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German Pages 49 Year 1971
DES BUNDESINSTITUTS FÜR OSTWISSENSCHAFTLICHE UND INTERNATIONALE STUDIEN DER UND
SOWJETISCH-CHINESISCHE
DISPUT
DIE ANNÄtJERUNG- PEKING-WASHINGTON IM
2i HALBJAHR i.9?l
Erik von G r o e l i m g
KÖLN LINDENBORNSTRASSE 22
INHALT
Seite
1) Die Eskalation der Polemik.
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2) Diplomatisch-politische Aktivitäten der Sowjetführung..
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3) Die Sowjetunion^ China und die UNO
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- Februar 1972 -
Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FÜR OSTWISSENSCHAFTLICHE U N D INTERNATIONALE STUDIEN herausgegebenen Berichten geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassung des Autors wieder. Abdruck - auch auszugsweise - nur mit Quellenangabe und vorheriger Genehmigung des Bundesinstituts gestattet.
Die anfängliche Nervosität der Sowjetführung; die insbesondere in den ersten beiden Wochen nach der Ankündigung des Nixon-Besuchs in Peking (Mitte Juli 1971) spürbar wurde, war bald überwunden und machte konkreten Gegenzügen Platz. Parallel zur Veröffentlichung einer Serie von harten Attacken auf die chinesische Partei- und Staatsführung, auf ihren innen- und außenpolitischen Kurs sowie auf deren These vom "Monopol der zwei Supermächte" unternahm die Sowjetführung Anfang August 1971 auf der Krim den Versuch, die Partei- und Staatsspitzen der engeren osteuropäischen Gefolgsstaaten auf einen gemeinsamen Kurs gegenüber Peking festzulegen. Die offenbar noch weitergehende sowjetische Absicht, die Mongolische Volksrepublik in das Militärbündnis des Warschauer Pakts miteinzübeziehen, scheint jedoch erneut gescheitert zu sein.
Ein zweiter sowjetischer Gegenzug richtete sich gegen die mehr oder weniger unabhängige Positionsbestimmung der Rumänen und Jugoslawen. Während Moskau im Juli und August versuchte, die beiden außenpolitischen Dissidenten unter Druck zu setzen, um sie wieder auf einen linientreuen Kurs zu bringen (Moskau scheute sich dabei nicht, eine Atmosphäre herzustellen, die der vor dem Einmarsch in die.CSSR ähnelte), stellte sich alsbald heraus, daß die angewandten Mittel untauglich waren. Die Disziplinierungsbemühungen kontrastierten u.a. mit Moskaus Politik gegenüber den Westmächten und Westeuropa, und so sah sich der Kreml alsbald zum Einlenken gezwungen. Eine massive Störung in Osteuropa und auf dem Balkan hätte durchaus negative Konsequenzen sowohl für den deutsch-sowjetischen Dialog als auch für die von Moskau gewünschte Sicherheitskonferenz für Europa haben können. Es lag daher im nationalen sowjetischen Interesse, die Kontroverse mit Bukarest und Belgrad vorläufig auf Eis zu legen.
Eine dritte Stoßrichtung der sowjetischen Politik hatte sich im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des sowjetisch-indischen Vertrags Anfang August gezeigt. In Weiterverfolgung der bisher fehlgeschlagenen sowjetischen Bemühungen um das Zustandekommen eines gegen China *)dpa
30.8.1971
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gerichteten Systems kollektiver Sicherheit für Asien wurde mit Indien am 9.8.1971 jener Vertrag abgeschlossen, der eine besondere Bedeutung durch seine Modell-, Sperriegel- und Neutralisierungsfunktion erhält.
Nach Abschluß des Vertrags zeigten die Sowjets bald auch verstärktes Interesse an anderen asiatischen Staaten, insbesondere an Japan und NordVietnam.
1. Die Eskalation der Polemik
Vor diesem Hintergrund hielt die sowjetische Führung weiterhin konsequent an ihrem Kurs harter anti-maoistischer Polemik fest. Dazu erschien am 27. August in der "Komsomolskaja Prawda" ein Artikel von G. Jerochin, der unter dem Titel "Kritik an Mao Tse-tungs theoretischen Konzeptionen" die Reihe der gezielten anti-chinesischen Rezensionen fortsetzte. Das unter dem obigen Titel erschiene Buch wurde als "gemeinsame wissenschaftliche Untersuchung von Angehörigen des Instituts für Philosophie und des Fernostinstituts der Akademie der Wissenschaften der UdSSR" vorgestellt. Wie der Rezension zu entnehmen ist, versuchen Mao und seine Anhänger, die Lehre des MarxismusLeninismus über die Revolution^, den Staat, die Diktatur des Proletariats, den Krieg, den Frieden und die friedliche Koexistenz zwischen unterschiedlichen politischen Systemen zu "entstellen". In diesem Buch werde "überzeugend dargelegt", daß der Maoismus mit dem Marxismus nichts gemein habe, ja sogar "in diametralem Gegensatz" zu ihm stehe. An die Stelle des Historischen Materialismus hätten die Maoisten "alle möglichen subjektivistischen und idealistischen Konzepzionen" gesetzt, wobei sie behaupteten,daß "Wille und Gewalt" die entscheidenden Faktoren der gesellschaftlichen Entwicklung darstellen. Auf die gegenwärtige Situation in der VR China eingehend schreibt Jerochin, Mao und seine Anhänger führten heftige Angriffe gegen das marxistische Modell der sozialistischen Gesellschaft und seien bestrebt, einen "reaktionär-utopischen Kasemenhof-Sozialismus" an seine Stelle zu setzen. Dies zutiefst bedauernd, steigert sich Jerochin zu einer für die heutige Sowjetpresse besonders charakteristischen Attacken
"Pekings Führer, für die Kasernen ein Ideal sind, brauchen keine normal funktionierenden demokratischen Organe und keine sozialistische Gesetzlichkeit. Auch braucht die von den Maoisten aufgebaute Gesellschaft keine denkenden, intelligenten und gebildeten Menschen."
Ohne nun vergleichsweise auf die Politik der KPdSU gegenüber ihrer eigenen kritischen Intelligenz näher einzugehen, konstatiert Jerochin schlicht, daß die "Ideologie des Großmachtchauvinismus" den nationalen Interessen Chinas und dem chinesischen Volke großen Schaden zufüge. Wenn der Maoismus auch eine Gefahr für das Schicksal des Sozialismus in China und für die gesamte revolutionäre Bewegung in der Welt darstelle, so schlußfolgert Jerochin mit unbegründetem Optimismus, zeige das in dem Buch enthaltene Material doch überzeugend "die historische Hoffnungslo2 sigkeit der Konzeption Mao Tse-tungs".
