Der König von Asien: Alexander der Große erobert Persien 3805348215, 9783805348218

Alexander der Große erbt von seinem Vater Philipp nicht nur ein übermächtig gewordenes Makedonien, die neue Supermacht i

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German Pages 192 [195] Year 2014

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Speergewonnenes Land
Der Alexanderzug verändert die Welt
Alles begann mit einem Frauenraub
Der „homerische Trottel“ wird zum Gott
Austausch auf gigantischer Ebene
Ein steiniger Weg – der Aufstieg Makedoniens
Ein zermürbtes System – die griechische Poliswelt
Eine Marionette anderer Mächte
Kometenhafter Aufstieg
Gefährten, Schildträger und Verbündete – die makedonische Armee
Ein viel versprechender Prinz
Polygamie mit schlimmen Folgen
Säuberungsaktionen
Gefährliche Revolten
Vom Nomadenvolk zur Weltmacht – das Achämenidenreich
Der größte Feldzug
Aufbruch mit ungeahnten Konsequenzen
Ein sprichwörtlich gewordenes Rätsel – der Gordische Knoten
Drei-drei-drei – bei Issos Keilerei
Die Belagerung von Tyros
Sohn des Ra und des Zeus in einem
„Alexandria bei Ägypten“
Die Schlacht bei Gaugamela und der Einzug in Babylon
Rächer – Nachfolger – Rächer
Katastrophen im Ostiran
Jenseits des Hindukusch
Tötung eines alten Freundes
Der widerspenstige Schmeichler
Auf den Spuren des Weingottes
Die Elefantenschlacht am Hydaspes
Erzwungenes Ende
Zum südlichen Okeanos
Tödliche Rückkehr durch Gedrosien
Unbeliebte „Geschenke“ – Massenhochzeit und Abfindungen
Rückkehr nach Babylon – der Anfang vom Ende
Die Diadochen – zerstrittene Erben
Der ratlose Krisenstab
Der unsterbliche Alexander
Hellenismus versus Orientalismus
Rom erbt „alles“
Weitere hellenistische Reiche
„Alles ist möglich“ – Alexanders Taten in der fiktionalen Literatur
Schluss
Anhang
Zeittafel – vom Trojanischen Krieg bis zum Ende des Hellenismus (ca. 1190 bis 27 v. Chr.)
Quellen und Literatur
Register
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Der König von Asien: Alexander der Große erobert Persien
 3805348215, 9783805348218

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Steffen Unger

Der König von Asien Alexander der Große erobert Persien

Mit vielem Dank an Kathrin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Verlag Philipp von Zabern ist ein Imprint der WBG. © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Thomas Theise, Regensburg Gestaltung und Satz: Anja Harms, Oberursel Einbandabbildungen: Alexander der Große, Reiterstandbild Bronze © akg-images/Nimatallah; Karte des Makedonischen Reiches © GNU Free Documentation License Einbandgestaltung: Stefan Schmid Design, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8053-4821-8 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8053-4837-9 eBook (epub): 978-3-8053-4838-6

Inhalt

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Speergewonnenes Land 13

Der Alexanderzug verändert die Welt Alles begann mit einem Frauenraub 14 · Der „homerische Trottel“ wird zum Gott 16 · Austausch auf gigantischer Ebene 19

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Ein steiniger Weg – der Aufstieg Makedoniens Ein zermürbtes System – die griechische Poliswelt 24 · Eine Marionette anderer Mächte 29 · Kometenhafter Aufstieg 33 · Gefährten, Schildträger und Verbündete – die makedonische Armee 50 · Ein viel versprechender Prinz 52 · Polygamie mit schlimmen Folgen 55 · Säuberungsaktionen 59 · Gefährliche Revolten 62 · Vom Nomadenvolk zur Weltmacht – das Achämenidenreich 66

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Der größte Feldzug Aufbruch mit ungeahnten Konsequenzen 72 · Ein sprichwörtlich gewordenes Rätsel – Der Gordische Knoten 88 · Drei-drei-drei – bei Issos Keilerei 93 · Die Belagerung von Tyros 97 · Sohn des Ra und des Zeus in einem 102 · „Alexandria bei Ägypten“ 106 · Die Schlacht bei Gaugamela und

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Inhalt

der Einzug in Babylon 107 · Rächer – Nachfolger – Rächer 113 · Katastrophen im Ostiran 121 · Jenseits des Hindukusch 126 · Tötung eines alten Freundes 130 · Der widerspenstige Schmeichler 134 · Auf den Spuren des Weingottes 136 · Die Elefantenschlacht am Hydaspes 139 · Erzwungenes Ende 141 · Zum südlichen Okeanos 144 · Tödliche Rückkehr durch Gedrosien 147 · Unbeliebte „Geschenke“ – Massenhochzeit und Abfindungen 152 · Rückkehr nach Babylon – der Anfang vom Ende 157

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Die Diadochen – zerstrittene Erben Der ratlose Krisenstab 164 · Der unsterbliche Alexander 170 · Hellenismus versus Orientalismus 173 · Rom erbt „alles“ 175 · Weitere hellenistische Reiche 176 · „Alles ist möglich“ – Alexanders Taten in der fiktionalen Literatur 180

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Anhang Zeittafel – vom Trojanischen Krieg bis zum Ende des Hellenismus 186 · Quellen und Literatur 188 · Register 190

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peergewonnenes Land

Die Seeleute von Sestos resignieren. Sie wissen, dass es sinnlos ist, gegen den makedonischen Offizier aufzubegehren, der ihnen befohlen hat, alle Fahrten und Hafenarbeiten einzustellen. In Kürze soll hier, an der schmalsten Stelle des Hellespont, kein Durchkommen mehr möglich sein. Die Meldung, die seit Längerem kursiert, bewahrheitet sich: Die Meerenge zwischen Europa und Asien wird wieder einmal Schauplatz eines gigantischen Heereszuges. Der junge Makedonierkönig Alexander zieht in den Krieg gegen das Perserreich! Wird die Überfahrt glücken, oder erstickt die mächtige persische Flotte den riskanten Feldzug im Keim?

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Speergewonnenes Land

W

utentbrannt befiehlt der Kommandant des Kriegsschiffs den Ruderern, schnellstmöglich abzudrehen. Der Steuer-

mann setzt seine jahrelange Erfahrung ein, um die Ruder entsprechend zu bedienen, doch vergebens – der Raum zum Manövrieren ist zu klein, ein Zusammenprall unvermeidlich: Ein zu weit abgedriftetes makedonisches Transportschiff – eins der wenigen, die an dieser Stelle des Hellespont manövrieren – touchiert den Bug der athenischen Triere. Planken über dem mit nach vorn starrenden Augen bemalten, verbeulten Rammsporn bersten, Säcke, Waffenbündel und Rüstungsteile fliegen über das schmale Deck. Die zehn Pferde an Bord sind nur schwer in Zaum zu halten, eins stürzt fast in die Ruderbänke. Ihre thrakischen Besitzer haben alle Mühe, die Tiere zu beruhigen, und auch deren vierzig Landsmänner, allesamt Speerwerfer, sind voller Sorge: Der Dreiruderer droht zu sinken. Glücklicherweise ist das Ziel, der Ort Abydos, nur wenige Stadien von Sestos entfernt. Man kann vom einen Ufer aus das andere sehen. Ein Grund mehr für den Befehlshaber, sich in seinem Zorn über den ärgerlichen Unfall die Haare zu raufen. Er drängt die Besatzung zur Eile, bittet Poseidon, Nereus und Thetis um Unterstützung und wirft unbewusst einen Blick zurück, um nach einem möglichen Zeichen von Alexander oder dessen Stellvertreter Parmenion zu sehen. Doch erkennen kann er nichts außer einem Meer von Schiffen und einem gigantischen Heerlager, das auf das Übersetzen wartet.

Speergewonnenes Land

Skeptisch beobachten zwei makedonische Soldaten die Szenerie von Sestos aus. Sie gehören zu den dreitausend sogenannten Schildträgern, den Hypaspisten, die bei Sturmangriffen und verschiedenen Sonderaufgaben gefragt sind. Der aus der Hauptstadt Pella stammende Abreas kann es nicht fassen: „War das eins von unseren? Das wird dem König nicht gefallen.“ Sein Kamerad Polemon, dessen Eltern einst in die von Alexanders Vater Philipp eroberte Stadt Amphipolis übergesiedelt waren, winkt ab: „Mit irgendeiner Havarie hat Alexander sicherlich gerechnet. Kein Wunder, bei wie vielen Schiffen – zweihundert? Und dann diese heftige Strömung ... Aber wir machen es zweifellos besser als Xerxes. Ich denke nicht, dass Alexander Grund haben wird, das Wasser wie der Großkönig damals auspeitschen zu lassen.“ In diesem Moment hören die beiden Soldaten schon einen Kameraden ihrer Einheit euphorisch rufen: „Krateros kommt!“ Polemon schlägt Abreas gegen die Schulter und zeigt zur Straße. Ein Klappern, Rasseln und Dröhnen kündigt ein Bataillon Gefährten zu Fuß an – 1500 schwere makedonische Infanteristen. Der Zug ist dermaßen lang gestreckt, dass man den Tross aus Knechten, Pferden, Maultieren und Wagen am Ende kaum erkennen kann. So selbstsicher die Fußgefährten mit ihren Helmen, Brustpanzern, Schilden und den Lanzen, die sie in zwei Teile zerlegt tragen, auch wirken: Ihre aufgerissenen Augen, die geöffneten Münder und leises Raunen in den Reihen lassen erahnen, wie beeindruckt sie von dem geschichtsträchtigen Ort und Moment sind. Trotz der enormen Expansion unter Philipp sind die meisten der Soldaten noch nie so weit von ihrer Heimat entfernt gewesen. Seit einem knappen Monat sind sie unterwegs, und nun steht ihnen ein kleiner und zugleich riesengroßer nächster Schritt bevor – der Übergang nach Asien, auf den Boden des schier unendlich großen persischen Reichs! Einige Reiter eilen der Truppe entgegen und geben ihrem Befehlshaber Krateros Anweisungen. Der erfahrene General sitzt auf und reitet in Richtung eines weiter östlich aufgebauten Zeltes, das alle anderen überragt.

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Speergewonnenes Land

Auch Abreas ist überwältigt und murmelt vor sich hin: „Bleibt noch ein Bataillon, ansonsten einige Verbündete – Thrakier und Griechen wohl. Gut, dass alle nach und nach eintreffen.“ – „Das klingt ja so, als fürchtest du dich vor dem kleinen Abstecher nach Asien?“, stichelt Polemon, der mit dem Zeltaufbau beschäftigt ist. Abreas belässt es bei einem Stöhnen. Dann weicht auch der Übermut Polemons einem nachdenklichen Gesichtsausdruck. „Denkst du, der König begnügt sich wirklich damit, die Griechenstädte drüben von den Persern zu befreien? Bei den jahrelangen Vorbereitungen, Rekrutierungen und Ausgaben und bei dem Reichtum der Perser wird das wohl nicht alles sein!“ – „Ich bin Alexander oft begegnet. Er ist so ehrgeizig und froh, seinen heldenhaften Vater mit einem Kampf gegen den Erzfeind endlich übertreffen zu können ... Du hast Recht, Polemon. Der König und seine Berater werden bestimmt nicht am Rand dieses riesigen Reichs kehrtmachen. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass sie bis zum Herz vorstoßen wollen! Ich meine, das ist unmöglich, oder? Dass wir vielleicht erst in ein, zwei Jahren heimkehren oder hier verrecken, oder was aus meinem Hof wird, liegt mir schwer im Magen. Doch was geschieht, wenn die persische Flotte hier aufkreuzt? Weiß Alexander überhaupt, wo die ist? Denen sind selbst die Athener nicht gewachsen. Und Dareios oder seine Statthalter werden wohl wissen, was hier im Moment vor sich geht!“ „Ich will dich ungern ängstigen, mein Freund, aber das, was ich von zwei Gefährten gehört habe, ist weitaus schlimmer!“ Abreas, der soeben in Gedanken versunken die Schärfe seiner Speerspitze prüft, stutzt. Polemon erklärt, die beiden seien ihm beim Schmied über den Weg gelaufen. „Sie haben geflüstert, aber zu laut, als dass ich es hätte überhören können. Es ging um Alexanders Staatsschatz. Er soll leer sein! Dann haben sie mich leider bemerkt. Du, die waren sogar von der königlichen Reiterei!“ Abreas schüttelt den Kopf. „Wenn das wirklich stimmt“, schnaubt er, „dann steht der Kampf vor dem Ende, bevor auch nur ein persischer Pfeil geflogen kommt!“

Speergewonnenes Land

„Zweifel ziemt sich nicht für unsere Krieger.“ Aus der Ruhe der Stimme, die die beiden Kameraden fast erstarren lässt, spricht die Gefahr, in der sie sich plötzlich wähnen. Ein Makedonier in Tunika und langem Mantel, ohne Rüstung, aber mit einem Dolch bewaffnet, steht hinter ihnen. „Und schon gar nicht für Sondereinheiten!“ Der Mann grinst. „Wir haben uns lange nicht gesehen, Abreas!“ Der Elitesoldat antwortet trocken: „Du hast wie immer Recht, verehrter Harpalos. Entschuldige unser Gerede. Wir wollen nur einen großen Sieg für Makedonien.“ „Dafür sorgt unser König, glaubt ihr nicht? Was hast du über die Perserflotte gesagt? Das konnte ich leider nicht genau hören.“ Abreas druckst: „Es ist nur ... Sie soll so gewaltig sein, doppelt so groß wie unsere! Und wo ist sie?“ – „Das wissen wir nicht genau, vielleicht noch in Ägypten, in Tyros oder Halikarnassos. Zunächst ist wichtig, dass sie nicht hier ist, oder? Und was nach dem Übersetzen wird, das wird sich zeigen.“ – „Und wie steht es mit dem Geld, verehrter Harpalos?“, mischt sich Polemon ein. – „Wir haben alles unter Kontrolle!“, zischt der Verwalter der Kriegskasse. „Ich warne euch. Begrabt eure Zweifel! Die stecken die Truppe an. Wenn wir in Asien sind, werden wir ohnehin genug Beute machen.“ Abreas’ Augen stieren. Er stammelt: „Aber woher? Von den Griechenstädten? Welchen Eindruck soll ...“ – „Wir ziehen zunächst in Richtung Daskyleion, dem Sitz des Statthalters. Da wird sich einiges finden, womit wir uns ausstatten können, ohne den Griechen auf die Füße zu treten. Überlasst derartige Fragen gefälligst uns! Der König braucht euch, aber in fester Überzeugung und nicht voller Zweifel. Verstanden?“ Die beiden Elitesoldaten sind erleichtert, dass das Gespräch in eine Richtung gegangen ist, die für sie nicht mit Arrest endet. In diesem Moment prescht die königliche Schwadron zwischen den Truppen dahin. Das immer noch anmarschierende Bataillon sowie die bereits lagernden Einheiten jubeln Alexander zu, der mit einem auffällig gefiederten Helm an der Spitze reitet, daneben der kampferprobte Kleitos, der

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Speergewonnenes Land

Befehlshaber der ranghöchsten Reitereinheit. Der König grüßt kurz mit erhobener Hand, dann verschwindet der Trupp Richtung Südwesten. Harpalos, sein Jugendfreund, erklärt, der König reite nach Elaious zum Heiligtum des Protesilaos, der als erster Grieche im Trojanischen Krieg an Land gesprungen und auch gefallen war. „Er segelt von dort aus zum Hafen, an dem unsere Vorfahren unter König Agamemnon gelandet sind, als sie gegen die Trojaner gezogen sind. Alexander wird Ilion besuchen und danach wieder zum Hauptheer stoßen. Das soll nicht mehr als ein Dorf sein. Kaum vorstellbar, dass darum der Krieg getobt haben soll ... Der alte Parmenion wird inzwischen die Überfahrt überwachen. Und unsere Priester haben einen gelungenen Übergang vorausgesehen. – Wann setzt ihr überhaupt über?“„Heute jedenfalls nicht, Harpalos. Ein Teil von uns wohl sogar zuletzt. Zur Sicherheit ...“ Abreas nickt in Richtung der mehreren Tausend Mann des Korinthischen Bundes, von dem einige soeben in Abydos bei der makedonischen Vorhut landen, während die meisten noch auf thrakischer Seite kampieren. „Ganz recht,“ murmelt Harpalos, während er argwöhnisch das griechische Heerlager observiert. „Seid wachsam, mögen sie auch unserem General Antigonos unterstehen. Immerhin schlagen wir ihren Befreiungs- und auch Rachefeldzug für Xerxes’ Schandtaten. Sie hassen sich gegenseitig, gut so, und sie sind ein wertvoller Pfand, damit ihre Landsleute in der Heimat schön handzahm bleiben und nicht wieder revoltieren. – Ich gehe nun. Wir sehen uns auf dem Boden des Großkönigs, den Alexander ihm entreißen wird. Ach ja, Polemon – so war doch dein Name, nicht wahr? Du meldest dich nach der Wiedervereinigung des Heeres bei Kleitos. Du wirst doch die zwei Reiter mit den Geldsorgen dann noch wiedererkennen?“

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er Alexanderzug verändert die Welt Alexander erbt von seinem Vater Philipp(os) nicht nur ein übermächtig gewordenes Makedonien, die neue Supermacht in Südosteuropa, er verwirklicht auch dessen Kriegsplan, der von einer älteren Idee getragen wird: dass die Griechen geeint gegen Persien in den Krieg ziehen. Getrieben von einer unerklärbaren inneren Kraft, sprengt Alexander alle erdenklichen Grenzen: Er erobert das persische Weltreich, das die altorientalischen Reiche in sich vereint hat, und marschiert bis nach „Indien“. Sein sensationeller, aber teuer erkaufter Zug, der ohne die Erfolge Philipps nicht möglich gewesen wäre, sowie sein jäher Tod werden direkte und indirekte Auswirkungen auf drei Kontinenten haben, zum Teil bis heute.

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D e r A l e x a n d e r z u g v e r ä n d e r t d i e We l t

Alles begann mit einem Frauenraub

Der Feldzug gegen das persische Reich diente Philipp II. von Makedonien (reg. 359–336 v. Chr.) zwar der weiteren Expansion seines Reichs und seinem Ansehen bei den Griechen, mit diesem ehrgeizigen Vorhaben hätte er sie jedoch schwerlich zur Heeresfolge überreden können. Immerhin hatte er sie zu einem Allgemeinen Frieden (Koine Eirene) und einem Bündnis, dem Korinthischen Bund, gezwungen und damit dem Ideal der Selbstbestimmung der einzelnen Poleis quasi den Todesstoß versetzt. Die griechischen Stadtstaaten versuchten in der Folgezeit verstärkt, sich in Bünden zu formieren, um neben den großen Monarchien, die durch den Alexanderzug entstanden, bestehen zu können. Um als Befreier und nicht als Eroberer zu erscheinen, rechtfertigte Philipp seinen Angriff auf Persien damit, die Griechen in Kleinasien befreien sowie Rache für die Zerstörungen zur Zeit der Perserkriege (490–479/448 v. Chr.) üben zu wollen. Verschiedene Kontingente und die Flotte der Athener nahmen schließlich am Feldzug teil, den Alexander 334 v. Chr. begann. Die abwertende Haltung der Griechen gegenüber den Persern basierte auf einer fragwürdigen traditionellen Ost-WestFeindschaft, welche unter anderem die zur Vormacht aufstrebenden Athener aufgrund ihrer schlimmen Erfahrungen und der erfolgreichen Abwehr der Perser auf diese projizierten. Xenophon, einer der wichtigsten Autoren des 4. Jahrhunderts v. Chr., der deren Reich für verkommen hielt, oder auch der Philosoph Aristoteles schürten diese Ressentiments. Wegen der Popularität des legendären Sängers Homer (wohl 8. Jh. v. Chr.), dem die Epen „Ilias“ und „Odyssee“ zugeschrieben werden, ging das negative Perserbild der Griechen bis auf den Trojanischen Krieg zurück,

Alles begann mit einem Frauenraub

der um 1200 v. Chr. stattgefunden haben soll, der Sage nach infolge der Entführung von König Menelaos’ Frau Helena durch den Trojaner Paris. Die Perser waren indes alles andere als Trojaner/Troer. Sie erlangten „erst“ ein halbes Jahrtausend nach dem Fall Trojas durch Kyros den Großen (ca. 558–530 v. Chr.) vom heutigen Iran aus welthistorische Bedeutung. Dieser erste König aus der Dynastie der Achämeniden eroberte sogar Kleinasien und entriss dem „stinkreichen“ Lydierkönig Kroisos auch die Griechenstädte an der Westküste. Deren 499 v. Chr. beginnender Aufstand entfachte die Perserkriege. In den Jahrhunderten zuvor hatte die griechische Welt nach dem Untergang der mykenischen Kultur und einer Epoche, die wegen geringer Überbleibsel als dark ages („Dunkles Zeitalter“/ „Dunkle Jahrhunderte“) bekannt ist, einen Aufschwung erlebt und unter kulturellem Einfluss aus dem Osten gestanden, der selbst noch nach den Perserkriegen vor allem in Athen spürbar war, und daher kaum Grund gehabt, sich herablassend gegenüber den verschiedenen östlichen Völkern und Reichen zu verhalten. Die Großkönige galten zudem als vielversprechende „Arbeitgeber“, sogar für geächtete Athener wie den ehemaligen Tyrann Hippias, den General Chares oder selbst Themistokles, den Sieger von Salamis. Xenophon diente dem rebellierenden Kyros d. J. als Söldner, und Alexanders härteste Gegner im Kampf gegen Großkönig Dareios waren griechische Hopliten! Schon wenige Jahre nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges (431–404 v. Chr.) begrub der Achämenidenkönig Artaxerxes II. den Frieden mit den Spartanern. Diese hatten seinem Vorgänger Dareios II. die Griechenstädte in Kleinasien überlassen und mit dessen Unterstützung jenen großen Krieg gegen Athen gewonnen. Artaxerxes übergab das Flottenoberkommando dem

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D e r A l e x a n d e r z u g v e r ä n d e r t d i e We l t

Athener Konon. Agesilaos II. (399–360 v. Chr.), einer der beiden spartanischen Könige, fiel 396 v. Chr. in Kleinasien ein. Um sich als Repräsentant der Griechen darzustellen, hatte er zuvor im mittelgriechischen Aulis ein Opfer inszenieren wollen, um angeblich an König Agamemnon, den Bruder des Menelaos, zu erinnern, der hier seine Tochter Iphigenie beinahe hatte töten lassen, um die Abfahrt der Flotte nach Troja zu ermöglichen. Die Böotier, seine eigenen Verbündeten, verhinderten jedoch den Vollzug der rituellen Handlung, worin sich der Hass gegenüber Sparta offenbarte, der wenig später zum Korinthischen Krieg (395– 387/86 v. Chr.) und damit zum Abbruch des Kampfes gegen Persien führte. Dass sich Agesilaos auf Agamemnon berief, belegt, wie allgegenwärtig die Gedankenwelt Homers war, obwohl das von Homer Geschilderte schon zu dessen Lebzeit für Jahrhunderte der Vergangenheit angehört hatte. Achilleus, Aias, Menelaos oder Odysseus – das sind nur einige, berühmte aus einer riesigen Schar von Helden, auf die sich vor allem der Adel, aber auch ganze Städte beriefen. Ihre Taten waren in den Augen der Griechen real. Mit ihnen konnten Privatleute oder Magistrate Macht demonstrieren und Sonderrechte für ihre Familie oder Polis beanspruchen.

Der „homerische Trottel“ wird zum Gott

Dass Alexander, der den Krieg schlichtweg fortführen musste, um den hohen Erwartungen seines kampfbereiten Adels zu entsprechen, von Anfang an auch persönliche Ziele hatte, steht außer Frage. Väterlicherseits stammte er von Herakles, dem berühmtesten Helden des Altertums, ab, mütterlicherseits von Achilleus, dem besten achäischen („griechischen“) Krieger im Trojanischen

D e r „ h o m e r i s c h e Tr o t t e l “ w i r d z u m G o t t

Krieg. Ihnen und anderen Heroen nachzueifern und sie sogar zu übertrumpfen wurde frühzeitig sein oberstes Ziel. Er wurde zu Unrecht von dem berühmten athenischen Redner und entschiedenen Makedoniergegner Demosthenes kurz nach seinem Regierungsantritt als Margites – ein Trottel aus einem Spottgedicht, das Homer zugeschrieben wird – bezeichnet, denn er hatte bereits als Stellvertreter seines Vaters sowie als blutjunger Feldherr großes Geschick bewiesen. Nach der Thronbesteigung im Herbst 336 v. Chr. gelang es Alexander, die Titel und Privilegien Philipps in der Heimat, in Griechenland und auf dem Balkan für sich zu sichern und die keineswegs befriedete Situation weitgehend zu klären. Mit einem Jahr Aufschub konnte er den Feldzug nach Persien angehen. Den anfänglichen Zweiflern am Erfolg dieses nahezu größenwahnsinnigen Unterfangens sollte bald die Spucke wegbleiben: Mit einer Mischung aus menschenverachtender Aggression, militärischem Geschick, Einfühlungs- und Organisationsvermögen sowie dank der professionellen Armee seines Vaters, vielfältigen Experten in seinem mobilen Hofstaat sowie unzähligen Zufällen gelang es dem jungen König, nicht nur die Westküste Kleinasiens, sondern auch Phönizien und Ägypten ein- und verschiedene Titel anzunehmen. Er besiegte seinen Hauptgegner, den letzten Achämenidenkönig Dareios III., in zwei großen Schlachten und stellte sich nach dessen Ermordung in dessen Nachfolge. Bereits aus dem Grund, der zweihundertjährigen Erfolgsgeschichte des Achämenidenreichs, des vielleicht ersten Weltreichs, ein Ende gesetzt zu haben, markiert Alexanders Persienfeldzug eine Zäsur in der Geschichte der Menschheit. Alexander interessierte sich jedoch nicht für den Titel Großkönig, sondern schuf eine ganz auf sich zugeschnittene Herrschaft

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über „ganz Asien“, die wahrscheinlich auch den altorientalischen Gedanken der Universalherrschaft aufgriff. Die spätere Reichsidee, die vor allem das römische und das mittelalterliche Kaisertum trug, geht über die hellenistischen Könige, die sich häufig auf Alexander beriefen und sich mit seinen Attributen porträtieren ließen, auf den Makedonierkönig zurück. Auch der römische Kaiserkult ahmte die göttlichen Ehren, die Alexander und seinen hellenistischen Nachfolgern in vielen Städten zuteil geworden waren, nach. Alexanders Charakter zeichnet sich durch einen großen Zwiespalt aus. Die Quellen berichten von einem Mann, der von einer Kraft getrieben wurde, die selbst ihm Nahestehende kaum verstehen konnten. Sie wird als pothos (lat. cupido) bezeichnet und meint ein unbändiges Verlangen nach großen Taten und nach der Ferne. Das ihm eigene Wechselspiel aus nüchternem Pragmatismus und irrationalem Handeln beschäftigt Menschen noch nach mehr als zwei Jahrtausenden. Die Faszination für den schwierigen, zähen und zugleich brutalen Makedonier, der obendrein heldenhaft in jungen Jahren gestorben war, sowie der Neid vieler Staatsmänner und Feldherren auf seine schier unnachahmbaren Taten hatten langfristige Folgen auch für Literatur und Kunst. Autoren, Bildhauer oder Maler verschiedener Nationen und Völker in der Spätantike, im Mittelalter und noch in der Neuzeit nutzten seine Figur für ihre eigenen Absichten und Darstellungen, interpretierten die zahlreichen wahrhaft merkwürdigen Ereignisse auf ihre Weise. Der sogenannte „Alexanderroman“ avancierte zu einem der erfolgreichsten Bücher der Menschheitsgeschichte. Über niemanden sonst hat besonders die fiktionale Literatur so viel „gesponnen“ wie über den Makedonierkönig.

Austausch auf gigantischer Ebene

Austausch auf gigantischer Ebene

Neben den „globalen“ geistig-ideologischen Nachwirkungen Alexanders hatte dessen rund elfjähriger Feldzug ins Zweistromland, nach „Indien“ und zurück nach Babylon selbst erhebliche politische, wirtschaftliche und ethnische Auswirkungen auf Morgenund Abendland. Wenngleich nicht aus wahrem Respekt, sondern eher aus Zweckmäßigkeit überging Alexander die bei den Griechen – und später generell im Westen – weit verbreitete Abneigung gegenüber den orientalischen Völkern und setzte recht erfolgreich, teilweise aber auch vergeblich auf Kooperation mit den dortigen Eliten. Mit der Wertschätzung der „Barbaren“ („Nichtgriechen“) setzte er das Vertrauen seiner Landsleute ihm gegenüber aufs Spiel. Der überwiegende Teil von ihnen, darunter viele seiner Offiziere, lehnte die administrative Einbeziehung der Perser und die von ihm praktizierten orientalischen Sitten ab. Die Eroberung des riesigen Reichs und die Erschließung von dessen Südküste ermöglichte und bewirkte in den folgenden Jahrhunderten einen immensen Personen-, Güter-, Kultur- und Wissensaustausch zwischen Europa, Asien und Nordafrika, wovon Orient und Okzident profitierten. Das gilt vor allem für die Zeit nach Alexanders frühem Tod, denn das riesige Vielvölkerreich war alles andere als konsolidiert. Seine eigenen Städte- und Militärpostengründungen, die er zumeist im heutigen Afghanistan und Pakistan errichten ließ, scheinen eher von geringer Lebensdauer gewesen zu sein: Viele dort angesiedelte Veteranen und Söldner gaben ihr neues Zuhause bald wieder auf. Welthistorische Bedeutung aber gewann die einzige Stadt, die Alexander ohne militärischen Hintergrund errichtete: Alexandreia/Alexan-

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dria in Ägypten, das zu einer der wichtigsten Metropolen des antiken Mittelmeerraums erblühte. Alexander der Große hatte allerdings auch ohne sein direktes Zutun und Wissen Langzeitwirkung: Sein unerwarteter Tod und die fehlende Nachfolgeregelung führten zu Kriegen unter seinen Generälen, zur Aufteilung seines Reichs und zur Herausbildung und Festigung verschiedener Teilkönigreiche, vor allem des Ptolemäerreichs in Ägypten und des Seleukidenreichs, das zunächst den Löwenanteil des vormaligen Alexanderreichs umfasste und daher am stärksten für die Ausbreitung griechischer Kultur sorgte. Es müssen zigtausende Griechen, Makedonier oder zum Beispiel Phönizier gewesen sein, die nach Osten strömten, um sich in den zahlreichen neu gegründeten Städten niederzulassen. Das dortige Leben unter Beibehaltung griechisch-makedonischer Sitten, aber auch in der Vermischung mit einheimischer Kultur erschien vielen Europäern lukrativer, als in der zerrütteten Heimat zu bleiben, wo sich die griechischen Stadtstaaten nicht mehr in der Lage sahen, eigenmächtig zu handeln, und ihr Heil im Anschluss an große Bünde suchten. Die alte griechische Poliswelt war schon längst nicht mehr zeitgemäß gewesen; sie hatte in Wahrheit schon seit den Hegemonialbestrebungen Athens, Spartas oder Thebens nicht mehr bestanden. Die griechische Kultur und auch die Polis gingen als solche nicht gänzlich unter, gerieten aber in einen Dauerkonflikt mit den entstehenden Reichen. Fortan prägte das Königtum, das bei den Griechen – abgesehen von Spartas Doppelmonarchie – seit Jahrhunderten eine geringe Rolle gespielt hatte, die europäische Geschichte zwei Jahrtausende lang. Die Vermischung von Makedoniern und Griechen mit Persern, die Alexander zumindest in den Eliten angestrebt hatte, fand

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Austausch auf gigantischer Ebene

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geringfügig weiterhin statt, wenn auch entsprechende Ehen teilweise offiziell verboten waren. Aufgrund seiner anhaltenden Popularität sollen sich noch heute verschiedene asiatische Adelsgeschlechter auf Alexander zurückführen. Griechisch wurde zu einer Weltsprache, und welcher orientalische Freie sie sprach, hatte in Alexanders Nachfolgereichen die besten Chancen auf – begrenzten – sozialen Aufstieg. Der Begriff „Hellenismus“, mit dem nach Johann Gustav Droysen (1808–1884) die Epoche von 323 bis 30 v. Chr. bezeichnet wird, meint im Kern die Ausbreitung griechischer Kultur und ihre Vermischung mit orientalischen Bräuchen. Er hatte sich bereits in klassischer Zeit angebahnt, aber durch den Alexanderzug den entscheidenden Schub erhalten, wenn er auch nicht mehr als eine eher unbeabsichtigte Folge war. Dieses Ereignis scheint sogar die Ausbreitung des Christentums beflügelt zu haben. An all dem hatten ohne Frage die Römer maßgeblichen Anteil: Anhaltende Feindseligkeiten zwischen den hellenistischen Dynasten und besonders der allmähliche, aber unaufhaltsame Zerfall des Seleukidenreichs ermöglichten es ihnen, die Reiche nach und nach zu erobern. Den Abschluss dieser Entwicklung und zugleich das offizielle politische Ende des Hellenismus markiert die letzte Ptolemäerin Kleopatra VII., die mit ihrem Selbstmord in Alexandria verhinderte, unter Octavian – dem späteren Augustus – als Gefangene in Rom zu enden. Mit der pax Romana schuf der Begründer des Kaisertums zumindest offiziell einen lange währenden Landfrieden, den sich die Griechen lange Zeit ersehnt hatten, an dem sie aber mit ihren endlosen Kriegen gescheitert waren. Alexander hatte hier wichtige Vorarbeit geleistet.

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in steiniger Weg – der Aufstieg Makedoniens Rückblickend auf ein Jahrhundert voller Kriege zwischen den Griechenstädten, erscheint die Entfaltung Makedoniens zur Hegemonialmacht in Südosteuropa beinahe als logische Konsequenz. Doch stand es um das bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. durch militärische Niederlagen und innere Wirren zerrüttete Königreich genauso kritisch wie um die notorisch zerstrittenen Griechen, die verschiedene Friedensabkommen und Bündnisse schlossen, in ihrem Streben nach der Vorherrschaft aber immer wieder zerbrachen.

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Ein zermürbtes System – die griechische Poliswelt

Pentekontaëtie – so wird in der griechischen Geschichte der Zeitraum zwischen der Abwehr der Invasion des Xerxes (479 v. Chr.) und dem Ausbruch des Peloponnesischen Krieges (431 v. Chr.) genannt. Dieses halbe Jahrhundert war geprägt durch die Befreiung der Griechen in Kleinasien, kulturellen Fortschritt – man denkt vor allem an großartige Bauten wie den Parthenon in Athen oder die dortige Entwicklung des Theaters und der Demokratie –, jedoch auch durch die Herausbildung zweier Machtblöcke. Athen, neben Rom die berühmteste Stadt in der Antike, regierte mit seinem Seebund rigoros über ein ganzes „Reich zur See“. Sparta hingegen war die Landmacht schlechthin. Seine Hopliten, die schwer gepanzerten Infanteristen, hatten seit jeher das Schlachtfeld ungeschlagen verlassen. Die militärische Tüchtigkeit verdankten die Spartiaten, die Vollbürger Spartas, der Ausbeutung der Landschaft Messenien und von deren Bewohnern, den sogenannten Heloten. Die spartanischen Krieger konnten sich im Gegensatz zu den meisten anderen Griechen – letztendlich nichts anderes als Bauern, Hirten oder Handwerkern – auf das Kriegswesen konzentrieren. In ihrem Bündnissystem (Symmachie), dem Peloponnesischen Bund, zwangen die Spartaner zahlreiche Poleis zu Treue und Heeresfolge. Der wichtigste Verbündete war Korinth, strategisch günstig am Eingang zur Peloponnes gelegen. Im Kampf um die Vorherrschaft über Hellas zogen die beiden Rivalen schließlich etliche Stadtstaaten in einen jahrzehntelangen zermürbenden Krieg. Sparta selbst, das ihn mithilfe der Perser 404 v. Chr. für sich gewann, zählte zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. 8000 bis 9000 männliche Vollbürger. Diese Zahl

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schrumpfte innerhalb von etwas mehr als hundert Jahren auf 1000 bis 1200. Die Spartiaten verstanden es jedoch nicht oder waren nicht dazu bereit, frühzeitig auf diese katastrophale Entwicklung zu reagieren. Vor allem wurde nicht in Erwägung gezogen, den Heloten, aber auch anderen minderberechtigten Bevölkerungsschichten das Vollbürgerrecht zu verleihen. Darauf hatte eine vergebliche Rebellion des Spartaners Kinadon 398 v. Chr. abgezielt. Die alten Ansprüche auf Messenien blieben auch in der Folgezeit Reizthema und Spartas brüchige Machtbasis. Genauso verhängnisvoll für seine Geschichte war, dass es kaum auf die wesentlichen Veränderungen in der Militärtechnik einging. Immerhin hatten die Spartaner bislang keinen Grund dazu gehabt. Sie behielten die jahrhundertealte Kampfweise in der Phalanx, der massierten Schlachtreihe der Hopliten, als schlachtentscheidendes Element bei. Verschiedene andere Poleis sahen von der starren Strategie, die Heere frontal aufeinanderprallen zu lassen, zunehmend ab und teilten ihre Truppen in flexiblere und mobilere Verbände auf. Die Rüstung verlor an Gewicht, Leichtbewaffnete (Peltasten) und andere Fernkämpfer, Reiter und Artilleristen kamen vermehrt zum Einsatz; Feldherren ließen häufiger Söldner für sich kämpfen. Die „skandalöse“ Niederlage einer mora – einer spartanischen Heeresabteilung mit rund sechshundert Mann – im Jahr 390 v. Chr. gegen besoldete Peltasten unter Führung des Atheners Iphikrates offenbarte den sich bereits vollziehenden Wandel in der Kriegsführung. Obwohl sie auf dem Höhepunkt ihrer Macht standen, vermochten die wenigen Spartaner es nicht, ihren enormen Einflussbereich, der sich bis Kleinasien erstreckte, zu organisieren. Die prospartanischen Regimes und Militärdiktaturen schürten den allgemeinen Hass auf Spartas Suprematie (Oberherrschaft). Auch

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die Feindseligkeiten mit Persien brachen wieder aus, als die Polis Kyros d. J. unterstützte, der gegen seinen Bruder, den Großkönig, aufbegehrte. Der Aufstand schlug fehl, woraufhin die sogenannten „Zehntausend“ – griechische Söldner unter Xenophon – einen Gewaltmarsch aus dem Zweistromland in Richtung Schwarzes Meer hinter sich brachten. Für die Griechen war dies eine heldenhafte Leistung, die in ihren Augen für die Anfälligkeit des Achämenidenreichs sprach. Am Hass auf Sparta änderte indes auch der Feldzug gegen die Perser nichts, den König Agesilaos II. ab 396 v. Chr. unternahm, wobei er die Freiheit der ionischen Städte in Kleinasien propagierte. Nach anfänglichen Erfolgen musste er den Krieg zwei Jahre später abbrechen: Unter Mitwirkung persischer Gelder hatte sich in der Heimat eine Koalition aus Theben und Korinth – beide zuvor Bundesgenossen Spartas – mit Athen, Argos und anderen Städten, Korinthischer Bund genannt, gebildet. Der Korinthische Krieg endete mit der erneuten Kooperation der Spartaner und der Perser, was das vorherige „Befreiungsprojekt“ zur Farce machte, Sparta aber erneut den Sieg brachte: Mithilfe eines Kontingents Schiffe aus Syrakus blockierten sie den Hellespont und damit die für Athen lebensnotwendigen Getreidelieferungen aus dem Schwarzmeergebiet. Wie 404 v. Chr. erklärten diese sich auch jetzt zum Frieden bereit. Unter dem eher finanziellen als militärischen Druck des Artaxerxes II. kam 387/86 v. Chr. der nach ihm bzw. dem Diplomaten benannte Königs- oder Antalkidasfrieden zustande, der Persien erneut die Griechenstädte auf dem asiatischen Festland und auf Zypern zuspielte und zudem einen Allgemeinen Frieden vorsah. Die ebenfalls wichtige Unabhängigkeitsklausel ermöglichte es Sparta zunächst, gegen die entstandenen Machtblöcke in

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Griechenland vorzugehen, ohne auf eigene Interessen zu verzichten. Seine Truppen besetzten sogar drei Jahre lang Theben, das sich aber befreite, in den 370er-Jahren einen neuen Böotischen Bund mit sich an der Spitze schloss und zum Hauptkontrahenten aufstieg. Dass zudem allein zwischen 375 und 371 v. Chr. drei große Versammlungen und mit ihnen der Allgemeine Frieden immer wieder scheiterten, zeigt die schier unlösbare Zerstrittenheit der Griechenstädte. Der weit im Osten sitzende Großkönig konnte die Situation in Griechenland beeinflussen, aber nicht lösen – er war kein Garant für einen dauerhaften Frieden. Ihm war daran gelegen, die Kräfteverhältnisse in Griechenland auszugleichen, um seine unsichere Westgrenze zu halten. Artaxerxes II. gelang es zum einen nicht, das kurz vor seinem Regierungsantritt abgefallene Ägypten zurückzuerobern. Zum anderen erhoben sich seit Anfang der 360er-Jahre einige Satrapen im Westen, die ohnehin weitgehend selbstständig agieren konnten, gegen ihn. Der Dynast Maussolos von Karien – durch ihn wurde „Mausoleum“, sein Grabmal, eins der sieben Weltwunder, zu einem festen Begriff – ist der bekannteste von ihnen. Das militärische Geschick der Thebaner Epameinondas und Pelopidas trug wesentlich zum Aufschwung ihrer Stadt bei. Thebens Konflikt mit Sparta gipfelte in der Schlacht von Leuktra 371 v. Chr. bei Theben, die das Ende der spartanischen Hegemonie markiert. Epameinondas hatte die Schlagkraft seiner Streitkräfte zuvor erheblich gesteigert. Er behielt die Hoplitentaktik bei, modifizierte aber deren Aufstellung und Vormarsch. Bei Leuktra ließ er am linken Flügel ganze fünfzig Mann hintereinander antreten, Standard waren acht. Mit der „schiefen Schlachtordnung“, derer sich später Philipp II., Caesar oder Friedrich der Große von

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Preußen bedienten, und der Heiligen Schar, der thebanischen Elitetruppe unter Befehl des Pelopidas, gelang ihm ein überragender Sieg über das spartanische Heer. Besonders schlimm für Sparta waren der Tod von vierhundert Vollbürgern und die Tatsache, dass Epameinondas ein Jahr darauf Messenien befreite. Sparta selbst wäre in den folgenden Jahren zweimal beinahe erobert worden. Die Thebaner dominierten – ebenfalls dank Duldung des Großkönigs – zwar das Geschehen der Jahre bis 362 v. Chr., hatten aber weit weniger finanzielle, politische und militärische Möglichkeiten als die Spartaner. Ihre „Vorherrschaft“ hing ab von Epameinondas und Pelopidas, die aber durch politische Gegner vorübergehend kalt gestellt wurden. Pelopidas fiel 364 v. Chr. in einer siegreichen Schlacht gegen den Tyrannen Alexander von Pherai. Dasselbe Schicksal ereilte Epameinondas: Er starb in der Schlacht von Mantineia zwei Jahre später, die Theben gegen eine Allianz Spartas mit Athen und anderen Städten schlug. Ein klarer Sieger ging daraus nicht hervor – Xenophon beendete sein Geschichtswerk, die „Hellenika“, mit der resignierenden Bemerkung, die Schlacht habe nichts als Verwirrung hinterlassen. Auch die Athener konnten nicht an ihre politischen Erfolge des 5. Jahrhunderts anknüpfen. Ihr Seebund, der 404 v. Chr. aufgelöst worden war, erhielt zwar 377 v. Chr. einen Nachfolger, der aber weit weniger dominant auftrat und die Freiheit der Poleis propagierte. Sie verzichteten auf die alten, erzwungenen Tribute (phoroi), aber nicht auf Soldaten, Schiffe und die neuen sogenannten „Beiträge“ (syntaxeis). Diese nur oberflächlich abgewandelten Bedingungen führten bald zum Bundesgenossenkrieg (357–355 v. Chr.), der Athen daran hinderte, aktiv gegen die Expansion Philipps von Makedonien vorzugehen. Es verlor am

Eine Marionette anderer Mächte

Ende des Kriegs etwa die Hälfte der bisherigen Mitglieder des Bundes, gab aber seine Expansionsbestrebungen unter anderem an der makedonischen Küste keineswegs auf.

