Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht [1 ed.] 9783428457434, 9783428057436


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German Pages 401 Year 1985

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Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht [1 ed.]
 9783428457434, 9783428057436

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RENf: ßLOY

Die BeteiIigungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht

Schriften zum Strafrecht

Band 60

Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht

Von

Priv. -Doz. Dr.Rene Bloy

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Bloy,Rene: Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht I von Rene Bloy. - Berlin: Duncker und Humblot, 1985. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 60) ISBN 3-428-05743-0

Alle Rechte vorbehalten

© 1985 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1985 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-05743-0

Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 1982/83 der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Habilitationsschrift vorgelegen. Ihr thematischer Rahmen hat sich im verlaufe vieler Diskussionen herauskristallisiert, die durch ein im Sommersemester 1977 von meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Manfred Maiwald, abgehaltenes Seminar über ausgewählte Probleme der Teilnahmelehre angeregt worden sind. Ihm gilt mein herzlicher Dank für seine beständige Gesprächsbereitschaft und fördernde Anteilnahme an der Entstehung der Arbeit. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft bin ich für den Druckkostenzuschuß und Herrn Professor Dr. Johannes Broermann für die Aufnahme in die Reihe "Schriften zum Strafrecht" verbunden. Göttingen, im Juni 1984

Rene Bloy

Inhaltsverzeichnis Einleitende Vorbemerknng

17

Erster Teil Metbodenreßexion: Ober die Entwicklung dogmatischer Begriffe aus der Strafwürdigkeit und der Strafbedürftigkeit I. Ziel der Methodenreflexion ............................................. ...................

19

II. Kategoriale und teleologische Begriffsbildung im Strafrecht ...............

20

III. Die Methode der teleologischen Begriffsbildung .................................

23

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit als zentrale Kategorien teleologischer Begriffsbildung ........................................................................

30

1. Die Strafwürdigkeit ............................ ............................................

30

2. Die Strafbedürftigkeit ........ ............................................................

35

3. Konsequenzen für die Begriffsbildung ................................ ............

39

Zweiter Teil Die historiscbe Entwicklung der Lebre von Täterschaft und Teilnahme in ihren Grundlinien I. Die Aufgabe einer Darstellung der Historie im Rahmen der Untersuchung ...............................................................................................

46

II. Römischrechtliche und deutschrechtliche Ausgangspunkte der Entwic;klung .............................................................................................. III. Die italienische Strafrechtswissenschaft des 13.-16. Jahrhunderts.... IV. Die Rezeption und das gemeine Recht ...............................................

47 53 58

1. Die Übernahme der italienischen Teilnahmedoktrin im 16. und 17. Jahrhundert ....................................................................................

58

2. Neue Impulse durch die Naturrechtslehre im 18. Jahrhundert ......

62

V. Die Aufklärung und das 19. Jahrhundert ............................................

67

1. Strafrechtswissenschaft und Gesetzgebung im Zeitalter der Aufklärung ................................................................................................

67

2. Die Entwicklung der Teilnahmelehre seit Feuerbach bis zum Beginn des Einflusses Hegels auf das Strafrecht ........................................

72

8

Inhaltsverzeichnis 3. Die strafrechtliche Hegelschule ......................................................

78

4. Die Sonderstellung Ludens gegenüber den Hegelianern ................

84

5. Beteiligung und Kausalität - naturalistische Einflüsse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ...........................................................

86

Dritter Teil Der gegenwärtige Stand der Lehre von Täterschaft und Teilnahme

1. Die Gesetzeslage .................................................................................

96

11. Die Rechtsprechung und die subjektive Theorie ................................

99

1. Historische und dogmatische Grundlagen der subjektiven Theorie

99

2. Die Anfänge der BGH-Rechtsprechung als Fortführung der vorn Reichsgericht begründeten Tradition .............................................

101

3. Von den ersten Ansätzen bis zum Durchbruch der normativen Kombinationstheorie in der BGH-Rechtsprechung ...............................

102

4. Die Weiterführung der objektivierenden Tendenzen durch Nowakowski ............................................................................................

105

5. Die Entscheidungen BGHSt 9,119 bis BGHSt 18,87 (StaschynskijUrteil): Eine Periode des Schwankens ............................................

106

6. Besonderheiten der Tatbestandsstruktur des § 216 StGB? .............

109

7. Die Fortführung der BGH-Rechtsprechung auf der Grundlage der normativen Kombinationstheorie ...................................................

111

8. Die Differenzierung zwischen den Beteiligungsformen, ein Ausdruck quantitativer Abstufungen oder qualitativer Alternativen? ............

111

9. Einige Bemerkungen zur BGH-Rechtsprechung in den letzten zehn Jahren .............................................................................................

113

III. Extensiver und restriktiver Täterbegriff .......... ................ ...................

11 5

1. Die Gegenüberstellung von extensivem und restriktivem Täterbegriff in dogmengeschichtlicher Sicht .................................. ............

11 5

2. Die Vereinbarkeit des extensiven Täterbegriffs mit der (formal-)objektiven Theorie .............................................................................

117

a) Das Verhältnis der formal-objektiven Theorie zur mittelbaren Täterschaft .................................................................... ............

117

b) Der Lösungsweg Eb. Schmidts ..................................................

119

c) Kritische Einwände gegen den Lösungsweg Eb. Schmidts .........

120

3. Die Überwindung des extensiven Täterbegriffs durch die Entwicklung personaler Täterschaftskriterien im Bereich der vorsätzlichen Delikte ............................................................................................

121

4. Der extensive Täterbegriff und die fahrlässigen Delikte ................

124

Inhaltsverzeichnis

9

IV. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs - psychisch vermittelte Kausalität - Regreßverbot ..................................................................

126

1. Die Rolle der Kausalität in der historischen Entwicklung der Beteiligungsformen bis zur strafrechtlichen Hegelschule .........................

126

2. Die Begründung der Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch Luden ............................................................

126

3. Die Unterscheidung zwischen physisch und psychisch vermittelter Kausalität als Weiterentwicklung der Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs .............................................................

128

4. Das Regreßverbot ..........................................................................

130

a) Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nach dem Maßstabe des Dazwischentretens eines frei handelnden Dritten? ..............

130

b) Täterschaft und Teilnahme bei fahrlässiger Straftat? .................

134

aa) Präzisierung der Problemlage ..............................................

134

bb) Die Eröffnung der neueren Diskussion um das Regreßverbot durch Naucke ......................................................................

137

cc) Der Streit um die Beherrschbarkeit eines Geschehens für einen fahrlässigen Ersthandelnden bei späterem Dazwischentreten eines vorsätzlichen Zweithandelnden ...................................

137

dd) Das Regreßverbot als Maßstab für die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen ....... .... ......... ... ....... ......... ....... ......... ...

138

ee) Das Sonderproblem der fahrlässigen Förderung fremder Selbsttötung .. .... ...... ..... .... ... .... ......... ....... .... ..... ....... ...... ... ...

146

V. Die Einheitstäterlehre - zugleich ein Blick auf die Situation im österreichischen Strafrecht .. ..... ....... ... ...... ....... ..... ............ ... ..... ....... ......... ...

149

1. Formale und funktionale Einheitstäterschaft .................................

149

2. Das Einheitstätersystem des § 14 OWiG .......................................

151

a) Der Begriff der Beteiligung in § 14 Abs. 1 S. 1 OWiG .............

151

b) Die Grenzen der Versuchsstrafbarkeit gern. § 14 Abs. 2 OWiGein Systembruch ........................................................................

152

c) Schlußfolgerungen: § 14 OWiG als Ausdruck eines verdeckten funktionalen Einheitstätersystems .............................................

155

d) Die Behandlung der besonderen persönlichen Merkmale in § 14 Abs. 1 S. 2 OWiG .....................................................................

156

3. Grenzen der Erfassung von Handlungsunwerten im Einheitstätersystem ............................................................................................

159

4. Die Beteiligung am Sonderdelikt im Einheitstätersystem ...............

162

5. Das Einheitstätersystem der §§ 12 - 14 östStGB ...........................

166

a) Historischer Kontext der gegenwärtigen Regelung ...................

166

10

Inhaltsverzeichnis b) Die Kontroverse über die Bedeutung des Akzessorietätsprinzips im geltenden österreichischen Strafrecht ...................................

167

aa) Wertfreie oder werterfüllte Beteiligungsformen? .................

167

bb) Der Begriff des "Bestimmens" in § 12 2. Alt. östStGB .......

167

cc) Die Beteiligung am Sonderdelikt gern. § 14 östStGB ..........

169

VI. Täter- und Teilnehmerdelikt ..............................................................

172

1. Historische Vorläufer der Figur des Teilnehmerdelikts .................

172

2. Äquivalenztheorie und Ablehnung des Akzessorietätsgedankens als Grundlagen für eine Verselbständigung der Teilnahme ..................

174

3. Die These von der Entbehrlichkeit der Haupttat für die Teilnahme

176

a) Die Konzeption Lüderssens auf der Basis der reinen Verursachungstheorie . ................................................ ................ ............

176

b) Der Ansatz Piotets als faktische Hinwendung zur Einheitstäterschaft .........................................................................................

179

c) Der Kern der Lehre vom Teilnehmerdelikt: Die Haupttat als Erfolg von Anstiftung und Beihilfe ............................................

180

4. Die Rolle des Akzessorietätsprinzips beim Teilnehmerdelikt ........

182

a) Die Beschränkung der Akzessorietät auf eine ausschließlich strafbarkeitsbegrenzende Funktion ...................................................

182

b) Kritische Bemerkungen zur verkürzten Sicht der Akzessorietät aus der Perspektive der Lehre vom Teilnehmerdelikt ................

183

5. Die Behandlung der Teilnahme eines Extraneus am Sonderdelikt durch die Vertreter der Lehre vom Teilnehmerdelikt ....................

185

6. Gemäßigte Varianten der Lehre vom Teilnehmerdelikt .................

187

a) Die von Sax vertretene Position ................................................

187

b) Anstiftung und Beihilfe als Straftatbestände bei Herzberg ........

188

VII. Beteiligung mit und ohne Tatherrschaft - pflichtdelikte ....................

192

1. Geistesgeschichdiche Fundamente der Tatherrschaftslehre ............

192

2. Die Tatherrschaftslehre in ihrer subjektivierenden Ausprägung ....

194

3. Die Behandlung der Mitwirkung im Vorbereitungsstadium - ein Prüfstein für das Maß der Subjek tivierung des Tatherrschaft sbegriffs 4. Die Tatherrschaftslehre im Übergang von der kausalen zur personalen Konzeption der Zurechnungslehre ...........................................

196 201

5. Die Tatherrschaftslehre in ihrer objektivierenden Ausprägung ......

202

a) Die Tatherrschaft als personales Zurechnungskriterium für die Täterschaft ................................................................................

202

b) Die Akzessorietät als personales Zurechnungskriterium für die Teilnahme .... ... ..... ... .... ..... ... .... ......... ... ........ ......... ... ... ...... ..........

205

Inhaltsverzeichnis

11

aa) Die Bedeutung des Handlungsunrechts für die Abschichtung von Täterschaft und Teilnahme ..........................................

205

bb) Akzessorietät und Schuldteilnahmetheorie - zugleich ein Blick auf Rechtsprechung und Schrifttum in der Schweiz..

207

cc) Die Unrechtsteilnahme als Ausdruck der Verantwortlichkeit des Teilnehmers für das tatbestandliche Unrecht ................

211

dd) Die Doppelfunktion der Akzessorietät: Zurechnung des tatbestandlichen Unrechts bei fehlender Tatherrschaft und bei fehlender Subjektsqualität ...................................................

212

6. Die denkbaren Konstellationen im Verhältnis zwischen den Täterschaftskriterien der Tatherrschaft und der Sonderpflichtverletzung

213

7. Die Bedeutung der Pflichtverletzung für die Unterlassungsdelikte

214

a) Die Untauglichkeit des Tatherrschaftskriteriums im Bereich der Unterlassungsdelikte ..................................................................

214

b) Differenzierung der Beteiligungsformen bei den Unterlassungsdelikten nach dem Entstehungsgrund der verletzten Garantenpflicht? .......................................................................................

216

c) Das Sonderproblem der Begehbarkeit verhaltensgebundener Delikte durch Unterlassen ..............................................................

219

aa) Die generelle Möglichkeit einer Handlungsmodalitätenäquivalenz der Unterlassung ......................................................

219

bb) Darstellung der Problematik und ihrer Lösung am Beispiel des Betruges .........................................................................

221

cc) Schlußfolgerungen: Die Verhaltensgebundenheit als ergänzendes Täterschaftskriterium neben der Sonderpflichtverletzung ..... ......... ....... ... ...... .................. ............... ..................

223

d) Echte und unechte verhaltensgebundene Delikte ......................

224

e) Zusammenfassung und Ausblick auf das verbleibende Problemfeld .............................................................................................

226

8. Die Bedeutung der Pflichtverletzung für die Fahrlässigkeitsdelikte

226

9. Die Bedeutung der Pflichtverletzung für die vorsätzlichen Begehungsdelikte ...................................................................................

229

a) Die Leitlinien der von Roxin begründeten Lehre von den Pflichtdelikten ... ... .... .... ..... .... .... ........ ........................ ..... .... ............ ... ...

229

b) Der Wert der Grundeinsichten, die Roxins Lehre vermittelt ....

230

c) Grenzen der Verallgemeinerungsfähigkeit der Lehre von den Pflichtdelikten: die gemischten pflicht- und Herrschaftsdelikte

231

d) Die Extranenteilnahme bei den Sonderpflichtdelikten ..............

233

aa) Darstellung und Kritik der Problemlösung bei Roxin ........

233

12

Inhaltsverzeichnis bb) Unvermeidbare Wertungswidersprüche bei durchgängiger Ablehnung einer Teilnahmemöglichkeit an unvorsätzlicher Tat? ............................................................................

236

cc) Anstiftung des Intraneus zu einer nach § 35 Abs. 1 StGB entschuldigten Tat durch einen Extraneus ...............................

236

dd) Das Zusammenwirken eines herrschaftslosen Intraneus mit einem extranen Tatherrn: mittelbare Täterschaft oder strafrechtlich irrelevante Mischform der Beteiligungsrollen? ......

237

10. Der Einsatz eines absichtslosen dolosen Werkzeugs - ein Problem

der Teilnahmelehre oder des Zueignungsbegriffs? ........................

241

11. Zusammenfassender Überblick über die Grundstrukturen von Täterschaft und Teilnahme ..........................................................

243

Vierter Teil Die Beteiligung im Lichte der allgemeinen Zurechnungs prinzipien

I. Die Zurechnung in ihrer umfassendsten Bedeutung ............................

244

II. Die Zurechnung im Strafrecht - eine Skizze ......................................

247

1. Leitende Gesichtspunkte für die Bildung von Zurechnungskategorien .............................................................................................

247

2. Einzelne Zurechnungskategorien ....................................................

248

a) Unrecht und Schuld ..................................................................

248

b) Rechtsgutsangriff und Pflichtverletzung ....................................

252

c) Handlung, Erfolg und Kausalität ..............................................

264

aa) Die Handlung ......................................................................

264

bb) Der Erfolg ...........................................................................

264

cc) Kausalität und objektive Zurechnung, insbesondere bei der Beihilfe ....... .... .......................... ....................................... .....

270

d) Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit ......................................

290

Fünfter Teil Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus

I. Die AufgabensteIlung und ihre Implikationen ....................................

293

II. Die Beteiligungsform als empirischer Gestalttypus .............................

295

1. Die vorrechtliche Existenz von Beteiligungsformen .......................

295

2. Die typologische Erfassung der Beteiligungsformen bei Hardwig..

296

a) Der Standpunkt Hardwigs ........................................................

296

b) Die Polarität von Typus und Begriff .........................................

299

Inhaltsverzeichnis

13

c) Kritische Anmerkungen zu Hardwigs Konzeption ....................

300

3. Die Beteiligungsformen als kriminalphänomenologische Tattypen (Geerds) ..........................................................................................

301

IH. Die Beteiligungsform als normativer Realtypus ..................................

302

1. Das Erfordernis einer teleologischen Ausformung des Typus im Strafrecht ........................................................................................

302

2. Die extensive Verwendung der Denkform des Typus durch Hassemer

303

3. Die Beteiligungsform als normativer Typus in der wissenschaftlichen Diskussion ................... ............ .................................... ...................

304

a) Erste Ansätze ........ ...................... ............ ........................ ..........

304

b) Die "Typen der Unwertbeurteilung" bei Sax ............................

305

c) Die Denkform des Typus in der Teilnahmelehre bei Gössel.....

306

d) Die Ganzheitstheorie Schmidhäusers .........................................

307

e) Die Betonung der normativen Elemente durch Cramer .. ..........

309

f) Die Konzeption Roxins .................................... ...... .............. .....

309

4. Das Sonderproblem der Mischformen der Beteiligungsrollen .........

312

IV. Die einzelnen Beteiligungsformen in ihren strukturellen Unterschieden und Verflechtungen .............................................................................

313

1. Täterschaft und Teilnahme ............................................................

313

a) Der Strafwürdigkeitsgehalt von Täterschaft und Teilnahme .....

314

b) Der Strafbedürftigkeitsgehalt von Täterschaft und Teilnahme.

318

2. Anstiftung und Beihilfe ...... .................. ...... ........................ ............

322

a) Der Strafwürdigkeitsgehalt von Anstiftung und Beihilfe ...........

323

aal Die absolute Strafwürdigkeit von Anstiftung und Beihilfe..

323

a) Die Anstiftung - eine reine Erfolgsverursachung? ..........

323

ß) Die Abgrenzung der Anstiftung von der öffentlichen Auf-

forderung zu Straftaten (§ 111 StGB) .............................

323

,,/) Die Lehre vom Erfordernis der sog. Kollusion bei der Anstiftung ......... ....... ............ .... ..... ....... ............. ......... ..........

328

0) Die Bedeutung der Figur des omnimodo facturus für die Abgrenzung zwischen Anstiftung und Beihilfe ...............

330

€) Die Umstimmung eines anderen zur Begehung der Tat in qualifizierter Form ....... ..... ........... ........... ..... ...................

332

bb) Die relative Strafwürdigkeit von Anstiftung und Beihilfe...

336

a) Die Korrumpierung des Täters als Rechtfertigung einer tätergleichen Bestrafung des Anstifters ...... .....................

336

14

Inhaltsverzeichnis

ß) Die Rechtfertigung einer tätergleichen Bestrafung des Anstifters durch die Gefährlichkeit seiner Handlungsweise

337

1) Schlußfolgerungen für die Lösung der sog. Umstimmungsproblematik .....................................................................

343

b) Der Strafbedürftigkeitsgehalt von Anstiftung und Beihilfe .......

343

3. Mittelbare Täterschaft und Anstiftung ..........................................

344

a) Die Verschiedenheit von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung in den Grundstrukturen ............................................................

344

b) Grenzfälle zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung ....

345

aa) Die Veranlassung eines im Grenzbereich der Entschuldigungsgründe Handelnden zur Tatbegehung - zugleich eine Stellungnahme zur Normativierung der Tatherrschaft durch das Verantwortungsprinzip ...................................................

345

bb) Die Veranlassung eines im vermeidbaren Verbotsirrtum Handelnden zur Tatbegehung - eine Grenze für den Anwendungsbereich des Verantwortungsprinzips? ...................................

347

cc) Der sog. Irrtum über den konkreten Handlungssinn ..........

351

a) Der Irrtum übertaterhebliche Handlungsvoraussetzungen

352

ß) Die Täuschung über quantifizierbare Unrechts- und Schuldmaße ......................................... ......................... ...

353

1) Die Täuschung über qualifizierende Tatumstände .........

355

6) Die Hervorrufung eines error in persona ..... .......... .........

358

Exkurs: Die Benutzung eines Tatentschlossenen im Spannungsfeld zwischen mittelbarer Täterschaft, Nebentäterschaft und Beihilfe ...............................

362

4. Mittäterschaft und Beihilfe . ............................................................

367

a) Der Grenzbereich zwischen Mittäterschaft und Beihilfe als Hauptanwendungsgebiet der Theorien zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ..............................................

367

b) Die Lehre von der funktionellen Tatherrschaft in ihren Grundzügen .........................................................................................

369

c) Zur Kritik an der Figurderfunktionellen Tatherrschaft: Teilherrschaft oder Mitherrschaft? .........................................................

370

d) Sonderfälle der Mittäterschaft ................................................ ...

372

aa) Die additive Mittäterschaft .................................................

372

bb) Die alternative Mittäterschaft .............................................

376

e) Die Beihilfe als Komplementär-Typus zur Mittäterschaft .........

377

Schrifttumsverzeichnis .................................................................................

379

Abkünungen ALR ArchCrimR N.F. AS Bund BayObLGSt BGB BGBI. I BGE BGHSt BT-Drucks. BVerfGE CCB CCC DRiZ DRZ Ed. Roth. GA GG GS HESt HRG JA JBl JbLit JMBlNRW JR JuS JW JZ KrimJ Lex Baiuv. Lex Fris. Lex Rib. Lex Sal. Liu. LM

Allgemeines Landrecht für die Preussischen Staaten, 1794 Archiv des Criminalrechts, Neue Folge Amtliche Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen der schweizerischen Eidgenossenschaft Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen, Neue Folge Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBI. S.195) Bundesgesetzblatt, Teil I Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Drucksache des Bundestages Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Constitutio Criminalis Bambergensis, 1507 Constitutio Criminalis Carolina, 1532 Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Edictus Rothari (herausgegeben von Pertz, Hannover 1868) Goltdammer's Archiv für Strafrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBI. S. 1) Der Gerichtssaal Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Jahrbücher der gesammten deutschen juristischen Literatur Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kriminologisches Journal Lex Baiuvariorum (herausgegeben von Eckhardt, Weimar 1934) Lex Frisionum (herausgegeben von Eckhardt, Weimar 1934) Lex Ribuaria (herausgegeben von Eckhardt, Weimar 1934) Pactus Legis Salicae (herausgegeben von Eckhardt, Göttingen/Berlin/ Frankfurt 1955) Leges Liutprandi (herausgegeben von Pertz, Hannover 1868) Lindenmaier/Möhring (Hrsg.): Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs

16 MDR MschrKrim NArchCrimR NJW ÖJZ östStGB OGHSt OLGSt Ostfries.Ldr. OWiG Prot. prStGB RGBI. RG Rspr. RGSt RZ SchlHA

Abkürzungsverzeichnis Monatsschrift für Deutsches Recht Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Neues Archiv des Criminalrechts Neue Juristische Wochenschrift Österreichische J uristen·Zeitung Bundesgesetz über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen vom 23.1.1974 (BGBI. f.d. Republik Österreich S. 641) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf· und Strafverfahrensrecht Ostfriesisches Landrecht, 1515 (herausgegeben von Wicht, Aurich 1746) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten i.d.F. vom 2.1.1975 (BGBL I, S.80) Protokolle über die Sitzungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten vom 14.4.1851 (GesetzSammlung S. 101) Reichsgesetzblatt Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Österreichische Richterzeitung Schleswig·Holsteinische Anzeigen

Schwsp. Ldr.

Schwabenspiegel, Landrecht (herausgegeben von Gengier , Erlangen 1853)

schwStGB

Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21.12.1937 (AS Bund 1938, S.757) Süddeutsche Juristen·Zeitung Sachsenspiegel, Landrecht (herausgegeben von Eckhardt, 2. Ausgabe, Göttingen/Berlin/Frankfurt 1955) Strafgesetzbuch i.d.F . vom 2.1.1975 (BGBI. I, S. 1) Verkehrsrechtliche Mitteilungen Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Verkehrsrechtssammlung Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft Zeitschrift für Rechtsvergleichung Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

SJZ Ssp. Ldr. StGB VerkMitt VOR VRS ZDR ZfRV ZStrR ZStW

Einleitende Vorbemerkung Die Lehre von Täterschaft und Teilnahme gehört aufgrund ihrer zentralen Bedeutung zu den Themen der strafrechtlichen Dogmatik, die - wie nur wenige - ein umfangreiches Spezialschrifttum hervorgebracht haben. Demgegenüber nehmen sich die einschlägigen Regelungen des Strafgesetzbuches in § § 25 ff. in ihrem äußeren Umfang geradezu spärlich aus. Allerdings dürfte es nicht viele andere Stellen dort geben, an denen jedes Wort ein solches Gewicht aufweist, an denen um jede Formulierung bei der Schaffung des Gesetzestextes so gerungen worden ist. Ohne Übertreibung läßt sich sagen, daß hinter jeder Zeile Probleme derart schwerwiegender und grundsätzlicher Art stehen, daß sich das Verständnis für den Regelungsgehalt der wenigen Paragraphen erst jenseits der Lektüre des Gesetzes entfalten kann. Der äußersten Textverdichtung, durch die die strafgesetzliche Normierung gekennzeichnet ist, steht folgerichtig ein vielgestaltiges Schrifttum und eine nicht eben kontinuierliche Rechtsprechung gegenüber. Wer sich auf dem Hintergrund dieser Situation eine Analyse der Beteiligungsformen zur Aufgabe setzt, findet demgemäß als Ausgangspunkt im Strafgesetzbuch zunächst einmal nicht viel mehr vor als die Aufgliederung der möglichen Beteiligungsformen an einer Straftat in die drei Kategorien Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe mitsamt gewisser Hinweise auf ihre Strukturierung nach dem geltenden Recht. Ein Blick auf die jeweils angeordneten Rechtsfolgen zeigt, daß das Gesetz unter diesem Gesichtswinkel nur eine Zweiteilung kennt: Täterschaft und Anstiftung einerseits (Bestrafung als bzw. gleich einem Täter), Beihilfe andererseits (obligatorische Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB). Damit ist die Frage nach der gleichen bzw. unterschiedlichen Strafwürdigkeit der verschiedenen Beteiligungsformen aufgeworfen, ein Problem, das zurückführt auf den generellen Zusammenhang von Strafbegriff und Verbrechensbegriff, insbesondere auf eine Reflexion des Prinzips der Entwicklung dogmatischer Begriffe aus der Strafwürdigkeit. Demgemäß hat sich die hier vorgelegte Untersuchung als erstes ihrer Methodik zu vergewissern, die Begriffe von Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe nach dem Maßstab der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit zu entwickeln, sodann ist die historische Dimension einzubeziehen und schließlich der gegenwärtige Stand der Lehre von Täterschaft und Teilnahme auf dem Boden der gewonnenen methodologischen und geschichtlichen Einsichten neu zu überdenken.

2 Bloy

Erster Teil

Methodenreflexion: Über die Entwicklung dogmatischer Begriffe aus der Strafwürdigkeit und der Strafbedürftigkeit I. Ziel der Methodenreflexion Die Wechselbeziehung zwischen Gegenstand und Methode einer wissenschaftlichen Arbeit wurzelt in der Dialektik von Inhalt und Form, resultiert also aus der Subjekt-Objekt-Struktur, die den Erkenntnisprozeß prägt. Bei der Erfassung der Realität mittels Begriffen gelingt niemals eine vollständige Abbildung des einen auf dem anderen 1, denn der Begriff bezieht sich aufs Nichtbegriffliche 2 , das er niemals ganz in Sprache aufzulösen vermag. Andererseits ist der Begriff seinerseits in ein nichtbegriffliches Ganzes verflochten, das ihn erst hervorbringt. Aus diesem strukturellen Grundmuster leitet sich einerseits die Einsicht in den konstitutiven Charakter des Nichtbegrifflichen im Begriff, andererseits in das begriffliche Moment der Realität ab. Steht der Begriff also einer Realität gegenüber, deren Bestandteil er gleichzeitig ist, so kommt ihm eine doppelte Bedeutung zu: als Spiegel der Realität, mit dessen Hilfe diese der menschlichen Erkenntnis zugänglich gemacht wird, und als ein Moment unter vielen in der Realität, das diese in die sprachliche Dimension hinein erweitert. Für die Begriffsbildung ist daraus die Konsequenz zu ziehen, daß nicht etwa einseitig der Begriff durch die Realität geprägt wird, sondern beide sich gegenseitig konstituieren 3 . Subjekt und Objekt treten im Erkenntnisprozeß in eine Wechselbeziehung zueinander, die vermittelt wird durch die Bildung von Begriffen, deren Struktur derselben Dialektik unterliegt. Dabei wird die Form des Prozesses durch die Wahl der Methode bestimmt, mit der das Subjekt sich sei1 Deshalb sind die rechtlichen Begriffe kaum jemals so exakt, daß unter sie die Lebensvorgänge, die sie erfassen sollen, einfach subsumiert werden können, wie Larenz, Methodenlehre, S. 434 zutreffend hervorhebt. 2 Die Relation der Wörter auf eine Sache und ihr daraus resultierender Sinn wird aufgezeigt bei Hruschka, Das Verstehen von Rechtstexten, S. 29 ff.; siehe auch Arthur Kaufmann, Gallas-Festschrift, S. 17 mit weiteren Nachweisen zur Figur des ,,hermeneutischen Zirkels", der hier seinen Ursprung hat. 3 Bezogen auf den hermeneutischen Zirkel in der Subsumtion heißt es bei Arthur Kaufmann, Analogie und ,,Natur der Sache", S. 29, 31, es gehe einerseits um die Angleichung des Lebenssachverhalts an die Norm, andererseits um die Angleichung der Norm an den Lebenssachverhalt. Vgl. auch dens., Gallas-Festschrift, S. 17.

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1. Teil: Methodenreflexion

nem Erkenntnisgegenstand nähert. Formelles und materielles Moment stehen insofern ihrerseits wieder in einem spezifischen Zusammenhang. Demgemäß ist nicht nur der Gegenstand des wissenschaftlichen Bemühens zu reflektieren, sondern auch die Methode. Die Verknüpfung von Gegenstand und Methode erfordert also, sich der Instrumente zu vergewissern, mit denen die gestellte Aufgabe in Angriff genommen werden soll. Bliebe die Methode unreflektiert, so würde der Nachweis fehlen, daß das gewählte Thema gerade mit der angewandten Methode behandelt werden durfte. Wird nun aber bewußt, daß die Methodenwahl vom Untersuchungsgegenstand abhängt, so ergibt sich daraus zunächst die Schwierigkeit, eine Methode wählen zu müssen, bevor der Untersuchungsgegenstand einer Klärung zugeführt ist, denn anderenfalls müßte das Ergebnis der Untersuchung bereits gefunden worden sein. Dies soll aber erst auf dem methodischen Weg geschehen, der gesucht wird. Hier hilft nun folgende Überlegung weiter: Bei der zu bearbeitenden Aufgabe, der Aufklärung der Struktur der Beteiligungsformen, handelt es sich um ein Problem, das - allgemein formuliert - in der Entwicklung strafrechtsdogmatischer Begriffe besteht. Hierfür muß es ein allgemeines Prinzip geben, das die Einheit der strafrechtlichen Systematik stiftet. Somit kann für die Methodenreflexion von dem speziellen Untersuchungsgegenstand abgesehen werden. Ihr Ziel ist vielmehr das Auffinden des Prinzips, nach dem dogmatische Begriffe überhaupt zu entwickeln sind.

11. Kategoriale und teleologische Begriffsbildung im Strafrecht Zur Begriffsbildung wurde bereits angemerkt, daß den Begriffen notwendig letzte Deckungsgleichheit mit ihren Gegenständen, die sie bezeichnen, mangelt. Ist dies aber eine sich aus der Struktur des Erkenntnisvorganges ableitende Gegebenheit, nicht ein behebbarer Fehler, der mit einer verbesserten Begriffsbildungsmethode abzustellen wäre, so kann das Ziel wissenschaftlicher Begriffsbildung, und damit auch solcher im Strafrecht, überhaupt nicht auf eine derartige exakte Abbildung der Realität gerichtet sein. Vielmehr beschränken sich die Möglichkeiten auf die Herausarbeitung von spezifischen Aspekten, auf die Beleuchtung der Phänomene unter vorher festgelegten Gesichtspunkten, ohne Anspruch auf Universalgeltung zu erheben. Dementsprechend wäre eine Begriffs- und Systembildung im Strafrecht, die einer vermeintlichen Sachlogik folgend, die Sache selbst in Form und Stoff, in Kategorie und Material zu zergliedern sucht, von vornherein zum Scheitern verurteüt. Und in der Tat setzt sich die Erkenntnis durch, daß eine kategoriale Systematik4 in diesem Sinne letzt4 Radbruch, Festgabe für v. Frank I, S. 158 f. gibt einen Überblick über die denkbaren Systembildungsprinzipien und ihre Kombinationsmöglichkeiten.

11. Kategoriale und teleologische Begriffsbildung

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lieh undurchführbar ist. Die klassische kategoriale Systematik tritt uns im von Liszt/Belingschen SystemS entgegen, das zugleich eine Klassifikation der Verbrechensmerkmale in der Art von Linnes Pflanzensystem enthält. Radbruch hat in seiner berühmten Habilitationsschrift über den Handlungsbegriff erste Risse in dieser "in ihrer Klarheit bestechenden Systematik,,6 entdeckt. Gleichwohl wurde das Prinzip der kategorialen und klassifikatorischen Systembildung - auch nachdem der Versuch einer Weiterentwicklung auf der Grundlage des klassischen Systems (z.B. durch die Anerkennung subjektiver Unrechtselemente) nichts an den grundlegenden Mängeln änderte - nicht überwunden, sondern feierte im aufkommenden Finalismus Welzels seit den dreißiger Jahren neue Triumphe 7 • Allerdings lassen sich gewisse Ansätze zu teleologischem Denken, die das herrschende Systemdenken gewissermaßen kontrapunktisch begleiteten, bis zu v. Liszt selbst zurückverfolgen. Dieser stellte bereits die modern anmutende Frage, warum das Recht mit einer bestimmten Tatsache "diese, und gerade diese Rechtsfolge" verknüpfe 8 • Weiter heißt es dann: "Es ist klar, daß mit dem Rechtsgute der Zweckgedanke seinen Einzug in das Gebiet der Rechtslehre hält, daß die teleologische Betrachtung des Rechts beginnt und die formallogische ihr Ende findet. ,,9 Aber erst in der Zeit um 1930 fand das Prinzip der teleologischen Begriffsbildung im Strafrecht größere Beachtung, das als allgemeine geisteswissenschaftliche Methodenlehre der südwestdeutschen Schule, insbesondere von deren hervorragenden Vertretern Windelband, Rickert und Lask entwickelt worden war lO • Voraufgegangen war freilich im Jahre 1915 eine Studie von Hegler ll über "Die Merkmale des Verbrechens" auf teleologischer Grundlage, die indessen zunächst ohne spürbare Wirkung blieb. Wichtig an Heglers Gedanken zur teleologischen Methode im Strafrecht war vor allem, daß er sie bereits als Grundprinzip der Systembildung auf den Allgemeinen Teil bezog 12 • Demgegenüber hatten spätere Autoren bei der Beschäftigung mit teleologischer Begriffsbildung zumeist nur einzelne Begriffe des Besonderen Teils vor Augen. Dies gilt auch von der grundlegenden Arbeit Schwinges 13 , die sich Zur Würdigung siehe Schmidhäuser, Radbruch-Gedächtnisschrift, S. 268 ff. Radbruch, Festgabe für v. Frank I, S. 163. 7 s. dazu Schmidhäuser, Radbruch-Gedächtnisschrift, S. 274 f. 8 v. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze, Erster Band, S. 223. • v. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze, Erster Band, S. 223; vgl. auch ZStW Bd. 8 (1888), S.139/140. 10 s. dazu ausführlich Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 4 ff.; Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 73 ff.; Mittasch, Die Auswirkungendes wertbeziehenden Denkens, S. 18 ff. 11 Regler, ZStW Bd. 36 (1915), S. 19 ff., siehe zum Prinzip teleologischer Systembildung insbes. S. 20-23. 12 Regler, ZStW Bd. 36 (1915), S. 20-23. 13 Unter Bezugnahme auf Schwinge, Teleologische Begriffsbildung (siehe dort insbes. S. 1 ff. und 19 ff.) ebenso Grünhut, Festgabe für v. Frank I, S. 8. 5

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1. Teil: Methodenreflexion

ausführlich mit dem teleologischen Begriffsbildungsprinzip auseinandersetzt. Ausgangspunkt der Betrachtungen ist dabei die Beobachtung, daß die rechtswissenschaftlichen Begriffe - jedenfalls weitgehend 14 - der Alltagssprache entnommen sind 15. Ihnen fehlt eine präzise Definition; vielmehr nehmen sie an dem permanenten Anpassungsprozeß an neue Entwicklungen in allen Bereichen des menschlichen Lebens teil, in dem sich jede lebendige Umgangssprache befindet. Ihr Bedeutungsgehalt ist demgemäß fließend und für die wissenschaftliche Verwendung nicht ausreichend konturiert. Trotz dieses Mangels wäre ein Verzicht auf dieses begriffliche Rohmaterial nicht möglich, da rechtlich relevante Sachverhalte dem sozialen Leben angehören und als Bestandteile des Alltagslebens schon vor jeder Bemühung um juristische Erfassung ihre sprachliche Verarbeitung fmden. Eine Begriffswelt aus reinen wissenschaftlichen Kunstbegriffen könnte diesem Umstand nicht gerecht werden. Andererseits würde eine sorglose Übernahme der Begriffe des täglichen Lebens niemals eine wissenschaftliche Durchdringung der Phänomene, um die es geht, erlauben. Aus diesem Grunde stellt sich der Rechtswissenschaft die Aufgabe, auf der Grundlage bereits vorhandener Begriffe ein wissenschaftlichen Anforderungen genügendes Instrumentarium zur Lösung der gegebenen Probleme bereitzustellen l6 . Dies geschieht durch eine Umformung der Begriffe der Alltagssprache zu juristischen Begriffen (ergänzt durch Einführung gewisser termini technici). Ausgehend vom allgemeinen Sprachgebrauch sind bei diesem Prozeß - wie bereits erwähnt - nach vorhergegangener Festlegung eines leitenden Gesichtspunktes, unter dem die Betrachtung steht, die Grenzen des betreffenden Begriffs der Allgemeinsprache funktional im Hinblick auf seine neue Aufgabe exakt festzulegen. Dabei stellen Wortsinn und Sprachgebrauch einerseits insofern wichtige Orientierungsmarken dar als sie den Zugang zu den Realitäten eröffnen, die Regelungsgegenstand sind. Außerdem zieht der "mögliche Wortlaut" nach klassischer Formulierung 17 die Trennlinie zwischen Auslegung und Analogie. Andererseits fehlt dem allgemeinen Sprachgebrauch eben doch die 14 Für den Allgemeinen Teil gilt dies nicht ausnahmslos, denn Begriffe wie "Tatbestandsmäßigkeit" , "Garantenstellung" usw. sind fachwissenschaftliche Wortschöpfungen. In der Lehre von Täterschaft und Teilnahme gibt es sowohl übernommene Begriffe (z.B. Täter, Anstifter, Gehilfe) als auch spezifische Neubildungen (z.B. mittelbare Täterschaft). 15 Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 3; s. auch Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 215; Larenz, Methodenlehre, S. 307, 332; Schreiber, Gesetz und Richter, S. 224 f. 16 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 215 spricht sehr anschaulich davon, daß Rechtswissenschaft großenteils "Begriffsarbeit zweiten Grades" sei. Z1,Ir teleologischen Ausformung juristischer Begriffe s. auch Arthur Kaufmann, Analogie und "Natur der Sache", S. 24, der dies als Ausdruck des analogischen Charakters dieser Begriffe betrachtet. 17 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, S. 33; auf diese Funktion will Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 48 die Bedeutung des Wortsinnes wohl beschränken. Jedenfalls dürfte seine Bemerkung, a.a.O., S. 50, daß Wortsinn und Sprachgebrauch immer bloße Indizien schaffen, stets nur heuristischen Wert für die strafrechtliche Begriffsbildung haben, das Gewicht der voIjuristischen Begriffsbedeutung wohl allzu niedrig ansetzen.

III. Die Methode der teleologischen Begriffsbildung

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teleologische Ausrichtung. Auch unter dem Aspekt der Garantiefunktion des Strafgesetzes (Art. 103 Abs. 2 GG) in Gestalt des Bestimmtheitsgebotes (nullum crimen sine lege certa)18 muß die Begriffsbildung im Strafrecht die Unschärfe der Umgangssprache meiden, ohne freilich in eine Fachterminologie zu verfallen, die auf Allgemeinverständlichkeit verzichtet. Denn das Gesetzlichkeitsprinzip würde zu einem Teil entwertet werden, wenn die Strafbarkeit in einer Weise gesetzlich verankert würde, die für den Bürger schlechthin unverständlich wäre 19 . Daraus resultiert das Erfordernis, einen Weg zwischen den Extremen zu finden. Die begriffliche Durcharbeitung der Regelungsmaterie stellt sich nach dem oben Gesagten also nicht als einseitige Normativierung des Wortes der Alltagssprache dar, die im ungünstigsten Falle zur Wirklichkeitsfremdheit der juristischen Begriffswelt führen könnte. Da das Recht andererseits nicht ohne Rücksicht auf das zu ordnende Leben gehandhabt werden kann, wirken auf die Begriffe auch die sozialen Sachverhalte, die rechtlich erfaßt werden sollen, mit ihrem Eigengewicht ein 2o • Die Dialektik teleologischer Begriffsbildung haben Grünhut 21 und Erik Wolf2 prägnant als gegenseitige Durchdringung faktischer und normativer Strukturelemente charakterisiert.

III. Die Methode der teleologischen Begriffsbildung Bislang wurde die Methode der teleologischen Begriffsbildung nur in abstracto beschrieben, insbesondere ihre grundsätzliche Andersartigkeit gegenüber jeglicher kategorialen Begriffsbildung. Wie sieht nun der Vorgang teleologischer Begriffsbildung konkret aus? Es wurde bereits dargelegt, daß es im Kern um eine Umformung umgangssprachlicher Begriffe unter einer leitenden Hinsicht geht, wobei die funktionale Neufestlegung des betreffenden Begriffs ihm eine wissenschaftlichen Anforderungen genügende feste Kontur verleiht. Entscheidend ist daher, welches telos sich diese Teleologie setzt. Aller teleologischen Begriffs- und Systembildung im Strafrecht liegt als elementares Prinzip die Wechselbeziehung zwischen Strafbegriff und Verbrechens18 Hierzu Lemmel, Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 20 ff., 74 ff.; Jescheck, AT, S. 107 f. 19 Allerdings dürfte Lemmel, Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen, S. 78 und S. 150 darin zuzustimmen sein, daß das Strafgesetzbuch viel zu kompliziert ist, als daß sich die Mehrzahl der Bürger darin zurechtfinden könnte. Es kann in diesem Zusammenhang nur darum gehen, daß ein laienmäßiges Erfassen des zentralen Sinngehalts der gesetzlichen Bestimmungen möglich bleibt. 20 So schon Grünhut, Festgabe für v. Frank I, S. 19; ebenso Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 91 f.; dazu auch Mittasch, Die Auswirkungen des wertbeziehenden Denkens, S. 44 ff. 21 Grünhut, Festgabe für v. Frank I, S. 28. 22 Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 91 f. und 122.

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1. Teil: Methodenreflexion

begriff zugrunde. Die strafrechtlichen Begriffe erhalten ihre spezifische Färbung aus ihrer Funktion, die Voraussetzungen der Strafbarkeit eines Verhaltens zu bestimmen. Die Gewinnung dieser Begriffe geschieht somit in einem zweckorientierten Verfahren, das auf dem Hintergrund der kulturellen Wertsphäre zu sehen ist, zu deren Bestandteilen auch die strafrechtlich geschützten Güter zählen 23 • Dieses Verfahren ist von Erik Wolf als zweifacher Umformungsprozeß näher beschrieben worden. Zunächst macht er das spezifische Verhältnis des Strafrechts zur Sozialethik für die Begriffsbildung fruchtbar: Da das Recht im allgemeinen nichts anderes als ein Regelsystem für das soziale Leben ist, und das Strafrecht im besonderen sich dadurch auszeichnet, daß es denjenigen Bereich sozialerheblicher Vorgänge absteckt, dessen Integrität der Staat unter Androhung von schärfsten Sanktionen garantiert, muß sich in den strafrechtlichen Begriffen die Beziehung eines empirischen Substrats auf den Wert widerspiegeln, der in seiner allgemeinsten Bestimmung als die den Staat ideell konstituierende sittliche Idee zu bezeichnen ist 24 • Damit ist ein erster Wertbezug gewonnen, der insofern rein formaler Natur ist, als er je nach der konkreten Ausgestaltung der Staatsidee in einem bestimmten historischen Staate eine unterschiedliche Gestalt annimmt 25 • Da strafrechtliche Begriffe stets in den Rahmen einer empirischen Strafrechts ordnung gestellt sind, ist dieser Bezugspunkt indessen inhaltlich bereits jeweils vorgegeben und entfaltet sich als ein Komplex staatlich geschützter sozialer Lebensgüter 26 und - wie man wird ergänzen müssen - kriminalpolitischer Grundentscheidungen. Die Bindung des Strafrechts an die jeweilige Staats- und Gesellschaftsordnung wird in neuerer Zeit vorzugsweise im Zusammenhang mit überlegungen zur Aufhellung des Kriminalisierungsprozesses, d.h. des Vorganges, in dessen Verlauf aus sozialabweichendem kriminelles Verhalten wird, beleuchtet. Diese kriminologische Fragestellung nach der Genese der strafrechtlichen Normen findet eine erste, noch sehr pauschale Antwort in dem gewiß zutreffenden Hinweis darauf, daß die staatlich organisierte Gesellschaft, ausgestattet mit der Definitionsmacht des Gesetzgebers, bestimmt, welches sozialschädliche Verhalten als Verbrechen angesehen werden so1l27. über die Kriterien für die Kriminalisierung besteht, bedingt durch unterschiedliche Vorstellungen über die Gesellschaft, indessen keine Einigkeit. Teils werden politische Faktoren und Bewertungen, teils empirisch-kriminologische Daten in den Vordergrund gerückt. Die politisch orientierten Kriminalisierungstheorien sehen im Strafrecht 13 Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 7 ff.; Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 93. 14 Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 114 ff.; ebenso Mittasch, Die Auswirkungen des wertbeziehenden Denkens, S. 25 ff. lS Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 118 f. 16 Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 119 ff. 17 Kaiser, Kriminologie, S. 7; Schneider, Kriminologie, S. 9.

III. Die Methode der teleologischen Begriffsbildung

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ein Instrument zur Wahrung der Gruppeninteressen der Mächtigen, das vornehmlich der Etikettierung und Disziplinierung der Angehörigen der Unterschichten dient und die Erhaltung des Status quo bezweckt (sog. labeling approach)28. Zurückhaltender formuliert Kaiser 29 , daß jedenfalls "von der Kriminalisierung gewisser Verhaltensformen her bestimmte Gruppen oder Schichten in der Gesellschaft stärker als Normadressaten angesprochen werden als andere". Für die Auswahl derjenigen Verhaltensformen, die als kriminell gelten sollen, kommt es nicht nur auf den Erlaß von Strafrechtsnormen an, sondern auch auf die Verankerung dieser Normen im Rechtsbewußtsein der Bevölkerung. Die Strafrechtsnormen müssen also in einem sozialen Kontrollprozeß "akzeptiert" werden 30 . üb dies der Fall ist, erweist sich an der formellen und informellen sozialen Reaktion auf ein normwidriges verhalten. Erst dadurch erhält es seinen - durchaus wandelbaren - sozialen Stellenwert als Kriminalität 31 . Indem die Kriminologie Kriterien für den Kriminalisierungsprozeß herausarbeitet, die sie über die Kriminalpolitik an den Gesetzgeber weitergibt, wirkt sie selbst an der Entstehung strafrechtlicher Normen mit. Die Fassung von Straftatbeständen hängt zunächst von kriminologischen Tattypen ab 32 . Außerdem spielen Faktoren wie die Schwere der Schädigung und Erfordernisse wie gute Sichtbarkeit der übergriffe eine Rolle 33 . Die im Zentrum der strafrechtlichen Normen stehende Unwerterfassung eines sozialschädlichen Verhaltens tritt damit in ein Spannungsverhältnis zu anderweitigen Gesichtspunkten, insbesondere der Bindung an plastische kriminologische Tattypen. Während der Gerechtigkeitsgedanke eine Abkehr vom Häufigkeitstypus gewisser Verfehlungen zugunsten einer gleichmäßigen Bestrafung aller Verhaltensweisen mit gleichem Unwert verlangt, neigt der Gesetzgeber zu einer Schilderung des Tatgeschehens in den Straftatbeständen, die auf den aus der Anschauung gewonnenen kriminologischen Tattyp zurückgreift 34 • • 8 Der Ansatz des labeling approach wird im deutschsprachigen Raum vor allem von Sack vertreten, s. z.B. KrimJ 4 (1972), S. 3 ff. Vgl. auch Haferkamp/Lautmann, KrimJ 7 (1975), S. 245 ff., die einen Katalog von Faktoren zusammengestellt haben, von denen die Ausgestaltung des Strafrechts nach ihrer Auffassung abhängt. Dort werden u.a. genannt: Herrschaft, Macht, Einfluß, Ungleichheit, ökonomische Produktion, Ideologie. Kritisch zum ganzen z.B. Kaiser, Kriminologie, S. 117 und 164; Göppinger, Kriminologie, S. 49 f.; Mergen, Die Kriminologie, S. 97 ff.; Naucke, Die Abhängigkeiten zwischen Kriminologie und Kriminalpolitik, insbes. S. 8 ff.; Schreiber, ZStW Bd. 88 (1976), S.130 ff. 29 Kaiser, Kriminologie, S. 7. 30 Schneider, Kriminologie, S. 16; Günther, JuS 1978,11. 31 Kaiser, Kriminologie, S. 163; Schneider, Kriminologie, S. 17. 32 Hierzu ausführlich Schmidhäuser, MschrKrim 1973,342 ff. 33 Brauneck, Allgemeine Kriminologie, S. 31 f. merkt zu Recht an, daß das Strafrecht für die Einbeziehung schwer greifbarer seelischer Beeinträchtigungen nicht geeignet ist und nennt als Beispiel für einen Grenzfall das Quälen in S 223 b StGB. 34 Einen Ausgleich zwischen beiden Polen zu fmden, stellt sich dann als die geforderte gesetzgeberische Leistung dar, siehe dazu Schmidhäuser, MschrKrim 1973,351.

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1. Teil: Methodenreflexion

Schon diese wenigen Bemerkungen zeigen, daß der Kriminalisierungsprozeß ein vielschichtiges Phänomen darstellt, das stets in die historischen Gegebenheiten einer bestimmten Staats- und Gesellschaftsordnung eingebunden ist. Dies ist auch bei der Bildung derjenigen Begriffe zu berücksichtigen, die die Strafrechtsordnung tragen. Hierauf hat Erik Wolf in seinen überlegungen zur teleologischen Begriffsbildung im Strafrecht zu Recht aufmerksam gemacht. Allerdings bedürfen diese Begriffe - folgt man ihm weiter - noch einer zweiten Umformung 35 unter dem Gesichtspunkt des "Wahrheitswertes der Wissenschaft", um strafrechtswi$senschaftliche Begriffe zu werden, wobei der Systemgedanke- d.h. die. Einheit des Begründungszusammenhangs und der Sinnzusammenhang der einzelnen Begriffe, welche durch die erste Umformung entstanden sind 36 - zum leitenden Gesichtspunkt wird. Mit der Eingliederung des doppelt umgeformten Begriffs in eine Systematik, die Erik Wolf aufgrund des von ihm entwickelten Begriffsbildungsprinzips als teleologische kennzeichnet 37 , findet die Arbeit am Begriff für ihn dann ihre Vollendung. Dieser gewiß eindrucksvolle, aber mit sehr abstrakten Kriterien arbeitende Entwurf einer teleologischen Begriffsbildungsmethode ist von Schwinge einer eingehenden Kritik unterzogen worden. Dabei setzt er an den leitenden Wertgesichtspunkten Erik Wolfs, der Staatsidee und dem Wahrheitswert der Wissenschaft, an, die zwar als oberste Orientierungsdaten ihre Berechtigung haben mögen, für die Arbeit am Detail indessen keine ausreichenden Maßstäbe darstellen, anhand deren. sich konkrete Begriffsbildungsprobleme lösen lassen 38. Insbesondere ist Schwinge auch insoweit zuzustimmen, als er Bedenken gegen die Doppelung des Umformungsprozesses bei der Begriffsbildung im Strafrecht anmeldet 39 • Die Wertbezogenheit und die systematische Stellung eines strafrechtlichen Begriffs stellen zwei untrennbar miteinander verknüpfte Aspekte derselben Sache dar und dürfen deshalb nicht in einer Weise voneinander isoliert werden, daß der Eindruck entsteht als ob es möglich wäre, den .einen ohne den anderen zu behandeln. Andererseits stellt es ebenso eine Verkürzung der teleologischen Methode dar, wenn man, wie Schwinge, das telos auf den konkreten Zweck, dessen Erfüllung den Gesetzgeber bei der Aufnahme eines bestimmten Begriffs in einen Straftatbestand geleitet hat, reduziert. Diese Perspektive ist zugeschnitten auf die Deutung einzelner Begriffe des Besonderen Teils, auf dessen Behandlung sich Schwinge in der Tat auch beschränkt. Für eine Aufhellung von Begriffen, die die Grundstrukturen des Allgemeinen Teils mitbestimmen, ist ein solches Vorgehen nicht allzu fruchtbar.

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Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 93 und 121 ff. Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 80. Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 80 und 122. Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 24 f. Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 25 f.

