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German Pages 96 [97] Year 2020
Monika Tworuschka
Der vertauschte Buddha
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Monika Tworuschka
Der vertauschte Buddha Eine Geschichte zum Buddhismus
Calwer Verlag Stuttgart 3
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abruf bar.
ISBN 978-3-7668-4509-2
eBook: SBN 978-3-7668-4539-9
© 2020 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Umschlaggestaltung: Karin Class, Calwer Verlag Umschlagfoto: © mauritius images/Masterfile RM/dk & dennie cody Druck und Verarbeitung: Mazowieckie Centrum Poligrafii – 05-270 Marki (Polen) – ul. Słoneczna 3C – www.buecherdrucken24.de Internet: www.calwer.com E-mail: [email protected]
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Inhalt Das Geschenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Allein in einer fremden Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Unterwegs ins Kloster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Auf der Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Im Kloster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
Florian in der Klemme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Die Mönchsweihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Lagebesprechung im Hotelzimmer . . . . . . . . . . . . . 40
Noch ein Besuch im Kloster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Axel Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Wagners Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Nachts im Hotel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Am Flughafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Zugriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Das Geheimnis des Buddha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Zum guten Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Kleines Lexikon zum Buddhismus . . . . . . . . . . . . . 90
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Das Geschenk Noch vor ein paar Wochen hätte Philip nicht gedacht, dass er heute richtig traurig sein würde, weil sie morgen wieder nach Hause fliegen mussten. Sicher – damals, als ihr Chorleiter Hubert Hanke verkündet hatte, dass ein reicher Geschäftsmann aus Hattingen, der jetzt in Sri Lanka lebte, sie alle zu einer Konzertreise ihres Chors eingeladen hatte, war großer Jubel ausgebrochen. Aber bereits kurze Zeit später waren Philips Gefühle äußerst gemischt gewesen. In einem fremden Land herumzureisen und überall singen müssen, das alles sah ganz nach Stress aus, ganz zu schweigen von Hanke, der vor der Abreise einen ganzen Nachmittag gebraucht hatte, um ihnen vorzutragen, was sie auf der Reise zu tun und zu lassen hatten. Hankes Vorsicht und Umständlichkeit konnte einem manchmal den letzten Nerv rauben! Darin waren sich auch seine Freunde Daniel und Florian einig. Doch dann war alles anders gekommen, und jetzt fand Philip es jammerschade, dass morgen schon alles vorbei sein würde. Während der letzten zwei Wochen waren sie jeden Tag auf Achse gewesen. Und was hatten sie alles gesehen: Traumhafte, kilometerlange Strände am Indischen Ozean mit einem kristallklaren blauen Meer, undurchdringlichen Dschungel mit einer exotischen Tierwelt, tiefe Täler und Schluchten, hochragende Berge überzogen vom grünen Gold unzähliger Teesträucher, 7
Reisfelder und Terrassen, wo immer es genügend Wasser gab, gewaltige Ruinenstädte und überall ehrwürdige buddhistische Tempel, die so genannten Dagobas, und riesige Buddhastatuen, ganz zu schweigen von den bunt bemalten Elefanten und den halbwilden Affen. Die Städte, die sie besucht hatten, waren angefüllt von dem Treiben der freundlichen Inselbewohner und den Stimmen der Händler, die ihre Waren anboten und dabei versuchten, den Straßenlärm zu übertönen. Gerade jetzt befanden sich die Freunde in einem der ältesten Geschäftsviertel der Stadt. „Ich brauche noch ein Geschenk“, unterbricht Daniel Philips Gedanken. „Für deinen Dad!“, antwortet Philip, ohne lange nachzudenken. Wenn Daniel ein Andenken kaufen würde, dann bestimmt für seinen Vater. Florian, der nur knapp einem hupenden Auto ausweicht, beißt mit Genuss in einen Schokoriegel. „Sicher etwas Geiles für die Praxis!“, kaut er. Daniel ist wie gewöhnlich gleich eingeschnappt. „Na und. Ich habe es versprochen!“, verkündet er herausfordernd. „Wie wäre es mit so einem Poster?“ Philip deutet in ein Schaufenster. „Mein Vater hängt sich keine Poster auf!“ Daniels Stimme klingt leicht herablassend. Florian seufzt und leckt die letzten Schokoladenkrümel aus dem Papier. Wenn Daniel nur nicht immer so damit angeben würde, dass sein Vater ein ziemlich gut verdienender Arzt ist. 8
„Du schau mal!“ Philip zieht Daniel am Ärmel und lenkt seine Aufmerksamkeit auf ein kleines Geschäft. Daniel sieht eher skeptisch aus. „Glaubst du, in der Bruchbude finden wir was Gescheites!“ Philip wird langsam ungeduldig. „Wir müssen gleich am Bus sein und du weißt, wie Hanke es mag, wenn wir nicht pünktlich sind. Also mach schon.“ Nach kurzem Zögern treten sie ein. Im Laden ist es viel dunkler als draußen im hellen Sonnenlicht. Daniel blickt sich unentschlossen um. Die Regale sind übervoll mit allerlei Töpfen und Figuren. Nachdem Daniel alles gründlich inspiziert hat, fällt sein Blick auf eine Buddhastatue. Fragend schaut er seine Freunde an. Philips Augen folgen seinem Blick. „Die mit den roten Steinen sieht echt super aus“, stellt er bewundernd fest. Philip bedauert in diesem Augenblick, dass er sein Geld bis auf ein paar Rupien ausgegeben hat. Doch Daniel zögert noch. „Ihr möchtet Statuen kaufen. Statuen sehr schön und wertvoll.“ Florian fährt erschrocken herum. Der Verkäufer muss sich regelrecht angeschlichen haben. Jedenfalls hat ihn keiner der Jungen kommen gesehen. „Ich suche ein Geschenk für meine Eltern“, murmelt Daniel und wirft noch einen Blick auf die Statuen. Auch ihm gefällt die mit den roten Steinen am besten. „Urlaub zu Ende?“ Der Blick des Verkäufers hat etwas Lauerndes, findet Philip. „Von wegen Urlaub. Wir waren hier 9
mit unserem Chor, um zu singen.“ Florian schielt auf seine Armbanduhr. Daniel soll sich endlich entscheiden. Florian hasst es, wenn sie sich wieder einmal abhetzen müssen, denn er ist nicht gerade der Schlankste und gerät beim Laufen schnell aus der Puste. Gedankenverloren blickt er auf eine Reihe von Fahnen und Girlanden. „Warum ist hier eigentlich alles geschmückt“, überlegt er. „Wir feiern das Wesakfest, das heißt Buddhas Geburt, Buddhas Erleuchtung und sein Gehen ins Nirwana“, erklärt der Verkäufer, ohne Daniel, der unschlüssig die Statue in der Hand hält, aus den Augen zu lassen. „Und das Poster da vorne. Was ist damit?“ Das Poster zeigt einen wohlbeleibter Mann, der unter einem Baum sitzt. „Das ist Buddha unter dem berühmten Bodhibaum. Dort hat er seine Erleuchtung bekommen.“ „Ach ja. Deshalb brennen auch in allen Häusern Lichter“, erinnert sich Philip. „Du weißt ja gut Bescheid!“ Der Verkäufer macht eine kurze Pause. „Geht es schon bald nach Hause?“, erkundigt er sich dann beiläufig. Dabei sieht er Daniel abermals durchdringend an. Irgendwie ist ihm der Blick unheimlich. Er wendet sich kurz ab, schielt auf das Preisschild auf der Buddhastatue und zählt sein Geld. „Morgen geht es mit dem Flieger nach Frankfurt zurück“, beantwortet Philip die Frage des Verkäufers. „Ach ja!“ Auch Philip wird aus dem Gesichtsausdruck des 10
Verkäufers nicht ganz schlau. „Und in welchem schönen Hotel wohnt ihr?“ „Irgendein Name mit R.“, überlegt Florian, „Re, Ra, Ro … vielleicht das Renuka oder das Ranmuthu oder aber das Royal …“ Der Verkäufer sieht Florian fragend an. Philip tritt Florian auf den Fuß. Merkt der denn nicht, dass der Mann sie regelrecht aushorcht? Plötzlich scheint der Verkäufer es eilig zu haben. „Ich lasse dir die Statue auch etwas billiger“, drängt er. „Sagen wir sechshundert Rupien?“ Daniel nickt. Der bewegt sich wirklich wie eine Katze, denkt Philip, als der Verkäufer in einem Hinterzimmer verschwindet, um die Statue einzupacken. Dieser Vergleich hatte sich ihm schon aufgedrängt, als der Mann eben unbemerkt aus dem Dunkel aufgetaucht war. Der Verkäufer braucht ziemlich lange. „Das schaffen wir nie, pünktlich beim Bus zu sein“, stöhnt Florian. Ungeduldig tritt er von einem Fuß auf den anderen. Nach ein paar Minuten, die allen drei Jungen unendlich lang vorkommen, übergibt der Mann Daniel ein wohl verschnürtes Paket. Als sie den Laden verlassen, ist es wesentlich später als geplant. „Jetzt aber los!“ drängt Philip. „Moment. Ich darf doch?“ Daniel packt Florian am Arm. „Wo du so viel gegessen hast, ist in deinem Rucksack sicher Platz. Ich will nicht, dass die Staue kaputt geht, jetzt, wo wir rennen müssen.“ „Das hat mir gerade noch gefehlt“, stöhnt Florian. Wenn er auch noch Daniels Geschenk schleppen muss, schafft er es nie. 11
Doch irgendwie hat Daniel recht. Weil er immer Hunger hat, hat Florian als einziger einen Rucksack mit. Und da er das meiste schon gegessen hat, passt das Paket hervorragend hinein. „Dann kannst du das Teil aber auch tragen“, protestiert Florian. Daniel schüttelt den Kopf. Philip hat die Nase voll. „Wegen eurer Zankerei kommen wir echt zu spät. Wir wechseln uns ab. Und ich fange an.“ Schon hat Philip den Rucksack geschnappt und rennt los. Zwei Ecken weiter übergibt er ihn an Daniel, der ihn kurz vor dem Ziel Florian in die Hand drückt. Florian bleibt keuchend stehen und hievt den Rucksack auf den Rücken. Sie sind noch etwa 300 Meter vom Bus entfernt. Seufzend trabt er noch einmal los. Nach wenigen Metern stolpert er über seinen Schnürsenkel und stürzt. Daniel und Philip rennen weiter, ohne zurückzublicken. Doch anders als gedacht, erwartet sie kein ungeduldig wartender Hanke. Der Chorleiter muss sich um Sven kümmern, der blass in der letzten Reihe sitzt und Nasenbluten hat. Deshalb wirft Hanke den ankommenden Jungen nur einen kurzen Blick zu. Schwer atmend lassen sich Daniel und Philip auf ihre Sitze fallen, als der Motor angelassen wird. „Weißt du was?“, schnauft Philip. „Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass uns jemand folgt, ein fremder Mann meine ich.“ Daniel tippt sich an die Stirn. „Hier sind doch nur fremde Männer, ausgenommen Hanke. Du schaust wirklich zu viele Krimis.“ 12
„Wer zu viel fernsieht, sagt mein Vater …“ „Nicht schon wieder, Dany!“, stöhnt Philip. Daniel tippt sich an die Stirn. „Du spinnst, wirklich!“ Doch Philip lässt sich nicht beirren. „Frag doch Flo. Der hat den Typen bestimmt auch gesehen.“ Daniel dreht sich suchend um. Florians Platz ist leer.
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Allein in einer fremden Stadt Als Florian sich mühsam wieder aufrichtet, sieht er, wie der Bus gerade anfährt. „Das darf doch nicht wahr sein!! Wieso haben die dem Hanke nichts gesagt“, denkt er fassungslos. Sein Knie tut noch etwas weh, aber sonst ist nichts passiert. Besorgt tastet er den Rucksack ab. Die Statue in dem Paket scheint heil geblieben zu sein. Einen Moment überlegt er, was er tun könnte. Leider besitzt er kein Smartphone wie Daniel. Dann hätte er Hanke im Bus anrufen können. Unentschlossen schaut er auf das Treiben auf der Straße. Autos bahnen sich mühsam einen Weg durch Passanten, Straßenverkäufer und Lastenträger. Florian überlegt, wen er ansprechen und nach dem Weg oder einem Taxistand fragen könnte. Plötzlich hat er das Gefühl, dass ihn jemand beobachtet. Ein europäisch gekleideter Mann hat auf der anderen Straßenseite sein Auto geparkt und lässt ihn nicht aus den Augen. Aus einem Grund, den er nicht erklären kann, ist Florian äußerst unwohl zu Mute. Schon als sie das Paket in den Rucksack gesteckt hatten, meinte er, dass sie jemand beobachtete. Aber solange er mit den anderen zusammen war, hatte ihn das nicht beunruhigt. Schließlich würden sie in ein paar Minuten zusammen im Bus sitzen. Trotzdem hatte er sich mehrmals umgeschaut. Das war nicht schwer gewesen, 14
denn die anderen waren es gewohnt, dass Florian beim Rennen immer wieder stehen blieb. Direkt erkannt hatte er keinen Verfolger. Nur einmal hatte er den Eindruck gehabt, dass jemand schnell in einem Hauseingang verschwunden war. Jetzt, wo er allein war, beunruhigte ihn der Fremde schon. Warum schaute er ständig zu ihm rüber? Plötzlich fährt Florian vor Schreck zusammen. Der Mann von der anderen Straßenseite überquert die Straße und steuert direkt auf ihn zu. Florian weiß zwar nicht, warum er Angst hat. Aber trotzdem rennt er in eine Seitenstraße, biegt dann wieder nach links ab, um sofort in eine kleine Gasse nach rechts laufen. Schwer atmend bleibt er stehen. An den verschiedenen Verkaufsständen haben sich Straßenhändler breit gemacht. Sie bieten bunte Kleidung, Schmuck, Haushaltswaren, Tee, Kräuter und Gewürze an. Eigentlich wollte er in den Laden zurück und den Verkäufer fragen, wie er allein zurück zum Hotel kommen würde. Aber jetzt merkt Florian, dass er überhaupt nicht mehr weiß, wo er ist. Hinzu kommt, dass sein Handy nirgendwo Netz hat. Vielleicht sollte er doch versuchen, den Weg zurück zur Hauptstraße zu finden und von dort aus zu dem Laden zurückzugehen. Es dauert eine Weile, bis er den großen Platz erreicht hat, von dem vor einer knappen Viertelstunde der Bus abgefahren war. 15
