Der russische Imperialismus: Studien über den Zusammenhang von innerer und auswärtiger Politik 1860-1914 9783666359804, 9783647359809, 3525359802, 9783525359808


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Der russische Imperialismus: Studien über den Zusammenhang von innerer und auswärtiger Politik 1860-1914
 9783666359804, 9783647359809, 3525359802, 9783525359808

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KRITISCHE STUDIEN ZUR GESCHICHTSWISSENSCHAFT

Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wehler

Band 27 Dietrich Geyer Der russische Imperialismus

GÖTTINGEN · VANDENHOECK & RUPRECHT · 1977 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Der russische Imperialismus Studien über den Zusammenhang von innerer und auswärtiger Politik 1860-1914

VON DIETRICH GEYER

GÖTTINGEN · VANDENHOECK & RUPRECHT · 1977 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

CIΡ-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Geyer, Dietrich Der russische Imperialismus: Studien über d. Zusammenhang von innerer u. auswärtiger Politik 1860-1914. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1977. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 27) ISBN 3-525-35980-2

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1977. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. - Satz und Druck: Guide-Druck, Tübingen. Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

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WALDEMAR BESSON

1929-1971 dem unvergessenen Freund gemeinsamer Assistentenjahre in Dankbarkeit gewidmet

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

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Inhalt Vorwort

9

Einleitung

11

I. Reform und Expansion 1860—1885 1. 2. 3. 4.

20

Umrisse der Reformkrise Ökonomische Bedingungen Funktionen des Nationalismus Imperiale Interessen 4.1. Balkanpolitik und Balkankrieg 4.2. Expansion in Zentralasien 5. Grenzen imperialer Politik

20 31 43 55 56 71 83

II. Geborgter Imperialismus 1885—1905

99

1. Rückständigkeit und Industrialisierung 2. Handels-und Zollpolitik: Der deutsche Partner 3. Kapitalimport und Allianz: Die russisch-französischen Beziehungen 4. Expansion in Ostasien 4.1. Konzept und Praxis „friedlicher Durchdringung" 4.2. Vom Boxeraufstand zum russisch-japanischen Krieg . . . . 5. Krieg und Revolution III. Zwischenkriegszeit 1905—1914 1. 2. 3. 4.

99 116 131 143 144 159 169 189

Finanzpolitik, Rüstung, ökonomische Entwicklung 192 Außenpolitik und militärische Planung 205 Die innenpolitische Konfliktlage und der Entschluß zum Krieg . 220 Die asiatische Peripherie 238

Anmerkungen

261

Bibliographie

311

Register

340

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Verzeichnis der Tabellen 1. Staatsfinanzen Rußlands 1861—1880

32

2. Eisenbahnbau in Rußland

34/35

3. Wachstum der industriellen Produktion 1860—1877

39

4. Außenhandel Rußlands 1861—1899

40

5. Russische Einfuhrzölle 1881—1900

108

6. Staatseinnahmen 1881—1899

108

7. Staatsausgaben 1881—1899

109

8. Wirtschaftliches Wachstum 1880—1913

110

9. Außenhandel Rußlands 1890—1913 (nach Partnerländern)

. . . .

126

10. Staatseinnahmen 1900—1914

194

11. Staatsausgaben 1900—1914

195

12. Internationale Verflechtung der russischen Volkswirtschaft (1.1.1914)

202

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Vorwort Dieses Buch ist ein synthetisch angelegter Versuch, den russischen Imperialismus vor 1914 zu beschreiben und der vergleichenden Betrachtung zugänglich zu machen. Problemstellung und Begriffsbildung werden in der Einleitung ausführlicher erläutert. Dabei habe ich mich, wie leicht zu erkennen ist, von der anhaltenden Diskussion um den „modernen Imperialismus" anregen lassen. Auch dies mag erklären, weshalb sich meine Erörterungen auf die Frage nach den internen Motiven und Bewegungskräften auswärtiger Politik konzentrieren. Diplomatiegeschichte ist dagegen nur in einige Fallstudien einbezogen worden. Die Arbeit beruht auf den Ergebnissen und Fortschritten der mit Rußland befaßten Geschichtswissenschaft in und außerhalb der Sowjetunion. Anmerkungsapparat und Literaturverzeichnis belegen, wieviel ich den Leistungen anderer Historiker verdanke. Daß sich die Nachweise fast durchweg auf die Spezialliteratur der letzten zwanzig Jahre beschränken, wird entschuldbar sein; den Ertrag der älteren Forschung bibliographisch zu erfassen, hätte den Rahmen des Buches gesprengt. Von eigenen Archivstudien in der Sowjetunion mußte aus naheliegenden Gründen abgesehen werden. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die ein längerfristiges Arbeitsprogramm zur russischen Sozialgeschichte durch Sachbeihilfen unterstützt, weiß ich mich auch weiterhin verpflichtet. Das Buch ist als eine Nebenfrucht dieses größeren Vorhabens anzusehen. Besonderen Dank schulde ich meinen jüngeren Kollegen am Tübinger Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, den Herren Bernd Bonwetsch, Dietrich Beyrau, Rudolf Jaworski, Eberhard Müller und Bernhard Schalhorn. Auf ihre Kompetenz und Hilfe zählen zu dürfen, empfinde ich als ein unschätzbares Privileg. Von den Doktoranden haben mir vor allem Herr Kaspar Ferenczi und Fräulein Marlene Hiller wertvolle Hinweise gegeben. Gleiches gilt für Herrn Peter M. Kuhfus vom Tübinger Seminar für Ostasiatische Philologie und für Professor Paul Gregory vom Department of Economics der University of Houston, Texas. Nicht zuletzt aber bin ich für den freundlichen Beistand dankbar, den mir die Mitarbeiterinnen unseres Instituts auch diesmal wieder gewährten: Frau Sibylle Jesse hat sich der Herstellung des Manuskripts angenommen, Frau Lydia Titow der Bibliographie, der Korrektur- und Registerarbeit, Frau Xenia Ahhy der Aufgaben der Materialbeschaffung. Mein Freund Hans-Ulrich Wehler hat die Entstehung des Buches durch eigene Arbeiten, geduldigen Zuspruch und kritischen Rat tatkräftig gefördert. 9

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Auch den anderen Herausgebern und Herrn Dr. Hellmann vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht sei für die Bereitschaft gedankt, das Ergebnis meiner Bemühungen in die Reihe der Kritischen Studien aufzunehmen. Tübingen, Ostern 1977

D.G.

Technischer Hinweis Die Datierung hält sich an den bis 1918 in Rußland geltenden julianischen Kalender, der gegenüber der im Westen üblichen gregorianischen Zeitrechnung im 19. Jahrhundert um 12 Tage, im 20. Jahrhundert um 13 Tage zurückliegt. Zur Verdeutlichung werden jedoch, zumal bei Sachverhalten von internationaler Bedeutung, beide Datierungen vermerkt. Bei statistischen Angaben konnten russische Maße und Gewichte nicht immer umgerechnet werden: 1 Desjatine 1 Werst 1 Pud

= = =

1,09 Hektar (ha) 1,06 Kilometer (km) 16,3 Kilogramm (kg).

Die Transkription russischer Namen und Begriffe folgt der in deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken gebräuchlichen Ordnung. Dem deutschen Leser vertraute Schreibweisen (z. Β. Alexander, Peter, Witte, Wolga u. ä.) blieben von dieser Regel ausgenommen.

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Einleitung Thema dieses Buches ist der russische Imperialismus zwischen 1860 und 1914, zwischen der sog. Bauernbefreiung und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Über die Vernunft dieser Abgrenzung wird noch zu sprechen sein. Das besondere Interesse gilt dem Zusammenhang von innerer und auswärtiger Politik, den systeminternen Bedingungen dessen, was in den folgenden Studien „russischer Imperialismus" heißen soll. Nicht auf die Diplomatiegeschichte, sondern auf die Innenseite der Außenpolitik kommt es an, und dies in einem doppelten Sinn: Zu fragen ist zum einen nach den gesellschaftlichen und ökonomischen Bewegungskräften, die die Großmachtpolitik des Zarenreichs beeinflußt haben, zum anderen nach den Rückwirkungen des internationalen Engagements auf innerrussische Spannungslagen und Entwicklungsprobleme1. Eine strikte Ressorttrennung zwischen Innen- und Außenpolitik findet nicht statt; das ehrwürdige Theorem vom „Primat der Außenpolitik" wird durch kein Gegenprogramm ersetzt, das den „Primat der Innenpolitik" auf die Standarte zu heften willens wäre. Auch von einem neuerdings entbrannten Disput, der leicht zum Schattenboxen ausufern kann, möchte der Verfasser sich abseits halten: von jenem mit deutscher Gründlichkeit durchlittenen Gelehrtenstreit um „Moderne Politikgeschichte", deren Existenzberechtigung im Grund gar nicht in Frage steht2. Bekanntlich wird über die Leistungsfähigkeit divergierender Arbeitsansätze nicht im Stellungskrieg temperamentvoll oder ängstlich fechtender Historiker entschieden, sondern in der Forschungspraxis selber. Bei alledem besteht kein Anlaß zu verhehlen, daß dieses Buch einer Forschungsrichtung viel verdankt, die sich in der Bundesrepublik als Historische Sozialwissenschaft zu begreifen lernt. Ihre Forderung, „explizite und konsistente Begriffs- und Kategoriensysteme" in die Geschichtsschreibung einzubringen, wird vom Verfasser gern geteilt, aber zulänglich eingelöst hat er sie nicht3. Insofern mag diese Arbeit eher altmodisch als modern zu nennen sein. Gleichwohl wurden Kategorien und Begriffe aufgenommen, die mit der sozialwissenschaftlich orientierten Geschichtsforschung in Fühlung stehen. Daß dies hier ohne Anspruch auf originäre Theorienbildung geschieht, hat nicht allein mit der Neigung des Autors zu tun, einer wissenschaftlichen Umgangssprache zu vertrauen, die im gefrorenen Fachjargon nicht aufgeht und modernen Historikern dennoch verständlich ist. Die Zuversicht, daß dies angängig sei, gründet sich auf den Diskussionsstand der jüngeren historischen Forschung. Sie hat, was für unser Thema wichtig bleibt, den zum Schlagwort verkommenen Imperialismusbegriff, zumindest für die klassische Periode des modernen Imperialismus, für die Zeit vor 1914, so weit wiederhergestellt, daß eine brauchbare Grundlage für Problemerörterungen entstanden ist. Dabei wurden die Grenzen und Möglichkeiten transnationa-

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ler Vergleiche erprobt, relevante Fragestellungen bezeichnet und neue Untersuchungsfelder abgesteckt. Im allgemeinsten Sinn meint Imperialismus vor 1914 die direkte (formelle) oder indirekte (informelle) Herrschaft entwickelter kapitalistischer Industriestaaten über weniger entwickelte Regionen und Bevölkerungen. Dieser Minimalkonsens fordert zur Klärung politischer, sozialökonomischer und psychologischer Ursachen und Bedingungen heraus, die dem Imperialismus der „Metropolen" zugrunde lagen4. Es versteht sich, daß der Versuch, zu verallgemeinerungsfähigen Einsichten zu kommen, hier ungleich schwieriger ist als der Vergleich machtpolitischer Operationsmuster und Expansionsstrategien im internationalen System. Auch die Methoden europäischer Kolonialherrschaft5 waren einander ähnlicher als die internen Anstöße zur Eroberung von Kolonien und zur Sicherung von Einflußzonen. So hat denn gerade die komparatistische Absicht, die mit der modernen Imperialismusforschung zusammengeht, auf abweichende Motivstrukturen ebenso aufmerksam werden lassen wie auf übergreifende Gemeinsamkeiten. Das gilt vorab für die Bewertung des „ökonomischen Imperialismus", dessen Grundmuster schon in klassischen Theorien beschrieben wurden6. Gewiß hatten der fortschreitende Industrieausbau, die wachsende Markt- und Kapitalverflechtung und die Internationalität wirtschaftlicher Konjunkturen einen Zusammenhang hervorgebracht, in den selbst so rückständige Imperien wie Rußland oder Österreich-Ungarn einbezogen wurden. Für die Frage aber, inwieweit Absatzkrisen und steigender Rohstoffbedarf, Überproduktion und Exportzwang als Hebel imperialistischer Expansion tatsächlich zur Wirkung kamen, sind generalisierende Antworten nicht unbeschränkt verwendungsfähig. Sieht man auf die weitergehenden Konsequenzen, dann mag es naheliegen, den Imperialismus als Reaktion wie als Existenzbedingung staatlicher Machteliten zu verstehen, die unter dem Druck sozialökonomischer Transformationsprozesse ihre Legitimationsbasis schwinden oder doch gefährdet sahen. Daß in dieser Gefährdung gesellschaftliche Folgen des kapitalistischen Fortschritts zum Ausdruck kamen, dürfte nicht in Zweifel zu ziehen sein. Die „demokratische" Tendenz, die der Übergang zur bürgerlichen Klassengesellschaft hervortrieb, stieß sich an überständigen politischen Verfassungen und aktualisierte die Frage nach der inneren Reformfähigkeit der imperialistischen Staaten. Der von der Industrialisierung beschleunigte Abbau traditionaler Sozialbeziehungen verstärkte die Dringlichkeit permanenter Krisensteuerung. Auch der aufschießende populare Nationalismus aller Spielarten, der sozialdarwinistische Zug imperialistischen Denkens, die wachsende Resonanz missionarischer Zivilisationsideen werden im Horizont der systeminternen Spannungen verständlich7. Von hier aus erklärt sich auch, weshalb ein so klassisches Theorem wie das der Konfliktableitung in der neueren Imperialismusforschung große Beachtung gefunden hat: Expansion und Krieg erscheinen als Ablenkungs- und Integrationsmittel zur Dämpfung innergesellschaftlicher Konflikte8.

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Über alle Kontroversen hinweg hat sich die heuristische Qualität solcher Hypothesen als überaus hilfreich erwiesen, für das Bestreben zumal, die Vielgestaltigkeit der Bedingungsfaktoren, das Besondere im Allgemeinen, ans Licht zu bringen. Auch speziellere Zugriffe sind dem professionellen Interesse an Unterscheidung und Differenzierung nicht hinderlich gewesen, sondern haben in Zustimmung und Kritik zu neuen Fragen angeregt. Zu denken ist an die Diskussion um den „Sozialimperialismus", den Hans-Ulrich Wehler am Beispiel Bismarcks beschrieb, an die Debatte um die Beziehungen zwischen Expansion und konjunkturellen Wechsellagen, um den Begriff des „Organisierten Kapitalismus", der das Aufkommen des modernen Interventionsstaates als ein allgemeines Merkmal der Epoche namhaft machen soll9. Die nachfolgenden Studien knüpfen an Erfahrungen an, die sich aus den genannten Bemühungen um Kategorienbildung gewinnen lassen. Dabei wird versucht, die Maßstäbe für die Beurteilung des russischen Imperialismus zu verbessern und die Geschichtsschreibung über diesen Gegenstand dem Niveau der modernen Imperialismusforschung womöglich anzunähern. Es bedarf keiner gesonderten Hervorhebung, daß dies von der Sache her nicht leicht sein kann. Die bis zum Ersten Weltkrieg fortbestehende ökonomische Rückständigkeit des agrarischen Rußland 10 ; chronische Kapitalarmut und steigende Kapitalabhängigkeit vom Ausland; das relativ beschränkte Potential zur Entfaltung außenwirtschaftlicher Strategien; der gemessen an Westeuropa unterentwickelte Stand moderner Klassenbildung; das auch während der anhebenden Industrialisierung ungeschmälerte Machtmonopol der Autokratie; die überaus geringen Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation und Organisation — diese Sachverhalte mögen die Absicht, den russischen Imperialismus mit dem der fortgeschrittenen Industriemächte zu vergleichen, als eine gewaltsame Anstrengung erscheinen lassen. Tatsächlich herrscht in der westlichen Fachliteratur beträchtliche Verlegenheit, wenn es darum geht, die russische Variante auf angemessene Begriffe zu bringen. Die Auffassung ist weit verbreitet, daß sich der russische Imperialismus „bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts hinein eigentlich noch in einem Anfangsstadium befand" — etwa der Stufe vergleichbar, welche die USA bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hinter sich gelassen hatten. Diese Diagnose entspricht jenem Reflexionsstand, der sich aus der Bindung des Imperialismusbegriffs an Formen hochentwickelter Industrialisierung zwangsläufig ergibt. Im übrigen wird zur Kennzeichnung der russischen Sonderlage gewöhnlich auf die bekannte, auch von sowjetischen Interpreten zeitweilig geteilte Auffassung verwiesen, wonach „das zaristische Rußland unter wirtschaftlichem Aspekt gleichsam selbst eine kolonialistische Dependance des europäischen Finanzkapitals und insofern sowohl Subjekt wie Objekt des Imperialismus" gewesen sei11. Da angemessene Problemerörterungen fehlen, hat sich die bestehende Unsicherheit bis in die Spezialstudien hinein fortgesetzt. An komparatistisch verwertbaren Einsichten ist selten mehr zu finden als der nicht eben originelle Nachweis, daß Rußland an der oligopolistischen Staatenkonkurrenz im „Zeitalter des Im-

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perialismus" Anteil hatte. Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Tatbestände wurden bisher nur unzureichend verarbeitet12. Dieses Dilemma hat dazu beigetragen, daß in der westlichen Rußlandliteratur Stereotypen noch immer weiterleben, die in der Expansion des Zarenreiches ein Naturgesetz russischer Geschichte sehen. Das Imperialismusproblem wird hier in der alten Klischeevorstellung vom ungehemmten Ausdehnungs- und Weltherrschaftsstreben der Russen aufgelöst. Im 19. Jahrhundert, in der Konfrontation des autokratischen Imperiums mit der liberalen Öffentlichkeit Europas, erbte sich dieses Vorurteil in bisweilen grotesken Übersteigerungen fort und wurde schließlich von Marx und Engels auch den europäischen Arbeiterparteien vermittelt. Belege aus drei Jahrhunderten liegen zuhauf. Täglich sei, so berechnete Graf Maximilian Yorck von Wartenburg für die Zeit seit Peter dem Großen, „das Russische Reich um 90 Quadratkilometer größer geworden". Reinhard Wittram hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Forschung an der Aufreihung solcher suggestiven Daten kein Genüge finden kann13. Nun ist die Geschichte der russischen Expansion seit der Entstehung des mittelalterlichen Moskauer Großfürstentums durchaus keine Sache, die mit Hilfe neuer Imperialismustheorien wegzudefinieren wäre. Der Prozeß der russischen Reichsbildung, der seit den gewaltigen Eroberungen des 17. und 18. Jahrhunderts das Staatensystem einschneidend veränderte, vollzog sich als kontinentale Ausdehnung der zarischen Macht und begründete durch die Unterwerfung nichtrussischer Bevölkerungen koloniale Herrschaftsverhältnisse eigener Art. Das Imperium war in den europäischen Affären ebenso gegenwärtig wie im Orient und — mit Handelskompanien und Niederlassungen in „Russisch-Amerika" — auch an beiden Küsten des Pazifik14. Kein Zweifel, daß die Petersburger Politik, die sich im 19. Jahrhundert überlegenen Industriestaaten gegenüber sah, an die Traditionen und Ergebnisse dieser historischen Reichsbildung gebunden blieb. Was im Blick auf Rußland „moderner Imperialismus" sei, muß also durch das Studium der qualitativen Veränderungen ermittelt werden, die das Zarenreich und seine Politik zwischen 1860 und 1914 verwandelt haben15. Nur so läßt sich ermessen, weshalb dieses riesige Vielvölkerimperium, anders als das Ottomanische Reich, seine Großmachtstellung auch dann nicht verlor, als seine wirtschaftliche und kulturelle Rückständigkeit offenbar geworden war. Wer von hier aus auf die sowjetische Geschichtswissenschaft sieht, wird scharf umrissenen Fragestellungen begegnen. Unvermeidlich stößt er auf eine Imperialismustheorie, die ihren axiomatischen Anspruch in enggeführter Exegese nach wie vor aus den Leninschen Schriften bezieht. Imperialismus meint hier einen geschichtsgesetzlich verbürgten Stadienbegriff, die „neueste Etappe", das „höchste Stadium des Kapitalismus"16. Dieser Begriff hat den unabwendbaren Zerfallsprozeß dieser Gesellschaftsformation im Visier, nicht minder aber auch die Entfaltung internationaler Klassenkämpfe unter der Hegemonie des Proletariats und unter Führung der Kommunistischen Partei. Imperialismus setzt „Monopolkapitalismus" mit „staatsmonopolistischer" Tendenz voraus,

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überdies die Herrschaft des Finanzkapitals, deren geschichtlicher Sinn es sei, die materiellen Vorbedingungen des Sozialismus fix und fertig auszubilden. Sowjetische Historiker haben infolgedessen den sozialökonomischen Grundlagen des russischen Imperialismus von jeher zentrale Bedeutung beigemessen. Im Mittelpunkt ihres Interesses stehen die Konzentrationsbewegungen in der Industrie und im Bankenwesen. Durch den Nachweis fortschreitender Monopolbildung wird zu belegen versucht, daß der russische Kapitalismus um die Jahrhundertwende bereits in sein „höchstes" Stadium eingetreten sei und spätestens im Ersten Weltkrieg den Übergang zu staatsmonopolistischen Formen vollzogen habe, zu jenen Bedingungen also, die nach Lenin die historisch notwendige sozialistische Revolution auch in Rußland unabweisbar werden ließen. Die imperialistische Qualität des russischen Kapitalismus gilt mithin dem der westlichen Industrieländer als vollauf ebenbürtig. Von einer Rückständigkeit Rußlands, die sich auf die Voraussetzungen des Sozialismus bezöge, kann unter sowjetischen Historikern infolgedessen keine Rede sein17. Chronologisch richtet sich der sowjetische Imperialismusbegriff auf die Jahre nach 1900 und fällt demgemäß mit der Vorgeschichte des Roten Oktober zusammen. Eine seiner Funktionen ist es, die historische Gesetzmäßigkeit dieser Revolution zu verdeutlichen. Solche Zweckbestimmung darf jedoch nicht übersehen lassen, daß die sowjetische Forschung über die „Besonderheiten" des russischen Imperialismus keineswegs einhellige Aussagen machen kann. Die Kontroversen haben bereits eine eigene Geschichte18. Zu den immer wieder aufbrechenden Debatten trägt nicht zuletzt die Tatsache bei, daß Lenin den Imperialismus in bezug auf das Zarenreich weder zusammenhängend behandelt, noch in die allgemeine Theorie systematisch eingeordnet hat. Es scheint, daß er das imperialistische Syndrom in Rußland — wie übrigens auch in Japan — als einen besonderen Typus oder doch als eine Modifikation des klassischen Imperialismus aufgefaßt wissen wollte. Diese Unterscheidung findet sich dort vor allem ausgedrückt, wo Lenin den „monopolistischen" bzw. „kapitalistischen" Imperialismus von einem „militärisch-feudalen" abgehoben hat19. Jedenfalls bleiben die sowjetischen Historiker einer Handvoll verstreuter Äußerungen ausgesetzt, deren verbindlicher Sinn sich auch bei anhaltender exegetischer Übung nicht leicht erschließt. Legt man Lenins Diktum zugrunde, wonach in Rußland der „militärisch-feudale Imperialismus" (voenno-feodal'nyi imperializm) noch während des Ersten Weltkrieges den „kapitalistischen Imperialismus" bei weitem überwogen habe20, dann ist dem geschichtlichen Legitimationszwang, unter dem die Erben der Oktoberrevolution offenbar noch immer stehen, nur durch hochkomplizierte, aber kaum widerspruchsfreie Zitatauslegungen leidlich nachzukommen. Angesichts dieser Sachlage trägt die Erkenntnis nicht weiter, daß die Besonderheiten des russischen Imperialismus aus der Diskrepanz zwischen dem hochentwickelten Industrie- und Finanzkapitalismus, der zurückgebliebenen, von „feudalen Relikten" belasteten Landwirtschaft und dem innerstaatlichen Kolonialsystem entfaltet werden müssen21. Gleiches gilt für die Auffassung,

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daß der zaristische Staat wegen seiner ungeminderten Bindung an die Klasse der Gutsbesitzer als ein nachgebliebenes Überbauphänomen der bereits über­ wundenen feudalen Gesellschaftsformation zu verstehen sei. Es verwundert nicht, daß die Kontroversen dort beginnen, wo es um die Konkretisierung sol­ cher F ormeln geht. Der anregende Versuch sowjetischer Historiker, das kon­ ventionelle Stadienmodell für die russische Geschichte vor 1917 durch das Konzept der „Mehrbasigkeit" (mnogoukladnost') flexibler zu machen, wurde von dieser Absicht bestimmt22. Lenins hinterlassene Äußerungen haben die Probleme, die sich für die Ana­ lyse des russischen Imperialismus aus der Dialektik ökonomischer Rückständig­ keit ergeben, lediglich beschrieben, aber nicht gelöst. Demgemäß kreisen die Diskussionen um die F rage, wie weit das von Lenin als „mittelalterlich", „bar­ barisch" und „räuberisch" gekennzeichnete Zarenregime bis 1917 auf dem Weg zu einer „bürgerlichen Monarchie" fortgeschritten sei, ob sich hinsichtlich des Klassencharakters der Regierung womöglich von einer „Verschmelzung" (sraš­ čivanie) kapitalistischer und feudaler Interessen sprechen lasse, oder ob gar schon ein Verhältnis der „Unterordnung" (podčinenie) vorausgesetzt werden dürfe, das den Zarismus als Geschäftsträger der russischen Industrie- und F i­ nanzbourgeoisie charakterisieren würde23. Entscheidet man sich für das Theo­ rem der „Unterordnung", dann wird die allgemein anerkannte These brüchig, daß der russischen Bourgeoisie erst in der F ebruarrevolution von 1917 die Staatsmacht zugefallen sei; plädiert man für „Verschmelzung", dann bleibt of­ fen, wie rasch und wie weit das „Zusammenwachsen" von Gutsbesitzerklasse und Bourgeoisie gediehen war und wie die machtpolitischen Gewichte sich ver­ teilten. Woran es allenthalben mangelt, sind Maßstäbe und Kriterien, die mit der empirischen F orschung tatsächlich zu versöhnen wären. Ähnliche Schwierig­ keiten bereitet die Beurteilung jener Abhängigkeit, die sich aus der Rolle des ausländischen Kapitals in der russischen Volkswirtschaft ergab, gehörte doch, abweichend von der allgemeinen Theorie, nicht Kapitalexport, sondern Ka­ pitalimport zu den Eigentümlichkeiten des russischen Imperialismus. Zwar ist die einst von Stalin bekräftigte These vom „halbkolonialen" Status des Zaren­ reiches seit nunmehr zwanzig Jahren verpönt, aber der Nachdruck, mit dem seit­ her die relative Eigenständigkeit des russischen F inanzkapitals und der russi­ schen Außenpolitik unterstrichen wird, spricht eher für die Virulenz sowjet­ patriotischer Regungen als für den Zugewinn an Sicherheit, die ungeminderte „Abhängigkeit" des Imperiums mit den Kriterien der Imperialismustheorie zu verknüpfen24. Es wäre indessen unangebracht, die wertvollen Beiträge zu übersehen, die sowjetische Historiker zur Erforschung des russischen Imperialismus geleistet haben. Das gilt vor allem für die F ülle neuerer Untersuchungen zur Wirtschafts­ und Sozialgeschichte, ohne deren kritische Auswertung das vorliegende Buch nicht hätte geschrieben werden können. Beträchtliche Bedeutung für unser Thema ist den Arbeiten zuzusprechen, deren Verfasser sich den Beziehungen

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zwischen Industrie-, Agrar- und Finanzpolitik zugewendet haben. Auch einzelne Studien über Militär- und Flottenrüstung und über die Einwirkung politischer Parteien und wirtschaftlicher Interessengruppen auf den Entscheidungsprozeß konnten mit Gewinn verwendet werden25. Dagegen sind Beiträge seit langem ausgeblieben, die der Relevanz ökonomischer Krisen und Konjunkturbewegungen für die russische Großmachtpolitik systematisch nachgegangen wären 26 . Ebenso ist die Analyse sozialpsychologischer Faktoren und kollektiver Mentalitäten zu den Desiderata zu zählen, die freilich auch Schwachstellen der internationalen Geschichtsforschung bezeichnen. Aber auch einige Gesichtspunkte aus der sowjetischen Theoriediskussion verdienen Beachtung, wenn man sie aus ihrer dogmatischen Einfriedung löst. Dazu gehört vor allem die Erkenntnis, daß die gesellschaftliche und wirtschaftliche Qualität des russischen Imperialismus überaus vielgestaltig gewesen ist. Lenins begriffliche Unterscheidung zwischen „militärisch-feudalem" und „kapitalistischem Imperialismus" besagt, daß im vorrevolutionären Rußland traditionelle, aus der vormodernen Sozial- und Herrschaftsverfassung kommende Faktoren mit modernen, dem Muster der fortgeschrittenen Industriemächte folgenden Interessen koexistierten und bisweilen auch zusammengingen. In den Bezugsrahmen, den diese Verschränkungen und Überlagerungen vermitteln, werden die russischen „Besonderheiten" einzuordnen sein. Für die imperialistische Politik des Zarenreiches ist mithin vorauszusetzen, daß in einzelnen Phasen und Regionen jeweils sehr verschieden gemischte Bedingungszusammenhänge wirksam geworden sind. Am Beispiel der zentralasiatischen Expansion und des darauf gegründeten innerstaatlichen Kolonialsystems, an der russischen Politik im Fernen Osten und an den europäischen Verwicklungen des Zarenreiches wird sich dieser Sachverhalt verdeutlichen lassen. Indirekt deutet also selbst die sowjetische Forschung an, daß sich komparatistisch brauchbare Erklärungen des Imperialismus nicht allein am industriellen Hochkapitalismus orientieren dürfen. Vielmehr erscheint es geboten, auch solche innergesellschaftlichen Transformationsprozesse zu berücksichtigen, von denen rückständige Länder, wie das russische Imperium oder auch Japan, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend betroffen wurden27. Die Einbeziehung strukturell heterogener Agrargesellschaften in die Modernisierungsforschung ist längst selbstverständlich geworden, ja die Konzepte dieser Arbeitsrichtung wurden gerade von hier aus angestoßen28. Daß dies auch für historische Imperialismusanalysen weiterführendere Ergebnisse verspricht, als sie bei der Fixierung auf wirtschaftliche Wachstumsstadien erwartet werden können29, mag die genauere Untersuchung des russischen Beispiels erweisen. Von der Sozialgeschichte her hat Barrington Moore in seinen Studien über „die Rolle der Gutsbesitzer und Bauern bei der Entstehung der modernen Welt" auf die Fruchtbarkeit solcher Ausweitung und Differenzierung aufmerksam werden lassen30. Der Wirtschaftsgeschichte wurden durch den Entwurf eines „Mehr-Gesellschaften-Modells", das Alexander Gerschenkron in die Industrialisierungsgeschichte einbrachte, neue Perspektiven vermittelt; sie verdeutlichen, 2

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daß das weitmaschige Problem des industriellen Take-off am englischen Muster nicht abgelesen werden kann31. Vergleiche setzen Unterscheidung voraus. Auch in der modernen Imperialismusforschung ist diese Einsicht im Wachsen. Diese Beobachtungen ermutigen dazu, auch den besonderen Bedingungen solcher Imperialismen nachzugehen, deren Kennzeichen die strukturelle Unterentwicklung und ökonomische Abhängigkeit gewesen sind. Der russische Imperialismus, der in der gegenwärtigen Diskussion westlicher Historiker ganz am Rande blieb, gehört dazu. Demgemäß schließt das hier zugrunde gelegte Imperialismuskonzept die Problematik nachholender Modernisierung ein, sozialökonomische Transformationskrisen, die durch einen hohen Grad systemgefährdender Dynamik charakterisiert waren, den Wirkungen ähnlich, die entwickeltere Industriemächte unter dem Druck wirtschaftlicher Wachstumsspannungen und rascher gesellschaftlicher Veränderungen auf ihre Weise erfahren haben. Dabei wird für Rußland in Rechnung gezogen, daß diese Krisen von langer Dauer mit dem Vordringen des Kapitalismus in Beziehung stehen, mit der Destruktion der alten, agrarisch bestimmten Sozialverfassung, mit der wachsenden Fragwürdigkeit des alten Regimes. Aus der Interdependenz von beschleunigtem sozioökonomischem Wandel und expansionistischen Strategien ergibt sich auch hier die Frage nach den systeminternen Funktionen imperialistischer Verhaltensmuster. Wie sich das Zarenreich zwischen 1860 und 1914 in diesen Interpretationsrahmen tatsächlich einfügt, wird dieses Buch zu erkunden versuchen. Daß der erste Teil des Buches mit dem Ende der Leibeigenschaftsverfassung einsetzt, mit der Frage nach dem Zusammenhang von liberaler Reform und Expansion, bedarf nach den einleitenden Erörterungen keiner weitergehenden Rechtfertigung, In gesonderten Kapiteln werden die Umrisse der Reformkrise beschrieben (I.I), die ökonomischen Bedingungen partieller Modernisierung (I.2), die Funktionen des gesellschaftlich fundierten Nationalismus für die Bewegungsfähigkeit der Autokratie (I.3). Fallstudien schließen sich an, die den beiden herausragenden Vorgängen offensiver Expansionspolitik zwischen 1860 und 1885 gewidmet sind: den Balkankrisen im Rahmen der Orientalischen Frage und den mittelasiatischen Eroberungen (I.4). Hier soll der Anteil gesellschaftlicher Interessen an der Entfaltung imperialistischer Strategien ermittelt werden. Den systeminternen Grenzen der russischen Macht, die in den achtziger Jahren unübersehbar wurden, geht ein weiteres Kapitel nach (I.5). Im zweiten Teil wird zunächst die auf raschen Industrieausbau drängende Modernisierungspolitik erörtert, die unter dem Finanzminister Witte in den neunziger Jahren eine einzigartige Aufgipfelung erfuhr (II.1). Die Methoden und Kosten dieses Versuchs, der ökonomischen Rückständigkeit des Landes zu entkommen, verdeutlichen die folgenden Kapitel; sie gelten der Handels- und Zollpolitik, die vor allem das russisch-deutsche Verhältnis infizierte (II.2), und dem Ineinander von Kapitalabhängigkeit und Militärallianz in den russischfranzösischen Beziehungen (II.3). Sodann wird der riskante Ausgriff Rußlands 18 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

nach Ostasien dargestellt, der mit den großen Industrie- und Eisenbahnprojekten Wittes unmittelbar zusammenhing und über die internationale wie die innere Konfliktfähigkeit des autokratischen Regimes entschied (II.4). Die Katastrophe des russisch-japanischen Krieges und die revolutionären Erschütterungen von 1905 brachten die vorläufige Bilanz dieses „geborgten Imperialismus" ans Licht (II.5). Der dritte Teil erörtert die Probleme der Zwischenkriegszeit, in der das Regime in konstitutioneller Verkleidung innere Stabilität und internationale Geltung zurückzugewinnen suchte. Die Verklammerung von Finanzpolitik, Wiederaufrüstung und Wirtschaftskonjunktur wird in einem ersten Kapitel dargetan (III.1). Dem schließt sich eine Skizze an, in der die Spannungen zwischen militärischer Planung und außenpolitischem Verhalten in der internationalen Krisenzeit der Jahre 1908 bis 1914 umrissen werden (III.2). Es folgt ein Abschnitt, dessen Aufgabe es ist, die innere Konfliktlage unter den Folgen politischer Stagnation und Ökonomischer Scheinprosperität zum Vorschein zu bringen. Dem russischen Nationalismus und seiner Rolle in der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges gilt hier besondere Aufmerksamkeit (III.3). Das letzte Kapitel beschreibt das russische Kolonialsystem und zeigt noch einmal die besondere Gestalt, die der Imperialismus im vorrevolutionären Rußland angenommen hatte (III.4). Leerstellen, die bleiben, dürften unschwer zu erkennen sein. Am offenkundigsten sind sie wohl dort, wo die Transformation der russischen Sozialverfassung, der schleppende Prozeß moderner Klassenbildung, genauer hätte belegt werden müssen32. Auch die Nationalitätenprobleme sind unterbelichtet geblieben. Diese Mängel hängen teils mit dem unterentwickelten Forschungsstand zusammen, teils aber auch mit dem begrenzten Vermögen des Verfassers. Bedenklicher mag sein, daß das Buch die Periode des Ersten Weltkrieges nicht mitumfaßt, obschon dies von der Sache her höchst wünschenswert gewesen wäre33. Eine solche Ausweitung hätte allerdings bedeutet, die Geschichte des Umbruchs von 1917 anzugehen, den Zusammenhang von Krieg und Revolution zumal, an dem, anders als 1905, der Imperialismus des alten Regimes vollends verkam. Der Verfasser muß um Nachsicht dafür bitten, daß er auch diese reizvolle Aufgabe, die sich vermutlich rasch verselbständigt hätte, nicht zu erfüllen vermochte.

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I. Reform und Expansion 1860—1885 1. Umrisse der Reformkrise Moderner Imperialismus im Verständnis der neueren historischen F orschung kann nicht älteren Datums sein als der Entfaltungsprozeß moderner bürger­ licher Gesellschaft. Deren Herausbildung setzt die mehr oder minder rasche Auflösung traditionaler, „feudaler" Sozial- und Herrschaftsverfassungen vor­ aus, einen Vorgang umgreifender Veränderung, der mit der Expansion kapi­ talistischer Wirtschaftsbeziehungen zusammengeht. Wer versuchen will, die Anwendungsfähigkeit dieses allgemeinen Modells auf Rußland zu erproben, hat von den F olgen auszugehen, die das Ende der bäuerlichen Leibeigenschaft seit 1861 hervorrief. In der Zeit zwischen den petrinischen Reformen zu Beginn des 18. Jahr­ hunderts und den revolutionären Umwälzungen von 1917 hat kein anderer Vorgang die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Grundlagen Rußlands so folgenreich verändert wie die sog. Bauernbefreiung. Diese „Revolution von oben" wird denn auch in der historischen F orschung von jeher als eine säkulare Wende aufgefaßt1. F ür die sowjetische Geschichtswissenschaft bezeichnet sie den Eintritt Rußlands in die Epoche des Kapitalismus, den endgültigen Durchbruch zur kapitalistischen Gesellschaftsformation, deren Elemente im Schoß der F eudalordnung kräftig geworden waren. Im Urteil nichtmarxisti­ scher Historiker wird den Reformen der sechziger Jahre kaum geringeres Ge­ wicht zugemessen; auch hier gilt es als ausgemacht, daß die Aufhebung der Leibeigenschaft für die Entfaltung des Kapitalismus und neuer, „bürgerlicher" Sozialbeziehungen von großer Bedeutung war. Um das Ausmaß des Umbruchs voll zu ermessen, muß man sehen, daß die alte Agrarverfassung, das krepostničestvo, mehr reguliert hatte als das guts­ herrlich-bäuerliche Verhältnis. Die Leibeigenschaft hatte in Rußland ein Ver­ bundsystem von Herrschaft, Sozialordnung und Ökonomie begründet, das über die agrarische Sphäre weit hinausreichte. Die ständischen Untertanenrechte, die Verwaltungs- und Gerichtsverfassung, das Militär- und Steuerwesen, die Bedingungen wirtschaftlicher Aktivität waren mit diesem Institut der zari­ schen Autokratie verklammert geblieben. Insofern stellte die „Bauernbefreiung" zugleich die F undamente des überkommenen politischen und sozialen Systems in F rage. Was mit dem kaiserlichen Manifest vom 19. F ebruar (3. März) 1861 in Gang kam, konnte sich infolgedessen nicht darauf beschränken, die bäuerliche Rechtslage neu zu ordnen. Vielmehr wurde die Agrarreform Auftakt für eine 20

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ebenso tiefgreifende wie langfristige Veränderung der gesellschaftlichen Beziehungen, der ökonomischen Verhältnisse und der administrativen Verfassung des Reiches. Dabei ging es um Anpassung an den sozialen Wandel, dem die Emanzipation der Leibeigenen Bahn gebrochen hat: um Separation und Loskauf des bäuerlichen Gemeindelandes, um die Einrichtung von Selbstverwaltungsorganen in den Dörfern und ländlichen Amtsbezirken, in den Kreisen und Gouvernements, um den Aufbau eines bürgerlichen Gerichtswesens, die Reform der Städteordnung, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, um die allmähliche Modernisierung des Finanz- und Steuersystems. Für die Unabweisbarkeit der Sache sprach, daß der gouvernementale Liberalismus einiger hoher Beamter, dem sich der Kaiser nicht entzog, einen so umfassenden Umbau binnen weniger Jahre auf den Weg zu bringen verstand2. Gemessen an den altertümlichen Zeitbegriffen, die für den alten Staat bisher gegolten hatten, war dies ein Vorgang von ungewöhnlicher Beschleunigung. Neben der institutionellen und der gesellschaftlichen Dimension der Bauernbefreiung ist der Zusammenhang offensichtlich, der zwischen innerer Reform und auswärtiger Politik von Beginn an wirksam war. Zwar ist die Niederlage im Krimkrieg nicht der einzige Bestimmungsgrund für die Umgestaltung Rußlands gewesen. Aber der Entschluß, Reformen nicht mehr nur zu wünschen, sondern sie tatsächlich auch zu wagen, wurde der Regierung Alexanders II. durch den unglücklichen Ausgang des Krieges doch unmittelbar aufgedrängt. Im Frieden von Paris (30. März 1856) hatte das Zarenreich seine europäische Hegemonialstellung eingebüßt, die unter Katharina II. errungen, in der napoleonischen Zeit befestigt und durch Nikolaj I. noch höchst eindrücklich demonstriert worden war. Der Verzicht auf das Protektorat über die Donaufürstentümer und über die orthodoxen Untertanen des Ottomanischen Reiches, der Verlust des Zugangs zur Donaumündung, die Entmilitarisierung der Schwarzmeerküste und der Aland-Inseln, die Abtretung von Kars an die Pforte — diese Bedingungen zeigten, wie empfindlich der Friedensschluß die imperiale Rolle Rußlands und das Prestige seiner Regierung beschädigt hatte3. Die Niederlage deckte die Diskrepanz zwischen dem überkommenen Großmachtanspruch und der Rückständigkeit des Imperiums auf, das an der im Westen fortschreitenden „industriellen Revolution" bislang kaum Anteil genommen hatte4. Nun wurde die seit langem erkannte Reformbedürftigkeit des Landes in den Ministerien und von einer einflußreichen Minderheit der adligen Herrenschicht als unaufschiebbar empfunden. Aus der Erkenntnis des enormen Entwicklungsdefizits folgte der Entschluß zur Reform. Selbst in amtlichen Äußerungen tauchte jetzt das bisher tabuisierte Schlagwort auf, das „Fortschritt" (progress) hieß5. Dabei hat sich das Regime von dem Gedanken leiten lassen, daß dieser Fortschritt eine Vorbedingung für die Stärkung der militärischen Schlagkraft und für die Behauptung der gefährdeten Großmachtposition des Reiches sei. Ohne die Aufhebung der Leibeigenschaft aber war an eine Modernisierung der altertümlichen Militärverfassung nicht zu denken. Die Flut unverblümter Vorlagen, die aus dem Kriegs- und dem Marineministerium ins 21 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Kabinett des Zaren kamen, gestattete keinen Zweifel, daß die Verteidigungsfähigkeit des Landes von der grundlegenden Erneuerung der Staatsökonomie, des Behördensystems und der Sozialorganisation abhing6. Das Ökonomische Denken der Reformbürokratie war freilich noch ganz auf die agrarwirtschaftlichen Gegebenheiten Rußlands festgelegt. Insofern ist auch nicht zu sehen, daß nach dem Friedensvertrag ein Programm beschleunigter Industrialisierung sogleich ins Zentrum der russischen Politik getreten wäre 7 . Wirtschaftliche Überlegungen galten vorab der Rettung der ausgezehrten Staatsfinanzen, sodann der Sicherung der adligen Ökonomie und der bäuerlichen Lebensfähigkeit. Es kam darauf an, auch unter den neuen Verhältnissen jene sozialen Klassen zu erhalten, auf deren Loyalität und Dienstbarkeit die Existenz der Autokratie beruhte. Gleichwohl wurde dieser Sozialprotektionismus — trotz Kapitalarmut und zerrütteter Währung — mit weitertragenden Initiativen verknüpft, denen die Regierung äußersten Vorrang zuerkannte: Sie galten dem Bemühen, das kümmerliche Eisenbahnwesen Rußlands zu entwickeln8. Ein ausgedehntes, weit verzweigtes Schienennetz sollte erste Voraussetzungen dafür schaffen, daß das Reich seine ökonomische Rückständigkeit und militärische Unterlegenheit überwinde. Die verstärkte Förderung von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe war zu einer Lebensfrage des Regimes geworden. Nur durch einen kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufschwung konnte der drohende Staatsbankrott, der wie ein Damoklesschwert über der Regierung hing, abgewendet werden. Namentlich auf die Steigerung der Getreideausfuhr kam es an, weil die durch Auslandsanleihen belastete Zahlungsbilanz auf die Dauer nur ausgeglichen werden konnte, wenn sich hohe Exportüberschüsse erzielen ließen. Ohne ein modernes, leistungsfähiges Transportsystem, das die Exportbedingungen durch günstige Frachttarife verbesserte, war dies nicht zu bewirken. Insofern kann man sagen, daß die Verkehrserschließung zur politischen Ökonomie der Machterhaltung gehörte. Aber auch unter militärstrategischen Gesichtspunkten wurde der Eisenbahnbau, lange Zeit als „liberaler Schwindel" und sittengefährdende Modetorheit verfemt, nun als eine der wichtigsten Staatsaufgaben angesehen. Seine Vernachlässigung war im Krimkrieg teuer bezahlt worden. Außer den Stichbahnen zu den kaiserlichen Schlössern in Carskoe Selo, Pavlovsk und Peterhof hatte es bei Kriegsausbruch nur die Strecke Warschau—Wien (seit 1848) und die staatliche „Nikolaj-Bahn" gegeben, mit der man seit 1852 in knapp 24 Stunden von Petersburg nach Moskau kam. Da keine Schienenverbindung von Zentralrußland nach dem Süden bestand, hatten Geschütze und Geschosse mit Pferden nach Sevastopol' transportiert werden müssen. Französische Einheiten waren aus dem Pariser Raum viermal schneller an die Front gelangt als russische Truppen aus den inneren Gouvernements9. Es war mithin ein Bündel militärischer, fiskalischer und wirtschaftlicher Argumente, das den russischen Regierungsapparat dazu brachte, die Eisenbahnen in den Mittelpunkt der Finanz- und Wirtschaftspolitik und der stra-

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tegischen Planung zu rücken. Dabei sprach der Notstand der Staatskasse für den Versuch, den Verkehrsausbau privatrechtlich organisierten Aktiengesellschaften anzuvertrauen, von denen zu erwarten stand, daß sie ausländisches Kapital zu mobilisieren vermöchten. Diese Entscheidung ließ schon 1857, im Jahr der Weltwirtschaftskrise, in Rußland Börsenspekulation und Anleihegeschäft zu einer ersten, kurzen Blüte kommen. An umfangreiche Industrialisierungsprojekte wurde damals nicht gedacht. Erst ein Jahrzehnt später, als eine vorläufige und überaus magere Bilanz dieser Politik gezogen wurde, ging man daran, den Eisenbahnbau als Hebel für die Erweiterung der russischen Schwerindustrie einzusetzen, eines auf der Grundlage leibeigener Arbeit entstandenen Produktionszweiges, der nach der Bauernbefreiung vollends zu verkommen drohte. Es ist wichtig zu sehen, daß die in alle Lebensbereiche eingreifende Strategie imperialer Machterhaltung mit erheblichen Risiken verbunden war. Die innere Stabilität des Regimes hatte eine Belastungsprobe gefährlichen Ausmaßes durchzustehen. Dabei zeigte sich, daß der rasche Wandel, den die Reformpolitik anstieß, nicht nur von der Autokratie, sondern auch von der „Gesellschaft", den sozial privilegierten und ökonomisch führenden Schichten Rußlands, als Krisenzeit erfahren wurde. Erst die liberale Historiographie hat den depressiven Grundzug, der für die Ära der „Großen Reformen" bezeichnend war, in einen optimistischen Aufbruch zu neuen Ufern umgedeutet; dies geschah, als der russische Liberalismus nach der Jahrhundertwende in der „gesellschaftlichen Bewegung" der sechziger Jahre seine Heldenzeit entdeckte10. Die Faktoren, die zu schweren Besorgnissen Anlaß gaben, sind leicht namhaft zu machen. Zunächst ist zu bedenken, daß die traditionelle Herrschaftsund Sozialverfassung bis über die Jahrhundertmitte hinweg noch weithin unversehrt, das Selbstwertgefühl der Bürokratie, der Militärs und des grund- und menschenbesitzenden Adels ungebrochen geblieben waren. Der Krimkrieg, der die Funktionsschwäche des Nikolajschen Regimes verdeutlicht hatte, ließ diese umfriedete, heile Welt jäh aus den Fugen gehen. Die Hoffnungen, die der Regimewechsel von 1855 weckte, waren von Beginn an von Unsicherheit und bangen Ahnungen durchzogen. Sie mehrten sich im Lauf der Zeit. Auf der Regierung lastete die Frage, wie der Reformprozeß zu steuern sei, ohne daß die Institution der Autokratie, die Vollgewalt der Selbstherrschaft, zu Schaden käme. Dabei war klar, daß dem grundbesitzenden Adel, der in seiner Mehrheit dem drohenden Verlust der alten Privilegien widerstritt, keine entscheidende Rolle zufallen durfte. Andererseits aber mußte der zarischen Regierung daran gelegen sein, die agrarischen Herrschaftsschichten zu einem Minimalkonsens zu bewegen, weil die Bürokratie, im Fall einer organisierten Obstruktion der Gutsbesitzer, eine so komplizierte Umgestaltung der ländlichen Arbeits- und Eigentumsverfassung nicht hätte bewältigen können11. Neben der Notwendigkeit, einer eng begrenzten, streng überwachten Teilnahme des Adels an den Reformarbeiten und an der Durchführung der Reformgesetze Raum zu geben, kamen auf die Regierung noch andere, schwierige

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Steuerungsprobleme zu. Große Sorge weckte der Tatbestand, daß nicht allein der Adel, sondern daß vor allem auch die bäuerliche Bevölkerung unter Kontrolle gehalten werden mußte. Unter dem Eindruck lokaler Unruhen, die in den von irrationalen Erwartungen erregten Bauerndörfern immer wieder aufbrachen, wurden der überaus schwach entwickelte lokale Polizeiapparat und die traditio­ nelle Loyalität des Landadels gleichermaßen auf die Probe gestellt12. Nicht ge­ ringer waren die Belastungen, die dem Gendarmeriekorps und der Geheimpoli­ zei aus den „revolutionären Umtrieben" jener „Nihilisten" erwuchsen, die im intellektuellen Milieu der Städte, an den Lehranstalten, aber auch in einzelnen Offizierszirkeln Abschied von der „Gesellschaft" genommen hatten. Auf F lug­ blättern und in Proklamationen aus dem Untergrund wurde der Regierung ver­ kündet, daß der heilige Zorn des Volkes, sein Verlangen nach Land und Freiheit, die herrschende Ordnung hinwegfegen werde - in einer blutigen Revolution, mit der zerstörerischen Kraft einer neuen Pugačevščina, des Kosaken- und Bauern­ aufstandes der Katharina-Zeit (1773/74)13. Es war die befürchtete Verbindung zwischen der elementaren Unruhe unter den Bauern und der berechnenden Agitation der Revolutionäre, die die innere Sicherheit als eine Schlüsselfrage der Reform erscheinen ließ. Wie leicht die Revolutionsgefahr ins Außenpoli­ tische umschlagen und die Regierung in schwere internationale Konflikte ver­ wickeln konnte, zeigte mit beklemmender Deutlichkeit die 1861 wieder auf­ flammende F reiheitsbewegung im Königreich Polen. Binnen zweier Jahre be­ fanden sich nicht nur Kongreßpolen, sondern auch weite Landstriche der rus­ sischen Westgouvernements im Aufstand gegen Petersburg14. Die Sorge um Ruhe und Sicherheit quälte indessen die Regierung nicht allein. Den meisten Gutsbesitzern hat sich das, was in Rußland seither vor sich ging, in nicht weniger düsterem Licht dargestellt. Kaum jemand zweifelte daran, daß der Adelsstand die Kosten der Neuerungen zu zahlen habe. Viele Edel­ leute bedrückte die Aussicht, die eigene Ökonomie trotz chronischen Kapital­ mangels auf Geldwirtschaft und Lohnarbeit umstellen zu müssen. Die Liqui­ dierung der alten staatlichen Leihbanken und die Befreiung der dort verpfän­ deten Seelen (1859: etwa 66 Prozent aller Gutsbauern!) legten die enorme Verschuldung des Adels bloß. Selbst die Möglichkeit, die den Bauerngemein­ den zugeschriebenen Landstücke zum Loskauf freizugeben, bot in dieser Lage wenig Trost. Ein Großteil der vom Finanzminister in festverzinslichen Kredit­ billets vorgeschossenen Entschädigungszahlungen war, da diese gegen die auf­ gelaufenen Schulden verrechnet wurden, im voraus verloren zu geben. Der Ruin vieler Güter, die den Kommerzialisierungszwang nicht ertrugen, war ab­ zusehen. Freilich hat sich die „Bauernbefreiung" auf den Adel höchst unterschiedlich ausgewirkt, so daß generelle Schlüsse nur mit Vorbehalten möglich sind. Schon ein Blick auf die Besitzgliederung kann zeigen, daß gemeinsame ökonomische Interessen des „wohlgeborenen" Standes nicht vorausgesetzt werden dürfen. Wie die Statistik ausweist, die sich an die Zahl leibeigener (männlicher) „Revisions­ seelen" hält, lebte die Masse des landbesitzenden Adels in kleinen, meist sehr 24 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

beengten Verhältnissen: 76,7 Prozent aller adligen Landeigentümer (79 068 Personen in 46 Gouvernements des Europäischen Rußland) verfügten zur Zeit der 10. Revisionszählung (1857/58) über weniger als 100 männliche Untertanen; insgesamt war das nur etwa ein Fünftel aller leibeigenen Bauern. Mehr als die Hälfte dieses kleinen Adels (42 959) saß mit weniger als 21 Seelen auf Gütern, die von bäuerlichen Kümmerstellen oft nicht zu unterscheiden waren. Zu einer statistischen Mittelgruppe, mit Besitzungen zwischen 101 und 500 Seelen, zählte nur jeder fünfte Landedelmann (19,5 %); diese 20 162 Gutsbesitzer, deren Einkünfte als auskömmlich gelten durften, besaßen insgesamt etwa 37 Prozent der leibeigenen Bevölkerung. Der Kategorie der Großgrundbesitzer mit über 500 Revisionsseelen zuzuordnen waren lediglich 3,8 Prozent des russischen Landadels. Ihre Latifundien umfaßten 43,7 Prozent aller Gutsbauern15. Gewiß können diese Daten weder über den Vermögensstand der einzelnen Edelleute, noch über die Chancen der Anpassung an die neuen Bedingungen zulänglichen Aufschluß geben. Auch die erheblichen regionalen Unterschiede müssen in Betracht gezogen werden. Aber unschwer ist doch zu erkennen, daß der Adel nach dem Entzug der Leibeigenschaftsrechte als sozialer Herrschaftsstand vollends auseinanderbrechen mußte. Was den Adel über die enormen Besitzdifferenzen hinaus noch einen mochte, waren Gefühle der Deprivation und zunehmender Bedrohung. Der preußische Gesandte Otto von Bismarck gab im April 1861 die Befürchtungen konservativer Gesprächspartner wieder, wenn er über Ν. Α. Miljutin, den Motor der Re­ formen, schrieb, daß dieser „schärfste und kühnste Geist der Progressisten" zugleich der „bitterste Adelshasser" sei; er denke sich „das künftige Rußland als einen Bauernstaat, mit Gleichheit ohne Freiheit, aber mit viel Intelligenz, Industrie, Bürokratie, Presse, etwa nach Napoleonischem Muster"16. Selbst Reformfreunde meinten zu sehen, daß „die Tyrannei der Freiheit nicht weniger gefährlich sei als die Tyrannei der Despotie"17. Die wachsende Aufsässigkeit der Bauern, die das adlige Landleben unbehaglich, mitunter gar gefährlich werden ließ, spiegelte den empfindlichen Statusverlust, den die Gutsbesitzerklasse in diesen Jahren erlitt. Wer von leidlichem Stand war, strebte in die Stadt; die Vermögenden oder jene, denen der Verkauf ihres Landes gelang, transferierten ihr Kapital ins Ausland und reisten häufig selber nach. Die Zahl der Auslandsreisenden, die durch ausgedehnte Aufenthalte jenseits der Grenzen den staatlichen Valutafonds belasteten, stieg allein zwischen 1856 und 1860 von 17 000 auf 275 000 Personen18. Aber nicht nur auf den Gutshöfen, auch in den Städten war die alte Sekurität dahin. Das Aufkommen neuer, bürgerlicher Sozialbeziehungen nährte den Eindruck, einer ungesicherten Zukunft ausgesetzt zu sein. Manifestationen revolutionärer Kleinkreise, aufrührerische Reden an den Universitäten und eine Kette mysteriöser Brandstiftungen stimmten mit den Bildern zusammen, die die studierende Jugend damals bot: mit ihrer anarchistischen Attitüde, mit ihrer Rebellion gegen die gewohnten Normen demonstrierte sie noch im Familienkreis, daß die Katastrophe nahe sei19. 25 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

So haben Orientierungslosigkeit, Isolierung und Entfremdung, ja unverhohlene Furcht vor einem Absturz in Anarchie und Revolution die psychische Verfassung derer geprägt, die sich aus der patriarchalischen Geborgenheit des Nikolajschen Rußland herausgerissen fanden. Da der wohlgeborene Adel nun seine historischen Herrschaftsrechte verlor, fürchtete man, daß das Land der Willkür einer verhaßten, unfähigen und korrupten Bürokratie vollkommen ausgeliefert werde, einem Machtapparat, in dessen Spitzen man ähnlich unheilvolle, demokratisch-nivellierende Tendenzen am Werk sah wie in den „nihilistischen Brutstätten" der Universitäten und Gymnasien20. Die Erwartung war nicht groß, daß die Regierung den Weg in den Abgrund werde abwenden können. Manchem Zeitgenossen schien der „Zar-Befreier" der Figur Ludwigs XVI. ähnlicher zu sein als einer Herrschergestalt, die den Umbruch zu bannen verstünde. Die Rede ging um, daß die Revolution in der Person einiger Ministergehilfen sich anschicke, hoffähig zu werden und an der kaiserlichen Tafel Platz zu nehmen21. Nimmt man diese Erscheinungen zusammen, so wird für die Zeit nach 1860 von einer Autoritätskrise zu sprechen sein, die das Vertrauen erheblicher Teile der russischen Oberschicht zur Autokratie untergrub. An der nicht einzudämmenden Kapitalflucht war abzulesen, was die „Gesellschaft" von dieser Regierung für sich erhoffte. In den „Sphären", bei Hof und in der Ministerialbürokratie, war das Krisenbewußtsein nicht geringer. Von der Untergangsstimmung, die selbst höchste Herrschaften und in Gnaden dienende Würdenträger erfaßte, geben die Tagebücher des Innenministers P. A. Valuev einen Begriff. „On nous chassera tous d'ici à un an" — Sentenzen wie diese, von der Großfürstin Marija Nikolaevna, einer Schwester des Kaisers, im Oktober 1861 formuliert, spiegeln ein depressives Lebensgefühl, in das nicht nur exaltierte Gemüter eingesponnen waren22. „Die Regierung", so der Innenminister 1862 in einer für den Zaren bestimmten Denkschrift, „befindet sich in einem Zustand der Isolierung, die Jedem, der dem Kaiser und dem Vaterland aufrichtig ergeben ist, ernste Besorgnisse einflößt. Der Adel oder das, was man mit diesem Namen zu bezeichnen pflegt, versteht seine wahren Interessen nicht, ist unzufrieden, erregt, ohne rechte Ehrerbietung, in eine Menge unterschiedlicher Richtungen zerfallen, so daß er im gegenwärtigen Augenblick nirgends eine ernsthafte Stütze darstellt. Die Kaufmannschaft ist in die Politik kaum verwickelt, doch genießt sie kein Vertrauen und übt keinerlei nützlichen Einfluß auf die Massen aus. Die Geistlichkeit trägt Elemente der Unordnung in sich, im übrigen unterstützt sie keinerlei Fortschritt und verfügt über Einfluß nur als Opposition oder dann, wenn sie schadenstiftende Tendenzen zeigt. Die Bauern bilden eine mehr oder minder unabhängige oder unruhige Masse, die dem Einfluß gefährlicher Illusionen und unerfüllbarer Hoffnungen unterliegt. Schließlich die Armee — der einzige Magnet, der die verschiedenen Elemente des Staates noch in einem Zustand trügerischer Einheit hält, die Bastion der öffentlichen Ordnung — auch sie beginnt zu wanken und bietet keine Garantie absoluter Sicherheit."25 26 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Bei alledem konnte von einer „Einheit" der autokratischen Regierung keine Rede sein. Von dem altertümlichen Führungsstil gefördert, dessen sich der von Selbstzweifeln geschlagene Herrscher bediente, rivalisierte der Ressortegoismus um den Zugang zum Machthaber. Die Methode des Immediatvortrags der einzelnen Minister im kaiserlichen Arbeitszimmer spaltete die Politik in isolierte Sachbereiche auf. In den Institutionen, von denen der Zar sich beraten und Vorlagen fertigen ließ, im Reichsrat, im Ministerkomitee und in einer Vielzahl sachbezogener Kommissionen, prallten die Meinungen hart aufeinander. Der Kaiser setzte durch sein Votum in Kraft, was als Gesetz oder als Ukas zu gelten hatte. Zarendiener aus der Schule Nikolajs I., die den Vorwurf auf den Lippen trugen, daß das neue Regime Rußland ruinieren werde; rational argumentierende, vorandrängende Minister liberalen Zuschnitts, die unter der Last der Geschäfte und Intrigen, an der Unfähigkeit ihrer Kollegen und an der wechselhaften Gunst des Kaisers litten; Mitglieder der kaiserlichen Familie, die, politisch höchst unterschiedlich gestimmt, das Ohr des Zaren suchten — eine Fülle unberechenbarer Einflüsse wirkte auf die Entscheidungsfindung ein und ließ das Ringen um den Allerhöchsten Willen selbst für vertraute Mitarbeiter des Autokraten zu einer Art Hazardspiel werden: „Quels miserables hommes d'état nous sommes! Qu'avons nous prévu, organisé, prévenu, accompli? Toujours aux expédients d'un jour à l'autre et jouant à sorte de loterie avec l'espoir de gagner un gros lot."24 Solche Widersprüchlichkeit und Zerfahrenheit wurde durch einen Vorgang verstärkt, der als Politisierung der Gesellschaft bezeichnet werden kann. Der zeitgenössische Begriff der „gesellschaftlichen Bewegung" (obščestvennoe dvi­ ženie) spiegelt diesen Sachverhalt. Das Drängen breiter Adelsschichten nach Schutz und Gehör hatte sich in einer steigenden F lut von Eingaben und Adres­ sen Bahn gebrochen und die Regierung frühzeitig schon damit vertraut ge­ macht, daß die vorbereiteten oder bereits in Gang gesetzten Veränderungen nicht als geheime Kabinettssachen behandelt werden konnten. Diese Erkenntnis wurde durch das lebhafte Interesse gefördert, den alten Herrschaftsstand, die Stütze der Autokratie, wenigstens zur passiven Duldung dessen zu bewegen, was geschehen sollte. Bereits der Entschluß, den provinzialen Adelskomitees und den 1859/60 sogar nach Petersburg berufenen Deputierten Äußerungen zu vorformulierten F ragen abzuverlangen, hatte die Reformarbeiten in gewis­ sem Umfang öffentlich gemacht25. Rasch war der Regierung aufgegangen, daß die gewohnte Sprachlosigkeit der Gesellschaft, die die Polizeibehörden Niko­ lajs I. noch gewährleistet hatten, der Vergangenheit angehörte. Was „öffentliche Meinung" (obščestvennoe mnenie) sei, konnte die Obrigkeit nun nicht länger allein bestimmen. Wenn die Reformen gelingen sollten, durfte auch kritisches Räsonnement nicht mehr nur Emigrantenblättern, wie dem Londoner „Kolo­ kol" Alexander Herzens, übertragen bleiben, sondern mußte unter begrenzten und jedenfalls doch erleichterten Zensurbedingungen in Rußland selber Auslauf finden. 27 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Diese Einsicht, die durch die Situation des Landes erzwungen wurde, hat die Reformperiode zu einer ersten Blütezeit der politischen Publizistik in Rußland werden lassen26. Binnen kurzem kam zutage, daß sich die publizistische Diskussion und Kritik, an der die politisch denkenden Schichten Halt zu finden suchten, zu einer eigenständigen Kraft entwickelte. In den Organen der öffentlichen Meinung sprachen sich konservative, liberale, slawophile, aber auch demokratische Stimmen aus; politische Parteiungen taten sich auf, die im Namen der Gesellschaft, des Volkes und des Staates zu reden und Interessen des Reiches zu formulieren begannen. Gemeinsames Band dieser Kritik war die Frontstellung gegen die bürokratische Staatsmaschine und das Verlangen nach Selbstverwaltung und Öffentlichkeit (glasnost')27. Die Geister schieden sich freilich, sobald es um die Frage ging, wer die sich selbstverwaltende Gesellschaft in den Kreisen und Gouvernements tragen sollte: der Adel als der „geborene" Vermittler zwischen Herrscher und Volk? das private Eigentum als der verantwortliche Teil der Staatsbürgerschaft? die Gebildeten als Volkserzieher oder gar Verteidiger demokratischer Rechte? Diese Polyphonie der Ideen und Forderungen hat der autokratischen Regierung durchaus neue Erfahrungen gebracht. Sie waren, wie sich zeigte, nicht leicht zu verarbeiten. Herbert von Bismarcks Eindruck, daß die Presse in Rußland ein „Korollarium" für die fehlenden parlamentarischen Einrichtungen sei, traf für die Reformzeit in besonderem Maße zu28. Tatsächlich beruhte die kompensatorische Wirkung der russischen Publizistik darauf, daß der im lesenden Publikum präformierten politischen Gesellschaft Partizipation am Entscheidungsprozeß verwehrt war. Ein mit der Autokratie konkurrierendes Repräsentativorgan, das Rußland in konstitutioneller Richtung verwandelt hätte, schien sich damals selbst überzeugten Liberalen zu verbieten. Angesichts des unterentwickelten Bildungsstandes der Bevölkerung galt vielen Reformanhängern der Fortbestand der Selbstherrschaft in rechtsstaatlichen Formen noch als Grundbedingung organischen Fortschritts29. Pseudokonstitutionellen Plänen, wie sie in konservativen Adelskreisen, von slawophilen Literaten und zeitweilig auch vom Innenminister Valuev in unterschiedlicher Weise und Verbindlichkeit erwogen wurden, hat sich der Kaiser versagt. Wozu er sich schließlich verstand, war das mit der Reform von 1864 verbundene Angebot an die Gesellschaft, in bürokratisch kontrollierten Selbstverwaltungsorganen (Zemstvo) der lokalen Administration und Ökonomie dienlich zu sein. Der lokale Staat sollte nicht vom „allständischen" Zemstvo balanciert oder gar ersetzt werden; vielmehr sollten die gewählten Organe als machtloser Fortsatz des Behördensystems staatliche Pflichten erfüllen. Da das Gros des Adels diese zweifelhafte Offerte nur zögernd aufgriff und einzelne, vom englischen Selfgovernment inspirierte liberale Forderungen sich nicht durchsetzen konnten, blieb die Presse vorerst die einzige Instanz, die in Rußland kritische oder akklamierende Öffentlichkeit begründen konnte30. Außer Zweifel steht, daß der Kaiser und seine Minister die öffentliche Meinung als ein destruktives Element empfanden. Das steigende Selbstbewußtsein 28 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

der Publizistik wurde heftig beklagt, weil die Stimme der Regierung hier in der Regel nicht zu hören war. Die „Zeitungskrankheit" (gazetobolezn') wurde zu einer beunruhigenden Erscheinung, die den Hof, die Ministerien und die Gouvernementsbehörden gleichermaßen ergriff31. Der schwerfällige Regierungs­ apparat war nicht dafür gemacht, ein System der Presselenkung zu entwickeln, das beweglich genug gewesen wäre, um der publizistischen Herausforderung zu begegnen. Die offiziellen Journale der Ministerien und der Regierungs­ anzeiger boten kein ausreichendes Gegengewicht. Eine offiziöse Zeitung, wie sie der Innenminister 1861 mit der „Severnaja počta" (Nördliche Post) ins Le­ ben rief, kam gegen Qualität und Resonanz der großen Petersburger und Mos­ kauer Blatter nicht auf. Bei der Bewertung dessen, was „öffentliche Meinung" zu nennen war, ist frei­ lich zu beachten, daß sich in der Presse nur eine exklusive Minderheit aus­ sprach, die fast ausnahmslos in den beiden Hauptstädten saß. Auch das lesende Publikum, das diese Meinung zur Kenntnis nahm und als Öffentlichkeit einen losen Kommunikationszusammenhang begründete, blieb auf einen äußerst klei­ nen Teil der russischen Untertanenschaft beschränkt. Doch in einem Land, in dem „Politik" nichts anderes sein konnte als ein Minderheitenphänomen, war die Wirkung der Presse auf die Beziehungen zwischen Regierung und Gesell­ schaft deshalb keineswegs gering. Obwohl das Entscheidungsmonopol der Au­ tokratie nicht zur Debatte stand und die Regierung in der Lage war, mißlie­ bige Pressestimmen — auch nach Aufhebung der Präventivzensur für die hauptstädtischen Zeitungen (1865) — umstandslos zu unterdrücken32, wurde die Publizistik von der Obrigkeit als eine Art Gegenmacht empfunden: „Keine einzige, irgendwie bedeutende Zeitung", so der Innenminister 1868, sympathi­ siere aufrichtig mit der staatlichen Ordnung; in der Presse könne die Regierung allenfalls „einen zufälligen und zeitweiligen Verbündeten" finden, doch im übrigen „in ihr nur den Gegner sehen"33. Auch der Nachfolger Valuevs, Α. Ε. Timašev, beklagte, daß einzelne Presseorgane, die „Moskovskie vedomosti" (Moskauer Nachrichten) voran, sich „die Rolle eines obersten Gerichts" anmaßten, das „über die Würde und die persönlichen Fähigkeiten der zentralen Organe der Staatsgewalt" zu befinden habe. Wem an der Autorität der Behörden gelegen sei, dürfe das nicht dulden34. Um Rolle und Bedeutung öffentlicher Meinung im autokratischen System zu verstehen, müssen noch andere Faktoren in Betracht gezogen werden. Nicht zu übersehen ist, daß der Prestigebedarf der politisch Mächtigen, ihr Verlangen nach ideologischem Einvernehmen mit den Regierten, in der Phase des Umbruchs nicht geringer, sondern eher größer geworden war. Die Unsicherheit, wie weit der Reformprozeß zu treiben sei, und die Befürchtung, daß die Entwicklung der Regierung entgleiten könne, verstärkten die Empfindlichkeit. Die Staatsspitze wurde gewahr, daß sich in einer Zeit, in der die alte Sozialordnung zerbrach, Gesellschaft im gewohnten Sinn nicht mehr dingfest machen ließ. Weder die Ausdrucksmittel der Bürokratie noch der in Formen orthodoxer Frömmigkeit gekleidete Sprachstil, in dem der Kaiser mit dem bäuerlichen 29 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Volk verkehrte, waren geeignet, die neue Öffentlichkeit zu erreichen. Es zeigte sich, daß der soziale Dekompositionsprozeß, der die traditionellen Ordnungen durchschlug, allenfalls gebremst, nicht aber zurückgenommen werden konnte. Diese Verlegenheit kann erklären, weshalb einige eigenwillige und bei aller grundsätzlichen Loyalität durchaus kritische Publizisten binnen kurzem der amtlichen Politik ebenso unbequem wie unentbehrlich werden konnten. Ihre Reputation und ihr Einfluß drückten aus, daß die Regierung große Schwierigkeiten hatte, Normen zu formulieren, die einen tragfähigen Konsens vermittelt hätten. Mit der affektiven Wirkung, die von dem nationalrussischen Staatsbewußtsein des Moskauer Pressezaren M. N. Katkov oder dem slawophil-panslawischen Pathos I. S. Aksakovs ausging, vermochte kein Regierungsschreiber zu konkurrieren35. Daß der vehemente Nationalismus dieser und anderer Meinungsmacher sich letztlich als ein Element der Systemintegration erwies, hat die Sorgen der Regierung nicht gemildert. Es wurde befürchtet und war nicht auszuschließen, daß die in den Redaktionsstuben hergestellte Meinung sich verselbständigen und einen Anpassungsdruck entwickeln könnte, der die Selbstbestimmung der Autokratie bedenklich hätte einengen müssen. Schließlich ist zu beachten, daß sich in den Zeitungen und Zeitschriften des Landes politische Differenzen spiegelten, die im Kreis derer, die die offizielle Politik bestimmten, gleichermaßen lebendig waren. Was in Rußland „die Regierung" bildete, war keine monolithische Gesinnungsgemeinschaft. Liberale, slawophile und konservative Überzeugungen und Neigungen hatten auch hier kontroverse Ansichten ausgeprägt. Minister konnten sich durch Pressestimmen gestützt, nicht selten auch kompromittiert finden36. In den Positionsrivalitäten bei Hof und zwischen den Ressorts war der Verweis auf die öffentliche Meinung kein belangloses Argument. Die Presse war Gradmesser einer Popularität, die Einvernehmen mit der Gesellschaft suggerieren konnte, und Popularität war nun auch in Rußland ein politisch verwertbares Pfand. Die persönliche Vertrauensstellung, die einzelne Journalisten bei Ministern, bisweilen auch bei Hof genossen, erklärte sich daraus. Es gehörte zu den Ergebnissen der Reform, daß selbst kritische Publizistik in Rußland nicht mehr abzuschaffen war. Unbestritten ist, daß der krisenhafte Verlauf des Transformationsprozesses, der die innere Lage Rußlands in den sechziger und siebziger Jahren kennzeichnet, die Stellung des Zarenreiches im System der Mächte erheblich beeinflußt hat. Schon die Entscheidungen, die zu den Reformen führten, waren, wie erwähnt, von internationalen Verwicklungen und Rückschlägen provoziert worden. Ebenso wirkten nun auch die Folgen der Reform auf die internationale Politik der Autokratie zurück. Zwar wird man die Petersburger Diplomatie seit dem Pariser Frieden nicht allein als Funktion der russischen Binnenprobleme verstehen dürfen. Die Räson und die Operationsmuster außenpolitischen Verhaltens waren durch die Mächtekonstellation vorgegeben, die Begriffe von dem, was als russisches Interesse international zu vertreten sei, durch Traditionen und überkommene Orientierungen festgelegt. Aber das Argument, daß 30 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Rußland eine lange Periode der Ruhe brauche, war doch nicht leicht zu widerlegen. Die auswärtige Politik hatte im Dienst jener Regeneration zu stehen, die von den Reformen erwartet wurde. Konfliktrisiken waren zu meiden. Der neue „Realismus" machtpolitischer Abstinenz, den die Petersburger Diplornatie unter dem Fürsten Α. Μ. Gorčakov zu erkennen gab, schien diesem Sachverhalt zu entsprechen37. Dennoch ist nicht zu übersehen, daß defensive Außenpolitik immer gefähr­ det blieb. Rußland war aus den internationalen Beziehungen nicht ausgeschie­ den, und wie die Diplomatie hatte auch die Reformpolitik eine revisionistische Tendenz: Sie sollte die Positionsminderung, die Rußland im Krimkrieg erlitten hatte, überwinden helfen, sollte sicherstellen, daß das Imperium nicht auf das Niveau des Ottomanischen Reiches absinke, sollte gewährleisten, daß der Groß­ machtanspruch Rußlands nicht nur simuliert, sondern auch wahrgenommen werden konnte. Dies war ein Axiom der inneren Entwicklungs- und Sicher­ heitsstrategie, Damit aber geriet die Reformpolitik unter den permanenten Druck von Anforderungen, die nach Ansicht der russischen F ührung von den auswärtigen Interessen des Reiches diktiert wurden. Die Maßstäbe, die das Regime von der „Ehre" und „Würde" des Imperiums hatte, standen dem „Pri­ mat der Innenpolitik" entgegen. Überdies war zu erkennen, daß sich auch die öffentliche Meinung, das ge­ sellschaftspolitische Produkt der Reformzeit, der imperialen Interessen des Reiches annahm und den Arkanbereich autokratischer Politik mit F orderungen anging, deren internationale Bezüge rasch zutage kamen. Insofern war durch­ aus nicht auszuschließen, daß die Regierung in die Versuchung kommen konnte, innere Konflikte nach außen abzuleiten und ihre lädierte Autorität durch eine Politik der großen Tritte aufzufrischen. Die russische Balkanpolitik und die ausgreifende Expansion des Zarenreiches in Mittelasien werden unter diesen Aspekten gesondert zu betrachten sein.

2. Ökonomische Bedingungen Wohl kein anderer Problembereich kann das Spannungsfeld von imperialem Machtanspruch, struktureller Rückständigkeit und Reformkrise so unverstellt zum Vorschein bringen wie die Ökonomie der russischen Staatsanstalt. Von den wirtschaftlichen Ressourcen und deren Entwicklungsfähigkeit hing ab, ob Rußland imstande war, in der Konkurrenz der großen Mächte dauerhaft zu bestehen. Überdies kann eine Orientierung über das ökonomische Potential erweisen, wie eng die russischen Binnenprobleme mit den internationalen Be­ ziehungen des Zarenreiches verflochten waren. Um diese Verflechtung sichtbar zu machen, ist es nicht erforderlich, die russische Wirtschaftsgeschichte der Reformperiode in aller Breite anzugehen1. Bedenkt man, daß das Wirtschafts­ leben Rußlands in beträchtlichem Umfang staatlicher Reglementierung unter31 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

lag, dann bietet sich im Rahmen dieser Studie vor allem die Finanzpolitik als ein brauchbarer Indikator an. Sie spiegelt nicht allein die Armut des unterentwickelten Landes, sondern auch den konjunkturellen Verlauf jener Krise, die zu den endogenen Bedingungen russischer Außenpolitik in der Reformzeit gehört2. Ein Überblick über die Entwicklung des Staatshaushalts mag einen ersten Eindruck vermitteln (Tabelle 1). Tab. 1: Staatsfinanzen Rußlands Indikatoren für die Jahre 1861—80 (in Mill. Rubel) Jahr

1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880

Staats- davon davon davon Staats- davon davon davon Au- Neueröffeinnah- Alko- Zoll- An- ausgaben, Schul- Kriegs Finanz- ßen- nete Eimen, ins- hol- ein- lcihen insgesamt den- min. min. han- senbahnzahdels- strecken gesamt akzise nahmen lungen bilanz in km 417 337 428 391 401 442 483 470 502 561 588 594 617 599 647 617 879 971 965 741

126 130 130 114 124 122 134 134 138 164 175 173 180 202 198 191 191 215 229 223

33 33 34 27 26 32 37 37 42 43 49 55 56 58 64 73 52 81 93 96

15 39 44 28 78 68 48 45 81 80 71 79 41 71 58 330 345 303 90

414 393 432 437 428 438 460 492 535 564 557 583 612 602 605 704 1121 1076 812 793

51 53 57 74 72 75 82 83 88 86 85 88 93 94 107 109 115 140 172 173

116 114 156 155 140 130 127 137 148 145 159 166 175 172 175 191 192 187 187 209

94 + 10 55 + 28 62 59 + 11 68 + 45 80 + 18 -20 80 -34 86 -78 91 91 + 24 91 +1 103 -108 101 -79 -40 100 80 -149 80 -77 84 + 207 92 + 23 94 + 40 113 -124

612 1278 5 95 226 731 465 1748 1380 2565 2910 719 1846 2014 809 604 1459 1279 309 185

Quelle: Chromov, Ρ. Α., Ėkonomičeskoe razvitie Rossii v XIX-XX v. M. 1950, S. 462, 468, 494 f., 514.

Wer die zur Regeneration Rußlands verfügbaren Mittel an den Forderungen und Zumutungen maß, denen sich die Staatskasse nach dem Krimkrieg aus­ gesetzt sah, konnte schwerlich zu optimistischen Prognosen kommen. Der Krieg hatte den chronisch defizitären Staatshaushalt an den Rand des Bankrotts ge­ führt und Deckungslücken gerissen, die den Umfang der ordentlichen Einnah­ men zweier Etatjahre überschritten. Die auswärtige Staatsschuld erreichte fast eine halbe Milliarde Silberrubel. Nicht weniger bedrückend war, daß die zur Finanzierung des Krieges emittierten Kreditbillette den Papiergeldumlauf ins

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Ungemessene hatten steigen lassen. Der schwindende Valutafonds, der in Silber und Gold in den Kasematten der Peter-Pauls-Festung lag, deckte die Währung 1858 nur mehr zu 16,2 Prozent. Der Wechselkurs des Rubel schwankte zwischen 9 und 12 Prozent unter Parität 3 . Unter diesen Umständen verbot sich eine Politik, die darauf vertraut hätte, den Geldhunger, das „bezdenež'e" des Fiskus, durch neue Staatsanleihen zu lindern. Der Mangel an harter Valuta und die für Rußland ungünstige Handelsbilanz ließen die westliche Bankenwelt um die Zahlungsfähigkeit des Finanzministers fürchten. Ebenso war es nicht möglich, auf dem inneren Markt Kapital in nennenswertem Umfang zu mobilisieren. Bei den von der Regierung unterhaltenen Kreditanstalten war die Staatskasse Ende der fünfziger Jahre noch höher verschuldet als die Gutsbesitzer es waren, die dort seit Jahr und Tag ihre leibeigenen Seelen verpfändet hatten. Innere Anleihen bedeuteten stets, den ungedeckten Papiergeldumlauf, einen der Krebsschäden der Reichsfinanzen, noch weiter zu vergrößern. Dieser Befund muß mit den gewaltigen Belastungen zusammengesehen werden, die nach dem Pariser Frieden auf die Staatskasse zukamen. Ihr Umfang entzog sich jeder exakten Berechnung. Neben den permanenten Verpflichtungen hatte sich die Regierung vor allem der Frage zu stellen, wie der rasche Ausbau des Eisenbahnnetzes, an dessen Dringlichkeit niemand zweifelte, zu finanzieren sei. Als sich zeigte, daß die Entschädigung des Landadels für die Bauernbefreiung gewaltige staatliche Vorschüsse erfordern würde, kam ein weiteres Problem hinzu, das dem alten Finanzsystem an die Wurzeln ging. Seither stand fest, daß die einschneidende Reform dieses Systems eine Vorbedingung war, um die anderen Innovationen zustande zu bringen. Binnen weniger Jahre kam zutage, daß drei Wege der Problemlösung ausgeschieden werden mußten: 1. Eine grundlegende Änderung der überkommenen Steuerverfassung mit dem Ziel der Erhöhung der Staatseinnahmen verbot sich aus vielen Gründen. Die Aufhebung der adligen Steuerfreiheit war nicht durchsetzbar. Da um der inneren Stabilität willen an eine empfindliche Mehrbelastung der Bevölkerung nicht zu denken war, konnten kurzfristig allenfalls bescheidene Erhöhungen vorgesehen werden. Mit ihnen aber ließ sich die Kapitalarmut des Staates nicht beheben, auch mit den 15 Kopeken nicht, die der Fiskus 1862 den kopfsteuerpflichtigen Untertanen zusätzlich auferlegte. 2. Gleichermaßen schied der Gedanke aus, die Staatseinkünfte durch eine fühlbare Steigerung der Einfuhrzölle aufzubessern. Das umfangreiche Eisenbahnprogramm, das die verkümmerte russische Schwerindustrie niemals bestreiten konnte, verlangte die Öffnung der Grenzen für den Import. Mit dem liberalen Zolltarif von 1857, der die Schutzzollpolitik der Nikolajschen Periode aufgab, wurden entsprechende Konsequenzen gezogen, zum Leidwesen der Moskauer Textilproduzenten und Handelskreise, denen die billige Importware als Menetekel der „vaterländischen Industrie" erschien4. 3

Geyer

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3. Auch eine Währungsreform erwies sich als undurchführbar. Der Einzug der Kreditbillette, die Stabilisierung des Silberrubel oder gar der Anschluß des Rubels an den Goldstandard waren unter den gegebenen Bedingungen nicht zu verwirklichen. Schon im Frühjahr 1862 mußte der neue Finanzminister Michael von Reutern eingestehen, daß solche Hoffnungen getrogen hatten: Die Deckungsfähigkeit des Rubel hätte Außenhandelsüberschüsse vorausgesetzt, die es nicht gab. Auch mit einem ausgeglichenen Haushalt konnte in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden. Was blieb, um die Reformen und die Eisenbahnen zu finanzieren, war der Umbau des russischen Bank- und Kreditsystems, die Liquidierung des staatlichen Kreditmonopols, die rasche Entwicklung eines privaten Bankenwesens, des Aktien- und Wechselrechts, die Schaffung von Investitionsanreizen durch staatliche Bürgschaften für aus- und inländische Kapitalanlagen. In eben dieser Richtung trat die russische Finanzpolitik seit dem Pariser Frieden mit weiterwirkenden Neuerungen auf. Dank der Aufhebung des überkommenen Kreditsystems (1859) konnte sich die Entschädigung des Landadels (425 Mill. Rubel) vorerst auf Umschuldungsaktionen beschränken, und die partielle Entstaatlichung des Kapitalmarktes sorgte dafür, daß das Eisenbahngeschäft zu florieren begann — unter der Regie ausländischer Bankhäuser, von Aktiengesellschaften getragen. Den Konzessionären garantierte die Staatskasse einen Minimalprofit, in der Regel fünf Prozent des Anlagekapitals, dazu zollfreie Einfuhr von Schienen, Waggons, Lokomotiven und anderem Material. Nach Gründung der „Grande société des chemins de fer russes" im Januar 1857, hinter der der „Crédit Mobilier", sowie Amsterdamer und Londoner Banken standen, wurde die russische Geschäftswelt, Hofkreise und hohe Bürokratie nicht ausgenommen, vom „Eisenbahnfieber" ergriffen. Als in Petersburg, unter dem Schutz der Gendarmen, die Emission der Eisenbahnpapiere begann, „war das Gedränge so stark, daß Türen durchbrochen sind, und die Menschen gewaltsam haben zurückgehalten werden müssen"5. Im 19. Jahrhundert haben alle vom modernen Kapitalismus erfaßten Länder die „Transportation Revolution" durchschritten (Tabelle 2) 6 . Aber nirgends Tab. 2: Eisenbahnbau in Rußland 1. Betriebsfertige Strecken in km

1850 1860 1870 1880 1890 1900 1910

Insgesamt

davon Asiatisches Rußland incl. Mandschurei

601 1 589 11 243 23 982 32 390 56 976 76 946

-

125 1 433 8 869 17 390

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2. Russisches Eisenbahnnetz im internationalen Vergleich 1850—1900 (in km)

Rußland Deutschland Österreich-Ungarn Großbritannien Frankreich USA

1850

1860

1870

1880

1890

1900

601 6 044 1 579 10 653 3 083 14 515

1 589 11 633 4 543 16 787 9 528 49 292

11 243 19 575 9 589 24 999 17 931 85 139

23 982 33 838 18 512 28 854 26 189 150 717

32 390 42 869 27 113 32 297 36 895 268 409

56 976 51 391 36 883 35 186 42 827 311 094

Quelle: Enciklopedičeskij slovar' Russkogo Bibliografičeskogo instituta Granat. T. 20, Moskau o. J . Železnye dorogi, 18 f. sonst ist der Eisenbahnbau ein so unmittelbares Produkt staatlicher Initiative gewesen wie im Zarenreich, nirgends sonst hat er die staatliche F inanzpolitik vergleichbar intensiv geprägt. F ür die Autokratie aber wurden die Eisenbahnen zu einer fundamentalen Bedingung der eigenen Machterhaltung, zu einer Vor­ aussetzung dafür, die traditionelle Großmachtposition des ökonomisch unter­ entwickelten Landes zu sichern: „Je länger wir . . . zaudern, desto mehr werden wir hinter Westeuropa zurückbleiben, desto weniger werden wir imstande sein, unsere Landwirtschaft zu entwickeln, ja sie auch nur vor dem Verfall zu be­ wahren." 7 Die internationale Handlungsfähigkeit des Imperiums hing daran. Obwohl auch in Rußland die erste Ausbauphase des Schienennetzes privaten Aktiengesellschaften oblag und der F iskus sich in der zweiten Hälfte der sech­ ziger Jahre sogar dazu entschloß, die älteren Staatsbahnen zu reprivatisieren, blieb die Regierung als lenkende und zahlende Kraft im Spiel. Die Garantie von Minimaldividenden und die Importprivilegien der Konzessionäre zeigen das. Sie bedeuteten, daß der Staat für die Verluste einstand, ohne die Gewinne verstaatlichen zu können. Dieser kostspielige Protektionismus war Ausdruck des bürokratisch-fiskalischen Charakters der russischen Autokratie wie ökono­ mische Konsequenz der Rückständigkeit. Das Interesse des Privatkapitals, in einem armen und politisch instabilen Land zu investieren, war nur dann zu wecken, wenn ungewöhnliche Profitchancen und Sicherungen geboten wurden. Andererseits brachte die Staatsintervention zutage, wie eng die machtpoli­ tische Räson des Imperiums mit den Eisenbahnen zusammenhing. Die Konzes­ sionsvergabe sicherte die Planungshoheit der Regierung. Gesichtspunkte ökono­ mischer Rentabilität und militärstrategischer Planung mußten jeweils abgewo­ gen werden. Nicht nur die Erfahrungen des Krimkrieges, auch der polnische Aufstand von 1863 offenbarte, daß vom Verkehrsausbau „Einheit und Inte­ grität des Staates" abhängig waren, die Mobilität der Armee, die Unterdrük­ kung „partikularistischer Bestrebungen" an der Peripherie8. Auch wurden die ökonomischen Erwartungen, die sich an die Eisenbahnen knüpften, von der Regierung nicht in liberalkapitalistische Entwicklungskonzepte, sondern in fis­ kalisches Sanierungsdenken umgesetzt. F reihändlerische Theorien, denen der Finanzminister Reutern nicht fernstand, kamen gegen den Zwang zur Staats3*

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intervention nicht auf, der von der russischen Kapitalarmut und vom Primat autokratischer Herrschaftssicherung ausging. Extreme Auslandsabhängigkeit ist für die russische Eisenbahnfinanzierung kennzeichnend geblieben. Damit war die Zukunft des autokratischen Regimes am Börsenzettel zu einem guten Teile festgemacht. Das bedeutete zum einen, daß der „kosmopolitische Charakter " der Kapitalien Rußland nun in die weltwirtschaftliche Konjunkturbewegung einbezog. Schon die Finanzkrise von 1857 hatte in den ersten Eisenbahn- und Aktienrausch ernüchternd eingeschlagen und um die Realisierung der Konzessionsverträge bangen lassen9. Zum anderen hing das russische Entwicklungsprogramm ganz wesentlich davon ab, was die dank des Telegrafen gut unterrichteten europäischen Banken von der inneren Stabilität des Reiches dachten. Der Rubelkurs an den Börsen war ein feines Barometer. Damit wurden die Reformen des „Zar-Befreiers" zu einer Lebensfrage des russischen Staatskredits. Der Autoritätsschwund der Selbstherrschaft, die Ungewißheit über die Folgen der Agrarreform, die revolutionäre Agitation, die Unruhe auf den Dörfern und unter den Studenten, empfindlicher noch der polnische Aufstand sorgten dafür, daß die Anlagebereitschaft des Auslands in Grenzen blieb und russische Kapitalien aus dem Lande gingen. Die Sensibilität der internationalen Haute Finance für die innerrussischen Krisenlagen läßt ahnen, welche Bedeutung die Rußlandberichte der ausländischen Presse, Diplomaten und Reisenden damals gewannen10. Jedes Pamphlet, das die Klischees der liberalen Russophobie in eindrucksvollen Bildern weitergab, beschädigte nicht nur „Ehre" und „Würde" des Petersburger Regimes, sondern immer auch den russischen Staatskredit. Die nervöse Gespanntheit der Regierung, ihre Sorge um internationales Ansehen, ihre Neigung, durch kompensatorische Handlungen ungebrochene Kraft zu demonstrieren, die Anstrengungen der Diplomatie, dem russischen Prestige aufzuhelfen — diese so charakteristischen Verhaltensmuster der russischen Machteliten hatten hier ihren ökonomischen Grund. Was Finanzkrise in Rußland bedeutete, hat Reutern im September 1866, zehn Jahre nach dem Pariser Frieden, in einem umfangreichen Immediatbericht dem Herrscher dargetan. Selbst wenn man abstreicht, was dieses Dokument ressortgebundener Dramatisierung verdanken mag — die Lage war alarmierend genug. Nach wie vor war die „Desorganisation des Geldumlaufs" das Kainszeichen des Systems. Staatskasse und Privatpersonen, „insbesondere aber die Grundbesitzer", fanden nur unter den schwersten und ruinösesten Bedingungen noch Kredit. Bei rapide wachsendem Kapitalbedarf hatte der Umfang privater Kapitalbildung abgenommen, „weit schlimmer" noch als vor dem Krieg. Der Glaube war dahin, „daß Rußland vor allen revolutionären Umtrieben und finanziellen Krisen sicher sei". Deshalb habe der Geldzufluß aus dem Ausland einer verhängnisvollen Kapitalflucht Platz gemacht. Reutern bangte um die Zahlungsfähigkeit des Staates und sah eine Lage voraus, die den russischen Kredit im Ausland endgültig vernichten und „Rußland zu einer Macht zweiten Grades degradieren" müsse11.

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Wundermittel zur Abwendung der Krise hatte der Minister nicht im Portefeuille. Die Staatsschuld hatte sich in den Jahren 1862—1865 abermals um fast 360 Millionen Rubel vermehrt; der russische Valutafonds deckte nur mehr acht Prozent des Geldumlaufs. Jetzt führte an einem harten Austerity-Programm nichts vorbei. Die Etats des Kriegs- und des Marineministeriums sollten davon nicht ausgeschlossen bleiben. Im einzelnen empfahl Reutern die Stabilisierung des bei 68 Kopeken Silber schwankenden Wechselkurses, die Vermeidung neuer Staatsanleihen, den Verzicht auf kostspielige Reformen, Minderung der Einfuhr und Steigerung des Exports, die Erhöhung der Kopfsteuer um weitere 40 Prozent, „obgleich dies ihnen [den Untertanen] schwer werden wird und ihre Unzufriedenheit erregen kann"12. Auch der Verkauf Alaskas an die Vereinigten Staaten, der der Staatskasse 7,2 Mill. Dollar (ca. 11 Mill. Rubel) eintrug, gehört in diesen Zusammenhang13. Trotz der finanziellen Dauerkrise schien der Staatszweck in den Eisenbahnen nach wie vor vollkommen aufzugehen. In ihnen liege, so Reutern, „nicht nur die Zukunft unserer Valuta und des Wechselkurses, sondern überhaupt der wirtschaftlichen Entwicklung, der Finanzen, ja sogar der politischen Bedeutung Rußlands". „Unsere ganze Zukunft hängt von den Eisenbahnen ab." Alles komme darauf an, das Vertrauen der ausländischen Kapitalisten zurückzugewinnen, nicht zuletzt durch Sanierung des unrentablen, schlecht geführten und entsprechend beleumundeten Eisenbahnwesens. Um den russischen Staatskredit wiederherzustellen, seien entschiedene politische Folgerungen vonnöten: die rasche Festigung der inneren Stabilität und eine enthaltsame Außenpolitik, der Verzicht auf jede „Einmischung in die politischen Streitigkeiten anderer Mächte"14. Die Finanzkrise, die Reutern als Existenzfrage des Staates beschrieb, brachte die Kosten der Reformen ans Licht. In der ungeminderten Kapitalflucht drückte sich aus, wie gering das Vertrauen war, das die besitzenden Klassen, der vermögende Teil des Landadels zumal, in die Politik des Kaisers setzten. Im Jahr des polnischen Aufstands hatte der Goldtransfer (in Valuta und Barren) über die europäischen Grenzen nahezu das Zehnfache von 1860 betragen. Zwischen 1861 und 1866 waren Werte von mehr als 170 Mill. Rubel ins Ausland abgeflossen; ihnen standen an Zuflüssen lediglich 37 Mill. gegenüber. Nur mit größter Mühe und unter abermaliger Vermehrung der Schuldenlast hatte die Regierung durch eine 15-Mill.-Pfundanleihe von 1862 (96 Mill. Rubel) und eine englisch-holländische Anleihe von 1864 (38 Mill. Rubel) einen gewissen Ausgleich zu schaffen vermocht. Am allgemeinen Kapitalhunger war indessen nicht nur der Vertrauensschwund beteiligt, der sich aus der instabilen inneren Lage nach 1861 ergab. Die vom amerikanischen Bürgerkrieg verursachte Verknappung und Verteuerung der Rohbaumwolle hatte diesen Zweig der zentralrussischen Textilindustrie hart getroffen, weil sich dessen Importabhängigkeit durch Einfuhren aus den mittelasiatischen Anbaugebieten nicht kompensieren ließ. Auch die schlechten Ernten von 1864 und 1865 waren der Massenkaufkraft abträglich gewesen. Nicht zuletzt aber wirkte die internationale Krise,

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die 1866/67 in den Konkursen bedeutender europäischer Bankhäuser zum Ausdruck kam, auf die katastrophale Finanzlage Rußlands verschärfend ein15. Unter diesen Umständen war das ehrgeizige Eisenbahnprogramm, das die Regierung 1862/63 festgelegt hatte, nur äußerst schleppend vorangekommen. Eine Reihe privater Eisenbahngesellschaften hatte zu Lasten der Staatskasse Bankrott gemacht. Von der Südbahn, die Moskau mit Sevastopol' (über Kursk und Char'kov) verbinden sollte, stand 1866 nur die Strecke bis Orel, dazu ein Teilstück, das später Odessa mit Kiev verbinden sollte; vollendet war die Bahn, die die 1862 eröffnete Linie Riga — Dünaburg nach Vitebsk weiterführte. Ökonomische Hoffnungen weckte bisher lediglich die mit deutschem und englischem Kapital errichtete Strecke Rjazan' — Kozlov, von der Reutern noch 1869 sagte, daß sie „der erste von unseren Schienenwegen" sei, „der in die reichen Getreidegegenden eindringt"16. Tatsächlich war, da nun eine direkte Verbindung mit Moskau und (über die Nikolaj-Bahn) auch mit Petersburg bestand, ein erster Anfang für die dringliche Belebung des russischen Getreideexports gemacht. Aber die Gesamtbilanz konnte in der Krisenzeit von 1866, als der preußisch-österreichische Krieg den militärstrategischen Wert der Bahnen abermals verdeutlichte, niemanden optimistisch stimmen. Daß sich das russische Eisenbahngeschäft noch 1867 gleichwohl aus der Stagnation erhob und in eine Aufschwungphase mündete, muß einem ganzen Bündel von Faktoren gutgeschrieben werden. Die Regierung begleitete die bald abebbende Wirtschaftskrise im Westen mit dem Bemühen, dem von Reutern empfohlenen Stabilisierungskurs Genüge zu tun. Von ihm gingen neue Investitionsanreize aus. Die Drosselung der inneren Reformen, angeregt auch durch ein Attentat auf den Zaren (April 1866), die Einschränkung unproduktiver Ausgaben, die Erhöhung der Kopfsteuer und einiger Akzisen festigten den Staatskredit. Auch für den Verkehrsausbau verstand Reutern neue Mittel aufzutun: Der Verkauf der staatlichen Bahnen, der dem Fiskus allein durch Privatisierung der Moskau-Petersburger Linie über 105 Mill. Rubel eintrug, erlaubte die Bildung eines Eisenbahnfonds außerhalb des ordentlichen Budgets und die Aufnahme neuer Staatsanleihen17. Mit Hilfe dieses Fonds leitete die Regierung einen Bauboom ein, der mehrere Jahre anhielt und den deutschen Begriff der „Gründerzeit" (grjunderstvo) ins Russische transferierte, bezogen auf die hochkonjunkturelle Phase zwischen 1868/69 und 1873/74. Flankierende Maßnahmen kamen hinzu. Der neue Tarif von 186818 protegierte durch hohe Einfuhrzölle (zwischen 25 und 30 Prozent!) die zentralrussische Textilindustrie, deren Vertreter von jeher gegen den liberalen Zoll von 1857 erbittert gefochten hatten. Dagegen begünstigten die neuen Verordnungen die Einfuhr von Roheisen und Stahl für die russischen Eisenhütten und Walzwerke, für einen unterentwickelten Industriezweig, der dem empfindlichen Rückschlag, den der Entzug leibeigener Arbeitskräfte gebracht hatte, noch nicht entkommen war. Hier deutete sich an, daß der Finanzminister um der Eisenbahnen willen nun auch zu einer differenzierten Industrieförderung überging19. Seit 1866/67 wurde, „um den schweren Tribut der Auslandszahlungen"

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zu erleichtern, die russische Schienen-, Waggon- und Lokomotivenproduktion durch Staatsaufträge und Subventionen stimuliert. Dem Kriegs- und dem Ver­ kehrsministerium und anderen Behörden wurde aufgetragen, ihre Bestellungen trotz aller Schwierigkeiten im Lande zu tätigen20. Es stellte sich heraus, daß die Eisenbahnen — wie in Deutschland seit den vierziger Jahren — zum Leit­ sektor des schwerindustriellen Ausbaus werden konnten. Um die Mitte der siebziger Jahre überstieg die russische Lokomotiven- und Waggonproduktion bereits die Einfuhr; der Ausstoß der Walzwerke, vorerst noch auf veraltete Eisenschienen festgelegt, hinkte nach21. Die Statistik kann zeigen, wie rasch die industrielle Produktion über den Stand von 1860 hinauswuchs (Tabelle 3). Tab. 3: Wachstum der industriellen Produktion in Rußland (ohne Polen und Finnland )1860—1877 in Prozent von 1860

1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877

Kohle­ förderung

Roheisen

Stahl und Gußeisen

Maschinenbau

Baumwollund Spinne­ reiwaren

100,0 128,4 115,4 119,7 133,4 127,4 152,0 145,9 150,3 201,1 231,2 276,6 362,3 391,3 430,7 567,3 608,3 596,3

100,0 95,0 74,8 83,0 89,3 89,3 91,0 85,8 96,8 98,0 107,0 107,0 119,0 113,2 113,2 127,4 131,8 119,1

100,0 93,1 83,0 94,6 87,6 85,3 90,0 91,4 110,0 114,7 121,8 124,1 131,0 125,7 145,7 149,8 146,9 146,9

100,0 97,7 99,2 138,9 159,5 111,4 110,7 111,4 135,9 146,6 217,6 212,2 251,1 242,7 314,5 331,3 345,0 366,4

100,0 103,8 93,5 80,7 109,0 128,8 167,3 151,0 147,5 186,0 201,0 194,2 214,4 207,1 213,0 219,6 214,0 217,1

Quelle: Jakovlev, A. F., Ėkonomičeskie krizisy v Rossii. Moskau 1955, S. 397, 400. Berechnungsgrundlage für die Spalten 1-3 und 5 ist die Produktionsmenge (in Pud), in der Spalte 4 der Warenwert (in Kreditrubel). Sieht man auf den Ertrag dieser „Gründerzeit", so zeigt sich neben dem Auf­ blühen der Aktiengesellschaften, des Bankenwesens und der rüden Spekulation, daß ein kräftiger Durchbruch zur Verkehrserschließung des Landes gelungen war. In wachsender Zahl waren nun auch Zemstvo-Verwaltungen und der baltische Adel ins Eisenbahngeschäft eingestiegen. Das Schienennetz hatte sich zwischen 1868 und 1871 um mehr als 8600 Kilometer vergrößert. 1875 waren die Südbahnen vollendet, die Schwarzerdezone mit den Schwarzmeerhäfen 39 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

verbunden, die baltischen H äfen an die inneren Gouvernements angeschlossen, die mittlere Wolga bei Saratov und Caricyn erreicht, die strategischen Linien in die westlichen Grenzmarken und zur preußischen und österreichischen Grenze hin ausgebaut. In den Kaukasus kam man per Bahn nun bis Vladi­ kavkaz, und von Tiflis nach dem Hafen Poti auch22. Hinzuzurechnen ist, daß seit Aufhebung der Leibeigenschaft die Marktlei­ stung der Landwirtschaft und damit auch der russische Agrarexport konti­ nuierlich zugenommen hatten — und dies keineswegs allein wegen der ver­ besserten Transportbedingungen oder wegen der wachsenden Produktivität modernen agrarischen Unternehmertums23. Nicht weniger wichtig war, daß Steuerauflagen und Ablösungszahlungen die Masse bäuerlicher Kleinprodu­ zenten dazu zwang, ihre Ernte nicht zu verzehren, sondern auf den Markt zu bringen. Spektakuläre Außenhandelsüberschüsse haben sich aus der Vergröße­ rung des Exportvolumens freilich nicht gewinnen lassen, denn in den Jahren des konjunkturellen Aufschwungs wurde die russische Ausfuhr durch den kräftig steigenden Importbedarf allemal überholt (Tabelle 4). Die unvermin­ dert wachsenden Staatsschulden (1. 1. 1871: ca. 1,8 Mrd. Rubel, 1. 1. 1875: 2,9 Mrd.) zeigten an, daß die Finanzarmut nach wie vor eine Konstante der russischen Wirtschaftspolitik geblieben war. Tab. 4: Außenhandel Rußlands im Jahresdurchschnitt (in Mill. Kreditrubel)

1861-65 1866-70 1871-75 1876-79 1880-85 1886-90 1891-95 1896-99

Gesamtexport

Getreideexport

Gesamtimport

181,6 263,7 374,9 543,6 565,2 665,7 628,0 694,5

60,3 104,8 179,9 305,9 296,6 342,6 306,3 326,9

290,6 456,1 520,2 528,5 415,0 451,6

-,-

-,-

Saldo -,-

-26,9 -81,2 +14,4 + 50,0 + 250,0 + 161,1 -,-

Quelle: V. A. Zolotov, Chlebnyj ėksport Rossii čerez porty Černogo i Azovskogo morej v 60-90e gody XIX v., Rostov 1966, S. 97, 100, 103 (Tab. 24, 27, 29). Die H ochkonjunktur der ausgehenden sechziger Jahre hat sich in Rußland bereits im H erbst 1872 abzuschwächen begonnen, Geschäftsstockungen und sin­ kende Börsenkurse signalisierten, daß die Wende nahe war. „Bankomanie" und „Goldregen", die mit dem französischen „Milliardensegen" in Deutschland ver­ glichen wurden, hatten zu einer gefährlichen Überhitzung geführt. Die Krise von 1873 brachte dies vollends ans Licht — im gleichen Jahr, in dem die in­ ternationale Finanzwelt durch den Bankenkrach in Wien, New York und Ber­ lin erschüttert wurde und die amerikanische Eisenbahnspekulation an ihr Ende kam24. Stärker als 1857 und 1866 war diese neuerliche Krisenzeit durch struk40 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

turelle Widersprüche des russischen Kapitalismus mitbedingt. 1875/76 erreichte sie ihren tiefsten Stand. Vor allem das aufgeblähte Netz der russischen Aktien-, Handels- und Kreditbanken wurde schwer getroffen. Der Strousberg-Skandal, der im Oktober 1875 die Moskauer Commerz- und Darlehnsbank zum Einsturz brachte, ließ den russischen Bankenkrach vor aller Welt sinnfällig werden25. In der Stagnation des Eisenbahnbaus, dessen Volumen 1875 und 1876 im Vergleich zu 1873 und 1874 um 65 Prozent zurückfiel, zeigten sich weiterwirkende Folgen. Erst Anfang der neunziger Jahre konnten sie überwunden werden. Im gewerblichen Bereich wurde die Textilindustrie von Produktionsrückgang, Umsatzschwund und Preisverfall stärker erfaßt als der von Staatsaufträgen gestützte Maschinenbau, dessen Entwicklung 1873 gleichwohl in eine Phase verlangsamten Wachstums eintrat. Krisenverschärfend wirkten die schlechten Ernten von 1875 und 1876; sie schlugen auf den russischen Außenhandel sofort durch, der durch sinkende Weltmarktpreise für Getreide zusätzlich getroffen wurde. Anders als in den Jahren zuvor, als die Zahlungsbilanz durch Haushaltsüberschüsse hatte ausgeglichen werden können, riß der Negativsaldo des Außenhandels in den Jahren 1875 und 1876 (226 Mill. Rubel) alarmierende Dekkungslücken. Entsprechend schrumpfte der russische Valutafonds. Reuterns altes Ziel, durch Geldanhäufung den Papierrubel zum Nominalwert konvertierbar zu machen, verlor sich in weiter Ferne. Der Staatskredit schwand dahin. Kapitalflucht über die Grenzen regierte die Stunde. Der Finanzminister hat den anhaltenden Absturz aus der Hochkonjunktur nicht allein auf die Polemik ausländischer Blätter zurückgeführt, die die russische Wirtschaftslage in düsteren Farben schilderten. Er verwies vielmehr auf die strukturellen Ursachen der Krise. Als deren wichtigste erschien ihm aus gutem Grund die zunehmende Abhängigkeit Rußlands von den ausländischen Märkten26. Tatsächlich war der proportionale Anteil importierten Kapitals in der Wirtschaft des Zarenreiches auch später niemals größer als in den sechziger und siebziger Jahren. Diese Abhängigkeit hat namentlich die deutschrussischen Beziehungen überaus krisenanfällig gemacht. Hauptgläubiger Rußlands war das deutsche Kapital, das sich zwischen 1865 und 1876 mit insgesamt ca. 900 Mill. Mark (417 Mill. Rubel) an der Finanzierung des russischen Eisenbahnbaus beteiligt hatte. Als Folge tiefgreifender Veränderungen auf dem internationalen Agrarmarkt war das Deutsche Reich zum größten Abnehmer für den russischen Getreideexport geworden, während die deutsche Industrie den erweiterungsfähigen russischen Markt zu erobern begann27. Langfristig meinte Reutern den einzigen Ausweg in einem Kurs zu sehen, der diese Abhängigkeit zu mildern vermöchte: im Verzicht auf Auslandsanleihen, in der Steigerung des Exports und im Übergang zu einer Tarifpolitik, die der Einfuhr „engere Schranken" weise. Mit der Erhebung der Importzölle in Gold zum 1. Januar 1877, einer faktischen Erhöhung um 40—50 Prozent, wurde ein erstes Zeichen gesetzt28. Der Minister durfte dabei des Beifalls der auf Zollschutz

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drängenden Maschinenbauindustrie und der Vertreter des neuerschlossenen südrussischen Kohlereviers sicher sein. Diese Maßnahme hat jedoch einen durchgreifenden Sanierungsversuch nicht einzuleiten vermocht. Sie war nicht nur eine Antwort auf die Depression, son­ dern stand bereits im Schatten der zusätzlichen Belastungen, die der Minister seit Herbst 1876 infolge der Orientkrise auf die Staatsfinanzen zukommen sah. Das russische Engagement auf dem Balkan, das im November zur Teilmobili­ sierung führte und im April 1877 schließlich zum Krieg gegen die Pforte, Heß jede Hoffnung auf rasche Erholung verlorengehen29. Die erneute Expansion des Papiergeldumlaufs durch massenhafte Emission von Kreditbilletten war unausweichlich. Als die Reichsbank im November 1876 eine erste Anleihe von 100 Mill. Rubel zur Subskription auslegte, wurde diese, trotz öffentlicher Zu­ stimmung zur „Befreiung der Balkanchristen", nur zu einem Teil gezeichnet. Die Zerrüttung des Kapitalmarktes wirkte sich auf den Truppenaufmarsch aus. Vor dem Hintergrund der F inanz- und Wirtschaftskrise bedarf es keiner Be­ gründung mehr, weshalb Reutern der wohl schärfste Gegner einer Politik ge­ wesen ist, die, wie er dem Zaren schrieb, „selbst im F alle eines Sieges Rußland auf lange Zeit ruinieren" werde30. Dieses Resultat sei mit der gleichen Sicher­ heit vorauszusagen, wie „wenn man zwei Eisenbahnzüge gegeneinander los­ fahren sehe"31. Niemals zuvor waren in Rußland Außenpolitik und Wirt­ schaftskrise so ineinander verklammert wie in jenen Wochen, in denen das Imperium — als einzige europäische Großmacht — sich anschickte, in den Krieg zu ziehen. Zu der generellen F rage nach den endogenen Bedingungen russischer Außen­ politik kann dieser knappe, an den F inanzproblemen des Reiches orientierte Überblick eine Reihe weiterführender Hinweise geben: Erstens ist deutlich, daß chronische F inanzmisere, industrielle Rückständigkeit und infrastrukturelles Entwicklungsprogramm gegen die Entfaltung offensiver außenpolitischer Stra­ tegien sprachen. Auch angesichts der Kapitalabhängigkeit Rußlands empfahl sich eine Politik der Konvenienz und der umsichtigen Pflege des russischen Pre­ stiges. Es kam darauf an, den russischen Staatskredit im Ausland zu erhalten. Die Diplomatie Gorčakovs versuchte, diesem F undamentalinteresse, so gut es eben ging, Genüge zu tun. Zweitens ist festzuhalten, daß die militärische Modernisierung in Rußland wegen der finanziellen Bedrängnis nur schleppend vorankommen konnte. Die Reformen des Kriegsministers D. A. Miljutin wurden nicht nur durch den Wi­ derstand konservativer Opponenten aufgehalten, sondern ebenso durch die be­ greifliche Renitenz des F inanzministers. Ungeachtet des Anpassungsdrucks, der von den Erfahrungen des deutsch-französischen Krieges ausging, waren die Umrüstung des Heeres und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (1874) umstritten, ihre Durchführung bis zum Balkankrieg war unvollendet geblie­ ben32. Auch in Petersburg galt es als ausgemacht, daß die russische Armee ei­ nem militärischen Konflikt im Westen, gar mit einer feindlichen Koalition, 42 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

nicht gewachsen sei. Die erheblichen Fortschritte des Eisenbahnbaus hatten die russische Unterlegenheit gemildert, aber keineswegs beseitigt. Drittens ist zu sehen, daß die innere Stabilität des Regimes und die russische Kreditfähigkeit im Ausland eng zusammenhingen. Mißernten, Geschäftsstokkungen und Bankenkrisen schlugen sich in sinkenden Börsennotierungen, wachsendem Kapitalabfluß und im Rückgang ausländischer Investitionen nieder. Für den auswärtigen Staatskredit gleichermaßen hinderlich waren alle Zeichen politischer Unruhe, wie sie nach dem polnischen Aufstand in der revolutionären Bewegung am deutlichsten sichtbar blieben. Wegen der Kapitalabhängigkeit Rußlands hatte also die wirtschaftliche wie die innenpolitische Entwicklung beträchtliche Konsequenzen für die internationale Position des Reiches. Viertens ist festzuhalten, daß Stabilität während der Regierungszeit Alexanders weder in wirtschaftlicher noch in politischer Hinsicht durchzusetzen war. Auch durch die Drosselung, ja die partielle Zurücknahme politisch relevanter Reformen hatte sich das Vertrauensdefizit, das für das Verhältnis zwischen Regierung und Gesellschaft charakteristisch blieb, nicht aufheben lassen. Die Innenpolitik trieb die liberalen Minderheiten in die Resignation oder in regimefeindliche Oppositionszirkel, ohne der Mehrheit des Adels den Eindruck zu geben, daß die adligen Interessen bei der Obrigkeit wohlgeborgen seien. Aus den Spekulationsgewinnen einzelner Eisenbahnaktionäre, der Hektik des Börsengeschäfts und der staatlichen Förderung unternehmerischer Initiative wuchsen der Autokratie zwar neue Interessenten, aber keine bürgerliche Basis zu, die tragfähig gewesen wäre. Dank der chronischen Finanzmisere war die Regierung nicht imstande, sich gesellschaftlichen Konsens durch wirksame ökonomische Gratifikationen zu erkaufen. Faßt man diese Beobachtungen zusammen, so sprachen Kapitalarmut und finanzielle Abhängigkeit, militärischer und industrieller Rückstand, Ökonomische und politische Krisenanfälligkeit Rußlands eindeutig für eine defensive Außenpolitik. In der Expansion nach Zentralasien, die Rußland in eine Dauerkonfrontation zu England brachte, und im Balkan-Engagement mit der Konsequenz des Krieges scheint ein dysfunktionales Verhalten der russischen Machteliten zum Vorschein zu kommen, das einer zusätzlichen Erklärung bedarf.

3. Funktionen des Nationalismus Die bisherigen Beobachtungen haben verdeutlicht, daß die von den Reformen angestoßene Transformationskrise eine wesentliche Voraussetzung für die beschränkte Handlungsfähigkeit Rußlands im internationalen System gewesen ist. Dabei darf gelten, daß die Staatsführung unter dem Eindruck stand, der Loyalität der politisch relevanten Gesellschaft nicht sicher zu sein. In der publizistischen Diskussion spiegelte sich der Autoritätsschwund des Regimes, an dem nicht nur die Zerfahrenheit der Regierungspolitik, sondern ebenso die 43 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

ökonomische Misere des Landes großen Anteil hatten. So wenig dafür spricht, daß in den sechziger und siebziger Jahren ein revolutionärer Umsturz drohte, so wenig läßt sich übersehen, daß das politische Verhalten der Regierenden von anhaltenden Bedrohungsvorstellungen geprägt blieb. Unzweifelhaft wurde das Bewußtsein existentieller Gefährdung nicht so sehr von der internationalen Mächtekonstellation vermittelt als vielmehr von der mangelnden Stabilität der inneren Verhältnisse. Erst die Komplexität ungelöster und, wie es schien, kaum lösbarer Binnenprobleme erklärt, weshalb die Regierung auch um die internationale Position des Imperiums meinte fürchten zu müssen. Wie die Überwindung von Rückständigkeit und Finanzschwäche galt die innere Sicherheit als Bedingung imperialer Machterhaltung. Daß solche Sicherheit kein bloßes Polizeiproblem gewesen ist, war dem Zaren wie den meisten seiner Minister aufgegangen. Auf die Herstellung eines tragfähigen gesellschaftlichen Konsensus kam es an. Die Erfahrung lehrte, daß dieses Ziel weder durch politische Zugeständnisse noch durch ökonomische Mittel zu erreichen war. Die Zerspaltenhett der Gesellschaft und die Armut des Staates standen dem entgegen. Akzeptiert man diese Sachverhalte, dann wird die Frage wichtig, ob und inwieweit sich Vertrauen und Zustimmung womöglich durch die ideologische Überwölbung bestehender Widersprüche und Gegensätze schaffen ließen. Dies hätte vorausgesetzt, daß das Regime imstande gewesen wäre, durch überzeugende Repräsentation imperialer Macht, durch die Renaissance des charismatischen Elements der Selbstherrschaft1, oder aber durch Entfaltung moderner Integrationsstrategien eine hinreichend breite ideologische Sammlungsbewegung aufzubieten. Fraglich blieb jedoch, ob die Autokratie hinreichend flexibel war, um sich die mobilisierende Kraft solcher Ideologien dienstbar zu machen und sie als politisches Instrument zum Zweck eigener Machterhaltung zu handhaben. Wie in anderen Ländern Europas, die schon im frühen 19. Jahrhundert in die Phase kapitalistisch geprägter Transformation eingetreten waren, wurde auch der russische Reformprozeß zur Inkubationsperiode eines gesellschaftlich fundierten Nationalismus2. Der Orientierungsnotstand, den die Sprengung der traditionalen Sozialordnung hervorgerufen hatte, gebar die Frage nach der nationalen Identität des Russentums und begann, sich die älteren Formen des russischen Reichspatriotismus und der literarisch-philosophischen Slawophilie einzuverleiben3. Dabei versteht sich, daß die Affinität für nationalistische Ideologeme keine Sache war, die aus der russischen Gesellschafts- und Ideengeschichte allein zu erklären wäre. Von erheblicher Bedeutung blieb, daß der Abschied Rußlands von seiner Vergangenheit mit einer Zeit zusammenfiel, in der sich der Nationalismus allerorten als eines der wirksamsten Bindemittel im Prozeß sozialer und ökonomischer Modernisierung erwies. Der ausstrahlende Effekt des italienischen Risorgimento und des von Napoleon III. verkündeten Prinzips der Nationalität, vollends die Bismarckschen „Einigungskriege" mit dem Ausscheiden Österreichs aus Deutschland und der nachfolgenden Entste44 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

hung des preußisch-deutschen Kaiserreichs, gehören zu den Bedingungen, unter denen der russische Nationalismus sich entfaltete. Der polnische Aufstand, die finnische Nationalbewegung, die Beharrungskraft des deutschen Elements der Ostseeprovinzen verdeutlichten, daß das Verlangen nach nationaler Selbstbehauptung über die russischen Staatsgrenzen gedrungen war und die Integrität des Vielvölkerimperiums untergrub oder doch in Zweifel zog. Zugleich wurde offenbar, daß die Idee nationaler Emanzipation und Einheit die Konstellationen der Großen Politik verwandelte. Das galt zumal für die orientalische Frage, in der nun nicht mehr allein die Dekomposition des Osmanischen Reiches zur Debatte stand, sondern auch die permanente Gefährdung des Habsburger Reichszusammenhangs. Die russisch-österreichische Rivalität wurde durch die nationalistische Mobilisierbarkeit der Balkanslawen in neuer Weise aufgeladen. Der russische Nationalismus schärfte sich an solchen Erfahrungen. Daß imperiale Politik, nationalistisch eingefärbt, in Rußland integrativ wirken konnte, sollte die polnische Frage zeigen. In den letzten Jahren vor dem Januaraufstand von 1863, der die russische Macht in Kongreßpolen wie in den Westgouvernements gefährdete, hatte die Regierung die öffentlichen Erwartungen nicht erfüllt4. Die Unsicherheit der amtlichen Reaktion auf die Warschauer Unruhen vom Frühjahr 1861, die hilflosen Bemühungen um einen Ausgleich mit einzelnen Gruppen der Nationalbewegung, kaum verhüllte Zugeständnisse an das polnische Autonomiebegehren, die bemerkenswerte Protektion, die Alexander Wielopolski als Sprecher der polnischen Nation in Petersburg erfuhr — diese Zeichen der Versöhnungsbereitschaft hatten in der russischen Öffentlichkeit steigenden Unmut geweckt. Argwohn erregten um die gleiche Zeit auch Anstalten des Zaren (April 1861), im Großfürstentum Finnland den Weg zur Wiedereinberufung des Landtags freizugeben. Dabei war die finnische Frage, anders als die polnische, nicht durch vergleichbare Aversionen und historische Erfahrungen belastet5. Das Beispiel der Italiener, deren Nationalheros in Warschau, Helsingfors und anderwärts in vielen Stuben abgebildet hing, mochte um den Bestand des Vielvölkerimperiums fürchten lassen. Die „reizenden Garibaldihüte" der Damen waren der modische Ausdruck dieser Gefahr6. In einer Zeit, in der die italienische Einigung und die Politik Napoleons III. die Grenzmarken des Reiches in Unruhe setzten, wurden die von der Regierung erwogenen Zugeständnisse an nichtrussische Nationalbewegungen als Beweis der Schwäche ausgelegt, als eine Provokation der russischen Gesellschaft, die ähnlicher Rechte nicht teilhaftig werden sollte. Für die vom innerrussischen Reformprozeß ausgelöste Autoritätskrise war die kritische Aufnahme dieses Kurses ein zusätzlich verstärkendes Element. Valuevs Projekt einer Reichsratsreform nach österreichischem Muster, dem Zaren im Januar 1863 vorgelegt, ging darauf aus, den gestörten Beziehungen zwischen Autokratie und Gesellschaft abzuhelfen. „Allergnädigster Herr", schrieb er an Alexander, „geben Sie dem Sie aufrichtig liebenden und Ihnen treu ergebenen Rußland eine politische Vorrangsstellung (pervenstvo) gegenüber dem aufrührerischen Polen. Lassen Sie Rußland auf 45 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

dem Weg der Entwicklung staatlicher Einrichtungen einen Schritt vorwärts tun." 7 Da dieser Ansatz zu einer Repräsentativkörperschaft dem Herrscher schließlich doch als inopportun erschien, blieb die aufwallende patriotische Gefühlsbewegung während des polnischen Aufstandes der tragende Grund nationalrussischer Solidarität. Es ist unwahrscheinlich, daß die Regierung auf den Zusammenbruch ihrer Versöhnungspolitik im Januar 1863 deshalb so entschieden reagierte, weil sie unter dem massiven Druck der öffentlichen Meinung gestanden hätte. Die mili­ tärische Niederschlagung der Insurrektion und die brutale Pazifizierung der polnischen Bewegung verstanden sich für die Autokratie von selbst, da es nun um die Wahrung traditioneller Reichsinteressen ging. Wohl aber kam zutage, daß sich die Regierung jetzt im Akkord mit dem überwiegenden Teil des rus­ sischen Publikums befand. Dieses Einvernehmen wurde durch russophobe Stim­ mungen im westlichen Ausland gefestigt, durch die Herausforderung, die dem russischen Selbstbewußtsein erwuchs, als London und Paris Bedingungen zur Wiederherstellung der polnischen Autonomie zu diktieren suchten und ein be­ waffneter europäischer Konflikt vielen Zeitgenossen nicht mehr ausgeschlossen schien8. Der polnische „Verrat" aktivierte eine Welle des Nationalismus, der alle führenden Organe der russischen Publizistik ergriff und auch in der zen­ tralen Bürokratie einflußreiche Anhänger besaß. Neben slawophilen Literaten hat namentlich Katkov, der mit der polnischen die „europäische Revolution" gegen Rußland losbrechen sah, diesen Stimmungen Ausdruck verliehen und die antipolnischen Emotionen in eine nationalrussische Integrationsideologie um­ zugießen versucht. Dieser alsbald auch von Ministern gefürchtete Journalist begann sich damals in seine Rolle als Praeceptor Russiae einzuleben und den aufflammenden Patriotismus und Enthusiasmus zu nähren. Die entnervenden Depressionen schienen verbannt; das belebte Nationalgefühl verhieß, daß „Rußland — Zukunft" habe. Angesichts der nationalistischen Haßausbrüche fanden propolnische Solidaritätsbekundungen der demokratischen Emigranten­ presse und einiger revolutionärer Manifestanten nur geringe Resonanz. Die hochgetriebene F urcht vor polnischen Spionen, Brandstiftern und „Brunnen­ vergiftern" brachte in Moskau und andernorts den Gedanken auf, Bürgerweh­ ren aufzustellen. Eine F lut von Ergebenheitsadressen an den Kaiser suggerierte, was weder der Kriegsminister noch der F inanzminister für gegeben hielten: das Vermögen Rußlands nämlich, um seiner Würde willen notfalls „gegen Eu­ ropa kämpfen" zu können9. Bezieht man die innerrussische Einheitsfront, die während des polnischen Aufstands entstand, auf die von den Reformen ausgelöste Instabilität, dann wird sich sagen lassen, daß dieses Einvernehmen für kurze Zeit die gesellschaft­ lichen Konfliktlagen und die ökonomische Misere verdecken und die Vertrauens­ krise zwischen Regierung und Öffentlichkeit mildern half. Männer slawophiler und liberaler Intention, wie N. A. Miljutin, Ju. F. Samarin, F ürst V. A. Čer­ kasskij u. a., die von der russischen Reformszene verdrängt worden waren, ha­ ben an der administrativen Disziplinierung Polens in wichtigen F unktionen 46 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

teilgenommen und dabei Entlastung von ihren Enttäuschungen gesucht. Ungetrübt oder gar dauerhaft blieb der nationalistische Einklang freilich nicht. Auf konservativer Seite erhoben sich Bedenken, als sich herausstellte, daß die russische Verwaltung in den Westgouvernements und in Kongreßpolen die Bauern protegierte und mit großer Härte gegen die polnische Herrenschicht vorging10. Die übernationale Standessolidarität russischer Aristokraten sah hier die gleichen Kräfte am Werk, die man in der Petersburger Reformbürokratie als „rote Demokraten" zu fürchten gelernt hatte. Längerfristig aber hat sich der russische Nationalismus aller Spielarten als ein Bindemittel im Dekompositionsprozeß der traditionalen Gesellschaft erwiesen. Dabei wird man unterstellen dürfen, daß die nationalistische Anfälligkeit der öffentlichen Meinung Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels gewesen ist. Dies mag erklären, weshalb der russische Nationalismus auch unabhängig von internationalen Krisensituationen Konsistenz und Dauer gewinnen konnte. Seit Beginn der sechziger Jahre hatten sich der nationalistischen Agitation noch andere Ansatzpunkte aufgetan. Weniger dramatisch als das polnische Problem, aber nicht minder wirkungsvoll entfaltete sich die Diskussion um die Existenzberechtigung des deutschen Landesstaates in den Ostseegouvernements, angestoßen von dem Bemühen der Ritterschaften, zu einem Vereinigten Landtag der drei Provinzen zu kommen11. Vom überwiegenden Teil der hauptstädtischen Presse, die Blätter Katkovs abermals voran, wurde die selbstverständliche Loyalität, die der deutsch-baltische Adel dem russischen Kaiserhaus von jeher erwiesen hatte, für unzureichend gehalten. Als die Bismarcksche Machtpolitik Deutschland zu „cavourisieren" schien und die Entstehung eines gewaltigen Nationalstaates im Herzen Europas ankündigte, gewann die Kritik an Schärfe12. Der russischen Administration wurde der Vorwurf gemacht, eher als Vertretung des Baltenlandes in Petersburg denn als Repräsentanz Petersburgs im Baltikum zu wirken. Was nun gefordert wurde, war die vollkommene Verschmelzung Estlands, Livlands und Kurlands mit dem russischen Staat, die Liquidierung der historischen Sonderrechte, die entschiedene Bekämpfung des „provinzialen Separatismus", den ein großer Teil der russischen Presse der deutschen Herrenschicht unterstellte. Letten und Esten sollten nicht zu „Söhnen Deutschlands" werden, das Deutschtum dürfe kein eigenes Bollwerk innerhalb der russischen Reichsgrenzen besitzen. Dabei war es nicht die Autokratie, sondern die Publizistik, die als Sprecher russischen Nationalinteresses auftrat und zum Handeln drängte. Im Chor dieser Stimmen hat Samarins Buch über die Grenzmarken Rußlands (1868) — auch dank der scharfen Replik des Dorpater Professors Carl Schirren — wohl das größte öffentliche Aufsehen erregt. Samarin wandte sich gegen die „germanisierenden Tendenzen" im „russisch-baltischen Küstenstrich" und warb dafür, daß die Regierung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber der lettischen und estnischen Bevölkerung Genüge tue, sie von dem Knechtsdasein befreie, das der deutsche Adel in sozialer und konfessioneller Hinsicht aufrecht zu erhalten gedenke. Wie in der Wendung gegen den polnischen Adel zeigte 47 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

sich auch hier, daß die publizistische Kritik die nationalen Fragen in Kategorien verarbeitete, die dem modernen bürgerlichen Nationsverständnis näher waren als den ständischen Begriffen, die für die deutschen Landesnationen des Baltikums weithin noch immer galten13. Es ist deutlich zu sehen, daß die Regierung bei der Reaktion auf nationalistisch infizierte Stimmungen überaus widersprüchlich reagierte. Obwohl sie exzessive Äußerungen zu unterbinden suchte, kam doch selbst der Hof an der Einsicht nicht vorbei, daß antideutsche Regungen nicht allein das Produkt einzelner Literaten waren. Auch in der hohen Beamtenschaft, in der Generalität und im diplomatischen Korps war es üblich geworden, an Zarendienern Anstoß zu nehmen, die deutsche Namen trugen. Im Kriegs- und im Marineministerium verfügte diese „nationale Partei" von jeher über kräftige Stützen. Wer Patriot sein wollte, hatte russisch zu sein14. Tatsächlich wurde es der Autokratie seit der Reichsgründung Bismarcks immer schwerer, die „germanischevangelische Landeskultur" der Ostseeprovinzen ungeschmälert zu lassen. Aber dies setzte noch keine Identifizierung mit dem gesellschaftlichen Nationalismus voraus. Wenn die Regierung die Privilegien der Deutschen zu verkürzen begann, dann entsprach das zugleich der allgemeinen Tendenz administrativer Zentralisierung, die der innerrussische Reformprozeß nahelegte. Insofern gab es im Vergleich zur Nationalitätenpolitik in Deutschland und Österreich-Ungarn keine erheblichen Unterschiede. Die ideengeschichtliche Forschung hat die Denkfiguren und Gefühlslagen des russischen Nationalismus wiederholt gründlich untersucht. Sie waren von slawophilen Philosophen seit den vierziger Jahren literarisch vorbereitet worden, damals noch beschränkt auf die Diskussionen exklusiver Zirkel und auf wenige, von der Zensur für zulässig befundene publizistische Unternehmungen. In der patriotischen Atmosphäre des Krimkrieges hatte die „slawische Idee" erstmals breitere Resonanz gefunden. Das galt auch für einen so exaltierten Panslawismus, wie ihn der Moskauer Geschichtsprofessor M. P. Pogodin vertrat, der die stammverwandten Glaubensbrüder jenseits der russischen Staatsgrenzen umfing, die Slawen unter türkischem und österreichisch-ungarischem Regiment15. Mit der beginnenden Reformzeit war offenbar geworden, daß die ideologischen Substrate, die den gesellschaftlich fundierten russischen Nationalismus trugen, nicht allein auf slawophilen Doktrinen fußten. Insoweit die Begriffe „Volkstum" (narodnost') und „Rechtgläubigkeit" (pravoslavie) an das Institut der Selbstherrschaft (samoderžavie) verwiesen blieben, konnten sie den traditionellen Reichspatriotismus und das Großmachtbewußtsein der alten Eliten auf sich ziehen und mit konservativen Denkweisen zusammengehen16. Andererseits hat sich das von der Slawophilie entfaltete Verständnis der „Gesellschaft" und der „öffentlichen Meinung" nicht nur in einem engen „Kwas-Patriotismus" auffangen, sondern auch in liberale, gar demokratische Normen übersetzen lassen, die von den Trägern der alten Ordnung in und außerhalb Rußlands als revolutionär empfunden wurden17. 48 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Für die nationalistische Empfänglichkeit des liberalen Lagers ergab sich eine Problemlage, die der der deutschen Nationalliberalen in mancher Hinsicht ähnlich war. Das Defizit an moderner Nationsbildung in Rußland, vollends die Verkümmerung der Reforminitiativen, haben viele Liberale vor der Versuchung nicht bewahrt, sich einem etatistischen Nationalismus anzuvertrauen, der die Zukunft der Nation in der Großmachtrolle des russischen Staates aufgehoben sah. In der historischen Literatur wurde der ideologische Facettenreichtum, der dem nationalistischen Syndrom in Rußland eigen war, durch die begriffliche Unterscheidung zwischen „Panslawismus" und „Panrussismus" notdürftig zu ordnen versucht18. Indessen darf bei solcher Vereinfachung ein Tatbestand nicht übersehen werden: Die konsensstiftende Kraft des russischen Nationalismus beruhte gerade darauf, daß die nationalistischen Identifikationsmuster in der öffentlichen Wirkung keineswegs reinlich geschieden waren, sondern sich in vielfacher Brechung mischten. Überdies wurden sie durch gemeinsame Bedrohungsvorstellungen und Feindbilder aufeinander zugeführt. Der deutsche Komplex erwies sich dabei als ein Bindemittel, das die antipolnischen Sentiments an Wirkung alsbald weit übertraf. Mit unterschiedlichen Akzentuierungen legten sich die „nationalrussische" wie die „panslawische" Richtung gleichermaßen auf die Abgrenzung gegen Deutschland fest, mitunter auch auf germanophobe Stimmungen. Diesem Grundgefühl hat das Schutzzollbegehren der Moskauer Industrie, das gegen den wachsenden Konkurrenzdruck deutscher Waren gerichtet war, eine dauerhafte ökonomische Grundlage vermittelt. Schon 1864 gab es eine nationalrussisch argumentierende Fronde gegen einen Handelsvertrag mit dem deutschen Zollverein; sie wandte sich gegen die Aussicht, das Vaterland zu einem agrarischen Anhängsel der deutschen Industrie degradiert zu sehen. Nach dem Übergang Bismarcks zum Agrarprotektionismus (seit 1879) sollten sich antideutsche Emotionen mehr und mehr auch auf den exportorientierten Grundbesitz übertragen19. Dem etatistischen Nationalismus wurden Maßstäbe nationaler Politik und imperialer Kraftentfaltung durch die „Blut- und Eisen"-Sentenzen Bismarcks und den entstehenden preußisch-deutschen Großstaat vermittelt. Seine Sprecher fanden Rußland im Begriff, auf die Stufe einer zweitrangigen Macht im Schlepptau des deutschen Reichskanzlers abzusinken: die eigene Regierung nicht mächtig, der dynastischen Solidarität zu entsagen und außenpolitische Optionen gegen Berlin zu treffen, das von der deutschen Militärmaschine bedrohte Russisch-Polen — wie die Westprovinzen überhaupt — dauerhaft zu schützen, dem deutschen Element in Rußland selber Einhalt zu tun. Dabei sah die „nationale Partei" deutsches Kapital und deutsche Konzessionäre schon nach den russischen Eisenbahnen greifen. Die Forderung nach nationaler Interessenpolitik, nach Emanzipation von Deutschland, nach Russifizierung der Randgebiete und militärischer Sicherung der Westgrenzen ergab sich daraus20. Die panslawischen Varianten des russischen Nationalismus näherten sich diesen Auffassungen auf dem Weg über den russischen Gegensatz zu Öster4

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reich-Ungarn. Die gemeinslawische Emotion, die an der Befreiung der Stammesbrüder des europäischen Südostens hing, faßte das Habsburger Reich nicht mehr nur als Rivalen um die Konkursmasse der Pforte auf, sondern nun zugleich als eine Macht, die die eigenen slawischen Untertanen nicht zu sich selber kommen ließ und allenfalls — wie in Galizien — die verstoßenen Söhne der „slawischen Familie", den polnischen Adel, protegierte. Angesichts der Sonderbeziehung, die Bismarck nach der Reichsgründung gegenüber Wien einzurichten begann, galt es für die panslawischen Publizisten als ausgemacht, daß das fragile österreichisch-magyarische Staatsgebilde ohne Rückendeckung aus Berlin auf dem Balkan nichts vermöchte. Das half im Fortgang der Zeit den Gedanken zu verinnerlichen, wonach die große historische Dichotomie im Gegensatz zwischen Slawen und Germanen enthalten und in der Zukunft auszukämpfen sei. Den Realitätsgrad dieses Klischees schien auf der Gegenseite die von Bismarck inspirierte Presse mit ihrer Offensive gegen den Panslawismus, der vermeintlichen Inkarnation eines revolutionären, destruktiven Prinzips, immer wieder zu bestätigen21. Selbst ein so nüchterner Kopf wie der Kriegsminister Miljutin kam seit der Reichsgründung von dem Gedanken nicht mehr los, daß Rußland sich darauf zu rüsten habe, „über kurz oder lang von Deutschland angegriffen" zu werden. Die Konzentration der russischen Generalstabsplanung auf diesen Konflikt erklärt sich daraus, bedrückt von der Einsicht, die eklatante militärische Unterlegenheit nicht binnen weniger Jahre ausgleichen zu können22. Es ist nicht leicht, exakte Aufschlüsse und Nachweise zu gewinnen, um die Breitenwirkung des russischen Nationalismus genauer zu bestimmen und auszumachen, welche gesellschaftliche Schichten sich nicht nur beeinflussen, sondern in Krisensituationen auch politisieren ließen. Die soziale Verankerung aufzuklären, ist schon deshalb schwierig, weil die nationalistischen Attitüden von den politischen Bewußtseinslagen, die sich aus der Erfahrung des innerrussischen Transformationsprozesses ergaben, nicht isoliert werden können. Auch sind brauchbare soziologische Analysen der Leserschaft der führenden Zeitungen und Zeitschriften heute nicht mehr herzustellen. Entsprechend unsicher und widersprüchlich sind die Antworten auf die Frage geblieben, in welcher Weise und in welchem Umfang die nationalistischen Stimmen Entscheidungen der Regierung, zumal in der Außen- und Grenzmarkenpolitik, tatsächlich beeinflußt haben. Nur mit beträchtlichen Unschärfen läßt sich das Ausmaß destabilisierender Wirkungen und Gefahren ermessen, die von amtlichen Maßnahmen ausgehen mochten, welche die nationalistischen Erwartungen der Öffentlichkeit brüskierten. In der historischen Literatur finden sich dazu in aller Regel nur pauschale Aussagen, die überdies zu Übertreibungen neigen. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand bietet die „slawische Bewegung", die seit dem Krimkrieg dem Begriff des Panslawismus zur Wirkung verhalf, wahrscheinlich die besten Einblicke in die Organisations- und Konfliktfähigkeit des gesellschaftlichen Nationalismus23. Das im Januar 1858 mit allerhöchster 50 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Genehmigung in Moskau gegründete Slawische Komitee war der Initiative eines kleinen Kreises Moskauer Professoren, Journalisten und bekannter slawophiler Literaten entsprungen. Bei der Förderung gemeinslawischer Belange blieb es über die Jahre hin auf Formen der Kultur- und Wohltätigkeit festgelegt, die das amtliche Petersburg nicht sonderlich beunruhigten. Wie die Mitgliederlisten von 1862/63 zeigen, hatte das Komitee vor allem Gutsbesitzer, Offiziere und akademische Berufe angezogen, die adlige und die gebildete Gesellschaft der alten Hauptstadt. Hof- und Regierungskreise waren anfangs ebenso wenig vertreten wie die reiche Moskauer Kaufmannschaft. Das Budget war äußerst bescheiden, allenfalls ausreichend, um Büchersendungen und Geldspenden auf den Weg zu bringen oder eine Handvoll Stipendiaten auszuhalten. 1867, zur Zeit des sog. „Slawenkongresses" in Moskau, betrugen die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden knapp 1700 Rubel. Mit diesem Slawentreffen, das im Mai 1867 am Rand der Ethnographischen Ausstellung vom Moskauer Komitee arrangiert worden war, wurde zum erstenmal eine größere Öffentlichkeitswirkung erzielt. Diese Veranstaltung ist mehrfach kritisch untersucht worden24. Dabei bestätigt sich, daß die in Kathedervorträgen beredete, auf Empfängen, Banketts, bei Theater- und Konzertbesuchen zelebrierte slawische Gemeinsamkeit die Beteiligten zwar gerührt, ihnen aber zur Klärung politischer Perspektiven nicht verholfen hat. Im Jahr des ungarischen Ausgleichs und des Aufstands in Kreta war das amtliche Petersburg auf Distanz bedacht. Der Regierung lag viel daran, die Anwesenheit einer beträchtlichen Gruppe prominenter tschechischer und serbischer Repräsentanten (aus Ungarn und aus dem Belgrader Fürstentum) nicht in politische Demonstrationen umschlagen zu lassen und — etwa durch Befürwortung einer trialistischen Lösung — die ohnedies anfälligen Beziehungen zu Wien noch weiter zu belasten. Vollends die Serben durften zu kriegerischen Abenteuern nicht ermuntert werden. Demgemäß beschränkten sich die Audienz und die Privatgespräche, die der Kaiser einigen ausgesuchten Delegierten gewährte, auf nichtssagende Höflichkeiten. Auch die Beteiligung des Ministers für Volksaufklärung, des Grafen D. A. Tolstoj, vermied den Anschein, als sei die Regierung dabei, politische Verpflichtungen einzugehen. Den Moskauer Initiatoren, allen voran Pogodin, Aksakov und Katkov, war es um die werbende Kraft solcher Begegnungen zu tun, um den Ausbau persönlicher Kontakte. Obwohl das Treffen die Existenzberechtigung des Slawischen Komitees unterstrich, mußte die Beobachtung doch ernüchternd sein, daß mit den Besuchern in wichtigen Grundsatzfragen ein zulängliches Einvernehmen nicht zu erreichen war. So stieß die von den russischen Sprechern bekräftigte Verurteilung der Polen namentlich bei den tschechischen Repräsentanten (F. Palacký, F. L. Rieger) auf Unverständnis; auch akzeptierten die meisten Gäste nicht, was den Gastgebern offenbar kaum zweifelhaft war: eine — bei aller „Brüderlichkeit" — doch hierarchische Struktur der „slawischen Familie", in der das russische Element in machtpolitischer wie in sprachlicher Hinsicht dominieren würde. Mithin blieb von den spektakulären Veranstaltun-

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gen die Erinnerung an bewegende Auftritte und Umarmungen zurück, wohl auch der erhebende Eindruck, daß Gefühle der Solidarität und Zuneigung für die um ihre Selbstbehauptung ringenden Stammesgenossen unter dem Volk auf den Straßen und Plätzen Moskaus lebendig seien. Bei ruhiger Beurteilung mochte sich jedoch die Einsicht einstellen, daß die Einheit der slawischen Stämme eine literarische und akademische Frage war, deren schöner Schein die Widersprüche und die politische Folgenlosigkeit freundlich verhüllte. Der episodische Charakter der Moskauer Begegnung darf indessen nicht vergessen lassen, daß sich in den folgenden Jahren die Basis der slawischen Bewegung allmählich verbreiterte. Das zeigte sich zunächst darin, daß ihre Organisation nun nicht mehr auf die alte Hauptstadt beschränkt blieb. 1868 entstand eine Petersburger Abteilung des Moskauer Komitees (mit ca. 150 Gründungsmitgliedern), in den folgenden beiden Jahren bildeten sich eigene Komitees in Kiev und Odessa. Eine Liste der Mitglieder und Spender des Moskauer Komitees für 1869/70 enthält über 300 Namen; bis 1874 schrieben sich 704 Mitglieder ein, von denen aber nur ein Drittel Beiträge zahlte. Am Vorabend der Balkankrise dürfte der offenbar stark fluktuierende Bestand der russischen Slawenkomitees die Zahl von 2000 Mitgliedern nicht überschritten haben, darunter viele inaktive Leute. In gesellschaftlicher Hinsicht überwog weiterhin der Adel: Gutsbesitzer, Beamte, Offiziere, Gelehrte und berufsständische Intelligenz, dazu einige geistliche Würdenträger. Der Anteil der Kaufmannschaft, die seit der Stadtreform von 1870 in den kommunalen Organen dem Adel näher kam, hielt sich bei etwa zehn Prozent. Aksakov, der 1867 mit Hilfe Moskauer Fabrikanten die Zeitung „Moskva" gegründet hatte, vermochte allmählich auch die Spendenfreundlichkeit der Geschäftswelt anzuregen. Die Moskauer Kapitalisten förderten ihn, weil er mit dieser Zeitung dem protektionistischen Interesse der Textilindustrie seine Feder lieh. Dagegen fand sein Versuch, ökonomische Ambitionen der Unternehmer auf den Balkan zu lenken und mit der gemeinslawischen Sache zu verbinden, nicht die erwünschte Resonanz25. Man wird mithin nicht sagen können, daß es vor Ausbruch der Balkankrise zu einer dramatischen Mobilisierung gesellschaftlicher Kräfte im Zeichen des Panslawismus oder eines russisch zentrierten Nationalismus gekommen wäre. Der Militärchauvinismus des Generals R. A. Fadeev, der sich mit der Opposition gegen die Reformkonzepte des Kriegsministers Miljutin verband, elektrisierte das Ausland vermutlich stärker als das russische Publikum26. Auch Danilevskijs darwinistisch eingefärbte Kulturtypenlehre, die als „Bibel des Panslawismus" in die Geschichtsschreibung eingehen sollte, erregte bei ihrem Erscheinen (1869/71) kein spektakuläres Aufsehen27. Wirkungsvoller war die Ausformung und Ausbreitung eines nationalistischen Wertsystems, das innergesellschaftliche Spannungen überwölben half und seine Maßstäbe aus den nationalstaatlichen Einigungsprozessen im Westen bezog. Um den Maßstäben und Begriffen des russischen Nationalismus Dauer zu verleihen, hat es unter den im Zarenreich gegebenen Bedingungen großer poli52 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

tischer Manifestationen offensichtlich nicht bedurft. Unverkennbar ist, daß die Deprivationen und Rollenkonflikte, die von den sozialen Veränderungen hervorgerufen und durch die wirtschaftliche Misere bestätigt wurden, das Bedürfnis nach neuen Identifikationen geweckt und wachgehalten haben. Für den aus der alten Gesellschaftsverfassung entlassenen Adel und für aufsteigende bürgerliche Schichten stillte der traditionale, mit der Person des Herrschers verklammerte Patriotismus dieses Verlangen nicht mehr. Der Nationalismus neuer Prägung vermittelte dagegen ein Normensystem, aus dem sich moderneres, staatsbürgerliches Selbstbewußtsein schöpfen ließ. Selbst aufgeklärte Liberale, die sich groben Übersteigerungen widersetzten, gerieten nicht selten unter den Anpassungsdruck, der von der nationalistischen Sammlungsbewegung ausging28. Ähnliches galt für konservative Aristokraten, denen der populare Nationalismus an sich zuwider und verdächtig war. Dieser Sachverhalt legt die Frage nahe, ob es bei genauerer Untersuchung gelingen könnte, eine Korrelation zwischen der sozialen und wirtschaftlichen Krisenbewegung und den Konjunkturen nationalistischer Anfälligkeit aufzuweisen. Immerhin ergibt sich, daß das antipolnische Syndrom in eben jener Phase einen besonderen Höhepunkt erreichte, in der die destabilisierenden Wirkungen der Bauernbefreiung und der sich anschließenden Veränderungen vor aller Augen standen. Die ökonomische Depression mit der Zuspitzung von 1865/66 geht damit überein. Auch die Welle panslawischer Aktivierung um die Mitte der siebziger Jahre fiel mit einer Finanz- und Wirtschaftskrise zusammen, deren psychische Folgen durch die richtungslos gewordene Innenpolitik und die Tätigkeit revolutionärer Gruppen noch gesteigert wurden. In beiden Fällen dürfte der Grad öffentlicher Erregung nicht hinreichend zu erklären sein, wenn man die Begründung allein aus den exogenen Anstößen zieht, die der Polenaufstand und die Balkankrise dem russischen Nationalismus gegeben haben. Freilich begegnet der Versuch, solche Annahmen empirisch exakt zu belegen, erheblichen Schwierigkeiten. Doch angesichts der Rückständigkeit, in der sich die mit Osteuropa befaßte Nationalismusforschung befindet, sollte die Berechtigung, nach den endogenen Bedingungen nationalistischer Mobilisierung und ihrer Periodizität zu fragen, unstrittig sein29. Wenn der kompensatorische Effekt des russischen Nationalismus nicht in Zweifel steht, dann ist bemerkenswert, wie ungemein zurückhaltend, ja abweisend die Autokratie auf diese neuen Erscheinungen reagierte. Die Entschlossenheit zur Abwehr war fast immer stärker als die Bereitschaft zur Anpassung und stets größer als das Vermögen, sich des Nationalismus als eines innenpolitischen Stabilisierungsmittels zu bedienen. Für diese Aversion, die in der Regierung Alexanders II. überwog, sind einleuchtende Gründe zu nennen. Zum ersten widerstritt der russische Nationalismus — wie öffentliche Bewegung überhaupt — dem Machtmonopol der Selbstherrschaft, weil er Anspruch machte, im Namen des Volkes zu reden, russische (oder gemeinslawische) Interessen zu formulieren und der Regierung Handlungsmaximen vorzuschreiben. Zum zweiten griff die nationalistische Agitation unmittelbar in die auswärtigen Bezie53 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

hungen ein, oft in unverblümter Kritik an der Petersburger Diplomatie, deren Vertreter die internationale Bewegungsschwäche des Reiches durch angestrengte Geschäftigkeit und leere Rhetorik nicht kaschieren konnten. Vor allem die panslawische Variante, die nicht nur die Existenz des Ottomanischen Reiches, sondern ebenso auch die des Österreich-ungarischen Vielvölkerstaates in Frage stellte, war eine permanente Herausforderung, schwer erträglich für die von Bismarck rekonstruierte Solidarität der Monarchen. Welchen Einfluß die „nationalistische Pressehetze" auf die deutsch-russischen Beziehungen hatte, liegt zutage. Der Nationalismus widersprach mithin der innenpolitischen wie der internationalen Räson autokratischer Machterhaltung. Dies erklärt, weshalb der Zar die Förderung nationalistischer Emotionen in der Regel für systemgefährdender hielt als einen Kurs, der auf deren Eindämmung und Disziplinierung ausging. Mit diesen Feststellungen ist das Problem jedoch nur in Umrissen beschrieben. Zu beachten bleibt, daß zur Erklärung des Verhältnisses zwischen Regierung und nationalistischer Bewegung ein eindimensionales Konfliktmodell nicht ausreicht. Wie öffentliche Meinung und Kritik generell durch Repressionen nicht mehr zu beseitigen waren, so konnte auch der Nationalismus als Produkt der Öffentlichkeit und eines nur begrenzt steuerbaren, langanhaltenden Transformationsprozesses aus dem politischen System des Zarenreiches nicht wieder ausgeschieden werden. Außerdem kam die Existenz der nationalistischen Presse der Staatsführung nicht selten zugute, dann nämlich, wenn es im amtlichen Interesse lag, ausländischen Mächten Forderungen und Ansprüche zu signalisieren, die im diplomatischen Verkehr oder in den Beziehungen zu den befreundeten Höfen nicht zur Sprache gebracht werden konnten. Auf die widerstrebende öffentliche Meinung zu verweisen, war eine diplomatische Übung, deren sich selbst der Zar in politischen Verhandlungen oder im vertraulichen Gespräch gern bediente. Überdies war der Publizistik die Funktion zugewachsen, mit der ausländischen Presse in Rede und Gegenrede zu kommunizieren und auf das Rußlandbild jenseits der Grenzen Einfluß zu nehmen. So waren vor allem die Organe Katkovs als Kontrahenten der großen deutschen, englischen oder französischen Blätter nicht zu ersetzen, zumal es die Ansätze amtlicher Meinungssteuerung in Rußland mit der auswärtigen Pressepolitik anderer Regierungen nicht aufnehmen konnten. Wichtiger als dieser funktionale Aspekt aber blieb, daß das offizielle Rußland gegen nationalistische Normen und Denkweisen durchaus nicht abgeschottet war. So nachdrücklich die autokratische Regierung jegliche politische Mitbestimmung verwarf, so unzweifelhaft ist, daß der ideologische Einfluß des Nationalismus in die Bürokratie, das Offizierskorsps und in andere Bereiche der Staatsmaschine weit hineinreichte. Wie sich zeigte, waren auch Minister, Diplomaten und die höfischen Sphären keineswegs unempfindlich und zumal in krisenhaften Situationen von der Neigung nicht frei, dem öffentlichen Nationalismus Tribut zu zollen. In dem Maße, in dem zu spüren war, daß das Ansehen der Selbstherrschaft und des alten Systems nicht mehr trug, wuchs 54 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

die Versuchung zur Anpassung. Von dem Widerspruch, der hier lag, ist die Regierung Alexanders II. nicht losgekommen. Ihr Verhalten in der Balkan- und Orientpolitik gibt davon einen Begriff.

