Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit [1 ed.] 9783428587544, 9783428187546

Unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit wird der grundrechtliche Schutz von Tun und Unterlassen verstan

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German Pages 352 Year 2023

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Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit [1 ed.]
 9783428587544, 9783428187546

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1495

Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit Von

Claire Vander Stichelen

Duncker & Humblot · Berlin

CLAIRE VANDER STICHELEN

Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1495

Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit

Von

Claire Vander Stichelen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18754-6 (Print) ISBN 978-3-428-58754-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Juris­ tischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung haben bis Juni 2022 Berücksichtigung gefunden. Mein zutiefst empfundener Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Julian Krüper für seine Betreuung dieser Arbeit. Er hat mein Interesse an grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Fragestellungen geweckt und gefördert. Ihm danke ich für zahlreiche wertvolle Anregungen. So geht diese Arbeit auf ein Gespräch mit ihm über die Frage, ob die Erstreckung der positiven und negativen Schutzbereiche der Grundrechte gleich sei, zurück. Danken möchte ich ihm auch für die lehrreichen Erfahrungen, die ich als studentische Hilfskraft und wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl sammeln durfte. Großer Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Stefan Huster für die zügige Erstel­ lung des Zweitgutachtens. Meinen (ehemaligen) Lehrstuhlkolleginnen und -kollegen möchte ich für die tatkräftige Unterstützung danken. Besonders möchte ich Dr. Andreas Starcke dan­ ken, ohne den ich den Entschluss, eine solche Arbeit anzufertigen, vermutlich nie getroffen hätte. Großer Dank gilt auch David Hug, der diese Arbeit durch seine kritischen Fragen und Anmerkungen und zahlreiche gewinnbringende Diskussio­ nen vorangebracht hat. Anna Katharina Klus möchte ich dafür danken, dass Sie mir jederzeit vom Beginn der Erstellung bis zur Fertigstellung dieser Arbeit zur Seite stand. Neben meiner Schwester Ann Sophie gebührt mein größter Dank meinen El­ tern Sandra und Uwe Vander Stichelen. Ohne ihren Rückhalt und ihre Unterstüt­ zung wäre eine solche Arbeit nicht möglich gewesen. Ihnen ist diese Arbeit daher gewidmet. Bochum, im August 2022

Claire Vander Stichelen

Inhaltsverzeichnis Einleitung 15 A. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Kapitel 1

Die Herleitung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit 21

A. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit aus dem Wortlaut der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Die Begrenzung des Wortlauts auf ein Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Die tätigkeitsbezogen formulierten Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Die schutzgutbezogen formulierten Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. ‚Recht‘ und ‚Freiheit‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 B. Die speziellen Unterlassungsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Die exklusiven benannten Unterlassungsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Die benannten Komplementärgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit aus der Ent­ stehungsgeschichte der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Die historische Entwicklung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit bis ins 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Die Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Die Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Die Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4. Die Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Die Einflüsse der Paulskirchenverfassung auf den Grundrechtsschutz von positi­ ver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

10

Inhaltsverzeichnis III. Die Einflüsse der Weimarer Reichsverfassung auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 IV. Die Einflüsse der Beratungen des Parlamentarischen Rates auf den Grundrechts­ schutz von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

D. Der Widerspruch von grundrechtlicher Berechtigung und verfassungsrechtlicher Ver­ pflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Die speziellen verfassungsrechtlichen Pflichten des Grundrechtsträgers . . . . . . . 74 II. Eine allgemeine Grundpflicht zum Grundrechtsgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 E. Der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit als Korrelat des Grundrechtsschutzes der positiven Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Der Grundrechtsschutz eines Tuns als Ausgangspunkt des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II. Der grundrechtliche Schutz des Unterlassens als Reflexwirkung des grundrecht­ lichen Schutzes eines Tuns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit aus dem grundrechtlichen Schutz von Selbstbestimmung und -entfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit aus dem Freiheitsverständnis der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Eine Definition des Begriffs ‚Freiheit‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Die Struktur von Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Das philosophische Verständnis von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . 99 a) Das positive Freiheitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Das negative Freiheitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Das grundrechtliche Freiheitsverständnis und der Grundrechtsschutz von posi­ tiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Das Freiheitssubjekt des grundrechtlichen Freiheitsverständnisses . . . . . . 102 b) Das Freiheitsobjekt des grundrechtlichen Freiheitsverständnisses . . . . . . 104 c) Das Freiheitshindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit aus dem Menschenwürde­ prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Der grundrechtliche Schutz von Selbstbestimmung und -entfaltung durch die Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Der Schutz der Selbstbestimmung und -entfaltung durch die Gewissens­ freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Inhaltsverzeichnis

11

2. Der Schutz von Selbstbestimmung und -entfaltung durch die allgemeine Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 G. Die Begrenzung des Handlungsschutzes auf Handlungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Die statischen Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Die Handlungsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Der grundrechtliche Handlungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Die dynamischen Darfrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 III. (K)eine kategoriale Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Bedeutung der Unterscheidung für den Grundrechtsschutz von positiver und ne­ gativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 H. Die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit . . . 141

Kapitel 2

Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit 143

A. Die grundrechtstheoretischen Grundlagen des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 I. Das zugrundeliegende Verständnis der Grundrechtstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 II. Die grundrechtstheoretischen Einflüsse auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Das zugrundeliegende Verständnis der Grundrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Die grundrechtsdogmatische Einordnung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Die Ordnungs- und Strukturierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Die Speicher- und Stabilisierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Die Rationalisierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Die Entlastungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5. Das Negationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

12

Inhaltsverzeichnis Kapitel 3



Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit 190

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . 190 I. Die Spiegelbildlichkeit von positiver und negativer Freiheit der Grundrechte . . . 191 II. Die Schutzgehalte der positiven Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Die positive Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Die positive Auswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Die positive Änderungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Die positive Beibehaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5. Die (positive) Aufgabe- und Beendigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Die Schutzgehalte der negativen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Die Unterlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Der Schutz des Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Das Unterlassen als symmetrische Entsprechung eines Tuns . . . . . . . . . . 216 c) Der umfassende Schutz der völligen Untätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (1) Die Unterlassungsfreiheit im Kontext der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (2) Die Unterlassungsfreiheit im Kontext des Freizügigkeitsrechts des Art. 11 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (3) Die Unterlassungsfreiheit im Kontext der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 (4) Die Unterlassungsfreiheit im Kontext der Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 d) Die Abgrenzung der Unterlassungsfreiheit vom Grundrechtsverzicht . . . . 226 2. Die negative Auswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Die negative Beibehaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 4. Der Schutz vor Konfrontationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Der Schutz vor Konfrontationen mit dem Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 b) Der Schutz vor Konfrontation in Dreieckskonstellationen . . . . . . . . . . . . 240 (1) Der Schutz vor Konfrontation in Sonderstatusverhältnissen . . . . . . . . 240 (2) Der Schutz vor Konfrontationen in Drittwirkungskonstellationen . . . 242 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 IV. Die ‚Feuerprobe‘ für die ‚Symmetriethese‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Inhaltsverzeichnis

13

1. Die Anwendung der allgemeinen Handlungsfreiheit auf die Mitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Eine Modifikation der allgemeinen Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3. Die negative Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Die Entstehungsgeschichte der negativen Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . 255 b) Die Beschränkung des Schutzbereichs der positiven Vereinigungsfreiheit 257 c) Der Widerspruch zu den benannten Unterlassungsgrundrechten . . . . . . . . 260 d) Erzeugung von Schutzlücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 e) Liberale Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 V. Kritische Reflexion der ‚Symmetriethese‘ als Grundlage zur Bestimmung der Schutzgehalte von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Antithese vs. Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Die ‚Symmetriethese‘ als ‚Überbleibsel‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 VI. Fazit: Der grundrechtliche Schutz von Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 B. Der Eingriff in die positive und die negative Freiheit der Grundrechte . . . . . . . . . . . 276

Kapitel 4

Die Rechtfertigung von Eingriffen in die positive und die negative Freiheit 279

A. Die Schranken von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 I. Das Vereinigungsverbot des Art. 9 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 II. Versammlungen unter freiem Himmel, Art. 8 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 III. Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 IV. Die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft, Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 V. Die Beschränkung der Grundrechte durch verfassungsrechtliche Pflichten . . . . . 289 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 B. Die Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 I. Der grundsätzliche Vorrang der positiven Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 II. Die Anwendung des Grundsatzes der praktischen Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . 296 III. Die Abwägung bei Kollisionen von positiver und negativer Freiheit . . . . . . . . . . 297 1. Toleranzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

14

Inhaltsverzeichnis 2. Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

Einleitung Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Lehre des Grundrechtsschutzes von positi­ ver und negativer Freiheit. Im Fokus dieser Lehre steht der grundrechtliche Schutz von Tun und Unterlassen: Die positive Freiheit beschreibt die Freiheit des Grund­ rechtsträgers, etwas zu tun, beispielsweise die eigene Meinung zu äußern, zu for­ schen, sich zu versammeln oder einen Beruf zu ergreifen. Als negative Freiheit wird die Freiheit des Grundrechtsträgers bezeichnet, etwas zu unterlassen, bei­ spielsweise die Teilnahme an den eigenen Glaubensüberzeugungen widersprechen­ den kultischen Handlungen, das Anfertigen eines Kunstwerkes oder den Beitritt zu einer Vereinigung. Geschützt wird jedoch nicht nur ein Tun oder ein Unterlassen als solches, sondern auch die Wahlmöglichkeit zwischen diesen verschiedenen Ver­ haltensmöglichkeiten, also die Entscheidung über ‚Ob‘ und ‚Wie‘ der Betätigung. Während die Entscheidung über das ‚Ob‘ dem Bürger die Entscheidung über die unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit verstandenen Verhaltens­ weisen, also einem Tun oder einem Unterlassen, einräumt, betrifft die zweite Stufe die Entscheidung über das ‚Wie‘, also die konkrete Form des Verhaltens. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit ist dem­ nach Ausdruck von Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit des Grund­ rechtsträgers. Da die Lehre von positiver und negativer Freiheit freiheitsrechtsüber­ greifend angewendet wird und über den grundrechtlichen Schutz eines Verhaltens entscheidet, stellt sich bei der Untersuchung dieser Lehre eine Vielzahl allgemeiner Fragen, die von den Bereichsdogmatiken der speziellen Freiheitsrechte losgelöst sind. Angesichts der Bedeutung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit für sämtliche Freiheitsrechte, muss diesen Fragestellungen in einer eigenen Untersuchung abstrakt nachgegangen werden, insbesondere da die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit vielfach bei der Rechtsarbeit1 berücksichtigt wird, ohne die von ihr aufgestellten Regeln zu reflektieren.

A. Gegenstand der Untersuchung Gerade in den 1990er Jahren war der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit in Bezug auf einige spezielle Freiheitsrechte Gegenstand kon­ troverser Diskussionen. So wurde etwa nach dem Kruzifix-Beschluss des Bun­ 1

Zum Begriff der Rechtsarbeit siehe Müller, Recht – Sprache – Gewalt, 2. Aufl. 2008, S. 18 f. und öfter.

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Einleitung

desverfassungsgerichts diskutiert, ob die negative Religionsfreiheit Schüler vor der „Konfrontation mit dem Kreuz“2 im Klassenraum schützt,3 ob die negative Koalitionsfreiheit den Außenseiter vor der Ausdehnung eines Tarifvertrages auf ihn schützt4 oder ob die negative Informationsfreiheit dem Grundrechtsträger das Recht gewährt, sich nicht informieren zu müssen5. Obwohl Johannes Hellermann mit seiner Arbeit „Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte“ den Grundstein für eine allgemeine, von den Bereichsdogma­ tiken der speziellen Freiheitsrechte losgelöste Untersuchung des Grundrechtsschut­ zes von positiver und negativer Freiheit legte, betrachten viele Untersuchungen in der Literatur diese Konstruktion nach wie vor isoliert in Bezug auf ein spezielles Freiheitsrecht. Allgemeine Ausführungen zur Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit erfolgen, obwohl diese Lehre allgemein anerkannt ist, zumeist nur ‚bei Gelegenheit‘ im Rahmen der Herleitung und Anerkennung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit eines speziellen Freiheitsrechts und werden noch seltener kritisch reflektiert.6 Nicht nur im Kontext der Herleitung von positiver und negativer Freiheit treten im Hinblick auf die speziellen Freiheitsrechte immer wieder ähnliche Probleme bei der Untersuchung des unter diesen Begriffen verstandenen Grundrechtsschut­ zes auf. Bei der Bestimmung der inhaltlichen Reichweite des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit speziellen Freiheitsrechte wird regelmäßig auf identische Regeln abgestellt, etwa auf die ‚Symmetriethese‘7, ohne die Besonder­ heiten der speziellen Freiheitsrechte, insbesondere die zu ihnen entwickelten Be­ reichsdogmatiken, zu berücksichtigen, mit der Folge, dass auch auf dieser Ebene allgemeine Probleme und Fragestellungen auftreten. So müssen bei einer streng symmetrischen Betrachtung des Schutzbereichs schließlich dieselben Schutzbe­ reichsbegrenzungen sowohl für die positive als auch für die negative Freiheit eines Freiheitsrechts gelten, ohne dass die hinter diesen Schutzbereichsbegrenzungen stehende Interessenlage reflektiert wird. In verschiedenen Kontexten wird also auf die gleichen Regeln zurückgegriffen, ohne dass die Grundlagen dieser Regeln reflektiert, ihre Anwendbarkeit auf das konkrete Freiheitsrecht und die Wirkungen des speziellen Freiheitsrechts unter­ sucht werden. Diese Vorgehensweise ist im Wesentlichen Ausdruck des Selbst­ stands der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit: Die 2 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 30. 3 BVerfGE 93, 1. 4 Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, 1992; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 58. 5 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997; Fikentscher / Möllers, NJW 1998, 1337. 6 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 15: „Als ein ver­ fassungsrechtliches Problem der Freiheitsrechte allgemein ist die Ableitung solcher negativer Freiheitsrechte schließlich nur selten und eher beiläufig reflektiert worden.“ 7 Häufig findet sich auch der Begriff ‚Spiegelbildlichkeitstheorie‘.

A. Gegenstand der Untersuchung

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einmal entwickelten Regeln zur Anwendung von positiver und negativer Freiheit werden fortwährend rezipiert und präzisiert, mit der Folge, dass sie auf diese Weise einen Anschein von Verbindlichkeit erlangen und noch seltener kritisch hinterfragt und reflektiert werden. So wird etwa die ‚Symmetriethese‘ zum Ausgangspunkt der Bestimmung der inhaltlichen Reichweite des unter diesen Begriffen verstan­ den Grundrechtsschutzes. Der Inhalt der negativen Freiheit eines Grundrechts wird demnach als spiegelbildlichen Umkehrung des Inhalts der positiven Frei­ heit verstanden, ohne zu reflektieren, aus welchem Grund die positive Freiheit für die inhaltliche Bestimmung der negativen Freiheit maßgeblich sein soll und die Gründe für die Bestimmung des Inhalts der positiven Freiheit eines Grundrechts in einer bestimmten Weise offenzulegen. So wird exemplarisch die Beschränkung der negativen Vereinigungsfreiheit auf ein Fernbleiben von privatrechtlichen Ver­ einigungen aus der Beschränkung der positiven Vereinigungsfreiheit auf die Grün­ dung von und den Beitritt sowie die Betätigung in privatrechtlichen Vereinigungen hergeleitet, ohne zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsträger als Privater nicht ohne weiteres öffentlich rechtlich Handeln kann und zu reflektieren, weshalb die negative Vereinigungsfreiheit als spiegelbildliche Umkehrung der positiven Ver­ einigungsfreiheit verstanden werden muss. Die symmetrische Bestimmung von positiver und negativer Freiheit wird also im Kontext der Vereinigungsfreiheit zum Ausgangspunkt der Beschränkung der negativen Freiheit. Diese Reflexions­ schwächen der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit und ihre Bedeutung für die Rechtsarbeit soll die vorliegende Arbeit untersuchen. Dem Beispiel Hellermanns folgend soll in der vorliegenden Arbeit die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit daher abstrakt in Bezug auf ihre Herleitung und Anerkennung, sowie in Bezug auf ihren Inhalt und ihre Reichweite, vor allem aber in Bezug auf ihre Funktionalität untersucht wer­ den. Dabei soll nicht nur der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene grundrechtliche Schutz eines Unterlassens des Grundrechtsträgers, sondern auch der unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandene Grundrechtsschutz wie auch die Wechselwirkungen zwischen positiver und negativer Freiheit betrachtet werden. Diese Untersuchung soll ihren Blick nicht auf die Betrachtung von posi­ tiver und negativer Freiheit als grundrechtsdogmatischem Problem beschränken, sondern auch die rechtsphilosophischen und grundrechtstheoretischen Grundlagen des grundrechtlichen Schutzes von positiver und negativer Freiheit beleuchten. Da­ bei wird der Frage nachgegangen, ob es der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit für die Herleitung und Anwendung des grundrecht­ lichen Schutzes eines Tuns und eines Unterlassens bedarf oder ob der grundrecht­ liche Schutz von Handlungen nicht bereits aus einer allgemeinen Auslegung der Grundrechte unter Berücksichtigung eines liberalen Vorverständnisses folgt und es damit der Kategorien von positiver und negativer Freiheit für den grundrecht­ lichen Schutz von Tun und Unterlassen nicht bedarf. Das Augenmerk dieser Arbeit liegt folglich auf einer Untersuchung der Funk­ tionalität der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit.

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Einleitung

B. Gang der Untersuchung Bevor der Frage nachgegangen werden kann, ob positive und negative Freiheit als grundrechtsdogmatische Figur qualifiziert werden können, muss zunächst das in der Literatur praktizierte Vorgehen bei der Herleitung dargestellt werden. Dabei sind insbesondere die Gründe, die für eine Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit sprechen, zu beleuchten. Diese Darstellung ist der Untersuchung der grundrechtsdogmatischen und grundrechtstheoretischen Einordnung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Frei­ heit bewusst vorangestellt, da die Herleitungsargumentation einen für die nachfol­ gende Untersuchung der grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse richtungsweisenden Prozess skizziert. Im Rahmen der Untersuchung der Herleitung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Frei­ heit werden nicht nur die Argumente, die für die Anerkennung des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit sprechen, sondern auch potentielle Argumente gegen die Anerkennung dieser Lehre beleuchtet. Die Herleitungsunter­ suchung beschäftigt sich mit einem abstrakten, allgemeinen, von den Bereichs­ dogmatiken der speziellen Freiheitsrechte (weitgehend) losgelösten Herleitungs­ modell. Zu diesem Zweck wird in dieser Arbeit nach den Gemeinsamkeiten der bisher in der Literatur und Rechtsprechung erarbeiteten Herleitungsargumentatio­ nen gesucht, um ein allgemeines von den Besonderheiten der Bereichsdogmatik der speziellen Freiheitsrechte losgelöstes Herleitungsmuster aufzudecken. In die­ sem Rahmen soll auch der Frage nachgegangen werden, ob der grundrechtliche Schutz von Tun und Unterlassen beziehungsweise der grundrechtliche Handlungs­ schutz nicht möglicherweise bereits aus der Auslegung der Grundrechte folgt, ohne dass es der Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit bedarf. In einem zweiten Schritt wird der Fokus auf grundrechtstheoretische Grundlage und die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes von positi­ ver und negativer Freiheit gelegt. Angesichts der verschiedenen Verständnisse von Grundrechtstheorie ist der Untersuchung der konkreten Einflüsse grundrechtstheo­ retischer Natur die Darstellung des dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnis­ ses von Grundrechtstheorie vorangestellt. Im Anschluss an die Untersuchung der grundrechtstheoretischen Grundlagen werden die grundrechtsdogmatischen Aus­ formungen untersucht, um die Wechselbezüglichkeit von Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik am Beispiel der Lehre des Grundrechtsschutzes von positi­ ver und negativer Freiheit zu skizzieren. Dies erfordert neben der Erläuterung des dieser Untersuchung zugrundeliegenden Verständnisses von Grundrechtsdogmatik eine Untersuchung der im Kontext der Lehre Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entwickelten Sätze. Fraglich ist, ob diese Sätze die typi­ schen Funktionen dogmatischer Sätze erfüllen, und positive und negative Freiheit aus diesem Grund als dogmatische Figur präsentiert werden können. Zu diesem Zweck sollen konkrete Beispiele aus der Rechtsarbeit untersucht werden, die be­

B. Gang der Untersuchung

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legen, dass nicht nur der Begriff von positiver und negativer Freiheit, sondern auch die unter dem Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Frei­ heit abgebildeten Regeln die typischen Funktionen dogmatischer Sätze erfüllen. Da die grundrechtstheoretischen Prämissen für die Rechtsarbeit zu abstrakt sind, sind diese ihrerseits auf die Konkretisierungsleistung der Dogmatik ange­ wiesen. Daher wird sich im Rahmen dieser Untersuchung im Folgenden der Frage gewidmet, inwieweit diese Wechselbezüglichkeit von positiver und negativer Frei­ heit besteht und sich diese Regeln der Lehre des Grundrechtsschutzes von positi­ ver und negativer Freiheit als zutreffende Konkretisierung der zugrundeliegenden theoretischen Prämissen präsentieren, oder ob und inwieweit in Ermangelung der Reflexion der theoretischen Grundlagen ein dogmatischer Verselbständigungs­ prozess eingetreten ist, der eine Abkoppelung der grundrechtsdogmatischen Aus­ formungen von den zugrundeliegenden theoretischen Prämissen zur Folge hat. Zu diesem Zweck orientiert sich die Untersuchung an der üblichen dreistufigen Prüfung einer Grundrechtsverletzung: der Eröffnung des Schutzbereichs, dem Eingriff und der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Auf jeder dieser Ebenen sollen die Wirkungen der von der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entwickelten grundrechtsdogmatischen Sätze beleuchtet und mit Blick auf die zugrundeliegenden grundrechtstheoretischen Prämissen und ihre Funktionalität reflektiert werden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Untersuchung des Schutzgehalts von positiver und negativer Freiheit. In diesem Zusammenhang wird vor allem die Bestimmung der inhaltlichen Reichweite des unter diesen Begriffen verstande­ nen grundrechtlichen Schutzes auf Grundlage der ‚Symmetriethese‘ reflektiert. Zu diesem Zweck werden nicht nur die Hintergrundannahmen der ‚Symmetrie­ these‘, sondern auch der auf dieser Grundlage durch Rechtsprechung und Litera­ tur unter die positive und negative Freiheit eines Grundrechts subsumierte Inhalt untersucht. Der unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit verstan­ dene Verhaltensschutz soll gerade auf seine Spiegelbildlichkeit und seine Verein­ barkeit mit den liberalen Prämissen untersucht werden. Hierzu werden die unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit diskutierten charakteristischen Verhaltensdimensionen dargestellt, wobei untersucht wird, inwieweit sie sich als Konkretisierungen des Gedankens des umfassenden Handlungsschutzes darstel­ len. Vereinzelt werden in diesem Kontext auch die Besonderheiten der speziellen Freiheitsrechte und der Einfluss der Bereichsdogmatiken auf den durch die Hand­ lungsrechte geschützten Verhaltensraum näher erläutert. In diesem Kontext wird der Frage nachgegangen, ob die negative Freiheit auch einen speziellen Konfron­ tationsschutz gegen den Staat oder Dritte gewährt. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Untersuchung des Konfrontationsschutzes in Dreieckskonstel­ lationen, ob die negative Freiheit für Drittwirkungskonstellationen oder Sonder­ statusverhältnisse besondere Regeln etabliert. Schließlich wird die spiegelbildliche Bestimmung des Schutzgehalts von positiver und negativer Freiheit am Beispiel der Vereinigungsfreiheit einer ‚Feuerprobe‘ unterzogen, indem der Frage nachge­

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Einleitung

gangen wird, ob, wie bei einem streng symmetrischen Verständnis des Inhalts von positiver und negativer Freiheit, die Schutzbereichsbeschränkungen der positiven Freiheit auch auf die negative Freiheit angewendet werden müssen. Am Beispiel des Streites über die Eröffnung des Schutzbereichs der negativen Vereinigungs­ freiheit bei der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen sol­ len die Folgen des dogmatischen Verselbständigungsprozesses und der fehlenden theoretischen Reflexion illustriert werden. Im Anschluss an die Untersuchung des Schutzgehalts des grundrechtlichen Handlungsschutzes wird die Eingriffsebene untersucht. Bei der Untersuchung der Eingriffsebene liegt der Fokus der Betrachtung auf der Frage, ob die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit Modifikationen für die Eingriffsebene definiert oder etwa für den Fall des Eingriffs in ein Unterlassen des Grundrechtsträgers definieren müsste. Anschließend wird die Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung be­ leuchtet. Auch auf dieser Ebene der Grundrechtsprüfung wird untersucht, ob die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit für die Rechtfertigung von Eingriffen zusätzliche Regeln definiert beziehungsweise de­ finieren muss, und ob diese Regeln mit der liberalen Prämisse des umfassenden Handlungsschutzes übereinstimmen. Im Kontext der Einschränkung des grund­ rechtlich geschützten Verhaltens könnte es problematisch sein, dass die Gesetzes­ vorbehalte einiger Grundrechte auf ein bestimmtes Tun und damit vermeintlich auf die positive Freiheit zugeschnitten sind. Daher schließt sich hieran die Frage an, ob positive und negative Freiheit beziehungsweise Tun und Unterlassen – und damit jede Handlung des Grundrechtsträgers  – unter denselben Voraussetzun­ gen durch den Staat eingeschränkt werden können. In diesem Zusammenhang ist auch der Frage nachzugehen, ob die verfassungsrechtlichen Pflichten des Grund­ rechtsträgers eine zusätzliche Schranke der negativen Freiheit darstellen. Da dem Staat bei der Einschränkung der Grundrechte des Grundrechtsträgers seinerseits Schranken gezogen werden, etwa durch die Verhältnismäßigkeitsprüfung, gilt es im Anschluss an die Untersuchung der Schranken des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit, die Verhältnismäßigkeit in den Blick zu nehmen. In diesem Rahmen wird nicht nur untersucht, ob abstrakt ein Vorrang einer Ver­ haltensweise vor der anderen Verhaltensweise anzunehmen ist, also ein Vorrang des unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandenen Grundrechtsschutzes vor dem unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Grundrechtsschutz an­ zunehmen ist, sondern auch ob bei der Abwägung die ‚normalen‘ Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung gestellt werden können.

Kapitel 1

Die Herleitung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit Die Untersuchung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und nega­ tiver Freiheit erfordert eine Betrachtung der hinter den konkreten Erscheinungs­ formen des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit stehenden historischen sowie grundrechtstheoretischen, -philosophischen und -dogmatischen Grundlagen.8 Zu diesem Zweck muss zunächst die Herleitung des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit in den Fokus der Betrachtung gestellt werden. Bisher wird der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit, obgleich diese Lehre in der Literatur und in der Rechtsprechung mittlerweile all­ gemein anerkannt ist,9 überwiegend nur auf die einzelnen Grundrechte bezogen hergeleitet.10 Eine allgemeine, von den Besonderheiten der einzelnen Freiheits­ rechte losgelöste Herleitung ist allerdings erforderlich,11 um den Grundrechtsschutz 8

Vergleiche zu dieser Vorgehensweise auch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfrei­ heit, 2006, S. 7. 9 Siehe etwa aus der Literatur Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 69; Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 95 ff., 302 ff., 707 ff., 1018 f.; Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 28; Kemper, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 29, 58 f., 136; Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 327 ff.; Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, zur negativen Meinungs- und Informationsfreiheit; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997; Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007 zur negativen Informationsfreiheit; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980; Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, 2018; allgemein zu diesem Befund: Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 20; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 29 (in Fn. 100 mit entsprechenden Hinweisen zur Rechtsprechung zur positiven und negativen Freiheit). Siehe aus der der Recht­ sprechung exemplarisch zu Art. 2 GG etwa: BVerfGE 6, 32 (36 ff.); zu Art. 4 Abs. 1, 2 GG: BVerfGE 12, 1 (4); 24, 236 (245 ff.); 32, 98 (106); 33, 23 (26 ff.); BVerfG, Urt. v. 18. 10. 2016 – 1 BvR 354/11 –, Rn. 27 ff., 64 f.; zu Art. 5 GG: BVerfGE 65, 1 (40 f.) – obiter dictum; 95, 173 (182); zu Art. 8 GG etwa: BVerfGE 69, 315 (343), BVerfG, NVwZ 2013, 570 (571); zu Art. 9 GG etwa: BVerfGE 10, 89 (102); 38, 281 (297); 50, 290 (354, 367); 85, 360 (370). 10 Die Fragen über die Anerkennung und die Reichweite des Grundrechtsschutzes von posi­ tiver und negativer Freiheit wurden bis weit in die 1990er Jahre hinein primär im religions-, ar­ beitsverfassungs- oder verwaltungsrechtlichen Kontext diskutiert, siehe Schuhmann, Nega­tive Freiheitsrechte, 1997, S. 24; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1991, S. 15. 11 Aus der punktuellen Anerkennung einzelner Freiheitsrechte lässt sich ein allgemeines Begründungsschema herleiten, so auch Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 28.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

von positiver und negativer Freiheit in seiner Komplexität verstehen zu können. Schließlich handelt es sich bei der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit um eine abstrakte Konzeption, welche auf die speziellen Freiheitsrechte angewendet wird. Erst die abstrakte, umfassende Betrachtung der Grundlagen erlaubt Rückschlüsse auf die Auswirkungen von Funktion und Struk­ tur der einzelnen Freiheitsrechte auf die Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Neben dem Wortlaut und der Entstehungsge­ schichte der Grundrechte, soll der Fokus der Untersuchung im Folgenden vor allem auf dem grundrechtlichen Schutz von Selbstbestimmung und Selbstentfaltung lie­ gen. Dabei gilt es zu analysieren, ob positive und negative Freiheit nicht möglicher­ weise im Freiheitsverständnis der Grundrechte und dem Menschenwürdeprinzip angelegt sind. Obgleich sich in diesem Kapitel vornehmlich der Herleitung und Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit gewid­ met wird, müssen in diesem Kontext zugleich die Argumente untersucht werden, die möglicherweise gegen eine Anerkennung der Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit sprechen.

A. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit aus dem Wortlaut der Grundrechte Im Rahmen der Auslegung und Interpretation von Normen kommt dem Wortlaut regelmäßig eine besondere Bedeutung zu,12 schließlich soll der Wortlaut den Willen des Normgebers zum Ausdruck bringen.13 Zur Deutung einer Norm untersucht die Wortlautauslegung neben dem Wortsinn auch die Semantik und die Grammatik einer Norm.14 Daher ist zunächst zu untersuchen, ob der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit als Ausdeutung des Wortlauts der Grundrechte ver­ standen werden kann. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn der Wortlaut der Grundrechte sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen des Grundrechtsträgers 12

Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 141; Bydlinski /  Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 3. Aufl. 2018, S. 27 f.; ders., Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 437 ff.; kritisch Müller / Christensen, Ju­ ristische Methodik, Bd. 1, 11. Aufl. 2013, S. 329, Rn. 351a ff. 13 BVerfGE 1, 299 (312): „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hinein­ gestellt ist.“ 14 Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1983, S. 141; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 281 ff.; Wank, Juristische Methodenlehre, 1. Aufl. 2019, § 7 Rn. 12; ders., Die Auslegung von Gesetzen, 6. Aufl. 2017, S. 41 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, S. 132 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 437 ff.; Müller / Christensen, Juristische Methodik, 11. Aufl. 2013, S. 328 ff., Rn. 351 ff.

A. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit 

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als geschützte Verhaltensweisen abbilden würde. Dann würden die Grundrechte nicht nur einzelne, spezielle Verhaltensweisen und -formen, sondern ein Handeln des Grundrechtsträgers schützen. Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit könnte auch durch den Begriff ‚Freiheit‘ im Wortlaut der angelegt sein.15 Im Folgenden gilt es daher auch zu untersuchen, ob der Begriff ‚Freiheit‘ den grundrechtlichen Schutz von positiver und negativer Freiheit impliziert, und wie es sich auswirkt, dass die Grundrechte begrifflich zwischen ‚Rechten‘ und ‚Freiheiten‘ differenzieren, ins­ besondere ob im Kontext der Grundrechte, die von ‚Rechten‘ des Grundrechts­ trägers sprechen, die Herleitung von positiver und negativer Freiheit fraglich ist.

I. Die Begrenzung des Wortlauts auf ein Tun Jedenfalls ein Tun16 wird expressis verbis durch die Grundrechte geschützt: So gewährt Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG das Recht, seine Meinung zu äußern und zu verbreiten,17 Art. 8 Abs. 1 GG die Freiheit, sich zu versammeln, oder Art. 9 Abs. 1 GG das Recht, einen Verein oder eine Gesellschaft zu bilden.18 Die Verben 15 Vergleiche hierzu Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20 f. 16 Soweit im Folgenden ein Demonstrativpronomen im Kontext eines Tuns oder eines Unter­ lassens verwendet wird, also von ‚dem Tun‘ oder von ‚dem Unterlassen‘ gesprochen wird, bedeutet dies nicht, dass nur eine bestimmte Form des Tuns oder des Unterlassens geschützt wird. 17 Die Aufzählung der Äußerungsmöglichkeiten in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG „in Wort, Bild und Schrift“ könnte der Anerkennung der negativen Freiheit entgegenstehen. Schließlich beschränkt diese Formulierung augenscheinlich den grundrechtlichen Schutz auf bestimmte Variationen des Äußerns, also auf bestimmte Formen eines Tuns. Wäre diese Aufzählung der Äußerungsmodalitäten abschließender Natur, könnte dies Zweifel an der Anerkennung des Schutzes der negativen Meinungsfreiheit hervorrufen. Ein Verschweigen seiner Meinung ‚in Wort, Bild und Schrift‘, wie es von der negativen Meinungsfreiheit abgebildet werden soll, wäre dann allenfalls möglich, wenn der Grundrechtsträger eine andere als die eigene Mei­ nung kundtut. Da die Aufzählung der Äußerungsmodalitäten nur beispielhafter Natur ist, steht diese nicht der Anerkennung der negativen Meinungsfreiheit entgegen, siehe hierzu BVerfGE 68, 226 (229); 93, 266 (289); 102, 347; Schmidt-Jortzig, Meinungs- und Informationsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 25; Kempen, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 5 Abs. 3 Rn. 14: „beispielhaft“; so auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Bd. 1, Art. 5 Abs. 1–2 Rn. 67; Schmidt, in: ErfK, 22. Aufl. 2022, Art. 5 Rn. 9; BVerfG, NJW 2012, 1205; Hesse, Grundzüge des Verfassungs­ rechts, 20. Aufl. 1999, § 12 Rn. 392; siehe auch Kap. 3 A. II. 2.  18 Auf eine bestimmte Form eines Tuns stellt auch der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG („zu bilden“) und der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG („zu wählen“) ab. Insbesondere mit Blick auf den Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG können sich Bedenken gegenüber der Anerkennung des Grundrechtsschutzes der negativen Koalitionsfreiheit ergeben. Die Formu­ lierung „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ ist auf den Zweck der geschützten Betätigung bezogen. Daher erscheint der grundrechtliche Schutz der Möglichkeit zur „Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ keine Koalition zu

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

‚äußern‘, ‚verbreiten‘ oder beispielsweise ‚versammeln‘ werden allgemein als ak­ tive Ausübung einer Tätigkeit, also als konkrete Beschreibung eines bestimmten Tuns des Grundrechtsträgers, verstanden. Insoweit ist der grundrechtliche Schutz der positiven Freiheit im Wortlaut der Grundrechte angelegt. Ein Recht, etwas zu unterlassen, wird hingegen nur selten19 – zu nennen sind hier Art. 4 Abs. 3 S. 1, Art. 7 Abs. 2, Abs. 3 S. 3, 12 Abs. 2 GG sowie Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4, Art. 141 WRV – erwähnt.20 Der Begriff ‚Unterlassen‘ wurde jedoch vom Verfassungsgeber nicht in das Grundgesetz aufgenommen. Die Grundrechte, die ein Unterlassen des Grundrechtsträgers regeln, umschreiben dieses Verhalten des Bürgers lediglich.21 So wird in Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG davon gesprochen, dass niemand zum Kriegsdienst gezwungen werden darf, in Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG heißt es, dass ein Lehrer nicht zur Erteilung von Religionsunterricht verpflichtet werden darf und Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV beinhaltet, dass niemand zur Offenbarung der eigenen religiösen Überzeugungen verpflichtet ist, anstelle zu formulieren, dass der Grundrechtsträger den Kriegsdienst mit Waffen, die Erteilung von Religions­ gründen, also der Schutz der negativen Koalitionsfreiheit, widersprüchlich beziehungsweise wenig einleuchtend, so Berghäuser, Koalitionsfreiheit als demokratisches Grundrecht, 1980, S. 196; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, 1966, S. 54; ders., BB 1988, 555 (557); Radke, AuR 1971, 4 (10); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 148; siehe auch Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (392); vergleiche auch Leydecker, Der Tarifver­ trag als exklusives Gut, 2005, S. 61: „Nicht ersichtlich ist, wie die Arbeits- und Wirtschafts­ bedingungen gefördert werden sollen, indem der Einzelne einer Koalition fernbleibt.“ Ein Beitrag eines Unterlassens der Koalitionsgründung zur Wahrung und Förderung der Wirt­ schaftsbedingungen wird also vielfach bezweifelt. Fraglich ist jedoch, ob sich diese Schutz­ bereichsbestimmungen auf bei der Bestimmung der negativen Freiheit widerspiegeln müssen. Dies wäre nur der Fall, wenn man die negative Freiheit als Spiegelbild der positiven Freiheit versteht, siehe hierzu Kap. 3 A. I. Vergleiche auch die Beispiele bei Siering, Die negative Reli­ gionsfreiheit, 2011, S. 31. Ähnliche Bedenken werden vereinzelt auch gegenüber der Anerken­ nung einer negativen Eigentumsfreiheit geäußert, schließlich könne der Begriff „Gebrauch“ aus dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG ein Tun des Grundrechtsträgers implizieren, so etwa Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 190. Allerdings ist „‚Gebrauch‘ im Sinne des Verfassungstextes nicht als Gegensatz zum Nichtgebrauch, sondern als Kontraposition zur Eigentumssubstanz zu verstehen.“; vergleich auch Brückner, in: MüKo BGB, Bd. 8, 8. Aufl. 2020, § 903 Rn. 23; Fritzsche, in: BeckOK BGB, 61. Ed. 01. 02. 2022, § 903 Rn. 18: „nicht benutzen“; Althammer, in: Staudinger, BGB, 2020, § 903 Rn. 10; „Kraft des Rechtes, frey über sein Eigenthum zu verfügen, kann der vollständige Eigenthümer in der Regel seine Sache nach Willkühr benützt oder unbenützt lassen“, so § 362 österr. ABGB v. 1. 6. 1811 vergleiche hierzu Stubenrauch, Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, Bd. 1, 1854, S. 722 zitiert nach Merten, Negative Grund­ rechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 190. 19 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 40, Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 1. 20 Zu diesen Unterlassungsgrundrechten sogleich unter Kap. 1 B.; siehe auch Bethge, JA 1979, 281 (283) und zu Art. 12 GG ausführlich Merten, Die negative Garantiefunktion der verfas­ sungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (288 ff.); eine ähnliche Aufzählung findet sich auch bei Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 33. 21 Hierzu ausführlich unter Kap. 1 A. III. und Kap. 3 A. III. 1.

A. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit 

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unterricht oder aber die Offenbarung der religiösen Überzeugungen unterlassen darf. Daher überrascht es wenig, dass die Methode der Wortlautauslegung bei der Herleitung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit typischerweise ‚stief­ mütterlich‘ behandelt wird.22 In den Fällen, in denen sich der Wortlaut der Grundrechte auf ein Tun fokus­ siert,23 könnte der Grundrechtsschutz einer negativen, ein Unterlassen schützenden Freiheit ausgeschlossen sein.24 Um diesem Problem des (vermeintlich) dem grund­ rechtlichen Schutz eines Unterlassens entgegenstehenden Wortlauts zu entgehen, wird im Kontext der Herleitung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit nur in Ausnahmefällen auf den Wortlaut näher eingegangen.25 Im Folgenden gilt es daher zu untersuchen, ob der Wortlaut der Grundrechte der Anerkennung des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Grundrechtsschutzes entgegensteht. 1. Die tätigkeitsbezogen formulierten Grundrechte Im Kontext der Herleitung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit er­ scheint die Auslegung derjenigen Grundrechte besonders problematisch, bei denen das Verb den Inhalt des Grundrechtsschutzes näher beschreibt, bei denen also ein bestimmtes Tun den Gegenstand des Schutzbereichs bildet.26 Grammatikalisch wird unter dem Begriff ‚Verb‘ eine Wortart beschrieben, die regelmäßig die Funk­ tion erfüllt, eine Tätigkeit näher zu beschreiben (‚Tätigkeitswörter‘/‚Tuwörter‘).27 Daher können diese Grundrechte auch als tätigkeitsbezogen formulierte Grund­

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Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 40. Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 38; siehe auch Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 38, die deutlich hervorhebt, dass der Wortlaut der Schranken der Grundrechte auf ein Tun zugeschnitten sei; ähnliche Bedenken äußert Böttcher, Die politische Treuepflicht, 1967, S. 42; siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 40, 147 f. Ausführlich zu den Schranken von positiver und negativer Freiheit Kap. 4 A. 24 Ehrengerichtshof der Britischen Zone, DVBl. 1952, 371; Biedenkopf, JZ 1961, 346 ff.; Galperin, Organisationszwang und Koalitionsfreiheit, in: FS Bogs, 1959, S. 87 (92, insbe­ sondere 94); Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 2/1, 7. Aufl.  1967, S. 156; ­Schumann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 37. 25 Vergleiche Bethge, JA 1979, 281 (283), der feststellt, dass der Normtext für den Wortlaut nichts hergibt; ähnlich auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 40 m. w. N. 26 Zu dieser Gruppe zählen etwa Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1, Var. 2 GG, Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 9 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 GG, Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG. 27 Siehe hierzu den Art.: „Verb“, in: Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/Verb; Hoffmann, Deutsche Grammatik, 3. Aufl. 2016, S. 244; Art.: Verb, in: Hentschel (Hrsg.), Deutsche Grammatik, 2010. Differenzierter zu der Bezeichnung von Verben als „Tätigkeits­ wörter“ Schäfer, Einführung in die grammatische Beschreibung des Deutschen, 2. Aufl. 2016, S. 173 f., 182. 23

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

rechte bezeichnet werden. Soweit die Grundrechte tätigkeitsbezogen formuliert wurden, wird sich bei der Interpretation des Wortlautes im Kontext der Herleitung der negativen Freiheit mit der schlichten Behauptung begnügt, dass der Grund­ rechtsschutz der negative Freiheit über den Wortlaut der Grundrechte hinausgehe.28 Schließlich habe ein Tun nur deshalb im Wortlaut der Grundrechte Niederschlag gefunden, weil es einen größeren Einfluss auf das Leben und die Persönlichkeits­ entfaltung des Grundrechtsträgers als ein Unterlassen habe.29 Ein Unterlassen sei nämlich für den Grundrechtsträger nur relevant, soweit er durch den Staat zur Vor­ nahme eines Tuns verpflichtet werde.30 Um dieses besondere Gewicht eines Tuns für das Leben des Grundrechtsträgers zu betonen, habe der Verfassungsgeber den Wortlaut der Grundrechte positiv formuliert.31 Dass der Möglichkeit, etwas zu unterlassen, im Einzelfall für das Leben des Grundrechtsträgers auch eine besondere Bedeutung innewohnen kann, wird bei dieser Argumentation jedoch außer Betracht gelassen. Häufig ergibt sich aus der Perspektive des Grundrechtsträgers kein Unterschied, ob er durch den Staat an einem Tun gehindert wird, oder ob er der Möglichkeit, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen, beraubt wird. Der staatliche Zwang zur Kundgabe einer gegebenen­ falls sogar den eigenen Überzeugungen widersprechenden Meinung als eigene32 kann für den Bürger genauso einschneidend sein33 wie ein Verbot, die eigene Mei­ nung kundzutun. 28

BAGE 20, 175 (216); Merten, MDR 1964, 806; ders., DÖV 1990, 761; ähnlich Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 93; vergleiche auch ­Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 40 m. w. N. 29 Vergleiche Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 31; siehe auch Merten, DÖV 1990, 761, der feststellt, dass das Interesse bei der Meinungsfreiheit stärker der positiven Frei­ heit als der negativen Komplementärgarantie gelte. 30 Vergleiche Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 31. 31 Vergleiche Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 31. 32 Allgemein zur Kundgabe einer Meinung als fremde Meinung, siehe BVerfGE 95, 173 (182); siehe auch Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991; Bethge, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 38b; Di Fabio, NJW 1997, 2863; Starck / Paulus, in: von Man­ goldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 98; Grabenwarter, in: Dürig / Herzog /  Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 96; siehe auch Arnold, Wirtschaftswerbung und die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes, 2018, S. 39. 33 Unter Umständen ist der staatliche Zwang beziehungsweise das Gebot zu einem positiven Tun sogar deutlich einschneidender für die Persönlichkeitsentfaltung des Grundrechtsträgers. Der Grundrechtsträger könnte von anderen mit diesem (erzwungenen) Verhalten identifiziert werden (Zwangsidentifikation), sich für dieses Verhalten schämen und / oder sich in Zukunft nicht mehr trauen, seinem ‚wahren Willen‘ entsprechend zu handeln. Schließlich könnte seine Verhaltensänderung in dieser Konstellation widersprüchlich erscheinen, sodass ein seinem ‚wahren Willen‘ entsprechendes Verhalten nicht in gleicher Weise gewürdigt wird, wie es der Fall gewesen wäre, wenn er von vornherein nur den eigenen Überzeugungen entspre­ chend gehandelt hätte. Zur Gefahr der Zwangsidentifikation des Grundrechtsträgers bei dem Engagement in privatrechtlichen Vereinigungen siehe Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 65, ausführlich hierzu auch Kap. 3  A. IV. 4. d).

A. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit 

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Mit Blick auf die Religionsfreiheit war der Schutz eines Unterlassens verfas­ sungshistorisch von entscheidender Bedeutung für das Leben des Grundrechtsträ­ gers, um die freie, selbstbestimmte und selbstverantwortete Entfaltung der Persön­ lichkeit gegen staatliche Einflüsse zu schützen.34 Die vermeintlich hervorgehobene Bedeutung eines Tuns für das Leben der Bürger kann damit nicht als Grund für diese Art der Formulierung angeführt werden. Dies bedeutet aber keineswegs, dass der vermeintlich sich auf ein Tun fokussie­ rende Wortlaut der Grundrechte der Anerkennung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit, insbesondere des grundrechtlichen Schutzes eines Unterlassen, entgegensteht. Schließlich gilt es zu berücksichtigen, dass bei den tätigkeitsbezogen formulierten Grundrechten die Verben die Funktion übernehmen, den Gegenstand des Schutzbereichs näher zu konkretisieren, in dem sie das geschützte Verhalten – und damit die geschützte Handlung – präzisieren. Da der Begriff des Unterlassens sehr weit gefasst ist, kann er diese Funktion nicht übernehmen. Für die verschie­ denen Formen eines Tuns existieren jedoch verschiedene speziellere Verben, mit denen die konkrete Form des geschützten Verhaltens präzise beschrieben werden kann.35 Dann aber schließt diese Art der Formulierung nicht die Möglichkeit des grundrechtlichen Schutzes eines Unterlassens aus – zumal zur Zeit des Erlasses des Grundgesetzeses der Begriff des ‚Unterlassens‘ vielfach als zu „vulgär“ empfunden wurde, um in der Verfassung Niederschlag zu finden.36 Die tätigkeitsbezogen for­ mulierten Elemente müssen folglich als Beschreibung eines Handelns, und nicht als Beschreibung eines Tuns, in einem bestimmten Lebensbereich betrachtet werden. 34

Hierzu ausführlich auch Kap. 1 C. I.; siehe auch Siering, Die negative Religionsfrei­ heit, 2011, S. 41; ähnlich Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 237. Mit Blick auf die Gefährdungen durch den modernen Staat ist die Abwehrfunktion der Grundrechte noch nie so bedeutend gewesen wie jetzt, Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 280 m. N. 35 Siehe auch Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (126). Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 78 f. und ­Fikentscher / Möllers, NJW 1998, 1337 (1340), leiten aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG „sich zu unterrichten“, das Recht ab, selbstständig über die gewählten Informa­ tionsquellen zu befinden, und daher gewisse Informationsquellen außer Acht zu lassen. Diese Formulierung impliziere daher, so Fikentscher / Möllers, die Anerkennung der negativen Infor­ mationsfreiheit. Folgt man dieser Ansicht, ist der Schutz der negativen Freiheit durch das Verb ‚unterrichten‘ explizit im Wortlaut des Grundrechts verankert. Vergleiche auch Kindhäuser, Art.: Handlung, in: Anderheiden / Gutmann / Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklopädie zur Rechtsphilo­ sophie, 2011, Rn. 7, zur Bedeutung von Verben bei der Bestimmung des Handlungsbegriffs. 36 von Mangoldt, Zweiunddreißigte Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 11. Ja­ nuar 1949, in: Deutscher Bundestag / Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948– 1949, Bd. 5, 1993, S. 910 (918); BVerfGE 6, 32 (36); siehe auch Eifert, Persönliche Freiheit, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 18 Rn. 10: „die ursprüngliche Formulierung des Artikels, in der es hieß ‚jeder kann tun und lassen was er will‘, sei nur aus sprachlichen Gründen verändert worden“; Merten, Das Prin­ zip Freiheit im Gefüge der Staatsfundamentalbestimmungen, in: ders. / Papier (Hrsg.), Hand­ buch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 27 Rn. 18; siehe auch Starck, in: von Mangoldt /  Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 8.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

2. Die schutzgutbezogen formulierten Grundrechte Es wurden aber nicht alle Grundrechte tätigkeitsbezogen formuliert. Neben den tätigkeitsbezogenen Grundrechten existieren auch Grundrechte, deren Formulie­ rung auf das Schutzgut bezogen ist.37 Im Folgenden werden daher der Wortlaut der schutzgutsbezogen formulierten Grundrechte sowie die Auswirkungen dieser Art der Formulierung auf die Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit näher untersucht. Im Gegensatz zu den tätigkeitsbezogen formulierten Grundrechten konkretisie­ ren die schutzgutbezogen formulierten Rechte das geschützte Verhalten des Grund­ rechtsträgers nicht näher, sondern beschreiben nur das Schutzgut.38 Diese Art der Formulierung wurde nicht allein aus lexikalischen Gründen gewählt, schließlich sind Alternativformulierungen wie „jedermann hat das Recht sich zu seinem Glauben oder seiner Weltanschauung zu bekennen und diese frei zu praktizieren oder es zu unterlassen“ möglich.39 Fraglich ist daher, ob aus der schutzgutsbezo­ genen Formulierung einiger Grundrechte folgt, dass nur das Schutzgut, also der Glauben oder die Forschung, grundrechtlichen Schutz genießt, oder ob sämtliche Verhaltensweisen, die das Schutzgut betreffen, und damit möglicherweise auch ein Unterlassen, durch diese Grundrechte verfassungsrechtlich geschützt werden. Zu diesem Zweck gilt es zunächst die Gründe für die gewählte Formulierung näher zu betrachten. Zwar sind grundsätzlich alle Grundrechte aufgrund der his­

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Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 139, 149 bezeich­ net diese Formulierungsweise als „substantivische“ Formulierung. 38 Art. 4 Abs. 1 GG („Die Freiheit des Glaubens […] ist unverletzlich.“) (Herv. hinz.); Art. 10 Abs. 1 GG („Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“) (Herv. hinz.); Art. 13 Abs. 1 GG („Die Wohnung ist unverletzlich.“) (Herv. hinz.). Eine ähnliche Formulierungsweise wurde auch für die Grundrechte des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, wonach Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind, und Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewählt. Nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG werden die „Pressefreiheit und die Freiheit der Bericht­ erstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ Zu diesem Befund siehe im wei­ teren Sinne auch Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 237. Im Kontext der Bekennt­ nisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG ließe sich jedoch erwägen, dass der Begriff des Bekenntnisses allein auf ein Offenbaren, also ein Tun beschränkt, und daher der Anerkennung einer negativen Bekenntnisfreiheit entgegenstehen könnte; siehe hierzu Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 66, die den Begriff der negativen Bekenntnisfreiheit im Kontext des Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV näher untersucht. Siering bezieht die Bezeichnung dabei auf das Bekennen, welches eine „Manifestation, also die Kundgabe des Glaubens nach außen“ erfordere, so ebenda, S. 66; siehe auch Hamel, NJW 1966, 18 (19). Das Bekennen erfasst „sinngemäß eine positive, aktive Betätigung, wie etwa das Verkünden oder Verbreiten einer religiösen Überzeugung oder aber das Reden über sie, nicht aber ein Schweigen“, Siering, ebenda, S. 66; so bereits Hamel, NJW 1966, 18 (19), sodass der Begriff der negativen Bekenntnisfreiheit missverständlich ist, weil er unter anderem auch ein Unterlassen der Offenbarung der eigenen Überzeugungen schütze. Hamel, NJW 1966, 18 (19) spricht insoweit von einem „unlogischen Begriff“. 39 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 149; ausführlich zu der Frage, ob das Unterlassen ein Verhalten ist unter Kap. 1 G. II. 1.

A. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit 

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torischen Erfahrungen so formuliert, dass sie das staatliche Fernbleiben aus der Freiheitssphäre des Bürgers in den Fokus stellen. Allerdings sind die betreffen die schutzgutbezogen formulierten Grundrechte, besonders vielfältige Freiheitsberei­ che, die in besonderer Weise in der Zeit des Nationalsozialismus beschränkt wur­ den.40 Der Bürger soll unabhängig von der Art der staatlichen Störung gleicherma­ ßen vor staatlichen Handlungsgeboten und Handlungsverboten geschützt werden.41 Ihre Formulierung gründet folglich auf der Abwehrhaltung dieser Grundrechte gegenüber staatlichen Störungen.42 So schützt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die Forschung, also eine Tätigkeit und nicht nur das Forschungsergebnis, oder Art. 4 Abs. 1, 2 GG ein Beten eines Gläubigen und nicht nur das Gebet.43 Diese schutzgutsbezogen 40 So war historisch etwa die negative Religionsfreiheit besonders bedeutsam, vergleiche Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 13 ff., 41 ff.; vergleiche zur Kunstfreiheit und ihrer Bedeutung für Kultur und Gesellschaft auch Stern / Sachs / Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4/2, 2011, S. 605 ff., 617 ff.; siehe auch Schuster, Nationalso­ zialismus und „entartete Kunst“, 1987 zur Entwicklung der Grundrechte allgemein BVerfGE 6, 32 (37); siehe zu dem Umstand, dass die Grundrechte die Antwort auf historisch besonders gefährdete Lebensbereiche sind, auch Kap. 1 C. 41 Ge- und Verbote hängen eng zusammen, so auch Röhl, JA 1999, 895 f.: „Jedes Verbot einer Handlung entspricht dem Gebot einer Unterlassung. Umgekehrt ist jedes Gebot aktiven Handelns das Verbot aller seiner Unterlassungen. Ob eine Verhaltensnorm als Gebot oder Ver­ bot formuliert wird, ist eine reine Zweckmäßigkeitsfrage.“ Röhls Untersuchung bezieht sich zwar im Folgenden auf die Unterlassungslehre im Strafrecht. Diese Feststellung der Nähe von Ver- und Geboten ist allerdings allgemein auf die gesamte Rechtsordnung zu übertragen. 42 Siehe zu Art. 4 Abs. 1, 2 GG von Camphausen, Religionsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 51, der den Grund für die Formulierung des Art. 4 Abs. 1 GG in dem Anliegen sieht, die Religionsausübung umfassend vor staatlichen Eingriffen – gerade auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus – zu schützen; so auch BVerfGE 24, 236 (245). Diese schutzgutbezogene Formulierung von Grundrechten ist bereits aus der Weimarer Reichsverfassung bekannt. Viele Vorschriften, die unter der Weimarer Reichsverfassung schutzgutbezogen formuliert waren, sind im Grundgesetz tätigkeitsbezogen formuliert. Lautete Art. 159 S. 1 WRV noch: „Die Ver­ einigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“ (Herv. hinz.), sprach Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG nur von dem „Recht[,] zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“ (Herv. hinz.). Umgekehrt wurden die zunächst tätigkeitsbezogen formulierten Grundrechte im Grundgesetz nun mehr schutzgutbezogen formuliert, vergleiche Art. 135 S. 1 WRV „Die Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfrei­ heit.“ (Herv. hinz.) und Art. 4 Abs. 1 GG „Die Freiheit des Glaubens […] sind unverletzlich.“ (Herv. hinz.). 43 In Bezug auf die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG stellt Art. 4 Abs. 2 GG klar, dass auch die ‚Religionsausübung‘ also ein religiösen Motiven folgendes Verhalten vom Schutz­ gehalt des Grundrechts erfasst ist, so Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 70; BVerwGE 94, 82 (87). Da Art. 4 Abs. 2 GG (‚Religionsausübung‘) nur eine dekla­ ratorische Feststellung in Bezug auf Art. 4 Abs. 1 GG ist, kann aus dieser Vorschrift nicht (im Umkehrschluss) geschlossen werden, dass von Art. 4 Abs. 1 GG keine Handlungen geschützt werden. Auch spricht Art. 4 Abs. 2 GG nicht dagegen, dass auch ein Unterlassen grundrecht­ lichen Schutz genießen kann. Schließlich kann auch das Unterlassen als Freiheits-/Religions­ ausübung verstanden werden. Siehe auch im Kontext des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG BVerfGE 35, 79 (113): „alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermitt­

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

formulierten Grundrechte beschreiben die Art und die Weise des geschützten Verhaltens also nicht näher, sodass als geschützte Verhaltensweise grundsätzlich jede Handlung infrage kommt, also sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen des Grundrechtsträgers. Der Wortlaut der schutzgutsbezogen formulierten Grund­ rechte steht der Anerkennung des grundrechtlichen Schutzes der negativen Frei­ heit daher nicht entgegen, sofern der grundrechtliche Schutz des Unterlassens anerkannt wird. Dass die schutzgutsbezogenen Grundrechte entsprechend ihrem Wortlaut grundsätzlich auch ein Unterlassen des Grundrechtsträgers abbilden kön­ nen, führt aber nicht zur Anerkennung des Unterlassungsschutzes. Der Wortlaut der schutzgutbezogenen Grundrechte steht also dem Schutz des Unterlassens des Bürgers nicht entgegen, sofern ein Unterlassen als grundrechtlich geschützte Ver­ haltensweise – beziehungsweise als Komponente des grundrechtlichen Handlungs­ schutzes – qualifiziert kann. Für die Anerkennung des grundrechtlichen Schutzes eines Unterlassens, wie er unter dem Begriff der negativen Freiheit verstanden wird, bedarf es folglich einer über den Wortlaut hinausgehenden Interpretation, in der sich ein liberales Vorverständnis der Grundrechte niederschlägt.44 Folglich kann der Wortlaut der schutzgutsbezogenen Grundrechte den Unterlassungsschutz nicht begründen. 3. Zusammenfassung Der Wortlaut sowohl der tätigkeits- als auch der schutzgutbezogen formulierten Grundrechte steht der Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und ne­ gativer Freiheit also grundsätzlich nicht entgegen. Während sich der Grundrechts­ schutz des unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandenen Tuns an einigen Stellen direkt aus dem Wortlaut der Grundrechte herleiten kann, ist ein Unterlassen nur selten explizit im Grundgesetz geregelt. In Einzelfällen könnte das Unterlas­ lung der Wahrheit anzusehen ist“; ähnlich BVerfGE 47, 327 (367); 90, 1 (12). Vergleiche auch ­Kaufmann, JZ 1972, 45 (46) im Kontext der Wissenschaftsfreiheit: „Das GG geht sicher nicht von einem formal-wissenschaftstheoretischen Begriff aus, sondern von der sozialpraktischen (und unbestreitbaren Überlegung, daß Wissenschaft und Forschung, als Tätigkeit verstanden, einen nach Ausbildung und Methode qualitativ von anderen auf das gleiche Ziel gerichteten Unternehmen abgrenzbaren Bereich darstellen.“ (Herv. i. O.); ähnlich auch Britz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 13: „Schutzgegenstand der For­ schungs- und Lehrfreiheit ist die individuelle wissenschaftliche Betätigung. Als klassische Freiheitsrechte spezifizieren sie die allgemeine Handlungsfreiheit sachbereichsbezogen.“ (Herv. i. O.); siehe auch Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Kunst) Rn. 46; ausführlich zu den durch das Grundrecht der Kunstfreiheit geschützten Tätigkeiten siehe Starck / Paulus, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 428 ff. Auch die Pressfreiheit, die Rundfunkfreiheit und die Filmfreiheit schützen Handlungen be­ ziehungsweise Tätigkeiten des Grundrechtsträgers, siehe Grabenwarter, in: Dürig / Herzog /  Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 271 ff., 672 ff., 969 ff.: „Filmbegriff und geschützte Handlungen“ (Zitat Überschrift vor Rn. 969). 44 Ausführlich Kap. 2 A. II.

A. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit 

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sen als Ausdeutung des Wortlauts der Grundrechte im weiteren Sinne verstanden werden.45 So könnte etwa der „Nichtglaube“ als ein eigener Glaube oder als Welt­ anschauung i. S. v. Art. 4 Abs. 1 GG46 oder der Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit durch Art. 2 Abs. 1 GG als das Recht zur Persönlichkeitsentfaltung auch durch ein Unterlassen verstanden werden.47 Der Wortlaut der Grundrechte beschränkt sich demnach nicht auf den Schutz eines Tuns.48

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Ausführlich zu den Unterlassungsgrundrechten Kap. 1 B; vergleiche Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 32 f. 46 Vergleiche auch Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit?, in: FS Kriele, 1997, S. 301 (309); den Gedankengang aufgreifend Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011 S. 32 f.; vergleiche auch Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2. Aufl. 2017, S. 177; Starck, in: von Mangoldt / K lein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018 Art. 4 Rn. 23: „Negative Religionsfreiheit, die das Recht gewährleistet, keiner Religion anzuhängen, ist zugleich positive Weltanschauungsfreiheit, da areligiöse oder antireligiöse Haltung eine Weltanschauung ist“ (Herv. i. O.); ähnlich auch Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 70; von Camphausen / de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, § 12, S. 59 ff.; siehe auch ­Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 39; kritisch Mückl, in: Bonner-Kommentar, GG, 210. Aktualisierung Februar 2010, Art. 4 Rn. 168; kritisch zur Gleichsetzung von Glauben und Weltanschauung Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei Aus­ gestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 218, 220: „Jedoch erscheint es fraglich, ob die totale Indifferenz, das Fehlen eines Konzepts der Sinndeutung von Mensch und Welt als Weltanschauung begriffen werden kann.“ (Zitat S. 218). 47 Art. 2 Abs. 1 GG sollte ursprünglich von der ‚Freiheit zum Tun und Lassen‘ handeln, der Wortlaut wurde als zu vulgär empfunden und daher verworfen, so von Mangoldt, Zweiund­ dreißigste Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 11. Januar 1949, in: Deutscher Bun­ destag / Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. 5, 1993, S. 910 (918): „Er [der Redaktionsausschuß] ist wieder zurückgekehrt zu der ‚Freiheit, zu tun und zu lassen …‘, einer Formulierung, […] die wir wenig schön finden.“; BVerfGE 6, 32 (36).Die freie Ent­ faltung sollte alles erfassen, von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (57, 59, 62). Deutlich kritischer ist die Haltung von Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 32 f. Zwar sei dem Entfalten der Persönlichkeit durchaus ein aktives Element inhärent, es stelle sich jedoch die Frage, ob nicht auch im Nichtstun, also das schlichte Unterlassen der Persönlich­ keitsentfaltung dienen könnte. Dies verneint Siering jedoch letztlich. Vergleiche auch Merten, Das Prinzip Freiheit im Gefüge der Staatsfundamentalbestimmungen, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 27 Rn. 18; siehe auch ders., JuS 1976, 345 (346). Das Recht zur Passivität gehört unabdingbar zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, so Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 35; Kämmerer / Kunig, in: von Münch / ­Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 25; siehe auch Hammerich, Schutz vor aufgedrängten In­ formationen im Internet, 2007, S. 23; siehe auch Starck, in: von Mangoldt / K lein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 8; zu der Frage, ob Art. 2 Abs. 1 GG von vornherein, also ohne Rückgriff auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit schützt, ausführlich unter Kap. 1  F. III. 2. Vergleiche Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungs­ freiheit, 1980, S. 40, mit dem Hinweis, dass die Vereinigungsfreiheit ein Spezialfall der allge­ meinen Handlungsfreiheit sei, die das Tun und Unterlassen als Möglichkeit freier Persönlich­ keitsentfaltung erfasst; ähnlich auch Hannes, Koalitionsfreiheit und Koalitionszwang, 1954, S. 98 ff. 48 Also beschränkt sich der Wortlaut nicht auf den entsprechend der Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit unter dem Begriff der positiven Freiheit abgebildeten Grundrechtsschutz.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

II. ‚Recht‘ und ‚Freiheit‘ Ein besonderes Augenmerk muss im Rahmen der Auslegung des Wortlautes der Grundrechte auch auf die Begriffe ‚Freiheit‘ und ‚Recht‘, insbesondere die Differenzierung zwischen diesen beiden Begriffen, gelegt werden.49 Schließlich lässt bereits die Bezeichnung ‚positive und negative Freiheit‘ eine besondere Ver­ bindung zum Begriff ‚Freiheit‘ vermuten.50 Diese Differenzierung der Begriffe von ‚Recht‘ und ‚Freiheit‘ wird vornehmlich im Rahmen der Herleitung der negativen Koalitionsfreiheit aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG thematisiert, da in der Vorläufervorschrift der Koalitions­ freiheit, dem Art. 159 WRV, der Begriff ‚Freiheit‘ gebraucht und bei der Verab­ schiedung des Grundgesetzes durch den Begriff ‚Recht‘ ersetzt wurde.51 Die Ent­ scheidung des Verfassungsgebers, den Begriff ‚Freiheit‘ durch den Begriff ‚Recht‘ auszutauschen, könnte implizieren, dass dieser das begriffliche „Einfallstor“52 von positiver und negativer Freiheit schließen wollte.53 Schließlich fließt gerade in den Begriff ‚Freiheit‘ ein bestimmtes Vorverständnis von Freiheit ein.54 Allerdings verwendet der Verfassungsgeber die Begriffe ‚Freiheit‘ und ‚Recht‘ annähernd synonym.55 Obwohl der erste Abschnitt des Grundgesetzes den Titel „Grundrechte“ trägt, stellen beispielsweise Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 S. 2 und 3 S. 1 GG auf die Freiheit des Individuums ab.56 Umgekehrt spricht Art. 18 S. 1 GG von der Freiheit der Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Ver­ einigungsfreiheit, wenngleich die Grundrechte, auf die Art. 18 S. 1 GG Bezug 49 Vergleiche hierzu auch die Untersuchung von Koch, Koalitionsschutz und Fernbleibe­ recht, 1970, S. 22; Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 26 (33 f.); in einem weiteren Sinne auch Eberle, DÖV 1977, 306 (308), der die negative Mei­ nungsfreiheit aus dem Recht, seine Meinung „frei zu äußern“, ableitet. 50 Detailliert hierzu unter Kap. 1 F. I. 51 Während Art. 159 S. 1 WRV die „Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe“ gewährleistete, normiert Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG das „Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirt­ schaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden[…]“; Kastner, AuR 1953, 161 (163); Vossieg, Die Zwangsmitgliedschaft bei den Berufskammern, 1959, S. 33; Huber, Wirtschaftsverwaltungs­ recht, Bd. 2, 2. Aufl. 1954, S. 385; Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey /  Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (456); ähnlich auch der Ansatz von Radke, AuR 1971, 4 (10); siehe auch Ksoll, Deutsches Staatsrecht, 1966, S. 103; vergleiche auch Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20 f. 52 So wurde unter der Weimarer Reichsverfassung der Begriff ‚Freiheit‘ etwa als „Einfalls­ tor“ des Freiheitsverständnisses erachtet, vergleiche hierzu Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20. 53 Ähnlich Bachmann, Von der Zwangskoalition zum Koalitionszwang, 1951, S. 10. 54 Zu dem Einfluss dieses Vorverständnisses ausführlich unter Kap. 2 A. II. 55 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 1954, S. 385; Dietz, Die Koalitions­ freiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (456); Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 22; anderer Ansicht Bachmann, Von der Zwangskoalition zum Koalitionszwang, 1951, S. 10. 56 Vergleiche auch Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 22.

A. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit 

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nimmt, vom Recht zur Meinungsäußerung, vom Recht, sich zu versammeln, und vom Recht, sich zu vereinigen, sprechen.57 Die Begriffe ‚Freiheit‘ und ‚Recht‘ sind daher im für die Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit relevanten ersten Abschnitt des Grundgesetzes äquivalent zu verstehen.58 Der Austausch des Begriffs ‚Freiheit‘ durch den Begriff ‚Recht‘ in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG sowie die Differenzierung zwischen den Begriffen ‚Recht‘ und ‚Freiheit‘ in den übrigen Grundrechten haben folglich keinerlei Einfluss auf den Streit um die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Allerdings ermöglicht auch der Wortsinn beider Begriffe nicht ohne weitere interpretatorische Arbeit den Schluss auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit: Auch der Rekurs auf die Begriffe ‚Recht‘ und ‚Freiheit‘ öffnet erst das Tor zu einer über die Wortlautauslegung hinausgehenden und durch die Vorstellungen von grundrechtlicher Freiheit geprägten Interpretation der Grundrechte.59

III. Zusammenfassung Der Grundrechtsschutz des unter dem Begriff der positiven Freiheit verstanden Tuns wird folglich bereits durch die tätigkeitsbezogenen Grundrechte impliziert. Die bedeutet jedoch nicht, dass die tätigkeitsbezogen formulierten Grundrechte der Anerkennung des grundrechtlichen Schutzes der entsprechend der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Verhaltensweisen und -formen entgegenstehen. Obgleich die schutzgutbezogen formulierten Grundrechte nicht explizit auf ein Verhalten des Grundrechtsträgers abstellen, ist die Formulierung dieser Grund­ rechte weit genug, um den grundrechtlichen Schutz eines Verhaltens des Bürgers nicht auszuschließen. Zumal sich gerade bei der Herleitung der negativen Freiheit die Schwäche der Wortlautauslegung offenbart: Begriffe sind durch den Geist einer bestimmten Zeit sowie durch gewisse gesellschaftliche Vorstellungen und Strömungen geprägt.60 Vermutlich wurde ein Recht, etwas zu unterlassen, weil der Begriff des ‚Unterlassens‘ als „vulgär“ empfunden wurde, nicht in der gleichen 57

So auch Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 22: „Die ‚Rechte‘ der Art. 5, 8 und 9 wiederum werden in Art. 18 als ‚Freiheit der Meinungsäußerung‘, ‚Versammlungsfrei­ heit‘ und ‚Vereinigungsfreiheit‘ bezeichnet.“ 58 Vergleiche Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 22: „Es zeigt sich, daß der Bonner Verfassungsgeber die Begriffe ‚Grundfreiheit‘ und ‚Grundrecht‘ beliebig gegen­ einander austauscht.“ Ähnlich auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 41 Fn. 105; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszuge­ hörigkeit, 1966, S. 54. 59 So auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 40 f.; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20. 60 Dies lässt sich exemplarisch etwa an der aktuellen Diskussion über die Verwendung gen­ dersensibler Sprache illustrieren.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Deutlichkeit wie ein Recht, etwas zu tun, geregelt.61 Der Verzicht auf die ausdrück­ liche Aufnahme des Begriffs des ‚Unterlassens‘ in den Wortlaut der Grundrechte spricht daher grundsätzlich nicht für das Bestreben des Verfassungsgebers, den grundrechtlichen Schutz der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Verhaltensdimensionen, insbesondere des Unterlassens, zu verneinen. Dies zeigen auch die Grundrechte, die ein Unterlassens des Grundrechtsträgers umschreiben. Statt von einem ‚Unterlassen‘ zu sprechen, wird das konkret geschützte Verhalten näher ausdifferenziert und deutlich präziser beschrieben, als der Begriff ‚Unter­ lassen‘ es könnte. Dies scheint auch der Grund dafür zu sein, dass die tätigkeitsbezogen formulier­ ten Grundrechte auf ein Tun des Grundrechtsträgers abstellen. Während der Inhalt eines Tuns sprachlich recht klar abgebildet beziehungsweise umgrenzt werden kann,62 lässt sich der Inhalt eines Unterlassens als sich tendenziell in die Innenwelt zurückziehende Verhaltensweise nur schwer präzise beschreiben und begrenzen.63 Wenngleich der Schutz des Unterlassens nicht immer eindeutig im Wortlaut er­ wähnt wurde, wurde er auch nicht explizit ausgeschlossen. Der Verzicht auf die Aufnahme des Begriffs ‚Unterlassen‘ in den Wortlaut der Grundrechte steht der Anerkennung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit damit ebenso wenig entgegen, wie die tätigkeitsbezogen formulierten Grundrechte.64 Insgesamt ist der Wortlaut der Grundrechte – gerade auch mit Blick auf den grundrechtlichen Handlungsschutz  – offen gestaltet,65 sodass es zur Herleitung 61

von Mangoldt, Zweiunddreißigte Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 11. Ja­ nuar 1949, in: Deutscher Bundestag / Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948– 1949, Bd. 5, 1993, S. 910 (918); BVerfGE 6, 32 (36); siehe auch Eifert, Persönliche Freiheit, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 18 Rn. 10: „die ursprüngliche Formulierung des Artikels, in der es hieß ‚jeder kann tun und lassen was er will‘, sei nur aus sprachlichen Gründen verändert worden“; Merten, Das Prin­ zip Freiheit im Gefüge der Staatsfundamentalbestimmungen, in: ders. / Papier (Hrsg.), Hand­ buch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 27 Rn. 18; siehe auch Starck, in: von Mangoldt /  Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 8. 62 Siehe auch Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007, S. 34: „Die ausdrückliche Aufnahme von negativen Freiheiten hätte die Grundrechte ihrer gewünschten Prägnanz und Kürze beraubt […].“ 63 Siehe auch Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007, S. 34. 64 Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 237: „Obwohl die negative Religionsfrei­ heit sich nicht explizit aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1, 2 GG herleiten lässt, wird sie […] unstrittig anerkannt.“; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 147; ähnlich auch Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 37 f., die betont, dass wegen der lapidaren Sprachgestaltung und der Offenheit der Grundrechte, der Wortlaut nicht alleine gegen die Anerkennung streite. 65 Bethge, Der Staat 24 (1985), 351 (357); Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 80; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 47; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 147; Böckenförde, NJW 1974, 1529; Bumke, AöR 144 (2019), 1 (13); Winkler, Kollisionen verfassungsrechtlicher Schutznormen, 2000, S. 71; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 37 f.; allgemein Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, 1988, S. 45; siehe auch Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, 2004.

B. Die speziellen Unterlassungsgrundrechte

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des Grundrechtsschutzes der positiven und der negativen Freiheit stets einer weit­ gehenden Interpretation der Grundrechte bedarf.66 Der Wortlaut allein kann also die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nicht begründen.67

B. Die speziellen Unterlassungsgrundrechte Ein Recht, etwas zu unterlassen, wird im Grundgesetz verschiedentlich aus­ drücklich geregelt. Diese sogenannten benannten Unterlassungsgrundrechte68 könnten auf den Willen des Verfassungsgebers hindeuten, dass ein Unterlassen ausschließlich in diesen benannten Fällen geschützt wird.69 Würden die benannten Unterlassungsgrundrechte auch ein komplementäres Tun schützen, ließe sich erwägen, dass die Grundrechte menschliche Handlungen umfassend schützen, mit der Folge, dass die übrigen Grundrechte – ungeachtet ihrer Formulierung – stets zugleich ein Tun und ein Unterlassen des Grundrechtsträgers schützen. Daher gilt es im Folgenden, den Regelungsgrund und die inhaltliche Ausgestaltung der be­ nannten Unterlassungsgrundrechte näher zu untersuchen.

I. Die exklusiven benannten Unterlassungsgrundrechte Ein anschauliches Beispiel für ein benanntes Unterlassungsgrundrecht ist das Recht zur Verweigerung des Kriegsdienstes mit Waffen aus Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG. Dieses Grundrecht beschränkt sich auf die abstrakte Klarstellung, dass dem Bürger ein grundrechtlich geschütztes Recht zum Unterlassen eines Tuns in hoheitlicher Form zusteht, nämlich ein Recht, den Kriegsdienst mit Waffen zu unterlassen. Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG kann dem Bürger jedoch nicht zugleich komplementär ein 66

Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 239. Aber auch nicht wiederlegen, so Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 147; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 32; siehe auch Henssler /  Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, 2018, S. 11: „Weil der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG die negative Koalitionsfreiheit nicht erfasst, ihren Schutz aber auch nicht ausdrücklich ausschließt […]“. Ähnlich auch Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 37 f., die betont, dass wegen der lapidaren Sprachgestaltung und der Offenheit der Grundrechte, der Wortlaut nicht alleine gegen die Anerkennung streite. Siehe auch S­ chöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (390) zu Art. 9 Abs. 1 GG; Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 237. 68 Eine ausführliche Untersuchung der benannten Unterlassungsgrundrechte nimmt Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 33 ff. vor. Es wird sich im Folgenden an dieser Untersuchung Mertens und den von ihm verwendeten Begrifflichkeiten orientiert. 69 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 161. Schließlich hätte der Verfassungsgeber auf die Normierung der speziellen Unterlassungsrechte verzichten können, wenn die Grundrechte ein Unterlassen schützen würden. 67

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Recht auf Krieg gewähren.70 Schließlich kann der Grundrechtsträger als Privater nicht in hoheitlicher Form etwas tun.71 Die Wirkung des Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG be­ schränkt sich daher auf den Schutz eines Unterlassens des Bürgers, in Fällen, in denen er in besonderer Weise in der Nähe zum Staat steht.72 Da ein Privater nicht ohne staatlichen Beleihungsakt eine hoheitliche Tätigkeit vornehmen kann, genießt ein Tun, zum Beispiel der Kriegsdienst mit der Waffe in diesem Fall keinen grund­ rechtlichen Schutz. Diese Rechte schützen folglich exklusiv nur das im Grundrecht beschriebene Unterlassen.73 Zu dieser Gruppe der benannten exklusiven Unterlassungsrechte zählen neben Art. 4 Abs. 3 S. 1GG auch Art. 7 Abs. 2, Abs. 3 S. 3 GG und Art. 12 Abs. 2 GG.74 So darf nach Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG kein Lehrer gegen seinen Willen zur Erteilung von Religionsunterricht verpflichtet werden. Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG gewährt also dem Grundrechtsträger, der sich in eine besondere Nähe zum Staat begibt, das Recht, etwas zu unterlassen. Ein Recht des Lehrers auf Erteilung von Religionsunterricht folgt gerade nicht aus Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG,75 genauso wie aus Art. 12 Abs. 2 GG im Umkehrschluss kein Recht auf Arbeit folgt. 70

So auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 34; Germann, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 4 Rn. 100 ff.; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 187; siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 4 Rn. 54; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 4 Rn. 248 ff. 71 Vergleiche hierzu auch die Ausführungen zur Gründung öffentlich-rechtlich organisierter Bereinigungen durch den Grundrechtsträger, Kap. 3 A. IV. 4. c). 72 Da der Bürger in diesen Konstellationen kein Recht zum Tun hat, kann sein Unterlassen in diesen Konstellationen auch nicht durch ein Komplementärrecht (also durch die negative Freiheit) geschützt werden, sodass es einer speziellen Regelung des Unterlassungsschutzes in diesem Fall bedurfte. Der Regelungsgrund dieser Vorschriften nicht in dem Umstand, dass ein solches Tun des Bürgers keinen grundrechtlichen Schutz genießt und damit aus einem Recht, etwas zu tun, nicht ein komplementäres Recht, etwas zu unterlassen, ableiten lässt, sondern in dem Umstand, dass die Freiheitssphäre des Bürgers in dieser Konstellation besonders gefährdet ist, da er dem Staat in besonderer Weise ausgesetzt ist. Ausführlich mit weiteren Nachweisen siehe unter Kap. 3 IV. 4. c). 73 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 34. 74 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 34. 75 Umgekehrt folgt auch aus Art. 7 Abs. 2 GG kein Anspruch, Religionsunterricht erteilt zu bekommen. Muckel qualifiziert das exklusive benannte Unterlassungsrecht des Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG als Spezialfall des Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV, Muckel, in: Berliner Kommentar, GG, 26. Erg.-Lfg. IV/09, Art. 4 Rn. 29. Selbst unter der Prämisse, dass es sich bei Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG um eine Spezialform des Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV handelt, betrifft die­ ses Recht, eine derart spezielle Konstellation, in welcher der Grundrechtsträger sich in einer besonderen Nähe zum Staat befindet, in der er kein grundrechtlich geschütztes Recht auf ein bestimmtes Tun hat, also keinen Anspruch auf die Erteilung von Religionsunterricht hat. Ihm kann nur aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG ein Anspruch auf die Religionsausübung zustehen, welches aber in den Konstellationen besonderer Nähe zum Staat mitunter leichter eingeschränkt wer­ den kann. Aus Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG kann daher weder allgemein der grundrechtliche Schutz

B. Die speziellen Unterlassungsgrundrechte

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Ein Umkehrschluss, wonach die Grundrechte, die ein Tun schützen, zugleich auch ein Unterlassen schützen, ist ausgehend von diesen benannten Unterlassungs­ grundrechten grundsätzlich nicht möglich. Diese Rechte schützen exklusiv ein Unterlassen und kein (komplementäres) Tun des Grundrechtsträgers.76 Gleichzeitig sind diese benannten exklusiven Unterlassungsrechte77 auf Situationen beschränkt, in denen sich der Bürger in ein besondere Nähe zum Staat begibt,78 und demnach nicht in der Weise verallgemeinerungsfähig, dass sie den grundsätzlichen Wil­ len des Verfassungsgebers, ein Unterlassen beziehungsweise eine Handlung des Grundrechtsträgers schützen zu wollen, erkennen lassen. Diese spezielle benannten, exklusiven Unterlassungsgrundrechte können daher, unter der Prämisse der Anerkennung des grundrechtlichen Schutzes einer nega­ tiven Freiheit, die Anerkennung des unter dem Begriff der ‚negativen Freiheit‘ diskutierten Unterlassungsschutzes in den nicht explizit genannten Fällen nicht ausschließen. So sei beispielsweise der Unterlassungsschutz des Art. 12 Abs. 2 GG nicht in der Weise abschließend, dass der unter dem Begriff der negative Berufs­ freiheit verstandene grundrechtliche Verhaltensschutz gegenstandslos erschiene.79 Es sei vielmehr möglich, in die negative Berufswahlfreiheit einzugreifen, ohne dass zugleich der Zwang, eine bestimmte Arbeit aufzunehmen, ausgeübt werde.80 Detlef Merten führt als Beispiel hierfür etwa die staatliche Berufslenkung von Studierenden an, die entsprechend ihrer Begabung bestimmten Studienfächern und Bildungseinrichtungen zugewiesen würden.81 eines Unterlassens noch der grundrechtliche Schutz eines Unterlassens als Kehrseite des grundrechtlichen Schutzes eines Tuns hergeleitet werden. Diese Konstellation ist insoweit nur eingeschränkt vergleichbar mit der von Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV abgebildeten Situation. Schließlich betrifft Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV eine Situation, in der speziell das Recht zum Ver­ schweigen seiner religiösen Offenbarungen grundrechtlichen Schutz genießt, gleichzeitig aber auch die Offenbarung der eigenen religiösen Überzeugungen über Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützt wird. Hierzu ausführlich Kap. 1 B. II. 76 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 34. 77 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 34. 78 Beziehungsweise in der Konstellation des Art. 12 Abs. 2 GG diese besondere Nähe durch eine öffentlich-rechtliche Dienstleistungsvorschrift hergestellt wird. 79 Vergleiche Bachof, Freiheit des Berufes, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 155 (195); Merten, Die negative Garantiefunktion der ver­ fassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (288); zumal die Vorschrift sprachlich ungenau ist, so BVerfGE 74, 102 (116); siehe auch Scholz, in: Dürig /  Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 12 Rn. 488: „Bei näherem Zusehen ergibt sich jedoch, dass der Inhalt beider Gewährleistungen so unterschiedlich ist, dass es berechtigt ist, von zwei selbstständigen Grundrechten zu sprechen […]“; Ruffert, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 12 Rn. 137 ff., 141 f.; kritisch Uber, Freiheit des Berufs, 1952, S. 86 f. 80 Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbil­ dungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (288 f.). 81 Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbil­ dungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (288 f.). Auch das Verbot des Arbeitszwangs in Art. 12

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

II. Die benannten Komplementärgarantien Neben diesen exklusiven benannten Unterlassungsgrundrechten existieren al­ lerdings auch benannte Unterlassungsgrundrechte, die Komplementärgarantien82 normieren. Diese Rechte „bilden die Kehrseite der positiven Handlungsgrund­ rechte und ergänzen diese.“83 Aus einer Gesamtschau des der unter dem Begriff der positiven Freiheit und des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Verhaltensschutzes würde dann folgen, dass sowohl ein Tun als auch ein Unterlas­ sen des Bürgers, also sämtliche Handlungen des Grundrechtsträgers, grundrecht­ lichen Schutz genössen. Hätten diese benannten Komplementärgrundrechte nur einen rechtsbezeugenden, also einen deklaratorischen Charakter, stünden diese der Anerkennung des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Grund­ rechtsschutz in den unbenannten Fällen nicht entgegen. Aus diesem Grund gilt es im Folgenden zu untersuchen, ob die benannten Komplementärgrundrechte in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV84 konstitutive oder deklara­

Abs. 2 GG stehe der freien Wahl des Arbeitsplatzes nicht entgegen. Diese Regelungen stünden vielmehr in einem „aliud-Verhältnis“ (Merten, ebenda). Der Arbeitszwang kann die Zuweisung zu einem bestimmten Arbeitsplatz zwar einschließen, aber nicht jeder Arbeitszwang beein­ trächtigt zugleich die Arbeitsplatzwahl. Umgekehrt stellt auch nicht jeder Eingriff in die freie Wahl des Arbeitsplatzes einen Zwang zu einer bestimmten Arbeit dar, Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (292). Ein Beispiel sei das Niederlassungsgebot von Kassenärzten in ländlichen Regionen, um Versorgungsschwierigkeiten effektiv zu begegnen (ebenda, S. 293). Auch das Verbot der Berufsaufgabe in Art. 12a Abs. 6 GG stehe der Anerkennung der negativen Be­ rufsfreiheit nicht entgegen. Die Beschränkung gründe in der Vorstellung, dass der Staat im Verteidigungsfall mit den bisher im Verteidigungsbereich Arbeitenden auskomme, sich die Zahl der im Verteidigungsbereich Arbeitenden, in diesem Fall jedoch nicht weiter verklei­ nern dürfe (ebenda, S. 300). Vergleiche hierzu auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 12 Rn. 114 ff. 82 Unter dem Begriff der Komplementärgarantien werden die Grundrechte zusammenge­ fasst, die unstreitig ein Tun des Grundrechtsträgers schützen und daher als Gegenstück auch ein Unterlassen des Grundrechtsträgers schützen sollen. Zu dem Begriff siehe etwa Merten, Ne­ gative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42; ders., DÖV 1990, 761. 83 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 35. In diesem zeigt sich bereits, dass der Begriff der ‚positiven‘ Hand­ lung häufig als Synonym für ein Tun genutzt wird. Zu der Frage, ob ein Tun eine Handlung ist, wie dann eine ‚negative‘ Handlung zu verstehen ist ausführlich in Kap. 1 G. II. 1. 84 Die Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV sind ihrerseits Ausdruck eines bestimmten Freiheits­ verständnisses, vergleiche Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20 f. Da der „Freiheitsbegriff der Weimarer Reichsverfassung ein individualistischliberaler sei und die Freiheit des Tuns wie auch die Freiheit des Unterlassens umfasse […] garantiert[e] […] Art. 135 WRV (Bekenntnisfreiheit) […] auch die negative Seite der Freiheit, von der gewährten Möglichkeit keinen Gebrauch zu machen“. Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV, welche die negative Bekenntnis- und Kultusfreiheit zum Gegenstand haben sind daher Ausdruck eines bestimmten (liberalen) Vorverständnisses über die Funktion der Rechte des Bürgers, welches durch die Normierung dieser Vorschriften nur selten offenbart wird.

B. Die speziellen Unterlassungsgrundrechte

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torische Wirkung entfalten.85 Wären diese Rechte konstitutiver Natur, hätten die Komplementärgarantien einen rechtserzeugenden86 Charakter. Dann würden nur die über Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV inkorporierte ne­ gative Bekenntnis-87 und Kultusfreiheit verfassungsrechtlichen Schutz genießen, mit der Folge, dass der Bürger vor dem Zwang zum Bekenntnis „zu einer anderen als der eigenen Religion“88 sowie dem Zwang zum Wechsel des Bekenntnisses keinen speziellen verfassungsrechtlichen Schutz genösse. Der Bürger könnte sich in diesen Konstellationen dann allenfalls auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen. Der verfassungsrechtliche Schutz der negativen Freiheit wäre folglich nur punktuell über die benannten Komplementärgarantien gewährleistet. Ein all­ gemeines Konzept des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit für alle Freiheitsrechte wäre in diesem Fall abzulehnen. Inhaltlich wäre der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene Grundrechtsschutz des Grund­ rechtsträgers nur sehr schwach ausgestaltet. Dieser Schutz wäre rechtlich nur schwer durchzusetzen: Schließlich werden die über Art. 140 GG inkorporierten Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung in der abschließenden Aufzählung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nicht berücksichtigt, mit der Folge, dass der Grund­ rechtsträger nicht die Möglichkeit hätte, gegen die hoheitliche Maßnahme eine Verfassungsbeschwerde zu erheben.89 Die Funktion der Spezialregelungen beschränkt sich jedoch auf die Betonung von Freiheitsaspekten, deren ausdrückliche Sicherung sich historisch und entste­ hungsgeschichtlich als dringlich dargestellt hat.90 Die inkorporierten Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung haben nur einen deklaratorischen, rechtsbezeu­

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Hellermann sieht die Anerkennung einer negativen Kultus- und Bekenntnisfreiheit hingegen kritisch, da die inkorporierten Vorschriften außerhalb des ersten Abschnitts des Grundgesetzes stehen und damit ein „verfassungsrechtliches Kuriosum“ seien, keineswegs jedoch Grundrechte im formell verfassungsrechtlichen Sinne. Er lehnt es daher ab, dass die inkorporierten Gewährleistungen der Weimarer Reichsverfassung von Art. 4 GG erfasst seien, Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 73 ff., 118 ff., 172 ff., insbesondere 173. 86 Thombansen, Art.: Konstituivwirkung, in: ders. (Hrsg.), Rechtslexikon, 2018, abruf­ bar unter: https://research.wolterskluwer-online.de/document/48bea97b-ac46-401a-a637-f98a 7d05d6e3/explore/document/e72bbc87-545a-4542-8652-dc53d64d24d3; Hamacher, Deklara­ torische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, 2000, S. 7. 87 Zu dem Begriff ‚Bekenntnis‘ siehe bereits Fn. 38. 88 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 74. 89 BVerfGE 19, 129 (135); Germann, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 140 GG Rn. 6 f., der betont, dass die Erhebung der Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung der Vorschriften der Art. 136 Abs. 3, 4 WRV nur möglich sei, wenn der Bezug zu Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG hergestellt werde; so auch Ehlers, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 140 Rn. 3 ff. 90 Merten, DÖV 1990, 761 (764); ders., Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 37; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 162; Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 140 GG / A rt. 136 WRV Rn. 1, 4.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

genden Charakter.91 Sie ergänzen und konkretisieren Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG.92 Unter Berufung auf Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG kann der Grundrechtsträger eine Ver­ fassungsbeschwerde erheben und die Verletzung der negativen Bekenntnisfreiheit und der negativen Kultusfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Die Rechtslage ändert sich damit unabhängig vom Bestehen dieser Vor­ schriften nicht.93 Die negative Bekenntnisfreiheit und die negative Kultusfreiheit sind folglich bereits Bestandteil des Art. 4 Abs. 1, 2 GG und damit in ihrer recht­ lichen Wirkung nicht auf den Anwendungsbereich der Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV beschränkt. Dementsprechend stehen diese benannten Komplementärrechte nicht der Existenz unbenannter Komplementärrechte entgegen. Allerdings ist bei

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Zum Begriff deklaratorisch siehe etwa: Thombansen, Art.: Deklaratorische Wirkung, in: ders. (Hrsg.), Rechtslexikon, 2018, abrufbar unter: https://research.wolterskluwer-online.de/ document/48bea97b-ac46-401a-a637-f98a7d05d6e3/explore/document/e72bbc87-545a-45428652-dc53d64d24d3; Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 140 Rn. 15, Art. 140 GG / A rt. 136 WRV Rn. 4; siehe auch Ehlers, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 140 Rn. 2, 3; von Camphausen, JZ 1975, 349 (355); Muckel, Religiöse Freiheit und staat­ liche Letztentscheidung, 1997, S. 228 f.; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 56; Kästner, AöR 123 (1998), 408 (421); Herschel, BB 1963, 1220: „rechtsbelehrend“; H ­ amacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, 2000, S. 7 m. N.; siehe auch ­Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 218 f.; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 136 WRV Rn. 21 ff.; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 57, 176. 92 BVerfGE 30, 415 (426): „Dem trägt auch Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV Rechnung, der die bereits von Art. 4 GG mitumfaßte und in Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV besonders hervorgeho­ bene Freiheit, die religiöse Überzeugung zu verschweigen, u. a. zugunsten eines Fragerechts der staatlichen Behörden insoweit einschränkt, als von der Zugehörigkeit zu einer Religions­ gesellschaft Rechte und Pflichten abhängen.“; BVerfGE 46, 266 (267): „[…] die in Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG besonders hervorgehobene Freiheit, reli­ giöse Überzeugungen zu verschweigen“; BVerfGE 83, 341 (354); von Camphausen, JZ 1975, 349 (355); ders., Religionsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 50; Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 140 GG / A rt. 136 WRV Rn. 1, 4; Starck, in: von Mangoldt / K lein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 24; Hollerbach, AöR 92 (1967), 99 (125), der von besonderen Ausprägungen spricht; ders., VVDStRL 26 (1968), 57 (60); Germann, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 140 Rn. 12 f.; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 136 WRV Rn. 21 f.; ­Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 56 f.; Globig, ZRP 2002, 107; Ehlers, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 140 Rn. 3: „Die Weimarer Kirchenartikel seien funktional auf die Inan­ spruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit iSe Konkretisierung und Stärkung angelegt.“; Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2021, Art. 140 Rn. 17, 20; siehe auch ders., in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 51: „Das Recht, seine religiöse Überzeugung nicht offenbaren zu müssen, verbürgt ausdrücklich Art. 140 GG iVm Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV, der neben der Bekenntnisfreiheit in Art. 4 Abs. 1 allerdings nur deklaratorischen Charakter hat und auch in seinem Anwendungsbereich inso­ weit zurückbleibt, als er die negative Bekenntnisfreiheit nur für die religiöse, nicht aber für die weltanschauliche Überzeugung umfasst.“ 93 Hamacher, Deklaratorische und konstitutive Klauseln in Tarifverträgen, 2000, S. 8 m. N.; siehe auch Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2021, Art. 140 Rn. 17, 20: „Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV kommt daher keine eigenständige Bedeutung zu.“ (Zitat Rn. 17).