„Können Sie mir sagen, wo ich hier ein Taxi finde?“, erkundigt sich Florian bei einem Mann und überlegt, ob sein Geld für ein Taxi reicht. „Wohin soll es denn gehen, Kleiner?“ Der taxierende Blick des mittelgroßen Mannes mit Glatze gefällt ihm gar nicht. Ob es sich um ihren Verfolger handelt? Er ist sich nicht sicher. Hastig läuft er ein Stück weiter und bleibt dann unentschlossen stehen. Vom vielen Herumlaufen ist ihm ganz heiß geworden. Er setzt den Rucksack ab und blickt sich verstohlen um. Als er niemand Verdächtiges entdecken kann, durchwühlt er den Rucksack. Irgendwo muss doch noch eine letzte Dose Limo zu finden sein. Das Quietschen von Bremsen lässt ihn zusammenfahren. Ein Auto hält plötzlich neben ihm. Jemand kurbelt die Scheibe herunter. Es ist der europäisch gekleidete Mann von vorhin. „Los, steig ein, ich kann dich mitnehmen!“, fordert er ihn auf. Florian weicht vor ihm zurück. Wie oft hatten ihn seine Eltern ermahnt, nicht zu fremden Leuten ins Auto zu steigen. Und wieso war der Typ überhaupt hinter ihm her? Mit dem Rucksack in der Hand läuft er weiter. Der Autofahrer fährt im Schritt neben ihm her und lässt ihn nicht aus den Augen. „Ich kann dich zu deinem Hotel bringen, steig schon ein“, wiederholt er sein Angebot. 16
Unterwegs ins Kloster „Der Cowboy Jim aus Texas, der einst auf seinem Pferd saß“, fangen ein paar Jungen auf den hinteren Plätzen an zu singen. „Immer noch besser als die Volkslieder, die Hanke ständig drauf hat“, denkt Philip, der die ganze Zeit überlegt, wie sie Hanke beibringen sollen, dass Florian den Bus verpasst hat. Auch Daniel ist stiller als sonst. Um seine Angst zu überspielen, lenkt er ab. „Wenn Flo meine Statue kaputt macht, kann er was erleben!“ „Du hast vielleicht Sorgen!“ Philip macht sich viel mehr Gedanken, was Florian allein in der fremden Stadt macht. Ob er überhaupt den Weg ins Kloster oder ins Hotel findet? Außerdem muss er die ganze Zeit an den Mann denken, der ihnen gefolgt ist. Svens Nase hat aufgehört zu bluten. Hanke greift zum Busmikrofon. „So, macht euch schon mal fertig. Wir sind gleich da. Daniel, was ist denn das da auf deinem Kopf?“, grinst er gutmütig. „Kunst am Bau, Herr Hanke“, frotzelt Philip. „Das ist ’ne Mütze, Herr Hanke“, erklärt Sven, der immer noch etwas blass aussieht. „Damit er nicht noch’n Sonnenstich kriegt.“ Obwohl er sich Sorgen wegen Florian macht, muss Philip unwillkürlich grinsen. „Das ist eine Baseballkappe, sieht man doch!“ Daniel ist beleidigt. Wie fast alle seine Sachen hatte die Kappe ziemlich viel Geld gekostet. 17
Hubert Hanke wendet sich wieder den anderen Jungen zu. „Alles klar, Jungs. Und bleibt zusammen, wenn wir am Kloster sind. Er ist aufgestanden und spricht noch einmal durch das Busmikrofon: „Vergesst nicht, wir sind ein Chor, kein Flohzirkus!“ „Der hat Sorgen.“ Daniel kramt in seiner Tasche. „Wer will’n Kaugummi?“ „Ich!“, ruft Malte. „Klar, wer sonst?“ „Ich auch!“ Philip streckt die Hand aus. Er steckt den Kaugummi in den Mund und verzieht das Gesicht. „Was ’n das für’n Zeug? Original Ceylon-Kautschuk?“ „Genau, Philip, du hast es erfasst!“, grinst Daniel. „Hat einer von euch ’ne Ahnung, was das eigentlich für’n Kloster ist?“ Herr Hanke blättert in einem Buch. „Es ist ein buddhistisches Kloster des Siyam-Nikaya-Ordens, der hier in Sri Lanka sehr verbreitet ist. Früher hieß Sri Lanka Ceylon! Die Sprache, die man hier spricht, heißt übrigens singhalesisch. Viele verstehen aber auch englisch!“ Hubert Hanke klappt das Buch wieder zu. „Sag’ ich doch immer – In allen Lagen“, beginnt Philip. „Hanke fragen!!“ brüllen alle und lachen. Dass viele Leute hier englisch oder sogar deutsch sprechen, haben sie längst erlebt. Schließlich sind sie schon zwei Wochen da. Aber Hanke muss wie immer alles umständlich erklären. Herr Hanke runzelt die Stirn. „Wo ist Florian?“, fragt er unvermittelt. Das Gelächter verstummt. 18
„Der hat den Bus nicht bekommen!“, murmelt Philip schuldbewusst. Natürlich hätten sie Hanke sofort Bescheid sagen müssen. Aber erst hatte er sich um Sven gekümmert. Und dann hatte er immer auf einen günstigen Moment gehofft. Und je länger er gewartet hatte, umso größer war die Angst vor Vorwürfen gewesen. „Flo ist einfach zu dick und zu langsam“, wendet Daniel ein. Hankes Gesicht läuft dunkelrot an, dann wird er blass. Er ist nicht nur wütend auf Daniel und Philip. Er selber hatte die Verantwortung. Er hätte vor der Abfahrt nachzählen müssen, ob einer fehlt – trotz Svens Nasenbluten. Wenn dem Jungen etwas zustoßen sollte, würde er sich immer Vorwürfe machen. Er würde sofort die Polizei anrufen, wenn sie im Kloster wären, nahm er sich fest vor. Denn er ist sehr beunruhigt. Die Jungen unterhalten sich nur noch leise. „Finde ich jedenfalls cool, dass die Kinder ins Kloster aufnehmen. Die sind doch nicht viel älter als wir!“ Philip erinnert sich, dass der Junge, der heute ins Kloster kommen soll, erst elf ist. Malte hustet „Mist! Ich hab’ den Kaugummi verschluckt.“ „Wenn Daniels Alter hier wäre, könnte er ihn dir rausoperieren.“ Daniel findet Philips Bemerkung überhaupt nicht witzig. „Gegen Cash!“, fügt sein Freund grinsend hinzu. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Praxis von Daniels 19
Vater gut geht und er seinem Sohn fast alle Wünsche erfüllt. Daniels Eltern sind auch die einzigen der Chorkinder, die diese Reise selber hätten bezahlen können. Florian, Philip und die meisten anderen konnten nur mitfahren, weil Hubert Hankes Freund Hans Reiser alle Kosten übernommen hatte. Er war nämlich sehr wohlhabend und hatte sich den Chorbesuch aus seiner alten Heimatstadt einiges kosten lassen. Bis zum Alter von 13 Jahren hatte er selber zusammen mit seinem Freund Hubert in diesem Chor gesungen, und an diese Zeit dachte er immer noch gern zurück. Und weil er seit Jahren im Ausland lebte, wollte er gern noch einmal heimatliche Lieder hören. Über diese „heimatlichen Lieder“ hatten die Jungen schon mehr als einmal gelästert. Denn Philip und die anderen fanden es ziemlich uncool „Am Brunnen vor dem Tore“ und „Wenn alle Brünnlein fließen“ zu singen. Aber da kennt Hanke keinen Spaß. Daniel ist es immer etwas peinlich, wenn das Geld seines Vaters ins Spiel kommt. „Guckt mal, da oben liegt es. Cool!“, lenkt er ab und deutet auf die Klosteranlage am Berghang. Philip legt den Kopf in den Nacken. „Gut, dass wir da nicht zu Fuß hoch müssen wie letzte Woche, als wir uns auf dem Berg den Riesenfußabdruck von Buddha angesehen haben. Mensch, wie Flo da hochgeschnauft ist.“ 20
Malte schnappt immer noch nach Luft. „Da hast du einmal recht!“ Hubert Hanke räuspert sich „Da rechts, seht mal. Die große Buddhastatue. Schön, nicht wahr? „Hat fast Flos Figur. Nur nicht so dick!“, stichelt Daniel. „Hanke hat aber recht. Die ist wirklich schön“, überlegt Philip. „Wer? Malte – der platzt gleich!“ „Der Buddha, Mann! Irgendwie erinnert er mich wirklich an Flo.“ Bei der Erwähnung von Florians Namen verdüstert sich Hankes Gesicht. Er nimmt sich vor, bei der nächsten Gelegenheit unbedingt zu telefonieren. Hoffentlich haben die im Kloster WLAN, denkt er.
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Auf der Flucht Florian versucht immer noch, den Autofahrer abzuschütteln, der ihm nicht von den Fersen weicht. „Steig schon ein“, wiederholt der Fahrer. Florian schüttelt den Kopf. Seine Füße tun ihm weh. Sicher hat er sich schon eine Blase gelaufen. In diesem Moment muss der Autofahrer neben ihm stark bremsen, als ein Lieferwagen vor ihm unerwartet stoppt und den Weg versperrt. Florian nutzt die Gelegenheit und schlängelt sich an dem Lieferwagen vorbei. Aus dem Augenwinkel sieht er, wie der Mann das Auto verlässt und ihm folgt. Ohne lange zu überlegen, läuft Florian in einen Hauseingang. Bald befindet er sich in einem kleinen Hof. Als er hinter sich Schritte hört, öffnet er wahllos eine Tür, schlüpft durch die Öffnung und schließt sie wieder hinter sich. Bis auf ein paar Säcke und einen Haufen Bretter ist der Raum leer. Florians Herz hämmert. Er schwitzt und wagt kaum zu atmen. Nach einigen Minuten, die ihm ungeheuer lang vorkommen, öffnet er die Tür und späht hinaus. Niemand ist mehr zu sehen. Vorsichtig bewegt er sich wieder in Richtung Straße. Aufatmend bemerkt er, dass weder das Auto noch der Fahrer zu sehen sind. Florians Zunge klebt an seinem Gaumen. Er weiß nicht, ob er je in seinem Leben so durstig war. Mit zitternden 22
Beinen hockt er sich in eine Ecke und nimmt den Rucksack. Vielleicht ist ja unter der Statue doch noch eine Dose Cola oder ein Saftpäckchen. Vorsichtig holt er das in Zeitungen gewickelte Paket und stellt es hinter sich auf die Erde. Da ist es. Triumphierend schnappt er das Saftpäckchen und steckt den Strohhalm in die Öffnung. Das tut gut, obwohl der Saft ziemlich warm ist. Florian schließt für einen Moment die Augen. Deshalb sieht er das Auto, das neben ihm hält, erst im letzten Augenblick. Es ist nicht das Auto, das ihn vorhin verfolgt hat. Auch den dunkelhaarigen Mann mit Bart hat er noch nie gesehen. Florian weicht erschrocken zurück, als der Bärtige aus dem Auto springt und auf ihn zukommt. Doch der beachtet ihn kaum. Mit einem schnellen Griff schnappt er sich Florians Rucksack. Einen Augenblick später sitzt der Mann wieder im Auto und fährt mit heulendem Motor davon. Auch Florian ist zum Heulen zu Mute. Im Rucksack befand sich sein letztes Geld, Schokoriegel und ein Apfel. Jetzt hat nichts mehr außer dem Paket. Denn die Buddhastatue kann ihm auch nicht helfen. Ungläubig blickt er dem Auto hinterher, das im Verkehrsgewühl verschwunden ist. Erst jetzt findet er seine Stimme wieder. „Haltet den Dieb!“, ruft er. Doch niemand schenkt ihm Beachtung. Niemand außer dem merkwürdig aussehenden Mann 23
mit Glatze, der ihn vorhin schon angesprochen hat. „Kann ich dir helfen, Kleiner?“, wiederholt er sein Angebot. Doch ohne dass Florian genau weiß warum, hat er kein Vertrauen zu dem Mann. Entschlossen bückt er sich nach dem Paket und läuft erneut los. Das Paket hat ein bleiernes Gewicht. „Das Beste ist, wenn ich das Paket an einem sicheren Ort verstecke und später hole“, überlegt Florian. Er ist sich zwar sicher, dass Daniel stocksauer sein wird. Aber das ist ihm egal. Daniel hätte sein Geschenk ja auch selber tragen können. Er schaut sich um, ob ihm niemand folgt, und läuft dann in den Hof zurück. Bald hat er die Tür gefunden, hinter der er sich vorhin versteckt hat. Aufatmend schließt er die Tür und sucht mit seinen Augen den Raum ab. Es handelt sich vermutlich um eine Art Abstellraum. Dann entscheidet er sich für ein kleines Regal. Vorsichtig legt er das Paket auf das unterste Brett. Als er den Hof verlässt, schaut er sich noch einmal alles an, um den Platz auch ja wieder zu finden. Schließlich entdeckt er noch einen Straßennamen, den er sich gut einprägt. Dann trabt er erneut los. Irgendwo musste doch ein Taxi zu finden sein, das ihn zum Hotel bringen könnte. Nach einigen Metern bleibt er mit Seitenstechen stehen. Plötzlich ist das Auto wieder da, aber nicht das Auto mit dem Mann, der seinen Rucksack geklaut hat. Es ist der Europäer, der ständig neben ihm hergefahren war und ihn zum Einsteigen aufgefordert hat. „Los, steig schon 24
ein!“, ruft ihm der Fahrer ungeduldig zu. Als Florian immer noch zögert, hält er an und steigt aus dem Wagen. Er packt Florian am Arm. „Lassen sie mich los!“, versucht sich Florian zu wehren. „Hilfe, Hilfe!“, brüllt er dann. Doch niemand hört ihn. Niemand schenkt dem Mann und dem Jungen Beachtung. Niemand sieht auch, wie der Mann die Autotür öffnet und versucht, den sich wehrenden Florian ins Innere zu ziehen. Im letzten Moment reißt Florians Hemd. Der Mann blickt verdutzt auf den Stofffetzen in seiner Hand. Doch Florian hat sich los gerissen und ist schon unterwegs. Um den Mann besser abzuschütteln, rennt er auf die andere Straßenseite. Autos hupen. Bremsen quietschten. Keinen Augenblick zu früh entdeckt er das Taxi. Aufatmend lässt er sich auf den Sitz fallen und schaut zurück. Sein Verfolger steht ein paar Meter hinter dem Taxi und gestikuliert wild. Florian kann nicht verstehen, was er sagt. „Hören Sie!“, wendet er sich an den Fahrer und hofft, dass der Mann sein gebrochenes Englisch versteht. Dann erstarrt er. Er blickt in die Augen des bärtigen Mannes, der seinen Rucksack gestohlen hat. Und diese Augen sehen nicht Vertrauen erweckend aus. „Wo ist der Buddha?“, zischt ihn der Mann drohend an. Eine Weile sagt Florians gar nichts. Dann findet er seine Stimme wieder. „Was wollen Sie von mir?“ Der Fahrer wirft ihm einen kurzen, forschenden Blick zu. „Wo ist der Buddha?“, wiederholt er leise drohend. „Den hat 25
mein Freund Daniel! Der hat ihn ja auch gekauft.“ Florian ist sich nicht sicher, ob er erleichtert darüber ist, dass er die Statue versteckt hat. Sonst könnte er sie dem Mann einfach geben und der würde ihn laufen lassen. „Du hast den Buddha, das weiß ich genau!“, zischt der Mann. „Nein, wirklich nicht!“ Florian versucht so glaubhaft wie möglich zu klingen. Eine Weile sagt der Fahrer gar nichts. Florian hat keine Ahnung, wo sie sich befinden. „Was haben Sie mit mir vor?“, fragt Florian. Er kann die Angst kaum aus seiner Stimme verdrängen. Doch der Fahrer schenkt ihm keine Beachtung mehr. Seine ganze Aufmerksamkeit ist auf die Straße gerichtet. Er schaut kurz in den Rückspiegel und sein Blick verdüstert sich. Dann reißt er das Steuer herum und biegt mit quietschenden Reifen nach links ab. Er fährt unheimlich schnell – viel zu schnell, findet Florian. „Duck dich, wir werden verfolgt!“ „Wieso …?“, beginnt Florian, dem der Kopf schwirrt. „Leg dich flach auf den Rücksitz und stell keine Fragen!“, antwortet der Mann barsch. Die nächste Kurve nimmt der Fahrer so scharf, dass Florian das Gleichgewicht verliert und gegen die Scheibe knallt. Stöhnend reibt er seine schmerzende Stirn, auf der sich Sekunden später eine Schwellung bildet. Bevor er sich seitlich auf den Sitz fallen lässt, hört er einen dumpfen Knall. Dann splittert Glas. Niemand muss ihn mehr überreden, unten zu bleiben. Mehrere Minuten wagt er nicht, den Kopf zu heben. 26