Am gleichen Tage griff die "Prawda" die "sogenannte Doktrin von der begrenzten Souveränität" und die These von den "zwei Supermächten" als Bestandteile des chinesischen Propagandavokabulars an.Der außenpolitische Kommentator der Parteizeitung, W. Korinow, bezeichnete beide Thesen als "Verleumdungen feindlicher Propaganda" und erklärte, daß ihre Urheber das Ziel im Auge hätten, die Festigung der Einheit der kommunistischen Weltbewegung zu verhindern. Schließlich enthüllte der Verfasser auch die Identität dieser "Urheber"g
"Indem die Pekinger Führer demagogischerweise die These von den 'zwei Supermächten' aufgreifen, lassen sie sich 3 von blindem Antisowjetismus leiten".
Gleichzeitig setzte sich die Regierungszeitung "Iswestija" polemisch mit dem außenpolitischen Kurs Washingtons auseinander, von dem sie behauptete, er befinde sich "in einer Sackgasse". Diejenigen, die meinten, man könne diese oder jene außenpolitische Kombination (z.B. mit Peking) zu irgendeinem Druck auf die UdSSR ausnutzen, würden bitter getäuscht. Sie erwartete, so hieß es abschließend, auf diesem Wege ein unausbleibliches Fiasko.
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Damit war allerdings wieder für einige Zeit die Politik Washingtons ausreichend analysiert. Kritik an der maoistischen Politik blieb zentrales Thema in den Massenmedien der UdSSR.
So zitierte "Radio Moskau" am 30. August aus einem Aufsatz des Wirtschaftsverlages der Hauptstadt, in dem die maoistische Wirtschaftspolitik als "anti-wissenschaftlich" abqualifiziert wurde. Wie aus dem Kommentar weiter zu entnehmen war, stört es die Sowjets in besonderem Maße, daß das "militärbürokratische Regime" (in China) im Begriff sei, die Entwicklung der Produktion dem "Hegemonialstreben" unterzuordnen, die Entwicklung der "Kriegsproduktion" zu beschleunigen und das gesamte Wirtschaftsleben des Landes zu militarisieren.
Tags darauf nahm sich "Radio Frieden und Fortschritt" eines anderen Aspekts der chinesischen Politik an. Unter dem vielsagenden Titel "Egoistische Interessen Pekings in Afrika" hieß es, immer häufiger werde in den afrikanischen Ländern Unzufriedenheit über die "berüchtigte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der VR China" zum Ausdruck gebracht. Man könne wohl sagen, daß diese Länder allen Grund zur Klage hätten. Die meisten der von den Chinesen errichteten Betriebe hätten die laut Plan vorgesehenen Leistungen nicht erbracht, sie arbeiteten lediglich einen Teil des Jahres, benötigten häufig Reparaturen und lieferten Produkte von schlechter Qualität. Die Qualifikation der chinesischen Spezialisten sei absolut "ungenügend" und das chinesische Material sei "schlecht". In der üblichen Weise stellt der namentlich nicht genannte Autor nun fest, daß man daraus ganz klar den Willen Pekings erkennen könne, die Länder Afrikas in wirtschaftliche Abhängigkeit zu bringen. Peking wolle aber im Grunde nur seine eigenen schlechten Produkte loswerden. So kommt denn der Autor zwangsläufig zu der erwarteten Schlußfolgerung, daß "alle lautstarken Erklärungen der Pekinger Propaganda über die 'uneigennützige Kooperation' der VR China mit Afrika nichts anderes als pure Heuchelei" seien.
Am 3" September trat die Sowjetführung erneut mit einem Grundsatzartikel zum sowjetisch-chinesischen Verhältnis in die Öffentlichkeit, der wie schon des öfteren von 1. Alexandrow gezeichnet war. Hinter
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diesem Pseudonym verbirgt sich die außenpolitische Auffassung des Politbüros der KPdSU. Unter dem Titel "Die Parolen und Taten der chinesischen Führung" versuchte "Alexandrow" erneut, den Führungsgruppen der Gefolgsstaaten die Notwendigkeit eines einheitlichen anti-chinesischen Kurses zu beweisens
"Die Kommunisten sehen sich vor die Aufgabe gestellt, ihre politische Wachsamkeit gegenüber der feindlichen Ideologie des Maoismus und seiner subversiven Praxis bis zum äußersten zu erhöhen. Sie sehen sich femer vor die Aufgabe gestellt, das wirkliche Wesen der maoistischen Ideologie weiterhin gründlich zu entlarven."
Dies war eine klare Aufforderung an alle osteuropäischen Führungsgruppen, die sowjetische Propagandamunition aufzunehmen und in einem konzertierten Trommelfeuer eigene Presseangriffe gegen die Maoisten zu richten. Wer sich dieser Aufforderung widersetzte - deutete "Alexandrow" an, könne nicht als "Kommunist" angesehen werden.
Gegenläufige Ansichten werden von "Alexandrow" sogleich mit dem Argument vom Tisch gewischt, daß die Pekinger Führung keineswegs von ihrem alten Kurs abgekommen sei, sondern sich lediglich "raffinierterer Methoden" bediene, in der Absicht, das chinesische Volk zu täuschen und die internationalen revolutionären Befreiungskräfte zu verwirren. Denn weder in ihren Erklärungen, noch in ihrem praktischen Handlungen habe die Pekinger Führung auf ein einziges Element "ihrer besonderen, mit dem Leninismus nicht zu vereinbarenden ideologisch-politischen Plattform" verzichtete.
"Alexandrow" beklagte im einzelnen, daß Peking sich noch immer gegen die Einberufung von Konferenzen für kollektive Sicherheit in Europa und Asien (sie!) sowie gegen die Verträge der UdSSR und Polens mit der Bundesrepublik stemme. Sie übertrage die Atmosphäre einer "Militärpsychose" auf Albanien, in der Hoffnung, mit solchen Methoden Spannungen auf dem Balkan zu schaffen. Peking spreche sich auch gegen "konkrete" Schritte aus, die auf die Erreichung von Abkommen über Fragen der Abrüstung und
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des Verbots von Kernwaffen gerichtet sind. Last not least kritisierte "Alexandrow" die chinesische Ankündigung, Peking werde auch weiterhin "einen unversöhnlichen Kampf" gegen die marxistisch-leninistischen (soll heißeng sowjetfreundlichen) Parteien führen.