Eine Marionette anderer Mächte

Makedonien war bis zur ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. alles andere als eine Vormacht, vielmehr wie bei anderen Völkern ein Verband verschiedener Stämme. Sein Kernland umfasste in etwa die Flussniederungen am nordwestlichen Rand des Thermaischen Golfs („Niedermakedonien“), also das Gebiet zwischen unterem Haliakmon (Aliakmon) und Axios (Vardar), sowie die angrenzenden Gebirgsränder. Emathia nennt bereits die „Ilias“ diesen heutigen Bezirk Imathia, der zur griechischen Region Kentriki Makedonia – Zentralmakedonien, der Name spricht für sich – gehört. Die Städte Thessaloniki, 315 v. Chr. gegründet und nach einer Halbschwester Alexanders benannt, und Alexandreia, 1953 gegründet und nach ihm selbst benannt, belegen die nachhaltige Wirkung des „großen“ Feldherrn. Die herrschende Dynastie der Argeaden, die sich als Nachkommen des Herakles sahen und aus deren Reihen der König wohl seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. gewählt wurde, unterwarf bis zum Herrschaftsantritt Philipps 359 v. Chr. ein Gebiet, das bis zum Olymp im Süden und bis fast zum Strymon (Struma) im Osten reichte, im Westen an die Grenzen von Epeiros/Epirus (Südalbanien und die griechische Region Ipiros, östlich von Korfu) und Illyrien (vor allem Albanien, Kosovo), im Norden an die Paioniens (vor allem Mazedonien) stieß. Die Argeaden machten sich dabei zwar zahlreiche Fürstentümer und ehemalige Königreiche in den teilweise sehr wilden

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Landschaften förmlich untertan, doch faktisch behielten die lokalen Herrscher „Obermakedoniens“ weitgehend ihre Macht. Das betraf zum Beispiel die Lynkestis, eine Region im Nordwesten, deren führende Familie vorübergehend sogar die Gewalt im Königreich an sich riss und zu der Philipps Mutter Eurydike gehörte. Die Stämme leisteten zwar Heeresfolge, doch waren Ansehen und Macht des makedonischen Königs letztlich von ihrem Wohlwollen abhängig. Er konnte nur regieren, wenn er die Zustimmung der Heeresversammlung, des Kriegeradels, genoss. Seine Tüchtigkeit konnte er am besten im Kampf oder bei der Jagd unter Beweis stellen. Die den Makedoniern zudem nachgesagten Besäufnisse sind durch Philipp und Alexander berühmtberüchtigt geworden. Indem ein makedonischer König „mannhaft“ mit seinen sogenannten „Gefährten“ (hetairoi), den wichtigsten Adligen, zechte, demonstrierte er Verbundenheit und Vertrauen. Neben der Abhängigkeit vom Adel schadete die polygame Lebensweise der Argeaden dem Erfolg ihrer Regentschaft. Sie zementierte zwar politische Beziehungen, führte zusammen mit der nicht klar definierten Erbfolge jedoch immer wieder zu Rivalität und Mord innerhalb der Dynastie. Gerade Archelaos I. (413– 399 v. Chr.), der Makedonien zu einer ersten Blüte führte, soll sich seinen Weg regelrecht freigemordet haben. Er selbst fiel jedoch während einer Jagd einem vielleicht ebenfalls politisch motivierten Attentat zum Opfer. Einer der Pagen – junge makedonische Adlige, die auch unter Philipp am Königshof ausgebildet wurden und danach meistens zur Getreuenreiterei gingen –, der aus dem elimiotischen Königshaus stammte, tötete wahrscheinlich nur fünf Jahre später Amyntas II. Dieser war der Gegenkönig des Lynkesten Pausanias, der entweder von ihm oder vom

Eine Marionette anderer Mächte

Thronfolger Amyntas III. ermordet wurde. Des Letzteren Sohn Alexandros II., der Bruder Philipps, fiel wiederum 368 v. Chr. während eines Festes einem Anschlag mit wahrscheinlich ebenfalls politischem Hintergrund zum Opfer. Täter scheint Ptolemaios von Aloros, der Liebhaber von Philipps Mutter Eurydike, gewesen zu sein. Perdikkas III., der andere Bruder Philipps, rächte später den offensichtlichen Mord an Alexandros und bestieg den Thron. Was den Kontakt zu den Griechen angeht, war das Königreich zum einen nur geringfügig von deren inneren Konflikten betroffen, zum anderen aber auch nur in beschränktem Maße Nutznießer der zweifellos hohen kulturellen Leistungen. Die urbane Entwicklung war vergleichsweise rückständig, die wenigen Städte waren nicht autonom, die Verbindungswege zwischen ihnen schlecht. Die von Fürsten und einem Kriegeradel geführten Stämme sowie das Königtum an sich, die Paläste und die überdimensionalen Gräber erinnerten an die untergegangene mykenische Kultur und widersprachen dem griechischen Ideal von der bürgerlichen Freiheit innerhalb einer autonomen Polis. Die Griechen hielten die Makedonier, die zwar zu den Doriern zählen und einen nordgriechischen Dialekt sprachen, aber nicht niederschrieben, und welche die „Unsitte“ besaßen, Wein unverdünnt zu trinken, aus diesen Gründen für „Barbaren“ im abwertenden Sinn. Viele von ihnen mögen genauso herablassend auf die Argeaden selbst geblickt haben, obwohl das Herrscherhaus offiziell zu ihrem Kulturkreis zählte: Alexandros I. (ca. 497/96–454 v. Chr.), der während der Perserkriege Vasall Dareios’ I. und Xerxes’ gewesen war und als Erster makedonische Münzen prägen ließ, hatte behauptet, seine Familie stamme aus Argos. Die Argeaden durften daher fortan an den Olympischen Spielen teilnehmen – sie

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waren als Griechen anerkannt. Dass Alexander I. den Beinamen „Philhellen“ („Griechenfreund“) erhielt, mag verwundern, betont aber die Nähe zu den Griechen, die der König suchte. Die Makedoniergegner unter den Griechen werden es kritisiert oder ignoriert haben, dass zahlreiche ihrer Landsleute den Hof in Aigai (Vergina) oder seit ca. 400 v. Chr. in Pella (der heutigen gleichnamigen Gemeinde) besuchten oder sich dort längerfristig aufhielten. Besonders König Archelaos soll nicht nur weitere militärische Reformen, Städtebau und logistische Verbesserungen angestrebt, sondern sich auch um die Förderung griechischer Kultur in seinem Reich gekümmert haben. Der makedonische Hof konnte sich der Anwesenheit zahlreicher Koryphäen rühmen, so der Dichter Pindar, Herodot („Vater der Geschichtsschreibung“), Aischylos und Euripides, des Malers Zeuxis, des berühmten Mediziners Hippokrates oder später des Aristoteles. Während der Geburtsstunde der attischen Demokratie gewährte Amyntas I. aber auch dem vertriebenen athenischen Tyrannen Hippias (527–510 v. Chr.) Asyl, der danach in persische Dienste trat. Der Glanzzeit Makedoniens unter Archelaos, der immerhin gute Handelsbeziehungen zu Athen gepflegt hatte, schloss sich eine mehrere Jahrzehnte währende Krise mit schweren Auseinandersetzungen innerhalb des Herrscherhauses und Repressalien von außen an. Die Dardaner, der bedeutendste illyrische Stamm, hoben mit Argaios II., den Philipp später besiegte, 393 v. Chr. vorübergehend einen ihnen willfährigen Lynkesten auf den Thron. Der vertriebene Amyntas III. kam nur mithilfe der Thessalier wieder an die Macht. Die Expansion des Chalkidischen Bundes unter Führung der Stadt Olynth(os) trieb ihn ferner in ein Bündnis mit Sparta.

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Philipp selbst war während seiner Jugend gezwungen, drei Jahre in Theben ein Geiseldasein zu fristen. Es scheint ihm nicht geschadet zu haben, denn er soll im Haus des Generals Pammenes gelebt haben und wird daher von Epameinondas’ bahnbrechenden Reformen gelernt sowie die professionelle Ausbildung der Heiligen Schar unmittelbar miterlebt haben. Tragisch und voll bitterer Ironie: Mit der schiefen Schlachtordnung schlug Philipp später Theben selbst, dessen berühmtester Feldherr sie ausgebaut hatte! Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Sein Bruder Perdikkas kämpfte ums nackte Überleben. Er musste mit ansehen, wie sich die Athener nicht nur an der thrakischen und chalkidischen, sondern auch an der makedonischen Küste festsetzten. Pydna, Methone, Poteidaia und Amphipolis wurden neben anderen Städten in der Folgezeit zum Zankapfel zwischen Athen und Makedonien.

Kometenhafter Aufstieg

Da neben den Palastintrigen immer wieder heftige Kämpfe mit den kriegerischen Illyriern, Paioniern und Thrakiern entbrannten, verwundert es nicht, dass Philipp 360/59 v. Chr. als sechster Argeade – Vormünder und Gegenkönige dazugerechnet sogar als elfter Makedonier – innerhalb von vierzig Jahren die Regentschaft übernahm, zunächst wohl nur als Vormund seines dreijährigen Neffen Amyntas IV. Für das Königreich war es eine schwarze Stunde: Philipps Bruder Perdikkas III., der Vater des Knaben, und mit ihm 4000 Makedonier waren in einer Schlacht gegen den Dardanerfürsten Bardylis gefallen. Nicht nur dieser, sondern auch die Paionier setzten sich daraufhin im Norden fest.

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Philipp konnte das Königreich und insbesondere Obermakedonien retten und an sich binden: Er siegte 358 v. Chr. über Bardylis und heiratete zur Untermauerung des Friedens dessen Tochter Audata. Dennoch musste er später erneut Kriege gegen die Illyrier führen. Um sein gefährdetes Reich und sich selbst abzusichern, ehelichte Philipp in den ersten drei Jahren seiner Regentschaft drei weitere Frauen: die aus dem elimeiotischen Herrscherhaus stammende Phila, Philinna von Larissa und Olympias. Letztere, die Mutter von Alexander und Kleopatra, gehörte zur Königsfamilie der Aiakiden in Molossien, dem mächtigsten Stammesstaat im hellenisierten Königreich Epiros. Diese Dynastie führte sich auf den mythischen König Aiakos, den Großvater des berühmten Achilleus, zurück. Verschiedene Familienangehörige waren nach Figuren aus dem Sagenkreis um den Trojanischen Krieg benannt, denn Achilleus’ Sohn Neoptolemos soll sich einst in Epiros niedergelassen haben. Mit Andromache, der Witwe des trojanischen Helden Hektor, zeugte er Molossos, den Namensgeber des Stammes. Sich mit heroischen Ahnen zu messen, war Lebensaufgabe etlicher Hellenen, doch Alexander war sie in besonderer Weise in die Wiege gelegt worden. Einige Jahre später heiratete Philipp Nikesipolis von Pherai, dem anderen wichtigen Herrscherhaus Thessaliens, gegen das er zu Beginn seiner Herrschaft erfolgreich vorgegangen war. Nikesipolis starb kurz nach der Geburt ihrer Tochter Thessalonike, der oben angesprochenen Namenspatronin der Stadt, sowie Meda, die Tochter eines Getenkönigs. Diese vor allem politisch begründeten Eheschließungen waren ein wichtiger Baustein von Philipps Außenpolitik, bei der er ebenso geschickt wie verwegen Diplomatie, Taktik, Bestechung und Aggression mit einer umfassenden Neustrukturierung des Heeres kombinierte. Sein rigo-

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roses Vorgehen sollte Makedonien innerhalb der kommenden zwanzig Jahre einen unerwarteten immensen Aufschwung bescheren. Gerade in der Anfangszeit erwies sich als erfolgreich, dass der Argeade alles auf eine Karte setzte und offensiv gegen die verschiedenen Bedrohungen, auch die von innen, vorging. Er hatte zwar den Süden, Westen und durch Tribute an die Paionier auch den Norden seines Reichs zunächst weitgehend gesichert, seine Macht nach Obermakedonien ausgedehnt und durch die Heeresfolge der dortigen Stämme seine militärische Stärke zumindest verdoppelt, doch konnte er sich schwerlich der Loyalität aller Untertanen und Verbündeten sicher sein. Auch aus der nächsten Verwandtschaft, die gnadenlos und grausam sein konnte, drohte Gefahr für Philipps junge, noch ungefestigte Regentschaft. Er sah sich „nach alter Manier“ gezwungen, seiner Halbbrüder und Cousins habhaft zu werden, die im Ausland (Thrakien, Athen) teilweise Unterstützung in ihren Ansprüchen auf den makedonischen Thron erhielten. Er ließ sie in den kommenden Jahren nacheinander umbringen, durch Bestechung zum Beispiel der Thrakier oder nach einer Schlacht ihm ausliefern, anklagen und hinrichten. Philipps Anfangserfolge scheinen die Makedonier überzeugt zu haben, nicht auf die Mündigkeit Amyntas’ warten zu müssen: Philipp wurde spätestens 356 v. Chr. von der Heeresversammlung zum neuen König akklamiert. Offenbar fürchtete er seinen Neffen auch später nicht als Rivalen, denn er ließ ihn nicht nur unbehelligt, sondern gab ihm zudem seine Tochter Kynane, die Audata 358 v. Chr. zur Welt gebracht hatte, zur Frau. Indem er ferner die Pagenausbildung intensivierte und damit einen wertvollen Pfand für Untertanentreue besaß, stand seine Herrschaft nach

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wenigen Jahren innenpolitisch auf einem recht soliden Fundament. Die Athener waren zu dieser Zeit nicht in der Lage, Philipps Offensiven im Norden effektiv entgegenzuwirken. 357 v. Chr. war der Bundesgenossenkrieg ausgebrochen, der zwei Jahre später damit endete, dass der Großkönig Artaxerxes III. Ochos drohte, die Rebellen mit dreihundert Schiffen zu unterstützen, und die Athener daher anerkennen mussten, dass die wichtigen Mitglieder Byzantion, Chios, Rhodos, Kos und andere – insgesamt etwa die Hälfte – für den Bund verloren waren. Entsetzt müssen sie zu Beginn des Krieges gewesen sein, als sie erfuhren, dass Philipp die einst von ihnen gegründete, zuletzt freie Stadt Amphipolis in Westthrakien, am Ostrand der Chalkidike gelegen, belagert und eingenommen hatte. Hier war 422 v. Chr. in einer Schlacht mit den Athenern der spartanische General Brasidas gefallen, dem als einem von wenigen Menschen bis zu diesem Zeitpunkt heroische Ehren zuteil geworden waren. Die Amphipoliten stellten Alexander später eine eigene Kavallerieeinheit, und in ihrer Stadt endete mit der Ermordung von dessen gleichnamigem Sohn 311/10 v. Chr. die männliche Linie der Argeaden-Dynastie. Da Amphipolis ein wichtiger Ausfuhrhafen für Edelmetalle und Erze aus dem etwas weiter östlich gelegenen Pangaion (Pangeo-Gebirge) und für Holz war, beharrte Athen auf seinen alten Ansprüchen und schürte den Konflikt mit Makedonien. Über die dortigen Gold- und Silberminen gewann Philipp nur einige Monate später die Kontrolle. Sie brachten ihm jährlich angeblich eintausend Talente – sechs Millionen Drachmen – ein. Der Abbau brachte und ermöglichte ihm, der sich sehr um Modernisierung kümmerte, einen enormen Wirtschaftsaufschwung und die Rekrutierung etlicher Söldner. Mit eintausend Talenten hätte

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er ca. 15 000 Hopliten ein Jahr lang bezahlen können. Seine Münzen waren bald überall und noch in hellenistischer Zeit großräumig in Umlauf. Sie förderten beizeiten sowohl sein Ansehen als auch den Argwohn vieler Griechen, vor allem Athener. Der Makedonierkönig gründete etwas weiter östlich anstelle der erst kurz zuvor errichteten griechischen Kolonie Krenides die Stadt Philippoi (Philippi), wo in der Schlacht von 42 v. Chr. Marcus Antonius und Octavian die Caesarmörder Cassius und Brutus schlugen und Paulus knapp hundert Jahre danach eine Gemeinde errichtete, und schob kurz darauf seine Ostgrenze bis zum Nestos (Mesta) vor. In den neu „erworbenen“ Kolonien siedelte er Makedonier, aber auch Griechen an, band sie durch großzügige Landverteilungen an sich und machte sich ihre Waffengewalt und die Vorzüge hellenischer Kultur zunutze. Die zweite berühmte Stadt, die Philipp (342 v. Chr.) gründete, war Philippopolis, das heutige Plovdiv in Bulgarien. Die Sitte, Städte nach sich selbst zu benennen, stammte aus dem Orient. Philipp, der auch in anderen Bereichen der Politik persische Praktiken benutzte, und noch mehr sein Sohn Alexander übernahmen sie als erste westliche Herrscher. Bereits um 350 v. Chr. kontrollierte der Argeade große Teile der Küste Makedoniens und Thrakiens und erschwerte Athen damit den Einfluss auf das nordägäische Festland. Die zerstrittenen thrakischen Stämme, von denen zum Beispiel der Fürst Kersobleptes mit Athen verbündet war, unterwarf Philipp in den folgenden zehn Jahren. Bereits zu Beginn seiner Herrschaft hatte er sich darum gesorgt, Makedonien einen besseren Zugang zum Meer zu verschaffen. Vor allem die nahen athenischen Besitztümer waren seinen Landsleuten, aber auch den mit ihm verbündeten Olynthiern ein Dorn im Auge. 356 v. Chr., im Jahr von Alexanders Geburt,

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fielen Pydna (in Pierien) und Poteidaia am Eingang zur westlichen Halbinsel der Chalkidike in seine Hände. Mit den Athenern hatte es zwar wahrscheinlich Verhandlungen gegeben, die vorsahen, dass Philipp ihnen Amphipolis auslieferte und im Gegenzug Pydna bekäme; allerdings hatte Athen die Macht über diese Stadt schon vor Jahren eingebüßt. Als Philipp dann auch Pydna eingenommen hatte, war die in der Forschung umstrittene Abmachung ohnehin hinfällig. Poteidaia wurde zerstört, das Gebiet Olynth zugesprochen. 354 folgte Methone, ebenfalls in Pierien gelegen. Nach einer Intervention in Thessalien, wo Philipp über das Haus Pherai gesiegt hatte, rückte er gegen die ihm feindlich gesinnte Stadt vor. Bevor er sie einnehmen konnte und zerstören ließ, erlitt der waghalsige König während der monatelangen Belagerung die wohl schwerwiegendste seiner sieben Kriegsverletzungen: den Verlust eines Auges. Der binnen weniger Jahre beachtlichen Expansion Makedoniens hatten nicht nur Sparta und Athen, sondern auch Theben nicht viel entgegenzusetzen. Zwar verfügte die führende Polis des Böotischen Bundes nach wie vor über ein schlagkräftiges Heer, und ihre Elitetruppe, die Heilige Schar aus angeblich 150 homosexuellen Paaren, galt als ungeschlagen. Die Thebaner belastete jedoch der skandalöse sogenannte 3. Heilige Krieg (355–346 v. Chr.), der für Philipp der Schlüssel zur Machtentfaltung im griechischen Mutterland war: Die Phoker hatten wegen eines Streits mit den Thebanern und anderen Nachbarn um heiliges Land, das sie bebaut hatten, das berühmte Orakel von Delphi eingenommen. Sie raubten dessen Schätze und bauten damit eine Söldnerarmee auf. Da sie jedoch mit Athen und Sparta verbündet waren, erklärte die delphische Amphiktyonie, der Schutzbund Delphis aus

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zwölf Stämmen, zu dem auch die drei Poleis zählten, den Phokern erst ein Jahr darauf den Krieg. Nach anfänglichen Siegen unterlagen die Phoker den Böotiern, ihr Feldherr Philomelos beging Selbstmord. Doch waren sie damit keineswegs geschlagen, bedrohten vielmehr das mit Theben und der Region Lokris verbündete Thessalien. Die Aleuaden in Larissa wandten sich händeringend an Philipp, da ihre Widersacher von Pherai mit den Invasoren paktierten. Wieder einmal eilte Makedonien anderen Kräften zu Hilfe, doch diesmal sollte es sich erheblich auszahlen. Zunächst erlitt Philipp zwei Niederlagen gegen die Phoker und zog sich zurück. Ein Jahr darauf, 352 v. Chr., unternahm der Argeade erneut einen Angriff und besiegte die Phoker in der Schlacht auf dem Krokusfeld westlich des Golfs von Pagasai vernichtend. 3000 „Tempelräuber“ ließ Philipp angeblich im Meer ertränken. Dieser Sieg bescherte ihm nicht nur die Macht über Pherai – zu dieser Zeit oder 346 v. Chr. hat er wahrscheinlich Nikesipolis geehelicht –, sondern auch das höchste Staatsamt Thessaliens, tagos und spätestens nach seiner administrativen Neuordnung 344 v. Chr. archon genannt. Er verfügte somit über Thessaliens finanzielle Mittel, vor allem aber über die begehrte Reiterei. Im nächsten Zug versuchte Philipp nach Phokis vorzudringen, doch die Athener, welche die Schlacht verpasst hatten, versperrten nun die Thermopylen. Der Makedonierkönig, der noch lange eine direkte Konfrontation mit Athen zu umgehen suchte, zog sich zurück und konzentrierte sich in den folgenden Jahren auf Ostthrakien. Bereits 351 v. Chr. schloss Philipp einen Vertrag mit Perinth(os) (heute Marmara Eriglisi, Türkei) und Byzantion, den bedeutenden Poleis am Marmarameer bzw. Bosporos, um sich einen

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Zugang zum Schwarzen Meer zu verschaffen, und dehnte seinen Einflussbereich zudem bis an die Adria aus: Er entmachtete den molossischen König Arybbas, den Onkel von Olympias, der nach Athen flüchtete, und brachte ihren Bruder Alexander auf den Thron. Letzterer setzte 334 v. Chr. in Absprache mit Alexander, der selbst zu seinem großen Feldzug in entgegengesetzte Richtung aufbrach, nach Italien über, um die dortigen Griechenstädte gegen die italischen Stämme zu unterstützen, und fiel später dort. Die Expansion der Makedonier hatte Olynth – die Heimatstadt von Alexanders unglücklichem Historiografen Kallisthenes – und den Chalkidischen Bund inzwischen zum Abfall und – allerdings zu spät – in ein Bündnis mit Athen, dem bisherigen Feind, gedrängt. Die Athener waren aber durch den Abfall der Insel Euboia – verursacht durch promakedonische Kräfte – verhindert, konzentriert im Norden zu intervenieren. Umrahmt von Makedonien, musste die Chalkidike früher oder später in Philipps Visier geraten, der die Küste für sich vollends sichern wollte. Als offizieller Anlass für den Angriff auf Olynth diente ihm die Mitteilung, dass sich zwei Halbbrüder, Rivalen um den Thron also, dort aufhielten. Als die Olynthier ihre Auslieferung ablehnten, ließ Philipp die Stadt monatelang belagern. Wie zuvor Stageira, die Heimatstadt des Aristoteles im Nordosten der Halbinsel, wurde sie nach der Einnahme durch Verrat 348 v. Chr. zerstört. Chares war zu spät gekommen; ihn hatten die Etesien – der Meltemi, ein kontinentaler Sommerwind aus Norden – aufgehalten. Die Invasoren verkauften die Einwohner in die Sklaverei. Der Chalkidische Bund war zerschlagen, die ägäische Nordküste flächendeckend in makedonischer Hand. In Griechenland tobte währenddessen der Heilige Krieg

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weiter. Die Phoker unterlagen in den folgenden Jahren mehrfach den Böotiern und mussten hinnehmen, dass das eigene Land verwüstet wurde. Nichtsdestotrotz waren sie aufgrund des Tempelraubes immer noch in der Lage, Söldner anzuheuern und zurückzuschlagen. 346 v. Chr. aber entschloss sich ihr zuvor abgesetzter Feldherr Phalaikos, dem auf Bitten der Böotier erneut vorrückenden Philipp gegen freien Abzug seine Heimat auszuliefern, und blockierte vor den entsetzten Athenern die Thermopylen. Der Rat der Amphiktyonen beendete den Krieg offiziell und verurteilte die Phoker in Abwesenheit Athens zur Zahlung von 10 000 Talenten, die sie in den kommenden Jahrzehnten band. Die entwaffnete Bevölkerung verteilte man auf Dörfer (Dioikismos). Philipp lehnte immerhin die in der Amphiktyonie geäußerte Forderung ab, alle Phoker hinzurichten, denn er war wie der Großkönig an der Wahrung eines weitgehenden Gleichgewichts interessiert. Sein Heer allein war tatsächlich in der Lage gewesen, den Krieg zu beenden. Makedonien hatte wieder einmal ausgeholfen, aber nicht zum Nutzen der Thebaner. Die waren nach zehn Jahren Krieg gegen die Phoker zermürbt. Philipps „Entschädigung“ hingegen war sensationell, in den Augen seiner Gegner jedoch skandalös: Die Amphiktyonen übertrugen dem Makedonier, der für viele ein „Barbar“ blieb, die beiden phokischen Stimmen im Rat. Sparta wurde ausgeschlossen und Thessalien – dessen archon Philipp war – als neues Mitglied aufgenommen. Noch im selben Jahr leitete er die Pythien, nach Olympia die wichtigsten gesamtgriechischen Spiele. Die Ehrungen waren nicht nur in symbolischer Hinsicht von höchster Bedeutung, sondern auch in politischer. Als Vorsitzender der Amphiktyonie war Philipp quasi zum mächtigsten griechischen Staats-

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mann geworden. Die hellenische Welt war spätestens seit diesem Zeitpunkt ohne seine Mitbestimmung nicht mehr vorstellbar. Das hatte sich zum einen im kurz zuvor geschlossenen Frieden des Philokrates gezeigt. Darin hatten die Athener den aktuellen Besitzstand Philipps anerkannt. Sie behielten nur die thrakische Chersones, die türkische Halbinsel Gallipolli, mit Ausnahme der bald umkämpften Stadt Kardia. Chares hatte das stategisch wichtige Sestos, die Übergangsstelle über den Hellespont (Dardanellen), die auch Alexanders Heer später nutzte, 353 v. Chr. auf brutale Weise eingenommen und damit den Konflikt mit Philipp weiter geschürt. Mit dem Philokratesfrieden wurde Makedoniens Grenze endgültig an den Nestos, der noch heute die Grenze zwischen den Regionen „Makedonien“ und „Thrakien“ markiert, vorgeschoben. Ansonsten war Philipp in der Lage gewesen zu bestimmen, dass vor allem die Phoker, das thrakische Teilreich des Kersobleptes und die Stadt Halos südlich von Pherai vom Friedensabkommen ausgeschlossen blieben. Genau gegen diese ging er bald darauf rigoros vor und erschwerte damit seinerseits das Verhältnis zu den gekränkten Athenern, die ungewohnterweise keine Gesandten zu den Pythien schickten. Zum anderen wurde der panhellenische Gedanke eines Rachefeldzugs gegen Persien, der seit den Perserkriegen anscheinend nie ganz erloschen war und propagandistisch aufrechterhalten wurde, nun nicht mehr an frühere Hoffnungsträger wie Athen oder Sparta, sondern eben an Philipp adressiert. Isokrates rief ihn, den „Henker“ der phokischen Tempelräuber, mehrfach dazu auf, die Griechen in den Kampf gegen das Perserreich zu führen, dessen Großkönig Xerxes seinerzeit nicht nur einen Tempel beraubt, sondern etliche zerstört hatte. Die Frage ist, wie ernst der athenische Redner derartige Wünsche tatsächlich genommen hat. Für

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viele Griechen muss dieses hoch gesteckte Ziel, in das unbekannte, riesige Reich einzufallen, bloß eine Idee gewesen sein – trotz des Zuges der Zehntausend oder verschiedener Racheversuche, vor allem Agesilaos’ Anfangserfolgen. Möglich, dass Philipp mit derartigen Gedanken spielte, doch wurde ihm auch nachgesagt, er habe die Kräfte seines Königreichs nicht überstrapazieren wollen – im Gegensatz zu seinem Sohn, der es später auf die Spitze treiben sollte. Auch von Seiten des Perserkönigs sind für die Zeit vor 345 v. Chr. keinerlei Feindseligkeiten gegenüber den Makedoniern nachweisbar, im Gegenteil: Solange die Athener ihre Machtambitionen am Westzipfel des persischen Reichs nicht aufgaben, kam Philipps Agitation Artaxerxes durchaus gelegen. Die beiden Mächte schlossen 344/43 v. Chr. sogar einen Nichtangriffspakt, sodass sich der Achämenide auf die Wiedereroberung Ägyptens und der Argeade auf die weitere Eroberung Thrakiens mit der endgültigen Unterwerfung des Fürsten Kersobleptes konzentrieren konnte. Er verleibte Thrakien ein Jahr später zwar nicht seinem Reich ein, ließ es jedoch fortan als tributpflichtiges Protektorat von einem Strategen kontrollieren. Neben den regelmäßigen Abgaben mussten die Einwohner bei Bedarf Truppen stellen. Das Blatt scheint sich Ende der 340er-Jahre abrupt gewendet zu haben, als nun Philipp selbst mit seiner Expansion nördlich des Marmarameeres dem Achämenidenreich gefährlich nahe rückte und zudem ein militärisches Bündnis mit Hermias, dem Tyrannen von Atarneus und Assos in Äolien – östlich von Lesbos –, geschlossen hatte, der aber kurz darauf von dem in persischen Diensten stehenden Rhodier Mentor gefangen gesetzt und im fernen Susa hingerichtet wurde. Der Perserkönig sah sich veranlasst, jegliche weitere Machtzunahme Philipps zu verhindern,

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indem er in gewohnter Manier verfuhr: Er ließ dessen Rivalen Geldmittel zukommen. In diesem Fall war dies vor allem Athen, das noch zu Zeiten des Bundesgenossenkrieges mit den Persern verfeindet gewesen war. Makedoniergegner wie Demosthenes hatten die Bestimmungen des Philokratesfriedens längst verworfen und eine von Philipp angebotene Aktualisierung abgelehnt. Angesichts der Tatsache, dass Makedonier und Sympathisanten erneut auf Euboia, im westlich gelegenen Akarnanien und auf Teilen der Peloponnes agierten, gewann der berühmte Redner gegenüber seinen Gegnern Eubulos und Aischines zunehmend an Macht. Doch noch war die alte Feindschaft mit Theben zu groß, als dass er ein Bündnis verwirklichen konnte. Dafür stimmten die Athener der Gründung des Euböischen Bundes zu, um ein weiteres Einmischen Philipps zu verhindern, und gewannen andere Stadtstaaten hinzu. Nachdem Philipp im Jahr 340 v. Chr. den Bau einer makedonischen Flotte vollendet hatte, griff er Perinth an, mit dem er zuvor verbündet gewesen war. Seine Belagerung schlug trotz modernster Maschinen fehl, weil die Stadt von Byzantiern und den persischen Satrapen im westlichen Kleinasien unterstützt wurde. In dieser Intervention ist ein geeigneter Anlass für den baldigen Krieg gegen die Perser zu sehen. Den parallelen Angriff auf das mächtige, stark befestigte Byzantion am Bosporos musste Philipp zwar ebenfalls nach einigen Monaten abbrechen, doch traf er die Athener an ihrer wohl empfindlichsten Stelle – der Getreidezufuhr aus dem Schwarzmeerraum: Die Makedonier kaperten mehr als zweihundert Transportschiffe, die für die Metropole bestimmt waren. Die Athener erklärten Philipp den Krieg; zwei Flotten unter Chares und Phokion wurden in den Norden entsandt.

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Philipp zog seine Truppen Anfang 339 v. Chr. vom Marmarameer ab und führte sie in den Nordosten Thrakiens und in einen Sieg gegen die Skythen in der Nähe des Istros (Donau) – ein schwacher Ausgleich für die misslungenen Belagerungen im Süden, vor allem weil sich auch auf dem Rückweg zeigte, dass der Nordosten nicht befriedet war: Die Triballer, ein mit den Thrakiern verwandter Stamm, brachten den Makedoniern eine Niederlage bei. Einer ihrer Speere durchbohrte den Schenkel des Königs. Die Amphiktyonen sorgten inzwischen unbewusst dafür, dass Philipp die hoffnungslos zerstrittenen Griechen in Kürze endgültig beherrschen würde: Ein neuer Streit war ausgebrochen, da die Stadt Amphissa, in der ozolischen Lokris gelegen, heiliges Land für eigene Zwecke genutzt hatte. Unter Enthaltung Thebens und Athens übertrug der Rat Ende 339 v. Chr. Philipp den Oberbefehl über den bisher ergebnislosen Straffeldzug. Die Thebaner hatten sich in dieser Situation entschieden, den von Demosthenes ersehnten Bund mit den Athenern einzugehen. Diese waren in ihrer Panik großzügig: Sie erklärten sich nicht nur dazu bereit, den Thebanern den Oberbefehl zu Land zu überlassen, sondern obendrein zwei Drittel der Kriegsaufwendungen zu übernehmen. Die Alliierten versperrten die Thermopylen. Philipp siegte jedoch über eines ihrer Aufgebote und nahm Amphissa ein. Die Einwohner wurden auf Geheiß des Amphiktyonenrats kurz darauf auf Dörfer verteilt. Als der König daraufhin das phokische, strategisch wichtige Elateia besetzte, da er von dort aus ebenfalls nach Mittelgriechenland vordringen konnte, war der Konflikt perfekt. Eine friedliche Beilegung war spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Am 2. August 338 v. Chr. trafen beim westböotischen Chaironeia – dem späteren Geburtsort des Alexander-Biografen Plutarch (um 45–um 125) –

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seine zahlenmäßig leicht unterlegenen Truppen auf die etwa 35 000 Mann starke Allianz Böotiens, Athens, Megaras, Korinths, Achaias sowie anderer Regionen und Poleis. Die zahlreichen Kriege und Eroberungen der letzten zwanzig Jahre hatten Makedoniens Armee zu einer erprobten, professionellen Truppe geformt. Demosthenes, der an der Schlacht teilnahm und überlebte, hatte in einer Rede geklagt, Philipps Kriege seien unfair, da er die traditionelle „Winterpause“ nicht einhalte. Die Bürgersoldaten der verschiedenen Poleis waren es gewohnt gewesen, nach einem eher kurzen militärischen Konflikt spätestens zur Ernte heimzukehren. Diese Zeiten waren zwar seit Langem vorbei, doch selbst die Truppen des machtambitionierten Athens hatten seltener unter Waffen gestanden als die Makedonier, die nach Illyrien, Pannonien, Thrakien, Skythien, Epeiros, Thessalien und Mittelgriechenland marschiert waren. Ihr permanentes Training, ihre gefürchtete Phalanx mit den etwa fünf bis sechs Meter langen Lanzen, deren sehr effektive Zusammenarbeit mit den Gefährten oder der thessalischen Kavallerie – der „Kampf der verbundenen Waffen“ – sowie Philipps schiefe Schlachtordnung waren entscheidend. Als sich Teile der Infanterie, die der König rechts positioniert hatte, zum Schein zurückzogen, stürmten die Athener darauf zu, sodass eine fatale Lücke in den griechischen Reihen entstand. In diese drang die makedonische Getreuenreiterei unter Befehl des achtzehnjährigen Alexanders schlachtentscheidend ein. Während viele Griechen die Flucht ergriffen, hielt die Heilige Schar in Erfüllung ihres hohen Ehrenkodex aus. Ihre Kampfkraft mag noch so hoch gewesen sein – die 300 wurden von Alexanders Reiterei aufgerieben, angeblich bis auf den letzten Mann. Philipp soll beim Anblick der ihm gut bekannten ausgelöschten

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Elitetruppe sehr betrübt gewesen sein. Danach zerbrachen die Gefährten die athenischen Reihen. Der Sieg der Makedonier über den Hellenenbund war vernichtend: Allein von den Athenern waren 1000 Mann gefallen und 2000 in Gefangenschaft geraten. Dennoch verhielt sich Philipp der mächtigsten und symbolträchtigsten griechischen Polis gegenüber gnädig. Sie wäre zum einen zweifellos schwer einzunehmen gewesen, zum anderen scheint der Argeade unter anderem mit ihrer riesigen Flotte geliebäugelt zu haben. Sofort nach der Schlacht schickte er seinen General Antipatros/Antipater und Alexander dorthin, um die Friedensbedingungen zu stellen. Der Attische Seebund wurde aufgelöst; die Athener mussten Ostthrakien aufgeben, durften jedoch ihre wichtigen Siedlungsgebiete (Kleruchien) Samos, Delos, Imbros, Lemnos und Skyros und die Flotte – eine Gesamtbesatzung von ca. 30 000 Mann – behalten. Sparta hatte weder an der Schlacht teilgenommen, noch unterwarf es sich Philipp. Dieser musste jedoch gar nicht gegen die einstige Macht direkt vorgehen, sondern bewies seine Überlegenheit kurzerhand, indem er Teile Lakoniens, des Umlands von Sparta, an einige Nachbarstaaten und -bünde abtrat. Besonders hart aber traf es die Thebaner: Wie in drei anderen Städten hinterließ Philipp auf der Kadmeia, der alten Königsburg, auf der die Heilige Schar stationiert gewesen war, eine makedonische Besatzung. Die Stadt unterstand ab sofort aus der Verbannung zurückgekehrten Anhängern Philipps, verlor ihre Vorrangstellung im Böotischen Bund und musste hinnehmen, dass mit ihr einst rivalisierende Städte wiedergegründet wurden. Philipp hatte es nicht nötig, vielerorts Truppen zu hinterlassen, denn oft hatte sich inzwischen die promakedonische Partei durchgesetzt. Auch blieben verschiedene Städtebünde bestehen

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und förderten zugunsten der Makedonier das griechische Kräftegleichgewicht. Er versuchte sich als Partner, nicht als Eroberer zu präsentieren. Letztlich zwang er die Griechen jedoch zu einer Symmachie, dem neuen Korinthischen Bund – ausgenommen Sparta. Der damit erneut geschworene Allgemeine Frieden, der in den Jahrzehnten zuvor mehrfach kläglich gescheitert war, fand in dem Argeaden einen recht zuverlässigen, da mächtigen Gewährsmann. Als Führer des Bundes, vor allem aber als Oberbefehlshaber in jeglichem Kriegsfall konnte Philipp die Griechen also indirekt kontrollieren, ohne dass er oder Makedonien darin Sitz und Stimme hatten! Korinth erschien ihm nicht nur aufgrund seiner strategisch wichtigen Lage am Übergang zur Peloponnes als der geeignetste Ort für die Tagungen des Synhedrions, des Bundesrats. Die Stadt war bereits Zentrum des Hellenenbundes zur Abwehr der Perser gewesen und daher auch von hoher symbolischer Bedeutung. Die weitgehende Loyalität der Mitglieder garantierte den Erfolg des Persienfeldzuges, den Philipp als Nächstes plante. Auf der ersten Tagung, auf welcher der Bund manifestiert wurde, im Frühjahr 337 v. Chr., beschloss der Rat sogleich den Angriff unter dem allumfassenden Oberbefehl des makedonischen Königs als strategos autokrator. Dieser bereits bestehende Krieg, der schlichtweg ein Eroberungskrieg war, fungierte als weiteres Mittel, Philipps Kooperationsbereitschaft zu demonstrieren: Er versprach, die einst von den Lydiern, dann den Persern abhängigen und nur vorübergehend autonomen Griechenstädte in Kleinasien zu befreien und darüber hinaus die Griechen für die einstigen Zerstörungen durch die Perser zu rächen. Er griff nun also doch den als panhellenisch bekannt gewordenen Gedanken auf, der bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. bestan-

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den hatte, durch Isokrates aber erst etwa zehn Jahre zuvor wieder publik gemacht worden war. Der Tod Artaxerxes’ III. mag die Vorstellung der zum Krieg genötigten Griechen beflügelt haben, ein Sieg sei möglich, zumal davon ausgegangen wird, dass Philipp an eine Eroberung des westlichen Kleinasiens und nicht des gesamten Achämenidenreichs dachte. Ob der Angriff in den Augen der Bevölkerung tatsächlich nötig war, ist unklar. Die Zerstörungen durch Dareios und Xerxes waren für sie ein Sakrileg, doch lagen sie trotz der am Leben gehaltenen Erinnerungen eine „Ewigkeit“ zurück. Zudem war der Zusammenhalt der Städte allein im Mutterland äußerst schwach. Es bleibt zu fragen, wie dringend selbst Mutterstädte ihre Pflanzstädte befreien wollten, oder ob die alten Kolonien, denen die meisten Großkönige doch weitgehende Autonomie garantiert hatten, überhaupt eine neue, makedonische Oberhoheit wünschten. Genauso wie der propagierte Autonomiegedanke der Mitglieder des Korinthischen Bundes muss der Befreiungs- und Rachekrieg vielen als blanker Hohn erschienen sein, auch weil die triumphierenden Makedonier vielen Griechen verhasster gewesen sein mögen als der fern im Osten sitzende Perserkönig. Nicht Euphorie bewegte die Bundesmitglieder zur Zustimmung, sondern Philipps Schwert und Geld. Auch wenn der Hellenismus die klassische Zeit nicht mit einer Schlacht beendete, sondern in einem längeren, von vielen Faktoren und hellenisierten Herrschern wie Maussolos oder Philipp beeinflussten Prozess hervortrat, markiert die Schlacht von Chaironeia doch eine Zäsur in Hinsicht auf die politische Abhängigkeit der griechischen Poliswelt von zunächst einer, später mehreren „fremden“ Großmächten.