B. Die speziellen Unterlassungsgrundrechte

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dieser Argumentationsweise eine gewisse Vorsicht geboten, schließlich wird in­ direkt der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit damit vorausgesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass die Enumeration der benannten Unterlassungsgrund­ rechte im Grundgesetz abschließend ist, sind damit nicht ersichtlich.94 Die „von Inhalt und Umfang“ dieser speziellen Regelungen „unabhängige Tatsache“ des Bestehens benannter Komplementärgarantien steht der Anerkennung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit der Grundrechte in den unbenannten Fällen nicht entgegen,95 kann sie aber strenggenommen auch nicht begründen.

III. Zusammenfassung Die Existenz spezieller Unterlassungsfreiheiten im Grundgesetz steht der An­ erkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit grund­ sätzlich nicht entgegen.96 Die benannten exklusiven Grundrechte beziehen sich auf Konstellationen, in denen sich der Bürger in eine besondere Nähe zum Staat begeben muss, woraufhin ihm aufgrund der besonderen Gefährdung seiner Frei­ heitsphäre in diesen Bereichen ein besonderer Schutz der Möglichkeit, etwas zu unterlassen, zu gestanden wird. Die exklusiven benannten Unterlassungsgrund­ rechte betreffen Lebensbereiche, in denen ein Privater ohnehin nicht Möglichkeit zu einem Tun hat, da ein Privater nicht ohne staatlichen Beleihungsakt hoheitliche Tätigkeiten ausüben kann. Sie sind deshalb nicht verallgemeinerungsfähig und können den grundrechtlichen Schutz eines Unterlassens in den unbenannten Fällen nicht ausschließen. Die benannten Komplementärgarantien sind grundsätzlich nur deklaratorischer Natur und stehen der Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit demzufolge auch nicht entgegen. Es kann aller­ dings weder aus den benannten exklusiven Unterlassungsgarantien noch aus den benannten Komplementärgarantien allgemein der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit hergeleitet werden.

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Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 37. 95 Anders Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 161: „Schon die bloße, von ihrem Inhalt und Umfang unabhängige Tatsache des Bestehens solcher Gewährleistungen spricht gegen die Anerkennung einer negativen Seite der Handlungsrechte“. 96 Vergleiche auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 37: „aus einigen Negativrechten die generelle Ab­ stinenz unbenannter negativer Rechte ableitbar.“

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit aus der Entstehungsgeschichte der Grundrechte Auch die Grundrechte sind stark durch die historischen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen geprägt.97 Daher ist zur Herleitung des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit die Entstehungsgeschichte der Grundrechte heranzuziehen. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, ob und inwieweit positive und negative Freiheit durch die verfassungsgeschichtlichen Entwicklungen und / oder den Wandel des Verständnisses der Staatsrechtslehre zum Bestandteil der Grundrechte geworden sind.98 Dieses Verständnis der histo­ rischen Entwicklung des Grundrechtsschutzes ist unerlässlich, um die Bedeutung und den heutigen Gewährleistungsumfang des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit verstehen und reflektieren zu können.99 Schließlich sollen die speziellen Grundrechte gerade „die Freiheit menschlicher Betätigung für be­ stimmte Lebensbereiche, die nach den geschichtlichen Erfahrungen dem Zugriff der öffentlichen Gewalt besonders ausgesetzt sind“,100 besonders schützen.

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Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Einführung Rn. 41; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 7; Möllers, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, S. 160 ff.; Wienbracke, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 187; Wank, Juristische Metho­ denlehre, 2019, § 10 Rn. 1 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 347 ff.; Müller / Christensen, Juristische Methodik, 11. Aufl. 2013, S. 96 ff., Rn. 67d; Kloepfer, Verfas­ sungserfahrung und Verfassungsgestaltung, in: FS Leisner, 1999, S. 339 (339): „Verfassung ist die Arbeit von Jahrhunderten“; so auch ders., Verfassungsgebung als Zukunftsbewältigung aus Vergangenheitserfahrung, in: ders. / Merten / Papier et al. (Hrsg.), Kontinuität und Diskontinui­ tät in der deutschen Verfassungsgeschichte, 1994, S. 35; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 227 ff.; Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 85. 98 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 150; Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staats­ rechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 85; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 347 ff.; Wank, Juristische Methodenlehre, 1. Aufl. 2019, § 10 Rn. 1; Müller / Christensen, Juristische Methodik, 11. Aufl. 2013, S. 96 ff., Rn. 67d. 99 Vergleiche Mayer-Maly, in: Däubler / ders. (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 5 (6) der die über das bloße rechtshistorische Interesse hinausgehende Bedeutung der Rechtspre­ chung der Zwischenkriegszeit zur negativen Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit hervorhebt. Ähnlich auch im Kontext der negativen Religionsfreiheit Siering, Die negative Religionsfrei­ heit, 2011, S. 11. Auch wenn die historische Herleitung überwiegend mit Blick auf einzelne Freiheitsrechte erfolgt, zeigen sich möglicherweise Parallelen in der Entwicklung der einzelnen Grundrechte (etwa der Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit), die das Bedürf­ nis nach dem gleichrangigen Schutz von Tun und Unterlassen als Ausdruck des Wandels des Staatsverständnisses und des Menschenbildes nahelegen könnten. 100 BVerfGE 6, 32 (37).

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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I. Die historische Entwicklung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit bis ins 19. Jahrhundert Während sich die Leitgedanken einiger Grundrechte in der Verfassungsge­ schichte schon früh entwickelt haben, keimten die ersten Bestrebungen zum recht­ lichen Schutz von Tun und Unterlassen insbesondere in der Zeit des Frühkonstitu­ tionalismus auf. 1. Die Religionsfreiheit Die Historie der Religionsfreiheit reicht weiter zurück als die Entstehungsge­ schichte der übrigen Grundrechte.101 Ihre verfassungshistorische Entwicklung – gerade die der negativen Religionsfreiheit – ging mit dem fortschreitenden Säku­ larisierungsprozess einher.102 Ursprünglich existierte eine Trennung von Staat und Kirche nicht. Weltliche und kirchliche Ordnung waren eng miteinander verfloch­ ten.103 Der Staat bestimmte die Glaubenssätze, an denen die Bürger ihren Glauben und ihr Leben ausrichten mussten,104 und setzte das Staatsbekenntnis mit weltlicher Gewalt durch.105 Während das Befolgen der Glaubenssätze des Staatsbekenntnis­ 101

Siehe Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 3. Aufl. 1919, S. 46 ff. der vom „Urgrundrecht“ der Religionsfreiheit ausgeht. Dem folgend Böckenförde, Der säkulari­ sierte Staat, 2007; Lepsius, Leviathan 2006, 321 (322, 341 m. w. N.); Stolleis, Georg Jellineks Beitrag zur Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte, in: Paulson / Schulte (Hrsg.), Georg Jellinek – Beiträge zu Leben und Werk, 2000, S. 103; Zimmermann, Der Staat 30 (1991), 393; differenzierter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2015, § 4 Rn. 64; vergleiche auch von Camphausen, Religionsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 2; ähnlich Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 8, 65; siehe auch Hofer, Die ideengeschichtlichen Quellen der Grundrechte des Grund­ gesetzes, 2004, 60 f.; ähnlich auch Korioth, Religionsfreiheit, in: Vesting / ders. / Augsberg (Hrsg.), Grundrechte als Phänomene kollektiver Ordnung, 2014, S. 231, der die Religionsfrei­ heit zwar nicht als Urgrundrecht aber als „Idealtypus“ bezeichnet. Der Begriff des „Idealtypus“ stammt von Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 20 Fn. 31. 102 Häberle, Der Staat 57 (2018), 35 (51); Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 13; Scheuner, DÖV 1967, 585 (590). 103 Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 18; Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 1983, S. 9 ff.; Guggisberg, Wandel der Argumente für religiöse To­ leranz und Glaubensfreiheit im 16. und 17. Jahrhundert, in: Lutz (Hrsg.), Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, 1977, S. 454 (456, 457); von Camphausen / de Wall, Staatskir­ chenrecht, 4. Aufl. 2006, §§ 1, 3, S. 2, 6 ff. Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. / T homa (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (676). 104 Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, in: FS Kriele, 1997, S. 281 (296); Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 2 ff., 12 f. 105 Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, in: FS Kriele, 1997, S. 281 (296), der feststellt, dass die bewusste Inanspruchnahme der positiven Religions­ freiheit damit nahezu nie infrage stand; Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. / T homa (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (676); Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 13.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

ses, also die Inanspruchnahme der positiven Religionsfreiheit, für den Großteil der Bevölkerung, der sich mit dem Staatsbekenntnis identifizierte,106 grundsätzlich keinen staatlichen Restriktionen unterlag, war der Schutz der negativen Religions­ freiheit für die Minorität, die sich der Staatsreligion nicht zugehörig fühlte, umso bedeutsamer, um sich den staatlichen Zwängen zur Religionsausübung entziehen zu können.107 Ihnen verblieb regelmäßig nur die Möglichkeit, ihren Glauben im Geheimen zu praktizieren.108 Das historische Bedürfnis des Schutzes vor dem Zwang, die Glaubenssätze des Staatsbekenntnisses zu praktizieren, war daher für die Bürger deutlich höher, als es die Anerkennung eines Rechts auf die Ausübung des Staatsbekenntnisses war, wie es unter dem Begriff der positive Religionsfrei­ heit verstanden wird.109 Eine negative, den Bürger vor den staatlichen Glaubens­ zwängen schützende Religionsfreiheit existierte also zunächst nicht. Erst mit dem Thesenanschlag Martin Luthers setze im Jahr 1517 ein entschei­ dender Wandel in der Wahrnehmung von Kirche und Staat ein, der die verfas­ sungshistorische Entwicklung der negativen Religionsfreiheit maßgeblich beein­ flusste. Martin Luther prangerte in seinen 95 Thesen den Missbrauch des Handels mit Ablassbriefen durch die Kirche an und zog die Trennung von kirchlicher und weltlicher Ordnung als notwendige Konsequenz aus dem bisherigen Verhalten der Kirche.110 Die Reformation markierte – wenn auch unbeabsichtigt111 – einen Mei­ 106

Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 13. Das Staatsbekenntnis hat sich über die Jahre hinweg derart etabliert, dass die Bürger sich nicht nur mit diesem identifizierten, sondern sich im Glauben geborgen fühlten. Siehe auch Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, in: FS Kriele, 1997, S. 281 (296). 107 Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 13 f.; vergleiche auch Renck, JuS 1989, 451 (453, insbesondere Fn. 24); siehe auch Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalis­ mus, 2005, S. 248; von Camphausen / de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, § 12, S. 59 f.; die historische Idee der Religionsfreiheit liegt damit weniger in dem Gedanken einer rein in­ dividuellen Freiheit als in der Toleranz des Nebeneinanders freier religiöser Bekenntnisse, so von Camphausen, Religionsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 3; ähnlich auch Heckel, Zu den Anfängen der Religionsfreiheit im konfessionellen Zeitalter, in: FS Nörr, 2003, S. 349 (395 ff.). 108 Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 13. 109 von Camphausen / de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, § 12, S. 59 f.; Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 1983, S. 48; ders., Religionsfreiheit und Staatskir­ chenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: FS BVerfG, Bd. 2, 2011, S. 379 (399 f., insbesondere Fn. 76); Poscher, Der Staat 39 (2000), 47 ff.; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 13, 41; ähnlich der Befund von Dürig, Die negative Religionsfrei­ heit, 2018, S. 237; siehe auch Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 248. Die Bürger, welche nicht der Staatsreligion angehörten, hatten mit spürbaren Nachteilen zu kämpfen. 110 Bornkamm, Luthers Lehre von den zwei Reichen, 2. Aufl. 1960, S. 5 ff.; Hillgruber, DVBl. 1999, 1155 (1162); ebenfalls Willoweit / Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, 8. Aufl. 2019, § 15 Rn. 13; von Camphausen / de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, § 4, S. 9 ff.; allgemein zum Einfluss der Reformation auf die Entwicklung der Religionsfreiheit, siehe ­Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 13. 111 von Camphausen, Religionsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats­ rechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 7.

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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lenstein im Rahmen der verfassungshistorischen Entwicklung des unter dem Be­ griff der negativen Religionsfreiheit verstandenen Grundrechtsschutzes. Schließ­ lich war die Trennung von Staat und Kirche durch das Recht des Bürgers zur freien Religionswahl bedingt.112 Eine Religionswahl ist jedoch nur frei, wenn der Bürger einer anderen als der gewählten Religion nicht angehören muss, und setzt somit – zumindest mittelbar – das Recht des Bürgers, etwas zu unterlassen, voraus.113 Erste Ansätze zur rechtlichen Regelung der Religionswahlfreiheit wurden schließlich im Augsburger Religionsfrieden aus dem Jahr 1555 niedergeschrie­ ben:114 Während dem Landesherren das Recht gewährt wurde, die Konfession in seinem Staatsgebiet festzulegen (sog. ius reformandi),115 wurde im Augsburger Religionsfrieden zum Schutz des Bürgers gegen den staatlichen Zwang zur Reli­ gionsausübung das Recht zur Emigration vorgesehen (sog. ius emigrandi / beneficium emigrandi).116 Obgleich diese Regelungen des Augsburger Religionsfrie­

112

Ähnlich Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, S. 76; ­ äberle, Der Staat 57 (2018), 35 (42); Hillgruber, DVBl. 1999, 1155 (1162 f., 1164); zur Be­ H deutung der Reformation für die weitere Entwicklung der Religionsfreiheit, insbesondere für den Augsburger Religionsfrieden und den Westfälischen Frieden siehe Kremer, Der Westfä­ lische Frieden, 1989, S. 9 ff. sowie Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. / T homa (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (676), der betont, dass die echte Wahlfreiheit nicht das primäre Ziel der Reformation war, sondern bloß ein Neben­ effekt. 113 Schließlich unterlässt der Bürger, der sich frei für eine Religion entscheidet, zumindest unter der Prämisse der Exklusivität des Bekenntnisses es einen anderen Glauben auszuüben, so Kästner, JZ 1998, 975 (980); ähnlich auch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfrei­ heit, 2006, S. 191. Zu dieser Wechselbedingtheit von Tun und Unterlassen und der Frage, ob das Unterlassen infolge eines Tuns mit dem Unterlassen als solchem vergleichbar ist, siehe Kap. 1  E. II. 114 Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 19 ff.; Borowski, Die Glaubens- und Ge­ wissensfreiheit, 2006, S. 19 ff.; zur Bedeutung des Augsburger Religionsfriedens siehe auch Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 1983, S. 48; ders., Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: FS BVerfG, Bd. 2, 2011, S. 379 (400); Scholler, Die Freiheit des Gewissens, 1958, S. 46 sieht im Augsburger Religionsfrieden einen ersten reformatorischen Ansatzpunkt, der die verfassungsgeschicht­ liche Entwicklung der Glaubens- und Gewissensfreiheit entscheidend beeinflusst hat. 115 Vergleiche etwa Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 6: „Ein eindring­ liches Beispiel bietet das den Territorialherren im Augsburger Religionsfrieden 1555 garan­ tierte ius reformandi, das ihnen mit der Glaubenswahl zwischen römisch-katholischem und Augsburger Bekenntnis zugleich die zwangsweise Bestimmung der Religionsverhältnisse in ihrem Land garantierte (Religionsbann)“; ders., Rg 19 (2011), 72 (75 f.). Zu den damaligen Ver­ handlungen über den Augsburger Religionsfrieden ausführlich Paulus, Religionsfreiheit und Augsburger Religionsfriede, in: Lutz (Hrsg.), Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfrei­ heit, 1977, S. 17 ff.; allgemein zu den Regelungen des Augsburger Religionsfriedens Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 19 ff.; Willoweit / Schlinker, Deutsche Verfas­ sungsgeschichte, 8. Aufl. 2019, § 19 Rn. 3, S. 143; Hillgruber, DVBl. 1999, 1155 (1164). 116 Hillgruber, DVBl. 1999, 1155 (1164); Heckel bezeichnet dieses Recht als erste Grund­ rechtsgarantie Deutschlands, vergleiche Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralisti­ schen Verfassungsstaat, in: FS Kriele, 1997, S. 281 (294); Anschütz, Die Religionsfreiheit, in:

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

dens genauso wenig wie die Regelungen des Westfälischen Friedens von 1648117 ein umfassendes Wahlrecht für alle Bürger zwischen verschiedenen Religionen gewährten – sich lediglich die rechtliche Gleichstellung des Protestantismus und des Katholizismus anbahnte118 – können diese Regelungen als der „allererste“119 vorsichtige Schritte auf dem Weg zur einer Gewährleistung der Religionswahl­ freiheit und damit auch zur Anerkennung der negativen Religionsfreiheit120 ver­ standen werden, obgleich sie primär die Glaubensfreiheit der Obrigkeit und „nicht gegen die Obrigkeit“ bewirkten.121 Ein umfassender Schutz der Religionsfreiheit, insbesondere der Schutz von religiösen Minderheiten vor dem Zwang, sich der Staatsreligion unterwerfen zu müssen, wurde damit zwar nicht gewährt, allerdings

ders. / T homa (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (676 f.); Willoweit / Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, 8. Aufl. 2019, § 19 Rn. 4. Diese Rege­ lung war jedoch wenig effektiv, da die Untertanen im Falle der Emigration zur Zahlung einer Nachsteuer verpflichtet werden konnten, die der Großteil der Bevölkerung nicht aufwenden konnte. Viele Bürger waren daher gezwungen, weiterhin in dem Staatsgebiet zu bleiben und sich der Staatsreligion zu unterwerfen, Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 15; Dreier, Rg 19 (2011), 72 (76); Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 1983, S. 48; vergleiche auch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 20 m. w. N. Im Er­ gebnis regelte der Augsburger Religionsfrieden also gerade die Religionsfreiheit des Staats­ oberhauptes und nicht der Untertanen. 117 Der Westfälische Frieden erweiterte die Religionsfreiheit der Untertanen zwar insoweit, als dass der Landesherr tolerieren musste, „dass zu seinen Untertanen konfessionsverschiedene Personen gehörten“ (Dreier, Rg 19 (2011), 72 (76)). Diese Duldungspflicht des Landesherrn betraf jedoch keine Sekten, sodass im Ergebnis wie unter dem Augsburger Religionsfrieden keine echte religiöse Wahlfreiheit existierte. Zudem wurde weiterhin das Staatsbekenntnis privilegiert, vergleiche Dreier, Rg 19 (2011), 72 (76 f.); Borowski, Die Glaubens- und Gewis­ sensfreiheit, 2006, S. 21 f.; ausführlich zu den Religionsregelungen des Westfälischen Friedens Scholler, Die Freiheit des Gewissens, 1958, S. 51 ff.; siehe auch Stolleis, Geschichte des öf­ fentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, S. 226; ausführlich zum Westfälischen Frieden siehe auch Kremer, Der Westfälische Frieden, 1989, S. 16 ff.; vergleiche auch Siering, Negative Religionsfreiheit, 2011, S. 17. 118 von Camphausen, Religionsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats­ rechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 14 f.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, S. 226: „Die Reformierten wurden, was 1555 und 1635 noch nicht geschehen war, in den Religionsfrieden einbezogen, und zwischen Katholiken auf der einen, Lutheranern und Reformierten auf der anderen Seite sollten künftig ‚genaue und gegenseitige Gleichheit‘ (aequalitas exacta mutuaque) herrschen […]“; vergleiche auch Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. / T homa (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (676 f.): „Glaubenszweiheit“; Häberle, Der Staat 57 (2018), 35 (42); kurz Dreier, Säkularisierung und Sakralität, 2013, S. 17. 119 Dreier, Rg 19 (2011), 72 (75) spricht von „allerersten Ansätzen von religiösen Freiheits­ garantien.“ 120 Dreier, Rg 19 (2011), 72 (76); Heckel, Vom Religionskonflikt zur Ausgleichsordnung, 2007, S. 10 spricht mit Blick auf das ius emigrandi von einer „beschränkte[n] Religionsfrei­ heit gegen obrigkeitliche Zwangsbekehrung.“ 121 Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 6: „Glaubensfreiheit nicht gegen die Obrigkeit, sondern der Obrigkeit“; vergleiche auch Heckel, Ius reformandi, in: FG Seebaß, 2002, S. 75 (76 f., 98).

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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ist die Erkenntnis, dass es einer freien Wahl der Religion bedarf, Grundvoraus­ setzung der Überlegung, neben der positiven Religionsfreiheit auch die negative Religionsfreiheit zu schützen. Deutlich bedeutsamer für die Entwicklung der negativen Religionsfreiheit war die liberale Haltung Preußens gegenüber religiösen Minderheiten.122 Als erster Staat akzeptierte Preußen die konfessionelle Pluralität.123 So wurde in § 1 EALR klargestellt, dass „[d]ie Begriffe der Einwohner des Staats von Gott und göttli­ chen Dingen, der Glaube und der innere Gottesdienst […] kein Gegenstand von Zwangsgesetzen seyn“ können.124 Die Bürger waren damit nicht nur in der Ent­ scheidung frei, welcher Konfession sie angehörten beziehungsweise welchen Glau­ ben sie wählten, sondern konnten auch frei darüber bestimmen, dieses Bekenntnis öffent­lich oder zurückgezogen „im Verborgenen“ zu praktizieren.125 Dabei waren die Bürger in ihrer Religionswahl nicht nur auf den Katholizismus oder den Pro­ testantismus beschränkt, sondern konnten jede beliebige Religion praktizieren.126 Der unter dem Begriff der negativen Religionsfreiheit verstandene Verhaltens­ schutz wurde also erstmals 1794, zu einem Zeitpunkt, zu dem die Trennung von Staat und Kirche noch nicht vollzogen war, im Preußischen Allgemeinen Land­ recht gesetzlich verankert.127

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Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 65; Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. / Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (677 ff., 679); Scholler, Die Freiheit des Gewissens, 1958, S. 55 ff.; Hilker, Die Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 126; Willoweit / Schlinker, Deutsche Verfassungsgeschichte, 8. Aufl. 2019, § 26 Rn. 13; von Camphausen, Religionsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.); Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 21 ff.; Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 23; vergleiche auch Dreier, Rg 19 (2011), 72 (77 f.). 123 Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 23; gerade Friedrich der Große engagierte sich für die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften und von Sekten, so Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 18; zur liberalen Einstellung Friedrichs des Großen siehe auch Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, 1891, S. 77 ff. 124 Hattenhauer, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 1994, S. 549. 125 Vergleiche auch § 3 EALR „Niemand ist schuldig, über seine Privatmeinung in Reli­ gionssachen Vorschriften vom Staat anzunehmen.“ abgedruckt bei Hattenhauer, Allgemei­ nes Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 1994, S. 549; vergleiche auch §§ 4 bis 6, 40 und 41 EALR abgedruckt ebenda, S. 549 f.; insgesamt zeigen die Vorschriften des EALR eine für die damalige Zeit außergewöhnlich tolerante Haltung gegenüber Andersgläubigen, so bereits Hilker, Die Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 126. Die „völlige Religionslosigkeit“ wurde jedoch nicht geschützt, vergleiche von Camphausen, Re­ ligionsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 26; Dreier, Rg 19 (2011), 72 (78). Zu der Frage, ob die negative Freiheit grundsätz­ lich auch das Recht der Meinungs-, Glaubens- oder Gewissenslosigkeit einschließt, ausführ­ lich unter Kap. 3 A. III. 1. 126 Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, 1891, S. 77 ff.; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 18 f. 127 Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. / Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staats­ rechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (678); Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 18 f. In

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Das Preußische Allgemeine Landrecht setzte damit maßgebliche Impulse für die Entwicklung der (negativen) Religionsfreiheit128 und das heutige Verständnis des Art. 4 GG.129 2. Die Vereinigungsfreiheit Die Entwicklung der Idee einer negativen Vereinigungsfreiheit wurde vor allem durch die Geschehnisse im frühen 19. Jahrhundert geprägt.130 So regelte das Preu­ ßische Allgemeine Landrecht von 1794 nicht nur die negative Religionsfreiheit, sondern normierte auch erstmals das Recht, aus einer Korporation auszutreten. § 182 EALR gewährte jedem „Mitglied einer Corporation“ das Recht, „dieselbe nach Gutbefinden wieder verlassen“131 zu können. Friedrich Müller qualifiziert dieses Austrittsrecht als einen ersten Schritt in Richtung Anerkennung des Schut­ zes der negativen Vereinigungsfreiheit. Schließlich habe der Bürger durch dieses Recht die Möglichkeit, die Betätigung in der Korporation zu unterlassen, und sich dieser insoweit zu entziehen.132 Allerdings waren die Grundsätze des Preußischen Allgemeinen Landrechts auf andere Vereinigungen als Korporationen, wie zum Beispiel Vereine, nicht über­ tragbar. Schließlich unterschieden sich Korporationen und Vereine in ihrem Wir­ ken und ihrem Einfluss auf ihre Mitglieder wesentlich:133 Während Korporationen Teilverbände des Staates waren, also durch Hoheitsakt gegründet wurden, standen die Gründung, Tätigkeit und Auflösung von Vereinen zur Disposition der Bürger.134 Vereine waren also – im Gegensatz zu den staatlichen Korporationen – als privat organisierte, interessenorientierte, freiwillige Zweckvereinigungen konzipiert.135 Folglich kann der Ansatz des Preußischen Allgemeinen Landrechts lediglich als Idee einer liberal konzipierten und damit auch den Schutz des Unterlassens um­ der darauffolgenden historischen Entwicklung war die Anerkennung der negativen Religions­ freiheit durch den fortschreitenden Säkularisierungsprozess geprägt, siehe etwa Kap. 1 C. II. und III. 128 Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. / Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staats­ rechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (677); Bates, Glaubensfreiheit, 1947, S. 304 f. 129 Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 19. 130 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 17, 231 ff., 344. 131 Hattenhauer, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 1994, S. 438; Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 238; ihm folgend Etzrodt, Der Grundrechts­ schutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 9. 132 Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 9. 133 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 238; zum Begriff der Korporation und Ver­ eine vergleiche ebenda S. 15 ff.; ihm folgend Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 9. 134 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 15 ff., 238; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 9. 135 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 238; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 9.

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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fassenden Vereinigungsfreiheit verstanden werden,136 nicht aber als historischer Ursprung der negativen Vereinigungsfreiheit. Spätestens die Auflösung der Zwangszusammenschlüsse und der Abbau „über­ kommener“ korporativer Zwangsrechte137 durch die Reformen von Heinrich Fried­ rich Karl vom und zum Stein und Karl August von Hardenberg in den Jahren 1806 bis 1811 seien – so Friedrich Müller138 – historisch der Ausgangspunkt einer negativen Vereinigungsfreiheit.139 Die Reformen von Stein und Hardenberg wa­ ren jedoch primär wirtschaftlich motiviert.140 Sie sollten durch das Zulassen und Stärken von Konkurrenz den wirtschaftlichen Wettbewerb fördern.141 Das Recht, einer Korporation fernzubleiben, war insoweit weniger Ausdruck der Absicht, Außenseiter zu schützen, als vielmehr eine unbeabsichtigte, mittelbare Reflex­ wirkung der Förderung des Wettbewerbs durch Konkurrenz. Daher können auch die Reformen von Stein und Hardenberg nicht im engeren Sinne als historische Idee einer negativen, den Außenseiter schützenden Vereinigungsfreiheit verstanden werden – zumal die Freiheiten des Allgemeinen Preußischen Landrechts und der Stein-/­Hardenbergschen Reformen zeitnah wieder verworfen wurden.142 Historisch kann daher in der Erkenntnis, dass die Freiwilligkeit des Zusam­ menschlusses tief im Wesen der Vereinigungen verankert ist, die Idee eines das Handeln des Grundrechtsträgers im Kontext von Vereinigungen umfassend schüt­ zenden Freiheitsrechts gesehen werden. Schließlich setzt die Gründung privater Vereinigungen die Zustimmung der Mitglieder voraus, sodass im Umkehrschluss auch das Recht zum Austritt in ihrem „Erbgut“ angelegt sein muss.143 Die histo­ rische Verwurzelung des unter dem Begriff der negativen Vereinigungsfreiheit 136

Vergleiche hierzu auch die liberalen Tendenzen des Preußischen Allgemeinen Landrechts in Bezug auf die Religionsfreiheit (§§ 1 bis 6, 40, 41 ALR), siehe Kap. 1 C. I. 1.; so auch Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 18 Fn. 46. 137 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 231 ff.; vergleiche auch Etzrodt, Der Grund­ rechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 9 ff.; Kleine-Cosack, Berufsständi­ sche Autonomie, 1986, S. 144; Pietzcker, JuS 1985, 27 (29). 138 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 238. 139 Vergleiche § 6 und § 14 des Gewerbepolizeigesetzes vom 7. September 1811. Während § 6 dem Gewerbetreibenden den Beitritt in eine Zunft wie auch das Fernbleiben von einer Zunft freistellte, gestand § 14 dem Zünftigen das Recht zu, die Zunft jederzeit wieder verlassen zu können, siehe hierzu Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 235 und Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 10. 140 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 235 f.; Waldecker, Die Vereins- und Ver­ sammlungsfreiheit, in: Anschütz / Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, Bd. 2, § 104, S. 637 (638). Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 152 f. will diese historischen Entwicklungen daher der Entstehung von Berufs- und Gewer­ befreiheit sowie der Freizügigkeit zu ordnen. 141 Fehrenbach, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress, 5. Aufl. 2008, S. 109 ff.; ­Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, 2013, S. 33 ff. 142 Dies geschah vor allem durch die die Karlsbader Beschlüsse 1819 und durch die Bundes­ beschlüsse 1832 so Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 153. 143 Ausführlich zu der Frage, ob das Kriterium der Freiwilligkeit Ausgangspunkt der An­ erkennung einer negativen Vereinigungsfreiheit sein kann in Fn. 1185.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

verstandenen Grundrechtsschutzes im Gedanken der Freiwilligkeit überzeugt al­ lerdings nicht vollends. Die historische Entwicklung der negativen Vereinigungs­ freiheit im frühen 19. Jahrhundert spricht damit zwar nicht gegen die Anerkennung einer negativen Vereinigungsfreiheit, jedoch kann der historische Ursprung eines das Handeln des Menschen im Kontext von Vereinigungen umfassend schützenden Grundrechts nicht in diesen Entwicklungen gesehen werden. 3. Die Koalitionsfreiheit Es gilt im Folgenden, die verfassungshistorische Entwicklung der Koalitions­ freiheit mit Blick auf ihren Einfluss auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit zu untersuchen. Obgleich sich die ersten Koalitionen bereits im 13. und 14. Jahrhundert bildeten, stagnierte die Entwicklung der Koalitionsfreiheit bis weit ins 19. Jahrhundert, bedingt durch die koalitionsfeindliche Gesetzgebung in Deutschland.144 Die historische Entwicklung der (negativen) Koalitionsfreiheit begann daher im Wesentlichen erst mit der Aufhebung der Koalitionsverbote.145 Wegen der skeptischen Grundhaltung der Gesellschaft gegenüber Koalitionen sollte die Freiheit des Individuums, nachdem sie gegen den Staat erkämpft wurde, nicht der Gefahr ausgesetzt sein, durch „soziale Gewalten“ wie Koalitionen be­ schränkt zu werden.146 Die historische Entwicklung der Koalitionsfreiheit war da­ her maßgeblich durch das Vordringen sozialer und liberaler Gedanken bedingt.147 Dem liberalen Vorbild Preußens148 folgend war der Norddeutsche Bund Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur bestrebt, gegen den Zunftzwang vorzugehen, sondern gab mit Erlass der §§ 152, 153 GewO im Wesentlichen den rechtlichen Rahmen der Koalitionsfreiheit vor.149 § 152 GewO, der ab 1872 für das gesamte Deutsche 144 Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grund­ rechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (423); Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 9. Die Koalitionsverbote sind ein Resultat des Einsatzes der Organisationen zum Arbeitskampf (ebenda, S. 9). Mit gewisser Vorsicht gegenüber der Einordnung von Zünften und Gesellenver­ bänden als Vorläufer der Koalitionen, da sie nicht auf dem Prinzip assoziativer Mitgliedschaft beruhen, Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 22. 145 Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 22; Hellermann, Die so­ genannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 154. 146 Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grund­ rechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (423); zur Koalition als „soziale Macht“ siehe auch Biedenkopf, JZ 1961, 346. 147 Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grund­ rechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (423). 148 Volkmann, Die Arbeiterfrage im preußischen Abgeordnetenhaus 1848–1849, 1968, S. 184. Auch Rupert Scholz sieht die wesentlichen Wurzeln der Koalitionsfreiheit im Liberalismus, vergleiche Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 29. 149 Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 14; Biedenkopf, JZ 1961, 346; Kittner, Arbeit und Rechtsgeschichte 2018, G 9 mit dem Hinweis, dass das Koalitionsverbot für einige Berufsgruppen, wie Eisenbahner, Landarbeiter und Beschäftigte im öffentlichen Dienst, erst später mit der Novemberrevolution 1918 entfallen ist.

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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Reich galt, regelte sowohl das Recht, Koalitionen zu bilden, als auch das Recht, aus einer Koalition auszutreten.150 Die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses zu einer Koalition sollte zusätzlich durch die Strafbarkeit des Zwangs durch Gewalt, Drohung oder Ehrverletzung zum Anschluss an eine Koalition durch § 153 GewO abgesichert werden.151 Dem ersten Anschein nach gewährten diese GewO-­Vorschriften damit zwei Teilaspekte, das Austritts- und das Fernbleibe­ recht, die nach unserem heutigen Verständnis des Grundrechtsschutzes von posi­ tiver und negativer Freiheit als Ausprägungen der negativen Koalitionsfreiheit verstanden werden können. Daher könnte die maßgeblich durch das Engagement von Arbeitnehmer- als auch von Arbeitgebergewerkschaften nach dem ersten Welt­ krieg, der die koalitionsfeindliche Einstellung des Kaiserreichs weiter gelockert hat,152 bewirkte153 Aufhebung des § 153 GewO gegen den Willen der Bevölkerung, eine negative Koalitionsfreiheit anzuerkennen, sprechen.154 Die liberale Grundidee des § 153 GewO, Streik und Boykott straffrei zuzulassen, wurde in der Rechtspraxis allerdings regelmäßig nicht berücksichtigt.155 Vor allem § 153 GewO wurde sowohl zulasten des einzelnen Arbeitnehmers als auch zulasten der übrigen Gewerkschaften eingesetzt, um ein Erstarken der sozialen Mächte aus Furcht vor einer Bedrohung der Staatsautorität156 zu verhindern.157 Bereits leichtere

150

Bührig, WWI-Mit. 1954, 187 ff. Dabei ging der Schutz des § 152 Abs. 2 GewO so weit, dass er die Koalitionen klaglos stellte und ihnen keine Möglichkeit zur Verhinderung des Austritts gab. Siehe Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Schutzgut, 2005, S. 65; Groh, NZfA 1925, 1 (5 f.). 151 Vergleiche Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 14. 152 Die Reichsregierung war nach dem zweiten Weltkrieg stark auf die Gewerkschaften an­ gewiesen. Dies wurde von den Gewerkschaften für den Kampf gegen § 152, 153 GewO ge­ nutzt, siehe Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (424). 153 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 155. Hierbei galt der Kampf der Arbeitnehmergewerkschaften aus den oben genannten Gründen vor allem der Vorschrift des § 153 GewO; der Kampf der Arbeitgebergewerkschaften richtete sich dem­ gegenüber vor allem gegen die Vorschrift des § 152 Abs. 2 GewO. Schließlich gefährdete das Austrittsrecht den Zusammenhalt der Mitglieder und damit die Wirksamkeit der Vereinigung, kann sich das Gewerkschaftsmitglied jederzeit der Vereinigung entziehen; siehe ­Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 19; Kittner, Arbeit und Rechts­ geschichte 2018, G 9; Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertrags­ freiheit, 2018, S. 9; siehe auch Nipperdey, Koalitionsrecht, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 3, 1930, S. 385 (421) im Kontext der Diskussion, ob Art. 159 WRV auch die negative Koalitionsfreiheit schützt. 154 Kastner, AuR 1953, 161 (162 f.); Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrecht 2/1, 7. Aufl. 1967, S. 156. 155 Kittner, Arbeit und Rechtsgeschichte 2018, G 9 (G 11); Asmus, Die negative Vereinigungs­ freiheit des Art. 159 WRV, 1933, S. 20 ff. 156 Biedenkopf, JZ 1961, 346. 157 Volkmann, Die Arbeiterfrage im preußischen Abgeordnetenhaus 1848–1869, 1968, S. 195; Legien, Das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter in Theorie und Praxis, 1899, S. 29 ff.; ­Kittner, Arbeit und Rechtsgeschichte 2018, G 9 f.; Diekhoff, DB 1959, 1141: „Der Schutz galt

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Disziplinierungsmaßnahmen der Gewerkschaften führten zur Strafbarkeit nach § 153  GewO, mit der Folge, dass die Koalitionen und Gewerkschaften faktisch ihre Wirkmacht verloren. Schließlich sind Koalitionen auf gewisse Disziplinie­ rungsmöglichkeiten angewiesen. Ein gemeinsames, einheitliches Auftreten der Koalitionsmitglieder ist erforderlich, um ihren Forderungen und Zielen Nachdruck zu verleihen.158 Deshalb müssen sie Querulanten im Einzelfall zur Räson bringen können.159 So löste etwa die Bezeichnung eines Gewerkschaftsmitglieds seines Ge­ werkschaftskollegen als „Streikbrecher“, weil er an einem von der Gewerkschaft organisierten Streik nicht teilgenommen hatte, die Strafbarkeit nach § 153 GewO aus.160 § 153 GewO wurde daher in der Rechtspraxis faktisch dazu genutzt, die positive Koalitionsfreiheit zu beschränken. Diese Vorschriften waren also weniger Vorstufe einer negativen Koalitionsfreiheit als vielmehr Vorstufe eines Koalitions­ verbotes. Der Schutz eines „Außenseiters“,161 der keiner Koalition beitreten wollte, durch diese extensive Handhabung des § 153 GewO in der Rechtspraxis war ledig­ lich eine unbeabsichtigte Reflexwirkung.162 Die ursprüngliche liberale Idee dieser

also nicht dem Individuum, dem einzelnen Arbeitnehmer, sondern dem Staat selbst […]“; Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (454 f.); vergleiche auch Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebs­ normen, 1992, S. 157 f. 158 Etzrodt weist darauf hin, dass Koalitionen auf ein gewisses Maß an Druck angewiesen sind, damit alle Koalitionsmitglieder an einem Strang ziehen, Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 30. 159 Zu diesem Gedanken bereits Nipperdey, Koalitionsrecht, in: ders. (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 3, 1930, S. 385 (421); Biedenkopf, JZ 1961, 346. 160 Kittner, Arbeit und Rechtsgeschichte 2018, G 9 (G 10 Fn. 11) unter Bezugnahme auf ­Nestriepke, Das Koalitionsrecht in Deutschland, 1912, S. 117, der das Schöffengericht Düssel­ dorf 12. 02. 1912 zitiert. Exemplarisch zur extensiven Rechtsprechung Nestriepke, Das Koali­ tionsrecht in Deutschland, 1914, S. 114 ff. Verhaltensweisen der Arbeitgeber, die dem Kampf gegen die Arbeitnehmergewerkschaften dienten, wurden vom Staats deshalb ein höheres Maß an Toleranz entgegengebracht. Siehe RGZ 51, 369; 57, 418; vergleiche auch das Zitat der „Arbeitgeberzeitung“ vom 14. 07. 1907: „[…], dass es verboten ist, einen Arbeiter zum Ein­ tritt, aber erlaubt, ihn zum Austritt aus der Organisation zu zwingen“ (Herv. i. O.), zitiert nach ­Kittner, Arbeit und Rechtsgeschichte 2018, G 9 (G 10). Vergleiche auch Schmidt-­Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, 1992, S. 158 m. w. N., der darauf hinweist, dass § 152 Abs. 2 GewO die Gewerkschaften „klaglos stellte“, „[d.]h. die Gewerkschaften besaßen keiner­ lei rechtliche Grundlage, um Ansprüche aus dem solidaren Zusammenschluss, nicht einmal auf Zahlung der Mitgliedsbeiträge, gegenüber einzelnen Arbeitern rechtsförmig durchzusetzen.“ Die Gewerkschaftsarbeit wurde also durch § 152 Abs. 2 und § 153 GewO erheblich erschwert. 161 Vergleiche Nipperdey, Koalitionsrecht, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grund­ pflichten der Reichsverfassung, Bd. 3, 1930, S. 385. (420 f.); anders Däubler, in: ders. / MayerMaly (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 26 (27) der von dem „weitestgehenden Schutz des Außenseiters“ spricht; differenzierter Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, 2018, S. 9 f. 162 Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.); Die Grund­ rechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (455); im Ansatz auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 69; differenzierter Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, 2018, S. 9 f.

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

53

Vorschrift des § 153 GewO, den Außenseiter zu schützen, trat folglich hinter dem Bestreben, das Anwachsen mächtiger Koalitionen zu vermeiden, zurück.163 Somit kann in der Aufhebung dieser Vorschrift keine historische Entscheidung gegen den Grundrechtsschutz der negativen Koalitionsfreiheit gesehen werden.164 Das Engagement der Gewerkschaften, insbesondere gegen § 153 GewO, wurde da­ mit in erster Linie von dem Ziel der Anerkennung einer positiven Freiheit getragen. Der Austritt aus und das Fernbleiben von einer Koalition stand – vielleicht auch mangels wirkmächtiger Koalitionen, welche die Politik und Rechtsprechung durch den ‚geschickten‘ Einsatz des § 153 GewO zu verhindern wussten – nicht im Fokus der historischen Entwicklung der Koalitionsfreiheit. Der Leitgedanke der §§ 152, 153 GewO zeigt jedoch, dass eine liberal verstandene Koalitionsfreiheit auch ein Austritts- und ein Fernbleiberecht umfasst. 4. Die Berufsfreiheit Auch die Grundidee unseres heutigen Verständnisses der Berufsfreiheit wurzelt im frühen 19. Jahrhundert.165 Selbst in dieser Periode des wirtschaftlichen Libera­ lismus waren die Berufe noch starken Restriktionen unterworfen,166 obgleich sich zunehmend Tendenzen zum Schutz des Bürgers vor einem staatlichen Berufszwang abzeichneten.167 Besonders deutlich lassen sich diese Entwicklungen am Beispiel der Ausbildungsfreiheit illustrieren: Nach den Freiheitskriegen gab es Strömun­ gen, die gegen den Zwang zum Studium eines bestimmten Faches oder an einem bestimmten Ort vorgingen.168 Auch wenn nennenswerte Weiterentwicklungen der Berufsfreiheit in der Folgezeit nicht stattfanden, würde es den Blick auf die Grund­ 163

Etwas strenger Henssler / Höpfner, die wegen der extensiven Handhabung des § 153 GewO praktisch nur die negative Koalitionsfreiheit als geschützt ansahen, dies., Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, 2018, S. 9: „Die Selbstbestimmung des Einzelnen wurde durch das Nötigungsverbot des § 153 GewO 1869 vor einer Bevormundung durch die Koali­ tionen geschützt. Im Ergebnis wurde in dieser zweiten Phase allein die negative Koalitions­ freiheit gewährleistet, während die Koalitionsbetätigung sogar strafrechtlich sanktioniert war.“ 164 Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grund­ rechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (424 f.); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 155; ähnlich auch Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschafts­ zugehörigkeit, 1966, S. 54. 165 Schmidt, in: ErfK, 22. Aufl. 2022, Art. 12 GG Rn. 2; vergleiche § 29 für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 abgedruckt bei Huber, Dokumente zur Deutschen Ver­ fassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl. 1961, S. 174; § 28 Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen vom 4. September 1831 abgedruckt ebenda S. 228. 166 Bachof, Freiheit des Berufes, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grund­ rechte, Bd. 3/1, 1958, S. 155 (158). 167 Wieland, Die Freiheit des Rundfunks, 1984, S. 213 f., 216. 168 Vergleiche Bergsträßer, AöR 1914, 3. Beilagenheft, S. 10 f.; Merten, Die negative Garan­ tiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungs-freiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (295).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

rechte künstlich verkürzen, wenn diese historische Wurzel des unter dem Begriff der negativen Auswahlfreiheit verstandenen Verhaltensschutzes im Kontext der Berufsfreiheit unberücksichtigt bleiben würde.169 5. Zusammenfassung Die Motive des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit sind durch einen Wandel von Gesellschaft und Staatsverständnis geprägt. Insbesondere in Preußen fanden viele dieser liberalen Gedanken, die die Grundlage unseres Verständnisses von positiver und negativer Freiheit bilden, zumindest Anklang. Preußen war daher in vielerlei Hinsicht verfassungshistorischer ‚Trendsetter‘170. Die Idee des umfassenden grundrechtlichen Schutzes menschlicher Handlun­ gen, wie er unter der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit verstanden wird, befand sich zwar vielfach noch in ihren Anfängen,171 169

Ausführlich zur negativen Auswahlfreiheit Kap. 3 A. III. 2. Vergleiche auch Dreier, Rg 19 (2011), 72 (78), der in Bezug auf die Religionsfreiheit von einer „Vorreiterrolle“ Preußens spricht; vergleiche auch Korioth, Vom institutionellen Staats­ kirchenrecht zum grundrechtlichen Religionsverfassungsrecht? Chancen und Gefahren eines Bedeutungswandels des Art. 140 GG, in: FS Badura, 2004, S. 727 (735). 171 Vereinzelt wird versucht, aus der historischen Entwicklung der Ein- und Ausreisefreiheit ein negatives Freizügigkeitsrecht herzuleiten, schließlich wurde zwischen Ein- und Ausreise­ freiheit nur selten differenziert, Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 109 f.; vergleiche auch Eichenhofer, ZAR 2013, 135 (136) der betont, dass Ein- und Ausreisefreiheit beide mit der Aufhebung der „feudalen Bindungen einer Person an ein Gebiet“ verbunden sind. Die Ausreisefreiheit wird deshalb vereinzelt als negatives Freizügigkeitsrecht verstan­ den. Da die Wegzugs- beziehungsweise Ausreisefreiheit deutlich vor der Freizügigkeit inner­ halb des Staatsgebietes in die Landesverfassungen aufgenommen wurde, wäre – soweit man diese Rechte als negative Freizügigkeitsrechte versteht – die negative Freiheit noch vor der positiven Freiheit Niederschlag in den landesrechtlichen Verfassungen verankert gewesen (ver­ gleiche § 24 Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 abgedruckt bei Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl. 1961, S. 174; § 29 Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen abgedruckt ebenda, S. 228; aus­ führlich Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 110 Fn. 121 m. w. N.; Rohmer, Freizügigkeit und Freiheit des Erwerbs von Grundstücken, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grund­ rechte und Grundpflichten, 1929, Bd. 1, S. 232 (233); vergleiche auch den Gedanken sog. ius emigrandi des Augsburger Religionsfriedens von 1555, der den Bürgern vermeintlich das Recht auszuwandern gewährte, siehe unter Kap. 1 C. I. 1. Allerdings sind nach überwiegender Auf­ fassung Ausreise- und Einreisefreiheit verschiedene Rechte, sodass die Ausreisefreiheit nicht als negatives Pendant der Einreisefreiheit qualifiziert werden kann, BVerfGE 6, 32 (34 ff.); 72, 200 (245); Eichenhofer, ZAR 2013, 135; Kunig / Graf von Kielmansegg, in: von Münch / Kunig, 7. Aufl. 2021, Art. 11 Rn. 32; Durner, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021; Art. 11 Rn. 101 f.; Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 493; Wollenschläger, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 11 Rn. 31; Hofmann, Die Ausreisefreiheit nach Völkerrecht und staatlichem Recht, 1988, S. 195 f.; Gusy, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018 Art. 11 Rn. 40; Hamdan, JA 2019, 165 (167 f.); Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rn. 3. Daher sind diese landesverfassungsrechtlichen Regeln der Ausreisefrei­ heit nicht der historische Ursprung eines negativen Freizügigkeitsrechts. 170

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

55

gewann aber im Laufe der Zeit mit den immer stärker werdenden liberalen Strö­ mungen an Bedeutung, wie die Entwicklung der negativen Religionsfreiheit und des § 153 GewO zeigt.

II. Die Einflüsse der Paulskirchenverfassung auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit Um der besonderen Bedeutung der Paulskirchenverfassung172 für unser Grund­ rechtsverständnis gerecht zu werden, ist ihr Einfluss gesondert zu untersuchen. Die Paulskirchenverfassung ist ein Meilenstein der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Ihre Regelungen waren maßgeblich durch liberale Ideen geprägt. So war es das An­ liegen der Frankfurter Nationalversammlung – geprägt durch die Ideen der ame­ rikanischen und französischen Revolutionen173 –, eine Verfassung zu erlassen, die dem Individuum einklagbare subjektive öffentliche Rechte gewährt und ihn so vor der Unterdrückung durch den Staat schützt.174 Daher überrascht es kaum, dass der unter einer negativen Religionsfreiheit verstandene grundrechtliche Verhaltens­ schutz 1848 erstmals ausdrücklich in den Text einer Verfassung, der Paulskirchen­ verfassung, aufgenommen wurde.175 So verfügte § 148 FRV, dass „[n]iemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden“176 dürfe. Diese Vorschrift war die „historische Antwort“ auf den bayrischen Kniebeugenerlaß,177 der Protestanten sowohl zum Besuch eines katholischen Gottesdienstes als auch

172

Die Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1849 wird auch als Frankfurter Reichsverfassung oder als Paulskirchenverfassung bezeichnet. Soweit im Folgenden von der Paulskirchenverfassung gesprochen wird, wird sich auf die Regelungen, welche durch die Frankfurter Nationalversammlung ausgearbeitet wurden, bezogen. 173 Unruh, Der Verfassungsbegriff, 2002, S. 225; Tillmann, Staat und Vereinigungsfreiheit im 19. Jahrhundert, 1976, S. 16. 174 Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 353; Unruh, Der Verfassungsbegriff, 2002, S. 224 ff.; siehe hierzu auch die differenzierende Betrachtung von Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 159 f. 175 Vergleiche auch Scholler, Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche, 2. Aufl. 1982, S. 22; ähnlich Tiedemann, Religionsfreiheit  – Menschenrecht oder Toleranzgebot?, 2012, S. 159. 176 Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, 2. Aufl  1961, Bd. 1, S. 320; vergleiche dazu Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, 1891, S. 181 f.; Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 486; siehe auch Tiedemann, Religionsfreiheit – Menschenrecht oder Toleranzgebot?, 2012, S. 159. 177 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 156 m. N.; ­Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, 1891, S. 185; Stahl, Rechtsgutachten über Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmäßiger Rechte der Protestanten im Königreich Bayern, 1864, S. 4; Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 358; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 66.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

„zum Kniefall vor dem Allerheiligsten“ zwang.178 Die Zugehörigkeit zu (k)einer Religion sollte durch die Vorschriften der Paulskirchenverfassung „zu einer recht­ lich gleichgültigen Tatsache“179 werden.180 Dass diese Entwicklung maßgeblich durch die Trennung von Kirche und Staat bedingt war beziehungsweise mit dieser einherging, zeigt insbesondere die Einführung der Zivilehe.181 Der Bürger war um die Ehe mit einem einer anderen Religion angehörigen Partner eingehen zu können, nicht länger gezwungen, den Glauben zu wechseln oder gar einer fremden Religion anzugehören.182 Insoweit wurde also der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Grundrechtsschutz in die Paulskirchenverfassung integriert. Der Versuch, die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit dem Schutz der Verfassung zu unterstellen, gestaltete sich hingegen deutlich komplexer. Trotz grundsätzlicher Einigkeit über das Bedürfnis der Aufnahme der Vereinigungsund Versammlungsfreiheit in die Verfassung, insbesondere wegen Erfahrungen mit der polizeilichen Unterdrückung kollektiver politischer Betätigung,183 bestand Uneinigkeit über die konkrete Ausgestaltung des Schutzes der Vereins- und Ver­ sammlungsfreiheit in der Verfassung.184 Schließlich einigten sich die Mitglieder der Frankfurter Nationalversammlung auf die Verbürgung des Rechts auf einen Zusam­

178

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 156: „In Reaktion auf den bayerischen Kniebeugungserlaß von 1838, der allen, auch den protestantischen Sol­ daten den Besuch des katholischen Gottesdienstes und den Kniefall vor dem Allerheiligsten befahl, wurde die negative Kultusfreiheit erstmals in § 148 der Paulskirchenverfassung aus­ drücklich normiert.“ 179 Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Januar 1850, 1912, S. 220. 180 Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 19. 181 Vergleiche auch Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 21. 182 Vergleiche Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 36, 47 f.; Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 358; Hillgruber, DVBl. 1999, 1155 (1167 f.). Allgemein zur Trennung von Kirche und Staat durch die Paulskirchenverfassung siehe Scholler, Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche, 2. Aufl. 1982, S. 23. An dieser Stelle zeigt sich sehr deutlich, dass die Entwicklung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit in Bezug auf die negative Religionsfreiheit in der Regel mit der Trennung von Kirchen und Staat einher ging. Ähnlich auch Tiedemann, Religionsfreiheit – Menschen­ recht oder Toleranzgebot?, 2012, S. 159 und Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 20. Vergleiche auch Kap. 1 C. I. 1. 183 Waldecker, Die Vereins- und Versammlungsfreiheit, in: Anschütz / T homa (Hrsg.), Hand­ buch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 104, S. 637 (639); Küchenhoff, Die geistes­ geschichtliche Entwicklung der Vereins- und Versammlungsfreiheit, in: Wurzbacher / ders. /  von Schötter (Hrsg.), Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, 1966, S. 5 (18 ff.); Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 2. 184 Waldecker, Die Vereins- und Versammlungsfreiheit, in: Anschütz / T homa (Hrsg.), Hand­ buch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 104, S. 637 (639); vergleiche hierzu auch ­Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 12: „Obwohl man sich im Prinzip über die Notwendigkeit der Anerkennung der Vereinigungsfreiheit als Grund­ recht einig ist, herrscht während der Vorbereitung zum Grundrechtskatalog keine einheitliche Auffassung über den Umfang dieses Rechts vor.“

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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menschluss.185 § 162 FRV regelte „das Recht, Vereine zu bilden“186 und § 161 FRV „das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln“.187 Das Recht auf Existenz und Betätigung von Vereinigungen und Versammlungen188 wurde im Gegensatz zu dem Recht, von einer Vereinigung oder Versammlung fernzublei­ ben beziehungsweise aus einer Vereinigung auszutreten, explizit im Verfassungs­ text verankert. Dies bedeutete aber keineswegs, dass die negative Vereinigungs- und Versamm­ lungsfreiheit nicht auch verfassungsrechtlich geschützt wurden: Eine ausdrückliche Regelung des Fernbleiberechts war aufgrund des damaligen Staatsverständnisses überflüssig.189 Der Staat wurde als Nachtwächterstaat verstanden, der den Bürger nicht in seine Dienste nahm.190 Der Staat sollte sich also aus der Freiheitssphäre des Bürgers zurückziehen.191 Was daher „ohnehin selbstverständlich“ war, nämlich der Schutz der umfassenden192, sich gerade nicht nur auf ein Tun beschränkenden Freiheit des Bürgers, „bedurfte keiner ausdrücklichen Normierung“193. Die aus­ drückliche Regelung der negativen Kultusfreiheit hatte demnach nur deklarato­ rische Wirkungen. Alle Rechte der Paulskirchenverfassung müssen daher als libe­ ral konzipierte Rechte verstanden werden, die ein Handeln des Grundrechtsträgers im umfassenden Sinne, also sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen schützen.194

185

Tillmann, Staat und Vereinigungsfreiheit im 19. Jahrhundert, 1976, S. 12 ff., 26. Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl. 1961, S. 321; § 162 FRV wurde in seiner Fassung durch die belgische Verfassung inspiriert, „Les Belges ont le droit de s’associer; ce droit ne peut etre soumis à aucune mesure préventive“, zitiert nach Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 12; vergleiche Tillmann, Staat und Vereinigungsfreiheit im 19. Jahrhundert, 1976, S. 16, 27; Hamacher, Die Bedeutung der Vereinigungsfreiheit, 1972, S. 83. 187 Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 1961, S. 320; Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 2. 188 Tillmann, Staat und Vereinigungsfreiheit im 19. Jahrhundert, 1976, S. 12 ff., 26. 189 Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 11 ff., insbe­ sondere S. 13: „Die negative Vereinigungsfreiheit ist dagegen [in der Paulskirchenverfassung] nicht umschrieben. Die obenstehenden Ausführungen lassen doch die negative Seite als un­ abdingbaren Bestandteil der Vereinigungsfreiheit in liberaler Sicht erscheinen.“ Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 26 (32); dem folgend Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 235. 190 Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 26 (32); sich auf Däubler beziehend Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 235. 191 Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 26 (32); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 235. 192 Kloepfer, Verfassungserfahrung und Verfassungsgestaltung, in: FS Leisner, 1999, S. 339 (341); ähnlich auch Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 353. 193 Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 26 (32); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 235. 194 Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 17, 220, 238 f.; ihm folgend Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 13; siehe auch Dreier, Rg 19 (2011), 72 (78 ff.). 186

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Obwohl die Paulskirchenverfassung scheiterte,195 wurde zumindest die – wenn auch in den nachfolgenden Verfassungen nicht ausdrücklich gewährleistete – ne­ gative Kultusfreiheit bei der Rechtsarbeit in den Folgejahren als Bestandteil der Gewissensfreiheit berücksichtigt.196 Die Paulskirchenverfassung etablierte damit nicht nur einen für die damalige Zeit außergewöhnlich intensiven Minderheitenschutz197. Sie bezeugt vielmehr all­ gemein das sich immer mehr durchsetzende liberale Verständnis eines Staates, welcher die Freiheit und die Selbstentfaltung seiner Bürger vor äußeren Einflüssen schützen muss, indem er sich weitgehend aus der Freiheitsphäre des Bürgers zu­ rückzieht und zur Verteidigung gegen staatliche Beeinträchtigungen seiner Frei­ heitssphäre subjektive Rechte gewährt. Angesichts dieses fortschrittlichen198, libe­ ralen Staatsverständnisses199 der Paulskirchenverfassung überrascht es kaum, dass viele Leitmotive der Grundrechte – und daher teilweise auch die Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit – ihren Ursprung in der Paulskirchenverfassung haben.200

195

Vergleiche Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 47 f.; Unruh, Der Ver­ fassungsbegriff, 2002, S. 224; Hilker, Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 362, 363; Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 32; Häberle, Der Staat 57 (2018), 35 (42); Pauly, Die Verfassung der Paulskirche und ihre Folgewirkungen, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1, 3. Aufl. 2003, § 3 Rn. 43 ff. 196 Auch wenn die negative Religionsfreiheit in der Praxis wohl selten beachtet wurde. Ver­ gleiche Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 136 Anm. 5; Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, 1891, S. 181 ff.; Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 1985, S. 486; siehe auch Siering, Die negative Reli­ gionsfreiheit, 2011, S. 21 f.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 156; Ungern-Sternberg, Religionsverfassungsrecht, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 21 Rn. 18; zur besonderen Ver­ bindung der negativen Freiheit und der Gewissensfreiheit siehe Kap. 1 F. III. 1. Ferner gilt es zu berücksichtigen, dass gerade auch die 1872 erlassenen Vorschriften der §§ 152, 153 GewO Ausdruck einer liberal verstandenen Koalitionsfreiheit waren, und daher zumindest als Be­ leg der damaligen Liberalisierungsprozesse verstanden werden können, hierzu ausführlich Kap. 1  C. I. 3. 197 Kloepfer, Verfassungserfahrung und Verfassungsgestaltung, in: FS Leisner, 1999, S. 339 (344). 198 Vergleiche Dreier, Rg 19 (2011), 72 (78): „hochmoderne“. 199 Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 24; vergleiche auch Dreier, Rg 19 (2011), 72 (80). 200 Viele Bestimmungen des Grundgesetzes sind wortgleich mit den Vorschriften der FRV (zum Beispiel Art. 13 Abs. 1 GG), vergleiche auch Pauly, Die Verfassung der Paulskirche und ihre Folgewirkungen, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1, 3. Aufl. 2003, § 3 Rn. 32, 54; Dreier, Rg 19 (2011), 72 (80); Kloepfer, Verfassungserfahrung und Verfassungsgestaltung, in: FS Leisner, 1999, S. 339 (342); allgemein zur Vorbildfunktion der Paulskirchenverfassung auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 24.

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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III. Die Einflüsse der Weimarer Reichsverfassung auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit Eng verwandt mit den Regelungen der Paulskirchenverfassung waren die Re­ gelungen der Weimarer Reichsverfassung.201 Genauso wie die Paulskirchenver­ fassung regelte die Weimarer Reichsverfassung die Religionsfreiheit des Bürgers umfassend. So gewährte die Weimarer Reichsverfassung dem Einzelnen unter dem Vorbehalt des Gehorsams gegen die allgemeinen Staatsgesetze nicht nur die Freiheit, „alles tun zu dürfen, was diese Überzeugungen fordern, alles unterlassen zu dürfen, was sie verbieten“202, sondern gestand dem Individuum über Art. 136 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4  WRV explizit den Schutz vor dem Zwang zur Offenba­ rung seiner religiösen Überzeugungen und der Pflicht zur kirchlichen Handlung oder Teilnahme an religiösen Übungen zu. Der Bürger sollte sein Leben entspre­ chend den eigenen religiösen oder areligiösen Überzeugungen gestalten können. Die negative Religionsfreiheit umfasste nach dem damaligen Rechtsverständnis nicht nur die negative Kultus- und Bekenntnisfreiheit, also die ausdrücklich ge­ regelten Fälle, sondern wurde umfassend verstanden.203 Art. 136 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 WRV hatten also bereits unter der Weimarer Reichsverfassung nur dekla­ ratorische Wirkung. Während die negative Religionsfreiheit damit unstreitig als gleichwertiges und gleichrangiges Pendant der positiven Religionsfreiheit ver­ standen wurde,204 die Religionsfreiheit also jedes menschliche Handeln in diesem

201

Häberle, Der Staat 57 (2018), 35 (43); Pauly, Die Verfassung der Paulskirche und ihre Folgewirkungen, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1, 3 Aufl. 2003, § 3 Rn. 52; Müller, Deutsche Verwaltungspraxis 1983, 58 (insbesondere 62); siehe auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, 1. Aufl. 1999, S. 209: „Zwar gab es eine Tradition der Erinnerung an den Grundrechtsteil der Paulskirchenverfassung.“ ähnlich Kröger, Grundrechtsentwicklung in Deutschland, 1998, S. 19 ff., 46 ff.; siehe in Bezug auf die Religionsfreiheit Mückl, in: Bonner Kommentar, GG, 210. Aktualisierung Februar 2021, Art. 4 Rn. 62; vergleiche Dreier, Rg 19 (2011), 72 (80): „Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) kann in vielerlei Hinsicht an das liberale Programm der Paulskirchenverfassung anknüpfen und übernimmt mehrere Regeln fast wörtlich.“ 202 Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. / Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staats­ rechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (681). 203 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 67. Die Trennung von Staat und Kirche (§ 137 Abs. 1 WRV) ist nach Detlef Merten der Grund für ein so weites Verständnis der negativen Religionsfrei­ heit unter der WRV. Siehe allgemein auch Ungern-Sternberg, Religionsverfassungsrecht, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 21 Rn. 18. Vergleiche auch Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 21, der die negative Seite der Religionsfreiheit aus Art. 135 WRV herleitet. 204 Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: ders. / T homa (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (681, 684 f.); ders., Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Januar 1850, 1912, S. 192 f; ders., Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 135 Anm. 4, 5, Art. 136 Anm. 4, 5; siehe auch Tiedemann, Religionsfreiheit – Menschenrecht oder Toleranzgebot?, 2012, S. 159.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Lebensbereich schützte, war die Existenz einer negativen Freiheit bei den übrigen Grundrechten umstritten. Insbesondere die Anerkennung der negativen Koalitionsfreiheit „war gegen Ende der Weimarer Zeit“205 – sind wirkmächtige Koalitionen und Vereinigungen doch eher eine Besonderheit der jüngeren Geschichte206 – Gegenstand hitziger Diskus­ sionen.207 Hans Carl Nipperdey, einer der prominentesten Kritiker des Schutzes der negativen Koalitionsfreiheit über Art. 159 WRV,208 führte als ein Argument gegen den Schutz einer negativen Koalitionsfreiheit den Wortlaut des Art. 159 WRV an, der keinen Anhaltspunkt für den Schutz der negativen Freiheit gegeben habe.209 Dabei ließ gerade die Auslegung des Begriffs der „Vereinigungsfreiheit“ Raum für eine weitergehende Interpretation.210 Schließlich konnte der Wortteil ‚-freiheit‘ als ‚Einfallstor‘ des individualistisch-liberalen Freiheitsverständnisses der Weimarer Reichsverfassung in die Koalitionsfreiheit verstanden werden,211 205

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 156. Im weiteren Sinne Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 231 ff., 344; siehe auch die Feststellung des RGZ 104, 327 (329), dass die „wirtschaftliche Macht [von Koalitionen] er­ heblich an Bedeutung gewonnen hat“; siehe unter Kap. 1 C. I. 3. 207 BAGE 20, 175 (217); von Mangoldt, BB 1951, 621 f. (insbesondere 622 Fn. 7); vergleiche auch Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 17 ff., der die Diskussion, um die Anerkennung der negativen Koalitionsfreiheit als Ausgangspunkt für die Frage um die Anerkennung des Grundrechtsschutzes der negativen Vereinigungsfreiheit durch das Grundgesetz sieht. Vergleiche auch Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 157. Gegen die Anerkennung der negativen Koalitionsfreiheit über Art. 159 WRV äußerten sich etwa Nipperdey, Koalitionsrecht, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 3, 1930, S. 385 ff.; Hueck / ders., Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 2/1, 7. Aufl. 1967, S. 156; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, 2. Aufl. 1927, S. 81 f. Für die Anerkennung der ne­ gativen Koalitionsfreiheit aus Art. 159 WRV statt vieler Kaskel, Arbeitsrecht, 2. Aufl. 1925, S. 233 f.; Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts, 1927, S. 96. 208 Die unter dem Begriff der negativen Koalitionsfreiheit diskutierten Verhaltensdimensio­ nen sollte allerdings keineswegs ‚schutzlos‘ sein. Ein Unterlassen des Bürgers werde durch das einfache Recht geschützt, vergleiche Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 2/1, 7. Aufl. 1967, S. 156; hierzu ausführlich unter Kap. 1 F. III. 1. 209 Nipperdey, Koalitionsrecht, in: ders. (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 3, 1930, S. 385 ff.; ähnlich auch Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, 2. Aufl. 1927, S. 81 f.; vergleiche auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 66. 210 Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20 f. Dies zeigen auch die Überlegungen zur Herleitung aus dem Wortlaut der Grundrechte. In Bezug auf Art. 9 Abs. 1 GG wird teilweise kritisiert, dass der Begriff ‚Freiheit‘ des Art. 159 WRV durch den Begriff ‚Recht‘ ersetzt wurde, ausführlich unter Kap. 1 A. II. 211 Vergleiche Asmus, Die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 159 der Reichsverfassung, 1933, S. 41 ff.: „Die Grundrechte entstammen einer individualistischen liberalen Aera […]. Der liberale Staat hielt die Grundrechte für erforderlich, um die Befugnisse der Staatsgewalt gegenüber dem Individuum abzugrenzen und dadurch die Eingriffe des Staates in die grund­ sätzlich unbegrenzte Freiheit des Einzelnen zu schützen.“ Hier bestätigt sich die Erkenntnis, dass die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit wesentlich durch das freiheitliche, liberale Vorverständnis der Verfassung beeinflusst wurde. Siehe auch Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20 f.; vergleiche auch Kap. 2 A. II. 206

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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mit der Folge, dass die Vorschrift sowohl das Recht, zu tun, als auch das Recht, zu unterlassen, schützen könnte. Auch die Aufhebung des § 153 GewO wurde als Argument gegen den Grund­ rechtsschutz der negativen Koalitionsfreiheit angeführt.212 Die Aufhebung des § 153 GewO war jedoch eine Entscheidung für die positive Koalitionsfreiheit und keine Entscheidung gegen die Anerkennung einer negativen Koalitionsfreiheit. Schließlich begrenzte § 153 GewO in der Rechtspraxis doch – entgegen seinem ursprünglichen Zweck – vornehmlich die positive Koalitionsfreiheit;213 zum Schutz des Außenseiters wurde diese Norm faktisch nicht angewendet.214 Die Abschaf­ fung des § 153 GewO kann infolgedessen nicht als historisches Argument gegen die Anerkennung einer negativen Koalitionsfreiheit angeführt werden – zumal der Zusammenhang zwischen der Aufhebung einer einfach-gesetzlichen Vorschrift und der Anerkennung einer verfassungsrechtlichen Gewährleistung auch unter methodischen Gesichtspunkten nicht überzeugen kann.215 Schließlich kann das einfache Recht nicht den Inhalt des Verfassungsrechts beeinflussen. Obgleich damit gute Argumente für die Anerkennung des Schutzes der nega­ tiven Koalitionsfreiheit über Art. 159 WRV sprachen, ließen letztlich auch die Reichsgerichte diese Streitfrage ungeklärt. Die Frage nach dem Grundrechts­ schutz der negativen Koalitionsfreiheit blieb bis zum Ende der Weimarer Zeit unbeantwortet.216

212 Nipperdey, Koalitionsrecht, in: ders. (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 3, 1930, S. 385 (421 f.). 213 Siehe unter Kap. 1  C. I. 3.; Asmus, Die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 159 WRV, 1933, S. 27 ff. 214 Asmus, Die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 159 WRV, 1933, S. 27 ff., insbesondere S. 32: „Mit der Aufhebung der Strafbestimmung gegen den Organisationszwang hat die nega­ tive Vereinigungsfreiheit, so wie der Begriff heute verwandt wird, nichts zu tun.“ Vergleiche auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 69. 215 Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (127); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 156; ähnlich Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20 im Kontext der negativen Vereinigungsfreiheit; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 67. 216 RGZ 104, 327 (329); 111, 199 (201); 113, 33 ff.; RAG ArbRSamml. 6, 427; 9, 55, wobei die letzte Entscheidung den verfassungsrechtlichen Schutz der negativen Koalitionsfreiheit in Zweifel zog; ausführlich zu diesem Streit Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann /  Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1951, S. 417 (454 Fn. 132); Hueck /  Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 2/1, 7. Aufl.  1967, S. 154; dies., Grundriß des Arbeitsrechts, 5. Aufl. 1970, S. 189 f.; Asmus, Die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 159 der Reichsverfassung, 1933, S. 27 ff. m. w. N.; so auch Koch, Koalitionsschutz und Fernbleibe­ recht, 1970, S. 6; siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 156: „So war gegen Ende der Weimarer Zeit die Frage, ob die negative Seite Be­ standteil des Grundrechts der Koalitionsfreiheit sei, historisch zwar gestellt, aber noch nicht beantwortet.“

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Inspiriert durch die Diskussionen um die Anerkennung einer negativen Koali­ tionsfreiheit wurde vereinzelt auch die Existenz einer negativen Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit erwogen.217 Es kann, so Ludwig Waldecker, „[…] nicht anerkannt werden, daß das in der Koalitionsfreiheit enthaltene ‚negative‘ Grund­ recht des Wegbleiben von einer Vereinigung nicht schon in Art. 123, 124 WRV enthalten sei, die Freiheit der Vereinigung schließt eben in sich, dass kein Zwang zugunsten bestimmter Vereinigungen staatfindet.“218

Die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Schutz von Tun und Unterlassen war zum Ende der Weimarer Zeit zwar in Bezug auf einzelne Grundrechte gestellt, blieb aber unbeantwortet.219 Lediglich die negative Religionsfreiheit wurde erst­ mals220 rechtlich wirksam in einer Verfassung geregelt.221 Obgleich sich die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit noch nicht (voll­ ständig) durchgesetzt hat, zeugt die Weimarer Reichsverfassung von dem libera­ len Bewusstsein, dass neben einem Tun auch ein Unterlassen, also eine Handlung des Bürgers, verfassungsrechtlichen Schutz genießen könnte. Das Verständnis der Weimarer Reichsverfassung und hat damit einen maßgeblichen Einfluss auf das heutige Verständnis der negativen Freiheit: Schließlich wurden die Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung über die negative Bekenntnis- und Kultusfreiheit über Art. 136 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 WRV über Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporiert.

IV. Die Einflüsse der Beratungen des Parlamentarischen Rates auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit Die Überlegung, negative, ein Unterlassen des Grundrechtsträgers schützende Rechte in den Grundrechten zu verankern, wurde auch in den Beratungen des Par­ lamentarischen Rates diskutiert. In den Beratungen wurde nicht nur die Formu­ lierung der allgemeinen Handlungsfreiheit als das Recht des Grundrechtsträgers, 217 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 154; vergleiche Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 17, 23, der das Ringen um die negative Koalitionsfreiheit als Ausgangspunkt für den Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit betrachtet; zu der Nähe zwischen der Herleitung einer negativen Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit siehe auch Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, 1960, S. 166. 218 Waldecker, Die Vereins- und Versammlungsfreiheit, in: Anschütz / T homa (Hrsg.), Hand­ buch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 104, S. 637 (650); Etzrodt, Der Grundrechts­ schutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 17. Interessant ist auch die Systematik der Weimarer Reichsverfassung. Die Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit wurden in aufeinander folgenden Vorschriften geregelt (Art. 123 WRV und Art. 124 WRV), die Koali­ tionsfreiheit erst in Art. 159 WRV und nicht wie im Grundgesetz in einer Vorschrift. 219 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 156. 220 Schließlich scheiterte die Paulskirchenverfassung zuvor, siehe Kap. 1 C. II. 221 So auch Tiedemann, Religionsfreiheit – Menschenrecht oder Toleranzgebot?, 2012, S. 159.

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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zu tun und zu lassen, diskutiert,222 sondern es wurde auch im Kontext der speziel­ len Freiheitsrechte erwogen, speziell ein das Unterlassen des Grundrechtsträgers in bestimmten Situationen schützendes Recht in die Verfassung aufzunehmen. Der erste Entwurf des Art. 4 GG enthielt beispielsweise sowohl einen Absatz zum Schutz vor dem Zwang zur Teilnahme an Religionsausübungen als auch einen Ab­ satz zum Schutz vor dem Zwang zur Offenbarung der eigenen religiösen Über­ zeugungen.223 Auch im Entwurf der Meinungsfreiheit war eine ausdrückliche Regelung zum Schutz des Grundrechtsträgers vor dem Zwang zur Offenbarung der eigenen politischen Überzeugungen vorgesehen.224 Im Kontext der Koalitions­ freiheit wurde zudem vorgeschlagen, den Schutz vor dem Zwang zum Beitritt in zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gegrün­ deten Vereinigung in Art. 9 Abs. 3 GG zu regeln.225 Obwohl dieser Vorschlag im Vorfeld durch den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee abgelehnt wurde,226 wurde er durch den Grundsatz- und den Allgemeinen Redaktionsausschuss in die Beratungen des Parlamentarischen Rates eingebracht.227 Trotz dieser vielfältigen Ideen zur Ausgestaltung des grundrechtlichen Schutzes der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Verhaltensdimensionen228 und zahlreicher Vor­ 222

von Mangoldt, Zweiunddreißigte Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 11. Januar 1949, in: Deutscher Bundestag / Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. 5, 1993, S. 910 (918); BVerfGE 6, 32 (36). 223 von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (73 ff., insbesondere 76); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 159. Die Regelungen der Art. 136 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 WRV sollten also in Art. 4 GG aufgenommen werden. 224 Diese Formulierung beruhte auf einem Vorschlag des Abgeordneten von Mangoldt in der 27. Sitzung des Grundsatzausschusses, vergleiche von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (79 ff., 84 f.); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 159; siehe auch Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertrags­ freiheit, 2018, S. 12. 225 Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfassungskonvent, 1948, S. 22; von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (117); Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (127 f.); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Frei­ heitsrechte, 1993, S. 158. 226 Schließlich sollten im Einzelfall notwendige öffentlich-rechtliche Zwangszusammen­ schlüsse für bestimmte Berufsgruppen gegründet werden können. Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfas­ sungskonvent, 1948, S. 22; von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (116 f.); ­Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (127 f.). 227 von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (116, 117 ff.). Nachdem dieser Vor­ schlag in der ersten Lesung noch mit knapper Mehrheit (11:10 Stimmen) angenommen wurde, wurde in der zweiten Lesung seine Streichung beantragt und mit einer Mehrheit von 12:6 Stim­ men angenommen, ausführlich hierzu Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 13; siehe auch Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, 1992, S. 169. 228 Die Aufnahme der Ausreisefreiheit in den Grundrechtskatalog wurde zwar angedacht, um den Bürgern keinen Anreiz zum Auswandern zu geben, um die Ausreisefreiheit bei Be­ darf möglichst einfach einschränken zu können, wurde jedoch von einer Aufnahme in das Grundgesetz abgesehen, von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (44).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

bilder229 verzichtete der Verfassungsgeber – mit Ausnahme der speziellen Unter­ lassungsgrundrechte – auf die Aufnahme explizit die negative Freiheit schützender Vorschriften in das Grundgesetz. Diese Entscheidung wird von einigen als eine generelle „Entscheidung gegen den grundrechtlichen Schutz der negativen Freiheit“ gewertet:230 Die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit würde daher, so die Be­ fürchtung von Johannes Hellermann, den Willen des Verfassungsgebers umgehen.231 229

Hier sei nicht nur auf die historischen Vorbilder der Paulskirchenverfassung und der Wei­ marer Reichsverfassung hingewiesen (Kap. 1 C. II. und III.), sondern auch auf entsprechende Regelungen in einigen Landesverfassungen. Vergleiche etwa Art. 15 Abs. 2 Verfassung von Württemberg-Baden, vom 28. 11. 1946 (Reg.Bl., S. 277); Art. 179 Bayrische Verfassung vom 11. 12. 1946 (GVBl., S. 229); Art. 19 Abs. 2 Badische Verfassung vom 22. 05. 1947 (Reg. Bl., S. 129); Art. 36 Abs. 2 der Hessischen Landesverfassung vom 01. 12. 1946 („Niemand darf gezwungen oder gehindert werden, Mitglied einer solchen Vereinigung zu werden.“) und Art. 48 Abs. 1 S. 2 der Landesverfassung der freien Hansestadt Bremen vom 21. 10. 1947 mit einer ähnlichen Formulierung; vergleiche auch Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (122). Allerdings ist eine gewisse Vorsicht geboten, da die Wertungen der Landesverfassungen nicht ohne weiteres auf die Verfassung des Bundes angewendet werden können. Art. 31 GG besagt zwar, dass Bundesrecht Landesrecht bricht, dies wird jedoch durch Art. 142 GG relativiert, wonach Bestimmungen der Landesver­ fassungen auch insoweit in Kraft bleiben, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten. Weitergehende landesverfassungsrechtliche Gewährleistungen sind möglich (siehe von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (911); Tjarks, Zur Bedeutung der Landesgrundrechte, 1999, S. 51, 54 ff.). Die entsprechenden Nor­ men der Landesverfassungen können daher nicht zur Herleitung Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit herangezogen werden. Sie bezeugen vielmehr die allgemein anerkannte Notwendigkeit des umfassenden Handlungsschutzes. Soweit sie nach dem Grund­ gesetz erlassen wurden, können sie keinen Einfluss auf die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit haben. Siehe zur historischen Entwicklung der negativen Religionsfreiheit in den Landesverfassungen auch Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018. 230 So allgemein auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 160: „Die Ablehnung der Vorschläge für eine ausdrückliche Gewährleistung der negativen Seite ist deshalb eine Entscheidung gegen den grundrechtlichen Schutz dieser Unterlassens­ freiheiten durch die jeweiligen speziellen Freiheitsrechte.“ Im Kontext der Koalitionsfreiheit so Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, 1966, S. 55 ff., ins­ besondere S. 59; Berghäuser, Koalitionsfreiheit als demokratisches Grundrecht, 1980, S. 195 f.; ähnlich auch Ehrengerichtshof der Rechtsanwaltskammern der Britischen Zone, DVBl. 1952, 371; Galperin, AuR 1965, 1 (6); vergleiche hierzu auch Floretta, DRdA 1968, 1 (7). 231 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 161: „Es ist im­ mer noch das stärkste, dem Vorwurf der Beliebigkeit am wenigsten ausgesetzte entstehungsge­ schichtliche Argument, daß im Gesetzgebungsverfahren eine bestimmte Regelung ausdrücklich abgelehnt wurde; diese darf nicht im Wege der Auslegung der – anders beschlossenen – Vor­ schriften rekonstruiert werden. Die ausdrückliche Entscheidung des Verfassungsgebers gegen die Aufnahme besonderer negativer Freiheitsgewährleistungen verbietet deshalb die interpreta­ tive Annahme einer negativen Seite […]“. Ähnlich auch im Kontext der negativen Koalitions­ freiheit Nipperdey / Hueck, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 2/1, 7. Aufl. 1967, S. 157 Fn. 10 die kritisieren, dass die Anerkennung der negativen Koalitionsfreiheit im Widerspruch zur histori­ schen Entwicklung des Grundrechts steht: „wie diese völlig eindeutige Entstehungsgeschichte und damit der Wille des Verfassungsgesetzgebers so ignoriert werden kann, wie dies die Ver­ fechter der angeblich durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten negativen Koalitionsfreiheit es tun.“

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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Schließlich würden vom Verfassungsgeber bei der Verabschiedung des Grundge­ setzes ausdrücklich abgelehnte Regelungsinhalte über die Auslegung – im Falle der Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit – letzt­ lich doch wieder im Anwendungsbereich der Grundrechte berücksichtigt.232 Der Verfassungsgeber hätte bewusst auf diese Regelungen verzichtet, um die Möglich­ keit zu erhalten, die Freiheit des Bürgers, etwas zu unterlassen, ohne zusätzliche Voraussetzungen beachten zu müssen, beschränken zu können.233 Da die Vorschläge zur Regelung des grundrechtlichen Schutzes eines Unter­ lassens des Grundrechtsträgers, der unter dem Begriff der negativen Freiheit ver­ standen wird, nicht nur im Zuge einer erheblichen Kürzung und Straffung des Grundrechtsabschnitts gestrichen wurden,234 stellt sich die Frage, ob in diesem Verzicht eine Entscheidung gegen den grundrechtlichen Schutz eines Unterlassens liegt, oder ob es sich bloß um eine Entscheidung gegen die ausdrücklich wörtliche Regelung des grundrechtlichen Schutzes eines Unterlassens handelt.235 Die Entscheidung des Verfassungsgebers für die Inkorporierung der negati­ ven Bekenntnisfreiheit und der negativen Kultusfreiheit über Art. 140 GG in das Grundgesetz zeigt gerade, dass die Inhalte, die vom Parlamentarischen Rat im Kontext der negativen Religionsfreiheit diskutiert wurden, in die Verfassung auf­ genommen wurden und vollwertiges Verfassungsrecht sind.236 Da die negative Bekenntnisfreiheit und die negative Kultusfreiheit nur Teilaspekte der negativen Religionsfreiheit regeln, schließt sich die Frage an, ob nur diese ausdrücklich ge­ regelten Dimensionen der negativen Religionsfreiheit oder ob die negative Reli­ 232

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 161; ähnlich auch die Kritik von Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 39. 233 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 160; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 80. 234 Vergleiche die Fassungen in Parlamentarischer Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), 1948/1949, S. 197; siehe auch Merten, DÖV 1990, 761; ders., Nega­ tive Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 39; vergleiche auch Bethge, Der Staat 24 (1985), 351 (357), die Aufnahme der negati­ ven Freiheit in den Wortlaut der Grundrechte hätte diese weniger plakativ erscheinen lassen; so auch Vossieg, Die Zwangsmitgliedschaft bei Berufskammern, 1959, S. 30; ähnlich auch von Mangoldt, in: Zweiunddreißigste Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 11. Januar 1919, in: Deutscher Bundestag / Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. 5, 1993, S. 910 (918) in Bezug auf Art. 2 Abs. 1 GG; Hammerich, Der Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007, S. 34, 37: „Schließlich wurden die bis da­ hin sechs Absätze der Kommunikationsfreiheiten zu den ersten beiden Absätzen des heutigen Art. 5 GG unter erheblichen Kürzungen zusammengezogen.“ 235 Vergleiche auch Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 15 zu Art. 9 GG, der anmerkt, dass in der Debatte, die der Streichung der Regelung zur negativen Koalitionsfreiheit vorausging, ausschließlich die ausdrückliche Aufnahme der negativen Koalitionsfreiheit ins Grundgesetz in Form eines besonderen Zusatzes diskutiert wurde, dadurch aber keineswegs die Frage geklärt sei, ob diese negative Koalitionsfreiheit nicht ohnehin schon Bestandteil der grundrechtlichen Regelung sei. 236 von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (73 ff., insbesondere 78 f.).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

gionsfreiheit umfassend grundrechtlichen Schutz genießen.237 Diese Frage hätte sich auch in Bezug auf die negative Meinungsfreiheit und die negative Vereini­ gungs- beziehungsweise Koalitionsfreiheit gestellt, schließlich wurde in den Be­ ratungen des Parlamentarischen Rates nur über den grundrechtlichen Schutz eines Unterlassens des Bürgers in speziellen Kontexten debattiert. Die Unterlassungs­ regelungen bildeten nur einen Teilaspekt des durch ein spezielles Freiheitsrecht geschützten Lebensbereiches ab. Deshalb hätte sich im Falle der Aufnahme dieser Teilaspekte in das Grundgesetz die Frage angeschlossen, ob der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit auf die ausdrücklich geregelten Fälle beschränkt wäre. Die Diskussion über die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und ne­ gativer hätte damit in einem ‚anderen Gewand‘ fortbestanden.238 Die Spezialregelungen sollten allerdings nur den Schutz des Unterlassens in den sich aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit als besonders gefährdet erwiese­ nen Lebensbereichen besonders betonen.239 Sie hätten, wie auch die über Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV inkorporierten Teilaspekte der negativen Religionsfrei­ heit, lediglich eine deklaratorische Funktion.240 Der Verfassungsgeber verzichtete also lediglich auf die Vertextlichung einer umfassenden negativen Religionsfreiheit in Art.4 GG, nicht aber auf die Gewähr­ leistung der umfassenden, nicht nur auf die Teilaspekte des Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV beschränkten, negativen Religionsfreiheit.241 Wären die Teilaspekte der negativen Meinungsfreiheit und der negativen Koalitionsfreiheit in das Grund­ gesetz aufgenommen worden, hätte sich ihre Funktion ebenfalls auf die Klarstel­ lung und Betonung dessen, was ohnehin gilt, beschränkt, nämlich auf den umfas­ senden grundrechtlichen Handlungsschutz.242 Gerade der Vergleich von Meinungs- und religiöser Bekenntnisfreiheit bekräf­ tigt die Annahme, dass sich der Verfassungsgeber nicht gegen den verfassungs­ 237

Siehe hierzu bereits Kap. 1 B. II. Zu dieser Überlegung, die eben nicht nur auf die Meinungsfreiheit zu übertragen ist, ver­ gleiche auch Merten, DÖV 1990, 761. Kritiker hätten sich in diesen Fällen auf einen Umkehr­ schluss berufen können: Wenn der Verfassungsgeber spezielle Formen der negativen Freiheit regelt, dann erkenne er in den nicht normierten Fällen den Schutz der negativen Freiheit ge­ rade nicht an. Siehe auch Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007, S. 34: „[…] zumal der Verfassungsgeber dann, um Missverständnissen vorzubeugen, alle weiteren geschützten Verhaltensweisen ausformulieren hätte müssen.“; ähnlich Vossieg, Die Zwangsmitgliedschaft bei den Berufskammern, 1959, S. 30; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 160. 239 Der Grundrechtskatalog bildet gerade die Lebensbereiche ab, in denen es historisch häu­ fig zu Freiheitseinschränkungen/-gefährdungen durch den Staat kam, BVerfGE 6, 32 (37). 240 Siehe hierzu bereits Kap. 1 B. II. 241 Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 237; so bereits Merten, Negative Grund­ rechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 72. 242 Die Kernfrage, ob die Grundrechte auch das Unterlassen schützen, wurde damit weder ausführlich diskutiert noch einheitlich beantwortet, so auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 39. 238

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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rechtlichen Schutz der negativen Meinungsfreiheit entschieden hat: Wenn die ne­ gative Bekenntnisfreiheit geschützt wird, dann darf der grundrechtliche Schutz des Verschweigens der eigenen politischen Überzeugung, der – wie die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus zeigen – ähnlich sensibel für das Individuum sein kann, nicht hinter diesem Schutzniveau zurückstehen.243 Das religiöse Be­ kenntnis sei schließlich lediglich ein Spezialfall der Offenbarung einer Meinung.244 Der Verzicht des Verfassungsgebers auf die Aufnahme des Art. 6 Abs. 6 des Ver­ fassungsentwurfs in das Grundgesetz stellt damit keine Entscheidung gegen den grundrechtlichen Schutz einer negativen Meinungsfreiheit dar, sondern lediglich eine Entscheidung gegen die explizite Regelung eines Teilaspekts der negativen Meinungsfreiheit im Verfassungstext. Auch der Verzicht auf die ausdrückliche Regelung eines Rechts, von einer Ko­ alition fernzubleiben, steht der Anerkennung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit, insbesondere der Anerkennung der negati­ ven Koalitionsfreiheit, nicht entgegen.245 Der Verzicht auf diese Regelung wurde von der Furcht vor einer übermäßigen Beschränkung der Koalitionsarbeit durch die Gerichte im Falle der Normierung eines Fernbleiberechts, also der negativen Koalitionsfreiheit, getragen.246 Schließlich waren die Erinnerungen an die extensive

243

Schmidt, in: ErfK, 22. Aufl. 2022, Art. 4 GG Rn. 12. Hervorzuheben ist insoweit auch der parallele Wortlaut der Bekenntnisfreiheit des Art. 136 Abs. 1 S. 1 WRV „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offen­ baren.“ (Herv. hinz.) und der negativen Meinungsfreiheit des Art. 6 Abs. 6 des Verfassungs­ entwurfs „Niemand ist verpflichtet, seine politische Überzeugung bekanntzugeben.“ (Herv. hinz.); vergleiche auch von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (88). 245 Differenzierter Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 160, der aus dem Verzicht auf den Gesetzesvorbehalt zugunsten öffentlich-rechtlicher Ver­ einigungen schließt, dass eine negative Koalitionsfreiheit „nicht ohne weiteres“ grundrechtli­ chen Schutz genießen sollte: „Als für den heutigen Art. 9 Abs. 3 GG eine besondere Regelung der negativen Koalitionsfreiheit vorgesehen war, hielt man auch einen ausdrücklichen Geset­ zesvorbehalt zugunsten öffentlich-rechtlicher Berufsverbände für notwendig; dieser schien, da das Grundrecht nunmehr offenbar als nicht mehr einschlägig galt, entbehrlich, als das ausdrückliche Verbot von Koalitionszwang gestrichen wurde und nur die (positive) Vereini­ gungs- und Koalitionsfreiheit bestehen blieb.“ Allerdings ist die Normierung eines Gesetzes­ vorbehaltes, wie die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte zeigen, keine zwingende Vor­ aussetzung der Normierung eines Grundrechts, vergleiche Art. 4 Abs. 1, 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Der Verfassungsgeber hat in diesem Fall lediglich auf die Normierung eines Geset­ zesvorbehaltes verzichtet und damit entschieden, dass die negative Freiheit nur durch verfas­ sungsimmanente Schranken beschränkt werden kann, vergleiche hierzu Kap. 4 A. Siehe auch Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungs­zonen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. 2, 1981, S. 504 (514 f.): „Ein Koalitionszwang im üblichen Sinn des Wortes sollte damit nicht anerkannt werden.“ 246 Es bestand die Befürchtung, dass bisher zulässige Maßnahmen rechtlich beanstandet würden siehe Eberhard, RdA 1949, 125 (127); BAGE 20, 175 (215 f.); Etzrodt, Der Grund­ rechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 105; Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 15; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 1954, S. 384; 244

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Auslegung des § 153 GewO noch präsent.247 Aus diesem Grund engagierten sich auch die Gewerkschaften gegen eine Aufnahme dieser Regelung in das Grund­ gesetz.248 Da die Bürger aufgrund der Erfahrungen aus der Zeit des Nationalso­ zialismus deutlich sensibler gegenüber rechtlichem und gesellschaftlichem Druck waren,249 wurde befürchtet, dass vor dem „Trauma der nationalsozialis­tischen Verbandsformen“250 möglicherweise ein vor dem Nationalsozialismus noch to­ lerierter beziehungsweise als sozialadäquat empfundener Zwang zum Beitritt251 mittlerweile als unzulässig empfunden werden würde,252 und die Gerichte daher noch eher als bei § 153 GewO dazu neigen würden, den von Koalitionen und Ver­ einigungen ausgeübten Druck als unzulässigen Zwang zu verstehen und die Er­ öffnung des Schutzbereichs der negativen Koalitionsfreiheit anzunehmen. Würde die negative Koalitionsfreiheit nicht explizit normiert, so die Überlegung, würden die Gerichte zu einem restriktiveren Verständnis der negativen Koalitionsfrei­ heit neigen. Schließlich herrschte Einigkeit dahingehend, dass das Risiko einer zu extensiv verstandenen Vorschrift nicht eingegangen werden müsse, weil Ver­ einigungen und Koalitionen als freiwillige Zusammenschlüsse ohnehin jegliche

ähnlich auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 43; siehe auch Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, 2018, S. 12 ff.; Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, 1992, S. 164 ff. Vergleiche auch von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (119 mit Fn. 13): „[…] könnte dazu führen, daß nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen durchaus zulässige Maßnahmen der Gewerk­ schaften auf umfassende Organisierung der einzelnen Gruppen der Arbeitnehmer rechtlich beanstandet werden könnten. … Ein verfassungsmäßiger Schutz der negativen Freiheit würde ihre (scil.: der Gewerkschaften) Entwicklung in bedenklicher Weise stören.“ 247 Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grund­ rechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (456); siehe auch Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebs­ normen, 1992, S. 164 f.; Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarif­ vertragsfreiheit, 2018, S. 12 ff. § 153 GewO wurde nicht zugunsten der Außenseiter, sondern zulasten der Gewerkschaften angewendet, siehe Kap. 1 C. I. 3. Die Aufhebung des § 153 GewO war zu diesem Zeitpunkt schließlich erst knapp dreißig Jahre her. Die Gewerkschaftsfunk­ tionäre beabsichtigten durch ihr Engagement allerdings nur die Möglichkeit zu erhalten ihre Mitglieder durch gewisse Maßnahmen zur Räson zu bringen, ihr Engagement sollte nicht als die Akzeptanz gegenüber Beitrittszwängen missverstanden werden, vergleiche hierzu Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (456); vergleiche auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 71. 248 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 1954, S. 385; hierzu auch Roemer, Einflüsse außerparlamentarischer Organisationen auf das Bonner Grundgesetz, 1951, S. 85 ff.; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 29 f. 249 Mayer-Maly, in: Däubler / ders. (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 5 (10). 250 Mayer-Maly, in: Däubler / ders. (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 5 (10). 251 RGZ 104, 327 (330); RAG, Bensh. Samml. 6, 427 (430); allgemein zur Hitler-Jugend siehe etwa Pulver, Die Hitlerjugend, 2011; Günther, Von der Hitler-Jugend zur Waffen-SS, 2001. 252 Schließlich wurden viele Menschen zum Anschluss an die nationalsozialistischen Ver­ bände wie die Hitler-Jugend oder den Bund Deutscher Mädel genötigt, da sonst soziale Repres­ salien drohten. Vergleiche auch Vossieg, Die Zwangsmitgliedschaft bei den Berufskammern, 1959, S. 35.