Daß die Politik Pekings unverhüllt gegen alle sowjetischen Hegemoniebestrebungen gerichtet ist und deshalb vom Kreml als besonders unangenehm empfunden wird, geht aus folgendem Passus hervors
"Aus der Politik der chinesischen Führung gegen die sozialistischen Länder läßt sieh deutlich der Wunsch erkennen, der mit den Machenschaften der imperialistischen Reaktionäre zusammenfäilty nämlich die sozialistischen Länder gegeneinander auszuspielen, sie in Gegensatz zueinander zu bringen und die Durchführung eines einzigen politischen Kurses der Bruderländer in der internationalen Arena zu verhindern "
Konsequenterweise griff "Alexandrow" nach dieser Abwehrbehauptung die Gegenthese Pekings auf und attackierte die Formel von den "zwei Supermächten" als "Akt des Klassenverrats". Als besonders schändlich prangerte er den chinesischen Versuch an, damit die Bedeutung der Konfrontation der beiden Weltsysteme zu bagatellisieren und selbst den wirklichen Kampf gegen den Imperialismus zu "umgehen".
Als nächstes nahm der Autor das sowjetisch-chinesische Verhältnis aufs K o m und bezeichnete die "mythische Gefahr für China aus dem Norden" als nicht existent. Voller Hohn erklärte er in diesem Zusammenhang wörtlichg
"Es ist wohlbekannt, daß die Sowjetunion niemals irgendwelche territorialen Forderungen gegenüber China erhoben hat." Dieser Satz zeigt recht anschaulich das auf dem Gefühl militärischer Überlegenheit beruhende Selbstverständnis der Sowjetführung. Immerhin haben die russischen Zaren ihren Bedarf an territorialem Zugewinn im
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19- Jahrhundert ausgiebig auf Kosten des kaiserlichen China gedeckt. "Alexandrow" hält es daher nicht einmal für nötig, auf das einzige sox) wjetische Feigenblatt - die Erste Karachan-Erklärung - hinzuweisen. Stattdessen wiederholt er das nun schon überstrapazierte Argument, die Sowjetunion wünsche verbesserte Beziehungen zur VR China. Im gleichen Moment beklagt er jedoch (und darin muß man dann wohl die sowjetischen Vorbedingungen für eine Verbesserung der Beziehungen zu China sehen), daß Peking seine Annäherung an Washington mit "fortgesetzter Hetze" gegen Moskau verbinde. Ein gewisses Maß an sowjetischer Unsicherheit spiegelt auch ein polemischer Vorwurf, den "Alexandrow" gegen China richtete
"Die Öffentlichkeit zahlreicher Länder, die die Grundsatzlosigkeit und den nationalistischen Pragmatismus der chinesischen Führung erkennt, stellt sich die Frage, ob nicht hinter den Kulissen in Peking und Washington ein Schlag gegen den Sozialismus, ein Schlag auf Kosten der Interessen der für nationale Unabhängigkeit und Freiheit kämpfenden Völker vorbereitet wird."
Damit hatte die Kremlführung einen weiteren Versuch unternommen, ihre GefolgsStaaten auf einen einheitlichen Kurs und eine einheitliche Sprachregelung festzulegen. Gleichzeitig legte sie noch vor dem Podgomy-Besuch in Hanoi, den Nordvietnamesen zum wiederholten Male nahe, die dargebotene sowjetische Freundeshand doch endlich herzhaft zu ergreifen.
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Der Stellvertretende Vorsitzende des sowjetischen Kommissariats für Auswärtige Angelegenheiten (Narkomindel), Lew Karachan, hatte in einer Erklärung vom 25-7.1919, um revolutionäre und anti-imperialistische Kräfte in China (Bewegung des 4. Mai 1919) zu bestärken, der chinesischen Zentralregierung mitgeteilt, daß die Sowjetregierung alle zwischen China und den zaristischen Regierungen geschlossenen Verträge als null und nichtig betrachte und daher dem chinesichen Volke, ohne Kompensationen, die Ostchinesische Eisenbahn sowie alle ihm von den Zarenregierungen abgepreßten Sonderrechte zurückgeben wolle. Vgl. d. vollständigen Text der Karachan-Erklärung in: "China Yearbook" (1924-25), Tientsin 1924, p. 868-70. Zur Analyse siehe u.a.: Jürgen Domes, "Vertagte Revolution", Berlin 1969, p. 68 f.
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"Alexandrow" kam schließlich zu dem Fazits
"Die Konzeptionen der chinesischen Führung und ihre Aktionen basierten und basieren auf der anti-marxistischen und anti-leninistischen Ideologie des Maoismus. Der Maoismus hat keinen konstruktiven Inhalt. Umso gefährlicher ist der Wunsch der Pekinger Führung nach Hegemonie in der kommunistischen Weltbewegung und nach Führung in der Dritten Welt."
Diesen Grundsatzartikel "Alexandrews^ würde man mißverstehen, interpretierte man ihn lediglich als eine Zusammenfassung der bisherigen Diskussionsbeiträge über die Politik der chinesischen Führung. Besonders auffallend an dem "Alexandrow-^-Artikel ist die Intensität der an andere gerichteten Forderungen. Dabei werden fünf Gruppen angesprocheng 1) Die Gefolgsstaaten der UdSSR seilen auf einen einheitlichen Kurs gegen China, auf eine einheitliche Argumentation und zu einer uniformen Sprachregelung verpflichtet werden. Dabei hat es den Anschein^ als gehe es nicht nur um taktische Überlegungen, sondern auch darum, für einen neuen Versuch zur Exkommunizierung der Maoisten potentielle Verbündete zu gewinneno 2) In diese Richtung zielt auch der Versuch, künftig einen "Kommunisten" auf Grund seiner Einstellung gegenüber Peking zu beurteilen. Nur eine nach sowjetischer Argumentaticnsvorlage eindeutig gegen die Maoisten gerichtete Position könnte als positives Kriterium gewertet werden. 3) An Peking wird das Angebot gerichtet, die zwischenstaatlichen Beziehungen zu verbessern. Dafür hat die Kremlführung jedoch einen umfangreichen Katalog von Vorbedingungen ausgearbeitet. Er enthält die folgenden Punkteg China muß aufhören, - territoriale Forderungen am die UdSSR zu richten; - sich um Einfluß in der kemrmnistischen Weltbewegung im allgemeinen, im Ostblock in besonderen zu bemüheng, - gegenüber dem augenblicklichen sowjetischen Interessen- und Zielkatalog (z.B. Sicherheitskonferenzen, Verträge mit Bonn, BalkanFrage, Verhandlungen über Abrüstung nach sowjetischen Vorstellungen) eine kritische Haltung einzunehmen^
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- die These von den 'zwei Supermächten' zu propagieren; - anti-sowjetische Kontakte mit Washington zu pflegen; - die allgemeine ideologisch-politische Polemik gegen Moskau fortzusetzen; - sich um Führung in der Dritten Welt zu bemühen.
