wenn er folgert, daß ein Eingriffsrecht des Gläubigers nur als Notrecht ausgestaltet sein und daher nur dann rechtfertigende Kraft entwickeln könne, wenn keine andere Möglichkeit zur Anspruchsdurchsetzung bestehe. Tatsächlich greift Kempf bei seinen Schlußfolgerungen nämlich nicht auf das Güterabwägungsprinzip als solches, sondern lediglich auf die in dem § 229 BGB und die in dem gerechtfertigten Notstand (heute § 34 StGB) angesprochenen Anwendungsfälle dieses Prinzips zurück 13 . Nur insoweit findet die Aussage Kempfs zwar heute bei den Autoren Bestätigung, die - wie bereits ausführt 14 - aus dem Merkmal der "Erforderlichkeit" in § 34 S. 1 StGB und auch aus der Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB den Vorrang verfahrensmäßiger Abwicklungen von Interessenkollisionen durch staatliche Institutionen ableiten 15 . Wie bei der Auslegung des § 229 BGB deutlich geworden ist, kann der letztgenannten Auffassung allenfalls insoweit gefolgt werden, als es bei den Interessenkonflikten überhaupt zu einer Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols kommen kann. Schließlich übersieht Kempf, daß es auch Fälle erlaubter Zweckverfolgung ohne Notlage gibtl 6 , z. B. beim Züchtigungsrecht und bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen sowie Rechtfertigungssituationen, in denen der Betroffene - wie bei der Notwehr (§ 32 StGB) und der Selbsthilfe des Vermieters (§ 561 BGB) - selbst dann in Rechtsgüter Dritter eingreifen darf, wenn obrigkeitliche Hilfe greifbar nahe istl 7 • Auch die vorgenannten RechtfertigungsgrÜllde sind mit dem Güterabwägungsgedanken vereinbar, womit zugleich erwiesen ist, daß der Rückgriff auf die Rechtfertigungsprinzipien die Kempfsche Argumentation nicht trägt. Auch der Verweis auf die von dem Gesetzgeber in § 229 BGB getroffene Regelung ändert daran nichts, Hier wie Kempf gegenteiliger Auffassung Stratenwerth (ZStW 68), S. 70. Vgl. Larenz (Methodenlehre), Kap. 11 4 (S. 250). 12 Roxin (Strafrechtssystem), S. 26. 13 Vgl. Kempf (Diss.), S. 42. 14 Vgl. Fn. 31 in Kap. 4.1.5. 15 Vgl. nur Grebing (GA 1979), S. 86 und 106; Samson / SK, § 34 RN 22; Stratenwerth, RN 456; S. / S. / Lenckner, § 34 RN 46 m.w.N. 16 Dazu Schmidhäuser (AT), S. 168 RN 98f. 17 Vgl. zur Notwehr Suppert, S. 283f. m. w.N. A. A. Jakobs (AT), 12. Abschn. RN 45 (S. 329f.). 10 11
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da friedfertige Formen der Anspruchsverwirklichung vom Regelungsumfang des § 229 BGB nicht erfaßt werden 18 • Die strengen Voraussetzungen des § 229 BGB hat der Gesetzgeber schließlich nur deshalb geschaffen, weil es neben dem Eingriff in das von der vertraglichen Verpflichtung betroffene Rechtsgut des Schuldners durch den Einbruch in dessen Herrschaftsbereich nicht nur zur Gefährdung des öffentlichen Friedens, sondern auch zu Beeinträchtigungen anderer Rechtsgüter des Schuldners kommt, wenn dessen Willensfreiheit, körperliche Unversehrtheit etc. angetastet werden. Dies ist bei den bereits vorgestellten Formen friedfertiger Anspruchsverwirklichung nicht der Fall. Daß der Gesetzgeber gerade bei der Bewertung des Gläubiger-Schuldner-Konflikts durchaus die Gefährlichkeit des Gläubigervorgehens berücksichtigt, zeigt sich an den zivilrechtlichen Aufrechnungs-, Rückbehaltungs-, Pfand- und Verwertungsrechten (§§ 273; 387; 647; 1003; 1221; 1235 BGB; 371; 383; 385; 397 etc. HGB). Gerade bei diesen weit weniger friedensgefährdenden Fällen hat der Gesetzgeber dem Interesse des Gläubigers an der Verwirklichung seines Anspruchs hohen Wert beigemessen, da er - anders als § 229 BGB - dem Gläubiger nicht nur im Notfalle, sondern auch dann die Sicherung und Verwirklichung seines Anspruchs überläßt, wenn staatliche Hilfe zur Stelle ist. Selbst wenn man aber der Ansicht Kempfs folgen wollte, daß der Gläubiger allenfalls in einer unausweislichen Notsituation seinen Anspruch selbst durchsetzen dürfe, könnte eine solche Notlage des Gläubigers, der die Befriedigung nicht im Fälligkeitszeitpunkt erlangen kann, nicht ohne weiteres verneint werden. Das Interesse des Gläubigers ist nämlich bereits vom Fälligkeitszeitpunkt an gefährdet. Wie bereits ausgeführt, ist es für den Gläubiger nicht nur entscheidend, ob, sondern darüber hinaus, auch zu welchem Zeitpunkt sein Anspruch erfüllt wird. Dies gilt insbesondere für solche Gläubiger, die selbst an Liefer- und Leistungsfristen gebunden sind und diese Fristen bei verspäteter Leistung ihrer Schuldner selbst nicht einhalten können 19 • Da die prozessualen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes an strenge Voraussetzungen gebunden sind und durch sie vor allem i. d. R. keine endgültige Regelung erzielt werden kann, bieten sie dem Gläubiger keine ausreichende Handhabe, die Leistung zum Fälligkeitstermin zu erzwingen. Unter Berücksichtigung dieses zeitlichen Aspekts bleibt dem Gläubiger somit keine andere Möglichkeit, als sich selbst zu helfen. Zwar sieht auch Kempf das Interesse des Gläubigers an einer zeitigen Erfüllung seines Anspruchs 2o • Er mißt diesem jedoch geringfügige BedeuVgl. die Ausführungen unter Kap. 6. Für den sich aus der verspäteten Leistung ergebenden Schaden (entgangener Gewinn, Verlust von Kundenverbindungen, Beeinträchtigung des "good will" etc.) ist selbst ein etwaig entstehender Verzugsschadensanspruch gegen den säumigen Schuldner kein ausreichendes Äquivalent. 20 Kempf (Diss.), S. 42. 18 19
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tung bei, da er infolge des verfehlten Rekurses auf § 229 BGB von einer Notlage des Gläubigers erst dann ausgeht, wenn die völlige Vereitelung des Anspruchs droht. Kempf verkennt dabei allerdings, daß derart strenge Anforderungen an die Notstandslage des Gläubigers in § 229 BGB nur im Hinblick auf die dort ebenfalls aufgeführten gefährlichen Selbsthilfehandlungen gerechtfertigt sind. Gelingt dem Gläubiger hingegen die Anspruchsverwirklichung ohne Gewalt und verbotene Eigenmacht und zudem, ohne andere Rechtsgüter des Schuldners zu verletzen, sind auch an die Intensität der Beeinträchtigung des Gläubigerinteresses weniger hohe Anforderungen zu stellen. Die Beachtung der Proportionalität zwischen der Schwere der Eingriffshandlung und der drohenden Interessenverletzung gehört schließlich zu den anerkannten Grundregeln des Notstandsrechts 21 . Von einer Unvereinbarkeit mit dem Güter- und Interessenabwägungsprinzip kann nach alledem nur gesprochen werden, wenn das Interesse des Gläubigers an der Anspruchsverwirklichung das Integritätsinteresse des Schuldners nicht überwiegt22. Da von der Bedeutung des Erfüllungsinteresses des Gläubigers bereits die Rede war, bleibt hier die Frage, was der Schuldner dem an rechtlich anerkennenswerten Interesse entgegenzusetzen hat. Kommt man zunächst auf die Anspruchsverwirklichung im Immaterialgüterrecht (Ausgangsfälle 11 und 12) zurück, so zeigt sich, daß das dingliche Patent-, Warenzeichen-, Gebrauchs-, Geschmacksmuster- bzw. Urheberrecht des Schuldners von der bloßen vertragsgemäßen Nutzung durch den Gläubiger nicht berührt wird. Das Interesse des Schuldners, die vertragliche Nutzung des Gläubigers nicht weiter hinnehmen zu müssen, ist vielmehr wie besonders in den Beispielsfällen 11 und 12 deutlich wird - nicht rechtlicher, sondern rein wirtschaftlicher Natur. Dies gilt insbesondere, wenn den Schuldner, der nachträglich bessere Vertragskonditionen von seiten Dritter angeboten erhält, der Vertragsschluß lediglich reut. Das Interesse des Schuldners, aus rein wirtschaftlichen Erwägungen vertragsbrüchig zu werden, ist jedoch rechtlich nicht anerkennenswert ("pacta sunt servanda"). Das Gläubigerinteresse an der vertragsgemäßen Nutzung muß daher höher bewertet werden und den Schuldnerinteressen vorgehen. Anders verhält es sich aber auch nicht bei der Verwirklichung eines Übereignungsanspruchs durch den Gläubiger (Beispielsfälle 3 - 5). Infolge des strengen Abstraktionsprinzips kann sich der Schuldner zwar im Falle der Vgl. nur Lenckner / S. / S., § 34 RN 27. Kempf führte diese Untersuchung zwar nicht durch. Aus seinen Formulierungen (Diss.), S. 41 ("nur") läßt sich jedoch unschwer eine Höherbewertung des Schuldnerinteresses entnehmen. 21
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eigenmächtigen Zueignung durch den Gläubiger auf sein formales Eigentumsrecht berufen und darauf verweisen, daß dieses bis zum Eigentumswechsel grundsätzlich unangetastet zu bleiben hat. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß das formal noch zugunsten des Schuldners bestehende Eigentumsrecht - sofern der Gläubiger bereits die geschuldete Sache besitzt - infolge der Übereignungspflicht des Schuldners derartig entkräftet ist23 , daß im Verhältnis zwischen den Parteien rechtlich anerkennenswerte Gründe für eine Höherbewertung des Eigentümerinteresses nicht zu finden sind 24 . Dies wird besonders deutlich, wenn man die dem Schuldner verbleibenden Dispositionsmöglichkeiten betrachtet. Dieser hat nicht nur das Besitzrecht an den Gläubiger verloren, sondern auch die Möglichkeit eingebüßt, seinen Vindikationsanspruch gegen den Gläubiger durchzusetzen. Der Gläubiger kann diesen Vindikationsanspruch gern. § 986 abwehren und nunmehr im Rahmen der obligatorischen Vereinbarung das Schicksal der Sache selbst bestimmen25 • Der Schuldner kann zudem auch mit der bei ihm verbleibenden formellen Eigentümerposition nichts mehr anfangen, weil er ohne den Besitz der Sache diese weder übereignen noch verpfänden kann (vgl. §§ 929ff.; 1205 BGB). Hat der Schuldner weder mittelbaren Besitz an der Sache noch einen einredefreien Herausgabeanspruch gegen den Gläubiger, gelingt ihm nicht einmal die Übertragung bzw. die Verpfändung des Eigentums unter Rückgriff auf die gesetzlichen Übergabesurrogate (§§ 930ff.; 1205 Abs. 2 BGB). Hingegen sind die Möglichkeiten des lediglich obligatorisch berechtigten Gläubigers, auf das Eigentumsrecht einzuwirken, erheblich größer. Dieser kann nämlich bereits gern. §§ 932ff.; 986ff.; 1207 BGB über die ihm lediglich gebührende Sache verfügen. Seine Einwirkungsmöglichkeiten auf das dingliche Recht sind mithin bereits stärker als die des Schuldners. Dies alles läßt den Schluß zu, daß dem Eigentumserhaltungsinteresse des Gläubigers keine größere Bedeutung beigemessen werden kann, als dem Interesse des vertragsgemäß besitzenden Übereignungsgläubigers an der Erfüllung seines Anspruchs. Zwingende Gründe, bei der Abwägung zwischen dem Erhaltungsinteresse des Schuldners und dem Verwirklichungsinteresse des Gläubigers dem erstgenannten den Vorzug zu geben, lassen sich aus dem Rechtssystem jedenfalls nicht ableiten. Im Gegenteil spricht -losgelöst von den einzelnen Interessen der Parteien - gerade im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der rechtlichen Ordnung für eine Höherbewertung der Interessen des Gläubigers der Umstand, daß dieser sich nur das nimmt, was ihm gebührt, während der Schuldner durch sein Verhalten vertragsund damit rechtsbrüchig wird. Es ist daher der bei den Zueignungsdelikten 23 24
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Vgl. dazu Diederichsen (Das Recht zum Besitz), S. 89 ff. Siehe Fn. 23. Diederichsen (Das Recht zum Besitz), S. 90.
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vertretenen Auffassung zuzustimmen, wonach der zur Übereignung verpflichtete Eigentümer den Schutz seiner formalen Rechtsposition nicht mehr verdient 26 • Die Rechtfertigung der friedfertigen Selbstverwirklichung des Gläubigeranspruches ist somit auch außerhalb der gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen mit dem Güter- und Interessenabwägungsgedanken vereinbar. Letztlich ist zu beachten, daß man sich heute - anders als Kempf - nicht nur an dem Güterabwägungsgedanken orientieren darf, wenn man den Prinzipien der Rechtfertigung schon heuristischen Wert bei der Überprüfung einzelner Unrechtsausschließungsgründe beimessen will. Der Güterabwägungsgedanke wird nämlich heute zwar noch als ein wichtiges, aber nicht mehr als das einzige Regulativ der Rechtfertigungsgründe angesehen 27 • Insbesondere wird gerade heute das Bestreben deutlich, den systematischen Ort zahlreicher Abweichungen vom Güterabwägungsprinzip aufzudecken 28 und diese Abweichungen sodann durch Systematisierung nach einzelnen mehr oder minder großen Gruppen von Rechtfertigungsgründen zu erfassen. So unterscheidet bereits Mezger 29 zwei Gruppen von Unrechtsausschließungsgründen, die er nach dem Prinzip des "mangelnden" und dem Prinzip des "überwiegenden" Interesses einteilt. Das hier interessierende Prinzip des überwiegenden Interesses untergliedert er in drei Gruppen von Unrechtsausschließungsgründen: die überwiegenden Handlungspflichten, die besonderen Handlungsberechtigungen und das allgemeine Güterabwägungsprinzi p30. Schließlich suchen einige Autoren 31 den Güterabwägungsgedanken mit Doktrinen der Zwecktheorie zu kombinieren, um so neben dem Erfolgsauch das Handlungsunrecht gebührend zu berücksichtigen. Stratenwerth32 erkennt ebenfalls das Güterabwägungsprinzip als Voraussetzung der Rechtfertigung einschränkend nur insoweit an, als es um die Verletzung von Rechtsgütern der Allgemeinheit geht. Dazu zählt er auch die Nichterfüllung zivilrechtlicher Verbindlichkeiten. In den übrigen Fällen entscheide die Zuordnung der Rechtsgüter zur Autonomie des einzelnen, die nach seiner Auffassung ein elementares Ordnungsprinzip des geltenden Rechts bildet33 . Eser / S. / S., § 242 RN 57. Maurach / Zipf (AT); Bd. 1, § 25 III RN 8 (S. 327) m.w.N. 28 So Stratenwerth (ZStW 68), S. 4l. 29 Mezger, S. 204ff.; so auch Binding (Handbuch), S. 760 und heute Lenckner (Notstand), S. 133ff.; ders. / S. / S., RN 7 vor § 32. 30 Mezger, S. 206f. 31 Noll (ZStW 77), S. 9; Jeschek (AT), § 31 II 3 (S. 261); Welzel (LB), (4. - 8. Auflage) § 14 I B, der außerdem die Lehre von der sozialen Adäquanz als Rechtfertigungsprinzip betrachtet. 32 Stratenwerth (ZStW 68), S. 68. 33 Stratenwerth (ZStW 68), S. 70. 26 27
8. Anspruchsverwirklichung und Prinzipien der Rechtfertigung
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Anders wiederum differenziert Schmidhäuser3 4, der zwischen der Rechtfertigung aus individueller und aus überindividueller Zweckhaftigkeit unterscheidet. Die Rechtfertigung aus überindividueller Zweckhaftigkeit bestimmt Schmidhäuser im Blick auf den äußeren Handlungsvollzug danach, ob sie in das tägliche Leben der Gesellschaft hineinpaßt, während er die Rechtfertigung aus individueller Zweckverfolgung auf Handlungen bezieht, die in ihrem äußeren Vollzug wertambivalent sind35 • Roxin36 und ihm folgend auch Zipf37 verzichten schließlich angesichts der bisher fehlgeschlagenen Systematisierungsversuche ganz darauf, für die vielzähligen und verschiedenartigen RechtfertigungsgrÜDde ein allgemeines Rechtfertigungsprinzip zu entwickeln. Roxin arbeitet stattdessen mit einer begrenzten Zahl von Ordnungsprinzipien, wie z. B. den Prinzipien des Selbstschutzes, der Rechtsbewehrung, der Verhältnismäßigkeit, der Autonomie und des Vorrangs staatlicher Zwangsmittel, die den einzelnen RechtfertigungsgrÜDden in unterschiedlichen Kombinationen teils ergänzend, teils beschränkend zugrunde liegen und ein Urteil über die soziale Nützlichkeit oder Schädlichkeit eines Verhaltens erlauben sollen. Ordnet man die friedfertige Anspruchsverwirklichung den vorstehenden neueren Systematisierungsversuchen zu, so zeigt sich, daß die Rechtfertigung des Gläubigerverhaltens mit den unterschiedlichen Prinzipienmodellen vereinbar ist. Dies gilt insbesondere für die den Güterabwägungsgedanken mit Zweckgesichtspunkten kombinierenden Theorien, da das Erreichen des von dem Gläubiger verfolgten Zieles, die Erfüllung der Verbindlichkeit ohne Friedensgefährdung herbeizuführen, vom Recht nicht nur gebilligt, sondern sogar gefordert wird. Nach der Differenzierung Stratenwerths hat dies sogar zur Folge, daß der Gläubiger nicht nur seinen eigenen Vorteil verfolgt, sondern zugleich der Rechtsordnung, die die Erfüllung der Verbindlichkeit gebietet, zur Geltung verhilft. Schließlich kann auch von einer Unvereinbarkeit mit den von Roxin benannten Ordnungsprinzipien keine Rede sein. Roxin bringt nämlich zutreffenderweise das Prinzip des Vorrangs staatlicher Zwangsmittel nur im Falle der gewaltsamen privaten Selbsthilfe zur Anwendung und verweist
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Schmidhäuser (AT), S. 133 RN 19f. Schmidhäuser (AT), S. 133 RN 19. Roxin (Strafrechtssystem), S. 24ff. Maurach / Zipf (AT) 6. Aufl. Bd. 1, § 25 III RN 9f. (S. 329).