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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Zwangselemente fremd seien.253 Der Verzicht auf eine ausdrückliche Regelung der negativen Koalitionsfreiheit im Grundrechtstext sollte folglich lediglich die Über­ betonung der negativen Koalitionsfreiheit zulasten der positiven Koalitionsfreiheit verhindern, nicht aber dem Fernbleiben von einer Koalition beziehungsweise dem Austritt aus einer Koalition den grundrechtlichen Schutz des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG verwehren.254 Alle in den Beratungen des Parlamentarischen Rates diskutierten Grundrechte wurden in bewusster Abgrenzung von dem totalitären System des Nationalsozialis­ mus konzipiert. Sie sollten den Bürger und seine Freiheitssphäre in den Fokus des grundrechtlichen Schutzes rücken.255 Während des Nationalsozialismus wurde ein Großteil der Bürger durch den Staat auf vielfältige Art und Weise in verschiedenen Lebensbereichen zu einem den eigenen Überzeugungen zuwideren Verhalten aus Furcht vor rechtlichen oder tatsächlichen Konsequenzen genötigt.256 Die Diffamie­ rung und Diskriminierung Einzelner, wie sie noch zu Zeiten des Nationalsozialis­ mus praktiziert wurde, sollte unter dem Grundgesetz nicht möglich sein.257 Nie­ mand sollte im Geltungsbereich des Grundgesetzes fürchten müssen, bei Kundgabe der den eigenen Überzeugungen entsprechenden Meinung das Risiko einzugehen, aufgrund einer von der herrschenden politischen Führung abweichenden Meinung Nachteile in Kauf nehmen zu müssen oder gar wegen der eigenen religiösen oder 253

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 158; ähnlich auch Mayer-Maly, in: Däubler / ders. (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 5 (20); zu diesem Argumentationsansatz auch Deutscher Bundestag / Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parla­ mentarische Rat 1948–1949, Bd. 14, 2009, S. 1382; Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, 2018, S. 14. 254 Kritsch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 72 ff. 255 Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 26 (33); Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, 1976, S. 87 Rn. 171; Koch, Koalitionsschutz und Fernblei­ berechte, 1970, S. 17 ff.; Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (286, 303); Pieroth, Die Grund­ rechte des Grundgesetzes in der Verfassungstradition, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 25 Rn. 1 ff.; Hofmann, NJW 1989, 3177 (3183, 3184); Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 41; vergleiche auch Höfling, Offene Grund­ rechtsinterpretation, 1987, S. 64 f.; Kloepfer, Verfassungserfahrung und Verfassungsgestaltung, in: FS Leisner, 1999, S. 339 (345); vergleiche auch Ungern-Sternberg, Religionsverfassungs­ recht, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 21 Rn. 19. Ein Überblick zum allgemeinen Einfluss der „NS-Vergangenheit“ auf die deutsche Rechtslehre findet sich bei Nußberger, Kommunikationsfreiheiten, in: Herdegen /  Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 20 Rn. 13 ff. 256 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 157; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz, 1974, S. 42 f. 257 Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbil­ dungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (286, 303); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 44; Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Ver­ einigungsfreiheit?, 1971, S. 26 (33); Bumke, AöR 144 (2019), 1 (17); Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, in: FS Kriele, 1997, S. 281 (282); Kloepfer, Ver­ fassungserfahrung und Verfassungsgestaltung, in: FS Leisner, 1999, S. 339 (345); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz, 1974, S. 42 f.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

politischen Überzeugungen verfolgt zu werden.258 Der Verfassungsgeber wollte daher mit den Grundrechten individualschützende Rechte erlassen, die den Bürger in seiner Persönlichkeitsentfaltung vor dem staatlichen Zwang, wie er von den Na­ tionalsozialisten ausgeübt wurde, schützen und die Eigenverantwortlichkeit sowie die Selbstbestimmtheit des Grundrechtsträgers absichern sollten.259 „Das menschenverachtende Regime dieser Zeit, das über Europa und die Welt in uner­ messlichem Ausmaß Leid, Tod und Unterdrückung gebracht hat, hat für die verfassungs­ rechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland eine gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung […].“260

Voraussetzung hierfür ist aber nicht nur das Recht, eine andere Meinung oder einen anderen Glauben zu haben, diesen Glauben zu praktizieren, seine Meinung zu äußern, sich zu versammeln, oder einer Vereinigung beizutreten, sondern auch der Schutz vor dem staatlichen Zwang, seine Meinung oder seinen Glauben zu offenbaren. Insbesondere die Unterdrückungserfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus zeigen, dass eine freiheitliche Verfassung ein Handeln des Grundrechtsträger im umfassenden Sinne schützen muss, ihm als die Möglichkeit zu einem anderweitigen Tun oder einem Unterlassen beziehungsweise die Wahl­ möglichkeit zwischen verschiedenen Verhaltensformen garantieren muss.261 Die Freiheitsrechte schützen folglich Handlungen des Grundrechtsträgers in einem be­ stimmten Lebensbereich, wobei der ‚Handlung‘ weit zu verstehen ist.262 Der Verfassungsgeber war sich der Existenz und des Bedürfnisses des umfassen­ den Schutzes menschlicher Handlungen also grundsätzlich bewusst. Er verzichtete im Rahmen der Verabschiedung des Grundgesetzes lediglich auf die ausdrückliche Regelung des Unterlassungsschutzes,263 ohne zugleich die Anerkennung des Grund­ 258 Hillgruber, DVBl. 1999, 1155 (1171); Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz, 1974, S. 42 f. 259 Vergleiche Ksoll, Deutsches Staatsrecht, 1966, S. 103; Friauf, Die negative Vereinigungs­ freiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (393). 260 BVerfGE 124, 300 (328). 261 Vergleiche auch Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, 1968, S. 213 f. Dieser Bedeutung der Grundrechte scheint sich auch Johannes Hellermann bewusst zu sein, wenn er erklärt, dass die „Verbannung“ der speziellen Regelungen der negativen Frei­ heit aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG und Art. 5 GG – im Gegensatz dem Verzicht auf die Regelung der negativen Koalitionsfreiheit – aus redaktionellen und nicht aus sachlichen Gründen erfolgte, so Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 160 f.: „Es gilt aber auch sonst, also auch für die negative Seite von Art. 4 Abs. 2 und Art. S Abs. 1 Satz 1 GG, deren Verbannung nach Art. 140 GG bzw. Streichung eher auf redaktionellen denn auf sachlichen Gründen beruht.“ (Zitat S. 160). Allerdings überzeugt die von Hellermann vorgenommene Differenzierung nicht. Die negative Vereinigungsfreiheit des Bürgers kann etwa zum Schutz seiner persönlichen Selbstbestimmung und Selbstentfaltung im Kontext des Beitrittzwangs zu politischen Organisationen wie DÜGIDA (Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abend­ landes) oder PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) rele­ vant sein. In diesem Fall ist ein Unterschied zu dem Schutz des Bürgers vor dem Zwang, seine politischen Überzeugungen zu offenbaren, nicht feststellbar. 262 Hierzu ausführlich Kap. 1 H. II. 1.  263 Vergleiche hierzu die Überlegungen von Merten, DÖV 1990, 761.

C. Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit

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rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit beziehungsweise des unter dem Begriff der negativen Freiheit diskutierten Unterlassungsschutzes abgelehnt zu ha­ ben.264 Diese Regelungen hätten schließlich im Falle der Vertext­lichung des Unter­ lassungsschutzes, also der negativen Freiheit, in den Grundrechten ohnehin nur deklaratorische Wirkung gehabt. Der Verfassungsgeber wollte gerade in bewusster Abkehr zum Nationalsozialismus individuelle Rechte erlassen, die die Eigenver­ antwortlichkeit und Selbstbestimmtheit des Bürgers schützen und deshalb auch die Wahl zwischen verschiedenen Verhaltensweisen und -formen erfassen sollten.

V. Zusammenfassung Die Grundrechte und ihr Gewährleistungsgehalt sind das Ergebnis einer jahr­ hundertelangen Entwicklung, bei der sich sowohl das Staatsverständnis als auch das Verhältnis des Bürgers zum Staat erheblich gewandelt haben. Das Grundgesetz ist das „kollektive Gedächtnis eines Volks“265. Daher verwundert es nicht, dass die Frage nach dem grundrechtlichen Schutz von Handlungen, insbesondere nach dem grundrechtlichen Schutz nach dem Unterlassen, nicht erst unter dem Grundgesetz relevant wurde, sondern das Ergebnis einer jahrhundertelangen, durch die historisch erfahrenen Freiheitsbedrohungen und -verkürzungen geprägten Entwicklung ist.266 Da die historische Entwicklung der speziellen Freiheitsrechte maßgeblich durch die historisch erfahrenen Freiheitsbegrenzungen beeinflusst wurde, hat sich der Gedanke des grundrechtlichen Schutzes von Handlungen, also von Tun und Unter­ lassen zunächst nicht allgemein, sondern stets im Kontext der speziellen Lebens­ bereiche beziehungsweise Freiheitsgefährdungen entwickelt.267 Aus dem Vergleich 264

Vergleiche Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfrei­ heit, 2018, S. 15; Merten, DÖV 1990, 761; exemplarisch auch Bethge, Der Staat 24 (1985), 351 (357); Vossieg, Die Zwangsmitgliedschaft bei Berufskammern, 1959, S. 30. Kritisch Hellermann, Die negative Seite der Freiheitsrechte, S. 160 f. der aber auch darauf Bezug nimmt, dass die „Befürworter der negativen Seite der Handlungsrechte […] darauf verweisen, daß man sich in den Beratungen der Existenz einer negativen Seite der Handlungsrechte bewußt gewesen sei und sie in der Sache bejaht habe; der Verzicht auf ihre ausdrückliche Gewährleistung habe keine Entscheidung gegen ihren grundrechtlichen Schutz dargestellt.“ 265 Kloepfer, Verfassungserfahrung und Verfassungsgestaltung, in: FS Leisner, 1999, S. 339 (340). 266 BVerfGE 6, 32 (36); Scheuner, DÖV 1967, 585 (590); ders., DÖV 1971, 505 (508 f.); ders., VVDStRL 22 (1963), 1 (45 f.): „schmerzlicher Erfahrung“; Stolleis, JuS 1989, 871 (873); Merten, Das Prinzip Freiheit im Gefüge der Staatsfundamentalbestimmungen, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 27 Rn. 3; ähnlich auch Kloepfer, Verfassungs­ gebung als Zukunftsbewältigung aus Vergangenheitserfahrung, in: ders. / Merten / Papier et al. (Hrsg.), Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Verfassungsgeschichte, 1994, S. 35 f. 267 Vergleiche auch Eifert, Persönliche Freiheit, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 18 Rn. 55: „die traditionellen Grundrechte, an die das Grundgesetz mit den besonderen Freiheitsrechten bewusst anknüpft, punktuell auf spezifische historische Gefährdungslagen reagierten. Ihnen liegt entsprechend kein System des Freiheitsschutzes zu Grunde, das allgemeine Rückschlüsse auf den Umgang mit den L ­ ücken zwischen diesen Freiheitsrechten erlaubte.“

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

der Entwicklungsgeschichte der einzelnen Freiheitsrechte geht jedoch hervor, dass diese Tendenz zum Grundrechtsschutz Tun und Unterlassen, also von Handlungen in den speziellen Freiheitsrechten allgemein durch zunehmend erstarkende liberale Strömungen geprägt wurde. Gerade das liberale Verständnis der Paulskirchenver­ fassung zeigt, dass der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit auch historisch nicht strikt auf einzelne Freiheitsrechte bezogen gedacht wurde. Auch die Entwicklungen unter der Weimarer Reichsverfassung verdeutlichen, dass über den grundrechtlichen Schutz von Tun und Unterlassen intensiv diskutiert wurde. Inspiriert von der Anerkennung der negativen Religionsfreiheit setzten die Dis­ kussionen um die Anerkennung einer negativen Koalitions-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ein. Diese Diskussionen in der Weimarer Staatsrechtslehre sind demnach Ausdruck eines liberalen Verfassungsverständnisses, das sich über die Jahrhunderte durchgesetzt hat. Noch stärker als die Weimarer Reichsverfassung orientierte sich das Grund­ gesetz am Leitbild des umfassenden Individualschutzes.268 Maßgebend für eine stärkere Orientierung des Grundgesetzes am Individualschutz269 waren neben zu­ nehmend erstarkenden liberalen Strömungen,270 auch die Unterdrückungserfah­ rungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Das Erfordernis der Schaffung einer staatsfreien Sphäre bürgerlicher Eigenverantwortung und Selbstentscheidung271 rückte, geprägt durch die Unterdrückungserfahrungen der Bürger, immer mehr in das Bewusstsein der Staatslehre.272 Ziel war der umfassende Schutz der freien Ent­ faltung des Individuums.273 Die Minderheit kann jedoch nur unter der Vorausset­ zung von den staatlichen Zwängen befreien, dass ihr ein Recht zugestanden wird, ein den eigenen Überzeugungen zuwideres Verhalten zu unterlassen. Soweit die Grundrechte also selbstbestimmte Handlungen des Grundrechtsträgers schützen, erfasst dies sowohl den Schutz des Tuns als auch des Unterlassens. Die im Kon­ text der speziellen Freiheitsrechte diskutierten besonders sensiblen Dimensionen des Unterlassungsschutzes hätten daher im Falle ihrer Normierung nur deklara­ torische Wirkung entfaltet. Die Ideen- und Entstehungsgeschichte der Grundrechte kann die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit unterstützen.274 Sie 268

Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 41. Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 41. 270 Siehe statt vieler Globig, ZRP 1996, 107 (108), ausführlich hierzu auch unter Kap. 2 A. II. 271 Gerade Anfang des 19. Jahrhunderts traten erste Strömungen, die das Individuum als selbstbestimmte Persönlichkeit wahrnahmen, auf, siehe hierzu etwa Hilker, Die Grundrechte im deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005, S. 91. 272 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 151 ff. 273 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 151; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 40. 274 Siehe Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 19 f. mit der An­ merkung, dass die Historie die Interpretation der Grundrechte verdeutlicht und verdichtet. Ähnlich auch Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 239, wonach die historisch-genetische Interpretation die Auslegung nur unterstützen soll. 269

D. Der Widerspruch von Berechtigung und Verpflichtung

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zeigt, dass der grundrechtliche Schutz von Handlungen, und damit auch der grund­ rechtliche Schutz eines Unterlassens, in den Motiven der Grundrechte angelegt war.

D. Der Widerspruch von grundrechtlicher Berechtigung und verfassungsrechtlicher Verpflichtung Insbesondere die Diskussion um die Anerkennung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit ist stets mit einer Diskussion um ein Pflichtmoment der Grund­ rechte verbunden.275 Schließlich sei eine Freiheit, die nur verschiedene Verhaltens­ formen erfasst, also nur die Entscheidung über das ‚Wie‘ eines Tätigwerdens be­ trifft, im Ergebnis nichts anderes als eine Pflicht zu einem bestimmten Tun.276 Nur durch die Anerkennung des unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandenen grundrechtlichen Schutzes eines Tuns und des unter dem Begriff der negativer Freiheit verstandenen grundrechtlichen Schutzes eines Unterlassens könne der Grundrechtsträger vollkommen selbstbestimmt über sein Handeln entscheiden und seine Persönlichkeit entfalten.277 Ein selbstbestimmter Grundrechtsgebrauch setzt daher den umfassenden grundrechtlichen Schutz des Verhaltens des Grundrechts­ trägers sowohl auf der Ebene des ‚Ob‘ als auch auf der Ebene des ‚Wie‘ voraus.278 Aus diesem Grund ist im Folgenden das Verhältnis von grundrechtlicher Be­ rechtigung und verfassungsrechtlicher Verpflichtung zu untersuchen. Dabei gilt es zunächst, zwischen Grundrechten und verfassungsrechtlichen Pflichten des 275 Zu dem Verhältnis zwischen Freiheit und Zwang im Kontext der Herleitung des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit, siehe auch Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 42; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereini­ gungsfreiheit, 1980, S. 97 f.; Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 19, 42; ­Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 39; allgemein zu Grundpflichten siehe G ­ eiger, Grundrechte und Rechtsprechung, 1959, S. 53; ders., Zur Diskussion über die Freiheit der Kunst, in: Bracher / Dawson / ders. et al. (Hrsg.), Die moderne Demokratie und ihr Recht, Bd. 2, 1966, S. 187 (202); kritisch gegenüber Grundpflichten Klein, Die Grundrechte im demokra­ tischen Staat, 1972, S. 43 ff., insbesondere S. 45; siehe auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 21. 276 So wird befürchtet, dass eine einseitige Freiheit, wie sie das positive Freiheitsverständnis bewirkt, letztlich zu der Verpflichtung des Bürgers führt, in einer bestimmten Form zu han­ deln. Siehe etwa Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 19 f.; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 39 unter Berufung auf Koch: „Eine Freiheit, die nur das ‚Wie‘ umfasse, enthalte auch eine Pflicht des einzelnen von der ihm zustehenden Freiheit Gebrauch zu machen. […] Die Pflicht zur Freiheit komme daher einem Zwang zur Freiheit gleich.“; Scholz, Die negative Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 42; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 97; ausführlich zum Freiheits­ verständnis der Grundrechte Kap. 1 F. I. 277 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 38 unter Berufung auf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, 3. Aufl. 1990, S. 106 m. w. N. 278 Freiheit kann sich nie in der positiven Handlung erschöpfen, sondern erfordert zugleich auch immer die Möglichkeit einer negativen Handlung Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 97 f.; siehe auch Dietlein, AuR 1970, 200 (202).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Grundrechtsträgers zu differenzieren und herauszuarbeiten, ob die verfassungs­ rechtlichen Verpflichtungen des Bürgers der Anerkennung der Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entgegenstehen. Während die Grundrechte dem Grundrechtsträger einen Anspruch gegen den Staat vermitteln, vermitteln die verfassungsrechtlichen Pflichten dem Staat einen Anspruch gegen den Bürger.279 Anders als die „staatsgerichteten“ Grundrechte, sind verfassungsrechtlichen Pflichten also „bürgergerichtet“.280 Da ein Grund­ rechtsträger, der verfassungsrechtlich zum Tun verpflichtet ist, sich nicht zugleich auf ein Recht, zu unterlassen, berufen kann,281 könnten die verfassungsrechtlichen Pflichten des Grundrechtsträgers der Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entgegenstehen. Zumindest in den Fällen, in denen die Entscheidungsbefugnis des Grundrechtsträgers über das ‚Ob‘ der Betätigung vollständig aufgehoben ist, bestehen deshalb begründete Zweifel bezüglich der Anerkennung und Anwendbarkeit von positiver und negativer Freiheit. Im Folgenden gilt es daher, die verschiedenen verfassungsrechtlichen Pflichten des Grundrechtsträgers auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit zu überprüfen. Hierfür sind zunächst die speziellen verfassungsrechtlichen Pflichten des Bürgers zu analysieren, sodann ist zu ermit­ teln, ob neben den speziellen verfassungsrechtlichen Pflichten eine unbenannte allgemeine Grundpflicht zum Grundrechtsgebrauch existiert, die den Grundrechts­ träger zum Freiheitsgebrauch im Sinne eines Tuns verpflichtet.

I. Die speziellen verfassungsrechtlichen Pflichten des Grundrechtsträgers Zunächst sind die speziellen verfassungsrechtlichen Pflichten des Bürgers auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit zu überprüfen: Dabei gilt es, zwischen den verschiedenen Ebenen, auf denen die Pflichten wirken, zu differenzieren. Verfassungsrechtliche Pflichten des Bürgers können sich sowohl auf die Ebene des ‚Ob‘ der Betätigung als auch auf die Ebene des ‚Wie‘ der Betätigung beziehen.282 Insbesondere bei den Pflichten, die sich 279

Merten, BayVBl. 1978, 554 (555); Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, 1979, S. 12 f.; Peters, Dienste für den Staat, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, 1930, S. 290 (294); Randelzhofer, Grundrechte und Grundpflichten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 37 Rn. 29; Benda, Grundrechte – Grundpflichten, 1981; Wehr, Rechtspflichten im Verfassungsstaat, 2005, S. 29 f. 280 Merten, BayVBl. 1978, 554 (555); Peters, Dienste für den Staat, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, 1930, S. 290 (294). 281 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 21; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 59. Zu der Frage, ob sich die negative Freiheit auf die Stufe des ‚Ob‘ begrenzt oder auch Auswirkungen auf das ‚Wie‘ der Betätigung hat, ausführlich unter Kap. 3 A. III. 282 Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, 1988, S. 485 f.

D. Der Widerspruch von Berechtigung und Verpflichtung

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auf die Ebene des ‚Ob‘ beziehen, wird diskutiert, ob diese im Widerspruch zum Grundrechtsschutz eines Unterlassens des Grundrechtsträgers stehen und daher den grundrechtlichen Schutz eines Unterlassens, wie er unter dem Begriff der ne­ gativen Freiheit verstanden wird, ausschließen.283 Schließlich habe der Bürger in diesen Konstellationen nicht die freie Wahl, eine Handlung zu tun oder zu unter­ lassen, er könne lediglich zwischen den verschiedenen Formen des Tuns wählen. Die Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Verhaltensweisen sei jedoch die Voraussetzung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob die speziellen verfassungs­ rechtlichen Pflichten des Bürgers die Entscheidung des Grundrechtsträgers über das ‚Ob‘ der Betätigung aufheben und damit den grundrechtlichen Schutz eines Unterlassens ausschließen. Die einzige ausdrücklich im ersten Abschnitt des Grundgesetzes geregelte, das ‚Ob‘ des Tätigwerdens betreffende Pflicht des Grundrechtsträgers ist die Eltern­ pflicht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind Pflege und Er­ ziehung der Kinder sowohl das Recht der Eltern, als auch ihre Pflicht.284 Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist also zugleich ein Grundrecht und eine Grundpflicht.285 Fraglich ist, ob die Grundpflicht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG allgemein – also in Bezug auf sämtliche Freiheitsrechte – die Anerkennung des unter dem Begriff der negativen Freiheit diskutierten grundrechtlichen Schutzes eines Unterlassens des Bürgers ausschließt, oder ob sie nur die Anwendung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit auf Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, also die Anerkennung eines nega­ tiven Elternrechts, ausschließt.286 Zur Beantwortung dieser Frage gilt es, Struktur 283 Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, 1988, S. 486 f. Diese Auffassung ist vor allem durch die Annahme geprägt, dass die negative Freiheit als Unterlassungsfreiheit ausschließlich auf der Stufe des ‚Ob‘, nicht aber auf der Stufe des ‚Wie‘ wirke, ausführlich zu der Frage, ob die negative Freiheit nicht auch das ‚Wie‘ der Betätigung schütze, in Kap. 3 A. III. 2. 284 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 60; Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, 1988, S. 486 ff. 285 BVerfGE 4, 52 (57); 7, 320 (323); 24, 119 (138); 59, 360 (376 f.); 72, 155 (172); von Coelln, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Art. 6 Rn. 53; Merten, BayVBl. 1978, 554 (555); Randelzhofer, Grundrechte und Grundpflichten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 37 Rn. 29; Benda, Grundrechte – Grundpflichten, 1981; Wehr, Rechtspflichten im Verfassungsstaat, 2005, S. 29 f.; Uhle, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 6 Rn. 48; Höfling, Elternrecht, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 155 Rn. 30; Heiderhoff, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 6 Rn. 102 f.; vergleiche auch Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 141; Robbers, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 140 m. w. N.; Jestaedt, Ehe, Familie und Erziehung, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 22 Rn. 67; ders. / Reimer, in: Bonner Kom­ mentar, GG, 195. Aktualisierung Dezember 2018, Art. 6 Abs. 2 u. 3 Rn. 75 ff., 141. 286 Burgi, Elterliches Erziehungsrecht, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 109 Rn. 29; vergleiche auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 63: „Auf der anderen Seite schließt Art. 6 Abs. 2 GG aus, dass Eltern ihr Recht zur Erziehung nicht wahrnehmen, formuliert also mit dieser Verpflichtung gleichzeitig die Ablehnung der negativen Freiheit.“

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

und Funktion des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG – auch im Vergleich zu den übrigen Frei­ heitsrechten – zu untersuchen. Art.  6 Abs. 2 S. 1 GG betrifft das trilaterale Verhältnis von Eltern, Kindern und Staat.287 Kinder sind für ihre geistige und körperliche Entwicklung auf die Fürsorge, die Förderung und die Erziehung Dritter, insbesondere ihrer Eltern, angewiesen.288 Da Kinder dieses Recht auf Erziehung und Förderung regelmäßig nicht selber einfordern können, sind sie auf den Schutz und die Hilfe des Staates angewiesen, der die Eltern in die Pflicht nimmt.289 Zum Schutz des Kindeswohls, insbesondere zum Schutz der Menschenwürde des Kindes,290 muss der Staat die Eltern zur Erfüllung dieser Aufgaben verpflichten können.291 Die Elternpflicht ist folglich „fremdnütziger“ Natur, sie dient einem anderen Grundrechtsträger.292

287

Uhle, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 6 Rn. 48; Ossenbühl, Das elterliche Er­ ziehungsrecht, 1981, S. 18. 288 BVerfGE 7, 198 (205); BVerfGE 121, 69 (92 f.); Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 141; Ossenbühl, Das elterliche Erziehungsrecht, 1981, S. 48; ­Robbers, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 142 f.; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 6 Rn. 42, 45; siehe auch Burgi, Elterliches Erzie­ hungsrecht, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 109 Rn. 34. 289 Jestaedt, Ehe, Familie und Erziehung, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Hand­ buch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 22 Rn. 59; ders. / Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, 195. Aktualisierung Dezember 2018, Art. 6 Abs. 2 u. 3 Rn. 71; vergleiche auch BVerfGE 24, 119 (144); 55, 171 (179). 290 BVerfGE 24, 119 (144); 55, 171 (179); 59, 360 (376 f.); 68, 176 (190); 72, 155 (172); Luchter­ handt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, 1988, S. 489 f.; siehe auch Benda, Grund­ rechte – Grundpflichten, 1981, II. 2.; Coester, Kindeswohl als Rechtsbegriff, 1983, S. 134 ff.; von Coelln, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Art. 6 Rn. 53; siehe auch Robbers, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 145: Das Kindeswohl ist die zen­ trale Leitidee des Art. 6 Abs. 2. Siehe hierzu auch Jestaedt / Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, 195. Aktualisierung Dezember 2018, Art. 6 Abs. 2 u. 3 Rn. 71. 291 BVerfGE 60, 79 (88); 61, 258 (372); 59, 360 (376 f.); Robbers, in: von Mangoldt / K lein /  Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 145; Böckenförde, Essener Gespräche 14 (1980), 54 ff.; Badura, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 6 Rn. 109; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 6 Rn. 45; Jestaedt, Ehe, Familie und Erziehung, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 22 Rn. 64 ff.; ders. / Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, 195. Aktualisierung Dezember 2018, Art. 6 Abs. 2 u. 3 Rn. 71, 75 ff.; siehe auch Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, 1979, S. 35 f.; Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, 1988, S. 486 ff. 292 BVerfGE 59, 360 (376 f.); 61, 358 (372); 64, 180 (189): „treuhänderisches Recht“; 72, 122 (137); 103, 89 (107 ff.); 121, 69 (92): „Elternrecht ist ein Recht im Interesse des Kindes“; ­Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 142 m. w. N.; siehe auch Erichsen, Elternrecht  – Kindeswohl  – Staatsgewalt, 1985; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 6 Rn. 45; Badura, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 6 Rn. 109; siehe auch Jestaedt, Ehe, Familie und Erziehung, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 22 Rn. 59; ders. / Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, 195. Aktualisierung Dezember 2018, Art. 6 Abs. 2 u. 3 Rn. 71.

D. Der Widerspruch von Berechtigung und Verpflichtung

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Die Elternverantwortung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG unterscheidet sich deshalb in ihrer Struktur und Funktion grundlegend von den übrigen Freiheitsrechten,293 die eigennützig ausgestaltet sind und nur das bilaterale Verhältnis von Bürger und Staat betreffen. Die übrigen Grundrechte sind eigennützig ausgestaltet.294 Die Elternpflicht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist also bereits strukturell eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahme im ersten Abschnitt des Grundgesetzes. Aus der Existenz der Elternpflicht kann folglich nicht geschlossen werden, dass das ‚Ob‘ der Betätigung generell aus dem Entscheidungskreis des Grundrechts­ trägers ausgeschlossen sein soll. Damit widerspricht die Elternpflicht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht allgemein in Bezug auf sämtliche Freiheitsrechte der An­ erkennung des Grundrechtsschutzes des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Verhaltens. Da Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zugleich ein Grundrecht darstellt, ist fraglich, ob die Elternverantwortung den Grundrechtsschutz der negativen Elternfreiheit aus­ schließt.295 Schließlich könnte sich Eltern nicht auf ein Recht, die Erziehung ihres Kindes zu unterlassen, berufen.296 Unter dem Begriff der negativen Freiheit werden jedoch verschiedene Verhal­ tensdimensionen abgebildet. Der Grundrechtsschutz entfaltet sich nicht nur auf der Stufe des ‚Ob‘, sondern zugleich auch auf der Stufe des ‚Wie‘ des Tätigwer­ dens.297 Da Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG die Eltern lediglich dazu verpflichtet, sich um

293 Vergleiche auch BVerfGE 68, 176 (190): „Die Verknüpfung von Rechten und Pflichten unterscheidet das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG von anderen Grundrechten“; Jestaedt /  Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, 195. Aktualisierung Dezember 2018, Art. 6 Abs. 2 u. 3 Rn. 66: „grundrechtsdogmatische Anomalie“; siehe auch Uhle, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 6 Rn. 48: „grundgesetzlich einzigartigen Grundpflicht“; ähnlich auch ­Robbers, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 145: „Art. 6 Abs. 2 unterscheidet sich von anderen Grundrechten durch die untrennbare Verknüpfung von Rechten und Pflichten.“ 294 Siehe auch Jestaedt, Ehe, Familie und Erziehung, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 22 Rn. 59: „[…] sie [die Elternver­ antwortung des Art. 6 Abs. 2 GG] stellt auch im Kreise der Grundrechte des Grundgesetzes unter mehrerlei Aspekten eine Anomalie dar.“ 295 Siehe etwa Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 64: „Allein bei Art. 6 Abs. 2 GG ist deutlich, daß ein negativer Gehalt dieses Grundrechts nicht existiert.“ 296 BVerfGE 24, 119 (143), 121, 69 (69, 92 f.); siehe auch Seiler, Ehe und Familie  – noch besonders geschützt?, in: Uhle (Hrsg.), Zur Disposition gestellt?, 2014, S. 37 (50); Uhle, in: ­BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 6 Rn. 48. 297 Detaillierte Ausführungen hierzu siehe Kap. 3 A. III. 2.; Jestaedt, Ehe, Familie und Erzie­ hung, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 22 Rn. 67: „Die Eltern sind zwar frei, in welcher Weise sie – im Rahmen der Kindes­ wohlorientierung – von ihren elterlichen Befugnissen Gebrauch machen wollen; sie sind aber nicht darin frei, ob sie überhaupt von ihnen Gebrauch machen – zum Ob sind sie angehalten, das Wie steht ihnen im Rahmen des Kindeswohlverträglichen frei.“; siehe auch Merten, Ne­ gative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 160.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, können die Eltern über die Erziehungsmethoden frei befinden.298 So können sie zum Beispiel entscheiden, ob sie ihre Kinder nach den Erziehungskonzepten von Montessori, Steiner oder Freinet erziehen. Der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene grund­ rechtliche Schutz des Grundrechtsträgers schützt ihn auch vor der Verpflichtung, bestimmte Modalitäten erfüllen beziehungsweise wahrnehmen zu müssen (sog. ne­ gative Auswahlfreiheit).299 Den Eltern verbleibt die Entscheidung über das ‚Wie‘ der Betätigung. Die negative Elternfreiheit ist damit in ihrem Inhalt auf den Teil­aspekt der negativen Auswahl- und der negativen Beibehaltungsfreiheit reduziert.300 Daher steht Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, obwohl diese Grundpflicht die Stufe des ‚Ob‘ der Betätigung betrifft, der Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nicht entgegen,301 sondern beschränkt den unter dem Be­ griff der negativen Freiheit verstandenen grundrechtlichen Verhaltensschutz auf die Ebene des ‚Wie‘. Diese Wertungen lassen sich auch auf die anderen die Stufe des ‚Ob‘ betreffen­ den verfassungsrechtlichen Verpflichtungen des Grundrechtsträgers übertragen. Ungeachtet der Frage, ob Art. 12 Abs. 2 GG als Grundpflicht qualifiziert werden kann,302 betrifft diese Regelung nur das ‚Ob‘ und nicht das ‚Wie‘ der Betätigung, sodass – selbst unter der Voraussetzung, dass Art. 12 Abs. 2 GG als Grundpflicht

298

BVerfGE 103, 89 (108): „Wie Eltern ihre Erziehungsverantwortung erfüllen und wie sie dabei die Lebensumstände des Kindes ausgestalten, liegt in ihrer primären Entscheidungszu­ ständigkeit nach Art.6 Abs. 2 Satz 1 GG […]“; Robbers, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 152 f.; ähnlich auch Ossenbühl, Das elterliche Erziehungsrecht, 1981, S. 62; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 160. 299 Zur negativen Auswahlfreiheit ausführlich Kap. 3 A. III. 2. 300 Merten, Negative Grundrechte, in: Merten / Papier (Hrsg), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 160; anders Uhle, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 6 Rn. 48, der allerdings die negative Freiheit ausschließlich als Unterlassungsfreiheit im engeren Sinne versteht. 301 Anders Burgi, Elterliches Erziehungsrecht, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 109 Rn. 29; Erichsen, Elternrecht – Kindeswohl – Staats­ gewalt, 1985, S. 36. 302 So Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 12 Rn. 496; Merten, Ne­ gative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 21; ders., BayVBl. 1978, 554 (557 f.); Klein, Der Staat 14 (1975), 153 (155); nach an­ derer Auffassung handelt es sich hierbei lediglich um eine Ausnahme vom Arbeitszwang und nicht um eine Grundpflicht. Ausführlich zu dieser Diskussion Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, 1979, S. 40 f.; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 12 Rn. 119 trifft diesbezüglich keine Zuordnung; tendenziell eher von einer Ausnahmevorschrift als von einer Grundpflicht ausgehend Mann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 185; für die Klassi­ fizierung als Eingriffsvorbehalt, siehe etwa Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, 7, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 154; nach Manssen, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 307 handelt es sich bei der Dienstpflicht um einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Arbeitszwangs; so auch schon Gusy, JuS 1989, 710 (713).

D. Der Widerspruch von Berechtigung und Verpflichtung

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verstanden würde – der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit auf die Ebene des ‚Wie‘ beschränkt wäre.303 Da die speziellen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen, die die Entschei­ dung über das ‚Ob‘ eines Tätigwerdens betreffen, lediglich den grundrechtlichen Schutz eines Unterlassens ausschließen, stehen diese verfassungsrechtlichen Ver­ pflichtungen nicht der Anerkennung des grundrechtlichen Schutzes der negativen Freiheit entgegen. Schließlich wird unter dem Begriff der negativen Freiheit nicht nur der grundrechtliche Schutz der Entscheidung über das ‚Ob‘ der Betätigung, sondern auch die Entscheidung über das ‚Wie‘ der Betätigung abgebildet. Die Ent­ scheidung über das ‚Wie‘ der Betätigung bleibt weiter möglich.

303 So im Ergebnis auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 21. Insbesondere schließt Art. 12 Abs. 2 GG die Anerkennung einer negativen Berufsfreiheit nicht aus. Konstellationen, in denen die Dienstpflicht des Art. 12 Abs. 2 GG relevant wird, sind sehr selten, sodass für die negative Berufsfreiheit grundsätzlich ein Anwendungsbereich besteht. Als weiteres Beispiel für eine dem Grundrechtsschutz der negativen Freiheit vermeintlich entgegenstehende spe­ zielle verfassungsrechtliche Verpflichtung des Bürgers kommen die Lehrverpflichtungen von Hochschul- und Universitätsprofessoren in Betracht. Im öffentlichen Dienst tätige Professoren sind in einem gewissen, einfachgesetzlich genauer festgeschriebenen Zeitrahmen zur Lehre verpflichtet. Auch wenn diese Verpflichtung nicht direkt aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG folgt, also keine Grundpflicht ist, hat diese Verpflichtung – jedenfalls bei verbeamteten Hochschul- und Universitätsprofessoren als Konkretisierung der sich aus dem in dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis (Art. 33 Abs. 5 GG) folgenden Pflicht Verfassungsrang, vergleiche BVerfGE 126, 1 (6): „Daneben normierten sie zugleich die sich aus dem öffentlich-rechtlichen Dienst­ verhältnis ergebenden Pflichten der Hochschullehrer als Beamte, die in Art. 33 Abs. 5 GG ebenfalls verfassungsrechtlich verankert seien. Zu diesen dienstlichen Aufgaben zähle auch die Lehre.“; siehe auch BVerfG, NVwZ 2015, 432 (433): „die Lehre [gehört] zu den dienst­ lichen Pflichten der Hochschulprofessorinnen und Hochschulprofessoren“. Ähnlich wie die Elternverantwortung betrifft die Lehrverpflichtung eine Sonderkonstellation mit der Folge, dass diese das ‚Ob‘ der Betätigung betreffende Verpflichtung nicht die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit in Bezug auf die speziellen Frei­ heitsrechte infrage stellt, sondern nur in Bezug auf die negative Lehrfreiheit der verbeamteten Universitäts- und Hochschulprofessoren. Schließlich steht die Lehrfreiheit den Hochschul- und Universitätsprofessoren wegen ihres „funktionellen Amt[es]“ zu und wird zugleich durch ihr „funktionelles Amt“ beschränkt. Sowohl die verfassungsrechtliche Pflicht zur Lehre als auch das Grundrecht der Lehrfreiheit beziehen sich also auf Personen, die in einem besonderen Näheverhältnis zum Staat stehen und wurzeln in den sich aus diesem Verhältnis folgenden Rechten und Pflichten. Siehe BVerfGE 35, 79 (127); 111, 333 (351). Ähnlich BVerfG, NVwZ 2010, 1285 (1288 Rn. 61); differenziert auch Löwer, Freiheit wissenschaftlicher Forschung, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 99 Rn. 54, 57; vergleiche auch Bethge, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 207 m. w. N.; vergleiche auch Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Hand­ buch des Staatsrechts, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 31 Rn. 32, insbesondere Fn. 82; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 136. Obwohl die Lehrverpflichtung dem Lehrenden zwar die Entscheidung über das ‚Ob‘ des Tätigwerdens teilweise entzieht, verbleibt ihm jedoch die umfassende Entscheidung über

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

II. Eine allgemeine Grundpflicht zum Grundrechtsgebrauch Ist von speziellen verfassungsrechtlichen Pflichten des Bürgers die Rede, schließt sich denklogisch die Frage an, ob neben den speziellen Pflichten auch unbenannte Grundpflichten existieren, die der Anerkennung der negativen Freiheit entgegen­ stehen könnten, wie zum Beispiel eine allgemeine Grundpflicht zum Grundrechts­ gebrauch.304 Vereinzelt wird eine allgemeine Pflicht zum Grundrechtsgebrauch diskutiert. Der Gebrauch der Grundrechte sei für das Funktionieren eines demokratischen Staates erforderlich, da die Grundrechte der Staatshervorbringung dienen.305 Im Falle eines Unterlassens des Freiheitsgebrauchs drohe deshalb ein „Demokratiever­ lust“306. Deshalb sei die aktive Ausübung der Grundrechte307 die staatsbürgerliche

das ‚Wie‘ des Tätigwerdens. Der Lehrende kann über die verschiede Aspekte der Lehre, zum Beispiel die Lehrmethoden, den Inhalt der Veranstaltung und die didaktische Aufbereitung des Lernstoffs frei befinden und sich insoweit auf die negative Auswahlfreiheit berufen, ver­ gleiche Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 136 m. w. N.; Kaufhold, NJW 2010, 3276 (3278 f.); Ossenbühl, AöR 98 (1973), 361 (386 f.); differenzierter Britz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 46. anders Löwer, Freiheit wissenschaftlicher Forschung und Lehre, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2011, § 109 Rn. 57: „Der durch die Lehrfreiheit geschützte Hochschullehrer ist Amtsträger; die atypische Konstruktion der Freiheit im Amt läßt die Kompetenzbindung naturgemäß nicht verschwinden. Deshalb ist die negative Freiheit, nicht lehren zu müssen, von vornherein gar nicht denkbar.“ BVerfGE 141, 143 (164); 126, 1 (27); 55, 37 (68); BVerfG, NVwZ 2010, 1285 (1288 Rn. 59): „Kern der vorbehaltlos gewährten Lehrfreiheit ist insbesondere die freie Wahl von Inhalt und Methode der Lehrveranstaltungen.“; Kempen, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 5 Abs. 3 Rn. 183; ders., in Hartmer / Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, 3. Aufl. 2017, Kap. 1 Rn. 91; Britz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 29; Fehling, Die Lehrfreiheit als Grundlage didaktischen Handelns, in: Krüper (Hrsg.), Recht lehren – Hand­ buch der rechtswissenschaftlichen Fachdidaktik, 2021 (im Erscheinen); Gärditz, in: Dürig /  Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 3 Rn. 116 f.; siehe auch Starck / Paulus, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 491; ­Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 135: „Jede Weisung über Gegenstand, Inhalt oder Methoden der Forschung und der Lehre ist unzulässig […]“ unter Verweis auf Bettermann, Die Universität in der freiheitlich demo­ kratischen Grundordnung, 1963, S. 64. 304 Ähnliche Überlegung bei Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, 1979, S. 12; Randelzhofer, Grundrechte und Grundpflichten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 37 Rn. 19. 305 Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 542; ders., Die Verfassung als Pro­ gramm der nationalen Integration, in: FS Berber, 1973, S. 247 (249 f.); andeutungsweise bereits bei ders., BB 1956, 969 (970). 306 Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 542. 307 Der Begriff der Ausübung der Grundrechte ist in diesem Kontext missverständlich, übt doch auch der Grundrechtsträger, der sich auf seine negative Freiheit beruft, seine Grundrechte aus beziehungsweise macht von ihnen Gebrauch. In dieser Konstellation ist mit der aktiven Ausübung der Grundrechte nur ein Tun gemeint.

D. Der Widerspruch von Berechtigung und Verpflichtung

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Pflicht eines jeden Bürgers.308 Die Grundrechte, so Herbert Krüger, könnten die Freiheit der Bürger daher nur soweit schützen, wie von ihnen positiv Gebrauch ge­ macht werde.309 Diese Verpflichtung, von den Grundrechten Gebrauch zu machen, schließe, so Krüger, den grundrechtlichen Schutz des Unterlassen aus.310 Demnach soll unter dem Begriff ‚Grundrechtsgebrauch‘ nur ein Tun abgebildet sein. In der Lebenswirklichkeit zeigt sich jedoch, dass die aktive Ausübung eines grundrechtlich geschützten Verhaltens, also ein Tun, nicht pauschal als ‚verfas­ sungstreuer‘ oder ‚staatsfreundlicher‘ als ein vergleichbares Unterlassen zu be­ werten ist:311 Die Attentäter der Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris, bei denen 129 Menschen um ihr Leben kamen,312 machten genauso Gebrauch von ihrer positiven Religionsfreiheit wie der Attentäter, der im Dezember 2016 einen Sattelzug in eine Menschenmenge auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtnis­ kirche in Berlin gesteuert hat.313 Das Unterlassen des Bürgers, das sich regelmä­ ßig der Wahrnehmung in der Außenwelt entzieht, also keine Wirkungen in der Außenwelt erzeugt und andere nicht beeinflusst, kann damit unter Umständen 308

Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 543; ders., Die Verfassung als Pro­ gramm der nationalen Integration, in: FS Berber, 1973, S. 247 (249 f.); vergleiche auch Isensee, DÖV 1982, 609 (618); ähnlich auch Müller, Die Menschenrechte in der Rechtsordnung, in: FS Stein, 1969, S. 13 (21) und Kaufmann, JZ 1972, 45 (46) („Jedes Freiheitsrecht findet seinen Gegenpol in einem korrespondierenden Pflichtenbereich.“), die davon ausgehen, dass sich Rechte und Pflichten gegenseitig bedingen; siehe hierzu auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 44 m. w. N.; Geiger, Zur Diskussion über die Freiheit der Kunst, in: Bracher / Dawson / ders. et al. (Hrsg.), Die moderne Demokratie und ihr Recht, Bd. 2, 1966, S. 187 (202); zur Wechselbezüglichkeit von Rechten und Pflichten siehe auch Bethge, NJW 1982, 2145; kritisch Götz, VVDStRL 41 (1982), 7 (insbesondere 13 f.); Hofmann, VVDStRL 41 (1982), 42 (54): „Tatsächlich kann es in einer rechtsstaatlichen Verfassung der Freiheit keine Symmetrie von Rechten und Pflichten geben.“ 309 Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 538 ff., insbesondere 543: „Der Bürger hat von seinen Grundrechten Gebrauch zu machen.“ (Herv. i. O.); ders., Die Verfassung als Programm der nationalen Integration, in: FS Berber, 1973, S. 247 (249 f.). 310 Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 543. Die Frage, wie sich eine solche Pflicht im Verhältnis zur negativen Auswahlfreiheit verhält, die die notwendige Bedingung der positiven Auswahlfreiheit ist, soll an der Stelle zunächst außer Betracht bleiben. Da die negative Auswahlfreiheit primär die Ebene des ‚Wie‘ der Betätigung betrifft, wird sie durch die Pflicht zu Grundrechtsausübung, grundsätzlich nicht betroffen. Diese Frage würde sich schließlich nicht stellen, wenn bereits die Pflicht zur Grundrechtsausübung abzulehnen wäre. 311 Siehe auch die Beispiele bei Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 51; zum Schutz terroristischen Verhaltens durch Art. 4 GG siehe auch Steinberg, NVwZ 2016, 1745 (insbesondere 1748 f.). 312 Ähnliche Beispiele bei Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 51; siehe zu der Berichterstattung über dieses Attentat exemplarisch FAZ v. 14. 11. 2015, abrufbar unter https://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/tote-bei-anschlag-auf-restaurantin-paris-13911818.html. Zwar ist umstritten, ob ein solches Verhalten in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt. Nach dem dieser Dissertation zugrundeliegenden Verständnis handelt es sich hierbei jedoch nicht um eine Problematik des Schutzbereichs, sondern der verfassungs­ rechtlichen Rechtfertigung. 313 Siehe hierzu FAZ v. 20. 12. 2016, abrufbar unter https://www.faz.net/aktuell/politik/ anschlag-in-berlin/anschlag-in-berlin-lkw-faehrt-in-weihnachtsmarkt-14583412.html.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

‚verfassungsfreundlicher‘ sein als ein Tun, das direkte (negative) Auswirkungen auf Dritte hat.314 Im Bewusstsein dieser Problematik wurde vereinzelt erwogen, die allgemeine Grundpflicht zum Grundrechtsgebrauch einschränkend als Pflicht zum ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch zu verstehen.315 Die genauen Anforderungen an den ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch werden je­ doch nicht näher definiert.316 Daher wird zum Teil kritisiert, dass der Begriff un­ bestimmt ist. Wenn der Bürger durch den Staat in die Pflicht genommen werden kann, dann muss er nicht nur abschätzen können, unter welchen Voraussetzungen ihn diese Pflicht trifft, sondern auch, welchen Inhalt und welchen Umfang die Pflicht hat.317 Schließlich wirkt eine solche Pflicht freiheitsverkürzend.318 Auf­ 314

Vergleiche auch Siering, die auf die Geschehnisse des 11. September 2001 sowie auf den versuchten Kofferbombenanschlag in Köln 2006 verweist, Siering, Die negative Religionsfrei­ heit, 2011, S. 51; Kirchhof, Grundrechte und Wirklichkeit, 2005, S. 43. Die negative Freiheit ist gerade nicht nur auf das Verhältnis von Bürger und Staat beschränkt, sondern wirkt sich auch im Verhältnis Bürger-Bürger aus, so Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 268. Zur mittelbaren Drittwirkung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit ausführlich unter Kap. 3 A. III. 4. b) (2). Auch wenn Krüger diese Konstellation ver­ mutlich damals nicht vor Augen hatte, ders., Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 538 ff. 315 Geiger, Grundrechte und Rechtsprechung, 1959, S. 53: „In jeder Freiheit der Betätigung steckt […] eine rechtliche Grundpflicht des Einzelnen, von der ihm eingeräumten Freiheit der Betätigung den rechten Gebrauch zu machen.“; ders., Zur Diskussion über die Freiheit der Kunst, in: Bracher / Dawson / ders. et al. (Hrsg.), Die moderne Demokratie und ihr Recht, Bd. 2, 1966, S. 187 (202). Die Befürworter dieser Pflicht, verstehen diese Pflicht als Verpflichtung zu einem Grundrechtsgebrauch im Sinne eines Tuns, mit der Folge, dass auch die Pflicht zum ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch der Anerkennung der negativen Freiheit entgegenstünde. Kritisch Schnapp, NJW 1998, 960; kritisch auch Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, S. 44. 316 Nach vereinzelter Auffassung soll ein dem Gemeinwohl verpflichteter Gebrauch der Grundrechte unter diesen Begriff zu subsumieren sein, so Geiger, Grundrechte und Recht­ sprechung, 1959, S. 53; ders., Zur Diskussion über die Freiheit der Kunst, in: Bracher / Dawson /  ders. et al. (Hrsg.), Die moderne Demokratie und ihr Recht, Bd. 2, 1966, S. 187 (202); Wehr, Rechtspflichten im Verfassungsstaat, 2005, S. 173; zu gemeinwohlbezogenen Grundpflichten siehe auch Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 220 f.; siehe auch Götz, VVDStRL 41 (1982), 7 (12); ähnlich auch Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 61. Unter einem ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch könnte man aber auch einen an den „guten“ Sitten oder den ethischen Standards orientierten Grundrechtsgebrauch verstehen. Wobei diese Begriffe die Anforderungen an den ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch nicht weiter präzisieren. Kritisch allgemein gegenüber dem ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch Schnapp, NJW 1998, 960; zur Kritik, insbesondere gegenüber dem ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch, vergleiche auch Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, S. 44. 317 Ähnlich auch Götz, VVDStRL 41 (1982), 7 (9), der eine eindeutige Ableitung der Rechts­ pflichten aus der Verfassung fordert und wandelbare Erwartungen kritisiert. „Je lapidarer und damit konstitutionsförmiger, aber eben auch unbestimmter eine Pflichterklärung ausfällt“, um so „zweifelhafter“ ist sie, so Hofmann, VVDStRL 41 (1982), 42 (55); siehe auch die Bedenken von Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 25, der feststellt, dass sich einige Grundrechte, zum Beispiel Art. 11 Abs. 1 GG und Art. 17 GG, bereits „begrifflogisch“ nur schwer in eine Pflicht umkehren lassen. 318 Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (108).

D. Der Widerspruch von Berechtigung und Verpflichtung

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grund eines solchen Verständnisses des ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauchs würde der „freiheitssichernde“319 Charakter der Grundrechte konterkariert, beschränkt eine solche allgemeine Grundpflicht doch die individuelle Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten, die den Kern des den Grundrechten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension zugrundeliegenden negativen Freiheitsver­ ständnisses bildet, auf die Ebene des ‚Wie‘ und schließt mit der Begrenzung des grundrechtlichen Schutzes auf ein Tun weite Teile menschlichen Handelns, näm­ lich ein Unterlassen, aus. Die grundrechtliche Freiheit wäre auf Grundlage dieses Pflichtverständnisses letztlich eine ‚Hülle ohne Frucht‘.320 Da die Grundrechte pri­ mär ein „Dürfen“, nicht aber ein „Müssen“ schützen,321 muss ein „Müssen“ daher auf klar umgrenzte Ausnahmefälle beschränkt sein.322 Zweifel an einer solchen allgemeinen Pflicht zur ‚rechten‘ Grundrechtsausübung ergeben sich auch mit Blick auf die Durchsetzbarkeit dieser. Willi Geiger beispiels­ 319 Zum Begriff siehe Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 17. 320 Randelzhofer, Grundrechte und Grundpflichten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 37 Rn. 43 unter Bezugnahme auf das Zitat von Carl Schmitt „Was Freiheit ist, kann nämlich in letzter Instanz nur derjenige entscheiden, der frei sein soll. Sonst ist es nach allen menschlichen Erfahrungen mit der Freiheit schnell zu Ende“, Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung (1931), in: ders. (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 4. Aufl. 2003, S. 140 (167), zustimmend Bethge, NJW 1982, 2145 (2148). 321 Ähnlich Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 22 ff.; Schulev-Steindl, Subjektive Rechte, 2008, S. 79 f.; Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, 2010, S. 270: „Unverzichtbarer Bestandteil einer Verfassung im Sinne des liberalen Konstitutionalismus ist die Gewährleistung subjektiver Rechte des Einzelnen gegen die Staatsgewalt, die Gewährleistung individueller Freiheit und Selbstbestimmung.“ 322 Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 22 ff.: „[E]in Recht, das ausgeübt werden muß, wird zu einem Gebot; Verpflichtung und Berechtigung sind jedoch zweierlei.“ (Zitat S. 22); Randelzhofer, Grundrechte und Grundpflichten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Hand­ buch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 37 Rn. 43. Hofmann, VVDStRL 41 (1981), 42 (54 f., 69): „All dies – das Prinzip der individuellen Freiheit mit dem darausfolgenden Postu­ lat der Bestimmtheit und Begrenztheit der Eingriffsmöglichkeiten […] – machen den Begriff der Pflicht juristisch höchst problematisch und engen die Möglichkeiten einer freiheitlichen Verfassung den Status der Rechtsgenossen auch durch Rechtspflichten zu definieren, a priori weitgehend ein.“ (Zitat S. 55, unter Verweis auf Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, 1966 und Kubes, Die Rechtspflicht, 1981); ähnlich auch Wehr, Rechtspflichten im Verfassungsstaat, 2005, S. 173 f. Vereinzelt wird der Versuch unternommen, den Widerspruch zwischen einer allgemeinen Verpflichtung zum Freiheitsgebrauch und dem Freiheitsverständnis der Grund­ rechte durch die Annahme eines verfassungstheoretischen Vorrangs der Grundrechte vor der Pflicht des Bürgers zum ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch, so Hofmann, VVDStRL 41 (1981), 42 (54 f., 69), abzumildern, diene diese Pflicht zum Grundrechtsgebrauch doch allein der Absi­ cherung der gleichen Freiheit. Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 49 f.; ähnlich die Befürchtungen von Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich ge­ schützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 217: „Durch die Gewährleistung einer negativen Freiheit wird sichergestellt, dass von staatlicher Seite keine Lenkung in Richtung erwünschter Verhaltensweisen ausgeübt wird.“; vergleiche auch Bethge, NJW 1982, 2145 (2148).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

weise, der sich für den Pflichtcharakter der Grundrechte ausspricht, relativiert seine Aussage, indem er zugleich die Sanktionslosigkeit und fehlende Durchsetz­ barkeit dieser Pflicht des Bürgers betont.323 Kann eine sanktionslose, nicht durch­ setzbare ‚Pflicht‘ überhaupt als Pflicht qualifiziert werden oder handelt es sich hierbei nicht letztlich sprichwörtlich um ein ‚stumpfes Schwert‘? Auch wenn die zwangsweise Durchsetzbarkeit von Pflichten für die Rechtsord­ nung als Ganzes „essentiell“, für den einzelnen Rechtssatz jedoch lediglich „ty­ pisch“ sei,324 eine Pflicht also nicht notwendigerweise die zwangsweise Durchsetz­ barkeit voraussetzt, ist es – ungeachtet der Frage, ob eine Pflicht wesensnotwendig die zwangsweise Durchsetzbarkeit voraussetzt – widersprüchlich, die allgemeine Grundpflicht zum ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch als nicht durchsetzbare Pflicht zu konzipieren, während die verfassungsrechtlichen Pflichten, die den Staat ver­ mittelt durch die Grundrechte treffen, wie auch die verfassungsrechtlichen Pflich­ ten des Bürgers zwangsweise durchsetzbar sind:325 Wird beispielsweise das Kindes­ wohl durch die Eltern gefährdet, hat das Familiengericht gem. § 1666 Abs. 1 BGB die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen, etwa die Ersetzung von Erklärungen der Inhaber der elterlichen Sorge (§ 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB) oder die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB), anzuordnen. Ist der Staat den aus den Grundrechten folgenden Pflichten nicht nachgekommen, kann sich der Bürger gegen eine Verletzung seiner Grund­ rechte zum Beispiel durch die Erhebung der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG entziehen. Eine nicht erzwingbare Pflicht zum ‚rechten‘ Grund­ rechtsgebrauch wäre damit letztlich nur ein „sittlicher Apell“326 und stünde somit im Widerspruch zur Konzeption der übrigen verfassungsrechtlichen Pflichten, insbesondere auch der verfassungsrechtlichen Pflichten des Staates gegenüber dem Bürger.327 323

Geiger, Grundrechte und Rechtsprechung, 1959, S. 53; ders., Zur Diskussion über die Frei­ heit, in: Bracher / Dawson / ders. et al. (Hrsg.), Die moderne Demokratie und ihr Recht, Bd. 2, 1966, S. 187 (202); ebenso zur Sanktionslosigkeit Krüger, Allgemeine Staatlehre, 2. Aufl. 1966, S. 542 f.; diesen Aspekt der Sanktionslosigkeit betont auch Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, S. 45; vergleiche hierzu auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 44. 324 Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1977, § 11, S. 117 ff.; Engisch, Auf der Suche nach Gerechtigkeit, 1971, S. 92 f.: „Nur sollte man das Zwangsmoment von vornherein nicht mißdeuten, daß durch den (möglichen) Zwang auch schon die rechtliche Pflicht begründet werde.“ Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 44 m. w. N.: „Zwar ist auch die lex imperfecta Rechtsnorm, weil Durchsetzbarkeit im Wege des Vollstreckungs- und / oder Strafzwanges es­ sentielles Merkmal nur für die Rechtsordnung als Ganzes, für den einzelnen Rechtssatz aber lediglich typisch ist.“ 325 Merten, BayVBl. 1978, 554 ff. 326 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 44. 327 So bereits zutreffend Merten, BayVBl. 1978, 554 (557); ders., VerwArch 73 (1982), 103 (107). Es fragt sich vielmehr auch, ob ein solcher allgemeiner Apell zum Tun den Grundrechts­ schutz der negativen Freiheit ausschließen kann.

D. Der Widerspruch von Berechtigung und Verpflichtung

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Auch historische Erwägungen sprechen gegen die Annahme einer allgemeinen Grundpflicht zum ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch. Aufgrund der Unterdrückungs­ erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus hat sich der Verfassungsgeber bei der Verabschiedung des Grundgesetzes bewusst dazu entschieden, Grundpflich­ ten – anders als in der Weimarer Reichsverfassung – nur punktuell und rudimen­ tär328 im Grundgesetz aufzunehmen.329 Eine allgemeine Grundpflicht zum ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch existiert so­ mit nicht und kann folglich auch nicht der Anerkennung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit beziehungsweise des Grundrechtsschutzes des unter diesem Begriff Verhaltens entgegenstehen.

III. Zusammenfassung Verfassungsrechtlich verankerte Pflichten des Bürgers stehen der Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nicht entgegen.330 Selbst eine das ‚Ob‘ der Betätigung betreffende verfassungsrechtliche Verpflich­ tung steht dem grundrechtlichen Schutz eines Tuns und eines Unterlassens nicht entgegen. Sie bewirken lediglich die Einschränkung der negativen Freiheit. In diesen Konstellationen verbleibt dem Grundrechtsträger je doch noch die Wahl­ möglichkeit in Bezug auf die Art und Weise der Betätigung.331 Auch eine Freiheit, die nur das ‚Wie‘ der Betätigung schützt, ist nicht automatisch ein Betätigungs­ zwang. „[E]ine Freiheit, die nur das ‚Wie‘, nicht aber das ‚Ob‘ der Grundrechts­ 328

Bethge, NJW 1982, 2145. Benda, Grundrechte – Grundpflichten, 1981; Bethge, NJW 1982, 2145; Schuhmann, Ne­ gative Freiheitsrechte, 1997, S. 410; vergleiche auch Klein, Die Grundrechte im demokra­tischen Staat, 1972, S. 44, insbesondere Fn. 62; Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, 1979, S. 11; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 62; Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Rn. 58 f. Selbst wenn man die Pflicht zum ‚rechten‘ Grundrechtsgebrauch, als gemeinwohl­ orientierten Grundrechtsgebrauch versteht erscheint es aus diesen Gründen naheliegender statt eine allgemeine Pflicht des Bürgers zum gemeinwohlorientierten Tun anzunehmen, die Ge­ meinwohlorientierung beziehungsweise die Gemeinwohlverträglichkeit eines Verhaltens bei der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere steht das Kriterium Gemeinwohlförderlichkeit der Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nicht entgegen. Schließlich kann auch das Unterlassen beispielsweise einer emissionsreichen Tätigkeit, etwa der geruchsintensiven Schweinezucht im Wohngebiet (VG Augsburg, Urt. v. 07. 11. 2012 – Au 4 K 12.1024, juris; VG München, Urt. v. 22. 03. 2012 – M 11 K 10.1011, juris; vergleiche auch VGH Bayern, Beschl. v. 15. 10. 2012 – 1 ZB 12.1021, juris) oder das Unterlassen der lauten Fuckparade oder der Loveparade im Wohngebiet (BVerfG, NJW 2001, 2459) gemeinwohlförderlich sein. 330 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 37: „es ist weder aus den vereinzelten Grundpflichten die gene­ relle Existenz noch aus einigen Negativrechten die generelle Abstinenz unbenannter negativer Rechte ableitbar.“ 331 So auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 21. Detlef Merten klassifiziert diese verfassungs­ rechtlichen Verpflichtungen auch als Schranken der negativen Freiheit, ausführlich hierzu Kap. 4  A. V. 329

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

ausübung enthalte“, schlägt, so Jörg Fenchel, nicht ohne weiteres „in eine Pflicht zur Ausübung“332 um.

E. Der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit als Korrelat des Grundrechtsschutzes der positiven Freiheit Teilweise wird im Rahmen der Diskussion über die Herleitung des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit schlichtweg behauptet, dass eine den unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Grundrechtsschutz ableh­ nende Interpretation der Grundrechte der Logik entbehre.333 Die Anerkennung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit sei eine Selbstverständlichkeit.334 Schließlich sei die negative Freiheit, der grundrechtliche Schutz eines Unterlassens, das „logische Gegenstück“335 beziehungsweise das „sachlich-notwendige Korre­ lat“336 der positiven Freiheit, also des grundrechtlichen Schutzes eines Tuns. 332

Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 39. Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (389) m. w. N.; Maunz, Deutsches Staatsrecht, 23. Aufl. 1980, S. 182; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz, 1974, S. 35, 42; ähnlich auch Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 42; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 39, 97 f.; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 38 f.; siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 49 f.; vergleiche hierzu auch Leydecker, Der Tarif­ vertrag als exklusives Gut, 2005, S. 76 ff. 334 Diese These ist historisch tief verwurzelt. Bereits bei der Auslegung des Art. 12 der Re­ vidierten Verfassung Preußens von 1850 wurde diskutiert, dass jedem positiven Freiheitsrecht kraft Logik der Sache auch eine negative Freiheit innewohne. Wenn weder das Handeln noch das Nichthandeln geschützt würde, wäre die Freiheit nicht frei, so Huber, Deutsche Verfas­ sungsgeschichte, Bd. 3, 3. Aufl. 1990, S. 106 sich auf Anschütz, Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Januar 1850, 1912, S. 191 f. beziehend; siehe hierzu auch Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 38. Zu dieser Argumentation im Geltungsbereich des Grundgesetzes: Bethge, JA 1979, 281 (283); Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Ver­ einigungsfreiheit, 1980, S. 39, 95 f.; Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitions­ freiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (130); Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 26 (33); Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 42; Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, 1988, S. 494; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 51; ähnlich auch Dietlein, AuR 1970, 200 (202), der die negative Koalitionsfreiheit als notwendiges Korrelat zur positiven Koalitions­ freiheit sieht; so bereits Ritter, JZ 1969, 111 (113): „Kehrseite“; siehe auch Huber, DÖV 1956, 137: „Zu jedem echten Freiheitsgebrauch gehört das Recht zum Gebrauch wie zum Nichtgebrauch der Freiheit“; Muckel, in: Berliner Kommentar, GG, 26. Erg.-Lfg. IV/2009, Art. 4 Rn. 2. 335 Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (130): „notwendige Spiegelbild“; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz, 1974, S. 35, 42. 336 Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 39, 95 f.; Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (130); Gitter, JurA 1970, 148 (150): „begriffliche Kehrseite“. Ähnlich auch Tiedemann, Religionsfreiheit – Menschenrecht oder Toleranzgebot?, 2012, S. 160. 333

E. Der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit

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I. Der Grundrechtsschutz eines Tuns als Ausgangspunkt des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit Vereinzelt wird versucht, den Grundrechtsschutz der negativen Freiheit aus dem Grundrechtsschutz der positiven Freiheit herzuleiten. Schließlich würden die Grundrechte, wenn sie nur die positive Freiheit schützen, lediglich die Freiheit über das ‚Wie‘ des eigenen Verhaltens, also über die konkrete Verhaltensform, zu entscheiden, enthalten. Damit sich der Grundrechtsträger auch auf der Ebene des ‚Ob‘ frei entscheiden könne, müsse die positive Freiheit durch die negative Frei­ heit ergänzt werden. Diese Argumentation basiert folglich im Wesentlichen auf dem Gedanken, dass die positive Freiheit von vornherein von den Grundrechten geschützt werde, und leitet ausgehend von dem Grundrechtsschutz der positiven Freiheit den Grundrechtsschutz der negativen Freiheit her.337 Ein besonderer faktischer Zusammenhang zwischen positiver und negativer Freiheit kann nicht geleugnet werden.338 Schließlich sind positive und negative Frei­ heit keine selbstständigen Rechte, sondern für ihre Anwendung auf einen konkreten Fall stets auf den Rückbezug zu einem speziellen Freiheitsrecht angewiesen.339 Die speziellen Freiheitsrechte beschreiben den geschützten Lebensbereich, auf den sich positive und negative Freiheit beziehen. In diesem Lebensbereich stellt die negative Freiheit die Alternative der positiven Freiheit und die positive Freiheit die Alterna­ tive der negativen Freiheit dar.340 So stellt im Kontext der Pressefreiheit etwa die ne­ gative Pressefreiheit, die beispielsweise vor dem Zwang zur Publikation schützt,341 337

Siehe hierzu etwa Gitter, JurA 1970, 148 (150): „Die in Art. 9 Abs. 3 GG ausdrücklich garantierte Freiheit, eine Koalition zu bilden oder ihr beizutreten, setzt begrifflich die Freiheit voraus, der Koalition auch fernzubleiben. Nur wenn die Freiheit des Fernbleibens gleicher­ maßen garantiert ist, handelt es sich wirklich um die frei gebildeten Koalitionen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG. Deshalb entspricht dem Individualgrundrecht der positiven Koalitionsfrei­ heit notwendigerweise das Individualgrundrecht der negativen Koalitionsfreiheit und genießt wie jenes den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG.“ Daher überrascht es nicht, dass der Gedanke der Spiegelbildlichkeit von positiver und negativer Freiheit im Wesentlichen auf dem Gedanken fußt, dass die positive Freiheit Grundlage der Anerkennung der negativen Freiheit ist. Zum Gedanken der Spiegelbildlichkeit ausführlich Kap. 3 A. I. Ähnlich auch Leydecker, Der Tarif­ vertrag als exklusives Gut, 2005, S. 78. 338 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 50; Koch, Ko­ alitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 19; Huber, DÖV 1956, 137; Krüger, BB 1956, 969 (970). 339 Vergleiche auch Kap. 3 A. I.; ähnlich auch Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungs­ freiheit?, in: FS Kriele, 1997, S. 301 (308). 340 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 7 („Unterlassen als Alternative zum Tun“). 341 Hierzu zählt etwa das Ablehnen von Anzeigen, siehe Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 36; so bereits Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 1–2 Rn. 98; siehe auch Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 302; Wendt, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 62; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 119 ff.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

die Alternative zur positiven Pressefreiheit dar, die etwa die Freiheit zur Publika­ tion einer Zeitschrift schützt.342 Dennoch kann der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit nicht aus dem Grundrechtsschutz der positiven Freiheit hergeleitet werden. Verstünde man die negative Freiheit beziehungsweise den Unterlassungsschutz als „logisches“ oder „sachlich notwendiges“ Korrelat der positiven Freiheit, wird bereits im Rahmen der Herleitung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit ein bestimmtes Handlungsverständnis vorausgesetzt.343 Diese Herleitungsargumentation impli­ ziert schließlich bereits, dass die positive Freiheit auch die Entscheidung über das ‚Ob‘ betrifft.344 Die positive Freiheit kann die Entscheidung über das ‚Ob‘ der Betätigung schützen, wenn die negative Freiheit anerkannt wird, genauso wie die negative Freiheit nur das ‚Ob‘ der Entscheidung betreffen kann, wenn die positive Freiheit anerkannt wird.345 Die Anerkennung des Grundrechtsschutzes der nega­ tiven Freiheit wegen des Grundrechtsschutzes der positiven Freiheit ist daher ein unzulässiger „Zirkelschluss“346.

342

Statt vieler siehe nur Starck / Paulus, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 133 f.; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 36; Bethge, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 84. 343 Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (393): „‚Logisches‘, ‚begriffliches‘ oder ‚sachlich notwendiges‘ Korrelat bzw. Gegenstück der positiven Vereinigungsfreiheit kann die negative Vereinigungsfreiheit aber nur dann sein, wenn man unterstellt, daß Art. 9 Abs. 1 GG über seinen Wortlaut hinaus das Prinzip der freien Verbandsbildung nach jeder Richtung hin gewährleiste. Indessen ist das gerade die zentral zur Diskussion stehende Frage.“ (Herv. i. O.); Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 41. 344 Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (393); Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 41. 345 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 41; vergleiche auch Kap. 3 A. III. 1. 346 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 41: „Die Entscheidung über das ‚Ob‘ ist die Entscheidung über Gebrauch oder Nichtgebrauch des Grundrechts, über Tun und Unter­ lassen. […] Unterstellt man also, daß die positive Grundrechtsfreiheit auch die Entschei­ dung über das ‚Ob‘ der Grundrechtsausübung enthält, setzt man das Bestehen der negativen Grundrechtsfreiheit, das bewiesen werden soll bereits voraus – ein klassischer Zirkelschluss“; vergleiche auch die Kritik Friaufs (Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (393)) in Bezug auf die negative Vereinigungsfreiheit: „Es setzt also das Vorhandensein der negativen Freiheit voraus, statt sie zu beweisen.“ Friauf plädiert dafür, statt logischer Erwägungen auf „den Sinngehalt und die verfassungsrechtliche Funktion“ der Grundrechte abzustellen (ebenda, S. 393). Diesem Verständnis, dass die Grundrechte, die Entscheidung über das ‚Ob‘ der Betätigung schützen, liegt allerdings ihrerseits – auch wenn dies nicht wirklich deutlich wird – ein bestimmtes theoretisches Vorverständnis über die Ent­ schließungsfreiheit des Grundrechtsträgers zugrunde. Ähnlich kritisch auch Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007, S. 32 und Eberle, DÖV 1977, 306 (308).

E. Der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit

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II. Der grundrechtliche Schutz des Unterlassens als Reflexwirkung des grundrechtlichen Schutzes eines Tuns Soweit der grundrechtliche Schutz eines Tuns als grundrechtlich geschütztes Verhalten anerkannt wird, wird zugleich der grundrechtliche Schutz eines Unter­ lassens – zumindest als Reflexwirkung eines grundrechtlich geschützten Tuns – an­ erkannt.347 Schließlich beinhaltet ein Tun stets zugleich eine Unterlassungskompo­ nente. Ein Grundrechtsträger, der etwas tut, unterlässt währenddessen ein anderes Tun.348 Das Bekenntnis eines Bürger zu einer Religion, etwa zum Katholizismus, schließt – der „Exklusivität“ dieses Bekenntnisses des Glaubens wegen – stets die Entscheidung gegen das Bekenntnis zu einer anderen Religion ein.349 Das Kundtun einer Meinung beinhaltet gleichzeitig die Entscheidung, eine andere, konträre Mei­ nung nicht zu vertreten.350 Betätigt sich der Grundrechtsträger in einer Koalition, unterlässt er in der Regel Beitritt und Engagement in einer anderen (Konkurrenz-) Koalition. Zwar kann ein Grundrechtsträger gleichzeitig mehrere Formen des Tuns ausüben, indem er ein Lied singt und gleichzeitig ein Porträt malt, dabei unter­ lässt er es jedoch, ein anderes Lied zu singen oder eine Fotografie anzufertigen. Ein Tun des Grundrechtsträgers beinhaltet also regelmäßig ein Unterlassen eines anderen – ebenso möglich gewesenen – Tuns.351 Daher stellt sich die Frage, ob ein Unterlassen trotz Möglichkeit eines anderweitigen Tuns mit dem Unterlassen als

347

Vergleiche hierzu auch den ähnlichen Gedankengang von Fenchel, Negative Informa­ tionsfreiheit, 1997, S. 40 f.; siehe auch die Überlegung von Borowski, Die Glaubens- und Ge­ wissensfreiheit, 2006, S. 190 f.: „Betrachtet man das Verhalten eines Subjekts vollständig, ist der Vollzug jeder Handlung notwendig mit dem Unterlassen des Vollzuges jeder möglichen alternativen Handlung verbunden.“ 348 Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, 190 f.; vergleiche auch Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 38 f.; vergleiche auch Röhl, JA 1999, 600 (603): „So unter­ läßt es der Student S, der am Nachmittag Tennis spielt, ins Kino zu gehen, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachzulesen, Klavier zu üben oder der Hund seines Nachbarn auszuführen.“ Selbst wenn man mit Röhl den Kreis des Alternativverhaltens auf einen eng be­ grenzten Verhaltensraum, der nur potentiell mögliche Verhaltensweisen und -formen, die dem Menschen möglich sind, eingrenzt, bedeutet ein bestimmtes Tun zugleich eine Unterlassung. 349 Kästner, JZ 1998, 975 (980); Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 190 f.; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 38 f.; Heckel, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: FS  BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 379 (398). 350 Zur Koalitionsfreiheit siehe Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey /  Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (449, 455), wonach der Zwang, einer bestimmten Koalition beizutreten, die positive Koalitionsfreiheit, einer anderen Koalition beizutreten, verletzen könne. Diese „logische Verbindung“ zeigt sich auch im Kontext der Religionsfreiheit: Das positive Bekenntnis beinhalte genuin die negative Entscheidung gegen eine andere Religion, vergleiche Heckel, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht in der Recht­ sprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: FS BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 379 (398); Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 39. 351 Kästner, AöR 123 (1998), 408 (421); ders., JZ 1998, 974 (979, 980); Röhl, JA 1999, 600 (603): „jede Handlung [ist] zugleich die Unterlassung anderer Handlungen“; siehe auch (zwar

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Reflexwirkung eines Tuns vergleichbar ist und daher den gleichen grundrecht­ lichen Schutz genießen muss. Vereinzelt wird zwischen dem Unterlassen als Reflexwirkung und dem schlich­ ten Unterlassen unterschieden: Würde der Bürger zu einem bestimmten Verhal­ ten verpflichtet, so blockiere dies ein anderes Verhalten (Tun / Unterlassen) nur zu demselben Zeitpunkt, zu einem späteren Zeitpunkt könne dieses Verhalten jedoch vorgenommen werden.352 Folglich sei bei einem Zwang zum Tun nur die Verfügungsbefugnis über die eigene Zeit, nicht aber grundrechtliche Schutz des Unterlassens beschränkt.353 Dem Zwang zur Kundgabe einer Meinung könne man sich entziehen, indem man alsbald seine ‚wahre‘ Meinung offenbare.354 Ein Grund­ rechtsträger kann sich sogar einer Zwangsehe durch eine Scheidung entziehen und später einen anderen Partner heiraten.355 Diese Überlegung lässt jedoch die Identifikationswirkung des Verhaltens un­ berücksichtigt.356 Der Zwang zur Kundgabe einer bestimmten, der eigenen wider­ sprechenden Meinung könnte beispielsweise bewirken, dass der Grundrechtsträger sich später nicht traut, die eigene Meinung kundzutun, oder fürchten muss, dass die eigene Meinung wegen der zuvor kundgetanen – möglicherweise widersprüch­ lichen – Meinung nicht dieselbe Beachtung findet, wie es der Fall wäre, wenn er von vornherein seine wahre Meinung geäußert hätte, zumal unklar ist, wie lange der Bürger zeitlich an die alte Meinung gebunden wäre. Auch ein kurzlebiges Verhalten kann besonders intensiv in die Verhaltensdispositionsbefungnis des Grundrechtsträgers eingreifen oder Folgewirkungen für die Zukunft entfalten, mit der Folge, dass sich der Grundrechtsträger nicht ohne weiteres von diesem Verhalten ‚lösen‘ kann. Erziehen Eltern ihr Kind etwa in einer bestimmten vom Staat vorgeschrieben Weise, kann diese Erziehung, auch wenn die Eltern alsbald den Erziehungsstil wechseln, nachhaltig das Verhalten des Kindes beeinflussen. Ein Forscher kann sich von auf diese Weise zustande gekommenen Forschungs­ ergebnissen zwar wieder distanzieren, diese können aber gleichwohl Grundlage der Forschung anderer werden und sich auf diesem Weg mittelbar manifestieren. Die im Kontext des Strafrechts) ders., JA 1999, 895 (898): „Jedes Verhalten ist zugleich positives Tun und Unterlassen, denn es schließt neben dem Tun alle Unterlassungen ein, die im Verhal­ tensraum des Handelnden liegen. Stets liegt also beides vor.“ 352 Zu dieser Überlegung siehe Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 40. 353 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 40. 354 Dem Zwang, an einer bestimmten Versammlung teilzunehmen, könne man sich entgehen, indem man später an einer anderen teilnehme, oder nach der Versammlung klarstelle, dass auf der Versammlung nicht die eigenen Interessen vertreten worden seien, vergleiche auch Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 40. 355 Auch wenn nicht alle Glaubensrichtungen die Möglichkeit der Scheidung anerkennen, ändert dies nichts an der Tatsache, dass zumindest die rechtliche Ehe geschieden werden kann, vergleiche § 1565 BGB; deutlich kritischer Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 40. 356 Zur Zwangsidentifikation mit einem Verhalten siehe Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 65; siehe auch Kap. 3  A. IV. 4. d).

E. Der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit

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individuelle Freiheit kann also unabhängig davon, ob das erzwungene Verhalten des Grundrechtsträgers von kurzer oder langer Dauer ist, beschränkt werden.357 Wenn das Unterlassen als Reflexwirkung eines Tuns geschützt wird, müssen die Grundrechte auch ein Verhalten in einer Situation schützen, in der der Grund­ rechtsträger grundsätzlich mögliches Tun vollständig unterlässt. Der Unterschied zwischen dem Unterlassen eines Verhaltens, als Reflexwirkung der Ausübung eines Verhaltens,358 und dem schlichten Unterlassen, das heißt der Entscheidung, an keiner Versammlung teilzunehmen oder keiner Vereinigung beizutreten, ist nicht struktureller, sondern gradueller Natur.359 Es handelt vergleichbare Verhaltens­ dimensionen, die sich nicht wesentlich unterscheiden. Schützen die Grundrechte umfassend ein Tun, müssen sie auch ein Unterlassen schützen. Tun und Unter­ lassen bedingen sich folglich unabhängig von der Frage, ob sich das Unterlassen als Reflexwirkung des Tuns äußert, gegenseitig.360 Es wäre daher widersprüch­ lich, wenn ein Grundrechtsträger als Mitglied einer Koalition sich unter Beru­ fung auf die positive Koalitionsfreiheit vor dem Zwang einer bestimmten, etwa in der Konkurrenz zu der Vereinigung, deren Mitglied er ist, schützen könnte,361 der Grundrechtsträger, der kein Mitglied einer Koalition ist und dies auch nicht werden möchte, vor dem Zwang zum Beitritt zu einer von mehreren Koalitionen ungeschützt wäre, weil ein Unterlassen keinen grundrechtlichen Schutz genösse.362

357 Dabei ist davon auszugehen, dass mit zunehmender Dauer des Zwangs die Intensität für den Bürger steigt, und die Wahrscheinlichkeit mit dem erzwungenen Verhalten identifiziert zu werden. 358 In den Konstellationen, in denen der Bürger ein Alternativverhalten unterlässt, überwiegt ein Tun das Unterlassen also nicht. Vielmehr prägen das ausgeführte Tun und das Unterlassen des Alternativverhaltens gleichermaßen das Verhalten des Bürgers. 359 Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 191: „Wenn der Unterschied aber nur graduell ist, ist nicht einzusehen, warum vollständiges Unterlassen nicht in den Tat­ bestand der Freiheitsrechte fallen soll.“ 360 Es ist also, so stellt Paul Tiedemann es in Bezug auf die Religionsfreiheit treffend fest, „gleichgültig, ob er [der Grundrechtsträger] stattdessen einen anderen oder ob er überhaupt keinen religiösen Glauben hat.“ Siehe Tiedemann, Religionsfreiheit  – Menschenrecht oder Toleranzgebot?, 2012, S. 160. Zu der Frage, ob das Recht, keine Religion zu haben von der negativen Freiheit erfasst ist, ausführlich Kap. 3 A. III. 1. 361 Schließlich wird der Bürger am Beitritt zu einer anderen Koalition oder bei der Gründung einer neuen Koalition gehindert; vergleiche Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann /  Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (449, 455). 362 Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grund­ rechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (455 f.): „So sah man im Zwang, sich einer bestimmten Koalition anzuschließen, eine Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit, weil dem Betreffenden die Möglichkeit genommen wurde, einer anderen Koalition beizutreten. Im Zwang dagegen, sich überhaupt einer Koalition anzuschließen, sollte (nur) eine Verletzung der negativen Koali­ tionsfreiheit liegen. Wenn aber aufgrund einer tariflichen Organisationsklausel nur organi­ sierte, d. h. bereits organisierte Arbeitnehmer eingestellt werden dürfen, so wird damit auch die Gründung einer neuen Koalition unterbunden oder zum mindesten erschwert. Hier schlägt eine Beschränkung der negativen Koalitionsfreiheit in eine solche der positiven Koalitions­ freiheit um.“ (Herv. i. O.).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Beide Konstellationen sind derart vergleichbar, dass der Bürger in diesen Konstel­ lationen denselben grundrechtlichen Schutz genießen muss.363 Angesichts dieser Wechselbezüglichkeit von Tun und Unterlassen364 müssen die Grundrechte, die ein Tun schützen, also gleichermaßen auch ein Unterlassen des Grundrechtsträ­ gers schützen. Eine solche Argumentation setzt allerdings den grundrechtlichen Schutz von Handlungen, also auch eines Unterlassens, bereits voraus, und basiert insoweit auf einem bestimmten Handlungsverständnis, ohne dieses zu reflektieren. Diese Ar­ gumentation ist in erster Linie durch die liberale Vorannahme geprägt, dass die Grundrechte umfassend ein menschliches Handeln schützen. Daher ist in dieser Konstellation strenggenommen nicht der grundrechtliche Schutz eines Tuns Aus­ gangspunkt der Anerkennung des grundrechtlichen Schutzes eines Unterlassens, sondern ein bestimmtes Handlungsverständnis.

III. Zusammenfassung Der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit kann nicht als logisches Kor­ relat des Grundrechtsschutzes der positiven Freiheit hergeleitet werden. Soweit anerkannt wird, dass zwischen dem Unterlassen eines anderweitigen Tuns und dem Unterlassen als solchem nur ein gradueller Unterschied besteht, ist nicht der grundrechtliche Schutz des Tuns Ausgangspunkt der Herleitung des Grundrechts­ schutzes der negativen Freiheit, sondern ein bestimmtes Handlungsverständnis. Die positive Freiheit hat damit keinerlei Einfluss auf die Herleitung der negativen Freiheit und umgekehrt.365

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit aus dem grundrechtlichen Schutz von Selbstbestimmung und -entfaltung Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit dient dem Schutz der Selbstbestimmung und -entfaltung des Grundrechtsträgers. Der Schutz von Selbstbestimmung und -entfaltung wird im Wesentlichen durch das Freiheitverständnis der Grundrechte und das Menschenwürdeprinzip gestaltet, sodass es im Folgenden zu analysieren gilt, ob positive und negative Freiheit sich 363

Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 25. Hartmann, Ethik, 4. Aufl. 1962, S. 782 ff. 365 Aus diesem Grund kann der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene Grund­ rechtsschutz in seiner inhaltlichen Ausgestaltung nur vom speziellen Freiheitsrecht, nicht aber vom Grundrechtsschutz der positiven Freiheit abhängig sein. Hierzu ausführlich unter Kap. 3 A.; siehe auch Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (396). 364

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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aus dem durch diese Prinzipien gewährten grundrechtlichen Autonomieschutz herleitet. Sodann ist zu untersuchen, ob die Grundrechte nicht bereits einen aus­ reichenden Schutz der Selbstbestimmung und -entfaltung des Grundrechtsträgers gewähren, mit der Folge, dass es der Anerkennung von positiver und negativer Freiheit nicht bedarf.

I. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit aus dem Freiheitsverständnis der Grundrechte In der Literatur wurde bisher häufig nur überblicksartig auf den Einfluss eines grundrechtlichen Freiheitsverständnisses auf die Herleitung des Grundrechtsschut­ zes von positiver und negativer Freiheit eingegangen.366 Dabei könnte der unter dem Begriff der negativen Freiheit der Grundrechte verstandene Schutz ein „freiheit­ lich notwendiges Korrelat“367 zu dem unter dem Begriff der positiven Freiheit der Grundrechte verstandenen Schutz zum Zweck des umfassenden Freiheitsschutzes des Grundrechtsträgers sein. Bereits der Begriff des ‚Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit‘ deutet auf die besondere Verbindung zwischen der Freiheit des Individuums und der Anerkennung von positiver und negativer Freiheit hin.368 War zunächst noch von der positiven und negativen ‚Seite‘ der Grundrechte die Rede, hat sich mittlerweile der Begriff der positiven und negativen ‚Freiheit‘ etabliert.369 Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit könnte da­ 366 Exemplarisch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 46 ff.; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 33 ff. 367 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 50 f.; Huber, DÖV 1956, 135 (137); Galperin, Organisationszwang und Koalitionsfreiheit, in: FS Bogs, 1959, S. 87 (95); Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20 f. Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 29; ders., Koalitionsfreiheit, in: ­Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 8, 3. Aufl. 2010, § 175 Rn. 93; ders., in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 9 Rn. 88: „als freiheitsrechtlich notwendiges Korrelat“; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 50 f.; ähnlich Merten, der die Anerkennung von positiver und negativer Freiheit von der Funktion der Grundrechte abhängig machen möchte, die er primär im umfassenden Freiheits­ schutz sieht, so Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 40 ff.; im Ansatz auch Schubert, RdA 2001, 199 (201); vergleiche auch Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, 1992, S. 155; auch in der Rechtsprechung wird häufig auf die Freiheit des Grundrechtsträgers Bezug genommen, siehe hierzu exemplarisch BVerfGE 12, 1 (3 f.); 30, 415 (426); 32, 98 (106); 33, 23 (28 f.); 41, 29 (49); 44, 37 (49); 52, 223 (245 ff.); 69, 315 (343). 368 Siehe bereits Kap. 1 A. II. Der Zusammenhang zwischen dem Freiheitsverständnis der Grundrechte und dem Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit wurde bereits früh unter der Weimarer Reichsverfassung diskutiert, hierzu ausführlich Etzrodt, Der Grund­ rechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20 ff.; siehe auch Borowski, Grund­ rechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 78 Fn. 68; Asmus, Die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 159 der Reichsverfassung, 1933, S. 41 ff. 369 Hierzu Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20 f.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

her bereits im Kern der grundrechtlichen Freiheit angelegt sein.370 Es bedarf daher einer ausführlichen Untersuchung des Verständnisses grundrechtlicher Freiheit und der Frage, ob der Einfluss des Freiheitsverständnisses die Anerkennung von positiver und negativer Freiheit impliziert. Der Begriff ‚Freiheit‘ und unser grundrechtliches Verständnis von Freiheit sind primär philosophisch geprägt. Daher muss der Untersuchung des Verständnisses grundrechtlicher Freiheit371 eine Analyse des philosophischen Verständnisses von Freiheit vorangestellt sein.372 Bereits in den philosophischen Untersuchun­ gen wurde zwischen einem positiven und einem negativen Freiheitsverständnis unterschieden. Diese Unterscheidung zwischen dem positiven und dem negativen Freiheitsverständnis hat nicht nur einen maßgeblichen Einfluss auf das Verständ­ nis grundrechtlicher Freiheit, sondern auch auf die Anerkennung des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit und muss daher im Rahmen der folgenden Untersuchung näher aufgeschlüsselt werden.373 Im weiteren Verlauf wird sich deshalb den Fragen gewidmet, wie der Begriff ‚Freiheit‘ zu definieren ist, wie sich das philosophische Verständnis von positiver und negativer Freiheit unterscheidet und welchen Einfluss diese philosophische Unterscheidung auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit hat. Darüber hinaus gilt es zu untersuchen, ob der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit aus dem Verständnis grundrechtlicher Freiheit hergeleitet werden kann.374

370 Vergleiche Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 20; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 42, der betont, dass die Koalitionsfreiheit als Freiheitsrecht auch das Recht umfasst, sich keiner Koalition anzu­ schließen; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 46 f.; zur Bedeutung der Freiheit für die Auslegung und ihrer Konkretisierung, siehe Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 238; Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfrei­ heit, 2006, S. 184. 371 Auch wenn im Folgenden im Kontext der Beschreibung des grundrechtlichen Freiheits­ verständnisses Demonstrativpronomen genutzt werden, bedeutet dies nicht, dass den Grund­ rechten ein bestimmtes konkretes Freiheitsverständnis zugrunde liegt. Grundrechtliche Frei­ heit ist nicht eine bestimmte Form von Freiheit, sondern flexibel, durch verschiedene (rechts-) philosophische Verständnisse, Strömungen und historische und gesellschaftliche Entwicklun­ gen beeinflusst. 372 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 194 ff.; so auch Borowski, Die Glaubens- und Ge­ wissensfreiheit, 2006, S. 184; ders., Grundrechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 78; F ­ einberg, Freedom and Liberty, in: Craig (Hrsg.), Routledge Encyclopedia of Philosophy, Bd. 3, 1998, S. 753 f. 373 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 195; siehe auch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 184; Achatz, Grundrechtliche Freiheit im Wettbewerb, 2011, S. 142; siehe auch Jakl, Recht aus Freiheit, 2009, S. 18. 374 Ähnlich geht Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 184 ff., bei der Untersuchung des Grundrechtsschutzes der negativen Religionsfreiheit vor.