4. Imperiale Interessen Die innerrussische Krisenlage der sechziger und siebziger Jahre hat keineswegs verbürgt, daß die auswärtige Politik der Selbstherrschaft eine rational kalkulierende Defensiv- und Konvenienzstrategie tatsächlich durchzuhalten fähig war. Der Zerfall der alten Sozialordnung, die ökonomische Depression und der Orientierungsnotstand der Oberschichten weckten einen Kompensationsbedarf, der in nationalistischen Ideologemen Auslauf suchte. Der gesellschaftlich fundierte Nationalismus drängte nach machtpolitischen Ersatzhandlungen und lud die prekären Beziehungen zwischen Autokratie und Öffentlichkeit ideologisch auf. Obwohl wirtschaftliche Unterentwicklung, finanzielle Zerrüttung und militärischer Rückstand der auswärtigen Politik Petersburgs äußerste Enthaltsamkeit nahelegten, war nicht auszuschließen, daß sich die Regierung durch eben jene Faktoren zu offensiven Verhaltensmustern und Operationen bestimmen ließ. Die geschwundene Autorität des Zaren wieder aufzurüsten, dem Problemdruck der Binnenverhältnisse zu entkommen, dem tradierten imperialen Rangbewußtsein der Machteliten Genüge zu tun - solche Motivbündel mochten mit der Neigung zusammentreffen, die nationalistische Herausforderung durch außenpolitische Erfolgserlebnisse abzubauen und dadurch vermehrte Stabilität und neuen Konsens zu stiften. Bei der altertümlichen und diffusen Struktur, in die der politische Entscheidungsprozeß in Rußland eingebunden war, wird man der Autokratie eine bewußt gehandhabte Strategie der Konfliktableitung und Krisensteuerung freilich nicht unterstellen dürfen. Wohl aber konnte diese Bewegungsschwäche Entschlüsse fördern, die dem Gebot defensiver Außenpolitik zuwiderliefen. Eine genauere Absicherung der hier skizzierten Annahmen und Erwägungen erfordert, den innerrussischen Bedingungen und Motiven außenpolitischen Agierens in konkreten historischen Entscheidungssituationen nachzugehen. Dies soll in den folgenden beiden „Fallstudien" geschehen. Die russische Balkanpolitik und die zentralasiatische Expansionsbewegung bieten sich dafür aus einsehbaren Gründen an. Überflüssig zu sagen, daß dabei auch die Konstellationen des internationalen Systems beachtet werden müssen, die auf das russische Verhalten Einfluß genommen haben. Entgegen den Befürchtungen mancher angesehener Historiker, die um die Autonomie der „Großen Politik" in Sorge sind, löscht das Interesse für die internen Antriebskräfte auswärtiger Politik diese exogenen Faktoren nicht aus. Das gilt in unserem Zusammenhang zumal für den verwickelten Komplex der Orientalischen Frage und für den russisch-englischen Gegensatz. Von den prekären Beziehungen Rußlands zu Deutschland und Frankreich wird an anderer Stelle noch die Rede sein. 55 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

4.1. Balkanpolitik und Balkankrieg Kein anderes Interessenfeld zarischer Außenpolitik hat die Aufmerksamkeit der russischen Öffentlichkeit so in Anspruch genommen wie der Balkan und die „Orientalische F rage". Die ungewöhnliche Sensibilität des Publikums für das Schicksal der stammverwandten Glaubensgenossen unter türkischem und öster­ reichisch-ungarischem Regiment entsprach dem spezifischen Gewicht, das der „slawische Gedanke" im ideologischen Haushalt des russischen Nationalismus besaß. In der älteren Literatur ist denn auch die Meinung verbreitet, daß es in der Balkanpolitik zu einer nahezu vollkommenen Symbiose zwischen dem tra­ ditionellen Hegemoniestreben des Zarenreiches und einer popularen, auf sla­ wisch-orthodoxe Einheit zielenden Kreuzzugsideologie gekommen sei. Die Be­ freiung der christlichen Völker vom türkischen Joch, der Griff nach den Meer­ engen und nach Konstantinopel werden als die bestimmenden Motive angese­ hen, von denen sich die amtliche Politik wie der russische Panslawismus glei­ chermaßen hätten leiten lassen. Vor allem die Krisen- und Kriegsjahre von 1875 bis 1878 gelten dafür als sprechende Exempel: Mit der Eröffnung des Feldzugs gegen die Pforte, mit den bis an die Mauern der „Zarenstadt" aus­ greifenden militärischen Operationen und mit den F riedensbedingungen von San Stefano habe die Petersburger Regierung dem massiven Druck der pansla­ wischen Bewegung nachgegeben, um ihre Autorität gegenüber der russischen Gesellschaft zu sichern1. Auch wenn solche pauschalen Urteile im Licht der neueren F orschung korrekturbedürftig sind, so steht doch außer Zweifel, daß das Studium der Balkankrise dazu verhelfen kann, die Wechselbeziehungen zwischen russischer Machtpolitik und nationalistischer Mobilisierung aufzuhel­ len. Unbestritten ist, daß die Orientalische F rage nach 1856 keineswegs aus dem Gesichtskreis der Petersburger Diplomatie verschwunden, sondern ein Brenn­ punkt russischen Interesses geblieben war. Weitgehende Übereinstimmung be­ stand darin, daß die Revision des Pariser F riedens für eines der zentralen Ziele der russischen Politik zu halten sei. Aber die innere Verfassung des Reiches, vor allem der deplorable Zustand der.Staatsfinanzen und die militärische Schwä­ che, hatten der russischen Aktionsfähigkeit enge Grenzen gezogen. Dement­ sprechend mußten sich die diplomatischen Bemühungen Gorčakovs darauf beschränken, auf dem Balkan keine Veränderungen zuzulassen, die die Position Rußlands noch weiter verkürzt hätten. Wie sich zeigte, war es schwer genug, dieser Minimalbedingung Genüge zu tun. Obschon man Ende der fünfziger Jahre Befriedigung darüber empfunden hatte, den österreichischen Konkur­ renten durch Napoleon III. gedemütigt zu sehen, trug das diplomatische Zu­ sammenspiel mit Paris keine neuen Pfänder ein. Noch ehe der polnische Auf­ stand die Verwundbarkeit Rußlands offenlegte, hatte sich gezeigt, daß Peters­ burg einer Partnerschaft mit dem „Cäsarismus" Napoleons nicht gewachsen war. Petersburg hatte die Union der Donaufürstentümer unter dem Hospoda­ ren Alexander Cuza (1859) hinnehmen müssen und vermochte auch später, 56 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

nach der Inthronisierung des Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen in Bukarest (1866), die rumänische Politik nicht zu bestimmen2. Perspektiven einer aktiven russischen Balkanpolitik, wie sie seit 1864 in Fühlung mit der panslawischen Richtung von Ν. P. Ignat'ev, dem umtriebigen Botschafter des Zaren in Konstantinopel, entworfen und von F ürst A. I. Bar­ jatinskij, dem kaukasischen Statthalter, mitgetragen worden waren, schienen in dem Augenblick an Kontur zu gewinnen, als der preußische Sieg über Öster­ reich die Bewegungsfähigkeit Wiens lähmte. Der Gedanke, die für das Zaren­ reich abträgliche Machtverschiebung in Deutschland durch Kompensationen auf dem Balkan gemildert und die russische Neutralität von Preußen belohnt zu finden, hat zeitweilig auch auf nüchternere Köpfe verführerisch gewirkt. Aber wie sich Gorčakovs Versuch, die deutschen Angelegenheiten auf einer europäischen Konferenz mitzuordnen, rasch als Illusion erwies, so war 1866 auch die Revision der Pontusklauseln nicht voranzubringen. In einem Jahr kri­ senhafter F inanzschwäche und wirtschaftlicher Depression konnte eine offen­ sive Politik Petersburgs nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden. Obschon Katkov den wiederkehrenden Verweis auf die beschränkten Möglichkeiten des Reiches als „F ortsetzung des Nihilismus" beklagte3, sprach doch alles für die Anerkennung der tatsächlichen Grenzen der russischen Macht. Ähnlich ernüchternde Erfahrungen sollte wenig später das diplomatische Spiel vermitteln, das sich um die antitürkische Insurrektion auf Kreta (1867/ 69) entspann. Während Männer vom Zuschnitt Ignat'evs darauf setzten, daß eine allgemeine Erhebung der Balkanvölker gegen die Pforte nahe sei und den Pariser Vertrag mit russischer Unterstützung zerreißen werde, agierte die Pe­ tersburger Zentrale mit größter Umsicht und Behutsamkeit4. Zwar wurde an­ erkannt, daß Rußland allein durch Machtgewinne auf dem Balkan das gestörte europäische Gleichgewicht wiederherstellen könne. Doch Kriegsminister Mil­ jutin warnte eindringlich vor jeder militärischen Verwicklung und plädierte dafür, die serbischen und die griechischen Politiker von kriegerischen Aben­ teuern abzuhalten5. Auch das von Gorčakov Ende Oktober 1867 verkündete Prinzip der Nichteinmischung, von vielen Beobachtern als Ermunterung der Aufständischen gedeutet, folgte dem auf Geschäftigkeit und Projektemachen reduzierten Kurs der Petersburger Balkanpolitik. Daß die von Aksakov ver­ fochtene Vision, die Slawen unter russischer Regie ebenso zur Einheit zu füh­ ren, wie Preußen dies für die Deutschen tat6, mehr sein würde als ein Traum­ gebilde, durfte schwerlich erwartet werden. Als es schließlich scheinen konnte, der deutsch-französische Krieg werde Rußland eine Chance geben, diese sug­ gestive Erwartung zu erfüllen, nahm sich das tatsächliche Ergebnis der Peters­ burger Diplomatie bescheiden aus. Die mit Bismarcks Rückendeckung vollzogene Kündigung der Pontusklausel wurde als ein schäbiger Preis dafür empfunden, daß die russische Armee Österreich hatte neutralisieren helfen7. Nach der um­ stürzenden Veränderung der Mächtekonstellation, die mit der Niederlage Frankreichs und der Reichsgründung zutage kam, ließ sich nicht vertuschen, 57 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

daß die europäische Position des Zarenreiches erneut eine empfindliche Schmä­ lerung erfahren hatte. Man muß im Auge behalten, daß diese dürftige Bilanz dem ohnedies gemin­ derten Ansehen, das die russische Staatskunst in der öffentlichen Meinung ge­ noß, höchst abträglich war. Die Einsicht, daß der von der Rückständigkeit Rußlands erzwungene Attentismus nicht weitertrug, hat jedoch nicht nur die nationalistische Publizistik, sondern auch die amtliche Politik Petersburgs zu­ nehmend sensibel gemacht. Dies galt namentlich für alle Anzeichen, die auf eine Aktualisierung der Orientalischen F rage hindeuteten. Als im Sommer 1875 die Aufstandsbewegungen in Bosnien und in der Herzegowina den Status quo auf dem Balkan erschütterten8, war vorauszusehen, daß das Prestige der Auto­ kratie abermals einer schweren Belastungsprobe entgegenging. Nichts recht­ fertigt jedoch, die internationale Handlungsfähigkeit Rußlands während dieser Balkankrise für größer zu halten, als sie in den Jahren zuvor gewesen war. Entgegen mancher zeitgenössischen Unterstellung waren diese Insurrektionen kein Produkt einer indirekten russischen Aggression, die auf die Befreiung der orthodoxen Glaubensbrüder unter osmanischer Herrschaft ausgegangen wäre. Nicht die Wühlarbeit zarischer Agenten oder die Agitation der russischen Sla­ wenkomitees hatten die Aufstände in den beiden türkischen Provinzen in Gang gesetzt, sondern externe, von Petersburg aus nicht gesteuerte Konflikte führten die Krise herauf9. Das schloß nicht aus, daß sich übersteigerte Erwartungen der Aufständischen auf Rußlands Unterstützung richteten. Von Beginn an war der russischen Politik daran gelegen, den Unruheherd lokalisiert und durch eine diplomatische Lösung entschärft zu sehen, die von den Signatarmächten des Pariser F riedens getragen und der Pforte auferlegt werden könnte. Jedes ein­ seitige Vorgehen mußte das europäische Mächtekonzert zutiefst berühren und um eine Wiederkehr der antirussischen Koalition des Krimkrieges fürchten lassen. Vor allem auf den Konsens mit Wien und auf die Verhinderung einer englisch-österreichischen Verbindung kam es an. Der fortbestehenden Abhängigkeit der russischen Balkanpolitik vom Einver­ nehmen der Großmächte entsprach es, daß die Petersburger Diplomatie bemüht war, Serbien und Montenegro von einer bewaffneten Intervention zugunsten der Aufständischen abzuhalten. Ohne Zweifel konnte ein Krieg der beiden Fürstentümer gegen die Türkei leicht dazu führen, daß Rußland unter einen Handlungszwang geriet, der sich mit dem Interesse, die Ausweitung des Kon­ flikts zu verhindern, nicht vertrug. Überdies stand das serbische Regime des liberalen Ministers Ristić, das den F ürsten Milan auf die Verfassung von 1869 verpflichtet hielt, im Geruch „revolutionärer" Ambitionen, so daß das amtliche Petersburg einer engeren Kooperation auch aus prinzipiellen Gründen nicht sonderlich gewogen schien. Wie gering aber die Möglichkeiten waren, auf Bel­ grad und Cetinje kalmierend einzuwirken, zeigte sich alsbald: nach der Kriegs­ erklärung der F ürstentümer an die Pforte (Juni 1876) fand sich die russische Regierung einer Situation ausgesetzt, die das eigene Verhalten mehr und mehr zu einer F unktion des Kriegsverlaufs werden ließ. Hinzu kam, daß der im

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April 1876 ausgebrochene Aufstand in Bulgarien die Chancen einer Lokalisie­ rung der Krise beträchtlich verkürzte und die Orientalische F rage in ihrem ganzen Umfang auf die Tagesordnung rückte10. Jetzt waren nicht mehr nur österreichische Belange unmittelbar im Spiel, sondern, wegen der Aktualisie­ rung des Meerengenproblems, wurde nun auch das englische Interesse empfind­ lich berührt. Für Rußland war eine militärische Verwicklung als ultima ratio nicht mehr auszuschließen, seit die F ürstentümer unter dem militärischen Oberbefehl eines verabschiedeten russischen Generals im Kriege standen. Daß der Zar eine ver­ nichtende Niederlage Serbiens und Montenegros nicht werde hinnehmen kön­ nen, galt als sicher. Die F rage blieb, ob die Petersburger Diplomatie imstande sei, eine Entwicklung zu meiden, die den Kriegseintritt Rußlands unausweich­ lich machen würde. Die russisch-österreichischen Abreden, die Gorčakov und Andrassy in Reichstadt (6. Juli 1876) getroffen hatten, erbrachten für einen solchen Eventualfall nur sehr unzulängliche Garantien. Der aktiven Unter­ stützung durch Bismarck durfte der Zar, wenn es um einen Konflikt mit Öster­ reich ging, nicht sicher sein. Vollends das Risiko, England an der Seite der Pforte zu finden, falls die russische Armee nach Bulgarien marschiere, war nicht aufzuheben. Lediglich „pour les beaux yeux des Slaves" wollte Alexander so gefährliche Verwicklungen nicht auf sich nehmen11. Daß Rußland in der balkanischen Interessenzone der Mächte nicht unbe­ dacht agieren durfte, war auch aus innenpolitischen Gründen einzusehen. Bei den Beratungen des Zaren mit seinen Mitarbeitern herrschte Einvernehmen darüber, daß das Imperium einem großen militärischen Konflikt nicht gewach­ sen sei. Gorčakov erstrebte eine europäische Konferenz. F ür Miljutin, der in dieser Zeit die Umstellung der Armee auf die allgemeine Wehrpflicht vollzog, war ein F eldzug nur dann leidlich kalkulierbar, wenn die russischen Opera­ tionen gegen Wien und London abzuschirmen wären. Der Verkehrsminister Pos'et und eine im Juli 1876 eingesetzte Untersuchungskommission beschrieben die Mängel des Eisenbahnwesens in düsteren F arben und bezweifelten, daß das Schienennetz militärischen Erfordernissen genüge12. F inanzminister Reutern wollte angesicht der alarmierenden F inanz- und Wirtschaftskrise selbst eine Teilmobilmachung vermieden wissen. Was also sprach dafür, trotz dieser Selbsterkenntnis eine Lage ernsthaft ins Auge zu fassen, in der die militärische Intervention Rußlands unabwendbar werden könnte? Der Entscheidungsdruck, unter den die russische Politik im Herbst 1876 geriet, als die militärische Nie­ derlage Serbiens offensichtlich wurde, bedarf einer genaueren Erklärung. In den Äußerungen Alexanders II. und seiner Umgebung sind dazu nur in­ direkte Hinweise zu finden. Mit Selbstverständlichkeit wurde vorausgesetzt, daß es „die Ehre und Würde Rußlands" sei, die unter bestimmten Umständen den Krieg gegen die Türken gebieten könnte. Wann aber jener Punkt tatsäch­ lich erreicht wäre, an dem die militärische Enthaltsamkeit Rußlands ihre Grenze fände, ist selbst dem Zaren und seinen engsten Beratern lange Zeit un­ deutlich geblieben. Was sich seit dem Sommer 1876 mit einiger Sicherheit er59 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

kennen ließ, waren russische Minimalbedingungen, die von einer diplomati­ schen Lösung unter allen Umständen hätten garantiert werden müssen: die Aufrechterhaltung der Integrität Serbiens und Montenegros und die Durch­ setzung administrativer Reformen in den aufständischen Provinzen. Diese Pe­ tersburger „Essentials" standen den Interessen der anderen beteiligten Groß­ mächte nicht grundsätzlich entgegen. Alle weitergehenden Probleme der Ein­ flußsicherung und der territorialen Veränderungen waren überaus kompliziert, konnten aber als verhandlungsfähig gelten und jedenfalls kein Kriegsgrund sein. Daß die Wiener und Londoner Politik jeder einseitigen Stärkung russi­ scher Positionen widerstreben würde, war ebenso vorauszusehen wie das Be­ mühen der Pforte, einem eingreifenden Schiedsspruch der Großmächte mög­ lichst zu entkommen. Tatsächlich sind die Prestigeempfindlichkeit und die Widersprüchlichkeit, die für das russische Verhalten kennzeichnend waren, aus dem überaus schleppenden Gang der diplomatischen Verhandlungen allein nicht zureichend zu erklären. Vielmehr kann das Dilemma, in dem sich die Petersburger Politik befand, nur dann voll ermessen werden, wenn man die innerrussischen Wirkungen der Balkankrise in die Betrachtung einbezieht. Seit Beginn der serbischen und montenegrinischen Operationen gegen die türkische Armee hatte der gesellschaftliche Mobilisierungseffekt, der das Mit­ gefühl für die kämpfenden Glaubensbrüder weckte, der slawischen Bewegung in Rußland zu einem Aufschwung verholfen, der alle früheren Solidaritäts­ bekundungen in den Schatten stellte13. Die brutale Unterdrückung des bul­ garischen Aufstandes kam hinzu und löste Wellen der Hilfsbereitschaft aus, die sich von den Slawischen Komitees und der nationalistischen Presse auf das städtische Publikum, auf die Geistlichkeit und auf beträchtliche Teile der nie­ deren Schichten übertrug. Daß die „Slawomanie" auch im einfachen Volk zur Wirkung kam, das von Serben, Bosniaken und Bulgaren keine Begriffe hatte, ist vielfach bezeugt. Offenbar hat die von Märtyrer- und Heiligenlegenden er­ füllte Phantasie die Gläubigen für die Leiden der Balkanchristen besonders empfänglich gemacht14. Durch Manifestationen, umfangreiche Spendenak­ tionen und durch das Aufgebot russischer F reiwilliger wurde dargetan, daß die Öffentlichkeit die rückhaltlose Unterstützung der Balkanslawen als „heilige Verpflichtung" Rußlands aufzufassen gesonnen sei. Skeptische Beobachter sahen „ganz Rußland von einem fruchtlosen F ieber befallen" und sprachen von „sla­ wophiler Onanie"15. Als Held der Stunde gefeiert wurde der durch die Erobe­ rung von Taškent (1865) bekannt gewordene General M. G. Černjaev, Her­ ausgeber des reaktionären Panslawistenblattes „Russkij mir" (Russische Welt), der bereits im April 1876 nach Belgrad gegangen war und dort den Oberbefehl über die serbische Armee übernommen hatte18. Als zu sehen war, daß das Kriegsglück gegen die Serben ausschlug, steigerte sich die öffentliche Erregung derart, daß alsbald auch liberale Zeitungen den offiziellen Kurs diplomatischer Konfliktlösung kritisierten und eine massive Intervention der russischen Macht für geboten hielten. Immer nachdrücklicher wurde dabei dem „Zar-Befreier" 60 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

angetragen, nun auch die slawischen Brüder aus türkischer Herrschaft zur Freiheit zu führen. Das Regime wurde durch diese ausgreifende gesellschaftliche Bewegung in eine schwierige Lage versetzt. In der Hinwendung an die Aufgabe, den be­ drängten Serben und Bulgaren Hilfe zu leisten, hatte sich Selbstbewußtsein aufgebaut, das auf der innerrussischen Szene wegen fehlender Partizipations­ rechte bisher nicht ausgelebt werden konnte. Überdies mußte der panslawische Aktivismus auch dann, wenn heftige Anklagen gemieden wurden, als ein sinn­ fälliger Vorwurf gegen die Untätigkeit der Regierung empfunden werden, als eine Demonstration, die zu erkennen gab, daß es nicht die Staatsmacht sondern die Gesellschaft sei, die der Ehre der Nation Genüge tue. Kein Zweifel, daß sich namentlich die serbische Politik durch die Unterstützungsbereitschaft der russischen Öffentlichkeit in ihrer überzogenen Selbsteinschätzung bestätigt und ermutigt fand und darauf abzielte, das Zarenreich in den Krieg zu ziehen. Die Reaktionen der Autokratie auf diese Herausforderungen waren zwie­ spältig. Während das amtliche Petersburg aus außenpolitischen Gründen dar­ auf bedacht blieb, Distanz zu wahren und sich weder in Waffenlieferungen noch in Anleihegeschäfte verwickeln zu lassen, traten die Behörden der wach­ senden Regsamkeit der Slawischen Komitees, des Roten Kreuzes und anderer Hilfsorganisationen nicht oder doch nur halbherzig entgegen. Daß sich Čern­ jaev eigenmächtig nach Serbien begeben hatte, um sich dort an die Spitze der serbischen Armee zu setzen, in deren Reihen schließlich über 600 russische Of­ fiziere und einige Tausend Soldaten kämpften, war vom Zaren zwar getadelt, aber schließlich hingenommen worden17. Obwohl die F reiwilligenwerbung für das bedrohte Serbien privater Initiative überlassen blieb, mußte doch die allerhöchste Duldung dieser Militärhilfe halbamtlichen Charakter geben. Selbst die offizielle Beurlaubung von Offizieren durch den Kriegsminister wurde er­ möglicht. Solche Vorgänge trugen dazu bei, daß das Prestige der Autokratie in die Ereignisse auf dem serbischen Kriegstheater alsbald in bedenklicher Weise verwickelt war. Die Politik der Kriegsverhinderung, für die so viele ra­ tionale Gründe sprachen, geriet dadurch in ein fragwürdiges Licht. Es darf als unbestritten gelten, daß dem Kaiser das politische Gewicht, das die Öffentlichkeit seit dem Sommer 1876 gewonnen hatte, prinzipiell zuwider war. Einen so exzentrischen Ideologen wie Aksakov, der bei Hofe freilich F ür­ sprecher fand, als Vorsitzenden des Moskauer Komitees im Namen Rußlands und der slawischen Sache agieren zu sehen, konnte der Regierung keine Freude sein18. Daß Alexander sich dennoch nicht imstande oder willens zeigte, die Solidaritätsbewegung einzudämmen, verweist auf das gestiegene Bedürfnis der Autokratie, in dieser Krisenzeit mit der Gesellschaft nicht in offenem Dis­ sens zu stehen und zu verdeutlichen, daß die Obrigkeit dem Volk wie immer nahe sei. Dabei war der Vorgang der Anpassung an die öffentliche Stimmungs­ lage ein sehr subtiler Prozeß, bei dem man nicht sagen kann, daß sich die pan­ slawische Überhitzung des Klimas auf den Herrscher und seine Minister un­ verstellt übertragen hätte. Selbst der in der Literatur mit den Zügen eines 61 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

exzessiven Panslawisten ausgestattete Ignat'ev hat zwar entschiedener argu­ mentiert als der alternde Gorčakov, aber keineswegs abenteuerliche Empfeh­ lungen vertreten. Miljutin, der einflußreichste Ratgeber Alexanders, war ein nüch­ tern kalkulierender Mann und jeder ideologischen Vernebelung abhold. Aber die Neigung war groß, das slawophile Publikum für die Stimme Rußlands zu halten, der zu folgen man sich nicht entziehen könne19. Belangvoll für die Haltung des Herrschers mochte sein, daß die Zarin, der Thronfolger und ei­ nige Großfürsten von der patriotischen Stimmung infiziert waren und zu ener­ gischeren Schritten drängten. Jedenfalls läßt sich sehen, daß solche Einreden den Zaren dafür präparierten, der Dauerspannung, in der er sich angesichts der Komplexität der Lage befand, durch „populäre" Entscheidungen zu ent­ kommen. Was in der Schwerfälligkeit des Entscheidungsprozesses zutage trat, wird durch den Hinweis auf die psychische Verfassung des Herrschers freilich nur partiell erklärt. Über seine persönlichen Anlagen hinaus war das schwankende Verhalten Alexanders ein Ausdruck struktureller Schwächen des politischen Systems, von denen die mangelnde Koordination des diplomatischen Vorge­ hens vielleicht das deutlichste Zeugnis gibt. Weder der Zar, der über Wochen hin fernab „auf dem taurischen Isolierstuhl" in Livadija residierte20, noch der ebenso bewegungsschwache wie eitle Kanzler vermochten die konkurrierende Eigentätigkeit der Botschafter in Konstantinopel (Ν. Ρ. Ignat'ev), London (P. A. Šuvalov) und Wien (Ε. Ρ. Novikov) zu vereinheitlichen. Vollends die Aktivität der russischen Konsuln in den Fürstentümern entzog sich einer zureichenden Kontrolle. Diese „doppelte Geschäftsführung" der russischen Diplomatie irritierte selbst gutwillige Verhandlungspartner. Auch die Versuche, Berlin zu verbindlichen Zusagen zu bewegen und die tatsächliche Haltung Wiens zu erkunden, liefen sich in einem mitunter peinlichen Dilettantismus fest. Das politische Instrumentarium, über das der Zar gebot, um dem Risiko eines Kriegseintritts zu entgehen, hat sich unter diesen Umständen nicht wirkungsvoll einsetzen lassen. Die Frustrationen steigerten sich zur Unerträglichkeit, als die Erfahrung lehrte, daß es der geschickt agierenden Pforte dank britischer Rückendeckung immer wieder gelang, kollektiven Schritten der Mächte auszuweichen und selbst die innertürkischen Wirren für die Neutralisierung russischer Ansprüche nutzbar zu machen. „Tout le monde contre nous"21 — solche Eindrücke verstärkten die sich ausbreitende Resignation und bestätigten die Ahnung, daß man notfalls alleine werde handeln müssen. Ohne Frage wurde der Erfolgszwang, unter dem die diplomatischen Bemühungen der Regierung standen, vom Druck der panslawischen Bewegung bereits wesentlich mitbestimmt. Auch international war das Ansehen der Autokratie in die balkanischen Angelegenheiten tief verstrickt. Das Vertrauen, das die Südslawen gegenüber Rußland hegten, wollte Petersburg ohne Not nicht verspielen; diese Sonderbeziehung galt als ein politisches Pfand, das die russische Balkanpolitik vor den anderen interessierten Regierungen privilegierte. Nur wenn es gelang, die Mächte zu veranlassen, in Konstantinopel politische Lösungen 62 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

durchzusetzen, die wenigstens die Minimalforderungen Rußlands erfüllten, konnte die Regierung einem bedenklichen Autoritätsverlust entgehen. Andern­ falls ließ sich die erwünschte Kanalisierung der panslawischen Agitation, die für das Regime stets etwas Unziemliches, bisweilen gar Revolutionäres an sich hatte, allein durch entschlossene Schritte zuwege bringen, hinter denen die Be­ reitschaft zum militärischen Eingreifen stand. Vor diesem Hintergrund wird nicht nur die zwischen Ungeduld, Hoffnung und F atalismus schwankende Hal­ tung des Zaren zu beschreiben sein, sondern auch die Entscheidungssituation, aus der im Oktober 1876 schließlich folgenreiche Entschlüsse hervorgingen22. Trotz des anhaltenden Widerstands des F inanzministers verfügte der Zar, daß sich die Armee, parallel zu den fortgehenden Sondierungen Ignat'evs, auf ei­ nen F eldzug vorzubereiten habe. Mit dem Ultimatum an die Pforte, an der ser­ bischen F ront unverzüglich Waffenstillstand zu schließen und binnen zweier Monate mit F riedensverhandlungen zu beginnen, demonstrierte die russische Regierung, daß sie notfalls auch allein gegen die Türken vorgehen werde. Da­ bei wurde ein F rühjahrsfeldzug über rumänisches Gebiet ins Auge gefaßt, den eine Konvention mit Bukarest legalisieren sollte23. Miljutin ließ die Aufstellung bulgarischer Hilfstruppen in Bessarabien vorbereiten. F ürst V. A. Čerkasskij, der prominente Vorsitzende der Rotkreuzgesellschaft, wurde als Leiter der russischen Zivilverwaltung in Bulgarien vorgesehen24. Noch ehe am 1. (13.) November die Mobilisierung von sechs Armeekorps bekanntgegeben wurde, hatte der Kaiser in Moskau der „slawischen Sache" öffentlich Tribut gezollt und die „heilige Mission" Rußlands beschworen25. Nun konnte es den Anschein haben, als sei die Autokratie dabei, sich an die Spitze der slawischen Bewegung zu setzen. Der neue Kurs der Entschiedenheit rettete das geschlagene serbische F ürstentum. Er fand eine positive öffentliche Resonanz, führte zur offiziellen Indienstnahme der russischen Slawenkomitees und ermöglichte die Auflösung des demoralisierten russischen F reiwilligen­ korps26. Indessen darf das Maß der Entlastung, das die Politik der Stärke der russischen Regierung verhieß, nicht überbewertet werden. Die Probleme, die man hatte, waren allenfalls verlagert, nicht gelöst. Nach wie vor bewog die Einsicht, daß die Eröffnung des Krieges mit unkalkulierbaren Risiken belastet sei, den Zaren und seine Berater dazu, in den Bemühungen um eine friedliche Lösung nicht nachzulassen. Doch wie der F ehlschlag der Botschafterkonferenz in Konstantinopel gegen Jahresende zeigte, wurden die enttäuschenden Erfah­ rungen der zurückliegenden Monate immer wieder bestätigt. Im übrigen kam nun alles darauf an, den in Aussicht genommenen F eldzug diplomatisch abzu­ sichern. Als die Abreden von Reichstadt in neuen Verhandlungen mit Andrassy bekräftigt werden sollten, stellte sich heraus, daß die wohlwollende Neutralität Österreichs nur durch weitere Zugeständnisse zu erlangen war. In der Budape­ ster Konvention (15. Januar 1877) wurden der Doppelmonarchie nicht nur Bosnien und die Herzegowina abermals zugestanden, sondern auch eine Rege­ lung der serbischen Territorialfragen zu Lasten des Belgrader Regimes, Raum­ und Machtgewinne also, die Wien hätte einbringen können, ohne auch nur ei63 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

nen Schuß Pulver dafür abzugeben. Der Notwendigkeit, den Ambitionen Österreichs weit entgegenkommen zu müssen, entsprach es auch, daß Petersburg den im März 1877 unterzeichneten serbisch-türkischen Frieden respektierte und davon absah, den Fürsten Milan zur Wiederaufnahme des Krieges an der Seite Rußlands zu ermuntern. Noch schwieriger gestalteten sich die Verhandlungen mit England, da die britische Diplomatie keinen Zweifel daran aufkommen ließ, daß die Schaffung eines großbulgarischen Staates unter russischer Dominanz und selbst eine vorübergehende Besetzung der Meerengen für London nicht tolerabel seien. Nimmt man diese ernüchternden Tatbestände zusammen, dann hatte sich die Spannungssituation für die russische Führung bis zum Frühjahr 1877 nicht gemildert. Nach wie vor bemühte sich der Zar, einer Politik zu entkommen, deren Gefangener er inzwischen geworden war. Immer wieder trafen die Minister einen Herrscher an, der sich an die Hoffnung klammerte, der Krieg werde doch noch abzuwenden sein. Dieses Schwanken war erklärlich, Ausdruck einer Zwangslage, der sich Männer wie Reutern und Miljutin bewußter waren als der Zar. Zu den katastrophalen Perspektiven, die der Finanzminister beschwor, trugen nicht nur die strukturellen Bedingungen bei, die sich aus dem inneren Reformprozeß ergeben hatten. Hinzu kam die aktuelle Wirtschaftskrise dieser Jahre, verstärkt durch die Mißernte von 1875/76: „Der Handel liegt völlig darnieder, der Privatkredit ist fast ganz vernichtet, das Volk, das für seine ländlichen Produkte keinen Absatz findet, kann kein Konsument von Manufakturwaren sein, so daß die Fabriken stillstehen und der Bevölkerung keinen Verdienst geben, die Fallissements von Privatpersonen wiederholen sich täglich und werden binnen kurzem die Zahlungsunfähigkeit der Privatbanken nach sich ziehen." Reutern sah sich vor den Trümmern seiner Finanzpolitik. Die verringerte Auslandsnachfrage nach russischem Getreide bei sinkenden Weltmarktpreisen, die kaum lösbaren Probleme der russischen Auslandsschulden, die zunehmende Erschöpfung des Goldfonds, die Aussicht, alle über die Eisenbahnfinanzierung hinausgehenden zusätzlichen Ausgaben durch die offene oder maskierte Emission von Kreditbilletts bestreiten zu müssen, verdeutlichten ihm eine nahezu auswegslose Situation: „Ich bin überzeugt, daß nicht bloß ein Krieg, sondern sogar die Fortdauer der ungewissen politischen Lage Rußland dem schlimmsten Ruin entgegenführt", — finanziellem Bankrott und wirtschaftlicher Zerrüttung, der Entfremdung der konservativen Gutsbesitzerklasse vom autokratischen Staat, einer Krise, die „einen günstigen Nährboden für revolutionäre und sozialistische Propaganda" schaffen werde27. Der Kriegsminister hatte bereits früher vor den Folgen eines Winterfeldzuges gewarnt; strategische Bahnen zur Donau hin waren nicht vorhanden. Noch im Februar 1877 argumentierte Miljutin ähnlich wie sein verzweifelter Kollege: „Die innere und wirtschaftliche Umgestaltung Rußlands befindet sich in einer Phase, wo jegliche äußere Störung zu einer überaus anhaltenden Zerrüttung des staatlichen Organismus führen kann . . . Keine einzige der in Gang gebrachten Reformen ist abgeschlossen . . . Ein Krieg unter diesen Umständen 64 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

würde für uns ein wahrhaft großes Unglück sein. Der schreckliche Kräfteverschleiß im Innern würde durch die äußeren Anstrengungen noch vergrößert, jede nützliche Arbeit würde paralysiert werden, und die unermeßlichen Opfer könnten den Staat rasch zur vollständigen Erschöpfung und damit selbst die Größe Rußlands ins Wanken bringen . . ."28 Es waren jedoch eben diese Begriffe von der „Größe" und „Ehre" des Reiches, von denen weder der Zar noch der Kriegsminister losgekommen sind. Sie begründeten den inneren Widerspruch der russischen Politik. Während die Verhandlungs- und Konferenzdiplomatie keine Früchte trug, entwickelten die mobilisierten Armeekorps in ihren Winterquartieren ein eigenes Schwergewicht. Angesichts der bereits investierten Millionen schien nur bei einer wundersamen diplomatischen Wendung zugunsten Rußlands die Demobilisierung der Truppen noch vertretbar zu sein. Ein solches Wunder aber blieb aus. Je länger die Ungewißheit anhielt, um so offener widersprach auch Miljutin seiner eigenen, besseren Einsicht: Die Würde Rußlands, so sagte er dann, verbiete es, ohne ausreichende Garantien allein um des Friedens willen länger Gewehr bei Fuß zu stehen29. Es kann kein Zweifel sein, daß an dieser geradezu zwanghaften Zerfahrenheit des politischen Entscheidungsprozesses die prekären Beziehungen zwischen Autokratie und Öffentlichkeit nach wie vor großen Anteil hatten. Die Publizistik, die seit dem Spätherbst 1876 ganz auf das Schicksal der Bulgaren fixiert war, drängte im Winter 1876/77 darauf, den aufreibenden Schwebezustand zu beenden und der „heiligen Verpflichtung" Rußlands Genüge zu tun — sei es durch eine sofortige und durchschlagende Kollektivaktion der Mächte, sei es durch die Macht der russischen Waffen. Wie die beschwörenden Mahnungen des Finanzministers zeigten, schien sich ihm eine Ablenkung der inneren Spannungslage nach außen zu verbieten, weil ein Krieg die wirtschaftliche Krise vertiefen, die gesellschaftlichen Stützen der Autokratie entfremden und die Revolutionäre ermutigen werde. Andere, gewichtige Stimmen in der Umgebung des Zaren legten die Situation in umgekehrter Richtung aus: die Handlungsschwäche und Entschlußlosigkeit der Regierung, ihre Neigung, den Frieden um jeden Preis zu bewahren, seien mitverantwortlich für die schwindende Autorität der Selbstherrschaft, trieben einen Keil zwischen Zar und Volk, förderten die revolutionäre Agitation im Lande wie in der slawischen Welt. Schon im Juni 1876 hatte K.P. Pobedonoscev, der Vertraute des Thronfolgers, solche Gefahren kommen sehen: „. . . Entweder muß die Regierung diese Volksbewegung in die eigene Hand nehmen und lenken, oder diese Bewegung wird immer weiter um sich greifen, wild, regellos, über die Regierung hinweg, ja im Gefühl des Mißtrauens und der Feindseligkeit gegen die Regierung. Dann aber wird es sehr, sehr schlimm werden . . . Unser Volk ist fähig, Wunder an Tugend zu vollbringen, wenn es sich geführt und gelenkt weiß; gibt es aber keine solche lenkende Macht oder weicht diese der Aufgabe der Führung aus, dann kann man Verwirrung, Chaos und Untergang erwarten . . . Wird das alles ohne Ergebnis bleiben oder nur mit einem korrupten Frieden enden zu unserer Schande und zur Freude unserer sogenannten Bundesgenos5 Geyer

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sen, so wird die ganze heutige Erregung der Gesellschaft, die jetzt nach außen hervortritt, sich nach innen wenden, und dann kann zwischen der Regierung und dem Volk eine so tiefe Kluft entstehen, wie sie unsere Geschichte noch nicht gekannt hat."30 Was dieses „Nach-Innen-Wenden" real bedeutete, mochte eine Neubelebung jener Kräfte sein, die auf innere Reformen drängten. Nachdem es nun sogar in der Türkei eine Verfassung gab, waren aufsässige Stimmen laut geworden, „daß gegenwärtig nur noch zwei Länder keine konstitutionelle Regierung haben: das russische Imperium und das Reich des Himmels China"31. Es ist nicht feststellbar, ob der erste große Nihilistenprozeß, der im Frühjahr 1877 teilnehmendes Aufsehen erregte, jene Gruppen stärkte, die für machtvolle politische Schritte in der Orientalischen Frage warben. Sicher ist, daß die revolutionäre Bewegung aus dem Bedingungszusammenhang nicht ausgeklammert werden kann, der die politische Entscheidungssituation an der Staatsspitze beschreibt32. Der Verweis auf die Ineffizienz der diplomatischen Konfliktlösungsversuche, auf die Mechanik der militärischen Maßnahmen und auf die steigende Unruhe der politisch aktivierten Gesellschaft gibt jedenfalls nur die im engeren Sinn ausschlaggebenden Faktoren an, die den Entschluß zur Kriegseröffnung schließlich bewirkten. Die Ablehnung des Londoner Protokolls durch die Pforte (31. März/12. April) entschied nurmehr über das Datum des kaiserlichen Manifests. Dem Verlauf des Krieges ist hier im einzelnen nicht nachzugehen. Betrachtet man die innerrussischen Folgen, die der Beginn des Feldzugs auslöste, so war zunächst von Bedeutung, daß die Autokratie sich zum erstenmal wieder seit dem Polenaufstand in vollem Akkord mit der öffentlichen Meinung befand33. Die pazifizierende Wirkung des Krieges auf die innere Lage wurde zumal von reaktionären Sprechern gepriesen: Die „große Aufgabe", die Rußland nun zu lösen sich anschicke, finde, so hieß es, „ihren anschaulichen Ausdruck in der Vereinigung des russischen Volkes mit der obersten Staatsgewalt"; dieser „frische Luftzug" werde selbst „das Milieu der phantasierenden Zweifler" ergreifen, „ihre künstliche Reizbarkeit dämpfen und sie von sinnlosen und unheilvollen Vorhaben ablenken"34. Nach der Unsicherheit und den Schwankungen der zurückliegenden Zeit mochte das Gefühl, von einer Woge des Vertrauens und der Zuneigung getragen zu werden, auch dem Zaren teuer sein. Offensichtlich hat Alexander rasch die ihm angesonnene Rolle angenommen. Der von Enttäuschungen und Zweifel zernagte Mythos des „Zar-Befreiers", den die offizielle Panegyrik fortgeschrieben hatte, erschien jetzt noch einmal in hellem Glanz und Schimmer, aber nicht mehr, wie 1861, auf innerrussische Wohltaten des Kaisers bezogen, sondern auf die militärische Kraftentfaltung Rußlands jenseits der Grenzen. In der russischen Öffentlichkeit, die diesen Krieg als einen Befreiungskrieg verinnerlichte, waren die Erwartungen nicht gering, verdrängten sie doch, was an politischer Emanzipation in Rußland selber ausgeblieben war. Ein zweiter Monsterprozeß gegen populistische Agitatoren, die das Petersburger Publikum durch ihren Bekennermut beschämten, sollte dies auf dem 66 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Höhepunkt des Krieges verdeutlichen35. Der Kompensationsbedarf, den die labile innere Lage entstehen ließ, schien einen „kleinen F rieden" auszuschließen. Statt dessen wollte man die Anstrengungen und Opfer durch die vollständige Aufhebung der türkischen Herrschaft gerechtfertigt, das russische Protektorat über ein befreites Großbulgarien dauerhaft verankert, womöglich gar das Dop­ pelkreuz auf der Hagia Sofia leuchten sehen. Ungeachtet mancher Nuancen, die zwischen den panslawischen und national russischen Varianten des Na­ tionalismus bestand, mußte der Versuch, solchen hochgespannten Ansprüchen zu genügen, der Staatsführung unweigerlich neue Belastungen bringen. Die patriotische Erregung gestattete es der Regierung nicht, auf halbem Wege einzuhalten: „Rußland", so der Zar im Dezember 1877, „hätte uns dies niemals verziehen."36 Ohnehin hatte der verlustreiche, von empfindlichen Rückschlägen begleitete Gang der Operationen dem Ansehen der militärischen Führung unter dem Großfürsten Nikolaj Nikolaevič nicht gut getan37. Erst Ende 1877, nach der zuvor mehrfach gescheiterten Einnahme von Plevna, rückte die Kapitulation der türkischen Armee in greifbare Nähe. Unter der Drohung einer britischen F lottenlandung an den Meerengen, die den Waffen­ stillstand (31. Januar 1878) überdauerte, führte das unerfüllbare Drängen der Öffentlichkeit und der Armeespitze auf eine Besetzung Konstantinopels zu be­ denklichen politischen Entscheidungen. Ohne hinreichende internationale Ab­ sicherung wurde Ignat'ev in San Stefano ermächtigt, den Türken Bedingungen zu diktieren, die, wie sich alsbald zeigen sollte, die militärischen und politi­ schen Möglichkeiten des Zarenreiches in gefährlicher Weise überstiegen. Der (nicht absichtslos) am Jahrestag der Krönung Alexanders und der rus­ sischen Bauernbefreiung unterzeichnete Präliminarfrieden (19. Februar/3. März) suggerierte der Öffentlichkeit einen Machtgewinn, der die schönsten Hoffnun­ gen zu erfüllen und die gewaltigen Blutopfer zu rechtfertigen vorgab: Ein unabhängiges Großbulgarien von Rußlands Gnaden schien unter Einschluß Mazedoniens und mit breiten Zugängen zur Ägäis zu entstehen; Serbien, Mon­ tenegro und Rumänien von der verbliebenen tributären Stellung freigemacht und territorial arrondiert; die europäische Türkei auf kleine, unzusammenhän­ gende Gebietsteile reduziert, auf Konstantinopel mit einem knapp gehaltenen rumelischen Landstrich, auf Chalkidike mit Saloniki, auf Thessalien, Epirus und Albanien; das Zarenreich selber (auf Kosten des rumänischen Verbünde­ ten) abermals zur Donaumündung vorgeschoben, überdies im Besitz von Ba­ tum, Kars und Ardahan. Über das Schicksal Bosniens und der Herzegowina zu befinden, war mit Rücksicht auf Wien dezenterweise verzichtet worden38. Es blieb voraussehbar, daß ein Absturz aus den Wolkenhöhen dieses Sieges unvermeidlich kommen mußte. Nichts spricht dafür, daß Petersburg ernstlich darauf bauen durfte, die Attitüde einer Ordnungsmacht, der die Neugestaltung des befreiten Balkan übertragen sei, gegen England und Österreich-Ungarn durchhalten zu können. Aber Selbsttäuschung und Orientierungslosigkeit hat­ ten die Regierung daran gehindert, die eigenen F riedensziele nüchtern zu kal­ kulieren. Miljutin ließ keinen Zweifel daran, daß die russische Armee dem dro67

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henden Konflikt mit diesen beiden Rivalen nicht gewachsen sei39. Die Erfah­ rungen des Balkanfeldzugs hatten die fortbestehenden Mängel des militärischen Nachschubs und Versorgungswesens, den Rückstand der waffentechnischen Aus­ rüstung (namentlich der Infanterie) und der operativen Truppenführung vor Augen geführt40. Die F urcht, daß sich ein großer Krieg aus der Dauerkon­ frontation zwischen der britischen F lotte und dem vor Konstantinopel stehen­ den russischen Armeekorps entwickeln könne, lähmte über Monate hin die Ent­ schlußkraft der Petersburger Staatsspitze. Die Konstruktion des großbulga­ rischen F ürstentums erbitterte nicht zuletzt auch Serbien, das sich nun an die Seite der Wiener und Londoner Politik getrieben sah, und ließ die erträumte „Brüderlichkeit" der slawischen Welt vollends zuschanden gehen41. Ungewiß­ heit breitete sich aus, was von den militärischen Siegen bleiben werde: „Wird Rußland", schrieb Katkov im März 1878, „eine mächtige, selbständige Groß­ macht sein oder nicht? Wird es der natürliche Beschützer jener Völkerschaften gleichen Stammes sein, die an ein fremdländisches Joch gefesselt sind? Wird es seine Position im Schwarzen Meer so festigen, daß es um die wirtschaftliche Zukunft des ganzen Südens unbesorgt sein kann?" 42 Von Beginn an hatte sich die russische Diplomatie darauf eingerichtet, daß ein Interessenausgleich mit England und Österreich unerläßlich sei und daß dies beträchtliche Zugeständ­ nisse kosten werde. Die Vermittlerrolle, die Bismarck als „ehrlicher Makler" widerstrebend anbot, sollte bestätigen, daß die Resultate des russisch-türkischen Krieges dem Votum des europäischen Mächtekonzerts unterworfen werden mußten. In dieser Zwangslage, die dem irrationalen Dilettantismus russischer F rie­ denspolitik zu danken war, haben, der Zar und seine Umgebung den Verlauf des Berliner Kongresses (13. Juni—13. Juli 1878) mit depressiven Stimmungen verfolgt43. An die militärische Verteidigung des Diktats von San Stefano war nicht zu denken. So blieb man denn auch ohnmächtig, die ultimative Taktik Disraelis und die ambitiösen F orderungen Andrassys durch Unnachgiebigkeit außer Kraft zu setzen. Kein Weg tat sich auf, der die Handlungsschwäche der russischen Diplomatie unter dem senilen Gorčakov hätte lindern können. Das Arrangement Šuvalovs mit Salisbury, das den Verzicht auf die großbulga­ rische Lösung brachte und den Engländern den Besitz Zyperns zusprach, wurde als schwere Demütigung empfunden. Miljutin fand den Herrscher unter dem Einfluß der Presse, beeindruckt von den „Ausfällen unserer Zeitungen, den Am­ menmärchen und wilden Attacken der wahren Russophilen" auf die von Alex­ ander selbst gebilligten Zugeständnisse in Berlin44. Das Ausmaß der Ent­ täuschungen, das Gefühl der Erniedrigung und Beleidigung, wäre schwerlich so groß gewesen, hätte der Zar sich angesichts der russischen Waffenerfolge nicht in eine Rolle eingelebt, die sein Verständnis von der Würde Rußlands an den überspannten Erwartungen des nationalistisch infizierten Publikums orientierte. Tatsächlich zeigte die Resonanz der Öffentlichkeit auf die Ergebnisse des Berliner Kongresses, wie rasch sich die internationale Prestigeminderung Ruß­ lands in einen empfindlichen innenpolitischen Autoritätsverlust des Regimes 68 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

umsetzen konnte. Der gesellschaftliche Konsens des „Befreiungskrieges" war vertan, die Glaubwürdigkeit der Regierung dahin. Die hochgestimmten Emo­ tionen schlugen in eine Vertrauenskrise um, die sich weder mit Angriffen gegen die eigenen Diplomaten, noch mit publizistischen Anklagen gegen das „perfide Albion", das Intrigantentum der Österreicher oder die Eigennützigkeit Bis­ marcks bannen ließ. Aksakovs berühmt-berüchtigtes Diktum, wonach der Ber­ liner Kongreß „nichts anderes als eine offene Verschwörung gegen das russische Volk . . . unter Mitwirkung der Repräsentanten Rußlands" sei, hat dem ver­ breiteten Unmut überspitzen Ausdruck gegeben45. Selbst liberale Blätter, wie die „S. Peterburgskie vedomosti" oder die Moskauer „Russkie vedomosti", halfen den Gedanken auszubreiten, daß Rußland die Waffen nicht eher aus der Hand legen dürfe, bis „das ganze Kartenhaus der Beschlüsse" von Berlin zusammen­ gebrochen sei. Die Vorbereitung auf neue Kämpfe wurde als dringlich ange­ sehen: „ein Krieg ist besser als Demoralisierung". Unerläßlich sei es deshalb, sich zugleich den inneren Problemen des Landes zuzuwenden, zur schnellst­ möglichen Überwindung jener Unzulänglichkeiten zu kommen, die der natür­ lichen Entwicklung des Staatslebens entgegenstünden und die wichtigsten Be­ dürfnisse des Staates und der Gesellschaft unbefriedigt ließen46. Reform als Zurüstung auf den Krieg: Solche Wendungen signalisierten, wie unmittelbar die außenpolitische Niederlage dazu beitrug, die innerrussischen Spannungs­ felder wieder freizulegen. Dieser Zusammenhang kann hier nur angedeutet werden. In der sowjetischen Geschichtswissenschaft wird die Zeit, die dem russisch-türkischen Krieg folgte, als „Krise der Selbstherrschaft" beschrieben, bisweilen sogar als „revolutionäre Situation"47. Verwiesen wird dabei vor allem auf die im F rühjahr 1878 anhe­ bende revolutionäre Aktivität, auf jene Kette terroristischer Anschläge, die mit dem Revolverschuß Vera Zasulič's auf den Petersburger Stadtkomman­ danten Trepov (24. Januar 1878) begann und nicht nur hochgestellten Zaren­ dienern, wie dem Chef der III. Abteilung, galt, sondern alsbald auch dem Herrscher selber. Schon der F reispruch der Attentäterin durch ein Geschwo­ renengericht unter dem Applaus des Publikums offenbarte, wie brüchig die gesellschaftliche Basis der Selbstherrschaft geworden war. Indem sich das von der Autokratie geschaffene liberale Gerichtssystem gegen die Autorität des Staates kehrte, mußte die Regierung an der Vernunft ihrer eigenen Werke irre werden. Tatsächlich warf der Kampf gegen die terroristischen Narodovol'cy Fragen auf, die sich nicht in bloßen Polizeiproblemen erschöpften. Das Echo, das die bombenlegenden „Nihilisten" fanden, verwies darauf, daß weite Kreise der Öffentlichkeit keine Anstalten machten, die so oft beschworene Loyalität gegenüber einem Herrscher zu bezeugen, der allenfalls noch Mitleid weckte48. Der Terrorismus wurde als Beweis für die Agonie der Regierung angesehen. Stimmungen breiteten sich aus, bei denen das Erschrecken ob der Hilflosigkeit der Behörden in Apathie und F atalismus überging und der Abscheu vor dem politischen Mord Gefühle des Respekts vor dem Selbstopfer der jugendlichen Attentäter nicht ausschloß. „Mit dem zunehmenden Marasmus der Staatsge-

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walt", so der deutsche Botschafter, General von Schweinitz, wachse „die Dreistigkeit der nihilistischen Sekte und die Unzufriedenheit aller Gebildeten." Die Selbstherrschaft existiere nicht mehr, sie sei „zur Selbsterhaltung abgeschwächt". Mit Erschütterung notierte er die „Frivolität der höheren" und die „Gleichgültigkeit der mittleren Volksschicht", als im Februar 1880 durch einen Dynamitanschlag auf das Winterpalais eine Gruppe junger Soldaten zu Tode kam49. Zweifellos hatte das Autoritätsdefizit, das der enttäuschende Ausgang des Krieges zutage brachte, großen Anteil daran, daß eine Handvoll entschlossener Revolutionäre imstande war, das Regime vor eine Zerreißprobe zu stellen. Wie dringlich schließlich selbst der Kaiser nach einer Wendung der Dinge verlangte, zeigte sich in dem Versuch, die energische Bekämpfung der revolutionären Kleingruppen mit einer Politik zu verbinden, die geeignet wäre, das geschwundene Vertrauen zwischen Autokratie und Gesellschaft neu zu befestigen. Die benevolente „Diktatur" des Grafen M. T. Loris-Melikov hat hier ihren Grund50. Indessen ist diese Scheinrenaissance des gouvernementalen Liberalismus von ihren eigenen Widersprüchen nicht freigekommen. Weder gelang es diesem Notstandsregime, der Dysfunktionen des EntScheidungsprozesses Herr zu werden, noch ließ sich mit der Inangriffnahme überständiger Reformen ein tragfähiger Konsens unter den Machteliten selber stiften. Nach dem Abflauen der kriegsbedingten Hochkonjunktur begann sich die von dem zurückgetretenen Finanzminister Reutern prognostizierte Zerrüttung des Finanzwesens und des Wirtschaftslebens auszuwirken. Die Überlegungen zur Neuordnung des Erziehungssystems und des Pressewesens schwankten zwischen liberaler und repressiver Intention; die auf die erbärmliche Lage der Bauern gerichteten Entwürfe stießen allenthalben an fiskalische Grenzen; die umstrittene Neuauflage semikonstitutioneller Projekte, die den Reichsrat durch Zemstvo- und Städte-Vertreter zu verstärken gedachte, verkam, als die Narodnaja Volja im März 1881 dem „Zar-Befreier" ans Leben ging. Dieser Überblick über das Krisenverhalten der Autokratie kann zeigen, wie unauflöslich Balkanpolitik und Balkankrieg mit den inneren Problemen des Reiches verklammert waren. Der Legitimationsdruck, unter den sich die Regierung von der nationalistisch erregten Öffentlichkeit gestellt sah, hatte die Unsicherheit, die Richtungslosigkeit und Widersprüchlichkeit der russischen Politik so verstärkt, daß die Staatsspitze die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht mehr zu kalkulieren vermochte. Mit dem Hinweis, daß Petersburg in der orientalischen Krise panslawischen Forderungen folgte, ist freilich noch nicht viel getan. Um mit dem Gestus einer Ordnungsmacht diplomatisch zu intervenieren, hätte es der Slawischen Komitees nicht bedurft. Bei dem imperialen Selbstbewußtsein der Machteliten, die auf dem Balkan traditionelle Reichsinteressen und Prestige verwickelt fanden, konnte ein Kurs strikter Nichteinmischung niemals zur Debatte stehen. Aber das Abgleiten in eine Politik, die sich fortgehend unter Zugzwang setzte und schließlich aus dem Konvenienzsystem der Großmächte ausbrach, ist doch aus sich selbst nicht zulänglich zu 70 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

erklären. Die strukturellen Schwächen und die geringe Belastbarkeit des Regimes müssen eingerechnet werden. Erst dann wird verständlich, weshalb die Regierung dem Aufeinandertreffen von orientalischer Krise, Wirtschaftskrise und nationalistischer Mobilisierung nicht gewachsen war und eine Konfliktlösung probierte, die bei kühler Berechnung als abenteuerlich hätte erscheinen müssen. In der Tat spricht wenig dafür, daß der Entschluß zum Krieg das Ergebnis einer nüchternen Abwägung von Alternativen gewesen ist. Eher resignativ als erfolgsgewiß hatte sich der Zar auf den militärischen Alleingang eingelassen. Offenbar überwog der Gedanke, daß der diplomatische Attentismus die innere Stabilität und die auswärtige Geltung der Autokratie stärker gefährde als der Marsch in den Krieg, stärker als die voraussehbare Zerrüttung der Finanzen und der Stillstand der wirtschaftlichen Entwicklungspolitik, stärker als das internationale Risiko, das Petersburg nun auf sich nahm. Daß die Regierung bei ihrer Entscheidung, in den Krieg zu gehen, der Faszination imperialer Kriegsziele erlegen wäre, ist auszuschließen. Mit der Einlösung überspannter, über virulente Interessen Englands und Österreichs hinweggreifender Ansprüche durfte ernstlich nicht gerechnet werden. Ebenso wenig wird man der zarischen Balkanpolitik eine Strategie unterstellen dürfen, deren Motiv das Verlangen gewesen sei, der russischen Wirtschaft neue Märkte zu erobern und den Balkan ökonomisch zu penetrieren. Kommerzielle Pressure-Groups haben auf die Entschlüsse des Zaren nicht eingewirkt. Noch zu Beginn der achtziger Jahre, als russische Eisenbahninteressenten in Sofia mit Österreichischen Ambitionen zusammenstießen, meinten leitende Beamte des Außenministeriums, daß Rußland „in Bulgarien nichts zu kaufen oder zu verkaufen" habe51. Was blieb, war die Hoffnung, beim Übergang zur militärischen Intervention von der öffentlichen Meinung getragen zu sein. Daß die Popularität, die der Krieg in Rußland genoß, der Autorität des Regimes zuwachsen werde, entpuppte sich jedoch rasch als eine trügerische Erwartung. Der Feldzug hat die Handlungsfreiheit der Regierung nicht erweitert, sondern bedenklich verkürzt. Er hat das Ansehen der Autokratie an die Akklamation gesellschaftlicher Kräfte gebunden, deren Loyalität nur durch glänzende Siege dauerhaft zu sichern gewesen wäre, durch machtpolitische Gewinne, die 1877/78 nicht zu haben waren. So hinterließ die Ernüchterung, die der Berliner Kongreß vermittelte, einen Kaiser ohne Kleider. Die „Krise der Selbstherrschaft" lag wieder bloß.

4.2. Expansion in Zentralasien Wenn sich beobachten ließ, daß der Balkankrieg nicht geeignet war, der lädierten Autorität der Regierung aufzuhelfen, sondern der strukturellen Dauerkrise neuen Auftrieb gab, dann wird zu fragen sein, wie die aufsehenerregenden Erfolge Rußlands in Asien in die bisher skizzierten Bedingungs- und Wirkungs-

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zusammenhänge eingeordnet werden können. Bekanntlich war es unter Alexander II. nicht nur zu einem bemerkenswerten Ausbau der fernöstlichen Positionen des Reiches gekommen, sondern vor allem zu einer weitausgreifenden Expansion der russischen Herrschaft in Mittelasien. Gewiß wurde damit eine traditionelle Bewegungsrichtung fortgesetzt, deren Anfänge bis in die vorpetrinische Periode zurückverweisen, aber die Dynamik, die die Strategie militärkolonialistischer Landnahme seit dem Ende des Krimkrieges und zumal seit Mitte der sechziger Jahre gewann, hat doch alle bis dahin gewohnten Maßstäbe gesprengt; sie markiert offenbar eine neue, von veränderten Voraussetzungen bestimmte Phase imperialer Machtausdehnung52. Diese Eroberungspolitik stand überdies in augenfälligem Kontrast zu den unentschiedenen, von Selbstzweifeln durchzogenen Reaktionen, die für das Verhalten Petersburgs in der Orientalischen Frage charakteristisch waren. Hier schien sich ein Bewußtsein von Starke und Überlegenheit zu entfalten, das nur wenig Skrupel zeigte, Rußland in eine Dauerkonfrontation mit der britischen Weltmacht zu verwickeln. Auch gewinnt man den Eindruck, daß die asiatischen Unternehmungen von jenen depressiven Zügen, die aus der Beurteilung innerrussischer Spannungslagen kamen, unberührt geblieben sind. Daß Rußland aufgrund seiner geographischen Ausdehnung in Asien eine „zivilisatorische Mission" zu erfüllen habe — dem Anspruch ähnlich, den sich die Kolonialmächte England und Frankreich zuzuschreiben pflegten — war der russischen Bildungsschicht von jeher ein vertrauter Gedanke gewesen. Der Krimkrieg hatte diese Vorstellungen neu belebt. Nicht allein slawophile Literaten, die ihren Patriotismus durch die Niederlage gedemütigt fanden, nährten damals die Meinung, daß Rußland seine geschichtliche Vorzugsstellung im Osten energischer nützen müsse, als dies in den zurückliegenden Jahrzehnten geschehen sei53. Solche kompensatorischen Regungen trafen mit dem Verlangen zusammen, die asiatischen Positionen des Reiches vor dem Zugriff der gleichen Mächte zu schützen, die sich damals gegen Rußland verbündet hatten. Das Interesse an der Abschirmung des eigenen Herrschaftsraumes hatte seit dem Pariser Frieden vordringlich dem Kaukasus gegolten. Durch die beschleunigte Pazifizierung der aufständischen Bergvölker wurde hier binnen weniger Jahre durchgesetzt, was schon unter Nikolaj I. erklärtes Ziel gewesen und nach 1856 zu einem Gebot der Stunde geworden war: die dauerhafte Sicherung der kaukasischen Statthalterschaft54. Aber auch an der mittelasiatischen Militärgrenze, zwischen dem Aralsee und der „Neusibirischen Linie", und in den fernöstlichen Außenräumen zur pazifischen Küste hin begann Petersburg neue Initiativen zu entwickeln. In Ostasien war es nach der Öffnung japanischer Häfen bereits 1855 zu einem Vertrag mit dem Tokugawa-Regime gekommen, der die Inselkette der Kurilen zwischen Rußland und Japan teilte. 1858 trat eine Handelsvereinbarung hinzu55. Von erheblicher Bedeutung war der Erwerb des Amurgebiets und der fernöstlichen Küstenprovinz, der während des Zweiten Opiumkrieges im Schatten einer englisch-französischen Militärintervention gegen China ver72 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

brieft werden konnte. Die russisch-chinesischen Verträge von Aigun (16./28. Mai 1858) und Peking (2./14. November 1860) versprachen der prestigebedürftigen Zarenmacht einen Landgewinn, dessen Sinn es war, die pazifischen Interessen Rußlands gegen den expandierenden Einfluß Englands und Frankreichs zu stützen56. Mit der Gründung von Vladivostok, der „Beherrscherin des Ostens", auch in Gestalt des gefeierten ostsibirischen Generalgouverneurs Graf Ν. Ν. Murav'ev-„Amurskij", wurden überdies Symbole aufgebaut, die von der ungebrochenen Macht und Größe des Imperiums Zeugnis geben sollten. Aber aus den nun angebahnten Sonderbeziehungen zum Reich der Mitte und der befestigten Stellung Rußlands am Pazifik gingen vorderhand weitertreibende Expansionskonzepte nicht hervor. Erst ein Menschenalter später konnte China in langfristige imperialistische Strategien einbezogen werden. Auch der vom Finanzministerium arrangierte Verkauf Alaskas an die Vereinigten Staaten, die Liquidierung der Konkursmasse der „Russisch-Amerikanischen Kompanie" (1867)57, verweist darauf, daß der Ferne Osten in der russischen Politik und Öffentlichkeit vorerst nur eine marginale Rolle spielte. Dem steht nicht entgegen, daß 1875 mit Japan ein Vertrag zustande kam, der den Russen gegen den Verzicht auf die Kurilen die Insel Sachalin überließ. Das japanische Inselreich, das sich seit der Meiji-Restauration von 1868 rasch zu modernisieren begann, wurde erst um die Mitte der neunziger Jahre zu einem ernsthaften Konkurrenten der Zarenmacht, als sich der Imperialismus beider Reiche im Zugriff auf Korea und die Mandschurei unter neuen Voraussetzungen entfaltete58. Ging den fernöstlichen Unternehmungen, zu denen die Regierung Alexanders II. sich entschloß, jegliche Dynamik ab, die dem Vorrang der inneren Reform widerstritten hätte, so läßt sich dieses Urteil auf die zentralasiatische Expansionsbewegung der sechziger und siebziger Jahre nicht beziehen. Der raumgreifende Vorstoß, der zwischen 1864 und 1884 die turkestanischen Khanate und Emirate und die transkaspischen Wüstenzonen bis zur afghanischen und chinesischen Grenze hin unter russischer Herrschaft brachte, bedarf denn auch einer eingehenderen Erörterung. Schon der Tatbestand, daß diese Eroberungen den englisch-russischen Gegensatz zu einer weltpolitisch wirksamen Konstante werden ließen59, zwingt dazu, die Motive und Erwartungen der zarischen Kolonialpolitik mit den großen Binnenproblemen Rußlands zusammenzusehen. In vieler Hinsicht weisen die mittelasiatischen Eroberungszüge, anders als die ins europäische System eingebundene Balkanpolitik, Merkmale auf, die der gleichzeitigen Kolonialexpansion der westlichen Mächte ähnlich waren: Militärexpeditionen in machtentleerte Räume, Konquistadorentum auf der Suche nach Ruhm, die Unterwerfung exotischer Bevölkerungen abseits der „modernen Kultur", der ideologische Anspruch, gegenüber „halbwilden Völkerschaften" einer zivilisatorischen Mission zu genügen; dazu die Erwartung, daß die gewonnenen Kolonien für Handel und Industrie neue Absatzmärkte und Rohstoffquellen öffnen würden. Ein Vergleich mit der Erschließung des amerikani73 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

schen Westens, den die „Frontier"-Theorie Frederick Turners nahelegen mag, trägt dagegen nicht weit80. In Mittelasien ging es nicht um eine Landnahme, mit der freies Farmertum dem Agrarkapitalismus neue Räume geöffnet hätte; eine Siedlungsbewegung, die der agrarischen Überbevölkerung Rußlands hätte steuern können, hat auch später keine sonderliche Bedeutung erlangt. Schon Gorčakovs berühmte Zirkulardepesche von 1864, die das Vordrin­ gen des jungen Generals M. G. Černjaev vor die Tore Taškents zu rechtfer­ tigen und die Mächte zu beruhigen suchte, hatte die Situation Rußlands in Zentralasien mit der „aller zivilisierter Staaten" verglichen, die sich in Kontakt mit rohen, nomadisierenden Bevölkerungen befänden. Die Sicherheit der Gren­ zen und des H andels erfordere kostspielige, sich stets wiederholende Expedi­ tionen, erzwinge die mehr oder minder direkte Unterwerfung unruhiger Stämme: „Wie die Vereinigten Staaten in Amerika, Frankreich in Afrika, H ol­ land in seinen Kolonien, England in Ostindien", so werde nun auch Rußland „weniger aus Ehrgeiz als aus unbedingter Notwendigkeit" auf einem Weg fort­ gerissen, „wo die größte Schwierigkeit darin besteht, stehenbleiben zu kön­ nen."61 H ier wurde das suggestive Bild einer Expansion wider Willen entwor­ fen, Eroberung als Fatum zivilisierter Ordnungsmächte, und zugleich dargetan, daß nicht zu sagen sei, wo man zum H alten käme. Die Neigung, Kolonialpoli­ tik auf die Ebene des Unabwendbaren zu rücken, war den Zeitgenossen durch­ aus vertraut; ähnliches galt für die Empfindung, daß die „Jagd nach der Grenze" einer rationalen Begründung letztlich doch entzogen bleibe: „General Čern­ jaev hat Taškent genommen", notierte der Innenminister Valuev im Juli 1865, „keiner weiß warum und wozu . . . Es ist etwas Erotisches (nečto ėrotičeskoe) in allem, was bei uns an der entlegenen Peripherie des Reiches geschieht."62 In den Theoremen Joseph A. Schumpeters, der den Imperialismus aus einem ata­ vistischen, kriegerischen Eroberungstrieb „ohne angebbare Grenze" kommen sah, tauchen verwandte Deutungen auf63. Soweit sich die historische Literatur nicht damit begnügt, die zentralasia­ tische Politik des Zarenreiches aus den Gesetzen des Raumes, der Natur oder der Geschichte Rußlands abzuleiten, hat vor allem der militärkolonialistische Charakter der russischen Expansion das Urteil über Verlauf und Vernunft der Unternehmung geprägt. Dabei wurden die strategischen Faktoren als bestim­ mende Elemente für die operative Planung und die administrative Praxis in den neugewonnenen Gebieten stets hervorgehoben. Großer Anteil an der Expan­ sionsgeschichte wird der Ruhmsucht der nach Orden und Rangerhöhung dür­ stenden Militärs zugemessen, deren Eigenmächtigkeit Petersburg immer wieder vor vollendete Tatsachen stellte. Die militärische Logik war dazu angetan, stets neue Aktionen für unerläßlich zu halten. Als wichtiger Bestimmungsgrund gilt nicht zuletzt der britisch-russische Gegensatz, der die bremsende oder doch beschwichtigende Rolle Gorčakovs erklärt, gelten Gegensätze zwischen Kriegs­ und Außenministerium, auch Zusammenhänge mit der Balkanpolitik und der Stellung Rußlands im Kaukasus. Daß auch wirtschaftliche Erwartungen im Spiele waren, insonderheit das Verlangen nach billiger Rohbaumwolle für die 74 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

russische Textilindustrie und nach erweiterten Handelsbeziehungen mit den asiatischen Märkten, wird nicht übergangen, doch allein sowjetische Historiker sehen — wenn auch keineswegs einhellig — in den „ökonomischen Interessen der russischen Bourgeoisie" ein zentrales Motiv für die zentralasiatische Kolonialpolitik. Der Kapitalismus, im Herzen Rußlands durch die Beharrungskraft feudaler Relikte in seiner Entfaltung behindert, habe Auslauf in den ökonomisch unterentwickelten Räumen Mittelasiens gesucht, durch Eroberung neuer Märkte an der Peripherie des Reiches sich „in die Breite" zu entwickeln begonnen, mit „objektiv progressiven" Ergebnissen für die Völker der unterworfenen Gebiete, mit negativen Folgen für Rußland insofern, als durch die kapitalistische Expansion in die Außenräume der Zersetzungsprozeß der herrschenden Gutsbesitzerklasse und die Umwandlung der Selbstherrschaft in eine „bürgerliche Monarchie" zwar nicht abgebrochen, aber doch verzögert worden seien64. Wie man sieht, ist in dieser Argumentation die These angelegt, daß der russischen Kolonialpolitik in Mittelasien eine systemstabilisierende Wirkung zugemessen werden dürfe. Auch dem von der älteren Schule der sowjetischen Imperialismusforschung aufgenommenen Begriff des „militärfeudalen Imperialismus" liegen ähnliche Deutungen zugrunde. Der hohe Abstraktionsgrad, der diesen ökonomischen Erklärungen eigen ist, macht sie für die konkrete historische Analyse jedoch nur beschränkt verwendungsfähig. So wenig bestritten werden kann, daß wirtschaftliche Gesichtspunkte mit militärstrategischen und diplomatischen Überlegungen stets eng verbunden waren, so wenig läßt sich sagen, daß die Eroberung Turkestans das Produkt expansionistischer Strategien des russischen Handels- oder Industriekapitals gewesen sei65. Nach dem Ende des Krimkrieges, noch ehe die militärischen Operationen in größerem Stil begannen, hatten Ministerialbeamte, Militärs, unternehmende Kaufleute, Gelehrte und Projektemacher in Memoranden, Eingaben und Artikeln dafür geworben, der wirtschaftlichen und verkehrsmäßigen Erschließung Mittelasiens Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie verwiesen auf die Chancen der Entwicklung des Baumwollanbaus als Rohstoffbasis für die von amerikanischen Exporten nahezu vollkommen abhängige zentralrussische Baumwollindustrie, auf die Aussichten, die ein verstärkter Handel mit Taškent, Buchara, Samarkand und anderen Plätzen biete, auf die wünschenswerte Belebung der Schiffahrt auf dem Kaspischen Meer, dem Aralsee und dem AmuDarja, auf den Nutzen von Eisenbahnlinien weit ins Innere Asiens hinein. Nachrichten über englische Handelsagenten, die man über Afghanistan vordringen sah, wirkten dabei als beständiges Stimulans, Ende der fünfziger Jahre waren militärtopographische Expeditionen und diplomatische Missionen in die Emirate und Khanate Turkestans, ins persische Khorosan, ins chinesische Kashgar entsandt worden. Der junge Ignat'ev, der 1858 nach Buchara und Chiva gegangen war und sodann (bis zu seiner Ernennung zum Botschafter in Konstantinopel 1864) als Leiter des Asiatischen Departements im Außenministerium amtierte, hatte in seinen Berichten dafür geworben, die Sicherung der russischen Handelsinteressen nunmehr militärischen Unternehmungen an75 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

zuvertrauen66. Als während des Sezessionskrieges der amerikanische Baum­ wollexport zusammenbrach und die Weltmarktpreise stiegen, erhielten die Ar­ gumente für eine russische Penetration Zentralasiens neuen Auftrieb und weck­ ten das Interesse der Moskauer Bourgeoisie. Nichts deutet jedoch darauf hin, daß russische Kaufleute oder Industrielle maßgebenden Einfluß auf die Entscheidungen der Staatsspitze gewonnen hät­ ten. Staatliche F ürsorge für Handel und Manufakturen verstand sich von selbst, doch diente sie überwiegend fiskalischen Zwecken, orientierte sich an Gesichtspunkten des Budgetausgleichs und der Zahlungsbilanz, zumal an der Frage, wie die kostspieligen Eisenbahnprojekte zu finanzieren seien. Bei der Enge des Kapitalmarktes und bei der krisenhaften Anspannung des hochver­ schuldeten, fast immer defizitären Staatshaushaltes war an nennenswerte In­ vestitionen in das Asiengeschäft nicht zu denken67. Der F inanzminister, der bestrebt blieb, das Budget des Kriegsministeriums in Schranken zu halten, hatte von Beginn gefordert, daß die Kosten für die militärischen Operationen aus den regulären Etatansätzen zu bestreiten seien. Tatsächlich wurde in der Zeit, als die Unterwerfung Turkestans vor sich ging, das Militärbudget nicht aus­ geweitet. Auch dies ist ein Zeichen dafür, daß dem Vorstoß nach Mittelasien keine Motive unterlagen, die als prophylaktischer Wirtschaftsimperialismus zu kennzeichnen wären. Dem entsprach, daß die kritischen Stimmen, die vor den Kosten der zentralasiatischen Expeditionen, vor der Übernahme neuer fi­ nanzieller Lasten, warnten, den Chor der erwartungsvollen Befürworter durch­ aus aufgewogen haben. Damit sahen sich die Militärs gegenüber dem F inanzministerium und weiten Teilen der Öffentlichkeit unter einen permanenten Legitimationsdruck gestellt. Von hier aus erklären sich die nicht abreißenden Versicherungen, wie gering die Opfer seien und wie groß der künftige Nutzen, der aus der Erschließung der Schätze Asiens für Rußland sprießen werde. Die Generäle selber mühten sich um die Weckung kommerziellen Interesses. 1867, als das turkestanische Generalgouvernement unter K. P. Kaufman eingerichtet wurde, sorgte Čern­ jaev persönlich dafür, daß auf der Moskauer Ethnographischen Ausstellung eine Kollektion landwirtschaftlicher und gewerblicher Produkte aus den neu­ gewonnenen Gebieten besichtigt werden konnte68. Maßnahmen, die General Kaufman zur Hebung der Landeskultur in dem ihm anvertrauten Herrschafts­ bereich einleitete, waren nicht zuletzt darin begründet, daß das Militärgou­ vernement seinen Unterhalt weitgehend aus den unterworfenen Territorien zu ziehen hatte69. Auch die Verträge mit Buchara (1868) und Chiva (1873), die Zollpräferenzen für den russischen Karawanenhandel enthielten, dienten in erster Linie der Stärkung der militärischen Position. Daß Petersburg sich dafür entschied, diese beiden Khanate als autonome Protektoratsgebiete bestehen zu lassen und sie nicht, wie dies 1875 mit Kokand geschah, förmlich zu annektie­ ren, entsprach dem Interesse des Generalgouverneurs, die unterworfenen Stämme durch abgestufte F ormen direkter und indirekter Herrschaft pazifi­ ziert zu halten. So war auch der 1880/81 begonnene Bau der Transkaspischen

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Bahn vorab ein militärisches Unternehmen; bei der Streckenführung blieben Ökonomische Überlegungen außer Betracht. Erst 1899 wurde diese Kolonial­ bahn über Samarkand hinausgeführt und 1905 schließlich (über Taškent und Orenburg) an das europäische Streckennetz Rußlands angeschlossen. Mithin hat erst der industrielle Aufschwung unter F inanzminister Witte Voraussetzun­ gen dafür geschaffen, den Kolonialbesitz allmählich enger mit dem russischen Wirtschaftsorganismus zu verbinden70. Bis zu den neunziger Jahren blieb, trotz der steigenden Einfuhr turkestanischer Rohbaumwolle, die binnenwirt­ schaftliche Bedeutung Russisch-Zentralasiens überaus gering. 1880 bezog Ruß­ land über seine asiatischen Grenzen nur fünf Prozent seiner Gesamtimporte, der Asienhandel betrug nur drei Prozent des russischen Exports71. Tatsächlich ist Rußland in der Periode der Eroberungen von einem „Kolo­ nialfieber" oder „Kolonialenthusiasmus" deutschen Zuschnitts nicht ergriffen worden. Das Echo, das die Eroberungen im russischen Publikum auslösten, war nicht groß, und wenn Siegesmeldungen, etwa vom Gemetzel in Geok Tepe, öffentliche F reude weckten, dann deshalb, weil sie die Depressionen verdrängen halfen, die der innere Zustand des Reiches und die Enttäuschungen auf der europäischen Szene vermittelten. Selbst Dostojevskijs leidenschaftlicher Kom­ mentar, mit dem er im Januar 1881 den Sieg Skobelevs begrüßte, lebte ganz von dieser Empfindung72. In der Regel dominierte eine Einstellung, der Kat­ kov schon 1865, wenige Wochen vor der Einnahme Taškents, Ausdruck ge­ geben hatte: „Was dort [in Asien] Rußland größer werden läßt, schwächt es in Europa. Nicht hier liegt Rußlands Charakter als Großmacht, sondern in seiner Herrschaft über die westlichen Grenzmarken und in seiner Stellung am Schwarzen Meer. Unsere Geschichte vollzieht sich in Europa, nicht in Asien."73 Diese Ansicht konnte nicht nur um die Mitte der sechziger Jahre als unbe­ stritten gelten. Daß gesellschaftliche Mobilisierung mit Ideologien nicht zu­ wege zu bringen war, die einer russischen Mission in Asien das Wort redeten, stand zumal bei denen nicht in Zweifel, die auf eine solche Mobilisierung setz­ ten. Es ist wohl kein Zufall, daß bekannte F iguren der russischen Asienexpan­ sion, wie Ignat'ev oder Černjaev, in den siebziger Jahren unter den führenden Köpfen der Panslawisten zu finden waren, und daß General Skobelev, der Ty­ pus eines russischen Boulanger, dafür einstand, die historische Bestimmung Rußlands im unvermeidlichen Kampf gegen die Teutonen zu suchen, in der Abwehr des deutschen „Drangs nach Osten"74. Solche Beobachtungen verweisen auf zwei Sachverhalte: erstens darauf, daß die russische Kolonialexpansion ihre Rechtfertigung offenbar nicht in sich sel­ ber fand. Panslawische und nationalrussisch-imperiale Ideologeme, die von der Machtposition Rußlands in Europa abgeleitet wurden, stützten sie ab. Zweitens zeigt sich, wie eng das Ausgreifen nach Mittelasien militärisch und politisch an die europäische Mächtekonfrontation gebunden war, vorab an den russisch-englischen Gegensatz, dessen Wurzeln nicht im turkmenisch-af­ ghanischen Grenzraum lagen, sondern nach wie vor im „Nahen Osten", ver­ knüpft mit der F rage, was mit den Meerengen geschehen werde, wenn der 77 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

„kranke Mann" am Bosporus zum Sterben käme. Die Rivalität mit Österreich um die Balkanvölker erweiterte dieses Bezugsfeld und dehnte es auf das neue preußisch-deutsche Imperium aus, dessen Kanzler ein Sonderverhältnis mit Wien unterhielt und, wie man in Rußland mißtrauisch registrierte, nicht davon abließ, Petersburg zu ermuntern, den Zug in die Tiefe des asiatischen Raumes fortzusetzen. Insofern kann man sagen, daß Mittelasien für die russische Politik wesentlich abgeleitete Funktionen besaß. Ihre Bedeutung kam nicht aus den eroberten Territorien, sondern aus dem Stand der europäischen Affären. Die russisch-englische Konfrontation, die nach der Eroberung von Merv 1884 an den Rand eines Krieges führen sollte, ist gut erforscht. Es kann kein Zweifel sein, daß die russische Expansion in den meisten Einzelschritten von der Frontstellung gegen England bedingt und gesteuert wurde. Schon für die Aktivierung des zentralasiatischen Interesses nach dem Pariser Frieden hatte dieser Zusammenhang gegolten. Die Petersburger Beratungen über die Vereinigung der Orenburger und der Sibirischen Militärlinien (1863) waren von der englischen Haltung zum Polenaufstand beeinflußt worden. Seither hatte sich der Gedanke ausgebreitet, daß das Zarenreich die britische Weltmacht im Fall eines Krieges nur in Asien wirkungsvoll treffen könne. Das imperiale Prestigebedürfnis wünschte, den internationalen Rang Rußlands über alle Selbstzweifel hinweg dadurch zu bestätigen, daß man Maß nahm an der internationalen Position des britischen Empire. In Zentralasien, wo das englische Machtpotential nicht groß und Rußland unverwundbar war, konnte dieses Verlangen nach Ebenbürtigkeit befriedigt werden. „Es ist unangebracht", schrieb Miljutin im Januar 1865 an das Asiatische Department, „die englischen Minister für jeden unserer Vorstöße um Verzeihung zu bitten. Sie machen mit uns keine Zeremonien, wenn sie ganze Reiche erobern, fremde Städte und Inseln besetzen, und wir fragen sie nicht, warum sie dies tun."75 Solches Selbstbewußtsein war beim Kriegsminister, der politisch treibenden Kraft der Expansion, und bei seinen Generälen und Offizieren, den „Turkestanern", wohl am stärksten ausgeprägt. Als 1869 die Operationen zur Gewinnung der Bucht von Krasnovodsk eingeleitet wurden und die Frage einer Regulierung des Amu-Darja wieder aufkam, nannte das Organ des Kriegsministeriums dieses Vorhaben „eine völlig würdige Antwort auf die Eröffnung des Suezkanals" 76 . Im Kampf mit den militärisch unterlegenen Stämmen Zentralasiens, der leichte Siege brachte, ließ sich verdrängen, daß die russische Armee zur Führung eines großen europäischen Krieges außerstande war77. Das internationale Aufsehen, das die Feldzüge machten, hat den russischen Militärs stets wohlgetan. Die faits accomplis, mit denen sie die eigenen Diplomaten und mitunter auch den Zaren in Verlegenheit setzten, ja selbst die wiederholten Weisungen aus Petersburg, nicht weiter vorzugehen, kräftigten das Machtgefühl gegenüber der eigenen Obrigkeit. Die beständigen Besorgnisse des Außenministers, daß die ungehemmte Expansion zu einem gefährlichen Zusammenstoß mit London führen werde, sind verständlich. Sie wurden durch das nervöse und feindliche Echo bestätigt, das 78 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Rußlands Machtausdehnung in Asien in der englischen Politik und Publizistik fand. Aber die Taktik fortgesetzter Beschwichtigung, das Bemühen um eine vertragliche Abgrenzung der Einflußsphären und die Versuche, die Militärs der diplomatischen Räson gefügig zu machen, dürfen doch nicht vergessen lassen, daß auch die russische Diplomatie in die neue Rolle sich einlebte, die ihr von der militärkolonialen Ausdehnung Rußlands angetragen wurde. Mit Selbstverständlichkeit wurde 1875, vor der endgültigen Liquidierung des Khanats Kokand, in London der Anspruch vertreten, daß sich Rußland bei seinem Vorgehen „volle Handlungsfreiheit" vorbehalte78. Während der Balkankrise beschäftigte sich nicht nur „blühende Fähnrichsphantasie” (O. Hoetzsch) mit dem Plan eines Feldzugs über Herat nach Indien, auch die Petersburger Zentrale stand dem Gedanken an solche Demonstrationen nicht fern, herausgefordert durch den Widerstand, der den russischen Forderungen an die Pforte aus London entgegenschlug, konfrontiert mit der unter Disraeli aufgeflammten EmpireIdeologie, mit der Begründung eines an die britische Krone geknüpften indischen Kaisertums. Auch die abenteuerliche Gesandtschaft des Generals Stoletov nach Kabul, während des Berliner Kongresses von Kaufman ins Werk gesetzt, bewegte sich auf einer Linie, die die Handlungsschwäche Rußlands in Europa zu mildern suchte. Daß Afghanistan 1879 durch Waffengewalt in ein Protektorat des Vizekönigs von Indien verwandelt wurde, zeigte zwar die Grenzen der russischen Macht, wurde aber Anlaß, den seit langem geplanten Eroberungszug in die turkmenischen Wüsten zu beginnen. Der kompensatorische Charakter gerade dieser Unternehmung auf dem Hintergrund innerrussischer Depressionen ist offensichtlich. Mit Recht hat Otto Hoetzsch die Drohungen, die Katkov damals gegen England richtete, einen „Theaterdonner" genannt, aber diese zornige Aufwallung des Moskauer Publizisten zeigte doch abermals, daß es in Rußland keine Stimme gab, die Erfolg oder Mißerfolg der russischen Asienpolitik für eine Existenzfrage des Reiches hielt: „Die Engländer zittern für Indien, brauchen wir um Taškent zu zittern? Rußland wäre und bliebe ohne Zentralasien dasselbe Rußland, was aber wäre England ohne Indien?"79 Was den russischen Nationalismus trug, blieb an der europäischen Stellung des Zarenreiches festgemacht. Der zentralasiatische Militärkolonialismus war ein funktionales Äquivalent für uneingelöste Erwartungen und für Bedrohungsvorstellungen, die aus der inneren Krisensituation und der beschränkten Bewegungsfähigkeit Rußlands in Europa kamen. Allerdings kündigte sich seit den beginnenden achtziger Jahren an, daß der gewaltige Kolonialerwerb Rußlands ein Eigengewicht zu entwickeln begann, das über die ursprüngliche Zweckbestimmung hinausgriff. Wie bekannt, haben die Eroberung der Achal-Oase 1881 und mehr noch die Annexion von Merv 1884 die Spannungen zwischen Petersburg und London gefährlich gesteigert80. Die russisch-englische Konfrontation in Zentralasien drohte, der Kontrolle der zarischen Regierung zu entgleiten und die europäischen Interessen Rußlands nicht mehr zu stützen, sondern zu gefährden. Durch ein erstes Abkommen über den russisch-afghanischen Grenzverlauf, das die 79 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Kriegsgefahr bannte, wurde im September 1885 diesem Sachverhalt Rechnung getragen. Bei der Beurteilung dieses modus vivendi muß freilich noch ein weiteres Faktum berücksichtigt werden: Infolge der transkaspischen Expansion, vollends seit der Eroberung der turkmenischen Oasen im Vorfeld von Herat, war Persien, ungleich stärker als vordem, in das ausgedehnte Konfliktfeld einbezogen worden. Die Spezialforschung hat auf breiter Materialgrundlage eindrucksvoll herausgearbeitet, wie unmittelbar die anhaltenden Positionskämpfe des zarischen und des britischen Gesandten in Teheran mit den russischen Militäroperationen und den Gegenzügen des indischen Vizekönigs und des Londoner Kabinetts koordiniert waren81. Zur Sicherung der russischen Wüstenkolonie wurde es fortan unentbehrlich, den Einfluß auf die persischen Affären dauerhaft zu machen. Faßt man die Motive und Wirkungen der zentralasiatischen Expansion zusammen, dann dürften für die sechziger und siebziger Jahre folgende Beobachtungen festzuhalten sein: 1. Die prekären Beziehungen zwischen Autokratie und „Gesellschaft" wurden durch die erfolgreichen Eroberungszüge in Turkestan und Turkmenien im Kern nicht berührt. Ein vergleichbarer Grad öffentlicher Erregbarkeit, wie ihn weite Teile des russischen Publikums in den Balkanfragen zu erkennen gaben, war hier nicht zu sehen. Anders als in der orientalischen Krise war die Regierung in Zentralasien niemals dem Druck einer mobilisierten Öffentlichkeit ausgesetzt. Der gesellschaftlich fundierte Nationalismus war weder am Amu-Darja noch an der afghanischen Grenze engagiert. Entsprechend gering wird man den systemstabilisierenden Effekt der militärkolonialistischen Unternehmungen zu veranschlagen haben. Auch deutet nichts darauf hin, daß die Regierung um eine gefährliche Erschütterung ihrer innenpolitischen Autorität hätte fürchten müssen, wenn die Operationen, an welcher Linie auch immer, angehalten worden wären. 2. Außer Zweifel steht, daß die Expansion ökonomische Erwartungen weckte. Aber für die politischen und militärischen Entscheidungen sind diese Perspektiven von marginaler Bedeutung gewesen. Nichts spricht dafür, daß wirtschaftliche Depressionen, etwa die Krise von 1865/66 oder die von 1873/76, den Militärkolonialismus angestoßen oder beflügelt hätten. In wirtschaftlichen Argumenten dominierte das Bemühen, die Eroberungen zu rechtfertigen; dabei wurden Wünsche nach einer autarken Rohstoffbasis für die zentralrussische Baumwollindustrie aktiviert. Obwohl die Regierung die Interessen des Karawanenhandels und der Textilproduzenten bedachte, hatte Mittelasien in der russischen Finanz- und Wirtschaftspolitik keinen maßgebenden Stellenwert. Für die agrarischen Grundlagen der russischen Volkswirtschaft blieb die Machtausdehnung an der Peripherie des Reiches vorerst ohne Belang. 3. Die Kolonialpolitik, die das Zarenreich mit den Positionen des britischen Empire in Afghanistan und Persien zusammenstoßen ließ, muß mithin vor allem dem Prestigebedürfnis der russischen Machteliten zugeschrieben werden. Das Verlangen, imperiale Potenz zu demonstrieren, und diese in militärischen 80 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Erfolgen bestätigt zu finden, wurde durch Bedrohungskomplexe genährt, deren Ursachen in der Krisenanfälligkeit des Regimes und den Grenzen der russi­ schen Europapolitik zu sehen sind. In der zentralasiatischen Randzone der großen Politik, in der, anders als auf dem Balkan und an den Meerengen, anti­ russische Kollektivaktionen der Mächte nicht zu befürchten waren, boten sich verheißungsvolle Kompensationen an. Hier konnte das Gefühl der Rückstän­ digkeit und Bewegungsschwäche balanciert und durch Berufung auf zivilisa­ torische Aufgaben Rußlands verdrängt werden. Hier war die Möglichkeit ge­ geben, einem der mächtigsten Kontrahenten Rußlands entgegenzutreten und mit ihm um Rang und Geltung zu konkurrieren — bei relativ geringen Kosten und berechenbaren Risiken. Die Erfolgserlebnisse, zu denen man den eigenen Militärs verhalf, entzündeten sich nicht allein an den Siegen über hoffnungslos unterlegene Gegner, sondern immer auch an dem suggestiven Gedanken, daß man in Zentralasien Ambitionen und Interessen des britischen Weltreichs tref­ fen konnte. 4. Wer die zentralasiatische Eroberungspolitik als Ersatzhandlung begreift, darf nicht übersehen, daß das Russische Reich mit diesem Vorstoß vollends in das Konkurrenzsystem des modernen Imperialismus einbezogen wurde. Daß sich der englische Kapitalmarkt seit den siebziger Jahren russischen Anleihe­ wünschen verschloß und die Abhängigkeit der Petersburger F inanzwirtschaft von der Berliner Rubel- und Effektenbörse gefährlich zunahm, war in Kauf genommen worden. Längerfristig hat dieser Sachverhalt der russischen Auto­ kratie neue Lasten auferlegt und die Hypotheken der Rückständigkeit doppelt spürbar werden lassen. Der 1881, unter dem Druck der alarmierenden F inanz­ schwäche, angeordnete Rückzug aus dem zehn Jahre zuvor besetzten Kuldža­ Gebiet in Chinesisch-Turkestan deutet darauf hin, daß sich die Regierung wei­ tertragenden Verwicklungen nicht gewachsen fühlte82. Die enorme Diskrepanz zwischen imperialem Anspruch und innerrussischem Entwicklungsdefizit war durch Kolonialpolitik auf die Dauer nicht zu verdrängen. Wittes Industriali­ sierungsstrategie, die in den neunziger Jahren mit wirtschaftsimperialistischen Konzepten nach China ausgriff, wurde von dieser Einsicht bewegt. Wie angedeutet, dürfen bei einer Gesamtbeurteilung die Zusammenhänge nicht außer acht bleiben, die zwischen der zentralasiatischen Expansion und der russisch-britischen Rivalität in Persien bestanden. Die turkmenischen Er­ oberungen hatten der Petersburger Persienpolitik, die seit dem F rieden von Turkmančaj (1828) wesentlich von den kaukasischen Interessen bestimmt worden war, erweiterte Dimensionen mitgeteilt. Neben Persisch-Aserbaidschan und der kaspischen Küstenzone gerieten nun auch die nordöstlichen Provinzen des Kadscharenreiches in den Einzugsbereich der russischen Macht. Schon in den siebziger Jahren zeigte sich, daß Petersburg auf britische Initiativen am Teheraner Hof überaus empfindlich reagierte83. So war der Schah 1873 durch brüske russische Eingriffe gezwungen worden, einen umfangreichen Konzes­ sionsvertrag zu annullieren, der dem Handelshaus Reuter & Co. das Eisen­ bahnmonopol und exklusive Ausbeutungsrechte überantwortet hätte. 1879 ge6

Geyer

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riet der persische Herrscher unter die Obhut einer von russischen Offizieren befehligten Kosakenbrigade, die bis zum Ersten Weltkrieg hin die permanente Präsenz des Zarenimperiums verdeutlichen sollte. Hinzu trat der Versuch, die russische Protektorenrolle ökonomisch abzustützen und den seit 1830 stagnie­ renden, für Rußland durchweg defizitären Handelsverkehr mit Persien anzu­ regen. Angesichts der mangelnden internationalen Konkurrenzfähigseit rus­ sischer Produkte empfahl es sich, den persischen Markt gegen fremde Waren möglichst hermetisch abzuschließen. Die Einbeziehung des Kaukasus-Transits in das russische Zollsystem (1883) war dafür ein erster Schritt; wenig später wurden durch staatliche Exportprämien Anreize geschaffen, die vor allem den Moskauer Baumwollfabrikanten und den südrussischen Zuckerindustriellen zu­ gute kamen84. Der Persienhandel war seither ein Zuschußbetrieb des F inanzministeriums, ohne daß er für die russische Volkswirtschaft nennenswerte Bedeutung hätte erlangen oder gar Konjunktureinbrüche hätte mildern können. Trotz konti­ nuierlicher Erweiterung des Austauschvolumens hat der Export nach dem Nachbarland bis 1913 drei Prozent der russischen Gesamtausfuhr nur selten überschritten. Wenn russische Waren auf dem persischen Markt dennoch do­ minierten, dann deshalb, weil Petersburg, auf die Nutzung geographischer Standortvorteile bedacht, sich einer weitergehenden Verkehrserschließung Per­ siens beharrlich widersetzte. Wiederkehrende Eisenbahnprojekte, die Tabris mit den Kaukasusbahnen oder Teheran mit den kaspischen Häfen zu verbin­ den gedachten, blieben Makulatur — zu schweigen von ehrgeizigen Erwägun­ gen, eine Transpersische Magistrale zu errichten und den Briten am Persischen Golf Paroli zu bieten85. Nicht allein der chronische Kapitalmangel der Staats­ kasse, auch die beständige Sorge, England zu massiven Gegenzügen heraus­ zufordern, wirkten solchen Ambitionen entgegen und sprachen dafür, sich mit dem Ausbau von Post- und Karawanenstraßen zu begnügen. Anders als in der Mandschurei, wo Wittes expansive Industrialisierungs­ strategie in den neunziger Jahren Auslauf suchte, wurden keine Anstalten ge­ macht, die Penetration Persiens zu einem Vehikel der innerrussischen Wirt­ schaftsentwicklung werden zu lassen. Verglichen mit den gewaltigen Investi­ tionen Rußlands im F ernen Osten bewegte sich der „Rubelimperialismus" in Persien in bescheidenem Rahmen. Die F inanzoperationen der seit 1894 von der Reichskasse betriebenen Persischen Disconto- und Darlehnsbank (Učetrto­ ssudnyj bank Persii) — bis hin zu den beiden Anleihen von 1900 und 1902 (22,5 bzw. 10 Mill. Rubel) — waren im wesentlichen darauf berechnet, den hoch­ verschuldeten persischen Hof gefügig zu halten und die britische Imperial Bank of Persia auszuspielen86. Tatsächlich gehörten die fortbestehende Rückständig­ keit des Landes und die Unterdrückung aller Modernisierungsansätze zu den konstanten Bedingungen russischer Einflußsicherung. Auch die labile Balance russischer und britischer Interessen in Persien beruhte auf diesem Sachverhalt.

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5. Grenzen imperialer Politik Die achtziger Jahre bestätigten die systemimmanenten Grenzen imperialer Politik. Wie erwähnt, hatte sich Alexander II. in der krisenhaften Endphase seiner Regierung dem Notstandsprogramm des Grafen Loris-Melikov anvertraut. Ziel dieser Stabilisierungsbemühung war es, dem galoppierenden Autoritätsschwund des Kaisers beizukommen, die Erosion der Staatsmacht aufzuhalten und dem Regime eine neue Vertrauensbasis zu schaffen. Nicht nur durch Repressionen gegen die Revolutionäre sollte dies geschehen, nicht allein durch Zerschlagung des Terrorismus und durch Pazifikation der Lehranstalten. Vielmehr kam es darauf an, der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen, daß der Herrscher gesonnen sei, die „Gesellschaft" an der Lösung der Lebensfragen Rußlands zu beteiligen. Die Organe der landschaftlichen und der kommunalen Selbstverwaltung sollten neubelebt werden und ausgewählte Männer gar bei der Gesetzesarbeit im Reichsrat mitreden dürfen. Hinter diesem Projekt, das der Zar trotz mancher Bedenken am Vorabend seiner Ermordung gebilligt hatte, stand keine konstitutionelle Verschwörung, die die Selbstherrschaft durch ein Repräsentativsystem hätte ersetzen wollen. Zugrunde lag die Überzeugung, daß die strukturelle Dauerkrise nicht zu steuern sei, wenn der Regierung die moralische Unterstützung der Gesellschaft entzogen bleibe. Da es nicht zuletzt darum ging, die agrarische Misere zu dämpfen und das vom Abgabendruck ausgezehrte Bauernvolk botmäßig zu halten, mußte dieser Sympathiewerbung zumal daran gelegen sein, die Loyalität des Landadels zu gewinnen. Der Appell an das Zemstvo und die geplante Reichsratsreform hatten hier ihren Grund1. Die Erfolgschancen dieser „Diktatur des Herzens" wird man nicht hoch bemessen dürfen. Außer Frage steht, daß der Innenminister und die ihn stützende Bürokratengruppe unter äußerstem Zeitdruck agierten. Ihre Möglichkeiten waren ungemein begrenzt. Die Regierung war außerstande, die Aporien der Bauernfrage aufzulösen und sich das Vertrauen des Gutsbesitzes durch ökonomische Gratifikationen zu erkaufen. Die zerrütteten Staatsfinanzen, zu deren Heilung Rezepte nicht aufzubieten waren, schlossen solche Nachhilfen aus. Handel und Industrie stagnierten. Nichts sprach dafür, daß es gelingen könnte, den Absturz aus der kriegsbedingten Wirtschaftskonjunktur in eine anhaltend depressive Phase zu mildern. Bei alledem verbot sich, nach den schlimmen Erfahrungen des Balkankrieges abermals auf den zweifelhaften Effekt nationalistischer Mobilisierung zu setzen oder gar den Versuch zu machen, die intrasystemare Krise nach außen abzuleiten. Für eine Politik der großen Tritte fehlte jede Voraussetzung. Tatsächlich hat die internationale Handlungsschwäche und Isolierung des Zarenreiches nach dem Berliner Kongreß keinen Anlaß gegeben, auf außenpolitische Erfolge zu hoffen, die den inneren Notstand des Regimes hätten lindern können. Andererseits ist zu bedenken, daß der enttäuschende Ausgang des Krieges den traditionellen Anspruch der Autokratie, die imperiale Rolle Rußlands im Mächtesystem verbürgt zu sehen, keineswegs gemildert hatte. 6*

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Auf die Situation dieser Jahre bezogen, bedeutete dies, daß die Regierung die Lasten, die aus diesem Rollenzwang erwuchsen, ungemindert weiterzutragen hatte: die durch den Berliner Kongreß aktualisierte Rivalität mit Österreich-Ungarn und die Konfrontation mit England, die dank der mittelasiatischen Kolonialexpansion dauerhaft geworden war. Auch gegen eine antirussische Koalition dieser beiden Mächte gab es vorerst keine Garantien. Selbst auf die Frage, wie die Rußland verbliebene Position in Bulgarien zu sichern sei, hatte niemand eine sichere Antwort zur Hand2. Die Haltbarkeit des Berliner Traktats stand in Zweifel, und auf den Beziehungen zu Deutschland lagen lange Schatten. Als besonders akut galt die Gefahr, daß London die Pforte zur Reokkupation Ostrumeliens ermuntern und seine Flotte im Marmarameer postieren könnte, um russische Gegenmaßnahmen abzublocken. Die Gewißheit, nicht imstande zu sein, einer englischen Landung zu begegnen oder gar zuvorzukommen, hatte sich seit San Stefano zu einem Trauma ausgewachsen. Überaus deprimierend war der Gedanke, was wohl mit Konstantinopel und den Meerengen geschehen werde, falls der „kranke Mann am Bosporus" je kollabieren sollte. Von keiner europäischen Macht durfte erwartet werden, daß sie dem Zaren das Recht verbriefen würde, „den Schlüssel zum eigenen Haus" in Obhut zu nehmen. Seit die russische Finanzwirtschaft vom Agrarexport abhängig geworden war, hatte die Pontusfrage für Petersburg nicht nur militärische und prestigebedingte Bedeutung gewonnen: Der überwiegende Teil der Getreidezufuhr ging über die Schwarzmeerhäfen3. In solcher Lage besaß der Versuch der russischen Diplomatie, in Berlin ein Mindestmaß an Sicherungen zu erlangen, eine eigene Logik. Die Sondierungen, die den damals noch in Athen akkreditierten Botschafter P. A. Saburov 1879, in einer Zeit empfindlicher Trübung des deutsch-russischen Verhältnisses, zu Bismarck führten, sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Wie bekannt, ist damit der Weg beschritten worden, an dessen Ende im Juni 1881 schließlich das „Dreikaiserbündnis" stand. Schon S. D. Skazkins klassische, in Deutschland wenig beachtete Studie von 1928 hat das Petersburger Verhalten in der Vorgeschichte dieser Entente à trois nach den unpublizierten russischen Akten im wesentlichen aufgeklärt4. Vollends Bismarcks Politik bedarf dank der Forschungslage hier keiner neuerlichen Beschreibung5. Bezieht man den schwierigen Gang der Verhandlungen auf die Krisenlage, in der sich Rußland damals befand, dann sind gleichwohl einige bezeichnende Tatbestände festzuhalten. 1. Charakteristisch war, daß die desolate Verfassung der russischen Diplomatie, ihre strukturellen Schwächen und das Fehlen rationaler Zielplanung auch die Berliner Gespräche beeinflußte. Während der alte Gorčakov von Ba­ den-Baden aus gegen eine russisch-deutsche Verbindung intrigierte, hatte der faktische Leiter des Ministeriums, N. K. Giers, größte Mühe, den Staatskanzler stillzustellen, den ambitiösen Saburov zu disziplinieren und ihn auf überschau­ bare Verhandlungsziele einzustimmen. Die Erwartungen, mit denen der rus­ sische Unterhändler zu Bismarck ging, beruhten auf einer krassen Überschät­ zung des machtpolitischen Gewichts, das Rußland in einen von Berlin gedeck-

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ten Ausgleich mit Österreich einbringen konnte. Der Botschafter probierte immer wieder, den deutschen Kanzler darauf festzulegen, daß dem Zarenreich bei einem Zerfall der Türkei der Besitz Konstantinopels zu verbürgen sei. Daß sich ein so illusionäres Verlangen nicht auf den Kaiser übertrug, war vor allem Miljutin zu danken, der in den Petersburger Beratungen dem auf die Funktionsfähigkeit des europäischen Konzerts bedachten Giers die Stange hielt. Sein Konzept, Konstantinopel in türkischer Hand zu belassen und eine Balkanföderation kleiner autonomer Staaten unter europäischer Garantie anzustreben, entsprang dem Interesse an langfristiger Friedenswahrung6. 2. In der Tat wird man für diese Jahre davon sprechen dürfen, daß der Kriegsminister der eigentliche Architekt der russischen Außenpolitik gewesen ist. Miljutin verhalf zu einer nüchternen Einschätzung der beschränkten Möglichkeiten. Das Zerrbild eines von panslawisch-revolutionären Ideen erfüllten, auf Krieg mit Deutschland sinnenden Mannes, das Bismarck aus innenpolitischen Gründen von dienstbaren Journalisten zeichnen ließ, stand in flagrantem Widerspruch zur Wirklichkeit. Die Truppendislozierungen in Polen, an denen der deutsche Reichskanzler immer wieder Anstoß nahm, waren nicht Ausdruck russischer Kriegsbereitschaft, sondern defensive Aushilfen einer bewegungsschwachen Militärorganisation. Die in Berlin und Wien beschworene Gefahr des „Panslawismus" hat Miljutin in internen Vorlagen denn auch als Chimäre bezeichnet. Entschieden wies er die Unterstellung zurück, daß das Zarenreich eine Vereinigung der slawischen Völker unter russischer Herrschaft erstrebe. Allerdings werde Rußland, wie er meinte, „durch den natürlichen Gang der Dinge" gehalten bleiben, als Fürsprecher und Protektor der slawischen Bevölkerung aufzutreten. Da diese Rolle unaufgebbar sei, seien Konflikte mit jenen Mächten möglich, die das slawische Element zu unterdrücken suchten, mit Deutschland und Österreich zumal. Rußland habe sich entsprechend einzurichten: „Angesichts des grenzenlosen Ehrgeizes des deutschen Kanzlers, der phantastischen Pläne Lord Beaconfields, der isolierten und gedemütigten Lage Frankreichs, schließlich angesichts des unausweichlichen Zerfalls des Ottomanischen Imperiums können sich in naher Zukunft Ereignisse entwickeln, die es Rußland nicht erlauben werden, ein gleichgültiger Zuschauer zu bleiben."7 Im russischen Interesse hielt Miljutin Anstrengungen für erforderlich, die Gefahr eines europäischen Krieges einzudämmen. Niemand wußte besser als er, daß Rußland für militärische Konflikte nicht gerüstet war. Ein Vertrag, der den Status quo garantierte und einen Krieg mit Deutschland und Österreich ausschloß, mochte in dieser Lage einige Entlastung bringen und der Regierung die Chance geben, der gefährlichen inneren Krise Herr zu werden. Eine Option für Frankreich bot dafür keinen Ersatz. 3. Die Problematik eines solchen Vertrags für Rußland muß zusammengesehen werden mit der bekannten Aversion der Presse gegen einen Kurs, der den Anschein vermitteln konnte, als setze Petersburg russische Fundamentalinteressen abermals der Schiedsgewalt des deutschen Kanzlers aus. Während des russisch-deutschen „Zeitungskrieges" von 1879, der die von Bismarck ver85 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

ordnete „Pestsperre" gegen den russischen Viehexport begleitete, war die Anfälligkeit der Öffentlichen Meinung für diesen Furchtkomplex neuerlich zutage gekommen8. Vollends mußte jeder Schritt, der auf ein Arrangement mit Wien verwies, unter den Verdacht des „nationalen Verrats" geraten. Auch Alexander II. war, wie seine erregte Reaktion auf die deutsche Politik der „Nadelstiche" zeigte, von dem tiefsitzendem Argwohn angenagt, den das Bewußtsein der militärischen Unterlegenheit, die finanzielle Abhängigkeit vom Berliner Kapitalmarkt und die mit russophoben Argumenten begründete Schutzzollpolitik Bismarcks vermittelten. Bedenkt man den verheerenden Autoritätsverfall, dem die Regierung damals unterlag, dann wird man diese Empfindlichkeit erklärlich finden. Bei den Verhandlungen in Berlin kam also alles darauf an, den Arkanbereich der Diplomatie sorgsam zu hüten. Das aber hieß zugleich, daß Petersburg gerade dort, wo es zu begrenzten Erfolgen kam, Öffentlichkeit zu meiden hatte. Rationale Politik im internationalen System ließ sich zur Regimestabilisierung nicht verwenden. 4. Daß Alexander III. nach dem jähen Ende seines Vaters die Gespräche mit Bismarck weiterführen und das „Dreikaiserbündnis" schließlich unterzeichnen ließ, macht darauf aufmerksam, daß damals andere realistische Alternativen offensichtlich nicht zur Verfügung standen. Während der neue Autokrat der Innenpolitik eine schroffe Wendung gab, wurde in der Diplomatie Kontinuität gewahrt. Tatsächlich war das Arrangement nicht ohne Vorteile für Petersburg. Der Vertrag vom 6. (18.) Juni 1881 relativierte die mit dem Zweibund befestigte Sonderbeziehung zwischen Berlin und Wien; er garantierte die wohlwollende Neutralität der Partner für den Fall eines russisch-englischen Krieges (und die russische Neutralität in einem deutsch-französischen Krieg); er bekräftigte das von London unterminierte Prinzip, wonach die Pforte nach geltendem Völkerrecht die Meerengen für Kriegsschiffe geschlossen zu halten habe; er band jede Veränderung des orientalisch-balkanischen Status quo an das Einvernehmen der drei Höfe. Im übrigen wurde verbürgt, daß eine türkische Okkupation Ostrumeliens als Kriegsgrund anzusehen sei; die „Wiedervereinigung" dieser Provinz mit dem bulgarischen Fürstentum wurde dem „Zwang der Sachen" (la force des choses) anheimgestellt9. 5. Gewiß fand die russische Diplomatie mit diesen Abreden nur minimale Erwartungen erfüllt. Der exklusive Kreis der auf russischer Seite Eingeweihten hatte sich einzugestehen, daß die Neutralitätsklauseln in der Konfrontation mit dem britischen Empire nur geringe Sicherung bringen konnten. Weder Bismarck noch gar der österreichische Außenminister, Baron Haymerle, waren bereit gewesen, die Zukunft der Meerengen im russischen Sinne festzuschreiben. Zwar hatte Petersburg mit deutscher Hilfe den Verzicht Wiens auf den Sandschak Novi Bazar ertrotzt, aber das Österreichische Annexionsrecht in bezug auf Bosnien und die Herzegowina anerkennen müssen. Folgenreicher war, daß der Vertrag Interessensphären zwischen den beiden Kontrahenten nicht markierte. Wie die russischen Akten zeigen, hatte es in Petersburg über die Bedeutung solcher Abgrenzung unterschiedliche Meinungen gegeben10. Während die 86 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Rückständigkeit Rußlands dafür sprach, den östlichen Balkan gegen die ökonomische Expansion der Partner vertraglich abzuschirmen, setzte sich schließlich doch die Erwägung durch, daß die Festlegung von Einflußzonen den politischen Bewegungsraum des Reiches gegenüber den Balkanvölkern schmälern müßte. Indem man sich mit dem Versprechen begnügte, die eigenen Vertreter und Agenten nicht gegeneinander arbeiten zu lassen, waren für die Zukunft neue Konflikte leicht vorauszusehen. Die Frage, von welchen Faktoren das außenpolitische Verhalten Rußlands in der Folgezeit beeinflußt wurde, lenkt zunächst noch einmal zurück zu einer Betrachtung der russischen Binnenlage nach der Ermordung Alexanders II. Wer auf den neuen Kaiser sieht, mag geneigt sein, den Beginn einer Periode konservativer Stabilisierung und reaktionärer Entschiedenheit vorauszusetzen. Ende April 1881 waren die Projekte Loris-Melikovs vom Tisch, wenig später die als Liberale und Revolutionäre verdächtigten Minister unter Einschluß Miljutins entlassen und der Oberprokureur des Heiligen Synod, Κ. P. Pobe­ donoscev, dabei, die Autokratie seines langjährigen Zöglings gegen alle konstitutionellen Versuchungen abzusichern. Dieser Kurs stimmte mit dem russozentrischen Präzeptorentum überein, das Katkov in seinen Moskauer Blättern vertrat. Seit eh und je hatten die „Moskovskie vedomosti" nach einer starken Staatsmacht verlangt und die spirituelle Einheit von Zar und Volk berufen11. Daß es Pobedonoscev in dieser Krisenlage für notwendig hielt, auch prominente Figuren aus dem panslawistischen Milieu an den Thron zu ziehen, zeigte die Ernennung Ignat'evs zum Innenminister. Es war bekannt, daß der Herrscher diesen Kräften schon während des Balkankrieges nahe gewesen und offenbar noch immer gewogen war. „Zwischen Pobedonoszew, der den Himmel sichert, Katkow, welcher das Volk garantiert und Ignatiew, der den Acharon in Bewegung setzt" (Schweinitz), schien das neue Regime sich einzurichten12. Auslauf fand auch der Militärchauvinismus des Generals Skobelev, der sich mit vielzitierten Auftritten den Anschein gab, „den Nihilismus durch Weckung eines kriegerischen Patriotismus paralysieren oder gar ersticken" zu können13. Pobedonoscev selber hatte den Zaren beschworen, diesen Helden „herzlich" zu empfangen, einen „persönlich womöglich unmoralischen Menschen", der aber „großen moralischen Einfluß auf die Masse" besitze: „Die Leute glauben ihm und folgen ihm" — und das hieß: daß der Herrscher nicht darauf verzichten dürfe, die integrierende Kraft einer solchen Stimme der Autokratie verfügbar zu machen14. Diese merkwürdige Kombination, die den etatistischen Russismus und die exaltierte Slawomanie mit dem militanten Pathos der „Turkestaner" zusammenklingen ließ, war ein Zeichen für die Hilflosigkeit des neuen Regimes. Von den eifernden Konventikeln dieser „Retter des Vaterlands" wurde der Zar im Grunde nur mehr als Symbolfigur gebraucht. Eine „starke Staatsmacht", in der festen Hand der Autokratie, war durch die richtungslose Mobilisierung nationalistischer Emotionen nicht herzustellen. Schweinitz meinte, daß „dem Beherrscher des Ganzen" in diesem allgemeinen Zersetzungsprozeß keine andere 87 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Wahl gelassen sei, als „Krieg oder Untergang", eine Formel, die in der deutschen Diplomatie auch später noch geläufig blieb15. Aber an die Ableitung der Krise in eine kriegerische Außenpolitik war nicht zu denken. Als Ignat'ev im April 1882 dem Kaiser eine dreitausendköpfige Landesver­ sammlung anempfahl, um vor den historischen Stätten Altmoskaus die „Ver­ einigung von Zar und Volk" sinnfällig zu machen, erkannten Pobedonoscev und Alexander, welche Gefahren aus einer Einheitsfront mit panslawischen Projektemachern und Intriganten erwachsen konnten. Der Innenminister wurde aus dem Amt geschickt16. Der Zar blieb darauf verwiesen, das auto­ kratische Rußland in höchsteigener Person zu repräsentieren. Was in dieser Hinsicht möglich war, wurde mit byzantinischem Gepränge bei den Moskauer Krönungsfeierlichkeiten im Mai 1883 zelebriert, durch eine monströse Selbst­ darstellung traditionaler Herrschaft, der — „in der Zeit der Eisenbahnen und Nihilisten" — das Charisma abhanden gekommen war17. Die Dramaturgie die­ ses nostalgischen Schauspiels verdeckte nicht, daß die Regierung Alexanders in den blendenden Kulissen des Moskauer Kreml nicht stehenbleiben konnte. Dennoch ist zu beachten, daß der reaktionäre Beharrungswille Alexanders III. und seiner Berater auf die Dauer nicht ohne Wirkung war. Durch ener­ gische Zugriffe der Polizeibehörden gelang es, dem revolutionären Terrorismus Einhalt zu bieten18. Nach den Jahren, in denen die Narodnaja Volja öffent­ lichen Schrecken verbreitete, wird man die Rückkehr von Ordnung und Ruhe im Klima der Reaktion nicht gering achten dürfen. Die Ängste, in einem per­ manenten Ausnahmezustand leben zu müssen, begannen abzuklingen. Auch die Ächtung der Reformtradition mochte dem virulenten Sekuritatsbedürfnis ent­ gegenkommen, den Erwartungen der alten Herrschaftsschichten zumal. Wie der F ürst V. P. Meščerskij, einer der einflußreichsten Vertrauten des Zaren, vorausgesagt hatte, ließ sich ein beträchtlicher Teil des Publikums an die „Klänge konservativer Rede" ebenso gewöhnen wie zuvor an die liberalen Schwingungen der Reformzeit19. Vor allem aber kam das Regime, dem der neue Innenminister, Graf D. A. Tolstoj, seit 1882 zu schärferen Konturen verhalf, den Erwartungen des land­ besitzenden Adels entgegen. Der von den Reformern nicht selten geschmähte wohlgeborene Stand sollte zur Stützung des Throns wieder aufgerüstet werden. Am hundertsten Jahrestag der Gnadenurkunde Katharinas II. wurden die Rechte der Adelskorporationen feierlich bekräftigt und den russischen Edel­ leuten angesagt, saß sie berufen seien, dem Staat in Landschaft und Stadt neuen Halt zu geben. Der Weg zu den „Konterreformen" von 1889—1892, von denen die „allständische" F assade des Zemstvo hart getroffen wurde, tat sich auf20. Den ökonomischen Nöten des Gutsbesitzes sollte mit der Gründung einer Adelsbank (1885) begegnet werden, doch blieben solcher Sanierungspoli­ tik infolge staatlicher Kapitalarmut und wirtschaftlicher Depression enge Grenzen gezogen. Für den Versuch reaktionärer Stabilisierung war nicht weniger wichtig, daß sich das autokratische Prinzip, in nationalrussische F ormeln gefaßt, als kon-

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servative Staatsideologie verwendungsfähig machen ließ. Die aus Katkovs Blättern bezogenen Surrogate wurden dem Polizei- und Beamtenstaat auferlegt. Sie halfen der Bürokratie, die ihr zugedachten Aufgaben leidlich zu begreifen. Varianten „nationaler Politik" sprachen sich allenthalben aus. Daß der Stil nationalrussischer Reaktion auch auf die bürgerliche Sphäre ausstrahlte und sich dort Denkmäler setzte, trat allerorten zutage, eindrucksvoll überliefert in den Zeugnissen altmoskowitisch dekorierter Architektur. Die monumentalen Profanbauten der Moskauer Stadtduma (heute Leninmuseum), des Historischen Museums und der Handelsreihen (heute GUM) am Roten Platz — Parallelen zur Neugotik des deutschen Kaiserreiches — prägen nach fast einem Jahrhundert noch das Zentrum der sowjetischen Metropole. In den nichtrussischen Gouvernements konnte der bürokratische Nationalismus bequemen Auslauf finden. Die administrative Verstärkung russifikatorischer Maßnahmen, die bereits in den sechziger Jahren erprobt worden waren, traf vor allem die deutschen Einrichtungen in den Ostseeprovinzen. Wie ehedem rechneten die Behörden dabei mit der Sympathie der estnischen und lettischen Bevölkerung, denen sie allerdings nur die eine Bestimmung zuweisen wollten, — womöglich eher noch als die deutsche Herrenschicht — „Russen zu werden"21. Den deutschen Ritterschaften und Kommunen, den Bildungsanstalten und dem lutherischen Kirchenregiment wurden die verbliebenen Privilegien eingeschnürt und viele ihrer Institutionen lebensunfähig gemacht. Mit der Durchsetzung der russischen Amts- und Unterrichtssprache, der Einführung des russischen Polizei- und Gerichtswesens und dem Einströmen russischer Beamter sah sich das deutsche Element „in jenen sarmatischen Topf" hineingezogen, in welchem — nach den abschätzigen Worten eines Rigaer Stadtrats — „aus Orthodoxie, Nihilismus, Tschinowniktum, Papierrubeln, Branntwein und Dynamit die große ,russische Idee' gebraut" werde". Daß die Russifizierung des „Baltenlandes" keine außenpolitischen Komplikationen brachte, war nicht zuletzt darin begründet, daß Bismarck den „Draht nach Petersburg" nicht meinte gefährden zu sollen. Auf der Linie des offiziellen Nationalismus lag auch die Judenpolitik des neuen Regimes. Durch Verschärfung der Ausnahmegesetzgebung für die Untertanen mosaischen Glaubens wurde mit den liberalen Assimilationskonzepten der Regierung Alexanders II. endgültig gebrochen. Zumal im Verwaltungsbereich des Innenressorts ging die zunehmende Anfälligkeit für antisemitische Tendenzen mit antikapitalistischen Ressentiments aufs engste zusammen. Der anhaltende Anleiheboykott, den die großen jüdischen Bankhäuser (RothschildGruppe, Bleichröder u. a.) gegen Rußland verhängten, war eine unmittelbare Folge der 1881 einsetzenden Exzesse gegen die jüdische Bevölkerung. Obschon dem Zaren und vor allem dem Finanzminister diese Pogrombewegungen widerstrebten, war die Neigung lokaler Polizeiorgane unverkennbar, Unzufriedenheit und Verzweiflung der niederen Volksklassen durch Anstiftung oder Zulassung antijüdischer Ausschreitungen zu kanalisieren und darzutun, daß der