1II. Die Methode der teleologischen Begriffsbildung

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Erforderlich ist vielmehr eine inhaltliche Ausfüllung der von Erik Wolfentwickelten Leitlinien. Ausgehend von einem Staatsverständnis, das den Staat weder als moralische Anstalt noch als wertfreie Zweckschöpfung begreift, sondern ihn auf dem Boden des grundgesetzlich niedergelegten Bekenntnisses zu gewissen Elementarwerten lokalisiert, deren Schutz freilich im Einzelnen durch Zweckmäßigkeitserwägungen mitbestimmt wird, stellt sich die Strafrechtsordnung als eine kombinierte Wert- und Zweckordnung dar. Strafrechtliche Begriffe orientieren sich in ihrem Gehalt also daran, daß sie Bestandteile der Voraussetzungen für die Strafbarkeit eines Verhaltens sind, wobei die Strafe eben an (Un-)Wert- und Zweckgesichtspunkte geknüpft ist, die sich in ihrer Gesamtheit zu einer einheitlichen Wert- und Zweckordnung zusammenfügen. Diese Einheit stiftet den Systemzusammenhang zwischen den Einzelbegriffen40. Bei der Bildung eines strafrechtlichen Begriffs ist also stets der Umstand im Auge zu behalten, daß gerade ein Verhalten, das unter diesen Begriff subsumiert werden kann, bestraft werden so1141 • Die elementare Bedeutung dieser Wechselbeziehung zwischen Verbrechen und Strafe für die strafrechtsdogmatische Arbeit, und zwar sowohl für die Begriffs- als auch für die Systembildung, wird in neuerer Zeit zunehmend erkannt 42 • Die unter dem Einfluß der Methodologie der südwest deutschen Schule in den dreißiger Jahren zunächst nur vereinzelt erhobene Forderung nach einer teleologischen Systematik43 blieb damals weitgehend unerfüllt. Der teleologischen Ausrichtung von strafrechtlichen Einzelbegriffen durch Schwinge und Grünhut fehlte die Überleitung in eine adäquate Systemform44 , ein Mangel, den Roxin 45 mit Recht zu den Versäumnissen jener neukantianisch geprägten Bemühungen um das Strafrecht zählt. Dies mag seine Ursache u.a. darin haben, daß der teleologische Richtpunkt für die Begriffs- und Systembildung damals entweder zu global (Erik Wolf) oder zu detailliert (Schwinge) bestimmt wurde. Mittasch, Die Auswirkungen des wertbeziehenden Denkens, S. 29 f. Grünhut, Festgabe für v. Frank I, S. 8. 42 s. dazu Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 239 ff.; angesprochen wird das Thema auch von Vogler, ZStW Bd. 90 (1978), S. 140 f. Vgl. ferner Bringewat, Funktionales Denken, S. 34 ff., der allerdings bezweifelt, daß der Strafbegriff als Bezugspunkt aller Straftatmerkmale über ein derart großes Komplexitätspotential verfügt, daß sich in ihn die Wertkomplexität sozialer Sachverhalte durch entsprechende Materialisierungsprozesse vollständig integrieren und in strafrechtsdogmatische Kategorien umsetzen läßt (a.a.O., S. 41 ff.).Kritisch auch Moos, ZStW Bd. 95 (1983), S. 193 ff. 43 Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 80; Radbruch, Festgabe für v. Frank I, S. 163 und 170. 44 Nachweise s. S. 21, Anm. 13. 45 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 12. Vgl. auch Schmidhäuser, Würtenberger-Festschrift, S. 91 ff., der die traditionelle Einengung des teleologischen Denkens auf den Besonderen Teil ebenfalls beklagt und einen Überblick über den möglichen und wünschenswerten Anwendungsbereich der teleologischen Methode bis hin zum Strafprozeßrecht gibt. 40 41

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1. Teil: Methodenreflexion

Die Beschränkung des Problembewußtseins auf die teleologische Auslegung einzelner strafrechtlicher Begriffe, insbesondere innerhalb des Besonderen Teils, kennzeichnet die Diskussion um die teleologische Begriffsbildung bis zum heutigen Tage 46 • Sie kreist vorzugsweise um die Frage nach den Grenzen zwischen erlaubter teleologischer Auslegung und verbotener Analogie. Dabei konzentrieren sich die Bemühungen auf den zu ermittelnden Inhalt des jeweils betrachteten Einzelbegriffs. Diese Methodendiskussion, die die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Auslegungsverfahren zum Gegenstand hat, bringt für die Behandlung der hier angeschnittenen, viel grundsätzlicheren Frage nach einer teleologischen Begründung des allgemeinen Verbrechensbegriffs freilich keinen Ertrag, denn diese übergeordnete Thematik bleibt dabei ausgeklammert 47 • Der insoweit maßgebende Gesichtspunkt des Zusammenspiels von Strafbegriff und Verbrechensbegriff und damit die Orientierung der Ausgestaltung strafrechtlicher Begriffe und ihrer systematischen Einbindung an kriminalpolitischen Leitlinien, wurde erstmals von Gallas in dessen 1931 erschienener Arbeit über Kriminalpolitik und Strafrechtssystematik expressis verbis formuliert und sodann von ihm in modellhaften Entwürfen der sich bei Zugrundelegung verschiedener Straftheorien jeweils ergebenden Strafrechtssystematiken exemplifi• 48 ZIert . Erst sehr viel später wurde dieser Ansatz erneut aufgenommen und in seinen Konsequenzen für die Verbrechenslehre weitergeführt. Zunächst war es wieder Gallas, der seine strafrechtsdogmatischen überlegungen in den Rahmen einer teleologisch orientierten Verbrechenssystematik 49 stellte, d.h. die einzelnen Verbrechensmerkmale aus dem Sinn- und Zweckzusammenhang zu entwickeln suchte, der sich aus der Bestimmung des Begriffs des Verbrechens als derjenigen Erscheinungsform schuldhaften Unrechts, die strafwürdig ist, ergibtso. Damit stoßen wir zum ersten Mal auf den für die teleologische Methode zentralen Begriff der Strafwürdigkeit, der im strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum freilich weithin eine irrlichternde Existenz ohne feste Kontur SI führt, worauf an späterer Stelle noch des näheren einzugehen sein wird. Seinem Wortsinn nach (strafwürdig = würdig bestraft zu werden) verweist der Begriff für die Bestimmung derjenigen Erscheinung, der dieses Attribut beigefügt wird, zunächst 46 s. nur Jescheck AT, S. 123 f.; Maurach/Zip!, AT 1, S. 115 f.; Schönke/Schröder/ Eser, S 1 Rdn. 47 und 48; Germann, Probleme und Methoden, S. 80 ff.; Stratenwerth, Germann-Festschrift, S. 257 ff.; Blei, Henkel-Festschrift, S. 109 ff.; Schünemann, Bockelmann-Festschrift, S. 117 ff. 47 Vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 142 (dort bezogen auf die Kategorie der Strafrechtswidrigkeit ). 48 Gallas, Kriminalpolitik und Strafrechtssystematik, S. 4 ff. (Vergeltung als Ansatz), S. 16 ff. (Spezialprävention als Ansatz), S. 23 ff. (Generalprävention als Ansatz). 49 Gallas, Beiträge, S. 32 und 58. so Gallas, Beiträge, S. 16 und 32. SI Zur Unschärfe des Strafwürdigkeitsbegriffs s. auch Eser, Die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, S. 129 f.

III. Die Methode der teleologischen Begriffsbildung

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einfach nur auf die Strafe, womit wiederum auf den Beziehungszusammenhang zwischen Verbrechensbegriff und Strafbegriff zurückgeleitet worden ist S2 • Ersetzt man den Begriff des Verbrechens, wie es z.B. Schmidhäuser in seinem Lehrbuch tut, durch den der Straftat, so deutet sich die Verknüpfung schon in der Zusammensetzung dieses Wortes an. In der Tat gehört Schmidhäuser zu denjenigen, die den teleologisch begründeten Zusammenhang zwischen den einzelnen Merkmalen der Straftat und der daran geknüpften Rechtsfolge der Strafe ins Zentrum ihrer Systemkonzeption stellen S3 • Versucht man nun eine nähere Bestimmung des spezifischen Verhältnisses zwischen Verbrechen und Strafe, so kann dies mit zweierlei Akzentuierung geschehen: Einerseits kann die Kriminalpolitik, andererseits die Fruchtbarkeit der neuen begrifflichen Kategorie der Strafwürdigkeit in den Vordergrund der Betrachtung rücken. Die notwendige Bezugnahme der strafrechtlichen Dogmatik auf kriminalpolitische Entscheidungen hat vor allem Roxin weiterverfolgt. Er knüpft dabei zwar an die wertbeziehende Methodologie des Neukantianismus an, macht aber auch sogleich die Grenzen der übereinstimmung deutlich, die er darin erblickt, daß die verschiedenen Wertungsgesichtspunkte der teleologischen Methode an gemeinsamen kriminalpolitischen Leitlinien auszurichten sind, wodurch einerseits ein einheitlicher Systemzusammenhang zwischen den Einzelelementen, andererseits eine Differenzierung des Bedeutungsgehalts der Zielsetzungen für die verschiedenen Stufen des Verbrechensaufbaus gewonnen werden soll 54 • Damit strebt Roxin eine Synthese von Kriminalpolitik und Strafrechtssystematik an"die ihre dialektische Einheit aus der Antinomie zwischen rechtlicher Gebundenheit und kriminalpolitischer Zweckmäßigkeit bezieht und die Basis zu einer Verbrechenslehre legt, die an klarer Strukturierung der v. Liszt/Belingsehen Systematik gleichkommt 55 • Anders als bei Gallas spielt der Begriff der Strafwürdigkeit bei Roxins Darstellung der Grundlinien seiner Systematik 56 auf den ersten Blick kaum eine Rolle. Nur an einer Stelle S7 , und zwar im Zusammenhang mit der Behandlung verschiedener Vorschriften des Strafgesetzbuches, die traditionellerweise als Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe bezeichnet werden, fällt der Begriff "Strafwürdigkeit". Es geht dabei um die Abgrenzung zwischen Schuldausschließungs- und Strafausschließungsgründen. Roxin will diejenigen Bestimmungen, die "schon" die Strafwürdigkeit des verhaltens betreffen, dem Schuldbereich zuordnen, während andere, deren Inhalt nicht auf kriminalpolitischen, sondern auf allgemein rechtspoli52 Zur Strafwürdigkeit als Beziehungsbegriff ausführlich Eser, Die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, S. 137 f. 53 Schmidhäuser, AT, 6/2; ders., Radbruch-Gedächtnisschrift, S. 276. 54 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 12 und 48 f. 55 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 10 f.; zustimmend Vogler, ZStW Bd. 90 (1978), S.150 f. 56 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 14 ff. 57 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 36.

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1. Teil: Methodenreflexion

tischen Erwägungen beruhen, die Gruppe der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe bzw. die komplementäre Kategorie der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit bilden sollen. Damit weist Roxin dem Strafwürdigkeitsurteil die Aufgabe zu, das Abgrenzungskriterium zwischen den mit Schuldgesichtspunkten begründeten und den unter dem Aspekt der überstrafrechtlichen Interessenabwägung außerhalb von Unrecht und Schuld angesiedelten Bestrafungshindernissen zu bilden. Trotz seiner nur peripheren Erwähnung nimmt der Strafwürdigkeitsbegriff damit bei Roxin eine zentrale Funktion im Verbrechensaufbau wahr: Er bildet den Abschluß des klassischen dreigliedrigen Straftatbegriffs und bestimmt damit dessen Konturen entscheidend mit. Ähnliches hatte schon Gallas mit seiner Kennzeichnung des Verbrechens als strafwürdiges schuldhaftes Unrecht 58 herausgearbeitet. Die Strafwürdigkeit und diese ergänzend die Strafbedürftigkeit, wie noch darzulegen sein wird spielt also eine wichtige Rolle als Bezugspunkt für die Ausformung der strafrechtlichen Begriffe. Gehalt und Funktion des Strafwürdigkeits- bzw. des Strafbedürftigkeitsurteils sind daher noch einer etwas detaillierteren Betrachtung zu unterziehen.

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit als zentrale Kategorien teleologischer Begriffsbildung 1. Die Strafwürdigkeit Ein Blick in die Literatur zeigt, daß der Begriff der Strafwürdigkeit trotz seiner eminenten Bedeutung für die strafrechtliche Dogmatik bisher keine allgemein anerkannte feste Gestalt gefunden hat. Vielfach fehlt in den systematischen Darstellungen des Strafrechts jede Bezugnahme auf diesen Grundbegriff. Mit Ausnahme von Sauers Allgemeiner Strafrechtslehre und Schmidhäusers Lehrbuch finden sich allenfalls kurze Bemerkungen, die auf die Kategorie der Strafwürdigkeit zurückgreifen 59 • Im übrigen ist auffallend, daß die Frage nach der Strafwürdigkeit vorzugsweise im Zusammenhang mit der Erörterung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe 60 , sowie der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit 61 gestellt wird. Das erweckt den Eindruck, als ob die Strafwürdigkeit nur an den äußersten Grenzen des Verbrechensbegriffs Bedeutsamkeit erlangt. Indem diese Kategorie jedoch auf die Wechselbeziehung zwisa Nachweise s. oben S. 28, Anm. 50. Vgl. auch Eser, Die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, der die Strafwürdigkeit als Abgrenzungsmaßstab nimmt. S9 s. z.B. Jescheck, AT, S. 38 f.; Baumann, AT, S. 490 f. 60 s. hierzu Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 227 ff. mit weiteren Nachweisen. 61 z.B. Stratenwerth, ZStW Bd. 71 (1959), S. 567; Baumann, AT, S. 490 f.

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit

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schen Verbrechen und Strafe verweist 62 , und damit ins Zentrum strafrechtlicher Begriffs- und Systembildung führt, kommt ihr eine Schlüsselstellung in der Verbrechenslehre zu. Dies läßt sich auch anhand des Stellenwerts, den der Begriff der Strafwürdigkeit bei Roxin 63 und Gallas 64 einnimmt, zeigen: In Roxins Terminologie markiert er die Grenzlinie zwischen der Schuld und dem Bereich materiellrechtlicher Bestrafungshindernisse außerhalb von Unrecht und Schuld, die dem Gedanken der. überstrafrechtlichen Interessenabwägung verpflichtet sind. In der Strafwürdigkeit verkörpert sich für Roxin damit die eigentliche Substanz der von ihm kriminalpolitisch interpretierten Schuld. Dadurch wird die Bedeutung des Strafwürdigkeitsurteils indessen ohne Not auf ein einzelnes Element im Verbrechensaufbau beschränkt. Nicht nur alles, was unter dem Gesichtspunkt der Schuld abgehandelt zu werden pflegt, hat mit der Frage zu tun, ob dieses Verhalten Strafe verdient 65 • sondern ebenso alles, was unter dem Gesichtspunkt des Unrechts abzuhandeln ist 66 , so daß die Ausklammerung von Strafwürdigkeitsaspekten bei der Behandlung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit nicht sachgerecht erscheint. Als Kriterium der Grenzziehung zwischen Unrecht und Schuld eignet sich die Strafwürdigkeit nicht 67 • Deshalb ist sie mit Gallas als eine Unrecht und Schuld umfassende Kategorie anzusehen. Aus diesem Grunde kann auch die von Rudolphi vorgeschlagene Unterscheidung von Verbotswürdigkeit und Strafwürdigkeit 68 nicht überzeugen: Ebenso wie bei Roxin soll bei Rudolphi die Strafwürdigkeit durch die strafrechtlich relevante Schuld begründet werden. Ergänzend führt er zur Begründung des strafrechtlich relevanten Unrechts eine besondere "Verbotswürdigkeit" ein. Diese erfüllt jedoch keine eigenständige Funktion im Verbrechensaufbau. Versteht man unter Verbotswürdigkeit ganz allgemein das Urteil, daß das so gekennzeichnete Verhalten verboten sein soll, so fehlt die spezifische Beziehung des Begriffs auf das Strafrecht, denn Verbote existieren auch in anderen Rechtsgebieten. Sofern die Verbotswürdigkeit hingegen das berechtigte Verbotensein bei Strafe, also den besonderen Aspekt, der das so gekennzeichnete Unrecht als kriminelles charakterisiert, zum Ausdruck bringen soll, fällt sie begrifflich mit der Strafwürdigkeit zusammen. s. oben S. 28 f. s oben S. 29 f. 64 s. oben S. 28. 65 So aber Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 33. 66 In umgekehrter Verkürzung bezog Günther das Strafwürdigkeitsurteil früher nur auf Handlungs- und Erfolgsunwert des zur Beurteilung stehenden Verhaltens UuS 1978,13). Vgl. auch Otto, Schräder-Gedächtnisschrift, S. 56 und 64 ff., der jedoch a.a.O., S. 67 andeutet, daß die Strafwürdigkeit auch auf die Schuld bezogen werden kann. Nunmehr sieht Günther (Strafrechtswidrigkeit, S. 241) jedoch davon ab, der Strafwürdigkeit einen speziellen, eigenständigen straftatsystematischen Standort zuzuweisen und schließt sich damit der hier vertretenen Auffassung an. 67 s. auch Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 171 f. 68 Rudolphi, ZStW Bd. 83 (1971), S.108. 52

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1. Teil: Methodenreflexion

Umfaßt der Begriff der Strafwürdigkeit demgemäß Unrecht und Schuld 69 , so nimmt er die Funktion eines Gesamturteils wahr, das angibt, wann ein menschliches verhalten nach seinem Gesamtunwert ein Verbrechen ist. Die Strafwürdigkeit ist mit anderen Worten ein zusammenfassender Ausdruck für den materiellen Verbrechensgehalt seinem Unwerte nach 70. Die (Un-)Wertbezogenheit des Strafwürdigkeitsbegriffs, also sein sozialethischer Gehalt, der letztlich aus der Rechtsidee fließt, wird besonders von Sauer betont. Die Strafwürdigkeit ist nach seiner Auffassung der "Inbegriff derjenigen Strafvoraussetzungen, die im Gesetz und Urteil verwirklicht werden sollen, damit der Rechtsidee genügt ist,,71. Auf die Ebene des positiven Rechts projiziert, erscheinen die Elemente der Strafwürdigkeit demgemäß als die Strafvoraussetzungen : Die Strafvoraussetzungen sind zugleich die Strafwürdigkeitsvoraussetzungen 72. Dieser Ausgangspunkt Sauers wird von Schmidhäuser geteilt, der unter der (hier zunächst allein interessierenden absoluten) Strafwürdigkeit das Urteil versteht, daß der Täter wegen der als strafwürdig bezeichneten Tat bestraft werden so1l73. Indessen bleibt Schmidhäuser im Gegensatz zu Sauer, der die Strafwürdigkeit vor allem als eine globale Orientierungsrichtlinie sieht, an der sich die Strafbarkeit nach dem positiven Strafrecht auszurichten hat, bei diesen allgemeinen Erwägungen nicht stehen, sondern differenziert zwischen unterschiedlichen strafwürdigkeitsbegründenden Momenten, wodurch er die Grundlinien seiner teleologischen Straftatsystematik gewinnt 74. Es fehlt jedoch an einer hinreichenden Konkretisierung dessen, worin der materielle Gehalt des Strafwürdigkeitsbegriffs besteht. Einerseits ist von dem die Strafwürdigkeit ausmachenden Unwert die Rede 75, andererseits davon, daß die Strafwürdigkeit zugleich die Feststellung der kriminalpolitischen Notwendigkeit der Bestrafung der Tat bedeute 76. Mit dem Hinweis auf eine "Fülle von Feststellungen über ,. Ebenso z.B. auch Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 241; Wagner, GA 1972, 35; Zielinski, Handlungs. und Erfolgsunwert, S. 206 Anm. 22. 70 Zur Frage, ob sich das Strafwürdigkeitsurteil als Gesamtunwerturteil in der Zusammenfassung des Rechtswidrigkeits- und des Schuldurteils erschöpft oder ob im Verbrechen über Unrecht und Schuld hinaus ein weiterer hinzukommender Unwertsachverhalt enthalten sein muß, s. Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 233 ff. 71 Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 19. 7' Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 20. 7S Schmidhäuser, AT, 2/14. 74 Schmidhäuser, AT, 2/15; zur Theorie von den zusätzlichen Strafwürdigkeitsmerkmalen außerhalb von Unrecht und Schuld, die Langer, Das Sonderverbrechen, S. 275 ff., 327 ff., zu einer Lehre vom Strafwürdigkeitstatbestand weiterentwickelt hat, s. Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 230 ff.; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 241f.; Otto, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 64 ff. Vgl. auch S 42 östStGB, der zu den Voraussetzungen der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld als weitere gesonderte Strafbarkeitsvoraussetzung die Strafwürdigkeit hinzutreten läßt. Darstellung der österreichischen Regelung bei Zipf, Die mangelnde Strafwürdigkeit der Tat, S. 15 und Moos, ZStW Bd. 95 (1983), S. 153 ff. mit weiteren Nachweisen. 7$ Schmidhäuser, AT, 2/15. " Schmidhäuser, AT, 2/14.

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit

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allgemeine Fakten des Soziallebens und Wertungen ", in die die Strafwürdigkeit einer Tat einbezogen sei 77 , wird schließlich jede klare Abgrenzung des Begriffs verwischt. Im Unterschied dazu gibt Langer, dessen Auffassungen sich im Ausgangspunkt mit denen von Schmidhäuser decken, eine präzisere Begriffsbestimmung der Strafwürdigkeit. Strafwürdig ist danach nur ein rechtswidriger und schuldhafter Angriff auf die Grundlagen des gedeihlichen Zusammenlebens, der als gemeinschaftszerstörend zu werten ist 78. Unter welchen Voraussetzungen ein Angriff gemeinschaftszerstörenden Charakter hat, erläutert Langer allerdings nur sparsam: er will damit das Urteil bezeichnet wissen, daß der "sozialethische Unwertsachverhalt so vertieft ist, daß er für die Rechtsgemeinschaft .. li ch'1st ,,79 . unertrag Diese Definition der Strafwürdigkeit nimmt Elemente auf, die auch von anderen Autoren zur Kennzeichnung des Strafwürdigkeitsurteils verwendet werden. So heißt es bei Sax, das Strafe-Verdienen sei das Urteil, daß der Unwertgehalt eines gemeinschaftszerstörenden Verhaltens hinreichend massiv sei 8o . Ausführlicher hat GaZlas den Gehalt des Strafwürdigkeitsbegriffs beschrieben: Strafwürdig ist nach der von ihm geprägten zusammenfassenden Formel schuldhaftes Unrecht, das "so gefährlich und verwerflich, so unerträglich als Beispiel sozialwidrigen Verhaltens (ist), daß zum Schutz der Allgemeinheit eine Reaktion mit der Strafe als dem schärfsten Mittel staatlichen Zwangs und dem stärksten Ausdruck sozialer Mißbilligung notwendig und angemessen erscheint,,81. Hierauf aufbauend entwickelt Gallas eine besondere Tatbestandslehre. Die Funktion des Tatbestands erblickt er darin, daß er itn Wege der Aufstellung von Deliktstypen unter Zugrundelegung des Maßstabs der Strafwürdigkeit kriminelles von nicht kriminellem schuldhaftem Unrecht scheidet 82 . Alle Merkmale, die den Strafwürdigkeitsgehalt der betreffenden Deliktsart bestimmen, werden also zu Tatbestandsmerkmalen 83 . Damit bietet dieser Tatbestandsbegriff das formale Gegenstück zum materiellen Strafwürdigkeitsbegriff, das gleichfalls Unrecht und Schuld umfaßt 84 • Es handelt sich dabei um die Entfaltung eines Gedankens, der ansatzweise sehr viel früher schon einmal von Schaffstein formuliert worden ist. Dessen Bemerkung, daß es nahegelegen hätte, im teleologischen System die Tatbestandsmäßigkeit zu einer "materiellen Strafwürdigkeit" weiterzubilden 85 , ist damals indessen weder von ihm noch von anderen weiterverfolgt worden. 77

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Schmidhäuser, AT, 2/14. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 276, 330. Langer, Das Sonderverbrechen, S. 327. Sax, Die Grundrechte IIl, 2, S. 927; vgl. auch schon Senf, Das Verbrechen, S. 62 f. Gallas, Beiträge, S. 16. Ga/las, Beiträge, S. 32. Gallas, Beiträge, S. 42. s. Ga/las, Beiträge, S. 44. Schaffstein, ZStW Bd. 57 (1938), S. 297.

1. Teil: Methodenreflexion

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Als Abgrenzungskriterium zwischen verbrecherischem und nicht verbrecherischem schuldhaftem Unrecht wird die Strafwürdigkeit auch von Jescheck 86 und Sax 87 angesehen. Indem Jescheck für die Konkretisierung des Strafwürdigkeitsgehälts einer Tat auf den Wert des geschützten Rechtsgutes, die Gefährlichkeit des Angriffs für das Handlungsobjekt und einen besonderen Grad von Verwerflichkeit der Tätergesinnung abstellt 88 , bezieht er die Strafwürdigkeit wiederum auf Unrecht und Schuld, und zwar im Sinne eines quantitativ festgelegten besonderen Unwertgehalts. Insofern stimmt seine Auffassung von der Strafwürdigkeit mit der hier entwickelten als eines Gesamtunwerturteils über die Tat überein. Ist ein verhalten strafwürdig, dann soll damit gesagt sein, daß von seinem Gesamtunwert her die Voraussetzungen einer Bestrafung erfüllt sind. Jescheck ergänzt nun seine Ausführungen zur Strafwürdigkeit durch Einführung des Begriffs der Strafbedürftigkeit, den er nicht ganz unmißverständlich von dem der Strafwürdigkeit abgrenzt. Ähnlich wie Schmidhäuser 89 behandelt Jescheck 90 den Gesichtspunkt, daß Strafe nur dann verhängt werden darf, wenn sie das einzige Mittel darstellt, um die Rechtsgemeinschaft gegen Angriffe der betreffenden Art hinreichend zu schützen - also kriminalpolitisch notwendig ist -, im Rahmen der Erörterung der Strafwürdigkeitsproblematik, freilich abgeschwächt durch den Hinweis, daß die Strafbedürftigkeit die Strafwürdigkeit der Tat voraussetze, wodurch er beide Begriffe in gewisser Weise wieder voneinander abhebt. Noch enger nimmt sich das Verhältnis von Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit in der Sicht von Sax aus. Danach soll die Strafwürdigkeit ein zweischichtiger Begriff sein. Neben den Gedanken des Strafe-Verdienens stellt Sax den des Der-Strafe-Bedürfens und gelangt so zu dem Ergebnis, daß die Strafbedürftigkeit in der Strafwürdigkeit enthalten sei 91 • Er folgt damit einer im Schrifttum teilweise zu beobachtenden Tendenz, die Strafwürdigkeit zu einem Oberbegriff zu erklären und ihr die Strafbedürftigkeit unterzuordnen. Wie schon erwähnt, neigt Schmidhäuser 92 zu einer derartigen Verwendung der Begriffe. Selbst bei Gallas findet sich an einer Stelle die Formulierung, daß unter Verbrechen aufgrund bestimmter Zweck erwägungen und sozialethischer Wertvorstellungen als Jescheck, AT, S. 38. Sax, Die Grundrechte, In, 2, S. 923. BB Jescheck, AT, S. 38 f. 59 s. oben S. 32. 90 Jescheck, AT, S. 38.' 91 Sax, Die Grundrechte, IH, 2, S. 924; ihm folgend Eser, Die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, S. 136 ff. Mit umgekehrter Tendenz gibt Lange, ZStW Bd. 63 (1951), S. 457 f. zu bedenken, ob der Begriff der Strafwiirdigkeit durch den der Strafbediirftigkeit zu ersetzen wäre. 92 s. oben S. 32; vgl. auch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 210, wo es heißt, daß die Strafwürdigkeit als Grundlage des staatlichen Strafens bedingt sei durch die Zwecke dieses Strafens; hierzu zustimmend M.-K. Meyer, Die Strafwiirdigkeit der Anstiftung, S. 144. S6 B7

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit

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strafwürdig ausgelesenes schuldhaftes Unrecht zu verstehen sei 93 • Dem ist insofern zuzustimmen, als neben das Unwerturteil ein die Zweckmäßigkeit einer Bestrafung (im Sinne der Strafzwecklehre) bejahendes Urteil treten muß, damit eine Tat als Verbrechen bezeichnet werden kann. Beide Urteile legen indessen verschiedene Maßstäbe an - nämlich einerseits Wertgesichtspunkte und andererseits Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte. Diesem sachlichen Unterschied sollte auch in der Terminologie Rechnung getragen werden 94. Sicherlich ist es rein sprachlich möglich, auch ein Verhalten, das aus Strafzweckgesichtspunkten nicht bestraft werden soll, als "nicht strafwürdig" zu bezeichnen, doch ist einer differenzierenden Begriffsbildung der Vorzug zu geben, die das Strafwürdigkeitsurteil auf ein Gesamtunwerturteil beschränkt und das Zweckmäßigkeitsurteil der Strafbedürftigkeit zuordnet. Schon in der vorrechtlichen Wortbedeutung ist der Akzent jeweils anders gesetzt, wenn man von Strafwürdigkeit oder Strafbedürftigkeit spricht: Während bei ersterer das Wertungselement (zumindest) im Vordergrund steht, wird bei letzterer das Zweckmoment 95 betont. Dem Gesamtunwerturteil der Strafwürdigkeit korrespondiert also ein davon zu unterscheidendes Gesamtzweckmäßigkeitsurteil der Strafbedürftigkeit. Dies ergibt sich aus dem doppelten Aspekt, unter dem das Verbrechen stets zu sehen ist. Aufgrund ihrer eigenständigen Bedeutung ist die Strafbedürftigkeit daher nicht als Bestandteil der Strafwürdigkeit, sondern als eine diese ergänzende Größe zu betrachten.

2. Die Strafbedürftigkeit Auf der Basis einer teleologischen Verbrechenslehre sind das Verbrechen und die einzelnen Verbrechensmerkmale aus ihrem Sinn- und Zweck zusammenhang heraus zu begreifen 96 • Dabei wird der Zweckkomponente erst in neuerer Zeit eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt. Jedenfalls ist zu beobachten, daß der Begriff der Strafbedürftigkeit - oder gleichbedeutend des Strafbedürfnisses -, obwohl nicht neu 97 , bis in die Gegenwart zu wirklicher Bedeutung allenfalls auf begrenzten Themengebieten 98 gelangt ist. Damit ist jedoch jeweils nur Gallas, Beiträge, S. 34. Selbst Eser, Die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, S. 150, erkennt an, daß keine Abhängigkeit zwischen dem Der-Strafe-Bedürfen und dem StrafeVerdienen besteht. Trotzdem behält er die Strafwürdigkeit als gemeinsamen Oberbegriff bei. 95 s. dazu auch Langer, Das Sonderverbrechen, S. 330 Anm. 188. Ebenso schon Senf, Das Verbrechen, S. 62, 65 ff., der Strafwürdigkeit und Strafzweckaspekt gegenüberstellt, ohne für letzteren freilich den Begriff der Strafbedürftigkeit zu verwenden. 96 Hervorgehoben bei GallaS, Beiträge, S. 32. 97 Schon Binding, Handbuch I, S. 815 spricht im Zusammenhang mit der Verjährung von der Verneinung des Strafbediirfnisses. n z.B. bei Stratenwerth, ZStW Bd. 71 (1959), S. 567 f. (objektive Strafbarkeitsbe93

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1. Teil: Methodenreflexion

ein Ausschnitt der Strafbedürftigkeitsfrage er faßt worden. Als Gesamturteil über die Zweckmäßigkeit einer Bestrafung ist der Strafbedürftigkeit auf allen Stufen des Verbrechensaufbaues nachzugehen. Ihre Aufgabe besteht darin sicherzustellen, daß das Mittel staatlichen Strafens nur dort eingesetzt wird, wo es kriminalpolitisch sinnvoll und als ultima ratio notwendig ist. Da Zweckmäßigkeitserwägungen auch verhaltensweisen mit verhältnismäßig geringem Unwertgehalt strafbedürftig erscheinen lassen können und umgekehrt 99 , besteht keine Kongruenz zwischen Strafbedürftigkeit und Strafwürdigkeit. Das Zusammenwirken von Strafwürdigkeits- und Strafbedürftigkeitsurteil stellt also einen Kontrollmechanismus dar, der einerseits verhindert, daß schwere Unwertverwirklichungen um ihrer selbst willen bestraft werden, und andererseits reinem Zweckmäßigkeitsdenken bei geringer Unwertverwirklichung Schranken setzt 100 • Die Strafbedürftigkeit erhält ihre Berechtigung also allein von den Strafzwecken her 101 • Sie stellt ein normatives Kriterium dar, das als "Bedürfnis" an den Zielvorstellungen zu messen ist, die mit der Verhängung von Kriminalstrafe verfolgt werden. Aus diesem Grunde geht der Einwand von Raffke, das Strafbedürfnis sei eine irrationale Erscheinung, der das Strafrecht nicht folgen dürfe, und als "Ausdruck kollektiver Psychopathologie" negativ zu bewerten 102, fehl. Allerdings wird der Begriff des Strafbedürfnisses bei Haffke in einem ganz anderen Sinne verwendet als hier. Er bezieht sich in seinen Ausführungen auf Gedanken, die Jäger im Zusammenhang mit der Darstellung der psychoanalytischen Auffassung von den Strafbedürfnissen entwickelt hat 103 • Hierbei geht es um psychische Phänomene, die ein kriminalpolitisch verstandenes Strafbedürfnis niemals begründen können. Im Hinblick auf diese grundlegenden Unterschiede wäre es u.U. sinnvoll, zwischen Strafbedürftigkeit und Strafbedürfnis zu differenzieren: Während das Strafbedürfnis, wörtlich genommen, eine Person voraussetzt, die dieses Bedürfnis verspürt, bezieht sich die Strafbedürftigkeit offenbar von vornherein auf die Tat selbst. Insofern als der Begriff der Strafbedürftigkeit nicht Gefahr läuft, als Bezeichnung für einen psychologischen Tatbestand mißverstanden zu werden, erdingungen) und Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S_ 205 ff_ (Erfolg als Kriterium des Strafbedürfnisses)_ Vgl. auch Cramer, Maurach-Festschrift, S. 487 ff., insbes_ S_ 494 ff_ (Ahndungsbedürfnis als regulatives Prinzip zur Beschränkung des Sanktionszwanges, wobei er kriminalpolitisch erweiterte Einstellungsmöglichkeiten auf der Grundlage des Opportunitätsprinzips im Auge hat)_ 99 Zu dieser vielfach beobachteten Erscheinung s_ auch Zimmer!, Aufbau des Strafrechtssystems_ ~. 57 f.; Mittasch, Die Auswirkungen des wertbeziehenden Denkens, S. 90 f.; Maiwald, Maurach-Festschrift, S. 12; Stratenwerth, ZStW Bd. 71 (1959), S. 568. 100 In der Sache übereinstimmend trotz anderer Terminologie Roxin, BockelmannFestschrift, S. 296. 101 a.A. Eser, Die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, S. 135 f. Zur Frage, inwieweit eine Stellungnahme zur StrafzweckIehre erforderlich ist, um den Begriff der Strafbedürftigkeit zu präzisieren, s. später im Text. 102 Raffke, GA 1978,35 f. 103 Jäger, Henkel-Festschrift, S. 131 ff.

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit

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scheint er zur Erfassung dessen, wofür er hier stehen soll, treffender als der des Strafbedürfnisses. Obwohl die Strafbedürftigkeit im strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum ein schillernder Begriff ist, der bald in dieser, bald in jener Färbung Verwendung findet, besteht insoweit übereinstimmung als das Zweckmoment, die kriminalpolitische Erforderlichkeit der Verhängung von Strafe, seinen Kern bildet 104 • Wo das Zweckmoment im Verbrechensbegriff zu lokalisieren ist, wird hingegen nicht mit derselben Einmütigkeit beantwortet. überwiegend ist die Vorstellung anzutreffen, daß es sich hier um außerhalb von Unrecht und Schuld liegende Voraussetzungen der Strafbarkeit handele 105 • Dagegen richten sich jedoch folgende Bedenken: Ebenso wie die Strafwürdigkeit stellt die Strafbedürftigkeit ein Gesamturteil dar. Ein solches kann aber, wenn es funktional in den Verbrechensaufbau integriert sein soll, wie es die teleologische Methode fordert, nicht einfach dem Unrechts- und Schuldurteil angehängt werden. Das Verbrechen als strafwürdiges und strafbedürftiges Verhalten ist vielmehr in allen seinen Elementen unter dem Wert- und dem Zweckaspekt zu betrachten. Dies bedeutet, daß schon Unrecht und Schuld jeweils ein Wert- und ein Zweckelement enthalten müssen, da eine Straftat sozialethisch wertwidriges, sozial~ schädliches und vorwerfbares Verhalten darstellt, das als Voraussetzung einer Bestrafung die Strafrechtsfolge legitimiert. Somit liegt die rechtliche Bedeutung von Unrecht und Schuld gerade in den Folgen, die sie nach sich ziehen. Diese Rechtsfolgen definieren demgemäß den Unrechts- und den Schuldbegriff mit 106 • Die Zwecke staatlichen Strafens spiegeln sich also im Verbrechensbegriff schon auf der Unrechts- und Schuldebene. Zusammenfassend ergeben die Zweckelemente das Strafbedürftigkeitsurteil. Andeutungsweise lassen sich diese Gedanken bereits bei Stratenwerth finden. Zwar verweist auch er die Strafbedürftigkeit in das Niemandsland jenseits von Unrecht und Schuld 107, doch heißt es dann weiter, daß von den das Strafbedürfnis auslösenden Umständen "in aller Regel schon die Existenz der Straf104 Jescheck, AT, S. 38; Sax, Die Grundrechte, IH, 2, S. 925; Langer, Das Sonderverbrechen, S. 330 Anm. 188; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 207; Burkhardt, Der "Rücktritt" als Rechtsfolgebestimmung, S.134 f.; Stratenwerth, ZStW Bd. 71 (1959), S. 567; Rudolphi, ZStW Bd. 83 (1971), S.108; Wagner, GA 1972,35; Dtto, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 56 f.; Der Sache nach schon ebenso Senf, Das Verbrechen, S. 65 ff., obwohl der Begriff der Strafbedürftigkeit bei ihm nicht fällt. 105 Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 206 Anm. 22; Burkhardt, Der "Rücktritt" als Rechtsfolgebestimmung, S. 134; charakteristisch ist in diesem Zusammenhang, daß der Gesichtspunkt der Strafbedürftigkeit insbesondere bei der Behandlung der objektiven Strafbarkeitsbedingungen und der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe hervorgehoben wird: s. z.B. Stratenwerth, AT, Rdn. 196; ders., ZStW Bd. 71 (1959), S. 567 f.;Maurach/Zipf, AT 1, S. 449;Jescheck, AT, S. 446. 106 Zum Verhältnis von Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Hinblick auf Zweckerwägungen s. ausführlich Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe,S. 246 ff. (mit besonderer Hervorhebung der Unrechtsebene). 107 Stratenwerth, Schaffstein-Festschrift, S. 187; ders., ZStW Bd. 71 (1959), S. 567 f.

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1. Teil: Methodenreflexion

vorschrift" abhänge 108 • Wenn aus diesem Grunde die das Strafbedürfnis begründenden Umstände "selbst nicht gesondert in Erscheinung treten", so kann das nur bedeuten, daß sie mit Unrecht und Schuld bereits gegeben sind, sich also als deren Bestandteil darstellen. In diesem Zusammenhang ist auch die in neuerer Zeit 109 unter dem Stichwort "Schuld und Prävention" geführte Diskussion zu sehen. Hier wird ein Ausschnitt des umfassenden Themas "Verbrechensbegriff und Strafbedürftigkeit" aufgegriffen, der die Zweckdimension der Schuldebene 110 entfaltet. Allerdings herrschen über die genauere Bestimmung des Verhältnisses von Schuldbegriff und Präventionsgedanken unterschiedliche Auffassungen. Hier lassen sich zwei Grundpositionen voneinander unterscheiden, deren extremere Jakobs vertritt, indem er Schuld auf Generalprävention reduziert. Schuld wäre demzufolge ein Zurechnungsfaktor, der die Einübung von Rechtstreue zum Maßstab erhebt 111 • Dieser Sichtweise ist das Verdienst zu bescheinigen, den Zweck als Inhalt des Schuldbegriffs in aller Deutlichkeit herausgestellt zu haben. Allerdings ist gegen diese Konzeption geltend zu machen, daß damit die traditionelle Verabsolutierung des Unwertaspekts gegen eine solche des Zweckaspekts eingetauscht wird 112 , während es gerade darum geht, die dialektische Einheit von Wert- und Zweckmoment im Schuldbegriff sichtbar zu machen. Dazu hat vor allem Roxin wertvolle Beiträge geleistet 113 • Freilich scheut er sich, die umgreifende Kategorie mit dem Terminus "Schuld" zu bezeichnen und führt dafür den Begriff der "Verantwortlichkeit" ein, als deren einzelne Elemente die Schuld (im hergebrachten Sinne) und "zweckgeleitete Sanktionskriterien " fungieren 114. Hierdurch wird indessen nur dem Irrtum Vorschub geleistet, Schuld und Prävention 108 Stratenwerth, ZStW Bd. 71 (1959), S. 568; ähnlich bemerkt Sax, Die Grundrechte, 1II, 2, S. 924, Anm. 49, daß Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit Kriterien der Strafvor· aussetzungen seien, die über die Bildung der Straftatbestände bestimmen. 109 Zur Geschichte der teleologischen Deutung des Schuldbegriffs s. den informativen Überblick bei Burkhardt, GA 1976,322 ff. 110 Vgl. dazu auch Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 250; ablehnend gegenüber der Verknüpfung von Schuld und Prävention Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 28 ff.; Schreiber, Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, S. 288 f.; Schöneborn, ZStW Bd. 88 (1976), S. 349 ff.; ders., ZStW Bd. 92 (1980), S. 684 ff.; Zipf, ZStW Bd. 89 (1977), S. 711 f.; kritisch desgleichen Munoz Conde, GA 1978, 70 f., der freilich präventive Gesichtspunkte als "Hilfskriterien" der Be· stimmung des Schuldbegriffs gelten lassen will. 111 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 8 ff., 31 ff.; vgl. auch Raffke, MschrKrim 1975, 48 f., der für die Umdeutung des Schuldbegriffs im spezialpräventiven Sinne eintritt. 112 Der Sache nach ebenso Roxin, Bockelmann-Festschrift, S. 307 f., vgl. auch Burk· hardt, GA 1976, 355, 340 f. Trotz grundsätzlicher Zustimmung meldet auch Dornseifer, Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik Adolf Merkels, S. 106 ff. Zweifel am "Absolut· heitsanspruch der Jakobsschen These" (a.a.O., S. 108) an. 113 s. insbesondere Roxin, Henkel-Festschrift, S. 181 ff. und Bockelmann-Festschrift, S. 279 ff.;dazu kritisch Schild, Die ,,Merkmale" der Straftat, S.131 f. 114 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 34; ders., Henkel-Festschrift, S. 181; ders., Bockelmann-Festschrift, S. 285.

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit

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seien zwei verschiedene Dinge 115 , die erst in einem neu zu schaffenden Oberbegriff vereinigt werden können. Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß die Schuld selbst einen Präventionsaspekt aufweist 116 und keine Abspaltung des ihr innewohnenden Zweckrnoments verträgt117 - oder anders ausgedrückt, Mitträger des Strafbedürftigkeitsurteils ist. Damit ist eine Struktur gewonnen, die es erlaubt, das Problem der Begriffsbildung im Strafrecht auf eine neue Grundlage zu stellen. Die systematische Bedeutung von Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit setzt sich in ihrer Funktion bei der teleologischen Begriffsbildung fort: Nicht nur die Straftat im ganzen und ihre Elemente, sondern auch die Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld ausfüllenden Begriffe des Allgemeinen und Besonderen Teils sind jeweils unter dem Gesichtswinkel der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit zu verstehen. Sie sind die Bestandteile, aus denen sich Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit eines zu beurteilenden verhaltens - und damit dessen Qualifizierung als Verbrechen - aufbauen. Somit richtet sich ein besonderes Interesse auf die Folgerungen, die aus dem bisher Entwickelten insoweit zu ziehen sind, als es die Bildung strafrechtlicher Begriffe betrifft.

3. Konsequenzen für die Begriffsbildung Ausgangspunkt der bislang angestellten überlegungen war das Problem, ein allgemeines Prinzip aufzufmden, nach dem sich strafrechtsdogmatische Begriffe entwickeln lassen. Dieses gesuchte Prinzip kann, wie sich ergeben hat, nicht in einer exakten begrifflichen Abbildung des realen Substrats bestehen, sondern nur in einer teleologischen Ausrichtung der Begriffe nach dem Anwendungsbereich, in dem sie eine Funktion übernehmen sollen. Auf die Lehre von Täterschaft und Teilnahme bezogen bedeutet dies, daß es nicht darum geht, zu klären, welche Phänomene die Begriffe Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe "an sich" beschreiben, sondern wie diese Begriffe im Strafrecht zu fassen sind, damit sie als Voraussetzungen für eine Bestrafung einen solchen Umfang""erhalten, der in ihrem Bereich die Grenze angibt, bis zu der es noch und von der ab es nicht mehr gerechtfertigt ist, Strafe zu verhängen. Die Aufgabe besteht also darin, Leitlinien für die Begriffsbildung zu finden, die eine Orientierung nach einem einheitlichen Maßstabe ermöglichen, nicht ein Schema, das alle Begriffe einem starren Defmitions-Mechanismus ausliefert. Diese Leitlinien müssen gleichermaßen auf den Ebenen von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld gelten und den einzelnen Begriff unter dem doppelten Aspekt von Wert Dagegen auch Roxin, Bockelmann-Festschrift, S. 286 ff., 308. In diesem Sinne Noll, H. Mayer-Festschrift, S. 220, 233; Burkhardt, GA 1976, 335,341. U7 Vgl. Jakobs, Schuld und Prävention, S. 8; Dornseifer, Rechtstheorie und Strafrechtsdogmatik Adolf Merkeis, S. 106. 115 U6

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1. Teil: Methodenreflexion

und Zweck erfassen, um seine Grenzen - und damit einen Teilabschnitt der Straftat insgesamt - nach den Kriterien zu vermessen, die aufgrund der Wechselbeziehung von Verbrechen und Strafe hier gelten. Anhand der obigen Darlegungen ist leicht zu erkennen, daß die Strafwürdigkeit und die Strafbedürftigkeit die Träger dieser Leitlinien-Funktion sind. Für die Begriffsbildung bedeuten Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit nichts anderes als die teleologische Ausrichtung an einem Wertungs- und an einem Zweckmäßigkeitsmaßstab. Diese Maßstäbe gilt es im folgenden näher zu betrachten. Wenden wir uns zunächst der Strafwürdigkeit zu: Jeder strafrechtliche Begriff, der eine der Voraussetzungen festlegt, die für den Ausspruch der Strafandrohung erfüllt sein müssen, ist Mitträger eines Unwerturteils, ohne dessen Fällung die Bestrafung des betreffenden verhaltens nicht zu rechtfertigen wäre. In ihrer allgemeinsten Bedeutung ist Strafe nämlich korrigierende Reaktion 118 auf unwertes Verhalten und setzt damit als erstes die Verwirklichung eines Unwertes voraus. Dieser Unwert wird konstituiert durch die Erfüllung derjenigen Merkmale, die in ihrer Gesamtheit die Straftat ausmachen. Allerdings bedeutet dies nicht, daß jedes einzelne 'Merkmal, isoliert betrachtet, einen Unwertakzent setzt. Für sich genommen beinhalten Begriffe wie z.B. Urkunde, Sache, Anfang der Ausführung (beim Versuch), Hilfeleistung (Beihilfe) usw. keinen Unwert. Im Zusammenhang der Verbrechensbeschreibung gewinnen sie jedoch eine spezifische Funktion, nämlich die der Konkretisierung der Strafvoraussetzungen, woraus sich eine funktionale Wertbezogenheit ableitet. Deshalb hat die Bestimmung "an sich" wertneutraler Begriffe im Strafrecht mit Rücksicht darauf zu erfolgen, daß sie dort eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen haben, eben die Strafrechts folge zu legitimieren. Das bedeutet, am Beispiel des Urkundenbegriffs erläutert, daß von der Frage auszugehen ist, wie die Urkunde im strafrechtlichen Sinne zu definieren ist, damit als Urkundendelikte nur solche Taten bestraft werden, bei denen sich der Täter gegen die Sicherheit des Beweisverkehrs in einer Weise vergangen hat, daß die Rechtsgemeinschaft dies als ein für sie sozialethisch unerträgliches Verhalten nicht hinzunehmen bereit ist. Die Strafwürdigkeit legt also einen wertenden Maßstab an, der die Begriffe an dem Erfordernis ausrichtet, daß eine gewisse Mindestschwere des verwirklichten Unwerts Voraussetzung für eine Bestrafung ist. Bei der Festlegung dieses Mindestunwertgehalts handelt es sich um ein quantitatives Problem, für das eine feste, leicht feststellbare, quasi "errechenbare" Größe zu finden nicht möglich ist. Es ist dies der Punkt, an dem sich das Strafrecht mit der Sozialethik berührt. Deren Bewertungen sind durchaus historischen Schwankungen unterworfen und kennen nur in einem gewissen Kernbereich, zu dem gewiß die vorsätzliche Tötung, der Raub usw. gehören, Konstanz. Der Umstand, daß das sozialethische Bewußtsein sich nicht in zeitlos gültige Formeln gießen läßt, 118 Das ist an dieser Stelle im weitesten Sinne des Wortes zu verstehen. Korrigierende Wirkung kommt der Strafe in einem gewissen Sinne auch nach den absoluten Straftheorien zu, nämlich in der ,,Aufhebung" des Unrechts und der Schuld.

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit

41

setzt dem Bemühen um eine handliche Definition des Begriffs der Strafwürdigkeit Grenzen, hält andererseits aber auch die Möglichkeit von Entwicklungen, die Einschränkungen oder Ausdehnungen der Strafbarkeit fordern, offen. Demgemäß haben all jene, die den quantitativen Wertgesichtspunkt für die Abgrenzung krimineller von nicht kriminellen Taten zum einzigen Kriterium erhoben haben, stets auf eine über Generalklauseln hinausgehende Beschreibung des Grenzverlaufs verzichtet 119 • Dieser läßt sich nur von Fall zu Fall konkretisieren. Damit ist die Bedeutung der Strafwürdigkeit indessen noch nicht erschöpft. Sie bezeichnet nicht nur das Urteil, daß eine Bestrafung vom verwirklichten Unwert her gerechtfertigt ist, sondern setzt auch einen Maßstab dafür, wie die Tat im Vergleich zu anderen Taten unter Unwertgesichtspunkten zu bestrafen ist. Die Strafwürdigkeit bezieht damit außer dem Ob einer Bestrafung (absolute Strafwürdigkeit ) das Wie der Bestrafung (relative Strafwürdigkeit ) ein 120. Mit dieser weiteren Funktion reicht sie bis in das Gebiet der Strafzumessung hinein l21 • Die quantitative Abstufung verschiedener Unwertgehalte innerhalb des kriminellen schuldhaften Unrechts zeigt sich aber nicht erst bei der Strafzumessung im Einzelfall, sondern bereits an der Existenz unterschiedlicher Strafrahmen. Der Vergleich bestimmter Strafrahmen mit Blick auf die jeweils abweichenden Voraussetzungen für die Anwendung des einen oder des anderen Strafrahmens führt wieder auf die Begriffsbildung zurück: Offenbar wird z.B. der höhere Strafrahmen des § 250 StGB gegenüber dem des § 249 StGB durch einen größeren Unwertgehalt desjenigen Verhaltens gerechtfertigt, das den Tatbestand des schweren Raubes erfüllt. Das bedeutet, daß die Merkmale, die einen Raub zu einem schweren machen, so zu interpretieren sind, daß sie nur solche Fälle erfassen, die diesen zusätzlichen Unwert auch tatsächlich enthalten. Die relative Strafwürdigkeit ergänzt also auf der Grundlage des Vergleichs verschiedener Straftatbestände das absolute Strafwürdigkeitsurteil. Hierdurch wird ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen den unterschiedlich hohen Strafandrohungen gewährleistet. In der Lehre von Täterschaft und Teilnahme stellt sie die Frage nach der relativen Strafwürdigkeit ebenfalls. Während Täterschaft Zusammenfassend dazu Krümpelmann, Die Bagatelldelikte, S. 132 ff. Terminologie in Anlehnung an Schmidhäuser, AT, 2/14, der die Strafwürdigkeit jedoch nicht auf ein Unwerturteil beschränkt (s.o. S. 32, 34). Vgl. auch Hardwig, GA 1957, 173 ff., wo der Begriff der Strafwürdigkeit bei der Gegenüberstellung von untauglichem Versuch und Versuch des untauglichen Subjekts im Sinne von relativer Strafwürdigkeit verwendet wird. 121 Zur Straflosigkeit aufgrund mangelnder Strafwürdigkeit der Tat nach, 42 östStGB, die als Grenzfall einer Strafzumessung begriffen werden kann, s. Zipf, Die mangelnde Strafwürdigkeit der Tat, S. 16 f. und 23, sowie Driendl, ZStW Bd. 90 (1978), S. 1047 ff. und Moos, ZStW Bd. 95 (1983), S. 153 ff., insbes. S. 183 ff., 200 ff. Über die Erfahrungen mit dieser Vorschrift in der Praxis seit ihrer Einführung im Jahre 1975 berichtet das Gutachten von Zipf, Allgemeine Grundsätze des Strafgesetzbuches und die Rechtsprechung, Verhandlungen des 7. Österreichischen Juristentages, Bd. I, 2. Teil, S. 104 ff. 119

120

1. Teil: Methodenreflexion

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und Anstiftung gleich bestraft werden, ist für die Beihilfe eine obligatorische Strafmilderung angeordnet. Die damit vorausgesetzten Unwertdifferenzen zwischen Täterschaft und Anstiftung auf der einen Seite und der Beihilfe auf der anderen Seite bzw. die Unwertgleichheit von Täterschaft und Anstiftung bedürfen einer eingehenden Analyse. Bei der Betrachtung strafrechtlicher Begriffe mit dem Ziel, sie anhand eines allgemeinen Prinzips funktionsgerecht auszugestalten, darf jedoch niemals übersehen werden, daß stets ein doppelter Maßstab anzulegen ist. Der Wertaspekt bestimmt nicht allein über den Umfang eines Begriffes, sondern gemeinsam mit dem Zweckaspekt : Zur Strafwürdigkeit tritt die Strafbedürftigkeit hinzu. Da traditionellerweise die wertende Ebene als die einzige oder doch als die ganz im Vordergrund stehende angesehen wird, während die Ebene der Zweckmäßigkeitsüberlegungen aus der Strafrechtsdogmatik hinaus in die Rechtspolitik verwiesen wird, bzw. allenfalls am Rande sichtbar wird, ist mit besonderer Aufmerksamkeit darauf zu achten, daß die Zweckelemente, die bei einer sachgerechten Ausformung der Begriffe mitbestimmend sind, nicht unversehens übergangen werden. Jeder strafrechtliche Begriff, der eine der Voraussetzungen festlegt, die für den Ausspruch der Strafandrohung erfüllt sein müssen, ist nämlich Mitträger eines Zweckmäßigkeitsurteils, ohne dessen Fällung die Bestrafung des betreffenden Verhaltens ebensowenig zu rechtfertigen wäre, als wenn das erforderliche Unwerturteil fehlen würde. Dieses Zweckmäßigkeitsurteil stellt sicher, daß nur solche Taten bestraft werden, die allgemein geeignet sind, die mit jeder Bestrafung verfolgten general- und spezialpräventiven Zwecke zu erreichen. Demgemäß sind die einzelnen Merkmale, in die sich die Straftat zerlegen läßt, so zu interpretieren, daß sie diesem Zweckmäßigkeitserfordernis entsprechen. Der Zweckaspekt bringt die Verzahnung zwischen den Strafvoraussetzungen und der Strafzwecklehre zur Geltung. Sieht man zunächst einmal von den inhaltlichen Unterschieden der einzelnen Strafzwecklehren ab, so lassen sich drei allgemeine Kriterien 122 formulieren, die erfüllt sein müssen, damit das Strafbedürftigkeitsurteil gefällt werden kann: 1) Es muß ein Unwert verwirklicht worden sein; 2) Der Strafzweck darf nicht bereits ohne eine Bestrafung erreicht worden sein; 3) Es muß Aussicht bestehen, durch eine Bestrafung auf die Fehlentwicklung des Soziallebens, die in der Tat zum Ausdruck gelangt ist, korrigierend einzuwirken. Dabei kommt dem ersten Punkt die Aufgabe zu, klarzustellen, daß die Verfolgung eines Strafzweckes ohne das Vorliegen eines Unwerts nicht denkbar ist, da Strafe ihrem Begriffe nach nur an unwertes Verhalten anknüpfen kann. Anders als beim Strafwürdigkeitsurteil interessiert an dieser Stelle also nicht die für eine Bestrafung erforderliche Mindestschwere des verwirklichten Unwerts, sondern nur das Vorliegen eines Unwerts überhaupt als notwendige Voraussetzung dafür, daß ein Verhalten als "straf122

244 ff.

s. dazu ausführlich Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S.