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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1. Eine Definition des Begriffs ‚Freiheit‘ Bevor der Einfluss des philosophischen Freiheitsverständnisses auf die Grund­ rechte dargestellt werden kann, gilt es, den Begriff ‚Freiheit‘ näher zu konkretisie­ ren. Obwohl es sich bei ‚Freiheit‘ um einen der grundlegendsten und bedeutends­ ten Begriffe handelt, ist er zugleich einer der undurchsichtigsten Begriffe unserer Zeit.375 Eine allgemeine Begriffsdefinition von ‚Freiheit‘ existiert nicht. ‚Freiheit‘ wird häufig als Abwesenheit von Zwang,376 als Möglichkeit des Eintritts des Unge­ planten beziehungsweise Unerwarteten377 oder gar in einem individuelleren Sinne als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung378 verstanden. Frei ist der Mensch also nicht nur, wenn er keinen äußerlichen Zwang verspürt, sondern auch dann, wenn er sich im kantschen Sinne den Regeln der Vernunft379 unterwerfen kann, sofern ihm dies beliebt. Insoweit können Selbstgesetzgebung und Selbstverwirklichung koalie­ ren. Gleichzeitig kollidiert eine vernunftgeprägte Freiheitsdefinition, die spontane Handlungen als unfrei versteht, mit einem Ansatz, der die Möglichkeit zu will­ kürlichem Verhalten zum Gegenstand oder zur Voraussetzung der Freiheit macht. Die verschiedenen Ansätze zur Definition von ‚Freiheit‘ legen den Fokus also auf verschiedene Aspekte der Freiheit, die sich teilweise ergänzen und teilweise widersprechen. Die Probleme einer allgemeinen Definition von ‚Freiheit‘ bestehen damit nicht nur in der Abstraktheit, der Kontextsensibilität und Zukunftsoffenheit des Begriffs, sondern vor allem auch im Einfluss des subjektiven Empfindens des Individuums auf eine Definition dieses Begriffs.380 Freiheit kann nicht objektiv beschrieben werden, in jeder Beschreibung von Freiheit kommt eine Bewertung beziehungsweise ein Vorverständnis des Beschreibenden zum Ausdruck.381 Die­ ses Vorverständnis wird maßgeblich durch den gesellschaftlichen, politischen und historischen Kontext, in dem die Aussage getroffen wird, sowie durch die indi­ viduellen Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke des Subjekts, das die Aussage trifft, geprägt.382

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Vergleiche Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, in: FS Kriele, 1997, S. 281 (286), der den Begriff der Freiheit als einen vieldeutigen und vielseitigen Begriff beschreibt. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 194: „Der Begriff der Freiheit ist einer der zugleich fundamentalsten und unklarsten Begriffe.“; ähnlich auch Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 ff.; siehe auch Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 33 f. 376 Hobbes, Leviathan, 1651, S. 79, 136; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Frei­ heitsrechte, 1993, S. 46. 377 Im Ergebnis so von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 3. Aufl. 1991, S. 37 ff. 378 Ähnliches Grundverständnis bei Suhr, EuGRZ 1984, 529 (532, 534). 379 Kant, Metaphysik der Sitten, 1785, S. 213 ff. 380 Siehe auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 194 ff. 381 Zur emotiven Bedeutungskomponente siehe Stevenson, Ethics and Language, 1944, S. 20 ff., 206 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 195. 382 Vergleiche auch Jakl, Recht aus Freiheit, 2009, S. 18. Während der Eine bereits die Dro­ hung mit ökonomischen Nachteilen als freiheitseinschränkenden Zwang empfindet, wird ein

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Eine allgemeingültige, den gesellschaftlichen Wandel überstehende, von der kulturellen Vorprägung und individuellen Vorverständnissen losgelöste Definition des Begriffs ‚Freiheit‘ ist aus diesen Gründen nicht möglich. Im Gegenteil: Die Definition von ‚Freiheit‘ – auch von grundrechtlicher Freiheit – wäre durch die Zugrundelegung eines präformierten Vorverständnisses unfrei.383

2. Die Struktur von Freiheit Wenngleich keine Einigkeit über eine Definition des Begriffs ‚Freiheit‘ besteht, herrscht jedoch Einigkeit über die Struktur der Freiheit.384 Bei der Untersuchung und Beschreibung von Freiheit – auch der grundrechtlichen Freiheit – liegt der Fokus daher insbesondere auf einer strukturorientierten Betrachtung von Frei­ heit. Der Begriff ‚Freiheit‘ wird demnach auf eine Grundstruktur zurückgeführt, die nicht nur flexibel genug ist, die verschiedenen Inhalte der Freiheit abzubilden. Diese strukturorientierte Betrachtung ermöglicht zugleich eine generalisierende abstrakte Beschreibung von Freiheit, die auch neue Entwicklungen in der Zukunft abbilden kann.385 Schon Thomas Hobbes beschrieb ‚Freiheit‘ mithilfe ihrer Struktur. So setzt die Freiheit einer Person nach Hobbes voraus, dass für diese keine Hindernisse be­ stehen.386 Er ging also von einer zweistelligen (bilateralen) Struktur der Freiheit aus. Diese zweistellige Relation beschränkt den Blick allerdings auf das Verhält­ nis von Freiheitshindernis und Freiheitsträger,387 mit der Folge, dass der Inhalt

Anderer dies erst bei der Ausübung körperlicher Gewalt empfinden; ähnlich auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrecht, 2003, S. 111; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 194 ff., insbesondere S. 199 f. 383 Skeptisch gegenüber einer Definition von Freiheit auch Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 386; siehe auch im Kontext grundrechtlichen Freiheit zum „Verbot staatlicher Definition von Freiheit“ Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, S. 75; ablehnend gegenüber der objektiven Bestimmung von Freiheit, weil dies der Freiheit entgegenstehe Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1532 ff.). 384 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 195; differenzierter Fioole, Freiheit von Re­ ligion?, 2019, S. 252 ff.; vergleiche auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 110; so im Ansatz auch Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 99 (insbesondere Fn. 61). 385 Vergleiche Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 (38). 386 „Liberty, or Freedom, signifeth, properly, the absense of oppsition“, so Hobbes, Leviathan, 1651, S. 136; vergleiche hierzu Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 196; siehe hierzu auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 110. 387 Hobbes, Leviathan, 1651, S. 136; ausführlich zur zweistelligen Relation der Freiheit auch Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Frei­ heit, 1977, S. 37 (41).

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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der Freiheit und damit auch bedeutsame Unterschiede in der Unfreiheit388 außer Betracht bleiben.389 Im Laufe der Zeit wurde die zweistellige Relation von Freiheitsträger und Frei­ heitshindernis daher um eine weitere Komponente, den Freiheitsgegenstand, er­ gänzt.390 Freiheit muss folglich als dreistellige Relation, als Beziehung zwischen einem Freiheitssubjekt, einem Freiheitsobjekt und einem Freiheitshindernis be­ schrieben werden.391

388 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 196; siehe hierzu auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 110: „Eine entsprechende Freiheitsaussage wäre unvollständig, so wie die Aussage, daß jemand liebt unvollständig ist, wenn wir nicht erfahren, wen oder was er liebt.“ Schließlich erfährt man auf Basis der zweistelligen Relation nur, wer wovon frei sein soll, nicht aber wozu. Diese inhaltliche Ungenauigkeit der zweistelligen Relation von Freiheit illustriert etwa das Ausreise-Beispiel von Robert Alexy (Theorie der Grundrechte, 1985, S. 196). Möchte der Bürger jemanden im Ausland besuchen, kann der Staat dies auf verschiedene Weise verhindern, indem er seinen Pass entzieht, die Reisekosten erhöht, sodass der Bürger dies nicht bezahlen kann, den Verkauf des Flugtickets an den Bürger verbietet, oder aber den Bürger in Gewahrsam nimmt, um die Reise zu verhindern. Auf Grundlage der zweistelligen Relation würde man die Unfreiheit des Bürgers dann beschreiben, indem man feststellt, dass der Bürger durch den Staat an der Ausreise gehindert werde. Die Unfreiheit des Bürgers hat jedoch in den genannten Konstellationen einen grundverschiedenen Charakter, der ausgehend von dem Freiheitshindernis (beziehungsweise dessen Wegfall) nicht hinreichend präzise beschrieben werden kann. 389 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 196; siehe hierzu auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 110: „Anders als lieben, ist drei sein aber nicht nur ein zweistelliges, sondern ein dreistelliges Prädikat.“; kritisch gegenüber der zweistelligen Relation von Freiheit auch Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 (42). 390 Vergleiche Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 196; siehe hierzu auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 110: „Um sinnvoll über Freiheit reden zu können, müssen wir nicht nur wissen, wer hinsichtlich welchen Gegenstandes frei ist, sondern auch noch von welchem Hindernis er frei ist.“ 391 Vergleiche MacCallum, Philosophical Review 67 (1976), 312 (314): „such freedom is thus always of something (an agent or agents), from something, to do, not to do, become; or not become something, it is triadic relation“; zuvor bereits Oppenheimer, Dimensions of Free­ dom, 1961, S. 109 ff.; Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 230; siehe auch Freytag-­ Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 (43 f.); vergleiche auch Weldon, Kritik der politischen Sprache, 1962, S. 176 ff.: „ohne Antwort auf die Fragen ‚frei wovon‘ und ‚frei wozu‘ können wir nichts entnehmen“; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 197 f.; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 376 ff.; Achatz, Grundrechtliche Freiheit im Wettbewerb, 2011, S. 144; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003 S. 110 f.; Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1999, S. 99; siehe auch Browoski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 184 Fn. 30; ders., Grundrechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 78; kritisch Fioole, Freiheit von Religion?, 2019, S. 252 f.; diffe­ renziert zu der Frage, ob „diese Formulierung die [allgemeine] Struktur des [Freiheitsbegriffs] bildet“ Culp, Art.: Freiheit, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 2, 8. Aufl. 2018, I.1; mit einem etwas anderen Verständnis, des dritten Elements, welches neben das Freiheits­ subjekt und das Freiheitsobjekt tritt, Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 (43 f.).

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Das Freiheitssubjekt („wer“392) beschreibt in der Regel den Menschen, der frei sein soll.393 Es steht in der Regel im Zentrum dieser dreistelligen Relation.394 Das Freiheitssubjekt muss allerdings nicht zwingend ein Mensch sein, es kann auch eine Handlung oder Ähnliches sein. Sätze über die Freiheit von Handlungen prä­ sentieren sich beispielsweise häufig als „Abstraktion“395 der Sätze über die Freiheit einer Person. Als Freiheitssubjekt wird daher auch in diesen Situationen letztlich wieder auf eine Person abgestellt.396 Das Freiheitobjekt („wozu“)397 bezeichnet den Gegenstand der Freiheit, also die konkrete Verhaltensweise, zu deren Vornahme das Freiheitssubjekt frei sein soll.398 Das dritte Element, das Freiheitshindernis, bezeichnet schließlich die abzuweh­ rende Beeinträchtigung, die das Freiheitssubjekt an der Wahrnehmung beziehungs­ weise Ausübung des Freiheitsobjekts hindert („wovon“)399. Frei ist das Freiheitssubjekt demnach, wenn kein Freiheitshindernis der Aus­ übung des Freiheitsobjekts entgegensteht.400 Die strukturtheoretische Betrachtung der Freiheit lässt sich damit in folgende Formel transferieren: Freiheitssubjekt + Freiheitsobjekt − Freiheitshindernis = Freiheit Abhängig von den Elementen, die in diese Gleichung als Freiheitsobjekt und Freiheitshindernis eingesetzt werden, variieren die verschiedenen Dimensionen 392 MacCallum, Philosophical Review 76 (1967), 312 (314 ff.); Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 376; Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 (41 f.). 393 MacCallum, Philosophical Review 76 (1967), 312 (314 ff.); Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 376; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 196; in einem weite­ ren Sinne auch Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 (41 ff.). 394 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 196 f. 395 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 197: „Die Freiheit von Handlungen ebenso wie die Freiheit des Willens ist eine Abstraktion relativ auf die Freiheit von Personen.“ 396 MacCallum, Philosophical Review 76 (1967), 312 (315 ff.); Alexy, Theorie der Grund­ rechte, 1985, S. 197. 397 MacCallum, Philosophical Review 76 (1967), 312 (314 ff.); Weldon, Kritik der politischen Sprache, 1962, S. 176 ff.; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 376, so auch Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 100. 398 MacCallum, Philosophical Review 76 (1967), 312 (314 ff.); Weldon, Kritik der politischen Sprache, 1962, S. 176 ff.; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 376; siehe auch Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 100. 399 MacCallum, Philosophical Review 76 (1967), 312 (314 ff.); Weldon, Kritik der politischen Sprache, 1962, S. 176 ff.; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 376; verglei­ che auch Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1999, S. 99; Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 (41 ff.). 400 Kurz gefasst gehe es um die Frage, welcher Personenkreis vor welchen Einflüssen zu welchem Zweck frei sei, so Achatz, Grundrechtliche Freiheit im Wettbewerb, 2011, S. 145; Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 99 ff.; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 110 f.; etwas anders von der Konzeption der dreistelligen Relation Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 (43 f.).

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von Freiheit.401 Handelt es sich um ein faktisches Hindernis – etwa eine „ökono­ mische Mangellage“402 – wird von der faktischen Freiheit gesprochen.403 Handelt es sich hingegen um ein rechtliches Hindernis, beispielsweise das rechtliche Verbot, im Wald zu reiten,404 wird von rechtlicher Freiheit gesprochen.405 Diese Struktur­ betrachtung der Freiheit ermöglicht es, die verschiedenen Freiheitsproblematiken und -dimensionen differenzierbar und der Erörterung zugänglich zu machen.406 3. Das philosophische Verständnis von positiver und negativer Freiheit Bereits in der Philosophie wird, wenn von Freiheit gesprochen wird, dem Vorbild Isaiha Berlins folgend zwischen zwei Freiheitsverständnissen, dem positiven und dem negativen Freiheitsverständnis, unterschieden.407 Diese im Folgenden näher zu untersuchende Differenzierung ist von entscheidender Bedeutung für das Verständ­ nis grundrechtlicher Freiheit sowie die Herleitung und inhaltliche Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit.408 a) Das positive Freiheitsverständnis Das positive Freiheitsverständnis legt den Fokus auf das Zusammenspiel von Freiheitsobjekt und Freiheitshindernis.409 Als Freiheitsobjekt kommt nur ein kon­ kretes Verhalten in Betracht. Sobald das Freiheitshindernis entfällt, muss sich der Freiheitsträger ‚automatisch‘ so verhalten, wie es die sittlichen und ethischen 401

Hierzu ausführlich Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 199, 201, der als Beispiele für die verschiedenen Dimensionen von Freiheit die sozial-ökonomische, liberal-ökonomische und die negativ demokratische Freiheit anführt; siehe auch Borowski, Die Glaubens- und Ge­ wissensfreiheit, 2006, S. 185. 402 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 200 Fn. 125. 403 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 202; siehe auch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 185. 404 BVerfGE 80, 137. 405 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 202 f.; siehe auch die Unterscheidungen von Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 115 ff. 406 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 201; so auch Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 377; zustimmend Achatz, Grundrechtliche Freiheit im Wettbewerb, 2011, S. 145; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 109: „Indem die Freiheitsbe­ griffe formal auf einen Nenner gebracht werden, lassen sich ihre inhaltlichen Unterschiede präziser erfassen.“ 407 Vergleiche Berlin, Two Concepts of Liberty, in: Hardy (Hrsg.), Liberty, 2. Aufl. 2002, S. 166 ff.; siehe zu diesem Befund auch Culp, Art.: Freiheit, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 2, 8. Aufl. 2018, I.1. 408 Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 376; siehe auch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 184 f.; hierzu ausführlich Kap. 3. 409 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 198 Fn. 121; ausführlich zum positiven Frei­ heitsverständnis Fioole, Freiheit von Religion?, 2019, S. 269 ff.

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Standards vorgeben.410 Frei kann daher nur ein den sittlichen und ethischen Vor­ stellungen411 entsprechendes Verhalten sein.412 Als potenzielle Freiheitshindernisse kommen daher nur auf das Freiheitsobjekt bezogene Hindernisse in Betracht, also solche, die einem den ethischen oder sittlichen Vorstellungen entsprechendem Ver­ halten entgegenstehen.413 Die Freiheit des Individuums ist also von einer Leistung abhängig, nämlich der Beseitigung des Freiheitshindernisses, die es dem Freiheits­ subjekt ermöglicht, die ‚richtige‘ Handlung vorzunehmen.414 b) Das negative Freiheitsverständnis Das negative Freiheitverständnis unterscheidet sich insbesondere hinsichtlich des Elements des Freiheitsobjekts vom positiven Freiheitsverständnis. Im Gegen­ satz zum positiven Freiheitsverständnis kommen als Freiheitsobjekt nur Hand­ lungsalternativen infrage.415 Frei ist ein Mensch demnach, wenn ihm die selbstbe­ 410 Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 185: „Für die Vertreter eines positiven Freiheitsbegriffs im philosophischen Sinne besteht die Freiheit nicht in einer Hand­ lungsalternative, sondern darin, daß der Freiheitsträger das ‚Richtige‘, ‚Vernünftige‘ oder ‚Notwendige‘ vollzieht“; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 198 Fn. 121; Böckenförde, Freiheit und Recht, Freiheit und Staat, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 42 (46); Isensee, Das Dilemma der Freiheit im Grundrechtsstaat, in: FS Heckel, 1999, S. 739 (747 ff.); Verfechter des positiven Freiheitsbegriff waren vor allem Kant, Metaphysik der Sitten, 1785, S. 213 f. und Hegel, Vorlesung über die Philosophie der Geschichte, 1837, S. 57. Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 114 will das Freiheitsverständnis erweitern: Schlie­ ßen die ethischen Standards nur bestimmte Handlungen aus, bleiben also Handlungsalterna­ tiven über, können auch diese den Freiheitsgegenstand der positiven Freiheit bilden, so auch ­L eisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 143 f. Allerdings würde ein solches Verständnis den Charakter der positiven Freiheit überdehnen. 411 Entscheidend für die Freiheit auf Basis des positiven Freiheitsverständnisses ist damit die Frage, wessen sittlichen und ethischen Vorstellungen das Verhalten des Freiheitsträgers entsprechen muss. Schließlich bestimmt derjenige / diejenigen, die diese Standards definieren, letztlich über die (Un-)Freiheit des Freiheitssubjekts. 412 Isensee, Das Dilemma der Freiheit im Grundrechtsstaat, in: FS Heckel, 1999, S. 739 (747 f.); Böckenförde, Freiheit und Recht, Freiheit und Staat, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 42 (46); Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 114; siehe auch Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 78; vergleiche hierzu vor allem das kantsche Freiheitsverständnis, wonach nur ein von der Vernunft getragenes Handeln frei sein kann, Kant, Metaphysik der Sitten, 1785, S. 213 f.; ähnlich auch Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, 1837, S. 57. 413 Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 114; Borowski, Die Glaubens- und Ge­ wissensfreiheit, 2006, S. 185; ders., Grundrechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 79. 414 MacCallum, Philosophical Review 76 (1967), 312 ff.; Crocker, Positive Liberty, 1980; Ryan, The Idea of Freedom, 1979; Gray, On Negative and Positive Freedom, in: Pelc­ zynski / ders. (Hrsg.), Concepts of Liberty in Political Philosophy, 1984, S. 321 ff.; Taylor, What’s Wrong with Negative Liberty, in: ders. (Hrsg.), Philosophy and the Human Sciences, Bd. 2, 1985, S. 211; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 376 m. w. N. 415 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 198 f.; Borowski, Die Glaubens- und Gewissens­ freiheit, 2006, S. 184 f.; ausführlich zu den negativen Freiheitskonzeptionen Fioole, Freiheit von Religion?, 2019, S. 257.

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stimmte, von äußeren Einwirkungen unbeeinflusste Wahl zwischen verschiedenen Verhaltensdimensionen verbleibt. Dem Freiheitsträger soll sowohl die Wahl zwi­ schen verschiedenen Verhaltensweisen, also die Entscheidung über das ‚Ob‘ des Tätigwerdens, als auch die Entscheidung zwischen verschiedenen Verhaltensfor­ men, also dem ‚Wie‘ des Tätigwerdens, zustehen. Diese Wahl darf nicht durch ethische oder sittliche Vorstellungen beeinflusst oder vorgegeben sein.416 Der Zu­ sammenhang zwischen dem Freiheitsobjekt und dem Freiheitshindernis ist dem­ entsprechend nicht analytischer417 Natur.418 Insoweit ist der Begriff des Freiheitshindernisses weiter zu verstehen als beim positiven Freiheitsverständnis. Als Freiheitshindernis kommen daher auch mögli­ cherweise nur mittelbar beeinträchtigende Hindernisse infrage. In der Sphäre des Freiheitssubjekts liegende beziehungsweise durch seine Eigenverantwortung be­ gründete Freiheitshindernisse, wie das eigene Unvermögen oder das Fehlen von Kapital zur Verwirklichung419, können nicht als Freiheitshindernis qualifiziert werden.420 Maßgebend für das negative Freiheitsverständnis ist damit die Abwesenheit von Beeinträchtigungen der Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten durch Zwang.421 Das negative Freiheitsverständnis erfordert folglich das Unterlassen der Freiheitsbeschränkung, nicht aber eine Leistung zur Beseitigung des Freiheitshin­ dernisses, wie etwa der Schaffung von Handlungs- oder Entscheidungsmöglichkei­ ten.422 Da die Freiheitsbeschränkung unterlassen werden soll, wird dieses Freiheits­ 416 „[…] is opportunity for action, rather than action itself“, Berlin, Introduction, in: Hardy (Hrsg.), Liberty, 2. Aufl. 2002, S. 3 (35); Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 64: „Freiheit ‚schlechthin‘“; Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 52 spricht von der Freiheit zu tun und zu lassen; siehe auch; Borowski, Die Glaubensund Gewissensfreiheit, 2006, S. 185; ähnlich auch Borowski, Grundrechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 79. 417 Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 112. 418 Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 112: „Das Freiheitshindernis ist für die negative Freiheit [also den negativen Freiheitsbegriff] nicht notwendig die rechtliche Negation des Freiheitsgegenstandes.“ 419 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 199 ff. 420 Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 199 ff. 421 Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 375; vergleiche auch MacCallum, Philosophical Review 76 (1967), 312 ff.; Gray, On Negative and Positive Liberty, in: ders. /  Pelczynski (Hrsg.), Conceptions of Liberty in Political Philosophy, 1984, 312 ff.; Ryan, The Idea of Freedom, 1979; Taylor, What’s wrong with Negative Liberty, in: ders. (Hrsg.), Philo­ sophy and the Human Science, Bd. 2. 1985, 211 ff.; Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 53. 422 Vergleiche auch MacCallum, Philosophical Review 76 (1967), 312 (320), der die negative Freiheit als „freedom from“ und die positive Freiheit als „freedom to“ klassifiziert; ähnlich Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 112 f.: „Negativ heißt die Freiheit nicht, weil sie sich gegen Hindernisse richtet – dies gilt für alle Freiheiten, Negativ heißt sie vielmehr, weil das Freiheitshindernis derart ist, daß es durch ein negatives Verhalten, d. h. ein Unter­ lassen, beseitigt werden kann.“ Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 200; Morlok, Selbst­ verständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 375. Bereits hier zeigt sich, dass Unterlassen häufig

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

verständnis als negative Freiheit bezeichnet.423 Das negative Freiheitsverständnis lässt sich daher als die Freiheit, bei der Wahrnehmung des Freiheitsgegenstandes ‚in Ruhe gelassen zu werden‘, zusammenfassen. Es schützt also die individuelle Selbstbestimmung und -entfaltung des Freiheitssubjekts. 4. Das grundrechtliche Freiheitsverständnis und der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit Um den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit aus dem Frei­ heitsverständnis der Grundrechte herleiten zu können, muss zunächst das Verständ­ nis grundrechtlicher Freiheit dargestellt werden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die grundrechtliche Freiheit keine durch den Staat konstruierte Freiheit ist; vielmehr liegt die (grundrechtliche) Freiheit dem Staat voraus.424 Folglich können die Grundrechte den Freiheitsanspruch425 nur ausgestalten. Das grundrechtliche Verständnis von Freiheit baut auf der dreistelligen Relation von Freiheitssubjekt, Freiheitsobjekt und Freiheitshindernis auf.426 Das Freiheits­ verständnis des Grundgesetzes ist dabei maßgeblich durch die philosophischen Freiheitsverständnisse geprägt. In die freiheitliche Strukturformel transferiert lässt sich grundrechtliche Freiheit wie folgt beschreiben: a) Das Freiheitssubjekt des grundrechtlichen Freiheitsverständnisses Das Freiheitssubjekt wird durch den persönlichen Schutzbereich der Grund­ rechte bestimmt.427 Freiheitssubjekt und Grundrechtsträger sind identisch. Der Grundrechtsträger steht – genauso wie das Freiheitssubjekt in der philosophischen als negative Handlung verstanden wird. Diese Assoziation von „unterlassen“ und „negativ“ ist für die Untersuchung des Schutzbereichs des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit von besonderem Interesse. 423 Ähnlich auch Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 375, der die nega­ tive Freiheit als „Nicht-Gestört-sein“ durch andere beschreibt; Berlin, Two Concepts of Liberty, in: Hardy (Hrsg.), Liberty, 2. Aufl. 2002, S. 166 ff. 424 Vergleiche auch Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 149; ähnlich Volkmann, JZ 2020, 965 (967): andere Ansicht Jestaedt, Art.: Grundrechte, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 2, 8. Aufl. 2018, 1.1.b): „Dass die G. als Freiheits- und Gleichheitsverbür­ gungen – einer verbreiteten naturrechtlichen Vorstellung folgend – dem Staat und seinem Rege­ lungszugriff vorausliegen, d. h. vorstaatlich sind und als solche vom Staat bestenfalls anerkannt werden können, ist für G. im geltendrechtlichen Sinne weder notwendig noch zutreffend“. 425 BVerfGE 19, 342 (348 f.); dem folgend Volkmann, JZ 2020, 965 (967). 426 Siehe auch Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 42; zutreffend Achatz, Grund­ rechtliche Freiheit im Wettbewerb, 2011, S. 145, der die dreistellige Relation als „methodisches Gerüst“ beschreibt. Vergleiche auch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 184 ff. 427 So bereits Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 121 f.

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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Betrachtung428 – im Mittelpunkt der grundrechtlichen Freiheit: Grundrechtliche Freiheit zielt auf den Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Grund­ rechtsträgers sowie den Schutz seiner Würde.429 Die grundrechtliche Freiheit soll demnach die „persönliche[n] Souveränität“ des Grundrechtsträgers, seine um­ fassende Selbstbestimmung und Selbstverantwortung absichern.430 Kennzeich­ nend für die grundrechtliche Freiheit ist daher ihr starkes personales Moment431. Grundrechtliche Freiheit ist zudem eng mit der Würde des Menschen verzahnt432 und kann somit als individuelle Freiheit433 charakterisiert werden.

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Siehe hierzu Kap. 1 F. I. 2. Das Freiheitsobjekt zielt gerade auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Freiheits­ subjekts, sodass Freiheitsobjekt und Freiheitssubjekt nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden können. BVerfGE 5, 85 (204 f.); 21, 362 (369); 45, 187 (227); Scholz, Die Koalitions­ freiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 70. Der Rechtsstaat, so Klein, Der Staat 10 (1971), 145 (165), gewähre die Freiheit um der Würde des Menschen willen. Ähnlich auch Grabitz, Freiheit und Verfassung, 1976, S. 244 f. m. w. N.; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 198; Hofmann, VVDStRL 41 (1983), 42 (54); Steinbeiß-Winkelmann, Grundrecht­ liche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, 1986, S. 20; Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S. 69; Merten, Das Prinzip Freiheit im Gefüge der Staatsfundamentalbestimmungen, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 27 Rn. 11; vergleiche auch Luhmann, Grundrechte als Institution, 6. Aufl. 2019, S. 76 ff.; ausführlich zu der Frage, ob sich der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit aus der Menschenwürde herleiten lässt Kap. 1 F. II. 430 Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (72); Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 380; vergleiche auch Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Frei­ heitsordnung, 1986, S. 20: „willensautonome Entfaltung“ des Individuums; zur Willensauto­ nomie siehe auch Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 41, 177; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheit, 1993, S. 46; Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S. 79: „Selbstverwirklichung“; Schubert, RdA 2001, 199 (201): „subjektive Willkür“. Dass die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit der Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers dient, zeigen auch die Ausführungen Depenheuers, welcher die negative Vereinigungsfreiheit im Rahmen des Abschnitts „Selbstbestimmungs­ garantie“ thematisiert, siehe Depenheuer, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 8 Rn. 120. Vergleiche auch Götzfried, NJW 1963, 1961 (1962): „Es ist nicht einzusehen, warum nicht auch Art. 2, 4 und 5 das Selbstbestimmungsrecht in jeder, nämlich in positiver und negativer Beziehung garantieren sollen.“ Differenzierter Vesting / Korioth / Augsberg, Ein­ leitung, in: dies. (Hrsg.), Grundrechte als Phänomene kollektiver Ordnung, 2014, S. 1 (11), die sich kritisch gegenüber der Auffassung äußern, dass der „Grundrechtsschutz sich im Sinne eines Abwehrrechts primär auf die freie Selbstbestimmung des Einzelnen richtet“. 431 Vergleiche Isensee, Der Staat 20 (1981), 161 (164 ff.); Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, 3. Aufl. 1983, S. 347; Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, 1986, S. 18 ff., so auch BVerfGE 21, 362 (369); 50, 290 (337); mit einer ähnlichen Tendenz Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 415 f. 432 Grabitz, Freiheit und Verfassung, 1976, S. 244; Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, 1986, S. 18 ff. (insbesondere S. 24 ff.). 433 BVerfGE 50, 290 (337); Hofmann, VVDStRL 41 (1983), 42 (54); Morlok, Selbstverständ­ nis als Rechtskriterium, 1993, S. 380; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 71 ff., der feststellt, dass die Individualität immer freiheitsbezogen ist; zum verstärk­ ten Individualschutz im ersten Abschnitt des Grundgesetzes: Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (71); Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 17 ff.; Merten, Die negative Garantie­ 429

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

b) Das Freiheitsobjekt des grundrechtlichen Freiheitsverständnisses Das Freiheitsobjekt der grundrechtlichen Freiheit wird durch den sachlichen Schutzbereich der Grundrechte beschrieben.434 Als Freiheitsobjekt kommen da­ her jede Handlung und jeder Zustand in Betracht, die oder der vom sachlichen Schutzbereich eines Grundrechts erfasst werden.435 Als Freiheitsobjekt können im Kontext des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nur Hand­ lungen in Betracht kommen.436 Für die Untersuchung von positiver und negativer Freiheit ist gerade das Element des Freiheitsobjekts grundrechtlicher Freiheit von Bedeutung. Dabei gilt es zu be­ rücksichtigen, dass den Grundrechten nicht ein bestimmtes Freiheitsverständnis zugrunde liegt, sondern die verschiedenen Dimensionen der Grundrechte durch verschiedene Freiheitsverständnisse und -vorstellungen geprägt werden.437 Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit ist auf die abwehrrecht­ liche Dimension der Grundrechte zugeschnitten,438 sodass sich diese Untersuchung im Folgenden auf das Freiheitsverständnis der Grundrechte in ihrer abwehrrecht­ lichen Dimension konzentriert. funktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (insbesondere S. 303); ders., VerwArch 73 (1982), 103 (104); Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, S. 37 f., 60, 73 f.; vergleiche auch Etzrodt, Der Grundrechts­ schutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 41. 434 Vergleiche Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 121 f. 435 Zum Handlungsbegriff der Grundrechte Kap. 1 G. II. 1. 436 Ausführlich Kap. 1 G. 437 Im Folgenden wird sich hierfür vor allem auf die Darstellung der Einflüsse des positiven und des negativen Freiheitsverständnisses beschränkt, da diese die Anerkennung des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit unmittelbar beeinflussen, vergleiche auch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 184; siehe auch Bumke, Der Grund­ rechtsvorbehalt, S. 99 f. (insbesondere Fn. 363). 438 Positive und negative Freiheit können also nicht mit den Kategorien von status positivus und status negativus gleichgesetzt werden. Da der status negatvius (Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1892, S. 82, 89 ff.; Bethge, JA 1979, 281 (283); siehe auch von Zezschwitz, JZ 1966, 337 (344); ähnlich Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 4 Rn. 112, 132 ff.) nach der der Klassifizierung von Georg Jellinek, dem Grundrechtsträger einen Freiheitsraum zuordnet, auf den der Zugriff des Staates beschränkt ist (Jellinek, Sys­ tem der subjektiven öffentlichen Rechte, 1892, S. 82, 89 ff.; siehe auch Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 118), während der status positivus dem Bürger Leistungsan­ sprüche gegen den Staat zuordnet (Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 1892, S. 82, 109 ff.; siehe auch Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 118), muss der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit, der die Entschließungsfreiheit des Grundrechtsträgers vor staatlichen Einflüssen schützt, entsprechend dieser Kategorisierung dem status negativus zugeordnet werden (siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Vorb. Rn. 3). Diese Klassifizierung kritisch hinterfragend und teilweise auch den Be­ zug zum status positivus herstellend Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 24 ff.; zur Funktion der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit die Ent­ schließungsfreiheit des Bürgers zu schützen siehe exemplarisch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 72 u. ö.

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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Wenn das den Abwehrrechten zugrundeliegende Freiheitsverständnis maßgeb­ lich durch das positive Freiheitsverständnis geprägt würde, wäre die Anerkennung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit zu vernei­ nen.439 Schließlich kann auf Grundlage des positiven Freiheitsverständnisses nur eine den sittlichen und / oder ethischen Vorstellungen entsprechende Handlung frei sein.440 Die vom Grundrechtsträger vorzunehmende Handlung wäre folglich durch die ethischen und / oder sittlichen Vorstellungen von vornherein vorgegeben. Die Wahlmöglichkeit nicht nur auf der Ebene des ‚Ob‘ der Entschließungsfreiheit, son­ dern auch auf der Ebene des ‚Wie‘, deren Schutz das Leitmotiv des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit ist, stünde dem Grundrechtsträger dementsprechend nicht zu. Schließlich wird das Freiheitsobjekt in diesen Fällen durch äußere Faktoren – die ethischen oder sittlichen Vorstellungen – und nicht durch die individuelle Entscheidung des Freiheitssubjekts bestimmt.441 Eine nur einseitige Freiheit, wie sie dem positiven Freiheitsverständnis entspräche, wäre letztlich nur eine „Grenze des Zwangs“442, die die persönliche Souveränität erheb­ lich beschränkt.443 Würde den Grundrechten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension ausschließ­ lich ein positives Freiheitsverständnis zugrunde liegen, wären die Grundrechte in besonderem Maße empfänglich für „totalitäre Implikationen“444. Wenn nur

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So auch Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 34. Für ein positives Freiheits­ verständnis der Grundrechte plädierend, statt vieler, siehe etwa Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, 1976; weitere Nachweise bei Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 99 f. Fn. 363. 440 Siehe unter Kap. 1 F. I. 3. b). Unter dem Begriff der Handlung kann insoweit ein Tun oder ein Unterlassen verstanden werden. Daher schließt ein positives Freiheitsverständnis den grundrechtlichen Schutz eines Unterlassens nicht aus. Allerdings wird unter dem Begriff von positiver und negativer Freiheit nicht nur der grundrechtliche Schutz von Tun und Unterlas­ sen abgebildet, sondern auch die eigenverantwortliche Entscheidung zwischen verschiedenen Verhaltensweisen. 441 Selbst wenn man das positive Freiheitsverständnis ausdehnt und davon ausgeht, dass auch eine Gruppe von Verhaltensvariationen den sittlichen und ethischen Vorstellungen ent­ sprechen könnte, würde in diesem Fall auch weniger die individuelle Selbstbestimmung des Bürgers über die konkrete Verhaltensweise, die er ausübt, als vielmehr die äußeren Vorgaben über sein Verhalten entscheiden, siehe hierzu die Überlegungen von Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 113 f. 442 Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grund­ rechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (455), (Herv. i. O.); ähnlich auch Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (106): „Freiheit vom Zwang soll nicht zum Zwang zur Freiheit werden“ (Herv. i. O.). 443 So exemplarisch das Verständnis von Hamel, Deutsches Staatsrecht I, 1971, S. 80 ff.; kritisch Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 35 und Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 46. 444 Berlin, Two Concepts of Liberty, in: Hardy (Hrsg.), Liberty, 2. Aufl. 2002, S. 166 (185); auf die Gefahr der von Berlin befürchteten Offenheit gegenüber totalitären Implikationen weist auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 114 hin; so im Grundsatz auch Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 53; ähnlich auch Link, Herrschaftsordnung und Bürgerliche Freiheit, 1979, S. 155.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

ein bestimmten sittlichen oder ethischen Grundsätzen entsprechendes Verhalten frei sein kann, würde über die Freiheit des Grundrechtsträgers letztlich derjenige entscheiden, der den Maßstab für die ethischen und sittlichen Vorstellungen fest­ legt.445 Diese Maßstäbe, denen das Verhalten des Bürgers zu entsprechen hat, um frei zu sein, können nur selten objektiv ermittelt und auf ihre Legitimität überprüft werden.446 Da ein Verhalten, das diesen bisherigen sittlichen und ethischen Vor­ stellungen nicht entspricht, nicht vom Schutz der grundrechtlichen Freiheit erfasst wäre, ist eine positiv verstandene Freiheit nicht flexibel genug, um die sittlichen oder ethischen Standards zu erneuern, um einer pluralistischen Gesellschaft ge­ recht zu werden.447 In ihrer abwehrrechtlichen Dimension sollen die Grundrechte den Grundrechts­ träger vor einer Beeinträchtigung seiner Freiheitssphäre, insbesondere vor einer Beeinträchtigung der freien Selbstbestimmung und eigenverantwortlichen Gestal­ tung, durch den Staat schützen.448 Der Schutz der Freiheit des Grundrechtsträgers würde demzufolge in erheblichem Maße verkürzt, wenn den Grundrechten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension ausschließlich das positive Freiheitsverständnis zugrunde läge und der Kreis der grundrechtlich geschützten Verhaltensmöglich­ keiten des Grundrechtsträgers beschränkt wäre.449 Die Grundrechte als Abwehr­ rechte sollen dem Menschen „die freiheitsverwirklichende Chance“450, also die

445

Vergleiche Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1533, 1535); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 46; vergleiche auch Poscher, Grundrechte als Ab­ wehrrechte, 2003, S. 126; siehe auch Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 35. 446 So auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 126; Böckenförde, Freiheit und Recht, Freiheit und Staat, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 42 (46). Ver­ gleiche auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 47, der eine „inhaltlich[e] Überdetermination“ des Grundrechtsgebrauchs befürchtet. 447 Siehe auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 126: „zementiert“; Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 66; vergleiche auch Schubert, RdA 2001, 199 (201) zur Ablehnung der „inhaltlichen Überfrachtung des Grundrechtsgebrauchs“, die das Ziel „der Sicherung einer freiheitlichen Ordnung jedoch verfehl[en]“ und die Grund­ rechte zu „Lenkungsvorschriften“ umwandeln würde. Siehe auch Scholz, Die Koalitionsfrei­ heit als Verfassungsproblem, 1971, S. 42; Bethge, NJW 1982, 2145 (2148). 448 Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat, vergleiche BVerfGE 7, 198 (204); 50, 290 (336 f.); 68, 193 (205); so auch Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, 1986, S. 29; Schwabe, Probleme der Grundrechts­ dogmatik, 1977, S. 13 ff.; ähnlich Jarass, AöR 120 (1995), 345 (347, 354); Morlok, Selbstver­ ständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 380; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 52; vergleiche auch Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Art. 43. 449 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 46 f.; ähnlich auch ­Schubert, RdA 2001, 199 (201). 450 Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (72); vergleiche auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip, 2. Aufl. 2001, S. 288: „Der Freiheitsschutz kann nicht davon abhängen, in welchem Maße der einzelne Grundrechtsträger seine Freiheit aktuell ausübt; es kommt wegen der Unverletzlichkeit der Grundrechte noch nicht einmal darauf an, in welchem Umfang er sie aktuell ausüben will. Die grundrechtliche Freiheit ist wesenhafte Chance, Virtualität.“ (Herv. i. O.). Siehe auch Luhmann, Grundrechte als Institution, 6. Aufl. 2019, S. 77 f.; Veit, Soziologie der Freiheit, 1957, S. 142.

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Chance, entsprechend der eigenen Vorstellungen ohne staatliche Restriktionen zu handeln, gewähren.451 Dies setzt die umfassende Wahlmöglichkeit des Grund­ rechtsträgers zwischen verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten voraus:452 Er muss die Entscheidung über das ‚Ob‘ und das ‚Wie‘ des Tätigwerdens treffen können.453 Das Freiheitsobjekt ist also die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Hand­ lungsweisen, deren Inhalt näher durch den sachlichen Schutzbereich eines Grund­ rechts umgrenzt wird. Das Freiheitsobjekt ist also eine Handlung als Oberbegriff für verschiedene Verhaltensweisen und -formen. Die Grundrechte sind in ihrer abwehrrechtlichen Dimension folglich maßgeblich durch das negative Freiheits­ verständnis der Philosophie geprägt.454 451

Vergleiche auch Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 38: „Einzelne Lebens­ bereiche sollen vor staatlichen Eingriffen geschützt werden. Grundrechte haben das Ziel, einen Raum individueller bzw. gesellschaftlicher Freiheit zu schaffen.“ 452 Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 12; Schnapp, NJW 1998, 960; ähnlich auch ­Schubert, RdA 2001, 199 (201). 453 Vergleiche Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 43; Höfling, Offene Grund­ rechtsinterpretation, 1987, S. 64; Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 53; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 41, 72 f.; ihm folgend Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, 1986, S. 49 ff.; Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (455); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Frei­ heitsrechte, 1993, S. 46, 52; ähnlich auch Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 38 („Grundrechtliche Freiheit gewährleistet die Auswahl zwischen verschiedenen Handlungs­ alternativen. Diese Alternativen umfassen sowohl den Schutz des Tuns als auch die Freiheit des Nichtstuns.“); ähnlich Kästner, AöR 103 (1998), 408 (421); Bethge, NJW 1982, 2145 (2147); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 9 Rn. 288: „so geht es ihr [der Ver­ fassung] doch um die Freiheit dieser Aktualisierung, die nur gegeben ist, wo eine Alternative besteht. Deshalb ist stets nicht nur die positive Freiheit […] gewährleistet, sondern ebenso die negative Freiheit […]“ (Herv. i. O.); siehe auch Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 216; ähnlich auch Schubert, RdA 2001, 199 (201). 454 Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 186. Allerdings darf nicht pau­ schal vom status negativus, also der abwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte auf die Maßgeblichkeit des negativen Freiheitsverständnisses geschlossen werden, vergleiche auch Thoma, Das System der subjektiven öffentlichen Rechte und Pflichten, in: Anschütz / ders. (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 102, S. 607 (619); Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (54); Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheits­ ordnung, 1986, S. 25, 87 ff.; mit einer gewissen Tendenz hierzu Grabitz, Freiheit und Ver­ fassung, 1976, insbesondere S. 7 ff.; Klein, Die Grundrecht im demokratischen Staat, 1972, S. 60 ff.; ebenso Achatz, Grundrechtliche Freiheit im Wettbewerb, 2011, S. 149; siehe auch Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 24; Cornils, Allgemeine Hand­ lungsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 11; siehe auch Böckenförde, Freiheit und Recht, Freiheit und Staat, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 42 (44); Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 380 ff.; siehe auch Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 6. Aufl. 2018, § 9 Rn. 361; vergleiche auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 121: „Der negative Freiheits­ begriff ist der strukturell das Abwehrrecht prägende Freiheitsbegriff.“; siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 48, 51.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Positive und negative Freiheit sind also Ausfluss des negativen Freiheitsver­ ständnisses der Grundrechte. Schließlich wird unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit die freie Entscheidung des Grundrechtsträgers über das ‚Ob‘ und das ‚Wie‘ einer Betätigung verstanden. Diese Begriffe beschreiben also nicht nur die Funktion der Grundrechte, ein Tun und ein Unterlassen zu schützen. Da Tun und Unterlassen, wie auch die einzelnen Verhaltensvarianten Unterfälle einer Handlung sind, schützen die Grundrechte entsprechend dem negativen Freiheits­ verständnis der Grundrechte also Handlungen. Zwischen den unter dem Begriff der Handlung zusammengefassten verschiedenen Verhaltensweisen und -formen kann der Grundrechtsträger frei befinden.455 Somit bildet das den Grundrechten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension zu­ grundeliegende negative Freiheitsverständnis die Grundlage des umfassenden grundrechtlichen Schutzes der Selbstbestimmung und -entfaltung und damit die Voraussetzung für die Anerkennung der Lehre des Grundrechtsschutzes von posi­ tiver und negativer Freiheit.456 c) Das Freiheitshindernis Die Bestimmung des dritten Elements, des Freiheitshindernisses, gestaltet sich deutlich schwieriger. Auf den ersten Blick erscheint es naheliegend, das Freiheits­ hindernis mit dem Eingriff in die Grundrechte gleichzusetzen.457 Demnach wäre jede staatliche Maßnahme, die die Voraussetzungen eines Eingriffs erfüllt, als Frei­ heitshindernis zu klassifizieren. Ein Eingriff in die Grundrechte kann sowohl in einem Handeln des Staates liegen, das die Ausübung einer konkreten Tätigkeit ver­ bietet, den Grundrechtsträger also zu einem Unterlassen zwingt, als auch in einem Handeln, das dem Bürger eine bestimmte Tätigkeit gebietet, ihn also zu einem Tun zwingt. Der Eingriff beschreibt dementsprechend die konkrete hoheitliche Maß­ nahme, die das Verhalten des Grundrechtsträgers einschränkt und daher – zumin­ dest aus der Perspektive des Grundrechtsträgers – seine Freiheit beeinträchtigt. Das Element des Freiheitshindernisses wäre damit grundsätzlich flexibel genug, Beschränkungen der verschiedenen Handlungsdimensionen abbilden zu können, ungeachtet der Frage, ob die positive oder die negative Freiheit beschränkt wird.

455

Zum Begriff „Verhaltensraum“ siehe Röhl, JA 1999, 600 (603); ders., JA 1999, 895 (898). So im Ergebnis auch Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 216 f.; siehe auch Browoski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 184 ff.; ders., Grundrechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 78 Fn. 68: „Positive und negative Freiheit im Sinne der zweiten Unterschei­ dung [etwas zu tun / zu unterlassen] ist jeweils negative Freiheit im Sinne der ersten Unter­ scheidung [also der negativen Freiheit im philosophischen Sinne]“; im Ansatz auch Schubert, RdA 2001, 199 (201). 457 Zum Eingriff in die Grundrechte ausführlich unter Kap. 3 B.; siehe auch die Erwägungen von Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 121 ff. 456

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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Allerdings wurden die Voraussetzungen des Eingriffsbegriffs aufgrund der viel­ fältigen Handlungsmöglichkeiten des Hoheitsträgers im Laufe der Zeit erweitert:458 Ein Eingriff in die Grundrechte kann nicht nur im klassischen Sinne durch eine unmittelbare, finale, rechtsförmige und imperative staatliche Maßnahme erfol­ gen.459 Vielmehr können auch faktische, mittelbare oder nicht finale hoheitliche Maßnahmen als Eingriff in die Grundrechte klassifiziert werden.460 Wenn aber die staatliche Warnung vor einem Produkt461 oder das Verbot, Tauben zu füttern,462 als Freiheitshindernisse zu qualifizieren sind, kann der Bürger dann noch frei sein? Ein derart weites Verständnis des Freiheitshindernisses, wie es die Gleichset­ zung des Freiheitshindernisses mit dem Eingriffsbegriff zur Folge hätte, gewich­ tet das Freiheitshindernis unverhältnismäßig hoch und bringt die sensible Formel grundrechtlicher Freiheit aus dem Gleichgewicht. Schließlich ist es die Aufgabe des Staates, das Zusammenleben in einer Gemeinschaft zu regeln und insoweit die Freiheit der Bürger zu beschränken. Der Staat muss gewisse Regeln gegenüber den Grundrechtsträgern treffen können, Eingriffe in die Grundrechte des Grund­ rechtsträgers sind insoweit unvermeidlich.463 Der Grundrechtsträger wäre in einem Staat, der das Zusammenleben einer Gemeinschaft regelt und ihm deshalb Regeln auferlegt, bei einem solchen Verständnis des Freiheitshindernisses praktisch stän­ 458

Voßkuhle / Kaiser, JuS 2009, 313; Bethge, Mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 58 Rn. 16 ff. m. w. N.: „Die Expansion des Grundrechtseingriffs“. 459 Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 124; Bethge, Mittelbare Grundrechts­ beeinträchtigungen, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 58 Rn. 14; Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, 1992, S. 3 ff.; Michael / Morlok, Grund­ rechte, 7. Aufl. 2020, § 17 Rn. 492; Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 20 ff.; Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 325 f. 460 BVerfGE 105, 252; Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 31; Bethge, Mittelbare Grundrechtsbeeinträch­ tigungen, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 58 Rn. 21 ff.; ders., VVDStRL 57 (1998), 7 (38); Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 328 ff.; Petersen, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, 2019, § 2 Rn. 22; Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders. / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 191 Rn. 111 ff.; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 125; Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 17 Rn. 492 ff.; vergleiche auch die Erwägungen von Morlok, Selbstverständnis als Rechtskrite­ rium, 1993, S. 415 f. zum Eingriff. Die Behinderung der Freiheit des Bürgers müsse maßgeb­ lich sein, unabhängig von ihrer Finalität, Unmittelbarkeit, Rechtsförmigkeit und Imperativität. Bereits hier wird die Tendenz von Morlok sichtbar, den Grundrechtsträger – also das Freiheits­ subjekt – in den Fokus zu stellen. 461 BVerfGE 105, 252; zur Warnung vor Sekten siehe auch BVerfGE 105, 279 ff. 462 BVerfGE 54, 143. 463 BVerfGE 4, 7 (15 f.) zur „Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person“; Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 321: „Ein wildwüchsiger Freiheitsgebrauch würde zu Konflikten mit den Interessen der Allgemeinheit und auch mit dem Freiheitsgebrauch anderer Grundrechtsberechtigter führen. Um solche Konflikte zu ver­ hindern, muss der Staat in die Schutzbereiche der Grundrechte eingreifen.“ (Herv. i. O.).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

dig unfrei. So würde bereits das Tempolimit von 30 km / h auf einer Straße, die an einer Schule vorbeiführt, obgleich mit dieser Regelung der Schutz der Kinder vor den Gefahren des Verkehrs bezweckt wird und sie dadurch verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre, die Freiheit des Autofahrers beeinträchtigen. Folglich kann nicht jeder Eingriff, also jede Freiheitsbeschränkung, als Freiheitshindernis klas­ sifiziert werden. Eingriff und Schutzbereich sind allerdings nur ein „Ausschnitt eines komple­ xeren dogmatischen Systems“464, das die Grundrechte in der Gänze ausmacht.465 Ein Eingriff begründet nur den Verdacht, dass eine staatliche Maßnahme den Freiheitsgegenstand verletzt.466 Dieser Verdacht kann durch die Rechtfertigung ausgeräumt werden, nur ein verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Eingriff verletzt die Grundrechte.467 Auch wenn die Freiheit des Bürgers im Verhältnis zum Staat grundsätzlich unbegrenzt ist468 – verfügt der Staat doch lediglich über begrenzte Einwirkungs­ möglichkeiten auf die Freiheitssphäre des Individuums469 – ist seine Freiheit durch die Gemeinschaft begrenzt:470 Die eigene Freiheit wird regelmäßig erst beim Zu­ sammentreffen mit einer anderen natürlichen oder juristischen Person – nicht nur 464

Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 122. Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 4 Rn. 35 ff.; Petersen, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht II, 2019, § 2 Rn. 1 ff.; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 119 ff.; Merten, Grundrechtlicher Schutzbereich, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 56; Volkmann, Allgemeine Grundrechtslehren, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 16 Rn. 55 ff. 466 Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 6. Aufl. 2018, § 12 Rn. 483 ff.; Kingreen /  Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 1 Rn. 12, § 6 Rn. 350; Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7 (11); siehe auch Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 5. 467 Isensee, ZRP 1996, 10; Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7 (11); Murswiek, Der  Staat 45 (2006), 473 (474); Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 350; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Vorb. Rn. 37; Dreier, JURA 1994, 505 (506). 468 Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 126 f., 154; Merten, Das Prinzip Freiheit im Gefüge der Staatsfundamentalbestimmungen, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 27 Rn. 19; von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 38, ohne Grund darf der Staat nicht im individuellen Freiraum „wildern“, S. 38. 469 Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 126 f.; Merten, Das Prinzip Freiheit im Ge­ füge der Staatsfundamentalbestimmungen, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 27 Rn. 19; von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 38. 470 Geiger, Zur Diskussion über die Freiheit, in: Bracher / Dawson / ders. et al. (Hrsg.), Die moderne Demokratie und ihr Recht, Bd. 2, 1966, S. 187 (196); vergleiche hierzu auch Preuss, Die Internalisierung des Subjekts, 1979, wonach gesellschaftliche Bedingungen eben erst auf Ebene des Freiheitsbegriffs relevant werden; skeptisch hingegen gegenüber dem Freiheits­ begriff wegen der Beschränkung auf primär staatliche Freiheitshindernisse Morlok, Selbst­ verständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 382. Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S. 72, verweist auf das Paradoxe der Freiheit. Einerseits braucht das Individuum die Gesellschaft 465

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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mit dem Staat – relevant.471 Ob er frei ist, spürt der Grundrechtsträger häufig erst, wenn er mit anderen zusammentrifft, die ebenfalls von ihrer Freiheit Gebrauch machen. Dabei ist die individuelle Freiheit in den unterschiedlichsten Konstellationen verschiedenen Beeinträchtigungen und Bedingungen ausgesetzt: Das Mitwirken eines Bürgers kann zugleich Bedingung und Schranke der eigenen Freiheit sein.472 So kann die Religionsfreiheit des Lehrers, der eine Bibel im Mathematikunter­ richt an seine Schüler verteilt, um für den katholischen Glauben zu werben, seine Grenzen in der negativen Religionsfreiheit und / oder der Weltanschauungsfrei­ heit seiner Schüler finden, die mit diesen Glaubenssätzen nicht ‚belästigt‘ werden möchten,473 umgekehrt kann das Mitwirken eines Dritten – gerade für den kollek­ tiven Freiheitsgebrauch, wie etwa bei der Vereinigungs- oder Versammlungsfrei­ heit – Voraussetzung sein.474 In einer Gemeinschaft treffen die unterschiedlichsten Freiheitssphären zusam­ men. Dabei besteht grundsätzlich die Gefahr, dass ein Bürger seine Freiheit auf Kosten der Freiheit eines anderen Bürgers ausübt.475 Zwischen Freiheit und Ge­ meinschaft besteht insoweit eine Zwickmühle.476 Aus diesen Gründen haben die Grundrechte nicht nur die Aufgabe, die Freiheit des Individuums zu sichern, sondern sollen vielmehr die Freiheit aller gewährleisten.477 zur Verwirklichung seiner Freiheit, andererseits beschränkt die Gemeinschaft seine Freiheit; siehe auch Böckenförde, Freiheit und Recht, Freiheit und Staat, in: Böckenförde (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 1991, S. 42. 471 Vergleiche auch Freytag-Löringhoff, Die logische Struktur des Begriffs der Freiheit, in: Simon (Hrsg.), Freiheit, 1977, S. 37 (40): „Das Problem der Freiheit tritt auf sobald der Mensch Mitmensch wird […]“; vergleiche hierzu auch die Ausführungen zu dem „Recht, in Ruhe ge­ lassen zu werden“ unter Kap. 3 A. III. 4. 472 Achatz, Grundrechtliche Freiheit, 2011 S. 158 m. N.; Di Fabio, Die Kultur der Freiheit. 2005, S. 72. 473 Vergleiche Kap. 3  A. III. 4. 474 Vergleiche Kap. 3  A. III. 1. 475 Insbesondere in Über-Unterordnungsverhältnissen (nicht nur im Rahmen des BürgerStaat-Verhältnisses, sondern auch im Bürger-Bürger-Verhältnis muss sich die Freiheit des Schwächeren stärker behaupten. Schließlich wird nicht nur derjenige, der auf das Wohlwol­ len eines anderen angewiesen ist, sondern auch derjenige, der faktisch nicht in der Lage ist, seine Freiheit gegen andere zu behaupten, Freiheitsbeschränkungen hinnehmen. So stellt der Lehrer, der die Bibeln verteilt, seine Religionsfreiheit über die (negative) Religions- bezie­ hungsweise die (positive) Weltanschauungsfreiheit seiner Schüler, die möglicherweise einen anderen Glauben oder eine andere Weltanschauung haben. 476 Zum Spannungsverhältnis von Individualität und Gemeinschaft siehe Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, 1957, S. 7, 20; Ipsen, Der Staat 52 (2013), 266 (268); Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 52; vergleiche auch den Hinweis von Volkmann, Frei­ heit und Gemeinschaft, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 32 Rn. 44, dass anders als im Nationalsozialismus das Individuum und nicht die Ge­ meinschaft im Mittelpunkt der Freiheit steht. 477 von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 27; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 60 f.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Daher sind nicht nur die Durchsetzungsfähigen frei.478 Den Staat trifft vermittelt durch die Grundrechte ein Auftrag zum Schutz der grundrechtlichen Freiheits­ sphäre. Grundrechtliche Freiheit ist nicht nur die Freiheit „vor dem Staat“, sondern zugleich auch die Freiheit „durch den Staat“479. Gewisse staatliche Reglementie­ rungen sind insoweit notwendig, um die Freiheit aller zu schützen, und können daher kein Freiheitshindernis darstellen. Der hohe Stellenwert der Freiheit des Individuums (auch vor dem Staat) wird auf der Rechtfertigungsebene durch Schranken und die Schranken-Schranken berück­ sichtigt. So kann der Staat die Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers nicht belie­ big beschränken, sondern muss sich an die Vorgaben aus den Gesetzesvor­behalten halten. Die Grundrechte unterliegen gerade keinem allgemeinen Gesetzesvorbe­ halt, sondern können nur unter gewissen auf das Grundrecht abgestimmten Voraus­ setzungen eingeschränkt werden.480 Die Schranken sind die Antwort auf die Frage, welche Beschränkungen der Freiheitsphäre das Individuum zur Eingliederung in die Gesellschaft grundsätzlich hinzunehmen hat.481 Ihr Umfang ergibt sich aus der Einordnung des Freiheitsrechts in das Verfassungsgefüge.482 Auf Schranken-Schranken-Ebene wird diese staatliche Einschränkungsmög­ lichkeit der grundrechtlichen Freiheit des Bürgers wieder begrenzt.483 Schließlich müssen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die im Einzelfall widerstreitenden Freiheitsinteressen in Einklang gebracht werden. Die Schranken-Schranken bil­ den also die Rückausnahme vom Grundsatz der Einschränkbarkeit der grund­ rechtlichen Freiheit und schränken die Einschränkungsmöglichkeit der Freiheit wieder ein. Daher wäre es auch verkürzt, die Schranken als Freiheitshindernis zu qualifizie­ ren. So kann ausschließlich ein verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Eingriff 478 Böckenförde, Freiheit und Recht, Freiheit und Staat, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Frei­ heit, 1991, S. 42 (43); Kriele, JA 1984, 629 (636); Brugger, JZ 1987, 633 (637); vergleiche auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 195 ff.; Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S. 81 ff.; siehe auch Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 295 mit der Befürchtung, dass die Freiheit in das Recht des Stärkeren umschlägt. 479 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 1 Rn. 2. Diese Erkenntnisse sind vor al­ lem für die Fragen, ob die negative Freiheit allgemein ein Recht, ‚in Ruhe gelassen zu werden gewährt‘ und ob und wie der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit im Bür­ ger-Bürger-Verhältnis wirkt. Hierzu ausführlich unter Kap. 3 A. III. 4. 480 von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999. 481 von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 110, 124 f. Freiheitsrecht und Freiheitsschranke gehören zusammen, so Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 6. Aufl. 2018, § 12 Rn. 485. 482 von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 110. 483 Kingreen / Poscher, Grundrechte, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 388 ff.: „Der Begriff der Schran­ ken-Schranken bezeichnet die Beschränkungen, die für den Gesetzgeber gelten, wenn er dem Grundrechtsgebrauch Schranken zieht.“ (Herv. i. O., Zitat Rn. 388); Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 605 ff. sprechen insoweit von der „materiellen Recht­ fertigung“.

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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als Freiheitshindernis qualifiziert werden.484 Die Frage, ob die unterschiedlichen Gesetzesvorbehalte einen Einfluss auf die Reichweite der Freiheit, die durch das jeweilige Grundrecht geschützt wird, und damit letztlich auch auf die Reichweite des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit haben,485 sowie die Frage, ob ein unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenes grundrecht­ lich geschütztes Unterlassen als regelmäßig deutlich gemeinschaftsverträglicheres Verhalten denselben Beschränkungen unterliegen sollte wie ein unter der positiven Freiheit verstandenes grundrechtlich geschütztes Tun, sind für die Herleitung von positiver und negativer Freiheit nicht relevant und sollen daher an dieser Stelle (noch) nicht beantwortet werden.486 d) Zusammenfassung Übersetzt in die freiheitliche Strukturformel lässt sich die grundrechtliche Frei­ heit wie folgt darstellen: Persönlicher Schutzbereich + sachlicher Schutzbereich  − nicht gerechtfertigter Eingriff = grundrechtliche Freiheit Der Grundrechtsschutz von Handlungen, insbesondere die Wahlmöglichkeit des Grundrechtsträgers zwischen verschiedenen Handlungsdimensionen ist Ausfluss des den Grundrechten als Abwehrrechten zugrundeliegenden negativen Freiheits­ verständnisses. Aufgabe der Abwehrrechte ist es, insbesondere die Selbstentfaltung und -bestimmung des Grundrechtsträgers zu schützen. Dies erfordert den umfas­ senden Schutz verschiedener Verhaltensweisen und -formen und setzt dementspre­ chend sowohl die freie Wahl des Grundrechtsträgers über das ‚Ob‘ als auch über das ‚Wie‘ eines Tätigwerdens voraus.487 Die verschiedenen Verhaltensweisen und -formen sind Untergliederungen des Handlungsbegriffs, der neben diesen Verhal­

484

So auch Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, 2003, S. 122 ff.; siehe auch die Er­ wägungen von Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheits­ ordnung, 1986, S. 30 ff.; vergleiche auch Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 14: „Dem Eingriff kommt die Schlüsselfunktion als Scharnier zwischen dem Freiheitsraum als dem Schutzbereich eines Grundrechtseingriffs und der staatlichen Rechtfertigungslast als der Existenz einer Grund­ rechtsschranke zu.“ 485 Vergleiche auch die Erwägungen von Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, 1986, S. 40 ff., 51. 486 Eine tiefergehende Untersuchung der Komponente des Freiheitshindernisses kann an dieser Stelle für die Herleitung des Grundrechtsschutzes noch dahinstehen und wird ausführ­ lich im Rahmen der Betrachtung der Einschränkbarkeit von positiver und negativer Freiheit untersucht. Ausführlich hierzu Kap. 4. 487 Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 380; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 33 m. N.; Renck, NVwZ 1994, 544 (545); Isensee, ZRP 1996, 10 (12).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

tensdimensionen auch die freie Entscheidung zwischen den Verhaltensdimensionen schützt. Insbesondere die Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Hand­ lungsweisen schützt die individuelle Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers und weist insoweit auch einen engen Bezug zum Freiheitsträger auf. Basierend auf dem negativen Freiheitsverständnis der Grundrechte schützen diese in ihrer ab­ wehrrechtlichen Dimension, soweit sie eine Handlung zum Gegenstand haben,488 ein Tun und ein Unterlassen des Grundrechtsträgers sowie die Entschließungsfrei­ heit zwischen den verschiedenen Verhaltensweisen und -formen vor staatlichen Restriktionen.489 Insoweit folgt der Schutz von positiver und negativer Freiheit aus dem abwehrrechtlichen Freiheitsverständnis.

II. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit aus dem Menschenwürdeprinzip Das Menschenwürdeprinzip wirkt zwar auch vermittelt durch das grundrecht­ liche Freiheitsverständnis490 auf die Anerkennung des unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit verstandenen Grundrechtsschutzes ein. Da der Autonomieschutz eines der Leitmotive der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit ist, kann der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit auch unmittelbar aus der Würde des Menschen hergeleitet wer­ den. Schließlich implementiert die Menschenwürde den Schutz der Autonomie in die Verfassung.491 Sie ist als „regulatives Rechtsprinzip“492 der Verfassungsinter­

488

Hierzu ausführlich unter Kap. 3 III. 4. c). Kästner, AöR 123 (1998), 408 (421); von Camphausen / de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, § 12, S. 61; Gallawas, Der Missbrauch von Grundrechte, 1967, S. 31; Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 ff.; ders., DÖV 1990, 761; Bethge, NJW 1982, 2145 (2147); Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 33, 35; vergleiche auch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 184 ff. 490 Siehe Kap. 1  F. I. 4. a). Ähnlich Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 137 ff., 235 ff.; dem folgend Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 288: „Bereits mit der Anerkennung der Menschenwürde ist die Freiheit als Verfassungsprinzip institutionalisiert.“ 491 BVerfGE 6, 32 (41); 45, 187 (227); 109, 279 (312 f.); 133, 168 (197); Hillgruber, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 1 Rn. 12; Herdegen, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 1 Abs. 1 Rn. 84; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Abs. 1 Rn. 42; Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 1 Rn. 19; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 51, 55; Hofmann, VVDStRL 41 (1983), 42 (54); Hufen, JuS 2010, 1 (3 f.); Gutmann, Struktur und Funktion der Menschenwürde, 2010, S. 5; Morlok, Selbstverständnis als Rechts­ kriterium, 1993, S. 282 ff. 492 Zum Einfluss der Menschenwürde auf unser Grundrechtsverständnis siehe BVerfGE 6, 32 (40 f.); 27, 1 (6); Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 55 m. w. N.; ähnlich Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 183, der von einer strukturgebenden Fundamen­ talnorm spricht; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 282 qualifiziert die Menschenwürde als „Ausgangspunkt“ unserer Verfassung. 489

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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pretation zu verstehen,493 das den Menschen in den „Mittelpunkt der Verfassung“ rückt.494 Der Mensch soll die Freiheit haben, „über sich selbst verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten zu können.“495 Die Menschenwürde ist folglich Ausdruck des Schutzes der freien Selbstbestimmung des Bürgers496 vor staatlichen Einflüssen.497 Da die Autonomie des Bürgers durch jede Beeinträchtigung seines Verhaltens, insbesondere durch die Beschränkung der Wahlmöglichkeit zwischen verschiede­ nen Verhaltensweisen (‚Ob‘) bedroht werden kann, also nicht nur durch das Verbot, etwas zu tun, sondern auch durch den Zwang, etwas zu tun,498 muss zum Schutz der eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Persönlichkeitsentfaltung ausgehend vom Menschenwürdeprinzip jede Handlung, also ein Tun und ein Unterlassen wie auch die Entscheidung zwischen dem ‚Ob‘ und dem ‚Wie‘, verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Die speziellen Freiheitsrechte verfügen über einen „Menschen­ würdekern“499. Sie sind also Ausdruck der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer eigenverantwortlichen, selbstbestimmten Lebensgestaltung500 in speziel­ len Lebensbereichen.501 Dies erfordert die Anerkennung nicht nur eines Rechts, 493 BVerfGE 5, 85 (204); 32, 98 (107); 45, 187 (227); Finger / Müller, NJW 2004, 1073 (1074); Hufen, JuS 2010, 1; Enders, Die Menschenwürde im Verfassungsstaat, 1997, S. 72 f. und öfter; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 1 Rn. 2; Herdegen, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 1 Rn. 4; Kunig, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 1 Rn. 1, 4; ähnlich auch Poscher, Menschenwürde, in: Herdegen / Masing / ders. et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 17 Rn. 1; vergleiche auch Augsberg, Autonomie als soziale Konstruktion, in: Vesting / Korioth / ders. (Hrsg.), Grundrechte als Phä­ nomene kollektiver Ordnung, 2014, S. 39. 494 Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 180. 495 BGHSt 44, 308 (317); BVerfGE 49, 286 (298); vergleiche auch Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 282 ff., insbesondere S. 287 f.; dem folgend Gutmann, Struktur und Funktion der Menschenwürde, 2010, S. 5. 496 Siehe auch Pohlmann, Art.: Autonomie, in: Ritter / Gründer / Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, 1971, S. 701 (703). Sich auf diese Definition beziehend Oberreuther, Art.: Autonomie, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, III. 497 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 53 unter Bezugnahme auf Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, 1957, S. 15; ders., Über Eigenart und Methode verfassungsrecht­ licher Rechtsprechung, in: FS Laforet, 1952, S. 227 (236 f.); Steinbeiß-Winkelmann, Grund­ rechtliche Freiheit und staatliche Freiheitsordnung, 1986, S. 18 ff. 498 Man kann auch umgekehrt von dem Verbot, etwas zu unterlassen, und dem Gebot, etwas zu unterlassen, sprechen. 499 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 54; vergleiche auch Wintrich, Zur Proble­ matik der Grundrechte, 1957, S. 19; ähnlich Papier, Drittwirkung der Grundrechte, in: Merten /  ders. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 55 Rn. 23; Leisner, Grund­ rechte und Privatrecht, 1960, S. 147; Poscher, Menschenwürde, in: Herdegen / Masing / ders. et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Bd. 1, 1. Aufl. 2021, § 17 Rn. 1, 44; Hong, Der Men­ schenwürdegehalt der Grundrechte, 2019, S. 21; BVerfGE 93, 266 (293): „Wurzel aller Grund­ rechte“; siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 1 Rn. 5. 500 Herdegen, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 1 Abs. 1 Rn. 84; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 51; Hufen, JuS 2010, 1 (3 f.). 501 Siehe hierzu BVerfGE 51, 97 (105).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

etwas zu tun, sondern auch des Rechts, etwas zu unterlassen. Die Menschenwürde skizziert folglich das Leitbild des grundrechtlichen Schutzes der selbstbestimmten und selbstverantworteten Persönlichkeitsentfaltung, was nicht nur den unter dem Begriff von positiver und negativer Freiheit diskutierten grundrechtlichen Schutz eines Tuns und eines Unterlassens, sondern zugleich die umfassende Wahlmög­ lichkeit zwischen den Verhaltensvarianten voraussetzt.502 Die Grundrechte müssen daher umfassend menschliche Handlungen schützen, dem Grundrechtsträger also einen Handlungsraum zur Verfügung stellen, innerhalb dessen sich der Mensch frei bewegen kann, also frei zwischen den verschiedenen Verhaltensmöglichkei­ ten entscheiden kann. Das Leitbild Menschenwürde beeinflusst insoweit die Aus­ legung der speziellen Freiheitsrechte.503 Der umfassende Handlungsschutz, wie er auch unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit verstanden wird, kann daher auch aus der Würde des Menschen hergeleitet werden. Trotzdem äußert Jörg Fenchel Kritik gegenüber der Herleitung des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit aus dem „obersten Konstitu­ tionsprinzip“504 der Verfassung. Die Menschenwürde, so Fenchel, könne nicht das Fundament einer allgemeinen, in Bezug auf sämtliche spezielle Freiheitsrechte geltenden Figur des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit bil­ den.505 Schließlich würden die Besonderheiten der speziellen Freiheitsrechte bei der Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit aus dem Menschenwürdeprinzip unberücksichtigt bleiben.506 Die Verbindung zwischen 502

Schmidt-Jortzig, Meinungs- und Informationsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 31: „Soll die Freiheitsgarantie um­ fassend gelten und sich als Ausdruck der selbstverantwortlichen Lebensgestaltung des Men­ schen erweisen, darf sie zudem nicht nur alle möglichen Formen des transitorischen Meinungs­ verhaltens erfassen bzw. alle darauf einwirkenden Beeinträchtigungssachverhalte abwehren, sondern muß sich auch auf die Entscheidung zur Nichtbeanspruchung der Betätigungsgele­ genheit […] erstrecken.“; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 56. 503 BVerfGE 6, 32 (36, 40 f.); 27, 1 (6); 56, 216 (235); vergleiche Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 288: „Demgemäß können die verschiedenen Einzelgrundrechte als Konkretisierungen der Menschenwürdegarantie verstanden werden.“; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 54 f. m. w. N.; sehr differenziert zu der Frage, in welchem Umfang grundsätzlich bei der Auslegung der Grundrechte auf die Menschenwürde zurückgegriffen werden kann, Hufen, JZ 2004, 313 (314 ff.); Augsberg, Autonomie als soziale Konstruktion, in: Vesting / Korioth / ders. (Hrsg.), Grundrechte als Phänomene kollektiver Ordnung, 2014, S. 39: „bereichsspezifische Konkretisierungen des grundlegenden Menschenwürdetopos“. 504 BVerfGE 45, 187 (227); 61, 126 (137); 87, 209 (228); 109, 133 (149); 131, 268 (286); ­Hufen, JuS 2010, 1 (2); Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 58; Jarass, in: ders. /  Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 1 Rn. 2; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Abs. 1 Rn. 42, 44; Linke, JuS 2016, 888; siehe auch Enders, Menschenwürde im Verfassungs­ staat, 1997, S. 70 ff. 505 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 57 f. 506 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 57 f., allerdings ist zu berücksichtigen, dass Fenchel der allgemeinen, von den Besonderheiten der speziellen Freiheitsrechte losge­ lösten Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit grundsätzlich kritisch gegenübersteht.

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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der Menschenwürde, den speziellen Freiheitsrechten und positiver und negativer Freiheit würde, so Fenchel, überbetont, wenn die Menschenwürde als der ‚zent­ rale‘ Grund für eine allgemeine, von den speziellen Bereichsdogmatiken losge­ löste, selbstständige Herleitung des unter dem Begriff von positiver und negativer Freiheit diskutierten grundrechtlichen Schutzes von Tun und Unterlassen dienen solle.507 Auf das Leitprinzip der Menschenwürde könne daher nur im Kontext der Herleitung von positiver und negativer Freiheit aus einem speziellen Freiheitsrecht zurückgegriffen werden.508 Dann bestünde auch nicht „die Gefahr, daß das oberste Konstruktionsprinzip des Grundgesetzes durch inflationäre Verwendung und Ab­ nutzung zu ‚kleiner Münze‘ werde.“509 Ein „allgemeiner Grundsatz“, dass jedes Grundrecht zugleich ein Tun und ein Unterlassen schütze, könne daher nicht aus dem Menschenwürdeprinzip hergeleitet werden.510 Fenchel erkennt im Grundsatz auch den Einfluss des Menschenwürdeprinzips auf die Herleitung von positiver und negativer Freiheit, seine Kritik bezieht sich primär auf die Herauslösung dieser Herleitungsargumentation aus dem Kontext der Herleitung von positiver und negativer Freiheit in Bezug auf ein spezielles Freiheitsrecht. Ein „Ausleiern“ beziehungsweise eine „Inflation“ der Menschen­ würde durch eine allgemeine, vom Rückbezug auf ein spezielles Freiheitsrecht unabhängige Herleitung des Grundrechtsschutzes von Tun und Unterlassen aus dem Menschenwürdeprinzip ist jedoch nicht zu befürchten: Zum einen würde der Gehalt der Menschenwürde ohnehin im Rahmen der Auslegung eines jeden spe­ ziellen Freiheitsrechts die Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit begründen. Zum anderen prägt die Menschenwürde das gesamte Verfassungsverständnis und nicht nur das Verständnis einzelner Grundrechte.511 Der durch das Menschenwürdeprinzip gewährleistete Autonomieschutz wirkt daher nicht nur auf das den Grundrechten zugrundeliegende Freiheitsverständ­ nis ein, sondern auch auf das Handlungsverständnis der Grundrechte. Schließlich entfaltet sich in dem Verhalten eines Menschen auch seine Persönlichkeit. Daher bildet das Menschenwürdeprinzip gemeinsam mit dem grundrechtlichen Freiheits­ verständnis die Grundlage einer allgemeinen, von den Spezifika der speziellen Freiheitsrechte losgelösten Herleitung der unter den Begriffen von positiver und 507

Enders, Die Menschenwürde im Verfassungsstaat, 1997, S. 73: „Als Konstitutionsprinzip verstanden fügt also die Menschenwürde den anderen Verfassungsbestimmungen nicht vorder­ gründig etwas hinzu. Sie bekräftigt vielmehr die in ihnen enthaltenen Entscheidungen, soweit sie neben ihr Bestand haben, und prägt darüber hinaus ihre Zielrichtung durch eine selbst dem verfassungsändernden Gesetzgeber unumstößliche Wertsetzung.“ 508 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 57 f. 509 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 58 m. w. N. 510 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 58. 511 Der Einfluss des Menschenwürdeprinzips im Rahmen der Herleitung des Grundrechts­ schutzes aus den speziellen Freiheitsrechten bekräftigt dies nur. Wenn sich schließlich in der Auslegung eines jeden speziellen Freiheitsrechts der Einfluss der Menschenwürde nieder­ schlägt, dann muss er auch abstrakt auf die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit einwirken.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

negativer Freiheit verstandenen Schutzgehalte. Beide Herleitungsstränge skizzieren das dem Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit zugrundeliegende Bild der Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit.

III. Der grundrechtliche Schutz von Selbstbestimmung und -entfaltung durch die Freiheitsrechte Es bedarf der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Frei­ heit allerdings nur, wenn die speziellen Freiheitsrechte ohne Anerkennung dieser „Konstruktion“512 nicht in der Lage wären, die persönliche Selbstbestimmung und -behauptung ausreichend vor staatlicher Einflussnahme zu schützen.513 Würden ein spezielles Freiheitsrechte bereits die Wahl zwischen den verschiedenen Hand­ lungsmöglichkeiten offerieren, wie es die grundrechtliche Freiheit entsprechend dem negativen Freiheitsverständnis voraussetzt, bedürfte es der Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nicht. 1. Der Schutz der Selbstbestimmung und -entfaltung durch die Gewissensfreiheit Diese Aufgabe, dem Grundrechtsträger im Interesse seiner Persönlichkeitsent­ faltung eine umfassende Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Verhaltens­ weisen zu gewähren, könnte die Gewissensfreiheit erfüllen. Schließlich schützt die Gewissensfreiheit nicht nur die innere Freiheit des Gewissens, also das forum internum, sondern auch das in der Außenwelt wahrnehmbare gewissensgebotene beziehungsweise -geleitete Handeln.514 Die Gewissensfreiheit gewährt das Recht, nicht zu einem dem Gewissen widersprechenden Verhalten gezwungen werden zu können.515 Dies umfasst sowohl das Recht des Bürgers zu einem gewissensgelei­ teten Tun als auch zu einem gewissensgeleiteten Unterlassen. Der Bürger könnte 512

Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 98. Bethge, Gewissensfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 158 Rn. 29. 514 Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 4 Rn. 74; Germann, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 4 Rn. 89; Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 86; Rupp, NVwZ 1991, 1033 (1034); Kokott, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 103 f.; kritisch Eiselstein, DÖV 1984, 794. 515 BVerfGE 78, 391; Germann, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 4 Rn. 90; Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 84 ff., insbesondere Rn. 94; siehe auch Starck, in: von Mangoldt / K lein / ders., GG, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 63 f.; so im Ergebnis Tiedemann, Religionsfreiheit – Menschenrecht oder Toleranzgebot?, 2012, S. 161: „Im Be­ reich der Gewissensfreiheit macht die Unterscheidung zwischen positiv und negativ ebenfalls keinen Sinn. Denn die Gewissensfreiheit bezieht sich immer nur auf das Recht, etwas nicht tun zu müssen.“; Muckel, NJW 2000, 689: „[D]ie Gewissensfreiheit [ist also] zunächst als ein Recht zu verstehen, das den Einzelnen vor Zwang bewahrt, den der Staat auf ihn ausübt.“ 513

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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sich demnach auf die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG berufen, um eine Tätigkeit, zu deren Vornahme er vom Staat verpflichtet wird, aufgrund der eige­ nen Gewissensnot zu unterlassen. Daher könnte die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG die Konstellationen erfassen in denen der Bürger eine Tätigkeit unter­ lassen will, mit der Folge, dass es der Konzeption einer negativen Freiheit nicht bedarf. Fraglich ist daher, ob die individuelle Selbstbestimmung und Selbstent­ faltung durch das Grundrecht der Gewissensfreiheit ausreichend geschützt wird. Würde der durch die Grundrechte vermittelte Unterlassungsschutz – neben den benannten Unterlassungsgrundrechten – auf die Gewissensfreiheit begrenzt, würde ein Unterlassen des Grundrechtsträgers nur im Ausnahmefall geschützt. Schließ­ lich werden an die Eröffnung des Schutzbereichs der Gewissensfreiheit hohe An­ forderungen gestellt: Der sachliche Schutzbereich der Gewissensfreiheit ist nur unter der Voraussetzung eröffnet, dass der Grundrechtsträger „eine ernstliche, sittliche, an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung trifft, die er in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend er­ fährt, sodass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte.“516 Die Gewissensfreiheit schützt insbesondere die moralische Integrität und Identität.517 Eine solche ernste Gewissensnot kann daher nur bei einem Widerspruch zwischen der erzwungenen Handlung und den identitätsstiftenden Werten angenommen wer­ den.518 Dieses Element kann folglich nicht objektiv belegt werden519,  520 sondern ist durch eine ausführliche Begründung521 durch den Grundrechtsträger glaubhaft zu machen.522

516 BVerfGE 12, 45 (55); 23, 191 (205); 48, 127 (173); BVerwGE 127, 302; Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 84; siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 4 Rn. 45. 517 Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 85, bezugnehmend auf Bäumlin, VVDStRL 28 (1970), 3 (9) und Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), 33 (66 f.); Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 4 Rn. 44. 518 Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 85; siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 4 Rn. 44. 519 Germann, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 4 Rn. 91; siehe auch BVerwGE 127, 302. 520 Germann, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 4 Rn. 91: „Nachprüfbar ist lediglich, ob das, was der Grundrechtsträger als Gewissensgebot geltend macht, formal den Charakter einer unbedingten Pflicht hat, ob diese ausreichend konkret ist, um ein bestimmtes Handeln als geboten oder verboten zu qualifizieren, ob der Grundrechtsträger selbst ihre Verbindlich­ keit mit seiner sittlichen Identität verknüpft und ob er sie zum Maßstab auch seines übrigen Handelns macht.“; ähnlich Rupp, NVwZ 1991, 1033 (1034 f.); siehe auch Schmidt, in: ErfK, 22. Aufl. 2022, Art. 4 GG Rn. 63. 521 BVerwG, NVwZ 1989, 60; siehe etwa Rupp, NVwZ 1991, 1033 (1034 m. w. N.): „mit Recht eine nach außen tretende, rational mitteilbare und intersubjektiv nachvollziehbare Dar­ legung der Ernsthaftigkeit, Tiefe und absoluten Verbindlichkeit der Gewissensentscheidung ge­fordert“; Bäumlin, VVDStRL 28 (1970), 8; siehe auch Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 4 Rn. 77. 522 Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 4 Rn. 45.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Über Art. 4 Abs. 1 GG würde ein Unterlassen des Bürgers daher nur im Ausnah­ mefall grundrechtlichen Schutz genießen, soweit der Grundrechtsträger eine ernste Gewissensnot durch den Zwang zu einem (bestimmten) Tun behaupten könnte. Der über die Gewissensfreiheit gewährte Schutz der individuellen Selbstbestim­ mung ist damit qualitativ anderer Natur, als der unter dem Begriff von positiver und negativer Freiheit diskutierte Grundrechtsschutz. Dem Gedanken des Auto­ nomieschutzes würde es nicht gerecht, wenn der Grundrechtsträger nur im Falle einer ernstlichen, schwer zu beweisenden Gewissensnot auf den grundrechtlichen Schutz des Unterlassens Vertrauen könnte.523 Schließlich schützt die negative Frei­ heit das Unterlassen des Bürgers unabhängig von der Frage, ob er im Falle eines Tuns in einen Gewissenskonflikt gerät. Der Grundrechtsträger, der einen Beruf nicht ausüben möchte, muss also, den Grundrechtsschutz der negativen Freiheit an­ erkennend, nicht darlegen, dass er den Beruf aufgrund eines Gewissenskonfliktes nicht ausüben kann. Er kann sich vielmehr direkt auf den unter dem Begriff der negativen Berufsfreiheit verstandenen Unterlassungsschutz berufen. Für die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit besteht demnach ein eigener Anwendungsbereich. 2. Der Schutz von Selbstbestimmung und -entfaltung durch die allgemeine Handlungsfreiheit Wenn vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit im Kontext der Freiheitsrechte gesprochen wird, stellt sich nicht nur die Frage, wie positive und negative Freiheit im Kontext der speziellen Freiheitsrechte herzuleiten sind und welchen Einfluss die speziellen Freiheitsrechte auf die inhaltliche Ausgestaltung nehmen, vielmehr muss der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit auch mit Blick auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG unter­ sucht werden. Schützt die allgemeine Handlungsfreiheit die freie Entfaltung der Persönlichkeit bereits ausreichend, ohne dass es des Rückgriffs auf das Konzept von positiver und negativer Freiheit bedarf, und bedarf es dann neben der allge­ meinen Handlungsfreiheit noch des Konzepts von positiver und negativer Freiheit? 523 Teilweise wird eine negative Gewissensfreiheit angenommen, also die Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit angewendet, so Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 69, 98; Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 567; Bethge, Gewissensfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 158 Rn. 26 ff.; Stern / Sachs / Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4/2, 2011, S. 991 f.; siehe auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 83; anders Tiedemann, Religionsfreiheit  – Menschenrecht oder Toleranz­ gebot?, 2012, S. 161; Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 96; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 141; ausführlich zur negativen Gewissensfreiheit Kap. 3 A. III. 1. c) (1). Soweit eine negative Gewissensfreiheit an­ erkannt wird, wird also davon ausgegangen, dass ein Anwendungsbereich für die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit besteht.

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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Teilweise wird vertreten, dass ein Unterlassen des Grundrechtsträgers ausrei­ chend über Art. 2 Abs.  1 GG geschützt werde, mit der Folge, dass es der Anerken­ nung der Konzeption einer negativen Freiheit im Kontext der speziellen Freiheits­ rechte nicht bedürfe.524 Schließlich sei bereits unter der Weimarer Reichsverfassung erwogen worden, ein Unterlassen des Bürgers durch ein allgemeines einfach-recht­ liches Handlungsrecht und nicht durch spezielle verfassungsrechtliche Freiheits­ rechte zu schützen.525 Daher solle der unter dem Begriff der negativen Freiheit diskutierte grundrechtliche Schutz auch unter dem Grundgesetz durch ein allge­ meines Freiheitsrecht, nämlich die allgemeine Handlungsfreiheit, gewährt werden, genieße diese doch durch Art. 2 Abs. 1 GG sogar Verfassungsrang.526 Diejenigen, die die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit kriti­ sieren, sprechen sich folglich nicht gegen den grundrechtlichen Schutz eines Unter­ lassens des Grundrechtsträgers aus, sondern nur gegen die inhaltliche Verortung in den speziellen Freiheitsrechten. Die in Art. 2 Abs. 1 GG enthaltene allgemeine Freiheitsvermutung527 schützt das Unterlassen nicht auf Grundlage der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit, sondern aus eigener Kraft qua ihrer Funktion als allgemeines Freiheitsrecht.528 Schließlich gewährt 524 Siehe etwa Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 163; so auch Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, 1992, S. 155; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, 1966, S. 59. 525 So zumindest die Meinung derjenigen, die nur den Schutz der negativen Religionsfreiheit in der Weimarer Reichsverfassung verankert verstanden haben. Nipperdey, Koalitionsrecht, in: ders. (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 3, 1930, S. 385 (420); Hueck / Nipperdey., Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 2/1, 7. Aufl. 1967, S. 156; vergleiche auch RGZ 104, 327 (328); RAG, ARS, 427 (430); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 162 f.; siehe auch Kap. 1 C. III. 526 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 162 f.; zum Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG siehe auch Biedenkopf, JZ, 1961, 346; Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 2/1, 7. Aufl. 1967, S. 156; siehe auch Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (124): „Heute ist nämlich nicht mehr die Frage entscheidend, ob überhaupt das Recht, einer Vereinigung fernzubleiben, ver­ fassungsrechtlich geschützt ist, vielmehr drehen sich die Erörterungen in erster Linie darum, ob dieses Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt oder aus Art. 2 Abs. 1 GG als Ausfluß der allgemei­ nen Handlungsfreiheit herzuleiten sei.“ Siehe auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 108. 527 Merten, JuS 1976, 345 (346); ihm folgend Murswiek / Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 52; zu den entsprechenden Erwägungen des parlamentarischen Rates siehe von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (55 ff.); Scholz, AöR 100 (1975), 80 (97). 528 Kunig / Kramer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 20: „Der Be­ griff der Entfaltung lässt erkennen, dass Art. 2 Abs. 1 der Gedanke individueller und aktiver Selbstentfaltung, der Autonomie des Einzelnen, zugrunde liegt.“ Siehe auch Kunig / Kramer, ebenda Rn. 25: „Art. 2 Abs. 1 GG schützt nicht nur die Freiheit zum Handeln, sondern auch die Freiheit, etwas zu unterlassen.“ (Herv. i. O.). Ähnlich auch Kap. 1 A. I. 3. Kunig /  Kämmerer schlagen sogar vor, dass soweit die allgemeine Handlungsfreiheit auch das Recht, zu unterlassen schützt, auch von einer „negativen Grundrechtsdimension“ gesprochen wer­ den könnte. Wie die speziellen Freiheitsrechte würde dann auch im Kontext der allgemeinen Handlungsfreiheit zwischen der positiven und der negativen Freiheit differenziert. Allerdings impliziert nicht nur der sich mittlerweile für das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Art. 2 Abs. 1 GG jeder der freien Entfaltung der Persönlichkeit dienenden Hand­ lung und damit auch dem Unterlassen grundrechtlichen Schutz.529 Daher bedürfe es der Konstruktion des Grundrechtsschutzes eines Unterlassens über die negative Freiheit im Kontext der speziellen Freiheitsrechte nicht. So ist nach Max Dietlein beispielsweise der Schutz des Fernbleibens von einer Koalition über die allgemeine Handlungsfreiheit ausreichend gewährleistet, mit der Folge, dass es der Konstruk­ tion einer negativen Koalitionsfreiheit nicht bedürfe.530 Da der Verfassungsgeber durchgesetzte Begriff der ‚allgemeinen Handlungsfreiheit‘, dass das Freiheitsrecht ungeachtet der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen des Grundrechtsträgers schützt (zum Begriff der Handlung ausführlich unter Kap. 1 G. II. 1.; zur Frage, ob die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und nega­ tiver Freiheit als dogmatische Figur qualifiziert werden können, Kap. 2 B. Vielmehr impliziert bereits der Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt, dass dieses Grundrecht jedes Verhalten grundrechtlich schützt, welches der Persönlichkeits­ entfaltung dient, so Kunig / Krämerer, ebenda Art. 2 Rn. 21: „umfassend alle menschlichen Ver­ haltensweisen“; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 120; siehe auch Peters, Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Verfassungsziel, in: FS Laun, 1953, S. 669 (669): „die Freiheit in concreto etwas zu tun oder zu unterlassen“; Eifert, Persön­ liche Freiheit, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 18 Rn. 2: „lückenlosen Schutz aller Verhaltensweisen“; Leydecker, Der Tarif­ vertrag als exklusives Gut, 2005, S. 108. Siehe auch Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl.  2009, § 168 Rn. 9, allerdings betont Cornils gleichzeitig, dass auch bei den speziellen Freiheitsrechten an die negative Freiheit zu denken ist. Die Tatsache, dass Art. 2 Abs. 1 GG das Unterlassen schützt, habe demnach keinerlei direkte Auswirkung auf die Anwendung dieser Lehre auf die speziellen Freiheitsrechte. Vergleiche auch Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 45; kritisch gegenüber der inhaltlichen Verortung des Unterlassungsschutzes in Art. 2 Abs. 1 GG Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 45 f. 529 BVerfGE 6, 32 (36); 80, 137 (152); 97, 332 (340); 113, 88 (103); 114, 371 (383 f.); Kahl, Die allgemeine Handlungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 5, 1. Aufl. 2013, § 124 Rn. 57; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 12; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 2 Rn. 5. 530 Dietlein, AuR 1970, 200 (203); siehe auch Buschmann, AuR 2016, 301 (302): „Mit dem Begriff der negativen Vereinigungs-(Koalitions)freiheit wird viel Schindluder getrieben. […] Dieses Recht lässt sich auch aus Art. 2 GG begründen, ohne dass es der Rechtsfigur einer negativen Freiheit überhaupt bedarf.“; Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 110; Biedenkopf, JZ 1961, 346 (352); Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerk­ schaftszugehörigkeit, 1966, S. 53 ff.; ders., Grundrechte im Arbeitsrecht, 1989, S. 102; ders., Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 3, 82 ff. Gamillscheg zwar zustimmend, aber die Bedeutung der Sprachgestalt herunterspielend und die negative Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG verankernd Gitter, JurA 1970, 148 (150). Aber auch im Kontext der Versamm­ lungsfreiheit wird diskutiert, ob die Freiheit von einer Versammlung fernzubleiben, also die negative Versammlungsfreiheit, unter den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit zu subsumieren sei. So etwa Hoffmann-Riem, Versammlungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 106 Rn. 81; Denninger, ZRP 1968, 42 (44 f.), vergleiche auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 151 ff. Grundsätzlich gegen die Anerkennung einer negativen Versammlungsfreiheit Gusy, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 8 Rn. 33. Daher sei die Freiheit, von einer Versammlung fernzubleiben nicht Bestandteil des durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleis­ teten Grundrechtsschutzes, sondern Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit.