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8. Anspruchsverwirklichung und Prinzipien der Rechtfertigung
den Gläubiger nur in diesem friedensgefährdenden Fall auf die staatlichen Durchsetzungsorgane38 • Zusammenfassend läßt sich somit sagen, daß entgegen der Auffassung Kempfs aus den Prinzipien der Rechtfertigung kein Argumentationsmaterial gegen die Rechtfertigung friedfertiger Formen privater Anspruchsverwirklichung gewonnen werden kann.
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Roxin (Strafrechtssystem), S. 28.
9. Die Abwehrrechte des Schuldners Heuristischer Wert kommt bei der Kontrolle von Rechtfertigungsgründen den bei ihrer Anwendung verbleibenden Abwehrrechten des Eingriffsgegners zu!. Das Augenmerk ist insbesondere auf den Umstand zu lenken, daß die Eingriffsrechte, die man dem tatbestandsmäßig handelnden Gläubiger zur Begründung der Straflosigkeit seines Vorgehens gewährt, zwangsläufig entsprechende Duldungspflichten des betroffenen Rechtsgutsträgers zur Folge haben 2 • Zu einer einseitigen Verschiebung der korrespondierenden Eingriffs- und Abwehrbefugnisse zugunsten des Eingreifenden darf es nicht kommen, da ansonsten der in der Privilegierung des Anspruchsberechtigten liegende Vorteil durch die gleichzeitige Veränderung in "malam partem" auf Seiten des betroffenen Rechtsgutsinhabers relativiert würde 3 • Bei der Interessenabwägung sind daher neben der Bewertung der kollidierenden Rechtsgüter auch etwaige mit dem neuen Rechtfertigungsgrund verbundene Änderungen der Eingriffs- und Abwehrrechte zu berücksichtigen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wie die Tatsache beweist, daß mittlerweile insbesondere der sogenannten "Notwehrprobe" die Funktion eines Prüfsteins neuartiger Rechtfertigungsgründe zugewiesen wird4 • Da nach den engen Voraussetzungen der rechtfertigenden Anspruchsverwirklichung possessorische Abwehrrechte des Schuldners (§ 859 BGB) ausscheiden, gewinnt hier das Notwehrrecht als einzig denkbare Abwehrbefugnis des Schuldners besondere Bedeutung. Zur Beantwortung der entscheidenden Frage, ob das Verteidigungsrecht des Schuldners aus § 32 StGB infolge der rechtfertigenden Kraft des Gläubigeranspruchs in unzulässiger Weise eingeschränkt wird, ist zunächst der Umfang des Notwehrrechts des Schuldners bei Anwendung dieses Rechtfertigungsgrundes mit dem Umfang seiner Abwehrbefugnis bei Nichtanwendung des vertraglichen Rechtfertigungsgrundes zu vergleichen. Nur wenn sich bei diesem Vergleich Abweichungen zuungunsten des Schuldners ergeRoeder (Risiko), S. 85; Maurach (AT) 4. Aufl., S. 549; siehe auch Fn. 4. VgL Eser / S. / S., § 1 RN 17; zur Doppelwirkung erweiteter Rechtfertigungsmöglichkeit auch Suppert, S. 371f. 3 Zu den aus der Schaffung übergesetzlicher Rechtfertigungsgründe resultierenden verfassungsrechtlichen Problemen ausführlich Suppert, S.293ff. mit zahlreichen Nachweisen. 4 Fischer (Rechtswidrigkeit), S. 201; Zipf (ZStW 82), s. 641; Lenckner (Notstand), S. 151; Roeder (Risiko), S. 85; Maurach (AT) 4. Aufl., S. 549; Suppert, S. 294. A. A.: Felber (Diss.) S. 4, der die Tauglichkeit der Notwehrprobe bezweifelt. 1
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9. Die Abwehrrechte des Schuldners
ben, ist zu entscheiden, ob deshalb dem Gläubigeranspruch als Rechtfertigungsgrund die Anerkennung versagt bleiben muß.
9.1. Die friedfertige Anspruchsverwirklichung und der "Angriff" i. S.d. § 32 StGB Von einer Einschränkung der Abwehrrechte des Schuldners kann keine Rede sein, wenn auch ohne den Rechtfertigungsgrund des zivilrechtlichen Vertrages der Schuldner zur Notwehr gegen den Zugriff des Gläubigers nicht berechtigt wäre. Eine Notwehrlage müßte apriori verneint werden, wenn es infolge der die Herrschaftssphäre des Schuldners nicht tangierenden Vorgehensweise des Gläubigers bereits an einem "Angriff" LS.d. § 32 StGB fehlt. Zweifel an dem Vorliegen dieses Merkmals treten auf, wenn - wie in den Ausgangsfällen 1 - 6, 8 u. 11 - 13 erkennbar - keine Gewalt gegen den Schuldner ausgeübt wird und auch ein Eingriff in seinen Machtbereich unterbleibt. So z. R, wenn jemand eine in seinem Besitz befindliche Sache des Eigentümers zerstört oder den Berechtigten ohne Gewalt zur Duldung der Nutzung eines Immaterialgüterrechts zwingt. Daß es intensiver Eingriffe in den Rechtskreis des Opfers zur Ausfüllung des Angriffsmerkmals nicht unbedingt bedarf, ist nicht selbstverständlich. Der Rechtsprechung 5 und der h. L.6, die heute jede Art der Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes als "Angriff" L S. d. § 32 StGB werten, sind zu jeder Zeit namhafte Autoren entgegengetreten. So war in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die Auffassung weit verbreitet, Voraussetzung eines Angriffs sei, daß dieser in der Außenwelt sichtbare Gestalt annehme 7 • Der Angriff auf das Vermögen wurde aus diesem Grunde immer mit dem Angriff auf den unmittelbaren Besitz verbundenB, mit der Folge, daß Vermögensnotwehr nur zum Schutze des unmittelbaren Besitzes als zulässig erachtet wurde. Zu Recht ist diese Auffassung heute überwunden. Zum einen gibt es nämlich auch Angriffshandlungen, die ebenfalls in der Außenwelt sinnlich wahrnehmbar sind, ohne daß es hierfür auf die Besitzverhältnisse ankäme 9 • Zum anderen führte die genannte Ansicht zu einer bedenklichen Lücke im RGSt 21/168 (170); RGSt 29/240. Amelung (GA 1982), S. 384; Baumann (AT), S. 308; Dreher / Tröndle, § 32 RN 4; Frank, § 53 Arun. I 1; Jescheck (AT), S.271 (§ 32 II 1a); Suppert, S.259; Liszt / Schmidt, S. 194; Baldus / LK, § 53 Arun. 2; Jaeger (Diss.), S. 75; Maurach / Zipf (AT), § 26 II RN 10ff. (S. 338ff.); Welzel (LB), S. 84, Lenckner / S. / S., § 32 RN 4. 7 Neubecker (DJZ 05), S. 150f.; von Bahr (III), S. 148; Titze (Diss.), S. 74f. u. 77; Jaeger (Diss.), S. 77; Staudinger / Dilcher, § 227 Anm. 3a m. w.N.; Pawlowski, S. 12 m.w.N. 8 Titze (Diss.), S. 74f. 9 Sommerfeld, S. 49 f. 5
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9.1. Anspruchsverwirklichung und "Angriff" LS.d. § 32 StGB
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Strafrechtsschutz. Paradigmatisch sei hier nur auf den Fall verwiesen, in dem der Täter seinem Opfer eine Sache zunächst wegnimmt und anschließend zerstört. Gegen die verboten eigenmächtige Zueignung könnte sich der Eigentümer zwar wehren, nicht aber gegen den anschließenden Eingriff in die Sachsubstanz. Der Eigentümer dürfte, wolle er nicht auf sein Notwehrrecht und damit auf effektiven Rechtsschutz verzichten, seine Sachen niemals aus der Hand geben. Der Versuch, die Notwehrbefugnis durch restriktive Interpretation des Angriffsmerkmals zu begrenzen, wird heute allerdings noch von H. Mayer 10 unternommen, der nur gewaltsame Eingriffe, die sich mittelbar oder unmittelbar gegen die Person richten, als "Angriff" im Sinne des Notwehrrechts betrachtet. Im wesentlichen stützt Mayer seine Ansicht auf zwei Argumente: Er verweist einerseits auf die historischen Grundlagen des Notwehrrechts, insbesondere auf den römisch-rechtlichen Satz "vim vi repellere non licet"ll. Aus diesem Begriff der "vis" leitet Mayer ab, daß auch heute nur ein gewaltsames Vorgehen als "Angriff" gelten könne. Andererseits schließt Mayer aus Art. 2 a Abs. 2 MRK, daß Notwehr nur gegen gewalttätige Angriffe zulässig sei. Auch die Auffassung Mayers vermag nicht zu überzeugen. Die von ihm vorgenommene Verknüpfung von Angriff und Gewalt läßt sich nur in älteren Rechten nachweisen. In § 53 StGB a.F. und § 32 StGB n.F. findet sich dafür keinerlei Anhalt1 2 • Richtig ist, daß nach § 518 II 20 ALR und den meisten Partikulargesetzbüchern Notwehr nur gegen eigenmächtige Gewalt erlaubt war13 . Daß der Eingriff ein gewalttätiger sein müsse, war auch noch - wie sich aus den Materialien zum preußischen Strafrecht ergibt 14 - die Intention des Gesetzgebers zu § 41 pr. StGB, dem Vorgänger der heutigen Notwehrregelung. Diese restriktive Haltung zum Notwehrrecht, mit der Handgreiflichkeiten insbesondere gegen reine Verbaliniurien ausgeschlossen werden sollten15 , fand allerdings im preußischen Strafrecht keinen normativen Niederschlag und wurde auch von der h.L. nicht getragen, die zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken auf das Erfordernis eines gewalttätigen Angriffs verzichtete. Daß schließlich die Gesetzgeber des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund und des Reichsstrafgesetzbuches die Voraussetzung eines gewalttätigen Angriffs nicht mehr aufstellten, rechtfertigt den Schluß, daß 10 Mayer (AT) 1967, S. 97; ders. (AT) 1953, S. 203, allerdings mit weniger präzisen Eingrenzungen. 11 D. 43, 16, 1. 12 Suppert, S. 256ff. 13 Vgl. dazu von Bar, S. 132. 14 Goltdammer, S. 417f. 15 Goltdammer, S. 362f. u. 417f.; Berner, S. 134.
9 H.-D. Weber
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9. Die Abwehrrechte des Schuldners
eine solche Einschränkung des Notwehrrechts künftig nicht mehr gelten sollte 16 . Mayer bleibt damit den Beweis für die Weitergeltung der historischen Einschränkung des Angriffsmerkmals im heutigen Recht schuldig. Auch aus der Notwehrbeschränkung in Art. 2 IIa MRK kann Mayer kein Argument zur Begründung seiner Ansicht ziehen. Unzutreffend ist insbesondere die Schlußfolgerung, daß nach der MRK zur Ausübung der Notwehrbefugnis stets ein gewalttätiger Angriff vorliegen müsse 17 . Bereits aus dem Wortlaut des Art. 2 IIa MRK ergibt sich, daß ein gewalttätiger Angriff nur bei der Tötung eines Menschen vorausgesetzt wird, andere Notwehrakte hingegen nicht berücksichtigt werden 18 . Da die ratio legis nichts Gegenteiliges offenbart, ist entgegen der Auffassung Mayers auch nach der MRK die Abwehr gewaltloser Eingriffe grundsätzlich zulässig19 . Zudem kann nach h. M.20 die MRK schon deshalb das Notwehrrecht nicht einschränken, weil die Konvention nur im Verhältnis Staat/Bürger Anwendung findet und somit auf die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten keinen Einfluß hat.
9.2. Die friedfertige Anspruchsverwirklichung und die Rechtswidrigkeit des Gläubigerangriffs Eine Einschränkung der Notwehrbefugnis des Schuldners gegen die eigenmächtige Durchsetzung des Anspruchs durch den Gläubiger ist nicht zu befürchten, wenn der Schuldner ohnehin den Eingriff des Gläubigers zu dulden hat. Die h. M.21 sieht dann nämlich den Angriff nicht als rechtswidrig an, mit der Folge, daß der Schuldner nicht abwehrbefugt ist. Leicht wird übersehen, daß sich Duldungspflichten des Schuldners und entsprechende Eingriffsrechte des Gläubigers aus dem Zivilrecht ergeben. Diese sind nach dem Prinzip der Einheitlichkeit der Rechtsordnung auch bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit einer Handlung im Strafrecht zu berücksichtigen. So wird beispielsweise in den Ausgangsfällen 1 und 2, in 16 Amelung (GA 1982), S. 384; Jescheck (AT), S. 271 (§ 32 II 1 a), der ebenfalls von einem weiteren, von dem Begriff der "vis" unterschiedlichen Angriffsbegriff ausgeht. 17 So aber Mayer, s. 97f. 18 VgL Amelung (GA 1982), S. 384. 19 Suppert, S. 255. 20 Amelung (GA 1982), S. 384; Blei (AT), S. 131; Dreher / Tröndle, § 32 RN 21; Jescheck (AT), S. 280 (§ 32 V); Krey (JZ 1979), S. 708; Krüger (NJW 1970), S. 1485; Lenckner (GA 1968), S. 5; ders. / S. / S., S. 32 RN 62; Schmidhäuser (AT) 2. Aufl., S. 343; Welzel (LB), S. 86; A. A.: OLG Köln OLGSt § 32 S. 13; Baumann (AT), S. 319; Maunz / Dürig, Art. 1 RN 62; Echterhölter (JZ 1956), S. 143f. 21 RGSt 21/168 (171); RGSt 27/44 (46); BGHZ 66/37 (39); Baumann (AT), S. 308f.; Geilen (JURA 1981), S. 256; Stratenwerth (AT), RN 424; Binding (Handbuch), Bd. 1 S. 740; Frank, § 53 Anm. I 2b; Preisendanz, § 32 Anm. II 1d; weitere Nachweise bei Felber (Diss.), S. 40 Fn. 14.