Im Kloster Etwa zur gleichen Zeit fährt der Bus auf den Parkplatz des Klosters. Die Jungen springen aus dem Bus. „Endlich raus aus der Stinkekiste!“, jubelt Daniel, der noch nie gerne lange still gesessen ist. „Ich werde gleich wegen Florian telefonieren“, sagt Hanke, der auch ausgestiegen ist und sich suchend umschaut. „Ach, wir werden schon erwartet. Der Herr ist bestimmt für uns da!“ Hubert Hanke deutet auf den kahlköpfigen Mann in der Robe. „Das heißt nicht ‚Herr‘, sondern ‚Bhikkhu‘. Bhikkhu heißt nämlich Mönch“, belehrt ihn Daniel. Ohne den selbstgefällig grinsenden Daniel zu beachten, geht Hubert Hanke mit ausgestreckter Hand auf den Mönch zu. Dieser verneigt sich leicht und begrüßt den Chorleiter in fließendem Deutsch, denn er hat in Heidelberg studiert. „Wir haben wirklich Glück. Herr Chananda spricht deutsch“, wendet sich Hanke stolz an die Jungen, als ob es sein persönlicher Verdienst wäre. „Schön, dass Sie da sind. Schön, dass Ihr da seid. Könnt Ihr mich verstehen? Kommt doch ein bisschen näher. Wir freuen uns, dass Ihr alle zu unserer Feier gekommen seid. Ich möchte Euch meinen jungen Freund vorstellen.“ Auch den Jungen fällt das akzentfreie Deutsch auf. Der Mönch ist ungefähr fünfzig Jahre alt und trägt eine randlose Brille. 27
„Wart ihr schon einmal in einem buddhistischen Kloster? Nein?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, winkt er einen etwa dreizehnjährigen Jungen zu sich heran. Auch dieser trägt eine Robe. „Anaruddha wird euch etwas über die Mönchsweihe erzählen. Anaruddha, bitte!“ Der dunkelhaarige Junge ist etwas größer als Philip und Daniel. Er wirkt etwas verlegen. Als der Mönch ihn aufmunternd ansieht, beginnt er stockend. Bhikkhu Chananda übersetzt. „Also manche buddhistischen Jungen gehen ins Kloster, weil sie die Lehre Buddhas besser verstehen wollen.“ „Und das erlauben die Eltern?“, unterbricht ihn Daniel. Er stellt sich gerade vor, wie sein Vater auf so eine Ankündigung reagieren würde. Schon jetzt ist eigentlich klar, dass Daniel auch einmal Medizin studieren soll. Daniels Eltern sind ohnehin nicht besonders religiös eingestellt. Sie gehen auch höchstens einmal im Jahr zu Weihnachten in eine Kirche. Man merkt Anaruddha an, dass er Daniels Einwand nicht ganz versteht. „Natürlich! Die Familien sind stolz, dass ihre Söhne ins Kloster gehen. Es steht sogar in der Zeitung.“ „Super!“, strahlt Philip. „Stellt euch mal vor, bei uns in der ‚Rundschau‘ steht: „Herr und Frau Schulte freuen sich, dass ihr Sohn Philip ins Kloster eintritt.“ 28
„Wär’ mal was anderes“, gibt Malte zu. „Pssst …“ Hanke bedeutet Philip und Malte, den Jungen nicht ständig zu unterbrechen. „Die Familien gehen zu einem Sterndeuter, um den besten Zeitpunkt für die Feier herauszufinden.“ „Das wäre mal was für Klassenarbeiten: Wann stehen die Sterne günstig für eine eins.“ Philip kann es nicht lassen. Hanke wirft ihm einen letzten missbilligenden Blick zu. Dann spricht er leise mit dem Mönch, der in das Innere des Klosters deutet. Die Jungen setzen sich in eine Ecke und beobachten, was im Klosterhof vor sich geht. Philip und den anderen fällt ein Junge auf, der etwas kleiner als Anaruddha ist und dem gerade die Haare geschnitten werden. Der Mönch folgt dem Blick der Jungen. „Das ist Upali, der Junge, der heute ins Kloster kommt.“ „Haare abschneiden! Muss das sein?“ „Das fragst ausgerechnet du mit deiner Klobürste auf der Birne?“ Philip zieht eine Grimasse. Der Mönch lächelt nachsichtig. Denn er hat hat Daniel sogar verstanden. „Haare und Nägel werden geschnitten.“ Er überlegt, wie er den Jungen am besten den Sinn dieser Maßnahme erklären soll. „Sie bleiben als Teil von Upalis altem Leben zurück. Denn nach der Feier ist er nicht mehr Upali. Dann heißt er Narada. Mit dem Eintritt ins Kloster beginnt für ihn ein neues Leben.“ 29
„Upali hat alle eingeladen. Alle Freunde und Bekannten“, flüstert Anaruddha ihnen zu. Im Hintergrund ertönt eine Trommel. „Upali muss gleich einen unserer heiligen Pali-Texte lesen. Das ist sehr schwierig für die Jungen, und sie müssen lange üben“, fügt der Mönch hinzu und fordert die Jungen auf, ihm zu folgen. „Was ist das denn, Pali?“, erkundigt sich Sven. „Pali ist ein indischer Dialekt, der von der altindischen Sprache Sanskrit abgeleitet ist. Fast alle wichtigen Bücher des Buddhismus sind auf Pali geschrieben.“ „Guckt mal, da geht Narada hinter den anderen Bhikkhus. Warum ist der denn in weiß? Alle tragen doch sonst so’n gelb-oranges Teil?“, überlegt Daniel. Gestern hatte er noch über den Besuch im Kloster gelästert. Aber jetzt findet er das ganze spannender, als er sich das vorgestellt hatte. „Später bekommt er die gelbe Robe, wenn er richtig zum Kloster gehört.“ Anaruddha ist – wie es Narada gleich sein wird – ein Mönchssohn. Die gelben Roben tragen nur erwachsene Mönche. Philip hat schon länger nicht mehr zugehört. Immer wieder muss er wieder an Florian denken, und er macht sich ernste Sorgen um ihn. Würde er es schaffen, allein bis zum Kloster zu kommen? Es könnte ihm ja auch was passiert sein. Der Verkehr war in dieser Stadt nicht ohne. Außerdem war da noch der Mann, der ihnen gefolgt 30
war. Auch wenn Daniel ihm keinen Glauben schenkte, Philip war sich sicher. Irgend jemand war hinter ihnen gewesen, als sie zum Bus liefen. „Hoffentlich ist Florian nichts passiert“, flüstert Philip Daniel zu. Daniel nickt. „Und wenn meiner Statue was passiert, kann Flo was erleben.“ Philip schüttelt den Kopf. „Besser der Statue als Flo. Wo ist eigentlich Hanke? Der wollte doch telefonieren.“ Doch ihr Chorleiter ist nirgends zu sehen. „Kommt mit! Wir gehen jetzt rauf in den Raum, wo die Feier stattfindet“, fordert sie der Mönch auf. Als sie langsam eine Treppe hochsteigen, kommt plötzlich Hanke, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinter ihnen her gerannt. Sein Blick verheißt nichts Gutes.
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Florian in der Klemme Seit einer Minute hört Florian gar nichts mehr: kein Motorengeräusch, keine quietschenden Reifen, kein Hupen anderer Autos. Es ist beängstigend still. Noch vor wenigen Minuten hatte es mehrmals dumpf geknallt. Ein anderes Auto hatte hinter ihnen gehalten. Stimmen hatten aufgeregt durcheinander gerufen. Er weiß immer noch nicht, ob er den Kopf heben soll, als die Stimme, die er inzwischen gut kennt, ihn auffordert: „Du kannst jetzt wieder hochkommen.“ Vorsichtig hebt Daniel den Kopf. Sie befinden sich auf einem staubigen Weg am Rande der Stadt. Niemand ist zu sehen. Florian reibt seine Stirn, die Schwellung schmerzt. „Fahren Sie mich bitte in die Stadt zurück.“ Er wundert sich selber, wie kleinlaut seine Stimme klingt. „Keine Angst, dir geschieht nichts, wenn du mir sagst, wo ihr die Statue gelassen habt!“ Florian überlegt fieberhaft. Ist es möglich, dass die Statue viel wertvoller ist, als sie gedacht haben? Oder ist sie vielleicht gestohlen worden? Aber wieso hat sie dann der Verkäufer so günstig an Daniel verkauft? „Los, sag schon!“ „Die Statue“, beginnt Florian, „die ist bei meinem Freund Daniel im Hotel.“ Der Mann schüttelt tadelnd den Kopf. „Ich habe doch gesehen, wie ihr sie in den Rucksack gesteckt hattet und diesen Rucksack hattest du die ganze Zeit bei dir, auch nachdem deine 32
Freunde mit dem Bus abgefahren sind. Florian überlegt fieberhaft. Er darf sich jetzt nicht in Widersprüche verstricken. „Ja der Buddha war in meinem Rucksack“, gibt er zu. „Aber als ich hingeknallt bin, hatte Daniel Angst, der Buddha sei kaputt. Da hat er ihn aus dem Rucksack geholt und schnell unter sein Hemd gesteckt, bevor er in den Bus gerannt ist.“ Sehr glaubwürdig findet Florian seine Geschichte selber nicht. Aber der Mann war mit dem Auto weggefahren, nachdem er sich den Rucksack geschnappt hatte. Er hatte ihn wohl nicht beobachtet, als er in den Hof zurück ging. Sonst hätte er ihn jetzt nicht gefragt. „Daniel wusste sicher nicht, dass die Statue Ihnen gehört. Er gibt sie Ihnen bestimmt zurück, wenn Sie ihn fragen.“ Der Mann überlegt. „Wenn ich dich jetzt laufen lasse, dann nur, damit du Daniel überzeugst, dass er die Statue heute Abend um 8 Uhr in die Hotelhalle bringt, wo einer meiner Leute auf ihn warten wird. Wo wohnt ihr denn?“ „Renuka Hotel“, antwortet Florian schnell und hofft, dass man ihm die Lüge nicht ansieht. In Wirklichkeit hatte ihr Gastgeber Hanke und den Chor im „Ranmuthu“ untergebracht. Das „Renuka Hotel“ lag woanders. Dort sollten sie zuerst wohnen. Aber irgendetwas hatte mit der Reservierung nicht geklappt. Jetzt hoffte Florian, dass der Typ ihm nicht bis aufs Zimmer folgen würde. 33
„Also punkt 8 Uhr. Wenn dein Freund nicht auftaucht, wird es ihm leid tun und dir auch!“ Mit zitternden Knien verlässt Florian das Auto und betritt das Hotel. Er wartet sehr lange, bis er sicher ist, dass der Mann auch wirklich weg ist. Dann ruft er im „Ranmuthu“ an. Hanke und die anderen sind noch nicht zurück. Aber er hinterlässt eine Nachricht. Der Mann verlässt langsam den Feldweg, biegt auf eine geteerte Straße ein und fährt Florian zum Renuka Hotel.
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Die Mönchsweihe Hankes Blick verheißt wirklich nichts Gutes. „Niemand auf der Polizei konnte mir sagen, wo Florian steckt!“, flüstert er. Man sieht ihm an, wie besorgt er ist. Auch im Hotel hatte er angerufen. Aber die hatten auch von nichts gewusst. Daniel und Philip schauen sich ratlos an. Schließlich folgen sie den anderen Jungen. Anaruddha hat ihnen erzählt, dass alles Narada zu Ehren geschmückt sei und dass nach der Feier Upalis Familie noch ein Festessen für die Mönche gibt. Im Hintergrund ertönt ein Blasinstrument, das die Jungen noch nie gehört haben. Daniel schubst Philip an. „Vor wem verbeugt sich Narada denn jetzt? Ist das der Boss vom Kloster oder so?“ „Ja. Das ist unser Ordensältester, der Maha Thera“, erklärt Anaruddha flüsternd. „Seid mal leise! Was sagt Narada jetzt?“ „Mit eurer Erlaubnis spreche ich, Ehrwürdiger Herr, und bitte euch, als Samanera aufgenommen zu werden.“ „Sa-ma-ne-ra?“ Sein Begleiter blickt verständnislos. „Das heißt Mönchssohn. Erst mit zwanzig kann man Bhikkhu werden. Jetzt sagt Narada: Ich bitte euch, Ehrwürdiger Herr, mir gütig die gelbe Robe zu geben. Das alles muss er drei Mal sagen, weil es so wichtig ist“, erklärt Anaruddha. 35
„Da, jetzt gibt er ihm dieses gelbe Teil und hängt ihm den Gürtel um den Hals.“ Daniel weiß selber nicht, warum er flüstert. Im Hintergrund weint eine Frau. „Das ist Naradas Mutter. Meine Mutter hat letztes Jahr auch vor Rührung geweint, obwohl sie eigentlich furchtbar stolz war.“ Philip winkt ab. „Mütter! Meine war bei der Hochzeit meiner Schwester auch total in Tränen aufgelöst.“ „War’s das? Oder wo geht Narada jetzt hin?“ Daniel ist hin und her gerissen. Eigentlich findet er das ganze ziemlich interessant. Aber andererseits will er unbedingt wissen, wo Florian steckt und seine Statue. „Der zieht sich nur um. Gleich geht es weiter. Letztes Jahr bei meiner Feier war ich so aufgeregt. Da habe ich fast meinen Spruch vergessen“, erinnert sich Anaruddha. „Was denn für einen Spruch?“, erkundigt sich Philip. Auch er findet die Mönchsweihe spannend, muss aber dennoch die ganze Zeit an seinen Freund denken. „Mit Bedacht ziehe ich diese Robe an: als Schutz gegen Hitze, Kälte, Wind, Sonne, gegen Insekten und um meine Blöße zu bedecken.“ „Logisch. Dazu sind Klamotten nun mal da!“, kommentiert Daniel trocken. „Wir Mönche tragen unsere Kleidung nicht aus Eitelkeit. Narada soll nicht einmal daran denken, gut auszusehen!“, erklärt Bhikku Chananda freundlich. 36
„Solltest du übrigens auch nicht!“, frotzelt Philip. Daniel wird rot. Philip muss ihn nicht daran erinnern, dass er ziemlich eitel ist und immer die Krise bekommt, wenn seine Jeans nicht die richtige Marke haben. „Warum geht ihr eigentlich so früh ins Kloster? Dann kann man doch nicht mehr mit seinen Freunden spielen und so!“, wundert sich Sven. „Manche gehen auch ins Kloster, wenn sie erwachsen sind. Aber bei uns zu Hause leben sieben Kinder. Meine Eltern haben kaum genug für alle. Und hier im Kloster kann ich viel lernen. Und ich habe neue Freunde gefunden. Mit denen spiele ich auch.“ „Man lernt die alten Sprachen Sanskrit und Pali, aber auch Englisch und Mathematik. Wer ein guter Schüler ist, kann später sogar auf die Universität. Viele Eltern könnten sich das gar nicht leisten“, fügt Bhikkhu Chananda hinzu. „Hab’ ich das richtig verstanden? Das Kloster ist so ’ne Art Schule?“ Der Mönch nickt. „Was ist, wenn es einem im Kloster doch nicht gefällt?“ Philip will immer alles genau wissen. „Man kann das Kloster auch wieder verlassen, wenn man sich in der Gemeinschaft gar nicht wohl fühlt. Aber die meisten bleiben?“ „Denn Mönch zu werden, ist ein guter Weg ins Nirwana. Haben Sie schon mal was davon gehört?“, erkundigt 37
sich der Bhikkhu und wendet sich mit seiner Frage direkt an Hubert Hanke. „Ja, sicher!“, murmelt Hanke geistesabwesend. Man merkt ihm an, dass er nicht ganz bei der Sache ist, dass er die ganze Zeit an Florian denkt. Jetzt gerade hat er sich entschlossen, noch einmal zu telefonieren. Deshalb hat er die Frage nicht mitbekommen. „Wie bitte?“, murmelt er und wird dabei etwas rot, wobei er sich den Schweiß von der Stirn wischt. „Weg ins Nirwana, haha!“, flüstert Daniel „Zu Hause kennt Hanke doch nur den Weg in die Kneipe.“ Philip und die anderen kichern. Der Bhikkhu schenkt ihnen keine Beachtung. „Das Nirwana ist für uns eine Art Paradies, ein Ort des Friedens und der absoluten Ruhe. Alle Buddhisten wollen irgendwann dorthin. Bevor man das Nirwana erreicht, wird jeder mehrmals wiedergeboren. In einem Leben ist das nicht zu schaffen.“ „Wiedergeboren?! Und als was?“ Malte klappt der Unterkiefer herunter. Der Gedanke, dass man mehr als einmal leben könnte, erscheint ihm mehr als abwegig. „Wenn du ein gutes Leben gelebt hast als ein besserer Mensch. Das hängt von deinen Taten, deinem Karma ab! War dein Leben nicht so gut, vielleicht sogar als Tier.“ Daniel muss unwillkürlich kichern. „Ich sehe Flo gerade als dicken Elefanten vor mir!“, prustet er. 38