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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einen besonderen Schutz eines Unterlassens des Grundrechtsträgers nicht beab­ sichtigt habe, drohe die Anerkennung der negativen Freiheit und ihre Anwendung auf die speziellen Freiheitsrechte zur „Überbetonung“ des Unterlassungsschutzes zu führen und sei aus diesem Grund abzulehnen.531 Schließlich seien die speziellen Freiheitsrechte nur eine „spezifisch akzentuierte Zweitauflage“532 der allgemeinen Handlungsfreiheit, sodass der Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit zum Schutz eines Unterlassens naheliegender sei als die Herleitung der negativen Frei­ heit aus den speziellen Freiheitsrechten. Ein enger Bezug zwischen den speziellen Freiheitsrechten und der Persönlich­ keitsentfaltung kann zwar nicht geleugnet werden.533 Die speziellen Freiheitsrechte sind jedoch selbstständige Rechte534 und eben nicht nur auf bestimmte Lebens­ wirklichkeiten angepasste Konkretisierungen535 der allgemeinen Handlungsfrei­ heit. Daher kann die allgemeine Handlungsfreiheit nicht als ‚Oberbegriff‘ für alle Grundrechte und den allgemeinen Unterlassungsschutz verstanden werden. Die Aufgabe des Art. 2 Abs. 1 GG ist es, als Auffanggrundrecht536 Schutzlücken zu schließen, die durch die speziellen Freiheitsrechte gelassen werden.537 Der Rück­ 531

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 162 f. m. w. N. Für den Schutz der negativen Freiheit über Art. 2 Abs. 1 GG siehe auch: Hueck / Nipperdey, Grundriß des Arbeitsrechts, 5. Aufl. 1970, S. 189 f.; Fechner, Ein Schritt voran, 1965, S. 32; Buschmann, AuR 2016, 301 (302); Biedenkopf, JZ 1961, 346 (352 ff.); ders., Grenzen der Ta­ rifautonomie, 1964, S. 44, 93 ff. Fn. 127; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerk­ schaftszugehörigkeit, 1966, S. 53 ff. (insbesondere S. 59); ders., Die Grundrechte im Arbeits­ recht, 1989, S. 101 f.; ders., Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997. S. 3, 82 ff.; Berghäuser, Koalitionsfreiheit als demokratisches Grundrecht, S. 215; Arndt, Thesen zu Art. 9 Abs. 3 GG, in: FS Kunze, 1969, S. 265; Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (398). 532 Kästner, JZ 1998, 974 (979); ähnlich auch Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (45), wonach in dem Summenrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit die sonstigen Freiheitsrechte enthalten sind; kritisch Scholz, AöR 100 (1975), 80 (114), der Art. 2 Abs. 1 GG gerade nicht als ein „Mutter­ grundrecht“ versteht, aus dem sich die anderen Grundrechte ableiten. Die speziellen Freiheits­ rechte stünden aber von vornherein selbstständig neben der allgemeinen Handlungsfreiheit. 533 Vergleiche Bethge, JA 1979, 281 (286); Kästner, JZ 1998, 974 (975) mit dieser Feststel­ lung speziell für die Religions- und Gewissensfreiheit. 534 von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 69. 535 BVerfGE 4, 52 (57); Bethge, JA 1979, 281 (286); Mronz, Körperschaften und Zwangs­ mitgliedschaften, 1973, S. 58. 536 Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 28; Kunig / Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 21; Eifert, Persönliche Freiheit, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 18 Rn. 39; Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 7; Merten, JuS 1976, 345 (348); Scholz, AöR 100 (1975), 80 (82); vergleiche Isensee, VVDStRL 32 (1974), 49 (80), der von einem „Blankett­ grundrecht“ spricht; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 194. 537 Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats­ rechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 1; Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (44); Scholz, AöR 100 (1975), 80 (82); Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 91; Bethge, JA 1979, 281 (286); ders., DVBl. 1989, 841 (844); siehe auch Krüger, Der Wesensgehalt der Grundrechte, in: Seifert / ders. (Hrsg.), Die Einschränkung der Grundrechte, 1976, S. 35 (53).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

griff auf die allgemeine Handlungsfreiheit ist daher nur möglich, wenn keine Be­ einträchtigung eines speziellen Grundrechts vorliegt538 (lex specialis derogat legi generali).539 Würde der Schutz des Unterlassens direkt über Art. 2 Abs. 1 GG ge­ schützt, ohne dass zuvor die Eröffnung des Schutzbereichs der speziellen Freiheits­ rechte geprüft würde, würden sich die Schutzgehalte vermengen. Die speziellen Freiheitsrechte sollten ihren Schutz aber gerade explizit auf bestimmte historisch besonders gefährdete Lebensbereiche beziehen.540 Das ursprüngliche Anliegen des Verfassungsgebers, durch die Garantie spezieller besonders gefährdeter Bereiche Rechtssicherheit und -klarheit zu gewährleisten würde damit konterkariert.541 Da sich Tun und Unterlassen nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen lassen, könnte nicht immer sicher festgestellt werden, ob der Schutzbereich des allgemei­ nen Freiheitsrechts oder ein spezielles Freiheitsrecht betroffen ist.542 Es ist daher widersprüchlich, Tun und Unterlassen durch verschiedene Grundrechte zu schüt­ zen, die am Maßstab unterschiedlicher Schranken eingeschränkt werden kön­ nen.543 Nimmt der Bürger an einer Versammlung teil und unterlässt es, während­ 538

BVerfGE 4, 52 (57); 6, 32 (37 ff.); 13, 290 (296); 30, 292 (335); 44, 1 (18 f.); 89, 1 (13); 98, 265 (328); Scholz, AöR 100 (1975), 80 (82); Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Bettermann / ders. (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 4/2, 2. Aufl.  1962, S. 761 f.; Erichsen, JURA 1987, 367 (369); Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 28; Merten, JuS 1976, 345 (348); Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 46; zur „Verdrängungs­ wirkung“ der speziellen Freiheitsrechte siehe auch von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 53 ff. Sobald der Schutzbereich eines speziellen Grundrechts eröffnet sei, ist der Weg über Art. 2 Abs. 1 GG versperrt (siehe ebenda, S. 54, 63); siehe auch Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 6. Aufl. 2018, § 12 Rn. 493; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 2 Rn. 1 ff.: „Entscheidend für die Subsidiarität ist, ob eine Beeinträch­ tigung im Schutzbereich eines speziellen Freiheitsrechts vorliegt, nicht, ob das speziellere Recht die staatliche Beeinträchtigung verbietet.“ (Zitat Rn. 2); siehe auch Di Fabio, in: Dürig /  Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 21, 27; Kunig / Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 21. 539 Exemplarisch BVerfGE 1, 264 (274); 4, 52 (57); 9, 63 (73); 17, 302 (306); 25, 44 (62); Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 213; Merten, JuS 1976, 345 (347) m. w. N.; Bethge, JA 1979, 281 (286); Schmidt, AöR 91 (1966), 42 (44). Die allge­ meine Handlungsfreiheit ist gerade nur ein „subsidiäres Generalfreiheitsrecht innerhalb eines Systems komplettierenden Freiheitsschutzes“, so Scholz, AöR 100 (1975), 80 (82, 113); siehe auch Kunig / Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 21. Auch Hellermann beachtet den Grundsatz der Subsidiarität soweit er davon ausgeht, dass die spe­ ziellen Freiheitsrechte nicht anwendbar sind und daher die Subsidiaritätsklausel nicht greift, Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 172 f. 540 Vergleiche BVerfGE 6, 32 (37). 541 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 213. 542 So auch Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Schuener (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (455). Wie schwer Tun und Unterlassen im Einzelfall von­ einander abzugrenzen sind, zeigt sich etwa bei der positiven Beibehaltungsfreiheit. Hier wird teilweise darauf geschlossen, dass die negative Freiheit einschlägig sei, weil das Verweilen als Unterlassen der Situationsveränderung verstanden werden könne, ausführlich hierzu unter Kap. 3  A. II. 4.; siehe auch Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 4 Rn. 47: „Letztlich ist die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit müßig.“ 543 Siehe allgemein zur Spiegelbildlichkeit Kap. 3 A. I.

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

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dessen an einer anderen (Konkurrenz-)Versammlung teilzunehmen, wäre, wenn er zur Teilnahme an der anderen Versammlung verpflichtet würde, seine positive Versammlungsfreiheit betroffen.544 Nimmt der Grundrechtsträger hingegen an keiner Versammlung teil und will sich gegen den Zwang zur Teilnahme an einer Versammlung schützen, würde er sich – hielte man den Unterlassungsschutz über Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet – nur auf den grundrechtlichen Schutz der allge­ meine Handlungsfreiheit berufen können. Das Unterlassen infolge eines bestimm­ ten Tuns würde dann durch ein anderes Grundrecht als das schlichte Unterlassen erfasst, bei dem sich der Grundrechtsträger von vornherein für das Unterlassen einer Tätigkeit entscheidet, obgleich zwischen beiden Varianten lediglich ein gra­ dueller Unterschied besteht, beide Verhaltensvarianten in dem durch das spezielle Freiheitsrecht abgebildeten Lebensbereich stattfinden.545 Diese beide Formen des Unterlassens, das Unterlassen als Reflexwirkung und das schlichte Unterlassen, sind gleichwertige Bestandteile des Verhaltens des Bürgers.546 Die Frage, ob die allgemeine Handlungsfreiheit oder ein spezielles Freiheitsrecht einschlägig sind, würde von der klaren Abgrenzung des Tuns vom Unterlassen sowie von der Dif­ ferenzierung zwischen dem Unterlassen als Reflexwirkung und dem reinen Unter­ lassen abhängen. Eine trennscharfe Abgrenzung, wann welches Grundrecht ein­ schlägig ist, wäre demnach nicht möglich.547 Zumal der Lebensbereich, den das spezielle Freiheitsrecht schützen soll, in beiden Fällen betroffen ist. Diese Bedenken verfestigen sich hinsichtlich der Rechtfertigung des Eingriffs,548 insbesondere mit Blick auf die speziellen Freiheitsrechte, die nur aufgrund eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts oder verfassungsimmanenter Schranken ein­ geschränkt werden können. Schließlich könnte ein Unterlassen, obgleich derselbe Lebensbereich betroffen ist, wegen der schwachen Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG deutlich leichter eingeschränkt werden:549 Die allgemeine Handlungsfreiheit kann zugunsten der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und des Sitten­ gesetzes eingeschränkt werden (sog. Schrankentrias)550. Insbesondere das Merkmal

544

Zu der Frage, ob die negative Freiheit auch das Nicht-Haben einer Vereinigung, Ver­ sammlung, Meinung oder Religion einschließt, siehe Kap. 3 A. III. 1. 545 Siehe auch die Überlegung von Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 190 f.; vergleiche Kap. 1 E. II. 546 Siehe unter Kap. 1 E. II. Auch die Ausübung eines bestimmten Berufs beinhaltet zugleich die Entscheidung, einen anderen Beruf nicht auszuüben. 547 Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 46, 60. 548 So schon die Kritik von Hamel, NJW 1966, 18 (19). 549 Dietlein, AuR 1970, 200 (202 f.); Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 38; siehe auch Hamel, NJW 1966, 18 (19); zu den Schranken von positiver und negativer Freiheit siehe Kap. 4 A. 550 Statt vieler siehe zu dem Begriff der Schrankentrias etwa Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 51; Kunig / Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 37; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 37 f.; Stern / Sachs / Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4/1, 2006, S. 947.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

„verfassungsmäßige Ordnung“ wird weiter verstanden als in den parallelen Formu­ lierungen der Art. 9 Abs. 2 GG und Art. 20 Abs. 3 GG.551 Es erfasst im Kontext des Art. 2 Abs. 1 GG auch das ungeschriebene, durch die lang andauernde Anwendung von Rechtsregeln erzeugte Gewohnheitsrecht.552 Art. 2 Abs. 1 GG kann daher auf­ grund eines einfachen Gesetzesvorbehaltes eingeschränkt werden.553 Obgleich gerade diese weite Einschränkungsmöglichkeit den grundrecht­lichen Schutz des Unterlassens über die allgemeine Handlungsfreiheit für Johannes Hellermann so attraktiv macht,554 ist diese Differenzierung des grundrechtlichen Schutzes von Tun und Unterlassen widersprüchlich: Der Gang zur Kirche, als Ausübung der Religionsfreiheit, kann nur durch verfassungsimmanente Schran­ ken, also zugunsten anderer Güter von Verfassungsrang, eingeschränkt werden. Das Fernbleiben von einer Vereinigung,555 das zumindest ähnlich empfindlich für die Autonomie des Grundrechtsträgers ist wie die staatliche Beschränkung der Möglichkeit des Beitritts zu einer Vereinigung, könnte, wenn der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit für einschlägig erklärt wird, bereits durch ge­ wohnheitsrechtliche Regelungen eingeschränkt werden.556 Die Differenzierung zwischen einem Tun und einem Unterlassen und damit die Differenzierung, ob ein allgemeines oder ein spezielles Freiheitsrecht einschlägig ist, hat folglich einen erheblichen Einfluss auf die Frage, ob ein Grundrecht ver­ letzt wurde.

551

BVerfGE 6, 32 (38); Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 9; Stern / Sachs / Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4/1, 2006, S. 948; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 53; Kunig / Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 43 ff. 552 Murswiek / Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 90, insbesondere Fn. 177; Dreier, in: ders., GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 53; Kunig / Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 43 ff.; zum weiten Verständnis der Schranken siehe auch Merten, JuS 1976, 345 (346); Scholz, AöR 100 (1975), 80 (88, 106 ff.); differenziert Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 2 Rn. 16. 553 BVerfGE 6, 32 (38); Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 53 ff.; Murswiek / Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 90; Scholz, AöR 100 (1975), 80 (88, 106 ff.). 554 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 163; kritisch Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 191: „Eine derartige Konzeption könnte man allenfalls damit zu begründen suchen, daß Unterlassen des einzelnen typischer­ weise weniger intensiv grundrechtlich schützenswert sei als positives Handeln des einzelnen.“ 555 Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, 1997, S. 55. 556 Würde der Grundrechtsträger, der Klimaschützer ist, allerdings durch eine staatliche Maßnahme verpflichtet, den Klimaschutz öffentlich zu leugnen, wäre er in seiner negativen Meinungsfreiheit betroffen. In diesem Fall wäre Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig und die Unterlas­ sungsfreiheit des Bürgers könnte aufgrund eines einfachen Gesetzesvorbehalts eingeschränkt werden. Wird dem Bürger bloß untersagt, seine Meinung frei zu äußern, wäre die positive Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG einschlägig und die staatliche Maßnahme müsste den Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehaltes des Art. 5 Abs. 2 GG ent­ sprechen.

F. Die Herleitung von positiver und negativer Freiheit

127

Dagegen ließe sich einwenden, dass vereinzelt von denjenigen, die das Unterlas­ sen des Bürgers über die negative Freiheit der speziellen Freiheitsrechte schützen wollen, auf Rechtfertigungsebene auf die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG zurück­ gegriffen wird, soweit die Schranken des speziellen Freiheitsrechts auf ein Tun, also die positive Freiheit, zugeschnitten sind.557 Ein allgemeiner Rückgriff auf die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG – wie er bereits im Kontext der Einschränkbar­ keit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte diskutiert und abgelehnt wurde558 – konterkariert jedoch das hinter der Schrankensystematik stehende System559 und hat sich deshalb auch innerhalb der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nicht durchgesetzt. Die Ablehnung der negativen Freiheit wegen des durch die allgemeine Hand­ lungsfreiheit gewährten Unterlassungsschutzes ist auch mit Blick auf die Entste­ hungsgeschichte des Grundgesetzes nicht überzeugend. Schließlich wurde im Par­ lamentarischen Rat, obwohl Einigkeit darüber bestand, dass Art. 2 Abs. 1 GG auch ein Unterlassen des Bürgers zum Gegenstand hat, auch die Normierung negativer Freiheiten im Kontext der speziellen Freiheitsrechte diskutiert.560 Daher entspricht es dem Willen des Verfassungsgebers, zwischen dem Schutz des Tuns und dem Schutz des Unterlassens innerhalb desselben Lebensbereiches zu unterscheiden. Tun und Unterlassen müssen innerhalb desselben Bereichs der Lebenswirklichkeit durch dasselbe spezielle Freiheitsrecht geschützt werden. Ein genereller Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit für den grund­ rechtlichen Schutz eines Unterlassens des Grundrechtsträgers  – und damit die 557

Ausführlich hierzu Kap. 4 A. Exemplarisch BVerfGE 32, 98 (107). 559 von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 68 ff.; ebenfalls kritisch gegenüber einem Rückgriff auf die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG Kriele, JA 1984, 629 (630). 560 Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 91; siehe auch Kap. 1 C. IV. Die Diskussion über die Formulierung der allgemeinen Handlungsfrei­ heit ist neben den Diskussionen über die Regelung spezieller ein Unterlassen schützender Vorschriften im Parlamentarischen Rat aufgekommen. Freilich ließe sich überlegen, ob der Schutz eines Unterlassens durch die allgemeine Handlungsfreiheit Ausgangspunkt für die Her­ leitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit sein kann, vergleiche die Überlegungen von Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 58; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 45 ff. Als „Muttergrundrecht“ besteht eine besondere „rechtstheoretische Verwandtschaft“ zwischen der allgemeinen Handlungsfreiheit und den speziellen Freiheitsrechten (Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 47; zum Begriff eines „Muttergrundrechts“ siehe auch Geiger, Grundrechte und Rechtsprechung, 1959, S. 51; vergleiche auch Scholz, AöR 100 (1975), 80 (114)). Wenn bereits das „Muttergrundrecht“ so­ wohl das Tun als auch das Unterlassen schütze, dann müsse dies erst recht für ihre „Kinder“, die speziellen Freiheitsrechte, gelten. Freiheit erfolgte also vom Konkreten, dem durch die speziellen Freiheitsrechte vermittelten Unterlassungsschutz, zum Abstrakten, dem allgemei­ nen Unterlassungsschutz, hin und nicht umgekehrt, siehe auch Kap. 1 C.; Eifert, Persönliche Freiheit, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 18 Rn. 55. 558

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Ablehnung der Konstruktion einer negativen Freiheit – erfordert nicht nur eine Umgehung der grundrechtlichen Schrankensystematik561, sondern auch eine Miss­ achtung des Grundsatzes der Subsidiarität sowie der historischen Entwicklung des Unterlassungsschutzes.562 Der Schutz des Unterlassens über die allgemeine Hand­ lungsfreiheit suggeriert zudem eine geringere Schutzwürdigkeit eines Unterlassens gegenüber einem Tun des Grundrechtsträgers, obgleich beide Verhaltensweisen für die persönliche Souveränität des Individuums gleichermaßen bedeutsam sein kön­ nen.563 Es ist deshalb wenig überzeugend, Konstellationen, die ein und denselben Lebensbereich betreffen, durch verschiedene Freiheitsrechte mit verschiedenen Schranken zu schützen. Art. 2 Abs. 1 GG schützt das Unterlassen des Bürgers daher nur, soweit dieses nicht durch den Anwendungsbereich eines speziellen Freiheitsrechts erfasst wird. Ein genereller Rückgriff zum Schutz eines Unterlassens des Grundrechtsträgers auf die allgemeine Handlungsfreiheit und damit verbunden die Ablehnung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit im Kontext der speziellen Freiheits­ rechte können folglich nicht überzeugen.

IV. Zusammenfassung Die Herleitung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit speist sich also aus dem grundrechtlichen Autonomieschutz. Der Schutz der Selbstbestimmung und -entfaltung ist tief im Freiheitsverständnis der Grund­ rechte und dem Menschenwürdeprinzip. Der grundrechtliche Autonomieschutz wird zwar auch durch einige Grundrechte speziell gewährleistet, ist allerdings nicht in der Form abschließend, dass er der Anerkennung von positiver und nega­ tiver Freiheit entgegensteht. Insbesondere die allgemeine Handlungsfreiheit steht der Anerkennung von positiver und negativer Freiheit im Kontext der speziellen Freiheitsrechte nicht entgegen.

561

Hamel, NJW 1966, 18 (18 f.); siehe allgemein auch von Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 54. 562 Bethge, JA 1979, 281 (286); vergleiche auch Hamel, NJW 1966, 18 (18 f.). 563 Vergleiche auch Bethge, JA 1979, 281 (283), der Unterlassen und Tun als zwei „gleich­ wertige und gleichrangige“ Alternativen betrachtet. Der negative Freiheitsgebrauch ist nicht weniger schutzwürdig als der positive Freiheitsgebrauch, so wie das schlichte Unterlassen nicht weniger schutzwürdig ist als das Unterlassen infolge eines anderweitigen Tuns. Siehe hierzu auch Kap. 4 B. II.

G. Die Begrenzung des Handlungsschutzes auf Handlungsrechte

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G. Die Begrenzung des Handlungsschutzes auf Handlungsrechte Bisher wurde der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit in dieser Untersuchung weitgehend abstrakt und losgelöst von den Besonderheiten der ein­ zelnen Grundrechte betrachtet und hergleitet. Fraglich ist, ob dies bedeutet, dass alle speziellen Freiheitsrechte sowohl die positive als auch die negative Freiheit schützen. Schließlich unterscheiden sich die einzelnen Freiheitsrechte trotz ihrer gemeinschaftlichen Funktion als Abwehrrechte in ihrer Struktur zum Teil erheb­ lich. So gibt es neben den Grundrechten, die ein Verhalten des Grundrechts­trägers schützen, auch solche, die primär Rechtsgüter oder Zustände schützen. Daher sind im Folgenden der grundrechtliche Handlungsbegriff wie auch die Struktur­ unterschiede zwischen den einzelnen Grundrechten zu untersuchen. Sodann ist zu prüfen, wie sich diese Unterschiede auf die Anerkennung des Grundrechtsschut­ zes von positiver und negativer Freiheit im Kontext der speziellen Freiheitsrechte auswirken.

I. Die statischen Schutzrechte Auf der einen Seite gibt es Grundrechte, deren Schutz abstrakt auf ein Schutz­ gut bezogen sind.564 Der grundrechtliche Schutz wird in diesem losgelöst von einem Verhalten des Bürgers gewährt.565 Diese sogenannten Schutzrechte566 sind statisch.567 Sie erfassen lediglich ein „Haben“.568 Zu diesen statischen Schutzrechten zählen Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 GG sowie das aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vom Bundesverfassungsgericht hergeleitete Recht auf Schutz der Vertraulichkeit 564 Die Begrifflichkeiten des dynamischen Darf- und statischen Schutzrechts orientieren sich an Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 8; siehe auch Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 23. 565 Gentz, Die Unverletzlichkeit der Wohnung, 1968, S. 38 f.; Merten, Der Inhalt des Freizü­ gigkeitsrechts, 1970, S. 54; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 8. 566 Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 23; Hellermann, Die soge­ nannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 132; Merten spricht in diesem Kontext von Abwehrrechten Merten, VerwArch 73 (1982), 103 ff. 567 Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 77. 568 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 8; ders., Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 54; im An­ satz auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 174, 311, der zwischen Eigenschaften und Handlungen differenziert; dem folgend Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grund­ gesetz, 2011, S. 180, der von dem Schutz des Seins spricht; so auch Cremer, Freiheitsgrund­ rechte, 2003, S. 76; siehe auch Brugger, AöR 126 (2001), 337 (369); Degenhart, JuS 1990, 161 (161 f.); Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 23 f.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

und Integrität informationstechnischer Systeme.569 Am Beispiel des durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG gewährten Schutzes des Lebens lässt sich der Charakter der statischen Schutzrechte besonders anschaulich illustrieren. Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG schützt das Leben und „nicht die individuelle Entscheidung über das Le­ ben“570. Denn ein Mensch lebt aus biologisch / physiologischen Gründen und nicht wegen der Existenz des Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG.571 Dementsprechend schützt Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG auch nur die Integrität der biologisch-physiologischen Substanz des Körpers vor staatlichen Eingriffen,572 nicht aber ein „unversehrte[s] körperliche[s] Existieren“ oder gar ein „gesundes Leben“.573 Diese Rechte schützen demzufolge rein negatorisch ein Rechtsgut des Grundrechtsträgers,574 aber keine Handlung.575 Ein Verhalten kann deshalb auch nicht ohne weiteres mittelbar aus dem Schutzobjekt abgeleitet werden.576

II. Die Handlungsgrundrechte Neben den statischen Schutzrechten gibt es Handlungsgrundrechte.577 Um die Aufgabe und Funktion dieser Grundrechte zu verstehen, ist zunächst der grund­ rechtliche Handlungsbegriff zu untersuchen.578 Sodann ist auf den grundrechtli­ 569

BVerfGE 120, 274; Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 23; ­ remer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 77; vergleiche auch Hellermann, Die sogenannte nega­ C tive Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 131 ff., 136; zum Recht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme siehe auch Herrmann, Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, 2010; Heinemann, Grund­ rechtlicher Schutz informationstechnischer Systeme, 2015. 570 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 2 Rn. 32. 571 Müller-Terpitz, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 147 Rn. 9; so schon Ludwig Feuer­ bach, Schriften zur Ethik und nachgelassene Aphorismen, Bd. 10, 1960, S. 311: „Ich lebe nicht, weil ich ein Recht habe zu leben, sondern weil ich lebe, habe ich das unanfechtbare Recht zu leben. Das Recht ist etwas secundäres.“ Zitiert nach Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg,), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 8; ders., Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 57; Ipsen, JZ 1997, 473 (475). 572 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 13 ff. 573 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 13 ff. 574 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 131, 136; allge­ mein auch Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Rn. 42. 575 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 132; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, 1. Aufl. 2006, Bd. 2, § 42 Rn. 48. 576 So zumindest Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 134. 577 Merten, VerwArch 73 (1982), 103 ff.; ihm folgend Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 131; so auch Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (388); ähnlich Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007, S. 10: „Ver­ haltensfreiheit“; so auch Höfling, in: Sachs, GG, 9 Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 28. 578 Dabei fokussiert sich diese Untersuchung auf die Betrachtung des grundrechtlichen Hand­ lungsbegriffs mit Blick auf den durch die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und

G. Die Begrenzung des Handlungsschutzes auf Handlungsrechte

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chen Schutz dieser Handlungsgrundrechte, die häufig auch als „dynamische Darf­ rechte“ bezeichnet werden, einzugehen. 1. Der grundrechtliche Handlungsschutz Während der Handlungsbegriff in der Vergangenheit in der Strafrechtslehre Gegenstand kontroverser Diskussionen war,579 finden sich in der Staatsrechtslehre nur selten Ausführungen zum Handlungsbegriff.580 Im strafrechtlichen Kontext wird nach der herrschenden sozialen Handlungslehre unter den Begriff einer straf­ rechtlich relevanten Handlung ein nach außen hervortretendes, willensgetragenes, sozial erhebliches menschliches Verhalten subsumiert.581 Unter einem Verhalten ist dabei nicht nur ein Tun, sondern auch ein Dulden oder ein Unterlassen eines Menschen zu verstehen.582 Soweit ein Tun in der Außenwelt wahrnehmbar ist, ist seine Klassifizierung als strafrechtlich relevante Verhaltensweise und damit als Handlung unproblematisch. Deutlich problematischer ist die Qualifizierung eines auf das Innenleben beschränkten Tuns, welches keine Wirkungen nach außen hat, mit der Folge, dass es auch keine Konsequenzen für das gesellschaftliche Zusam­ menleben entfaltet.583 Eine Beleidigung beispielsweise ist nur unter der Voraus­ setzung strafbar, dass sie artikuliert wird, oder eine Körperverletzung, wenn das Vorhaben des Täters, jemanden zu schlagen, auch in die Realität umgesetzt wird.

negativer Freiheit vorgegebenen Rahmen. Eine allgemeine, von der konkreten Fragestellung, ob es der Lehre von positiver und negativer Freiheit für den grundrechtlichen Schutz von Tun und Unterlassen bedarf, losgelöste Untersuchung des Handlungsbegriffs ist gerade nicht der Anspruch dieser Arbeit. Ausführlich zum grundrechtlichen Handlungsbegriff mit Blick auf die positive und die negative Freiheit Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 15 ff. 579 Wolf, AcP 1970 (170), 181 und dort vor allem als Gegenbegriff zu einem Tun verstan­ den wurde, siehe etwa Birnbacher, Tun und Unterlassen, 2015. Ähnlich auch Röhl, JA 1999, 895. Ausführlich auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 15 ff. 580 Exemplarisch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 2; zu diesem Befund auch Wolf, AcP 1970 (170), 181 (182). 581 Kindhäuser, Art.: Handlung, in: Anderheiden / Gutmann / Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklopä­ die zur Rechtsphilosophie, 2011, Rn. 57; Wolf, AcP 1970 (170), 181 (185); ausführlich zu den verschiedenen strafrechtlichen Handlungsbegriffen Kargl, Handlung und Ordnung im Straf­ recht, 1991; Mayer, Die schuldhafte Handlung und ihre Arten im Strafrecht, 1901; Gimbernat Oerding, Handlung, Kausalität, Unterlassen, in: GS Kaufmann, 1989, S. 159; Heuchemer, in: BeckOK StGB, 53. Ed. 01. 05. 2022, § 13 Rn. 2 f.; Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 5. Aufl. 1996, § 23 VI 1. 582 Fischer, StGB, 68. Aufl. 2020, Vor § 13 Rn. 4; Heuchemer, in: BeckOK StGB, 53. Ed. 01. 05. 2022, § 13 Rn. 3; Schroeder, Die drei Arten der Nötigung, in: FS Gössel, 2002, S. 415; Maier, in: Matt / Renzikowski, StGB, 2. Aufl. 2020, § 253 Rn. 13 f.; Heger, in: Lackner / Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 240 Rn. 4; siehe auch Wolf, AcP 1970 (170), 181 (207). 583 Vergleiche Kap. 3  A. III. 1. b).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

Verhaltensweisen, die sich auf das forum internum beschränken, sind also keine Handlungen im strafrechtlichen Sinne. Da ein Unterlassen regelmäßig einen Rückzug aus der Außenwelt bedeutet, stört dieses Verhalten das gesellschaftliche Gefüge regelmäßig nicht. Nur in der Aus­ nahmekonstellation, in der durch ein Unterlassen Konsequenzen in der Außenwelt hervorgerufen werden, insbesondere, wenn ein Unterlassen Wirkungen gegenüber fremden Rechten und Rechtsgütern entfaltet beziehungsweise diese verletzt, kann dieses Verhalten als strafrechtlich relevante Handlung qualifiziert werden.584 Diese Verengung des strafrechtlichen Handlungsbegriffs auf in der Außenwelt wahrnehmbare Verhaltensweisen ist mit Blick auf die Besonderheiten des Straf­ rechts nachvollziehbar und sinnvoll. Ein in der Innenwelt stattfindendes Verhalten, das nicht in die Außenwelt hervortritt, beziehungsweise ein sich aus der Außenwelt zurückziehendes Verhalten wie ein Unterlassen führt in der Regel in speziellen Konstellationen zum Eintritt eines schädigenden Ereignisses und bleibt daher nur im Einzelfall und unter besonderen Voraussetzungen zu pönalisieren. Schließlich bedeutet die Strafbarkeit einer Handlung doch einen Eingriff in die Grundrechte des Bürgers und damit eine Verkürzung seiner Freiheit.585 Die Erkenntnisziele der Handlungsbegriffe sind in der Strafrechtslehre und in der Staatsrechtslehre jedoch verschiedene: Während die Strafrechtslehre von der Frage nach der Strafbarkeit eines Verhaltens ausgehend den Handlungsbegriff untersucht,586 ist die Untersuchung eines grundrechtlichen Handlungsbegriffs von der Frage geleitet, wie eine zur Freiheitssphäre des Bürgers gehörende Handlung zu definieren ist. Schließlich wirken die Grundrechte gerade nicht „freiheitsver­ kürzend“, sondern „freiheitssichernd“.587 Der grundrechtliche Handlungsbegriff muss daher grundsätzlich weiter verstanden werden als der strafrechtliche Hand­ lungsbegriff. Um die Freiheit des Bürgers nicht übermäßig einzuschränken, ist auf das Hervortreten des Verhaltens in die Welt als Element der Definition des Handlungsbegriffs zu verzichten. Andernfalls würde nicht nur einem Unterlas­ sen des Grundrechtsträgers, sondern auch einem in der Innenwelt des Menschen stattfindenden Verhalten, seinen Gedanken- und Gefühle  – wichtiger Bestand­ teile der Persönlichkeitsentfaltung – der grundrechtliche Schutz verwehrt.588 Die 584

Siehe etwa Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte in Deutschland, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 16 f. 585 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 17. 586 Kindhäuser, Art.: Handlung, in: Anderheiden / Gutmann / Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie, 2011, Rn. 3. 587 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 17: „Im Unterschied zu den freiheitsverkürzenden Strafgesetzen ge­ bieten es Sinn und Zweck der freiheitssichernden Grundrechte nicht […]“. 588 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 15 ff., insbesondere Rn. 17: „Auch für den Innenbereich besteht Schutz­ bedarf, weil der einzelne in seiner Glaubens- und Denkhaltung beeinflusst werden kann, zu­

G. Die Begrenzung des Handlungsschutzes auf Handlungsrechte

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Grundrechte sind ausgehend von einem liberalen Grundrechtsverständnis als Schutzschilder der individuellen Selbstentfaltung und -bestimmung des Bürgers vor staatlichen Beschränkungen zu verstehen und dürfen den Schutz der Freiheits­ sphäre des Bürgers daher nicht auf in die Außenwelt hervortretende Verhaltenswei­ sen beschränken.589 Verhaltensweisen in der ‚Innenwelt‘ und in der ‚Außenwelt‘ des Grundrechtsträgers müssen daher gleichermaßen vom grundrechtlichen Hand­ lungsbegriff abgebildet werden.590 Ein Unterlassen ist daher auch diesem Hand­ lungsbegriff erfasst.591 Allerdings läuft ein derart weiter Handlungsbegriff Gefahr, konturenlos zu werden, schließlich setzt er letztlich nur voraus, dass ein Verhalten als Persön­ lichkeitsentfaltung verstanden werden kann. Die Skizzierung der Grenzen des grundrechtlichen Handlungsbegriffs ist jedoch nicht der Anspruch dieser Arbeit. Für diese Handlungsdimension, die ihren Blick auf die Verhaltensweisen Tun und Unterlassen richtet, ist entscheidend, dass ein voluntatives Element vorliegt.592 Der Grundrechtsträger muss sich bewusst sein, dass er etwas tut oder dass er etwas unterlässt, also dass er handelt.593 Diese Handlungsdimension erfasst sämtliche unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit diskutierte Dimensionen des grundrechtlich geschützten Verhaltens, wie eine Auswahl, ein Beibehalten, mal die wissenschaftlich-technische Entwicklung unbemerkbare Manipulationen ermöglicht. Daher ist die Abschirmung des ‚forum internum‘ heute nötiger denn je.“ 589 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 17. 590 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 17. 591 BVerfGE 33, 23 (28); besonders wurde dies im Rahmen der Gewissensfreiheit diskutiert, siehe Bäumlin, VVDStRL 28 (1970), 3 (14, 30); Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), 33 (50 f., 83); Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 15. Dieses Ergebnis ist auch mit Blick auf die Vergleichbarkeit der bei­ den Verhaltensvarianten sachgerecht, sind Tun und Unterlassen häufig derart eng miteinander verknüpft, dass es letztlich von der Formulierung abhängt, ob es sich um ein Tun, ein Unter­ lassen als Reflexwirkung des Tuns oder ein Unterlassen handelt. Vergleiche hierzu Dietz, Die Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die  Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (455); allgemein auch zu einer rechtstheoretischen Aufarbeitung eines Handlungs­ begriffs Röhl, JA 1999, 600 (603): „Die Rechtstheorie dagegen faßt ‚Handlung‘ [im Sinne eines Tuns] und ‚Unterlassung‘ unter dem Oberbegriff des Verhaltens zusammen.“ (Herv. i. O.). Ähnlich auch Reimer, Art.: Handeln, Handlung, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staats­ lexikon, Bd. 2., 8. Aufl. 2018, II.2.: „grundlegende Zweispurigkeit von Tun und Unterlassen“. 592 Sich für ein voluntatives Element im Kontext einer Handlungsdefinition aussprechend­ Derbolav, Handeln, Handlung, Tat, Tätigkeit, in: Ritter / Gründer / Gabriel (Hrsg.), Histori­ sches Wörterbuch der Philosophie Online, https://www.schwabeonline.ch/schwabe-xaveropp/ elibrary/start.xav?start=%2F%2F%2A%5B%40attr_id%3D%27hwph_productpapr%27%5D #__elibrary__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27verw.handlung.bedingte.zukunftige%27% 5D__1638396609387; vergleiche auch Kindhäuser, Art.: Handlung, in: Anderheiden / Gutmann /  Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie, 2011, Rn. 3: „In allen Bereichen der Handlungstheorie spielt das Verhältnis von Handlung und Grund eine Rolle: Handlungen sind Verhaltensweisen, die aus einem Grund geschehen.“ 593 Vergleiche hierzu auch Kap. 3 A. III. 1. zum „Nichthaben“ einer Meinung oder Religion im Verhältnis zum Fernbleiben von einer Vereinigung.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

eine Änderung oder eine Beendigung einer Verhaltensform und die Verhaltens­ weisen sowie deren Beendigung.594 Nach dem grundrechtlichen Handlungsbegriff kann als Handlung folglich jedes menschliche Verhalten, auch ein auf die Innenwelt beschränktes Verhalten, ver­ standen werden. Ein Unterlassen kann nicht als Gegenbegriff zu einer Handlung verstanden werden.595 Vielmehr muss ein Unterlassen als gleichwertige Verhaltens­ alternative596 eines Tuns und damit als Handlung verstanden werden.597 Ausgehend von einem liberalen Grundrechtsverständnis stellen die Grundrechte dem Grund­ rechtsträger einen grundrechtlich geschützten Handlungsraum598 zur Verfügung, innerhalb dessen er sich frei bewegen kann. Dies setzt nicht nur voraus, dass die verschiedenen Verhaltensdimensionen denselben grundrechtlichen Schutz genie­ ßen, sondern auch, dass dem Bürger zu jeder Zeit die freie Wahl zwischen diesen zur Verfügung steht. 2. Die dynamischen Darfrechte Neben den statischen Schutzrechte gibt es auch Freiheitsrechte, die ein tatsäch­ liche und / oder rechtsgeschäftliche willensgetragenes Verhalten des Grundrechts­ trägers – kurz: ein dynamisches „Dürfen“599 schützen.600 Geläufig ist daher auch die Bezeichnung als dynamische Darfrechte.601 Da ein Verhalten ein Unterfall einer 594

Hierzu ausführlich Kap. 3 A. II. und III. Siehe auch Röhl, JA 1999, 600 (603); so aber Birnbacher, Tun und Unterlassen, 2015, S. 27 „Kontrastbegriff“. 596 Fischinger, JuS 2007, 808 m. w. N.; siehe zum Begriff der Verhaltensalternative auch Röhl, JA 1999, 895 (896); anders Birnbacher, Tun und Unterlassen, 2015, passim, der Handeln und Unterlassen als Gegensätze betrachtet. 597 Siehe auch Röhl, JA 1999, 600 (603): „Eine Unterlassung ist nicht die Negation von Han­ deln schlechthin, sie ist nicht bloßes Nichtstun. Eine Unterlassung besteht vielmehr stets in der Vornahme einer alternativen Handlung.“ (Herv. i. O.) siehe auch Rödig, Die Denkfrom der Alternative, 1969, S. 77 ff. 598 Mehrere mögliche Verhaltensweisen bilden einen „Verhaltensraum“ so Röhl, JA 1999, 600 (603) sich auf Rödig, Die Denkform der Alternative, 1969, S. 77 ff. beziehend. 599 Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 76 ff.; Bettermann, DVBl. 1975, 548; Merten, Ne­ gative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 9; ders., VerwArch 73 (1982), 103 ff.; siehe auch Schmitt, Grundrechte und Grundpflich­ ten (1932), in: ders. (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Aufsätze, 4. Aufl. 2003, S. 181 (208 Fn. 70); siehe auch Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007, S. 10 f. 600 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 9; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 174, 311, ihm folgend ­Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 180; siehe auch im Kon­ text der negativen Versammlungsfreiheit Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 28, der von einer „Beliebigkeit des Verhaltenkönnens“ spricht. 601 Bettermann, DVBl. 1975, 548; Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das straf­ rechtliche Berufsverbot, 1964, S. 20; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 37 ff.: „Freiheitsrechte ieS“; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 132; Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 23 f. 595

G. Die Begrenzung des Handlungsschutzes auf Handlungsrechte

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Handlung ist, schützen diese Rechte also eine Handlung. Zu diesen dynamischen Rechten gehören nach überwiegender Auffassung in der Literatur Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2, Abs. 3, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, Art. 11 Abs. 1 sowie Art. 12 Abs. 1 S. 1, S. 2 GG.602 Johannes Hellermann möchte diesen Kreis der dynamischen Darfrechte weiter einschränken: „Ein Handlungsrecht liegt vor, wenn es als Erlaubnissatz, der dem Bürger das Recht zur freien, von staatlichen Eingriffen ungehinderten Vornahme einer bestimmten Handlung gewährt, formuliert ist bzw. sich in einen solchen umformulieren läßt, ohne daß sein Schutz­ bereich inhaltlich unzulässig verändert, erweitert oder verkürzt wird.“603

Nach Hellermann sollen also nur Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1, Art. 11 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG als dynamische Darf­ rechte qualifiziert werden können.604 Gerade die Klassifizierung der schutzgut­ bezogen formulierten Grundrechte605 gestaltet sich auf der Grundlage dieser ver­engten Definition der Handlungsgrundrechte schwieriger, schließlich kommt es nach der Definition Hellermanns auf die Fähigkeit an, diese Grundrechte ohne inhaltliche Veränderungen umzuformulieren. Insbesondere der Begriff der ‚Unverletzlichkeit‘, der im Wortlaut der Schutzrechte der Art. 10 Abs. 1 und 13 Abs. 1 GG verwendet wird, zeige, so Hellermann, dass der Schutz des Rechtsguts und gerade nicht der Schutz des Verhaltens des Bürgers den Kern des grundrecht­ lichen Schutzes bilde.606 Dementsprechend müsste auch Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG als statisches Schutzrecht qualifiziert werden. Angesichts der Ähnlichkeit die­ ser Formulierung von Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG und der des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG müssten auch die der Kunst- und Wissenschafts-/Forschungsfreiheit als statische Schutzrechte qualifiziert werden, obgleich all diese Schutzgüter der Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG und des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG einen starken Bezug zu einem Handeln des Grundrechtsträgers aufweisen, etwa dem Glauben, dem Beten, dem Forschen, dem künstlerischen Werken.607 Die schutzgutbezogene Formulierung der Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist primär historisch bedingt:608 Sie sollte einen möglichst umfas­ 602 In Bezug auf Art. 11 Abs. 1 GG stellt das Begründen eines Wohnsitzes eine Handlung dar; zur Einordnung von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG sei auf Merten, Der Inhalt des Freizügigkeits­ rechts, 1970, S. 57 f. verwiesen. 603 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 134. 604 Vergleiche auch Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 77; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 135; siehe auch die Aufzählung bei Reuter, Kindes­ grundrechte und elterliche Gewalt, 1968, S. 55; explizit zu Art. 5 Abs. 1 GG siehe Degenhart, JuS 1990, 161 (161). 605 Vergleiche Kap. 1  A. I. 2. 606 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 135. 607 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 136. 608 So auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 139; vergleiche auch Kap. 1 C.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

senden Schutz der Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers ermöglichen. Schließ­ lich sind Religion, Forschung und Kunst nicht nur auf das Wirken des Bürgers angewiesen, sondern zugleich direkter Ausdruck individueller Persönlichkeits­ entfaltung. Glauben, Gewissen und Bekenntnis hängen – dies zeigen auch die De­ finitionen dieser Begriffe – stark vom Individuum und seinem Handeln ab:609 Der Glaube ist die Überzeugung des Menschen von seiner Stellung in der Welt und seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten.610 Das Gewis­ sen ist „jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte“611, und das Bekenntnis ist jede Kundgabe der reli­ giösen oder weltanschaulichen Überzeugung.612 Diese Definitionen verdeutlichen, wie eng Schutzgut, Persönlichkeitsentfaltung und Handeln des Grundrechtsträgers verwoben sind.613 Die Handlung des Grundrechtsträgers, etwa ein Beten oder Be­ kennen, wird nicht nur mittelbar aus dem Schutzgut hergeleitet, sondern ist viel­ mehr selbständiger Bestandteil des Schutzguts.614 609

Siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 136 ff. Germann, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 4 Rn. 12 f. (insbesondere Rn. 12.1.); Schmidt, in: ErfK 22. Aufl. 2022, Art. 4 GG Rn. 7; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 73; vergleiche auch Starck, in: von Mangoldt / K lein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 10. 611 BVerfGE 12, 45 (55); 48, 127 (173) Muckel, NJW 2000, 689 ff.; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 93; Starck, in: von Mangoldt / K lein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 13. 612 Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 4 Rn. 69; siehe auch ­Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 43 ff. 613 Vergleiche auch Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 43: „Elemente des Persönlichkeitsschutzes“. 614 Auch bei der der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zeigt sich, dass die Verbindung zwischen dem menschlichen Verhalten und dem Schutzgut nicht nur mittelbarer Natur ist, Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das strafrechtliche Be­ rufsverbot, 1964, S. 21 f.; Reuter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, 1968, S. 55, 156. So wird etwa unter dem Begriff der Wissenschaftsfreiheit jeder ernsthafte, planmäßige Ver­ such zur Ermittlung der Wahrheit verstanden, BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367); Gärditz, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 3 Rn. 55; Kempen, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 5 Abs. 3 Rn. 179. Gerade in künstlerischen Werken kommt die Persönlichkeit des Grundrechtsträgers zum Ausdruck. Das Grundrecht schützt daher nicht nur das künstlerische Werk, etwa ein fertiggestelltes Gemälde, sondern auch den Prozess des künstlerischen Schaffens, wie das Malen eines Gemäldes. Auch die Forschungsfreiheit schützt nicht nur die Ergebnisse der Forschung, sondern auch den Prozess und die Methoden des For­ schens, also das Verhalten eines Menschen, BVerfGE 35, 79 (112 f.); 47, 327 (367 f.); 90, 1 (11 f.); Starck / Paulus, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 428 f., 488; Britz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 25; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Kunst) Rn. 46; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Abs. 3 Rn. 120, 138; Wendt, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 145 f., 160. Geschützt wird also nicht bloß die Forschung, sondern auch das Forschen, so Starck / Paulus, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 488. 610

G. Die Begrenzung des Handlungsschutzes auf Handlungsrechte

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Überdies ist es widersprüchlich, das religiöse Bekenntnis anders zu beurteilen als die Meinungsfreiheit. Schließlich ist das Bekenntnis als Äußerung der religiösweltanschaulichen Ansichten letztlich ein Spezialfall der Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG.615 Bei Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG handelt es sich jedoch unstrittig, auch nach der Auffassung von Johannes Hellermann, um ein Darfrecht.616 Obgleich diese Grundrechte schutzgutbezogen formuliert sind, schützen sie auch Verhaltensweisen. Die verengte Definition Hellermanns erkennt diesen engen Bezug zwischen Schutzgut und Verhalten nicht. Daher müssen mit der herrschenden Meinung Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2, Abs. 3 S. 1, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1, Art. 11 Abs. 1 sowie Art. 12 Abs. 1 GG als dynamische Darfrechte qualifiziert werden.

III. (K)eine kategoriale Unterscheidung So streng und kategorial die Trennung zwischen Darf- und Schutzrechten auf den ersten Blick erscheint, so unscharf können die Grenzen zwischen den Schutzund Handlungsrechten im Einzelfall verlaufen. Nicht alle Grundrechte können trennscharf entsprechend den Kategorien der dynamischen Darfrechte oder der statischen Schutzrechte zugeordnet werden. Es existieren vielmehr auch Grund­ rechte, die Elemente sowohl der statischen Schutzrechte als auch der dynamischen Darfrechte in sich vereinen. Diesen „Doppelcharakter“617 weisen etwa Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auf. Obgleich der Wortlaut beider Grundrechte zunächst für eine Einord­ nung als statische Schutzrechte spricht, so heißt es in Art. 6 Abs. 1 GG, dass „Ehe und Familie […] unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ stehen, und Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG besagt, dass das Eigentum und das Erbrecht gewähr­ leistet werden und sich beide Grundrechte also durch eine starke Ausrichtung auf den Schutz von Instituten,618 die Ehe und das Eigentum, auszeichnen, enthalten 615

Siehe bereits unter Kap. 1 C. IV.; so auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 142; so bereits Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 135 Anm. 4, S. 619; ders., Die Religionsfreiheit, in: ders. / T homa (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, § 106, S. 675 (684): „Hier berührt sich die BekFr. Mit der allgemeinen Freiheit der Meinungsäußerung; sie er­ scheint als eine Betätigung der letzteren und teilt ihre Beschränkungen.“ 616 An dieser Stelle zeigt sich auch die Auswirkung, dass Hellermann, Die sogenannte nega­ tive Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 173, Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV nicht rein deklaratorisch versteht und daher für die negative Bekenntnisfreiheit primär Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV für maßgeblich hält. 617 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 10 ff. 618 Siehe etwa Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 14 Rn. 3; Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 31; Bryde / Wallrabenstein, in: von  Münch /  Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 14 Rn. 61 ff.; zu Art. 6 Abs. 1 GG als Institutsgarantie siehe: BVerfGE 6, 55 (72); 76, 1 (41); 80, 81 (92); 105, 313; von Coelln, in: Sachs, GG, 9. Aufl.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

diese Rechte auch Elemente der dynamischen Darfrechte.619 Schließlich gestehen diese Rechte denselben Schutz, den sie dem Schutzgut der Ehe und des Eigentumes zugestehen, auch dem ‚Dürfen‘ zu. So schützen diese Rechte das Eingehen und Führen einer Ehe620 sowie den Gebrauch, die Nutzung und das Verfügen (über) das Eigentum621. Insoweit sind die Grundrechte der Ehe- und Eigentumsfreiheit mit der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit oder der Religionsfreiheit vergleichbar, die nicht nur das Objekt, sondern auch das Verhalten schützen. Beide Grundrechte – die Ehe- und die Eigentumsfreiheit – weisen einen engen Bezug zu einem Verhalten des Grundrechtsträgers auf.622 Sie schützen also zugleich ‚haben‘ und ‚handeln‘.

IV. Bedeutung der Unterscheidung für den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit Es gibt folglich verschiedene Arten von Freiheitsrechten:623 statische Schutz­ rechte und dynamische Darfrechte sowie Freiheitsrechte, die sowohl Elemente der statischen Schutzrechte als auch der dynamischen Darfrechte beinhalten. Fraglich ist, wie sich diese Unterscheidung auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit auswirkt. Können die statischen Schutzrechte, obgleich sie ihren Schutz auf ein ‚Haben‘ beschränken, wegen der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit auch ein Tun oder ein Unterlassen schützen oder findet diese Lehre auf diese Rechte keine Anwendung? Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit fin­ det auf die statischen Schutzrechte keine Anwendung. Wenn ein Freiheitsrecht lediglich ein ‚Haben‘, nicht aber ein ‚Handeln‘ schützt, dann kann das Grund­ recht weder das Tun noch das Unterlassen und damit weder die positive noch die

2021, Vorb. Art. 6 Rn. 31; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 43; Heiderhoff, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 6 Rn. 45. 619 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 10 ff.; Wolf, JZ 1967, 659 f. 620 Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 386; Schwenzer, JZ 1988, 781 (782); Bethge, NJW 1982, 2145 (2147); Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (111); Wilms / Jäger, ZRP 1988, 41 (42); Wolf, JZ 1967, 659 ff. 621 BVerfGE 31, 229 (239); 52, 1 (30 f.); 88, 366 (377); 91, 294 (308); 98, 17 (35); 101, 54 (75); 104, 1 (8 f.); BVerwGE 92, 322 (327); Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 190; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 14 Rn. 16. 622 BVerfGE 50, 290 (340); 70, 191 (201); Bryde, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 14 Rn. 3; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 14 Rn. 1: „Das Grund­ recht steht in engem Zusammenhang mit der persönlichen Freiheit.“ 623 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 130; Ipsen, Der Staat 52 (2013), 266 (275); ders., JZ 1997, 473 (475); Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 10 ff.; ders., VerwArch 73 (1982), 103 ff.

G. Die Begrenzung des Handlungsschutzes auf Handlungsrechte

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negative Freiheit schützen.624 Schließlich sind sowohl ein Tun als auch ein Unter­ lassen einer Tätigkeit Handlungen im grundrechtlichen Sinne.625 Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG schützt folglich nur das Rechtsgut Leben und keine Verhaltensweisen des Grundrechtsträgers. Daher kann auch die Selbsttötung nicht als Unterlassen des Lebens und damit als Ausprägung negativen Freiheit des Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 1 GG verstanden werden.626 Eine „negative Gesundheitsfreiheit“ zugunsten des Impfverweigerers, die diesen vor staatlichen Handlungspflichten, wie bei­ spielsweise einer Impfpflicht, schützt, wird daher nicht durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG geschützt.627 Der Grundrechtsträger, der sich gegen eine Impfpflicht wehren möchte, kann sich aber trotzdem auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 Var. 2 GG berufen, da durch die Injektion des Impfstoffs ein vom Normalzustand der körperlichen Funktionen abweichender Zustand eintritt und insoweit das Rechtsgut der körper­ lichen Unversehrtheit beeinträchtigt wird. Auch Art. 10 Abs. 1 GG schützt allein das körperliche Medium des Briefs und kann daher weder die positive Freiheit, 624

Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 10 ff.; ders., VerwArch 73 (1982), 103 ff.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 130 f.; Kunig / Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 97; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 37 ff.; Wilke, Die Verwirkung der Pressefreiheit und das strafrechtliche Berufsverbot, 1964, S. 20 f.; Dörr, Informationsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 103 Rn. 63; Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 23 f.; so auch Mühlberg, Der Vorrang negativer Religionsfreiheit, 2012, S. 5. 625 Siehe unter Kap. 1 G. II. 1. 626 Mischler, Von der Freiheit, das Leben zu lassen, 2000; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 13 ff.; Kunig /  Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 97; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 2 Rn. 32; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 2 Abs. 2 Rn. 47; Murswiek / Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 211 (i. V. m. Fn. 434); Müller-Terpitz, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 147 Rn. 38 f., Rn. 104; Martens, DÖV 1976, 457 (459): „kein Verfügungsrecht über das eigene Leben“; siehe auch Roellecke, JZ 1991, 1045 (1046); Schwabe, JZ 1998, 66 (69); allgemein zu der Fragestel­ lung, ob die Selbsttötung ein Verzicht auf das Grundrecht auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bedeute auch Wilms / Jäger, ZRP 1988, 41 ff., die auch die Möglichkeit des Grundrechtsverzichts ver­ neinen, da der Grundrechtsträger nicht zur Verfügung über das Leben befugt ist; Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung, 1997, S. 69 ff.; andere Ansicht Fink, Selbstbestimmung und Selbsttötung, 1992, passim; Saliger, Selbstbestimmung bis zuletzt, 2015, S. 52 ff., die vor allem auf den grundrechtlichen Schutz Selbstbestimmung über das Leben abstellen. So auch Höfling, Selbsttötung und Selbsttötungsassistenz, in: FS Jarass, 2015, S. 195 (200): „Die Verfassungsbestimmung schützt statisch-bewahrend die In­ tegrität des Menschen, zum anderen aber auch dynamisch-entfaltend die Selbstbestimmung über diese Integrität.“ 627 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 14; ders., Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 57 f.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 38 f.; siehe auch die rechtlichen Bewertungen der Impfplicht nach dem Masernschutzgesetz, Rixen, Impfschutzrecht, in: Huster / K ingreen (Hrsg.), Handbuch Infektionsschutzrecht, 2021, Kap. 5 Rn. 87; ders., NJW 2020, 647 ff.; ders., Verfassungsfragen der Masernimpfpflicht, 2019, Rn. 93 ff.; Zuck, ZRP 2017, 118 (119 f.).

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

einen Brief zu schreiben, noch die negative Freiheit, keinen Brief schreiben zu müssen, erfassen.628 Die Handlungs-/Darfrechte schützen hingegen Handlungen der Bürger. Ihr Schutzbereich kann sich daher gleichermaßen auf ein Tun oder ein Unterlassen des Bürgers erstrecken.629 Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit kann deshalb nur im Kontext dynamischer Darfrechte diskutiert werden. Ausreichend ist dabei, dass die infrage stehenden Rechte zumindest auch (mittel­ bar) eine Handlungskomponente schützen, in der sich die Selbstentfaltung des Bürgers äußert, wie etwa bei der Ehe- und Eigentumsfreiheit.630 Folglich schützen die Handlungsrechte grundsätzlich sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen des Grundrechtsträgers.631 Ein derart weites Verständnis entspricht auch den libera­ 628

Durner, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 10 Rn. 91 ff., insbeson­ dere Rn. 94; Pagenkopf, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 10 Rn. 12; Martini, in: von Münch /  Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 10 Rn. 24, 27; 34 ff.; ähnlich auch Hellermann, Die so­ genannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 134. Die Überlegung, wegen der stati­ schen Schutzrechte die Anerkennung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit zu ver­ neinen, verkennt, dass die statischen Schutzrechte keine Handlungen, also auch ein Tun und damit auch den Gebrauch der positiven Freiheit nicht schützen (siehe hierzu Scholler, DÖV 1967, 469 (470)). Dementsprechend können die statischen Schutzrechte nicht der Anerkennung des grundrechtlichen Schutzes von positiver und negativer Freiheit entgegenstehen, so auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 13. 629 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 34; Merten, VerwArch 73 (1982), 103 ff.; Mühlberg, Der Vorrang negativer Religionsfreiheit, 2012, S. 5; siehe auch Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 28: „Da Schutzgegenstand des Art. 8 I eine spezifische Verhal­ tensfreiheit ist, diese aber durch die Beliebigkeit des Verhaltenkönnens charakterisiert ist, ist nicht nur die positive Teilnahme an einer Versammlung geschützt, sondern auch die Entschei­ dung, einer solchen fernzubleiben.“ 630 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 35; ähnlich Kloepfer, Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandschutz, 1970, S. 61 f.; Wilke, Die Verwirkung der Presse­ freiheit und das strafrechtliche Berufsverbot, 1964, S. 23; Schwabe, Probleme der Grund­ rechtsdogmatik, 1977, S. 16 Fn. 31; kritisch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 145, da der Schutz der Handlungen durch den Schutz der Institute überlagert werde. 631 Detlef Merten wagt in diesem Zusammenhang auch den Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Auch bei den Menschenrechten und Grundfreiheiten der EMRK wird die Anerkennung einer positiven und einer negativen Freiheit des Bürgers diskutiert, vergleiche Merten, Negative Grundrechte, in: ders./Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 8; vergleiche auch Bröhmer, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, in: Dörr / Grote / Marauhn (Hrsg.), EMRK / GG Konkordanzkommentar, 2. Aufl. 2013, Kap. 19 Rn. 60; Daiber, in: Meyer-Ladewig / Nettesheim / von Raumer (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2017, EMRK Art. 11 Rn. 8; zur negativen Koalitionsfreiheit: Schubert, in: Franzen / Gallner / Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europä­ ischen Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2020, Art. 11 EMRK Rn. 16; Steffens, Die negative Koalitions­ freiheit im europäischen und internationalen Recht, 2009, S. 137; Hartmann, Negative Tarif­ vertragsfreiheit im deutschen und europäischen Arbeitsrecht, 2014, S. 229 ff.; zur negativen Ausreisefreiheit: Geigerich, Freizügigkeit, in: Dörr / Grote / Marauhn (Hrsg.), EMRK / G G Konkordanzkommentar, 2. Aufl. 2013, Kap. 26 Rn. 61 ff. Bei diesen Diskussionen wird eben­ falls danach differenziert, ob das infrage stehende Recht ein Darfrecht oder ein Schutzrecht

H. Die Anerkennung des Grundrechtsschutzes 

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len Prämissen des umfassenden Freiheitsschutzes632 – also auch des umfassenden Handlungsschutzes – vor staatlichen Zugriffen.

V. Zusammenfassung Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit kann folglich nicht auf alle Grundrechte angewendet werden. Sie führt also nicht dazu, dass alle Grundrechte ein Tun und ein Unterlassen schützen, sondern kann nur den grundrechtlichen Schutz von Handlungen konkretisieren und präzisieren, soweit ein Freiheitsrecht eine Handlung schützt.

H. Die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit Auch wenn die Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negati­ ver Freiheit in der Literatur bisher überwiegend im Kontext der speziellen Frei­ heitsrechte vorgenommen wurde, zeigt diese Untersuchung, dass die Herleitungs­ bemühungen im Kontext der speziellen Freiheitsrechte auf denselben Prämissen beruhen: auf liberalen Strömungen, die sich vor allem in dem grundrechtlichen Freiheitsverständnis und dem durch die Würde des Menschen abgesicherten Auto­ nomieschutz kanalisieren. Gerade das Zusammenwirken des grundrechtlichen Freiheitsverständnisses mit dem Wortlaut und der Historie der Grundrechte im Wege der tiefergehenden Interpretation der Grundrechte verdeutlicht, dass der grundrechtliche Schutz von Tun und Unterlassen, also von Handlungen,633 tief ist, so Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 8. Art. 11 EMRK, der die Vereinigungsfreiheit gewährleistet, schützt nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auch vor dem Zwang zum Vereinsbeitritt, da der Wortlaut „Freiheit“ eine „gewisse Wahlmöglichkeiten hinsicht­ lich ihrer Ausübung“ vorsehe; siehe EGMR, Urt. v. 29. 04. 2002, Pretty./.Vereinigtes König­ reich, Nr. 2346/02, ECHR 2002-II, S. 155 Rn. 39; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. /  Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 8; Daiber, in: MeyerLadewig / Nettesheim / von Raumer (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2017, EMRK Art. 11 Rn. 8 m. w. N. aus der Rechtsprechung des EGMR in Fn. 20. Aus dem in Art. 2 Abs. 1 EMRK verbürgten „Recht auf das Leben“ könne jedoch nicht „ohne Verdrehung seines Wortlauts […] das Recht zu sterben“, also eine negative Komponente, abgeleitet werden. In diesem Fall gehe es schließlich nicht um die Entscheidung einer Person über ihre Lebens­ gestaltung, vergleiche EGMR, Urt. v. 29. 4. 2002, Pretty./.Vereinigtes Königreich, Nr. 2346/02, ECHR 2002-II, S. 155 Rn. 39; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Hand­ buch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 8. Diese rechtsvergleichende Perspektive bestätigt folglich die These, dass der Schutz von positiver und negativer Freiheit nur im Kontext von Handlungsrechten relevant wird. 632 Hierzu ausführlich Kap. 2 A. II. 633 Zum grundrechtlichen Handlungsbegriff ausführlich in Kap. 1 G. II. 1.

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Kap. 1: Die Herleitung der Lehre 

in einem liberalen Verständnis der Freiheitsrechte verankert ist.634 Obgleich es nur selten offenbar wird, beruhen die Herleitungsargumentationen auf einem ge­ meinsamen Vorverständnis, das nicht nur das Verständnis eines einzelnen Frei­ heitsrechts prägt, sondern allgemein das abstrakte Bedürfnis des umfassenden grundrecht­lichen Handlungsschutzes, unabhängig von der Ausgestaltung des konkreten Freiheitsrechts, zum Schutz der Selbstbestimmung und -entfaltung des Individuums anerkennt. Die Freiheitsrechte stellen dem Grundrechtsträger einen Handlungsraum635 zur Verfügung, innerhalb dessen er sich frei entfalten und zwi­ schen Verhaltensweisen und -formen selbstbestimmt entscheiden kann. Soweit die Grundrechte zumindest mittelbar ein Verhalten schützen, schützen sie des­ halb nicht nur eine bestimmte Verhaltensmöglichkeit, sondern eine Handlung des Grundrechtsträgers. Die Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit bildet also nicht die Grundlage des grundrechtlichen Schutzes eines Tuns und eines Unterlassens. Der grundrechtliche Schutz von Tun und Unterlassen, wie er unter dem Begriff von positiver und negativer Freiheit verstanden wird, folgt somit aus einer allgemeinen Auslegung der Grundrechte.

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Die Verfassung bevorzugt ohnehin keine der Auslegungsmethoden, ihnen kommt die gleiche Bedeutung zu, BVerfGE 82, 6 (11); 88, 145 (166 f.); 105, 135 (137); Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 214. 635 Vergleiche auch Röhl, JA 1999, 600 (603); ders., JA 1999, 895 (898): „Verhaltensraum“.

Kapitel 2

Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit Bereits im Rahmen der Herleitung des grundrechtlichen Handlungsschutzes zeigt sich der Einfluss eines bestimmten Vorverständnisses auf die Grundrechts­ interpretation. Insbesondere bei der Herleitung dieser Lehre aus dem grundrecht­ lichen Freiheitsverständnis lässt sich der prägende Einfluss von Grundrechtstheo­ rie und -dogmatik erkennen. Freiheit, so Martin Borowski, „besitzt auch in der Grundrechtstheorie und -dogmatik eine kaum zu überschätzende Bedeutung“636. Um den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit und die Beson­ derheiten, die sich diesbezüglich aus den Spezifika der speziellen Freiheitsrechte ergeben, analysieren zu können, ist zunächst ein Blick auf die diese Konzeption prägenden Einflüsse grundrechtstheoretischer sowie -dogmatischer Art zu rich­ ten. Handelt es sich bei der Lehre des Grundrechtsschutzes der positiven und der negativen Freiheit um ein (grundrechtsdogmatisch ausgestaltetes) grundrechts­ theoretisches Konstrukt oder – wie vielfach behauptet637 – um eine grundrechts­ dogmatische (grundrechtstheoretisch fundierte) Figur? Einer Klärung der Frage nach Einflüssen grundrechtstheoretischer und / oder -dogmatischer Art auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Frei­ heit sowie des Verhältnisses von Grundrechtsdogmatik und Grundrechtstheorie im 636

Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 184; ähnlich auch ders., Grund­ rechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 78; siehe auch Höfling, Offene Grundrechtsinterpreta­ tion, 1987, S. 64; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz, 1974, S. 35. 637 Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 3; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993; ähnlich auch Borowski, Grund­ rechte als Prinzipien, 3. Aufl. 2018, S. 78 Fn. 68; Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 610 Fn. 490; vergleiche auch Depenheuer, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 8 Rn. 120 Fn. 8, der von einer „dogmatischen Kategorie“ spricht; siehe auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 37 ff. „Herleitung negativer Grundrechte als grundrechtsdogmatisches Problem“; vergleiche auch Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2. Aufl. 2017, S. 175 insbesondere Fn. 179; zum Versuch der dogmatischen Begründung der negativen Vereinigungs­ freiheit siehe auch Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (392 ff.); vergleiche auch Mückl, in: Bonner Kommentar, GG, 210. Aktualisierung Februar 2021, Art. 4 Rn. 167.

144

Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

Kontext der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit muss angesichts unterschiedlicher Vorverständnisse von Grundrechtstheorie und -dogmatik eine Darstellung des dieser Untersuchung zugrundeliegenden Verständ­ nisses dieser Kategorien vorangehen. Dabei ist weder die vollständige Darstellung des grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Diskurses noch die allgemeingültige Entscheidung der Frage, in welchem Verhältnis Grundrechtstheo­ rie und -dogmatik zueinander stehen, Anspruch dieser Arbeit.

A. Die grundrechtstheoretischen Grundlagen des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit Die Bezeichnung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit als grundrechtsdogmatische Figur fällt in eine Zeit „zunehmender Dogmatisie­ rung des Rechts“638. Fraglich ist daher, ob der Einfluss der Grundrechtstheorie auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit unter dem „Berg“ der dogmatischen Ausformung dieser Konzeption vergraben ist639 und deshalb in den bisherigen Untersuchungen des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit lediglich rudimentär beleuchtet wurde.640 Schließlich lässt sich bereits mit einem differenzierten Blick auf die Herleitungsargumentation ein nur selten re­ flektierter Einfluss eines bestimmten theoretischen Vorverständnisses erkennen. Im Folgenden sollen deshalb die grundrechtstheoretischen Grundlagen des unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit behandelten Grund­ rechtsschutzes untersucht werden. Zu diesem Zweck soll das dieser Untersuchung zugrundeliegende Verständnis von Grundrechtstheorie dargestellt werden sowie eine genaue Charakterisierung der Einflüsse grundrechtstheoretischer Art auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit erfolgen.

638

Siehe zu dem Befund bereits Volkmann, JZ 2020, 965 (966, 973 und öfter). Ähnlich Volkmann, JZ 2020, 965 (966, insbesondere 970, 973); allgemein zu dem Befund Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 375; siehe in Bezug auf den Grund­ rechtsschutz von positiver und negativer Freiheit etwa Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, die sich mit der grundrechtstheoretischen Fundierung nicht näher auseinandersetzt. 640 Eine positive Ausnahme stellt hier die Dissertation von Hellermann, Die sogenannte ne­ gative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 224 ff. dar, die sich ausführlich auch mit der grund­ rechtstheoretischen Fundierung der negativen Freiheit beschäftigt. Vergleiche auch Schubert, RdA 2001, 199 (200): „Erstens muss grundrechtstheoretisch überhaupt eine negative Seite eines Freiheitsrechts denkbar sein.“ 639

A. Die grundrechtstheoretischen Grundlagen des Grundrechtsschutzes

145

I. Das zugrundeliegende Verständnis der Grundrechtstheorie Zunächst ist das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis von Grundrechts­ theorie darzustellen. Ernst-Wolfgang Böckenförde beschreibt die Grundrechtstheo­ rie als die „systematisch orientierte Auffassung über den allgemeinen Charakter, die normative Zielsetzung und die inhaltliche Reichweite der Grundrechte“.641 Da­ bei existiere jedoch nicht die ‚eine‘ Grundrechtstheorie; der Begriff sei vielmehr ein Sammelbegriff, unter den verschiedene Grundrechtstheorieangebote fallen.642 Sie alle eint ein grundsätzlicher, abstrakter643, reflektierender644, vom Praxisdenken 641

Böckenförde, NJW 1974, 1529; ähnlich ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1981, S. 83; sich auf Böckenförde beziehend Volkmann, Allgemeine Grundrechtslehren, in: Herdegen /  Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 16 Rn. 1. Vergleiche auch die Definition von Mahlmann, Elemente einer ethischen Grundrechtstheo­ rie, 2008, S. 1 ff.; ders., EuR 2011, 469 (476); Diese Definition der Grundrechtstheorie zeigt, dass die Grundrechtstheorie nicht bloß ein „Unterfall“ (Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 4) der Rechtstheorie ist. Schließlich analysiert die Rechtstheorie die Struktur des Rechts (zu diesem Verständnis von Rechtstheorie siehe etwa Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960), wohingegen die Grundrechtstheorie sich auch den Fragen nach dem Inhalt und dem Bedeutungsgehalt der Grundrechte widmet, so Depenheuer / Grabenwarter, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. V (VI); siehe auch Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 4. 642 Vergleiche Böckenförde, NJW 1974, 1529 mit einer Auswahl von fünf verschiedenen Theorieangeboten; sich auf Böckenförde beziehend Augsberg, Theorien der Grund- und Men­ schenrechte, 2021, S. 4, 14; Volkmann, Der Staat 54 (2015), 35 (35 f.) mit einer Auswahl von vier verschiedenen Theorieangeboten; zu den verschiedenen Theorieangeboten siehe auch Augsberg / Unger, mit der Unterscheidung von drei Grundrechtsverständnissen, dies. Einlei­ tung: Was ist und wozu dient Grundrechtstheorie?, in: dies. (Hrsg.), Basistexte: Grundrechts­ theorie, 2012, S. 11: „Entsprechend einer Grobunterteilung der politischen Ideengeschichte können zum einen ein liberales, ein konservatives und ein sozialistisches Grundrechtsver­ ständnis unterschieden werden.“ 643 Volkmann, Der Staat 54 (2015), 35 (39); ders., Allgemeine Grundrechtslehren, in: Her­ degen / Mansig / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 16 Rn. 12; Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 5; Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie, 1988, S. 17, 53: „oft – aber nicht notwendi­ gerweise – ein höherer Abstraktionsgrad“ (Zitat S. 53); Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153 f.; kritischer zum Differenzierungsmerkmal des Abstraktionsgrades Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 77. Nur selten geben grundrechtstheoretische Sätze also Auskunft über die konkrete Anwendung der Grundrechte. Ihnen ist typischerweise ein deutlich höherer Abstraktionsgrad im Vergleich zu grundrechtsdogmatischen Sätzen im­ manent; siehe Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 4 Rn. 99: „Anders als die Grundrechtsdogmatik gibt sie nicht unmittelbar Auskunft darüber, wie die Grundrechte eines bestimmten Rechtssystems anzuwenden sind.“ Für ihre Anwendung bedürfen grundrechts­ dogmatische Sätze daher regelmäßig der dogmatischen Ausformung. Hierzu ausführlich unter Kap. 2 B. I. Siehe etwa Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153; noch deutlicher Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 5: „[…] offenbar durch ein be­ stimmtes erhöhtes Abstraktionsniveau von anderen, konkreteren Einzelproblemen und den auf sie unmittelbar bezogenen Lösungsansätzen unterscheidet.“ 644 Böckenförde, NJW 1974, 1529; Volkmann, Der Staat 54 (2015), 35 (36); Morlok, Refle­ xionsdefizite in der deutschen Staatsrechtslehre, in: Schulze-Fielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

der Grundrechtsdogmatik losgelöster Ansatz.645 Grundrechtstheoretische Betrach­ tungen widmen sich den Grundrechten zugrundeliegenden Vorverständnissen, also einer hinter dem Grundrecht liegenden Erkenntnisebene646. Die Grundrechtstheo­ rie diskutiert und offenbart Zusammenhänge zwischen normativen und tatsäch­ lichen Vorgaben der Grundrechte, setzt die Grundrechtsbestimmungen in einen Gesamtzusammenhang und reflektiert die Vorerwartungen und Hintergrundan­ nahmen der Grundrechtsinterpretation.647 Sie beschäftigt sich also mit nicht durch die Grundrechte ausdrücklich geregelten und regelmäßig „nicht positivierbaren“648 Vorverständnissen der Grundrechtsinterpretation.649 Wortlaut, Systematik und Telos der Grundrechte leiten die Suche nach dem normativen Gehalt eines Grundrechts zwar an, begrenzen den Kreis der interpretatorischen Ansätze jedoch nicht.650 als Wissenschaft, 2007, S. 49 (49 ff., insbesondere 75); ders., Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, insbesondere S. 163 ff.; Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 33, 40 ff. „Verfassungstheorie fungiert somit als die der Ver­ fassungsdogmatik zugeordnete Reflexionsdisziplin.“ (Zitat S. 41 f.); ders., Verfassungstheorie als Disziplin, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (22 f.); Mahlmann, EuR 2011, 469 (477). 645 Lepsius, Themen einer Rechtswissenschaftstheorie, in: ders. / Jestaedt (Hrsg.), Rechts­ wissenschaftstheorie 2008, 1 (4 f.); Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153 f.; Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 43, 51 f., 85 ff.; Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 77, 79; ähnlich ders., Verfas­ sungstheorie als Disziplin, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (23); Mahlmann, EuR 2011, 469 (476 f.). 646 Vergleiche Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 22 f., 60; Jakl, Recht aus Freiheit, 2009, S. 19. 647 Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 59: „Die Verfassungstheorie verflüssigt in Wertungen tieferer Stufe enthaltene Fixierungen und thematisiert dort unausgesprochene Voraussetzungen.“ 648 Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 58, 82 f. (Zitat S. 82). 649 Ähnlich Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 58. Folglich können – und müssen – grundrechtstheoretische Erwägungen nicht über eine Verbindung zum Rechts­ text verfügen (vergleiche Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153 f.: „Damit zu­ sammenhängend zeichnet sich Verfassungstheorie zwar dadurch aus, dass sie nicht in gleichem Maße den Zwängen der Orientierung am positiven Recht unterliegt wie die Dogmatik.“ (Zitat S. 154)); Lepsius, Themen einer Rechtswissenschaftstheorie, in: Jestaedt / ders. (Hrsg.), Rechts­ wissenschaftstheorie, 2008, S. 1 (4 f.); Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?. 1988, S. 131 f. Matthias Jestaedt qualifiziert daher den Rechtstextbezug als Abgrenzungskriterium von Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik. Schließlich seien grundrechtsdogmatische Aussagen anders als grundrechtstheoretische Erwägungen – bei einem rechtspositivistischen Vorverständnis – aus legitimatorischen Gründen auf den Rück­ bezug zum Verfassungstext angewiesen (so ders., Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 77 ff.; ausführlich hierzu siehe Kap. 2 B. I.) Dies bedeutet aber keineswegs, dass grundrechts­ theoretische Aussagen nicht auch über einen Bezug zum Grundrechtstext verfügen können. Daher können Grundrechtsdogmatik und Grundrechtstheorie nicht ohne weiteres auf Basis dieses Kriteriums voneinander abgegrenzt werden, siehe hierzu ders., Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 77; Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 154. 650 Böckenförde, NJW 1974, 1529; Bumke, AöR 144 (2019), 1 (41). Durch den hohen Aus­ legungsbedarf der Grundrechte kommt der Grundrechtstheorie bei der Auslegung eine besonders große Funktion zu, siehe Gusy, ZJS 2008, 233; Payandeh, Judikative Rechts­

A. Die grundrechtstheoretischen Grundlagen des Grundrechtsschutzes

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Die Grundrechtstheorie beschreibt insoweit die Vorerwartung, mit der an den Grundrechtstext herangetreten651 und die Grundrechtsauslegung vorgenommen wird.652 Gerade wegen der offenen und fragmentarischen Sprachgestalt der Grund­ rechte653 kommt dem Vorverständnis bei der Grundrechtsinterpretation eine be­ sondere Bedeutung zu.654 erzeugung, 2017, S. 155 m. N.: „Schließlich, und das ist entscheidend, zeichnet sich gerade das Verfassungsrecht durch eine besondere Offenheit für theoretische Überlegungen aus. Verfas­ sungsrechtsdogmatische Fragen können nur bedingt durch eine rein normtextinterne Analyse beantwortet werden.“ 651 Volkmann, Allgemeine Grundrechtslehren, in: Herdegen / Mansig / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 16 Rn. 3: „Text selbst, der von einem be­ stimmten Grundverständnis aus gelesen wird.“ 652 Zum Begriff des ‚Vorverständnisses‘ allgemein Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970, S. 133 ff. Allgemein im Kontext der Grundrechts- beziehungs­ weise Verfassungsinterpretation zu diesem Begriff Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 2 Rn. 61 ff.; Schmitt-Glaeßer, Vorverständnis als Methode, 2004, S. 268 ff.; Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 155; Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 155; Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 40 ff.; in Bezug auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit siehe Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 224, 226: „Im übri­ gen ist diese Annahme auch darüber hinaus latent wirksam. Auch wo sie nicht ausdrücklich als logisch zwingend bezeichnet wird, erscheint die Anerkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte in einer liberalen, dem negativen Freiheitsverständnis verpflichteten Grund­ rechtsordnung doch so selbstverständlich, daß dieses Vorverständnis häufig in die Bewertung einzelner Auslegungsgesichtspunkte einfließt.“ 653 Exemplarisch siehe Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 47 ff.; Böckenförde, NJW 1974, 1529; Ossenbühl, Grundsätze der Grundrechtsinterpretation, in: Merten /  Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 15 Rn. 4; Krüper, Über| Rechts|Zwischen|Texte, in: Funke / Lachmayer (Hrsg.), Formate der Rechtswissenschaft, 2016, S. 211 (224); Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 7 f. 654 Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 4: „Die Theorie beein­ flusst danach entscheidend das jeweilige Vorverständnis, in dessen Horizont schließlich die konkrete Auslegung erfolgt“; Böckenförde, NJW 1974, 1529; ders., NJW 1976, 2089 (2098); Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 21, 501 ff.; Vosgerau, Die Freiheit des Glaubens und die Systematik des Grundgesetzes, 2007, S. 26; Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 252; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 47 ff., insbe­ sondere S. 49; siehe auch Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungs­ theorie?, 1988, S. 85 ff.; Brugger, JZ 1987, 633; siehe auch Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Rn. 63: „interpretationsleitender Grundverständnisse“; ähnlich auch Payandeh, Judika­ tive Rechtserzeugung, 2017, S. 153 ff., insbesondere S. 155; Mahlmann, EuR 2011, 469 (476 f.); Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 91; Volkmann, Der Staat 54 (2015), 35 (60): „Nach der geläufigen Einschätzung gelangt die Theorie auch in der hier skizzierten Einwirkung auf den Inhalt der Verfassung nicht über das Stadium des bloßen Vorverständ­ nisses im Sinne der klassischen Hermeneutik hinaus; es bleibt eine Summe von Annahmen oder eben Vor-Annahmen über Recht, die zum Recht selber aber nicht dazu gehören“; ders., Allgemeine Grundrechtslehren, in: Herdegen / Masing / Poscher et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 16 Rn. 1; dagegen Lindner, Theorie der Grundrechtsdog­ matik, 2005, S. 159: „Grundrechtstheoretische Überlegungen können nicht zur Interpretation des Grundgesetzes herangezogen werden, weil dessen Grundrechtstheorie erst das Ergebnis der Interpretationsprozesse sein kann.“

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

Die Grundrechtstheorie soll folglich die Funktion655 und den Geltungsgrund der Grundrechte erklären und auf dieser Grundlage den Bedeutungsgehalt der Grund­ rechte reflektieren.656 Die Perspektive der Betrachtung ist dementsprechend eine beobachtende und keine an der Rechtsanwendung teilnehmende.657

II. Die grundrechtstheoretischen Einflüsse auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit Es stellt sich die Frage, welcher Art die auf die Interpretation der Grundrechte, konkreter auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit einwir­ kenden grundrechtstheoretischen Einflüsse sind. Diese Einflüsse und die hieraus folgenden Konsequenzen für den Inhalt des grundrechtlichen Schutzes von Hand­ lungen sind, insbesondere auch mit Blick auf die speziellen Freiheitsrechte, im Folgenden zu analysieren.658 Das „grundrechtstheoretische Fundament“659 des unter dem Begriff von posi­ tiver und negativer Freiheit verstandenen Grundrechtsschutzes ist im liberalen „Verständnis von Funktion und Reichweite“660 der Grundrechte auszumachen.661 Nach der – teilweise auch als Abwehrtheorie662 oder als formale663 Theorie bezeich­ 655

Hierzu ausführlich Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 5: „Ent­ scheidend ist vielmehr die Frage, worin ihre allgemeine soziale Aufgabe [scil.: die Aufgabe der Grundrechte] liegt, das heißt, welche konkreten Problemkonstellationen sie in der modernen, pluralen Gesellschaft zu bewältigen helfen können – und auf welche Weise ihnen das mög­ licherweise gelingt.“ 656 Grimm, AöR 97 (1972), 489 ff.; Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 43, 48; Saladin, AöR 104 (1979), 345 (366 f.); Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 19, 81; siehe auch ders., Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 128 ff.; ähnlich auch Brugger, JZ 1987, 633; siehe auch Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 5. 657 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, S. 47: „Die Beobachterperspektive nimmt ein, wer nicht fragt, was in einem bestimmten Rechtssystem die richtige Entscheidung ist, sondern wie in einem Rechtssystem tatsächlich entschieden wird“; Volkmann, JZ 2020, 965 (970); siehe auch ders., Der Staat 51 (2012), 601 (603); Jestaedt, Verfassungstheorie als Dis­ ziplin, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (12 f.; 41); ders., Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 19; Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogma­ tik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 16, 18 m. w. N.; Rollecke, Beobachtung der Verfassungstheorie, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 57 (60). 658 Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530); ähnlich Bumke, AöR 144 (2019), 1 (43). 659 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 224 ff.: „grund­ rechtstheoretische Fundierung“. 660 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 45. 661 Siehe hierzu auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 224 ff. 662 Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 276. 663 Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 55.

A. Die grundrechtstheoretischen Grundlagen des Grundrechtsschutzes

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neten – liberalen664 Grundrechtstheorie sind die Grundrechte Freiheitsrechte des Grundrechtsträgers gegen den Staat,665 die dem Schutz wichtiger Bereiche der in­ dividuellen Freiheit, insbesondere der Selbstbestimmung, vor staatlichen Zugriffen beziehungsweise vor staatlicher Steuerung dienen.666 Im Fokus der Grundrechte steht nach der liberalen Grundrechtstheorie der Schutz der individuellen Persön­ lichkeitsentfaltung des Grundrechtsträgers; er soll sich selbstbestimmt und frei vom Staat entfalten können.667 Die Freiheit des Einzelnen soll dementsprechend schlechthin668 prinzipiell unbegrenzt gewährt werden.669 Sie liegt dem Staat voraus und kann deshalb nicht durch ihn konstruiert werden.670 Die Befugnis des Staates zur Einschränkung der individuellen Freiheit ist daher grundsätzlich begrenzt.671 Eng verbunden mit dem umfassenden Freiheitsschutz ist der umfassende Hand­ lungsschutz. Nur wenn das Subjekt frei zwischen den verschiedenen Verhaltens­ weisen und -formen entscheiden kann, ist die Freiheit des Einzelnen schlechthin

664

Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 f.); dem folgend Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Rn. 64. 665 Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530); vergleiche auch Augsberg, Theorie der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 22 ff.; siehe auch BVerfGE 7, 198 (204 f.); vergleiche auch Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Rn. 64. 666 BVerfGE 6, 32 (36); 7, 198 (204 f.); Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 f., 1537 f.); ­Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 65; Bethge, NJW 1982, 2145 (2148); ­Denninger, JZ 1975, 545 (545; 550); Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, S. 38; ders., Der Staat 14 (1975), 153 (157 f., 165); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdog­ matik, 1977, S. 14; Augsberg, Theorien der Grund- und Menschenrechte, 2021, S. 22 ff.; ver­ gleiche auch Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Rn. 43. 667 Brugger, JZ 1987, 633 (637): „[D]er Mensch [soll] prima facie das Recht haben, seinen eigenen Weg zu gehen. Er soll Achtung für seinen Lebensplan verlangen dürfen, weil und in­ sofern dieser höchstpersönlicher Ausdruck gerade seiner individuellen Persönlichkeit ist.“; ähnlich auch der Befund von Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 6. Aufl. 2018, § 9 Rn. 360, wonach die Freiheitsrechte historisch Abwehrrechte seien. 668 Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 126 f.; Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 f., 1537 f.); Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 65; Denninger, JZ  1975, 545; Bethge, NJW 1982, 2145 (2148); Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, 1972, S. 38; ders., Der Staat 14 (1975), 153 (157 f., 165); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 14. 669 Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 f.). 670 Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530). 671 Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten (1932), in: ders. (Hrsg.), Verfassungsrecht­ liche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, 4. Aufl. 2003, S. 182 (208 f.): „Jede gesetzliche Normierung, jede behördliche Intervention, jeder staatliche Eingriff muß prinzipiell begrenzt, meßbar, berechenbar, jede staatliche Kontrolle ihrerseits wieder kontrollierbar sein.“; ders., Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 126: „Die Freiheitssphäre des einzelnen wird als etwas dem Staat Gegebenes vorausgesetzt, und zwar ist die Freiheit des einzelnen prinzipiell unbe­ grenzt, während die Befugnis des Staates zum Eingriff in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist.“ Dem folgend Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 f.). Siehe hierzu auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 225. Insoweit wird das negative Frei­ heitsverständnis der Grundrechte durch die liberale Theorie beeinflusst. Siehe hierzu auch die Ausführungen zum Freiheitshindernis, Kap. 1 F. I. 4. c).

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

gewährleistet.672 Der umfassende Schutz grundrechtlicher Handlungen ist damit ein wesentlicher Bestandteil eines liberalen Grundrechtsverständnisses. In ihrer abwehrrechtlichen Dimension dienen die Grundrechte der Sicherung der individuellen Freiheitssphäre des Bürgers, insbesondere der individuellen Per­ sönlichkeitsentfaltung, vor staatlichen Eingriffen. Die liberale Grundrechtstheo­ rie prägt daher maßgeblich das Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte. Ein Indiz für den Einfluss der liberalen Grundrechtstheorie auf das Verständnis des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit liefert daher bereits ihr Zuschnitt auf die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte.673 Dies setzt, soweit die Grundrechte ein Verhalten schützen, die freie Wahl zwischen verschie­ denen Verhaltensoptionen voraus. Unter dem Begriff der Handlung werden diese verschiedenen Verhaltensdimensionen zusammenfasst.674 Ausgehend von dem Vor­ verständnis der liberalen Grundrechtstheorie schützen daher die Freiheitsrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension nicht nur eine konkrete Verhaltensform in einem speziellen Lebensbereich, sondern in umfassender Weise das Handeln des Grundrechtsträgers in diesem Lebensbereich. „Auch wo sie nicht ausdrücklich als logisch zwingend bezeichnet wird, erscheint die An­ erkennung einer negativen Seite der Freiheitsrechte in einer liberalen, dem negativen Frei­ heitsverständnis verpflichteten Grundrechtsordnung doch so selbstverständlich, daß dieses Vorverständnis häufig in die Bewertung einzelner Auslegungsgesichtspunkte einfließt.“675

Im Folgenden gilt es zu zeigen, wie entsprechend diesem Befund Hellermanns ein liberales Grundrechtsverständnis die Herleitung der Lehre des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit, insbesondere das grundrechtliche Freiheits- und Handlungsverständnis, prägt und welche Vorgaben es für die inhalt­ liche Ausgestaltung gibt.676 Der Einfluss der liberalen Grundrechtstheorie, so Hellermann, „wird etwa deutlich in der Beurteilung historischer und entstehungsgeschichtlicher Sachver­ halte, wenn aus der feststellbaren Ablehnung von Zwang zu bestimmtem Tun ein Argument für die Anerkennung der negativen Seite der Freiheitsrechte gewonnen wird.“677 Bereits die Ideen- und Entstehungsgeschichte des grundrechtlichen Schut­ zes von Handlungen, das heißt des Schutzes von Tun und Unterlassen, ist maßgeb­

672

Siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 226. Vergleiche Kap. 1  F. I. 4. b)., insbesondere Fn. 336; Brugger, JZ 1987, 633 (637); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 66, 223; vergleiche auch Fikentscher / Möllers, NJW 1998, 1337 (1340): „Die negative Informationsfreiheit resultiert zwangsläufig aus dem Charakter des Abwehrrechts“. 674 Vergleiche Kap. 1  G. II. 1. 675 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 226. 676 Siehe zu den Auswirkungen der liberalen Grundrechtstheorie auf die Anwendung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit, Kap. 3 A. 677 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 226. 673

A. Die grundrechtstheoretischen Grundlagen des Grundrechtsschutzes

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lich durch liberale Strömungen geprägt.678 Gerade die Ausgrenzung des Staates aus der Freiheitssphäre des Individuums, wie sie die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte bewirke, sei die Konsequenz der im Laufe der verfassungsge­ schichtlichen Entwicklung der Grundrechte erstarkenden liberalen Strömungen.679 ­Johannes Hellermann illustriert diesen Prozess am Beispiel der historischen Ent­ wicklung der Kooperations- und Assoziationsfreiheit im deutschen Vormärz.680 Damals hätten sich, so Hellermann, erstmals Tendenzen zur Ablehnung des staat­ lichen Zwangs zum Tun gezeigt.681 Aus den „dekorporierenden Reformen“682 des Vormärzes haben sich Fernbleibe- und Austrittsrechte aus Kooperationen ent­ wickelt,683 die später die Grundlage der Argumentation für die Anerkennung des Schutzes der negativen Vereinigungsfreiheit bildeten. Deutlicher zeigte sich der Einfluss liberaler Strömungen in den Regelungen der Paulskirchenverfassung.684 Obwohl der Schutz eines Fernbleibens von Vereinigungen und Koalitionen, also der Schutz der negativen Vereinigungsfreiheit, historisch nicht ausdrücklich in der Paulskirchenverfassung normiert wurde, galt aufgrund des liberalen Staats­ verständnisses der Schutz eines Fernbleibens von einer Vereinigung, also eines Unterlassens des Beitritts zu einer Vereinigung, vom Schutz der Vereinigungsfrei­ heit mitumfasst.685 Der ‚Nachtwächterstaat‘ sollte möglichst die Freiheitssphäre der Bürger nicht berühren. Die Freiheit des Bürgers sollte prinzipiell unbegrenzt sein. Sein Handeln wurde umfassend vor staatlichen Eingriffen geschützt. Die­ sen historischen Einfluss liberaler Strömungen berücksichtigt die liberale Grund­ rechtstheorie bei der Grundrechtsinterpretation der Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG. Auch am Beispiel der historischen Entwicklung der negativen Religionsfrei­ heit zeigt sich der Einfluss eines liberalen Staats- und Rechtsverständnisses, das sich über die Jahrhunderte verfestigt und in einem liberalen Verständnis der Grundrechte kanalisiert hat. So sind auch die Vorschriften über die negative Re­ ligionsfreiheit im Preußischen Allgemeinen Landrecht, in der Paulskirchen- und 678 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 226; allgemein zu der Bedeutung historischer Entwicklungen für das liberale Grundrechtsverständnis siehe auch Broemel, Interaktionszentrierte Grundrechtstheorie, 2021, S. 12 f.; vergleiche auch im Kontext der Untersuchung der historischen Wurzeln der Religionsfreiheit Dreier, Rg 19 (2011), 72 (78 ff.); siehe auch Globig, ZRP 1996, 107 (108). 679 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 66, 226. 680 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 226. 681 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 226. 682 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 226. 683 Etwas anders Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertrags­ freiheit, 2018 S. 9 f.; ausführlich Kap. 1 C. I. 2., 3.; siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 226. 684 Siehe hierzu ausführlich Kap. 1 C. II. 685 Siehe hierzu Kap. 1 C. II.; Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Koalitions­ freiheit?, 1971, S. 26 (32); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 235. Die erstmals im Kontext der Verfassungsgebung berücksichtigen liberalen Vor­ stellungen der Paulskirchenversammlung beeinflussten das nachfolgende Recht, wie etwa die Weimarer Reichsverfassung.

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

in der Weimarer Reichsverfassung Ausdruck der Verdrängung des Staates aus der individuellen Freiheitssphäre.686 Insbesondere mit Blick auf die Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit aus den benannten Komplementärgarantien687 der Art. 136 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 WRV wird der Ein­ fluss des liberalen Vorverständnisses ersichtlich. Die Kodifikation der negativen Bekenntnis- und Kultusfreiheit in Art. 136 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 WRV basiert auf einem liberalen Verständnis der Religionsfreiheit. Diese Regelungen der Weimarer Reichsverfassung sind das Ergebnis des infolge der erstarkenden Liberalisierungs­ prozesse weitgehenden Rückzugs des Staates aus den religiösen Angelegenheiten seiner Bürger. Als der Verfassungsgeber diese Vorschriften über Art. 140 GG in die Verfassung inkorporiert hat, hat er auch das diesen Vorschriften zugrundeliegende liberale Vorverständnis über die Funktion dieser Rechte übernommen. Die Bürger sollten frei und ohne staatliche Einflussnahme über ihren Glauben beziehungs­ weise ihre religiöse Zugehörigkeit befinden dürfen. Soweit auf diese Vorschrift Bezug genommen wird, etwa im Rahmen der Herleitung der negativen Freiheit im Kontext anderer spezieller Freiheitsrechte, fließt dieses liberale Vorverständ­ nis von Inhalt und Reichweite des Freiheitsschutzes in die Auslegung und Anwen­ dung der negativen Freiheit dieses speziellen Freiheitsrechts mit ein. Gleichwohl die Vorerwartungen und Vorverständnisse der liberalen Grundrechtstheorie dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen, speisen sie sich aus den historischen Kon­ flikten und Entwicklungen. Der Einfluss dieser liberalen Grundrechtstheorie auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit historisch gewachsen und uns als Rechtsinterpreten heute selbstverständlich geworden.688 Das Menschenwürdeprinzip, welches zur Herleitung der Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit herangezogen wird, ist letztlich eine Ausformung der liberalen Grundrechtstheorie.689 Funktion der Grundrechte ist entsprechend der liberalen Grundrechtstheorie der Schutz der Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers, insbesondere seiner Selbstbestimmung, vor Freiheits­ beschränkungen. Da das Menschenwürdeprinzip den Schutz der Autonomie, der Selbstbestimmung und der Eigenverantwortung des Grundrechtsträgers vor dem Staat in den Fokus des Grundrechtsverständnisses stellt, präzisiert es letztlich die Prämissen der liberalen Grundrechtstheorie.690 Der Schutz der selbstbestimmten 686 Ausführlich hierzu Kap.1 C.; siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 156; besonders prägnant formuliert dies Globig, ZRP 1996, 107 (108): „Der wirksame Schutz der negativen Bekenntnisfreiheit ist vielmehr ein Kernanliegen und eine zentrale Errungenschaft von Aufklärung und Liberalismus.“ 687 Siehe Kap. 1 B. II. 688 Vergleiche auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 226. 689 Allgemein zur Berücksichtigung des Menschenwürdegehalts bei der Interpretation von Verfassungsvorschriften Poscher, Menschenwürde, in: Herdegen / Masing / ders. et al. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 17 Rn. 45. 690 Vergleiche auch Augsberg, Autonomie als soziale Konstruktion, in: Vesting / Korioth / ders. (Hrsg.), Grundrechte als Phänomene kollektiver Ordnung, 2014, S. 39: „Die um den Begriff der Autonomie zentrierte Vorstellung der menschlichen Würde bildet den Glutkern eines in­ dividualistischen Grundrechtsverständnisses“.