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Ein luxuriöses Refugium

Gefährten, Schildträger und Verbündete – die makedonische Armee Trotz einiger wichtiger Reformen in früherer Zeit scheint erst Philipp die Makedonier zu hoher Schlagkraft und Ausdauer geführt zu haben. Er erkannte verschiedene Stärken und Taktiken der thebanischen, thrakischen und thessalischen Streitkräfte und übernahm diese. Die Fußtruppen wurden spätestens zu seiner Zeit zu pezhetairoi (Gefährten zu Fuß) aufgewertet. Der Argeade verdreifachte ihre Zahl, ließ sie in tief gestaffelter Formation drillen und stattete sie unter anderem mit einer neuen, längeren und zerlegbaren Lanze, der Sarissa, aus. Fünf bis sechs Meter lang, ermöglichte sie noch dem Krieger in der fünften Reihe, über seinen Kameraden in der ersten hinauszuragen. Da die Sarissa beidhändig gehalten werden musste, schützten sich die pezhetairoi mit einem relativ kleinen Schild, der auf dem Oberarm oder der Brust hing. Zugleich bot der angeschrägte oder aufrechte Lanzenwald der hinteren Reihen einen gewissen Schutz vor Geschossen. Die Gefährten zu Fuß waren in taxeis – Regimenter, Brigaden oder Bataillone, über die passende moderne Bezeichnung lässt sich streiten – à 1500 Mann eingeteilt; sechs folgten Alexander nach Asien, sieben waren es später in Indien. Sie waren in täglicher Rotation oder nach Tüchtigkeit von rechts nach links positioniert. Die Offensivwaffe blieb die Reiterei, die traditionell mit Langspeer und Schwert bewaffneten Hetairenreiter, besonders unter Alexander. Wohl seit Philipp in Keilform angeordnet und im Laufe der Zeit verfünffacht, sollte sie die gegnerischen Reihen sprengen, während die pezhetairoi eher defensiv operierten und die feindliche Hauptmacht binden sollten. Die makedonische Kavallerie unter Alexander in Asien umfasste 1800 Reiter und war in Ilen (Schwadronen) mit jeweils über zweihundert Mann eingeteilt. Diese wurden wie die Gefährten zu Fuß jeweils aus Kriegern einer Region gebildet. Eine weitere, etwas größere Einheit war die königliche Schwadron (ile basilike oder agema) aus ausgewählten Männern aller Landes -

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teile, die meistens der König befehligte. In ihr kämpften auch die rund hundert eigentlichen Gefährten des Königs. Zu den Militärreformen während des Alexanderzuges zählte neben der Rekrutierung orientalischer Truppen die Umstrukturierung der Reiterei in mehrere sogenannte Hipparchien von je ca. 1000 Mann. Auch stellte Alexander neuartige Truppen auf, zum Beispiel berittene Speerwerfer, und schränkte geländebedingt den Gebrauch der Sarissa ein. Die 3000 Hypaspisten, die „Schildträger“, die wohl den „alten“ pezhetairoi entsprechen, sind erst für Alexanders Zeit sicher belegt. Diese Infanteristen waren zwischen Fußtruppen und Reiterei positioniert, um eine geschlossene Schlachtreihe zu gewährleisten. Die landesweit ausgesuchten Krieger ähnelten Hopliten, konnten aber auch verschiedene Spezialaufgaben wie Sturmangriffe erfüllen. Sie waren in drei Chiliarchien eingeteilt, von denen die königliche (agema) des Öfteren von diesem angeführt wurde. Im Heer dienten Spezialeinheiten aus Verbündeten oder Söldnern, oft auch griechischen Hopliten. Besonders Alexander nutzte ihre Vorzüge: Thrakier und Paionier, darunter die Agrianen, waren fähige Pioniere, Speerwerfer und Reiter, die für Flankenschutz, Geplänkel oder Aufklärung geeignet waren. Die thessalische Reiterei schockte den Feind mit ihrem Angriff in Rhombenformation. Kretische Bogenschützen und rhodische Schleuderer waren schon oft in griechischen Armeen eingesetzt worden. Philipp war ferner als Förderer der Belagerungskunst bekannt; auch sein Sohn machte kräftig Gebrauch von modernsten Türmen, Rammböcken, Steinschleudern und Pfeilkatapulten mit dem neuartigen Torsionsantrieb. Der einäugige König hatte Alexander ein riesiges professionelles Heer vererbt: gut 4000 Reiter und 30 000 Fußkämpfer. Die Waffengattungen konnten eigenständig oder im Verbund agieren; Experten sorgten für tödliche Präzision. Ohne diese Unterstützung sowie die Loyalität der athenischen Flotte – Philipp hatte nur eine kleine makedonische Flotte erbauen lassen – würde der Persienfeldzug ins Wasser fallen.

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Ein viel versprechender Prinz

Alexandros wurde wahrscheinlich im Juli 356 v. Chr. geboren. Für Philipp, der zu dieser Zeit seine Herrschaft gefestigt hatte und soeben mit der Eroberung Poteidaias beschäftigt war, war es ein sehr erfolgreicher Moment, denn neben der Geburt seines zweiten Sohns hatte sein Pferd bei den Olympischen Spielen gewonnen und Parmenion einen Sieg über eine illyrisch-thrakische Allianz errungen. Der angeblich zeitgleiche Brand des Artemistempels in Ephesos – eines der sieben Weltwunder – scheint hingegen eine der vielen späteren Anekdoten über Alexanders Leben und Charakter zu sein, die erheblich zu seiner bald einsetzenden Mystifizierung beitrugen. Die antiken Autoren haben zudem ein recht negatives Bild von Alexanders Mutter Olympias gezeichnet. Mag sie äußerst leidenschaftlich und intrigant gewesen und über Leichen gegangen sein – derartige Eigenschaften verweisen auf das raue Umfeld, das sie zwang, erbarmungslos gegen Rivalinnen und Rivalen vorzugehen. Darin standen ihr die hellenistischen Prinzessinen und Königinnen, von ihren männlichen Verwandten gar nicht zu sprechen, in nichts nach. Es erscheint auch nachvollziehbar, dass Olympias’ Hang zum Religiös-Mystischen, der angeblich fanatische Züge hatte, bei ihrem Sohn, der eine starke Bindung an sie hatte, den für viele irrational wirkenden Drang zu schier unmöglichen Taten ausgeprägt hatte. Nur so konnte er Herakles und Achilleus, seine Vorväter, übertrumpfen. Allerdings hielt keineswegs nur seine Mutter, sondern Alexanders gesamtes Umfeld die alten Mythen von den Heroen und den Göttern wie Zeus oder Dionysos, dem Gott der Ekstase und des Weines, für real. Ab seinem sechsten Lebensjahr erhielt der

Ein viel versprechender Prinz

Prinz wie die meisten Söhne aus dem Hochadel umfassenden Unterricht und sportlichen Drill am königlichen Hof. Einer seiner Lehrer, der Akarnanier Lysimachos, der später am Feldzug seines Schülers teilnahm, brachte ihm die klassischen Werke der Griechen nahe. Natürlich lernte Alexander dabei auch Homers Epen mit ihrer Vielzahl an Heroen, besonders mit seinem mutmaßlichen Vorfahr Achilleus, kennen. Lysimachos nannte Philipps eher kleinen, aber zähen, geschickten, intelligenten und wissbegierigen Sohn „kleiner Achilleus“ und bediente sich selbst der Rolle des Phoinix – im Mythos der Mentor des Helden. Philipp galt als Peleus, der „ordnungsgemäße“ Vater. Es spricht für den guten Ruf von Philipps Hof, dass Ende der 340er-Jahre einer der einflussreichsten Philosophen der Antike in seine Dienste trat: der Platonschüler Aristoteles. Dessen Vater war bereits Arzt von Philipps Vater Amyntas III. gewesen. Er selbst hatte einige Jahre zuvor für Hermias von Atarneus gearbeitet und übernahm 343/42 v. Chr. die anspruchsvolle Aufgabe, den jugendlichen Alexander mit anderen hochadeligen Jünglingen, die teilweise eine lebenslange Freundschaft mit dem Prinzen verband, allen voran Hephaistion, weiterzubilden. Der Unterricht fand in einem Nymphäum bei Miëza – nahe dem heutigen Naoussa – statt. Über das genaue Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler ist nichts bekannt; mit Sicherheit gab es bereits zu dieser Zeit Diskrepanzen, die sich später verschärften, vor allem in politischer Hinsicht. Eine von Aristoteles edierte „Ilias“ hingegen führte Alexander später ständig mit sich; er soll sie zusammen mit einem Dolch unter seinem Kopfkissen aufbewahrt haben. Der Philosoph wird den Trieb zu großen Taten bei dem für die Mythen sehr empfänglichen Alexander also ebenfalls beflügelt haben.

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Der Unterricht bei Aristoteles endete spätestens 340 v. Chr., als Philipp nach Perinth und Byzantion aufbrach und Alexander beauftragte, die Staatsgeschäfte an seiner Stelle zu führen. Der 16-jährige meisterte die damit verbundenen wichtigen Aufgaben, unter anderem einen Empfang persischer Gesandter. Sein Vater hielt auf seinen einzigen regierungsfähigen Sohn offenbar große Stücke – Arrhidaios, der Sohn Philinnas, hatte eine geistige Behinderung. Nur unter des Vaters Duldung kann Alexander gegen den aufständischen thrakischen Stamm der Maider gezogen sein und sich die ersten übermenschlichen Ehren gesichert haben, indem er einen Ort nach seinem Namen anlegen ließ: Alexandropolis. Erst kurz zuvor hatte sein Vater Philippopolis gegründet. Der ehrgeizige Sohn wird sich zumindest insgeheim bald mit seinem Vater verglichen haben: Es heißt, er habe geklagt, dass aufgrund des großen Erfolgs Philipps ihm nichts davon übrig bleibe. Wie erwähnt, bewährte er sich auch in der Schlacht von Chaironeia und brachte zusammen mit Antipatros, der sicherlich als erfahrene Unterstützung fungierte, die athenischen Gefangenen zusammen mit den Friedensbedingungen ins friedenswillige Athen. Dort wurden sowohl der König als auch sein Sohn sowie der General mit dem athenischen Bürgerrecht geehrt. Es ist nicht sicher, ob Philipp für Alexander ein Kommando im Invasionsheer vorsah oder ob er ihn wieder als Stellvertreter in der Heimat lassen wollte, diesmal für eine weitaus längere Zeit. Nichts von beidem wurde verwirklicht, denn drei schwere Krisen erschütterten die königliche Familie. Der große Krieg verzögerte sich.

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Polygamie mit schlimmen Folgen

Ausgerechnet im Jahr des offiziellen Beschlusses, in das durch Thronwirren geschwächte Achämenidenreich einzumarschieren, zeigte sich, wie anfällig die Dynastie der Argeaden selbst sein konnte. Philipp heiratete zu dieser Zeit die junge Makedonierin Kleopatra, der eine große Ehre zuteil wurde: Sie nahm den Namen der Königsmutter Eurydike an. Kleopatra-Eurydike war die Nichte des hochrangigen Offiziers Attalos, auf dessen Loyalität der König angewiesen war. Das Hochzeitsfest endete katastrophal: Der stolze Attalos gratulierte Philipp lautstark, dass er nun auf einen wahren, da rein makedonischen Erben hoffen konnte. Damit beleidigte er vor allem Olympias und Alexander, der, von Stolz und Eifersucht getrieben, Attalos mit einem Becher bewarf. Philipp wollte auf seinen Sohn losgehen. Volltrunken, wie er war, stürzte er jedoch. Alexander äußerte sich abfällig und verließ den Saal. Zusammen mit Olympias sowie engen Vertrauten ging er an den Hof von deren Bruder Alexander in Epeiros. Kurz darauf zog er ohne seine Mutter, aber zweifellos mit Gefolge nach Illyrien – ob ohne oder mit Philipps Einverständnis, ist unklar. Den König muss dieser Zwischenfall schwer belastet haben. Er traf ihn persönlich, denn seine Macht nützte hier nicht viel, sondern konnte darunter nur leiden. Philipps Berater, der Korin ther Demaratos, konnte zwar Alexanders Heimkehr Anfang 336 v. Chr. und die offizielle Aussöhnung mit dem Vater erwirken, doch blieb das Verhältnis belastet. Eine rasche Wiederbegegnung mit dem Alexander unheilbar verhassten Attalos blieb aus, da dieser mit Parmenion zusammen den Befehl über ein Vorauskommando erhielt, das zu Jahresbeginn in Kleinasien einmarschierte. Philipp wollte mit den Bundesgenossen nachkommen.

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Die Vorhut verzeichnete zunächst klare Erfolge und drang bis Ephesos und Magnesia vor. Dort unterlag sie jedoch persischen Einheiten und griechischen Söldnern unter dem Befehl des Rhodiers Memnon. Dessen Frau Barsine, die Witwe seines Bruders Mentor, war die Tochter des persischen Satrapen Artabazos. Zu allen hatte Philipp einst gute Beziehungen unterhalten, denn Artabazos hatte Ende der 350er-Jahre gegen Artaxerxes rebelliert und unter anderen mit Barsine und Memnon in Pella Zuflucht gesucht. Sie wurden später dank Mentors großem Einfluss rehabilitiert. Parmenion musste sich bis in den äußersten Nordwesten der Troas (Landschaft um Troja) zurückziehen. Die dort erwartete Verstärkung blieb bis auf Weiteres aus; Parmenion wurde gegen Ende 335 v. Chr. nach Pella abberufen. Im Jahr 337 oder 336 v. Chr. soll es zu einem weiteren Konflikt zwischen Vater und Sohn gekommen sein, doch sind Historizität und Datierung umstritten. Nur der Alexanderbiograf Plutarch berichtet, dass der karische Satrap Pixodaros den Wunsch geäußert habe, sich mit den Argeaden zu verschwägern, woraufhin eine Ehe seiner Tochter Ada und Arrhidaios in die Wege geleitet werden sollte. Alexander habe davon erfahren und sich selbst bei Pixodaros als die „bessere Partie“ beworben. Die Verlobung sei geplatzt und der aufgebrachte Philipp habe die engsten, später namhaften Freunde seines Sohnes, Nearchos, Harpalos, Laomedon, Erigyios und Ptolemaios, verbannt. Möglicherweise gehört die Verbannung in den Kontext der geschilderten Hochzeit. Die weit größere Sorge Alexanders, aus der Verbindung Philipps mit Kleopatra-Eurydike könnte ein Sohn und damit ein möglicher Thronprätendent hervorgehen, blieb vorerst unbegründet – sie gebar eine Tochter namens Europe. Um vielleicht eine Versöh-

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nung mit der nach wie vor hasserfüllten Olympias zu erreichen oder aber ihren Einfluss ganz zu brechen, bot Philipp ihrem Bruder Alexander die Hand ihrer beider Tochter Kleopatra, dessen Nichte also, an. Die Hochzeit wurde im Sommer oder Herbst 336 v. Chr. in Aigai gefeiert. Philipp leistete professionelle Öffentlichkeitsarbeit: Er ließ sich bei einer Prozession symbolisch als 13. olympischer Gott feiern, indem er neben den zwölf entsprechenden Götterstatuen eine von sich selbst präsentieren ließ. Tausende Zuschauer im Theater, darunter viele Griechen, erstarrten, als einer der Leibwächter, Pausanias, den König im Theater niederstach. Er floh, wurde aber eingeholt und entweder von einigen seiner Amtskollegen getötet oder erst später hingerichtet. Unabhängig davon blieb das Mordmotiv unklar und gab schon unter den Anwesenden Anlass zu wilden Spekulationen und Beschuldigungen. Allgemein hieß es, Pausanias habe sich an Philipp rächen wollen, da er nach einer unglücklichen Liebschaft von Attalos’ Dienern vergewaltigt worden war, von Philipp aber keine Genugtuung erhalten hatte. Allerdings gerieten auch Olympias und Alexander, wie einige antike Autoren überliefern, in Verdacht. Olympias war der Hochzeit ihrer Tochter und ihres Bruders fern geblieben, kehrte aber bald nach dem Mord in die Heimat zurück. In Abwesenheit ihres Sohnes ließ sie nicht nur Pausanias ein opulentes Grab errichten und in aller Öffentlichkeit ein Opfer zu seinen Ehren vollziehen; sie weihte zudem die Mordwaffe dem Gott Apollon. Besonders grauenvoll ist ihr Befehl, die kleine Europe auf dem Schoß der unglücklichen Kleopatra-Eurydike zu töten und Letztere in den Selbstmord zu treiben. Zahlreiche Augenzeugen und Zeitgenossen müssen Alexander verdächtigt haben, zumindest von der Mordabsicht gewusst zu haben. Er war immer noch der Thronanwärter mit den besten

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Aussichten, doch bleibt die Frage, ob ein unauffälligerer Ort als das Hochzeitsspektakel nicht besser geeignet gewesen wäre, sich die Nachfolge zu sichern. Wie unangenehm die Szenerie für ihn sein musste, wenn er selbst mit dem Mord in Verbindung stand, zeigt sehr anschaulich der Monumentalfilm „Alexander der Große“ (1956) mit Richard Burton, der als Alexander den soeben gefassten Attentäter, der von ihm sehr angetan zu sein scheint, eigenhändig ersticht. Wie fatal wäre es für den MöchtegernThronfolger gewesen, wenn Pausanias beim Verhör seine Komplizenschaft ausgeplaudert hätte? Der Leibwächter kann auch aus politischen Gründen gehandelt und durchaus Mittäter gehabt haben, denn es sollen Fluchtpferde bereitgestanden haben. Sie könnten in lynkestischem, griechischem oder persischem Auftrag gehandelt und es zudem auf Alexander abgesehen haben. Nach dem Tod des Königs stellte sich unweigerlich die Frage, wer die Nachfolge antreten sollte. Der einflussreiche Antipatros unterstützte Alexanders Ambitionen, die Zustimmung des Adels zu erlangen und so schnell wie möglich am hiesigen Hof durch die Heeresversammlung inthronisiert zu werden. Mithilfe seines Einflusses und einer fesselnden Rede – ob spontan oder ausgearbeitet – gewann Alexander das Vertrauen der Makedonier. Er ließ Philipp ehrenvoll bestatten und versprach neben allgemeiner Steuerfreiheit, dessen Politik fortzuführen. Doch noch als König lief er große Gefahr, Opfer im Kampf um die Krone zu werden.

Säuberungsaktionen

Säuberungsaktionen

Wieder einmal sicherte sich ein Argeade die Herrschaft, indem er Rivalen und deren Angehörige gnadenlos ausschaltete. Darüber hinaus flohen zahlreiche Oppositionelle aus Makedonien. Amyntas, der Freund Amyntas’ IV., zum Beispiel floh nach Persien und wurde Berater des neuen Großkönigs Dareios III. Besonders einiger Adliger wollte sich der König unbedingt entledigen. Er ließ sie binnen eines halben Jahres ohne viel Federlesen hinrichten oder ermorden. Drei Brüder aus dem immer noch mächtigen lynkestischen Adel verdächtigte Alexander, in die Ermordung seines Vaters verwickelt gewesen zu sein. Nur einer von ihnen, sein Namensvetter, entging der Hinrichtung während Philipps Beisetzung einige Tage nach dem Mord: Er hatte als einer der Ersten Alexander zum neuen König ausgerufen und war zudem Schwiegersohn des Antipatros, der ihm vielleicht dazu geraten hatte. Alexander Lynkestis diente zunächst sogar als Stratege Thrakiens und hatte dabei die wichtige Aufgabe, die Verbindungswege zwischen Kleinasien und Makedonien zu sichern. Während des Alexanderzuges kommandierte er die thessalische Reiterei. Unter schlecht zu rekonstruierenden Umständen teilte der Lynkeste schließlich das tragische Schicksal seiner Brüder: Alexander, inzwischen von Antipatros abgenabelt, ließ ihn 334/33 v. Chr. durch Parmenion verhaften, da ein persischer Agent ausgesagt hatte, sein Namensvetter sei vom Großkönig mit dem Mord an ihm beauftragt worden. Möglicherweise führten auch Briefe der Olympias zu seiner Inhaftierung, denn deren Beziehung zu Antipatros hatte sich verschlechtert. Der König ließ Alexander Lynkestis allerdings angeblich erst 330 v. Chr. hinrichten.

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Im Fall des Attalos handelte Alexander genauso hart: Er warf ihm Kollaboration mit Demosthenes vor und entsandte Auftragsmörder nach Kleinasien, die ihr Werk verstanden. Parmenion scheint den Mord jedoch erst ermöglicht zu haben, indem er Urteil und Vollstreckung billigte. Auch die Verwandten des Attalos fielen der Tilgungswut Alexanders zum Opfer. Hatte Philipp seinen Neffen Amyntas geschont, als Gesandten eingesetzt und durch die Ehe mit seiner Tochter Kynane sogar an sich binden wollen, so fühlte sich der äußerst misstrauische Alexander durch seinen neun Jahre älteren Cousin und dessen Anhänger stark bedroht. Wie auch seinen – historisch umstrittenen – Halbbruder Karanos ließ er Amyntas noch 336 v. Chr. hinrichten. Während seiner Abwesenheit waren Unterlagen aufgetaucht, die den Sohn Perdikkas’ III. als Verschwörer belasteten. Angesichts dieser erbarmungslosen Vorgehensweise, die sich später gegen die Argeaden selbst richtete, mag es überraschen, dass Alexanders Halbbruder Arrhidaios verschont blieb, selbst wenn der König von ihm offenbar keinen Anschlag auf sein Leben fürchtete. Alexander war in Eile. Bereits kurz nach seinem Regierungsantritt zog er nach Süden, um sich sämtliche Titel seines Vaters bestätigen zu lassen und den Perserkrieg zu ermöglichen. Die Erwartungen des makedonischen Adels und der von diesem Feldzug überzeugten Griechen an den Zwanzigjährigen waren enorm. Er durfte sie auf keinen Fall enttäuschen. Zudem war sein eigener Anspruch an sich zu hoch, als dass er dem Rat Parmenions und Antipatros’ Folge leisten wollte, erst einen Sohn zu zeugen, um die Nachfolge zu regeln, bevor er den riskanten Zug nach Kleinasien antrat. Alexander musste diese Mission meistern, um seiner hohen Abstammung gerecht zu werden.

Säuberungsaktionen

Die Situation in Griechenland war prekär, der Korinthische Bund wirkungslos. Verschiedene Stämme und Poleis, etwa die Aitoler und Thebaner, waren abgefallen und bereiteten sich zum Kampf gegen die Makedonier vor. Sogar in Thessalien regten sich ihnen feindlich gesinnte Kräfte und ließen den Pass ins Tempetal sperren, sodass Alexander auf Umwegen dort einmarschieren musste. Er berief sich auf seine Abstammung von Achilleus. Da dieser aus der Phthiotis stammte, befreite Alexander diese thessalische Landschaft von der Steuer. Sein militärischer Druck bewirkte auch, dass die Versammlung der Thessalier ihn zum archon ernannte. Die andere Machtbasis seines Vaters, die Vormachtstellung unter den Amphiktyonen, sicherte sich Alexander, als er kurz darauf bei den Thermopylen mit Gesandten des Bundes zusammentraf. Als sein Heer einschließlich der thessalischen Kavallerie nach Böotien vordrang, brach der Widerstand flächendeckend zusammen. Er gab sich der athenischen Gesandtschaft, die ihn erneut mit Ehrungen umgarnte, und den Thebanern gegenüber tolerant und verzichtete auf einen Angriff auf Ambrakia, dessen Einwohner die makedonische Garnison vertrieben hatten. Alexander zog an Athen vorbei nach Korinth. Der Rat des Korinthischen Bundes erneuerte die Bestimmungen des Vorjahres. Der Makedonier garantierte den Mitgliedern demnach weitgehende innere Autonomie und konnte den Kampf gegen die Perser als unabhängiger Bundesfeldherr antreten. Das legendäre Treffen mit dem Kyniker Diogenes vor der Stadt kann genauso gut erfolgt sein wie der Besuch des Delphischen Orakels auf dem Rückweg. Alexander soll die Seherin, die Pythia, zu einem Orakelspruch gezwungen haben. Ihre spontane, trockene, ohne betäubende Dämpfe auskommende, aber immer

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noch mehrdeutige Aussage, er sei „unwiderstehlich“, soll ihm genügt haben. Alexanders Auffassung, er sei zu Höherem bestimmt, tritt hier bereits zutage. Ende des Jahres erreichte er Pella und bereitete den Feldzug vor.

Gefährliche Revolten

Der Angriff auf Dareios musste jedoch erneut verschoben werden. Während der Winterpause trafen Meldungen über schwere Unruhen bei den Triballern und Thrakiern ein, denen der Makedonierkönig größte Aufmerksamkeit widmen musste. Seine Verbindungswege nach Kleinasien waren in Gefahr! Im Frühjahr brach er mit seinen Truppen von Amphipolis auf. Er überquerte den Hebros und zog von dort aus in nördlicher Richtung bis zum Haimosgebirge (Balkan), dessen Übergänge von Thrakiern besetzt waren. Weiter nordwestlich, am Lyginos (der nordbulgarischen Jantra oder Rossiza), siegten die Makedonier über ein Heer der Triballer. Der sich anschließende Zug zum nahen Istros muss längerfristig geplant gewesen sein, denn Alexander traf hier mit verbündeten Kriegsschiffen aus Byzantion zusammen. Es passte optimal zu einem Nachkommen des übermächtigen „Globetrotters“ Herakles, an diesen Ort, der das Ende der bewohnten Welt, der Oikumene, markierte, als „Erster“ vorgestoßen zu sein oder ihn gar überquert zu haben. Alexanders pothos soll sich hier erstmals deutlich gezeigt haben. Die Insel Peuke, auf die sich viele Triballer zurückgezogen hatten, konnte zwar nicht erobert werden, doch gelang die nächtliche Überquerung des Flusses mithilfe von Flößen aus spreugefüllten Zelthäuten. Die thrakischen Geten am Nordufer zogen es vor, sich in die Steppe zurückzuziehen. Alexander, der eine ihrer Städte zerstört

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hatte, war nicht daran interessiert nachzusetzen. Die unbekannte „Einöde“ galt als nicht bevölkert, dort einzumarschieren mithin als unsinnig. Er opferte dem Götter- und Heraklesvater Zeus, Herakles selbst sowie dem Flussgott (Istros) und zog sich zurück. Der Angriff auf den Riesen im Osten konnte jetzt, im Spätsommer, nicht mehr realisiert werden. Alexander erfuhr von einem großen Aufstand in Illyrien: Mehrere Stämme hatten sich verbündet und drohten ins westliche Makedonien einzufallen. Er nutzte den südwestlich verlaufenden Rückweg, indem er die Verträge des Vaters mit den Agrianen im Raum Sofia und später mit den Paioniern, deren Gebiete er passierte, erneuerte. Auf seinen Befehl hin griffen die Agrianen die Autarier, die unter anderem im heutigen Bosnien ansässig waren, an, während Alexander zur Festung Pelion südlich des Ochridsees eilte. Bardylis’ Sohn Kleitos hatte sie erobert und wartete auf die verbündeten Taulantier unter ihrem König Glaukias aus dem Norden. Diesen gefährlichen Zusammenschluss galt es zu unterbinden. Zunächst mussten die Makedonier von der Belagerung ablassen, da Glaukias’ Truppen ihnen im Nacken saßen. Der geschickt gesicherte Rückzug mithilfe von Stoßtrupps und Pfeilschleuder-Sperrfeuer während der riskanten Überquerung des Eordaikos (Devoll) gilt als militärische Glanzleistung Alexanders. Er gab sich zudem keineswegs geschlagen, sondern griff etwas später in der Nacht die Illyrier, die wahrscheinlich auf umfassende Aufklärung verzichtet hatten, an und zerstreute sie. Die Kampagnen im Norden hatten Alexander wertvolle illyrische und thrakische Hilfstruppen, vor allem die bewährten agrianischen Bogenschützen und Speerwerfer, beschert. Der Frieden hielt, auch wenn er eiligst hatte hergestellt werden müssen, aber keineswegs wegen des Persienfeldzugs.

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Die Abfolge der Ereignisse vom Tod Philipps bis zum Beginn des Großangriffs auf das Achämenidenreich ist einer der zahlreichen großen Glücksfälle im Leben Alexanders. Sie mögen seine Überzeugung, zu Höherem geboren zu sein, verstärkt haben und bestimmten den Lauf der Weltgeschichte mit. Was wäre geschehen, wenn die Aufstände in Griechenland, in Thrakien und in Illyrien zufällig oder gar abgestimmt zeitgleich erfolgt wären? Was hätte Makedonien drei umfassenden Revolten, weit voneinander entfernt, entgegensetzen können trotz der kampfstarken Armee, die Philipp geschaffen hatte? Besonders die Krise im September 335 v. Chr. hätte Alexander das Genick brechen können. Bereits sein Vater hatte miterlebt, dass Gerüchte über den Tod des Königs verschiedenen makedonierfeindlichen Parteien Aufschwung verleihen konnten. Das Gleiche erfolgte nun erneut: Auf die Meldung hin, Alexander sei in Illyrien getötet worden, fielen die Thebaner erneut vom Korinthischen Bund ab. Sie belagerten die makedonische Besatzung auf der Kadmeia. Auch die Athener sagten sich zum wiederholten Mal von Alexander los und bereiteten sich auf einen Krieg vor. Demosthenes gelang es mit Unterstützung der Perser, mehrere Poleis und Städtebünde zum Anschluss zu bewegen. Doch auch diese Erhebung in Griechenland misslang: Nach einem Eilmarsch mit mehr als dreißig Kilometern pro Tag erschien Alexander unerwartet früh in Böotien und rückte gegen Theben vor. Wieder einmal blieb die direkte militärische Intervention Athens aus; verschiedene peloponnesische Truppen machten bei Korinth kehrt, als sie von der Präsenz der Makedonier erfuhren. Theben, das geografisch erneut ungünstig lag, hatte in der Vergangenheit mit Persien paktiert und sich vor allem in der nächsten Umgebung viele Feinde gemacht. Die Stadt des

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mythischen Königs Kadmos sah sich den vordringenden Makedoniern allein gegenüber. Noch war nichts verloren. Alexander forderte zunächst die Auslieferung der führenden Köpfe. So mächtig er auch war, er muss sich in einem Dilemma befunden haben: Theben war für den geplanten großen Krieg zwar von geringer Bedeutung, doch brauchte Makedonien einerseits den Frieden in Griechenland und vor allem die Kooperation Athens. Andererseits musste er ein Exempel statuieren, um seine Willenskraft zu beweisen und den Widerstand der Griechen endgültig zu brechen. Die Thebaner nahmen ihm diese Last von den Schultern, indem sie sein Lager angriffen. Der Offizier Perdikkas, der später zur Leibgarde gehörte, entschied angeblich eigenmächtig, die Stadt zu attackieren – Belagerungsmaschinen waren nicht vor Ort –, doch sein Angriff wurde abgewehrt und er selbst schwer verletzt. Erst nach heftigen Kämpfen und großen Verlusten errangen die geordneten Reihen der makedonischen Phalanx die Oberhand und drangen in die Stadt ein. 6000 Thebaner fielen ihrer Aggression zum Opfer. Das Massaker haftete lange am Ruf des Makedonierkönigs, obwohl böotische und phokische Krieger, deren Heimat lange unter den thebanischen Herrschaftsansprüchen gelitten hatte, maßgeblichen Anteil daran hatten. Alexander hatte sie nicht daran gehindert – die Thebaner hatten wie auch andere Stadtstaaten immerhin ihren Schwur zum Allgemeinen Frieden gebrochen. Mit der gewaltvollen Einnahme der einstigen Macht war die Strafaktion jedoch nicht abgeschlossen. Vielmehr überließ Alexander es berechnend dem Rat des Korinthischen Bundes, über Theben zu urteilen. Tragisch für die Stadt war, dass damit Vertreter mehrerer Poleis am Zuge waren, die ihr feindlich gesinnt und rachedurstig waren. Der Entscheid

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66 66 EEiinn lluuxxuurriiöösseess R Reeffuuggiiuum m

Vom Nomadenvolk zur Weltmacht – das Achämenidenreich Die Perser waren ursprünglich ein indogermanisches Reitervolk aus dem Nordiran, dessen Kernland im 7. Jh. v. Chr. die Persis (Fars im Südiran), wurde. Der Aufstieg zum Weltreich gelang Kyros II., dem Großen (559–530 v. Chr.), der zur Dynastie der Achämeniden gezählt wird. Er vereinigte verschiedene Bevölkerungsgruppen und besiegte den letzten Mederkönig Astyages, seinen Großvater. Der Großkönig annektierte in den folgenden Jahren einen Großteil des Vorderen Orients. Er drang 547/46 v. Chr. bis nach Kleinasien vor und besiegte den Lydierkönig Kroisos. Mit seinem friedlichen Einzug in Babylon 539 v. Chr., dem jedoch brutale Kämpfe vorausgegangen waren, verleibte Kyros dem seinen auch das neubabylonische Reich ein. Kyros der Große starb während eines Feldzugs gegen die Massageten im heutigen Ostafghanistan. Seine Grabstätte in der altpersischen Residenz Pasargadai im Zagrosgebirge ließ Alexander der Große, der ihn sehr achtete, restaurieren. Sie ist noch heute erhalten. Kyros’ Sohn Kambyses II. (529–522 v. Chr.) eroberte 525 v. Chr. Ägypten, starb aber an einer Verletzung auf dem Rückweg nach Persien, wo eine Revolte ausgebrochen war. Ein indirekter Verwandter namens Dareios schlug sie nieder, und bestieg den Thron. Seinen militärischen Erfolg und sich als legitimen Achämeniden, der er genau genommen nicht war, ließ er in der berühmten Inschrift von Behistun (Bisutun), dem UNESCO-Weltkulturerbe im Westiran, verewigen. Er heiratete zudem eine Tochter des Kyros. Unter diesem Dareios I. (522–486 v. Chr.) erlangte das Perserreich seine größte Ausdehnung – es „reichte“ von Libyen bis ins Indusgebiet. Trotz der Expansion wurde der Vater des Xerxes vorrangig für seine kulturell-politischen Taten berühmt: Er ließ die Königsstraße errichten, gründete Perse-

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polis, das neue kulturelle Zentrum, und erneuerte das alte elamische Susa, das nun zur Hauptstadt seines Reiches wurde. Den Sommer verbrachten die Großkönige im höher gelegenen Ekbatana (Hamadan). Fortan war das Reich in Satrapien (Provinzen) eingeteilt. Sie unterstanden jeweils einem adligen Beamten, dem Satrapen, der vor allem für Rekrutierungen und die Tributablieferungen zuständig war. Einige gründeten ganze Dynastien und erhoben sich sogar gegen den jeweiligen Großkönig. Dieser war letztlich von seiner Kaufkraft abhängig, mithilfe derer er sein stehendes Heer finanzierte. Die Perser machten sich verschiedenste Errungenschaften, Kenntnisse und Sitten vor allem der altorientalischen Reiche zunutze. Dazu zählen nicht nur die Keilschrift – später wurde Aramäisch Amtssprache –, Monumentalbautechniken oder verschiedene Kunststile, die akzeptiert wurden, solange persische Elemente überwogen, sondern auch der Weltherrschaftsgedanke. Die Achämeniden sahen sich als Günstlinge Ahura Mazdas, des Schöpfergotts in der Lehre des Religionsstifters Zarathustra, worauf auch das Gottesgnadentum späterer Herrscher sowie „unsere“ Höllen- und auch Paradiesvorstellung – ursprünglich Lustgärten – zurückgehen. Ein Zusammenbruch des Reichs war am Vorabend des Alexanderzuges nicht abzusehen. Artaxerxes III. hatte die Satrapenaufstände niedergeworfen und Ägypten wiedererobert, Dareios III. sich dessen Mörders, des „Wesirs“ Bagoas, entledigt sowie Babylonien und Ägypten erneut unter Kontrolle gebracht. Das Reich litt aber an typischen Schwächen eines Großreichs: langen Transport- und Nachrichtenwegen trotz des Straßennetzes, Kommunikationsproblemen innerhalb einer sehr heterogenen Gesellschaft – städtischer Grundbesitzer hier, Nomade da – oder separatistischen Bewegungen. Alexander wurde mit diesen Problemen frühzeitig konfrontiert.

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war hart, aber keineswegs außergewöhnlich: Die Stadt, die noch dreißig Jahre zuvor die griechische Welt dominiert hatte und dabei selbst brutal vorgegangen war, wurde zerstört, aufgeteilt, und ca. 30 000 Einwohner wurden versklavt. Es dürfte für sie kaum Trost gewesen sein, dass Alexander entschieden hatte, dass das Heim und die Nachfahren des großen Dichters Pindar, den er wie Homer verehrte, Makedonierfreunde, Priester und die religiösen Stätten verschont blieben. Auch die Kadmeia dürfte intakt geblieben sein, denn Alexander ließ die Garnison vor Ort. Er soll die Zerstörung später bereut haben und einige schwere Krisen, die seinen Feldzug erschütterten, als Rache des Dionysos darauf zurückgeführt haben: Dessen Mutter Semele war die Tochter des Kadmos. Kassandros (Kassander), der Sohn des Antipatros, ließ Theben neunzehn Jahre später wieder aufbauen. Das Strafgericht zeigte weitreichende Wirkung. Wie ein Kartenhaus brach der Widerstand der Griechen zusammen, auch der Athens. Die immer noch blühende Metropole schickte Gesandte, deren Ehrerbietung Alexander ignorierte. Er verzichtete auf weitere Maßnahmen und auf Bitten des schon Philipp ergebenen athenischen Staatsmannes Demades sogar auf die Auslieferung einiger „Hauptakteure“ wie Demosthenes, die er erst gefordert hatte. Der erfahrene Stratege Charidemos jedoch, den Alexander unnachgiebig „kassieren“ wollte, floh und trat in persische Dienste.

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er größte Feldzug

Die Situation in Europa erschien Alexander Ende 335 v. Chr. so weit gesichert, dass er den Angriff auf Dareios III. endlich realisieren konnte. Mit seinen Makedoniern und den Bundesgenossen zog er zum Hellespont, um von dort aus in dessen Riesenreich einzufallen. Der durchschlagende Erfolg des Feldzugs war zu diesem Zeitpunkt jedoch alles andere als vorstellbar. Alexander und seine Berater belastete insbesondere die Versorgung des Heeres, das in dieser Größe von Griechen noch nicht aufgestellt worden war. Neben den finanziellen Engpässen stellte sich zudem die Frage, welche Gegenmaßnahmen die Satrapen in Westkleinasien ergreifen und wie die Griechenstädte auf den „Befreier“ reagieren würden.

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Der größte Feldzug

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Arabisches Meer Reich Alexanders des Großen Zug Alexanders des Großen Seeroute des Nearchos (325 v. Chr.) Persische Königsstraße

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Aufbruch mit ungeahnten Konsequenzen

Nachdem der Korinthische Bund erneut bestätigt worden war, kehrte Alexander heim und rekrutierte im Winter 335/34 v. Chr. in etwa gleichen Teilen Makedonier und Bundesgenossen, Hilfskontingente und Söldner für den verzögerten großen Krieg. Seine Männer bestanden aus 1800 Hetairenreitern, einigen leichten Kavalleristen sowie 12 000 Infanteristen – 9000 Pezhetairen und 3000 Hypaspisten –, in etwa der Hälfe der makedonischen Gesamtstreitmacht. Die andere Hälfte blieb als „Anstandsdame“ für die Griechen unter dem Kommando des Antipatros, der als strategos den König vertrat, in der Heimat. Ein Wiederaufflammen der Aufstände an mehreren Fronten hätte die Kräfte des Antipatros vielleicht überfordert. Alles hing von der Loyalität der Mitglieder des Korinthischen Bundes ab. Die griechischen Bundesgenossen stellten lediglich 7000 Hopliten sowie etwa 2000 Reiter, von denen die wiederum zuverlässigen Thessalier den Löwenanteil stellten. Alexander begnügte sich offenbar mit dieser recht geringen Zahl als Unterstützung und Geisel oder war sogar abgeneigt, ein größeres Kontingent zu rekrutieren. Er zählte immerhin nur wenige Griechen wie Erigyios aus Mytilene/Lesbos zu seinen persönlichen Hetairen. Von einem „panhellenischen“ Rachefeldzug, noch dazu ohne die Spartaner, konnte nicht die Rede sein, auch wegen der zahlreichen griechischen Söldner im Dienst des Großkönigs, die auf den Kampf gegen ihn warteten. Parmenions Treue zu Philipp und während der Ermordung des Attalos hatte sich für den erfahrenen General zunächst ausgezahlt: Er war nach Alexander der oberste Heerführer, sein Sohn Philotas kommandierte die makedonische Kavallerie, sein anderer Sohn Nikanor die Hypaspisten.

Au f b r u c h m i t u n g e a h n t e n Ko n s e q u e n z e n

Weitere 5000 griechische Söldner und 8000 Illyrier und Thrakier (Odrysen, Paionier, Agrianen und Triballer) verschiedener Waffengattungen sowie Spezialisten sorgten für zusätzliche Stärke und Flexibilität. Alexanders „Sorgenkind“ war die Flotte, denn selbst die 160 Trieren der Athener wären zusammen mit den sechzig makedonischen Schiffen – mit insgesamt vielleicht 35 000 Mann Besatzung – nicht gegen die wohl doppelt so große persische Flotte, die sich aus maritim erfahrenen Zyprern und Phöniziern rekrutierte, angekommen. Ein Seekrieg musste demnach möglichst vermieden werden, selbst wenn die Gefahr bestand, dass die Perser auf diesem Weg den Krieg nach Griechenland brachten. Dass Alexander wie sein Vater auf eine direkte Konfrontation mit Sparta verzichtete und die ehemalige Macht sich weiterhin abkapselte, hatte zunächst zur Folge, dass sie auch keine Truppen stellte. Spartas Hopliten wären allein aufgrund des dortigen Vollbürgermangels schwerlich schlachtentscheidend, aber von hoher symbolischer Bedeutung für den Zug der zwangsgeeinten Griechen gewesen: Unter Führung des Spartaners Pausanias hatten die Griechen Xerxes 479 v. Chr. aus Griechenland vertrieben, und zur Zeit seiner Hegemonie hatte Sparta bereits einen Krieg auf asiatischem Boden geführt. Nicht zuletzt wäre die Präsenz spartanischer Einheiten ein wirkungsvolles Mittel gewesen, etwaige Gedanken an einen Aufstand Gedanken bleiben zu lassen. Das Landheer, das im Frühjahr 334 v. Chr. aufbrach, war mit etwa 35 000 bis 37 000, inklusive Vorhut knapp 50 000 Kriegern für griechische Verhältnisse riesig. Aber selbst Alexander, der in der Folgezeit immensen Nachschub anforderte und die Makedonier bis 331 v. Chr. auf 30 000 Mann aufstockte, konnte zu die-

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sem Moment nicht davon ausgehen, dass er Dareios persönlich bedrohen konnte – allenfalls nach Anschluss der kleinasiatischen Griechen. Selbst dann stand ein schier unendlicher Weg mit etlichen persischen Bastionen noch bevor. Ein Sieg über die Satrapenheere im westlichen Kleinasien schien zunächst machbar, wie die Anfangserfolge Spartas und Parmenions gezeigt hatten. Diese Invasionen hatte sowohl Artaxerxes II. als auch Dareios III. aus Raum-, Zeit- und Kostengründen den Statthaltern überlassen. Auch jetzt schien sich Letzterer über Alexanders Angriff weniger Sorgen machen zu müssen als um die Sicherung seiner Herrschaft und die Aufrechterhaltung der Ordnung im aufständischen Ägypten. Natürlich fürchtete auch Alexander keine direkte Konfrontation, aber aus anderen Gründen: Er benötigte sie regelrecht, und zwar nicht nur, um die Truppen zu motivieren – seine Staatskasse war so gut wie leer. Die Schulden betrugen angeblich über tausend Talente. Wie lange ließ sich ein Kriegszug mit diesem professionellen Heer, der riesigen Flotte und dem gigantischen Tross aus Handwerkern, Ärzten, Pionieren, Ingenieuren, Priestern, Wissenschaftlern, Schrittzählern, Dichtern und vielen anderen finanzieren? Aussagen verschiedener Autoren zufolge waren mit maximal zweihundert, wenn nicht gar nur siebzig Talenten in der Kasse die Verpflegungskosten für höchstens einen Monat gedeckt! Den Söldnern und den Bundesgenossen stand darüber hinaus Lohn zu. Beute musste also dringend gemacht werden, und zwar möglichst auf Kosten der Perser, um den Sinn des Krieges zu bestätigen und den Anschluss der Griechen zu ermöglichen. Das Motiv der Rache war zweitrangig, nur Mittel zum Zweck, selbst wenn der zutiefst religiöse Alexander derartig hohe Ziele ernst nahm.