Erst wenn Peking sich diesen Forderungen beugt, wäre in sowjetischer Sicht eine Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen denkbar. Dies kann natürlich nur als sowjetische Maximalerwartung angesehen werden, denn Moskau wäre im Grunde froh, wenn man auf Kosten einiger der hier aufgeführten "Essentials" zu einem normalisierten Verhältnis gelangen könnte.
Aus dem Katalog ergeben sich auch zwangsläufig die beiden restlichen Gruppen der Angesprochenem 4) Die USA, die von Moskau verwarnt werden, sich auf kein anti-sowjetisches Bündnis mit den Chinesen einzulassen. 5) Die Länder der Dritten Welt, von denen Moskau verlangt, sich jeder Fratemisierung mit Peking zu enthalten.
Nach der Veröffentlichung des Grundsatzartikels vom 3" September lief dann auch sogleich eine ganze Welle anti-chinesischer Beiträge durch die sowjetischen Massenmedien. So ergänzte das Gewerkschaftsorgan "Trud" das China-Bild der Russen um eine weitere Facette. Unter dem Titel "Die Maoisten haben die Beteiligung der chinesischen Arbeiterklasse an der Regierung des Landes auf Null reduziert" polemisierten die Autoren J. Michailow und E. Schirokowa gegen den "Militärkurs" in China und hoben hervor, daß die Lebens- und Arbeitsbedingungen der chinesischen Werktätigen "sehr schwer" seien. Überall spiele, so setzten sie erläuternd hinzu, die Armee die entscheidende Rolle. Empört vermerkten die Autoren, daß die Gewerkschaften zu "konterrevolutionären Organen" erklärt und aufgelöst worden seien. An ihre Stelle seien dann sogenannte
'Konferenzen von Arbeitervertretem'
gerückt,
die "von Militärs befehligt" wurden. Deren Aufgabe bestehe wiederum vor allem darin, die Ideen Mao Tse-tungs zu propagieren und in die Praxis umzusetzen.
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Dieses Bild wurde schließlich durch das Pauschalurteil ergänzt, in Maos Reich seien die Arbeiter "rechtlos". Die Grundlöhne seien niedrig und Überstunden würden nicht bezahlt. Vor allem mit den zwei letzten Feststellungen irrten die Autoren. Offenbar waren sie über die Entwicklung in der VR China seit Anfang 1971 überhaupt nicht mehr informiert. Im übrigen meinten Michailow und Schirokowa, den Grund für dieses Verhalten (zu dem es in der Geschichte des Sowjetstaates so manche interesante Parallele gibt) darin sehen zu müssen, daß es der Pekinger Führung vor allem darum gehe, ihr Militärpotential zu verstärken. Als Mittel dazu benutzt Peking nach ihrer Meinung die "Ideologie des Antisowjetismus" und des "Nationalismus", wobei man sich chinesischerseits immer mehr politisch und wirtschaftlich an die kapitalistische Welt binde.
Auch Pekings Außenpolitik kam nicht ungeschoren davon. So erfuhren sowjetische Hörer am 3* September von dem "Radio-Moskau"-Kommentator Kiritschenko, daß Peking jetzt "eine Chance für seine globalen chauvinistischen und hegemonistischen Großmachtbestrebungen" wittere. Schonungslos demaskierte er Pekings "intensive Bearbeitung des ganzen Volkes im Geiste der nationalen Feindschaft und des Hasses gegen die UdSSR". Ganze Generationen chinesischer Bürger, so entsetzte sich Kiritschenke, sollten "eine anti-sowjetische Erziehung" erleiden. Im einzelnen rechnete er den Chinesen ihr Wirken gegen die "gemeinsame anti-imperialistische Front", ihr "protektionistisches" Verhalten in den Tagen der israelischen Aggression gegen die arabischen Länder" und ihre "prinzipienlose Haltung gegenüber dem schmutzigen Krieg der USA in Vietnam, Laos und Kambodscha" vor.
Mit Blick auf Nixons Verhandlungsprogramm in Peking, auf die erhofften Ergebnisse der Podgorny-Visite in Hanoi und die sowjetischen Initiativen zugunsten einer asiatischen Sicherheitskonferenz erklärte Kiritschenko, die Einladung an Nixon "in einer Zeit ununterbrochener Aggressionsakte des US-Imperialismus gegen die Länder Indochinas" sei ein weiterer Beweis dafür, daß man in Peking schon lange bereit sei, sich auf die Erzielung annehmbarer Abkommen mit Washington "hinter dem
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Rücken und auf Kosten der Völker dieses Raumes" einzulassen. Dies habe objektiv zu einer Lage geführt, in der die "aggressivsten Kreise des Imperialismus und die chinesischen Politiker zwei Kräfte sind, die gegen jedweden friedliebenden außenpolitischen Schritt und die sowjetischen Initiativen auftreten und mit allen Mitteln versuchen, der internationalen Entspannung entgegenzutreten".
Nach Anprangerung dieser angeblichen Verschwörung gegen die friedliebende Sowjetunion hatte Kiritschenko noch eine Schlußpointe paratg
"Ultra-Revolutionarismus in Worten und Verrat an den KLasseninteressen der Werktätigen in der Praxis, das ist das wirkliQ
che Wesen des Maoismus in den internationalen Beziehungen." Nach diesen zahlreichen anti-chinesischen Anwürfen gönnte man sich in Moskau eine kurze Verschnaufpause, die dazu benutzt wurde, einmal zu überprüfen, wie die Presse der Gefolgsstaaten auf das Trommelfeuer reagiert hatte. Anscheinend mit zufridenstellendem Ergebnis, denn am 7. September zitierte "Radio Moskau" wohlwollend aus der Ostblockpresse "China-Artikel der sozialistischen Länder", wobei man schamhaft verschwieg, daß deren Autoren im wesentlichen den "Alexandrow"-Artikel kopiert hatten. So konnte man die Hörer darüber aufklären, daß der "Prawda"-Artikel im Ostblock großen Anklang gefunden habe. Man sei dort zu der übereinstimmenden Auffassung gelangt, daß er eine "eingehende und prinzipielle Analyse der Politik des Maoismus" darstelle. Auch die Ostblockpresse sei nach der Lektüre dieses Artikels zu dem (gewünschten) Ergebnis gekommen, daß die "Ziele und Praktiken der Maoisten mit den Aufgaben der kommunistischen Weltbewegung und der nationalen Befreiungsbewegungen unvereinbar" seien. Beruhigt konnte Moskau nun mit zwei weiteren ausführlichen anti-chinesischen Stellungnahmen die polemischen Angriffe fortsetzten.