A. Die grundrechtstheoretischen Grundlagen des Grundrechtsschutzes

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und eigenverantwortlichen Persönlichkeitsentwicklung erfordert den umfassenden grundrechtlichen Schutz menschlichen Verhaltens und inkludiert damit auch die Entscheidung, zwischen verschiedenen Verhaltensweisen und -formen wählen zu können. Diese verschiedenen Verhaltensoptionen sowie die Auswahl zwischen ihnen werden unter dem Begriff der Handlung zusammengefasst und bilden letzt­ lich die Grundlage der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negati­ ver Freiheit. Als besonders prägnant erweist sich der Einfluss der liberalen Grundrechts­ theorie mit Blick auf das negative Freiheitsverständnis.691 In dem die Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension prägenden negativen Freiheitsverständ­ nis kanalisiert sich das Verständnis der liberalen Grundrechtstheorie, dass die Grundrechte umfassend die Freiheit des Bürgers vor staatlichen Beschränkungen sichern. Nicht nur die Herleitung, sondern vor allem auch die besondere Wert­ schätzung692 des Grundrechtsschutzes von Handlungen beruht im Wesentlichen auf dem durch die liberale Grundrechtstheorie geprägten negativen Freiheitsver­ ständnis.693 Die Wahlmöglichkeiten sowohl auf der Ebene des ‚Ob‘ als auch auf der Ebene des ‚Wie‘ müssen, um der individuellen Selbstbestimmung und -ent­ faltung des Grundrechtsträgers willen, umfassend geschützt werden.694 Dies setzt den umfassenden grundrechtlichen Schutz von Handlungen voraus.695 Das Frei­ heitssubjekt, der Grundrechtsträger, muss entsprechend dem negativen Freiheits­ verständnis in voller Souveränität ohne hoheitliche Beschränkung über ‚Ob‘ und ‚Wie‘ der Freiheitsausübung entscheiden können.696 Der Grundrechtsschutz von 691

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 224 ff.; siehe auch Schubert, RdA 2001, 199 (201); vergleiche auch Augsberg, Theorie der Grund- und Menschen­ rechte, 2021, S. 23 ff. Insoweit stellt sich abstrakt die Frage nach dem Verhältnis von Freiheits­ verständnis und Grundrechtstheorie. Dieses Verhältnis ist insbesondere vor dem Hintergrund interessant, dass sich in dem grundrechtlichen Freiheitsverständnis, auch wenn Freiheit als etwas Vorrechtliches verstanden wird, immer ein bestimmtes Grundrechtsverständnis nieder­ schlägt und in einem bestimmten Grundrechtsverständnis ein bestimmtes Freiheitsverständ­ nis, ist es doch beispielsweise entsprechend der liberal-rechtstaatlichen Grundrechtstheorie die Aufgabe der Grundrechte, die Freiheit des Bürgers zu schützen. Nach dem dieser Untersuchung zugrundeliegenden Verständnis wirken also Grundrechtstheorie und Freiheitsverständnis der Grundrechte zu einem gewissen Grad gegenseitig aufeinander ein. 692 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 116. 693 Das negative Freiheitsverständnis der Grundrechte ist gerade durch das liberale Verfas­ sungsverständnis bedingt, hierzu ausführlich Kap. 1 F. I. 4. Vergleiche auch Broemel, Inter­ aktionszentrierte Grundrechtstheorie, 2021, S. 16. 694 Vergleiche auch Depenheuer, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 8 Rn. 120, der die negative Vereinigungsfreiheit im Rahmen des Abschnitts „Selbstbestim­ mungsgarantie“ anspricht. Der Gedanke des Grundrechtsschutzes von positiver und negati­ ver Freiheit beziehungsweise des umfassenden Handlungsschutzes hängt besonders mit dem Schutz der Autonomie und Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers zusammen. 695 Ausführlich bereits unter Kap. 1 F. I. 4. b). 696 Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 118; ders., VerwArch 73 (1982), 103 (104); ähnlich auch Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit?, in: FS Kriele, 1997, S. 301 (308).

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

positiver und negativer Freiheit fungiert als Schutzschild des Grundrechtsträgers gegen staatliche Beeinträchtigungen seines Handelns: sowohl gegen den Zwang zur Ausübung eines Verhaltens (Gebot) als auch gegen die Beeinträchtigung der Verhaltensausübung durch den Staat (Verbot).697 Der durch die Grundrechte ge­ währte umfassende Handlungsschutz698 ist folglich Ausdruck eines liberalen Vor­ verständnisses von Funktion und Reichweite der Grundrechte.699 Die maßgeblichen Argumente, die im Kontext der Herleitung von positiver und negativer Freiheit vorgetragen werden, sind also Ausformungen eines liberalen Grundrechtsverständnisses.700 Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit verfügt also nicht bloß über einen grundrechtstheoretischen Unterbau, wie es der von Hellermann eingeführte Begriff des „grundrechtstheore­ tischen Fundaments“ impliziert. Vielmehr stellt sich die Lehre des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit selber als Ausformung der liberalen Grundrechtstheorie dar. Johannes Hellermann äußert dennoch Zweifel an einer derartigen grundrechts­ theoretischen Fundierung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Er befürchtet durch diesen Einfluss des liberalen Grundrechtsverständ­ nisses auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit eine Ge­ 697

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 118; Pauly, Die Verfassung der Paulskirche und ihre Folgewirkungen, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 1, 3. Aufl. 2003, § 3 Rn. 29; siehe auch Ipsen, Glaubensfreiheit als Be­ einflussungsfreiheit?, in: FS Kriele, 1997, S. 301 (308); vergleiche auch Röhl, JA 1999, 895, dessen Untersuchung sich zwar auf die Strafrechtslinie bezieht, der aber allgemein festhält: „Die Verletzung eines Verbots besteht in einem positiven Tun, die Verletzung eines Gebots in einer Unterlassung.“ 698 Zum umfassenden Handlungsschutz als Ausgangspunkt des Unterlassungsschutzes durch die Grundrechte siehe Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 28, der die negative Freiheit nicht aus der positiven Freiheit herleitet, sondern daraus, dass es sich bei dem Grund­ recht der Versammlungsfreiheit um eine „Verhaltensfreiheit“ handelt. Der Schutz der „Belie­ bigkeit des Verhaltenkönnens“ ist nach Höfling Ausgangspunkt des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Ähnlich auch Kemper, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 58: „Inhaltlich ist, bei der Vereinigungsfreiheit nicht anders als bei den anderen Freiheitsrechten, die Freiheit der Handlung ununterscheidbar mit der Freiheit der entsprechenden Unterlassung verbunden. Eine Trennung ist nicht möglich. Eine Handlung ist nicht frei, sondern ein „Muss“, wenn sie nicht auch unterlassen werden dürfte; umgekehrt ist eine Unterlassung erzwungen und nicht frei, wenn die unterlassene Handlung verboten wäre.“ Obgleich Kemper den Begriff der Unterlassung einer Handlung gegenüberstellt und damit eine Handlung eher als Tätigkeit beziehungsweise als Tun versteht, ist der Kerngehalt dieser Aussage, dass die Grundrechte jedes Verhalten des Grundrechtsträgers, ohne weiter zu unterscheiden, zutreffend. Siehe auch Merten, VerwArch 73 (1982), 103 ff., bes. 115 m. w. N. 699 Siehe auch Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit?, in: FS Kriele, 1997, S. 301 (308): „Jede Freiheit menschlichen Handelns schließt die Freiheit zum Nichthandeln [also zum Unterlassen] ein, weil nur unter dieser Voraussetzung die Handlungsfreiheit dauerhaft bestehen kann.“; Schubert, RdA 2001, 199 (201) spricht insoweit von einem „liberalen Frei­ heitsverständnis“; vergleiche auch Volkmann, JZ 2020, 965 (967). 700 Denninger, JZ 1975, 545.

A. Die grundrechtstheoretischen Grundlagen des Grundrechtsschutzes

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fährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.701 Schließlich sollen die Kommunikationsgrundrechte dem Schutz der aktiven Teilnahme und Teilhabe der Bürger am politischen Prozess dienen und damit konstituierend für die freiheit­ lich-demokratische Grundordnung sein.702 Der durch die negative Freiheit bewirkte Schutz des Unterlassens könnte, so Hellermann, dieses Ziel konterkarieren.703 Da­ her sei der Schutz eines Unterlassens, nach Hellermann, nicht zwingend eine Folge des liberalen Grundrechtsverständnisses.704 Allerdings ist das Tun zum einen nicht automatisch demokratischer als ein Unterlassen,705 zum anderen ist es widersprüchlich, mit Johannes Hellermann den Grundrechtsschutz von negativer Freiheit abzulehnen und andererseits den Unter­ lassungsschutz wegen der leichteren Einschränkbarkeit des Grundrechts auf die allgemeine Handlungsfreiheit auszulagern.706 Schließlich spiegeln sich auch in dem Gedanken, dass Art. 2 Abs. 1 GG Grundlage des grundrechtlichen Schutzes des Unterlassens sein soll, liberale Prämissen wider. Grundlage des umfassenden grundrechtlichen Schutzes von Handlungen des Grundrechtsträgers und damit auch der Lehre des Grundrechtsschutzes von positi­ ver und negativer Freiheit ist die liberale Grundrechtstheorie. Das liberale Grund­ rechtsverständnis gibt zwar den umfassenden grundrechtlichen Schutz von Hand­ lungen vor und damit für eine theoretische Konzeption recht konkrete Vorgaben. Diese Vorgaben sind für die Rechtsarbeit zu abstrakt und unhandlich, sodass die Rechtsarbeit auf die Konkretisierungs- und Strukturierungsleistung der Dogmatik angewiesen ist.707 Dieser Wechselbezüglichkeit von positiver und negativer Frei­ heit wird im Folgenden unter Berücksichtigung der dogmatischen Ausformung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nachzugehen sein.

701

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 231. Siehe Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 231 f.; ver­ gleiche auch Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 542 f.; ders., Der Wesensgehalt der Grundrechte, in: Seifert / ders. (Hrsg.), Die Einschränkung der Grundrechte, 1976, S. 35 (44 f.); Scheuner, VVDStRL 22 (1963), 1 (19 f.). 703 Siehe hierzu auch Kap. 1 D. II.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 231 f. 704 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 234 ff. 705 Siehe etwa die Beispiele in Kap. 1 D. II. 706 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 231 ff. 707 Vergleiche auch Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 4 Rn. 99: „Gleichwohl können ihre Erkenntnisse über Charakter und Strukturen von Grundrechtsgewährleistungen auf die Grundrechtsdogmatik zurückwirken.“ 702

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit Diese grundlegende Bedeutung der liberalen Grundrechtstheorie für die Herlei­ tung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit wird sowohl bei der Anwendung dieser Konzeption in der Rechtspraxis als auch bei der Untersuchung dieser Konzeption nur selten offenbart. Der Fokus der bisherigen Untersuchungen des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit liegt vorwiegend auf der Anwendung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positi­ ver und negativer Freiheit und weniger auf ihren theoretischen und dogmatischen Hintergrundannahmen. Daher werden vor allem die durch die Lehre von positiver und negativer Freiheit bewirkten dogmatischen Ausformungen des Grundrechts­ schutzes von Tun und Unterlassen untersucht, nicht aber der grundrechtliche Schutz von Handlungen als solchen, mit der Folge, dass der Grundrechtsschutz von posi­ tiver und negativer Freiheit häufig als grundrechtsdogmatische Figur qualifiziert wird.708 Im Folgenden gilt es daher zu untersuchen, ob das liberale Konzept des Handlungsschutzes durch die Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und ne­ gativer Freiheit in Bezug auf den grundrechtlichen Schutz von Tun und Unterlassen konkretisiert wurde und inwieweit die dogmatische Ausformung die liberalen Prä­ missen des grundrechtlichen Handlungsschutzes ausbuchstabiert. Dabei gilt es zu untersuchen, wie sich das Verhältnis von Grundrechtstheorie und Grundrechtsdog­ matik im Kontext der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit darstellt und inwiefern in der Lehre vom Grundrechtsschutz positiver und negativer Freiheit eine Abkopplung der Grundrechtsdogmatik von Annahmen der liberalen Grundrechtstheorie liegt. Zu diesem Zweck ist zu analysieren, ob diese Konkretisierungsregeln Selbstständigkeit erlangt haben, mit der Folge, dass die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit als eigenstän­ dige dogmatische Figur zu verstehen ist.

I. Das zugrundeliegende Verständnis der Grundrechtsdogmatik Bevor die grundrechtsdogmatische Ausgestaltung der Lehre des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit untersucht werden kann, ist zu­ nächst das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis der Grundrechtsdogmatik darzustellen. Ein allgemeingültiges Begriffsverständnis von ‚Rechtsdogmatik‘ und damit auch von ‚Grundrechtsdogmatik‘ hat sich noch nicht herauskristallisiert.709 Weit­ 708

Siehe Fn. 638. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 22 bezeichnet den Begriff als „unklar“; ders., Theorie der juristischen Argumentation, 8. Aufl. 2015, S. 307; Windel, AnwBl Online 2019, 447: 709

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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gehende Einigkeit besteht allerdings über die Aufgaben der Rechtsdogmatik.710 Da­ her soll das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis von Rechtsdogmatik an­ hand ihrer Funktionen und Aufgaben beschrieben werden.711 Die Rechtsdogmatik dient der Aufstellung und Entwicklung allgemeingültiger Regeln zur Lösung von Fragen und Problemen, die im Rahmen der Rechtsarbeit auftreten.712 Unter dem Begriff der Rechtsdogmatik werden dabei sowohl der Prozess der Entwicklung die „unklar und umstritten“; ähnlich auch die Kritik von Diederichsen, Auf dem Weg zur Rechts­ dogmatik, in: Zimmermann (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 1999, S. 65 (65); siehe auch Voßkuhle, Was leistet Dogmatik?, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 111; Kirchhof / Magen, Dogmatik, in: dies. / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 151 (153); Struck, JZ 1975, 84; Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (28); Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechts­ politisches Forum Nr. 15, 2003, S. 5; ders., JöR  n. F.  64 (2016), 309 (313); Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 113; Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 149; Meyer-Cording, Kann der Jurist heute noch Dogmatiker sein?, 1973, S. 6; Ipsen, Rechtsdogmatik und Rechtsmethodik, in: Borowski / Paulson / Sieckmann (Hrsg.), Rechtsphilo­ sophie und Grundrechtstheorie, 2017, S. 225 (225 f.); Bumke, JZ 2014, 641 (462); ders., Rechts­ dogmatik, 2017, S. 2: „Blackbox, über deren Inhalt im Wesentlichen nur implizites Wissen existiert“; ­Jestaedt, JZ 2014, 1 (4 f.); ders., Wissenschaftliches Recht, in: Kirchhof / Magen /  Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 117 (121); Gröschner, Rechtsdogmatik, in: Hilgendorf / Joerden (Hrsg.), Handbuch Rechtsphilosophie, 2017, S. 61 (61); Krüper, DÖV 2016, 793 (796); ähnlich auch Jansen, Art.: Rechtsdogmatik im Zivilrecht, in: Anderheiden / ­ Gutmann / Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie, 2011, Rn. 2; Henkel, Ein­ führung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1977, S. 1; Sahm, Rg 2018, 358: „[d]ie Definitions­ versuche der Rechtsdogmatik sind daher unbefriedigend“; ders., Elemente der Dogmatik, 2019, S. 15 siehe ferner Selb, Dogmen und Dogmatik, Dogmengeschichte und Dogmatikgeschichte in der Rechtswissenschaft, in: FS Larenz, 1983, S. 605 (605); Esser, Dogmatik zwischen Theorie und Praxis, in: FS Raiser 1974, S. 517 (517); Brohm, VVDStRL 30 (1972), S. 245 (246 f., dort in Fn. 3). Obgleich ein allgemein konsentiertes Begriffsverständnis sich nicht herauskristalli­ siert hat, lassen sich gewisse Parallelen der Definitionsansätze feststellen, siehe hierzu Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 256. Vereinzelt finden sich auch in der Literatur konkrete Definitionsvorschläge etwa bei Murswiek, Der Staat 45 (2006), 473 (473) oder bei Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 8. Aufl. 2015, S. 314. 710 Statt vieler Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 150 ff.; differenzierter Sahm, Rg 2018, 358 (358); ähnlich auch Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 226. 711 Die Kritik Bumkes, Rechtsdogmatik, 2017, S. 42, dass es nicht die eine Rechtsdogma­ tik gibt, so wie es durch die Verwendung des Demonstrativpronomens ‚die‘ suggeriert wird, sondern mehrere dogmatische Selbstverständnisse konkurrieren, ist zutreffend. Vergleiche auch Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – Zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechts­ wissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (53), der von „Interpretationsangeboten“ spricht. Ähnlich auch Lepsius, Relationen, 2016. Soweit hier von „der“ Dogmatik gesprochen wird, soll daher nicht suggeriert werden, dass es nur ein bestimmtes Verständnis von Dogmatik gibt. Es gibt vielmehr verschiedene Verständnisse von Dogmatik, die miteinander konkurrieren. Selbst auf Grundlage desselben Dogmatikverständnisses entwickelte Sätze können miteinander konkur­ rieren, hierzu ausführlich Kap. 2 B. II. 5.  712 Kirchhof, Grundrechte und Wirklichkeit, 2007 S. 1 (insbesondere Fn. 1); siehe auch Bydlinski, Gedanken über Rechtsdogmatik, in: FS Floretta, 1983, S. 3 (5 ff.); vergleiche auch Murswiek, Der Staat 45 (2006), 473: „Inbegriff der allgemeinen Regeln, welche die Auslegung und Anwendung der Grundrechte steuern.“

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

Rechtsarbeit anleitender Regeln als auch das Ergebnis dieses Prozesses, also die entwickelten Regeln für die Rechtsanwendung, zusammengefasst.713 Die Rechtsdogmatik entwickelt standardisierte714 Begründungsmuster715 und Auslegungsregeln716 und ermöglicht es, bei der Rechtsarbeit auf diese zurückzu­ greifen, ohne sie neuerlich herleiten und begründen zu müssen.717 Sie fungiert da­ mit nicht nur als „Orientierungshilfe“718 beziehungsweise „Anleitung“ der Rechts­ arbeit,719 vielmehr leistet sie eine eminente Strukturierung der Rechtsarbeit.720 Die durch die Rechtsdogmatik entwickelten Sätze und Figuren steuern die Rechts­ arbeit, insbesondere die Anwendung der abstrakten generellen Regelungen auf konkrete Einzelfälle und haben insoweit einen erheblichen Einfluss auf die Ver­

713

Esser, AcP 172 (1972), 97 (97): „Arbeitsmethode“; ähnlich auch Alexy, Theorie der ju­ ristischen Argumentation, 8. Aufl. 2015, S. 307 ff.; Wieacker, Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik, in: Bubner / Cramer / Wiehl (Hrsg.), FS Gadamer, Bd. 2, 1970, S. 311 (319 f.); Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 3. Aufl. 2016, S. 54; Hassemer, Dogmatik zwi­ schen Wissenschaft und richterlicher Pragmatik, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 3 (12); Waldhoff, Art.: Dogmatik, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, I.1.: „[Rechtsdogmatik] ist eine bestimmte Arbeitsweise von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis einschließlich der so erzielten Ergebnisse.“ Lepsius, Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 39 (42); vergleiche auch Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, 40; Jansen, Art.: Rechtsdogmatik im Zivilrecht, in: Anderheiden / Gutmann / Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklopädie zur Rechtsphiloso­ phie, 2011, Rn. 2: „Der deutsche Begriff der Rechtsdogmatik bezeichnet damit einerseits eine Tätigkeit – die systematisch-wissenschaftliche Arbeit am geltenden Recht – und andererseits das Produkt bzw. den Gegenstand dieser Tätigkeit.“; siehe auch Lobinger, AcP 216 (2016), 28 (35); Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 154. 714 Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 31. 715 Vergleiche auch Pöcker, Rechtstheorie 37 (2006), 151: „Begründungsketten“. 716 Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, § 1 Rn. 21: „Auslegungsroutinen“; ähnlich auch Lindner, RW 2011, 1 (20); Brohm, Kurzlebigkeit und Langzeitwirkungen der Rechtsdogmatik, in: FS Maurer, 2001, S. 1079 (1082). 717 Hierzu ausführlich unter Kap. 2 B. II. 4. 718 Bumke, JZ 2014, 641; Jestaedt, Verfassungstheorie als Disziplin, in: Depenheuer / Graben­ warter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (18); ders., Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009; Riesenhuber, ‚Normative Dogmatik‘ des Europäischen Privatrechts, in: FS Canaris, 2017, S. 181 (182); Bydlinski, Gedanken über Rechtsdogmatik, in: FS Floretta, 1983, S. 3 (12); Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153: „Anwendungsorientierung“; Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 1. 719 Bumke, JZ 2014, 641; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 18; Jestaedt, Verfassungs­ theorie als Disziplin, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (18); ders., Wissenschaftliches Recht, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dog­ matik?, 2012, S. 117 (121); ders., Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009; Riesenhuber, ‚Normative Dogmatik‘ des Europäischen Privatrechts, in: FS Canaris, 2017, S. 181 (182) sich unter anderem auf Bydlinski, Gedanken über Rechtsdogmatik, in: FS Floretta, 1983, S. 3 (12) beziehend; Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153. 720 Waldhoff, Art.: Dogmatik, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, I.2.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

159

wirklichung beziehungsweise die Anwendung des Rechts.721 Angesichts der „die­ nende[n] Funktion“722 der Rechtsdogmatik bei der Rechtsarbeit ist es wenig über­ raschend, dass die Rechtsdogmatik über einen starken Praxis- beziehungsweise Anwendungsbezug verfügt.723 Aus Legitimitätsgründen sind grundrechtsdogmatische Sätze auf den Rückbe­ zug zur Textquelle angewiesen.724 Sie verfügen daher regelmäßig über einen Rück­

721

Statt vieler siehe nur Müller / Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 11. Aufl. 2013, S. 424, Rn. 402; Waldhoff, Art.: Dogmatik, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, I.2.: „[Dogmatik] ist auf Anwendungsbezug ausgerichtete methodisch konsentierte Aufbereitung der geltenden generell-abstrakten Normen (Norm) für Einzelfall­ entscheidungen.“ 722 Müller / Christensen, Juristische Methodik, Bd. 1, 11. Aufl. 2013, S. 424, Rn. 402. 723 Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 39 ff.; ders., Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 378; Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 16, 21; siehe auch Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 113; Wieacker, Zur praktischen Bedeutung der Rechtsdogmatik, in: FS Gadamer, Bd. 2, 1970, S. 311 (319); Volkmann, JZ 2020, 965 (970); Jestaedt, JZ 2014, 1 (3, 5); ders., Verfassungstheorie als Disziplin, in; Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (19); ders., Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 37 u. ö.; Bydlinski, Gedanken über Rechtsdog­ matik, in: FS Floretta, 1983, S. 3 (12); Lepsius, Themen einer Rechtswissenschaftstheorie, in: Jestaedt / ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 1 (4 f.): „ergebnisrelevant“; Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (25); Waldhoff, Kritik und Lob der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Scheider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 17 (32); ders., Art.: Dogmatik, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, I.2.; Eifert, Zum Verhältnis von Dogmatik und plu­ ralisierter Rechtswissenschaft, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 79 (81); Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 4 Rn. 99; siehe auch ­Krüper, DÖV 2016, 793 (796); ders., Über|Rechts|Zwischen|Texte, in: Funke / Lachmayer (Hrsg.), For­ mate der Rechtswissenschaft, 2016, S. 211 (232); Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 18; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 256. 724 Schließlich erhalten Entscheidungen eines Richters ihre Legitimität durch die Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 1 Abs. 3 GG, Art. 20 Abs. 3 GG). Bezieht sich der Rechtsarbeiter auf rechtsdogmatische Sätze, wendet er jedoch nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch die Rechtsarbeiter und gerade nicht durch den Gesetzgeber geschaffene Re­ geln an. Diese Regeln stehen auf einer anderen Ebene als der Rechtstext. Um sich zu legiti­ mieren, müssen rechtsdogmatische Sätze sich als auf die vom Gesetzgeber geschaffene Text­ quelle bezogene Regeln der Rechtsarbeit darstellen. Diese Regeln der Rechtsarbeit müssen sich im Idealfall als zutreffende beziehungswiese konsentierte Ausdeutung / Konkretisierung der Textquelle darstellen. Es darf neben diesen Regeln gerade nicht eine andere Ausdeutung beziehungsweise Konkretisierung der Textquelle in der gleichen Weise möglich erscheinen. Würtenberger, Grundlagenforschung und Dogmatik aus deutscher Sicht, in: Stürner (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010, S. 3 (9); Eifert, Zum Ver­ hältnis von Dogmatik und pluralisierter Rechtswissenschaft, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 79 (81); Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – Zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (54 f.); Hain, JZ 2002, 1036 (1037); Jestaedt, Rechtswissenschaft als normative Disziplin, in: Hilgendorf / Joerden (Hrsg.), Handbuch Rechtsphilosophie, 2017, S. 267 (269); ders., JZ 2014, 1 (6); ders., Die Ver­ fassung hinter der Verfassung, 2009, S. 29; Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert

160

Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

bezug zum Rechtstext. Charakteristischerweise befinden sich rechtsdogmatische Sätze deshalb regelmäßig auf mittlerer Abstraktionshöhe zwischen dem Rechtstext und dem konkreten Fall;725 sie sind also grundsätzlich ‚rechtsnormakzessorisch‘. Dogmatik ist also nach dem dieser Untersuchung zugrunde gelegten Verständnis – Robert Alexy folgend – als „(1) eine Klasse von Sätzen, die (2) auf die gesatzten Normen und die Rechtsprechung bezogen, aber nicht mit ihrer Beschreibung iden­ tisch sind, (3) untereinander in einem Zusammenhang stehen, […] und (5) norma­ tiven Gehalt haben“726 zu beschreiben. Als „Ableger“727 der Rechtsdogmatik beschäftigt sich die Grundrechtsdogmatik mit den Grundrechten. Aufgabe der Grundrechtsdogmatik ist die Beantwortung

man Verfassungstheorie?, 1988, S. 41. Siehe zum Primärtextbezug der Rechtsdogmatik auch Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 76 ff.: „Die Ausgerichtetheit auf den Primärtext und die Produktion von Texten zu Texten ist notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die dogmatische Denkform.“ (Zitat S. 78). Allgemein zum Bezug des dogmatischen Satzes zur Textquelle auch Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153; Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 1; Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 176 ff.; vergleiche auch Poscher, Rechtsdogmatik als hermeneutische Disziplin, in: FG Schlink, 2014, S. 203. 725 Die Arbeit der Rechtsdogmatik findet also auf einer Zwischenebene zwischen Textquelle und Einzelfall statt. Stürner, ZZP 127 (2014), 271 (276); ders., JZ 2012, 10 (12 ff.) und Krüper, DÖV 2016, 793 (796); ders., Über|Rechts|Zwischen|Texte, in: Funke / Lachmayer (Hrsg.), For­ mate der Rechtswissenschaft, 2016, S. 211 (233) sprechen insoweit auch von einer „Zwischen­ schicht“. Rechtsdogmatische Sätze befinden sich grundsätzlich zwischen dem Rechtstext und der Einzelfallentscheidung (so auch Krüper, Über|Rechts|Zwischen|Texte, in: Funke /  Lachmayer (Hrsg.), Formate der Rechtswissenschaft, 2016, S. 211 (233)). Der Abstraktionsgrad der dogmatischen Sätze richtet sich dabei danach, wie konkret sich eine Entscheidung auf einen Einzelfall / ein spezielles Freiheitsrecht bezieht, graduelle Unterschiede in der Abstraktions­ höhe sind daher grundsätzlich möglich. Wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beweist, kön­ nen grundrechtsdogmatische Sätze auch recht abstrakt gefasst werden, vergleiche hierzu auch Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 154: „dogmatische Überlegungen [können] auf unterschiedlich hohem Abstraktionsniveau stattfinden, und auch verfassungstheoretische Überlegungen müssen nicht notwendigerweise die gesamte Verfassung und Verfassungsord­ nung als solche in den Blick nehmen, sondern können sich auch auf verfassungsrechtliche Einzelausprägungen beziehen“; Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 59; Windel, AnwlBl Online 2019, 447 (448); Hassemer, Dogmatik zwischen Wissenschaft und richter­licher Prag­ matik, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 3 (7); Waldhoff, Lob und Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 17 (27); ders., Art.: Dogmatik, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, I.2.; Lindner, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, S. 139; Grzeszick, Steuert die Dogmatik?, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 97 (97): „Zwischenebene“; Voßkuhle, Was leistet Dogmatik?, in: Kirchhof / Magen / ­Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 111 (112); Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirk­ lichkeit, 2016, S. 257. 726 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 8. Aufl. 2015, S. 314. 727 Jestaedt, Phänomen Bundesverfassungsgericht, in: ders. / Lepsius / Möllers et al. (Hrsg.), Das entgrenzte Gericht, 3. Aufl. 2019, S. 77 (132); ders., Grundrechtsentfaltung im Ge­ setz, 1999, S. 2; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 255; siehe auch ­L ennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 157: „konkrete Bereichsdogmatik“.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

161

von Fragen und die Lösung von Problemen, die im Rahmen der Rechtsarbeit mit den Grundrechten auftreten.728 Die Grundrechtsdogmatik ist daher ein spezifischer Teil der Rechtsdogmatik. Ihre Perspektive ist  – wie auch die Perspektive der Rechtsdogmatik  – dieje­ nige eines Teilnehmers an der Grundrechtsanwendung, also eines „Rechtsarbei­ ters“729.730 Nach dem dieser Untersuchung zugrundeliegenden Verständnis beschäf­ tigt sich Grundrechtsdogmatik folglich mit dem Verständnis, vor allem aber mit der Anwendung von Grundrechten.

II. Die grundrechtsdogmatische Einordnung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit Im Folgenden gilt es, die dogmatische Ausformung der Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit zu untersuchen. Grundrechts­ theoretische und grundrechtsdogmatische Erwägungen sind „nur schwer lösbar miteinander verquickt“731.732 Obgleich beide verschiedene Funktionen erfüllen, unterscheiden sie sich nicht kategorial733 im Sinne trennscharf voneinander ab­ grenzbarer Gegensätze,734 sondern beeinflussen und ergänzen sich in ihren Wir­ kungen gegenseitig.735 „Wesen und Wert“ der Grundrechtstheorie können nicht be­ 728

Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 58. Zum Begriff des ‚Rechtsarbeiters‘ siehe Müller, Recht – Sprache – Gewalt, 2. Aufl. 2008, S. 19, 27 f. und öfter. 730 Jestaedt, Verfassungstheorie als Disziplin, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Ver­ fassungstheorie, 2010, S. 3 (41); ders., Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 36 und öfter; siehe auch Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, S. 42; siehe auch Volkmann, Der Staat 51 (2012), 601 (603); Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Ver­ fassungstheorie?, 1988, S. 39 ff.; Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 21. 731 Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 53. 732 Brugger, JZ 1987, 633; Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfas­ sungstheorie?, 1988, S. 53; Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153 f. 733 Lepsius, Themen einer Rechtswissenschaftstheorie, in: Jestaedt / ders. (Hrsg.), Rechtswis­ senschaftstheorie, 2008, S. 1 (4); ähnlich auch Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 154. 734 Lepsius, Themen einer Rechtswissenschaftstheorie, in: Jestaedt / ders. (Hrsg.), Rechts­ wissenschaftstheorie, 2008, S. 1 (4); Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153 f.: „Gleichwohl lässt sich eine klare Trennung der beiden konstitutionellen Teildisziplinen nicht ausmachen.“ (Zitat S. 154); eine tendenziell etwas strengere Abgrenzung findet sich bei ­Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 2, allerdings mit der Einschränkung, dass selten fließende Übergänge möglich sind; ähnlich Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 77 ff.; ders., Verfassungstheorie als Disziplin, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (37). 735 Morlok, Was ist und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 52 f.; Volkmann, Der Staat 51 (2012), 601 (607); Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 4; Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 153 ff. 729

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

stimmt werden, ohne zugleich das eigene Verständnis von Grundrechtsdogmatik zu offenbaren und umgekehrt.736 Um diese Wechselwirkungen im Kontext der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit sichtbar machen zu können, ist im Folgenden darzustellen, inwieweit die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und nega­ tiver Freiheit grundrechtsdogmatisch ausgeformt wurde. Dabei ist zu überprüfen, ob die häufig ohne eine weitere Begründung (und ohne Reflexion der Einflüsse der liberalen Grundrechtstheorie) vorgenommene Einordnung der Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit als grundrechtsdogmatische Figur737 Bestand hat.738 Erfüllt die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit die Anforderungen und Aufgaben, die typischerweise an grundrechtsdogmatische Figuren gestellt werden oder beschränkt sich die Funktion der Grundrechtsdogmatik lediglich auf die Konkretisierung der liberalen Idee des umfassenden Handlungsschutzes? Voraussetzung der Qualifizierung der Lehre des Grundrechtsschutzes von posi­ tiver und negativer Freiheit als grundrechtsdogmatische Figur ist zunächst der Rückbezug zum Rechtstext. Dieser – auch aus legitimatorischen Gründen – not­ wendige Bezug zum Rechtstext kann nach Jannis Lennartz auf zwei verschiedene Weisen erreicht werden: durch Interpretation oder durch Konstruktion.739 Während Lennartz eine Interpretation – dem Wortsinn entsprechend740 – als eine Auslegung und Deutung des Rechtstextes beschreibt,741 die rechtsdogmati­ schen Begriffe und Sätze also bereits unmittelbar im Rechtstext verankert sind,742 736 In Bezug auf die Verfassungstheorie Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 17 f.: „dass nämlich Wesen und Wert der Verfassungstheorie nur bestimmt werden können, indem sie zu Wesen und Wert der Verfassungsdogmatik in Bezug gesetzt werden. […] Wer über Verfassungstheorie spricht oder schreibt, offenbart damit notwendigerweise sein Verständnis von Verfassungsdogmatik.“ (Herv. i. O.). 737 Siehe Fn. 638. 738 In diesem Kontext wird auch der Frage nachzugehen sein, ob die Lehre des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit durch ihre stetige Anwendung und Fortentwick­ lung Selbststand erlangt hat und infolge dessen als dogmatische Figur einzuordnen ist. 739 Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 129, 132 f.: „Juristen verwenden, konstruieren, interpretieren Rechtsbegriffe in ihrer dogmatischen Arbeit.“ (Zitat S. 129). Dieses Nebenein­ ander von Interpretation und Konstruktion zeigt, dass die Dogmatik „ein Grenzbegriff [ist], der zwischen Präskription und Deskription schwankt“ (Zitat ebenda, S. 171); siehe auch Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 109. 740 Dazu siehe Art.: Interpretation, in: Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung Inter­ pretation; Anton, Art.: Interpretation, in: Ritter / Gründer / Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörter­ buch der Philosophie online, abrufbar unter https://www.schwabeonline.ch/schwabe-xaveropp/ elibrary/start.xav?start=%2F%2F%2A%5B%40attr_id%3D%27hwph_productpage%27%5D #__elibrary__%2F%2F*%5B%40attr_id%D%27verw.interpretation%27%5D__1636453363895. 741 Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 173, 176, 178: „Interpretation dient der Aus­ deutung einer Rechtsquelle, sie bringt ihren Bedeutungsgehalt auf einen Begriff.“ (Zitat S. 173). 742 Brohm, VVDStRL 30 (1972), 245 (249); Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 176: „Das Spezifikum der Interpretation ist, dass sie einen unmittelbaren Rechtsquellenbezug aufweist.“; siehe zur Interpretation der Primärquelle auch Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 82 f.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

163

stellen Konstruktionen diese Verbindung zum Rechtstext nur vermittelt durch den Rückgriff auf verschiedene Elemente des Rechtstextes her.743 Rechtsdogmatische Sätze können dabei im Wege der Induktion verschiedener Regeln, also im Sinne einer fortgesetzten Interpretation der Grundrechte konstruiert werden, indem sie „in einer Vielzahl von Normen auffindbare Elemente“ aufnehmen und diese zu einem „gemeinsamen Begriff“ verbinden.744 Während der Rückbezug dogma­ tischer Sätze zum Rechtstext folglich unmittelbarer Natur ist, wenn es sich um eine Interpretation der Rechtsquelle handelt,745 verfügen dogmatische Konstruktionen regelmäßig746 nur über eine mittelbare Verbindung zum Rechtstext.747 Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit folgt nicht unmit­ telbar aus dem Rechtstext:748 Die exklusiven benannten Unterlassungsgrundrechte zeigen zwar, dass die Grundrechte prinzipiell auch ein Unterlassen des Grund­ rechtsträgers schützen. Allerdings sind Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 7 Abs. 2 sowie Abs. 3 S. 2 GG speziell auf die Situationen zugeschnitten, in denen sich der Grundrechtsträger in einer besonderen Nähe zum Staat befindet. Der freiheits­ rechtsübergreifend wirkende Grundrechtsschutz von positiver und negativer Frei­ heit kann daher nicht als Ausdeutung – also als Interpretation – dieser Vorschriften verstanden werden.749 Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und nega­ tiver Freiheit kann auch nicht als Ausdeutung der schutzgutbezogen formulierten 743

Der Begriff der Konstruktion beschreibt in diesem Zusammen sowohl die Technik zur Kreation eines rechtdogmatischen Satzes als auch das Ergebnis dieser Kreation. Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 174 beschreibt die Konstruktion als „Technik der Begriffs­ bildung“ (S. 174) für die es „keine[s] unmittelbaren Anker[s]“ (S. 176) im Rechtstext bedürfe. 744 Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 175 illustriert die Möglichkeit einer „indukti­ ven Konstruktion“ am Beispiel der von Claus-Wilhelm Canaris konstruierten Vertrauenshaf­ tung (Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 33) und des Über­ maßverbotes. Wobei es sich bei dem von Lerche entwickelten Übermaßverbot, das erkennt auch Lennartz an, nicht im engeren Sinne um eine induktive Konstruktion handelt (ebenda Fn. 743). Zu dieser Konstruktion des Übermaßverbotes siehe Lerche, Übermaßverbot und Verfassungsrecht, 1961, passim. Vergleiche auch Podlech, Rechtstheoretische Bedingungen einer Methodenlehre juristischer Dogmatik, in: Albert (Hrsg.), Rechtstheorie als Grundlagen­ wissenschaft der Rechtswissenschaft, 1972, S. 491 (500); zur Loslösung der Dogmatik von einem strikten „Primärtextbezug“ siehe auch Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 92 ff., 109: „solche Reformulierungen gehen notwendigerweise über den Primärtext hinaus, weil sie dem individuellen Verständnishorizont des jeweiligen Interpreten entstammen. Kreative Be­ griffsbildungen können dann ihrerseits Gegenstand dogmatischer Auseinandersetzung werden und damit das Verständnis des Primärtextes prägen.“ 745 Lennartz, Dogmatik als Methode, S. 176: „Sie bildet regelmäßig einen Begriff aus, der als Wort in der Rechtsquelle vorhanden ist.“ 746 Welche Anforderungen bei dogmatischen Konstruktionen konkret an einen hinreichen­ den Bezug zum Rechtstext zu stellen sein sollen, bleibt daher offen, so Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 176 f. 747 Siehe Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 176 ff. Jedenfalls sei, so Lennartz, „ihr Quellenbezug ein gelockerter: Der Quellenbezug ist in einer Gesamtschau geringer als bei der Interpretation einer konkreten Norm.“ (Zitat S. 178). 748 Ausführlich hierzu Kap. 1 A. 749 Siehe hierzu Kap. 1 B. I.

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

Grundrechte verstanden werden, da diese Grundrechte lediglich das Schutzobjekt näher beschreiben und keine direkte Auskunft über die konkret geschützten Ver­ haltensweisen und -formen geben.750 Ferner stellt sich der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit nicht als Interpretation der Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV dar. Schließlich sind diese Vorschriften speziell auf einzelne Teilaspekte der Re­ ligionsfreiheit zugeschnitten. Selbst mit Blick auf die negative Religionsfreiheit ist fraglich, ob es sich auch angesichts der systematischen Stellung dieser WRVVorschriften außerhalb des ersten Abschnitts des Grundgesetzes und ihres de­ klaratorischen Charakters um einen hinreichenden Rechtsquellenbezug handelt, um die positive und die negative Religionsfreiheit als Interpretation der Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV zu verstehen. Da die inkorporierten Vorschriften der WRV unselbstständige Konkretisierungen der Religionsfreiheit sind, die nicht einmal direkt im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können,751 spricht bereits vieles dafür, die unmittelbare textliche Verankerung des allgemei­ nen Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit sowie von positiver und negativer Religionsfreiheit im Speziellen in diesen Vorschriften zu verneinen. Ihre Funktion ist es lediglich, zusätzlich zu betonen, dass die negative Religions­ freiheit bereits über Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG geschützt wird.752 Obgleich der Wortlaut dem Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit nicht entgegensteht, existiert ein unmittelbarer textlicher Anker für einen nach diesen Kategorien differenzierten Grundrechtsschutz jedenfalls nicht. Insge­ samt ist der Rückbezug zum Verfassungstext daher zu locker, um den Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit wie auch die zu dieser Konzeption entwickelten Regeln der Rechtsarbeit – beispielsweise die ‚Symmetrie­ these‘ – im Sinne Lennartz’ als Interpretation des Grundrechtstextes zu verstehen. Möglicherweise handelt es sich bei der Lehre von positiver und negativer Frei­ heit jedoch um eine grundrechtsdogmatische Konstruktion753. Der notwendige Rück­bezug zum Rechtstext könnte dann mittelbar durch den Rückbezug auf ver­ schiedene Elemente des Rechtstextes beziehungsweise durch den Rückbezug auf das Zusammenwirken dieser Textelemente hergestellt werden. Fraglich ist inso­ weit, welche Anforderungen konkret an den Rechtstextbezug bei dogmatischen 750

Siehe hierzu Kap. 1 A. I. 2. Siehe Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. 752 Zwar kann der spezielle Schutz der Bekenntnisfreiheit weit verstanden auch als Spezial­ fall der Meinungsfreiheit eingeordnet werden, angesichts der bereits gegenüber dem textlichen Rückbezug der positiven und negativen Religionsfreiheit geäußerten Zweifel überzeugt es in Bezug auf die negative Meinungsfreiheit beziehungsweise die sonstigen Freiheitsrechte aber nicht, in diesen Vorschriften die textliche Stütze des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit zu sehen. 753 Vergleiche auch Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 98, der in Bezug auf die negative Meinungsfreiheit von einer „Konstruktion“ spricht. 751

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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Konstruktionen zu stellen sind:754 Schließlich ist es auf der einen Seite gerade die Leistungskraft der Rechtsdogmatik, dass ein unmittelbarer Textbezug nicht immer erforderlich ist, auf der anderen Seite bedürfen rechtsdogmatische Sätze zu ihrer Legitimierung grundsätzlich des Rückbezugs zum Rechtstext. Lennartz macht den notwendigen Grad des Rechtstextbezugs daher von der Wirkkraft des Satzes abhängig: „Es erscheint allerdings eingängig, die Intensität des Quellenbezugs proportional zur Geltungsnähe eines konstruierten Begriffs zu bewerten. Ein Begriff, der lediglich der Be­ schreibung bestimmter juristischer Zusammenhänge dient, ohne dass aus ihm praktische Folgerungen geschlossen werden, ist weniger auf Legitimation angewiesen als ein Begriff, der auf eine Methode wie die Verhältnismäßigkeitsprüfung verweist, die einen erheblichen Einfluss auf die Lösung konkreter Fälle hat.“755

Der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit hat gerade erheb­ lichen Einfluss auf die Rechtsarbeit. So konkretisieren positive und negative Freiheit den grundrechtlichen Schutz eines Tuns oder eines Unterlassens des Grundrechtsträgers. Der unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit verstandene Schutz wirkt sich folglich auf die Frage aus, ob ein Verhalten grund­ rechtlichen Schutz genießt. So wird im Rahmen der in diesem Kontext entwickelten ‚Symmetriethese‘ beispielsweise davon ausgegangen, dass sich Inhalt und Reich­ weite des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Grundrechts­ schutzes aus der spiegelbildlichen Umkehrung der positiven Freiheit ergeben. Auf Grundlage der ‚Symmetriethese‘ kann sich der Grundrechtsträger beispielsweise gegen die staatlich angeordnete Pflichtmitgliedschaft in privatrechtlichen Ver­ einigungen auf die Vereinigungsfreiheit berufen, bei der staatlich angeordneten Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen wäre hingegen nicht der Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit eröffnet, sondern der Schutz der all­ gemeinen Handlungsfreiheit einschlägig.756 Folglich bedarf die Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entsprechend den Grundsätzen von Lennartz aus legitimatorischen Gründen eines Rechtstextbezuges im weiteren Sinne. Die schutzgutbezogen formulierten Grundrechte sowie die Begrifflichkei­ ten von ‚Rechten‘ und ‚Freiheiten‘ können nur als lockerer Anknüpfungspunkt li­ beral verstandener Grundrechte betrachtet werden. Soweit auf diese Begriffe zur Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit zurückge­ griffen wird, wird auf eine bestimmte durch die liberale Grundrechtstheorie beein­ flusste Interpretation dieser Begriffe als umfassende Freiheitssicherungen zurück­ gegriffen. So wird etwa in den Begriff „Freiheit“ das negative Freiheitsverständnis hineingelesen. Versucht man auf diese Weise den Rechtstextbezug herzustellen,

754

Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 176 f.: „Die genauen Kriterien für eine Evalua­ tion (wann ist der Rechtsquellenbezug hinreichend?) [können] hier nicht entwickelt werden.“ 755 Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 177. Lennartz geht also grundsätzlich auch von der Möglichkeit „textfremder“ Konstruktionen aus (ebenda S. 176). 756 Hierzu ausführlich unter Kap. 3 A. IV.

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

werden also liberale Prämissen zur Legitimierung der grundrechtsdogmatischen Sätze über positive und negative Freiheit herangezogen.757 Strenggenommen können diese Begriffe daher nicht als hinreichender Rechts­ textbezug zur Legitimierung einer dogmatischen Konstruktion verstanden werden. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit verfügt nur über einen textlichen Anker im weiteren Sinne, soweit sie die Wortauslegung beeinflussenden liberalen Prämissen brauchbar macht. Diese Wechselbedingt­ heit758 grundrechtstheoretischer und grundrechtsdogmatischer Erwägungen im Kontext des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit wird also auch durch die knappe und abstrakte Formulierung des Rechtstextes der Grund­ rechte bedingt.759 Die grundrechtsdogmatische Ausbuchstabierung einer grund­ rechtstheoretischen Konzeption kann daher nur als legitim angesehen werden, wenn sich diese Konkretisierung aufgrund des konsensual geteilten liberalen auf die Wortlautauslegung einwirkenden Vorverständnisses als zutreffende, allgemein anerkannte Darstellung des Rechts präsentiert. Die dogmatische Ausformung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit würde sich dann aus den liberalen Prämissen legitimieren, soweit sie diese konkretisiert. Fraglich ist daher, ob die dogmatischen Ausformungen den umfassenden Hand­ lungsschutzes konkretisieren oder sich als Abkoppelung der Grundrechtsdogmatik von der Grundrechtstheorie präsentieren.760 Möglicherweise könnte die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit, wenn sie die charakte­ ristischen Funktionen dogmatischer Sätze erfüllt, auch Selbststand erlangt haben und infolgedessen als dogmatische Figur zu charakterisieren sein. Zu diesem Zweck ist vorab jedoch zu analysieren, ob die Lehre vom Grund­ rechtsschutz von positiver und negativer Freiheit die charakteristischen Funktio­ nen, also die typischen Aufgaben und Wirkungen grundrechtsdogmatischer Sätze erfüllt und damit als grundrechtsdogmatische Konstruktion qualifiziert werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage wird sich an der von Bernd Rüthers vor­ genommenen Kategorisierung der Funktionen von Rechtsdogmatik orientiert.761

757

Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 155: „Auch die Dogmatik operiert teil­ weise unter Einbeziehung eher theoretisch anmutender Argumentationsmuster“. 758 Vergleiche Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 154. 759 Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 41; vergleiche auch Kap. 1 A. I. 760 Siehe hierzu insbesondere die Untersuchung in Kap. 3. 761 Die Aufzählung ist nicht statisch zu verstehen. Sie orientiert sich in ihrem Aufbau und den Begrifflichkeiten vor allem an Rüthers, JöR n. F. 64 (2016), 309 ff.; ders., Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechtspolitisches Forum Nr. 15, 2003 und ders. / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn. 321 ff.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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1. Die Ordnungs- und Strukturierungsfunktion Die Ordnungs- und Strukturierungsfunktion762 beschreibt die Funktion der (Grund-)Rechtsdogmatik, die für die Handhabung der Grundrechte maßgebenden Begründungsansätze und Entscheidungsroutinen zu systematisieren.763 Hierfür werden im Wege einer „abstrahierenden Dekontextualisierung“764 die im Rahmen der Rechtsarbeit auftretenden Fragestellungen und Probleme ihres Fallbezuges ent­ kleidet.765, 766 Die hierbei auftretenden Fragestellungen und Problematiken werden herausgearbeitet und auf Parallelen, Zusammenhänge und Unterschiede unter­ 762

Rüthers, JöR n. F. 64 (2016), 309 (333); ders., Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechtspolitisches Forum Nr. 15, 2003, S. 10, 27; ders. /  Fischer / Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn. 321; Volkmann, JZ 2005, 261  (262); Sahm, Element der Dogmatik, 2019, S. 20; Murswiek, Der Staat 45 (2006), 473; Bumke, AöR 144 (2019), 1 (6); ders., Rechtsdogmatik, 2017, S. 45, 53; ders., JZ 2014, 641; Esser, AcP 172 (1972), 97 (101 ff.); Appel, VVDStRL 67 (2008), 226 (235 ff.); Lepsius, Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 39 (40); Voßkuhle, Was leistet Rechtsdogmatik?, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S.111 (112); Waldhoff, Lob und Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 17 (27, 30); Eifert, Zum Verhältnis von Dogmatik und plura­ lisierter Rechtswissenschaft, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 79 (85); Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – Zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (28); Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 13; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 19; Wahl, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik im öffentlichen Recht, in: Stürner (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010, S. 121 (124); Jestaedt, Verfassungstheorie als Disziplin, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (23); siehe auch Struck, JZ 1975, 84 (85); vergleiche auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 8. Aufl. 2015, S. 326 ff.; Zimmermann /  Wagner, AcP 216 (2016), 1 (3). 763 Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechts­ politisches Forum Nr. 15, 2003, S. 10, 27; ders. / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn. 321; Waldhoff, Lob und Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 17 (27); Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 13; Lepsius, Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Scheider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 39 (40); Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechts­ wissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (29) m. N.; Jestaedt, Verfassungstheorie als Disziplin, in: Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (23); Zaczyk, Was ist Strafrechtsdogmatik?, in: FS Küper, 2007, S. 723 (729); Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 261; Stürner, ZZP 127 (2014), 271 (275 f.); Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 15; Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 4 Rn. 99; siehe auch Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 66; vergleiche auch Lindner, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, S. 139. 764 Jestaedt, JZ 2014, 1 (6); ders., Wissenschaftliches Recht, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik? 2012, S. 117 (125). 765 Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 1, 139: „Vorstellungen und Einsichten über das Recht zu sichten und zu sichern, indem sie Begriffe formt, Unterscheidungen einführt, Figuren oder Prinzipien erarbeitet und den Stoff ordnet.“ (Zitat S. 1). 766 Jestaedt, JZ 2014, 1 (6).

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

sucht. Diese Erkenntnisse werden geordnet und strukturiert,767 um ausgehend von dieser gemeinsamen Grundstruktur einheitliche die Rechtsarbeit leitende Regeln zu entwickeln.768 Grundrechtsdogmatische Begriffe und Sätze bilden demzufolge regelmäßig die Quintessenz der aus der Anwendung der Grundrechte auf verschie­ dene Einzelfälle folgenden Erkenntnisse769.770 Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit erfüllt die Ordnungs- und Strukturierungsfunktion, indem sie einheitliche Regeln über den grundrechtlichen Schutz von Handlungen festlegt. Diese Anwendungsregeln wurden entwickelt, indem die aus der Anwendung des grundrechtlichen Unter­ lassungsschutzes folgenden Erkenntnisse, insbesondere im Kontext der negativen Religionsfreiheit und der negativen Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, abstra­ hiert und systematisiert wurden. So wurde ausgehend von der ursprünglichen Idee, dass die negative Freiheit das logische Korrelat der positiven Freiheit sei, der In­ halt der negativen Freiheit als spiegelbildliche Entsprechung der positiven Freiheit verstanden. Diese ‚Symmetriethese‘ wurde schließlich auf die Bestimmung des Schutzbereichs aller speziellen Freiheitsrechte angewendet: So wird die positive Meinungsfreiheit als das Recht verstanden, die eigene Meinung zu äußern, die ne­ gative Meinungsfreiheit hingegen als das Recht, eine Meinung zu verschweigen,771 die positive Ehefreiheit als das Recht, die Ehe einzugehen, und die negative Ehe­ freiheit als das Recht, die Ehe nicht eingehen zu müssen.772 767 Bumke, AöR 144 (2019), 1 (6); ders., Rechtsdogmatik, 2017, S. 1; Eifert, Zum Verhältnis von Dogmatik und pluralisierter Wissenschaft, in: Kirchhof / Magen / Scheider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 79 (85); Brohm, Kurzfristigkeit und Langfristigkeit der Rechtsdog­ matik, in: FS Maurer, 2001, S. 1079 (1080, 1083). 768 Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 40: „sie stellt Regeln für die Anwendung rechtlicher Vorschriften auf solcherart typifizierte Sach­ verhalte zur Verfügung“. Zur Speicherfunktion der Rechts- beziehungsweise Grundrechtsdog­ matik siehe Kap. 2 B. II. 2. 769 Daher erlangen dogmatische Sätze in der Regel nicht den Abstraktionsgrad abstrakt-­ genereller Vorschriften. 770 Diese Dekontextualisierung und Zurückführung der Rechtsmaterie auf eine gemein­ same Grundstruktur macht die Rechtsmaterie erst nachvollziehbar und erlernbar, so etwa Bumke, JZ 2014, 641; ders., Rechtsdogmatik, 2017, S. 52 ff.; Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – Zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (31); ­Podlech, Rechtstheoretische Bedingungen einer Methodenlehre juristischer Dogmatik, in: Albert (Hrsg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, 1972, S. 491 (492); siehe auch Stürner, JZ 2012, 10 (11); Alexy, Theorie der juristischen Argumen­ tation, 8. Aufl. 2015, S. 331; vergleiche auch Sahm, Rg 2018, 358; Waldhoff, Art.: Dogmatik, in: Görres-­Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, I.2. 771 Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 27; siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 9, 11. 772 Siehe auch Robbers, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 8 Rn. 57 f.; Jarass, in: ders. / Pieroth, 16. Aufl. 2020, Art. 6 Rn. 6; vergleiche auch zur Anwen­ dung der ‚Symmetriethese‘ im Kontext der negativen Koalitionsfreiheit Schubert, RdA 2001, 199 (201 f.); Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 64. Das BVerfG sieht das Recht, die Ehe nicht eingehen zu müssen, als Ausprägung der allgemeinen Hand­ lungsfreiheit, BVerfGE 56, 363 (384); so auch Ipsen, Ehe und Familie, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 154 Rn. 59 ff.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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Die Wirkungen dieser gemeinsamen Regeln zur Bestimmung des Schutzge­ haltes von positiver und negativer Freiheit lassen sich besonders gut am Beispiel des Grundrechtsschutzes der Vereinigungsfreiheit und der dort getroffenen Diffe­ renzierung zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Vereinigungen illustrieren. Da die positive Vereinigungsfreiheit nur das Recht zur Gründung und Betätigung in privaten Vereinigungen schützen kann, soll auf Grundlage der ‚Symmetriethese‘ die negative Freiheit nur das Recht schützen, sich in einer privat­ rechtlichen Vereinigung nicht zu betätigen, nicht aber das Recht, sich in einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung nicht zu betätigen. Insoweit ist nach der ‚herr­ schenden Meinung‘ allein die in Bezug auf den allgemeinen Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit entwickelte ‚Symmetriethese‘ für eine Bestim­ mung der inhaltlichen Reichweite dieser negativen Vereinigungsfreiheit maßgeb­ lich, nicht aber etwaige liberale Elemente, wie die Reichweite der Freiheitssphäre des Bürgers.773 Auch auf Rechtfertigungsebene haben sich einheitliche Regeln für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit entwickelt. So ist im Rahmen der Kollision von positi­ ver und negativer Religionsfreiheit etwa das Toleranzgebot774 und im Rahmen der Kollision von positiver und negativer Vereinigungsfreiheit der Grundsatz der So­ zialadäquanz zu beachten. Für die Abwägung zwischen positiver und negativer Freiheit desselben Freiheitsrechts hat sich etwa etabliert, dass unabhängig von der Art des Vorbehaltes des fraglichen Grundrechts und ungeachtet der Frage, ob ein Grundrechtskonflikt oder eine Grundrechtskollision vorliegt, der strengere Maß­ stab praktischer Konkordanz Anwendung findet. Häufig mutet auch die Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit in Bezug auf einzelne spezielle Freiheitsrechte dogmatisch an. Schließlich werden häufig die Erwägungen über die Herleitung der negativen Re­ ligionsfreiheit abstrahiert und auf die Herleitung des grundrechtlichen Schutzes von positiver und negativer Freiheit durch ein anderes Freiheitsrecht transferiert: Aus einer Interpretation der Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV wird gemeinhin geschlossen, dass die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG nicht nur das Recht schützt, sich zu einer Religion zu bekennen (posi­ tive Religionsfreiheit), sondern zugleich auch das Recht, die eigenen religiösen Überzeugungen zu verschweigen / an kultischen Handlungen nicht teilnehmen zu müssen (negative Religionsfreiheit). Ausgehend von der Anerkennung einer posi­ tiven und einer negativen Religionsfreiheit775 wurden die Diskussionen über die

773

Ausführlich hierzu unter Kap. 3 A. IV. Hierzu ausführlich unter Kap. 4 B. III. 1. 775 Die Kodifizierung des Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV ist Ausdruck eines liberalen Verständnisses der Grundrechte. In dem die dogmatische Herleitungsargumentation sich auf die Vorschriften der WRV stützt, stützt sie sich also auf ein liberales Vorverständnis, welches hinter diesen Rechten steht und macht dieses für eigene Zwecke brauchbar. Obgleich wegen 774

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

Anerkennung der negativen Koalitionsfreiheit und der negativen Meinungsfreiheit geprägt. Das religiöse Bekenntnis markiere schließlich bloß einen Spezialfall der Meinungsäußerung, sodass auch die Meinungsfreiheit eine negative Komplemen­ tärgarantie776 schützen müsse.777 Ausgehend von dieser gemeinsamen Grundstruk­ tur von negativer Meinungs-, Religions- und Koalitionsfreiheit leiten Wolfgang Fikentscher und Thomas Möllers schließlich den Grundrechtsschutz der negati­ ven Informationsfreiheit her.778 Aus der punktuellen, ursprünglich nur in Bezug auf einzelne spezielle Freiheitsrechte vorgenommenen Herleitungsbegründung hat sich – auch wenn dies in der Rechtsprechung und Literatur nur selten kennt­ lich gemacht wird – unter anderem durch die gegenseitige Bezugnahme der Her­ leitungsargumentationen ein allgemeines Begründungsschema herausgebildet.779 Dieses baut neben dem Rückgriff auf Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV vor allem auf der Annahme auf, dass die negative Freiheit das „logische Gegenstück“ der positiven Freiheit sei.780 Obwohl sich in dieser Herleitungsargumentation ein be­ stimmtes Vorverständnis über den Sinn der Grundrechte niederschlägt, wird die­ ses regelmäßig nicht offenbart, mit der Folge, dass die Herleitungsargumentation regelmäßig in einem dogmatischen Gewand erscheint, insbesondere sofern sie

der Kodifizierung dieser Vorschriften das liberale Vorverständnis nur selten reflektiert wird, die Herleitungsargumentation sich äußerlich als dogmatisches Herleitungsprozedere darstellt, erfolgt die Herleitung also streng genommen, soweit sich auf diese Vorschriften bezogen wird, aus der liberalen Grundrechtstheorie, vergleiche Kap. 2 B. II. 776 Merten, DÖV 1990, 761. 777 Siehe auch Lerche, Grundrechte der Soldaten, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 4/1, 1960, S. 447 (483), der die negative Meinungsfreiheit aus der negativen Koalitionsfreiheit herleitet. 778 Fikentscher / Möllers, NJW 1998, 1337 (1340): „Für eine solche negative Informations­ freiheit spricht bereits der Wortlaut des Art. 5 I 1 GG, denn das Recht, ‚sich‘ zu unterrichten, muß es dem Betroffenen ermöglichen, eine Auswahl der Informationsquellen zu treffen und damit unerwünschte Informationen nicht aufzunehmen. Systematisch betrachtet sind die ne­ gative Koalitionsfreiheit und die negative Religionsfreiheit anerkannt“; ähnlich auch die Her­ leitung der negativen Informationsfreiheit von Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, 1968, S. 214, der zur Herleitung einer negativen Informationsfreiheit an die von Lerche, Grundrechte der Soldaten, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grund­ rechte, Bd. 4/1, 1960, S. 447 (483) aus der negativen Koalitionsfreiheit abgeleitete Meinungs­ freiheit anknüpft. 779 Teilweise, jedenfalls soweit im Rahmen der Herleitung aus den einzelnen speziellen Freiheitsrechten auf das Freiheitsverständnis der Grundrechte eingegangen wird (siehe etwa Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 33 ff., Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 50 ff. und Schubert, RdA 2001, 199 ff.) oder aber auf das Menschenwürdeprinzip (siehe Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 51 ff.), werden im Rahmen einer dogmatischen Herleitungsargumentation grundrechtstheoretische Erwägun­ gen berücksichtigt. Dieser Trend zeichnet sich jedoch erst in den Herleitungsargumentationen seit Anfang der 1990er Jahre ab, als die Anerkennung von positiver und negativer Freiheit, insbesondere des grundrechtlichen Unterlassungsschutzes, weniger streitig war. Dass insoweit theoretische Prämissen für die Herleitung fruchtbar gemacht werden, wird jedoch nur selten offengelegt. 780 Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 28; siehe hierzu Kap. 1 E. I.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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sich auf die Besonderheiten einzelner Freiheitsrechte bezog.781 Die Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit wurde also im Laufe der Zeit durch die Abstrahierung und Transferierung bestimmter Begründungsmuster dogmatisiert, dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass der Grundrechts­ schutz von positiver und negativer Freiheit ursprünglich aus der liberalen Grund­ rechtstheorie hergeleitet wurde. Der Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit vereint folglich verschiedene die Rechtsarbeit leitende Regeln über den grundrechtlichen Schutz von Handlungen. Insoweit erfüllt der Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit die Ordnungs- und Strukturierungsfunktion, die grundrechtsdogmatischen Sätzen eigen ist. 2. Die Speicher- und Stabilisierungsfunktion Dieses Wissen über die Rechtsarbeit speichert782 die Grundrechtsdogmatik in rechtsdogmatischen Begriffen, Sätzen und Figuren.783 Der Rechtsarbeiter kann jederzeit auf die unter einem grundrechtsdogmatischen Begriff, Satz oder einer 781 Die grundrechtsdogmatisch geprägten Herleitungsversuche nehmen also vor allem die Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit immer nur konkret mit Blick auf die speziellen Freiheitsrechte vor, und versuchen den Rückbezug zu anderen Freiheitsrechten herzustellen. Dabei werden die theoretischen Prämissen, auf denen die Her­ leitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit des Grundrechts beruht, auf welches sich im Rahmen der Herleitung des Grundrechtsschutzes von positiver und negati­ ver Freiheit aus dem anderen untersuchten Freiheitsrecht bezogen wird, nur selten reflektiert. Stattdessen werden die dogmatischen Ausgestaltungen, welche im Rahmen der Herleitung des Schutzes von positiver und negativer Freiheit eines speziellen Freiheitsrechts entwickelt wurden, ohne den auf diese Grundrechte einwirkenden Einfluss der Grundrechtstheorie zu reflektieren zum Ausgangspunkt der Herleitung der negativen Freiheit innerhalb eines ande­ ren speziellen Freiheitsrechts verwendet. Vergleiche hierzu etwa Kloepfer, Produkthinweis­ pflichten bei Tabakwaren, 1991, zur negativen Meinungs- und Informationsfreiheit; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997; Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007; Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980; Henssler / Höpfner, Der Kern der negativen Koalitions- und Tarifvertragsfreiheit, 2018. 782 Rüthers, JöR n. F. 64 (2016), 309 (322); Volkmann, JZ 2020, 965 (973); Bumke, JZ 2005, 261 (262); ders., Rechtsdogmatik, 2017, S. 53; Krüper, DÖV 2016, 793 (797); ders., Über|Rechts| Zwischen|Texte, in: Funke / Lachmayr (Hrsg.), Formate der Rechtswissenschaft, 2013, S. 211 (212); Hassemer, Dogmatik zwischen Wissenschaft und richterlicher Pragmatik, in: Kirch­ hof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 3 (7); Dreier, Rechtswissen­ schaft als Wissenschaft – Zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (30); Rusteberg, Der grundrechtliche Gewährleistungsgehalt, 2009, S. 114; siehe zur Stabi­ lisierungsfunktion von Rechtsdogmatik auch Zimmermann / Wagner, AcP 216 (2016), S. 1 (3). 783 Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 181; Jansen, Art.: Rechtsdogmatik im Zivil­ recht, in: Anderheiden / Gutmann / Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie, 2011, Rn. 3: „verbindliche Grundbegriffe“. Diese Speicherung des Rechtsanwendungswissens wird erst durch die Dekontextualisierung und Generalisierung der Rechtserkenntnisse ermöglicht, insoweit hängt die Speicherfunktion von der Ordnungs- und Strukturierungsfunktion ab.

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

grundrechtsdogmatischen Figur gespeicherten Begründungsmuster, Prüfungs­ schemata und Auslegungsroutinen784 zurückgreifen und diese, ohne sie neuerlich herzuleiten oder ihre Anwendung begründen zu müssen,785 bei der Rechtsarbeit berücksichtigen.786 Die dogmatischen Begriffe, Sätze und Figuren fungieren als ‚Vokabeln‘ für diese durch die Rechtsdogmatik entwickelten Lösungsansätze, Entscheidungsroutinen, Prüfungsreihenfolgen und Begründungen.787 Alle Rechts­ arbeiter verstehen unter diesen ‚Vokabeln‘ denselben Inhalt beziehungsweise Be­ deutungsgehalt.788 Die Speicherung des Wissens trägt durch feststehende und von allen praktizierte Routinen folglich zu einer Verallgemeinerung der Rechtsarbeit bei und ermöglicht eine stabile und einheitliche Rechtsarbeit789 über einen länge­ ren Zeitraum790. Auf diese Weise erleichtert die Rechtsdogmatik die Rechtsarbeit und fördert die Rechtssicherheit, da die Ergebnisse der Rechtsarbeit kalkulierbar 784 Lindner, RW 2011, 1 (20): „abstrakten Begrifflichkeiten, Argumentationsfiguren, Prü­ fungsschemata und bereichsübergreifenden Strukturmodellen“. 785 Insoweit trägt die Speicherfunktion zur Entlastung der Rechtsarbeit bei. Ausführlich zur Entlastungsfunktion Kap. 2  B. II. 2. 786 Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 114: „Die Komplexität des dahinterliegenden Gedankenganges wird darüber hinaus nicht sichtbar.“ 787 Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 40 „Standardverfahren und Standardargumente“; ähnlich auch Jansen, Art.: Rechtsdogmatik im Zivilrecht, in: Anderheiden / Gutmann / Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie, 2011, Rn. 3; siehe auch Pöcker, Rechtstheorie 37 (2006), 151: „Begründungsketten“. 788 Die Rechtsdogmatik stelle also ein gemeinsames Kommunikationsformat zur Verfügung und ermögliche so die Verständigung über rechtliche Phänomene, so Sahm, Elemente der Dog­ matik, 2019, S. 23 m. w. N.; siehe auch Jestaedt, JZ 2014, 1 (5 f.); ähnlich auch Jansen, Art.: Rechtsdogmatik im Zivilrecht, in: Anderheiden / Gutmann / Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie, 2011, Rn. 3. 789 Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechts­ politisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28; ders., JöR n. F. 64 (2016), 309 (334); ders. / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn. 322; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklich­ keit, 2016, S. 259; Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 112 f.; Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 19; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 8. Aufl. 2015, S. 326; Wahl, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik im öffentlichen Recht, in: Stürner (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010, S. 121 (124); Voßkuhle, Was leistet Rechtsdogmatik?, in: Kirchhof / Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 111 (112); Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft  – Zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (30); Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 155; Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 2; Lepsius, Themen einer Rechtswissenschaftstheorie, in: Jestaedt / ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 1 (17); Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, 2013, S. 5; siehe auch Jansen, Art.: Rechtsdogmatik im Zivilrecht, in: Anderheiden / Gutmann / Jakl et al. (Hrsg.), Enzyklo­ pädie zur Rechtsphilosophie, 2011, Rn. 3. 790 Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechts­ politisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28: „so ermöglichen sie gleiche Entscheidungen für die­ selben Fallgruppen über längere Zeiträume“. Wobei eine trennscharfe Abgrenzung, wann die Ordnungs- und Strukturierungsfunktion, und wann die Stabilisierungs- und Vereinheit­ lichungsfunktion betroffen ist, nicht möglich ist. Da sich beide Funktionen ergänzen, sind die Übergänge zwischen diesen Funktionen der Grundrechtsdogmatik fließend.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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sind.791 Insoweit können die Speicherfunktion und die Entlastungsfunktion von Dogmatik nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden. Die verschiedenen Funktionen der Dogmatik sind auch nicht im Sinne von Unterschieden oder Ka­ tegorien zu verstehen, sondern als verschiedene, sich zum Teil bedingende und flankierende Dimensionen der Dogmatik. Unter dem Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit wird allgemein der gleichrangige und gleichwertige Schutz von Tun und Unterlas­ sen, also der Schutz von Handlungen, durch die Freiheitsrechte sowie die Wahl­ möglichkeit zwischen den verschiedenen Verhaltensweisen verstanden. Ebenso werden hierunter die zur Herleitung und Handhabung entwickelten Regeln abge­ speichert. Dabei wird unter dem Begriff der positiven Freiheit der Schutz eines Tuns und unter dem Begriff der negativen Freiheit der Schutz eines Unterlassens des Grundrechtsträgers abgespeichert. Der Rechtsarbeiter weiß dementsprechend, wenn er sich mit einem Sachverhalt beschäftigt, in dem der Grundrechtsträger vom Staat nicht zu einem Tun verpflichtetet werden möchte, dass der grundrechtliche Schutz eines Unterlassens des Bürgers infrage steht, also seine negative Freiheit betroffen sein könnte. Er muss den Schutz der negativen Freiheit, also eines Unter­ lassens, nicht gesondert herleiten, sondern kann zur Lösung des Falles direkt auf die entsprechenden Begründungsmuster und Auslegungsroutinen zurückgreifen. Umgekehrt weiß der Rechtsarbeiter, wenn er sich mit einem Sachverhalt beschäf­ tigt, in dem der Bürger durch eine staatliche Verpflichtung an seinem Tun gehin­ dert wird, dass der grundrechtliche Schutz des Tuns in Rede steht, das heißt die positive Freiheit des Grundrechtsträgers betroffen ist. Jeder Rechtsarbeiter weiß also, wenn positive und / oder negative Freiheit betroffen sind, wie der Inhalt von positiver und negativer Freiheit eines speziellen Freiheitsrechts zu bestimmen oder Kollisionen von positiver und negativer Freiheit aufzulösen sind.792 Insoweit fun­ 791

Vergleiche Waldhoff, Kritik und Lob der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Scheider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 17 (27); Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechtspolitisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28; ders., JöR n. F. 64 (2016), 309 (334); Würtenberger, Grundlagenforschung und Dogmatik aus deut­ scher Sicht, in: Stürner (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010, S. 3 (5); Brohm, VVDStRL 30 (1972), 245 (247); Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 19; siehe auch Sahm, Elemente der Grundrechtsdogmatik, 2019, S. 10 ff., 65 zur Bedeutung der durch die Dogmatik bewirkten Generalisierung. Vergleiche auch Viehweg, Zwei Rechts­ dogmatiken, in: FS Emge, 1960, S. 106 (107 f.). 792 Wendet sich also der Schüler an das Bundesverfassungsgericht, weil nur im Falle der Teilnahme an einer von seinem Lehrer organisierten Versammlung zum Klimaschutz eine bessere Note erhält, weiß der Richter, dass die negative Versammlungsfreiheit des Schülers betroffen ist, welche das Recht schützt, einer Versammlung fernzubleiben beziehungsweise die Teilnahme an einer Versammlung zu unterlassen. Er weiß, dass dieses Recht nur durch andere kollidierende Güter von Verfassungsrang eingeschränkt werden kann. Im Rahmen seiner Entscheidung muss der Richter aber nicht begründen, weshalb die negative Versamm­ lungsfreiheit das Recht zu unterlassen schützt, er muss den Grundrechtsschutz der negativen Versammlungsfreiheit also nicht explizit herleiten oder aber begründen, weshalb in dieser Konstellation die verfassungsimmanenten Schranken einschlägig sind.

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

giert der Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit als Formel, die die „argumentativen Schritte“793 der Herleitung und Anwendung von positiver und negativer Freiheit speichert. Nicht nur der Begriff von positiver und negativer Freiheit als solcher erfüllt die Speicherfunktion. Der unter diesen Begriffen verstandene Grundrechtsschutz wurde im Laufe der Zeit immer weiter ausdifferenziert. Auf diese Weise wurden ‚Unterbegriffe‘ gebildet, wie beispielsweise die ‚Symmetriethese‘ zeigt, die den unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit verstandenen Grundrechts­ schutz präzisieren. Diese Regeln und Begriffe werden ebenfalls gespeichert.794 So wird unter dem Begriff der ‚Symmetriethese‘ allgemein die spiegelbildliche Be­ stimmung des unter positiver und negativer Freiheit verstanden Grundrechtsschut­ zes gespeichert. Mit der ‚Symmetriethese‘ wird folglich der Inhalt des grundrecht­ lichen Handlungsschutzes, insbesondere der grundrechtliche Unterlassungsschutz, präzisiert. Schließlich dient die ‚Symmetriethese‘ in erster Linie der Bestimmung der Reichweite der negativen Freiheit. Die aus der Anwendung der ‚Symmetrie­ these‘ auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit hervorge­ henden Ergebnisse werden dann unter dem Begriff der positiven und der negati­ ven Freiheit eines speziellen Freiheitsrechts gespeichert, sodass es regelmäßig der erneuten Anwendung der ‚Symmetriethese‘ nicht bedarf. So wird beispielsweise unter dem Begriff der negativen Religionsfreiheit das Recht des Bürgers gespei­ chert, die Teilnahme an einem den eigenen Glaubensüberzeugungen widerspre­ chenden Gottesdienst zu unterlassen, oder unter dem Begriff der negativen For­ schungsfreiheit das Recht, zu einem Thema nicht forschen zu müssen.795 Diese Speicherfunktion erfüllt die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit aber nicht nur auf Schutzbereichsebene, sondern auch im Rahmen der Rechtfertigung. So wird unter dem Begriff des Toleranzgebotes etwa gespeichert, dass bei der Abwägung von positiver und negativer Religionsfreiheit prinzipiell auf die Religionsausübung anderer Rücksicht zu nehmen ist. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit erfüllt die Speicherfunktion in mehrfacher Hinsicht: So werden allgemein unter dem Begriff das Wissen über den grundrechtlichen Schutz von Handlungen sowie die Regeln zur Bestimmung der inhaltlichen Reichweite (inklusive des Begriffs der ‚Symmetriethese‘) gespeichert. Zum anderen werden noch einmal konkreter unter dem Begriff der positiven und negativen Freiheit eines speziellen Freiheits­ 793

Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 113. Zur ‚Symmetriethese‘ ausführlich unter Kap. 3 A. I. Der Begriff beziehungsweise der In­ halt der ‚Symmetriethese‘ wird also unter dem Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit gespeichert. Zugleich wird unter dem Begriff der ‚Symmetriethese‘ die spiegelbildliche Bestimmung des Schutzgehaltes von positiver und negativer Freiheit abge­ speichert. 795 Siehe zur negativen Forschungsfreiheit statt vieler Britz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 23. 794

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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rechts die speziell für dieses Grundrecht unter Berücksichtigung der jeweiligen Bereichsdogmatiken geltenden Modifikationen des Schutzes von Tun und Unter­ lassen abgespeichert.796 Durch die Speicherung des Wissens über die Anwendung von positiver und negativer Freiheit (insbesondere im Kontext der speziellen Frei­ heitsrechte) wird die Rechtsarbeit vorhersehbar. Der Begriff der positiven Freiheit und der Begriff der negativen Freiheit bewirken insoweit eine einheitliche, gene­ ralisierte Handhabung und Lösung der rechtlichen Probleme, die im Rahmen des grundrechtlichen Schutzes menschlicher Handlungen entstehen können. 3. Die Rationalisierungsfunktion Die Rechtsarbeit wird durch die Grundrechtsdogmatik und ihre Entscheidungs­ routinen nicht nur vorhersehbar, sondern vielmehr nachvollziehbar und kontrol­ lierbar.797 Schließlich kann der Rechtsarbeiter bei der Rechtsarbeit nicht willkür­ lich vorgehen, sondern muss sich an den bestehenden, standardisierten Prüfungs-, Auslegungs- und Entscheidungsroutinen orientieren. Die Speicher- und Stabilisie­ rungsfunktion sowie die Rationalisierungsfunktion können nicht trennscharf von­ einander abgegrenzt werden, vielmehr baut die Rationalisierungsfunktion auf den Wirkungen der Speicherfunktion der Rechtsdogmatik auf. Die Rechtsarbeit muss sich gewissermaßen in ein dogmatisches ‚System‘ einfügen. Sie wird zwar einer­ seits von diesem bedingt, andererseits geht sie aber auch selbst wieder in dieses ein und entwickelt es inkrementell fort. Dieser Prozess führt unter anderem dazu dass, die Ergebnisse der Rechtsarbeit durch die Arbeit der Rechtsdogmatik präformiert werden:798 Durch die Vereinheitlichung der Regeln der Rechtsarbeit können Ergeb­ nisse der Rechtsarbeit prospektiv erkannt und retrospektiv überprüft werden. Die Vorhersehbarkeit und die Überprüfbarkeit der Ergebnisse der Rechtsarbeit stärken das Vertrauen in die Rechtsarbeit.799 Jeder Rechtsarbeiter kann erkennen, wie das 796 So wird zum Beispiel unter dem Begriff der negativen Versammlungsfreiheit nur das Fernbleiben von privatrechtlichen Vereinigungen abgespeichert. Siehe hierzu Kap. 3 A. IV. 1. 797 Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 17 ff.; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirk­ lichkeit, 2016, S. 259; Murswiek, Der Staat 45 (2006), 473; Volkmann, JZ 2020, 965 (972); Brohm, VVDStRL 30 (1972), S. 245 (246 ff.), der erkennt, dass Rechtsdogmatik „unkontrollier­ bare subjektive Wertungen zurückzudrängen [vermag]“ (248); zur Rationalisierungsfunktion im Kontext der Zivilrechtsdogmatik, Koziol, AcP 2012, 1 (2.); allgemein zur Rationalität von Rechtsdogmatik siehe auch Windthorst, JöR n. F. 61 (2013), 541 (insbesondere 546 ff.); siehe auch Lindner, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, S. 139: „Kontinuität und Berechen­ barkeit“. 798 Krüper, DÖV 2016, 793 (800). 799 Volkmann, JZ 2020, 965 (972); ders., JZ 2005, 261 (262); Lepsius, Themen einer Rechts­ wissenschaftstheorie, in: Jestaedt / ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 1 (17); Krebs, Rechtliche und reale Freiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 31 Rn. 34; Krüper, DÖV 2016, 793 (797, 800); ders., Über|Rechts|Zwi­ schen|Texte, in: Funke / Lachmayer (Hrsg.), Formate der Rechtswissenschaft, 2016, S. 211 (234); siehe auch Struck, JZ 1975, 84 (86); Brohm, Kurzfristigkeit und Langfristigkeit der Rechts­ dogmatik, in: FS Maurer, 2001, S. 1079 (1083 f.).

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

Recht regelmäßig interpretiert wird und dementsprechend Unregelmäßigkeiten bei der Rechtsarbeit schneller aufdecken. Insbesondere minimiert die durch die Dogmatik bewirkte einheitliche Rechtsanwendung die Gefahr, dass verschiedene Gerichte denselben Sachverhalt anders entscheiden und der Bürger, je nachdem, wo er Klage erheben kann, einmal obsiegt und einmal verliert, etwa weil das Ver­ waltungsgericht Gelsenkirchen das Fernbleiben von einer Versammlung als durch die negative Versammlungsfreiheit geschützt versteht, das Verwaltungsgericht Hannover hingegen den Schutz des Fernbleibens von einer Versammlung nicht anerkennt oder etwa in der allgemeinen Handlungsfreiheit verankert. Dass der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit der Rationali­ sierung der Rechtsanwendung dient, lässt sich exemplarisch anhand folgender Si­ tuation illustrieren: Will sich der Bürger gegen eine staatlich angeordnete Pflicht­ mitgliedschaft in einer privatrechtlichen Vereinigung rechtlich wehren, wird ihm sein Anwalt sagen, dass ein solches Vorgehen in die negative Vereinigungsfrei­ heit eingreift und er insoweit auch grundrechtlichen Schutz genießt. Schließlich weiß der Anwalt als Rechtsarbeiter aufgrund der Speicherfunktion der Begriffe, dass das Grundrecht der positiven Vereinigungsfreiheit die Gründung von und die Mitgliedschaft in privatrechtlichen Vereinigungen schützt und die negative Vereinigungsfreiheit dem Bürger das komplementäre Recht gewährt, einer pri­ vatrechtlichen Vereinigung fernzubleiben. Er wird daher vor Gericht vortragen, dass in den Schutzbereich der negativen Vereinigungsfreiheit eingegriffen worden ist. Noch vor Klageerhebung kann er die Erfolgsaussichten der Klage beurteilen. Lässt das Gericht den Grundsatz der negativen Vereinigungsfreiheit unberück­ sichtigt oder weicht unbegründet davon ab, dass die negative Vereinigungsfreiheit das Fernbleiben von einer Vereinigung schützt, kann der Anwalt gegen die Ent­ scheidung des Gerichts Rechtsmittel erheben, um die Entscheidung des Gerichts überprüfen zu lassen. Wendet sich der Grundrechtsträger indes gegen eine staatliche Pflicht zur Mit­ gliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung, weiß sein Anwalt, dass der Schutzbereich der negativen Vereinigungsfreiheit nach der ‚herrschenden Meinung‘ aufgrund der ‚Symmetriethese‘ nicht eröffnet ist und er sich in dieser Konstellation deshalb auf eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit sei­ nes Mandanten berufen muss. Berücksichtigt das Gericht bei seiner Entscheidung diese Wirkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit, so wird ein Rechtsmittel, weil das Gericht nur die allgemeine Handlungsfreiheit und nicht die negative Ver­ einigungsfreiheit berücksichtigt, keine Aussicht auf Erfolg haben.800

800 Ausführlich zur Frage, ob die negative Vereinigungsfreiheit nicht auch vor der Zwangs­ inkorporation in öffentlich-rechtliche Vereinigungen schützt, unter Kap. 3 A. IV. Auch im Kontext der Pflichtmitgliedschaft in öffentlichen Vereinigungen haben sich also Rechtsan­ wendungsregeln entwickelt. Der Rechtsarbeiter weiß in diesem Kontext, dass die herrschende Meinung die allgemeine Handlungsfreiheit anwenden möchte und wie die allgemeine Hand­ lungsfreiheit im konkreten Fall auszulegen ist.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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Durch die Rechtsanwendungsroutine weiß der Rechtsarbeiter zugleich, welche Schranken für die positive und die negative Freiheit eines speziellen Freiheits­ rechts gelten. Bei einem Eingriff in die negative Vereinigungsfreiheit wird der Rechtsarbeiter daher auf Schrankenebene, weil die Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG nicht auf diese Konstellationen passt, die verfassungsimmanenten Schranken prüfen. Es ist also vorhersehbar, dass ein Gericht in dieser Konstellation nicht im Wege der Schrankenleihe die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG fruchtbar ma­ chen wird. Durch die einheitlichen Regeln zur Auslegung und Anwendung der Grund­ rechte, die unter dem Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und nega­ tiver Freiheit abgespeichert sind, wird die Rechtsanwendung vorhersehbar und kontrollierbar. Der Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit sowie die konkreten Begriffe von positiver und negativer Freiheit im Kon­ text der speziellen Freiheitsrechte tragen zur Rationalisierung der Grundrechts­ anwendung bei. 4. Die Entlastungsfunktion Eng mit der Speicher- und Stabilisierungsfunktion sowie der Ordnungs- und Strukturierungsfunktion der Grundrechtsdogmatik verwoben ist die Entlastungs­ funktion801. Voraussetzung der Entlastungsfunktion ist die durch die Speicher­ funktion erfolgte Generalisierung und Verdichtung der Auslegungs- und Anwen­

801

Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechts­ politisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28; ders., JöR n. F. 64 (2016), 309 (334); ders. / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn. 323; Sahm, Elemente der Dogmatik, 2019, S. 22; Dreier, Zur Problematik und Situation der Verfassungsinterpretation, in: ders. / Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation, 1976, S. 13 (21): „Ihre Funktion ist, der richter­ lichen Entscheidungstätigkeit vorzuarbeiten.“; ähnlich auch Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – Zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (30); ­Volkmann, JZ 2020, 965 (973); ders., JZ 2005, 261 (262); Lepsius, Themen einer Rechtswis­ senschaftstheorie, in: Jestaedt / ders. (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 1 (17); ders., Kritik der Dogmatik, in: Kirchhof / Magen / Scheider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 39 (40); Hassemer, Dogmatik zwischen Wissenschaft und richterlicher Pragmatik, in: Kirchhof /  Magen / Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik? 2012, S. 3 (7); Zimmermann / Wagner, AcP 216 (2016), S. 1 (3); Bachof, VVDStRL 30 (1972), 193 (198); Brohm, Kurzlebigkeit und Lang­ zeitwirkung der Rechtsdogmatik, in: FS Maurer, 2001, S. 1079 (1083); Struck, JZ 1975, 84 (86); Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 18; Cremer, Frei­ heitsgrundrechte, 2003, S. 19; Morlok, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Ver­ fassungstheorie?, 1988, S. 40: „Die Ergebnisse der gemessen an den Arbeitsbedingungen der Rechtspraktiker aufwendigen Argumentationsführungen und Wertungsdebatten der Rechts­ lehre, welche die Dogmatik produziert, werden in Form von ohne weiteres Nachdenken rou­ tinemäßig anwendbaren Klassifizierungsmustern und Anwendungsregeln an die Rechtspraxis weitergegeben“; Stürner, JZ 2012, 10 (11 f.); siehe auch Esser, AcP 72 (1972), 97 (130); Pöcker, Rechtstheorie 37 (2006), 151 (152 ff.).

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

dungsregeln. Die neuerliche Argumentation,802 Aufzählung und Abwägung der potenziellen Lösungsansätze803 eines Sachverhalts werden durch die standardisier­ ten804 Begründungsmuster und Entscheidungsroutinen obsolet.805 Diese Komplexitätsreduktion vereinfacht die Rechtsarbeit.806 Dabei darf die Grundrechtsdogmatik sogar gewisse Selektionsentscheidungen treffen, damit die grundrechtsdogmatischen Konstruktionen für die Anwendung in der Praxis nicht zu kompliziert und damit unattraktiv werden.807 Grundrechtsdogmatische Sätze und Figuren sind daher „Kürzel für die Ergebnisse methodologisch korrekter – wenngleich nicht selten mit kräf­ tigen Wertungen versehener – Auslegungsarbeit, deren Einzelschritte nicht jedes Mal neu nachvollzogen werden müssen.“808

Auch der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit ist ein solches ‚Kürzel‘. Der Rechtsarbeiter kann auf eine neuerliche Herleitung und Begründung des gleichrangigen und gleichwertigen Schutzes von Tun und Unterlassen – auch in Bezug auf die jeweils speziellen Freiheitsrechte809 – sowie die Wahlmöglichkeit zwischen den Verhaltensweisen verzichten. Er muss weder abstrakt das Konzept des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit erklären und be­ 802 Eine ständige Neuargumentation sei nicht erforderlich, so Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 1970, S. 95; siehe auch Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechtspolitisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28: „Die Gerichtspraxis kann darauf [auf die Dogmatik] zurückgreifen und deshalb darauf verzichten, bei jeder Ent­ scheidung die Wertungsfragen hinsichtlich aller möglichen Lösungswege erneut zu prüfen.“; Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechtswissen­ schaft als Beruf, 2018, S. 1 (30). 803 Siehe auch Struck, JZ 1975, 84 (86). 804 Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009, S. 31. 805 Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechts­ politisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28: „Gäbe es keine Dogmatik, so müßten in jedem Streit­ fall alle denkbaren Lösungen neu diskutiert werden.“; Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 53; ­Rüthers, JöR n. F. 64 (2016), 309 (334); Muthorst, Grundlagen der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 2020, § 2 Rn. 18; Brohm, Kurzlebigkeit und Langzeitwirkung der Rechtsdogmatik, in: FS Mau­ rer, 2001, S. 1079 (1082 f.); Würtenberger, Grundlagenforschung und Dogmatik aus deutscher Sicht, in: Stürner (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010, S. 3 (7); vergleiche auch Pöcker, Rechtstheorie 37 (2006), 151 (152 f.). 806 Kirchhof, Verfassung, Theorie und Dogmatik, in: Isensee / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 12, 3. Aufl. 2014, § 273 Rn. 12. 807 Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993, S. 378 f.; ders., Was heißt und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, S. 40: „Verwendungsfähigkeit in der Praxis“. 808 Dreier, Rechtswissenschaft als Wissenschaft – zehn Thesen, in: ders. (Hrsg.), Rechts­ wissenschaft als Beruf, 2018, S. 1 (32); Murswiek, Der Staat 45 (2006), 473. 809 Der Rechtsarbeiter muss also nicht ständig abstrakt den Grundrechtsschutz von positi­ ver und negativer Freiheit herleiten und dann noch einmal konkret in Bezug auf das jeweilige spezielle Freiheitsrecht, zum Beispiel in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG die positive und negative Freiheit herleiten, sondern kann sich direkt auf die negative Meinungsfreiheit berufen.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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gründen, bevor er es auf ein spezielles Freiheitsrecht anwendet, noch den Grund­ rechtsschutz von positiver und negativer Freiheit im Kontext eines speziellen Frei­ heitsrechts herleiten.810 Er kann vielmehr direkt auf den Schutz der positiven oder negativen Freiheit eines speziellen Freiheitsrechts abstellen, ohne offenbaren zu müssen, welche Verhaltensdimensionen der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit abdeckt811. Daher kann in gerichtlichen Entscheidungen zu einem speziellen Freiheitsrecht in einem Satz festgehalten werden, dass ein bestimmtes Freiheitsrecht sowohl die Freiheit, zu tun, als auch die Freiheit, zu unterlassen, schützt.812 Es genügt also, wenn der Richter in seinem Urteil nur die ‚Vokabel‘ be­ nutzt, unter der die konkretisierungsleitenden Regeln gespeichert werden.813 Stellt der Rechtsarbeiter bei dieser Argumentation auf die ‚Symmetriethese‘ ab, werden die Begrenzungen der positiven Freiheit auf die negative Freiheit übertragen,814 „ohne die Berechtigung des Spiegelbildlichkeitsarguments zu begründen“.815 Re­ gelmäßig wird in einem Urteil deshalb schlicht festgestellt, dass die negative Glau­ bensfreiheit das Recht schütze, keinen Glauben zu haben, oder dass die negative Vereinigungsfreiheit das Recht schütze, einer Vereinigung fernzubleiben.816 810

Gerade die unter dem Begriff von positiver und negativer Freiheit in Bezug auf die spe­ ziellen Freiheitsrechte bewirkte Speicherung der Ergebnisse der Anwendung der ‚Symmetrie­ these‘ zeigt diese interpretatorische Verdichtung, welche die Rechtsanwendung entlastet. 811 Hierzu ausführlich unter Kap. 2 B. II. 4. 812 Exemplarisch sei hier nur auf BVerfGE 10, 89 (102); 12, 1 (4); 24, 236 (245 ff.); 32, 98 (106); 33, 23 (26 ff.); 38, 281 (297); 50, 290 (354, 367); 69, 315 (343); 85, 360 (370); 95, 173 (182) verwiesen. 813 Zur Speicherfunktion Kap. 2 B. II. 2. Vergleiche etwa BVerfGE 15, 235 (239): „Das Bun­ desverfassungsgericht hat mehrfach ausgesprochen, daß Art. 9 GG den Einzelnen vor einer gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft oder Anstalt nicht schützt (BVerfGE 10, 89 (102); 10, 354 (361 f.)). Hieran ist festzuhalten.“ Siehe auch die Ausführungen von Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1961, S. 61 f. in Be­ zug auf die Königs-Pilsner-Entscheidung des OVG Münster (OVG Münster, DÖV 1958, 824) und die darauf folgende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, NJW 1959, 1194 f.). Kloepfer erklärt, dass die Tatsache, „[d]as[s] weder das BVerwG noch das OVG das Problem der negativen Informationsfreiheit erörterten, […] vermutlich darauf zurückzuführen [ist], daß den Richtern seinerzeit eine hochentwickelte Grundrechtsdogmatik wie heute nicht zur Verfügung stand. Das OVG hätte diesen Ansatz sicher genutzt.“ (Kloepfer, ebenda, S. 62). Die Speicher-, Entlastungs- und Rationalisierungsfunktion der Rechtsanwendung beeinflussen sich häufig gegenseitig. 814 Schubert, RdA 2001, 199 (201) m. w. N.; Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967 S. 121 (130); vergleiche auch Bethge, NJW 1982, 2145 (2147); Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 64 Fn. 9. 815 Schubert, RdA 2001, 199 (201). Ähnlich auch Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Be­ triebsnormen, 1992, S. 155: „Auffällig an der Literaturlage ist jedoch, daß eine exaktere Rückversicherung über Inhalt und Umfang der Schutzdimension, die das Grundrecht der Ko­ alitionsfreiheit in seiner negativen Umkehrung entfaltet, in der Regel unterbleibt. Die negative Koalitionsfreiheit wird wie ein feststehender, eindeutig definierter Terminus gehandelt. Das löst Verwunderung aus.“ 816 Vergleiche Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 29 m. w. N.: „Gerichte tref­ fen häufig diese begriffliche Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit, ohne diese jedoch näher darzulegen oder zu begründen.“; zur negativen Koalitionsfreiheit siehe etwa BVerfGE 31, 297 (302); 44, 322 (342 ff.); 50, 290 (367).