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Herrscher gesonnen sei, die „Feinde des Kreuzes" zu strafen23. Der Antisemitismus blieb seither Bestandteil reaktionärer Ideologie, die sich gegen den sozialen und ökonomischen Wandel stemmte und in der Figur des jüdischen Kapitalisten das Unheil Rußlands abgebildet sah. Der Eindruck eines ideologisch vermittelten Konsensus darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich mit solchen Anstalten die strukturellen Schäden nicht heilen ließen, die aus der Reformzeit überkommen waren. Die Stabilisierung blieb eine Oberflächenerscheinung. Es ist nicht leicht, der Versuchung zu widerstehen, die Innenseite des Regimes und seine personellen Facetten schärfer auszuzeichnen. Alexander III. war nicht dazu gemacht, seinem persönlichen Regiment Dynamik und Kohärenz zu geben. Womit er herrschte, waren Furcht und Unsicherheit, in denen er seine Minister hielt. Von einheitlicher Regierungspolitik konnte keine Rede sein. Die einzelnen Ministerien blieben nach wie vor gegeneinander abgeschottet, und der Zar, dessen begrenzte Fassungskraft die Komplexität der Geschäfte nur selten begriff, regierte den Staat im Stil eines harthörigen, immer argwöhnischen Gutsherrn, mit patriarchalischer Grobheit und mit Kasinomanieren. Immerhin erfaßte sein schlichter Verstand die stützende Kraft einer Publizistik, die ihn selber bestätigen und der Idee einer starken, unerschütterlichen Staatsmacht zur Öffentlichkeit verhelfen konnte24. Dieser Einsicht verdankte Katkov seine nun nahezu unangreifbar gewordene Freiheit. Die bissige Kritik, mit der dieser Pressezar, der Konkurrenz liberaler Organe nahezu enthoben, Minister und Behörden verfolgte und deren Schwächen an seinen eigenen Normen maß, wirkte als probates Disziplinierungsmittel; es verstärkte die Abhängigkeit der Zarendiener vom Autokraten, untergrub freilich zugleich das ohnedies geringe Ansehen der Bürokratie: „Katkoff règne, mais ne gouverne pas."25 Der gefürchtete Herr litt nicht an mangelnder Selbsteinschätzung: „Minister — so empfahl er sich dem Zaren — berieten sich mit mir, Generalgouverneure auf wichtigen Posten vertrauten mir ihre Absichten an; ausländische Politiker mußten mit mir rechnen. Mein Name wurde gleichbedeutend mit einem politischen Programm."26 Die erst kurz vor seinem Tod (1887) beeinträchtigte Machtstellung Katkovs zeugt davon, wie porös das Institut der Selbstherrschaft geworden war, wie unentbehrlich eine Stimme, die für die Sprachlosigkeit des Herrschers einstand. Die Unwägbarkeit zarischer Entscheidungsfindung belegt nicht minder der in die Privatgemächer reichende Einfluß Meščerskijs. Dieser zwielichtige Jugendgespiele Alexanders griff über die Jahre hin mit seinem auf die Gemütslage des Herr­ schers zugeschriebenen Tagebuch in die „Sphären" ein und regulierte mit seiner Zeitung, dem „Graždanin", als bezahlter Herold des Kaisers, was offiziöse Meinung heißen konnte27. Daß solche Verhältnisse den Zaren selber und — mehr noch — die aller­ höchster Gnade anvertrauten Würdenträger nicht zuversichtlich stimmten, ist vielfach bezeugt. Die F ülle erhalten gebliebener Korrespondenzen und Tage­ bücher spiegelt eine Atmosphäre ungebrochener Zukunftsangst, den fortgehen90 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

den Autoritätsverfall, den Marasmus eines Ancien Régime, dessen Vertretern mitunter sogar das Bewußtsein eigener Überständigkeit aufgegangen ist. „Allen Menschen, die die Wahrheit nicht gleichmütig läßt, ist düster und schwer zumut, weil wir, die Gegenwart mit dem Gewesenen, dem längst Vergangenen vergleichend, innewerden, daß wir in einer unbekannten, einer anderen Welt leben, wo alles unabwendbar zurück ins urzeitliche Chaos (k pervobytnomu chaosu) führt, und inmitten all dieser Gärung spüren wir, daß wir ohnmächtig sind."28 Der Weltschmerz, der diese Sätze dem Oberprokureur in die Feder trieb, als er dem Zaren zum sechsten Jahrestag der Ermordung Alexanders II. kondolierte, war ein allgemeineres Phänomen russischer Machteliten dieser Zeit, wenn auch nicht Jeder den Eindruck des Verlorenseins so philosophisch zu formulieren wußte wie Pobedonoscev. Was in solcher Grundstimmung anklang, in krassem Kontrast zu dem Verbalismus „nationaler Politik", war die bange Ahnung, daß die Dynamik gesellschaftlichen Umbruchs, soziokulturellen Wandels und ökonomischer Veränderung im Zeichen des Kapitalismus dem autokratischen System an die Wurzeln ging. Die Voraussetzungen, den verbreiteten Pessimismus durch eine kraftvolle Außenpolitik zu balancieren, waren nicht gut. Schwere Besorgnisse quälten die führenden Militärs, die das russische Potential an der wachsenden Überlegenheit der potentiellen Gegner maßen. Die katastrophale Finanzlage des Staates hatte den Zaren veranlaßt, die Armeeausgaben knapp zu halten, eine Maßnahme, die nach dem „Dreikaiserbündnis", von dem die Generäle freilich keine Kunde hatten, vertretbar erscheinen mochte. Dem neuen Kriegsminister P. S. Vannovskij wurde 1882 ein Sparetat auferlegt, eine Kürzung des jeweils auf fünf Jahre fixierten Militärbudgets um nahezu 25 Prozent. Erst 1891 erreichten die Ansätze wieder den Stand von 1881. Welche Folgen dies hatte, zeigte die drastische Verringerung der Truppenstärke (um rund 10 Prozent). Unmöglich war es, dem Mobilisierungsplan Genüge zu tun; etwa 14 000 Reserveoffiziere hätten gefehlt, um die Armee auf Kriegsstärke zu bringen. Auch die Umrüstung der Armee und der Bau strategischer Eisenbahnen, Festungen und Kasernen kamen nur äußerst schleppend voran. Das kurzfristige Entwicklungsprogramm, das der Generalstabschef Ν. Ν. Obručev für unerläßlich an­ sah, um wenigstens mit dem militärischen Stand Österreich-Ungarns Schritt zu halten, mußte angesichts der Einwände des F inanzministers Bunge auf 15 bis 20 Jahre gestreckt werden29. Ebenso stagnierte die F lottenrüstung. Der im Mai 1882 vom Marineminister I. A. Šestakov vorgelegte Ausbauplan blieb bei der herrschenden Geldknappheit eine „pia desiderata". Ende der achtziger Jahre hatte die Schwarzmeerflotte noch nicht einmal die Stärke der türkischen er­ reicht, die Ostseeflotte wäre schwerlich imstande gewesen, eine englische Lan­ dung an der baltischen Küste zu verhindern30. Nichts deutet darauf hin, daß verantwortliche Militärs auf eine kriegerische Politik ausgewesen wären. Auch dem Kaiser, der der Aufrüstung keinen Vorrang gab, wird das oft geäußerte Verlangen nach Jahren „völliger Ruhe" abzunehmen sein31. Der verführerische Plan A. I. Nelidovs, der im Dezember 1882, kurz vor Antritt seines Botschaf-

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teramtes bei der Pforte, dem Zaren empfahl, sich militärisch und diplomatisch auf die Inbesitznahme der Meerengen zu rüsten, wurde der Zukunft anheimgegeben — als „ein Ideal, zu dem [zu gelangen] es noch weit" sei32. Schon eine flüchtige Orientierung über die internationalen Verwicklungen der achtziger Jahre kann zeigen, daß dem Zarenreich die gewünschte Ruhe nicht beschieden war. Der Dauerkonflikt mit England an der afghanischen Grenze, die bulgarische Krise, die fortgehende Rivalität mit Österreich-Ungarn, die gespannten Beziehungen zum deutschen Kaiserreich zwangen dazu, die überkommene Großmachtrolle fortzuspielen und auf die Behauptung der russischen Interessen bedacht zu bleiben. Aber auch die Maßstäbe „nationaler Politik", denen sich die Selbstherrschaft Alexanders III. verschrieben hatte, erlaubten es nicht, von imperialen Ansprüchen abzulassen. Das Ideal einer starken Staatsmacht, das der Kaiser durch wortgewaltige Publizisten vom Schlag Katkovs aufbauen ließ, um die eigene Autorität zu stützen, wirkte als fordernde Kraft auf die auswärtige Politik zurück. Angesichts der ökonomischen Krisenlage, die offensive Strategien im internationalen Staatensystem verbot, blieb das Regime darauf angewiesen, fehlende Potenz zu simulieren und an der unpopulären Orientierung festzuhalten, die Bismarck 1881 angeboten hatte. Am unbedenklichsten hat sich russisches Machtinteresse in den achtziger Jahren noch in Zentralasien vertreten lassen, aber auch dort nicht ohne jedes Risiko33. Im Frühjahr 1885 hing ein Krieg mit England an seidenen Fäden, nachdem mit der Einnahme von Merv 1884 eine neuerliche Verschärfung der russisch-britischen Spannungen in Kauf genommen worden war. Trotz des Verlangens, militärischen Konflikten zu entgehen, hatte Alexander III. die mittelasiatische Expansion nicht stillstellen können: das seit 1879/80 befestigte Protektorat des indischen Vizekönigs in Afghanistan hatte den britisch-russischen Positionskampf abermals angestoßen; Geok-Tepe und Merv waren als russische Antworten anzusehen. Es entsprach der diplomatischen Tradition Petersburgs, den Einschluß der turkmenischen Oasen in die transkaspische Statthalterschaft als „natürliche" und notwendige Abrundung der russischen Machtsphäre auszugeben — „commandé . . . par la necessité de nous assurer une position défensive contre l'hostilité . . . anglaise"34. Von einer Renaissance der über Herat hinweggreifenden Pläne Skobelevs konnte jedoch keine Rede sein. Der Kaiser meinte sogar, daß die Eroberung und Sicherung Turkmeniens mit der Expansionspolitik der europäischen Mächte in Asien und Afrika durchaus nicht zu vergleichen sei: „Kolonialpolitik . . . brauchen wir nicht . . ."35 So umstandslos hatte sich das imperiale Bewußtsein die transkaspischen Wüstenzonen schon einverleibt. Giers hatte von Beginn an darauf vertraut, daß sich die neu entstandenen Demarkierungsprobleme an der afghanischen Grenze diplomatisch lösen ließen. Als es in dem umstrittenen Panjdeh-Gebiet im März 1885 zur Vernichtung eines mit britischen Offizieren versehenen Detachements afghanischer Krieger kam, schien die Kalkulierbarkeit des Konflikts in Gefahr zu geraten. Aber auch 92 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Gladstone hatte Grund, martialische Töne alsbald abklingen zu lassen. An Krieg war dem britischen Kabinett ebensowenig gelegen wie der zarischen Regierung. Das gestörte Verhältnis zur Pforte, die Spannungen mit Frankreich in Ägypten und Zeichen deutsch-französischer Annäherung empfahlen dem Foreign Office, auf einen für Rußland günstigen Kompromiß einzugehen36. Daß Petersburg in der afghanischen Krise an der gewohnten imperialen Attitüde festzuhalten vermochte, darf wohl auch dem 1884 erneuerten Dreikaiserbündnis zugeschrieben werden37. Dieser Monarchenbund aber wurde noch 1885 einer Belastungsprobe unterworfen, der die russische Politik nicht gewachsen war. In der bulgarischen Krise, ausgelöst durch die von Alexander Battenberg im September 1885 proklamierte Union der beiden Bulgarien, wurde die zarische Regierung, anders als in Zentralasien, ihrer beschränkten Machtmittel schmerzlich gewahr. Gleichwohl hat namentlich die deutsche Geschichtsschreibung in den russischen Reaktionen die ungezügelte Aggressivität des russischen Panslawismus von neuem wirken sehen — jenes Sammelbecken subversiver Kräfte, an denen der von Bismarck gestiftete Friedensbund schließlich zerbrochen sei38. Wer genauer zusieht, wird zögern, diese aus den deutschen und österreichischen Akten gezogenen Urteile ungeprüft zu übernehmen. Zwar trifft es zu, daß bis zu den liberalen Blättern hin die Unerläßlichkeit des russischen Balkanengagements energisch verfochten wurde, zumeist in harter Anklage gegen die österreichischen Ambitionen und mit kaum verhohlenem Argwohn gegenüber der deutschen Politik. Aber das stilisierte Konfliktmodell, das einen schwachen, Deutschland zugewandten Giers unter dem Druck einer militanten, germanophoben Öffentlichkeit seufzen sieht, trägt nicht weit. Es erfaßt nur Oberflächenphänomene einer Problemsituation, die durch deprimierende Positionsverluste des Zarenreiches gekennzeichnet war. Als die im Dreikaiserbündnis anvisierte Vereinigung Ostrumeliens mit dem bulgarischen Fürstentum vollzogen wurde und der bulgarisch-serbische Krieg für einen Augenblick sogar das Großbulgarien von San Stefano am Horizont wieder auftauchen ließ, befand sich Petersburg in schlimmer Verlegenheit. Das Paradoxon, die Union von Philippopel nicht als Erfüllung bisher versagt gebliebener Hoffnungen preisen zu können, sondern sie als schwere Brüskierung russischer Interessen empfinden zu müssen, war Ausdruck für das Debakel der russischen Balkanpolitik 39 . Die bulgarische Krise brachte die Handlungsschwäche des Imperiums in den europäischen Affären abermals ans Licht. Daß das vom Blut russischer Regimenter getränkte, durch russische Waffen befreite Land dem Zarenreich binnen weniger Jahre hatte entgleiten können, hing mit den Defekten des autokratischen Regimes und mit der ökonomischen Rückständigkeit Rußlands eng zusammen. Noch unter Alexander II. war sichtbar geworden, daß das politische Instrumentarium, das Petersburg in Bulgarien einzusetzen hatte, eine konsequente Einflußsicherung nicht verbürgte. Der Leutnantsverstand eines deutschen Duodezfürsten hatte ausgereicht, um das 1879 eingerichtete Balancesystem der Verfassung von Trnovo zu unterlaufen, 93 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

eine konstitutionelle Ordnung, die in Petersburg als Morgengabe an das gedemütigte bulgarische Nationalgefühl erdacht worden war, als Modell für die künftige Ordnung der noch unter türkischer Herrschaft stehenden Provinzen, aber auch als Gegengewicht gegen die österreichische Politik, die sich auf dem Balkan und in Serbien zumal an konservative Klienten hielt40. Zwar hatte Alexander III., anders als sein Vater, die Neutralisierung des Sofioter Konstitutionalismus durch seinen ehrgeizigen jungen Verwandten anfänglich nicht ohne Sympathien hingenommen. Aber schon 1882/83 stellte sich heraus, daß die russische Repräsentanz in Bulgarien nicht in der Lage war, den Fürsten botmäßig zu halten. Das Kriegsministerium und das Außenministerium fanden weder zur Formulierung einer einheitlichen Politik, noch vermochten sie ihre eigenen Agenten zu steuern. Hinzuzurechnen ist die zumeist erbärmliche Qualität der nach Sofia entsandten Generäle und Beamten, ihre Unfähigkeit, sich über das Milieu orientalischer Bestechungs- und Intrigenwirtschaft zu erheben und Kooperationsmethoden zu entwickeln, die Aussicht hatten, bei den politischen Kräften des Fürstentums glaubwürdig zu werden. Diese organisatorischen und personellen Mängel des russischen Apparats in Bulgarien waren ein provinzielles Spiegelbild der Petersburger Zustände. Sie erlaubten es dem Battenberger, sich seinen Protektoren zu entziehen. Nicht minder bedeutsam war, daß Rußland seinen Einfluß in Bulgarien ökonomisch nicht hatte abstützen können. Finanzminister Bunge übte Zurückhaltung, als es darum gegangen wäre, russische Kapitalgesellschaften gegen die österreichische Konkurrenz stark zu machen. Bereits im Frühjahr 1883 mußte der anhaltende Streit um die Eisenbahnkonzessionen für Rußland verloren gegeben werden. In dem Unvermögen, Bulgarien wirtschaftlich zu penetrieren und gegen die Kapital- und Handelsexpansion fortgeschrittener Länder abzuschließen, wurde der Entwicklungsrückstand des russischen Imperiums offenbar. Es zeigte sich, daß die Autokratie außerstande war, moderne Formen imperialistischer Interessensicherung zu praktizieren41. Da auch das militärische Potential nicht ausreichte, um die Verteidigung von Einflußsphären auf dem Balkan der Armee anzuvertrauen, hatte Rußland in Bulgarien keine adäquaten Mittel einzusetzen. Was blieb, war die Diplomatie, die in dieser Überschneidungszone europäischer Mächteinteressen wie eh und je nur unzulänglich griff. Auf der Botschafterkonferenz in Konstantinopel ließ sich die Unionierung Ostrumeliens und des Fürstentums nicht mehr ungeschehen machen. Giers hatte sich mit einem Ergebnis zu begnügen, das dem Konzept des Battenbergers zwar rechtliche Grenzen zog, die faktische Vereinigung aber nicht aufhob42. Man muß diese schmerzlichen Erfahrungen berücksichtigen, um die empörten Reaktionen der Petersburger Staatsspitze und der russischen Presse zu verstehen. Die Erbitterung richtete sich nicht allein gegen den eigenmächtigen Fürsten, sondern gleichermaßen gegen England und Österreich-Ungarn. Dem Londoner Kabinett wurde nicht zu Unrecht unterstellt, im Einklang mit Wien den Battenberger gegen Rußland ermutigt zu haben. Die russischen Möglichkeiten waren indessen äußerst beschränkt. Tatsächlich gibt es keine Anzeichen 94 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

dafür, daß Alexander III. ein bewaffnetes Eingreifen ernstlich erwogen hätte, um den „undankbaren" Vetter aus Sofia zu vertreiben. Wiederholt wies er das Drängen russischer Agenten auf eine militärische Okkupation als „Unsinn" zurück: Bulgariens wegen „mit der Türkei und womöglich auch mit Europa Krieg zu führen, wäre unverzeihlich, ja in bezug auf Rußland sogar verbrecherisch"43. Damit folgte er der Einsicht, daß Rußland das Konfliktrisiko nicht tragen könne, einer Überzeugung, die nicht allein der Außenminister und der Finanzminister teilten sondern auch der Generalstabschef. Die katastrophale Finanz- und Wirtschaftslage Rußlands, die während der Bulgarienkrise den Staatsbankrott befürchten ließ, erlaubte keine bewaffnete Intervention. Selbst auf dem Höhepunkt der Spannungen, im Spätsommer 1886, wurde von militärischen Operationen abgesehen. Alexanders Ansicht, daß „unser einziges Hauptziel" die Einnahme Konstantinopels und der Meerengen sei, hatte in dieser Lage nur eine kompensatorische Funktion, aus der praktische Entschlüsse nicht hervorgegangen sind. Statt dessen setzte man auf eine Offiziersverschwörung, die der Militärattaché in Sofia mit Wissen des Zaren betrieb. Aber auch diese Unternehmung, die den Battenberger nach gewaltsamer Entführung und unvermuteter Rückkehr am 7. September (26. August) schließlich zur Abdankung zwang, erwies sich als ein zweifelhafter Triumph. Die vom Zaren persönlich dirigierte Mission des Generals N. V. Kaulbars verspielte den Erfolg. Binnen zweier Monate führte dieser Emissär, der sich wie ein Statthalter gebärdete, durch grobe Eingriffe in die innerbulgarischen Händel eine unaufhaltbare Lage herauf. Unter martialischen Protesten zog er sich im November 1886 mit einem Schweif von Beratern und Agenten nach Rußland zurück44. Außer einigen mißglückten Konspirationen gegen die Regierung Stambolov hatte das Zarenimperium in Bulgarien nichts mehr aufzubieten. Die bulgarische Nationalversammlung widersetzte sich dem russischen Thronkandidaten Fürst Mingrel'skij und wählte im Juni 1887 Ferdinand von Coburg, dem ein volles Jahrzehnt die Anerkennung Petersburgs entzogen blieb45. Die Demütigung war vollkommen. Es hätte der russischen Presse nicht bedurft, um den Zaren und den Außenminister zu der Ansicht zu bringen, daß an eine abermalige Erneuerung des Dreikaiserbundes nun nicht mehr zu denken sei. Der Verlust Bulgariens hatte demonstriert, daß dieser Vertrag die russischen Interessen nicht zu sichern vermochte. Die österreichische Position auf dem Balkan schien so stark geworden, daß auch das Werben Bismarcks, genau definierte Interessenzonen festzulegen, nicht mehr verfing. In dieser Lage erwies sich der geheime Rückversicherungsvertrag mit Deutschland als die einzige Alternative, um einer vollständigen Isolierung zu entgehen46. In bezug auf die russischen Interessen in Bulgarien und an den Meerengen waren die deutschen Zusagen freilich schon im Augenblick der Unterzeichnung ohne sonderlich praktischen Wert. Aber Petersburg hatte damals keine andere Wahl: Für eine Option in Richtung auf ein Bündnis mit Paris haben 1887, im Krisenjahr der deutsch-russischen Beziehungen, noch wichtige Voraussetzungen gefehlt. Die eingewurzelte Abneigung Alexanders 95 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

III. gegen das republikanische Frankreich, dem die Moskauer Blätter unverhohlen Sympathie bezeugten, hatte nach wie vor beträchtliches Gewicht. Auch Bismarcks psychologische Kriegführung gegen Boulanger sorgte dafür, daß der russischen Diplomatie das Risiko einer französischen Orientierung nicht aus den Augen ging47. Bei alledem wurde der Eindruck, den die russische Politik in dieser Zeit vermittelte, nicht allein durch das Verhalten des Zaren und des Ministers Giers bestimmt, sondern mehr noch durch die erregte Stimmlage der nationalen Publizistik. Die Dissonanz zwischen amtlicher Politik und „öffentlicher Meinung" war offensichtlich48. Da angenommen werden durfte, daß die Presse unter der Kontrolle der Zensurbehörden stand, legte dieser Widerspruch im Ausland vor allem zwei Auslegungen nahe. Zum einen galt die scheinbar ungezügelte Kritik, die namentlich die Moskauer Blätter an der russischen Diplomatie übten, als Zeichen für die Führungsschwäche der Autokratie und für die wachsende Dynamik einflußreicher Gegenkräfte, für einen panslawisch getönten Chauvinismus, dessen Ziel es sei, den Zaren zur Abkehr von Deutschland und zu einer nationalen Politik der „freien Hand" zu drängen. Zum anderen bot sich die Vermutung an, daß die Regierung durch das Medium der Presse ihre eigentlichen Absichten enthülle, daß die Differenz zwischen offizieller Mäßigung und öffentlicher Intransigenz ein bewußt gehandhabtes Mittel zur Vorbereitung eines Kurswechsels sei, der Rußland an die Seite Frankreichs brächte. Diese Unterstellung hat namentlich in Deutschland zu erheblichen Besorgnissen Anlaß gegeben und Bismarck dazu bewogen, die „Doppelzüngigkeit" der russischen Politik anzuklagen. Auch die Präventivkriegspläne des deutschen Generalstabs gehören in diesen Zusammenhang. Eine sachgerechte Beurteilung wird festzuhalten haben, daß die vielbeschriebene russische „Pressehetze" 1886/87 auch nicht annähernd jenen Grad öffentlicher Mobilisierung zu erzeugen vermochte, wie dies den Slawenkomitees zehn Jahre zuvor gelungen war. Von einer ausgreifenden oder gar organisierten Bewegung gesellschaftlicher Kräfte konnte keine Rede sein. Vielmehr muß man sehen, daß die nationalistische Publizistik mit dem, was als Regierungslager zu beschreiben wäre, ungleich stärker verfilzt und verwoben war als 1876/77. Die Differenz zwischen Presse und amtlicher Politik zeigte an, daß die imperiale Attitüde dem Vermögen des Regimes nicht mehr entsprach. In Katkovs Artikeln wurden Interessen und Normen formuliert, die dem Kaiser und den russischen Machteliten keineswegs zuwider waren, denen sie allerdings in der Praxis nicht genügen konnten. Die „Moskovskie vedomosti" verlangten, was wünschbar, aber noch nicht einzulösen war. Mit ihrer Agitation für eine Politik des Νonalignement in „freier Annäherung" an das von Bismarck bedrohte Frankreich brachten sie auf den Begriff, was das Regime zu erfüllen sich versagen mußte. Indem der Zar Katkov gewähren ließ, wurde zugleich die Richtungslosigkeit des autokratischen „policy-making" dargetan49. Die Kritik an der Außenpolitik belegte die Schwäche des russischen Führungssystems. Einerseits mochte die publizistische Demonstration nationalen 96 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

und imperialen Selbstbewußtseins in ihrer Wirkung nach innen hilfreich sein, weil sie die demütigende Erfahrung dämpfte, die aus den fortgehenden Rückschlägen der russischen Politik erwuchs. Andererseits aber war nicht zu leugnen, daß die Regierung damit in eine äußerst zwiespältige Lage geriet, die ihrer Autorität nicht zuträglich sein konnte. Nach wie vor mußte die Tatsache, daß die Sicherheit des Reiches nur an der Seite Deutschlands leidlich gewährleistet war, vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Die deutsche Orientierung Petersburgs, Ausdruck ökonomischer Abhängigkeit und außenpolitischer Handlungsschwäche, kam dennoch ans Licht. Einerseits war der mit Hilfe der Presse suggerierte Eindruck, daß Rußland auf Distanz zu Berlin bedacht sei, ein willkommenes Mittel, den tatsächlichen Mangel an politischen Alternativen zu verdecken. Andererseits hatte die Autokratie in Kauf zu nehmen, daß diese „Öffentlichkeit" auch dann, wenn sie das Ansehen des Zaren beschädigte, nicht einfach ausgeschaltet werden konnte. Für die Abwehr der Kampagnen, die Bismarck in den von ihm gesteuerten Blättern laufen ließ, um den Zaren vor den „halbrevolutionären", staatsgefährdenden Tendenzen der russischen Presse zu warnen50, war Katkov unentbehrlich. Als sich Alexander III. im März 1887 persönlich brüskiert fühlte, nachdem Katkov geheime Bestimmungen des „für Rußland so unheilvollen" Dreikaiserbündnisses enthüllt hatte, konnte er seinem Zorn nur in internen Äußerungen Ausdruck geben: „Katkov wünscht die Rolle irgendeines Diktators zu spielen, . . . es ist notwendig, den Wahnsinn zu zähmen . . ." 5l Zu einer öffentlichen Maßregelung schwang er sich nicht mehr auf. Die „Moskovskie vedomosti" waren, wie Pobedonoscev richtig sah, inzwischen zu einer moralischen Anstalt geworden, an der die Autokratie partizipierte. Katkov zu desavouieren, hätte bedeutet, die „Feinde der [autokratischen] Ordnung zu ermutigen52. Niemals zuvor war die deplorable Lage der russischen Autokratie nach innen und außen so unverstellt zum Vorschein gekommen wie in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Während sich das Regime von Kräften bestätigen lassen mußte, die der Außenpolitik widersprachen und das Ansehen der Selbstherrschaft untergruben, blieb der Zar ohnmächtig, die Kette der Niederlagen zu durchbrechen, die Rußland in den internationalen Beziehungen hinzunehmen hatte. 1887 glaubte sich Bismarck stark genug, um durch ökonomische Pressionen die Bündnistreue des russischen Partners zu erzwingen. Die kalkulierte Verschärfung der Agrarzollpolitik und die Schädigung des russischen Auslandskredits wurden, nun entschiedener als je zuvor, als Disziplinierungsmittel eingesetzt53. Dies geschah zu einer Zeit, in der der neue Finanzminister A. I. Vyšnegradskij darauf ausging, durch Erweiterung des Exports und verschärften Protektionismus einen neuen Anlauf zu machen, um der Wirtschaftskrise dieser Jahre Herr zu werden und die außenpolitischen Konsequenzen der Rückständigkeit abzubauen. Tatsächlich war an eine Rückgewinnung der internationalen Handlungsfähigkeit wie an eine Stabilisierung des politischen Systems nur dann zu denken, wenn Rußland aus Armut und wirtschaftlicher Stagnation herausfand und seine finanziellen und ökonomischen Ressourcen 7 Geyer

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in Einklang setzte mit dem, was zur Praktizierung imperialistischer Großmachtpolitik unerläßlich geworden war 54 . In diesem Sinn hing die Selbsterhaltung der Autokratie von der Frage ab, wie und mit welchen Kosten ein ökonomischer Aufschwung möglich sei, der das Zarenreich auf das Niveau seiner Konkurrenten, der hochindustrialisierten Mächte des Westens, brächte.

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II. Geborgter Imperialismus 1885-1905 1. Rückständigkeit und Industrialisierung Die Bewegungsschwäche der russischen Außenpolitik, ihre von Enttäuschungen und Zukunftsängsten genährte Zerfahrenheit, werden erst dann verständlich, wenn man die sozialen und ökonomischen Probleme Rußlands in die Analyse einbezieht. Es wurde schon angedeutet, daß der internationalen Handlungsfähigkeit Petersburgs in der wirtschaftlichen Depression der achtziger Jahre enge Grenzen gezogen waren. Die strukturbedingte, von den Hypotheken des Balkankrieges zusätzlich verschärfte Kapitalarmut des Staates ließ sich unter den Wirkungen dieser Flaute nicht mildern. In der Einschränkung der Militärausgaben und der Stagnation des Eisenbahnbaus sprach sich aus, daß das Imperium auf eine defensive Sicherheitsstrategie verwiesen blieb1. Das russische Verhalten während der bulgarischen Krise, das bei aller tolpatschigen Zudringlichkeit unkalkulierbaren Konfliktrisiken gleichwohl aus dem Wege ging, schien wachsende Selbstbescheidung zu verraten. Ähnliches galt für den Entschluß, gegen den Widerstand der öffentlichen Meinung an der überkommenen deutschen Orientierung festzuhalten. Die Regierung entsprach damit dem Tatbestand, daß Rußland weder auf neue Optionen noch auf eine Großmachtpolitik der freien Hand vorbereitet war. Mit der ökonomischen und finanziellen Misere hingen soziale Krisenfaktoren eng zusammen. Sie kamen vor allem aus der Not des bäuerlichen Volkes, dessen Landausstattung infolge des wachsenden Bevölkerungsdrucks kontinuierlich schrumpfte — von durchschnittlich 4,8 Desjatinen pro Kopf der männlichen Bevölkerung (1860) auf 2,6 Desjatinen an der Jahrhundertwende. Für die Regimestabilität nicht weniger bedeutsam war die beengte Lage großer Teile des landbesitzenden Adels. Zwischen 1863 und 1887 ging der in adligen Händen befindliche Grundbesitz um jährlich 0,7 Prozent zurück, zwischen 1887 und 1905 gar um jährlich 1,6 Prozent2. Während die sozialen Kosten der Bauernbefreiung um die fiskalische Leistungsfähigkeit der ländlichen Grundschichten fürchten ließen, wurden von den Positionsverlusten des adligen Gutsbesitzes die prekären Beziehungen zwischen Autokratie und „Gesellschaft" nachhaltig betroffen. Im bäuerlichen Elend wie im wirtschaftlichen Niedergang des Landadels trat zutage, daß das Regime den agrarischen Ständen des Landes keine weitertragenden Entwicklungsperspektiven mitteilen konnte. Die Mittel, die die Regierung einzusetzen hatte, ihre Bemühungen um die Konservierung des Adelsstandes, um die überfällige Reform der Steuerverfassung und die Beschleunigung der Loskaufoperationen, waren, wie sich zeigte, stumpfe Waffen. Wer die depressiven, bisweilen gar fatalistischen Attitüden erklären will, die 7*

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den russischen Machteliten eigen waren und auf die auswärtige Politik des Reiches allenthalben durchschlugen, wird diese sozialen und ökonomischen Aporien in Rechnung zu stellen haben. Eine genauere Orientierung über die russische Wirtschaftsentwicklung und deren soziale Konsequenzen kann zeigen, daß das strukturelle Dilemma Rußlands das 19. Jahrhundert überdauert hat und über alle Wechsellagen hin zu den Konstanten auch der auswärtigen Politik des Zarenreiches gehörte. Jeder Versuch, aus Ökonomischer Rückständigkeit und staatlicher Finanzarmut herauszufinden, trieb die Zersetzung des adligen Gutsbesitzes und die Verelendung der Bauernschaft weiter voran. Die Industrialisierungsstrategie des Finanzministers Witte, der in den neunziger Jahren die Großmachtrolle Rußlands neu zu befestigen suchte, bietet dafür eindrucksvolle Nachweise3. Indem die Autokratie um ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit willen sich dazu entschloß, die wirtschaftliche Unterentwicklung Rußlands energisch anzugehen, förderte sie die Erosion ihrer eigenen gesellschaftlichen Grundlagen. Dieser circulus vitiosus war nicht aufzubrechen, und die Ahnung, daß die Selbstherrschaft verloren sei, wenn der Adel nicht zu überleben vermöchte, hat der konservativen Fronde gegen den Strom der Zeit Auftrieb, aber keine Zukunft gegeben. Tatsächlich wurde der staatlich protektionierte Industrieaufbau, der zu Lasten der agrarischen und bäuerlichen Interessen ging, mit der fortgehenden Verschärfung der sozialen Spannungen bezahlt. Wie bekannt, ist die systemgefährdende Wirkung dieser Politik 1905 vollends offenbar geworden, als Krieg und Revolution zusammenschlugen und sich jene neuen Sprengkräfte regten, die in den Fabrikzentren des industriellen Rußland groß geworden waren. Unter den Belastungen des russisch-japanischen Konflikts liefen der Autokratie Innen- und Außenpolitik gleichermaßen aus dem Ruder4. Zu behaupten, in der russischen Wirtschafts- und Finanzpolitik hätten die sozialen und Ökonomischen Interessen des landbesitzenden Adels dominiert, wäre eine leichtfertige Unterstellung. Schon bei Aufhebung der Leibeigenschaft hatte sich die Regierung veranlaßt gesehen, die adligen Privilegien empfindlich zu beschneiden und in die ökonomischen Verhältnisse des alten Herrschaftsstandes „von oben" einzugreifen. Das war, wie erinnerlich, gegen den Willen der Mehrheit des Adels geschehen. Gewiß hätte das Regime Alexanders III. den Transformationsprozeß der agrarischen Verfassung gern zurückgenommen. Doch der reaktionäre Nachfolger sah sich gezwungen, die Agrarreform seines Vaters abzuschließen; noch im Jahr des Thronwechsels wurde die Ablösung des Bauernlandes obligatorisch gemacht und der bisher widerstrebende Teil des Landadels genötigt, seine Eigentumsrechte am bäuerlichen Grund und Boden endgültig aufzugeben. Die dem Finanzminister abgerungenen Entschädigungen, 80—88 Prozent der Loskaufsummen, stellten niemanden zufrieden. Der interventionistische Zug der Agrarpolitik, der konservative „PressureGroups" gegen die wachsende „Verarmung" (oskudenie) des wohlgeborenen Standes agieren ließ, war von zwingender Logik. Obwohl sich die Autokratie seit den achtziger Jahren einer der Erhaltung des Adels zugewandten Politik 100 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

verschrieb, vermochte sie dieses Programm ökonomisch nicht einzulösen, sondern blieb auf ideologische und psychologische Kompensationen verwiesen. Trotz aller Stützungsmaßnahmen, wie sie von der 1885 gegründeten Adelsbank ausgingen, hat sich der Schwund des Adelslandes in Rußland unvermindert fortgesetzt. 1892/93 wurde von einer „Kommission zur Stützung der adligen Landwirtschaft" eine Bestandsaufnahme versucht. Vergeblich mühte man sich darum, dem galoppierenden Verfall Einhalt zu bieten. Selbst der vielerörterte Gedanke, den Gutsbesitz durch Einführung des Majorats zu retten, verlief im Sand5. Was der „Verarmungsprozeß" für die adlige Ökonomie bedeutete, zeigt die Statistik trotz ihrer beträchtlichen Unscharfen recht eindrucksvoll6. Zwischen 1862 und 1882 gingen 18 Prozent des Gutslandes, die den Bauerngemeinden zugeteilten Anteile nicht gerechnet, an nichtadlige Eigentümer über, in den folgenden 20 Jahren (bis 1902) weitere 21 Prozent. Bis 1905 war der Umfang des adligen Landeigentums auf 59 Prozent des Standes von 1862 zusammengeschmolzen. Die regionalen Auswirkungen dieses Vorgangs machen darauf aufmerksam, daß die großrussischen Kerngebiete des Reiches ungleich stärker betroffen waren als die westlichen Gouvernements; die dort dominierende polnische Herrenschicht hatte bis 1902 immerhin 80 Prozent ihres Landbesitzes halten können. Im Moskauer Raum dagegen, der Wiege des russischen Adels, wo sich vor 1861 nur eine Minderheit der Gutsbewirtschaftung gewidmet hatte, waren 40 Jahre nach der Bauernbefreiung nurmehr 45 Prozent des ursprünglichen Herrenlandes in adliger Hand. Diese Bilanz spricht für die mangelnde Anpassungsfähigkeit des Adelsstandes an die veränderten Bedingungen der Gutswirtschaft. Die Wirkungen der weltweiten Agrarkrise und die rapide, binnen einer Generation um das Vier- bis Fünffache gestiegenen Bodenpreise hatten den Anreiz zum Verkauf unrentabler Wirtschaften zusätzlich gesteigert. Die Mobilität, die das zur Ware gewordene Gutsland entwickelte, war groß: Zwischen 1863 und 1904 sollen ca. 90 Prozent aller adligen Ländereien ihre Eigentümer gewechselt haben. Der bemerkenswerte Rückzug aus der gutsherrlichen Sphäre zeigt anschaulich, daß sich die traditionelle Verklammerung der Autokratie mit dem adligen Grundbesitz mehr und mehr auflöste. Adel und agrarisches Interesse deckten sich nicht mehr. 1877 verfügten noch 56 Prozent aller Edelleute, den persönlichen Adel eingeschlossen, über Landeigentum; bis 1895 sank dieser Anteil auf 40 Prozent, bis 1905 nochmals um ein Zehntel. Dabei ist einzurechnen, daß mehr als die Hälfte der adligen Gutsbesitzer auf ländlichen Kümmerstellen saßen: 50,2 (1877) bzw. 58,9 Prozent (1905) besaßen weniger als 100 Desjatinen Land, vier Fünftel von ihnen weniger als 50 Desjatinen. In dieser Besitzdifferenzierung setzte sich die überkommene Zersplitterung des Adelsstandes fort, die gemeinsame Standesinteressen nurmehr ideologisch zu simulieren erlaubte. Es versteht sich, daß das politische Gewicht dieser Befunde nicht exakt gemessen werden kann. Gleichwohl läßt sich sehen, daß auch die russischen

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Machteliten in Bürokratie und Armee immer stärker aus ihrer ursprünglichen Einbettung in den Interessenzusammenhang der adligen Gutswirtschaft heraustraten7. Zwar waren in den obersten vier Rangklassen der Beamtenschaft 1897 noch 71,5 Prozent adliger Herkunft. Aber auch unter diesen hohen Rangträgern hatte sich die Zahl der Landeigentümer seit den Bauernreform fortwährend verringert. 1854 hatten von den Wirklichen Geheimen Räten (II. Rangklasse, Minister und Senatoren eingeschlossen) nur 11,35 Prozent, von den Geheimräten (III. Klasse) 31,7 Prozent keinen Grundbesitz; 1888 war dieser Anteil auf 45 bzw. 55,7 Prozent gestiegen. Erbgüter besaßen nur 31,3 bzw. 29,6 Prozent, davon lediglich ein Drittel Ländereien von mehr als 1000 Desjatinen. 1901 waren nur noch 29,9 Prozent der Angehörigen der Rangklassen I—IV mit Gütern versehen. Noch höher war der Prozentsatz der „Landlosen" unter den in ihrer Masse dürftig gestellten Offizieren, von denen 1897 etwa die Hälfte aus nichtadligen Ständen kam. Nach Ausweis der bisher nur für die Generalität ausgewerteten Dienstlisten von 1903 waren 58,7 Prozent der Generäle und 80,8 Prozent der Generalleutnante ohne Landbesitz, bei den Generalmajoren und den Obersten des Generalstabs betrugen die entsprechenden Anteile sogar 89,8 bzw. 94,8 Prozent. Die sowjetische These von der „militärfeudalen" Qualität zaristischer Expansionspolitik kann mithin nur ein dünnes Unterfutter haben. Tatsächlich läßt sich der „Klassencharakter" des russischen Staates unter Alexander III. von der Interessenlage agrarisch-feudaler Schichten her nicht zulänglich begreifen; die russische Wirtschafts- und Finanzpolitik demonstrierte dies mit wünschenswerter Deutlichkeit. In bezug auf die russisch-deutschen Zollkämpfe im Zeichen des Hochprotektionismus wird der gegen den Landadel ausschlagende Kurs der russischen Finanzminister noch eingehend zu beschreiben sein8. Die beschränkte Fassungskraft der Petersburger „Sphären" für ökonomische und fiskalische Sachverhalte, gar für die strukturellen Ursachen russischer Rückständigkeit, mag die Sonderstellung erklären, die den Finanzministern im politischen Entscheidungsprozeß der Autokratie zukam. Das Ressort, das seinem Leiter bisweilen das Etikett eintrug, „Präsident der allrussischen Konkursverwaltung" zu sein9, war ein ebenso schwieriges wie einflußreiches Amt. In der Regel verhielten sich die Minister gegenüber den nach Staatshilfe verlangenden „Agrariern" durchaus distanziert und ließen sich Zugeständnisse nur widerstrebend abringen. Ihre Politik stand unter den Zwängen fiskalischen Denkens, das jedoch mit dem Primat der Industrieförderung mehr und mehr zusammenging. Unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Depression der Jahre 1882—1886 war an eine expansive Industriepolitik mit Hilfe umfangreicher Auslandskredite freilich nicht zu denken gewesen. Die Heilung der zerrütteten Staatsfinanzen ging allem anderen voran. Dem 1881 an die Spitze des Finanzressorts berufenen Kiever Professor N. Ch. Bunge lag daran, den im Balkankrieg gefährlich angeschwollenen Papiergeldumlauf einzudämmen, die gewaltige Staatsschuld abzutragen und, wenn 102 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

möglich, den sinkenden Rubelkurs auf ein vertretbares Niveau zu bringen. Dabei knüpfte er an die Sanierungsversuche Reuterns an, dem wohl als erstem russischen Ressortchef der Zusammenhang von sozialökonomischer Strukturkrise, innenpolitischer Systemgefährdung und außenpolitischer Handlungsschwäche aufgegangen war. Die Realisierung dieses Programms zwang dazu, die Militärausgaben und den Eisenbahnbau zu drosseln, wobei die reduzierte Staatsnachfrage den wirtschaftlichen Abschwung zusätzlich verstärkte. Auch der langgehegte Plan, die alte Kopfsteuer abzuschaffen, kam nur schleppend voran 10 . Alexander III. hat die restriktive Budgetpolitik Bunges, die den Staat wieder kreditwürdig machen sollte, loyal unterstützt. Insofern wird man von einer wie immer begrenzten Lernfähigkeit des Regimes sprechen dürfen. Immerhin hatte der Kaiser begriffen, daß die staatliche Kapitalarmut keine kostspieligen außenpolitischen Belastungen ertrug. Bismarck dagegen meinte, daß der Geldmangel die Russen keineswegs friedliebender machen werde; sie würden „für Eisenbahnen und Krieg gerade das Geld ausgeben . . ., was dazu notwendig" sei, „ob sie es haben oder nicht"11. Durch das Verhalten des Zaren wurden solche Hypothesen widerlegt. Die finanzpolitischen Erfolge Bunges konnten unter den Bedingungen der Depression nur äußerst mager sein. Was der Minister durchzusetzen vermochte, beschränkte sich auf eine geringfügige, wenn auch fortschreitende Minderung des Kreditbillettvolumens und der Staatsschuld bei der Reichsbank, auf eine bescheidene Kompensation der sinkenden Erträge des Getreideexports durch eine 20prozentige Erhöhung wichtiger Einfuhrzölle (1885), auf eine durch Importrestriktionen erzielte positive Außenhandelsbilanz, die freilich weder zur Erfüllung der laufenden Auslandsverpflichtungen ausreichte, noch den Rubelkurs festigen konnte. Der Ausgleich des Staatshaushalts zwang zu neuen Kreditaufnahmen auf dem Kapitalmarkt. Im Ausland aber waren russische Rentenpapiere und Eisenbahnobligationen allenfalls noch in Berlin unterzubringen und selbst dort nur, wie die sechsprozentige Goldrente von 1884 zeigte, zu ungünstigen Bedingungen und unter Inkaufnahme politischer Pressionen von Seiten Bismarcks. Die großen jüdischen Bankhäuser, allen voran die Pariser und Londoner Rothschilds, verharrten aus Protest gegen die russische Judenpolitik bei ihrer Boykottstrategie. Im Budgetentwurf für 1885 mußte für Schuldzinsen und Tilgungen eine Summe veranschlagt werden, die die Höhe des Kriegsetats (236 Mill.) um fast 25 Mill. Rubel überschritt. 1882—1886 wies die russische Zahlungsbilanz ein Defizit von 765 Mill. Rubel auf, während die Exportüberschüsse im Jahresdurchschnitt des gleichen Zeitraums nur 65,9 Mill. Rubel erreichten; der Kurs des Kreditrubels sank bis 1887 infolge der wirtschaftlichen Stagnation und der deutschen Lombardsperre auf 55,7 Prozent unter Parität 12 . Vieles deutet darauf hin, daß die Ablösung des als „Doktrinär des Freihandels" verrufenen Finanzministers zum Jahresende 1886 von Pobedonoscev und Katkov betrieben worden ist. Diese beiden Präzeptoren des Zaren hatten sich zu Sprechern des in der Geschäftswelt verbreiteten Mißbehagens gemacht und 103 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Bunge die F ähigkeit abgesprochen, dem Währungsverfall, der wirtschaftlichen Flaute und der ausländischen Konkurrenz Herr zu werden. Der neue Minister, I. A. Vyšnegradskij, war, anders als sein Vorgänger, ein entschiedener Schutzzöllner und in F inanzgeschäften erfahren. Auslän­ dische Beobachter gewannen den Eindruck, als habe sich mit seinem Amtsan­ tritt „das industrielle Interesse selber in den Ministersessel gesetzt"13. Tatsäch­ lich hat dieser F inanzminister die Ära des Hochprotektionismus in Rußland eingeleitet und durch eine rigorose Haushaltsführung die fiskalischen Grund­ lagen für eine spürbare Neubelebung der Industrie geschaffen. Seine Tarifpoli­ tik, deren Zusammenhang mit den antirussischen Kampfzöllen Bismarcks noch gesondert zu erörtern ist, wurde als „Musterwerk staatlicher F ürsorge" zugun­ sten der Unternehmer gepriesen. Daß Vyšnegradskij im agrarischen Lager damit keine Sympathien auf sich zog, ist leicht einzusehen. Nicht allein die mehrfach erhöhten Einfuhrzölle für landwirtschaftliche Maschinen, auch die gegen das Russengetreide hochgezo­ genen deutschen Zollbarrieren wurden ihm zur Last gelegt. Anstalten, die Bahntarife den agrarischen Großproduzenten gefälliger zu machen, schlugen nicht durch. Bedeutsam war und blieb, daß der russische Protektionismus den Interessengegensatz zwischen Agrariern und Industriellen nicht milderte, son­ dern vertiefte. Ein solidarisches Kartell von „Schlot und Halm", wie es Bis­ marcks Schutzzölle zuwege brachten, war in Rußland nicht zu erwarten14. Die reaktionäre Adelsfronde sah ihre gewohnte Auffassung bestätigt, daß der wohl­ geborene Stand zu den Erniedrigten und Beleidigten der russischen F inanzpoli­ tik gehöre. Insofern kann die Revision der Zemstvo-Gesetze von 1890, die den Adel in den landschaftlichen Selbstverwaltungsorganen privilegierte, als ein Versuch der Regierung angesehen werden, die durch den Schutzzoll weiter­ getriebene Zersetzung des alten agrarischen Herrenstandes politisch zu kom­ pensieren. Ähnliches galt für die Einführung adliger Aufsichtsorgane über die bäuerlichen Amtsbezirke, für die „zemskie načalniki", aber auch für die F lut der Ordensverleihungen und andere Äußerungen allerhöchster Wertschät­ zung15. Die Krönung der protektionistischen Industriepolitik Vyšnegradskijs brachte, nach mehreren kräftigen Zollerhöhungen von 1887 und 1890, der sorgfältig vorbereitete Tarif vom 11. Juni 189116. Er belastete die Einfuhr im Schnitt mit einem Drittel des Warenwerts und war bei einigen Importgütern von ge­ radezu prohibitiver Wirkung. So übertraf der neue Roheisenzoll nicht nur den englischen Marktpreis, sondern auch die Selbstkosten, die den jungen russischen Eisenhütten damals entstanden. Die Zollmauern, hinter denen die russische Schwerindustrie aufwachsen sollte, wurden nahezu undurchdringlich gemacht. Daß sich der Schutz vor fremder Konkurrenz auf die Rohstofförderung, die Eisenerzeugung und den Maschinenbau konzentrieren sollte, hatte der eigent­ liche Inspirator der Tarifarbeiten, Professor D. I. Mendeleev, unmißverständ­ lich dargetan. Der Moskauer Handels- und Manufakturrat, der alle gewerb­ lichen Zweige gleichermaßen begünstigt sehen wollte und sich an den Baum-

104 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

wollzöllen stieß, war mit seinen Wünschen nicht durchgedrungen. Von den adligen Agrariern war überhaupt nur ein einziger Vertreter in die große Zoll­ tarifkommission berufen worden, in der neben Regierungsvertretern und F i­ nanzexperten die Repräsentanten der Börsenkomitees und der Industrie über­ wogen17. Der Ertrag des Tarifs für den Staatshaushalt — 1892: 82,2 Mill. Rubel — war, verglichen mit den Entwicklungsprämien, die das Zollgesetz der Schwerindustrie gewährte, eher bescheiden zu nennen. Der weitaus größte Ein­ nahmeposten blieb der Teezoll (1892: 24,5 Mill. Rubel), gefolgt von den Im­ portabgaben für Baumwolle (11,5 Mill.) und Spirituosen (3,4 Mill.) 18 . Auch diese Daten verdeutlichen, daß bei den hohen Industriezöllen nicht der fiska­ lische Nutzen, sondern der Prohibitivgedanke überwog. Außer Zweifel steht, daß der Entwicklungspolitik des F inanzministers der weltwirtschaftliche Aufschwung von 1887/88 zugute kam. Die industriellen Produktionsraten belegen diesen positiven Effekt19. Namentlich die Schwer­ industrie wurde von der Konjunkturbelebung erfaßt, während die Textilindu­ strie noch unter dem Niveau von 1881 verharrte. Die Roheisenproduktion, alsbald auch die Stahlerzeugung, traten aus der F laute des vergangenen Jahr­ fünfts heraus und gerieten in eine Phase kontinuierlichen Wachstums. Auch die Kohleförderung, die von der Depression kaum beeinträchtigt worden war, wies seit 1888 beträchtliche Zuwachsraten auf. Hinter diesen Ergebnissen stand, daß die Liquidität der europäischen Kapitalmärkte die Neigung zu Di­ rektinvestitionen in Rußland verstärkt und die Anleihebedingungen verbessert hatte20. Selbst das Kreditangebot auf dem russischen Geldmarkt nahm wieder zu. Es ist wichtig zu sehen, daß Vyšnegradskijs Protektionismus mit einer Ak­ tivierung der auswärtigen F inanzpolitik Rußlands eng zusammenging. Damit wurde dargetan, daß der Kapitalimport, der in den sechziger und siebziger Jahren den russischen Eisenbahnbau stimuliert hatte, auch weiterhin zu den Fundamentalbedingungen der industriellen Entwicklung Rußlands gehörte. Wie sich zeigte, hat Vyšnegradskij die Schädigung des Staatskredits, die Bismarck 1887 den Russen angedeihen ließ, rasch zu neutralisieren vermocht. Daß es ihm gelang, die von den deutschen Börsen verdrängten russischen Wertpapiere im Zuge umfangreicher Anleihekonversionen 1888/89 in F rankreich unterzu­ bringen, sollte der neuen bündnispolitischen Orientierung Petersburgs alsbald ökonomische Plausibilität verleihen. Auch von diesen in die Außenpolitik fol­ genreich eingreifenden F inanzoperationen wird an anderer Stelle noch die Rede sein21. Bei alledem hat zwischen dem Zaren und seinem Minister stets Übereinstimmung darin bestanden, daß die Bewahrung des F riedens für Ruß­ land unerläßlich sei22. Den Wünschen des Generalstabchefs N. N. Obručev, der im Herbst 1889 die F inanzierung eines aufwendigen, auf sechs Jahre be­ rechneten Rüstungsprogramms verlangte, vermochte Vyšnegradskij mit Hilfe Alexanders auszuweichen. Dabei wurde es aber immer zweifelhafter, ob sich der Militäretat angesichts der deutschen Wehrvorlagen noch länger bei den reduzierten Ansätzen von 1884 würde festhalten lassen23. Im F inanz- wie im

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Außenministerium erging man sich in pessimistischen Betrachtungen über die Fatalität des internationalen Rüstungswettlaufs. Das „System Vyšnegradskij", das sich des Schutzzolls und der Kreditschöpfung bediente, ist ohne seine fiskalische Grundrichtung nicht zu verstehen. Ziel war der Ausgleich der Zahlungsbilanz, die Stabilisierung des Kreditrubels und, wenn möglich, die Golddeckung der russischen Währung. Um dies zu erreichen, mußte mehr geschehen, als von der Beschränkung unproduktiver Staatsausgaben erwartet werden durfte. Worauf es ankam, war eine kräftige und kontinuierlich fortschreitende Steigerung des Exports, nicht allein zum Ausgleich der Handelsbilanz, sondern zur Erwirtschaftung beträchtlicher Überschüsse, die den hohen Auslandsverpflichtungen Rußlands beikommen sollten. Mit bloßen Appellen an die Landwirtschaft, ihre Marktleistung zu erhöhen, war dabei wenig auszurichten. Zwar kamen den Wünschen des Finanzministers die guten Ernten der Jahre 1887 und 1889 entgegen. Aber ebenso sicher war, daß sich der gewohnte, von mageren und katastrophalen Jahren bestimmte Erntezyklus nicht würde stillstellen lassen. Im buchstäblichen Sinn blieb der Erfolg der Exportoffensive dem Wetter anheimgegeben. Erschwerend aber wirkten auch die besonderen Belastungen, die der russischen Getreideausfuhr durch die weiter absinkenden Weltmarktpreise und die Bismarckschen Kampfzölle entstanden24. Wie die Dinge lagen, setzte die Sicherung der landwirtschaftlichen Exportleistung fiskalische Zwangsmittel voraus, die das Gros der Bevölkerung treffen mußten. Durch die kräftige Erhöhung der indirekten Steuern nötigte Vyšnegradskij die bäuerlichen Kleinproduzenten, den kargen Ertrag ihrer Eigenbedarfwirtschaft nicht zu verzehren, sondern zu Schleuderpreisen zum Verkauf zu bringen; der Anteil des Marktgetreides, das die bäuerlichen Wirtschaften dem Handel zur Verfügung stellten, dürfte um 1890 bei 65 Prozent gelegen haben und verstärkte unter den Bedingungen wachsenden Steuerdrucks seine seit der Bauernbefreiung ohnehin fortlaufend steigende Tendenz25. In der Tat hat dieser staatlich verordnete Konsumverzicht den russischen „Hungerexport" beträchtlich anschwellen lassen. Im Durchschnitt der Jahre 1887 bis 1891 konnten Ausfuhrüberschüsse in Höhe von 300 Mill. Rubel erwirtschaftet werden; im gleichen Zeitraum wurden 25 Prozent des russischen Marktgetreides ausgeführt und damit 47 Prozent der Agrarimporte Westeuropas bestritten. Wie krisenanfällig diese Politik geblieben war, zeigte sich alsbald. Die entsetzliche Mißernte von 1891/92, der Massenhunger und die ihn begleitende Cholera-Epidemie brachten den Getreideexport zum Stehen und drückten die Kurse der russischen Auslandswerte26. Der Versuch, eine lange vorbereitete dreiprozentige Anleihe in Höhe von 300 Mill frcs. unterzubringen, erwies sich als Mißerfolg — nicht zuletzt infolge der Obstruktion des Hauses Rothschild und anderer jüdischer Bankkonsortien27. Überdies stagnierten die Handelsvertragsverhandlungen mit Berlin, deren Ziel es war, Rußland an den Caprivischen Konventionalzöllen partizipieren zu lassen28. Um die schlimmsten Folgen des Massenhungers zu dämpfen, mußte sich Vyšnegradskij zu einem Ausfuhrverbot entschließen. Und schließlich traf dieser empfindliche Rück106 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

schlag auch noch mit einem zyklischen Abschwung der industriellen Produk­ tion zusammen, von dem infolge der rasch schwindenden inneren Kaufkraft besonders die Textilindustrie erfaßt wurde. Vyšnegradskij war mit seinen Methoden, die zu Lasten des Bauernvolkes gingen, offensichtlich aus dem Tritt geraten. Als er, um den drohenden F inanzbankrott abzuwenden, im März 1892 eine progressive Einkommensteuer vorschlug, wurde sein Projekt in der Um­ gebung des Zaren bereits als Zeichen dafür ausgelegt, daß bei dem gescheiter­ ten Minister eine „Paralyse des Gehirns" Platz gegriffen habe29. Zur F inanz- und Wirtschaftspolitik Vyšnegradskijs gab es jedoch keine prinzipiell anderen Alternativen, wenn die Entwicklung des rückständigen Lan­ des vorangetrieben und der Großmachtstatus des Imperiums befestigt werden sollte. Niemand hat dies deutlicher gemacht, als sein berühmter Nachfolger, Sergej Jul'evič Witte, der Architekt des rasanten industriellen Aufstiegs in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, der die Aufgabe vor sich sah, in kürzest möglicher Zeit „das im Laufe eines 200jährigen wirtschaft­ lichen Schlafes des russischen Reiches Versäumte nachzuholen"30. Vom Direk­ torenstuhl der größten privaten Eisenbahngesellschaft Rußlands über das Ver­ kehrsministerium im August 1892 an die Spitze des F inanzressorts gelangt, hat der neue Minister — zweifellos der bedeutendste politische Kopf, der den letzten beiden Zaren zu Diensten stand — das System seines Vorgängers kei­ neswegs abgebaut. Vielmehr hat er, der binnen weniger Jahre vom Titularrat ins Petersburger Machtzentrum aufgestiegen war, das finanzpolitische Instru­ mentarium Vyšnegradskijs erweitert und in großem Stil zur Wirkung ge­ bracht31. Die Kontinuität zeigt sich allenthalben: im strikten Beharren auf dem extremen Zolltarif von 1891, in der Intensivierung der auswärtigen An­ leihepolitik, im vermehrten Einsatz fiskalischer Mittel zur Sanierung der russi­ schen Staatsfinanzen. Unter der Autokratie gab es wohl keinen ausdrucksstär­ keren Apologeten des Industrieprotektionismus, des Kapitalimports und aus­ ländischer Direktinvestitionen, keinen dynamischeren Agitator für rasches in­ dustrielles Wachstum, als Witte es war, dessen virtuose Selbstdarstellung man­ chem späteren Biographen noch die F eder führte32. Daß der Staat „bei der Entwicklung der Kapitalisierung" in Rußland die entscheidende Rolle zu über­ nehmen habe, daß die russische Industrie mithin wesentlich als Produkt staat­ licher Initiative sich entwickeln werde, galt dem F inanzminister von vornherein als ausgemacht33. Aber auch die Aporien und Gefährdungen, denen die F inanzpolitik Vyšne­ gradskijs unterlegen war, haben sich auf den Nachfolger fortgeerbt. Sie wur­ den durch die Erfolge Wittes nicht geringer, sondern türmten halsbrecherische Risiken vor ihm auf. Die Erfolge freilich ließen sich sehen: Durch das Ende der großen weltwirtschaftlichen Depressionsperiode gefördert, hat der F inanz­ minister seit der Mitte der neunziger Jahre einer bis dahin beispiellosen indu­ striellen Hochkonjunktur Raum geschaffen, einer Aufschwungsphase mit allen Zeichen „industrieller Revolution". Leitsektor der Konjunktur blieb wie ehedem der Eisenbahnbau, dessen rapide Expansion bis zum krisenhaften Einbruch von

107 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

1900 sogar die amerikanischen Wachstumsraten übertraf. Zwischen 1896 und 1901 konnten fast 20 000 Streckenkilometer zum Verkehr freigegeben werden. Die schon in den achtziger Jahren begonnene Verstaatlichung wichtiger pri­ vater Eisenbahngesellschaften, deren Verluste aufgrund der Konzessionsver­ träge ohnehin von der Staatskasse hatten getragen werden müssen, wurde wei­ tergeführt. Günstige Frachttarife, „der Lebensnerv der Eisenbahn" (Witte), sollten die neuen Schienenwege attraktiv und rentabel werden lassen34. Tab. 5: Russische Einfuhrzölle 1881—1900 in Prozent des Warenwerts Agrarprodukte

Rohstoffe und Halbfertigwaren

Fertigwaren

30,3 41,1 59,2 70,4 59,6 63,9 67,8 69,4 71,7

11,8 13,8 16,7 18,1 18,3 24,5 29,5 31,8 23,7

21,2 24,9 32,1 28,6 26,0 24,1 26,5 25,8 24,6

1881 1885 1887 1888 1890 1895 1897 1898 1900

Importgüter insgesamt 16,5 23,7 29,2 31,9 28,7 31,9 35,2 36,2 32,5

Quelle: Chromov, Ėkonomičeskoe razvitie Rossii, 485. Tab. 6: Staatseinnahmen 1881 — 1899 (in Mill. Rubel) Etatjahre

1881

1886

1891

1892

1893

1894

1895

1896

1897

1898

1899

Ordinarium

652

781

892

970

1046

1154

1256

1369

1416

1585

1673

Abgaben, Ertrags­ steuern Alkohol­ akzise Übrige Akzisen Zölle Eisen­ bahnen Loskauf­ zahlungen

117

97

53

56

60

60

63

54

55

56

60

225

237

247

269

261

297

298

322

333

392

421

16

35

64

75

85

100

110

106

121

126

139

86 19

112 52

128 99

131 111

166 120

184 155

179 218

182 312

196 293

219 363

219 358

-

49

69

77

99

93

101

97

89

86

95

155

178

37

199

174

79

162

44

43

88

184

91

150

2

166

164

53

157

33

40

83

182

Extraordinarium davon: Anleihen

Quelle: P. A. Chromov, Ėkonomičeskoe razvitie Rossii, 498-503. 108 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Tab. 7: Staatsausgaben 1881—1899 (in Mill. Rubel) Etatjahre

1881

1886

1891

1892

1893

1894

1895

1896

1897

1898

1899

Ordinarium

732

836

875

911

947

991

1138

1229

1300

1358

1464

Staats­ schuld Kriegsminist. Marine­ minist. Finanz­ minist. Innen­ minist. Volksbildungsmin. Verkehrs­ minist.

196

264

248

251

267

271

285

268

259

274

276

226

212

226

236

237

239

285

294

294

303

336

30

45

45

48

51

51

57

60

85

67

84

108

116

113

120

124

132

141

189

204

214

237

67

73

80

82

83

84

86

90

80

80

82

17

21

23

22

22

22

24

25

26

27

29

12

26

56

67

76

98

163

196

227

265

288

Extraordinarium

108

113

240

215

114

164

383

255

195

414

322

Eisen­ bahnen Anleihe­ tilgung, Konver­ sionen Valuta­ fond, Schulden­ tilgung Militär und Rüstung

28

63

44

101

63

78

102

132

131

139

166

50

50

94

-

13

1

124

5

33

64

100

-

-

-

-

-

-

158

118

31

75

50

30

-

27

26

37

43

-

-

-

90

-

Quelle: P. A. Chromov, Ėkonomičeskoe razvitie Rossi, 518-523. Die verstärkte Staatsnachfrage und die Beibehaltung des H ochzolls wirkten namentlich auf die Schwerindustrie zurück. Die Roheisenerzeugung, die bereits zwischen 1887 und 1892 verdoppelt worden war, wuchs bis 1899 abermals um 100 Prozent und erreichte an der Jahrhundertwende mit einer Produktions­ leistung von 165,4 Mill. Pud einen H öchststand, der nach den folgenden Kri­ sen-, Kriegs- und Revolutionsjahren erst 1906 wieder eingeholt werden konnte. Die Stahlproduktion war bereits 1889 in eine Phase kontinuierlichen Wachs­ tums eingetreten und stieg bis 1901 um 200 Prozent. Nahezu gleiche Expan-

109 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Tab. 8: Wirtschaftliches Wachstum Indikatoren für 1880—1913 Jahre

1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1913 Jahre

Bevölke­ Steinkoh­ Roheisen­ Stahl und Goldför­ Erdöl­ Eisen­ rung (in leförde­ produk­ Gußeisen derung förderung bahnnetz Mill.)* rung (in tion (in (in Mill. (in to) (in Mill. (in 1000 Mill. Pud) Mill. Pud) Pud) Pud) km) 97,7 108,8 117,8 123,9 132,9 143,9 160,7 170,9

200,8 260,6 367,2 555,5 986,3 1139,7 1526,3 2200,1

Spinnerei- Baum­ und Web­ wollver­ waren (in brauch (in Mill. R) Mill. Pud)

27,4 32,2 56,6 88,7 179,1 166,8 185,8 283,0

36,6 33,9 49,5 81,6 165,2 162,1 205,7 -

43,3 33,0 39,4 41,1 38,8 33,5 53,9 49,2

115,0 226,0 377,0 631,1 455,9 588,4 561,3

Tuche u. Getreide­ Zucker­ Einfuhr Kamm­ erzeugung produk­ (in Mill. garne (in (in Mill. tion (in R) Mill. R) Pud) Mill. Pud)

22,9 26,0 30,6 37,0 53,2 61,1 66,6 70,2 Ausfuhr (in Mill. R)

** 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1913

154,4 165,7 208,6 350,7 493,5 560,8 959,5 -

5,7 7,6 8,3 12,3 16,0 16,7 22,1 25,9

84,2 64,2 54,6

-

92,3 113,3 123,7

-

-

2681 2950 2984 3693 4240

12,5 20,9 24,6 32,3 48,5 52,1 63,0 75,4

622,8 495,4 406,7 526,1 626,4 635,1 1084,4 1374,0

498,7 537,9 692,2 689,1 716,2 1077,3 1449,1 1520,1

* Ohne Finnland, Buchara und Chiva. ** Den Angaben liegt der Baumwollimport aus Amerika und aus Mittelasien zugrunde. Quellen: A. F. Jakovlev, Ėkonomičeskie krizisy v Rossii, 397-401, Ρ. Α. Chromov, Ėkonomičeskoe razvitie Rossii, 452-455, 459. sionsraten gab es bei der Kohleförderung. Im übrigen trieb der Aufschwung die Urbanisierung kräftig voran. Das Baugewerbe profitierte durch den Aufbau neuer Industrieanlagen wie durch die Erweiterung und Modernisierung der Städte35. In der Konjunktur griffen Zoll- und H andelspolitik, auswärtige Kre­ ditschöpfung, Investitionsförderung und Verkehrserschließung ineinander. Auch das rasche Wachstum des staatlichen H aushaltsvolumens trägt alle Zei­ chen des take-off. Der gewaltige Aufschwung konnte den Eindruck vermitteln, als ob die Rückständigkeit Rußlands in absehbarer Zeit zu überwinden und die internationale Konkurrenzfähigkeit des Imperiums wiederherzustellen sei. Witte hatte den Zusammenhang zwischen Rückständigkeit und außenpoli­ tischer Positionsminderung klar erkannt und seine Entwicklungsstrategie als eine Fundamentalbedingung autokratischer Machterhaltung ausgegeben. Um 110

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das Ziel der Systemsicherung nach innen und außen zu erreichen, schien ihm kein Opfer zu groß zu sein. Was er trotz aller Erfolge nicht aufzuheben vermochte, war die russische Finanzarmut. Der staatliche Kapitalbedarf erreichte während seiner Amtszeit ungeahnte Größenordnungen. Verursacht wurde diese Ausgabenprogression durch die gewaltigen Entwicklungsprojekte, die der Minister mit äußerster Beschleunigung vorantrieb: allen voran den noch unter Vyšnegradskij begonnenen Bau der Transsibirischen Eisenbahn, der schließlich über die Reichsgrenzen hinweggriff und das neue russische Dominium in der Mandschurei zu einem höchst aufwendigen Unternehmen des Finanzministeriums werden ließ36. Aber auch die Rüstungslasten stiegen unaufhaltsam. 1894 war, angestoßen durch die deutschen Heeresvermehrungen, das bis dahin auf dem Stand von 1884 eingefrorene (und durch geringe außeretatmäßige Zuwendungen aufgestockte) Budget des Kriegsministeriums (224,7 Mill. Rubel) erstmals kräftig erweitert worden. Trotz der beträchtlichen Erhöhung der Militärausgaben, von 280,3 Mill. (1894) auf 333,5 Mill. Rubel (1899), vermochte Rußland im Rüstungswettlauf der Großmächte nicht mitzuhalten37. Die Erwägung des Kriegsministers A. N. Kuropatkin, mit Wien zu einem Stillhalteabkommen hinsichtlich der neuen Schnellfeuergeschütze zu kommen, sollte 1898/99 zu einer merkwürdigen Abrüstungsinitiative des Zaren führen, zu der vielbestaunten Haager Konferenz, die ob der „komisch sentimentalen Phrasen Rußlands" bei den europäischen Regierungen, und in Paris zumal, kopfschüttelndes Befremden weckte38. Nicht übergangen werden darf, daß auch die Forcierung des Flottenbauprogramms, die das russische Engagement im Fernen Osten nahelegte, seit 1897 erhebliche Investitionen verlangte, über deren Effektivität einige Jahre später die japanische Flotte entschied. Im übrigen durfte kein russischer Minister ernstlich darauf hoffen, daß die prinzipielle Verurteilung des Wettrüstens durch die Großmächte die Militärausgaben des Reiches in absehbarer Zeit werde entlasten können. Der Militarismus, der, wie Witte formulierte, „die Staaten zwingt, sich fortwährend auf den Krieg vorzubereiten, eine Menschenklasse zu schaffen und zu vergrößern, die an ihm interessiert ist", wurde als ein Fatum hingenommen, in Petersburg nicht anders als in den übrigen europäischen Metropolen. Ebenso wurde die verbreitete Auffassung geteilt, „daß der kommende Krieg alle europäischen Staaten umfassen" werde. Den Vorrang der Rüstung zu Lasten der „Steigerung der kulturellen und produktiven Kräfte des Volkes" hatte mithin auch Witte zu akzeptieren39. Von Beginn an war klar, daß die kurzfristig erforderlichen Mittel zur Entwicklung der Industrie und der Verteidigungskraft des Landes aus der bereits aufs äußerste belasteten Bevölkerung nicht herauszupressen waren. Wie andere fiskalische Neuerungen brachte auch das 1894 eingeführte Alkoholmonopol, das die alte Branntweinakzise ersetzte, der Staatskasse erst längerfristig erhebliche Zugewinne. Auch von den Importzöllen durften keine durchschlagenden Einnahmesteigerungen erwartet werden; der aufreibende Zollkrieg mit Deutschland, der durch den Handelsvertrag von 1894 entschärft werden konnte, hatte

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dem Minister gezeigt, daß eine autonome russische Tarifpolitik nicht mehr möglich war40. Zweifelhafte Methoden der Kapitalbeschaffung, wie die Rückkehr zu ungedeckten Papiergeldemissionen, schieden aus. Nur ein einziges Mal hatte Witte dazu geraten, als es im November 1892 darum gegangen war, ein auf knappe Fristen berechnetes Bauprogramm für die große sibirische Linie durchzusetzen41. Ähnlichen Versuchungen hat er fortan widerstanden, weil die Aufblähung des Kreditbillettvolumens den einzig plausiblen Weg verstellt hätte, der sich zur Finanzierung großer staatlicher Vorhaben und zur Förderung privater Unternehmerinitiativen anbot: den Zugang zum internationalen Geldmarkt. Ausländisches Kapital in wachsendem Umfang für Rußland zu gewinnen, setzte voraus, daß Witte dazu kam, wozu seine Vorgänger nicht gekommen waren: zu einem finanzpolitischen Kurs, der den Rubel zu einer harten Währung werden ließ. Tatsächlich war es für die in großem Stil betriebene Anleihepolitik Wittes von entscheidender Bedeutung, daß ihm 1897 der Anschluß des bei 66,67 Prozent unter Parität festgehaltenen Rubel an den Goldstandard gelang42. Wie seine auswärtige Finanzpolitik in den folgenden Jahren zeigte, wurde damit die internationale Verflechtung der russischen Volkswirtschaft langfristig abgesichert. Die weiter wachsende Auslandsverschuldung Rußlands gehörte mithin zur Signatur der Witte-Ära. In die weltwirtschaftlichen Konjunkturbewegungen eingebunden und auf die Anlagebereitschaft und Liquidität der europäischen Kapitalmärkte angewiesen, ist die ökonomische Expansionsstrategie des Ministers in besonderem Maße krisenanfällig geblieben, eine ständige Versuchung für die Partner und Kontrahenten des Zarenreichs, sich das politische Wohlverhalten Petersburgs durch Gewährung oder Versagung finanzieller Hilfe zu erkaufen43. Die um die Jahrhundertwende einsetzende Rezession und der mit der „Außenpolitik des Finanzministers"44 eng verknüpfte Mandschureikonflikt sollten die hochgradige Verwundbarkeit dieser weit ausgreifenden Entwicklungspolitik zum Vorschein bringen. Nicht weniger belastend als die internationalen Verwicklungen waren die Konfliktsituationen, die Wittes Kurs in Rußland selber hervorrief. Ungleich stärker als Vyšnegradskij hat er sich in Auseinandersetzungen mit den adligen Agrariern und ihren konservativen Ideologen verstrickt gesehen, die ihre Position bei Hof seit dem Thronwechsel von 1894 festigen konnten. Der Loyalität des jungen Herrschers, Nikolajs IL, der für Ratschläge aus der Mitte seiner großen Familie empfänglich war, mußte sich der Minister immer wieder neu versichern45. Seine Kritiker beklagten die sträfliche Vernachlässigung der landwirtschaftlichen Interessen und beschworen wie eh und je den drohenden Ruin des Gutsbesitzes. Unter der Protektion des Innenministers Goremykin hatten 26 Adelsmarschälle einen umfangreichen Beschwerdekatalog an den Zaren gelangen lassen, in dem sie eine grundlegende Änderung der Finanzpolitik, und das hieß: neue staatliche Subsidien verlangten. Im einzelnen ging es um exzeptionelle Kreditbedingungen, niedrigere Frachttarife, niedrigere Zollsätze für die Einfuhr landwirtschaftlicher Maschinen46. In einem ausführlichen Traktat ist Witte solchen Pressionen entgegengetreten, hat er für seine

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Ansicht gefochten, daß der Adel auf keine Vorzugsbehandlung Anspruch machen dürfe, sondern sich den Gegebenheiten des Marktes anzupassen habe47. Aber die Front seiner Gegner, die beim Vorsitzenden des Ministerkomitees I. N. Durnovo und dem späteren Innenminister V. K. Pleve starke Stützen hatten, war nicht zu unterschätzen. Dies zeigte sich 1897/98 in den Auseinandersetzungen um die Reform der Adelsbank und bei der Berufung einer „Sonderkonferenz für Adelsfragen" besonders eindrucksvoll48. In beiden Fällen wurde Witte überspielt. Der Griff in die Staatskasse blieb ihm nicht erspart; im März 1897 hat er die Kreditzinsen für adlige Schuldner (von 4,0 auf 3,5 %) herabsetzen müssen. Generell aber schien dem Finanzminister nicht die Stützung ökonomisch bewegungsschwacher Gutsbesitzer vordringlich zu sein, sondern eine spürbare Hebung der bäuerlichen Wirtschafts- und Lebensbedingungen. Auch dies vor allem aus fiskalischen Gründen: Die mangelnde steuerliche Leistungsfähigkeit der Bauern, so hielt er dem Zaren vor, sei dafür verantwortlich zu machen, daß das russische Staatsbudget, gemessen an der Bevölkerungszahl, nur ein Drittel des französischen erreiche und selbst hinter dem österreichischen um mehr als die Hälfte zurückbleibe49. Wittes Plädoyer für den Bauernschutz hat sich jedoch nicht nur am Widerstand seiner Gegner zerschlagen, sondern gleichermaßen an den Widersprüchen seiner eigenen Wirtschaftspolitik50. Mit einem Abbau der agrarischen Dauerkrise, der Witte durch Auflösung der Feldgemeinschaft beikommen wollte, war ernstlich nicht zu rechnen, solange sich aus dem Stand der fortschreitenden Industrialisierung kein „feed back" ergab, das den Transfer von Gewinnen in die Landwirtschaft erlaubt hätte. Witte war sich bewußt, daß trotz hoher industrieller Wachstumsraten sich der ökonomische Fortschritt in Rußland noch nicht von selber weitertrug. In der Rundumverteidigung gegen die Angriffe und Unterstellungen seiner Gegner, die ihm den Ausverkauf des Landes an ausländischen Kapitalisten vorwarfen, warb er um die Einsicht, daß vorderhand weder auf das hochprotektionistische Zollsystem noch auf fremdes Kapital zu verzichten sei: „Das Kapital hat wie das Wissen kein Vaterland . . . Man behauptet, der Zustrom ausländischer Kapitalien bedrohe die Ursprünglichkeit des Landes, und man könnte, wenn man sich nicht überstürze, auch mit eigenen Kapitalien . . . auskommen. Aber ein großes Land kann nicht warten . . . Um den wachsenden Bedürfnissen entgegenzukommen, um die Produktivität der bei uns in Überfülle vorhandenen Arbeit, die keine Verwendung findet, und dadurch den Prozeß der Anhäufung von Reichtum und die Steigerung des Volkswohlstandes im Lande zu beschleunigen, ist das allerwirksamste Mittel die Heranziehung von ausländischen Kapitalien. Daß dies für die Selbständigkeit eines Landes gar keine Gefahr bedeutet, das wird . . . durch Beispiele Englands, Deutschlands, Frankreichs, der Vereinigten Staaten bewiesen, die ihre Selbständigkeit dadurch, daß sie ihre Industrie unter Zuhilfenahme fremder Kapitalien schufen, nicht eingebüßt haben." Daß dabei Opfer zu bringen seien, hat Witte für selbstverständlich gehalten: „Nichts in der Welt ist umsonst zu haben."51 Eben8

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so deutlich war ihm, daß Rußland die sich daraus ergebende Auslandsabhängig­ keit für eine Übergangszeit noch werde hinnehmen müssen, ehe es auf eigenen Füßen stehen könne. Daß die politische Unabhängigkeit Rußlands ungesichert bleiben werde, solange die ökonomische nicht gesichert sei, hat Witte in unverblümten Sen­ tenzen dargetan — gegen den „Kwas-Patriotismus" seiner Widersacher, die die „wirtschaftliche Okkupation" des Reiches durch die Ausländer beklagten: „Die wirtschaftlichen Beziehungen Rußlands zu Westeuropa ähneln noch vollkom­ men den Beziehungen der Kolonialländer zu ihren Metropolen: die letzteren betrachten ihre Kolonien als günstigen Markt, wo sie die Produkte ihrer Ar­ beit, ihrer Industrie ungehindert absetzen und aus denen sie mit harter Hand die ihnen notwendigen Rohstoffe herausziehen können. Darauf stützen die Staaten Westeuropas ihre ökonomische Macht, und der Schutz oder die Er­ oberung neuer Kolonien ist dafür ihr hauptsächliches Mittel. Rußland ist auch jetzt noch in gewissem Grad für alle industriell entwickelten Staaten eine solche gastfreie Kolonie, die jene Staaten freigebig mit den billigen Produkten ihres Landes versorgt und für die Erzeugnisse der Arbeit der Industrieländer teuer bezahlt. Doch im Vergleich zur Lage der Kolonien gibt es einen wesentlichen Unterschied: Rußland ist ein politisch unabhängiger, mächtiger Staat; es hat das Recht und die Kraft, nicht der ewige Schuldner der Ökonomisch entwickel­ teren Staaten zu bleiben, . . . es will selbst eine Metropole (metropolija) sein, — und auf dem Boden der von leibeigenen F esseln befreiten Volksarbeit hat bei uns unsere eigene nationale Industrie zu wachsen begonnen, die ein hoff­ nungsvolles Gegengewicht gegen die ausländische Vorherrschaft (vladyčestvo) zu werden verspricht."52 Wie „schädlich und unwürdig" es für Rußland sei, „seine Außenpolitik der Gefahr von Pressionen ausländischer Börsen ausgesetzt" zu sehen, war dem Finanzminister zumal bei Verhandlungen mit Pariser und Berliner Bankkon­ sortien immer wieder aufgegangen. Als die Baisse im Winter 1899/1900 den Zugang zum europäischen Kapitalmarkt nahezu verstellte und der französische Alliierte neue Mittel nur noch geben wollte, wenn sich Petersburg zum Bau kostspieliger strategischer Bahnen in Mittelasien und in Polen verpflichtete, wurde diese Abhängigkeit besonders lästig53. Wittes Erwartung, den staat­ lichen Kreditbedarf mittelfristig auf dem russischen Geldmarkt befriedigen zu können, mußte freilich theoretisch bleiben. Realistischer war der Gedanke, die Kosten der Industrialisierung dadurch zu mindern, daß man ausländische Ka­ pitalgeber in verstärktem Umfang zu Direktinvestitionen in russischen Aktien­ gesellschaften oder zum Betrieb von Unternehmen in Rußland selbst ermun­ terte54. Diese F orm unmittelbarer Beteiligung schien Witte weniger krisenan­ fällig zu sein als der Wertpapierhandel, weil das Interesse ausländischer Ak­ tionäre am F lor der von ihnen mitgetragenen Kapitalgesellschaften und Unter­ nehmen von außenpolitischen Konfliktlagen relativ unabhängig bleibe. Um die Jahrhundertwende war von den in Industrie und Handel angelegten Werten (ca. 11 Mrd. Rubel) etwa die Hälfte in nichtrussischer Hand. Dieses Volumen

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zu vergrößern, setzte allerdings die Aufhebung der erheblichen Beschränkungen voraus, denen ausländische, zumal jüdische Kapitalisten in Rußland nach wie vor unterlagen. Für eine durchgreifende Revision der Handels- und Industriegesetzgebung (einschließlich des Aktienrechts) den zögernden Zaren zu gewinnen, war angesichts der fremdenfeindlichen und antisemitischen Stimmungen nicht leicht. Dazu mußten starke Argumente aufgeboten werden. Das Imperium, so erklärte der Minister, sei ein so „starker politischer Organismus", eine „so gewaltige politische Kraft und Macht", daß es Rußland, wie anderen vergleichbaren Mächten, zweifellos gelingen werde, die fremden Kapitalien und Unternehmen zu assimilieren und die russische Industrie als „eine vollständig nationale" zu erhalten55. Witte hatte 1899 gemeint, daß die kritische Phase, die Rußland noch zu bestehen habe, ehe es seiner Abhängigkeit vom Westen ledig sei, bis etwa 1903 durchschritten werden könne. Wie sich indessen zeigen sollte, wurde der Minister selber in eben dieser Zeit von den krisenhaften Konsequenzen eingeholt, die dem kühnen Versuch, die russische Rückständigkeit zu überwinden, entsprungen sind. Der konjunkturelle Abschwung, der um die Jahrhundertwende im Gefolge einer Börsenflaute einsetzte, markiert die Peripetie dieser Entwicklungsstrategie. Kein geringer Anteil an ihrem Scheitern ist der Fernostpolitik des Ministers zuzusprechen, mit der die binnenrussische Wirtschaftsexpansion seit 1895/96 in eine Konfliktzone des modernen Imperialismus eingebrochen war56. Die asiatischen Unternehmungen des Ministers fußten auf der Überzeugung, daß sich die Dynamik der nachholenden Industrialisierung nur werde sichern lassen, wenn Rußland über Sibirien hinaus in Asien eigene, von den ökonomisch fortgeschritteneren Mächten noch nicht erschlossene Räume und Absatzmärkte gewinne. Der Anspruch, das Zarenimperium nicht als Kolonie des Westens, sondern als eine den Großmächten ebenbürtige „Metropole" bestätigt zu sehen, wurde von Witte in der Mandschurei zu realisieren versucht. Daß die russische Machtpolitik damit eine neue Qualität erhielt, ist um die Jahrhundertwende auch traditioneller denkenden Köpfen an der Staatsspitze aufgegangen. Der Kriegsminister Α. Ν. Kuropatkin meinte, den Zaren im März 1900 davor warnen zu sollen, daß das Reich in den „schrecklichen Kampf um die Märkte" hineingerissen werden könne, wenn das fieberhafte Wachstum der Industrie auch in Rußland Überproduktion hervorrufe. Die russische Militärmacht werde dann in eine „nie dagewesene, ihrer Geschichte fremde Periode" geraten und sich nicht mehr „für den Glauben, den Zaren und das Vaterland" zu schlagen haben, „sondern in bedeutendem Maß für die Interessen der Industriekönige . . ."57. Witte hat diese Auslassung „ein erstaunliches Paradoxon" genannt. Gleitschiene seines wirtschaftsimperialistischen Konzepts, das sich in krasser Überschätzung der russischen Möglichkeiten an territoriale Abgrenzungen nicht binden und die amerikanische Politik der „Offenen Tür" und der „friedlichen Durchdringung" imitieren wollte, war der Eisenbahnbau. Dabei verstieg sich Witte gelegentlich sogar zu der Behauptung, das Dilemma russischer Abhängig8*

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keit durch eine nach Osten ausgreifende Marktexpansion unterlaufen zu können; die Zahlungsverpflichtungen gegenüber den westlichen Gläubigern würden dann aus den Gewinnen eines florierenden Osthandels zu bestreiten sein58. Anlage und Ausgang dieses Experiments werden noch ausführlicher beschrieben werden. Daß der mächtige Finanzminister damit traditionelle, auf militärische Einflußzonen und maritime Stützpunkte bedachte Interessen weckte, die sein Penetrationsprogramm rasch durchkreuzten, kam bereits 1897/98 beim Griff der russischen Diplomaten und Militärs nach Port Arthur zutage. Unversehens fand sich seine Politik in den Sog der imperialistischen Mächtekonkurrenz, in das „Scramble for China" hineingerissen, in eine internationale Konfliktkonstellation, der die Ressourcen des Reiches nicht gewachsen waren. Schon im August 1900, als russische Truppen Peking besetzten und in der Mandschurei stehen blieben, hat Witte befürchtet, daß ein Krieg zu inneren Unruhen führen werde59. Wenige Jahre später verdeutlichte der militärische Angriff Japans, das fast gleichzeitig mit Rußland in den Prozeß partieller Modernisierung eingetreten war, in schmerzlichster Weise die Grenzen der russischen Macht. In der Erschütterung des politischen Systems, das unter dem Doppeldruck von innerer Krise und militärischer Niederlage zu verkommen drohte, sind die Disproportionen und Kosten des industriellen Aufschwungs augenscheinlich geworden. In den folgenden Kapiteln werden die Probleme der russischen Auslandsabhängigkeit eingehender verfolgt, die von der Modernisierungspolitik der Petersburger Finanzminister verursacht waren. Dabei sind erstens die Belastungen zu prüfen, die sich aus der Verklammerung von Schutzzoll und Agrarexport ergaben, und zweitens die Auswirkungen der russischen Kapitalarmut auf die außenpolitische Orientierung des Reiches. Die doppelte Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung Rußlands — von Deutschland als dem wichtigsten Abnehmer russischer Agrarprodukte und von Frankreich als dem Hauptgläubiger der Staatsfinanzen — legt nahe, diesem Sachverhalt in zwei exemplarischen Anläufen nachzugehen: im Kontext der Beziehungen zwischen Petersburg und Berlin und am Beispiel der russisch-französischen Allianz. Schließlich ist nach den qualitativen Veränderungen zu fragen, die in der auswärtigen Politik Rußlands in den Jahren des industriellen Aufschwungs zum Vorschein kamen. Hier hat das Interesse dem Zusammenhang von binnenwirtschaftlicher und imperialer Expansion zu gelten, einer Verbindung, die anhand der russischen Ostasienpolitik sichtbar gemacht werden kann.

2. Handels- und Zollpolitik: Der deutsche Partner Bis zu den achtziger Jahren hatten die deutsch-russischen Handels- und Finanzbeziehungen dem politischen Verhältnis zwischen Berlin und Petersburg über alle wechselseitigen Verstimmungen hinweg Rückhalt gegeben. Um 1885 be116 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

fanden sich russische Wertpapiere, darunter die Masse der Kriegsanleihen von 1877/78, in Höhe von ca. zwei Milliarden Mark in deutschen Portefeuilles. Deutsches Kapital war der Bankier der russischen Eisenbahnbaus, die deutsche Schwerindustrie der wichtigste Lieferant von industriellen Rohstoffen, Ausrüstungen und technischem Know-how, der deutsche Markt der größte Abnehmer russischen Getreides. Bei dem wachsenden Exportzwang, dem die deutsche Industrie wie die russische Agrarwirtschaft gleichermaßen unterlagen, wird man von einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit sprechen dürfen. Es stützte die politische Verbindung der Höfe und Regierungen ökonomisch und gesellschaftlich ebenso, wie die Intimität der Monarchen und Diplomaten der Wirtschafts- und Finanzverflechtung dienlich war 1 . Für die Finanz-, Industrie- und Eisenbahnpolitik des Zarenreiches hatte Deutschland als Kapitalgeber und Getreideimporteur fundamentale Bedeutung. Insoweit stand eine Entwicklungsstrategie, die auf Überwindung von industrieller Rückständigkeit, chronischer Finanzarmut und militärischer Unterlegenheit zielte, in vollkommener Interessenkonkordanz mit der Petersburger Diplomatie. Deren Option für das Bismarcksche Deutschland gewährte dem Imperium in der Rivalität mit Österreich und England einen wie immer beschränkten internationalen Handlungsspielraum. Dank dieser Anlehnung vermochte Petersburg die strukturell bedingte Rangminderung Rußlands leidlich zu kompensieren und die überkommene Großmachtrolle fortzuspielen, von der die Existenz des autokratischen Herrschaftssystems abhängig war 2 . Daß das politisch und ökonomisch vielfältig verschnürte deutsch-russische Verhältnis eine ungleiche Partnerschaft gewesen ist, war in der germanophoben Grundstimmung des russischen Nationalismus zum Ausdruck gekommen. Dieses Ungleichgewicht lag nicht allein am Entwicklungsgefälle zwischen dem deutschen Industriestaat und dem agrarischen. Rußland. Für Petersburg gab es nicht nur kein Äquivalent für den deutschen Markt, sondern — bis zum Ausgang der achtziger Jahre — auch keine andere außenpolitische Alternative. Bismarcks Bündnispolitik, die dem Zarenreich eine wichtige Funktion zuwies, wäre bei einem Bruch mit Petersburg in keine vergleichbar prekäre Isolation geraten wie die zarische Regierung. Trotz der in Deutschland hochgetriebenen Befürchtungen vor einer russisch-französischen Allianz war an eine solche Verbindung ernsthaft noch nicht zu denken. Für den 1887 erneuerten Dreibund war England, wie die Mittelmeerkonvention am Ende des Jahres zeigte, durchaus bündnisfähig, für Rußland nicht3. Auch ökonomisch konnte das Zarenreich als die leichter verwundbare Seite gelten, und der deutsche Kanzler war denn auch, zumal seit 1879, der Versuchung nicht ausgewichen, diesen Tatbestand politisch auszunutzen. Gewiß waren auch die deutsche Industrie und die Berliner Bankenwelt aufs Russengeschäft justiert. Aber sie verfügten doch über hinreichende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, um verschärfte Bedingungen, wie sie der nach 1885 hochschnellende russische Schutzzoll brachte, auffangen oder unterlaufen zu können. Dagegen war zu sehen, daß die steigenden deutschen Agrarzölle dem russischen Verbundsystem von Kapital-

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import, Agrarexport und fiskalisch geschütztem Industrieaufbau an die Wurzeln gingen. Tatsächlich war der Protektionismus die Achillesferse der deutsch-russischen Entente. Man war verbündet und baute doch Barrikaden gegeneinander auf. Seit Petersburg und Berlin zwischen 1877 und 1879 den Übergang zum Schutzzoll vollzogen hatten, war die politisch-Ökonomische Verklammerung beider Länder zunehmend krisenanfällig geworden. Dem wachsenden Wirtschaftsantagonismus haftete etwas Zwanghaftes an, weil weder die deutsche noch die russische Seite dem Protektionismus zu entsagen vermochte. In Rußland war der Schutzzoll eine Grundbedingung für jeden ernsthaften Versuch, der ökonomischen Rückständigkeit und finanziellen Zerrüttung zu entkommen; in Deutschland blieb er mit den schwierigen Problemen der Reichsfinanzreform, der Militärpolitik und der agrarisch-industriellen Interessenkonkordanz aufs engste verknüpft. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre begann der schwelende Sprengsatz Wirkung zu tun — in einer Zeit tiefer wirtschaftlicher Depression, in der sich auch das politische Bündnis nur noch notdürftig verkleben ließ und der Verlust Bulgariens den Russen große Schmerzen machte. Das „Verlegenheitsmoratorium" des Rückversicherungsvertrags4 bot keine Heilmittel an, die den aufbrechenden Zollkampf und die ihn begleitende nationalistische Erregung hätten dämpfen können. Zwei ineinander greifende Entscheidungsgänge haben den zollpolitischen Konflikt eskalieren lassen: die russischen Tariferhöhungen (für Roheisen, Kohle, Eisenerz, Buntmetalle, Maschinen, landwirtschaftliche Geräte u. a.) vom April 1885 und Mai 1887 und die deutschen Agrarzollverordnungen vom Mai 1885 und Dezember 1887. Hinzu trat die Lombardsperre für russische Börsenwerte, die Bismarck im November 1887 verfügte; diese Maßnahmen zwangen der russischen Führung Entschlüsse auf, deren internationale Folgen alsbald augenfällig werden sollten5. In Anbetracht der Forschungslage kann davon abgesehen werden, den Motiven des Bismarckschen Kollisionskurses hier ausführlich nachzugehen. Die Kampfzölle und die Ächtung der Russenwerte entsprangen einem verschlüsselten Kalkül, bei dem es dem deutschen Kanzler nicht zuletzt um die Steuerung innenpolitischer Spannungslagen ging: um die Erhaltung des großagrarisch-schwerindustriellen Solidarkartells, dessen festeste, aber keineswegs ungefährdete Klammer der Protektionismus war 6 . Die Stabilität des von den traditionellen Führungsschichten Preußens getragenen autoritären Herrschaftssystems hing daran. In diesem Sinn erfüllten Agrarzölle und Lombardsperre eine dreifache Funktion: (1) Sie versprachen der ostelbischen Gutsherrenklasse, die Loyalität ohne ökonomische Gratifikationen nicht vergab, daß das großagrarische Interesse bei Bismarck auch in depressiven Wechsellagen wohlgeborgen bleibe; (2) sie demonstrierten den exportorientierten Unternehmern, zumal im oberschlesischen Industriegebiet, daß die Staatsregierung willens sei, die Prohibitivtarife der Russen mit Kampfmaßnahmen gegen die russische Getrei-

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deausfuhr zu ahnden und Druckmittel gegen die Behinderung des deutschen Rußlandexports einzusetzen; (3) sie sollten auf die von Moltke und Waldersee vertretenen Präventivkriegsplaner dämpfend wirken und politische Ambitionen des Generalstabs neutralisieren helfen7. Beim Lombardverbot nahm Bismarck sogar in Kauf, daß dem Berliner Bankengeschäft die profitablen Russenwerte durch Kursstürze und Abflüsse zum guten Teil verlorengingen. Wie die deutsche Regierung war auch die russische Politik im Krisenjahr 1887 in den Konfliktmechanismus der Zollpolitik einbezogen, die das eigene Verhalten als notwendige Antwort auf die Herausforderung des Kontrahenten zu begreifen lehrte. Jede Seite erwartete, daß die andere ihr entgegenkomme und hielt doch die eigene Position für unveräußerlich. Wie der deutsche Kanzler hatten es auch die russischen Finanzminister in Tarifsachen mit Pressure Groups zu tun. Die protektionistisch gesonnenen Industriekreise Zentralrußlands und des Uralgebiets verfügten mit Katkov über einen einflußreichen Sprecher, der zwischen Schutzzoll, Anleihepolitik und Diplomatie keine Ressorttrennung anerkennen wollte und die deutsche Orientierung Petersburgs in brüsken Formen attackierte. Unter den Angriffen und Intrigen der Moskauer Schutzzollpatrioten war die Autorität Bunges zerrieben worden; sein Nachfolger Vyšnegradskij kam im Januar 1887 auf einer Woge von Vorlagen und Eingaben ins Amt, mit denen Industrie und Handel ihre Klagen und Forderungen präsentierten. In der seit 1882 anhaltenden Depression, als der Fiskus umfängliche Staatsaufträge oder Subsidien nicht zu vergeben hatte, war der Ruf nach Abwehr der ausländischen, zumal der deutschen Konkurrenz unüberhörbar, eine plausible Reaktion derer, die ihre Profitmargen schwinden sahen8. Der entschiedenste Gegner der Petersburger Schutzzollpolitik war die marktund exportorientierte Landwirtschaft. Ihre Interessen hatten unter den Machteliten Rußlands starke Stützen. Der Reichsrat, das wichtigste Beratungsorgan im legislativen Prozeß, war in seiner Mehrheit den Großgrundbesitzern zugetan. Für die Agrarier, die an den deutschen Getreidezöllen und dem Verfall der Weltmarktpreise litten, waren die russischen Zollmauern kaum weniger anstößig als die deutschen. Kunstdünger und landwirtschaftliche Maschinen, aus dem Ausland bezogen, wurden vom Fiskus teuer gemacht. Auch daß die Regierung gegen den deutschen Protektionismus nichts vermochte, rechnete man den Finanzministern zu, die nicht daran dachten, für eine Senkung der Bismarckschen Agrarzölle eigene Tarifkonzessionen anzubieten. Dabei versteht sich, daß sie allen Anlaß hatten, diesen Widerstand nicht gering zu achten. Gefährlich wurde er immer dann, wenn die Kosten der Industrialisierung die kleinbäuerliche Wirtschaft in den Hunger trieben und das agrarische Angstkartell in die Lage brachten, beim Zaren die Ablösung des Finanzministers durchzusetzen. Vyšnegradskij kam auf diese Weise zu Fall9. Bei der Beurteilung der strukturbedingen Eigentümlichkeiten des russischen Protektionismus ist also festzuhalten, daß die Zollpolitik, anders als in Deutschland, allein die Industrie begünstigte. Der vorgegebene Interessengegensatz zwi-

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schen Landwirtschaft und Industrie wurde in Rußland durch den Schutzzoll nicht gemildert, sondern dauerhaft gemacht. Solidarisch trafen sich Industrie, Handel und Gutswirtschaft allenfalls in ihrer ökonomisch motivierten Germanophobie, deren Kehrseite die frankophile Attitüde war. Im Frühjahr 1887, als die von Bismarck erzeugte Kriegspsychose hohe Wellen schlug, prägte dieses Grundgefühl die öffentliche Meinung ganz und gar10. Daß der russische Protektionismus zu Lasten gerade jener Schichten ging, die bisher das soziale Fundament der Autokratie gewesen waren, verweist auf das Dilemma der Industrialisierungspolitik: Indem ihre Promotoren den Fortbestand des Regimes zu sichern hofften, untergruben sie, was seit der Reformzeit von den gesellschaftlichen Grundlagen der Selbstherrschaft nachgeblieben war. Wer das rückständige Rußland durch Eisenbahn und Industrie modernisieren wollte, hatte den Schutzzoll ebenso zu akzeptieren, wie er mit der Gegnerschaft des agrarisch-konservativen Lagers zu leben hatte. Die Schutzzölle waren eine der festesten Säulen, auf die sich Industrialisierung in Rußland gründen ließ: unerläßlich für ungestörtes wirtschaftliches Wachstum, für Importdrosselung zum Nutzen der Handelsbilanz und des Budgetausgleichs, zugleich Anreiz für ausländische Direktinvestitionen, von denen, anders als von Staatsanleihen, die Zahlungsbilanz nicht sonderlich betroffen wurde. Bei alledem konnte den Finanzministern der deutsche Getreidezoll durchaus nicht gleichgültig sein. Die internationale Zahlungsfähigkeit Rußlands war von den Überschüssen abhängig, die der Agrarexport eintrug. Der aber wurde von einer hochgradig krisenanfälligen Landwirtschaft erbracht, der Masse bäuerlicher Kleinproduzenten abgezwungen, denen der Steuerdruck die zumeist kümmerlichen Erträge zu niedrigen Preisen entzog. Dieser russische „Hungerexport" war das Produkt des fiskalisch erzwungenen Konsumverzichts einer in Armut gehaltenen Bevölkerung. Sobald Roggen und Weizen über die deutsche Grenze kamen, wurden sie bis Mai 1885 mit 1 Mark pro 100 kg belegt, mit 3 Mark bis Dezember 1887, und seither schlug der preußische Zoll noch einmal ein Zweimarkstück auf11. Trotz steigenden Ausfuhrvolumens sank unter solchen Bedingungen der Erlös. Die Bismarekschen Getreidezölle, die auch auf die innerdeutschen Preise durchschlugen und die niederen Klassen zunehmendem „Brotwucher" aussetzten, wurden also vom russischen Bauernvolk mitbezahlt. In der Petersburger Budgetrechnung schmälerten sie die Handelsbilanz und gefährdeten die Währungssanierung, die Konversion der Auslandschulden, den industriellen Fortschritt überhaupt. Faßt man diese Beobachtungen zusammen, dann ergibt sich für den russischdeutschen Zollkonflikt eine nahezu auswegslose Konstellation. Trotz unterschiedlicher Bestimmung war der Protektionismus beiden Seiten gleichermaßen unentbehrlich: Für Bismarck war er ein Element der Herrschaftstechnik und Herrschaftssicherung, für den russischen Finanzminister ein tragender Pfeiler des ökonomischen Entwicklungsprogramms. Diese funktionale Äquivalenz hat die gegeneinanderstehenden Positionen steif gemacht. Vergebens hatten sich Giers und der Berliner Botschafter Šuvalov, von Schweinitz in Petersburg

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unterstützt, gegen die Eskalation des Konflikts gestemmt: Ein Zollkrieg werde die „Volksleidenschaften" erregen, „die tief in beiden Volksstämmen leider vorhandene idiosynkratische Abneigung" weiter schüren, „den einflußreichsten Teil der russischen Grundbesitzer" womöglich zum Krieg gegen Deutschland treiben12. Doch weder Bismarck noch Vyšnegradskij waren willens, auf Tauschgeschäfte einzugehen — der Kanzler nicht, weil er meinte, am längeren Hebel zu stehen und die Russen durch ökonomische Druckmittel disziplinieren zu können; der russische Finanzminister nicht, weil er Tariferhöhungen um der Staatsfinanzen willen für unvermeidlich hielt. Daß Vyšnegradskij sich ungeachtet deutscher Pressekampagnen und dunkler Drohungen aus Berlin nicht davon abhalten ließ, die russischen Einfuhrzölle im Mai 1887 kräftig anzuheben, sprach weniger für seine Aggressivität, als für die Zwangslage, in der er sich befand. Nach dem Scheitern seines Vorgängers stand und fiel Vyšnegradskijs Amtsführung mit der Tilgung des chronischen Zahlungsbilanzdefizits. Gegen seine Argumente kamen die russischen Schutzzollgegner nicht auf. Kein Zweifel, daß das deutsche Rußlandgeschäft dabei nicht wenig Schaden nahm. Schon 1886 war die Ausfuhr nach Rußland (im Vergleich zu 1880) um etwa ein Drittel des Warenwerts gesunken, der deutsche Anteil am russischen Gesamtimport von 45 auf 31 Prozent. Der neue Tarif traf namentlich den Roheisenexport, der 1888 nur noch ein Siebentel des Standes von 1886 erreichte (10 115 t gegen 70 521 t) 13 . Bedenkt man, daß die russische Zollverordnung überdies mit einem Ukas zusammenfiel, der ausländischen Staatsangehörigen Landerwerb in den Weichselgouvernements verbot und deren Erbrechte schmälerte (14./26. März), dann wird verständlich, daß das Verlangen nach Gegenmaßnahmen in die Breite wuchs. Die Stimmführer des agrarisch-schwerindustriellen Kartells, das oberschlesische Eisenund Stahlgewerbe und schlesische Magnaten mit weitläufigem Grundbesitz in Russisch-Polen, forderten von der Regierung, die Russen mit Kampfzöllen und Kreditrestriktionen zu bestrafen. Daß Bismarck antirussische Pressekampagnen ermunterte, Börsensperre und Agrarzollerhöhungen aber erst im Spätherbst 1887 in Kraft setzen ließ, hing mit seinem Wunsch zusammen, zunächst den Abschluß des Rückversicherungsvertrags verbürgt zu sehen. In der neueren Forschung besteht Einvernehmen darüber, daß das Kalkül des Kanzlers nicht verfing14. Unter den Wirkungen der deutschen Strafaktionen ging der Protektionismus Vyšnegradskijs weder zu Bruch, noch war Alexander III. zu Canossafahrten nach Berlin oder zur rigorosen Drosselung der publizistischen Angriffe auf Deutschland bereit. Zu Hilfe kamen dem russischen Finanzminister die ungewöhnlich guten Ernten der Jahre 1887 bis 1889; das erhöhte Marktaufkommen erlaubte, die Schädigung der Getreideausfuhr in Grenzen zu halten und eine alarmierende Schrumpfung des Außenhandelsüberschusses abzuwenden. Die langfristigen Arbeiten zur Neugestaltung des russischen Zolltarifs, die Vyšnegradskij eingeleitet hatte und die schließlich zu den ultraprotektionistischen Tarifsätzen vom Juni 1891 führten, mußten nicht abgebrochen werden.

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Ebenso wichtig wurde, daß sich auch der Schlag gegen die russischen Wertpapiere ohne katastrophale Einbrüche auffangen ließ. Das Lombardierungsverbot, das die Presseagitation gegen die Russenwerte beglaubigt hatte, brachte zwar den gewünschten Kurssturz, doch die Obligationen und Aktien, die an der Berliner Börse nun zu Discountpreisen abgestoßen wurden, fanden alsbald anderswo ein neues Unterkommen. Nicht ohne Assistenz der mitbetroffenen, mit dem Petersburger Finanzgeschäft kopulierten deutschen Großbanken nahm die russische Staatskasse zunächst einen Großteil der abfließenden Papiere auf. Die niedrigen Notierungen kamen Vyšnegradskij nicht einmal ungelegen: Die Baisse half ihm, die geplante Konversion der Auslandsanleihen zu forcieren, eine Operation, an der mitzuwirken der Pariser Kapitalmarkt nicht schlecht vorbereitet war. Tatsächlich wanderte die Masse der russischen Werte seit 1888 nach Frankreich — unter gewiß nicht glänzenden Konditionen, die dem Finanzminister sogar einige Gewinne brachten15. Überdies war zu erwarten, daß sich die Pariser Haute Finance mit Duldung oder gar unter Nachhilfe der Regierung auch neuen Anleihewünschen nicht verschließen werde. Französische Banken substituierten, was der Petersburger Finanzpolitik bisher in Deutschland gewährt worden war. Mit der von Bismarck erzwungenen Transaktion verlor das russisch-deutsche Verhältnis eine seiner Klammern. Der geheime Rückversicherungsvertrag, ein von der Kabinettspolitik gesetzter Notanker, stiftete weder an den Höfen noch in den diplomatischen Kanzleien sonderliche Zuversicht. Der Thronwechsel in Berlin, der im Juni 1888 Wilhelm II. ans Ruder brachte, machte auch die dynastischen Gefühle kühl. Die hochgezogenen Zollmauern verdarben die Atmosphäre um so nachhaltiger, als weder die deutsche Industrie noch die russische Getreidewirtschaft auf den Markt des anderen verzichten konnte. Angesichts tief gestörter Handelsbeziehungen, reduzierter Kapitalverflechtung und fragwürdiger Bündnisgarantien waren Argwohn, Phobien und Bedrohungskomplexe groß geworden. Politische Konsequenzen drängten sich auf. Seit Frühjahr 1887 hatten sich französische Offerten gehäuft. Selbst russische Provinzblätter hatten den Gedanken ventiliert, den Kapitaltransfer nach Frankreich durch weitergehende Vereinbarungen abzustützen. Doch dem Zaren wie dem Außenminister, galt dies vorerst noch als unziemlich und als gefährlich dazu. Auch Vyšnegradskij blieb darauf bedacht, den Weg nach Berlin nicht gänzlich zu verbauen; denn sein Tarifsystem war auf die Dauer gegen externe Pressionen nur abzuschirmen, wenn es gelang, den Zollkonflikt durch einen Handelsvertrag zum Stehen zu bringen. Der „neue Kurs", den Caprivi seit dem Frühjahr 1890 einschlug, schien optimistischen Erwartungen zunächst keinen Auftrieb zu geben. Daß die Handelspolitik des neuen Kanzlers auf einen von Konventionalzöllen abgeschotteten deutsch-österreichsischen Wirtschaftsblock ausging, war für Petersburg nicht weniger bedrückend als die Weigerung, den nicht erneuerten Rückversicherungsvertrag durch vergleichbare Zusagen zu ersetzen16. Statt dessen sah man in Petersburg den von Bismarck geknüpften, im Mai 1891 feierlich bestätigten

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Dreibund, mit wachsenden Öffnungen nach England hin, auf festen Füßen stehen17. Die innere Logik, die eine russisch-französische Annäherung nun für sich hatte, wurde durch neue Tatsachen nicht in Frage gestellt. Vor allem aber halfen Argumente, die der russische Generalstab unter dem Eindruck der deutschen Heeresvermehrung ins Kabinett des Zaren trug, den konservativen Abscheu gegen die bourgeoise Republik zu verdrängen. Selbst der Außenminister, der mit abgewandtem Gewissen den Weg zur Entente beschritt, fügte sich schließlich dem Zwang der Sachen. Als der Zar beim französischen Flottenbesuch in Kronstadt im Juli 1891 der Trikolore salutierte, hatten die an der Monarchenfreundschaft hängenden Diplomaten gegen die russisch-französische Entente (15./27. August) durchschlagende Argumente nicht mehr anzubieten18. In den beiden folgenden Jahren verfingen sich die Petersburger und Berliner Protektionisten in einem vehementen Schlagabtausch, dem die russisch-französischen Generalstabsverhandlungen parallel liefen: Im Herbst 1893, als die Abwehrbewegungen des resignierenden Giers gegen die Militärallianz erlahmten19, war der russisch-deutsche Zollkrieg in voller Schärfe entbrannt. Daß dieser Krieg keineswegs mit einer russischen Kapitulation zu Ende ging, sondern dem Nachfolger Vyšnegradskijs, Witte, leidlichen Erfolg und eine gute Presse brachte, bedarf der Erläuterung. Der Konfliktverlauf liegt zutage: Scheinbar ungerührt von deutschen Drohungen hatte die Petersburger Regierung im August 1890 abermals eine zwanzigprozentige Zollerhöhung verfügt und im Juni des folgenden Jahres dann eine neue, gründlich erwogene Tarifordnung auf gleichem Niveau in Kraft gesetzt. Importgüter wurden seither mit durchschnittlich einem Drittel des Warenwerts belastet; bei den schwerindustriellen Warengruppen, für die das deutsche Exportinteresse sensibel war, erreichten die Sätze einen nahezu prohibitiven Effekt20. Nach der Höhe der Aufschläge wurde der russische „Mendeleev-Tarif" von keinem anderen Land erreicht, auch von den Vereinigten Staaten nicht, die eben erst, mit dem McKinley-Tarif von 1890, gegen den „freien" Welthandel neue Barrikaden hochgezogen hatten. Bedenkt man das Ausmaß russischer Exportabhängigkeit, dann mag diese rigorose Inanspruchnahme der eigenen Zollautonomie als ein Vabanquespiel erscheinen. Caprivi war 1891/92 dabei, den russischen Außenhandel durch die Anlage seiner Vertragspolitik erneut und, wie es schien, dauerhaft zu diskriminieren. Die Konventionalzölle, die in aufeinander abgestimmten Handelsverträgen Österreich-Ungarn, Italien, Rumänien, Serbien, Bulgarien, Belgien und den Eidgenossen zugestanden wurden, lagen für Roggen und Weizen um 1,50 Mark pro Doppelzentner niedriger als die für Rußland verbindlichen deutschen Sätze von 188721. Sondierungen in Berlin ergaben, daß Rußland gleicher Vergünstigungen nur dann teilhaftig werden würde, wenn es dem deutschen Export beträchtliche Konzessionen gewähre. Dennoch fühlte sich Witte offensichtlich stark genug, um im Juni 1893 einen Doppeltarif mit weiteren Erhöhungen um 20 bis 30 Prozent durchzusetzen; Berlin sollte zur Gewährung der Meistbegünstigung oder zu einem langfristigen Handelsvertrag mit Kon-

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ventionaltarifen gezwungen werden, ohne dem russischen Zollsystem dabei wesentliche Opfer zuzumuten. Zwei Monate später wurde die deutsche Einfuhr abermals mit einem fünfzigprozentigen Aufschlag belegt und in Kauf genommen, daß sich die deutsche Regierung in gleicher Weise revanchierte22. Damit hatte der russische Finanzminister, in merkwürdiger Solidarität mit Caprivi, eine Krisensituation provoziert, die die Kontrahenten binnen kurzem eine Verständigung suchen ließ. Seit Oktober 1893 saß man in einer deutschrussischen Zollkonferenz beieinander und mühte sich, den Schlußstrich unter die Kämpfe der letzten Jahre zu ziehen. Im Handelsvertrag vom 10. Februar (29. Januar) 1894 gestand Caprivi den Russen zu, was er ursprünglich allein den Partnern einer deutsch-Österreichischen Zollunion hatte gewähren wollen23. Berlin, nicht Petersburg hatte die entscheidenden Konzessionen gemacht. Das politische Scheitern Caprivis steht damit im Zusammenhang. Wie ist zu erklären, daß Witte mit so bemerkenswerter Festigkeit hatte agieren können? Der neue französische Partner Petersburgs war in diesen Auseinandersetzungen als Nothelfer nicht mobilisierbar gewesen. Paris vermochte den deutschen Markt zwar für russische Börsenpapiere zu ersetzen, nicht aber für russisches Getreide. Durch den Meline-Tarif von 1892 war Frankreich gegen agrarexportierende Länder nicht weniger wirksam abgeschottet als Deutschland. Der im Juni 1893 zwischen Petersburg und Paris geschlossene Handelsvertrag sprach Rußland, über die Meistbegünstigung hinaus, kaum nennenswerte Vorzugsrechte zu; vor allem aber veränderte er die marginale Stellung nicht, die Frankreich im russischen Außenhandel einnahm. Auch der Export nach Großbritannien, dem neben Deutschland wichtigsten Handelspartner des Zarenreiches, hatte sich in den Jahren des deutsch-russischen Zollkonflikts nicht fühlbar steigern lassen24. Begrenzte Entlastungen erbrachten flexible Verfahren, mit denen sich die deutschen Zollmauern teilweise unterlaufen oder umgehen ließen. Zu diesen Aushilfen gehörten die Senkung der Eisenbahntarife zur deutschen und österreichischen Grenze hin und die Inanspruchnahme des holländischen, rumänischen und österreichischen Zwischenhandels, der russisches Getreide zu Konventionalsätzen nach Deutschland weitergab. Auch wird einzurechnen sein, daß infolge der Mißernten von 1891 und 1892 das russische Marktaufkommen beträchtlich gesunken und im Lande selbst profitabel abzusetzen war. Der Preiseinbruch, mit dem der deutsche Kampfzoll die russischen Agrarier bedrohte, konnte dank der katastrophalen Hungersnot abgewendet werden. Dieser beklemmende Zusammenhang verdeutlicht freilich zugleich, daß Witte nicht beliebig lange durchhalten konnte. Andere singuläre Faktoren mußten ihm zu Hilfe kommen, um die Kraftprobe mit Deutschland zu bestehen. Tatsächlich hatte sich der Finanzminister nicht allein der Belastungsfähigkeit des russischen Volkes anvertraut. Was ihm erlaubte, in bedrängter Situation eine Politik der Stärke zu simulieren, war die kaum weniger glückliche Lage, in der sich sein deutscher Konkurrent damals befand. Die Neuorientierung der Handelspolitik unter Caprivi war nicht zuletzt dadurch erzwungen wor124 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

den, daß die Pariser Regierung Deutschland 1889 von den Konventionalzöllen des französischen Handelsvertragssystems abgekoppelt hatte. Das im Frankfurter Frieden von 1871 verbürgte Meistbegünstigungsrecht, das Berlin an allen Vorzügen französischer Vertragspartner hatte partizipieren lassen, war entwertet25. Damit entstand die Notwendigkeit, einen eigenen, von Deutschland dominierten handeis- und zollpolitischen Verbund zu schaffen. Hinzu kam die Aktualität innenpolitischer und Ökonomischer Tatbestände, die der neue Kanzler in Rechnung zu stellen hatte: Sein sozialdefensives Konzept wurde durch die 1890 gestiegenen deutschen Agrarpreise ebenso behindert wie durch die konjunkturelle Depression der industriellen Wirtschaft, mit deren Interesse der „neue Kurs" verklammert war. Daraus folgte, daß Caprivis Zollunionspläne unter der Prämisse standen, die Exportchancen der Industrie verbessern und eine Senkung der Agrarzölle hinnehmen zu müssen. Die neuen deutschen Handelsverträge mit den Dreibundpartnern und Rumänien erfüllten diese Forderung. Sie spiegelten jedoch zugleich die Auflösung des von Bismarck gestifteten Solidarkartells. Das Risiko, das darin lag, hat den deutschen Kanzler verwundbar gemacht. Daß die Petersburger Handelspolitik danach strebte, das Zarenreich unter den von Deutschland begünstigten Agrarexporteuren zu sehen, ist begreiflich. Nicht weniger plausibel war der Widerstand, den Caprivi diesem Verlangen entgegensetzte. Er wußte, daß eine Einbeziehung Rußlands die bündnispolitische Qualität seiner mitteleuropäischen Unionsidee entwerten und seine großagrarischen Gegner stärken würde. Wenn sich Witte den Weg zu einem Handelsvertrag durch hochgeschraubte Kampfzölle dennoch bahnen konnte, so war das zu einem guten Teil der innenpolitischen Positionsschwäche des deutschen Kanzlers zu danken. Der russische Finanzminister rechnete mit der unfreiwilligen Solidarität der deutschen Industrie, mit jenen auf den russischen Markt drängenden Kräften also, auf deren Unterstützung Caprivi in besonderer Weise angewiesen war — nicht zuletzt bei der Abwehr der Protestwellen, die der 1893 gegründete Bund der Landwirte gegen den Reichskanzler inszenierte26. Wie die Einigung zwischen Petersburg und Berlin von 1894 zeigte, hat dieses Kalkül nicht getrogen. Die Aufgabe der russischen Zollautonomie und die partiellen Erleichterungen, die Witte der deutschen Ausfuhr einzuräumen hatte, wurden durch die Vorteile des deutschen Konventionaltarifs bei weitem aufgewogen. Das Ergebnis spricht dafür, daß die hochentwickelte deutsche Industriewirtschaft unter einem vergleichbar starken Exportdruck stand wie das rückständige agrarische Rußland. Insoweit fand das berüchtigte Wort vom russischen Hungerexport in dem Diktum Caprivis: „Wir müssen exportieren: entweder . . . Waren, oder . . . Menschen" eine denkwürdige Entsprechung27. Dieser Sachverhalt hatte seit den siebziger Jahren die wechselseitige Abhängigkeit der ungleichen Partner mitbegründet. Ihm war zuzurechnen, daß Petersburg und Berlin aufeinander verwiesen blieben, auch dann noch, als die traditionelle Bündnisbeziehung entfallen und die Kapitalverflechtung gelockert war.

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Es steht außer Zweifel, daß der auf zehn Jahre geschlossene Vertrag vom M ä r z 1894 die deutsch-russischen H andelsbeziehungen entspannt und eine reTab. 9 : Russischer Außenhandel 1890—1913 (in Mill. Rubel) Einfuhr aus

1890

1892

1894

1896

1898

1900

1902

1904

1905

Deutschland Großbritannien USA Frankreich Gesamteinfuhr

114,6 101,7 143,0 190,2 202,2 216,9 208,5 228,5 240,4 93,0 101,2 132,8 111,3 115,3 127,1 99,2 103,4 97,4 54,8 38,0 45,7 65,7 50,1 44,2 39,9 62,9 40,8 17,3 18,5 28,2 23,4 27,1 31,4 26,9 26,5 26,1 416,1 403,9 559,5 589,8 617,5 626,4 599,2 651,4 635,1

Ausfuhr nach

1890

1892

1894

1896

1898

1900

1902

1904

1905

166,3 177,9 203,7 49,4 43,5 703,9 344,9 49,0

116,3 138,2 118,5 35,1 19,5 475,6 164,1 34,5

247,2 147,9 175,3 56,2 53,0 668,6 381,4 57,0

292,5 184,0 160,9 58,2 70,9 688,5 322,5 46,8

335,1 179,4 139,9 68,6 72,3 732,8 370,9 50,6

331,7 187,6 145,6 57,4 69,3 716,4 304,7 42,8

352,0 203,2 189,1 55,1 103,1 860,3 432,2 50,3

379,0 234,8 230,4 61,8 99,3 1006,4 495,3 49,3

505,0 255,3 249,2 64,5 126,8 1077,3 568,3 52,8

1906

1907

1908

1909

1910

1911

1912

1913

Deutschland (russ. Statistik) Großbritannien Frankreich Holland Gesamtausfuhr davon Getreide (in Prozent) Einfuhr aus Deutschland Großbritannien USA Frankreich Gesamteinfuhr

298,4 337,4 348,4 363,3 449,8 487,8 532,3 652,2 105,7 114,9 120,3 127,9 153,8 155,1 142,4 173,0 47,5 55,6 79,2 57,2 74,4 102,5 87,4 79,1 28,7 29,4 36,3 49,5 61,0 56,8 56,3 57,0 800,7 847,3 912,6 906,3 1084,4 1161,7 1171,8 1374,0

Ausfuhr nach

1906

1907

1908

1909

576,3 284,7 225,4 76,5 108,0 11094,9 472,0 43,1

524,8 291,0 228,5 73,4 114,4 1053,0 430,6 40,9

448,1 279,0 220,5 64,6 93,8 998,3 379,6 38,0

637,0 387,1 288,9 89,1 189,2 1427,7 749,4 52,2

Deutschland (russ. Statistik) Großbritannien Frankreich Holland Gesamtausfuhr davon Getreide (in Prozent)

1911

1912

1913

650,6 774,7 390,6 490,5 315,5 337,0 93,6 90,8 196,0 188,8 1449,11591,4 745,9 739,5 51,5 46,5

721,5 453,8 327,8 98,2 154,0 1518,8 551,3 36,3

672,0 453,6 267,8 100,9 177,4 1520,1 594,5 39,1

1910

Quelle: Bonwetsch, H andelspolitik und Industrialisierung, 282, 289; nach Chromov, Ėkonomičeskoe razviue Rossii, 474, 486-493; S. Zuckermann, Der Warenaustausch zwischen Deutschland und Rußland, Berlin 1915, Tab. I—II. Für die russische Ausfuhr nach Deutschland werden die Daten der deutschen H andels­ statistik zugrunde gelegt. Die Abweichungen gegenüber der russischen Statistik erge­ ben sich u. a. daraus, daß diese die in Rotterdam gelöschten, nach Deutschland weiter­ gegebenen Ladungen unter der Rubrik „H olland" verzeichnet.

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lativ störungsfreie Aufwärtsentwicklung eingeleitet hat (vgl. Tabelle 9). 1902 gingen 41 Prozent des russischen Exports nach Deutschland (1892: 24 % ) ; der deutsche Anteil am russischen Import betrug 35 Prozent (1892: 25 %). Damit waren die Relationen nahezu wiederhergestellt, die für die siebziger Jahre gegolten hatten. Unter den hochkonjunkturellen Bedingungen der zweiten Hälfte der neunziger Jahre hatte die kräftige Ausweitung des Handelsvolumens nicht allein die einzigartige deutsche Marktposition in Rußland gefestigt, sondern auch die optimale Nutzung der russischen Exportchancen verbürgt. Nach der durch Mißernten und Zollkrieg verursachten Schrumpfung war die Ausfuhr nach Deutschland schon 1894 ruckartig um mehr als das Doppelte des Warenwerts und im folgenden Jahrfünft nochmals um ca. 28 Prozent gestiegen. Dann verharrte sie mit ungleich bescheidenerer Expansionstendenz auf dem 1898 erreichten Niveau, bedingt durch die stockende Auslandsnachfrage in der wirtschaftlichen Krisenzeit des Jahrhundertbeginns. Während der Export nach Großbritannien zwischen 1898 und 1902 immerhin 40 bis 50 Prozent des russischen Deutschlandexports betrug, erreichte die Ausfuhr nach Frankreich nur 15 bis 20 Prozent des deutschen Anteils28. Daß der Vertrag von 1894 die Spitzenstellung Deutschlands im Außenhandel des Zarenreiches stabilisierte, bestätigt (ungeachtete ihrer Mängel) auch die russische Einfuhrstatistik. Der russische Import aus dem deutschen Reichsgebiet verbuchte zwischen 1892 und 1894 eine Steigerung um 30 Prozent, wuchs bis 1898 nochmals um die gleiche Rate und hielt diesen Stand mit geringfügigen Schwankungen auch in den folgenden ökonomischen Krisenjahren. Demgegenüber erreichte der britische Export nach Rußland nur etwa die Hälfte dessen, was die deutsche Wirtschaft nach Rußland brachte; Frankreich stellte kaum mehr als 11 bis 13, die Vereinigten Staaten etwa 20 Prozent des deutschen Anteils. Trotz des gewaltigen Bedarfs an Maschinen und industriellen Ausrüstungen, den die wirtschaftliche Expansion unter Witte entwickelte, blieb die russische Außenhandelsbilanz nach 1894 sowohl gegenüber Deutschland als auch im Ganzen deutlich positiv: mit um 100 Mill. Rubel schwankenden jährlichen Gesamtüberschüssen bis zur Jahrhundertwende, mit rapide hochschnellenden in den Jahren der Depression (1902: 271 Mill. Rubel). Tatsächlich waren die Ärgernisse, die den deutsch-russischen Handelsverkehr nach 1894 begleiteten, für Petersburg erträglich geblieben. Einzelne Beschwerden konnten 1897 auf einer gemeinsamen Handelskonferenz ausgeräumt werden. Als sich das Petersburger Finanzministerium um die Jahrhundertwende der Frage einer Vertragserneuerung zuzuwenden begann, lag kein Anlaß vor, das bisher praktizierte Konventionalsystem für unbrauchbar zu halten. Das schloß den dringlichen Wunsch nach Tarifkorrekturen für einige Importgüter nicht aus, nach einer Anpassung der 1894 vereinbarten Zollsätze an die gewachsenen Kapazitäten der russischen Industrie. Daß sich die Vertragsrevision nicht als routinemäßige Expertensache würde behandeln lassen, war indessen bereits im Spätsommer 1900 abzusehen29. Die Anstöße, die den deutschrussischen Handelsbeziehungen abermals politische Brisanz und Öffentlichkeits-

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Wirkung verliehen, kamen aus Berlin. Dort hatte der agrarkonservative Bund der Landwirte seinen Widerstand gegen die Handelspolitik der Konventionalzölle und der Meistbegünstigung in massiver Weise immer wieder geltend gemacht. Für den Reichskanzler von Bülow war die Milderung dieses Drucks ein Angelpunkt seiner Sammlungspolitik. Die innenpolitische Konsensregulierung erforderte eine durchgreifende Neuordnung der deutschen Tarifgesetzgebung, die kräftige Anhebung der Agrarzölle vor allem30. Es versteht sich, daß die Vorbereitung des deutschen „Kompromißzolls" in Rußland größte Besorgnisse weckte und auch dem Finanzminister höchst zuwider war. Nach Veröffentlichung der Gesetzentwürfe im Juli 1901 durfte Witte schwerlich noch erwarten, daß Berlin den deutsch-russischen Handel auf den Grundlagen von 1894 fortschreiben werde. Die vorgesehenen Minimalzölle lagen mit 5,50 Mark pro Doppelzentner Roggen und Weizen deutlich über dem Niveau des alten Handelsvertrags. In der russischen Presse wurden die deutschen Absichten begreiflicherweise entschieden bekämpft. Auch Witte ließ erkennen, daß er bei einer Erschwerung des russischen Agrarexports den Abschluß eines Handelsvertrags verweigern und Gegenmaßnahmen nicht scheuen werde. Aber seine Möglichkeiten, auf die innerdeutschen Entscheidungen einzuwirken, waren doch äußerst begrenzt. Der Hinweis, bei einem deutschrussischen Zollkrieg werde England der lachende Dritte sein, konnte nach Abschluß des britisch-japanischen Bündnisses (Februar 1902) nicht mehr verfangen31. Ebenso erfolglos waren die Bemühungen, die österreichische Regierung auf eine gemeinsame Haltung gegen die deutsche Zollpolitik zu verpflichten. Was dem russischen Finanzminister gleichwohl einen taktisch auswertbaren Spielraum gab, hing mit der Interessenlage Bülows zusammen. Der deutsche Kanzler stand vor dem Problem, die unabdingbar gewordene Agrarzollerhöhung mit der von ihm gewünschten politischen Annäherung an Petersburg in Einklang zu bringen. Der Wunsch Bülows, das Zarenreich auf den antibritischen Kurs der deutschen „Weltpolitik" festzulegen, veranlaßte die russische Regierung, die Unvereinbarkeit zwischen der handelspolitischen Konfrontation und dem bündnispolitischen Intimitätsbegehren zu betonen. Maßgebende Blätter, wie das offiziöse „Novoe vremja", warnten vor der Illusion, „daß ein enges Bündnisverhältnis zwischen Völkern bestehen könne, deren wirtschaftliche Beziehungen gespannt" seien32. Durchschlagende Effekte ließen sich mit solchen Erklärungen freilich nicht erzielen. Wirksamere Ansatzpunkte ergaben sich aus dem Tatbestand, daß der Handelsvertrag mit Rußland für die internationale Durchsetzungsfähigkeit des neuen deutschen Zolltarifs ein entscheidender Prüfstein war. Denn im Unterschied zur Caprivi-Ära, als sich Petersburg die Aufnahme in ein bereits praktiziertes zollpolitisches Konventionalsystem hatte erkämpfen müssen, erkannten jetzt die anderen Handelspartner Deutschlands einem neuen deutsch-russischen Vertrag Modellcharakter zu. Witte durfte also sicher sein, daß Bülows politische Autorität von einer Einigung mit Rußland zu einem guten Teil abhängig war. Zunächst versuchte er, den schleppenden Prozeß der deutschen Zollgesetzgebung durch eigene Initiati-

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ven zu unterlaufen: Zum einen schlug er vor, den Vertrag von 1894 entweder unverändert zu verlängern oder aber Verhandlungen um einen neuen Vertrag unverzüglich aufzunehmen; zum anderen trieb er die Arbeiten zu einem revidierten russischen Zolltarif voran, der die Ansätze von 1891 erheblich überschreiten und den (für deutsche Exporte abträglichen) Differentialzoll für Einfuhren zu Land und über See wiederherstellen sollte. Nachdem Berlin eine Vertragsverlängerung kategorisch abgelehnt und der Reichstag das Zollgesetz beschlossen hatte (13. Dezember 1902), setzte Witte den deutschen Konditionen die neue russische Tarifordnung entgegen (13./26. Januar 1903). Damit waren die beiderseitigen Positionen fixiert33. Wie das Zollgesetz Bülows war auch der Wittesche Tarif nicht allein unter dem Aspekt des deutsch-russischen Handels erarbeitet worden. Die prekären Probleme des Budgetausgleichs und des Zahlungsbilanzdefizits hatten ebenso berücksichtigt werden müssen wie die spezifischen Entwicklungsbedingungen einzelner Industriezweige. Überdies hatte der Finanzminister davon auszugehen, daß er unter der Last der Wirtschaftskrise keine Minderung des Industrieprotektionismus gestatten durfte. Da dies jedoch ohne weitere Diskriminierung landwirtschaftlicher Interessen schwerlich denkbar war, kam alles darauf an, seine Kritiker taktisch zu überspielen. Das Zollgesetz von 1903, das Einfuhrerleichterungen für landwirtschaftliche Geräte und Düngemittel versprach, reichte zur Besänftigung des agrarischen Lagers nicht aus. Um so wichtiger war es, gegenüber der deutschen Seite die Belange der russischen Landwirtschaft möglichst eindrucksvoll zu vertreten. Wittes energische, oft brüske und auf Verzögerung angelegte Verhandlungsführung erklärt sich daraus. Dabei wußte er wohl, daß die Anerkennung der deutschen Minimaltarife letztlich unvermeidbar war und ein Zollkrieg ernsthaft nicht in Frage kam. Sein Verhandlungsziel blieb denn auch auf bescheidenere Ergebnisse gerichtet. Ihm war darum zu tun, den Deutschen die Annahme der erhöhten russischen Zölle abzuringen und sie hinsichtlich der Agrarzölle zu einigen Kompromissen (bei Futtergerste und Vieh) zu bewegen. Im übrigen rechneten Witte und seine Experten mit keiner sonderlichen Schädigung des russischen Agrarexports; der wachsende deutsche Importbedarf ließ erwarten, daß der Bülowsche Kompromißzoll die russische Landwirtschaft weniger belasten werde als die deutschen Verbraucher34. Die bündnispolitischen Ambitionen des deutschen Kanzlers, die Leitfunktion des Handelsvertrags für das deutsche Zollsystem und die Konterstrategie der russischen Tarifpolitik waren mithin die wichtigsten Faktoren, die der Petersburger Position zugute kamen. In einer Zeit, in der bedrohliche ökonomische und soziale Krisenerscheinungen das „Witte-System" untergruben, hatte der Finanzminister allen Anlaß, prestigeschädigenden Kompromissen auszuweichen. Das galt nicht zuletzt für die Abwehr der Versuche Bülows, die Erfüllung russischer Anleihewünsche auf dem deutschen Kapitalmarkt von zollpolitischen Zugeständnissen abhängig zu machen. Daß Witte ein so kompromittierendes Junktim umgehen konnte und in der Anleihefrage dennoch zu guten Ergeb9

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nissen kam, wird nicht allein seinen engen Beziehungen zum Berliner Bankhaus Mendelssohn, dem wichtigsten Pfeiler des deutschen „Russenkonsortiums", zuzuschreiben sein. Nicht minder hilfreich waren die Befürchtungen des deutschen Außenamts, daß die schroffe Zurückweisung des Petersburger Kapitalbegehrens die Russen „vollends in die Arme Frankreichs treiben" werde35. In taktisch kluger Manier balancierte der Finanzminister zwischen Paris und Berlin. Im April 1901 setzte ihn der erfolgreiche Abschluß russisch-französischer Anleiheverhandlungen instand, die Kotierung russischer Eisenbahnpapiere in Berlin (80 Mill. Mark) sogar als Beweis russischer Großzügigkeit anzusehen und die deutschen Diplomaten durch sein unerschütterliches Selbstbewußtsein unsicher zu machen. Auch die vierprozentige Staatsanleihe über 200 Mill. Rubel, die im April 1902 in Berlin aufgelegt und binnen kurzem mehrfach überzeichnet wurde, mußte Witte sich durch handelspolitische Gegenleistungen nicht erkaufen. Bülow erwirkte die Genehmigung der Reichsbank, um der russisch-französischen Verbindung zu steuern, die deutsch-russische Annäherung zu fördern und Petersburg mit den deutschen Minimalzöllen zu versöhnen36. Wie sich zeigte, war die russische Verhandlungsposition durch anleihepolitische Versuchungen nicht aufzuweichen. Witte, der ungeachtet seiner Entlassung aus dem Finanzressort (August 1903) mit den Handelsvertragsgeschäften beauftragt blieb, war auch nicht gesonnen, seine widerborstige Hartnäckigkeit zu mildern. Noch nach Ausbruch des Krieges mit Japan gab er zu verstehen, daß Rußland deutscher Kapitalhilfe vorerst nicht bedürftig sei, nachdem sich der französische Alliierte zu einer neuerlichen Anleihe bereitgefunden hatte (Mai 1904)37. Freilich wirkte auch die Kriegslage auf die Vertragsgeschichte ein, aber keineswegs in einem Sinn, der Witte sonderlich hätte bekümmern müssen. Die fernöstliche Verwicklung verhalf ihm dazu, seine schon im Frühjahr 1903 fixierten handeis- und zollpolitischen Essentials nun auch beim Zaren durchzusetzen. Im Mai 1904 billigte eine Ministerkonferenz das Konzept, die deutschen Minimalzölle unter der Voraussetzung anzunehmen, daß Deutschland den Witte-Tarif akzeptiere und einige zusätzliche Erleichterungen gewähre38. In dem dann von Bülow und Witte auf Norderney festgelegten, am 28. Juli 1904 in Berlin unterzeichneten Vertrag wurde den Deutschen nichts zugestanden, was dem russischen Verhandlungsführer im Grundsatz zuwider gewesen wäre39. Dagegen konnte den vehementen Protesten der Agrarier nun mit dem Argument begegnet werden, daß man sich unter dem Druck des Krieges den deutschen Forderungen habe beugen müssen. Überdies öffnete sich der russischen Regierung jetzt auch der deutsche Kapitalmarkt, den Bülow in den entscheidenden Phasen der Vertragsverhandlungen verschlossen gehalten hatte. Dies war für Petersburg um so wichtiger, als die russische Kriegsführung im Fernen Osten auf kontinuierliche Fremdfinanzierung angewiesen war40.