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit

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bedürftig" gekennzeichnet werden kann. Der zweite und dritte Punkt impliziert demgegenüber bereits einen in gewisser Weise eingegrenzten, wenn auch ganz weit gefaßten Strafbegriff. Während die Unwertverwirlichung selbst bei Zugrundelegung der absoluten Straftheorien conditio sine qua non für eine Bestrafung ist, erhalten die unter 2) und 3) aufgeführten Strafbedürftigkeitskriterien erst einen Sinn, wenn man dem staatlichen Strafen general- und/oder spezialpräventive Aufgaben zuweist. Der Gedanke der anderweitigen Zweckerreichung begrenzt das Ausmaß strafbedürftigen Verhaltens in zweierlei Richtung: Zum einen ist der Fall denkbar, daß der Schutz 'der Rechtsordnung schon durch außerstrafrechtliche Regelungen ausreichend gewährleistet wird 123. Andererseits kann der Strafzweck auch deshalb ohne Bestrafung erreicht sein, weil der Täter selbständig und rechtzeitig zur Legalität zurückgefunden hat. Dies gilt beim strafbefreienden Rücktritt vom Versuch 124. Schließlich erfordert das Strafbedürftigkeitsurteil, daß Aussicht besteht, mit der Verhängung von Strafe eine Fehlentwicklung im Bereich des Soziallebens zu korrigieren. Damit scheiden diejenigen Fälle für eine Bestrafung aus, bei denen eine endgültige Strafzweckverfehlung zu befürchten ist. Hier wären als Beispiel verjährte Taten zu nennen 125 • Es stellt sich nun die Frage, ob eine abschließende Beurteilung der Strafbedürftigkeit nicht über diese allgemeinen Richtlinien hinaus eine Stellungnahme zu den Strafzwecken der General- und der Spezial prävention voraussetzt. Da es sich hierbei nicht um eine Alternative handelt, die eine Entscheidung zugunsten des einen oder anderen Strafzwecks fordert, sondern um konkurrierende Zielsetzungen, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, wobei die diskussionswürdige Frage darin besteht, wie die einzelnen Faktoren zu gewichten sind 126 , bedarf es schon von diesen grundsätzlichen Überlegungen her keiner einseitigen Parteinahme für eine Strafzwecktheorie. Festzuhalten bleibt vielmehr, daß sich die Strafbedürftigkeit an beiden Präventionszielen orientiert. Ebensowenig wie bei der Konkretisierung des Mindestunwertgehalts, der für die Strafwürdigkeit eines Verhaltens erforderlich ist, handelt es sich bei der Zweckbestimmung, die den materiellen Kern der Strafbedürftigkeit bildet, um die Festlegung einer Konstante, die einer subsumierbaren Definition zugänglich wäre. Allerdings läßt sich ein gewisses Maß an Begriffspräzisierung über das bisher Gesagte hinaus doch noch vornehmen: Die Strafbedürftigkeit nimmt in dem hier maßgeblichen Zusammenhang - zusammen mit der Strafwürdigkeit 123 Zutreffend weist Vogler, ZStW Bd. 90 (1978), S. 147 darauf hin, daß das Strafrecht nicht dort sanktionierend eingreifen sollte, wo ein Bedürfnis für eine autonome Regelung sozialer Konflikte besteht. 124 Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 158 ff. 125 Bloy, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 184 ff. 126 s. dazu z.B. Gallas, Beiträge, S. 4; Schmidhäuser, AT, 3/16 f.;Jescheck, AT, S. 3 f. und 61; auch SS 46,47 StGB lassen erkennen, daß die spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkte nebeneinanderstehen.

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1. Teil: Methodenreflexion

die Funktion wahr, die Frage nach den Grenzen des bei Strafe Verbotenen zu beantworten, indem sie die Strafvoraussetzungen und die Straffolgen in eine spezifische Beziehung zueinander setzt 127 • Es geht also um die abstrakte Strafbedürftigkeit, im Unterschied zur konkreten Strafbedürftigkeit eines Einzelfalles, der sich ereignet hat. Da wir keinen bestimmten Täter vor Augen haben, kann die spezialpräventive Funktion der Strafe an dieser Stelle nur insofern eine Rolle spielen, als die Bejahung der Strafbedürftigkeit voraussetzt, daß die Erforderlichkeit einer Einwirkung auf den Täter mit dem Ziel, ihn in Zukunft von der Begehung von Straftaten abzuhalten, nicht von vornherein ausgeschlossen sein darf. Im übrigen entfaltet der spezialpräventive Aspekt des Strafbedürftigkeitsurteils erst bei der Strafzumessung seine Wirkung. Damit steht der generalpräventive Zweck der Strafe im Vordergrund unserer Betrachtungen f28 . In Parallele zur Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Strafwürdigkeit läßt sich auch zwischen absoluter und relativer Strafbedürftigkeit differenzieren. Während die absolute Strafbedürftigkeit das Problem betrifft, ob unter Zweckgesichtspunkten überhaupt mit Strafe reagiert werden soll, leitet die relative Strafbedürftigkeit auf die Frage, wie zweckmäßigerweise zu strafen ist, also z.B. durch Verhängung von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe. Indessen geht es hier nicht ausschließlich um Strafzumessungserwägungen 129. Bei der Eröffnung neuer Strafrahmen für besondere Fallkonstellationen, die u.U. sogar einen Wechsel der Strafart erlauben, ist neben dem Unwertgesichtspunkt auch der Zweckmäßigkeitsgesichtspunkt zu berücksichtigen. Auch wenn ein Wechsel der Strafart nicht in Betracht kommt, ist damit noch nicht ausgeschlossen, daß verschieden hohe Strafrahmen Ausdruck unterschiedlicher Strafbedürftigkeit sind. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit in dem hier dargelegten Sinne stellen die Grundlagen für die Entwicklung strafrechtlicher Begriffe nach einem bewußt gewählten Prinzip dar. Gerade in der Lehre von Täterschaft und Teilnahme ist das Bemühen um eine überzeugende Begriffsbildung schon lange als besonders dringlich erkannt worden. Die historische Entwicklung, die noch darzustellen sein wird, legt dafür beredt Zeugnis ab. Sogar der Gedanke, daß es bei der Differenzierung zwischen den verschiedenen Beteiligungsformen wesentlich 127 Eser, Die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, S. 153 ff. versucht, diese spezifische Beziehung unter dem Gesichtspunkt der Proportionalität von Straftat und Strafe möglichst exakt zu beschreiben, doch bleiben auch diese Überlegungen, wie es der Natur der Sache entspricht, in der Aufstellung allgemeiner Leitlinien haften. 128 Roxin, JuS 1966,383 und ihm folgend Vogler, ZStW Bd. 90 (1978), S. 142 wollen sogar ausschließlich auf die Generalprävention abstellen, soweit die Rechtfertigung der Strafandrohungen in Frage steht. In diesem Sinne auch Burkhardt, Der "Rücktritt" als Rechtsfolgebestimmung, S. 134 f. 129 Jedoch ist dies in der Tat die Stelle, wo - gemeinsam mit der relativen Strafwürdigkeit - der Übergang zwischen Strafvoraussetzungen und Strafzumessung stattfindet; s. auch Burkhardt, Der "Rücktritt" als Rechtsfolgebestimmung, S. 135 und Otto, Schröder-Gedächtnisschrift, S. 68 f.

IV. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit

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um kriminalpolitische Wertungen und Zweckerwägungen geht, läßt sich bemerkenswert weit zurückverfolgen. Mit Recht hat Roxin darauf hingewiesen, daß schon die subjektive Teilnahmetheorie mit der Verwendung des sog. Täterwillens als Unterscheidungskriterium zwischen Täterschaft und Teilnahme eine Abgrenzung im Wege "unmittelbarer Wertung" trifft, wobei es sich allerdings um eine blinde kriminalpolitische Wertung ohne begrifflich-systematisches Rückgrat handelt 130 • Während der damit im Prinzip anerkarinte Grundsatz teleologischer Begriffsbildung bei den Vertretern dieser Lehre noch weithin unreflektiert geblieben ist, so daß die von der Rechtsprechung unter Zugrundelegung der subjektiven Theorie gefällten Urteile mangels eines brauchbaren Abgrenzungsmaßstabes eine einheitliche Linie vermissen lassen, hob Erik Wolf bereits 1928 hervor, daß die Entstehung des Teilnahmebegriffs sich nicht aus der "Pluralität der Tatbeteiligten in ihrer empirischen Tatsächlichkeit" erklären lasse, sondern der Zweckgedanke dafür konstitutiv sei l31 • In der Tat wäre anderenfalls die Einheitstäterlösung überhaupt nicht denkbar. Da die historischen Wurzeln der Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme weit bis in vergangene Jahrhunderte zurückreichen, ist das Gespür für die Erforderlichkeit einer nach einem bestimmten Prinzip vorzunehmenden Durchformung der Beteiligungsverhältnisse an einer Straftat offenbar schon sehr alt. Diesem phänomen in seiner historischen Dimension nachzugehen, ist die Aufgabe, die uns im folgenden beschäftigen soll.

130 Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, S. 9 f.; ausführlich erläutert am Beispiel der Rechtsprechung zur Beteiligung an NS·Verbrechen in Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 577 ff. 131 Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 84.

Zweiter Teil

Die historische Entwicklung der Lehre von Täterschaft und Teilnahme in ihren Grundlinien I. Die Aufgabe einer Darstellung der Historie im Rahmen der Untersuchung Der Gedanke, daß zwischen verschiedenen Beteiligungsformen an der Straftat zu differenzieren sei, läßt sich bis ins römische Recht zurückverfolgen. Obgleich Ausgestaltung und Bedeutung der Unterscheidung zwischen mehreren Arten der Beteiligung im Laufe der Strafrechtsgeschichte starken Schwankungen unterliegen, bildet die Grundüberlegung, daß die Beteiligung an einer Straftat unterschiedliche Formen annehmen kann, eine Konstante in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Strafrecht seit ältesten Zeiten. Daher steht die Lehre von Täterschaft und Teilnahme in einer historischen Tradition, auf deren Hintergrund auch ihre modernen Ausprägungen gesehen werden müssen. Andererseits bedarf es für eine gegenwartsbegzogene Darstellung der geschichtlichen Wurzeln keiner bis in letzte Feinheiten vordringender Wiedergabe der Vorstellungen, die in vergangenen Jahrhunderten über die Beteiligungsformen geherrscht haben. Manches ist von ausschließlich historischem Wert und somit für die neuere Strafrechtsdogmatik ohne Bedeutung. Da es hier nicht beabsichtigt ist, eine vollständige Geschichte der Lehre von Täterschaft und Teilnahme vorzulegen, sondern das Verständnis für strafrechtliche Fragen der Gegenwart zu erweitern, indem der historische Zusammenhang, in dem sie stehen, sichtbar gemacht wird, beschränkt sich der Gang durch die Geschichte auf die wesentlichen Entwicklungslinien und räumt breiteren Raum nur denjenigen Abschnitten ein, deren Wirkung bis in die heutige Zeit spürbar geblieben ist. Das Schwergewicht der Darstellung liegt demgemäß auf der Nachzeichnung der Geschichte der heutigen Beteiligungsformen Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe von ihren Ursprüngen im frühen 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. An diesem Punkt hatte die differenzierende Betrachtung der Beteiligung an einer Straftat indessen schon eine lange Vorgeschichte hinter sich.

11. Römischrechtliche und deutschrechtliche Ausgangspunkte

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11. Römischrechtliche und deutschrechtliche Ausgangspunkte der Entwicklung Das römische Recht kannte bereits zahlreiche Ausdrücke für das unterschiedliche Zusammenwirken mehrerer Personen bei der Verübung einer Straftat. Es fehlte jedoch eine feste Terminologie, so daß eine verwirrende Vielfalt von Begriffen 1 Verwendung fand. Am gängigsten waren die Bezeichnungen "auctor" und "minister" für den Anstifter bzw. den Gehilfen, wobei man sich dessen bewußt sein muß, daß die Beteiligungsformen des römischen Rechts nur in einem sehr groben Sinne mit den uns geläufigen Begriffen charakterisiert werden können 2 • Dabei fällt vor allem auf, daß mit der fehlenden Einheitlichkeit der Terminologie ein grundlegender Mangel an Begriffsschärfe einhergeht. Offenbar bestand bei den Römern kein großes Interesse an einer präzisen Differenzierung zwischen den Beteiligungsformen, zumal sie daran - von Ausnahmen abgesehen 3 - keine unterschiedlichen Rechtsfolgen knüpften 4 • Sie beschränkten sich im wesentlich darauf, bei den einzelnen Verbrechen den Umfang des unter Strafe gestellten Verhaltens zu beschreiben. Für die Ausdehnung der Strafbarkeit auf Teilnehmer hatte sich eine Reihe von Formeln eingebürgert S , die überwiegend jede Mitwirkung pauschal auf dieselbe Stufe der Strafbarkeit mit der Täterschaft stellten6 • Teilweise finden sich auch Beschreibungen einzelner Teilnahmehandlungen, die der täterschaftlichen Begehung der Tat gleichgestellt wurden 7 • Eine von den einzelnen Delikten abgehobene Lehre von Täterschaft und Teilnahme war den Römern also noch weitgehend unbekannt. Der dafür erforderliche Grad des Abstrahierens und Generalisierens hätte dem römischen Rechtsdenken, das seine Leistungskraft stets an der Problemlösung im Einzelfall bewiesen hat, auch nicht entsprochen. So kann es nicht verwundern, daß die Bezeichnungen für die verschiedenen Beteiligungsformen im römischen Recht weniger als Vorläufer heutiger strafrechtsdogma1 Umfangreiche Zusammenstellungen bei Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 98 f. und Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 184 f., 190 f., 197 ff. mit ausflihrlichen Quellennachweisen. 2 Das gilt insbesondere für die Grenzbereiche zwischen Anstiftung und mittelbarer Täterschaft, sowie Beihilfe und Mittäterschaft, vgl. dazu die Darstellung der Situation im römischen Recht bei Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 190 ff., 197 ff. 3 Hierzu Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 189; Engelmann, Binding-Festschrift II, S. 398. Erst im späteren Recht wurden Ansätze zu stärkerer Berücksichtigung der Beteiligungsformen bei der Bestrafung ausgebildet, vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 102 f. Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme, S. 76 ff. meint freilich nachweisen zu können, daß eine ungleiche Bestrafung der verschiedenen Beteiligten nicht so selten war, wie stets angenommen wird. 4 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 99 f.; Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 185. S s. dazu im einzelnen Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 186 f. 6 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 101; Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 185 f.; Engelmann, Binding-Festschrift II, S. 397 f. 7 Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 188.

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2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

tischer Begriffe zu werten sind, sondern eher der "allgemeinen Redeweise" angehören 8 , also eine wissenschaftlich unverarbeitete übernahme aus der Umgangssprache darstellen. Da es in der Sache nur um die Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Strafvorschriften auf jede oder eine bestimmte Art der Mitwirkung geht, wobei die Strafbarkeit der Teilnahme nicht durch die Haupttat vermittelt wird, zeigt das römische Strafrecht trotz seines großen Aufwands an Bezeichnungen für diese Mitwirkungsweisen deutlich Züge eines Einheitstätersystems 9 • Diese Einschätzung wird bestätigt, wenn man ergänzend noch einen speziellen Blick auf die privaten delicta im römischen Recht wirft, die im Unterschied zu den öffentlichen crimina ins Zivilrecht gehören. Da das staatliche Strafrecht bei den Römern nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung besaß und die meisten Rechtsgutsverletzungen, die heute als Straftaten in den Besonderen Teil des Strafgesetzbuches eingegangen sind, als delicta lediglich einen Anspruch des privaten Verletzten auf Bezahlung einer Geldbuße nach sich zogen 10, gewinnen die Deliktsobligationen - anders als die H 823 ff. BGB für die moderne Teilnahmelehre - an dieser Stelle durchaus Bedeutung. Aus den Privatdelikten entstehen die actiones poenales, die auf Bußzahlung gerichtet sind. Mit der Geldbuße (poena) wird dem Täter als Sühne für das begangene Unrecht ein übel auferlegt und dem Verletzten Genugtuung verschafft l l , so daß sie über den Gesichtspunkt des Schadensersatzes hinaus genuin strafrechtliche Funktionen erfüllt. Sind mehrere Personen an der Tat beteiligt gewesen, so werden die actiones poenales gegen sie unbeschränkt gehäuft (kumulative Klagenkonkurrenz/ 2 • Auf die Beteiligungsrolle, also in moderner Terminologie Mittäterschaft, Anstiftung bzw. Beihilfe, kommt es für die pflicht zur Zahlung der poena nicht an. Es genügt jede Teilhabe an der Tat 13 • Eine Ausnahme 14 macht allerdings die actio furti manifesti, die nur gegen den Dieb selbst gerichtet werden kann. Hingegen steht dem Bestohlenen die actio furti nec manifest i auch gegen Teilnehmer zu. Im Unterschied dazu ist die Entwicklung im deutschen Recht von anderen Vorstellungen geprägt. Ursprünglich gab es eine "Bestrafung"IS von Anstiftung Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 99. Recht deutlich Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 100: "Rechtlich erwogen kennt das römische Recht alle jene Kategorien nicht, sondern lediglich bei dem Sammtdelict die Mitthäterschaft. " 10 dazu Kaser, Das Römische Privatrecht I, S. 609 f. 11 Kaser, Das Römische Privatrecht I, S. 610 f. 12 Kaser, Das Römische Privatrecht I, S. 612. uKaser, Das Römische Privatrecht I, S. 613. 14 Zum folgenden Kaser, Das Römische Privatrecht I, S. 616 mit Nachweisen. 15 Ob man für die germanisch.fränkische Epoche überhaupt schon von einem "Straf"Recht im engeren Sinne sprechen darf, ist freilich bestritten (dagegen z.B. Eh. Schmidt, Einführung, S. 21 ff.; Achter, Geburt der Strafe, S. 10 ff. und passim). Ansätze zu einem S

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II. Römischrechtliche und deutschrechtliche Ausgangspunkte

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und Beihilfe nicht l6 • Dies belegen Quellen noch aus fränkischer Zeit, die strafbare Anstiftung nur als Ausnahmeregelungen kannten l7 • Hintergrund dieser ursprünglichen Beschränkung der Strafbarkeit auf den Täter dürfte der Gedanke gewesen sein, daß ein freier Mann, der eine Missetat beging, dafür die volle und alleinige Verantwortung trug, so daß die neben ihm an der Tat als Anstifter bzw. Gehilfen Beteiligten überhaupt nicht ins Blickfeld rückten 18. Nur wenn mehrere Freie eine Missetat - modern gesprochen - als Mittäter verübt hatten, wobei sie direkt am Tatgeschehen gemeinschaftlich mitgewirkt haben mußten, wurden sie alle zur Rechenschaft gezogen. Zu der im Grundsatz als unteilbar angesehenen Verantwortung tritt als weiterer maßgeblicher Gesichtspunkt für die Hervorhebung der Täterfigur das plastische und bildhafte Denken in jener Epoche hinzu, das an die äußerlich sichtbare Erscheinung der Tat, insbesondere ihren Erfolg anknüpft 19 . Das verdeutlicht auch der Umstand, daß die Bezeichnung des Täters oft nach der von ihm begangenen Missetat erfolgte (also Mörder, Räuber usw.) und vom einzelnen Delikt abstrahierende Begriffe für ihn erst im späteren Mittelalter aufkamen (Handtätiger, mhd. hanttaetige; Selbschuldiger, mhd. selbschol; Sachwalter, mhd. sachwalde)20. Gebräuchlich sind auch bildliche Umschreibungen, etwa für den Totschläger: der mit Schneide und Schwert den Erschlagenen erschlug oder mit dessen Blut seine Waffen rötete 21 .

öffentlichen Strafrecht bereits in germanischer Zeit stellen fest z.B. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 47 ff.; Radbruch, Elegantiae Juris Criminalis, S. 1 ff.; E. Kaufmann, Die Erfolgshaftung, S. 16 ff. Wenn oben im Text von der Strafbarkeit der Beteiligung die Rede ist, so soll damit keine Stellungnahme zu dieser Frage, die an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden kann, verbunden sein. Es handelt sich lediglich um eine terminologische Vereinfachung. 16 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 173; Eb. Schmidt, Einführung, S. 36; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 89, 380; Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 739 f.; His, Geschichte des deutschen Strafrechts, S. 24 f. 17 Als Beispiele für solche Anstiftungsvorschriften seien genannt Lex Sal. XXVIII, S 1; Lex Fris. 2; Ed. Roth. 10; 202 (alle Anstiftung zum Totschlag); weiter Liu. 63; 72 (Anstiftung zu Meineid, Brandstiftung und Frauenraub ), sowie Lex Baiuv. 9, 6 (Anstiftung eines fremden Knechts zum Diebstahl). 18 Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 739 f. Fehlte die Tatausfüh· rung durch einen Freien, so wurde die Verantwortlichkeit für das Geschehen so weit ausgedehnt, bis ein Freier dafür in Anspruch genommen werden konnte. 19 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 173 ff.; Eb. Schmidt, Einführung S. 31 f.; Rüping, Grundriß, S. 2; vgl. dazu auch die Bemerkungen bei His, Geschichte des Deutschen Strafrechts, S. 24 und Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 630, 634. Dagegen hat sich E. Kaufmann, Die Erfolgshaftung, passim, um den Nachweis bemüht, daß schon die germanisch-fränkische Zeit ein Schuldstrafrecht gekannt habe. Diese Auffassung hat sich jedoch nicht durchgesetzt. 20 His, Geschichte des deutschen Strafrechts, S. 26; Osenbrüggen, ZDR Bd. 18 (1858), S. 83 f. Z.B. bezeichnet Schwsp. Ldr. CXCV den Täter als "selpschuldigen". 21 Westgöta.Lagen (herausgegeben von Collin/Schlyter Faksimile-Ausgabe von Holm, Lund 1976), I. Md. 1, S 2; II. DrB. 3. 4 Bloy

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2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

Insbesondere die Strafbarkeit der Anstiftung blieb in der fränkischen Zeit 22 und auch noch bis ins späte Mittelalter 23 recht lückenhaft. Zunächst erfaßte man sie nur bei bestimmten Verbrechen 24. Entwicklungsgeschichtlich interessant ist, daß nach dem friesischen Volksrecht der Anstifter einer Tötung lediglich subsidiär hinter dem Täter und beschränkt auf ein Drittel des Wergeldes haftete 25 • Soweit sich die Strafbarkeit der Anstiftung durchsetzte, geschah dies unter dem Begriff "Rat", der indessen die intellektuelle Teilnahme im ganzen bezeichnete, also außer dem Hervorrufen des Tatentschlusses beim Täter auch die Bestärkung eines bereits ge faßten Tatentschlusses und damit die psychische Beihilfe 26 • Der "Ratgeber" wurde in fränkischer Zeit überwiegend bedeutend milder bestraft als der Täter 27 • Später dann scheint eine gewisse Unsicherheit in der Bewertung eingetreten zu sein; meist wurden Anstiftung und Täterschaft gleich bestraft, teils jedoch der Anstifter schärfer, teils milder als der Täter 28 • Die Strafbarkeit der Beihilfe nahm ihren Ausgangspunkt bei der Teilnahme an Bandendelikten, die nicht selten von quasimilitärisch organisierten "Heeren" begangen wurden 29 • Mit fortschreitender Rechtsentwicklung wurde zwischen verschiedenen Beteiligungsgraden am Bandenvergehen differenziert. An der Spitze steht der Anführer oder Hauptmann (es können auch mehrere sein). Bei den Teilnehmern wird zwischen der handtätigen Teilnahme und der bloßen Gefolgschaft unterschieden 30 • Die handtätige Teilnahme setzt voraus, daß der Gehilfe einen physischen Beitrag zur Tatausführung geleistet hat. Sehr plastisch bezeichnen nordische Quellen den tätigen Gehilfen als "haldbani", das ist der22 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 173; Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 742 ff. 23 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 444; Rüping, Grundriß, S. 13; His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 116 f. 24 Beispiele daflir aus fränkischer Zeit s. oben S. 49 Anm. 17. Von den mittelalterlichen Quellen seien genannt: Brünner Schöffenbuch (herausgegeben von Rössler, Neudruck der Ausgabe Prag 1852, Aalen 1963),519; 523 (Anstiftung zur Entführung bzw. zum Totschlag); Schwsp. Ldr. CLXXXVII; Freisinger Rechtsbuch (herausgegeben von Claußen, Weimar 1941), Art. 84 (beide Anstiftung zum Diebstahl). 25 Lex Fris. 2. Sogar im Ostfries. Ldr., Lib. III, Cap. 18 vom Anfang des 16. Jahrhunderts wird daran noch festgehalten. 26 Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 627 f.; His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 115 f.; Osenbrüggen, ZDR Bd. 18 (1858), S_ 89. 27 Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 743; Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 628 ff. 28 His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 117 f. Besonders instruktiv ist insoweit eine Gegenüberstellung der Strafandrohungen im Brünner Schöffenbuch, wonach einerseits der Anstifter zur Tötung stets wegen Mordes bestraft wird (523), andererseits die Anstiftung zur Entführung milder als die Täterschaft bestraft wird (515; 520). 29 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 173, 443; Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 745; His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 118 ff_ 30 Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 744 ff; vgl. auch Osenbrüggen, ZDR Bd. 18 (1858), S. 84 f.

n. Römischrechtliche und deutschrechtliche

Ausgangspunkte

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jenige, der bei der Tötung das Opfer festhält 31 . Der Begriff wird verallgemeinernd auch auf die handtätige Teilnahme überhaupt bezogen. Im Unterschied dazu ist Folger jeder, der an Ort und Stelle in feindlicher Absicht anwesend ist, um erforderlichenfalls dem Täter Beistand zu leisten. Zuweilen macht sich der Folger nur strafbar, wenn er bewaffnet i~t32. Während in fränkischer Zeit die Strafbarkeit der Beihilfe auf wenige Fälle beschränkt war, ist sie im Mittelalter in weitem Umfang anerkannt 33 . Zwar war sie meist nur für bestimmte Delikte ausgesprochen, doch hatte sie sich von ihrem ursprünglichen Bezugspunkt, den Bandenvergehen, gelöst. Wie bei der Anstiftung gab es auch bei der Beihilfe manchmal eine nur subsidiäre Haftung für den Fall, daß das Vermögen des Täters für die Erbringung des Sühnegeldes nicht ausreicht 34 • In der Regel wurde der Gehilfe milder bestraft als der Täter 35 . Bisweilen bestand zwar im Grundsatz eine gleiche Strafbarkeit, doch konnte der Gehilfe die verwirkte Todesstrafe gegen Bußzahlung ablösen 36 . Gleiche Strafe für Täter und Gehilfe war bei gewissen Taten häufig aus Abschrekkungsgründen (z.B. oft bei Notzucht) vorgesehen 37 • Eine Eigenart der Erfassung der Beteiligungsverhältnisse bestand im deutschen Recht darin, daß in fränkischer Zeit und teilweise auch noch im Mittelalter die Höchstzahl der Beteiligten einer bestimmten Kategorie f~stgelegt

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S.22.

Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 611; His, Geschichte des deutschen Strafrechts,

32 Sehr ausführlich zur Gefolgschaft Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 612 ff.; His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 121, 129 f. 33 In fränkischer Zeit wurde der Gehilfe - wenn überhaupt - entweder als Beteiligter an einem Bandenverbrechen bestraft (z.B. nach Lex Sa!. XIII, H 1 ff. bei Frauenraub ) oder wegen eines verselbständigten Beihilfe-Delikts (z.B. weil er einen vor seinen Verfolgern Fliehenden aufgehalten hatte, damit seine Feinde ihn töten konnten - s. Lex Baiuv. 4, 26). Einzelheiten zur Strafbarkeit der Beihilfe im Mittelalter bei His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 118 ff. mit umfangreichen Quellen-Nachweisen. Recht fortschrittliche Beschreibungen der Beihilfe enthalten schon der Mainzer Reichslandfrieden von 1235 (abgedruckt in der von Zeumer bearbeiteten Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., Tübingen 1913), Cap. 4 und das Stadtrecht von Goslar (herausgegeben von Ebel, Göttingen 1968), 2. Buch I, S 63. 34 His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 132 f. Eine derartige Regelung findet sich später noch im Ostfries. Ldr., Lib. III, Cap. 18. 35 Ausführlich His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 134 ff.; s. auch Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 173,443. 36 His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 136. 37 His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 138 ff. Folgende Beispiele seien genannt: Ssp. Ldr. III, 1, SI; Schwsp. Ldr. CCIX; Mühlhäuser Reichsrechtsbuch (herausgegeben von Meyer, Weimar 1934),4.6,9 (alle für Beihilfe zur Notzucht); Ssp. Ldr. II, 13, S 6; Schwsp. Ldr. CLXXXVIII, S 2; CXCV (beide für Beihilfe zu Diebstahl und Raub); Freisinger Rechtsbuch, Art. 86; Brünner Schöffenbuch 302 (beide für Beihilfe zum Diebstahl).

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2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

war 38 • Das führte zu einer starken Formalisierung der Zuordnung der einzelnen Beteiligten zu den verschiedenen Beteiligungsformen. Folgendes Beispiel 39 mag dies verdeutlichen: Wird ein freier Mann in seinem Haus von einer Bande überfallen und getötet, dann zahlt nach der Lex Salica jeder Täter das dreifache Wergeld. Täter können aber niemals mehr als drei Personen sein. Von den übrigen Bandenmitgliedern müssen die ersten drei 90 Schillinge, drei weitere 45 Schillinge zahlen. Weitere etwaige Beteiligte gehen straffrei aus. Wohl als Nachwirkung der ursprünglichen Straflosigkeit der Teilnahme werden die Folger bisweilen überhaupt nicht bußfällig40. Zu ergänzen ist noch, daß in dem oben wiedergegebenen Beispiel als Totschläger nur so viele Personen (höchstens allerdings drei) belangt werden können wie der Leichnam Wunden aufweist. Die Beschränkung der Anzahl der Täter bei Tötungs- und Körperverletzungsdelikten nach der Zahl der (tödlichen) Wunden steht durchaus nicht einzigartig da, sondern findet z. B. in sächsischen Quellen Parallelen 41. In dieser Erscheinung treffen zwei Charakteristika des altdeutschen Rechtsdenkens zusammen: die Formalisierung und Bildhaftigkeit, wodurch die Isolierung einzelner typischer Hancl1ungen und ihre Betrachtung als selbständige Delikie 42 gefördert wurden. Die häufige Ausgestaltung einzelner, besonders einprägsamer Teilnahmehandlungen zu eigenständigen Delikten leitet sich also aus spezifischen Entstehungsbedingungen ab. Hier wäre zunächst der Verrat (mhd. verratnis) zu nennen. Er besteht darin, daß jemand das Leben oder Gut eines Genossen einem anderen in die Hände spielt. Meist handelte es sich um Anstiftung oder Beihilfe zur Tötung, indem jemand das Leben eines anderen dem Feinde preisgab 43. Ein verselbständigtes Behilfedelikt von besonderer Anschaulichkeit ist das Verleihen von Waffen, mit denen dann ein Mensch getötet oder verletzt wurde 44 . In dieser Neigung zur Verselbständigung von Teilnahmehandlungen offenbart sich eine Sicht der Beteiligungsverhältnisse, die nicht der Gefahr entgeht, den Beitrag des einzelnen in seiner Bedeutung als Mitwirkung an einem 38 His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 142; vgl. auch Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 616 ff. Zu den auch vorhandenen Fällen geringerer oder gänzlich fehlender Differenzierung s. Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 747 ff. 3. Lex Sal. XLII, S 3. Weitere Beispiele Lex Sal. XLIII, § 3; Lex Rib. 64 (beide ebenfalls für Totschlag); Lex Sal. XIII, SS 1 ff.; Lex Rib. 34 (beide für Frauenraub). 40 z.B. Lex Baiuv. 4, 23 f. (keine Folgerbuße bei der Heimsuchung). Siehe auch Brun· ner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 749 mit weiteren Beispielen. 41 Sogar noch im Mittelalter: Ssp. Ldr. III, 46, § 2. Zu dieser Eigentümlichkeit s. auch Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 173,443; Eb. Schmidt, Einführung, S. 73 f.; His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 113. 42 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 173 f.; Schröder/v. Künßberg, Rechtsge· schichte, S. 380 f.; His, Geschichte des deutschen Strafrechts, S. 23. 43 His, Strafrecht des deutschen Mittelalters I, S. 145, 147 ff. Aus den zahlreichen Quellen s. z.B. Ssp. Ldr. II, 13, § 4. 44 z.B. Ed. Roth. 307. Weitere Quellen-Nachweise bei Brunner/v. Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 749 f. und Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 625 f.

IB. Die ital. Strafrechtswissenschaft des Mittelalters

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Gesamtgeschehen aus dem Auge zu verlieren 45 • Die starke Täterzentriertheit des deutschen Rechts hat mit einer gewissen Folgerichtigkeit zu einer Vervielfachung der Einzeltatbestände und zu einer retardierenden Tendenz bei der Entwicklung von Teilnahmeregelungen geführt.

III. Die italienische Strafrechtswissenschaft cJes 13.-16. Jahrhunderts Anknüpfend an das römische Recht erlebte die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Strafrecht im mittelalterlichen Italien eine erste Blüte. Während die Glossatoren im 12. und frühen 13. Jahrhundert sich auf die exegetische Behandlung des Corpus Iuris Civilis konzentrierten 46, begann bei den Postglossatoren seit etwa 1250 eine selbständige Verarbeitung der Quellen mit dem Ziel, dem römischen Recht eine den Bedürfnissen der damaligen Zeit entsprechende Gestalt zu verleihen. Das erste strafrechtliche System entwickelte Gandinus Ende des 13. Jahrhunderts in seinem Tractatus de maleficiis. Er behandelt darin auch Fragen aus dem Bereich von Täterschaft und Teilnahme. Die in der italienischen Strafrechtswissenschaft des Mittelalters übliche Differenzierung zwischen mehreren Formen des auxilium ist ansatzweise schon in der von Gandinus getroffenen Unterscheidung zwischen der Beihilfe ad ipsum homicidium und der dem entfliehenden Mörder geleisteten Fluchthilfe 47 vorhanden. Während die vorherrschende Auffassung Bartolus folgend drei Arten unterschied, nämlich das au xilium ante delictum, in delicto und post delictum 48, beschränkte sich Aretinus auf eine Zweiteilung in das auxilium ante und post delictum 49 . Noch keine Anzeichen gab es jedenfalls für die Ausgliederung von Begünstigung und Strafvereitelung aus der Teilnahmeform des auxilium und ihre Anerkennung als selbständige Delikte. Diese Trennung läßt sich nur bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Sie erscheint erstmals bei Boehmer und setzte sich nur langsam durch 50 • ., Vgl. Engelmann, Binding-Festschrift 11, S. 399 f. 46 Über die Glossatoren informiert ausführlich Savigny, Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter V, S. 222 ff., speziell zur Exegese, S. 230 f. 41 Gandinus, Tractatus de maleficiis, Rub. De homicidiarüs, fol. 31. 48 Bartolus, Commentaria in secundam Digesti Novi partem, Rub. De furtis, lex In furti, S Ope n.2-4 (fol. 140); Salicetus, Commentaria super nono Codicis, Rub. De raptu virginum, lex I n.19 (Sp. 1031 f.), in: Opera omnia, Vol. 11; vgl. auch Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 130-132 (S. 430 ff.); weitere Nachweise bei Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 8. 49 Aretinus, Tractatus de maleficiis, Rub. Andream auxiliatorem, fol. 15; vgl. auch Bossius, Practica et Tractatus varii, Tit. De homicidio n.33 f. (S. 231 f.). so Dazu Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 273 ff.

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2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

Für die Strafbarkeit des auxilium war indessen nur nach vereinzelt anzutreffender Ansicht die zeitliche Einteilung maßgeblich SI. Auch insofern hat bereits Gandinus die Grundlagen für die von der italienischen Wissenschaft in den folgenden Jahrhunderten überwiegend vertretene Lehre gelegt: Danach war das auxilium, quod causam dedit delicto wie die Täterschaft zu bestrafen, die nicht kausale Beihilfe dagegen milder s2 • Besonders zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang Farinacius, der das auxilium nur dann als kausal ansieht, wenn ohne es die Tat unterblieben wäre S3 , während dieses verschärfte Erfordernis ansonsten nicht aufgestellt wird 54. Bei Aretinus, der die Beihilfe der Täterschaft in bezug auf die Strafbarkeit völlig gleichstellt SS , findet sich ein interessanter Hinweis auf die psychische Beihilfe: Als "auxilium cum armis" sei schon die bloße Anwesenheit mit Waffen am Tatort anzusehen, denn auch wenn der Gehilfe sein Schwert nicht einmal gezogen habe, sei dies ausreichend, um den Angreifer mutiger zu machen und das Opfer einzuschüchtern S6 . Das auxilium um faßt jedoch nur einen Teil der psychischen Beihilfe. Es kommt an dieser Stelle eine Beteiligungsform ins Spiel, die weder der Anstiftung noch der Beihilfe nach moderner Terminologie zugeordnet werden kann, das consilium s7 • Die mit Worten geleistete psychische Beihilfe ist consilium, denn der Unterschied zwischen consilium und auxilium besteht darin, daß das consilium "fit verbis, auxilium vero facto"S8. Andererseits ist nicht jede intellektuelle Einwirkung auf den Täter als consilium zu SI So vor allem Ba/dus, Commentaria super nano Codicis, Rub. De crimine peculatus, fol. 233. Die neue Begriffsbildung, die das auxilium proximum und das auxilium remotum voneinander abhebt, bringt keine neuen Sachgesichtspunkte zum Tragen. Sie bedeutet bei Baldus, daß das auxilium in delicto wie die Täterschaft, die (zeitlich) entfernte Beihilfe milder zu bestrafen sei. Demgegenüber bezieht Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 130 n.53 (S. 436) die Unterscheidung zwischen auxilium proximum und remotum nicht auf die zeitlichen Verhältnisse, sondern auf die Kausalität. Zum ganzen vgl. auch Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 16 ff. mit weiteren Nachweisen. 52 Gandinus, Tractatus de maleficiis, Rub. De homicidiariis, fol. 31; Salicetus, Commentaria super nano Codicis, Rub. De raptu virginum, lex I n.24 lt. b. (Sp. 1033), in: Opera omnia, Val. H; Bossius, Practica et Tractatus varii, Tit. De homicidio n.33 (S. 231); Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit; XV, quaest. 130 n.1 ff. (S. 430), n. 42 ff. (S. 434 f.), quaest. 131 n.40 (S. 444). Die Entwicklung von der ursprünglich gleichen Strafbarkeit für Täter und alle Gehilfen auf der Grundlage des römischen Rechts zu einer differenzierenden Anschauung beschreibt Enge/mann, Binding-Festschrift H, S. 545 ff. 53 Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 130 n.55 (S. 437). 54 Dazu ausfiihrlich Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 11 ff. ss Aretinus, Tractatus de maleficiis, Rub. Dicta maleficio sem per astitit, fol. 44. Damit schließt er sich im wesentlichen Barto/us, Commentaria in secundam Digesti Novi partern, Rub. De furtis, lex In furti, S Ope n.2,3 (fol. 140) an, der jedenfalls das auxilium ante delictum und in delicto gleich der Täterschaft strafen will. 56 Aretinus, Tractatus de maleficiis, Rub. Dictus andreas armatus, fol. 43. 57 Allerdings scheint der Schwerpunkt auf der anstiftenden Beeinflussung des Täters zu liegen, s. Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 26 f.; Enge/mann, Binding· Festschrift H, S. 419 f.; Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 180. 58 Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 129 n.4 (S. 411).

III. Die ital. Strafrechtswissenschaft des Mittelalters

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klassifizieren. Aus dem Bereich der Anstiftung erfaßt es nur diejenigen Fälle, in denen sie im Interesse des Angestifteten erfolgt ist. Die Anstiftung im Interesse des Anstifters ist mandat um 59. Dieser begrifflichen Dreiteilung in auxilium, consilium und mandatum korrespondiert die unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Strafbarkeit nicht. Während man beim consilium zwischen der der Täterschaft gleichgestellten anstiftenden Form und der milder zu bestrafenden Beihilfeform 6o unterschied, war beim mandatum umstritten, ob es desgleichen wie die Täterschaft 61 oder sogar schärfer zu bestrafen sei, weil der mandans sich zusätzlich "in alium quem corrumpit" vergehe 62 • Hier liegen also die Wurzeln der Schuldteilnahmetheorie, die in der späteren Dogmengeschichte 63 noch beachtliche Bedeutung erlangen sollte. Das mandat um zeigt gegenüber der Anstiftung im modernen Sinne einige Besonderheiten, die für das italienische Rechtsdenken des Mittelalters charakteristisch sind. Wie Engelmann in seiner Studie über den geistigen Urheber des Verbrechens eingehend belegt hat, folgt das mandatum in mannigfacher Weise den zivilrechtlichen Regeln des Auftrags 64 • So ist z.B. die Möglichkeit des Widerrufs ohne Rücksicht darauf, ob dadurch der Entschluß des Täters, das Verbrechen auszuführen, beseitigt wird, bei rechtsgeschäftlicher Betrachtungsweise ohne weiteres verständlich, wirkt an spezifisch strafrechtlichen Vorstellungen gemessen jedoch befremdlich. Ähnlich verhält es sich mit der Wirksamkeit von Bedingungen, Befristungen usw. Das zivilrechtliche Denken beherrschte als Erbe aus römischer Zeit das Strafrecht noch weitgehend. Dies wird außer beim mandatum bei einer weiteren Teilnahmeform besonders plastisch: Die ratihabitio ist die nachträgliche "Genehmigung" einer von einem anderen be59 Bartolus, Commentaria in secundam Digesti Novi partem, Rub. De iniurüs et famosis libellis, lex Non solum, S Si mandato meo n.2 (fol. 155) und n.22 (fol. 156); Bossius, Practica et Tractatus varü, Tit. De mandato ad homicidium n.61 (S. 255); Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 129 n.9 (S. 411) mit dem Zusatz: est communis Doctorum opinio. 60 Die mildere Bestrafung wurde damit begründet, daß der Teilnehmer nicht "causa delicti" geworden sei: Salicetus, Commentaria super nono Codicis, Rub. De raptu virginum, lex I n.17 (Sp. 1031), in: Opera omnia, Vol. 11; Bossius, Practica et Tractatus varü, Tit. De mandato ad homicidium n.58 f. (S. 255). Zur Differenzierung bei der Strafbarkeit ausführlich Engelmann, Binding-Festschrift 11, S. 557 ff. mit weiteren Nachweisen. 61 Für gleiche Bestrafung z.B. Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 135 n.6 (S. 491); dazu umfangreiche Ausführungen bei Engelmann, Binding-Festschrift 11, S. 539 f., 599 ff. 62 Bossius, Practica et Tractatus varii, Tit. De mandato ad homicidium n.l (S. 246). Nach Engelmann, Binding-Festschrift 11, S. 599 war die Argumentation mit der größeren Strafwürdigkeit nur dazu bestimmt, sich gegen eine mildere Bestrafung zu wenden und gleiche Strafbarkeit mit der Täterschaft zu begründen. 63 Dazu Lange, Die notwendige Teilnahme, S. 36 ff. 64 Engelmann, Binding-Festschrift 11, S. 445 ff., 452 f.; s. auch Dahm, Das Strafrecht Italiens, S. 209 f.

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2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

gangenen Straftat 65 • Hier wurde die Figur der Vertretung ohne Vertretungsmacht mit der Möglichkeit, sie durch Genehmigung wirksam werden zu lassen, ins Strafrecht übertragen. Die zivilrechtlichen Hintergründe der strafrechtlichen Verantwortlichkeit beim mandat um bringen auch Licht in die umstrittene Frage, inwieweit die Akzessorietät der Teilnahme schon von den Italienern erkannt worden ist. Während Heimberger an dieser Stelle recht moderne Vorstellungen wiederzufinden glaubt, sind Engelmann und im Anschluß an ihn Schaffstein deutlich zurückhaltender. Als Ausgangspunkt ist zunächst festzuhalten, daß auxiliator und consultor 66 , aber auch der mandans 67 nicht abgeurteilt werden können "nisi constet de delicto principalis". Zu unterschiedlicher Auslegung hat vor allem der auf Bartolus zurückgehende Satz "Mandans obligatur non ex mandato, sed ex delicto subsecuto propter mandatum,,68 Anlaß gegeben. Heimberger sieht hierin bereits eine Formulierung der Lehre von der Unselbständigkeit der Teilnahme gegenüber der Haupttat 69 • Unter Hinweis auf das von zivilrechtlichen Kategorien bestimmte Denken in jener Epoche will Engelmann das mandatum dagegen als geistige Urheberschaft und damit die vom physischen Täter begangene Tat als ein Verbrechen des Mandanten deuten 70. Das mandatum wäre dann nach moderner Terminologie keine Teilnahmeform, sondern Täterschaft. Bei Berücksichtigung der am Modell des Rechtsgeschäftes orientierten Zurechnungslehre erscheint es in der Tat naheliegend, den Grundsatz, daß der mandans "ex delicto" und nicht "ex mandato" zur Verantwortung gezogen werde, dahingehend zu interpretieren, daß diese Form der Täerschaft eine durch den Mandatar vermittelte Ausführung der Tat voraussetzt, die dem Mandanten als eigene zugerechnet wird. So gesehen, hätten wir es beim mandatum mit der Konstellation zu tun, die unter dem Stichwort des Täters hinter dem Täter bekannt ist 71 • Auf diesem Hintergrund 65 Zur ratihabitio s. z.B. Engelmann, Binding-Festschrift II, S. 519 ff.; Dahm, Das Strafrecht Italiens, S. 208 ff. 66 Salicetus, Commentaria super nono Codicis, Rub. De raptu virginum, lex I n.25 (Sp. 1035), in: Opera omnia, Vol. II; Bossius, Practica et Tractatus varii, Tit. De delicto n.34 f. (S. 6); Farinacius, Opera Criminalia, Pars. Quinta, Tit. XV, quaest. 131 n.54 (S.446). 67 Bossius, Practica et Tractatus varii, Tit. De delicto n.34 f. (S. 6), Tit. De mandato ad homicidium n.2 (S. 246); Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 135 n.31 (S. 492). 68 Bartolus, Commentaria in secundam Digesti Novi partem, Rub. De iniuriis et famosis libellis, lex Non solum, S Si mandato meo n.9 (fol. 155); ihm folgend z.B. Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 135 n.8 (S. 491). 69 Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 36; beipflichtend Schlutter, Zur Dogmengeschichte der Akzessorietät der Teilnahme, S. 14 ff.; ebenso Dahm, Das Strafrecht Italiens, S. 225. 70 Engelmann, Binding-Festschrift II, S. 452 f. 71 In der Tat hält Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, S. 17 diesen historischen Zusammenhang für plausibel.

In.

Die iul. Strafrechtswissenschaft des Mittelalters

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mag es auch zweifelhaft werden, ob der im mittelalterlichen italienischen Schrifttum gängigen Kennzeichnung des man dans als accessorius im Verhältnis zum principalis 72 der Sinngehalt des modernen Begriffs der Akzessorietät beigelegt werden darf13 • Immerhin wird bereits betont, daß "facientis delictum" aus sich heraus Bestand hat (stat per se), während das beim mandat um gerade nicht der Fall sei 74 • Aufschlußreich für die Beurteilung der Frage, ob die akzessorische Natur der Teilnahme schon von der italienischen Jurisprudenz in ihren Grundzügen erkannt worden ist, kann ihre Stellungnahme zur Behandlung besonderer täter- bzw. tatbezogener Merkmale bei der Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen sein. Den Anfang der Entwicklung setzt hier wieder das Justinianische Recht, das nach der lex Pompeia de parricidüs beim Verwandtenmord eine nach verwandten und nichtverwandten Beteiligten differenzierende Betrachtungsweise nicht zuließ 75 • Gandinus äußert sich zu diesem Punkt noch nicht. Er betont lediglich, daß es dem Teilnehmer nicht zugute kommt, wenn der Täter schuldlos gehandelt habe, wohl aber wenn nicht festgestellt werden könne, daß überhaupt ein Verbrechen begangen worden sei 76 • Bartolus wiederholt diesen Grundsatz und fügt als Beispiel hinzu: "Nam licet furiosus absolvatur nihilo minus mandator tenetur" 77 • Darüber hinaus entwickelt er erstmals eine Lehre vom Einfluß unterschiedlicher "qualitates" auf die Bestrafung der Beteiligten. Er bildet drei Gruppen: Straferhöhende Umstände außerhalb des Tatgeschehens (Beispiel: furtum manifestum) sollen nur demjenigen zugerechnet werden, bei dem sie vorliegen 78. Dagegen wirken tat- und täterbezogene Merkmale, die im Zeitpunkt der DeIiktsverwirklichung vorliegen (Beispiele: Tatausführung zur Nachtzeit; Angehörigeneigenschaft) nach Bartolus auch gegen den Teilnehmer 79 • Umgekehrt sollen straferhöhende Merkmale, die nur beim Teilnehmer gegeben sind (Beispiel: wiederum Angehörigeneigenschaft), dazu führen, daß er im Verhältnis zum Täter entsprechend schwerer bestraft wird 80. An dieser Lösung fällt auf, daß auch täterbezogene strafschärfende Merkmale zu Lasten des Teilnehmers dem Akzessorietätsprinzip unterworfen 72 z.B. Bossius, Practica et Tractatus varii, Tit. De mandato ad homicidium n.2 (S. 246); Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 135 n.5 (S. 490 f.). 73 Entschieden dagegen Enge/mann, Binding-Festschrift II, S. 476 ff.; im Anschluß an ihn auch Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 203. 74 Nachweise s. Anm. 72. 75 Enge/mann, Binding-Festschrift II, S. 503. 76 Gandinus, Tractatus de maleficiis, Rub. De homicidiariis (fol. 31). 77 Barto/us, Commentaria in secundam Digesti Novi partem, Rub. Ad legem Iuliam de adulteriis, lex Adulter, S Si eo tempore n.2 (foI.190). 78 Barto/us, Commentaria in secundam Digesti Novi partem, Rub. De furtis, lex Is qui opem n.1, S (fol. 137). Barto/us, Commentaria in secundam Digesti Novi partem, Rub. De furtis, lex Is qui opem n.S (fol. 137). 80 Bartolus, Commentaria in secundam Digesti Novi partem, Rub. De furtis, lex Qui servo, S Item placuit n.2 (fol. 138).

