Der russisch-türkische Kriegsschauplatz [Reprint 2021 ed.]
 9783112444764, 9783112444757

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Kriegsgeographische Zeitbilder Land und Leute -er Sriegsschau-liitze LerauSgegeben von den

Privatdozenten Dr. HavS Spethmann und Dr. Erwin Schm Die vorliegende Sammlung will in anregender und anschaulicher Form ein Nares Bild der Kriegsschauplätze entwerfen, um es jedem zu ermög­ lichen, den amtlichen Nachrichten von den Vorgängen auf den Kampf­ gebieten mit Verständnis folge» zu können. Die Darstellung wird durch zahlreiche Abbildungen und Skizzen wirkungsvoll unterstützt. ES liege» vor: Lest 1. Die wirtschaftlichen Grundlage« der kriegführende« Mächte. Von Professor Dr. A. Oppel-Bremen. Lest 2. Kohlennot «nd Kohlenvorräte im Weltkriege. heimem Bergrat Professor Dr. Frech-BreSlau.

Von Ge­

Lest 3. Der Kanal mit feine» Küsten «nd Flottenstützpunkten. Don Privatdozent Dr. L. Spethmann-Derlin. Lest 4. Antwerpen. Geographische Lage nnd wirtschaftliche Bedentnng. Don Dr. LanS Praesent-GreifSwald.

Lest 5. Der russisch - türkische Kriegsschauplatz. phiL Lugo Grothe-Leipzig.

Von Dr. jur. et

Lest 6. Der Kriegsschauplatz zwischen Mosel nnd MaaS. Dr. Karl Wolff-Leipzig.

Don

Don Dr. Ed. ErkeS-Leipzig.

Lest

7. Japan nud die Japaner.

Lest

8. Die Vogesen und ihre Kampfstätten. Adria» Mayer-Straßburg.

Don Redakteur

Jede» Heft im Umfange do« zirka 8 Druckbogen lostet M. —.80

Berlag vo« Vett & Comp.iu Leipzig, Marie«str.18

Kriegsgeographische Zeitbilder Land und Leute der Kriegsschauplätze

Herausgeber

Dr. Hans Spethmann und Dr. Erwin Scheu in Berlin

in Leipzig

Lest 5

Der russisch-türkische Kriegsschauplatz (Kaukasien und Armenien)

Leipzig Verlag von Veit & Comp. 1915

Der russisch-türkische Kriegsschauplatz (Kaukasien und Armenien) Von

Dr. jur. et phil. Hugo Grothe in Leipzig

Mit 8 Abbildungen und 4 Kartenskizzen im Text

Leipzig Verlag von Veit & Comp. 1915

Copyright 1915 by Veit & Comp. in Leipzig.

Druck von Metzger a Wittig in Leipzig.

Als natürlicher Kampfschauplatz zwischen zwei sich be­

kriegenden benachbarten Staaten haben die beiderseitigen Grenz­ gebiete zu gelten.

Die Balkanhalbinsel, auf der wie 1828/29

so 1877/78 die Hauptschlachten zwischen Russen und Türken sich abspielten, schaltet diesmal als Kampffeld aus.

Leute

liegen die Territorien zweier selbständiger Staaten zwischen

Bosporus und Donaumündung, die von einem der Kämpfenden überschritten werden müßten, um im Westen des Schwarzen

Meeres ein Aufeinandertreffen herbeizuführen.

Der Verlust

Bessarabiens, den Rumänien als Lohn seiner Lilfe vor Plewna

1879 erntete, wird diesen Staat davor bewahren, zum zweiten

Male die Rolle eines übervorteilten Trabanten Rußlands zu spielen.

And auch Bulgarien weiß die Ereignisse jener Jahre

wie die des Balkankrieges von 1912/13 entsprechend zu wür­ digen, um nicht in Versuchung zu kommen, durch eine Partei­

nahme gegen die Türkei die Stellung des Zarenreiches auf der

Balkanhalbinsel zu stärken und so selbst seinen Kopf in den Nachen des Bären zu stecken. So sind die Räume des russisch­ türkischen Kriegstheaters

1914/15 auf die an den östlichen

Grenzen der beiden Reiche sich bietenden Kampffronten be­

schränkt.

In türkisch und russisch Armenien haben die Kräfte der beiden Gegner, die seit 1711 nicht weniger wie achtmal gegen­

einander im Felde standen — und seit 1829 jedesmal auf diesem

5

gleichen Gebiete —, sich durch vier Monate gemessen, ohne daß einer der Streiter bisher erhebliche ausschlaggebende

Vorteile errang.

Die Kämpfe selbst scheinen augenblicklich zu

einem gewissen Stillstand gekommen zu sein.

Sobald jedoch

das Frühjahr eintritt — in jenen Hochebenen und den ihnen

aufgetürmten Gebirgen recht spät im Jahre — und mit diesem

die im Winter tief vereist und verschneit liegenden Wege und Pfade frei werden, wird ein neues hartes Ringen entbrennen. Auch gärt es immer lebhafter unter den Mohammedanern Kaukasiens, so daß dort ernste Verwicklungen für die nächste

Zeit nicht ausgeschlossen sind.

Die auf dem asiatischen russisch­

türkischen Kriegstheater fallende Entscheidung beeinsiußt aber in

bedeutendem Maße die künftige Machtstellung der Türkei in tür­ kisch Asien und somit die Lösung der orientalischen Frage, deren

Lebet vor allem Rußland in diesem Kriege in Bewegung setzte.

I. Das Schwarze Meer und die Dardanellen. Eine

gegen Rußland

siegreiche Türkei wird zu keinem

Frieden zu haben sein, der ihr Lerrschaftsbereich im Schwarzen Meere und an ihren Ostgrenzen, also in türkisch Armenien, antastet.