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Innerhalb von drei Wochen mit einer täglichen Marschleistung von etwa dreißig Kilometern zog die Invasionsarmee über Amphipolis, wo sich die Flotte und die Bundesgenossen gesammelt hatten, ostwärts durch Thrakien bis nach Sestos, um hier nach Abydos auf der asiatischen Seite des Hellespont überzusetzen. Nachdem Altäre für Zeus, Athene und Herakles errichtet worden waren, koordinierte Parmenion das gigantische Manöver. Die Befürchtung, die übermächtige persische Flotte könnte eintreffen und den Übergang vereiteln, bewahrheitete sich nicht. Ihre Schiffe waren in Ägypten im Einsatz gewesen, wo der erneute Aufstand niedergeschlagen worden war, und bisher nicht in den Norden zurückbeordert worden. Alexander scheint gewusst zu haben, dass die Flotte der Perser noch verhindert war, denn er verließ mit einigen ausgewählten Truppen das Hauptheer und ritt nach Elaious an der Südspitze der Chersones. Dort befand sich ein Heiligtum des Heros Protesilaos, das von Xerxes einst geplündert worden war. Der König vollzog ein Opfer für den Krieger und eröffnete damit eine Serie von propagandistischen Verweisen auf die gemeinsame mythische Vergangenheit. Ob Alexander sich selbst wirklich auf einem „Revival“ des Trojanischen Krieges sah, ist fraglich. Er sah die Trojaner wohl als Hellenen an – zumindest stammte er über seine Mutter von der kilikischen Prinzessin Andromache ab. Bevor diese sich gezwungen gesehen hatte, mit dem Achilleus-Sohn Neoptolemos den Stammvater der Molosser zu zeugen, war sie Gemahlin des trojanischen Helden Hektor gewesen. Weil Patroklos, der Freund des Achilleus, gegen Hektor im Kampf gefallen war, hatte Achilleus diesen gefürchteten Kämpfer und Bruder des Paris getötet. Die Griechen verehrten Homers Helden und andere Heroen oder Heroinen als historische Personen. Das bezeugen die zahlreichen

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Grabstätten, an denen sie kultisch verehrt wurden. Manchmal konkurrierten sogar mehrere Orte darum, das wahre Grab eines Helden zu beherbergen. Nach dem Besuch des Heiligtums setzte Alexander mit den makedonischen Schiffen an die Stelle über, an der die Achaier einst gelandet sein sollen. Während der Überfahrt vollzog er weitere Opfer für Poseidon und die Nereiden. Asiatischen Boden zu erblicken muss ihn beflügelt haben. Er hatte seinen Vater schon beim Überqueren der Donau übertroffen, doch jetzt konnte er in Angriff nehmen, was Philipp versagt geblieben war. Als das Ufer nahte, schleuderte Alexander angeblich einen Speer an Land, womit er es als „speergewonnen“ erachtete, das heißt die Herrschaft darüber beanspruchte. Wie viel von dem Land, ist unklar. Schwerlich dachte der Makedonier dabei an den gesamten Kontinent, dessen ganzes Ausmaß er gar nicht erahnen konnte. Dass die Römer später den westlichen Teil Kleinasiens als Provinz Asia verwalteten, zeigt, wie flexibel mit dem Begriff umgegangen wurde. Die Rückgewinnung dieser Region stand zunächst im Visier der Invasoren. Als sein Schiff das Ufer erreichte, sprang Alexander wie einst Protesilaos als Erster an Land. Er veranstaltete weitere Opfer und zog zur Ortschaft Ilion, zu den Resten des mächtigen Trojas. Hier opferte der König erneut Herakles und der Athena, der er eine Rüstung weihte – im Gegenzug erhielt er ihren Schild, der ihm später in Indien das Leben gerettet haben soll, und andere trojanische Waffen aus ihrem Tempel oder nahm sie kurzerhand mit. Er vollzog ferner ein Sühneopfer für den Fürsten Priamos, den Neoptolemos nach der Einnahme der Stadt gnadenlos ermordet haben soll. Der König stattete ebenfalls dem Grab des Aias, vor allem aber dem des Achilleus einen Besuch ab, bekränzte es und

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nahm an einem Wettlauf teil. Sein treuester Gefährte Hephaistion, mit dem er eine intime Beziehung gehabt haben soll, besuchte angeblich das Grab des Patroklos in der Nähe – ihm wurde dessen Rolle bei der Nachahmung der jeweils jung gestorbenen Heroen nachgesagt. Als ob er den panhellenischen Charakter seines Kriegszugs noch nicht ausreichend propagiert hätte, erklärte Alexander Ilion für autonom und erließ ihm die üblichen Tributzahlungen. Nach dem Besuch dieser wichtigen Stätte zog der Heeresteil nach Nordosten zur Hauptstreitmacht, die sich inzwischen mit der Vorhut aus Abydos vereint hatte. Das Heer marschierte ostwärts in Richtung der Satrapenresidenz des hellespontischen Phrygiens: Das alte lydische Daskyleion lag etwa 150 Kilometer östlich von Abydos. Die Makedonier gingen davon aus, ihre Staatskasse dort auffüllen zu können. Bestimmt hoffte Alexander auch, mit der Einnahme der Stadt die Griechenstädte von seinem Willen und seinem Können zu überzeugen. Er hatte bereits festgestellt, dass sie ihn keinesfalls euphorisch erwarteten: Gleich die erste Stadt auf ihrem Weg, die Hafenstadt Lampsakos am Hellespont, hatte die Kooperation zunächst verweigert. Inzwischen berieten sich die Satrapen des westlichen Kleinasiens in Zeleia westlich von Daskyleion. Dem Kriegsrat wohnte auch Memnon, der mit seinen Söldnern Parmenions Vorhut zurückgedrängt hatte, bei. Der Rhodier genoss zwar das Vertrauen des Großkönigs, doch war dieser fern. Wie seine Vorgänger überließ auch Dareios Grenzkriege den jeweiligen Satrapen – sogar diesen Großangriff der Makedonier und Griechen, den er schon längst erwartet haben musste. Er hatte keinen Oberbefehlshaber ernannt. Als Grieche hatte Memnon schlechte Karten: Die

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Satrapen lehnten seinen Rat ab, Alexanders Heer auszuweichen, verbrannte Erde – ihre Erde – zu hinterlassen und dieses somit zu zermürben. Sie wollten ihrer Ehre wegen kein weiteres Vordringen der Invasoren dulden und zudem Memnon übertrumpfen, indem sie Alexander in einer großen Schlacht besiegten. Sie positionierten ihre Streitkräfte daher etwas weiter westlich am rechten Ufer des Granikos (Biga Cai), der ins Marmarameer mündet. Prinzipiell übertrafen die Perser die Makedonier in der Größe der Kavallerie. Abgesehen von den 10 000 sogenannten „Unsterblichen“, einer Eliteeinheit, fehlte dem Großkönig und auch den Satrapen eine angriffsstarke Infanterie. Daher griffen sie in gewohnter Weise auf griechische Söldner zurück. Die Schlacht am Granikos im Mai 334 v. Chr. ist die erste der vier großen Schlachten während des Alexanderzuges. In ihr trafen die 50 000 Soldaten Alexanders auf ein zahlenmäßig geringeres kleinasiatisches Aufgebot aus Kolonisten – Kappadokiern oder Paphlagoniern –, selbst wenn die Geschichtsschreibung zugunsten Alexanders teilweise utopische Zahlen nennt. Er selbst hatte rechts Leichtbewaffnete, Fernkämpfer sowie die Hetairen positioniert und befehligte Letztere selbst. Das Zentrum bildete die Infanterie, und Parmenion kommandierte den linken Flügel mit der thessalischen, thrakischen und griechischen Reiterei. Die griechische Infanterie kam nicht zum Kampfeinsatz. Die Autoren Diodor und Arrian äußern sich unterschiedlich zum Schlachtverlauf. Alexander überquerte jedenfalls den Fluss, griff im Stil der schiefen Schlachtordnung am rechten Flügel die zunächst defensiven Perser mit der Reiterei an und stieß dann mit einem Linksschwenk auf deren nun massiv vorpreschende Kavallerie. Im Flussbett entbrannte ein schwerer Kampf. Er hätte be reits das Ende Alexanders bedeuten können, der stets in vorders-

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ter Reihe kämpfte. Wie sein Vater wurde er im Laufe seines Feldzuges mehrfach verwundet, jedoch lebensbedrohlicher. Der König war nicht nur als „Spitzenreiter“, sondern auch an seinem geschmückten Helm erkennbar und wurde bald von dem lydischen Satrapen Spithridates und dessen Bruder Rhoisakes, den er tötete, attackiert. In diesem Moment rettete Kleitos „der Schwarze“, Bruder seiner Amme und Kommandeur der königlichen Schwadron, den König: Spithridates hatte Alexanders Helm bereits zerhauen und setzte zum zweiten Schlag an, als Kleitos ihm den Arm abschlug. Die verbündete Reiterei kämpfte erfolgreich, und die Gefährten zu Fuß rückten langsam, aber sicher nach. Ein Pfeilhagel war nicht zu befürchten: Die Satrapen hatten keine Bogenschützen aufgestellt. Alexanders Truppen umzingelten die 20 000 griechischen Söldner, die hinter der persischen Reiterei aufgestellt worden waren. Im Gegensatz zu den Reitern hatten sie ihre Stellung gehalten. Angesichts des nun folgenden Gemetzels fragt sich, wie sich die Griechen auf Alexanders Seite bei dem Anblick Tausender getöteter Landsleute gefühlt haben. Die nur 2000 überlebenden Söldner kapitulierten. Zur Strafe für ihre besonders schwerwiegende Form von Medismos – Paktieren mit den Medern, das heißt den Persern – verurteilte Alexander sie zur Zwangsarbeit in Makedonien. Wie sich herausstellen sollte, hatten die Makedonier das einzige große persische Heer in Kleinasien besiegt. Um sich als Befreier und nicht als Eroberer zu präsentieren, vielleicht aber auch, weil es „sein“ Land war, verbot der Bundesfeldherr jegliche Plünderung, obschon die Versorgungsnot weiterhin bestand. Als deutliches Zeichen seines Erfolges schickte Alexander dreihundert Rüstungen des Feindes als Weihe für Athena Parthenos

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in den wohl berühmtesten griechischen Tempel. Er hatte die erste Hürde genommen, aber nur, weil sich die Satrapen und Memnon uneinig gewesen waren sowie aufgrund ihrer zahlreichen Rekruten, die auf weniger Kampferfahrung zurückgreifen konnten als die Makedonier. Während ein Sohn des Großkönigs in der Schlacht gefallen war, konnten zwei Satrapen und Memnon mit zahlreichen Kämpfern entkommen. Der rhodische Söldnerführer zog sich wie andere Kontingente des besiegten Perserheeres nach Halikarnassos, die Hauptstadt Kariens (heute Bodrum), zurück. Parmenion marschierte weiter nach Osten und nahm Daskyleion ohne Gegenwehr ein. Alexander hatte bestimmt, dass der Makedonier Kalas das hellespontische Phrygien verwalten und befrieden sollte. Ansonsten ließ er die bestehenden persischen Regelungen unter anderem in Bezug auf die Tribute bestehen. Mit seiner Heeresabteilung zog er inzwischen in Richtung Sardeis. Der Stadtkommandant Mithrenes kam ihm entgegen und lieferte die alte lydische Hauptstadt kampflos aus. So konnten die Makedonier auf die Belagerung der Zitadelle verzichten, die Agesilaos nicht hatte einnehmen können. Indem Alexander den Bau eines Zeus-Tempels in Auftrag gab, sorgte er bereits zu diesem frühen Zeitpunkt seines Eroberungszuges für die weitere Expansion griechischer Kultur, auch wenn der Bau wohl nicht vollendet wurde. Auch deutete sich schon in Sardeis Alexanders opportunistische Kooperationsbereitschaft mit den Orientalen an, die er später forcierte und mit der er sich schwere Konflikte mit vielen Makedoniern einhandelte: Er gestattete Mithrenes, sich ihm anzuschließen. Ferner ordnete er an, junge lydische Männer militärisch auszubilden. Sie verstärkten 330 v. Chr. seine Streitmacht. Alexander ließ zwar verkünden, die Lydier seien frei und könn-

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ten nach altem Recht leben, doch zwang er sie, seine Oberhoheit anzuerkennen, und setzte einen Statthalter – Asandros, wohl ein Verwandter des Parmenion – ein, der die üblichen Tribute einzog. Ähnlich erging es den Griechenstädten, zu deren Befreiung er eigentlich gekommen war. Auch sie hatten sich vor allem außenpolitisch nach ihm zu richten, und indem Alexander ihnen die alten Tribute (phoroi) erließ, erinnerten die von ihnen für eine unbestimmte Zeit erwarteten Abgaben oder Beiträge (syntaxeis) zur Finanzierung seines Krieges doch an die Bestimmungen des Zweiten Attischen Seebundes. Die Athener hatten ihre Machtansprüche durch eine genauso schwammige Regelung offiziell beschränkt, aber dennoch damit den Bundesgenossenkrieg verursacht. Dem ähnlichen Korinthischen Bund ließ Alexander die befreiten Griechen auf dem asiatischen Festland wahrscheinlich nicht beitreten; vielleicht legte er keinen Wert mehr darauf. Orientalen wie Hellenen standen also vielfach keine deutlichen Änderungen oder gar Verbesserungen, wie Alexander es darstellte, im Vergleich zu den Bestimmungen der Achämeniden bevor. Waren sie von Alexanders Befreiung begeistert? Mögliche lokale Probleme überließ er zurückgelassenen Einheiten, Garnisonen oder den Satrapen und eilte weiter, um insbesondere die Hafenstädte einzunehmen. Alexanders Politik blieb zunächst erfolgreich: Auch in Ephesos gegenüber von Samos konnte er kampflos einziehen – seine Flotte lag vor der Küste. Er festigte dort die Herrschaft der Demokraten, die während seines Anmarschs die Macht an sich gerissen hatten, und ließ die zuvor von den Oligarchen Verbannten zurückkehren. Aus Überzeugung hatte der König natürlich nicht gehandelt – auch in anderen Po leis stärkte Alexander mithilfe der jeweiligen demokratischen Partei seine eigene Macht: So wie Oligarchen in Griechenland

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eher makedonierfreundlich waren, so unterstützten ihre kleinasiatischen Gesinnungsgenossen im Prinzip die Perser. Seine religiöse Gesinnung und zugleich seine zunehmende Macht unterstrich Alexander auch in Ephesos: Er bestimmte, der bisherige Tribut an Persien solle künftig der Restauration des berühmten Artemistempels zugute kommen. Auch die Stadt Priene erhielt eine demokratische Verfassung und wurde von der Steuerpflicht befreit. Hier teilfinanzierte Alexander sogar den Athenatempel. Die Ephesier lehnten Alexanders Gunst für ihren Artemistempel allerdings ab, da es sich für ihn als Gott nicht ziemte. Die etwas weiter südlich gelegenen Städte Magnesia am Mäander und Tralleis unterwarfen sich ihm, als er noch in Ephesos weilte. Alexander entsandte Parmenion, um das Angebot anzunehmen. Auf seinem weiteren Vormarsch wurde der Makedonierkönig allerdings mit dem anderen Extrem konfrontiert: Ausgerechnet das alte, mächtige Milet südlich von Izmir, die Keimzelle des Ionischen Aufstands, der einst zu den Perserkriegen geführt hatte, lehnte Kooperation oder Unterwerfung ab. Die Milesier wollten sich die Perser, deren Schiffe erwartet wurden, nicht zu Feinden machen. Die Entscheidung des Stadtkommandanten, sich neutral zu verhalten, versetzte Alexanders Befreiungsaktion einen heftigen Tiefschlag, denn die Operation musste Skeptikern und Kritikern mittlerweile als Witz erscheinen. Die großenteils von Wasser umgebene Stadt und die Bucht vor der Halbinsel Mykale hätten eine hervorragende Flottenbasis abgegeben. Alexander kam der feindlichen Flotte zuvor: Seine Schiffe blockierten den Hafen um die Insel Lade, und seine Belagerungsexperten auf den Türmen, an den Katapulten und Rammböcken setzten der Verteidigungsmauer der Stadt derart zu, dass die Milesier kapitulierten. Trotz der gewaltsamen Einnahme

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verzichtete Alexander auf die Zerstörung der Stadt – wohl auch aufgrund ihrer Geschichte –, hinterließ jedoch eine Besatzung. Die dreihundert gefangenen Söldner ließ er dieses Mal nicht fortschleppen, sondern gliederte sie kurzerhand seinem Heer ein. Die persische Flotte sah trotz ihrer Größe keine Möglichkeit, den Spieß umzudrehen, sondern zog sich zurück, da eine makedonische Heeresabteilung Mykale eingenommen hatte. Alexander war klar, dass die Perser seine Schiffe verfolgen würden, um auf eine Seeschlacht zu spekulieren oder eine zu erzwingen, aber genauso gut nach Norden oder Westen segeln und seine Verbindungswege in die Heimat stören konnten. Er setzte dennoch weiterhin auf die Strategie, die persischen Schiffe vom Land aus lahmzulegen, wie es ihm zunächst gelungen war. Sein Beschluss, das Gros seiner Flotte aus Kostengründen zu entlassen – er behielt neben anderem nur zwanzig athenische Schiffe –, überraschte und verwirrte seine Truppen und erwies sich bald als zu riskant. Bereits im nächsten Frühling ließ er eine neue Flotte aufstellen, um den unerwartet erfolgreichen Operationen der Perser zur See entgegenzuwirken und die Ordnung im Mutterland aufrechtzuerhalten. Das Heer zog weiter nach Karien, das Alexanders Herrschaft großenteils akzeptierte. Doch auch in dieser Landschaft widersetzte sich ihm im Herbst 334 v. Chr. eine Metropole – die Hauptstadt Halikarnassos. Hier stand Alexander eine noch schwierigere Belagerung bevor als in Milet, denn Herodots Heimatstadt war sehr stark befestigt und Rückzugsort etlicher Widersacher, geschart um Memnon, den neuen Oberbefehlshaber über Kleinasien und die Flotte. Geschützt durch sogenannte „Schildkröten“, hüttenartige Konstruktionen, füllten Soldaten die tiefen Gräben vor den Mauern aus, damit die Belagerungstür-

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me und moderne Steinschleudern aufgefahren werden konnten. Dennoch erlitten die Belagerer hohe Verluste, unter anderem durch Katapulte aus einem Turm, den die Verteidiger auf ihren Mauern errichtet hatten. Alexander musste vorübergehend sogar einen Waffenstillstand aushandeln, um seine zahlreich gefallenen Krieger bergen zu lassen. Erst nach zwei Monaten konnte er Halikarnassos einnehmen. Memnon hatte Teile der Stadt und den Turm in Brand gesetzt und war nach Kos entkommen. Die Stadt lag offen, ihre Einwohner siedelte Alexander um und zerstörte viele Gebäude. Der Widerstand in den Zitadellen unter Führung des Orontopates – des Gatten jener Tochter des Pixodaros, deren Hand Arrhidaios angeboten worden sein soll – konnte jedoch erst etwa ein Jahr darauf von den etwa 3000 zurückgelassenen Soldaten gebrochen werden. So lange hatte der Hafen der persischen Flotte als mögliche Basis zur Verfügung stehen können. Alexander unterhielt Absprachen mit der Adeligen Ada, der Schwester des berühmten Maussolos. Sie war etwa fünf Jahre zuvor von ihrem Bruder Pixodaros abgesetzt worden. Alexander setzte sie wieder als Satrapin ein, und im Gegenzug adoptierte sie ihn. Er sicherte sich also einen weiteren Titel – Erbe der Hekatomniden – und ernannte nach dem Tod der Dynastin den Feldherrn Philoxenos zum karischen Satrapen. Ada regierte auch zu Lebzeiten nicht autonom, sondern hatte sich mit dem makedonischen Offizier Ptolemaios – nicht der gleichnamige Offizier und Leibwächter Alexanders, der spätere Ptolemaios I. – zu arrangieren, dem die Truppen in Halikarnassos unterstanden. Das Modell der Kooperation oder gegenseitigen Duldung zwischen einheimischem Regenten und makedonischem Offizier oder Verwaltungsbeamten wurde eine typische Handhabung Alexanders bei der Eroberung der zahlreichen Satrapien.

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Nachdem auch der Südwesten Kleinasiens eingenommen worden war, gönnte der Feldherr zahlreichen frisch verheirateten Soldaten Heimaturlaub. Auch ließ er den General Koinos dort den nötigen Nachschub organisieren. Dieser führte Alexander im kommenden Jahr knapp 4000 Mann aus Makedonien, Thessalien und Elis zu. Diese Truppen begleiteten Parmenion bis nach Sardeis zurück. Von dort aus sollte der altgediente General nach Phrygien marschieren, um sich später wieder mit Alexander zu vereinigen. Die Makedonier verzichteten auf die militärische Winterpause. Der König zog mit ausgesuchten Truppen an der Südküste entlang ins östlich benachbarte Lykien und Pamphylien, um zunächst weitere Häfen zu sichern und das Hinterland zu erobern. Verschiedene Städte, darunter Phaselis südwestlich vom im 2. Jahrhundert v. Chr. als Attaleia gegründeten Antalya, ergaben sich ihm. Hier nutzte Alexander die technischen Fähigkeiten der Thrakier, die Treppen über einen sogenannten Klimax – einen schwierigen Abhang, hier am Fuß des lykischen Olympos – errichteten und so den Übergang der meisten Abteilungen ermöglichten. Wieso Alexander die Truppen hier erneut spaltete und selbst an der Küste entlangzog, bleibt im Dunkeln. Hell erstrahlen ließ ihn jedoch etwas später sein Feldzugschronist Kallisthenes, der Neffe des Aristoteles: Eine Stelle an der Küste bei Phaselis war nur bei Nordwind oder Windstille passierbar. Vielleicht konnte Alexander auf Kenner lykischer Wetterverhältnisse zurückgreifen, vielleicht hatte er auch einfach Glück: Zum Zeitpunkt seines Erscheinens drehte der Wind, sodass der Weg einigermaßen passierbar war. Kallisthenes griff das alte Motiv der Meeresteilung auf. Es ist bekannt aus dem 2. Buch Mose; in der „Ilias“ weichen die Wogen vor der Götterbotin Iris, und in Xenophons „Anabasis“

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weicht der Euphrat vor Kyros d. J. zurück. Das sogenannte Pamphylische Meerwunder diente der Heroisierung Alexanders, denn seine Truppen rätselten allmählich, wohin sein Feldzug sie führen würde, und benötigten Motivation. Ihn mithilfe der Meeresverneigung als Günstling der Götter zu repräsentieren, war ein wirksamer Impuls. Die Städte Perge, Side und Aspendos – alle nahe Antalya – unterwarfen sich, jedoch fiel Letztere wieder ab, sodass Alexander umkehrten musste. Die Aspendier mussten verschiedene Strafen anerkennen und wurden fortan auch wegen der Küste von einer Garnison überwacht. Mit der Entscheidung, ins Landes innere vorzustoßen, überließ Alexander den Persern die Küstenregionen, die neue Satrapie Lykien und Pamphylien seinem Vertrauten Nearchos, der später als Flottenkommandant berühmt wurde. Auch ließ er junge Lykier nach makedonischer Art drillen. Sie stießen 329 v. Chr. zu ihm. Der weitere Vormarsch sollte nicht entlang der rauen kilikischen Küste – einem auch in römischer Zeit von Piraten genutzten Rückzugsgebiet – erfolgen, sondern über Zentralanatolien, das von hoher Bedeutung für die rückwärtigen Verbindungen war. Auch die persische Königsstraße von Sardeis nach Susa verlief dort. Der Kampf gegen einige Stämme in der bergigen Landschaft Pisidien im westlichen Taurus erwies sich als strapaziös. Diese waren nie völlig von den Achämeniden unterworfen worden. Trotz einer gewonnenen Schlacht durchzog auch der ehrgeizige Alexander das Gebiet, ohne es flächendeckend zu erobern. So trotzte die Festung von Termessos nordwestlich von Antalya seinem Angriff, den er ohne die Belagerungsmaschinen führte. Er war in Eile und scheint zu diesem Zeitpunkt bereits einen Angriff auf den Großkönig selbst ins Auge gefasst zu haben. Dareios war

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Alexander noch nicht entgegengezogen, zog aber zweifelsohne bereits eine Streitmacht zusammen. Alexander eroberte mehrere pisidische Bollwerke, ignorierte andere und ließ diese Landschaft sogar plündern. Er zog am Burdur-See entlang in Richtung der phrygischen Hauptstadt Kelainai (heute Dinar). Eine mühsame Belagerung der äußerst wehrhaften Burg konnte verkürzt werden, da der Makedonier die Unterwerfung auf vertraglichem Wege regelte. Satrap Großphrygiens wurde Antigonos „Monophthalmos“ („der Einäugige“). Alexanders Hast war riskant, doch den kampferfahrenen Offizier mit dieser Aufgabe zu betrauen, erwies sich als voller Erfolg: Trotz der wenigen Söldner, die ihm zunächst zur Verfügung standen, hielt und verteidigte Antigonos energisch sein Amt und die Kontrolle über die keineswegs befriedete Satrapie bis zum Tod Alexanders. Er spielte danach eine wichtige Rolle im Kampf um die Nachfolge des Königs. Alexander ließ eine Besatzung zurück, zog ohne Zwischenfälle zweihundert Kilometer in nordöstlicher Richtung weiter und erreichte die persische Königsstraße. Ziel war die alte Phrygierhauptstadt Gordion knapp hundert Kilometer südwestlich von Ankyra/Ankara. Hier trafen seine Truppen im Frühling 333 v. Chr. wieder auf Parmenion und die verspäteten Rückkehrer aus der Heimat. Im Spätfrühling 333 v. Chr. zog das Heer weiter nach Ankyra. Alexander begnügte sich damit, die Landschaft Paphlagonien im Norden „ungesehen“ dem hellespontischen Phrygien zuzuschlagen, nachdem Gesandte ihre Unterwerfung angeboten und ihn gebeten hatten, ihr Gebiet zu umgehen. Alexander unterstützte zwar die Demokraten in den Griechenstädten an der Südküste des Schwarzen Meeres, doch sahen auch sie sich gezwungen, die

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Ein luxuriöses Refugium

Ein sprichwörtlich gewordenes Rätsel – der Gordische Knoten Ein Ereignis, das sich in Gordion zugetragen haben soll, ist genauso sagenhaft wie König Midas, der sich fatalerweise gewünscht haben soll, dass sich alles, was er berührt, in Gold verwandelt. Im Zeustempel auf dem Burgberg stand ein alter Wagen, der Midas oder seinem Vater Gordios, dem Stadtgründer, gehört hatte. Gordios war einst zum König ernannt worden, da den Phrygiern prophezeit worden war, dass der Erste, der ihnen auf einem Wagen begegne, dazu bestimmt sei. Der Auserkorene belegte seinen Karren seinerseits mit einer Weissagung: Ein Bastknoten, dessen Enden verborgen waren, verband Deichsel und Joch. Wer dieses „Knäuel“ lösen könne, dem sei die Herrschaft über „Asien“ beschieden. Unmöglich zu klären, was die Quellenautoren erfunden oder verklärt haben oder ob sie gar einem Ammenmärchen aufgesessen sind. Die beiden Hauptstränge der Alexander-Überlieferung unterscheiden sich unter anderem in der Art, wie der König das Rätsel löste. Sie gehen entweder auf Aristobulos oder Kleitarchos zurück, deren Werke nur fragmentarisch erhalten sind. Letzterer schrieb wohl unter Ptolemaios’ I. in Alexandria. Diodor, Curtius Rufus und Justin, die Autoren der sogenannten „Vulgatatradition,“ basieren auf ihm. Sie berichten von dem berühmten Schwerthieb auf den zer-

Ein sprichwörtlich gewordenes Rätsel

berstenden Knoten. Arrian, dem die Forschung in vielen Punkten das meiste Vertrauen schenkt, fußt auf Ptolemaios (I.) selbst und Aristobulos – beide hatten am Feldzug teilgenommen. Letzterer überlieferte, dass Alexander einfach den Pflock zwischen Deichsel und Jochriemen herauszog und damit den Knoten löste. Wie der Biograf Plutarch, der etliche Quellen benutzt, führt Arrian hier beide Varianten auf und enthält sich einer Entscheidung. Es stellt sich die Frage, wieso kein anderer „bedürftiger“ Herrscher zuvor das Rätsel lösen konnte oder wollte: Namensvettern von Midas, Kimmerier-Fürsten, Kyros, Satrapen. Alexander und sein Stab jedenfalls könnten ein Spektakel manipuliert und den weiteren Feldzug als göttergewollt inszeniert haben. Dann müsste die Sage tatsächlich existiert haben, sonst wäre alles als Schwindel aufgeflogen. Zeugt es von besonderen Fähigkeiten, den Knoten auf die eine oder andere Weise zu lösen? Das müssen sich die Zuschauer gefragt haben, wenn sich die Geschichte wirklich so zugetragen hat. Oder hat Alexander das Omen vielleicht sogar belacht? Trotz seiner Religiosität hatte er doch auch die Pythia gekränkt!? Für ihn scheint allerdings festgestanden zu haben, dass ihm mehr zustand als das westliche Kleinasien.

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Oberhoheit des nach Osten eilenden Makedoniers zu akzeptieren – die Befreiungsideologie trat weiter in den Hintergrund. Auch Kappadokien östlich des Halys (Kızılırmak), dessen Südteil Alexander einem Einheimischen unterstellte, blieb im Norden unter Kontrolle des persischen Satrapen Ariarathes, der bald den Süden eroberte und sich auch gegenüber Antigonos behaupten konnte. Er fiel erst 322 v. Chr. gegen die Makedonier unter Perdikkas. Alexanders Truppen marschierten im Frühsommer nach Süden in Richtung der Kilikischen Pforte (Gülek Bog˘azı) im Taurus. Ein Sturm auf den gesperrten Engpass wäre bei Tag katastrophal gewesen – Hypaspisten und Leichtbewaffnete unternahmen deshalb einen nächtlichen Überfall und schlugen die Verteidiger in die Flucht. Alexander zog daraufhin weiter in Richtung kilikische Küste. Währenddessen war an der Westküste Kleinasiens das eingetreten, was der Abzug Alexanders hatte befürchten lassen: Memnon hatte im Frühling auch ohne die bisherigen Tribute aus den westlichen Satrapien sowohl Chios als auch einen Großteil von Lesbos eingenommen, wovon Alexander beim Aufenthalt in Gordion erfuhr. Der Rhodier starb aber überraschend während der Belagerung von Mytilene. Diese Nachricht erreichte Alexander in Kilikien. Nachfolger als Söldnerführer und Flottenkommandanten wurden die Perser Pharnabazos und Autophradates. Sie eroberten die Stadt sowie unter anderem Kos und Tenedos, vermochten aber nicht, den Hellespont in ihre Gewalt zu bringen oder gar die Loyalität des Korinthischen Bundes gegenüber Alexander zu brechen. Bei Siphnos unterlag ein Teil des persischen Schiffsverbands der neuen makedonischen Flotte, und in Halikarnassos eroberten Alexanders Truppen unter Asandros und Ptolemaios die lange umkämpften Zitadellen. Dareios gab

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schließlich den Befehl, die meisten Söldner auf den Schiffen nach Syrien abzuziehen, da er sie für den direkten Schlagabtausch mit Alexander benötigte, der bevorstand. Dessen nächstes Ziel war Tarsos. Kein griechisches Heer war, sieht man von Söldnern ab, jemals so weit nach Osten vorgedrungen. Der Satrap Arsames, der bereits am Granikos mitgekämpft und auf eine energische Verteidigung der Kilikischen Pforte verzichtet hatte, floh zu Dareios und sah von einer Verwüstung der aufgegebenen Residenz und ihres Umlands ab, da Alexander im Eilmarsch anrückte. Der Leibwächter Balakros wurde neuer Satrap und blieb im Amt, bis er 324 v.Chr. bei einem Aufstand der Pisidier getötet wurde. Die offizielle Eroberung Kleinasiens war fast abgeschlossen, doch der Feldzug, der längst begonnen hatte, sich gegen Dareios persönlich zu richten, stand mit einem Mal erneut vor dem Aus. Während Dareios Truppen besonders aus den zentralen Satrapien seines Reichs nach Babylon beorderte, erkrankte Alexander wohl auch aus Erschöpfung möglicherweise an einer lebensgefährlichen Lungenentzündung. Er hatte im Wasser des Flusses Kydnos – Tarsus Çayı, nicht zu verwechseln mit dem weiter westlich fließenden Kalykadnos/Saleph/Göksu, in dem Kaiser Friedrich I. Barbarossa während des 3. Kreuzzuges 1190 ertrank – gebadet. Erst ein Trank seines griechischen Arztes Philippos, vor dessen Einnahme Parmenion gewarnt haben soll, rettete ihm angeblich das Leben. Wieder genesen, führte der König einen Feldzug im isaurischen Bergland sowie an der Küste, um die immer noch operierende Perserflotte zu isolieren. Er marschierte nach Soloi, einer griechischen Kolonie. Deren Einwohner sollen, hier am Ostrand des Mittelmeers, ein schwer verständliches Griechisch gesprochen

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haben. Davon leitet sich der Begriff Solözismus ab, womit ein grober Sprachfehler gemeint ist. Alexander setzte hier eine demokratische Regierung ein. Die zweite wichtige Hafenstadt nahe Tarsos war Anchialos, eine Gründung des Assyrerkönigs Assurbanipal, dessen Grab Alexander besuchte. Im etwa hundert Kilometer weiter östlich gelegenen Mallos schlichtete er erneut einen Bürgerschaftsstreit und erließ den Einwohnern den Tribut, da es hieß, sie stammten wie Herakles aus Argos. Hier soll die Meldung eingetroffen sein, dass Dareios bereits in Sochoi am Nordwestrand Syriens stand. Parmenions Abteilung, die bereits entsandt worden war, um verschiedene Pässe im Amanosgebirge zu sichern, war nur drei Tagesmärsche davon entfernt. Die Makedonier und ihre Verbündeten eilten die Küste des Golfs von Iskenderun – als Iskender war Alexander im Orient bekannt; der Name ist noch immer geläufig – entlang, vereinigten sich mit Parmenion, passierten die Ortschaft Issos, wo der Tross, Verletzte und Kranke zurückblieben, und die Stelle nördlich von Iskenderun, an der Jona an Land gespien worden sein soll. Alexander hatte die sogenannten Syrischen Tore erreicht und plante, über den etwas südöstlich gelegenen Belen-Pass weiter vorzudringen. Etwa einen Tagesmarsch später, in der phönizischen Hafenstadt Myriandros, erhielt er allerdings die Meldung, dass Dareios bereits das Amanosgebirge von Osten aus passiert und die Truppen in Issos hatte massakrieren lassen. Per Schiff schickte Alexander einen Aufklärungstrupp, der dies bestätigte. Entgegen dem Rat des makedonischen Flüchtlings Amyntas hatte der Großkönig entschieden, die für seine Reiterei geeigneten Ebenen Syriens zu verlassen und an den schmalen Küstenstreifen vorzustoßen. Die beiden Heere mögen sich um lediglich zwei Tage verpasst haben, wohl ohne davon gewusst zu haben – dank Alexan-

Drei-drei-drei – bei Issos Keilerei

ders Popularität eines der berühmtesten, jedoch unfreiwilligen Umgehungsmanöver im Vorfeld einer Schlacht. Es fällt schwer sich vorzustellen, dass die Aufklärung vor allem auf persischer Seite hier tatsächlich vollends versagt hatte. Wenn man berücksichtigt, dass nur antipersische Schriften erhalten sind, bleibt die Möglichkeit bestehen, dass Dareios darauf abzielte, seinen Feind zu isolieren, indem er dessen rückwärtige Verbindungen blockierte. Dann muss er sich jedoch eines schnellen Sieges sicher gewesen sein, denn er hatte ein großes Schatzlager in Damaskos zurückgelassen. Alexanders Lage war prekär. So schlagkräftig sein Heer auch war – es stand in Feindesland, der Nachschub war mit Dareios im Rücken ausgefallen und ein weiterer Vorstoß unter solchen Bedingungen, noch dazu Anfang November, sinnlos. Doch muss er frohlockt haben: Der nun unumgänglichen direkten Auseinandersetzung hatte er lange Zeit entgegengefiebert. Und er wusste um die Beschaffenheit des Schlachtgeländes, das er eben erst durchzogen hatte. Alexander machte sofort kehrt und traf südlich von Issos auf Dareios.

Drei-drei-drei – bei Issos Keilerei

Wie bereits am Granikos trennte auch hier ein Fluss die beiden Heere: der nicht sicher identifizierte Pinaros, vielleicht der Deli Cay, Kuru Cay oder Payas. Alexanders Heer mit etwa 30 000 Mann stand ein etwa zwei- bis dreimal so großes Aufgebot des Dareios gegenüber, keinesfalls aber mehrere Hunderttausend Mann, wie geflunkert wurde. Eine solche Streitmacht hätte auf dem nur einige Kilometer breiten Küstenstreifen schwerlich in Stellung gebracht werden können. Dareios’ Truppen bestanden

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vor allem aus persischen und medischen Reitern auf dem rechten Flügel an der Mündung des Flusses, schwer bewaffneten Griechen, den Kardaken – iranischen Kolonisten – und ganz links an den Ausläufern des Gebirges aus Leichtbewaffneten, die, weiter vorn platziert, Alexanders Truppen zu umfassen drohten. Dareios befand sich im Zentrum hinter der Front, umgeben von seiner Reitergarde und weiteren Fußtruppen. Der Hauptstoß war vom rechten Flügel, von der Reiterei unter dem höchsten Minister (Chiliarch) Nabarzanes, zu erwarten. Alexander reagierte: Er zog die Thessalier vom rechten Flügel mit Leichtbewaffneten, den Hetairenreitern, Hypaspisten und drei Abteilungen Phalangiten ab und verstärkte mit ihnen Parmenions linken Flügel mit der griechischen Reiterei, Kretern, Thrakiern und den anderen drei Brigaden. Gefährten und Agrianen delegierte er an den Gebirgsrand, um die Umzingelung abzuwehren. Zudem verlängerte Alexander seine Schlachtlinie mithilfe griechischer Infanterie, die hinter der Front positioniert war. Dann ergriff er erneut die Initiative: Die königliche Chiliarchie der Hypaspisten kommandierend führte er den rechten Flügel an, der den Fluss durchquerte und die Perser zurückdrängte. Dann übernahm er die königliche Hetairenkavallerie und stieß massiv gegen das persische und griechische Fußvolk vor, während die persische Reiterei und die Hopliten Parmenions Reitern und den in Unordnung geratenen Gefährten zu Fuß am Flussufer schwer zusetzten. Entschieden wurde die Schlacht durch den ungestümen Angriff Alexanders in Richtung Dareios. Zwei Satrapen, die den Großkönig persönlich hatten schützen sollen, waren bereits gefallen, als sich der Achämenide zur Flucht entschloss. Ob dies relativ frühzeitig geschah oder erst nachdem Dareios Alexander

Drei-drei-drei – bei Issos Keilerei

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Pyr am os

Die Schlacht von Issos

K I L I K I E N

Pinaros

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Issos

Golf von Issos

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Mallos

Dareios

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(Bucht von Iskenderun)

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Alexander

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Myriandros N

Syrische Tore

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30 km

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angeblich verletzt hatte oder Auge in Auge, wie es auf dem berühmten Alexandermosaik aus Pompeji dargestellt ist, lässt sich nicht sagen. Die Kavallerie kam der Phalanx zu Hilfe, indem sie in die Flanke der Söldner stieß. Der eher ungeordnete Rückzug, zu dem viele eigentlich noch kampfbereite Truppen durch die Aufgabe ihres Königs bewogen worden waren, kostete vielen Persern das Leben, da Alexander sie bis tief in die Nacht hinein verfolgen ließ. Auf seiner Seite waren angeblich 450 Soldaten gefallen und 4500 verwundet worden. Unabhängig vom Schicksal der Verwundeten ist besonders in Bezug auf die schwere Infanterieschlacht allerdings von weitaus höheren Verlusten auszugehen. Obwohl Dareios eine schwere Niederlage erlitten hatte, sind die angeblich 110 000 Gefallenen, die wohl Kallisthenes in Umlauf brachte, noch unrealistischer. Etliche Perser und besonders die griechischen Söldner, die verlustärmer, da geordneter entkommen waren, zog es nach Westen. Ein Teil marschierte bis nach Lydien, wo Antigonos sie in angeblich drei Schlachten besiegte. 4000 marodierende Söldner unter Amyntas gingen in Ägypten unter, viele segelten bis zur Peloponnes, um in andere Dienste zu treten. Nach der Schlacht ließ Alexander, selbst am Bein verwundet, Altäre für Zeus, Athene und Herakles errichten. Am Payas ließ er zudem die Stadt Alexandreia kat’Isson (Alexandretta, Iskenderun) gründen. Er hatte Dareios auf dessen eigenem Territorium geschlagen und darüber hinaus reiche Beute gemacht: Im Lager des Großkönigs befanden sich neben zahlreichen Kostbarkeiten dessen Mutter Sisygambis, dessen Schwestergemahlin Stateira und dessen Kinder, die der Makedonier ehrenvoll behandelte. An Rache für die Griechen war hier längst nicht mehr zu denken. Parmenion marschierte währenddessen nach Damaskos, wo

D i e B e l a g e r u n g v o n Ty r o s

er ca. 3000 Talente in Münzen und 500 Pfund Silber auffand, die alle Geldsorgen abrupt beendeten. Alexander ließ daraus seine ersten eigenen Münzen – vor allem Tetradrachmen – prägen, die seine göttliche Abstammung betonten, da sie seine „Vorfahren“ Zeus und Herakles – von den Einheimischen als Baal und Melkart verehrt – zeigen. Der General stieß zudem auf weitere Verwandte des Dareios sowie auf Barsine, die Witwe Mentors und Memnons. Er und auch sein König kannten sie aus dem Exil ihres Vaters Artabazos in Makedonien. Barsine wurde Alexanders Geliebte; sie soll später einen Jungen zur Welt gebracht haben, der bezeichnenderweise Herakles getauft wurde. Wenn er wirklich existiert hat, was teilweise bezweifelt wird, war er der letzte männliche, wenn auch illegitime Argeade.