"Krasnaja Swesda" widmete sich der unbestritten relevanten Frage, welche Rolle die Pekinger Führung der Armee übertragen habe, und stellte betrübt festg
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"Die chinesische Armee, einst zur Verteidigung der Interessen des chinesischen Volkes gebildet, wird jetzt dazu benutzt, das Volk in Schach zu halten, es dazu zu bringen, blind der wahnsinnigen großmachtchauvinistischen Linie der Mao-Gruppe zu folgen."
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In dem von "Radio Moskau" beigesteuerten Kommentar ging es um die Frage, ob hinter den Kulissen in Peking und Washington eine "Abmachung gegen den Sozialismus" getroffen werde. Um diesen Verdacht zu begründen, widmete sich der Autor ausgiebig der These von den "zwei Supermächten" und stellte fest, die Maoisten treffe der Vorwurf, die klassenmäßige Einstellung durch "nationalistische und Großmachtbeweggründe" ersetzt zu haben. Bezeichnenderweise tauche nun im Zuge der Anbahnung der chinesisch-amerikanischen Kontakte in Peking der etwas abgewandelte Begriff "ein bis zwei Supermächte" auf. Daher, so folgerte der Verfasser, müsse man wohl in Peking beschlossen haben, Präsident Nixon den Eindruck zu vermitteln, daß man ihn eigentlich gamicht meine, in Wirklichkeit also nur die Sowjetunion. Dieser Verdacht veranlaßte den empörten Autor zu der bemerkenswerten Erklärungg "Der Maoismus hat sich als eine dem Marxismus-Leninismus prinzipiell fremde, kleinbürgerliche ideologischpolitische S t r ö m u n g
entlarvt, die auf den Prin-
zipien des wissenschaftlichen Sozialismus
p a r a-
s i e r t."^ Mit der These, die Welt sehe sich einer wachsenden Monopolstellung und einem egoistischen Komplott der zwei Supermächte gegenüber, gegen die man sich wehren müsse, hatten die Chinesen offensichtlich in ein sowjetisches Wespennest gestochen. Am 8. September widmete sich auch die "Iswestija" dieser These recht ausführlich, und Autor Apalin stellte schon eingangs mit Morgenstem-Logik fest, daß die Doktrin des 'Kampfes gegen das Monopol der zwei Supermächte' außerhalb der KlassenkampfLehre stehe "und daher falsch^ sei. Die chinesische Führung verzichtete auf das marxistisch-leninistische klassenbewußte Herangehen an die Ereignisse in der Welt, sie werfe die objektiv bestehende Teilung der Welt in zwei entgegengesetzte Lager und den mit dieser Teilung zusam-
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menhängenden Klassenkampf in den internationalen
Beziehungen über Bord.
Die Pekinger Führung habe es darauf abgesehen, "auf dem natürlichen Streben (der Völker) nach Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu parasitieren," indem sich China als Verfechter dieses Strebens darstelle.
Schließlich behauptete Apalin, das wirkliche Ziel der Maoisten entlarven zu könneng Peking versuche, China aus dem Kampf der beiden Systeme herauszuhalten, aber einen kriegerischen Konflikt zwischen der UdSSR und den USA herbeizuführen, um auf ihren Ruinen China zur einzigen Supermacht emporsteigen zu lassen. Peking stehe jetzt im Begriff, sogar Washington in die anti-sowjetische Front einzugliedern. Nach all diesen Attacken konnte eine chinesische Antwort nicht lange ausbleiben. Peking nahm eine Meldung der Nachrichtenagentur "Tass" zum Anlaß, sich gebührend zu revanchieren. "Tass" hatte auf die japanische Zeitung "Tokio Shimbun" und deren angebliche Informationen über den Inhalt der Gespräche Kissingers mit Chou En-lai Bezug genommen. Diesen Angaben zufolge soll Kissinger seinen Gesprächspartner darüber aufgeklärt haben, daß nach amerikanischen Forschungsergebnissen in der Bucht von Pohai (zwischen der Mandschurei und Shantung) reiche Erdölvorkommen lagerten. Diese überträfen die Vorräte im Nahen Osten um das Zehnfache und sollten doch gemeinsam ausgebeutet werden. Chou En-lai habe, so ließ "Tass" genüßlich verbreiten, sein "grundsätzliches Einverständnis" bekundet. Ferner soll Kissinger angeboten haben, die USA würden China mit modernsten Passagier- und Transportflugzeugen ausrüsten und ein Flugzeugwerk in China errichten. Auch diesen Vorschlägen habe Chou "im Prinzip" zugestimmt. Auf diesen Bericht reagierte "Hsinhua" am 9. September mit einer gehamischten Replik. Peking stellte fest, daß es sich um anti-chinesische Gerüchte handele, die von der "Chiang-Kai-shek-Bande" in Umlauf gesetzt und von der "Tokio Shimbun" weiterverbreitet worden seien. Über diese Gerüchte habe jedoch Tass "wie über einen Glücksfall frohlockt". "Tass" sei eine Nachrichtenagentur, die "auf dem Boden der Lüge" gedeihe.
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Im weiteren ließen die Chinesen jedoch durchblicken, daß sie die "Tass"Meldung nur zum Anlaß genommen hatten, um ein ganz anderes Thema anzusprechen: "Das große chinesische Volk... wird niemals die Würde und Souveränität seines Landes oder anderer Länder für ein paar US-Dollar verkaufen. Man kann nicht übersehen, daß es in der Welt bestimmte Leute gibt, die sich zwar als 'Erbauer des Kommunismus' bezeichnen, gleichzeitig aber nicht davor zurückschrecken, wichtige Personen in kapitalistische Länder zu schicken, die dort unterwürfig um Geldmittel zum Bau einer gewissen Lastwagenfabrik... betteln. Um ein gewisses Erdölfeld auszubeuten, hatten sie keine Skrupel, für ein Darlehen von Japan über 500 Millionen US-Dollar Räuber in ihr Land einzuladen und die Bodenschätze zu versteigern. Um die Ratifizierung eines Vertrages von Westdeutschland zu erhalten und von ihm wirtschaftliche und technische Hilfe zu bekommen, haben sie vor kurzem in einem Abkommen über Westberlin großzügig etwas weggegeben, was ihnen gar nicht gehört, haben sie bedenkenlos die Souveränität der DDR verramscht." Abschließend kam "Hsinhua" nochmals auf die sowjetische Konkurrenz Zurücks "Tass ist völlig zu einer Skandalgeschichten verbreitenden Nachrichtenagentur degeneriert." In den nächsten Tagen herrschte eine Art Windstille im sowjetischen Blätterwald. Einige anti-chinesische Ausfälle, die sich in der Hauptsache gegen die "Industrialisierungskampagne zu Rüstungszwecken", gegen "KriegsVorbereitungen" in Peking und gegen die "Einmischung der chinesischen KP in die inneren Angelegenheiten der KP Japans" richte12 ten
, vermittelten höchsten den Eindruck, als habe man sowjetischer-
seits in den vorangegangenen Grundsatzartikeln ein paar Details vergessen.