9.2. Anspruchsverwirklichung und Rechtswidrigkeit des Angriffs
131
denen sich der Verpächter zur Duldung der Rodung bzw. der Materiallagerung verpflichtet hat, die vermittels einer eigentumsverletzenden Handlung indizierte Rechtswidrigkeit22 durch die Duldungspflicht des Eigentümers aus § 1004 Abs. 2 BGB widerlegt 23 • Nach § 1004 Abs. 2 BGB ist der Eigentümer nicht nur zur Duldung der Störung verpflichtet, wenn allgemeine Rechtfertigungsgründe zugunsten des Störers eingreifen, sondern darüber hinaus auch beim Vorliegen weiterer besonderer Duldungspflichten24 • Wie unter 6.1.1.2. bereits ausgeführt, zählen zu ihnen auch die rechtsgeschäftlich begründeten25 • In den Ausgangsfällen 1 und 2 hat dies zur Folge, daß die Eigentümer, die sich vertraglich zur Duldung der Beeinträchtigung ihres Eigentums verpflichtet haben, nachfolgend auch bei Widerruf der Erlaubnis keinen Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB herleiten können. Sie müssen die Eigentumsstörungen hinnehmen, weil diese durch die vertragliche Vereinbarung gerechtfertigt sind und negatorische Ansprüche nur bei rechtswidrigen Beeinträchtigungen entstehen können26 • Gegen die gerechtfertigten Eigentumsstörungen ihrer Vertragspartner stehen ihnen keine Abwehrrechte zu. Folge der Rechtfertigung durch die rechtsgeschäftlich begründete Duldungspflicht des Schuldners ist eine Ausweitung der Eingriffsbefugnis des Gläubigers, dessen "Tun-Dürfen" dem "Dulden-Müssen" des Schuldners stets exakt entspricht 27 • Wenn man mit der h. M. aus der vertraglichen Duldungspflicht des Eingriffsschuldners auf die Rechtmäßigkeit des Gläubigereingriffs schließt28 und an dem Prinzip der Einheitlichkeit des Rechtswidrigkeitsurteils festhält 29 , führt das vertragliche Eingriffsrecht des Gläubigers zum Ausschluß der nur bei rechtswidrigen Angriffen gegebenen Notwehrbefugnis des Schuldners. Zur Rechtswidrigkeitsindikation siehe BGH WM 1971/278f. Nach allgemeine Ansicht gelten die negatorischen Regelungen auch für den nichtbesitzenden Eigentümer: siehe nur Palandt / Bassenge, § 1004 Anm. 3 a; RGRK / Pikart, § 1004 Anm. 125; Staudinger / Berg, § 1004 RN 18. 24 Siehe nur Münch. / Komm. / Medicus, § 1004 RN 51. 25 BGH NJW 1958/2061; OLG Köln NJW 1955/1072; Staudinger / Gursky, § 1004 RN 136; Münch. / Komm. / Medicus, § 1004 RN 54; Palandt / Bassenge, § 1004 Anm. 7b. 26 RGZ 131/335 (336); BGHZ 66/37 (39); Münch. / Komm. / Medicus, § 1004 RN 49; Palandt / Bassenge, § 1004 Anm. 2a ee); Baur (AcP 160), S. 465. 27 Picker, S.180; Suppert, S.294; Baur (AcP 160), S.469f.; Westermann (SR), S. 177; Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 8. 28 Westermann (SR), § 36 I 2; ders. (JZ 1960), S. 695; Baur (SR), § 12 11 2; Erman / Hefermehl, § 1004 RN 32; Palandt / Bassenge, § 1004 Anm. 7; Picker, S. 171ff. und 175; Münch. / Komm. / Medicus, § 1004 RN 49; Deutsch (Fahrlässigkeit), S.261; Weitnauer (NJW 1962), S. 1190f. 29 Beling (Lehre vom Verbrechen), S. 128 f.; Suppert, S. 296; Fischer (Rechtswidrigkeit), S. 115; Seib (Diss.), S. 54f. u. 79f.; Deutsch (Fahrlässigkeit), S. 283; einschränkend allerdings ders. (Wahl-FS), S. 347f.; Engisch (Einheit), S. 42ff. u. 57ff.; Jescheck (AT), § 31 III (S. 262); Münzberg, S. 14 m. w.N. 22 23
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9. Die Abwehrrechte des Schuldners
Sowohl dem Schluß aus der Duldungspflicht des Eigentümers auf die Rechtmäßigkeit der Eigentumsstörung als auch der einheitlichen Betrachtung des Rechtswidrigkeitsurteils im Zivil- und Strafrecht sind allerdings namhafte Autoren entgegengetreten. Vor allem Münzberg widerspricht der nach seiner Auffassung rein terminologischen Ableitung der Rechtswidrigkeit des Gläubigerangriffs aus der fehlenden Duldungspflicht des Schuldners. Münzberg wendet insbesondere in bezug auf die Regelung des § 1004 BGB gegen eine solche Schlußfolgerung ein, daß es sich bei dem negatorischen Recht um eine Haftungsregelung handele. Dem Gesetzgeber stehe es frei, auch an rechtmäßige Beeinträchtigungen von Rechtsgütern haftungsrechtliche Folgen zu knüpfen, so daß die Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung unabhängig von der Frage der Haftung zu beurteilen sei3o • Dieser Einwand Münzbergs ist zwar grundsätzlich zutreffend. Es entspricht nämlich heute fast allgemeiner Auffassung3 1, daß von der Haftung nicht ohne weiteres auf die Rechtswidrigkeit des haftungsauslösenden Ereignisses geschlossen werden kann. In den §§ 904 S. 1 u. 2 BGB findet sich dafür ein anschauliches Beispiel. Im Falle der rein erfolgsorientierten Beurteilung der Haftung und der Rechtswidrigkeit bei § 1004 BGB geht der Einwand Münzbergs allerdings fehl. Da jede Beeinträchtigung eines geschützten Rechtsgutes die Rechtswidrigkeit dieser Handlung indiziert, kann nämlich auch bei § 1004 BGB die Rechtswidrigkeit der Störung als ungeschriebenes Merkmal behandelt3 2 und der Duldungspflicht aus § 1004 Abs. 2 BGB die Funktion eines Rechtfertigungsgrundes zugewiesen werden 33 • Rechtswidrigkeit der Störung und Haftung des Störers gehen daher jedenfalls bei § 1004 BGB immer Hand in Hand. Zu anderen Ergebnissen kann Münzberg 34 nur deshalb kommen, weil er von der erfolgsorientierten Rechtswidrigkeitsbestimmung abrückt und die 30 MÜllZberg, S. 72, der das Verhältnis von Haftung und Rechtswidrigkeit bildlich zutreffend als zweier sich schneidender Kreise bezeichnet; ähnlich Deutsch (WahlFS), S. 341. 31 Welzel (LB), S.18 vor I; Noll (ÜFRG), S.15, Kohlrausch / Lange, S.12f.; Deutsch (Wahl-FS), S. 34lf.; MÜllZberg, S. 73 m.w.N. 32 BzW. aus Gründen der Beweislast mit der fehlenden Duldungspflicht negativ umschriebenes Merkmal; vgl. Baur (SR), § 12 11 2; Westermann (JZ 1960), S.695; Baur, S.470; Deutsch (Fahrlässigkeit), S. 261; Weitnauer (NJW 1962), S. 1190 und Picker, S. 176, die lediglich von einem terminologischen Unterschied zwischen rechtswidrigem und nicht zu duldenden Eingriff ausgehen. A. A.: Enneccerus / Nipperdey, § 209 IV B 2b; Esser, § 113 11; Münzberg, S. 383; ders. (JZ 1967), S. 690, die die Rechtswidrigkeit der Störung nicht als Voraussetzung des § 1004 BGB ansehen. 33 Siehe Fn. 32 in Kap. 9.2. 34 Münzberg (JZ 1967), S. 690f. bezeichnet den Satz, rechtswidrig sei, was man nicht zu dulden brauche, als tautologische und ungenaue Definition.
9.2. Anspruchsverwirklichung und Rechtswidrigkeit des Angriffs
133
Lehre vom Verhaltensunrecht auf die negatorischen Regelungen überträgt. Es gelingt ihm infolgedessen, Fälle zu konstruieren, in denen ein Erfolg nach § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden ist, obwohl das ihn herbeiführende Verhalten rechtswidrig war 35 oder in denen selbst bei rechtmäßigen Handlungen der Erfolg nicht hingenommen werden muß 36 . Der Auffassung Münzbergs kann nicht gefolgt werden. Indem Münzberg die Handlung als Beurteilungskriterium für das Unrechtsurteil wählt, stellt er nämlich auf einen Aspekt ab, der der gesetzlichen Intention fernliegt 37 . Münzberg verkennt, daß die Rechtswidrigkeit in § 1004 BGB allein von dem Einbruch in das Eigentum begründet wird, ohne daß damit ein Unrechtsurteil über die störende Handlung ausgesprochen würde 38 • Steht nach den vorstehenden Ausführungen fest, daß aufgrund der vertraglich begründeten Duldungspflicht des Schuldners dem Gläubiger ein korrespondierendes zivilrechtliches Eingriffsrecht zusteht, welches seine anspruchsverwirklichenden Handlungen rechtfertigt, müßte aufgrund des überwiegend vertretenen Prinzips der Einheitlichkeit des Rechtswidrigkeitsurteils dieser Rechtfertigungsgrund auch strafrechtliches Unrecht ausschließen können. Das überwiegend verteidigte Prinzip der Einheitlichkeit des Rechtswidrigkeitsurteils wird allerdings von einigen in Zweifel gezogen. Ansatzpunkt der Kritik ist zum einen der Umstand, daß aufgrund der verschiedenartigen Unrechtslehren 39 im Zivil- bzw. Strafrecht von einem für alle Rechtsgebiete verbindlichen Unrechtsurteil nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann40 • Während im Zivilrecht mit nur wenigen Ausnahmen 41 bis heute der objektive (erfolgsorientierte) Rechtswidrigkeitsbegriff als maßgeblich zugrundegelegt wird42 , hat sich im Strafrecht, nicht zuletzt bedingt durch die ontologische Handlungslehre, ein personaler Unrechtsbegriff durchgesetzt43 . Von dem aufgezeigten Spannungsverhältnis zwischen Münzberg, s. 392, 403 f. Münzberg, S. 394ff.; 405; 410ff. 37 BGH NJW 1976/416; Baur (AcP 160), S. 465ff.; Palandt / Bassenge, § 1004 Anm. 2a ee); Münch. / Komm. / Medicus, § 1004 RN 49ff.; Felber (Diss.), S. 71, Zeuner (JZ 1961), S. 42; abweichend zum Teil Lutter / Overath (JZ 1968), S. 345ff. 38 Baur (AcP 160), S. 472; Hirsch (Dreher-FS), S. 231; kritisch zum Ansatz Münzbergs insbesondere Felber (Diss.), S. 132f. und 60f. 39 Zu der unterschiedlichen Sinnbedeutung von "Unrecht" und "Rechtswidrigkeit" siehe Lenckner / S. / S., vor § 13 RN 53 m.w.N. 40 Zur unterschiedlichen Bestimmung der Rechtswidrigkeit im Zivil- und Strafrecht siehe Deutsch (Wahl-FS), S. 345ff. 41 Münzberg, S. 437; wie zuvor schon K. Wolff (verbotenes Verhalten), S. 231 und Enneccerus / Nipperdey, S. 1277 u. 1294, der die finale Handlungslehre in das Zivilrecht überträgt. 42 BGHZ 24/21ff.; Soergel / Zeuner, § 823 RN 1ff.; Motive II, S. 726. 43 Ebertl Kühl (JURA 1981), S. 231ff.; Gallas (Bockelrp.ann-FS), S. 162ff.; Rudolphi (Maurach-FS), S. 51ff.; Lenckner / S. / S., vor § 13 RN 54; Otto (ZStW 87), 35
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134
9. Die Abwehrrechte des Schuldners
erfolgs- und handlungsbezogener Rechtswidrigkeitsbestimmung bleibt allerdings nicht viel übrig, wenn man die zivilrechtliche Rechtswidrigkeitsbeurteilung mit der strafrechtlichen Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Angriffs i. S. d. § 32 StGB vergleicht. Abweichend von der Erfassung des allgemeinen strafrechtlichen Unrechtsbegriffs wird nämlich die Rechtswidrigkeit des Angriffs von der h. M. ebenfalls erfolgsbezogen bestimmt44 • Die Beurteilungsgrundlagen sind demnach bezüglich der Rechtswidrigkeit bei § 1004 BGB und der Rechtswidrigkeit in § 32 StGB dieselben. Zu einem abweichenden Ergebnis können nur diejenigen kommen, die bei der Deutung der Rechtswidrigkeit des Angriffs auf dessen Verhaltensunwert abstellen wollen45 . Auch für diese bleibt aber der mit dem Angriff bezweckte Erfolg als Kriterium der Rechtswidrigkeitsbestimmung maßgeblich, da die verhaltensbestimmenden Normen nämlich nicht um ihrer selbst willen bestehen, sondern ebenfalls auf einen Erfolg, die Erhaltung bestimmter schutzwürdiger Rechtsgüter, abzielen46 • Wird daher im Recht ein bestimmter Erfolg ausdrücklich gebilligt, kommt es auf die Beurteilung des Verhaltens des Handelnden nicht mehr an47 • Der Verhaltensunwert orientiert sich insoweit ebenfalls an dem drohenden Verletzungserfolg. Bedeutung kommt der Bewertung des Verhaltensunrechts dann lediglich als Korrekturmöglichkeit zugunsten des Verletzers ZU48 , z. B. wenn ein mißbilligter Erfolg trotz verkehrsrichtigen Verhaltens eintritt49 • Selbst wenn man im Zivil- und Strafrecht von verschiedenartigen Kriterien der Rechtswidrigkeitsbeurteilung ausgehen wollte, hat dies lediglich zur Folge, daß im Strafrecht an die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eher strengere Voraussetzungen als im Zivilrecht gestellt werden müssen. Eine zivilrechtlich rechtmäßige, weil gerechtfertigte Handlung würde dann aber auf jeden Fall auch im Strafrecht das indizierte Unrecht ausschließen. Der Schuldner könnte nicht unter Berufung auf § 32 StGB den anspruchsverS.541ff.; Lampe (Das personale Unrecht), S. 227 ff.; Krauß (ZStW 76), S. 19ff.; Hirsch (Dreher-FS), S.222; Krümpelmann (Die Bagatelldelikte), S.74ff.; Armin Kaufmann (Welzel / FS), S. 393ff. 44 RGSt 27/44; Jescheck (AT), S. 273 (§ 32 11 1c); Stratenwerth (AT), RN 412; ders. (ZStW 68), S. 60; Baldus / LK, § 53 RN 7; Kohlrausch / Lange, S. 205f.; Lackner, § 32 Anm. 2 d; Bockelmann (AT), S. 93; w. N. bei Felber (Diss.), S. 38 Fn. l. 45 Lenckner / S. / S., § 32 RN 19; Hirsch (Dreher / FS), S. 223; Schaffstein (MDR 1952), S. 132ff.; weitere Nachweise bei Felber (Diss.), S. 51ff. Anders wiederum Felber selbst (Diss.), S. 67 u. 73, der den Rechtswidrigkeitsbegriff unmittelbar aus der ratio des Notwehrrechts gewinnt. 46 Armin Kaufmann, S. 74f.; Zippelius (AcP 157), S. 394; Felber (Diss.), S. 135. 47 Felber (Diss.), S. 135. 48 Felber (Diss.), S. 135. 49 Zum "verkehrsrichtigen Verhalten" als Rechtfertigungsgrund vgl. BGHZ 24/21 (25. u. 28).
9.3. Vertragsdurchsetzung und sozial-ethische Notwehreinschränkung
135
wirklichenden Eingriff des Gläubigers abwehren, sofern dieser nach zivilrechtlichen Bestimmungen gerechtfertigt ist. Dieses Ergebnis ist auch im Hinblick auf den strafrechtlichen Güterschutz zu begrüßen. Es gäbe keinen Sinn, wenn der Eingriff des Gläubigers zivilrechtlich zwar gerechtfertigt wäre, strafrechtlich jedoch ein rechtswidriger Eingriff in die Schuldnerrechte vorläge. Der strafrechtliche Schutz würde dann nämlich unnötig überzogen, da sich eine strafrechtliche Absicherung der Vermögensrechte des Schuldners erübrigt, soweit sich die fehlende Schutzwürdigkeit des Schuldners bereits aus den zivilrechtlichen Regelungen und Doktrinen ergibt. Die Notwehrprobe gelingt nach alledem aber nicht nur in den beispielhaft genannten Ausgangsfällen 1 und 2. Da § 1004 BGB bei jeder Eigentumsstörung, die nicht durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes geschieht, eingreift, ist der Gläubiger auch in den Ausgangsfällen 3 - 6 und 8 - 12, in denen er durch sein Vorgehen das Eigentums-, Patent- bzw. Urheberrecht des Schuldners beeinträchtigt, aufgrund der vertraglich begründeten Duldungspflicht des Schuldners gern. § 1004 BGB gerechtfertigt. Zudem wird über die in § 1004 BGB genannte Eigentumsstörung hinaus durch die permanente Weiterentwicklung der zu § 1004 BGB entwickelten Grundsätze im quasi-negatorischen Bereich eine große Palette weiterer Rechtsgutsbeeinträchtigungen erfaßt, die der Schuldner aufgrund seiner vertraglichen Duldungspflicht hinzunehmen hat und nicht abwehren darf.