Ja, sie wird alles daran setzen, zur Erhöhung der

wirtschaftlichen Lilfsquellen ihrer asiatischen Besitzungen und zum Zwecke einer Wiederangliederung früher verlorener Raffe-

und Religionsgenossen

ihre Grenzen

Armenien nach Nordosten zu schieben.

von England

und Frankreich

abermals

von türkisch

Die mit hohen Kräften

gegen die Dardanellen be­

gonnenen Angriffe sprechen dafür, daß die Türken bisher ge­

rade auf den wichtigsten Kampffeldern (Sinaihalbinsel und Ar­ menien) die Überlegenen waren. Die Sorge um ihre Laupt-

stadt Konstantinopel soll sie nun an diesen Stellen von der weiteren Entfaltung großzügig angelegter kriegerischer Tätig­

keit abziehen. 6

Zugleich besteht der Plan, mit Erzwingung des

gleichen Gebiete —, sich durch vier Monate gemessen, ohne daß einer der Streiter bisher erhebliche ausschlaggebende

Vorteile errang.

Die Kämpfe selbst scheinen augenblicklich zu

einem gewissen Stillstand gekommen zu sein.

Sobald jedoch

das Frühjahr eintritt — in jenen Hochebenen und den ihnen

aufgetürmten Gebirgen recht spät im Jahre — und mit diesem

die im Winter tief vereist und verschneit liegenden Wege und Pfade frei werden, wird ein neues hartes Ringen entbrennen. Auch gärt es immer lebhafter unter den Mohammedanern Kaukasiens, so daß dort ernste Verwicklungen für die nächste

Zeit nicht ausgeschlossen sind.

Die auf dem asiatischen russisch­

türkischen Kriegstheater fallende Entscheidung beeinsiußt aber in

bedeutendem Maße die künftige Machtstellung der Türkei in tür­ kisch Asien und somit die Lösung der orientalischen Frage, deren

Lebet vor allem Rußland in diesem Kriege in Bewegung setzte.

I. Das Schwarze Meer und die Dardanellen. Eine

gegen Rußland

siegreiche Türkei wird zu keinem

Frieden zu haben sein, der ihr Lerrschaftsbereich im Schwarzen Meere und an ihren Ostgrenzen, also in türkisch Armenien, antastet.

Ja, sie wird alles daran setzen, zur Erhöhung der

wirtschaftlichen Lilfsquellen ihrer asiatischen Besitzungen und zum Zwecke einer Wiederangliederung früher verlorener Raffe-

und Religionsgenossen

ihre Grenzen

Armenien nach Nordosten zu schieben.

von England

und Frankreich

abermals

von türkisch

Die mit hohen Kräften

gegen die Dardanellen be­

gonnenen Angriffe sprechen dafür, daß die Türken bisher ge­

rade auf den wichtigsten Kampffeldern (Sinaihalbinsel und Ar­ menien) die Überlegenen waren. Die Sorge um ihre Laupt-

stadt Konstantinopel soll sie nun an diesen Stellen von der weiteren Entfaltung großzügig angelegter kriegerischer Tätig­

keit abziehen. 6

Zugleich besteht der Plan, mit Erzwingung des

Dardanellendurchgangs Rußland aus der Einengung zu be­

freien, die ihm nach Schließung dieser Meeresstraße bereitet wurde.

In den Speichern Südrußlands lagern, zur Ausfuhr

bereit, ungeheure Getreidevorräte, deren mangelnde Verwertung Staat und Bevölkerung Rußlands finanziell auf das empfind­

lichste schwächt.

Bereits sind diese Vorräte als Sicherheiten

für die Anfang März 1915 gewährten pekuniären Kilfen Eng­ lands und Frankreichs bestellt worden, die das Zarenreich noch

für einige Monate vor dem gänzlichen Bankerott bewahren sollen. Eine gewaltsame Öffnung der Dardanellen durch die West­ mächte des Dreiverbandes will also nicht allein dem bedeutsamen

Ziele dienen, den Russen die einzige Zufuhrstraße für fehlendes Kriegsmaterial freizumachen, sondern hat auch den Zweck, die Ernährung ihrer Bevölkerung zu sichern, die dieser Getreide­ mengen dringend bedürfen; zugleich soll sie die Unterpfänder

retten, deren Verlust ein Opfer vieler, jetzt mehr denn je nötiger Millionen bedeuten würde.

An dem Kampf um die Dardanellen vermag Rußland keinen tätigen Anteil zu nehmen.

Doch ist der Ausgang des

dortigen Ringens in hohem Grade bestimmend für die Ent­ wicklung der kriegerischen Zusammenstöße mit den Türken an

solchen Fronten, auf denen die Russen bisher einzugreifen außer­ stande waren.

Wird auch nur ein Teil der türkischen Flotte

zur Verteidigung des Eingangs zum Marmarameere benötigt,

so geht ihr die Beherrschung des Schwarzen Meeres verloren, gewinnen also russische Operationen an den Küsten Kaukasiens und Kleinasiens neue Landhaben; auch wären russische Angriffe gegen die Bosporusengen dann nicht ausgeschlossen.

Demon­

strativ erschien auch bereits am 28. März die russische Kriegs­ flotte 15 Seemeilen vor dem Bosporuseingang.

sie hier ernten wird, bleibt dahingestellt.

Welchen Ruhm

Denn wie die Darda­

nellen wurde der Bosporus seit einem Jahrzehnt von den Türken

7

zu einer wehrhaften, von Eisenrohren umgürteten Enggasse ge­

macht. Die vom Dreiverband ausgesprengten Nachrichten, Ruß­ land sammle ein starkes Landungsheer, um an der Küste des

Schwarzen

Meeres

im Rücken von Konstantinopel

zu er­

scheinen, sind wohl nur als fromme Wünsche zu fassen. Seit

Rußland

Regierungsantritt Peter des

mit dem

Großen zu den europäischen Mächten zählt, hat es die Türkei zu seinem hartnäckigen Gegner.

Dem Volksbewußtsein ist der

„mosköw" der erklärte wildblütige Erbfeind, dessen zupackende Pranken vom

ersten

kriegerischen Überfall zu Anfang

des

18. Jahrhunderts schwere Wunden in den Besitz des Osmanen-

reiches schlugen.