Hankes Mine verfinstert sich. Die Erwähnung von Florians Namen scheint für ihn das Stichwort gewesen zu sein. Er bittet noch einmal um Erlaubnis telefonieren zu dürfen. Inzwischen schauen sich die Jungen weiter die Mönchsweihe an. Aus dem Hintergrund ertönt eine Stimme: „Buddham Saranam gacchami Dhamman saranam gacchami Sangham saranam gacchami“ „Narada bekennt sich zu Buddha, der Lehre und der Gemeinschaft. Jetzt ist er ein richtiger Mönchssohn“, strahlt Anaruddha. „Jetzt sagt er noch die Sila-Gebote für alle Buddhisten: Ich will nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, nicht unkeusch sein und keine Drogen nehmen.“ Als Hanke dieses Mal zurückkehrt, sieht er ungeheuer erleichtert aus. „Vielen Dank, Herr Bhikkhu. Das war wirklich interessant, aber wir müssen jetzt fahren. Wir haben noch eine Chorprobe und heute Abend einen Auftritt“, verabschiedet er sich. Dann wendet er sich an die Jungen. „Florian ist im Hotel.“ Man merkt, dass ihm ein Stein vom Herzen gefallen ist. Dann steigen sie in den Bus. „Ja auf Wiedersehen, Herr Bhikkhu! Auf Wiedersehen, Anaruddha, Danke schön.“ Philip winkt noch einmal. 39
Lagebesprechung im Hotelzimmer Nach der Ankunft im Hotel löchern alle Florian mit Fragen. Doch der ist merkwürdig einsilbig. Er habe den Bus nicht mehr bekommen, weil er Seitenstechen hatte. Dann habe er sich verlaufen und schließlich ein Taxi genommen. Als die Freunde später allein in ihrem Zimmer hocken, erzählt er die ganze Geschichte. Die anderen lauschen atemlos. „Habe ich doch gesagt, dass wir verfolgt wurden“, wiederholt Philip immer wieder. „Das müssen wir alles Hanke erzählen!“, überlegt Daniel schließlich. „Sag mal, spinnst du!“, ereifert sich Florian. „Rafft ihr denn gar nichts! Das sind wirklich gefährliche Typen. Und wenn Daniel nicht mit der Statue auftaucht, merken die vielleicht, dass ich das falsche Hotel genannt habe.“ Florians Stimme zittert ein wenig, so aufgeregt ist er. Philip gibt ihm Recht. „Nee, das wäre nichts für Hanke. Der macht sich sowieso wegen jeder Kleinigkeit Sorgen.“ Daniel sagt gar nichts. Er schaut nur finster vor sich hin. „Wo hast du meine Statue gelassen? Die war richtig teuer, Mann.“ „Hat Flo doch genau erklärt.“ Philip fühlt sich genervt. Daniel sollte froh sein, dass Flo nichts passiert ist. Florian hatte den kleinen Hof genau beschrieben und auch den Straßennamen genannt. Sie hatten die Straße auch bereits auf dem Stadtplan gefunden. „Die Frage ist nur …“ Alle schauen Philip erwartungsvoll an. „Die 40
Frage ist nur, ob Flo sich traut, das Teil dort zu holen.“ Damit hat Philip ausgesprochen, was sie alle denken. Florian wird rot und weicht Daniels Blick aus. Doch der lässt nicht locker. „Was ist nun?“, bohrt er. „Ich will meine Statue zurück. Die habe ich schließlich bezahlt.“ Er schaut die anderen herausfordernd an. „Nee!“ Florian wird abwechselnd blass und rot. „Mir reicht es. Kaufe deinem Vater doch ein anderes Andenken.“ Der Schreck sitzt ihm noch in den Gliedern. Keine zehn Pferde würden ihn noch einmal dahin bekommen. Der Mann hatte ihn zwar am falschen Hotel abgesetzt. Aber was wäre, wenn er Verdacht geschöpft und das Hotel länger beobachtet hätte? Dann hätte er sicher gemerkt, dass die Jungen hier gar nicht wohnten. Er könnte ja auch bei der Rezeption gefragt haben. Vielleicht würde ja auch jetzt ihr Hotel hier beobachtet. „Das könnte dir so passen, dich jetzt zu drücken!“ Daniel ist wütend. Er hat zwar noch Taschengeld übrig. Aber jetzt hat er sich diese Statue in den Kopf gesetzt. Die schien ja richtig wertvoll zu sein. Das könnte er alles seinem Vater erzählen, und der würde sicher zu einem Experten gehen und feststellen lassen, dass es sich um einen wertvollen Kunstgegenstand handelt. Und wenn Florian das falsche Hotel genannt hat, dann würden die Verfolger heute bestimmt nicht mehr auftauchen, und morgen fliegen sie schon nach Hause. Seine Statue will er dann wohl verstaut im Koffer mitnehmen. 41
„Wartet mal!“ Philip hat plötzlich eine Idee. „Florian hat doch gesagt, die warten in der Halle von diesem Hotel Renuka auf Daniel. Wo die Statue wirklich ist, davon haben die doch keinen Schimmer, oder?“ Florian schüttelt langsam den Kopf. „Okay, wir nehmen ein Taxi in die Straße. Florian sagt uns genau, wo das Paket ist. Wir holen das Teil und machen dann einen Abflug.“ „Und wenn die Typen wieder auftauchen?“, überlegt Florian und ihm wird ganz flau im Magen. Er hatte dem Mann an der Rezeption gesagt, dass er ein Taxi zum Ranmuthu Hotel braucht. Er musste ihm doch erklären, wo er wohnt, damit der Mann auch sicher sein konnte, sein Geld zurückzubekommen. Wenn ihm der Mann im Auto doch nicht geglaubt hatte, hatte er womöglich im Hotel nachgefragt, ob die Jungen dort wirklich wohnten. Das würde er tun, spätestens heute Abend nach 8 Uhr, wenn kein Daniel in der Halle des falschen Hotels wartete. „Du bleibst im Auto. Dich bekommt niemand zu Gesicht. Du zeigst uns nur genau, wo es ist“, bestimmt Philipp. Florian schluckt, dann nickt er kaum merklich. Er hat wirklich keinen Bock, während der ganzen Rückfahrt Daniels Gejammer über die verlorene Statue anzuhören. Aber wohl ist ihm ganz und gar nicht. Philip hat bereits die Lage ausgekundschaftet. Hanke sitzt in seinem Zimmer. Die anderen Jungen sind auch nirgends zu sehen, als sie vorsichtig das Hotel verlassen. 42
Das Taxi bestellen sie vorsichtshalber in einer Nebenstraße. Das Stadtviertel, wo Florian herumgeirrt war, ist ein ganzes Stück vom Hotel entfernt, aber auch nicht so weit, wie sie befürchtet hatten. „Warten Sie auf uns. Es dauert nur ein paar Minuten.“ Daniel zieht sein Portemonnaie aus der Tasche, um dem Taxifahrer zu beweisen, dass er Geld hat. „Im Hof links die grüne Tür mit der verrosteten Klinke. Auf dem alten Regal ganz unten liegt das Paket.“ Florian weiß nicht genau, warum er flüstert. Als die beiden ausgestiegen sind, drückt er sich bei jedem vorbeifahrenden Auto tief in den Sitz. Aber er kann niemanden Verdächtiges entdecken. Daniel und Philip finden die Tür sofort. Als sie sie öffnen, erkennen sie einen größeren Gegenstand auf dem untersten Regalbrett. „Na also!“ Triumphierend schnappt sich Philip das Paket. „Nichts wie weg!“, zischt er Daniel zu. Man weiß ja nie, ob nicht doch einer der Männer zurückkommt. Florian war sich ja ganz sicher, dass ihm nicht nur ein Mann gefolgt ist. Einen Moment lang hatte Philip vergessen, wie schwer das Paket war. Er versucht es fester zu packen, aber es rutscht ihm aus der Hand. „Wenn der Buddha kaputt ist, ist auch unsere Freundschaft am A… – ich meine, dann gibt es Ärger.“ Schnell hebt Daniel das Paket auf. Dann löst er vorsichtig die Schnüre und wickelt die Statue aus dem Zeitungspapier. 43
„Kannste bezahlen, wenn sie kaputt ist“, murmelt er verbissen. „Komm, mach’ auf, vielleicht ist ja nichts passiert.“ Philip beugt sich vor. „Was ist denn nun? Ist der Buddha hinüber? „Nee. … Booh, das gibt’s gar nicht! Guck mal!“ „Seh nix!“ „Die Statue!“ „Haste doch gekauft, oder?“ „Nee, die nicht!“ Jetzt fällt es auch Philip auf. Die Statue, die jetzt zum Vorschein kommt, ist der anderen zwar ähnlich. Aber es handelt sich eindeutig um eine andere Statue. Außerdem sind die Steine nicht rot. Aber sonst ist es ein schönes Stück. „Ist doch egal. Dann bring doch deinem Vater diese Statue mit. Die sieht doch auch toll aus!“ „Ist nicht egal. Mein Vater mag kein grün. Und die hat grüne Steine.“ Philip tippt sich an die Stirn. „Du hast vielleicht Sorgen.“ Dann schaut er wieder auf die Statue. „Du, die sieht aber voll wertvoll aus!“ „Vielleicht ist die Statue ja auch geklaut, und wir kriegen Ärger mit der Polizei!“, überlegt Daniel. „Wenn ich Pech habe, verhaften die mich morgen am Flugplatz.“ Daniels Zorn ist verraucht. Er ist völlig verwirrt, und er hat auch etwas Angst. Philip zieht ihn zurück zum Wagen. Flüsternd informieren sie Florian. Plötzlich ist Philip klar, was vermutlich passiert ist: 44
„Der Verkäufer hat sich vertan! Der hat zwei Statuen verwechselt. Und diese hier ist wertvoller. Deshalb will der richtige Besitzer sie auch unbedingt zurück haben. Wir müssen noch einmal zum Laden. Wir sagen, dass wir diese Statue zurückgeben und die richtige haben wollen.“ Daniel ist unentschlossen. „O Mann, mir tun die Füße jetzt schon weh!“, jammert Florian. „Außerdem, denkt doch mal nach. Es ergibt keinen Sinn, wenn uns der Verkäufer eine falsche Statue mitgibt und uns dann verfolgt.“ „Der hat sich vertan, und dann ist ihm der Irrtum aufgefallen“, wiederholt Philip. Auch Daniel scheint es jetzt ziemlich eilig zu haben, die falsche Statue los zu werden. Vielleicht hatte der Verkäufer ja den richtigen Buddha mit den roten Steinen. Dann würde sie auch niemand mehr verfolgen. „Wenn du nicht willst, dann geh’ ich allein mit Philip!“, bietet er an. Florian ist gar nicht wohl bei dem Gedanken, noch einmal allein zu sein. „Nee, das möchte ich auch nicht.“ Daniel bezahlt den Taxifahrer. Dann überlegen sie gemeinsam, welchen Weg sie vom Laden zum Bus genommen haben. Es dauert eine Weile, bis sie den Weg wieder gefunden haben. Dann ist Philip sich sicher. Er entdeckt auch das Poster von Buddha und dem Baum. Florian erinnert sich an die Fahnen und eine Cola reklame. 45
Nach einigem Zögern betreten sie den Laden. Daniel hat sich ein paar passende Worte überlegt. Er würde dem Verkäufer erklären, dass es eine Verwechslung gegeben haben musste. Er hätte ja gar nicht gewusst, dass diese Statue wertvoller war und dass sie jemand vermissen würde. Doch der Mann, der sich nach ihren Wünschen erkundigt, ist nicht der Verkäufer vom Vormittag. Daniel schaut seine Freunde etwas ratlos an. Zögernd entfernt er das Papier, zeigt ihm die Statue und fragt, ob sein Kollege vielleicht die falsche Statue eingepackt hat. Doch der Verkäufer unterbricht ihn nach zwei Sätzen. „Solche Statuen führen wir hier nicht!“ „Sind Sie sicher?“ Daniel ist verdattert. Philip bleibt vor Staunen der Mund offen stehen. „Hast du das gehört?“, wispert er Florian zu. Florian schweigt. Auch er ist mehr als verwundert. Außerdem fühlt er sich unbehaglich und möchte den Laden so schnell wie möglich verlassen. „Tut mir leid, meine Herren, aber solche Statuen haben wir nicht, haben wir nie gehabt.“ Die Stimme des Verkäufers ist bestimmt. Er nimmt die Statue noch einmal in die Hand und hält sie nahe an die Lampe. Dann verschwindet er kurz im Nebenraum. Als er zurückkommt, schüttelt er abermals den Kopf und gibt Daniel den Buddha zurück. Doch der rührt sich nicht. Fassungslos schaut er auf die Statue. Die Steine leuchten und funkeln 46
im Licht der Lampe. Er überlegt, ob er etwas sagen soll. Ist Flo und Philip denn nichts aufgefallen? Doch die beiden drängen bereits nach draußen. Draußen vor dem Laden unterhalten sich die Jungen flüsternd. „Und das war bestimmt derselbe Laden? Seid ihr sicher?“, flüstert Philip „Hundert Pro. Da war auch dieses Poster mit dem Buddha unter dem Baum und die Fahnen. War alles noch genauso.“ Man merkt Florians Stimme an, wie aufgeregt er ist. „Ich habe doch die ganze Zeit gesagt, dass etwas nicht stimmt. Hab’ doch gesagt, es stinkt! Und was machen wir jetzt?“ Daniel schweigt noch immer. „Irgendwas stimmt wirklich nicht. Vielleicht sollten wir die Polizei verständigen“, schlägt Philip vor. „Glaub’ nicht, dass die uns die Geschichte abkaufen! Was meinst du Daniel?“, wendet sich Florian an seinen Freund. Doch Daniel antwortet nicht. „Sollten wir nicht … in allen Lagen Hanke fragen?“, witzelt Philip. Doch Daniel ist nicht zum Lachen zu Mute. „Ist euch drinnen an der Statue nichts aufgefallen?“, wispert er. Florian und Philip schauen sich fragend an. „Die Steine waren doch rot. Ich habe es genau gesehen.“ „Quatsch. Als du das Paket im Hof geöffnet hast, da warst du sauer, dass die Steine grün waren wegen deinem Vater und so.“ 47
„Dachte ich ja auch. Aber eben im Laden leuchteten sie rot.“ Daniel entfernt das Papier und hebt die Statue hoch. „Da!“, sagt er triumphierend. „Grün, wie ich gesagt habe!“, stellt Philip lakonisch fest. „Genauso grün, wie du um die Nase aussiehst!“, kichert Florian. „Ich sage es ja immer.“ Philip tippt sich an die Stirn. „Deine Kappe mag ja schweineteuer gewesen sein, aber einen Sonnenstich konnte sie wohl nicht verhindern.“ „Halt die Klappe!“, faucht Daniel. „Die waren rot! Da bin ich mir sicher, und spinnen tu ich auch nicht.“ Philip wird wieder ernst. Ihm ist etwas eingefallen. „Vielleicht könnten wir im Kloster fragen, ob die Statue etwas wert ist. Der Bhikkhu kennt sich doch mit Buddhas aus.“ „Vielleicht. Aber das dauert doch viel zu lange! Wenn wir bis zum Auftritt nicht zurück sind, kriegen wir voll Ärger!“ Florian hat die Strafpredigt vom Morgen noch gut in Erinnerung. „Wenn wir ein Taxi nehmen, könnte es hinhauen.“ Philip lässt nicht locker. „Wir wissen doch inzwischen, dass mit der Statue etwas nicht stimmt. Vielleicht wurde sie ja eben im Laden wieder vertauscht. Oder sie ist wertvoll und wurde gestohlen. Ich will jedenfalls wissen, was mit dem Buddha los ist.“ Daniel nickt. 48
Was er auf keinen Fall will, ist, dass die Typen plötzlich doch ihr Hotel finden oder dass die Zollbeamten ihn morgen mit dem Buddha nicht ausreisen lassen, weil die Statue gestohlen ist.