9.3. Die friedfertige Anspruchsverwirklichung und die sozial-ethischen Einschränkungen der Notwehr Auch wenn es nach der hier vertretenen Auffassung, wonach es bei der friedfertigen Selbstdurchsetzung von Ansprüchen bereits an der Rechtswidrigkeit des Angriffs fehlt, nicht mehr darauf ankommt, ist anzumerken, daß die rechtfertigende Anspruchsverwirklichung der "Notwehrprobe" zudem deshalb standhält, weil die Abwehrbefugnis des Schuldners auch aus sozial-ethischen Gründen entfällt. Gerade die moderne Entwicklung des Notwehrrechts 50 hat zu einschneidenden51 Eingrenzungen desselben geführt. Allein aus dem Verstoß gegen die normative Geltung der Rechtsordnung kann daher nicht ohne weiteres auf die Notwehrlage des Rechtsgutsträgers geschlossen werden52 • Sowohl 50 Ausführliche Übersicht zur geschichtlichen Entwicklung bei Krey (JZ 1979), S. 702ff. 51 Vgl. Jescheck (AT), S. 276 (§ 32 III); Hassemer (Bockelmann-FS), S. 225 S. 228ff.; Kratzsch (Grenzen), S. !1.9; Lenckner / S. / S., S. 32 RN 43, die sogar von der Gefahr einer Entwertung des Notwehrrechts sprechen. 52 Schmidhäuser (Honig-FS), S. 198f.
136
9. Die Abwehrrechte des Schuldners
das Merkmal der "Erforderlichkeit"53 als auch das des "Gebotenseins"54 werden heute zu einer äußerst restriktiven Auslegung des § 32 StGB genutzt 55 . Die Rechtsprechung 56 und der überwiegende Teil der Literatur57 sehen in dem zuerst im Zivilrecht entwickelten58 Rechtsmißbrauchsprinzip den tragenden Gedanken für die Einschränkung. Insbesondere die Anlehnung dieses Prinzips an zivilrechtliche Grundlagen (§§ 138; 226; 242; 826 BGB) erleichtert die Beurteilung der Abwehrrechte des Schuldners gegen Eingriffe des Gläubigers, die der Verwirklichung eines vertraglichen Anspruchs dienen: Das Eigentum bleibt dem Schuldner zwar infolge des Abstraktionsprinzips als absolutes Recht erhalten, mit der Folge, daß er Eingriffe Dritter gern. § 227 BGB abwehren kann. Erheblich eingeschränkt sind die Abwehrbefugnisse jedoch gegenüber dem Gläubiger, der ein, wenn auch nur obligatorisches Recht auf den Eingriff hat. Wollte der Schuldner allein aufgrund seiner formellen Eigentümerstellung vom Gläubiger verlangen, den Eingriff in sein Eigentum zu unterlassen, so würde er gerade das verbieten, was er zu erlauben verpflichtet ist. Der Gläubiger könnte dem Unterlassungs begehren des Schuldners die Arglisteinrede entgegenhalten. Daß auch das starke dingliche Recht und die daraus resultierenden umfassenden Befugnisse aus § 903 BGB insofern inter partes durch das obligatorische Rechtsgeschäft geschwächt werden können 59 , beweist auch ein Umkehrschluß aus dem speziellen possessorischen Notwehrrecht 60 des § 859 BGB. Aus Gründen des Friedensschutzes 61 werden im Besitzrecht ausnahmsweise die petitorischen Rechte des in den Besitz des Schuldners eingreifenden Gläubigers nicht 53 RGSt 71/133; RGSt 72/57; BGHSt 5/245 (248); BGH NStZ 81/22 (23); OLG Düsseldorf NJW 1961/1783 (1784); BayObLG NJW 1963/824 (825); OLG Braunschweig MDR 1947/205f. 54 OLG Stuttgart DRZ 1942/42f.; Roxin (ZStW 75), s. 556; ders. (ZStW 93), s. 79; Krey (JZ 1979), S. 713f.; Himmelreich (GA 1966), S. 129f.; Baumannn (AT), S. 317; Lackner, § 32 Anm. 3 a. 55 Als Ansatzpunkte sozial-ethischer Einschränkungen finden sich darüber hinaus auch die Begriffe "Angriff", "Verteidigungswille" und "Notwehrlage" (vgl. Hassemer, S. 229 m.w.N.) und übergesetzliche Gesichtspunkte ("Naturrecht", "Zumutbarkeit", "Rechtsgefühl", "Volksanschauung" usw.; vgl. nur Kratzsch (JuS 1975), S. 437 m.w.N.). 56 RGSt 69/308 (310); RG HRR 1940/1143; BGHSt 24/356ff.; BGH NJW 19621308 (309); BGH GA 1968/183; BGH GA 1969/23 (24); BGH bei Dallinger MDR 1954/335; BayObLG NJW 1954/1377f.; OLG Frankfurt VRS 40/424 (425); OLG Braunschweig Nds. Rpfl. 1953/166; ablehnend allerdings OLG Kiel HESt 2/207. 57 Roxin (ZStW 75), s. 556; ders. (NJW 1972),1821; Bockelmann (Honig-FS), S. 28; Maurach 1 Zipf Bd. 1, S. 387 (§ 29 III RN 14); Schaffstein (MDR 1952), S. 135; Baldus 1 LK, § 53 RN 29; Rudolphi (JuS 1969), S. 464; Welzel (LB), S. 87; w.N. bei Lenckner 1 S. 1 S., § 32 RN 46. 58 Zur Entwicklung des Mißbrauchsprinzips siehe Siebert, S. 80 ff. und 151 ff. sowie Otto (Würtenberger-FS), S. 130ff. 59 Vgl. Diederichsen (Das Recht zum Besitz), S. 89ff. 60 Vgl. vorstehende Fn. 61 Vgl. vorstehende Fn.
9.3. Vertragsdurchsetzung und sozial-ethische Notwehreinschränkung
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berücksichtigt62 (vgl. bei der Besitzschutzklage § 863 BGB). Diese Regelung wäre überflüssig, wenn die Abwehrrechte immer - auch bei Eingriffen in besitzlose Rechtsgüter - unabhängig von der petitorischen Lage zu beurteilen wären. Ein unmittelbarer Rückgriff auf die zivilrechtlichen Wertungen der §§ 138; 226; 242; 826 BGB verbietet sich allerdings für diejenigen, die den Mißbrauchsgedanken als zu indifferent und damit als untauglich zur Eingrenzung der Notwehrbefugnis ansehen 63 und stattdessen die Einschränkung des "schneidigen" Notwehrrechts aus dessen Grundgedanken, "Individual-Rechtsgüterschutz" und "Bewährung der Rechtsordnung" herleiten 64 . Auch bei dieser teleologischen Reduktion der Notwehrbefugnis 65 wirkt sich im Ergebnis das vertragswidrige Schuldnerverhalten aus, welches erst zu dem Eingriff des Gläubigers Anlaß gegeben hat. Abgesehen von der schwindenden Schutzwürdigkeit des Individualrechtsguts des Schuldners 66 besteht kein Interesse an der Verteidigung der Rechtsordnung, wenn der Schuldner mit der Abwehr des anspruchsverwirklichenden Gläubigereingriffs einen Zustand herstellt, der aufgrund des obligatorischen Rechts sofort wieder zugunsten des Gläubigers geändert werden müßte. Allein die mit der Anspruchsverwirklichung verbundene Veränderung der faktischen Verhältnisse gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß. Ziel der Notwehrregelung ist nämlich nicht primär die Aufrechterhaltung faktischer Verhältnisse, sondern der daraus resultierende tatsächliche Frieden 67 • Verletzt der Gläubiger im Falle friedfertiger Anspruchsverwirklichung schon nicht die Integrität der Herrschaftssphäre des Schuldners, so liegt mit dem Eingriff des Gläubigers zwar tatbestandsmäßig ein Angriff auf das betref62 Bei dieser Beurteilung bleibt es auch bei Anerkennung des Vertrages als selbständigen Rechtfertigungsgrund, da § 858 Abs. 1 BGB zum Ausschluß der verbotenen Eigenmacht ausdrücklich ein gesetzliches Eingriffsrecht verlangt. Vgl. nur RGZ 146/ 182 (186); Palandt / Bassenge, § 858 Anm. 6. 63 Kratzsch (Grenzen), S.38ff.; ders. (JuS 1975), S.437; Schmidhäuser (AT), S. 155f. RN 75; ders. (Honig-FS), S. 188f.; Lenckner (GA 1968), S. 5; ders. / S. / S., § 32 RN 47, der aber vor § 32 RN 23 wiederum von mißbräuchlicher Herbeiführung der Rechtfertigungsgrundlage spricht; Bertel (ZStW 84), S. 3f., 9 u. 19; Nauke (H. Mayer-FS), S. 571ff.; Otto (Würtenberger-FS), S. 135f.; Blei (AT), S. 135f.; Baumann (MDR 1962), S. 349. 64 Otto (Würtenberger-FS), S. 138f.; Hassemer (Bockelmann-FS), S. 238ff.; Krause (Bruns-FS), S. 81f.; Roxin (ZStW 75), S. 541ff.; ders. (ZStW 93), S. 70ff.; Lenckner (GA 1968), S. 1; ders. / S. / S., § 32 RN 47; Jescheck (AT), S. 277 (§ 32 rn 3a); Bockelmann (AT), S.97; Fischer (Rechtswidrigkeit), S.202 u. 211; grundlegend: Felber (Diss.), S. 87ff. u. 168. 65 Dazu besonders Bertel (ZStW 84), S. 4. 66 Vgl. Eser / S. / S., § 242 RN 57. 67 Fischer (Rechtswidrigkeit), S.202 u. 211; ähnlich Otto (Würtenberger-FS), S. 139, der zutreffend in den einzelnen Rechtsgütern keinen absolut geschützten Hort des Rechtsfriedens sieht.
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9. Die Abwehrrechte des Schuldners
fende Rechtsgut des Schuldners vor. Mangels einer abwehrwÜTdigen Friedensstörung erfordert er aber nicht die Bestätigung des von der Rechtsordnung erhobenen Geltungsanspruchs 68 • Da sich der Schuldner somit ohnehin wegen der fehlenden Rechtswidrigkeit des Angriffs und der fehlenden Gebotenheit der Verteidigung gegen die friedfertige und persönlichkeitsschonende Anspruchsverwirklichung durch den Gläubiger nicht unter Berufung auf § 32 StGB wehren kann, scheitert der Gläubigeranspruch als neuartiger Rechtfertigungsgrund nicht an der Notwehrprobe.
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Ähnlich Fischer (Rechtswidrigkeit), S. 202 u. 211.
10. Der zivilrechtliche Vertrag als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund und das Problem der Anwendbarkeit und der Auswirkung zivilrechtlicher Rückwirkungsregeln Erhält der Vertrag rechtfertigende Wirkung auch im Strafrecht, bestimmt sich dessen Wirksamkeit im Unterschied zur unrechtsausschließenden strafrechtlichen Einwilligung doch weiterhin nach zivilrechtlichen Regeln. Viele der zivilrechtlichen Bestimmungen! geben dem Berechtigten die Macht, über seine privaten Rechtsverhältnisse mit rückwirkender Kraft zu disponieren. Dies ist im Zivilrecht unproblematisch, da es dort um die Ordnung dinglicher bzw. obligatorischer Rechte des Einzelnen geht. Könnte im Strafrecht hingegen der Betroffene z. B. eine zwar tatbestandsmäßige aber gerechtfertigte Handlung des Gläubigers nachträglich durch Anfechtung des rechtfertigenden Rechtsgeschäfts zu einer rechtswidrigen machen oder umgekehrt durch Genehmigung eines im Zeitpunkt der Tat schwebend unwirksamen Vertrages nachträglich den staatlichen Strafanspruch zugunsten des Täters entfallen lassen, wäre dies mit dem Grundsatz "jus publicum privatorum pactis mutari non potest" nicht vereinbar2 • Ganz überwiegend wird daher die Meinung vertreten, daß durch eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Betroffenen nach der Tatausführung das Unrecht der Tat nicht ausgeschlossen bzw. erzeugt werden könne3 . Anderer Auffassung sind in der Literatur lediglich Zitelmann4, Binding5 und U. Weber 6 , die bei Rechtfertigungsgrunden rechtsgeschäftlichen Charakters die Rückwirkungsregeln für voll anwendbar erklären mit der Folge, daß der Strafanspruch erst entsteht, wenn feststeht, daß die Genehmigung 1 Z. B. §§ 84; 110; 142 i. V.m. §§ 119 - 124; 184 Abs. 1 i. V.m. § 185; 263 Abs. 2; 313 S. 2, 389; 940 Abs. 2; 955 Abs. 3; 1139; 1329 i. V.m. §§ 1324ff.; 1957 Abs. 1; 2078ff.; 2344 i. V.m. 2340 BGB etc. 2 RGSt 25/375 (383); Schubert (Diss.), S. 26; NoH (ÜRFG), S. 130; Schenke (Diss.), S.120 Fn. 2. 3 Siehe nur Geerds (Diss.), S. 235; Schenke (Diss.), S. 120; Schubert (Diss.), S. 50 mit Hinweisen auf die ältere Literatur (S. 22). Zur nachträglichen Genehmigung in der Einwilligungslehre: BGHSt 7/295; BGHSt 17/359f.; OLG Frankfurt VRS 29/457; Lenckner 1 S. / S., vor § 32 Anm. 44; Samson / SK, vor § 32 RN 44; Hirsch / LK, vor § 51 RN 108; Baumannn (AT), S. 336. 4 Zitelmann, S. 62. 5 Binding (Bedingtes Verbrechen), S. 113ff. 6 U. Weber, S. 276f. u. 280.
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10. Anspruchsverwirklichung und zivilrechtliche Rückwirkungsregeln
nicht erteilt wird bzw. solange in der Schwebe ist, bis der Vertrag innerhalb der gesetzlichen Fristen (§§ 121; 124 BGB) angefochten wird. Dieser Auffassung kann allerdings nicht gefolgt werden. Sie würde nicht nur zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, daß Privatpersonen über Entstehung und Untergang des öffentlich-rechtlichen Strafanspruchs nach Belieben bestimmen könnten. Sie würde darüber hinaus das Bestehen des Strafanspruchs auch von rein zivilrechtlich determinierten Fristenregelungen wie z. B. den Regelungen über die Anfechtungsfristen (§§ 121; 124 BGB) abhängig machen, denen strafrechtlich keine Bedeutung zukommen kann. So ist z. B. nicht einzusehen, daß die Frage der Bestrafung davon abhängig sein soll, wann der Rechtsgutinhaber von seinem Irrtum i. S. d. § 119 BGB Kenntnis erlangt hat und ob wegen des Irrtums ggf. unverzüglich die Anfechtung der rechtfertigenden Vertragserklärungen erfolgt. Geht man daher mit der h. M. davon aus, daß ein nachträgliches Einwirken auf den staatlichen Strafanspruch selbst7 nicht zulässig sein kann, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen dies für die Konstituierung des zivilrechtlichen Vertrages als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht hat. Während häufig das Problem der Anwendung rückwirkender Zivilrechtsbestimmungen ausgeschaltet wird, indem man die Rückwirkungsregeln im Strafrecht einfach für unanwendbar erklärt8 , benutzt Firnhaber9 die Rückwirkungsproblematik zur Argumentation gegen die Zulässigkeit rechtsge-' schäftlich begründeter Rechtfertigungsgründe. Er lehnt es - wie viele vor ihm - nämlich ab, zivilrechtliche und damit rechtsgebietsfremde Kategorien wie z. B. schwebende Unwirksamkeit, Anfechtbarkeit etc. in das Strafrecht hineinzutragen. Diese Argumentation gegen eine rechtsgeschäftliche Rechtfertigung geht . allerdings fehl. Zum einen läßt sich die beschworene Unverträglichkeit des Strafrechts mit zivilrechtlichen Kategorien nicht beweisen 10 • Gerade umgekehrt folgt z. B. aus §§ 229 und 559, 561 BGB, die als Rechtfertigungsgründe nach allgemeiner Auffassung auch im Strafrecht anwendbar sind, daß aus einem privatrechtlichen Verhältnis, dessen Wirksamkeit sich ausschließlich nach zivilrechtlichen Regeln bestimmt, rechtfertigende Eingriffsrechte hervorgehen können. Zum anderen ist - ebenso wie bei U. Weber und Zitelmann _11 die Prämisse unzutreffend, durch Ausübung ex tunc wirkender 7 Bei den Gestaltungsmöglichkeiten in bezug auf die Voraussetzungen der Strafverfolgung (Antragsrecht, Nebenklage etc.) verhält es sich anders, da hier das Dispositionsrecht des Antragsberechtigten vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt ist. 8 OLG Hamm NJW 1967/1344; Dreher / Tröndle, § 246 Anm. 3; Staudinger / Dileher, § 142 RN 12. 9 Firnhaber (Diss.), S. 2 u. 72. 10 Ähnlich Rosener (Diss.), S. 155, der insbesondere auf das Prinzip der Einheitlichkeit der Rechtsordnung verweist. 11 Siehe Fn. 4 u. 6 in Kap. 10.