Die Leitsätze der russischen Politik sind seit

Katharina II. auf Zerstörung des Türkenstaates gerichtet ge­ wesen.

Das Aufrollen der orientalischen Frage war seit 1806

der Vorwand aller moskowitischen, nach Landerwerb trachtenden Politik.

Das Schwarze Meer — ein russisches Meer und

das Goldene Kreuz statt des Kalbmondes auf den Zinnen der Laghia Sofia, das zeigt sich im 19. Jahrhundert als unge­

schminktes Dichten und Trachten des Zarenreiches, dem die Westmächte im Krimkriege durch Neutralisierung des Schwarzen Meeres und mit der Sperrung des Landweges (durch Über­

eignung von Bessarabien an die Rumänen) zu begegnen suchten. Ja, auf Englands Betreiben verbot der Pariser Friedens­

vertrag den Russen sogar in diesem Binnenmeer die Anter-

Haltung einer Kriegsflotte, eine Beschränkung, von der es während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 sich zu

lösen verstand.

Leute müssen die gleichen Mächte vermöge

ihrer Allianz mit dem Moskowiter selbst daraufhin arbeiten, den russischen Traum auf ein Imperium im Orient mit be­ waffneter Land der Erfüllung näher zu bringen und somit die

Schwelle zum Mittelmeer in diese Lände zu spielen.

*

Karte I.

Die den einzelnen Küstengebieten eingezeichneten Zahlen zeigen das Jahr der russischen Besitznahme.

Die den Ent­

fernungsachsen eingefügten Ziffern geben die Distanzen von Lasen zu Lasen in Kilometern.

„Nach dem Gesetz der Umfassung geographischer Vorteile im Wachstum der Staaten sehen wir das Meer die Staaten

anlocken und in ihrem Wachstum von Bucht zu Bucht und

von Vorgebirg zu Vorgebirg gleichsam fortziehen."

So urteilt

Ratzel in seiner „Politischen Geographie" im achten Abschnitte, den er „Die Welt des Wassers" betitelt.

Nach diesem natür­

lichen Gesetze der politischen Ausdehnung hat Rußland seit 1711 seine Fortschritte am Schwarzen Meer gemacht.

gewann es im Frieden zu

Belgrad

1739

— frühere vorüber­

gehende Besitznahmen abgesehen — mit Asow die erste, von

Peter dem Großen heiß, aber vergeblich erstrebte Berührung mit dem Becken des alten Pontos Euxeinos, dessen Herrschaft einst die Milesier beanspruchten und das dem Reich eines

Mithridates

einheitliche

Zusammenfassung,

Machtgrundlage

und Namen gab. 1774 geraten die nördlichen Landschaften der Asowschen Bucht unter russische Oberhoheit. Die Über­ wältigung des Khanats der Krim (1793) wird zum ersten

Schritt

offene

ins

Meer.

Nach

schwammartig das russische Gebiet.

Westen zu

wächst nun

Der Krieg von 1787/92

bringt außer der Ostküste des Asowschen Meeres den Russen das

Land

zwischen Djneper und Djnestr,

womit das

ganze Nordufer des Schwarzen Meeres russische Domäne wird.

Die Folge des Kampfes von 1806/12 ist der Erwerb von

Bessarabien, das vorübergehend in rumänische Lände ge­ rät (1856/78).

Ihr Wiedererwerb sicherte wohl an den Donau­

mündungen den russischen Einfluß,

aber der Aufbau neuer

Staatswesen auf der Balkanhalbinsel benimmt dieser Provinz

in den Augen der Russen den Lauptwert, nämlich durch sie zum Lerzen der europäischen Türkei vorstoßen zu können. Nach Osten zu erweitert sich die russische Herrschaft seit

Beginn des 19. Jahrhunderts.

1803/04

war den Persern

Mingrelien entrissen und somit die Ostküste des Schwarzen

10

Meeres erreicht worden.

Das zwischen diesen Provinzen und

dem Asowschen Meer liegende, von kriegerischen Tscherkessen bewohnte Küstenstück kam durch den Frieden von Adrianopel

(1829) gleich der Achaltzich- und Eriwangegend an Rußland.

Berliner

Der

Kongreß

gab

dieser

neuen

Interessensphäre

am Küstenrande des Pontos Euxeinos mit Zusprechung von

Batum und seinem Linterlande die ersehnte Abrundung.

Die

Nordküste Kleinasiens und zwar zunächst das ostpontische Ge­ stade zu gewinnen, dünkt den russischen Imperialisten seit zwei

Jahrzehnten ein nächstes notwendiges Ziel,

Konstantinopels von selbst folgen würde.

dem der Zufall Damit wäre das

Schwarze Meer, das „Tschernoje More“ der Russen, zu einem rein russischen Meere gestaltet. Den Charakter länder- und völkerverbindender Kraft

besitzt das Schwarze Meer wie kein zweites Binnenmeer.

In

seiner Nähe vervielfältigt sich der wirtschaftliche Wert jeder ihm anliegenden Landfläche.

Die schnelle Durchmessung 'seiner

Meeresfläche von Nord nach Süd, von West nach Ost macht

es zu einem Verkehrsgebiet von höchstem Werte und nicht nur

für die Anlieger, sondern für alle handeltreibenden Völker.