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

Besonders deutlich lassen sich die Wirkungen der Entlastungsfunktion am Bei­ spiel der Schranken der negativen Vereinigungsfreiheit darstellen. Der Rechts­ arbeiter muss für die Entscheidung eines Sachverhaltes nicht jedes Mal gesondert herleiten, weshalb die Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG nicht auf die negative Ver­ einigungsfreiheit passt und die Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit auf die negative Vereinigungsfreiheit nicht übertragen werden können.817 Er kann die infrage stehende Maßnahme vielmehr direkt am Maßstab der verfassungsunmittel­ baren Schranken überprüfen. Die Gründe, weshalb das Recht in dieser Weise an­ zuwenden ist, müssen nicht weiter reflektiert werden. Diese Wirkungen zeigen sich auch mit Blick auf die Verhältnismäßigkeitsprü­ fung. So wird regelmäßig bei Kollisionen von positiver und negativer Freiheit das Toleranzgebot angewendet, ohne zu begründen, weshalb in diesem Kontext das Toleranzgebot angewendet wird und wie genau das Toleranzgebot das Gebot gegen­ seitiger Rücksichtnahme konkretisiert. Die durch die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Frei­ heit entwickelten und gespeicherten Rechtsarbeitsroutinen und Operationalisie­ rungsregeln entlasten also die Rechtsarbeit. Dieser Gebrauch der feststehenden ‚Vokabeln‘ und die Reduktion des Begründungsaufwandes erzeugen zugleich Ver­ selbständigungsprozesse und Reflektionslücken. Bei der Rechtsarbeit werden al­ lenfalls die rechtsdogmatischen Anwendungsregeln wie etwa die ‚Symmetriethese‘ berücksichtigt, der Einfluss der liberalen Grundrechtstheorie wird sprichwörtlich unter dem Berg der dogmatischen Ausformung begraben.818 Dies hat zur Folge, dass der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit von den Rechts­ arbeitern häufig nur noch als grundrechtsdogmatische Figur wahrgenommen wird.819

817 Hierzu ausführlich Kap. 4 A. I.; siehe zur Anwendung der Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit auf die negative Vereinigungsfreiheit etwa Reinhardt, Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft in Prüfungsverbänden mit dem Grundgesetz, in: FS Draheim, 1968, S. 227 ff.; Bethge, JA 1979, 281 (283); Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grund­ recht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 ff. 818 Vergleiche Volkmann, JZ 2020, 965 (970). 819 Diese Wirkungen der Entlastungsfunktion kritisiert Claudia Schubert mit Blick auf die Entscheidung über die Eröffnung des Schutzbereiches der negativen Koalitionsfreiheit für Ta­ rifaußenseiter. Bei der rechtlichen Würdigung dieser Frage habe das Bundesverfassungsgericht „lediglich auf seine bereits bestehende Rechtsprechung zur negativen Koalitionsfreiheit bzw. zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung im speziellen [abgestellt]. Insofern stehen die Ent­ scheidungen zwar in der Kontinuität der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, dennoch fehlt es bisher an einer vertieften Auseinandersetzung des Bundesverfassungsgerichts mit der Herleitung des Schutzbereichumfangs der negativen Koalitionsfreiheit. Das Gericht hat in seinen bisherigen Entscheidungen die negative Koalitionsfreiheit apodiktisch auf das bloße Fernbleiberecht beschränkt, ohne sich mit den nicht nur vereinzelten abweichenden Stimmen der Literatur auseinander zu setzen, die den Schutz der negativen Koalitionsfreiheit auch auf den Schutz vor der Normsetzung durch die Tarifvertragsparteien ausdehnen.“, Schubert, RdA 2001, 199 bezugnehmend auf BVerfG, DB 2000, 1768 und BVerfG, NZA 2000, 947 f.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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5. Das Negationsverbot Eng mit der Rationalisierungsfunktion verbunden ist das Negationsverbot.820 Grundrechtsdogmatische Sätze sind – „auch unabhängig von Veränderungen der zugrundeliegenden Rechtsnormen“821 – veränderbar, sie führen also gerade nicht zu einer Rechtsbindung.822 Sie sind also „dynamisch“.823 Veränderungen und Ab­ weichungen von konsentierten grundrechtsdogmatischen Sätzen sind allerdings stets zu begründen.824 Nicht ausreichend ist die bloße Feststellung, dass das Recht auf die bisher praktizierte Weise nicht weiter angewendet werden kann, vielmehr muss konkret begründet werden, weshalb die bisherigen Regeln der Rechtsarbeit modifiziert werden müssen beziehungswiese von diesen Regeln abgewichen wer­ den muss.825 Wegen der durch die stabile und einheitliche Rechtsarbeit gewähr­ ten Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung müssen diese Gründe nicht nur die Entscheidung, das Recht in einer anderen Art und Weise anzuwenden, sondern zugleich auch die Abweichung von den bisherigen Regeln der Rechtsarbeit recht­ 820

Siehe Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechtspolitisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28; ders., JöR n. F. 64 (2016), 309 (335); ders. /  Fischer / Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn. 323. Rüthers bezieht sich mit dem Begriff des „Negationsverbots“ vermutlich auf Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974, S. 15 f., so Pöcker, Rechtstheorie 37 (2006), 151 (153 mit Fn. 7); siehe auch Wahl, Rechts­ dogmatik und Rechtspolitik im öffentlichen Recht, in: Stürner (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsdogmatik für die Rechtsentwicklung, 2010, S. 121 (124), der diese Funktion der Ent­ lastungsfunktion zuordnet. 821 Waldhoff, Art.: Dogmatik, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, I.2. 822 Wieacker, Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik, in: FS Gadamer, Bd. 2, 1970, S. 311 (320 f.); Esser, AcP 172 (1972), 97 (129); Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 258; siehe bereits unter Kap. 2 B. I. Mehrere dogmatische Sätze können auch mitein­ ander konkurrieren, indem sie etwa verschiedene Lösungen für dasselbe Problem vorschlagen. 823 Waldhoff, Art.: Dogmatik, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, I.2. 824 Siehe Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechtspolitisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28 „beträchtliche Argumentationslast“; ders., JöR n. F. 64 (2016), 309 (335); ders. / Fischer / Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn. 324; Brohm, Kurzlebigkeit und Langzeitwirkung der Rechtsdogmatik, in: FS Maurer, 2001, S. 1079 (1085); Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, S. 29; vergleiche auch Pöcker, Rechtstheorie 37 (2006), 151 (153). Zu der Frage der normativen Wirkung von Präjudizen siehe Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 178; Jestaedt, Verfassungstheorie als Disziplin, in: ­Depenheuer / Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 3 (14). Auch wenn sich sehr abstrakt formulierte dogmatische Sätze, wie etwa der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fin­ den, haben diese nicht dieselbe normative Wirkung wie Gesetzestexte. Dogmatische Sätze sind also insoweit normativ, als dass sie sich auf den Rechtstext beziehen, diesen konkretisieren, al­ lerdings nicht in dem Sinne, dass sie eine verbindliche Wirkung erzeugen. Sie sind veränderbar und damit dynamisch. Waldhoff, Art.: Dogmatik, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexi­ kon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, I.2.; Lepsius, Relationen, 2016, S. 12 f.; siehe hierzu auch Kap. 2 B. I. 825 Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechts­ politisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28. Daher ist etwa die Begründungslast erhöht, soweit einer Mindermeinung gefolgt wird, vergleiche Drosdeck, Die herrschende Meinung, 1989, S. 95.

182

Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

fertigen.826 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes verhindert Änderungen der Rechtsarbeit damit nicht.827 So verhält es sich auch bei dem Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit. Während vor allem der Schutz der negativen Freiheit nicht mehr in jedem Urteil hergeleitet, sondern als allgemein anerkannt betrachtet wird,828 muss der um­ gekehrte Fall, in dem der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit keine Anwendung findet, besonders begründet werden. Die Wirkungen des Nega­ tionsverbotes könnten sich daher am Beispiel des Diskurses über den Schutz des Grundrechtsträgers vor der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Zwangs­ vereinigungen illustrieren lassen.829 In diesem Kontext wird in der Regel besonders begründet, weshalb die negative Vereinigungsfreiheit auch vor dem Zwang, öffent­ lich-rechtlichen Vereinigungen beizutreten, schützen soll,830 während die Gegen­ auffassung,831 dass die allgemeine Handlungsfreiheit einschlägig sei, (zumindest) in der Rechtsprechung mittlerweile nur noch selten besonders begründet wird.832 826

Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechts­ politisches Forum Nr. 15, 2003, S. 28: „Die Argumente für die Abweichung müssen zusätzlich den Bruch mit der bewährten Lehre, also auch den Verlust an Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die bestehende und bisher anerkannte Rechtsordnung rechtfertigen. […] Wer abweichend von der Dogmatik entscheiden will, ist dafür begründungspflichtig, muß also seine ‚besseren‘ Argumente darlegen, wenn er fachlich ernstgenommen werden will. Oder er muß nachwei­ sen, daß die bestehende Dogmatik die Intentionen (Normzwecke) der Gesetzgebung verfehlt oder bewußt vereitelt.“; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 260. 827 Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S. 178; im Ansatz auch Rüthers / Fischer /  Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn. 323. 828 Siehe hierzu Kap. 2 B. II. 4. 829 BVerfGE 10, 89 (102); 38, 281 (298); 146, 164; hierzu ausführlich unter Kap. 3 A. IV. 830 Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL Juli 2021, Art. 9 Rn. 90; ders., AöR  100 (1975), 80 (124 ff.); ders., Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 272 f.; Murswiek, JuS 1992, 116 (118); Quidde, DÖV 1958, 521 (522 f.); von Mutius, JURA 1984, 193 (196 f.); ders., VerwArch 64 (1973), 81 (82 f.); Pietzcker, JuS 1985, 27 (29); Rode, DÖV 1976, 841 (844 f.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 12 Rn. 414; KleineCosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 143 ff.; Stober, Grundrechts­ schutz und Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 49 f.; Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öf­ fentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 19 ff.; Jung, JA 1984, 467 (468); Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 25. 831 Das Zusammenspiel von herrschender Meinung und Mindermeinung bekräftigt gerade, dass nicht nur die Rechtsdogmatik existiert, sondern mehrere Rechtsdogmatiken beziehungs­ weise dogmatische Ausformungen existieren können, die miteinander konkurrieren Rüthers, JöR n. F. 64 (2016), 309 (331); Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 258. Siehe auch Schulze-Fielitz, Staatsrechtslehre als Wissenschaft, in: ders. (Hrsg.), Staatsrechts­ lehre als Wissenschaft, 2007, S. 11 (21 f.) mit dem Befund, dass auch gegensätzliche Ergeb­ nisse durch die Dogmatik erzeugt werden können. 832 An dieser Stelle zeigen sich besonders deutlich die Wirkungen der Speicher- und Ent­ lastungsfunktion. Daher kann das Bundesverfassungsgericht in diesen Konstellationen ein­ fach festhalten, dass der Schutzbereich der negativen Vereinigungsfreiheit nicht eröffnet ist, vergleiche BVerfGE 10, 89 (102 ff.); 10, 354 (361 f.); 11, 105 (126); 12, 319 (323); 15, 235 (239); 38, 281 (297 f.); 50, 290 (354 f.); BVerfG, NJW 2017, 2744 (2745 ff.). Ein gutes Beispiel aus der Kommentarliteratur zu diesem Phänomen liefert Cornils, in: Beck OK, GG, 49. Ed. 15. 11. 2021, Art. 9 Rn. 10.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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Gerade die Auffassung, dass nicht der Schutzbereich der allgemeinen Handlungs­ freiheit, sondern der Schutzbereich der negativen Vereinigungsfreiheit eröffnet sei, muss, dies zeigt vor allem der Blick auf die einschlägige Literatur, besonders hohe Begründungserfordernisse erfüllen.833 So muss sie nicht nur erklären, weshalb von der Anwendung der ‚Symmetriethese‘ in dieser Konstellation abzuweichen ist, sondern auch die Erweiterung des Schutzbereichs der negativen Vereinigungsfrei­ heit auf den Schutz vor öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinigungen rechtfertigen. Soweit von der bisher weitgehend konsentierten dogmatischen Ausgestaltung (das heißt der herrschenden Meinung) abgewichen wird, muss dieses Abweichen also begründet werden. Sollte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen ändern, müssten die Richter zunächst darlegen, weshalb von der bisherigen Praxis abgewichen werden soll und aus welchen Gründen die neuen Regeln der Rechtsarbeit überzeugen­ der sind.834 Selbiges gilt auch auf Rechtfertigungsebene. Will der Rechtsarbeiter etwa im Kontext der negativen Vereinigungsfreiheit statt der verfassungsimma­ nenten Schranken die Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit anwenden, muss er dies explizit begründen. Er kann sich gerade nicht wie die ‚herrschende Meinung‘ für ihre Begründungen auf die dogmatischen ‚Vokabeln‘, die impli­ zite Begründungen liefern. Die Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit begründet also aufseiten derjenigen, die von den Ergebnissen der ‚herrschenden Meinung‘ in diesem Kontext abweichen möchten, gesteigerte Rechtfertigungslasten. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass bei der Rechtsarbeit im Kontext des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit das Negations­ verbot beachtet wird, obgleich es sich hierbei nicht im klassischen Sinne um eine Funktion von Grundrechtsdogmatik handelt, sondern in erster Linie um eine all­ gemeine Regel dogmatischen Handelns, die aber in ihrer Wirkung – erhöhte Be­ gründungslasten für diejenigen, die anders entscheiden möchten – doch auch eine Funktion von Grundrechtsdogmatik umreißt. Schließlich beschreibt das Nega­ tionsverbot weniger die Aufgabe und Wirkungen der Grundrechtsdogmatik, son­ dern vielmehr ein bestimmtes Verfahren für das Abweichen von den gespeicherten Rechtsarbeitsregeln.

833

Drosdeck, Die herrschende Meinung, 1989. S. 95. Diese unter dem Begriff des Negationverbotes abgebildeten Anforderungen zur Abwei­ chung von den bisherigen Regeln der Rechtsarbeit erbringt etwa Hellermann in seiner Arbeit „Die sogenannte negative Seite der der Freiheitsrechte“, in der er auf 252 Seiten darlegt, wes­ halb der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene Grundrechtsschutz nicht durch die speziellen Freiheitsrechte, sondern durch ein entsprechendes Verständnis der allgemeinen Handlungsfreiheit gewährt wird. Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993. 834

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

6. Zusammenfassung Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit er­ füllt also zahlreiche dogmatische Funktionen. Das Dogmatische an der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit zeigt sich also in vielfäl­ tiger Weise. Das prominenteste Beispiel ist die ‚Symmetriethese‘. Aber nicht nur die Bestimmung des Schutzbereichs von positiver und negativer Freiheit macht das Dogmatische an der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und ne­ gativer Freiheit aus. Auch die Annahme, dass der Pflichtcharakter eines Grund­ rechts der Anerkennung der negativen Freiheit entgegenstehen, weil eine Pflicht schließlich als Gebot zu einem Tun dem grundrechtlichen Schutz des Unterlas­ sens entgegenstehe, ist eine dogmatische Ausformung der negativen Freiheit. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit formt den grundrechtlichen Handlungsschutz aber auch auf Ebene der Rechtfertigung aus. So wird etwa ausgehend von der Prämisse, dass die negative Freiheit auch vor der Konfrontation mit einem unliebsamen Verhalten schützt, bei intragrundrechtlichen Verhaltenskonflikten der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angewendet, ohne zu reflektieren, ob das fragliche Freiheitsrecht vorbehaltlos gewährleistet wird oder gar eine Grundrechtskollision vorliegt. Das Dogmatische der Lehre des Grund­ rechtsschutzes zeigt sich aber nicht nur auf der Anwendungsebene, sondern bereits bei der Herleitung der Lehre von positiver und negativer Freiheit, insbesondere im Umgang mit der Herleitungsargumentation, bei der ausgehend von positiver und negativer Freiheit eines speziellen Freiheitsrechts positive und negative Freiheit eines anderen Freiheitsrechts hergeleitet werden, und der Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit nur selten von den speziellen Freiheitsrechten los­ gelöst betrachten werden. Hinter dem Dogmatischen der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit darf jedoch der Kern des grundrechtlichen Handlungsschutzes, der in der liberalen Grundrechtstheorie zu verorten ist, nicht in Vergessenheit ge­ raten. Es ist verkürzt, die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und nega­ tiver Freiheit als grundrechtsdogmatische Figur zu bezeichnen. Schließlich wird diese Lehre sowohl durch die liberale Grundrechtstheorie als auch durch grund­ rechtsdogmatische Ausformungen geprägt: Der umfassende Schutz der individu­ ellen Freiheit und damit der umfassende grundrechtliche Handlungsschutz stellt das Leitprinzip des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit dar, das nicht nur für die Anerkennung, sondern auch für die dogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit von Bedeutung ist.835 Obgleich es sich um für theoretische Erwägungen recht konkrete Prämissen han­ delt, sind diese für die Rechtsarbeit zu abstrakt. Umgekehrt legitimieren sich die dogmatischen Ausformungen aus dem durch das Vorverständnis der liberalen Grundrechtstheorie geprägten Wortlautverständnis. 835 Wie sich dieses liberale Grundrechtsverständnis auf die Konzeption von positiver und negativer Freiheit auswirkt, wird detailliert in Kap. 3 und 4 beschrieben.

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

185

Dieses Ideal der Wechselbezüglichkeit von Grundrechtstheorie und Grund­ rechtsdogmatik, auf das die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit grundsätzlich angewiesen wäre, verfehlt sie jedoch. Im Kontext der dogmatischen Ausformungen der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit ist ein Verselbständigungsprozess in Gang gesetzt worden, der die dogmatischen Ausgestaltungen von den grundlegenden theoretischen Prä­ missen abkoppelt. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit ist daher ein weiteres Beispiel für eine zunehmende Tendenz zur Dogma­ tisierung836 des Rechts:837 Bei der Konkretisierung des grundrechtlichen Hand­ lungsschutzes hat sich die Lehre des Grundrechtsschutzes von der theoretischen Grundannahme des umfassenden Freiheits- und Handlungsschutzes, wie im Fol­ genden noch zu zeigen sein wird, weitgehend emanzipiert.838 War zunächst noch die Anerkennung des umfassenden grundrechtlichen Hand­ lungsschutzes fraglich, die – auch wenn es nur selten offenbart wurde – in einer liberalen „Vorannahme über Sinn und Funktion der Grundrechte“ wurzelt,839 tritt die Herleitung durch die weitgehende Einigkeit in Literatur und Rechtsprechung über die Anerkennung der Konzeption zunehmend in den Hintergrund der Rechts­ arbeit hinter die inhaltliche Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Ausgehend vom Konsens über die Anerkennung des um­ fassenden Handlungsschutzes sind die Operationalisierungsregeln in den Fokus der Wahrnehmung gerückt. Die ihnen zugrundeliegenden grundrechtstheoretischen Prämissen sind häufig nicht reflektiert worden.840 Dieser Prozess wurde zusätzlich dadurch befeuert, dass vielfach bereits die Herleitung von positiver und negativer Freiheit, je häufiger und oberflächlicher die Herleitungsargumentationen rezipiert 836

Siehe hierzu den Beitrag von Volkmann, JZ 2020, 965, der „[d]ie zunehmende Dogmati­ sierung des Verfassungsrechts“ untersucht. 837 Siehe allgemein auch der Befund von Lepsius, Relationen, 2016, S. 3, der anmerkt, dass es nicht gelinge, „Praxis und Theorie aufeinander zu beziehen; Grundlagen und Dogmatik liefen beziehungslos nebeneinander her.“ 838 Volkmann, JZ 2020, 965 (970): „Die Dogmatik erlangt dadurch ihrerseits gegenüber die­ sen Vorannahmen Selbstand und nabelt sich von ihnen ab.“ 839 Wobei die theoretischen Grundlagen gerade zu Beginn der Debatten über den grund­ rechtlichen Schutz eines Tuns und eines Unterlassens nur selten offengelegt wurden. So wurde Art. 136 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 WRV für eine dogmatisch geprägte Herleitung fruchtbar gemacht, ohne zu reflektieren, dass diese Vorschriften auf einem liberalen Verständnis der Grundrechte beruhen. 840 Diese Beobachtung macht Volkmann mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Volkmann, JZ 2020, 965 (969). In diesem Dogmatisierungsprozess äußert sich also indirekt ein Wandel der dogmatischen Arbeit: Zielte die Rechtsarbeit ursprünglich primär auf die Aufschlüsselung des Rechts unter Berücksichtigung von außerrechtlichen und vorrechtlichen Bezügen (siehe Esser, AcP 172 (1972), 97 (113); ders., Vorverständnis und Methodenwahl, 3. Aufl. 1975, S. 95 f.; dem folgend Volkmann, JZ 2020, 965 (970)), zeigt die Konzeption des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit gerade, dass im Rahmen der Rechts­ arbeit der Schwerpunkt nun auf einer „innerjuristischen Begriffs- und Konstruktionsarbeit“ (Volkmann, JZ 2020, 965 (970)) liegt, welche die theoretischen Vorannahmen weitgehend un­ berücksichtigt lässt.

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

und je seltener die theoretischen Grundlagen reflektiert wurden, zunehmend dog­ matisiert wurde.841 Noch deutlicher zeigt sich dieser Abkoppelungsprozess der Grundrechtsdogma­ tik auf der Anwendungsebene: Da – vor allem aufgrund der Entlastungsfunktion der Dogmatik  – eine ständige Neuargumentation und Herleitung der durch die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit erfolgten Kon­ kretisierung nicht erforderlich ist, wird der theoretische Hintergrund des grund­ rechtlichen Schutzes von Handlungen bei seiner inhaltlichen Ausgestaltung nicht mehr reflektiert.842 Stattdessen werden die konkreten Ausformungen des grund­ rechtlichen Handlungsschutzes immer weiter ausdifferenziert und präzisiert.843 Die immer kleinteiligeren Ausformungen beruhen also ihrerseits im Wesentlichen auf dogmatischen Ausformungen, die die grundrechtstheoretischen Hintergründe ih­ rerseits nur bedingt reflektieren. Statt den Grundrechtsschutz von Handlungen zu konkretisieren, konkretisieren positive und negative Freiheit vor allem den Grund­ rechtsschutz von Tun und Unterlassen, ohne die Wechselbezüglichkeiten von Tun und Unterlassen zu untersuchen und zu reflektieren, dass sich der grundrecht­liche Schutz von Handlungen gerade nicht nur auf ein Tun und ein Unterlassen be­ schränkt, sondern umfassend ein Verhalten schützt.844 Die Wechselbezüglichkeiten und fließenden Übergänge von Tun und Unterlassen, die verschiedenen Dimen­ sionen dieser Verhaltenskategorien kann die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nicht vollständig abbilden. Der Kontext, in dem die Aussage getroffen wird, wird nur noch selten berücksich­ tigt, stattdessen werden die Regeln generalisiert und ausgehend von dieser Genera­ lisierung wieder präzisiert.845 Sie stellt auf die bereits existierenden dogmatischen Ausformungen, wie sie in Lehrbüchern, Handbüchern, Kommentaren oder der Rechtsprechung Niederschlag gefunden haben, ab und entwickelt diese weiter.846 So wird von der Spiegelbildlichkeit von positiver und negativer Freiheit ausgegan­ 841

Vergleiche Kap. 2  B. II. 1. Volkmann, JZ 2020, 965. 843 So auch Volkmann, JZ 2020, 965 (969): „die entwickelten Maßstäbe [werden] immer weiter konkretisiert, präzisiert und verfeinert“. 844 Hierzu ausführlich Kap. 3 A. II. und III. 845 Lepsius, Relationen, 2016, S. 16. 846 Volkmann, JZ 2020, 965 (966, 971): „Zum sichtbaren Ausdruck dieses Vorgangs wird die Zitat- und Verweiskette, die die Entscheidungen heute fast ganz beherrscht. Verwiesen wird darin meist nur noch auf frühere Entscheidungen, die ihrerseits auf frühere Entscheidungen verweisen.“ (Zitat S. 971). Vergleiche auch Lepsius, Relationen, 2016, S. 16, 56, der die Dy­ namik des Konkretisierungsprozesses kritisiert: „An die Stelle der Verfassungsauslegung ist zunehmend die Auslegung von Verfassungsgerichtsentscheidungen getreten.“ (Zitat S. 56). Lepsius Kritik bezieht sich vor allem auf die Ebene der Rechtsprechung, deren Urteile das Ergebnis eines „Individualisierungsprozesses“ von Normen seien, denen aber im Wege eines „Generalisierungsprozesses“ Aussagen entnommen werden, welche über die konkrete Einzel­ fallentscheidung hinausgehen. Dieses Phänomen ist aber nicht nur im Kontext der Rechtspre­ chung zu erkennen. In gleicher Weise wird auch mit dogmatischen Sätzen aus der Literatur etwa der Kommentarliteratur verfahren. 842

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

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gen, ohne etwa zu reflektieren, dass die Annahme der Spiegelbildlichkeit auch möglicherweise aus den Schwierigkeiten einer präzisen Definition des Unterlas­ sens herrühren könnte.847 Durch die immer konkreteren und präziseren Regeln wird ein Anschein der Verbindlichkeit und der Richtigkeit dieser Regeln erzeugt;848 gleichzeitig wird der Reflexionsraum immer weiter geschlossen.849 Je häufiger etwa das Toleranzgebot oder das Gebot der Sozialadäquanz im Rahmen der Ver­ hältnismäßigkeitsprüfung rezipiert werden, desto schwieriger ist es, diese Begriffe kritisch zu hinterfragen oder gar von diesen abzurücken. Durch die einheitliche Anwendung bestimmter Regeln über einen längeren Zeitraum wurden diese immer wieder bestätigt, bis sie so feststehen, dass diese Art der Rechtsanwendung nicht mehr begründet werden muss, mit der Folge, dass die Regeln der Lehre von posi­ tiver und negativer Freiheit „Selbststand“ erlangen und sich als verbindliche und legitime Auslegung des Rechts präsentieren.850 Dies lässt sich besonders griffig am Beispiel der ‚Symmetriethese‘ illustrieren. Statt die symmetrische Bestimmung des Schutzgehaltes von positiver und negativer Freiheit insbesondere mit Blick auf den Gedanken des umfassenden Handlungsschutz zu und das Vorverständ­ nis des speziellen Freiheitsrechts, auf das die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit angewendet werden soll, zu reflektieren, wird die ‚Symmetriethese‘ als verbindliche Grundlage zur Bestimmung des Inhalts des Grundrechtsschutzes präsentiert. Dies hat unter anderem zur Folge, dass die ‚Sym­ metriethese‘ von der herrschenden Meinung als Argument gegen die Verortung des grundrechtlichen Schutzes vor der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen angeführt wird.851 So wird zum Teil etwa auch von einem negati­ ven Freizügigkeitsrecht ausgegangen, ohne zu reflektieren, ob das Nichtverlassen eines Ortes als Unterlassen der Fortbewegung oder Beibehalten eines Aufenthalts­ ortes verstanden wird.852 847

Siehe hierzu Kap. 1 A. und Kap. 3 A. I. und III. Vergleiche auch Lepsius, Relationen, 2016, S. 31 ff., der bei der Konkretisierung von Nor­ men den Vergleich zur Physik anstellt und zwischen Normen im festen, flüssigen und gasför­ migen Zustand unterscheidet. Normen im „festen Zustand“ sind konkret und geben unmittelbar eine Rechtsfolge für einen bestimmten Fall vor. „Normen im flüssigen Zustand“ wirken nicht unmittelbar, sie bedürfen für ihre Anwendung im Einzelfall noch einer Konkretisierung. „Nor­ men im gasförmigen Zustand“ sind abstrakt. Es handelt sich hierbei um Gedanken, Vorstellun­ gen über die Funktionen von Normen und Prinzipien, die bei der Anwendung und Auslegung einer Norm berücksichtigt werden müssen. Die im Kontext von positiver und negativer Freiheit entwickelten Regeln werden als „Normen im festen Aggregatszustand“ präsentiert, die einen vermeintlich konkreten Gegenstand haben, dabei handelt es sich eigentlich bei dem umfas­ senden Handlungsschutz um eine Norm „im gasförmigen Zustand“. Diese „vormals gasför­ mige“ Idee des umfassenden Handlungsschutzes zeigt sich aber nur selten im „festen Zustand“. 849 Volkmann beschreibt diesen Prozess als „[z]unehmende Introvertiertheit“ der Grund­ rechtsdogmatik, siehe Volkmann, JZ 2020, 965 (970). 850 Siehe auch Volkmann, JZ 2020, 965 (971). Die dogmatischen Sätze erlangen einen ähn­ lichen Charakter wie die Normen, wodurch weitere Reflexionsräume geschlossen werden, so Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 2016, S. 247. 851 Siehe hierzu Kap. 3 A. IV. 1.  852 Ausführlich hierzu Kap. 3 A. II. 4. 848

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Kap. 2: Die grundrechtstheoretischen und grundrechtsdogmatischen Einflüsse 

Die Vorteile dogmatischen Arbeitens, die Vorhersehbarkeit, Berechenbarkeit, Strukturierung und Entlastung der Rechtsarbeit,853 sind damit zugleich ihre größten Nachteile, soweit bei der fortwährenden Ausdifferenzierung und Präzisierung die theoretischen Grundlagen, weil eine stetige Neubegründung und Reflexion nicht erforderlich ist, außer Betracht bleiben und die dogmatischen Ausformungen sich damit ihrerseits nur noch auf ein unreflektiertes – möglicherweise nicht legitimier­ tes – Konstrukt stützen.854 Durch diese Herangehensweise, das Streben nach immer konkreteren Regeln bei zurückgehender Reflexionsbereitschaft, überlastet die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit sich selbst und erzeugt ungenaue Ergebnisse, wie etwa in der von der Anerkennung eines Rechts auf das eigene Unterlassen ausgehenden Diskussion über die Frage, ob unter dem Begriff der negativen Freiheit auch das Recht auf ein fremdes Unterlassen abgebildet wird.855 Durch den zunehmenden „Selbstand“856 der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit hat sich also ein theoretisches „Reflexions­ defizit“857 verfestigt. Dieses „Reflexionsdefizit“ bringt die Wechselbezüglich­ keit von Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik aus dem Gleichgewicht. Schließlich legitimiert sich die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit aus dem durch die liberale Grundrechtstheorie geprägten Wort­ lautverständnis der Grundrechte. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit ist daher auf ein wechselbezügliches Zusammenwirken von Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik angewiesen. Um eine Abkoppelung der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit von der liberalen Grundrechtstheorie und die Verselbständigung eines dogmatischen Satzes zu verhindern, bedarf es ‚Kontrollmechanismen‘ beim dogmatischen Arbeiten. Hierzu zählt neben einer Kontextualisierung der entwi­ ckelten Regeln, der Kennzeichnung der verallgemeinerungsfähigen Elemente und der speziell auf einen Sachverhalt bezogenen Elemente sowie der Offenbarung der verschiedenen Ebenen858 der Rechtsarbeit die regelmäßige Reflexion der Konkre­ tisierung mit Blick auf ihre Vereinbarkeit mit den ihnen zugrundeliegenden theo­ retischen Prämissen.859 853

Ähnliche Vorteile sieht auch Volkmann, JZ 2020, 965 (972). Dies gründet vermutlich auch in dem Umstand, dass der Einfluss der theoretischen Vor­ annahmen deutlich schwieriger zu erkennen und zu beschreiben ist. 855 Siehe Kap. 3  A. III. 4. 856 Volkmann, JZ 2020, 965 (970). 857 Siehe zu diesem Begriff Morlok, Reflexionsdefizite in der deutschen Staatsrechtslehre, in: Schulze-Fielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft, 2007, S. 49 ff. 858 Vergleiche Lepsius, Relationen, 2016, S. 31 ff. 859 Vergleiche allgemein auch Lepsius, Relationen, 2016. Vereinzelt werden diese Kontrollme­ chanismen des dogmatischen Arbeitens unter dem Begriff der „Kritik und Fortbildungsfunk­ tion“ gespeichert. Danach muss die Dogmatik auch „Widersprüchlichkeiten“ bei der Rechts­ arbeit aufdecken, die erzeugten Ergebnisse kontrollieren, das Recht analysieren und durch Kritik auch die Entwicklung neuer Regeln fördern, so Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechts­ politik unter dem Einfluss des Richterrechts, Rechtspolitisches Forum Nr. 15, 2003, S. 29 f. 854

B. Die grundrechtsdogmatische Ausformung des Grundrechtsschutzes 

189

Es gilt daher im Folgenden zu untersuchen, wie sich diese „Reflexionsdefizite“860 in der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nieder­ schlagen und inwiefern sich die dogmatischen Operationalisierungsregeln verselb­ ständigt und damit die Wechselbezüglichkeit von Grundrechtstheorie und Grund­ rechtsdogmatik im Kontext von positiver und negativer Freiheit aufgehoben haben.

860 Vergleiche Morlok, Reflexionsdefizite in der deutschen Staatsrechtslehre, in: SchulzeFielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft, 2007, S. 49 ff.

Kapitel 3

Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit Die Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit fasst also in erster Linie die grundrechtsdogmatischen Operationalisierungsregeln der liberalen Idee eines umfassenden grundrechtlichen Handlungsschutzes zusammen. Erforderlich ist daher eine Untersuchung des Schutzgehalts von positiver und negativer Freiheit. Schließlich entfaltet die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit ihre Wirkungen insbesondere in Bezug auf die Bestimmung des Inhalts und der Reichweite des Grundrechtsschutzes von Tun und Unterlassen. Fraglich ist deshalb, ob die zur Bestimmung der inhaltlichen Reichweite von positiver und negativer Freiheit entwickelte ‚Symmetriethese‘ die liberalen Vorgaben hinreichend reflektiert und konkretisiert. Dabei darf der Blick dieser Untersuchung jedoch nicht auf die Wirkungen der Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit im Bürger-Staat-Verhältnis beschränkt werden, sondern es muss auch der Frage nachgegangen werden, ob positive und negative Freiheit besondere Regeln für Sonderstatus- oder BürgerBürger-Verhältnisse definieren. Mit der Eröffnung des Schutzbereichs ist die Frage eng verbunden, ob ein Ein­ griff in dieses Grundrecht vorliegt. Schließlich stehen „Schutzbereich und Eingriff […] nicht isoliert nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen. Der Eingriff setzt logisch-begrifflich den Schutzbereich voraus.“861 Daher werden in diesem Zusammenhang auch die Wirkungen der Lehre des Grundrechtsschutzes von posi­ tiver und negativer Freiheit auf Ebene des Eingriffs in ein Grundrecht untersucht.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit Häufig werden die Begriffe von positiver und negativer Freiheit mit dem Tun und Unterlassen des Grundrechtsträgers assoziiert, ohne die dahinterstehenden Schutzbereichsdimensionen näher zu betrachten. Dabei treten insbesondere ge­ rade in Bezug auf den Schutzgehalt von positiver und negativer Freiheit vielfäl­ 861 Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 8.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

191

tige Fragestellungen auf: Wie sind die Schutzgehalte der positiven Freiheit und der negativen Freiheit der Grundrechte zu bestimmen? Kann die positive Freiheit mit dem grundrechtlichen Schutz eines Tuns und die negative Freiheit mit dem grund­ rechtlichen Schutz eines Unterlassens gleichgesetzt werden? Hebt sich der Grund­ rechtsschutz der negativen Freiheit und der positiven Freiheit nicht auf, wenn die negative Freiheit als Negation der positiven Freiheit verstanden würde?862 Bedarf es einer Abgrenzung von positiver und negativer Freiheit und – falls ja – wie sind positive und negative Freiheit voneinander abzugrenzen? Hinter all diesen Fragen verbirgt sich letztlich die Frage nach der Funktio­ nalität der durch die Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit entwickelten Operationalisierungsregeln. Um den Abkoppelungsprozess der Grundrechtsdogmatik von der Grundrechtstheorie im Kontext der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit untersuchen zu können, ist neben der Untersuchung der ‚Symmetriethese‘ auch die Überprüfung der Sinn­ haftigkeit der durch die Rechtsdogmatik vorgenommenen Kategorisierung von positiver und negativer Freiheit erforderlich. Zu diesem Zweck gilt es zunächst die Schutzgehalte von positiver und negativer Freiheit näher auszudifferenzieren und einander gegenüberzustellen. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf der Dif­ ferenzierung zwischen den zwei Stufen der Entschließungsfreiheit, dem ‚Ob‘ und dem ‚Wie‘863, sowie der Bedeutung dieser Unterscheidung für den Grundrechts­ schutz von positiver und negativer Freiheit liegen.

I. Die Spiegelbildlichkeit von positiver und negativer Freiheit der Grundrechte Eine der wesentlichen Operationalisierungsregeln der Lehre des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit ist die ‚Symmetriethese‘. Danach soll die negative Freiheit das Spiegelbild der positiven Freiheit und die positive Freiheit das Spiegelbild der negativen Freiheit bilden.864 Da die Eigenschaft eines Raumgebildes, beiderseits an einer gedachten Achse ein Spiegelbild zu ergeben, mit dem Begriff ‚Symmetrie‘ beschrieben wird, wird diese Regel der spiegelbild­ 862

So die Bedenken von Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 26. Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 57; vergleiche dazu etwa Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 19; Luchterhandt, Grund­ pflichten als Verfassungsproblem, 1988, S. 485 ff.; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 24. 864 Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, 1968, S. 124; Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007, S. 12 ff. m. w. N.; so auch Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonnund Feiertagsschutzes, 2014, S. 221; Muckel, in: Berliner Kommentar, GG, 26. Erg.-Lfg. IV/09, Art. 4 Rn. 21. Die ‚Symmetriethese‘ ermöglicht in erster Linie „eine formale Schutzbereichs­ bestimmung“, so Schubert, RdA 2001, 199 (201). Siehe auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 78. 863

192

Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

lichen Entsprechung des Schutzgehaltes von positiver und negativer Freiheit häufig als ‚Symmetriethese‘ bezeichnet.865 Ausgehend von der ‚Symmetriethese‘ wird der Schutzgehalt der negativen Frei­ heit häufig als Negation, also als Verneinung beziehungsweise als Umkehrung, der positiven Freiheit der Grundrechte beschrieben:866 So schützt die positive Mei­ nungsfreiheit das Recht, die eigene Meinung in Wort, Bild und Schrift zu äußern, mit der Folge, dass die negative Meinungsfreiheit als symmetrische Entsprechung das Recht, die eigene Meinung nicht in Wort, Bild und Schrift zu äußern, umfas­ sen müsste.867 Wenn die positive Versammlungsfreiheit das Recht gewährt, sich zu versammeln, müsste die negative Versammlungsfreiheit, als spiegelbildliche Um­ kehrung der positiven Freiheit, das Recht gewähren, sich nicht zu versammeln.868 Als Gegenpol der positiven Glaubensfreiheit, also dem Recht, zu glauben bezie­ hungsweise seinen Glauben kundzutun, müsste die negative Glaubensfreiheit das Recht schützen, seinen Glauben nicht kundzutun,869 als Gegenpol der positiven 865 Vergleiche Art.: Symmetrie, in: Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache, https:// www.dwds.de/wb/Symmetrie; Kambartel / Mainzer, Art.: Symmetrie, in: Ritter / Gründer /  Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie online abrufbar unter https://www. schwabeonline.ch/schwabe-xaveropp/elibrary/start.xav?start=%2F%2F%2A%5B%40attr_id% 3D%27hwph_productpage%27%5D#__elibrary__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27verw. symmetrie%27%5D__1636487968150; vergleiche auch Wachovius, BayVBl. 2005, 615 (618). Daher wird allgemein auch von der Spiegelbildlichkeit von positiver und negativer Freiheit gesprochen. Die ‚Symmetriethese‘ ist also „letztlich eine Parabel für den funktionalen Zu­ sammenhang zwischen beiden Freiheiten und gewinnt hierdurch eine inhaltliche Dimension“, so Schubert, RdA 2001, 199 (201); Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Internet, 2007, S. 10., 12 Fn. 34. 866 Vergleiche auch Heckel, VVDStRL 26 (1968), 5 (13 f.); siehe auch Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonn- und Feiertags­ schutzes, 2014, S. 216: „Negative Freiheit als Negation der positiven Freiheit“. Ähnlich auch Wachovius, BayVBl. 2005, 615 (618): „Das Recht zum Unterlassen besteht nach Maßgabe und in den Grenzen der positiven Handlungsfreiheit und darf demzufolge weder darüber hi­ nausreichen noch dahinter zurückbleiben.“ Siehe auch Muckel, in: Berliner Kommentar, GG, 26. Erg-Lfg. IV/09, Art. 4 Rn. 21: „Der Inhalt der negativen Glaubensfreiheit erschließt sich aus dem Verständnis der negativen Seite von Grundrechten als Recht, die (positive) Ausübung des Grundrechts unterlassen zu dürfen.“ 867 Ausführlich zu der Frage, ob die negative Meinungsfreiheit auch das ‚Nicht-Haben‘ einer Meinung schützt Kap. 3 A. III. 1. 868 Zur negativen Versammlungsfreiheit siehe Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, 1960, S. 166; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 8 Rn. 5; Geis, in: Berliner Kom­ mentar, GG, 10. Erg.-Lfg. IX/04, Art. 8 Rn. 28. Die negative Versammlungsfreiheit bejahend, sie aber nicht aus der positiven Versammlungsfreiheit herleitend Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 28. 869 Zu der Frage, ob die negative Religionsfreiheit dann auch das Recht schützen müsste, nicht zu glauben, siehe Kap. 3 A. III. 1. Renck, ZRP 1996, 205; ders., NVwZ 1994, 544; siehe auch Tiedemann, Religionsfreiheit – Menschenrecht oder Toleranzgebot?, 2012, S. 159 f.: „Unter negativer Religionsfreiheit versteht man die Freiheit, einen religiösen Glauben nicht haben zu müssen, ein religiöses Bekenntnis nicht abgeben zu müssen und religiöse Riten und Äuße­ rungsformen nicht vollziehen und an ihnen nicht teilnehmen zu müssen.“ (Herv. i. O.); siehe auch Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 217; Classen, Religionsrecht, 3. Aufl. 2021, Rn. 161.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

193

Berufsfreiheit das Recht, einen Beruf auszuüben, müsste die negative Berufsfrei­ heit folglich das Recht, keinen Beruf870 auszuüben, schützen, da die positive Koali­ tionsfreiheit „nach der tradierten Grundrechtsauslegung die Freiheit zur Gründung einer Koalition und zum Beitritt“871 erfasst. Demzufolge ist die negative Koalitions­ freiheit „somit das Recht, der Koalition fernzubleiben.“872 Der Schutzgehalt der negativen Freiheit wird auf Grundlage der ‚Symmetrie­ these‘ also regelmäßig einseitig vom Schutzgehalt der positiven Freiheit ausge­ hend bestimmt, mit der Folge, dass die unterschiedlichen Schutzinteressen sowie das Störungspotential der unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit diskutierten Verhaltensdimensionen bei der Bestimmung ihres grundrechtlichen Schutzgehalts nicht hinreichend berücksichtigt werden. Der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene grundrechtliche Schutz eines Unterlassens unter­ liegt schließlich auf Basis der ‚Symmetriethese‘ denselben Beschränkungen wie der grundrechtliche Schutz der positiven Freiheit. Dies ist sachgerecht, soweit die negative Freiheit als das logische Korrelat873 der positiven Freiheit verstanden wird.874 Ist die positive Freiheit Grundlage der Anerkennung der negativen Frei­ heit, dann muss die positive Freiheit rechtslogisch zwangsläufig875 die Reichweite des Schutzes der negativen Freiheit vorgeben. Der durch die negative Freiheit begründete Schutz dürfte nicht intensiver und effektiver sein als der Schutz der positiven Freiheit.876 Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob gerade vor dem Hintergrund, dass die Klassifizierung der negativen Freiheit als logisches Korrelat der positiven Freiheit 870

Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 24; 30; so auch Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 33. 871 Schubert, RdA 2001, 199 (202) bezugnehmend auf BVerfGE 50, 290 (367); 55, 7 (21). 872 Schubert, RdA 2001, 199 (202) m. w. N.; Mayer-Maly, in: Däubler / ders. (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 5 (6); siehe auch Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koali­ tionsfreiheit, 1969, S. 36; vergleiche auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 58. Siehe allgemein auch Hammerich, Schutz vor aufgedrängten Informationen im Inter­ net, 2007, S. 10: „Der Begriff der ‚positiven Verhaltensfreiheit‘ bezeichnet […] die ‚Freiheit, eine bestimmte Verhaltensweise vorzunehmen‘. Unter ‚positiver Grundrechtsfreiheit‘ versteht man […] das grundrechtlich verbürgte ‚Recht, diese Verhaltensweise vornehmen zu dürfen‘. […] Unter ‚negativer Verhaltensfreiheit‘ versteht man hingegen die ‚Freiheit, diese bestimmte Verhaltensweise nicht auszuüben‘ bzw. ‚nicht ausüben zu müssen‘. Die negative Grundfreiheit umschreibt demzufolge das grundrechtlich gewährleistete ‚Recht, die positive Verhaltensfrei­ heit nicht auszuüben‘ bzw. ‚nicht ausüben zu müssen‘.“ (Zitat S. 10.). 873 Ausführlich zu der Frage, ob die negative Freiheit das ‚logische Korrelat‘ der positiven Freiheit ist, unter Kap. 1 E. I. 874 Siehe exemplarisch nur auf Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (398); Monjau, Der Schutz der sogenannten negativen Koalitionsfreiheit, in: FS Küchenhoff, 1967, S. 121 (130). 875 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 133. 876 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 55; von Camp­ hausen / de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006 § 12, S. 61 ff.; Merten, DÖV 1990, 761 ff.; ders., Vereinsfreiheit in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 63.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

deutlich kritisiert wird,877 an der spiegelbildlichen Bestimmung des Schutzgehalts von positiver und negativer Freiheit festgehalten werden kann. Hierfür sind die verschiedenen Verhaltens- beziehungsweise Handlungsdimensionen, die unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit gespeichert werden, zu charakteri­ sieren zu analysieren und zu untersuchen, ob sie die liberale Idee des umfassenden Handlungsschutzes konkretisieren können. Die Untersuchung macht also dreierlei: Sie analysiert erstens das bisherige Verständnis des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Sie re­ flektiert dieses Verständnis der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit mit der ihr zugrundeliegenden Prämisse des umfassenden Hand­ lungsschutzes, untersucht zweitens ob und in wie weit die Lehre des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit die liberalen Prämissen konkretisiert. In einem dritten Schritt sollen die Funktionalität und die Praktikabilität der stren­ geren Maßstäbe dogmatischen Arbeitens auf den Prüfstand gestellt werden, indem diese Arbeit – soweit sich die Regeln der Lehre des Grundrechtsschutzes von posi­ tiver und negativer Freiheit als unzutreffend erweisen – unter zu Hilfenahme die­ ser Maßstäbe den grundrechtlichen Handlungsschutz zu konkretisieren versucht.

II. Die Schutzgehalte der positiven Freiheit Um die Statthaftigkeit der ‚Symmetriethese‘ besser beurteilen zu können, muss zunächst der Schutzgehalt der positiven Freiheit näher betrachtet werden. Die posi­ tive Freiheit wird häufig als Freiheit zum Tun beschrieben.878 Ein Tun bezeichnet dabei die Vornahme einer Tätigkeit. Ihm ist grundsätzlich das Element mensch­ licher Aktivität immanent.879 Dies bedeutet aber nicht, dass das Tun in der Außen­ welt wahrnehmbar sein muss, wie zum Beispiel das Werfen eines Balls, das Tun kann vielmehr auch im Inneren stattfinden, zum Beispiel wenn der Grundrechts­ träger einen Monolog hält.880 Ein Tun kann sich in verschiedene Verhaltensformen aufgliedern, die alle unter dem Oberbegriff ‚Tun‘ zusammengefasst werden kön­ nen. Allerdings ist es zu pauschal, den unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandenen Grundrechtsschutz mit dem grundrechtlichen Schutz eines Tuns 877

Detailliert hierzu unter Kap. 1 E. I. Statt vieler siehe nur Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 4 Rn. 45; Merten, Ne­ gative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 7 und öfter; ders., Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufsund Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285; Siering, Die negative Religionsfreiheit, 2011, S. 38; vergleiche auch Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 286. 879 Vergleiche Reimer, Art.: Handeln, Handlung, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staats­ lexikon, Bd. 2, 8. Aufl. 2018, II.2.a). 880 Die Definition eines Tuns auf die Wahrnehmbarkeit des Verhaltens in der Außenwelt verengend Reimer, Art.: Handeln, Handlung, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 2, 8. Aufl. 2018, II.2.a): „werden grundsätzlich diejenigen H.lungen verstanden, in denen ihr Träger empirisch beobachtbare Veränderungen der Wirklichkeit vornimmt“. 878

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

195

gleichzusetzen, ohne die verschiedenen Formen, in denen sich diese Verhaltens­ weise darstellen kann, weiter aufzugliedern. Ziel dieser Untersuchung ist die Her­ ausarbeitung der charakteristischen Elemente des unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandenen grundrechtlichen Schutzes. Die im Folgenden exemplarisch aufgezählten Dimensionen der positiven Freiheit sind besonders bedeutsam für die Charakterisierung des unter diesem Begriff verstandenen Grundrechtsschutzes und müssen daher auch mit Blick auf ihre Funktionalität und die zugrundeliegen­ den theoretischen Prämissen reflektiert werden.881 1. Die positive Betätigungsfreiheit Die positive Betätigungsfreiheit882 gewährt dem Bürger das Recht, etwas zu tun. Diese Dimension der positiven Freiheit beschränkt sich auf die Möglichkeit der Vornahme der grundrechtlich geschützten Tätigkeit. Sie beschreibt den Entschluss zu einem Tun sowie ein Tun als solches, ohne einen Blick auf die konkreten Aus­ führungsmodalitäten des Tuns zu werfen. In Bezug auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ge­ währt die positive Betätigungsfreiheit dem Grundrechtsträger etwa das Recht, sich künstlerisch zu betätigen oder eigene Forschungen anzustrengen. In Bezug auf die Berufsfreiheit gewährt die positive Betätigungsfreiheit das Recht, einen Beruf aus­ zuüben, in Bezug auf die Filmfreiheit das Drehen beziehungsweise die Aufnahme eines Filmes. Über die konkrete Art und Weise der künstlerischen Betätigung, das gewählte Berufsbild oder aber die Herstellung des Filmes (in Farbe oder schwarz­ weiß / zweidimensional oder dreidimensional) trifft diese Verhaltensdimension jedoch keine Aussage. Ob der Grundrechtsträger im Rahmen der Wahrnehmung seiner positiven Kunstfreiheit also eine Skulptur schafft, ein Gedicht verfasst oder ein Ölgemälde anfertigt, wird von der positiven Betätigungsfreiheit ebenso wenig berücksichtigt wie die Frage, mit welchen Themen der Grundrechtsträger sich im 881 Die Aufzählung ist weder abschließend, noch sind die einzelnen Dimensionen trenn­ scharf voneinander abzugrenzen. Vielmehr können diese Dimensionen der positiven Freiheit ineinander übergehen, sich gegenseitig bedingen oder flankieren. Es handelt sich daher bei den verschiedenen Dimensionen nicht um binäre Gegensätze der Unterscheidung, vielmehr dient die Unterscheidung dieser Dimensionen, auch wenn sie unscharf ist, und nicht immer eine klare Zuordnung der Verhaltensweisen des Grundrechtsträgers zulässt, der Beschreibung der Inhalte des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Die Aufgliederung orientiert sich im Wesentlichen an den von Detlef Merten festgestellten Erscheinungsformen der positiven Freiheit. Siehe Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 53 ff.; ders., Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 ff.; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 58 f. 882 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Auf. 2009, § 165 Rn. 52 zum Begriff des Betätigungsrechts im Kontext der Vereinigungs­ freiheit, dort aber in Bezug auf die Frage, ob die Vereinigungsfreiheit neben der Gründung einer Vereinigung auch das Engagement in der Vereinigung schützt.

196

Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Rahmen dieser künstlerischen Betätigung auseinandersetzt. Das ‚Wie‘ des Tuns, also die genaue Verhaltensform, ist für die positive Betätigungsfreiheit unerheblich. Im Kontext der Ehefreiheit gewährt die positive Betätigungsfreiheit dem Bürger das Recht, die Ehe einzugehen, die Person des Ehegatten, sein Geschlecht oder der Ort der Eheschließung werden nicht durch diese Dimension der positiven Freiheit geschützt, obgleich sich in der konkreten Form einer Betätigung immer zugleich auch das abstrakte Tun und die Entscheidung über das ‚Ob‘ widerspiegeln. Die positive Betätigungsfreiheit betrifft daher lediglich die Ebene des ‚Ob‘ der Entschließungsfreiheit und nicht die Ebene des ‚Wie‘. Der grundrechtliche Schutz der positiven Freiheit erstreckt sich folglich auch auf die Ebene des ‚Ob‘ der Ent­ schließungsfreiheit. Sie schützt abstrakt ein Tun des Grundrechtsträgers, ohne die konkrete Verhaltensform weiter auszudifferenzieren. Im Schutz des Tuns ist der Schutz eines Unterlassens als Reflexwirkung miteingeschlossen. Das Unterlassen eines anderen Tuns infolge eines Tuns ist schließlich durch das ausgeführte Tun bedingt.883 2. Die positive Auswahlfreiheit Die positive Auswahlfreiheit884 ist eng mit der positiven Betätigungsfreiheit ver­ woben. In der Ausübung der konkret gewählten Tätigkeit manifestiert sich schließ­ lich nicht nur der Entschluss über das ‚Wie‘, sondern auch über das ‚Ob‘ eines Tuns. Die positive Auswahlfreiheit gewährt dem Grundrechtsträger das Recht, zwischen verschiedenen modi eines Tuns frei zu wählen und die konkret gewählte Art und Weise des Tuns auszuüben.885 Die Art und Weise eines Tuns, beispielsweise der Ort, die Zeit oder die konkreten Ausführungsmöglichkeiten des Tuns, werden folglich vollständig in das Belieben des Grundrechtsträgers gestellt.886 Die positive Aus­ wahlfreiheit betrifft dementsprechend die Verhaltensform. Beispiele für die positive Auswahlfreiheit finden sich viele: So gewährt die positive Auswahlfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG etwa das Recht, eigenständig 883

Siehe Kap. 1 E. II. Allgemein zum Begriff der Auswahlfreiheit Merten, Negative Grundrechte, in: ders. /  Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 53; ders., Vereins­ freiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 58; ders., Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbil­ dungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (285 ff.). 885 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 53; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Auf. 2009, § 165 Rn. 58. 886 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 53: „[…] eine freie Auswahl, sei es in sachlicher, örtlicher, personaler oder zeitlicher Hinsicht.“; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Auf. 2009, § 165 Rn. 58; ders., Die negative Garantiefunktion der ver­ fassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (286, 294). 884

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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über die Themenfelder und Methoden der eigenen wissenschaftlichen Forschung oder der eigenen künstlerischen Betätigung zu entscheiden.887 Im Kontext der Ver­ einigungsfreiheit sichert die positive Auswahlfreiheit nicht nur die Entscheidung, welche Vereinigungen der Grundrechtsträger gründet oder welcher Vereinigung der Grundrechtsträger beitritt, sondern auch die konkrete Art und Weise des En­ gagements in dieser Vereinigung. So kann der Grundrechtsträger beispielsweise entscheiden, wie er bei der Organisation von Veranstaltungen dieser Vereinigung mithelfen möchte. In Bezug auf die Ehefreiheit schützt die positive Auswahlfreiheit das Recht, den Ehepartner frei zu wählen888, im Rahmen der Versammlungsfrei­ heit schützt sie beispielsweise das Recht, über Ort, Zeitpunkt und Inhalt der Ver­ sammlung zu entscheiden889, und in Bezug auf die Rundfunkfreiheit das Recht zur freien Programmgestaltung.890 Die positive Berufsfreiheit schützt dadurch nicht nur das Recht, zwischen mehreren Berufen frei zu wählen, sondern auch das Recht, zu entscheiden, in welcher Stadt eine Person arbeiten möchte.891 Dass die Grundrechte mehrere Formen eines Tuns und damit auch die Auswahl zwischen diesen Verhal­ tensvarianten schützen, zeigt gerade der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG, der die Freiheit schützt, die eigene Meinung ‚in Wort, Bild und Schrift‘ zu äußern. Schließlich ist das Wort ‚und‘ in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG „demonstrativ“892 zu verstehen, soll also betonen, dass dem Grundrechtsträger die Wahl zwischen 887

BVerfGE 30, 173 (189); 67, 213 (224); 77, 240 (251); 81, 278 (292); 119, 1 (21 f.); 142, 74 (96); Henschel, Die Kunstfreiheit als Grundrecht, 1993; Lenski, JURA 2016, 35 ff.; Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Kunst) Rn. 45 f.; Kempen, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 5 Abs. 3 Rn. 168 ff.; Gärditz, Universitäre Industriekooperation, Infor­ mationszugang und Freiheit der Wissenschaft, 2019, S. 31 f.; Gärditz, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 3 Rn. 99 f.; Britz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 24: „Geschützt sind zunächst die Wahl der Fragestellung und die Bestimmung eigener Forschungsschwerpunkte“ (Herv. i. O.); Lutz, Zugang zu wissenschaft­ lichen Informationen in der digitalen Welt, 2012, S. 213, zur Wissenschaftsfreiheit gehört auch die Entscheidung über „Ort, Zeitpunkt und die Modalitäten der Publikation von wissenschaft­ lichen Forschungsergebnissen“. 888 BVerfGE 31, 58 (67); 103, 89 (101); Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 6 Rn. 7; siehe auch Uhle, Art.: Ehe, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 1, 8. Aufl. 2017, IV.3.1. 889 BVerfGE 69, 315 (343). 890 BVerfGE 59, 231 (258); 90, 60 (87); 95, 220 (234); 97, 298 (310); Degenhart, Rundfunk­ freiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 105 Rn. 37; Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1,  2 Rn. 673, 675, 707; Wendt, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 78; Hain, in: Spindler / Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, C. I.2.d). aa) Rn. 52 f. 891 Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 12 Rn. 11. Ausführlich zu den Wir­ kungen der positiven Auswahlfreiheit Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungs­ rechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (286, 291 f.). 892 Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 82; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 7; Schmidt-Jortzig, Meinungs- und Informationsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 162 Rn. 25. 

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

den im Rechtstext aufgeführten Verhaltensvarianten verbleibt.893 Hier zeigt be­ reits der Verfassungswortlaut, dass die verschiedenen Formen des Tuns denselben grundrechtlichen Schutz genießen und die positive Auswahl geschützt wird. Das Schreiben einer Meinung auf ein Plakat ist demnach genauso geschützt wie das Aussprechen einer Meinung. Geschützt wird aber nicht nur die Art der Äußerung, sondern auch die „freie Wahl von Ort, Zeitpunkt und Adressatenkreis“894. Gerade die Erscheinungsformen des Tuns können vielseitig sein, die positive Auswahlfreiheit schützt die Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Formen des Tuns sowie die konkrete Ausführung dieser Formen des Tuns. Regelmäßig wird die positive Auswahlfreiheit als Inbegriff der positiven Freiheit verstanden, da häufig zwischen der konkreten Erscheinungsform des Tuns und dem Tun, also der Betätigung als solcher, nicht differenziert wird. Würde ein Straßenmusiker in der Stadt ein Lied singen, und die umherstehenden Passanten würden gefragt, was diese Person macht, würden die Menschen sagen, dass der Straßenmusiker ein Lied singe, und nicht, dass er etwas tue. Jedenfalls soweit es um die erstmalige Betätigung des Grundrechtsträgers geht, geht diese Dimension der positiven Frei­ heit der Änderungs- und Wechselfreiheit vor.895 Die positive Auswahlfreiheit betrifft die Ebene des ‚Wie‘ der Entschließungs­ freiheit des Grundrechtsträgers. 3. Die positive Änderungsfreiheit Die positive Freiheit führt nicht zu einer Bindung des Grundrechtsträgers an die einmal gewählte Tätigkeit. Vielmehr gewährt sie dem Grundrechtsträger auch das Recht, sein Tun jederzeit zu ändern beziehungsweise anzupassen.896 Diese Mög­ lichkeit der Veränderung der zunächst gewählten Art und Weise des Tuns897 wird als positive Änderungsfreiheit bezeichnet.898 893 Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 82; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 7; vergleiche auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 Abs. 1–2 Rn. 67; Starck / Paulus, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 86 ff.; Kühling, in: BeckOK InfoMedienR, 35. Ed. 01. 11. 2021, Art. 5 GG Rn. 34; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 12 Rn. 392. 894 Kühling, in: BeckOK InfoMedienR, 35. Ed. 01. 11. 2021, Art. 5 GG Rn. 34. 895 Zur positiven Änderungs- und Wechselfreiheit, siehe Kap. 3 A. II. 3. 896 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 58; ders., Die negative Garantiefunktion der ver­ fassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (285, 299): „Denn Art. 12 GG erschöpft sich nicht in der einmaligen Entscheidung, sondern berechtigt auch zur erneuten Wahl und zur Aufgabe der einmal gewählten Entscheidung.“ (Zitat S. 299). 897 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57. 898 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57. Teilweise wird auch von einer Wechselfreiheit oder eine Änderungs-

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Da eine Änderung der Verhaltensform auch zur Beendigung der alten Verhal­ tensweise, jedenfalls aber zur Beendigung der bisherigen Verhaltensform, und zur erneuten Auswahl einer Verhaltensweise/-form führt, befindet sich die positive Änderungsfreiheit regelmäßig an der Schnittstelle der positiven Auswahlfreiheit und der (positiven) Beendigungsfreiheit. Im Gegensatz zur positiven Auswahlfreiheit beschäftigt sich die positive Ände­ rungsfreiheit nicht mit der erstmaligen Auswahl und Ausübung eines Tuns, sondern mit allen nach der erstmalig getroffenen Auswahl beabsichtigten Änderungen der Verhaltensformen des Grundrechtsträgers.899 Die positive Auswahlfreiheit geht der Änderungsfreiheit insoweit zeitlich voraus; nur wenn der Grundrechtsträger ein­ mal eine bestimmte Verhaltensform gewählt hat, kann er diese verändern. Damit ist die positive Änderungsfreiheit letztlich ein Spezialfall der positiven Auswahl­ freiheit. Da die positive Änderungsfreiheit das Recht gewährt, die Form des Tuns zu verändern, schützt diese Dimension der positiven Freiheit die Entscheidung über das ‚Wie‘ der Betätigung. Genauso wie bei der positiven Freiheit manifestiert sich – sobald mit der Ausführung der neuen Verhaltensweise begonnen wird – der Entschluss über das ‚Ob‘ der Betätigung in dieser Entscheidung über das ‚Wie‘ der Betätigung. Schließlich bleibt die Entscheidung über das ‚Ob‘ in dieser Kon­ stellation dieselbe. Auch wenn sich die konkrete Verhaltensform ändert, bleibt die Verhaltensweise dieselbe. Abgrenzungsprobleme ergeben sich vor allem mit Blick auf die (positive) Be­ endigungsfreiheit, bedingt die Änderung eines Verhaltens doch in der Regel die Beendigung der bisherigen Art eines Tuns, bevor mir einer neuen Form eines Tuns begonnen werden kann. Anders als die (positive) Beendigungsfreiheit be­ findet sich die Änderung auf der Ebene des ‚Wie‘ der Entschließungsfreiheit, da der Wechsel der Form des Tuns infrage steht. Der Grundrechtsträger tut die ganze Zeit etwas, doch das, was er tut, also die konkrete Verhaltensform, verän­ dert sich. Die (positive) Beendigungsfreiheit hingegen betrifft weniger die Stufe des ‚Wie‘, ihr Schwerpunkt liegt vielmehr auf dem Schutz der Entscheidung über das ‚Ob‘ der Betätigung.900 Die positive Beendigungsfreiheit betrifft damit eher die Frage des Verhaltenswechsels vom Tun zum Unterlassen als die Änderungen von Verhaltensformen. und Wechselfreiheit gesprochen, vergleiche etwa ders., Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285. Da der Verhaltenswechsel auch als Wechsel der Verhaltensform vom Tun zum Unterlassen verstanden werden kann, sich diese Dimension der positiven Freiheit jedoch primär auf die Veränderung eines Tuns bezieht (dazu sogleich), wird im Folgenden dieser Begriff verwendet. 899 Vergleiche Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufsund Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (285): „Denn die Handlungsgrundrechte umschließen regelmäßig eine freie Wahl oder Auswahl […]. Sie gestatten darüber hinaus aber auch den Wechsel bzw. das Verbleiben in einem einmal gewählten rechtlichen oder tatsäch­ lichen Zustand.“ 900 Das bedeutet keineswegs, dass es sich hierbei um ein geeignetes Kriterium zur Abgren­ zung von positiver und negativer Freiheit handelt.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Die positive Änderungsfreiheit und die positive Beendigungsfreiheit lassen sich aber nicht allein über die Frage, ob das ‚Ob‘ oder das ‚Wie‘ der Entschließungs­ freiheit betroffen ist, abgrenzen. Diese Abgrenzung gestaltet sich gerade mit Blick auf kurzlebige Tätigkeiten schwierig. Zumindest wenn zwischen dem Aufhören mit einer bestimmten Verhaltensform des Tuns und dem Beginn mit der neuen Verhaltensform deutliche zeitliche oder inhaltliche Zäsur liegt, zum Beispiel weil das Verhalten in den Schutzbereich eines anderen Grundrechts fällt, ist – obwohl dieselbe Verhaltensweise betroffen ist – nicht die positive Änderungsfreiheit, son­ dern die Beendigungsfreiheit betroffen.901 Ist das positive Tun des Grundrechts­ trägers kurzlebig, etwa weil es sich in der momentan Bestätigung erschöpft und der Grundrechtsträger scheinbar bei nächster Gelegenheit anders handeln kann,902 wird in einer solchen Situation eine Beendigung des bisherigen Tuns angenom­ men werden müssen, obgleich der Grundrechtsträger später eine andere Verhal­ tensvariante, die auch von demselben Grundrecht geschützt wird, ausübt, etwa, wenn der Grundrechtsträger gerade noch bei einer Versammlung war, die sich aufgelöst hat, und dann zu einer anderen Versammlung geht.903 In diesen Kons­ tellationen betrifft die positive Freiheit dann nur die Dimensionen der positiven Betätigungsfreiheit, der positiven Auswahlfreiheit und der Beendigungsfreiheit. Sobald der Grundrechtsträger mit dem ‚neuen‘ Verhalten beginnt, macht er dem­ entsprechend von der positiven Betätigungsfreiheit und der positiven Auswahl­ freiheit Gebrauch. Es existieren aber nicht nur kurzlebige Tätigkeiten, vielmehr steht es dem Bürger auch frei, ein stetig veränderbares Verhalten konstant auszuüben.904 Eine scheinbar kurzlebige Tätigkeit, wie das Äußern einer Meinung, kann Ausdruck eines län­ ger andauernden Tuns sein. Schließlich schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG nicht nur das „Äußern“ einer Meinung als kurzlebige Tätigkeit, sondern zugleich das 901 Es handelt sich also bei der Unterscheidung von positiver Auswahlfreiheit, positiver Än­ derungsfreiheit und positiver Beendigungsfreiheit nicht um dichotome Unterschiede in dem Sinne, dass eine trennscharfe Abgrenzung möglich und erforderlich ist. Die positive Beendi­ gungsfreiheit beispielsweise ist also nicht der Gegensatz der positiven Änderungsfreiheit. 902 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57. 903 Dabei ist unerheblich, ob die zweite Versammlung, an welcher der Grundrechtsträger teil­ nimmt, thematisch an die erste Versammlung anknüpft oder ob er von der ersten Versammlung, auf der sich etwa zugunsten einer höheren CO2-Bepreisung geäußert wird, verschwindet, und, weil er einen massiven Anstieg der Spritpreise fürchtet, an einer Gegen-Versammlung gegen eine CO2-Bepreisung teilnimmt. Angesichts der inhaltlichen Zäsur wären in dem letzteren Bei­ spiel also auch die Beendigungsfreiheit sowie die positive Betätigungs- und Auswahlfreiheit betroffen. 904 Ein Beispiel wäre etwa das Bewohnen eines Protestcamps, wenn dieses Protestcamp als Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG darstellt; hierzu Hartmann, NVwZ 2018, 200; kritischer VGH Kassel, BeckRS 2020, 24398; siehe auch Eibenstein, NVwZ 2020, 1811; Hobusch, JA 2018, 838; zur Reichweite der Versammlungsfreiheit BVerfGE 84, 203 (209); BVerfG, NJW 2018, 716; sowie die Anmerkungen von Muckel, JA 2018, 476; Sachs, JuS 2018, 596.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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„Haben“ einer Meinung.905 Schließlich – so Christoph Grabenwarter – bedingt die Äußerung einer Meinung, „dass man eine Meinung ‚hat‘.“906 Es wäre daher ver­ fehlt, die Ausübung der positiven Meinungsfreiheit als beendet anzusehen, wenn der Grundrechtsträger seine Meinung geäußert hat.907 Aus diesem Grund muss bei scheinbar kurzlebigen Tätigkeiten immer genau betrachtet werden, ob sie nur für kurze Zeit in der Außenwelt wahrnehmbar sind, aber dennoch im Inneren für einen längeren Zeitraum Wirkungen entfalten, dann nämlich ist unter Umständen statt der positiven Beendigungsfreiheit die positive Änderungsfreiheit betroffen, wenn der Bürger seine Meinung nur leicht ändert, also keine inhaltliche Zäsur zwischen der ursprünglichen und der abgeänderten Meinung vorliegt. Wird der Grundrechts­ träger jedoch von einer konträren Meinung überzeugt, ist nicht die Änderungsfrei­ heit, sondern aufgrund der inhaltlichen Zäsur die Beendigungsfreiheit betroffen. Beispiele für Dauerbetätigungen finden sich viele, so etwa die dauerhafte Aus­ übung eines Berufs oder eine Ehe, aber auch die schriftliche Äußerung einer Mei­ nung im Internet oder das Haben einer Religion. Der Grundrechtsträger entscheidet sich für einen gewissen Zeitraum für einen Beruf oder einen Ehepartner oder eine Religion. Der Grundrechtsträger macht also nicht jeden Tag zu Dienstbeginn er­ neut Gebrauch von seiner positiven Freiheit, sondern übt die positive Berufsfreiheit konstant aus. Bei der Äußerung der eigenen Meinung auf einer Internetplattform beispielsweise entscheidet sich der Bürger dazu, mit der im Internet geäußerten Meinung für einen längeren Zeitraum identifiziert zu werden. Die Dauerbetätigung darf nicht zu einer „exklusiven“ Bindung des Grund­ rechtsträgers führen, die ihm die Möglichkeit der Änderung der Verhaltensweise verwehrt.908 Der Grundrechtsträger ist also nicht zu einem Verweilen in einem ‚Dauerzustand‘ verpflichtet, etwa weil eine Verhaltensänderung keinen grund­ rechtlichen Schutz genießt. Der Berufstätige kann jederzeit seinen Beruf wechseln oder sich fortbilden.909 Es steht ihm dabei nicht nur frei, innerhalb eines bestimm­ ten Berufsfeldes von Unternehmen A zu Unternehmen B zu wechseln, sondern auch jederzeit auf einen neuen Beruf umzuschulen. Ob in diesen Konstellationen die positive Änderungsfreiheit oder die (positive) Beendigungsfreiheit betroffen ist, hängt wie bei der Beurteilung der kurzlebigen Tätigkeiten von der Qualität der 905

Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 77 ff.; zur Meinungsbildung im forum internum siehe auch Starck / Paulus, in: von Mangoldt / K lein /  Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 99 f. 906 Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 77, 80 (Zitat Rn. 77). 907 Anders Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57. 908 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57 ff. 909 Kirchhof, Grundrechtsinhalte und Grundrechtsvoraussetzungen, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 21 Rn. 11; vergleiche auch Scholz, in: Dürig /  Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 12 Rn. 291; BVerfGE 43, 291 (363); 55, 185 (196); 62, 117 (146).

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

(zeitlichen / inhaltlichen) Zäsur und damit vom Einzelfall ab.910 So wird die Fortbil­ dung einer Krankenschwester zur Stationsschwester wohl von der Dimension der positiven Änderungsfreiheit erfasst, die Weiterbildung einer Krankenpflegerin zur Krankenschwester angesichts der verschieden Aufgabenfelder beider Berufsbilder nicht. In diesen Konstellationen ist die positive Beendigungsfreiheit, die positive Betätigungsfreiheit und die positive Auswahlfreiheit betroffen. Die positive Freiheit schützt demzufolge nicht nur die einmalige Entscheidung für ein Tun, sondern auch das Recht, sein Tun jederzeit zu ändern beziehungs­ weise auf neue äußere Gegebenheiten anzupassen.911 Dem Grundrechtsträger steht insoweit ein ‚Verhaltensraum‘, zumindest bezogen auf die Verhaltensweise des Tuns, zur Verfügung, innerhalb dessen er sich frei bewegen kann. Die positive Änderungsfreiheit stellt einen Spezialfall der positiven Auswahlfreiheit und der Beendigungsfreiheit dar. Sie ermöglicht dem Bürger die Verhaltensanpassung. Die positive Freiheit des Grundrechtsträgers ist, dies zeigt unter anderem auch diese Dimension der positiven Freiheit, „zukunftsoffen“912. 4. Die positive Beibehaltungsfreiheit Wenn die Veränderung eines Tuns geschützt wird, dann – so scheint es auf den ersten Blick – muss die positive Freiheit konsequenterweise auch das Beibehalten eines Tuns beziehungsweise „das Verbleiben in einem einmal gewählten recht­ lichen oder tatsächlichen Zustand“913 schützen. Dieses Recht, die einmal gewählte 910

Lediglich mit Blick auf die Ehefreiheit scheint eine klare Abgrenzung zu existieren. Wenn A zunächst mit B verheiratetet ist, sich dann scheiden lässt, um die Ehe mit C einzugehen ist nicht die positive Änderungsfreiheit, sondern stets die (positive) Beendigungsfreiheit be­ troffen. Derjenige, der eine Ehe eingeht, hat zwar die Möglichkeit zur Scheidung. Die Schei­ dung bewirkt jedoch die Beendigung der Ehe, auch wenn der Grundrechtsträger danach eine weitere Ehe eingehen kann. Aufgrund der Besonderheiten der Einehe (siehe BVerfGE 10, 59 (66) 29, 166 (176); 31, 58 (69) 62, 323 (330); BGHZ 149, 357 (361); Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 6 Rn. 3; Uhle, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 6 Rn. 3 f.; Heiderhoff, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 6 Rn. 57; Robbers, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 42), ist in diesen Fällen nicht die positive Änderungsfreiheit, sondern die (positive) Beendigungsfreiheit betroffen: Da die Ver­ bindung von der ersten zur zweiten Ehe, durch die zwischenzeitliche Scheidung vollständig aufgehoben ist, ist dieses Ergebnis sachgerecht, vergleiche Uhle, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 6 Rn. 3a: „Deshalb ist die nach einer vorherigen Scheidung geschlossene zweite Ehe verfassungsrechtlich gegenüber einer Erstehe nicht von minderem Rang.“; verglei­ che auch BVerfGE 108, 351 (364). Im Kontext der Ehefreiheit kann die positive Änderungs­ freiheit daher nie betroffen sein. 911 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57. 912 Kirchhof, Grundrechtsinhalte und Grundrechtsvoraussetzungen, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 21 Rn. 11. 913 Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbil­ dungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (285).

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Tätigkeit nicht aufgeben zu müssen beziehungsweise ein bestimmtes Tun fortzu­ führen, wird unter dem Begriff der positiven Beibehaltungs- beziehungsweise der Bleibefreiheit diskutiert.914 Fraglich ist jedoch, ob das Beibehalten einer bestimmten Verhaltensvariante als „logisches Korrelat“ der Möglichkeit, sein Tun nicht zu verändern, dem Schutz­ gehalt der positiven Freiheit zuzuordnen ist.915 Schließlich könnte das Beibehalten eines bestimmten Tuns auch als eine qualifizierte Form eines Unterlassens ver­ standen werden und damit dem Anwendungsbereich der negativen Freiheit zuzu­ ordnen sein.916 Der Grundrechtsträger, so könnte man meinen, unterlässt in einer solchen Situation doch die Veränderung des Verhaltens.917 Fraglich ist aus diesem Grund, ob diese Freiheit, ein Tun beizubehalten, eine Dimension der positiven Freiheit oder der negativen Freiheit ist. Detlef Merten stellt anhand der Berufsfreiheit und des Freizügigkeitsrechts dar, dass im Beibehalten eines Verhaltens stets ein Unterlassen liege, das dem An­ wendungsbereich der negativen Freiheit zuzuordnen sei:918 Wer einer „staatlichen Aufforderung zum Verlassen des bisherigen Wohnsitzes oder zur Aufgabe seines Berufes nicht nachkommen“919 wolle, so Merten, lehne ein ihm aufgegebenes Tun 914 Den Begriff der positiven Bleibefreiheit benutzt vor allem Merten, Die negative Garan­ tiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (285, 299 f.); ders., Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57 ff.; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 59. Bleiben bedeutet unter anderem das „einen Zustand beibehalten“ beziehungsweise „bei etw. verharren“ (Art.: beibehalten, in: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, https://fwb-online.de/lemma/bleiben.s.3vu#sense2). Da es konkret um das Fortführen eines Tuns geht, ist der Begriff des Beibehaltens präziser, da dieser das Aufrechterhalten beziehungsweise fortführen des bisher üblichen beschreibt (ver­ gleiche auch Art.: beibehalten, in: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www. dwds.de/wb/beibehalten). Es handelt sich bei dem Beibehalten einer Tätigkeit letztlich um eine Form des Behaltens (vergleiche Art.: beibehalten, in: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, https://fwb-online.de/lemma/behalten.s.3vu?q=beibehalten&page=1). 915 Vergleiche Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59. 916 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59; ders., Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (300). 917 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59; ders., Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (300). 918 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 59, mit Bezug auf Art. 9 Abs. 1 GG; siehe auch Wollenschläger, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 11 Rn. 37; kritisch hierzu Gusy, in von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 11 Rn. 34; Durner, in: von Mangoldt /  Klein / Starck, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 11 Rn. 89. 919 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59.

204

Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

ab.920 Folglich unterlasse derjenige, der ein bestimmtes Verhalten beibehalten wolle, die Verhaltensänderung.921 Ein solches Verhalten könnte sich aber auch als ein Tun darstellen:922 Derjenige, der kontinuierlich einen Beruf ausübt, bestätigt die einmal getroffene Berufswahl immer wieder und macht auf diesem Wege dauerhaft von seiner positiven Berufs­ freiheit Gebrauch.923 So macht der Grundrechtsträger, der jeden Sonntag zum Beten in die Kirche geht, dauerhaft von der positiven Religionsfreiheit Gebrauch. Das Recht zum Tun, ohne zugleich das Recht, eine Verhaltensweise beizubehalten, zu gewähren, wäre überdies ein „nudum ius“924. Schließlich würde dem Grundrechts­ träger dann auf der einen Seite zwar ein Recht gewährt, dieses könne aber, wenn es nicht auch einen ‚Dauerzustand‘ schütze, jederzeit eingeschränkt werden. Die positive Beibehaltungsfreiheit ist daher in Bezug auf das Beibehalten eines Tuns dem Bereich der positiven Freiheit zuzuordnen. Sie bildet faktisch den Gegenpol zur positiven Änderungsfreiheit.925 Der Schutzbereich der negativen Freiheit ist nicht automatisch einschlägig, weil ein Tun zumindest auch als Unterlassen formuliert werden kann. Für die Abgren­ zung von positiver und negativer Freiheit ist entscheidend, wo der Schwerpunkt des infrage stehenden Verhaltens liegt, ob auf einem Tun oder einem Unterlassen. In dieser Konstellation, in der der Grundrechtsträger ein Tun beibehalten möchte, ist sein Willen nicht primär auf das Unterlassen einer bestimmten Alternativtätig­ keit gerichtet,926 sondern auf die weitere Ausübung der ursprünglich frei gewähl­ 920

Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 59, mit Bezug auf Art. 9 Abs. 1 GG. Insbesondere in Bezug auf das Beibehalten des Aufenthaltsorts ist eine Diskussion in der Literatur entfacht, ob es sich hierbei um eine Ausprägung der negativen oder der positiven Freiheit handelt. Für die Klassifizierung des Beibehaltens eines Aufenthaltsortes als Ausprägung der positiven Freiheit siehe Gusy, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 11 Rn. 34; Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 480. Vergleiche auch Kap. 3 A. III. 1. c) (2). 921 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 59, mit Bezug auf Art. 9 Abs. 1 GG. 922 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 57; vergleiche auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59: „fortwährende Entscheidung“, auch wenn er letztlich das „Verharren“ als ein Unterlassen einordnet. 923 Zum Beibehalten der Wahl des Arbeitsplatzes siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 12 Rn. 11; vergleiche auch Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 12 Rn. 288 f. 924 Das Bleiberecht als logische Konsequenz der Freizügigkeit, so Kloepfer, Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandschutz, 1970, S. 84; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 57 mit Fn. 13. 925 Dies erkennt auch Detlef Merten, der die Änderungsfreiheit und die Wechselfreiheit in demselben Satz beschreibt. Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (285). 926 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 57.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

205

ten Tätigkeit, ohne vom Staat daran gehindert zu werden. Der Schwerpunkt des in Rede stehenden Verhaltens liegt daher regelmäßig auf dem aktiven Fortführen des einmal gewählten Verhaltens und nicht auf dem Unterlassen der Änderung der Verhaltensweise. Am Beispiel der positiven Bleibefreiheit zeigt sich auch, wie eng Tun und Unter­ lassen miteinander verwoben sein können, insbesondere wenn ein Unterlassen die Reflexwirkung des Tuns darstellt, oder ein dauerhaftes Tun von außen nicht mehr als Tun, sondern als ein Unterlassen eines anderweitigen Tuns dargestellt wird. Die Unterscheidung von positiver und negativer Freiheit, Tun und Unterlassen, ist folglich nicht immer trennscharf möglich.927 Die Beibehaltungsfreiheit bezieht sich insofern auf die Ebene des ‚Ob‘, als sich dieser Entschluss, etwas zu tun, im Beibehalten des Tuns bestätigt. Primär betrifft das Beibehalten der bestimmten Verhaltensweise jedoch den modus operandi des Tuns und damit die Stufe des ‚Wie‘ der Entschließungsfreiheit. 5. Die (positive) Aufgabe- und Beendigungsfreiheit Mindestens genauso bedeutend wie die positive Änderungsfreiheit ist die (posi­ tive) Aufgabe- und Beendigungsfreiheit für den Grundrechtsgebrauch des Grund­ rechtsträgers.928 Während die positive Betätigungsfreiheit und die positive Aus­ wahlfreiheit Teil der „‚Entstehens‘phase“929 der Grundrechtsausübung, die positive Änderungsfreiheit sowie die positive Beibehaltungsfreiheit Teil der „Bestehens­ phase“ der Grundrechtsausübung sind, ist die (positive)  Aufgabe- und Beendi­ gungsfreiheit der „Endphase“930 der Grundrechtsausübung zuzuordnen.931 Unter dem Begriff der (positiven) Aufgabe- und Beendigungsfreiheit wird das Recht diskutiert, jederzeit mit dem frei gewählten Verhalten aufhören zu können. Die Beendigungs- und Aufgabefreiheit kann also sinnbildlich als ‚Reset-Knopf‘ verstanden werden. Sie bringt den Grundrechtsträger wieder an den Ausgangs­ punkt zurück, an dem er neu über das ‚Ob‘ der Betätigung und (daran anschlie­ ßend) über das ‚Wie‘ der Betätigung befinden kann. Dabei erfasst die Aufgabe- und die Beendigungsfreiheit nicht nur den Verhaltenswechsel vom Tun zum Unterlas­

927

Siehe auch Kap. 1 E. II. Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 59. 929 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57. 930 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57, spricht von der „‚Beendens‘phase“. 931 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 59. 928

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

sen, sondern auch die Konstellationen, in denen der Grundrechtsträger die konkrete Verhaltensform wechselt und zwischen der ursprünglichen und der neuen Tätigkeit eine zeitliche oder inhaltliche Zäsur liegt, etwa weil das Verhalten in den Anwen­ dungsbereich eines anderen Grundrechts fällt.932 Besonders relevant ist die Beendigungsfreiheit für Tätigkeiten, die für eine gewisse Dauer ausgeübt werden. Da die Beendigung eines Tuns zur Untätigkeit führt und sich somit – zumindest für eine juristische Sekunde – als ein Unterlas­ sen des Grundrechtsträgers präsentiert, wird die Aufgabe- und Beendigungsfrei­ heit teilweise als Dimension der negativen Freiheit diskutiert.933 Schließlich wird ein Unterlassen umgangssprachlich häufig als „von etwas ablassen“ oder als „mit etwas aufhören“934 beschrieben. Umgekehrt könnte auch der Akt der Verhaltensaufgabe für die Zuordnung des Verhaltens zur positiven oder negativen Freiheit als entscheidend erachtet werden: Das Aufgeben eines Tuns zeichnet sich durch eine aktive Situationsveränderung aus. Daher könnte angenommen werden, dass es bei der Beendigung eines Tuns und der Aufnahme einer neuen Tätigkeit also „nicht um den Gegensatz von positi­ ver und negativer Freiheit, sondern um zwei verschiedene Erscheinungsformen der (positiven) Handlungsfreiheit“935 geht, insbesondere wenn der Grundrechtsträger sein Tun zwar beendet (und später) aber einen anderen Modus des Tuns wählt. Für eine solche Qualifikation der Aufgabe- und Beendigungsfreiheit spricht auch ihre Nähe zur Änderungsfreiheit, ist es doch nur ein gradueller Unterschied, ob eine Person ihr Verhalten ändert oder beendet.936 Schließlich beinhaltet die Veränderung des Tuns auch die Aufgabe der konkreten Form des bisherigen Tuns. Dann aber müsste konsequenterweise auch die Beendigung des Unterlassens nicht als Unterlassen eines Unterlassens, sondern als Aufgabe des Unterlassens, also als ein Tun, qualifiziert werden, beispielsweise in der Situation, in der der Bürger, der bisher die Mitgliedschaft in einer Vereinigung stets unterließ, nun aber einer Vereinigung beitritt. Auch wenn in dieser Konstellation der Vereinigungsbei­ tritt äußerlich betrachtet als Wahrnehmung der positiven Betätigungs- und Aus­ wahlfreiheit zu betrachten ist, darf dies nicht zur Qualifikation des vorherigen Ver­ haltens, nämlich der Beendigung des Unterlassens, als Teil der positiven Freiheit, führen. Für die rechtliche Klassifizierung der Beendigung des Unterlassens muss

932

Vergleiche hierzu Kap. 3 A. II. 3. Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 58 m. N. 934 Siehe etwa Art.: Unterlassen, in: Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/unterlassen. 935 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57. 936 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 59; Kirchhof, Grundrechtsinhalte und Grundrechtsvoraussetzungen, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 1, 1. Aufl. 2004, § 21 Rn. 11. 933

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

207

allein dieser Akt entscheidend sein. Wird der Schwerpunkt des Verhaltens in die­ ser Konstellation auf dem aktiven Aufgeben gesehen, könnte dieses Verhalten als Tun qualifiziert werden, umgekehrt ließe sich aufgrund des allgemeinen Sprach­ gebrauchs auch mit guten Gründen erwägen, dass es sich um eine Dimension der negativen Freiheit handelt. Insgesamt zeigt die Untersuchung der Aufgabe- und Beendigungsfreiheit, dass die Dichotomie von positiver und negativer Freiheit, insbesondere die Sinnhaftig­ keit der strikten Trennung von positiver und negativer Freiheit, an ihre Grenzen gelangen. Bei der Beendigung eines Verhaltens liegen Tun und Unterlassen sowie Unterlassen und Tun unter Umständen so nahe beieinander, dass sich die Frage, ob es sich bei diesem Beenden der Verhaltensweise um ein Tun oder ein Unterlas­ sen handelt, letztlich nicht allgemeingültig beantworten lässt. Das Verhalten des Grundrechtsträgers kann in dieser Situation gleichermaßen als ein Tun oder ein Unterlassen qualifiziert werden. Die positive und die negative Freiheit schützen daher beide die Dimension der Aufgabe- und Beendigungsfreiheit, sodass auch die Klassifizierung dieser Dimension des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entsprechend den Kategorien von positiver und negativer Frei­ heit angesichts der Wechselwirkungen von Tun und Unterlassen keinen inhaltlichen Mehrwert bietet. Die Beendigung eines Verhaltens genießt schließlich ungeach­ tet der Frage, ob es sich um ein Element der positiven oder der negativen Freiheit handelt, grundrechtlichen Schutz. 6. Zusammenfassung Der grundrechtliche Schutz der positiven Freiheit reicht damit von der „Ent­ stehensphase“ über die „Behaltensphase“ bis zur „Beendigungsphase“ der Grundrechtsausübung.937 Auch wenn die Dimensionen der positiven Freiheit au­ genscheinlich primär die Stufe des ‚Wie‘ und nicht die Stufe des ‚Ob‘ der Ent­ schließungsfreiheit betreffen, betrifft die positive Freiheit auch die Stufe des ‚Ob‘ der Betätigung. Dieser Eindruck ist vor allem dadurch bedingt, dass das Tun eine deutlich höhere Variationsbreite an Verhaltensvarianten beinhaltet und sich daher deutlich vielfältiger präsentiert als ein Unterlassen. Im ‚Wie‘, also in der konkre­ ten Verhaltensform bestätigt sich die Entscheidung über das ‚Ob‘, also über die gewählte Verhaltensweise. Im Gegensatz zur inhaltlichen Bestimmung der negativen Freiheit fällt auf, dass die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit für die positive Freiheit keine speziellen, sich von den allgemeinen Grundrechtsleh­ ren unterscheidenden Regeln definiert. Da ein Tun als nach außen wahrnehmbares

937

Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 57, 59.

208

Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Verhalten schon von Natur aus grundsätzlich konkreter beschrieben werden kann als ein Unterlassen, ist der Einfluss der Lehre des Grundrechtsschutzes von posi­ tiver und negativer Freiheit auf die Ausgestaltung des grundrechtlichen Schutzes eines Tuns gering. Für die Bestimmung des Schutzbereichs der positiven Freiheit gibt die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit keine Vorgaben. Handelt es sich eindeutig bei der fraglichen Handlung um ein Tun wird in der Regel direkt vom grundrechtlichen Schutz dieses Tuns, nicht aber von dem grundrechtlichen Schutz der positiven Freiheit. Der grundrechtliche Schutz der positiven Freiheit umfasst also ein Tun als sol­ ches, die Auswahl einer bestimmten Form des Tuns, das Beibehalten, aber auch die Veränderung dieser Form des Tuns sowie das Beenden des Tuns. Alle Dimensio­ nen der positiven Freiheit beinhalten zugleich eine untergeordnete Unterlassungs­ komponente. Schließlich unterlässt der Grundrechtsträger, der etwas tut, soweit er diese Tätigkeit ausführt, jedenfalls bei dem Verständnis der Exklusivität dieses Tuns, ein anderweitiges Tun. Die positive Freiheit kann daher nicht allein über das Merkmal eines Tuns von der negativen Freiheit abgegrenzt werden.