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Noch ein Besuch im Kloster Die Fahrt zum Kloster kommt ihnen länger vor als am Vormittag. Das liegt daran, dass sie ständig auf die Uhr gucken und überlegen, ob sie pünktlich zu ihrem letzten Auftritt zurück sein können. Bei diesem letzten Chorkonzert würde Hans Reiser Ehrengast sein. Zum letzten Mal wollte er Lieder aus seiner Heimat hören. Und Hanke hatte ihnen gestern noch mehrmals eingeschärft, wie wichtig es sei, dass alle pünktlich erscheinen. Dass sie beim Singen ihr Bestes geben würden, war ebenfalls klar. Das waren sie ihrem Gastgeber schuldig. „Gut, dass Daniel so viel Taschengeld mithat. Sonst könnten sie die Taxifahrt gar nicht bezahlen“, überlegt Philip. Als sie auf den Parkplatz des Klosters einbiegen, ist keiner der Bhikkhus zu sehen. Nur ein paar Touristen mit Fotoapparaten sind unterwegs. Aus weiter Ferne sind ein fremdartige Klänge zu hören. „Klingt cool! Könnten wir auch mal singen.“ Doch Philip ist nicht so selbstsicher, wie er vorgibt. Die Zeit läuft ihnen weg und er weiß nicht, wen er fragen soll. Sie folgen dem Gesang und entdecken mehrere Mönche, die in einem Raum versammelt sind. „Vielleicht haben die gerade Gottesdienst oder so was“, vermutet Florian. Die Idee, einen der Mönche zu fragen, war zwar nicht schlecht. Aber dieses Mal wurden sie 50
nicht erwartet, und wie sollten sie so schnell den netten Bhikkhu finden, der so gut deutsch sprach? „Es riecht hier so komisch. Was ist das?“, überlegt Daniel. „Philips Socken! Mann, ist mir schlecht!“ Florian hält sich die Hand vor die Nase. „Das sind Räucherstäbchen, glaube ich!“ „Wir müssen warten, bis die Jungs mit Singen fertig sind. Uns unterbricht bei einem Auftritt ja auch keiner!“, wiederholt Daniel. Philip deutet auf den großen Gong rechts neben der Tür: „Wenn man da draufschlägt, kommt sicher wer. Funktioniert bestimmt wie eine Klingel!“ Die Freunde schauen sich unentschlossen an. Durch den Gong könnten sie sicher auf sich aufmerksam machen. Aber es wäre doch sehr unhöflich, die Feier zu stören. „Ihr seid wiedergekommen. Habt ihr etwas vergessen?“ Philip wirbelt herum. Sie haben Anaruddha gar nicht kommen hören. „Hallo. Wir stören sicher?“ Daniel klingt im Gegensatz zu seinem sonst leicht überheblichen Ton merkwürdig kleinlaut. „Ihr meint wegen der Puja?“ „Wegen was?!“ Die Gesänge im Hintergrund sind nun deutlicher zu vernehmen. „Eine Puja ist eine Feier zu Ehren von Buddha!“ „Und was singen die?“ 51
Anaruddha lauscht einen Moment. „Jetzt gerade das „Metta Sutta“. „Was für ’n Ding?“, wundert sich Florian. „Im Metta Sutta heißt es: ‚Mögen alle Wesen glücklich sein.‘ Dabei denkt man zunächst an die Menschen, die man richtig gern hat, dann an die, die einem egal sind und dann zum Schluss an die, die man gar nicht mag.“ „Das stell’ ich mir schwer vor, wenn ich an die Typen denke, die ich richtig ätzend finde.“ Florian schüttelt sich. „Das ist manchmal auch richtig schwer. Aber der Weg ins Nirwana ist mühselig.“ Aus Anaruddhas Mund klingen die Worte etwas hochtrabend. Aber die Jungen merken, dass es ihm ernst ist und er sich bemüht, ihnen alles zu erklären. „Entschuldigung“, unterbricht ihn Philip. „Wir wollen Sie etwas fragen wegen diesem Buddha hier, ob er wertvoll ist und was diese komischen Zeichen bedeuten und so.“ Anaruddha schaut sich die Statue an, dreht sie in alle Richtungen und gibt sie anschließend Daniel wieder zurück. Dann runzelt er die Stirn. „Ich kenne diese Buchstaben auch nicht. Da muss ich Bhikkhu Chananda fragen. Vielleicht hat er Zeit für euch.“ Eine Weile gehen sie schweigend durch mehrere Gänge. Hier im Kloster ist es wohltuend schattig und deutlich kühler als draußen. An der Wand fällt Philip ein Zei52
chen auf, das er auch schon am Eingang auf dem Hof gesehen hat. „Und was soll der Kreis da an der Wand?“ „Das ist das Rad der Lehre“, erklärt ihr Begleiter. „Jede der acht Speichen bedeutet einen Teil des achtfachen Pfades.“ „Und was sind das für Teile?“ „Zum Beispiel: richtiges Denken. Das bedeutet nichts Böses zu denken und nicht zu hassen. Richtiges, also freundliches Reden gehört dazu und richtiges Handeln nach unseren Geboten.“ Sie biegen in einen weiteren Gang nach links und bleiben vor einer Tür stehen. Anaruddha klopft an eine Tür und tritt ein, als eine auffordernde Stimme aus dem Inneren des Raumes erschallt. Die Freunde folgen ihm langsam. Anaruddha verbeugt sich und bleibt abwartend vor dem Bhikkhu stehen. Eine Weile schweigt er ehrfürchtig. Erst als der Mönch seinen Blick fragend auf ihn und die anderen Jungen richtet, beginnt er zu sprechen. „Ich bin es, ehrwürdiger Bhikkhu! Unsere Gäste hier möchten etwas fragen.“ Er deutet auf Daniel und die anderen. Daniel räuspert sich und blickt Philip und Florian hilfesuchend an. Doch beide schweigen beharrlich. „Ja. Ähm. Ich habe diese Statue gekauft und möchte gerne wissen, ob sie wertvoll ist“, beginnt er und verstummt wieder. 53
„Lass einmal sehen.“ Bhikkhu Chananda nimmt die Statue in die Hand und schaut sie gründlich von allen Seiten an. Dann setzt er seine Brille auf und nimmt den Buddha abermals in Augenschein. „Die Statue an sich ist nicht besonders wertvoll. Sie ist aber solider gebaut als die meisten Souvenirs, die für Touristen hergestellt werden. Was die Steine betrifft, so vermute ich, dass sie aus Glas sind. Sonst könntet ihr sie gar nicht bezahlen. Aber ich weiß es nicht genau. Da müsstet ihr einen Fachmann fragen.“ Er macht eine Pause. „Sie ist also nicht besonders wertvoll!“, wiederholt Daniel. Der Bhikkhu denkt einen Moment nach. Dann überzieht ein feines Lächeln sein Gesicht. „Doch, in gewisser Weise schon. Was da drauf steht, ist für uns Buddhisten sehr kostbar“, nickt der Mönch. „Wieso?“ Daniel ist etwas enttäuscht. Er hatte eigentlich gehofft, dass ein wertvoller Kunstschatz durch Zufall in seine Hände geraten war. Und wenn das Teil nicht wertvoll war, wieso waren dann gleich zwei Männer hinter Florian und der Statue her gewesen? „Wie soll ich euch das so schnell erklären“, überlegt der Mönch. „Das erste Zeichen bedeutet Buddha. Ihr wisst, wer Buddha war?“ „Ähm … Buddha war auch ein Mönch wie Sie und so eine Art Lehrer“, fällt es Florian ein. Der Bhikkhu nickt ihm wohlwollend zu. „Ja, aber das ist nicht alles. Bevor er als Buddha berühmt wurde, hieß er 54
Siddharta Gautama und war ein reicher Prinz. Sein Vater versuchte, alle hässlichen Dinge von ihm fernzuhalten. Doch dann geschah Folgendes: Siddharta unternahm nacheinander drei Ausfahrten. Da sah er einen Greis, einen Schwerkranken und einen Toten. Er erkannte, dass niemand vor Alter, Krankheit und Tod fliehen kann und dass unser Leben voller Leiden ist. Nun, Anaruddha, was passierte dann?“ Anaruddha errötet, weil er direkt vom Meister angesprochen wird. Dann fährt er fort: „Er traf einen Wandermönch. Der war freundlich zu jedem. Siddharta beschloss, seine Familie zu verlassen, Wandermönch zu werden und darüber nachzudenken, wie man aus diesem Leiden herauskommt.“ „Genau!“, fährt Bhikkhu Chananada fort. „Und dann hatte er in einer Nacht im Frühlingsmonat Wesak unter dem Bodhi-Baum die Erleuchtung. Und so wurde aus Siddharta Gautama der Buddha, das heißt der Erleuchtete.“ „Weil ihm ein Licht aufgegangen war!“, entfährt es Daniel. „Der berühmte Kaiser Ashoka ließ vor über 2000 Jahren einen Ableger des Bodhi-Baums nach Sri Lanka bringen. Dieser alte Baum steht im Norden unseres Landes, in Anuradhapura, und wird bis heute als heilig verehrt.“ „Und ein Ableger von diesem Baum steht in unserem Klostergarten“, fügt Anaruddha hinzu. 55
„Steht da noch was außer Buddha auf der Statue?“, drängt Philip und hofft, dass er nicht zu ungeduldig klingt. Der Mönch studiert noch einmal die Zeichen auf dem Buddha. „Ja, da steht Dhamma. Das bedeutet Lehre. Buddha lehrte, dass alle Menschen leiden, weil sie immer mehr haben wollen. Sie sind gierig. Und um ihre Wünsche zu befriedigen, töten sie sogar andere Menschen. Buddha wusste: Wir müssen die Gewalt beenden und bescheidener werden. Nicht wahr, Anaruddha?“ Anaruddha nickt eifrig. „Und um das zu schaffen, brauchen wir den edlen achtfachen Pfad …“ „Äh … was steht da denn noch?“ Es ist Florian zwar sehr peinlich zu unterbrechen. Aber er hat auf die Uhr geschielt, und sie sind sehr spät dran. Bhikkhu Chananda spürt die Unruhe der Kinder. Aber er ist nicht verärgert. Sie hatten ihm auch erklärt, dass sie zu ihrem Chorauftritt zurück sein müssten. Und er weiß selbst, dass die Zeit knapp ist. Trotzdem freut er sich, dass die Kinder ihn aufgesucht haben und er ihnen das alles erzählen kann. „Das dritte Zeichen, das ich zwischen den Verzierungen auf der Statue erkennen kann, bedeutet Sangha, Gemeinde.“ Er macht eine kurze Pause. „Zur Gemeinde gehören alle, die Buddhas Lehre befolgen“, erläutert Anaruddha. „Heute morgen sagte doch euer Leiter, dass ihr ein Chor 56
seid. Um richtig singen zu können, braucht ihr Noten. Und wir brauchen die Lehre Buddhas, um richtig leben zu können.“ „Dann ist Sangha eine Gemeinschaft wie ein Chor.“ Daniel ist überrascht. „Und dann ist Hanke unser oberster Bhikkhu, cool! Ehrwürdiger Hanke!“, flüstert Philip. Ein Lächeln überzieht sein Gesicht. „Seid doch mal ruhig!“, unterbricht Daniel die anderen. „Buddha, Dhamma, Sangha. Warum steht das auf der Statue?“ „Das sind die ‚drei Kostbarkeiten‘ unseres Glaubens. Sie gehören immer zusammen. Das ist so eine Art Glaubensbekenntnis für uns. Wir Buddhisten sagen: ‚Ich nehme meine Zuflucht zu Buddha. Ich nehme meine Zuflucht zum Dhamma. Und ich nehme meine Zuflucht zum Sangha‘. Ohne Buddha gäbe es die Lehre nicht, und die Lehre könnte man nicht ohne Gemeinschaft leben!“ „Ja, aller guten Dinge sind drei.“ Auch Philip hat mehrmals auf die Uhr geschaut. Den Auftritt können sie wahrscheinlich vergessen. Er malt sich gerade Hankes Donnerwetter aus. Bhikkhu Chananda runzelt die Stirn. „Zeig noch einmal!“ Er nimmt die Statue abermals in die Hand. „Aber etwas ist seltsam! Unsere heilige Sprache Pali kann man mit verschiedenen Buchstaben schreiben. Hier auf 57
der Statue aber stehen Buddha, Dhamma und Sangha in kambodschanischen Buchstaben.“ „Ja, und?“ Daniel weiß nicht, worauf der Mönch hinaus will. „In unserem Land wird aber alles in singhalesischen Buchstaben geschrieben. Demnach stammt die Statue nicht aus Sri Lanka. Zeig doch noch einmal …“ „Mensch, guckt mal auf die Uhr! Wir müssen los!“ Florian ist erschrocken. „Geht leider nicht! Entschuldigung, Herr Bhikkhu.“ Daniel und Philip bedanken sich. „Wir müssen sofort weg! Vielen Dank noch!“ Der Bhikkhu blickt ihnen nachdenklich hinterher. Was er ihnen noch sagen wollte: Er findet, dass die Statue ungewöhnlich schwer ist. Auf der Rückfahrt sagt zunächst keiner ein Wort. Schließlich bricht Daniel das Schweigen. „Ist euch etwas aufgefallen? Da im Kloster waren die Steine plötzlich wieder rot.“ Philip nickt. „Die wechseln die Farbe – wieso?“ „Keine Ahnung. Das hättet ihr den Bhikkhu fragen sollen. Der konnte ja nicht wissen, dass die Steine vorhin grün waren.“ Daniel gähnt. „Was der Mönch erzählt hat, war ja interessant. Aber wir wissen immer noch nicht, ob das Teil wertvoll ist.“ „Aber ich weiß etwas.“ Philip deutet hinter das Taxi. „Wir werden wieder verfolgt.“
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Axel Wagner „Entschuldigung, könnten Sie bitte etwas schneller fahren? Wir sind schon spät dran und hinter uns …“ Daniel schaut den Taxifahrer verstört an, als er bremst und schließlich am Straßenrand anhält. „Tut mir leid!“, wendet er sich an die Kinder. „Aber hinter uns ist die Polizei. Die macht schon die ganze Zeit Zeichen, dass wir anhalten sollen. Und Ärger kann ich mir nicht leisten.“ Philip wird blass. „Mensch, das haben wir doch die ganze Zeit vermutet. Die Statue ist gestohlen. Und jetzt verdächtigen sie uns.“ „Blödsinn!“ Daniel klingt sicherer, als er in Wirklichkeit ist. Etwas fällt ihm siedendheiß ein. Er hatte nicht einmal eine Quittung über den Kauf der Statue! Wie sollte er beweisen, dass er sie überhaupt rechtmäßig erworben hatte? Plötzlich wird ihm mehr als unbehaglich. Hatte er neulich nicht zu Hause in der Zeitung gelesen, dass man in manchen Ländern sehr schnell auch unschuldig ins Gefängnis kommen konnte? Sperrten die hier womöglich schon Kinder ein, die etwas angestellt hatten? Eine wertvolle Statue zu rauben, galt bestimmt als ein schlimmes Verbrechen. Und sein Vater, der sonst immer alles wusste und sich überall auskannte, der war weit weg. Daniel schluckt und kämpft mit den Tränen. Zwei Männer steigen aus dem Auto aus. Der eine ist dunkelhäutig und trägt die Uniform eines singhalesi59