Die auf S. 9 gegebene Karte zeigt mit ihren Verbindungslinien

von Afer zu Afer, von Handelshafen zu Handelshafen diese hohe verkehrtragende Bedeutung des Schwarzen Meeres für

seine Landflächen von ansehnlichem Amsang und hohem wirt­

Seine Lage macht es geradezu zum Aus­

schaftlichem Werte.

läufer des Mittelmeeres und beruft es somit dazu, weite Gebiete des südöstlichen Europa sowie der nordwestlich vorgeschobenen

Teile

Vorderasiens

mit

der Kultur-

Westeuropas zu verknüpfen.

und

Wirtschaftswelt

Deutlich offenbart sich bei den

zahlreichen, von Konstanza und Varna auslaufenden Verkehrs­

linien (siehe Karte), wie diese Läsen, als am Ende der kürzesten Verbindungswege

Berlin-Wien-Bukarest-Nord-

und

Ost11

küste Kleinasiens gelegen, die Mündungsader des mittel­ europäischen Verkehrs darstellen und daher die Interessen Zentraleuropas im höchsten Maße vertreten und heraus­

fordern. Wir sehen denn, daß den politisch begreiflichen und durch die

erdphysikalischen Verhältnisse unterstützten russischen Zielen zur Llmfaffung der Äser eines großen Binnenmeeres mächtige Forderungen des internationalen Verkehrs entgegen­

stehen.

„Wenn alle Aferländer der Ostsee oder des Schwarzen

Meeres in einer Land wären, auch der stärksten, so würde sich die ganze übrige Welt zusammenschließen, um sich die Seewege

nach Rußland, Persien, Schweden, Finnland frei zu machen", so schrieb Friedrich Ratzel in dem schon genannten Kapitel

seiner „Politischen Geographie".

Daher ist durch die Daseins­

bedingungen der Menschheit Gewähr gegeben, daß die Groß­

machtpläne eines Staates nicht in den Äimmel wachsen. Wenn Deutschland und österreich-Angarn heute der Türkei

zur Seite stehen, so verteidigen sie nicht nur das südöstliche

Tor

ihrer

wirtschaftlichen

Ausbreitung

nach

dem

Orient,

sondern auch den Tummelplatz des Landels aller Na­

tionen, vor allem auch der kleinen Balkanstaaten Rumänien und Bulgarien.

Auch an dieser Front führen wir das

Schwert zum Schutze der Schwachen, die ohne unser Da­ zwischentreten im Streite um die Beherrschung Südosteuropas und Vorderasiens längst von Rußland auf dem Marsche nach Konstantinopel und den Meerengen in gewalttätiger Weise niedergestampft worden wären. Aber auch die Westmächte würden auf die Dauer den

Zaren nicht als Großherrn in Konstantinopel und im nördlichen Kleinasien sehen wollen.

Der Besitz Armeniens, das nach drei

Himmelsrichtungen hin durch seine Lage von Wert ist, gibt

eine natürliche bedrohliche Brücke für ein weiteres Vorrücken

12

zum Mittelmeer, und zwar zum Golf von Alexandrette und nach dem oberen Syrien, Gegenden, in denen Frankreich und

England die Russen sicherlich nicht mit Willkommengrüßen empfangen würden.

And wenn wirklich wider alles Erwarten

die Flotten dieser beiden Verbündeten vor Konstantinopel er­

scheinen und ein uns ungünstiger Friede dem Türkenreiche in Europa ein Ende machen sollte, so wird man, nachdem in der

russischen Duma dem Volke das unverrückbare Streben nach

letzterem Kleinod feierlich verkündet wurde, die goldene Stadt

selbst den Russen wohl überlassen, aber nimmermehr die

Dardanellen!

jener würde der Brite wahrscheinlich durch

Besitznahme der Halbinsel Gallipoli oder im Wege einer „neu­

tralen", also von ihm beaufsichtigten Verwaltung vorsichtig Wache halten, damit Rußland nicht seine einmal zu bauenden

Kampfschiffe aus dem Schwarzen Meer nach Westen entsendet

und der englischen Handelsflotte die Tür nach den getreidereichen Küsten des Schwarzen Meeres verschließt.

Auf jeden Fall aber

wird England sich auf einer der den Dardanellen vorgelagerten

Inseln Lemnos, Imbros oder Tenedos einzunisten trachten, wie es dies 1878 auf Zypern getan hat, um dem End- und Aus­

gangspunkte neuer Wege zwischen dem Mittelmeer und Vorder-

asien beherrschend nahe zu sein.

So birgt selbst der für

den Dreiverband glücklichste Ausgang dieses Krieges Gegen­

sätze zwischen den Verbündeten, die dafür sorgen, daß ein von Rußland erstrebtes völliges Protektorat über den Orient ein

ungeborenes Kind bleibt.

II. Armenien und Kaukasien. Eine kriegsgeographische Betrachtung verlangt die (Erörte­ rung einer Reihe von einschlägigen erdkundlichen Tatsachen:

vor allem solche der Bodengestalt, der Bevölkerung, der Wirtschafts- und Verkehrswelt.

Diese für Armenien und Kau13

zum Mittelmeer, und zwar zum Golf von Alexandrette und nach dem oberen Syrien, Gegenden, in denen Frankreich und

England die Russen sicherlich nicht mit Willkommengrüßen empfangen würden.

And wenn wirklich wider alles Erwarten

die Flotten dieser beiden Verbündeten vor Konstantinopel er­

scheinen und ein uns ungünstiger Friede dem Türkenreiche in Europa ein Ende machen sollte, so wird man, nachdem in der

russischen Duma dem Volke das unverrückbare Streben nach

letzterem Kleinod feierlich verkündet wurde, die goldene Stadt

selbst den Russen wohl überlassen, aber nimmermehr die

Dardanellen!

jener würde der Brite wahrscheinlich durch

Besitznahme der Halbinsel Gallipoli oder im Wege einer „neu­

tralen", also von ihm beaufsichtigten Verwaltung vorsichtig Wache halten, damit Rußland nicht seine einmal zu bauenden

Kampfschiffe aus dem Schwarzen Meer nach Westen entsendet

und der englischen Handelsflotte die Tür nach den getreidereichen Küsten des Schwarzen Meeres verschließt.

Auf jeden Fall aber

wird England sich auf einer der den Dardanellen vorgelagerten

Inseln Lemnos, Imbros oder Tenedos einzunisten trachten, wie es dies 1878 auf Zypern getan hat, um dem End- und Aus­

gangspunkte neuer Wege zwischen dem Mittelmeer und Vorder-

asien beherrschend nahe zu sein.