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3. Kapitalimport und Allianz: Die russisch-französischen Beziehungen Es kann kein Zweifel sein, daß der erstaunliche industrielle Aufschwung der neunziger Jahre ohne die von Witte so energisch verfochtene Kombination von Hochprotektionismus und Kapitalimport undenkbar gewesen wäre. Während Schutzzollpolitik damals kein spezifisch russisches, sondern ein allerorten gehandhabtes Mittel staatlicher Wirtschaftsförderung war, entsprach die extreme Kapitalabhängigkeit der innerrussischen Entwicklungspolitik den Bedingungen nachholender Industrialisierung in einem agrarischen Land, das nach dem Willen seiner Machteliten Großmacht bleiben sollte. Die Frage ist, in welchem Maß diese Abhängigkeit die außenpolitische Orientierung Rußlands beeinflußt hat. In der historischen Literatur werden dazu kontroverse Antworten angeboten. Die russisch-französische Allianz, die auf der Entente von 1891 und der nachfolgenden Militärkonvention beruhte, hat die Forschung von jeher zu dem Versuch provoziert, das Ineinandergreifen politischer, militärischer und ökonomischer Interessen auf den Begriff zu bringen. Für die Frage nach der politischen Qualität der russischen Kapitalabhängigkeit ist dieses Bündnis ein exemplarischer Fall. Schon die Chronologie seiner Entstehung zeigt eine offenbar logische Folge bündnispolitischer und finanzpolitischer Arrangements: Die von Bismarck verfügte Lombardsperre vertrieb 1887 die russischen Börsenwerte vom deutschen Markt; bei der schier unbegrenzten Absorptionskraft der Pariser Banken für festverzinsliche Staatspapiere und Eisenbahnobligationen nahm Frankreich die Russenwerte bereitwillig auf. Auch durch Direktinvestitionen, konzentriert auf den Bergbau und auf metallverarbeitende Unternehmen, wurde die französische Hochfinanz nun zum Hauptgläubiger und Teilhaber des russischen Industrie- und Verkehrsausbaus. Das Bündnis der Regierungen und Generalstäbe schloß sich an. Die Kontroversen, die diese Beobachtungen wecken, drohen leicht zum Schattenboxen auszuarten, wenn sich Historiker darauf versteifen, um den „Primat der Ökonomie" oder um den der „Politik" zu streiten. Diese Versuchung hat von jeher nahe gelegen, nicht allein wegen der prinzipiellen Differenzen, in die marxistische und nichtmarxistische Historiker verwickelt sind, sondern nicht minder auch deshalb, weil die überkommene Ressorttrennung zwischen Diplomatie- und Wirtschaftsgeschichte die Chancen synthetischer Analysen klein gehalten hat. Wer sich auf die diplomatischen Akten beschränkt, wird — zumal in bezug auf die russische Position — dazu kommen, daß in den Verhandlungen um die Entente und die Militärkonvention wirtschaftliche oder finanzpolitische Motive eine höchst marginale Rolle spielten1. Das Studium der Kapitalbeziehungen wiederum vermittelt ein so eindrucksvolles Bild russischer Abhängigkeit, daß die politischen und militärischen Vereinbarungen geradezu als Konsequenz der Finanzbeziehungen erscheinen können2. Bedenkt man die Forschungslage, die für die Entstehung des Zweibundes wie für die russischfranzösische Kapital- und Anleihepolitik vorzüglich ist, dann scheinen gleich9*

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wohl gute Voraussetzungen zu bestehen, um die historiographischen Fronten aufzubrechen. Detailuntersuchungen zur russisch-französischen Annäherung lassen einen Kausalzusammenhang zwischen den Finanzoperationen Vyšnegradskijs und den politisch-militärischen Entscheidungen nicht erkennnen. Für die Beurteilung der Kapitalbeziehungen gilt, daß die Bemühungen des Finanzministeriums, die aus Deutschland abfließenden, vielfach nach Petersburg zurückkehrenden Wertpapiere anderwärts zu plazieren, nur auf dem Pariser Markt erfolgreich waren3. Das durch die Panamaaktien hochgetriebene Börsengeschäft hatte hier für die Aufnahme russischer Staats- und Eisenbahnanleihen günstige Bedingungen geschaffen. Die Pariser Bankensyndikate, deren Vertreter im Petersburger Finanzministerium antichambrierten, versprachen sich hohe Profite. Auch politische und psychologische Faktoren kamen dem russischen Verlangen entgegen. Die französische Regierung war an einer Durchbrechung der internationalen Isolierung Frankreichs interessiert und sah in Rußland den natürlichen Partner gegen Deutschland; sie fand keinen Anlaß, von ihrem Vetorecht gegen die Zulassung der Russenwerte Gebrauch zu machen. Die öffentliche Meinung war wohlgesonnen. Das breite soziale Spektrum französischer Rentner und Couponschneider faßte hinreichendes Vertrauen, um die mit der russischen Staatskasse kopulierten, gutverzinsten Pfandbriefe und Obligationen zu erwerben. Mit Petersburger Dotationen gespeiste Zeitungskampagnen halfen, das Klima warm zu halten4. Vyšnegradskijs Position war indessen keineswegs glänzend zu nennen. Bei der beängstigenden Budgetlage hatte er wenig Verhandlungsspielraum und wenig Zeit, um optimale Bedingungen durchzusetzen. Hinzu kam, daß er das Verlangen des Zaren und des Außenministers teilte, alle politische Implikationen des Finanztransfers zu vermeiden. Die eingewachsene Aversion Alexanders III. gegen das republikanische System und die Furcht Giers', den Draht nach Berlin zu gefährden, haben noch 1890 eine politische Entente, geschweige denn eine Militärallianz, als unvorstellbar erscheinen lassen. Doch die Suggestivwirkung der Anleihekonversionen war auch in Rußland nicht gering. Bei der in der Öffentlichkeit verbreiteten Neigung, dem beharrlichen Werben der Moskauer Blätter um eine französische Orientierung Petersburgs beizupflichten, wurden die Finanzoperationen vom Publikum ohnedies politisch ausgelegt. Vyšnegradskij, der die Abkommen von 1888/89 mit den Pariser Banken durch Beteiligung Londoner und Berliner Häuser zu internationalisieren suchte, um neue Abhängigkeiten nicht entstehen zu lassen, konnte den Eindruck einer einseitig französischen Bindung nicht verwischen. Die konvertierten Anleihen wurden fast ausnahmslos vom französischen Markt aufgenommen. Weiterungen blieben nicht aus. 1889 gestattete der Zar die Reise russischer Geschäftsleute zur Pariser Weltausstellung, und das Kriegsministerium bestellte 500 000 Exemplare des neuen französischen Lebel-Gewehrs5. Für die im folgenden Jahr beginnenden politischen Verhandlungen wird man diese Anknüpfungen allerdings nicht überschätzen dürfen. Während der 132 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

schleppenden Gespräche der Diplomaten und der Generäle hat Vyšnegradskij mit Entschiedenheit gegen ein russisch-französisches Bündnis gesprochen. Nichts deutet darauf hin, daß er sich durch Anleiheblockaden, wie sie das Bankhaus Rothschild erneut gegen Petersburg verhängte, von dieser Haltung hätte abbringen lassen. Als Ribot im Mai 1891 über den russischen Botschafter Mohrenheim sondieren ließ, ob der Finanzminister dafür zu gewinnen wäre, statt mit Caprivi einen Handelsvertrag mit Frankreich zu schließen, wurde diese Offerte in Petersburg höchst unfreundlich aufgenommen. Für Vyšnegradskij war niemals zweifelhaft, daß der deutsche Handelspartner für Rußland nicht austauschbar sei. Angesichts der deutschen Handelspolitik, die am Zollkampf gegen Rußland festhielt und die russische Getreideausfuhr diskriminierte, lag ihm viel daran, das Verhältnis zu Berlin entstört und den Weg zu einem günstigen Handelsvertrag nötigenfalls auch durch russische Zugeständnisse gebahnt zu sehen. Giers, der gegen jede Bindung an den französischen Revanchismus lebhaftesten Widerwillen empfand, hatte im Finanzminister insoweit eine verläßliche Stütze. Vyšnegradskij meinte, daß Frankreich unter dem Druck des Dreibundes „einem neuen Sedan" entgegengehe, und glaubte deshalb, selbst der ökonomischen Partnerschaft nicht sicher zu sein6. Es zeigt sich also, daß der Anleihepolitik Petersburgs keine Konzeption zugrunde lag, die Allianzen hätte vorbereiten wollen. Die Plazierung der russischen Werte in Paris stand unter einem Sachzwang, den die Bedingungen des europäischen Kapitalmarkts vorschrieben. Politischen Auslegungen stemmte sich das amtliche Rußland entgegen. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß die intensivierten Kapitalbeziehungen alsbald ein eigenes Schwergewicht entwickelten. Angesichts der hochgradigen Auslandsabhängigkeit der russischen Wirtschaftspolitik, gar des weitgreifenden ökonomischen Entwicklungsprogramms, das Witte in den neunziger Jahren verfolgte, blieben politische Effekte der russisch-französischen Finanzverflechtung nicht aus. Zu Jahresbeginn 1895 befand sich mehr als die Hälfte der an den Börsen gehandelten Russenwerte in französischer Hand (5153 Mill. frcs.); auch durch die rasch steigenden Direktinvestitionen (1895: 433,6 Mill., 1902: 1108,6 Mill. frcs.) nahm französisches Kapital am russischen Wirtschaftsaufschwung der neunziger Jahre teil7. Rußland war dabei, vom französischen Geldmarkt in ähnlicher Weise abhängig zu werden, wie es dies von den deutschen Zollkonditionen längst geworden war. Außer acht bleiben darf dabei freilich nicht, daß auch auf seiten der Partner Rußlands Verhältnisse wirksam waren, die von wechselseitiger Ökonomischer Abhängigkeit sprechen lassen. Aber das rückständige Zarenreich unterschied sich von Deutschland und Frankreich doch insofern, als seine Verwundbarkeit gegenüber externen Pressionen zumal in Krisenzeiten ungleich beträchtlicher war als die seiner Konkurrenten. Die Probleme einer russisch-französischen Entente waren im Frühjahr 1887 erstmals überdacht worden, als Bismarck zur Durchsetzung der Septennatsvorlage eine gegen Paris gerichtete Kriegshysterie hatte schüren lassen. Die alarmierte Pariser Regierung suchte zu erkunden, wie sich Rußland im Fall

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eines deutschen Angriffs auf Frankreich zu verhalten gedenke. Dabei war erwartet worden, daß ein russisches Neutralitätsversprechen deutsche Aggressionsgelüste zügeln und den Frieden retten werde. Einer Partnerschaft mit den Franzosen schlug aus der russischen Presse lebhafte Sympathie entgegen. Obwohl der Gedanke, daß Deutschland Frankreich schlagen und auf die Stufe einer zweitrangigen Macht verweisen könnte, auch das amtliche Petersburg überaus bedrückte, hatten Giers und der Zar doch jede bindende Auskunft verweigert. Gegen eine Festlegung sprach nicht allein die konservative Abneigung gegen eine Republik, die im Licht des Boulangismus bonapartistische Züge zurückzugewinnen schien; wichtiger war, daß Petersburg die traditionell deutsche Orientierung für unersetzlich hielt und nicht riskieren durfte, in kriegerische Verwicklungen hineingezogen zu werden8. Nachdem eine Erneuerung des Dreikaiserbündnisses nicht mehr zur Debatte gestanden hatte, waren im Januar 1887 erste Gespräche zwischen Bismarck und Šuvalov aufgenommen worden; beide Seiten zielten auf eine bilaterale Bindung, wie sie der Rückversicherungsvertrag schließlich brachte. Deutsche Garantien waren der einzige Halt, den Rußland in der Dauerkonfrontation mit England und Österreich finden konnte, gegen zwei Rivalen, die in dieser krisenhaften Zeit mit Italien zusammen den Status quo im Mittelmeer und im Orient abermals besiegelten. Indem sich England dem Dreibund Deutschland— Österreich—Italien näherte, lag die antifranzösische und antirussische Frontstellung dieser kunstvollen Verknüpfung zutage. Äußerungen, daß Rußland nicht gebunden sei, verhüllten den Attentismus, mit dem das amtliche Petersburg die Krise zu überstehen hoffte. Zwischen Berlin und Paris zu wählen, war Petersburg trotz der Unfreundlichkeiten Bismarcks damals weder gesonnen noch imstande9. Die russisch-französischen Kontakte vom Frühjahr 1887 der Vorgeschichte der Entente zuzurechnen, ist nur insofern erlaubt, weil ein Rapprochement zwischen Rußland und Frankreich damals als Denkmodell zum erstenmal zum Vorschein gekommen war. 1891/93 waren die Befürchtungen des Außenministers, durch eine Option für Frankreich alle Brücken nach Berlin abzubrechen, nicht geringer geworden. Was sich verändert hatte, war vor allem, daß Giers von Caprivi kein Papier zu erhalten vermochte, das den Rückversicherungsvertrag hätte kompensieren können. Petersburg sah sich der deutsch-österreichischen Verbindung, dazu dem erneuerten Dreibund gegenüber, mit dem das englische Interesse in Fühlung stand. Unmittelbarere Verbindungen, wie sie der Helgoland-Sansibar-Vertrag von 1890 signalisierte, schienen sich anzudeuten10. Nie zuvor war die Isolierung Rußlands so vollkommen, das Verhältnis zu Berlin so ungewiß. Der deutsch-russische Zollkonflikt verdüsterte die Lage. Verändert hatte sich auch das militärische Kräfteverhältnis. Anders als in Rußland, dessen chronische Finanzarmut eine Aufrüstung größeren Stils nicht zuließ, war die militärische Schlagkraft des Deutschen Reiches seit den Wehrvorlagen von 1887/88 fortgehend gewachsen11. Das in Berlin so beunruhigende Verfahren des russischen Generalstabs, durch grenznahe Truppenstationierun134 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

gen die ungleich raschere Mobilisierungsfähigkeit der Deutschen auszugleichen, war Ende der achtziger Jahre vollends fragwürdig geworden. Der Generalstabschef Ν. Ν. Obručev litt unter der Einsicht, daß Rußland allenfalls der österreichischen, nicht aber der deutschen Militärmacht ebenbürtig war. Die Intimität zwischen Berlin und Wien ließ wenig Hoffnung, daß Deutschland bei einem russischen Zusammenstoß mit Österreich Gewehr bei F uß stehen­ bleiben würde. Den jungen deutschen Kaiser hielt man für unberechenbar. Der entstandene Argwohn schärfte die Sorge, daß sich das „persönliche Regiment" in Berlin einem antirussischen Kollisionskurs, womöglich einem Angriffskrieg, verschreiben könnte12. Tatsächlich waren die Militärs die treibenden Kräfte der russisch-französi­ schen Allianz. Obručev, der davon ausging, daß ein künftiger Krieg alle eu­ ropäischen Mächte verwickeln werde, faßte zweierlei ins Auge: zum einen wollte er im Konfliktfall die Mobilisierung der französischen und der russischen Armeen synchronisiert sehen, zum andern hoffte er, daß eine Allianz dem Za­ renreich die Möglichkeit geben werde, einen deutsch-französischen Krieg zur Abrechnung mit Österreich zu benutzen. Die unter Boulanger und F reycinet verstärkte Kampfkraft des potentiellen Partners gab solchen Überlegungen Plausibilität13. Der französische Generalstab wollte den russischen Beistand gegen Deutschland haben, ohne jedoch bei einem russisch-österreichischen Konflikt zur Unzeit marschieren zu müssen. Diese militärpolitische Interessen­ differenz hat die Verhandlungen zwischen den Generälen Boisdeffre und Obru­ čev zähflüssig und Kompromisse nötig gemacht. Ungleich stärkeren Wider­ stand leistete Giers. Auch der aufsehenerregende F lottenbesuch in Kronstadt, der den Zaren die Marseillaise tolerieren ließ, vermochte die Bedenken gegen eine Militärkonvention nicht aufzuweichen. Infolgedessen war der Außen­ minister darauf bedacht, die politischen Abreden von „kompromittierenden" Bindungen freizuhalten. Die von Alexander im August 1891 gebilligte Entente sollte Rußland nicht der Automatik von Bündnisverpflichtungen unterwerfen, die keinen Handlungsspielraum mehr gewährten. Giers suchte ein cordiales Verhältnis zu Paris, „ein gewisses Gegengewicht", „einen wohltätigen Kräfte­ ausgleich", keine militärische Allianz, die Deutschland brüskieren müßte. Ein Konsultationsversprechen für den Krisen- und Aggressionsfall, das hinsichtlich gemeinsamer Sofortmaßnahmen vage blieb, schien ihm ausreichende Sicherun­ gen zu bieten14. Auch Vyšnegradskij meinte, daß ein Militärbündnis dem russischen Interesse zuwider sei; angesichts der alarmierenden F inanzlage hielt er es für unerläßlich, jedes internationale Risiko zu meiden, das „F rieden und Ruhe" gefährden könnte. Nach wie vor schien er der Annäherung an Frankreich einen Ausgleich mit Deutschland vorzuziehen. Der ökonomische und finanzielle Notstand Rußlands sprach nicht für sondern gegen die Allianz. Mehr als zwei Jahre gingen ins Land, ehe der Kriegsminister Vannovskij den schwankenden Zaren dazu bewegen konnte, auch die Militärkonvention (in der F assung vom 17. August 1892) zu beglaubigen. Der Panamaskandal, in den auch Mohrenheim, der russische Botschafter in Paris, verwickelt war, hatte 135 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Giers die Möglichkeit gegeben, antirepublikanische Emotionen des Zaren immer wieder zu beleben und die Aggressionen zu dämpfen, die der Herrscher gegenüber seinem deutschen Neffen hegte15. Nicht das deutsche Militärgesetz von 1892, sondern die mit dem russischen Flottenbesuch in Toulon koordinierte Visite zweier französischer Kreuzer in Kopenhagen, wo sich Alexander im Oktober 1893 aufhielt, scheint den letzten Anstoß dafür gegeben zu haben, daß der Zar dem resignierenden Giers gegen Jahresende die Konvention endlich zu ratifizieren befahl16. Das Bündnis hatte den Charakter eines Defensivabkommens gegen die Dreibundmächte. Bei einem deutschen Angriff oder einem von Berlin unterstützten italienischen Angriff auf Frankreich sollte Rußland mit 700 000 bis 800 000 Mann gegen Deutschland losschlagen; die gleiche Reaktion versprach Frankreich mit 1,3 Millionen Mann für den Fall, daß Rußland sich einem deutschen oder einem von Berlin unterstützten österreichischen Angriff gegenübersehe. Verstärkt wurde die Verpflichtung durch die Klausel, bereits die Mobilisierung einer einzelnen Dreibundmacht mit der sofortigen Totalmobilisierung zu beantworten. Von den Generalstäben sollten die Modalitäten operativen Zusammenwirkens alsbald vereinbart werden. Nicht das Anleihebegehren des Finanzministers, sondern das Sicherheitsdenken der militärischen Planer hatte am Jahresende 1893 traditionelle Operationsmuster der Petersburger Diplomatie zurückgedrängt und das Bündnis durchzusetzen vermocht. Dennoch war es unausbleiblich, daß die Finanzbeziehungen und die politisch-militärische Allianz zwischen Petersburg und Paris dauerhaft ineinandergriffen17. Die wechselseitige Abhängigkeit, die damit begründet war, glich einem Gläubiger-Schuldner-Verhältnis, doch kann das spezifische Gewicht der beiden Verbündeten durch Auszählung wachsender russischer Zahlungsverpflichtungen nicht zureichend ermessen werden. Die politische und militärische Bedeutung, die das russische Imperium für Frankreich besaß, hat die Kapitalschwäche Rußlands zu guten Teilen aufgewogen. Tatsächlich ist Rußland — ungeachtet seiner Abhängigkeit und inneren Krisen — vor dem Ersten Weltkrieg nie auf die Stufe des Ottomanischen oder des Chinesischen Reiches abgesunken, geschweige denn auf den Status einer Kolonie. Es wurde kein Spielball der französischen Politik, sondern blieb ein Partner eigenen Rangs. Daß die durch Kapitalabhängigkeit abgestützte Partnerschaft den Russen lästiger werden konnte als den Franzosen, ist einzusehen. Doch waren die Möglichkeiten der Pariser Regierung, das Wohlverhalten Petersburgs durch kreditpolitische Renitenz zu erzwingen, nicht unbegrenzt. Obwohl die Regierung und die Finanzoligarchie in Frankreich zumeist eng kooperierten, hatten Außenminister und Finanzminister bei der Einwirkung auf die Börse stets die innenpolitisch stabilisierende Funktion des französischen Kapitalexports in Rechnung zu ziehen. Das Instrument staatliche Finanzlenkung ließ sich nur behutsam einsetzen und blieb zumeist auf Empfehlungen beschränkt, denen sich die Banken jedoch nur selten versagten18. Auch ist zu beachten, daß die französische Republik in den neunziger Jahren keineswegs als ein Hort der Stabilität

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gelten konnte, sondern von Krisen und Skandalen erschüttert und durch die koloniale Konfrontation mit England in Anspruch genommen wurde. Diese labile, auch industriell stagnierende Macht vermochte der russischen Regierung eine inferiore Satellitenrolle nicht zuzuweisen. Für Petersburg war es dennoch nicht leicht, Gleichgewicht in der Allianz zu wahren. Die Schwierigkeiten lassen sich an dem Ineinander der politischen und der finanziellen Beziehungen gut verdeutlichen. Nach Abschluß der Mili­ tärkonvention hatte Witte rasch die Erfahrung machen müssen, daß das Bünd­ nis für seine nahezu unbegrenzten Anleihewünsche ein keineswegs verläßlicher Hebel war. Die F inanzagenten des Ministers, vorab der Pariser Platzhalter A. Rafalovič und der mit besonderen Missionen betraute Petersburger Groß­ bankier A. Rothstein, stießen 1894/95 bei der französischen Hochfinanz und in den Ministerien auf steifen Wind19. Während ihnen vorgehalten wurde, daß der Pariser Kapitalmarkt mit Russenwerten überschwemmt sei und neue Ope­ rationen den Kurs der bereits kotierten Papiere schädigen werde, reagierten Presse und Börse mit größter Empfindlichkeit auf jede russische Bemühung, neue Gläubiger in Berlin, London oder New York zu suchen. Die Exklusiv­ rechte, die die französischen F inanzkönige gegenüber der auswärtigen Kredit­ politik Petersburgs stillschweigend, oft auch unverblümt beanspruchten, be­ wogen sie keineswegs dazu, Witte Präferenzen einzuräumen. Der F inanzminister hatte also guten Grund, sich den deutschen Markt nach Möglichkeit offen zu halten und sondieren zu lassen, ob die englische und die amerikanische F inanzwelt für Rußland zu interessieren sei. In London und New York waren die Chancen jedoch nicht gut. Nachdem 1894 eine 400-Mill.Frcs.-Anleihe unter Beteiligung Berliner und Londoner Banken plaziert worden war, kamen die russischen Agenten in den folgenden Jahren weder in England noch in den USA voran20. In den wiederholten Kontakten mit Nathan Roth­ schild wurde den Emissären Wittes bedeutet, daß nur ein politischer Ausgleich zwischen Rußland und England die britischen Bankiers dazu bewegen könne, russischen Wünschen ihr Ohr zu leihen. Selbst der Abschluß des russisch-engli­ schen Abkommens über beiderseitige Eisenbahninteressen in China (16./28. April 1899) brachte keine fühlbare Wendung. Daß ein Londoner Bankhaus im Sommer 1899 vierprozentige, staatlich garantierte Eisenbahnobligationen im Wert von 2,975 Mill. Pfund Sterling aufnahm, veränderte das Klima um so weniger, als trotz des geringfügigen Volumens nur etwa ein Viertel der Papiere in England blieb. Auch die schleppenden Verhandlungen, die Rothstein 1898/99 mit dem amerikanischen F inanzmagnaten John P. Morgan führte, verliefen im Sand. Wittes Strategie, zwischen den Börsen der europäischen Hauptstädte und Amerika zu lavieren, griff nur unvollkommen. Allein die deutschen Groß­ banken, mit Mendelssohn und Bleichröder an der Spitze, blieben für russische Eisenbahnpapiere ansprechbar21. Das Druckmittel, das Witte damit gewann, erwies sich in Paris jedoch nur als beschränkt verwendungsfähig. Von den Werten in Höhe von etwa 2,2 Mrd. Rubel, die der F inanzminister während seiner Amtszeit (1892 bis 1903) unterbringen konnte, gingen nahezu die Hälfte

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in französische, ein Viertel in deutsche Portefeuilles. Schon diese Relationen zeigen, daß der russische Kapitalimport im internationalen Kräftefeld der Regierungen und der Hochfinanz politisch höchst sensibel war. Die französische Seite ließ nichts unversucht, um die russische Politik zur Stützung eigener imperialistischer Interessen in Ostasien und im Nahen Osten einzusetzen22. Gewährung und Versagung von Anleihen wurden als Mittel der Loyalitätssicherung immer wieder erprobt. Die Vergabe französischer Kredite an den russischen Alliierten war zumeist mit dem Verlangen verknüpft, Petersburg zu militärpolitischen, diplomatischen oder ökonomischen Gratifikationen zu bewegen. Da diese doppelte Rentabilitätsrechnung nicht regelmäßig aufging, sondern sich am Widerstand Wittes oft zerschlug, kamen zwischen den Allianzpartnern ungetrübte Freundschaftsgeühle nur selten auf. Daß das russische Interesse mit dem französischen in finanzpolitischer Hinsicht gelegentlich auch harmonieren konnte, zeigte sich zum Zeitpunkt des chinesisch-japanischen Krieges in der Ostasienpolitik. Von Mohrenheim, Rothstein und dem französischen Außenminister Hanotaux angebahnt, war es im Sommer 1895 zu einem Anleihekontrakt gekommen, der dem Witteschen Konzept einer „friedlichen Penetration" der Mandschurei ebenso dienlich werden sollte wie dem französischen Begehren, die Aktivität deutscher und englischer Kapitalgesellschaften in China eingedämmt zu sehen. Eine französische Bankengruppe (Crédit Lyonnais, Hottinguer, Banque de Paris et Pays-Bas) sorgte dafür, daß Li Hung-chang mit Hilfe einer russischen Staatsanleihe die an Japan zu zahlenden Kontributionen leisten konnte. Dem russischen Interesse am Bau der Ostchinesischen Bahn, das die neugegründete Russisch-Chinesische Bank im folgenden Jahr zu realisieren begann, wurde damit Bahn gebrochen23. Auch die Geschichte einer 400-Mill.-Francs-Anleihe vom Juli 1896, mit der Witte seine Geldreform abzustützen hoffte, war mit den russisch-französischen Allianzbeziehungen verquickt, diesmal mit der konfliktträchtigen Lage im Orient, wo sich Rußland dem französischen Verlangen nach Teilnahme an der Ottomanischen Schuldenverwaltung entzog und Paris durch Forcierung russischer Bosporus-Ambitionen in Unruhe versetzte. In dieser Situation fühlte sich Witte stark genug, französischen Zumutungen zu widerstehen, deshalb vermutlich, weil er die ostentative Kreditbereitschaft deutscher Banken in Paris ausspielen konnte24. In den folgenden Jahren sollten die russischen Unterhändler in Paris jedoch wachsenden Pressionsversuchen begegnen. 1897, als Witte um die Übernahme von Pfandbriefen der russischen Adelsbank verhandeln ließ und eine neue China-Anleihe spruchreif wurde, häuften sich die Forderungen. Die Pariser Rothschilds verlangten von Petersburg erneut ein Kreditmonopol und beschuldigten Witte, bei den nach Berlin vergebenen Eisenbahnobligationen den Pariser Markt diskriminiert zu haben. In der Presse fanden sich pessimistische Urteile über die Erfolgschancen des russischen Entwicklungsprogramms. Auch der Anschluß des Rubels an die Goldwährung, der den französischen Bimetallisten Verluste brachte, nährte Unzufriedenheit. Finanzminister Cochery interve138 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

nierte gegen das russische Verfahren, Börsenwerte unter Umgehung der französischen Finanzbehörden unterzubringen; Hanotaux klagte über die mangelnde Effektivität der Allianz 25 . In Petersburg gewann man den Eindruck, zwischen Quai d'Orsay und Finanzministerium bilde sich eine wohldurchdachte Arbeitsteilung aus, um im Bund mit den Banken gegen russische Wünsche Barrikaden zu bauen. Auch Forderungen, den russischen Zolltarif zugunsten Frankreichs gelinder zu machen, wurden jetzt ins Spiel gebracht. Der Stagnation des französischen Exports sollte durch russische Industrieaufträge abgeholfen werden. Unerfreuliche Auseinandersetzungen schlossen sich an. Während sich Hanotaux bei Witte beschwerte, daß die Petersburger Handelspolitik den Deutschen auf dem russischen Markt zu ökonomischer Hegemonie verhelfe, konterte Witte mit dem Hinweis auf die hohen französischen Industriepreise und auf das ungebührliche Ansteigen der französischen Zölle zu Lasten des russischen Getreideexports. Die Verstimmung nahm zu, als Petersburg sich im Sommer 1897 anschickte, Peking mit einer international gestreuten Anleihe abermals zu Hilfe zu kommen. Jetzt verlangte der französische Außenminister stärkeren Einfluß auf die Administration der Russisch-Chinesischen Bank und drohte, dieser Finanzagentur der russischen Chinapolitik den französischen Kapitalmarkt zu verschließen. Vergeblich versuchte Witte, der in chinesischen Angelegenheiten nicht nachzugeben gesonnen war, die Atmosphäre durch Lokomotivbestellungen in Frankreich zu entspannen26. Aus mehreren Gründen nahmen die Ärgernisse, die der russisch-französischen Allianz erwuchsen, 1898/99 noch bedrückendere Formen an. Nach der Geldreform war der Kapitalhunger der russischen Staatskasse besonders akut geworden, während die französische Neigung, neue Russenpapiere zu akzeptieren, nahezu verloren ging. Wie erwähnt, waren in dieser Zeit auch keine englischen oder amerikanischen Banken für Petersburg zu gewinnen. In Paris wurden im Spätsommer 1898 lediglich Pfandbriefe der Adelsbank zugelassen. Eisenbahnanleihen, die in Paris einer hohen Kapitalsteuer unterlagen, hatten wiederum nur in Berlin Aufnahme gefunden. Sie deckten den Finanzbedarf des Zarenreiches bei weitem nicht. Steigende Rüstungslasten und negative Zahlungsbilanzen schufen für Witte notstandsähnliche Verhältnisse. Seit dem Frühjahr 1898 sah er sich von dem neuen Kriegsminister Kuropatkin bedrängt, der außerordentliche Zuweisungen für die rasche Umrüstung der Artillerie verlangte, nachdem die Deutschen durch Einführung der 77mm-Schnellfeuerkanone ihre Überlegenheit abermals hatten ausbauen können. Auch die russische Fernostpolitik, die mit dem Griff nach Port Arthur nun militantere Züge annahm, erforderte fortlaufend neue Investitionen, zu schweigen von den Kosten der Transsibirischen Bahn, der mandschurischen Linien und des neuen Flottenprogramms27. Der krisenhafte Zustand der Staatsfinanzen hatte auch die Zirkularnote des Außenministers Graf Murav'ev vom 24. August 1898 hervorgebracht, dank derer im folgenden Jahr die internationale Friedenskonferenz im Haag zu-

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Stande kam. Witte, dem diese Initiative nicht zuwider war, konnte schwerlich erwarten, daß der russische Vorschlag, „der progressierenden Entwicklung der Rüstungen ein Ende zu setzen", bei den Großmächten Wohlgefallen finden werde. Dennoch mochte er auf eine doppelte Wirkung bauen: Die Offerte kam dem Wunsch des Ministers entgegen, sich den hartnäckigen Budgetforderungen der russischen Militärs wenigstens kurzzeitig zu entwinden, nicht durch Geld, sondern durch spektakuläre diplomatische Veranstaltungen. Außerdem aber gab die Versicherung, daß Rußland die Rüstungsausgaben und die Friedensstärke von Armee und Flotte gegebenenfalls einzufrieren bereit sei, dem Alliierten ein beunruhigendes Signal. Der französische Militärattaché in Petersburg verstand sehr gut, daß Witte vor allem nach Geld verlangte und in überaus bedrängter Lage war. Von einem Erfolg dieser Propagandastrategie konnte indessen keine Rede sein. Zwar wurde das von der Faschoda-Krise in Atem gehaltene Frankreich aufgeschreckt und fand Anlaß, sich der Bedürfnisse des russischen Partners zu erinnern. Doch das Dilemma bestand darin, daß für Petersburg der Eindruck der Franzosen, die Note Murav'evs sei womöglich als „der Anfang des Zerfalls" der russisch-französischen Allianz aufzufassen, kaum förderlich war. Kuropatkin, wenig später auch der Außenminister, reisten im Oktober 1898 nach Paris, um die russische Bündnistreue zu bezeugen. Wenig später kam Witte selber an die Seine, um die französische Kreditbereitschaft zu erkunden28. Dabei zeigte sich, daß die Pariser Regierung wie auch die Bankhäuser zu finanziellen Sonderangeboten nicht zu bewegen waren. Der französische Kapitalmarkt blieb für die Russen ein hartes Pflaster. Trotz anhaltender Verhandlungen der Finanzagenten und der Diplomaten waren 1899 lediglich innerrussische Anleihen, die Pfandbriefe der Adelsbank, in unzureichenden Partien unterzubringen. Umfangreicheren Kreditoperationen stand die sich in Europa ausbreitende, durch den Burenkrieg verschärfte Börsenflaute entgegen, unter der nicht zuletzt die Russenwerte litten. Ohne politische Zugeständnisse waren in der weltwirtschaftlichen Krisenphase der Jahrhundertwende offensichtlich keine französischen Finanzierungshilfen zu erwarten. Dabei ging es nicht allein um zollpolitische Zusagen und Aufträge für die französische Industrie, sondern nun auch um militärstrategische Projekte, mit denen der französische Generalstab die antibritische Frontstellung der Allianz zu verstärken suchte. Durch die ausdrückliche Versicherung, daß die Abreden von 1891/93 in Geltung blieben, wurden die Rahmenbedingungen des Bündnisses im Sommer 1899 von beiden Partnern neu bestätigt. Im übrigen aber war Außenminister Delcassé zu einer neuen 200-Millionen-Rubel-Anleihe nur bereit, wenn Rußland mit dem Bau der Eisenbahnlinie Orenburg — Taškent beginne, mit einem Unternehmen, das die Transkaspische Linie und das zentral russische Schienennetz verbinden sollte. Witte ließ sich eine Zusage nur unter großem Widerstreben abringen; Weiterbau und Vollendung der fernöstlichen Bahnen hatten für ihn 140 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Vorrang vor unrentablen Linien, an denen nur die Generalstäbe Gefallen fanden29. In dem Maße, wie die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise sich entfaltete, wurden die russischen Finanzen weiter lädiert. Überdies brachten die Kosten der mandschurischen Militärexpedition, mit der Rußland den Boxeraufstand beantwortete, dauerhafte Belastungen. Vergeblich hatte Witte gehofft, daß ein im Sommer 1900 nach zähen Verhandlungen mit Morgan geschlossener Kontrakt einen „moralischen Effekt" auf die Kapitalmärkte ausüben werde. Aber der New Yorker Bankier, der ohnedies nur 50 Mill. Dollar zu geben bereit war, wollte die Realisierung mit neuen Auflagen verknüpft sehen, so daß der verärgerte Finanzminister das Arrangement schließlich annullieren ließ30. Auch ein anderer Versuch, der darauf ausging, vierprozentige Rentenpapiere der inneren Staatsanleihe an den Auslandsbörsen unterzubringen, hatte nur mäßigen Erfolg. Die Nachfrage war rapide zurückgegangen. Erst nach dem Fortfall der fünfprozentigen Kapitalsteuer für ausländische Käufer gelang es im Frühjahr 1901, die Pariser Rothschilds zur Übernahme jener Werte zu bewegen. Witte mußte sich überdies verpflichten, für die Dauer eines Jahres (bis März 1902) im Ausland keine anderen staatlichen oder staatlich garantierten Papiere anzubieten. Um die gleiche Zeit erzwang der französische Finanzminister Caillaux die Stützung krisengefährdeter Industrieunternehmen in Rußland, in die französische Direktinvestitionen eingeflossen waren31. Auch der Petersburger Besuch Delcassés im April 1901 erleichterte Wittes Lage nicht. Die Ratifizierung der revidierten Militärkonvention, die Rußland für den Fall eines britischen Angriffs auf Frankreich verpflichtete, 300 000 Mann an den mittelasiatischen Grenzen gegen Indien und Afghanistan aufzubieten, ließ neue finanzielle Belastungen erwarten. Neben dem Verlangen nach Beteiligung Rußlands an der Bagdadbahn drängte der französische Außenminister abermals auf den Bau strategischer Linien. Dabei ging es nun nicht mehr allein um die Strecke Orenburg — Taškent, sondern um ein zusätzliches Projekt, das zwischen den Generalstäben bereits ausgehandelt worden war: um eine zweigleisige, 1100 km lange Bahn, die vom Knotenpunkt Bologoe (an der Linie Petersburg — Moskau) über Velikie Luki und Polock nach Siedice in Kongreßpolen führen und die Konzentration mobilisierter Feldtruppen gegen Deutschland um vier Tage verkürzen sollte. Gegen den Doppeldruck, den Kuropatkin und Delcassé ausübten, hat Witte beim Zaren sich nicht durchzusetzen vermocht. Ohne finanzielle Zusicherungen erlangt zu haben, hatte er zu akzeptieren, daß Nikolaj II. im Mai 1901 den Bau dieser ökonomisch unrentablen Bahn verfügte. Der beharrliche Versuch des Finanzministers, die Kosten durch eine neue Anleihe in Höhe von 200 Mill. Rubel in Paris sicherzustellen, führte zu ermüdenden Kontroversen mit Caillaux. Auch im Außenministerium waren die Bedenken groß, daß die strategischen Eisenbahnprojekte den Beziehungen zu London und Berlin abträglich seien. Erst im August ließ sich die französische Seite dazu bewegen, der geforderten Anleihe zuzustimmen; Witte mußte

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versichern, bis 1904 weitere Plazierungen auf dem Pariser Markt zu unterlassen32. Wie miserabel das Klima für den russischen Kapitalimport in Frankreich geworden war, zeigten ausgreifende Zeitungskampagnen, die sich an den Kursstürzen russischer Industrieaktien entzündeten. Die krisenhafte Wirtschaftslage des Zarenreiches wurde in düsteren Farben popularisiert, die Petersburger Behörden der systematischen Benachteiligung französischer Kapitalanleger geziehen. Auch die von Delcassé gewünschte Visite des Zaren in Dünkirchen, die Nikolajs II. Teilnahme an deutschen Flottenmanövern kompensieren sollte, vermochte im September 1901 die französische Publizistik nicht zu besänftigen. Witte hatte den Vorstellungen seines Pariser Agenten nachzugeben, daß zur Hebung des russischen Ansehens bei den Börsenmaklern fortan ein „Tribut" von etwa 150 000 Rubel jährlich unerläßlich sei33. In der Tat haben sich bis zum russisch-japanischen Krieg weitere russische Anleihen in Frankreich nicht realisieren lassen. Einen gewissen Auslauf bot allein Berlin. Angesichts der französischen Harthörigkeit forcierte Witte die 1901 dort angebahnten Verhandlungen. Im März 1902 kam ein umfangreiches Anleihegeschäft (nahezu 200 Mill. Rubel) mit einem von Mendelssohn inspirierten Konsortium zustande, ein Ergebnis, das für die russische Seite nicht übel war. Der rasche Abschluß hatte die Absicht der deutschen Diplomatie durchkreuzt, die Emission von zollpolitischen Zusagen abhängig zu machen, die in den bevorstehenden Handelsvertragsverhandlungen hätten eingelöst werden sollen34. Da die Anleihe überdies den russischen Anteil an der chinesischen Kontribution (für den Boxeraufstand) einbezog, wirkte sie zugleich dem französischen Interesse an der finanzpolitischen Steuerung der russischen Fernostpolitik entgegen. Witte nutzte den Anlaß, um öffentlich zu demonstrieren, daß Rußland auf französische Kapitalhilfe durchaus nicht angewiesen sei. In einem Artikel im Petersburger „Vestnik finansov, promyšlennosti i torgovli" (April 1902) hat er die deutsche Anleihe in diesem Sinn interpretieren lassen: Der Vorgang widerlege die Unterstellungen der französischen Presse, daß Rußland die Allianz mit Frankreich zum Hebel finanzieller Pressionen mache und den französischen Kleinkapitalisten auf der Tasche sitze; das russisch-französische Bündnis habe mit der auswärtigen Geldpolitik nichts zu tun; „in unserem materialistischen Zeitalter" dominiere in wirtschaftlichen Fragen allein das kommerzielle Interesse; wie das deutsche Beispiel zeige, bedürfe Rußland keiner Allianz, um auf den europäischen Kapitalmärkten zurecht zu kommen35. Das robuste Selbstbewußtsein, mit dem Witte deutsche und französische Interessen gegeneinander auszuspielen verstand, macht darauf aufmerksam, daß sich die Kapitalabhängigkeit Rußlands nicht automatisch in politische Botmäßigkeit umsetzen ließ. Tatsächlich gab der deutsch-französische Antagonismus der russischen Politik einen Bewegungsspielraum, der es erlaubte, Pariser Zudringlichkeiten abzuwehren oder sich, wie bei der fiskalischen Stützung französischer Direktinvestoren, mit marginalen Zugeständnissen zu begnügen. 142 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Nicht zuletzt Bülows Versuche, Rußland von Frankreich abzuziehen, empfahlen dem französischen Kabinett eine pflegliche Behandlung seines östlichen Alliierten. Aber nicht nur die Bedeutung des Zarenimperiums als Bündnispartner, auch innergesellschaftlicher Konsequenzen der Kapitalbeziehungen haben die Stabilität Rußlands zu einem französischen Staatsinteresse werden lassen. Ein Finanzbankrott Petersburgs hätte die breite, bis ins Kleinbürgertum hineinreichende Schicht französischer Anteilseigner schwer getroffen und die innenpolitische Position der Pariser Regierung empfindlich berührt. Etwa ein Viertel aller französischen Auslandswerte, ca. 7 Mrd. frcs., waren um die Jahrhundertwende in Russenpapieren und russischen Industrieunternehmen angelegt36. Die Bündnisfähigkeit wie die Zahlungsfähigkeit Rußlands waren zu Fundamentalbedingungen der französischen Politik geworden. Das galt selbst dann noch, als der geborgte Imperialismus Rußlands in den Krieg mit Japan verwickelt wurde und die folgenden revolutionären Erschütterungen den Bestand des Regimes zutiefst gefährdeten. Zwar vermochte Paris das bedrängte Petersburg im Sommer 1905 durch eine zeitweilige Finanzsperre zur Aufgabe des verlustreichen Krieges zu bewegen; aber der Gläubiger sorgte in wohlverstandenem Eigeninteresse schließlich doch dafür, daß der Schuldner in den Wogen der Revolution nicht unterging. Der französische Beitrag zur Rettung des Zarismus war nicht gering37.

4. Expansion in Ostasien Zu den internationalen Folgen der russischen Industrialisierung gehören nicht allein die bisher beschriebenen Formen handeis- und kapitalpolitischer Abhängigkeit. Nicht minder charakteristisch war, daß sich der staatlich gelenkte Wirtschaftsausbau alsbald auch der entlegenen Außenräume des Reiches bemächtigte und zumal die russische Fernostpolitik mehr und mehr zu einer Domäne des Finanzministers werden ließ. Damit schien die traditionelle Strategie militärkolonialer Penetration, die bei der Eroberung Transkaspiens noch dominant gewesen und mit Methoden wirtschaftlicher Einflußsicherung nach Persien hin verlängert worden war, moderne, imperialistische Qualität zu gewinnen. Für die dynamische Verknüpfung überkommener Machtinteressen, forcierter Industrialisierung und imperialistischer Expansion hat die Ostasienpolitik Wittes exemplarischen Rang: Ihr Vehikel war die Eisenbahn, ihr Instrument — das mit der Petersburger Staatskasse verschwisterte Banken- und Anleihekapital, ihr erklärtes Ziel — die langfristige Erschließung von Absatzmärkten, die „friedliche Durchdringung" ökonomisch unentwickelter, machtentleerter Territorien, die Stärkung der imperialen Position des Zarenreiches. Wittes internationaler Konkurrent war der moderne Imperialismus der industriell entwickelteren Staaten, der sich in eben dieser Zeit nicht nur in Afrika, sondern ebenso in China neuen Auslauf schuf.

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Hier lagen außerordentliche Risiken, wie sie die Petersburger Diplomatie auf der europäischen Szene einzugehen seit San Stefano stets gemieden hatte. Denn anders als in Mittelasien und in Persien, wo die Konfliktlage wesentlich auf den russischen Gegensatz zu England beschränkt geblieben war, stießen in China die virulenten Interessen aller Großmächte aufeinander. Auch bildeten sich in Ostasien nicht lediglich die gewohnten Konstellationen wieder ab, die das europäische „Konzert" gekennzeichnet hatten. Der Machtanstieg des sich rasch modernisierenden japanischen Inselreiches, aber auch die Aktivierung der amerikanischen Chinapolitik hatten hier ein unbalanciertes, konfliktanfälliges System geschaffen und die zu investierenden Kosten unberechenbar gemacht. An dem Vermögen, das eigene Vorgehen rational zu kalkulieren und zu steuern, sollte sich erweisen, ob Petersburg den Anforderungen moderner „Weltpolitik" gewachsen war. Aber nicht nur die konkurrierenden Mächte haben dem Vordringen Rußlands Grenzen gesetzt. Binnen weniger Jahre kam zum Vorschein, daß diese Grenzen nicht minder in den strukturellen Schäden des Zarenreiches selber lagen: in der Führungsschwäche des autokratischen Regimes, das die konfligierenden Ambitionen der russischen Machteliten nicht zu vereinheitlichen verstand; in der Armut einer destruierten Agrargesellschaft, die die Instabilität der sozialen und politischen Ordnung verschärfte; in den kolonialen Zügen einer Industrialisierung, deren Produkt der geborgte Imperialismus Wittes war. 4.1. Konzept und Praxis „friedlicher Durchdringung" Wie unmittelbar die russische Fernostexpansion mit den ökonomischen Entwicklungskonzepten und der wirtschafts- und finanzpolitischen Praxis Wittes zusammenging, hat namentlich der Leningrader Historiker B. A. Romanov in grundlegenden Forschungen dargetan1. Dem großen Experiment einer auf Kapitalimport und Protektionismus gegründeten Industrialisierung sollten in Asien neue Ressourcen und Märkte geöffnet werden, ein eigener, unermeßlich weiter Bewegungsraum, in dem Rußland die Vorteile seiner Nachbarschaftslage zugute kämen. Dabei wirkten Wittes Argumente ein, daß das Imperium seine historische „Verspätung", seine Rolle als Ausbeutungskolonie der entwikkelteren Mächte, mithin: die Gefährdung seiner Unabhängigkeit nur dann zu überwinden vermöchte, wenn es fähig werde, selbst ein „Metropoliestaat" zu sein. Wie kein anderer Zarendiener vor ihm hat dieser Finanzminister die Ökonomie als Kategorie der Macht begriffen. Für ihn schien das imperiale Interesse Rußlands in wirtschaftlicher Modernisierung aufzugehen, in der Revolution des Verkehrs, im dauerhaften Gewinn einer dominierenden Rolle zwischen Europa und Asien. Der Bau der Transsibirischen Eisenbahn mit seinen alle bisher gewohnten Maßstäbe sprengenden Dimensionen galt ihm dafür als eine fundamentale Voraussetzung. Die große Magistrale sollte der russischen Volks144 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Wirtschaft die ungehobenen Schätze Sibiriens erschließen und als Hebel des ökonomischen Aufschwungs zur Wirkung kommen. Sie sollte Gleitschiene sein für eine dynamische Politik, deren Ziel es wäre, das Zarenreich als Wirtschaftsmacht im benachbarten Ostasien in Erscheinung zu bringen — nicht nur, wie Witte verdeutlichte, als Durchgangsland für den internationalen Handel, sondern als „Großproduzent und Konsument" von eigenem Gewicht. Diese nach China, Korea und Japan ausgreifende Planung hatte durchaus visionäre Züge, die den Vorgängern Wittes fremd geblieben waren. Der auf die Schonung seines Sparhaushalts bedachte Vyšnegradskij hatte 1891 dem Baubeginn der transsibirischen Linie, der von Vladivostok und Westsibirien aus gleichzeitig in Angriff genommen werden sollte, nur widerstrebend zugestimmt, weil ihm die Finanzierung und der wirtschaftliche Nutzen gleichermaßen schleierhaft erschienen waren. Für Witte hatten solche kleingeschnittenen, in der fiskalischen Tradition des Petersburger Finanzministeriums verharrenden Bedenken wenig Gewicht. Bereits im ersten Rechenschaftsbericht, den er im November 1892 erstattete, ist der moderne, imperialistische Stil seiner Argumentation mit Händen zu greifen. Ökonomische Rationalität und irrationale Ausschweifung lagen hier dicht beieinander: Das Bahnprojekt wurde zu einem „Weltereignis" stilisiert, das eine neue Epoche in der Geschichte der Völker einleiten und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten von Grund auf verändern werde2. Diese Prognose stimmte mit dem lebhaften Plädoyer überein, das schon 1889, im Planungsstadium der sibirischen Linie, auf der Nižnij Novgoroder Messe formuliert worden war: Damals hatten Sprecher der russischen Handelswelt den unschätzbaren Nutzen dieses Schienenweges beschworen, der 400 Millionen Chinesen und 35 Millionen Japaner mit Europa vereinigen und den russischen Handel instand setzen könnte, den „ökonomischen Kampf" zu bestehen, der im Stillen Ozean zwischen den großen Mächten entbrannt sei. Die Bahn werde die Ströme des Welthandels auf sich ziehen, weil der Weg von Europa über Vladivostok nach Shanghai dann nur noch 18 bis 20 Tage in Anspruch nehme, 25 Tage weniger als durch den Suezkanal, 15 Tage weniger als über die Canadian Pacific Railway, die 1886 eröffnet worden war 3 . So nahe dieses kommerzielle Räsonnement den Berechnungen Wittes kommen mochte, so wenig konnte er hoffen, daß Argumente aus der Mitte der Kaufmannschaft seinem Konzept politisch voranhelfen würden. Das Gewicht solcher vereinzelten Stimmen war gering. Da ihm um Konsens in den Petersburger Sphären zu tun sein mußte, war es nicht verwunderlich, daß sich der Minister alsbald der alten Formel von der „historischen Mission" Rußlands in Asien zu bedienen suchte. Seine Kommentare zu den Eingaben eines lamaistischen Eiferers, des Burjat-Mongolen P. A. Badmaev, sind für den Legitimationszwang, dem der Finanzminister unterlag, ein sprechendes Exempel. Dieser abenteuernde Projekteur hatte im Februar 1893 angeboten, Tibetaner, Mongolen und Chinesen zum Aufstand gegen die Mandschu-Dynastie zu führen, sie dem „Weißen Zaren" Untertan zu machen und diesen Machtgewinn durch eine 10 Geyer

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mit der sibirischen Magistrale zu verbindende Bahn tief ins Innere Chinas hin­ ein abzusichern. Wenn dies gelänge, so verhieß der Minister seinem Herrn, werde Rußland, im Besitz des Raumes zwischen den Küsten des Pazifik und den Gipfeln des Himalaya, nicht nur über die asiatischen, sondern gleicher­ maßen über die europäischen Affären gebieten. In einer auf Alexander III. zu­ geschriebenen Diktion trug Witte hier die ideologischen Ingredienzien eines spezifisch russischen Imperialismus vor, einer „Kulturmission" Rußlands, die sich nicht vom westlichen Standard der „Europäisierung" leiten lasse, sondern von eigenen Gesetzen, von den Prinzipien der Orthodoxie, der Selbstherrschaft und des russischen Volksgeistes4. Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit diese ideologische Begründung das Produkt festgefügter Überzeugungen war oder Ausdruck einer beweglichen Anpassungsfähigkeit an die F assungskraft des Zaren. In der Öffentlichkeit, die schon von der mittelasiatischen Expansion nicht elektrisiert worden war, fand der Gedanke einer russischen Asienmission nur geringen Widerhall5. Immerhin hat es der Minister auch unter veränderten politischen Konstellationen nicht verschmäht, seine Praxis ideologisch einzufärben und der Phantasie seines al­ lerhöchsten Gebieters aufzuhelfen. Die persönliche Vertrauensstellung, die der Fürst E. Uchtomskij, ein prominenter F etischist der russischen Sendung in Asien, bei Nikolaj II. genoß, mag Witte zu derlei Ausschweifungen angehalten haben. Noch seine nüchtern gehaltenen Vorlesungen vor dem Thronfolger Michail Aleksandrovič von 1901/02 waren von solchem Zuschnitt nicht frei: „Eine Kolonialpolitik braucht Rußland nicht, seine Auslandsaufgaben tragen einen nicht nur friedlichen, sondern sogar einen höchst kulturellen Charakter im wahren Sinne dieses Wortes, weil die Mission Rußlands im Osten, im Gegen­ satz zum Streben der westeuropäischen Mächte nach wirtschaftlicher und nicht selten politischer Unterjochung der Völker des Ostens, eine schützende und bildende Mission sein muß."6 Damals freilich, als die Mandschureikrise die systemgefährdenden Konsequenzen der F ernostpolitik zum Vorschein brachte, war Wittes Konzept einer „pénétration pacifique" schon vertan und der Minister veranlaßt, die megalomanische Überschätzung russischer Möglich­ keiten zu dämpfen, die er selber angestoßen hatte und die selbst den gehemm­ ten, eher ängstlichen Nikolaj II. noch im F ebruar 1903 davon träumen ließ, nicht nur die Mandschurei, sondern auch Korea, Tibet und Persien unter sei­ nem Zepter zu sehen7. Die oszillierende F açon der von Witte geförderten Expansionsideologie macht darauf aufmerksam, daß der Minister von Beginn an darauf angewie­ sen war, seine Politik gegen andere, oft widerstreitende Interessen durchzuset­ zen. Militärische, maritime und nicht zuletzt diplomatische Ambitionen und Axiome konkurrierten mit der wirtschaftsimperialistischen Intention des F i­ nanzressorts. Witte hatte sich der Tatsache zu stellen, daß seine Vorhaben we­ der das Außenministerium, noch den Kriegs- und den Marineminister unbe­ rührt lassen konnten. Hinzu kam, daß die Eisenbahnplanung und der damit verbundene Landesausbau in Russisch-Asien notwendigerweise tief in die Kom146 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

petenzen der ostsibirischen Administration eingriffen. Nach vielen Seiten hin hatte Witte also Gegensätze auszugleichen: durch die Kunst der Überredung oder auch dadurch, daß er seine zunehmend wachsende Machtstellung in die Waagschale warf. Forderungen des fernöstlichen Generalgouvernements mochten dabei noch die geringsten Schmerzen machen. Wie Witte erwartete auch der Chef der Amurprovinz von der Eisenbahn die Besiedlung und die wirtschaftliche Erschließung der ihm anvertrauten Territorien, auch Gegengewichte gegen die befürchtete Überfremdung Transbaikaliens und der Handelsplätze des Amurgebiets durch chinesische und andere „fremdstämmige" Bevölkerung. Überdies hatte die Hungerkatastrophe von 1891/92 dem Gedanken des Landesausbaus und der Besiedlung der jungfräulichen Gebiete im Osten Aktualität gegeben. In dem Ende 1892 begründeten ständigen Komitee, das die Bahnarbeiten steuern sollte, war projektiert worden, im Einzugsbereich der Linie, je 100 Werst beiderseits der Trasse, Bauerndörfer entstehen zu lassen, besetzt mit Menschen aus den übervölkerten inneren Gouvernements, vom Domänenministerium mit Land und fiskalischen Erleichterungen versehen, in entlegene Zonen expediert, die von den Eisenbahningenieuren und deren Arbeitsvolk der inneren Kolonisation zu öffnen wären8. Witte war indessen nicht nur auf bäuerliche Siedler aus. Intensiver noch bedachte er, daß die sibirische Bahn über 7000 Kilometer hin einer Kette industrieller Versorgungsbetriebe und Werkstätten bedürfe, daß die Rohstoffquellen und die gewaltigen Ströme Sibiriens nutzbar zu machen seien, damit die Eisenbahn eine eigene materielle Basis erhalte. Der stimulierende Effekt, der von der Kumulation von Streckenbau, industrieller Erschließung und bäuerlicher Kolonisation zu erwarten war, sollte die exorbitanten Kosten gerechtfertigt erscheinen lassen, die das nach 1894 rasch fortschreitende Werk der Staatskasse und den steuerpflichtigen Untertanen abverlangte. Zu Kontroversen mit dem Generalgouverneur der Amurprovinz ist es erst gekommen, als Witte von dem Vertrauten der chinesischen Kaiserin-Witwe, Li Hung-chang, im Mai 1896 die Konzession erhalten hatte, den Bahnbau quer über mandschurisches Gebiet nach Vladivostok zu führen. Jetzt hatte der Finanzminister gegen Kritiker anzugehen, die diesen Entschluß für einen „gewaltigen historischen Mißgriff" hielten und dafür plädierten, der Amur-Strecke und dem Ussuri-Abschnitt Vorrang zu geben. Wittes ostchinesische Bahn, so hieß es, werde militärisch nicht zu verteidigen sein, zumal eine rasche „Russifizierung der Mandschurei" nicht erwartet werden dürfe. Dem russischen Kolonisationswerk in Transbaikalien aber könnten dadurch unübersehbare Gefahren entstehen — von seiten der Japaner vor allem9. Tatsächlich war die fernöstliche Eisenbahn- und Wirtschaftsplanung um die Mitte der neunziger Jahre nicht mehr auf Probleme zu reduzieren, die im Colloquium zwischen dem Finanzministerium und den Sibirischen Behörden hätten ausgetragen werden können. Das große Unternehmen der Transsib hatte sich mittlerweile als eine außenpolitische Angelegenheit ersten Ranges erwiesen, mit militärischen Belangen aufs engste verwoben. Die Intervention des „Ostasiati-

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schen Dreibundes" (Rußland, Frankreich, Deutschland) in die chinesisch-japanische Friedensregelung von Shimonoseki (1895), das folgende russisch-chinesische Defensivbündnis (1896) und schließlich der Griff nach Port Arthur und Kwantung (1897/98) bestätigen, wie rasch Wittes Eisenbahnprogramm zu einem Hebel russischer „Weltpolitik" und ungeahnter Verstrickungen werden konnte. Bei der Würdigung der Risiken solcher Weltpolitik muß man sich vergegenwärtigen, daß sich das Engagement Rußlands keineswegs auf Ostasien beschränkte, sondern um die gleiche Zeit kaum minder intensiv durch die orientalische Frage in Anspruch genommen war. Die nahöstlichen Verwicklungen der Jahre 1895—1897, an denen der britisch-französische Gegensatz im östlichen Mittelmeer und in Nordafrika großen Anteil hatte, bedürfen hier keiner näheren Ausführung10. Gegen Jahresende 1896 fand sich Petersburg der Versuchung ausgesetzt, dem traditionellen Ziel russischer Orientpolitik, der Beherrschung der Meerengen, durch eine Landungsaktion am Bosporus Bahn zu brechen. Der von A. I. Nelidov, dem russischen Botschafter bei der Pforte, empfohlene Plan, schien der Regierung die Chance zu bieten, im Zug einer Mächteintervention in die innertürkischen Wirren ein eigenes „Gibraltar" am Schwarzmeerausgang einzurichten11. Wie sich zeigte, kam Rußland dabei der Politik Salisburys zeitweilig näher, als es dem Interesse seines französischen Alliierten zuträglich war. Ähnliches galt für die Neigung der Russen, den britischen Wünschen in Ägypten nachzugeben, wie für die Weigerung, der von französischem Kapital dominierten Ottomanischen Schuldenverwaltung beizutreten. Für unseren Zusammenhang bleibt wichtig, daß die russischen Militärs, aber auch der Zar, durchaus gesonnen waren, sich auf eine militärische Blitzaktion gegen den Bosporus einzulassen und dabei notfalls auch aus dem Konvenienzsystem der Großmächte auszuscheren. Witte, der als einziger vor „verderblichen Folgen" warnte, hat mit seiner Opposition indessen zur Zurückstellung des Vorhabens weniger beigetragen als der energische Widerstand der Pariser Regierung. Bedenkt man die gleichzeitigen Unternehmungen des Finanzministers im Fernen Osten, so durfte nach solchen Erfahrungen schwerlich erwartet werden, daß sich das Konzept friedlicher Durchdringung Chinas gegen konterkarierende Ambitionen diplomatischer oder militärischer Art dauerhaft würde absichern lassen. Ein Jahr nach der Stornierung des Nelidov-Plans befahl der Zar die Einnahme von Port Arthur, ein Vorgang, der neben allen spezifischen Faktoren durchaus als Ersatzhandlung für die versagt gebliebene Expedition zum Bosporus aufgefaßt werden kann. Solche militärischen Konsequenzen der ostasiatischen Expansionspolitik waren, wie man sehen muß, in Wittes Entwicklungsstrategie von Beginn an eingebaut. Schon für den Entschluß, mit dem Bau der Transsib zu beginnen, hatten im März 1891 weder Handels- noch Peuplierungsinteressen den Ausschlag gegeben, sondern strategische und diplomatische Argumente. Angesichts der wachsenden Aktivität der Großmächte im Fernen Osten war es darauf angekommen, die Ende der fünfziger Jahre erworbenen pazifischen Außenposi-

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tionen des Reiches verteidigungsfähig zu machen und, wenn möglich, durch ei­ nen eisfreien Hafen an der koreanischen Küste auszubauen. Auch Nachrichten über englische Mitwirkung an Eisenbahnprojekten in Nordchina hatten den Eindruck verstärkt, daß der russische F erne Osten bedroht sei, solange Vladi­ vostok mit dem innerrussischen Streckennetz noch nicht verbunden wäre12. Es ist leicht einzusehen, daß der japanisch-chinesische Krieg um die Vor­ herrschaft in Korea die militärstrategischen Gesichtspunkte in unerwarteter Weise aktualisierte und folgenreiche Entscheidungen nahelegte13. Dabei waren es nicht die Militärs, auch nicht die russische Diplomatie, die die Petersburger Fernostpolitik langfristig festlegen sollten. Außenminister F ürst Lobanov, Ge­ neralstabschef Obručev und der Großadmiral Großfürst Aleksej Aleksan­ drovič, denen die traditionelle Konfrontation mit England vor Augen stand, sprachen dafür, einen benevolenten Ausgleich mit Japan zu suchen und dabei produktive Pfänder einzuhandeln: eine Insel vor der koreanischen Ostküste oder einen eisfreien Hafen mit Landverbindung zur Küstenprovinz, dazu, wenn möglich, einen mandschurischen Grenzstreifen zur bequemeren Trassie­ rung der sibirischen Bahn. Witte dagegen kehrte diese Argumente um und setzte sich durch mit einem antijapanischen Kurs. Der Angriff Japans habe nicht China, sondern Rußland gegolten, der F riedensvertrag von Shimonoseki sei als Präventivschlag gegen die sibirische Magistrale anzusehen, deren Schutz fortan ein kostspieliges, in die Hunderttausende gehendes Truppenkontingent erfordern würde. Bliebe die südliche Mandschurei in japanischer Hand, so werde alsbald ganz Korea verlorengehen und der Mikado in Peking Einzug halten. Infolgedessen sei alles daran zu setzen, die Japaner vom chinesischen Festland wieder zu vertreiben und sei es um den Preis kriegerischer Verwick­ lungen14. Das Konfliktrisiko, das Wittes ultimatives Drängen enthielt, war, wie sich zeigte, nicht groß. Nicht durch die Beschießung japanischer Häfen, wie der Minister vorgeschlagen hatte, sondern durch eine mit Paris und Berlin verabre­ dete Démarche konnte Japan bis zum Mai 1895 gezwungen werden, sich mit chinesischen Kontributionen und der Abtretung F ormosas abzufinden und die Halbinsel Liaotung einschließlich Port Arthur zu räumen. Im Jahr darauf, im Moskauer Protokoll vom 28. Mai (9. Juni) 1896, mußte Tokio unterschrei­ ben, daß die „prinzipielle Integrität und Unabhängigkeit Koreas" unumstößlich sei und dem Lande nichts geschehen dürfe, was der russischen Regierung zu­ wider wäre15. Mit dieser Rückkehr zum Status quo hatten die japanischen Am­ bitionen in der Mandschurei und Korea einen empfindlichen Rückschlag erlit­ ten, ohne daß Petersburg als Bündnispartner Pekings sich fortan veranlaßt sah, den eigenen Aktionsspielraum in Ostasien eingeschränkt zu sehen. Daß die De­ mütigung des Inselreiches sich auf die Dauer als ein Pyrrhussieg erwies, ver­ deutlichte alsbald das japanische Rüstungsprogramm, - die Konsequenz eines vehementen Revanchismus, der dem Zarenreich schließlich ein Waterloo berei­ ten sollte16.

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Witte hatte, wie man sieht, darauf gedrängt, die „Freundschaft" Pekings zu Lasten Japans einzukaufen. Die selbstgewählte Rolle, als „Retter Chinas" aufzutreten, verhieß eine keineswegs bequeme, aber doch wirkungsvolle Vorzugsstellung am chinesischen Kaiserhof, eine ausbaufähige Grundlage zur Realisierung des russischen Ostasienprogramms. Witte versuchte, die wirtschaftsimperialistische Politik der „Offenen Tür" zu imitieren, ohne dabei den Anspruch auf das russische Dominat in der Mandschurei noch für verhandlungsfähig zu halten. Die nächsten Schritte sind bekannt: Im Juni 1895 trat die Petersburger Staatskasse als Vermittler und Garant der von Pariser Banken aufgebrachten China-Anleihe auf (400 Mill. frcs. zu 4 % ) ; mit ihrer Hilfe sollten die Pekinger Kriegsentschädigungen an Japan kreditiert und einer internationalen Schuldenverwaltung für China vorgebeugt werden, an der den Berliner und Londoner Banken gelegen war. Die russisch-französische Finanzverflechtung, die Interessenkonkordanz des Zweibundes, wurde nach Ostasien verlängert und rieb sich dort an der nicht selten wirksamen Kooperation englischer und deutscher Konsortien. Mit französischem Kapital bestückt, folgte die Gründung der RussischChinesischen Bank im September 1895 der gleichen probaten Methode. Witte, der sich auch hier der Dienste Rothsteins und des Fürsten Uchtomskij versichert hatte, erhielt damit ein flexibles Instrument für die langfristige Finanzierung seines geborgten Imperialismus17. Im Jahr darauf wurden erste Früchte eingebracht: Mit den aus Paris entlehnten Finanzmitteln vollzog der Minister eine folgenreiche Weichenstellung seines Eisenbahnprogramms. In schleppenden Verhandlungen durch den Pekinger Gesandten Graf Cassini vorbereitet, durch einen russisch-chinesischen Beistandsvertrag abgestützt, gewann er für die Russisch-Chinesische Bank die Konzession zum Bau der Ostchinesischen Bahn. Die Infrastruktur des Informal Empire, das Witte in der Mandschurei zu errichten gedachte, schien gesichert zu sein. Ein kompliziertes Finanzarrangement, das einen Sonderfonds für die Privatschatulle Li Hung-changs einschloß, sorgte dafür, daß die Aktienmehrheit der zum Bau und zur Unterhaltung der Linie geschaffenen Ostchinesischen Eisenbahngesellschaft in die Hand des russischen Staates kam18. Bei der politischen Durchsetzung dieser Anstalten hatte sich Witte gegenüber der Pekinger Regierung altruistischer, auf Freundschaft und Protektion gestimmter Versicherungen bedient; innerrussische Widerstände überwand er mit einem Bündel politischer, militärischer und wirtschaftlicher Argumente: Rußland habe angesichts der wachsenden internationalen Konkurrenz keine andere Wahl, als „dem Beispiel seiner wirtschaftlichen Rivalen" zu folgen. Das Bahnunternehmen verspreche, den Einfluß und das Prestige des Reiches zu stärken, fremde Konzessionäre von Nordchina fernzuhalten, die Verbindung nach Vladivostok um mehr als 1000 Werst zu verkürzen und russische Truppen instand zu setzen, im Krisenfall binnen kurzem die Mandschurei, das Gelbe Meer und die Umgebung Pekings zu erreichen. Den Schutz der auf einem exterritorialen Gebietsstreifen verlegten Strecke gedachte er, durch die stillschweigende Eingliederung militärischer Ränge in die Arbeiterkolonnen gewährleisten zu 150 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

können, später durch eine eigene Bahnpolizei. Bedenken, daß die ostchinesische Linie ein „enormes politisches Risko" enthalte, die militärische Okkupation der Mandschurei unvermeidlich machen und die Aufteilung Chinas unter die Großmächte provozieren werde, wischte er vom Tisch19. Mit dem russisch-chinesischen Defensivbündnis vom 22. Mai (3. Juni), dem Konzessionsvertrag vom 27. August (8. September) und dem Gesellschaftsprivileg vom 4. (16.) Dezember 1896 meinte der Finanzminister, die russische Vormachtstellung im Norden Chinas verbürgt zu haben, nicht durch Annexionen und Stützpunkte, sondern durch wirtschaftliche Penetration und durch pfleglichen Umgang mit dem Pekinger Hof20. Die Erweiterung des mandschurischen Eisenbahnimperiums durch eine Zweiglinie zu einem Hafenplatz am Gelben Meer schien ihm nurmehr eine Zeitfrage zu sein. Worauf Witte letztlich aus war, hat er bei der Reaktion auf ein neuerliches chinesisches Kreditbegehren im Dezember 1897 noch einmal deutlich gemacht: Monopolrechte in der gesamten Mandschurei und Mongolei für den Eisenbahnbau, für die Ausbeutung von Bodenschätzen und die Anlage von Industrieunternehmen, dazu eine südmandschurische Bahn und Hafenrechte für russische Kriegs- und Handelsschiffe21. Aber auch den gegen die Japaner erzielten politischen Bodengewinn in Korea hat er ökonomisch zu fundieren gedacht. Da der minimale Handelsverkehr, der über die koreanische Grenze ging, dafür keine Stütze bot, stellte der Minister im September 1897 den notwendigen finanziellen Unterbau für weitertragende Initiativen bereit, durch Gründung einer Russisch-Koreanischen Bank (nach dem Muster der Russisch-Chinesischen) und durch Entsendung eines Finanzagenten nach Seoul. Nahziele waren, die koreanische Zollverwaltung unter russische Kuratel zu bringen, Konzessionen zur Erschließung der Gold- und Kupferminen am Yalu zu gewinnen und das Land im ganzen dem russischen Einfluß offen zu halten22. Daß sich ein so weitausgreifendes Wirtschaftsimperium ohne politische, gar militärische Verwicklungen würde arrondieren lassen, durfte ernstlich nicht erwartet werden. Wer Witte zu einem allein in ökonomische Kategorien eingesponnenen Pazifisten stilisiert, verfällt jener kunstvollen Retouche, mit der die Memoiren des gescheiterten Ministers Glanz und Elend seines Werkes freundlich zu verhüllen suchten23. Nur einem Träumer, der Witte nicht war, hätte es angestanden, sich in der Erwartung zu wiegen, daß die „informellen" Operationsmuster, wie sie in China vor allem von den USA gehandhabt wurden, von der Ostasienpolitik des kapitalarmen, rückständigen Rußland erfolgreich nachzuahmen wären. Zu erwarten war vielmehr, daß sich Wittes „friedliche Durchdringung" alsbald in traditionellen Methoden der Einflußsicherung verfangen würde, in einer Praxis, für die Expansion nicht an die Ökonomie, sondern — nach dem Beispiel Transkaspiens — an militärische Beherrschung, an Gebietsannexionen und Russifizierung gebunden war. Die Entwicklung von der Inbesitznahme Port Arthurs im Dezember 1897 bis zur russischen Okkupation

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der Mandschurei im Zug des Boxeraufstands kann die Plausibilität dieser An­ nahme bestätigen. Die Begebenheiten, die der Petersburger Regierung am 15. (27.) März 1898 den Pachtvertrag für Port Arthur und Dairen (russ. Dal'nij) eingetragen haben und wenig später, am 6. Juli, die gewünschte Konzession zum Bau der süd­ mandschurischen Linie, sind oft geschildert worden24. Hier mag es erlaubt sein, lediglich auf einige operative Bedingungen und weiterwirkende F olgen einzu­ gehen. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten des autokratischen Entscheidungs­ prozesses, daß dem Erwerb dieser beiden Hafenplätze samt dem umliegenden Kwantung-Gebiet keineswegs eine wohlerwogene Planung zugrunde lag, ge­ schweige denn eine nüchterne Kalkulation der F olgekosten. Vielmehr handelte es sich um einen kompensatorischen Gegenzug gegen die deutsche Landung in Kiaotschou, gegen jene Blitzaktion Wilhelms II. im Kampf um den „Platz an der Sonne", von der sich die russische Diplomatie in ärgerlichster Weise über­ spielt glaubte25. Außenminister Murav'ev, nicht die Marineleitung hatte auf die Besitzergreifung gedrängt. Zwar war der lang gehegte Wunsch nach einem eisfreien Hafen, der das russische Pazifikgeschwader der Verlegenheit enthe­ ben sollte, auch weiterhin in Nagasaki überwintern zu müssen, seit Shimono­ seki besonders aktuell. Aber noch in der Ministerberatung, die der Einfahrt rus­ sischer Kriegsschiffe in Port Arthur (14. Dezember 1897) vorausging, hatte Vizeadmiral Tyrtov einen Stützpunkt an der koreanischen Ostküste im Sinn, nicht aber einen Platz, der von Vladivostok nur durch die leicht blockierbare Straße von Tsushima zu erreichen war. Allein General Vannovskij hatte dem Vorschlag Murav'evs, das mit russischer Hilfe an China zurückgefallene Ter­ ritorium in Besitz zu nehmen, prinzipiell zugestimmt, das letzte Wort aber dem Marineressort überlassen wollen. Daß Witte dem Vorhaben vehementen Widerstand entgegensetzte, ist leicht zu verstehen. Er sah das Konzept seiner Chinapolitik durchkreuzt, wonach der russische Einfluß auf ein möglichst intimes Sonderverhältnis zu Peking zu stützen sei. Mit Recht befürchtete der F inanzminister, daß die Petersburger Freundschaftsbeteuerungen und Schutzversprechen unglaubwürdig werden müßten, wenn sich der große Partner aus dem Norden der rüden Methoden anderer Großmächte bediene. Murav'ev dagegen hatte sich ganz auf den wil­ helminischen Argumentationsstil eingestellt: die historische Erfahrung zeigt, daß die Chinesische Regierung wie alle „Ostvölker" nicht durch F reundlich­ keiten, sondern allein durch Macht und Stärke (moguščestvo i sila) zu beein­ drucken sei, durch jene Mittel, deren sich die Deutschen in Kiaotschou „so er­ folgreich bedient" hätten26. Der imitative Zug, der die russische Diplomatie beherrschte, war Witte so unzweifelhaft, daß er sich zu dem ebenso riskanten wie vergeblichen Versuch bestimmen ließ, den deutschen Kaiser zum Verzicht auf eine dauerhafte F estsetzung in Shantung zu bewegen. Der Griff nach Port Arthur belegt, daß der Zar und sein Außenminister durchaus nicht als bloße Handlungsgehilfen Wittes agierten, sondern über dessen Kopf hinweg in der China-Politik eigene, folgenschwere Daten setzten.

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Die Konsequenz, mit der der Finanzminister opponierte, wird man indessen auch nicht überschätzen dürfen, wie dies seine Erinnerungen nahelegen mögen27. Sein Rücktrittsgesuch hat Witte bekanntlich nicht aufrechterhalten und die erlittene Niederlage durch Anpassungsfähigkeit ausgeglichen. Jedenfalls widersprach er nicht länger, als erkennbar wurde, daß auch sein Interesse in das folgende Verhandlungsgeschäft mit Peking eingebracht werden konnte und der sibirisch-mandschurische Eisenbahnverbund den nun auf Kwantung gerichteten Ausgang zum Gelben Meer erhielt. Die Pacht- und Konzessionsvereinbarungen hat Witte dann durch seinen Pekinger Finanzagenten mit den üblichen Handgeldern versüßen helfen28. Die Begleitumstände, unter denen es zur Installierung eines russischen Reservats an der Südspitze der Liaotung-Halbinsel gekommen war, verdeutlichen zugleich, daß Petersburg bei der Jagd um die Konkursmasse des Reiches der Mitte mit seinem chinesischen Verbündeten keineswegs zimperlich verfuhr. Murav'ev scheute sich nicht, an der Jahreswende 1897/98 in Berlin zu notifizieren, daß Rußland neben Chinesisch-Turkestan nicht nur „tout la Mantchourie", sondern auch die Provinz Chihli als seine „sphère d'action exclusive" betrachte, in der das Zarenreich fremden politischen Einfluß zu dulden nicht gesonnen sei29. Damit wurde zum ersten Mal Anspruch auf Peking und Tientsin erhoben, ein kühnes Verlangen, das dem deutschen Kaiser Anlaß gab, diesem „fetten Bissen" eine eigene Interessensphäre entgegenzusetzen: „Schantung einschließlich des Hwangho-Stromes."30. Vor allem aber mußten der russische Handstreich und die dahinterstehenden Ambitionen die britische Regierung berühren und an ein englisch-japanisches Rapprochement denken lassen. Mit der Festsetzung in Weihaiwei, das — nicht ohne Abstimmung mit Großbritannien — von den Japanern soeben freigegeben worden war, verfügte denn auch der sonst so zögerliche Salisbury eine ungewöhnlich rasche Gegenaktion, um das vielberufene „europäische Gleichgewicht in den chinesischen Gewässern" zu erhalten31. Man kann fragen, worauf die Zuversicht der russischen Führung beruhte, die schier unbegrenzte Ausdehnung ihrer fernöstlichen Einflußzone nicht nur fordern, sondern auch behaupten zu können. An eine Ökonomische und militärische Absicherung war ernstlich nicht zu denken, solange der russische China-Handel minimal, das Pazifikgeschwader wenig imposant und die künftigen Eisenbahntrassen noch nicht einmal erkundet waren. Die Möglichkeiten, den geostrategischen Standortvorteil Rußlands zu nutzen, blieben der Zukunft anheimgegeben. Tatsächlich hat der prophylaktische Sprung nach Port Arthur und Dairen nicht allein in den europäischen Hauptstädten den Eindruck geweckt, daß sich Rußland mit vorschnellen und unüberlegten Aktionen zu übernehmen beginne. Auch in Petersburg wurde offenbar begriffen, daß es geboten sei, Signale der Selbstbeschränkung zu setzen, die nach Lage der Dinge vor allem in Tokio und London verstanden werden sollten32. Diese Einsicht mag erklären, weshalb die russische Diplomatie unter Murav'ev im Frühjahr 1898 daran ging, die russisch-japanische Konfrontation in

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Korea zu entschärfen. Mit der Liquidierung der eben erst gegründeten RussischKoreanischen Bank, dem Abzug der russischen Militär- und Finanzberater aus Seoul und der ausdrücklichen Anerkennung der japanischen Handels- und Industrieinteressen (im Nishi-Rosen-Abkommen, 25. April 1898) wurden Tokio beträchtliche Avancen gemacht, wenngleich es dabei zu einer Vereinbarung, die Korea den Japanern und die Mandschurei den Russen überantwortet hätte, trotz japanischer Angebote nicht gekommen ist33. Im Jahr darauf hat sich ein ähnlich vager Modus vivendi schließlich auch mit England angeboten. Ein russisch-britisches Abkommen vom 28. April 1899 befreite die Regierung von der Sorge, den alten Rivalen über die chinesische Mauer hinweggreifen zu sehen, während Rußland zusagte, die zentralchinesischen Ambitionen der Russisch-Chinesischen Bank zu zügeln und die britischen Ansprüche auf das Yangtse-Tal zu respektieren34. Witte, der um das Vertrauen seiner französischen Gläubiger fürchtete, nahm diesen Rückzug nur mit Bedauern hin — hatte ihn doch die erfolgreiche Tätigkeit des von ihm gesteuerten Bankinstituts hoffen lassen, der mustergültig geleiteten „Hongkong and Shanghai Banking Corporation" im chinesischen Exportgeschäft und auf dem Shanghaier Silbermarkt Paroli bieten zu können35. Daß sich Petersburg außerdem mit der Bahnkonzession für die Linie Shanhaikuan-Hsinmint'un abfand, die die Verbindung von Peking zur südlichen Mandschurei in britische Hände brachte, entsprach dem verbreiteten Verlangen nach einem störungsfreien Ausbau der eigenen Machtsphäre. Die Vereinbarungen mit Japan und England verdeutlichten zugleich, daß Petersburg sich vorerst darauf konzentrieren wollte, das russische „Informal Empire" in der Mandschurei gegen die internationale Wirtschaftskonkurrenz abzuschließen. Die im Vergleich zu den anderen Großmächten, zumal zu England und Deutschland, nahezu vollkommene „Nullität des russischen Handels"38 in Ostasien nötigte dazu, auf der Exklusivität der eigenen Aktionssphäre mit besonderer Hartnäckigkeit zu bestehen. Als die amerikanische Chinapolitik unter John Hay im September 1899 die Großmächte auf das Prinzip des „Open Door" verpflichten wollte, um dem eigenen Handelsimperialismus die Märkte freizuhalten, hat sich die Petersburger Diplomatie mit dem Hinweis auf den Freihafen Dairen und mit zweideutigen Lippenbekenntnissen begnügt37. Dieser mit großem Aplomb als porto franco deklarierte Hafenplatz war den Russen freilich schon deshalb unentbehrlich, weil sie den Aufbau ihrer mandschurischen Position nicht durch Zulieferungen aus Rußland bestreiten konnten, sondern auf Direktimporte angewiesen blieben. Ungeachtet der Versuche Petersburgs, die Konfliktrisiken gegenüber Japan und England durch die Abkommen von 1898 und 1899 zu mindern, hatte sich seit Port Arthur die Ahnung auszubreiten begonnen, daß eine kriegerische Verwicklung, zumal mit den „Affen, die sich als Europäer gebärden"38, in absehbarer Zukunft wahrscheinlicher sei als jener Gottesfriede, von dem die Haager Abrüstungsinitiative des Zaren zu träumen schien. Um das Ausmaß der Gefahren

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zu ermessen, die dem Imperium in den folgenden Jahren erwuchsen, mag es angebracht sein, auf die internen Probleme Rußlands zurückzulenken. Die riskante, auf ihre Konsequenzen hin unzureichend kalkulierte Expansion zur chinesischen Mauer und zum Golf von Chihli hatte die Finanz- und Wirtschaftspolitik Wittes unter zusätzlichen Zeitdruck geraten lassen. Das galt für das Tempo, mit dem nun die fernöstlichen Bahnlinien vorangetrieben werden mußten, und ebenso für die notwendige Steigerung des Rüstungsetats, nach der die Militärs nicht ohne Grund verlangten. Schon im Jahr des Erwerbs von Port Arthur hatte die Marineleitung dem Finanzminister ein kostspieliges Flottenprogramm abgerungen, das angesichts der japanischen Anstrengungen eine eigene Logik besaß. Der neue Kriegsminister Kuropatkin war für Witte ein nicht weniger hartnäckig fordernder Kontrahent als das Marineamt. Hinzu kam, daß sich der internationale Kapitalmarkt in eben dieser Zeit gegenüber Petersburger Anleihewünschen als ungemein spröde erwies. Die Recherchen, die Murav'ev, Kuropatkin und Witte im Herbst 1898 in Paris unternahmen, hatten wenig ermutigende Eindrücke vermittelt, darunter die Gewißheit, daß der französische Alliierte seine Bündnisverpflichtungen auf Ostasien nicht bezogen wissen wollte39. Bei alledem ist die russische Asienpolitik an der Jahrhundertwende keineswegs in den großen mandschurischen Unternehmungen aufgegangen. Die traditionellen Interessen des Imperiums in Mittelasien, Persien und der Osmanischen Türkei wurden von dem fernöstlichen Engagement eher angeregt als verdrängt. Wie sich die daraus folgenden Aufgaben der Petersburger Führung darstellten, zeigte ein Positionspapier des Außenministers, das im Januar 1900 die Billigung des Zaren gefunden hatte40. Murav'ev empfahl, das vom Burenkrieg betroffene britische Empire nach Kräften zu bedrängen: In Zentralasien sollte dies sowohl durch Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kabul geschehen wie durch Verstärkung der russischen Kampfkraft in Turkestan und Transkaspien; die wachsende Labilität der britischen Herrschaft über „die freiheitsliebenden indischen Stämme" wurde dabei vorausgesetzt. In Persien habe Rußland die eigenen Handels- und Wirtschaftspositionen zu verstärken und den Schah durch eine Anleihe zu verpflichten, nichtrussischen Bewerbern Bahnkonzessionen zu versagen; zugleich sollten Erkundungsarbeiten russischer Ingenieure forciert und entsprechende Konzessionspläne für persische Eisenbahnen vorbereitet werden41. Auch den Sultan gelte es dazu anzuhalten, in der Küstenzone des Schwarzen Meeres Bahnbauten nicht zuzulassen; außerdem sei darauf zu dringen, daß türkische Befestigungsarbeiten am Bosporus unterblieben. Murav'evs Ministerkollegen haben sich zu diesem Tableau keineswegs einhellig geäußert42. Den Kriegsminister und den Leiter des Marineressorts verband das Bedauern darüber, daß es die gegenwärtige Lage nicht erlaube, eine überraschende militärische Aktion zur Eroberung (zachvat) des Bosporus ins Auge zu fassen. Die operative Planung und die militärische Zurüstung, die dieses alte Vorhaben realisierbar machen würden, sollten jedoch nicht vernachlässigt werden. Auch der Gedanke, das Ziel der Beherrschung der Meerengen — nach dem

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Muster des Erwerbs von Kwantung — der „diplomatischen Kunst" anzuvertrauen, wurde erwogen, von Murav'ev freilich sogleich als illusionäre Erwartung abgetan. Im übrigen leiteten Kuropatkin wie Admiral Tyrtov aus dem Katalog außenpolitischer Aufgaben neue finanzielle Forderungen ab. Schon dieser Zirkelschlag erklärt, daß Witte sich veranlaßt sah, in seiner Stellungnahme zu größter Zurückhaltung zu mahnen und die Grenzen der russischen Aktionsmöglichkeiten aufzuzeigen. Vor allem warnte er davor, das „reiche England" zu provozieren und damit weitere, für die Staatskasse und die Steuerkraft der Bevölkerung untragbare Belastungen zu schaffen. Trotz der beschwörenden Hinweise Wittes auf die gewaltigen Summen, die die militärische und verkehrsmäßige Sicherung der ostasiatischen Positionen des Reiches verschlinge, blieb ungesagt, daß der Finanzminister den kostspieligen Eintritt Rußlands in die imperialistische Weltpolitik selber angestoßen hatte. Die Befürchtung, daß sich Rußland mit der schier unbegrenzten, wenn auch auf Friedenswahrung gestimmten Ausweitung seiner Asienpolitik übernehmen könnte, ist auch den militärischen Spitzen nicht fremd gewesen. Noch ehe der Boxeraufstand und seine internationalen Folgen die russische Politik härtesten Belastungsproben unterwarfen, hat sich Kuropatkin im März 1900 über die Maximen und Grenzen der russischen Politik in aller Breite ausgelassen43. Sein überaus besorgtes Exposé wurde von der Einsicht beherrscht, daß der Zwang, die ostasiatischen Positionsgewinne sichern zu müssen, die militärische Unterlegenheit Rußlands gegenüber Deutschland und Österreich nicht nur perpetuieren, sondern in gefährlichster Weise vergrößern werde44. Die Verwundbarkeit der Westgrenzen zu beheben, hielt er für den kategorischen Imperativ russischer Militärpolitik. Das neue Flottenprogramm, das das japanische bis 1903 zu überholen versprach, dürfe keinesfalls zu Lasten der Heeresrüstung gehen, die unabweisbare Vermehrung der Truppen im Fernen Osten nicht länger auf Kosten des Verteidigungspotentials an den europäischen Grenzen. Hinter diesen Warnungen stand die Erfahrung, daß Witte dem 5-Jahres-Haushalt des Kriegsministeriums für 1899 bis 1902 an außerordentlichen Mitteln nur 160 Mill. Rubel zuzuweisen bereit gewesen war, nicht aber die geforderten 565 Mill., die Kuropatkin zum Schutz der Grenzen und der ostasiatischen Außenposten unerläßlich schienen45. Die russische Finanzarmut offenbarte abermals, daß das Imperium im Sog eigener und fremder Weltpolitik in einem Zustand permanenter und fortgesetzt wachsender Überanstrengungen verblieb. Unter diesen Umständen riet der Kriegsminister dazu, „äußerste Vorsicht in unseren auswärtigen Beziehungen" walten zu lassen. Für die Fernostpolitik hieß das: Verzicht auf eine Einverleibung der Mandschurei, auf daß Ostsibirien als zukünftiges Siedlungsland der Russen von „den andrängenden Wogen der gelben Rasse" nicht überflutet werde; Verzicht auf Eisenbahnunternehmungen südlich der Großen Mauer und vor allem im Yangtse-Tal; Einflußsicherung durch den raschestmöglichen Ausbau der mandschurischen Bahnen und der bisher dürftigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen; Schwächung der dortigen Provinzialgewalten und Sperrung Nordchinas für ausländische Instrukteure. Kuro156 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

patkins Appell zur Selbstbeschränkung bezog sich vor allem auf den drohenden Zusammenstoß mit Japan, dem er durch ein behutsames Agieren in Korea auszuweichen empfahl — jedenfalls solange, wie das Amurgebiet und Kwantung noch nicht hinreichend gesichert und die russische Flotte der japanischen noch nicht gewachsen seien. Sechs bis sieben Jahre meinte der Minister veranschlagen zu sollen, bis man daran denken könne, die Japaner, möglichst im Bund mit Deutschen, Franzosen und Briten, aus den ostasiatischen Gewässern zu verbannen und ein „schwaches, unabhängiges Korea unter unserem Protektorat" einzurichten46. Mit diesen Reflexionen kam Kuropatkin den Auffassungen Wittes durchaus nahe, obgleich zwischen beiden Ministern Differenzen über die finanziellen Prioritäten fortbestanden. Auch des Kriegsministers Zukunftserwartungen waren hochgespannt. Die Ziele der russischen Weltpolitik im 20. Jahrhundert sah er nicht auf Grenzveränderungen und Annexionen festgelegt, wohl aber auf „eine systematische und unentwegte Arbeit zur allmählichen friedlichen Eroberung" der asiatischen Außenräume. Mit weiten Ausblicken auf die Aufgaben der „kommenden Geschlechter" hat er dabei nicht gespart. Rußlands Vorherrschaft durch friedliche Eroberung zu befördern: das solle nicht allein für Persien, Nordchina und Korea gelten, sondern gleichermaßen für die Zugänge zum Schwarzen Meer, zum Indischen und zum Großen Ozean; „Wenn Rußland die Eisenbahnverbindung zwischen dem Großen Ozean und der Ostsee in seinen Händen hält, sowie seine Fühler nach dem Bosporus und dem Indischen und Großen Ozean ausstreckt, kann es mit seinen unerschöpflichen natürlichen Reichtümern den Mächten der ganzen Welt eine furchtbare wirtschaftliche Konkurrenz schaffen."47 Solche Äußerungen machen darauf aufmerksam, daß der moderne, imperialistische Denk- und Argumentationsstil den russischen Militärs keineswegs fremd geblieben war. Wittes Diktum, daß sich Rußland trotz seiner Rückständigkeit als „Metropole" zu behaupten habe, wurde von Kuropatkin ohne prinzipielle Abstriche angenommen. Der Finanzminister freilich war gewohnt, das Entwicklungsdefizit des Reiches nicht so sehr an den Heeresstärken, Kreuzertonnagen und Schnellfeuergeschützen der fortgeschrittenen Großmächte nachzumessen, sondern an Produktionszahlen und Kapitalgrößen. Tatsächlich fiel die Bilanz, die er im Februar 1900 dem Zaren präsentierte, nicht weniger bedrückend aus als die Warnung Kuropatkins vor der militärischen Überlegenheit präsumtiver Gegner: Trotz seines einzigartigen industriellen Wachstumstempos habe Rußland den Entwicklungsvorsprung der Industriestaaten nicht aufzuholen vermocht. Die Prokopfproduktion bei Roheisen habe 1898 1,04 Pud erreicht, dagegen erzeugte Großbritannien 13,1, die USA 9,8, Belgien 9,0, Deutschland 8,1 und Frankreich 3,06 Pud; bei Steinkohle ergebe sich eine noch beträchtlichere Diskrepanz: 5,8 Pud pro Einwohner in Rußland gegen 311,7 in Großbritannien, 204 in Belgien, 162,4 in den USA, 143,8 in Deutschland, 50,7 in Frankreich. Ähnlich gewaltige Rückstände zeigten sich in allen anderen Zweigen der Fabrikindustrie, nicht zuletzt auch im Außenhandel, dessen

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Volumen in Rußland nur 10 Rubel pro Kopf betrage, in Deutschland und Frankreich dagegen 75, in Großbritannien gar 164 Rubel48. Die Folgerungen, die Witte aus diesen Daten zog, ließen die maximale Beschleunigung des industriellen Entwicklungstempos als unabdingbar erscheinen, um die ökonomische Unabhängigkeit des Landes endlich sichern und die weltpolitischen Aufgaben Rußlands erfüllen zu können: „Die internationale Konkurrenz wartet nicht. Wenn jetzt nicht energische Maßnahmen ergriffen werden, um in den nächsten Jahrzehnten unsere Industrie instand zu setzen, mit ihren Produkten die Bedürfnisse Rußlands und der asiatischen Länder, die unter unserem Einfluß stehen oder unter unseren Einfluß gebracht werden sollen, zu decken, dann wird die rasch wachsende ausländische Industrie unsere Zollmauern durchbrechen und in unser Vaterland eindringen wie in die genannten asiatischen Länder, und sie kann dann schrittweise auch den noch gefährlicheren politischen Einflüssen des Auslands die Wege bahnen. Denn die Herrschaft der Metropolen über die Kolonien wird jetzt ungleich stärker durch die Kraft nicht der Waffen, sondern des Handels gefestigt, und den Diener Ew. Majestät bedrückt der Gedanke, daß das langsame Anwachsen unserer Industrie dem Monarchen die Erfüllung seiner großen politischen Aufgaben erschweren könnte, daß die anhaltende industrielle Gefangenschaft (plenenie) des russischen Volkes seine politische Macht schwächen wird, daß das Ungenügen der ökonomischen Entwicklung sowohl die politische wie die kulturelle Rückständigkeit des Landes nach sich ziehen kann."49 Wie zu erkennen ist, wurde die Einsicht, daß Rußland der imperialistischen Mächtekonkurrenz noch nicht gewachsen sei, durchaus nicht verdrängt. Aus unterschiedlichen Beweggründen waren Außenminister, Kriegsminister und Finanzminister auf Konfliktvermeidung bedacht und, wie die Abkommen mit Japan und England zeigten, auch zu Kompromissen bereit. Dennoch darf nicht vergessen werden, daß der russische „Wille zur Weltgeltung" ungebrochen blieb und partielle Rückzüge niemals als Dauerlösung verstanden wurden. Das langfristige Konzept „friedlicher Eroberung" kannte keine Grenzen, und hinter der Formel des Open Door, der Witte in China anhing, soweit sie die eigene Aktionssphäre nicht gefährdete, verbarg sich ein ähnlich virulenter Expansionsdrang wie in jenen Prinzipienerklärungen, die das State Department seit 1899 um die Erde gehen ließ. Was den russischen Imperialismus von dem der großen Handels- und Industriemächte unterschied, wog jedoch nicht gering: Anders als in den USA klafften Anspruch und Vermögen in Rußland weit auseinander; Expansion war Ausdruck ökonomischer Schwäche, nicht überschießender Kraft. Dieser kompensatorische Zug, der Potenz zu simulieren hatte, sollte der Abschätzung des „realpolitisch" Möglichen nicht dienlich sein. Hinzu kam, daß die russische Weltpolitik in Asien Einflußsphären entstehen ließ, die mit dem Imperium territorial verbunden waren. Der mandschurische Eisenbahnbau tendierte zum faktischen Anschluß der nordchinesischen Kolonie an den kontinentalen Reichsverband; ein Einbruch fremder Mächte in die penetrierten Zonen ge158 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

fährdete die Integrität der Metropole. Sieht man diesen Sachverhalt mit dem Faktum russischer Rückständigkeit zusammen, dann gewinnt man einen Begriff für die zwischen Maßlosigkeit und Furcht pendelnden Attitüden, die die Petersburger Ostasienpolitik gekennzeichnet haben.

4.2. Vom Βoxeraufstand zum russisch-japanischen Krieg Der Boxeraufstand, dessen Verlauf hier nicht zu referieren ist, hat die über­ spannten Züge des russischen Expansionismus vor aller Augen kommen las­ sen50. F ür Rußland gingen die Probleme, die die Aufstandsbewegung gegen die „fremden Teufel" brachte, begreiflicherweise nicht in der F rage auf, wie das bedrängte Pekinger Gesandtschaftsviertel zu entsetzen sei. Vielmehr geriet, als die Boxer, von regulären Truppen unterstützt, im Sommer 1900 den Kampf gegen die Russen eröffneten, das gesamte Kolonisationswerk Wittes in höchste Gefahr. Die anfängliche Hoffnung des F inanzministers, die nordchinesische Eisenbahnzone mit der ihm unterstehenden Schutzwehr vor Zerstörung be­ wahren zu können, entpuppte sich rasch als Wunderglaube. Bis zum Amur hin wurde die Mandschurei von der Insurrektion überzogen, fast die ganze Ost­ chinesische Linie, der Knotenpunkt Harbin ausgenommen, ging verloren, des­ gleichen ein großer Teil der Südbahn, Mukden inbegriffen. Zur militärischen Pazifikation wurden bis zum Herbst 1900 etwa 170 000 Mann russischer Trup­ pen herangeführt; die größte Militärmacht, die von Europa aus je nach dem Fernen Osten gebracht worden war, okkupierte die Mandschurei; einige Ba­ taillone nur, die nach der Einnahme Pekings durch General Linevič die Chihli­ Provinz samt den Küstenplätzen säuberte, wurden dem alliierten Oberbefehls­ haber Graf Waldersee unterstellt. Witte, der seine ostasiatische Unternehmungen gefährdet sah, hatte darauf gedrängt, die russische Chinapolitik möglichst rasch aus dem schwer beweg­ lichen Konvenienzsystem der Mächte herauszulösen. Mit der Klage über das brutale russische Militärregime in der Mandschurei beschrieb er freilich nur, was als Konsequenz seiner eigenen Politik nun zutage kam51. Nach den nahe­ zu unbeschränkten Vollmachten, die Vizeadmiral E. I. Alekseev dem chi­ nesischen Gouverneur von Mukden Ende 1900 abgerungen hatte52, kam es darauf an, in Separatverhandlungen mit der Pekinger Zentralregierung ver­ bindliche Garantien zu suchen. Den alten Partner Wittes, Li Hung-chang, hoffte man dafür gewinnen zu können. Unter dem fadenscheinigen Schirm diplomatischer Noten, die der Integrität des Reichs der Himmelssöhne hul­ digten, gedachte Petersburg von China weit mehr einzuklagen als die bloße Rückkehr zum Status quo ante. Der von Witte, Kuropatkin und dem neuen Außenminister Lamzdorf Ende Januar 1901 verabschiedete Vertragsentwurf knüpfte die Dauer der russischen Truppenpräsenz nicht nur an die Wiederher­ stellung von Ruhe und Ordnung, sondern darüber hinaus an eine Fülle unspezi­ fizierter Entschädigungsleistungen, die der russischen Regierung, der Ostchine-

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sischen Eisenbahngesellschaft und der Russisch-Chinesischen Bank neue Wirkungsmöglichkeiten öffnen sollten. Bis zum Abschluß der Bahnbauten und zur Aufnahme des regulären Schienenverkehrs sollten chinesische Truppen aus der Mandschurei verbannt, Lokalbehörden und unbewaffnete Ortspolizei an die Benevolenz der Besatzungsmacht verwiesen bleiben. Über die Mandschurei hinaus verlangte Rußland nun auch für die Mongolei und Sinkiang das Exklusivrecht auf Eisenbahnkonzessionen, Rohstoffausbeute und Industrieanlagen, dazu die Zustimmung zum Bau einer Zweigbahn „in Richtung Peking"53. Von den in China engagierten Mächten, die das russische Regime in der Mandschurei mit einiger Unruhe verfolgten, wurde dieses Programm allenthalben als anmaßend und konfliktträchtig empfunden. So war es nur folgerichtig, daß die Verhandlungen mit Li nicht von der Stelle kamen und London und Tokio sich zur Eindämmung des russischen Imperialismus jetzt aufeinanderzubewegten. In krasser Selbstüberschätzung wurde in Petersburg zur Besänftigung der Japaner nichts getan. Die russischen Bedingungen für einen Vertrag über Korea, die man im November 1901 dem japanischen Staatsmann Ito präsentierte, trugen den russischen Hochmut auf jeder Zeile. Kein adäquates Tauschgeschäft — nach dem Muster: Korea den Japanern, uns die Mandschurei — wurde angeboten, vielmehr sollte die russische Handlungsfreiheit in Nordchina unbeschränkt sein, die japanische in Korea dagegen restringiert werden54. Dabei verstand es sich für die Russen von selbst, daß nach Abschluß des Eisenbahnbaus und der Rüstungsvorhaben, das „unabhängige, schwache Korea" zu einem Schutzstaat des Zarenreiches zu machen sei. Die japanische Antwort war das sorgfältig vorbereitete Bündnis mit Großbritannien, das die Isolierung Rußlands Ende Januar 1902 jäh zutage brachte55. Unter dem beklemmenden Eindruck dieses Vertrags sah sich die russische Regierung genötigt, aus den Wolkenhöhen ihrer imperialistischen Illusionen herabzusteigen und sich kompromißbereit zu geben. Zu dieser Ernüchterung hatte beigetragen, daß die deutsche Politik über Neutralitätsversicherungen nicht hinauszugehen gedachte, daß sich die Amerikaner durch Proteste gegen die russischen Monopolansprüche mit dem chinesischen Widerstand solidarisierten, und daß vor allem der französische Alliierte, auf ein Rapprochement mit London bedacht, keine Anstalten machte, Rußland wirksame Hilfe zuzusagen. In den russisch-französischen Deklarationen vom März 1902 wurden die Prinzipien festgelegt, auf die Frankreich die Petersburger Politik zu verpflichten wünschte: auf die Unabhängigkeit Chinas und Koreas und auf offene Türen für alle Nationen in dieser Region56. Der Vertrag, zu dem die russische Diplomatie am 26. März/8. April 1902 mit China kam, schien dieser Linie zu folgen. Rußland versprach, die Räumung der Mandschurei in drei Etappen binnen 18 Monaten zu vollziehen, falls nicht neue Aufstände oder Aktionen anderer Mächte dies verhindern sollten57. Dies war ein Zugeständnis, an dessen Einlösung schon damals Zweifel berechtigt waren. Wer begreiflich machen will, weshalb sich die russische Politik in den folgenden beiden Jahren als unfähig erwies, auf der Linie nüchterner Kompromisse

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fortzugehen, wird die ökonomische Fragwürdigkeit des Witteschen Fernostimperiums abermals in Rechnung ziehen müssen. Der Finanzminister hatte darauf gesetzt, die wirtschaftliche Entwicklung Rußlands durch die Erschließung der ostasiatischen Außenräume so stimulieren zu können, daß sich der vom Staat angestoßene industrielle Aufschwung schließlich selber tragen werde: durch die Nutzung unermeßlicher Marktchancen, die Ausbeutung reicher Rohstofflagerstätten, durch die Umleitung des interkontinentalen Handels auf die russischen Eisenbahnen und Vertragshäfen. In den Jahren der wirtschaftlichen Hochkonjunktur war es ihm gelungen, diese Vision immerhin so glaubhaft zu machen, daß seine Projekte das Plazet des Zaren und das Interesse ausländischer Kapitalgeber fanden. Besonders förderlich hatte gewirkt, daß dieses Konzept mit den imperialen Maximen der Autokratie in enger Fühlung stand und ältere Ambitionen russischer Fernostpolitik sozusagen auf die Schultern nehmen konnte. Nur so: durch die Verheißung künftigen Gewinns und durch die Verschmelzung mit diplomatischen und militärstrategischen Interessen war es möglich geworden, die Kosten des gewaltigen Unternehmens zu legitimieren. Nach Wittes eigener Berechnung hatten die staatlichen Ausgaben für den Fernen Osten zwischen 1897 und 1902 die stattliche Summe von 1141 Mill. Rubel erreicht, einen Betrag, der dem Volumen des Staatsbudgets von 1903 (1296 Mill.) kaum nachstand und durch Einnahmen aus Zöllen, Bahn- und Schiffsfrachten nur zu etwa einem Zehntel gedeckt werden konnte. Nimmt man den Aufwand, den die Fernostpolitik jährlich erforderte, mit den Zins- und Amortisationszahlungen für Staatsanleihen zusammen (1903: 289 Mill. Rubel), dann ergibt sich eine Summe, die dem Jahresetat des Kriegs- und des Marineressorts (1903: 456 Mill.) nahezu entsprach58. Diese Größenanordnungen machen verständlich, daß die finanziellen Aspekte der russischen Ostasienpolitik unter dem Druck der seit der Jahrhundertwende umsichgreifenden wirtschaftlichen Depression die politische Stellung Wittes zunehmend verwundbar werden ließen. Mit wachsender Eindringlichkeit wurde nun allenthalben wahrgenommen, daß auf absehbare Zeit keinerlei Aussicht bestand, von dem kostenverschlingenden Unternehmen des Finanzministeriums im Fernen Osten entlastet zu werden. Witte selber hatte sich einzugestehen, daß von den Möglichkeiten, die er der russischen Wirtschaft in Nordchina hatte bieten wollen, vor allem Spekulanten angezogen wurden. Wie die zweifelhaften Aktivitäten der Bezobrazov-Gruppe zeigten, waren ohne massive Staatshilfe noch so hochgespannte Konzessionspläne nicht zum Leben zu bringen, auch dann nicht, wenn sie die persönliche Sympathie des Zaren fanden und auf Einlagen aus der kaiserlichen Privatschatulle zählen durften. Bezobrazov, der mit einer Ostasiatischen Kompanie und mit Waldkonzessionen am Tumen und Yalu das fernöstliche Eisenbahn- und Bankenmonopol Wittes unterlaufen wollte, blieb in Planspielen hängen59. Daß sich das nordchinesische Emflußgebiet keineswegs als ein unerschöpflicher Markt für russische Exporte erwies, kam rasch ans Licht. Sieht man von 11 Geyer

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Wodka und Tabak ab, so wurden die mandschurischen Städte über den zumeist chinesischen Zwischenhandel überwiegend mit Waren europäischer und amerikanischer Provenienz versorgt. Das Material für den Ausbau Port Arthurs und Dairens kam nicht aus Rußland, sondern überwiegend aus Japan und von anderen ausländischen Lieferanten. Ähnliches galt für die Ausrüstung der mandschurischen Bahnen. Vollends außerhalb Kwantungs und des Eisenbahnstreifens konnte von „wirtschaftlicher Eroberung" des Landes keine Rede sein. Auch die offizielle Handelsstatistik spiegelt diesen Sachverhalt. Bis zum Krieg mit Japan war der Warenverkehr zwischen Rußland und China (unter Einschluß Sinkiangs) nur geringfügig gewachsen. Der Gesamtwert der russischen Ausfuhr in das östliche Nachbarland, der 1895 lediglich 5,047 Mill. Rubel betragen hatte, nahm bis 1900 kaum nennenswert zu (6,702 Mill. R.) und erfuhr erst während der Okkupation der Mandschurei, als es die russische Armee zu versorgen galt, eine merkliche Steigerung (1902: 9,315 Mill., 1903: 22,441 Mill. R.). Unverändert aber blieb das von jeher krasse Ungleichgewicht in der für Rußland stets passiven Handelsbilanz. China brachte um die Jahrhundertwende nahezu die Hälfte seiner Teeausfuhr über die russischen Grenzen. Der Gesamtwert des chinesischen Rußlandexports stieg zwischen 1895 und 1903 von 41,567 auf 56,498 Mill. Rubel60. Die Tarifpolitik Wittes, deren Sinn es war, den transkontinentalen Frachtverkehr auf die 1901 eröffnete Ostchinesische Bahn zu lenken, verfing sich in der Konkurrenz der Schiffahrtslinien, die — wie der Norddeutsche Lloyd — ungleich niedrigere Frachtsätze anboten. Selbst der chinesische Teehandel, soweit er bisher über die alte Karawanenroute nach Kjachta gegangen war, hat sich bis 1903 nur etwa zur Hälfte für die Bahn gewinnen lassen61. Wie fragwürdig die zollpolitischen Maßnahmen des Finanzministers waren, verdeutlichten die Folgen der zu Jahresbeginn 1901 verfügten Schließung des Freihafens von Vladivostok. Der Einschluß Transbaikaliens in das protektionistische Tarifsystem Rußlands, mit dem Witte das von ihm favorisierte Dairen begünstigen wollte, führte zu einer empfindlichen Lähmung privater Unternehmerinitiativen in Russisch-Fernost und ließ die ostsibirischen Filialen der Russisch-Chinesischen Bank nahezu verkommen. Zwar vermochte die nun nach Nordchina verlagerte finanzkolonisatorische Tätigkeit im mandschurischen Harbin hektisches Gründertum zu wecken, das sich dank kreditierter Bestellungen für die Bahn und für den Bedarf der Besatzungsarmee hohe Spekulationsgewinne erhoffte62. Aber außer einigen florierenden Mühlenbetrieben, die durch das fortbestehende chinesische Exportverbot für Weizen begünstigt wurden, schlug russische Industrie in der Mandschurei keine dauerhaften Wurzeln. Eine Mandschurische Bergwerkgesellschaft, die nichtrussische Interessenten blockieren sollte, wurde von Witte gegründet und blieb auf dem Papier. Wo immer das russische Chinageschäft am Vorabend des Krieges zum Blühen kam, beruhte es nicht auf der wirtschaftlichen Kraft privaten Unternehmertums, sondern auf finanzieller und militärischer Staatsintervention, die überdies zu Lasten des Kolonisationswerks

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in Ostsibirien ging. Die russischen Privatinvestitionen in der Mandschurei haben bis 1904 den Betrag von 15 Mill. Rubel nicht überschritten, während der Bau der Ostchinesischen Bahn und die Ausstattung von Port Arthur und Dairen nahezu eine halbe Milliarde verschlangen63. Auch diese Bilanz motivierte das Beharren Wittes auf Monopol- und Exklusivrechten in der Mandschurei, Mongolei und in Sinkiang. Wie im kleineren Maßstab in Persien, so ging es auch hier um die Abwehr einer übermächtigen Konkurrenz und um prophylaktische Sicherungen, die dem Finanzeinsatz des Staates zumindest den Schein einer ökonomischen Rechtfertigung verleihen sollten. Rentabilitätskriterien mußten einer ungewissen Zukunft anheimgegeben bleiben. Je fragwürdiger das Konzept der friedlichen Durchdringung wurde, desto klarer entpuppte sich die russische Position in Nordchina als ein Unternehmen, das sich nicht von kommerziellen Erwartungen, sondern vom imperialen Selbstverständnis der Machteliten tragen ließ, von den Normen internationalen Prestiges, von militärstrategischen Maximen und von den ideologischen Substraten eines „kul'turtregerstvo", das die wachsenden Frustrationen und Ängste zu verdrängen half. Vollends die internationale Konfliktlage, die seit der Okkupation der Mandschurei die Gefahr eines russisch-japanischen Zusammenstoßes aktualisierte, hat die Petersburger Ostasienpolitik auf die traditionellen Bahnen bündnispolitischer und militärischer Kombinationen zurückgeholt. Als sich 1903 zeigte, daß die chinesische Regierung nicht mehr bereit war, eine endgültige Räumung der besetzten Provinzen durch neue Präferenzen zu honorieren, wurde die Chinapolitik Petersburgs zu einer bloßen Funktion der russisch-japanischen Gegnerschaft. Daß Korea in der unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges zum nervus rerum werden konnte, hat mit dem ungelösten Mandschurei problem ebenso zu tun wie mit der Zerfahrenheit, die den Prozeß der Entscheidungsfindung in Petersburg charakterisierte. Jede Schwächung Rußlands in Nordchina mußte Port Arthur gefährden und das Interesse verstärken, Japan zumindest aus dem nördlichen Korea fernzuhalten. Seit Abschluß der ersten Räumungsphase im Oktober 1902 hatte die russische Politik vergeblich versucht, die eigene Stellung in der Mandschurei durch neue Abkommen mit Peking festzumachen64. Nach einer Serie interner Konferenzen, deren Verlauf den Orientierungsnotstand der Regierung spiegelte, war im April 1903 schließlich beschlossen worden, die Truppen vorerst stehen zu lassen, bis China den russischen Wünschen gefällig wäre. Als Peking, von den Mächten ermutigt, die im September noch einmal modifizierten russischen Punktationen wieder brüsk zurückwies, sah man sich international in einer unhaltbaren Lage. Noch wichtiger war, daß sich in dieser Situation kein klar formulierbares Programm mehr einstellen wollte: weder in der Frage, wie in der Mandschurei zu verfahren sei, noch zu dem nun alles überragenden Problem, auf welche Weise dem japanischen Rivalen begegnet werden sollte. Niemand war da, der fähig gewesen wäre, die diffusen Meinungen an der Staatsspitze zu vereinigen und in ein wohldurchdachtes Konzept für Verhand11*

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lungen mit Japan umzugießen. Wozu sich der Zar im April 1903 entschloß, beschränkte sich darauf, den selbstherrlichen Aktivismus Bezobrazovs zwischen Yalu und Kwantung zu beschneiden, mit dem dieser die Japaner alarmiert und die Eindämmung der Machtfülle Wittes betrieben hatte. Im übrigen stimmte Nikolaj einer Entsendung Kuropatkins nach Tokio zu, wo dem Kriegsminister im Juni lediglich zu demonstrieren blieb, daß Rußland keine substantiellen Kompromisse anzubieten hatte. Außenminister Lamzdorf war, wie eh und je, besorgt, aber Leitlinien durchzusetzen nicht mächtig. Witte, dessen Einfluß im Schwinden begriffen war, neigte nach Rückkehr von seiner F ernostreise dazu, den Abzug der Truppen aus der Mandschurei für unerläßlich zu halten und den Schutz des russischen Eigentums einer auf 25 000 Mann zu verstärkenden Bahnpolizei anzuvertrauen. Kuropatkin gab zu erwägen, dem drohenden Kon­ flikt dadurch abzuhelfen, daß man womöglich auf Kwantung und die südman­ dschurische Linie verzichte, im Gegenzug aber die Annexion der nördlichen Pro­ vinzen vorbereite, um so die strategische Lage zu verbessern. Die Marineleitung und das F ernostkommando unter Admiral Alekseev in Port Arthur gefielen sich in einer maßlosen Überschätzung der eigenen Potenz und plädierten dafür, eine Landung der Japaner in Korea nicht zu dulden65. Als Tokio im August 1903 präzis formulierte F orderungen vorlegte, mit denen Petersburg gezwungen werden sollte, die Integrität Chinas zu beglaubigen und das japanische Dominat in Korea anzuerkennen66, befand sich das russische Entscheidungszentrum in einem Zustand äußerster Desorganisation und Ent­ scheidungsschwache. Der Zar war dabei, der seit Jahresfrist immer beharr­ licher drängenden F ronde um den Innenminister Pleve, Bezobrazov und seinen Onkel Großadmiral Aleksej Aleksandrovič nachzugeben und sich von der do­ minierenden Präsenz Wittes zu befreien. Durch allerhöchste Anordnung wurde am 1./14. August die fernöstliche Statthalterschaft unter dem in Port Arthur residierenden Admiral Alekseev eingerichtet, ein Schritt, der dem F inanz­ minister, aber auch Kuropatkin alle unmittelbaren Kompetenzen im ostasia­ tischen Krisenfeld entzog und selbst den diplomatischen Verkehr mit Japan an die Mitwirkung des Statthalters band67. Zwei Wochen später übertrug der Zar dem tief gekränkten Witte das einflußlose Ehrenamt des Vorsitzenden des Ministerrates und besetzte das F inanzressort mit dem kranken E. D. Pleske, einem Bankfachmann ohne politische Reputation. Das Triumvirat Witte, Lamz­ dorf, Kuropatkin, das zur Konsensregulierung und Entschlußfassung leidlich fähig gewesen war, gab es seither nicht mehr. In Japan verstärkte sich der Ein­ druck, daß Rußland zu einem Kollisionskurs entschlossen sei. Durch das neugeschaffene Immediatverhältnis zwischen dem Zaren und dem fernöstlichen Statthalter wurden die strukturellen F ührungsschwächen der Au­ tokratie in abenteuerlicher Weise vergrößert. Niemand durfte erwarten, daß der zu Verdrängungen neigende Herrscher imstande wäre, durch sein „persön­ liches Regiment" die ostasiatische Konfliktlage zu steuern. Der Entscheidungs­ prozeß zerfaserte in einem verworrenen Beratungs- und Kommunikationssy­ stem, in dem sich die beteiligten Personen und Instanzen wechselseitig lähmten.

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Der Zar verfügte sich in einer Zeit politischer Hochspannung wochenlang zu seinen hessischen Verwandten. Lamzdorf brauchte nahezu acht Wochen, bis die erste russische Antwort auf die japanischen Propositionen ausgehandelt und über Port Arthur nach Tokio versandt werden konnte. Alekseevs ebenso dilettantisches wie unkontrollierbares Regime in Kwantung und am Yalu verhalf dazu, das hochgradige Mißtrauen der japanischen Gegenspieler zu steigern. Bei alledem wurde die Orientierungslosigkeit der russischen Politik von der Illusion getragen, daß man sich gestatten dürfe, in der Auseinandersetzung mit Japan auf Zeitgewinn zu spielen. Hinzu kam die krasse Unterschätzung der gegnerischen Schlagkraft und Entschlossenheit. Mit der Standardformel, daß er, der Zar, den Krieg nicht wünsche, half sich Nikolaj über die schlichte Wahrheit hinweg, daß die japanische Politik durch Selbstbeschwichtigungen nicht zu beeinflussen war68. Der viermalige Notenaustausch, der zwischen August 1903 und Januar 1904 dem japanischen Angriff auf die russische Flotte in Port Arthur vorausging, ist hier im einzelnen nicht darzustellen69. Das Petersburger Verhandlungsziel war auf die illusionäre Erwartung fixiert, den Bewegungsspielraum der Japaner in Korea durch genau umgrenzte Bestimmungen zu reduzieren, nicht aber die russische Position in der Mandschurei. Als sich zeigte, daß Tokio in immer ultimativeren Wendungen darauf bestand, die Unverletzlichkeit des Chinesischen Reiches und die eigenen Wirkungsmöglichkeiten in der russischen Einflußsphäre garantiert zu sehen, beharrte Kuropatkin auf der Neutralisierung Nordkoreas (bis zum 39. Breitengrad), ein Verlangen, das die Japaner beharrlich abwiesen und das von russischer Seite erst fallengelassen wurde, als der Befehl zum Torpedoangriff auf Port Arthur offenbar schon erteilt war 70 . Gleichwohl hat noch die letzte russische Antwortnote vom 3. Februar 1904 davon Abstand genommen, dem japanischen Essential, „to respect the independence and territorial integrity of the Chinese . . . Empire", Genüge zu tun. Für sich allein genommen, dürften die nach Tokio transferierten Gegenvorstellungen Petersburgs die Japaner schwerlich zum Krieg bewogen haben. Was den Entschluß, einen massiven Präventivschlag zu führen, wohl vor allem provozierte, waren jene Ausflüchte und Verzögerungen, die den Stil der Petersburger Verhandlungsführung charakterisierten. Nicht zu Unrecht befürchtete die japanische „Kriegspartei", daß die Aussicht, die Russen zu Zugeständnissen zu zwingen, vollends schwinden werde, wenn erst der Bahnbau am Baikalsee abgeschlossen und das russische Flottenprogramm vorangeschritten wären71. Es ist nicht leicht, exakt abzumessen, was am Verhalten der Autokratie gegenüber Japan Berechnung war, und was der erstaunlichen Richtungslosigkeit des russischen Decision-making zugeschrieben werden muß. Bald wurde „Festigkeit" für die sicherste Friedensgarantie gehalten, bald darauf vertraut, daß der Krieg nicht kommen werde, weil Rußland ihn nicht wolle und Japan ihn zu fürchten habe. Im übrigen erschöpfte sich die Lageanalyse in der wenig hilfreichen Ansicht, daß „die Zeit der beste Verbündete Rußlands" sei, weil „jedes Jahr uns stärker macht"72. Als Sedativ wirkte auch der Gedanke, Tokio werde sich bei

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einem Angriff international ins Unrecht setzen und in Isolierung geraten, infolgedessen einen Modus suchen, der den russischen Forderungen Rechnung trage. In Betracht zu ziehen ist schließlich, daß die Überschätzung der russischen Macht keineswegs allein ein Produkt russischer Selbsttäuschungen war. Auch in den europäischen Hauptstädten wurde die Kraft des Zarenimperiums hypostasiert, ein Kontinuum westlicher Rußlandbilder, das auf Petersburg zurückschlug und über manche Bedenken hinweghelfen konnte. Die Auffassung war im Ausland weit verbreitet, daß Rußland aufgrund seiner Größe und der Unerschöpflichkeit seiner Ressourcen eine Niederlage gegen Japan nicht zu besorgen habe, selbst dann nicht, wenn dieser Newcomer womöglich zu einigen Anfangserfolgen käme. Die russische Führung mochte ähnliche Meinungen hegen. Ohne Zweifel hatte der politische und militärische Dilettantismus Alekseevs und des Vizeadmirals Abaza, der im „Sonderkomitee für Angelegenheiten des Fernen Ostens" als Schaltstelle zwischen dem Statthalter und dem Zaren fungierte, großen Anteil daran, daß sich Nikolaj zu unzweideutigen Erklärungen der Verständigungsbereitschaft nicht aufzuraffen vermochte. Auch eine konsequente Konfliktstrategie war nicht zu sehen. Noch nach der Abberufung des japanischen Gesandten (25. Januar/7. Februar 1904) wurde nicht mobilisiert, sondern die eigene Ratlosigkeit in der Weisung aufgehoben, eine gegnerische Landung in Korea nur dann als Casus belli zu betrachten, falls dies an der Kwantung zugewandten Westküste nördlich des 38. Breitengrads geschehe73. Nicht weniger verhängnisvoll als die Fehlbewertung Japans war der Tatbestand, daß der Zar und seine Umgebung unfähig blieben, sich über die innenpolitischen Auswirkungen eines Krieges zulänglich Rechenschaft zu geben. Die sich in der autokratischen Führungsschwäche spiegelnde Instabilität des Regimes beruhte durchaus nicht allein auf dem Qualitätsverfall der Machteliten. Wesentlicher war, daß die ostasiatische Konfliktlage mit einer Zeit zusammenfiel, in der sich die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Schäden des Zarenreichs zu einer Systemkrise bedrohlich schürzten. Anders als in den Jahren 1878—1881, sollte in diese Krise nicht nur die „Gesellschaft", sondern die Bevölkerung im ganzen einbezogen werden74. Während die Arbeiterstreiks der neunziger Jahre, aber auch die Universitätswirren von 1899 noch als isolierte, eindämmbare Vorgänge hatten erscheinen können, mehrten sich seit der Jahrhundertwende die Zeichen dafür, daß sich „unter Rußland . . . jetzt ein Vulkan gebildet" habe, „der jede Minute ausbrechen" könne75. Daß das hungernde Rußland nicht länger still zu halten war, zeigten besonders eindrücklich die 1902 aufflammenden Bauernerhebungen, mit denen die ländlichen Grundschichten auf die vorangegangenen Mißernten und auf die Ausweglosigkeit ihrer elenden, von Steuerlasten bedrückten Kümmerexistenz reagierten. Zu diesen Unruhen gesellte sich im Jahr darauf eine rasch ausufernde Streikbewegung, die das Aufbegehren und die Organisationsfähigkeit sozialdemokratisch beeinflußter Arbeiterschaft unterstrich. Revolutionären Aktionswillen verdeutlichte nicht zuletzt die anhaltende Protest- und Demonstrationsbereitschaft der Studenten166 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

schaft, die einer neuen Welle terroristischer Anschläge gegen Minister und Gouverneure zu breiter Resonanz im intellektuellen Milieu der Städte verhalf76. Nach der Ermordung des Unterrichtsministers Ν. Ρ. Bogolepov war im April 1902 auch der Innenminister D. S. Sipjagin, einer der wenigen Freunde Wittes, einem Attentat zum Opfer gefallen. Der Nachfolger, V. K. Pleve, schien man­ chem Beobachter „die letzte Karte" zu sein, die das Regime zur Eindämmung der Krise auszuspielen habe77. Mit der Leitung des Unterrichtsressorts war der 1898 abgetretene Kriegsminister Vannovskij beauftragt worden, der aufsässige Studenten zu den Rekruten stecken ließ. Zu den Zeichen revolutionärer Gärung kam das rasche Anwachsen oppositioneller Stimmungen unterschiedlichster Motivation und sozialer Verankerung: in den Zemstvo- und Stadtverwaltungen, den Adelskorporationen und den Verbänden der akademischen Berufe. Hier offenbarte sich eine Renaissance „gesellschaftlicher Bewegung", die ein weitgefächertes Spektrum politischer Parteiungen auszubilden begann, moderierte Konstitutionalisten, slawophil gestimmte Adelskreise mit antibürokratischem Affekt, radikaldemokratische Intellektuelle, — das Reservoir einer „nationalen Befreiungsbewegung" gegen den Polizei- und Beamtendespotismus, der in der Person des Innenministers Pleve inkarniert schien78. Auch die Nationalitätenfrage, von der Einschnürung der finnländischen Autonomierechte angestoßen, hatte seit der Jahrhundertwende neue Aktualität gewonnen, Öffentlicher Widerwille und Unzufriedenheit aber wurden nicht zuletzt durch die empfindliche Geschäftsstockung genährt, die seit der Jahrhundertwende permanent geworden war. Der von der staatlichen Kapitalarmut verursachte rapide Rückgang der Staatsaufträge bedrückte die Industrie. Der exportorientierte Grundbesitz rieb sich an der Renitenz des Finanzministeriums, das keine Kredite zu vergeben hatte und im Stadium der schwierigen Handelsvertragsverhandlungen mit Berlin auf Zollerleichterungen nicht hoffen ließ79. Der allen gemeinsame Gegner, der vielfältigen Unmut, ja blanken Haß auf sich zog, war die Bürokratie: für die politische Opposition repräsentiert im polizeilichen Unterdrückungssystem, für die „Gesellschaft" in der lähmenden Selbstherrlichkeit der Behörden, für die agrarische und industrielle Wirtschaft in der überkommenen staatlichen Abhängigkeit, die während der Agrarkrise und der Depression doppelt fühlbar war. Dieser gesamtgesellschaftliche Konfliktstau war Ausdruck dynamischer Veränderungen, die zum Ergebnis des wirtschaftlichen Aufschwungs der neunziger Jahre gehörten, und die ihre systemgefährdende Zuspitzung dadurch erhielten, daß die Autokratie ungerührt auf den reaktionären Fundamenten Alexanders III. verharrte. Man kann nicht sagen, daß die bedrohliche Lage, die sich aus den kulminierenden Krisenfaktoren ergab, an der Staatsspitze nicht wahrgenommen worden wäre. Der Sozialrevolutionäre Terrorismus, der um das Leben hoher Zarendiener fürchten ließ, konnte nicht gering geachtet werden. Gegen streikende Arbeiter, bäuerliche Aufrührer und unbotmäßige Studenten wurde denn auch der Repressionsapparat des Regimes mobilisiert — so brutal und unbedenklich,

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daß selbst der Kriegsminister wachsendes Unbehagen empfand, seine Soldaten als Sicherheitspolizei eingesetzt zu sehen und sie „auf eine wehrlose Masse schie­ ßen" zu lassen80. Aber außer Polizei und Militär hatte die Regierung zur Ab­ wehr der Unruhen nichts aufzubieten — es sei denn, man wollte in dem Mos­ kauer „Polizeisozialismus", der die Organisationen der Arbeiterschaft zu zer­ setzen suchte, eine tragfähige Alternative sehen81. „Dank der von niemandem gebremsten Beamtenwillkür", schrieb ein kritischer Beobachter aus dem Um­ kreis des Hofes, „dank gedankenloser bürokratischer Phantasien, einer Regle­ mentierungssucht, die das Komische streift, dank der Abwesenheit jeder gesun­ den, vorausschaubaren Politik gerät das russische Volk immer mehr in eine geknechtete, armselige Lage. Seine Geduld erlahmt, der Boden für die Anarchie wird zunehmend fruchtträchtiger . . . Rußland erwartet großes Unheil."82 Sieht man ab von der Aufhebung der bäuerlichen Solidarhaftung für Steuern und Abgaben, der einzigen Neuerung, die aus jahrelangen Beratungen über die Bauernfrage hervorging83, so war kein weitertragender Reformansatz zu erken­ nen, der für die Innovationsfähigkeit der Selbstherrschaft hätte zeugen können oder auch nur für die Einsicht, daß um der Systemerhaltung willen ein Kurs durchgreifender Stabilisierung dringlich geworden sei. Selbst die unablässigen Appelle seines extrem reaktionären Onkels, des Großfürsten Sergej Aleksan­ drovič, der „unseren Polizeistaat" in Chaos und Anarchie versinken sah84, schienen Nikolaj II. unbeeindruckt zu lassen. Das blutige Judenpogrom von Kišinev (1903) brachte die barbarische Verfassung dieses Staates vor die Augen der Welt85. Der Blick auf die russische Szenerie im Vorfeld des russisch-japanischen Krieges legt die F rage nahe, inwieweit das Verhalten der Regierung im Kon­ flikt mit Japan von den inneren Krisenfaktoren beeinflußt worden ist. Be­ sorgte Äußerungen aus der Umgebung des Zaren, daß ein Krieg wegen der wachsenden Spannungen im Lande vermieden werden müsse, bezogen sich fast ausnahmslos auf die mangelnde Belastungsfähigkeit der Staatsfinanzen. Witte war mit solchen Mahnungen schließlich auch dem Zaren lästig gewor­ den. Die sozialen Erschütterungen wurden dagegen nur gelegentlich und mit größter Zurückhaltung in den Katalog der Argumente eingereiht, mit denen etwa der Kriegsminister für ein defensives Operieren warb. Daß es in der inneren Politik „so nicht lang mehr weitergehen könne"; daß die Armee von politisch unzuverlässigen Elementen durchsetzt werde, wenn es nicht zu einer „Gesundung der ganzen Volksmasse" käme; daß Rückschläge in einem Krieg zu „ernsten Unruhen" führen könnten — solche Befürchtungen haben ein­ zelne Minister, wie Kuropatkin oder der Justizminister Murav'ev, in vertrau­ liche Gespräche oder in ihre Tagebücher abgedrängt, nicht aber ihrem Herrn zu Bewußtsein gebracht86. Insofern wird sich schwerlich sagen lassen, Revolutionsfurcht habe die au­ ßenpolitische Entschlußkraft der Regierung gelähmt. Ebenso marginal für den Entscheidungsprozeß dürften Ansichten gewesen sein, wie sie Pleve im pri­ vaten Gedankenaustausch formulierte, die Meinung, daß Rußland „eines

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kleinen, siegreichen Krieges" bedürfe, um der Revolution zu entgehen, weil „ein Krieg die Aufmerksamkeit der Masse von den politischen Fragen ablenken" werde87. Weder die ernsthafte Abwägung der innenpolitischen Lage, noch die Hoffnung, den Konflikt mit Japan zur Pazifizierung unruhiger Köpfe einsetzen zu können, haben bei den Beratungen im Winter 1903/04 eine Rolle gespielt, die sich in den Quellen fassen ließe. Was auf den Zaren einwirkte, mochte allenfalls eine dunkle Ahnung sein, daß die Autokratie dabei war, sich in der Innen- und Außenpolitik gleichermaßen in Aporien festzulaufen. Der krampfhafte Versuch, durch die Entlassung Wittes, die Zurückdrängung Bezobrazovs und durch das Immediatverhältnis zum fernöstlichen Statthalter die Verhältnisse wenigstens im eigenen Umkreis zu wenden, könnte als Reflex solcher Empfindungen gedeutet werden. Perpetuiert wurde aber nur die habituelle Unsicherheit und Handlungsschwäche des Zaren, der mit eingeschliffenen Attitüden und einer geradezu fatalistischen Zuversicht in den Krieg hineingeriet. Ein strategisches Konzept, das auch nur die militärischen Implikationen der Lage verarbeitet hätte, war nicht zur Hand, geschweige denn eine Analyse, von der der Zusammenhang zwischen äußerer und innerer Bedrohung erfaßt worden wäre. Anders als in der Balkankrise der siebziger Jahre gab es keine mobilisierte Öffentlichkeit, die gesonnen gewesen wäre, die entschiedene Wahrung russischer Interessen, gar die „Würde" des Imperiums einzuklagen. Die gesellschaftlichen Erwartungen waren „domestic minded", bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen auf innenpolitische und soziale Veränderungen aus, nicht auf die Abwehr jener „gelben Gefahr", mit der Wilhelm II. seinem Vetter seit Jahren in den Ohren lag, nicht auf die Exekution einer ostasiatischen „Sendung", die den imperialistischen Stil der Witteschen Politik ideologisch eingekleidet hatte88. Am Vorabend des russisch-japanischen Krieges war die Autokratie mit sich allein.

5. Krieg und Revolution Was verfolgt werden soll, ist nicht die Kriegsgeschichte, nicht die Kette russischer Niederlagen bis hin zur Vernichtung des Ostseegeschwaders, das nach langer, beschwerlicher Fahrt im Mai 1905 vor Tsushima mit wehenden Fahnen unterging1. Die Erörterung konzentriert sich vielmehr auf den Zusammenhang von imperialistischer Politik, sozialer Revolutionierung und wirtschaftlicher Krise, der nach dem Petersburger „Blutsonntag" (9./22. Januar 1905) vor aller Augen kam2. Insofern ist das Kriegsgeschehen hier nur insoweit einzubeziehen, wie das militärische Fiasko der Petersburger Ostasienpolitik als Erklärungshilfe für die Erschütterung der Autokratie in Rußland selber dienen kann. Drei Fragen vor allem sind dabei anzugehen: zum ersten ist der Anteil zu bestimmen, der dem Kriegsverlauf an der Entfaltung der

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Regimekrise zugemessen werden darf; zum zweiten ist zu prüfen, welche Faktoren der revolutionären Binnenlage den Zaren dazu brachten, sich im Sommer 1905 für einen Verhandlungsfrieden zu entscheiden; zum dritten schließlich werden die Rückwirkungen der Kriegsniederlage auf den Existenzkampf zu beschreiben sein, den das alte Regime gegen die Revolution und den eigenen Finanzbankrott zu führen hatte. 1. Unmut, Aufsässigkeit und Protest hatten sich, wie gezeigt, in Rußland auszubreiten begonnen, als von Kriegsgefahr, gar von militärischen Niederlagen, noch keine Rede war. Die seit der Jahrhundertwende wachsende Destabilisierung war das Produkt einer weitreichenden Krise, an der die wirtschaftliche Depression und die progressierenden, durch Mißernten verschärften Nöte der ländlichen Grundschichten ebenso beteiligt blieben wie die Unfähigkeit der Regierung, ihre schüttere Legitimationsbasis durch eine entschlossene Reformpolitik zu festigen. Nicht zuletzt das rüde Regime des Innenministers Pleve hatte dazu beigetragen, dem bürokratischen Polizeistaat den Kredit auch dort zu entziehen, wo die Autokratie selbst mit bescheidenen Zugeständnissen Vertrauen und Kooperationsbereitschaft hätte wecken können: inmitten der Zemstvo-Gesellschaft, deren Vertreter danach verlangten, der administrativen Strangulierung zu entkommen und ihre Eigentätigkeit durch allerhöchsten Zuspruch gewürdigt zu finden. Statt dessen demonstrierte Pleve allenthalben, daß die Regierung auch an loyale Untertanen Freiheiten nicht zu vergeben gedachte. Solche Harthörigkeit war aktivistischen Kräften liberaler Intelligenz zugute gekommen, die zumal auf den berufsständischen Kongressen dieser Jahre, bei Ärzten, Juristen und Agronomen, aber auch im Milieu der lokalen Selbstverwaltung, das Klima politisierten. Mit konstitutionellen Forderungen hatte die im Sommer 1903 gegründete „Befreiungsunion" (Sojuz osvoboždenija) für die Bildung einer nationalen Einheitsfront zu werben begonnen und dabei sogar den sozialistischen Gruppen im Kampf um politische Freiheit Solidarität und Sympathien angetragen3. Im Untergrund und Exil hatten die Agrarunruhen und die Streikbewegungen von 1902 und 1903 begreiflicherweise neues Selbstvertrauen gestiftet. Die Antwort der Sozialrevolutionäre war eine aufsehenerregende Renaissance des Terrorismus, kombiniert mit agrarsozialistischen Agitationskampagnen, die der Fassungskraft und den Erwartungen des Bauernvolkes nahekommen sollten4. Auch bei den Sozialdemokraten stieg die Zuversicht, daß es gelingen könnte, die aufreibenden Fraktionskämpfe zwischen Bolschewiki und Menschewiki zu dämpfen und proletarische Massen in wachsender Zahl auf die Straße zu bringen5. Bei allen diesen Sammlungsbemühungen, Aktionsansätzen und programmatischen Klärungsversuchen, die das oppositionelle wie das revolutionäre Lager beschäftigt hielten, hatte die Außenpolitik kein nennenswertes Interesse auf sich gezogen. Selbst in den Monaten äußerster Zuspitzung des russisch-japanischen Konflikts war die Kritik an dem Dauerengagement des Zarismus im Fernen Osten auf vereinzelte Kommentare beschränkt geblieben. Im Juli 170 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

1903 hatte das Organ des Befreiungsbundes, das in Stuttgart erscheinende „Osvoboždenie", die Regierung angeklagt, mit ihrem antijapanischen Kollisionskurs die französische Freundschaft zu riskieren, England und Amerika gegen Rußland aufzubringen und die russischen Interessen im Nahen Osten, in der „naturgegebenen" Einflußzone des Imperiums, sträflich zu vernachlässigen6. Daß der „gewaltige Bernhardiner" (Rußland) dem „kleinen Mops" (Japan) unterliegen könnte, wurde auch von der legalen Oppositionspresse für unwahrscheinlich gehalten7. „Revoljucionnaja Rossija", das Sprachrohr der Sozialrevolutionäre, meinte noch wenige Tage vor Ausbruch der Feindseligkeiten, daß die leeren Kassen in Petersburg und Tokio für den Frieden sprächen. Zwar sei für die herrschende Kamarilla die Versuchung groß, die Unzufriedenheit der Volksmassen durch kriegerische Abenteuer abzulenken, doch werde das „kaiserlich-plutokratische Rußland", das nach Märkten für die kapitalistische Industrie verlange, solche Risiken nicht auf sich nehmen wollen8. Wie man sieht, war die Möglichkeit eines Krieges in das strategische Kalkül der Revolutionäre noch nicht einbezogen worden. Daß ein Krieg dazu führen könnte, den „Kannibalen des nationalen Chauvinismus" ein blutiges Finale zu bereiten, war eine eher beiläufige Reflexion geblieben. Auch sozialdemokratische Gruppen hatten sich von dem Gedanken nicht sonderlich stimulieren lassen, daß der drohende Zusammenstoß den „Anfang vom Ende des russischen Absolutismus" bedeuten werde9. Nach dem japanischen Überfall auf Port Arthur wurden exaktere Positionsbestimmungen unvermeidlich. Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre konzentrierten sich seither darauf, die Losung „Krieg dem Kriege" zu verbreiten und ihren entschiedenen Defätismus als Teil des revolutionären Kampfes zu begreifen10. Erst die Folgen des Petersburger Blutsonntags im Januar 1905 sollten die Einsicht vermitteln, daß der Krieg als Hebel der Revolution tatsächlich zu wirken begann. Von ungleich einschneidender Bedeutung war der Kriegsausbruch für die breit gefächerte Verfassungsbewegung des liberal-konstitutionellen Lagers. Hier fand man sich in vordem ungeahnte Identitätskonflikte verstrickt11. In der Zemstvo-Gesellschaft und den städtischen Kommunalorganen breiteten sich patriotische Stimmungen aus. Über einige Monate hin wurden die oppositionellen Aktivitäten lahmgelegt. Die Ansicht, daß in einer Zeit äußerer Bedrohung ein Burgfriede zwischen Regierung und Gesellschaft geboten sei, überwölbte die alten Gegensätze. Am eindeutigsten war das Bekenntnis zur Vaterlandsverteidigung in jenen Kreisen, die an der slawophil eingefärbten Hoffnung hingen, daß Rußland von allen Übeln genesen werde, wenn Herrscher und Volk in einer auf Vertrauen gegründeten Harmonie einander verbunden wären, wenn bürokratische Willkür und administrative Gängelung dieser spirituellen Beziehung nicht länger entgegenstünden. Durch Ergebenheitsadressen an den Zaren, Angebote zur Unterstützung des Roten Kreuzes und durch andere Hilfsaktionen gedachte man, das eigene Gewicht zu stärken und Nikolaj II. dazu zu bringen, Vertreter der Gesellschaft an die Stufen des Throns zu ziehen.