10. Anspruchsverwirklichung und zivilrechtliche Rückwirkungsregeln
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Gestaltungsrechte könne ein Rechtsverhältnis für die Vergangenheit tatsächlich geändert werden. Vergangenes kann nämlich nachträglich realiter nicht ungeschehen gemacht werden 12 . Ficht der Eingriffsschuldner nach dem tatbestandsmäßigen Eingriff den verpflichtenden und rechtfertigenden Vertrag an, ändert dies nichts daran, daß im Zeitpunkt der Tat ein wirksames Vertragsverhältnis bestand. Gleiches gilt, wenn durch die Anfechtung erst der Anspruch des Gläubigers - z. B. auf Rückübertragung gem. § 812 Abs.1 BGB - begründet wird. Auch hier bleibt das Vertragsverhältnis bis zur Anfechtung bestehen. Der Gläubiger darf daher erst nach Ausübung seines Gestaltungsrechts seinen Rückübereignungsanspruch verwirklichen 13 • Auch dem Zivilrecht ist eine reale Rückwirkung unbekannt. Bei den Rückwirkungsbestimmungen handelt es sich lediglich um Fiktionenl 4, d. h. um die Herstellung eines Rechtszustandes für die Gegenwart und Zukunft, wie dieser wäre, wenn der frühere Zustand überhaupt nicht bestanden hätte. Bis zur Ausübung des Gestaltungsrechts besteht das Rechtsgeschäft mit normalen Wirkungen 15 . Dies wird insbesondere bei Esser16 deutlich, der die mit historischen Daten operierende Fiktion als überflüssige Fehlvorstellung eines an die Existenz juristischer Tatsachen glaubenden Positivismus bezeichnet und de lege ferenda vorschlägt, anstelle vergangenheitsbezogener Fiktion mit unmittelbaren gegenwartsorientierten Regelungen zu arbeiten. Kann somit ein Rechtsverhältnis schon im Zivilrecht realiter für die Vergangenheit nicht mehr gestaltet werden, scheidet eine Disposition über den staatlichen Strafanspruch durch den Betroffenen erst recht aus, da maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Strafbarkeitsmerkmale gern. § 8 StGB ausschließlich derjenige der Tatausführung ist. Eine erst nach diesem Zeitpunkt erfolgende Ausübung eines Gestaltungsrechts ist daher unbeachtlich und hat unberücksichtigt zu bleiben, so als ob die Verurteilung des Täters eine juristische Sekunde nach der Tatbegehung erfolgen würde. So betrachtet ist die Anwendung von zivilrechtlichen Regeln, die eine Rückwirkungsfiktion zum Inhalt haben, auch im Strafrecht grundsätzlich 12 Hellwig, S.6 u. 25; Bernhöft (Bekker-FS), S.243ff.; Schubert (Diss.), S.5 m. w.N.; Lobe, S. 45; Jacobi (Diss.), S. 4 m. w.N.; Esser, S. 172, 179 u. 182ff.; Philipsborn, S. 10ff. 13 A. A. Eser / S. / S., § 242 RN 57, der die Rechtswidrigkeit der Zueignung selbst dann entfallen lassen will, wenn der "Täter" durch Anfechtung einen Anspruch auf Rückübereignung begründen könnte, das Anfechtungsrecht aber noch nicht ausgeübt hat. 14 Hellwig, S.26; Dilcher I Staudinger, § 142 RN 12; Jacobi, S. 163ff.; Motive I, S. 219, Lobe, S. 45f.; von Tuhr 11, S. 22ff.; Bernhöft (Bekker-FS), S. 269f.; Schubert (Diss.), S. 6. . 15 Staudinger / Dilcher, § 142 RN 3; Soergel/ Hefermehl, § 142 Anm. 2; Motive I, S. 219; Erman I Brox, § 142 RN 2ff. 16 Esser, S. 17lff.
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10. Anspruchsverwirklichung und zivilrechtliche Rückwirkungsregeln
möglich. Die Rückwirkungsregeln haben im Strafrecht allerdings keine Auswirkungen und bleiben dort daher bedeutungslos. Einen Einwand gegen die Zulässigkeit rechtsgeschäftlicher Rechtfertigungsgründe gewinnt Arztl 7 hingegen gerade daraus, daß eine nachträgliche Umgestaltung des rechtfertigenden Rechtsgeschäfts im Strafrecht ausscheidet. Arzt 18 meint, daß infolge des Fehlens einer nachträglichen Anfechtungsmöglichkeit das Opfer nur unzureichend vor arglistigen Täuschungen des Täters geschützt sei. Anders als bei der Einwilligung, die erschlichen strafrechtlich unbeachtlich ist, wäre das unter arglistiger Täuschung zustandegekommene rechtfertigende Rechtsgeschäft im Zeitpunkt der Tat wirksam und würde eine rechtswidrige Tatausführung ausschließen. Dieser Einwand läßt sich unschwer entkräften, wenn man sich auf die Voraussetzungen der anspruchsbedingten Rechtfertigung besinnt. Da Bedingung gerechtfertigter Anspruchsverwirklichung das Bestehen eines einredefreien Anspruchs ist, in Fällen arglistiger Täuschung dem Schuldner jedoch die Einrede aus § 853 BGB zur Seite steht, ist der Schuldner auch in diesem Falle ausreichend strafrechtlich geschützt. Der Gläubiger kann zur Rechtfertigung seiner anspruchsverwirklichenden Tat nicht auf einen einredebehafteten vertraglichen Anspruch verweisen. Wirken somit Anfechtung, Genehmigung und andere mit sogenannter "ex-tunc-Wirkung" ausgestattete Gestaltungsrechte realiter gerade nicht zurück, können diese, erst nach der Ausführung der Straftat ausgeübt, keinen Einfluß auf die strafrechtliche Beurteilung der privaten Vertragsdurchsetzung haben. Dies gilt nicht nur für die objektiven, sondern selbstverständlich auch für die subjektiven Rechtfertigungselemente, zu denen überwiegend anerkannt1 9 die Kenntnis des Täters von der rechtfertigenden Lage zählt. Zur Rechtfertigung des anspruchsverwirklichenden Gläubigereingriffs ist daher auch erforderlich, daß der Gläubiger im Zeitpunkt der Verletzungshandlung Kenntnis von dem Vorliegen eines einredefreien und durchsetzbaren und somit den Eingriff rechtfertigenden Anspruch hat. Geht der Gläubiger im Tatzeitpunkt zu Recht von der Existenz eines rechtfertigenden Anspruchs aus, liegen die subjektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen selbst dann vor, wenn der Schuldner das Rechtsgeschäft anschließend erfolgreich, z. B. wegen eines nach § 119 BGB beachtlichen Irrtums, anficht, und dem Gläubiger bereits im Tatzeitpunkt der zur Anfechtung berechtigende Irrtum des Schuldners bekannt war. Bis zur Ausübung des Gestaltungsrechts war das Rechtsgeschäft schließlich voll wirksam 20 , so daß der Gläubiger zu Recht 17 18 19
Arzt (Willensmängel), S. 16. Arzt (Willensmängel), S. 16. Statt vieler siehe nur Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 13f. m. w.N.
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von der unrechtausschließenden Kraft des bis dahin fortbestehenden Anspruchs ausgehen konnte. Bezogen auf den Ausgangsfall4, in dem der Bauherr die gekauften, ihm aber noch nicht übereigneten Heizungsrohre auf seinem Grundstück einbauen läßt, hat dies zur Folge, daß das Vorgehen des B selbst dann gerechtfertigt wäre, wenn dieser den Irrtum des C bereits aus den Rechnungsunterlagen erkannt hätte und ihm der Anfechtungsgrund mithin bereits bei der Zueignung der Rohre bekannt war. Die erst nach der Tatausführung erfolgende Ausübung des Gestaltungsrechts hat B nicht zu fürchten, da erst nach der Tat auftretende Ereignisse auf die im Tatzeitpunkt festzustellenden subjektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen keinen Einfluß haben können. Zu einem anderen Ergebnis würde man allerdings dann gelangen, wenn man mit Zitelmann21 und U. Weber22 § 142 Abs. 2 BGB unmittelbar im Strafrecht anwenden wollte. Nach dieser Vorschrift muß sich derjenige, der die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts kannte oder kennen mußte, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandeln lassen, als ob er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen. Für den anspruchsdurchsetzenden Gläubiger hätte die Anwendung des § 142 Abs. 2 BGB im Strafrecht zur Folge, daß ihm rückwirkend eine andere Kenntnis von der Rechtfertigungssituation unterstellt würde. Er würde nämlich so behandelt, als ob er die Nichtigkeit des Vertrages bereits im Tatzeitpunkt gekannt hätte und daher bei der Selbstdurchsetzung nicht von einer rechtfertigenden Lage ausgehen durfte. Eine solche unmittelbare Übertragung des § 142 BGB in das Strafrecht ist jedoch aus mehreren Gründen nicht möglich 23 : Ebenso wie bei § 142 Abs. 1 BGB handelt es sich auch bei dem 2. Abs. dieser Vorschrift um eine Fiktion. Dem Gläubiger, der bis zur Anfechtung zu Recht von der Wirksamkeit des Vertrages ausgehen konnte, wird nachträglich rein fiktiv eine andere Kenntnis unterstellt, als er tatsächlich bei dem Abschluß des Vertrages hatte. Wie bereits Schubert24 zutreffend bemerkt, wollte der Gesetzgeber im § 142 Abs.2 BGB lediglich eine zivilrechtliche Regelung schaffen, deren Zweck es sein sollte, den gutgläubigen Erwerb eines Dritten vom Anfechtungsgegner zugunsten des Anfechtungsberechtigten einzuschränken25 • Die ~o Staudinger / Dilcher, § 142 RN 3; Soergel/ Hefermehl, § 142 Anm. 2; Motive I, S. 219; Erman / Brox, § 142 RN 2ff. 21 Zitelmann, S. 62. 22 U. Weber, S. 277. 23 Ablehnend auch Schubert (Diss.), S. 23; Staudinger / Dilcher, § 142 RN 12; OLG Hamm NJW 1967/1344. 24 Schubert (Diss.), S. 23. 25 Neben dem Ausschluß des gutgläubigen Erwerbs gern. §§ 892f.; 932, 936f.; 1007; 1032; 1138; 1155; 1207f.; 1244 hat § 142 II BGB auch Bedeutung für weitere an die Bösgläubigkeit anknüpfende Bestimmungen wie z. B. §§ 819; 990; 687 II BGB.
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10. Anspruchsverwirklichung und zivilrechtlich~ Rückwirkungsregeln
Schaffung einer über das bürgerliche Recht hinaus bis in das Strafrecht gehenden Regelung war hingegen nicht beabsichtigt26. Für die strafrechtliche Beurteilung ist daher nur die Sachlage maßgeblich, die im Tatzeitpunkt tatsächlich bestand und nicht das, was aufgrund erst später eintretender Ereignisse im Zivilrecht zur Ordnung privater Vermögensverhältnisse fingiert wird. Die rechtfertigende Kraft des Vertrages entfällt daher nicht entsprechend § 142 Abs. 2 BGB, wenn der Täter bei der Durchsetzung seines Anspruchs von der Anfechtbarkeit des Vertrages Kenntnis hatte und die Anfechtung nach der Tatausführung tatsächlich erfolgte. Erst wenn der Gläubiger vorsätzlich durch arglistige Täuschung oder Drohung den Schuldner zum Abschluß des für diesen nachteiligen Vertrages gebracht hat, kann er sich zur Rechtfertigung der Durchsetzung seines bis zur Anfechtung bestehenden Anspruchs nicht mehr auf sein obligatorisches Recht berufen. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß der so vorgehende Gläubiger eine unerlaubte Handlung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 263; 240 StGB; 826 BGB) begeht und daher nicht nur einen anfechtbaren, sondern darüber hinaus auch einredebehafteten Anspruch erlangt, der keine rechtfertigende Kraft entfalten kann 27 . Zum anderen ist die Berufung auf das obligatorische Recht in diesem Falle aber auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs verwehrt 28 . Dem Gläubiger ist es danach versagt, sich zur Rechtfertigung seiner Eingriffshandlung auf seinen vertraglichen Anspruch zu berufen, wenn er willentlich die Abgabe der fehlerhaften und daher anfechtbaren Willenserklärung herbeigeführt hat, um diese sodann als Rechtfertigungsgrund für die Verletzung der Rechtsgüter seines Vertragspartners auszunutzen. Zusammengefaßt kann somit gesagt werden, daß sich Argumente für die Unanwendbarkeit rechtsgeschäftlicher Rechtfertigungsgründe nicht aus der Existenz privatrechtlicher Rückwirkungsregeln ableiten lassen.
Motive I, S. 219. Allein die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäftes gewährt dem Schuldner grundsätzlich noch keine Einrede (arg. e. contrario § 770 I BGB). 28 Zum Parallelfall der Notwehrprovokation: BGHSt 24/356; Lenckner (JZ 1973), S. 253ff.; Roxin (NJW 1972), S. 1821; Schröder (JuS 1973), S. 157ff. Zur speziellen Problematik des Erschleichens behördlicher Genehmigungen im Umweltstrafrecht: Horn / SK, vor § 324 RN 7; eramer / S. / S., vor § 324ff. RN 17; Rudolphi (DünnebierFS), S. 561ff. 26 27
11. Die Erweiterung der gewonnenen Grundsätze auf die Verwirklichung gesetzlicher Anspruche Nicht nur aus räumlichen, sondern auch aus sachlichen Gründen beschränkte sich der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung auf den Nachweis und die Umschreibung des Umfangs der rechtfertigenden Kraft vertraglicher Ansprüche. Zum einen war gerade der vertragliche Anspruch als Rechtfertigungsgrund zu erörtern, weil der Gläubiger aufgrund der rechtsgeschäftlichen Zusage seines Vertragspartners, den Verlust bzw. die Beeinträchtigung seines Rechtsguts hinnehmen zu wollen, Vertrauen in die Einhaltung dieser Verpflichtung investiert hat. Damit kann er ein besonders schutzwürdiges, das Interesse des Schuldners am Unterbleiben der Anspruchsverwirklichung überwiegendes Eigeninteresse an der Durchsetzung seines Rechtes geltend machen. Zum anderen wirft das vertragliche Recht wegen seiner Besonderheiten (inhaltliche Gestaltungsfreiheit, Anfechtung, Genehmigung etc.) bei der Fruchtbarmachung im Strafrecht spezielle Probleme auf, die es zu erörtern galt. Die thematische Einschränkung erfolgte zudem unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es in praxi bei der Mehrzahl der "Anspruchsfälle" um die private Verwirklichung vertraglicher Leistungsrechte geht. Aus der thematischen Eingrenzung auf die vertragliche Rechtfertigung darf nun allerdings nicht darauf geschlossen werden, daß im Gegensatz zu den vertraglichen die gesetzlichen Ansprüche keine rechtfertigende Kraft entwickeln könnten. Eine solche Differenzierung zwischen vertraglichen und gesetzlichen Eingriffsrechten erwiese sich als undurchführbar und willkürlich und böte damit Argumentationsmaterial gegen einen Rechtfertigungsgrund mit ausschließlich vertraglichen Grundlagen. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man berücksichtigt, daß es außer den "reinen" vertraglichen und gesetzlichen Ansprüchen auch Zwischenformen, z. B. die quasi-vertraglichen Ansprüche gibt und auch solche Forderungsrechte, bei denen die Charakterisierung als vertraglich oder gesetzlich höchst umstritten ist. Genannt sei hier nur der Streit um die Einordnung der nach einem Rücktritt vom Vertrage entstehenden Rückabwicklungsansprüche gem. §§ 346ff. BGB1. Dieser Theorienstreit, dem bereits im Zivilrecht 1 Für ein vertragliches Rückabwicklungsverhältnis vgl. die sog. Identitätstheorie: BGHZ 16/153 (156) = BGH NJW 1955/417; BGH NJW 1973/1793f.; BGH WM 1981/
10 H.-D. Weber
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11. Rechtmäßige Durchsetzung gesetzlicher Ansprüche
keine praktische Bedeutung zukommt 2 , kann erst recht für die Frage detstrafrechtlichen Sanktionierung der privaten Anspruchsverwirklichung nicht entscheidend sein. Es besteht zudem kein sachlicher Grund, die Strafbarkeit des eigenmächtig handelnden Gläubigers davon abhängig zu machen, ob es um die Verwirklichung vertraglicher oder gesetzlicher Ansprüche geht. In beiden Fällen liegt ein anerkennenswertes Interesse des Gläubigers an der Erfüllung seines Anspruchs vor, ob dieser rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Ursprungs ist. Dem Grundsatz "pacta sunt servanda" steht gleichwertig die Leistungsverpflichtung aus gesetzlichen Schuldverhältnissen gegenüber. Auch im Hinblick auf die strafrechtliche Position des Schuldners sind keine wesentlichen Unterschiede in den Fällen vertraglicher bzw. gesetzlicher Leistungspflichten erkennbar. Insbesondere hat die Zulassung gesetzlicher Ansprüche als Rechtfertigungsgrund keine Einschränkung der Abwehrrechte des Schuldners zur Folge, da im Recht insoweit ohnehin zwischen rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Duldungspflichten nicht unterschieden wird 3 • Die Ausführungen zu den Abwehrrechten des Vertragsschuldners 4 gelten daher sinngemäß ebenfalls bei der Verwirklichung gesetzlicher Ansprüche. So kann z. B. im Ausgangsfall10 der Wirt mit den in der Börse des Z gefundenen 200.- DM auch zumindest teilweise seinen gesetzlichen Schadensersatzanspruch gern. § 823 Abs. 1 BGB befriedigen. Ein entscheidungserheblicher Unterschied zu Fall 9, in dem W das Geld zur Tilgung der vertraglichen Schulden des Z aus dem Bewirtungsvertrag nahm, besteht ersichtlich nicht. In beiden Fällen hat Weinen einredefreien und durchsetzbaren Zahlungsanspruch. Ob der dem Anspruch zugrundeliegende Rechtsgrund rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Ursprungs ist, spielt für die strafrechtliche Beurteilung der unkonsentierten Zueignungshandlung des W keine Rolle.