So birgt selbst der für

den Dreiverband glücklichste Ausgang dieses Krieges Gegen­

sätze zwischen den Verbündeten, die dafür sorgen, daß ein von Rußland erstrebtes völliges Protektorat über den Orient ein

ungeborenes Kind bleibt.

II. Armenien und Kaukasien. Eine kriegsgeographische Betrachtung verlangt die (Erörte­ rung einer Reihe von einschlägigen erdkundlichen Tatsachen:

vor allem solche der Bodengestalt, der Bevölkerung, der Wirtschafts- und Verkehrswelt.

Diese für Armenien und Kau13

fasten — beide zusammen bedecken eine Fläche so groß wie Osterreich-Angarn — in Beziehung zu den gegenwärtigen Er­

eignissen in knappen Amrissen zu skizzieren, will vornehmlichste Aufgabe dieser Schrift sein.

Die eigene Anschauung, durch

mehrere Durchwanderungen der in Frage kommenden Gegenden

gewonnen, will mir bei der Zeichnung dieses Bildes nach manniger Richtung hin zu Äilfe kommen.

Der Geograph wählt mit Vorliebe für größere Landflächen

von gewissen einheitlichen Oberflächenformen einen zusammen­ fassenden Namen, der zugleich Berührungen mit historischen

und

ethnographischen Zügen

wird

also

dieser Landschaften

für das gewaltige,

gibt.

Er

gleichmäßig gestaltete Gebiet

des nordöstlichen Vorderasien die einheitlich zusammenfaffende Bezeichnung „Armenien"

dies

Land

niemals

in

nicht missen wollen, obwohl all

dieser

Zusammenschließung

zum

Armenischen Reiche gehörte und heute auch nicht Armenier überall das numerisch und kulturell überwiegende Bevölkerungßglied darstellen.

So erfährt ein „Armenien" im geographischen

Sinne folgende Umgrenzung:

Westlich

bis

zu der Wasser­

scheide zwischen dem Frat-su und den kleinasiatischen Flüssen,

nördlich bis zu den pontischen Küstenketten, östlich hinein in die politische russische Sphäre bis zum Abfall der nordöstlichen

armenischen Berge nach dem Rion und der Kura sowie auf persischem Territorium bis zum Bergpfeiler des Sähänd wie zum Ostrand des Armiasees und viertens gen Süden bis zu den nördlichen Äöhenzügen der obermesopotamischen Steppe in

der Breite von Mardin.

Eine Äochlandschwelle in 1000 bis

2000 m Äöhe mit .mächtig aufgesetzten Gebirgsrücken, die von hohen, eindrucksvoll geformten Vulkanbergen überragt werden (Ararat 5156 m, Alagöz 4095 m, Bingöldagh, d. i. der Berg

der „Tausend Seen" südwestlich von Erzerum, 3300 m, der

SipLndagh bei Wan 3910 m, der SawelSn bei Taebris 4812 m), 14

mit breit eingesenkten Seebecken (die Seen von Wan, Urmia

und Göktscha'i in Höhenlagen von 1666, 1330 und 1934 m) und vielen scharf eingegrabenen Flußfurchen, so offenbart sich gleichartig die physikalische Gestalt dieses armenischen Landes.

der

deutlich

der

zeigt,

streichen die armenischen Bergketten sämtlich von W

Lauf

Abb. 1.

nach

0

oder

der

Längstalfurchen

Wie

Flüsse

Erzerum, von der Zitadelle überragt.

von

WSW

nach

ENE,

biegen

aber gegen

russisch Armenien zu in nordöstliche Richtung um.

Baum­

arme und kahle Plateaustreifen, bedeckt von düsteren Laven, aschgrauen Tuffen und anderen Gesteinstrümmern, oder öde

Steppenstriche, in fahles Gelb getaucht, hie und da unter­

brochen

rissene

von

mattgrünen

Ackerflächen,

braungetönte,

zer­

und zerklüftete Kalkstein- und Schieferketten, rötliche

schneegekrönte

Vulkandome

und

gegen

das

regenbringende 15

Schwarze Meer wie den Kaspissee zu auf den Berghängen

leuchtende Waldlinien von immergrünen Laub- und Nadel­

zahlreiche weiße Fäden ungestümer Wildwasser in

bäumen,

geröllreichem Bette, umzogene Seeflächen,

armenischen

blaugrün schimmernde, von Siedlungen das sind die Farben und Töne des

Landschaftsbildes.

Kalte

Winter

Sommer charakterisieren die armenischen Lochlande.

und

heiße

Je weiter

wir ins Innere der Lochfläche rücken, desto größeren Extremen

begegnen wir (Erzerum in 2000 m Löhe im Winter + 15°

und — 29 °, Ianuarmittelwärme in Kars — 13,5°). Der Mangel jeglicher schiffbarer Flüsse und guter Verkehrsstraßen — den

Bau

von

Eisenbahnen in türkisch Armenien hat Rußland

durch sorgsame politische Intriguen hintanzugehalten gewußt — erschwert die Ausfuhr von türkisch Armenien, wo wirklich

wirtschaftliche Erträge von einiger Bedeutung vorliegen.

So

Obst aus den Gärten der Fruchttäler, Wolle der Viehzüchter,

Erze der Berge (Silber,

Eisen,

Blei,

Kupfer,

Zinn

bei

Gümüschhaneh im Pontus wie in der Gegend von Kharput und DiLrbekr).

Die Wege zwischen türkisch und russisch Kaukasien sind auf die Durchbruchstäler weniger Flüsse beschränkt, die durch enge Schluchten sich ziehen (Tschoruch, Olty, Aras), oder auf halsbrecherische Pfade, die im Winter tief in Schnee und Eis starren.