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2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

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werden. Dieser "Mißgriff" dürfte darauf zurückzuführen sein, daß Bartolus sich in diesem Punkt noch nicht von der bereits erwähnten lex Pompeia de parricidüs gelöst hatte 81 • Aus diesem Grunde trat ihm Baldus entgegen, der die strafschärfende Wirkung täterbezogener Merkmale in allen Fällen (nur) auf denjenigen erstreckte, bei dem sie vorliegen 82 • Die Akzessorietät der tatbezogenen Merkmale bejahte er in Übereinstimmung mit Bartolus 83 • Damit hat das komplizierte Problem der Bestimmung der Grenzen der Akzessorietät im Grundsatz bereits durch Bartolus und Baldus die Lösung gefunden, die in der Gegenwart noch gültig ist. Nicht erst heute werden diese Fragen aus dem Bereich von Täterschaft und Teilnahme als besonders schwierig empfunden; Schon Farinacius klagte wiederholt: "Haec materia est multum intricata ,,84 •

IV. Die Rezeption und das gemeine Recht 1. Die Übernahme der italienischen Teilnahmedoktrin im 16. und 17. Jahrhundert Gemessen am Stand der italienischen Wissenschaft ist die deutsche strafrechtliche Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts dadurch gekennzeichnet, daß sie im wesentlichen die Lehren der Italiener verarbeitete und eigenständige Leistungen im Sinne produktiver (Weiter-)Entwicklung und Überschreitung der vorgefundenen Denkkategorien vermissen läßt. Dabei entfaltete sich das rezipierte Gedankengut im wesentlichen vor dem Hintergrund der Constitutio Criminalis Carolina (1532), dem Rezeptionsgesetz mit der nachhaltigsten Wirkung. Für die Teilnahmelehre bedeutet die Rezeptionsgesetzgebung insofern einen wichtigen Schritt nach vorn, als sie erstmalig allgemein gehaltene Regelungen bringt. Der in diesem Zusammenhang stets zitierte Art. 177 CCC ist indessen nicht ohne Vorbild. Die erste gesetzlich niedergelegte Teilnahmevorschrift, die von den einzelnen Delikten losgelöst ist, findet sich in der Constitutio Crirninalis Bambergensis (1507). Das Verdienst, eine bis dahin noch nicht gelungene Abstrahierung vorgenommen zu haben, dürfte damit Schwarzenberg als dem Schöpfer der Bambergensis zuzusprechen sein.

Engelmann, Binding-Festschrift II, S. 504 f. Baldus, Commentaria super nono Codicis, Rub. De accusationibus et inscriptionibus, lex Non ideo minus n.11, 13 (fol. 217). 83 Zum ganzen, insbesondere auch zur Kontroverse, s. Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 37 ff.;Engelmann, Binding-Festschrift II, S. 504 ff. 84 Farinacius, Opera Criminalia, Pars Quinta, Tit. XV, quaest. 129 n.101 (S. 421), quaest. 131 n.44 (S. 445), quaest. 135 n.34 (S. 493). 81

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Art. 203 CCB lautet:

Von straff der furderung, trostung, hilff, vrsachen, vnd furschieben der misstetter. Item So yemant einem misstetter zu vbung einer misstat wissenlicher vnd geuerdlicher weyss eincherley hilff vnd beystandt thut vrsach, tröstung, oder furderung, darzu gibt, wie das alles namen haben mage, ist peynlich zustraffen, Aber (als vor stet) in einem fall anderst dann in dem andern, Darumb söllen in disen fellen, die vrteyler mit berichtung der verhandlung, auch wie sölchs an leyb oder leben sol gestrafft werden Rats pflegen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat sich Schwarzenberg bei Formulierung dieser Norm auf die Wormser Reformation (1498) gestützt 85 , die in Buch 6, Teil 2, Titel 19 Abs. 5-8 eine Teilnahmeregelung für den Totschlag enthält, welche sich ihrerseits stark an Gandinus anlehnt. Deren enger äußerer Bezug zur italienischen Lehre (beispielsweise kehrt die Unterscheidung des auxilium causam dans und causam non dans in den Abs. 5 und 6 wieder) tritt dann in der Bambergensis zugunsten der abstrahierenden Tendenz zurück. Auf der Rechtsfolgenseite macht sich dies dahingehend bemerkbar, daß mit der Anweisung, über die Bestrafung sei Rats zu pflegen, nur eine recht globale - wenngleich durch Art. 219 CCC näher erläuterte - Regelung getroffen wird, die im wesentlichen als Hinweis auf die Lehren der Italiener zu verstehen ist, während in der Wormser Reformation exakte Anordnungen zu finden sind (z.B. Handabschlagen für auxilium causam non dans). Die Anstiftungsvorschrift der Wormser Reformation (Abs. 8: Wo einer den andern hiesse. oder zurichte. vnd gelt gebe yemandt todt zuschlagen ... ) tritt in abstrakt gefaßter Form (vrsach ... darzu gibt) in Art. 203 CCB wieder in Erscheinung. In diesem Punkt ist die auffälligste Textabweichung des Art. 177 CCC gegenüber der Bambergensis zu ver~eichnen. Man wird nicht mehr als Mutmaßungen darüber anstellen können, was die Streichung des Wortes "vrsach" in der Carolina zu bedeuten hat. Jedenfalls spricht manches dafür, daß der Umfang der strafbaren Teilnahme nicht reduziert werden sollte 86 • Ein gewisses Indiz in dieser Richtung stellt Art. 49 CCC (inhaltlich gleich mit Art. 61 CCB) dar, der anordnet, daß jemand, der auf peinliche Frage "verreterey" gestanden hat, weiter darüber befragt werden soll "wer jn darzu besteh, vnnd was er darumb entpfangen, auch wo, wie, vnnd wann solchs beschehen sei, vnd was jn darzu verursacht habe". Dies deutet darauf hin, daß die Anstiftung zur "verreterey" nach der Carolina strafbar ist. Da der dieses Delikt betreffende Art. 124 CCC keine spezielle Anstiftungsregelung enthält, liegt es nahe, daß Art. 177 CCC als anwendbar angesehen wurde. Gegen die Einbeziehung der Anstiftung in Art. 177 CCC kann auch nicht eingewandt werden, daß die spezielle Ausführlich dazu Brunnenmeister, Die Quellen der Bambergensis, S. 123 ff. Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 85 f.; Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 171 f. Anm. 5; vorsichtig zur Gegenansicht tendierend Brunnenmeister, Die Quellen der Bambergensis, S. 129 Anm. 4. 8. 86

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2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

Anstiftungsregelung für den Meineid (Art. 107 CCC) als Ausnahmevorschrift einen Umkehrschluß zulasse, demzufolge die Anstiftung in den anderen Fällen straflos sei. Diese Argumentation würde der Carolina eine systematische Folgerichtigkeit unterstellen, die der historischen Realität nicht gerecht wird. Das zeigt sich daran, daß auch eine spezielle Beihilfevorschrift existiert (in Art. 111 CCC, der die Falschmünzerei behandelt), obwohl Art. 177 CCC diesen Bereich unbestritten abdeckt. Im übrigen gibt es in der Bambergensis sowohl für die Anstiftung zum Meineid als auch für die Beihilfe zur Falschmünzerei jeweils eine der Carolina entsprechende Spezialnorm (Art. 128, 136 CCB), obschon Art. 203 CCB Anstiftung und Beihilfe abstrakt regelt. Derartige Überschneidungen sind also nichts außergewöhnliches für die damalige Zeit. Die Gesetzgebung seit der Bambergensis und der Carolina zeigt bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ein wenig erfreuliches Bild. Gelegentlich werden die die Teilnahme betreffenden Vorschriften den einschlägigen Artikeln der Carolina nachgebildet; überwiegend fällt die Gesetzgebung jedoch hinter den Stand der mit Art. 177 CCC erreichten Entwicklung zurück und behandelt die Teilnahme wieder nur bei einzelnen Delikten. Von den Reichspolizeiverordnungen (1530, 1548 und 1577) bis zum Verbesserten Landrecht des Königreichs Preußen (1721) ist eine stagnierende Phase zu beobachten 87. Bis sich am Anfang des 18. Jahrhunderts der Einfluß der Naturrechtslehre auf die Lehre von Täterschaft und Teilnahme bemerkbar macht, bleibt diese bei der italienischen Doktrin stehen und erschöpft sich im wesentlichen in endlosen Wiederholungen der bekannten, bereits dargestellten Grundsätze 88 • Die Einteilung der Beihilfe in eine solche vor, in und nach der Tat findet sich in der deutschsprachigen Literatur erstmals bei Rauchdorn 89 • Auch die für die Bestrafung wichtige Unterscheidung zwischen dem auxilium causam dans und causam non dans kehrt wieder. Als kausale Beihilfe wird nicht nur diejenige angesehen, ohne die das Verbrechen nicht hätte begangen werden können, sondern auch eine solche, ohne die es "non tam facile" hätte ausgeführt werden können 90. Vielfach wurde das Begriffspaar auxilium proximum und remotum mit der Differenzierung unter Kausalitätsaspekten gleichgesetzt. Doch begannen sich vorsichtig Entwicklungstendenzen bemerkbar zu machen, die das simple Schema von kausaler und nicht kausaler Beihilfe in den Hintergrund treten ließen und sich statt dessen am Ausmaß der Beteiligung des Gehilfen am Gesamtgeschehen orientierten. Als Übergangsphase zwischen der alten Leh-

'7 Eine ins einzelne gehende Darstellung der Teilnahmegesetzgebung in dieser Epoche gibt Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 50 ff., 86 ff., s. auch seine zusammenfassende Beurteilung, S. 94 ff. •• Ausführlich Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 98 ff.; Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 172 ff. •• Rauchdorn, Practica, Das Dritte Theil, Blatt SI. '0 Berlich, Conclusiones practicabiles, Quinta Pars, Conclus. LV n.10; vgl. auch Damhouder, Praxis rerum criminalium, Cap. 133 n.3 (S. 418).

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re, die das auxilium proximum und remotum mit dem auxilium causam dans und causam non dans identifizierte, und der späteren naturrechtlich beeinflußten Unterscheidung von causa principalis und causa minus principalis kann die im 17. Jahrhundert gelegentlich zu beobachtende Interpretation des auxilium proximum als der Beihilfe, die durch Vornahme von Ausführungshandlungen geleistet wurde 9l , gelten. Auch Carpzov ist noch völlig von der italienischen Lehre geprägt. Die Behandlung des mandatum stellt sich fast ausschließlich als eine Zusammenstellung von zitatenhaften Wendungen dar 92 , wobei natürlich auch der berühmte Satz des Bartolus 93 , daß der mandans "ex ipso delicto propter mandatum, non tarnen principaliter ex mandato" verantwortlich sei, nicht fehlt 94 • Beim auxilium hält sich Carpzov im großen und ganzen ebenso an die hergebrachten Definitionen. Für das ante delictum geleistete auxilium proximum stellt er zwei besondere Voraussetzungen auf, von deren Erfüllung die Bestrafung mit der poena ordinaria abhängt. Es muß sich um eine "manu sua" erfolgte Mitwirkung handeln, die "causa immediata" des Erfolges geworden ist 95 • Bei der "causa immediata" handelt es sich nur um das gängige Kausalitätserfordernis, daß die Tat anderenfalls entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht so leicht hätte begangen werden können 96. Auch für die Beschränkung des auxilium auf physische Hilfeleistungen gibt es bei den Italienern schon Vorbilder 97 • Bemerkenswert ist vielleicht, daß Carpzov ein auxilium proximum, das mit der poena ordinaria zu bestrafen ist, beim Diebstahl an eine zusätzliche Bedingung knüpft: Der Gehilfe muß "lucrandi animo" gehandelt haben 98 • Eine neue Unterscheidung führt Carpzov beim consilium ein. Er wendet sich gegen die Einteilung in eine anstiftende und eine bestärkende Form und will nach dem Maß der Einflußnahme im Sinne einer Abstufung nach der Konkreti91 Matthaeus, De criminibus, Ad Lib. 48 Dig., Tit. XVIII, Cap. IV n.19 (S. 884); Struv, Dissertationes criminales VI, Thes. XIV; Berger, Electa, Cap. I, Abschn. IV, 3 (s. 10/ 11). Diese Auffassung knüpft wohl an Baldus an, bei dem das auxilium proximum gleichbedeutend mit dem auxilium in delicto, das auxilium remotum gleichbedeutend mit dem auxilium ante delictum ist (s. oben S. 54, Anm. 51), doch hat sich das Differenzierungs· kriterium von den äußerlichen Zeitverhältnissen auf einen die innere Struktur des Zusam· menwirkens bei der Deliktsverwirkl;~hung betreffenden Gesichtspunkt verschoben. 92 Carpzov, Practica nova, Par& I, quaest. 4 n.3 ff. (S. 28 f.). Vgl. auch das Urteil von Lobe, Die allgemeinen strafrechtlichen Begriffe nach Carpzov, S. 29: "Am schwächsten in der Darstellung und unklarsten in der Begriffsentwicklung ist bei Carpzov die Teilnah· me." Speziell zum mandatum, a.a.O., S. 36 ff. 93

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Nachweis s. oben S. 56, Anm. 68. Carpzov, Practica nova, Pars I, quaest. 4 n.13 (S. 29). Carpzov, Practica nova, Pars II, quaest. 87 n.14-16 (S. 406). Carpzov, Practica nova, Pars II, quaest. 87 n.17 (S. 406 f.). s. oben S. 54. Carpzov, Practica nova, Pars II, quaest. 87 n.15 (S. 406).

2. Teil: Die historische Entwickung der Teilnahmelehre

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sierung der erteilten Ratschläge differenzieren 99. Gemäß diesem später auch von anderen Autoren aufgenommenen Gedanken gibt es ein consilium nudum 100 bzw. simplex 101 oder auch generale 102 , bei dem nur ganz allgemein die Begehung des Delikts angeraten wird, und ein consilium speciale, bei dem der Ratschlag konkrete Vorschläge für einen günstigen Tatort usw. umfaßt. Es klingt darin bereits eine an Zurechnungsgesichtspunkten orientierte Betrachtungsweise an, die erst im 18. Jahrhundert zur Entfaltung kam. In der Tat begegnen wir bei Pufendorp03, Kress 104 und Boehmer 105 der Gliederung des consilium in diese Unter formen wieder.

2. Neue Impulse durch die Naturrechtslehre im 18. Jahrhundert Die tastenden, mehr ahnenden denn wissenden Schritte, die bereits im 17. Jahrhundert in Richtung auf ein neues Prinzip strafrechtlicher Begriffsbildung getan wurden, nahmen in der Imputationslehre Pufendorfs eine feste Gestalt an. Die Fragen im Bereich von Täterschaft und Teilnahme stellten sich dadurch erstmals seit den Zeiten des Gandinus in einem völlig anderen Lichte dar. Bezugspunkt der strafrechtlichen Verantwortlichkeit wurden nun die menschlichen Handlungen, soweit in ihnen eine "causa libera" wirksam ist und sie sich demzufolge dem naturgesetzlichen Determinationszusammenhang entziehen 106 • Die Zurechnung nach dem Maßstabe der frei gesetzten Ursache 107 läßt nicht nur die Verantwortlichmachung für eigene Taten zu, sondern unter der Voraussetzung durch Kausalität vermittelter Teilnahme auch für fremde 108 • Die bei Beteiligung mehrerer an einer Tat erforderliche Verteilung der Verantwortlichkeit nahm Pufendorf dadurch vor, daß er die Mitwirkung nach "Kausalitätsanteilen" zu gewichten versuchte, indem er zwischen der causa principalis und der causa minus principalis unterschied. Diese Lehre erbringt zwei bedeutsame Leistungen: Zum einen wird mit der "causa libera" ein übergreifendes Prinzip gefunden, als dessen spezielle Ausformungen die einzelnen Arten der Carpzov, Practica nova, Pars H, quaest. 87 n.5 f. (S. 405). Carpzov, Practica nova, Pars H, quaest. 87 n.6 (S. 405). 101 BergeT, Electa, Cap. I, Abschn. IV, 1 (S. 10). 102 Meckbach, Anm. zu Art. 177 CCC (S. 356 f.). 103 Pufendorf, Oe jure naturae et gentium, Lib. I, Cap. V, S 14 (S. 77); er macht die Unterscheidung zwischen dem consilium generale und speciale bezeichnenderweise im Zusammenhang mit der Erörterung der causa principalis und minus principalis. 104 Kress, Commentatio, Art. 177 Anm. 2 Ziff. 3 (S. 410). 105 Boehmer, Meditationes, Art. 177, S V (S. 843) mit dem erhellenden Zusatz, daß beide Arten des consilium zum Erfolge des Verbrechens beitragen, das eine mehr, das andere weniger, sich also nur dem Grade nach unterscheiden. 106 Pufendorf, Oe jure naturae et gentium, Lib. I, Cap. V, § 1 (S. 59); Wolff, Institutionesjuris naturae et gentium, Pars I, Cap. I, SI (S. 1/2) und S 3 (S. 2/3). 107 Oie Zurechnungslehre Pufendorfs wird ausführlich dargestellt bei Hardwig, Die Zurechnung, S. 35 ff.; s. auch Welzel, Oie Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, S. 21 ff.; 84 ff.;Moos, Oer Verbrechensbegriff, S. 76 f.; Holzhauer, HRG H, Sp. 335 ff. lOS Pufendorf, Oe jure naturae et gentium, Lib. I, Cap. V, S 14 (S. 73f.); Wolf!, Institutionesjuris naturae et gentium, Pars I, Cap. I, S 26 (S.13 f.). 99

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Beteiligung nun begriffen werden können 109 • Zum anderen werden die Beteiligungsformen als Verantwortungsbeiträge erfaßt, wodurch die Verbindung zur Strafzumessung hergestellt wird llo ; das ganze wird freilich in die nicht adäquate Kausalitäts-Terminologie eingekleidet. Angesichts dieser neuen Sicht führen die hergebrachten kategorialen Begriffe, die auch Pufendorf kennt und verwendet, gewissermaßen nur noch ein Schattendasein. Nicht mehr auxilium, consilium und mandatum stehen im Zentrum des Interesses, sondern die teleologische Verknüpfung von Beteiligungsform und Strafe. Die Umschmelzung der aus der italienischen Doktrin stammenden Begriffe unter dem Einfluß der Naturrechtslehre läßt sich exemplarisch am auxilium verfolgen. Aus den vielfältigen traditionellen Einteilungen schälte sich - wie bereits dargestellt - unter der Bezeichnung als auxilium proximum bzw. remotum im 17. Jahrhundert eine Differenzierung heraus, die von der bloß kausalen Betrachtung abrückte und auf die Art des Zusammenwirkens bei der Deliktsverwirklichung abstellte, indem sie die (Nicht-)Vornahme von Ausführungshandlungen zum entscheidenden Kriterium erhob ll1 • Die Ausführungshandlung repräsentierte dabei gewissermaßen eine besonders gewichtige Mitwirkungsweise, jedoch ohne daß die Abstrahierung auf den entscheidenden Gesichtspunkt, das Gewicht des Gehilfenbeitrags, schon erfolgt wäre. Dies gelang dann zu Beginn des 18. Jahrhunderts Kress, der das mit der Täterschaft gleichwertige bzw. nicht gleichwertige auxilium voneinander abhob und in dieser Abstufung auch den Grund für die unterschiedliche Bestrafung erblickte 112 • In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte die Lehre Pufendorfs dann soweit Eingang in das strafrechtliche Denken gefunden, daß das auxilium proximum und remotum als ein Anwendungsfall der Unterscheidung zwischen der causa principalis und minus principalis betrachtet wurde 113 • Mit der Herausbildung von Grundstrukturen in den Beteiligungsverhältnissen durch die Imputationslehre erlangte erstmals die Frage nach der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme Bedeutung. Pufendorfunterscheidet zwar scharf zwischen actiones propiae und alienae 114 , gibt aber keine Kriterien an, mit deren Hilfe sich der Verlauf der Grenze zwischen beiden bestimmen ließe. Einen Ansatzpunkt für die Lösung dieses Problems findet dann Ziegler in der Gegenüberstellung von physischer und moralischer Beteiligung. Allerdings leidet die neue Begriffsbildung an allzu großer Unschärfe 11s • Physische Beteili109 Zur Ausbildung des allgemeinen Teilnahmebegriffs s. Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 173, 189 ff. 110 Dazu Maiwald, Bockelmann·Pestschrift, S. 346 f. 111 s. oben S. 60 f. mit Nachweisen. 112 Kress, Commentatio, Art. 177 Anm. 2 Ziff. 4 (S. 411). 113 Boehmer, Meditationes, Art. 177, S II, Ziff. VIII (S. 840); Meister jun., Principia iuris criminalis, Pars I, Lib. I, Cap. III, § 40 (S. 30). 114 Pufendorf, Dejure naturae et gentium, Lib. I, Cap. V, § 14 (S. 73).

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2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

gung soll vorliegen, wenn von ihr der Erfolg der Tat unmittelbar abhängt, moralische Beteiligung sei gegeben, wenn der Erfolg dadurch zwar nicht unmittelbar berührt werde, er aber dennoch zugerechnet werden könne, als ob physische Beteiligung vorläge 116 • Immerhin zählt Ziegler auxilium, consilium und mandatum zum influxus moralis 117 , wodurch eine klare Aufgliederung der Beteiligungsformen in Täterschaft einerseits und Teilnahme mit verschiedenen Unterformen andererseits gelingt. Hervorzuheben ist dabei insbesondere, daß das mandatum nun unzweideutig der Teilnahme zugeordnet wird. Diese Entwicklungslinie setzt sich das ganze 18. Jahrhundert über fort 118 • Die konsequente Trennung von Täterschaft und Teilnahme unter dem leitenden Gesichtspunkt der unmittelbaren Erfolgsherbeiführung mündet im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in die explizite Ausformulierung der formalobjektiven Theorie. Allen voran ist hier Boehmer zu nennen, der Zieglers Terminologie soweit präzisiert, daß bei ihm als causa physica nur die Vornahme von Ausführungshandlungen gilt, während unter dem Begriff der causa moralis alle übrigen Beteiligungsmodalitäten zusammengefaßt werden 119. Im Sinne der formal-objektiven Theorie nehmen auch Piittmann 120; Koch 121 und Meister jun. 122 die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme vor, wenngleich die beiden letzteren auf die Verwendung des Begriffspaares causa physica und moralis verzichten. Meister jun. führt an dieser Stelle zudem die Unterscheidung zwischen dem auctor in sensu speciali und in sensu generali ein. Täter im weiteren Sinne sei jeder, der etwas zur Verwirklichung der Tat beiträgt. Damit ist die Möglichkeit entdeckt, den Täterbegriff restriktiv oder extensiv zu erfassen. Auch die Gesetzgebung bleibt vom Gang der Entwicklung nicht unberührt. Zunächst bringt der Codex Juris Bavarici Criminalis (1751) eine "Generalregel" für die Strafbarkeit der Teilnahme (Erster Theil, Zwölftes Capitel, § 1). Diese 115 Dazu Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 198 und Boldt, Böhmer und die gemeinrechtliche Strafrechtswissenschaft, S. 314. 116 Ziegler, Disputatio, S 15. 117 Ziegler, Disputatio, S 16. 118 s. Boehmer, Meditationes, Art. 177, § III (S. 840 f.); Koch, Institutiones iuris criminalis, Lib. I, Cap. IV, S XLVIII (S. 49); Meister jun., Principia iuris criminalis, Pars I, Lib. I, Cap. III, S 41 (S. 31). 119 Boehmer, Meditationes, Art. 177, S II, insbes. Ziff. II und V (S. 838[839); dazu ausführlich Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 198 f. und Boldt, Böhmer und die gemeinrechtliche Strafrechtswissenschaft, S. 316 ff.; beipflichtend Schlut· ter, Zur Dogmengeschichte der Akzessorietät der Teilnahme, S. 26. 120 Püttmann, Elementa iuris criminalis, Lib. I, Cap. I, § 50 (S. 23[24). Entgegen Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 222 f. dürfte Püttmann den Vertretern der formal.objektiven Auffassung zuzurechnen sein, wie Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 201 im einzelnen überzeugend dargelegt hat. 121 Koch, Institutiones iuris criminalis, Lib. I, Cap. IV, 55 XLI, XLII (S. 47). 122 Meister jun., Principia iuris criminalis, Pars I, Lib. I, Cap. III, § 39 (S. 29 f.).;

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allgemeinen Grundsätze sind im folgenden nach den einzelnen Beteiligungsformen gegliedert (H 5-8), wobei sich der Codex inhaltlich noch ganz in den Bahnen der von den Italienern übernommenen Lehren hält 123 . Die Bedeutung der Kodifikation liegt darin, daß sich mit ihr die Trennung der Teilnahmevorschriften von den einzelnen Delikten endgültig durchsetzt. Einen geschlossenen Allgemeinen Teil im modernen Sinne brachte der Codex freilich ebensowenig wie die Constitutio Criminalis Theresiana (1768), deren Erster Theil "von der peinlichen Verfahrung" handelt, also im Grundsatz eine Prozeßordnung darstellt, in die jedoch die allgemeinen Lehren miteingearbeitet sind l24 • Hier findet sich in Art. 3 § 6 eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Geiste der formal-objektiven Theorie: Eine Missethat wird begangen sowohl durch unmittelbare Thathandlung, als durch Zuthat, und Mitwirkung. Ersteres beschieht, wenn Jemand ent~eder allein, oder in Beyhülffe anderer Mitgespannen die Missethat selbst ausübet. Letzteres ergiebt sich, wenn Jemand bey Ausübung der Missethat zwar nicht selbst Hand anleget, jedoch auf ein- oder andere Art, als durch Geheiß, Befehl, Anrathung, Belobung, Gutheißung, Unterrichtung, Vorschub, und Hülffleistung, Einwillig- und Zulassung wissentlich- und gefährlicher Weis die Missethat veranlasset, oder befördert, und solchergestalt dabey mitwirket. Eine Gegenstimme, die das Verhältnis von Täterschaft und Teilnahme an subjektiven Bezugsmomenten ausrichten wollte, erhob sich zuerst in der im 18. Jahrhundert vereinzelt gebliebenen Lehre von Westphal. Er unterscheidet Urheber und Beyständer. Dabei komme es "bey den Handlungen nicht darauf an, wer sie vornimmt, sondern auf wessen Namen, nach wessen Willen, zu wessen Behuf dieselben geschehen,,125. Westphal gibt dann ein Beispiel 126 , das frappierend an die berühmte Badewannen-Entscheidung des Reichsgerichts 127 erinnert: "Wenn jemand also einen Todtschlag verübt, kommt es sehr darauf an, ob er es für sich oder um eines andern Willen thut. Nur im ersten Falle ist er der Urheber, im andern aber der Beyständer. Dieser Beyständer hat denjenigen, für welchen er die That verrichtet, und welcher ihm die Sache befohlen oder aufgetragen, zum Urheber, ohnerachtet dieser bey Ausführung der Tat nicht Hand angelegt." Natürlich liegt es bei Zugrundelegung dieser Auffassung nahe, das mandatum als mittelbare Täterschaft zu interpretieren. Westphal prägt dafür die plastische Formel, daß mandans und mandatarius "für Eine Person gerechnet" würden 128, die klar erkennen läßt, daß er die Begriffe Urhe123 Ausführliche Darstellung der Einzelheiten bei Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 166 ff., 202 ff. 124 Zum Aufbau der Theresiana Moos, Der Verbrechensbegriff, S. 111. 125 Westphal, Das Criminalrecht, Zwölfte Anmerkung, S 3 (S. 52). 126 Westphal, Das Criminalrecht, Zwölfte Anmerkung, S 3 (S. 52/53). 127 RGSt 74, 85. 128 Westphal, Das Criminalrecht, Zwölfte Anmerkung, S 6 (S. 53).

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2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

berschaft (und Beystand) als Kategorien für die Zurechnung von Verantwortungsbeiträgen verwendet. Allerdings sind seine Zurechnungskategorien nicht so beschaffen, daß sie sich unmittelbar in Strafzumessungskriterien 129 umsetzen ließen. Je nach dem Ausmaß des Tatbeitrags soll der Beystand milder oder auch gleich der Urheberschaft bestraft werden 130. Die Beteiligungsformen stellen also einen jeweils unterschiedlich strukturierten Typus von Veran twortungsträgerschaft dar, der nur mittelbar auf Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit im Einzelfall durchschlägt. Die Trennung von Zurechnungstypus und Zurechnungsgrad charakterisiert nicht nur Westphals Anschauungen, sie ist eine Leistung, die durch die Aufnahme von Pufendorfs Imputationslehre in der Strafrechtswissenschaft des 18. Jahrhunderts auf breiter Linie erbracht wird 131 • Hinsichtlich der graduellen Abstufung der Verantwortungsbeiträge fehlt indessen noch ein brauchbarer Maßstab. Zwar ist man sich darüber einig, daß die Strafe nach Zurechnungsgesichtspunkten zuzumessen ist, doch muß der Gedanke, die Kausalität als Maß für die Zurechnung zu etablieren, in die Irre führen. Die für die Zurechnung wichtige Frage der Behandlung von besonderen strafmodifizierenden Merkmalen bei der Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen wird im gemeinen Recht überraschenderweise fast überhaupt nicht erörtert. Boehmer geht wenigstens auf einen Teilaspekt ein, den Einfluß strafmildernder Umstände, die beim Täter vorliegen, auf die Strafbarkeit der Teilnehmer l32 • Dabei trifft er die bekannte Unterscheidung zwischen tat- und täterbezogenen Strafminderungsgründen, wobei nur die mit der Tat selbst zusammenhängenden sich auf den Teilnehmer erstrecken sollen. Boehmers Ausführungen zu diesem Punkt zeigen keine neuen Gedanken und bieten daher keine Grundlage für eine gewandelte Sicht der Akzessorietät der Teilnahme gegenüber der italienischen Doktrin. Auf ein gleichwohl vorhandenes fortgeschrittenes Verständnis weist indessen eine andere Bemerkung hin, worauf Schaffstein aufmerksam gemacht hat 133 • Es heißt dort, daß strafbare Teilnahme "semper factum illicitum et imputabile in caussa physica" voraussetze 134 • Daraus geht eindeutig hervor, daß Boehmer nicht nur die faktische Bezogenheit der Teilnahme auf eine Täterhandlung erfaßt hat, sondern auch schon ihre rechtliche Abhängigkeit - und zwar im Sinne einer extremen Akzessorietät - ins Auge 12. Hierfür stellt Westphal, Das Criminalrecht, Zwölfte Anmerkung, S 1 (S. 512 nicht auf das Begriffspaar Urheberschaft und Beystand ab. Es müsse dazu beijedem Beteiligten vielmehr "in Betracht gezogen werden 1) was er zur That gethan und 2) was bey seiner Person sich zur Imputation besonders zu bemerken finde". 130 Westphal, Das Criminalrecht, Zwölfte Anmerkung, S 14 (S. 56). 131 Vgl. Maiwald, Bockelmann-Pestschrift, S. 347 f. 132 Boehmer, Meditationes, Art. 177, S X (S. 848). 133 Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen, S. 206; beipflichtend Boldt, Böhmer und die gemeinrechtliche Strafrechtswissenschaft, S. 325. 134 Boehmer, Meditationes, Art. 177, S II, Ziff. VI (S. 839).

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gefaßt hat. In konsequenter Weiterführung dieser Überlegung gelangt er an dieser Stelle zu dem Ergebnis, daß der Befehlende insoweit selbst Täter ist, als er sich des ausführenden Befehlsempfängers lediglich als eines Werkzeugs (instrumenti) bedient, das wegen der Gehorsamspflicht straflos bleibt. Die Entwicklung der Lehre von Täterschaft und Teilnahme steht an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert an einem Punkt, von dem aus sich die Perspektive auf die Ausbildung der drei Beteiligungsformen Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe im Sinne der in der Gegenwart gebräuchlichen Terminologie öffnet. Bis die modernen Vorstellungen durch die Kodifizierung im Reichsstrafgesetzbuch in ganz Deutschland Einzug hielten, war indessen noch ein langer Weg zurückzulegen. Gesetzgebung und Wissenschaft der Aufklärungszeit knüpften zunächst an das gemeine Recht an und stellten sich bewußt in die Tradition der auf Pufendorf zurückgehenden Zurechnungslehre. Insbesondere wegen des langen Festhaltens an der überlieferten Kausalitätslehre konnte die uns heute geläufige Betrachtungsweise nur langsam an Boden gewinnen.

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19. Jahrhundert

1. Strafrechts wissenschaft und Gesetzgebung im Zeitalter der Aufklärung An die Stelle der in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts (fast) allgemein anerkannten formal-objektiven Theorie, die zu einer strikten Trennung von Täterschaft und Teilnahme - mit mandatum und auxilium als Teilnahmeformen - geführt hatte, trat bei den durch die Aufklärungsideen geprägten Autoren eine ganz wesentlich an Kausalitätsüberlegungen orientierte Zweiteilung in Urheberschaft und Beyhülfe. Im Kern laufen alle diese Auffassungen darauf hinaus, daß Urheber derjenige sei, dessen Handlung die "eigentliche" Ursache des Verbrechens darstellte; alles andere sei Beyhülfe. Über den verlauf der Grenze zwischen den beiden Beteiligungsformen gab es rege Meinungsverschiedenheiten. Die strengste Ansicht, vertreten von Kleinschrod und Grolman (später auch von Feuerbach, auf den noch besonders einzugehen sein wird), stellte auf den Gesichtspunkt ab, ob der Beteiligte den "nothwendigen" Grund der Existenz des Verbrechens gelegt hatte 135 • Danach war jeder Urheber, von dessen Tatbeitrag die Begehung des Delikts abhängt. Folglich zählte nicht nur die Anstiftung zur Urheberschaft, sondern auch die zur Tatausführung unentbehrliche Beihilfe 136 • Eine gemäßigtere Auffassung entwickelte Klein, der den 135 Kleinschrod, Systematische Entwickelung, 1. Ausg., S 177 (S. 257/258); Grolman, Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft, S 58 (S. 26). 136 Kleinschrod, Systematische Entwickelung, 1. Ausg., S 198 (S. 290 ff.); Grolman, Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft, S 63 Anm. (S. 28).

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unentbehrlichen Gehilfen als Hauptteilnehmer statt auf die Seite der Urheberschaft auf diejenige der Beyhülfe schlägtI3? Allerdings vermag Klein die tragenden Prinzipien seiner Teilnahmelehre nicht durchsichtig zu machen l38 . Vor allem die willkürliche Vermengung objektiver und subjektiver Abgrenzungskriterien trägt dazu bei, den Leser zu irritieren. Während es einmal heißt, Urheber sei, in wessen "Willensäußerung das Verbrechen vorzüglich gegründet ist", ist wenige Sätze weiter davon die Rede, daß sich der Gehülfe vom Urheber "besonders an dem geringeren oder verschiedenen Interesse" unterscheide 139 . Möglicherweise bringt ein Vergleich zwischen der 1. und 2. Ausgabe von Kleins Grundsätzen des gemeinen deutschen peinlichen Rechts ein gewisses Licht in seine Gedankengänge. Im Unterschied zur oben zitierten 2. Ausgabe heißt es in der Erstausgabe nämlich: "Diejenigen, in deren Willen (!) das Verbrechen vorzüglich gegründet ist", seien Urheber 140 . Dies spricht dafür, daß Klein ursprünglich subjektive Momente in den Mittelpunkt stellte, die er später zu objektivieren versuchte, wodurch ein wenig geglücktes Gemisch heterogener Gesichtspunkte entstand. Eine Wende von einer anfangs mehr subjektiv zu einer später stark objektiv ausgerichteten Teilnahmetheorie läßt sich vor allem in Feuerbachs verschiedenen Stellungnahmen zum Problem der Abgrenzung zwischen Urheberschaft und Beyhülfe beobachten. In eigenartiger Verschränkung von objektiven und subjektiven Kriterien wird in der "Revision" der Urheber dadurch charakterisiert, daß bei ihm "die Rechtsverletzung das unmittelbare Object der Wirksamkeit seiner Handlung" sei, woraus Feuerbach die überraschende Folgerung zieht, "daß er aus eignern unmittelbaren Intereße an der Rechtsverletzung selbst die Begehung derselben wolle. Wer nicht aus diesem Intereße handelt, kann nicht als Urheber betrachtet werden ,,141 . Dem korrespondiert die Defmition, daß "Gehülfe derjenige (sei), bei welchem die Beförderung der auf die Rechtsverletzung unmittelbar gerichteten Handlung eines andern das unmittelbare Object der Wirksamkeit seiner Handlung, die Rechtsverletzung selbst also nur das mittelbare Object derselben ist." Nach dieser Einteilung erstreckt sich die Urheberschaft nicht auf die unentbehrliche Beihilfe. Feuerbach setzt sich sogar mit der gegenteiligen Lehre Kleinschrods kritisch auseinander, der er seine Unterscheidung von unmittelbar und mittelbar auf eine Rechtsverletzung gerichteter Handlung entgegenstellt 142 • Allerdings geht er nicht so weit, auch die Anstiftung aus dem Bereich der Urheberschaft auszusondern; vielmehr sieht 137 Klein, Grundsätze, 2. Ausg., S 138 (S. 116); vgl. auch Tittmann, Grundlinien der Strafrechtswissenschaft, S 90 Anm. 1 (S. 64). 138 Vgl. die kritische Darstellung bei Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 226 ff. 13P Klein,. Grundsätze, 2. Ausg., S 138 (S.115). 140 Klein, Grundsätze,1. Ausg., S 138 (5.104). 141 Feuerbach, Revision, Zweiter Theil, Achtes Kapitel, S 11 (S. 245). 142 Feuerbach, Revision, Zweiter Theil, Achtes Kapitel, S 22 (S. 262 ff.).

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er diese in Übereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht seiner Zeit 143 als intellectuelle Urheberschaft an 144. In der grundsätzlichen Anlage hat Feuerbach seine Auffassungen auch in den ersten Auflagen seines Lehrbuches 145 beibehalten, doch tritt die Betonung des eigenen Interesses an der Tat als Merkmal der Urheberschaft deutlich zurück. Dieser Gesichtspunkt wird nur noch bei der intellectuellen Urheberschaft und - modern ausgedrückt - bei der Mittäterschaft erwähnt. In späteren Auflagen 146 verschwindet die subjektive Komponente dann gänzlich. Feuerbach differenziert nun nur noch nach der "Verschiedenartigkeit der Caussalität des Handelnden für den gesetzwidrigen Erfolg"147 und schwenkt damit auf die Linie Kleinschrods und Grolmans ein. Der unentbehrliche Gehilfe (HauptgehÜlfe) wird zum "indirect mittelbaren Urheber,,148. Trotz dieser Meinungsunterschiede und -wandlungen ist bei den Autoren der Aufklärungszeit ein beträchtliches Maß an Übereinstimmung zu verzeichnen 149. Diese bezieht sich vorzugsweise auf die Unterteilung der Urheberschaft in intellectuelle und physische 150 , zeichnet sich aber auch bei der Abstufung der Strafbarkeit der einzelnen Beteiligungsformen ab. Weitgehend wird die Beyhülfe im Verhältnis zur Urheberschaft als grundsätzlich weniger strafbar angesehen 151 . Eine Sonderfrage ergibt sich in bezug auf die Strafbarkeit der unentbehrlichen Beihilfe: Soweit sie der Urheberschaft zugeordnet wird, kommt eine Strafmilderung natürlich nicht in Betracht. Soweit sie als Beyhülfeform anerkannt ist, wird teils die Auffassung vertreten, daß trotzdem die den Urheber treffende Strafe für sie gelte 152 , teils wird angenommen, daß die Strafe zwar geringer zu bemessen sei, aber dennoch höher als diejenige, die für die "einfache" Beyhülfe 143 Kleinschrod, Systematische Entwickelung, 1. Ausg., S 177 (S. 258 f.) und S 182 (S. 266 f.); Grolman, Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft, S 61 (S. 27); Klein, Grundsätze, 2. Ausg., S 140 (S. 118); Tittmann, Grundlinien der Strafrechtswissenschaft, S 84 (S. 60). 144 Feuerbach, Revision, Zweiter Theil, Achtes Kapitel, S 15 (S. 252) und S 18 (S. 255 ff.). 145 Vgl. Feuerbach, Lehrbuch, 1. Aufl., U 51,52,54 (S. 39 ff.) u. 2. Aufl., U 42, 43,45 (S. 39 ff.). 146 Vgl. Feuerbach, Lehrbuch, 5. Aufl., U 44,45,47 (S. 45 ff.), 9. Ausg., SS 44,45, 48 (S. 44 ff.) und 11. Ausg., U 44,45,48 (S. 37 ff.). 147 Überschrift vor S 44 in der 5. Aufl. und allen erwähnten späteren. 148 Feuerbach, Lehrbuch, S 44 in den in Anm. 146 näher bezeichneten Auflagen/Ausgaben. 149 Eine gute zusammenfassende Darstellung gibt Stübel, Ueber die Theilnahme, S. lff. 150 Nachweise s. Anm. 143-146. ISI K/einschrod, Systematische Entwickelung, 1. Ausg., S 200 (S. 294 f.); Tittmann, Grundlinien der Strafrechtswissenschaft, S 87 (S. 61 f.); Feuerbach, Revision, Zweiter Theil, Achtes Kapitel, S 13 (S. 250); ders., Lehrbuch, S 112,2. Aufl. (S. 99),9. Ausg. (S. 106), 11. Ausg. (S. 85); anders wohl Klein, Grundsätze, 2. Ausg., S 140 (S.117), dessen Ausführungen indessen nicht klar erkennen lassen, wie weit er mit der Verhängung der ordentlichen Strafe gehen will. 152 Klein, Grundsätze, 2. Ausg., S 140 (S. 117).

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vorgesehen ist 153 • Intellectuelle und physische Urheber werden überwiegend als gleich strafbar angesehen 154 , doch will Feuerbach den intellectuellen Urheber strenger bestrafen, da er ihn für gefährlicher hält als den physischen 155 , ein Gedanke, der schon bei den Italienern 156 gelegentlich zu finden war. Zieht man an dieser Stelle eine Zwischen bilanz, so ergibt sich, daß im Urheberbegriff 1. der Täterbegriff der formal-objektiven Theorie weiterexistiert (physischer Urheber) und 2. die Wiedereingliederung der Anstiftung in die Täterschaft vollzogen wird (intellectueller Urheber). Die Unsicherheiten hinsichtlich der Grenzen zwischen Urheberschaft und Beyhülfe hängen offensichtlich damit zusammen, daß noch keine Klarheit darüber besteht, ob die Beteiligungsformen einen jeweils unterschiedlichen Strafwürdigkeitsgehalt zum Ausdruck bringen sollen oder unabhängig davon zu bilden sind 157. Diese Situation spiegelt sich auch in der Gesetzgebung der Zeit wider. In Österreich standen die gesetzlichen Vorschriften über Täterschaft und Teilnahme auch im Zeitalter der Aufklärung auf dem Boden der formal-objektiven Theorie. § 7 des Allgemeinen Gesetzes über Verbrechen (1787) und § 5 des Ersten Theils des Gesetzbuches über Verbrechen und schwere Polizey-Uibertretungen (1803) wiederholten im wesentlichen nur die Theresiana 158. In das Allgemeine Landrecht für die Preussischen Staaten (1794) ging dann der Urheberbegriff Kleins ein, da Klein an der Abfassung des strafrechtlichen Teils selbst maßgeblich beteiligt war. Die umfangreiche Regelung in §§ 64-84 11 20 ALR unterscheidet in der bekannten Weise zwischen dem physischen (5 64) und dem intellectuellen Urheber (567), sowie dem unentbehrlichen (5 71) und dem nicht nothwendigen Beystand (H 72,76). Strafmilderung ist nur für den letzten Fall vorgesehen. Die Differenzierung zwischen zwei Formen des Beystands verliert weitgehend dadurch an Bedeutung, daß die Beihilfe zur Zeit der Tatausführung ohne Unterschied als Urheberschaft angesehen werden soll (H 74, 153 Feuerbach, Revision, Zweiter Theil, Achtes Kapitel, S 22 (S. 261 f.) in Verbindung mit S 13 (S. 250); ders., Lehrbuch, 2. Aufl., S 114 (S. 101) in Verbindung mit S 112 (S.99). 154 Kleinschrod, Systematische Entwickelung, 3. Ausg., S 185 (S. 338); Tittmann, Grundlinien der Strafrechtswissenschaft, S 87 (S. 61); Klein, Grundsätze, 2. Ausg., S 140 (S.118). 155 Feuerbach, Revision, Zweiter Theil, Achtes Kapitel, S 17 (S. 254 f.); ders., Lehrbuch, 1. Aufl., S 148 (S. 114 f.), 2. Aufl., S 113 (S. 100). Eine ablehnende Stellungnahme hierzu findet sich bei Kleinschrod, Systematische Entwickelung, 3. Ausg., S 185 (S. 338 f.). In der 1. Ausg., S 185 (S. 271 f.) trat Kleinschrod noch für eine größere Strafbarkeit ein. 156 s. oben S. 55. 157 Tittmann, NArchCrimR Bd. 2 (1818) S. 376 f. spricht die Frage direkt an und beantwortet sie im letzteren Sinne. Mit entgegengesetztem Ergebnis dazu etwas später auch Henke, Handbuch I, S. 266. 158 Zu den Einzelheiten s. Heimberger, Die Teilnahme am Verbrechen, S. 177 ff., 192 ff.

v.

Die Aufklärung und das 19. Jahrhundert

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77). Das darin zum Ausdruck gelangende Bestreben, die Beteiligten an einem Verbrechen ungeachtet der Art ihrer Beteiligung so weit als möglich mit der ordentlichen Strafe zu belegen, erlebte seinen Höhepunkt in Art. 59,60 Code penal (1810), der einerseits die Teilnahmeformen Anstiftung und Beihilfe deutlich von der Täterschaft trennt (Art. 60), andererseits für die Teilnehmer (complices) dieselbe Straffolge wie für die Täter anordnet (Art. 59). Die deutsche Strafgesetzgebung der Folgezeit lehnte sich teils an die französische Regelung an und ging im Grundsatz von der gleichen Strafbarkeit aller Beteiligten aus, wobei für die Beihilfe eine Ausnahmeregelung getroffen zu werden pflegte, teils wurde vom Grundsatz der milderen Strafbarkeit der Beihilfe ausgegangen. Zur ersten Gruppe zählt das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten (1851), dessen 5 35 Täter und Teilnehmer hinsichtlich der Strafbarkeit gleichstellt, es sei denn, daß die Beihilfe "keine wesentliche" war. In demselben Sinne ist Art. 52 Abs. 1 des Strafgesetzbuches für das Königreich Bayern (1861) gehalten. Für die Beihilfe ist hier fakultative Strafmilderung vorgesehen (Art. 55). Dagegen kennt das Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern (1813) die mildere Strafe für den Gehilfen als Prinzip, nicht als Ausnahme (Art. 75,77). Da nur der nicht notwendige Gehilfe hiervon er faßt wird (Art. 73), ist der Unterschied zu den an den Code penal angelehnten Regelungen nicht so erheblich, wie es zunächst den Anschein haben mag. Interessant ist auch eine Gegenüberstellung der Terminologie, in der die Beteiligungsverhältnisse in den genannten Strafgesetzbüchern geschildert werden. Das bayrische Strafgesetzbuch von 1813 ist noch ganz der Tradition verhaftet. Es verwendet den Urheberbegriff im Sinne der späteren Auffassungen seines Verfassers Feuerbach, zählt mithin die unentbehrliche Beihilfe zur Urheberschaft (Art. 45). Demgegenüber bedient sich das preußische Strafgesetzbuch von 1851 (5 34) ebenso wie das bayrische von 1861 (Art. 54) schon der modernen Ausdrucksweise. Beide sprechen von Tätern und Teilnehmern, wobei sie die Anstiftung der Teilnahme zuordnen. In Art. 56 bayrStGB fmdet sich sogar eine Vorschrift über die mißlungene Anstiftung. Vergleicht man diese Anstiftungsregelungen mit derjenigen des Allgemeinen Landrechts, so wird daran die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte Trennung der Anstiftung von der mittelbaren Täterschaft sichtbar, die beide im Begriff der intellectuellen Urheberschaft noch ungeschieden waren. S 67 II 20 ALR lautet: Wer sich eines Andern zur Ausführung eines Verbrechens bedient, wird eben so bestraft, wie derjenige, welcher ein solches Verbrechen selbst und unmittelbar begangen hat. Exemplarisch führt diese Formulierung das fehlende Differenzierungsvermögen zwischen den unterschiedlichen Arten der Veranlassung eines anderen zur Verbrechensbegehung vor Augen. Anhand der etwa 1820 einsetzenden regen literarischen Produktion strafrechtlicher Art lassen sich die Entwicklungslinien,

2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

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die von der Lehre Feuerbachs und seiner Zeit zu den modernen Grundvorstellungen führen, leicht verfolgen.

2. Die Entwicklung der Teilnahmelehre seit Feuerbach bis zum Beginn des Einflusses Hegels auf das Strafrecht Bestrebungen zur Neugruppierung der verschiedenen Beteiligungsmodalitäten kündigen sich bereits in einem 1819 von Mittermaier veröffentlichten Aufsatz an. Er schlägt vor, die herkömmliche Grundeinteilung in Urheber und Gehülfen durch eine andere in unmittelbare und mittelbare Teilnehmer zu ersetzen 159. Dabei handelt es sich keineswegs um eine bloße Begriffsaustauschung, denn die intellectuelle Urheberschaft wandert dadurch von der Seite der Täterschaft auf die Seite der (mittelbaren) Teilnahme, wo sie neben der Beyhülfe deren zweite Unterform bildet. Als unmittelbare Teilnahme bleibt dann nur die physische Urheberschaft übrig, für die Mittermaier schon den Begriff der Täterschaft einführt. Daraus ergibt sich im ganzen das Bild einer an der formalobjektiven Theorie orientierten Lehre von Täterschaft und Teilnahme, die als Teilnahmeformen (intellectuelle) Urheberschaft und Beyhülfe kennt. Mittermaiers Ausführungen zur Urheberschaft lassen deutlich erkennen, daß die darin enthaltenen Elemente der mittelbaren Täterschaft von denen der Anstiftung noch nicht getrennt sind 160 • Immerhin setzte er sich für eine in der Regel mildere Bestrafung der Urheberschaft gegenüber der Täterschaft ein 161 und wollte die gleiche Strafbarkeit auf Fälle beschränken, die der mittelbaren Täterschaft zuzuordnen wären 162 , wodurch sich die spätere Differenzierung in der Beteiligungsform auf der Ebene der Strafbarkeit bereits andeutet. Der Begriff "mittelbare Täterschaft" wurde erstmals von Stübel verwendet, der ihn aber nicht zur Abgrenzung gegenüber der Anstiftung benutzte, sondern nur als anderen Ausdruck für die intellectuelle Urheberschaft 163 • Gleichwohl zeigen Stübels Darlegungen ungewöhnliche Züge, die im Hinblick auf spätere Entwicklungen Aufmerksamkeit verdienen. Er dürfte der erste gewesen sein, der die Lehre von Urheberschaft und Beyhülfe, wie sie Feuerbach und seine Zeitgenossen begründet hatten, einer gründlichen. und radikalen Kritik unterzog. Angelpunkt seiner Überlegungen ist die Bedeutung der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg für die Zurechnung der Tat. Dabei legt er einen Kausalitätsbegriff zugrunde, mit dem er zu einem guten Teil die Leistung 159 160 161 162 163

Mittermaier, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S. 125. Mittermaier, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S.127 ff. Mittermaier, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S. 147 ff. Mittermaier, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S.150. Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 85,96,105 Anm. 71.

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v. Buris, die noch einige Jahrzehnte auf sich warten ließ, vorwegnimmt 164 • Unter ausdrücklicher Bezugnahme 165 auf v. Schirach, der - soweit ersichtlich - als erster die Gleichwertigkeit der Tatbeiträge aller an einem Verbrechen Beteiligten unter Kausalitätsgesichtspunkten erkannt hatte 166 , gelangt Stübel in konsequenter Verfolgung seiner Grundthese, daß die Zurechnung der Tat an sich 167 nur von der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg abhängt 168 ,praktisch zur ersten modernen Einheitstäterlehre. Im Unterschied zu v. Schirach, der aus der kausalen Gleichwertigkeit aller Tatbeiträge zudem das kriminalpolitische Erfordernis gleicher Strafbarkeit aller Beteiligten ableitete 169 , trat Stübel jedoch für eine nach dem Ausmaß des jeweiligen Tatbeitrags differenzierte Bestrafung ein 170 • In der Festlegung, daß Zurechnungsgrund allem die Kausalität sei, ist ein doppeltes impliziert: Im Grundsatz kann es dann erstens nur eine einzige Beteiligungsform geben, eben die Täterschaft, und zweitens müssen alle subjektiven Aspekte für die Defmition des Täterbegriffs ausscheiden. Hiervon macht Stübel nur zwei Ausnahmen. Mehr beiläufig erwähnt er, daß beim Versuch der Tatentschluß ein täterschaftsbegründendes Moment sei 17l • Wichtig für die Teilnahmelehre ist hingegen, daß bei Absichtsdelikten eine Täterschaft ohne die erforderliche Absicht nicht denkbar ist 172 , denn sonst gäbe es einen Täter aber keine Tat. In der objektiven Ebene entstent die entsprechende Konstellation bei den Sonderdelikten. Auch bei diesen kann deshalb die Kausalität nicht einziger Zurechnungsgrund sein, vielmehr muß die besondere Täterqualität hmzukommen l73 • Den absichtslosen bzw. extranen Beteiligten - und nur diesen - bezeichnet Stübel als Gehilfen 174 • Die Beihilfe im modernen Sinne ist bei ihm Mittäterschaft 175 •

164 Zu Stübels Teilnahmelehre, insbesondere auch seinen ursprünglichen, konventionelleren Ansichten, s. die ausführliche Darstellung bei Hergt, Teilnahme am Verbrechen, S. 3 ff. 165 Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 67. 166 v. Schirach, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S. 415 ff., insbes. S. 432 ff. 167 Davon unterscheidet Stübel die Zurechnung der Tat zur Strafe, für die dann alle weiteren, vor allem die subjektiven Voraussetzungen der Strafbarkeit maßgeblich sind. 168 Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 11,22 f., 39 f., 67,73 und öfter. Dieser Gedanke durchzieht leitmotivisch die ganze Abhandlung. 169 v. Schirach, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S. 420 f. 170 Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 73, 98 ff., 105 ff. 171 Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 14. 172 Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 13,74,85 ff. 173 Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 85 ff. 174 Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 15 f., 93. 175 Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 29 f., 97. Für die traditionelle Unterscheidung zwischen entbehrlicher und unentbehrlicher Beyhülfe bleibt kein Raum, wenn es nur auf die Kausalität ankommt (S. 26 ff.).