Die Belagerung von Tyros

Nach diesem großen Sieg stellte sich zum einen heraus, dass sich Alexanders Macht in Griechenland scheinbar weitgehend gefestigt hatte. Die Mitglieder des Korinthischen Bundes beschlossen, ihm ihre Ehrerbietung zu erweisen. Gesandte erreichten ihn dazu im Sommer 332 v. Chr. Zum anderen hatte sich zu diesem Zeitpunkt die persische Flotte aus phönizischen und zyprischen Schiffen aufgelöst und war heimgekehrt. Der Makedonier hätte nun Dareios ins Zweistromland nachsetzen können. Einige Berater bevorzugten eine Vorgehensweise, die zu Philipp gepasst hätte, nämlich am Halys oder spätestens am Amanosgebirge die rasche Expansion vorerst anzuhalten, um die riesigen eroberten Gebiete zu sichern. Alexander indes strebte vermutlich schon längst die Nachfolge des Großkönigs an. Er ging oft persönlichen Motiven nach,

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zum Beispiel wenn er für religiöse Belange große Umwege in Kauf nahm oder Sonderrechte erteilte. Obwohl ihn die Verfolgung des Dareios also reizte, bewies er in diesem Moment strategische Weitsichtigkeit: Er verschob den weiteren Vorstoß nach Osten, verweilte jedoch keineswegs in Kleinasien, sondern zog, nachdem er den Makedonier Menon zum Satrapen in Nordsyrien erklärt hatte, nach Süden, um zunächst den Ostrand des Mittelmeers zu erobern. Zahlreiche Städte, darunter Byblos, Sidon – von dort stammt der berühmte „Alexandersarkophag“, der wohl für den alexanderfreundlichen Stadtkönig Abdalonymos hergestellt wurde –, etwas später Akkon sowie verschiedene zyprische und rhodische Herrscher und Städte erkannten seine Oberhoheit an; die Phönizier hatten immerhin erst wenige Jahre zuvor gegen die Perser rebelliert. Doch wie im Fall Milets an der Ägäisküste gab es auch hier eine sehr bedeutende Hafenstadt, die eine Unterwerfung ablehnte: das stark befestigte Tyros, die mächtigste phönizische Handelsstadt. Verschiedene Invasoren hatten bereits vergeblich versucht, die Mutterstadt der Großmacht Karchedon (Karthago) einzunehmen. 800 Meter vor dem Festland gelegen, erklärte sie sich für neutral und verweigerte Alexander militä rischen Zutritt. Er hatte angekündigt, in der Stadt seinem Idol Herakles/Melkart ein Opfer darzubringen, doch die Tyrier verwiesen ihn auf einen Tempel im alten Tyros auf dem Festland. Alexander begab sich in die Vorgängerstadt, jedoch aus anderen Gründen. Eine Garnison zur Bewachung zu hinterlassen genügte ihm nicht; es hätte ihn beleidigt. Er entschied sich für eine Belagerung. Wahrscheinlich spielte dabei auch eine Rolle, dass die Seemacht Karthago hier hätte intervenieren können, wenn er weitergezogen wäre. Das nun einsetzende Mammutprojekt zählt

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zu den umfangreichsten Militäroperationen der Antike. Es währte von Januar bis August 332 v. Chr., und wenn auch der Ort, an dem später die Gebeine Kaiser Barbarossas bestattet worden sein sollen, am Ende fiel, dann nur auf Kosten etlicher Menschenleben und durch enormen Arbeits- und Materialverschleiß. Die Belagerer errichteten zunächst einen Damm aus Steinen und Holz, die aus dem alten Tyros herbeigeschafft wurden. Bevor das riesige Bauwerk die Mauer erreicht hatte, äscherten die Tyrier es mithilfe eines von Dreiruderern gedeckten Brandschiffes ein, und zwar mitsamt den beiden Belagerungstürmen. Landungstruppen zerstörten die restlichen Belagerungsmaschinen. Alexander befahl den Bau eines neuen, verstärkten Damms. Er hatte inzwischen einen Feldzug gegen Stämme im Hinterland geführt und den Nachschub gesichert. Auch stieß ein großes, wertvolles Kontingent peloponnesischer Krieger vor Tyros zu seinem Heer. Der Energie und technischen Erfindungsgabe der Tyrier – sie waren mit bester Artillerie ausgestattet – hatten die Invasoren monatelang nichts entgegenzusetzen, so modern ihre riesigen Türme, Sturmböcke, Pfeilkatapulte und Steinschleudern auch waren. Die Situation änderte sich erst, als der Makedonierkönig aus Sidon zurückkehrte. Im Schlepptau hatte er einen Schiffsverband, der aus einem Großteil der ehemaligen Perserflotte bestand. Mit dieser Verstärkung konnte er an verschiedenen Fronten angreifen. Zunächst schlugen die Verteidiger ihn jedoch mit seiner eigenen Taktik, die er bei der Belagerung von Milet angewandt hatte: Sie verweigerten die Seeschlacht und verriegelten die Häfen. Von der Hartnäckigkeit Alexanders zermürbt, entschieden sich die ausgehungerten Tyrier, mit der Flotte einen Ausfall zu riskieren. Dieser wurde nach Anfangserfolgen zurückgeschlagen. Ihre Stadt fiel durch einen kombinierten Großangriff: Zyprische

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und phönizische Schiffe drängten in die Häfen, andere unternahmen Scheinangriffe. Sturmböcke auf miteinander vertäuten breitbauchigen Booten rammten die Mauern, etliche Steinschleudern beschossen die Stadt vom Damm und von den Schiffen aus. Schließlich überwanden Hypaspisten in der Nähe des vollendeten Damms als erste Truppen die beschädigte Stadtmauer. Der Preis für die energische Verteidigung ihrer Stadt war sehr hoch: Es folgte ein gnadenloses Massaker, das einigen Tausend Tyriern das Leben kostete. Wahrscheinlich wurden die überlebenden Männer mit Ausnahme der im Tempel Schutzsuchenden, darunter der König sowie karthagische Gesandte, gekreuzigt. Alexander ließ angeblich 30 000 Einwohner versklaven, die Stadt neu bevölkern, eine griechische Verfassung einrichten und eine Besatzung zurück. Damit er das Opfer für Herakles vollziehen konnte, waren auch etwa 400 seiner Männer gefallen; mindestens 3000 waren verwundet. Weitgehend unstrittig ist, dass Alexander spätestens nach der „Keilerei“ bei Issos das gesamte Perserreich für sich beanspruchte. Unklar bleibt hingegen, inwieweit und wann Dareios bereit war, Alexander in diesem Punkt entgegenzukommen. In einem Briefwechsel aus dem Jahr 332 v. Chr. und/oder 331 v. Chr. soll es zum gegenseitigen Vorwurf der Aggression gekommen sein, und Dareios soll ein oder mehrere Angebote unterbreitet haben: Er verlangte die Freilassung seiner Familie, garantierte Alexander eine riesige Lösegeldsumme, ein Freundschaftsbündnis, die Hand seiner Tochter sowie die Gebiete westlich des Halys – die Alexander längst kontrollierte – oder sogar des Euphrat. Unabhängig davon, wie das Angebot wirklich aussah und wann es eintraf: Der Großkönig hatte sich gewissermaßen unterworfen, und Alexander lehnte dennoch ab. Berühmt ist der Moment,

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in dem Parmenion wieder einmal das Nachsehen hatte: Er riet, das Angebot anzunehmen, doch sein König konterte, das würde er auch, wenn er Parmenion wäre. Für Alexander stand die weitere Eroberung des persischen Reiches außer Frage, auch weil zunächst mit keinem feindlichen Großaufgebot zu rechnen war. Die Städte Palästinas unterwarfen sich, jedoch auch hier nicht ausnahmslos. Die Bevölkerung von Gaza, einer Bastion auf dem Weg nach Ägypten, hatte unter den Persern relativ unabhängig gelebt. Ihre Stadt war einst auf einem Hügel errichtet worden, und ihr Kommandant Batis schien wie seine Amtskollegen in Milet, Halikarnassos und Tyros auf die starke Befestigung seiner Stadt zu bauen. Alexander konnte jedoch auch auf dieses wohlhabende Handelszentrum an der Weihrauchstraße nicht verzichten. Er ließ das Belagerungsmaterial aus Tyros nachkommen und die Maschinen auf einem eigens aufgeschütteten Hügel in Stellung bringen. Die Einwohner Gazas setzten sich lange Zeit heftig zur Wehr; mehrere Angriffe der Makedonier scheiterten, ein Pfeil in die Schulter kostete Alexander viel Blut. Doch nach zwei Monaten, im November 332 v. Chr., fielen Gazas beschossene, gerammte und leicht zu untergrabende Mauern an mehreren Stellen ein. Beim entscheidenden Angriff erlitt Alexander eine weitere Wunde am Schienbein. Ob er Batis wirklich zu Tode schleifte – noch brutaler, als Achilleus es mit Hektor getan hatte –, bleibe dahingestellt. Im folgenden Blutbad fielen etliche Verteidiger, und auch die Überlebenden dieser Stadt gingen in die Sklaverei. Wie Tyros wurde Gaza neu bevölkert.

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Ägyptens uralte Hochkultur wirkt nicht nur auf uns mysteriös und faszinierend. Bereits die alten Griechen waren von seinen gigantischen Bauwerken und seinen Sitten beeindruckt. Das wirtschaftliche Potenzial des Landes am Nil, besonders sein Korn hatte schon die Achämeniden veranlasst, es in ihr Reich einzugliedern. So hatten sie alles daran gesetzt, Ägypten nach seinem Abfall 404 v. Chr. zurückzuerobern. Das war erst 343 v. Chr. gelungen, und die Niederschlagung eines erneuten Aufstandes hatte Dareios von Alexanders Feldzugsbeginn abgelenkt. Die Inbesitznahme der Satrapie war für Alexander allein schon aus wirtschaftlichen, doch ebenso aus wissenschaftlichen Gründen unumgänglich. Außerdem war sie mit geringen Problemen verbunden, da nur wenige persische Truppen in Ägypten stationiert waren. Dareios hielt es für zwecklos, ein Heer zur Verteidigung in die ihm feindlich gesinnte Satrapie zu entsenden. „Zur Rückendeckung“ hatte Alexander einen Heeresteil in Damaskos zurückgelassen und zog binnen einer Woche zur Grenzfestung Pelusion (bei Port Said). Der Kommandant ließ ihn feierlich empfangen. Der weitere Weg führte ausgewählte Truppen über Heliopolis (bei Kairo), wo Platon lange Zeit gelebt haben soll, nilaufwärts in die Hauptstadt Memphis. Dort lief auch die makedonische Flotte ein. Mazakes, der Nachfolger des bei Issos gefallenen Satrapen Sabakes, übergab dem Makedonier die Satrapie kampflos sowie etwa 800 Talente in Gold. Vielleicht nicht die Bevölkerung, dafür aber die mächtige Priesterschaft sympathisierte mit Alexander: Im Gegensatz zu den Achämeniden und später Augustus ehrte er den heiligen Apis-Stier. Zudem bestätigte er deren Vorrechte, was ein traditionelles Problem zwischen Pharao

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und Priestern war, und gab die Restauration von Heiligtümern in Auftrag. In Kombination mit seiner militärischen Macht führte diese Wahrung der alten Kultur dazu, dass die Ägypter ihn zum Pharao ernannten, auch wenn nicht feststeht, ob Alexander formell als solcher gekrönt wurde. Diese unglaubliche Ehrung als Horus, als göttlicher Sohn des Sonnengottes Ra/Re, war für ihn sicher mehr als nur eine Begleiterscheinung seines Feldzugs nach Ägypten. Sie war indessen mit einem anderen persönlichen Motiv verbunden, das ihn in das Wunderland geführt hatte. Zunächst sorgte Alexander jedoch für seine vielleicht größte wirtschaftliche Hinterlassenschaft für die Menschheit. Mit ausgewählten Truppen segelte er im Januar 331 v. Chr. auf dem westlichen Nilarm in Richtung Küste, die er bei Kanopos erreichte. Er suchte den nahen Mareotissee auf. Auf dem Landstreifen zwischen diesem und dem Meer lag das Dorf Rhakotis. Diese Stelle beschreibt schon die „Odyssee“ – sie wurde von der Insel Pharos abgeschirmt, hatte Anschluss an den Nil und erschien dem „makedonischen Pharao“ für eine weitere Stadtgründung nach griechischem Vorbild als sehr geeignet. Veteranen, Griechen und Siedler verschiedener Ethnien wurden hier heimisch. Alexandria in Ägypten, heute noch die zweitgrößte Stadt des Landes, avancierte in den kommenden Jahrhunderten zu einer der bedeutendsten antiken Metropolen. Der Argeade, der selbst einen groben Stadtplan entworfen hatte, hat ihr sicherlich von vornherein große ökonomische Bedeutung beigemessen, vorrangig für den Fernhandel mit Griechenland, den zuvor Naukratis oder Herakleion im Nildelta dominiert hatten. Absehbar war die großartige Zukunft des ägyptischen Alexandria zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. Alexanders „Mission“ in Ägypten war noch nicht vollendet.

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Vielmehr hatte er wahrscheinlich schon weit im Vorfeld beabsichtigt, zum Ammonion, zum angesehenen Orakel des Gottes Ammon – des ägyptischen Amun bzw. (in etwa) des griechischen Zeus – zu reisen. Nach ihm wurde das Ammoniak, das dort angeblich gewonnen wurde, benannt. Das Heiligtum war den Griechen wohlbekannt: Verschiedene berühmte ihrer Staatsmänner, darunter Kimon, und sogar Kroisos hatten es aufsuchen lassen, und besonders für Alexander war das Erreichen der Stätte, auch aufgrund der Abgelegenheit tief in der libyschen Wüste, bedeutungsvoll: Seine mythischen Vorfahren Herakles und Perseus sollen dorthin gereist sein, und eine ganze Armee des Kambyses, so berichtet Herodot in seinen „Neun Büchern der Geschichte“, verscholl auf dem gefährlichen Weg. Nicht zuletzt hatte schon der von Alexander verehrte Dichter Pindar von Ammon geschwärmt. Die Makedonier stießen 300 Kilometer bis nach Paraitonion (Marsa Matruh) vor. Abgesandte aus Kyrene suchten Alexander mit Geschenken auf. Mit etwa noch einmal derselben Strecke durch die Wüste vor sich, verzichtete der Argeade darauf, diese wohlhabende griechische Kolonie und ihr Umland (Kyrenaika) an der libyschen Küste offiziell seinem Herrschaftsgebiet zuzuschlagen. Selbst im Winter war der Weg beschwerlich, und die Truppen erreichten ihr Ziel nur durch göttliche Gunst – mit unerwartetem Regen sowie zwei wegweisenden Raben oder Schlangen. In der Oase Siwa war man wahrscheinlich über die Geschehnisse in Memphis informiert worden, auch wenn das dortige Orakel den Ägyptern weniger bedeutete als den Griechen. Ein Priester begrüßte Alexander am Eingang zum Heiligtum, dessen Inneres der Pharao allein betrat, standesgemäß als Sohn Gottes, was Alexander der Überlieferung nach zu persönlich nahm, als

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dass er es nur als traditionelle Anrede des Pharaos verstand. Welche Fragen er dem Orakel stellte, ob über die Zukunft des Feldzugs oder seine Abstammung, bleibt unbekannt. Er äußerte sich dazu nicht offiziell, sondern wollte Olympias später die Weissagungen offenbaren. Selbst wenn er Ammon später ab und zu anrief und vielleicht in Siwa bestattet werden wollte, ist das kein Beweis dafür, dass der Besuch des Orakels bei Alexander bewirkte, an seine Abstammung von Zeus-Ammon wahrhaftig zu glauben, wie seine Truppen meinten. Sie an seine Göttlichkeit glauben zu lassen mag hingegen Alexanders Ambitionen oder denen seiner Ratgeber entsprochen haben. Ähnliche Prophezeiungen anderer Orakelstätten über seine Person, die angeblich zeitgleich eintrafen, wurden sicherlich später erfunden, um Alexanders Ruhm zu untermauern. Gegner kritisierten seinen zu dieser Zeit einsetzenden anmaßenden Herrschaftsanspruch. Dies könnte mit dem Besuch des Ammonions durchaus zusammenhängen. Bereits der spartanische Feldherr Lysander hatte einen Spruch des Orakels dahingehend gedeutet, dass ihm göttliche Ehren zustehen. Möglicherweise war Alexander fortan davon überzeugt oder vom bevorstehenden endgültigen Sieg über Dareios. Vielleicht wieder über Alexandria, das im April offiziell gegründet wurde, vielleicht aber auch auf direkterem Weg im Süden kehrten die Truppen nach Memphis zurück. Alexander richtete Ägypten nicht als typische Satrapie ein, sondern wählte ein ähnliches System wie in Halikarnassos: Er übergab die zivile Verwaltung zwei Ägyptern und ließ zwei eigene Strategen mit Besatzungen in Pelusion und Memphis zurück. Zusätzlich vertraute Alexander dem Griechen Kleomenes von Naukratis die Oberaufsicht über die Finanzen und Steuern an, wozu auch die

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Ein luxuriöses Refugium

„Alexandria bei Ägypten“ Alexander hatte den Mauerverlauf „seiner“ Stadt sowie einige Plätze für die Agora und verschiedene Tempel festgelegt. Der rhodische Architekt Deinokrates entwarf die Stadt im sogenannten hippodamischen Stil, das heißt mit rechtwinkligen Straßenverläufen. Alexandria erhielt mehrere Häfen und war über einen Kanal mit dem Nil verbunden. Ein etwa 1,3 Kilometer langer Damm verband das Festland mit der Insel Pharos, auf der um 280 v. Chr. der berühmte 130 Meter hohe Leuchtturm, eines der sieben Weltwunder, entstand. Erst im 14. Jahrhundert zerstörte ihn ein Erdbeben. Trotz seiner eher peripheren Lage entwickelte sich die Stadt zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Handel mit dem gesamten östlichen Mittelmeer, Nubien, Arabien und Küstengebieten am Roten Meer. Das ägyptische Alexandria ist die einzige der zahlreichen Stadtgründungen Alexanders, die kaum militärische Funktion hatte. Die Bürgerschaft bestand unter anderen aus griechischsprachigen Soldaten und Siedlern, aber auch aus Ägyptern oder Juden, die zu Bürgern werden konnten und wie in den anderen neuen Städten nach ihren Bräuchen lebten und einen anderen Rechtsstatus hatten, sich jedoch der griechischmakedonischen, demokratischen Verfassung der Stadt anpassen mussten. Auseinandersetzungen mit den glaubensstarken Juden und anderen waren vorprogrammiert. Die Verwaltung blieb in makedonisch-griechischer Hand. Ein Großteil der Stadt bestand bald aus Palästen und Gartenanlagen. Über der Stadt thronte ein riesiges Heiligtum für den „neuen“ griechisch-ägyptischen Gott Serapis, das Ptolemaios I. erbauen ließ. In Alexandria entstand unter dessen Sohn die größte Bibliothek des Altertums. Einer der Leiter war der Geograf Eratosthenes, der dafür berühmt ist, dass er den Erdumfang erstaunlich präzise ermittelte. Die Bibliothek war Teil des riesigen Museions, eines Vorläufers der Universitäten, der bis zum 7. Jahrhundert n. Chr., der Zeit der arabischen Eroberung, bestand. Alexandria rang mit den Metropolen der anderen hellenistischen Staaten um Ansehen und Macht und löste später Athen als geistiges Zentrum der Griechen ab.

Die Schlacht bei Gaugamela

Leitung beim Ausbau Alexandrias gehörte. Dessen rigorose Vorgehensweise bei der Eintreibung der Steuern brachte ihm später eine Anklage ein – er wurde allerdings begnadigt – und Ptolemaios I., Alexanders General und Nachfolger als Pharao, der sich Kleomenes’ schließlich entledigte, einen prall gefüllten Staatsschatz.

Die Schlacht bei Gaugamela und der Einzug in Babylon

Durch neue Truppen verstärkt, zog Alexander im März 331 v. Chr. zurück nach Phönizien. Im palästinensischen Samaria musste er einen schweren Aufstand niederschlagen. In Tyros machte das größtenteils wiedervereinigte Heer zur Neuorganisation zwei Monate Rast. In Griechenland hatten sich inzwischen doch Unruhen zusammengebraut. König Agis III. von Sparta (338–331/30 v. Chr.) hatte seit geraumer Zeit Truppen um sich geschart, um massiv gegen die makedonische Hegemonie vorzugehen. Erfolg hatte er besonders auf Kreta, wo sich mehrere Städte ihm anschlossen. Zudem machten Piraten Teile der Ägäis unsicher. Alexander wusste von diesen Entwicklungen. Schon in Ägypten hatte er eine Flotte ausgesandt, um gegen diese Gefahren vorzugehen. Zudem hielt sich Alexander „Athen warm“, dessen Gesandte ihn geehrt und um die Freilassung von Kriegsgefangenen gebeten hatten, wies Geldzahlungen an Antipatros an, überließ seinem Strategen aber ansonsten die Bekämpfung des gefährlichen Aufstands Spartas und seiner Verbündeten, den er später abfällig als „Mäusekrieg“ bezeichnet haben soll. Solange Alexander nichts vom Her- und Ausgang des Aufstands wusste – ein Eilbote mag zwei Monate benötigt haben –, blieb die

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Zukunft seines eigenen Vorhabens im Osten jedoch in großer Gefahr. Doch wäre er im Fall einer erfolgreichen Revolte in Griechenland jetzt noch umgekehrt? Die Spannung entlud sich in der Schlacht von Megalopolis Ende 331 oder Anfang 330 v. Chr. – einem für Makedonien ungünstigen Moment, da ein Kontingent von 15 000 Mann bereits zu Alexander aufgebrochen war. In der Schlacht starben 3500 Mann auf makedonischer Seite, doch Antipatros siegte, da die Athener im letzten Moment gezögert hatten, mit Agis zu koalieren. Makedonien war wieder einmal Nutznießer der griechischen Zerstrittenheit. Nachdem Alexander Finanzbeauftragte für verschiedene Satrapien ernannt hatte, zog er im Mai 331 v. Chr. mit 47 000 Mann weiter. Der im Vorfeld begonnene Bau von Schiffsbrücken über den Euphrat beim nicht sicher lokalisierten syrischen Thapsakos konnte erst vollendet werden, als er selbst im Juli anrückte, der Satrap Mazaios daraufhin seine Stellungen aufgab und verwüstetes Land hinterließ. Der Makedonier glaubte entweder, dass Dareios ihm entgegenzog und keinen Kampf vor dem nicht sonderlich loyalen Babylon riskierte, oder wollte die trockeneren Regionen im Süden meiden. Er marschierte zum Tigris und passierte ihn Ende September. Die Entscheidungsschlacht erfolgte am 1. Oktober 331 v. Chr. auf einer Ebene bei Gaugamela unweit der neuassyrischen Haupstadt Ninive – etwa bei Mosul im heutigen Nordirak. Dareios hatte das Terrain sorgfältig ausgesucht, es sogar mit Hindernissen versehen und ebnen lassen, denn er wollte diesmal seine Reiterei, die sich nun besonders aus Kriegern der zentraliranischen und östlichen Satrapien zusammensetzte, effektiv einsetzen. Sein Heer war zweifellos riesig, mag aber nicht den anti-

Die Schlacht bei Gaugamela

ken Angaben von einer Million entsprochen, sondern maximal 300 000 Mann umfasst haben. Es bestand neben den iranischen Reitern unter anderem aus 200 skythischen Sichelstreitwagen, aus Bogenschützen- und sogar Lanzenreitern. Dazu kamen die Infanteriegarde, 2000 Söldner, etliche weitere Fußkämpfer aus weiten Teilen des Reichs sowie einige Kriegselefanten, die aber kaum zum Einsatz kamen. Der Großkönig hatte die Angriffs- und Verteidigungswaffen seiner Truppen modifiziert und verstärkt Lanzenreiter rekrutiert. Er positionierte seine besten Truppen – die Reiterei aus Baktrien und Sogdien sowie die Skythen unter Befehl des mit ihm verwandten Satrapen Bessos – am linken Flügel, denn er erwartete eine ähnliche Attacke der Makedonier wie bei Issos. Der Großkönig stand erneut im Zentrum, umgeben von der Garde und den Söldnern – darunter nur noch wenige Griechen – und gedeckt durch Streitwagen und Elefanten. Hinter ihm wartete die Reserve. Den rechten Flügel der Perser mit iranischen, medischen und ostkleinasiatischen Kavalleristen kommandierte der vom Euphrat geflohene Satrap Mazaios. Vor der Schlacht soll Alexander Parmenion einmal mehr widersprochen haben, als der General vorschlug, in der Nacht anzugreifen. Eine solche Vorgehensweise entsprach nicht dem Ruhmesstreben des Zeus-Sprösslings, stand er doch Dareios gegenüber und nicht etwa an der Kilikischen Pforte, wo er diese Taktik gewählt hatte. Er bevorzugte den offenen Frontalangriff, auch wenn seine Truppen – 7000 Reiter und 35 000 Fußkämpfer – zahlenmäßig weit unterlegen waren und deswegen ihre Schlachtlinie im Gegensatz zur persischen sehr schmal ausfallen musste. Plausibel aber ist der Rat Parmenions, erst das Terrain erkunden zu lassen und am Morgen zu attackieren, den Alexan-

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der befolgte. In der Nacht opferte er dem Phoibos, der personifizierten Angst, damit dieser die Gegner schwäche. Oder erbat er etwa, selbst vor Furcht verschont zu bleiben? Jedenfalls soll er danach seelenruhig geschlafen haben. Die Aufstellung von Alexanders Truppen entsprach im Prinzip der bei Issos. Auch die beiden Schlachtverläufe ähneln sich so sehr, dass von einigen gemutmaßt wurde, es habe vielleicht nur eine der beiden Schlachten gegeben: Wieder attackierten Alexanders Hetairenreiter sofort die persischen Linien. Der König nutzte eine Lücke, die durch Bessos’ Gegenstoß entstand, und drang letzten Endes erneut massiv und willensstark gegen den Großkönig vor, bis dieser wiederum die Flucht ergriff. Seine Reiter waren gescheitert, die Sichelwagen großenteils wirkungslos geblieben, da die Makedonier geschickt Lücken gebildet hatten und die hineinpreschenden Wagen von Agrianen und anderen Leichtbewaffneten und Speerwerfern aufgerieben worden waren. Dass Dareios auch aus dieser Schlacht entkommen konnte, wurde Parmenion später zur Last gelegt. Der General war am linken Flügel unter enormen Druck geraten – seine Linien waren zerborsten, Perser sogar bis ins Lager vorgestoßen. Hätten sie die Flanken der Phalangen und der griechischen Reiterei attackiert, wären sie vielleicht als Sieger aus der Schlacht hervorgegangen. Der Achämenide hatte jedoch keinen entsprechenden Befehl gegeben oder diese Möglichkeit nicht erkannt. Daher konnte die zweite Linie der Phalangen kehrt- und die Reiter aus den östlichen Satrapien niedermachen. Wie Parmenion auf diesem riesigen Schlachtfeld dem vorpreschenden Alexander mitteilen ließ, dass er dringend Unterstützung benötigt, bleibt strittig. Die Hetairenreiter brachen die Verfolgung jedenfalls ab und drangen in die in Unordnung geratenden Perser ein. Die spätere Verfolgung, bei der

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weitere Besitztümer des Großkönigs in Alexanders Hände fielen, zog sich angeblich über rund hundert Kilometer hin. Die tatsächliche Zahl der Gefallenen bleibt Spekulation. Doch mit der Schlacht bei Gaugamela war Dareios insofern endgültig geschlagen, als dass er nicht mehr in der Lage war, ein großes Heer aufzustellen. Sein wiederholter Rückzug hat bewirkt, dass man ihm die Kriegstüchtigkeit als Großkönig abgesprochen hat, selbst wenn er sich zuvor als Satrap bewährt hatte. Die genauen Gründe für sein Zögern sind unklar; vielleicht hätten er oder ein Nachfolger im Fall einer Euphratgrenze zum Gegenschlag ausgeholt oder wie einst Dareios I. und Xerxes eine Großinvasion gestartet. Der Achämenide blieb zunächst Großkönig und wich über das Zagrosgebirge nach Medien zurück. Zumindest in den östlichen Satrapien war daher mit weiterem Widerstand zu rechnen. Ungeachtet dessen ließ Alexander sich noch auf dem Schlachtfeld zum „König von Asien“ ausrufen. Er war der einzige Herrscher, der jemals diesen Titel trug; er mag zwar keine genaue Vorstellung von Asien gehabt haben, wie wir es heute kennen. Als „König von Asien“ stand er jedoch weit über dem achämenidischen „König der Könige“, als der er sich auch nie inthronisieren ließ. Dass dieser Großkönig mit universalem Herrschaftsanspruch noch agierte, bedeutete also, dass der Feldzug fortgeführt wurde. Zudem konnten Alexander und seine Gefolgsleute argumentieren, dass die Rache der Griechen noch nicht vollendet war. Doch würden auch seine rückwärtigen Verbindungen halten, wenn er nun Assyrien hinter sich ließ und nach Babylonien vorstieß? So bitter es für Alexander gewesen sein mag, Dareios erneut ziehen lassen zu müssen – als Nächstes stand die Unterwerfung

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Mesopotamiens und der Persis, des „Herzens“ des Großreichs also, im Vordergrund. Das alte Babylon, der Knotenpunkt Persiens, fiel Alexander wie einst Kyros dem Großen gewaltlos in die Hände. Dessen Mauern mit dem Ischtartor, die Hängenden Gärten der Semiramis und selbst die von Xerxes schwer beschädigte Zikkurat – der Etemenanki, der „Turm von Babel“, den Alexander 323 abreißen ließ, um ihn wieder aufbauen zu lassen, was sein Tod jedoch verhinderte – müssen die Eroberer bezaubert haben. Welche Macht Alexander inzwischen hatte, belegt allein der Fakt, dass er bereits alle Regionen beherrschte, in denen die später zu Weltwundern erklärten Bauwerke standen. Selbst Rhodos, wohin er nicht gesegelt war, hatte während seiner Regentschaft eine makedonische Garnison. Wie bei Kyros werden Absprachen im Vorfeld – vielleicht sogar schon vor der Entscheidungsschlacht – einen friedlichen, glanzvollen Einzug in die einzigartige Metropole am Euphrat, der wohl Ende Oktober 331 v. Chr. stattfand, ermöglicht oder erzwungen haben. Mazaios, der zumindest offiziell eben noch gegen den Makedonierkönig gekämpft hatte, unterwarf sich und blieb Satrap. Obwohl ihm der militärische Oberbefehl entzogen und ein Steuerbeauftragter an die Seite gestellt wurde, bewies Alexander damit seine Kooperationsbereitschaft fern jeder Rache. Und indem er Mithrenes zum Satrapen Armeniens ernannte, das er nie eroberte, erhoffte er sich die Unterstützung des persischen Hochadels. Sie war unverzichtbar, wenn er den Feldzug fortsetzen wollte. Dieser Pragmatismus isolierte ihn in den Folgejahren zunehmend von seinen einstigen Landsleuten und war auch in Hinsicht auf die Loyalität der ihm kaum bekannten Amtsträger riskant: Bereits bei Thapsakos soll Alexander entschieden haben, einen gewissen Arimmas, den Satrapen von Syrien, dessen Iden-

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tität aber umstritten ist, wegen schlechter Organisation des Nachschubs abzusetzen. Wie Ägypten hatte auch das wohlhabende Babylonien im fruchtbaren Zweistromland erst vor Kurzem gegen die persische Vorherrschaft revoltiert. Die Achämeniden sollen in beiden einstigen Großreichen unbeliebt gewesen sein, da einige von ihnen die dortige Religion ignoriert oder missachtet hatten. Dass Alexander wie gewohnt einheimische Traditionen respektierte, sich beispielsweise zum babylonischen „König aller Länder“ ernennen ließ und eine Restauration des einst von Xerxes zerstörten Marduktempels in Auftrag gab, wird dazu beigetragen haben, dass auch die Babylonier ihn als Herrscher akzeptierten. Wirklich verehrt haben wird die Mehrheit den Fremdling sicherlich nicht. Alexander hinterließ 2000 Mann Besatzung unter Apollodoros und den Finanzbeauftragten Asklepiodoros für die Einziehung der Tribute. Mit dem Aufenthalt in Babylon, spätestens aber in Persepolis setzt für alexanderkritische Autoren die Phase ein, in der sich der König einer orientalisch-luxuriösen Herrschaftsweise hingab. Damit verbunden ist der Anspruch auf Weltherrschaft, die er spätestens seit diesem Zeitpunkt angestrebt haben wird.

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Erst nach einigen Wochen verließ das Heer Babylon und zog weiter ostwärts. Zu jener Zeit organisierte Alexander seine Truppen um: Er modifizierte Ausrüstung und Truppenstärke, stellte Einheiten nicht mehr wie gewohnt nach Herkunft, sondern nach Leistungsfähigkeit zusammen und löste einige Bundesgenossentruppen auf. Diese Militärreformen hingen wahrscheinlich damit

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zusammen, dass 15 000 Makedonier, Griechen und Thrakier unter Amyntas zu ihm gestoßen waren und dass das Heer auf Kämpfe im Gebirge, die größere Wendigkeit verlangten, vorbereitet sein sollte. Alexander stellte auch neuartige leichte Truppenteile unter anderem zu Pferde auf, um in den bevorstehenden Reiterkämpfen in den östlichen Satrapien zu bestehen. Das nächste große Ziel des Feldzugs war das elamische Susa, administratives Zentrum und Winterresidenz der Achämeniden. Die propersische Einstellung Alexanders hatte offensichtlich rasch die Runde gemacht und trug in der Folgezeit Früchte, was die Loyalität der Eliten – wenn auch nicht aller – und militärischen Zuzug durch verschiedene Völker angeht. Zunächst bot Abulites, der susianische Satrap, bereits dem Vorauskommando der Makedonier die Kapitulation an. Er blieb Satrap, hatte aber ebenfalls einen makedonischen Strategen an seiner Seite zu akzeptieren. Alexander selbst nahm auf dem Thron des Dareios Platz. Damit signalisierte der Makedonierkönig, Archon der Thessalier, Bundesfeldherr des Korinthischen Bundes, karischer Dynast, Pharao, König von Babylonien und Asien, dass er als solcher auch Großkönig war. Den Athenern, auf deren Loyalität er fernab der Heimat angewiesen blieb, ließ er mitteilen, er werde ihnen die in Susa aufgefundenen berühmten Statuen der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton, die Xerxes geraubt hatte, schicken. Dem Eroberer fiel hier ein sagenhafter Staatsschatz mit 40 000 bis 50 000 Talenten in Silber – über 1000 Tonnen –, 9000 Talenten in Goldmünzen, den sogenannten Dareiken, und 500 Talenten Purpur, den der geschlagene Dareios nicht hatte fortschaffen können, zu. Er war nun der reichste Mensch der Welt, doch anders als die Großkönige ließ Alexander die Reichtümer gemünzt in Umlauf bringen. Er gab den Großteil aller erbeuteten

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Schätze Persiens im Laufe seiner Regentschaft aus. Diese enormen Summen hatten in den Folgejahren zum einen inflatorische Wirkung auf den gesamten östlichen Mittelmeerraum, kurbelten zum anderen aber auch dessen künftige Wirtschaft an. Den mit 3000 Talenten immer noch gewaltigen Teil dieser gigantischen Summe sollte Menes, der neue Finanzverwalter dreier Satrapien, Antipatros überbringen lassen. Alexander ließ eine Garnison, einen Strategen und Finanzverwalter sowie die Familie des Dareios in Ehren zurück und marschierte um die Jahreswende 331/30 v. Chr. mehrere Hundert Kilometer südöstlich in die Persis. Nach dem politischen auch das kulturelle Zentrum Persiens, nämlich Persepolis (in der Provinz Fars), zu erobern wog zusammen mit der dort zu erwartenden Riesenbeute schwerer als die Verfolgung eines Großkönigs, der an seiner Hauptaufgabe, der Verteidigung des Reichs, gescheitert war. Auf dem Weg trafen die Truppen auf hartnäckigen Widerstand, jedoch nicht der Perser, sondern der Uxier. Dieser Bergstamm war nie vollständig unterworfen worden, sondern hatte sogar von persischen Truppen Durchgangszölle verlangt. Diese Forderung ging auch bei den Makedoniern ein, doch Alexander war nicht zur Zahlung bereit, sondern ließ die Stützpunkte der Uxier von mehreren Abteilungen, zum Beispiel unter Krateros, umgehen und – bei Nacht – überfallen. Der Stamm ergab sich und wurde zu umfassenden jährlichen Nutztierlieferungen gezwungen. Die Durchgangszölle entfielen wohl fortan, doch wie lange die Uxier den Forderungen tatsächlich Folge leisteten, liegt im Dunkeln. Das Kernland der Perser war noch nicht gewonnen. Dort war die Abneigung gegenüber Alexander verständlicherweise größer als in den einst von den Großkönigen unterworfenen Län-

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dern. Der Satrap Ariobarzanes hielt die sogenannten Persischen oder Susischen Tore besetzt. Ein erster Ansturm der Makedonier auf den Engpass schlug fehl und kostete vielen das Leben. Alexander nahm die Ortskenntnis eines Einheimischen in Anspruch: So ähnlich wie einst Xerxes an den Thermopylen umging er über Pfade die Stellung des Ariobarzanes und griff sie von der Seite aus an. Krateros rückte, rechtzeitig alarmiert, frontal auf das Lager vor. Dieser Angriff von zwei Seiten überraschte den Satrapen. Er floh, fiel kurz darauf, und für Alexander war der Weg zur „Stadt der Perser“ frei. Auch in Persepolis konnte er auf Kämpfe verzichten, da der hoffnungslos unterlegene Kommandant Tiridates gar keine andere Wahl hatte, als die Stadt freiwillig zu übergeben. Entgegen der generellen Anordnung, nicht zu plündern, war die Hauptstadt des Erbfeindes mit ihren riesigen Palastanlagen anscheinend der geeignete Ort, ein besonders deutliches Signal an die griechische und persische Welt zu senden und die eigenen Männer bei Laune zu halten. Abgesehen von dem Alexander vorbehaltenen Staatsschatz von unglaublichen 120 000 Talenten – über 3000 Tonnen Silber –, die in Persepolis erbeutet wurden, gab der König die Stadt zur Plünderung frei. Dann machte das vom Winterfeldzug strapazierte Heer vier Monate Rast. Alexander unternahm jedoch Operationen zur Befriedung des Umlands und suchte die alte Hauptstadt Pasargadai mit dem Grab des von ihm verehrten Kyros auf. Die dort eingenommene Beute von 6000 Talenten war immens, im Vergleich zu den Schätzen von Susa und Persepolis jedoch nicht mehr als ein „Zubrot“. Noch respektloser gegenüber der persischen Hochkultur als die Plünderung war eine Tat, deren Beweggründe wohl nie völlig geklärt werden – das Anzünden des Palastes im Mai, kurz vor dem Aufbruch. War dies eine Affekthandlung infolge eines Gela-

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ges, wie es die Vulgatatradition nach Kleitarchos behauptet, ein wohl kalkuliertes Signal an die Dareiosanhänger, die Spartaner oder die Griechen allgemein oder einfach nur Ausdruck der Geringschätzung? Dass der riesige Palastkomplex, nachdem er anscheinend übereilt geplündert worden war, an verschiedenen Stellen abbrannte, wie noch heute sichtbare Brandspuren belegen, sehen einige Forscher als Beweis dafür, dass Alexander gezielt handelte. Laut Arrian soll Parmenion vergeblich von der Brandstiftung abgeraten haben, die Rache für die Zerstörungen durch Xerxes sein sollte. Egal ob geplant, im Zustand der Trunkenheit oder aus anderem Grund – Alexander bereute diese „Schnapsidee“ bei seiner Rückkehr Jahre später. Erneut überließ der „König von Asien“ einem Perser, Phrasaortes, das Satrapenamt. Eine makedonische Truppe besetzte die Burg. Das Heer setzte sich wieder in Bewegung. Alexander hatte erfahren, dass Antipatros die Spartaner besiegt hatte, sodass er seinen Feldzug sorgenfrei fortsetzen konnte. Sein Statthalter hatte es dem Korinthischen Bund überlassen, über die Spartaner zu entscheiden, doch die Mitglieder richteten lediglich über deren Verbündete. Welches Urteil Alexander selbst fällte, als Gesandte später bei ihm eintrafen, ist unbekannt. Wahrscheinlich wurde Sparta zur Mitgliedschaft im Korinthischen Bund gezwungen. Die Truppen zogen insgesamt 700 Kilometer nordwestwärts nach Medien, um Dareios’ Wiederaufrüstung zu stoppen und seine vierte und letzte Metropole einzunehmen, den Verkehrsknotenpunkt Ekbatana (Hamadan/Iran). Sie erhielten Zuzug weiterer Einheiten, wohl aus Kleinasien stammend, und kämpften sich durch die Region Paraitakene, die dem Perser Oxathres – dem Sohn des Abulites; beide wurden 324 v. Chr. hingerichtet – unterstellt wurde. Zeitgleich erhielt Alexander aktuelle Mitteilungen

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über den Aufenthalt des Achämeniden. Dieser hatte die seit Dareios I. beliebte Sommerresidenz aufgeben müssen, da sein Chiliarch Nabarzanes und der schon erwähnte Bessos, der Satrap Baktriens und Sogdiens, mit den baktrischen Truppen abgezogen waren. Sie und andere revoltierende Satrapen waren anscheinend in der Position, sich über den stark geschwächten Dareios hinwegzusetzen. Die Makedonier und ihre Verbündeten nahmen die Stadt im Juni kampflos ein. Die weitere Verfolgung des Großkönigs war für Alexander zwingend erforderlich. Sie hatte jedoch nur Aussicht auf Erfolg, wenn sie unverzüglich erfolgte. Dafür waren das auf über 50 000 Mann gewachsene Heer und die Bundesgenossen jedoch ungeeignet. Mit der Einnahme der letzten persischen Metropole galt der Rachefeldzug daher offiziell als beendet. Der Argeade entließ die Griechen und Thessalier in die Heimat, nahm aber Freiwillige unter ihnen als Söldner auf. Dass bereits während des Winters in den Reihen der Makedonier Bedenken hinsichtlich Umfang und Dauer des Feldzugs laut geworden waren, überging Alexander. Parmenion brachte die unermesslichen Schätze nach Ekbatana – Alexanders Vertrauter Harpalos sollte sie verwalten. Sowohl der altgediente General als auch Krateros erhielten den Auftrag, Feldzüge gegen die Kadusier und die Parther zu führen. Später jedoch blieb Parmenion mit Truppen der Bundesgenossen, Söldnern sowie 6000 Kampfgefährten zu Fuß in Ekbatana. Der erkrankte Kleitos hatte den Auftrag, diese vier taxeis zu gegebener Zeit zu Alexander zu führen. Der König maß der Stadt enorm hohen Stellenwert bei. Zentral zwischen Kaspischem Meer und Zweistromland am Nordrand des Zagrosgebirges gelegen, diente sie als neuer Stützpunkt für seine rückwärtigen Verbindungen, vor allem der Sicherung des Nachschubs. Zum Satrapen Mediens

Rächer – Nachfolger – Rächer

ernannte er den Perser Oxydates. Parmenion und Alexander sahen sich nie wieder. Alexander hatte spätestens mit der Verkündung, der Rachekrieg sei nun beendet, offenbart, dass er weiterreichende Pläne verfolgte. Hatte er sie bereits, als er im ersten Feldzugswinter den frisch Verheirateten Heimaturlaub gewährte? Die umfangreichen Verwaltungsmaßnahmen um Ekbatana konnten schwerlich einzig und allein der Gefangensetzung des Dareios dienen. Den Truppen muss klar gewesen sein, dass eine baldige Umkehr ausgeschlossen war, zumal sich „Asien“, zu dessen König sie Alexander ausgerufen hatten, als riesig erwies. Doch noch galt die Lehre des Aristoteles, dass der Okeanos vom Kaukasus aus – selbst dessen Lage und Ausdehnung waren unbekannt, gemeint war der noch längst nicht erreichte Hindukusch – zu sehen war. Der ehemalige Schützling des großen Philosophen nahm mit ausgewählten Truppen die durchaus riskante Verfolgung des Dareios auf. Bei aller Gefahr – vielleicht hätte er ihn genauso großzügig behandelt wie die Satrapen oder dessen Familie. Immerhin ließ er später dessen Sohn eine Ausbildung zukommen, und dessen fortan loyalen Bruder Oxyathres nahm er in sein Gefolge auf. Welche genauen Befugnisse oder Titel Dareios bei freiwilliger Unterwerfung erhalten hätte, bleibt jedoch Spekulation. Vielleicht wäre er auch wie bei einem römischen Triumphzug öffentlich vorgeführt und danach hingerichtet worden. Für den Großkönig kam Kapitulation indes nicht infrage. Er erreichte zunächst in Hyrkanien, der Landschaft südlich des Kaspischen Meeres, die sogenannten Kaspischen Tore zwischen Elburs-Gebirge und (der Wüste) Dascht-e Kawir, konnte sie aber nicht besetzen, da die erhoffte Verstärkung ausblieb. Alexander rastete mehrere Tage bei Rhagai (Ray, bei Tehe-

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ran), rund hundert Kilometer westlich des Passes, zog dann weiter, sah sich aber aus Versorgungsnot zu einem weiteren Halt gezwungen. Kurz darauf erhielt er die Nachricht von der Inhaftierung des Dareios. Bessos und seine Verbündeten hatten es für sinnvoll erachtet, sich gegen ihren König zu stellen. Vielleicht erhofften sie sich eine Begnadigung oder gar Förderung durch ihren Verfolger. Alexander erhöhte mit zuletzt nur noch sechzig ausgesuchten Reitern das Tempo. In einer Nacht sollen 74 Kilometer zurückgelegt worden sein. Vor der Stadt, die als Hekatompylos – „die Hundertpfortige“ (heute Schahr-e Qumis) – bekannt wurde, im Nordosten der Passage, sollen die Satrapen Satibarzanes und Barsaentes Dareios beim Nahen Alexanders schließlich erstochen haben und wie ihre Mitverschwörer Bessos und Nabarzanes in unterschiedliche Satrapien geflohen sein. Es zeugt von der Machtlosigkeit des unglücklichen Großkönigs, dass es Alexander möglich gewesen war, ihn vom 500 Kilometer entfernten Ekbatana aus zu verfolgen und einzuholen. Alexander hätte Dareios zweifellos lieber lebend gefasst. Nun machte er sich den Mord, der die Frage nach Dareios’ Zukunft erledigt hatte, zunutze: Er ließ den Leichnam nach Persepolis überführen, in allen Ehren bestatten und sah sich als dessen Nachfolger dem iranischen Adel gegenüber in der Pflicht, den Mord zu rächen. Folglich ging die Jagd weiter, zumal Bessos sich als neuer Großkönig Artaxerxes IV. verehren ließ und damit ein ernster Rivale war. Warum Bessos allerdings den Siegelring des Dareios, den Alexander an sich nahm, nicht hatte mitnehmen lassen, bleibt die Frage. Seinen Leuten gegenüber legitimierte der König mit diesem neuen Racheaspekt die Fortführung eines Feldzuges, der den einen zu Kopfe stieg und andere zunehmend störte.