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Auch die von weitergehenden Reformwünschen bewegten Zemstvo-Konstitutionalisten, die Rußland nach dem Muster liberaler Rechtsstaatlichkeit verwandelt sehen wollten, haben sich nach Kriegsausbruch von der patriotischen Welle tragen lassen und ihre Mitwirkung an der Bekämpfung des äußeren Feindes für eine nationale Pflicht gehalten. Das schloß herbe Kritik an der Ostasienpolitik des Regimes nicht aus. Aber die Erwartung überwog, daß der Krieg den Zaren schließlich zwingen werde, einer Regeneration auf konstitutioneller Grundlage Raum zu geben. Die ersten Mißerfolge an der Front festigten die Meinung, daß eine Katastrophe nur dann abzuwenden sei, wenn eine gewählte Volksvertretung die Geschicke des Vaterlandes mitbestimme. Daß patriotische Empfindungen im Frühjahr 1904 selbst in radikalen Kreisen nicht ohne Einfluß waren, zeigten divergierende Äußerungen aus der Mitte des Befreiungsbundes. Zwar wurde hier die Überzeugung hochgehalten, daß nur die Zusammenfassung aller freiheitlich gesinnten Kräfte ein „freies Rußland" schaffen werde. Aber die Sorge war doch groß, sich mit einem vorbehaltlos defätistischen Kurs von der „Gesellschaft" zu isolieren. So war Peter Struve, der Herausgeber des „Osvoboždenie", um höchst künstliche Unterscheidungen bemüht, als er in seinen ersten Kriegsartikeln die russische Armee leben ließ und beteuerte, daß Pleve für Rußland gefährlicher sei als der japanische Feind. Es bedurfte einiger Zeit, bis vehemente Gegenstimmen die Osvoboždency dazu brachten, zu eindeutigeren Positionen zurückzukehren und im Sturz der Autokratie das vordringlichste Kriegsziel der Befreiungsbewegung zu sehen12. Zu diesem Klärungsprozeß haben die militärischen Rückschläge ebenso beigetragen wie die Repressionen, mit denen Pleve die Selbstverwaltungsorgane drangsalierte. Die patriotische Aufwallung der ersten Kriegswochen war rasch verbraucht. Die hochtönenden Phrasen der Regierungspresse vermochten die Siegeszuversicht nicht frisch zu halten. Schon Anfang Mai 1904 kam bei den Zemstvo-Führern die Einsicht auf, daß die Hoffnungen auf eine vertrauensvolle Kooperation getrogen hatten. Beeindruckt von den Nachrichten aus dem Frontgebiet, von regierungsfeindlichen Demonstrationen in Warschau und Helsingfors, von den Terrorakten sozialrevolutionärer Kampfgruppen, denen der finnländische Generalgouverneur Bobrikov (3. Juni 1904) und wenig später gar der verhaßte Innenminister (15. Juli) zum Opfer fielen, begann sich die russische Opposition während der Sommermonate neuerlich zu sammeln. Die radikalen Losungen des Befreiungsbundes, die das „Nieder mit der Autokratie" mit Antikriegsparolen verbanden und den Kampf um eine Verfassungsgebende Versammlung forcierten, blieben auch dort nicht ohne Resonanz, wo man illegale Formen gesellschaftlichen Protestes gern vermieden hätte. Seither stand der Entfaltungs- und Differenzierungsprozeß der Reformbewegung in enger Wechselbeziehung zu den Versuchen des Regimes, den raschen Autoritätsverfall durch Sympathiewerbung und halbherzige Zusagen zu bremsen. Im Konflikt zwischen Regierung und Opposition bildeten sich wiederkehrende Reaktionsmuster aus, an denen die decouvrierende Wirkung des Krieges und die alsbald aufbrechende Massenunruhe großen Anteil hatten.

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Bekanntlich konnte keine Rede davon sein, daß der Zar nach der Ermordung Pleves imstande gewesen wäre, durch bloße Gesten neues Vertrauen zu stiften. Ein kaiserliches Manifest vom 11. August, das — wenige Tage nach dem Debakel des Pazifikgeschwaders vor Port Arthur — die Körperstrafe abzuschaffen und die rückständigen Loskaufzahlungen zu löschen versprach, hat selbst die sogen. „Slawophilen" um den Moskauer Zemstvo-Vorsitzenden D. N. Šipov unbeeindruckt gelassen. Freundlicher stimmte die der Niederlage von Liao Yang (21. August) folgende Ernennung des Fürsten P. D. Svjatopolk-Mirskij zum Innenminister, der mit einem milderen Regiment das gestörte Verhältnis zum Zemstvo zu reparieren hoffte13. Doch Mirskijs „Regierungsfrühling" fand, wie sich zeigte, zwar manchen Zuspruch, aber keinen Halt. Der Befreiungsbund hatte sich inzwischen weit geöffnet und Ende September in Paris gemeinsam mit sozialistischen und nationalrevolutionären Gruppen demokratische Resolutionen signiert14. Zwar gelang es seinen Führern nicht, dieses Aktionsprogramm auch dem Allrussischen Zemstvokongreß aufzuerlegen. Aber der konstitutionellen Einheitsfront, die hier, im November 1904, zustande kam, konnte der handlungsschwache Innenminister kein Genüge tun: Während der Kongreß verlangte, daß die Regierung freie Wahlen zu einer Volksvertretung gestatte, versagte sich der Zar selbst Svjatopolk-Mirskijs bescheidenem Konzept einer Reichsratsreform15. Um die gleiche Zeit mobilisierten Bankettkampagnen, neuentstandene Berufsverbände und die aufsässig gewordene publizistische Regimekritik das liberale und demokratische Potential der Intelligenz. Die Bewegung war dabei, über die Grenzen eines moderierten Konstitutionalismus hinauszutreiben. Die Popularität, die das „vierschwänzige" Wahlrecht und der Ruf nach einer Verfassung „von unten" gewannen, war durch so unpolitische Konzessionen, wie sie der Zar am 12. Dezember verkündete, nicht mehr einzudämmen16. Mit der ausdrücklichen Verurteilung der Zemstvobewegung, deren ungesetzliche Auftritte den „Feinden des Vaterlands" gefällig seien, hat die Obrigkeit auch jene stumm gemacht, die um des inneren Friedens willen ein glaubwürdiges Zeichen allerhöchsten Vertrauens ersehnten. Der Fall von Port Arthur (20. Dezember) half die Sinnlosigkeit des Krieges und die Ratlosigkeit der Regierung gleichermaßen zu verdeutlichen. Und während der Herrscher für Rußlands „Ruhm und Ehre" und für sein Imperium am Pazifik immer neues Kanonenfutter nach dem Osten schickte, begannen in den großen Industriezentren die Streikunruhen auszuufern. Sie signalisierten den Aufbruch einer Protestbewegung, für die das Zemstvo durchaus entbehrlich war. Als sich in den ersten Januartagen das Arbeitervolk von Petersburg in den Fabriken nicht mehr halten ließ und der Demonstrationszug des Priesters Gapon vor dem Winterpalais zusammengeschossen wurde, war niemand mehr da, der dem Regime im Namen der „Gesellschaft" hätte applaudieren wollen17. Weder in der sogen. Šidlovskij-Kommission zur Behandlung von Arbeiterfragen noch in Fühlungnahmen mit den Unternehmerverbänden vermochte die Regierung Ansatzpunkte auszumachen, die eine Eindämmung der Massener-

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regung versprochen hätten18. Die Forderung nach politischen Reformen war allgemein geworden. In der Tat ist die Verfassungsbewegung seither von der revolutionären Woge fortgetragen worden, die wie ein Steppenbrand zunächst das städtische Rußland und die polnischen Reichsteile ergriff und alsbald auch auf die Dörfer überschlug. In der Schwarzerdezone und in den Randgebieten kam es zu wilden Ausschreitungen gegen den Gutsbesitz. Für das konstitutionelle Lager spitzte sich im Frühjahr 1905 alles auf die Frage zu, wie die aufbegehrenden Massen für den „friedlichen Weg" der Reform zu gewinnen seien. Die Befürchtung wuchs, daß die revolutionären Parteien den „besonnenen Kräften" das Volk entziehen würden, falls das konstitutionelle Programm nicht mit entschiedenen sozialen Forderungen zugunsten der Arbeiterschaft und der Bauern verbunden werde19. Die Tendenz zur Radikalisierung der eigenen Positionen ergab sich daraus, durchsetzt von der nagenden Sorge vor einer Revolution, die nicht nur die Autokratie, sondern auch die Gesellschaft verschlingen könnte. Als das kaiserliche Reskript an den neuen Innenminister Bulygin (18. Februar 1905) von der Absicht Kunde gab, „würdige, mit dem Vertrauen des Volkes ausgestattete und von der Bevölkerung gewählte Personen zur vorbereitenden Ausarbeitung und Beratung von Gesetzesvorschlägen heranzuziehen", war nur eine Minderheit der organisierten Opposition bereit, die Offerte des Zaren für ausreichend zu halten20. Es versteht sich, daß der Krieg, der dem Regime Ende Februar bei Mukden abermals eine schwere Demütigung brachte, an der Eskalation der Systemkrise nach wie vor beteiligt blieb. Dennoch ist nicht zu unterstellen, daß die Revolution von 1905 wesentlich als Antikriegsbewegung groß geworden wäre. Im sozialistischen wie im liberalen Milieu wurde die Friedensfrage vom verfassungs- und sozialpolitischen Umgestaltungswillen überlagert. Sozialrevolutionäre, Menschewiki und Bolschewiki waren, bei allen Unterschieden der Revolutionsauffassung und Revolutionsstrategie, auf den bewaffneten Volksaufstand gegen die Selbstherrschaft fixiert21. Dabei wurde der Zusammenhang von Krieg und Revolution nicht verkannt. In den militärischen Schlägen, die der Zarismus im Fernen Osten empfing, sah man ein Unterpfand für den eigenen Sieg. Aber nur wenige russische Sozialisten haben die revolutionäre Qualität des Krieges so hochgeschätzt, wie dies Lenin tat. Nach dem Fall von Port Arthur plädierte er öffentlich für den Sieg der Japaner, weil, wie er meinte, „der Kampf des internationalen und des russischen Proletariats für den Sozialismus" in stärkstem Maß von der Niederlage des russischen Absolutismus in diesem Krieg abhängig sei. Der Kampf der japanischen Bourgeoisie gegen den Zarismus besitze progressive Bedeutung; das „fortschrittliche Asien" (in Gestalt Japans) bringe dem „rückständigen Europa" (in Gestalt des Zarismus) entscheidende Schläge bei; infolgedessen spiele dieser „historische Krieg" eine „gewaltige revolutionäre Rolle": „Der Krieg ist noch längst nicht beendet, aber jeder Schritt zu seiner Verlängerung bringt uns dem Augenblick eines neuen gewaltigen Krieges näher, dem Krieg des Volkes gegen die Selbstherrschaft, dem 174 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Krieg des Proletariats für die F reiheit."22 Niemand sonst hat ähnlich unver­ hüllt darauf beharrt, daß nicht der F riede, sondern der Krieg das Elixier der Revolutionäre sei. Der Verfassungsbewegung mochten solche Reflexionen als pervers erscheinen. Aber auch die entgegengesetzte These, der Gedanke an den schließlichen Sieg der russischen Waffen, hatte seinen Nennwert weithin verloren. Nur ganz vereinzelte Stimmen, wie die des Char'kover Professors P. P. Migulin, eines alten Kritikers der Witteschen F inanzpolitik, hielten noch nach Port Arthur daran fest, daß die Behauptung Kwantungs und Koreas eine Vorbedingung für die notwendige innere Erneuerung Rußlands sei. Selbst in den Unternehmerver­ bänden und den Börsenkomitees war der Enthusiasmus versiegt23. Migulins Appelle, sich zu einem rückhaltlosen Imperialismus zu bekennen, erinnerten an Max Weber und F riedrich Naumann: Kein Staat könne in dieser Zeit auf Weltpolitik verzichten — auch Rußland nicht; sich zu bescheiden heiße, die Binnenverhältnisse in reaktionären Gleisen festzuhalten; allein die siegreiche Durchsetzung der russischen Interessen in Ostasien und am Pazifik werde den inneren Aufbruch bringen, schöpferische Kräfte und „kosmopolitische Ideen" ins Freie kommen lassen, die russische Passivität und Selbstbezogenheit, „unseren ewigen F luch — die Oblomovščina", endlich überwinden helfen24. Im F rühjahr 1905 war die vehemente Ablehnung, die dem Krieg aus der Zemstvo-Gesellschaft entgegenschlug, durch solche Beschwörungen nicht mehr einzudämmen. Auf seiten der Opposition dominierten die liberaldemokra­ tischen Parolen des Befreiungsbundes, der auf dem Allrussischen Zemstvo­ Kongreß (22. bis 26. April) eine breite, freilich wenig konsistente Mehrheit für eine demokratisch gewählte Konstituante mobilisieren konnte25. Nach wie vor wirkte hier die Hoffnung mit, daß die nicht abreißenden militärischen Kata­ strophen dem Erfolg der Konstkutionalisten zuträglich seien. Der Untergang der F lotte vor Tsushima (14./27. Mai) belebte die Hoffnung auf ein rasches Ende des „nutzlosen Krieges". Aber die Aufmerksamkeit blieb doch unvergleich­ lich stärker auf die innere Entwicklung gerichtet als auf das Kriegstheater. Wenig spricht dafür, daß die seit Ende Mai erkennbare Neigung der Regierung, zu einem Verhandlungsfrieden mit Japan zu kommen, die Orientierung inner­ halb der Zemstvo-Gesellschaft und der anderen Verbände merklich beeinflußt hätte. Wichtiger wurde im Lauf des Sommers die steigende F urcht vor der elemen­ taren Wucht der sozialen Konvulsionen. Viele honorige Konstitutionelle wur­ den von der Ahnung gequält, daß mit der Autokratie womöglich auch die Grundlagen bürgerlicher Ordnung hinweggefegt werden könnten. Im Anblick einer Entwicklung, aus der man Chaos und Anarchie wuchern sah, wurde man­ cher couragierte F reund der F reiheit schwach. Anfang Juni suchten denn auch die prominentesten Vertreter der Verfassungsbewegung noch einmal das Ohr des Zaren aufzutun. Der gnädige Empfang, den der Herrscher den liberalen, in ordensgeschmückten F räcken erschienen Bittstellern angedeihen ließ, trug 175 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

indessen nicht weit. Wenige Tage später bestärkte Nikolaj eine Deputation reformfeindlicher Extremisten in ihrem Kreuzzug für die Autokratie26. Auch auf die Richtungskämpfe im Befreiungsbund wirkten die revolutio­ nären Erschütterungen unvermindert ein: der Matrosenaufstand auf dem Pan­ zerkreuzer Potemkin, blutigen Kämpfe in Odessa und anderswo, die bäuerlichen Rebellionen. Zwischen dem radikaldemokratischen Intelligenzkartell, dem „Verband der Verbände", und dem gemäßigten Zemstvolager begannen sich die Osvoboždency aufzureiben. Um Anpassung oder Abgrenzung ging der Streit. Auf den Konferenzen der berufsständischen Verbände im Juli und August hat sogar der Generalstreik F ürsprecher gefunden27. Die F rage von Krieg und Frieden war demgegenüber von marginalem Belang. In welchem Maß sich der Revolutionsprozeß verselbständigt hatte, zeigte sich während der F riedenskonferenz (27. Juli bis 23. August). Die Verhand­ lungen Wittes mit den Japanern wurden von den heftigen Kontroversen über­ schattet, die der Erlaß über die Einrichtung einer beratenden Reichsduma und die dazugehörigen Wahlverordnungen in allen politischen Lagern auslösten28. Überdies hat der F riedensvertrag von Portsmouth (23. August/5. September) die Streik- und Aufstandsbewegung bekanntlich nicht zum Halten gebracht. Der Höhepunkt des inneren Krieges, in dem sich die Regierung schließlich durch das Oktobermanifest (17./30. Oktober) zu retten suchte, stand noch be­ vor29. 2. Außer F rage steht, daß an dem Entschluß Nikolajs, sich nach dem Un­ tergang der F lotte der F riedensvermittlung des amerikanischen Präsidenten zu bedienen, die revolutionäre Situation in Rußland entscheidenden Anteil hatte. Aber der Druck der Binnenlage, der das Ende der Belastbarkeit des Landes anzeigte und um den F ortbestand der Selbstherrschaft fürchten ließ, darf doch nicht isoliert betrachtet werden. Die inneren Wirren vertieften nicht nur die psychischen F olgen der Kriegsniederlagen, sondern erschütterten zugleich die internationale Position des Zarenreiches. In der Harthörigkeit der auslän­ dischen Kapitalgeber sprach sich aus, daß ein länger andauernder Krieg nicht mehr zu finanzieren wäre — es sei denn, man riskiere den Staatsbankrott und damit die Großmachtstellung Rußlands überhaupt. Die innere und äußere Be­ drohung des Regimes begann, sich im Mai 1905 zu einer Krise auszuwachsen, in der dem Zaren nur mehr der Weg zum Frieden blieb. Wann dem Herrscher diese auf die Kriegsführung durchschlagenden Ge­ fahren tatsächlich aufgegangen sind, ist nicht leicht zu bestimmen. Lange Zeit schien es, als wehre sich Nikolaj gegen die Zumutung, die F olgen der Revo­ lution auch nur in Umrissen zu begreifen. Erst nach der Ermordung seines Onkels, des Großfürsten Sergej Aleksandrovič (4. F ebruar 1905), mochte er allmählich wahrgenommen haben, daß eine Revolution in Rußland nicht nur denkbar sei, sondern daß sie, wie ihm sein Innenminister verriet, „bereits begon­ nen" habe30. Aber auch dann noch hatte der Zar mit dem Reskript an Buly­ gin, das der „Gesellschaft" eine im einzelnen höchst dubiose F orm politischer

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Partizipation verhieß, keine durchgreifenden Konsequenzen gezogen. Die autokratische Regierung sollte so unverrückbar bleiben wie das Ziel, den Krieg bis zum siegreichen Ende zu führen. Auch spricht nichts dafür, daß Nikolaj dem Rat seines zudringlichsten Briefpartners, des deutschen Kaisers, hätte entsprechen wollen, im Moskauer Kreml, „vom Klerus mit Bannern, Kreuzen, Weihrauchkesseln und Heiligenbildern" umgeben, dem Volk zu verkünden, daß er, der Zar, gesonnen sei, um des „Heiligen Krieges" willen zu seiner tapferen Armee zu gehen31. Einer so cäsaristischen Attitüde, wie sie manchem slawophilen Herzen naheliegen mochte, war er weder gewachsen noch zugetan. Ebenso fern aber schien der Zar jenem tiefen Pessimismus zu stehen, mit dem Witte Ende Februar 1905 dem Oberkommandierenden Kuropatkin die Ausweglosigkeit der Lage beschrieb: den Verfall des internationalen Prestiges, die unermeßlichen Kosten und Opfer des Krieges, „des wahnsinnigsten Krieges, der je in der Welt geführt wurde", die Unfähigkeit der von allen verachteten Regierung, die psychische Erregung in allen Volksschichten, die neue schreckliche Blutbäder und Katastrophen befürchten lasse32. Nach der Niederlage bei Mukden (27. Februar) waren die Hoffnungen Nikolajs und seiner Umgebung noch ganz auf die Ostseeflotte konzentriert, die seit dem Herbst 1904 unter den Augen der Welt auf dem Weg nach Ostasien war, dazu bestimmt, die japanische Seeherrschaft zu brechen und das Kriegsglück zu wenden. Der allen nüchternen Beobachtern geläufigen Einsicht, daß die Kampfkraft dieser von peinlichen Affären begleiteten Armada nicht groß sein konnte, hatte sich das offizielle Petersburg geflissentlich verschlossen33. Erst Tsushima sollte auch den Zaren innewerden lassen, daß der Krieg nicht länger durchzuhalten war. Selbst die finanziellen Probleme der Kriegführung mochten Nikolaj bis zum Frühjahr 1905 nicht so alarmierend erschienen sein, daß er sie, wie manche andere Kalamitäten, mit einiger Anstrengung nicht hätte verdrängen können. Offenbar hatte der Finanzminister V. N. Kokovcov34, vom Finanzkomitee des Reichsrats unterstützt, den Herrscher lange Zeit gegen derlei Sorgen abgeschirmt; jedenfalls waren panische Stimmungen bei Hof nicht aufgekommen. An dem Grundsatz, daß die Golddeckung der russischen Währung unter allen Umständen zu sichern sei, war unverrückbar festgehalten worden. Hinter dieser Prinzipienfestigkeit stand der nüchterne Sachverhalt, daß die internationale Kreditfähigkeit des Reiches längst zur Existenzbedingung russischer Politik geworden war, im inneren wie im internationalen Verband. Aus dieser Einsicht hatte sich zwangsläufig ergeben, daß die Kriegskosten überwiegend mit ausländischen Krediten bestritten werden mußten. Umfangreiche Staatsanleihen, die sich unter den gegebenen Umständen nur mit Paris oder mit Berlin aushandeln ließen, hatten zu gewährleisten, daß der russische Goldschatz konserviert, der Ankauf von Rüstungsgütern möglich und der laufende Schuldendienst gesichert blieben. Die Finanzgeschichte des russisch-japanischen Krieges ist gut erforscht35. Bei Kriegsbeginn hatte sich der russische Finanzhaushalt, der hohen Auslandsverschuldung (1904: ca. 4,2 Mrd. Rubel) ungeachtet, keineswegs in heilloser 12

Geyer

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Verfassung befunden. Die Zins- und Tilgungsverpflichtungen waren wie eh und je im Budget untergebracht worden, und dank ausweisbarer Überschußbeträge der Staatskasse (ca. 500 Mill. Rubel) hatte der Finanzminister freie Mittel zur Hand gehabt, um über die ersten Kriegsmonate leidlich hinwegzukommen. Da jedoch langfristig geplant werden mußte, war das Thema neuer Auslandsanleihen schon im Frühjahr 1904 akut geworden36. Die weitere finanzielle Ausstattung erforderte lästige Verhandlungen mit den großen französischen und deutschen Bankhäusern, bei denen Petersburg, wie schon zu Friedenszeiten, auch mit politischen Pressionen der Regierungen zu rechnen hatte. Aber die Schwierigkeiten waren, wie das erste Kriegsjahr zeigte, nicht unüberwindlich gewesen. Das französische Kabinett, das an einem russischen Sieg über die Japaner nicht zweifeln wollte, hatte sich im April 1904 dem russischen Ersuchen nicht verschlossen und unter der Drohung Wittes und Kokovcovs, gegebenenfalls nach Berlin zu gehen, einem von Noetzlin und Hottinguer ausgehandelten Anleihegeschäft zugestimmt. Die Bedingungen für diesen 800 Mill. frcs.-Kredit (300 Mill. Rubel) waren der Zwangslage Rußlands angemessen, d. h. sie waren nicht sonderlich gut: auf fünf Jahre terminierte fünfprozentige Schatzbriefe in zwei Partien aufgelegt, dazu ein hoher Kommissionssatz für die Banken (1,5 % ) bei niedrigem Ausgabekurs (94) — solche Konditionen zeigten, daß Frankreich seinem Alliierten kein leichtes Geld zuzuwenden gedachte37. Aber der Verkauf der Anleihe war anstandslos und ohne die befürchteten Kurseinbrüche vor sich gegangen, und die Forderungen der französischen Regierung nach vermehrten Industriebestellungen und nach Vollendung strategischer Linien (Bologoe — Siedice) erwiesen sich in der Praxis als nicht einklagbar. Etwa zwei Drittel der russischen Auslandsaufträge wurden 1904/05 an deutsche Firmen vergeben38. Weiterer Bittgänge nach Paris hatte sich der russische Finanzminister vorderhand enthoben gesehen. Abermals profitierte Petersburg von der deutsch-französischen Rivalität. Nach Abschluß des Handelsvertrags mit Deutschland, der von Witte und Bülow im Juli 1904 endlich signiert worden war, durfte Kokovcov einer — lange versagt gebliebenen — Berliner Anleihe sicher sein. Insofern war die Klage Moskauer Blätter, daß der Handelsvertrag für Rußland als ein „wirtschaftliches Sedan" anzusehen sei, weidlich überzogen39. Angesichts der bevorstehenden deutschen Kapitalhilfe hatte sich Kokovcov im Herbst 1904 sogar veranlaßt gesehen, die wegen neuer Geschäfte sondierenden Repräsentanten des Crédit Lyonnais auf das kommende Frühjahr zu verweisen. Die Verhandlungen mit dem Berliner Bankhaus Mendelssohn, deren Ergebnis Mitte Dezember vom Zaren gebilligt wurde, sind dem russischen Finanzminister in guter Erinnerung geblieben40. Die 4 1/2 Prozent-Anleihe mit einer Laufzeit von 80 Jahren entsprach dem Interesse der Berliner Politik, Rußland im Krieg festzuhalten und es womöglich für eine antienglische Kontinentalliga reif zu machen. Das Kreditgeschäft war auf 500 Mill. Reichsmark (231 Mill. Rubel) festgelegt worden und wurde in den ersten Wochen des neuen Jahres unter Beteiligung auch russischer Banken realisiert41. 178 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Die scheinbar mühelosen Anleiheoperationen, mit denen die extreme Aus­ landsabhängigkeit der russischen Staatskasse vorerst aufgefangen worden war, vermochten jedoch das hohe Risiko der russischen Kriegsfinanzierung allenfalls notdürftig zu verschleiern. Da sich das Petersburger F inanzministerium nach den militärischen Rückschlägen von 1904 auf eine unberechenbare Kriegsdauer einzurichten hatte und die Höhe der außerordentlichen Aufwendungen alle früheren Schätzungen weit überstieg, konnte der für 1905 voraussehbare F i­ nanzbedarf mit Hilfe der beiden genannten Anleihen auch nicht annähernd befriedigt werden. Kokovcov hatte bereits im Oktober 1904 in Paris wissen las­ sen, daß er im kommenden F rühjahr weitere 500 Mill. Rubel in staatlichen Schatzbriefen auf dem europäischen Kapitalmarkt unterzubringen gedächte. Damals fand er sich noch stark genug, das französische Ansinnen, neue Anlei­ hen mit Industriekontrakten zu koppeln, selbstgewiß abweisen zu lassen: Rafalovič erklärte im Pariser F inanzministerium, daß Rußland „weder die Türkei noch Bulgarien" sei und eine Behandlung als „zweitrangige Macht" nicht akzeptieren werde42. Seit dem Petersburger Blutsonntag aber hatte sich die Szene von Grund auf verändert, waren Anleihen in Paris nicht mehr aufzu­ tun — auch durch die immer aufwendigeren Subsidien nicht, die über Kokovcovs Agenten an die französische Presse gingen43. Die brutalen Exzesse des russischen Regimes hatten das ohnehin wenig freundliche Klima, das im Verkehr der beiden Allianzpartner gewöhnlich ge­ worden war, eisig gemacht. Die Pariser Regierung stand unter dem Druck einer aufgebrachten Öffentlichkeit, und die jähen Kursverluste der Russenwerte ließen ahnen, daß die Autokratie ihren Auslandskredit im Krieg gegen die eigene Be­ völkerung zu verspielen begann. In erregten Kammerdebatten wurde das neue Kabinett unter dem bisherigen F inanzminister Maurice Rouvier angeklagt, eine „Regierung von Mördern", von „Schlächtern des Volkes" auszuhalten; die ge­ samte Linke bis zu den Radikalen hin mobilisierte, von russischen Emigranten unterstützt, beträchtliche Teile des französischen Publikums für eine vehemente Kampagne gegen die zarische Despotie44. Ungeachtet dieses Stimmungstiefs war die kühler kalkulierende französische Bankenwelt den von Kokovcov gewünschten Anleihegesprächen zunächst nicht ausgewichen. Mitte F ebruar 1905 hatte der überaus besorgte Edouard Noetzlin bei Nikolaj Audienz erhalten, deren vielversprechende Eindrücke freilich als­ bald verflogen. Dennoch hatte er, gemeinsam mit Hottinguer, am 27. F ebruar (12. März) in Petersburg den Modalitäten eines neuen Kontraktes zugestimmt, einer auf acht Jahre fixierten Sechs-Prozent-Anleihe in Höhe von 600 Mill. frcs. Doch noch am Tag der Einigung mit Kokovcov wurden die beiden Unter­ händler zum Entsetzen ihrer russischen Partner nach Paris zurückgerufen. Un­ ter dem Eindruck der Niederlage bei Mukden hatte Rouvier zu erkennen gegeben, daß das Kabinett neue Anleihen vorderhand für untunlich halte. Seither wurde klar, daß Paris die Russen nicht mehr nur zu Reformen, sondern zum F rieden drängte, auch deshalb, weil man in der beginnenden Marokko-Krise das schwer getroffene Rußland als Alliierten entwertet fand45. 179

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Spätestens die Abberufung der französischen Bankiers, ein Affront, der in Petersburg Dolchstoßvorwürfe aufklingen ließ, mochte dem Zaren erste Begriffe davon vermittelt haben, daß die Finanzlage zu schwersten Besorgnissen Anlaß gab. Im Ausland häuften sich die Stimmen, die die Zahlungsunfähigkeit Rußlands greifbar nahe sahen. Auch Witte riet jetzt seinem Herrn in beschwörenden Wendungen den Frieden an und scheute sich nicht, „schreckliche Katastrophen" und „gewaltige Unruhen" vorauszusagen, falls der Zar dem Lande neue Opfer abverlange: „Um den Krieg fortzusetzen, sind riesige Geldmittel und umfangreiche Neurekrutierungen nötig. Weitere Ausgaben aber werden die finanzielle und wirtschaftliche Lage des Imperiums zerrütten . . . Die Armut der Bevölkerung und, parallel dazu, die Verbitterung und Verfinsterung der Stimmung werden zunehmen. Rußland wird den Kredit verlieren und die ausländischen Besitzer unserer Wertpapiere (u. a. die gesamte französische Bourgeoisie) werden uns zu Feinden werden . . . Überhaupt brauchen wir die Armee gegenwärtig in Rußland selbst."46 Nikolaj, dem die dramatisierenden Auftritte Wittes von jeher zuwider waren, hat diesem Appell keine Folge gegeben. Umso stärker aber kam nun die Finanzpolitik Kokovcovs aus dem Tritt. Der Minister hatte größte Mühe, die dringend notwendigen Aushilfen aufzutun. Anfang März hatte er Nikolaj in einem ausführlichen Memorandum dargelegt, daß die Staatskasse den fälligen Auslandsverpflichtungen kaum noch nachkommen könne, daß auswärtige Anleihen allenfalls noch unter ruinösen, untolerierbaren Bedingungen zu beschaffen seien, und daß der Goldschatz der Staatsbank nicht angetastet werden dürfe, wenn „die vollständige Zerstörung unseres Geldsystems" vermieden werden solle. Der Staatskredit sei infolge der militärischen Niederlagen und der inneren Unruhen in bedrohlicher Weise geschwächt47. Was Kokovcov noch zu arrangieren vermochte, beschränkte sich auf überaus riskante innere Anleihen (200 Mill. Rubel zu 5 %) und auf die Aufnahme kurzfristiger Wechselkredite zu 7 Prozent, die Mendelssohn im April für die Dauer von neun bis zwölf Monaten vermittelte (150 Mill. Rubel). Das waren Notstandsmaßnahmen, durch die die Fortführung des Krieges keineswegs als gesichert gelten konnte48. Als vor Tsushima die verbliebenen Hoffnungen auf eine militärische Wendung zuschanden gingen, stand außer Frage, daß rasche Folgerungen zu ziehen waren. Daß der europäische Kapitalmarkt für Rußland verschlossen bleiben werde, bis es zum Frieden mit Japan gekommen sei, konnte nicht länger zweifelhaft sein. Die Autokratie stand vor der Wahl, dem Rechnung zu tragen, oder den Finanzbankrott auf sich zu nehmen und den eigenen Zusammenbruch dazu. Selbst der deutsche Kaiser, der noch Ende März hatte raten lassen, den Krieg hinhaltend, d. h. bis zur Erschöpfung des Gegners, weiterzuführen und den drohenden Umsturz durch Reformen und Repressionen energisch zu bekämpfen, ging jetzt von der Theorie der „Versumpfung des Krieges" ab und drängte seinen Vetter aufs nachdrücklichste zum Frieden49. Es mag dahingestellt bleiben, ob es dieser Intervention noch bedurfte, um Nikolaj dazu zu bringen, die guten Dienste Theodore Roosevelts anzunehmen.

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In der Sitzung des Kriegsrates, die am 24. Mai (6. Juni), am Vorabend der Audienz des amerikanischen Gesandten, zustande kam, schien der Entschluß des Herrschers, die japanischen F riedensbedingungen zu erkunden, bereits fest­ zustehen. Großfürst Vladimir Aleksandrovič, der im Sinne seines kaiserlichen Neffen sprach, begründete diesen notwendigen Schritt vor allem mit den system­ gefährdenden Binnenverhältnissen: Die Situation sei so ernst, „daß wir alle aus dem Konzept geraten sind (sbity s tolku); so können wir nicht weiterleben". Rußland befinde sich „in einer so verzweifelten oder jedenfalls doch so schwie­ rigen Lage, daß unser innerer Wohlstand (blagosostojanie) wichtiger ist als der Sieg . . . Wir leben in einem anormalen Zustand, es ist unumgänglich, die innere Ruhe Rußlands wiederherzustellen". Auch die militärischen Tatbestände, zumal die Einsicht, daß Vladivostok, Sachalin und Kamčatka ohne F lotte nicht zu verteidigen seien, sprachen für den F rieden. Auf etwaige russische Waffener­ folge wollte der Großfürst nicht mehr bauen — auch dann nicht, wenn es ge­ länge, die F orderungen des Oberbefehlshabers Linevič nach frischen Trappen­ kontigenten zu erfüllen. Jede weitere Niederlage aber werde die japanischen Bedingungen so verschärfen, „daß sie kein Russe mehr zu akzeptieren bereit" wäre50. Der Meinungsaustausch im Kriegsrat zeigte indessen nicht nur die Aporien auf, vor denen sich das Regime befand; deutlich wurde auch, daß das mili­ tärische Establishment ungemein große Mühe hatte, die Ausweglosigkeit der Lage zu begreifen. Kriegsminister Sacharov illustrierte zwar die Schwierig­ keiten, die neue Truppenaushebungen hervorrufen müßten, hielt aber die Be­ endigung des Krieges — „ohne einen einzigen Sieg", „ohne den kleinsten Erfolg" — für eine unerträgliche Schmach (pozor); ein solcher F riede werde Rußland für lange Zeit aus dem Kreis der Großmächte verdrängen und dem Lande keine Ruhe schenken51. Dieses Plädoyer gegen einen „Schandfrieden" entsprach den Auffassungen des fernöstlichen Militärkommandos ganz und gar. Nach wie vor wollten sich Linevič und Kuropatkin dafür verbürgen, daß die Truppe vor Kampfentschlossenheit bebe und die Kräfte des Gegners zu schwinden be­ gönnen52. Auch Admiral Dubasov stand dafür ein, den Krieg unbedingt fort­ zusetzen, weil Rußland seinen F eind besiegen müsse: „Unsere Ostbewegung ist eine elementare — zu natürlichen Grenzen hin; wir dürfen hier nicht zurück­ weichen." Wie man sieht, war der Realitätsverlust, den die militärischen Ka­ tastrophen bei der Generalität hervorgerufen hatten, beträchtlich. Andere Sprecher beklagten, daß man „die Meinung Rußlands" nicht kenne, nicht wisse, ob das Volk „in nationalen Enthusiasmus" zu versetzen sei, ob es bereit sei, für den Krieg jegliche Opfer zu bringen — „wie wir dies jetzt in Japan sehen". Die Herren des Kriegsrats beneideten den Gegner um seinen „wahrhaft natio­ nalen Krieg". Kein Wunder also, daß auch in dieser irritierten Runde die sla­ wophil getönte Erwägung aufkam, daß ein Zemskij Sobor, eine Landesver­ sammlung, „die Meinung des Volkes" artikulieren möge53.

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Aber der Zar gedachte offensichtlich weder „das Volk" zu fragen, noch den Kriegsrat über Krieg und Frieden befinden zu lassen. Der Entschluß, Verhandlungen anzuknüpfen, solange es noch die Chance eines „ehrenvollen Friedens" gab, duldete keinen Aufschub. So konnte auch die Versicherung, daß man, falls die japanischen Bedingungen der Würde Rußlands zuwider wären, den Krieg fortsetzen und „gern und freudig sterben" werde54, allenfalls ein Notverband für die wunden Herzen gedemütigter Patrioten sein. Die Frage, ob die russische Armee imstande gewesen wäre, den Krieg notfalls weiterzuführen, hat nur mehr akademischen Rang. Dem Bemühen Kuropatkins, das eigene Versagen als Heerführer durch eine Dolchstoßlegende zu verbrämen, sollte wenig Resonanz beschieden sein55. Daß die russische Militärmacht „im Felde unbesiegt" geblieben sei, wurde zwar als offizielle Sprachregelung in Kraft gesetzt, aber die Niederlage war doch mit solchen Formeln nicht zu verschleiern. Ausschlaggebend für den Weg nach Portsmouth war, wie gezeigt, ein eng verschlungenes Faktorenbündel: Die revolutionäre Bedrohung des Regimes, der absehbare Finanzbankrott und die Aussichtslosigkeit, das geschwundene Prestige der Autokratie durch militärische Erfolge wieder aufzurüsten, ließen dem Zaren keine andere Wahl. Auch der Gedanke, durch politische Reformen nationalen Enthusiasmus für den Krieg zu wecken, mußte im Sommer 1905 als absurd erscheinen. Welche Zugeständnisse Nikolaj seinen Untertanen auch immer anbieten mochte — sicher war, daß politische Partizipation den öffentlichen Widerstand gegen den unpopulären Krieg nicht mildern, sondern nur verstärken konnte. Andererseits war äußerst zweifelhaft, ob sich durch Einstellung des Krieges die innere Krisenlage überhaupt spürbar würde entspannen lassen. Die Prognosen, die in der Umgebung des Zaren dazu angeboten wurden, waren widersprüchlich und voller Unsicherheit. Was die Autokratie von den russisch-japanischen Verhandlungen erwarten durfte, wog dennoch nicht gering. Angesichts der internationalen Mächtekonstellation war die Hoffnung nicht abwegig, daß es der Petersburger Diplomatie gelingen werde, Rußland aus dem fernöstlichen Debakel mit Anstand herauszuführen und den finanziellen Zusammenbruch abzuwenden56. Vieles sprach dafür, daß die in China engagierten Mächte, die Vereinigten Staaten voran, darauf bedacht waren, die Ansprüche des japanischen Inselreiches in Ostasien kleinzuhalten. Der Zuspruch Roosevelts, das Liebeswerben des deutschen Kaisers, aber auch die von Delcassé besiegelte englisch-französische Entente deuteten an, daß es Möglichkeiten gab, die antagonistische Verfassung des internationalen Systems dem russischen Interesse nutzbar zu machen. Daß sich dieses Interesse mit einem Bündnis nicht vertrug, wie es dem Zaren im Juli 1905 von Wilhelm II. in Björkö aufgedrungen wurde, sollten den beiden Kaisern erst allmählich zu Bewußtsein kommen. Petersburg konnte den russischen Großmachtstatus nur bewahren, wenn es die Realität der Entente cordiale zur Kenntnis nahm. Diese Kombination durch eine antienglische Kontinentalliga unter deutscher Dominanz zu sprengen, war für das geschwächte Rußland

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weder möglich noch wünschenswert. Zunächst freilich ging es um einen leidlich akzeptablen Frieden57. Der Friede konnte zwar noch kein durchgreifendes Heilmittel gegen die innere Zerrüttung sein, doch konnte er dem Regime neue Chancen eröffnen, die Revolution zu überdauern. Die Aufhebung der im Sommer 1905 nahezu vollständigen Finanzblockade blieb dafür eine elementare Voraussetzung. Tatsächlich war die russische Strategie, als die Friedensdelegation unter Sergej Witte nach Amerika ging, vordringlich darauf gerichtet, die finanzielle Handlungsfähigkeit der Regierung wiederherzustellen und neue Anleihekontrakte vorzubereiten. Über die hart umkämpften Einzelfragen von Portsmouth hinaus war die Gewinnung neuer Anleihen zum primären Friedensziel Petersburgs geworden. Daß die Regierung dabei war, in Anbetracht solcher Perspektiven erstmals wieder Zuversicht zu schöpfen, zeigte, wenige Tage vor der Unterzeichnung des russisch-japanischen Vertrags, der lange verschleppte Erlaß der Statuten und Wahlverordnungen zur Bulyginschen Duma (6./19. August)58. Aber der Versuch, diese scheinkonstitutionelle Reform und den Friedensschluß in eine konzertierte Aktion zur Restabilisierung umzusetzen, sollte nicht verfangen. Die russische Öffentlicheit nahm die Vereinbarungen von Portsmouth nahezu gleichgültig auf. Weder erregten der Verzicht auf Kwantung und die südmandschurische Bahn, der bevorstehende Rückzug aus der Mandschurei und die Abtretung Südsachalins sonderliches Interesse, noch wurde der Verhandlungserfolg Wittes59 — die Abwehr des japanischen Kontributionsverlangens — der Regierung gutgeschrieben. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich ganz auf die Eskalation der inneren Auseinandersetzungen, denen das Dumagesetz neuen Auftrieb gegeben hatte. Das zwischen Enttäuschung, Empörung und Revolutionsfurcht schwankende liberale Lager fand an einer Reichsduma, die nach dem Muster des ZemstvoGesetzes von 1864 geschnitten war, so wenig Gefallen wie an der vorgesehenen Beschränkung dieser neuen Institution auf konsultative Funktionen. Und während das platte Land von weit ausgreifenden Aufständen erschüttert wurde, die die Hoffnungen der Regierung auf eine loyale bäuerliche Duma-Mehrheit Lügen straften, legte der Generalstreik im Oktober nicht nur die Verkehrswege lahm, sondern konfrontierte das Regime in Petersburg und anderswo mit organisierten Formen einer revolutionären Gegenmacht, mit Arbeiterdeputiertenräten, die den radikaldemokratischen Forderungen der arbeitenden Bevölkerung zugespitzten Ausdruck gaben60. 3. Es ist hier nicht der Ort, die Geschichte des revolutionären Massenaufruhrs zu beschreiben, der, durch das Oktobermanifest Nikolajs II. kaum gebremst61, erst im Dezember 1905 auf den Barrikaden der Moskauer Arbeiterbezirke seiner Peripetie entgegenging. Zu skizzieren bleibt dagegen der Zusammenhang zwischen Revolution, Finanzkrise und internationaler Politik. Daß das Kriegsende die Existenzgefährdung der Autokratie erst voll zutage brachte, hat die auswärtige Bewegungsfähigkeit der Regierung bis ins Früh-

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jahr 1906 aufs schwerste gelähmt. Dabei war von erheblicher Bedeutung, daß die inneren Erschütterungen dem Finanzsystem vollends an die Wurzeln griffen: die Pazifikation des Landes und die Abwehr des Staatsbankrotts waren verklammerte Probleme. Die umfangreichen Anleihen, die zur Liquidierung der Kriegsschulden unerläßlich waren, konnten nicht gesichert werden, solange dem Ausland die Stabilisierung der Verhältnisse zweifelhaft blieb. Umgekehrt ließen sich Ruhe und Ordnung schwerlich verbürgen, solange der finanzielle Kollaps nicht abgewendet war. Die Bekämpfung der Aufstandsbewegungen erforderte neue gewaltige Mittel, und daß Rückführung und Demobilisierung der Fernostarmeen der Staatskasse Entlastung bringen würden, durfte vorderhand nicht erwartet werden. Wie unmittelbar die Revolution dem Bemühen der Regierung entgegenstand, in den internationalen Beziehungen neuen Halt zu finden, ist während des Generalstreiks im Oktober 1905 offenbar geworden. Dabei mochte der Umstand, daß diplomatische Schritte zum Abbau des englisch-russischen Gegensatzes vorerst keine Resultate brachten, noch die geringsten Schmerzen machen. Wesentlicher war, daß die von Witte vorbereiteten internationalen Anleiheverhandlungen, zu denen der britische Bankier Lord Revelstoke, Edouard Noetzlin aus Paris, sowie der Amerikaner Morgan und Alfred Fischel vom Berliner Bankhaus Mendelssohn nach Petersburg gekommen waren, im allgemeinen Aufruhr stecken blieben62. Die Reichsbank am Nevskij Prospekt war von Streikenden umstellt, Kokovcov mußte seine konsternierten Gäste aus dem kalten, unbeleuchteten Europäischen Hof unter Polizeideckung ins Finanzministerium geleiten lassen. Am Tag des Oktobermanifestes (17./30. Oktober) entkamen sie aus dem brodelnden Petersburg auf einer gecharterten finnischen Fähre. Die Zusage, die Verhandlungen wiederaufzunehmen, „sobald die Umstände es erlauben", bot schwachen Trost63 Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit Witte, der kurz vor seiner Ernennung zum Regierungschef stand, an der Stornierung der Gespräche beteiligt war. Er gab Noetzlin nach Paris die Botschaft mit, daß Rußland in der Großen Politik — und das hieß vorab: in der Marokko-Krise — an der Seite Frankreichs stehen werde; überdies führte er den Franzosen vor Augen, daß auch sie „alles verlieren" würden, falls die Autokratie einer „wirklichen Revolution" zum Opfer falle und die von ihm inaugurierten konstitutionellen Reformen mißlängen64. In der Tat war die Hoffnung nicht unberechtigt, daß die rund 10 Mrd. frcs., die von Frankreich nach Rußland geflossen waren, die französische Politik an das Schicksal des russischen Regimes gekettet hatten. Das Junktim zwischen Staatsreform, Bündnistreue und Finanzhilfe deutete sich an. Björkö wurde vollends obsolet. Das Oktobermanifest und das Ende des großen Oktoberstreiks vermochten jedoch auf der russischen Szene noch keine Beruhigung zu schaffen. Niemand wußte zu sagen, ob die feierlichen Verfassungsversprechungen dem Regime zu einer neuen Vertrauensbasis verhelfen würden. Nikolaj, von Witte gedrängt, hatte seinen Untertanen „die unerschütterlichen Grundlagen der bürgerlichen Freiheit" zugesagt, Unantastbarkeit der Person, Gewissens-, Rede-, Versamm-

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lungs- und Vereinigungsfreiheit, dazu allgemeines Wahlrecht, die Bindung der Gesetzgebung an die Zustimmung der künftigen Reichsduma und die Beteiligung der Volksvertreter an der Rechtsaufsicht über die Staatsbehörden. Die Partei der Konstitutionellen Demokraten (Kadety), in der sich noch im Oktober das aktivistische Lager des Zemstvo-Liberalismus und der berufsständischen Intelligenz zusammenfand, ließ nicht erwarten, daß es Witte gelingen könnte, „die Führung der Befreiungsbewegung" selbst zu übernehmen und die „Extremisten" zu isolieren65. Die Kadetten forderten ungleich mehr, als das Oktobermanifest verhieß: eine gesetzgebende Nationalversammlung auf der Basis des „vierschwänzigen" Wahlrechts, eine parlamentarische Regierung, einschneidende Agrarreformen mit Zwangsenteignung gutsherrlicher Ländereien, Wiederherstellung der Autonomierechte in Polen und Finnland. Allein der von der Revolution verschreckte Teil der Zemstvo-Gesellschaft, der sich in der „Union des 17. Oktober" als politische Partei („Oktjabristy") konstituieren sollte, gedachte, auf den Fundamenten der kaiserlichen Verfassungszusagen sitzenzubleiben66. Wichtiger freilich waren zunächst die unverminderten Appelle zur revolutionären Massenaktion, mit denen die Sozialdemokraten und die Sozialrevolutionäre das Oktobermanifest beantworteten und die allgemeine Unruhe lebendig hielten. Die Finanzpanik des Publikums, die im Dezember 1905 ihren vorläufigen Gipfelpunkt erreichte, war dafür ein untrügliches Zeichen. Durch den massenhaften Abzug der Spareinlagen und den Umtausch von Kreditbilletts wurden die Goldreserven der Reichsbank und der Reichskasse weiter dezimiert. Das sogenannte Finanzmanifest des Petersburger Arbeiterdeputiertenrates (2./15. Dezember), das die Bevölkerung zur Löschung der Sparkonten und zum Steuerstreik aufrief, wirkte in die gleiche Richtung67. Neben der rapiden Kapitalflucht und dem allgemeinen Run an die Bankschalter brachten aus der Mandschurei zurückflutende Papiergeldbestände den freien Goldeintausch im innerrussischen Zahlungsverkehr ins Stocken. Überdies war aus Berlin die Forderung gekommen, einen Teil des russischen Goldschatzes zur Stützung der kurzfristigen Wechselkredite in den Tresoren der deutschen Reichsbank zu deponieren68. Am Jahresende stand die Regierung vor dem Offenbarungseid: Der von Witte ins Amt gebrachte neue Finanzminister I. P. Šipov sah die Lage als so verzweifelt an, daß er die Änderung der Emissionsgesetze für unvermeidlich hielt. Zwischen dem 16. Oktober und 8. Dezember war der Goldfonds um fast 250 Mill. Rubel auf 1076 Mill. geschrumpft, wogegen der durch den Krieg aufgeblähte Papiergeldumlauf ca. 1250 Mill. Rubel betrug. Hinzu kamen fällige Zahlungsverpflichtungen von ca. 400 Mill. Goldrubel, so daß die Valutadeckung, das Grundgesetz russischer Finanzpolitik, faktisch schon durchbrochen war 69 . Dennoch zögerte das Finanzkomitee, die Konvertierbarkeit des Kreditrubels in Goldmünzen förmlich aufzuheben. Dabei hatte die Überlegung Gewicht, daß das öffentliche Eingeständnis des Finanzbankrotts den revolutionären Kräften neuen Auftrieb geben werde. „Eine so scharfe Waffe des Aufruhrs" wollte man

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den Staatsfeinden nicht überlassen, sondern abwarten, bis die Insurrektionen in Moskau und im Baltenland niedergeschlagen wären. Die notwendigen finanzpolitischen Eingriffe würden dann nicht als Erfolg der Revolution erscheinen, sondern als „Akt weiser staatlicher Voraussicht"70. Es war von erheblichem Belang, daß auch Witte der Aufkündigung des Goldstandards energisch widerstritt. Der neue Ministerpräsident baute weiterhin darauf, die Furcht der ausländischen, zumal der französischen Gläubiger vor dem Ende der russischen Zahlungsfähigkeit für den Abschluß einer großen Sanierungsanleihe nützen zu können. Aber auch Witte vermochte im Wettlauf mit der Zeit nicht gelassen bleiben. Das Budgetdefizit, das für 1906 in Anschlag zu bringen war, belief sich auf 700 bis 800 Mill. Rubel. Mit Notverordnungen, zu denen das Finanzkomitee an der Jahreswende Zuflucht nahm, war das Regime schwerlich über den Winter zu bringen71. Als Kokovcov Anfang Januar 1906 in Paris vorsprach, war der französische Kapitalmarkt durch die Marokko-Krise angespannt und das Vertrauen des Publikums auf die innere Konsolidierung Rußlands noch immer gering. Zur Stützung der russischen Goldwährung ließ sich Rouvier nur zu einer kurzfristigen Überbrückungshilfe herbei, die sich bei ca 100 Mill. Rubel (267 Mill. frcs.) hielt72. Umfangreichere Abschlüsse wurden von der Beruhigung der russischen Binnenlage und von einem für Frankreich gefälligen Ausgang der Algeciras-Konferenz abhängig gemacht. Auch ein bei Mendelssohn erreichtes Moratorium, das die Rückzahlung der deutschen Wechselkredite bis Ende 1906 aufschob, schenkte dem Petersburger Regime keine Atempause, die an Erholung hätte denken lassen73. Noetzlin, der im Februar auf Bitten Wittes an die Neva kam, vernahm von seinem Gastgeber, daß Rußlands Minimalbedarf inzwischen auf 2750 Mill. frcs. (1 Mrd. Rubel) gestiegen sei. Unterdessen war hinreichend klar geworden, daß vor Abschluß der Marokko-Konferenz verbindliche Festlegungen der Haute Finance nicht erwartet werden durften. Weder das französische noch das britische Kabinett waren willens, so weittragende Finanzgeschäfte zu decken. Überdies hatte der Regierungswechsel in Frankreich mit Poincaré und Clemenceau eine dem Zarismus keineswegs wohlgesonnene Koalition ans Ruder gebracht. Andererseits stellte sich heraus, daß Rußland nicht mächtig war, auf die deutsche Politik einzuwirken oder gar eine Vermittlerrolle zwischen Berlin und Paris zu spielen74. Vergeblich hatte Witte den deutschen Kaiser beschworen, um eine rasche Lösung der Marokko-Frage besorgt zu sein, damit Petersburg in die Lage käme, die Revolutionäre zu schlagen und zu vermeiden, daß die Revolution „nach dem Muster der französischen" die russischen Grenzen überschreite75. Doch Solidarität ohne handgreifliche Gegenleistungen hatte Wilhelm II. den Russen nicht mehr anzubieten. Die nervöse Spannung, unter der das amtliche Petersburg litt, wurde nicht allein dadurch groß, daß die Diplomatenkonferenz sich hinzog und eine durchgreifende Finanzhilfe auf sich warten ließ. In der Innenpolitik hatte der heranrückende Zusammentritt der Reichsduma inzwischen neue Daten gesetzt. Nach

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dem enormen Wahlerfolg der Kadettenpartei war mit einer höchst aufsässigen Volksvertretung zu rechnen76. Umso mehr mußte Witte, dem neuen Ministerpräsidenten, daran gelegen sein, die Anleihe unter Dach und Fach zu bringen und sie dem Votum eines so „wenig diziplinierten und politisch unerfahrenen Haufens" entzogen zu sehen77. Der Zeitdruck blieb auch dann noch wirksam, als die Mächte am 18./31. März 1906 in Algeciras endlich zu einer Einigung gekommen waren. Jetzt erwies sich die russische Verfassungsfrage als eines der schwierigsten Probleme des bevorstehenden Finanzkontrakts. Finanzminister Poincaré verlangte Garantien, daß der Abschluß der Anleihe verfassungsmäßig und die Duma nicht berechtigt sei, die auswärtigen Verbindlichkeiten Rußlands zu revidieren. Der Hinweis auf die russischen Budgetregeln vom 8. März 1906, die eine Intervention des künftigen Parlaments ausschlossen, verfing in dieser Lage nicht78. Poincarés Verzögerungstaktik hatte gute Grunde, nachdem die Russenanleihe im französischen Wahlkampf zu einem der heiß umkämpften Themen geworden war. Aus dem eigenen politischen Lager fand sich das Kabinett lautstarken Forderungen ausgesetzt, dem „bluttriefenden Zarismus" im Kampf gegen das russische Volk keinen Beistand zu leisten. Auch prominente russische Stimmen, von Maksim Gor'kij bis zu Repräsentanten der Duma-Mehrheit, warnten davor, dem autokratischen Regime mit französischem Gold auf die Füße zu helfen. In Gesprächen mit Pariser Ministern sagten die liberalen Parteimänner Maklakov und Dolgorukov voraus, daß der regenerierte Zarismus die Volksvertretung wieder liquidieren werde. In der Tat gestattete auch das Presseecho, das die Anleiheverhandlungen Kokovcovs in Rußland weckten, keine Zweifel, daß den politischen Kräften des neuen Rußland jede Unterstützung des herrschenden Regimes zutiefst zuwiderlief79. Aber das doppelte Interesse der Pariser Politik, die französischen Russenwerte vor dem Ruin zu bewahren und das Zarenreich als Allianzpartner bündnisfähig zu halten, wog ungleich schwerer als die freundlichen Gefühle, die in französischen Republikanerherzen für die russische Demokratie sich regen mochten. Kapitalistisch fundierte „Realpolitik" drängte die idealischen Sympathien in private Bezirke zurück. Die Kapitalabhängigkeit des alten Regimes erwies sich als dessen kräftigster Rettungsanker. Frankreich beteiligte sich daran, den russischen Parlamentarismus klein zu halten. Als das französische Kabinett den Anleihebeschluß nicht länger vertagen konnte, wurde den Bedenken der Geldgeber durch Gutachten und offizielle Erklärungen Wittes Genüge getan: Die Entscheidungsvollmacht über Anleihen, so hieß es da, liege nicht bei den Repräsentativorganen, sondern allein bei dem vom Zaren ernannten Finanzkomitee80. Am 3. (16.) April 1906 wurde das Finanzgeschäft perfekt gemacht. Die russische Regierung erhielt einen auf 40 Jahre berechneten, mit 5 Prozent zu verzinsenden Kredit über 2250 Mill. frcs. (844 Mill. Rubel). Mehr als die Hälfte der Summe (1200 Mill. frcs.) übernahm die französische Hochfinanz, den Rest brachten englische (330 Mill.), österreichische (165 Mill.), hollän-

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dische (55 Mill.) und russische (500 Mill.) Banken auf. Der extrem niedrige Ausgabekurs (83,5 % ) und ein auf zehn Jahre festgelegtes Konversionsverbot verdeutlichten die Zwangslage Petersburgs. Hinzu trat die Verpflichtung, in den folgenden beiden Jahren keine neuen Anleihen zu suchen und den Kredit ausschließlich zur Deckung der Budgetdefizite von 1905 und 1906 zu verwenden81. Der politische Preis, der zu bezahlen war, durfte nicht gering geachtet werden. Der über das russische Verhalten in der Marokko-Frage tief verärgerte deutsche Kaiser hatte die Beteiligung Berliner Bankhäuser untersagt82. In der internationalen Politik sollte Petersburg seither an die französisch-britische Entente verwiesen bleiben. Die militärpolitischen Folgen waren noch vor der Publizierung der Anleihe (9./22. April) erkennbar geworden: Bei einem Geheimtreffen zwischen dem russischen und dem französischen Generalstabschef, den Generälen Palicyn und Brun, wurde die Militärkonvention von 1892 durchgreifend revidiert und dem französischen Verlangen entsprochen, die antibritische Klausel, die 1901 auf Drängen Delcassés eingefügt worden war, wieder zu löschen. Die wechselseitigen Verpflichtungen bezogen sich seither allein auf das Deutsche Reich und auf dessen Verbündete83.

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III. Zwischenkriegszeit 1905—1914 Krieg und Revolution hatten in Rußland tiefe Spuren hinterlassen. Als die Niederlage im Fernen Osten besiegelt und der revolutionäre Aufruhr zerschlagen war, kam heraus, daß das alte Regime die vordem gewohnten Verhältnisse nicht zu restaurieren vermochte. Die Autokratie war durch die Staatsgrundgesetze vom 23. April 1906 in konstitutioneller Richtung umgebogen worden1. Die Regierung Stolypin, die im Juli den Übergangskabinetten Wittes und Goremykins folgte, blieb darauf angewiesen, einen wie immer fragilen Konsens mit der politisch organisierten Gesellschaft zu suchen. Nur unter leidlich stabilen Bedingungen war daran zu denken, die sozialen Notstände durch Agrarreformen langfristig zu lindern und dem Land eine neue Entwicklungsperspektive zu geben. Der russischen Staatsführung ist es hart angekommen, aus den Erfahrungen der Revolutions- und Kriegszeit angemessene Konsequenzen zu ziehen. Die politischen Zugeständnisse, zu denen sich die Autokratie verstanden hatte, wurden als Nötigung begriffen, nicht aber als ein Neuanfang, dem eigene Legitimität zuzumessen sei. Einflußreiche Kräfte waren von Beginn an darauf bedacht, den Duma-Konstitutionalismus aufs preußische Niveau zurückzuschneiden und ihn allenfalls als ornamentale Fassade der bürokratischen Selbstherrschaft zu akzeptieren2. Stolypins gewagter Versuch, sein Bürokratenregiment auf einen Modus vivendi mit der Reichsduma zu gründen, fand sich binnen weniger Jahre von vielen Seiten her blockiert3. Zwar hatte der „Staatstreich" vom 3. (16.) Juni 1907 — nach zwei vorzeitigen Parlamentsauflösungen — ein restriktives Wahlrecht erzwungen und die bis dahin dominierende Linke in der Duma empfindlich dezimiert4. Aber die neue Mehrheit, die sich auf die Fraktionen der Oktobristen, Nationalisten und gemäßigten Rechten stützte, verlor doch bald an Konsistenz, und die äußerste Rechte, die ihren Rückhalt in den höfischen Sphären auszuspielen wußte, sorgte dafür, daß die Reformpolitik des Ministerpräsidenten binnen kurzem aus dem Ruder lief5. Rasch zeigte sich, daß der konstitutionell verbrämte Obrigkeitsstaat der zarischen Monarchie zu durchgreifenden Neuerungen nicht fähig war. Auch in der auswärtigen Politik ist das Regime von seiner Vergangenheit nicht losgekommen6. Schon die Milliardenanleihe von 1906 hatte verdeutlicht, daß Petersburg weder gesonnen noch imstande war, Abschied von der internationalen Politik zu nehmen. Der französische Alliierte und Gläubiger wünschte, daß sein russischer Partner zumindest in Europa bündnisfähig bleibe. Mit der Liquidation des unpopulären Fernostabenteuers, die der neue Außenminister Izvol'skij betrieb, wurden dafür erste Voraussetzungen geschaffen. Der im Sommer 1907 erreichte Ausgleich mit Japan und Großbritannien 189 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

knüpfte, was Große Politik in Petersburg fortan zu nennen war, an die Interessenlage der anglo-französischen Entente7. Die alten Operationsmuster russischer Diplomatie, zwischen Paris und Berlin freihändig zu balancieren, waren seither nur noch beschränkt, oft nur noch symbolisch anwendbar. Bei alledem hätte es des Zuspruchs von außen nicht bedurft, um die alten, an Großmachtstatus orientierten Maßstäbe in Rußland frischzuhalten. Wo der „Wille zur Weltgeltung"8 unter dem Eindruck militärischer Demütigungen schwach geworden war, richtete er sich alsbald wieder auf. Die Einsicht, wegen der desolaten Verfassung der Armee und der grausam dezimierten Flotte vorerst zu einer Strategie defensiver Statuserhaltung verurteilt zu sein, war weitergreifenden Zukunftsvisionen nur selten hinderlich. Die Diplomatie, die Militärs, nicht zuletzt der Zar, mochten nicht davon lassen, daß die historische Bestimmung Rußlands auf große, die Reichsgrenzen überschreitende Ziele eingerichtet sei. Wie eh und je war das Selbstgefühl der strategischen Cliquen auf die hegemoniale Rolle Rußlands fixiert, und der Beruf einer Hegemonialmacht war es, in der Weltpolitik präsent zu bleiben. Wie schwer es fiel, sich mit den realen Grenzen der russischem Macht vertraut zu machen, kann in den Aufzeichnungen über die internen Konferenzen, die den Verträgen mit Tokio und London vorausgingen, leicht nachgelesen werden9. Den Generalstab, aber auch den Handels- und Industrieminister von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Mandschurei mit Japan und Persien mit England auf Dauer teilen zu müssen, hat dem Außen- wie dem Finanzminister große Anstrengungen abverlangt. Auch die Marineleitung, der die Flotte abhanden gekommen war, wollte sich nur ungern in eine Lage schicken, die ihr am Pazifik und am Persischen Golf aller Voraussicht nach wenig Zukunft verhieß. Außer Frage stand, daß die militärische Kapazität Rußlands, dem Großmachtanspruch gemäß, in raschem Zug wieder aufzurüsten sei10. Schon im Sommer 1906 galt es für den Marinestab als ausgemacht, daß modernste Linienschiffe der Dreadnought-Klasse die Basis der neuen Flotte bilden sollten; deren Bestimmung sollte es werden, nicht nur die Küsten zu schützen, sondern in starken Kampfverbänden dort zu operieren, wo dies im imperialen Interesse geboten erscheine. Während Izvol'skijs Geheimdiplomatie, im Vorfeld der bosnischen Annexionskrise, das Meerengenstatut zugunsten Rußlands zu revidieren suchte11, hatten die Stabschefs für Heer und Marine, Palicyn und Brusilov, für das Schwarze Meer eine Strategie langfristiger Interessensicherung entworfen12. Die Suggestivkraft der alten Klischees von der „geschichtlichen Mission" des Reiches waren nicht verlorengegangen: Dem „Drang nach dem offenen Meer" sei Genüge zu tun, dem Ziel, die Meerengen einzunehmen und eine dominierende Position im östlichen Mittelmeer und in Kleinasien zu gewinnen. Dies aber werde auf die Dauer „nicht durch internationale Verträge" möglich sein, „sondern nur durch Kampf und die Präsenz gut vorbereiteter Kräfte". Vorerst freilich hatte Rußland in diesen Kampf ein angemessenes Potential nicht einzubringen. Die eklatante Schwäche der russischen Militär190 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

macht verwies die Großmachtpolitik nicht an die lädierte Armee, nicht an die ausgezehrten Reste der Flotte, sondern an das Vermögen der Diplomatie. Bei alledem verstand sich, daß Petersburg von den wechselnden Konjunkturen im internationalen System aufs stärkste betroffen wurde. Aus der Dauerkrise des Osmanischen Reiches, der Dynamik der balkanischen Nationalismen, der deutschen Penetration des Nahen Ostens und aus der Wiener Balkanpolitik erwuchsen der russischen Staatsführung seit 1908 mächtige Herausforderungen und Versuchungen13. Um so bitterer war die wiederkehrende Erfahrung, angesichts militärischer Bewegungsunfähigkeit Großmachtpolitik häufig nur simulieren zu können. Als im Januar 1908, angesichts der Besetzung einiger persischer Grenzdörfer durch türkische Truppen, sich Stimmen erhoben, die für militärische Sanktionen plädierten, beschwor Stolypin seine Kollegen, keinem „Fieberwahn" zu verfallen und sich zu einer strikt defensiven Politik zu bekennen. Vielleicht, so meinte er, werde Rußland in einigen Jahren imstande sein, „wieder die frühere Sprache zu sprechen"14. Der Zwang zum Attentismus stärkte das Verlangen, im Rüstungswettlauf Schritt zu fassen, um möglichst binnen eines Jahrzehnts auch zu offensiver Wahrnehmung russischer Interessen imstande zu sein15. Auf der innerrussischen Szene war von Belang, daß die Forderung, Rußland militärisch wieder groß zu machen, keineswegs allein von der Regierung vertreten wurde. Das Einvernehmen reichte in dieser Hinsicht weit ins konstitutionelle Lager hinein und ließ selbst die oppositionelle Kadettenpartei, die um ihre nationale Reputation in Sorge war, am Großmachtbewußtsein der herrschenden Eliten Anteil nehmen16. Der nationale Konsensus, der im Inneren zumeist in Zweifel stand, mochte durch eine erfolgreiche Außenpolitik womöglich einzuholen sein. So ergab sich aus der gewaltigen Diskrepanz, die zwischen Anspruch und Vermögen klaffte, eine der großen „nationalen Aufgaben" der Nachkriegszeit. Die Realisierung kostspieliger Rüstungs- und Flottenpläne stieß sich am deplorablen Zustand der Staatsfinanzen, an der mangelnden Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft, an der strukturellen Rückständigkeit des Landes, der nur durch langfristige Reform- und Entwicklungsprogramme beizukommen war17. „Mit einer zerrütteten Wirtschaft kann Rußland keine Großmacht sein" — dieses lapidare Diktum, das der Finanzminister Kokovcov den Militärs entgegenhielt, bezeichnete ein fundamentales Dilemma der russischen Politik: die Spannung zwischen den Anforderungen innerer Restabilisierung und dem Aufwand, den das imperiale Interesse dem Lande abverlangte18. Man kann nicht sagen, daß das Regime dieses Sachverhalts nicht gewahr gewesen wäre. Außen-, Militär- und Flottenpolitik stellten sich als finanzielle und ökonomische Probleme dar, nicht nur in den Positionskämpfen der Ressorts, sondern auch im Verhältnis von Regierung und Reichsduma. Obwohl Landesverteidigung und Außenpolitik nach wie vor zu den zarischen Prärogativen gehörten, hatte das konstitutionelle Budgetrecht, die anstößigste Hinterlassenschaft der Revolution, die Heeresvermehrung wie den Flottenbau an

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die Zustimmung der Volksvertretung gebunden. Der Budgetausschuß und der Ausschuß für Staatsverteidigung der Duma wurden zu wichtigen Schaltstellen, an denen die Regierung nicht vorüber kam. Dieser Zwang zu parlamentarischer Mehrheitsbildung in Haushaltssachen hat das Regieren in Rußland kompliziert gemacht19. Aber der Rüstungspolitik kam die am Großmachtgedanken haftende Duma-Gesellschaft doch weit entgegen. Nicht selten passierten die außerordentlichen Etatwünsche des Kriegs- und des Marineministers die Duma rascher als den Ministerrat20. Der Nationalismus überwölbte die konkurrierenden Interessen der parzellierten Öffentlichkeit und setzte die Regierung instand, der militärischen Erstarkung Rußlands Priorität zu geben. Er verkürzte freilich auch die Möglichkeit, die knappen finanziellen Ressourcen in produktiver Weise zu verwenden und an der Defensivstrategie der Nachkriegsjahre auf die Dauer festzuhalten. Die Folgen dieser Verkettung werden noch genauer zu erörtern sein.

1. Finanzpolitik, Rüstung und ökonomische Entwicklung Der in das politische System des Zarenreiches eingebaute Zwang, dem Großmachtanspruch seiner Führungsgruppen und weiter Teile der „Gesellschaft" nachzukommen, ist vorab als Problem der Staatsfinanzen praktisch geworden, und tatsächlich wurde die russische Finanzpolitik nach 1906 abermals vor schwere Belastungsproben gestellt. In der Kriegs- und Revolutionszeit war das Imperium dem Zusammenbruch seiner Goldwährung nur knapp entronnen. Die große Liquidationsanleihe, die dieses Debakel hatte abwenden und Rußlands Zahlungsfähigkeit hatte erhalten sollen, wurde von den Budgetdefiziten der Jahre 1905 und 1906 vollkommen aufgesogen. Die Folgelasten des Krieges gegen Japan verschlangen bis 1907 allein an außerordentlichen Etatmitteln die gewaltige Summe von 2316,8 Mill. Rubel; das entsprach ziemlich genau dem Gesamtvolumen der regulären Staatsausgaben von 19081. Unter solchen Umständen konnte es für den Finanzminister nur eine, allem vorgeordnete Maxime geben, den kategorischen Imperativ, das Währungssystem und den Staatshaushalt dauerhaft zu sanieren. Dabei verstand sich, daß dieses Ziel mit den alten Methoden der Kreditschöpfung auf dem inneren und äußeren Kapitalmarkt nicht zu erreichen war. Das enorme Volumen der Staatsverschuldung zu vermehren, verbot sich für eine seriöse Finanzpolitik von selbst. 1907 wurden mehr als 16 Prozent der Staatsausgaben für Zins- und Tilgungszahlungen vertan, 1913 noch immer 13,7 Prozent. Ebenso deutlich war, daß der Masse der Bevölkerung, um die Einnahmen zu erhöhen, keine noch drückenderen fiskalischen Auflagen zugemutet werden konnten. Die Revolutionsjahre hatten gezeigt, daß das Regime die Belastbarkeit der Untertanen ungestraft nicht länger testen durfte. Aus indirekten Steuern zog die Staatskasse um diese Zeit ca. 60 Prozent ihrer regulären Einkünfte, aus dem Alkoholmonopol alleine nahezu ein Drittel. Eine

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durchgreifende Wende zum Besseren war nur von der ökonomischen Erholung des Landes zu erwarten, vom raschen Wachstum der Industrie, von der steigenden Produktivität der Landwirtschaft, von der Hebung der Massenkaufkraft. Insofern war die Finanzpolitik auf den Erfolg der Agrarreformen Stolypins ebenso angewiesen wie auf die Überwindung der depressiven Wirtschaftslage2. Von hier aus wird erklärlich, daß Kokovcov, der das Finanzressort unter den Bedingungen des konstitutionellen Budgets und der vereinigten Kabinettsverfassung wieder übernommen hatte3, allen Rüstungsforderungen mit größter Zurückhaltung begegnete. In der Regierung Stolypin war dieser erfahrene Mann, der die traditionell starke Stellung seines Amtes zu behaupten suchte, der entschiedenste Verfechter einer gezügelten Militär- und Flottenpolitik. Schon im Herbst 1906, in ersten Memoranden für den Ministerpräsidenten, war er den Ansprüchen des Kriegs- und des Marineministeriums mit nüchternen Lageanalysen entgegengetreten. Als Vorbedingung für Stabilität und Sicherheit galt ihm die Beseitigung der finanziellen und wirtschaftlichen Zerrüttung, nicht aber eine ungebremste Wiederaufrüstung, die das Land ruinieren würde. Die Forderungen an den Staat seien mit der Leistungsfähigkeit der Bevölkerung in Übereinstimmung zu bringen; ohne solide Haushaltspolitik werde auch im Publikum und bei der Bankenwelt das notwendige Vertrauen nicht wiederkehren. Demgemäß verlangte er, daß der Schutz des Reiches vor allem mit diplomatischen Mitteln, „durch eine zweckmäßige Ausrichtung der auswärtigen Politik", gewährleistet werden müsse4. Die Armee- und die Marineleitung freilich haben sich jeder Drosselung der Militärausgaben, vollends einer Verminderung der Friedensstärke, aufs energischste widersetzt. Der Generalstabschef F. F. Palicyn vertrat die These, daß selbst der höchste Militäretat noch immer billiger käme als ein verlorener Krieg5. Gleichwohl stießen die Militärs bei Kokovcov zumeist auf steifen Wind. Noch 1909, als Rußland, von guten Ernten begünstigt, in eine konjunkturelle Aufschwungphase eintrat und die Staatseinnahmen stiegen, beharrte der Finanzminister auf seinem Kurs des knappen Geldes und versuchte, das große, auf zehn Jahre berechnete Heeres- und Flottenprogramm nach Kräften zu beschneiden6. Armee und Marine, so erklärte er, sollten sich auf Verteidigungsaufgaben beschränken und von ehrgeizigen Projekten lassen. Rußland brauche weder die „Seeherrschaft" noch eine Schlachtflotte, um der Sicherheit des Reiches zu genügen. Auf Weltpolitik gerichtete Wünsche schienen Kokovcov angesichts der russischen Finanzschwäche schlechterdings abenteuerlich zu sein: „Wenn die ganze Welt als unser Feind anzusehen wäre, dann freilich gäbe es für uns nur einen einzigen Weg: eine Art Selbstbegräbnis auf dem Friedhof."7 Sein Ressortinteresse gebot, den Umfang unproduktiver Ausgaben kleinzuhalten und dafür Sorge zu tragen, daß die Valutadeckung der russischen Währung mit dem wachsenden Geldumlauf und der Auslandsverschuldung im Einklang blieb. Den Goldfonds der Staatskasse wollte er nicht für Linienschiffe und Kanonen zerrinnen sehen, sondern ihn für Krisenzeiten 13

Geyer

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194

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36 193

1704 1799 1905 2032 2018 2025 2272 2342 2418 2526 2781 2952 3106 3415 2898

2769

132 131 133 135 135 127 163 183 194 199 216 224 243 273 281 7974

505 470 429 440 419 409 494 510 526 530 593 630 650 708 661

Direkte Indirekte Steuern Steuern

(3988)

(204) (219) (225) (241) (219) (213) (241) (260) (279) (274) (301) (328) (327) (353) (304)

Zölle

2120

89 95 101 107 104 100 113 123 137 152 170 190 199 231 209 10767

329 439 546 606 614 686 777 791 794 814 866 890 943 1025 647 (9439)

(270) (379) (485) (542) (543) (609) (698) (707) (709) (719) (767) (783) (825) (899) (504) 10415

474 494 524 571 572 553 603 636 648 708 797 888 938 1044 965

Abgaben Staats­ Alkohol­ Staats­ Gebühren monopole monopol vermögen

Quelle: P. A. Chromov, Ėkonomičeskoe razvitie, 504-513.

1900-14

1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914

Ordinarium

Tab. 10: Staatseinnahmen 1900—1914 (in Mill. Rubel)

(8193)

(362) (379) (408) (453) (455) (431) (491) (510) (513) (568) (626) (708) (742) (814) (733)

Staatseisen­ bahnen

4987

33 164 202 171 385 794 1084 143 201 163 24 3 2 14 1604

Extraordinarium

(4745)

(1595)

-

( 29) (158) (199) ( 41) (383) (790) (1077) (135) (189) (149)

Staats­ anleihen

13*

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195

33629

1599 1665 1802 1883 1907 1925 2061 2196 2388 2451 2473 2536 2722 3094 2927

Ordinarium

2069

88 89 94 100 106 114 136 140 147 156 160 168 179 185 207 5816

280 308 334 366 350 339 353 429 432 460 409 403 425 482 446

34 33 37 39 42 43 44 46 53 64 80 98 118 143 154

(2746) 1028

(145) (158) (171) (166) (169) (178) (221) (212) (196) (188) (188) (199) (235) (208)

(112)

Innen- Finanz- Alko- Volksmin. min. holmobilnopol dungsmin.

"7644

367 389 446 456 449 449 477 508 571 551 537 543 555 641 705 396

32 32 33 39 39 42 54 65 60

-

1075

41 41 43 52 47 47 36 47 58 71 86 104 120 136 146 6365

332 335 343 351 372 378 393 406 463 473 485 498 528 581 427 1880

89 93 100 114 113 117 112 88 93 92 113 121 176 245 214

5244

267 277 290 289 298 307 357 374 398 395 409 399 394 424 366

(1976) 8272

(112) 284 (126) 209 (129) 365 (136) 225 (136) 831 (132) 1280 (135) 1152 (133) 387 (137) 273 (135) 156 (138) 124 (133) 310 (133) 449 (142) 289 (119) 1938

Ver- Handel- Haupt- Kriegs- Marine- Staatl. Eisenb.- Extramin. Kredite schulden ordinakehrsmin. und verw. min. rium* Ind.- f. Landmin. wirtschaft

Quelle: P. A. Chromov, 524-529. * In den außerordentlichen Ausgaben sind enthalten: Schuldentilgung 1900-1914: 842 Mill. R; Chinapolitik, Fernostkrieg und Kriegsfolgen 1900-1909: 2787 Mill. R.; Militär- und Rüstungsausgaben 1908-1914: 2301 Mill. R.

1900-14

1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914

EtatJahr

Tab. 11: Staatsausgaben 1900—1914 (in Mill. Rubel)

hüten. Erst zwischen 1911 und 1914, als Kokovcov als Nachfolger des ermordeten Stolypin amtierte, sollte sein Widerstand gegen die ins Uferlose treibenden Rüstungsvorlagen schwächer werden und den Pressionen der Militärs nicht selten erliegen. Auch der Druck, der aus der internationalen Krisenlage kam, war einer langfristigen Sanierungsstrategie nicht günstig. In Budgetfragen, aber auch bei der Steuergesetzgebung, war der Finanzminister auf den pfleglichen Umgang mit der seit Ende 1907 zwar prinzipiell loyalen, aber doch durchaus eigenwilligen Duma-Mehrheit angewiesen. Auch im Verkehr mit der europäischen Hochfinanz blieben die Mitwirkungsrechte der Volksvertretung eine delikate Frage. Während seiner Amtszeit wandte Kokovcov etwa die Hälfte seines 14stündigen Arbeitstages für Angelegenheiten der Duma auf8. Obwohl er kein parlamentarischer Minister war, hatte er doch auf die Fraktionspolitik ebenso Bedacht zu nehmen wie auf das Meinungsspektrum in der politisch relevanten Öffentlichkeit. Als er sich 1908 in der Duma zu dem Ausruf hinreißen ließ, das Rußland „gottlob noch kein Parlament" besitze, wurde angesichts der öffentlichen Empörung sein Rücktritt ernsthaft erwogen9. Daß der überwiegende Teil des Etats „gepanzert" war, d. h. gegen Eingriffe der Duma durch frühere Haushaltsgesetze gesichert, hat das Geschäft des Finanzministers nicht erleichtert. Die jährlichen Budgetdebatten waren für ihn jeweils harte Nervenproben. Dabei hatte er nicht nur der zumeist bissigen Kritik von links zu widerstehen, sondern auch mancher Anfechtung von konservativer Seite. Eines seiner sozialpolitisch wichtigsten Vorhaben, die besitzfreundliche Verteilung der fiskalischen Lasten durch eine progressive Einkommenssteuer zu mildern (nur etwa 7 % der Staatseinnahmen wurden in Rußland von direkten Steuern erbracht, in England dagegen über 30 % ! ) , hatte bei der Mehrheit der Abgeordneten, vollends bei den Senatoren des Reichsrats, keine Chance10. Nicht hilfreicher war, daß die Kriegs- und Marineminister der Renitenz Kokovcovs in der Regel mit dem Argument begegnen konnten, daß die legislativen Körperschaften außerordentlichen Rüstungskrediten wohlgesonnen seien. Auch der Zar stand fest auf seiten der Admiräle und der Armeeführung. Ein Blick auf die Entwicklung des Staatshaushalts zwischen den Kriegen kann verdeutlichen, daß das Finanzministerium gegenüber den militärischen Etatforderungen zunehmend in die Defensive geriet. Kokovcov vermochte der Einsicht nicht zu entgehen, daß der Anspruch des Regimes auf Großmachtpolitik dazu zwang, im internationalen Rüstungswettlauf mitzuhalten. Von 1907 bis 1913 wuchsen die im ordentlichen Haushalt ausgewiesenen Militärausgaben kontinuierlich: für das Heer um 43,1 (von 406 auf 581 Mill. Rubel), für die Flotte gar um 178,4 Prozent (von 88 auf 245 Mill.). Nimmt man beide Posten zusammen, dann ergibt sich in diesen Jahren ein Zuwachs von 67,2 Prozent, während der Staatshaushalt bei den ordentlichen Ausgaben nur eine Steigerung um 40,9 aufwies11. Wie zu sehen ist, war die Flotte, das Navalismussyndrom der russischen Machteliten, das eigentlich progressierende Ele-

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ment der Rüstungspolitik. Zwar stiegen bis zum Kriegsausbruch auch die Ausgabetitel kräftig an, die für Stolypins neue Landordnung und für Volksbildung vorgesehen waren. Aber diesen rückständigen Entwicklungssektoren vermochte auch eine Erhöhung um mehr als das Dreifache (Hauptverwaltung für Landwirtschaft 1907: 47 Mill., 1914: 146 Mill., Volksbildungsministerium 46 bzw. 154 Mill. Rubel) nur erste Anstöße zu vermitteln. Bei der Beurteilung des Gewichts der Rüstungslasten könnte abschwächend darauf verwiesen werden, daß die Militäretats in absoluten Werten zwar rapide in die Höhe gingen, ihr proportionaler Anteil am expandierenden Gesamthaushalt aber nur um knapp drei Punkte (von 23,8 auf 26,7 % ) ausgeweitet wurde. Der tatsächliche Aufwand läßt sich jedoch erst dann ermessen, wenn man die hohen Sonderkredite für Heer und Marine einbezieht. Detaillierte Berechnungen sind hier nicht anzustellen. Bereits im Juli 1907 wurden für das „Kleine Flottenprogramm", das den Bau von vier Dreadnoughts vorsah, 120,7 Mill. Rubel veranschlagt. Ein im Februar 1910 beschlossenes Zehnjahresprogramm, das durch Zusatzforderungen der beiden Militärressorts alsbald kräftig erweitert wurde, sprach der Armee 71,8 und der Marine 69,8 Mill. Rubel jährlicher Sondermittel zu. Kokovcov, der sich standhaft geweigert hatte, diese Aufwendungen durch Anleihen zu finanzieren, war genötigt, statt dessen die Erhöhung der staatlichen Branntweinpreise und andere fiskalische Operationen vorzusehen. Schon im Frühjahr 1911 begann der Marineminister, Admiral Ι. Κ. Grigorovič, neue Vorlagen auszuarbeiten, die der Baltischen Flotte im kommenden Jahrfünft 512,6 Mill. und der bisher vernachlässigten Schwarzmeerflotte 102,2 Mill. Rubel zuführen sollten. Die im Juli 1913 und Juni 1914 verabschiedeten Programme des Kriegsministers Suchomlinov zu Heeresverstärkungen gaben bis 1917 Sonderausgaben in Höhe von 433 Mill. Rubel frei12. Insgesamt wurden im Extraordinarium des Staatshaushalts zwischen 1908 und 1914 2301 Mill. Rubel für Militär- und Rüstungskosten ausgewiesen, ein gigantischer Betrag, der den außerordentlichen Kriegskosten der Jahre 1904 bis 1907 nahezu exakt entsprach. Dem sind noch die Auf­ wendungen hinzuzusetzen, die der Bau strategischer Eisenbahnen und Chaus­ seen erfordert hat. Allein für den dringlich gewordenen Bau der Amurbahn und ein zweites Gleis der Transsib wurde von Kokovcov im Dezember 1909 eine halbe Milliarde Rubel veranschlagt13. Der Probleme, die sich aus der finanziellen Auslandsabhängigkeit Rußlands ergaben, war sich Kokovcov nicht weniger bewußt als seine Vorgänger. Die Erfahrungen von 1905, die das hohe Risiko einer fremdfinanzierten Kriegs­ führung verdeutlicht hatten, blieben gegenwärtig. Auslandskredite für den Budgetausgleich sollten, wenn irgend möglich, vermieden werden. Wie schwer dieser Grundsatz einzuhalten war, zeigte sich bei den Vorarbeiten für den Haushalt von 1909, wo sich eine Deckungslücke von ca. 150 Mill. Rubel nicht schließen ließ. Hinzu kam, daß die kurzfristige Kriegsanleihe, die Petersburg 1904 in F rankreich aufgenommen hatte, im F rühjahr 1909 getilgt werden mußte14. 300 Mill. Rubel (800 Mill. frs.) waren dafür aufzubringen. Seit Som197 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

mer 1908 mühte sich der Finanzminister um eine kombinierte Lösung. Dabei sollte der Umtausch dieser fünfprozentigen Kriegspapiere in geringer verzinste langfristige Werte mit Krediten zum Zweck der Budgetdeckung verbunden werden. Obwohl erste Gespräche ergaben, daß die französische Bankenwelt einer solchen Operation nicht widerstrebte, nahmen die späteren Verhandlungen doch einen höchst unerfreulichen Verlauf. Finanzminister Caillaux forderte, den im „Kleinen Flottenprogramm" von 1907 vorgesehenen Schlachtschiffbau an französische Firmen zu vergeben und die bereits getroffenen Vereinbarungen mit der Hamburger Werft Blohm & Voß zu annullieren. Dieser Pression kam die Ungunst der internationalen Lage entgegen. Die Geheimdiplomatie Izvol'skijs in der bosnischen Annexionskrise hatte den französischen Partner verstimmt. In der Pariser Presse wurde der Friedenswille Petersburgs in Zweifel gezogen und dem Abschluß einer Anleihe energisch widerraten. Das russische Finanzministerium fand sich unter Druck gesetzt. Tatsächlich empfahl Kokovcov gegen Jahresende 1908 dem Finanzkomitee wie der Duma ein Finanzgeschäft, dessen „Zwangscharakter" (vynuždennyj Charakter) er selbst nicht leugnen konnte. Sein trotziges Diktum, „alliance et aminé ne sont pas synonyme de joug et servitude",15 blieb in Finanzsachen ohne Belang. In dem bis 1959 terminierten Anleihekontrakt, der am 14. (1.) Januar 1909 über 525 Mill. Rubel (1400 Mill. frcs.) unterzeichnet wurde, war der Zinssatz auf 4 1/2, der Ausgabekurs auf 89 Prozent festgelegt; Bankenprovisionen und Steuern drückten die reale Kreditsumme um weitere 6 Prozent. In der Duma wie in der Presse war das Echo frostig. Namentlich die liberale Kritik kehrte den tributären Charakter der russisch-französischen Finanzbeziehungen hervor und verglich den Weg Kokovcovs nach Paris mit den demütigenden Reisen altrussischer Fürsten zur Goldenen Horde16. Erst der 1909 beginnende konjunkturelle Aufschwung hat den Minister instand gesetzt, einige Jahre lang ohne neue Anleihen auszukommen. Der Zuwachs der Staatseinnahmen ließ — trotz schwerer Bedenken Kokovcovs — selbst das große Rüstungsprogramm von 1910 schließlich als finanzierbar erscheinen. Als der französische Alliierte jedoch auf den beschleunigten Ausbau des strategischen Eisenbahnnetzes in Polen zu drängen begann, geriet die russische Staatskasse rasch an ihre Grenzen. Seit April 1912 mußte der inzwischen zum Ministerpräsidenten avancierte Kokovcov abermals den internationalen Kapitalmarkt sondieren17. Als einzig praktizierbare Methode der Kapitalbeschaffung bot sich diesmal an, staatlich garantierte russische Eisenbahnobligationen in Paris unterzubringen. Aber auch jetzt sah sich Petersburg wiederum unziemlichen Forderungen gegenüber. Im Juni 1913, als Verneuil, der Vorsitzende des Pariser Börsenmaklersyndikats, in halboffizieller Mission an die Neva kam, wurde klar, daß die französische Regierung einer Anleihe nur zustimmen werde, wenn sich Rußland zu einer beträchtlichen Erhöhung der Friedensstärke seiner Armee verstehe und mit dem Bau der vereinbarten Bahnlinien unverzüglich beginne18. Eine Heeresvermehrung (um 360 000 Mann) 198 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

hatte die russische Regierung, unter Hinweis auf die großen deutschen Militärvorlagen von 1912 und 191319, bereits vorgesehen. Wogegen Kokovcov sich vor allem sträubte, war die Aussicht, zum Bau genau fixierter Strecken verpflichtet zu werden, über deren Vernunft allein die Militärs entschieden hatten. Doch sein Versuch, lediglich allgemeine Maßnahmen „zur Verbesserung der Kapazität unseres Eisenbahnnetzes" zuzusagen, stieß in den folgenden Verhandlungen auf keine Gegenliebe. Bei der Festlegung des Anleihevertrags am Quai d'Orsay (10. November/28. Oktober 1913) beriefen sich Kokovcovs Partner ungerührt auf das inzwischen auch vom Zaren genehmigte Protokoll der Generalstabskonferenz, wo das strategische Eisenbahnprogramm für die nächsten vier Jahre detailliert verzeichnet war20. Erst der Kabinettswechsel von Barthou zu Doumergue, der im Dezember eine weitere Verzögerung des Finanzgeschäfts befürchten ließ, hat den Ministerpräsidenten schließlich dazu bewogen, die französischen Bedingungen unverändert anzunehmen. Am 17. (30.) Januar 1914, zwei Wochen vor der Entlassung Kokovcovs, wurde die Vereinbarung unterschrieben. Paris nahm 4 l/2prozentige, von der Petersburger Staatskasse garantierte Eisenbahnobligationen mit einem Nennwert von 665 Mill. frcs. (249,4 Mill. Rubel) auf. Für die folgenden Jahre wurden Abschlüsse in ähnlicher Höhe vorgesehen21. Wenn sich also sagen läßt, daß das Zarenreich als Alliierter Frankreichs am Vorabend des Weltkrieges ohne Kapitalhilfe nicht bestehen konnte, so darf doch nicht übersehen werden, daß die russische Finanzkraft niemals größer war als in der hochkonjunkturellen Phase von 1909 bis 1914. Ohne diesen Aufschwung, der die Staatseinnahmen in die Höhe schnellen ließ, wäre die Petersburger Rüstungspolitik schwerlich finanzierbar gewesen. Die Aufrüstung blieb ein volkswirtschaftliches Problem, eng verwoben mit dem industriellen Wachstum und mit der steigenden Agrarproduktion, aber auch mit der wachsenden internationalen Verflechtung des russischen Bankwesens22. Beobachtern im Ausland, Wirtschaftsfachleuten, Militärs und Politikern gleichermaßen, bot Rußland damals das suggestive Bild eines mit Riesenschritten vorwärtsdrängenden Giganten. Die Meinung überwog, daß das Imperium die Erschütterungen der Kriegsniederlage und der Revolution überwunden habe und in rascher Modernisierung begriffen sei. Dieser Eindruck ungehemmter Kraftentfaltung hat keineswegs allein die Rußlandbilder und Rußlandängste geprägt, die in Deutschland und Österreich den Präventivkriegsstrategen Auftrieb gegeben haben. Auch in England und Frankreich, selbst in den Vereinigten Staaten, hatten Stimmen Gewicht, die dem Zarenreich eine große, in die Weltpolitik eingreifende Zukunft verhießen und dabei ungetrübte Freude nicht empfinden konnten23. Hält man sich an die russische Wirtschaftsstatistik, dann wird man die rasche industrielle Expansion zweifelsfrei bestätigt finden. Die Zuwachsraten in den wichtigsten Sektoren standen denen der Jahre 1895 bis 1899 nur wenig nach. Das galt vor allem für die Produktionsgütererzeugung, deren Gesamtwert zwischen 1908 und 1913 um 84 Prozent (von 1349,9 auf 2489,4 Mill. R.) stieg, die metallverarbeitende Industrie allein um 88,9 Prozent. Der Produktionswert

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der jungen chemischen Industrie, der 1908 nur 35,3 Mill. Rubel betragen hatte, wuchs bis 1913 um nahezu das Vierfache. Auch die Konsumgüterproduktion, die am Vorabend des Weltkrieges noch 62 Prozent der industriellen Gesamtproduktion Rußlands erbrachte, profitierte von der Konjunktur, wenn auch in bescheideneren Raten. Hier hielt sich der Wertzuwachs bei 32,8 Prozent (1908: 3062,2, 1913: 4060,5 Mill. R.); für die Textilindustrie wurde eine Zunahme um 46 Prozent ausgewiesen24. Diesem Boom kam zugute, daß die mit Ausnahme des Jahres 1911 durchweg hervorragenden Ernteergebnisse die Massenkaufkraft stärkten. Die landwirtschaftliche Produktionserweiterung nährte nicht nur den industriellen Aufschwung, sondern erhöhte auch die Verbrauchssteuereinnahmen der Staatskasse und nicht zuletzt das russische Exportvolumen. Allein die Staatsmonopole, aus denen der Fiskus ca. 30 Prozent seiner Einkünfte zog, brachten 1913 einen fast um ein Drittel höheren Ertrag als 1908. Die Außenhandelsbilanz war, obschon mit abnehmenden Überschüssen, deutlich positiv, so daß der von der Konjunktur angeheizte Importbedarf durch vermehrte Ausfuhrerlöse aufgefangen werden konnte. Für die chronisch defizitäre Zahlungsbilanz war damit freilich wenig gewonnen. Dem Aktivsaldo des Außenhandels (1908-1913: 2274,1 Mill. R.) stand ein Negativsaldo der Devisenbilanz (3485,6 Mill. R.) gegenüber, das nur durch Anleihen und Emissionen, d. h. durch die weitere Vergrößerung der Staatsschuld, ausgeglichen werden konnte. Der vom Finanzministerium betriebene Ausbau der staatlichen Goldreserven vermochte mit der Schuldenprogression nicht Schritt zu halten25. Selbst die so eindrucksvollen Daten, die das rasche Wachstum der russischen Industrie bezeugen, können die strukturellen Mängel dieser scheinbaren Blütezeit nicht verdecken. Der Aufschwung war keineswegs nur „hausgemacht", sondern zugleich Ausdruck für die internationale Verflechtung der russischen Ökonomie. Sprechendstes Indiz für das Ausmaß dieses importierten Kapitalismus waren die zwischen 1908 und 1914 kräftig expandierenden ausländischen Direktinvestitionen26. Eine sorgfältige Prüfung der widersprüchlichen Datengrundlagen und Berechnungen ergibt, daß vom Grundkapital publizitätspflichtiger russischer Aktien- und Anteilsgesellschaften Anfang 1914 (5119 Mill. R.) 48 Prozent nichtrussischer Herkunft waren. Der ausländische Anteil an der Kapitalneuformation ging über diese Proportionen noch weit hinaus. So wird sich sagen lassen, daß „das Ausland nicht erst in einen bereits in Gang befindlichen Aufschwung hineininvestierte, wie dies z. B. in den Vereinigten Staaten und in Kanada der Fall war, sondern diesen Aufschwung bzw. seine einzelnen Phasen mit initiierte"27. Der prozentuale Anteil ausländischen Kapitals an der Gesamtsumme der produktiven Ausgaben in Rußland betrug zwischen 1908 und 1913 knapp 55 Prozent (1420 Mill. R.), eine Größenordnung, die bis dahin nur in der Ära Witte (63,5 % ) und in der Anlaufphase des russischen Industrieaufbaus zwischen 1861 und 1881 (84,9%) deutlich überschritten worden war28. Von jeher hatten sich die ausländischen Investoren auf die Eisenbahnen, auf schwerindu200 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

strielle und andere Entwicklungssektoren konzentriert. Bergbau, Hüttenwesen, Metallverarbeitung und Maschinenbau, die von französischen und belgischen Anlegern bevorzugt wurden, waren im Frühjahr 1917 zu 54,1 Prozent in nichtrussischer Hand, die chemische Industrie zu 45 Prozent, Bauwesen und kommunale Unternehmen gar zu 61,8 Prozent. In der monopolisierten Erdölproduktion, auch im Vertrieb, war die internationale Kapitalverflechtung vollkommen: Hier entfielen 1914 ca. 55 Prozent der Gesamtinvestitionen auf das Ausland, davon 37 Prozent allein auf Großbritannien. In der von Tochtergesellschaften der deutschen Konzerne Siemens und AEG beherrschten Elektroindustrie lag der russische Kapitalanteil 1914 unter 15 Prozent29. Zunächst sind die Vorteile offensichtlich, die sich für die Staatsfinanzen aus der Förderung ausländischer Direktinvestitionen ergeben haben. Die russische Zahlungsbilanz wurde von der Industriebeteiligung internationaler Kapitalgesellschaften weniger belastet als von neuen Auslandsanleihen. Von den Profiten, die nur teilweise ins Ausland abflossen, wurden beträchtliche Summen reinvestiert. Auch von der Höhe der Dividenden, die freilich über dem europäischen Durchschnitt lagen, darf man sich keine übertriebenen Vorstellungen machen. Die Aktionärsgewinne lagen bei ausländischen Unternehmen 1909—1913 zwischen 5,1 und 7,2 Prozent und damit nur um ein Geringes über dem Durchschnitt aller in Rußland tätigen Aktiengesellschaften (5,0—6,6 % ) . Dividenden von jährlich 20—30 Prozent, wie sie der Hauptaktionär der russischen Goldförderung, die Lena Goldfields Ltd., ausschütten konnte, gehörten durchaus zu den Ausnahmen30. In Rechnung zu stellen ist schließlich der Gewinn an Unternehmererfahrung und Know-how, den die russische Industrie aus ausländischen Beteiligungen zog. Für den raschen industriellen Fortschritt auf hohem technologischem Niveau hatte dies unschätzbaren Wert. Wie bekannt, hat sich die These, daß Rußland vor 1914 auf einen halbkolonialen Status abgesunken sei, zumal auf die Penetration der russischen Industrie mit ausländischem Kapital und ausländischer Technologie gestützt. Ganz abgesehen davon, daß der prozentuale Anteil nichtrussischen Investivkapitals zwischen 1861 und 1881 ungleich höher war, kann für die Vorkriegsjahre keine Rede davon sein, daß die industrielle Entwicklung von ausländischen Kapitalgruppen unmittelbar beherrscht worden wäre31. In den Aufsichtsräten und Vorständen der internationalen Konsortien, die die Industriefinanzierung überwiegend besorgten, blieben die russischen Großbanken immer präsent. Auch das Aktienrecht wirkte mit, daß das Auslandskapital in Rußland keineswegs „unabhängig" schalten und walten konnte32. Die im Zarenreich agierende „Internationale der Kapitalinteressen" läßt sich im übrigen nach nationalstaatlichen Kriterien nicht auseinanderlegen. Kooperations- und Konkurrenzverhältnisse wurden von der nationalen Herkunft des Kapitals im Regelfall nicht bestimmt. Der Kapitaleinsatz in Rußland konnte von ausländischen Regierungen keineswegs gesteuert werden. Zwar ergab sich aus dem hohen Kapitalanteil Frankreichs wiederholt, daß politische, militärische und ökonomische Beziehungen ineinandergriffen, aber Pressionen

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Tab. 12: Internationale Verflechtung der russischen Volkswirtschaft Stand: 1. Januar 1914 (in Mill. Rubel) Auslandsanleihen und Investitionen

Russ. Auslandsvermögen

Staatliche Anleihen

420

Staatl. Aktiva in China Ostchin. Eisenbahn u. russ. Eigentum in China

975

Äußere Mongolei

230

Persien Gold der Reichsbank im Ausland Schulden der Türkei, Griechenlands und Bulgariens

3971

Kommunale Anleihen Staatl. garantierte Eisenbahnanleihen Obligationen staatl. Bodenkreditbanken Auslandskapital in Aktiengesellschaften Auslandsinvestitionen in anderer Form

2602 247 8445

300 328 11 110 167 152 1068

Daten nach: A. L. Vajnštejn, Narodnoe bogatstvo i narodnochozjajstvennoe nakoplenie predrevoljucionnoj Rossii, M. 1960, 444 f. des Pariser Kabinetts knüpften doch vor allem an den Anleihebedarf der russischen Staatskasse an. Politische Zugeständnisse von russischer Seite waren dabei nicht immer vermeidbar. Zwischen außenpolitischer Orientierung und Direktinvestitionen hat es dagegen keine nennenswerten Zusammenhänge gegeben. Das Kapital kannte kein Vaterland. Die politischen Implikationen russischer Auslandsabhängigkeit, aber auch der technisch-industriellen Rückständigkeit wurden nirgends deutlicher als in der Praxis der Wiederaufrüstung. Dabei steht außer Frage, daß die umfangreichen Rüstungsaufträge dem Aufschwung und der Modernisierung der Industrie nach 1909 mächtige Impulse verliehen. Im Petersburger Ministerrat war es eine wiederkehrende Übung, dem Finanzminister Heeres- und Flottenvorlagen dadurch schmackhaft zu machen, daß die Militärressorts auf positive ökonomische Wirkungen verwiesen. Rüstungspolitik sollte als Industrieförderung räsonabel werden und von dem Ruch befreit, der „unproduktiven" Ausgaben anhaftete. Besonders dringlich schien anfangs die Sicherung der den Marinebehörden unterstehenden Werften und Werkstätten zu sein, die inzwischen veraltet und unrentabel geworden waren. Aber auch die private Industrie hatte sich rasch zu Wort gemeldet, als es 1907 um den Bau der ersten neuen Linienschiffe ging und der Marineminister Anstalten machte, die britische Firma Vickers damit zu betrauen. Der „Kongreßrat der Vertreter der russischen Industrie und des Handels" hatte von der Regierung verlangt, „daß in einer derart gesamtnationalen Sache wie der Wiedergeburt der russischen Kriegsflotte nicht ausländische, sondern allein vaterländische Werke herangezogen werden" dürften. Im November 1907 bekannte sich auch der Ministerrat dazu, die Linienschiffe nur „in russischen Unternehmen, aus russischem Material und von russischen Ar-

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beitern" bauen zu lassen. Daß die Angelegenheit damit noch keineswegs entschieden war, zeigte sich, als bei der Ausschreibung weder Vickers noch ein russischer Interessent, sondern Blohm & Voß in Hamburg den Zuschlag erhielten. Erst französische Proteste, denen Premierminister Clemenceau und Finanzminister Caillaux Nachdruck gaben, bewogen Petersburg im Herbst 1908 dazu, von Regierungsaufträgen ins Ausland überhaupt Abstand zu nehmen33. In der Folgezeit hat die Regierung diesen Kurs durchzuhalten versucht. Französische, englische und amerikanische Angebote, die das amtliche Petersburg immer wieder erreichten, wurden abgewiesen, obschon das Außenministerium mehrfach darauf drängte, den Wünschen des verbündeten Frankreich gefällig zu sein34. Selbst die Vorstellungen Poincarés, der 1912 in Petersburg um die Beteiligung französischer Firmen warb, haben den Marineminister unbeeindruckt gelassen. Lediglich zwei Leichte Kreuzer wurden am Vorabend des Weltkrieges jenseits der russischen Staatsgrenzen, in Elbing, auf Stapel gelegt. Diese beiden Kriegsschiffe, von Petersburg bereits teilweise bezahlt, wurden erst nach Kriegsausbruch einsatzfähig und dann der deutschen Kriegsmarine einverleibt35. Daß der Grundsatz, die russische Rüstung der einheimischen Industrie vorzubehalten, die Beteiligung ausländischen Kapitals und die Kooperation mit ausländischen Firmen nicht ausschloß, sondern voraussetzte, ist leicht sichtbar zu machen. Alle privaten Industrieunternehmen und Werften von einigem Gewicht, die Rüstungsaufträge an sich zogen, waren mit russischen Großbanken verflochten, an denen europäische Kapitalgesellschaften großen Anteil hatten36. Das galt zumal für die beiden bedeutendsten Finanzgruppen im russischen Rüstungsgeschäft, für die Russisch-Asiatische Bank (1910 durch Vereinigung der Russisch-Chinesischen und der Nordbank entstanden) und die Petersburger Internationale Commerzbank. Die Russisch-Asiatische Bank wurde von Pariser Syndikaten (Société Générale, Banque de Paris et Pays-Bas, Union Parisienne u. a.) mit 65 Prozent Aktienanteil dominiert, in der Internationalen Commerzbank waren über 30 Prozent der Aktien und Obligationen in deutschen Händen. Die Finanzierung der Waffenproduktion und des Kriegsschiffsbaus vollzog sich also in einem durchaus internationalen Kapitalverbund. Dies bedeutete zugleich, daß die für das Kriegs- und das Marineministerium arbeitenden Unternehmen ihrerseits in den großen Kapitalgesellschaften vertreten waren. Der hohe Konzentrations- und Monopolisierungsgrad der russischen Rüstungs- und Schiffsbauindustrie erklärt sich daraus. Zum Bereich der mit der Russisch-Asiatischen Bank verflochtenen Finanzgruppen gehörten die gesamte private Geschützproduktion und etwa die Hälfte der Munitionsfabriken. Alle Leichten Kreuzer und 14 der 36 Torpedoboote, die im Rahmen des baltischen Flottenprogramms in Auftrag gegeben wurden, entstanden auf Werften, die diese Gruppierung finanzierte. Industrielles Herzstück der Russisch-Asiatischen Bank waren seit 1912 die Putilov-Werke, die damals 43 % der russischen Waffenproduktion besorgten und sich nun auch des Kriegsschiffbaus annahmen. Bis 1914 zog der mit russischen, französischen und 203 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

belgischen Banken verbundene Finanz- und Industriekomplex weitere bedeutende Waffen- und Maschinenfabriken und Werften an sich heran (NevskijWerke, Russisch-Baltische Gesellschaft, Revaler Schiffsbau, u. a.). Nach Übernahme der Tulaer Hochöfen-Gesellschaft ging man daran, eine eigene metallurgische Basis zu schaffen. Anders als die Russisch-Asiatische Bank, die sich auf Petersburg und den baltischen Küstenraum konzentrierte, haben die Internationale Commerzbank und die mit ihr kooperierende Petersburger Disconto- und Kreditbank (Ucetnossudnyj bank) ihr wichtigstes Wirkungsfeld im Süden gefunden und dort den 1912 einsetzenden Ausbau der russischen Schwarzmeerflotte beherrscht. Hier kam es unter maßgeblicher Beteiligung französischer Kapitalgruppen im Mai 1914 zum Zusammenschluß der beiden einzigen südrussischen Schiffsbaugesellschaften „Naval'" und „Russud" in Nikolaev. Beide Unternehmen waren vor Verabschiedung des Flottenprogramms dem Ende nahe gewesen und wurden nun kräftig ausgebaut und modernisiert. Dieser neuen Kombination wurden angesehene Maschinen-, Eisen- und Kabelfabriken assoziiert (L. Nobel, G. A. Lessner, Phönix u. a.), desgleichen ein Artilleriewerk in Caricyn. An dem internationalen Verbundsystem, das die russische Kriegsindustrie finanziell weitgehend trug, war jedoch nicht nur ausländisches Kapital beteiligt, sondern auch hochentwickelte westliche Technologie37. Nahezu alle russischen Firmen, die im Rüstungsgeschäft tätig waren, haben sich in Lieferund Kooperationsverträgen ausländischer Mitwirkung versichert. Das betraf den Import von Ausrüstungen, aber auch von Ingenieuren, Monteuren und Facharbeitern. Besonders der Kriegsschiffbau war ohne diesen Technologietransfer nicht zu denken. Turbinen, Dieselmotoren, Fertigungsanlagen, optische Geräte u. ä. wurden in großem Umfang im Ausland bestellt, oft auch durch Übernahme von Lizenzen nachgebaut. Die französische Waffenschmiede Schneider et Cie. (Creuzot), Vickers und John Brown aus England, dazu Krupp, Blohm & Voß, AEG, Vulkanwerft, Škoda und viele andere große und kleine Unternehmen der europäischen Industrieländer partizipierten am russischen Rüstungsboom. Allein die Werften von Naval' in Nikolaev vergaben in den letzten Vorkriegsjahren Aufträge an nicht weniger als 100 ausländische Firmen, zumeist an deutsche und englische. Der technologische Rückstand der russischen Industrie hat also Abhängigkeiten entstehen lassen, die nicht minder fühlbar waren als die internationale Kapitalverflechtung. Nach Kriegsausbruch, als die deutschen Lieferungen ausblieben, wurden die großen russischen Werften nur durch staatliches Sequester vor dem Stillstand bewahrt. Wie zu sehen ist, reichte das in der Aufschwungphase der Vorkriegszeit ungewöhnlich rasche Entwicklungstempo der „vaterländischen" Industrie nicht aus, um die Auslandsabhängigkeit der russischen Großmachtpolitik zu lockern. Die Rüstung als eines der kräftigsten Antriebsmittel des industriellen Fortschrittes verdeutlicht diesen Tatbestand. Daß der vom Willen zur Weltgeltung angestoßene Boom die strukturellen Entwicklungsschwächen der russischen Ökonomie nicht beheben konnte, hat die quantifizierende Forschung eindrucksvoll 204 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

belegt. Trotz hoher Investitionsraten (1913: 11,6%), die nur von den Vereinigten Staaten und Deutschland (ca. 13—14% des Nationaleinkommens) übertroffen wurden, blieb der nach wie vor dominierende agrarische Sektor hinter dem Wachstum der Industrie zurück38. Die Landreform Stolypins, die durch Auflösung der alten Umteilungsgemeinde, durch Flurbereinigung und Neuansiedlung ein prosperierendes Mittelbauerntum hatte schaffen sollen, kam in den letzten Vorkriegsjahren zum Stehen. Eine weitertragende Modernisierung der Landwirtschaft wurde nicht erreicht. Die äußerst geringfügige Zunahme der Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft (ca. 0,3 % p. a. gegenüber 2,7 % in der Industrie) wirkte sich — bei einem Arbeitskräfteanteil von 12 Prozent 1913 und einem Produktionsanteil von 53 — ungemein hemmend auf den Anstieg der Pro-Kopf-Einkommen aus. So entsprach der sozialökonomische Entwicklungsstand Rußlands vor 1914 noch immer dem Niveau, auf dem sich die Länder West- und Mitteleuropas vor dem Eintritt in die Periode „modernen wirtschaftlichen Wachstums" befunden hatten. 1912 betrug das russische Pro-Kopf-Einkommen nur etwa ein Viertel des deutschen und englischen und nur wenig mehr als die Hälfte des italienischen. Ein Vergleich mit dem Deutschen Reich zeigt, daß Rußland 1912 fast um 60 Prozent unter dem deutschen Stand von 1873 lag. Bei alledem hat das weit raschere Wachstum der westlichen Volkswirtschaften dem Versuch, die relative Rückständigkeit des Zarenreiches zu verringern, bis zum Weltkrieg hin keine Chance gegeben. Ungeachtet aller Anstrengungen, die seit Witte unternommen worden waren, ist das Entwicklungsgefälle gegenüber den großen Industriestaaten, mit denen die russischen Führungsgruppen an der Sonne sitzen wollten, nicht kleiner, sondern größer geworden. Das russische Pro-Kopf-Einkommen, das um 1860 etwa die Hälfte des westlichen Durchschnitts erreicht hatte, wies 1913 nurmehr ein Drittel dieser Vergleichswerte auf. Von einer Strategie des „Einholens" konnte keine Rede sein. In der Scheinprosperität der Vorkriegsjahre, die auf forcierter Industrieund Rüstungsexpansion im europäischen Kapitalverbund beruhte, wurden mithin die strukturellen Schwächen der russischen Modernisierung nicht abgetragen. Volkswirtschaftlicher Raubbau zu Lasten des Bauernvolkes blieb das Grundmuster dessen, was in Rußland „ökonomischer Fortschritt" heißen konnte. Die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Negativbilanz, in der die Kosten der russischen Großmachtposition zum Ausdruck kamen, werden für die Jahre vor 1914 noch genauer zu erörtern sein.

2. Außenpolitik und militärische Planung Wenn man auch nicht sagen kann, daß der mit ausländischem Kapital und ausländischer Technologie vorangetriebene Industrieausbau von der russischen Regierung allein unter dem Gesichtspunkt internationaler Statussicherung begriffen worden sei, so ist doch der Primat eben dieses Interesses nicht zweifel205 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

haft. Der überproportional hohe Kosteneinsatz, der der Rüstung zugewendet wurde, drängte in den Vorkriegsjahren alle anderen Entwicklungsprogramme ins zweite Glied zurück. In einer Zeit relativer Ruhe im Inneren wurde die eingeschliffene Revolutionsfurcht der Machteliten von der Vorstellung überwölbt, daß die eigentliche Bedrohung von außen komme. Wohl und Wehe des Regimes sah man an das Vermögen gebunden, kommenden internationalen Belastungen standzuhalten und ein neues Tsushima zu vermeiden. Insofern hatte Großmachtpolitik einen durchaus antirevolutionären Zug, konnte Aufrüstung zugleich als Unterpfand der Systemerhaltung verstanden werden. Überdies wußte sich die Regierung in den Grundfragen auswärtiger Politik im Einklang mit weiten Teilen der Duma-Gesellschaft. Dieser Eindruck hätte schwerlich eine so selbstverständliche Plausibilität erlangt, wenn er durch die fortgehende Eskalation internationaler Konflikte nicht unterstützt worden wäre. Schon die demütigenden Erfahrungen, die Petersburg aus der bosnischen Annexionskrise ziehen mußte, hatten die Bedrohungsvorstellungen der russischen Führungsgruppen auf die außenpolitische Szene fixiert1. Die Sorge, für eine erfolgreiche Wahrung der Reichsinteressen nicht oder doch nur äußerst mangelhaft gerüstet zu sein, uferte in dem Maße zu einem Trauma aus, in dem die Gefahr eines europäischen Krieges permanent zu werden begann. Alle Opfer, die der Rüstung zu bringen waren, schienen im Licht dieser Befürchtungen notwendig und vernünftig. Während der Balkankriege von 1912/13 wurde der Fähigkeit der Bündnisblöcke zu dauerhafter Friedenssicherung schon nicht mehr vertraut2. Der Gedanke war weitverbreitet, daß der kommende Zusammenstoß mit Deutschland und Österreich-Ungarn unvermeidlich und als ein von der Geschichte verhängtes Faktum hinzunehmen sei. Worauf es der russischen Regierung ankam, war, dafür zu wirken, daß dieser „Entscheidungskampf" vertagt bleibe, bis die militärische Stärke des Reiches den gewaltigen Belastungen eines solchen Krieges gewachsen sei. Die Aufgaben der russischen Diplomatie ergaben sich daraus. Die Rüstungsprogramme für Armee und Flotte waren darauf berechnet, den militärischen Ausbau der potentiellen Gegner Paroli zu bieten und das Imperium nach Möglichkeit bis 1917 kriegsbereit zu machen. Wie zu zeigen sein wird, lag dieser Strategie kein Plan zugrunde, der darauf angelegt gewesen wäre, den großen Krieg durch eigene Offensivaktionen auszulösen3. Die Grundhaltung blieb attentistisch, auf die Unabwendbarkeit des „Völkerringens" eingerichtet, nicht aber auf das kalkulierte Risiko eines präventiven Schlags. Es ist hier nicht der Ort, die Vorgeschichte des Weltkrieges als Diplomatiegeschichte zu beschreiben und aufzuweisen, wie die russische Außenpolitik auf die internationalen Krisen der Jahre 1908 bis 1914 im einzelnen reagierte4. Außer Zweifel steht, daß die beiden Außenminister dieser Zeit, A. I. Izvol'skij (1906—1910) und S. D. Sazonov (1910—1916), eine Strategie der Kriegsvermeidung für geboten gehalten haben und der beschränkten militärischen Bewegungsfähigkeit des Imperiums durch defensive Interessensicherung Rechnung zu tragen suchten5. Weshalb dieser Grundsatz seit dem Winter 1913/14 mehr und 206 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

mehr ins Schwanken kam, wird in einer gesonderten Situationsanalyse noch zu erörtern sein. Zunächst soll die Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit der russischen Führung in den Vorkriegsjahren einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Diese Blickrichtung legt nahe, in einem ersten Schritt den Zusammenhang von Außen- und Militärpolitik hervorzukehren und darzutun, von welchen konkretisierbaren Interessen das Bemühen um internationale Statussicherung geleitet war. In einem zweiten Anlauf ist sodann der Frage nachzugehen, in welchem Sinn und mit welchen Konsequenzen der Komplex diplomatisch-militärischer Politik mit den intrasystemaren Bedingungen verklammert blieb, auf denen die Stabilität des zarischen Regimes beruhte. Wo immer es um Fragen der außenpolitischen Orientierung ging, hat es zwischen den Vertretern der Diplomatie und des Militärs zwar manche Differenz im einzelnen gegeben, aber doch weitgehende Übereinstimmung im Grundsätzlichen6. Über die Essentials der russischen Großmachtpolitik bedurfte es keiner Verständigung. Unbefragt galt, daß das „historische Recht" des Imperiums auf die Meerengen die Dominanz einer anderen Großmacht in Konstantinopel verbiete, daß die „geschichtliche Bestimmung" Rußlands, Verantwortung für das Schicksal der Balkanvölker zu tragen, mit einer Veränderung des Status quo unvereinbar sei, und daß es an der asiatischen Peripherie des Reiches darauf ankomme, die russische Stellung im Fernen Osten, in Mittelasien und in Persien abzuschirmen — unter vorläufigem Verzicht auf riskante Expansionsziele. Ein Interessenarrangement mit Japan und Großbritannien, wie es Izvol'skij im Sommer 1907 zustande brachte, war dafür eine wichtige Voraussetzung. In Anbetracht der Schwäche Rußlands war auf allen diesen Interessenfeldern die „Wahrung der Ehre und Würde" des Imperiums nicht den Militärs, sondern vorab der Kunst der Diplomatie anzuvertrauen. Auch darüber gab es keinen Dissens. Dabei verstand sich, daß an der Vernunft der russischfranzösischen Allianz nicht zu deuteln war. Dieses mit der Kapitalabhängigkeit Petersburgs eng verschnürte Bündnis blieb die einzige Sicherheitsgarantie, die Rußland gegenüber der weit überlegenen deutschen Militärmacht besaß. Insofern war an eine Revolution der Allianzen, etwa nach dem mißglückten Muster von Björkö, ernsthaft nicht zu denken. Dem stand nicht entgegen, daß an der Staatsspitze Kräfte rege blieben, die zumal der englischen Orientierung widerrieten und dafür warben, das deutsch-russische Sonderverhältnis der Bismarckzeit neu zu beleben. Gewiß hatten Izvol'skij und Sazonov auf solche konservativen, von Revolutionsängsten genährten Stimmungen Bedacht zu nehmen. Auch waren sie selbst aus guten Gründen an der Dämpfung der Gegensätze, ja an freundschaftlichen Beziehungen mit Deutschland interessiert. Ebenso mußte dem Kriegsministerium daran gelegen sein, militärischen Kollisionen an der Westgrenze auszuweichen. Die periodischen Begegnungen der beiden Kaiser entsprachen dieser Maxime ebenso wie die Potsdamer Übereinkunft von 1910/11 hinsichtlich der Bagdadbahn und der russischen Position in Persien7. Aus der Kette deutsch-russischer Fühlungnahmen darf jedoch nicht geschlossen werden, 207 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

daß Rußland nach 1907 mächtig gewesen wäre, „zwischen England und Deutschland" zu optieren oder, zwischen beiden Mächten balancierend, eine Politik der freien Hand zu treiben. Dieser oft geäußerten Ansicht zu folgen, hieße, einer taktischen Stilfigur anheimzufallen, mit der das offizielle Petersburg das Fehlen einer realen Alternative — gelegentlich auch vor sich selber — zu verschleiern pflegte. Bekanntlich haben die Versuche, eine Schaukelpolitik zu simulieren, in Paris und London zwar manche Unruhe geweckt, die Kabinette der Entente aber nicht dazu gebracht, russische Reichsinteressen — etwa im Nahen Osten — zu ihren eigenen zu machen8. Wie begrenzt der Effekt diplomatischer Bemühungen war, wenn es um virulente Interessen Rußlands ging, zeigte sich nicht allein in der bosnischen Krise. Auch die im Oktober 1909 geschlossene Geheimkonvention mit Italien, in der Rom wohlwollendes Verhalten im Blick auf die russischen Ambitionen an den Meerengen versprach und Petersburg das gleiche in bezug auf die italienischen in Tripolitanien und der Cyrenaika, half nicht voran9. Während des türkischitalienischen Krieges von 1911 vermochte Rußland keine produktiven Pfänder zu erwerben. Vollends der Balkanbund, mit dem Sazonov im Frühjahr 1912 das Imperium als nahöstliche Ordnungsmacht zur Geltung bringen wollte, sollte sich binnen weniger Monate in den selbstgeknüpften Netzen verfangen10. Das Außenministerium und die beiden Militärressorts stimmten darin überein, daß Großmachtpolitik ohne moderne Heeres- und Flottenrüstung nicht zu praktizieren sei. Ungeachtet aller Rückschläge und Enttäuschungen hat sich der diplomatisch-militärische Konsens in Grundsatzfragen der Großen Politik bis zum Weltkrieg hin erhalten. Die „Rückkehr nach Europa", die Izvol'skij vollzogen hatte, war von den Spitzen der Armee und Marine nach einigem Widerstand hingenommen und mitgetragen worden. Die Flurbereinigung im Fernen Osten erlaubte es dem Generalstab, sich wieder auf die Absicherung gegen Deutschland und Österreich-Ungarn zu konzentrieren. In den Allianzbeziehungen mit Frankreich, die im April 1906 neu gefaßt worden waren, hatten die antienglischen Bestimmungen von 1901 keinen Nennwert mehr11. Auch in dieser Hinsicht gingen Generalstab und Kriegsministerium mit dem neuen außenpolitischen Kurs konform. Zugleich aber war der Militärführung deutlicher als je zuvor geworden, daß die Allianz dem französischen Verbündeten stärker entgegenkam als der russischen Seite. Bei einem Konfliktfall mit Österreich, wie er 1908/09 angesichts der Aehrenthalschen Annexionspolitik und des deutschen „Ultimatums" gegeben war, hatte Rußland automatischen Beistand aus Paris nicht zu erwarten12. Andererseits sah sich Petersburg in jede Zuspitzung des deutsch-französischen Verhältnisses unmittelbar einbezogen, ohne den Konfliktverlauf wirksam steuern zu können. Das faktische Ungleichgewicht, das dem Bündnis innewohnte und Ausdruck russischer Schwäche war, ließ sich nur durch die massive Verstärkung des eigenen militärischen Potentials in eine annehmbare Balance bringen. Solange dies nicht möglich war, konnten die Bemühungen Izvol'skijs und Sazonovs, 208 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

den Draht nach Berlin nicht fahren zu lassen, dem Generalstab nicht zuwider sein. Die fehlende Kriegsbereitschaft der Armee und der F lotte, die in der Aus­ einandersetzung mit der Wiener Politik und in der Meerengenfrage immer wie­ der zu bekennen war, rechtfertigte eine an die Diplomatie verwiesene Strategie der F riedenswahrung. Auf diesem Grundsatz haben, als der Status quo auf dem Balkan mehr und mehr verloren ging, die Militärs nicht weniger entschieden bestanden als der Außenminister, der an seinen diplomatischen Niederlagen schwer zu tragen hatte. Unzutreffend wäre jedoch, aus dem Gleichklang der Auffassung zu schließen, daß zwischen den diplomatischen und den militärischen F ührungszentren eine kontinuierliche Abstimmung der Planungen und Entscheidungen stattgefun­ den hätte. Die Steuerungsmöglichkeiten des Ministerpräsidenten blieben be­ schränkt. Militär und Diplomatie waren zwei voneinander geschiedene Arkan­ bereiche, auf deren Tätigkeit, soweit es nicht um Etatsachen ging, der Minister­ rat nur beschränkt einzuwirken vermochte. Auch die Person des Zaren war nicht dafür gemacht, Außenpolitik und Militärpolitik zulänglich zu verein­ heitlichen, obschon diese Aufgabe, nach der Verfassung, allein dem Monarchen zugekommen wäre. Izvol'skij hatte seine Geschäfte nur vor dem Herrscher zu vertreten, ansonsten erfreute er sich bemerkenswerter Unabhängigkeit. Zwar wurden, auf allerhöchste Anweisungen, wichtige Entschlüsse, zumal in Krisen­ zeiten auf interministeriellen Sonderkonferenzen vorbereitet, bei denen, unter Leitung des Ministerpräsidenten, die Minister für Krieg und Marine zu außen­ politischen F ragen das Wort ergriffen und der Außenminister seinerseits mili­ tärstrategische Maximen zum Besten gab. Auch wurden die seltenen Auftritte des Außenministers vor der Reichsduma dem Ministerrat im voraus kundgetan. Im übrigen aber blieb dem Minister überlassen, wie weit er sich seinen Kollegen offenbarte. Izvol'skijs Verhalten in der bosnischen Krise (als er mit Aehrenthal in Buchlau fundamentale Reichsinteressen präjudizierte, ohne daß Stolypin unter­ richtet war) macht anschaulich, daß selbst über hochempfindliche F ragen auswär­ tiger Politik in Einsamkeit und F reiheit entschieden werden konnte. Erst nach 1909, seit Stolypin seinen Schwager Sazonov an die Spitze des Außenministe­ riums rücken ließ, wurde dieser Mangellage allmählich abgeholfen, auch durch ein durchgreifendes Revirement des diplomatischen Spitzenpersonals18. Schwieriger noch als die Diplomatie war der politische Prozeß in Militär­ sachen zu koordinieren. Neben dem Kriegs- und dem Marineministerium stan­ den die gesonderten Generalstäbe für Armee und Marine, die erst 1909 mini­ sterieller Weisungsbefugnis unterworfen wurden. Hinzu kam der aus der Kriegs­ zeit stammende Reichsverteidigungsrat, der sich unter Vorsitz des Zarenonkels Nikolaj Nikolaevič mit Planungs- und Rüstungsfragen zu befassen hatte. Bis zu seiner Auflösung 1908 war dieses Gremium vor allem damit beschäftigt, Ressortstreitigkeiten zu schlichten. Wie in Deutschland und anderswo blieb auch im Zarenreich der Antagonismus zwischen Heer und F lotte ein nicht auf­ hebbarer Tatbestand14. Die beiden Stabschefs kamen in der Regel nur unter dem Druck knapper F inanzen zu gemeinsamer Absprache zueinander. Regu14

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Geyer

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lierte Kooperation fand nicht statt. Während Zar und Außenminister den Kampf der Admiräle um den Vorrang der Flottenrüstung unterstützten, weil, wie Izvol'skij sagte, eine starke Flotte für jeden Staat unabdingbar sei, „der in der Reihe der Großmächte zu bleiben" und nicht zu einer „zweitrangigen Macht" abzusinken wünsche15 — hatte das Kriegsministerium größte Mühe, die finanziellen Belange der Armee durchzusetzen. In den Krisenjahren vor 1914 hat die überragende Figur des Admirals Ι. Κ. Grigorovič, der den Herr­ scher stets an seiner Seite hatte, den Primat der F lottenpolitik mühelos behaup­ tet. Dabei konnte es keinen Zweifel geben, daß die militärische Stärke der Landmacht Rußland nicht nach der Zahl der Linienschiffe, sondern nach der Verfassung der Armee zu bemessen war16. Die F rage, inwieweit Außenpolitik und Militärpolitik tatsächlich ineinan­ dergriffen, hat also die Verkehrsstörungen in Betracht zu ziehen, die zwischen Heeres- und Marineleitung bestanden. Die strategischen Maxime, die den auf­ wendigen F lottenprogrammen zugrunde lagen, blieben lange Zeit diffus und hatten nur lose F ühlung mit dem, was im Kriegsministerium und im General­ stab des Heeres an Operations- und Mobilisierungsplänen in Geltung war. Nach dem Schock von Tsushima hatten sich die Marinebehörden, die sich in unge­ mein verlotterter Verfassung befanden, in der Richtungslosigkeit improvisierter Wiederaufbauprojekte gründlich verfangen. Wichtig war den Herren nur, als­ bald wieder eine stolze Armada zur Hand zu haben und die dem Ministerium unterstehenden Werften und Werkstätten vor dem Verfall zu retten. Der zwischen dem Zaren und dem Marineminister Α. Α. Birilov schon 1906 verein­ barte Plan, in den kommenden fünf bis sieben Jahren vier Schlachtschiffe der Dreadnoughtklasse für die Baltische Flotte zu bauen, war diesem Verlangen gefolgt17. Die beiden Stabschefs, Admiral Brusilov und General Palicyn, die diese Vorlage im Dezember 1906 hatten prüfen müssen, waren jedoch zu durchaus anderen Prioritäten gekommen: Nicht der Schlachtschiffbau in der Ostsee, wo man sich in den kommenden 10 bis 20 Jahren auf den Küstenschutz zu konzentrieren habe (und dies bestenfalls auf der Linie zwischen Reval und den Alandinseln), sollte Vorrang haben, sondern die Schaffung einer starken Schwarzmeerflotte, die fähig zu machen wäre, „unseren reichen Süden" zu schützen und die „historischen Aufgaben" Rußlands an den Meerengen, in Kleinasien und in der Ägäis zu erfüllen18. Der Nachfolger Birilovs, Admiral Dikov, nahm sich solcher Zukunftsperspektiven mit besonderer Verve an, gestützt auf Exposés junger Marineoffiziere und vom Zuspruch Izvol'skijs beflügelt. Im Oktober 1907 hatte er dem Außenminister vorgestellt, daß die Kriegsmarine „die Bewegung zu den Meerengen als unverrückbares Ziel" ins Auge fasse und begierig sei, „der Schwarzmeerflotte am Ausgang des Mittelmeeres eine Station in der Nahe der Dardanellen zu sichern"19. Um diesem Konzept Nachdruck zu verleihen, wurden nicht nur historische, sondern auch moderne, handelsimperialistische Argumente bemüht: Das Exportinteresse der Volkswirtschaft, hieß es, gebiete, neben Getreide auch südrussisches Eisenerz

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und Steinkohle auf den Weltmarkt zu bringen — in die Häfen Südeuropas, Afrikas und Kleinasiens, durch das Rote Meer nach Abessinien, Arabien und in den Indischen Ozean. Es bedarf keiner näheren Ausführung, daß diese Visionen mit den Absichten Izvol'skijs harmonierten, dessen auf Revision des Meerengenstatuts versessene Geheimdiplomatie nach Buchlau freilich rasch auf Grund laufen sollte. Daß von seriöser Koordination zwischen Außen- und Flottenpolitik gleichwohl keine Rede sein konnte, war schon 1907 zutage gekommen. Bereits im Frühjahr hatte der Reichsverteidigungsrat ein alle Maßstäbe sprengendes Flottenbauprogramm kräftig zurückgeschnitten, dessen Maximalvariante auf Wunsch des Marinegeneralstabs vier moderne Großverbände zuwege bringen sollte, jeweils 8 Schlachtschiffe, 4 Schwere und 9 Leichte Kreuzer sowie 36 Torpedoboote, und kleinere Einheiten; zwei dieser Kampfgeschwader wünschte man dereinst im Pazifik operieren zu sehen. In der Tat: Hier war Weltpolitik am Kartentisch und Reißbrett entworfen worden, ohne jeglichen Realitätsbezug, unter grotesker Überschätzung der finanziellen Ressourcen und weitab von der bereits getroffenen Entscheidung, die fernöstliche Expansionsbewegung stillzustellen und auf einen Modus vivendi mit Tokio und London zuzugehen. Der Rahmen, der dem im Juli 1907 schließlich verabschiedeten „Kleinen Flottenprogramm" zugemessen wurde, war denn auch ungleich bescheidener, wenn auch noch immer ehrgeizig genug: Vier Dreadnoughts sollten als Kern der Baltischen Flotte entstehen und einige kleinere Tonnagen dazu. Der Schwarzmeerflotte wurde nicht gedacht. Erst 1909 konnten die neuen Linienschiffe auf Kiel gelegt werden, und als der Weltkrieg kam, waren drei davon gefechtsbereit20. Selbst wenn man bedenkt, daß solche Bauprogramme ihrer Natur nach nicht aktuelle, sondern antizipierte Interessen spiegeln, so war doch der imitative Charakter der russischen Flottenpolitik ein besonderes Stilmerkmal dieser Zeit. Der Hinweis auf die deutsche Flottenrüstung verstand sich von selbst, obschon sich nicht sagen läßt, daß der russische „Mahanismus" auf die Tirpitzschen Vorlagen ähnlich starr fixiert gewesen wäre, wie dies für die Pläne des deutschen Reichsmarineamtes in bezug auf die englische Seemacht galt21. Was die neue Kriegsmarine tatsächlich leisten sollte, blieb vorerst ungeklärt. Klar war nur, daß die Flottenplaner die Armee auf ein nachhinkendes Entwicklungstempo verwiesen. Dem zögerlichen Kriegsminister Rediger gelang es erst im Juli 1908, auf den vom Generalstab berechneten Nachholbedarf des Heeres einen bescheidenen Abschlag zu erhalten; von den als notwendig bezeichneten 2,1 Milliarden wurden knapp 300 Mill. Rubel zugesagt, die der Armee bis 1915 in Raten zufließen sollten22. Angesichts des kläglichen Zustands der russischen Landstreitkräfte war dies allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Obwohl Kokovcov seit 1906 immer wieder auf Abstimmung gedrängt hatte, wurde der erste, von Armee und Flotte gemeinsam konzipierte Finanzierungsplan erst 1910 verabschiedungsreif23. Daß dieser Zehnjahresplan überhaupt zustande kam, war den deprimierenden Erfahrungen der bosnischen Krise zu 14*

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danken: Als Berlin im März 1909 hatte wissen lassen, daß es seinen österreichischen Verbündeten von Sanktionen gegen Serbien nicht länger abzuhalten gedächte, war der Kriegsminister mit einem Offenbarungseid vor den Kronrat getreten. Die Armee, so hatte er erklärt, sei nicht gefechtsfähig, außerstande, auch nur defensiven Aufgaben zu genügen24. Doch noch im Sommer 1909, bei den Haushaltsberatungen für 1910, blieb General Suchomlinov, dem Nachfolger Redigers, eine fühlbare Erhöhung der Etatansätze verwehrt; der Ministerrat hielt die oberste Grenze der staatlichen Leistungsfähigkeit für erreicht25. Dessen ungeachtet aber kam das Thema nicht vom Tisch, zumal die Marine inzwischen abermals mit einer Milliardenforderung vorstellig geworden war. Stolypin hatte in den folgenden Monaten nicht allein die heftigen Ressortstreitigkeiten zwischen Armee und Flotte zu dämpfen, sondern nicht minder die Erregung des Finanzministers. Kokovcov geißelte die schreienden Koordinationsmängel und das Fehlen überzeugender strategischer Konzepte und verlangte, exakt begründete und stark reduzierte Kostenrechnungen zu sehen26. So waren es mithin nicht außenpolitische oder militärstrategische, sondern wiederum fiskalische Zwänge, die begrenzte Absprachen zwischen Heer und Marine bewirkten. Was herauskam und am 24. Februar 1910 schließlich den Ministerrat passierte, verhieß, in den nächsten zehn Jahren beide Ministerien in nahezu gleichem Umfang zu bedenken, je mit rund 70 Millionen Rubel jährlich27. Die Disproportionen wurden damit freilich in keiner Weise aufgehoben. Während das Kriegsministerium darauf angewiesen blieb, mit den zugesagten Sonderkrediten den dringendsten Nachholbedarf zu bestreiten — Festungsbau, Chausseebau, Artillerieumrüstung, Materialersatz usf. — taten sich der Kriegsmarine ungleich weitere Perspektiven auf: Die Ostseeflotte sollte nunmehr 8 Dreadnoughts mit dazugehörigen Kreuzern und Torpedobooten erhalten und dadurch instand gesetzt werden, die „Herrschaft in der Ostsee" zu sichern und die deutschen Küsten zu bedrohen, vorausgesetzt, die Alliierten trügen Sorge, daß ein Teil der deutschen Flotte aus den baltischen Gewässern abgezogen würde. Dagegen meinte man, das russische Übergewicht über die Türken im Schwarzen Meer durch eine relativ bescheidene Ergänzung des vorhandenen Bestandes bewahren zu können. Im Fernen Osten sollte lediglich die Verteidigung von Vladivostok und Nikolaevsk gewährleistet werden; zusätzliche Rückendeckung bot eine Geheimkonvention mit Japan (21. Juni/4. Juli 1910), die die 1907 vollzogene Interessenabgrenzung in der Mandschurei bestätigte und durch einen Konsultativvertrag ergänzte28. Das eklatante Ungleichgewicht zwischen Flotten- und Heeresrüstung, das im Programm von 1910 sichtbar wurde, bestätigt abermals, daß das Regime nicht davon lassen mochte, maritime Weltpolitik zu antizipieren und dies auf Kosten aktueller Anforderungen der konventionellen Landesverteidigung. Ob in der Konzentration auf die Ostsee bereits Umrisse eines strategischen Konzepts zu sehen sind, das mit den großen Linien der Außenpolitik Berührung hatte, bleibe zunächst dahingestellt. Noch ehe der Tripoliskrieg, die Agadirkrise und türkische Flottenpläne das östliche Mittelmeer wieder ins Zentrum

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rückten, hatte der neue Marineminister Grigorovič im April 1911 weiterge­ hende Entwicklungsprojekte eingebracht: ein F ünfjahresprogramm zur Ver­ stärkung der Baltischen F lotte und den Entwurf eines „Gesetzes über die Kai­ serlich-Russische F lotte", mit dem der kontinuierliche Ausbau der Kriegsmarine bis in die dreißiger Jahre hinein abgesichert werden sollte29. Der erst im F e­ bruar 1910 angenommene Zehnjahresplan wurde von diesen neuen Projekten weit überholt. Grigorovič verlangte für 1911—1915 (bzw. 1912—1916) 512,6 Mill. Rubel außerordentlicher Mittel, d. h. eine Aufstockung der 1910 geneh­ migten Ansätze um rund 70 Prozent. Angestrebt wurde, den 1909 auf Kiel gelegten 4 Schlachtschiffen vom Typ „Sevastopol'" 4 neue Panzerkreuzer, 4 Leichte Kreuzer, 36 Zerstörer und 12 Unterseeboote beizugeben und diesen Verband ab 1914/15 durch den Bau von 4 weiteren Schlachtschiffen und 5 Leichten Kreuzern so zu erweitern, daß der Baltischen F lotte spätestens 1919 zwei selbständig operierende Kampfgeschwader zur Verfügung stünden. Obwohl die Beratungen des Ministerrats und interministerieller Kommissio­ nen äußerst schleppend verliefen, wurde doch schon im F rühjahr 1912 erkenn­ bar, daß die maritime Pressure Group nicht kurzzuhalten war. Trotz der exor­ bitanten Voranschläge der einheimischen Werften und Zulieferbetriebe, die das internationale Preisniveau weit übertrafen, wurde der Gedanke verworfen, die Schiffe zu günstigeren Konditionen im Ausland bauen zu lassen. Der Zusam­ menhang von Rüstung und Industrieförderung dämpfte die Bedenken gegen die Vernunft der Kostenrechnung. Im Juni 1912 billigte die Duma den überwie­ genden Teil des geforderten Betrags: 421,1 Mill. Rubel für den Schiffsbau, der durch spätere Zuweisungen für Häfen und staatliche Werften aufgestockt wer­ den sollte. Was die F lottenpolitik Grigorovičs von der seiner Vorgänger unterschied, war ein maritimer Denkstil, der ungleich energischer als vordem versuchte, die künftige Entwicklung der internationalen Politik in den Blick zu nehmen. Dem Minister war vor allem darum zu tun, die russische Kriegsmarine in der Triple­ Entente bündnisfähig werden zu lassen. Immerhin — dies war ein Konzept. Indem er im „Depot" der Ostsee kampfstarke Verbände aufzubauen begann, die auch an anderen Brennpunkten verwendbar wären, strebte er langfristig nach Flottenpräsenz im östlichen Mittelmeer, das durch den türkisch-italienischen Krieg aktualisiert worden war und im Licht der russischen Meerengeninter­ essen neue Bedeutung erhalten hatte. Die kriegsbedingte Sperrung der Meer­ engen, die im April 1912 das Exportgetreide in den südrussischen Häfen faulen ließ, schien dieser Planung zusätzliche Plausibilität zu geben30. Wie weit jedoch diese Projektionen von den Anforderungen entfernt blieben, die sich der rus­ sischen Politik in den letzten Jahren vor dem Weltkrieg tatsächlich stellten, sollte während der beiden Balkankriege und der Liman-Sanders-Krise zutage kommen. Die Bilanz der aufwendigen F lottenpolitik war eher kümmerlich. In der russisch-französischen Allianz hat Grigorovič nur sehr provisorisch F uß zu fassen vermocht. Die auf russisches Drängen am 16. (3.) Juli 1912 in Paris

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unterzeichnete F lottenkonvention mit F rankreich, war vorerst nicht viel mehr als ein Prestigeobjekt des Marineministers, noch kein militärisch brauchbares Instrument. Beide Seiten fixierten den Grundsatz, wonach der französischen Flotte das Mittelmeer, der britischen die Nordsee und der russischen die Ostsee als Operationsfeld zuzuweisen seien31. Mit derlei Banalitäten war die Inhalts­ losigkeit des Übereinkommens nicht zu verdecken. Im übrigen hatten sich die Marinestäbe mit der F rage beschäftigt, wie die russische Seeherrschaft im Schwarzen Meer zu sichern sei, und sie waren in der Hoffnung geschieden, daß sich London für ein F lottenabkommen mit Petersburg werde gewinnen lassen, das die bevorstehende französisch-britische F lottenkonvention ergänzen und die Triple-Entente förmlich beglaubigen sollte. Wie bekannt, ist es bis zum Ausbruch des Weltkrieges zu einer solchen Ergänzung nicht gekommen. Die schleppenden, von Sazonov mitgetragenen Gespräche liefen sich an britischen Bedenken fest. Der russische Wunsch, die Home F leet in der Ostsee zu ver­ pflichten oder für den Kriegsfall gar ein gemeinsames Landeunternehmen in Pommern zu verabreden, blieb ein Luftbild, das keine Konturen gewann, wohl aber dem deutschen Präventivkriegsdenken neue Argumente zutrug32. Tat­ sächlich hat das groß gedachte Zusammenspiel zwischen Diplomatie und F lot­ tenpolitik, bei dem das zarische Rußland der britischen Weltmacht als eben­ bürtiger Partner sich anbot, keine F rüchte gebracht. London ging nicht um Rußlands willen in den Krieg, sondern wegen der Exekution des Schlieffenplans. Vollends im militärischen Sinn war der Nutzeffekt der maritimen Rüstung nahezu irrelevant. Trotz der gewaltigen Investitionen vermochte die Baltische Flotte nicht, den Küstenschutz über den Sperrgürtel zwischen Narva und dem finnischen Porkkala-Udd hinaus nach Westen vorzuverlegen. Als der Krieg begann, hatte die Marine — von der Abschirmung Petersburgs abgesehen — zur F lankendeckung wie zur Nachschubsicherung für die Armee wenig bei­ zusteuern33. Noch kläglicher aber war der Beitrag, den Grigorovič für das Krisenmanagement während der beiden Balkankriege und der nachfolgenden Liman-Sanders-Krise anzubieten hatte, als der alte Gedanke an eine Meer­ engenaktion wieder zur Debatte stand. Zur Verstärkung der russischen Schwarzmeerflotte war bis 1911 nichts Durchgreifendes geschehen. Das Zehnjahresprogramm vom F ebruar 1910 hatte etwa 50 Mill. Rubel zur Modernisierung dreier veralteter Panzerkreuzer vor­ gesehen, dazu den Bau von neun Torpedo- und sechs Unterseebooten34. Um den alten Grundsatz festzuhalten, daß die türkische F lotte, unter Einrechnung der rumänischen, die russische keinesfalls überflügeln dürfe, schien dieser be­ scheidene Anfang damals ausreichend zu sein. Wenig später schon aber waren die ersten Aufträge, die die jungtürkische Regierung in britischen Werften un­ terbrachte, um sich dem Niveau der Dreadnought-Ära anzugleichen, in Pe­ tersburg bekannt geworden. Daraufhin hatte sich der Ministerrat, auf Drängen Sazonovs und gegen den hinhaltenden Widerstand der Marinebehörden, ent­ schlossen, die bisherigen Ansätze aufzustocken. Ein entsprechendes Gesetz trat im Mai 1911 in Kraft und stellte für das kommende Jahrfünft 150,8 Mill. Ru-

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bei bereit, mit denen die verkümmerten Häfen und Werften instand gesetzt und die Schwarzmeerflotte um drei neu zu bauende Linienschiffe verstärkt wer­ den sollten. Vorrang behielt gleichwohl, wie die F lottenvorlage von 1912 er­ wies, Grigorovičs baltisches Programm. Auch die kurzzeitige Meerengen­ sperre im April 1912, die das Handelsministerium und die südrussischen Expor­ teure aufbrachte, hat den Minister in dieser Hinsicht nicht schwankend ge­ macht. Die alte F rage, wie und wann diese wichtige Wasserstraße für Rußland zu gewinnen sei, wollte er vertagt sehen — bis 1917/19, und auch dann würde wohl das „historische Ziel" nur im Rahmen eines großen europäischen Krieges zu erreichen sein. In den nun folgenden Verwicklungen war Petersburg also auf diplomatische Mittel angewiesen, auf den (vergeblichen) Versuch, die Kontrakte der Pforte mit Vickers und Armstrong zu unterlaufen und die britische Regierung zu ver­ anlassen, die für 1913 vereinbarte Lieferung des ersten von drei Linienschiffen hinauszögern. Davon, daß Großbritannien und F rankreich darauf aus waren, das Osmanische Reich gegen die deutsche Orientexpansion zu stützen, wurde in Petersburg offenbar wenig begriffen. Vollends alarmierend wurde die Lage, als im Herbst 1912 der von Sazonov kunstvoll geknüpfte Balkanbund zerfiel und sich bald darauf die bulgarische Armee Konstantinopel zu nähern begann. Die trotzige Versicherung, daß Bulgarien sich dort keinesfalls festsetzen dürfe, stand in scharfem Kontrast zu dem, was Petersburg zur Abwendung dieser Gefahr tatsächlich zur Verfügung hatte. Anfang 1913 war für ein Unterneh­ men, das den Schutz der russischen Botschaft hätte verbürgen können, in Odessa allenfalls ein Transportschiff für 750 Mann aufzubieten. An Pressionen gegen die Türkei, wie sie während der Agadir-Krise und des Tripolis-Krieges Sazonovs Stellvertreter Neratov und der russische Botschafter in Konstantino­ pel Čarykov erwogen hatten, war ernsthaft nicht zu denken. Nichts konnte den Sultan veranlassen, russischen Kriegsschiffen „zur Verteidigung des Meer­ engenregimes" die Einfahrt ins Marmarameer zu gestatten. Die von Grigorovič erwogene Entsendung des Schwarzmeer-Geschwaders wurde nicht gewagt35. Was den Russen blieb, beschränkte sich auf die diplomatische Unterstützung der Pforte gegen Sofia, auf einen Kurs, der den kaputten Balkanbund endgül­ tig zu Grabe trug. Im übrigen kamen Sazonov, Suchomlinov und Grigorovič überein, eine Landeoperation nun systematisch vorzubereiten, so daß nach Ablauf von fünf Jahren Rußland Herr des Bosporus und der Dardanellen werden könne. Von diesem Hintergrund eklatanter Schwäche ist denn auch die Alarm­ stimmung zu sehen, die Petersburg im Dezember 1913 nach der Ernennung des deutschen Generals Liman v. Sanders zum Kommandeur der Militärregion Konstantinopel erfaßte. Daß sich die Türkei auf Drängen Berlins zu raschem Einlenken entschloß, war auf die abschreckende Kraft der russischen Schwarz­ meerflotte gewiß nicht zurückzuführen. Die Petersburger Politiker waren sich bewußt, daß die eigene Widerstandsfähigkeit rasch ihre Grenzen fände, falls sich England und F rankreich versagen sollten. Zwar hielten die Militärs dafür, 215 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

daß Rußland für einen „Zweikampf" mit Deutschland oder Österreich vollauf gerüstet sei, aber gegen das Bild vom Zweikampf sprach die Festigkeit des Bundes zwischen Berlin und Wien. Tatsächlich sah man voraus, daß militärische Maßnahmen gegen die Meerengen gleichbedeutend wären mit einem großen europäischen Krieg; doch ob dieser Krieg zu wünschen sei, und ob er den russischen Besitz der Wasserstraßen auch wirklich verbürgen werde — auf solche Fragen hatte niemand eine sichere Antwort zur Hand. Aus Paris und London waren eindeutige Garantien nicht zu erhalten; dort überwog die Neigung, Rußlands Standfestigkeit zu testen und abzuwarten, wozu Petersburg sich diesmal wohl entschließen werde. So verfing sich der Meinungsaustausch der russischen Führung in widersprüchlichen Reflexionen, die letztlich alles offen ließen. Klar war nur, daß selbst ein Landungsunternehmen am Bosporus beträchtliche Vorbereitungszeit erfordern werde. Kokovcov zog die einzig angemessene Folgerung, wenn er sagte, daß ein Krieg im gegenwärtigen Augenblick als „das größte Unglück" gelten müsse, „daß Rußland treffen könnte"36. Wie das Beispiel zeigt, war das Zarenreich aus eigener Kraft nur höchst beschränkt bewegungsfähig. Nach der Beilegung der Liman-Sanders-Krise blieb die Sorge um das Kräfteverhältnis im Schwarzen Meer die bedrängendste Aufgabe, die die russische Meerengenpolitik vor sich sah. Anders als Rußland konnte die unter dem Kommando eines britischen Admirals stehende türkische Flotte damit rechnen, bereits im Sommer 1914 über zwei moderne Dreadnoughts verfügen zu können. Russische Marineattachés waren in diesen Krisenmonaten damit beschäftigt, türkische Sondierungen um den Kauf eines weiteren Linienschiffs in Brasilien, Argentinien und Chile abzublocken. Nichts spricht dafür, daß die russischen Admiräle Anlaß hatten, um der Meerengen willen darauf zu drängen, daß der große Krieg entfesselt werde37. Wenn man also sagen kann, daß die Marineleitung den defensiven Kurs der Diplomatie bis in das Jahr 1914 hinein mittrug, weil sie aus gutem Grund auf Konfliktvertagung angewiesen war, dann bleibt zu fragen, welche Funktionen die russische Armee im Rahmen einer Großmachtpolitik zu erfüllen vermochte. In geraffter Form dürfte sich das Problembündel, das die Überlegungen des Kriegsministeriums und des Generalstabs in Anspruch nahm, auf drei wesentliche Sachverhalte reduzieren lassen: Erstens war es der politische Auftrag der Armee, sich auf einen Krieg einzustellen, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegen die verbündeten Heere Deutschlands und Österreich-Ungarns zu bestehen wäre. Überdies mußten Sicherungen gegenüber Rumänien und, im kaukasisch-ostanatolischen Grenzraum, auch gegenüber der Türkei getroffen werden. Zweitens hatten die Militärs die Tatsache zu verarbeiten, daß angesichts knapper Finanzzuweisungen und mangelnder industrieller Kapazität nicht erwartet werden konnte, den waffentechnischen und operativen Entwicklungsvorsprung der potentiellen Gegner, vor allem Deutschlands, in absehbarer Zeit einzuholen.