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Während der sich nun anschließenden Periode diplomatisch-politischer Aktionen der Sowjetführung widmete die sowjetische Presse dem sino-sowjetischen Verhältnis wenig Raum (Anfang September - Ende Oktober). Lediglich der chinesische Nationalfeiertag gab Anlaß, den Eindruck sowjetischer Interesselosigkeit zu verwischen. In dem am 1. Oktober von der "Prawda" veröffentlichten Artikel ging der Autor Viktorow zunächst auf die zahlreichen sowjetischen Leistungen ein und beschrieb die Unterstützung bei der Entstehung und Ausbreitung der chinesischen Revolution, beim Sieg über den "japanischen Aggressor" und beim Aufbau der Wirtschaft Chinas nach 1949. Doch die weiteren Ereignisse hätten gezeigt, daß die "kleinbürgerlichen und nationalistischen Kräfte in der Führung" der KP Chinas die grundlegenden (damals noch pro-sowjetischen) Beschlüsse des VIII. Parteitags (der KP Chinas von 1956) über den Haufen geworfen hätten.Jetzt nun ertöne die Stimme der Pekinger Führung im Gleichklang mit der der "Kuomintang-Reaktionäre" (auf Taiwan). Seit der Kulturrevolution bemühe sie sich gar, einen Kurs zu legalisieren, der dem "Marxismus-Leninismus und dem proletarischen Internationalismus prinzipiell feindlich" sei. Nun wurde Viktorow noch einen Grad massiverg "Die gegenwärtige chinesische Führung ist nicht imstande, den Beschlüssen des VIII. Parteitags irgend ein positives Aufbauprogramm entgegenzustellen...Sie läßt daher den alten trotzkistischen Leitsatz von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus vor dem Triumph der Weltrevolution wieder aufleben und verquickt gleichzeitig die Revolution mit der Unvermeidbarkeit von Kriegen. Dabei wird (ständig) betont, daß über China eine Gefahr aus dem Norden schwebe. So wurde der Antisowjetismus, diese vergiftete Waffe der Feinde des Sozialismus, zur ständigen offizielle len Politik der Pekinger Führer..." In ähnlichem Ton war auch ein Kommentar der "Iswestija" vom 30. September gehalten, in dem G. Pawlow vor allem "die unermüdlichen Bemühungen der Sowjetführung" hervorhob, den Prozeß der fortschreitenden Ver14 schlechterung des sowjetisch-chinesischen Verhältnisses aufzuhalten.
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Zwei politische Nackenschiäge dämpften jedoch in der folgenden Woche den sowjetischen Elang Betrübt mußte "Tass" am 1. Oktober die Meldung der japanischen Nachrichtenagentur "Jijipress" dementieren, der ehemalige chinesische Staatschef, Liu Shao-ch'i, habe sich in die UdSSR absetzen können. Am 5. Oktober gab "Tass" die Nachricht bekannt, daß Dr. Henry Kissinger seinen zweiten Peking-Besuch angekündigt habe. Am gleichen Tag erschien in der Zeitschrift "Meshdunarodnaja Shisn" ein Aufsatz unter dem Titel "Die chinesische Führung versucht weiterhin, die sozialistische Gemeinschaft zu schwächen". Der Autor beklagte zunächst die "anti-sowjetischen Lehrprogramme" in Chinas Schulen und die "anti-sowjetische Militärpsychose". Femer warf er Peking vor, man habe versucht, die DDR bezüglich des Abkommens über Westberlin und des deutsch-sowjetischen Vertrages gegen die Sowjetunion aufzuwiegeln. Was die Mongolische VR angehe, so seien zwar die Provokationen an den Grenzen im Rückgang begriffen, doch versuche Peking nun, wirtschaftlichen Druck auf Ulan Bater auszuüben. Mit Blick auf Rumänien erklärte der Autor vielsagend, daß die gegenseitigen Beziehungen "gut" seien. Demgegenüber sprach er den Ungarn und Bulgaren ein ostentatives Lob ausg "Die bulgarischen und ungarischen Genossen widerstehen den Versuchen (Pekings), einen Keil zwischen die sozialistischen Länder zu treiben." Gleiches Lob zollte man auch den Polen, fügte aber hinzu, daß sich die Chinesen weiterhin in die polnischen Angelegenheiten einmischten und "in perfider Weise die Ereignisse vom Dezember 1970" ausbeuteten. Auch die Kubaner kommen in dieser tour d'horizont gut weg, weil sie "keine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten dulden". Zum jugoslawischchinesischen Verhältnis hieß es abschließend mit großer Behutsamkeit, daß es sich nach den Ereignissen in der CSSR "verändert" habe. Dies war der erste offizielle Kommentar, in dem von sowjetischer Seite das auf das jeweilige Verhältnis zur VR China bezogene Freund-FeindVerhältnis klar umrissen wurde.