Während meines Rittes von Trapezunt nach Erzerum

1900 waren die Pässe des Kolat- und Kopdagh noch im Mai hoch von Schnee überlagert. And als ich Ende Dezember 1907

von Djulfa nach Eriwan fuhr, erschien der Aghrydagh (3000 bis 3300 m) schon eine einzige eisige Kammlinie.

Rur eine als

Leerstraße anzusprechende Route durchquert von Nordwest nach Südost und Ost das Land, nämlich die von Trapezunt über Erze­ rum nach Bajazid, die zugleich Trägerin des Landels zwischen

Schwarzem Meere und Persien ist.

16

Diese wichtige Verkehrs-

aber trifft mit der aus russisch Armenien von Kars herkommenden da zusammen, wo sie durch eine inschriftengezierte, von sechs

stattlichen Bogen geführte Brücke über den 'Araxes geleitet wird.

An dieser wichtigen Gabelung liegt der Ort Köprüköi

(„Brückenkopf"), bei dem in diesem Kriege die erste größere

Schlacht auf dem russisch-türkischen Kampffelde stattfand. Man sieht, die Gebiete, an deren Grenzen die Türkei

Krieg zu führen hat, sind einer schnellen und leichten Bewegung

Abb. 2.

Talkessel von Bajazkd im nordöstlichen türkischen Armenien.

größerer Truppenmaffen recht ungünstig.

Auch kostet es ihr

arge Mühe, in einem wirtschaftlich wenig gesegneten Lande die nötigen Hilfsquellen in Fluß zu bringen.

Nur ein so

abgehärteter und bedürfnisloser Soldat wie der türkische ver­

mag hier die Entbehrungen und Mühen eines Winterfeldzuges zu ertragen.,

Die

Bevölkerung

türkisch

Armeniens

Einheitlichkeit wie solche Kaukasiens. Grothe, Der russisch-türkische Kriegsschauplatz.

Es

zeigt

größere

handelt sich 2

im 17

wesentlichen nur um vier große Hauptbestandteile: Armenier, Kurden, Türken und Lazen.

Die in Betracht kommenden

WilLjets Erzerum, Wan, Bitlis, DiLrbekr, Kharput dürften

21l2—3 Millionen

Seelen bergen (Fläche 186500 qkm, mithin

Dichte 14—16 auf den Quadratkilometer), von denen wohl

eine Million den Armeniem und etwa eine Million den Kur­

den zuzuweisen sind; da des weiteren

1l2—3(4

Million Türken

und Lazen in diesen Gebieten leben und die Zahl der Griechen

unerheblich ist, überwiegen also die Islambekenner.

Die seit dem 16. Jahrhundert islamisierten Lazen. auf türkischem wie russischem Boden zusammen an 100000 Seelen

zählende unruhige, waffengeübte Gebirgsstämme, sind alsbald nach der Kriegserklärung an der Seite türkischer Truppen in

Hellen Haufen .erschienen und

haben am unteren Tschoruch

manchen Beutezug auch auf eigne Faust unternommen.

Die

in den Hochgebirgsstrichen zwischen dem westlichen und östlichen Euphrat und am Nordufer des Wansee am SipLndagh hausenden

Kurden, die Man nicht mit Anrecht die türkischen Kosaken ge­ tauft hat, strömten ebenfalls in starken Haufen herbei.

Sie

sind als Milizkavallerie seit 1890 als sogenannte „Hamidiehregimenter" dem türkischen Heere und zwar dem 4. und 5. Armee­

korps angegliedert und stellen insgesamt eine Hilfstruppe von

etwa 40000 Mann (66 Regimenter zu 270 Schwadronen zu 130 Köpfen).

Die Mannschaften erscheinen auf ihren aus­

dauernden kleinen Pferdchen in Nationaltracht und bilden so,

wie ich mich in DiLrbekr überzeugen konnte, mit ihren Turbanen und gelben Kegelmützen, der enganliegenden Jacke und dem

breiten

bunten

Leibschal,

mit ihren

Lanzen,

Dolchen und

krummen Säbeln eine recht malerische und kecke Schar, die an

Mut und Ausdauer den russischen Kosaken nicht nachsteht. Die Armenier — die in Betracht kommenden innerpolitischen Probleme erörterte ich des Ausführlichen in meiner Schrift 18

„Die asiatische Türkei und die deutschen Interessen" S. 14—22

— haben sich durchaus türkentreu gehalten. Ihre berechtigten Forderungen nach größerem Schutze vor Übergriffen der Provin­

zialverwaltungen und vor kurdischen Gewalttätigkeiten dürften nach dem Kriege nach Kräften erfüllt werden.

Die deutsche

Diplomatie hat seit einigen Jahren die Frage der armenischen

Reformen geprüft und wird ihren Einsiuß zur Behebung wirk-

Abb. 3.

Ieziden (mohammedanische Sektierer) beim Mahl.

licher Mißstände ohne Zweifel einsetzen?

Eingesprengt in diese

Bevölkerungen sind im pontischen Gebirge kleine griechische

Volksinseln, die ursprünglich schon der türkischen Sprache oder der Islamisierung verfallen waren, neuerdings aber Berührungen 1 Über die deutsche Mitarbeit am armenischen Reform­ programm siehe den Aufsatz von Johannes Lepsius, „Die armenischen Reformen" im „Mesrop", Zeitschrift der Deutsch-armenischen Gesell­ schaft (1914, Nr. 1).

mit dem rührigen griechischen Volkstum der nordkleinasiatischen Küste suchten und fanden.

fremd.

Panhellenische Ideen sind ihnen

*

*

*

Von Gesteinsschutt überlagertes, schwer zugängliches und

wenig ertragfähiges Lochalpengebiet mit schmalen und wilden,

oft dicht besiedelten Tälern, Lochgebirgshänge, hier von kräftigen Nadelwäldern,

dort von dürftigen

Schafweiden erfüllt —

Mittelgebirge, die Obsthaine und Weingärten, Laub- und Nadelwälder

bedeckte,

tragen

— von

fruchtbarer

Schwemmlanderde

üppige Tallandschaften und Ebenen von sub­

tropischer Vegetation — wasserdürstige eintönige Steppen, im

Sommer von heißflimmernder, fieberschwangerer Luft sowie von Stechfliegen und Mückenschwärmen überzogen, Steppen, durch

deren schilfumsäumte Lehmüfer die braunen Fluten der Kura

in vielfachen Windungen sich dahinziehen und in deren östlichen Teilen über schwarzbraunen schlüpfrigen Boden Erdöldünste

aus zahlreichen Naphthaquellen schweben — so beschaffen sind die verschiedenen Regionen kaukasischer Erde.