Katastrophen im Ostiran

Katastrophen im Ostiran

Wahrscheinlich hätten Alexanders Truppen im Sommer 330 v. Chr., als er die Verfolgung des Bessos verkündete, gemeutert, wenn sie gewusst hätten, dass drei harte Jahre vonnöten waren, um die östlichen Satrapien zu erobern, die obendrein im Vergleich zu den Metropolen eine nichtige Beute abschlugen und wohl mit schlechter Bezahlung verbunden waren. Diese Zerreißprobe für das gegenseitige Verhältnis nicht vorausahnend, versprach das Heer Alexander die Treue für den weiteren Feldzug. Er entschied, zunächst die Bessos-Anhänger sowie die Tapurer und Marder im Elburs zu unterwerfen. Zu diesem Zweck teilte er sein Heer in drei Abteilungen auf. Es vereinigte sich wieder in der Hauptstadt Zadrakarta nahe dem heutigen Gorgan am Südostrand des Kaspischen Meeres. Nabarzanes und die restlichen griechischen Söldner hatten sich ergeben, und Alexander ließ einige Gesandte aus verschiedenen Poleis des Korinthischen Bundes, die Dareios hatten aufsuchen wollen, inhaftieren. Den dareiostreuen Artabazos, den Vater der Barsine, hingegen nahm er in sein Gefolge auf und bestätigte Phrataphernes – wohl nach kurzer Amtszeit des Parthers Amminapes – als Satrap von Parthien und kurz darauf von Hyrkanien und der Elburs-Region. Beide hatte Alexander erst dem Perser Autophradates überlassen, befahl 329/28 v. Chr. aber Phrataphernes, diesen abzusetzen und ihm auszuliefern. Nach der zweiwöchigen Pause in Zadrakarta, die wie oft mit Opfern und sportlichen Wettkämpfen einherging, brach Alexander im Spätsommer 330 v. Chr. auf. Die Erforschung des Kaspischen Meeres, des nächsten erreichten „Randes der Welt“, ließ er verschieben, so sehr es ihn reizte, die bekannten Theorien über

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eine Verbindung mit der Maiotis, dem Asowschen Meer, oder dem Ozean zu bestätigen oder zu widerlegen. Selbst der Kontakt zum freundlich gesinnten Fürsten von Chorasmien, einer Region östlich des Kaspischen Meeres, und skythischen Stämmen führte zu keiner Antwort auf diese Frage, die Herodot einst gewusst hatte. Sein Wissen war anscheinend in Vergessenheit geraten, oder es wurde übergangen. Später startete unter Seleukos eine am Ende erfolglose Expedition, da sie die falsche Meinung bestätigte, es bestehe eine Verbindung zum Okeanos. Diesem Irrtum saßen sowohl Eratosthenes im 4. Jahrhundert v. Chr. als auch Strabon im 1. Jahrhundert n. Chr. auf. Zwar korrigierte ihn etwas später der Geograf Klaudios Ptolemaios, auf den das geozentrische Weltbild zurückgeht, aber nicht die Tabula Peutingeriana – jene Karte, die auf dem Wissen des 4. Jahrhunderts n. Chr. basiert und auch für das mittelalterliche Europa repräsentativ ist. Mit wenig Gepäck marschierten die Makedonier weit mehr als 1000 Kilometer ostwärts durch weite Teile Turkmenistans und erreichten die Satrapie Areia im nordwestlichen Afghanistan. Satibarzanes hatte sich in der Stadt Susia (Tus im Nordostiran) unterworfen und war als Satrap bestätigt worden, dann jedoch wieder auf Bessos’ Seite gewechselt. Alexander musste davon absehen, direkt nach Osten zum Gegenkönig vorzustoßen. Er bog vielmehr nach Süden in Richtung der Satrapien Drangiane und Arachosien ab. Krateros belagerte die areische Hauptstadt Artakoana bis zur Aufgabe der Verteidiger. Schwerlich wäre Satibarzanes begnadigt worden – er floh nach Baktrien. Sein Nachfolger wurde der Perser Arsakes, der jedoch ein Jahr darauf ebenfalls abgesetzt und Alexander ausgeliefert wurde. Neuer Satrap wurde der Zyprer Stasanor.

Katastrophen im Ostiran

Bei Artakoana gründeten die Makedonier die Stadt Alexandreia Areia, das heutige Herat. Zahlreiche ihrer Landsleute, Griechen und Areianer ließen sich dort nieder. Die Stadt wurde nach dem Niedergang der Seleukiden Keimzelle des Partherreichs. Dschingis Khan und Timur Lenk/Tamerlan zerstörten sie, die nichtsdestotrotz als neuzeitliches „Florenz Asiens“ von großer wirtschaftlicher Bedeutung blieb. Nach dem Zuzug weiterer großer Truppenteile, zu denen Einheiten der seit 334/33 v. Chr. ausgebildeten Lydier zählten, fiel Alexander in die Drangiane im iranisch-afghanischen Grenzgebiet ein. Der Satrap Barsaentes war nach „Indien“ geflohen; er wurde jedoch von Einheimischen ausgeliefert und hingerichtet. Der Ruf des unbezwingbaren Eroberers, dem gegenüber man sich besser kooperativ gibt, war Alexander anscheinend vorausgeeilt. Die zurückgebliebene Besatzung der Hauptstadt Phrada (Farah/ Westafghanistan) sah vom Kampf ab. In dieser Residenz kam es etwa im Herbst 330 v. Chr. zum ersten von mehreren drastischen Konflikten, die den Zusammenhalt und das Vertrauen zwischen König und Gefährten schwer belasteten. Philotas, einer von Alexanders engsten Vertrauten, Kommandeur der Getreuenreiterei und Sohn Parmenions, geriet in den Verdacht, in ein gegen seinen König gerichtetes Mordkomplott verwickelt zu sein. Die antiken Hauptquellen liefern völlig widersprüchliche Meinungen hinsichtlich seiner Schuld. Während Arrian (nach Ptolemaios) argumentiert, er müsse in den Plan eingeweiht gewesen sein, sonst hätte er schließlich Meldung erstattet, sehen Diodor und Curtius Rufus („Vulgatatradition“) keinerlei Beweis für eine Mittäterschaft. Plutarch geht von Verleumdung aus. Immerhin kam der Soldat Dimnos, der Hauptschuldige, während Philo-

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tas verhaftet werden sollte, ums Leben. Er konnte also nicht verhört werden. Und Kebalinos, der den Plan gemeldet hatte, belastete Philotas nicht als Komplizen oder gar Auftraggeber. Da Philotas aber offenbar Feinde innerhalb von Alexanders Stab hatte und der König selbst ihm seit Jahren insgeheim misstraut haben soll, wurde ihm seine angebliche Aussage, er habe die Mitteilung einfach nicht ernst genommen, zum Verhängnis. Möglich, dass ihm Alexanders Tod zumindest egal gewesen wäre. Allein ein in diese Richtung deutender Verdacht reichte aus, dass die einberufene Heeresversammlung ihn zusammen mit den anderen Angeklagten zum Tode verurteilte. Noch denkwürdiger erscheint das tragische Ende des altbewährten Parmenion. Den Siebzigjährigen loszuwerden sah Alexander offenbar als unvermeidliche Konsequenz aus der Affäre, vor allem wegen der Schätze und der Truppen, die dem geachteten General unterstanden. Und Kleitos war noch nicht beim Hauptheer eingetroffen. Alexander nutzte die alte Sitte, das Familienoberhaupt für den Frevel eines Mitglieds verantwortlich zu machen, und entsandte in höchster Eile mehrere Offiziere mit dem Befehl, den ahnungslosen Parmenion in Ekbatana wegen Mittäterschaft zu töten. Die dortigen Truppen waren geschockt, akzeptierten aber die Verlautbarung. Der Stab entschied darüber hinaus, viele andere Soldaten in neuerdings aufgestellte Strafbataillone zu versetzen. Zunehmend misstrauisch, verteilte Alexander das Kommando über die Hetairenreiterei auf zwei Köpfe – Hephaistion und Kleitos. Auch Ptolemaios war Nutznießer dieser ersten Säuberungswelle seit Philipps Tod, denn er diente ab sofort als einer von Alexanders sieben Leibwächtern, von denen einer ebenfalls hingerichtet worden war. Der König entschied zudem, die Stadt Phrada in Alexandreia

Katastrophen im Ostiran

„Prophthasia“ („Vorbeugungsmaßnahme“) umzutaufen. Wieso der wohl seit Jahren inhaftierte Alexander Lynkestis im Zuge dieser Affäre ebenfalls wegen Verrats mit Speeren hingerichtet wurde, ist unerklärbar. Der häufige Wechsel von rationalem und psychotischem Handeln führte dazu, dass Zeitgenossen und Nachwelt ein verklärtes Bild Alexanders sahen oder schufen. Das eingeschüchterte, weniger durch feindliche Krieger als vielmehr vom strengen Winter dezimierte Heer erholte sich im Land der Ariaspen südlich des Seistan-Sees, die den Invasoren wohlgesinnt waren. Gedrosien, die südöstliche Nachbarregion im iranisch-pakistanischen Gebiet, erklärte seine Unterwerfung. Wie im Fall von Armenien oder Karmanien (Südiran) hielt es Alexander nicht für nötig, dort einzumarschieren, sondern ernannte einen weiteren Perser zum Satrapen von Arimaspien und Gedrosien. Als er erfuhr, dass Satibarzanes erneut in Areia eingefallen war, schickte er seinen langjährigen Freund, den Griechen Erigyios, sowie Artabazos mit den Söldnern zurück. Erigyios konnte die Satrapie befrieden, nachdem er den Perser angeblich im Zweikampf getötet hatte. Der König folgte inzwischen dem Fluss Etymandros (Helmand) und erreichte Arachosien in Südafghanistan. Dass er diese Satrapie keinem Perser, sondern seinem Landsmann Menon unterstellte, könnte seinen Grund darin haben, dass er der Skepsis der Makedonier in Bezug auf seine Asienpolitik entgegenwirken wollte, oder es war die Folge eigenen Misstrauens. Hier entstanden Alexandreia Arachoton – dabei handelt es sich wohl um das heutige Kandahar, das wie Herat von sowjetischen Truppen weitgehend zerstört worden ist – und Alexandropolis. In Arachosien stießen die Makedonier und andere Truppen zu Alexander, die zuvor in Ekbatana verblieben waren. Nach Kämpfen im süd-

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lichen Paropamisos („Kaukasos“/Hindukusch), den Alexander einem Perser als Satrap anvertraute, bauten die Makedonier ein altes Lager zum Stützpunkt „Alexandreia am Kaukasos“ aus. Auch hier sollten ausgediente Soldaten und Söldner ansässig werden, mit Einheimischen zusammenleben und die nach Norden und Osten führenden Pässe überwachen. Die Stadt konnte bis heute nicht lokalisiert werden; immerhin förderten Archäologen bei Begram nordöstlich von Kabura (Kabul) Artefakte griechischer Herkunft zutage, die in das frühe 2. Jahrhundert v. Chr. datiert werden. Den Winter verbrachten die Truppen in der Nähe Kabuls.

Jenseits des Hindukusch

Im Frühjahr 329 v. Chr. überquerten die ersten Truppen – der Tross folgte später – innerhalb von zwei Wochen unter schweren Verlusten den Hindukusch über den Khawak-Pass auf rund 3500 Meter. Nur die requirierten Vorräte der Einheimischen, die mit den dortigen harten Lebensbedingungen umzugehen wussten, retteten den Großteil vor dem Hungertod. Unterwegs meinten sie, die Stelle zu sehen, wo der Titan Prometheus angekettet gewesen sein soll. Alexander erreichte Baktrien bei Drapsaka (Kunduz/ Nordafghanistan). Bessos hatte die Satrapie schwer verwüsten lassen, aber keinen Angriff auf den geschwächten Alexander gewagt. Vielmehr wich er mit seinem Reiterheer über den Oxos (Amu-Darja) nach Sogdien (Tadschikistan, Usbekistan) zurück. Die Makedonier zogen westwärts, erreichten und nahmen die Zentren Aornos (Tasch-Kurgan) und die Hauptstadt Baktra (Balch, später von Dschingis Khan zerstört) rasch ein. Artabazos residierte hier ab sofort als Satrap. Alexander marschierte weiter

Jenseits des Hindukusch

zu dem über einen Kilometer breiten Oxos und überquerte ihn innerhalb von einigen Tagen mithilfe von Flößen und ledernen Säcken, ähnlich wie sechs Jahre zuvor die Donau. Das Heer hatte ihm zuvor erneut die Treue geschworen; Ausgediente, die eben erst den mörderischen Wüstenmarsch in der Sommerhitze überlebt hatten, waren vor der Überquerung in die Heimat geschickt oder in den eroberten Städten angesiedelt worden. Bessos hatte Baktrien ohne Gegenwehr aufgegeben und spätestens in diesem Moment das letzte Vertrauen der Einheimischen eingebüßt. Mit Sicherheit hatte aber auch die allgemeine Verwüstung entschieden dazu beigetragen. Die baktrischen Reitereinheiten kehrten jedenfalls in ihre Heimat zurück. Daher konnte Bessos in der Folgezeit nur noch auf die Sogdier und andere Reitervölker (Massageten, Daher) zurückgreifen. Der ostiranische Kriegeradel war seit jeher lediglich offiziell vom Großkönig abhängig gewesen, selbst wenn dieser wie im Fall von Bessos zuvor dort Satrap gewesen war. Spitamenes und Dataphernes, zwei führende Vertreter, setzten Alexanders Rivalen Anfang 329 v. Chr. – wie er selbst einst Dareios III. – gefangen und lieferten ihn nackt und gefesselt Alexander aus. Dieser ließ ihn zunächst nach Baktra und dann verstümmelt zu Oxyathres nach Ekbatana schicken, der den Brudermörder und – was für Alexander von größerer Bedeutung war – selbst ernannten Großkönig schließlich hinrichten ließ. Das Eroberungsheer zog weiter durch Sogdien, wo Alexander durch einen Pfeil am Bein verletzt wurde, und passierte Ma rakanda (Samarkand/Usbekistan). In der späteren Hauptstadt von Timur Lenks Reichs stationierte er 1000 Mann und erreichte im Sommer 329 v. Chr. den Iaxartes (Syr-Darja). Dieser Fluss markierte seit Kyros’ Zeiten die Nordostgrenze des Perserreichs. An seinen Ufern hatten Skythen der Weltmacht wiederholt schwe-

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re Schlappen zugefügt, weshalb die Achämeniden dort zahlreiche Grenzfestungen erbauen ließen. Und die besetzte nun Alexander. Die Griechen waren der Meinung, der Iaxartes sei der Oberlauf des Tanais (Don) und fließe durch das Kaspische Meer. Er galt zudem als Grenze zwischen Europa und Asien. Etwa am südlichsten Punkt des Stroms ließ Alexander eine weitere, auf etwa zwölf Kilometer ummauerte Stadt errichten, die als Alexandreia „Eschate“ („das am weitesten entfernte“) bekannt wurde, das heutige Chudschand (Tadschikistan). Die ersten Einwohner waren vom König gekaufte und freigelassene Kriegsgefangene. Wie loyal die Stadt auch geblieben sein mag, nach griechischer Art scheint hier noch Jahrhunderte später gelebt worden zu sein, wenn Curtius Rufus – wohl 1. Jahrhundert n. Chr. – erwähnt, es gäbe dort immer noch Nachkommen der ersten Bewohner. Im Rücken Alexanders war inzwischen ein großflächiger Aufstand ausgebrochen. Er sollte die Makedonier zwei Jahre lang beschäftigen. In Spitamenes, dem Anführer, fand der Argeade einen gefährlichen Gegner. Mehrere sogdische Städte fielen in die Hände der Rebellen oder machten selbst die makedonischen Besatzungen nieder. Spitamenes belagerte sogar Marakanda. Alexander antwortete entschieden: Er zerstörte mehrere Städte wie zum Beispiel Gaza, tötete und versklavte die Einwohner wie zuletzt in der gleichnamigen Stadt in Südpalästina. Während der brutalen Eroberung von Kyropolis (Kurkath oder Ura Tübe) in der Nähe von Alexandreia Eschate, die 8000 Einheimischen das Leben kostete, traf ein Stein den König am Hals, sodass er in Ohnmacht fiel. Wenig später sah er sich gezwungen, mit seinen Truppen zum Iaxartes zurückzukehren. Sie setzten unter Artillerieschutz über und errangen einen Sieg über das Volk der Saken, die eine

Jenseits des Hindukusch

Invasion vorbereitet hatten. Mit anderen Stämmen unterwarfen sie sich, gingen mit Alexander Bündnisse ein und stellten sogar Reitereinheiten. Am Iaxartes ließ Alexander einen Altar für Dionysos, der zunehmenden Stellenwert in seiner Götterverehrung genoss, errichten. Die Fortführung des Krieges war zum einen an dieser Steppengrenze nicht erforderlich, denn hier endete einmal mehr die Oikumene. Sie wäre zum anderen wegen des Aufstands jenseits aller Vernunft gewesen. Zudem erlitt der Makedonier, der sich von dem Steintreffer noch nicht erholt hatte, einen Schwächeanfall. Er hatte bereits 2300 Söldner und sechzig hetairoi nach Marakanda geschickt. Sie waren Spitamenes gefolgt, doch von ihm und seiner skythischen Verstärkung – berittenen Bogenschützen – beim Überschreiten des Flusses Polytimetos (Serafschan) umzingelt und großenteils vernichtet worden. In weniger als vier Tagen eilte Alexander die knapp 300 Kilometer zurück und eroberte mehrere Rebellenstätten. Spitamenes selbst wich rechtzeitig in massagetisches Gebiet zurück. Alexander ließ ihn ziehen, bekämpfte weitere Aufstandsherde und ließ eine starke Truppe in Sogdien zurück. Nach der Wiedervereinigung mit Krateros in Marakanda fand sich das Heer zum Jahresende wieder in Baktra ein. Es war auf 20 000 bis 30 000 Mann geschrumpft, doch Alexander erhielt während des Winters erneut Verstärkung: ca. 20 000 Mann! Dazu zählten die seit 333 v. Chr. ausgebildeten Lykier. Mit ihnen stieß auch ihr bisheriger Satrap Nearchos wieder zum König. Der Zuzug war auch deshalb wichtig, da die Rebellion noch zwei weitere Jahre anhielt. Die Sogdier und die anderen östlichen Völker des zerfallenen Perserreichs waren bereits früher nur

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widerwillig bereit gewesen, sich der Oberhoheit des Perserkönigs zu beugen. Dies war Alexander gegenüber keineswegs anders. Er teilte also zu Beginn des Jahres 328 v. Chr. seine Truppen auf, um zeitgleich gegen Sogdier sowie gegen Spitamenes und die Skythen im Norden vorgehen zu können, und rekrutierte bald auch baktrische und sogdische Reiter, da sie ein wirksames Mittel im Guerillakrieg waren. Die Hetairenreiterei fungierte seltener als kampfentscheidende Einheit, sondern deckte oftmals leichte Kavalleristen. Rund um die von Krateros gegründete Oasenstadt Alexandreia in Margiane (wohl Merw/Turkmenistan) sicherten mehrere Festungen das westliche Baktrien vor Spitamenes. Der Rebellenführer fiel Alexander auch in diesem Jahr in den Rücken. Er durchzog das Umland Baktras, konnte jedoch weder Koinos noch Krateros besiegen. Gegen Jahresende verrieten ihn die Skythen, ließen ihn köpfen und sein Haupt an Alexander schicken. Er ging aber nicht nur als dessen geschickter Gegner in die Geschichte ein: Der Hypaspisten-Kommandant Seleukos, der später eines der Nachfolgereiche regierte, heiratete 324 v. Chr. dessen Tochter Apame. Spitamenes wurde damit ungewollt zum Stammvater der Seleukiden. Den Winter verbrachte Alexanders Heer im sogdischen Nautaka (Shahrisabz/Usbekistan). Der König revidierte hier mehrere seiner früheren Entscheidungen bei der Ernennung der Satrapen.

Tötung eines alten Freundes

Der seit Längerem nur mäßige Erfolg und die wachsende Kritik an dem nicht enden wollenden Feldzug kulminierten in einer Tragödie in Marakanda im Sommer oder Herbst 328 v. Chr. – bezeichnenderweise im Zuge eines Dionysosfestes. Sie war ein wei-

Tötung eines alten Freundes

terer großer Schritt in Richtung des drohenden Zerwürfnisses zwischen König und Heer. Kleitos war der Bruder der einstigen Amme des Königs, einer von Alexanders engsten Vertrauten und seit seiner Rückkehr zusammen mit Hephaistion Kommandeur der makedonischen Reiterei. Er sollte den aus Altersgründen zurückgetretenen Artabazos als Satrap von Sogdien und Baktrien ablösen. Vielleicht wollte Alexander sich des Kleitos, der wie Parmenion noch zu Philipps Garde zählte, auf diese Weise entledigen. Das scheint den hochrangigen Offizier jedenfalls beleidigt zu haben: Kleitos präsentierte sich im Verlauf des Besäufnisses als Sprecher der „Älteren“, die Philipp verehrten und von denen sich Alexander längst abgenabelt hatte. Mit der anderen Partei, die sich neben anderen aus jungen Günstlingen des Königs zusammensetzte, scheint es zu Wortgefechten und Beschuldigungen gekommen zu sein. Die eigentlichen Hintergründe werden das recht erfolglose Unterfangen der letzten beiden Jahre sowie die fortschreitenden Beförderungen von Persern gewesen sein. Als Kleitos, der einem Überlieferungsstrang zufolge bereits aus dem Saal gebracht worden war, wiederkehrte, Alexanders Hybris kritisierte und die Leistungen Philipps rühmte – in Oliver Stones Monumentalfilm „Alexander“ aus dem Jahr 2004 überzeugend dargestellt –, stieß der betrunkene König ihm in Rage eine Lanze in den Bauch. Alexander erstarrte, als er erkannte, dass er einen seiner wertvollsten Freunde, der darüber hinaus unbewaffnet war, getötet hatte. Kleitos hatte ihm schließlich 334 v. Chr. in der Schlacht am Granikos das Leben gerettet. Ein jäher Selbstmord Alexanders wurde verhindert – in tiefer Trauer ließ er sich tagelang nicht blicken. Das Jahr 327 v. Chr. begann mit einem monströsen Vorhaben. Alexander beabsichtigte, den sogenannten Sogdischen Fel-

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sen etwa auf halber Strecke zwischen Marakanda und Baktra des Fürsten Ariamazes oder – je nach Überlieferung – Oxyartes zu erobern, obwohl er als uneinnehmbar galt. Die selbstsicheren Verteidiger ließen ihn wissen, er brauche schon fliegende Soldaten, um die Festung zu bezwingen. Am Morgen erblickten sie viele Krieger am Gipfel. Es waren rund 300 Freiwillige, die in der Nacht den Felsen erklommen hatten. Zahlreiche waren dabei umgekommen. Angeblich waren die Sogdier von der Überlegenheit Alexanders überzeugt und kapitulierten. Eine weiter im Osten gelegene Festung, den Felsen des Chorienes oder Sisimithres, nahm das Eroberungsheer ein, indem Arbeiter in dem tiefen Graben eine Brücke erbauten, von der die Katapulte ins Burginnere schießen konnten. Sisimithres/Chorienes bat darum, ihm Oxyartes zur Beratung zu schicken. Daraufhin gab er ebenfalls auf und wurde in seiner Stellung belassen. Krateros bekämpfte in den folgenden Monaten weitere Rebellentruppen und zog dann zurück nach Baktra, wo Alexander auf ihn wartete. Der Nordosten des wachsenden Reichs war endlich weithin befriedet, und auch dort wurde der männliche Nachwuchs in makedonisch-griechischer Weise ausgebildet. Alexander hatte inzwischen – vielleicht entgegen den Erwartungen einiger Skeptiker – zum ersten Mal geheiratet. Er hatte allerdings keine hochrangige Kronprinzessin oder Königin, wie einige Makedonier gehofft haben mögen, geehelicht, sondern die bildhübsche Roxane, die Tochter des weniger bedeutenden Oxyartes. Es ist davon auszugehen, dass die Ehe sowohl eine Liebesheirat als auch von dem Ziel getragen war, den ostiranischen Adel endgültig an sich zu binden. Die Hochzeit mit der baktrischen Fürstentochter ist nur ein Element von Alexanders umfassender Asienpolitik, die wie ein

Tötung eines alten Freundes

Kartenhaus zusammenzubrechen drohte. Zu sehr hingen viele Makedonier an alten Werten und erkannten nicht oder ignorierten, dass sie mit den Orientalen kooperieren mussten, wollten sie „Asien“ nicht nur erobern, sondern auch nachhaltig kontrollieren. Ihre Geduld wurde bereits seit Längerem auf eine harte Probe gestellt, und ein Ende war nicht abzusehen. Der Anteil asiatischer Truppen nahm unaufhörlich zu: Die Getreuenreiterei bestand aus acht Hipparchien à 500 Mann und war aus einer makedonischen Schwadron und zwei asiatischen aufgebaut. Roxanes Bruder und wohl auch andere hochrangige Orientalen dienten sogar in der Königsschwadron. Darüber hinaus ordnete Alexander in Baktra an, 30 000 Einheimische der Ostprovinzen als Infanteristen ausbilden zu lassen. Alexanders Kleidung bestand aus makedonischen und persischen Elementen – äußerst außergewöhnlich: Filzhut mit Diadem –, verschiedene Zeremonien waren ebenfalls persischer Herkunft, Keulenträger dienten als Wache, Alexander benutzte für Angelegenheiten in Asien Dareios’ Ring, Höflinge wie der Eunuch Bagoas – nicht der Mörder des Artaxerxes III. – umgarnten ihn. Alexander war gewillt, dem steigenden Unmut der Makedonier mit Geschenken und Privilegien entgegenzuwirken, doch dann kam es in Baktra zu einem weiteren schwerwiegenden Zwischenfall, der auf Missverständnissen und der tiefen Kluft zwischen Orient und Okzident sowie Alexanders Versuch, diese zu überbrücken, beruhte.

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Der größte Feldzug

Der widerspenstige Schmeichler

Die sogenannte Proskynese war ein alltäglicher Akt der Verehrung des Großkönigs, den Alexander in einer der Achämenidenmetropolen kennengelernt haben mag. Das berühmte Audienzrelief aus Persepolis zeigt, wie ein Gesandter dem thronenden Dareios I. die Kusshand zuwirft. Möglicherweise beinhaltete die Proskynese dazu nur noch eine Verbeugung, vielleicht aber auch einen Kniefall oder gar die völlige Niederwerfung, die Prostration, die heute noch Geistliche bei der Priesterweihe vollführen. In den Augen der Griechen und Makedonier bedeutete sie totale Unterwerfung und war nur einem Gott gegenüber angebracht. Der Großkönig war Stellvertreter Ahura Mazdas und dessen Günstling, selbst aber nicht göttlich. Alexander mag eine solche Ehre (noch) nicht angestrebt haben, doch wollte er als Nachfolger des Dareios diese persische Sitte für sich in Anspruch nehmen. Als Alexander im Frühling auf einem Fest versuchte, die Proskynese einzuführen, soll ausgerechnet sein Hofhistoriograf Kallisthenes ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Hatte der Aristotelesneffe ihn zuvor noch in den Himmel gelobt, zum Beispiel beim Pamphylischen Meerwunder, so scheint er in diesem Moment die Anordnung des Königs ins Lächerliche gezogen oder sich öffentlich negativ geäußert zu haben. Alexander sah sich genötigt, davon abzusehen, sich im Stil der Achämeniden verehren zu lassen. Ob er nun gelästert hat oder sich offen als Redner präsentiert – Kallisthenes hatte sich nicht auf eigene Faust gegen die Proskynese ausgesprochen, sonst wäre er Alexanders Zorn wohl sofort zum Opfer gefallen. Nachdem sie mit Philipp gezecht und ihn dafür verehrt hatten, waren zahlreiche Veteranen einfach

Der widerspenstige Schmeichler

nicht gewillt, nun vor Alexander, dem Ammonssohn, zu kriechen. Kallisthenes war als Sprachrohr der „Alten“ zunächst unantastbar. Erst als später die sogenannte Pagenverschwörung aufgedeckt wurde, fand Alexander Gelegenheit, gegen ihn vorzugehen. Der König hatte einen Pagen namens Hermolaos züchtigen lassen, da dieser während einer Jagd einen Eber erlegt hatte, den Alexander für sich auserkoren hatte. In seiner Verbitterung plante der Page mit vier anderen, Alexander in der Nacht zu ermorden. Sie konnten die Tat nicht umsetzen, da dieser überraschenderweise nicht in sein Gemach kam, sondern wahrscheinlich beim Gelage blieb. Eine syrische Seherin soll Alexander dazu geraten haben. Der Plan sickerte rasch zu Ptolemaios durch. Die Pagen wurden gefoltert und zusammen mit den von ihnen preisgegebenen Komplizen hingerichtet. Alexander fragte sich, ob die Verschwörung rein persönliche Hintergründe hatte oder größeren Umfangs war. Dass er Hermolaos’ Vater vor einiger Zeit nach Makedonien zurückgeschickt hatte und dieser sich dadurch entehrt gefühlt haben könnte, reichte als weitere Erklärung nicht aus. Auch ob die Jugend sich an Alexanders Orientalismus störte, ist fraglich. Obwohl die Pagen Kallisthenes, der – für ihn fatal – für ihre Erziehung zuständig war, wahrscheinlich nicht genannt hatten, fand sich der allgemein unbeliebte Geschichtsschreiber doch bald auf der Anklagebank, von der es für ihn kein Entkommen mehr gab. Als Grieche war er jedoch ein Fall für den Korinthischen Bund. Er wurde zunächst inhaftiert, starb jedoch sieben Monate später unter umstrittenen Umständen – Krankheit oder Strang. Der Tod des Aristotelesneffen hinterließ tiefe Spuren in philosophischen Kreisen, die Alexander als Despoten oder Räuber brandmarkten, auch bei Seneca, den selbst ein ähnliches Schicksal wie Kallisthe-

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Der größte Feldzug

nes ereilte, und dem „Philosophenkaiser“ Marcus Aurelius (161– 180 n. Chr.). Nachdem Polyperchon und Krateros die letzten Revolten niedergeworfen hatten und Alexander in der Sorge, es könnte wieder Unruhen geben, dem Satrapen Amyntas 13 500 Mann zugeteilt hatte, zog das Heer aus Baktra ab. Es gab ein neues Ziel: Ein Jahr zuvor hatte Alexander das Angebot eines Skythenfürsten, ihm in dessen Reich zu folgen und das Kaspische und das Schwarze Meer zu erkunden, zunächst ausgeschlagen, da es ihn unaufhaltsam nach Osten zog.

Auf den Spuren des Weingottes

Spätestens im Juni 327 v. Chr. überquerte das Heer erneut den Hindukusch. Alexandreia im Kaukasos erhielt eine starke Besatzung, und mit Tyriespis wurde zum letzten Mal ein Orientale zum Satrapen ernannt. Allerdings wurde er später durch Oxyartes ersetzt und hingerichtet. Alexander mag dazu gedrängt haben, Baktrien und Sogdien hinter sich zu lassen und weiter nach Osten vorzustoßen. Er hatte feststellen müssen, dass die Lehrmeinung des Aristoteles, vom Hindukusch aus könne man den Okeanos sehen, völlig falsch war. Dies war nur eine von vielen Überraschungen, welche die Feldzugsteilnehmer erlebten. „Indien“ kannten die Griechen nur vom Hörensagen, und auch die Kenntnisse der Perser scheinen sehr begrenzt gewesen zu sein, obwohl Teile des heutigen Pakistans, besonders Punjab (Fünfstromland) und Sindh (unteres Industal), einst dem Achämenidenreich untertan gewesen waren. Diese wollte Alexander nun gewissermaßen wiedererobern. Auch sein pothos blieb präsent und trieb ihn zu weiterer

A u f d e n S p u r e n d e s We i n g o t t e s

Ostexpansion. Seinen Zeitgenossen und ihm galt Indien als Wunderland, wo sich einst auch Dionysos sowie Herakles aufgehalten hatten. Neben dem Entdeckerdrang versprach sich Alexander eine Entschädigung für die Katastrophen der vergangenen drei Jahre. Er ließ sein mindestens 50 000, vielleicht 80 000 Mann starkes Vielvölkerheer, von dem die Makedonier nur 15 000 Mann ausmachten, erbarmungslos gegen diejenigen Stämme vorgehen, die sich ihm widersetzten. Die brutale Kampagne lief durchaus „erfolgreich“ an; die Inder lieferten den drangianischen Satrapen aus und einige Adlige liefen frühzeitig zu Alexander über. Weitere Verhandlungen waren im Gange. Nachdem der Stützpunkt Nikaia angelegt worden war, folgte das Heer dem Kophen (Kabul-Fluss). Währenddessen traf unter anderen der Fürst Taxiles ein, der die Region zwischen Indus und Hydaspes (Jhelam) beherrschte und dessen gleichnamiger Sohn zu einem treuen Verbündeten Alexanders wurde. Hephaistion und Perdikkas erhielten die Order, mit dem Gros des Heeres und Taxiles über den Khaiberpass durch die Landschaft Peukelaotis (Peschawar/Pakistan) bis zum Indus zu ziehen, in den der Kabul bei Attock mündet. Dort sollten sie eine Schiffsbrücke errichten, um den späteren Übergang über den Strom zu ermöglichen. Die Belagerung der Hauptstadt der Peukelaotis nahm dreißig Tage in Anspruch. Ansonsten bereitete die Operation den beiden Generälen keine großen Schwierigkeiten. Alexander zog inzwischen nach Norden und unterwarf in schweren Kämpfen die Aspasier, die Assakener und andere Stämme in Nuristan, Bajaur und Swat. Der tagelange Beschuss der Festung Massaga war erst erfolgreich, nachdem deren Kommandant gefallen war. Alexander befahl, die dort stationierten indischen Söldner zu überrumpeln und zu töten, da er ihnen misstraute.

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Trotz vieler Verwundeter durch Pfeilschüsse, die auch Alexander selbst erlitt, blieben die Makedonier mit ihren Verbündeten siegreich, da der König die Truppen mobiler gemacht hatte und verstärkt auf Fernkampf setzte, die indischen Fürsten untereinander zerstritten waren und es keine zentrale Gewalt gab, die zumindest hätte versuchen können, gemeinsam gegen den Eindringling vorzugehen. Anders als viele Städte verschonten sie einen einzelnen Ort, da sie meinten, Dionysos hätte ihn einst gegründet, auch weil dort Efeu, ein Attribut des Gottes, wuchs. Die Einheimischen, von denen viele vorübergehend in seinem Heer dienten, hatten es offenbar verstanden, Alexander davon zu überzeugen. Oder hatte er sie heimlich davon „überzeugt“, der beliebte Gott sei hier gewesen, um seine Truppen zu motivieren? Immerhin gab es Orte namens Nysa, benannt nach der Amme des Gottes, zuhauf, sei es in Thrakien oder in Äthiopien. Das große Widerstandszentrum, in das sich viele Inder geflüchtet hatten, war die Festung auf dem Berg Aornos, wohl Teil des Pir-Sar-Massivs etwas westlich des Indus. Zugunsten von Alexanders Ruhm hieß es, selbst Herakles, der am Indus kehrtmachte, habe ihn nicht erobern können. Das lag an der tiefen und breiten Schlucht, die eine neue Herausforderung für Alexander darstellte. Beflügelt durch Hinweise einheimischer Führer, befahl er das schier wahnwitzige Unterfangen, den Abgrund – 200 Meter tief und 400 bis 500 Meter breit – auszufüllen, bis die Artillerie so positioniert werden konnte, dass ihre Geschosse die Festung erreichten. Aornos wurde sturmreif geschossen. Alexander ließ sich wohl selbst an einem Seil die Felswand hochziehen. Schließlich war der Gipfel erobert. Die, die flüchten konnten, wandten sich an Fürst Abisares im benachbarten Kaschmir, der die Einheimischen schon vorher unterstützt hatte. Alexander zog

Die Elefantenschlacht am Hydaspes

es jedoch nach Süden. Er ernannte den Makedonier Philippos zum Satrapen und traf im Frühjahr 326 v. Chr. auf Hephaistion. Die Truppen überquerten den Strom und begleiteten Taxiles in dessen Hauptstadt Taxila (bei Islamabad und Rawalpindi), das bei aller Kooperationsbereitschaft des Fürsten eine makedonische Besatzung erhielt und zusammen mit dem Umland Philippos unterstellt wurde. Vielleicht störte diese Maßnahme den Fürsten gar nicht, denn immerhin bedeutete sie zusätzlichen Schutz vor seinen beiden Feinden Abisares und dem im Südosten herrschenden Poros. Während der Herr von Kaschmir mittels Geschenken, die in Taxila eintrafen, seine Loyalität bekunden wollte, wies Poros jegliche Art der Unterwerfung ab. Daher zog Alexander zum Hydaspes, der Westgrenze des neuen Feindes, während der bewährte Taxiarch Koinos – Ehegatte der AttalosWitwe, Parmenions Tochter – zum Indus zurückkehrte mit dem Auftrag, die dortigen Schiffe in Einzelteilen zum König zu bringen.

Die Elefantenschlacht am Hydaspes

Der Übergang über den Hydaspes schlug wochenlang fehl. Poros verteidigte das Ostufer erfolgreich, wenn auch zermürbt durch andauernde Scheinangriffe Alexanders. Erst eine Nacht- und Nebelaktion weiter nördlich ermöglichte einem dorthin gezogenen Heeresteil überzusetzen. Ehe Poros dort großflächig reagieren konnte, waren genug Truppen gelandet, um die Vorhut des Fürsten zu vernichten. Kurz darauf entbrannte der Hauptkampf gegen den Inder, der Bogenschützen, Reiter und Streitwagen, zusammen wohl 35 000 Mann, sowie bis zu 200 Kriegselefanten aufbot. Die Kolosse hatte Alexander erstmals bei Gaugamela kennengelernt.

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Er war inzwischen auf den Geschmack gekommen, was deren Eignung zur Machtdemonstration anging, und hatte zahlreiche Tiere aufgenommen oder gefangen. Der junge Taxiles führte eine Einheit Kriegselefanten in Alexanders Heer, doch zum Einsatz kamen sie nicht. In der anstehenden Schlacht musste der Argeade seine Reiterei möglichst von dieser gegnerischen „Wand“ fernhalten, deren Erscheinung, Geruch und Getöse die Pferde in Panik zu versetzen drohten. Die Schlacht am Hydaspes im Juni 326 v. Chr. war Alexanders vierte und letzte große Schlacht. Seine und Koinos’ Kavallerie mieden das Zentrum, attackierten vielmehr in einem Täuschungsmanöver erst beide, dann gemeinsam den rechten Flügel. Die Infanterie, die durch die Elefanten arg bedrängt worden war, war letztlich in der Lage, die Tiere so sehr zu ängstigen und an Beinen und Rüsseln zu verletzen, dass diese in den eigenen Reihen schweren Schaden anrichteten. Zwei Drittel von Poros’ Streitmacht sollen gefallen sein, von Alexander über 1000 Mann. Poros selbst hatte lange gekämpft und wurde wenig später als Fürst des gesamten Punjab östlich des Hydaspes bestätigt, noch dazu ohne einen makedonischen Kommandeur an seiner Seite – ganz im Gegensatz zu Taxiles. Wahrscheinlich war Alexander der Ansicht, mit dieser Ehrerbietung Poros’ Loyalität am ehesten zu gewinnen. Diese Großzügigkeit griffen zahlreiche Literaten, Komponisten und bildende Künstler, darunter Charles Lebrun im 17. Jahrhundert, auf. Zur selben Zeit führte Jean Racine, ein Verehrer des Sonnenkönigs Ludwig XIV., ein entsprechendes Theaterstück auf, und Georg Friedrich Händel komponierte gut siebzig Jahre später eine Oper über Alexanders Indienfeldzug. Mit seiner Entscheidung, diese beiden Radschas zu fördern, hatte Alexander Erfolg: Sie regierten – wenn auch nicht völlig

Erzwungenes Ende

eigenständig – noch nach seinem Tod und gaben dem unsicheren Ostrand des Reichs einen gewissen Halt. Poros fiel um 317 v. Chr. einem makedonischen Offizier zum Opfer, und sein Territorium ging im Reich des Sandrokottos (Chandragupta Maurya) auf. Mit diesem indischen Herrscher verhandelte später Seleukos I. Er trat Gebiete an jenen ab und erhielt dafür 500 Kriegselefanten, die in der Folgezeit eine durchaus gewichtige Rolle in den Kämpfen um das ehemalige Alexanderreich spielten. Alexander gründete in Indien zwei Städte. Im Fall von Nikaia, am Ort der Schlacht, war der Name Programm: „Stadt des Sieges“. Bukephala (heute Jhelam) lag an der Stelle, an der der Übergang über den Hydaspes erfolgt war. Sie ehrte Alexanders Lieblingspferd Bukephalos, das er als junger Prinz auf sensationelle Weise gezähmt haben soll und das nun an Altersschwäche oder im Kampf verendet war.