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Drittens stand die Armeeführung vor der Frage, wie dem Verlangen des französischen Alliierten nach maximaler Kriegsbereitschaft zu entsprechen sei — und zwar in einem Umfang, der eine Vorwärtsstrategie zur sofortigen Bindung starker deutscher Kräfte erlauben würde. Aus der zutreffenden Einsicht, diesen vielfältigen Belastungen und Anforderungen nicht oder doch nur unzulänglich gewachsen zu sein, entwickelte sich ein Problemdruck, der bis zum Weltkrieg hin von den militärischen Führern Rußlands nicht gewichen ist. Wie bekannt, war die Petersburger Diplomatie nicht mächtig, Berlin von Österreich abzuziehen und der russischen Armee Erleichterung zu verschaffen. Die Aussicht, sich im Kriegsfall der deutsch-österreichischen Militärkoalition gegenüberzufinden, stellte die russischen Planer vor schwierige Entscheidungen. Vor allem kam es darauf an, sich einer gegnerischen Zangenoperation aus dem ostpreußischen und dem galizischen Raum zu entziehen, einer Abschnürung der in den Weichselgouvernements stehenden Armeekorps vom Hinterland. Solchen Gefahren Rechnung zu tragen, war umso unerläßlicher, als kaum Chancen bestanden, die russischen Mobilisierungsfristen denen der Gegner anzugleichen. Diesen empfindlichen Nachteil hatte der Generalstab seit den Zeiten Miljutins durch die grenznahe Präsenz möglichst starker Verbände abzubauen versucht; seit 1904 jedoch gehörte dieses strategisch gewiß riskante Konzept zu den Opfern des fernöstlichen Krieges und war vorderhand nicht zu praktizieren. Wie pessimistisch das Kriegsministerium die eigenen Möglichkeiten einschätzte, kann an Hand der Mobilisierungs- und Strategiepläne ermessen werden38. 1909, kurz nach seinem Amtsantritt, hatte Suchomlinov auch offiziell den Grundsatz aufgegeben, das Gros der russischen Landstreitmacht schon zu Friedenszeiten im Weichselraum zu konzentrieren. Die Aufmarschräume der Feldarmeen wurden um ca. 200 Werst nach Osten zurückverlegt — hinter die Linien Kovno, Bjalystok, Brest-Litovsk, Kamenec-Podorsk. Auch die in der russischen Militärgeschichte von jeher so prekären Nachschub- und Versorgungsprobleme sollten dadurch gemildert werden. Nun wurden die verkommenen kongreßpolnischen Festungen — mit einer strategisch wenig einsichtigen Ausnahme (Novogeorgievsk) — aufgelassen und ein der Ostverlagerung der Aufmarsch- und Versorgungsbasen entsprechender neuer Verteidigungsgürtel vorbereitet. Der überproportional hohe Anteil, den das Rüstungsprogramm von 1910 für Festungsanlagen vorsah (372,6 von insgesamt 715 Mill. Rubel), hatte in diesen Maßnahmen seinen Grund. Im übrigen hoffte der Kriegsminister, die Modernisierung der Armee dadurch zu fördern, daß er eine durchgreifende Reform der überständigen Organisationsstruktur (im ganzen erfolgreich) in Angriff nahm39. Die Mobilisierungsvorschrift Nr. 19, die nach langen Vorarbeiten am 1. September 1910 in Kraft trat, rechnete damit, daß die gegnerischen Armeen im Kriegsfall in schnellen Stößen über die Reichsgrenzen vordringen würden, und dies selbst dann, wenn Deutschland seine Hauptmacht im Zweifrontenkrieg gegen Frankreich zu richten hätte. In den Direktiven des Generalstabs

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an die Armeekommandeure wurde vorausgesetzt, daß der Gegner, dem seine raschere Konzentrationsfähigkeit zugute komme, wohl erst im Raum Bialystok und Brest-Litovsk aufzuhalten sein werde. Aus der Tiefe der zurückverlegten russischen Aufmarschbasen sollten dann die entscheidenden Angriffsoperationen vorgetragen werden. Für die Eröffnungsphase des Krieges wurden die kongreßpolnischen Gouvernements also als ein Vorfeld angesehen, daß nach hinhaltender Verteidigung erst im Zug massierter Gegenoffensiven wiederzugewinnen sei. Das Konzept des temporären Rückzugs war der Preis, der für das unterlegene Mobilisierungstempo der russischen Kriegsmacht entrichtet werden mußte40. Nach der mitunter auch kritischen Aufnahme, die dieses Kriegsbild bei den Armeekommandos gefunden hatte, kam es erst anderthalb Jahre später zu präziseren Direktiven über die Schwerpunkte und Stoßrichtungen des russischen Gegenangriffs. Ein neuer, am 1. Mai 1912 allerhöchst bestätigter Aufmarschplan trug dem Schlieffenplan insofern Rechnung, als er von der Bindung der deutschen Hauptmacht durch Frankreich ausging. Der Generalstab legte aber nach wie vor zugrunde, daß der aktionsschnellere Gegner den Krieg mit raumgreifenden Vorstößen über die Reichsgrenzen hinweg eröffnen werde. Für den Übergang zur Offensive wurden zwei Planvarianten vorgelegt: zum einen (Variante A) die Konzentration der russischen Angriffsoperationen gegen Österreich-Ungarn, zum anderen (Variante G) gegen Deutschland. Nach Abschluß des russischen Aufmarsches sollten im Falle Α die „Armeen der deutschen Front" (1. und 2. Armee) die in Ostpreußen stehenden deutschen Korps zer­ schlagen, Königsberg belagern und die preußischen Weichselfestungen unter Beobachtung halten, während die „Armeen der österreichischen F ront" (3., 4. und 5. Armee) in Richtung Lemberg und Przemyśl vorzustoßen und den Geg­ ner am östlichen Karpatenrand zu vernichten hätten. Zwei F lankenarmeen erhielten Sicherungsaufgaben im Umkreis der Reichshauptstadt und der balti­ schen Küste (6. Armee) sowie gegenüber Rumänien und an der Schwarzmeer­ küste (7. Armee) zugewiesen. Die Variante G wollte nach Abwehr des erwar­ teten feindlichen Vormarsches die Hauptoffensive gegen Ostpreußen richten und stellte dafür drei Armeen (1., 2. und 4. Armee) bereit. Die auf zwei Ar­ meen reduzierte „österreichische F ront" sollte sich darauf beschränken, die ge­ gen Ostpreußen entfalteten Operationen zu decken. Dabei sollte das Gebiet um Brest-Litovsk unter allen Umständen gehalten und ein Entlastungsangriff gegen Lemberg vorbereitet werden41. Bei der Beurteilung dieser Konzepte sind zwei Gesichtspunkte festzuhalten: zum einen, daß sich der Generalstab alsbald auf die Realisierung der Plan­ variante Α konzentrierte, mithin auf eine Strategie, die offensive Operationen gegen Ostpreußen wie gegen Galizien vorsah, nach Ausweis der Kräftekonzentration aber der Zerschlagung der österreichischen Armeen den Vorrang gab. Zum anderen ist zu sagen, daß die Direktiven von 1912 zwar überarbeitet und im Herbst 1913 durch den Mobilisierungsplan Nr. 20 ersetzt wurden, daß die russische Aufmarschbewegung im Juli 1914 jedoch nicht nach den neuen

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Plänen, sondern, wegen der schleppenden Umstellung, nach den Festlegungen von 1912 verfuhr42. Die politische Relevanz der russischen Strategie der Vorkriegsjahre ist indessen erst herauszubringen, wenn man die militärische Planung mit den russisch-französischen Allianzverpflichtungen vergleicht. Den Hauptmangel der Militärkonvention hatte der russische Generalstab darin zu sehen, daß Rußland bei einem Krieg gegen Österreich französischen Beistands nicht sicher sein konnte. Die Automatik des Bündnisses galt nur für den Fall einer deutschen Mobilisierung. Den französischen Partner interessierte allein, was Rußland zur Bindung deutscher Kräfte im Osten beizutragen hätte, und das war, in den Jahren nach 1905, nicht viel. Bis 1909 hatte es auf den jährlichen Generalstabskonferenzen keine weitergehenden operativen Absprachen gegeben, wozu die russische Seite, von der eigenen Kampfunfähigkeit gehemmt, auch schwerlich imstande gewesen wäre43. Es verstand sich von selbst, daß die Franzosen auf die maximale Beschleunigung der russischen Rüstung ebenso drängten wie auf eine wesentliche Verkürzung der Mobilisierungsfristen. Noch 1910, als die von Suchomlinov eingeleitete Reorganisation und Umgruppierung der Armee in den Anfängen steckte, war die Verlegenheit gegenüber den Franzosen groß, obschon man damit rechnete, im Kriegsfall lediglich 3 bis 5 deutschen Korps und einigen Reservedivisionen gegenüberzustehen. Den französischen Militärs wurde zugesagt, zwei Drittel der russischen Streitkräfte gegen Deutschland anzusetzen und schon in Friedenszeiten um den Eindruck bemüht zu sein, daß der Gegner zwischen dem 15. und 30. Mobilisierungstag eine ernsthafte Offensive zu gewärtigen habe44. Im Jahr darauf, auf der von der Agadirkrise überschatteten Konferenz in Krasnoe Selo (18./31. August 1911), sah sich General Žilinskij äußerst mißvergnügten Äußerungen seines Kollegen ausgesetzt. Im Blick auf die russischen Disloziierungspläne bezweifelte General Dubail mit Recht, daß die Russen für eine rasche, mit der französischen Armee zeitlich abgestimmte Offensive gerüstet wären. Žilinskij konnte nur versichern, um die loyale Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen besorgt zu bleiben. Im übrigen aber verwies er auf die wachsende Gefahr, die Rußland von seiten Österreich-Ungarns drohe, und erklärte unverblümt, daß die Armee des Zaren „vor Ablauf zweier Jahre nicht imstande" sei, „einen Krieg gegen Deutschland mit Aussicht auf den geringsten Erfolg zu führen". Mit dem vollen Bestand an schwerer Feldartillerie dürfe günstigenfalls 1913 gerechnet werden, mit modernen Schnellfeuergeschützen erst 1914 und mit einer angemessenen Munitionsversorgung für die Infanterie gar erst 191645. Im Juli 1912, als die Generalstabschefs in Paris zusammenkamen, galt bereits der neue russische Aufmarschplan, der durch Ostverlagerung der Mobilisierungsräume zwar der russischen Bewegungsschwäche angemessen war, nicht aber dem französischen Verlangen nach schnellen und massierten Angriffsstößen an der deutschen Front. Žilinskijs Erklärung, Rußland werde den Gegner schon nach dem 15. Mobilisierungstag „die Angriffsbewegungen seiner Armeen fühlen lassen", waren durch seine internen Kalkulationen durchaus nicht ge-

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deckt. Nach wie vor galt die Hauptsorge der Russen der österreichischen Front, an der ihnen „der moralische Effekt" etwaiger Mißerfolge „vernichtend" erschien. Außerdem verwies Žilinskij auf die Notwendigkeit, bedeutende Kräfte an der kleinasiatischen Grenze und in Finnland gegen Schweden bereithalten zu müssen. Bei General Joffre hat er damit wenig Verständnis gefunden. Der französische Stabschef widerriet jeglicher Zersplitterung und bestand auf dem Vorrang der Offensive gegen Alienstein, womöglich auch in Richtung Posen und Berlin46. Der unbefriedigende Stand der russischen Vorbereitungen erklärt denn auch, weshalb Joffre nun energisch auf den Ausbau des strategischen Eisenbahnnetzes zu drangen begann. Dies mochte in der Tat ein Mittel sein, den russischen Aufmarsch zu beschleunigen. Auf der Konferenz der Generalstäbe im August 1913 kam neben diesem Problem dann auch die Forderung nach einer Korrektur der russischen Dislozierung auf, nach der Konzentration starker Kräfte im Warschauer Gouvernement47. Der einen Monat zuvor gefaßte Beschluß der Petersburger Regierung, die Friedensstärke der Armee um 360 000 Mann zu erhöhen, mochte diesem Verlangen günstig sein. Kein Zweifel, unter dem Druck der permanenten Kriegsgefahr und der großen deutschen Heeresvorlagen wurden jetzt große Anstrengungen gemacht, sich für den erwarteten „Entscheidungskampf" zu wappnen und den noch verbliebenen Entwicklungsrückstand aufzuholen. Während Kokovcov den strategischen Bahnbau durch eine große Eisenbahnanleihe abzustützen suchte, sah der neue Mobilisierungsplan vom September 1913 die Verlegung eines neuzubildenden Armeekorps an die Weichsel vor. Alle diese Anstalten wurden durch den Kriegsausbruch überholt.

3. Die innenpolitische Konfliktlage und der Entschluß zum Krieg In den vorhergehenden Kapiteln wurden die Voraussetzungen russischer Großmachtpolitik vor allem unter ökonomischen, militärischen und strategischen Gesichtspunkten beschrieben. Zu erörtern bleibt, in welcher Weise der Kurs imperialer Statussicherung mit innenpolitischen Interessen- und Konfliktlagen verklammert war, die der Zarismus vor 1914 auszutragen hatte1. Außer Zweifel steht, daß das öffentliche Ansehen, das die Regierung nach 1905 genoß, nicht groß sein konnte. Auf unbegrenzten Kredit durfte sie selbst bei denen nicht rechnen, auf deren loyale Mitarbeit sie angewiesen war. Die demokratisch gestimmte Majorität der ersten und der zweiten Duma hatte ihr keine Chancen gewährt, sich auf den neuen Verfassungsgrundlagen gemächlich einzurichten. Erst nach dem Staatsstreich vom Juni 1907 war Rußland für Stolypin leidlich regierbar geworden. Soweit sich die Regierung nicht auf administrative Repressionen verließ, hatte sie es mit einem äußerst heterogenen politischen Kräftefeld zu tun, das den amtlichen Reformvorhaben sichere Mehrheiten keineswegs verbürgte. Was die potentiellen Regierungsfraktionen, die Oktobristen, Nationalisten und gemäßigten Rechten miteinander verband, 220 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

war in der Innenpolitik nur schwer auf einen Nenner zu bringen. Aus dem allgemeinen Verlangen nach Ruhe und Ordnung, das von Revolutionserfahrungen wachgehalten wurde, waren langfristige Programme kaum ableitbar. Unterschiedlich motivierte Aversionen gegen den bürokratischen Polizeistaat, das Bekenntnis zu rechtsstaatlichen Normen oder die fortwirkenden Traditionen der Zemstvobewegung haben sich in belastungsfähige politische Konzepte umstandslos nicht einbinden lassen. Andererseits war aber auch die Bereitschaft zu einem Kollisionskurs gegen das Kabinett nicht sonderlich entwickelt. Allein die Oktobristen blieben bemüht, die konstitutionellen Möglichkeiten auszuschöpfen und dabei Konflikte zu riskieren. Doch ihr Wunsch, daß die von der Duma repräsentierte Gesellschaft im politischen Prozeß wirkungsvoll vertreten sei, trug in der Regel nicht weit. Bedenkt man die zerklüfteten Interessen und diffusen Erwartungen, die für den Anhang der kooperationsbereiten Honoratiorenparteien kennzeichnend waren, dann mag dem gemeinsamen Bekenntnis zu nationalen und machtstaatlichen Wertmustern noch am ehesten eine Konsensus stiftende Rolle zuzusprechen sein. Trotz unterschiedlicher Begriffe von dem, was unter „Volk" und „Nation", Russentum und Slawentum zu verstehen sei, trotz divergierender Auffassungen von der numinosen Würde der „Staatlichkeit" (gosudarstvennost') und der tragenden Kraft des orthodoxen Glaubens war die Überzeugung allgemein, daß das russische Imperium nach einer Zeit tiefer Erniedrigung in neuer Kraft und Macht erblühen müsse, um seinem „historischen Beruf" gewachsen zu bleiben2. In verwaschene Formeln gefaßt, spiegelte dieses Nationalbewußtsein, was als öffentliche Meinung der loyal gesinnten Gesellschaft gelten konnte; die Masse des Grundbesitzes, die Geschäftswelt in Handel und Industrie und das Gros der Beamtenschaft wie des Offizierskorps wurden von solchen Gefühlen angeregt. Daß das ideologische Inventar einzelner Wortführer und Gruppen wie eh und je abweichende Akzentuierungen erkennen ließ, minderte die emotionale Bindekraft des sich regenerierenden Nationalismus nicht. In der Hinwendung zu traditionellen Werten versuchte diese Gesellschaft, sich ihrer Identität wieder zu versichern; sie wollte bestätigt finden, daß in dem einen, unteilbaren Russischen Reich sie selber nicht verloren sei. Zwischen nationalliberalen Attitüden, die unter den Oktobristen gewöhnlich waren, und nationalkonservativen Einstellungen bei den gemäßigten Rechten gab es in dieser Hinsicht wenig Dissens. Auch dort, wo etatistisch-imperiales Staats- und Nationalbewußtsein mit panslawisch eingefärbten, sozialdarwinistisch aufgeladenen Ideologemen nicht übereinkam, blieb das Konfliktpotential gering. Demokratisch-föderalistische Unterströmungen, die den „Neoslawismus" anfänglich bewegten, boten keine realisierbare Alternative. Mit Selbstverständlichkeit wurde unterstellt, daß Rußland aus seiner „geschichtlichen Verantwortung" nicht entlassen sei. Der unangefochtene Primat der Balkanpolitik unter Einschluß des türkischen Komplexes ist als ein Produkt dieses Traditionalismus anzusehen. Aufmerksamkeit verdient, daß die Protagonisten nationaler Einheit keineswegs gesonnen waren, der offiziellen Außenpolitik vorbehaltlos zu akklamie221 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

ren. Das Menetekel von Tsushima wurde in der Duma immer wieder beschwo­ ren, und die Schuldfrage hing über den Regierungsbänken im Taurischen Pa­ lais. Die oktobristische Kritik konzentrierte sich auf den Nachweis, daß ohne eine durchgreifende, von der Volksvertretung kontrollierte Erneuerung des zentralen Behördenapparats an rationale Großmachtpolitik nicht zu denken sei. Sie drängte darauf, das Mitspracherecht der Duma auch in außen- und militärpolitischen F ragen zu praktizieren3. Bei alledem war die Neigung, in krisenhaften Zeiten chauvinistischen Emotionen nachzugeben, bei den Okto­ bristen nur wenig geringer als im Milieu der Nationalistenfraktion. Dort wurde die tastende, auf Konfliktvermeidung bedachte Petersburger Diplomatie nicht selten als schlapp und würdelos geschmäht und eine Politik der Stärke ver­ langt. Rußland sollte sich durch Bündnisrücksichten oder durch das tradi­ tionelle Konvenienzsystem der europäischen Mächte nicht fesseln lassen, son­ dern den eigenen Interessen kompromißlos Geltung verschaffen. In den letzten Vorkriegsjahren aber schien es nur einen, alles andere verdrängenden Imperativ zu geben: die Verpflichtung, sich auf den „unvermeidlichen Kampf mit dem Germanentum" zu rüsten, mit der k.u.k.-Monarchie, mit dem Wilhelmini­ schen Reich, zur Abwehr des deutschen „Drangs nach Osten"4. Es zeigte sich, daß während der Balkankriege dem aufschießenden Chauvinismus eine defen­ sive Realpolitik, wie sie Sazonov in F ühlung mit den Militärs betrieb, nicht genügen konnte. Daß die nationalistische Grundstimmung, die die Dumamehrheit zusammen­ hielt, zu den Konstitutionellen Demokraten hin durchaus erweiterungsfähig war, belegt die Geschichte dieser auf Parlamentarisierung und Sozialreform festgelegten Professoren- und Advokatenpartei: Die strikt oppositionellen Ka­ detten, denen der Vorwurf nationaler Unzuverlässigkeit und revolutionärer Anfälligkeit nachging, waren in ihrer Mehrheit nicht gewillt, sich ins Lager der „vaterlandslosen Gesellen" verbannen zu lassen. Schlimm genug, daß sie nicht für hoffähig galten. Nichts lag ihnen ferner, als außerhalb der honorigen Gesellschaft zu stehen, wie dies für die in der Duma nur schwach vertretenen Sozialdemokraten ebenso Ehrensache war wie für die Sozialrevolutionäre, de­ ren radikaldemokratischer F lügel in der kleinen F raktion der Trudoviki ein öffentliches Sprachrohr hatte. So hat der Anpassungsdruck, unter den die Ka­ detten in der Vorkriegszeit gerieten, nicht nur linksorientierte Kleingruppen von der Partei abgesprengt, sondern auch eine nationalliberale Richtung aus­ gebildet. Diese „rechten Kadetten" waren zu kritischer Kooperation mit der Duma­ mehrheit entschlossen und fanden am staatsmännischen Gestus des Oktobristen­ chefs A. I. Gučkov allemal größeres Gefallen als am Verzicht auf die Gebor­ genheit, die der nationale Konsensus verhieß. Der Glanz und Schimmer, der von nationalen Machtideen ausging, war auch für den domestizierten Liberalis­ mus von großer Attraktivität, und für die lebhafte Zustimmung zur franzö­ sisch-englischen Orientierung Rußlands gab es überdies ein gesellschaftspoliti­ sches Alibi. Peter Struve verfocht mit seiner Apotheose „Großrußland" (Velikaja

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Rossija), den Primat der Außenpolitik5, ein Theorem, dem sich viele Kadetten vor 1914 zu öffnen begannen. Das Klima des „Intellektuellen-Antimilitarismus", das in der Partei anfänglich vorherrschend gewesen war, schwand dahin6. Selbst für den gelehrten Parteiführer Miljukov, der gegenüber dem russistischen und panslawistischen Chauvinismus scharfe Grenzen zog, hatte der Grundsatz Gewicht, daß der Parteienzwist in der Außenpolitik zu ruhen habe, weil dort nur Solidarität zum Wohl des Vaterlands gestattet sei7. Schon zur Zeit der bosnischen Krise drängte er darauf, daß die Kadetten „möglichst einen allgemeinnationalen Standpunkt" zu beziehen hätten; in ihren Verlautbarungen sollten sie verschleiern, daß Rußland zum Krieg nicht bereit sei — „weil solche Erklärungen über die eigene Schwäche unsere Chancen im Ausland mindern". Auch in der „slawischen Politik" wollte er seine Partei nicht abseits stehen sehen: „Die faktische Gruppierung der Slawen in Europa geht parallel mit unserem Bündnis und gegen den Germanismus."8 Zwar wurden bei den Kadetten auch pazifistische und kosmopolitische Argumente gepflegt, die im Zwang zur Abrüstung und zum Frieden die große Tendenz des Zeitalters erblickten. Aber solche Visionen blieben bei den Akten, wenn es darauf ankam, realpolitische Alternativen anzubieten. Wie gering der Spielraum für das Abgrenzungsbedürfnis führender Kadetten war, zeigte sich noch in der Vorkriegszeit: In den Balkankrisen von 1912/13 kam Miljukov den Vorstellungen Sazonovs nahe — ungleich näher als den rüden Kampagnen, mit denen die nationalistische Agitation Kampfentschlossenheit simulierte. So blieb der liberale Dumaflügel in eigener Weise den Kategorien der Großmachtpolitik verhaftet; er bezog Positionen, die in der Regierung selbst vertreten waren. Auch diese Beobachtung bestätigt, daß ein breites Spektrum nationalistischer Haltungen und Erwartungen der tragende Grund des scheinkonstitutionellen Systems gewesen ist. Im hochkonservativen Lager, das sich von Prätorianergarden der extremen Rechten und von einflußreichen Cliquen der Hofgesellschaft in der Ablehnung der 1907 eingerichteten Ordnung bestärken ließ, trug das Bekenntnis zum nationalen Machtstaat durchaus eigene Züge. Diese äußerst gemischte Communauté war auf die „geheiligten Traditionen" der Selbstherrschaft und der Rechtgläubigkeit eingeschworen, auf die einzig verläßliche Schutzwehr Rußlands in chaotischer Zeit. Sie beharrte darauf, daß sich die revolutionäre Hydra mit dem Kapitalismus, mit Börsen, Banken, mit Freimaurern und jüdischer Plutokratie verschwistert habe. Die konstitutionelle Verfassung galt als eine verhängnisvolle Erosion all dessen, was man für das Russische an Rußland hielt. Aus den reaktionären Emotionen kam das Verlangen, in die unbeschädigte Welt eines ständisch konservierten, autokratischen Agrarstaates zurückzugehen, wo der wohlgeborene Adel den Thron zu schützen hätte9. Daß dies nichts als ein Vexierbild war, mit dem sich allenfalls agitieren, aber keine Politik formulieren ließ, ist listenreichen Köpfen der äußersten Rechten durchaus aufgegangen. Im Reichsrat und an der Peripherie der Hofkamarilla lebten sie davon, den von Stolypin eingeleiteten Reformkurs aufzuhalten. In der Außen223 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

politik plädierten sie für die Restitution eines antirevolutionären Monarchenbundes in der Tradition der Heiligen Allianz und des Dreikaiservertrags10. Damit standen sie quer zu dem, was zu den Grundlinien des nationalen Konsensus gehörte: das Bündnis mit dem republikanischen Frankreich, die proenglische Tendenz der Flottenpolitik, die eingeschliffene Aversion gegen Deutschland und Österreich-Ungarn. Gleichwohl war diese Richtung von den Regierungssphären durchaus nicht abgeschnitten. Auch im psychischen Haushalt des Herrschers vermochten reaktionäre Mystifikationen verwandte Schwingungen auszulösen, und daß es Querverbindungen zum nationalistischen Lager gab, steht außer Frage11. Da an der Staatsspitze selbst nahezu alle politischen Schattierungen anwesend waren, die von den Oktobristen bis zu eingefleischten Monarchisten hin nationalbewußte, an der Großmachtidee orientierte Loyalität demonstrierten, hatte die „nationale Politik" der Regierung merkwürdig verschwommene Konturen. Schon das Kabinett Stolypin, in dem um den Staatskontrolleur P. Ch. Švanebach und den Landwirtschaftsminister A. V. Krivošein eine konservative Gruppierung versammelt war, hatte beträchtliche innere Spannungen auszuhalten12. Dementsprechend wurde eine facettenreiche politische Semantik gepflegt. In den offiziellen Äußerungen sollten sich die Duma-Gesellschaft und die vom Nationalismus infizierte Öffentlichkeit wiedererkennen. Aufreibende Konflikte, die den Regierungskurs mitunter aus dem Gleis geraten ließen, entbrannten indessen nicht so sehr um die großen Linien der Außenpolitik, sondern ungleich stärker um Probleme der inneren Ordnung. Die „Gesellschaft" war vor allem auf sich selbst fixiert. In der Duma vermochte der adelsständisch festgelegte Agrarkonservativismus, der das Milieu der politischen Rechten durchwirkte, die Handlungsfähigkeit moderierter Innovatoren klein zu halten und dafür zu wirken, daß die Regierung nicht ins oktobristische Fahrwasser abtrieb und parlamentarisches Legitimationsbedürfnis kultivierte. Die Oktobristen wiederum versuchten, den Reformintentionen Stolypins Bahn zu machen, mitunter zudringlicher, als es dem Ministerpräsidenten lieb sein konnte. Ihr Selbstgefühl, die heimliche Regierungspartei des konstitutionellen, rechtsstaatlich verfaßten Rußland zu sein, wollten sie in kritischer Fühlung mit den Ministern bestätigt finden. Daß sie diesem Anspruch nicht gewachsen waren und Konsistenz, vollends nach 1912, nicht einmal mehr fingieren konnten, lag ebenso an der heterogenen Struktur dieses lockeren Gesinnungsverbandes wie an der wachsenden Bewegungsarmut des scheinkonstitutionellen Regimes. Stolypin war in der Konfrontation mit Duma und Reichsrat darauf bedacht, Interessengegensätze tunlichst zu überspielen und mit wechselnden Mehrheiten oder auch verfassungsrechtlich bedenklichen Kniffen durchzukommen. Ihm blieb bewußt, wie wichtig es war, die eigene Politik der nationalistischen Grundstimmung gefällig zu machen und der Öffentlichkeit zu suggerieren, daß das Vaterland im Schoße der Regierung wohlgeborgen sei. Den innenpolitischen Konfliktausgleich auf einen eher gelassenen als neurotisierten Nationalis224 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

mus großrussischer Färbung zu gründen, war jedoch ein schwieriges Geschäft. Unter dem Druck knapper Finanzen und militärischer Schwäche mußte ungebärdiges Begehren nach imperialer Kraftentfaltung immer wieder gedämpft und an eine bessere Zukunft verwiesen werden. Da die staatstragenden Schichten konkrete Probleme der russischen Außenbeziehungen nur schemenhaft wahrnahmen, waren die Erwartungen an eine Politik der Stärke in der Regel höher als die beschränkten Möglichkeiten der Diplomatie und der Militärpolitik. Der Regierung sind aus dieser Diskrepanz anhaltende Kümmernisse erwachsen. Schon der Ausgang der bosnischen Krise, den die aufwallende öffentliche Erregung als „diplomatisches Tsushima" beklagte13, hatte den Eindruck tiefer Demütigung allgemein werden lassen. Izvol'skij konnte mit der Ankündigung, sich dem Richterspruch der Duma stellen zu wollen, seine lädierte Reputation nicht zurückgewinnen, dies um so weniger, als ihm der Zar für Auftritte vor dem Parlament Schranken auferlegte. Der Außenminister, der als aufgeklärter Weltmann zu posieren liebte, mochte hoffen, mit Hilfe einer neugeschaffenen, von einem Oktobristen geleiteten Presseabteilung den Öffentlichen Kredit der Diplomatie wieder heben zu können14. Aber die Politik der Selbstbescheidung, zu der sich Petersburg gezwungen sah, war nicht leicht populär zu machen. Mißvergnügen und Argwohn kamen nicht zur Ruhe. 1910, anläßlich der Entrevue in Potsdam, aus der eine fragile Abgrenzung zwischen den russischen und deutschen Interessen in Persien hervorging, gab es eine breite Meinungsfront, die der Sängerbrücke Botmäßigkeit gegenüber dem deutschen Kaiser unterstellte, die Neigung, von Frankreich und England abzulassen und nationale Belange zu verspielen15. 1912 und 1913, als Izvol'skijs Nachfolger Sazonov zwischen allen Stühlen des von ihm geknüpften Balkanbundes saß, kam ans Licht, daß auch der Versuch einer großslawisch aufgezäumten Ordnungspolitik nicht verfing. Ohne Zweifel bereitete die Woge antiösterreichischer Revanchegelüste, die im chauvinistischen Lager damals aufbrach und zu irrationaler Germanophobie zusammenschoß, der Regierung manche Verlegenheit. Die Zuversicht war im Schwinden, daß Petersburg imstande sei, die „slawische Sache", zumal das Wohl der serbischen und montenegrinischen Brüder, angemessen zu verteidigen. In persönlichen Gesprächen mit den Spitzen der loyalen Duma-Parteien mußte Sazonov immer wieder um Vertrauen werben16. Bei alledem wird in Rechnung zu stellen sein, daß der Theaterdonner nationalistischer Kampagnen, in denen der Ruf nach dem Krieg gegen Österreich erklang, kein politisches Kraftzentrum hervortrieb, das sich dem Zaren als ernsthafte Alternative angeboten hätte. Organisationsgrad und Konsistenz des vielberufenen Neoslawismus waren gering, die hypnotisierende Wirkung chauvinistischer Schlagworte größer als das politische Ingenium ihrer Protagonisten17. Gleichwohl war auch dort, wo sich beschädigtes nationales Selbstgefühl in gedämpfteren, staatsmännisch geglätteteren Tönen regte, wo man sich darauf beschränkte, in „nationaler Trauer" zu gehen, die Ungeduld mit der Petersburger Diplomatie im Wachsen18. Es war die Dauerwirkung wiederkeh15 Geyer

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render F rustrationen, die die Ansicht auszubreiten half, daß die Kette der De­ mütigungen nur in einem schicksalhaften Krieg sich lösen werde und daß dieser Krieg gewiß und unvermeidlich sei. Wie gezeigt, wurde seit den Balkankriegen auch die Regierung von solchen Stimmungen erfaßt; freilich wußten die Mi­ nister besser als die Öffentlichkeit, wie unermeßlich groß das Risiko des voraus­ gesagten „Völkerringens" war. Der Unmut, den die verhaltene Gangart der Petersburger Politik erregte, mag auf dem Hintergrund der kostenaufwendigen Rüstungsanstrengungen ver­ ständlich werden. Obwohl den Rechtsparteien die Beschäftigung mit Militär­ sachen als anstößig galt und die konservative Reichsratsmehrheit im F rühjahr 1909 um die Kreditbewilligung für den Marinestab sogar eine Regierungskrise inszenierte, hat die Duma ihre „vaterländische Pflicht" in Rüstungsfragen stets erfüllt19. Von Rangeleien um einzelne Etatposten abgesehen, in denen das Schattenboxen um parlamentarische Mitsprache mitunter zu großer F orm auf­ lief, wurde den Kreditwünschen des Kriegsministeriums bereitwillig stattgege­ ben. Seit dem Zehnjahresprogramm von 1910 begann die Regierung die Mei­ nung zu nähren, daß das Zarenreich dabei sei, in die Reihe der großen Mi­ litärmächte zurückzukehren. Anfang 1911 konnte Stolypin die Duma rühmen, durch ihre patriotische Budgetarbeit „dem unbewaffneten Rußland das Schwert in die Hände gegeben" zu haben20. Offen war dagegen die F rage geblieben, ob die Effektivität der Rüstungspolitik zulänglich gesichert sei. Wie in der Regierung selber, so wurde auch in der Duma der Sinn des Schlachtflottenbaus nicht umstandslos begriffen. Der Navalismus des Marine­ ministeriums, das dem Stigma der „Tsushima-Behörde" erst unter dem energi­ schen Admiral Grigorovič entkam, genoß wenig Popularität21. In der Öffent­ lichkeit wurde das Bild imperialer Große überwiegend von konventionellen, auf die Landmacht Rußland gerichteten Vorstellungen abgeleitet. Ein dem wilhelminischen F lottenenthusiasmus vergleichbares Syndrom hat die russische Gesellschaft nicht ausgebildet; anders als in Deutschland wurde der Matrosen­ anzug, den die Konterfeis des kleinen Thronfolgers zeigten, nicht zur patrioti­ schen Knabentracht22. Die Ungeduld, die russische Armee in F lor zu sehen, war in der Gesellschaft größer als die Sehnsucht nach schwimmenden F estun­ gen der Dreadnoughtklasse. Gleichwohl ist die Duma, deren Mehrheit noch im F rühjahr 1908 dem „Kleinen F lottenprogramm" widerstritten hatte, im Juni 1912 der großen Vorlage Grigorovičs beigetreten. Auch der Heeresaufbau hatte zunächst nur geringe Zuversicht geweckt, am wenigsten bei den Oktobristen. Das Tempo, mit dem das Kriegsministerium an seine „heiligen Aufgaben" ging, schien den Gefahren nicht zu entsprechen, die man aus der internationalen Politik auf Rußland zukommen sah. Der zeit­ weilige Dumapräsident Gučkov (1910/11), der sich im Verteidigungsausschuß als Militärexperte profilierte, hatte seit 1908 an den „alten Sünden" des Kriegsressorts immer wieder Anstoß genommen: an der Schwerfälligkeit der Militärbürokratie, am technischen Rückstand des Artilleriewesens, an „chaoti­ schen" Zuständen der Intendanturverwaltung23. Der Oktobristenführer konnte

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sich zugute halten, die Zurückdrängung des Nepotismus, die Rationalisierung der militärischen Führungsstruktur und die materielle Besserstellung des Offizierskorps im Kontakt mit dem Ministergehilfen General Polivanov gefördert zu haben24. Immerhin beurteilte auch dieser kritische Kopf, der der Generalsopposition gegen den Schlachtschiffbau bis zuletzt die Stange hielt, im Jahr des ersten Balkankrieges die militärische Potenz Rußlands optimistischer als vordem. Bei der Etatberatung im Mai 1912 sprach er davon, daß das Reich aus dem „Zustand der Machtlosigkeit und Verteidigungsunfähigkeit" herausgetreten sei25. Vollends die Öffentliche Meinung wurde in den letzten beiden Vorkriegsjahren von dem Eindruck beherrscht, daß Rußlands Kriegsmacht eine offensivere Wahrnehmung nationaler Interessen erlaube. Um so größer war das Unverständnis über den Attentismus der Petersburger Diplomatie. Als Sazonov 1913 die Trümmer des Balkanbundes im Interessenarrangement mit der Wiener Politik zu ordnen suchte, konnten chauvinistische Stimmführer ein „neues Mukden" beschreien, ohne sich dabei unglaubwürdig zu machen. Die Regierung Kokovcov hatte in dieser Konfliktlage wenig zur Hand, um der nationalistischen Bewegung innenpolitische Ersatzobjekte anzubieten, an denen sie ihr Genüge hätte finden können. Unter Stolypin war das noch eher möglich gewesen. Der im September 1911 ermordete Ministerpräsident26, der sich mit manipulatorischen Führungstechniken immer wieder Spielraum schuf, hatte den großrussischen Nationalismus bewußt gegen die „Fremdvölker" innerhalb der Reichsgrenzen gelenkt27. Namentlich der Versöhnungswille („ugoda") der polnischen Nationaldemokraten wurde dadurch rasch verbraucht. Dumamehrheit und Öffentliche Meinung waren für diesen Kampf um die „Sicherung der Westgebiete" ungemein empfänglich28. In den westlichen Grenzmarken schien die Majestät der russischen Nation noch immer bedrohlich verdunkelt zu sein: durch Polen und Juden vor allem, aber auch durch die seit 1907 wieder geduckten Autonomiebewegungen ukrainischer, weißruthenischer und litauischer Provenienz. Auch die nationalen Bestrebungen der Esten und Letten, das deutsche Element in den Ostseeprovinzen und nicht zuletzt der finnländische „Verfassungskampf" hielten die Sorge wach, daß „Großrußland" gefährdet bleibe, solange das Russentum, seine Kultur und Religion konkurrierenden Nationalismen ausgeliefert seien29. Hier wirkten die Ereignisse kräftig nach, die der Revolution von 1905 bis zu den mohammedanischen Turkvölkern hin Züge eines Völkerfrühlings verliehen hatten. Die dumpfe Ahnung, daß die modernisierende Tendenz der Geschichte auch im multinationalen Zarenreich den Aufbruch der jungen Völker bringen und das Imperium zersetzen werde — wie dies zur Genugtuung aller „echt-russischen Menschen" in der Donaumonarchie schon geschah — derlei Empfindungen wurden in das trotzige Credo verlegt, daß dauern müsse, was zu den überlieferten Fiktionen des russischen Nationalismus gehörte: die vom Allerhöchsten verbürgte Identität von Staat und Nation. In der Praxis administrativer Russifizierung, die sich allemal als Sicherheitspolitik verstand, hat Stolypin diesem Verständnis Auslauf verschafft. Schon mit dem restrik-

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tiven Wahlgesetz von 1907, das die nichtrussischen Dumafraktionen von 105 auf 32 Abgeordnete hatte schrumpfen lassen, war er dem nationalistischen Lager gefällig gewesen. Nach der 1909 vollzogenen Angliederung des Cholmer Landes an das Gouvernement Kiev durfte er auch 1911, bei der Einführung der Zemstvo-Verfassung in den Westgebieten (wo es darum ging, den polnischen Gutsbesitz zugunsten der orthodoxen, bäuerlichen Grundschichten zu neutralisieren), des Beifalls der Oktobristen, Nationalisten und gemäßigten Rechten sicher sein, jener informellen Koalition, die die gesellschaftliche Basis seiner Regierung war. Als die konservative Mehrheit des Reichsrats die von der Duma gebilligte Vorlage verwarf, war ihm das Zemstvo-Gesetz sogar einen kleinen Staatsstreich wert30. Stolypin wußte, daß er unangreifbar blieb, solange er das nationalistische Solidarkartell frisch und bei sich hielt. Unter seinem Nachfolger wollte dieses Bündnis nicht mehr tragen. Das lag nicht allein daran, daß Kokovcov die Fähigkeit abging, Öffentliche Erwartungen zu stimulieren, auch daran nicht, daß sein Kabinett den repressiven Kurs gegenüber den nichtrussischen Nationalitäten gemildert hätte31. Auch das Scheitern der von Sazonov aktivierten Nahostdiplomatie in den beiden Balkankriegen kann nicht ausreichend erklären, weshalb die Autorität der Regierung fortgehend Schaden nahm. Die Ursachen für den Zerfall der von Stolypin notdürftig regulierten „rechten Mitte" sind vielmehr in den Veränderungen zu sehen, die sich in diesen Jahren wirtschaftlicher Scheinprosperität und außenpolitischer Hochspannung in der russischen Gesellschaft vollzogen. Der allgemeine Zug nach rechts, den im Herbst 1912 die Wahlen zur vierten Duma signalisierten, war Ausdruck eines Klimawechsels, der sich bereits unter Stolypin angedeutet hatte32. Ein nicht minder beredtes Zeichen war die sich ausweitende Dekomposition der oktobristischen Partei. Sie konnte dem Anspruch, ein Widerhaken gegen konservative Erstarrung zu sein, in der Bindung an das Regime nicht mehr genügen. Die Parteibasis, ebenso heterogen wie bewegungsarm, war in einen trägen Loyalismus abgeglitten. Der Oktobrismus von 1905/07 war dabei, im juste milieu einer Gesellschaft aufzugehen, die sich, partikularen Interessen hingegeben, um konstitutionelle Standarten nicht mehr sammeln ließ. Unter der lähmenden Wirkung politischer Stagnation nahmen, ein wenig nur nach links versetzt, auch die Kadetten an dieser „Krise der Parteien" teil33. Während „linke" Dissidenten Fühlung zu den Sozialdemokraten und der populistischen Intelligencija suchten, beharrte das Gros der Liberalen darauf, daß die Partei trotz allem verpflichtet sei, ihre Rolle als loyale Opposition weiterzuspielen. Aber auch dem rechten Parteiflügel und dem „Zentrum" um Miljukov tat sich in dieser Zeit dumpfer Reaktion keine Chance auf, Mobilität in die politische Landschaft einzubringen. Resignation regierte die Stunde. Am ehesten noch waren die konservativ-monarchistischen Kräfte imstande, Kokovcov ins Ruder zu greifen. Reformpolitik, die im Sinne Stolypins daran gearbeitet hätte, einen autoritären, aber zur Modernisierung fähigen Staat hervorzubringen, fand nicht mehr statt. Der reaktionäre Kurs der Minister für 228 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Inneres und Justiz, die mit dem spekulären Ritualmordprozeß gegen Mendel Bejlis dem rechtsradikalen Antisemitismus die Zügel schießen ließen, wirkte den Steuerungsversuchen des Ministerpräsidenten entgegen34. Was die Behörden vermochten, war die Erledigung bürokratischer Ressortgeschäfte; aber die Routine trieb keine Impulse hervor, die sich der Gesellschaft hätten mitteilen können. Statt dessen sah sich die Regierung mit wachsenden gesellschaftlichen Spannungen konfrontiert, die nicht zu verdecken, geschweige denn zu lösen waren. Die Richtungslosigkeit der inneren Politik hat hier ihren Grund. Auch die vehemente Kritik an der defensiven Außenpolitik, die sich im exaltierten Nationalismus ideologisch stilisierte, muß auf dem Plafond der blockierten Binnenverhältnisse betrachtet werden. Die Ursachen sind noch genauer auszuleuchten. Vorab wird man sagen dürfen, daß das verbreitete Mißbehagen, das die öffentliche Atmosphäre charakterisierte, in merkwürdigem Kontrast zur Dynamik der wirtschaftlichen Hochkonjunktur gestanden hat35. Doch waren es gerade die Begleiterscheinungen dieser Prosperität, die zur Quelle tiefsitzender Unzufriedenheit, neuer Ängste und vehementer Interessenkämpfe geworden sind. Der „Goldregen", den der konjunkturelle Aufschwung brachte, hatte nur äußerst schmale Schichten der privilegierten Gesellschaft erreicht. Während die mit der Petersburger Finanzwelt, der Schwerindustrie wie überhaupt mit dem Rüstungsgeschäft verbundenen Kreise hohe Profite notierten, blieben andere Sektoren der Wirtschaft im hektischen Klima der Vorkriegsjahre wachsendem Konkurrenzdruck, schwankenden Absatzchancen und empfindlichen Risiken ausgesetzt. Der Boom, mit dem eine ausgreifende Konzentrationsbewegung einherging, wurde in Industrie und Handel keineswegs einhellig als Zeit gesicherten Fortschritts erfahren. Vielmehr schärfte er den Blick für die Disproportionen raschen ökonomischen Wachstums. Selbst die in der Konjunktur gedeihende Großbourgeoisie sah sich von Sorgen nicht frei. Es zeigte sich, daß die Regierung zwar Gewinnchancen offenhielt, aber den Arbeitsfrieden nicht zu sichern verstand. Die rasante Expansion der schwerindustriellen Zentren hatte neue Massen Unterhalt suchender Menschen aus den übervölkerten Agrargebieten in die Städte geschwemmt. Zwischen Januar 1910 und Juli 1914 vergrößerte sich der Bestand der russischen Fabrikarbeiterschaft um nahezu ein Drittel; der Petersburger Rayon und die metallverarbeitenden Branchen nahmen davon unverhältnismäßig hohe Quoten auf36. Der überlaufende Arbeitsmarkt und rigide Arbeitsbedingungen haben diese vom Land importierten oder in Elendsquartieren aufgewachsenen Proletarier für radikale, aufrührerische Parolen empfänglich gemacht, die ihnen namentlich aus bolschewistischen und neopopulistischen Zirkeln entgegenkamen. Tatsächlich war im Frühjahr 1912, als das Blutbad auf den Lena-Goldfeldern die sozialen Spannungen und die Brutalität der Behörden erneut verdeutlichte, die Streikbereitschaft des Proletariats jäh wieder aufgeflammt37. Seither brachen sich solche Manifestationen in wellenartiger Bewegung immer

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wieder Bahn, keineswegs allein den „Groscheninteressen" der Arbeiterschaft zugetan, sondern einem ungestümen Widerstandswillen gegen die Staatsgewalt. Die Kette von Arbeiterunruhen hat sich bis in die Julitage 1914 fortgesetzt. Als Poincaré zwei Wochen vor Kriegsausbruch in Petersburg zur Visite er­ schien, herrschten in den Arbeitervierteln der Hauptstadt generalstreikähnliche Zustände38. Daß das Zutrauen zur Regierung selbst bei Industrie-Magnaten nicht groß war, zeigten die Reaktionen des F ührers der kleinen, von einfluß­ reichen Unternehmern gelenkten Progressisten-Partei: Anfang 1914 hatte sich A. I. Konovalov um linke Kontakte bis zu den Bolschewisten hin bemüht, in der Absicht, eine Stabilisierung von unten vorzubereiten, die sich gegen die staatliche Autorität gerichtet hätte39. Ohne Zweifel hat die Renaissance der russischen Arbeiterbewegung seit 1912 dazu beigetragen, in der Gesellschaft neue Befürchtungen zu wecken und Unbehagen an der Obrigkeit zu nähren. Gefühle der Insekurität und Orientierungslosigkeit breiteten sich wieder aus; sie bildeten die psychologische Unterlage für jene Legierung aus F atalismus und ideologischer Anfälligkeit, die im Chauvinismus der letzten Vorkriegsjahre nach außen trat. Nicht allein exaltierte Köpfe haben in dieser Zeit der ablenkenden Wirkung einer offen­ siven Außenpolitik vertraut. Auch frustrierte Dumapolitiker, die, eingeschnürt zwischen Radikalismus und Reaktion, in der „Paralyse" des Regimes den ei­ gentlichen Grund für die Niederlagen auf dem Balkan sahen, lebten sich in dieses Denkschema ein. Im November 1913 prognostizierte Gučkov vor dem Oktoberverband Chaos und Anarchie, gewaltige Erschütterungen, die das be­ sitzende, „auf friedliche Evolution des Staates" angewiesene Bürgertum aufs härteste treffen müßten. Hoffnung schien er nur noch aus der „F ormierung jener gesellschaftlichen Kreise und Volksmassen" zu ziehen, „für die die Großmachtrolle Rußlands der Angelpunkt ihres politischen Credos" sei40. Auch hier also wurde, wie man sieht, der auf imperiale Machtentfaltung drän­ gende Nationalismus angerufen, um die befürchteten Katastrophen von Ruß­ land abzuwenden. Für die innere Spannungslage war von erheblichem Belang, daß die Masse der gutsbesitzenden Schichten in der industriellen Aufschwungsphase keines­ wegs unter dem Eindruck lebte, einer verheißungsvollen Zukunft entgegen­ zugehen. Über alle konjunkturellen Wechselfälle hinweg hatten die Agrarier den althergebrachten Komplex kultiviert, wonach die private Landwirtschaft als leidtragender, weil von der Regierung vernachlässigter Teil im Schatten eines zweifelhaften F ortschritts stehe, der allenfalls den Deutschen und den Juden dienlich sei. Von dieser Klage wurden adelsständisch eingepuppte Kreise, entmutigte oder depossedierte Gutsbesitzer und Vertreter massiver markt- und exportorientierter Profitinteressen gleichermaßen bewegt. Die schon in der Ära Vyšnegradskij und Witte ausgetragenen, am Schutzzoll festgemachten Gegensätze zwischen industriellen und agrarischen Belangen gewannen in der Hochkonjunktur neue Aktualität. Die zwischen Depression und Empörung pendelnden Stimmungen wurden auch davon beeinflußt, daß 230 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

die Industrie, anders als die Landwirtschaft, schlagkräftige Interessenverbände aufzubieten hatte41. Mit den Unternehmern, die über mächtige Dach- und Branchenorganisationen verfügten, vermochten die regionalen Vereinigungen der Landwirtschaft nicht zu konkurrieren. Die ehrwürdigen Adelsgesellschaften, deren Konservativismus in einer „Adelsunion" Stimmführer fand, boten keinen Ersatz42. An einen Kampfverband, der, dem deutschen „Bund der Landwirte" vergleichbar, bäuerliche Schichten mitumfangen hätte, war in Rußland nicht zu denken gewesen. Immerhin hatten in den letzten Vorkriegsjahren, provoziert durch Debatten um eine Revision des Handelsvertrags mit Deutschland, die Bemühungen zugenommen, diesen Rückstand aufzuholen48. 1912 war eine Allrussische Landwirtschaftskammer gegründet worden; wenig später fanden die Agrarier Gelegenheit, ihre Interessen auf Regionaltagungen zu bereden, die von der Exportkammer angeregt worden waren. Hier artikulierte sich der Mißmut, der von jeher dem Industrieprotektionismus der Finanzminister gegolten hatte, erneut in scharfer Form. Die These, daß die Landwirtschaft von der offiziellen Zoll- und Handelspolitik zugunsten der Industrie diskriminiert werde, drückte geläufige Beschwerden des agrarischen Rußland aus. Daß der germanophobe Nationalismus den Protest gegen die Beibehaltung oder gar die Anhebung der Hochschutzzölle auf die Schultern nehmen konnte, ist leicht einzusehen. Seit Bismarcks Zeiten war das Thema Schutzzoll mit den deutschrussischen Handelsbeziehungen verklammert, und die Frage, unter welchen Konditionen der Vertrag von 1904 zu erneuern wäre, ließ die agrarische Front nicht nur gegen Kokovcov, sondern nicht minder gegen Deutschland Posten beziehen. Der alte Vorwurf, Rußland sei während des Fernostkrieges von Berlin zu einem ungleichen Vertrag genötigt worden, und dies mit Hilfe einheimischer Industrieapologeten, lebte nun wieder auf. Einzelne Sprecher verstiegen sich zu der Behauptung, daß das Russische Reich zu einer deutschen Kolonie herabgesunken sei und der bestehende Vertrag „unweigerlich zur Zerstörung der nationalen Volkswirtschaft" führe44. Kein Zweifel, daß die unablässig wachsende Expansionskraft der deutschen Wirtschaft, des wichtigsten russischen Handelspartners, geeignet war, antideutscher Hysterie zusätzlichen Aufwind zu geben. Die deutsche Ausfuhr nach Rußland hatte zwischen 1905 und 1913 um mehr als 150 Prozent zugenommen45. Übel wurde vermerkt, daß deutsches Getreide traditionell russische Märkte in Skandinavien eroberte und selbst innerhalb der russischen Reichsgrenzen, in Finnland und den Weichselgouvernements, offenbar günstigere Absatzchancen hatte als die russische Agrarwirtschaft. Auch war es nicht schwer, den massiven Vorstoß der deutschen Wirtschaft nach Kleinasien und in die russische Interessenzone Persiens als permanente Herausforderung verständlich zu machen. Die Gefahr, daß Deutschland seine Hand an die Meerengen legen und die russische Ausfuhr stillstellen könnte, wurde in der meinungsbildenden Presse in immer bedrohlicheren Bildern ausgemalt. Im deutschen Blätterwald waren aufreizende Belege leicht zu finden.

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Kokovcov, der in der Tradition russischer Industrialisierungspolitik den Hochprotektionismus für unentbehrlich hielt, hatte keine Möglichkeit, die agrarischen Proteste zu dämpfen. Auch der emotionalen Germanophobie war er abhold, blieben doch gerade die russischen Rüstungsprogramme auf den störungsfreien Umgang mit dem deutschen Wirtschaftspartner angewiesen. Weder Frankreich noch England hätten die Funktionen ersetzen können, die Deutschland von Beginn an im russischen Modernisierungsprozeß übernommen hatte. Als der Ministerpräsident, als Deutschenfreund und Förderer der Juden diffamiert, im Februar 1914 dem Druck der Fronde um den Landwirtschaftsminister Krivošein weichen mußte und der 75jährige Goremykin an seine Stelle trat, wurde sein Abgang vom Jubel des nationalistischen Lagers begleitet46. Aber auch sein Nachfolger im Amt des Finanzministers, P. L. Bark, war nicht mächtig, der Landwirtschaft eindrucksvolle Avancen zu machen, obwohl doch im Reichsrat und in der Duma agrarisch orientierte Mehrheiten verfügbar gewesen wären47. Die Barrieren, auf die die Regierung stieß, waren in die Fundamente der russischen Volkswirtschaft eingelassen. Sie spiegelten die strukturellen Widersprüche einer Entwicklungsstrategie, die auf raschen industriellen Fortschritt setzte und dabei die überkommenen Normen und Ordnungen zerstörte. Wenn auch die Empfindung, in einer Zeit der Auflösung und Veränderung zu stehen, seit der Bauernbefreiung und zumal seit dem Modernisierungsschub der neunziger Jahre für die segmentierte Gesellschaft Vorkriegsrußlands keine Neuentdeckung war, so wurde der Problemstau der Jahre 1912 bis 1914 doch als eine Krise von besonderer Schärfe und Ausweglosigkeit erlebt. Um herauszubringen, welche internen Faktoren die nationalistische Anfälligkeit gedeihen ließen, wird man dies alles zusammennehmen müssen: die Desintegration des Scheinkonstitutionalismus, eine von schweren sozialen Spannungen elektrisierte Katastrophenstimmung, die Turbulenzen der Hochkonjunktur und die Unzufriedenheit im agrarischen Milieu, das schwindende Vermögen der Regierung, dem Verfall ihrer Autorität zu steuern. Auch die Perzeption der internationalen Konfliktsituation wurde von den Aporien der Binnenlage mitbestimmt. Die von einem großen Teil der Presse stilisierten Bedrohungskomplexe verstärkten die Neigung, aus der gesellschaftlichen Identitätskrise in chauvinistische Ideologeme zu flüchten, eingeschliffene Ängste auf einen Feind zu projizieren, der in der „deutschen Gefahr" unschwer sichtbar zu machen war. Daß dieser Feind selbst darauf versessen schien, sich in dieser Rolle zu bestätigen, hat über manche Zweifel hinweggetragen. Wie der „Zeitungskrieg" im Frühjahr 1914 zeigen kann, wurde die im deutschen wie im russischen Nationalismus angelegte Vorstellung, daß der Entscheidungskampf zwischen Slawen und Germanen unvermeidlich sei, auf beiden Seiten damals kräftig ausgesponnen, in Rußland noch immer in heftiger Anklage gegen die Zaghaftigkeit der eigenen Regierung48. Diesen Beobachtungen ist die Frage anzuschließen, in welchem Sinn die systeminternen Spannungen an den Entschlüssen beteiligt waren, zu denen sich

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die russische Staatsführung in der Julikrise 1914 veranlaßt sah. Kein Zweifel, daß diese F rage einer differenzierten Antwort bedarf. Zunächst sei von dem engen Kreis der Entscheidungsträger ausgegangen, die von außenpolitischen und militärischen Problemen beansprucht wurden. Spätestens seit der Liman­ Sanders-Krise stimmten Sazonov, Suchomlinov und Grigorovič darin überein, daß der Kollaps des Osmanischen Reiches voraussehbar sei und Rußland sich zu wappnen habe, die Meerengen dann auch militärisch einzunehmen. Die Minister stellten sich auf kriegerische Verwicklungen mit Österreich-Ungarn ein, provoziert durch einen österreichisch-serbischen (oder auch einen neuen serbisch-bulgarischen) Konflikt, bei dem Rußland die Serben gegen Wien werde unterstützen müssen. Mit der Möglichkeit, einen Krieg im Nahen Osten lokali­ sieren zu können, wurde nicht mehr gerechnet; der kommende Krieg wurde als „großer, europäischer Krieg" begriffen. Zugleich waren sich die Minister ei­ nig, daß das Imperium einer solchen Belastung frühestens in zwei bis drei Jah­ ren gewachsen wäre. Bis dahin sollte Rußland bei der Wahrung seiner Interessen auf militärische Sanktionen, auf eine Politik „produktiver Pfänder", tunlichst verzichten, vollends dann, wenn der Beistand F rankreichs und Englands nicht gewährleistet sei49. Von der vereinbarten Beschleunigung der militärischen Rüstung und der strategischen Vorbereitungen wurde erhofft, etwa ab 1917 nicht länger defensiv und unter neuen Prestigeeinbußen agieren zu müssen. Zugleich wollte man die russische Militärkraft gegenüber Deutschland stärken, um die F olgen der großen deutschen Heeresvorlage aufzufangen und das eigene Gewicht im Rahmen der Entente zu vergrößern. Paris und London sollten ver­ anlaßt werden, die russischen Essentials im Nahen Osten als Elemente des Bündnisses anzuerkennen. Daß der Kriegsminister im F rühjahr 1914 in die aufwallende deutsch-russische Pressefehde mit der selbstbewußten Erklärung eingriff, Rußland habe derlei Geschrei nicht zu fürchten und sei für den Krieg bereit, widersprach dem erwähnten Einvernehmen nicht. Suchomlinovs Diktum war eine Paraphrase wiederkehrender Äußerungen von deutscher Seite, die er nicht unbeantwortet lassen wollte, zumal ihm das mangelnde Zutrauen in die Effizienz des Kriegsministeriums Schmerzen machte. Die öffentliche Erregung mußte beschwichtigt werden50. Die Anstrengungen Sazonovs waren seit dem Frühjahr 1914 darauf gerichtet, jene Karenzzeit zu sichern, die die Militärs für erforderlich hielten. Es versteht sich, daß der Außenminister danach trachtete, die politischen Ausgangsposi­ tionen Rußlands für den Kriegsfall zu verbessern, doch blieben ihm optimi­ stisch stimmende Erfolgserlebnisse versagt: Während sich das Verhältnis zu Paris kräftigen und von manchen Mißhelligkeiten reinigen ließ, verfingen sich die Gespräche mit London um eine von Paris und Petersburg gleichermaßen gewünschte russisch-britische Marinekonvention — in den Bedenken Sir Ed­ ward Greys, der die traditionelle Aversion der englischen Politik gegen konti­ nentale Bindungen personifizierte. Überdies hatten sich die permanenten Stö­ rungen des russisch-englischen Verhältnisses in Persien nur unter größten Schwierigkeiten leidlich neutralisieren lassen51. Auch der Versuch Sazonovs, 233 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

den Balkanbund unter Beiziehung Konstantinopels wiederzubeleben und den in den Friedenschlüssen von 1913 notdürftig umrissenen Status quo festzuhalten, erwies sich als ein enttäuschendes Unterfangen. Petersburg hatte größte Mühe, seine engsten Bundesgenossen, Serbien und Montenegro, zu zügeln. Daß an der internationalen Flottendemonstration, die den eigensinnigen König Nikita zur Freigabe von Skutari hatte zwingen sollen, russische Schiffe nicht teilnehmen konnten, war ein eindrucksvoller Beleg für die Bewegungsarmut Petersburgs in der Konkurrenz mit Österreich52. In Bulgarien ließ sich die russische Position nicht festigen, die mazedonische Frage war nicht zu entschärfen, die Konfliktanfälligkeit des österreichisch-serbischen Verhältnisses nicht herabzusetzen. Ebenso ergebnislos blieben die Anstalten Sazonovs, die Pforte an Rußland dichter heranzuziehen; auch diplomatische Pressionen: der Plan eines autonomen Armenien, der Eintritt in die Ottomanische Schuldenverwaltung, die Abschirmung der kleinasiatischen Grenzzone gegen ausländische Bahnkonzessionäre u. a. — halfen nicht voran. Im Sommer 1914 konnte für den Kriegsfall weder die türkische und bulgarische, noch — trotz anhaltender Sondierungen — die rumänische Neutralität für verbürgt gelten. Im übrigen durfte die Regierung der Loyalität der Nationalitäten innerhalb der russischen Reichsgrenzen keineswegs sicher sein. Zwar hatten die „den Staatsmechanismus . . . unterhöhlenden Volksbewegungen", anders als in der Österreich-ungarischen Monarchie, in Rußland niedergehalten werden können. Aber die wachsende Kriegsgefahr hat manche Minister, namentlich hinsichtlich der Polenfrage, zu besorgten Äußerungen bewogen. Im Januar 1914, nach der Ablehnung einer Sprachenverordnung durch den Reichsrat, hatte sich Sazonov in einem Alleruntertänigsten Bericht gar zu dem Vorschlag erkühnt, „erneut die Frage zu prüfen, in welchem Ausmaße vernünftige Wünsche der polnischen Gesellschaft auf dem Gebiete der Selbstverwaltung, der Sprache, der Schule und der Kirche allmählich bewilligt werden könnten"53. Er versprach sich von einer „einheitlichen und konsequenten" Nationalitätenpolitik, die Polen gegen die zunehmende Attraktivität einer austropolnischen Lösung immunisieren zu können. Auch dies blieb ein vergeblicher Wunsch. Bilanziert man die angeführten Tatbestände, dann bestätigt sich, daß die russische Staatsspitze im Juli 1914 keinen Anlaß hatte, den großen Krieg herbeizuwünschen. Eine Strategie des „praevenire" hat es in Petersburg nicht gegeben, weder in Rücksicht auf die angespannte Binnenlage, noch im Sinne der deutschen Politik der „kalkulierten Risikos"54. Was zugenommen hatte, war die Furcht vor einem deutschen „Zangengriff", dazu die Sensibilität für die wachsende Kriegsgefahr. Alle relevanten Quellen bezeugen, daß Sazonov — noch über die österreichische Kriegserklärung an Serbien hinaus — anhaltend dafür wirkte, dem Zusammenstoß mit den Mittelmächten zu entrinnen. Die äußerst weitgehenden Zugeständnisse, zu denen sich Belgrad angesichts des Österreichischen Ultimatums bereit fand, waren eine Frucht der auf Konfliktvermeidung bedachten Petersburger Diplomatie. Auch aus der zögerlichen Haltung Lon234 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

dons, die am englischen Beistand lange zweifeln ließ, war Ermunterung nicht zu ziehen55. Für den Befehl zur allgemeinen Mobilisierung, den der Außenminister, von den Generälen bedrängt, dem Zaren am Nachmittag des 17. (30.) Juli ent­ rang56, sind vor allem drei F aktoren ausschlaggebend gewesen: 1. die berech­ tigte, durch eine F ülle von Indizien erhärtete Einsicht, daß mit einer ernst­ haften Bereitschaft Berlins, Österreich-Ungarn (nach der Beschießung von Belgrad) von weiteren militärischen Sanktionen abzuhalten, nicht zu rechnen war; 2. die Überzeugung, daß Rußland das von den Balkankriegen erschöpfte Serbien seinem Schicksal keinesfalls überlassen dürfe, weil damit der letzte leid­ leidlich sichere Stützpfeiler, der der russischen Nahostpolitik verblieben war, zerbrochen wäre; .3. die Befürchtung Suchomlinovs und seines Generalstabs­ chefs Januškevič, den Anschluß an das Mobilisierungstempo Deutschlands zu verlieren, wenn die russische Militärmaschine in der am 12. (25.) Juli (d. h. nach der österreichischen Kriegserklärung an Belgrad) angeordneten „Vormo­ bilmachung" (predmobilizacionnyj period), im Zustand der am 16. (29.) Juli verfügten Teilmobilmachung (der Militärbezirke Kiev, Odessa, Kazan' und Moskau, sowie der Schwarzmeer- und Ostseeflotte) und im Hin und Her der am gleichen Tag genehmigten, wenige Stunden später aber widerrufenen Ge­ neralmobilisierung hangen bleibe. Aus dem Zusammenwirken dieser drei F aktoren: dem Eindruck, einem be­ wußten F alschspiel von deutscher Seite aufzusitzen, die letzten russischen Pfänder auf dem Balkan einzubüßen und sich in den technischen Mängeln der eigenen Kriegsorganisation zu verfangen, — ergab sich eine extreme Span­ nungslage, die, namentlich für den Generalstab, nicht länger durchzuhalten war. Die Teilmobilisierung gegen Österreich schwächte die Front gegen Deutsch­ land, und die Nachrichten über die verdeckt begonnene deutsche Mobilisierung verstärkten den Entscheidungsdruck. Auf den von Wilhelm II. angebotenen Vermittlungsversuch in Wien ließ sich nicht mehr vertrauen; die Petersburger Minimalbedingung, Österreich möge aus seinem Ultimatum jene Punkte elimi­ nieren, „die den Souveränitätsrechten Serbiens zu nahe treten", mußte nach den Äußerungen des deutschen Staatssekretärs von Jagow als verworfen gelten57; die Mitteilung des deutschen Botschafters Pourtalès (18./31. Juli), daß Österreich auf deutschen Rat hin eine Erklärung abgegeben habe, „die territoriale Integrität Serbiens [nicht] anzutasten und die rechtmäßigen Interessen Rußlands [nicht] zu verletzen", kam zu spät, um die tags zuvor befohlene Generalmobilmachung ein weiteres Mal anhalten zu können58. Im übrigen vermochte für die Glaubwürdigkeit dieser Zusage aus zweiter Hand in Petersburg niemand zu garantieren. In Anbetracht des weithin gesicherten Forschungsstandes, der sich seit den großen Arbeiten von Fritz Fischer in Zustimmung wie Kritik herausgebildet hat, kann hier darauf verzichtet werden, auf die deutschen und die internationalen Bedingungen der Julikrise näher einzugehen59. Statt dessen soll das Verhalten der russischen Führung noch einmal auf die systeminternen Krisen235 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

zeichen zurückbezogen werden. Tatsächlich kann die Überzeugung, sich einer revolutionären Situation entgegenstemmen zu müssen, im Regierungslager und bei Hof nicht übermächtig gewesen sein. Die Quellen vermitteln zwar einzelne Äußerungen, in denen, wie in einem oft zitierten Memorandum des hochkonservativen P. N. Durnovo (Februar 1914), die Gefahr einer sozialen Revolution beschworen wurde, falls es zu einem Krieg käme. Sprecher der äußersten Rechten befürchteten, daß ein Krieg das Staatssystem zerstören und die Sozialdemokraten triumphieren lassen werde: „und diese Attilas werden die ganze Menschheit verschlingen, bis sie von den Anarchisten aufgefressen werden . . ."60 Doch von einer Alarmstimmung der Regierung, die ihre Antriebe aus der Binnenlage gezogen hätte, wird man schwerlich sprechen dürfen, schon gar nicht davon, daß der Entschluß, fest an der Seite Serbiens zu stehen und die allgemeine Mobilmachung anzuordnen, vom Zaren und von den beteiligten Ministern und Generälen als konterrevolutionäres Krisenmanagement verstanden worden wäre. Gerade die Befürworter einer antirevolutionären Solidarität der alten „Ostmonarchien", die „der großen Freundschaft mit England ein kleines Bündnis mit Deutschland" vorgezogen hätten61, wurden vom Zaren desavouiert. Wenn Sazonov, wie er in seinen Memoiren berichtet, dem zögernden Herrscher in der entscheidenden Unterredung am 17. (30.) Juli vorgehalten hat, daß „Rußland dem Zaren niemals verzeihen" werde, falls er vor den deutschen Forderungen kapitulieren und damit „den guten Namen des russischen Volks mit Schande bedecken" würde62, dann sprach sich in solchen Wendungen ein durchaus altertümlicher Argumentationsstil aus, keine Panik, die die Revolution auf den Straßen und Plätzen der Hauptstadt schon zusammenlaufen sah. Im übrigen herrschten nach dem Massenstreik der vergangenen Tage (7.—15. Juli) inzwischen wieder leidlich Ruhe und Ordnung in Petersburg63. Auch die Mitteilung Nikolajs II. an den deutschen Kaiser, die österreichische Kriegserklärung an Serbien habe in Rußland „tiefste Entrüstung" erregt, so daß es „eine sehr schwere Aufgabe" sein werde, „die kriegerischen Gemüter hier zu beruhigen", darf nicht überbewertet werden. Der Hinweis des Zaren entsprach der konventionellen Übung, sich auf die Stimmung der eigenen Bevölkerung zu berufen64. Von jeher hatte sich die russische Diplomatie, und nicht nur sie, der „Vorstellung von einer scheinbaren Uneinigkeit" zwischen offizieller Politik und öffentlicher Meinung gern bedient, um, wie Sazonov einmal schrieb, „die Kabinette für den Gedanken zu gewinnen, daß . . . wir mit dem Druck der öffentlichen Meinung kämpfen müßten"65. Selbst wenn die innenpolitische Lage von der Regierung tatsächlich als alarmierend empfunden worden wäre — auch dann noch bliebe offen, wem denn im Führungszentrum des alten Regimes die Entschlußkraft zugesprochen werden könnte, eine bonapartistische Ablenkungs- oder Pazifierungsstrategie zu praktizieren. Eine solche Figur war dort nicht auszumachen. Auch die Prüfung der innerrussischen Spannungen gibt keinen unwiderlegbaren Anhalt dafür, daß Rußland im Sommer 1914 einer „revolutionären Situation" nahe gewesen sei, deren Reifeprozeß der Krieg unterbrochen hätte66. 236 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Hält man sich an die Erfahrungen von 1904/05, so war am Vorabend des Weltkrieges eine vergleichbar dynamische Kumulation systemsprengenden Protest- und Aufstandspotentials nicht zu sehen. Zwar gab es ein ähnlich explosives Klima in den industriellen Zentren, aber keine geballte Unruhe auf dem platten Land und vor allem keine Perspektiven, die der Arbeiterbewegung und der Gesellschaft wenigstens über eine kleine Strecke hin gemeinsam gewesen wären. Das lag nicht zuletzt daran, daß der Konsensus der „besitzenden Klassen" jetzt allenfalls auf einem hybriden Nationalismus beruhte, an dem die Arbeiterklasse durchaus keinen Anteil hatte. Zehn Jahre zuvor war dagegen die rasche Akzeleration regimegefährdender Kräfte das Produkt einer ineinandergreifenden Front gegen den Polizeistaat und gegen den „sinnlosen Krieg", für rechtsstaatliche Sicherungen und einschneidende soziale Reformen. Zemstvogesellschaft, berufständische Intelligenz, kleinbürgerliche und proletarische Schichten und schließlich bäuerliche Massen, das „hungernde Rußland", hatten sich dem allgemeinen Aufbruch angeschlossen67. Jetzt, 1914, konnte von der verbindenden Kraft gemeinsamer, die Klassenschranken überschreitender Losungen keine Rede sein. Der Loyalismus der Gesellschaft war stärker als der Widerstandswille einer Opposition, die als liberaldemokratische Alternative in die Breite hätte wirken und mit der Forderung nach einer „nationalen", womöglich parlamentarischen Regierung vor dem Volk glaubwürdig hätte werden können68. Auch die Renaissance des Freimaurertums, die Entstehung eines Organisationsnetzes von den Konstitutionellen Demokraten und Progressisten bis zu den Sozialreformern, Populisten und Sozialdemokraten hin, wird nicht überschätzt werden dürfen. Äußerst unwahrscheinlich ist, daß diese Minderheiten ihrer Exklusivität entkommen und zu Volksführern aufgestiegen wären, wenn der Kriegsausbruch den Chauvinismus nicht bestätigt hätte. Vollends verbietet sich, die Ablehnung der großen Rüstungsvorlage durch die Kadettenfraktion als Auftakt einer antimilitaristischen Sammlungsbewegung gegen die Regierung anzusehen 6 9 . Anders als 1904/05, als sich das Land in einem umgreifenden Organisationsprozeß befand, war in der Gesellschaft von 1914 politische Widerstandsbereitschaft nicht verbreitet; vielmehr war der emotionale Nationalismus, in den die öffentliche Meinung flüchtete, gerade Ausdruck für die Abwesenheit politischer Konzeptionen und für Bedrohungsvorstellungen, bei denen die Revolutionsfurcht eine erhebliche Rolle spielte. Vollends abwegig wäre der vorausweisende Vergleich mit der Konstellation im dritten Kriegswinter 1916/17, aus der die Februarrevolution ihre Dynamik ziehen sollte. Wenn den gesellschaftlichen Spannungen mithin revolutionäre Sprengkraft abging und im Juli 1914 an der Staatsspitze auch niemand zu sehen war, der die Generalmobilmachung als innenpolitisches Pazifizierungsmittel betrieb, dann bedeutet dies freilich nicht, daß der Zar und seine Minister unter einer Art Glasglocke agierten, die gegen die internen Probleme des Landes abgeschottet gewesen wäre. Ihrer Selbstauffassung nach waren sie in jene Begriffe von nationaler Macht und Größe vollkommen eingebunden, denen der aufbran-

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dende Nationalismus übersteigerten Ausdruck gab. Ihr Verständnis dessen, was russisches Interesse, was die historische Bestimmung Rußlands sei, stand nicht weit ab von dem, was die Öffentlichkeit als herrschende Meinung formulierte. Zwar hatte die Diplomatie mit dem emotionalen Chauvinismus nichts gemein, doch war sie, wie dieser, auf die Großmachtposition des Reiches fixiert, auf die Rußland „von der Geschichte vorgezeichnete Rolle inmitten der Slawischen Völker"70. In der militärischen Führung hatte aggressives Abenteurertum nicht Platz gegriffen, aber die Überzeugung war doch zu einem Axiom gediehen, daß die imperiale Stellung Rußlands, auch die Ehre der Armee, es nicht vertrügen, wenn das bedrohte Serbien allein bliebe und Konstantinopel in andere Hände gerate. So hat es der inneren Konfliktlage nicht bedurft, um die Staatsspitze so entscheiden zu lassen, wie sie schließlich entschied. Stärker als die Furcht, durch weiteres Zögern innere Erschütterungen auszulösen, war in der Hochspannung dieser Tage das Bewußtsein, mit dem Entschluß zum Krieg öffentlichen Beifall zu finden. Die Gewißheit, daß der Befehl, die Armee für Serbien in den Krieg zu schicken, kein innenpolitisches Konfliktrisiko enthalte, sondern Zar und Gesellschaft zusammenführen werde, hat der Regierung wohlgetan. Auch das Volk, so meinte man zu sehen, werde, im Gebet um den Sieg der russischen Waffen, zum Herrscher und zum Vaterlande stehen. In diesem eingeschränkten, aber keineswegs marginalen Sinn, ist der gesellschaftlich fundierte Nationalismus am Ausbruch des Krieges beteiligt gewesen71. Die nationalistische Großmachtideologie, das gesellschaftliche Produkt einer konvulsiven Modernisierung, erwies 1914 noch einmal ihre integrative Funktion. Sie schien imstande zu sein, die von Ökonomischen, sozialen und politischen Gegensätzen zerriebene alte Gesellschaft notdürftig beieinander zu halten. In nur mehr ideologisch vermittelter Kohärenz stellten sich die durch Besitz und Bildung privilegierten Klassen dem Regime zur Verfügung. Aber die konfliktdämpfende Kraft des Nationalismus, die dem Zarismus erlaubte, den Krieg zu wagen, konnte nicht belastungsfähiger sein, als es die Gesellschaft selber war. Das kam zum Vorschein, als die Regierung sich außerstande zeigte, den nationalen Erwartungen in langen und verlustreichen Kriegsjahren Genüge zu tun. Binnen kurzem legte der Krieg die Brüche und Schäden der Verfassung Rußlands wieder bloß und half schließlich jene Bewegung städtischer, soldatischer und bäuerlicher Massen zu entbinden, in deren Aufbruch sich die alte Gesellschaft nicht wiederzuerkennen vermochte. Das erklärt, weshalb die Revolution von 1917 mit dem Zarismus alsbald auch diese Gesellschaft verschlang und deren Nationalismus dazu.

4. Die asiatische Peripherie Das Ineinandergreifen von Kriegs- und Revolutionsgeschichte kann hier nicht mehr erörtert werden. Vollends das Jahr 1917 fügt sich in dieses Buch 238 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

nicht ein. Statt dessen soll das abschließende Kapitel noch auf einige Tatbestände und Probleme aufmerksam machen, die bisher nur gestreift wurden und die doch in einem sehr unmittelbaren Sinn zu den strukturellen Merkmalen des russischen Imperialismus gehören. Zu beschreiben sind die innerstaatlichen Kolonien des Imperiums, die Methoden und Funktionen kolonialer Herrschaft in den asiatischen Randgebieten, aber auch die Rückwirkungen, die von dieser kolonialen „Peripherie" auf Spannungslagen in der „Metropole" ausgingen. Überdies werden die russischen Einflußzonen jenseits der östlichen Reichsgrenzen noch einmal vorgestellt, um den Zusammenhang zwischen innerstaatlicher und „auswärtiger" Kolonialpolitik hervorzukehren. Wie erinnerlich, ist die Geschichte der mittelasiatischen Eroberungen und der fernöstlichen Expansion an anderer Stelle schon umrissen worden. Insoweit kann die folgende Skizze auf diese Kapitel zurückverweisen und sich auf die Problemsituation der letzten Vorkriegsjahre konzentrieren1. Kolonialherrschaft im strikten Sinn hat das Zarenreich vor 1914 nur innerhalb seiner Staatsgrenzen ausgeübt. Seit der Liquidierung Russisch-Amerikas, dem Verkauf Alaskas an die Vereinigten Staaten (1867), gab es keine russischen Kolonien mehr, die vom Reichsverband durch Land und Meer getrennt gewesen wären. Der kontinentale Charakter des russischen Imperialismus folgt daraus. Er war insoweit zweifellos ein singuläres Phänomen. Welche Regionen des Zarenreiches vor 1914 als innerstaatliche Kolonien gelten dürfen, ist nicht leicht zu entscheiden. Bekanntlich umfaßt der historische Prozeß der russischen Reichsbildung selbst eine Geschichte fortgehender Kolonisation, die auch zu Beginn des im 20. Jahrhunderts noch nicht abgeschlossen war, selbst im europäischen Rußland nicht. „Neurußland" und die Krim, der mittlere Wolgaraum, die Siedlungsgebiete tatarischer Bevölkerung bis zum Ural, aber auch der russische Norden hatten koloniale Züge noch bewahrt, so wenig diese „Grenzmarken" (okrainy) ansonsten einander ähnlich waren. Auch die multinationale Struktur des Imperiums gibt Fragen auf: Für die Unabhängigkeits- und Autonomiebewegungen trug das „Völkergefängnis" des Zarismus das Stigma eines Kolonialsystems, und bis zu seinem Ende hin hat das alte Regime, anders als die Österreich-ungarische Monarchie, durchgreifende Lösungen der Nationalitätenfrage nicht ernsthaft erwogen. Doch weder der geschichtliche Vorgang der Kolonisierung noch das Faktum nationaler Unterdrückung vermitteln einen zulänglichen Begriff, der Vergleiche mit dem „Kolonialismus" der europäischen Großmächte tragen könnte. Ähnlich unzureichend sind ökonomische Kriterien, die sich darauf beschränken, koloniale Verhältnisse von der Ausbeutung unterentwickelter Peripherien durch die Metropolen abzuleiten. Wer dies tut, hätte das bäuerliche Rußland als Kolonie des industriellen Rußland anzusehen und das Zarenreich im ganzen als kolonialistische Dependance des europäischen Finanzkapitals. Unserer Entscheidung, das russische Kolonialregime vor 1914 auf die asiatischen Randgebiete des Reiches zu beziehen, auf Sibirien, Mittelasien und den Kaukasus, liegen keine kategorialen Definitionen sondern pragmatische Über239 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

legungen zugrunde. Immerhin trafen in „Russisch-Asien", wenn auch mit beträchtlichen Abstufungen, wesentliche Faktoren dessen zusammen, was für die innerstaatlichen Kolonien Rußlands kennzeichnend gewesen ist: ökonomisches und soziokulturelles Gefälle gegenüber der Metropole, wirtschaftliche Ausbeutung, militärisch bestimmte Sonderverwaltung, Segregation eingeborener Bevölkerung von den russischen Untertanen aller Stände und Klassen. Solche Gemeinsamkeiten dürfen jedoch nicht übersehen lassen, wie groß die Unterschiede waren, die zwischen diesen Kolonien, aber auch innerhalb der Kolonien selbst bestanden. Sibirien hatte vor dem Ersten Weltkrieg, anders als der Kaukasus und Mittelasien, den Charakter einer russischen Siedlungskolonie scharf ausgeprägt. Seine Entwicklung hing mit den Problemen eng zusammen, die der Industrialisierungsprozeß und die strukturelle Agrarkrise im europäischen Rußland hervorgetrieben hatten. Zwischen 1861 und 1914 nahm dieses „Land der Zukunft" über vier Millionen bäuerlicher Kolonisten aus den Ballungszonen ländlicher Überbevölkerung auf, etwa zweieinhalb Millionen allein in den Jahren 1906 bis 1911 im Zug des Stolypinschen Ansiedlungsprogramms, zu wenige freilich, um den jährlichen Geburtenüberschuß des russischen Dorfes auch nur annähernd abzuschöpfen. Die Territorien jenseits des Urals waren in das Konzept der Agrarreform eingeflochten, in die Versuche der Regierung, das bäuerliche Elend im europäischen Rußland zu lindern und die Agrarrevolution zu bannen. Längst waren die eingeborenen Nomaden und Jäger Sibiriens, im amtlichen Sprachgebrauch als „Fremdstämmige" (inorodcy) eingestuft, zu Minderheiten der sibirischen Bevölkerung geworden; der russische Anteil, Klein- und Weißrussen eingeschlossen, erreichte bis 1911 nahezu 85 Prozent. Nur die fernöstliche Amurprovinz. (priamurskoe generalgubernatorstvo) blieb einer nichtrussischen Einwanderung ausgesetzt, die über die mongolischen und mandschurischen Grenzen kam2. Der staatlich regulierten Kolonisation, mit ihrem Schwerpunkt in Westsibirien, im Altai-Gebiet und in der kirgisischen Steppe von Semipalatinsk, waren aufwendige Maßnahmen zur Verkehrserschließung einhergegangen, konzentriert auf die Große Sibirische Eisenbahn. Bei ihrem Bau hatten, wie erwähnt, Ökonomische und strategische Interessen ineinandergegriffen. Die gewaltigen Investitionen, die die Transsib erforderte, hatten in den neunziger Jahren dem industriellen Aufschwung im europäischen Rußland kräftige Anstöße gegeben, wie denn umgekehrt die ungehobenen Bodenschätze Sibiriens der russischen Industrie für die Zukunft eine unerschöpfliche Rohstoffbasis verhießen; die steigende Goldproduktion leistete bereits einen Beitrag zur Zahlungsbilanz. Überdies war die Eisenbahn das Vehikel gewesen, das den „ökonomischen Imperialismus" Sergej Wittes über die transbaikalischen Grenzen getragen hatte: zur „friedlichen Durchdringung" der Mandschurei, zur ebenso aktiven wie glücklosen Teilnahme am Scramble for China. Auch seit die Kriegsniederlage gegen Japan die ostasiatischen Ambitionen Petersburgs zurückgeschnitten hatte, beschränkte sich die Sibirienpolitik keineswegs auf bäu240 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

erliche Kolonisation. Der zweigleisige Ausbau der sibirischen Magistrale und die erst 1916 vollendete Streckenführung von Neričnsk nach Chabarovsk, d. h. die Verbindung mit Vladivostok über russisches Reichsgebiet, gehörten zu den großen staatlichen Entwicklungsprogrammen der Vorkriegszeit. Der Kosten­ einsatz stand dem der F lottenrüstune nur wenig nach. Für die Zukunft blieb die weitergehende Verkehrserschließung zweifellos die dringlichste Aufgabe. Selbst eine blühende sibirische Landwirtschaft, Traum der Petersburger Entwicklungsplaner, hätte angesichts enormer Transportkosten auf dem russischen Binnenmarkt nur schwer wettbewerbsfähig werden können. Die Tarifschranke von Čeljabinsk verdeutlichte das Problem; die sibirischen Ströme als Exportwege zu nutzen, mochte allenfalls ein F ernziel sein. Auch der Gedanke, daß Sibirien als Ernährungsbasis Transbaikaliens und der Amur­ provinz dienen könnte, hatte vorerst wenig Gewicht, weil dort die Konkurrenz chinesischer, japanischer und amerikanischer Importe nicht leicht aus dem Feld zu schlagen war. Die Aufhebung des F reihafens von Vladivostok und der zollfreien Einfuhr über die mandschurische Grenze (1909) bewirkte keine durchgreifende Änderung; der chinesische Grenzhandel wurde ohnedies erst 1913 in diese Regelung einbezogen. Im übrigen kam die Erwägung auf, künf­ tige Überschüsse Sibiriens nach Russisch-Zentralasien zu lenken, und in der Tat stand das Projekt einer südsibirischen Magistrale (nach Semipalatinsk), die über die Kirgisensteppe hin schließlich der turkestanischen Bahn angeschlossen werden sollte, damit in engem Zusammenhang3. Keine andere koloniale Peripherie war in den Jahren vor 1914 so fest mit den Entwicklungsproblemen der Metropole verklammert wie Sibirien, und keine andere wurde von den inneren Widersprüchen und Bedingungen des Mut­ terlandes so tief geprägt. Die Neusiedler wurden auf Staats- und „Kabinetts­ land", auch auf alten Kosakenländereien, angesetzt und mit Nutzungs-, nicht mit Eigentumsrechten an den zugewiesenen Bodenstücken ausgestattet4. Die Masse von ihnen reproduzierte hier, unter rauhen klimatischen Verhältnissen, die Armseligkeit kleinbäuerlicher Subsistenzwirtschaft, fiskalisch gedrückt, pro­ fitgierigen Aufkäufern und Geschäftemachern ausgesetzt, dem „Handels- und Wucherkapital", dem Pauperismus preisgegeben, wenn der Mužik nicht schon als Pauper ins Land gekommen wäre. Die Zahl der Rückwanderer war nicht gering — etwa 20 Prozent auf dem Höhepunkt der Immigration; ein Zeichen auch dafür, daß der vagierende Menschenstrom die Übersiedlungsbehörden bei weitem überforderte. Auskömmlich wirtschaftende Kulaken, die sibirische Butter gar nach Westeuropa gelangen ließen, blieben eine dünne Oberschicht, nicht anders als im russischen Dorf. Soziale Spannungen und Gegensätze, nicht nur zwischen Neusiedlern und alteingesessenen Sibirjaken, sondern auch im städtischen Milieu traten in diesem Kolonialland eher noch schärfer hervor als im europäischen Rußland. Nicht zuletzt aber hatten die Eisenbahn, die ihr oft zugeordneten kleinen und mittleren Industriebetriebe, der Bergbau und zumal die Goldgewinnung die krassesten F ormen frühkapitalistischer Ausbeu­ tung und proletarischer Lohnsklaverei hervorgebracht. In der Revolution von 16

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1905 war das sibirische Proletariat und Subproletariat erstmals in Bewegung geraten und hatte sich als Teil des russischen Arbeitervolkes zu erkennen ge­ geben5. Der russische Charakter der Städte, Bauernsiedlungen und Kosakenstationen erklärt, weshalb Sibirien durch Kolonialherrschaft klassischen Musters nicht eigentlich geprägt worden ist. Die Sonderverwaltungen, die vor 1914 für Ja­ kuten, Burjaten, Chakassen, sibirische Kirgisen u. a. bestanden, waren den bäuerlichen Amtsbezirken Rußlands nachgebildet; sie fixierten den Minder­ heitenstatus „fremdstämmiger" Bevölkerung, waren der Appendix eines admi­ nistrativen Systems, das sich im wesentlichen nur durch das F ehlen von Zem­ stvo-Organen, in Transbaikalien auch durch einen höheren Militarisierungs­ grad, von der Behördenorganisation der Metropole unterschied6. Aber mit seinen fernöstlichen Grenz- und Küstenprovinzen war dieses asiati­ sche Neurußland doch zugleich die strategische Basis geblieben, von der aus die Ostasienpolitik des Imperiums zu formulieren war. Daß dies nach 1905 mit weitaus bescheideneren Ambitionen und mit geringeren Mitteln geschah als vordem, wurde an anderer Stelle schon erwähnt. Trotz des Interessenaus­ gleichs mit Japan konnte auf den militärischen Schutz Vladivostoks und der ausgedehnten Küstenstriche bis nach Kamčatka hinauf nicht verzichtet wer­ den. Das Potential, das der Generalgouverneur des Amurgebiets dafür zur Ver­ fügung hatte, war dürftig. Von Visitationsreisen kehrten Kokovcov (1909) und Suchomlinov (1911) mit deprimierenden Eindrücken zurück. Zwar ließ der Bau der Amurbahn langfristig Erleichterungen erwarten; auch kam die Ver­ stärkung der pazifischen Küstenflottille und der Hafenbefestigungen von Vladi­ vostok und Nikolaevsk am Amur seit 1910 allmählich in Gang. Doch mit solchen Maßnahmen war die dauerhafte Sicherung des russischen F ernen Ostens nicht zu verbürgen, geschweige denn Große Politik zu machen. Um so mehr mußte Petersburg darauf bestehen, das in Portsmouth beschnittene Erbe der Witteschen Mandschurei-Politik zusammenzuhalten: die Ostchinesische Eisenbahn, jenen exterritorialen Korridor, der die drei nordmandschurischen Provinzen durchschnitt und Vladivostok mit der Sibirischen Magistrale ver­ band7. Der Rückzug auf die Nordmandschurei bedeutete freilich nicht, daß Peters­ burg imstande gewesen wäre, in der ihm von Japan zugestandenen Interes­ sensphäre ein Protektoratsregime zu installieren; die alte Vision eines Informal Empire war hier nicht wieder aufzufrischen. Vielmehr blieb die russische Herr­ schaft auf die Eisenbahn beschränkt, deren Hauptverwaltung in Harbin resi­ dierte. Sie war in Polizei- und Gerichtssachen für etwa 60 000 russische Unter­ tanen zuständig, Offiziere und Soldaten der Schutztruppe inbegriffen, die den Bahnkordon zu observieren hatten. Versuche, in Harbin und anderen Orten des Korridors russische Kommunalorgane einzusetzen, stießen auf den Wider­ stand der chinesischen Provinzbehörden und der ausländischen Konsulate. Von der russischen Präsenz wurde das Wirtschaftsleben der mandschurischen Nordprovinzen nur insoweit berührt, als die Bahn einige Zehntausend chine242 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

sische Arbeiter beschäftigt hielt und der lokale Handel an der Versorgung der Russenkolonien beteiligt war. Im übrigen lebten diese Niederlassungen weithin isoliert von ihrer chinesischen Umgebung. Allein in Harbin gab es eine größere Ballung russischer Bevölkerung (mit der Garnison ca. 30 000), dazu Bankfilia­ len, Handelshäuser, Werkstätten, Getreidemühlen und Schulen in russischer Regie, desgleichen die Dampfschiffahrt auf dem Sungari (Harbin—Blagove­ ščensk). Wie die meisten russischen Unternehmen dienten auch die Holz- und Kohlekonzessionen vor allem dem Eigenbedarf der Bahn. Weitertragende wirt­ schaftliche Initiativen kamen nicht auf. Auch der russische China-Handel zeigte wie eh und je eine passive Bilanz. Nur einmal (1911) überschritt der Wert der russischen Exporte die 30-Millio­ nen-Grenze, während die chinesische Ausfuhr nach Rußland, überwiegend Tee, das Zweieinhalb- bis Dreifache dieser Summe erreichte8. Solches Ungleich­ gewicht hat die russische Seite nicht sonderlich berührt, weniger als der chine­ sische Handel im fernöstlichen Grenzgebiet, der sich auch nach Aufhebung der Zollfreiheit (1913) nur schwer kontrollieren ließ. Obwohl der Anteil der Ostchinesischen Bahn am Warenverkehr mit Rußland im Wachsen begriffen war, mußte die Petersburger Reichskasse nach wie vor hohe Defizite dieses Großbetriebs übernehmen — über 50 Millionen Rubel zwischen 1909 und 1914, weit mehr als das große Rüstungsprogramm von 1910 für die Pazifikflottille vorgesehen hatte (34,3 Mill.). Die ungleich günstigeren F rachttarife der süd­ mandschurischen Bahn und die japanische F reihafenzone in Kwantung (Dai­ ren) konnten der Rentabilität des russischen Bahnunternehmens nicht zuträg­ lich sein. Bei alledem durfte Petersburg vor 1914 darauf vertrauen, daß der Status quo in der Mandschurei keine Sache war, an der allein die russische Politik gehangen hätte. Auch Japan hatte sich darauf versteift und in den Ver­ trägen von 1907 und 1910 Solidarität versprochen. F ür die Haltbarkeit der russisch-japanischen Interessenkonkordanz war von Belang, daß sich Tokio, zumal nach der Annexion Koreas (1910), durch die amerikanische China-Po­ litik zunehmend behindert fand. Auch das japanische Bündnis mit Großbri­ tannien war seitdem nicht unbegrenzt belastungsfähig. Internationale Banken­ konsortien waren darauf aus, sich die Mandschurei zu öffnen; Washington verlangte unverhüllt, daß die Internationalisierung der japanischen und rus­ sischen Bahnen anzustreben sei. Besonders herausfordernd wirkte ein vom State Department unterstütztes Eisenbahnprojekt, der Plan einer Konkurrenz­ linie von Chinchou nach Aigun, an deren Bau sich auch die europäische Ban­ kenwelt beteiligen sollte9. Es waren solche Pressionen, die Rußland und Japan immer wieder auf eine Politik des Einvernehmens und der gemeinsamen Ab­ wehr verwiesen haben. Die Partnerschaft mit Japan half, die mangelnde Be­ wegungsfähigkeit der russischen Macht zu kompensieren und trug dazu bei, daß das Zarenreich vor 1914 in Ostasien nicht zu Schaden kam. Dieses Zusammenspiel hat sich vor 1914 auch in bezug auf die Äußere Mon­ golei bewährt. Bereits der russisch-japanische Vertrag von 1907 hatte den „besonderen Interessen" des Zarenreiches in diesem Nomadenland Rechnung 243

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getragen. Als das lamaistische Regime des „Lebenden Buddha" in Urga die chinesischen Revolutionswirren im Herbst 1911 dazu nutzte, die alten Bindungen an Peking zu lösen und staatliche Unabhängigkeit für die Mongolei zu fordern, konnte Petersburg nicht gleichgültig bleiben, schon deshalb nicht, weil Peking die russische Diplomatie um Vermittlung bat und die mongolischen Sezessionisten ihrerseits Unterstützung verlangten. In dieser Lage zögerte Tokio nicht, den Russen in Urga freie Hand zu gewähren und die beiderseitigen Einflußsphären nun auch in den mongolischen Gebieten abzugrenzen (Konvention vom 25. Juni/8. Juli 1912). Wenig später entschloß sich Sazonov, die Autonomie der Äußeren Mongolei förmlich anzuerkennen: In einem Protokoll vom 21. Oktober (3. November) wurde der mongolischen Regierung Beistand bei der Wahrung der autonomen Ordnung zugesagt; Urga entgalt diese Versicherung, indem es die Handelsund Konsularrechte bestätigte, die Rußland seit 1881 in diesem Außenland Chinas genoß. Im Februar 1913 gewährte Petersburg einen Zwei-MillionenKredit und bot 17 Offiziere und 42 Unteroffiziere für die Organisation einer mongolischen Brigade auf. Außer Protesten hatte die junge chinesische Republik gegen diese Herausforderung nichts aufzubieten. Ende 1913 sah sich Peking schließlich zu der Erklärung gezwungen, daß es die mongolische Autonomie respektieren und sich der guten Dienste Petersburgs auch fürderhin bedienen werde10. Von dem Ertrag, den die neue Protektorenrolle den Russen versprach, wird man sich keine übertriebenen Vorstellungen machen dürfen. Zweifellos kam das russisch-mongolische Sonderverhältnis dem generellen Bestreben Petersburgs entgegen, das strategische Vorfeld Russisch-Asiens gegen fremde Einflüsse abzuschirmen und in der ostasiatischen Politik als Großmacht auch weiterhin präsent zu bleiben. Aber bei der Sensibilität, die Peking in der mongolischen Frage erkennen ließ, empfahl sich doch äußerste Behutsamkeit, auch die Zügelung großmongolischer Ambitionen. Schon wegen seiner ungleich wichtigeren Mandschurei-Interessen hatte Rußland allen Anlaß, einem Dauerkonflikt mit dem neuen China aus dem Weg zu gehen. Im übrigen war wirtschaftlicher Gewinn, der die russische Handelswelt hätte elektrisieren können, aus diesem dünn besiedelten Lande nicht zu ziehen. Auf den unbefestigten Routen zwischen Urga und Kjachta waren die Karawanen nicht selten mehr als zwei Monate unterwegs. Mongolische Händler brachten Wolle, Pferde, Vieh und Tierprodukte über die Grenze, die Russen Baumwollzeug, Leinen und Zucker. Als einige phantasievolle Kaufleute in Irkutsk im Herbst 1913 darauf kamen, den Bau einer staatlichen Eisenbahn nach Urga für dringlich zu halten, winkte Sazonov ab. Gleichwohl ließ er ein (im September 1914 unterzeichnetes) Abkommen vorbereiten, mit dem Petersburg die Hand auf künftige Bahnprojekte legte. Das Finanzministerium wurde bereit gemacht, einer Filiale der Sibirischen Bank, die als Mongolische Nationalbank firmieren sollte, mit Subsidien auf die Füße zu helfen. Im Sommer 1914 zeigte sich abermals, daß das staatliche Kunstgebilde in Urga nur durch rus244 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

sisdie Waffen und ein weiteres Drei-Millionen-Darlehen leidlich funktionsfähig zu halten war. Ein russischer Finanzbeirat kontrollierte die mongolische Haushaltsführung, so daß die zaristische Protektoratsherrschaft als abgesichert gelten konnte11. Nimmt man diese Beobachtungen zusammen, dann läßt die russische Ostasienpolitik in den Jahren vor 1914 nicht erkennen, daß ökonomische Motive das Zarenreich dazu getrieben hätten, in der Mandschurei und in der Äußeren Mongolei überkommene Positionen zu halten oder zu befestigen. Strategische Interessen waren die bewegende Kraft dieser Politik. Anders als in der Ära Witte spielten großgeschnittene Konzepte prophylaktischer Marktsicherung in den Einflußgebieten jenseits der fernöstlichen Reichsgrenzen keine bestimmende Rolle mehr. Noch immer ging das staatliche Engagement den Partikularinteressen voran, zog sie nach und trug sie mit, um dem zu genügen, was sich als die durchgehende Räson des russischen Imperialismus in Asien enthüllt: die Abschirmung entlegener, kaum erschlossener Reichsgebiete, die — wie Sibirien und Transbaikalien — Kolonien des Zarismus geblieben waren. Insofern weist die russische Ostasienpolitik vor 1914 auf die innerstaatliche Kolonialpolitik unmittelbar zurück, auf den Versuch, durch Erschließung und Ausbeutung Russisch-Asiens den sozialen und wirtschaftlichen Problemdruck zu mildern, der das Regime in der eigenen Metropole bedrohte. Ein Blick auf Russisch-Turkestan, den Kaukasus und auf die russische Position in Persien wird den Zusammenhang zwischen innerstaatlichem Kolonialsystem und strategisch bestimmter Einflußsicherung noch deutlicher hervortreten lassen. Die schärfsten Formen kolonialer Herrschaft wurden vor 1914 nicht im Fernen Osten, sondern in den mittelasiatischen Regionen des Zarenimperiums praktiziert. Mit dem Generalgouvernement Turkestan, dreimal so groß wie das deutsche Kaiserreich, und den Protektoraten Chiva und Buchara umfaßte dieses Kolonialgebiet die Eroberungen der sechziger bis achtziger Jahre, die Steppen, Wüsten und Oasen vom Ostufer des Kaspischen Meeres bis zum Pamirgebirge hin, im Norden durch das riesige, von Kasachen (amtlich „Kirgisen") und russischen Kolonisten besiedelte „Generalgouvernement Steppe" begrenzt, im Süden durch persische und afghanische Provinzen. In Turkestan herrschte eine den Militärs überlassene Kolonialverwaltung über islamische Völkerschaften und Stämme; die Bevölkerungszahl des Generalgouvernements wird für 1913/14 auf etwa 6,7 Millionen Menschen (1897: 5,28 Mill.) geschätzt. Hier waren die Russen eine „fremdstämmige" Minderheit, zwischen 6 bis 7 Prozent der Landesbewohner (1897: 197 420, 1910: 382 688). In dem alten usbekischen Handelszentrum Taškent, der Hauptstadt der Kolonie mit etwa 270 000 Einwohnern (1914, davon ca. 80 000 Russen), gab es russisch modellierte Kommunalorgane, an denen einige einheimische Deputierte beteiligt waren. In der Petersburger Reichsduma saß 1906 ein einziger Vertreter Turkestans, nach dem neuen Wahlgesetz von 1907 dann keiner mehr12. Anders als Sibirien war Turkestan vor dem Ersten Weltkrieg keine russische Siedlungskolonie, sondern ein großes „Militärlager", das zu einer ökonomischen 245 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Ausbeutungszone der Metropole werden sollte13. Seine Bestimmung sollte es vor allem sein, der russischen Baumwollindustrie eine sichere Rohstoffbasis zu bieten. Demgegenüber hatten die mittelasiatische Seidenzucht, der Obstbau oder auch Schafwolle für die Volkswirtschaft des Mutterlandes nur unter­ geordnete Bedeutung. Gleiches galt für die Ölförderung und den Kohleabbau. Der Gedanke, den ländlichen Menschenüberhang Rußlands auch nach Turke­ stan zu lenken, brach sich an den klimatischen Bedingungen, aber auch an der sozio-kulturellen Prägung dieses Landes, das sich der Mentalität russisch-ortho­ doxen Bauernvolks nicht anverwandeln ließ. Nur im Nordosten, im Gebiet von Semireč'e, hatten in der Stolypin-Ära bäuerliche Umsiedler in beträcht­ licher Zahl F uß gefaßt, bis 1910 etwa 188 000 Menschen, kaum mehr als ein Zehntel dessen, was Krivošein, der Landwirtschaftsminister, in Zentralasien längerfristig unterzubringen hoffte. Der politische Ausgleich mit England über Persien, Afghanistan und Tibet hatte die militärstrategische Aktualität der Kolonie zurücktreten lassen. Seither stand die rasche Erweiterung des Baumwollanbaus, konzentriert auf F ergana, ganz im Zentrum der kolonialwirtschaftlichen Anstrengungen. In dieser Hin­ sicht waren schon in den neunziger Jahren, parallel zur Weiterführung der transkaspischen Kolonialbahn nach Taškent, beträchtliche F ortschritte sicht­ bar geworden. Als Ende 1905 der noch unter dem Primat russisch-britischer Konfrontation begonnene Bau der Linie Taškent — Orenburg abgeschlossen war, leitete die neue Schienenverbindung mit dem innerrussischen Streckennetz für turkestanische Baumwolle einen ungeahnten Aufstieg ein. Die Anbaufläche wurde zwischen 1902 und 1913 mehr als verdreifacht und nahm etwa ein Fünftel des bewässerten Landes ein. Russische Banken, Unternehmer und Han­ delshäuser engagierten sich in wachsendem Umfang, angezogen durch die gegenüber dem alten Karawanenhandel ungleich geringeren Transportkosten und durch die Aussicht auf hohe Spekulationsgewinne14. Hindernisse, an denen sich unternehmerische Initiative stoßen konnte, gab es freilich allenthalben. Die vielerorts unklaren Eigentums- und Wasserrechte waren der Kreditwürdigkeit aufwendiger Vorhaben abträglich, und die Knapp­ heit anbaufähigen Landes trieb die Bodenpreise hoch. Immerhin kam bei Kriegsausbruch schon etwa die Hälfte des Bedarfs der innerrussischen Textil­ industrie aus der Kolonie, obschon amerikanische Rohbaumwolle, trotz hoher Einfuhrzölle, in Moskau noch immer billiger angeboten wurde als Rohware aus Turkestan. Im Interesse nationaler Autarkie hat das Petersburger Land­ wirtschaftsressort die Ausdehnung der weithin auf amerikanische Sorten ein­ gerichteten Kulturen durch Bewässerungsanlagen energisch zu fördern ver­ sucht. Solche Neulanderschließung aber war kostspielig, und die exorbitanten Investitionspläne Krivošeins blieben Zukunftsmusik. Die Zerstörung der traditionellen Wirtschaftsstruktur Turkestans durch den expandierenden Baumwollanbau kündigte sich allenthalben an — nicht allein dadurch, daß sich die Abhängigkeit der Kolonie von Getreideeinfuhren aus Rußland verstärkte und russische Textilwaren das einheimische Gewerbe 246 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

ruinierten. Immer größere Teile der Bauernschaft wurden aus den gewohnten naturwirtschaftlichen Beziehungen gerissen und den Wuchergeschäften der Pfandleiher und Zwischenhändler preisgegeben15. Rigider Kapitalismus in einer vormodernen orientalischen Lebenswelt, Verelendung der in die Kolonialwirtschaft einbezogenen Grundschichten — selbst russischen Beamten ist die Bilanz solcher Ausbeutung aufgegangen, doch ihre Denkschriften, überwiegend auf administrative Reformen bedacht, kamen gegen die Mißstände nicht auf. Den militärischen Charakter der russischen Verwaltung zu erhalten, erwies sich als unersetzliche Bedingung dauerhafter Interessensicherung. An die Einführung von Zemstvo-Organen, war in einem Land, in dem die russischen Siedlungen und Stützpunkte wie Inseln in einem fremden Meer erschienen, ernsthaft nicht zu denken. Auch die durch Fernwirkungen der Revolution von 1905 und der jungtürkischen Bewegung angestoßenen Autonomiebestrebungen sprachen dafür, die Kolonie in den Händen der Generäle zu lassen16. Indirekte Herrschaft, in staatsrechtliche Formen eingekleidet, wurde in den beiden Vasallenstaaten Buchara und Chiva ausgeübt, dem Regime vergleichbar, das Rußland in seiner persischen Einflußzone anzuwenden gewohnt war. In Buchara, dem mittelasiatischen Zentrum der islamischen Welt, kontrollierte ein politischer Agent mit diplomatischem Status die aufwendige Hofhaltung des Emir und sorgte dafür, daß die aufkommende Reformbewegung kleingehalten wurde. So haben jungtürkische Einflüsse hier weder das traditionelle Feudalsystem aufzubrechen, noch die Interessen seiner Protektoren zu gefährden vermocht. Im Khanat Chiva, einem der rückständigsten Teile des mittelasiatischen Schutzgebiets, besorgte der Militärkommandant des benachbaren AmuDarja-Bezirks die Kontrollfunktionen. Nur etwa 6000 Russen (1912) gab es dort — neben 550 000—800 000 Untertanen, deren turkmenisches Subproletariat in den letzten Vorkriegsjahren gegen die usbekische Herrenschicht mehrfach revoltierte. Daß Petersburg, trotz mancher Versuchungen, davon absah, das Emirat Buchara zu annektieren, geschah aus Rücksichten, die das russisch-britische Pamirabkommen von 1895 nahegelegt hatte und die auch nach dem Ausgleich von 1907 weiter galten. Seit die transkaspische Bahn das Territorium Bucharas durchschnitt, war das Emirat mit seinen ca. 2,5 Millionen Menschen (davon 1914 etwa 50 000 Russen einschließlich des Militärs) den wirtschaftlichen Interessen Rußlands weit geöffnet. Die Zollgrenze war schon 1895 gefallen, und der Baumwollboom der Vorkriegszeit, der die Filialen russischer Großbanken nach Buchara brachte, verstärkte die ökonomischen Bindungen an das Zarenreich. In bescheidenerem Umfang nahm auch Chiva an dieser Entwicklung teil17. Bedenkt man die Methoden russischer Herrschaft in Turkestan, so wird man den mittelasiatischen Imperialismus Petersburgs am ehesten in die Nähe britisch-indischer Kolonialpraxis rücken dürfen. Auch der Stil informeller Einflußsicherung in Buchara und Chiva glich weithin dem, den Großbritannien in Afghanistan seit langem praktizierte. Am Beispiel Persiens ist solche Ähn-

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lichkeit noch handgreiflicher zu machen. Anders als den Engländern in Indien aber war es den Russen in Mittelasien nicht gegeben, die politische Kultur islamischer Intelligencija fühlbar mitzuprägen. Emanzipationsvorstellungen in der Kolonie wurden von pantürkischen und panislamischen Ideen bewegt, nicht von den gefrorenen Trompetentönen, die den russischen Liberalen im scheinkonstitutionellen Regime nach 1907 noch zu Gebote standen. Auch der Einfluß der Sozialrevolutionäre und Sozialdemokraten beschränkte sich fast ganz aufs russische Milieu, überwiegend auf Arbeiter im Einzugsbereich der Eisenbahn18. Wie Turkestan war auch Kaukasien ein administratives Produkt der russischen Militärexpansion, kein Außenland, das durch bäuerliche Siedlungsströme oder kulturelle Assimilierung zu russifizieren gewesen wäre. Der Statthalter (namestnik na Kavkaze) in Tiflis hatte eine ethnisch und konfessionell, historisch und geographisch gleichermaßen zerklüftete Region ruhig zu halten. Die russische Eroberung war hier nach mehr als sechzigjährigen Kämpfen erst 1864 leidlich abgeschlossen worden. Im Süden sicherte die Statthalterschaft die 1828 bzw. 1878 fixierten Grenzen gegenüber Persien und dem Ottomanischen Reich, im Norden schloß sie die Gebiete der alten „Kosakenheere" am Terek und am Kuban' ein, bis 1899 auch das Gouvernement Stavropol'. Militärstrategische Gesichtspunkte, mehr und mehr auch solche der inneren Sicherheit, waren maßgebend dafür, daß Kaukasien bis zum Zusammenbruch des Imperiums in die allgemeine Reichsverwaltung, nicht einbezogen wurde19. Während die Regionen nördlich der Gebirgsketten (Nordkaukasus) als strategisches Hinterland der Statthalterschaft zugewiesen blieben, hatte sich in der Vielvölkerwelt „Transkaukasiens" (Zakavkaz'e) das Regime innerstaatlicher Kolonialherrschaft am schärfsten ausgeprägt. Diese amtlich zum Asiatischen Rußland gezählten Territorien mit ca. 6,5 Mill. Menschen (1912) umfaßten die Gouvernements Baku, Tiflis, Erivan', Elizavetpor und Kutais, die Gebiete (oblasti) Kars und Batum und die Bezirke (okrugi) Zakataly und Suchum. Für die Bergstämme, deren „heiliger Krieg" gegen die russische Kaukasusarmee in ganz Europa liberale und demokratische Sympathien geweckt hatte, gab es eine gesondere „Militärische Völkerverwaltung". Die zahlenmäßig größten Volksgruppen Transkaukasiens bildeten muslimische Aserbaidschaner, christliche Georgier und Armenier, während das russische Element nur in den größeren Städten spürbar war20. Die bäuerliche Kolonisation aus den europäischen Reichsteilen hatte bis 1914 lediglich etwa 12 000 Familien nach Transkaukasien gebracht, kaum 100 000 Menschen im ganzen. Vier Fünftel der Bevölkerung lebten auf dem Land, trotz der zwischen 1864 und 1870 verfügten Agrarreformen überwiegend noch in halbfeudaler Abhängigkeit; erst Ende 1912 war die Ablösung der bäuerlichen Landstücke obligatorisch geworden. Armut, Rückständigkeit und Überbevölkerung kennzeichneten die dörfliche Lebenswelt. Das bemerkenswert rasche Anwachsen der Städte, besonders exorbitant in Tiflis (1912: 306 000 Ew.) und Baku (1913: 334 000 Ew.), erklärt sich zu einem Gutteil aus dem Zustrom, den der Menschenüberhang des Landes freigab. Die 248 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

alte georgische Königsresidenz, Handels- und Verwaltungszentrum, auch Hauptsitz der Transkaspischen Eisenbahn, hatte ihre Einwohnerschaft zwischen 1876 und 1912 nahezu verfünffacht. Armenier, die bereits 1897 71 Prozent der Kaufleute und 45 Prozent der kleinen und mittleren Händler stellten, beherrschten das Geschäftsleben der Stadt21. Baku, die Erdölmetropole Rußlands, hatte seit Mitte der achtziger Jahre Arbeitsvolk aller Nationalitäten und Konfessionen angezogen; allein zwischen 1897 und 1913 waren über 83 000 Menschen aus dem Europäischen Rußland in die Stadt gekommen, knapp 80 000 aus den transkaukasischen Gouvernements, über 40 000 aus PersischAserbaidschan. Dementsprechend bunt zusammengesetzt war die Bakuer Arbeiterschaft. Unter den in der Erdölindustrie Beschäftigten gab es 39 Prozent Ascherbaidschaner, 24,7 Prozent Russen, 20 Prozent Armenier, 8,7 Prozent Daghestaner — ein heterogenes Proletariat, von dessen Arbeitskämpfen immer wieder Signalwirkungen auf die innerrussische Streikbewegung ausgingen, zuletzt im Sommer 191422. Die ökonomische Bedeutung Transkaukasiens für die russische Volkswirtschaft beruhte vor allem auf der Erdölgewinnung, auf der Versorgung der russischen Industrie mit flüssigen Brennstoffen. Allein aus Baku und Groznyj kamen 1913 mehr als 80 Prozent der Naphtaprodukte, die im Zarenreich gefördert wurden. Alle anderen Landeserzeugnisse, selbst die kaukasischen Kupfer- und Manganerzgruben, hatten demgegenüber nur marginalen Rang. Die von ausländischen Firmen (Nobel, Russian General Oil, Shell Petrol) beherrschten Erdölsyndikate kontrollierten etwa 85 Prozent des Aktienkapitals. Auf dem russischen Markt verfügten sie über eine unangefochtene Monopolstellung. Als Antwort auf die wirtschaftliche Depression hatten sie seit der Jahrhundertwende die Förderung in Baku zunehmend gedrosselt (1901: 671, 1913: 407,8 Mill. Pud), ein Rückgang, der durch den Ausbau der Ölfelder von Groznyj (1901: 34,8, 1913: 73,7 Mill. Pud) nicht ausgeglichen wurde. Die dennoch steigenden Gewinne sicherte ein rigoros gehandhabtes Preiskartell, das vor 1914 mehrfach förmliche Brennstoffkrisen in Rußland inszenierte. Auch in den Schiffahrtsgesellschaften am Kaspischen Meer und auf der Wolga war die Erdölindustrie mit hohen Anteilen vertreten. Der Warenumschlag im Bakuer Hafen übertraf 1910 den aller anderen russischen Handelshäfen, Petersburg eingeschlossen; über 85 Prozent der hier verschifften Waren bestanden aus Erdölprodukten23. Die militärische Sicherung Transkaukasiens war vor 1914 kein Problem, das durch die Große Politik sonderlich aktualisiert worden wäre. Allein die Armenierfrage in Ostanatolien und die kleinasiatischen Eisenbahnprojekte berührten die Statthalterschaft und hielten die Petersburger Diplomatie beschäftigt. Selbst das prekäre Problem einer Meerengen-Aktion, das die russische Regierung seit 1913 nicht mehr aus den Augen ließ, gab vorerst keinen Anlaß, die Kaukasusarmee nennenswert zu verstärken und ihre Strategie auf weittragende Operationen einzurichten. Die Militärs bemängelten, daß die Bahnverbindung mit dem inneren Rußland auf große Umwege (Erivan' — Tiflis — 249 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Baku — Vladikavkaz) angewiesen blieb; weder die seit langem erörterte Gebirgsstrecke parallel zur alten Grusinischen Heerstraße, noch die projektierte Linie entlang der Schwarzmeerküste waren verwirklicht worden. Zur türkischen Grenze führte nur ein einziger chaussierter Weg in Richtung auf die Festung Erzerum. Für die Aufgaben, die dem Militärbezirk bei der Pazifizierung der nordpersischen Einflußzone Rußlands erwuchsen, gab es seit 1908 nur eine Zweiglinie der transkaukasischen Bahn zur persischen Grenze (Džul'fa), von wo aus das unruhige Tabris, die Hauptstadt Persisch-Aserbaidschans, auf befestigter Straße zu erreichen war 24 . Anhaltender als der Außenwelt hatte sich die Statthalterschaft in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg der inneren Sicherheit des Landes zuzuwenden. Die Erfahrungen von 1905, als die Revolution Transkaukasien schwer erschüttert hatte, saßen der Administration tief in den Knochen. In den Erdölgebieten, an den Eisenbahnen und selbst im georgischen Adel hatten sozialdemokratisch geführte Organisationen eine feste Rekrutierungsbasis. Unmittelbarer noch als die sibirischen Komitees waren die kaukasischen zu einem festen Bestandteil der gesamtrussischen Arbeiterbewegung geworden. Nicht minder beunruhigend wirkte die Sprengkraft, die die Nationalbewegungen, allen voran die militanten armenischen Daschnaken, im Widerstand gegen die russische Herrschaft und in erbitterten Kämpfen gegeneinander hatten erkennen lassen. Soziale Spannungen, etwa zwischen der armenischen Händlerschicht und paupensierten Bauern muslimischer Konfession, auch zwischen Georgiern und Armeniern, waren in der multinationalen Struktur des Landes allenthalben virulent. So hatte das Regime des Statthalters seine Rechtfertigung nicht zuletzt aus der Bestimmung zu ziehen, die soziale wie die nationale Revolution in Transkaukasien niederzuhalten. Insoweit war die Problemlage der russischen Staatsgewalt hier nicht wesentlich anders als in den Westgebieten, in Polen oder auch im Baltikum. Wie angedeutet, wurde das koloniale Regime in Transkaukasien von den Aufgaben mitbestimmt, die sich Rußland in Persien zugeschrieben hatte. In keinem anderen Vorfeld des Reiches, auch nicht in der Mandschurei, sprach sich die russische Macht in so groben Formen „indirekter" Herrschaft aus wie hier. In den Vorkriegsjahren waren die Nordprovinzen des Landes, die der mit London geschlossene Teilungsvertrag von 1907 russischer Verfügungsgewalt überlassen hatte, vom Status einer innerstaatlichen Kolonie des Zarenreiches nicht weit entfernt. Was die russische Protektoratszone von den Verhältnissen im Emirat Buchara oder in Chiva unterschied, war kaum mehr als ihre fortgeltende Bindung an den persischen Staat. Daß es den zumindest als völkerrechtliche Fiktion noch gab, ja daß sich Petersburg und London zur Wahrung seiner „Integrität und Unabhängigkeit" verpflichtet hatten, gehörte zu den Geschäftsbedingungen des russisch-britischen Interessenkartells. Nur die Konfliktanfälligkeit, von der diese Partnerschaft auch nach 1907 noch gekennzeichnet blieb, hat der russischen Herrschaft in Nordpersien gewisse Einschränkungen und Rücksichten auferlegt. 250 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Weshalb der Zwang zum Konsens die britische Politik in der Regel stärker belastete als die russische, ist nicht schwer zu ermessen. Die Russen vermochten in Persien Vorteile zu nutzen, die ihnen schon die geographische Nachbarschaftslage verbürgte. Teheran, die politische Drehscheibe der persischen Affären, lag im russischen Einzugsbereich; die von russischen Offizieren kommandierte Kosakenbrigade blieb allgegenwärtig; reguläre Truppen waren rasch zur Hand. Der Verklammerung Nordpersiens mit Rußland, die vom Kaukasus, vom Kaspischen Meer und von Turkestan her leicht zu praktizieren war, hatten die Briten weder in ihrer südlichen Interessensphäre noch in der sog. „neutralen Zone" Vergleichbares entgegenzusetzen. Das galt für die handelsund finanzpolitische Durchdringung des Landes, für die Methoden politischer Subversion wie für die militärische Präsenz. Bei den massiven Eingriffen, zu denen sich Petersburg in den Vorkriegsjahren in Persien verstand, sah sich London auf nachhinkende Kalmierungsversuche verwiesen, bestenfalls auf die kompensatorische Inanspruchnahme produktiver Pfänder25. Dieses Ungleichgewicht unterschied das russisch-britische Verhältnis in Persien von den Bedingungen, auf denen die russisch-japanische Kooperation im Fernen Osten beruhte. Was beide Interessenverbindungen in ähnlicher Weise betraf, hatte mit der Herausforderung ihres Kondominats durch dritte Mächte zu tun: mit den Ambitionen des amerikanischen Handelsimperialismus in Nordchina und mit dem Vordringen der deutschen Wirtschaftsmacht im Nahen und Mittleren Osten. Hier wie dort hat die von außen drohende Konkurrenz das Konfliktpotential unter den Partnern kleingehalten und sie gezwungen, trotz fortgehender Reibungen beieinander zu stehen. Es war vor allem die heranrückende Bagdadbahn, die in den Jahren vor 1914 der russischen Persienpolitik neue Daten setzte. Der „deutsche Drang" nach dem Vorderen Orient brachte die seit 1889 praktizierte Absperrung der persischen Nordprovinzen gegen fremde Konzessionäre in Gefahr und ließ den gewohnten Verzicht auf eigene Bahnunternehmungen fragwürdig werden. Der Einsicht, daß das Eisenbahnzeitalter von Persien nicht länger fernzuhalten sei, hatte Petersburg in den Potsdamer Abreden von 1910 erstmals Rechnung tragen müssen. Die im August 1911 unterzeichneten Vereinbarungen, mit denen Deutschland die russischen Sonderinteressen in der nordpersischen Einflußzone anerkannte und Rußland den Weiterbau der Bagdadbahn nicht zu behindern versprach, fixierten die Umrisse der bevorstehenden Verkehrsrevolution: Petersburg verpflichtete sich, die Konzession für die Linie Teheran — Chaniki zu erwerben und diese Linie in festgelegter Frist zu bauen, so daß sie an der persisch-osmanischen Grenze mit einer Zweigstrecke der Bagdadbahn zusammenträfe26. Nicht verwundern kann, daß das Potsdamer Abkommen sogleich ältere, in Rußland bisher vertagt gebliebene Eisenbahnprojekte wieder aktualisierte: die Verbindung zwischen der transkaukasischen Linie und Teheran und die Pläne für den Bau einer Transpersischen Magistrale zur britisch-indischen Grenze. Treibende Kraft der nun anhebenden Diskussionen wurde ein Syndikat rus251 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

sischer Großbanken, das sich im Vertrauen auf staatliche Unterstützung und auf die Mitwirkung französischen und britischen Kapitals seit 1911 auf die Transpersische Linie konzentrierte. Wie die deutsch-russischen Vereinbarungen haben auch diese Initiativen das russisch-britische Verhältnis tief berührt. Sazonov und die russischen Bankiers, denen daran gelegen war, die Linie über Kerman nach Karachi geführt zu sehen, stießen in London auf beharrlichen Widerspruch. Der britischen Politik war der Gedanke zuwider, den Weg nach Indien freizugeben. Grey plädierte in Abwehr der Petersburger Konzepte für eine Trassenführung, die in Bender Abbas am Persischen Golf enden und der Bagdadbahn Paroli bieten sollte. So haben sich die britisch-russischen Gespräche über die Jahre hin in gegensätzlichen Positionen fortgeschleppt und nicht wenig dazu beigetragen, daß das Partnerschaftsverhältnis störanfällig blieb und die Atmosphäre gereizt27. Als die Öffnung Persiens für den Eisenbahnbau unabwendbar geworden war, konnte es an der Vormachtstellung Rußlands im persischen Wirtschaftsleben keine Zweifel geben. Zumal die nördliche Einflußzone war vor 1914 auch im Ökonomischen Sinn eine russische Kolonie. Die von Witte eingeleitete Penetrationsstrategie hatte bewirkt, daß hier, anders als in der Mandschurei, die russische Dominanz nach wie vor als unanfechtbar erschien. Das finanzpolitische Instrumentarium, das diese Stellung verbürgte, war die schon 1894 von der russischen Reichsbank erworbene, 1903 von der Reichskasse übernommene „Disconto- und Darlehnsbank Persiens" geblieben. Sie brachte Millionenanleihen und Vorschüsse auf, um die Teheraner Regierung botmäßig zu halten, sie verwaltete im Benehmen mit der britisch geführten „Imperial Bank of Persia" die persischen Staatsschulden, regulierte die Zoll- und Steuereinkünfte der Nordprovinzen, sie war Hauptaktionär der Post- und Telegrafenlinien, Inhaberin von Straßen-, Hafen- und Schiffahrtskonzessionen, sie finanzierte, nicht selten mit billigem französischen Leihkapital, erhebliche Teile des einheimischen Handelsgeschäfts, Exportunternehmen vor allem. Anfang 1913 erwarb sie die Rechte zum Bau der Eisenbahnlinie nach Tabris und zur Ausbeutung eines breiten Bahnkorridors28. Es versteht sich, daß Rußland nicht nur der Hauptgläubiger, sondern auch der größte Handelspartner Persiens war. Etwa 70 Prozent der persischen Ausfuhr, überwiegend Rohbaumwolle und Agrarprodukte, gingen zwischen 1909 und 1914 über die russische Grenze; russischer Zucker, von jeher durch Ausfuhrprämien begünstigt, hatte einen Marktanteil von ca. 80 Prozent; die russische Textilindustrie stellte etwa 40 Prozent aller Baumwollfabrikate, die Persien aus dem Ausland bezog. Das Volumen des russisch-persischen Handels, für Persien defizitär, übertraf bei steigender Tendenz den britisch-persischen Handel bei weitem: 1913/14 erreichte der Export aus Großbritannien und Indien nach Persien nur die Hälfte (32 gegen 64 Mill. Rubel), der britisch-indische Import aus Persien nicht ein Fünftel des russischen Anteils (10,3 gegen 54,3 Mill. Rubel)29.