Die an Länge

die Alpen übertreffende Niesenmauer des Kaukasus (Vulkan­

kegel des Elbrus 5629 m und des Kasbek 5043 m, Granitkuppe des Schkara 5184 m und des Kaschtan Tau 5211 m) mit ihrer

Kammlinie von durchschnittlich mehr als 3000 m Löhe, die von

gewaltigen Lochgipfeln gekrönt ist, hat den ausgeprägten Cha­ rakter einer Landscheide.

Auch die höchsten Leistungen der

Technik, welche die wenigen, in den Quertälern laufenden Straßen und die hochaufklimmenden Paßpfade zu bewunderswerten Kunst­ bauten heben, werden an dieser Tatsache nicht viel ändern.

Das südlich dieses gewaltigen Grenzgebietes gelegene Land, das ein von der Natur auferzwungenes Sonderdasein zu führen hat, verstehen wir als Transkaukasien, während für die am

Nordfuß der Kette zwischen Schwarzem Meer und Petrowsk 20

zu

den Flüssen

Kuban und

Terek sanft sich

abdachenden

hügeligen Landstrecken mit ihrem prächtigen Humusboden die zusammenfassende

Bezeichnung

Ziskaukasien

Geltung

ge­

wonnen hat.

Die große physikalische Verschiedenartigkeit der ge­ schilderten Regionen bringt die stärksten Gegensätze in Klima und

Bodenertrag mit sich: polare Kälte und Rauheit in

Abb. 4.

Talgan in Swanetien. Die den Läufern angebauten Türme dienen Verteidigungszwecken.

Nachbarschaft von Gletschern und ewigem Schnee, deren Schmelze die Flüsse niemals versiegen läßt, die das vorgelagerte Äügelund Flachland mit seinen Feldern und Wiesen zu tränken haben, — subtropische Wärme und Feuchtigkeit inmitten dicht wuchernder Pflanzendecke aus zum Teil versumpften, fieber­

schwangerem, aber fruchtgesegnetem, paradiesgleichen Gelände im Westen an den Äsern des Rion gegenüber lähmender Glut

und Trockenheit im wenig ergiebigen Steppengürtel des Süd­

ostens. Südlich der Bergmauer des Kaukasus dehnt sich eine breite

grabenartige Senke, die das wirtschaftliche Rückgrat

des ganzen kaukasischen Landes darstellt.

Mit den ihr sich

angliedernden Lügelreihen bringt es alle Früchte der subtropischen und gemäßigten Zone hervor: in niederen Lagen fruchten Lirse, Reis, Mais, Tabak, Tee, Baumwolle, Rebe, in höheren Lagen

alle Getreidearten und an den Längen waldreicher, Ahorn,

Buche und Tanne, Birke, Eiche, Esche und Linde tragender Berge stehen Nutzhölzer wie Nuß- und Buchsbaum. Besonders Wald-,

wein- und obstreich ist das Gebiet der meskhischen Berge, welche die Scheide zwischen dem westlichen Grabenbruch des Rion und dem östlichen der Kura bilden; eine stehengebliebene

Gesteinsscholle inmitten des großen Grabenbruches der transkau­ kasischen Senke darstellend, vermitteln sie die Verbindung zwischen

Kaukasus und den nördlichen armenischen Gebirgsketten.

Am

steilabfallenden Südrande der Kaukasuskette dehnt sich Kachetien, das gleiche Reichtümer birgt wie das meskhische Lügel-

land. Viehwirtschaft, Seidenraupenzucht (Mittelpunkte Schuscha,

Schemacha und Nucha) und vor allem die Erdöllager der Lalbinsel Apscheron, die denen von Pennsylvanien und Kalifornien

an Ergiebigkeit nicht nachstehen, sind hervorragende Erwerbs­

quellen der östlichen Teile Transkaukasiens. Der Bergbau des Landes steht noch in den Kinderschuhen

der Entwicklung.

And doch sind es außer Erdöl schon an­

sehnliche Mengen von Mangan, Kupfer und Schwefel, die

nach dem Auslande wandern.

Englische und deutsche Lütten­

werke (Kupfergruben der Firma Siemens bei Kedabeg, 60 km

südwestlich

von Elisabethpol)

schließungsarbeit geleistet.

haben bereits erfolgreiche Er­

Der Abbau von Kohle, Silber und

Blei hat ohne Zweifel noch eine Zukunft. 22

Der Dichter Lariri

hat recht, wenn er von Kaukasien bewundernd sagt, daß es „des Guten allgenug" habe.

Mit dem Schwarzerdeland nördlich und östlich von Kuban und Terek, das schon gegenwärtig blühende russische Acker­ bausiedlungen zeigt und sich zu einer neuen Kornkammer zu

entwickeln vermag, ist Transkaukasien nur durch eine wohl­

gepflegte und leidlich bequeme Chaussee verbunden.

Es ist

dies die 200 Werst lange Grusinische Leerstraße von Tiflis nach

Wladikawkas

(Paßhöhe 2379 m).

Als

einigermaßen

gangbar kommt noch in Betracht die ebenfalls von Wladikawkas, und zwar in südwestlicher Richtung laufende, auf langen Stücken schlecht erhaltene Ossetische Straße, die über den Mamisonpaß (2825 m)

und

nach Kutäls bewegt.

durch

das

Tal des oberen Rion

sich

Tiefe Paßeinschartungen, wie sie die

Alpen zeigen, sind dem Kaukasus fremd.