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Der aus dieser Sicht resultierende außerordentlich weite Täterbegriff wird von Stübel in eine unmittelbare und eine mittelbare Täterschaft gegliedert, die zwar in gewisser Weise der physischen und der intellectuellen Urheberschaft im alten Sinne korrespondieren 176 , aber dennoch manche Eigenheiten aufweisen. Im Bereich der unmittelbaren Täterschaft führt Stübe1s Grundthese zu einer Kritik l77 der formal-objektiven Theorie, die auf die Vornahme der tat'l!,estandlichen Handlung abstellt. Da es für die Beurteilung der Kausalität keinen Unterschied macht, ob eine Handlung mehr oder weniger zur Entstehung seines Erfolges beigetragen hat 178 , ist jeder, der an der Tat unmittelbar mitgewirkt hat, (Mit-)Täter. Wer mitfelbar, d.h. durch Einschaltung einer anderen Person, an einer Tat mitwirkt, ist Urheber oder (in seiner Terminologie) mittelbarer Täter l79 • Nur zweimal sprengt Stübe1 den Rahmen, den er sich für seine Teilnahmelehre gezogen hat. An einer Stelle heißt es unvermutet, Anstiftung sei Zurechnung fremder Tat 180 • Diese isoliert dastehende Aussage wird aber durch die reinen Kausalitätsbetrachtungen, die für die Zurechnung allein entscheidend sein sollen, praktisch wieder zurückgenommen. Bedeutsamer ist, daß Stübel eine Urheberschaft des Extraneus am Sonderdelikt zuläßt 181 • Zu erwarten wäre nach seinen Prämissen, daß er sich der oben geschilderten Beihilfekonstruktion bedient. Er behandelt die Urheberschaft also insoweit in der Sache als Teilnahme, nicht als Täterschaft. Diese Gespaltenheit mag darauf beruhen, daß die Urheberschaft Anstiftung und mittelbare Täterschaft im modernen Sinne in sich vereinigt 182, was zwangsläufig zu Inkonsequenzen führen muß. In der Tat sind bei genauerem Hinsehen versteckte Anzeichen zu beobachten, die auf den Beginn der Herauslösung der Anstiftung aus dem einheitlichen Urheberbegriff hindeuten. Während traditionellerweise als Bestirnmungsgründe für die Tatausführung durch den Täter (oder physischen Urheber) sehr massive Einwirkungen von Seiten des (intellectuellen) Urhebers aufgezählt werden w!-e z.B. Befehl, Zwang, Irrtumserregung l83 , gelangt Stübel aufgrund seines Kausalitätskriteriums zu der Auffassung, daß es auf die Art der Einflußnahme überhaupt nicht ankommt, da auch der unerheblichste Grund für die Fassung des Tatentschlusses ursächlich werden kann 184 • Damit kommen die typischen Anstiftungsfälle ins Blickfeld. 176

177 178 179

180

181 182 183

134 ff.

Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 96 zieht selbst die Parallele. Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 18 ff. Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 45. Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 41, 69, 85. Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 42. Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 88 f. Vgl. Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 77 ff. s. z.B. die Darstellung der Mittel bei Mittermaier, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S.

184 Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 79. Damit übereinstimmend später v. Buri, Zur Lehre von der Theilnahme, S. 63.

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Die endgültige Trennung von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft gelingt jedoch erst als Ergebnis eines mühsamen Prozesses. Zwar findet schon Bauer die modern anmutende Formulierung, Anstifter sei derjenige, welcher vorsätzlich den willen eines anderen zur Begehung eines Verbrechens bestimmt hat 185 , doch verbirgt sich dahinter noch die alte Lehre von der intellectuellen Urheberschaft l86 • Einen Fortschritt in der Sache bringt dagegen der Gedanke, daß die Veranfassung eines anderen zum physischen Vollzug der Tat intellectuelle Urheberschaft nur dann begründet, wenn der Ausführende nicht nur ein unfreies Werkzeug in der Hand des Hintermannes ist, sondern die Tat auch ihm zugerechnet werden kann l87 • Anderenfalls wird der Hintermann genauso als physischer Urheber angesehen, als wenn er sich eines nichtmenschlichen Werkzeugs bedient hätte, etwa einen Hund gehetzt hätte. Mit dieser Differenzierung, auf die sogar der Herausgeber Mittermaier in der letzten Ausgabe des Feuerbachschen Lehrbuchs hinweist l88 , ist der entscheidende gedankliche Schritt vollzogen, der die traditionelle Figur der intellectuellen Urheberschaft preisgibt und im Gefolge dessen den Urheberbegriff in seiner überkommenen Struktur überhaupt. Im Verlaufe der Vorarbeiten 189 zum Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten (1851) wird aus der begrifflichen Trennung dann die terminologische und gesetzessystematische Konsequenz gezogen. Während anfangs einfach mittelbare Täterschaft und Anstiftung nebeneinandergestellt wurden, verschwindet die mittelbare Täterschaft später aus der Teilnahmeregelung, die in ihrer endgültigen Fassung ausdrücklich von Tätern und Teilnehmern spricht. S 34 prStGB lautet auszugsweise: Als Theilnehmer eines Verbrechens oder Vergehens wird bestraft: 1) wer den Thäter (... ) zur Begehung des Verbrechens oder Vergehens angereizt, verleitet oder bestimmt hat;

2) (... ) Auch in die Rechtsprechung geht der neue Anstiftungsbegriff ein 190 • Mit der Bindung der Anstiftung an eine Haupttat im Unterschied zur mittelbaren Täterschaft, die nur die physische Ausführung durch den Tatmittler voraussetzt, tritt die Akzessorietät der Teilnahme erstmals seit Boehmer wieder aus ihrem Schattendasein heraus. Zwar wurde in der dazwischen liegenden Zeit gelegentlich die Beteiligung eines Nichtverwandten am Verwandtenmord erörtert 191 - eine Bauer, Lehrbuch, S. 94; ders., Abhandlungen I, S. 430. Bauer, Abhandlungen I, S. 429 ff. '.7 Marezoll, Lehrbuch, S. 125; Geib, Lehrbuch Ir, S. 345 f.; Zachariä, ArchCrimR N.F. 1850, S. 274 ff. 188 Feuerbach, Lehrbuch, 14. Ausg., S 46 Note I (S. 87). ,.P Hierzu Lampe, ZStW Bd. 77 (1965), S. 284 ff. IPO Vgl. Preuß. Ober-Tribunal, GA Bd. 8 (1860) S. 205 f. m Kleinschrod, Systematische Entwickelung, 1. Ausg., S 186 (S. 273 f.); Stübel, Ueber die Theilnahme, S. 87. 18.

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Konstellation, die auf dem Hintergrund des J ustinianischen Rechts schon von den Italienern diskutiert wurde l92 - , doch führte die Behandlung von Akzessorietätsfragen zunächst nur zu einer weiteren der zahlreichen Unterteilungen der Beteiligungsarten: Je nachdem, ob der Beteiligte die besonderen Merkmale in eigener Person verwirklicht oder nicht, wurde von besonderer oder allgemeiner Teilnahme gesprochen 193. Bauer erkannte immerhin im Akzessorietätsprinzip den Grund für die Möglichkeit einer Teilnahme des Extraneus am Sonderdelikt und für das Bestehen eines festen Verhältnisses der Strafbarkeit des Teilnehmers zu derjenigen des Täters. Unter Bezugnahme auf den letzten Gesichtspunkt heißt es: "Der Grund dieser Regel liegt darin, dass die Theilnahme der Gehülfen nicht als eine für sich bestehende That, sondern in ihrem Verhältnisse :rur That des Urhebers aufzufassen ist, weshalb dann auch derjenige strafbar ist, welcher wegen Mangels der, zum Begriffe des Verbrechens erforderlichen persönlichen Eigenschaft, dasselbe nicht begehen könnte, z.B. eine Privatperson hat bei einem reinen Dienstverbrechen Beihülfe geleistet. ,,194 Für das Strafmaß wird eine Abschwächung der Auswirkungen der Akzessorietät, also der § 28 Abs. 1 StGB zugrunde liegende Gedanke, nicht in Betracht gezogen 195. Demgegenüber ist die Durchbrechung der Akzessorität im Sinne des heutigen S 28 Abs. 2 StGB seit der Kontroverse zwischen Bartolus und Baldus anerkannt und fand z.B. in Art. 65 Abs. 3 bayrStGB (1861) ihren Niederschlag. Besonderes Interesse kann in diesem Zusammenhang das 1852 als Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen neu verkündete österreichische Gesetzbuch über Verbrechen von 1803 beanspruchen. Darin waren als § 5 Abs. 2 die Hofdekrete von 1813 und 1817 eingearbeitet, wodurch die Akzessorität im wesentlichen auf den Umfang reduziert wurde, der stichwortartig als limitierte Akzessorität bezeichnet zu werden pflegt. Die Vorschrift lautet: Entschuldigungsumstände, welche die Strafbarkeit eines Verbrechens für den Thäter oder für einen der Mitschuldigen oder Theilnehmer nur vermöge persönlicher Verhältnisse desselben aufheben, sind auf die übrigen Mitschuldigen und Theilnehmer nicht auszudehnen. . Aus diesem - nicht eben klaren - Wortlaut entnahm man einen Regelungsgehalt, der den heutigen H 28 Abs. 2, 29 StGB entspricht 196 , eine erstaunliche Vorwegnahme späterer Entwicklungsstufen. Eigenartigerweise fand die Lehre s. oben S. 57. Feuerbach, Lehrbuch, 2. Aufl., S 49 (S. 45), 5. Aufl., S 51 (S. 52),9. Ausg., S 52 (S. 50), 11. Ausg., S 52 (S. 42); Bauer, Abhandlungen I, S. 425, 459; Geib, Lehrbuch H, S.373. 194 Bauer, Abhandlungen I, S. 460 f. 195 Vgl. Bauer, Abhandlungen I, S. 461. In etwa im Sinne des heutigen S 28 Abs. 1 StGB Geib, Lehrbuch H, S. 380, der aber den Unterschied zwischen strafbegründenden und strafmodiftzierenden Merkmalen nicht kennt. Er will daher alle Fälle einheitlich lösen. 196 Dazu Hoegel, Geschichte des Österreichischen Strafrechts, S. 199 ff.; Moos, Der Verbrechensbegriff, S. 320 f., 337. 192 193

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von der extremen Akzessorietät später in Österreich Aufnahme 197 • Das heutige Strafgesetzbuch steht auf dem Boden der Einheitstäterlehre. Die Spanne zwischen dem Wirken Feuerbachs und dem Beginn des Einflusses Hegels auf das Strafrecht ist nicht nur im Hinblick auf die Ablösung der Lehre von der intellectuellen Urheberschaft durch die Figuren der mittelbaren Täterschaft und der Anstiftung - sowie die dadurch bedingte neue Sicht des Akzessorietätsprinzips - eine Zeit des Umbruchs. Neben' eng an Feuerbach angelehnte Darstellungen der Teilnahmelehre 198 treten in größerer Zahl Versuche, einen neuen Weg bei der Abgrenzung zwischen Urheber und Gehülfen einzuschlagen, indem subjektive Kriterien in den Vordergrund gestellt werden. Zaghaft kündet sich dies zunächst an eher unauffälligen Nuancen der Wiedergabe gängiger Theorien der Zeit an. Wohl mit Blick auf die italienische Lehre vom mandatum 199 fordert Mittermaier, der intellectuelle Urheber müsse ein eigenes rechtswidriges Interesse am Verbrechen haben 200 • Roßhirt behandelt die Teilnahme im Abschnitt über die subjektive Seite des Verbrechens 201 , obwohl er überhaupt keine subjektiv gefärbte Theorie vertritt 202 • Wenig später gelangt dann die auf der subjektiven Tatseite durchgeführte Unterscheidung zwischen Urheber und Gehülfen in ihren beiden Spielarten als Interessen-203 und als Dolustheorie 204 zu nachhaltigem Einfluß. Dabei war man - anders als seinerzeit Westphal 20s - sehr zurückhaltend mit der Annahme, daß auch derjenige Gehülfe sein könne, der die tatbestandliche Handlung in eigener Person ausführt 206 • Zur Begründung des übergangs von objektiven zu subjektiven Unterscheidungskriterien stützte sich Bauer, ein maßgebender Vertreter der subjektiven Theorie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, einerseits auf den Befund Stübels, daß sich die Tätigkeiten aller Beteiligten objektiv betrachtet (d.h. bei ihm in bezug auf ihre Kausalität für den Erfolg) nicht unterscheiden, doch wandte er sich andererseits vehement gegen die daraus von Stübel geMoos, Der Verbrechensbegriff, S. 321 f., insbes. Anm. 48. z.B. Roßhirt, Lehrbuch, S. 61 ff.; Martin, Lehrbuch, S. 156 ff. 199 s. oben S. 55. 200 Mittermaier, NArchCrimR Bd. 3 (1819), S. 132. Dies harmoniert übrigens nicht mit seinen Darlegungen, nach denen die inte1lectuelle Urheberschaft eher eine Teilnahmeals eine Täterschaftsform darstellt (s. oben S. 72). Ähnlich unstimmig später Marezo", Lehrbuch, S. 123, der zu denjenigen gehört, die als erste die traditionelle Figur der intellectuellen Urheberschaft zu überwinden begannen (s. oben S. 75). 201 s. die Überschrift bei Roßhirt, Lehrbuch, S. 35. 202 Vgl. Roßhirt, Lehrbuch, S. 61 ff. 203 Henke, Handbuch I, S. 288 f., 526 ff.; Geib, Lehrbuch 11, S. 318. 204 Wächter, Lehrbuch I, S. 147; Bauer, Lehrbuch, S. 92 f.; ders., Abhandlungen I, S. 419 f., 427 f. und öfter. 205 s. oben S. 65. 206 Ausdrücklich dagegen Geib, Lehrbuch II, S. 318; nicht eindeutig Henke, Handbuch I, S. 529 (dazu Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 44 einerseits und Hergt, Teilnahme am Verbrechen, S. 17 f. andererseits). 197

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zogenen Schlüsse 207 • Die subjektive Theorie wurde damit zur Alternative gegenüber der Einheitstäterlehre. Sie geriet aber wenig später durch Hepp ins Kreuzfeuer der Kritik 20S , der vor allem bemängelte, daß der in fremdem Interesse handelnde Anstifter bzw. Angestiftete danach weder Urheber noch Gehülfe sein könne 209 • Hepp gelangte zu dem Ergebnis, daß die Beteiligungsformen überhaupt nicht einem einheitlichen Prinzip unterstellt werden könnten, sei es subjektiver, sei es objektiver Natur, und definierte drei verschiedene Aspekte des Urheber-/Täterbegriffs 210 , die jeweils für eine ganz bestimmte Konstellation gelten sollten. Für das Fahrlässigkeitsdelikt führte er den Einheitstäterbegriff211 auf rein objektiver Grundlage ein (culposer physischer Urheber). Dem nicht angestifteten Täter des Vorsatzdelikts (vorsätzlicher physischer Urheber) stellte er den Gehülfen gegenüber und ließ die subjektive Abgrenzung gelten. Den Anstifter (intellectueller Urheber) setzte er in Gegensatz zum Angestifteten (Thäter), wobei er das objektive Kriterium der Mitwirkung an der Tatausführung zugrunde legte. Damit waren die Auseinandersetzungen um die objektive und die subjektive Theorie, die das 19. Jahrhundert über nicht zur Ruhe kamen und bis in unsere Zeit nachwirken, vorgezeichnet.

3. Die strafrechtliche Hegelschule Eine wichtige Position nahm bei diesem Streit die strafrechtliche Hegelschule ein, die die Teilnahmelehre auf ein philosophisches Fundament stellte, das die freie Selbstbestimmung des Handelnden zum Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen machte. Hege! selbst behandelt in seinen "Grundlinien der Philosophie des Rechts" die Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen zwar nicht., doch schuf er mit seiner Zurechnungslehre 212 die Voraussetzungen dafür, daß sich eine Teilnahmelehre entfalten ließ, die von seinem Geiste geprägt war. In scharfem Gegensatz zu der bis dahin - jedenfalls im Strafrecht - wohl am entschiedensten von Stübel vertretenen Auffassung, daß die Zurechnung in der Kausalität zwischen Handlung und Erfolg begründet sei, sieht Hegel die Beziehung eines Geschehens auf den willen einer Person als maßgeblich für die Bauer, Abhandlungen I, S. 418 f. Repp, ArchCrimR N.F. 1846, S. 342. 209 Repp, ArchCrimR N.F. 1846, S. 343 ff. 210 Repp, ArchCrimR N.F. 1846, S. 356 ff. 211 desgl. Marezoll, Lehrbuch, S. 118. 212 Da Hegels Zurechnungslehre schon verschiedentlich ausführlich im Schrifttum dargestellt worden ist, mag es gerechtfertigt sein, sich an dieser Stelle auf das Notwendigste zu beschränken. Siehe zur weitergehenden Information LaTenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 60 ff.; RaTdwig, Die Zurechnung, S. 53 ff.; v. BubnoJJ, Die Entwicklung des strafrechtlichen Handlungsbegriffes, S. 43 ff. 207 208

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Beurteilung der Zurechnungsfrage an. Danach läßt erst die Einheit von Wille und Tat es zu, das Geschehene als eine dem Tätiggewordenen zugehörige Umgestaltung der Wirklichkeit zu betrachten - mit anderen Worten es ihm zuzurechnen. Die Vermittlung von Wille und Tat nennen die Hegelianer Handlung 213 • Die Zurechnung ist also kein Kausalurteil, sondern ein teleologisches Urteil. Die Kausalität ist nur das Medium, durch das sich der Wille objektiviert2 14 • Mit dem Zurücktreten der Bedeutung, die der Kausalität zugemessen wird, und der Hervorhebung des freien Willens als Zurechnungsgrund knüpft die Hegelschule an die Imputationslehre Pufendorfs an 21S • FUr die Teilnahmelehre bedeutet die zentrale Stellung des Gedankens, daß die Verknüpfung von Wille und Tat als teleologische Beziehung die Zurechnung begründet, daß auch die Beteiligungsverhältnisse teleologisch strukturiert werden müssen. Die Beteiligungsformen sind Zurechnungsformen 216 • Dabei haben sich bei der näheren Ausgestaltung der Zurechnungskriterien trotz übereinstimmung im Grundsätzlichen unter den Hegelianern manche Meinungsverschiedenheiten ergeben. Hegels Zurechnungslehre findet in den Äußerungen Jarckes und Abeggs zur Teilnahmelehre noch kaum einen spezifischen Niederschlag. Während Jarcke eine im Kern objektive Theorie vertritt und nur gelegentlich die Rolle des Willens betont 217 , grenzt Abegg zwischen Urheber und Gehilfe nach der willensrichtung ab 218 , wobei er sich auf den Satz beschränkt, daß die Absicht des Urhebers selbständig auf Hervorbringung des Verbrechens gerichtet sei, während der Gehilfe die Erreichung der fremden Absicht befördern und erleichtern wolle. Erst Köstlin gelingt der Entwurf einer Teilnahmelehre, die in Hegels philosophischer Grundlegung des Strafrechts wurzelt. Weder der objektive Kausalzusammenhang noch der Wille allein, sondern die dialektische Einheit beider Momente soll dafür die Basis abgeben 219 . Dieser Ausspruch ist gewissermaßen als Programmsatz zu werten, wurde jedoch erst in Hälschners Teilnahmedogmatik mit einigem Nachdruck eingelöst. Von Köstlin und Bemer wird noch weitgehend die objektive Seite zugunsten der subjektiven aus dem Gesichtsfeld verdrängt. Ihre Auffassungen von den Beteiligungsformen erscheinen trotz mancher gegenseitiger Polemik recht nahe verwandt. Köstlin stellt in der 213 Abegg, Lehrbuch, S. 124 ff.; Köstlin, Neue Revision, S. 146 ff.; BerneT, Die Lehre von der Theilnahme, S. 165, 180 f. 214 Sehr deutlich BerneT, Die Lehre von der Theilnahme, S. 180: In der Kausalität werde der Wille "selbständig in die Objectivität entlassen". 215 Hierzu HaTdwig, Die Zurechnung, S. 55 f. 216 Abegg, JbLit Bd. 9 (1828), S. 58. Gleichbedeutend in der Terminologie der Hegelianer ist die Feststellung, daß die Beteiligungsformen Handlungsformen sind, so Köstlin, Neue Revision, S. 152. 217 JaTcke, Handbuch I, S. 221 ff. 218 Abegg, Lehrbuch, S. 118. 219 Köstlin, Neue Revision, S. 450.

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Neuen Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts220 den Begriff des Zweckes ins Zentrum der Abgrenzung der verschiedenen Beteiligungsformen 221 . Als Urheber sei der Handelnde sich selbst Zweck 222 , als Gehilfe dagegen setze er sich als Mittel für einen fremden Zweck 223 . Die Zweckbeziehung des Urhebers zu seinem Handeln bezeichnet Köstlin auch als das "wahre Kausalitätsverhältnis"224 oder "subjektive Kausalität,,225, womit gerade keine Kausalbeziehung nach modernem Verständnis, sondern eine teleologische Beziehung des Handelnden zu seiner Handlung bezeichnet werden soll. Diese Teleologie beschränkt sich freilich auf eine subjektive Perspektive, der rund einhundert Jahre später Welzel mit seinem Begriff der Finalität noch einmal zu maßgeblichem Einfluß auf die Strafrechtsdogmatik verhalf26 . Bezeichnenderweise geht Köstlin auf den "culposen" Urheber in der Neuen Revision überhaupt nicht und im System des deutschen Strafrechts nur mit der einen Bemerkung ein, daß - bei Fortfall der Zweckkomponente - auch bei ihm die Handlung aus seiner freien Selbstbestimmung hervorgegangen sein müsse 227 . Die Fixierung auf das Vorsatz delikt und die Schwierigkeiten mit der Finalstruktur der Fahrlässigkeitsdelikte, wie sie für die Vertreter der finalen Handlungslehre charakteristisch sind 228 , zeichnen sich bereits bei Köstlin in Umrissen ab. Aus der Bestimmung der Beihilfe als Mittel für einen fremden Zweck folgt, daß ein anderer vorhanden sein muß, der diesen für den Gehilfen fremden 220 Ohne seine Lehre in der Sache zu modifizieren, tauscht Köstlin, System, S. 255 ff. den Begriff des Zweckes gegen den der Absicht aus. Dies ist auf dem Hintergrund der Kritik von Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 171 f. zu verstehen. Siehe auch die Erläuterung bei Köst/in, System, S. 257 f. Da Köstlin im "System" trotz der gewandelten Terminologie keine neuen Überlegungen bringt, kann sich die Darstellung im wesentlichen auf die "Neue Revision" beschränken; 221 Zwar betont Köstlin, Neue Revision, S. 448, 450 f., daß das Kausalitätsverhältnis eines freien Subjekts zu einer Handlung den Begriff der Urheberschaft ausmache, doch darf das nicht zu dem Mißverständnis führen, dies gelte für die Anstiftung und die Beihilfe nicht. Köstlin hebt a.a.O., S. 464 ausdrücklich hervor, der Begriff der Urheberschaft erschöpfe den Begriff der freien Kausalität nicht. Insofern kritisiert Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 173 nur eine Ungeschicklichkeit der Formulierung. Als Hegelianer geht selbstverständlich auch Köstlin davon aus, daß die freie Selbstbestimmung kein spezielles Kriterium der Urheberschaft darstellt, sondern Wesensmerkmal der Handlung ist (s. Köstlin, Neue Revision, S. 131 ff.) und damit jeder Beteiligungsform. 222 Köstlin, Neue Revision, S. 448, 464, 484. 223 Köstlin, Neue Revision, S. 449, 465, 509. 224 Köstlin, Neue Revision, S. 448. 225 Köstlin, Neue Revision, S. 461. 226 Zum Subjektivismus Welzels und der Bedeutung von Hegels Philosophie für die finale Handlungslehre s. B/oy, ZStW Bd. 90 (1978), S. 624 ff., 656 mit weiteren Nachweisen. 227 Köstlin, System, S. 258. 228 Hierzu B/oy, ZStW Bd. 90 (1978), S. 640 ff.

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Zweck als eigenen verfolgt, eben ein Urheber 229 . Damit wird eine doppelte Aussage getroffen: Zum einen tritt klar zutage, daß die Behilfe dem Akzessorietätsprinzip gehorcht 230 , zum anderen wird daran deutlich, wo der Unterschied zwischen Urheberschaft und Beihilfe nach Köstlins Auffassung liegt, nämlich im subjektiven Bereich. Er hält sogar die Vornahme der tatbestandlichen Handlung durch den Gehilfen für möglich 231 und erweist sich damit als .einer der konsequentesten Vertreter der subjektiven Theorie seit ihrer Begründung durch Westphal 232 . Anstiftung nennt Köstlin "das eine fremde Subjektivität zu ihrem bloßen Mittel herabsetzende Kausalitätsverhältniß,,233. Sie gehört einerseits zur Urheberschaft, denn der Anstifter setzt sich selbst als Zweck 234 , bedarf aber andererseits der Mitwirkung durch einen Handelnden im Sinne der Handlungslehre der Hegelianer, damit der Anstifter diesen als freie Kausalität für seine Zwecke setze 235 . Der mittelbare Täter wird als "scheinbarer Anstifter", der in Wahrheit als alleiniger physischer Urheber .zu betrachten ist, aus den Teilnahmekonstellationen ausgegliedert 236 . So ist die Anstiftung zwar akzessorisch an die Beteiligung einer anderen Person gebunden, doch nimmt sie trotzdem eine eigentümliche Mittelstellung zwischen Täterschaft und Teilnahme im modernen Sinne ein. Da sie intellectuel1e Urheberschaft ist, ist sie nicht notwendig mit einer "Haupttat" (Urheberschaft) verknüpft; es genügt auch Beihilfe 237 . Weiter hat die Qualifizierung der Anstiftung als intellectuelle Urheberschaft zur Folge, daß die mißlungene Anstiftung ohne weiteres als versuchte Tat behandelt werden kann 238 , so daß die Frage der versuchten Teilnahme hier gar nicht als Problem erscheint. In seiner umfangreichen Schrift über die Lehre von der Teilnahme behandelt auch Berner die Anstiftung als intellectuelle Urheberschaft 239 . Später schlug er dann eine eigenartige Differenzierung vor, die nur verständlich ist, wenn man sich vergegenwärtigt, daß auch zur Zeit der Hegelianer noch die Einteilung der Beteiligungsformen auf die Grundbegriffe Urheberschaft und Beihilfe hinauslief240. Je nachdem, ob der Anstifter das Verbrechen als eigenes 22. Köstlin, Neue Revision, S. 465. Im System, S. 275 fügt er noch hinzu "und ihr Begriff erscheint gegenüber dem der Urheberschaft als ein abgeleiteter". Damit spricht er sich zugleich flir den primären und gegen den sekundären Täterbegriff aus. 23. Näher Köstlin, System, S. 282 ff. 231 Köstlin, Neue Revision, S. 470. 232 s. oben S. 65, 77. 233 Köstlin, Neue Revision, S. 449, 465. 234 Köstlin, Neue Revision, S. 449, 484, 509. 23. Köstlin, Neue Revision, S. 465, 509, 514. 236 Köstlin, Neue Revision, S. 510. 237 Köstlin, Neue Revision, S. 465, 509. 238 Köstlin, Neue Revision, S. 484 f., 521 f., 543 f. 23' Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 305 f. 240 Vgl. Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 5.

6 Bloy

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oder als fremdes, nämlich als das des Angestifteten, wollte, sollte die Anstiftung intellecttlelle Urheberschaft oder intellectuelle Beihilfe sein 241 . Damit ist auch schon das Kriterium genannt, das Berner zur Abgrenzung zwischen Urheberschaft und Beihilfe heranzieht. Wenn der Handel~de die Tat als seine eigene hervorbringen will, ist er danach Urheber 242 , will er sie als fremde Angelegenheit fördern, so ist er Gehilfe 243 . Von diesem radikal subjektiven Standpunkt aus erscheint dann die Tat als dasjenige Verbrechen, welches sie nach der Absicht des Urhebers sein sollte 244 , wiederum eine Formulierung, die kaum auf das Fahrlässigkeitsdelikt zugeschnitten ist. Indem sich das Verbrechen als objektivierte Absicht seines Urhebers darstellt, ist es dessen eigene Tat und insofern dessen "selbständiges Eigenthum,,245. Der Begriff des "Eigenen" meint offenbar eine IdentifIzierung des Handelnden mit dem Verbrechen, die einen Gestaltungsprozeß zur G~undlage hat, vermöge dessen das Verbrechen eine dem Handelnden zugehörige Wirklichkeit ist. Wenn Berner den Urheber als "Haupt ursache" im Sinne der causa fmalis beschreibt und hervorhebt: "Die caussa efficiens wird im Dienste der caussa finalis Mittel. Die caussa finalis ist das alle caussae efficientes Beherrschende.,,246 so deutet sich darin trotz aller subjektivistischen Einseitigkeiten der Lehre im ganzen doch schon der Tatherrschaftsgedanke an 247 , der dann die Synthese objektiver und subjektiver Kriterien konsequent vollzog. Im Unterschied zum Urheber steht der Gehilfe dem Verbrechen als einer fremden Tat gegenüber. Das Verhältnis ist nicht das der Identifizierung, sondern der unaufgehobenen Distanz. Im Begriff des "Fremden" bleibt die Wirklichkeit des Verbrechens eine nur äußerlich mit derjenigen des Gehilfen verbundene. In dieser Beziehungsstruktur erblickt Berner auch den Grund für die geringere Strafbarkeit der Beihilfe im Verhältnis zur Urheberschaft 248 . Zudem leitet er die Akzessorietät der Beihilfe daraus ab, daß das Verbrechen durch den Urheber seine Gestalt empfängt 249 . Für Teilnehmer, denen besondere persönliche Eigenschaften fehlen, sieht er nur Strafmilderung vor; eine Durchbrechung der Akzessorietät kennt er nicht 250 .

241 242

S. 161.

Berner, Lehrbuch, 1. Aufl., S. 167. Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 171, 173; ders., Lehrbuch, 1. Aufl.,

Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. Berner, Lehrbuch, 1. Aufl., S. 162. 245 Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 246 Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 247 Vgl. auch v. Bubnoff, Die Entwicklung S. 51; Maiwald, Bockelmann·Festschrift, S. 357. 248 Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 249 Berner, Lehrbuch, 1. Aufl., S. 162. 250 Berner, Lehrbuch, 1. Auf!., S. 162 f. 243

207; ders., Lehrbuch, 1. Aufl., S. 161.

244

8. 236. des strafrechtlichen Handlungsbegriffes, 211.

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Der bei Köstlin und Berner 251 angeklungene Gedanke, daß die Beteiligungsformen nur mit einer Kombination objektiver und subjektiver Kriterien adäquat beschrieben werden können, wird von Hälschner erstmals ernsthaft weiterverfolgt. Da er die Teilnahme zu einem maßgeblichen Teil als ein Problem der Schuld betrachtet 252 und den Einfluß der Verführung auf die Schuld der Beteiligten sehr stark in den Vordergrund stellt 253 , legt auch er allerdings ein Übergewicht auf die subjektive Seite. So kann es nicht überraschen, daß Hälschner die Formel wiederholt, dem Urheber sei die Tat als eigene zuzurechnen 254 , der Gehilfe wolle dagegen die Verwirklichung fremder Absicht unterstützen 255 . Abgesehen davon spielt bei ihm die Überlegung eine wichtige Rolle, daß der Beteiligte als geistiger Schöpfer des Verbrechens oder als ein durch einen solchen Verleiteter in Erscheinung treten kann. Dabei übersieht Hälschner jedoch nicht, daß auch die geleisteten Tatbeiträge für die Beurteilung der Beteiligungsverhältnisse von Interesse sind. Demgemäß beschreibt er die einzelnen Formen der Beteiligung nach subjektiven und objektiven Merkmalen. Den unmittelbaren Urheber, d.h. den nicht angestifteten Täter, charakterisiert er als den geistigen Schöpfer der verbrecherischen Absicht, der durch eigene physische Tätigkeit das Verbrechen verwirklicht 256 • Im Unterschied dazu ergebe die Handlung des Gehilfen niemals den vollen Tatbestand des Verbrechens; vielmehr setze Beihilfe eine vom Urheber begangene strafbare Handlung voraus, wobei der Gehilfe von dessen bereits vorhandener verbrecherischer Absicht verleitet werde 257 . Die Beihilfe ist also akzessorisch, wegen ihrer objektiven und subjektiven Besonderheiten jedoch in geringerem Maße strafbar als die Urheberschaft 258 . Wenig Neues bringt Hälschner bei der Behandlung der Anstiftung, die er in Übereinstimmung mit Köstlin und Berner als intellectuelle Urheberschaft darstellt 259 . Da der Anstifter der geistige Schöpfer der Tat ist, gerät der Angestiftete aus der Sicht Hälschners in eine gehilfenähnliche Rolle, doch ist auch er Urheber, sofern er der Einwirkung des Anstifters gegenüber frei ist 260 • Letztlich ist der geistige Ursprung des Verbrechens für die Definition der Beteili251 In den späteren Auflagen seines Lehrbuches tendiert Berner zu einer kombinierten Theorie mit stark objektivem Einschlag. Allerdings sind seine diesbezüglichen Bemerkungen so knapp gehalten, daß sich daraus nicht mehr als eine allgemeine Richtung entnehmen läßt; vgl. Berner, Lehrbuch, 8. Aufl., S. 197. 252 Hälschner, System, S. 298, 316 ff. 253 Hälschner, System, S. 294 ff. 254 Hälschner, System, S. 300, 313. 255 Hälschner, System, S. 324. 256 Hälschner, System, S. 300. 257 258

259 260

6*

Hälschner, Hälschner, Hälschner, Hälschner,

System, S. 324 f., 327 f., 348. System, S. 329, 332. System, S. 340 ff. System, S. 340 f.

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gungsformen also kein entscheidendes Merkmal. Auch der angestiftete Täter ist Täter. In der Tendenz Hälschners, bei der Differenzierung zwischen den Beteiligungsformen objektive und subjektive Merkmale miteinander zu verknüpfen, läßt sich eine Vorahnung des Tatherrschaftsbegriffs spüren, die aber kaum je greifbar wird An einer einzigen Stelle 261 nur spricht er davon, daß sich der Gehilfe dem Täter unterordnet und gelangt damit in den Umkreis der Vorläufer der Tatherrschaftslehre 262 .

4. Die Sonderstellung Ludens gegenüber der Hegelianern Bis zu einem gewissen Grade ist auch die Verbrechenslehre Ludens von Hegel beeinflußt obwohl er nicht zur strafrechtlichen Hegelschule zu rechnen ist 263 • Die Nähe zu Hegel wird an der Art und Weise, wie Luden die Teilnahme behandelt, besonders gut sichtbar. Konsequenter als die Hegelianer stellt er seine Betrachtungen unter die Prämisse, daß in der Freiheit des Handelnden der Grund für die Existenz des Verbrechens liegt, und gelangt dadurch zu der These, daß nur zwischen der Handlung, durch die der Tatbestand des Verbrechens verwirklicht wird, und dem Erfolg Kausalität besteht, d.h. bei der Urheberschaft 264 • Zwar trage auch der Teilnehmer zur Hervorbringung des Verbrechens bei, doch stehe er außerhalb des Verursachungszusammenhangs, da er nur bewirke, daß ein Urheber es verursache 265 • Luden erkennt, daß die durch einen anderen Menschen vermittelte Herbeiführung eines verbrecherischen Erfolges wegen der Freiheit des eingeschalteten Dritten keinen naturgesetzlichen Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg begründen kann. Damit reduziert sich die Möglichkeit der kausalen Bewirkung eines Erfolges bei Einschaltung eines Dritten auf die Fälle der Benutzung eines unfreien Werkzeugs. Luden bezeichnet diese Konstellation der mittelbaren Täterschaft als intellectuelle Urheberschaft 266 und grenzt sie scharf gegen die Anstiftung ab, die bei ihm zur Teilnahme gehört und - mangels Kausalität - nicht zur Urheberschaft 267 • Bei der Herausarbeitung der Beteiligungsformen beschränkt sich Luden allerdings weitgehend auf die Differenzierung zwischen Urheberschaft und Hälschner, Strafrecht I, S. 376. Vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 49 ff. 263 Eine ausführliche Darstellung der Lehre Ludens, auch in ihrem Verhältnis zur Hegelschule, gibt v. Bubnoff, Die Entwicklung des strafrechtlichen Handlungsbegriffes, S. 88 ff. 264 Luden, Abhandlungen II, S. 382 ff.; ders. Handbuch I, S. 342 f., 346, 348, 351. 265 Luden, Abhandlungen 11, S. 365,383 ff.; ders., Handbuch I, S. 343, 352. 266 Luden, Handbuch I, S. 354 ff., insbes. S. 356 f. 267 Luden, Abhandlungen II, S. 367 f.; ders., Handbuch I, S. 354 f., 455. 26'

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Teilnahme 268 , da ihm das Gemeinsame aller Teilnahme und ihr Unterschied gegenüber der Urheberschaft wichtig erscheinen, während er eine Untergliederung der Teilnahmeformen in Anstiftung und Beihilfe für wenig fruchtbar hält. Das hängt damit zusammen, daß er zunächst nur die Grundstruktur von Täterschaft (Urheberschaft) und Teilnahme im Auge hat, wobei er den entscheidenden Unterschied im Merkmal der Kausalität erblickt 269 • Dadurch entstand bei der Teilnahme - wegen der Ablehnung eines Kausalzusammenhangs mit dem Verbrechen - eine Lücke in der Zurechnung. Der Versuch, diese mit einem positiven Zurechnungsgrund zu schließen, führte Luden zur Schaffung der Figur der Aneignung des Entschlusses des Urhebers 270 , die eine Differenzierung nach Anstiftung und Beihilfe verbietet, denn auch in der Situation, die wir als Anstiftung zu bezeichnen gewohnt sind, ist danach nicht entscheidend, daß der Teilnehmer beim Urheber die Fassung des Tatentschlusses bewirkt hat, sondern daß der Teilnehmer sich den Entschluß des Urhebers aneignet 271 • So entsteht eine Einheitsteilnahmeform272 , die dadurch charakterisiert ist, daß sich der Teilnehmer mit dem Täter identifiziert, indem er durch Aneignung die aus dem Entschluß des Urhebers hervorgehende Tätigkeit zu der seinigen macht 273 • Infolge der Bestimmung der Teilnahme als einer durch die Tätigkeit einer frei handelnden Person vermittelten Erfolgsbewirkung kommt es bei Luden zu einer besonders klaren Hervorhebung des Akzessorietätsprinzips 274. Mit der Unterscheidung zwischen Urheberschaft und Teilnahme nach der Art der Verknüpfung zwischen Handlung und Erfolg greift Luden zu einem rein objektiven Abgrenzungskriterium. So mutet es dann wenig glücklich an, daß die Teilnahme über die Aneignungskonstruktion letztlich doch subjektivierend und psychologisierend betrachtet wird. Diese Tendenz hat später in der merkwürdigen Wendung Ausdruck gefunden, in der Vorstellung des Teilnehmers bestehe zwar ein Kausalzusammenhang zwischen seiner Handlung und dem Verbrechen, aber dieser sei kein wirklicher und objektiver 27s • Andererseits soll die AbstuVgl. Luden, Abhandlungen II, s. 353 f., 391. Zugespitzt formuliert bei Luden, Handbuch I, s. 349 f.: "Der Unterschied zwischen Urheberschaft und Nichturheberschaft liegt nur in der objectiven Beschaffenheit der Handlung, ob sie nämlich mit der Hervorbringung des Verbrechens in Causalzusammenhange steht oder nicht ... ". 270 Luden, Abhandlungen II, S. 349 f., 366. Später hat er von dem Aneignungs-Gedanken wieder Abstand genommen. Vgl. Handbuch I, S. 462 Anm. 2, wo es dann weiter heißt: "Allein die Theilnahme wird schon dadurch begründet, daß man mit dem Willen handelt, daß in Folge davon ein Anderer als Urheber handele." 271 Luden, Abhandlungen II, S. 353. 272 Luden unterscheidet zwar noch verschiedene Teilnahmeformen, nämlich die einseitige, die wechselseitige und die gegenseitig einseitige Teilnahme, doch bezieht sich das nur auf die Art und Weise der Aneignung, vgl. Abhandlungen 11, S. 350 f., 361. 273 Luden, Abhandlungen 11, S. 349. 274 Luden, Abhandlungen II, S. 333 ff., 346 ff.; ders., Handbuch I, S. 434. 275 Luden, Handbuch I, S. 437; darüber schon mit Recht verwundert Hergt, Teilnahme am Verbrechen, S. 13 f. 268 269

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fung der Strafbarkeit nicht nur zwischen Urheberschaft und Teilnahme, sondern auch zwischen verschiedenen Teilnahmemodalitäten objektiv nach dem Maße des Einflusses auf die Verwirklichung des Verbrechens erfolgen 276 . Mit seinen Überlegungen hat Luden einen Aspekt beleuchtet, unter dem sich in der Tat unterschiedliche Zurechnungsformen bilden lassen: Die Urheberschaft würde danach einen naturgesetzlichen Wirkungszusammenhang (Kausalität) zwischen Handlung und Erfolg voraussetzen, während die Teilnahme auf einem psychisch vermittelten Wirkungszusammenhang beruhen würde. Diese Differenzierung darf indessen nicht zur alleinigen Richtschnur bei der Entfaltung der Begriffe von Täterschaft und Teilnahme gemacht werden 277 . Schon die physische Beihilfe 278 und der vom Täter des Betruges durch Täuschung herbeizuführende Irrtum demonstrieren augenfällig die begrenzte Bedeutung der Art des Wirkungszusammenhanges für die Zuordnung zu den verschiedenen Beteiligungsformen. Bei Luden erscheint die Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen nur als ein eindimensionales Problem, das im Abschnitt "Von dem Causalzusammenhange zwischen der Handlung und der verbrecherischen Erscheinung,,279 seinen Platz findet. Jedoch wird dadurch ein einzelner Gesichtspunkt verabsolutiert und damit die Sicht auf den Gesamtkomplex verkürzt.

5. Beteiligung und Kausalität - naturalistische Einflüsse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Die Betrachtung der Beteiligungsformen aus der Perspektive der Kausalität beherrschte dann in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts weitgehend die Diskussion, die sich vor allem an der Äquivalenztheorie und Teilnahmelehre v. Buris entzündete. Die Lehre von Täterschaft und Teilnahme, wie sie unter dem Einfluß von Hegels Philosophie geformt wurde und wie sie v. Buri vorfand, wurde von Langenbeck und Schütze noch einmal zusammenfassend dargestellt. Beide halten den Gedanken fest, daß Anstiftung als Bestimmung zur Selbstbestimmung keinen determinierten Wirkungszusammenhang begründen kann 280 . Zwar bezeichnet Langenbeck den Anstifter noch als intellectuellen Urheber 281 , aber dies scheint nur eine Reverenz vor der traditionellen Terminologie zu sein, Luden, Abhandlungen 11, S. 368 ff.; ders., Handbuch I, S. 435 f., 456,470 ff. Vgl. dazu Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 44 ff. 278 Luden, Abhandlungen II, S. 369 hat diese Schwierigkeit gesehen und versucht ihr dadurch zu begegnen, daß er die psychische Unterstützungswirkung bei der physischen Beihilfe hervorhebt. 279 So die Überschrift bei Luden, Abhandlungen II, S. 262. 280 Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme, S. 145 f.; Schütze, Die nothwendige Theilnahme, S. 248 f.; vgl. schon Bemer, Die Lehre von der Theilnahme, S. 274. 281 Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme, S. 145 f. 276

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denn die Veranlassung der Tatausführung durch ein unfreies Werkzeug scheidet er wie Schütze als nur scheinbare Anstiftung aus den Teilnahmeformen aus 282 . Auf derselben Linie liegt v. Bar, der gleichfalls nur unter der Voraussetzung von Anstiftung spricht, daß die Tat von einem frei Handelnden ausgeführt wird 283 . Freilich zeigt Schütze am meisten Mut zur Konsequenz, wenn er entschieden für die von der Urheberschaft (Täterschaft) gelöste 284 Figur der Anstiftung eintritt und meint, sie werde sich nicht durchsetzen, "bevor man der gesammten Urheberschafts-Theorie den Garaus wird gemacht haben,,28s . In der Sache wird das Akzessorietätsprinzip indessen von allen drei Autoren ernst genommen, wie sich besonders deutlich daran zeigt, daß sie übereinstimmend beim Fehlen einer mindestens versuchten Haupttat 286 bzw. bei der Einwirkung auf einen omnimodo facturus 287 keinen Versuch des Verbrechens auf Seiten des Anstifters annehmen wollen. Allerdings erlitt die Betrachtungsweise der Teilnahme als akzessorischer Beteiligung am Verbrechen durch v. Buri noch einmal einen heftigen Rückschlag. Dies erklärt sich daraus, daß der subjektiven Theorie die Anerkennung der akzessorischen Natur der Teilnahme - einer objektiven Beziehung zur Haupttat - bei Licht betrachtet zuwiderläuft 288 : Der Teilnehmer verursacht nach der Äquivalenztheorie 289 durch seinen Tatbeitrag die ganze Tat, nicht nur einen Teil davon, so daß insofern kein Rückgriff auf die Mitwirkung des Täters erforderlich ist. Mit der Feststellung der Kausalität ist die Zurechnung der Tat stets dem Grunde nach gerechtfertigt. Für die Konkretisierung der Zurechnungsform, d.h. der Beteiligungsform, ist, wenn man v. Buri folgt, dann die Willensbeschaffenheit des Handelnden maßgeblich. Hier unterscheidet er zwei Möglichkeiten: Der Wille kann ein selbständiger oder ein von einem anderen Willen abhängiger sein und damit die Beteiligungsform Urheberschaft oder Beihilfe 290 . Die (Un-)Selbständigkeit des Willens findet darin Ausdruck, daß 181 Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme, S. 148; Schütze, Die nothwendige Theilnahme, S.196, 247. 183 v. Bar, Versuch und Theilnahme, S. 43 f.; ders., Gesetz und Schuld II, S. 623 f. '84 Schütze, Die nothwendige Theilnahme, S. 244, 247. 18S Schütze, Die nothwendige Theilnahme, S. 270. '86 v. Bar, Versuch und Theilnahme, S. 50; Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme, S. 160 (trotz intellectueller Urheberschaft des Anstifters!); Schütze, Die nothwendige Theilnahme, S. 250,255,269,272. '87 v. Bar, Versuch und Theilnahme, S. 51 ff.; Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme, S.165; Schütze, Die nothwendige Theilnahme, S. 91, 255. 188 Desgleichen schon Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 49 f.; Hergt, Teilnahme am Verbrechen, S. 123. '8~ Ausführliche Darstellung der Äquivalenztheorie unter dem Blickwinkel der Teilnahmelehre bei v. Buri, GS Bd. 22 (1870), S. 2 ff. ,po v. Bun, Zur Lehre von der Theilnahme, S. 5, 9, 64; ders., GA Bd. 17 (1869), S. 236 f., 238 f., 305; ders., GS Bd. 22 (1870), S. 23; ders., ZStW Bd. 2 (1882), S. 254, 260.

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der Handelnde einen eigenen bzw. fremden Zweck, ein eigenes bzw. fremdes Interesse verfolgt. Da die Teilnahme (= Beihilfe bei v. Buri) nur in der Vorstellung des Teilnehmers als eine von einer Haupttat abhängige Willensbetätigung erscheinen muß, gelangt die Akzessorietät lediglich in subjektivierender Verflüchtigung andeutungsweise ins Blickfeld der Teilnahmelehre. Das zieht, wie sich versteht, gravierende Konsequenzen nach sich. Anders als Langenbeck, der die subjektive Theorie 291 - deutlich auf die Hegelschule zurückgreifend - mit dem Akzessorietätsprinzip 292 zu verbinden sucht, gelangt v. Buri stellenweise in eine gewisse Nähe zur Einheitstäterlehre. Für diese Tendenzen gibt die Äquivalenztheorie den Hintergrund ab. So stellt er einmal fest, jeder, der den Erfolg verursacht hat, sei Urheber, dies gelte auch für den Gehilfen, der wegen der Unselbständigkeit seines verbrecherischen willens als "Urheber 11. Grades" zu betrachten sei293 • Diese Argumentationsstruktur zeigt deutliche Parallelen zu der im frühen 19. Jahrhundert von Stübel auf Kausalitätsbetrachtungen aufgebauten Einheitstäterlehre 294 und der als Reaktion darauf - was vor allem bei Bauer klar ersichtlich ist - deutbaren ersten Blüte der subjektiven Theorie 295 • v. Buri bündelt nun beide Entwicklungslinien 296 zu einem einheitlichen Ansatz, freilich ohne die dogmengeschichtlichen Bezüge, in denen er steht, sichtbar zu machen. Diese Kombination hinterläßt beim heutigen Leser einen zwiespältigen Eindruck, weil v. Buris Schriften einerseits, nämlich in bezug auf die Äquivalenztheorie, als Schritt nach vorn, andererseits als Preisgabe eines Eckpfeilers der Teilnahmelehre, nämlich des Akzessorietätsprinzips, erscheinen. Was den letzten Punkt betrifft, so kommt bei v. Buri die seit der Aufklärung eingewurzelte zweigliedrige Teilnahmelehre (Urheberschaft und Beihilfe) in neuer Gewandung wieder zu Ehren. Die Anstiftung wird in bekannter Manier gemeinsam mit der mittelbaren Täterschaft als intellectuelle Urheberschaft betrachtet 297 , so daß ein Versuch der Verbrechensbegehung bereits dann vorüegt, wenn der Anstifter auf den Anzustiftenden einzuwirken beginnt 298 • Zur Begründung greift v. Buri auch hier wieder auf die Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme, S. 143, 181. Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme, S. 182 ff.; Nachweise s. auch oben Anm. 282, 286, 287. 293 v. Buri, GS Bd. 22 (1870), S. 22 f. 294 s. oben S. 72 ff. 295 s. oben S. 77 f. 296 Der Zusammenhang zwischen der Äquivalenztheorie und der subjektiven Teilnahmetheorie wird bei v. Buri vielfach betont; vgl. z.B. Zur Lehre von der Theilnahme, S. 2; ders., GA Bd. 12 (1864), S. 506; ders., ZStW Bd. 2 (1882), S. 252 f. Selbst Birkmeyer meint in seiner kritischen Auseinandersetzung mit v. Buri, daß die Äquivalenztheorie notwendig zur subjektiven Theorie führe (Die Lehre von der Teilnahme, S. 8) und gelangt dadurch auf den Irrweg, die von ihm vertretene objektive Theorie mit einer anderen Kausalitätstheorie zu begründen. 297 v. Buri, Zur Lehre von der Theilnahme, S. 29; ders., GA Bd. 17 (1869), S. 311; ders., GS Bd. 22 (1870), S. 28 f., 93 f.; ders., ZStW Bd. 2 (1882), S. 275. 298 v. Buri, Zur Lehre von der Theilnahme, S. 57; ders., GS Bd. 22 (1870), S. 97. 291

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Äquivalenztheorie zurück. Entscheidend sei nicht die Bestimmung eines freien Willens zur Fassung des Tatentschlusses. Die Freiheit des willens gestatte gar keine Beeinflussung in kausaler Weise. Vielmehr komme es nur darauf an, daß der intellectuelle Urheber für den Erfolg mitwirk sam geworden sei 299 • Insofern ist es dann irrelevant, ob der zur Tatausführung Veranlaßte einen freien Willen hat oder nicht 300 • Aus dieser Perspektive geht darüber hinaus die objektive Verschiedenheit von Anstiftung und psychischer Beihilfe verloren, denn beide begründen eine intellektuelle Mitwirksamkeit für den Erfolg 301 • Da v. Buri zudem psychisch vermittelte und physisch vermittelte Wirkungszusammenhänge als strukturgleich betrachtet 302 , ist für ihn jede Form der Urheberschaft und darüber hinaus auch jede Art der Beihilfe 303 eine selbständige Erfolgsverursachung, die keiner Bindung an eine Haupttat bedarf. Liegt eine Haupttat vor, so hat sie nur die Funktion, den Zusammenhang zwischen dem Tatbeitrag des Gehilfen und dem Erfolg herzustellen 304 • Da v. Buri den Unterschied zwischen Urheberschaft und Beihilfe ausschließlich nach subjektiven Kriterien trifft, gewinnt auch für ihn die seit den Anfängen der subjektiven Theorie diskutierte Frage Bedeutung, ob der Gehilfe die tatbestandliche Handlung vornehmen kann, ohne dadurch Urheber zu werden. Dies war, wie wir gesehen haben, in der Vergangenheit unterschiedlich beurteilt worden. v. Buri verneint diese Möglichkeit entschieden aufgrund der Erwägung, daß der Wille des Gehilfen kein abhängiger, sondern ein selbständiger sei, sofern er darauf gerichtet ist, über die Willensbetätigung des Urhebers hinausgreifend die Haupthandlung zu begehen 30S • Bemerkenswert ist an dieser Argumentation, 299 v. Buri, Zur Lehre von der Theilnahme, S. 29,36 f.; ders., GS Bd. 22 (1870), S. 90; ders., ZStW Bd. 2 (1882), S. 233,272 f. 300 Trotzdem vermag diese Argumentation im letzten nicht zu überzeugen, worauf schon Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 27 ff. hingewiesen hat, denn der Anstifter setzt eine Bedingung für den Erfolg, indem er eine Bedingung für den Tatentschluß des Angestifteten setzt; der mittelbare Täter setzt hingegen eine Bedingung für den Erfolg, indem er direkt die Tatausführung des Tatmittlers herbeiführt. Die Wege, die der ,,intellectuelle Urheber" beschreitet, um den Erfolg herbeizuführen, können also ganz unterschiedlich sein. Diesen Umstand verkennt v. Buri. 301 v. Buri, GS Bd. 22 (1870), S. 91; ders., ZStW Bd. 2 (1882), S. 274 f. 302 v. Buri, GA Bd. 12 (1864), S. 512 ff.; ders., GA Bd. 17 (1869), S. 239 f.; ders., GS Bd. 22 (1870), S. 93. 303 v. Buri, Zur Lehre von der Theilnahme, S. 67 f.; ders., GS Bd. 22 (1870), S. 38; ders., ZStW Bd. 2 (1882), S. 270. 304 v. Buri, GS Bd. 22 (1870), S. 36. 305 v. Buri, Zur Lehre von der Theilnahme, S. 7; ders., ZStW Bd. 2 (1882), S. 261. Der übergreifende Gesichtspunkt der (fehlenden) Willensunterordnung verbietet es auch, die Interessenlage als in erster Linie maßgeblich anzusehen, denn trotz mangelnden Eigeninteresses an der Tat liegt bei eigenhändiger Tatbegehung keine Unterordnung vor. So betrachtet erschöpft sich die Bedeutung des Tatinteresses darin, daß bei seinem Vorliegen die Willensunterordnung fehlt. Dagegen schließt nicht vorhandenes Interesse niemals die Täterschaft aus. Hierzu und zur mit v. Buri übereinstimmenden frühen RG-Rechtsprechung s. Sax, JZ 1963, 331 f.