792 (794); LG Augsburg NJW 1978/2034; Stoll (JW 1928), S. 58; Wolf (AcP 153), S.102; Wunner (AcP 168), S.425ff.; MÜDch. / Komm. / Janßen, vor § 346 RN 30; Palandt / Heinrichs, vor § 346 Anm. 1 b); Staudinger / Kaduk, vor § 346 RN 36; Larenz (SR I), § 26 1; RGRK / BaUhaus, § 346 RN 12; Esser / Schmidt (AT), § 19 11; Medicus (LB), RN 660; Leser, S. 157ff. Für gesetzliche Rückabwicklungsrechte die sog. Legaltheorie: RGZ 50/255; RGZ 136/33f.; OLG Hamburg MDR 1964/324; RGRK / BaUhaus, § 346 RN 17 und 18. 2 RGRK / BaUhaus, § 346 RN 10; MÜDch. / Komm. / Janßen, vor § 346 RN 31. 3 Speziell zu § 1004 BGB vgl. Palandt / Bassenge, § 1004 Anm. 7 m. w.N.; RGRK / Pikart, § 1004 RN 127ff.; Staudinger / Gursky, § 1004 RN 136; MÜDch. / Komm. / Medicus, § 1004 RN 52ff.; Soergel / Mühl, § 1004 RN 10Hf.; Erman / Hefermehl, § 1004 RN 30ff.; vgl. auch die Voraussetzungen des insoweit nicht differenzierenden § 229 BGB. 4 Siehe zur "Notwehrprobe" Kap. 9.
11. Rechtmäßige Durchsetzung gesetzlicher Ansprüche
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In den bei der Erörterung der vertraglichen Rechtfertigung abgesteckten Grenzen friedfertiger und persönlichkeitsrechtsschonender Anspruchsverwirklichung kann sich der Gläubiger somit rechtfertigend auch auf Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen berufen. Der vertragliche Anspruch steht hier nur pars pro toto für schuldrechtliche Ansprüche überhaupt.
12. Das Verhältnis der anspruchsbedingten Rechtfertigung zu den anderen Rechtfertigungsgründen Stehen nunmehr Voraussetzungen und Umfang der Rechtfertigung durch den zivilrechtlichen Anspruch fest, bleibt nur noch die Frage nach dem Verhältnis dieses neuartigen Unrechtsausschließungsgrundes zu den übrigen Rechtfertigungsgrüllden. Diese Frage erübrigt sich nicht schon durch die anfangs l aufgestellte Prämisse, daß die Konstituierung des Gläubigeranspruchs als eigenständiger Rechtfertigungsgrund nur dann möglich sei, wenn eine Lösung der problematischen Fälle bei Anwendung der "etablierten" Rechtfertigungsgründe scheitert. Diese Prämisse, mit welcher der Beweis für die Notwendigkeit einer Erweiterung des "offenen" Kanons der Rechtfertigungsgrüllde erbracht werden sollte, ist ausschließlich bei der Konstituierung eines neuen Rechtfertigungsgrundes zu beachten. Ist dieser Nachweis geglückt und der Rechtfertigungsgrund aus der Taufe gehoben, kann er, da Vorschriften, nach denen die Rechtswidrigkeit der Tat ausgeschlossen ist, grundsätzlich unabhängig voneinander anwendbar sind2, auch dann eingreifen, wenn die Voraussetzungen eines anderen Rechtfertigungsgrundes erfüllt sind3 • Diese Erkenntnis hat Auswirkungen auf den Umfang anspruchsbedingter Rechtfertigung. Als vollwertiger Rechtfertigungsgrund erfüllt dieser nämlich nicht nur für den Fall, daß andere Rechtfertigungsgrüllde versagen, Lückenbüßerfunktion, sondern ist unabhängig von dem Eingreifen anderer Rechtfertigungsgründe anwendbar, sofern seine Voraussetzungen erfüllt sind. Das Konkurrieren mit anderen RechtfertigungsgrÜllden zeitigt insbesondere prozeßökonomische Vorteile4 • Dies wird deutlich, wenn in einem bestimmten Falle aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zweifelhaft ist, ob die Voraussetzungen einer strafrechtlich erheblichen Einwilligung des Verletzten vorliegen, die Voraussetzung der Rechtfertigung durch den zivilrechtlichen Anspruch hingegen eindeutig erfüllt sind 5 • Zu einer solchen Fallkonstellation kann es z. B. kommen, wenn die rechtsgeschäftlichen Siehe Kap. 2. Warda (Maurach-FS), S. 15B und 170. 3 Zur Anerkennung rechtlicher Doppelwirkungen in der Methodenlehre: Larenz (Methodenlehre), S. 250ff.; Engisch (Methodenlehre), S. 3Bf. 4 Vgl. dazu Warda (Maurach-FS), S. 151. 1
2
12. Das Verhältnis zu anderen Rechtfertigungsgründen
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Erklärungen und die Einwilligung in den Eingriff von einem Bevollmächtigten des Rechtsgutsinhabers stammen6 • Die Behandlung des vertraglichen Anspruchs als vollwertiger Rechtfertigungsgrund erlaubt es dann, ungeachtet der einwilligungsrechtlichen Probleme ad hoc ein eindeutiges Urteil zu fällen. Ausnahmen von dem Grundsatz der Unabhängigkeit und parallelen Anwendbarkeit von Rechtfertigungsgründen wären im Falle anspruchs bedingter Rechtfertigung nur dann zu machen, wenn ein anderer Rechtfertigungsgrund einen Fall privater Anspruchsverwirklichung mitregeln und an strengere Voraussetzungen knüpfen würde. Der strengere und damit speziellere Rechtfertigungsgrund ginge dann vor 7 • Zu solchen Interferenzen kann es bei der hier vorgenommenen Einschränkung zulässiger Anspruchsverwirklichung aber gerade nicht kommen. Die Beschränkung der anspruchs abhängigen Rechtfertigung auf friedfertige, die Machtsphäre des Schuldners nicht berührende Eingriffsakte sorgt dafür, daß die Regelungsbereiche anderer, sich ebenfalls mit der Anspruchsverwirklichung beschäftigender Rechtfertigungsgründe (z. B. §§ 229f.; 859 BGB) bereits tatbestandlich nicht erlaßt und Konkurrenzprobleme mithin vermieden werden.
5 Zugrundegelegt wird hier die h.M., nach der die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund anzusehen ist. Die Ansicht von Arzt (Willensmängel), S. 20ff.; Roxin (ZStW 85), S. 100f.; Rudolphi (ZStW 86), S. 87; Kühne (JZ 1979), S. 242f.; Schmidhäuser (AT), S. 111 RN 106; Eser, I Nr. 8 A 2; Zipf (ÖJZ 1977), S. 380ff.; ders. (EuR), S. 31 und 61ff., daß die Einwilligung bereits tatbestands ausschließend wirke, läßt sich schon mit dem Wortlaut des § 226 a StGB nicht vereinbaren (so auch Dreher / Tröndle, vor § 32 RN 3 a; Lenckner / S. / S., vor § 32 RN 34. 6 Zu dieser Problematik bei der Einwilligung siehe Kap. 4.2.3.3. 7 Vgl. Warda (Maurach-FS), S. 166, der eine Verdrängung von Rechtfertigungsgründen nur bei Spezialität im funktionalen Sinne zuläßt.
13. Der Irrtum des Täters über die Voraussetzungen und den Umfang gerechtfertigter Anspruchsverwirklichung Die einheitliche Lösung aller Fälle friedfertiger und persönlichkeitsschonender Anspruchsverwirklichung durch Anwendung eines neuen Rechtfertigungsgrundes entlastet die Strafrechtsdogmatik nicht nur bei der Auslegung des Unrechtstatbestandes, sie läßt darüber hinaus auch eine praktikable Beurteilung solcher Fallsituationen zu, in denen dem Täter irrtumsbedingt das Unrechtsbewußtsein fehlt. Auf der Grundlage der in der Rechtsprechung! absolut herrschenden und auch im Schrifttum2 überwiegend vertretenen "eingeschränkten Schuldtheorie" sind lediglich zwei Fallkonstellationen zu differenzieren und unterschiedlichen Irrtumsregelungen zu unterwerfen: Geht der Täter irrig von einer Situation aus, bei deren Vorliegen die Voraussetzungen gerechtfertigter Anspruchsverwirklichung erfüllt wären (Rechtfertigungstatbestandsirrtum) greift § 16 Abs. 1 StGB analog ein; irrt der Täter über das Bestehen, die Art und den Umfang seiner privaten Durchsetzungsbefugnis, so handelt es sich nach § 17 StGB um einen Verbotsirrtum, der ihn nur im Falle der Unvermeidbarkeit entschuldigt3 • Auch bei dem verwandten Selbsthilferecht wird heute im Fall einer irrigen Annahme der Selbsthilfebefugnis diese Unterscheidung zwischen Sachverhalts- und Bewertungsirrtum getroffen4 • Wesentlich komplizierter und teilweise auch widersprüchlich gestaltet sich die Auflösung der Irrtumsprobleme, wenn man entsprechend dem heutigen Stand der Strafrechtsdomatik in den "Anspruchsfällen" ohne den schuldrechtlichen Anspruch als Rechtfertigungsgrund auszukommen versucht. Betrachtet man nur die Vorschläge, Irrtümer über das Vorliegen eines Übereignungsanspruchs systematisch zu erfassen, zeigt sich eine verwirrende Meinungsvielfalt. 1 BGHSt 2/194 (211); BGHSt 3/7 (12), 105 (106f.), 194 und 272; BGH bei Dallinger MDR 1975/365, BGH NJW 1981/745. 2 Roxin (offene Tatbestände), S. 120; ders. (ZStW 75), S. 541ff.; Blei (AT), S. 176ff.; Stratenwerth (AT), RN 565ff.; Dreher / Tröndle, § 16 RN 26; Wesseis (AT), S. 106; Lackner, § 17 Arun. 5 b; Rudolphi / SK, § 16 RN 10; Preisendanz, § 16 Arun. 3e; Schröder / LK (10. Aufl.), § 16 RN 49; Maurach / Zipf (AT) Bd. 1 § 37 I E RN 19 (S. 491ff.); Cramer / S. / S., § 16 RN 13f. m.w.N. 3 Beim doppelten Erlaubnis- und Erlaubnistatumstandsirrtum sind beide Regeln entsprechend zu kombinieren. 4 BGHSt 17/87; BayObLG GA 1962/80f.
13. Der Irrtum über die Voraussetzungen vertraglicher Rechtfertigung
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Allein der BGH unterscheidet bei den Zueignungsdelikten drei Irrtumsvarianten. Während grundsätzlich der Täter, der fälschlicherweise einen Anspruch auf Übereignung einer bestimmten Sache zu haben glaubt, einem Tatbestandsirrtum unterliegen so1l5, komme für denjenigen, der meint, aufgrund eines Gattungsanspruchs sich eine bstimmte Sache des Schuldners zueignen zu dürfen, nur ein Verbotsirrtum in Betracht 6• Meint der Gläubiger hingegen - wie häufig bei Geldschulden - irrig, sein Gattungsanspruch gebe ihm das Recht auf eine bestimmte Sache, so geht der BGH allerdings wieder von einem Tatbestandsirrtum aus 7 • Abgesehen davon, daß - wie nachfolgend noch ausgeführt wird _8 keine Veranlassung besteht, bei der Frage strafrechtlicher Sanktionierung zwischen Gattungs- und Stückschuld zu differenzieren, erscheint auch die unterschiedliche Behandlung der letztgenannten Irrtumsvorstellungen bei der Durchsetzung von Gattungsschulden ungerechtfertigt, da in beiden Irrturnsfällen die Vorstellungen der eigenmächtig handelnden Gläubiger kaum zu unterscheiden sind. In beiden Fällen ist die Fehlvorstellung des Gläubigers nicht mit der Rechtsordnung zu vereinbaren. Nicht die Vorstellung über die tatsächlichen Verhältnisse, sondern die rechtliche Wertung durch den Gläubiger ist irrig. Der Gläubiger unterliegt daher in beiden Fällen einem Verbotsirrtum. Einen anderen Weg, dem irrtumsbefangenen Gläubiger zur Straflosigkeit zu verhelfen, geht Firnhaber9 • Er erkennt, daß bei Ablehnung eines vertraglichen Rechtfertigungsgrundes die Vorstellung des Gläubigers, aufgrund seines Forderungsrechts rechtmäßig zu handeln, nur als irrige Annahme eines nicht bestehenden Rechtfertigungsgrundes nach § 17 StGB beurteilt werden kann. Da an die Unvermeidbarkeit eines solchen Irrtums nicht gerade geringe, für den Gläubiger nur unter großen Anstrengungen zu erfüllende Voraussetzungen gestellt werden, will Firnhaber es im Gegensatz zu anderen 10 , die dem Anspruch ebenfalls keine rechtfertigende Kraft zugestehen, bei der Einstufung solcher Fehlvorstellungen des Gläubigers nicht belassen l l . Firnhaber hilft dem Gläubiger, indem er an dem Begriff der Zueignungsabsicht ansetzt1 2 und im Ergebnis zum Tatbestandsausschluß BGHSt 17/87 (90). BGHSt 17/87 (90). 7 BGHSt 17/87 (90f.). a Siehe Kap. 14. 9 Firnhaber (Diss.), S. 47f. 10 Kempf (Diss.), S. 91; Hirsch (JZ 1963), S. 153, die allerdings wie bereits Welzel (Niederschriften), VI S. 301 und Dreher (Niederschriften), VI S. 16, um zu billigen Ergebnissen zu gelangen, die Voraussetzungen des § 17 S. 1 StGB zugunsten des Gläubigers auflockern und eher von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum ausgehen. 11 Firnhaber (Diss.), S. 47f., der damit zugleich die fehlende Notwendigkeit der Konstituierung des Anspruchs als eigenständigen Rechtfertigungsgrund zu begründen versucht. 12 Firnhaber (Diss.), S. 48. 5
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gelangt. Nehme der Täter eine Sache, um damit einen entsprechenden Anspruch zu verwirklichen, so wolle er sich diese nicht zueignen, sondern erwerben. Unerheblich sei, ob der Gläubiger dabei irrtümlich von einer dinglichen Einigung mit dem Veräußerer ausgehe oder fälschlich dem obligatorischen Rechtsgeschäft dingliche Wirkung beimesse. Für Firnhabers Ansicht, die von dem Bestreben, unbillige Ergebnisse zu vermeiden, getragen ist, fehlt allerdings eine stichhaltige Begründung. Geht der Gläubiger nämlich davon aus, das dingliche Rechtsgeschäft sei bereits vollzogen und er somit bereits Eigentümer, irrt er bereits über das Fremdheitsmerkmal, so daß es auf das subjektive Tatbestandsmerkmal der Zueignungsabsicht nicht mehr ankommt. In den übrigen Fällen, in denen der Gläubiger sehr wohl erkennt, daß er in ein (noch) fremdes Rechtsgut eingreift, schlägt die Argumentation Firnhabers ohnehin fehl, da der Gläubiger, der die Sache des Schuldners erwerben will, in der Regel auch weiß, daß ein dinglicher Erwerb ohne Mitwirkung des Veräußerers nicht möglich ist. Bei Zulassung des zivilrechtlichen Anspruchs als Rechtfertigungsgrund gelangt man dagegen zwanglos zu akzeptablen Lösungen der Irrtumsprobleme nach einheitlichen Kriterien. Verhehlt werden soll hier allerdings nicht, daß wegen der fast ausschließlich normativen Voraussetzungen der rechtfertigenden Anspruchsverwirklichung die im Irrtumsfalle entscheidende Differenzierung zwischen Rechtfertigungs- und Rechtfertigungstatumstandsirrtum nicht immer leicht fälltl 3 • Selbstverständlich reicht es zur Annahme eines Rechtfertigungstatumstandsirrtums nicht schon aus, daß der Täter zu der Meinung gelangt ist, einen irgendwie zustande gekommenen Anspruch erlangt zu haben. Vielmehr muß er von konkreten Tatumständen ausgehen, die nach dem geltenden Recht einen solchen Schluß zulassen. Meint der Täter irrig, einen Anspruch zu haben, obwohl er den Mangel des zugrunde liegenden Schuldverhältnisses (Formnichtigkeit, Sittenwidrigkeit etc.) kennt, zieht er in Kenntnis der maßgeblichen Tatumstände nur fehlerhafte rechtliche Schlüsse. Das Bewußtsein, mit der eigenmächtigen Durchsetzung eines nur vermeintlichen Anspruchs gegen die Rechtsordnung zu handeln, wird dann durch einen reinen Bewertungsirrtum unterdrückt, der strafrechtlich als Verbotsirrtum zu behandeln ist. Über die normativen Voraussetzungen und den Umfang des Rechtfertigungsgrundes muß sich der Täter somit selbst Klarheit verschaffen, um die etwa erforderlichen rechtlichen Wertungen zutreffend vornehmen zu können. In Zweifelsfällen hat er die Möglichkeit, Rechtsrat einzuholen. Das Risiko, aufgrund eigener unzutreffender Rechtsauffassungen einer als strafbaren Verbotsirrtum zu bewertenden Fehlvorstellung zu unterliegen, verbleibt damit beim Gläubiger. 13 Zur parallelen Problematik bei dem Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale siehe Maurach / Zipf (AT) Bd. 1, § 37 n C 2 RN 44ff. (S. 499ff.) und E. Schlüchter.