Was sonst also noch

im Westen und Osten an Verkehrswegen vorhanden ist, hat den Charakter pfadartiger Übergänge, die ungeschützt an schwindel­

erregenden Abgründen vorbeiführen und infolge ihrer Löhe bis zum Lochsommer durch Schneefälle bedroht werden.

Einzelne

Pässe, die über den mittleren Kaukasus führen, steigen, wie der Kolotapaß, bis zu 3240 m Löhe, sind daher stark ver­

gletschert.

Die das wilde, stark bewaldete Daghestan durch­

ziehenden niedrigsten östlichen Pässe, wie solche im Westen, so

von den Kubanquellen nach Swanetien und Mingrelien, gehen

nicht unter 2300 m herab.

Selbst die dem Küstensaume sich

anlehnende Straße von Pott über Suchumkaleh nach Nowo-

rossiisk ist namentlich, wo sie das Abchasenland durchläuft (vom Kap Ifluria zur Mündung des reißenden Gebirgsflüßchens

Mysmia), von übler Enge und von sie überragenden Berg­ hängen bedroht.

So sind die Möglichkeiten für größere russische militärische Nachschübe zur Vetteidigung nicht gerade glänzende. Die genannte

23

Grusinische Heerstraße und die im weiten Bogen den Kaukasus

östlich umgehende Schienenstrecke Rostow-Petrowsk-DerbentBaku vermögen allein starke Truppenkontingente, Kriegsmaterial

und Trainkolonnen nach Transkaukasien zu führen.

Die Er­

schließung durch Eisenbahnen blieb bisher auf die Querlinie

Poti-Tiflis-Baku

mit

einigen Nebensträngen

lokaler

Be-

Karte II.

deutung beschränkt, der sich nach Süden die strategisch wichtigen Routen

Orpiri—Batum,

Tiflis—Alexandropol-Kars-Sary-

kamysch (türkische Grenze) und Alexandropol-Eriwan-Djulfa

(persische Grenze), angliedern.

Eine seit einem Jahrzehnt ge­

plante Küstenlinie entlang dem Schwarzen Meere ebenso wie

eine 24

Gebirgsbahn

Wladikawkas-Tiflis

sowie

eine

Route

Kars-Ardachän-Batum kamen über die Anfangsstudien nicht

hinaus. dacht.

Ein

Aber

wenig

den

günstiger

westlichen

wurde das Kubangebiet be­

Kaukasus

wurden

hier

von

Tuapse ins Linierland nach Armawir und von Noworossiisk nach Tischorchezkaja wie Kawkaßkaja Schienenwege geführt, deren drei genannte Endpunkte sämtlich am wichtigen Strange

Rostow-Wladikawkas-Baku liegen.

Abb. 5. Straße im Engtal des Tschoruch bei Ispir.

Nach dem Stande der militärischen Operationen zu Ende Januar (vgl. die Karte II von Seite 24, sowie S. 36—42

meiner Schrift „Die Türken und ihre Gegner")

war das

obere Tschoruchtal bis Artwin in türkischem Besitz, auch die

Grenzstriche von Olty und von Kara-urgan.

Daß wie 1878

die Russen bis vor Erzerum gelangen, also den Kampf völlig

nach türkisch Armenien tragen oder gar wie 1828 bis nach Gümüschhaneh im pontischen Gebirge vordringen, ist für diesen 25

Feldzug so gut wie ausgeschlossen, wenn auch aus verschiedenen Gründen die türkische Offensive einstweilen zum Stillstände kam

und auch einiges, bereits erobertes Terrain wieder ausgegeben

werden mußte.

Die künftigen Vormarschziele der Türken sind

Batum, Kars und Baku.

Kars mit seiner Zitadelle auf schwer

erreichbarem, steil abfallenden Bergrücken ist der Angelpunkt der

russischen Angriffs- wie Verteidigungsmaßnahmen. Die Städte Batum und Baku stellen die Nähradern des Wirtschaftslebens dar. Batum ist die bedeutendste Zufuhrstelle für den Seeweg, ob­ wohl sein Lasen nur mittelmäßig ist. Die gewaltige Ablagerungs­

stoffe der ins Schwarze Meer sich ergießenden Flüsse versanden den umliegenden Küstensaum. Der Tschoruch gefährdet daher mit seinen Sinkstoffbarren die Reede von Batum, der Rion in

noch höherem Grade den Lasen von Poti.

Eine Steilküste,

während der Winterstürme hoch vom Meere umbrandet, seht nördlich der Ingurmündung künstlichen Lafenbildungen erhebliche

Mühen und Kosten entgegen. Die Besetzung der Lalbinsel Apscheron mit ihren tausenden

ertragreichen Naphthabohrstellen wäre von unermeßlichem Nachteil

für die Russen.

Nicht nur, daß die Einnahmen von Millionen

der türkischen Kontrolle unterstellt würden, auch der ganze Bahn­ betrieb Südrußlands — die Lokomotiven sind ausschließlich auf Petroleumheizung eingerichtet — käme ins Stocken..

Freilich

der Zugang zum Osten Kaukasiens von türkisch Armenien her

— abgesehen davon, daß es sich um Durchmessung großer Entfernungen handelt — stößt auf erhebliche Schwierigkeiten,

obwohl bereits (siehe die Karte III) Aserbeidjan mit Lilfe irregu­

lärer Lilfstruppen

der

Türken

(Kurden und Perser) zum

größeren Teile von russischen Truppen gesäubert ist und von

dorther nach Eroberung von Choi und Täbris ein Vorstoß längs des Araxes den größten Erfolg verspricht.

Aber die

Türken haben, da sie ihre Lauptkräfte auf der gegen Kars ge26

Karte III.

- fisen bahnen --------- Straßen K H Gebirgspässe * ■ • Noch z. /TMT. Besitz

Türken bis Anfang februar besetzte Städte Türkische Vormarsch/miet) Russische •' zz

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