schen Polizeibeamten. Der andere … Florian traut seinen Augen nicht und schaut noch einmal hin: Der andere ist der Europäer, der ihn verfolgt und immer wieder aufgefordert hatte, in sein Auto zu steigen. Schweiß tritt ihm auf die Stirn. Er weiß nicht, was er sagen soll. Philip ist inzwischen kalkweiß. Und Daniel starrt abwechselnd auf die beiden Männer und seine Freunde, als würde er überlegen abzuhauen. Doch zu seiner Überraschung wendet sich der Europäer zunächst an Florian. Florians Unterkiefer klappt herunter, als er den Mann aus der Nähe betrachtet, der ihn mehrmals ins Auto zerren wollte. Er ist ungefähr 1,85m groß, trägt Jeans, ein kurzes Hemd und eine Leinenjacke. Das Alter des Mannes mit scharf geschnittenen Gesichtszügen schätzt Florian auf Mitte vierzig. Florians Vater ist auch so alt, und der Fremde würde gut in dessen Bekanntenkreis passen. „Du hast es mir nicht gerade leicht gemacht“, sagt er und lächelt. Das Lächeln lässt sein kantiges Gesicht deutlich freundlicher erscheinen. Zu Florians Verwunderung spricht er deutsch. Der Mann, der ihn fast ins Auto gezerrt hatte, schaut ihn entschuldigend an: „Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich glaube, ich bin dir eine Erklärung schuldig.“ Florian sagt immer noch nichts. War er wirklich von der Polizei verfolgt worden? „Zeig doch mal dein Paket her!“, fordert der Mann ihn auf. „Ich heiße übrigens Wagner und bin von der Kripo 60
in Frankfurt. Ich arbeite mit Kollegen von der Polizei in Sri Lanka zusammen.“ Florian versteht überhaupt nichts mehr. Wenn der Mann wirklich von der Polizei war, warum hatte er ihn dann verfolgt? Axel Wagner streckt die Hand nach dem Paket aus. „Hören Sie. Die Statue gehört meinen Freund Daniel. Und wenn die kaputt geht, dann ist auch unsere Freundschaft am A… ich meine, dann gibt es Ärger.“ Florian wird abwechselnd blass und rot. Wagner muss unwillkürlich lachen. Er wendet sich an die beiden anderen Jungen, die bisher keinen Ton gesagt haben. „Daniel, bist du das?“, wendet er sich an den blonden Jungen. Daniel nickt kaum merklich. „Keine Angst, du bekommst das wertvolle Stück später wieder.“ „Wieso wertvoll? So viel habe ich für das Teil gar nicht bezahlt.“ Daniel hat endlich seine Stimme wieder gefunden. Dann fällt ihm ein, was der Bhikkhu gesagt hat. „Oder sind die roten Steine etwa echt?“ „Roten Steine?“, fragt Wagner verwirrt. „Na klar. Philip dachte, dass seien Rubine. Aber der spinnt manchmal. Eigentlich wissen wir nicht, welche Farbe die Steine haben. Die sehen nämlich nicht immer gleich aus.“ „Mach das Paket doch mal auf.“ Axel Wagner wirkt auf einmal wieder sehr angespannt. Vorsichtig löst Daniel den Bindfaden und wickelt die verschiedenen Lagen Zeitungspapier auf. Jetzt fällt ihm auf, dass die Statue 61
schwerer ist, als er es sich bei ihrer Größe vorgestellt hat. Wagner runzelt die Stirn, schaut noch einmal genau hin. „Die sind ja grün“, stellt er überrascht fest. „Ich habe im Laden eine Statue mit roten Steinen gekauft, hundert Pro. Aber jetzt wechselt das Teil ständig die Farbe.“ „Du meinst, das ist nicht die Statue, die ihr gekauft habt?“, erkundigt sich Axel Wagner. „Nee, bestimmt nicht!“ Florian schüttelt den Kopf. „Die hatte rote Steine. Deshalb hat sie ja auch Daniel und Philip so gut gefallen.“ Florian ist verwirrt. Er versteht überhaupt nichts mehr. Erstens weiß er überhaupt nicht, warum sich Wagner für die Statue interessiert. Hatte man sie etwa deshalb verfolgt? Und wenn ja: warum? Und wie in aller Welt waren die Statuen vertauscht worden?? Er hatte sie doch die ganze Zeit mit sich herum geschleppt. Weil er wusste, wie sauer Daniel werden würde, wenn die Statue kaputt gehen würde, hatte er sie nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen. Und was wollte dieser Wagner von ihnen? War er wirklich von der Polizei? Auch konnte er eigentlich nicht wissen, dass die richtige Statue rote Steine hatte? Vielleicht hatte die richtige Statue ja auch grüne Steine. Wer konnte das wissen? Was war überhaupt die richtige Statue? In dem Laden hatte es viele Statuen gegeben, die alle ähnlich aussahen. „Übrigens, die Steine auf eurer Statue sind Alexandrite.“ Die Jungen schauen Wagner verdattert an. „Alexandrite 62
wechseln die Farbe. Bei Sonnenlicht funkeln sie grün, bei künstlichem Licht leuchten sie rot. War es hell, als ihr sie im Laden gekauft habt?“ „Nee!“ Daniels Stimme klingt ehrfürchtig. „Im Laden war es ziemlich dunkel. Aber es brannte eine Lampe.“ Klar, eine Lampe war künstliches Licht. In die Zelle des Mönchs war auch kaum Tageslicht gedrungen. Aber in der Ecke hatte eine kleine Leuchte geglimmt. Auf der Straße und dem Hof jedoch war es hell gewesen. Deshalb waren die Steine auf der Statue auch grün gewesen. Axel Wagner sieht, dass die Jungen durcheinander sind. „Wir fahren jetzt zur Polizei!“, bietet er an. „Unterwegs erkläre ich euch, warum ich mich für eure Statue interessiere. Und von der Polizei aus sagen wir eurem Chorleiter Bescheid.“ „Wir müssen unbedingt zu unserem Auftritt. Es ist das letzte Konzert und sehr wichtig.“ Plötzlich tut Hanke Florian leid. Er hatte es nicht verdient, dass sie alle zu spät kamen. „Gut, dann ab mit euch ins Auto. Seid ihr schon mal mit Blaulicht zum Konzert gefahren?“ Die Jungen steigen strahlend ein. „Ist die Statue etwa gar nicht vertauscht worden?“, will Daniel im Auto wissen, Wagner schüttelt den Kopf. „Das weiß ich noch nicht genau!“, überlegt er. „Habt ihr eigentlich eine Ahnung, wer alles hinter eurer Statue her ist?“ Die Jungen sehen sich fragend an. 63
„Wisst ihr eigentlich, dass es hier auf Sri Lanka wertvolle Edelsteingruben gibt?“, fährt Wagner fort. Florian zuckt mit den Schultern. Philip glaubt etwas im Reiseführer gelesen zu haben. „Ist ja auch egal. Sri Lanka gehört jedenfalls zu den Ländern der Welt, die am meisten Edelsteine exportieren. Aber nicht alle Edelsteine werden legal ausgeführt. Es gibt auch immer wieder Banden, die versuchen, sie zu schmuggeln. Einer solchen Bande sind wir seit Jahren auf der Spur.“ Die Kinder hören ihm jetzt gebannt zu. „Ich arbeite für die Zollfahndung. Letztes Jahr sind uns bei einer zufälligen Kontrolle Holzelefanten in die Hände gefallen, die mit Edelsteinen aus Sri Lanka gefüllt waren.“ Er macht eine kurze Pause. „Und jetzt meinen Sie, dass der Buddha …“ Florian wagt nicht zu Ende zu denken. Prüfend nimmt Axel Wagner die Statue in die Hand. „Die Sache ist etwas komplizierter“, fährt er fort. „Ich habe da eine Idee, die ich aber mit eurem Chorleiter besprechen muss.“ Bald sind sie in dem kleinen Ort, wo der Chor seinen Auftritt hat. Der erste Teil des Chorkonzerts ist anscheinend schon vorbei. Aus einem geöffneten Fester hören die Jungen die letzte Strophe von „Wenn alle Brünnlein fließen“ und Applaus. Kurz darauf erscheint Hanke, der das ankommende Auto gesehen hat. „Wo um alles in der Welt kommt ihr jetzt her?“ Er verstummt, als er die beiden Männer sieht. „Machen Sie 64
hier bitte kein Aufsehen!“, raunt ihm Wagner zu. „Ich erkläre es Ihnen später. Lassen Sie die Jungen ruhig den Rest des Konzerts mitsingen.“ Florian, Daniel und Philip stellen sich zu den anderen in die Reihe und geben ihr Bestes. Das Konzert ist ein voller Erfolg. Sie singen sogar drei Zugaben. Hankes Ärger ist verraucht, als sein alter Freund die Jungen lobt und ihnen alles Gute für die Rückreise wünscht.
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Wagners Erklärung Hanke glaubt seinen Ohren nicht zu trauen, als er die ganze Geschichte vernommen hat. „Sie sehen, wie kompliziert die Sache ist!“, erklärt Axel Wagner. „Florian ist aufgefallen, dass ihm mehrere Männer gefolgt sind. Deshalb muss ich von Anfang an beginnen: Da ist eine gut organisierte Bande, die seit langem Schmuggel in großem Umfang betreibt. Sri Lanka ist ja berühmt für seine Edelsteine!“ Hanke nickt. Er hat von den Schürfgruben bei Ratnapura gehört. „Früher hat die Bande die Edelsteine in Holzelefanten versteckt und so durch den Zoll gebracht. Aber als die Zollfahndung einen der Schmuggler geschnappt hat, sind die meisten Bandenmitglieder in anderen Ländern untergetaucht.“ „Ist ja irre!“, entfährt es Florian. Wagner macht eine Pause und räuspert sich. Jetzt wird es spannend. „Letzte Woche haben wir nun einen Hinweis bekommen, dass die Bande wieder aktiv ist und jetzt BuddhaStatuen benutzt, um die Edelsteine zu schmuggeln. Und noch etwas ist neu.“ „Was denn?“, Philip beugt sich gespannt vor. Die nehmen Touristen, die bald das Land verlassen, um die Steine durch den Zoll zu bekommen. Für die Bandenmitglieder ist die Sache zu heiß geworden. Die stehen 66
fast alle auf der Fahndungsliste. Ihr seid für die natürlich ideal, weil ihr als Kinder kaum kontrolliert werdet.“ „Ich sag’s doch die ganze Zeit. Wir wurden also doch verfolgt?!“ Florians Kopf ist knallrot vor Aufregung. „Wir beobachten seit ein paar Tagen die Geschäfte, die wahrscheinlich mit dem Schmuggel zu tun haben. Und gestern hat einer unserer Leute gesehen, wie Daniel mit euch aus dem Laden kam. Und dann habt ihr auch noch ausgeplaudert, dass ihr morgen Nachmittag nach Hause fliegt – und zwar nach Frankfurt.“ „Und fast hätte Florian das Hotel verraten“, murmelt Philip. „Hat der Verkäufer nun meine Statue vertauscht?“, will Daniel wissen. „Vermutlich. Wenn jemand, der bald abreisen will, eine Statue kauft, versucht die Bande, ihm ein ähnliches, genau vorbereitetes Stück unterzuschieben.“ „Boah, Wahnsinn!“, Philip ist sichtlich beeindruckt. „Ja. Der ahnungslose Reisende spielt für die Schmuggler den Kurier, also den Boten.“ „Und in dem Buddha sind also wertvolle Edelsteine?“, bohrt Daniel. „Das vermuten wir. Das Problem ist nur … Wir wissen nicht, wie die Statue zu öffnen ist. Neulich ist uns eine ähnliche Statue durch Zufall in die Hand gefallen. Der Reisende, der die Statue bei sich hatte, war routinemäßig kontrolliert worden. Durch eine ungeschickte Bewegung 67
ist ihm der Buddha aus der Hand gefallen und hat einen Riss bekommen. Dem Zollbeamten fiel auf, dass der Buddha sehr schwer war, und dann haben sie die Staue ganz zerlegt und die Steine entdeckt.“ „Und dann?“ Philip und die anderen lauschen atemlos. „Tja, der Reisende hat uns versichert, dass er keine Ahnung hatte. Natürlich haben wir ihm nicht sofort geglaubt. Aber es stellte sich heraus, dass er wirklich unschuldig war.“ Wagner macht eine Pause. Die anderen schweigen erwartungsvoll. „Wir haben die Bruchstücke der Statue gründlich untersucht. Auch sie war mit Alexandriten verziert, welche die Farbe wechseln. Und auf ihr waren Zeichen und Buchstaben, die denen auf eurer Statue ähneln. Das Problem ist nur …“ Wagner macht eine kurze Pause und nimmt die Statue abwägend in die Hand. „Wenn wir die Statue aufbrechen, können wir sie nicht unauffällig wieder verschließen. Und wir kennen dann auch nicht den Mechanismus, mit dem sie zu öffnen ist. Denn es ist so aufwendig, eine solche Statue herzustellen, dass wir davon ausgehen, dass sie immer wieder verwendet werden soll.“ Wagner schaut Hubert Hanke an, als wollte er ihn um Unterstützung bitten. Man merkt, dass er etwas auf dem Herzen hat, mit dem er nicht direkt herausrücken will. „Und wie bekommen die Ganoven den Buddha wieder zurück?“ 68
Wagner ist über Florians Unterbrechung nicht unfroh. „Am Zielflughafen, also in unserem Fall Frankfurt, wird ein Komplize benachrichtigt. Das geht einfach per Handy“, erklärt er bereitwillig. „Der Mann, der unseren Reisenden am Flughafen abfangen und sich den Buddha schnappen wollte, ist sofort verschwunden. Der hat natürlich Verdacht geschöpft, als er merkte, dass der Reisende Ärger beim Zoll hatte.“ „Und Sie haben keine Ahnung, wie der Kerl aussieht?“, unterbricht ihn Philip. „Keine Ahnung. Es handelt sich vermutlich um mehrere Personen. Das Problem ist nur, dass wir unbedingt die führenden Mitglieder der Bande erwischen wollen. Was noch erschwerend hinzu kommt: Es kann sein, dass sich ein Teil der Bande selbstständig gemacht hat, dass wir es also mit zwei Banden zu tun haben. Deshalb sind Florian auch mehrere Leute gefolgt – außer uns, meine ich.“ „Wieso?“ Florians Gesicht ist ein einziges Fragezeichen. Wenn alles nicht so spannend wäre, hätte Philip laut losgelacht. Wagner schaut noch einmal prüfend in die Runde, bis sein Blick auf Daniel ruht. „Und jetzt bist du gefragt, Daniel“, wendet er sich an den Jungen. Alle Augen richten sich auf Daniel, der sich etwas unbehaglich fühlt. „Wieso ich? Was soll ich denn tun?“, stammelt er. „Ich werde es dir genau erklären.“ 69