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Diesem Gedanken ging man jedoch fürs erste nicht weiter nach, denn andere Fragen, z.B. die Aufnahme Chinas in die UNO, überlagerten die sowjetisch-chinesische Polemik für einige Wochen. In dieser Diskussion hatte Moskau (trotz aller Bedenken) nicht öffentlich gegen die Aufnahme der VR China plädiert, ja die Sowjets hatten sogar des öfteren den Gegnern eines chinesischen Beitritts in der Debatte widersprochen. Daß die sowjetische Skepsis im Hinblick auf das Auftreten einer Pekinger UNO-Delegation (aus sowjetischer Sicht) berechtigt war, zeigte denn auch schon die Antrittsrede des chinesischen UNO-Delegierten Chiao Kuan-hua vom 15. November (Vgl. unten, Abschnitt 3). Chinas Delegierte machten von Anfang an klar, daß sie Pekings Kurs gegen die "zwei Supermächte" auch in der UNO konsequent fortsetzen würden. Damit war abzusehen, in welchem Ausmaß die sino-sowjetische Polemik nun vor den Augen der Weltöffentlichkeit abrollen würde. Ebenso sicher konnte man voraussehen, daß das ohnehin arg gespannte sino-sowjetische Verhältnis durch diese neuen Formen der Polemik zusätzliche Belastungen erfahren würde. Tatsächlich nahm Moskau die anti-chinesische Polemik schon bald wieder auf, und zwar bereits vor der denkwürdigen Rede Chiao Kuan-huas in den Vereinten Nationen. Zunächst polemisierte "Radio Moskau" am 24- Oktober gegen den zweiten Kissinger-Besuch in Peking und kritisierte, daß Peking den Amerikaner gerade zu einem Zeitpunkt emeut empfange, zu dem die USA konzentriert an der Vietnamisierung arbeiteten. War dies nur eine behutsame Kritik Moskaus an den chinesisch-amerikanischen Beziehungen, so war die Feuerpause am 4. November endgültig vorüber, als G. Apalin in der Zeitschrift "Meshdunarodnaja Shisn" den schärfsten Angriff gegen China seit September veröffentlichte. Apalin beschuldigte die Chinesen, sie wollten zwischen Sozialismus und Imperialismus einen militärischen Konflikt provozieren, um dann in der durch Krieg erschütterten Welt zur beherrschenden Macht zu werden. Die chinesische Führung sei bestrebt, die UdSSR und die USA als "zwei Supermächte" abzustempeln und sich, selbst "aus dem Kampf zwischen beiden Systemen" herauszuhalten. Man könne schon heute se-
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hen, daß die chinesische Politik "der Spaltung und der Subversion der Einheitsfront anti-imperialistischer Kräfte und die Politik des Antisowjetismus" dadurch belehnt worden sei, daß eine große Anzahl westliche Länder die VR China diplomatisch anerkannt hätten. Dann wandte sich Apalin dem Grundsätzlicheren zu. Die wesentlichen Ziele der chinesischen Außenpolitik seien seit der Kulturrevolution die gleichen gebliebeng "Sie sind flexibler und raffinierter geworden, was Pekings Politik (anti-sowjetisch im Wesen, wie zuvor) heimtückischer und gefährlicher für die revolutionäre Bewegung werden läßt." China bemühe sich zur Verwirklichung seiner Ziele, die mit dem Marxismus-Leninismus unvereinbar seien, um die Schaffung eines anti-sowjetischen Blocks, zu dem auch einige kommunistischen Staaten (sie!), Entwicklungsländer und sogar imperialistische Staaten gehören sollten. So schloß Apalin seinen Aufsatz denn auch mit der deutlichen Warnung an alle Dissidenten innerhalb des sozialistischen Lagers, daß eine "Position der Neutralität gegenüber der Politik der chinesischen 16 Führung unvereinbar mit dem proletarischen Internationalismus" sei. "Radio Moskau" vertiefte diese Positionsbestimmung in einer Sendung vom 9. November. Präjudizierend verwies der Kommentator darauf, daß "marxistisch-leninistische Parteien eine Versöhnung mit der Politik der chinesischen Führer als unmöglich" erachteten. Damit glaubte die sowjetische Führung, den Charakter der chinesischen Politik einstweilen hinreichend demaskiert und der Presse ihrer Gefolgsstaaten wieder einmal Munition geliefert zu haben. In den folgenden Tagen widmete man sich insbesondere der Kommentierung der innerchinesischen Entwicklung und beteiligte sich an den Spekulationen um 17 das Verschwinden Lin Piaos, ohne jedoch neue Fakten beizusteuern. Am 19. November meinte "Tass", bei der Lin-Affäre handele es sich um eine "allgemeine Krise des maoistischen politischen Kurses", die die außergewöhnlich komplizierte und angespannte Lage im ganzen Land veranschauliche. Was sich zur Zeit in China abspiele - so folgerte "Tass"
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hoffnungsvoll -, sei ein neuer Beweis für die "schwerwiegenden und tiefen Differenzen zwischen den chinesischen Führern im Hinblick auf wichtige Fragen der Innen- und Außenpolitik." Fragen der Außenpolitik traten nun mehr und mehr in das Zentrum der sowjetischen Polemik, denn die Debatten in der UNO hatten vorwiegend die Eskalation im indisch-pakistanischen Konflikt sowie Fragen der Abrüstung zum Inhalt. An diesen Debatten beteiligten sich die Vertreter Pekings mit gewohnter Schärfe. So nahm denn auch die "Prawda" in ihrem Leitartikel vom 29. November vor allem das sino-sowjetische Verhältnis und Pekings Außenpolitik aufs Korn. Das sowjetische Parteiorgan machte klar, daß man die Maoisten und ihre Politik bekämpfen werde und beklagte "die Anschläge Pekings gegen die n a t i o n a l e n
Interessen der Sowjetunion" sowie gegen die
Einheit und Geschlossenheit des sozialistischen Lagers.