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Diese imposante Bilanz darf freilich nicht vergessen lassen, daß der „Rubel­ imperialismus" in Persien ein aufwendiger Zuschußbetrieb der russischen Reichskasse geblieben war. Wie im F ernen Osten hatte sich die russische Pri­ vatwirtschaft auch hier ganz auf staatliche F örderung eingestellt. Das galt auch für die Disconto- und Darlehnsbank in Teheran. Als dieses F inanzinstitut Ende 1913 in Liquiditätsnöte geriet und das Petersburger F inanzministerium Stützungsmaßnahmen verweigern wollte, hat Sazonov die F olgen in drama­ tischen F ormulierungen dargetan: F alls die Bank nicht fortbestehe, werde „ganz Persien in die Hände der Engländer und auch der Deutschen" fallen und „die ökonomische Knechtschaft (poraboščenie)" der russischen Konkur­ renten nach sich ziehen30. Nach wie vor mußte der Einsatz staatlicher Mittel Rentabilitätskriterien beiseite lassen und dem Primat der Herrschaftssicherung Genüge tun. Was der russischen Persienpolitik in den Vorkriegsjahren jede Gelassenheit verbot, war nicht allein die Sorge um die Behauptung ihrer Machtpositionen gegen die englischen und deutschen Rivalen. Nicht weniger kontinuierlich wurde die Aufmerksamkeit Petersburgs von der politischen Instabilität und Unruhe im eigenen Protektoratsgebiet in Anspruch genommen. Dabei haben viele F aktoren zusammengewirkt: die konstitutionelle Reformbewegung per­ sischer Kaufleute und schiitischer Geistlichkeit, die gegen die hochverschuldete Klientelwirtschaft der korrupten Kadscharendynastie im Oktober 1906 eine Verfassung und ein Parlament erzwungen hatte; wachsendes Aufbegehren ge­ gen die russische Schutzmacht; der Regionalismus feudaler Stammesführer im Widerstand gegen den Teheraner Hof; sozialer Protest pauperisierter Grund­ schichten gegen die einheimische Landbesitzerkaste. Überdies hatten aserbai­ dschanische Wanderarbeiter, armenische Daschnaken und kaukasische Sozial­ demokraten Erfahrungen der russischen Revolution in die Nordprovinzen gebracht und Verbindungen zu den Unruheherden im Transkaukasus herge­ stellt31. Die innerpersische Krisenlage hat der russischen Regierung immer wieder Anlaß gegeben, ihren Interessen mit militärischen Mitteln Nachdruck zu ver­ schaffen. Das war im Sommer 1908 zunächst noch in indirekter F orm gesche­ hen, durch den Einsatz der Kosakenbrigade, die im Namen des Schahs Mo­ hammed Ali das Parlament gesprengt und einen blutigen Rachefeldzug gegen die Reformer eröffnet hatte. Als die Empörung nach Tabris hinüberschlug, ent­ schloß sich Petersburg zur bewaffneten Intervention. Im April 1909 wurde dieses Widerstandszentrum durch reguläre russische Truppen pazifiziert; selbst Mesched, das schiitische Heiligtum in der Provinz Khorosan, geriet unter rus­ sische Besatzung. Was folgte, war im Juli 1909 ein russisch-britischer Kompro­ miß, der die Abdankung Schah Mohammed Alis als kleineres Übel erscheinen ließ. Eine neue konstitutionelle Regierung wurde verpflichtet, die Binnenver­ hältnisse so weit zu stabilisieren, daß Persien zur Schuldenzahlung wieder fähig werde und die Geschäfte nicht länger Schaden litten. 253 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Aber auch dieses Experiment trug nicht weit: Als der amerikanische Finanzberater Morgan Shuster 1911 Anstalten machte, die Abhängigkeit des persischen Budgets vom russischen und britischen Finanzdiktat zu lockern, fürchteten die Kontrollmächte um ihre Exklusivgewalt32. Abermals griff Petersburg, nicht zum reinen Vergnügen des britischen Partners, mit Truppen ein. Unter diesem ultimativen Druck wurde Shuster im Januar 1912 entlassen, das Parlament aufgelöst und jeglicher Reformpolitik die Spitze abgebrochen. Zu solch harter Reaktion hatte beigetragen, daß kurz zuvor ein Restaurationsversuch des von Petersburg gehätschelten Mohammed Ali kläglich zusammengebrochen war. Das militärische Okkupationsregime, das Rußland im Winter 1911/12 in den nordpersischen Provinzen errichtet hatte, ist in den folgenden Jahren nicht wieder aufgegeben worden. Diese Übersicht verdient ein knappes Resümee und einen Blick zurück auf die Krisenherde der Weltpolitik. Zunächst bestätigt sich, daß dem russischen Imperialismus vor 1914 in den innerstaatlichen Kolonien und den asiatischen Protektoratszonen beträchtliche Entfaltungsmöglichkeiten gegeben waren. In den rüden Methoden der Ausbeutung und Unterdrückung spiegelten sich Probleme, die der Regierung bei der strategischen Absicherung dieses Herrschaftsraumes erwuchsen. Als Zukunftsaufgabe größten Stils hatte sich die weitergehende Verflechtung der asiatischen Peripherie mit der russischen Volkswirtschaft seit langem angeboten. Schon waren einigen der kolonialen Randgebiete ökonomische Funktionen übertragen, die mehr als nur regionale oder partikulare Interessen berührten. Turkestanische Baumwolle und kaukasisches Öl waren zu wichtigen Faktoren des industriellen Ausbaus in Rußland geworden. Die Eisenbahnplanung, die den Kaukasus, Persien, Mittelasien und Sibirien gleichermaßen umfing, verhieß die Erschließung unerschöpflicher Rohstoffgrundlagen und neuer Absatzmärkte für die zentralrussische Industrie, deren Produkte in der internationalen Konkurrenz ansonsten keine Chancen hatten. Auch das mit der europäischen Hochfinanz verquickte russische Bankenkapital konnte hier langfristig weiten Auslauf finden und das russische Imperium zu einem der gewaltigsten Entwicklungsräume des 20. Jahrhunderts werden lassen. Man kann nicht sagen, daß diese Perspektiven nur solche Interessentengruppen beeindruckt hatten, die sich in den Kolonien und Einflußzonen unter staatlicher Protektion engagierten. Auch die politische Öffentlichkeit Rußlands hatte die asiatische Peripherie dem imperialen Selbstbewußtsein vollkommen einverleibt. Aber die Regierung wie die staatstragende Gesellschaft wurden von den kolonialpolitischen Aufgaben keineswegs so nachhaltig bewegt, daß die Asienpolitik zum Herzstück des russischen Imperialismus hätte werden können. Wie eh und je blieben die Ambitionen auf Ziele gerichtet, die als „die eigentlichen Lebensfragen" Rußlands verinnerlicht worden waren: auf die Gewinnung der Meerengen, die Einflußsicherung auf dem Balkan, auf den großen „Entscheidungskampf" mit dem Germanentum. Kein Zweifel, daß die internationale Krisenlage vor 1914 dazu angetan gewesen ist, die russische Politik in diesen traditionellen Bahnen festzuhalten. 254 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Wie mangelhaft die Petersburger Regierung darauf vorbereitet war, ihren „historischen Aufgaben" im Nahen Osten zu genügen, wurde an anderer Stelle schon gezeigt. Nirgends war diese Schwäche deutlicher als dort, wo es um Einflußnahme auf die türkischen Affären ging. Die manifesten Interessen, die sich Rußland in diesem strategischen Vorfeld zugeschrieben hatte, standen in merkwürdigem Kontrast zu dem, was für Petersburg hier tatsächlich zu bewirken war. Die Mittel und Methoden, mit denen der Zarismus an der mittelund ostasiatischen Peripherie mit einigem Erfolg verfuhr, haben sich auf die russische Türkeipolitik nicht übertragen lassen. Längst war das Ottomanische Reich zu einer Domäne der großen europäischen Bankensyndikate geworden, die in Fühlung mit der Mächtepolitik dem modernen Finanzimperialismus breite Bahn gebrochen hatten33. Auf diesem Feld mitzuhalten, war Rußland außerstande. Mit martialischen Drohgebärden, gar mit militärischen Aktionen, ließen sich diese Nachteile nicht kompensieren. Petersburg hatte guten Grund, auf Kriegsvermeidung bedacht zu bleiben. Über abgegrenzte Interessensphären, die den persischen oder mandschurischen Verhältnissen vergleichbar gewesen wären, hat das Zarenreich auf türkischem Territorium bekanntlich nicht verfügt. Selbst in Ostanatolien, vor den Grenzen der kaukasischen Statthalterschaft und der nordpersischen Protektoratszone, hatte die russische Macht nicht Fuß gefaßt. Auf die Sympathien der türkischen Armenier und ihrer Kirche war dauerhafter Einfluß nicht zu gründen. Auch das im Januar 1914 vereinbarte Verwaltungsstatut, das die Petersburger Diplomatie im Auftrag des Mächtekonzerts ausgehandelt hatte, war weit davon entfernt, Rußland in den ostanatolischen Provinzen Sonderrechte einzuräumen34. Das einzige Privilegium, das Rußland in Kleinasien besaß, ging auf eine vertragliche Zusage zurück, die dem Sultan im August 1900 abgerungen worden war. Die Pforte hatte damals konzedieren müssen, Eisenbahnkonzessionen in Ostanatolien nur an „russische Kapitalisten" zu vergeben. Aber auch diese Sperrklausel, die der russischen Eisenbahnblockade in Persien entsprach, verfing in den letzten Vorkriegsjahren nicht mehr. Seit 1909 waren französische Kapitalgruppen dabei, die jungtürkische Regierung von dieser alten Verpflichtung freizumachen35. Für die mangelnde Handlungsfähigkeit der Russen sprach, daß Petersburg keine Möglichkeiten hatte, sich auf das kleinasiatische Eisenbahngeschäft in ähnlicher Weise zu rüsten, wie das um die gleiche Zeit in Persien geschah36. Sazonov sah sich auf den Versuch beschränkt, die Zustimmung zu den französisch-türkischen Vereinbarungen gegen politische Gratifikationen einzutauschen. Hohe Preise wurden dabei freilich nicht gezahlt. Der kühne Plan, die Eisenbahnfrage mit einer Revision des Meerengenstatuts zu verknüpfen, hatte sich bereits während des Tripoliskrieges als Illusion erwiesen. Auch das bescheidenere Ziel, mit französischer Unterstützung in die „Dette Publique Ottomane" zu gelangen, war wegen deutscher Kompensationsforderungen nicht zu erreichen. Als die französisch-türkischen Eisenbahn- und Anleiheverträge im Frühjahr 1914 zur Unterschriftsreife gediehen waren, hatte Sazonov nur eine 255 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

wichtige Bedingung durchgesetzt: Die Vertragspartner versprachen, mit dem Bahnbau östlich der Linie Trapezunt — Karput erst nach neun bzw. zwölf Jahren zu beginnen und für grenznahe Teilstrecken russische Konzessionäre vorzusehen. Auch dieses Beispiel zeigt, daß Rußland im Nahen Osten darauf angewiesen blieb, im Troß seines Pariser Alliierten zu gehen. Der mißglückte Versuch, in der Ottomanischen Schuldenverwaltung Platz zu nehmen, war nicht die einzige russische Bemühung um finanzpolitische Ebenbürtigkeit gewesen. Aber erfolgreicher waren auch andere Vorstöße nicht. Ein seit 1913 verfolgter Plan Sazonovs, die Bank von Saloniki mit ihrem weitverzweigten Filialnetz durch die Russisch-Asiatische Bank aufkaufen zu lassen, stieß auf keine Gegenliebe. Paris war nicht gesonnen, die Zweigstellen dieser Bank in Konstantinopel, Smyrna und in Syrien einem russischen Kreditinstitut zu überantworten, und selbst die Russisch-Asiatische Bank, die als finanzpolitischer Agent Petersburgs hatte tätig werden sollen, verschloß sich dem Ansinnen des Außenministers. Ihre Direktion gab zu verstehen, daß die Societé Generale de Paris, der Hauptaktionär dieser „russischen" Bank, eigenständige Orientgeschäfte Petersburgs nicht kreditieren werde. Statt dessen wurde den Russen anheimgestellt, an den Operationen französischer und britischer Finanzgruppen mitzuwirken, die die Saloniki-Bank mit der Türkischen Nationalbank fusionieren wollten37. Immer wieder zeigte sich, daß die russische Finanzpolitik im Nahen Osten allenfalls als Juniorpartner ihrer Gläubiger in Erscheinung treten durfte, mit oft nur symbolischen Beiträgen zu internationalen Anleihen, die unter der Regie der Großmächte den hochverschuldeten Balkanstaaten vermittelt wurden. Auch als es nach dem zweiten Balkankrieg um die Internationalisierung der Orientbahnen ging, war Petersburg eher Zuschauer als Akteur. Die finanzpolitische Rolle Rußlands konnte nicht größer sein als der Kredit, der dem kapitalabhängigen Zarenreich im internationalen Finanzgeschäft zukam. Diese marginale Stellung wurde durch den russischen Handel mit der Türkei und den Balkanstaaten nicht aufgewogen38. Trotz der Nachbarschaftslage war selbst der Warenverkehr mit dem türkischen Markt ungemein gering geblieben. Hier dominierten Großbritannien, Österreich-Ungarn, Deutschland, von Frankreich gefolgt; Rußland hielt nur den sechsten, gelegentlich auch den fünften Platz. Etwa sechs bis sieben Prozent der türkischen Einfuhr und vier Prozent des türkischen Exports wurden mit russischen Firmen abgewickelt. Obwohl die Masse der russischen Waren, überwiegend Kristallzucker, Alkohol und Baumwollzeug, von Odessa nach den türkischen Häfen ging, lag der russische Anteil am Schiffsverkehr mit dem Osmanischen Reich nach Tonnage und Warenwert nie über zehn Prozent. Angesichts dieser bescheidenen Ergebnisse wurde in Petersburg kurz vor Kriegsausbruch die Gründung einer Handelsgesellschaft erwogen, die nach dem Muster der italienischen Società Commerciale d'Oriente operieren sollte. Im übrigen erregte jeder Privatinteressent, der sich zum Konzessionserwerb in der Türkei willens zeigte, in Regierungskreisen 256 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

größte Aufmerksamkeit. Nennenswerte Initiativen aber gingen aus solchen Tastversuchen bis 1914 nicht hervor. Es versteht sich, daß die finanz- und handelspolitische Bewegungsschwäche Rußlands der Petersburger Politik im Nahen Osten wie auf dem Balkan enge Grenzen zog. An die ökonomische Penetration auch nur einiger Teilgebiete dieser Region war nicht zu denken. Die Abhängigkeit vom Kalkül der französischen und englischen Partner war eine Erfahrung, die sich in den Vorkriegsjahren gerade hier immer wieder erneuern ließ. Wie wenig feinfühlig die Alliierten mit russischen Fundamentalinteressen verfuhren, war allenthalben zu sehen. Während Petersburg große Anstrengungen machte, die vernachlässigte Schwarzmeerflotte auf das Niveau der türkischen zu bringen, wurden für die Hohe Pforte auf englischen Werften Dreadnoughts fertiggestellt und mit französischem Kapital finanziert; ihre Lieferung stand im Sommer 1914 bevor und brachte die russischen Militärs kaum weniger auf als Liman von Sanders im türkischen Dienst. Vollends für die russische Meerengenpolitik gab es aus London und Paris keinen Blankoscheck. So blieb die Kunst der Diplomatie das einzige Mittel, dem Petersburg seine nahöstlichen Interessen anvertrauen konnte39. Doch zwischen den widerstreitenden Balkanstaaten die Balance zu halten, ohne das Verhältnis zur Pforte zu lädieren, war nach wie vor ein schwieriges Geschäft. Auch die höchst eigennützigen Sympathien, die dem Zarenreich aus Serbien und Montenegro entgegenkamen, konnten kein Anlaß zu ungetrübter Freude sein. Die gefährlichen Kapricen des auf Waffen und Handgeld versessenen Königs Nikola hatten während der Skutari-Krise verdeutlicht, wie leicht die Partnerschaft mit den ambitiösen Glaubensbrüdern zu einer Bürde werden konnte. Man muß diese Tatbestände im Auge behalten, um zu sehen, wie traditionsgebunden Petersburg in einer Konfliktzone agierte, an der der russische Nationalismus mit allen Fasern hing. Anders als an der mittel- und ostasiatischen Peripherie, wo die russische Macht moderne imperialistische Methoden und Mittel mit einiger Sicherheit zu imitieren verstand, ist sie in ihrer Nahostpolitik merkwürdig „vormodern" geblieben. Daß dies ein Ausdruck für die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des russischen Imperialismus war, dürfte nicht in Frage stehen. Ebenso sicher ist, daß hier, klarer als in den innerstaatlichen Kolonien, in Persien oder in der nördlichen Mandschurei, die Schwerkraft der russischen Rückständigkeit abermals zum Vorschein kam. Obwohl sich das russische Meerengeninteresse ökonomisch durchaus legitimieren ließ, als Sicherung der wichtigsten Wasserstraße für den Export, ist die erstaunliche Fixierung der russischen Politik und Öffentlichkeit auf dieses große Ziel mit ökonomischen Kategorien nicht begreiflich zu machen. In der unablässigen Beschwörung „historischer Aufgaben" und „heiliger Verpflichtungen", die Rußland im Nahen Osten zu erfüllen hätte, sprachen sich nicht Profitinteressen, sondern irrationale Bedrohungsgefühle aus, deren tiefere Ursachen in diesem Buch schon ausführlich erörtert wurden40. Diese Ängste nährten sich von innerrussischen Krisensyndromen, von den Identitäts17 Geyer

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Problemen der Oberschichten, den strukturellen Schäden, die der sozialökonomische Transformationsprozeß hervorgerufen hatte, von den politischen Schwächen des scheinkonstitutionellen Regimes, das weder dem aufsteigenden bürgerlichen Element, noch der verfallenden alten Gesellschaft Genüge tat. Auch Revolutionsfurcht war dabei, die blasse Ahnung, daß der Absturz ins Chaos nahe und letztlich unabwendbar sei. Der russische Nationalismus hat diese Ängste nach außen verlegt, in alten Feindbildern untergebracht, auf traditionelle Ziele gelenkt, an denen das russische Herz sich wärmen sollte: an der Vision, das Doppelkreuz an die Hagia Sofia genagelt zu sehen, den „deutschen Drang nach Osten" gebrochen und die slawischen Brüder leuchtenden Blicks um Rußland versammelt zu finden. Damit verglichen hatten die großen Entwicklungsperspektiven, die dem russischen Imperialismus an der asiatischen Peripherie, in den innerstaatlichen Kolonien und in leidlich gesicherten Einflußzonen offen standen, nur geringes Gewicht. Die koloniale Erschließung dieser unermeßlich weiten Räume im Osten als Hebel fortgehender Modernisierung zu nutzen — solche Zukunftsbilder strahlten auf die „gebildeten Klassen" nicht aus, wirkten eher exotisch als der „russischen Sache" gemäß, boten dem emotionalen Nationalismus, der Rußland als europäische Macht begriff, keine Geborgenheit, geschweige denn Ersatz für das, was zwischen Konstantinopel und der Adria nach russischer Zuwendung zu verlangen schien.

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Anmerkungen Einleitung 1 Das Wechselverhältnis von Innen- und Außenpolitik wurde für Rußland bisher nur selten untersucht; vgl. Th. v. Laue, Problems of Modernization, in: I. J . Lederer Hg., Russian F oreign Policy. Essays in Historical Perspective, New Haven 1966s, 69-108; R. Pipes, Domestic Politics and F oreign Affairs, ebd., 145-170; auch Ge­ samtdarstellungen der russischen Außenpolitik, die größere Zeiträume unseres Themen­ bereichs umfassen, sind in neuerer Zeit nahezu ausgeblieben. Knappe Überblicke bieten: N. S. Kinjapina, Vnešnjaja politika Rossii vtoroj poloviny XIX veka, M. 1974; V. I. Bovykin, Očerki vnešnej politiki Rossii, konec XIX — 1917 g., M. 1960; eine noch kürzer gehaltene Übersicht gibt B. Jelavich, St. Petersburg und Moscow. Tsarist and Soviet F oreign Policy. 1814—1974. Bloomington, Ind. 1974. 2 A. Hillgruber, Politische Geschichte in moderner Sicht, in: HZ 216. 1973, 529 bis 552; dazu kritisch H. U. Wehler, Moderne Politikgeschichte oder „Große Politik der Kabinette", in: GuG 1. 1975, 344—369; sowie die Replik von K. Hildebrand, Ge­ schichte oder „Gesellschaftsgeschichte", Die Notwendigkeit einer politischen Geschichts­ schreibung von den Internationalen Beziehungen, in: HZ 223. 1976, 328—357. Hilde­ brand vergleicht die Kontroverse gar mit dem „tobenden Methodenstreit" um Karl Lamprecht (S. 329 f.). 3 H.-U. Wehler, Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, F rankfurt 1973; J . Kocka, Theorien in der Sozial- u. Gesellschaftseeschichte, in: GuG 1. 1975, 9-42. 4 W. J . Mommsen Hg., Moderner Imperialismus, Stuttgart 1971, mit Beiträgen von H. Böhme (Deutschland), K. Rohe (Großbritannien), G. Ziebura (F rankreich), W. Schieder (Italien), H.-U. Wehler (USA); den Anstoß für diese Debatte gab das Buch von Wehler, Bismarck u. der Imperialismus, Köln 1969, 19764; vgl. ders. Hg., Impe­ rialismus, Köln 1970, 12-36; ders., Bibliographie zum Imperialismus, Göttingen 1977. Nicht mehr berücksichtigt werden konnte die grundsätzliche Erörterung von W. J . Mommsen, Der europäische F inanzimperialismus vor 1914, in: HZ 224. 1977, 17-81. 5 Aus der F ülle der Literatur neuerdings R. v. Albertini, Europäische Kolonialherr­ schaft 1880—1940, Zürich 1976, mit ausgiebigen Hinweisen auf den F orschungsstand. 6 M. B. Brown, The Economics of Imperialism, London 1974; V. G. Kienan, Mar­ xism and Imperialism, London 1975; P. Hampe, Die „ökonomische Imperialismus­ theorie". Kritische Untersuchungen, München 1976; H. C. Schröder, Sozialismus u. Im­ perialismus I, Hannover 1968, 31—103; ders., Sozialistische Imperialismusdeutung, Göttingen 1973; W. J . Mommsen, Imperialismustheorien, Göttingen 1977. 7 Wehler, Sozialdarwinismus im expandierenden Interventionsstaat, in: Deutsch­ land in der Weltpolitik des 19. u. 20. Jhs. F s. f. F . F ischer, Düsseldorf 1973, 133—142; H. W. Koch, Der Sozialdarwinismus. Seine Genese u. sein Einfluß auf das imperiali­ stische Denken, München 1973; den Zusammenhang von Nationalismus und Imperialis­ mus arbeitet heraus: W. J . Mommsen, Das Zeitalter des Imperialismus, F rankfurt 1969, 152 ff., 208 ff. 8 Auf die Geschichte des Konzepts seit Aristoteles verweist: A. J . Mayer, Internal Causes and Purposes of War in Europe, in: JMH 41. 1969, 291—303.

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Anmerkungen zu Seite 13—15 9 Wehler, Bismarck; Mommsen H g., Moderner Imperialismus; Η. Α. Winkler H g., Organisierter Kapitalismus. Voraussetzungen u. Anfänge, Göttingen 1974; eine frühe sowjetische Debatte über dieses Konzept R. Hilferdings: „Organizovannyj kapitalizm". Diskussija v Komakademii, M. 1930. 10 Das Konzept der „ökonomischen Rückständigkeit" hat A. Gerschenkron in die vergleichende Industrialisierungsforschung eingeführt und seinen auf Rußland bezogenen Studien zugrunde gelegt: Economic Backwardness in Historical Perspective, Cambridge, Mass. 1962, bes. 5—30, 31—51; ders., Agrarian Policies and Industrialization: Russia 1861—1917, in: CEHE 6, 706—800; ders., Continuity in History and Other Essays, Cambridge, Mass. 1968, 77—97; ders., Europe in the Russian Mirror, N.Y. 1970; dazu die sowjetische Kritik: Ι. Ν. Olegina, Kapitalističeskaja i socialističeskaja industrializacija v traktovke A. Geršenkrona, in: ISSSR 1971/2, 181—202, sowie die Replik Gerschenkrons, Criticism from Afar: A Reply, in: SS 25. 1973, 170—195. 11 Mommsen, Moderner Imperialismus, 9 f. 12 Erste Problemskizzen: Ε. Müller, Imperialismus [Rußland], Rückständigkeit, Großmacht, in: Sowi 1. 1972/4, 27 ff.; D. Geyer, Rußland als Problem der vergleichenden Imperialismusforschung, in: Das Vergangene u. die Geschichte. Fs. f. R. Wittram, Göttingen 1973, 337—368. 13 Y. v. Wartenburg, Weltgeschichte in Umrissen, Berlin 19015 , 495, zit. nach O. Hoetzsch, Rußland in Asien. Geschichte einer Expansion, Stuttgart 1966, 29. — 2um Kontinuitätsproblem: R. Wittram, Das russische Imperium u. sein Gestaltwandel, in: HZ 187. 1959, 568-593; D. Geyer, in: Osteuropa-Handbuch, Bd. Sowjetunion. Außenpolitik I, Köln 1973, 1—18; überzeugende Argumente gegen geographisch determinierte Begründungen der russischen Expansionsgeschichte: C. Goehrke, Geographische Grundlagen der russischen Geschichte, in: JGO 18. 1970, 161—204. — Neuere Beispiele für die Verwendung des Imperialismusbegriffs zur Kennzeichnung der Expansionsgeschichte seit dem 15. Jh.: H. R. Huttenbach, The Origins of Russian Imperialism, in: Τ. H unczak H g., Russian Imperialism from Ivan the Great to the Revolution, New Brunswick, N.J. 1974, 18—44; E. Sarkisyanz, Russian Imperialism Reconsidered, ebd., 45—81; mit verwaschenen Kontinuitätsklischees arbeitet R. G. Wesson, The Russian Dilemma: A Political and Geopolitical View, New Brunswick, N. J . 1974. 14 Beste deutschsprachige Orientierung über die Etappen der Reichsbildung: G. Stökl, Russische Geschichte, Stuttgart 19733 (Bibliogr. 817-872); demnächst das H and­ buch der Geschichte Rußlands, Bd. 1: Von der Kiewer Reichsbildung zum Moskauer Zartum, hg. v. M. H ellmann, Bd. 2: Vom Randstaat zur H egemonialmacht, hg. v. K. Zernack, Bd. 3: Von den autokratischen Reformen zum Sowjetstaat; bisher erschien Bd. 1. Lfg. 1, Stuttgart 1976, mit dem vorzüglichen Beitrag von C. Goehrke, Die geo­ graphischen Gegebenheiten Rußlands in ihrem historischen Beziehungsgeflecht (8—72). 15 Einen Überblick über neuere Forschungsansätze vermittelt der Sammelband: D. Geyer H e., Wirtschaft u. Gesellschaft im vorrevolutionären Rußland, Köln 1975. 16 Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: LW 22, 189—309; PSS 27, 299—426; dazu Lenins Exzerpte und Konzepte: H efte zum Impe­ rialismus, LW 39, PSS 28. — Die im April 1917 in Petrograd erschienene Originalaus­ gabe trug den Titel: Der Imperialismus als neueste Etappe (kak novejšij ėtap) des Kapitalismus. — Eine knappe, nichtmarxistische Analyse gibt A. G. Meyer, Lenins Im­ perialismustheorie, in: Wehler H g., Imperialismus, 123—154. 17 Vgl. K. N. Tarnovskij, Sovetskaja istoriografija rossijskogo imperializma, M. 1964. Zur weitergehenden Forschungsdiskussion: D. Geyer, Oktoberrevolution, in: SDG 4. 1971, 917—958, vor allem aber B. Bonwetsch, Oktoberrevolution. Legitima­ tionsprobleme der sowjetischen Geschichtswissenschaft, in: PVS 17. 1976, 149—185.

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Anmerkungen zu Seite 15—17 18 Neben Tarnovskij vgl. den Sammelband: Obosobennostjach imperializma v Rossii M. 1963; zur Geschichte der sowjetischen Imperialismusdebatte: K. H. Schlarp, Ursachen u. Entstehung des Ersten Weltkrieges im Lichte der sowjetischen Geschichtsschreibung, Hamburg 1971, 37—85. 19 A. L. Sidorov, V. I. Lenin o russkom voenno-feodal'nom imperializme, in: Ob osobennostjach, 11—52, sowie aus dem gleichen Band die Beiträge von I. M. Brover (53—72), P. V. Volobuev (73—85), I. F. Gindin (86—123), Α. Ρ. Pogrebinskij (124 bis 148) u. a. 20 Vgl. etwa Lenins Artikel: Sozialismus u. Krieg; Der Zusammenbruch der II. In­ ternationale; Die Ergebnisse der Diskussion über Selbstbestimmung, in: LW 21, 295 bis 341; 21, 197—256; 22, 326—368; PSS, 26, 307—350; 26, 209—265; 30, 17—58. 21 Zur Beurteilung des Agrarkapitalismus in Verbindung mit der ImperialismusDiskussion: Osobennosti agrarnogo stroja Rossii v period imperializma, Μ. 1962; Κ. Ν. Tarnovskij, Problemy agrarnoj istorii Rossii perioda imperializma v sovetskoj istorio­ grafii, in: Problemy social'no — ekonomičeskoj istorii Rossii, M. 1971, 264—271; L. M. Gorjuškin, Razvitie kapitalizma v šir' i charakter agrarno-kapitalističeskoj evo­ ljucii v Rossii perioda imperializma, in: ISSSR 1974/2, 49—70; P. G. Galuzo, Das Ko­ lonialsystem des russischen Imperialismus am Vorabend der Oktoberrevolution, in: ZfG 15. 1967, 997—1014. 22 Voprosy istorii kapitalìstičeskoj Rossii. Problema mnogoukladnosti, Sverdlovsk 1972; L. Ivanov u. K. Tarnovskij, Die sozialökonomische Struktur Rußlands. Das Pro­ blem der Mehrbasigkeit, in: JfWG 1973/4, 165—173; K. Tarnovskij, Die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Elementen verschiedener sozialökonomischer Verhält­ nisse im russischen Imperialismus durch die gegenwärtige sowjetische Geschichtswissen­ schaft, in: JGSLE 17/1. 1973, 107—140; zur forschungspolitischen F unktion: Bon­ wetsch, Oktoberrevolution. — Zum Begriff der „Mehrbasigkeit" (mnogoukladnost') vgl. das Konzept der „strukturellen Heterogenität" in modernen Dependencia-Theorien, das sozialökonomischen Strukturanalysen vor allem lateinamerikanischer Länder unter­ legt wird, so etwa bei A. Córdova, Strukturelle Heterogenität u. wirtschaftliches Wachstum, F rankfurt 1973; zu den Grenzen und Möglichkeiten dieses Begriffs vgl. H.-J. Puhle, Lateinamerika. Historische Realität u. Dependenzia-Theorien, Hamburg 1976; W. Godzik, G. Laga, K.-P. Schütt, Zur Kritik der Dependenztheorie. Methodo­ logische Anmerkungen zu einem neomarxistischen Ansatz in der Entwicklungsländer­ forschung, in: KZSS 28. 1976, 537—556. 23 K. Tarnovskij, Ešče raz o „sraščivanii" i „podčinenn", in: Ob osobennostjach, 419—438; A. Ja. Avrech, Russkij absoljutizm i ego rol' v utverždenii kapitalizma v Rossii, in: ISSSR 1968/2, 82—104; die von Avrech angestoßene Absolutismus-Diskus­ sion der Jahre 1968 bis 1972 berührte die F rage nach der Evolution des Zarismus zu einer „bürgerlichen Monarchie"; vgl. H.-J. Torke, Die neuere Sowjethistoriographie zum Problem des russischen Absolutismus, in: F OG 20. 1973, 113—133. 24 Monopolii i inostrannyj kapital v Rossii, M. 1962; I. V. Bovykin, Ο nekotorych voprosach izučenija inostrannogo kapitala v Rossii, in: Ob osobennostjach, 250—313; B. Bonwetsch, Das ausländische Kapital in Rußland. Bemerkungen zum Forschungs­ stand, in: JGO 22. 1974, 412—425. — Zu der von Stalin durchgesetzten These von Rußland als „H albkolonie" des imperialistischen Westens: Schlarp, Ursachen, 59—70. 25 Zu verweisen ist auf die in der Bibliographie verzeichneten sowjetischen Arbeiten. 26 Krisen- und konjunkturtheoretische Arbeiten zur Wirtschaftsgeschichte des Za­ renreiches: A. F. Jakovlev, Ėkonomičeskie krizisy v Rossii, M. 1955; L. A. Mendel­ son, Teorija i istorija ėkonomičeskich krizisov i ciklov, M. 1959, passim. — Zeug­ nisse für die ältere Schule der russischen Konjunkturtheorie: N. D. Kondratieff, Die langen Wellen der Konjunktur, in: ASS 56. 1926, 573—609; ders., Die Preisdynamik

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Anmerkungen zu Seite 17—21 der industriellen und landwirtschaftlichen Waren. Zum Problem der relativen Dynamik der Konjunktur, ebd., 60. 1928, 44—78; S. A. Pervushin, Cyclical F luctuations in Agri­ culture and Industry in Russia 1869—1926, in: Quarterly Review of Economics 42. 1928, 564—592; ders., Versuch einer Theorie der wirtschaftlichen Konjunkturen, auf die Konjunkturentwicklung der Vorkriegszeit in Rußland angewandt, in: Vjh. zur Konjunkturforschung, Sonderheft 12, Berlin 1929, 44—78; zur Bilanz: W.W. Rostow, Kondratieff, Schumpeter, and Kuznets. Trend Periods Revisited, in: JEH 35. 1975, 417—453. 27 C E. Black, u. a., The Modernization of Japan and Russia. A Comparative Study, N.Y. 1975. 28 H.-U. Wehler, Modernisierungstheorie u. Geschichte, Göttingen 1975. 29 W. W. Rostow, Stadien wirtschaftlichen Wachstums. Eine Alternative zur mar­ xistischen Entwicklungstheorie, Göttingen 19672 (engl. 1960); ders. Hg., The Economics of Take-off into Sustained Growth, London 1963. 30 B. Moore, Soziale Ursprünge von Diktatur u. Demokratie. Die Rolle der Guts­ besitzer u. Bauern bei der Entstehung der modernen Welt, F rankfurt 1969; dazu die Kontroverse zwischen S. Rothman und Moore in: APSR 64. 1970, 61—85; H. Mey, Der Beitrag Barrington Moores zur soziologisch orientierten Sozialgeschichte, Opladen 1972, 473—490. 31 Vgl. Anm. 10. 32 Zum F orschungsstand: M. Hildermeier, Sozialer Wandel im städtischen Ruß­ land, in: JGO 25. 1977. 33 Auf vergleichend angelegte F orschungen zur Geschichte Rußlands im Ersten Welt­ krieg konzentriert sich eine F reiburger Arbeitsgruppe, vgl. vorläufig G. Schramm, Die russische Armee als politischer F aktor vor der F ebruarrevolution (1914—1917), in: MGM 18. 1975, 33—62; ders., Militarisierung u. Demokratisierung. Typen der Mas­ senintegration im Ersten Weltkrieg, in: F rancia 1975. H. Haumann (F reiburg) arbeitet über die russische Kriegsindustrie (demnächst als Habilschr.), H. Linke (Bonn) über die russische Außenpolitik im Weltkrieg (Habilschr.); wichtig die Diss, von B. Bonwetsch, Kriegsallianz u. Wirtschaftsinteressen. Rußland in den Wirtschaftsplänen Englands u. Frankreichs 1914—1917, Düsseldorf 1973. I. 1. 1 Die historische Literatur zur „Bauernbefreiung" ist unübersehbar. Bestandsauf­ nahme und kritische Würdigung unter besonderer Berücksichtigung der sowjetischen Forschung: P. Scheiben, Die russische Agrarreform von 1861. Ihre Probleme und der Stand ihrer Erforschung, Köln 1973; dazu: L. G. Zacharova, Otečestvennaja istorio­ grafija o podgotovke krest'janskoj reformy, in: ISSSR 1976/4, 54—76; dies., Pravitel'­ stvennaja programma otmeny krepostnogo prava, ebd., 1975/2, 22—47. Zur Regie­ rungspolitik in der Bauernfrage: V. G. Černucha, Krest'janskij vopros v pravitel'stven­ noj politike Rossii (60—70-e gody XIX v.), 1972. 2 Über den inneren Zusammenhang der Reformen: S. F. Starr, Decentralization and Self-Government in Russia, 1830—1870, Princeton 1972; zu einzelnen Reformwerken: F. B. Kaiser, Die russische Justizreform von 1864, Leiden 1972; L. T. Hutton, The Re­ form of City Government in Russia, 1860—1870, Ph. D. Diss. Univ. of Illinois 1972; zur Zemstvo-Reform vgl. Anm. 30, zur Militärreform Anm. 6. 3 W. Baumgart, Der F riede von Paris 1856. Studien zum Verhältnis von Kriegfüh­ rung, Politik u. F riedensbewahrung, München 1972, 110 ff.; ders., Probleme der Krim­ kriegsforschung, in: JGO 19. 1971, 49—109, 243—264, 371—400; P. W. Schroeder,

264 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 21—25 Austria, Great Britain and the Crimean War. The Destruction of the European Con­ cert, Ithaca 1972. 4 W. L. Blackwell, The Beginnings of Russian Industrialization 1800—1860, Prince­ ton 1968; kritisch dazu Α. Gerschenkron, in: SS 21. 1970, 507—515; ferner R. Portal, Die russische Industrie am Vorabend der Bauernbefreiung, in: D. Geyer H g., Wirt­ schaft u. Gesellschaft im vorrevolutionären Rußland, Köln 1975, 133—163. Zur sowje­ tischen Diskussion: H. Lemke, Industrielle Revolution und Durchsetzung des Kapitalis­ mus in Rußland, in: P. Hoffmann u. H. Lemke Hg., Genesis u. Entwicklung des Ka­ pitalismus in Rußland, Berlin (DDR) 1973, 213—240. 5 Zu dem Versuch, „F ortschritt" aus amtlichen Papieren fernzuhalten (Mai 1858): M. Lemke, Očerki po istorii russkoj cenzury i žurnalistiki XIX stoletija, SPb 1904, 323. 6 A. J . Rieber Hg., The Politics of Autocracy. Letters of Alexander II to Prince A. I. Bariatinsky, 1857—1864, Paris 1966; ders., Alexander II. A Revisionist View, in: JMH 43. 1971, 42—58. Eine abgewogenere Beurteilung militärischer Reformmotive bei D. Beyrau, Von der Niederlage zur Agrarreform. Leibeigenschaft und Militärver­ fassung in Rußland nach 1855, in: JGO 23. 1975, 191—212. — Das grundlegende sowjetische Werk zu den Militärreformen: P. A. Zajončfkovskij, Voennye reformy 1860—1870 godov v Rossii, M. 1952; ferner F . A. Miller, Dmitrii Miliutin and the Reform Era in Russia, Nashville, Tenn. 1968; J . W . Kipp, Consequences of Defeat: Modernizing Russian Navy, 1856—1863, in: JGO 20. 1972, 210—225. 7 Zu den ökonomischen Bedingungen der Reformperiode vgl. Kapitel I.2; dazu A. A. Skerpan, The Russian National Economy and Emancipation, in: A.D. F erguson, u. A. Levin Hg., Essays in Russian History, Hamden, Conn. 1964, 161—229; Ν. Α. Cagolov, Očerki russkoj ekonomičeskoj mysli perioda padenija krepostnogo prava, M. 1956. 8 Russisches Eisenbahnwesen vor 1855: Blackwell, 264—326; W. Pintner, Russian Economic Policy under Nicholas I, Cornell 1967, 131—152; Ν. S. Kinjapina, Politika samodežiavija v oblasti promyšilennosti (20—50-e gody XIX v.), M. 1968, 150—196; A. M. Solov'eva, Železnodorožnyj transport Rossii vo vtoroj polovine XIX v., M, 1975, 11—60; R. M. Haywood, The Beginnings of Railway Development in Russia in the Reign of Nicholas I. 1835—1842, Durnham, N . C . 1969; allgemeiner Überblick: J . N . Westwood, Geschichte der russischen Eisenbahnen, Zürich 1966. 9 W. Baumgart, Eisenbahn und Kriegsführung in der Geschichte, in: Technikge­ schichte 38. 1971, 191—209, hier: 208. 10 Vgl. etwa die große Jubiläumsausgabe: Velikaja reforma (1861—1911). Russkoe obščestvo i krest'janskij vopros v prošlom i nastojaščem, 6 Bde., M. 1911. 11 D. F ield, The End of Serfdom. Nobility and Bureaucracy in Russia, 1855—1861, Cambridge, Mass. 1976; Starr, Decentralization, passim; T. Emmons, The Russian Landed Gentry and the Peasant Emancipation of 1861, Cambridge, Mass. 1968. 12 Zur „Bauernbewegung" die sowjetische Dokumentation: Krest'janskoe dviženie v Rossii. Sbornik dokumentov, 1857—1861, M. 1963; dazu die grundsätzliche Erörte­ rung von D. Beyrau, Agrarstruktur und Bauernprotest. Zu den Determinanten der russischen Agrarreform von 1861, in: VSWG 64. 1977; T. Emmons, The Peasant and Emancipation, in: W. S. Vucinich Hg., The Peasant in 19th-century Russia, Stanford 1968, 41—71. 15 P. Pétoux, L'ombre de Pougačev, in: R. Portal Hg., Le Statut des paysans libé­ rés du servage, 1861—1961, Paris 1963, 128—152. 14 Zur polnischen Aufstandsbewegung vgl. Kapitel I.3. 15 Besitzverhältnisse des russischen Adels: A. P. Korelin, Dvorjanstvo v porefor­ mennoj Rossii (1861—1904 gg.), in: IZ 87. 1971, 91—173, bes. 139 ff. Grundlegend für 265 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 25—29 die Bevölkerungs- und Sozialstatistik der Vorreformzeit: V. M. Kabuzan, Narodonaselenie v Rossii v XVIII — pervoj polovine XIX v., M. 1963. 16 Bismarck an Schleinitz, 6. 4. 1861, zit. Β. Α. Nolde, Die Petersburger Mission Bismarcks 1859—1862, Leipzig 1936, 185; dazu E. Pyziur, Bismarck's Appraisal of Russian Liberalism as Prussian Envoy in St. Petersburg, in: CSP 10. 1968, 298—311; vgl. auch Β. Jelavich H g., Rußland 1852—1871. Aus den Berichten der Bayrischen Gesandtschaft in St. Petersbure, Wiesbaden 1963. 17 „Tyrannei der Freiheit": A. V. Nikitenko, Moja povest' o samom sebe. Zapiski i dnevnik, 1804—1877 gg., Bd. 2, SPb 19052, 87 (11. 6. 1862). 18 A. N. Kulomsin, in: Die finanzielle Sanierung Rußlands nach der Katastrophe des Krimkrieges 1862 bis 1878 unter dem Finanzminister Michael v. Reutern, Berlin 1914, 177. 19 Zur „Jugendbewegung" der Reformzeit: A. Besançon, Education et société en Russie dans le second tiers du XIX siècle, Paris 1974; T. Hegarty, Student Movement in Russian Universities, 1855—1861, Ph. D. Diss., Harvard Univ. 1965. 20 Eine Diss. zum Komplex der Revolutionsfurcht um 1860 wird von F. Diestelmeier, Tübingen, vorbereitet. In der Sowjetunion hat namentlich eine Forschergruppe um M. V. Nečkina die Reform unter dem Aspekt einer „revolutionären Situation" un­ tersucht, dazu die Sammelbände: Revoljucionnaja situacija v Rossii, 1859—1861 gg., 6 Bde, M. 1960—1974; zur Kritik dieses Konzepts C. C. Adler, The „Revolutionary Situation" 1859—1861, in: CSS 3. 1969, 383—399. 21 Nikitenko, 103 (17. 10. 1862). 22 Dnevnik P. A. Valueva, Bd. 1 (1861—1864), M. 1961, 119 (12. 10. 1861). 23 P. A. Valuev, Ο vnutrennem sostojanii Rossii (26. 6. 1862), in: IA 1958/1, 141 bis 144. — Das Fabrikproletariat hat den Minister offenbar noch nicht sonderlich be­ unruhigt; vgl. dazu allgemein: R. E. Zelnik, Labor and Society in Tsarist Russia. The Factory Workers of St. Petersburg 1855—1870, Stanford 1971; diese vorzügliche Arbeit belegt gleichwohl die wachsende Relevanz der Arbeiterfrage als Problem der inneren Sicherheit. 24 Dnevnik Valueva 1, 248 (20. 9. 1863). 25 Emmons, Landed Gentry, 209 ff., 266 ff.; F ield, The End, 265 ff. 26 Zulängliche Untersuchungen über die Rolle von Presse und Öffentlichkeit in der Reformzeit fehlen. Neues Material bei Ju. I. Gerasimova, Iz istorii russkoj pečfati v period revoljucionnoj situacii konca 1850-ch — načala 1860-ch godov, M. 1974. Zu den Zensurverhältnissen vor 1861 vgl. Lemke, Očerki; F ield, The End, 149 ff.; eine erste Orientierung über die wichtigsten Presseorgane bei I. Grüning, Die russische Öf­ fentliche Meinung und ihre Stellung zu den Großmächten, 1878—1894, Berlin 1929, 19 ff. 27 Starr, 201 ff. 28 GP 5, 83; R. Wittram, Die russisch-nationalen Tendenzen der achtziger Jahre im Spiegel der Österreichisch-ungarischen diplomatischen Berichte aus St. Petersburg, in: ders., Das Nationale als europäisches Problem, Göttingen 1954, 201. 29 Vgl. B. Čičerin, Ο narodnom predstavitel'stve, M. 1866, 412 ff.; dazu S. Ben­ son, The Conservative Liberalism of Boris Chicherin, in: FOG 21. 1975, 17—114. 30 Starr, 241 ff., V. Garmiza, Podgotovka zemskoi reformy 1864 g., M. 1957. 31 Dnevnik Valueva, Bd. 2 (1865—1876), M. 1961, 87 (12. 12. 1865). 32 C. A. Rudd, The Russian Empire's New Censorship Law of 1865, in: CSS 3. 1969, 235—245; D. Balmuth, Origins of the Russian Press Reform of 1865, in: SEER 47. 1969, 369—388. 33 Denkschrift Valuevs über die Lage des Pressewesens (8.2.1868), in: Dnevnik Valueva 2, 496 f. — Beredte Klagen des Innenministers über die regierungsfeindliche

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Anmerkungen zu Seite 29—35 Haltung der Presse auch in den von V. Garmiza publizierten Denkschriften von 1862, 1864, 1866, in: IA 1958/1, 141 ff., vgl. ferner die Diss. von G. D. Knutson, Peter VaIuev: A Conservative's Approach and Reactions to the Reforms of Alexander II., Univ. of Kansas 1970, 147 ff. 34 A. E. Timašev, Denkschrift „Über den Mißbrauch des gedruckten Worts" (20. Nov. 1869), in: Dnevnik Valueva 2, 503 f. 35 Biographische Orientierungen: M. Katz, M. N. Katkov. A Political Biography 1818—1887, Den Haag 1966; S. Lukashevich, Ivan Aksakov 1823—1886. Α Study in Russian Thought and Politics, Cambridge, Mass. 1965. Beispiel für eine Journalisten­ karriere in der Reformzeit: E. Ambler, Russian Journalism and Politics 1861—1881, The Career of Aleksei Suvorin, Detroit 1972. 36 Zum Konflikt zwischen Valuev und Katkov, der den Innenminister 1865 an Rücktritt denken ließ, vgl. Knutson, 188 ff. 37 W. E. Mosse, The Rise and Fall of the Crimean System 1855—1871. The Story of a Peace Settlement, London 1963, dazu D. Beyrau, Russische Orientpolitik und die Entstehung des Deutschen Kaiserreiches, Wiesbaden 1974, 15 ff. I.2. 1 Zur Orientierung: A. Gerschenkron, Agrarian Policies and Industrialization: Rus­ sia 1861 — 1917, in: CEH E Bd. 6, 706—800; reiche statistische Angaben bei P.A. Chro­ mov, Ėkonomičeskoc razvitie Rossii v. XIX—XX vv. (1800—1917), M. 1950; vgl. Bei­ trage und Literaturübersicht in: D. Geyer H g., Wirtschaft u. Gesellschaft. 2 Neben dem Überblick von A. P. Pogrebinskij, Očerki istorii finansov dorevo­ ljucionnoj Rossii, M. 1954, vor allem das Standardwerk von I. F. Gindin, Gosudarst­ vennyj bank i ekonomičeskaja politika carskogo pravitel'stva (1861—1892 gg.), M. 1960. 3 Angaben bei Gindin, 24 ff., sowie Kulomsin in: Finanzielle Sanierung, 174 ff. — Zur russischen Finanzlage am Ausgang des Krimkrieges vgl. die Denkschrift von A. Ju. Gagemejster (Ende 1855), in: IA 1956/2, 103—125. 1 Zur Zollpolitik nach 1857: M. N. Sobolev, Tamožennaja politika Rossii vo vto­ roj polovine XIX v., Tomsk 1911, 100 ff.; ferner V. V. Potanin, Tarif 1857 g. i tamo­ žennaja politika Rossii 1856—1860 gg., in: VLU 20/4, 1965, 48—56; dazu V. Witt­ schewsky, Rußlands H andels-, Zoll- und Industriepolitik von Peter dem Großen bis auf die Gegenwart, Berlin 1905, 116 ff.; Blackwell, 169 ff.; über die Interessenlage der Moskauer Bourgeoisie: V. Ja. Laveryčev, Krupnaja buržuazija v poreformennoj Rossii (1861 — 1900). M. 1974, 169 ff.; dazu allgemein: M. L. Gavlin, Rol' centra i okrain Rossijskoj imperii v formirovanii krupnoj moskovskoj buržuazii v porefor­ mennyj period, in: IZ 92. 1973, 336—355. 5 K. v. Schlözer, Petersburger Briefe 1857—1862, Stuttgart 1921, 37 f. (19. 4./1.5. 1857). — Zu den russischen Kreditbanken vor 1861: S. A. Borovoj, Kredit i banki Rossii (seredina XVII veka — 1861 g.), M. 1958; zur Eisenbahnplanung 1856—1861: A. J . Rieber, The Formation of La Grande Société des Chemins de Fer Russes, in: JGO 21. 1973, 375—391; A. M. Solov'eva, Železnodorožnyj transport, 61 ff.; ferner R. E. Cameron, France and the Economic Development of Europe 1800—1914, Prin­ ceton 1961, 275 ff. 6 G. R. Taylor, The Transportation Revolution 1815—1860, N.Y. 1962. 7 Protokoll einer vom Zaren berufenen Untersuchungskommission über den Zustand des Eisenbahnwesens (1865), zit. Finanzielle Sanierung, 188. — Zum Eisenbahnbau nach 1860: Ν. Α. Kislinskij, Naša železnodorožnaja politika po dokumentam Archiva Komiteta ministrov, Bd. 1. SPb 1901; A. P. Pogrebinskij, Stroitel'stvo železnych

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Anmerkungen zu Seite 35—40 dorog v poreformennoj Rossii i finansovaja politika carizma, in: IZ 47. 1954, 149—180; Solov'eva, 87 ff. Zeitgenössische Übersichten in dt. Sprache: J . Jastrzembski, Das rus­ sische Eisenbahnnetz und die wichtigsten Betriebsresultate der russischen Eisenbahnen, SPb 1878, 2 Bde.; A. Golowatschow, Geschichte des Eisenbahnwesens in Rußland, SPb 1881. 8 Zu den Forderungen nach strategischen Linien: P. A. Zajončkovskij, Voennye reformy, 119 f. 9 Der „kosmopolitische Charakter" der Kapitalien: Reutern, Denkschrift vom 16.9. 1866, in: Finanzielle Sanierung, 16—96, hier: 39. — Zur Krise von 1857: S. G. Stru­ milin, Promyšlennye krizisy v Rossii 1847—1907 gg., in: ders., Očerki ėkonomi­ českoj istorii Rossii i SSSR, M. 1966, 424 ff.; A. F. Jakolev, Ėkonomičeskie krizisy v Rossii, M. 1955, 61 ff., L. Mendel'son, Ėkonomičfeskie krizisy i cikly XIX veka, M. 1949, 301—363; H . Rosenberg, Die Weltwirtschaftskrise 1857—1859, Stuttgart 1934, Göttingen 19742. 10 Aus der Fülle zeitgenössischer Darstellungen: A. Wagner, Die russische Papier­ währung, Riga 1868; C. v. Sarauw, Das russische Reich in seiner finanziellen und Öko­ nomischen Entwicklung seit dem Krimkriege, Leipzig 1873; F. Matthäi, Die Industrie Rußlands, Leipzig 1872—73, 2 Bde. 11 Reutern, 16. 9. 1866, in: Finanzielle Sanierung, 21, 28 f., 53. 12 Ebd., 68 f. 13 Zum Verkauf Alaskas: S. B. Okun', Rossijsko-amerikanskaja kompanija, M. 1939, 219—259. 14 Reutern, 16. 9. 1866, in: Finanzielle Sanierung, 54, 95, 36; auch die folgenden Angaben sind dieser Denkschrift entnommen. 15 Strumilin, 430 ff.; Jakovlev, 81 ff., Mendel'son, 364—425. 16 Budgetbericht des Finanzministers 1869, in: Finanzielle Sanierung, 187; vgl. V.M. Ljachovskij, Železnodorožnye perevozki i razvitie rynka. Κ istorii Rjazansko-Koz­ lovskoj dorogi 1860—70-e gody, in: VMU-Ist 1963/4, 34—51, sowie die Unter­ suchung von J . Metzer, Railroad Development and Market Integration: The Case of Tsarist Russia, in: JEH 34. 1974, 529—549; ders., Some Aspects of Railroad Develop­ ment in Tsarist Russia, Ph. D. Diss. Univ. of Chicago 1972. 17 Zur Privatisierung der Staatsbahnen: Pogrebinskij, Stroitel'stvo, 162; P. A. Za­ jončkovskij, in: Dnevnik Valueva 2, 484. 18 Tarif von 1868: Sobolev, 219 ff., 303 ff.; Wittschewsky, 129 f. — Zu den F orde­ rungen protektionistischer Industrieller: V. Ja. Laveryčev, Krupnaja buržuazija, 178 ff. 19 Eisenbahnbau und Industrieförderung: Gindin, 191 ff.; Solov'eva 118 ff. passim. 20 Reutern an den Zaren (1866), in: F inanzielle Sanierung, 192 f.; Gindin, 35. 21 V. I. Bovykin, Probleme der industriellen Entwicklung Rußlands, in: D. Geyer Hg., Wirtschaft u. Gesellschaft, 188—209, hier: 191. — Zur Geschichte und Quellen­ kunde der russischen Industriestatistik vgl. die kritische Untersuchung von Ju. Ja. Ry­ bakov, Promyšlennaja statistika Rossii XIX v. Istočnikovedčeskoe issledovanie, M. 1976, bes. 221—267. 22 Über die Verkehrserschließung im Kaukasus: A. T. Sagratjan, Istorija železnych dorog Zakavkaz'ja 1856—1921 gg., Erevan 1970. 23 Agrarproduktion und Agrarmarkt in Rußland: die grundlegenden F orschungen von I. D. Koval'čenko u. L. V. Milov, Vserossijskij agrarnyi rynok. XVIII — načalo XX veka. Opyt količestvennogo analiza, M. 1974, 243 ff.; sowie die Produktionsanaly­ sen für 1851—70 u. 1878—82 von A. S. Nifontov, Zernovoe proizvodstvo Rossii vo vtoroi polovine XIX v., M. 1974. 24 Auswirkungen der Krise in Rußland: Strumilin, 435 ff., Jakovlev, 96 ff., Men­ del'son, 503 ff. 268 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 41—45 25 Zum Strousberg-Skandal: J . Mai, Das deutsche Kapital in Rußland, 1850—1894, Berlin (DDR) 1970, 56 ff. 26 Reutern, Denkschrift vom F ebruar 1877, in: F inanzielle Sanierung, 97—118. 27 Mai, passim; neuerdings ausführlich auf der Basis zeitgenössischen Materials: H. Müller-Link, Industrialisierung und Außenpolitik. Preußen-Deutschland und das Za­ renreich von 1860 bis 1890, Göttingen 1977. 28 Zur Einführung des Goldzolls 1877: Sobolev, 417 ff.; über protektionistische In­ dustrieinteressen seit 1874: Laveryčev, 181 ff. 29 Vgl. Kapitel I.4.1. 30 Reutern, Denkschrift für den Zaren (3. 10. 1876), in: F inanzielle Sanierung, 121 bis 130. 31 Reutern, Aufzeichnung vom 12. 11. 1876, ebd., 131 f. 32 Zajončkovskij, Voennye reformy, 136 ff.; Miller, 182 ff.; W. C. Askew, Russian Military Strength on the Eve of the F ranco-Prussian War, in: SEER 30. 1951/52, 185 bis 205. — Eine zeitgenössische Bilanz bei C. v. Sarauw. Die russische Heeresmacht auf Grund offizieller Quellen u. eigener Anschauung, Leipzig 1875.

I.3 M. Cherniavsky, Tsar and People. Studies in Russian Myth, New Haven 1961; D. F ield, The Myth of the Tsar, in: Ders., Rebels in the Name of the Tsar, Boston 1976, 1—30. 2 Über den Stand der Nationalismusforschung orientieren: Η. Mommsen u. A. Mar­ tiny, Nationalismus, Nationalitätenfrage, in: SDG 4. 1971, 623—695; H. A. Winkler Hg., Nationalismus, Köln 1977. — Zu Osteuropa vgl. die kursorischen Überblicke in: P. F. Sugar u. I. J . Lederer Hg., Nationalism in Eastern Europe, Seattle 1969. 3 Η. Rogger, National Consciousness in 18th Century Russia, Cambridge, Mass. 1960; H . Lemberg, Die nationale Gedankenwelt der Dekabristen, Köln 1963; N. V. Riasanovsky, Rußland u. der Westen. Studie über eine romantische Ideologie, München 1954; ders., Nicholas I and Official Nationality in Russia, 1825—1855, Berkeley 19672; Ε. Müller, Russischer Geist in europäischer Krise, Köln 1966; A. Gleason, European and Moscovite. Ivan Kireevsky and the Origins of Slavophilism, Cambridge, Mass. 1972. 4 Die Literatur über den polnischen Aufstand ist unübersehbar; neuere Forschungen, insbes. zur russischen Polenpolitik: R. F. Leslie, Reform and Insurrection in Russian Poland, 1856—1865, London 1963; Ι. Μ. Roseveare, From Reform to Rebellion: Α. Wielopolski and the Polish Question 1861—1863, in: CSS 3. 1969, 263—285; S. J . Zyzniewski, Milyutin and the Polish Question, H SS 4. 1957, 237—248; ders., The Futile Compromise Reconsidered: Wielopolski and Russian Policy in the Congress Kingdom 1861—1863, in: AH R 70. 1965, 395—412; W. B. Lincoln, The Making of a New Polish Policy. N. A. Milyutin and the Polish Question 1861—1863, in: PR 15. 1970, 54—66; F. Ramatowska, Rząd carski wobec manifestacij patriotycznych w kró­ lestwie polskim w latach 1860—1862. Wirschau 1971; S. Kìeniewicz, Powstanie styczniowe, Warschau 1972. 5 L. Krusius-Ahrenberg, Der Durchbruch des Nationalismus und Liberalismus im politischen Leben Finnlands 1856 bis 1863, Helsinki 1934; K. Korhonen, Autonomous Finland in the Political Thought of 19th Century Russia, Turku 1967; W. Müller, Finnland in der Reformzeit Alexanders II. (Μ. Α.-Arbeit, Ms.), Tübingen 1972. 6 Zur Garibaldi-Begeisterung: Schlözer, Petersburger Briefe, 172, 259; Dnevnik Valueva 1, 190; F. Venturi, L'immagine di Garibaldi in Russia all'epoca della liberazione dei servi, in: Rassegna storica toscana 1960, 307 ff. 1

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Anmerkungen zu Seite 45—48 7 Zit. nach P. A. Zajončkovskij, in: Dnevnik Valueva 1, 35. Zum Reichsratsprojekt Valuevs: Knutson, 272 ff.; die Texte des Projekts: K. L. Bermanskij, Konstitucionnye proekty carstvovanija Aleksandra II, in: Vestnik prava 1905/9, 223—291. 9 Der polnische Aufstand als Problem der europäischen Politik: V. G. Revunenko, Pol'skoe vosstanie i evropejskaja diplomatija, M. 1957; W. E. Mosse, England and the Polish Insurrection of 1863, in: EHR 71. 1956, 28—55; V. G. Černucha, Važnoe svide­ tel'stvo o vnešnepolitičeskom aspekte pol'skogo vosstanija 1863 g., in: Issledovanija po otečetvennomu istočnikovedeniju, M. 1964, 207 ff.; K. Kaiser, Napoleon III. und der polnische Aufstand von 1863, Berlin 1932; H. Scheidt, Die Konvention Alvens­ leben und die Interventionspolitik der Mächte in der polnischen F rage, Phil. Diss. Mün­ chen 1936; E. F leischhauer, Bismarcks Rußlandpolitik im Jahrzehnt vor der Reichs­ gründung u. ihre Darstellung in der sowjetischen Historiographie, Köln 1976, 33—70. 9 Katkov an Valuev, 12. 5. 1863, in: Russkij istoričeskij archiv (Prag) 1. 1929, 287 f.; Dnevnik Valueva 1, 213 f., 225, 232; Nikitenko 2, 123. — Zur russischen öf­ fentlichen Meinung zur polnischen Erhebung: H. F leischhacker, Russische Antworten auf die polnische F rage, 1795—1917, München 1941, 93 ff.; U. Picht, Pogodin u. die Slavische F rage, Stuttgart 1969, 237 ff.; M. Katz, 118 ff.; Lukashevich, 76 ff.; Μ. Β. Petrovich, Russian Panslavism and the Polish Uprising of 1863, in: H SS 1. 1953, 219 bis 247; ders., The Emergence of Russian Panslavism 1856—1870, N.Y. 1956, 172 ff.; zu einem einsamen F ürsprecher Polens im liberalen Lager: I. F leischhauer, Die Stel­ lungnahme N. N. Strachovs zur Polenfrage, in: JGO 25. 1977. — Die sowjetische Ge­ schichtsschreibung hat von jeher die russisch-polnische Solidarität der revolutionären Gruppen betont; vgl. die Bibliographie: Vosstanie 1863 g. i. russko-pol'skie revol­ jucionnye svjazi 60-ch godov, M. 1960. Unbestritten ist jedoch, daß die propolnische Haltung des „Kolokol" die innerrussische Wirkung Alexander Herzens nach 1863 ver­ kürzte. 10 Zur russischen Agrarpolitik in Polen: I. I. Kostjuško, Krest'janskaja reforma 1864 g. v. carstve Pol'skom, M. 1962; Leslie, 136 ff.; S. Kieniewicz, Sprawa wło­ ściańska w powstaniu styczniowym, Wroclaw 1953, 354 ff.; ders., The Emancipation of the Polish Peasantry, London 1969, 180 ff. 11 R. Wittram, Baltische Geschichte, München 1954, 181 ff. Zu den sozioökonomi­ schen Voraussetzungen der „baltischen F rage" vgl. im Rückgriff auf die 1840er Jahre die Forschungen des sowjet-estnischen Agrarhistorikers J . Kachk, Die Krise der feudalen Landwirtschaft in Estland, Tallinn 1969, sowie die ungedruckte Göttinger Diss. von G. v. Pistohlkors, Reformpolitik, Russifizierung, Revolution. Zum Problem der Selbst­ etnschätzung der deutschen Oberschicht in den Ostseeprovinzen Rußlands (1973). Aus der älteren Literatur: A. v. Tobien, Die livländische Ritterschaft in ihrem Ver­ hältnis zum Zarismus und russischen Nationalismus, Bd. 1, Riga 1925; H. Schaudinn, Das baltische Deutschtum und Bismarcks Reichsgründung, Leipzig 1932. — Konser­ vative Zurückhaltung gegenüber russifikatorischen Ansätzen zeigt eine Aufzeichnung des Innenministers (11./23. 9. 1868), in: Dnevnik Valueva 1, 421—434; dazu: H. Steg­ mann, Graf P. A. Walujew. Zur baltischen F rage in der Zeit Alexanders IL, in: BH 13. 1967. 59—83. 12 Der Begriff „cavourisiren" in bezug auf Bismarck: Bennigsen (7. 2. 1861), zit. nach Nolde, Die Petersburger Mission, 198. 13 Ju. Samarin, Okrainy Rossii. Ser. 1: Russkoe Baltijskoe pomor'e, Vyp. 1. Prag 1868 (in: Sočinenija, Bd. 9. 1898), dt. Übers.: Juri Samarins Anklage gegen die Ost­ seeprovinzen Rußlands. Hg. v. J . Eckardt, Leipzig 1869; C. Schirren, Livländische Antwort an Herrn Juri Samarin, Leipzig 1869; dazu R. Wittram, Carl Schirrens Liv­ ländische Antwort in: Ders., Das Nationale, 161—182; E. C. Thaden, Samarin's „Okrainy Rossii" and Official Policy in the Baltic Provinces, in: RR 33. 1974, 405 bis

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Anmerkungen zu Seite 48—52 415; G. I. Isakov, Ostzejskij vopros v russkoj pečati 1860-ch godov, M. 1961; L. K. Campion, Behind the Modern Drang nach Osten. Baltic Emigrés and Russophobia in the 19th-century Germany, Ph.D.Diss. Bloomington, Ind. 1966.; G. v. Pistohlkors, „Russifizierung" u. die Grundlagen der baltischen Russophobie, in: ZfO 25. 1976, 618 bis 631. 14 Vgl. D. Beyrau, Russische Orientpolitik, 15—22 (Der Nationalismus als Problem der zarischen Politik). 15 S. M. Levin, Krymskaja vojna i russkoe obščestvo, in: Ders., Očerki po istorii russkoj obščestvennoj mysli (Vtoraja polovina XIX — načalo XX v.), L. 1974, 293 bis 404; Picht, Pogodin; Petrovich, Emergence, 26 ff., 61 ff. 16 E. C. Thaden, Conservative Nationalism in 19th Century Russia, Seattle 1964. 17 E. Müller, Zwischen Liberalismus und utopischem Sozialismus, in: JGO 13. 1965, 511—530. 18 H. Kohn, Die Slawen und der Westen. Die Geschichte des Panslawismus, Wien 1956; T. Hunczak, Pan-Slawism or Pan-Russiamsm, in: Ders. Hg., Russian Imperialism, 82—105. 19 Laveryčev, Krupnaja buržuazija, 169 ff.; Müller-Link, Industrialisierung, 44 ff., 51, 208 f., neigt dazu, die politische Rolle der Moskauer Bourgeoisie zu überschätzen; seine — in Anlehnung an G. v. Schulze-Gävernitz — gewonnene Deutung des russi­ schen Nationalismus ist von den zollpolitischen Kämpfen der 90er Jahre geprägt und bedarf der Korrektur. — Bourgeoisie in Rußland als sozialgeschichtliches F orschungs­ problem: M. Hildermeier, Sozialer Wandel im städtischen Rußland in der zweiten Hälfte des 19. Jhs., in: JGO 25. 1977. 20 Zur Resonanz der Politik Bismarcks in Rußland 1866—1870: Beyrau, Orient­ politik, 99 ff., 140 ff.; L. N. Naročnickaja, Rossija i vojny Prussii v 60-ch godach XIX v. za ob-edinenie Germanii ,sverchu', M. 1960; E. Kolb, Rußland u. die Gründung des Norddeutschen Bundes, in: R. Dietrich Hg., Europa u. der Norddt. Bund, Berlin 1968, 183—219; B. Jelavich, Rußland u. die Einigung Deutschlands unter preußischer Führung, in: GWU 19. 1968, 521 ff.; L. M. Šneerson, F ranko-prusskaja vojna i Ros­ sija, Minsk 1976, 141 ff., 187 ff., 240 ff.; ders., Die russische Reaktion auf den Ausbruch des französisch-preußischen Krieges von 1870, in: WZ der F . Schiller-Univ. Jena 19. 1970, 365—374; zur Beurteilung der Politik Bismarcks in der sowjetischen Historiogra­ phie: E. Fleischhauer, Bismarcks Rußlandpolitik 106 ff., 134 ff. 21 R. Wittram, Bismarcks Rußlandpolitik nach der Reichsgründung, in: Rußland, Europa u. der deutsche Osten, München 1960, 161—184; E. Naujoks, Bismarcks aus­ wärtige Pressepolitik und die Reichsgründung, Wiesbaden 1968. 22 Beyrau, Orientpolitik, 264 ff.; Müller-Link, 48 ff. passim. 23 Grundlegend: S. A. Nikitin, Slavjanskie komitety v Rossii 1858—1876 gg., M. 1960, 9—155. 24 Nikitin, 156—259; Picht, 186—202; Petrovich, Emergence, 198—240; J . D. Mo­ rison, Katkov and Panslavism, in: SEER 46. 1968, 422—441. 25 Nikitin, 46 ff., 69 ff.; Lukashevich, 74 f.; V. Ja. Laveryčev, Krupnaja buržuazija, 119 ff. 26 Thaden, Conservative Nationalism, 146 ff.; Zajončkovskij, Voennye reformy, 289 ff., Beyrau, Orientpolitik, 268 ff. — Deutsche Ausgaben: General F adejew über Rußlands Kriegsmacht und Kriegspolitik, Leipzig 1870; Des russischen Generals F ade­ jew neueste Schriften, Leipzig 1871. 27 K. Pfalzgraf, Die Politisierung und Radikalisierung des Problems Rußland u. Europa bei N. J . Danilevskij, in: F OG 1. 1953, 55—204; R. E. MacMaster, Danilevsky: A Russian Totalitarian Philosopher, Cambridge, Mass. 1967; G. Müller, Panslawismus u. Kulturmorphologie. Zum Werk Ν. J . Danilevskijs, in: Saeculum 14. 1963, 340 ff. 271 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 53—59 28 R. Wortman, Koshelev, Samarin und Cherkassky and the F ate of Liberal Slavo­ philism, in: SR 21. 1962, 261-279. 29 In konzeptioneller Hinsicht wenig ergiebig: P. F. Sugar, External and Domestic Roots of East European Nationalism, in: Ders. u. I. J . Lederer, Nationalism, 3—54.

I.4 1 Neuerdings hat H. Müller-Link in einer den deutsch-russischen Wirtschaftsanta­ gonismus breit entfaltenden Arbeit (Industrialisierung u. Außenpolitik, 37, 56 ff., 122 f. passim) den Entschluß zum Krieg als „F lucht nach vorn", als Reaktion auf die Ökonomische und soziale Krise von 1875/76 gedeutet. In der Moskauer Bourgeoisie sieht er die treibende Kraft des zum Kriege drängenden russischen Nationalismus. In den russischen Quellen finden sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Entschei­ dungsprozeß an der Staatsspitze unter dem massiven Druck wirtschaftlicher Interessen­ gruppen gestanden hätte. Im Gegenteil: im Kreis der Entscheidungsträger hat ökono­ misch begründetes Krisenbewußtsein gerade die kräftigsten Argumente gegen den Krieg hervorgebracht. Von kalkulierter Krisensteuerung mit den Mitteln eines populären Krieges kann keine Rede sein. Vollends die Erwartung einer kriegsbedingten Konjunk­ turbelebung ist in den Beratungen um Krieg oder F rieden nicht aufgetaucht. 2 Mosse, Rise and F all; E. Schüle, Rußland und F rankreich vom Ausgang des Krim­ krieges bis zum italienischen Krieg, 1856—1859, Berlin 1935; B. Jelavich, Russia and the Rumanian National Cause, 1858—1859, Bloomington, Ind. 1959; V. N. Vinogra­ dov, Rossija i ob-edinenie rumynskich knjažestv, M. 1961; E. E. Čertan, Russko­ rumynskie otnošenija, 1859—1863 gg., Kišinev 1968. — Das folgende nach Beyrau, Orientpolitik, 36 ff. passim. 3 Zit. nach Beyrau, 57. 4 I. G. Senkevič, Rossija i kritskoe vosstanie, 1866—1869 gg., M. 1970; zu Ignat'evs Wirksamkeit in Konstantinopel vgl. T. A. Meininger, Ignatiev and the Establishment of the Bulgarian Exarchate, 1864—1872: A Study in Personal Diplomacy, Madison 1970. 5 Miljutin, 18. 12. 1867, zit. Beyrau, 96 f. 6 I. Aksakov, 28. 2. 1867 (Polnoe sobranie sočinenij, Bd. 7, 111 ff.), zit. ebd., 102. 7 Zur Aufhebung der Pontusklauseln (31. 10. 1870) und zur nachfolgenden Lon­ doner Schwarzmeer-Konferenz: B. Jelavich, The Ottoman Empire, the Great Powers, and the Straits, 1870—1887, Bloomington, Ind. 1973, 25 ff., 47 ff.; Beyrau, Orient­ politik, 225 ff., 242 ff.; ferner: N. S. Kinjapina, Bor'ba Rossii za otmenu ograničtel'­ nych uslovij Parižskogo dogovora 1856 g., in: VIst 1972/8, 35—51. 8 M. Ekmecič, Der Aufstand in Bosnien. 1875—1878, Bd. 1—2, Graz 1974; Ju. A. Pisarev, Vosstanie v Bosnii i Gercegovine i evropejskie deržavy (1875—1878), in: NNI 1976/2, 48—58. 9 Zur diplomatischen Geschichte der Krise vgl. neben dem klassischen Werk von B. H. Sumner, Russia and the Balkans, 1870—1880, Oxford 1937, 19622, jetzt vor allem G. Hünigen, Nikolaj Pavlovič Ignat'ev und die russische Balkanpolitik, 1875 bis 1878, Göttingen 1968; für die russisch-serbischen Beziehungen die grundlegende Untersuchung von D. MacKenzie, The Serbs and Russian Panslavism, 1875—1878, Ithaca 1967; ferner nach griechischen Archivquellen: E. Kofos, Greece and the Near Eastern Crisis, 1875—1878, Saloniki 1975. — Die diplomatischen Vorgänge werden im folgenden nicht eigens belegt. 10 Zur bulgarischen Aufstandsbewegung vgl. die Dokumentation: Osvoboždenie Bolgarii ot tureckogo iga, hg. von S. A. Nikitin u. a., Bd. 1—3, M. 1961—1967; ferner:

272 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 59—64 Aprilsko v-stanie 1876, hg. von A. Burmov, Bd. 1—3, Sofia 1954—1956; S. I. Sidel'­ nikov, Sovetskaja i bolgarskaja istoriografija Aprel'skogo vosstanija 1876 g, v Bolgarii, in: VIst. 1976/4, 49—71; ferner: R. T. Shannon, Gladstone and the Bulgarian Agitation 1876, Hamden, Conn. 19752; W. Bihl, Österreich-Ungarn und die bulgarische F rage im Jahre 1876, in: ÖOH 18. 1976, 329—345. 11 Alexander II. zu Schweinitz (6. 8. 1876), in: Denkwürdigkeiten des Botschafters General v. Schweinitz, Berlin 1927, Bd. 1, 337. 12 Pogrebinskij, Stroitel'stvo, 167. 13 Die Etappen und F ormen der Mobilisierung beschreibt Nikitin, Slavjanskie ko­ mitety, 260—342; dazu ders., Russkoe obščestvo i nacional'no-osvoboditel'naja bor'ba južnych slavjan v 1875—1876 gg., in: Obščestvenno-političeskie i kul'turnye svjazi narodov SSSR i Jugoslavii. Sbornik statej, M. 1957, 3—77; T. Snytko, Iz istorii narodnogo dviženija v Rossii v podderžku bor'by južnych slavjan za svoju neza­ visimost' v 1875—1876 gg., ebd. 78—106. — Reiches Material unter Auswertung rus­ sischer und serbischer Quellen, einschl. der Presse, bei MacKenzie, The Serbs, passim; dazu Osvoboždenie Bolgarii, Bd. 1, sowie I. V. Koz'menko, Iz istorii bolgarskogo opolčenija, in: Slavjanskij sbornik, M. 1948; ders., Russkoe obščestvo i aprel'skoe bolgarskoe vosstanie, in: VIst 1945/5, 95—108. 14 Schweinitz, Denkwürdigkeiten 1, 386 f. — Nahezu alle Polizeiberichte belegen die zumal in den unteren Volksschichten herrschende Opferbereitschaft, auch den be­ trächtlich gestiegenen Einfluß der Presse und der Slawenkomitees in der Provinz; vgl. das Material in: Osvoboždenie Bolgarii 1, 333 f., 343, 360 ff., 364 f., 380, 437, 463 f., 467 ff., 509. 15 Dnevnik Valueva 2, 381 (4. 8. 1876). 16 Zu M. G. Černjaev: D. MacKenzie, The Lion of Tashkent, Athens 1974, bes. 117 ff. 17 In der serbischen Armee standen Ende September 1876 etwa 1850 russische F rei­ willige (davon 644 Offiziere); bis 1877 haben die Slawenkomitees insgesamt ca. 5000 Freiwillige nach Serbien entsandt. Vgl. Nikitin, Slavjanskie komitety, 319 f. 18 Über die Rolle Aksakovs während der Balkankrise: Katz, 134 ff., sowie die in Anm. 45 genannte Literatur. — Zu der umstandslosen Art, mit der sich die Spitzen der Slawenkomitees mit „Volk" und „Gesellschaft" identifizieren, vgl. Aksakov an N. K. Giers, 1. 9. 1876, in: Osvoboždenie Bolgarii 1, 374 ff. 18 Dnevnik Valueva 2, 373 f. (2. 7. 1876). 20 Briefwechsel des Botschafters General v. Schweinitz, Berlin 1928, 123 (4, 11. 1876). 21 Schweinitz, Denkwürdigkeiten 1, 428. 22 Hünigen, 132 ff.; Sumner, 196 ff. — Wichtige Quellen über die Beratungen in Livadija sind die Aufzeichnungen und Korrespondenzen der Teilnehmer, insb. das Tagebuch Miljutins: Dnevnik Miljutina 2, 76 ff.; die Briefe von A. G. Jomini an Ν. Κ. Giers: Ch. u. B. Jelavich H g., Russia in the East 1876—1880, Leiden 1959, 22 ff.; die Memoranden Ν. Ρ. Ignat'evs, in: Istoričeskij vestnik 136. 1914, 77 ff., sowie die Denk­ schriften und Berichte des Finanzministers Reutern, F inanzielle Sanierung, 119 ff. 23 M. M. Zalyškin, Vnešnjaja politika Rumynii i rumynsko-russkie otnošenija 1875—1878, M. 1974. 24 Zur Tätigkeit des F ürsten Čerkasskij vgl. seinen Briefwechsel mit I. S. Aksakov, hg. von I. V. Kos'menko, in: Slavjanskij sbornik, M. 1948, 132 ff. 25 Vgl. S. S. Tatiščev, Imperator Aleksandr II. Ego žizn' i carstvovanie. Bd. 2, SPb 1903, 310. 26 MacKenzie, The Serbs, 154 ff. 27 Reutern, Denkschrift für Alexander II. (11. 2. 1877), in: F inanzielle Sanierung, 144 ff. — Angesichts der wirtschaftlichen Notlage wurde das Vermögen der Bevölke-

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18 Geyer © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 65—68 rung, im Kriegsfall „freiwillige Opfer" zu bringen, auch von der Geheimpolizei als überaus gering eingeschätzt: Bericht von N. V. Mezencov an den Zaren (12. 11. 1876), in: Osvoboždenie Bolgarii 1, 506 ff., sowie die regionalen Polizeiberichte ebd., 467 ff., 532 f., 594 f. 28 Dnevnik Miljutina 1, 47. 29 Dnevnik Miljutina 2, 135 f. (19. 1. 1877), 137 f. (8. 2. 1877). 30 K. P. Pobedonoscev an den Thronfolger (25. 6. 1876), zit. nach F . Steinmann u. E. Hurwicz, Konstantin Petrowitsch Pobjedonoszew. Der Staatsmann der Reaktion unter Alexander III., Königsberg 1933, 243; vgl. die Rede Aksakovs vom 6. 3. 1877 (Sočnenija 1, 236 ff.), deren scharfe Kritik an der russischen Politik ihm eine Rüge des Zaren eintrug: Mezencov an Aksakov, 12. 3. 1877, in: Osvoboždenie Bolgarii 1, 619. 31 Polizeibericht an die III. Abteilung (7. 2. 1877), ebd., 595. 32 „Prozeß der F ünfzig" (21. 2.—14. 3. 1877): Gosudarstvennye prestuplenija v Rossii v XIX v. Bd. 2, Rostov o.J. Vgl. auch die Eindrücke von Schweinitz, Denkwür­ digkeiten 1, 411 f. — Zur Tätigkeit der revolutionären Organisationen am Vorabend des Krieges: P. S. Tkačenko, Revoljucionnaja narodničeskaja organizacija ,Zemlja i Volja' v 1876—1879 gg., M. 1961; B. S. Itenberg, Dviženie revoljucionnogo narodni­ čestva. Narodničeskie kružki i ,choždenie v narod' v 70-ch godach XIX v., M. 1965; F . Venturi, The Roots of Revolution, London 1960; ders., Problemi del populis­ mo russo, in: RSI 83. 1971, 314—384; J . E. Bachmann, Recent Soviet Historiography on Russian Revolutionary Populism, in: SR 29. 1970. 591—612. 33 Zur russischen Publizistik nach Kriegsausbruch: MacKenzie, The Serbs, 194 ff.; Bericht der III. Abteilung (22. 4. 1877), in: Osvoboždenie Bolgarii 2, 47 f.; dazu A. A. Ulunjan, Bolearskij narod i russko-tureckaja vojna 1877—1878 gg., M. 1971, 130 ff. 34 Katkov, in: Moskovskie vedomosti, 9. 10. 1877, zit. nach V. A. Tvardovskaja, Ideolog samoderžavija v period krizisa ,verchov' na rubeže 70—80-ch godov XIX v., in: IZ 91. 1973, 218. 35 „Prozeß der Hundertdreiundneunzig" (Oktober 1877—Januar 1878): Gosudar­ stvennye predstulplenija v Rossii v XIX v. Sbornik pod red. Β. Basilevskogo, Bd. 3, SPb 1906. 36 P. A. Valuev, Dnevnik 1877—1884, Petrograd 1919, 22 (20. 12. 1877). 37 Zum Kriegsverlauf das russische Generalstabswerk: Sbornik materialov po rus­ sko-tureckoj vojne 1877—1878 gg. na Balkanskom poluostrove, SPb 1898—1911, 97 Bde., sowie Opisanie russko-tureckoj vojny 1877—1878 gg. na Balkanskom polu­ ostrove, SPb 1901—1913, 9 Bde., 6 Erg. Bde. — Patriotisch gestimmte sowjetische Dar­ stellungen: N. I. Beljaev, Russko-tureckja vojna 1877—1878 gg., M. 1956; Ρ. Κ. For­ tunatov, Der Krieg von 1877/78 und die Befreiung Bulgariens. Berlin (DDR) 1953. — Zur öffentlichen Unruhe über den schleppenden Kriegsverlauf und die Nachrichtensperre: Giers an Ignat'ev (28. 6. 1877), in: Osvoboždenie Bolgarii, 2, 144 f., Α. Ε. Timašev an Miljutin (2. 8. 1877), ebd., 222 f. 38 Text bei Sumner, Russia, 627 ff.; vgl. S. L. Černov, Κ voprosu o San-Stefans­ kom dogovore 1878 g., in: ISSSR 1975/4, 133—147. 39 Dnevnik Miljutina 3, 32 (22. 3. 1878), 34 f. (25. 3. 1878), passim. 40 L. G. Beskrovnyj, Russkaja armija i flot v XIX veke, M. 1973, 408 ff., 470 ff.; Zajončkovskij, Voennye reformy, 338 ff. 41 MacKenzie, The Serbs, 248 ff., 299 ff. 42 Katkov, in: Moskovskie vedomosti, 28. 3. 1878, zit. nach Tvardovskaja, 218. 43 Zum Kongreßverlauf: Sumner, Russia, 501 ff.; W. N. Medlicott, The Congress of Berlin and After. Α Diplomatic H istory of the New Eastern Peace Settlement 1878 — 1880, London 19632; A. Novotny, Quellen und Studien zur Geschichte des Ber-

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Anmerkungen zu Seite 68—73 liner Kongresses 1878, Bd. 1, Wien 1957. — Zur russisch-britischen Konfrontation an den Meerengen im F rühjahr und Sommer 1878 vgl. die Telegramme und Aufzeich­ nungen des Grafen P. A. Šuvalov, in: KA 4 (59). 1933, 82—109. 44 Dnevnik Miljutina 3, 78 (5. 7. 1878). 45 I. S. Aksakov, Slavjanskij vopros 1860—1886. M. 1886, 303; dazu V. I. Ado, Berlinskij kongress 1878 g. i. pomeščič'e-buržuaznoe obščestvennoe mnenie Rossii, in: IZ 69. 1961, 101 ff.; ders., Vystuplenie I. S. Aksakova protiv Berlinskogo kongressa 1878 g. i otkliki na nego v Rossii i Bolgarii, in: ISSSR 1962/6, 125 ff.; Grüning, 52 ff. 46 Zitate: Peterburgskie vedomosti, 13. 6., 4. 8. 1878, nach Ado, Berlinskij kon­ gress, 124 f. 47 Zum folgenden auf breiter Aktenbasis: P. A. Zajončkovskij, Krizis samoder­ žavija na rubeže 1870—1880 godov, M. 1964; ferner M. I. Chejfec, Vtoraja revolju­ cionnaja situacija v Rossii (konec 70-ch — načalo 80-ch godov XIX v.). Krizis pravi­ tel'stvennoj polkiki, M. 1963. 48 Zur Partei der „Narodnaja Volja" (Volkswille): S. S. Volk, Narodnaja volja, 1879—1882 gg., M. 1966; Revoljucionnoe narodničestvo 70-ch godov XIX v., Bd. 2, M. 1965. 49 Schweinitz, Denkwürdigkeiten 2, 48 (März 1879), 102 (20. 2. 1880); vgl. auch: Briefe über die gegenwärtige Lage Rußlands, 11. (23.) 4. 1879 — 6. (18.) 4. 1880. Aus d. Russ., Leipzig 1881. — Zur publizistischen Resonanz auf den Terrorismus: Tvar­ dovskaja, 219 ff. 50 Zajončkovskij, Krizis, 148 ff., 230 ff.; vgl. auch Kapitel I.5. 51 Jomini an Giers, 4. 11. 1880, zit. bei Ch. Jelavich, Tsarist Russia and Balkan Na­ tionalism. Russian Influence in the Internal Affairs of Bulgaria and Serbia, 1879— 1886, Berkeley 1958, 69. — Die Ansicht von Müller-Link, (Industrialisierung, 209), die russische Bourgeoisie habe „auch um den Preis eines Krieges" den Balkan als Ab­ satzgebiet behaupten wollen, ist nicht haltbar. Der russische Handel mit dem Balkan war minimal. 52 Beste deutschsprachige Gesamtdarstellung der Asienpolitik Alexanders II.: O. Hoetzsch, Rußland in Asien. Geschichte einer Expansion, Stuttgart 1966; diese Arbeit wurde in den dreißiger und beginnenden vierziger Jahren verfaßt. 53 Belege bei N. V. Riasanovsky, Asia Through Russian Eyes, in: W. S. Vucinich Hg., Russia and Asia. Essays of the Influence of Russia on the Asian Peoples, Stanford 1972, 3—29, 369 ff. 54 J . Hoffmann, Das Problem einer Seeblockade Kaukasiens nach dem Pariser F rie­ den von 1856, in: F OG 11. 1966, 130—175; ders., Die Politik der Mächte in der End­ phase der Kaukasuskriege, in: JGO 17. 1969, 215—258; zur Vorgeschichte: L. H. Rhin­ lander, Russia's Imperial Policy: The Administration of the Caucasus in the F irst Half of the 19th Century, in: CSP 17. 1975, 218—235; A. V. F adeev, Rossija i Kav­ kaz pervoj treti XIX v. M. 1960; ferner W. E. D. Allen u. P. Muratoff, Caucasian Battlefields. A History of the Wars on the Turko-Caucasian Border 1828—1921, Cambridge 1953. 55 G. A. Lensen, The Russian Push toward Japan: Russo-Japanese Relations 1697 —1875, Princeton 1959; ders., Russia's Japan Expedition of 1852 to 1855, Gaines­ ville, F lo 1955; E. Ja. F ajnberg, Russko-japonskie otnošenija 1697—1875 gg., M. 1960; J . J . Stephan, The Kuril Islands. Russo-Japanese F rontiers in the Pacific, London 1975, Kap. 3; Μ. Kajima, Geschichte der japanischen Außenbeziehungen. Bd. 1: Von der Landesöffnung bis zur Meiji-Restauration, Wiesbaden 1976. 56 Die russisch-chinesischen Verträge von 1858 und 1860 in: Russko-kitajskie otnošenija 1689—1916 gg., M. 1958, 29 ff. Von sowjetischen Historikern werden diese Abkommen heute als Akte russischer Hilfeleistung für das von Großbritannien und 18*

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Anmerkungen zu Seite 73—75 Frankreich bedrohte China gedeutet, vgl. M. I. Sladkovskij, Otnošenija meždu Ros­ siej i Kitaem v seredine XIX v., in: NNI 1975/3, 55—64; ders., Istorija torgovo-eko­ nomičeskich otnošenij narodov Rossii s Kitaem (do 1917 g.), M. 1974, 233 ff.; A. N. Chochlov, Vopros o voennoj pomošči Rossii Kitaju v konce 50-ch — načale 60-ch godov XIX v., in: Strany Dal'nego Vostoka i Jugo-Vostočnoj Azii, M. 1967; L. G. Beskrovnyj u. A. L. Naročnickij, Κ istorii vnešnej politiki Rossii na Dal'nem Vostoke v XIX v., in: VIst 1974/6, 14—36; dazu A. L. Naročnickij, Koloniarnaja politika ka­ pitalističeskich deržav na Dal'nem Vostoke 1860—1895 gg., M. 1956; R. K. I. Que­ sted, The Expansion of Russia in East Asia 1857—1860, Kuala Lumpur 1968; auch G. K. Kindermann, Der F erne Osten in der Weltpolirik des industriellen Zeitalters, München 1970, 48 ff. 57 S. B. Okun' 219—259; dazu allgemein: W. A. Williams, American-Russian Re­ lations, 1781—1947, N.Y. 1952; Η. Chevigny, Russian America. The Great Alaskan Venture 1741—1867, London 1967; E. Hölzle, Rußland und Amerika. Aufbruch und Begegnung zweier Weltmächte, München 1953. 58 Der Vertragstext vom 7. Mai 1875 bei Lensen, The Russian Push, 501 ff. — Zur Modernisierung Japans: W. G. Beasley, The Meiji Restauration, Stanford 1972; H. Rosovsky, Japans Übergang zum modernen Wirtschaftswachstum 1868—1885, in: W. Fischer Hg., Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Probleme der frühen Industrialisierung, Berlin 1968, 118—178; komparatistisch angelegte Essays: C. E. Black u. a., The Modernization of Japan and Russia, N.Y. 1975; ders., Russian History in Japanese Perspective. An Experiment in Comparison, in: JGO 23. 1975, 481 ff. Vgl. im übrigen Kapitel II.4. 59 Zur zentralasiatischen Expansion unter dem Aspekt des russisch-britischen Gegensatzes in Persien vgl. das grundlegende Werk von F. Kazemzadeh, Russia and Britain in Persia, 1864—1914. Α Study in Imperialism, New H aven 1968, bes. 3—99, dort auch die ältere englische Literatur. 60 Über die Grenzen und Möglichkeiten des Vergleichs: D. W. Treadgold, Russian Expansion in the Light of Turner's Study of the American F rontier, in: Agricultural History 26. 1952; D. Gerhard, Neusiedlung u. institutionelles Erbe. Zum Problem von Turners „F rontier", in: Ders., Alte u. neue Welt in vergleichender Geschichtsbetrachtung, Göttingen 1962, 108—140; J . L. Wieczynski, Toward a F rontier Theory of Early Rus­ sian History, in: RR 33. 1974, 284—295; kritisch dazu C. Goehrke, Die geographischen Gegebenheiten Rußlands in ihrem historischen Beziehungsgeflecht, in: HGR 1 (1.) 1976, 71 f. 61 Gorčakovs Zirkulardepesche (22. 1./3. 12. 1864): C. de Cardonne, L'Empereur Alexandre II, Paris 1883, 587; Auszüge bei Hoetzsch, Rußland in Asien, 27, 78; zu den F eldzügen von 1864/65 neuerdings: D. MacKenzie, The Lion of Tashkent. The Career of General M. G. Cherniaev, Athens 1974, 34 ff., 51 ff. 62 Dnevnik Valueva 2, 60 f. (20. 7. 1865V 63 J . A. Schumpeter, Soziologie der Imperialismen, in: ASS 46. 1919, 1—39, 275 bis 310; dazu Μ. Green, Schumpeters Imperialismustheorie, in: H . U. Wehler H g., Imperialismus, 155—163; E. H eimann, Zur Ökonomie u. Soziologie des Imperialismus, in: Ders., Wirtschaftssysteme u. Gesellschaftssysteme, Tübingen 1954, 175—194. 64 Den Vorrang der ökonomischen Interessen des sich entfaltenden russischen Kapitalismus unterstreichen die Untersuchungen von N. A. Chalfin, Politika Rossii v Srednej Azii 1857—1868 gg., M. 1960; ders., Prisoedinenie Srednej Azii k Rossii (60 —90e gody XIX v.), Μ. 1965; ders., Ο dvižuščich motivach politiki Rossii v Srednej Azii (60—70e gody XIX v.), in: ISSSR 1972/4, 128—135; ders., Rossija i chanstva Srednej Azii (pervaja polovina XIX v.), Μ. 1974. Vgl. dagegen — unter Betonung des britisch-russischen Gegensatzes als Expansionsmotiv: Μ. Κ. Rožkova, Ėkonomi276 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 75—82 českie svjazi Rossii so Srednej Aziej 40—60-ch godov XIX v., M. 1963, 224 passim; Ν. S. Kinjapina, Srednjaja Azija vo vnešnepolitičeskich planach carizma (50—80e gody XIX v.), in: VIst 1974/2, 36—51; K. M. Anwar, England, Russia and Central Asia. A Study in Diplomacy 1857—1879, Peshewar 1969. 65 Zu den begrenzten Initiativen und der geringen Risikobereitschaft Moskauer Handels- und Industriekreise: V. Ja. Laveryčev, Krupnaja buržuazija v porefor­ mennoj Rossii 1861—1900, M. 1974, 195 ff. 66 J . W. Strong, The Ignat'ev Mission to Khiva and Bukhara in 1858, in: CSP 17. 1975, 236—259; G. B. Ritschie, The Asiatic Department During the Reign of Alexander II, 1855—1881, Ph. D. Diss. Columbia U. P., N.Y. 1970. 67 A. L. Popov, Iz istorii zavoevanija Srednej Azii, in: IZ 9. 1940, 198—242. 68 Chalfin, Politika Rossii, 227. 69 D. MacKenzie, Kaufman of Turkestan: An Assessement of His Administration, 1867—1881, in: SR 26. 1967, 265—285; Ε. Μ. Crean, The Governor-Generalship of Turkestan Under K. P. v. Kaufmann 1867—1882, Ph. D. Diss., Yale 1970. 70 J . Stadelbauer, Bahnbau u. kulturgeographischer Wandel in Turkmenien. Ein­ flüsse der Eisenbahn auf Raumstruktur, Wirtschaftsentwicklung u. Verkehrsintegration in einem Grenzgebiet des russischen Machtbereichs, Berlin 1973, 83 ff. 71 O. Hoetzsch, Russisch-Turkestan u. die Tendenzen der russischen Kolonialpolitik, in: Schmollers Jb. 37. 1913, 903—941, 1427—1473. — Neuere Untersuchungen: R. Pierce, Russian Central Asia 1867—1917. Α Study in Colonial Rule, Berkeley 1960; Ε. Allworth H g., Central Asia. Α Century of Russian Rule, N.Y. 1967; S. Becker, Russias Protectorates in Central Asia. Bukhara and Khiva 1865—1924, Cambridge, Mass. 1968; D. MacKenzie, Turkestan's Significance to Russia 1850—1917, in: RR 33. 1974, 167—188; Μ. Sarkisyanz, Russian Conquest in Central Asia. Transformation and Acculturation, in: W. S. Vucinich, Russia and Asia, 248—288. 72 Dostoevskij, Geok Tepe. Čto takoe dlja nas Azija? Dt. in: Tagebuch eines Schriftstellers (Januar 1881). Hg. v. Α. Eliasberg, Bd. 4, München 1923, 466—473. 73 Moskovskie vedomosti, 2, März 1865, zit. nach Hoetzsch, Rußland in Asien, 78. 74 N. Knorring, General Michail Dm. Skobelev, Paris 1939/40, 2 Bde. 75 Dnevnik Miljutina 1, 35. 7β Popov, Iz istorii, 225 f. 77 Vgl. dazu die Äußerungen des Kriegsministers: Dnevnik Miljutina 1, 218 (26. 8. 1875). — Zur bestimmenden Rolle Miljutins und gegen die verbreitete These von der Eigenmächtigkeit der turkestanischen Generäle: P. Morris, The Russians in Central Asia, 1870—1887, in: SEER 53. 1975, 521—538. 78 Belege aus den britischen Akten bei F. Kazemzadeh, Russia and the Middle East, in: I. J . Lederer Hg., Russian Foreign Policy. Essays in Historical Perspective, New Haven 19663, 500 f. 79 Moskovskie vedomosti, 16. August 1879, zit. nach Hoetzsch, Rußland in Asien, 116. 80 M. N. Tichomirov, Prisoedinenie Merva k Rossii, M. 1960. 81 Kazemzadeh, Russia and Britain, 57 ff. passim. 82 I. C. Hsü, The Ili Crisis. Α Study in Sino-Russian Diplomacy, 1871—1881, Ox­ ford 1965; Text des Vertrags von St. Petersburg (12. 2. 1881) in: Russko-kitajskie ot­ noSenija 1689—1916, 54 ff. 83 Kazemzadeh, Russia and Britain, 100 ff. 84 Zum folgenden: M. L. Entner, Russo-Persian Commercial Relations, 1828—1914, Gainesville, Flo. 1965 (mit reichen statistischen Angaben). 85 F. Kazemzadeh, Russian Imperialism and Persian Railways, in: H SS 4. 1957, 355—373; vgl. B. C. Bush, Britain and the Persian Gulf 1894—1914, Berkeley 1967;

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Anmerkungen zu Seite 82—87 J . B. Plass, England zwischen Rußland und Deutschland. Der Persische Golf in der britischen Vorkriegspolitik, 1899—1907, Hamburg 1966; G. L. Bondarevskij, Anglij­ skaja politika i meždunarodnye otnošenija v bassejne Persidskogo zaliva, M. 1968. 86 B. V. Anan'ič, Rossijskoe samoderžavie i vyvoz kapitalov 1895—1914 gg. (po materialam Učetno-ssudnogo banka Persii), L. 1975; P. Luft, Strategische Interessen u. Anleihepolitik Rußlands in Iran, in: GuG 1. 1975, 506—538. Vgl. Kap. III.4. I.5 Grundlegend für das Experiment innerer Stabilisierung: Zajončkovskij, Krizis samoderžavija. 2 Maßgebende Darstellung der russischen Politik gegenüber Bulgarien und Serbien: Ch. Jelavich, Tsarist Russia and Balkan Nationalism, Berkeley 1958. 3 V. Α. Zolotov, Chlebnyj ėksport Rossii čerez porty Černogo i Azovskogo mo­ rej v 60—90e gody XIX v., Rostov 1966, 97—103; Β. Jelavich, The Ottoman Empire, the Great Powers and the Strait Question, 1870—1887, Bloomington, Ind. 1973. 4 S. D. Skazkin, Konec avstro-russko-germanskogo sojuza. Issledovanie po istorii russko-germanskich i russko-avstrijskich otnošenij v svazi s vostočnym voprosom v 80-e gody XIX st., M. 1928, 19742. In der vom Institut istorii SSSR AN SSSR ver­ öffentlichten 2. Aufl. wurde — aus keineswegs einleuchtenden Gründen — das wichtige Bulgarienkapitel der Originalausgabe (S. 195—337) auf wenige Seiten (S. 235—239) zusammengestrichen. — Zur Entstehungsgeschichte des Dreikaiserbundes neuerdings — unter Benutzung auch russischer Akten — M. Hammer, L'entente des trois empe­ reurs: Recherches sur les méthodes et l'orientation de la politique extérieure russe entre 1879 et 1881, Bern 1973; ferner: W. H. Brennan, The Russian F oreign Ministry and the Alliance with Germany, in: Russ. History 1. 1974, 18—30. 5 Neben der jüngsten diplomatiegeschichtlichen Darstellung von B. Waller, Bismarck at the Crossroads. The Reorientation of German F oreign Policy after the Congress of Berlin 1878—1880, London 1974, vgl. jetzt zur Rußlandpolitik Bismarcks vor allem die grundlegende Arbeit von Müller-Link, Industrialisierung und Außenpolitik. 6 Skazkin, 1974, 123 ff.; vgl. J . Y. Simpson, The Saburov Memoirs or Bismarck and Russia, Cambridge 1929, 50 ff. — Giers erfuhr erst Anfang Oktober 1879 von der Existenz des Dreikaiservertrags von 1873; bis dahin waren nur Gorčakov, Miljutin und der Thronfolger unterrichtet, vgl. Dnevnik Miljutina 3, 169. 7 Miljutin, Aufzeichnung vom November 1879, zit. nach Skazkin 1974, 167 f. — Wichtige Informationen über die Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung vermittelt das Tagebuch des Kriegsministers: Dnevnik Miljutina 3, 154 ff. passim. Zum Vorwurf des Deutschenhassers und Kriegstreibers hat sich Miljutin mehrfach auch in seinen pri­ vaten Aufzeichnungen abwehrend geäußert; vgl. etwa die Tagebucheintragungen vom 23. 8. 1879, 15. 3. 1880, 27. 5. 1880 (ebd., 157 f., 233, 254). 8 Grüning, Die russische öffentliche Meinung, 63 ff. Vgl. auch H. Heilbronner. The Russian Plague of 1878—1879, in: SR 21. 1962, 89—112. 9 Art 4 des Protokolls zum Vertrag vom 6./18. 6. 1881. 10 Skazkin, 1974, 171 ff. 11 Zum neuen Regime Alexanders III. am besten: Zajončkovskij, Krizis, 300 ff.; über die Person des Oberprokureurs die große Biographie von R. F . Byrnes, Pobe­ donoscev. His Life and Thought, Bloomington, Ind. 1968; dazu F . Steinmann u. E. Hurwicz, Pobedonoszew; zur Rolle Katkovs: Tvardovskaja, Ideolog samoderžavija, 254 ff. 12 Schweinitz, Denkwürdigkeiten 2, 194 (5. 4. 1882). 13 Valuev, Dnevnik 1877—1884, Petrograd 1919, 187 (17. 3. 1882). Zu den anti­ deutschen Auftritten Skobelevs: KA 2 (27), 215—225; ferner H. Herzfeld, Bismarck 1

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Anmerkungen zu Seite 87—90 u. die Skobelew-Episode, in: HZ 142. 1930, 279—302; E. R. v. Rutkowski, General Skobelev, die Krise des Jahres 1882 u. die Anfänge der militärischen Vereinbarungen zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland, in: Ostdeutsche Wissenschaft 10. 1963, 81—151. 14 Pobedonoscev an den Zaren, Mai 1881, in: K. P. Pobedonoscev i ego korres­ pondenty. Pis'ma i zapiski, M. 1923, Bd. I/1, 233 f. 15 Schweinitz, Denkwürdigkeiten 2, 196 (5. 5. 1882); zur F ortwirkung dieser Deu­ tung vgl. Bülow an H. v. Bismarck (5. 5. 1887), in: W. Bußmann Hg., Staatssekretär Graf Herbert v. Bismarck. Aus seiner politischen Privatkorrespondenz, Göttingen 1964, 441. 16 Über das Ministerium Ignat'ev: Zajončkovskij, Krizis, 379 ff.; zur Person des Nachfolgers, D. A. Tolstoj, im Rückgriff auf dessen Amtszeit als Minister für Volks­ aufklärung (1866—1880): A. Sinei, The Classroom and the Chancellery: State Educa­ tional Reform in Russia Under Count Dmitry Tolstoy, Cambridge, Mass. 1973. 17 Schweinitz, Denkwürdigkeiten 2, 230 f. (16. 5. 1883); dazu die Tagebuchaufzeich­ nungen Valuevs, Dnevnik 1877—1884, 228 ff. (16. 5. 1883). 18 S. S. Volk, Narodnaja volja, 1879—1882, M. 1966, 133 ff. 10 Aufzeichnung Meščerskijs für den Zaren (21. 10. 1882), zit. nach der verdienst­ vollen, zahlreiche unveröffentlichte Tagebücher u. Memoiren erschließenden Arbeit von Ju. B. Solov'ev, Samoderžavie i dvorjanstvo v konce XIX v., L. 1973, 90; vgl. die gedruckten Memoiren V. P. Meščerskijs, Moi vospominanija, Bd. 2, SPb 1898. 20 Zur Politik der Reaktion unter Alexander III.: P. A. Zajončkovskij, Rossijskoe samoderžavie v konce XIX st. Političeskaja reakcija 80-ch — načala 90-ch godov, M. 1970; L. G. Zacharova, Zemskaja kontrreforma 1890 g., M. 1968; über die Adels­ politik: Solov'ev, Samoderžavie, 165 ff.; zu den adligen Standesorganisationen: Α. Ρ. Korelin, Rossijskoe dvorjanstvo i ego soslovnaja organizacija 1861—1905, in: ISSSR 1971/5, 56—81. 21 General M. A. Zinov'ev in einem Verwaltungsbericht von 1886, zit. bei R, Witt ram, Baltische Geschichte, 227. 22 M. v. Oettingen, Stadtrat in Riga (1887), zit. ebd., 224. Zur Resonanz der Rus­ sifizierungspolitik vgl. J . v. H ehn, Die baltische Frage zur Zeit Alexanders III. in den Äußerungen der deutschen Öffentlichkeit, Marburg 1953. Neuere sozialgeschichtliche Arbeiten: G. H. Schlingensiepen, Der Strukturwandel des baltischen Adels in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, Marburg 1959; G. v. Pistohlkors, Reformpolitik. 23 Russischer Antisemitismus und Judenpolitik seit den 80er Jahren: H. Rogger, The Jewish Policy of Late Tsarism. A Reappraisal, in: The Wiener Library Bull. 25. 1971, 42—51; ders., Russian Ministers and the Jewish Question, 1881—1917, in: CSS 8. 1975, 15—76; ders., Government, Jews, Peasants and Land in Post-Emancipation Russia, in: CMRS 17. 1976, 5—25, 171—211; I. M. Aronson, Russian Bureaucratic Attitudes toward Jews 1881—1894, Ph. D. Diss. Northwestern Univ. 1973; ders., The Attitudes of Russian Officials in the 1880s toward Jewish Assimilation, in: SR 34. 1975, 1—18. Zur antikapitalistischen Tendenz des russischen Antisemitismus die noch ungedruckte F reiburger Diss. von H. D. Löwe, Antisemitismus u. reaktionäre Utopie. Zu Politik u. Ideologie von Bürokratie u. Konservativen in Rußland 1890 bis 1917 (1976), hier: Kap. I—III. 24 Regierungsstil und Persönlichkeit des Zaren: Zajončkovskij, Rossijskoe samo­ deržavie, 35 ff.; Skazkin 1974, 197 ff.; Solov'ev, Samoderžavie, 44 ff. passim. 25 Valuev, Dnevnik 1877—1884, 223 f. (15. 2. 1883). Zur Pressepolitik und Zensur: Zajončikovskij, Rossijskoe samoderžavie, 262 ff., sowie Ε. Μ. Feoktistov, Vospomi­ nanija. Za kulisami politiki i literatury, 1848—1896, L. 1929, Neudruck: Cambridge 1975, 239 ff.

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Anmerkungen zu Seite 90—95 Katkov an den Zaren (Februar 1884), zit. nach Solov'ev, Samoderžavie, 92. Zu Meščerskij; ebd., 85 ff. 28 Pobedonoscev an den Zaren (4. 3. 1887), in: Pis'ma Pobedonosceva k Aleksandru III., Bd. 2, M. 1925, 138 f. 29 Die Angaben nach Zajončkovskij, Samoderžavie i russkaja armija na rubeže XIX—XX stoletij, M. 1973, 80 f., 123 f., 215 ff. 30 L. G. Beskrovnyj, Russkaja armija i flot v XIX veke. Voenno-ėkonomičeskij po­ tential Rossii, M. 1973, 517 f.; vgl. Solov'ev, Samoderžavie, 79 f. 51 Schweinitz, Denkwürdigkeiten 2, 237 (23. 6. 1883). 32 Marginalie Alexanders III. zu einer Denkschrift A. I. Nelidovs (6./18. 12. 1882), in: KA 46, 182—187. 33 Vgl. Kapitel I.4.2. 35 Giers an Baron Staal, russ. Botschafter in London, 17. 7. 1884, in: Correspon­ dance diplomatique de M. de Staal 1884—1900, Paris 1929, Bd. 1, 48; vgl. A. v. Erd­ mann, Nikolaj Karlovič Giers, russ. Außenminister 1882—1895, in: ZOG 9. 1935, 495 ff., 505. 35 Tagebuchnotiz des Reichssekretärs Polovcov, 25. 10. 1885, in: Dnevnik gosu­ darstvennogo sekretarja A. A. Polovcova, Bd. 1. 1883—1886, M. 1966, 344. 36 Zu den militärischen Aspekten der britischen Diplomatie: R. L. Graves, Russia and Persia and the Defense of India, 1884—1892, London 1959, 70 ff.; P . C . M . S . Braun, Die Verteidigung Indiens. Das Problem der Vorwärtsstrategie, Köln 1968, 137 ff.; Kazemzadeh, Russia and Britain, 94 ff.; dazu allgemein: B. Jelavich, British Means of Offense against Russia in the 19th Century, in: Russ. H istory 1. 1974, 119 bis 135. 37 Zur Erneuerung des Dreikaiserbündnisses 1884: Skazkin, 1974, 240 ff. 39 Die von Bismarck geförderte Dämonisierung der russischen Politik zeigt ein­ drucksvoll die ungedruckte Diss. von H . H ink, Bismarcks Pressepolitik in der bulga­ rischen Krise und der Zusammenbruch seiner Regierungspresse 1885—1890, Tübingen 1974, 94 ff. passim; vgl. im übrigen Müller-Link, Industrialisierung u, Außenpolitik, 293 ff., 309 ff. 39 Dazu ausführlich: Ch. Jelavich, Tsarist Russia and Balkan Nationalism, passim. Zur russ. Bulgarienpolitik 1881—1884: Skazkin, Konec, 1928, 212—333; ferner E: C. Corti, Alexander v. Battenberg, sein Kampf mit dem Zaren u. Bismarck, Wien 1920; Neuausg. u. d. T.: Leben und Liebe A. v. Battenbergs, Graz 1949; A. H ajek, Bulgariens Befreiung und staatliche Entwicklung unter seinem ersten Fürsten, München 1939. 40 Zur bulgarischen Verfassung: C. E. Black, The Establishment of Constitutional Government in Bulgaria, Princeton 1943, Nachdruck 1970. 41 Ch. Jelavich, Balkan Nationalism, 65 ff.; G. W. F. H allgarten, Imperialismus vor 1914. Bd. 1, München 1963, 227 ff.; Skazkin, 1928, 256 ff.; vgl. V. Paskoleva, Über den wirtschaftlichen Einfluß Österreich-Ungarns auf Bulgarien 1878—1918, in: F. Klein H g., Österreich-Ungarn in der Weltpolitik 1900—1918, Berlin 1965; S. Bojanoff, Das ausländische Kapital in Bulgarien bis zum Weltkriege, Phil. Diss. Frankfurt 1926; allgemein: A. Gerschenkron, Some Aspects of Industrialization in Bulgaria, in: Ders., Economic Backwardness in H istorical Perspektive. A Book of Essays, Cambridge, Mass. 1962, 198—234; W. Zorn, Umrisse der frühen Industrialisierung Südosteuropas im 19. Jh., in: VSWG 57. 1970, 500—533. 42 Ch. Jelavich, Balkan Nationalism, 216 ff. 43 Ebd., 256, sowie Alexander III. an General Obručev, 12./24. 9. 1885, in: KA 46, 180. 44 Über den russischen Anteil am Sturz des Battenbergers und zur Kaulbars-Mis­ sion: Avantjury russkogo carizma v Bolgarii. Sb. dokumentov, M. 1935, 3 ff., 23 ff. 26

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Anmerkungen zu Seite 95—101 45 J . v. Königslöw, Ferdinand v. Bulgarien. Vom Beginn der Thronkandidatur bis zur Anerkennung durch die Großmächte, 1886—1896, München 1970; B. Jelavich, Russo-Bulgarian Relations, 1892—1896, in: JMH 24. 1952, 341—351; Α. Κ. Mar­ tynenko, Russko-bolgarskie otnošenija 1894—1902 gg., Kiev 1967. 46 Zur Quellenlage und Forschungsgeschichte: H. Hallmann Hg., Geschichte u. Problematik des deutsch-russ. Rückversicherungsvertrags von 1887, Darmstadt 1968. — Die Berichte P. A. Šuvalovs über seine Gespräche mit Bismarck: ΚΑ 1, 92—127; auf­ schlußreich die Tagebuchaufzeichnungen des Ministergehilfen im Außenministerium: Dnevnik V. N. Lamzdorfa 1886—1890, M. 1926, Auszüge in dt. Übers. in: BM 9. 1931, 158—177. Vgl. auch V. Frank u. E. Schüle, Graf Pavel A. Šuvalov, russ. Bot­ schafter in Berlin, 1885—1894, in: ZOG 7. 1933, 535 ff. 47 A. Dorpalen, Tsar Alexander III and the Boulanger Crisis in France, in: JMH 23. 1951, 122—136; G. P. Morozov, Russko-francuzskie otnošenija vo vremja voennoj trevogi 1887 g., in: FE 1959, 248—281; Berichte des russ. Botschafters in Paris Moh­ renheim an Giers, in: KA 5 (72), 51—109; ferner H ink, Bismarcks Pressepolitik, 112 ff.; H. Krausnick, H olsteins großes Spiel im Frühjahr 1887, in: Geschichte u. Gegenwarts­ bewußtsein. Fs. f. H . Rothfels, Göttingen 1963, 357—427. 48 Grüning, Die russische öffentliche Meinung, 86—139. 40 Zu der 1886 eröffneten Agitation Katkovs für eine französische Orientierung, vgl. dessen Briefe an den Zaren (26. 12. 1886, 8. 1. 1887, 31. 3. 1887), in: KA 3 (58), 60 bis 85; dazu I. S. Rybačenok, Raznoglasija v pravjaščich krugach o napravlenii vnešnej politiki v 1886—87 gg., in: VMU-Ist 1973/5, 78—87; A. Z. Manfred, Obra­ zovanie russko-francuzskogo sojuza, M. 1975, 228 ff. 50 Dazu ausführlich, H ink, 127 ff. 51 Grünine, 111. 52 Pobedonoscev an den Zaren, 11. 3. 1887, dt. bei Grüning, 112 ff. 53 Vgl. Kapitel II.2. 54 Zu den wirtschaftlichen Bedingungen vgl. Kapitel II.1.

II.1 1 Zur Depression der 80er Jahre: A. F. Jakovlev, Ėkonomičeskie krizisy v Rossii, M. 1955, 127 ff.; L. Mendel'son, Ėkonomičeskie krizisy i cikly XIX v., M. 1949, 590 ff.; Produktionsstatistik bei P. A. Chromov, Ėkonomičeskoe razvitie Rossii v XIX—XX vekach (1800—1917), M. 1950, 452 ff.; zur staatlichen Finanzwirtschaft u. Wirt­ schaftsförderung (bis 1892): I. F. Gindin, Gosudarstvennyj bank. 2 I. D. Kolval'čenko, Agrarverhältnisse u. Bauernbewegung in Rußland, Ende des 19. bis Anf. des 20. Jhs., Mainz 1973 Ms.; ders., Sootnošenie krest'janskogo i po­ meščič'ego chozjajstva v zemledel'českom proizvodstve kapitalističeskoj Rossii, in: Problemy social'no-ėkonomičeskoj istorii Rossii, M. 1971, 171—194; zur Lage des Landadels: A. P. Korelin, Dvorjanstvo v poreformennoj Rossii, 1861—1904 gg., in: IZ 87. 1971, 91—173. 3 J . Nötzold, Wirtschaftspolitische Alternativen der Entwicklung Rußlands in der Ära Witte und Stolypin, München 1966; Th. v. Laue, Sergei Witte and the Industri­ alization of Russia, N.Y. 1963; dazu die Beiträge in: Geyer H g., Wirtschaft u. Gesell­ schaft. 4 Vgl. Kapitel II.5. 5 Zur Adelspolitik: Solov'ev, Samoderžavie, hier bes. 167 ff., 201 ff.; vgl. ders., Samoderžavie i dvorjanskij vopros v konce XIX veka, in: IZ 88. 1971, 150—209; ders., Pravitel'stvo i politika ukreplenija klassovych pozicij dvorjanstva v konce XIX veka, in: Vnutrennjaja politika carizma, L. 1967, 239—280.

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Anmerkungen zu, Seite 101—106 Die folgenden Daten nach Korelin, in: IZ 87, 143 ff. Angaben hier u. im folgenden nach Korelin, 156 ff., Zajončfkovskij, Rossijskoe samoderžavie, 112 ff.; ders., Samoderžavie i russkaja armija, 207 ff. Eine dürftig belegte Gegenposition gegen diese Befunde bei A. M. Davidovič, Samoderžavie v ėpochu imperializma. Klassovaja suščnost' i evoljucija absoljutizma v Rossii, dazu die Rezension von M. H agen in: JGO 25. 1977. Zur Sozialgeschichte des Offiziers­ korps: Η. Ρ. Stein, Der Offizier des russischen H eeres zwischen Reform u. Revolution, in: FOG 13. 1957, 396—507. 8 Vgl. Kapitel II.2. 9 Dnevnik Lamzdorfa 1, 30 (5. 1. 1887). 10 Zur Finanzpolitik Bunges: Gosudarstvennyj bank, 53 ff. passim; J . L. Pesda, N. K. Bunge and the Russian Economic Development, 1881—1886, Ph. D. Diss., Kent State Univ. 1971; intensive Auswertung zeitgenössischen deutschen Materials bei Mül­ ler-Link, Industrialisierung und Außenpolitik, 21 ff. — Zur Abschaffung der Kopf­ steuer: N. I. Anan'ič, Κ istorii otmeny podušnoj podati v Rossii, in IZ 94. 1974, 183—212. 11 H. v. Bismarck an Rantzau, 14. 3. 1884, in: Bußmann Hg., 220. 12 V. Wittschewsky, Rußlands Handels-, Zoll- u. Industrie-Politik von Peter dem Großen bis auf die Gegenwart, Berlin 1905, 135 ff., 175; M. N. Sobolev, Tamožen­ naja politika Rossii vo vtoroj polovine XIX veka, Tomsk 1911, 427 ff., 692 ff.; Müller­ Link, 214 ff. 13 G. v. Schulze-Gaevernitz, Der Nationalismus in Rußland u. seine wirtschaft­ lichen Träger, in: PJ 75. 1894, 350. Zu den gegen Vyšnegradskij erhobenen Vor­ würfen der persönlichen Bereicherung: Dnevnik. Polovcova, in: KA 46, 110 f. (29. 3. 1895). 14 Vgl. H.-U. Wehler, Bismarck u. der Imperialismus, Köln 1969, 95 ff.; K. W. Hardach, Die Bedeutung wirtschaftlicher F aktoren bei der Wiedereinführung der Ei­ sen- und Getreidezölle in Deutschland 1879, Berlin 1967; H. Böhme, Deutschlands Weg zur Großmacht. Studien zum Verhältnis von Wirtschaft u. Staat während der Reichs­ gründungszeit, Köln 1966, 561 ff., 603 f. 15 Über die Revision der Zemstvo-Gesetze und die neuen Kontrollorgane der Bau­ ernverwaltung: Zajončkovskij, Rossijskoe samoderžavie, 366 ff., 401 ff.; L. G. Zacha­ rova, Zemskaja kontrreforma, M. 1968. 18 Zolltarifgesetz von 1891: Sobolev, 699—796; Wittschewsky, 151 ff.; zum Anteil Mendeleevs: S. A. Pokrovskij, Vnešnjaja torgovlja u vnešnjaja torgovaja politika Rossii, M. 1947, 284—293; I. F. Gindin, D. I. Mendeleev o razvitii promyšlennosti v Rossii, in: VIst 1976/9, 210 ff.; zur Zollpolitik Vyšnegradskijs aus deutscher Sicht neuerdings: Müller-Link, 314 ff. 17 Sobolev, 699—704. 18 Ebd., 792 f. 19 Statistische Nachweise bei Chromov, 452 ff.; Jakovlev, 397 ff. 20 Direktinvestitionen: J . P. MacKay, Pioneers for Profit. F oreign Entrepreneurship and Russian Industrialization, 1885—1913, Chicago 1970; Β. Ischchanian, Die aus­ ländischen Elemente in der russischen Volkswirtschaft, Berlin 1913. 21 Vel. Kapitel II.2 u. 3. 22 Dnevnik Lamzdorfa 1, 50 (12. 1. 1887). 23 Ebd., 217 f. (9. 11. 1889), 351 ff. (26. 11. 1890). 24 Vyštoegradskijs „Exportoffensive": Wittschewsky, 140 ff., 148, 175; B. Bonwetsch, Handelspolitik u. Industrialisierung. Zur außenwirtschaftlichen Abhängigkeit Rußlands, in: Geyer Hg., Wirtschaft u. Gesellschaft, 277 ff.; S. A. Pokrovskij, Vnešnjaja torgovlja, 298 ff. — Erntestatistik: A. S. Nifontov, Statistika urožaev v Rossii 6

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282 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 106—112 v XIX v., in: IZ 81. 1968, 216—258. — Der Durchschnittspreis für Getreide sank in Rußland zwischen 1881 u. 1894 um etwa die Hälfte — von 119,4 auf 59,3 Kopeken pro Pud (= 16,3 kg), Wittschewsky, 143. Vgl. allgemein: B. Foeldes, Die Getreidepreise im 19. Jh., in: JNS 29. 1905, 467—514; L. Perlmann, Die Bewegung der Getreidepreise u. ihre Ursachen, München 1914. 2e G. B. Robbins jr., The Famine in Russia 1891—1892: The Imperial Government Responds to a Crisis, Ν.Y. 1975; S. Bensidoun, L'agitation paysanne en Russie de 1881 a 1902, Paris 1975, 302 ff. 27 B. V. Anan'ič, Rossija i meždunarodnyj kapital, 1897—1914. Očerki istorii finansovych otnoženij, L. 1970, 13; R. Girault, Emprunts russe et investissements français en Russie 1887—1914, Paris 1969, 188 ff. Zur Obstruktion des Hauses Roth­ schild: Dnevnik Lamzdorfa 2, 107 (26. 4. 1891), 148 ff. (22. 6. 1891), 198 (15. 11. 1891). 28 Vel. Kapitel II.2. 29 Dnevnik Polovcova 2, 442 (5. 4. 1892); dazu die Erläuterungen von P. A. Za­ jončkovskij, ebd., 516. Vgl. auch Dnevnik Lamzdorfa 2, 310 f. (8. 3. 1892). 30 S. J . Witte, Vorlesungen über Volks- und Staatswirtschaft [1901/02], Stuttgart 1913, Bd. 1, 60. 31 Laue, Sergei Witte, passim. 32 S. Ju. Vitte, Vospominanija, Bd. 1—3, M. 1960; von der 1922 in Berlin ver­ öffentlichten 1. russ. Ausg. erschien eine gekürzte deutsche F assung, hg. v. O. Hoetzsch, Graf Witte, Erinnerungen, Berlin 1923. Zur Memoirenkritik vgl. die Einleitung von A. L. Sidorov zur sowjetischen Aus­ gabe: Vospominanija 1, III—LXX. 33 Witte, Vorlesungen 1, 131 f. 34 Statistische Nachweise zum industriellen Aufschwung bei Chromov, 452 ff.; vgl. auch Mendel'son, 687 ff.; Eisenbahnbau: A. M. Solov'eva, Železnodorožnyj trans­ port, bes. 251 ff.; J . Metzer, Railroads in Tsarist Russia: Direct Gains and Implications in: Explorations in Economic History 13. 1976, 85—111. 35 Zur Urbanisierung: L. Μ. Ivanov, Ο soslovno-klassovoj strukture gorodov kapi­ talističeskoj Rossii, in: Problemy social'no-ėkonomičeskoj istorii Rossii, M. 1971, 312—340; R. H . Rowland, Urban In-Migration in Late 19th Century Russia, Ph. D. Diss. Columbia Univ. 1971; J . H. Bater, St. Petersburg: Industrialization and Change, London 1975; vgl. den Forschungsbericht von M. H ildermeier, Sozialer Wandel im städtischen Rußland in der zweiten H älfte des 19. Jhs., in: JGO 25. 1977. 36 Vel. Kapitel II.4.1. 37 L. G. Beskrovnyj, Russkaja armija, 485, 600 f. Die Daten beziehen sich auf die faktischen Militärausgaben, nicht auf die im Staatshaushalt ausgewiesenen Summen, vgl. Tab. 6. 38 Dnevnik Polovcova, in: KA 46, 121 (11. 6. 1899); russ. Dokumente zur H aager Konferenz in: KA 50/51, 64—96, 54/55, 49—79; die französischen Akten in: DDF 1. 14, 475 ff.; vgl. dazu D. L. Morill, Nicholas II and the Call for the First H ague Con­ ference, in: JMH 46. 1974, 296—313. 39 Witte, Vorlesungen 1, 80 ff. 40 Bonwetsch, H andelspolitik, 280 ff. 41 Dnevnik Polovcova 2, 460, 517. 42 A. I. Bukoveckij H g., Materialy po denežnoj reforme 1895—1897 gg. Bd. 1, Petrograd 1922; O. Crisp, Russian Financial Policy and the Gold Standard at the End of the 19th Century, in: EcH R 6. 1953, 156—172, jetzt auch in: Dies., Studies in Russian Economy before 1914, London 1976; gegen die skeptische Bewertung der ökonomischen Vernunft des Goldstandards bei H . Barkai, The Macro-Economics of Tsarist Russia in the Industrialization Era, in: JEH 33. 1973, 339—372, wendet sich 283 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 112—117 I.M. Drummond, The Russian Gold Standard 1897—1914, ebd., 36. 1976, 663—688; vgl. A. Kahan, Government Policies and the Industrialization of Russia, ebd., 27. 1967, 460—477; auch P. Gregory u. J . W. Sailors, Russian Monetary Policy and In­ dustrialization 1861—1913, ebd., 36. 1976, 836—851. 43 Vgl. Kapitel II.3. 44 Th. v. Laue, Problems of Modernization, in: I . J . Lederer Hg., Russian F oreign Policy, 79. 45 Drastische Charakteristik des unerfahrenen Zaren und der politischen und mo­ ralischen Qualität seiner Umgebung: Dnevnik Lamzdorfa, in: KA 46, 27 (24. 1. 1895), 33 (5. 2. 1895); Dnevnik Polovcova, ebd., 121 ff. (17. 6. 1899). Diese Bewertungen stimmen mit den bitteren Urteilen Wittes überein, vgl. Vitte, Vospominanija Bd. 2 u. 3 passim. 46 Solov'ev, Samoderžavie, 220 ff. 47 Vgl. Wittes ausführliche Stellungnahme zu einer Eingabe der Adelsmarschälle (1897), in: IA 1957/4, 125—155. 48 Solov'ev, Samoderžavie, 234 ff. 49 Witte an den Zaren, Oktober 1898, in: Ders., Vospominaija 2, 522—528. 50 Dnevnik Polovcova, in: KA 46, 118 f. (4. 1. 1899). 51 Witte, Vorlesungen 1, 140 f. 52 Witte an den Zaren, 22. 3. 1899, in: Materialy po istorii SSSR, Bd. 6, M. 1959, 159—222, hier: 176 f. Diese Denkschrift wurde von Th. v. Laue erstmals in engl. Übers. veröffentlicht in: JMH 26. 1954, 64—74. Zu den Argumenten der Gegner des F inanz­ ministers um den Großfürsten Alexander Michajlovič: Dnevnik Polovcova, in: KA 46, 119 f. (13. 2. 1899); vgl. auch Ju. B. Solov'ev, Protivorečija v pravjaščem lagere po voprosu ob inostrannych kapitalach v gody pervogo promyšlennogo pod-ema, in: Iz istorii imperializma v Rossii, M. 1959. 53 Witte, Alleruntertänigster Bericht, F ebruar 1900, in: IM 1935/2—3, 131—139, hier: 136; vgl. Anan'ič, Rossija, 33 ff., 61 f.; Girault, Emprunts, 329 ff. 54 Zusammenfassende Würdigung des F orschungsstandes: B. Bonwetsch, Das aus­ ländische Kapital in Rußland, in: JGO 22. 1974, 412—425. Zur Geschichte des Aktien­ rechts und der Aktiengesellschaften in Rußland: L. E. Šepelev, Akcionernye kompa­ nii v Rossii, L. 1973, hier bes. 168 ff., 179 ff., 201 ff.; vgl. auch die in Am. 20 genannte Literatur. Zur Entwicklung des Bankenwesens I. F. Gindin, Russkie kommerčeskie banki. Iz istorii finansovogo kapitala v Rossii, M. 1948, 37 ff., 73 ff. passim; I. V. Bovykin, Zaroždenie finansovogo kapitala v Rossii, M. 1967, 201 ff.; ferner: der Überblick von O. Crisp, Russia, in: R. Ε. Cameron H g., Banking in the Early Stages of Industrialization, N.Y. 1967, 183—238. 55 Witte, Februar 1900, in: IM 1935/2—3, 136. 56 Zur Fernostpolitik vgl. Kapitel II.4.1, 4.2. 57 Kuropatkin an den Zaren, 14. 3. 1900, mit Randbemerkungen von Wittes H and („erstaunliches Paradoxon"), zit. nach Anan'ič, Rossija, 25 f. 58 Witte, 22. 3. 1899, in: Materialy po istorii SSSR 6, 188 f. 59 Dnevnik Polovcova, in: KA 46, 131 f. (13. 8. 1900). II.2 1 Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen zwischen 1879 und 1904 sind gut erforscht, so daß die Belege für dieses Kapitel knapp gehalten werden können. Die folgende Erörterung stützt sich im wesentlichen auf neuere Spezialstudien, die unseren Kenntnisstand bedeutend erweitert haben: S. Kumpf-Korfes, Bismarcks „Draht nach Rußland". Zum Problem der sozialökonomischen Hintergründe der russisch-deutschen

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Anmerkungen zu Seite 117—118 Entfremdung im Zeitraum von 1878 bis 1894, Berlin (DDR) 1968; J . Mai, Das deutsche Kapital in Rußland, 1850—1894, Berlin (DDR) 1970; H. Müller-Link, Industrialisierung u. Außenpolitik. Preußen-Deutschland u. das Zarenreich von 1860 bis 1890, Göttingen 1977; B. Vogel, Deutsche Rußlandpolitik. Das Scheitern der deutschen Weltpolitik unter Bülow, 1900—1906, Düsseldorf 1973. Die beste Orientierung über die Bedeutung der Handelspolitik für den innerrussischen Industrialisierungsprozeß vermittelt B. Bonwetsch, in: Geyer Hg., Wirtschaft u. Gesellschaft, 277—299. Der besondere Wert der Arbeiten von Kumpf-Korfes und Mai beruht auf der ausgiebigen Auswertung deutscher wie russischer Quellen und Literatur; der Zusammenhang von Außenpolitik und Wirtschaft in der deutsch-russischen Beziehungsgeschichte wird jedoch in der konventionellen Manier eines marxistisch-leninistisch verstandenen Ansatzes nicht eigens problematisiert. Dies versucht eindrucksvoll die überaus materialgesättigte Bielefelder Diss. von Müller-Link; trotz begrenzter Kenntnis des auf Rußland bezogenen Forschungsstandes, nicht selten auch unter Verzeichnung innerrussischer Problemlagen wird hier das Ineinandergreifen von Ökonomischem Interesse und „Großer Politik" als Funktion abweichender Industrialisierungsbedingungen begriffen und in pointierter Interpretation herausgearbeitet. Dabei ist eine erstmals von R. Ibbeken (Das außenpolitische Problem Staat u. Wirtschaft in der deutschen Reichspolitik, 1880 bis 1914, Schleswig 1928) entfaltete Fragestellung aufgenommen und in Anlehnung an Erklärungsmuster der Historischen Sozialwissenschaft präzisiert worden; vgl. schon die anstoßende Studie von H.-U. Wehler, Bismarcks späte Rußlandpolitik 1879—1890, in: Ders., Krisenherde des Kaiserreiches 1871—1918, Göttingen 1970, 163—180. Die Hamburger Diss. von B. Vogel bietet im Rückgriff auf die Caprivi-Ära u. a. eine genaue Darstellung der Entstehungsgeschichte der deutsch-russischen Handelsverträge von 1894 und 1904. Damit berührt sich, konzentriert auf die Handelsvertragspolitik als Partizipationsproblem der deutschen Reichstagsparteien, die ungedruckte Erlanger Diss. von H. Altrichter, Reichstag u. Außenpolitik. Zum Verhältnis von Konstitutionalismus u. Imperialismus im Deutschen Kaiserreich, dargestellt am Beispiel der deutschrussischen Beziehungen, 1890—1914 (1974). Von der jüngeren sowjetischen Forschung ist der Zusammenhang von Außenpolitik und Wirtschaft im Rahmen des deutsch-russischen Verhältnisses vergleichsweise wenig bearbeitet worden, s. die dürftigen Übersichten von Β. Μ. Tupolev, Zur Erforschung der russisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen zwischen 1871 u. 1900 in der sowjeti­ schen H istoriographie, in: VSWG 61. 1974, 212—223, und H . König, Die Verschlech­ terung der deutsch-russischen Beziehungen 1871—1890 in der sowjetischen Geschichts­ schreibung, in: Rußland u. Deutschland. F s. für G. v. Rauch, Stuttgart 1974, 239—256. Eine Ausnahme bildet die Spezialstudie von V. S. Djakin, Germanskie kapitaly v Ros­ sii. Elektroindustrija i električeskij transport, L. 1971; vgl. ders., Zur Stellung des deut­ schen Kapitals in der Elektroindustrie Rußlands, in: Jb. f. Gesch. d. UdSSR u. d. volks­ dem. Länder Europas 9. 1966, 121—143. Dazu: G. S. Holzer, German Electrical Indu­ stry in Russia: F rom Economic Entrepreneurship to Political Activism, 1890—1918, Ph. D. Diss. Univ. of Nebraska 1970. — Eine F ortsetzung der Untersuchungen von J . Mai über die Rolle des deutschen Kapitals in der russischen Volkswirtschaft für die Jahre 1894 bis 1914 wäre sehr erwünscht. 2 Vgl. Kapitel I.5. 3 P. Rassow, Die Stellung Deutschlands im Kreise der Großen Mächte 1887—1890, in: Mainzer Akd. d, Wiss. u. d. Lit. Abh. d. geistes- u. sozialwiss. Kl. 1959, 179—231. 4 Wehler, Bismarcks späte Rußlandpolitik, 179; vgl. Müller-Link, Industrialisierung, 319 ff. 5 Kumpf-Korfes, Bismarcks Draht, 50 ff., 121 ff., 154 ff.; Müller-Link, 264 ff., 291 ff., 321 ff. 285 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 118—124 6 Neben den Arbeiten von Wehler und Müller-Link vgl. die Interpretation von H. Rosenberg, Große Depression u. Bismarckzeit. Wirtschaftsablauf, Gesellschaft u. Politik in Mitteleuropa, Berlin 1967, bes. 169 ff., 258 ff. 7 Wehler, Bismarcks späte Rußlandpolitik, 174 f., 380; Müller-Link, 303 ff., 341 f.; K.-E. Jeismann, Das Problem des Präventivkrieges im europäischen Staatensystem mit bes. Blick auf die Bismarckzeit, F reiburg 1957; K. Cania, Bismarck, Waldersee u. die Kriegsgefahr Ende 1887, in: H. Bartel u. E. Engelberg Hg., Die großpreußisch-deut­ sche Reichsgründung, Bd. 2, Berlin (DDR) 1971, 397—435. 8 Gindin, Gosudarstvennyj bank, 56 ff.; Laveryčev, Krupnaja buržuazija, 183 ff.; Kumpf-Korfes, 60 f.; dazu zugespitzte Deutungen aus zeitgenössischer deutscher Sicht: G. v. Schulze-Gaevernitz, Der russische Nationalismus u. seine wirtschaftlichen Träger, in: PJ 75. 1894, 337—364; ders., Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland, Leipzig 1899. 9 Vgl. Kapitel II.1. 10 Η. H ink, Bismarcks Pressepolitik; Grüning, Die russische Öffentliche Meinung, 106 ff,; G. P. Morozov, Russko-francuzskie otnošenija vo vremja voennoj trevogi 1887 g., in: FE 1959, 248—281; A. Z. Manfred , Obrazovanie russko-francuzskogo sojuza, M. 1975, 191—234. 11 Kumpf-Korfes, 50 f., 123. 12 Ebd., 59. 13 Ebd., 52, 120. 14 Nachweise bei Müller-Link, 339 ff. 15 A. L. Sidorov, Konversii vnešnich zajmov Rossii v 1888—1890 gg., in: IA 1959/3, 99—125; R. Žiro (Girault), Finansy i politika vo franko-russkich otnošenijach 1887—1889 gg., in: FE 1967, 136—158; ders., Emprunts russe, 156 ff.; Wittschewsky, 164 ff.; Müller-Link, 332 ff. 16 Zu Caprivis Handelsvertragspolitik: Vogel, Deutsche Rußlandpolitik, 17 ff.; P. Leibenguth, Modernisierungskrise des Kaiserreichs an der Schwelle zum Wilhelminischen Imperialismus, Phil. Diss. Köln 1975, 207—224; Altrichter, passim; Kumpf-Korfes, 130 ff. 17 P. Jakobs, Das Werden des französisch-russischen Zweibunds 1890—1894, Wiesbaden 1968, 73 ff.; Manfred, Obrazovanie, 321. 18 Jakobs, 84 ff.; Manfred, 322 ff. 19 Vgl. Kapitel II.3. 20 Sobolev, Tamožennaja politika, 699 ff.; S. A. Pokrovskij, Vnešnjaja torgovlja, 273 ff.; Kumpf-Korfes, 118 ff., 132 ff.; Bonwetsch, 280 ff. 21 Zum folgenden: Wittschewsky, 154 ff.; E. Zweig, Die russische Handelspolitik seit 1877, Leipzig 1905, 37 ff.; Pokrovskij, 397 ff.; M. N. Sobolev, Istorija russko-germanskogo torgovogo dogovora, Petrograd 1915, 54 ff. 22 Das Absinken des deutschen Rußlandexports unter den Wirkungen des Zollkrieges zeigen die folgenden Daten (dz im Monatsdurchschnitt):

Roheisen Eisenbarren, Bandeisen Eisenwaren Maschinen Kupfer Phosphate Baumwolle

1892 Aug./Dez. 26.782 109.633

1893 Jan./Febr. 7.668 46.327

1893 Aug./Dez. 25.101 43.539

1894 Jan./Febr.

31.700 40.832 11.350 26.782 13.765

14.318 14.936 8.080 923 7.188

21.347 27.817 1.913 22.693 3.916

4.395 6.226

Quelle: Nach Pokrovskij, Vnešnjaja torgovlja, 310. 286 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

100

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Anmerkungen zu Seite 124—131 23 RGbl 1894, Nr. 8; M. H. Kloessel, Der deutsch-russische Handelsvertrag, Bielefeld 1895. 24 Vgl. Tabelle 9. Zum russisch-französischen Handelsvertrag: Girault, Emprunts, 239 ff. 25 R. Poidevin, Les relations économiques et financières entre la France et l'Allemagne de 1898 à 1914, Paris 1969, 93 ff. Frankfurter Frieden und Handelspolitik: Böhme, Deutschlands Weg, 308 ff. 26 H. J . Puhle, Agrarische Interessenpolitik u. preußischer Konservativismus im Wilhelminischen Reich, Hannover 1966; S. R. Tirell, German Agrarian Politics After Bismarck's Fall. The Formation of the Farmers' League, N. Y. 1951; D. Stegmann, Wirtschaft u. Politik nach Bismarcks Sturz, in: Deutschland in der Weltpolitik des 19. u. 20. Jhs, Fs. f. F. Fischer, Düsseldorf 1973, 161—184; v. Laue, Witte, 109 ff.; Bonwetsch, 281 f. 27 Vogel, Deutsche Rußlandpolitik, 29. 28 Girault, Emprunts, 311 ff. 29 Vorgeschichte des Handelsvertrags von 1904: Sobolev, Istorija, 127 ff.; Wittschewsky, 364 ff.; Bonwetsch, 283 ff.; Vogel, 56 ff. 30 Zum Kampf um den deutschen Zolltarif: Vogel. 30 ff. 31 Ebd., 33. 32 Novoe vremja, 19. 7. (1. 8.) 1901, zit. Vogel, 39. 33 Sobolev, Istorija, 170 ff.; vgl. V. S. Djakin, Κ ocenke russko-germanskogo tor­ govogo dogovora 1904 g., in: Problemy istorii meždunarodnych otnoišenij, L. 1972, 156—173. 34 Vgl. die abgewogene Bewertung bei Bonwetsch, Handelspolitik; ders., Kriegs­ allianz u. Wirtschaftsinteressen, 12 ff. — Zum Verlauf und Abschluß der Handels­ vertragsverhandlungen ausführlich: Vogel, 124 ff., 174 ff. 35 Vogel, 74 ff., 82 ff. Zur französisch-deutschen Rivalität um den russischen Kapi­ talmarkt vgl. R. Poidevin, 45 ff., 286 ff. 36 Vgl. auch Anan'ič, Rossija, 49 ff., 70 ff.; Girault, Emprunts, 340 ff. 87 Anan'ič, 105 ff.; Girault, 402 ff. 38 Bonwetsch, Kriegsallianz, 14 ff. 39 Vertragstext: RGBl 1905, Nr. 7. 40 Zur russischen Kriegsfinanzierung 1904/05: Kapitel II.5.