Nachts im Hotel Es ist kein Wunder, dass keiner der Jungen schlafen kann. Immer wieder steht einer auf, wenn die anderen fast eingeschlafen sind. Immer wieder haben sie sich flüsternd unterhalten und Daniel Mut zugesprochen. Axel Wagner hatte lange überlegt, wie er Daniel am nächsten Morgen unauffällig die Buddhastatue zurückgeben könnte. Dass die Jungen den Buddha mit dem wertvollen Inhalt in ihrem Hotelzimmer auf bewahrten, war ausgeschlossen. Wagner und seine Kollegen aus Sri Lanka hatten erwogen, den Buddha über Nacht in den Hoteltresor zu lagern. Aber dann hatten sie Zweifel bekommen, ob das sicher genug war. Schließlich hatte die Bande eine Reihe von Komplizen, und auch in ein Hotel konnte eingebrochen werden. Also hatte man beschlossen, die Statue als wohl verschnürtes Paket in der Polizeidienststelle aufzubewahren. Dann hatte man Daniel ein ganz ähnliches Paket übergeben. Morgen auf dem Flughafen würden die Pakete wieder getauscht werden, für den Fall, dass in dem richtigen Paket ein Peilsender versteckt war. Sonst hätte man Daniel auch mit dem falschen Paket reisen lassen und die Schmuggler in dem Glauben lassen können, er habe den richtigen Buddha mit den Edelsteinen bei sich. Wagner hatte sogar zwei gleich aussehende Rucksäcke 70
besorgt, damit der Tausch problemlos beim Einchecken passieren konnte. Von da an würde man Daniel nicht eine Sekunde aus den Augen lassen – und die Statue selbstverständlich auch nicht. Die Freunde hatten das andere Paket immer wieder angeschaut und überlegt, was morgen geschehen würde. Hoffentlich würde die Schmugglerbande keinen Verdacht schöpfen und hoffentlich würde es nicht zu gefährlich für Daniel. „Ich weiß nicht, ob ich das könnte“, flüstert Philip bewundernd. „Danke!“, murmelt Daniel, dem alles andere als wohl zu Mute ist. Seine übliche großspurige Selbstsicherheit ist verschwunden. Florian ist aufgestanden und zum Fenster gegangen. Er kann ebenso wenig schlafen wie die anderen. Unten auf der Straße ist noch einiges los. Eine Weile beobachtet Florian den fließenden Verkehr. Plötzlich sieht er ein Auto, das ihm merkwürdig bekannt vorkommt. Bildet er sich die ganze Sache ein, oder ist es wirklich das Auto mit dem Fahrer, der hinter seinem Rucksack her war? Ihm wird ganz flau im Magen. Ob er die anderen auf das Auto aufmerksam machen oder Hanke Bescheid sagen soll? Ein plötzliches Klopfen an der Zimmertür lässt ihn zusammenfahren. Die Jungen fahren erschrocken zusammen. Wer konnte das sein? Sollten sie überhaupt aufmachen? Die leise und höfliche Stimme eines Hotelangestellten erklingt. „Hallo, sind Sie noch wach? 71
Unten möchte jemand einen Herrn Daniel sprechen. Sie seien verabredet.“ „Sag ihm, dass ich schon schlafe“, zischt Daniel. „Das ist bestimmt der Typ, dem Florian das falsche Hotel genannt hat“, fällt es ihm siedendheiß ein. Der Hotelangestellte klopft abermals. „Was soll ich den Herren sagen?“, erkundigt er sich. „Gib ihm das falsche Paket und ruf über Handy den Wagner an“, schlägt Florian leise vor. Blass vor Aufregung öffnet Philip den Türspalt und schiebt dem Hotelangestellten den Rucksack zu. „Mein Freund schläft schon!“, sagt er. „Aber ich denke, die Herren unten wollen dieses Paket. Der Mann verbeugt sich und verschwindet. „Jetzt können wir nur hoffen, dass Wagner hier auftaucht, bevor die den Schwindel aufdecken.“ Die nächsten Minuten bringt keiner ein Wort heraus. Sie lauschen angespannt. Da hören sie Schritte auf dem Gang, die sich ihrem Zimmer nähern. Geistesgegenwärtig dreht Florian den Schlüssel um. Keinen Moment zu früh. Jemand drückt die Klinke herunter, einmal, zweimal. Dann ertönt ein Klopfen, viel energischer als zuvor. Als die Jungen sich nicht rühren, hören sie, wie sich jemand an der Tür zu schaffen macht. „Der kommt hier bestimmt herein!“ Fast im selben Moment fährt draußen ein Auto vor. Plötzlich sind wieder Schritte zu hören, die weglaufen. Zehn Minuten später steht Wagner im Zimmer und hört sich die ganze Geschichte an. 72
„Gut, dass die richtige Statue bei uns war!“ Deutlich ist ihm die Erleichterung anzumerken. „Was ist jetzt?“, erkundigt sich Daniel kleinlaut. „Muss ich immer noch …“ Wagner überlegt. „Ich denke schon, dass wir wie geplant vorgehen. Die wissen jetzt, dass ihr immer noch die richtige Statue habt. Außerdem bin ich nicht sicher, dass die Typen von heute Abend zum selben Teil der Bande gehören, die die Statue in Frankfurt übernehmen wollen. Das erkläre ich euch später.“
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Am Flughafen Beim Frühstück ist Daniel merklich stiller als sonst. Seine großspurige Selbstsicherheit ist fast vollkommen verschwunden. Er muss sich sogar eingestehen, dass er Angst hat, nachdem Wagner ihm ihren Plan erklärt hat. Das Frühstück verlief wie sonst, nur ein wenig eiliger. Den Jungen war eingeschärft worden, ihre Zimmer noch einmal gründlich zu durchsuchen, damit auch ja nichts liegen bleibt. Zwei Stunden vor Abflug haben sie den Flughafen erreicht. Hanke wuselt wie immer hin und her. „Bleibt bloß zusammen, Jungs. Der Zirkus gestern hat gereicht, nicht wahr.“ „Damit sind wir gemeint“, grinst Philip. Daniel schaut ihn unsicher an. Philip hat gut lachen. Er muss ja schließlich nichts tun. „Psst, guckt euch nicht um, da hinten der Typ!“, flüstert Florian verschwörerisch. „Bitte nicht schon wieder“, stöhnt Daniel. Er ist sichtlich nervös. „Also wirklich, bring Danny nicht noch mehr durcheinander“, ereifert sich Philip. Florian legt die Hand auf die Lippen. „Psst! Der Typ da schaut die ganze Zeit auf Daniels Koffer.“ „Ist das einer der Typen, der dir gefolgt ist, Flo?“ Florian verneint. „Dann ist es sicher einer von Wagners Leuten. Also schau nicht so auffällig hin.“ 74
„Ich sage dir, Danny: Irgendwer will wissen, wie du heißt! Deshalb hat der auf dein Kofferschild gestarrt.“ Daniel hat nicht bemerkt, dass ihn jemand beobachtet oder auf sein Kofferschild geschaut hat. Aber er fühlt sich außerordentlich unbehaglich. Dabei hat Wagner ihm ausdrücklich gesagt, dass sie die ganze Zeit auf ihn aufpassen und dass er zu keiner Zeit allein sein würde: nicht auf dem Flugplatz hier, nicht im Flugzeug und schon gar nicht nach der Landung, wenn es gefährlich werden könnte. „Wo ist der Buddha? Im Koffer?“, erkundigt sich Philip. „Hier in der Tasche, damit er nicht geklaut wird.“ Daniel weiß auch nicht, warum er flüstert. Er wäre froh, wenn der Tag vorbei wäre. Aber es liegen noch viele Stunden vor ihm, bis sie zu Hause sind. „So, Kinder, mir nach! Wir gehen jetzt alle in den Warte saal. Und da bleiben wir bis zum Abflug.“ „Oh Hanke“, seufzt Philip. „Was wären wir ohne dich.“ Die meisten lachen. Daniel lacht nicht. Eine Weile vergeht. Philip mustert die anderen Reisenden. Aber so sehr er sich bemüht, er kann niemanden entdecken, den er verdächtig findet. Die Minuten vergehen langsam. Einige der Jungen durchstöbern noch Andenkenläden. Aber bald haben sie gemerkt, dass es nur billigen Ramsch gibt. Trotzdem kauft Sven noch eine Kette für seine kleine Schwester, ärgert sich aber 75
gleichzeitig, dass er nicht früher daran gedacht hatte, als es billiger war. Endlich ertönt eine Stimme auf Englisch: Erster Aufruf zum Flug Nr. 367772 nach Frankfurt.“ „Los, voran jetzt! Alle bleiben zusammen! Und vergesst euer Handgepäck nicht!“ Hanke scheint erleichtert zu sein, dass bald alle im Flieger sitzen werden und niemand mehr verloren gehen oder sonst etwas anstellen kann. „Ach Mann, Hanke, wir sind doch keine Babys!“, lästert Sven, trottet aber trotzdem gehorsam hinter den anderen her. Bald haben alle ihre Plätze gefunden. Es dauert noch länger als eine halbe Stunde, bis das Flugzeug startet. Daniel bemüht sich, nicht zu oft zu den Platz neben ihm zu schauen. „Sieht toll aus, die Sonne über den Wolken. Danke, dass Sie mich am Fenster sitzen lassen“, bemerkt er beiläufig. Wagner muss unwillkürlich grinsen. Das macht er gut. Daniel benimmt sich wirklich so, als ob sie sich gerade erst begegnet wären. „Das macht mir nichts aus. Ich fliege oft.“ Wagner lächelt den Jungen auf dem Sitz neben ihm aufmunternd an. „War trotzdem nett von Ihnen!“ Daniel fängt an, sich etwas zu entspannen. Vielleicht ist das alles doch nicht so schwer. „Weißt du eigentlich, dass du da mindestens 100.000 Euro mit dir rumschleppst?“, raunt Wagner ihm fast unhörbar zu. 76
Daniel hat noch etwas auf dem Herzen. „Eben am Flughafen … haben uns da auch Ihre Leute beobachtet? Da war nämlich jemand, der sich verdächtig benommen hat.“ „Unsere Leute waren da. Aber da war auch jemand von den Schmugglern. Den haben wir auch gesehen. Aber wir wollten nicht zugreifen. Schließlich sollen die keinen Verdacht schöpfen.“ Daniel wird auf einmal wieder ganz trocken im Mund. Er schluckt. Insgeheim hofft er, dass der Flug noch lange dauert. Doch die Stunden vergehen schneller, als sie gedacht haben. Trotzdem ist es ein sehr langer Flug. Es ist spät am Abend, als eine Durchsage ankündigt, dass sie bald in Frankfurt landen werden.
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Zugriff „Und was werden die jetzt mit Daniel machen?“ Die drei Freunde sind wie verabredet bei Hubert Hanke und den anderen. „Wenn Daniel durch den Zoll ist, wird jemand versuchen, ihm die Tasche wegzunehmen“, wiederholt Wagner zum dritten Mal. „Das ist ja richtig gefährlich!“ Philip klingt ehrfürchtig. „Ich könnte das nicht.“ „Keine Angst. Da sind jede Menge Polizeibeamte in Zivil. Wir warten ja schon lange darauf, endlich einen der Kerle auf frischer Tat zu schnappen.“ „Aber meine Eltern wollen mich abholen!“ Daniel klingt sehr kleinlaut. „Sie wissen über alles Bescheid“, beruhigt ihn Wagner. „Ein bisschen Angst habe ich schon. Was muss ich noch mal genau tun?“ Wagner legt ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Einer unserer Leute wird unmittelbar in deiner Nähe sein. Sobald dir jemand die Tasche aus den Händen reißt, lass dich sofort fallen.“ „Und woher wissen die überhaupt, dass der Buddha in der Tasche und nicht im Koffer ist?“ Florian will wie immer alles ganz genau wissen. „Eine gute Frage. Ich vermute mal, dass die in dem Buddha noch einen Peilsender versteckt haben. Deshalb ha78
ben wir auch an dem Buddha nicht herumprobiert, um ihn zu öffnen.“ „Und als der Typ heute Morgen auf Daniels Kofferschild geguckt hat, wusste er vermutlich nicht, dass der Buddha nicht im Koffer, sondern in der Tasche war.“ „Vielleicht!“ „Gleich ist es soweit, Daniel!“ „Dürfen wir auch mit, bitte!“ Philips Stimme ist bittend. „Ihr bleibt hier bei eurem Chorleiter, denn jetzt wird es ernst!“ „Was soll ich tun?“ „Lass dir nichts anmerken und geh durch den Zoll, wie wir es besprochen haben!“ Daniel fühlt seine Knie kaum. Wie abgesprochen schenkt ihm keiner der Zollbeamten Beachtung. Er ist jetzt in der Ankunftshalle und fühlt sich allein wie noch nie. Aus einiger Entfernung beobachten Wagner und die anderen Polizisten das Geschehen. Daniel dreht sich nicht um, wie man ihm eingeschärft hat. Axel Wagner spricht in ein Walkie-Talkie: „Der Junge verlässt gerade die Zollabfertigung. Habt ihr ihn?“ „Keine Sorge, wir haben ihn!“, ertönt eine Stimme aus dem Gerät. „Ist unser Mann schon aufgetaucht?“, erkundigt sich Wagner. „Noch nicht! Moment, da ist …“ 79
„Da ist ein Mann neben Daniel“, flüstert Philip, der seinen Freund von der anderen Ecke der Halle beobachtet. Er bewundert Daniels Mut. Im Moment ist er sich nicht sicher, ob er sich das auch getraut hätte. „Welchen meinst du? Da sind viele!“ Florian beugt sich vor. „Na, den mit dem hellen Mantel, direkt neben Daniel.“ Ein Polizeibeamter teilt Wagner über Funk mit: „Ja. Achtung! Ein Mann in hellem Mantel nähert sich dem Jungen. Zugriff bei drei.“ Plötzlich geht alles ganz schnell. Daniel ist verwirrt, weil er nicht sicher ist, welcher der vielen Männer um ihn herum wirklich hinter dem Buddha her ist. Als er von hinten gepackt wird, ist er total erschrocken. „He, Sie! Lassen Sie mich los!“ Daniel hört Wagner von hinten brüllen: „Lass’ dich fallen!“ „Stehen bleiben! Polizei!“ Daniel hat sich inzwischen zu Boden fallen lassen. Schützend hält er seine Arme über den Kopf. Aus weiter Ferne hört er eilige Schritte und eine Stimme. „Vorsicht, der Kerl ist bewaffnet.“ Einige Reisende laufen aufgeschreckt in Deckung. Weitere Stimmen ertönen: „Lassen Sie sofort die Waffe fallen! Stehen bleiben, oder wir schießen!“ Daniel hört einen unterdrückten Schmerzschrei. Dann vernimmt er Wagners Stimme: „Wir haben ihn!“ 80
Auf der anderen Seite der Zollabfertigung reckt sich Philip aufgeregt vor. Florian zieht ihn am Ärmel und flüstert: „Wo ist Danny? Dem ist doch nichts passiert?“ „Da hinten, er steht gerade auf!“ Philip deutet in den hinteren Teil der Halle. Ein Polizist beruhigt die anderen Reisenden: „Bitte gehen Sie alle weiter. Es besteht keine Gefahr mehr!“ „Mein Bein! Was wollen Sie von mir? Ich habe nichts getan!“, stammelt der Verhaftete in gebrochenem Deutsch. „Und die Tasche haben Sie dem Jungen nicht entwendet!?“, triumphiert Wagner. „Das kann ich alles erklären!“ „Das müssen Sie auch!“ „Wow, das war spannend!“, seufzt Philip, als er auf Daniel zuläuft. „Gut gemacht, Daniel!“, lobt ihn Axel Wagner. Daniel ist die Erleichterung anzumerken. Dann fällt ihm etwas ein. „Dürfen wir dabei sein, wenn Sie die Statue öffnen? Bitte! Es ist ja schließlich auch mein Buddha!“ „In Ordnung! Ich glaube, das habt ihr verdient!“ Auch Axel Wagner ist hoch zufrieden.