Der Hinweis
auf die nationalen Interessen der UdSSR konnte bereits als Warnung an Peking aufgefaßt werden, sich nicht in die indisch-pakistanische Krise einzumischen. Selbstverständlich waren die chinesischen Aufweichungsbestrebungen im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der UdSSR und ihren osteuropäischen Gefolgsstaaten in diese Warnung eingeschlossen. Dennoch wies man in Moskau Gerüchte als unzutreffend zurück, wonach die sowjetisch-chinesischen Grenzgespräche wegen der chinesischen 19 Polemik in der UNO abgebrochen worden seien. Dies konnte die Sowjets aber keineswegs von ihrem propagandistischen Kreuzzug gegen die Maoisten abbringen. In einem "Prawda"-Artikel vom 5. Dezember meint das Akademiemitglied Fedosejew, es sei die "strategische Absicht" der maoistischen Führung, "die ehrgeizigen Pläne der Großen Khane von China als Zentrum der Welt" zu verwirklichen. In einer pikanten Rückschau analysiert Fedosejew die Entwicklung der chinesischen Revolution und äußert sein Bedauern darüber, daß der Maoismus im Prozeß seiner Entwicklung "dem politischen und ideologischen Einfluß des städtischen Kleinbürgertums ausgesetzt" gewesen sei, einer Armee von Handwerkern, Heimarbeitern, Kleinhändlem und Besitzern von Kleinbetriebeng
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"Die Tragödie der chinesischen Revolution besteht darin, daß im Kampf der beiden Linien (der proletarischinternationalistischen und der kleinbürgerlich-nationalistischen Linie) die letztere die Oberhand... gewonnen hat." Die KP Chinas habe es nicht verstanden, dem Druck des kleinbürgerlichen Elements zu widerstehen und die führende Rolle der Arbeiterklasse sicherzustellen. Fedosejew geht sodann auf die nach seiner Ansicht bestehenden Affinitäten zwischen Maoismus und Trotzkismus eing beiden sei eine "antimarxistische und antileninistische Konzeption des weltrevolutionären Prozesses" gemein. Für "demagogische Zwecke" sei den Maoisten die trotzkistische Theorie vom "Export der Revolution" zustatten gekommen, die auf den "Weltkrieg als einzige Form der Lösung von-Problemen im internationalen Maßstab" setze. Schließlich sei dem Maoismus wie dem Trotzkismus die Taktik der Spaltung der revolutionären Kräfte eigen, die durch "grobe, verleumderische Angriffe auf die marxistisch-leninistischen Parteien, durch einen wütenden Antisowjetismus und durch Wühltätigkeit in den Reihen der internationalen kommunistischen Arbeiterbe20 wegung" charakterisiert werde. Noch heftiger polemisierte Fedosejew tags darauf in einem weiteren "Prawda"-Beitrag gegen den Maeismusg
"Was die marxistisch-leninistische Theorie im ganzen betrifft, so haben weder Mao noch seine nächste Umgebung sie systematisch erlernt, sondern sich auf das Lesen von populären Artikeln beschränkt. Mao hat keine integrale Weltanschauung. Der Maeismus schmarotzt von den sozialistischen Bestrebungen der chinesischen Werktätigen."^ Fedosejew, der offenbar mit der Abfassung einer China-Serie beauftragt worden war, kam am 8. Dezember emeut in der "Prawda" zu Wort. Diesmal schrieb er einen Beitrag zu dem Thema "Mao und die Armee". Von der Rolle der Militärs in Chinas Gesellschaft ausgehend, beklagt Fedosejew,
n daß das Militär im Laufe der revolutionären Kriege zwar an die Seite des kämpfenden Volkes getreten sei und gegen Imperialismus, gegen die Grundbesitzer und die Compradoren-Bourgeoisie gekämpft habe, doch seien die meisten Kommandeure "weder Internationalisten, noch Marxisten" geworden. Obgleich viele der Kommunistischen Partei angehörten, hätten doch nur wenige (gemeint sind hier wohl jene, die in der UdSSR ausgebildet wurden) eine marxistisch-leninistische Ausbildung erhalten. Nach dieser Rückschau wendet sich der Autor der Gegenwart zu und fordert die chinesischen Militärs auf, "nicht gleichgültig" zu bleiben, während Mao die VBA in einen "Gendarmen" umwandele, in eine "gegen das Volk gerichtete und für seine Unterdrückung eingesetzte Kraft". Auf die seit September 1971 deutlich sichtbaren Führungskämpfe anspielend, begrüßt es Fedosejew, daß es, trotz der Stärkung des maoistischen Regimes in der Kulturrevolution, zu einem verstärkten "Gärungsprozeß innerhalb der Armee" gekommen sei. "Ein Teil der Soldaten verlor die Illusionen und das fanatische Vertrauen in die Weisheit des 'großen Steuermanns'. Viele Angehörige der Armee konnten so aus eigener Anschauung die Verderblichkeit der volksfeindlichen Linie Mao Tse-tungs und seines Anhangs erkennen." Daher, so hofft der Autor, sei die chinesische Armee heute zu einem gefährlichen "Herd anti-maoistischer Gefühle" geworden. In den gegenwärtigen Säuberungen gehe es den Maoisten folglich um die Stabilisierung ih22 rer angeschlagenen Reihen. Diese so typische Fehleinschätzung des Verhaltens chinesischer Politiker und Militärs, die sich schon früher in sowjetischen Kommentaren niedergeschlagen hatte, ließ auch Fedosejew zu falschen Schlüssen kommen. Es wird vermutlich noch lange dauern, bis die Sowjets endlich begreifen, daß anti-maoistische Tendenzen in China auf keinen Fall mit pro-sowjetischen Neigungen gleichgesetzt werden dürfen. Fraktionsund Führungskämpfe innerhalb der KP Chinas haben kaum je mit der Außenpolitik im allgemeinen und mit dem sino-sowjetischen Verhältnis
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im besonderen zu tun gehabt. Nicht einmal für die Absetzung Marschall P'eng Te-huais im August 1959 war dieser Aspekt von entscheidener Bedeutung gewesen, obgleich sich P'eng in der Beurteilung der "Velkskommunen" und des "Großen Sprungs nach vorn" mit Chruschtschow einer Meinung wußten Als einziges relevantes Beispiel könnte der Sturz Kao Kangs 1955 herhalten, der möglicherweise ein chinesischer Vertrauensmann Stalins war. Wie dem auch sei, Fedosejew hatte tags darauf emeut Gelegenheit, sich mit China auseinanderzusetzen. Diesmal ging es u.a. um die Wirtschaft. Auch hier stellte der Autor Vergleiche zwischen dem Maoismus und dem Trotzkismus an und meinte, beide ignorierten die objektiven Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung und übertrieben die Rolle des "subjektiven Faktors". Beide zeigten "Abenteurertum in der Politik, Willkür und Subjetivismus in der Wirtschaft". Die maoistische Ideologie beruhe auf der "idealistisch-voluntaristischen Theorie der Gewalt", bei der das subjektiv-idealistische und militärische Geschichtsverständnis an die Stelle des materialistischen gerückt sei. Auf die Außenpolitik Pekings eingehend, räsonierte Fedosejew, daß den "maoistischen theoretisierenden Lügen" die "siniflzierte Dialektik" zugrunde liege, die insbesondere in Macs 'Lehre' von den Widersprüchen zutage trete. Willkürlich konstruierten die Maoisten gewisse Widersprüche der heutigen Zeit, wobei sie u.a. die "zwei Supermächte" als Feinde für andere Völker darstellten. Sie seien sogar soweit gegangen, die "Zitadelle des Imperialismus" (die USA) mit dem ersten sozialistischen Staat, "einer mächtigen Kraft des internationalen Fortschritts" (der UdSSR) in Verbindung zu bringen. Dies, so folgerte der Autor, sei ein weiterer Beweis dafür, wie weit die Maoisten mit der grund23 sätzlichen Klasseneinstellung gebrochen hätten.
Zwei Tage später beteiligte sich die "Iswestija" mit einem Kommentar an der Debatte, der von dem Historiker Lew Deljussin und dem Geographen Jakow Berger beigesteuert wurde. Unter dem Titel "Der fehlerhafte Kurs der Maoisten" stellten sie schon eingangs fest, der Maoismus sei "seinem Wesen nach sowohl der Arbeiterklasse als auch der Bauernschaft feindlich gesinnt." Diese These wurde sodann durch die Behaup-