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daß v. Buri damit indirekt die Unterscheidbarkeit zwischen der Haupthandlung und sonstigen Tatbeiträgen bestätigt. Die Äquivalenztheorie soll also nicht etwa dazu führen, daß auf der objektiven Seite die Möglichkeit zu begrifflicher Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Tatbeiträgen von vornherein fortfällt. Sie besagt nur, daß alle Tatbeiträge nach ihrer kausalen Bedeutung gleichermaßen condicio sine qua non für das ganze Verbrechen sind. Nicht ausgeschlossen ist deshalb, daß sie von einer anderen Betrachtungsebene aus nicht alle gleich erscheinen, sondern unterschiedliches Gewicht aufweisen 306 • Erst wenn sich zeigen ließe, daß die Kausalität den einzigen Maßstab objektiver Zurechnung darstellt, verlöre also eine objektive Differenzierung zwischen den Beteiligungsformen ihren Sinn. In der Tat hat v. Buri ansatzweise in dieser Richtung eine Begründung zu geben versucht, obwohl er zur Widerlegung der objektiven Theorie meist nur darauf hinweist, daß sie irrigerweise den Erfolg in wesentliche und unwesentliche Teile aufspalte, deren Verursachung isoliert betrachtet werde, so daß den einzelnen Tatbeiträgen nur jeweils bestimmte Erfolgsanteile zugeordnet würden 307 • Der Grund, weshalb eine die Äquivalenztheorie anerkennende objektive Teilnahmetheorie nach v. Buri keinen gangbaren Weg darstellt, kann nur in der teleologischen Überlegung zu finden sein, daß die Erfolgsverursachung als das ausschließliche Kriterium auf der objektiven Tatseite für die Rechtfertigung von Strafe zu gelten habe 308 • Demgegenüber erscheinen dann die Modalitäten des Handlungsvollzuges und des Kausalverlaufs als irrelevant. Der Streit um die Teilnahmelehre läßt sich also in Wahrheit nicht auf eine Auseinandersetzung über die sachgerechte Definition der Kausalität reduzieren. Dies hat v. Bar zutreffend so ausgedrückt, daß allen Ursachen eines Erfolges zwar im naturgesetzlichen Zusammenhang gleiche Wirksamkeit zukommt, ihre Bedeutung für die Zurechnung aber unterschiedlich sein kann 309 • Es geht also um den Stellenwert der Äquivalenztheorie im Rahmen der objektiven Zurechnung. Hier nimmt v. Buri nun einen extremen Standpunkt ein, der ihn zu einer subjektiven Teilnahmetheorie in der beschrie. benen AusgestaItung 310 zwmgt. Der von v. Buri eingeschlagene Weg hat in der Folgezeit weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklung der Lehre von Täterschaft und Teilnahme gehabt. Dies gilt sowohl für die Rechtsprechung, auf die v. Buri durch seine Vgl. v. Buri, GA Bd. 12 (1864), S. 506 f. Vgl. z.B. v. Buri, GA Bd. 17 (1869), S. 234; derso, GS Bd. 22 (1870), S. 1 f. 308 v. Buri, GS Bd. 22 (1870), S. 31. 309 v. Bar, Versuch und Theilnahme, S. 57 f. Er bedient sich dort der wenig glücklichen Terminologie von Haupt- und Nebenursache, will damit aber nur die unterschiedliche objektive Gewichtung der verschiedenen Ursachen im Hinblick auf die Zurechnung kennzeichnen, wie aus dem Zusammenhang ersichtlich ist. 310 Der Extrakt dieser Lehre ist eingegangen in einen Vorschlag zur Neuformulierung der Teilnahmevorschriften im Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, s. v. Buri, GS Bd. 22 (1870), S. 288. 306

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Tätigkeit am Reichsgericht maßgeblichen Einfluß nahm, als auch für den Gang der wissenschaftlichen Diskussion. Die höchstrichterliche Rechtsprechung stand hinsichtlich der Kausalitätsfrage und der Abgrenzung der Beteiligungsformen Mittäterschaft - Beihilfe von Anfang an 311 auf dem Boden von v. Buris Auffassungen. Begrenzt wurde die Möglichkeit zur Übernahme dieser Lehren durch den Wortlaut der H 47 ff. StGB vom 15.5.1871 312 • Dies betrifft vorzugsweise die Anerkennung des Akzessorietätsprinzips und die Figur der Anstiftung, die nach der gesetzlichen Regelung eine besondere, durch eine spezielle Mitwirkungsweise - also objektiv - gekennzeichnete Teilnahmeform darstellt. Darüber hinaus differenzierte das Reichsgericht in einer Reihe von Entscheidungen zwischen Mittäter und Gehilfen je nach ihrer Mitwirkung bei oder zu der Ausführung, d.h. nach dem objektiven Kriterium des Zeitpunkts, zu dem der Tatbeitrag erfolgt ist. Während Mittäterschaft danach nur durch eine Tätigkeit während der Ausführung der Tat begründet werden kann, ist Beihilfe auch im Vorbereitungsstadium möglich 313 . Demgegenüber konnte sich in der Wissenschaft die Opposition gegen eine akzessorische Teilnahmeform der Anstiftung bis in unser Jahrhundert hinein halten 314 • Dabei waren die Motive zu einer derartigen Stellungnahme allerdings nicht einheitlich. Lehnt man das Akzessorietätsprinzip im ganzen ab 315 und beurteilt die Beteiligung mehrer an einer Straftat nach den für den Kausalzusammenhang geltenden Grundsätzen 316 , dann hat das die Beseitigung der Lehre von Täterschaft und Teilnahme zur Folge - eine "Vereinfachung" der allgemeinen Lehren vom Verbrechen 317 , die mit der Konstituierung des Einheitstätersystems freilich mindestens ebenso viele Probleme aufwirft wie sie fortfallen läßt, denn dadurch 311 Die erste diesbezügliche Entscheidung - es ging um den Unterschied zwischen Mittäterschaft und Beihilfe - ist RGSt 2, 162 ff. Detaillierte Analyse der Rechtsprechung des Reichsgerichts bis 1889 bei Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 185 ff. 312 RGBl. S. 136. 313 Zu den Konzessionen des Reichsgerichts an die Gesetzeslage s. Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 203, 252 ff., 262 ff. mit ausführlichen Nachweisen. Eine Zusammenstellung von Entscheidungen, in denen Tatbeiträge als objektiv unterschiedlich betrachtet werden, findet sich a.a.O., S. 214 f. Diese Möglichkeit hatte freilich schon v. Bun nicht ausgeschlossen (vgl. oben S. 89 f.). 314 v. Liszt, Lb., 4. Aufl., S. 220; Kahler, Studien I, S. 106 ff.; ders., GA Bd. 58 (1911), S. 5 ff.; Foinitzky, ZStW Bd.12 (1892), S. 81; Nagler, Die Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 134 f., 143, 146 f.; Binding, GS Bd. 71 (1908), S. 3 bezeichnet die Anstiftung als "fatales Zwitterwesen". 315 Ausführlich Wilh. Bauer, Die akzessorische Natur der Teilnahme, Diss. Göttingen 1904; v. Hippel, Strafrecht II, S. 448 ff. 316 Auf die Äquivalenztheorie stützt sich besonders deutlich Heimberger, MittIKV Bd.11 (1904), S. 538. 317 So ohne Bedenken v. Liszt, MittIKV Bd. 4 (1894), S. 137 f.; dagegen wird der Vereinfachungsgedanke bei v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 578 f. nur als rhetorische Frage ins Spiel gebracht.

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werden die erforderlichen Differenzierungen bestenfalls auf die Strafzumessungsebene verlagert 318 , schlimmstenfalls unmöglich gemacht. Doch trat die Internationale Kriminalistische Vereinigung unter maßgeblicher Beteiligung der deutschen Landesgruppe um die Jahrhundertwende entschieden für eine Reform des Strafrechts im Sinne der Einheitstäterlehre ein 319 • Diese Entwicklungslinie hat sich im österreichischen Strafrecht schließlich durchgesetzt und gesetzliche Anerkennung gefunden (§ 12 östStGB). Einen ganz anderen Hintergrund haben dagegen die Überlegungen Bindings , die ihn zur Ablehnung der Teilnahmeform Anstiftung führten. Er knüpft an den alten Begriff der intellectuellen Urheberschaft an, die in seiner Terminologie mittelbare Täterschaft heißt. Hierunter faßt er als eine Möglichkeit der fremdhändigen Ausführung der Tat auch die meisten Fälle der Anstiftung 32o • Daneben kennt er die Urheberschaft als selbständige Beteiligungsform, doch erfüllt diese eine Funktion, die nicht dem herkömmlichen Bild entspricht. Sie soll Strafbarkeitslücken schließen, die dadurch entstehen, daß der Hintermann bei eigenhändigen Delikten und bei Fehlen besonderer persönlicher Eigenschaften kein mittelbarer Täter sein kann 321 • Diese Konstellation hat trotz Anerkennung der Anstiftung später unter dem Stichwort Teilnahme an unvorsätzlicher Tat 322 noch eine problematische Rolle gespielt, denn sofern der Vordermann unvorsätzlich gehandelt hat, ist die Anstiftungslösung grundsätzlich verschlossen. Mit dem in S 26 StGB aufgestellten Erfordernis einer vorsätzlichen Haupttat hat der Gesetzgeber diese Diskussion jedoch ins Reich kriminalpolitischer Erörterungen verwiesen. Außerdem will Binding als Urheberschaft die Anstiftung eines Zurechnungsunfähigen zum Diebstahl erfassen 323 , die mangels eigener Zueignungsabsicht des Hintermannes keine mittelbare Täterschaft sein kann und nach der Gesetzeslage zu Zeiten Bindings wegen der strengen Akzessorietät nicht als Anstiftung bestraft werden konnte. Hier hat sich das Bedürfnis zu einer derartigen Konstruktion mit der Einführung der limitierten Akzessorietät durch die Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29.5.1943 324 erledigt. Insofern als Binding durch seine Teilnahmelehre die Konsequenzen des Prinzips der extremen Akzessorietät zu umgehen versuchte, treffen sich seine Getz, MittIKV Bd. 5 (1896), S. 355 f. sieht hierin einen Fortschritt. v. Liszt, MittIKV Bd. 4 (1894), S. 137 f.; Nicoladoni, MittIKV Bd. 5 (1896), S. 347; Getz, MittIKV Bd. 5 (1896), S. 353 ff.; Seuffert, MittIKV Bd. 8 (1900), S. 199; ders., in: Die Strafgesetzgebung der Gegenwart I, S. 23; Harburger, MittIKV Bd. 11 (1904), S. 512 ff.; Heimberger, MittIKV Bd. 11 (1904), S. 535 ff.; Foinitzky, ZStW Bd. 12 (1892), S. 74 ff.; Lammasch, ZStW Bd. 14 (1894), S. 511 f. 320 Binding, GS Bd. 71 (1908), S. 8, 11 ff. 321 Binding, GS Bd. 71 (1908), S. 7, 14 f. 322 Vgl. statt aller Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 364 ff., 420 ff. 323 Binding, GS Bd. 71 (1908), S. 16 f. 324 RGBl. I, S. 341 f. 31.

31.

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überlegungen mit denen, die einige Zeit zuvor schon Schütze, ein erklärter Befürworter des Akzessorietätsprinzips 325, angestellt hatte. Er zählt zu den Gründen, die zwar zur Straflosigkeit des Täters führen, aber auf die Strafbarkeit des Teilnehmers keine Auswirkungen haben, u.a. die Zurechnungsunfähigkeit 326 und bekennt sich damit schon im Grundsatz zur limitierten Akzessorietät. Bei Schütze finden wir den Ausgangspunkt zu einer neben der soeben geschilderten historischen Linie verlaufenden Parallelentwicklung in der Teilnahmelehre, die die Tradition der objektiven Theorie weiterführt. Ebenso wie z~r gleichen Zeit Langenbeck, der zu den Vertretern der subjektiven Theorie zählt 327 , knüpft Schütze an die Hegelschule an, wenn er die Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen als Willenseinigung charakterisiert 328 • Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme wird von ihm dann objektiv vorgenommen. Aus dem Sinngehalt der Handlung als Unterstützungshandlung oder Begehungshandlung leitet Schütze die Beteiligungsform ab. Der animus des Handelnden bestimme sich nach der Art der Handlung. Deshalb sei es ausgeschlossen, durch Vornahme einer Unterstützungshandlung Täter bzw. bei Vornahme einer Begehungshandlung nur Gehilfe zu sein 329 • Den objektiven Unterschied zwischen Ausführungshandlung und sonstigen Tatbeiträgen hat Birkmeyer in seiner groß angelegten Studie auf eine Kausalitätslehre, die zwischen Ursache und Bedingung differenziert, zu gründen versucht. Gewissermaßen ist hierin das Gegenstück zu v. Buris subjektiver Theorie auf der Basis der Äquivalenztheorie zu sehen. Birkmeyer steht ebenfalls auf dem Standpunkt, daß die Kausalitätstheorie bestimmenden Einfluß auf die Teilnahmelehre ausübt 330 • Er geht im Gegensatz zu v. Buri davon aus, daß die Vielzahl der Bedingungen, die zu einem Erfolg führen, für diesen unterschiedlich wirksam sind und kann sie daher nach dem Grade ihrer Wirksamkeit ordnen, wobei er die "überwiegenden Bedingungen des Erfolges" als Ursachen von den anderen scheidet 331 • Zur Feststellung der wirksamsten Bedingung für den Eintritt eines tatbestandlichen Erfolges greift er auf die Handlungsbeschreibungen im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches zurück 332 • Die Tatbestandshandlung ist demgemäß allein die den Erfolg verursachende Handlung 333 • Wer diese Handlung vornimmt, also den Erfolg in diesem Sinne verursacht, ist Täter 334 • Der Gehilfe s. oben S. 87. Schütze, Die nothwendige Theilnahme, S. 287. 327 s. oben S. 88 mit Nachweisen. 328 Schütze, Die nothwendige Theilnahme, S. 191 f.; vgl. dazu Berner, Die Lehre von der Theilnahme, S. 212; ders., Lehrbuch, 1. Aufl., S. 159. 329 Schütze, Die nothwendige Theilnahme, S. 278, 283 f. 330 Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 5 ff. 331 Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 99, 102. 332 Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 100. 333 Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 96 f. 334 Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 95. 325 326

2. Teil: Die historische Entwicklung der Teilnahmelehre

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setzt demgegenüber nur Bedingungen von untergeordneter Bedeutung335 • Auch der Anstifter "verursacht" den Erfolg nicht 336 • Im Ergebnis stimmen Birkmeyers Darlegungen folglich mit der formal-objektiven Theorie überein, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einmal eine Blüte erlebte 337 • Nach seinem Selbstverständnis handelt es sich freilich um eine materiell-objektive Sichtweise, denn Maßstab für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme soll die reale Verschiedenheit der kausalen Wirksamkeit der Handlungen für den Erfolg sein 338 • Durch seine Kausalitätstheorie kommt Birkmeyer zwanglos dazu, daß Anstiftung und Beihilfe keine selbständigen Delikte sind. Sie verursachen den Erfolg nicht und bedürfen daher schon aus diesem Grunde einer Haupttat. Darüber hinaus entlehnen sie ihre Strafbarkeit aus der Haupttat, so daß auch diese eine strafbare Handlung sein muß 339 • Andererseits gerät Birkmeyer aufgrund seiner Auffassung der Kausalität gerade in Schwierigkeiten: Der Teilnehmer soll zwar wegen des Gesarnterfolgs bestraft werden, hat aber nur eine Bedingung von untergeordneter Wirksamkeit dazu gesetzt. An dieser Stelle greift Birkmeyer zu derselben Verlegenheitslösung, die schon Luden zur Überbrükkung einer derartigen Lücke in der Zurechnung benutzt hatte, indem er den Mangel der Verursachung dadurch zu kompensieren versucht, daß er den Teilnehmer sich dasjenige, was der Täter getan hat, aneignen läßt 340 • Birkmeyers Teilnahmelehre hat vor allem wegen der ihr zugrunde gelegten Kausalitätstheorie von Anfang an Widerspruch erfahren 341 • Entkleidet man diese Theorie ihres Anspruchs, die Kausalzusammenhänge bei der Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen aufzuklären, und begreift sie als eine Lehre vom unterschiedlichen Wert der einzelnen Tatbeiträge 342 , so kann sie als verkappte Zurechnungslehre durchaus in eine Reihe mit den anderen im Laufe der historischen Entwicklung unternommenen Versuchen dieser Art gestellt werden. An Birkmeyers Darlegungen wird noch einmal deutlich, was sich in den einzelnen Epochen der Strafrechtsgeschichte immer wieder in anderem Gewande - und damit mehr oder weniger klar - gezeigt hat: Die Lehre von Täterschaft und Teilnahme verdankt ihre Existenz gerade dem Umstand, daß die Beteiligungsverhältnisse nicht nur in ihren kausalen Strukturen strafrechtlich relevant sind, sondern das Bedürfnis nach einem quantitativ abstufbaren und qua335

336 337

33. 339 340 341 342

Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 112 f. Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 119,122. s. die Zusammenstellung bei Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 34. Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 98. Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 146, 149,153. Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme, S. 126, 129. z.B. v. Bar, Gesetz und Schuld 11, S. 598 ff. so v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 602 f.; Hergt, Teilnahme am Verbrechen, S. 79 ff.

V. Die Aufklärung und das 19. Jahrhundert

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litativ differenzierenden Zurechnungsmaßstab besteht, den die Beteiligungsformen als typisierende Zurechnungsformen zur Verfügung stellen. Dabei bleibt allerdings der Bezugspunkt für die Errichtung dieses Maßstabes noch weitgehend verdeckt. Eine wuchernde Begriffsbildung verstellte immer wieder den Blick dafür, daß die Beteiligungsformen unterschiedliche Weisen sind, in denen die Voraussetzungen für eine Bestrafung erfüllt werden kö~nen, ihre Sonderung mithin als Konkretisierung einer Wert- und Zweckordnung zu betrachten ist. Diese teleologische Ausrichtung der Teilnahmelehre ist in den vergangenen Jahrhunderten meist allenfalls unbewußt erfolgt, da man sich zu sehr der Erforschung der wie ein Naturphänomen betrachteten "Pluralität der Tatbeteiligten in ihrer empirischen Tatsächlichkeit,,343 widmete. Eine Analyse der neueren Entwicklung wird zeigen, inWieweit sich daran in den letzten Jahrzehnten etwas geändert hat.

343

Zu dieser Formulierung Erik Wolfs s. oben S. 45.

Dritter Teil

Der gegenwärtige Stand der Lehre von Täterschaft und Teilnahme I. Die Gesetzeslage Der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in der F;tssung des 2. Strafrechtsreformgesetzes vom 2.1.1975 1 enthält in H 25 ff. eine Kodiftkation von Grundsätzen· aus dem Bereich der Lehre von Täterschaft und Teilnahme, die gegenüber den bis dahin vorhandenen gesetzlichen Regelungen zwar eine Reihe von Ergänzungen und Klarstellungen gebracht hat, aber trotzdem bei weitem nicht alle zentralen Punkte berührt und in der großen Linie das seit der Einführung der limitierten Akzessorietät bestehende Beteiligungssystem bestätigt. Schon S 25 Abs. 1 StGB füllt eine Lücke aus, indem er erstmals die unmittelbare und die mittelbare Täterschaft normiert. Hieran knüpfen sich - wie kaum anders zu erwarten gewesen ist - denn auch gleich die ersten Fragen. Hinsichtlich der unmittelbaren Täterschaft hat sich die Diskussion daran entzündet, wie es zu verstehen sei, daß der Täter die Straftat selbst begangen haben muß. Überwiegend wird zwar davon ausgegangen, daß der Gesetzgeber damit der Annahme von Beihilfe trotz eigenhändiger Tatausführung eine Absage erteilt hat 2 , doch sind auch einige Gegenstimmen laut geworden. Baumann wendet sich dagegen, daß dies aus dem Wort "selbst" in S 25 Abs. 1 StGB hergeleitet werden könne 3 • Nun ist ein philologischer Streit um Wortbedeutungen und ihre Grenzen für die juristische Argumentation stets dann eine mißliche Angelegenheit, wenn dadurch der Blick von den Regelungszusammenhängen auf die isoliert betrachteten Begriffe verengt wird. An dieser Stelle wird man indessen Baumann, der seine Auslegung nicht weiter abstützt, entgegenhalten müssen, daß nicht ersichtlich ist, wie denn ein Gesetzeswortlaut anders als der des S 25 Abs. 1 StGB beschaffen sein sollte, um dem Gedanken der Täterschaft durch eigenhändige Tatausführung Geltung BGBl. I, S. 1 ff. Jescheck, AT, S. 530; Wesse/s, AT, S. 122; Schönke/SchröderiCramer, S 25 Rdn. 2 f.; Samson, SK, S 25 Rdn. 7; DreherlTröndle, S 25 Rdn. 2; Roxin, LK, S 25 Rdn. 38 ff.; ders., Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 546 ff.; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 5 Anm. 7; Cramer, Bockelmann-Festschrift, S. 392 f.; Maiwald, ZStW Bd. 88 (1976) S. 729; OLG Stuttgart,JZ 1977, 724 f. 3 Baumann, AT, S. 563 Anm. 28. 1

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1. Die Gesetzeslage

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zu verschaffen. Zumindest die Wahl des Wortes "selbst" dürfte keinen Angriffspunkt bieten. Wenn Sehmidhäuser in der Formulierung des S 25 Abs. 1 StGB eine Gegenüberstellung von unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft erblickt 4 , so ist dagegen gewiß nichts einzuwenden, doch besagt das keineswegs, daß die Charakterisierungen der Täterschaftsformen ("selbst" und "durch einen anderen") dadurch für sich betrachtet wertlos werden. Allenfalls ließe sich die Frage aufwerfen, ob die Verwendung des Begriffs "begehen" in S 25 Abs. 1 StGB statt "ausführen" in S 47 StGB a.F. zu der Annahme nöt~t, daß der Gesetzgeber der Rechtsprechung freie Hand lassen wollte. Die diesbezüglichen, im Schrifttum geäußerten BedenkenS erscheinen im Ergebnis jedoch nicht durchgreifend, denn sie finden im Gesetzestext keine hinreichende Stütze6 , insbesondere wenn man die Kombination des Wortes "begehen" mit dem Wort "selbst" berücksichtigt. Vielmehr kann lediglich unter Heranziehung Gesetzesmaterialien die Feststellung getroffen werden, daß bei den Beratungen unter anderem die Auffassung geäußert worden ist, die Prüfung der Frage, ob nicht auch bei eigenhändiger Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale in Extremfällen Teilnahme vorliegen könne, solle der Rechtsprechung vorbehalten bleiben 7 • Freilich hat keine Abstimmung stattgefunden, die als Ausdruck einer verbindlichen Meinungsbildung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in diesem Sinne gelten kann 8 • Einen anders gearteten Einwand gegen die hier vertretene Auffassung hat ebenfalls Schmidhäuser vorgetragen. Er meint, in ihr die Bereitschaft zu einem neuen Gesetzespositivismus erkennen zu können 9 • Damit greift er einen Gedankengang auf, der sich gerade in der Lehre von Täterschaft und Teilnahme einer nicht geringen Beliebtheit erfreut: Mit der "Natur der Sache" wurde schon bei der Diskussion um die Möglichkeit einer Teilnahme an unvorsätzlieh er Haupttat gern argumentiert. Hiermit läßt sich aber die Entscheidung des Gesetzgebers allenfalls als Fehlgriff kritisieren. Das entbindet jedoch nicht davon, die Gesetzeslage zur Kenntnis zu nehmen. In S 25 Abs. 1 StGB wird außer der unmittelbaren auch die mittelbare Täterschaft erstmalig gesetzlich erwähnt. Die Umschreibung dieser Täterschaftsform beschränkt sich bewußt auf die globale Wendung, daß die Tatbegehung "durch einen anderen" zur Bestrafung als Täter führt. Dadurch soll nach der Intention des Gesetzgebers zukünftigen Entwicklungen in Wissenschaft und Rechtsprechung Raum gegeben werden 1o . Aus der Formulierung des Gesetzes Schmidhäuser, AT, 14/168. MaurachlGössel, AT 2, S. 176; Lackner, S 25 Anm. 1 a). 6 Hierzu Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 549 f.; Maiwald, ZStW Bd. 88 (1976) S. 729. 7 Prot. V, S. 1649, 1823,1825. a Hierzu zusammenfassend Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 548. 9 Schmidhäuser, AT, 14/168. 10 BT-Drucks. V/4095, S. 12 unter Bezugnahme auf BT-Drucks. IV/650, S. 149. 4

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7 Bloy

3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

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ist nur soviel zu entnehmen, daß allein die Unterscheidung zwischen einer nichtakzessorischen Beteiligungsform der mittelbaren Täterschaft und einer akzessorischen Beteiligungsform der Anstiftung dem geltenden Recht entspricht. Dabei strahlt die für die unmittelbare Täterschaft in 5 25 Abs. 1 StGB getroffene Regelung insoweit auf die Figur der mittelbaren Täterschaft aus, als eine täterschaftliche Tatbegehung durch ein doloses GehilJenwerkzeug nicht mehr vom Gesetz gedeckt ist, denn dies ist die Komplementär-Beteiligungsform zur Beihilfe bei eigenhändiger Tatausführung ll . Während die Mittäterschaft (5 25 Abs. 2 StGB) nur eine redaktionelle Änderung erfahren hat - der Begriff des "Ausführens" ist durch den des "Begehens" ausgetauscht worden -, sind Anstiftung und Beihilfe durch das 2. Strafrechtsreformgesetz mit dem ausdrück,lichen Erfordernis einer vorsätzlichen Haupttat ausgestattet und damit in einem wesentlichen Punkt auf eine äußerst umstrittene 12 Auffassung in der Teilnahmedogmatik festgelegt worden. Trotz des eindeutigen Wortlauts der H 26, 27 StGB finden sich im Schrifttum einige Stimmen, die auch bei nur vermeintlich vorsätzlicher Haupttat strafbare Teilnahme für möglich halten 13 , während nach zutreffender und herrschender Meinung bei dieser Konstellation nur in den engen Grenzen des § 30 StGB eine Strafbarkeit mit dem Gesetz zu vereinbaren ist 14 • Schwieriger zu beurteilen ist dagegen die Fallgestaltung, daß ein Extraneus einen Sonderpflichtigen in einen Erlaubnistatbestandsirrtum versetzt. Je nachdem, ob man die strenge, die eingeschränkte oder die rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie zugrunde legt, stellt sich die Beurteilung des Sachverhalts in einem anderen Lichte dar. Dabei ist festzuhalten, daß hier nicht ein Problem aus der Teilnahmelehre zur Diskussion steht, sondern die Irrtumslehre auf die Behandlung einer speziellen Mitwirkungssituation ausstrahlt, so daß die Lösung, die hier nicht weiter verfolgt werden soll, nicht bei den Teilnahmevorschriften ansetzen kann 15 , vielmehr weit bis in die Grundlagen der Theorien über die Folgen der irrtümlichen Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ausholen muß. Desgleichen Roxin, LK, S 25 Rdn. 46. Vgl. nur SchönkelSchröderlCramer, Vorbem. 32 ff. vor U 25 ff.; Samson, SK, Vorbem. 26 f. vor S 26; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 551 ff. 13 Baumann, AT, S. 583 f.; DlreherlTröndle, Vorbem. 10 vor S 25; Lackner, Vorbem. 4a vor S 25; Schöneborn, ZStW Bd. 87 (1975) S. 911 Anm. 38. 14 Jescheck, AT, S. 534 f.; Schmidhäuser, AT, 14/68 (vor allem Anm. 12); Wessels, AT, S. 130; SchönkelSchröderlCramer, Vorbem. 33 vor U 25 ff.; Samson, SK, Vorbem. 27 vor S 26; Roxin, LK, S 25 Rdn. 97 f.; ders., Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 555 ff.; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 45 f.; zurückhaltend Bockelmann, Gallas-Festschrift, S. 261 ff. IS SO aber Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 552 ff. im Anschluß an Dreher, Heinitz-Festschrift, S. 222; mit Recht kritisch Maiwald, ZStW Bd. 88 (1976) S. 730 f. 11

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11. Die Rechtsprechung und die subjektive Theorie

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Anstiftung und Beihilfe sind also insoweit akzessorisch, als sie eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat voraussetzen. Eine zusätzliche Reduzierung der Akzessorietät bringt S 28 Abs. 2 StGB. Der Akzessorietätsgedanke bietet den maßgeblichen Gesichtspunkt für die Qualifizierung der Anstiftung und Beihilfe als Teilnahmeformen im Unterschied zu den Täterschaftsformen. Hingegen ist die Abstufung der Strafbarkeit von der Bildung der Beteiligungsformen weitgehend losgelöst. Der Anstifter ist gleich d~m Täter zu bestrafen (§ 26 StGB); der Gehilfe genießt dagegen obligatorische (S 27 Abs. 2 StGB) früher fakultative (S 49 Abs. 2 StGB a.F.) - Strafmilderung. Nur bei der Beihilfe sind also Beteiligungsform und besonderer Strafrahmen gekoppelt. Das bedeutet, daß ein allgemeines Prinzip, wonach beide miteinander in spezifischer Weise verknüpft sind, nicht anerkannt ist. Im Rückblick auf die historische Entwicklung stellt sich dies als die volle Entfaltung zweier von der Ebene der Strafzumessung unabhängiger Zurechnungstypen dar. Dabei sind die Handlungsbeschreibungen ("bestimmen" und "Hilfe leisten") aufs äußerste verknappt. Das traditionelle Bemühen um die Erfassung der vielfältigen Anstiftungsmittel und die hergebrachte Einteilung der Beihilfe in psychische und physische haben im Gesetz keinen Ausdruck mehr gefunden l6 • Das zeigt an, daß die Zeiten kategorisierungsfreudiger Begriffsbildung endgültig entschwunden sind. Die Trennung von Zurechnungstypus und Strafzumessung wird von der subjektiven Theorie freilich in nicht unerheblichem Maße wiede zurückgenommen. Diese Tendenz hat vor allem in der Rechtsprechung sehr plastisch Ausdruck gefunden und gibt zu einer kritischen Betrachtung Anlaß.

11. Die Rechtsprechung und die subjektive Theorie 1. Historische und dogmatische Grundlagen der subjektiven Theorie In ihren Ursprüngen war die subjektive Theorie kein Instrument, mit dessen Hilfe der Richter einen ihm angemessen erscheinenden Strafrahmen erschließen konnte. Westphal, ihr erster Verfechter, trennt ganz entschieden zwischen den Zurechnungskategorien und den Strafzumessungskriterien mit dem Ergebnis, daß der Beystand je nach dem Ausmaß des Tatbeitrags milder oder auch gleich der Urheberschaft bestraft werden soll I . Erst die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte Kombination dieser Lehre mit dem ansatzweise sehr viel 16

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Anders noch SS 48 Abs. 1,49 Abs. 1 StGB a.F. Siehe oben S. 66 mit Nachweisen.

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3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

älteren Gedanken 2 , daß der Gehülfe milder zu bestrafen sei als der Urheber 3 , eröffnete die Möglichkeit, durch die Zuordnung eines Verhaltens zu einer bestimmten Beteiligungsform eine Vorentscheidung über die Höhe der Strafe zu treffen. Badewannen-Fall4 und Staschynskij-UrteilS sind dann später dafür die extremsten Belege 6 geworden. Hinter der Anerkennung der Möglichkeit von Beihilfe trotz eigenhändiger Tatausführung steckt letztlich das Bedürfnis, die als Ausdruck von Strafzumessungserwägungen betrachteten Beteiligungsformen bis in die letzte Konsequenz flexibel zu gestalten 7 • Allerdings ist dieser äußerste Schritt häufig auch abgelehnt worden, nicht zuletzt von v. Buri 8 , der der subjektiven Theorie zu großer Popularität 9 und auch praktischer Bedeutung verhalf. Damit setzt er sich freilich dem Einwand aus, daß er trotz Anerkennung der Äquivalenztheorie im objektiven Bereich zwischen der Haupthandlung, durch die der Tatbestand verwirklicht wird, und sonstigen Tatbeiträgen differenziert, obwohl die subjektive Theorie die Legitimität eines derartigen Vorgehens prinzipiell bestreitet. In der Tat wird die subjektive Theorie nur um den Preis in sich schlüssig, daß jede Handlung jede Beteiligungsform, also auch die eigenhändige Tatausführung Beihilfe, sein kann, wie es von der Rechtsprechung in den genannten Entscheidungen und im Schrifttum in der Gegenwart noch von Baumann 10 vertreten wird. Die These, daß die Beteiligungsformen nur subjektiv voneinander abgrenzbar seien, leitet ihre Berechtigung seit v. Buris Wirken aus der Äquivalenztheorie her l l . Darin steckt allerdings über die heute allgemein anerkannte Aussage, daß alle Tatbeiträge in ihrer kausalen Bedeutung gleichwertig sind, hinaus die 2 Erste Spuren schon bei den Römern (siehe oben S. 47), deutlicher dann die deutschrechtlichen Quellen des Mittelalters (siehe oben S. 50), differenzierend die Italiener (siehe oben S. 54), im Anschluß an sie auch das rezipierte Recht (siehe oben S. 60). Auf breiter Front durchzusetzen beginnt sich diese Ansicht erst in der Zeit Feuerbachs (siehe oben S.69). 3 z.B. bei Bauer, Lehrbuch, S. 109; zwei Jahrzehnte später dann Bemer, Die Lehre von der Theilnahme, S. 211. 4 RGSt 74, 84 ff. s BGHSt 18, 87 ff. 6 Vgl. auch OHGSt 1, 102 und BGH, NJW 1951, 323. 7 Zum Hintergrund der Badewannen-Entscheidung siehe Hartung, JZ 1954, 430 f., zum Hintergrund des Staschynskij-Urteils Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 128 f., 579 ff. a Siehe oben S. 89. 9 Auf der Linie v. Buris in neuerer Zeit noch Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, S. 47, 76, der sich später freilich der Tatherrschaftslehre zuwandte (siehe a.a.O., S. 101, 120 ff.). 10 Baumann, NJW 1963, 562 (zustimmende Stellungnahme zum Staschynskij-Urteil); ders., JuS 1963,88. Allerdings sieht er die Badewannen-Entscheidung als "klare Fehlentscheidung" an, da das Moment des Interesses am Taterfolg überbewertet worden sei (NJW 1962,376; NJW 1963, 563/564;JuS 1963, 58). 11 So heute noch Baumann, NJW 1963, 562; ders., JuS 1963,58.

11. Die Rechtsprechung und die subjektive Theorie

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weitergehende Vorstellung, daß mit der Kausalität zugleich über die objektive Zurechnung entschieden sei, beide also identisch seien 12 • Das wiederum leuchtet nur unter der Prämisse ein, daß allein der Erfolgsunwert, d.h. die kausale Herbeiführung einer Rechtsgutsverletzung, Zurechnungsobjekt ist 13 • Der einseitig erfolgsbezogene Unrechtsbegriff bildet also die dogmatische Basis der subjektiven Theorie. Von daher ist es nur konsequent, wenn die Beteiligungsformen de facto in die Strafzumessungsebene verschobe.n werden, denn letztlich bedeutet das eine verkappte Einheitstäterlehre, die kongruente Ausformung des Verständnisses des Unrechts als Rechtsgutsverletzung auf dem Gebiet der Lehre vom Subjekt des Verbrechens 14 •

2. Die Anfänge der BGH-Rechtsprechung als Fortführung der vom Reichsgericht begründeten Tradition Im Zeichen dieser Unrechtslehre steht die gesamte Entwicklung der Rechtsprechung von den Anfängen des Reichsgerichts bis in die heutigen Tage. Ausgehend von den Lehren v. Buris 15 machte sich das Reichsgericht seit seinem Beginn die subjektive Theorie zu eigen 16 • Die Durchsicht der einschlägigen Entscheidungen 17 ergibt, daß sich in ihnen über die Wiedergabe der bloßen animus-Formel hinaus nur selten Hinweise auf das maßgebliche Abgrenzungskriterium fmden. Die einzige Entscheidung des Reichsgerichts 18 aus früher Zeit, die sich ausführlicher mit der subjektiven Theorie beschäftigt, stellt ganz im Sinne v. Buris darauf ab, daß der Wille des Gehilfen im Verhältnis zu demjenigen des Täters ein abhängiger sei 19 , somit der Gehilfe seinen Willen demjenigen des Täters insofern unterwerfe, als er diesem anheimstelle, ob die Tat zur Vollendung kommen solle. Erst später klingt das Moment des Interesses am Taterfolg an 20 , Deutlich Baumann, NJW 1962, 375. Zu diesem Punkt bei v. Buri, siehe oben S. 90. Soin der Tat Baumann, NJW 1962, 375. 14 Den Mut zur radikalen Konsequenz hatte erstmals Stübel (siehe oben S. 72 ff.). Die Neigungen v. Buris in Richtung auf die Einheitstäterlehre, insbesondere seine Ablehnung des Akzessorietätsprinzips, haben hier ihre Wurzeln (siehe oben S. 87 ff.). 15 Zum Einfluß v. Buris auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts siehe oben S. 90 f. 16 Grundlegend RGSt 3, 182 f. 11 Genannt seien hier nur solche von der bis 1889 reichenden Darstellung Birkmeyers (siehe oben S. 91 Anm. 311) nicht mehr erfaßten Entscheidungen, die die Beteiligungsfrage nicht nur ganz am Rande streifen und die Kontinuität dieser Rechtsprechung verdeutlichen. Sie umfassen den Zeitraum zwischen 1894 und 1939: RGSt 26, 346; 31, 82; 37, 58; 39,196;42,156; 53,138;54,153;57,308;63,102 (;64, 275;66,240,305;71,353; 74,23. 18 RGSt 3, 182 f. 19 Desgleichen in einer kurzen Bemerkung auch RG Rspr. 8,355 f. 20 Wohl erstmals in RGSt 42, 156, dann auch in RGSt 63, 103. 12

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3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

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dessen Gewicht mit fortschreitender Zeit deutlich zunimme 1 bis es im Badewannen-Urteil unverhüllt dominiert 22 . Weniger schematisch, wenn auch bisweilen recht schwankend, nimmt sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus, die zwar an die vom Reichsgericht begründete Tradition anknüpft, aber im Rahmen ihres subjektiven Ausgangspunktes eine Vielfalt von Gesichtspunkten zum Tragen gebracht hat. Das zeigen schon die ersten einschlägigen Urteile. Bereits eine Entscheidung aus dem Jahre 1950 23 verwendet den Begriff der Tatherrschaft. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß er an dieser Stelle als Bezeichnung für das Merkmal der Willensunterordnung im Sinne der subjektiven Theorie dient. Folgerichtig wird nicht einmal die Möglichkeit ausgeschlossen, daß derjenige, der in eigener Person alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht, einem anderen die "volle Tatherrschaft" überläßt. Die Begriffswahl führt also nur zu einer atmosphärischen, konkret kaum greifbaren Veränderung. So kann es denn auch nicht überraschen, daß zwei kurz darauf ergangene Entscheidungen 24 sich mit animus-Formel und Willensunterordnungs-Kriterium wieder ganz - auch im Vokabular - in den gewohnten Bahnen bewegen.

3. Von den er8ten An8ätzen bi8 zum Durchbruch der normativen Kombination8theorie in der 8GH-Recht8prechung Die vom Reichsgericht verfolgte Linie, die der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone weiterführte 2S , fand in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung der ersten Nachkriegsjahre dagegen keine ungeteilte Zustimmung. Während sich einige Entscheidungen deutlich am Tatinteresse als maßgeblichem Gesichtspunkt orientieren 26 , wenden sich andere gegen eine "überspitzung" der subjektiven Theorie und ermitteln den Täterwillen auf der Grundlage dessen, wie er sich in der Tat objektiviert hat. Das bedeutet im Ergebnis, daß die eigenhändige Tatausführung unabhängig von der Interessenlage als Täterschaft qualifiziert wird 27. Diese Auffassung hat dann durch Mezger sehr schnell Eingang ins Schrifttum gefunden 28 • Damit kündigte sich eine neue Sichtweise an, derzufolge das Vgl. z.B. RG, JW 1937, 1509 mit den in Anm. 20 genannten Entscheidungen. RGSt 74, 85: "Ob jemand die Tat als eigene will, richtet sich vornehmlich, wenn auch nicht ausschließlich, nach dem Grade seines eigenen Interesses am Erfolg." 23 BGH, NJW 1951, 121. 24 BGH, NJW 1951, 323, 410. 25 OGHSt 1, 55, 367; 2, 58; 3, 4. 26 OLG Braunschweig, NJW 1947/48, 193 stellt andererseits wenig folgerichtig den Täter als "Herrn des Geschehens" heraus. Vgl. auch OLG Celle, HESt I, 14. 27 Vor allem OLG Kiel, DRZ 1947, 134; siehe auch OLG Bremen, MDR 1948, 29; OLG Frankfurt, HESt 1,80 f.; 2,194 f. 28 Mezger, AT, 1. Aufl., S. 179 f., zuletzt in der 9. Aufl., S. 225 f. Mezger gehörte ur· 21

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II. Die Rechtsprechung und die subjektive Theorie

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subjektive Moment des Täterwillens in seiner sozialen Erscheinung betrachtet werden muß: Die subjektive Sinngebung ist in einen umfassenden Bedeutungszusammenhang zu integrieren, der als soziale Realität überhaupt erst die Sphäre berührt, in der mit strafrechtlichen Kategorien gearbeitet werden kann 29 . Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes löste sich von der Perspektive des Handelnden erstmals in einer Entscheidung, in der es .um die unterlassene Verhinderung einer Selbsttötung ging. Dort heißt es: "Es kommt nicht darauf an, welchen beliebigen Sinn der Verpflichtete seinem Untätigbleiben innerlich beilegt, sondern welchen Sinn es für den Ablauf der Dinge wirklich hat. ,,30 Wegen der strukturellen Besonderheiten des Unterlassungsdelikts stellte der zugrunde liegende Sachverhalt allerdings keinen glücklich gewählten Anlaß dar, im Spannungs feld zwischen subjektiver und objektiver Theorie einen vermittelnden Standpunkt zu gewinnen. Der Bundesgerichtshof stellte denn auch zur Begründung' der Unterlassungstäterschaft in der Sache auf die "besondere Pflichtenlage" ab, obwohl er seinen Lösungsansatz in die für die Begehungsdelikte entwickelte Terminologie einkleidete. Danach soll sich die Beteiligungsform nach der inneren Haltung zur Tat und zum Taterfolg bestimmen, wobei Willensrichtung, Tatherrschaft, Interesse am Taterfolg und Umfang der eigenen Tatbestandsverwirklichung die maßgeblichen Kriterien seien 3l . Zwar wird die Distanzierung von der subjektiven Theorie in der durch die Rechtsprechungstradition überlieferten Gestalt außer auf die Bedeutung der Erfolgsabwendungspflicht auch auf die der "Sachherrschaft des Verpflichteten" gestützt 32 , aber dieser Gedanke gewinnt de facto kein selbständiges Gewicht, denn er führt nicht zu einer Trennung von Beteiligungsweisen mit und ohne Tatherrschaft, die als Täterschaft und Beihilfe klassifiziert werden könnten. Vielmehr läuft die Argumentation des Bundesgerichtshofes darauf hinaus, dem Hilfspflichtigen stets die Sachherrschaft zuzusprechen, so daß Beihilfe prinzipiell ausscheidet 33 . Damit verliert das Tatherrschaftskriterium seinen Sinn, da es mit der Erfolgsabwendungsmöglichkeit identifiziert wird 34 • Zieht man nun ein Resümee, so offenbart die BGH-Entscheidung in Wahrheit weniger eine Aufgeschlossenheit gegenüber der - richtig verstandenen - Tatherrschaftslehre, als vielmehr das Bemühen, der eigenständigen Struktur der Beteiligung am Unterlassungsdesprünglich zu den Vertretern der formal-objektiven Theorie, die er durch materiell-objektive, am Rechtsgutsbegriff orientierte Überlegungen ergänzte (Strafrecht, S. 443 ff.). n Zur grundlegenden Bedeutung des Begriffs des Sozialen für das Strafrecht siehe Bloy, ZStW Bd. 90 (1978) S. 609 ff. 30 BGHSt 2, 156. 31 BGHSt 2, 151. 32 BGHSt 2, 156. 33 Deutlich BGHSt 2, 156: .. Der Schuldvorwurf der vorsätzlichen Täterschaft trifft hiernach vor allem den, der pflichtwidrig eine Selbsttötung unterstützt oder untätig bleibt, weil er die Todesfolge will ... " (Hervorhebungen von mir). 34 Vgl. auch die Kritik an der Entscheidung von Gallas,JZ 1952, 372 und Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 463 ff., 490.

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likt Rechnung zu tragen. So verbinden sich in der Entscheidung auf eigentümliche Weise richtige und falsche Ansatzpunkte. Einerseits zeigt der Bundesgerichtshof ein Gespür für die Besonderheiten des Unterlassungsdelikts, indem er gerade den Fall unterlassener Selbstmordhinderung zum Anlaß nimmt, ein Stück von seiner alten Position abzurücken. Andererseits geht dieser Schritt in die falsche Richtung, da eine auf den Gesichtspunkt der Herrschaftsausübung gestützte objektivierende Betrachtungsweise dem Unterlassungs delikt nicht gerecht zu werden vermag. Insofern liegt die Bedeutung des Urteils nicht darin, daß es das Tatherrschaftskriterium aufgreift, sondern darin, daß es die Beteiligungsverhältnisse beim Unterlassungsdelikt von der Erfolgsabwendungspflicht her entwickelt. Der weitere Fortgang der Teilnahmerechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestätigt, daß der Tatherrschaftsgedanke nur sehr zögernd Aufnahme findet und die Entscheidung im 2. Bande in diesem Punkt nicht überbewertet werden darf. Nach mehreren ganz auf der reichsgerichtlichen Linie liegenden Entscheidungen 35 taucht die Tatherrschaft erstmals in einem Urteil aus dem Jahre 1954 wieder auf, und zwar als wichtiger Anhaltspunkt für die Ermittlung der Willensrichtung des Handelnden, von der die Beurteilung der Beteiligungsform abhängig gemacht wird 36 • Die darin erkennbare Tendenz, die innere Beziehung des Handelnden zur Tat danach zu bewerten, wie sie das Tatgeschehen geprägt hat, verstärkt sich dann in einer kurz darauf ergangenen Entscheidung, die auch einzelne für die Tatherrschaft bedeutsame Umstände herausstellt 37 • Ein fast gleichzeitig ergangenes Urteil arbeitet dagegen wieder mit der alten Interessentheorie 38 • Jedoch gewinnt die Objektivierung des subjektiven Ausgangspunktes in der BGH-Rechtsprechung mit einer Entscheidung, die sich erstmals ausdrücklich zu einer "wertenden Betrachtung" unter Einbeziehung der "gesamten Umstände" bekennt 39 , weiter an Boden. Nach einer wiederum auf der Dolustheorie basierenden Entscheidung, die nur den Tatherrschaftswillen erwähnt 40 , und einem zur Beteiligung am Unterlassungsdelikt ergangenen Urteil41 , das "Willensrichtung, Tatherrschaft und Interesse am Taterfolg unter Berücksichtigung des Umfangs der eigenen Tatbestandsverwirklichung" nebeneinander zur Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe ins Auge faßt 42 , wird in zwei EntBGHSt 3, 350; 4, 42; BGH, MDR 1953, 400 f. BGH, N]W 1954, 1375. 37 BGH, MDR 1954, 529. 38 BGHSt 6, 229. 3P BGH,]R 1955,305. 40 BGHSt 8, 73. 4' BGH, LM Nr. 10 vor S 47. 42 Diese Entscheidung fällt deutlich hinter BGHSt 2, 150 ff. zurück, denn sie behandelt die Unterlassungstat ganz unbefangen nach denselben Prinzipien wie die Begehungstat. Außerdem werden völlig heterogene Abgrenzungskriterien beziehungslos aneinandergereiht. Kritisch auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 95 f., 490. 35

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scheidungen des 5. Senats vom selben Tage der sich herausschälende normative Ansatz gefestigt und ausgebaut. Während sich das eine Urteil darauf beschränkt, noch einmal die Bedeutung der gesamten Umstände für die Beteiligungsproblematik hervorzuheben 43 , baut das andere seine Stellungnahme auf einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Badewannen-Urteil des Reichsgerichts auf"4. Unter Berufung auf Mezger distanziert sich der Bundesgerichtshof von der extrem subjektiven Theorie und verlagert insbesondere den Schwerpunkt der für die Unterscheidung zwischen den Beteiligungsformen maßgeblichen Umstände von der Interessenlage auf die Tatherrschaft, aus der er auf die Willensrichtung des Handelnden zurückschließen will4s • Auffallend ist vor allem, daß das Unterördnungs-Kriterium der Dolustheorie überhaupt keine Rolle spielt, während andererseits eifrig versichert wird, daß die in früheren Entscheidungen angelegten Maßstäbe sich nicht gewandelt hätten. Die dafür als Belege zitierten Urteile vom 21.11.1950 46 und 13.2.1951 47 gehören indessen, wie bereits dargestellt 48 , zu denjenigen, die den herkömmlichen Subjektivismus nicht verlassen. Trotz des erkennbaren Bestrebens, die Kontinuität seiner Rechtsprechung nach außen zu wahren, hat sich der Bundesgerichtshof mit der normativen.Kombinationstheorie von den Grundsätzen der nach innerpsychischen Gesichtspunkten differenzierenden subjektiven Theorie entfernt.

4. Die Weiterführung der objektivierenden Tendenzen durch Nowakowski Das Urteil BGHSt 8, 393 ff. hat Nowakowski zum Anlaß genommen, sich mit Nachdruck für die objektivierende subjektive Theorie einzusetzen 49 • Dabei bestimmt er den Täterwillen derart konsequent aus der Vermittlung objektiver und subjektiver Bezugspunkte (Bewußtsein, die Ausführungshandlung vorzunehmen; Bewußtsein, den Ausführenden zu beherrschen), daß er von seiner Ausgangsposition aus praktisch zu derselben Synthese objektiver und subjektiver Faktoren gelangt wie die Tatherrschaftslehre so , die in ihren primär objektiven Ansatz den Vorsatz und die Kenntnis aller die eigene Herrschaft begrün-

BGHSt 8, 391. BGHSt 8, 395 ff. 45 Ablehnend Kalthoener, NJW 1956, 1664 f. In der Tat ist damit der Wille nicht mehr als psychischer Sachverhalt, sondern unter Abstraktion von der geistigen Beschaffenheit des handelnden Subjekts in generalisierender Betrachtung zum Gegenstand der Beurteilung geworden. Das nötigt indessen nicht dazu, den Begriff des "Täterwillens" zu eliminieren. 46 BGH, NJW 1951, 120 f. 47 BGH, NJW 1951, 323. 48 Siehe oben S_ 102. 49 Nowakowski,JZ 1956, 547. 50 Das hebt Nowakowski,JZ 1956, 548 f. auch selbst hervor. 43 44

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dender Elemente einbezieht 51 . Ein Unterschied besteht nur insofern, als Nowakowski nicht die Auffassung teilt, daß das objektive Vorliegen dieser Umstände auf der Unrechtsebene von Bedeutung ist, sie vielmehr als Vorstellungsinhalte schulderheblich sein sollen 52. Dagegen ist freilich einzuwenden, daß es nach dem von Nowakowski zuvor selbst ausführlich dargelegten Prinzip der Objektivierung gar nicht um die reale "psychische Verknüpfung mit der Typusverwirklichung" geht. Statt dessen wird ein Maßstab aufgestellt, nach dem beurteilt werden kann, ob der Handelnde sein Tun als eigene oder fremde Tat empfinden muß. Diese nicht individualisierende, sondern generalisierende Sicht ist bezogen auf den Handelnden als Teilnehmer am Sozialleben, in dessen Ablauf dem Blick von außen die innerpsychischen Gegebenheiten verborgen bleiben. Dem korrespondiert die von der Schuld abgelöste Kategorie des Unrechts, so daß auch die objektivierende subjektive Theorie die Täterschaftsmerkmale als Unrechtsmerkmale betrachten müßte.