II.3 1 Die sorgfältig gearbeitete Diss. von P. Jakobs, Das Werden des franz.-russ. Zwei­ bundes, Wiesbaden 1968, beschränkt sich auf die Untersuchung der politischen und militärischen Verhandlungen und verharrt damit ganz in der Tradition älterer diplo­ matiegeschichtlicher Standardwerke. Vgl. W. L. Langer, The F ranco-Russian Alliance 1890—1894, Cambridge, Mass. 1929; B. Nolde, L'alliance franco-russe. Les origines du Systeme diplomatique d'avant la guerre, Paris 1936. — Jakobs sieht keinen Zu­ sammenhang zwischen der Allianz- und Anleihepolitik dieser Jahre (S. 38). 2 F ür R. Girault, dem die maßgebende F orschungsarbeit über die französischen Ruß­ landanleihen und Direktinvestitionen zu danken ist (Emprunts russes, 1973), erscheinen die Kapitalbindungen Rußlands, bzw. die französische „diplomatic du franc" als Hebel und Klammer der politisch-militärischen Allianz. Der sowjetische F rankreich-Histo­ riker A.Z. Manfred hat in seiner, bis zur Krieg-in-Sicht-Krise von 1875 zurückgrei­ fenden Untersuchung über die Vorgeschichte des Bündnisses (Obrazovanie russko­ franeuzskogo sojuza, 1975) vor der „Überschätzung des unmittelbaren Einflusses öko-

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Anmerkungen zu Seite 132—135 nomischer Faktoren" auf die Politik gewarnt und gegen Girault eingewandt, daß die Finanzoperationen von 1888/89 „fast keinerlei Einfluß auf die Entscheidung der poli­ tischen Geschicke (na rešenie političeskich sudeb)" gehabt hätten (S. 288 f.); vgl. auch die ältere Arbeit Manfreds, Vneišnjaja politika Francii 1871—1891, M. 1952, 377 ff., 446 ff., 471 ff., sowie ders., Oformlenie russko-francuzskogo sojuza, in: NNI 1975/6, 114—132. — Den Auffassungen Giraults näher steht die Darstellung der russischen Finanzbeziehungen von B. V. Anan'ič, Rossija i meždunarodnyj kapital, 1970, sowie die Studie von Ju. B. Solov'ev, Franko-russkij sojuz v ego finansovom aspekte (1895 —1900 gg.), in: FE 1961, 162—206. Beide Leningrader H istoriker kommen aus der Schule von B. A. Romanov, der für die Erforschung des Zusammenhangs von Diplo­ matie- und Finanzgeschichte weiterwirkende Pionierwerke hinterlassen hat. Vgl. vor allem: Rossija v Mandžurii 1892—1906. Očerki po istorii vnešnej politiki samoder­ žavija v ėpochu imperializma, L. 1929, amerik. Übers. Russia in Manchuria, Ann Arbor 1952; ders., Očerki diplomatičeskoj istorii russko-japonskoj vojny 1895—1907 gg., M.-L. 1947, 19552; sowie den von R. hg. Quellenband: Russkie finansy i evro­ peiskaja birža 1904—1906 gg., M.-L. 1926. 3 Die folgende Darstellung hält sich im wesentlichen an die von Girault, Anan'ič und Solov'ev aufbereiteten Kenntnisgrundlagen. Zu den Anleihekonversionen 1888/89 vgl. Kap. Π.2., Anm. 15. — Zu den allgemeinen Voraussetzungen des französischen Kapitalexports: R. E. Cameron, F rance and the Economic Development of Europe 1860—1914. Conquests of Peace and Seeds of War, Chicago 1961, 19652; ders., F rench Foreign Investment 1850—1880, Chicago 1955; G. Ziebura, Interne F aktoren des fran­ zösischen Hochimperialismus 1871—1914, in: W. J . Mommsen Hg., Moderner Impe­ rialismus, Stuttgart 1971, 85—139; Poidevin, passim. 4 Die Beeinflussung der französischen Presse durch Zuwendungen des russischen F i­ nanzministeriums blieb ein durchgehendes Element der Petersburger Anleihepolitik. Vgl. die Dokumentation des langjährigen russ. F inanzagenten in Paris, A, Raffalovitch [Rafalovič], L'abominable vénalité de la presse . . . D'après des archives russes (1897—1917), Paris 1931. 5 Girault, 156 ff., Manfred, Obrazovanie, 281. — Zu der von Giers unterstützten Maxime Vyšnegradskijs, die Konkurrenz zwischen den Pariser und Berliner Banken auszunutzen: Dnevnik Lamzdorfa 1, 137 (15. 2. 1889), 238 f. (7. 12. 1889). 6 Jakobs, 77 f., 109; zum Bruch mit Rothschild: Girault, 188 ff.; Dnevnik Lamzdorfa 2, 214 (8. 12. 1891). 7 Girault, 106 f.; vgl. O. Crisp, French Investment in Russian Joint-Stock Companies 1894—1914, in: Business History 2. 1960, 75—90. 8 Morozov, Russko-francuzskie otnošenija, 248—281; Manfred, Obrazovanie, 191 ff.; ferner — mit Briefen und Berichten Mohrenheims an Giers: Bulanžizm i carskaja diplomatija, in: KA 72, 51—109; zur innerfranzösischen Wirkung: P. H. Hutton, Popular Boulangism and the Advent of Mass Politics in France 1886—1890, in: JCH 11. 1976, 85—106. 9 H. Krausnick, Rückversicherungsvertrag u. Optionsproblem 1887—1890, in: Geschichtliche Kräfte u. Entscheidungen. Fs. f. O. Becker, Wiesbaden 1954, 210—232; Müller-Link, Industrialisierung (306 ff., 347 ff.), unterschätzt die Vorbehalte der russischen Politik gegenüber einer Bindung an Frankreich. 10 Jakobs, 73 ff.; Th. A. Bayer, England u. der Neue Kurs, Tübingen 1955. 11 Vgl. L. Rüdt v. Collenberg, Die deutsche Armee von 1871—1914, Berlin 1924, 27 ff. 12 Zur Beurteilung der militärischen Lage Rußlands durch Obručev: Jakobs, 34 ff. passim. Befürchtungen über einen Aggressionskurs Wilhelms IL: Dnevnik Lamzdorfa 1, 105 (24. 4. 1891). 288 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 135—144 13 D. B. Ralston, The Army in the Republic: The Place of the Military in the Po­ litical Evolution of F rance 1871—1914, Cambridge, Mass. 1967. 14 Zu den Bedenken des Zaren und des Außenministers gegen eine Militärallianz: Jakobs, 84 ff., 133 ff. Über Vyšnegradskijs Position: Dnevnik Lamzdorfa 2, 189 f. (23. 2. 1892), 310 f. (8. 3. 1892) 15 Takobs, 144 ff.; Girault, 215 ff. 16 Text der Konvention: DDF 2 X, No. 488; Sbornik dogovorov, 281 ff.; genaue Analyse der Entwürfe und des Verhandlungsgangs um die Militärkonvention: Jakobs, 106 ff., Manfred, Obrazovanie, 342 ff. 17 Zur unmittelbaren Auswirkung: Girault, 242 ff. 18 Ziebura, Interne F aktoren, 111 ff. 19 Solov'ev, F ranko-russkij sojuz, 164 f. 20 Das folgende nach Anan'ič, 29 ff. 21 Vogel, Deutsche Rußlandpolitik, 78 f. 22 W. Zürrer, Die Nahostpolitik F rankreichs u. Rußlands 1891—1898, Wiesbaden 1970. Zur F ernostpolitik vgl. Kapitel II.4. 23 China-Anleihe und Russisch-Chinesische Bank: Romanov, Russia in Manchuria, 65 ff. 24 Solov'ev, 169 ff.; Zürrer, 149 ff., 183 ff. 25 Solov'ev, 173 ff.; Anan'uč, 18 f. 26 Solov'ev, 182 ff. 27 Vgl, Kapitel II.4. 28 Solov'ev, 189 ff.: vgl. Kapitel II.1, Anm. 38. 29 Anan'ič, 39 f.; Girault, 335 ff.; zur Erneuerung der Allianz durch einen Brief­ wechsel der Außenminister (27. 7./8. 8. 1899) vgl. A. Zajončkovskij, Podgotovka Ros­ sii k mirovoj vojne v meždunarodnom otnošenii, M. 1926, 88 f.; Text: Sbornik do­ govorov, 319 ff. 30 Anan'ič, 44 ff. 31 Ebd., 49 ff. Über die französischen Direktinvestitionen und Industriebeteiligun­ gen ausführlich: Girault, 107 ff., 261 ff., 354 ff. 32 Anan'ič, 62 ff.; C. Andrew, Théophile Delcassé and the Making of the Entente Cordiale, 1898—1905, London 1968, 125 f.; Revision der Militärkonvention: DDF 1/XVI, No. 208; zu den Verhandlungen über die russische Beteiligung an der Bagdadbahn: G. L. Bondarevskij, Bagdadskaja doroga i proniknovenie germanskogo imperializma na Bližnij Vostok (1888—1903), Taškent 1955, 232—243. 33 Anan'ič, 75 ff. 84 Vogel, Deutsche Rußlandpolitik, 75 ff.; Anan'ič, 86. 35 Ebd., 93. 36 Vgl. die Tabelle bei Ziebura, Interne F aktoren, 113. 37 Vgl. Kapitel II.5.

II.4 1 Neben den in Anm. 2 zu Kap. II.3. genannten Arbeiten von B. A. Romanov, von denen ein wichtiger Auszug aus dem Mandschurei-Buch von 1928 in deutscher Übers, zugänglich ist (Rußlands „friedliche Durchdringung" der Mandschurei, in: Wehler Hg., Imperialismus, 351—388), vgl. den materialreichen Überblick über die russische Expan­ sionsgeschichte im F ernen Osten bei A. Malozemoff, Russian F ar Eastern Policy 1881 —1904, Berkeley 1958; D. J . Dallin, The Rise of Russia in Asia, New Haven 1949; ferner: Β. Η. Sumner, Tsardom and Imperialism in the Far East and Middle East

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Anmerkungen zu Seite 145—149 1880—1914, in: Proceedings of the British Academy 1941, London (1942), deutsche Übers. bei Wehler Hg., Imperialismus, 321—350. Das maßgebende sowjetische Werk über die Mächtepolitik im F ernen Osten bis zum japanisch-chinesischen Krieg: A. L. Naročnickij. Kolonial'naja politika kapitalističeskich deržav na Dal'nem Vostoke (1860—1895), M. 1956; ferner die Übersichten in: Istorija diplomatii, Bd. 2, Μ. 19632, 209 ff., 297 ff., 353 ff., 541 ff.; J . Shukow, Die internationalen Beziehungen im Fernen Osten 1870—1945 (Übers. aus d. Russ.), Berlin (DDR) 1955. — Eine genaue Untersuchung der chinesischen Reaktionen auf die russische Politik bietet auf der Grundlage chinesischer und russischer Quellen die noch ungedruckte Diss. von Ρ, Μ. Kuhfuß, O-kuo u. Li Hung-chang. Rußland in den Horizonten der chinesischen Selbststär­ kungs- u. F ernost-Politik der späten Ch'ing-Zeit, Tübingen 1977; dazu I. C. Y. Hsü, The Rise of Modern China, Oxford U P. 1975, 406 ff.; F an Wön-lan, Neue Geschichte Chinas. Bd. 1, 1840—1901 (aus dem Russ.), Darmstadt o. J . , auch Berlin (DDR) 1958, 324 ff.; über die institutionellen Voraussetzungen chinesischer Außenpolitik: S. M. Meng, The Tsungli Yamen. Its Organization and F unctions, Cambridge, Mass. 1962. 2 Romanov, Očerki, 23 f. — Zum Bau der Transsib: H. Tupper, To the Great Ocean. Sibiria and the Trans-Sibirian Railway, London 1965; V. F. Borzunov, Istorija sozdanija Transsibirskoj železnodorožnoj magistrali XIX — načala XX veka, M. (MGU Diss.) 1972; dazu: R. Β. Valliant, Japan and the Trans-Sibirian Railroad 1885—1905, Ph. D. Diss. Univ. of H awaii 1974. 3 G. Krahmer, Sibirien u. die Große Sibirische Eisenbahn, Leipzig 1897, 97. 4 Romanov, Russia, 46 f.; Malozemoff, 48 ff. 5 Zur ostasiatischen Missionsidee Rußlands vgl. auch H. Gollwitzer, Die gelbe Gefahr. Geschichte eines Schlagworts. Studien zum imperialistischen Denken, Göttingen 1962; N. Riasanovsky, Asia Through Russian Eyes, in: W. S. Vucinich Hg., Russia and Asia, Stanford 1972, 3—29. β Witte, Vorlesungen 1. 204. 7 Dnevnik Kuropatkina, ΚΑ 2, 31 (16. 2. 1903). 8 D. W. Treadgold, The Great Sibirian Migration, Princeton 1957, 108 ff.; dazu all­ gemein: F. X. Coquin, La Sibérie. Peuplement et immigration paysanne au dixneuvième siècle, Paris 1969; B. V. Tichonov, Pereselenčeskaja politika carskogo pra­ vitel'stva v 1892—1897 godach, in: ISSSR 1977/1, 109—120. 9 Vgl. die Stellungnahme des Generalgouverneurs Duchovskij (11./23. 1. 1896), in KA 52, 83 ff. mit Wittes Entgegnung (31. 3./12. 4.1896), ebd., 91 ff.; ferner: S. J.Witte, Erzwungene Aufklärungen aus Anlaß des Berichtes des Generaladjutanten Kuropatkin über den Krieg mit Japan, Wien 1911, 56 ff. 10 Zürrer, Nahostpolitik, 106—204. 11 Quellen zur Beratung über den Nelidov-Plan: KA 47/48, 55—70; dazu V. Chvo­ stov, Problemy zachvata Bosfora v 90-ch godach XIX v., in: IM 20. 1930, 100—129. 12 Romanov, Očerki, 20 ff.; dazu die in Anm. 1 u. 22 genannte Literatur, sowie generell über die japanische Außenpolitik die exzellenten F orschungsberichte in: J . W . Morley Hg., Japan's F oreign Policy 1868—1941. Α Research Guide, N.Y. 1974; kom­ petenter Überblick: I. Nish, Japanese Foreign Policy 1869—1941, London 1977, 34 ff. 13 Zur russischen Politik im japanisch-chinesischen Krieg vgl. die Dokumente in: KA 50/51, 3—53, KA 52, 62—83. 14 Protokoll der Sonderberatung vom 30. 3./11. 4. 1895: KA 52, 78—91; vgl. Romanov, Russia, 50 ff. 15 Romanov, Russia, 102 ff.; Malozemoff, 87 ff.; K. Krupinski, Rußland u. Japan. Ihre Beziehungen bis zum Frieden von Portsmouth, Königsberg 1940, 59 ff.; Text des Protokolls: G. Krahmer, Rußland in Ost-Asien, Leipzig 1899, 180 ff.; zum Forschungsstand: Hosoya Chihrio, Japan and Russia, in: Morley Hg., 340 ff.

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Anmerkungen zu Seite 149—154 Zum japanischen Rüstungsprogramm: Romanov, Očerki, 30 ff. Romanov, Russia, 63 ff.; Malozemoff, 69 ff.; Girault, Emprunts russes, 305 ff.; O. Crisp, The Russo-Chinese Bank, in: SEER 127. 1974, 197—212. Text des Anleihe­ vertrags vom 24. 6./6. 7. 1895: Russko-kitajskie otnošenija 1689—1916, 67 ff.; Slad­ kovskij, Istorija, 422 f. 18 Russisch-chinesisches Defensivbündnis vom 22. 5./3. 6. 1896: Russko-kitajskie ot­ noš, 73 f.; Konzessionsvertrag über die Ostchinesische Eisenbahn vom 27. 8. 1896: Ebd., 74 ff.; Sladkovskij, 426 ff. 19 Vgl. das Memorandum Wittes vom 31. 3./12. 4. 1896, in: KA 52, 91 ff. 20 Text der Statuten der Gesellschaft der Ostchinesischen Eisenbahn bei Krahmer, Rußland, 207—218. 21 Malozemoff, 102. 22 Romanov, Russia, 109 ff.; Malozemoff, 90 ff. Vgl. H. Conroy, The Japanese Seizure of Korea, 1869—1910, Philadelphia 1960; zur Vorgeschichte ferner: F . F . Chien, The Opening of Korea, 1876—1885, o. Ο. (The Show String Press, Inc.) 1967. 23 v. Laue, Witte, 146 ff.; Vitte, Vospominanija 2, 42 ff., 132 ff., 159 ff. 24 Romanov, Russia 133 ff.; Malozemoff, 93 ff,; Text des Pachtvertrags: Russko­ kitajskie otnoš., 78 §.; Sladkovskij, 430 ff. 25 Die russischen Dokumente: KA 58, 150—155, KA 87, 19—63; deutsche Akten: GP 14/1, Kap. 90. Vgl. die Erlanger Diss. von H. Altrichter, Reichstag u. Außenpolitik, 1974, 323 ff.; A. J . Irmer, Die Erwerbung von Kiautschou 1897—1898, Köln 1930; A. Vagts, Deutschland u. die Vereinigten Staaten in der Weltpolitik, Ν. Y. 1935, 1006 ff. 28 Außenminister Murav'ev an Nikolaj II., 11./23. 11. 1897, in: KA 52, 103—108. 27 Vitte, Vospominanija 2, 132—148. 28 Textauszüge bei Krahmer, Rußland, 19 f. 29 Russisches Promemoria, 2. 1. 1898, in: GP 14/1, 134 f. 30 Aufzeichnung Bülows, 2. 1. 1898, ebd., 136. Zum deutschen Interesse: J . E. Schrecker, Imperialism and Chinese Nationalism. Germany in Shantung, Cambridge, Mass. 1971; V. Schmidt, Die deutsche Eisenbahnpolitik in Shantung, 1898—1914. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Imperialismus in China, Wiesbaden 1976. 31 L. K. Young, British Policy in China 1895—1902, Oxford 1969, 69 ff.; I. N. Nish, The Anglo-Japanese Alliance. The Diplomacy of the Two Island Empires 1894 —1907, London 1966, 53 ff.; vgl. die Aufzeichnungen des britischen Botschafters in Japan, Sir E. Satow (1895—1900): G. A. Lensen, Korea and Manchuria Between Russia and Japan 1897—1904, Tallahassee, Flo. 1966. 32 Zum folgenden: Romanov, Russia, 151 ff.; Malozemoff, 109 ff. 33 Krupinski, 74 ff.; Text des Abkommens: Krahmer, Rußland, 185 f. 34 A. Popov, Anglo-russkoe soglašenie o razdele Kitaja 1899 g., in: KA 25, 111— 134; L. K. Young, 93 ff.; Text: Sbornik dogovorov, 315 ff. 35 E. Agahd, Großbanken u. Weltmarkt, Berlin 1914, 124 ff. 36 GP 14/1, 141. Über den Umfang des russischen Handelsverkehrs mit China s.S. 161 f., 243 unten. 37 Zur amerikanischen Chinapolitik: H. U. Wehler, Der Aufstieg des amerikanischen Imperialismus. Studien zur Entwicklung des Imperium Americanum 1865—1900, Göttingen 1974, 259 ff.; T. J . McCormick, China Market, America's Quest for Informal Empire 1893—1901, Chicago, 1967; Μ. Β. Young, The Rhetoric of Empire. American China Policy, 1895—1901, Cambridge, Mass. 1968; Μ. Η. H unt, Frontier Defense and the Open Door. Manchuria in Chinese-American Relations 1895—1911, New H aven 1973; E. H . Zabriskie, American-Russian Rivalry in the Far East. A Study in Diplo­ macy and Power Politics, 1895—1914, Philadelphia 1946; Chang Chung-tung, China's 16

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Anmerkungen zu Seite 154—163 Response to the Open Door, 1898—1906, Michigan State Univ. 1973; Vagts, Deutsch­ land, 1028 ff. 38 F ormulierune Alexanders III. (Dezember 1891), in: Dnevnik Lamzdorfa 2, 216. 39 Anan'ič, Rossija, 191. 40 KA 18, 4—18; deutsche Übers. in: Die Kriegsschuldfrage. Berliner Monatshefte 6. 1928, 640—656. 41 Zur Persienpolitik: Kazemzadeh, Russia, 302 ff.; Anan'ič, Rossijskoe samoder­ žavie, 18 ff. 42 ΚΑ 18, 18 ff.; Die Kriegsschuldfrage, 656—670. 43 Umfangreiche Auszüge aus der Denkschrift des Kriegsministers (14./27. 3. 1900) in: General Kuropatkin, Memoiren. Die Lehren des Russisch-Japanischen Krieges, Berlin 1909, 47 ff. passim. 44 Kuropatkin, 53 ff., 79, 106. 45 Ebd., 119 ff. 46 Ebd., 74 f., 124. 47 Ebd., 77 f. 48 Alleruntertänigster Bericht des Finanzministers (Februar 1900), in: IM 1935, 2/3, 131 ff. 49 Ebd., 133. 50 Zum Boxeraufstand: Chester C. Tan, The Boxer Catastrophe, N.Y. 1955; V. C. Purcell, The Boxer Uprising, Cambridge 1963; Fan Wön-lan, 447 ff.; G. A. Lensen, The Russo-Chinese War, Tallahassee 1967; russische diplomatische Dokumente: KA 14, 8—49; zum Einfluß des russischen Imperialismus auf die chinesischen Reformbewegungen: D. C. Price, Russia and the Roots of the Chinese Revolution 1896—1911, Cambridge, Mass. 1974, 64 ff., 164 ff. Neuerdings Τ. Grimm in: H Z 224. 1977, 615—634. 51 Vgl. die Briefe Wittes an Innenminister D. S. Sipjagin (1900/01), in: KA 18, 30 bis 48; zur H altung des Finanzministers zum Boxeraufstand ferner: Dnevnik Polov­ cova, in KA 46, 129 ff. (13. 8. 1900). 52 Text der Vereinbarung: Romanov, Russia, 427 f.; vgl. auch L. K. Young, 269 ff. 53 Ebd., 209 ff.; Krupinski, 94. 54 Romanov, Russia, 236 f.; Malozemoff, 171 f. Zu den russisch-japanischen Bezie­ hungen 1900/01 vgl. die diplomatischen Korrespondenzen in: KA 63, 7—54; über die Verhandlungen mit Ito in Petersburg, ebd., 44 f.; zur japanischen Politik: Nish, The Anglo-Japanese Alliance, 196 ff. 55 Nish, 204 ff., 216 ff.; L. K. Young, 295 ff.; G. Monge, Ursachen u. Entstehung der englisch-französischen Entente 1900—1907, Seeheim 1969, 57 ff. 88 Sbornik dogovorov, 322 f.; dt. Text der Deklaration bei C. v. Zepelin, Der Ferne Osten, T. 1, Berlin 1907, 38 f. Über die französische Position: P. Renouvin, La question d'Extrême Orient, Paris 1946, 214 f.; C. Andrew, Théophile Delcassé and the Making of the Entente Cordiale 1898—1905, London 1968, 237 f. passim. 57 Malozemoff, 175; Text des Mandschurei-Abkommens: Russko-kit. otnoš., 91 ff.; Sladkovskij, 435 ff. 58 Malozemoff, 188 f. 59 Zu der Interessengruppe um den zeitweiligen Staatssekretär A. M. Bezobrazov: Romanov, Russia, 267 ff.; Malozemoff, 177 ff.; J . A. White, The Diplomacy of the Russuo-Japanese War, Princeton 1964, 31 ff.; Vitte, Vospominanija 2, 238 ff. 60 Angaben nach Sladkovskij, 337—343. 61 Malozemoff, 186 ff.; White, 11 ff. 62 Agahd, Großbanken, 124—137. 63 Sladkovskij, 333. 64 Zum folgenden: Romanov, Russia, 292 ff.

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Anmerkungen zu Seite 164—168 65 White, 50 ff. Vgl. Dnevnik Kuropatkina (17.11.1902 bis 7.2.1904), in: KA 2, 6—117; dazu die Auszüge aus der Denkschrift des Kriegsministers vom 25.11.1903 über die mandschurische F rage, in: Kuropatkin, Memoiren, 155 ff., 173 ff. 66 White, 102 ff., 351. 67 Text des zarischen Erlasses: Zepelin 1, 44. 68 Dnevnik Kuropatkina, KA 2, 40 (22.3.1903), 77 f. (14.10.1903), 80 (28.10. 1903); zur Unterschätzung der japanischen Kriegsbereitschaft vgl. die russischen Presse­ auszüge bei Zepelin 1, 64 f. 69 Text der Noten: White, 362 ff.; Romanov, Očerki, 235 ff. 70 Vgl. Dnevnik Kuropatkina, in: KA 2, 95 f. (15. 12. 1903). 71 Zur japanischen Position, White, 125 ff. 72 Nikolaj II., 15. 12. 1903: Dnevnik Kuropatkin, KA 2, 95. 73 Ebd., 106 f. (25. 1. 1904), 108 f. (26. 1. 1904). 74 Vgl. Kapitel I.4. und 5. 75 Dnevnik A. V. Bogdanoviča, M.-L. 1924, 269 (24.12.1901), zit. nach Solov'ev, Samoderžavie i dvorjanstvo, 156. 78 Bauernerhebungen und Streikbewegungen 1902/03: A. Peršin, Agrarnaja revo­ ljucija v Rossii. Bd. 1: Ot reformy k revoljucii, M. 1966, 63 ff., 226 ff.; L. I. Emeljach, Krest'janskoe dviženie v Poltavskoj i Char'kovskoj gubernijach v 1902 g., in: IZ 38, 154—175; A. K. Wildman, The Making of a Workers' Revolution. Russian Social De­ mocracy 1891—1903, Chicago 1967; Renaissance des Terrorismus: Μ. H ildermeier, Zur Sozialstruktur der F ührungsgruppen und zur terroristischen Kampfmethode der Sozial­ revolutionären Partei Rußlands vor 1917, in: JGO 20. 1972, bes. 536 ff.; ders., Neopo­ pulismus u. Industrialisierung. Zur Diskussion von Theorie u. Taktik in der Sozialrevo­ lutionären Partei Rußlands vor dem Ersten Weltkrieg, ebd. 22. 1974, 360 ff. 77 Dnevnik A. A. Kireeva, 14. 9. 1902, nach Solov'ev, Samoderžavie i dvorjanstvo, 163. 78 Zur „gesellschaftlichen Bewegung": S. Galai, The Liberation Movement in Russia 1900—1905, Cambridge 1973; vgl. auch G. F ischer, Russian Liberalism: F rom Gentry to Intelligentsia, Cambridge, Mass. 1958; V. Leontovitsch, Geschichte des Liberalismus in Rußland, F rankfurt 19742, 277 ff.; L. Bazylow, Polityka wewnejtrzna caratu i ruchy spoleczne w Rosji na początku XX wieku, Warschau 1966, 177 ff.; V. Zilli, La rivoluzione russa del 1905. La formazione dei partiti politici (1881—1904), Neapel 1963, 307 ff. 79 Vgl. Kapitel II.2. 80 Dnevnik Kuropatkina, in: KA 2, 13 (8. 12. 1902), 40 (1. 4. 1903). 81 A. P. Korelin, Russkij „policejskij socializm", in: VIst 1968/10, 41—58; ders., Krach ideologii policejskogo socializma v carskoj Rossii, in: IZ 92. 1973, 109—152; A, V. Vovčik, Politika carizma po rabočemu voprosu v predrevoljucionnyj period 1895—1904 gg., Lemberg 1964, 107 ff.; D. Pospielsky, Russian Police Trade Unionism, London 1971; J . Schneiderman, Sergei Zubatov and Revolutionary Marxism, Ithaca 1976; W. Sablinsky, The Road to Bloody Sunday, Princeton 1976, 56 ff. 82 Dnevnik Polovcova, in: KA 3, 161 (22. 9. 1902). 83 Agrarpolitik, ins. Aufhebung der Solidarhaftung: M. S. Simonova, Otmena kru­ govoj poruki, in: IZ 83. 1969, 159—195; dies., Politika carizma v krest'janskom vo­ prose nakanune revoljucii 1905—1907 gg., in: IZ 75. 1965, 212—242; dies., Agrarnaja politika samoderžavija v načale XX v., Μ. 1975; vgl. S. Μ. Sidel'nikov, Zemerno­ krest'janskaja politika samoderžavija v preddumskij period, in: ISSSR 1976/4, 124 bis 135. 84 Auszüge aus der Privatkorrespondenz des Großfürsten bei Solov'ev, Samoderžavie i dvorjanstvo, 153 ff.; zum Krisenbewußtsein im Regierungslager: L. G. Za-

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Anmerkungen zu Seite 168—173 charova, Krizis samoderžavija nakanune revoljucii 1905 g., in: VIst 1972/8, 119—140. 85 Zur Judenpolitik des Innenministers Pleve und zur Pogrombewegung von 1903: H. D. Löwe, Antisemitismus u. reaktionäre Utopie, Kap. V. 86 Dnevnik Kuropatkina, in: KA 2, 12 (3. 12. 1902), 20 (5. 1. 1903), 44 (24. 7. 1903), 52 f. (10. 8. 1903). 87 Die Äußerungen Pleves ebd., 94, (11. 12. 1903); vgl. dazu die oft zitierte Wieder­ gabe bei Vitte, Vospominanija 2, 291. 88 Vgl. Gollwitzer, Die gelbe Gefahr, 206 ff.; ferner: B. Sosemann, Die sog. Hun­ nenrede Wilhelms II., in: HZ 222. 1976, 342—358. II.5 1 Jüngste kriegsgeschichtliche Darstellung: D. Walter, The Short Victorious War. The Russo-Japanese Conflict 1904—05, London 1973; offizielle Kriegsgeschichte: Rus­ sko-japonskaja vojna 1904—05 gg. Rabota Voenno-istoričeskoj kommissii po opisa­ niju russko-japonskoj vojny, SPb 1910, 9 Bde.; deutsche Ausg.: Der russisch-japanische Krieg. Amtliche Darstellung des Russischen Generalstabs, Hg. v. F rhr. v. Tettau, Berlin 1910—1912, 11 Bde. 2 W. Sablinsky, The Road to Bloody Sunday, Princeton 1976. 3 Neben der in Kap. II, 4., Anm. 78 genannten Literatur vgl. G. F reeze, A National Liberation Movement and the Shift in Russian Liberalism, 1901—1903, in: SR 28. 1969, 81 ff., sowie die Bochumer Diss, von K. F röhlich, Das Organisationsproblem des russischen Konstitutionalismus (1973), demnächst u. d.T.: Soziale Mobilisierung u. politische Gruppenbildung im vorrevolutionären Rußland, Leiden. 4 Grundlegend: M. Hilderrneier, Agrarsozialismus u. Modernisierung. Die Sozial­ revolutionäre Partei Rußlands 1900—1914, Phil. Diss. Tübingen 1976, sowie die in Kap. Π.4., Anm. 76 genannten Aufsätze des gleichen Verf. 5 D. Geyer, Lenin in der russischen Sozialdemokratie 1890—1903, Köln 1962, 247 ff.; J . Keep, The Rise of Social Democracy in Russia, Oxford 1963, 70 ff. 6 P. Struve, in: Osvoboždenie 3/27 (19. 7./1. 8. 1903), 33 ff. Zu Struve: R. Pipes, Struve. Liberal on the Left, 1870—1905, Cambridge, Mass. 1970. 7 Zit. nach M. Pavlovič, Vnešnjaja politika i russko-japonskaja vojna, in: ODR 2/1, 19. 8 Vojna i mir? , in: Revoljucionnaja Rossija 39 (1. 1. 1904), 8 f. 9 Parvus (Helphand), Der Anfang vom Ende?, in: Aus der Weltpolitik. Sozialdem. Zeitungen-Korrespondenz 5/49 (30. 11. 1903), 1—10. 10 Vgl. A. F ischer, Russische Sozialdemokratie u. bewaffneter Aufstand im Jahre 1905, Wiesbaden 1967, 29 ff. 11 Zum folgenden: S. Galai, The Impact of War on the Russian Liberals 1904 bis 1905, in: Government and Opposition 1. 1965, 85—109; ders., The Liberation Move­ ment, 196—272. Die maßgebende sowjetische Darstellung: Ε. D. Čermenskij, Bur­ žuazija i carizm v pervoj russkoj revoljucii, Μ. 19702. 12 P. Struve, Vojna, in: Osvoboždenie 17/41 (5./18. 2. 1904), 297; ders., Vojna i patriotizm, ebd. 18/42 (19. 2./3. 3. 1904), 319; (P. N. Miljukov), Vojna i russkaja oppozieija, ebd., 19/43 (7./20. 3. 1904), 330 ff.; vgl. Galai, Liberation Movement, 203 f. Zur politischen Biographie Miljukovs: T. Riha, A Russian European. Paul Miliukov in Russian Politics, Notre Dame 1968. 13 Leontovitsch, 286 ff.; Bazylow, Polityka, 296 ff. 14 Galai, Liberation Movement, 214 ff.; G. Fischer, Russian Liberalism, 167 ff., Pipes, Struve, 363 ff.

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Anmerkungen zu Seite 173—178 15 Galai, Liberation Movement, 226 ff.; Leontovitsch, 289 ff.; L. G. Zacharova, Kri­ zis, 119—140. 16 Zu den Beratungen über das Gesetz vom 12. 12. 1904 ausführlich: Leontovitsch, 295 ff.; vgl. Čermenskij, 40 ff. 17 Sablinski, 143 ff.; 172 ff., 198 ff., 229 ff. 18 S. M. Schwarz, The Russian Revolution of 1905, Chicago 1967, 75—128; Čer­ menskij, 52 ff.; R. A. Roosa, Russian Industrialists, Politics, and Labor Reform in 1905, in: Russian History 2. 1975, 124—148; G. E. Snow, The Kokovtsov Commission. An Abortive Attempt at Labor Reform in Russia in 1905, in: SR 31. 1972, 780—796; A. Ja. Avrech, Stolypin i Tret'ja Duma, M. 1968, 153 ff. 19 Zur revolutionären Bewegung im F rühjahr 1905 vgl. die sowjetische Dokumen­ tation: Revoljucionnoe dviženie v Rossii vesnoj i letom 1905 g., M. 1957; über den gegenwärtigen sowjetischen F orschungsstand zur ersten russischen Revolution; G. M. Derenkovskij, A. E. Ivanov u. a., Osnovnye itogi izučenija istorii pervoj russkoj re­ voljucii za poslednie 20 let, in: ISSSR 1975/5, 42—60. 20 Dt. Text des Reskripts: A. Palme, Die russische Verfassung, Berlin 1910, 76. 21 Hildermeier, Agrarsozialismus, Kap. 5; A. F ischer, Russische Sozialdemokratie, 41 ff.; Keep, 149 ff.; zur Revolution in Polen: G. W. Strobel, Die Partei Rosa Luxem­ burgs, Lenin u. die SPD, Wiesbaden 1974, 207 ff., 220 ff.; Μ. Κ. Dziewanowski, The Russian Revolution of 1904—05 and the Marxist Movement in Poland, in: JCEA 12. 1953, 259—275. 22 Der Fall von Port Arthur, in: LW 8, 34 ff.; vgl. D. Geyer, Die russische Revolu­ tion. H istorische Probleme u. Perspektiven, Stuttgart 1968, 47 f. 23 Čermenskij, 52 ff., 74 ff. 24 P. P. Migulin, Vojna i naši finansy, Char'kov 1905 (Vorwort vom 7. 1. 1905). 25 Galai, Liberation Movement, 250; Čermenskij, 64 ff. 26 I. P. Belokonskij, Zemstvo i konstitucija, M. 1910, 167 ff. 27 Galai, Liberation Movement, 258 ff.; ders., The Role of the Union of Unions in the Russian Revolution of 1905, in: JGO 24. 1976, 512—525; vgl. L. Κ. Erman, Intel­ ligencija v pervoj russkoj revoljucn, M. 1966. 28 G. E. Snow, The Peterhof Conference of 1905 and the Creation of the Bulygin Duma, in: Russian H istory 2. 1975, 149—162. 29 Siehe unten S. 183 ff. 30 Zit. nach Istorija SSSR, Bd. 6, M. 1968, 124 f. 31 Vgl. die Briefe vom 21.2. u. 3. 6. 1905, in: Briefe Wilhelms II. an den Zaren 1894—1914. H g. von W. Goetz, Berlin 1920, 166 ff., 183 ff., auch in: GP 19/2, 383 ff., 419 ff. 32 Witte an Kuropatkin, 27. 2. 1905, in: KA 19, 73 ff. 33 Vgl. die Erinnerungen des Finanzministers V. M. Kokovcov, Iz moego prošlogo. Vospominanija 1903—1919 gg., Paris 1933, Bd. 1, 65. 34 Zur Politik des F inanzministers neuerdings: G. E. Snow, Vladimir N. Kokovtsov. A Case Study of an Imperial Bureaucrat 1904—1906, Ph. D. Diss., Indiana Univ. 1976. 35 Quellenpublikationen: B. A. Romanov Hg., Russkie finansy i evropejskaja birža 1904—1906, M. 1926; A. L. Sidorov Hg., F inansovoe položenie carskogo samoder­ žavija v period russko-japonskoj vojny i pervoj russkij revoljucii, in: IA 1955/2, 120 bis 149; ders., Denežnoe obrščenie Rossii (1904—1907), ebd. 1956/3, 88—123; dazu: Romanov, Russia in Manchuria, 323—368. 36 Vgl. den Bericht Kokovcovs über die F inanzlage, 17. 3. 1904, in: Russkie finansy, 31—62, sowie Kokovcov an Lamzdorf, 11. 4. 1904, ebd., 92 ff.

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Anmerkungen zu Seite 178—184 37 Zur Anleihe vom 29. 4./12. 5. 1904: ebd., 77 ff., 375 f.; vgl. Anan'ič, Rossija, 107 ff.; Girault, Emprunts, 393 ff., 402 ff. 38 B. Vogel, Deutsche Rußlandpolitik, 189 ff.; J . W. Long, The Economics of the Franco-Russian Alliance 1904—1906, Ph. D. Diss. Univ. of Wisconsin 1968, 34 ff., 40 ff.; Girault, 450 ff., Poidevin, 286 ff. 39 Zit. nach Pavlovič, Vnešnjaja politika, 24. 40 Kokovcov, Iz moego prošlogo 1, 60 f. 41 Zur deutschen Anleihe: Anan'ič, Rossija, 113 ff., 123 ff.; Vogel, Rußlandpolitik, 85 f.; Russkie finansy, 114—130, 376 ff. 42 Lone, The Economics. 65. 43 Russkie finansy, 131 ff., 154 ff.; Long, Economics, 77 ff. 44 Long, Economics, 69 ff. 45 Russkie finansy, 161 ff.; Long, Economics, 83 ff.; Anan'ič, 129 ff. 46 Witte an Nikolaj II., 28. 2. 1905, in: Vitte, Vospominanija 2, 573. 47 Zit. nach Β. A. Romanov H g., Konec russko-japonskoj vojny, in: KA 28, 188 f. 48 Anan'ič, Rossija, 140 ff. 49 Wilhelm an Nikolaj, 3. 6. 1905, in: GP 19/2, 419 ff. Zum Begriff der „Versump­ fung" des Krieges: Bülow an Speck v. Sternburg (Washington), 22. 3. 1905, ebd., 583 ff.; vgl. allgemein: B. Vogel, Die deutsche Regierung u. die russische Revolution von 1905, in: Deutschland u. die Weltpolitik im 19. u. 20. Jh. F s. für F . F ischer, Düsseldorf 1973, 222—236. 50 Protokoll der Sitzung des Kriegsrats (24.5.1905), in: KA 28, 191—204, hier: 198, 200 f. 51 Ebd., 202. 52 Vgl. Kuropatkin an Witte, 25. 5. 1905, in: KA 19, 77 f. 53 KA 28, 200 ff. 54 Ebd., 201. 55 Vgl. die Rechtfertigungsschrift des ehem. Oberbefehlshabers: Kuropatkin, Me­ moiren, Berlin 1909, passim. 58 Zur Diplomatiegeschichte des F riedensschlusses: Romanov, Očerki diploma­ tičeskoj istorii, 409 ff.; White, The Diplomacy, 227 ff.; Zabriskie, American-Russian Rivalry, 107 ff. 67 Zum deutschen Bündnisangebot 1904/05: Vogel, Rußlandpolitik, 201 ff., 216 ff.; J . Steinberg, Germany and the Russo-Japanese War, in: AHR 75. 1970, 1965—1986; Romanov, Očerki, 458 ff.; zur französischen Politik: E. M. Rozental', Diplomati­ českaja istorija russko-franeuzskogo sojuza načala XX v., Μ. 1960, 113 ff. 58 Text: F. I. Kalinyčev Hg., Gosudarstvennaja duma v Rossii v dokumentach i ma­ terialach, M. 1957, 30 ff.; dazu: Leontovitsch, 328 ff.; Galai, Liberation Movement, 257 ff.; Čermenskij, 105 ff.; Davidovič, Samoderžavie, 240 ff. 59 F riedensvertrag von Portsmouth (23.8./5.9. 1905): Romanov, Očerki, 494; White, The Diplomacy, 247 ff., 359 ff.; L. N. Kutakov, Portsmutskij mirnyj dogovor, M. 1961; Text: Sbornik dogovorov , 395 ff, — Zu den Rückwirkungen auf die englisch­ japanischen Beziehungen: Nish, The Anglo-Japanese Alliance, 323 ff. 60 Aus der F ülle der Literatur: O. Anweiler, Die Rätebewegung in Rußland 1905 bis 1921, Leiden 1958, 39 ff.; A. F ischer, Russische Sozialdemokratie, 137 ff. 61 Dt. Text: Palme, 80 f.; P. Scheiben Hg., Die russischen politischen Parteien von 1905 bis 1917, Darmstadt 1972, 29 f. — Zur Geschichte des Oktobermanifests und der Regierung Witte ausführlich: H. D. Mehlinger u. J . M. Thompson, Count Witte and the Tsarist Government in the 1905 Revolution, Bloomington, Ind. 1972; ferner: G. S. Doctorow, The Government Program of 17 October 1905, in: RR 34. 1975, 123—136. 62 Zum folgenden: Long, Economics, 112 ff.; Girault, Emprunts, 430 ff.; Romanov,

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Anmerkungen zu Seite 184—187 Očerki, 5, 99, 599 ff.; Anan'ič, 149 ff.; Russkie finansy, 206 ff.; Kokovcov, Iz moego prošlogo 1, 96 ff. 63 Vgl. Kokovcov an die Vertreter des Bankensyndikats, 18./31. 10. 1905, in: Rus­ skie finansy, 225 f. 64 Dazu den Bericht Noetzlins, in: DDF 2/VII, No. 110, 149 ff. 65 Witte an Nikolai II., 9. 10. 1905, in: KA 11, 53 ff. 66 J . E. Zimmermann, Between Revolution and Reaction: The Russian Constitu­ tional Democratic Party (1905—1907), Ph.D.Diss. Columbia Univ. 1967; G. N. Rhyne, The Constitutional Democratic Party from Its Origins Through the F irst State Duma, Ph.D.Diss. Univ. of North Carolina 1968; U. Liszkowski, Zwischen Liberalis­ mus u. Imperialismus. Die zaristische Außenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg im Urteil Miljukovs u. der Kadettenpartei 1905—1914, Stuttgart 1974, 10 ff.; E. Birth, Die Ok­ tobristen 1905—1913. Zielvorstellungen u. Struktur, Stuttgart 1974; L. Menashe, Alex­ ander Guchkov and the Origins of the Octobrist Party: The Russian Bourgeoisie in Politics, Ph.D.Diss., New York Univ. 1966, 84 ff., 117 ff.; Čermenskij, 158 ff.; Texte der Parteiprogramme: Scheibert Hg., Die russischen politischen Parteien, 60 ff. 67 G. Garvy, The F inancial Manifesto of the St. Petersburg Soviet 1905, in: IRSH 20. 1975, 16—32; Anweiler, Rätebewegung, 68 ff. 68 Zur F inanzkrise: Long, Economics, 118 ff.; Anan'ič, 153 ff.; zur Resonanz in Deutschland vgl. das Pamphlet von R. Martin, Die Zukunft Rußlands u. Japans. Die deutschen Milliarden in Gefahr, Berlin 1905. 69 Vorschläge des F inanzministers zum Schutz der russischen Goldreserve (Ende 1905): IA 1955/2, 132 ff. 70 Bericht des F inanzkomitees an Nikolaj II. (14.12.1905), in: IA 1955/2, 127 ff.; zur Niederwerfung der revolutionären Bewegung: Mehlinger u. Thompson, 106 ff., 124 ff. 71 Vgl. den Beschluß über die Einschränkung der Militärausgaben, 29. 12. 1905, in: IA 1955/2, 140 ff. 72 Russkie finansy, 229 ff.; Long, Economics, 146 ff.; ders., Russian Manipulation of the F rench Press, in: SR 31. 1972, 343—354; Rozental', Diplomatičeskaja istorija, 162 ff., 199 ff.; Anan'ič, 163 ff.; Mehlinger u. Thompson, 218 ff. 73 Über Kokovcovs Besuch in Berlin (14. 1. 1906) vgl. dessen Bericht an das Finanz­ komitee (11./24. 1. 1906), in: Russkie finansy, 252—268. 74 Zum Junktim zwischen Anleihe und Algeciras-Konferenz: Long, Economics, 159 ff.; Marokko-Krise: Andrew, Delcassé, 268 ff.; G. Monge, Ursachen u. Entstehung der englisch-französischen Entente, 232 ff.; A. Moritz, Das Problem des Präventiv­ krieges in der deutschen Politik während der ersten Marokko-Krise, Bern 1974, 53 ff.; Rozental', 182 ff.; A. I. Astaf'ev, Russko-germanskie diplomatičeskie otnošenija 1905—1911 gg., M. 1972, 32 ff.; B. F . Oppel, The Waning of a Traditional Alliance. Russia and Germany after the Portsmouth Peace Conference, in: CEH 5. 1972, 318 bis 329. 75 Zit. Nach Anan'ič, 171. 76 Zu den Dumawahlen vgl. Mehlinger u. Thompson, 273 ff.; dazu die Analyse von R. Rexheuser, Die russische Rechte vor 1917. Lokale Studien zu ihrer Sozialgeschichte, ungedr. Habilschr., Erlangen 1977, Kap. 1.; ferner: W. B. Walsh, The Composition of the Dumas, in: RR 8. 1949, 111—116. 77 Anan'ič, 171. 78 H. Landauer, Das Budgetrecht in Rußland, Berlin 1912. 79 Long, Economics, 198 ff.; ders., Organized Protests against the 1906 Russian Loan, in: CMRS 13. 1972, 24—39; O. Crisp, The Russian Liberals and the 1906 Anglo­ French Loan to Russia, in: SEER 39. 1960, 497—511; B. V. Anan'ič, Vnešnie zajmy

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Anmerkungen zu Seite 187—189 i dumskij vopros 1906—1907 gg., in: IZ 81. 1968, 199—215; Čermenskij, 246 ff. — Über die Rückwirkungen der Anleihe auf die innerrussischen Auseinandersetzungen demnächst die Tübinger Diss. von K. F erenczi, Außenpolitik u. Öffentlichkeit in Ruß­ land 1906—1914, Kap. 2. 80 Long, F rench Attempts at Constitutional Reform in Russia, in: JGO 23. 1975, 496—503. 81 Schlußverhandlungen und Anleihebedingungen: Long, Economics, 181 ff.; Meh­ linger u. Thompson, 227 ff.; Girault, Emprunts, 435 ff.; Russkie finansy, 378 ff. 82 Zu den Versuchen, deutsche Banken zu beteiligen, die Korrespondenz zwischen Mendelssohn und Witte, in: Russkie finansy, bes. 315 ff. Long, Economics, 192 ff.; Anan'ič, Rossija, 173; Rozental', 215 ff. III. 1 Dt. Text mit Verfassungskommentar: Palme, 91—193; dazu G. S. Doctorow, The Fundamental State Law of 23 April 1906, in: RR 35. 1976, 33—52; Mehlinger u. Thompson, 289 ff., 336 ff. 2 Zu den ersten beiden Dumen von 1906/07 vgl. S. M. Sidel'nikov, Obrazovame i dejatel'nost' Pervoj Gosudarstvennoj Dumy, M. 1962; A. Levin, The Second Duma, New Haven 1940; Čermenskij, Buržuazija, 211 ff., 338 ff. 3 Hosking, The Russian Constitutional Experiment. Government and Duma, 1907 —1914, Oxford 1973, passim; Α. Ja. Avrech, Carizm i tret'eijun'skaja sistema, M. 1966; ders., Stolypin i Tret'ja Duma, M. 1968; L. Bazylow, Ostatnie lata Rosij car­ skiej. Rządy Stolypina, Warschau 1972; A. M. Davidovič, Samoderžavie v ėpochu im­ perializma, M. 1975, 248 ff., 301 ff.; dazu: M. H agen, Der russische „Bonapartismus" nach 1906. Genese u. Problematik eines Leitbegriffs in der sowjetischen Geschichts­ wissenschaft, in: JGO 24. 1976, 369—393; ferner: A. Levin, P. Α. Stolypin: A Political Re-appraisal, in: JMH 37, 1965, 445—463; M. S. Conroy, Peter A. Stolypin, Boulder, Col. 1976. 4 A. Levin, The Third Duma. Election and Profile, H amden, Conn. 1973; ders., June 3, 1907: Action and Reaction, in: Essays in Russian H istory, H amden, Conn. 1964, 233—273; zum neuen Wahlrecht: Palme, 194 ff. 5 Birth, Die Oktobristen, passim; B. C. Pinchuk, The Octobrists in the Third Duma 1907—1912, Seattle 1974; über die Nationalisten und gemäßigten Rechten fehlt eine Monographie; zur extremen Rechten vgl. vor allem: H. Rogger, The F ormation of the Russian Right 1900—1906, in: CSS 3. 1964, 66—94; ders., Was There a Russian F as­ cism? The Union of the Russian People, in: JMH 36. 1964, 398—415; H. Jablonowski, Die russischen Rechtsparteien 1905—1917, in: Rußland-Studien. Gedenkschrift für O. Hoetzsch, Stuttgart 1957, 43—55; D. C. Rawson, The Union of the Russian People 1905—1907. A Study of the Russian Right, Ph. D. Diss. Univ. of Washington 1971; neuerdings zum Gesamtkomplex die noch ungedruckten Wahlanalysen und Lokalstu­ dien von R. Rexheuser, Die russische Rechte, Habilschr., Erlangen 1977. 6 Eine moderne, den Stand der Spezialforschung verarbeitende Gesamtdarstellung der russischen Außenpolitik 1905 bis 1914 ist ein Desiderat geblieben. Über die innen­ politischen Auseinandersetzungen um die auswärtige Politik orientiert bisher am be­ sten: I. V. Bestužev, Bor'ba v Rossii po voprosam vnešnej politiki 1906—1910, M. 1961; ders., Bor'ba v Rossii po voprosam vnešnej politiki nakanune pervoj mi­ rovoj vojny (1910—1914), in: IZ 75. 1965, 44—85. Vgl. im übrigen die kursorischen Überblicke von I. V. Bovykin, Očerki istorii vnešnej politiki Rossii. Konec XIX v. — 1917 g., M. 1960; P. N. Efremov, Vnešnjaja politika Rossii 1907—1914 gg., M. 1961.

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Anmerkungen zu Seite 190—192 7 Monge, Ursachen u. Entstehung der englisch-französisch-russischen Entente; Ka­ zemzadeh, Russia and Britain, 447 ff.; V. A. Marinov, Rossija i Japonija pered pervoj mirovoj vojnoj, 1905—1914 gody. Očerki istorii otnošenij, M. 1974; S. S. Grigor­ cevič, Dal'nevostočnaja politika imperialističeskich deržav v 1906—1917 gg., Tomsk 1965. 8 Κ. Wernecke, Der Wille zur Weltgeltung. Außenpolitik u. Öffentlichkeit am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Düsseldorf 1969. 9 Κ istorii anglo-russkogo soglašenija 1907, in: KA 69/70, 3—39; Anglo-russkaja konvencija 1907 g. i razdel Afganistana, ebd., 10, 54—66; vgl. Bestužev 1961, 127 ff., 156 ff. 10 Grundlegend für die russische Rüstungspolitik nach 1906, besonders für den Flottenbau, die Forschungen von K. F. Šacillo, Russkij imperializm i razvitie flota nakanune pervoj mirovoj vojny (1906—1914 gg.), M. 1968; ders., Razvitie vooružennych sit Rossii nakanune pervoj mirovoj vojny. Voennye i voenno-morskie programmy carskogo pravkel'stva v 1906—1914 gg. (Avtoref. diss.), Μ. 1968; ders., Rossija pered pervoj mirovoj vojnoj. Vooružennye sily carizma v 1905—1914 gg., M. 1974, sowie die Vorarbeiten des gleichen Verf. in: 12 69. 1961, 73—100, 75. 1965, 86—121, 83. 1969, 123—136. 11 Vgl. W. M. Carlgren, Iswolsky u. Aehrenthal vor der bosnischen Annexionskrise. Russische u. Österreichisch-ungarische Balkanpolitik 1906—1908, Uppsala 1955; Bestužev 1961, 179 ff.; Κ. Β. Vinogradov, Bosnijskij krizis 1908—1909 gg. — prolog pervoj mirovoj vojny, L. 1964; Astaf'ev, Russko-germanskie diplomatičeskie otnošenija, 137 ff.; zu den Auseinandersetzungen um das Projekt der Sandschak-Bahn und der Donau-Adria-Bahn auch W. S. Vucinich, Serbia between East and West, 1903—1908, Stanford 1954, 210 ff., 229 ff. 12 Alleruntertänigster Bericht des Chefs der Hauptverwaltung des Generalstabs und des Chefs des Marinegeneralstabs, 24.12.1906, in: Šacillo, Russkij imperializm, 318—321. 13 Zur russischen Politik gegenüber dem Osmanischen Reich demnächst die Tübinger Diss. von M. Hiller, Die politischen, militärischen u. wirtschaftlichen Interessen Ruß­ lands im Nahen u. Mittleren Osten 1905—1914 (1978); von sowjetischer Seite unter dem Aspekt der deutschen Expansion: Β. Μ. Tupolev, Ėkspansija germanskogo im­ perializma v Jugo-Vostočnoj Evrope v konce XIX — načale XX veka, M. 1970; all­ gemein ferner den ausholenden historischen Überblick von A. Schölch, Wirtschaftliche Durchdringung u. politische Kontrolle durch die europäischen Mächte im Osmani­ 14 schen Reich, in: GuG 1. 1975, 404—446. Bestužev 1961, 151. 15 Zum generellen Problem: V. R. Berghahn, Rüstung u. Machtpolitik. Zur Anato­ mie des „Kalten Krieges" vor 1914, Düsseldorf 1973. 16 Liszkowski, Zwischen Liberalismus u. Imperialismus; J . F. H utchinson, The Oc­ tobrists and the Future of Imperial Russia as a Great Power, in: SEER 50. 1972, 220—237; dazu die Arbeiten von Birth, Pinchuk und H osking. 17 Zur Finanz- und Wirtschaftspolitik allgemein: J . Nötzold, Wirtschaftspolitische Alternativen; A. P. Pogrebinskij, Gosudarstvennye finansy carskoj Rossii v ėpochu imperializma, M. 1968. 18 Vgl. die Stellungnahme des Finanzministers in der Sonderberatung über das Flot­ tenprogramm (3. 8. 1909), in: Šacillo, Russkij imperializm, 327 ff. 19 A. Martiny, Der Einfluß der Duma auf die russische Finanz- u. H aushaltspolitik 1907—1914, Phil. Diss. Freiburg 1974; S. L. Levitsky, Interpellation u. Verfahrens­ fragen in der russischen Duma, in: FOG 6. 1958, 170—207. 20 Vgl. W. A. Suchomlinow, Erinnerungen, Berlin 1924, 225: Die Duma habe „ei­ gentlich bei Geldbewilligungen für die Armee nie versagt".

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Anmerkungen zu Seite 192—199 III.1. 1 Pogrebinskij, Gosudarstvennye finansy, 50 ff.; Šacillo, Russkij imperializm, 202 f.; A. L. Sidorov, Finansovoe položenie Rossii v gody pervoj mirovoj vojny, M. 1960, 14 ff.; vgl. dazu und den folgenden Daten Tabelle, 2 Zur Forschungsanlage: A. Moritsch, Neuere Literatur zur Stolypinschen Agrar­ reform, in: JGO 24. 1976, 230—249; das ältere Standardwerk von W. D. Preyer, Die russische Agrarreform, Jena 1914, ist noch immer unentbehrlich; maßgebende sowje­ tische Gesamtdarstellung: S. M. Dubrovskij, Stolypinskaja zemel'naja reforma, M. 19633. Zur bäuerlichen Kolonisation in Sibirien im Zusammenhang der Agrarreform vgl. neben Treadgold, The Great Sibirian Migration: L. F. Skljarov, Pereselenie i zem­ leustrojstvo v Sibiri v gody stolypinskoj agrarnoj reformy, L. 1962; L. M. Gorjuš­ kin, Agrarnye otnošenija v Sibiri perioda imperializma (1900—1917 gg.), Novosibirsk 1976, 133 ff., 157 ff., 298 ff. 3 Zur neuen Kabinettsverfassung: N. G. Koroleva, Reforma Soveta Ministrov Ros­ sii v 1905 g., in: Sovetskie archivy 1972/1, 85 ff. 4 Kokovcov an Stolypin, 14.11.1906, in: Russkie finansy, 349—366; vgl. auch das Schreiben des Finanzministers vom 6. 9. 1906, ebd., 336—340. 5 Šacillo, Russkij imperializm, 205. 6 Zur Konjunkturentwicklung vgl. die Daten bei Chromov, Ėkonomičeskoe raz­ vitie, 296 ff. passim; demnächst dazu die Tübinger Diss. von B. Löhr, Der wirtschaft­ liche Aufschwung in Rußland 1909—1914 im Spiegel der zeitgenössischen Wirtschafts­ presse (1978). 7 Kokovcov, 3. 8. 1909, in: Šacillo, Russkij imperializm, 327—329. 8 Vgl. den Briefwechsel zwischen Kokovcov und Noetzlin in: Russkie finansy, 332 ff.; Kokovcov, Iz moego prošlogo 1, 287. 9 Kokovcov 1, 307 ff. 10 Zur konstitutionellen Rolle des Reichsrats: O. W. Gerus, The Reformed State Council 1905—1917. Α Phase in Russian Constitutionalism, Ph. D. Diss. Toronto 1970. 11 Zu diesen Berechnungen vgl. Tabelle 11. " Angaben nach Sidorov, Finansovoe položenie, 51—82; vgl. ders. Mg., Iz istorii podgotovki carizma k pervoj mirovoj vojne, in: IA 1962/2, 132 ff.; Šacillo, Rossija, 86 ff. In Deutschland betrugen die Relationen zwischen Heeres- und Marineetat von 1909 bis 1912 etwa 2:1, ab 1913 — bedingt durch die große Heeresvorlage — 3:1; vgl. P. Chr. Witt, Die F inanzpolitik des Deutschen Reiches, 1903—1913, Lübeck 1970, 380 f. (Tab. XIV b). 13 Kokovcov, 14. 12. 1909, in: Šacillo, Russkij imperializm, 342 ff. 14 Dazu und zum folgenden: Anan'ič, Rossija i meždunarodnyj kapital, 219 ff., 233 ff.; Girault, Emprunts, 487 ff. 15 Kokovcov an Rafalovič, 31. 8. 1908, zit. nach Anan'ič, Rossija, 228. 16 A. I. Šinearev in der Duma-Debatte am 16. 2. 1909, ebd. 252. 17 Ebd., 267 ff. — Zu den russisch-französischen Militärgesprächen: V. I. Bovykin, Iz istorii vozniknovenija pervoj mirovoj vojny. Otnošenija Rossii i F rancii v 1912 —1914 gg., M. 1961, 73 ff. 18 Anan'ič, Rossija, 271 ff.; Girault, Emprunts, 564 ff. 19 Witt, Die Finanzpolitik, 337 ff., 356 ff. 20 DDF 3/VIII, No. 79; Materialy po istorii franko-russkich otnošenij za 1910 —1914 gg., M. 1922, 716 ff.; dt. Übers. des Generalstabsprotokolls vom August 1913: Der diplomatische Schriftwechsel Iswolskis 3, 272 ff. 21 Anan'ič, Rossija, 279 ff.; Girault, Emprunts, 566 f., Bovykin, Iz istorii, 102 ff. 22 I. F. Gindin, Russkie kommerčeskie banki, M. 1948, 153 ff.; ders., Moskovskie

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Anmerkungen zu Seite 199—206 banki v period imperializma, in: IZ 58, 38—106; Šepelev, Akcionernye kompanii, 233 ff. 23 Vgl. R. Ropponen, Die Kraft Rußlands. Wie beurteilte die politische u. militä­ rische F ührung der europäischen Großmächte in der Zeit von 1905 bis 1914 die Kraft Rußlands? Helsinki 1968, bes. 181 ff., 196 ff. 24 Berechnungen nach Bovykin, Probleme der industriellen Entwicklung Rußlands, in: Geyer Hg., Wirtschaft u. Gesellschaft, 203. 25 Sidorov, F inansovoe položenie, 29 ff., 82 ff.; ders., Zur F inanzlage Rußlands vor 1914. Staatshaushalt u. Staatsschuld, in: Geyer Hg., Wirtschaft u. Gesellschaft, 252—276; A. I, Bukoveckij, Svobodnaja naličnost' i zolotoj zapas carskogo pravitel'­ stva v konce XIX — načale XX veka, in: Monopolii i inostrannyj kapital v Rossii, L. 1962, 359—376. 26 Šepelev, Akcionernye kompanii, 231 ff.; Girault, Emprunts, 122 ff., 422 ff.; McKay, Pioneers, 33 ff. 27 Bonwetsch, Das ausländische Kapital, 412—425, hier: 416, 418. 28 Bovykin, Probleme, 197. 29 Bonwetsch, Das ausländische Kapital, 423 f.; V. b. Djakin, Germanskie kapitaly, 6 ff.; über die britischen Kapitalanlagen: A. I. Ignat'ev, Russko-anglijskie otnošenija nakanune pervoj mirovoj vojny, M. 1962, 13—57. 80 Bonwetsch, Das ausländische Kapital, 422; McKay, Pioneers, 26 f. — In Deutsch­ land wurden z. B. von F . Krupp an Dividenden gezahlt: 8 % (1910), 10 % (1911), 12 % (1912) und 1 4 % (1913), vgl. H. Jaeger, Unternehmer in der deutschen Politik 1890—1918, Bonn 1967, 206 ff. 31 Vgl. die abwägende Beurteilung von McKay, Pioneers 268 ff. 32 Zur Aktiengesetzgebung Šepelev, Akcionernye kompanii, 251 ff. 33 Šacillo, Inostrannyj kapital i voenno-morskie programmy Rossii nakanune per­ voj mirovoj vojny, in: IZ 69.1961, 73—100, hier: 75 f., 77f.; über den Zusammenhang von F lottenrüstung und Industrieförderung: Ders., Russkij imperializm, 202 ff. 34 G. M. Derenkovskij, F ranko-russkaja morskaja konvencija 1912 g. i anglo-russkie peregovory nakanune pervoj mirovoj vojny, in: IZ 29. 1949, 102 f. 35 Šacillo, Inostrannyi kapital, 83 f. 3e Zum folgenden: Bovykin, Banki i voennaja promyšlennost' Rossii nakanune per­ voj mirovoj vojny, in: IZ 64. 1959, 82—135. 37 Zum folgenden: Šacillo, Inostrannyj kapital, 78 ff. 38 Die folgenden Daten nach P. Gregory, Wirtschaftliches Wachstum u. struktureller Wandel im zaristischen Rußland, in: Geyer Hg., Wirtschaft u. Gesellschaft, 210—227; ders., Some Empirical Comments on the Theory of Relative Backwardness: The Rus­ sian Case, in: Economic Development and Cultural Change 22. 1974, 645—655; ders., A Note on Relative Backwardness and Industrial Structure, in: QJE 88. 1974, 520 bis 527; ders., Russian National Income in 1913, ebd., 90. 1976, 445—459. — Zum rus­ sischen Volksvermögen (jedoch ohne internationale Vergleichsdaten) die Berechnungen von A. L. Vajnštejn, Narodnoe bogatstvo i narodnochozjajstvennoe nakoplenie pred­ revoljucionnoj Rossii, M. 1960. III.2. 1 Neben den Arbeiten von Bestužev vgl. H. Jablonowski, Die Stellungnahme der russischen Parteien zur Außenpolitik der Regierung von der russisch-englischen Ver­ ständigung bis zum Ersten Weltkrieg, in: F OG 5. 1957, 60—92; Μ. Wolters, Außenpolitische Fragen vor der vierten Duma, Hamburg 1969; dazu die parteigeschichtlichen Darstellungen von Birth und Pinchuk sowie — für die Kadetten — Liszkowski, Zwi-

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Anmerkungen zu Seite 206—210 schen Liberalismus u. Imperialismus. Eine eingehende Analyse verspricht die Tübinger Diss. von K. F erenczi, Außenpolitik u. Öffentlichkeit in Rußland 1906—1914 (1978). 2 O. Bickel, Rußland u. die Entstehung des Balkanbundes 1912, Berlin 1933; E. C. Thaden, Russia and the Balkan Alliance of 1912, Pennsylvania U. P. 1965; E. C. Helm­ reich, The Diplomacy of the Balkan Wars 1912—1913, Cambridge, Mass. 1938; J . M. Miller Jr., The Concert of Europe in the F irst Balkan War, 1912—1913, Ph. D. Diss., Clark Univ. 1969; R. J . Crampton, The Decline of the Concert of Europe in the Bal­ kans 1913—1914, in: SEER 52. 1974, 393—419; Bovykin, Iz istorii, 124—178; A. V. Ignat'ev, Russko-anglijskie otnošenija, 145 ff., 168 ff.; Bestužev 1965, 60 ff. 3 Zur russischen Militärstrategie und Planung noch immer unentbehrlich: A. M. Za­ jonckovskij, Podgotovka Rossii k imperialističeskoj vojne. Očerki voennoj podgo­ tovki i pervonačal'nych planov, M. 1926; vgl. neuerdings das Kollektivwerk des In­ stituts für Kriegsgeschichte des sowjetischen Verteidigungsministeriums: Istorija pervoj mirovoj vojny 1914—1918, Bd. 1 M. 1975, 95 ff., 185 ff. 4 Eine moderne, dem neuesten F orschungsstand entsprechende Darstellung des rus­ sischen Anteils an der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges fehlt. Das Buch von E. Hölzle, Die Selbstentmachtung Europas. Das Experiment des F riedens vor u. im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1975, führt — zumal in bezug auf die russische Politik — über das Niveau der deutschen Kriegsschuldliteratur der 20er und 30er Jahre nicht hinaus. Über die F orschungsgeschichte in der UdSSR orientiert K. H. Schlarp, Ursachen u. Entstehung des Ersten Weltkrieges im Lichte der sowjetischen Geschichtsschreibung, Hamburg 1971. 5 Vgl. die Selbstdarstellungen der Außenminister: The Memoirs of Alexander Is­ volsky, London 1920; S. D. Sasonoff, Sechs schwere Jahre, Berlin 1927. 6 Zu den anfänglichen Differenzen vgl. das Protokoll der Sonderberatung vom 7.9. 1906, in: KA 56, 59—64, sowie A. Iswolsky, Au service de la Russie. Correspon­ dence diplomatique. Bd. 1, Paris 1937, 378; Bestužev 1961, 129 ff. 7 Astaf'ev, Russko-germanskie diplomatičeskie otnošenija, 187 ff., 219 ff.; Kazem­ zadeh, Russia and Britain, 593 ff. 8 Dazu neuerdings H. Lemke, Großbritannien u. die deutsch-russischen Verhand­ lungen über Persien u. die Bagdadbahn nach der Zusammenkunft in Potsdam (1910/11), in: JGSLE 18/2, 1974, 115—145; H. Mejcher, Die Bagdadbahn als Instrument deut­ schen wirtschaftlichen Einflusses im Osmanischen Reich, in: GuG 1. 1975, 447—481. 9 Sbornik dogovorov, 402 ff. — Zu den internen Voraussetzungen der italienischen Kolonialpolitik: W. Schieder, Aspekte des italienischen Imperialismus, in: W. J . Momm­ sen Hg., Der moderne Imperialismus, 148—171, mit guter Orientierung über die F or­ schungsliteratur. 10 Thaden, Russia and the Balkan Alliance, 99 ff. passim. 11 Vgl. S. 188. 12 L. Nejman, F ranko-russkie otnošenija vo vremja bosnijskogo krizisa 1908—1909 gg., in: F E 1958, 375—406; H. G. Sasse, War das deutsche Eingreifen in die Bosnische Krise im März 1909 ein Ultimatum? Stuttgart 1936, 58—79. 13 Zu den Reformen im Außenministerium: Bestužev 1961, 58 ff. 14 Zur deutschen F lottenpolitik vor allem: V.R. Berghahn, Der Tirpitz-Plan. Ge­ nesis u. Verfall einer innenpolitischen Krisenstrategie unter Wilhelm IL, Düsseldorf 1971. 15 Izvolskij, 14. 12. 1909, in der Sonderberatung über das F lottenprogramm, Šacillo, Russkij imperializm, 346. 16 Zu den Disproportionen zwischen Heeres- und F lottenrüstung: Šacillo, Ο dis­ proporcii v razvitii vooružennych sil Rossii nakanune pervoj mirovoj vojny, in: IZ 83. 1969, 123—136.

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Anmerkungen zu Seite 210—216 Ders., Russkij imperializm, 52 ff. Bericht vom 24. 12. 1906, ebd., 318 ff. 19 Ebd., 92 f. 20 Ebd., 57 ff.; Istorija pervoj mirovoj vojny 1, 268 f. 21 Vgl. Berghahn, Der Tirpitz-Plan, 173 ff. passim; ders., Rüstung u. Machtpolitik, 70 ff. — Der russische Entschluß für den Schlachtschiffbau folgte dem allgemeinen „Dreadnought-Sprung" von 1906. Die Grundschriften des amerikanischen Seekriegshistorikers Α. Τ. Mahan, die den Flottenimperialismus beflügelten (The Influence of Sea Power Upon History, 1660—1783, Boston 1890, The Influence of Sea Power Upon French Revolution and Empire, 1793—1812, Boston 1893), waren in russ. Übers. schon 1894 bzw. 1898 erschienen; vgl. allgemein M. Hanke, Das Werk Alfred T. Mahans, Darstellung u. Analyse, Phil. Diss., Erlangen 1974. 22 Šacillo, Rossija, 38 ff. Vgl. das Ministerratsprotokoll über die Beratung des Kriegs- und Marineetats für 1908 in: IA 1962/2, 124—131 (1. 2. 1908). 23 Zur F inanzgeschichte des Rüstunesplans: Sidorov, F inansovoe položenie. 57 ff. 24 Suchomlinow, 221; vgl. die Berichte des deutschen Militärbevollmächtigten Kapi­ tän v. Hintze, in: G. Graf v. Lambsdorff, Die Militärbevollmächtigten Wilhelms II. am Zarenhofe 1904—1914, Berlin 1937, 309 ff. 25 Sidorov, F inansovoe položenie, 62. 26 Dazu die Protokolle der Sonderberatungen vom 3. 8., 21. 8., 14. 12. 1908 u. 2. 1. 1910, in: Šacillo, Russkij imperializm, 322—351. 27 Sitzungsprotokoll des Ministerrats, 24.2.1910, in: IA 1962/2, 132—142, sowie die Gesetzesvorlage für die Beratungen in der Reichsduma, 25. 3.1910, ebd., 142—151. 28 E. B. Price, The Russo-Japanese Treaties of 1907—1916 Concerning Manchuria and Mongolia, Baltimore 1933, 39 ff., 113 f.; Grigorcevič, Dal'nevostočnaja politika, 257 ff., 293 ff.; Marinov, Rossija i Japonija, 59 ff. Über den Zusammenhang mit den englisch-japanischen Bündnisbeziehungen: I. H. Nish, Alliance in Decline. A Study in Anglo-Japanese Relations 1908—1923, London 1972; P. Lowe, Great Britain and Japan 1911—1915. Α Study of British Far Eastern Policy, London 1969. 29 Zum folgenden: Šacillo, Russkij imperializm, 70 ff. 30 Meerengensperre April 1912: Bestužev 1965, 57 ff. 31 Derenkovskij, in: IZ 29, 80 ff.; Bovykin, Iz istorii, 76 ff. 82 Derenkovskij, 111 ff., 116 ff.; A. V. Ignat'ev, Russko-anglijskie otnošenija, 200 ff. — Nachweise über die deutsche Resonanz auf die geheimen Marineverhandlungen mit unhaltbaren Schlußfolgerungen: E. Hölzle, Der Geheimnisverrat u. der Kriegsausbruch 1914, Göttingen 1973; ders. Die Selbstentmachtung, 241 ff. 33 Istorija pervoj mirovoj vojny 1, 267 ff. 34 Zum folgenden: Šacillo, Russkij imperializm, 90 ff., 121 ff. 35 Thaden, Russia, 38—57; ders. Charykov and Russian Foreign Policy at Constantinopel in 1911, in: JCEA 16. 1956, 25—44; Bovykin, Iz istorii, 128, 136 ff.; Šacillo, Russkij imperializm, 100 ff. — Zum Meinungsaustausch der beteiligten Minister: Ja. M. Zacher, Konstantinopol' i prolivy, in: KA 6, 48 ff., KA 7, 32 ff. 36 Zu den Petersburger Beratungen während der Liman-Sanders-Krise: M. Pokrowski, Drei Konferenzen. Zur Vorgeschichte des Krieges, Hamburg 1920, 32 ff.; Ε. Α. Adamov H g., Konstantinopel u. die Meerengen, Bd. 1, 77 ff.; Die internationalen Be­ ziehungen I/1, Nr. 295; Zacher, in: KA 6, 69 ff., KA 7, 35 ff.; vgl, F. Fischer, Der Krieg der Illusionen, Düsseldorf 1969, 490 ff.; A. S. Avet'jan, Germanskij imperializm na Bližnem Vostoke. Kolonial'naja politika germanskogo imperializma i missija Limana fon Sandersa, M. 1966; Bovykin, Iz istorii, 168 ff.; Ignat'ev, Russko-anglijskie otnošenija, 175 ff.; Bestužev 1965, 72 ff.; zur Rolle Limans in der Kriegszeit: U. Trumpener, Germany and the Ottoman Empire 1914—1918, Princeton 1968, Neuerdings zur 17

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Anmerkungen zu Seite 216—224 deutschen Türkei-Politik vor 1914: A. S. Silin, Ekspansija germanskogo imperializma na Bližnem Vostoke nakanune pervoj mirovoj vojny (1908—1914), M. 1976, hier: 207 ff. 37 Dazu ausführlich: Šacillo, Russkij imperializm, 134 ff. 38 A. M. Zajončkovskij, Podgotovka Rossii, 50 ff., 68 ff. 39 Ebd., 83 ff.; Sidorov, F inansovoe položenie, 65; Šacillo, Rossija, 43 ff. 40 A. M. Zajončkovskij, 211 ff. 41 Ebd., 256 ff. 42 Ebd., 302 ff. 43 Ebd., 175 ff. 44 Ebd., 198 f. 45 Protokoll der Generalstabskonferenz (18./31. 8.1911): Der diplomatische Schrift­ wechsel Iswolskis 1, 137 ff. 46 Protokoll (14. 7. 1912): Ebd. 2, 181 ff.; DDF 3/III, No 200. 47 Protokoll (August 1913): Ebd. 3, 272 ff.; DDF 3/VIII, No 74. III.3. Zur folgenden Problemskizze vgl. vor allem: Hosking, The Russian Constitutional Experiment; Birth, Die Oktobristen; Pinchuk, The Octobrists; Liszkowski, Zwischen Liberalismus u. Imperialismus; Avrech, Canzm; ders., Stolypin; für die öffentliche Resonanz und die innenpolitische F unktion der Außenpolitik: Bestužev 1961 und 1965; Wolters, Außenpolitische F ragen; Jablonowski, Die Stellungnahme der russischen Parteien. F ür Hinweise und Material aus seiner vor dem Abschluß stehenden Tübin­ ger Diss. danke ich K. F erenczi. 2 Zu den nationalen Wertbegriffen vgl. Birth, 130 ff. 3 Pinchuk, 63 ff. 4 Dazu auch W. Markert, Die deutsch-russischen Beziehungen am Vorabend des Ersten Weltkrieges, in: Ders., Osteuropa u. die abendländische Welt, Göttingen 1966, 166—186, 212—221. 5 P. Struve, Velikaja Rossija. Iz razmyšlenij o russkoj revoljucii (zuerst in: Russ­ kaja Mysl' 1908. 1.), in: Ders., Patriotica. Politika, kul'tura, religija, socializm. Sbor­ nik statej za pjat' let (1905—1911 gg.), SPb 1911, 73—96. 6 Der Begriff bei A. I. Gučkov, Reči po voprosam gosudarstvennoj oborony i ob obščej politike 1908—17 gg., Petrograd 1917, 78 (Rede vom 7. 5. 1912). 7 Eingehende Darstellung der Position Miljukovs bei Liszkowski, Zwischen Libe­ ralismus u. Imperialismus; vgl. auch die Aufsatzsammlung Miljukovs, Balkanskij vo­ pros i politika A. P. Izvol'skogo, SPb 1910, sowie allgemein die Erinnerungen: P. N. Miljukov, Vospominanija (1859—1917), N.Y. 1955, Bd. 2, 14 ff.; dazu die politische Biographie von T. Riha, A Russian European. Pavel Miliukov in Russian Politics, Notre Dame 1969; ferner Η. Giertz, Die außenpolitische Position Miljukovs am Vorabend u. während der bosnischen Krise, in: JGSLE 18/2. 1974, 77—113. 8 Miljukov vor dem ZK der Kadettenpartei, 1. 3. 1909, zit. nach dem Sitzungsprotokoll, CGAOR. F. 523, Op. 1, d. 30, l. 2 f. (Hinweis von K. Ferenczi). 9 Η. D. Löwe, Antisemitismus u. reaktionäre Utopie, Kap. X. 10 Tablonowski. Die Stellungnahme, 69 ff. 11 Vgl. die Psychogramme des Zaren in den Berichten v. Hintzes (1908—1910), in: Lambsdorff, Die Militärbevollmächtigten, 300 ff. passim. 12 Zur Biographie des Landwirtschaftsministers neuerdings die Darstellung seines Sohnes K. A. Krivošein, A. V. Krivošein (1857—1921). Ego značenie v istorii Rossii načala XX veka, Paris 1973; H. Heilbronner, P. Kh. von Schwanebach and the Dis­ solution of the F irst Two Dumas, in: CSP 11. 1969, 31—55. 1

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Anmerkungen zu Seite 225—228 Die F ormulierung bei P. Miljukov, Balkanskij vopros, 133 ff. Vgl. Bestužev 1961, 67 ff., 101 ff. passim. 15 Ebd., 331 ff.; Liszkowski, Zwischen Liberalismus u. Imperialismus, 149 ff. 16 Bestužev 1965, 62 ff. 17 Liszkowski, Zur Aktualisierung der Stereotype „Die deutsche Gefahr" im rus­ sischen Neoslawismus, in: Rußland u. Deutschland. F s. für G. v. Rauch, Stuttgart 1974, 278—294; W. Zeil, Der Neoslawismus, in: JGSLE 19/2. 1975, 29—56. 18 „Schwere Tage nationaler Trauer" — so Gučkov in seiner Etatrede vom 19. 3. 1909 in bezug auf den Ausgang der bosnischen Krise, in: Ders., Reči, 49. 19 Pinchuk, 63 ff.; Hosking, 74 ff.; Bazylow, Ostatnie lata, 306 ff.; E. Chmielewski, Stolypin and the Russian Ministerial Crisis of 1909, in: CSS 6. 1967, 1—38; R. Edelman, The Russian Nationalist Party and the Political Crisis of 1909, in: RR 34. 1975, 22—54. 20 Zit. nach Birth, 143. 21 Über das Verhältnis der Duma zur F lottenpolitik: Šacillo, Russkij imperializm, 163 ff. 22 F ür den Vergleich mit Deutschland: Berghahn, Der Tirpitz-Plan; J . Meyer, Die Propaganda der deutschen F lottenbewegung 1897—1900, Bern 1967; W. Deist, F lotten­ politik u. F lottenpropaganda. Das Nachrichtenbureau des Reichsmarineamtes 1897 bis 1914, Stuttgart 1976. 23 Gučkov, Reči, 5 ff., 11 ff., 29 ff. passim; die Diss. von L. Menashe, Alexander Guchkov (1966) konzentriert sich auf die Tätigkeit des Oktobristenführers bis 1905/06; zur Biographie vgl. auch ders., Α Liberal with Spurs: Alexander Guchkov. A Russian Bourgeois in Politics, in: RR 26. 1967, 38—53; B. Pares, Alexander Guchkov, in: SEER 15. 1936, 121—134. 24 Nachweise in den Erinnerungen von A. A. Polivanov, Iz dnevnikov i vospomi­ nanij po dolžnosti voennogo ministra i ego pomoščnika 1907—1916, Bd. 1, M. 1924. 25 Gučkov, Reči, 77 (7. 5. 1912). 26 Zur Ermordung Stolypins: Avrech, Stolypin, 367 ff.; Bazylow, Zagadka 1 sen­ tjabrja 1911 g., in: VIst 1975/7, 115—127; ders., Ostatnie lata, 427 ff.; ferner: B. Ju. Majskij, Stolypinščina i konec Stolypina, in: VIst 1966/1, 134—144, 2, 123—140. 27 Eine moderne Gesamtdarstellung der russischen Nationalitätenpolitik 1905 bis 1914/17 fehlt, desgleichen eine vergleichende Analyse der nationalen Bewegungen im Zarenreich; knappe Übersicht bei G. v. Rauch, Rußland. Staatliche Einheit u. nationale Vielfalt, München 1953, 154 ff., 171 ff. Vgl. die kompetente zeitgenössische Beurteilung von O. Hoetzsch, Rußland. Eine Einführung auf Grund seiner Geschichte von 1904 bis 1912, Berlin 1913, 437 ff.; materialreiche Überblicke aus oppositioneller Sicht: A. I. Kastel'janskij Hg., F ormy nacional'nogo dviženija v sovremennych gosudarstvach, SPb 1910, 277—653. 28 E. Chmielewski, The Polish Question in the Russian State Duma, Knoxville, Tenn. 1970; Ζ. Lukawski, Kolo Polskie w rosyjskiej dumie panstwowej w latach 1906—1909, Wroclaw 1967; Μ. Wierzchowski, Sprawy Polski w III i IV dumie panstwowej, War­ schau 1966. 29 M. H agen, Die Deutschbalten in der III. Duma. Zwischen nationalem Abwehr­ kampf, Autonomiestreben u. Klassenkampf, in: ZfO 23. 1974, 577—597; J . H. H odg­ son, Finland's Position in the Russian Empire 1905—1910, in: JCEA 20. 1960, 158 bis 173; Avrech, Stolypin, 44 ff.; Bazylow, Ostatnie lata, 338 ff.; H osking, 106 ff. 30 H osking, 116 ff.; Bazylow, Ostatnie lata, 391 f.; E. Chmielewski, Stolypin's Last Crisis, in: CSS 3. 1964, 95—126; M.S. Conroy, Stolypin's Attitude towards Local Self-Government, in: SEER 46. 1968, 446—461; Μ. Hagen, Die russische Presse zur Re­ gierungskrise im März 1911, in: Das Vergangene u. die Geschichte. Fs. für R. Wittram, 13 14

20 Geyer

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Anmerkungen zu Seite 228—233 Göttingen 1973, 403—428; Avrech, Stolypin, 92 ff., 349 ff.; E. D. Čermenskij, IV Go­ sudarstvennaja duma i sverženie carizma v Rossii, M. 1976, 33 ff. 31 Vgl. dazu allgemein: D. R. Costello, Prime Minister Kokovtsov and the Duma. Α Study in the Desintegration of the Tsarist Regime 1911—1914, Ph. D. Diss, Univ. of Virginia 1970, 47 ff. passim. 32 Knappe Beschreibung der Fraktionen der IV. Duma: Wolters, Außenpolitische Fragen, 34 ff. 33 Avrech, Stolypin, 430 ff. 34 H. Rogger, The Beilis Case: Anti-Semitism and Politics in the Reign of Nicholas II, in: SR 25. 1966, 615—629; Löwe, Antisemitismus u. reaktionäre Utopie, Kap. X/4. 35 Vgl. Kapitel III.1. 36 Jüngste sowjetische Darstellung: G. A. Arut'junov, Rabočee dviženie v Rossii v period novogo revoljucionnogo pod-ema 1910—1914 gg., M. 1975, 28—64. 37 Zu den Rückwirkungen des Massakers auf die Regierung: Costello, 91 ff. 30 Ausführliche Darstellung der Streikbewegung bei Arut'junov, 138 ff. passim, 307 ff. 39 Vgl. L. H. Haimson, Das Problem der sozialen Stabilität im städtischen Rußland 1905—1917, in: Geyer Hg., Wirtschaft u. Gesellschaft, 304—332, hier: 322; zur Ent­ stehung der Partei der Progressisten: V. N. Seleckij, Obrazovanie partii progressistov, Κ voprosam o političeskoj konsolidacii russkoj buržuazii, in: VMU-Ist 1970/5, 33—48; V. Ja. Laveryčev, Po tu storonu barrikad. (Iz istorii bor'by moskovskoj buržuazii s revoljuciej), M. 1967, 92 ff.; ferner: Čermenskij, IV Gosudarstvennaja duma, 53 ff. 40 Gučkov, Reči, 95—111, hier: 105 (8. 11. 1913), engl. Übers, in: RR 3. 1914, 141 — 158. 41 Neueste Untersuchung unter Verarbeitung der russischen F orschung: J . H. HartI, Die Interessenvertretungen der russischen Industrie in den Jahren 1905—1914, Phil. Diss. Wien 1976; dazu R. A. Roosa, The Association of Industry and Trade 1906— 1914, Ph. D. Diss. Columbia Univ. 1967, sowie die Aufsätze ders., Russian Industria­ lists Look to the F uture. Thoughts on Economic Development 1906—1914, in: Essays in Russian and Soviet History, Leiden 1963, 189—208; dies., Russian Industrialists and „State Socialism" 1906—1914, in: SS 23. 1972, 395—417 (mit der Replik von J . D. White, ebd., 414—421); auch G. Guroff, The State and Industrialization in Russian Economic Thought 1909—1914, Ph. D. Diss. Princeton Univ. 1970. 42 Vgl. G. W. Simmonds, The Congress of the Representatives of the Nobles' As­ sociations 1906—1916. A Case Study in Russian Conservatism, Ph. D. Diss. Columbia Univ. 1964; I. D. Vajsberg, Sovet Ob-edinennogo dvorjanstva i ego vlijanie na politiku samoderžavija 1906—1914, M. 1956 (Kand. Diss. MGU). 43 Zum folgenden: Bonwetsch, Kriegsallianz u. Wirtschaftsinteressen, 18 ff.; Bestu­ žev 1965, 48 f., 74. 44 Zit. nach Bonwetsch, Kriegsallianz, 21 f. 45 Vgl. Bonwetsch, Handelspolitik u. Industrialisierung, 288 ff. 46 Costello, 202 ff.; Kokovcov, Iz moego prošlogo 2, 259 ff. 47 Bonwetsch, Kriegsallianz, 31 f. 48 Zum „Zeitungskrieg" im F rühjahr 1914: K. Wernecke, Der Wille zur Weltgeltung, 249 ff.; F . F ischer, Krieg der Illusionen, 542 ff.; Liszkowski, Zwischen Liberalismus u. Imperialismus, 229 ff.; A. Jux, Der Kriegsschrecken des F rühjahrs 1914 in der euro­ päischen Presse, Berlin 1929. 49 Vgl. die in Kap. III.2. Anm. 36 genannte Literatur. 50 Der ungezeichnete Artikel des Kriegsministers erschien unter der Überschrift: „Rußland will den F rieden, ist aber zum Krieg bereit" (Birževye vedomosti, 27. 2./12. 3. 1914); eine ähnliche F unktion hatte, anläßlich der französischen Kammerdebatten um 306 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 233—236 die dreijährige Wehrpflicht, der Artikel Suchomlinovs im gleichen Blatt vom 31. 57 13.6.1914: „Rußland ist bereit, auch Frankreich muß bereit sein!". Vgl. Bovykin, Iz istorii, 113 f.; Bestužev 1965, 78; Suchomlinov, 252. 51 Kazemzadeh, Russia and Britain, 510 ff., 581 ff.; D.W. Spring, The Trans-Persian Railway Project and Anglo-Russian Relations 1909—1914, in: SEER 54. 1976, 60—82. Vgl. Kap. III.4. 52 Vgl. Ε. C. H elmreich, The Diplomacy of the Balkan Wars, 294 ff. 53 Sazonov an Nikolai II., 7./20. 1. 1914, in: IB I / 1 ,Nr. 52. 54 Zum Begriff vgl. A. H illgruber, Riezlers Theorie des kalkulierten Risikos u. Bethmann H ollwegs politische Konzeption in der Julikrise 1914, in: W. Schieder H g., Erster Weltkrieg. Ursachen, Entstehung u. Kriegsziele, Köln 1969, 240 ff. 55 Neuerdings von sowjetischer Seite: A. L. Naročnickij, Velikie deržavy i Serbija v 1914 g., in: VIst 1976/4, 22—32. 58 Vgl. Tagesaufzeichnung des Außenministeriums, 17./30. 7. 1914, in: IB I/5, Nr. 284. 57 Ebd., Nr. 278, 305. 58 Ebd., Nr. 334. 59 Zum F orschungsstand mit ausführlichen Literaturverweisen: K. Hildebrand, Im­ perialismus, Wettrüsten u. Kriegsausbruch 1914, in: NPL 20. 1975, 160—194, 339 bis 364; W. Schieder, Der Erste Weltkrieg, in: SDG 6. 1972, 841 ff. F ür die sowjetische Auffassung vor allem: N. P. Poletika, Vozniknovenie pervoj mirovoj vojny (ijul'skij krizis 1914 g.), M. 1964; das Buch ist die Überarb. F assung der Erstausgabe von 1935 und versucht, die internationle F orschungsliteratur bis 1962 einzubeziehen; F . F ischer, Griff nach der Weltmacht (1961) blieb unbeachtet. Poletika geht davon aus, daß der Krieg von Österreich „provoziert" und von Deutschland „entfesselt" worden sei, wäh­ rend F rankreich Rußland zum Kriegseintritt angestoßen (podtalkivat') habe; England habe mit seiner „provozierenden Politik der ,Nichteinmischung'" gleichfalls den Kriegs­ ausbruch gefördert. Bovykin, Iz istorii, 70, betont, die mangelnde Gleichberechtigung Rußlands in der Allianz mit F rankreich sei von den imperialistischen Kreisen Englands und F rankreichs „als Instrument" genutzt worden, um das Zarenreich in den Krieg ge­ gen Deutschland zu ziehen. — Zur Geschichte der sowjetischen Kriegsursachenfor­ schung: K.-H. Schlarp, Ursachen u. Entstehung des Ersten Weltkrieges, passim. 60 Das Wort von den „Attilas" stammt von dem rechtsradikalen Abgeordneten Ε. Ν. Markov (Mai 1914), zit. nach Jablonowski, Die Stellungnahme, 74; die Auswertung der Duma-Debatten 1913—1914 bei Wolters, Außenpolitische F rage, 77 ff., zeigt, daß die Revolutionsprognosen reaktionärer Redner auf entsprechende Äußerungen so­ zialdemokratischer Abgeordneter bezogen waren. — Die Denkschrift Durnovos in: Krasnaja nov' 1922/6, 182 ff., dt. Übers. in: Aufbau. Zs. f. wirtschaftspolit. F ragen Osteuropas, München 1921, Nr. 4—5. 61 E. N. Markov, 10./23. 5. 1914, zit. nach Jablonowski, Die Stellungnahme, 70. — Im Außenministerium war Baron M. A. Taube ein Vertreter der „deutschen Partei", vgl. ders., Der großen Katastrophe entgegen. Die russische Politik der Vorkriegszeit u. das Ende des Zarenreiches (1904—1917). Erinnerungen, Berlin 1929, 300 ff. 62 Sasonoff, Sechs schwere Jahre, 251. 63 Arut'junov, Rabočee dviženie, 373, nennt den 15./28. Juli als letzten Tag des „Generalstreiks", doch war, wie die Streikstatistik zeigt, der Höhepunkt der Bewegung bereits am 11./24. Juli überschritten. 64 Nikolai II. an Wilhelm IL, 17./30. 7. 1914, in: IB I/5, Nr. 276. 65 Vgl, Sazonov, 18./31. 10. 1912, ebd., III/4. 1., Nr. 100; Liszkowski, Zwischen Li­ beralismus u. Imperialismus, 61. 20*

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Anmerkungen zu Seite 236—245 66 Dazu die Problemerörterung von Haimson, in: Geyer Hg., Wirtschaft u. Gesell­ schaft, 304 ff. 67 Siehe Kapitel II.5. 68 Vgl. H. Rogger, Russia in 1914, in: 1914. The Coming of the F irst World War, N.Y. 1966, 229—253; Haimson, 318 ff. scheint mir die Konfliktfähigkeit der Opposition zu überschätzen. 69 Liszkowski, Zwischen Liberalismus u. Imperialismus, 240 f. 70 Sazonov, 7./20.1. 1914, in: IB I/1, Nr. 52. 71 Zur patriotischen Welle bei Kriegsausbruch: Čermenskij, IV Gosudarstvennaja duma, 68 ff.; V. S. Djakin, Russkaja buržuazija i carizm v gody pervoj mirovoj vojny, 1914—1917, L. 1967, 45 ff; Wolters, Außenpolitische F ragen, 106 ff.; Liszkowski, Zwi­ schen Liberalismus u. Imperialismus, 262 ff.

III.4. Vgl. Kapitel I.4. und II.4. Treadgold, The Great Sibirian Migration; Skljarov, Pereselenie i zemleustrojstvo; L. M. Gorjuškin, Sibirskoe krest'janstvo na rubeže dvuch vekov. Konec XIX — načalo XX v., Novosibirsk 1967; ders., Agrarnye otnošenija v Sibiri; dazu das reiche Karten­ material in dem von der russischen Umsiedlungsbehörde hg. Atlas Aziatskoj Rossii, M. 1914. 3 Zu den Überlegungen der Regierung vgl. den gemeinsamen Bericht, den Stolypin und Krivoišein nach ihrer Sibirienreise 1910 erstatteten: Die Kolonisation Sibiriens. Eine Denkschrift (dt. Ausg.), Berlin 1912; dazu Hoetzsch, Rußland. Eine Einführung 393 ff.; 399 ff.; O. Goebel, Volkswirtschaft des Ostbaikalischen Sibiriens um 1909, Ber­ lin 1910. 4 Gorjuškin, Agrarnye otnošenija, 249 ff., 289 ff.; G. P. 2idkov, Kabinetskoe zemlevladenie (1747—1917 gg.), Novosibirsk 1973, 194 ff. 5 Istorija Sibiri. Bd. 3: Sibir' v epochu kapitalizma, L. 1968, 251 ff., 340 ff.; V. F . Borzunov, Proletariat Sibiri i Dal'nego Vostoka nakanune pervoj russkoj revoljucii, M. 1965; A. A. Muchin, Rabočie Sibiri v epochu kapitalizma (1861—1917 gg.), M. 1972, 119 ff.; G. Ch. Rabinovič, Krupnaja buržuazija i monopolističeskij kapital v ekonomike Sibiri konca XIX — načala XX v., Tomsk 1975. — Die Zahl der Arbeiter im sibirischen Bergbau, in der Industrie und im Transportwesen wird für 1905 auf 250 000, für 1913 auf 500 000 geschätzt. Exaktere Daten gibt es für den Bergbau: 69 000 (1905), 87 800 (1913), davon allein in der Goldförderung 45 800 bzw. 53 700 (Muchin, Rabočie, 139, 149). 6 E. Amburger, Geschichte der Behördenorganisation Rußlands von Peter dem Gro­ ßen bis 1917, Leiden 1966, 284; Istorija Sibiri 3, 423 ff. 7 Zum folgenden: Goebel, 189 ff.; Kindermann, Der F erne Osten, 132 ff.; Price, The Russo-Japanese Treaties; Grigorcevič, Dal'nevostočnaja politika, 121 ff., 257 ff., 272 ff., 293 ff.; Sladkovskij, Istorija torgovo-ekonomčeskich otnošenij, 314 ff. 8 Sladkovskij, 337 ff. 9 Zabriskie, American-Russian Rivalry, 131 ff., 161 ff.; P. Lowe, Great Britain and Japan; Nish, Alliance in Decline; Μ. Ν. H unt, Frontier Defense and the Open Door. Manchuria in Chinese-American Relations 1895—1911, New H aven 1973; Marinov, Rossija i Japonija, 108 ff.; Grigorcevič, 310 ff., 443 ff. 10 Kindermann, 156 ff.; Grigorcevič, 370 ff.; P. S. H. Tang, Russia and Soviet Po­ licy in Manchuria and Outer Mongolia 1911—1931, Durham, N.C. 1959. 11 Grigorcevič, 413 ff. Vgl. im übrigen die einschlägigen Dokumente in: IB I/l—4. 1

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308 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Anmerkungen zu Seite 245—249 12 R. A. Pierce, Russian Central Asia; Ε. Allworth H g., Central Asia; Μ. Sar­ kisyanz, Russian Conquest in Central Asia, 248—288; Β. H ayit, Turkestan zwischen Rußland u. China, Amsterdam 1971, 151 ff.; zur Problematik der Bevölkerungssta­ tistik: I. M. Matley, in: Allworth, 92 ff. 13 Turkestan als „Militärlager" — so Krivošein in einer Denkschrift über die Er­ gebnisse einer Inspektionsreise: Zapiska glavnoupravljajuščego zemledeliem i zemle­ ustrojstvom o poezdke v Turkestanskij kraj v 1912 g., SPb 1912, 78 f. 14 J . Whitman, Turkestan Cotton in Imperial Russia, in: SEER 15. 1956, 190 bis 205; Α. Μ. Aminov u. Α. Ch. Babachodžaev, Ėkonomičeskie i političeskie po­ sledstvija prisoedinenija Srednoj Azii k Rossii, Taškent 1966, 70 ff., 83 ff.; I. M. Mat­ ley, Agricultural Development, Industrialization, in: Allworth H g., 266 ff., 309 ff.; V. A. Suvorov, Istoriko-ekonomičeskij očerk razvitija Turkestana. Po materialam železnodorožnogo stroitel'stva 1880—1917 gg., Taškent 1962; J . Stadelbauer, Bahn­ bau u. kulturgeographischer Wandel, 136 ff. 15 Vgl. die aufgrund einer Reise entstandene Abhandlung von O. H oetzsch, Rus­ sisch-Turkestan u. die Tendenzen der heutigen russischen Kolonialpolitik, in: Schmol­ lers Jahrbuch 37. 1913, 903—941, 1427—1473. 16 Krivošein, Zapiska, wendet sich gegen Vorschläge zur Einführung einer Zivil­ verwaltung, wie sie im Revisionsbericht des Senators Pahlen (Otčet revizii Turke­ stanskogo kraja, SPb 1909—1911, 23 Bde.) vertreten wurden. Vgl. auch C. Graf v. Pahlen, Im Auftrag des Zaren in Turkestan, hg. v. G. A. Narciss, Stuttgart 1969; Mission to Turkestan. Being the Memoirs of Count K. K. Pahlen 1908—1909, hg. v. R. A. Pierce, N.Y. 1964. 17 S. Becker, Russia's Protectorates in Central Asia; H . Carrère d'Encaussee, Réforme et révolution chez les musulmans de l'Empire russe:Bukhara 1867—1924, Paris 1966; A. S. Sadykov, Ėkonomičeskie svjazi Chivy s Rossiej vo vtoroj polovine XIX — načale XX v., Taškent 1965; T. G. Tuchtametov, Russko-bucharskie otnošenija v konce XIX — načale XX v., Taškent 1966; ders., Rossija i Chiva v konce IX — načale XX v. Pobeda chorezmskoj narodnoj revoljucii, M. 1969. 18 Pierce, 234 ff., 249 ff. Sowjetische H istoriker sprechen gleichwohl schon für 1905 bis 1907 von der „Vereinigung der nationalen Befreiungsbewegung der Völker Mittel­ asiens mit der revolutionären Bewegung der russischen Arbeiterklasse"; vgl. Aminov u. Babachoždaev, 104 ff. sowie die ideologiekritische Untersuchung von L. Tillen, The Great Friendship. Soviet H istorians on the Non-Russian Nationalities, Chapel H ill, N.C. 1969, 358—381. 19 Zur Behördengeschichte Kaukasiens: Amburger, 412 ff. 20 A. Bennigsen, The Muslims of European Russia and the Caucasus, in: Vucinich Hg., Russia and Asia, 135—166; V. Gregorian, The Impact of Russia on the Arme­ nians and Armenia, ebd., 167—218; D.M. Lang, A Century of Russian Impact on Georgia, ebd., 219—247; Ε. Sarkisyanz, Geschichte der orientalischen Völker Rußlands bis 1917, München 1961, 53 ff., 82 ff., 138 ff., 154 ff. 21 L. D. Megrian, Tiflis During the Revolution of 1905, Ph. D. Diss. Univ. of California 1968, Kap. 1. 22 Β. Ja. Stel'nik, Bakinskij proletariat v gody reakcii 1907—1910 gg., Baku 1969, 31 ff.; A . N . Guliev, Bakinskij proletariat v gody novogo revoljucionnogo pod-ema, Baku 1963; G. A. Arutjunov, Rabočee dviženie v Zakavkaz'e v period novogo re­ voljucionnogo pod-ema (1910—1914 gg.), M. u. Baku 1963; ders., Rabočee dviženie v Rossii, 349 ff. 25 Chromov, Ėkonomičeskoe razvitie, 459; L. Ėventov, Inostrannyj kapital v neftjanoj promyšlennosti Rossii, M. 1925; P. V. Volobuev, Iz istorii monopolizacii nef­ tjanoj promyšlennosti dorevoljucionnoj Rossii, in: IZ 52. 1955, 80—111; B. Ju. Ach-

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Anmerkungen zu Seite 250—257 undov, Monpolističieskij kapital v dorevoljucionnoj bakinskoj neftjanoj promyšlen­ nosti, M. 1959; M. Ja. Gefter, Κ istorii toplivno-metalličeskogo goloda v Rossii, in: IA 1951/6, 49—80; Monopolističreskij kapital v neftjanoj promyšlennosti Rossii 1883 —1914 gg., hg. v. M. Ja. Gefter u. a. M. 1961. R. W. Tolf, The Russian Rockefellers. The Saga of the Nobel Family and the Russian Oil Industry, Stanford 1976. 24 A. T. Sagretjan, Istorija železnych dorog Zakavkaz'ja 1856—1921 gg., Erevan 1970. Vgl. die zeitgenössischen Urteile bei M. Friederichsen, Die Grenzmarken des Eu­ ropäischen Rußlands, ihre geographische Eigenart und ihre Bedeutung für den Welt­ krieg, H amburg 1915, 99 ff.; L. Schmidt, Kurze militärisch-geographische Beschreibung Rußlands, Berlin 1913, 86 ff. 25 Zum folgenden: Kazemzadeh, Russia and Britain, 510 ff., 581 ff.; B.C. Bush, Britain and the Persian Gulf 1894—1914, Berkeley 1967. 26 Astaf'ev, Russko-germanskie otnošenija, 187 ff., 219 ff.; Sbornik dogovorov, 405 ff.; dazu Mejcher, Die Bagdadbahn, 447—481; A. S. Silin, Ėkspansija, 165 ff. 27 D. W. Spring, The Trans-Persian Railway Project and Anglo-Russian Relations 1909—1914, in: SEER 54. 1976, 60—82. 28 B. V. Anan'ič, Rossijskoe samoderžavie i vyvoz kapitalov, 122 ff.; P. Luft, Stra­ tegische Interessen, 530 ff. 29 Entner, Russo-Persian Commercial Relations, 39 ff. 30 Anan'ič, 189. 31 Sch. Ravasani, Sowjetrepublik Gilan. Die sozialistische Bewegung im Iran seit Ende des 19. Jhs. bis 1922, Berlin o. J . (1975), 112 ff.; G. S. Arutjunjan, Iranskaja re­ voljucija 1905—1911 gg. i bol'ševiki Zakavkaz'ja, Erevan 1956; Μ. S. Ivanov, Iran­ skaja revoljucija 1905—1911 gg., M. 1957. 32 M. Shuster, The Strangling of Persia, London 1912. 33 Neueste Zusammenfassung: Schölch, Wirtschaftliche Durchdringung, 404—446; dazu den allgemeinen Überblick bei M.S. Anderson, The Eastern Question 1774—1923, London 1966, 287—309. 34 Russische Dokumente zur Armenierfrage und zum Verwaltungsstatut für Ost­ anatolien: IB I/1 passim. Vgl. neuerdings: S. Stepanjan, Armenija v politike imperiali­ stičeskoj Germanii, Erevan 1975, 67 ff., 94 ff. 35 Vgl. F . Ahmad, The Young Turks: The Committee of Union and Progress in Turkish Politics 1908—1914, N.Y. 1969. 36 Zur russischen Türkei-Politik vor 1914 demnächst die Tübinger Diss. von M. Hiller; der folgende Abschnitt stützt sich auf einige Vorstudien der Verf., insb. zur Eisenbahnfrage und zu den Handelsbeziehungen. 37 IB I/4, No 21—22 passim. Der französische Kapitalanteil an der Russisch-Asiati­ schen Bank betrug vor 1914 ca. 65 Prozent, vgl. Girault, Emprunts, 513. 38 Die folgenden Angaben verdanke ich M. Hiller. 39 Vgl. Kapitel III.2. 40 Vgl. Kapitel III.3.

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Register Abaza, A. M. 166 Adel (s. Gutsbesitz) 23 ff., 26 ff., 34, 100 ff., 224, 231 - Adelsbank 88, 113, 140 Aehrenthal, A. Graf Lexa v. 208 f. Afghanistan 75, 79 f., 92 f., 155, 246 f. Agrarexport s. Außenhandel Ägypten 148 Agrarpolitik 83, 100 ff., 168, 185 f., 193, 197 Aksakov, I. S. 30, 51 f., 57, 61, 69 Albanien 234 Alekseev, E. I. 159, 164 ff. Aleksej Aleksandrovic', Großfürst 149 Alexander II. 21 ff., 26 f., 53 ff., 59, 6 1 71, 83 f., 87, 89, 93 Alexander III. 86-98, 100, 121, 134 ff., 146, 167 Andrassy, D. 59 Anleihen - deutsche 41, 81, 105 f., 130, 142, 178 - französ. 105 f., 122, 130-143, 178 ff., 186-189, 197 ff. - brit. 37, 137 - amerik. 137, 139, 141 - Anleihe (1906) 186-189 - Anleiheboykott 89, 103, 106 Antisemitismus 89, 223, 232 Arbeiterbewegung 166, 170, 173-178, 183 ff., 229-232, 241 f. Argentinien 216 Armenien 234, 248 ff., 255 f. Auslandskapital (s. Anleihen) 16, 23, 34, 36 f., 41, 103 ff., 113 ff., 126, 130-143, 150, 177, 184-189, 197 ff., 201-204 - Direktinvestitionen 113 f., 200 f. Außenhandel (s. Zollpolitik) 22, 40, 103 f., 106 f., 120 ff., 202, 213, 215, 231 - Statistik 40, 126 - China 151, 162, 243 ff. - Deutschland 41, 113, 116, 130, 133 f., 167, 231 f. - Frankreich 122-127 - Großbritannien 126 f. - Persien 80 f., 252 f. - Türkei 256 f.,

- Asienhandel 75 f., 80, 82, 115 f., 151, 162, 246 f., 252 ff. Badmaev, P. A. 145 Balkanpolitik 31, 44, 85 f., 93 ff., 191 - Krieg (1877/78) 42 f., 56-71, 83 - Kriege (1912/13) 206, 213, 215, 221 ff., 227, 234 f. - Balkanbund 208, 225, 227, 234 - Handel 71, 94 Banken (s. Anleihen, Auslandskapital, Finanzpolitik) 34 f., 39 f., 82, 88, 113, 138 ff., 147 ff., 202-205, 252 f., 256 Barjatinskij, A. I. Fürst 57 Bark, P. L. 232 Barthou, L. 199 Battenberg, A. Fürst v. Bulgarien 93-95 Bauernschaft 11, 20-26, 99 - Bauernbefreiung 11, 20 ff., 23 - Bauernunruhen 24, 166, 170, 174, 183 - bäuerl. Kolonisation 240 ff., 245, 248 Belgien 123, 204 Berliner Kongreß (1878) 68 f., 83 f. Bezobrazov, Α. Μ. 161, 164, 169 Birilov, I. I. 210 Bismarck, Η. Graf v. 28 Bismarck, Ο. Fürst v. 25, 48 f., 49, 78, 84 ff., 92 f., 95 ff., 104 f., 117-122, 132 ff., 231 Bobrikov, N. I. 172 Bogolepov, Ν. Ρ. 167 Boisdeffre, G. de 135 Bosnien-Herzegowina 58 f., 63, 67 - Bosn. Annexionskrise (1908/09) 190, 208 f., 211 Boulanger, G. E. J . M. 77, 135 Bourgeoisie s. Unternehmer Brasilien 216 Brun, J . J . 188 Brusilov, Α. Α. 190, 210 Buchara 75 f., 245, 247, 250 Bülow, B. Fürst v. 128 ff., 143 Bulgarien 59, 61, 63 ff., 67 f., 71, 84, 86, 93 ff., 123, 215, 234 Bulygin, A. G. 174, 176, 183 Bunge, N. Ch. 89, 94, 102 ff., 119

340 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35980-9

Caillaux, J . 141, 198, 203 Caprivi, Leo Graf v. 122-125, 128, 133 f. Čarykov, N. V. 215 Cassini (Kassini), Α. Ρ. Graf 150 Čerkasskij, V. A. F ürst, 46, 63 Černjaev, M. G. 60, 74, 77 Chile 216 China (s. Mandschurei) 66, 75, 81, 116, 138, 143-168, 244 - Russ.-Chines. Bank 138 f., 147 ff., 203 ff. - Ostchines. Eisenbahn 138 f., 147 ff., 202, 242 f. - Handel 151, 162, 243 Chiva 75 f., 245, 247, 256 Clemenceau, G. 186, 203 Cochery, G. 138 f. Cuza, Α., H ospodar 56 Danüevskij, N. Ja. 52 Delcassé, Th. 140 ff., 182, 188 Deutschland 39, 42, 44, 48 f., 57, 93-97, 148 f., 152, 178, 180, 182, 184 ff., 190, 203 ff., 211, 224 f., 231 f., 233-238, 251-256 - Anleihen 41, 81, 105 f., 118 f., 121, 130 f., 142, 178 - Handels- u. Zollpolitik 41, 113, 116130, 133 f., 167, 178, 231 f. - Bündnisse 1881/87, 84 ff., 93, 134 - Militärpolitik 96, 119, 211, 216-220 Dikov, I. M. 210 Disraeli, Β. Earl v. Beaconsfield 68, 79, 85 Dolgorukov, N. D. Fürst 187 Donaufürstentümer s. Rumänien Dostoevskij, F. M. 77 Doumergue, G. 199 Dubail, P. R. G. 219 Dubasov, F. N. 181 Durnovo, I. N. 113, 236 Eisenbahnen 22 f., 34-43, 59, 71, 75 f., 88, 107 f., 198, 243, 249-252, 255 f. - Bagdadbahn 251 f. - Ostchines. Bahn 138 f., 147 ff., 202, 242 f. - Transkaspische Bahn 76, 141, 241, 246 f. - Transsib 117 f., 144-148, 197, 240 ff. - Strategische Bahnen 141, 198 f. Engels, Fr. 14 Fadeev, R. Α. 52 Ferdinand v. Coburg 95 Finanzpolitik (s. Anleihen, Auslandskapi­ tal, Zollpolitik) 22 ff., 31-43, 64 ff., 81,

83 f., 91, 95 ff., 102 ff., 130-143, 191205 - Alkoholmonopol 111, 192, 197 - Kriegsfinanzierung 177-180, 184 ff. - Staatsbudget 32 ff., 108 f., 186, 191, 194 ff. - Staatsschuld 32 ff., 37, 192-195, 202 - Währung 33 ff., 37, 112, 177 ff., 185 f. Finnland 47, 167, 172, 185 Fischer, Fritz 235 Flottenpolitik 91, 139, 169, 180, 190-204, 206, 208-216, 226 f., 235, 242, 257 Frankreich 44, 56 ff., 72, 93, 95 f., 120, 148, 150, 179, 184, 186 ff., 214 f., 225, 233-238, 256 - Anleihen, Direktinvestitionen 105 f., 122, 130-143, 178 ff., 186-189, 197 ff. - Wirtschaftsbeziehungen 122-127, 131, 133 - Militärallianz 117, 121-143, 187 ff., 208 f., 216-220 Freycinet, C. de 135 Gerschenkron, A. 17 Giers (Girs), Ν. Κ. 84 f., 92 ff., 120, 132 -136 Gladstone, W. E. 93 Gorčakov, Α. Μ. Fürst 31, 56 f., 59, 62, 68, 74, 78 f., 84 Goremykin, I. L. 189, 232 Gor'kij, M. 187 Grey, Ε. Viscount of Fallodon 233, 252 Grigorovič, I. K. 197, 203, 210, 213 ff., 226, 233 Großbritannien 59 ff., 113, 117, 123, 128, 187, 211, 214 f., 225, 233-236, 246 f. - Wirtschaftsbeziehungen 37, 126 f., 137 - Mittelasien 71 ff., 80, 84 ff., 92 f. - China 128, 144, 149, 153-155, 157 - Persien 80 f., 189 f., 207 f., 250-254 Gučlov, A. I. 222, 226 f., 230 Gutsbesitz (s. Adel) 23 ff., 83, 88, 100 ff., 112 f., 167, 174 - Besitzgliederung 24 f. Haager Konferenz (1899) 111, 139 f. Handelspolitik s. Außenhandel, Zollpolitik Hanotaux, G, 138 f. Hay, J . 154 Haymerle, H. F rh. v. 86 Herzen (Gercen), A. I. 27 Hoetzsch, O. 79 Hohenzollern-Sigmaringen, Karl F ürst v. 57 Holland 37, 126, 187 f. 341

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Ignat'ev, N. P. Graf 57, 62, 67, 75, 87 f. Imperialismusforschung 11-18 Industrie 22 ff., 38 f., 75, 100, 103 ff., 107 ff., 110, 157 f., 166 f., 193, 199 ff., 229-232, 249 f., 254 - Produktionsstatistik 39, 110, 157 f. - Rüstungsindustrie 202-205 Italien 44, 123, 205, 208, 255 Ito, H. Fürst 160 Izvol'skij, Α. P. 189 f., 206-211, 225 Jagow, G. v. 235 Januškevič, Ν. Ν. 235 Japan (s. Russisch-japanischer Krieg) 72 f., 100, 126, 211, 241 f., 243 f. - Krieg mit China 1894/95 147 f., 149 f. - Koreapolitik 146, 151, 160-165 - Chinapolitik 128, 145, 149-157, 160, 162-169 - Verträge mit Rußland 1907/10 189 f., 207, 212 Joffre, J . J . S. 220 Judenpogrome 89 f., 168 Julikrise (1914) 233-238 Kadettenpartei (Konstitutionelle Demokraten) 185, 187, 222 f., 228, 237 Kapitalexport, russ. - China 138 f., 150 - Mongolei 244 - Persien 82, 252 f. Kapitalimport s. Anleihen, Auslandskapital Katharina II. 21, 24 Katkov, Μ. Ν. 30, 46 f., 51, 54, 68, 77, 79, 87, 89 f., 92, 96 f., 103 f., 119 Kaufman, Κ . Ρ. 76, 79 Kaukasus 40, 72, 82, 239, 245 f., 248-251, 253 Kaulbars, N. V. 95 Kokand 76, 79 Kokovcov, V. N. 177-180, 184, 186, 190 -193, 196-199, 211 f., 216, 220, 228 f., 231 f., 242 Kolonialpolitik 12, 15, 17, 19, 72, 92, 114, 238-258 Konovalov, A. I. 230 Korea 146, 151, 160-165, 175 Kreta 51, 57 Krimkrieg 21, 31 f., 35 Krivošein, A. V. 224, 232, 246 Kuropatkin, A. N. 111, 115, 139 ff., 155 -159 164 f., 168, 177, 181 f.

Lamzdorf, V. N. Graf 159, 164 Landwirtschaft 40, 83, 88, 89 ff., 112 f., 119, 205, 229 ff., 232 Lenin, V. I. 14-17, 174 f. Liberalismus 21, 23, 27, 30, 43, 49, 69 f., 83, 87, 170-176, 185, 187, 222 f., 228, 237 Li-Hung-chang 138, 147, 150, 159 f. Liman v. Sanders, O. 215, 233, 257 Linevič, Ν. Ρ. 159, 181 Lobanov-Rostovskij, Α. Β. Fürst 149 Loris-Melikov, Α. Τ. Graf 70, 83, 87 Ludwig XVI. 26 Maklakov, V. A. 187 Mandschurei (s. China) 116, 138, 146 ff., 190, 242 f., - russ. Okkupation 159-165 - Ostchin. Eisenbahn 138 f., 147 ff., 202, 242 f. Marija Nikolaevna, Großfürstin 26 Marokkokrise (1905) 179, 184, 186 ff. Marx, K. 14 Mazedonien 234 McKinley, W. 123 Meerengen 21, 31, 57, 59, 64 ff., 67 f., 77, 84 ff., 91 f., 148, 155 ff., 190, 210 ff., 215 f., 257 Méline, J . 124 Mendeleev, D. I. 104, 123 Meščerskij, V. P. F ürst 88, 90 Michail Aleksandrovič, Großfürst 146 Migulin, P. P. 175 Milan I. Obrenović 58 Militär, Militärpolitik (s. Rüstung, F lot­ tenpolitik) 26, 42 f., 52, 87, 111, 181 f., 190 f., 205-220, 226 f. - allgem. Wehrpflicht 20 ff., 59 - Militärstrategie 35, 134, 216-220 - Militärallianz 117, 121-143, 187 ff., 208 f., 216-220 Miljukov, P. N. 223, 228 Miljutin, D. A. 42, 57, 59, 61-65, 67 f., 76, 78, 85, 87, 217 Miljutin, Ν. Α. 25, 46 Mingrel'skij, Fürst 95 Mittelasien s. Russisch-Zentralasien Mohammed Ali 253 f. Mohrenheim (Morengejm), Α. Ρ. Baron 135 Moltke, H . Graf v. 119 Mongolei 151, 202, 243 ff. Montenegro 58 ff., 225, 234, 254, 257 Moore, B. 17

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Morgan, J . P. 137, 184 Murav'ev, M. N. Graf 139 f., 152 f., 155 ff. Murav'ev-„Amurskij", Ν. Ν. Graf 73 Napoleon III. 44 f., 56 Narodnaja Volja (Partei der Volksfrei­ heit) 69 f., 88 Nationalismus 12, 30, 43-55, 60, 77, 79, 87 ff., 171 f., 182, 221-228, 232-238, 254, 257 f. Nationalistenfraktion 187, 220, 222 Nationalitäten 19, 45 ff., 89, 167, 227 f., 234, 239-250 Naumann, Fr. 175 Nelidov, A. I. 91 f., 148 Neoslawismus s. Panslawismus Neratov, Α. Α. 215 Nihilismus 24, 26, 57, 66, 69 Nikita I. (Nikola), Kg. v. Montenegro 234, 257 Nikolaj I. 21, 23, 27, 33, 72 Nikolai II 112, 115, 141 f., 146, 161, 164 ff., 168-177, 179-184, 190, 207, 209, 235-238 Nikolaj Nikolaevič, Großfürst 67 Noetzlin, Ε .178 f., 184, 186 Novikov, Ε. Ρ. 62 Obručev, Ν. Ν. 91, 105, 135, 149 Oktobristen 185, 187, 220-222, 224-228, 230 Orientalische Frage s. Balkanpolitik, Meerengen, Türkei Osmanisches Reich s. Türkei Österreich-Ungarn 44, 47 ff., 56-59, 63, 67, 78, 94 f., 117, 123, 187, 208 f., 211, 216-220, 225, 233-236, 256 - Bosnische Annexionskrise 190, 208 f., 211 Ostseeprovinzen 47 f., 89, 227 Palacký, F. 51 Palicyn, F. F. 188, 190, 193, 210 Panslawismus 48-53, 60 ff., 77, 87 ff. - Slawische Komitees 50 ff., 60 ff., 70, 96 - Neoslawismus 221, 223, 225 Persien 75, 80 ff., 155, 189 ff., 202, 207 f., 231, 239, 245, 247, 250-255 Peter der Große 20 Pleske, Ė. D. 164 Pleve, V. K. 113, 167, 170, 172 Pobedonoscev, Κ. Ρ. 65, 87 f., 91, 97, 103 f.

Pogodin, Μ. Ρ. 48, 51 Poincaré, R. 186 f., 203, 230 Polen 47, 51, 172, 174, 185, 227, 234 - poln. Aufstand (1863) 24, 35, 43, 45 ff., 78 Polivanov, Α. Α. 227 Pontusklausel s. Meerengen Port Arthur 116, 139, 148, 152, 155, 164 f., 171, 173 Pos'et, Κ. Ν. 59 Progressistenpartei 230 Protektionismus s. Zollpolitik Pourtalès, Fr. Graf v. 235 Raffalovitch (Rafalovič), A. G. 137, 179 Rechte F raktion 223, 228 Rediger, A. F . 211 f. Reichsduma 173, 185, 187, 191, 220-228 - Bulyginsche Duma 174, 176 f., 183 - Budgetrecht 191 f., 196 - Oktobermanifest 176, 184 f. Reutern, M. v. 33-38, 41 f., 59, 64, 70, 76 Revelstoke, J . B. Lord 184 Revolution (1905) 100, 169-188, 227, 237 - Petersburger Blutsonntag 171, 173 f., 176, 179 Revolutionäre Bewegung (s. Arbeiterbe­ wegung) 24 f., 36, 57, 66, 69 f., 88, 169 -188, 228, 230, 248 Ribot, A. 133 Rieger, F . L. 51 Ristić, J . 58 Romanov, Β. Α. 144 Roosevelt, Th. 180, 182 Rothstein (Rotštejn), A. Ju. 137 f., 150 Rouvier, M. 179, 186 Rumänien 21, 56 f., 63, 67, 123, 234 Russisch-Japanischer Krieg (1904/05) 116, 130, 138, 169-183 - Kriegsfinanzierung 177-180, 184-186 - Frieden von Portsmouth 176, 180 ff. Russisch-Zentralasien 17, 31, 37, 43, 55, 71-85, 92 f., 143 f., 146, 151, 155, 227, 241, 245-248 Rüstung, Rüstungspolitik 37, 93, 111, 139 f., 190-205, 209-220, 226 ff., 232 Saburov, P. A. 84 f. Sacharov, V. V. 181 Samarin, Ju. F. 46 f. San Stefano (Präliminarfrieden) 56, 67 f., 84, 144

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Sazanov, S. D. 206 f., 208 f., 214 f., 223, 225, 227, 233-236, 244, 252-256 Schirren, C. 47 Schlieffen, A. Graf. v. 214, 218 Schumpeter, J . A. 74 Schweinitz, H. L. v. 70, 87, 120 Serbien 51, 58 ff., 123, 225, 234, 257 Sergej Aleksandrovič, Großfürst 168, 176 Šestakov, I. A. 91 Shuster, M. 254 Sibirien 115, 147 f., 162, 239-242, 254 - Transsib 117 f., 144-148, 197, 240 ff. Šidlovskij, N. V. 173 Sipjagin, D. S. 167 Šipov, D. N. 173 Šipov, I. P. 185 Skazkin, S. D. 84 Skobelev, M. D. 77, 87, 92 Slawophilie 30, 44, 171, 173, 181 Sozialdarwinismus 12, 52, 221 Sozialdemokratische Arbeiterpartei Ruß­ lands 170, 174, 228, 230, 248 Sozialrevolutionäre Partei Rußlands 167, 170 ff., 228, 248 Stambolov, S. 95 Stoletov, N. G. 79 Stolypin, P. A. 189, 191, 193, 196 f., 205, 209, 220, 224, 226 ff., 240, 246 Streiks s. Arbeiterbewegung Strousberg, Β. Η. 41 Struve, P. B. 172, 222 f. Suchomlinov, V. A. 212, 215, 217, 219, 233, 235, 242 Šuvalov, P. A. Graf 62, 68, 134 Švanebach, P. Ch. 224 Svjatopolk-Mirskij, P. D. Fürst 173 Terrorismus 69 f., 88, 170, 172, 176 Tibet 146 Timašev, Α. Ε. 29 Tirpitz, A. v. 211 Tolstoj, D. A. Graf 51, 88 Trepov, D. F. 69 Türkei (s. Meerengen, Balkanpolitik) 14, 21, 31, 35, 45, 48, 56-71, 77, 84, 91-95,

136, 144, 155, 190 f. 206, 210 ff., 213 -216, 223 ff., 227, 233 ff., 255-258 Turkestan s. Russisch-Zentralasien Tyrtov, P. P. 152, 156 Uchtomskij, E. F ürst 146, 150 Unternehmer 26, 52, 75, 173 f., 221, 229, 231 Valuev, P, A. Graf 26, 29, 45 f., 74 Vannovskij, P. S. 91, 135, 152, 167 Vereinigte Staaten (USA) 37, 74, 76, 123, 127, 180, 182, 184, 251 - Alaska 14, 37, 73, 239 - Anleihen 137, 139, 141 - Chinapolitik 144, 154, 158, 243 Verneuil, M. de 198 Vladimir Aleksandrovič, Großfürst 181 Vyšnegradskij, A. I. 97 f., 104-107, 111 f., 119-123, 132 f., 135, 145, 230 Waldersee, A. Graf v. 119, 159 Weber, Max 175 Wielopolski, A. 45 Wilhelm II. 122, 152 f., 169, 177, 182, 186, 207, 235 f. Wirtschaftskonjunktur 23, 31-43 - Krise 1875/76 41 ff., 53, 64 f., 80 - Aufschwung 90er Jahre 107 ff. - Hochkonjunktur 1909-14 193, 199 ff., 229-232 Witte (Vitte), S. Ju., Graf 77, 81, 100, 107 f., 110-116, 123ff., 127-131, 137 -164, 177 f., 180, 183-187, 189, 200, 230, 240, 252 Wittram, R. 14 Zasulič, V. I. 69 Zemstvo 28, 83, 88, 104, 170-176, 183, 185, 228, 247 2ilinskij, Ja. G. 219 f. Zollpolitik (s. F inanzpolitik, Außenhan­ del) 33, 38 f., 52, 82, 116-130, 231 f. - Tarif 1891 104 f., 121, 129

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KRITISCHE STUDIEN ZUR GESCHICHTSWISSENSCHAFT 1. Wolfram Fischer · Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung. Aufsätze - Studien - Vorträge 2. Wolfgang Kreutzberger · Studenten und Politik 1918-1933. Der Fall Freiburg im Breisgau 3. Hans Rosenberg · Politische Denkströmungen im deutschen Vormärz 4. Rolf Engelsing · Zur Sozialgeschichte deutscher Mittel- und Unterschichten 5. Hans Medick · Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Die Ursprünge der bürgerlichen Sozialtheorie als Geschichtsphilosophie und Sozialwissenschaft bei Samuel Pufendorf. John Locke und Adam Smith. 6. Die große Krise in Amerika. Vergleichende Studien zur politischen Sozialgeschichte 1929—1939. 7 Beiträge. Hrsg. v. Heinrich August Winkler 7. Helmut Berding · Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik im Königreich Westfalen 1807 bis 1813 8. Jürgen Kocka · Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914-1918 9. Organisierter Kapitalismus. Voraussetzungen und Anfänge. 11 Beiträge. Hrsg. v. Heinrich August Winkler 10. Hans-Ulrich Wehler · Der Aufstieg des amerikanischen Imperialismus. Studien zur Entwicklung des Imperium Americanum 1865-1900 11. Sozialgeschichte Heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag. 36 Beiträge. Hrsg. v. Hans-Ulrich Wehler 12. Wolfgang Köllmann · Bevölkerung in der industriellen Revolution. Studien zur Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert 13. Elisabeth Fehrenbach · Traditionelle Gesellschaft und revolutionäres Recht. Die Einführung des Code Napoleon in den Rheinbundstaaten 14. Ulrich Kluge · Soldatenräte und Revolution. Studien zur Militärpolitik in Deutschland 1918/19 15. Reinhard Rürup · Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur Judenfrage' der bürgerlichen Gesellschaft

16. Hans-Jürgen Puhle · Politische Agrarbewegungen in kapitalistischen Industriegesellschaften. Deutschland, USA und Frankreich im 20. Jahrhundert 17. Siegfried Mielke · Der Hansa-Bund für Gewerbe, Handel und Industrie 1909 -1914. Der gescheiterte Versuch einer antifeudalen Sammlungspolitik 18. Thomas Nipperdey · Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte 19. Hans Gerth · Bürgerliche Intelligenz um 1800. Zur Soziologie des deutschen Frühliberalismus 20. Carsten Küther · Räuber und Gauner in Deutschland. Das organisierte Bandenwesen im 18. und frühen 19. Jahrhundert 21. Hans-Peter Ullmann · Der Bund der Industriellen. Organisation, Einfluß und Politik klein- und mittelbetrieblicher Industrieller im Deutschen Kaiserreich 1895 -1914 22. Dirk Blasius · Bürgerliche Gesellschaft und Kriminalität. Zur Sozi algeschichte Preußens im Vormärz 23. Gerhard A. Ritter · Arbeiterbewegung, Parteien und Parlamentarismus. Aufsätze zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 24. Horst Müller-Link · Industrialisierung und Außenpolitik. Preußen-Deutschland und das Zarenreich 1860-1890 25. Jürgen Kocka · Angestellte zwischen Faschismus und Demokratie. Zur politischen Sozialgeschichte der Angestellten: USA 1890-1940 im internationalen Vergleich 26. Hans Speier · Die Angestellten vor dem Nationalsozialismus. Ein Beitrag zum Verständnis der deutschen Sozialstruktur 28. Rudolf Vetterli · Industriearbeit, Arbeiterbewußtsein und gewerkschaftliche Organisation. Dargestellt am Beispiel der Georg Fischer AG (1890—1930)

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Dietrich Geyer · Die Russische Revolution Historische Probleme und Perspektiven. 2., durchgesehene und bibliographisch ergänzte Auflage 1977. 169 Seiten, kart. (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1433) Das Buch bietet eine problemgeschichtliche Analyse der Russischen Revolution und führt zugleich in Fragestellungen und Interpretationsweisen der modernen historischen Forschung ein. „Es ist ein Vergnügen, diesem Autor zu begegnen. Er beherrscht seinen Stoff souverän, geht mit den Fakten höchst sorgsam um, und er schreibt brillant, ohne daß dadurch jene Exaktheit gemindert wird, der er sich als Wissenschaftler verpflichtet weiß. Hinzu tritt ein überlegenes, ausgewogenes Urteil, das sich stets der Begrenztheit bewußt ist, der es bei solch weitgespannter Betrachtung unterliegt. Geyers Buch zählt zweifellos zu dem Besten, was bislang zu diesem Thema geschrieben wurde." Politische Studien

Hans-Ulrich Wehler * Bibliographie zum Imperialismus 1977. XII, 65 Seiten, Kunststoff (Arbeitsbücher zur modernen Geschichte 3 / Uni-Taschenbücher 684)

Wolfgang J . Mommsen · Imperialismustheorien

Ein Überblick über die neueren Imperialismusinterpretationen. 1977. 132 Seiten, kart. (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1424)

Hans-Christoph Schröder Sozialistische Imperialismusdeutung Studien zu ihrer Geschichte. 1973. 136 Seiten, kart. (Kleine VandenhoeckReihe 375 S)

Liberalismus und imperialistischer Staat

Der Imperialismus als Problem liberaler Parteien in Deutschland 1890 bis 1914. 9 Beiträge, herausgegeben von Karl Ηoll und Günther List. 1975. 176 Seiten, kart. (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1415)

Imperialismus im Nahen und Mittleren Osten

Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 1975/4. Herausgegeben von Wolfgang Mommsen. 162 Seiten, kart.

Heinz Gollwitzer · Die Gelbe Gefahr

Geschichte eines Schlagworts. Studien zum imperialistischen Denken. 1962. 269 Seiten, engl. brosch.

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