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Das Geheimnis des Buddha „So, da wären wir. Jetzt wollen wir uns das gute Stück einmal ansehen.“ „Kann man die aufschrauben?“, fragt Daniel. „Oder ihr irgendwie den Kopf abdrehen?“, überlegt Philip ein. „Passt auf “, erläutert Axel Wagner. „Die hat einen besonderen Öffnungsmechanismus. Bei den Elefanten musste man zum Öffnen auf die beiden Stoßzähne drücken. Der Kollege in Sri Lanka meinte …“ Dass man hier vielleicht auf bestimmte Stellen drücken muss!“ „Stimmt, Herr Kollege aber woher weißt du das?“, wundert sich Wagner. „Die Zeichen auf dem Buddha bedeuten Buddha, Dhamma und Sangha. Das hat uns der Bhikkhu erklärt“, sprudelt es aus Florian heraus. „Aha!“ „Und das bedeutet ‚Buddha, Lehre und Gemeinschaft“, ergänzt Philip. Wagner überlegt. „Ihr meint den Bhikkhu im Kloster. Wir sind euch nämlich gefolgt.“ Die Jungen nicken. „Aber es kam ihm seltsam vor, dass es keine singhalesischen, sondern kambodschanische Buchstaben waren!“, erinnert sich Daniel. „Kambodschanische Buchstaben, wirklich merkwürdig.“ Wagner ist plötzlich äußerst interessiert. „Das gibt es wirklich nicht!“, murmelt er. „Nach unserer 82
Information hält sich ein Teil der Bande nämlich zur Zeit in Kambodscha auf.“ „Vielleicht wurde dann ja die Statue in Kambodscha hergestellt“, kombiniert Florian. „Als Florian das Gefühl hatte, dass mehrere Leute hinter ihm her waren, hatte er Recht. Das waren nicht nur wir von der Polizei und die Schmuggler, die beobachten wollten, ob er richtig im Hotel landet. Der Mann, der den Rucksack gestohlen hatte, gehörte zu einem Teil der Bande, die nicht mehr am Geschäft beteiligt war und sich übergangen fühlte.“ Die Jungen starren ihn verwirrt an. „Ich weiß, das klingt kompliziert. Aber als man nach der Geschichte mit den Holzelefanten einige Leute verhaftet hat, ist der größte Teil der Bande nach Kambodscha geflohen. Von dort haben sie versucht, den Trick mit den Buddhastatuen zu organisieren. Aber sie brauchten natürlich auch Leute hier in Sri Lanka. Das waren Männer, die in den Edelsteingruben arbeiteten und die Kopf und Kragen riskierten, wenn sie die wertvollen Steine an den Wachen vorbeischmuggelten. Einer von denen hatte Angst, dass man das Geschäft machen wollte, ohne ihn am Gewinn zu beteiligen. Deshalb wollte er die Steine zurück haben, von denen er glaubte, dass sie noch in deinem Rucksack waren.“ Dann wendet sich Wagner wieder dem Buddha zu. „Vielleicht wurden die drei Wörter auf die Statue ge83
schrieben, um die Stellen zu kennzeichnen, auf die man beim Öffnen drücken muss.“ Wagner drückt erst auf Buddha, dann auf Dhamma und schließlich auf den dritten Knopf. „Passiert nix!“, stellt Florian enttäuscht fest. „Moment!“ Philips Stimme überschlägt sich. „Was hatte der Bhikkhu gesagt? Buddha, Dhamma, Sangha sind die drei Kostbarkeiten des Glaubens, die immer zusammengehören.“ „Kostbarkeiten, die immer zusammengehören.“ Wagner nimmt die Statue noch einmal nachdenklich in die Hand. Plötzlich fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. „Nicht einzeln, alle zusammen!“ Dieses Mal drückt er gleichzeitig auf alle drei Zeichen. „Oh, da bewegt sich was!“ Florians Stimme zittert vor Aufregung. „Totaler Wahnsinn!“, entfährt es Philip. „Boah, guck mal, der Glitzerkram!“, staunt Daniel. „Das sind Edelsteine, du Nuss!“ „Rubine, Saphire, Katzenaugen, Turmaline – und die grünen da sind Aquamarine, glaube ich.“ Auch Axel Wagner ist von dem Anblick überwältigt. „Ganz schön raffiniert, alle drei Knöpfe gleichzeitig! Gut, dass ihr so gut aufgepasst habt, was euch der Bhikkhu erklärt hat.“ „Buddha, Dhamma, Sangha gehören immer zusammen.“ „Ihr seid wirklich gut informiert.“ Axel Wagner ist sichtlich beindruckt. 84
„Buddhisten sagen: ‚Ich nehme meine Zuflucht zu Buddha. Ich nehme meine Zuflucht zum Dhamma. Und ich nehme meine Zuflucht zum Sangha‘. Ohne Buddha gäbe es die Lehre nicht, und die Lehre könnte man nicht ohne Gemeinschaft leben!“ Daniel hat wirklich genau hingehört. „Ja das sind die ‚drei Kostbarkeiten des Glaubens‘“, strahlt Florian. „Kostbar sind die hier wirklich!“, muss Axel Wagner zugeben. „Hättet ihr dem Bhikkhu mehr Zeit gelassen, hätte er sicher gemerkt, wie wertvoll der Buddha ist.“
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Zum guten Schluss „Sowas habt ihr bestimmt mit eurem Chor noch nicht erlebt“, lächelt Axel Wagner, als sie sich am nächsten Tag auf der Polizeiwache melden. „Stimmt. Wir haben sogar ein Lied darüber gemacht, was richtig Cooles. Wollen Sie die Welturaufführung hören, Herr Wagner? „Da kriegt der Hanke glatt die Krise!“ triumphiert Florian. „Das geht nach der Melodie, die wir früher mal gesungen haben. He, ho, spann den Wagen an; denn der Wind treibt Regen übers Land. Hol die gold’nen Garben, hol die gold’nen Garben: Und so geht’s weiter … He, Jungs, wer hätte das gedacht! Doch der Bhikkhu hat uns auf die Spur gebracht. Buddha, Dhamma, Sangha Buddha, Dhamma, Sangha He, Jungs, der Schmuggler ist gefasst! Der sitzt nun ohne Steine jahrelang im Knast! Buddha, Dhamma, Sangha … He, Jungs, wir haben nachgedacht! Und eins, zwei, drei die Statue aufgemacht! Buddha, Dhamma, Sangha … 86
He, Jungs, selbst Hanke hat’s gerafft: was man mit Buddha, Dhamma, Sangha schafft! Buddha, Dhamma, Sangha … He, Jungs, wer hätte das gedacht … „Da habe ich noch eine Idee“, ruft Philip. Einen richtigen Buddha-Rap! der geht so: Hallo Dany, hallo Flo, alles klar, klar! Wisst ihr, wie es mit der Buddhabande war? Dany brachte nen Buddha mit nach Haus, doch der sah auf einmal ganz anders aus. Das konnten wir dann nicht verstehn, da haben wir ganz schön alt ausgesehn! Doch der Bhikkhu hat uns auf die Spur gebracht, und dann haben wir einfach weitergedacht. Ein Bhikkhu ist der mit der gelben Robe an, ein superkluger Typ, der vieles weiß und kann: nicht Buddha, nicht Dhamma, nicht Sangha allein, die drei zusammen müssen es sein! Daniel singt die zweite Strophe: Hallo Philip, hallo Flo, alles klar, klar! Wisst ihr, was unser Florian dann sah? Der Flo, der hat die Lage gecheckt, 87
und unsere Verfolger sofort entdeckt. Ja, der Bhikkhu hat uns auf die Spur gebracht, und dann haben wir einfach weitergedacht. Ein Bhikkhu ist der mit der gelben Robe an, ein superkluger Typ, der vieles weiß und kann: nicht Buddha, nicht Dhamma, nicht Sangha allein, die drei zusammen müssen es sein. Florian ist schon richtig außer Atem, als er mit der dritten Strophe beginnt. Hallo Philip, hallo Dany, alles klar, klar! Wisst ihr, was dann in Frankfurt geschah? Der Wagner hat ganz schnell den Schmuggler gefasst. Der sitzt ohne seine Steine nun jahrelang im Knast. Und Hanke hätte voll die Krise bekommen, hätte er diese Story schon vorher vernommen! Ja, der Bhikkhu hat uns auf die Spur gebracht, und dann haben wir einfach weitergedacht. Ein Bhikkhu ist der mit der gelben Robe an, ein superkluger Typ, der vieles weiß und kann: nicht Buddha, nicht Dhamma, nicht Sangha allein, die drei zusammen müssen es sein! Zusammen schmettern sie die letzte Strophe: Hallo Jungs, alles klar, klar! Wisst ihr, was beim Öffnen der Statue geschah? 88
Der Buddha, der wies uns dann darauf hin, das Wertvolle daran sind die Steine darin. Aller guten Dinge sind bekanntlich drei, Buddha, Dhamma, Sangha sind immer dabei! Ja, der Bhikkhu hat uns auf die Spur gebracht, und dann haben wir einfach weitergedacht. Ein Bhikkhu ist der mit der gelben Robe an, ein superkluger Typ, der vieles weiß und kann: nicht Buddha, nicht Dhamma, nicht Sangha allein, die drei zusammen müssen es sein! He Jungs, alles klar, klar!
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Kleines Lexikon zum Buddhismus Ashoka Ashoka (Regierungszeit 268-232) war ein Herrscher der indischen Dynastie der Maurya. Nach seinem Glaubensübertritt zum Buddhismus regierte er im Einklang mit der Lehre Buddhas. In seinen berühmten Säulenedikten forderte er Rücksicht gegenüber allen Lebewesen, Freundlichkeit, Wahrheitsliebe und Toleranz. Ashoka sprach ein absolutes Tötungsverbot aus und untersagte Tieropfer. Bhikkhu (Pali: „Bettler“.) Buddhistischer Mönch, männliches Mitglied einer Mönchsgemeinde (Sangha). Nonnen nennt man Bhikkhuni. Bodhi (Sanskrit: „Erwachen, Erleuchtung“.) In der „Nacht der Erleuchtung“ erkannte Siddharta Gautama die vier edlen Wahrheiten und wurde dadurch zum Buddha („Erwachter, Erleuchteter“.) Der Baum, unter dem er saß, heißt seitdem Bodhi-Baum. Buddha Buddha (Sanskrit: „Erwachter, Erleuchteter“) ist ein Ehrentitel. Der Buddha lebte vor ungefähr 2500 Jahren im heutigen Nepal nördlich von Indien. Eigentlich hieß er Siddharta Gautama und wurde als Sohn eines Oberhauptes einer kleinen Adelsrepublik der Shakyas geboren. Vor seiner Geburt lebte der zukünftige Buddha im Tushita-Himmel. Dort beschloss er, als kleiner weißer Elefant aus dem Leib seiner Mutter Maja auf die Erde herabzusteigen. Der Elefant ist in Indien ein Sinnbild für Würde und Weisheit. 90
Bei der Geburt soll ein weiser Brahmane Siddhartas Vater vorausgesagt haben, dass sein Sohn einst Herrscher über ein großes Friedensreich bis zur Weltmeergrenze sein würde. Siddhartas Vater wollte ihn sorglos aufwachsen lassen, alles Übel von ihm fernhalten. Doch eines Tages geschah der Überlieferung nach folgendes: Siddharta unternahm drei Ausfahrten mit seinem Wagenlenker. Dabei sah er einen abgemagerten Greis, einen Schwerkranken und einen Leichnam. Als er seinen Wagenlenker fragte, was es mit diesen drei Gestalten auf sich habe, antwortete dieser: Niemand kann vor Alter, Krankheit und Tod fliehen. Siddharta erkannte, dass nicht nur Alter, Krankheit und Tod Leid bedeuten. Auch junge und gesunde Menschen „leiden“, weil alles auf der Welt vergänglich ist, Gewalt und Gier die Welt beherrschen. Auf seiner vierten Ausfahrt traf Siddharta einen friedfertigen Wandermönch, der freundlich zu jedermann war. Dieser Mönch imponierte Siddharta sehr. Er verließ deshalb sein Elternhaus und wurde selber Wandermönch. Nach langen Entbehrungen wurde ihm unter dem Bodhi-Baum die Erleuchtung zuteil, wie man das Leiden beenden kann: durch die Erkenntnis der „vier edlen Wahrheiten“ und durch das Beschreiten des edlen achtfachen Pfades. So wurde aus Siddharta Gautama der Buddha, der Erleuchtete. Dhamma (Pali: „das, was zusammenhält“.) Dhamma ist die alte Lehre, die es schon vor Siddharta Gautama Buddha gab und die Buddha wieder neu entdeckte. Diese Lehre besteht darin, die vier edlen Wahrheiten zu erkennen. Dazu braucht man den edlen achtfachen Pfad. Dukkha (Pali: „Leiden“.) „Leiden“ ist nicht nur körperlich-seelischer Schmerz, vielmehr die Erfahrung, dass das Leben vergäng91
lich ist, von Alter, Krankheit und Tod bedroht wird. Die Menschen werden immer wieder neu geboren, wandern von einem Leben zum anderen. Sie können sich nicht aus dieser Situation befreien, bevor sie nicht gelernt haben, auf Hass und Gier zu verzichten. Karma (Sanskrit: „Tat, Wirken“.) Das, was ein Mensch tut, bestimmt nicht nur sein gegenwärtiges, sondern auch sein nächstes Leben. Gutes Karma führt zu einer besseren Wiedergeburt, schlechtes Karma zu einer schlechteren Wiedergeburt. Gutes Karma ist die Befolgung der fünf Sila-Gebote, die Vermeidung von Hass und Gier, weil diese die Menschen zu schlechten Taten verleiten. Mahayana (Sanskrit: „großes Fahrzeug“.) Mahayana nennt man den nördlichen Buddhismus, der heute in Nepal, China, Korea, Tibet, Mongolei und Japan verbreitet ist. Der MahayanaBuddhismus unterscheidet sich in einigen Lehren von dem ursprünglichen Buddhismus, der heute als Theravada-Buddhismus weiterlebt Metta (Sanskrit: „Güte, Liebe“.) Metta ist eine allumfassende Liebe zu Mensch und Tier, ja sogar Pflanzen. Es ist eine Haltung, durch die Güte entstehen, Hass besiegt werden soll. Metta Sutta Das Metta Sutta ist eine Lehrrede Siddharta Gautama Buddhas. Sie zielt darauf, den eigenen Geist von Übelwollen und Böswilligkeit zu befreien. Dabei versucht man, freundlich zu sich selbst, dann zu anderen Menschen und Tieren zu sein. 92
Schritt für Schritt übt man, sich auch gütig zu Menschen zu verhalten, die einem nichts bedeuten, ja sogar zu denen, die einem Böses zufügen. Nirwana (Sanskrit: „Nicht-Wehen“.) Buddhisten haben ein großes Ziel: Sie wollen irgendwann einmal nicht mehr wiedergeboren werden und in das Nirwana gelangen. Dort ist alles ganz anders als auf der Erde, dort gibt es kein „Leiden“. Nirwana ist also das Ende des Leidens. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Buddhisten den edlen achtfachen Pfad beschreiten. Der sagt ihnen, wie sie sich im Leben richtig verhalten und Buddhas Lehre richtig erkennen können. Ein wichtiger Teil sind die fünf Sila-Gebote für alle Buddhisten sowie die fünf Zusatzregeln für Mönche. Pali Indischer Dialekt, der aus dem Sanskrit entstanden ist. Auf Pali wurden die wichtigsten heiligen Schriften der Buddhisten geschrieben. Edler achtfacher Pfad 1. Richtiges Verstehen der vier edlen Wahrheiten 2. Richtiges Denken, die eigenen Gedanken von Hass, Gier und Übelwollen befreien Diese beiden Teile des Pfades gehören zur Weisheit. 3. Richtiges Reden 4. Richtiges Handeln 5. Richtiges Leben Diese drei Teile gehören zum richtigen Verhalten. Das bedeutet, dass man die fünf Sila-Gebote einhalten muss. 6. Richtiges Streben 7. Richtiges Gedenken 8. Richtiges Sich-versenken 93
Diese Teile des Pfades gehören zur Meditation, zum Nachdenken über die vier edlen Wahrheiten und den Weg, nicht mehr wiedergeboren zu werden. Am Ende steht Nirwana als höchstes Ziel. Puja (Sanskrit: „Verehrung“.) Eine Puja ist eine kultische Handlung, eine religiöse Feier, bei der Buddha verehrt wird. Dabei werden heilige Texte gesprochen. Samanera (Pali: „Entsagender“.) Im Buddhismus dürfen nur Männer ab 20 Jahren Mönch werden. Wer jünger ist und schon nach der Lehre Buddhas leben will, wird als Samanera in das Kloster aufgenommen. Samsara (Sanskrit/Pali: „ständiges Wandern“.) Gemeint ist das Wandern durch viele Leben. Dieser Kreislauf wird durch das Karma, die Taten der Menschen, in Gang gehalten. Irgendwann möchte sich jeder aus diesem Kreislauf befreien und nicht mehr wiedergeboren werden Das kann er schaffen, wenn er den „edlen achtfachen Pfad“ beschreitet und das Nirwana erreicht. Sangha (Sanskrit: „Versammlung“.) So bezeichnet man die buddhistische Gemeinde. Es gibt einen Sangha für Mönche und einen für Laien, das heißt für alle Buddhisten, die nicht ihr ganzes Leben im Kloster verbringen. Mönche und Laien müssen verschiedene Gebote (Silas) befolgen. Sanskrit Sanskrit ist eine altindische Sprache, die wie unser Latein heute nicht mehr gesprochen wird. Die meisten heiligen Schriften der Hindus wurden auf Sanskrit geschrieben. 94
Sila (Sanskrit: „Übungsregel“). Die fünf Sila-Gebote für alle Menschen lauten: 1. Ich will keine Lebewesen töten. 2. Ich will nicht nehmen, was mir nicht gegeben wurde. 3. Ich will nichts Unsittliches tun. 4. Ich will nicht lügen. 5. Ich will keine Drogen nehmen. Mönche müssen noch fünf weitere Gebote achten: 6. Ich will nicht zu unerlaubter Zeit essen. 7. Ich will mich nicht an Tanz, Musik und Schauspiel erfreuen. 8. Ich will keinen Schmuck und wohlriechende Kosmetika benutzen. 9. Ich will nicht in einem hohen und breiten Bett schlafen. 10. Ich will kein Gold und Silber annehmen. Theravada-Buddhismus (Pali: „Schule der Ältesten“). Theravada meint den Buddhismus, wie er heute in Sri Lanka, Thailand, Burma, Laos und Kambodscha vertreten ist. Vajrayana (Sanskrit: „Diamantfahrzeug“), Name des Buddhismus, wie er in Tibet vertreten ist. Sein Oberhaupt ist der Dalai Lama. Vier edle Wahrheiten 1. Das Leben ist nicht immer glücklich. Es besteht aus Leiden. Geburt ist Leiden. Alter ist Leiden. Krankheit ist Leiden. Tod ist Leiden. Man leidet, wenn man von denen, die man liebt, getrennt ist. Man leidet auch, wenn man mit Menschen, die man nicht mag, zusammen sein muss. 95
2. Wie entsteht das Leiden? Es entsteht dadurch, dass die Menschen sich gegenseitig hassen und töten, weil sie gierig sind und immer mehr haben wollen: mehr Geld, mehr Ansehen, mehr Ruhm. Diese Gier hindert sie daran, das Richtige zu tun, die richtige Einsicht zu haben und schließlich das Nirwana zu erreichen. 3. Das Leiden kann beendet werden, wenn man Gier und Hass unterdrückt. 4. Der Weg, der dazu führt, das Leiden zu beenden, ist der edle achtfache Pfad. Wesak-Fest Wesak ist der höchste, dreifach heilige buddhistische Feiertag. Denn Buddhisten gedenken im Monat Wesak, der unserem Mai entspricht, der Geburt Buddhas, seiner Erleuchtung und seinem Sterben gleichbedeutend mit seinem Eingehen ins Nirwana. Wesak ist ein Lichter- und Fahnenfest, das von Pujas und Prozessionen begleitet wird. Häuser und Straßen sind festlich geschmückt. Niemand darf an diesem Tag lebende Wesen töten. Wiedergeburt Buddhisten und Hindus glauben an die Wiedergeburt in mehreren weiteren Leben. Die Form, in der ein Mensch wiedergeboren wird, zum Beispiel als besserer Mensch bzw. als Tier, richtet sich nach seinem Karma – also danach, ob er in seinem Leben nach den Geboten Buddhas (Fünf Silas) lebt. Auch richtige Erkenntnis und Einsicht beeinflussen die nächste Wiedergeburt.
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