5. Die Entscheidungen BGHSt 9, 119 bis BGHSt 18,87 (Staschynskij-Urteil): Eine Periode des Schwankens Die von Nowakowski angestellten Überlegungen gehen in ihren Schlußfolgerungen freilich weit über die Intentionen des Bundesgerichtshofes hinaus, der einer dogmatischen Erneuerung der Teilnahmelehre gerade ausweichen will. Das hat eine Unschlüssigkeit zur Folge, die sich deutlich am Schwanken der folgenden BGH-Entscheidungen zwischen Dolustheorie und einer gemischt subjektiv-objektiven Lehre ablesen läßt. Zunächst fällt in einem obiter dictum die Bemerkung, daß der Gehilfe im Gegensatz zum Mittäter ohne Tatherrschaft handele 53. Kurz darauf wird dann die Tatherrschaft wieder als Indiz für die willensrichtung des Handelnden im Sinne der Dolustheorie genannt S4 • Einige Zeit später begnügt sich der Bundesgerichtshof sogar mit der Erwähnung der animus-Formel, die inhaltlich durch den Tatherrschaftswillen ausgefüllt werden soll 55. Fast gleichzeitig werden subjektive Theorie und Tatherrschaftsgedanke wiederum unvermittelt nebeneinander gestellt 56 . 51 üb man schon die objektive Tatherrschaft von diesen subjektiven Faktoren abhängig macht (so Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 316, 263; ders., LK, S 25 Rdn. 27), oder die objektive Tatherrschaft und den Willen zur Tatherrschaft trennt, um sie dann im Täterschaftsmerkmal der finalen Tatherrschaft zu vereinigen (so Maurach/Gössel, AT 2, S. 191), macht dabei an dieser Stelle keinen Unterscheid. Entscheidend ist, daß die Tat als objektiv-subjektive Sinneinheit erfaßt wird Uescheck, AT, S. 531). 52 Nowakowski,JZ 1956,548 f. 53 BGHSt 9, 121. S4 BGHSt 9, 380. S5 BGH, MDR 1958, 139. S6 BGHSt 11,271 f.

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Das nächste Urteil betraf erneut einen Fall unterlassener Selbstmordverhinderung. Dabei ließ sich der Bundesgerichtshof von der Erwägung leiten, daß eine objektivierende Betrachtungsweise entsprechend der ersten hierzu ergangenen Entscheidung57 zu einer Ausdehnung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit führe und mit dem Abstellen auf den Täterwillen eine ihm kriminalpolitisch wünschenswert erscheinende Restriktion der Strafbarkeit herbeigeführt werden könne 58. Damit ebnete das Gericht freilich die Kriterien für die Beurteilung der Beteiligung am Begehungs- und am Unterla~sungsdelikt völlig ein 59. Der ins Zentrum gestellte Wille zur Tatbeherrschung hat beim Unterlassen jedoch kein Bezugsobjekt, da eine "Tatherrschaft" hier nur als Erfolgsabwendungsmöglichkeit denkbar ist 6o • Wenn der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung trotzdem das Unterlassungsdelikt dem Kriterium des Täterwillens unterstellen will, um die Täterschaft von der Teilnahme abzuheben, so entscheiden damit letztlich emotionale Regungen 61 , die keinen Niederschlag im Tatgeschehen gefunden haben, über die Beteiligungsform und Strafbarkeit. Die subjektive Theorie erweist sich, angewandt auf das Unterlassungsdelikt, als prinzipiell unvereinbar mit dem Satz "cogitationis poenam nemo patitur". Damit gerät auch die Prämisse ins Wanken, daß eine "ausdehnende Anwendung des Täterbegriffs" zu einer dem Gesetz nicht entsprechenden, ungleichmäßigen Rechtsanwendung im Verhältnis zwischen Begehungs- und Unterlassungstaten führen würde, insbesondere dem Fehlen einer eigenen Strafandrohung gegen die Teilnahme an fremder Selbsttötung nicht Rechnung getragen werde 62 • Hier werden zwei ganz verschiedene Fragen miteinander vermengt. Die eine betrifft das Argument der Ungleich behandlung. Dem ist zu entgegnen, daß diese Ungleichbehandlung die zugrunde liegende Verschiedenheit von Begehungs- und Unterlassungsdelikt widerspiegelt und somit sachlich geboten ist. Die andere Frage ergibt sich aus dem Umstand, daß die Beihilfe zum Selbstmord keinen gesetzlichen Tatbestand erfüllt und deshalb straflos ist. Aus diesem Grunde hängt die Strafbarkeit in derartigen Fällen davon ab, ob die Voraussetzungen einer täterschaftlichen Tötung erfüllt sind 63 • Will man aus kriminalpolitischen Gründen den Bereich strafbaren Verhaltens an dieser Stelle möglichst eng eingrenzen, so kann dazu nicht die Lehre von Täterschaft und Teilnahme herangezogen werden, die auf alle Delikte anwendbare Regeln für die Erfassung der möglichen Beteiligungskonstellationen entwickeln muß. Zur Lösung dieses BGHSt 2, 150; dazu oben S. 103 f. BGHSt 13, 166 f. 59 Auf diesem Wege schon BGH, LM Nr. 10 vor S 47; siehe dazu S. 104 Anm. 42. 60 Siehe oben S. 103. 61 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 491. 62 So aber BGHSt 13, 167. 63 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 473 f.; insofern ist auch der von Herzberg, Die Unterlassung, S. 266 f. - allerdings nur für den Beschützergaranten - entwickelten Auffassung zuzustimmen. 57

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Problems wäre eher zu überdenken, ob der Umfang der Erfolgsabwendungspflicht bei drohender fremder Selbsttötung nicht zu weit gezogen ist 64 • Mit den beiden folgenden Entscheidungen kehrte der Bundesgerichtshof dann wieder zur normativen Kombinationstheorie zurück, und zwar sowohl für das Begehungsdelikt 65 als auch für das Unterlassungsdelikt 66 , obwohl die Tatherrschaft als objektivierter Täterwille nicht in beiden Fallgestaltungen gleichermaßen vorfindlich ist. Erneut wird zu Beginn der sechziger Jahre das Gewicht der die Beteiligungsformen charakterisierenden Merkmale auf die subjektive Seite verlagert. Zwar legt der Bundesgerichtshof seiner Rechtsprechung weiter die Formel zugrunde, daß die innere Einstellung zur Tat aufgrund aller Umstände wertend zu ermitteln sei 67 , aber dahinter steht nicht mehr die maßgebliche Einbeziehung objektiver Faktoren. Statt dessen findet die Interessenlage wieder größere Beachtung, wie schon die beiden letzten dem Staschynskij-Urteil voraufgehenden Entscheidungen zeigen 68 • Auch der für die Dolustheorie kennzeichnende Gedanke der Willensunterordnung tritt von neuem in den Vordergrund 69 . Dem korrespondiert die Abwertung der Tatherrschaft als vordringlich zu beachtendem Aspekt'lO. Im Staschynskij-Urteil erreicht die Rückwendung zur subjektiven Theorie dann einen Höhepunkt. Unter ausdrücklicher Ablehnung der materiell-objektiven Lehre 71 stellt der Bundesgerichtshof auf das "Gesamtbild"n ab, wobei er sich auf subtile Deutungen der psychischen Situation des die Tötung eigenhändig Ausführenden einläßt. Das auf diesem Wege gewonnene Ergebnis basiert auf einer rational nicht weiter begründbaren intuitiven Ganzheitsbetrachtung73 , die zu einem Teil gewiß auch durch die politische Dimension des Falles motiviert ist. Die Verteilung der Verantwortlichkeit für die Taten im Sinne einer relativen Entlastung Staschynskijs zu Lasten der "Drahtzieher im eigentlichsten Sinne,,74 ließ sich über die ausschließliche Lokalisierung des "Täterwillens" bei Staschynskijs Auftraggebern recht einfach herbeiführen. Daß es sich hierbei um eine "seltene Ausnahme" gehandelt habe, stellt 64 Desgl. schon Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 475 f., 492; im Ergebnis ebenso Bottke, GA 1983, 24, der dabei die Entsprechungsklausel des S 13 StGB heranziehen will. 65 BGHSt 14, 128 f. 66 BGH, MDR 1960, 940. 6? z.B. BGHSt 16, 13; BGH, GA 1963, 187. 68 BGHSt 16, 13 f.; BGH, GA 1963, 188. 69 BGH, GA 1963, 188. 70 Vgl. BGHSt 16, 15. 71 BGHSt 18, 92. 72 BGHSt 18, 90. 73 Dazu im einzelnen Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 562 ff.; ders., GA 1963, 194 ff., insbes. S. 197. 74 BGHSt 18,89.

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schon die nächste einschlägige BGH-Entscheidung75 klar und rückt so den Stellenwert des Urteils zurecht.

6. Besonderheiten der Tatbestandsstruktur cJes § 216 StGB? Ganz deutlich wird die begrenzte Verallgemeinerungsfähigkeit der im Staschynskij-Urteil ausgesprochenen Grundsätze an der nur ein knappes Jahr später ergangenen Entscheidung zum einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord. Allerdings meinte der Bundesgerichtshof hier wiederum einen Sonderfall vor sich zu haben - freilich einen der entgegengesetzten Art, so daß er sich mit Blick auf S 216 StGB der Tatherrschaftslehre zuwandte 76. Die Tötung auf Verlangen weist indessen nur aus der Perspektive der subjektiven Theorie und des ausschließlich erfolgsbezogenen Unrechtsbegriffs eine Tatbestandsstruktur eigener Art auf. Doch ist selbst diese Annahme nicht zwingend: Erblickt man in der Unterordnung unter fremden willen den entscheidenden Unterschied zwischen Beihilfe und Täterschaft, so ließe sich S 216 StGB unter dieser Prämisse letzten Endes auch als eine in einem eigenen Tatbestand verselbständigte Beihilfe zum Selbstmord deuten. Freilich springen die Ungereimtheiten einer derartigen Sichtweise sogleich ins Auge, denn weshalb sollte die auf das Verlangen des Getöteten zurückgehende Selbstmordbeihilfe strafbar sein, die ohne einen solchen Anstoß geleistete dagegen nicht? Im übrigen würde dadurch die im Tötungsverlangen liegende Anstiftung zum täterschaftlich begangenen Selbstmord aufgewertet 77. Diese Einwände führen uns bereits zum Ausgangspunkt für die nähere Bestimmung der durch S 216 StGB erfaßten Sachverhalts-Konstellationen. Der Verlangende befindet sich - soweit allein das Tötungsverlangen in Frage steht - in der Anstifterrolle, der Tötende ist angestifteter Täter. Dabei ist der tragende Gesichtspunkt der, daß sich nach S 216 StGB strafbar macht, wer einen täterschaftlichen Angriff auf fremdes Leben unternimmt, denn hierin liegt ein gesteigerter personaler Unwert gegenüber der Selbstmordbeihilfe 78 • Aus diesem Grunde kann es beim einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord für die Anwendbarkeit des S 216 StGB nicht darauf ankommen, ob der Getötete den Tötenden nur angestiftet (bzw. ihm BGH, MDR 1964, 69. BGHSt 19, 135 ff. 77 Hier bestätigt sich wieder die an der historischen Entwicklung ablesbare Erfahrung, daß die Trennung von Anstiftung und Täterschaft durch eine konsequent durchgeflihrte Dolustheorie gefahrdet wird. Schon v. Buri kannte aus gutem Grunde weder Anstiftung noch Täterschaft, sondern nur die beide umfassende Urheberschaft. 78 Maiwald, Bockelmann·Pestschrift, S. 354, 361 f. Zum prinzipiellen Unterschied zwischen Tötung auf Verlangen und Teilnahme am Selbstmord siehe auch Engisch, H. Mayer-Pestschrift, S. 412 f., 415; Hirsch, Welzel-Festschrift, S. 779 f. 75

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darüber hinaus allenfalls noch Beihilfe geleistet) hat oder ob ein Freitod vorliegt 79. Es ist vielmehr allein zu fragen, ob der Tötende als (Mit-)Täter gehandelt hat. Für die Beurteilung dieser Frage kann es jedoch nicht darauf ankommen, ob der Getötete im entscheidenden Moment noch die Möglichkeit zur Abwendung des Erfolges besaß 80 , denn dies kann auch der Fall sein, wenn der Tötende Täter ist 81 . Der gegen dieses Verständnis des 5 216 StGB von Roxin geltend gemachte Einwand, die Straflosigkeit der aktiven Teilnahme am Selbstmord zwinge zu der Schlußfolgerung, daß ein in voller Eigenverantwortlichkeit begangener Selbstmord nicht zugleich eine einem Außenstehenden zurechenbare Fremdtötung sein könne 82 , erweist sich bei genauer Betrachtung als nicht stichhaltig. Denn die Differenz im Handlungsunwert zwischen dem täterschaftlichen und dem vom Teilnehmer unternommenen Angriff auf das Rechtsgut Leben begründet die Möglichkeit, die Strafbarkeitsgrenze sinnvoll zwischen den beiden Beteiligungsformen an der Selbsttötung zu ziehen. Diese Grenze ist mit anderen Worten Ausprägung unterschiedlicher Strafwürdigkeit 83 auf der Ebene des Unrechts. Greift man bei der Abschichtung beider Konstellationen zudem auf generalpräventive Erwägungen zurück 84 , so läßt sich die gesetzliche Entscheidung darüber hinaus aus der jeweils anders zu beurteilenden Strafbedürftigkeit rechtfertigen. Bezeichnenderweise stützt Roxin seine Auffassung auf das Argument, Mittäter und Teilnehmer seien für die Selbsttötung in gleicher Weise kausal 8s und begibt sich damit auf die Ebene einer einseitig am Erfolg orientierten Deu79 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 76 ff.; Paehler, MDR 1964, 648; a.A. Horn, SK, S 216 Rdn. 11; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 567 ff.;Maiwald, ZStW Bd. 88 (1976) S. 734; Dreher, MDR 1964, 338. 80 Auf diesen Gesichtspunkt wird überwiegend abgestellt, z.B. von MaurachlSchroeder, BT 1, S. 46; Wessels, BT 1, S. 29; SchänkelSchräder/Eser, S 216 Rdn. 11; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 568 ff.; Paehler, MDR 1964, 648; mit gewissen Bedenken auch Maiwald, ZStW Bd. 88 (1976) S. 734 f. 81 Für die Mittäterschaft ist das ohnehin evident. Es gilt aber auch darüber hinaus. Zum Unterschied zwischen Erfolgsabwendungsmöglichkeit und Tatherrschaft, sowie zur Erfolgsabwendungsmöglichkeit des Nichttäters siehe Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 311, 463, 490 und schon GTÜnwald, GA 1959, 112 f. 82 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 571. 83 Engisch, H. Mayer-Festschrift, S. 415 spricht zu Recht explizit vom ,'prinzip von der Strafwürdigkeit der Tötung auf Verlangen". 84 Engisch, H. Mayer-Festschrift, S. 412 zieht den Gedanken heran, "daß die natürlichen s!arken Hemmungen, sich selbst das Leben zu nehmen, bei der Tötung auf Verlangen bei dem Getöteten fehlen und daher im letzteren Falle Gegenmotive bei dem Tötenden in Gestalt rechtlicher Reprobierung dringend vonnöten sind". Letzte Grundlage flir S 216 StGB sei "das allgemeine Interesse der Rechtsordnung an der Erhaltung des Lebens der Rechtsgenossen, das nur ausnahmsweise im Falle der Selbsttötung besonderer Rücksichtnahme auf die seelische Situation des Hand an sich Legenden weicht, zumal in diesem Falle - wenn die eben erwähnten natürlichen Hemmungen versagen - von rechtlichen Strafandrohungen bei einem zur Selbstvernichtung entschlossenen Menschen nichts mehr zu erhoffen ist". Beipflichtend hierzu Hirsch, Welzel-Festschrift, S. 779 f. 85 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 571.

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tung des Unrechts und der Beteiligungsform, die seiner Grundkonzeption nicht entspricht 86 .

7. Die Fortführung der BGH-Rechtsprechung auf der Grundlage der normativen Kombinationstheorie Die nächsten beiden Urteile betreffen weniger kompliziert gelagerte Sachverhalte und beschränken sich daher auf die Bestätigung der bekannten Grundsätze der BGH-Rechtsprechung zur Teilnahmelehre. So findet sich in einer Entscheidung aus dem Jahre 1964 noch einmal die Feststellung, der eigenhändig Handelnde sei regelmäßig Täter, sein Interesse an der Tat dagegen grundsätzlich unerheblich 87 • Einige Zeit später wird wieder die normative Kombinationstheorie auf das Unterlassungsdelikt angewandt 88 , ohne daß sich neue Perspektiven eröffnen. An der zuletzt genannten Entscheidung ist allenfalls bemerkenswert, daß der Bundesgerichtshof die Unterlassungstäterschaft der Gastwirtin, die einer in ihren Räumen vorgefallenen Körperverletzung untätig zugesehen hatte, in der Sache auf die Erfolgsabwendungspflicht stützt, vordergründig jedoch an den subjektiven Umstand anknüpft, daß sie sich mit dem Verhalten ihrer Gäste identifizierte 89 • Erst anläßlich des Rehse-Falles ging der Bundesgerichtshof wieder offen zu einer an objektiven Maßstäben ausgerichteten Wertung des Tatbeitrages über. Er begründete die Täterschaft des Angeklagten damit, daß ein Mitglied eines Kollegialgerichts nicht als Gehilfe des Vorsitzenden fungiere und daher seine Mitwirkung an einem Todesurteil einen gleichgewichtigen Tatbeitrag im Verhältnis zur Stimmabgabe der anderen Richter - auch des Vorsitzenden - darstelle 90 • Maßgeblich für diese Rollenverteilung ist nicht das Selbstverständnis des Richters, sondern die gesetzliche Funktionszuteilung durch das Gerichtsverfassungsgesetz, die der materiell-objektiven Betrachtungsweise hier eine deutliche Entscheidungshilfe an die Hand gibt.

8. Die Differenzierung zwischen den Beteiligungsformen, ein Ausdruck quantitativer Abstufungen oder qualitativer Alternativen? In einem Urteil, das das Verhältnis von Mittäterschaft und Beihilfe unter dem Aspekt der Anwendbarkeit des Satzes "In dubio pro reo" zum Gegenstand hat 91 , legt der Bundesgerichtshof wieder ganz unbefangen die animus86 87 88 89

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Siehe dazu z.B. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 329, 379 f. BGH, GA 1965, 149. BGH,NJW1966,1763. Dazu Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 3. Aufl., S. 571 ff. BGH, NJW 1968, 1339 f. BGHSt 23, 203 ff.

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3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

Formel zugrunde. Aus dem Blickwinkel der Lehre von Täterschaft und Teilnahme ist das Urteil deshalb von Interesse, weil es zum Verhältnis der Beteiligungsformen untereinander Stellung nimmt. Bevor auf die Frage eingegangen werden kann, ob die Differenzierung nach Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe quantitative Abstufungen oder qualitative Alternativen zum Ausdruck bringt, muß allerdings über die Betrachtungsebene Klarheit geschaffen werden. Denkbar ist eine logisch-begriffliche oder eine wertende Gegenüberstellung. Logisch-begrifflich stellen die Beteiligungsformen sowohl nach der subjektiven als auch nach der materiell-objektiven Lehre alternative Erscheinungsformen dar. Die Beteiligung an einer Straftat kann nur mit der einen oder anderen Willensrichtung, mit bzw. ohne Tatherrschaft erfolgen. Unterschiedlich nehmen sich die Verhältnisse erst im Bereich normativer Erfassung aus. Geht man mit der Rechtsprechung von der subjektiven Theorie aus, so erscheinen die Beteiligungsformen als Maßeinheiten für die Bestimmung der psychischen Nähe eines Erfolgsverursachers zur Tat und damit in einem wertungsmäßigen Sinne quantitativ gestuft 92 . Dagegen bezieht die Tatherrschaftslehre die Beteiligungsformen auf die Art und Weise, in der der Angriff auf das geschützte Rechtsgut erfolgt. Nicht nur die Handlungsbeschreibungen des Besonderen Teils charakterisieren jeweils einen besonderen Unrechtstypus, der sich durch gewisse Eigenheiten gegenüber anderen, nicht strafbaren Rechtsgutsbeeinträchtigungen auszeichnet 93 • Auch die Beteiligungsformen schränken die Strafbarkeit auf typisierte Unrechtsverwirklichungen ein, indem sie aus der Gesamtheit aller kausalen Bewirkungen von Tatbestandsverwirklichungen diejenigen Angriffsmodalitäten als einzig strafbar normieren, die dem Typus der Täterschaft, der Anstiftung oder der Beihilfe zugehörig sind. Somit sind die Beteiligungsformen im Kern Typisierungen von bestimmten Angriffsweisen, die im Gegensatz zum Einheitstätersystem auf Lückenlosigkeit verzichten. Diese strafbaren Ausschnitte aus dem ganzen Spektrum aller denkbaren Beteiligungsweisen können primär nur gedacht werden als alternative Realisationstypen von Kriminalität. Erst sekundär wird überhaupt die Fragestellung sinnvoll, ob sie in einer Hierarchie stehen. Im Hinblick auf die Strafrahmen und die Konkurrenzen läßt sich zwar eine sinnvolle Ordnung herstellen, aber diese betrifft nicht den Rang der Beteiligungsformen untereinander 94 , sondern einzelne Aspekte, die sich nicht PO BGHSt 23, 207; 31,138; BayObLGSt 1966, 140 f.; Schröder,JZ 1970,423;Dreher, MDR 1970, 370; vgl. auch Otto, Peters-Festschrift, S. 379 ff. Ob das zur Anwendbarkeit des Satzes "In dubio pro reo" fUhrt oder in den Bereich der Wahlfestste1lung fällt, sei hier nicht weiter verfolgt. Den Satz "In dubio pro reo" wenden an das Bayerische Oberste Landesgericht a.a.O.; RGSt 71, 365; Jescheck, AT, S. 115; Schänke/SchräderlEser, S 1 Rdn. 98; Dreher, a.a.O.; Jakobs, GA 1971, 264 f. Der Bundesgerichtshof a.a.O. nimmt eine analoge Anwendbarkeit an. Beipflichtend Schräder, a.a.O. Für Wahlfeststellung BGHSt 1, 128 f.; OLG Düsseldorf, NJW 1977, 579 f. (beide nur auf das Verhältnis von Täterschaft und Anstiftung bezogen); BGH, MDR 1953,21; Fuchs, NJW 1967, 739 f.; differenzierend Baumann, AT, S. 168 f. 93 Hierzu Maiwald, Maurach-Festschrift, S. 9 ff.

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verallgemeinern lassen. Ansonsten müßte es als widersprüchlich angesehen werden, daß die Anstiftung wie die Täterschaft bestraft wird (insofern Gleichrangigkeit), aber auf der Ebene der Konkurrenzen gegenüber der Täterschaft subsidiär ist (insofern Nachrangigkeit).

9. Einige Bemerkungen zur BGH-Rechtsprechung in den letzten zehn Jahren Ein abschließender Blick auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, die in den letzten zehn Jahren zu Teilnahmefragen ergangen sind, läßt keine Ansätze zu neuen Entwicklungen erkennen. Bis in die jüngste Zeit hinein steht die subjektive Theorie im Vordergrund, gelegentlich relativiert durch objektivierende Einflüsse, wie es für die höchstrichterliche Rechtsprechung in diesem Bereich schon lange charakteristisch ist. Nach zwei Urteilen aus den frühen siebziger Jahren, die ganz der extrem subjektiven Theorie folgend nach Täterwillen und Tatinteresse abgrenzen 95 , stellte der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahre 1974 wieder die normative Kombinationstheorie heraus 96 • Allerdings benutzte das Gericht die allseitige Dehnbarkeit der Formel von der wertenden Ermittlung der Beteiligungsform unter Berücksichtigung aller Umstände dazu, letztlich dem Unterordnungs-Kriterium der Dolustheorie zur Vorherrschaft zu verhelfen. Dabei gelangte der Bundesgerichtshof zu einem Ergebnis, das in seiner Einseitigkeit dem Staschynskij-Urteil nicht nachsteht. Der Angeklagte hatte sich an der Tötung des Opfers durch eigenhändiges Zustechen mit dem Messer beteiligt, weil er in den Augen der anderen Tatbeteiligten nicht als Feigling erscheinen wollte. Dieses Motiv spreche dafür - so der Bundesgerichtshof -, daß er sich deren willen untergeordnet habe und nur als Gehilfe zu betrachten sei. Auch nach der Einführung des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches hat der Bundesgerichtshof seinen Standpunkt nicht revidiert. Eine erste Äußerung fiel in einem obiter dictum, das den "Gehilfenwillen" erwähnt 97 • Eine spätere Entscheidung nahm wieder die normative Kombinationstheorie auf, die diesmal objektiv akzentuiert wurde. Bei der Abwägung des vorhandenen Tatinteresses gegen die fehlende Tatherrschaft bei der Ausführung, an der der Angeklagte wegen bei ihm aufgekommener Bedenken nicht mehr teilgenommen hatte, wird betont, daß die innere Einstellung zur Tat im Vorbereitungsstadium nicht allein entscheidend sei 98 • Damit wird indirekt der Verteilung der Tatherrschaft maßgebliches Gewicht zuerkannt. 94 a.A. Günther, Verurteilungen im Strafprozeß, S. 258;Nowakowski,JBI1958, 382; Dreher, MDR.1970, 370. 95 BGH,MDR1973,17,729. 96 BGH, GA 1974, 370 f. 97 BGH, NJW 1975, 838. 98 BGHSt 28,348 f.

8 Bloy

3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

114

Ein gutes Beispiel für die Tendenz des Bundesgerichtshofes, strikte Festlegungen zu meiden, geben zwei Urteile zu den Voraussetzungen der Mittäterschaft bei der Vergewaltigung ab. Dabei lag jeweils die Konstellation zugrunde, daß einer der Beteiligten den Beischlaf nicht in eigener Person vollziehen wollte und sich auf die Nötigung beschränkte. Das frühere, noch unter der Geltung des § 177 StGB a.F. ergangene Urteil 99 arbeitet nach dem Vorbild einer BGHEntscheidung aus dem Jahre 1954 100 und einigen Entscheidungen des Reichsgerichts 101 mit der extrem subjektiven Theorie und bezieht auch die Interessenlage ein. Das neuere 102 hebt dagegen allein auf den Wortlaut des § 177 StGB n.F. ab, der die Nötigung zugunsten eines Dritten als tatbestandsmäßiges Verhalten ausdrücklich erwähnt. Ein eigenes Tatinteresse oder das Wollen der Tat als eigene wird vom Bundesgerichtshof angesichts dieser Gesetzesfassung bei der geschilderten Sachlage für nicht erforderlich erklärt. Die eigenhändige Erfüllung der Tatbestandsmerkmale soll hier mit anderen Worten schon zur Begründung der Täterschaft ausreichen. Unter Berufung auf den Text des § 25 StGB folgt auch das OLG Stuttgart in einer Entscheidung dieser Auffassung 103 • Dennoch ist Vorsicht geboten mit der Annahme, daß sich darin eine Abkehr von der subjektiven Theorie ankündige. Als ein gegen die subjektive Theorie ins Feld geführtes Argument 104 greift der Satz, daß die Täterschaft notwendige Folge der Verwirklichung des Tatbestands sei, nämlich zu kurz. Es geht vielmehr gerade darum, was Tatbestandsverwirklichung ist 10s • Aus der kausalen Perspektive verwirklicht jeder, der eine Ursache für den Erfolg setzt, den Tatbestand eigenhändig 106 , so daß sich daraus allein kein Abgrenzungskriterium zwischen Täterschaft und Teilnahme ableiten läßt. Es zeigt sich hieran lediglich, daß die subjektive Theorie auf dem Boden des extensiven Täterbegriffs steht. Die Auffassung des Täterbegriffs im extensiven bzw. restriktiven Sinne betrifft das Verhältnis der Lehre von Täterschaft und Teilnahme zur Tatbestandslehre. Damit treten die Bezüge des Allgemeinen zum Besonderen Teil des Strafgesetzbuches ins Blickfeld. Da die einzelnen Delikte bei den Schilderungen des Tatgeschehens die Täterfigur in Gestalt des "Wer" implizieren, müssen die Beteiligungsformen eine spezifische Beziehungsstruktur zu den TatbeBGH,MDR1973,17. BGHSt 6, 228 f. 101 RGSt 3, 182 f.; 71, 364. 102 BGHSt 27, 205 ff. Von der Argumentation her kommt dem Ortloff, GA Bd. 24 (1876) S. 417 ff. schon verblüffend nahe, der ein Urteil des Schwurgerichts Weimar zu .S 177 StGB (zustimmend) bespricht. 103 OLG Stuttgart, JZ 1977, 725. 104 So Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 5. 105 Zutreffend Lange, Der moderne Täterbegriff, S. 7; Schröder, ZStW Bd. 57 (1938) S. 462 f. 106 Baumann, NJW 1963, 563; ders., JuS 1963,56. 99

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III. Extensiver und restriktiver Täterbegriff

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ständen des Besonderen Teils aufweisen, die maßgeblich durch das in ihnen vertypte Unrecht mitbestimmt wird. Dies soll im folgenden noch ein wenig genauer beleuchtet werden.

III. Extensiver und restriktiver Täterbegriff 1. Die Gegenüberstellung von extensivem und restriktivem Täterbegriff in dogmengeschichtlicher Sicht Der Gedanke, daß der Täterbegriff sowohl in restriktiver als auch in extensiver Gestalt auftreten kann, ist nicht erst in diesem Jahrhundert entwickelt worden, obgleich die wissenschaftliche Diskussion sich hauptsächlich in der Zeit um 1930 dieser Frage zuwandte. Die Principia iuris criminalis des jüngeren Meister aus dem Jahre 1789 enthalten bereits die Bemerkung, daß zwischen dem auctor in sensu speciali und in sensu generali zu unterscheiden seil. Während der Täter im engeren Sinne in Übereinstimmung mit der damals herrschenden formal-objektiven Theorie als derjenige, der das Delikt eigenhändig ausführt, beschrieben wird, soll Täter im weiteren Sinne jeder sein, der etwas zur Verwirklichung der Tat beiträgt. Das Nebeneinander beider Täterbegriffe bei Meister jun. macht deutlich, daß er restriktive und extensive Interpretation nicht als Alternative versteht, sondern lediglich auf zwei verschiedene Verwendungsmöglichkeiten desselben Begriffs aufmerksam machen will. Die aus den unterschiedlichen Perspektiven resultierenden Konsequenzen hat er noch nicht im Auge. Als Vertreter der formal-objektiven Theorie dürfte er eher zu den Anhängern der restriktiven Täterlehre zu zählen sein. Sein Begriff des auctor in sensu generali entspräche dann der modernen Sprechweise vom "Beteiligten" als Oberbegriff für Täter und Teilnehmer. Mit der Ablösung der gemeinrechtlichen Teilnahmedoktrin durch das Begriffspaar Urheberschaft und Beyhülfe, das seit der Aufklärung herrschend war, verschob sich der Umfang des Täterbegriffs insofern, als durch die Einbeziehung der Anstiftung in den Urheberbegriff die damalige Lehre einen eigenartigen Mittelweg zwischen restriktivem und extensivem Täterbegriff einschlug. Die Einheitstäterlehre Stübels brachte dann erstmals einen extensiven Täterbegriff im strengeren Sinne. Die im Laufe des 19. J ahrh underts erfolgende Ausgliederung der Anstiftung aus der Urheberschaft reduzierte hingegen den Urheber auf den Täter im restriktiven Sinne. Allerdings findet sich seit der Beobachtung von Meister jun. nirgends mehr eine ausdrückliche Betrachtung des im Begriff der Täterschaft angelegten Dualismus. Allenfalls lassen die das 19. J ahrhundert durchziehenden Auseinandersetzungen um die Anstiftung als BestandI

8*

Nachweis siehe oben S. 64 Anm. 122.

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3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

teil der Urheberschaft oder eigenständige Teilnahmeform das Spannungsfeld zwischen restriktiver und extensiver Deutung ahnen. Dogmengeschichtlich hat sich die Gegenüberstellung von extensivem und restriktivem Täterbegriff aus dem als Erbe des 19. J ahrh underts überkommenen Streit zwischen der formal-objektiven und der subjektiven Teilnahmelehre entwickelt. Im ersten Drittel unseres Jahrhunderts hatte die formal-objektive Theorie im Schrifttum die führende Stellung eingenommen 2 • Die Praxis wurde hingegen von der subjektiven Lehre beherrscht 3 • Indessen sind (formal-)objektive Theorie und restriktiver Täterbegriff einerseits, subjektive Theorie und extensiver Täterbegriff andererseits nicht ohne weiteres miteinander zu identifizieren. Bezugspunkt der Begriffsbildung ist einmal das Verhältnis der Beteiligungsformen ihrem Umfange nach (extensiver/restriktiver Täterbegriff) , das andere Mal das Verhältnis der Beteiligungsformen ihrer inneren Struktur nach (subjektive/objektive Theorie). Freilich hängt beides eng zusammen, weil die innere Struktur sich auf den Umfang auswirkt. Das gilt, wie bereits angemerkt, vor allem für die subjektive Theorie, die mit dem extensiven Täterbegriff gekoppelt ist 4 . Dagegen erscheint es nicht logisch zwingend, bei objektiver Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme den restriktiven Täterbegriff als Hintergrund zu wählen 5 • Die extensive Lehre ist zweistufig aufgebaut. Auf der ersten Stufe wird nach dem Täter im weiteren Sinne gefragt, wobei das Kausalitätskriterium angelegt wird. Sofern man nicht der Einheitstäterlehre folgt, schließt sich hieran eine zweite Prüfung an, die die Teilnahme aus dem Bereich der Täterschaft im engeren Sinne ausschließt. Dabei läßt die extensive Lehre als solche offen, welche Maßstäbe auf dieser Stufe gelten sollen. Deshalb ist es durchaus denkbar, hier wiederum objektiv zu argumentieren. In der Tat ist Eb. Schmidt in seinem für die extensive Lehre grundlegenden Beitrag zur Frank-Festgabe diesen Weg gegangen 6 • Die Abneigung der meisten Vertreter der verschiedenen Spielarten objektiver Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme gegen den extensiven Täterbegriff gründet sich, bei Licht besehen, nicht auf begriffslogische Unvereinbarkeit beider, sondern auf ein Unrechtsverständnis, das die kausale Erfolgsbewirkung in ihrer 2 Finger, Lb. I, S. 335 ff.; Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 408 ff.; M. E. Mayer, AT, S. 380 ff.; v. Hippel, Strafrecht 11, S. 453 f.; v. LisztlSchmidt, Lb., 26. Aufl., S. 326 ff.; van Calker, Strafrecht, S. 76 ff.; P. Merkei, AT, S. 172 ff.; ders., Frank-Festgabe 11, S. 137; Zimmer/, Aufbau des Strafrechtssystems, S. 91 ff.; ders., ZStW Bd. 49 (1929) S. 45 ff.; Rosenfeld, Frank-Festgabe 11, S.169;Hegler, R. Schmidt-Festgabe, S. 74 (Anm. 85); Hoegel, ZStW Bd. 37 (1916) S. 664 f.; Grünhut, JW 1932, 366 f. 3 Siehe oben S. 90 f., 101. 4 Vgl. Mezger, AT, 9. Aufl., S. 229 f.; a.A. SchönkelSchröder, 17. Aufl., Vorbem. 76 vor S 47. 5 Desgleichen Schroeder, Der Täter hinter dem Täter, S. 37; a.A. Gallas, Beiträge, S. 80 und schon Lange, Der moderne Täterbegriff, S. 52 f., sowie Bähr, Restriktiver und extensiver Täterschaftsbegriff, S. 62. 6 Eb. Schmidt, Frank-Festgabe 11, S. 122.

III. Extensiver und restriktiver Täterbegriff

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Bedeutung für die Unrechtsbegründung stark relativiert. Erst dadurch entfällt die Legitimation des extensiven Täterbegriffs.

2. Die Vereinbarkeit des extensiven Täterbegriffs mit der (formal)ohjektiven Theorie .) Da8 Verhältni8 der formal·objektiven Theorie zur mittelbaren Täter8chaft

Damit erhebt sich die Frage, welcher Grund dafür maßgeblich sein kann, die Kombination der objektiven mit der extensiven Lehre zu wählen. Die in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts im Schrifttum herrschende formalobjektive Theorie darf zunächst nicht als Abkehr vom erfolgsorientierten Unrechtsbegriff mißverstanden werden 7 • Dieser Prozeß ist im wesentlichen erst durch die frühen Arbeiten von Gallas 8 und Welze1 9 in Gang gesetzt worden 10. Die Plausibilität der formal-objektiven Theorie liegt einfach darin, daß sie vom gesetzlichen Grundmodell des Alleintäters ausgehend auf induktivem Wege zu der Schlußfolgerung gelangt, daß Täterschaft allgemein Ausführung der tatbestandlichen Handlung in eigener Person bedeutet. Maßgeblich für die Identifizierung der tatbestandlichen Handlung ist dabei nicht die kausale Erfolgsbewirkung, sondern die konkrete Handlungsbeschreibung, die sich im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches findet. Dies kann auch gar nicht anders sein, wenn man den Alleintäter als Prototyp des Täters überhaupt ansieht. Bei ihm stellt sich die Frage gar nicht, ob er die tatbestandliche Handlung in eigener Person ausgeführt hat oder nur einen sonstigen kausalen Beitrag zum Erfolgseintritt geleistet hat, weil der zweite Fall begrifflich eine weitere Person voraussetzt, die die tatbestandliche Handlung vorgenommen hat. Die enge Anlehnung der formal-objektiven Theorie an die plastischen Deliktsbeschreibungen hat den Vorzug, daß sie den Maßstab für die Gewichtung der Tatbeiträge aus dem Gesetz selbst zu beziehen versucht. Für die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme nach dem Kriterium der Ausführungshandlung spricht in gewisser Weise auch die Terminologie des Gesetzes im Besondern Teil, die die Handlungsbeschreibungen "töten" (5 212 StGB), "mißhandeln" (5 223 StGB) und "in Brand setzen" (55 306, 308 StGB) den vorsätzlichen Delikten vorbehält. Hiermit werden täterschaftliche Begehungsweisen im Unterschied zur Teilnahme an solchen Taten charakterisiert. Kommt es dem Gesetzgeber auf die Heraushebung einer täterschaftlichen Ausführungshandlung im Kontrast zu Vgl. dazu v. LisztlSchmidt, Lb., 26. Aufl., S. 176; v. Hippel, Strafrecht II, S. 184 f. Gallas, Gleispach-Festschrift, S. SO Cf. P Welzel, ZStW Bd. 58 (1939) S. 505 ff. 10 Ausführlich zur Entwicklung der Unrechtslehre, speziell der Geschichte der Lehre vom personalen Unrecht, Lampe, Das personale Unrecht, S. 13 ff. 7

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3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

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Teilnehmerbeiträgen nicht an, wie es bei den Fahrlässigkeitsdelikten der Fall ist, so führt das zu einer kausalen Fassung der entsprechenden Tatbestände. Es ist dort die Rede von "Tod verursachen" (§ 222 StGB), "Körperverletzung verursachen" (§ 230 StGB) und "Herbeiführen eines Brandes" (§ 309 StGB a.F.) bzw. "Brand verursachen" (5 309 StGB n.F.). An dieser Stelle beginnt jedoch die eigentliche Schwierigkeit der formalobjektiven Theorie, denn was bedeutet - um beim ersten Beispiel zu bleiben "töten" im Unterschied zu "Tod verursachen"? Es ist hierbei offenbar an eine Differenz im Handlungsunwert gedacht. Schon Beling konstatiert einen "scharfen Wertunterschied" zwischen der Tötung eines Menschen und dem Hinarbeiten auf eine solche Tötung durch einen anderen bzw. die Ermöglichung einer derartigen Tat durch Begleithandlungen ll . Der Versuch, die Abstufung des Handlungsunwerts zwischen Täterschaft und Teilnahme auf der Basis des Begriffspaares Ausführungs-/Begleithandlung in den Griff zu bekommen, muß aus mehreren Gründen letztlich scheitern: Der erste besteht in der Unschärfe dieses Abgrenzungskriteriums. Die Handlungsbeschreibungen in den einzelnen Tatbeständen müßten jeweils in einer unübersehbaren Kasuistik darauf hin ausgelegt werden, ob irgendwelche Verhaltensweisen, die mit dem Deliktserfolg in kausalem Zusammenhang stehen, noch als Vornahme der tatbestandlichen Handlung gelten können oder nicht. Der Rückgriff auf den Sprachgebrauch des täglichen Lebens, wie er verschiedentlich vorgeschlagen worden ist 12 , führt bereits in dem elementaren Fall des § 212 StGB zu keiner klaren Grenzziehung 13 • Der Formalismus, der dazu zwingt, die Täterschaft ausschließlich nach dem naturalistischen Bilde der einzelnen Tathandlungen zu gestalten, verhindert die teleologische Ausrichtung von Täterschaft und Teilnahme an leitenden Wertgesichtspunkten, obwohl andererseits gerade die formal-objektive Theorie den Wertaspekt in der Abgrenzung der Beteiligungsformen im Ansatz klar sieht 14 • Diese Unzulänglichkeit wird besonders daran deutlich, daß sie die mittelbare Täterschaft aufgrund ihrer formalistischen Strenge von ihrem Grundgedanken her nicht anerkennen kann. Trotzdem erblickten auch die Vertreter der formal-objektiven Theorie in diesem Punkt ein Problem, d.h. die Diskrepanz zwischen der Wertung und ihrer konstruktiven Bewältigung wurde als gravierend empfunden. Entweder mußte die Wertung der Theorie geopfert werden, indem auf die mittelbare Täterschaft verzichtet wurde 15 oder es mußte ein letztlich nicht überbrückbarer Argumentationsbruch hingenommen werden 16 • Beling, Methodik der Gesetzgebung, S. 97. Beling, Methodik der Gesetzgebung, S. 95; Zimmerl, ZStW Bd. 49 (1929) S. 46. 13 Desgleichen schon Lange, Der moderne Täterbegriff, S. 15. 14 Dazu auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 35 f., 127 f. 15 So z.B. Hoegel, ZStW Bd. 37 (1916) S. 667 ff.; Zimmerl, ZStW Bd. 49 (1929) S. 48 f.; GTÜnhut, JW 1932, 366. 16 So z.B. Finger, Lb. I, S. 335 f.; P. MerkeI, AT, S. 168 ff.; Beling, Methodik der Ge· setzgebung, S. 102. 11

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111. Extensiver und restriktiver Täterbegriff

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b) Der Lösungsweg Eb. Schmidts

Einen gewissen Ausweg aus diesem Dilemma bot da die Idee, den Täterbegriff zweistufig anzulegen. Wenn man den engeren Täterbegriff dadurch gewinnt, daß man den "allgemeinen Täterbegriff,,17 um Anstiftung und Beihilfe reduziert, so bleibt neben dem Täter im formal-objektiven Verständnis der im 19. Jahrhundert verwurzelte intellektuelle Urheber übrig, der als mittelbarer Täter neben dem unmittelbaren steht 18 . So erklärt sich die Kombination von formal-objektiver Theorie und extensivem Täterbegriff bei Eb. Schmidt aus dem Bemühen, die mittelbare Täterschaft in sein Konzept von Täterschaft und Teilnahme zu integrieren. Dabei darf man sich indessen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die beiden Täterschaftsformen sich nicht als zwei Ausprägungen einer Grundfigur darstellen, sondern als zwei ganz heterogene Elemente, die nach der Eliminierung von Anstiftung und Behilfe aus dem Täterbegriff im weiteren Sinne übrig bleiben. Insofern läßt Eb. Schmidt zu Recht anklingen, daß sein Begriff der mittelbaren Täterschaft ein neben die unmittelbare Täterschaft gesetzter völlig eigenständiger Urheberschaftsbegriff ist. In dieses Bild fügt es sich ein, daß er die Anstiftung nur de lege lata als Teilnahmeform gelten läßt und darin eine auf Kosten der intellektuellen Urheberschaft gehende Erweiterung des Gebiets der Teilnahme erblickt 19 . Im Ergebnis ermöglicht dieser dogmatische Kunstgriff zwar immer noch nicht einen Täterbegriff (im engeren Sinne) aus einem Guß, aber doch die Vermeidung begriffslogischer Unvereinbarkeiten. Die innere Einheit wird vom Standpunkt Eb. Schmidts aus normativ-teleologisch hergestellt. Nicht die Gleichwertigkeit aller Kausalfaktoren für den Erfolgseintritt ist bei ihm das entscheidende Argument für den extensiven TäterbegriffO, sondern der Gedanke, daß die Sozialschädlichkeit von Rechtsgüterverletzungen ohne Rücksicht auf den Handlungsverlauf als solchen das tatbestandliche Unrecht begründet 21 . Da er vom Erfolgsunwert her argumentiert, gelangt er über den extensiven Täterbegriff in die Nähe der Einheitstäterlehre 22 . Hauptsächlich mit Rücksicht auf das positive Recht grenzt er Anstiftung und Beihilfe aus der Täterschaft dennoch aus, wobei er nur für die Beihilfe eine rechtsgutsbezogene Eigenheit ausfindig machen kann: Das Verhalten des Gehilfen gegenüber dem verletzten Rechtsgut sei objektiv weniger gefährlich als das des Täters 23 . Die 17

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Schmidt, Frank-Festgabe 11, S. 118. Schmidt, Frank-Festgabe 11, S. 120 f. Schmidt, Frank-Festgabe 11, S. 118 ff. Schmidt, Frank-Festgabe 11, S. 115 f. Eb. Schmidt, Frank·Festgabe 11, S. 116 f. Vgl. Eb. Schmidt, Frank·Festgabe II, S. 117 f. Eb. Schmidt, Frank-Festgabe 11, S. 118. Freilich überschreitet dieses Unterschei· Eb. Eb. Eb. Eb.

dungskriterium auch schon den rein erfolgsorientierten Unrechtsbegriff. Die Gefährlichkeit einer Handlung bestimmt sich nach der Gestaltung des Handlungsvollzuges.

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3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

Ausgliederung der Anstiftung aus der Täterschaft hält er dagegen, wie schon erwähnt, für verfehlt. Vor allem muß die Unterscheidung zwischen Anstiftung und Täterschaft vom extensiven Täterbegriff aus auch deshalb wenig sinnvoll erscheinen, weil die Teilnahmevorschriften danach einerseits Strafeinschränkungsgründe sind, andererseits die Anstiftung keinem milderen Strafrahmen unterliegt als die Täterschaft 24 • Für den extensiven Täterbegriff sind die Beteiligungsformen also Strafzumessungskriterien 25 ; die Akzessorietät vermag die Zuordnung zu den Teilnahmeformen nicht zu rechtfertigen. Der extensive Täterbegriff in der von Eb. Schmidt entwickelten Gestalt ist zwar Gegenstand lebhafter wissenschaftlicher Diskussionen geworden, hat aber nur in sehr beschränktem Maße Zustimmung26 gefunden. Von Seiten der Vertreter der subjektiven Teilnahmelehre wird der extensive Täterbegriff ebenfalls zugrunde gelegt 27 . Auch die Rechtsprechung hat wiederholt erkennen lassen, daß sie dem extensiven Täterbegriff folgt 28 • Es lassen sich allerdings Hinweise darauf finden, daß sie in jüngster Zeit den Täterbegriff restriktiv auslegt 29 • c) Kriti8che Einwilnde gegen den Lö8ung8weg Eh. Schmidts

Eingehend hat sich Lange mit dem extensiven Täterbegriff auseinandergesetzt. In Übereinstimmung mit anderen Kritikern Eb. Schmidts setzt er zu Recht bei der einseitigen Erfolgsbezogenheit dieser Betrachtungsweise an. Gerade bei teleologischer Begriffsbildung erscheinen die Tatbestände nämlich als Typisierungen strafwürdigen und strafbedürftigen Handelns 30 • Weder der Wertaspekt der Strafwürdigkeit noch der Zweckaspekt der Strafbedürftigkeit läßt sich auf die Erfolgsebene reduzieren. Die besonderen Modalitäten des Handlungsvollzuges sind integraler Bestandteil beider Kategorien und damit ebenfalls Gegenstand der im Tatbestand erfolgten Typisierung 31 • Die tatbe.4 Vgl. Eh. Schmidt, Frank·Festgabe 11, S.188; Zimmerl, ZStW Bd. 52 (1932) S. 167 f.; Bähr, Restriktiver und extensiver Täterschaftsbegriff, S. 59 f. '5 Dagegen ist es für den restriktiven Täterbegriff ohne Belang, ob jedes Beteiligungsverhalten gleich oder unterschiedlich bestraft wird, denn hier werden Strafrahmen und Tä· terbegriff konsequent getrennt: vgl. Schröder, ZStW Bd. 57 (1938) S. 466, 468 f. '6 Hier wären hauptsächlich zu nennen Mezger, Strafrecht, S. 415; ders., ZStW Bd. 52 (1932) S. 537 ff.; Lony, Extensiver oder restriktiver Täterbegriff? und in neuerer Zeit Spendel, JuS 1974,754. '7 s. Baumann, NJW 1962, 375; ders., JuS 1963, 127 . •• z.B. RGSt 74, 23; OGHSt 1,297,367; BGHSt 3, 5. '9 Den eindeutigsten Beleg dafür bietet das an den Wortlaut des S 25 StGB anknüpfen· de Urteil des OLG Stuttgart, JZ 1977, 724 f. Vgl. auch BGHSt 27, 205 ff., wo von der Tatbestandsfassung des S 177 StGB ausgegangen wird. 30 s. oben S. 28 f. 31 Lange, Der moaerne Täterbegriff, S. 23 f., 27; Zimmerl, ZStW Bd. 49 (1929) S. 41; Schröder, ZStW Bd. 57 (1938) S. 468, 471; GTÜnhut, JW 1932, 366; in neuerer Zeit Gal· las, Beiträge, S. 82; von den Strafzwecken her argumentiert als einziger Hermann Bruns, Kritik der Lehre vom Tatbestand, S. 52 ff.

III. Extensiver und restriktiver Täterbegriff

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standsimmanente Gestalt des Täters wird daher von vornherein durch die Synthese handlungs- und erfolgsbestimmter Momente, auf denen das Wert- und Zweckmäßigkeitsurteil basiert, geprägt. Daraus läßt sich als erste Schlußfolgerung ableiten, daß die Bewirkung des tatbestandsmäßigen Erfolges noch nicht Täterschaft ist. Das ist für Tatbestände, die nähere Beschreibungen in bezug auf die Art und Weise der Handlung oder die Person des ·Handelnden enthalten, evident, dagegen bei den "reinen" Erfolgsdelikten nicht ohne weiteres einsehbar. Jedoch ist - sofern nicht gerade die Einheitstäterlehre befürwortet wird noch niemals die Auffassung vertreten worden, daß z.B. beim Totschlag auf die Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme zu verzichten sei. Ob auch bei den "reinen" Erfolgsdelikten eine unterschiedliche Bewertung von Täterhandlung und Teilnehmerhandlung vorgenommen werden kann, hängt davon ab, ob hier nur eine subjektive Abgrenzung der Beteiligungsformen voneinander möglich ist - und damit für diesen Teilbereich doch auf den extensiven Täterbegriff zurückgegriffen werden muß - oder eine objektive Gewichtung verschiedenartiger Tatbeiträge in Betracht kommt. Soweit ersichtlich hat diese Kombination des restriktiven und des extensiven Täterbegriffs kaum Anhänger gefunden 32 . Sofern ein doppelter Täterbegriff ins Auge gefaßt wird, wird er in aller Regel auf die Unterscheidung zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Tat bezogen 33 •

3. Die überwindung des extensiven Täterbegriffs durch die Entwicklung personaler Täterschaftskriterien im Bereich der vorsätzlichen Delikte Die Frage nach dem täterschaftlichen Substrat "reiner" Erfolgsdelikte hat Lange zur Neu-Formulierung einer historisch bis zu PufendorfM zurückverfolgbaren These veranlaßt: Es komme darauf an, als wessen Werk die Tat erscheine. Zwischen Handlung und Erfolg müsse über die Kausalität hinaus ein persönliches Band bestehen, damit die Tat als eigene des Handelnden bezeichnet werden könne 35 • Im 19. Jahrhundert hat Berner den Gedanken, daß die "eigene Tat" die Täterschaft begründe, wiederbelebt 36 • Bei ihm gewinnt darin freilich 32 Hier wären lediglich zu nennen v. Cramer, Gleichschaltung von Täterschaft und Teilnahme, s. 64 ff. und beipflichtend Schaffstein, ZStW Bd. 56 (1937) S. 150. Dabei handelt es sich bei ihnen freilich nur um eine Feststellung de lege lata. De lege ferenda empfiehlt v. Cramer die Einheitstäterlehre. Bähr, Restriktiver und extensiver Täterschaftsbegriff, S. 15, 67 erwähnt zwar eine nach Tatbestandsgruppen differenzierende "gemischte Theorie", weist jedoch keine Vertreter einer solchen Auffassung nach. 33 Welzel, ZStW Bd. 58 (1939) S. 538 f.; Gallas, Beiträge, S. 90 ff.; Bähr, Restriktiver und extensiver Täterschaftsbegriff, S. 68; Schröder, ZStW Bd. 57 (1938) S. 463,474 f. 34 s. oben S. 63. 3. Lange, Der moderne Täterbegriff, S. 34, 37 f., 44. 36 s. oben S. 82.