Erzwungenes Ende

Die Armee pausierte nach der Schlacht einen Monat, dann zog Alexander weiter. Anscheinend wollte er nicht über den Okeanos im Osten, den er möglicherweise immer noch in der Nähe vermutete, zurückreisen. Sonst wäre Krateros nicht am Hydaspes zu rückgeblieben, um eine riesige Flotte aufzubauen, mit der das Heer flussabwärts segeln konnte. Alexander glaubte vielleicht wegen der entdeckten Krokodile und angeblich „Bohnen“, der Indus sei der Oberlauf des Nils und man könne darauf nach Ägypten zurückkehren. Wie im Fall des Kaspischen Meeres folgten er und seine Zeitgenossen auch hier nicht dem älteren Wissen Herodots, bei dem der Indus in den Okeanos mündet. Der eigentlich uralte Seeweg von Indien in den Persischen Golf, den der kari-

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sche Seefahrer Skylax im Auftrag Dareios’ I. quasi wiederentdeckt hatte, scheint nach Herodot in Vergessenheit geraten zu sein. Oder man schenkte auch hier den knappen Ausführungen des Geschichtsschreibers keinen Glauben. Möglicherweise hielt sich Alexander angesichts des steigenden Unmuts seiner Männer aber auch einen Trumpf bereit, der sie wähnen ließ, auf raschem Weg in Richtung Heimat zu gelangen. Die Frage bleibt, wann genau Krateros beauftragt wurde, die Flotte am Indus zu bauen. Auf jeden Fall beabsichtigte der König, zunächst weiter nach Osten zu ziehen. Die zahlreichen Städte im Umfeld bereiteten zunächst geringere Probleme als der unbekannte Monsunregen, der Männer und Ausrüstung schwer in Mitleidenschaft zog. Zudem forderten Giftschlangen sowie die Überquerung des Induszuflusses Akesines (Chenab) zahlreiche Todesopfer. Danach wendete sich das Blatt: Der Hydraotes (Ravi) stellte nun das geringere Problem dar gegenüber dem wachsenden Widerstand der Inder, besonders der Kathaier. Weit mehr als 1200 Makedonier wurden schwer verwundet, als Alexander die Hauptstadt Sangala (bei Lahore, an der Ostgrenze Pakistans) angreifen ließ – der schwerste Verlust in einer Schlacht überhaupt. Der Frust innerhalb der monsungetränkten Truppen muss enorm gewesen sein, als sie auf den Hyphasis (Beas), den letzten Fluss im Fünfstromland, trafen und allerspätestens jetzt erfuhren, dass es keinen Okeanos im Osten gab. Ganz im Gegenteil: Wehrhafte Stämme mit scheinbar unzähligen Kriegselefanten siedelten dort, und ein weiterer, riesiger Strom sei zu überqueren. (Der Ganges mündet noch bei Strabon in den östlichen Ozean, nicht im Süden.) Warum Poros dies angeblich erst zu diesem Zeitpunkt bestätigte und nicht bereits zuvor geäußert hatte, lässt an der Glaubwürdigkeit der Quellen zweifeln. Diese Neuigkeiten jeden-

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falls brachten das Fass zum überlaufen: Die Truppen, von denen Teile 20 000 Kilometer in den Beinen hatten, verweigerten den Weitermarsch. Koinos – er starb wenig später an einer „Krankheit“ – bat stellvertretend für die Krieger, Alexander, dem mehr möglich sei als seinen Soldaten, möge zuerst heimkehren und mit neuen Truppen einen weiteren Ostvorstoß unternehmen. Doch das war in den Augen des Königs ein untauglicher Vorschlag. Alles sprach dafür weiterzumarschieren, denn hier am Hyphasis war man eben nicht wie etwa am Istros an den Rand der bewohnten Welt gestoßen, auf deren Jenseits man hätte verzichten können. Auch waren die rückwärtigen Verbindungen stabil, und weitere, umfangreiche Verstärkungen wurden noch einmal erwartet. Zudem war die Regenzeit vorbei. Als diverse Versprechungen des Königs nicht fruchteten, verkündete er, er werde notfalls allein weiterziehen, und zog sich wie Achilleus grollend drei Tage zurück. Ohne Erfolg. Er musste tatsächlich nachgeben, und um nicht als derjenige dazustehen, der nachgegeben hatte, schob er offenbar ungünstig ausgefallene Opfer vor. Den südlichen Ozean zu erreichen, der genauso Rand der Oikumene war, war eine schwache Entschädigung, und dass seine meuternden Truppen ihn an dem so verlockenden Weitermarsch ins Unbekannte hinderten, war eine unsägliche Schmach für den unnachgiebigen, über Leichen gehenden Entdecker und Eroberer. Die tatsächliche Universalherrschaft blieb ihm verwehrt. Er gab nach, um das belastete Verhältnis zu seinen Truppen zu retten. Doch die Wunden blieben. Mit den riesigen Altären für die Olympier, die am anderen Ufer an ihn erinnern sollten, ließ Alexander ein ihm würdig erscheinendes Pendant zu den Säulen des Herakles (Gibraltar)

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errichten. Die zeitgleich veranstalteten Spiele markierten das offizielle Ende des Feldzugs nach Osten. Der Feldherr befahl die Umkehr zum Hydaspes.

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Mit vielen Opfern im Vorfeld starteten Heer und Flotte – zusammen angeblich 800 Schiffe und aufgrund der indischen Verstärkung weit mehr als 100 000 Mann – im November 326 v. Chr. vom Hydaspes aus, um über Akesines und Hydraotes schließlich den Indus zu erreichen. Zwei große Truppenteile unter den Widersachern Krateros und Hephaistion marschierten zunächst beiderseits des Flusses voraus, ein weiterer folgte später. Alexander selbst ging mit einigen Tausend Mann an Bord. Stämme, die während der Fahrt Widerstand leisteten, wurden brutal bekämpft. Vor allem die Maller, in etwa an der Hydraotes-Mündung beheimatet, setzten den Makedoniern und ihren Verbündeten schwer zu. Alexander musste ihre Vereinigung mit den nördlichen Nachbarn, den Oxydrakern, verhindern. Er verfolgte das Hauptheer, und nahe der Flussmündung gelang es ihm, es rechtzeitig zu zerstreuen. Um sein Ansehen bei den eigenen Truppen wieder zu heben, kämpfte er meist an vorderster Front und erstürmte als einer der ersten über eine Leiter die Festung der gegnerischen Hauptstadt (Multan?), die einige Tausend Inder bis aufs Letzte verteidigten. Als er vorübergehend von den Hypaspisten isoliert war, traf ein Pfeil seine Lunge. Die Leibgardisten Peukestas und Leonnatos schützten den schwer verletzten König – wie es heißt mit dem Schild der Athena, den er aus Troja mitgenommen hatte –, bis die „Silberschildner“ eindringen konnten und alle Verteidiger töteten. Alexander überlebte zur Erleich-

Zum südlichen Okeanos

terung der Truppen, die festgestellt hatten, wie alles entscheidend ihr König war, doch von seinen inneren Verletzungen hat er sich kaum völlig erholt. Nach der Einnahme der Mallerstadt erkannten die meisten Stämme bis zum Indus – wo zwei weitere Städte gegründet wurden – seine Herrschaft an; andere fielen nach Abzug der Truppen wieder ab und wurden erneut unterworfen und hart bestraft, so der Fürst Musikanos durch den neuen Satrapen „Südindiens“, Peithon. Andere sagten sich später von Alexander und seinen Statthaltern wieder los. „Indien“ war großflächig, aber keinesfalls vollständig und dauerhaft erobert worden. Die Region bis zum Indus wurde Philippos zugeschlagen, der kurz darauf von eigenen Söldnern ermordet wurde. Alexander erfuhr davon erst im darauffolgenden Jahr und übertrug Taxiles einen Teil der Satrapie. Dass die Besatzungstruppe trotz einiger neuer Stützpunkte nicht in der Lage sein würde, sie vollends zu sichern, muss ihm von vornherein klar gewesen sein. Im Juli 325 v. Chr. erreichte die Flotte südlich vom heutigen Hyderabad das Indusdelta. Die Einwohner des Ortes Pattala, den Alexander zu einer großen Hafenstadt ausbauen ließ, hatten es vorgezogen, rechtzeitig das Weite zu suchen, statt sich mit dem riesigen Invasionsheer auseinanderzusetzen. Der König erforschte den rechten und den linken Flussarm. An Letzterem entstand ein weiterer Hafen, der den Südostrand seines Reichs markieren sollte. Alexander ließ Altäre für verschiedene Meeresgottheiten errichten. Im Delta und auf dem Ozean lernte er die Gezeiten kennen und erkannte, dass er sich keineswegs auf dem Oberlauf des Nils befand. Der König vollzog Opfer wie einst auf dem Hellespont zu Beginn des Perserfeldzugs. Er hatte damals schwerlich geahnt, dass sein Speer so weit fliegen würde. Nun sollte Posei-

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don die Flottenfahrt unter Befehl des Nearchos zurück nach Mesopotamien begünstigen. Das durchaus riskante Unternehmen sollte endgültig klären, wie der Seeweg nach Westen verlief. Der genaue Stand des damaligen Wissens bleibt wohl ungeklärt. Gab es keinen Austausch mit Händlern, die doch auf einer Route unterwegs waren, die seit langer Zeit genutzt wurde? Der recht erfolg- und ertraglose, aber entbehrungsreiche Indienfeldzug galt als beendet. Nun stand der Rückweg bevor. Der König wählte hierfür wohl aus verschiedenen Gründen den schwierigen küstennahen Weg durch die Wüste in Gedrosien (Makran im iranisch-pakistanischen Grenzgebiet). Dass dies die Strafe für die Meuterei am Hyphasis gewesen sei, wurde oft gemutmaßt, ist aber unwahrscheinlich. Bereits im Juni hatte Alexander sich des geehrten, aber am ehesten die alten Werte repräsentierenden Krateros mit großen Truppenteilen, die auch in den schweren Zwischenfall verwickelt gewesen sein müssen, auf andere, ihm nützlichere Weise entledigt: Er hatte ihn nordwestlich nach Arachosien und Drangiane zurückgeschickt, um die Verbindungslinien zu überprüfen und zu sichern, denn es war auch im Zusammenhang mit seiner Verletzung in der Stadt der Maller zu Gerüchten über seinen Tod gekommen. Die Unruhen, die daraufhin entstanden waren, zeugten von der Instabilität seines jungen, riesigen Reich. So skrupellos Alexander sein konnte – dass er etliche Frauen und Kinder, die ihn begleiteten, als Strafe für das Verhalten der Truppen wissentlich ins Verderben schickte, ist zu bezweifeln. Plausibler erscheint die Annahme, Alexander wollte mit den vielleicht 30 000 Mann, darunter 8000 Makedoniern, auf dem Rückweg die südlichen Regionen durchziehen, um sie zu entdecken, zu erforschen – und zu erobern. Auf bereits bekanntem Ter-

Tödliche Rückkehr durch Gedrosien

rain zurückzukehren, hätte ihn wohl gelangweilt, und darüber hinaus bekam er wieder einmal Gelegenheit, mythische und historische Größen zu übertrumpfen. Im Fall der erbarmungslosen Wüste Südbelutschistans handelte es sich um die sagenhafte assyrische Königin Semiramis und Kyros den Großen, die beide bei dem Versuch, die Wüste zu durchqueren, mit Müh und Not das eigene Leben retten konnten. Auch Alexanders Versuch hatte fatale Folgen, so gut er auch geplant gewesen sein mag, und so mag das Versagen seiner beiden Vorgänger später erdichtet worden sein.

Tödliche Rückkehr durch Gedrosien

Wahrscheinlich plante Alexander, dass die Kommunikation zwischen Flotte und Landheer bis zum Persischen Golf aufrechterhalten werden sollte. Fatalerweise war Nearchos jedoch gezwungen, das Abflauen der Monsunwinde abzuwarten, wobei er sich einen etwas weiter westlich gelegenen Stützpunkt suchen musste, da Einheimische ihn nach Alexanders Abzug vom Indus vertrieben hatten. Der König besiegte die Arabiten und die Oreiten nordwestlich von Karachi und gründete ein weiteres Alexandreia beim heutigen Bela im südlichen Pakistan. Dass der neue makedonische Satrap Apollophanes später im Kampf gegen Aufständische fiel, bedeutete für die inzwischen weitergezogenen Truppen eine Katastrophe: Der Statthalter war beauftragt worden, den bevorstehenden strapaziösen Zug entlang der Küste mit Proviant zu versorgen. Der schon zuvor nur indirekte Kontakt zu Nearchos über den siegreichen Kommandeur Leonnatos riss nun völlig ab und das Schicksal beider blieb ungewiss. Als die Soldaten und Zivilisten zwei Monate nach Abzug

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aus dem Oreitenland die gedrosische Hauptstadt Pura – möglicherweise Bampur oder östlich davon – im Südosten Irans erreichten, waren vielleicht nur noch 15 000 am Leben. Nicht zum ersten Mal hatten sich Alexanders einheimische Führer verirrt, und wenn es nicht Durst und Hunger waren, die neben anderen die Nonkombattanten in der kargen Küstenregion in Makran – zum Beispiel zwischen Pasni und Gwadar – „dezimierten“, dann brachten eine plötzliche Flutwelle, giftige Pflanzen oder Tiere den Tod. Alexander suchte Schuldige, obwohl er selbst, der Oberbefehlshaber, die Natur gründlich unterschätzt hatte: Apollophanes, erfuhr er, war tot. Das Fernmeldewesen war in den wenigen Jahren seit der Eroberung erstaunlich gut ausgebaut worden, oder der Argeade nahm dies zumindest an. Wie hätte er sonst Astaspes, den Satrapen Karmaniens, das er noch nie persönlich „bereist“ hatte, dafür belangen können, dass Tausende auf der Strecke geblieben waren? Der Statthalter wurde hingerichtet. Auch Abulites in der Susiane bezahlte wenig später organisatorische Versäumnisse mit seinem Leben, und genauso, wenn auch aus anderen Gründen, erging es einigen makedonischen Generälen – neben anderen Kleandros, einem der Mörder Parmenions – und 600 ihrer Soldaten. In Begleitung des medischen Satrapen Atropates, der als einer von wenigen Orientalen nach Alexanders Rückkehr im Amt blieb, hatten sie den König in Karmanien aufgesucht. Dass die Bevölkerung sie allerdings schwerer Vergehen beschuldigte, bedeutete ihren Tod. Alexander muss schockiert gewesen sein, als er erfuhr, dass auch auf seinen alten Freund und Schatzmeister Harpalos kein Verlass war. Dieser hatte in Babylon im Luxus geschwelgt und sich frühzeitig mit Söldnern und 5000 Talenten zunächst nach

Tödliche Rückkehr durch Gedrosien

Tarsos, dann im Sommer 324 v. Chr. nach Athen abgesetzt. Alexander forderte seine Auslieferung, zumal Harpalos die Athener gegen ihn aufwiegelte. Möglicherweise hoffte der ehemalige Schatzmeister auf Unterstützung seitens der Griechen, da zu dieser Zeit Alexanders umstrittenes Verbanntendekret in Griechenland bekannt gegeben wurde. Darin befahl er mit wenigen Ausnahmen die Rückführung sämtlicher Verbannter. Dies stellte besonders die Athener vor erhebliche Probleme, da sie die Bevölkerung ihrer alten Kleruchie Samos vertrieben, sich auf deren Grundstücken eingenistet und eigenes Land in der Heimat vielleicht sogar veräußert hatten. Das Dekret setzte sich über die Autonomiebestimmungen des Korinthischen Bundes hinweg, doch Alexander, den selbst die Athener mit göttlichen Ehren überhäuften, hatte seine Macht über die griechische Welt scheinbar so weit gefestigt, dass er ohne Bedenken in die inneren Angelegenheiten der Städte eingreifen konnte. Das hatte er bereits in Ephesos getan. Er beabsichtigte damit eine weitere Schwächung der einzelnen Stadtstaaten zugunsten der makedonischen Vorherrschaft. Auch lockte er viele Griechen, die sich als Söldner verdingten, zurück in ihre Heimat und nicht als hellenisierende Maßnahme in den Osten, um mögliche Rebellionen in den Satrapien zu erschweren. Alexander sah sich in der Position, völlig eigenmächtig entscheiden zu können. Er lag damit richtig: Viele Poleis akzeptierten seine Anordnung, und so siegte selbst in Athen die promakedonische Partei. Sie entschied sich auch gegen Harpalos, der einen Krieg gegen Alexander heraufbeschwor. Man ließ ihn aber entkommen. Ein spartanischer Söldner ermordete den Ex-Freund des Königs wenig später auf Kreta. Demosthenes musste wegen Veruntreuung von Harpalos’ Bestechungsgeld ins Exil gehen.

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Kaum jemand scheint geglaubt zu haben, Alexander könne eines Tages zurückkehren, vielleicht wegen der nur oberflächlichen Eroberung seines Riesenreichs oder wegen der schweren Verletzung bei den Mallern, die die Satrapien in Verwirrung versetzte. Söldner rebellierten in den ostiranischen Stadtgründungen, die ihnen kein geeignetes Zuhause boten, und am anderen Ende des Reichs, in Thrakien, unterlag und fiel Alexanders General Zopyrion im Kampf gegen eine skythische Streitmacht. Daraufhin erhoben sich die Odrysen, und die Makedonier mussten in Verhandlungen mit deren König Seuthes III. treten. Alexander trat all diesen Unruhen entschieden entgegen und sorgte für lang anhaltende Ruhe, die noch den Diadochen, den nachfolgenden Königen, zugute kam. Deutlich signalisierte auch Alexanders umstrittene Anordnung, die Satrapen dürften keine Söldner mehr anwerben, seine Skepsis gegenüber verschiedenen Statthaltern und den Söldnern. Sein System hatte, wie erwähnt, in ausreichendem Maße funktioniert, um das Reich trotz seiner Abwesenheit bestehen zu lassen, aber sein Drang in die Ferne machte den Unterschied zwischen Erobern und Beherrschen nun allzu deutlich. Immerhin bewältigten Stasanor und andere Amtsträger der westlich angrenzenden Satrapien ihren Auftrag, die Truppen auf ihrem weiteren Weg zu versorgen, und beim neu gegründeten Alexandreia in Karmania (Gulaschkird) stieß auch Krateros wieder zu Alexander. Die Wiedervereinigung der Landtruppen feierte Alexander mit einem sieben Tage währenden riesigen Festzug, der an Dionysos erinnern und die vorangegangenen Entbehrungen in Vergessenheit geraten lassen sollte. Die Freude des Königs über ein anderes Zusammentreffen war noch viel größer: Die Flotte war gerettet. Nearchos war innerhalb von zwei Monaten weit über eintausend Kilometer bis

Tödliche Rückkehr durch Gedrosien

zum Eingang in den Persischen Golf gesegelt und hatte sich durch rigoroses Plündern der wenigen bitterarmen Küstenorte gerettet. Nachdem er bei Harmozeia/Hormuz zufällig erfahren hatte, dass der König nur einige Tagesmärsche entfernt lagerte, arrangierte der Jugendfreund das ebenfalls groß gefeierte Wiedersehen. Danach stach er wieder in See. Über den Pasitigris (Karun) erreichte er schließlich die Umgebung von Susa. Sein Erfolg beeinflusste Alexanders Pläne zur Eroberung Arabiens – mehrere Expeditionen starteten in den Folgemonaten, um vom Persischen Golf und dem Roten Meer aus erste Erkundungen über die noch unbekannte große Halbinsel einzuholen. Nearchos’ Aufzeichnungen trugen aber vor allem dazu bei, den Seeweg nach Indien in den folgenden drei Jahrhunderten neu zu erschließen. Zum Jahresbeginn 324 v. Chr. gab der König Hephaistion den Befehl, mit dem Hauptheer nach Susa zu ziehen. Er selbst suchte zunächst auf etwas nördlicherer Route Pasargadai auf. Dass das Grabmal des Kyros in den sechs Jahren seiner Abwesenheit erneut geplündert und geschändet worden war, nahm er zum Anlass, den bei der Bevölkerung unbeliebten Satrapen der Persis namens Orxines hinrichten zu lassen. Schwerwiegender war jedoch, dass der Perser nach dem Tod des regulären Satrapen Phrasaortes dessen Amt usurpiert hatte – und das ausgerechnet in der Kernprovinz des alten Perserreichs. Sein Nachfolger wurde Alexanders Leibwächter Peukestas, der den Argeaden in der Festung der Maller gerettet hatte und wie Hephaistion zur Freude seines Königs besonders geneigt war, persische Gewohnheiten anzunehmen. Es gelang ihm, die Satrapie auch als Fremdling jahrelang erfolgreich zu verwalten. Er wurde 315 v. Chr. von Antigonos Monophthalmos abgesetzt. Mit der Wiederherstellung der Grabstätte des Achämeniden wurde

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der Techniker Aristobulos – neben Ptolemaios Arrians Hauptquelle – betraut. Der König marschierte über Persepolis nach Susa und hatte damit seine gesamten Land- und Seestreitkräfte wieder vereint. Die eigentliche Winterresidenz bot im Frühling den Schauplatz, um den zuletzt mehr und mehr unglücklichen Feldzug endgültig zu beenden. Alexander ehrte ihm getreue Gefährten, allen voran Hephaistion, der spätestens jetzt zum Chiliarch, einer Art Vizekönig, ernannt wurde.

Unbeliebte „Geschenke“ – Massenhochzeit und Abfindungen

Der König von Asien versuchte mit einer spektakulären Maßnahme, die Eintracht mit seinen Truppen und im Reich wieder herzustellen. Auf fünf Tage verteilt, inszenierte er ein riesiges Hochzeitsfest. Insgesamt heirateten etwa neunzig hochrangige Makedonier – teilweise dazu genötigt – hochadelige Perserinnen. Alexander selbst nahm Stateira, die älteste Tochter des Dareios – nicht dessen gleichnamige Schwestergemahlin –, und Parysatis, die jüngste Tochter des Artaxerxes III., zur Frau. Hephaistion ehelichte Drypetis, Stateiras Schwester, Krateros deren Cousine. Angeblich wurden darüber hinaus Tausende Konkubinate der Mannschaften legitimiert. Als Ansporn gönnte Alexander allen Mitgifte und Geschenke und zahlte sogar die immense Schuldensumme der Soldaten von angeblich 20 000 Talenten. Darauf beruhte für ihn die Sicherung seines Reichs mit einer neuen Elite und einer zu erwartenden großen Zahl von Rekruten. Er hatte es selbst bereits mit der Hochzeit mit Roxane vorgelebt, auch wenn die Ehe noch kinderlos war. Doch all dies reichte nicht aus, um

Unbeliebte „Geschenke“

die Katastrophen, von denen die letzten sechs Jahre geprägt gewesen waren, oder zumindest die Erinnerungen seiner Männer daran vergessen zu machen. Im Sommer segelte Alexander mit wenigen Truppen zum Tigris, gründete im Delta das spätere Charax Spasinu, einen Knotenpunkt für den Indienhandel (nördlich von Basra), und beseitigte alte Staudämme. Gegner abzuwehren stand nicht zur Debatte, ganz im Gegenteil: Die persischen Bollwerke hätten die eigene neue Flotte, die bald in Richtung Arabien in See stechen sollte, behindert. Mit diesem Eingriff in den künstlichen Flusslauf nahm der Argeade sogar in Kauf, die dortige Bewässerung zu verschlechtern. Bei Opis am Mittellauf unweit von Bagdad trafen König und Hauptheer wieder zusammen. So sehr sich die Makedonier am Hyphasis für die Rückkehr nach Westen eingesetzt hatten, so entsetzt waren sie nun, als Alexander ihnen gewissermaßen entgegenkommen wollte: Er verkündete, er wolle viele seiner maximal 20 000 Makedonier reich beschenkt entlassen, damit sie das Heimatland sicherten. Gewiss ging er davon aus, in ihrem Sinne zu handeln, doch war er obendrein kaum mehr auf sie angewiesen: In Susa hatten ihn die 30 000 Baktrier erreicht, die seit drei Jahren ausgebildet worden waren. Unter den argwöhnischen Blicken der Makedonier beeindruckten sie Alexander mit ihrer Heerschau. Er bildete eigene Regimenter aus ihnen und zudem eine Hipparchie aus verschiedenen Verbänden. Obwohl die Rekrutierung einheimischer Truppen – zum Teil sogar für die Leibgarden – von Anfang an praktiziert worden war und der Anteil der Makedonier konstant geschwunden war, fühlten sich diese nun offenbar vollends abserviert und den „Epigonoi“ („Nachkommen“), wie ihr König die iranischen Truppen nann-

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Der größte Feldzug

te, untergeordnet. Dass sie die Schlüsselpositionen in Heer und Administration behielten, war da kein Trost. Als daraufhin in Opis schwere Krawalle ausbrachen und die bereits bekannten Rufe ertönten, Alexander solle mit seinem Vater Ammon allein weiterkämpfen, ließ er die engagiertesten Aufwiegler hinrichten und zog sich wie am Hyphasis tagelang in seine Unterkunft zurück, aber diesmal ohne „Rückzieher“. Der König gab den persischen Truppenteilen die Namen der makedonischen, setzte orientalische Kommandeure ein und nannte sie „Verwandte“. Als ihn seine Landsleute infolgedessen unablässig klagend anriefen, rührte ihn das offenbar zu Tränen. Er ließ ein großes Versöhnungsfest für die Makedonier, Perser und anderen Völker abhalten. Griechische Priester und persische Magier vollzogen gemeinsam Opfer. Der „König von Asien“ beschwor die Eintracht von Makedoniern und Persern und dachte dabei wie bei der Massenhochzeit von Susa an die Sicherheit des Reichs, das er geschaffen hatte. In achämenidischer Tradition sollten nun alle seine „Verwandten“ sein. Die Meuterei in Opis blieb im Gegensatz zu der am Hyphasis erfolglos. Unter dem Kommando der ebenfalls ausgedienten Veteranen Krateros und Polyperchon kehrten 11 000 mehr oder weniger Bereitwillige heim – sie scheinen die mehr als die Hälfte aller Makedonier umfassende Fraktion gebildet zu haben, die weniger an ihren neuen Familien hing. Ihre orientalischen Frauen und die Kinder sollten bei Alexander bleiben, wohl um in der Heimat keine Krawalle zu verursachen und damit er die Knaben an sich band. Sie sollten erst nach ihrer militärischen Ausbildung im Osten zu ihren Vätern stoßen. Welche Bedeutung mögen die Truppen der Massenhochzeit nun noch beigemessen haben?

Unbeliebte „Geschenke“

Anders als die Mannschaften empfand der über siebzigjährige Antipatros den Befehl, Krateros sein Amt als Statthalter zu übergeben und mit frischen Truppen aus Makedonien nach Babylonien zu kommen, als Beleidigung. Er schickte seinen Sohn Kassandros, der den unerfüllbaren Auftrag hatte, den erzürnten König davon zu überzeugen, dass sein Vater in der Heimat unabkömmlich war. Alexander wusste seit Langem von den Konflikten seiner Mutter mit Antipatros. Er hatte sie sogar nach Epeiros geschickt und dafür seine verwitwete Schwester Kleopatra mit den religiösen Angelegenheiten in Makedonien betraut. Seine eigene Beziehung zu dem einstigen Anhänger mag seit der Hinrichtung von dessen Schwiegersohn Alexander Lynkestis getrübt gewesen sein, was aber nicht heißt, dass er ihm misstraute. Kassandros und Olympias lieferten sich nach Alexanders Tod einen furchtbaren Kampf, der zum Ende der Argeadendynastie führte. Im Herbst marschierten die Truppen über Susa nach Ekbatana. Hier starb Alexanders „Busenfreund“ und „Wesir“ Hephaistion – vielleicht an Typhus, gepaart mit exzessivem Weinkonsum auf den vielen Festen, die die getrübte Stimmung im Heer hatten heben sollen. Wie einst Achilleus war Alexander außer sich vor Trauer um „seinen Patroklos“: Er ließ den unglücklichen Arzt, der seinen todkranken Patienten vergeblich zu enthaltsamer Lebensweise ermahnt hatte, hinrichten, erklärte reichsweite Trauer und gab einen sündhaft teuren Scheiterhaufen in Auftrag. Zwar wurde kein offizieller Nachfolger als Chiliarch und Führer der königlichen Schwadron ernannt, doch übernahm Perdikkas faktisch diese Aufgaben. Alexander sandte Boten nach Ammonion, um in Erfahrung zu bringen, ob „sein“ Gott heroische Ehren für Hephaistion gestattete. Auf das im Frühling 323 v. Chr. eintreffende „Ja“ hin förderte er den Kult, der wohl über Jahr-

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Der größte Feldzug

hunderte hinweg an verschiedenen Orten praktiziert wurde. Alexander plante zudem den Bau eines gigantischen Grabmals. Diese Anlage wäre vielleicht ein weiteres Weltwunder geworden oder hätte den Platz des Grabmals des Maussolos eingenommen – in den Wirren des Folgejahres blieb es indessen wie viele andere Vorhaben des Königs unausgeführt. Im Winter 324/23 v. Chr. führte der zutiefst verbitterte Alexander einen brutalen Feldzug gegen die Kossaier im Zagrosgebirge, die wie die Uxier nahezu unabhängig gewesen waren und Wegezoll verlangt hatten. Die wenigen Überlebenden zwang er, sesshaft zu leben. Ohne Erfolg: Wenige Jahre später waren wichtige Verbindungswege zwischen der Susiane und Medien wieder blockiert, wie Antigonos schmerzlich erfahren musste. In Ekbatana ergingen weitere Befehle zur Vorbereitung des Arabienfeldzugs, und Alexander beauftragte überdies einen Griechen mit der überfälligen Erkundung des Kaspischen Meeres. Im Frühjahr zog er zurück nach Mesopotamien. Unterwegs und wenig später in Babylon suchten ihn Gesandte aus etlichen Städten und Reichen der westlichen Mittelmeerwelt auf und überhäuften ihn mit Ehren. Sie suchten damit die Gunst des Königs zu erwerben wie diejenigen Städte unter anderem in Ionien, die bereits seinem Vater und nun ihm zu Lebzeiten göttliche Ehren erweisen ließen. Der König von Asien und Pharao mag sich selbst nicht für göttlich gehalten, eine entsprechende Verehrung aber auch nicht abgelehnt haben.

Rückkehr nach Babylon – der Anfang vom Ende

Rückkehr nach Babylon – der Anfang vom Ende

Alexander ging den Feldzug nach Arabien nun mit Tempo an. Diese mächtige Halbinsel zu erobern würde seinen Ostfeldzug erst komplettieren, und auf ihre wertvollen Gewürze zu verzichten kam nicht infrage. Zusätzlich zu Nearchos’ Flotte ließ er neue Schiffe bauen und zudem die altbewährten aus Phönizien und Zypern nach Thapsakos zum Euphrat transportieren. Ein Sonderbeauftragter heuerte phönizische Matrosen an. In Babylon entstand ein riesiger Hafen, groß genug für tausend Schiffe. Während Nearchos, dem der Oberbefehl wieder übertragen worden war, mit der Koordination beschäftigt war, inspizierte Alexander die Kanäle und Schleusen und gab deren Ausbesserung in Auftrag. Ein weiteres Alexandreia sollte wie sein Pendant am Tigris als Basis für den Nachschub dienen. Auch die Landstreitkräfte schienen bestens vorbereitet zu sein: Peukestas hatte 20 000 orientalische Fernkämpfer herbeigeführt, und auch aus Makedonien und Kleinasien traf Verstärkung ein. Alexander hatte die konservative Fraktion entlassen und war nun in der Lage, den letzten Schritt bei der Zusammenstellung seiner Truppen zu gehen: Er stellte gemischte makedonisch-orientalische Fußtruppen im Verhältnis 4:12 auf. Obschon sie in der Minderheit waren, dominierten die Makedonier diese neuen Einheiten, denn einer aus ihren Reihen hatte das Kommando und sie stellten die ersten drei sowie das letzte Glied. So entstand eine äußerst schlagkräftige und flexible Formation aus Sarissen, die in den letzten Jahren wenig zum Einsatz gekommen waren, und Fernkämpfern.

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Der größte Feldzug

Babylon

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Rückkehr nach Babylon – der Anfang vom Ende

Die Armee kam in dieser Form jedoch nicht zum Einsatz: Während der Feierlichkeiten im Zuge von Hephaistions „Heroenakklamation“ durch Ammon, kurz vor dem geplanten Auslaufen der Flotte, erkrankte Alexander nach einem Gelage. Den eventuell gefälschten königlichen Tagebüchern („Ephemeriden“) zufolge starb er zehn Tage später, mit nur knapp 33 Jahren einem Heros wie Achilleus gleich, aber nicht im Kampf – zäh wie er war, überlebte er mehrere schwere Verletzungen –, sondern an einer unbekannten, bis heute diskutierten Krankheit. Angesichts der Erkundung des Euphrats und der Sumpfgebiete bei dessen Mündung könnte es sich um Malaria oder den Westnilvirus gehandelt haben. Außerdem lässt sich wie im Fall von Hephaistion vermuten, dass Alexander bei mäßigerem Alkoholkonsum bessere Aussicht auf Genesung gehabt hätte. Nicht vergessen werden darf auch, dass sein Körper spätestens seit der Lungenverletzung in „Indien“ schwer geschädigt war. Olympias brachte einige Jahre später das Gerücht in Umlauf, Alexander sei von Iolaos vergiftet worden. Der Sohn des ihr verhassten Antipatros war während Alexanders letztem Gelage in Babylon dessen Mundschenk gewesen. Im Jahr 317/16 v. Chr. ließ sie dessen Grab in Makedonien schänden. Auch Aristoteles wurde postum hineinverwickelt, indem er den Giftmord überhaupt erst initiiert haben soll. Vielleicht hätten Experten ein derart langsam wirkendes Gift tatsächlich mischen und einsetzen können, doch wäre die zehntägige Verzögerung nötig gewesen? – Die wahre Todesursache bleibt ungeklärt.

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Ein luxuriöses Refugium

D

ie Diadochen – zerstrittene Erben Alexander der Große, als der er erst in römischer Zeit bezeichnet wurde, hatte ein Reich unerhörten Ausmaßes erobert, aber kaum gefestigt. Zudem war das Problem der Nachfolge ungelöst – diesmal mit gravierenden Folgen. „Dem Bestem“, soll Alexander noch gehaucht haben, wolle er sein Reich vererben. Was folgte, waren mehrere Kriege zwischen seinen Generälen und die Aufteilung des Riesenreichs. Aufbauend auf Alexanders Feldzug vermischte sich in den Nachfolgereichen die griechisch-makedonische Kultur mit der Vielfalt des Orients, bis die Römer sein Erbe antraten.

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Die Diadochen – zerstrittene Erben

Die hellenistischen Reiche um 240 v. Chr. K E LT E N R E I C H VON TYLIS

Pontos Euxeinos

Sinope Amastris Trapezunt Nikomedeia Amisos Byzantion Pella lys Thessalonike Bith Nikaia Ha Kotyora yni M A K E D O N I E N Abydos en Ankyra K Dorylaion G a l a t i e n Lesbos Delphi Pergamon Mazaka Komana Athen Korinth Ephesos Ikonion Karrhai Milet Tarsos Perge Sparta Syrien Soloi Xanthos Nagidos Seleukeia Antiocheia Rhodos Laodikeia Apameia Kreta Salamis Seleukis Gortyn Emesa

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Die Diadochen – zerstrittene Erben

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Reich der Attaliden Seleukidenreich Ptolemäerreich

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Die Diadochen – zerstrittene Erben

Der ratlose Krisenstab

Alexanders Offiziere standen vor dem großen Problem festzulegen, wer dem „Gott“ und vielfachen Gründerheros auf den Thron folgen und das Riesenreich regieren sollte. Die einstige Mahnung, Alexander hätte erst für einen würdigen Nachfolger sorgen sollen, bewahrheitete sich oder wurde im Nachhinein erfunden. Perdikkas, dem Alexander seinen Siegelring gegeben hatte, übernahm die Amtsgeschäfte. Er schlug vor, die Geburt von Roxanes Kind abzuwarten und, sollte es ein Sohn sein, diesen zu krönen. Doch Alexanders Tod hatte die Rivalität zwischen Makedoniern und Orientalen beflügelt. Nicht nur, dass die meisten seiner Offiziere ihre Ehefrauen nun verstießen; viele lehnten auch das ungeborene Kind der Baktrierin ab. Der in Kleinasien lebende Herakles, Sohn Alexanders und der Perserin Barsine, kam also gar nicht infrage, selbst wenn sich Nearchos für ihn einsetzte. Da Alexanders als unzurechnungsfähig geltender Halbbruder Arrhidaios als König Philippos ausgerufen wurde, entbrannte vor dem aufgebahrten Leichnam des Königs ein blutiger Kampf zwischen Anhängern Perdikkas’ und denen des Infanteriekommandeurs Meleagros. Perdikkas ließ seine etwa 300 Gegner später kurzerhand von Elefanten zu Tode trampeln. Die Offiziere einigten sich darauf, dass er das Reich weiterhin leiten sollte, doch dass Philippos und Alexandros, den Roxane kurz darauf gebar, gemeinsam „regieren“ sollten, war nur ein oberflächlicher Kompromiss. Perdikkas verlas außerdem Alexanders sogenannte „letzte Pläne“. Wie die „Ephemeriden“ könnten auch sie gefälscht sein. Sie umfassten neben anderem den vorbereiteten Feldzug – und zwar bis zu den Säulen des Herakles –, einen umfassenden Bevöl-

Der ratlose Krisenstab

kerungstransfer zwischen West und Ost, den Bau von sechs riesigen Tempeln in Griechenland und eines gigantischen Grabmals für Philipp. Diese Pläne sind durchaus realistisch, denn allein sein bisheriger Feldzug hatte immerhin – auf Kosten unzähliger Menschen- und Tierleben – durch etwa zwanzig heutige Staaten geführt! Alexanders Hang zum Übermenschlichen, Gigantischen scheint zweifellos unglaublich groß gewesen zu sein, gleich seinem Eroberungs- und Entdeckungswillen. Allein gegen Karchedon/Karthago auf dem weiteren Zug nach Westen vorzugehen muss Alexander insgeheim gereizt haben. Dass er die im Mittelalter und bis heute unerreichte Eintracht zwischen Orient und Okzident anstrebte, könnte als Alexanders größtes Vermächtnis für die Menschheit angesehen werden. Er gehörte anscheinend zu den aufgeschlossenen Griechen und Makedoniern, welche die „Barbaren“ („Nichtgriechen“) nicht wie viele ihrer Zeitgenossen für minderwertig erachteten. Jedoch wird es Nebensache gewesen sein, ob Alexander ihm ergebene Orientalen aus Tugend, Ritterlichkeit oder in höherem Auftrag, wie ihm spätere Legenden andichteten, achtete und förderte. Vielleicht hatte er lediglich verstanden, dass er nur mit dieser Einstellung oder Vorgehensweise seine Herrschaft konsolidieren konnte. Wenn Alexander sich wirklich als angehender Universalherrscher ansah, musste er entsprechende Kompromisse eingehen. Er handelte im Prinzip wie die Achämeniden vor ihm, die ein Weltreich geschaffen hatten – er machte sich die Stärken der einzelnen Völker zunutze und respektierte deren Sitten sogar in noch größerem Maße. Pragmatismus, eine gewisse Toleranz und Rigorosität machten später auch die Römer zur Weltmacht. Dass er wahren Mut in vielen Fällen belohnte und Frauen achtete, was

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man von seinen Zeitgenossen im Allgemeinen nicht behaupten kann, nützte Theben, Gaza, Tyros, den mallischen und unzähligen Einwohnern anderer Städte oder Siedlungen, für die Unterwerfung nicht infrage kam, jedoch nichts. Gegen sie ging er erbarmungslos vor, was dem gängigen Verhalten eines Eroberers entspricht. Alexanders erwähnte Vorhaben wurden nicht in die Tat umgesetzt. Sogar der bereits begonnene Arabienfeldzug „verlief im Sande“. Dass die Pläne von der Heeresversammlung als zu aufwendig ad acta gelegt wurden, hätte ihm insofern geschmeichelt, als dass sie damit seine Einzigartigkeit bewiesen und die Mythenbildung um seine Person verstärkten. Der Rat um Perdikkas hatte auch die Satrapien neu zu besetzen. Zum Beispiel übertrug man Ptolemaios Ägypten, dem Leibwächter Lysimachos Thrakien, Antigonos und Eumenes, dem einstigen königlichen Sekretär, der möglicherweise die „Ephemeriden“ verfasst hat, Teile Kleinasiens. Perdikkas – er erhielt Syrien und Mesopotamien – und Krateros übernahmen die wichtigsten Verwaltungsaufgaben und standen im Prinzip über Philippos. Antipatros blieb im Amt. Der alte General sah sich mit einem neuen Aufstand gegen die makedonische Vorherrschaft konfrontiert. Athen führte ihn an, doch Sparta schmollte erneut, da die Athener seinem gefallenen König Agis nicht zu Hilfe gekommen waren. Die Makedonier bezwangen die Griechen in zwei Schlachten zu Land und einer zur See (Lamischer Krieg 323/22 v. Chr.). Demosthenes beging Selbstmord, und die Poleis im Mutterland erblickten in den kommenden Jahrhunderten die einzige Möglichkeit, erfolgreich gegen Makedonien aufzubegehren – oder mit ihm zu paktieren –, darin, sich Bünden wie dem Achaischen oder dem Aitolischen anzuschließen.