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Diese Risikozuweisung ist durchaus angemessen, weil der Gläubiger sich Sicherheit über das Bestehen und den Umfang seines Rechts im Klagewege verschaffen kann. Verzichtet er auf die gerichtliche Feststellung seines Rechts und vertraut er auf seine eigene Urteilsfähigkeit, wählt er mit der privaten Verwirklichung des seiner Meinung nach bestehenden Anspruchs den schnelleren, aber auch riskanteren Weg.
14. Die mit dem Anspruch als Rechtfertigungsgrund zu erzielenden Ergebnisse Als Resümee der vorstehenden Ausführungen ist festzuhalten, daß die mit der Konstituierung des zivilrechtlichen Anspruchs als Rechtfertigungsgrund verbundenen Probleme durchaus lösbar sind. Die tatsächlich stichhaltigen Argumente gegen den Vertrag als Rechtfertigungsgrund treffen diesen lediglich in einem Teilbereich, nämlich nur in den Fällen, in denen der Gläubiger zur Durchsetzung seines Anspruchs in den Herrschaftsbereich des Schuldners eindringt. Daß in diesem Bereich eine Rechtfertigung aufgrund eines zivilrechtlichen Anspruchs auszuscheiden hat, ist kein Grund, den Anspruch insgesamt als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht abzulehnen. Die rechtfertigende Kraft des Anspruchs erfährt insoweit nur eine - wenn auch einschneidende - Einschränkung. Nach der Begründung und Eingrenzung des Anwendungsbereichs des Anspruchs als Rechtfertigungsgrund verbleibt die Frage danach, welche praktischen Fälle mit diesem Rechtfertigungsgrund gelöst werden können und inwieweit dabei Abweichungen von den bisherigen Lösungsversuchen feststellbar sind. Kommt man bei der Untersuchung dieser Frage auf die eingangs vorgestellten Beispielsfälle zurück, so läßt sich folgendes feststellen: In den Fällen 1 und 2, in denen durch Ausrodung der Bäume bzw. durch Materiallagerung die Grundstücke der Verpächter beschädigt werden, rechtfertigen die insoweit einschlägigen Verpflichtungserklärungen der Verpächter in den Pachtverträgen die tatbestandsmäßigen Sachbeschädigungen. Die Pächter dringen bei der Verwirklichung ihrer Rechte nicht in den tatsächlichen Machtbereich der Schuldner ein, so daß eine Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols ausscheidet. Eingriffe in Persönlichkeitsrechte der Schuldner liegen ebenfalls fern.
Dieses mit dem Anspruch als Rechtfertigungsgrund gewonnene Ergebnis ergibt sich ebenfalls bei Anwendung der Lehre von der Unwiderruflichkeit der Einwilligung l . Auch in den Fallbeispielen 3 - 5, in denen die Gläubiger ihren Übereignungsanspruch durch Zueignung der bereits in ihrem Besitz befindlichen geschuldeten Sachen (teilweise)2 verwirklichen, ist die Eigentumsverletzung 1 2
Siehe Kap. 4.2.3. Fn. 59. Eigentümer wird in den Beispielsfällen allein B (Fall 4) originär gern. § 946 BGB.
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durch den schuldrechtlichen Vertrag gerechtfertigt. Die Gläubiger nehmen die Tatbestandshandlung in ihrem eigenen Herrschaftsbereich vor und handeln daher nicht verboten eigenmächtig. Gesetzliche Schuldnerschuztzvorschriften werden nicht verletzt. Auch hier wird das Ergebnis, die Straffreiheit des Selbsthilfe übenden Gläubigers, von der bisherigen Ansicht in Rechtsprechung 3 und Literatur getragen, die bei Bestehen eines fälligen Übereignungsanspruchs die Widerrechtlichkeit der Zueignung entfallen läßt. Zur Bestätigung der von der herrschenden Auffassung erzielten gläubigerfreundlichen Ergebnisse führt ebenfalls die Anwendung des zivilrechtlichen Anspruchs als Rechtfertigungsgrund in Fall 6, so daß eine Bestrafung gem. § 263 StGB ausscheidet. V räumt aufgrund der Täuschung des T diesem freiwillig die tatsächliche Sachherrschaft an seinem Pkw ein. Von der Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols bzw. der Persönlichkeitsrechte des V kann daher keine Rede sein. Nach herrschender Ansicht bliebe T ebenfalls straflos. Danach würde nämlich aufgrund des vertraglichen Anspruchs - soweit nicht schon ein Vermögensschaden des Schuldners abgelehnt würde 5 - die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils entfallen6 • Zu einer Abweichung im Ergebnis scheint es auf den ersten Blick im Fall 7 zu kommen. Nach herrschender Meinung begeht T keinen Diebstahl. T bricht zwar den Gewahrsam des V, als er ihm verboten eigenmächtig den Pkw wegnimmt. Auch hier fehlt es nach h. M. jedoch an der Rechtswidrigkeit der Zueignung, da der V einen Anspruch auf das Fahrzeug hat. Schwieriger scheint es hingegen, dem Gläubiger mit der hier vorgeschlagenen Rechtfertigungslösung helfen zu wollen. Durch die Beschränkung der rechtfertigenden Kraft des Anspruchs auf friedfertige Durchsetzungsakte kann der Anspruch die "Tat" nicht in vollem Umfang (Taterfolg und Tathandlung) rechtfertigen. Dies ist im Rahmen der Zueignungsdelikte 7 aber auch nicht nötig, um zu einem Straflosigkeitsurteil zu gelangen. Wie der enge Bezug der Rechtswidrigkeit auf das Merkmal der beabsichtigten Zueignung erkennen läßt, reicht zum Ausschluß des typischen Zueignungsunrechts bereits ein solcher Rechtfertigungsgrund aus, der die Rechtswidrigkeit des Eigentumseingriffs entfallen läßt, d. h. nur den Taterfolg rechtfertigt. Die sich infolge der Anwendung unzulässiger Durchsetzungshandlungen ergebende Rechtswidrigkeit bleibt mithin bei der lediglich erfolgs3 4
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Siehe Einleitung Fn. 3. Siehe Einleitung Fn. 4. Siehe Einleitung Fn. 5. Siehe Einleitung Fn. 6. Bei den Bereicherungsdelikten verhält es sich ebenso.
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unrechtsausschließenden Rechtfertigung bestehen8 und ermöglicht dem Schuldner, sich gegen das eigenmächtige Vorgehen des Gläubigers zu wehren 9 • Zu einer solchen zum Strafausschluß ausreichenden erfolgsorientierten Rechtfertigung, die sich ausschließlich auf die Veränderung der Eigentumsverhältnisse bezieht, das sich aus der Durchsetzungsart ergebende Unrecht aber unberührt läßt, ist auch der zivilrechtliche Anspruch fähig. Zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangt man ebenfalls im Beispielsfall 8. Das OLG Düsseldorf 1o lehnte erst jüngst in einem ähnlich gelagerten Fall - in dem allerdings die Firma U die Weiterveräußerungserlaubnis nicht widerrufen hatte - zutreffend die von dem erstinstanzlichen Gericht bejahte Strafbarkeit des Angeklagten wegen Unterschlagung der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Pelze ab. Mit der wohl allgemeinen Auffassung l1 stützte das OLG seine Entscheidung auf die konkludent gern. § 185 Abs. 1 BGB erteilte Einwilligung in die Weiterveräußerung der Pelze. Nach dieser Auffassung ist der Vorbehaltskäufer berechtigt, die Ware im ordnungsgemäßen Geschäftsverkehr weiterzuveräußern, selbst wenn er sich in einer wirtschaftlichen Krise befindet1 2 • Da der Vorbehaltskäufer im vorliegenden Beispielsfall sowohl einen Anspruch auf Übereignung der Pelze als auch einen Anspruch auf die Erteilung der Zustimmung der Firma U zur Weiterveräußerung der Pelze auch schon vor der Kaufpreiszahlung hat, ließe sich die Rechtmäßigkeit des Eingriffs in das Eigentum der Firma U ebenso unter Verweis auf das obligatorische Recht der von ihm geleiteten Firma begründen. Die Voraussetzungen der vertraglichen Rechtfertigung liegen vor, weil G die Pelze bereits besitzt und somit den Herrschaftsbereich der Firma U nicht verletzt. Wie verblüffend einfach sich die Straflosigkeit des G mit dem rechtfertigenden vertraglichen Anspruch begründen läßt, zeigt sich, wenn man über die im Beispielsfall 8 vorgenommene, in dem Widerruf der Erlaubnis liegende Abwandlung entscheidet. Hätte das OLG über diesen abgewandelten Fall zu entscheiden gehabt, wäre es zur Begründung der Straflosigkeit des G nicht allein mit dem Hinweis auf die zivilrechtliche Einwilligung der Firma U ausgekommen. Da die vorherige Zustimmung gern. § 183 BGB nämlich grundsätzlich widerruflich ist, hätte sich das Gericht zusätzlich mit der Frage beschäftigen müssen, inwieweit sich aus dem der Erteilung der Einwilligung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zwischen den Vertragspar8 Hirsch (JZ 1963), S. 150 u. 153 weist daher zu Recht darauf hin, daß bei der Anspruchsdurchsetzung unter Anwendung von Nötigungsmitteln es zu einer Bestrafung nach § 240 StGB kommen müsse. 9 Unger (Diss.), S. 23 u. 63f. 10 OLG Düsseldorf NJW 1984/810ff. 11 Vgl. Palandt / Heinrichs, § 185 Anm. 2 m. w.N. 12 BGHZ 68/199 (202).
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teien die Unwiderruflichkeit der Einwilligung ergibt. Zur Begründung der Unbeachtlichkeit des Widerrufs hätte sich das Gericht dann mit den vertraglichen Verpflichtungen der Parteien beschäftigen müssen und wäre sodann mit der h. A.13 zu der Feststellung gelangt, daß ein Widerruf der Einwilligung ausgeschlossen ist, weil ein Anspruch des Vorbehaltskäufers auf die Zustimmung bestand. Da auch für ein vertragswidriges Verhalten des Vorbehaltskäufers, bei dem die Einwilligung in die Weiterveräußerung der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Ware ausnahmsweise doch widerruflich ist14, keine Anhaltspunkte vorliegen, wäre das Gericht auch in der Fallabwandlung zu einem Freispruch des Angeklagten gelangt. Der komplizierte Begründungsweg - Ableitung der Einwilligung gern. § 185 Abs. 1 BGB aus den Vertragsbeziehungen der Parteien und Feststellung der Unwiderruflichkeit der Einwilligung unter Rekurs auf das zugrunde liegende Rechtsgeschäft - vereinfacht sich allerdings, wenn man unmittelbar auf das die Weiterveräußerung rechtfertigende vertragliche Recht der Firma des G abstellt und somit nur mit einem logischen Schritt auf kürzestem Wege die Straflosigkeit des vertragsgemäßen Vorgehens begründet. Bereits nach den vorstehenden Erörterungen wird zugleich deutlich, daß jedenfalls vom Ergebnis her mit der Anerkennung der rechtfertigenden Wirkung des Anspruchs im Strafrecht keine grundlegenden Abweichungen von der h. M. verbunden sind. Der nicht zu unterschätzende Vorteil der anspruchsgestützten Rechtfertigung liegt somit vor allem darin, daß mit ihr eine Lösung der "Anspruchsproblematik" möglich ist, die eine schlüssige Begründung der von der h. M. immer schon erzielten Ergebnisse erlaubt. Dies wird besonders bei der Lösung der an die "Moos-raus-Entscheidung" des BGH15 angelehnten Fälle 9 und 10 deutlich. Nach der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung16 würde der Gastwirt W, der seine Anspruche durch Zueignung der Geldscheine selbst befriedigt, freigesprochen werden. Anders als bei der bereits erörterten Durchsetzung einer Stückschuld bejaht die noch h. MY in den vorliegenden Fällen der Verwirklichung einer Gattungsschuld zwar die Rechtswidrigkeit der Zueignung, weil der Gläubiger keinen Anspruch auf die Übereignung gerade der an sich genommenen Scheine habe. Die ausschließliche Befugnis, aus der Gattung die zur Erfüllung der Schuld erforderlichen Sachen auszuwählen, habe gern. § 243 BGB allein der Schuldner. Dennoch gelangt die Rechtsprechung in Fällen wie den vorliegenden zum Freispruch, indem sie den subjektiven Tat13 Siehe nur Palandt / Heinrichs, § 183 Anm. 1. 14 15
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BGH NJW 1969/1171. BGHSt 17/87 ff. BGH GA 1966/212; OLG Hamm NJW 1969/619. Vgl. nur Eser / S. / S., § 242 RN 57; Dreher / Tröndle, § 242 RN 21 jeweils
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bestand der Absicht rechtswidriger Zueignung entfallen läßt. Sie meint nämlich, daß der rechtsunkundige Täter bei der Durchsetzung von Geldforderungen regelmäßig irrig davon ausgehe, er dürfe gerade die vorgefundenen Geldmittel als die ihm unmittelbar geschuldeten beanspruchen 18 . Dieser Irrtum wird als Tatbestandsirrtum gern. § 16 StGB behandelt1 9 • Diese von der h. M. vorgetragene Begründung der Straffreiheit des Gläubigers ist nicht nur kompliziert, sie ist auch unzutreffend. Zum einen geht die bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit der Zueignung vorgenommene Differenzierung zwischen der Durchsetzung von Spezies - und der Durchsetzung von Gattungsansprüchen fehl. Sie wird daher bereits heute von einigen als unmaßgeblich erachtet. Zum einen von denjenigen, die die Rechtswidrigkeit der Zueignung entfallen lassen, wenn der Gläubigeranspruch auf eine Gattungssache gerichtet ist 2o . Zum anderen auch von den Vertretern der Ansicht, nach der weder bei Gattungs- noch bei Speziesschulden der Anspruch die Zueignung rechtfertigen kann 21 . Insbesondere Kempf22 und Hirsch23 messen zutreffend der bei der Gattungsschuld im Unterschied zur Speziesschuld bestehenden Konkretisierungsmöglichkeit des Schuldners gern. § 243 Abs. 1 BGB grundlegende Bedeutung nur für die zivilrechtliehe Frage des Gefahrenübergangs, nicht jedoch für die strafrechtlich maßgebliche Beurteilung der Schutzwürdigkeit der EigentümersteIlung des Schuldners zu. Diese Erkenntnis hat sich bisher allerdings nur vereinzelt bei der strafrechtlichen Beurteilung von Eingriffshandlungen, die der Durchsetzung eines Zahlungsanspruches dienen, durchzusetzen vermocht (sog. Wertsummengedanke)24. Daß eine unterschiedliche strafrechtliche Schutzwürdigkeit des Eigentums an Geld und an anderen Gattungssachen nicht feststellbar ist, wird nur von wenigen gesehen; sie gelangen konsequent bei der Verwirklichung von Spezies-, Geld- und Gattungsansprüchen zu dem gleichen gläubigergüllstigen Ergebnis 25 . Schließlich vermag auch die Beurteilung der Fehlvorstellung des "Täters" über eine Befugnis, sich aus der Gattung befriedigen zu dürfen, nicht zu überzeugen. Der Glaube des" Täters", gerade die vorgefundenen Geldmittel beanspruchen zu dürfen, kann nicht als Tatbestandsirrtum bewertet werden. Vielmehr begründet diese Fehlvorstellung lediglich einen VerbotsirrVgl. Fn. 16. Vgl. nur Eser / S. / S., § 242 RN 62 m. W.N. 20 Jagusch / LK, 7. Aufl. vor § 242 D VIII; Allfeld, S. 438; Gribbohm (NJW 1968), S.240f. 21 Hirsch (JZ 1963), S. 151ff.; Kempf (Diss.), S. 58. 22 Kempf (Diss.), S. 58f. 23 Hirsch (JZ 1963), S. 151 f. 24 Roxin (Meyer-FS), S. 467ff.; Heimann-Trosien / LK, S. 242 RN 71 und 78; Eser / S. / S., § 242 RN 57; ders. (Wahrnehmung berechtigter Interessen), S. 21 u. 56; Krey (LB) Bd. 2, S. 41 (§ 1 15); Samson / S. K., § 242 RN 86. 25 Eser / S. / S., § 242 RN 40 und 56; Gribbohm (NJW 1968), S. 241. 18
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tum, da der "Täter" nicht über die anspruchsbegründenden Tatumstände irrt, sondern nur den rechtlichen Umfang seines Rechts unzutreffend bewertet. Nicht anders als bei der Fehlvorstellung, sich einen Gegenstand aus der Gattung nehmen zu dürfen, den die Rechtsprechung zutreffend als Verbotsirrtum qualifiziert 26 , stimmt auch hier die Vorstellung des Täters mit der Rechtsordnung nicht überein. Der Gläubiger unterliegt daher einem als Verbotsirrtum zu wertenden Rechtsirrtum. Die gegenteilige Auffassung der noch h. M. wird allenfalls bei ergebnisorientierter Betrachtung nachvollziehbar: Die verfehlte Auffassung zur Rechtswidrigkeit der Zueignung bei der Durchsetzung von Gattungsansprüchen nötigt die Rechtsprechung von den Grundsätzen der Irrtums-Lehre abzuweichen und dem "Täter" im Rahmen des subjektiven Tatbestandes "eine Brücke zum Tatbestandsirrtum zu bauen"27 um so doch noch zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen28 . Einfacher und fehlerfrei gelangt man zur Straflosigkeit des Gläubigers, wenn man unmittelbar dem vertraglichen Anspruch rechtfertigende Kraft beimißt. Die Voraussetzungen der rechtfertigenden Anspruchsverwirklichung liegen nämlich auch bei der friedfertigen Durchsetzung von Zahlungsansprüchen vor. Darauf, ob der Gläubiger sich zur Rechtfertigung seines Vorgehens auf einen Spezies- oder Gattungsanspruch beruft, kommt es nicht an. Auch bei der Durchsetzung des Anspruchs unter Zuhilfenahme der staatlichen Vollstreckungs organe wäre schließlich das Konkretisierungsrecht des Gattungsschuldners ohne Bedeutung. Der Gerichtsvollzieher könnte den Zahlungsanspruch gern. §§ 808; 815 ZPO durch Wegnahme xbeliebiger Geldscheine vollstrecken. Dafür, die Eingriffsbefugnis bei "privater Vollstreckung" insoweit zugunsten des Schuldners einzuschränken, besteht keine Notwendigkeit. Wie bereits im 13. Abschnitt ausgeführt, erlaubt die anspruchsgestützte Rechtfertigung auch bei fehlerhaften Vorstellungen des Gläubigers über die tatsächlichen Voraussetzungen und den Umfang seiner Berechtigung eine einfache und zutreffende Anwendung der Irrtumslehre. Der hier vorgeschlagene Lösungsweg ist mithin einfacher und sorgt für mehr Klarheit. In den Beispielsfällen 11 und 12, in denen unkonsentiert, aber aufgrund vertraglicher Befugnisse, Immaterialgüter (Patent- bzw. Urheberrechte) genutzt werden, entspricht die hier vertretene Auffassung der h. M.29, so daß deren Ergebnisse ebenfalls bestätigt werden.