3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

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schon die subjektivistische Verzerrung die Oberhand, die in der späteren animus-Formel zum ausschließlichen Bedeutungsgehalt dieser Leitvorstellung geworden ist. Einzig Hälschner ließ schon im vorigen Jahrhundert die Möglichkeit einer Balance zwischen objektiven und subjektiven Momenten im Begriff der "eigenen Tat" anklingen 37 • Erst Mezger lenkte schließlich die Aufmerksamkeit beharrlich darauf, daß die eigene Tat nicht identisch ist mit dem Willen, die Tat als eigene zu begehen38 • Auch Lange nimmt einen vermittelnden Standpunkt ein. Als objektive Zurechnungsgrundlage für die Täterschaft führt er den Adäquanzmaßstab ein 39 . Da die Adäquanz so weit gesteckte Grenzen hat, daß sie die Täterschaft uferlos ausdehnen würde, ergänzt Lange seine Täterlehre um ein weiteres Prinzip, indem er auf der subjektiven Seite darüber hinaus den Täterwillen fordert 40 • Bei der Behandlung des Täterwillens steht er in der Traditionslinie v. Buris 41 , derzufolge der in eigener Person den gesamten Tatbestand Verwirklichende ohne Ausnahme Täter ist 42 • Mit dem Hinweis darauf, daß in dieser Situation die Berufung des Handelnden auf bloßen Gehilfenwillen eine protestatio facto contraria sei43 , schließt Lange sich in der Sache der von Mezger ins Schrifttum eingeführten Ansicht an, daß es maßgeblich auf den sozialen Sinn des Geschehens ankommt nicht auf die reale Willensbeschaffenheit. Die noch wenig konkretisierten personalen und sozialen Züge von Langes Täterbegriff lassen einen beträchtlichen Spielraum nach allen Seiten offen. Daher kann auf ihn das Schema restriktiver/extensiver Täterbegriff nicht ohne weiteres übertragen werden. Je nachdem, welchen Komponenten dieses komplexen Täterbegriffs man in concreto den Vorrang einräumt, gelangt man zu unterschiedlichen Annäherungsgraden an eine mehr restriktive bzw. extensive Auffassung. Das ist von Lange auch beabsichtigt worden, denn es kommt ihm darauf an, aus der jeweiligen individuellen Tatbestandsstruktur eines Delikts die darauf abgestimmte besondere Gestalt der Täterfigur zu entwickeln 44 • Damit tritt die Alternative extensiver oder restriktiver Täterbegriff in den Hintergrund. Ihre Bedeutung schrumpft auf die eines eher gesetzestechnischen Problems zusammen 45 • Begreift man den extensiven Täterbegriff in erster Linie als Ausdruck eines rein erfolgsbezogenen Unrechtsverständnisses, dann läßt sich allerdings sagen, 37

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s. oben S. 83 f. s. oben S. 102 f. Lange, Der moderne Täterbegriff, S. 40 ff. Lange, Der moderne Täterbegriff, S. 43. s. oben S. 89.

Lange, Der moderne Täterbegriff, S. 47. Lange, Der moderne Täterbe~iff, S. 47,59 f. 44 Lange, Der moderne Täterbegriff, S. 39. 45 In diesem Sinne auch Zimmerl, ZStW Bd. 52 (1932) S. 177 f.; Schröder, ZStW Bd. 57 (1938) S. 459 f. 42

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III. Extensiver und restriktiver Täterbegriff

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daß der personale Bezugsrahmen, in dem Langes Täterbegriff sich entfaltet, eine extensive Deutung ausschließt. So betrachtet wäre er also restriktiv zu nennen 46 • Das bestätigt sich auch, wenn man den Blick noch einmal auf die Täterschaft beim "reinen" Erfolgsdelikt richtet. Das - wie auch immer im einzelnen beschaffene - persönliche Band, das, folgt man Lange, Tat und Täter verbindet, ist ein über den Kausalzusammenhang zwisc~en Handlung und Erfolg hinausgehender Beziehungszusammenhang, der zeigt, daß auch beim "reinen" Erfolgsdelikt mehr als nur der "reine", d. h. ausschließlich durch Kausalität vermittelte, Erfolgseintritt die Täterschaft konstitutiert. In diesem Sinne ist der Begriff des '"reinen" Erfolgsdelikts geradezu irreführend. Es gibt auch bei ihm eine Abstufung des Handlungsunwerts, den Lange im Adäquanzurteil und im objektiv-sozialen Sinngehalt des Tatbeitrags zu fassen sucht. Der im Adäquanzurteil verborgene Gedanke unterschiedlicher Gefährlichkeit der Handlung von Täter und Teilnehmer ist vor Lange schon von Zimmer/ 47 und sogar von Eh. Schmidt 48 zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme herangezogen worden. Auch Hermann Bruns arbeitete bereits mit der Adäquanz zwischen Handlung und Erfolg, um den täterschaftlichen Angriff zu charakterisieren 49 • Bei ihm bedeutet die generelle Eignung einer Handlung, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen, die Möglichkeit menschlicher Tatherrschaft. Damit hebt er das zentrale täterschaftsbegründende Moment auch terminologisch aus der kausalen in die personale Ebene. Die Möglichkeit der Tatherrschaft soll die Basis eines einheitlichen Täterbegriffs für vorsätzliche und fahrlässige Taten bilden 50 , womit auch schon angedeutet ist, daß selbst beim Fahrlässigkeitsdelikt die Täterschaft nicht ohne weiteres auf die Erfolgsbewirkung reduziert werden kann. Für das vorsätzliche Delikt ist damit der besondere Unwert täterschaftlicher Begehungsweise in der Herrschaft über die Tatgestaltung lokalisiert worden 51. Der restriktive Täterbegriff hat sich also in diesem Bereich auch bei den Erfolgsdelikten ohne besondere Handlungsbeschreibung als durchführbar erwiesen, ohne daß ein Rückfall in die formal-objektive Theorie hätte erfolgen müssen. Das Kriterium der Tatherrschaft gibt die gesuchte Möglichkeit an die Hand, bei einem Tatbestand wie z.B. § 212 StGB eine plausible Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme zu treffen 52 • Wer das Opfer mit dem Messer er46 Lange, Der moderne Täterbegriff, S. 17 identifiziert den restriktiven Täterbegriff dagegen mit der formal·objektiven Theorie. 47 Zimmerl, ZStW Bd. 52 (1932) S.175 . • 8 s. oben S. 119. 49 Hermann Bruns, Kritik der Lehre vom Tatbestand, S. 73; ablehnend dagegen Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, S. 77, demzufolge das Erfordernis der Adäquanz für alle Beteiligungsformen in gleicher Weise gelten muß. Vgl. auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 62. 50 Hermann Bruns, Kritik der Lehre vom Tatbestand, S. 71 f. 51 Hermarzn Bruns, Kritik der Lehre vom Tatbestand, S. 67. 52 Gallas, Beiträge, S. 89 ff.

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3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

sticht, tut etwas anderes als derjenige, der ihm dazu das Tatwerkzeug reicht oder ihn zur Tat überredet hat. Dieser Unterschied leuchtet spontan ein. Der abweichende Unwert der verschiedenen Verhaltensweisen besteht, wenn man den Messerstich auf der einen Seite und die Unterstützung dazu bzw. das Hinwirken darauf auf der anderen Seite betrachtet, in dem unterschiedlichen Maß des Einflusses auf die Tatbestandsverwirklichung, wobei die Handlungsherrschaft allein beim eigenhändig die Tatbestandsmerkmale des § 212 StGB Verwirklichenden liegt.

4. Der extensive Täterbegriff und die fahrlässigen Delikte Auch beim fahrlässigen Delikt hat der extensive Täterbegriff keinen Anwendungsbereich 53 , wenn man das Erfordernis eines Handlungsunwerts als Kennzeichen für die Täterschaft gelten läßt. Der von Hermann Bruns herausgestellte Adäquanzgedanke kehrt dort in Gestalt der objektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs 54 wieder. Diese ist Voraussetzung für die Bewertung der Handlung als objektiv pflichtwidrig, denn es kann von der Rechtsgemeinschaft nur erwartet werden, daß solche Verhaltensweisen unterbleiben, deren Erfolgsträchtigkeit zumindest im Bereich menschlicher Erkenntnisfähigkeit liegt 55 • Eine rein kausale Bestimmung der Täterschaft im Gebiet der Fahrlässigkeitsdelikte treffen wir nicht nur - wie zu erwarten - bei den Vertretern der reinen Erfolgsunrechtslehre an, sondern auch bei Welzel 56 und Gallas 57 , durch deren grundlegende Arbeiten die Lehre vom personalen Unrecht Eingang in die moderne Strafrechtsdogmatik gefunden hat. Dies erklärt sich aus der einseitigen Anbindung des Handlungsunwerts an die Finalität 58 • Da der Gegenstand der rechtlichen Wertung, soweit sie die Handlung betrifft, eine dialektisch vermittelte objektiv-subjektive Ganzheit darstellt 59 , muß indessen auch der Hand53 Ebenso Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 2. Aufl., S. 544, der in der 3. Aufl., das Kapitel über Täterschaft und Teilnahme bei fahrlässigen Delikten freilich gestrichen hat. Trotzdem darf davon ausgegangen werden, daß er seine Position in diesem Punkt nicht aufgegeben hat (siehe 3. Aufl., S. 601 f.). 54 Die Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung betrifft bereits den Handlungsunwert, da von ihr die Bewertung der Verhaltenssteuerung abhängig ist (zutreffend Schönke/Schröder/Cramer, S 15 Rdn. 125). Dagegen wird die Voraussehbarkeit teilweise im Schrifttum dem Erfolgsunwert zugeordnet (Samson, SK, Anh. zu S 16 Rdn. 29). Jescheck, AT, S. 475 spricht in diesem Zusammenhang salomonisch von einem "Moment der Verknüpfung von Erfolgs- und Handlungsunrecht". 55 Deutlich Schönke/Schröder/Cramer, S 15 Rdn. 124 f. 56 Welzel, ZStW Bd. 58 (1939) S. 538 f., 553 ff. 57 Gallas, Beiträge, S. 90 ff. 58 Verstanden im Sinne der subjektiv-finalen Konzeption Welzels. So finden wir bei Gallas, Beiträge, S. 90 folgende Behauptung: "Zwar ,handelt' auch, wer fahrlässig eine Bedingung zum tatbestandsmäßigen Erfolg setzt; aber mangels finaler Beziehung zu diesem Erfolg fehlt solchem Handeln ein strafrechtlich erheblicher Sinn, an den eine wertende Unterscheidung anknüpfen könnte." 5. Ausführlich Bloy, ZStW Bd. 90 (1978) S. 609 ff.

IH. Extensiver und restriktiver Täterbegriff

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lungsunwert außer der subjektiven eine objektive Seite haben 60 • Es besteht mithin nicht nur die Alternative zwischen sinnerfüllter subjektiver Finalität und naturalistischer Kausalität. Sinnträger ist die sozialtypische Gestaltungsrichtung der Handlung auf den Erfolg, die schlagwortartig als objektive Finalität bezeichnet zu werden pflegt. Hierauf läßt sich eine Bewertung sowohl der subjektiven Komponenten (Intentionsunwert) als auch der objektiven Komponenten gründen. Die täterschaftskonstitutive Funktion der objektiven Pflichtverletzung beim Fahrlässigkeitsdelikt ist in späterer Zeit auch von Welzel anerkannt worden 61 , bedeutet für die finale Handlungslehre jedoch die Aufgabe eines einheitlichen Handlungsbegriffs 62 . Immerhin gelingt dadurch die Erstreckung des personalen Unrechts auf das Fahrlässigkeitsdelikt. Die Zugrundelegung des restriktiven Täterbegriffs auch für das Fahrlässigkeitsdelikt legt die Frage nahe, ob die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme begrifflich hier ebenso möglich ist wie bei der Vorsatztat. Diese Problematik ist bekanntlich rein akademischer Natur, sofern sie nicht in einen größeren Zusammenhang gestellt wird. Deshalb soll sie in dieser Form hier auch nicht vertieft werden. Es handelt sich dabei jedoch nur um einen Ausschnitt aus dem umfassenderen Problemkreis des sog. Regreßverbots, der für die Lehre von Täterschaft und Teilnahme allgemein Bedeutung besitzt und in verschiedenen Einkleidungen schon seit Köstlins Kennzeichnung der Urheberschaft durch das "wahre Kausalitätsverhältniß,,63 im Unterschied zur Beihilfe als dem "vermittelte(n), von einem Andern gesetzte(n) Kausalitätsverhältniß,,64 in der strafrechtlichen Literatur diskutiert wird. Die Versuche, auf diesem Wege zu einer Typenbildung unter den verschiedenen Mitwirkungsweisen an der Deliktsverwirklichung zu gelangen, setzen wiederum an der Kausalität an. Ihre Vorgeschichte reicht damit sogar bis in älteste Zeiten zurück.

60 Ob der Handlungsunwert auch durch objektive Momente bestimmt wird, ist um· stritten. Wie hier Jescheck, AT, S. 191; Welzel, Lb., S. 62; Stratenwerth, Schaffstein·Festschrift, S. 178 Anm. 9; Maiwald, Dreher-Festschrift, S. 437, 451 ff.;Krauß, ZStW Bd. 76 (1964) S. 57 f.; KTÜmpelmann, GA 1968, 135; Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 159 der die neuere Diskussion um den personalen Unrechtsbegriff ausfuhrlich darstellt. 61 Welzel, Lb., S. 132. 62 Bloy, ZStW Bd. 90 (1978) S. 641 ff. 63 Köstlin, Neue Revision, S. 448. 64 Köstlin, Neue Revision, S. 449.

3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

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IV. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs psychisch vermittelte Kausalität - Regreßverbot 1. Die Rolle der Kausalität in der historischen Entwicklung der Beteiligungsformen bis zur strafrechtlichen Hegelschule Die ersten Spuren einer Differenzierung zwischen kausalen und nichtkausalen Tatbeiträgen finden sich in der italienischen Strafrechtswissenschaft des Mittelalters. Seit Gandinus wurde überwiegend das auxilium, quod causa m dedit delicto wie die Täterschaft bestraft, das auxilium causam non dans dagegen milder!. Beim consilium unterschied man zwischen der der Täterschaft gleichgestellten anstiftenden Form und der milder zu bestrafenden Beihilfeform; die mildere Bestrafung wurde darauf gestützt, daß der Teilnehmer nicht causa delicti geworden sei z . In der Rezeptionszeit drangen diese Lehren nach Deutschland ein 3 und fanden in die Wormser Reformation Eingang4 • Zwar wurden bis zu diesem Punkt der Entwicklung die Beteiligungsformen selbst nicht von der Kausalität abhängig gemacht - auxilium und consilium sind übergreifende Kategorien -, aber die Bemessung der Strafe knüpfte daran an. Seit im 18. Jahrhundert Pufendorfs Imputationslehre in der Strafrechtswissenschaft Aufnahme gefunden hatte, wurde das Schema von kausaler und nichtkausaler Beteiligung aufgegeben und machte einem nach "Kausalitätsanteilen" quantifizierenden Zurechnungsmodus Platz 5 • An diesem Modell orientierten sich auch noch die Autoren der Aufklärungszeit, allen voran Feuerbach, bei dem die "Verschiedenartigkeit der Caussalität des Handelnden für den gesetzwidrigen Erfolg" den Maßstab bildete. Dabei stand die Unterscheidung von unmittelbar und mittelbar, d.h. über die Handlung einer anderen Person, auf eine Rechtsverletzung gerichteter Handlung im Mittelpunkt 6 •

2. Die Begründung der Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch Luden Erst die Zurechnungslehre Hegels schuf die philosophischen Voraussetzungen für die Ausarbeitung einer Lehre von Täterschaft und Teilnahme, die den Verursachungszusammenhang auf die Täterschaft beschränkt und bei der Teil1

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oben S. 54. oben S. 55. oben S. 60. oben S. 59. oben S. 62 ff. oben S. 68 f.

IV. Das Regreßverbot

127

nahme eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs annimmt. Allerdings gelangte dieser Ansatz bei der strafrechtlichen Hegelschule über eine flüchtige Skizzierung, wie sie sich in der oben wiedergegebenen Bemerkung Köstlins angedeutet findet, nicht hinaus 7 . Als eigentlicher Begründer dieser Theorie ist Luden anzusprechen. Anders als Köstlin, Berner und bis zu einem gewissen Grade auch Hälschner ist Luden nicht der Versuchung erlegen, die Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen nach der Willensrichtung der handelnden Personen zu beurteilen. Aus dem Zurechnungsprinzip, daß die Freiheit des Handelnden die Verantwortlichkeit für die Tat begründet, leitet er ab, daß die Urheberschaft (= Täterschaft) nur durch eine Handlung begründet werden kann, durch die der Tatbestand des Verbrechens verwirklicht wird 8 , denn die freie Handlung eines dazwischen geschalteten Dritten läßt es nicht mehr zu, das Geschehen in vollem Umfang als Ausdruck der freien Entfaltung der Person des Ersthandelnden zu betrachten. Als Kausalzusammenhang läßt Luden nur die Verknüpfung zwischen Handlung und Erfolg aufgrund naturgesetzlich determinierter Abläufe gelten. Damit ist eine Grenze zwischen Täterschaft und Teilnahme auf objektiver Grundlage gezogen, ohne daß in bezug auf die mittelbare Täterschaft die spezifischen Schwierigkeiten der formal-objektiven Theorie auftreten: Wird der Erfolg einer Handlung durch einen unfreien Dritten vermittelt, so ist der Kausalzusammenhang nicht unterbrochen und Täterschaft gegeben, denn diese Art eines psychisch vermittelten Wirkungszusammenhangs gehört dem Reich der Natur und nicht der Freiheit an. Auch das Akzessorietätsprinzip wird vor diesem Hintergrund in seiner Bedeutung als spezifische Zurechnungsstruktur der Teilnahme plastisch: Das Erfordernis der Haupttat besteht nicht wegen der kausalen Verknüpfung von Teilnahmehandlung und Erfolgseintritt, sondern um die personale Beziehung zwischen den Beteiligten zur Geltung zu bringen, die das Unrecht, das dem Teilnehmer anzulasten ist, als Derivat des tätertatbestandlichen Unrechts erscheinen läßt. Die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs kann als Metapher für die Unangemessenheit einer naturalistischen Deutung des Teilnahmeverhältnisses gelten und hat insoweit ihre Berechtigung9 • Darin liegt auch der Sinn der These, die Akzessorietät der Teilnahme laufe darauf hinaus, daß die Kausalität unterbrochen werde 10 • Die Redeweise von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs bringt freilich nur zum Aus7 Einen detaillierten geschichtlichen Überblick gibt Pomp, Die sogenannte Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, S. 15 ff. a Dazu und zum folgenden s. oben S. 84 ff. 9 Weitergehend bezieht Wiechowski, Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, S. 28 ff. auch Zweitereignisse, die keine menschlichen Handlungen sind, in die Betrachtung ein. Ebenso z.B. Pomp, Die sogenannte Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, S. 30 ff. Diese Konstellationen interessieren im Hinblick auf die Teilnahmelehre nicht. 10 v. Liszt, Lb., 4. Aufl., S. 133,220 f.; Finger, Lb. I, S. 282; Köhler, AT, S. 186 f.; Bünger, ZStW Bd. 8 (1888) S. 713 f.; vgl. auch Wachenfeld, Lb., S. 91, 204.

3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

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druck, was Teilnahme nicht ist; sie erschöpft sich in der Negativ-Abgrenzung gegenüber der Zurechnung zur Täterschaft. Dadurch entsteht eine Begründungslücke für die Verantwortlichkeit des Teilnehmers hinsichtlich des tatbestandlichen Unrechts, die schon Luden Schwierigkeiten bereitetell und die überlegung llahelegt, daß die Teilnahme straffrei bleiben müßte 12 •

3. Die Unterscheidung zwischen physisch und psychisch vermittelter Kausalität als Weiterentwicklung der Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs Die Kritiker der Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs beriefen sich in erster Linie darauf, daß ein Kausalzusammenhang entweder besteht oder nicht besteht, niemals aber als ein unterbrochener existieren könneu. Die Realitätsebene, auf der die Kausalität eine Rolle spielt, ist mit anderen Worten eine andere als diejenige, auf der die Bewertung des Kausalverlaufs unter Zurechnungsgesichtspunkten vorgenommen wird. Trennt man beide, wie es die Sache erfordert, so wandelt sich die Fragestellung dahingehend, ob bzw. wie ein vorhandener Kausalzusammenhang für die rechtliche Beurteilung relevant ist. Das führt zu der Unterscheidung zwischen physisch und psychisch vermittelter Kausalität, wobei sich für die psychisch vermittelte Kausalität das Problem eines eventuellen Regreßverbots stellt. Zunächst ist evident, daß bei Zugrundelegung der Äquivalenztheorie psychisch vermittelte Kausalität keine Besonderheiten gegenüber physisch vermittelter zeigt, doch besagt das nichts darüber, ob im Hinblick auf das verwirklichte Unrecht unterschiedliche Befunde zu erheben sind. Die Kausalität der psychischen Einwirkung ist als Wirkungszusammenhang eigener Art gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts von Arnold Horn einer umfassenden Analyse unterzogen worden. Ebenso wie schon früher Luden und wenig später v. Bar 14 scheidet Horn 1S die Fälle, in denen auf einen unfrei Handelnden psychisch eingewirkt wird, aus der Betrachtung aus und stellt sie denen der Naturkausalität gleich. Hieran wird deutlich, daß das Stichwort der psychisch vermittelten Kausalität nicht empirisch-psychologisch, sondern normativ zu verstehen ist. s. oben S. 85 f. Vgl. v. Liszt, Lb., 16./17. Aufl., S. 215; Wilh. Bauer, Die akzessorische Natur der Teilnahme, S. 41; Hergt, Teilnahme am Verbrechen, S. 35; Korn, Der Vorsatz des Anstifters, S. 8. 13 Gerland, Lb., S. 94; Frank, 18. Aufl., S 1 Anm. III 2a); Traeger, Der Kausalbegriff, S. 177 f.; M. E. Mayer, Der Causalzusammenhang, S. 93 ff; Wiechowski, Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, S. 46 ff.; Pomp, Die sogenannte Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, S. 36 f., 64 ff. 14 v. Bar, Gesetz und Schuld H, S. 577 f. 15 Horn, GS Bd. 54 (1897) S. 365. 11

12

IV. Das Regreßverbot

129

Die Konstellation, die damit benannt werden soll, ließe sich deshalb exakter als "durch fremde Willensfreiheit vermittelte Kausalität" umreißen. In diesem Bereich nun trägt Horn dem Umstand, daß eine vom Tatbeitrag ausgehende naturgesetzlich-zwangsläufige Entwicklung des Geschehens zum Erfolgseintritt hin fehlt, dadurch Rechnung, daß er die psychische Beeinflussung des freien Willens einer Person als "das Setzen einer Bedingung, mit dem wir den Begriff des Wirkens nicht verbinden können" charakterisiert 16 . Der Kausalzusammenhang wird von Horn bei dieser Sachlage zwar nicht geleugnet, aber als besonders strukturiert angesehen: Die Verknüpfung erfolge durch den Täter, durch dessen Handlung die vom Teilnehmer gesetzte Bedingung dann letztlich doch in "wirkende Causalitätsbeziehungen zu dem Erfolge tritt,,17. Die Beurteilung der Beziehung zwischen Teilnehmerhandlung und Erfolg wird also aus zwei verschiedenen Perspektiven, der des Teilnehmers und der des Täters, beleuchtet. Das stellt insofern einen Fortschritt dar, als bei Wahrung einer gemeinsamen Zurechnungsbasis unterschiedliche Zurechnungsformen unterschieden werden können. Wenn Horn davon spricht, daß der Täter den Kausalzusammenhang zwischen psychischer Beeinflussung und dem Erfolg herstellt, schließt er den Zurechnungszusammenhang durch die Person, die im Mittelpunkt des Geschehens steht. Das bedeutet, daß Zurechnungsgrund in Wahrheit nicht die Kausalität ist. Vielmehr leitet sich die Verantwortlichkeit des Teilnehmers aus der Verantwortlichkeit des Täters .für die begangene Tat ab. Die Verwirklichung des tatbestandlichen Unrechts ist also Bezugspunkt für jegliche strafbare Beteiligung, ein Gedanke, der durch die kausale Einkleidung allerdings so versteckt wird, daß er auf den ersten Blick kaum zu erkennen ist. Ergänzend tritt bei Horn die überlegung hinzu, daß vom Teilnehmer aus gesehen die Beeinflussung der Person des Täters nicht denselben Stellenwert hat wie die Einwirkung auf eine Naturkraft. Die Gegenüberstellung von Bedingung und wirkender Ursache faßt diesen Strukturunterschied in Begriffe. Auch insoweit verwirrt die kausale Terminologie eher, als daß sie der Sache förderlich ist. Der Einfluß auf den Willen einer anderen Person ist zwar niemals mit gleicher Sicherheit erreichbar wie die Wirkung des Einsatzes eines toten Werkzeugs, aber das ist mit Kausalitätsüberlegungen nicht zu begrürtden. Darauf hat schon v. Bar zu Recht hingewiesen und folglich die Abstufung der Zurechnung von der Feststellung der Kausalität getrennt 18 . Diese Abschichtung erhebt im Kriterium der psychisch vermittelten Kausalität die mangelnde Beherrschung des Tatverlaufs zum entscheidenden Merkmal der Teilnahme und weist damit Berührungspunkte mit der Tatherrschaftslehre auf19 .

16

Horn, GS Bd. 54 (1897) S. 368.

17

Horn, GS Bd. 54 (1897) S. 372 f.

18

v. Bar, Gesetz und Schuld 11, S. 579 f., 594 ff., 617.

IP

9 Bloy

Dazu Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 45 f.

3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

130

Großen Einfluß auf die Lehre von Täterschaft und Teilnahme hat die Unterscheidung von physisch und psychisch vermittelter Kausalität dann durch Frank erhalten, der in seinem Kommentar dieselbe Grundposition wie Horn vertrat. In der 1. Auflage, die im selben Jahr wie Horns Studie erschien, wird noch - wenn auch mit Bedenken - von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs gesprochen, aber auch schon der Begriff der "psychischen Kausalität" eingeführt 2o • Erst in den letzten Auflagen des Kommentars taucht der berühmt gewordene Ausdruck "Regreßverbot" auf2 1 • Damit wird freilich in der Sache keine neue oder gegenüber der Lehre von der psychisch vermittelten Kausalität erweiterte Sichtweise eröffnet. Lediglich die Akzente sind verschoben. Während die Argumentation bei der psychisch vermittelten Kausalität empirisch-psychologisch auftritt 22 , setzt das Regreßverbot von vornherein normativ an 23 • Insofern ist die adäquate Terminologie erst in dieser Benennung gefunden worden.

4. Das Regreßverbot a) Abgrenzung von TIterschaft und Teilnahme nach dem MaB8tabe de8 Dazwischentreten8 eine8 frei handelnden Dritten?

Die Lehre vom Regreßverbot ist von Anfang an äußerst umstritten gewesen und hat bis in die Gegenwart hinein sowohl Zustimmung als auch prinzipielle Ablehnung erfahren. Im älteren Schrifttum geht die Auseinandersetzung vorzugsweise um die generelle Frage, ob die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nach dem Maßstab des Dazwischentretens eines frei handelnden Dritten vorzunehmen ist; in der neueren Literatur spielt nur noch die speziellere Problemstellung eine Rolle, ob die Erfolgszurechnung für einen fahrlässigen Ersthandelnden dadurch ausgeschlossen wird, daß ein Zweithandelnder vorsätzlich und volldeliktisch den Geschehensablauf auf den Erfolgseintritt hin gesteuert hat. Die Auffassung, daß die Täterschaft durch physisch vermittelte, die Teilnahme durch psychisch vermittelte Kausalität gekennzeichnet sei, ist insofern zu Recht der Kritik 24 ausgesetzt, als ihr leitendes Abgrenzungsprinzip nicht mit dem Strafgesetzbuch zu harmonisieren ist, das sowohl Teilnahme auf physisch vermittelter Grundlage als auch Täterschaft auf psychisch vermittelter GrundFrank, 1. Aufl., S 1 Anm. V 2, Vorbem. III, V vor S 47, S 48 Anm. I. Frank, 17./18. Aufl., S 1 Anm. III. 22 Frank, 17./18. Aufl., S 1 Anm. III: Die Eigenart der aus dem Gebiet der Ursachen ausgeschiedenen Vorbedingungen sei "auch rein psychologisch" zu betonen. 23 VgI. auch Eh. Schmidt, Frank·Festgabe 11, S. 114. 24 Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, S. 78; Pomp, Die sogenannte Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, S. 61 f.; P. Merkel, FrankFestgabe II, S. 135. 20

21

IV. Das Regreßverbot

131

lage kennt. Frank selbst hat dies eingeräumt 25 , daraus aber keine Konsequenzen gezogen. Gerade an den Konstellationen, die anhand von Franks Kriterium nicht zutreffend eingeordnet werden können, lassen sich indessen Erkenntnisse über die Bedeutung und Tragweite der Lehre von der psychisch vermittelten Kausalität gewinnen. Die gesetzliche Regelung stellt nämlich keineswegs einen dogmatischen Mißgriff dar. Hier wären als erstes diejenigen Delikte zu nennen, deren Tatbestand eine psychische Einwirkung des Täters auf das Opfer voraussetzt. Das kann in verschiedener Form der Fall sein. Die Täuschung (H 145 d, 263 StGB), die falsche Verdächtigung (§ 164 StGB), die List (§§ 181,237 StGB), die Drohung und die vis compulsiva (§ 240 StGB und alle Tatbestände mit Nötigungselementen) stellen Möglichkeiten dar, einen täterschaftlichen Angriff auf ein Rechtsgut zu verüben. Als Angriffsformen, die sich gegen das Opfer richten, weisen sie gegenüber Anstiftung und psychischer Beihilfe, die sich an den Haupttäter wenden (und erst über diesen den Rechtsgutsangriff anvisieren), freilich eine Besonderheit auf. Sie rufen psychische Reaktionen hervor, die dem Einwirkenden eine Überlegenheit über die Person dessen, auf die eingewirkt wird, dadurch verschaffen, daß er in Unfreiheit gerät. Diese unfreie Lage ermöglicht dann die Rechtsgutsverletzung. Eine ganz andere Funktion hat demgegenüber die psychische Beeinflussung des Täters durch den Teilnehmer. Sie dient dazu, in den Grenzen selbstverantwortlichen Handelns des Täters zur Deliktsverwirklichung beizutragen. Sofern der Hintermann weitergehend eine Willensherrschaft über den eigenhändig Handelnden ausübt, liegt mittelbare Täterschaft und keine Teilnahme vor. Die Bedeutung des psychischen Kontakts zwischen Täter und Teilnehmer besteht also darin, daß ein auf Freiheit basierendes Zusammenwirken begründet wird, das dem Teilnehmer keine Herrschaft über die Tat in die Hand gibt. Aus diesem Grunde bleibt das tatbestandliche Unrecht an die Person des Täters gebunden. Psychisch vermittelte Kausalität ist in diesem Zusammenhang eine Umschreibung für den negativen Befund, daß das tatbestandliche Unrecht mangels Tatherrschaft nicht in der Person des Teilnehmers realisiert ist. Da es jedoch zahlreiche Fälle gibt, in denen das tatbestandliche Unrecht durch psychisches Einwirken auf einen anderen verwirklicht wird, muß der Versuch, die Teilnahme auf diese Weise generell zu kennzeichnen, ein falsches Bild ergeben. Der Zuwachs an Problemverständnis, den diese Lehre gebracht hat, sollte andererseits darüber nicht als zu gering veranschlagt werden, denn immerhin kündete sich darin die Lösung vom Kausalitätsdenken und die Erfassung der Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen als einer personalen Beziehungsstruktur an. In der kritischen Auseinandersetzung mit der Lehre von der psychisch vermittelten Kausalität als Charakteristikum der Teilnahme spielt weiterhin der 25

9*

Frank, 17. Aufl., Vorbem. 11 vor S 47.

132

3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

Punkt, der die Beihilfe durch physisch vermittelte Kausalität betrifft, eine wichtige Rolle. Dazu äußert sich Frank dahingehend, daß die Beihilfe "regelmäßig zwar nicht als Ursache, stets aber mindestens als Bedingung" erscheine 26 • Bei unvoreingenommener Betrachtung vermag es indessen nicht zu überzeugen, daß hier ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vorliegen soll, denn das setzt bereits voraus, was erst zu zeigen wäre, nämlich die prinzipielle Geltung der zuvor von Frank entwickelten Grundsätze zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Und selbst dann bleibt noch die Frage offen, wie die "Ausnahmefälle" erklärbar sind. Diese Ausgangslage läßt mehrere Lösungsansätze zu. Für die Anhänger der Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs bzw. der psychisch vermittelten Kausalität liegt es nahe, die These aufzustellen, daß die Kausalität zwischen Beihilfehandlung und Erfolg auch bei der physischen Beihilfe psychisch vermittelt sei. Diesen Weg hat schon Luden eingeschlagen, indem er die physische Beihilfe als psychische Unterstützung interpretierte 27 . Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, denn der Bedeutungsgehalt der physischen Beihilfe liegt allenfalls am Rande auch darin, daß der Haupttäter seelisch gestärkt wird. Die praktische Förderung der Tat steht hier ganz im Vordergrund und ist unabhängig davon strafbar, ob sie überhaupt eine psychische Wirkung auf den Täter ausgeübt hat. Erweist sich der von Luden unternommene Begründungsversuch als allzu offensichtlich auf Bestätigung seiner vorgefaßten Haltung in dieser Frage gerichtet, so besitzt die Argumentation, deren Horn sich bedient, schon mehr Gewicht. Bei ihm steht, wie in den Fällen, in denen unzweifelhaft psychische Wirkungszusammenhänge zum Tragen kommen, die Person des Täters im Mittelpunkt des Interesses: "Auch der Setzung naturalcausaler actueller Bewegungen, die für den Erfolg wirken können, kann unter Umständen erst die hinzukommende Thätigkeit des Thäters causale Kraft verleihen, wo dann ebenfalls Beihülfe vorliegt ( ... ) Es kommt Alles nur darauf an, daß der Hauptthäter allein es ist, der die Causalitätskette zwischen Thun des Gehülfen und Erfolg verknüpft.,,28 Diese Stellungnahme offenbart, daß der Begriff der psychisch vermittelten Kausalität mehrdeutig ist. Folgt man dem Gedankengang Horns, dann ist ihr Bestehen nicht davon abhängig, ob das Handeln des Teilnehmers auf den Täter motivatorisch wirkt. Gerade das wird freilich nicht selten implizit vorausgesetzt. Nur wenn man diese unterschiedlichen Ausgangspunkte berücksichtigt, wird der Streit begreifbar, ob bei physischer Tätigkeit notwendig physisch vermittelte Kausalität im Spiele ist 29 oder nicht. Frank, 8./10. Aufl., S 49 Anm. 1. s. oben S. 86 Anm. 278. 28 Horn, GS Bd. 54 (1897) S. 373 f. 2. So Traeger, Der Kausalbegriff, S. 183; Pomp, Die sogenannte Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, S. 58 f.;P. MerkeI, Frank-Festgabe II, S. 135. 26

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IV. Das Regreßverbot

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Wird die psychisch vermittelte Kausalität als Motivationszusammenhang definiert, so ist scharf zwischen dem auf physischem Wege bewirkten Erfolg der physischen Handlung und einem eventuell daraus resultierenden Motivationserfolg zu trennen. Psychisch vermittelte Kausalität liegt dann nur vor, wenn es über den physisch bewirkten Erfolg hinaus zu einem Motivationserfolg gekommen ist. Physisch vermittelte Kausalität ist dagegen immer zu bejahen. Wer dem Mörder beispielsweise die Tatwaffe besorgt, hat in diesem Sinne stets physisch den Erfolg hervorgebracht, daß das Opfer gerade mit dieser Waffe getötet worden ist. Ob der Täter durch diese Hilfeleistung zur Tat besonders ermuntert worden ist oder nicht, ist eine ganz andere Frage, die dann die psychisch vermittelte Kausalität betrifft. Erblickt man dagegen den entscheidenden Punkt in dem bloßen Umstand, daß der Tatbeitrag des Ersthandelnden über die Person eines Zweithandelnden für den eingetretenen tatbestandlichen Erfolg kausal geworden ist 30 , so beruht jede physische Beihilfe auf psychisch vermittelter Kausalität. Deshalb bereitet es auf der Grundlage dieser Prämisse keine Schwierigkeiten, in dem von Horn herangezogenen Fall, daß ein Diener die Tür des Hauses offenstehen läßt, um einem Dieb, der die Erleichterung des Zuganges zur Beute gar nicht bemerkt, zu helfen, psychisch vermittelte Kausalität und damit eine Behilfe zu erkennen 31 , obwohl hier die Psyche des Täters von der Unterstützungshandlung unberührt bleibt. Derselbe Fall dient andererseits P. Merkel als Beleg für die Möglichkeit von Behilfe trotz physischer Kausalität 32 • Einen Mittelweg schlägt Engisch ein, nach dessen Ansicht die physische Beihilfe sowohl im Wege psychisch vermittelter als auch im Wege physisch vermittelter Kausalität wirksam werden kann. Zur Unterscheidung beider Möglichkeiten stellt er darauf ab, ob der Täter die vom Gehilfen geleistete physische Unterstützung (bewußt?) benutzt hat oder ob sich der Gehilfenbeitrag auf andere Weise ausgewirkt hat 33 . Trotz der unterschiedlichen Auffassungen bleibt immerhin soviel übereinstimmung34 festzustellen, daß die Eigenart der Teilnahme nicht generell in einem auf den Täter bezogenen Motivationsvorgang erblickt werden kann. Dieser ist zwar für die Anstiftung charakteristisch, stellt aber nicht die gemeinsame Basis aller Erscheinungsformen der Beihilfe dar. Vom Standpunkt der auch bei Frank anklingenden Gleichsetzung psychisch vermittelter Kausalität mit mo tivatorisch wirkender Beeinflussung bietet dieses Kriterium keine geeignete Mög30 So schon Feuerbach (s. oben S. 126); in neuerer Zeit außer Horn auch Wuttig, Fahrlässige Teilnahme, S. 98 f.; Goetz, Grenzziehung zwischen Mittäterschaft, und Beihülfe, S. 42,45 ff.; vgl. auch Zimmer!, Aufbau des Strafrechtssystems', S. 91, 94 und Perten, Die Beihilfe zum Verbrechen, S. 94 f. 31 Horn, GS Bd. 54 (1897) S. 373. 32 P. Merkel, Frank·Festgabe 11, S. 135. 33 Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, S. 78, insbes. Anm.4. 34 Die einzige Ausnahme macht, wie dargestellt, Luden, doch ist die Unhaltbarkeit seiner Interpretation der physischen Beihilfe offenkundig (s. oben S. 132).

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3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

lichkeit zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Zwar läßt sich auf diese Weise die Anstiftung plastisch kennzeichnen 35 , aber damit ist selbst insoweit noch nichts darüber entschieden, warum hier eine Teilnahmeform und keine Täterschaftsform vorliegt. Diese Frage kann nur beantwortet werden, wenn das Element gefunden wird, das die Anstiftung mit der Beihilfe gemeinsam hat und sie von der Täterschaft unterscheidet. Dieser Aufgabe kann die psychisch vermittelte Kausalität allenfalls in der Bedeutung, die Horn ihr beigelegt hat, gewachsen sein. Will man den überzeugenden Kern dieser Lehre herauspräparieren, so setzt das freilich voraus, daß das formale Gerüst der Kausalitätsbetrachtung beiseite gelassen wird 36 • Zur Kennzeichnung einer spezifischen Zurechnungsform wäre dann der Begriff "psychisch vermittelte Kausalität" allerdings weniger geeignet und eher von einem Regreßverbot zu sprechen. Die Entdeckung der zentralen Bedeutung der Person des Täters für die Teilnahme gibt den Schlüssel für die Entwicklung eines einheitlichen Prinzips, auf dem die Akzessorietät und der Tatherrschaftsgedanke basieren, an die Hand. Damit sind Täterschaft und Teilnahme in ihrer Grundstruktur und Ausgestaltung als ein komplexes Gesamtsystem erkannt worden. Schon bei Horn stehen die deutlichen Hinweise auf die Tatherrschaft als Kriterium der Täterschaft in engster Beziehung zur Akzessorietät der Teilnahme. Das tatbestandliche Unrecht ist dem Teilnehmer, der den Tatverlauf wegen des freien HandeIns des Täters nicht beherrschte, zurechenbar, weil diese andere Person ihrerseits sehr wohl das Geschehen in der Hand hatte. Wenn dem so ist, knüpft sich daran sogleich die weitere überlegung, daß dieser zunächst auf das vorsätzliche Handeln des Teilnehmers zugeschnittene Zurechnungsgrund möglicherweise auch als Modell zur Beurteilung der Konstellation dienen kann, daß einem fahrlässigen Ersthandeln ein vorsätzliches Zweithandeln einer anderen Person folgt, wonach erst der Erfolg eintritt. ob das Täter-/Teilnehmersystem dem Grundgedanken nach auf fahrlässige Beteiligungsweisen übertragbar ist, ist äußerst kontrovers. Diese Frage bildet den Gegenstand der neueren Diskussion um das Regreßverbot, doch wird auch im älteren Schrifttum 37 dazu schon Stellung genommen. b) Täterschaft und Teilnahme bei fahrlässiger Straftat?

aa) Präzisierung der Problemlage Die Lehre vom Regreßverbot und ihre Vorläufer (Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs bzw. von der psychisch vermittelten Kausali35 Das wird in der Sache richtig erkannt von P. Wolf, Das Recht 1905, 526 f., der bei der Anstiftung eine "Unterbrechung des Kausalzusammenhangs" bejaht, dies bei der Beihilfe aber ablehnt, da keine Motivation des Täters durch den Gehilfen erforderlich ist. V gl. auch Eh. Schmidt, Frank-Festgabe II, S. 113 f., der sich zur Verteidigung des Regreßverbotes konkret nur auf die Anstiftung bezieht. 36 s. oben S. 129; vgl. auch Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 46 ff. 3? Einen geschichtlichen Überblick gibt Wuttig, Fahrlässige Teilnahme, S. 1 ff.

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tät) sind so weit gefaßt, daß sie ohne weiteres vorsätzliches und fahrlässiges Ersthandeln als Ansatzpunkt für die Zurechnung zur Täterschaft ausschließen, denn entscheidend ist hierfür nur die Qualität des Zweithandeins, nicht eine besondere Eigenschaft der ersten Handlung. Daher wird von den Vertretern dieser Theorien - soweit in der älteren Literatur der Fall des fahrlässigen Ersthandelns überhaupt ausdrücklich berücksichtigt wird - ausnahmslos die begriffliche Unterscheidbarkeit von Täterschaft und Teilnahme bei fahrlässigem Verhalten bejaht 38 • Das hat zur Folge, daß der Ersthandelnde straffrei ausgeht, weil nur vorsätzliche Anstiftung und Beihilfe strafbar sind. Man könnte zwar auch insoweit von einem beschränkten Regreßverbot sprechen, als ausschließlich für vorsätzliches Ersthandeln Täterschaft ausgeschlossen wird, aber das widerspricht der eingebürgerten Terminologie. So ist die Entscheidung für straflose Teilnahme oder strafbare Täterschaft bei fahrlässigem Ersthandeln geradezu zum Prüfstein dafür geworden, ob der Lehre vom Regreßverbot gefolgt wird oder nicht. Als Argument gegen das Regreßverbot haben das Reichsgericht 39 und Teile des Schrifttums40 vor allem immer wieder ins Feld geführt, daß die Kausalität des Ersthandelns für den Erfolg vom vorsätzlichen Zweithandeln nicht berührt werde und die fahrlässige Täterschaft nur davon abhänge, ob der Erfolgseintritt objektiv voraussehbar gewesen sei. Wer so argumentiert, macht es sich indessen ein wenig zu leicht, denn damit ist letztlich nur eine Identifizierung von Kausalität und Zurechnung vorgenommen worden. Die entscheidende Frage besteht aber gerade darin, ob das wirklich eine befriedigende Lösung darstellt 41 . Die zusätzliche Heranziehung der Adäquanz bringt zwar, wenn man sie im Sinne von Hermann Bruns als allgemeines Täterschaftsmerkmal auffaßt, eine gewisse Einschränkung der Zurechnung und Personalisierung des Täterbegriffs 42 , aber dabei handelt es sich nur um einen Scheinerfolg. Wenn die Erfolgszurechnung bei fahrlässigem Handeln Vorhersehbarkeit des Erfolgseintrittes voraussetzt, so muß das für die Erfolgszurechnung bei vorsätzlichem Handeln genauso gelten, denn ansonsten würde der vorsätz31 v. Liszt, Lb., 4. Aufl., S. 230; Köhler, AT, S. 502; ders., JW 1927, 2804 f. mit Einschränkung bei "außergewöhnlich gelagerten Umständen", so daß wohl doch der Adäquanzgedanke zum Zuge kommen soll; Frank, 18. Aufl., S 1 Anm. III 2 a); v. Bar, Gesetz und Schuld 1I, S. 219 ff.; Wuttig, Fahrlässige Teilnahme, S. 116 f.; Perten, Die Beihilfe zum Verbrechen, S. 207 f. (s. auch die Literaturzusammenstellung S. 208 f. Anm. 348); Exner, Frank-Festgabe I, S. 592 ff.; Klee, GA Bd. 67 (1919) S. 100; im Ergebnis ebenso v. Hippel, Strafrecht 1I, S. 141 f., 462 f., 468. 39 RGSt 58,368; 61, 320; 64, 318 f., 371 ff. 40 Wiechowski, Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, S. 39 f.; Zeiler, ZStW Bd. 49 (1929), S. 237 f.; Schneidewin, Fünfzig Jahre Reichsgericht, S. 272; vgl. auch Wilh. Bauer, Die akzessorische Natur der Teilnahme, S. 88. 41 Vgl. Mezger, Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben V, S. 18 f., der ausdrücklich nur der Behandlung der Kausalitätsfrage durch das Reichsgericht zustimmt, im anschließenden Abschnitt (S. 20) dann vor der "unmittelbare(n) Übertragung der Kausalfrage auf die Haftungsfrage" warnt, jedoch auf die von ihm herangezogene Entscheidung RGSt 61, 318 ff. nicht mehr zurückkommt. 42 s. oben S. 123.

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lich Handelnde unter Umständen für ein Geschehen verantwortlich gemacht werden, das er nicht lenken, sondern allenfalls herbeiwünschen konnte. Im letzteren Falle fehlt es - unabhängig von der Beteiligungsform - am minimalsten objektiven Zurechnungszusammenhang überhaupt, nämlich der Vereinigung von Handlung und Erfolg zu einer vom Sozialstandpunkt aus nachvollziehbaren Sinneinheit43 • Täterschaft und Teilnahme unterscheiden sich in diesem Punkt nicht 44 • Deshalb bietet der Adäquanzmaßstab nicht die Möglichkeit, Fälle fahrlässiger Teilnahme von solchen fahrlässiger Täterschaft zu.trennen45 • Die Erforderlichkeit einer derartigen Unterscheidung wird von den Gegnern der Lehre vom Regreßverbot allerdings auch gar nicht bejaht. Dafür ist das Adäquanzurteil insofern flexibel, als es nach dem Maß der Voraussehbarkeit im Einzelfall abstufbar ist. Damit wird indessen nicht dem Anliegen der Regreßverbotslehre Rechnung getragen, denn hierdurch läßt sich nur die Strafzumessung beeinflussen. Da auch die Fälle fahrlässiger Teilnahme im Sinne der Lehre vom Regreßverbot voraussetzen, daß der Erfolgseintritt voraussehbar war, bleibt die - von diesem Standpunkt aus verfehlte - Strafbarkeit bestehen. Im neueren Schrifttum wird das Regreßverbot zwar ebenso wie früher überwiegend als ein zu starres Prinzip abgelehnt 46 , aber es mehren sich die Stimmen, die eine differenzierte Betrachtung befürworten. Dabei kann heute die Auffassung als überwunden gelten, daß es sich hier um ein Problem im Bereich der Kausalität handelt. Vorsichtiger ist man hingegen mit der Annahme geworden, daß sich im Lichte dieser Erkenntnis die Frage in der Sache erledigt habe. Die Lehre von der objektiven Zurechnung, die in den letzten Jahrzehnten wieder stärker in die Diskussion gekommen ist, hat in vielerlei Hinsicht einen neuen Zugang zu diesem Problemkreis eröffnet. Dabei haben zunächst vor allem Autoren, deren Standpunkt von der Philosophie Hegels beeinflußt ist, den Grundgedanken der Regreßverbotslehre erneut aufgegriffen.

43 44

Roxin.

Bloy, ZStW Bd. 90 (1978) S. 648. Vgl. auch die S. 123 Anm. 49 nachgewiesenen Stellungnahmen von Engisch und

45 Dagegen meint Naucke, ZStW Bd. 76 (1964) S. 422, daß auch die Anhänger der Adäquanztheorie (teilweise?) für ein Regreßverbot eintreten. Doch würde das nur zutref· fen, wenn bei vorsätzlichem Zweithandeln ohne Ausnahme Inadäquanz des Ersthandelns für den Erfolg angenommen würde. Das tun die von Naucke angeführten Autoren aber nicht. Wiechowski, Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, S. 39 f. will im Einzelfall entscheiden, desgleichen MeyerlAllfeld, AT, S. 108 f. Anm. 26 unter Bezugnahme auf Wiechowski. v. Bar ist zwar Vertreter der Lehre vom Regreßverbot, wendet sich aber gerade deswegen vehement gegen die Adäquanztheorie (Gesetz und Schuld II, S. 219 ff.). Vgl. auch Larenz, NJW 1955, 1009 f., der zutreffend feststellt, daß die Adäquanz durch vor· sätzliches Zweithandeln nicht ausgeschlossen wird. 46 Jescheck, AT, S. 226; Maurach/Zipf, AT 1, S. 247; Baumann, AT, S. 229 f.; Welzel, Lb., S. 44; Rudolphi, SK, Vorbem. 72 vor S 1; Lackner, Vorbem. III 1 c) aal vor S 13; Herz berg , Täterschaft und Teilnahme, S. 100; Roxin, Gallas-Festschrift, S. 244; Schiinemann, JA 1975, StR S. 188 (718).

IV. Das Regreßverbot

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bb) Die Eröffnung der neueren Diskussion um das Regreßverbot durch Naucke Eine ausführlich begründete Parteinahme für das Regreßverbot stellen die Darlegungen von Naucke aus dem Jahre 1964 dar, die den Anstoß dazu gaben, die ganz überwiegend akzeptierte Lösung, nach der fahrlässige Täterschaft bei vorsätzlichem Zweit handeln nicht kategorisch ausgeschlossen ist, einmal mehr zu überdenken. Ansatzpunkt seiner Argumentation ist - neben kriminalpolitischen und historischen Erwägungen 47 - der Gedanke, daß nur eine Handlung im Sinne eines vom Willen beherrschbaren Tuns und nicht Ursächlichkeit Verantwortlichkeit für ein Geschehen begründen kann48 • Er knüpft damit bewußt an den Handlungsbegriff Hegels 49 und der strafrechtlichen Hegelschule an, der mit der Imputationslehre Pufendorfs im historischen Kontext steht so . Wegbereiter für die Ausformung dieses Handlungsbegriffs zu einem personalen Täterbegriff wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann insbesondere LangeSt. Er und - konsequenter noch - Hermann Bruns sahen freilich im Adäquanzurteil das geeignete Instrument zur Konkretisierung des persönlichen Bandes zwischen Täter und Tat. Dies beruhte auf der irrigen Gleichsetzung von Adäquanz und Beherrschbarkeit des Geschehens s2 • Daran ist immerhin soviel richtig, daß die Vorhersehbarkeit des Erfolges eine Voraussetzung für die Beherrschbarkeit des Geschehens ist, allerdings ist nicht umgekehrt jeder voraussehbare Erfolg auch beherrschbar. Die Adäquanz ist damit zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die objektive ZurechnungS3 •

cc) Der Streit um die Beherrschbarkeit eines Geschehens für einen fahrlässigen Ersthandelnden bei späterem Dazwischentreten eines vorsätzlichen Zweithandelnden Bei der Behandlung der maßgeblichen Rolle der Beherrschbarkeit des Geschehens für die Tatzurechnung konnte Naucke sich auf die Vorarbeiten von H. Mayer S4 und Larenz ss stützen. Beide waren - ebenso wie wenig später auch

Lampe - für das Regreßverbot eingetreten aufgrund der Erwägung, daß es nicht möglich sei, eine Tat zugleich als Willenswerk des vorsätzlich Handelnden und des fahrlässigen Erstverursachers anzusehen s6 • 47

41 4g 50 51

52

5a 54 55 56

Dazu Naucke, ZStW Bd. 76 (1964) S. 424 ff., 432 ff. Naucke, ZStW Bd. 76 (1964) S. 427 f. Naucke, ZStW Bd. 76 (1964) S. 430. s. oben S. 79. s. oben S. 121 f. s. oben S. 123. Dazu LaTenz, NJW 1955,1011; Otto, Maurach-Festschrift, S. 96. H. MayeT, Lb., S. 131, 133. LaTenz, NJW 1955, 1011. H. MayeT, Lb., S.138; LaTenz, NJW 1955,1012; Lampe, ZStWBd. 71 (1959) S. 615.

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3. Teil: Der gegenwärtige Stand der Teilnahmelehre

Die von den Verfechtern des Regreßverbots aufgestellte Behauptung, daß für einen fahrlässig Handelnden das spätere vorsätzliche Handeln einer zweiten Person niemals eine beherrschbare Folge seines Tuns sein könne, ist nicht ohne Widerspruch geblieben. Nachdrücklich hat Rudolphi die Gegenthese aufgestellt, es sei eine ganz alltägliche Erfahrung, daß prinzipiell auch die Beherrschung fremder Vorsatztat möglich sei. "Ebenso wie ein gefährlicher Brand von Menschenhand gelöscht werden kann, also beherrschbar ist, ebenso kann auch der DUr