Der ratlose Krisenstab

Auch im Osten blieb Alexanders Tod nicht folgenlos. Doch dort rebellierten weniger die Einheimischen, was zu erwarten gewesen wäre – bezeichnenderweise heißt es, dass Sisygambis, die Mutter seines Erzfeindes Dareios, sich aus Trauer um Alexanders plötzliches Ende zu Tode gehungert habe –, vielmehr versuchten tausende Söldner, die ihnen aufoktroyierte neue „Heimat“ in marodierender Weise zu verlassen. Sie wurden von den Aufgeboten der Satrapen geschlagen. Alexander soll den Wunsch gehabt haben, in Siwa bestattet zu werden. Der geplante, einem „Gott“ gebührende Leichenzug mit pompösem Wagen, einem „wandelnden Mausoleum“, setzte sich aber erst zwei Jahre später in Bewegung. Die Marionette Philippos übergab den Leichnam in Damaskos Ptolemaios, der das prestigeträchtige Objekt entgegen der Anordnung des Perdikkas nicht nach Makedonien und auch nicht nach Siwa, sondern heimlich nach Memphis brachte. Er war einer der ersten, die eine eigene Teilherrschaft anstrebten, während sich zum Beispiel Antipatros für die Einheit unter den beiden Argeaden einsetzte. Letzterem war der Oberbefehl über das makedonische Heer übertragen worden, und nun plante er wie auch Perdikkas, das gesamte Reich für sich selbst zu „retten“. Einige Jahre später gelangte der „Schatz“ nach Alexandria, wo wie an verschiedenen anderen Orten des „alten“ Reichs ein Alexander-Kult entstand. Nicht nur das Grab, auch andere Orte seines Wirkens entwickelten sich zu einer Anlaufstelle für unzählige Reisende, die sich für ihn interessierten. Über die Relikte des großen Herrschers zu verfügen, war daher ein besonderer Trumpf für die Ptolemäer, Alexanders „Nachfolger“ in Ägypten. Verschiedene römische Kaiser besuchten die berühmte Pilgerstätte, zunächst Iulius Caesar, der Liebhaber der letzten Ptole-

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mäerin Kleopatra VII., dann Octavian, ihr Bezwinger. Es heißt, er habe den Toten mit einem Kranz geehrt. Auf Geheiß von Kaiser Septimius Severus wurde die Gruft um 200 n. Chr. verschlossen. Sein Sohn Caracalla ließ das Grab jedoch vermutlich wieder aufbrechen. Spätere Quellen liefern nur eine verwischte Spur. Vielleicht überdauerte das Alexandergrab die Spätantike und das frühe Mittelalter als falsche Grabstätte eines Heiligen oder fiel der Zerstörungswut der Christen gegenüber heidnischen Stätten zum Opfer. Das Spektrum an Mutmaßungen über dieses prominente Rätsel der Geschichte und Archäologie ist breit. Perdikkas versuchte, militärisch gegen Ptolemaios vorzugehen, doch seine eigenen Offiziere, darunter Seleukos, ermordeten ihn. Obwohl der neue Reichsverwalter Antipatros 319 v. Chr. auf natürliche Weise starb, kamen zahlreiche andere Große aus Alexanders Regierungszeit in seinen „Leichenspielen“, die der große Makedonier im Sterben vorausgesehen haben soll, ums Leben. Krateros fiel im Kampf. Polyperchon, sein Nachfolger, genoss kaum Anerkennung und sah sich bald im Krieg mit Antigonos und dessen weniger werdenden Sympathisanten. Olympias war 317 v. Chr. nach Makedonien zurückgekehrt. Es gelang ihr, Arrhidaios, der keinen Rückhalt beim Militär hatte, zu überrumpeln und ermorden zu lassen. Antipatros’ Sohn Kassandros wiederum ließ die ihm Verhasste 316 v. Chr. umbringen und 311/10 v. Chr. Roxane – die ihrerseits Stateira und Drypetis hatte ermorden lassen – zusammen mit seinem offiziellen Ziehsohn Alexander und sogar Herakles. Das Haus der Argeaden, das Makedonien seit Jahrhunderten regiert hatte, war damit erloschen. Antigonos und sein Sohn Demetrios errangen 306 v. Chr. zunächst einen Seesieg gegen Ptolemaios und nahmen den Königstitel an. Daraufhin ließen sich der Letztere, Lysimachos

Der ratlose Krisenstab

und Kassandros ebenfalls zu Königen ausrufen – mit zahlreichen eponymen Stadtgründungen als kurz- und mittelfristiger Folge. Seleukia bei Babylon etwa soll zu Spitzenzeiten 600 000 Einwohner gezählt haben. Seleukos war 323 v. Chr. leer ausgegangen, schwang sich nun aber – zunächst gegen Aufständische kämpfend – zum König der östlichen Satrapien auf. Antigonos fiel in der Schlacht von Ipsos in Phrygien (301 v. Chr.) gegen die verbündeten anderen Könige. Sie teilten das Reich Alexanders endgültig auf. Es entstanden zunächst vier Großmächte, nach dem Tod des Lysimachos 281 v. Chr. im Kampf gegen Seleukos waren es noch drei: Makedonien, wo sich die Dynastie der Antigoniden erst später durchsetzte, der Großteil Kleinasiens und der Osten (Seleukiden) sowie Ägypten (Ptolemäer). Durch militärische Macht, den Aufbau willfähriger Eliten und Berufung auf den großen Feldherrn waren dessen einstige Offiziere in der Lage, sich auch ohne königlichen Stammbaum als neue Herrscher zu profilieren. Die Ptolemäerdynastie, die Alexanders General mit seiner dritten Ehefrau Berenike begründete, hatte dabei relativ leichtes Spiel: Ihre Könige waren als Pharaonen automatisch Söhne des Amun-Re. Einige Dynasten behaupteten zur Legitimierung ihrer Herrschaft dennoch, auch von Philipp und somit von Herakles abzustammen. Um anerkannt zu werden, traten die Monarchen auch als „Euergeten“ („Wohltäter“) gegenüber Städten oder Geschlechtern auf, indem sie unter anderem Sonderrechte gewährten, Städten die Souveränität versprachen oder sich im Kriegsfall als „Retter“ („Soter“) präsentierten. Dies brachte ihnen auch kultische Verehrung ein. Alexander hatte in dieser Hinsicht wichtige Vorarbeit geleistet, und die römischen Kaiser knüpften daran an.

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Der unsterbliche Alexander Könige, römische und byzantinische Feldherren und Kaiser, mittelalterliche oder neuzeitliche Fürsten und selbst Regenten der Moderne verglichen ihre Ziele und Erfolge mit denen Alexanders. Zahlreiche dieser Herrscher ahmten ihn in vielfältiger Weise nach: Seine Nachfolger übernahmen die schräge Kopfhaltung und bildeten ihn auf ihren Münzen mit Ammonshörnern oder gar Elefantenskalp ab. Mithridates VI. von Pontos ließ sich mit „seinem“ wilden Haarschopf darstellen. Auch er sah sich als Herakles’ und Alexanders Nachfahre. Der leere Thron des Argeaden wohnte wichtigen Treffen der Diadochen bei, denn der Vergöttlichte war stets zugegen. Sie benannten die allerersten der von ihnen gegründeten Städte nach ihm, später nach sich selbst. Sie trugen „seine“ Mode: den Purpurumhang, den die römischen Kaiser übernahmen, und wie einige der Kuschanfürsten in Baktrien auch das Diadem. Diese Kopfbinde stellt einen wichtigen Vorläufer des Lorbeerkranzes und mit der achämenidischen Tiara – der späteren Papstkrone – einen wichtigen Vorläufer der Krone dar. Selbst die Bartlosigkeit der Römer soll von dem jugendlichen Helden aus Makedonien herrühren, und seit Alexander kam das Zepter (skeptron), das schon Homer dem Heerführer Agamemnon beigegeben hatte und das verschiedene griechische Amtsträger mit sich führten, verstärkt zum Einsatz. Es blieb das Symbol für Macht bei den mittelalterlichen Kaisern und noch bei Napoleon. Die Rhodier fälschten ein Testament Alexanders, das nun ihre Regierungsgewalt unterstrich. Der Koloss von Rhodos, eines der Weltwunder, stellte zwar Helios, den Sonnengott, dar, doch dieser war inzwischen mit Alexander verschmolzen und trug dessen Züge. Alexander spornte sowohl Hannibal als auch dessen Bezwinger Scipio an. Wegen seines angeblichen Orientalismus und der Kriege mit Makedonien hatten die Römer den Argeaden zunächst kritisiert. Doch auch sie lernten ihn als Propagandamittel für

Der unsterbliche Alexander

ihre Ansprüche etwa auf den Osten zu schätzen und sich mit ihm zu messen: Der junge Iulius Caesar beklagte, als er dessen Statue im fernen Gades (Cadiz/Spanien), wo Alexander nie war, betrachtete, dass er selbst noch nichts Besonderes geleistet hatte. Pompeius „Magnus“ soll Alexanders Mantel von Mithridates erbeutet und getragen haben. Mit dem löwenmähnenartigen Haarwirbel über der Stirn (Anastolé), der für Alexander typisch gewesen war, hofften sowohl er als auch Augustus Entschlossenheit zu demonstrieren. Der Geschichtsschreiber Livius war der Ansicht, die Römer hätten Alexanders verweichlichtes Heer besiegt, doch ist Alexanders Einfluss auf die neuen „Herren der Welt“ unverkennbar. Marcus Antonius, der auch sonst wie ein hellenistischer Monarch auftrat, und Kleopatra nannten ihre gemeinsamen Kinder Alexander Helios, Kleopatra Selene und Ptolemaios Philadelphos. Octavian wetterte zwar gegen den Orientalismus des Antonius, siegelte aber mit einem Ring, der Alexander zeigte. Alltägliche Schmuckstücke für den kleinen Geldbeutel, zum Beispiel geisterabwehrende Anhänger mit Alexanderkopf, waren vielerorts lange Zeit beliebt, teilweise sogar bis in die Neuzeit. Alexander musste für den sogenannten Cäsarenwahn einiger römischer Imperatoren herhalten: Caligula bemächtigte sich des Panzers des Toten, Nero und Caracalla stellten makedonische Phalangen auf. Letzterer hielt sich für Alexanders Reinkarnation oder gar als noch höhere Wiederkehr. Auch taufte er sein Pferd Bukephalos. Der letzte Kaiser der Severer trug den Namen des Makedoniers: Severus Alexander (222–235 n. Chr.), Caesars Zeitgenosse Crassus, Kaiser Trajan und noch der „wiedergekehrte Alexander“ Kaiser Julian (4. Jahrhundert) verglichen sich auf ihren Parther- bzw. Sassanidenfeldzügen mit dem Makedonier. Der Beiname Karls des Großen, der die Weltherrschaftsidee der römischen

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Kaiser weiterführte, erinnerte an Alexander. Die Staufer um Friedrich I. Barbarossa und Friedrich II. orientierten sich an dessen fantastischen Heldentaten, von denen Dichter und Sänger berichteten. Auch Sultan Mehmed II., der Eroberer Konstantinopels 1453, schwärmte davon, Iskenders Eroberungszüge nachzuahmen – in umgekehrter Richtung. Zar Peter der Große galt nach seinem Sieg über die Schweden im Jahr 1709 als Nachfolger Alexanders und sein unterlegener Gegner Karl XII. zumindest bis dahin als „Alexander des Nordens“. Zahlreiche Meisterwerke der Renaissance und des Barocks befassen sich mit Alexanderthemen. Oft waren es herrschaftliche Aufträge. Dazu zählt zum Beispiel Albrecht Altdorfers Ölbild „Alexanderschlacht“ (1529) für Herzog Wilhelm IV. von Bayern. Auch Peter Paul Rubens, Jan Brueghel d. Ä. oder Charles Le Brun widmeten sich diesem Stoff. Letzterer versah auf einem Gemälde Alexander auftragsgemäß mit dem Antlitz des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Die schwedische Königin Christina (1626–1689) nannte sich nach ihrer Konversion zum Katholizismus Maria Alexandra; Kurfürst August der Starke trat beim Karneval 1695 pompös kostümiert als Alexander auf. Napoleon, der „neue Alexander“, als der er sich auch selbst gern sah, besaß eine Büste Alexanders und riss sich Altdorfers Meisterwerk unter den Nagel. Im Jahr 1812 wurde in Rom ein riesiger Fries fertiggestellt, der Alexanders Einzug in Babylon zeigte. Er sollte Napoleon ehren, dessen Russlandfeldzug – gegen Zar Alexander – jedoch katastrophal endete. Noch in der Verbannung wies der selbst ernannte Kaiser darauf hin, dass er ähnliche Erfolge wie Alexander der Große hätte erzielen können, wäre er im Orient geblieben. Und auch aus einer ganz anderen Ecke und Zeit ertönte sein Name: Boxlegende Mike Tyson meinte 2002 vor seinem schließlich verlorenen Kampf gegen Lennox Lewis, er und nicht sein Rivale sei Alexander der Große und am skrupellosesten.

Der unsterbliche Alexander

Hellenismus versus Orientalismus

Die Rivalität zwischen den Diadochen und zwischen deren Nachkommen, den sogenannten Epigonen, äußerte sich nicht nur auf politisch-militärischem Gebiet, sondern auch kulturell. Hatten Alexanders Offiziere seine „letzten Pläne“ noch als unrealisierbar erachtet, wollten die hellenistischen Dynasten und Oberschichten dem großen Makedonier anscheinend in nichts nachstehen. Ihre Vorliebe für Monumentalbauten brachte unter anderem den Leuchtturm vor Alexandria, riesige Heiligtümer, Hofdichtung und auch eine Kunst hervor, die meist in Beziehung zum Monarchen stand. Der Wettstreit um Macht und Ansehen förderte aber auch die Wissenschaften: In Alexandria und Pergamon entstanden riesige Bibliotheken und Vorläufer der Universität. Ptolemaios II. befiel eine regelrechte Sammelwut – er erwarb neben anderem die Bibliothek des Aristoteles und verbot den Papyrus-Export nach Pergamon. Wie es heißt, erfand man daher dort das Pergament. Die Seleukiden hatten, da sie den größten Teil des Alexanderreiches regierten, jedoch auf die Griechen aus dem überbevölkerten Mutterland und nicht auf die Perser setzten, den entscheidenden Anteil daran, dass griechisch-makedonische Lebensweise mit den unzähligen auswandernden Söldnern und Siedlern längerfristig bis in den Persischen Golf und nach „Indien“ vordrang. Griechisch wurde quasi zur Weltsprache, wobei unter anderem das Aramäische keineswegs ausstarb. Die Hellenisierung des Orients betraf vorwiegend die zahlreichen rasterförmig angelegten Städte, die die Seleukiden erbauten oder erneuerten und in denen lange Zeit griechisch dominierte Politik gemacht wurde. Im Gymnasion einer jeden Polis fanden nicht nur sportliche Wett-

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kämpfe statt, sondern dort bildete sich die Oberschicht, weniger die breite Masse auch geistig weiter. Musterbeispiel für die Existenz einer Stadt nach hellenischem Vorbild in Zentralasien ist Ai Khanoum in Nordafghanistan, bei der es sich möglicherweise um eine Gründung Alexanders handelt. Sie wurde 1961 entdeckt und lässt eine gigantische Mauer, ein Theater für 6000 Zuschauer, ein Gymnasion, eine Akropolis, eine Agora, einen Palast sowie einige Heiligtümer, jeweils vermischt mit orientalischen Bauformen, erkennen. Die Stadt wurde Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. von Indogermanen aus dem Osten zerstört. Doch selbst in den Stadtgründungen erfolgte gleichermaßen eine Orientalisierung der europäischen Einwanderer – ob von den Magistraten erwünscht oder nicht –, und in den ländlichen Weiten des alten Perserreichs setzten die seleukidischen Vasallen persischer Abstammung auf ihre eigene traditionelle Lebensweise. So änderte sich der Wirtschaftskreislauf trotz Münzprägung und vieler gefallener Schranken nur teilweise. Viele Griechen und Makedonier verehrten östliche Gottheiten wie Isis, Tyche, Kybele, den neuen Gott Serapis oder wurden weit im Osten später Buddhisten. Letztlich gingen sie in den orientalischen Völkern auf. Spuren ihrer Kultur – und sei es in Form einer Statuette oder eines schriftlichen Vertrags nach griechischem Vorbild – hielten sich im einstigen Seleukidenreich nahezu tausend Jahre. Gut möglich, dass die Abwanderung unzähliger Griechen aus dem Mutterland den Römern letztlich die Einverleibung Südosteuropas erleichterte. Sogar die Ausbreitung des Juden- und des Christentums scheint Alexanders Feldzug indirekt begünstigt zu haben: Neben Persern zogen zum Beispiel auch Juden in die neuen Metropolen wie Seleukia am Tigris, Dura Europos in Ost syrien, Antiocheia oder Alexandria, während alte orientalische

Hellenismus versus Orientalismus

Städte wie Memphis oder Babylon nach und nach verfielen. Da Griechisch dort Amtssprache war, wurde das Alte Testament in diese Sprache übersetzt und das Neue Testament später in Griechisch verfasst.

Rom erbt „alles“

In den fortwährenden Kriegen zwischen Antigoniden, Seleukiden und Ptolemäern ging es zunächst weniger um völlige Vernichtung als vielmehr um die Herrschaft über verschiedene Gebiete des Rivalen, der auch, wenn er zu stark wurde, mit einer plötzlichen Allianz der anderen Monarchen rechnen musste. Innere Krisen und mehrere militärische Auseinandersetzungen – allein sechs ergebnislose, jedoch aufreibende Syrische Kriege zwischen Ptolemäern und Seleukiden um Koilesyrien („Südsyrien“) – führten dazu, dass das Seleukidenreich ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. zerfiel. Einige Satrapen, andere Amtsträger und ab 250 v. Chr. die Parther unter den Arsakiden waren in der Lage, ihr Territorium dauerhaft abzuspalten und eigene gräzisierte Dynastien zu gründen. Das Partherreich wurde zum Hauptgegner Roms im Osten. Die alte Feindschaft zwischen Ost und West blieb bestehen. Auch in Indien entstanden nach dem Untergang des griechisch beeinflussten Mauryareichs (um 200 v. Chr.) und Baktriens ebenfalls hellenisierte Monarchien rund um Gandhara (Peschawar), wie einige numismatische und literarische Relikte belegen. Griechische Kunst und buddhistische Kunst vermischten sich.

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Weitere hellenistische Reiche (westliches Kleinasien): ab 281 v. Chr., 133 v. Chr.: Rom wird testamentarisch Erbe, ab 129 v. Chr. erste römische Provinz in Asien Bithynien (nordwestliches Kleinasien): Königreich seit ca. 297 v. Chr. (schon zuvor faktisch unabhängig), letzter Zufluchtsort für Hannibal vor den Römern (Selbstmord 183 v. Chr.), 74 v. Chr. ebenfalls den Römern vermacht Pontos (Südküste des Schwarzen Meeres): ab 301/281 v. Chr. unabhängig, 63 v. Chr. besiegt Pompeius Mithridates VI., der mehrere Kriege gegen Rom geführt und vorübergehend fast ganz Kleinasien erobert hatte; gehörte zur römischen Provinz Bithynia et Pontus Armenien: ab ca. 190 v. Chr., Tigranes I. besetzt zu Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. Syrien, gerät in den Mithridatischen Kriegen zwischen die Fronten; seit 55 v. Chr. in römischer Abhängigkeit Kappadokien (Zentralanatolien): erst 323 v. Chr. unter makedonischer Herrschaft, wurde Teil des Seleukidenreichs, ab ca. 250 v. Chr. unabhängig, 17/18 n. Chr. römische Provinz Kommagene (südöstliches Kleinasien, westlich des Euphrat): um 150 v. Chr. unabhängig, Vasallenkönigreich Roms, 17 n. Chr. vorübergehend römisch, 74 n. Chr. römische Provinz

• Pergamon











(Zentralasien): ab ca. 240 v. Chr., durch die Parther von den Seleukiden abgeschnitten; spätestens seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. von Indogermanen aus dem Osten (später Kuschan-Reich) erobert.

• Baktrien

Ro m e r b t „ a l l e s “

In den neuen Königtümern nahm die Bevölkerung unweigerlich Einbußen in der politischen Mitbestimmung hin. Dies schlug sich unter anderem in der Kunst nieder, wo verstärkt private, aus dem Alltag gegriffene Motive in Auftrag gegeben wurden. Im religiösen Leben förderten die Bürger auch neue Gottheiten wie etwa Tyche, das Schicksal. Dass die hellenistischen Künstler aber auch klassische Werke aufgriffen und dabei im griechischen Mutterland oder in den Städten im mittleren Osten unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt waren, beschert der Klassischen Archäologie das Problem der zeitlichen Einordnung und Interpretation mancher Werke dieser Epoche. In Judäa tobte der sogenannte Makkabäeraufstand, da Antiochos IV. (175–164 v. Chr.) versucht hatte, den Zeuskult in Jerusalem gewaltsam einzuführen. 129 v. Chr. spaltete sich die Region unwiederbringlich ab, nachdem Antiochos VII. im Kampf gegen die nach Mesopotamien und Persien expandierenden Parther gefallen war. Die letzten Seleukiden verfügten nur noch über den syrischen und kilikischen Raum, den sie 64 und um 56 v. Chr. an Pompeius bzw. den Senat abtreten mussten. Makedonien und das Ptolemäerreich zerfielen nicht in dem Maße wie das uneinheitlichere Seleukidenreich, doch auch dort schwand die Macht. Mit ihrem schlagkräftigen Heer dominierten die Antigoniden zwar die griechische Welt, sahen sich aber dem Widerstand des Achaischen und des Aitolischen Bundes gegenüber. Die Ptolemäer beschäftigten unter anderem Hofintrigen und die Syrischen Kriege. Ptolemaios Apion vererbte den allzu mächtig gewordenen Römern im Jahr 96 v. Chr. sein Königreich Kyrene (74 v. Chr. annektiert, 67 Provinz), Ptolemaios XI. 58 v. Chr. Zypern (30 v. Chr. römisch).

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Verhandlungen Philipps V. von Makedonien mit Hannibal und das Bündnis mit Antiochos III. dem Großen – der Seleukide wurde seit seinem nur vorübergehend erfolgreichen Indienfeldzug Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. so genannt –, zielten darauf ab, das Ptolemäerreich zu erobern, brachten den beiden hellenistischen Reichen aber keine Siege, sondern nach dem Ende des 2. Punischen Kriegs (201v.Chr.) den offenen Groll der Römer ein, die in mehreren Schlachten siegten. Philipps Sohn Perseus musste nach der Schlacht von Pydna 168 v. Chr. kapitulieren. Zweiundzwanzig Jahre später, parallel zur Vernichtung von Karthago, besiegten die Römer auch den zerrütteten Achaischen Bund und zerstörten dessen Zentrum Korinth. Makedonien und die Griechenstädte gingen im Römischen Reich, das nun unumstrittener Herr im Großteil des Mittelmeerraums – mare nostrum, „unser Meer“ – war und die altorientalische Weltherrschaftsidee übernommen hatte, auf. Das Ptolemäerreich endete, nachdem Kleopatra VII., die einstige Geliebte Caesars, nach dessen Ermordung eine Ehe mit Marcus Antonius eingegangen war, der der Ptolemäerin und den Kindern, die er mit ihr zeugte, angeblich römisches Land vermachte. Octavian eroberte 30 v. Chr. Alexandria, verschonte Alexanders Stadt jedoch. Kleopatra beging den wohl berühmtesten Freitod der Geschichte. Ausgerechnet in der erfolgreichsten Stadtgründung Alexanders ging das letzte hellenistische Großreich in eine römische Provinz über. Der kulturellen Nachwirkung des großen Makedoniers tat dies jedoch keinen Abbruch: Die Römer sogen das Wissen der griechischen Welt auf, das durch ihn, die Diadochen und Epigonen um die Errungenschaften der altorientalischen Reiche bereichert worden war. Die Kenntnisse in Astronomie, Geografie, Technik und Medizin wur-

Ro m e r b t „ a l l e s “

den zum Teil erst in der Neuzeit erweitert oder berichtigt. Zahlreiche schwerwiegende Entwicklungen gehen auf Alexanders pothos zurück, der vielen undurchsichtig und geheimnisvoll erschien, letztlich aber wohl eine Mischung aus Ruhmsucht und Wissensdurst sowie Folge seiner Sozialisation war. Auch verschiedene Sitten und Riten lassen sich über die hellenistischen Könige auf den berühmtesten Feldherrn des Altertums und die orientalischen Könige zurückführen, sei es der Kaiserkult, seien es die weltlichen und geistlichen Vorstellungen von Weltherrschaft im Mittelalter, die auf dem christlichen Gottesgnadentum gründeten. Es entstanden Redewendungen und Anekdoten, die mit Alexander zusammenhängen. Die Makedonier veranstalteten noch in der Spätantike Spiele zu seinen Ehren. Die römische Oberschicht griff den hellenistischen Hang zur Monumentalität auf: Insbesondere das Alexandermosaik aus Pompeji ist mit etwa 18 m² genauso riesig wie die Villa (Casa del Fauno) aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. mit rund 3000 m², deren Bewohner und Gäste dieses Meisterwerk der Kunst an den großen Herrscher erinnerte. Alexander „zu haben“, bedeutet noch heute viel: Griechenland und Mazedonien nehmen ihn jeweils für sich in Anspruch, streiten um Symbole und erinnern mit Namen und Denkmälern an den ewig umstrittenen König, Krieger und Denker. Besonders bei den Griechen ist das erstaunlich, denn er hat der viel gerühmten Freiheit ihrer Vorfahren letztlich ein Ende gesetzt und scheint nicht darauf begierig gewesen zu sein, sie an der Herrschaft über sein Riesenreich intensiv teilhaben zu lassen.

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„Alles ist möglich“ – Alexanders Taten in der fiktionalen Literatur Alexanders ungeheurer Erfolg, gepaart mit unverschämtem Glück, sein heldenhafter Kampfeinsatz, ambivalentes Wesen und früher Tod waren bestens geeignet, all das mit Anekdoten und viel Fantasie auszuschmücken, was Dichter im Sinn hatten und ausdrücken wollten. In der Spätantike verbreitete sich der „Alexanderroman,“ der vielleicht größte „Bestseller“ aller Zeiten, wie ein Lauffeuer. Bis in die Neuzeit hinein erschien er in etlichen Bearbeitungen in etwa dreißig Sprachen: etwa in Äthiopien, auf dem Balkan, in Byzanz, im Heiligen Römischen Reich, in Syrien, in der Mongolei oder auf der Malaiischen Halbinsel und Java. Ursprünglich von Alexandria ausgehend, förderte er auf verklärende Weise den Mythos Alexanders, den bereits seine Zeitgenossen, deren Werke nur fragmentarisch erhalten sind, geschaffen hatten. Aus diesen Gründen kamen auch die Historiografen, die wie die Dichter stets Kind ihrer Zeit sind, von Anfang an zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen: Held, Übermensch, Retter, Schöpfer, Spinner, Dämon, Despot und anderes. Für die jüdisch-christliche Literatur war bedeutend, dass Alexander bereits im Talmud und in der Bibel genannt oder umschrieben wird und als Begründer eines der Weltalter gilt. Auch der Koran nimmt wohl auf ihn Bezug, denn er erzählt von einem „zweigehörnten“ Herrscher, womit die Ammonshör ner gemeint sein könnten, mit denen man den Makedonier teilweise abbildete. Darauf basierend, zog Alexander der Große auch bei Autoren weiterer Religionen aus, um seinen Eroberungszug durch die Welt zu vervollkommnen, sich in Bescheidenheit zu üben, seine Vergänglichkeit zu erkennen, eines Besseren belehrt und auch bekehrt zu werden, im Namen Gottes nachhaltig als Missionar zu wirken – oder aber verteufelt zu werden. Besonders die weltliche oströmische und auch die muslimische Literatur

„Alles ist möglich“

verkehrten das in philosophischen Kreisen, bei altpersischen Autoren und den Kirchenvätern meist negative Bild Alexanders ins Positive. Ihm wird in einigen Werken ein derart hohes Alter zugesprochen, dem gegenüber Adam, Set oder Noah „alt aussehen.“ Er gilt als echter Römer, Jude, Ägypter, Perser oder muslimischer Herrscher. Der unermüdliche Forscher erfindet ein von Greifen getragenes Fluggerät, fliegt damit durchs Reich der Finsternis, verzichtet darauf, ins Paradies einzudringen, oder tut es doch. Sein Eroberungs- und Forscherdrang versetzt sogar den Teufel in Panik, der deshalb das tödliche Gift in Umlauf gebracht haben soll. Glücklicher als die griechischen Sagengestalten Ikaros, Phaëton und Bellerophontes kehrt er ungestraft zurück. Neben der Luftfahrt war auch seine Erkundung des Meeresbodens mithilfe einer Tauchglocke ein äußerst beliebtes Motiv in der mittelalterlichen Kunst, unter anderem in Russland. Alexander umsegelt Arabien, siegt über die Nubier, dringt bis Rom, Karthago, Britannien und Russland vor, siegt über die Goten und noch spätere Mächte. Er gründet Byzantion oder Paris und besteigt Adam’s Peak, den Sri Pada, den heiligen Berg Sri Lankas. Er besucht Mekka oder befragt ein fernöstliches Baumorakel, wie auf der Tabula Peutingeriana zu lesen ist. In Indien tötet er einen Drachen, baut die Chinesische Mauer, stößt bis nach Japan, zum Nord- oder Südpol vor. In einigen mittelalterlichen Werken heißt es, die Sachsen seien einst Alexanders Krieger gewesen, beim Humanisten Nicolaus Marschalk die elbslawischen Abodriten, und dass der Stier auf dem mecklenburgischen Wappen Bukephalos zeige. Dass Letzterer im Ostiran als Stammvater der Einhörner galt und in anderen Werken gehörnt gezeigt und als solcher beschrieben wird, rührt sicherlich daher, dass sein Name „Stierkopf“ bedeutet.

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Alexander ist auch auf der Suche nach anderen großen Mysterien, so nach dem Lebensquell, den er zwar nicht findet, dafür aber den Stein der Weisen erhält. Er macht sich auch mithilfe eines Ringes unsichtbar oder hat eine drachenblutgehärtete Rüstung. Im „Nibelungenlied“ kehren einige Elemente aus Alexander-Anekdoten wieder. An anderer Stelle wird der „ideale Ritter“ Gefolgsmann von König Artus. In der Spätantike verschärfte sich im Zuge der Völkerwanderung die biblische Vorstellung, dass die wilden Nordvölker Gog und Magog am Ende über die Menschheit herfallen werden. Alexander schaffte es, sie mit Eisernen Toren bis zum vorgesehenen Ende aufzuhalten. Zugleich hieß es, die Tore konnten die Hunnen oder die Mongolen – noch Marco Polo erwähnt die Barriere – nicht mehr aufhalten: Man kann Alexander den Großen scheinbar für alles verantwortlich machen. Im Zuge der Aufklärung verdunkelte sich das Image des Königs. Die Verklärung wich teilweise harter Kritik. Erhalten blieben sein Ruf als Visionär und als Zerstörer sowie das problematische Verhältnis zu seinen Eltern, das auch die beiden erwähnten Verfilmungen betonen. In Gisbert Haefs’ Roman „Alexander“ dient der junge Argeade als „Gefäß Ammons“ einer höheren Bestimmung. Auch in der Literaturwissenschaft wird Alexander ein Begriff bleiben: Beim sogenannten „Alexandriner“ handelt es sich um ein im Barock gängiges Versmaß – einen meist zwölfsilbigen Jambus –, das auf Alexandre de Bernays „Alexanderroman“ aus dem 12. Jahrhundert zurückgeht.

Schluss

S

chluss

Alexanders pothos kostete ihn in jungen Jahren, aber angesichts all seiner Taten erstaunlich spät das Leben. Sein Reich zerbrach noch schneller als in der Windeseile, in der er es erobert, jedoch nicht durchdrungen hatte. Es hätte vielleicht länger existiert, wenn sich der Argeade auf die Herrschaftssicherung auf dem Balkan und in Griechenland konzentriert hätte, vielleicht auch mit dem Euphrat als Ostgrenze. Doch ein „Thronwärmer“ und Verwalter war der Nachkomme des Herakles und des Achilles nicht, sondern wie diese vorrangig Krieger. Es war nicht nur sein Werk und das seiner Nachfolger, dass die altgriechische Kultur in unserem Leben verankert ist. Die Römer hätten deren Errungenschaften auch ohne die Existenz des Makedoniers für sich genutzt und weitervererbt. Fatalerweise verschärfte Alexander aber auch den Anspruch der westlichen auf die östliche Welt. Er beeinflusste die abendländische und die morgenländische Literatur, die Ausprägung des Herrscherkults, der Monarchie, der Territorialstaaten und von anderem, ob man das eine nun verteufelt oder das andere gutheißt. Dem langen Kontakt der Oströmer zu den slawischen Völkern, mit späterer Auswirkung auf die Zaren, und der anhaltenden Prominenz Alexanders ist es zu verdanken, dass die lateini-

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Schluss

sche Form von „Alexandros“, die bis dato auch acht Päpste gewählt haben, vielleicht der älteste bis heute gängige Name ist, der auch in der muslimischen Welt in der jeweiligen Variante – zum Beispiel Eskandar – oft vergeben wird. Er geht letzten Endes auf den hethitischen Kulturkreis zurück und war die griechische Namensform des trojanischen Prinzen Paris. Ausgerechnet der „Entführer“ der Helena, der als weniger kampferprobt galt, tötete mithilfe eines von Apollon geführten, vergifteten Pfeils Achilleus, den Vorfahr seines „großen“ Namensvetters.

A

nhang

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Zeittafel – vom Trojanischen Krieg bis zum Ende des Hellenismus (ca. 1190 bis 27 v. Chr.) ca. 1190 ca. 1200–750 ca. 900–700 776 ca. 750–700 ca. 750/700–500 ca. 650–620 559–529 511/10 522–486 508/7 ca. 500–323 500–494 490–479/48

478–404 431–404 404–371 395–387/86 377–338 371 362 359 356 356–346 338 336 335 334

Trojanischer Krieg „dark ages“ Geometrische Zeit (Vasenmalerei-Stil) erste Olympische Spiele „Ilias“ und „Odyssee“ Archaische Zeit, Große Kolonisation Perdikkas erster Argeadenkönig Kyros der Große Achämenidenkönig, Herausbildung des persischen Weltreichs Ende der attischen Tyrannis Dareios I. Achämenidenkönig Reformen des Kleisthenes, attische Demokratie Klassische Zeit Ionischer Aufstand Perserkriege 490 Schlacht von Marathon 480 Schlacht an den Thermopylen, Schlacht von Salamis 479 Schlacht von Platää Erster Attischer Seebund Peloponnesischer Krieg spartanische Hegemonie Korinthischer Krieg Zweiter Attischer Seebund Schlacht von Leuktra, Beginn der thebanischen „Hegemonie“ Schlacht von Mantineia, Ende der thebanischen „Hegemonie“ Philipp II. wird Regent von Makedonien Brand des Artemisions, Geburt Alexanders III. Dritter Heiliger Krieg Schlacht von Chaironeia, Korinthischer Bund, Ermordung Artaxerxes‘ III. Beginn des Perserkriegs, Dareios III. wird Großkönig, Ermordung Philipps, Herrschaftsantritt Alexanders Siege über Thrakier und Illyrier; Zerstörung Thebens Beginn der Persienzuges, Schlacht am Granikos

Zeittafel

333 332 331

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329–327 328 327 327–325 326 325 324 323 323–30 ca. 311 301 281 202 168 146 63 30 27

Gordion, Schlacht von Issos Belagerung und Eroberung von Tyros und Gaza, Pharao Alexander Gründung Alexandrias, Ammonion-Besuch, gescheiterte Erhebung Spartas unter Agis III. (Schlacht von Megalopolis) Schlacht bei Gaugamela, Alexander wird „König von Asien“ Zerstörung des Palasts von Persepolis, Ermordung Dareios‘ III., Hinrichtung Philotas‘ und Ermordung Parmenions Eroberung Baktriens und Sogdiens Tötung Kleitos‘, Hinrichtung Spitamenes‘ Heirat mit Roxane, Proskynesestreit und Zerwürfnis mit Kallisthenes, Pagenverschwörung Indienfeldzug Schlacht am Hydaspes, Umkehr am Hyphasis, Beginn der Indusfahrt Nahtod in der Mallerstadt, Abfahrt des Nearchos, Katastrophe in der Gedrosischen Wüste, Massenhochzeit in Susa, Verbanntendekret, Meuterei in Opis, Tod Hephaistions in Ekbatana Rückkehr nach Babylon, Organisation des Arabienfeldzugs, Tod Alexanders Hellenistische Zeit (Entstehung und Niedergang der großen Nachfolgestaaten des Alexanderreichs) Ermordung Alexandros‘ IV./Ende der Argeaden Schlacht von Ipsos Schlacht von Kurupedion, Ende der insgesamt sechs Diadochenkriege Scipio besiegt Hannibal in der Schlacht von Zama Schlacht von Pydna, Ende des makedonischen Königreichs Zerstörung Korinths, Griechenland wird römische Provinz Pompeius‘ Siege über Mithridates VI. und das Seleukidenreich Octavian erobert Alexandria, Ende des letzten hellenistischen Großreichs Octavian erhält den Beinamen Augustus/ Beginn des Prinzipats (römische Kaiserzeit)

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Quellen und Literatur

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Register

Abydos 8, 12, 75, 77 Achaischer Bund 166, 177–178 Achämeniden 15, 17, 26, 43, 49, 55, 64, 66–67, 81, 86, 94, 102, 113– 114, 118, 128, 134, 136, 151, 165 Achilleus 16, 34, 52–53, 61, 75–76, 101, 143, 155, 159, 184 Agamemnon 12, 16, 170 Agesilaos II. 16, 26, 43, 80 Agis III. 107–108, 166 Alexander IV., Sohn Alexanders 36 Alexander Lynkestis 59, 125, 155 Alexander von Epirus 55 Alexandermosaik 96, 179 Alexanderroman 18, 180, 182 Alexandreia 19, 29, 96, 123–126, 128, 130, 136, 147, 150, 157 Alexandreia Areia 123 Alexandreia Eschate 128 Amphipolis 9, 33, 36, 38, 62, 75 Amyntas III. 31–32, 53 Amyntas IV. 33, 59 Antigonos Monophthalmos 12, 87, 90, 96, 151, 156, 166, 168–169 Antipatros 47, 54, 58–60, 72, 107– 108, 115, 117, 155, 159, 166–168 Aornos-Festung 138 Archelaos I. 30, 32 Argeaden 29–31, 36, 48, 55–56, 60, 151, 155, 167–168, 170 Aristobulos 88–89, 152 Aristoteles 14, 32, 40, 53–54, 85, 119, 134–136, 159, 173 Arrhidaios 54, 56, 60, 84, 164, 168 Arrian 78, 89, 117, 123, 152 Artabazos 56, 97, 121, 125–126, 131 Artaxerxes II. 15, 26–27, 74 Artaxerxes III. 36, 43, 49, 56, 67, 133, 152 Athen, Athener 10, 14–16, 20, 24–26, 28, 32–33, 35–47, 54, 61, 64–65, 68, 73, 81, 106–108, 114, 149, 166 Attalos 55, 57, 66, 72, 139 Augustus/Octavian 21, 37, 102, 168, 171, 178

Babylon 19, 66, 91, 107–108, 112– 113, 148, 156–157, 159, 172, 175 Baktra 126–127, 129–130, 132–133, 136 Barsine 56, 97, 121, 164 Bessos 109–110, 118, 120–122, 126–127 Bukephalos 141, 171, 181 Byzantion 36, 39, 44, 54, 62, 181 Caesar, C. Iulius 27, 167, 171, 178 Chaironeia, Schlacht von 45, 49, 54 Chares 15, 40, 42, 44 Curtius Rufus 88, 123, 128 Damaskos 93, 96, 102, 167 Dareios I. 31, 49, 66, 111, 118, 134, 142 Dareios III. 10, 15, 17, 59, 62, 67, 69, 74, 77, 86, 90–94, 96–98, 100, 102, 105, 108–111, 117– 121, 127, 133, 152, 167 Daskyleion 11, 77, 80 Demosthenes 17, 44–46, 60, 64, 68, 149, 166 Diadochen 150, 161, 170, 173, 178 Diodor 78, 88, 123 Dionysos 52, 68, 129–130, 137–138, 150 Ekbatana 67, 117–120, 124–125, 155–156 Elaious 12, 75 Epeiros (Epirus) 29, 46, 55, 155 Ephesos 52, 56, 81–82, 149 Gaugamela, Schlacht von 107–108, 111, 140 Gaza 101, 128, 166 Gordion 87–88, 90 Granikos, Schlacht am 78, 91, 93, 131 Halikarnassos 11, 80, 83–84, 90, 101, 105 Harpalos 11–12, 56, 118, 148–149 Heilige Schar 28, 33, 38, 46–47

Register

Hellenismus 21, 49, 173 Hellespont 7–8, 26, 42, 69, 75, 77, 90, 145 Hephaistion 53, 77, 124, 131, 137, 139, 144, 151–152, 155, 159 Herakles 16, 29, 52, 62–63, 75–76, 92, 96–98, 100, 104, 137–138, 164–165, 169–170, 183 Herakles, Sohn Alexanders 97, 168 Herodot 32, 83, 104, 122, 141–142 hetairoi 30, 50, 72, 78, 94, 110, 124, 129, 130 Homer 14, 16–17, 53, 68, 75, 170 Hopliten 15, 24–25, 37, 51, 67, 72–73, 94 Hydaspes, Schlacht am 139–140 Hypaspisten 9, 51, 72, 90, 94, 100, 130, 144 „Ilias“ 14, 29, 53, 85 Isokrates 42, 49 Issos, Schlacht von 93, 100, 102, 109–110

Lamischer Krieg 166 Leuktra, Schlacht von 27 Lysimachos 166, 168–169 Mantineia, Schlacht von 28 Marakanda 127–130, 132 Maussolos 27, 49, 84, 156 Mazaios 108–109, 112 Megalopolis, Schlacht von 108 Memnon 56, 77–78, 80, 83–84, 90, 97 Memphis 102, 104–105, 167, 175 Milet 82–83, 98–99, 101 Nearchos 56, 86, 129, 146–147, 150–151, 157, 164 „Odyssee“ 14, 103 Olympias 34, 40, 52, 55, 57, 59, 105, 155, 159, 168 Olynth 32, 38, 40 Opis 153–154

Parmenion 8, 12, 52, 55–56, 59–60, 72, 74–75, 77–78, 80–82, 85, 87, 91–92, 94, 96, 101, 109–110, Justin 88 117–119, 123–124, 131, 139, 148 Pasargadai 66, 116, 151 Kallisthenes 40, 85, 96, 134–135 Pella 9, 32, 56, 62 Kambyses II. 66, 104 Peloponnesischer Krieg 15, 24 Karthago 98, 165, 178, 181 Perdikkas 65, 90, 137, 155, 164, Kassandros 68, 155, 168–169 166–168 Kleitarchos 88, 117 Perdikkas III. 31, 33, 60 Kleitos 11–12, 63, 79, 118, 124, 131 Persepolis 67, 113, 115–116, 120, Kleopatra 34, 57, 155 134, 152 Kleopatra VII. 21, 168, 171, 178 pezhetairoi 50–51, 72 Kleopatra-Eurydike 55–56 Philipp II. 9, 13–14, 17, 27–60, 64, Korinth 24, 26, 46, 61, 64, 178 68, 72, 76, 97, 124, 131, 134, Korinthischer Bund 12, 14, 26, 48, 165, 169 61, 64–65, 72, 81, 90, 114, 117, Philippos 164, 166–167 135, 149 Philotas 72, 123–124 Korinthischer Krieg 16, 26 Phrada 123–124 Krateros 9, 115–116, 118, 122, 129– Pindar 32, 68, 104 130, 132, 136, 141–142, 144, 146, 150, 152, 154–155, 166, 168 Plutarch 45, 56, 89, 123 Polyperchon 136, 154, 168 Kroisos 15, 66, 104 Poros 139–142 Kyros der Große 15, 66, 112, 116, pothos 18, 62, 136, 179, 183 127, 147, 151

191

192

Anhang

Ptolemäer 20–21, 167, 169, 175, Stateira 152, 168 177–178 Strabon 122, 142 Ptolemaios 31, 56, 84, 88–90, Susa 43, 67, 86, 114, 116, 151–155 106–107, 124, 135, 152, 166–168 Tarsos 91–92, 149 Roxane 132–133, 152, 164, 168 Taxiles 137, 139–140, 145 Theben, Thebaner 20, 26–28, 33, Sardeis 67, 80, 85–86 38–39, 44–45, 64–65, 68, 166 Seleukiden 20–21, 123, 130, 169, Themistokles 15 173–177 Troja/Ilion 12, 15–16, 56, 76–77, 144 Seleukos 122, 130, 141, 168–169 Trojaner 12, 15, 75 Sestos 7–9, 42, 75 Trojanischer Krieg 12, 14, 16–17, 34, Sisygambis 96, 167 75 Siwa 104–105, 167 Tyros 11, 97–99, 101, 107, 166 Sparta, Spartaner 15–16, 20, 24–28, 32, 38, 41–42, 72–74, 107, 117, Xenophon 14–15, 26, 28, 85 166 Xerxes 9, 12, 24, 31, 42, 49, 67, 73, Spitamenes 127–130 75, 111–114, 116–117

Informationen zum Buch 334 v. Chr. betritt Alexander der Große mit seinem Heer persischen Boden. Er nimmt große Opfer und schwere Krisen in Kauf, um das persische Weltreich zu erobern, wird nach seinem Sieg in Indien zur Umkehr genötigt und stirbt mit 33 Jahren, ohne seine Nachfolge geregelt zu haben. Eingängig schildert Steffen Unger die turbulente Zeit des Alexanderfeldzugs.

Informationen zum Autor Steffen Unger ist Historiker und Germanist. Er arbeitet u. a. als freier Autor und Lektor und veröffentlicht seit Jahren Beiträge zur Alten Geschichte und deutschen Literaturgeschichte. Zu seinen Hauptinteressen zählen die klassische Mythologie, Militärgeschichte der Antike sowie ›Geflügelte Worte‹.