BGHSt 17/87 (90). Kritisch dazu wohl auch Krey (LB) Bd. 2, S. 39ff. (§ 1 I 5); Eser (SR 4), S. 59. 28 Zu anderen Ansätzen, dem irrenden Gläubiger zu Straflosigkeit zu verhelfen, vgl. Kap. 13. 29 Vgl. Kap. 5.2.1. Fn. 17. 26
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Auch im Fall 13 führt die Anwendung des zivilrechtlichen Anspruchs als Rechtfertigungsgrund im Strafrecht zu einem der h. M. entsprechenden Ergebnis: V stellt mit seiner Kündigungsdrohung nur das in Aussicht, wozu er bei Nichteinhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch V berechtigt wäre. Die Rechtfertigung des Vorgehens des C ergibt sich somit unmittelbar aus dem vertraglichen Arbeitsverhältnis mit V30. Zu dem gleichen, die Straflosigkeit des C bestätigenden Resultat gelangt man, wenn man vorliegend die Konnexitätslehre bzw. die Roxin'schen Ordnungsprinzipien zur Anwendung bringt. Die Beurteilung der Zweck-MittelRelation (§ 240 Abs.2 StGB) führt ebenfalls zum Rechtswidrigkeitsausschluß, da nur ein angemessenes Mittel zur Erreichung eines damit im Zusammenhang stehenden legitimen Zwecks eingesetzt wird. Bei der anspruchs abhängigen Rechtfertigung ist die von der h. M. geforderte Konnexitätsvoraussetzung schon deshalb stets erfüllt, weil zwischen dem Mittel, der Drohung mit der Durchsetzung des Rechts und dem Zweck der Anspruchsverwirklichung stets ein Zusammenhang besteht. Nach den vorstehenden Erläuterungen wird deutlich, daß bei der Anwendung des Anspruchs als Rechtfertigungsgrund die Gefahr einer übermäßigen Ausdehnung der Eingriffsrechte des Gläubigers nicht besteht. Größtenteils führt nämlich die Rechtfertigung aufgrund des zivilrechtlichen Anspruchs zu solchen Ergebnissen, die heute bereits überwiegend als richtig erachtet werden. Im Gegenteil sorgt die eindeutige Begrenzung der Rechtfertigung auf friedfertige und persönlichkeitsschonende Verwirklichungsakte dafür, daß der obligatorischen Duldungspflicht des Schuldners nicht zuviel Gewicht beigemessen wird. Dies zeigt sich deutlich in den Ausgangsfällen 14 und 15, in denen die Voraussetzungen der Anspruchsrechtfertigung nicht vorliegen, und die daher zu gläubigerungünstigen Ergebnissen führen. So kann der Arbeitsvertrag im Fall 14 die unkonsentierte Torkontrolle nicht rechtfertigen, da C gewaltsam gegen seine Arbeitnehmerin vorgeht. Nach der gegenteiligen Auffassung31 wird den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und Regelungen eine zu weitgehende rechtfertigende Kraft unterstellt. Der Duldungsanspruch gibt dem Arbeitgeber nicht zugleich das Recht auf eine gewaltsame Durchsetzung desselben 32 , vor allem dann nicht, wenn durch die unzulässige private Gewaltanwendung auch in das Persön30 So auch Bergmann (Diss.), S. 174, der als Rechtfertigungsgrund die Klagemöglichkeit bezeichnet, damit aber inhaltlich, da Kernstück der Klagemöglichkeit der Anspruch ist, dasselbe meint. 31 Siehe Einleitung Fn. 13. 32 Zutreffend hier Schumann (JuS 1979), S. 561.
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lichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingegriffen wird 33 . Dem Arbeitgeber stehen zur Rechtfertigung seiner gern. §§ 240; 239; 223 etc. StGB tatbestandsmäßigen Kontrollrnaßnahmen - sofern deren Voraussetzungen erfüllt sindnur die gesetzlicqen Eingriffsbefugnisse (§§ 859 Abs.1 Satz 4; 229 BGB; 32 StGB; 127 Abs. 1 StPO) zur Verfügung34. Auch im Fall 15 ist der Gast H nicht schon aufgrund des bestehenden Bewirtungsvertrages berechtigt, gegen den Willen des Gaststätteninhabers in dem Lokal zu verbleiben und die Räumlichkeiten weiter zu nutzen. Der Restaurantbesucher, der zum Verlassen der Lokalitäten vom Hausrechtsinhaber aufgefordert worden ist, kann sich nämlich zur Rechtfertigung seines weiteren unkonsentierten Verbleibens entgegen anderslautender Ansichten 35 nicht auf seinen vertraglichen Aufenthaltsanspruch berufen. Da der Gast keinen unmittelbaren Besitz an den von ihm benutzten Räumlichkeiten und Sitzgelegenheiten, Stuhl, Tisch etc. erwirbt36 , liegt in seinem weiteren Verbleiben und der weiteren Sachnutzung eine verbotene Eigenmacht, so daß von einer friedfertigen Anspruchsverwirklichung keine Rede mehr sein kann. Außerdem verletzt er durch das weitere Verbleiben das befriedete Besitztum, dem schon seit jeher im Hinblick auf die Erhaltung des äußeren Friedens große Bedeutung beigemessen wurde 37 . Die Anspruchsverwirklichung findet hier innerhalb des Herrschaftsbereiches des Schuldners statt und ist daher nicht gerechtfertigt. Eine Rechtfertigung des tatbestandsmäßig vorliegenden Hausfriedensbruchs ist - wie in § 858 BGB ausdrücklich gefordert - somit nur unter den Voraussetzungen der gesetzlichen Rechtfertigungsgründe möglich. Im Fall 16 kann der Beförderungsvertrag nicht die im unkonsentierten Festhalten des R auf dem Schiff liegende Freiheitsberaubung rechtfertigen. Die zwangsweise Beraubung der körperlichen Freiheit verstößt gegen das Gewaltmonopol und bedeutet zugleich einen gravierenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des R, so daß der Vertrag nicht als Rechtfertigungsgrund zur Anwendung kommen kann. Wegen des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht ist es ebenfalls nicht möglich, von der Unwiderruflichkeit der bei Reiseantritt zumindest konkludent erteilten Einwilligung in die Beschränkung der Bewegungsfreiheit während der Reise auszugehen, um so über die Einwilligung zur Rechtfertigung zu gelangen. Die Lösung des Falles ist, sofern man vorliegend nicht schon durch Bemühen der Sozialadäquanzlehre zum Tatbestandsausschluß gelangen will, nur 33
Siehe auch Schwenk (NJW 1968), S. 825 mit veI1assungsrechtlichen Argumen-
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Schumann (JuS 1979), S. 56l. Siehe Einleitung Fn. 8. Vgl. nur Staudinger / Bund, § 854 RN 8. Vgl. Klein (Peinliches Recht), § 189 S. 358.
ten. 35 36
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11 H.-D. Weber
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durch Rückgriff auf anerkannte Rechtfertigungsgründe zu suchen. Gerechtfertigt ist K gem. § 34 StGB. Im Falle der Kursänderung würde K zumindest Zwang auf die übrigen, mit der Kursänderung nicht einverstandenen Passagiere ausüben. K befände sich mithin in einer Konfliktsituation, in der er rechtens handelt, wenn er den schutzwürdigen Interessen der auf Kurseinhaltung vertrauenden Reisenden den Vorrang einräumt. Wenn R sogar sein Ziel durch gegenwärtige Angriffe verfolgen würde, indem er z. B. selbst ins Ruder greift, wäre die Abwehr dieser Handlung auch unter dem Gesichtspunkt der Nothilfe zugunsten der übrigen Passagiere gerechtfertigt. Als Resümee ist nach der Besprechung der Ausgangsfälle festzuhalten, daß die Präzisierung der Voraussetzungen der Anspruchsrechtfertigung, die nur bei friedfertigen und persönlichkeitsschonenden Durchsetzungshandlungen zulässig ist, nicht nur zu akzeptablen und auch für den Schuldner tolerierbaren Ergebnissen, sondern auch zu einer schlüssigen Begründung derselben führt.
15. Zusammenfassung Blickt man auf die angesprochenen vielzähligen Bestrebungen, das Problem der sogenannten "Anspruchsbeziehung" im Wege restriktiver Interpretation einzelner Straftatbestände bzw. durch Anwendung bereits bekannter Rechtfertigungsgründe zu lösen, so zeigt sich, daß dies nicht der richtige Weg ist, um eine strafrechtliche Privilegierung des Anspruchsberechtigten zu erzielen. Zu sehr wird damit die "Anspruchsbeziehung " als einheitliches, weite Bereiche des Strafrechts ergreifendes Phänomen in viele kleine, die Strafrechtsdogmatik eher belastende Einzelprobleme zerstükkelt, ohne daß damit allgemeingültige Begründungen für das gewünschte Ergebnis gewonnen würden. Ein in sich geschlossener, einheitlicher Ansatz ist nur möglich, wenn man auf den zivilrechtlichen Anspruch selbst abstellt und untersucht, in welchen Fällen dieser nicht nur Grundlage prozessualer Durchsetzung, sondern auch rechtfertigender privater Eingriffsbefugnisse sein kann. Der überwiegende Teil der Ausführungen beschäftigte sich insoweit mit der rechtfertigenden Wirkung vertraglicher Ansprüche, weil diese einerseits aufgrund gewohnheitsrechtlicher Grundsätze (pacta sunt servanda) am ehesten als Gegenstand übergesetzlicher Rechtfertigung geeignet sind, andererseits wegen ihrer Besonderheiten (inhaltliche Gestaltungsfreiheit, Anfechtungs-, Irrtumsprobleme etc.) spezielle Probleme aufwerfen. Als Ergebnis der Untersuchungen ist festzustellen, daß sowohl vertragliche, als auch gesetzliche Ansprüche in bestimmten Grenzen rechtfertigende Kraft entwickeln können. Die Grenzen der Rechtfertigung ergeben sich aus den Voraussetzungen des neuartigen Rechtfertigungsgrundes. Danach muß zur Rechtfertigung privater Anspruchsverwirklichung 1. ein fälliger und prozessual durchsetzbarer Anspruch vorliegen, 2. die Durchsetzungsart eine friedfertige und das Persönlichkeitsrecht des Schuldners schonende sein. Friedfertig ist dabei jede Anspruchsverwirklichung, die ohne Eingriffe in die Herrschaftssphäre des Schuldners, also ohne Gewalt und verbotene Eigenmacht erfolgt. Der Umfang des Persönlichkeitsrechtsschutzes orientiert sich unmittelbar an den gesetzlichen Wertungen. Das Anwendungsgebiet des zivilrechtlichen Anspl\lchs als Unrechts ausschließungsgrund liegt demnach im Immaterialgüterrecht und - insoweit 11·
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15. Zusammenfassung
finden die Thesen von Geerds und Schenke Bestätigung - bei anspruchsverwirklichenden Eingriffen in materielle Rechtsgüter, über die der Gläubiger bereits die Sachherrschaft erlangt hat. In diesem beschränkten Rahmen werden durch die private Anspruchsverwirklichung weder öffentliche noch private Belange verletzt. Ein Verstoß gegen das staatliche Gewaltmonopol, insbesondere eine Umgehung der gesetzlichen Selbsthilfebestimmungen ist bei friedfertigem Vorgehen des Gläubigers nicht möglich. Ebensowenig führt die Konstituierung des zivilrechtlichen Anspruchs zu einer zusätzlichen Einschränkung der Abwehrrechte des Schuldners gegen den tatbestandsmäßigen Zugriff auf sein Rechtsgut. Soweit der Schuldner aufgrund seiner Leistungspflicht den Eingriff zu dulden hat, stünden ihm auch ohne die rechtfertigende Wirkung des Anspruchs nach bisheriger Auffassung Abwehrrechte nicht zur Verfügung. Da die betreffenden Fälle mit dem neuen Rechtfertigungsgrund jedenfalls im Ergebnis überwiegend ebenso zu lösen sind, wie nach der bisher h. M., liegt der Vorteil des neuen Rechtfertigungsgrundes hauptsächlich darin, daß mit ihm eine einheitliche und schlüssige Begründung für die Straflosigkeit des voreiligen Gläubigervorgehens zur Verfügung steht. Sofern sich bei Anwendung des neuen Rechtfertigungsgrundes vereinzelt auch im Ergebnis Abweichungen von der h. M. ergeben, handelt es sich um notwendige Korrekturen derselben.
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