III. Die Schutzgehalte der negativen Freiheit Deutlich wichtiger als die Untersuchung der positiven Freiheit ist für Detlef Merten die Untersuchung der Ausprägungen der negativen Freiheit, schließlich verhindere gerade der Grundrechtsschutz der negativen Freiheit die Umdeu­ tung der Grundrechte „zu Lenkungsnormen“938. Im Folgenden gilt es daher, den Schutzgehalt des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen grund­ rechtlichen Schutzes zu untersuchen. Schützt die negative Freiheit lediglich das Recht, zu unterlassen, oder erfasst sie auch andere Dimensionen menschlichen Handelns?939 Im Fokus der Betrachtung stehen aber nicht nur die unter dem Begriff der ne­ gativen Freiheit verstandenen einzelnen Schutzdimensionen, sondern vor allem auch die Frage, ob ein unter dem Begriff der negativen Freiheit als spiegelbild­liche Umkehrung des Schutzgehalts der positiven Freiheit verstandener Schutz nicht im Widerspruch zu den liberalen Prämissen des umfassenden Handlungsschutzes steht. Schließlich würden Inhalt und Reichweite in diesem Fall nicht ausgehend von der Idee des umfassenden Handlungsschutzes sowie der Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit eines Verhaltens für die Persönlichkeitsentfaltung des Bürgers

938

Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 5; ähnlich auch die Kritik von Quaritsch, VVDStRL 26 (1968), 111 (Diskussionsbeitrag); Böttcher, Die politische Treupflicht der Beamten und Soldaten, 1967, S. 43 f. 939 Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 32.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

209

bestimmt, sondern durch die positive Freiheit und die in Bezug auf die positive Freiheit getroffenen Beschränkungen eingeschränkt. Die von der Lehre des Grund­ rechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit zur Bestimmung des Inhalts des Grundrechtsschutzes entwickelten Regeln wirken sich schließlich primär auf die Bestimmung des Schutzgehalts der negativen Freiheit aus. Da die von diesem Begriff erfassten Verhaltensdimensionen nur selten in der Außenwelt wahrnehm­ bar sind, ist die zu erbringende Konkretisierungsleistung klassischerweise höher als im Kontext der positiven Freiheit. 1. Die Unterlassungsfreiheit Zunächst gilt es, die Dimension der Unterlassungsfreiheit näher zu betrachten. Dafür ist neben einer Analyse des unter dem Begriff der negativen Freiheit ver­ standenen Unterlassungsschutzes auch eine Abgrenzung vom Grundrechtsverzicht erforderlich. a) Der Schutz des Unterlassens Vielfach wird die negative Freiheit synonym als Begriff für den grundrecht­ lichen Schutz des Unterlassens verstanden.940 Schließlich ist die Unterlassungs­ freiheit die stärkste und elementarste Dimension941 der negativen Freiheit.942 Die Unterlassungsfreiheit schützt das Recht zur völligen Untätigkeit.943 Sie gewährt dem Bürger das Recht zum vollständigen Rückzug in seine Innenwelt und kann daher auch als individuelle Entsagungs- beziehungsweise als Verneinungsfreiheit charakterisiert werden.944

940

Exemplarisch Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 4 Rn. 45. Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 55 f.; Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 60 „stärkste Form“; so bereits ders., Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 60. 942 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 58. 943 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 60; ders., Die negative Garantiefunktion der verfassungs­ rechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (285); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 58; siehe auch Joerden, Art.: Unter­ lassung, Unterlassen, in: Ritter / Gründer / Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Phi­ losophie Online, abrufbar unter https://www.schwabeonline.ch/schwabe-xaveropp/elibrary/ start.xav?start=%2F%2F%2A%5B%40attr_id%3D%27hwph_productpage%27%5D#__ elibrary__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27verw.unterlassung.unterlassen%27%5D__16381 66572240. 944 So auch Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 237, die allerdings den Begriff der Unterlassungsfreiheit missverständlich verwendet. 941

210

Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Teilweise wird vertreten, dass die negative Unterlassungsfreiheit dem Grund­ rechtsträger überhaupt erst die Möglichkeit eröffne, über das ‚Ob‘ der Betätigung zu befinden.945 Würden die Grundrechte nur die positive Freiheit schützen, könnte der Grundrechtsträger schließlich nur über die Art und Weise des Tätigwerdens also über das ‚Wie‘ entscheiden. Aufgrund der vermeintlich positiven Formulierung der Grundrechte946 wird daher teilweise angenommen, dass erst die Ergänzung der positiven Freiheit um die negative Freiheit dem Grundrechtsträger die Entschei­ dungsfreiheit über das ‚Ob‘ der Betätigung einräumt.947 Umgekehrt könnte der Grundrechtsträger – rein hypothetisch betrachtet –, wenn nur ein Unterlassen ge­ schützt würde, nicht über das ‚Ob‘ der Betätigung entscheiden, sodass es in diesem Falle der Ergänzung der negativen Freiheit durch die positive Freiheit bedürfte. Erst das Nebeneinander von Tun und Unterlassen, also von positiver Betätigungs­ freiheit und negativer Unterlassungsfreiheit, stellt das ‚Ob‘ der Betätigung in das Belieben des Grundrechtsträgers. Nur wenn der Grundrechtsträger diese Möglich­ keit, über das ‚Ob‘ der Betätigung zu entscheiden, hat, können die Grundrechte als „Selbstverfügungsrechte“948 qualifiziert werden.949 Der Bürger kann in freier Selbstbestimmung und -verantwortung über die eigene Grundrechtsausübung be­ finden.950 Er hat durch das Nebeneinander des Schutzes von positiver und negativer Freiheit sprichwörtlich das Recht, zu tun und zu lassen,951 was er möchte. Durch die Unterlassungsfreiheit hat der Grundrechtsträger also die Möglichkeit, sich frei da­ für zu entscheiden, eine beliebige Meinung zu äußern, oder diese zu verschweigen. Er kann an einer Versammlung teilnehmen, muss dies aber nicht. Er kann einen Film oder einen Rundfunkbeitrag produzieren und veröffentlichen, er kann es aber auch unterlassen, einen Film oder einen Rundfunkbeitrag zu veröffentlichen. Die negative Freiheit, insbesondere die Dimension der negativen Unterlassungsfreiheit, schützt also das Recht zum Untätigsein.952

945

Schubert, RdA 2001, 199 (201) m. w. N.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3/1, 1988, S. 629; Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (104 ff.). 946 Siehe hierzu Kap. 1 A. 947 Schubert, RdA 2001, 199 (201). 948 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 61; Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 31 Rn. 24; ­Isensee, ZRP 1996, 10 (12). 949 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 154 m. w. N.; siehe auch Volkmann, Freiheit und Gemeinschaft, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 32 Rn. 21; siehe auch Renck, NVwZ 1994, 544 (545); Isensee, ZRP 1996, 10 (12). 950 Siehe auch Renck, NVwZ 1994, 544 (545); Isensee, ZRP 1996, 10 (12). 951 Siehe auch Renck, NVwZ 1994, 544: „[…] von Möglichkeiten Gebrauch zu machen oder es zu lassen.“ 952 Der Begriff der Untätigkeit ist missverständlich, da er den Anschein erweckt, dass der­ jenige, der etwas unterlässt, nicht handelt. Dabei handelt es sich jedoch auch bei einem Unter­ lassen um eine Handlung und den Gebrauch grundrechtlicher Freiheit, siehe insbesondere Kap. 1  G. II. 1.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Fraglich ist, ob das „Recht zur Untätigkeit“953 auch ein Recht zum „Nicht-­ Haben“954 beziehungsweise ‚Nicht-Ausüben‘ eines Verhaltens umfasst. Dann würde die negative Freiheit beispielsweise auch die Glaubens-, Gewissens-, Meinungs­ losigkeit schützen. Während das ‚Nichtmitgliedsein‘ in einer Vereinigung als Vereinigungslosigkeit oder bei der Versammlungsfreiheit, die ‚Nichtteilnahme‘ an einer Versammlung ohne weiteres auch als Versammlungslosigkeit verstanden werden, da der Schutzbereich dieser kollektiven Freiheiten auch ohne die Beteili­ gung des Einzelnen eröffnet sein kann, stellt sich in Bezug auf die Religions- und die Meinungsfreiheit indes die Frage, ob das Haben keiner Religion nicht mög­ licherweise eine eigene Religion beziehungsweise Weltanschauung955 oder das Haben keiner Meinung nicht eine eigene Meinung ist und damit nicht letztlich die positive Freiheit betroffen ist. Bei einem solchen Schutzbereichsverständnis würde also derjenige, der keine Religion oder keine Meinung hat, von seiner positiven Re­ ligions-/Weltanschauungsfreiheit beziehungsweise von seiner positiven Meinungs­ freiheit Gebrauch machen. Hat sich der Grundrechtsträger keine Auffassung über die Stellung des Menschen in der Welt und seine Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten gebildet, ist nach dem dieser Arbeit zugrundeliegen­ den Verständnis der sachliche Schutzbereich der Religionsfreiheit nicht eröffnet.956 Ebenso ist der sachliche Schutzbereich der Gewissensfreiheit nicht eröffnet, wenn 953

Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 26. 954 Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 95: „Die [negative] Meinungsfreiheit umfasst auch das Recht, keine Meinung bilden zu müssen“; so auch Schmidt, in: ErfK, 22. Aufl. 2022, Art. 5 Rn. 9; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 1–2 Rn. 74: „eine Meinung nicht zu haben“; so auch Degenhart, in: Bonner Kommentar, GG, 185. Aktualisierung Juli 2017, Art. 5 Rn. 145; Husemann, Das Ver­ bot der parteipolitischen Betätigung, 2013, S. 163: „keine Meinung haben“; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 1–2 Rn. 74; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 4 Rn. 64; Vögele, Christliche Elemente in der Begründung von Menschenrechten und Menschenwürde im Kontext der Entstehung der Vereinten Nationen, in: Reuter (Hrsg.), Ethik der Menschenrechte, 1999, S. 103 (114): „die negative Religionsfrei­ heit, also die Option, keiner Religion anzugehören“; siehe auch Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 69: „einen bestimmten Glauben nicht zu haben.“; siehe auch Mückl, in: Bonner Kommentar, GG, 210. Aktualisierung Februar 2021, Art. 4 Rn. 167: „Das Recht, einen Glauben, Weltanschauung oder Gewissen verwirklichende Entscheidung nicht zu tref­ fen“ (Herv. i. O.); so auch Muckel, in: Berliner Kommentar, GG, 26. Erg.-Lfg. IV/09, Art. 4 Rn. 21; differenzierter in Bezug auf die negative Glaubensfreiheit Mager, in: von Münch / Ku­ nig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 37. 955 Siehe hierzu schon Kap. 1 A. I. 3.; Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit?, in: FS Kriele, 1997, S. 301 (309); Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, 1997, S. 58; Starck, in: von Mangoldt / K lein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 23. 956 So auch Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei Ausgestal­ tung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 218, 220, der sich auch kritisch gegenüber der Eröffnung des Schutzbereichs der Weltanschauungsfreiheit in diesen Konstellationen äußert. Soweit die Religionslosigkeit des Grundrechtsträgers die Entscheidung beinhaltet, sich von der Stellung des Menschen in der Welt, seiner Beziehung zum Weltganzen keine Vorstellungen zu machen, greift nach dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnis auch der Grundrechts­ schutz der (positiven) Weltanschauungsfreiheit nicht ein.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

der Grundrechtsträger eine Gewissensentscheidung nicht trifft.957 Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG bezieht sich gerade auf das Äußern und Verbreiten, also auf den kommunikativen Vorgang; ein solcher kommunikativer Vorgang liegt je­ doch nicht vor, wenn der Grundrechtsträger sich keine Meinung gebildet hat.958 Da die inhaltliche Reichweite eines Grundrechts durch den sachlichen Schutzbereich begrenzt wird, kann sich der Schutz des infrage stehenden Grundrechts nur auf den durch dieses Grundrecht abgebildeten Ausschnitt der „‚Wirklichkeit‘, der [den] Gegenstand der Gewährleistung“959 beziehen. Da positive und negative Freiheit auf den Rückbezug zum speziellen Freiheitsrecht angewiesen sind, den durch dieses Recht gewährten Verhaltensschutz konkretisieren, können sie nicht den durch das spezielle Grundrecht abgebildeten Lebensbereich, also den Anwendungsbereich eines speziellen Freiheitsrechts, erweitern. Da das ‚Nichthaben‘ einer Religion, eines Gewissens oder einer Meinung nicht vom Schutzbereich dieser Grundrechte abgebildet wird, kann dieses ‚Nichthaben‘ nicht von der positiven oder negativen Freiheit dieses Freiheitsrechts erfasst werden.960 Auf den ersten Blick erscheint 957

Ein Blick auf die im Parlamentarischen Rat diskutierten Vorschriften zur Regelung der negativen (Religions-, Meinungs- und Vereinigungs-)Freiheit zeigt, dass diese Entwürfe auch nicht das Recht zur Glaubens- oder Meinungslosigkeit schützen sollten. Der Bürger sollte le­ diglich vor der Pflicht, seine Meinung oder religiösen Überzeugungen, also dem Kommuni­ kationsvorgang, zu offenbaren, geschützt werden. Siehe hierzu Kap. 1 C. IV. 958 Der Verfassungsgeber hätte schließlich auch eine Alternativformulierung wählen können, wie etwa ‚die Meinungsfreiheit wird gewährleistet‘ oder ‚Meinungen sind frei‘. Die hiesige Formulierung stellt eher auf den Prozess des Äußerns und Verbreitens ab. Die Meinungsfrei­ heit muss entsprechend des Wortlautes strenggenommen als Meinungsäußerungsfreiheit ver­ standen werden, mit der Folge, dass sich die positive und die negative Meinungsfreiheit nur auf das (Nicht-)Offenbaren einer Meinung beziehen können. Dass die Meinungsfreiheit einen kommunikativen Vorgang schützt bedeutet nicht, dass die Meinungsfreiheit das Haben einer Meinung nicht schützt. Das Haben einer Meinung ist schließlich Voraussetzung des Äußerns einer Meinung. Wenn der Grundrechtsträger dauerhaft an einer Meinung festhält und sie mehr­ fach äußert, dann kann diese Meinung nicht nur im Kontext ihrer Kundgabe grundrechtlichen Schutz genießen, sondern muss dauerhaft, solange der Grundrechtsträger an dieser Meinung festhält, geschützt werden. Schließlich ist der Lebensbereich, der durch das Grundrecht ab­ gebildet wird, in diesem Fall betroffen. Hat der Grundrechtsträger hingegen keine Meinung, fehlt das für einen Kommunikationsvorgang erforderliche Element, sodass der Lebensbereich, den die Meinungsfreiheit abbilden soll, nicht betroffen ist. Schließlich wird auch im Fall des nichtöffentlich gesprochenen Wortes wegen des fehlenden Kommunikationsvorgangs die Er­ öffnung des Schutzbereiches der Meinungsfreiheit abgelehnt, ausführlich hierzu Fn. 961. 959 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 10 Rn. 310. 960 Vergleiche in Bezug auf die negative Meinungsfreiheit auch Jestaedt, Meinungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 102 Rn. 42. Jestaedt äußert sich zwar grundsätzlich kritisch gegenüber der Anerkennung einer negati­ ven Meinungsfreiheit, im Kontext der negativen Meinungsfreiheit spricht er aber nur von dem Schutz, sich nicht zu äußern beziehungsweise seine Meinung nicht zu verbreiten, nicht aber von einem ‚Nicht-Haben‘ einer Meinung. Ähnlich auch die Ausrichtung der Ausführun­ gen von Starck / Paulus zur negativen Meinungsfreiheit. Siehe Starck / Paulus, in: von Man­ goldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 93: „Auch der Verzicht darauf oder die Weigerung, seine Meinung zu äußern, ist von der Meinungsfreiheit gedeckt, sog. negative Meinungsfreiheit.“; so auch Schemmer, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 5 Abs. 3

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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dann aber der grundrechtliche Schutz der Entschließungsfreiheit in Bezug auf die Entscheidung über das ‚Ob‘ der Betätigung eingeschränkt zu sein. Schließlich könnte die Entscheidung über das ‚Ob‘ auch als eine Entscheidung über die Frage verstanden werden, ob der Grundrechtsträger eine Meinung haben möchte oder ob er keine Meinung haben möchte, und gerade nicht nur als Entscheidung, ob der Grundrechtsträger seine religiösen Überzeugungen äußern möchte oder nicht. In der ersten Konstellation wird die Entscheidung über das ‚Ob‘ durch den Grund­ rechtsträger nicht getroffen. Der Grundrechtsträger, der sich keine Meinung gebil­ det oder keine Vorstellungen über die eigenen religiösen Überzeugungen gemacht hat, hat sich allerdings keine Gedanken über das ‚Ob‘ der Betätigung gemacht. Daher wird bei einem solchen Verständnis die Entscheidung über das ‚Ob‘ gerade nicht berührt. Ein solches Verhalten ist allerdings nur bei einem entsprechenden staatlichen Eingriff relevant. Die Beschränkung des Grundrechtsschutzes von Handlungen folgt in diesem Fall also aus der Bereichsdogmatik der Grundrechte und nicht aus der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit.961 Der Grundrechts­ träger ist in einer solchen Situation nicht schutzlos, statt des Grundrechtsschutzes der positiven oder der negativen Freiheit eines speziellen Freiheitsrechts ist in die­ sen Konstellationen nach dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnis das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die allgemeine Handlungsfreiheit einschlä­ gig. Durch den Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht entstehen keine Schutzlücken, die es rechtfertigen würden, aus dem liberalen Gedanken des effek­ tiven beziehungsweise umfassenden Freiheitsschutzes heraus den Anwendungsbe­ reich der speziellen Freiheitsrechte zu erweitern. Schließlich könnten gerade mit Blick auf die Rechtfertigung von Eingriffen unterschiedliche Ergebnisse erzeugt werden. So unterliegen sowohl Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG als auch  – zumindest ­Michael / Morlok962 folgend – Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG verfassungsimmanenten

Rn. 16; vergleiche auch Kühling, in: BeckOK InfoMedienR, 35. Ed. 01. 11. 2021, Art. 5 GG Rn. 35: „die Freiheit, von einer Meinungsäußerung abzusehen“; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 140: „das bloße Nichthaben eines Glaubens ist durch die Glaubensfreiheit nicht geschützt.“; vergleiche auch Hesse, Grundzüge des Verfassungs­ rechts, 20. Aufl. 1999, § 9 Rn. 288: „die positive Freiheit, einen Glauben zu bekennen, eine Meinung zu äußern […] gewährleistet, sondern ebenso die negative Freiheit, keinen Glauben zu bekennen, keine Meinung zu äußern“; differenzierter Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 37. Mit der Meinungslosigkeit oder der Religionslosigkeit darf nicht verwechselt werden, dass die negative Freiheit den Einzelnen davor schützt, sagen zu müssen, dass er seine religiösen Überzeugungen oder seine Meinung verschweigen wolle. Der Grundrechtsträger muss sich also nicht explizit auf seine negative Freiheit berufen, so im Kontext der negativen Bekenntnisfreiheit Lorenz, JuS 1974, 436 (439). Damit wird in der Rechtspraxis selten feststellbar sein, ob der Grundrechtsträger meinungslos beziehungsweise religionslos ist oder von seiner negativen Meinungs- oder Religionsfreiheit Gebrauch macht. 961 Anders Röhrig, Religiöse Symbole, 2017, S. 133 f., die aus der negativen Glaubensfreiheit das Recht ableitet „in Fragen religiöser Einstellungen indifferent zu bleiben.“ 962 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 654.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Schranken,963 mit der Folge, dass ein Eingriff in diese Grundrechte nur zugunsten anderer Güter von Verfassungsrang zulässig ist. Dies hat nicht nur zur Konsequenz, dass der Zweck des Eingriffs nur ein solcher von Verfassungsrang sein darf, son­ dern erfordert im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zugleich, dass der strenge Maßstab praktischer Konkordanz Anwendung findet.964 Da diese Konstellationen regelmäßig den Anwendungsbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und nicht den Anwendungsbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit betreffen,965 die „im Ergebnis weniger weitgehend[e] Einschränkungsmöglichkeiten als die allge­ meine Handlungsfreiheit“966 hat, ist mit Blick auf die Rechtfertigungsebene ein geringerer Schutz des Bürgers nicht zu befürchten: Gerade im Bereich der Ver­ hältnismäßigkeitsprüfung definiert das allgemeine Persönlichkeitsrecht strenge Maßstäbe. So ist der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts „umso inten­ siver, je“ stärker das konkrete Verhalten sich als Ausdruck „der Intimsphäre des Betroffenen“ präsentiert, „die als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gegenüber aller staatlicher Gewalt Achtung und Schutz beansprucht“967. Im Ergeb­ nis gilt daher auch ein strengerer Maßstab für die Verhältnismäßigkeitsprüfung, sodass eine Ausdehnung des Schutzbereichs der speziellen Freiheitsrechte nicht notwendig ist.968 Die Freiheitsphäre des Grundrechtsträgers wird ausreichend ge­ schützt. Die negative Freiheit schützt also nicht das ‚Nichthaben‘ einer Meinung, Religion oder Weltanschauung.

963

Zu den Schranken der Meinungsfreiheit ausführlich Kap. 5 A. III. Vergleiche Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 2 Rn. 72, § 10 Rn. 317 ff.; Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 734 ff. 965 Schließlich handelt es sich bei den infrage stehenden Verhaltensweisen um solche, „die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen“, so BVerfGE 120, 274 (303); 54, 148 (153); 99, 185 (193); vergleiche auch Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 69 mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts in Fn. 311. Da auch nicht öffentlich gesprochene Worte – zum Beispiel Selbst­ gespräche oder Tagebucheintragungen – vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeits­ rechts erfasst werden, also Konstellationen, in denen der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht eröffnet ist, weil keine auf einen anderen gerichtete Kundgabe einer Meinung vorliegt, muss auch das Nichthaben einer Meinung von diesem Grundrecht erfasst werden, schließlich liegt auch in diesem Fall keine auf einen anderen gerichtete Kommunikation vor. Vergleiche hierzu etwa Lang, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 2 Rn. 39a; ähnlich im Ansatz auch Kunig / Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 58. 966 Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 91; so auch Jarass, NJW 1989, 857 (860 f.); Degenhart, JuS 1992, 361 (363). 967 BVerfGE 89, 69 (82 f.); siehe auch Degenhart, JuS 1992, 361 (363); Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 2 Abs. 1 Rn. 92. 968 Überdies ist es zweifelhaft, über die Schranken des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2  GG und die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG auf eine höhere Schutzbedürftigkeit der Meinungslosigkeit und Religionslosigkeit zu schließen, schließlich sind Eingriffe in das Leben oder die körper­ liche Unversehrtheit des Grundrechtsträgers aufgrund eines einfachen Gesetzesvorbehalt ein­ gegriffen werden, ohne dass dies bedeutet, dass in diesen Fällen ein geringeres Schutzbedürf­ nis existiert. 964

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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An diese Erkenntnis schließt sich die Frage an, ob das Fernbleiben von einer Versammlung oder einer Vereinigung unter den sachlichen Schutzbereich dieser Grundrechte subsumiert werden kann. Schließlich setzt die Eröffnung des Schutz­ bereichs der Versammlungsfreiheit das Zusammentreffen mehrerer Personen und die Eröffnung des Schutzbereichs der Vereinigungsfreiheit den Zusammenschluss mehrerer Personen voraus.969 Derjenige, der von einer Versammlung oder einer Vereinigung fernbleiben möchte, schließt sich jedoch nicht mit einem anderen zusammen. Sein Verhalten leistet also nicht den zur Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs erforderlichen Beitrag. Da die Vereinigungs- und die Versamm­ lungsfreiheit stets das Zusammenwirken mehrerer erfordern, hat der Einzelne von vornherein nur einen geringen Einfluss auf die Eröffnung des sachlichen Schutz­ bereiches. Diese Konstellation ist also nicht im engeren Sinne mit derjenigen der Meinungs- oder der Religionslosigkeit vergleichbar, obgleich es sich sowohl bei der Meinungs- als auch bei der Versammlungsfreiheit – im weiteren Sinne auch bei der Religions- und der Vereinigungsfreiheit – um Kommunikationsfreiheiten handelt. Schließlich betreffen die Situationen der Meinungs- oder Religionslosig­ keit direkt das Individuum, und nicht die Wirkungen, die von seinem kommunika­ tiven Verhalten ausgehen.970 Soweit es jedoch um das Recht, von einer Vereinigung oder einer Versammlung fernzubleiben geht, wird der Grundrechtsträger von den Wirkungen, die von einer Vereinigung / einer Versammlung ausgehen, also dem im weiteren Sinne kommunikativen Verhalten anderer, betroffen sein. Aus Wertungs­ gesichtspunkten zum Schutz der Freiheitsphäre des Bürgers ist es naheliegend, das Fernbleiben von einem Kollektiv vom Schutzbereich der speziellen Freiheitsrechte erfasst zu verstehen, soweit eine Versammlung oder eine Vereinigung vorliegt, schließlich ist der von dem speziellen Freiheitsrecht erfasste Lebensbereich auch in der Person des Außenstehenden betroffen.971 Entsprechend den liberalen Prä­ missen des umfassenden Freiheitsschutzes ist es sachgerecht, obgleich die Person, die von diesen Zusammenkünften/-schlüssen fernbleiben möchte, keinen aktiven Beitrag zur Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs leistet, die Versammlungsund Vereinigungsfreiheit anzuwenden. Ein Fernbleiben des Grundrechtsträgers kann dann allerdings nur in Ansehung einer konkreten Versammlung, an der er nicht teilnehmen möchte, beziehungsweise in Ansehung einer konkreten Vereini­ gung, die gegründet werden soll oder der der Grundrechtsträger beitreten soll, von 969 Ausführlich zu der Frage, wie viele Personen zusammentreffen müssen, damit eine Ver­ sammlung bejaht werden kann, Hartmann, in: Bonner Kommentar, GG, 191. Aktualisierung Juni 2018, Art. 8 Rn. 154 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 8 Rn. 13; Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, 2002, Art. 8 Rn. 15, 18; Geis, in: Berliner Kom­ mentar, GG, 10. Erg.-Lfg. IX/04, Art. 8 Rn. 28. 970 Kritisch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 84, da der kommuni­ kative Charakter bei der negativen Koalitionsfreiheit fehle. 971 Anderer Ansicht Gusy, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 8 Rn. 33: „Versammlungsfreiheit ist Freiheit mit anderen, nicht von anderen. Sie ist auf kollek­ tives Handeln und nicht auf individuelles Unterlassen gerichtet.“ Daher sei die Freiheit, von einer Versammlung fernzubleiben, nicht Bestandteil des durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleis­ teten Grundrechtsschutzes, sondern Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

dem unter den Begriffen der negativen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit abgebildeten Grundrechtsschutz erfasst werden. Die Bestimmung des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen grundrechtlichen Schutzes hängt also stets von den zu den einzelnen Freiheitsrech­ ten bestehenden spezifischen Bereichsdogmatiken ab, die ihrerseits dem grund­ rechtlichen Schutz von Handlungen einen eigenen Rahmen geben.972 Die negative Unterlassungsfreiheit erfasst folglich das Recht zur Untätigkeit, nicht aber das Recht, sich keine Gedanken über den Gebrauch eines Grundrechts machen zu müssen. b) Das Unterlassen als symmetrische Entsprechung eines Tuns Gerade der Schutzgehalt der negativen Unterlassungsfreiheit wird aufgrund der ‚Symmetriethese‘ häufig einseitig ausgehend vom Schutzgehalt der positiven Freiheit als Negation beziehungsweise als Unterlassen des durch die positive Frei­ heit geschützten Tuns verstanden: als das Recht, nicht zu glauben,973 sich nicht zu informieren,974 die Ehe nicht einzugehen,975 sich nicht zu versammeln,976 keinen Beruf zu haben977 oder keinem Verein beizutreten978. 972 Fraglich ist, wie die negative Ehe-, Eigentums-/Erb-, Presse-/Rundfunk-/Film-, Kunstund Berufsfreiheit demnach zu beurteilen wären. Die negative Ehefreiheit schützt das Recht, keine Ehe zu haben beziehungsweise eingehen zu müssen, hier ist immer das Zusammenspiel zweier Ehepartner erforderlich, sodass auch hier also das Recht, keine Ehe zu haben, geschützt wird, die negative Eigentums-/Erbfreiheit schützt auch das Recht, kein Eigentum erwerben zu müssen, etwa durch rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Eigentumsübergang. In den Kon­ stellationen, in denen die Bestimmung des Verhaltens zumindest auch von äußeren Faktoren abhängt, wird also ein ‚Nicht-Haben‘ geschützt, soweit die äußeren Faktoren dazu führen, dass der Lebensbereich, den das Grundrecht zum Gegenstand hat, betroffen ist. 973 Statt vieler Renck, ZRP 1996, 205; ders., NVwZ 1994, 544; Siering, Die negative Reli­ gionsfreiheit, 2011, passim; Starck, in: von Mangoldt / K lein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 23 ff. 974 Statt vieler Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 58 ff.; Fikentscher / Möllers, NJW 1998, 1337; Wendt, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 54; Kühling, in: BeckOK InfoMedienR, 35. Ed. 01. 11. 2021, Art. 5 GG Rn. 44; Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 1018 f.; zweifelnd Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2021, Art. 5 Abs. 1–2 Rn. 84. 975 Statt vieler Robbers, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 57 f. 976 Statt vieler Schneider, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 8 Rn. 18; Ernst, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 86; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 196. 977 Statt vieler Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufsund Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285; Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 12 Rn. 7 ff. 978 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 210.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Diese Form der Beschreibung eines Unterlassens ist insoweit naheliegend, als ein Unterlassen eines Grundrechtsträgers empirisch nur selten zu beobachten ist.979 Ein Unterlassen „gewinnt […] erst durch wertende Zuschreibungen, d. h. aus dem gedachten alternativen aktiven Tun ihre entspr.en Parameter.“980 Obgleich zwischen Tun und Unterlassen eine inhaltliche Verbindung besteht, wäre es verfehlt, den Ge­ währleistungsgehalt der Unterlassungsfreiheit als Negation beziehungsweise als Spiegelbild des unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandenen Verhaltens­ schutzes zu definieren.981 Grund hierfür ist das unterschiedliche Störungspotential und -niveau der verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten. Da die Unterlassungsfrei­ heit einen nahezu vollständigen Rückzug des Bürgers aus der Außenwelt bedeutet, passen gewisse Schutzbereichsbeschränkungen, die auf das konfliktträchtigere Tun zugeschnitten sind, nicht auf den grundrechtlichen Schutz des Unterlassens.982 Da sich der grundrechtliche Schutz der negativen Freiheit nicht aus der positiven Frei­ heit ableitet, sondern selbst Ausdruck des liberalen Gedankens des umfassenden Handlungsschutzes ist, gibt es keinen Grund, die Schutzbereichsbeschränkungen der positiven Freiheit auf die negative Freiheit zu übertragen. Während die Teilnahme an einer Versammlung, also die positive Versammlungs­ freiheit, nur dann den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG genießt, wenn die Versamm­ lung ‚friedlich und ohne Waffen‘ stattfindet, bedarf es dieser Begrenzung des Schutzbereichs wegen des geringeren Konfliktpotentials beim Fernbleiben von einer Versammlung, also der negativen Versammlungsfreiheit, nicht. Grund für diese Begrenzung des Schutzbereiches ist schließlich, dass diesen besonders ge­ fährlichen, unfriedlichen Versammlungen mit einem hohen Eskalationspotential der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG nicht gewährt werden sollte.983 Diese Gefahr be­ steht bei der Ausübung der negativen Versammlungsfreiheit nicht. Im Gegenteil: Das Recht, an einer unfriedlichen Versammlung nicht teilnehmen zu müssen, ist nicht nur wegen seines geringeren Störungspotentials erst recht schutzwürdig.984 Derjenige, der die Teilnahme an einer aufrührerischen Versammlung unterlässt, trägt zur Abschwächung des Gefahrenpotentials der Versammlung bei. Daher kann seine negative Versammlungsfreiheit nicht mit dem Argument abgelehnt werden, 979 Reimer, Art.: Handeln, Handlung, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Bd. 2, 8. Aufl. 2018, II.2.a). 980 Reimer, Art.: Handeln, Handlung, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Bd. 2, 8. Aufl. 2018, II.2.a). 981 Grundsätzlich kritisch gegenüber der Definition eines Unterlassens als Negation eines Tuns Rödig, Die Denkform der Alternative, 1969, S. 77. 982 Bethge, JA 1979, 281 (284 f.); von Mutius, VerwArch 64 (1973), 81 (82); dazu sogleich auch ausführlich unter Kap. 3 A. IV. 4. d). 983 Gusy, JuS 1986, 608 (609); ders., in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 8 Rn. 22 ff., 26 ff.; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 280; vergleiche auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 8 Rn. 41 ff.; Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 29 ff.; Geis, in: Berliner Kommentar, GG, 10. Erg-Lfg. IX/04, Art. 8 Rn. 43 ff. 984 Vergleiche auch Gusy, JuS 1986, 608 (609); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 164.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

dass die Versammlung, der er fernbleibt, aufrührerisch ist. Überdies handelt es sich bei dem Schutz eines unfriedlichen und bewaffneten Nichtversammelns um eine sinnlose Konstruktion. Ähnliche Schwierigkeiten zeigen sich auch bei der genaueren Betrachtung der negativen Informationsfreiheit. Wenn die positive Informationsfreiheit die Unter­ richtung aus allgemein zugänglichen Quellen erfasst,985 müsste sich die nega­ tive Freiheit als spiegelbildliche Negation auch auf Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen beschränken.986 Dabei ist nicht nur die Bestimmung des Merkmals der „allgemein zugänglichen Quellen“ bereits bei der positiven Frei­ heit umstritten,987 vielmehr ist die Frage nach der allgemeinen Zugänglichkeit bei einer aufgedrängten Information ohnehin obsolet. Für den Bürger macht es letzt­ lich in der Sache keinen Unterschied, ob die aufgezwungenen Informationen aus allgemeinen oder individuell zugänglichen Quellen stammen.988 Im Interesse des umfassenden Schutzes der freien Entfaltung der Persönlichkeit muss daher auf diese Schutzbereichsbeschränkungen bei der Definition negativen Freiheit ver­ zichtet werden.989 Bei der einseitigen Bestimmung des Schutzbereichs ausgehend von der positiven Freiheit auf Grundlage der ‚Symmetriethese‘ bleiben diese Aspekte unberücksich­ tigt. Der Grundrechtsschutz der negativen Unterlassungsfreiheit kann daher nicht immer streng als Spiegelbild der positiven Freiheit definiert werden. Aufgrund des Einflusses der liberalen Grundrechtstheorie müssen in diesen Konstellationen die Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit der individuellen Selbstbestimmung und -ent­ faltung über den Grundrechtsschutz eines Unterlassens entscheiden. 985

BVerfGE 27, 71 (83); 33, 52 (65); 90, 27 (32); 103, 44 (60); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 5 Abs. 1–2 Rn. 77 ff.; Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 1006 ff.; Bethge, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 55 ff. Dörr, Infor­ mationsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 103 Rn. 27 ff.; Langer, Informationsfreiheit als Grenze informationeller Selbstbestimmung, 1992, S. 129 ff.; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 133; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 23; Starck / Paulus, in: von Mangoldt / K lein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 108 ff. 986 Zur Spiegelbildlichkeit siehe unter Kap. 3 A. I. 987 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 76, 134; zum Schutz vor aufgedrängten Informationen durch die negative Informationsfreiheit siehe auch Grabenwarter, in: Dürig /  Herzog / Scholz, GG, 92. EL August 2020, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 1019; Dörr, Informations­ freiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 103 Rn. 63 f., 67 ff. 988 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 134; siehe auch Hellermann, Die soge­ nannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 164. 989 Vergleiche auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 82 f., der auf eine ähnliche Problematik im Kontext der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG hinweist. Schließlich müsse der Zweck der Koalition die ‚Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbe­ dingungen‘ sein. Die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen können jedoch nur durch ein Tun gefördert werden, sodass entsprechend der Kategorien von positiver und negativer Freiheit nur die positive Freiheit von diesem Vorbehalt betroffen sein kann. Auf die negative Koalitions­ freiheit ist diese Anforderung nicht übertragbar.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

219

c) Der umfassende Schutz der völligen Untätigkeit Fraglich ist, ob jedes spezielle Handlungsgrundrecht – mit Ausnahme des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG – die Dimension der Unterlassungsfreiheit schützt, oder ob es vom Grundsatz des grundrechtlichen Schutzes eines Unterlassens im Kontext der Hand­ lungsgrundrechte990 Ausnahmen gibt. (1) Die Unterlassungsfreiheit im Kontext der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG Die Untersuchung des grundrechtlichen Schutzes im Kontext der Gewissensfrei­ heit des Art. 4 Abs. 1 GG ist insofern besonders interessant, als der Grundrechts­ träger aufgrund eines Gewissenskonfliktes ohnehin eine Tätigkeit unterlassen kann.991 Ein Unterlassen des Bürgers ist in einem solchen Fall entsprechend der Differenzierung zwischen dem grundrechtlichen Schutz von positiver und negati­ ver Freiheit der Kategorie der positiven Freiheit zuzuordnen. Nach vereinzelter Auffassung ist unter dem Begriff der negativen Gewissensfrei­ heit daher nur ein Unterlassen des gewissensgeleiteten Tuns nach erfolgter Gewiss­ enprüfung, nicht aber ein Unterlassen der Gewissensbefragung zur Vermeidung eines Gewissenskonfliktes geschützt.992 Die negative Gewissensfreiheit würde demnach eine Konstellation betreffen, in der der Grundrechtsträger sein Gewis­ sen befragt und sich nicht entsprechend den Vorgaben seines Gewissen verhalten will, wenngleich der Staat ihn zu einem seinem Gewissen entsprechenden Verhal­ ten verpflichtet hat. Dann aber wäre ausgehend vom Gewissensbegriff des Art. 4 Abs. 1 GG zweifelhaft, ob es sich wirklich um eine ernstliche sittliche Entschei­ dung handelt, die der Einzelne als inhaltlich für sich bindend erachtet. Schließlich drückt der Grundrechtsträger in dem Moment, in dem er sein Verhalten nicht an dieser Gewissensentscheidung orientiert, aus, dass er durch ein gegenteiliges Tun nicht in ernste Gewissensnot gerät.993 990

Vergleiche Kap. 1 G. Vergleiche Kap. 1  F. III. 1. 992 Stern / Sachs / Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4/2, 2011, S. 991 f. 993 Siehe Bethge, Gewissensfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staats­ rechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 158 Rn. 20, 23: „existentielle Identitätskrise“; ähnlich auch ­Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 4 Rn. 45: „Ein Abweichen muss die Identität und Integrität des Grundrechtsträgers gefährden; es darf keine Möglichkeit eines zumutbaren Ausweichens geben“. Anderer Ansicht Mager, in: von Münch / Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 84: „Jedoch ist die ‚Gewissensnot‘ zur Erläuterung der Gewissensentscheidung letztlich nicht erforderlich. Sie unterstreicht nur die bereits mit dem Adjektiv ‚unbedingt‘ hervorge­ hobene Stärke des Verpflichtungsempfindens und macht, indem sie die Folgen einer Zuwider­ handlung bezeichnet, gleichzeitig deutlich, dass ein Handeln gegen die Gewissensentscheidung denkbar ist, die geforderte ‚Unbedingtheit‘ also nicht eine psychisch-physische Unmöglichkeit meint“; ähnlich auch Morlok, in: Dreier, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 102. 991

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Nach anderer Auffassung greift der Schutz der negativen Unterlassungsfreiheit im Kontext der Gewissensfreiheit besonders früh ein: Da unter liberalen Prämissen die individuelle Freiheitsphäre auch vor dem Zwang zur Gewissenserforschung in empfindlicher Weise beschränkt wird, setzt die Unterlassungsfreiheit noch vor der Gewissensbefragung an.994 Die negative Unterlassungsfreiheit schützt insoweit das Recht, sich „zu einer bestimmten Frage […] nicht zu einer für sich selbst letztver­ bindlichen Entscheidung durchringen zu müssen“.995 Der Grundrechtsträger kann daher nach eigenem Ermessen darüber befinden, in welchen Konstellationen er sein Gewissen prüft und ein „eigenes oder fremdes Verhalten an den Kategorien von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ messen will“996, wie ihm die negative Religionsfreiheit etwa auch das Recht gewährt, sich nicht zu entscheiden, welcher Religion der Bürger angehören möchte beziehungsweise welchen religiösen Überzeugungen entspre­ chend er sein Leben ausrichten möchte. Mit einem solchen Verständnis der negativen Gewissensfreiheit wird jedoch ver­ kannt, dass die Eröffnung des Schutzbereichs der Gewissensfreiheit das Bestehen eines Gewissenskonfliktes voraussetzt.997 Wenn der Grundrechtsträger durch die negative Gewissensfreiheit ein Recht habe, die Gewissensbetätigung zu unterlas­ sen, könne dieser definitorisch geforderte Gewissenskonflikt nicht vorliegen. Die negative Unterlassungsfreiheit würde dann im Ergebnis die Freiheit zur Gewissens­ losigkeit schützen, die nicht existiere.998 Der durch das spezielle Grundrecht der Gewissensfreiheit abgebildete Lebensbereich ist in dieser Situation nicht betroffen. Die negative Unterlassungsfreiheit schützt zwar weder – wie auch im Kontext der Religionsfreiheit – das Recht, sich keine Vorstellung über die eigenen religiösen be­ ziehungsweise weltanschaulichen oder sittlichen Überzeugungen zu machen, noch das Recht, nicht entsprechend der eigenen Gewissensüberzeugungen zu handeln, 994 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 83; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 98; Stern / Sachs / Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4/2, 2011, S. 991 f. 995 Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 4 Rn. 98; Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, 2006, S. 567; Bethge, Gewissensfreiheit, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 158 Rn. 29; Stern / Sachs / Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4/2, 2011, S. 991 f.; siehe auch Merten, Ne­ gative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 83; ähnlich auch Muckel, in: Berliner Kommentar, GG, 26. Erg.-Lfg. IV/09, Art. 4 Rn. 69. 996 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 84. 997 Siehe Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 96; Vosgerau, Freiheit des Glaubens, 2007, S. 181 ff. 998 Vergleiche Mager, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 96; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 83; vergleiche auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 142 f. Ausführlich zu der Frage, ob die negative Religionsfreiheit das Recht auf Religionslosigkeit und die negative Meinungsfreiheit das Recht auf Meinungslosigkeit ge­ währt, unter Kap. 3  A. III. 1. a).

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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sie schützt im Kontext der Religionsfreiheit etwa vor der Offenbarung der eigenen religiösen Überzeugungen oder im Kontext der Weltanschauungsfreiheit vor der Offenbarung der eigenen Weltanschauung. Da auch die Leitmotive, auf denen die Gewissensentscheidung beruht, einen besonders engen Bezug zur Persönlichkeit des Grundrechtsträgers haben, könnte die negative Unterlassungsfreiheit im Kon­ text der Gewissensfreiheit vor der Offenlegung der Motive, also der moralischen und sittlichen Überzeugungen, auf deren Grundlage der Grundrechtsträger die Entscheidung über ‚Gut‘ und ‚Böse‘ getroffen wird, schützen. Da dies den Grund­ rechtsträger jedoch nicht von der Glaubhaftmachung eines Gewissenskonfliktes schützt, ist der Schutz des Verschweigens der Leitmotive der Gewissensentschei­ dung, also die negative Gewissensfreiheit, nur in engen Grenzen gewährleistet. (2) Die Unterlassungsfreiheit im Kontext des Freizügigkeitsrechts des Art. 11 Abs. 1 GG Zweifel gegenüber dem grundrechtlichen Schutz eines Unterlassens, also der negativen Freiheit, treten auch im Kontext des Freizügigkeitsrechts aus Art. 11 Abs. 1 GG auf. Fraglich ist, ob die Unterlassungsfreiheit im Kontext des negativen Freizügigkeitsrechts als das Recht, einen Wohnsitz oder Aufenthaltsort an einem anderen Ort nicht ergreifen zu müssen, verstanden werden kann.999 Da das Nichtverändern des Aufenthaltsortes nicht nur als Unterlassen des Orts­ wechsels, sondern auch als Beibehalten des Aufenthaltsortes verstanden werden könnte, muss in dieser Konstellation entsprechend der hier vorgenommenen Dif­ ferenzierung die Dimension der positiven Freiheit betroffen sein.1000 Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass gerade beim Freizügigkeitsrecht das Unterlassen des Ortswechsels und das Beibehalten beziehungsweise Nichtverän­ 999

Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, § 42 Rn. 54: „Wenn der Bürger gemäß Art. 11 GG am Ort A verweilen darf, dann ist er in seinem Grundrecht nicht nur durch ein Aufenthaltsverbot für diesen Ort, sondern auch durch das Gebot beeinträchtigt, sich am Orte B aufzuhalten.“ 1000 Siehe hierzu Kap. 3 A. II. 4.; so Gusy, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 11 Rn. 34: „Daher fügt das Bleiberecht der Freizügigkeitsgarantie eigentlich keine neue Dimension hinzu: Die Freiheit, nicht ziehen zu müssen, folgt aus dem positiven Freiheits­ recht. Das Recht auf Aufenthalt ist Teil nicht der negativen, sondern der positiven Freizügig­ keit.“; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 176; Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 480; siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rn. 3; siehe auch BVerfGE 134, 242 (324); anders Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, § 42 Rn. 59, 161 f.; siehe auch Wollenschläger, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 11 Rn. 37; zu der Frage, ob der „Schutz vor ‚Wegzugsgeboten‘ nicht schon aus der positiven Aufenthaltsfreiheit folgt, siehe auch Kunig / Graf von Kielmansegg, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 11 Rn. 38; Pagenkopf, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 11 Rn. 17 ff. spricht daher nicht von einer negativen Freiheit.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

dern des Aufenthaltsortes, also Tun und Unterlassen, besonders eng beieinander liegen.1001 Da der Grundrechtsträger nicht keinen Aufenthaltsort haben kann, kann von vornherein nur der Schutz des Unterlassens als Reflexwirkung eines Tuns und nicht ein Unterlassen im Sinne einer vollständigen Untätigkeit infrage stehen.1002 Der Schwerpunkt der Freiheitsbetätigung des Grundrechtsträgers liegt in dieser Konstellation folglich nur auf dem Verweilen beziehungsweise dem Beibehalten des Aufenthaltsortes. Das Unterlassen ist bloß die Reflexwirkung des Tuns, sodass der unter dem Begriff der negativen Freizügigkeit verstandene Grundrechtsschutz nicht die Dimension der negativen Unterlassungsfreiheit erfasst.1003 (3) Die Unterlassungsfreiheit im Kontext der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG Auch mit Blick auf die negative Berufsfreiheit könnte die Existenz der Unter­ lassungsfreiheit fraglich sein. So ließe sich befürchten, dass die negative Freiheit des Art. 12 Abs. 1 GG etwa das Recht, keinen Beruf auszuüben, gar ein Recht zur Arbeitslosigkeit schütze.1004 Schließlich schützt die positive Freiheit des Art. 12 Abs. 1 GG das Recht, einer auf Dauer angelegten Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient, nachzugehen,1005 sodass die negative 1001

Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997, S. 487: „integraler Bestandteil der Grundrechtsgarantie“; Kunig / Graf von Kielmansegg, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 11 Rn. 38 Fn. 99. 1002 Anders Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 41 f. 1003 Gegen die Anerkennung eines negativen Freizügigkeitsrechts wird teilweise auch auf die Schranken des Art. 11 Abs. 1 GG verwiesen, welche nicht auf das Bleiben beziehungsweise das Beibehalten eines Aufenthaltsortes zugeschnitten sein. So Hillgruber, Grundrechtsschranken, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 201 Rn. 24; Durner, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 11 Rn. 89. Dazu, dass die Schran­ kenebene keinen Rückschluss zulässt, ob die negative Freiheit eines Grundrechts geschützt wird, ausführlich unter Kap. 4 A. II.; siehe hierzu auch im Kontext der negativen Vereinigungsfreiheit Bethge, JA 1979, 281 (284) und Kap. 1 E. II. Für die Anerkennung der negativen Freizügigkeit siehe Wollenschläger, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 11 Rn. 37; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 42 Rn. 161 ff.; Pieroth, JuS 1985, 81 (84 f.); siehe auch Baer, NVwZ 1997, 27; Bock, Umweltschutz im Spiegel von Ver­ fassungsrecht und Verfassungspolitik, 1990, S. 133; Grete, Die Verfassungsmäßigkeit berufs­ rechtlicher Residenzpflichten, 1999, S. 112; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 11 Rn. 17. 1004 Vergleiche auch die Erwägungen von Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 12 Rn. 7. 1005 BVerfGE 7, 377 (397); 9, 73 (78); 14, 19 (22); 97, 228 (252 f.); 105, 252 (265); 110, 141 (156); 111, 10 (28); Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 185; Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 12 Rn. 29; Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 27.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Freiheit bei einem streng symmetrischen Verständnis die „Freiheit von Arbeit“1006 schützen könnte. Die negative Unterlassungsfreiheit ist im Kontext der negativen Berufsfreiheit allerdings nicht als Freiheit von Arbeit, sondern als das Recht, es zu unterlassen, „den Lebensunterhalt […] mit einer beruflichen, das heißt dauerhaften und als Lebensgrundlage gedachten Tätigkeit, zu bestreiten“1007 zu verstehen. Dies bedeutet keineswegs, dass aus der negativen Berufsfreiheit ein Anspruch auf staatliche Hilfen beziehungsweise Unterstützungsleistungen erwächst, damit der Bürger von der negativen Unterlassungsfreiheit Gebrauch machen kann.1008 Die­ ses Ergebnis erscheint selbst auf der Grundlage der ‚Symmetriethese‘ konsequent: Schließlich trifft den Staat auch nicht die Verpflichtung aus Art. 12 Abs. 1 GG zur „Subventionierung bzw. Unterstützung“1009 der Berufstätigen. Die negative Berufsfreiheit schützt demnach das Recht, auf einen Beruf zu ver­ zichten beziehungsweise diesen nicht ergreifen zu müssen.1010 Folglich findet auch

1006

Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § § 42 Rn. 187; ders., Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (301 f.); enger Bachof, Freiheit des Berufes, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuer (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 155 (257): „[…] die Inanspruchnahme der Freiheit ohne jede Rücksichtnahme auf die Gemeinschaft wäre ein Mißbrauch, der wegen der Sozialbindung der Grundrechte keinen Grundrechtsschutz genießt“; Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 12 Rn. 8; vergleiche auch Bettermann, Grenzen der Grundrechte, 2. Aufl. 1976, S. 13 f. 1007 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 42 Rn. 154. Richtigerweise schützt die negative Berufsfreiheit auch das Recht, etwas zu unterlas­ sen, „um der ‚freien Entfaltung seiner Persönlichkeit‘ willen, zur Entwicklung und Nutzung der schöpferischen Energien des Menschen“, so Bettermann, Grenzen der Grundrechte, 2. Aufl. 1976, S. 13 f. 1008 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 154; ders., Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (295, 303 ff.): „daß die grundge­ setzlichen Grundrechte in der Regel bloße Freiheitsrechte sind und keine Leistungsansprüche gegen den Staat begründen, die für eine Grundrechtsverwirklichung erforderlichen faktischen Voraussetzungen zu schaffen.“ (Zitat auf S. 295); Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 12 Rn. 8; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 54; Papier, DVBl. 1984, 801 (806); Zöbeley, Negative Berufsfreiheit und Zwangsarbeitsver­ bot bei Strafaussetzung zur Bewährung, in: FS Faller, 1984, S. 345 (355); Bachof, Freiheit des Berufes, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuer (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 155 (251): „Da Art. 12 I als Freiheitsrecht keine Ansprüche auf staatliche Leistungen gewährt, kann aus ihm weder ein Anspruch auf Verschaffung eines bestimmten Arbeitsplatzes noch auch nur eines Arbeitsplatzes überhaupt hergeleitet werden.“ (Herv. i. O.) 1009 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 186; Bettermann, Grenzen der Grundrechte, 2. Aufl. 1976, S. 13 f.; ders., Gewerbefreiheit der öffentlichen Hand, in: FS Hirsch, 1968, S. 1 (21). 1010 BVerfGE 58, 358 (364 f.); Uber, Arbeitszwang, Zwangsarbeit, Dienstpflichten, in: FS Schack, 1966, S. 167 (174 f.); Bachof, Freiheit des Berufes, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 155 (195); so Kämmerer, in: von  Münch / Kunig, GG,

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

die Dimension der negativen Unterlassungsfreiheit auf die negative Berufsfreiheit Anwendung. Der Anerkennung der negativen Unterlassungsfreiheit im Kontext der negativen Berufsfreiheit steht auch nicht die öffentliche Dienstleistungspflicht nach Art. 12 Abs. 2 GG entgegen. Schließlich gibt es nur selten Fälle, in denen die Dienstleistungspflicht eingreift und die negative Unterlassungsfreiheit des Grund­ rechtsträgers beschränkt.1011 (4) Die Unterlassungsfreiheit im Kontext der Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG Die negative Eigentumsfreiheit könnte das Recht zum Unterlassen des Ver­ fügens über das Eigentum oder zum Unterlassen der Nutzung des Eigentums er­ fassen.1012 Bedenken gegenüber dem Schutz der negativen Unterlassungsfreiheit ergeben sich bei einem solchen Verständnis der Eigentumsfreiheit mit Blick auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Kontext der negativen Eigentumsfrei­ heit. Schließlich soll der Gebrauch des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 S. 2  GG dem Wohle der Allgemeinheit dienen, während die Unterlassungsfreiheit in der Regel eher einen Rückzug in die Innenwelt als ein Wirken in der Außenwelt zur Folge hat. Daher könnte befürchtet werden, dass der grundrechtliche Schutz eines Unterlassens des Gebrauchs beziehungsweise des Nutzens des Eigentums dem Wohle der Allgemeinheit widersprechen könnte.1013 So könnte ein nicht instand­ gehaltenes Haus etwa einstürzen. Das Unterlassen des Eigentumsgebrauchs kann aber auch für das Gemeinwohl förderlich sein, insbesondere wenn eine stark emit­ tierende Nutzung des Eigentums unterbleibt. So ist es etwa für das Wohl der All­ gemeinheit unter Umständen förderlich, wenn ein Grundstück nicht genutzt wird, um dort Bauvorhaben, die eine spürbare Auswirkung auf die Umgebung (Lärm, Gestank, Belüftung, Belichtung) haben, zu verwirklichen.1014 Daher konterkariert die negative Unterlassungsfreiheit nicht prinzipiell die Sozialpflichtigkeit des

Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 50; Leibholz / Rinck / Hesselberger, GG, 83. EL. April 2021, Art. 12 Rn. 97; vergleiche auch mit Blick auf die negative Berufswahlfreiheit Manssen, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 56; kritisch Scholz, in: Dürig /  Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2020, Art. 12 Rn. 7. 1011 Vergleiche auch Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Be­ rufs- und Ausbildungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (288 f.); vergleiche hierzu auch Kap. 1  D. I. 1012 Siehe auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 190 ff.; vergleiche auch Freiherr vom Proff, RNotZ 2012, 272 (274), der diesen Schutzgehalt allerdings nicht als negative Eigentumsfreiheit betitelt; kri­ tisch Menzel, MittBayNot 2013, 289; Leipold, ZEV 2011, 528. 1013 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 190 ff. 1014 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 192.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Eigentums. Sowohl die positive Freiheit als auch die negative Unterlassungsfrei­ heit können im Einzelfall zugunsten des Allgemeinwohls eingeschränkt werden. Die Bedenken gegenüber einer negativen Eigentumsfreiheit können insoweit aus­ geräumt werden. Nicht zu verwechseln mit dem Unterlassen der Nutzung oder des Erwerbs von Eigentum ist die Dereliktion.1015 Die Aufgabe des Eigentums impliziert zwar, dass in Zukunft etwas unterlassen wird, der Vorgang ist jedoch weniger der Unterlas­ sungsfreiheit als vielmehr der Beendigungsfreiheit zuzuordnen. Die negative Freiheit des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG erstreckt sich allerdings nicht nur auf die negative Eigentumsfreiheit. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG gewährt dem Erblas­ ser auch eine negative Erbfreiheit.1016 Die negative Erbfreiheit erfasst das Recht des Erblassers, die Anfertigung eines Testaments zu unterlassen, mit der Folge, dass die gesetzliche Erbfolge gilt. Fraglich ist, ob die negative Erbfreiheit auch das Recht des Erben schützt, nicht zu erben beziehungsweise die Erbschaft auszuschlagen oder auf den Pflichtteil zu verzichten.1017 Da die Erbfreiheit allerdings das Recht des Erben, zu erben, also das Eigentum am Erbe zu erlangen, gewährt1018, und es in dieser Konstellation um den unerwünschten Erwerb von Eigentum geht, ist die Belastung der Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers nicht grundsätzlich ver­ schieden zu der eines Eigentümers, der von seinem Eigentum keinen Gebrauch machen möchte. Daher muss die negative Erbfreiheit das Recht, das Erbe auszu­ schlagen beziehungsweise auf ein Erbe zu verzichten, schützen. Dieses Ergebnis entspricht auch den Regeln der ‚Symmetriethese‘: Wenn die Erbfreiheit das Recht, etwas zu erben, schützt, muss die negative Erbfreiheit das Recht, nicht zu erben, schützen.

1015

Vergleiche Brade / Vogel, JA 2014, 412; Schermaier, in: BeckOGK BGB, Stand: 01. 09. 2021, § 959 Überblick, Rn. 3 ff.; Oechsler, in: MüKo BGB, Bd. 8, 8. Aufl. 2020, § 959 Rn. 2 ff.; Heinze, in: Staudinger, BGB, Buch 3, 2020, § 959 BGB Rn. 1 ff. 1016 So Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 194; vergleiche auch Freiherr von Proff, RNotz 2012, 272; Menzel, Mitt­ BayNot 2013, 289. 1017 So Leipold, ZEV 2011, 528; Menzel, Entschließungsfreiheiten im Erbrecht und Drittinte­ ressen, 2008, S. 258 f.; Menzel, MittBayNot 2013, 289 (289 f.). So aber BGH, MittBayNot 2012, 138; LG Aachen, NJW-RR 2005, 307 f.; vergleiche auch Freiherr von Proff, RNotz 2012, 272; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 194; siehe auch Axer, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 14 Rn. 147, der zwar nicht explizit von einer negativen Erbfreiheit spricht, aber das Recht des Erben, das Erbe auszuschlagen, in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verankert. 1018 BVerfGE 93, 165 (174); Axer, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 14 Rn. 147; ­Wieland, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 79, Leisner, Erbrecht, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 8, 3. Aufl. 2010, § 174 Rn. 14.

226

Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

(5) Zusammenfassung Mit Ausnahme der Gewissensfreiheit, des Freizügigkeitsrechts und des Eltern­ rechts1019 schützt die negative Freiheit daher grundsätzlich das Recht zur Nichtvor­ nahme einer Tätigkeit, also zum Unterlassen. Die inhaltliche Reichweite des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen grundrechtlichen Schutzes kann sich jedoch nicht allein aus der spiegelbildlichen Umkehrung des unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandenen Grundrechtsschutzes ergeben. Die spiegelbild­ liche Bestimmung des Inhalts von positiver und negativer Freiheit ist gerade mit Blick auf die Schutzbereichsbeschränkungen problematisch. Im Folgenden wird deshalb die Frage zu klären sein, ob die ‚Symmetriethese‘ in modifizierter oder abgeschwächter Form weiterhin einen Anwendungsbereich hat, beispielsweise, weil sie das Grobgerüst des grundrechtlichen Schutzes umschreibt, und insoweit die Rechtsarbeit entlastet oder ob sie der liberalen Prämisse des grundrechtlichen Handlungsschutzes nicht hinreichend reflektiert und konkretisiert und daher als illegitimer dogmatischer Satz zu verwerfen ist. d) Die Abgrenzung der Unterlassungsfreiheit vom Grundrechtsverzicht Einer Beschäftigung mit der negativen Unterlassungsfreiheit schließt sich na­ hezu denklogisch die Frage an, ob und wie sich der Unterlassungsschutz durch die negative Freiheit und der Grundrechtverzicht unterscheiden. Das Erfordernis der Abgrenzung folgt aus der terminologischen Nähe beider Begriffe.1020 „Nicht­ gebrauch“, „Nichtvornahme“, „Untätigkeit“ können schließlich nicht nur im Sinne des Unterlassens, also im Sinne der negativen Freiheit, sondern auch im Sinne eines Verzichtens auf den Gebrauch des Grundrechts verstanden werden.1021 Um diese Abgrenzung vornehmen zu können, sind zunächst die Unterschiede zwischen dem unter dem Begriff der negativen Freiheit diskutierten Unterlas­ 1019

Hierzu ausführlich Kap. 1 F. I. 1. Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 41 f. Vergleiche auch Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorbemerkungen zu Abschnitt I Rn. 54, der betont, dass gerade bei Handlungs­ grundrechten der Grundrechtsverzicht infrage kommt: „Soweit Grundrechte Verhaltensmöglich­ keiten schützen (bei Freiheiten, Wahlrecht, Rechtsbehelfen), kommt ein Ausübungsverzicht in Betracht.“ (Herv. i. O.). Da die Grundrechte, die Verhaltensweisen schützen, auch ein Unter­ lassen beziehungsweise die negative Freiheit des Grundrechtsträgers schützen, stellt sich die Frage nach der Abgrenzung von Ausübungs- beziehungsweise Grundrechtsverzicht und Unter­ lassungsschutz. Nimmt man hingegen mit Fischinger, JuS 2007, 808 (810) an, dass auch auf statische Grundrechte verzichtet werden kann, wie etwa auf Art. 13 Abs. 1 GG, würde sich der Grundrechtsverzicht bereits durch den Kreis der Grundrechte, bei denen ein Grundrechtsver­ zicht möglich ist, von dem Grundrechtsschutz der negativen Freiheit unterscheiden. Vergleiche auch Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 286. Diese Abgrenzung ebenfalls vornehmend Röhrig, Religiöse Symbole, 2017, S. 134. 1021 Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 41; im weiteren Sinne auch Seifert, JURA 2007, 99 (101). 1020

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

227

sungsschutz1022 und dem Grundrechtsverzicht herauszuarbeiten. Dabei soll sich die Untersuchung auf die Abgrenzung der negativen Freiheit in Form der Unter­ lassungsfreiheit vom Konstrukt des Grundrechtsverzichtes beschränken. Es wird daher von der Anerkennung, insbesondere der Verfassungsmäßigkeit, der Figur des Grundrechtsverzichts ausgegangen und auf dieser Grundlage argumentiert. Eine Herleitung und Diskussion der Figur des Grundrechtsverzichts erfolgt in diesem Rahmen nicht.1023 Das Unterlassen berechtigt den Grundrechtsträger zur Nichtvornahme einer grundrechtlich geschützten Tätigkeit, ohne dass er zugleich auf die entsprechende Möglichkeit, die Tätigkeit vorzunehmen, verzichtet.1024 Der Bürger kann sein Ver­ halten also jederzeit ändern, beispielsweise, um die ursprünglich unterlassene Tä­ tigkeit vorzunehmen.1025 Möchte der Grundrechtsträger seine Meinung gerade noch verschweigen, kann er sich im nächsten Moment entscheiden, seine Meinung zu äußern. Entscheidet sich der Grundrechtsträger zunächst noch für das Fernbleiben von einer Vereinigung, kann er sich im nächsten Moment doch noch entscheiden, der Vereinigung beizutreten. Der grundrechtliche Schutz ist insoweit flexibel und führt nicht zu einer Bindung des Grundrechtsträgers. Der Grundrechtsverzicht hingegen ist eine freiwillige, individuelle Verfügung des Grundrechtsträgers über seine Grundrechtsposition.1026 Voraussetzung des wirksamen Grundrechtsverzichts ist daher, dass das infragestehende Grundrecht zur Disposition des Grundrechtsträgers steht.1027 Der Grundrechtsträger trifft im Falle des Grundrechtsverzichts bezüglich dieser zu seiner Disposition stehenden 1022

Hierzu ausführlich unter Kap. 3 A. III. 1. Ausführlich zu dieser Frage Ahammer, Der Grundrechtsverzicht als dogmatische Kate­ gorie, 2017; Bethge, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Grundrechtsverzichts, 2014; Bethge, Grundrechtswahrnehmung, Grundrechtsverzicht, Grundrechtsverwirkung, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 203 Rn. 91 ff.; Seifert, JURA 2007, 99 ff.; Sturm, Probleme eines Verzichts auf Grundrechte, in: FS Geiger, 1974, S. 173 (183 ff.); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 92 ff.; Quaritsch, Der Verzicht im Verwaltungsrecht und auf Grundrechte, in: GS Martens, 1987, S. 407 ff.; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527 ff.; Fischinger, JuS 2007, 808 ff. 1024 Gampp / Hebler, BayVBl. 2004, 257 (258); Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 29 f.; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 23; Bethge, Grundrechtswahrnehmung, Grundrechtsverzicht und Grundrechtsverwirkung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 203 Rn. 96; Fischinger, JuS 2007, 808; Seifert, JURA 2007, 99 (101). 1025 Ausführlich zu den durch positive und negative Freiheit geschützten Dimensionen des Verhaltens in Kap. 3 A. II. und III. 1026 Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527 (insbesondere 530 f.); Fenchel, Negative Informations­ freiheit, 1997, S. 29; Seifert, JURA 2007, 99 (100 f.); ausführlich hierzu Bethge, Grundrechts­ wahrnehmung, Grundrechtsverzicht und Grundrechtsverwirkung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 203 Rn. 92; andeutungsweise Quaritsch, Der Verzicht im Verwaltungsrecht und auf Grundrechte, in: GS Martens 1987, S. 407 (408); ­Fischinger, JuS 2007, 808 (809). 1027 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 30; ausführlich auch Fischinger, JuS 2007, 808 (810 f.). 1023

228

Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Rechte also nicht bloß die Entscheidung, einzelne aus den Grundrechten folgende Befugnisse zu unterlassen,1028 sondern gibt die Befugnis endgültig rechtlich ver­ bindlich auf, sich auf sein(e) Grundrecht(e) zu berufen.1029 Der entscheidende Unterschied zwischen der negativen Unterlassungsfreiheit und dem Grundrechtsverzicht liegt in der rechtlichen Verbindlichkeit des Ver­ zichts. Der Bürger gibt im Falle eines Grundrechtsverzichts zum Beispiel rechtlich verbindlich den grundrechtlichen Schutz seiner Meinung auf. Der Grundrechts­ verzicht entfaltet seine Wirkungen auf der Ebene des Eingriffs: Der Schutzbe­ reich eines Grundrechts ist grundsätzlich auch im Falle eines Grundrechtsver­ zichts eröffnet. Soweit der Grundrechtsträger endgültig und verbindlich auf diese Positionen verzichtet, kann die hoheitliche Maßnahme nicht in die Grundrechte eingreifen, mit der Folge, dass eine Grundrechtsverletzung außer Frage steht.1030 Unterlässt der Bürger es nur, seine Meinung zu äußern, macht er von seiner nega­ tiven Meinungsfreiheit Gebrauch und kann seine Meinung zu einem späteren Zeit­ punkt äußern. Während der Schutz der unter dem Begriff der negativen Freiheit des Bürgers verstandene grundrechtliche Unterlassungsschutz also primär auf der Ebene des Schutzbereichs relevant ist, wirkt sich der Grundrechtsverzicht auf der Ebene des Eingriffs aus.1031 Philipp Fischinger visualisiert diesen Unterschied am Beispiel der Versammlungsfreiheit:1032 Wer an einer Versammlung nicht teilneh­ men wolle, der verzichte nicht auf sein Grundrecht, sondern unterlasse die Teil­ nahme und mache damit von seinem Recht, zu unterlassen, Gebrauch, also seiner negativen Versammlungsfreiheit.1033 Der Versammlungsteilnehmer, der einer Auf­ lösung einer Versammlung zustimme, auch wenn diese nicht rechtlich geboten sei, verzichte mit der Zustimmung zur Auflösung auf sein Grundrecht und mache nicht von seiner negativen Versammlungsfreiheit Gebrauch.1034

1028 Siehe auch von Münch, Grundrechtsschutz gegen sich selbst?, in: FS Ipsen, 1977, S. 113 (126); Sturm, Probleme eines Verzichts auf Grundrechte, in: FS Geiger, 1974, S. 173 (173, 185); Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 42. 1029 Quaritsch, Der Verzicht im Verwaltungsrecht und auf Grundrechte, in: GS Martens, 1987, S. 407 (408); Sturm, Probleme eines Verzichts auf Grundrechte, in: FS Geiger, 1974, 173 (186); Wilms / Jäger, ZRP 1988, 41 (42); Bethge, Grundrechtswahrnehmung, Grundrechtsverzicht und Grundrechtsverwirkung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 203 Rn. 94; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 42. 1030 Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 42; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 29; Fischinger, JuS 2007, 808 (812); differenzierend, ob der Eingriff oder die Recht­ fertigung ausgeschlossen ist, Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 98 ff., im Ergebnis wirkt sich auch nach Schwabe der Grundrechtsverzicht damit nicht auf der Ebene des Schutzbereichs aus; allgemein zur Grundrechtsverletzung Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, 6. Aufl. 2018, § 12 Rn. 483 ff. 1031 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 29; Lübbe-Wolff, Grundrechte als Ein­ griffsabwehrrechte, 1988, S. 58. 1032 Fischinger, JuS 2007, 808 f. mit weiteren Beispielen zum Grundrechtsverzicht. 1033 Fischinger, JuS 2007, 808. 1034 Fischinger, JuS 2007, 808.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Grundrechtsverzicht und der grundrechtliche Schutz eines Unterlassens stehen also unabhängig nebeneinander. Der Zusammenhang zwischen dem grundrecht­ lichen Schutz des Unterlassens durch die negative Freiheit und dem Grundrechts­ verzicht gründet damit allein in einer sprachlichen Unschärfe.1035 Das Unterlassen einer grundrechtlich geschützten Tätigkeit bedeutet daher keineswegs zugleich einen Verzicht auf ein Grundrecht.1036 2. Die negative Auswahlfreiheit Fraglich ist, ob neben der positiven Auswahlfreiheit eine negative Auswahlfrei­ heit geschützt wird.1037 Zweifel gegen die Anerkennung einer Auswahlfreiheit als Dimension der negativen Freiheit werden vielfach auf die Unterscheidung zwi­ schen der Stufe des ‚Ob‘ und des ‚Wie‘ der Entschließungsfreiheit gestützt:1038 Die negative Freiheit ermögliche dem Grundrechtsträger nur eine Entscheidung über das ‚Ob‘ des Tätigwerdens, habe er doch durch die negative Freiheit die Möglich­ keit, ein Verhalten zu unterlassen. Die Wahl zwischen verschiedenen Verhaltens­ formen, also die Entscheidung über das ‚Wie‘ des Tätigwerdens, sei hingegen kein Bestandteil des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen grundrecht­ lichen Schutzes.1039 Diese Annahme beruht im Wesentlichen auf der Idee, dass die positive Freiheit auf der Ebene des ‚Wie‘, die negative Freiheit hingegen auf der Ebene des ‚Ob‘ der Betätigung wirke. Diese Annahme, dass der Grundrechtsschutz der positiven Freiheit primär auf der Stufe des ‚Wie‘ der Entschließungsfreiheit wirkt, beruht schlichtweg auf der größeren Variationsbreite der Möglichkeiten, etwas zu tun. Ein Unterlassen, von vielen als Inbegriff der negativen Freiheit ver­ standen, scheint eine vergleichbare Variationsbreite an Verhaltensmöglichkeiten nicht abzudecken:1040 Der Bürger tut etwas, wenn er singt, tanzt, lacht, schreit, er kann diese Verhaltensvarianten aber auch unterlassen. Dann unterlässt der Bürger das Singen, das Tanzen, das Lachen oder das Schreien, diese Verhaltensvarianten werden aber alle unter dem Begriff ‚Unterlassen‘ abgebildet, während für die ver­ schiedenen Formen des Tuns spezielle Begriffe existieren.1041 Daher wird die nega­ 1035

Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 30. Ipsen, Der Staat 52 (2013), 266 (275); Ipsen, JZ 1997, 473 (476 f.); Quaritsch, Der Ver­ zicht im Verwaltungsrecht und auf Grundrechte, in: GS Martens, 1987, S. 407 ff.; Seifert, JURA 2007, 99 (101). 1037 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 53. 1038 Koch, Koalitionsschutz und Fernbleiberecht, 1970, S. 19; Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, 1988, S. 485 ff.; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 24. 1039 Siehe hierzu Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 58. 1040 Differenzierter Röhl, JA 1999, 600 (603): „Da zu einem Verhaltensraum häufig mehr als zwei mögliche Verhaltensweisen gehören, darf man streng genommen nicht von der Unterlassung einer Handlung reden, sondern muß den Plural verwenden und von den Unterlassungsmöglichkeiten sprechen. Die Unterlassung im Singular ist stets die Ausführung einer bestimmten Handlung.“ 1041 Siehe hierzu auch Reimer, Art.: Handeln, Handlung, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 2, 8. Aufl. 2018, II.2.a). 1036

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

tive Freiheit häufig mit dem Unterlassungsschutz assoziiert, ohne zu reflektieren, dass sich die Wirkungen der negativen Freiheit auch auf die Ebene des ‚Wie‘ der Entschließungsfreiheit beziehen könnten. Die Dimension der negativen Auswahlfreiheit könnte jedoch aus der negativen Unterlassungsfreiheit abgeleitet werden. Schließlich bestätigt sich im ‚Wie‘ regel­ mäßig die Entscheidung über das ‚Ob‘ des Tätigwerdens.1042 Deshalb könnte aus dem Schutz der Entscheidung über das ‚Ob‘ als ‚Minus‘ die Entscheidung über das ‚Wie‘, also die Entscheidung über die konkrete Form des Verhaltens und ihren grundrechtlichen Schutz, abgeleitet werden.1043 Die negative Freiheit wäre inso­ weit mit dem Anwartschaftsrecht vergleichbar, das als Minus des Eigentums im Privatrecht nahezu den gleichen Schutz des Eigentums genießt.1044 Dann müsste die negative Freiheit also, soweit sie die Entscheidung über das ‚Ob‘ der Betätigung schützt, konsequenterweise auch die Entscheidung über das ‚Wie‘ der Betätigung schützen. Ausgehend von diesem Verständnis würde jede Beschränkung der ne­ gativen Auswahlfreiheit die Unterlassungsfreiheit betreffen.1045 Schließlich ist die negative Auswahlfreiheit bei einem solchen Verständnis die Hervorbringung be­ ziehungsweise ein spezieller Fall der negativen Unterlassungsfreiheit. „Umgekehrt“ würde „aber nicht jeder Eingriff in die Unterlassungsfreiheit die negative Auswahl­ freiheit“1046 tangieren. Der Zwang zur Teilnahme an einer Versammlung gegen Ab­ schiebungen betrifft beispielsweise sowohl die negative Unterlassungsfreiheit als auch die negative Auswahlfreiheit.1047 Verbleibe dem Bürger die Wahl, an welcher Versammlung er teilnehme, sei allein die negative Unterlassungsfreiheit, nicht aber die negative Auswahlfreiheit betroffen.1048 Die negative Auswahlfreiheit wäre in 1042

Vergleiche hierzu Kap. 3 A. II. 2.  Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 56. 1044 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 56. Vielfach wird das Anwartschaftsrecht daher als „wesensgleiches Mi­ nus“ oder „Vorstufe“ zum Eigentum beschrieben, so BGH, NJW 1980, 175 (176); BGHZ 28, 16 (21), 35 85 (89); Bork, in: Staudinger, BGB, Buch 3, 2020, § 929 Rn. 34; Klinck, in: BeckOGK, 01. 11. 2021, § 929 Rn. 161; Würdinger, NJW 2008, 1422 (1424); siehe auch Schreiber, JURA 2001, 623; Krüger, JuS 1994, 905; Oechseler, in: MüKo BGB, Bd. 8, 8. Aufl.  2020, § 929 Rn. 17 f.; Raiser, Dingliche Anwartschaften, 1961, S. 62 ff. 1045 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 60. 1046 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 60. 1047 Vergleiche auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 177: „Der Zwang zur Teilnahme an einer staatlichen Veranstaltung zum 1. Mai etwa kann die Teilnahme an einer gleichzeitig stattfindenden Gewerkschaftskundgebung verhindern und so in die (positive) Versammlungsfreiheit dessen, der daran teilnehmen will, eingreifen.“ 1048 Strenger Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 60, der dies am Beispiel des Publikationszwanges illus­ triert: „Pflicht, ein bestimmtes Publikationsorgan zu abonnieren, würde sowohl das Recht, sich überhaupt nicht zu informieren, als auch die Freiheit berühren, sich nicht aus einer bestimmten Quelle zu unterrichten. […] Der Zwang zum Bezug irgendeiner Zeitung schränkt allein die Un­ terlassensfreiheit, nicht aber die negative Auswahlfreiheit ein.“ 1043

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

231

diesem Fall also weniger eine eigenständige Dimension der negativen Freiheit als vielmehr eine Untergliederung der negativen Unterlassungsfreiheit. Wenn die negative Auswahlfreiheit jedoch nur mittelbar aus der Unterlassungs­ freiheit hergeleitet wird, können die Grundrechte, die die Dimension der negati­ ven Unterlassungsfreiheit nicht (beziehungsweise nicht umfassend) schützen, über keine negative Auswahlfreiheit verfügen. In diesem Fall würden die Lehre des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit nicht auf die Elternfreiheit des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, das Freizügigkeitsrecht des Art. 11 Abs. 1 GG oder die Lehrfrei­ heit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG1049 angewendet werden können.1050 Der Schutz der negativen Auswahlfreiheit ist jedoch unter liberalen Prämissen geboten, um die Freiheitsphäre des Bürgers vor hoheitlichen Beschränkungen zu schützen. Die negative Auswahlfreiheit ermöglicht es dem Grundrechtsträger, sich nicht nur mit dem Argument gegen den Zwang zu einer bestimmten Tätigkeit weh­ ren zu können, dass er eine andere dadurch nicht mögliche Tätigkeit nicht ausüben kann, beziehungsweise ein Verhalten generell unterlassen möchte. Er kann sich auch darauf berufen, konkrete Modalitäten eines Tuns unterlassen zu wollen.1051 Insoweit ergänzt die negative Auswahlfreiheit den Unterlassungsschutz sowie den Schutz der positiven Freiheit. So kann der Bürger nicht tun, was ihm beliebt, wenn er gleichzeitig fürchten muss, zu einem anderen bestimmten Tun gezwungen wer­ den zu können.1052 Schließlich können nicht nur Verbote der Auswahl, sondern auch Gebote bei der Auswahl die Freiheit des Grundrechtsträgers beeinträchtigen.1053 So besteht zwischen der Pflicht, an einer Versammlung teilnehmen zu müssen, und der Pflicht, an einer bestimmten Versammlung teilnehmen zu müssen, nur ein gradueller und kein struktureller Unterschied.1054 Diese Notwendigkeit für den Grundrechtsträger, ein bestimmtes Verhalten nicht nur als Ganzes unterlassen zu können, sondern auch die Möglichkeit zu haben, bestimmte Modalitäten des Verhaltens nicht vornehmen zu müssen, illustrieren 1049 Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG würde natürlich nur insoweit über keine negative Freiheit verfügen, wie die Lehrverpflichtung der Hochschul- und Universitätsprofessoren reicht. 1050 Dieser Punkt ist im Rahmen der Untersuchung von Detlef Merten eigentlich nur in Bezug auf das negative Elternrecht und die negative Lehrfreiheit von Hochschulprofessoren relevant (hierzu Kap. 1 D. I.), da Merten das Verweilen an einem Ort als Ausprägung der negativen Frei­ heit klassifiziert; siehe Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 54, 59. 1051 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 58. 1052 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 54. 1053 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 56; Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 58. Zumal Ge- und Verbote auch im Einzelfall mit­ einander korrespondieren. Das Verbot X zu tun, kann auch als Gebot X nicht zu tun formuliert werden, so auch Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 40. 1054 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 54 ff.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

zahlreiche Beispiele: etwa das Recht, einen bestimmten Beruf nicht auszuüben, die Ehe mit einem bestimmten Partner nicht einzugehen1055, bestimmte Lehrme­ thoden oder Erziehungsstile nicht anzuwenden oder eine bestimmte Meinung nicht äußern1056 zu müssen.1057 In Bezug auf das Freizügigkeitsrecht des Art. 11 Abs. 1 GG sichert die negative Auswahlfreiheit etwa die Entscheidung, nicht in ein bestimmtes Land oder an einen bestimmten Ort zu ziehen.1058 Insbesondere im Kontext der Meinungsfreiheit zeigt sich diese Notwendigkeit, schließlich ist die Meinungs­äußerung des Bürgers nur dann frei, wenn sie der vollständige Aus­ druck der Selbstentscheidung und -entfaltung des Bürgers ist.1059 Im Kontext der Meinungsfreiheit muss der Grundrechtsträger daher auch negativ über den Adres­ satenkreis und den Inhalt der Meinungsäußerung entscheiden können.1060 Schließ­ lich haben auch diese äußeren Einflüssen einen zum Teil erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung eines Verhaltens. Einfach-gesetzlich habe sich, so Merten, die negative Auswahlfreiheit in Bezug auf die Erbfreiheit des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG in der Vorschrift des § 1938 BGB niedergeschlagen. Nach § 1938 BGB kann der Erblasser durch sein Testament einen Verwandten, den Ehegatten oder den Lebenspartner von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen, ohne einen Erben einzusetzen. Diese Möglichkeit der Ent­ erbung ohne Erbeinsetzung sei, so Detlef Merten, Ausdruck der sich dahinter ver­ bergenden negativen Auswahlfreiheit des Erblassers aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG.1061

1055 BVerfGE 31, 58 (67); Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 152, der noch einmal explizit betont, dass aus der Eingehung eines Verlöbnisses kein Anspruch auf die Eingehung der Ehe erwächst. Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (111); siehe auch Voppel, in: Staudinger, BGB, Buch 4, 2018, Vorbem. §§ 1297 ff. Rn. 52 ff.; Roth, in: MüKo BGB, Bd. 9, 8. Aufl. 2019, § 1297 Rn. 16; S­ chuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 386; Schwenzer, JZ 1988, 781 (782); Bethge, NJW 1982, 2145 (2147); Wilms / Jäger, ZRP 1988, 41 (42); Wolf, JZ 1967, 659. 1056 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 99. 1057 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 53. 1058 Vergleiche Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 161: „Freizügigkeit kann auch beim Negativrecht zwischen der Befugnis unterschieden werden, nicht in ein bestimmtes Bundesland, in eine bestimmte Ge­ meinde oder an einen bestimmten Ort innerhalb einer Gemeinde ziehen zu müssen.“ 1059 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 99. 1060 Kühling, in: BeckOK InfoMedienR, 35. Ed. 01. 11. 2021, Art. 5 GG Rn. 35: „Die negative Meinungsäußerungsfreiheit erfasst sowohl die Adressatenwahl (Schutz gegen ungebetene Zuhö­ rer, zB durch heimliches Abhören des Telefons) als auch die Inhaltswahl.“; Merten, DÖV 1990, 760 (765); Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 99 m. w. N.; Kempen, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 5 Art. 3 Rn. 9. 1061 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 193.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Gerade im Kontext der Berufsfreiheit war die Dimension der negativen Aus­ wahlfreiheit historisch fast noch bedeutender für den Grundrechtsträger als die Di­ mension der negativen Unterlassungsfreiheit: Art. 12 Abs. 1 GG solle nicht nur das Recht schützen, eine Ausbildungsstätte frei wählen zu können, sondern zugleich die Möglichkeit, eine bestimmte Ausbildungsstätte nicht zu wählen.1062 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass weder die durch die Knappheit der Studienplätze mittelbare Beschränkung der freien Auswahl noch die faktisch fehlende Möglich­ keit, am gewünschten Ort den gewünschten Beruf zu erlernen, die negative Aus­ wahlfreiheit beschränken.1063 Die negative Auswahlfreiheit schützt somit nicht nur vor dem Zwang zu einem bestimmten Verhalten, beispielsweise der Äußerung einer bestimmten Meinung, sondern auch vor dem „Aufzwängen“ einzelner Modalitäten einer Betätigung, also dem Aufzwängen einer konkreten Betätigungsform.1064 Der Schutz dieser eigen­ ständigen Dimension der negativen Freiheit erstreckt sich auch auf die Ebene des ‚Wie‘. Sie sichert gemeinsam mit der positiven Auswahlfreiheit und der positiven Änderungsfreiheit die freie Auswahl in zeitlicher, örtlicher und sachlicher Hin­ sicht. Gerade auf der Stufe des ‚Wie‘ sind die positive und die negative Freiheit eng „verzahnt“1065. Die negative Auswahlfreiheit bildet die notwendige Bedingung der positiven Auswahlfreiheit. Zwischen den verschiedenen Dimensionen von positiver und negativer Freiheit und damit auch zwischen der positiven und der negativen Freiheit besteht ein über den Schutz der freien Selbstbestimmung vermittelter fak­ tischer Zusammenhang zum Schutz der individuellen Freiheitssphäre des Bürgers, die auf verschiedentliche Art und Weise bedroht werden kann.1066 Insoweit lassen sich positive und negative Freiheit nicht unterscheiden. Die negative Freiheit stellt eine reflexive Dimension der negativen Freiheit dar, die vor allem die positive Freiheit des Grundrechtsträgers absichert. Sie ist also zur Absicherung des grund­ rechtlichen Handlungsschutzes erforderlich.

1062

Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1 Aufl. 2006, § 42 Rn. 180 f. 1063 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1 Aufl. 2006, § 42 Rn. 182. 1064 Merten, Die negative Garantiefunktion der verfassungsrechtlichen Berufs- und Ausbil­ dungsfreiheit, in: FS Stingl, 1984, S. 285 (294). 1065 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 54. 1066 Siehe exemplarisch Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd.1, 7. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 51: „Negative und positive Berufswahlfreiheit greifen beim  Berufswechsel  ineinander.“; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 12 Rn. 9.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

3. Die negative Beibehaltungsfreiheit Wie bereits im Rahmen der Untersuchung der positiven Beibehaltungsfrei­ heit festgestellt wurde, ist das Beibehalten beziehungsweise Fortführen eines be­ stimmten Tuns, obgleich es auch als Unterlassen der Veränderung des Verhaltens beschrieben werden kann, ein Aspekt der positiven Freiheit. Schließlich sei das Beibehalten einer Verhaltensweise die fortwährende Bestätigung dieser Form des Tuns.1067 Da in diesen Konstellationen also der Schwerpunkt des zu beurteilenden Verhaltens auf dem Fortführen des Tuns und weniger auf dem Unterlassen der Verhaltensänderung liegt, wurde das Beibehalten eines Verhaltens als Teil der positiven Freiheit definiert, obgleich es enge Bezugspunkte zu einem Unterlassen aufweist. Der Bürger kann aber auch im Verhalten eines Unterlassens verweilen wollen, beispielsweise indem er den Beitritt zu einer Koalition oder Vereinigung dauerhaft unterlässt oder niemandem seine religiösen Überzeugungen offenbart. Da für das Beibehalten eines bestimmten Tuns und das Beibehalten eines Unterlassens die gleichen Maßstäbe gelten müssen, muss das Beibehalten eines Unterlassens über die Dimension der negativen Freiheit charakterisiert werden. So bestätigt sich im fortwährenden Unterlassen des Bürgers laufend seine getroffene Wahl, eine Tätig­ keit zu unterlassen. Der Grundrechtsträger, der dauerhaft keinen Beruf ausüben möchte und sich über einen längeren Zeitraum gegen den staatlichen Zwang zum Beitritt zu einer Koalition wendet, macht also dauerhaft von seiner negativen Frei­ heit Gebrauch. Die negative Beibehaltungsfreiheit ist insoweit das Pendant zur positiven Beibehaltungsfreiheit. 4. Der Schutz vor Konfrontationen Fraglich ist, ob die negative Freiheit dem Grundrechtsträger vor der Konfron­ tation mit dem Handeln des Staates oder eines Dritten schützt. Dann würde die negative Religionsfreiheit etwa vor der Konfrontation mit anderen religiösen Über­ zeugungen oder die negative Informationsfreiheit vor der ungewollten Konfronta­ tion mit einer fremden Meinung schützen.1068 Hierfür soll untersucht werden, ob die negative Freiheit dem bilateral im Verhältnis das Recht gewährt, vom Staat ‚in Ruhe gelassen zu werden‘. Ein solches Recht, nicht konfrontiert zu werden, ist vor allem in Drittwirkungskonstellationen relevant, bei denen regelmäßig konfli­ gierende Verhaltensweisen und -formen zusammentreffen. Dabei gilt es zu diffe­ renzieren zwischen Konfrontationen in Verhältnissen besonderer Nähe zum Staat und solchen in Drittwirkungskonstellationen.

1067

Siehe hierzu bereits Kap 4 B. II. 4. Husemann, Das Verbot der parteipolitischen Betätigung, 2013, S. 167; Buchner, ZfA 1982, 49 (73). 1068

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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a) Der Schutz vor Konfrontationen mit dem Staat Obwohl das Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“1069, essenzieller Bestandteil des philosophischen negativen Freiheitsverständnisses ist,1070 wird erst seit dem Kruzi­ fix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts1071 der Schutz vor Konfrontationen als Dimension der negativen Freiheit diskutiert.1072 Gegenstand des Beschlusses war die Beschwerde einer Familie, die sich durch die Anbringung eines Kruzi­ fixes in der Schule ihrer Kinder aufgrund der Bayrischen Volksschulordnung in ihrer negativen Glaubensfreiheit und ihrem religiösen Erziehungsrecht verletzt sah. Das Bundesverfassungsgericht befand schließlich, dass Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG den Bürger vor der Konfrontation mit einem bestimmten Glauben schützt, sofern der Grundrechtsträger nicht die Möglichkeit hat, sich diesem Einfluss entziehen zu können.1073 Fraglich ist, ob diese im Kontext der negativen Religionsfreiheit getroffene Ent­ scheidung bedeutet, dass die negative Freiheit eine ‚Doppelfreiheit‘ beinhaltet: So könnte die negative Freiheit dem Grundrechtsträger einerseits die Freiheit zum eigenen Unterlassen und andererseits darüberhinausgehend ein Recht auf ein frem­ des Unterlassen gewähren.1074 Der Grundrechtsträger könnte sich unter Berufung auf den Grundrechtsschutz der negativen Freiheit gegen nahezu jedes Handeln wehren, das er als störend empfindet. Ein Beispiel für eine solche Konstellation im Staat-Bürger-Verhältnis wäre etwa die Konfrontation des Grundrechtsträgers 1069 Erstmals wurde das Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“ im Kontext des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vom BVerfG diskutiert, BVerfGE 27, 1 (6 f.). Das BVerfG bezog sich da­ bei auf Wintrich, Die Problematik der Grundrechte, 1957, S. 15 f. Siehe hierzu auch Husemann, Das Verbot der parteipolitischen Betätigung, 2013, S. 168 Fn. 1028. 1070 Siehe unter Kap. 1  F. I. 3. b). 1071 BVerfGE 93, 1; ähnlich auch 282 (291 f., 306); vorher schon andeutungsweise in BVerfGE 41, 29 (49); 41, 65 (78, 85). 1072 Zur Debatte über die Anerkennung des Rechts, ‚in Ruhe gelassen zu werden‘ siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 77; Müller-Volbehr, JZ 1995, 996; von Camphausen, AöR 121 (1996), 448; Link, NJW 1995, 3353; Neumann, ZRP 1995, 381; Isensee, ZRP 1996, 10 ff.; Renck, ZRP 1996, 16 ff.; ders., ZRP 1996, 205 f.; ausführlich zum Kruzifix-Beschluss Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 248; all­ gemein zu der durch den Kruzifix-Beschluss ausgelösten Diskussion in der Literatur Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2. Aufl. 2017, S. 128 ff., 171 ff.; siehe zu der Begrifflich­ keit des „Rechts, in Ruhe gelassen zu werden“ im Kontext der negativen Informationsfreiheit auch F ­ ikentscher / Möllers, NJW 1998, 1337 (1340). Die Diskussion um die Anerkennung eines Rechts, „in Ruhe gelassen zu werden“ weist eine große Parallele zum philosophischen Verständ­ nis einer negativen Freiheit auf, vergleiche Kap. 1 F. I. 2. b). 1073 BVerfGE 93, 1 (15 f.). 1074 Bezeichnend ist insoweit auch die von Tim Husemann vorgenommene Differenzierung zwischen einem engen und einem weiten Verständnis der negativen Freiheit. Zu einem engen Verständnis der negativen Freiheit zähle das Recht zum eigenen Unterlassen, das unter dem Be­ griff des Rechts, ‚in Ruhe gelassen zu werden‘ diskutierte Recht auf ein fremdes Unterlassen ordnet Husemann demgegenüber einem weiten Verständnis der negativen Freiheit zu. Husemann, Das Verbot der parteipolitischen Betätigung, 2013, S. 163 ff., insbesondere S. 167 ff.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

mit Informationskampagnen des Staates.1075 So könnte die negative Informations­ freiheit dem Grundrechtsträger das Recht gewähren, von der Konfrontation mit diesen Informationskampagnen verschont zu bleiben. Grundsätzlich ist den unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandenen Verhaltensdimensionen als in die Außenwelt hervortretende Verhaltensdimen­ sionen ein deutlich höheres Störungs- und Konfliktpotential für das gesellschaft­ liche Zusammenleben immanent als den unter dem Begriff der negativen Freiheit zusammengefassten Verhaltensweisen. Ein Unterlassen des Bürgers im Sinne der negativen Freiheit tangiert nur in speziellen Konstellationen den Staat oder Dritte. Daher ließe sich überlegen, dass die negative Freiheit aufgrund ihres geringeren Störungspotentials für das gesellschaftliche Gefüge ein besonderes Recht, in der eigenen „Zurückgezogenheit“ nicht gestört zu werden, gewährt.1076 Fraglich ist jedoch, unter welchen Voraussetzungen eine Störung anzuneh­ men ist. Schließlich kann der eine Grundrechtsträger bereits die Konfrontation mit einem unliebsamen Verhalten des Staates als Störung empfinden, während andere Grundrechtsträger erst bei einer Beeinträchtigung des eigenen Unterlas­ sens durch den Staat, etwa weil er zu einem Tun verpflichtet wird, eine Störung annimmt. Würde bereits die Konfrontation mit einem anderen (staatlichen) Ver­ halten als durch die negative Freiheit abzuwehrende Störung der Freiheitssphäre verstanden, würde die negative Freiheit zu einer allgemeinen Nichtstörungs­ schranke mutieren. Der Bürger erhielte faktisch ein „Vetorecht“1077 gegen jede staatliche Störung seines Unterlassens.1078 Ein solches individualistisches Ver­ 1075 Etwa der Informationskampange des Bundesgesundheitsministeriums zur Organspende https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2016/neue-infokampagneorganspende.html; der Informationskampagnen des Bundesministeriums für Umwelt, Natur­ schutz und nukleare Sicherung zur Vermeidung von Plastikmüll und dem Schutz von Insekten https://www.bmu.de/ministerium/bmu-kampagnen/; siehe auch BVerwG, NJW 1999, 805 zur Werbung auf Taxen; zu diesem Beschluss des BVerwG BVerfG, NJW 2000, 1326; ähnliche Bei­ spiele, die jedoch primär auf das Bürger-Bürger-Verhältnis zugeschnitten sind, finden sich bei Fikentscher / Möllers, NJW 1998, 1337 ff.; siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 25; Wendt, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 25. 1076 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 70; siehe auch Deinert, RdA 2014, 129 (133) zur negativen Koalitionsfreiheit. Die Klärung der Frage, ob die negative Koalitionsfreiheit den Außenstehenden vor Tarifvereinbarungen schützt und wie Diffe­ renzierungsklauseln verfassungsrechtlich zu bewerten sind, soll an dieser Stelle allerdings nicht erfolgen. 1077 Hufen, DÖV 1983, 353 (358); Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 36; verglei­ che auch Hollerbach, JZ 1974, 578 (579); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Frei­ heitsrechte, 1993, S. 97 und Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2. Aufl. 2017, S. 175, die von einem „Verhinderungsrecht“ sprechen. 1078 Vergleiche auch Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2. Aufl. 2017, S. 175: „[…] die negative Glaubensfreiheit wird zu einem Recht auf die Verhinderung mißliebiger religiösweltanschaulicher Äußerungen.“; siehe auch Rüfner, NJW 1974, 491 (492); ähnlich Hamel, NJW 1966, 18 (20): „Das Grundrecht des Schweigens geht nicht so weit, daß es andere an ihrem Bekenntnis und an ihrer öffentlichen Religionsausübung hindert.“

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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ständnis des Grundrechtsschutzes1079 führt jedoch zu einer Überbetonung des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit.1080 Der Einzelne schwingt sich sonst über die „staatlich verfasste Allgemeinheit“ auf.1081 Der negativen Freiheit wäre bei einem solchen Verständnis des grundrechtlichen Schutzes ein deutlich höheres Konfliktpotential als im Falle des eigenen Unterlassens immanent. Aufgabe der Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension ist der Schutz der Selbst- und nicht der Fremdbestimmung.1082 Die Freiheit des Individuums kann sich daher nur auf „[…] den eigenen Glauben, das eigene Bekenntnis, das eigene religiöse Han­ deln […]“ beziehen, aber „nicht auf die Umwelt, in der der einzelne seinen Glau­ ben ausübt, weder die gesellschaftliche noch die staatliche Umwelt“.1083 Die bloße Konfrontation des Grundrechtsträgers mit einem staatlichen Verhalten,1084 also das Versetzen des Grundrechtsträgers in eine Situation, in der er sich mit dem staat­ lichen Verhalten auseinandersetzen kann / muss,1085 genügt für die Annahme einer 1079

Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 36; siehe auch Neumann, ZRP 1996, 381 f.; im Ansatz auch Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 238. 1080 Siehe auch das Minderheitsvotum von Seidl, Söllner und Haas BVerfGE 93, 1 (32), die feststellen, dass die negative Religionsfreiheit kein „Obergrundrecht“ sei. Sich darauf ebenfalls beziehend Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 250 f., 257; Isensee, ZRP 1996, 10 (13, 15); siehe auch Müller-Volbehr, JZ 1995, 996 (999 f.); vergleiche auch Huster, Die ethische Neutralität des Staates, 2. Aufl. 2017, S. 175. 1081 Isensee, ZRP 1996, 10 (13): „Einseitige Bestimmung über die Umwelt führt unvermeid­ lich zur Fremdbestimmung über andere Grundrechtsträger und die staatlich verfasste Allgemein­ heit.“ Siehe auch Bethge, NJW 1982, 2145 (2148). Hier zeigt sich auch rein praktisch das Prob­ lem, dass das Individuum in einer Gemeinschaft gewissen Grenzen unterliegt. Jeder Einzelne hat ein anderes Empfinden, wann eine Störung vorliegt. Objektive Kriterien, die für eine rechtliche Bewertung notwendig wären, sind nur schwer zu bestimmen, zumal ein jedes durch das Recht „in Ruhe gelassen zu werden“ vermitteltes staatliches Verhalten seinerseits eine Störung Dritter bewirken könnte, mit der Konsequenz, dass diese in ihrem Recht ‚in Ruhe gelassen zu werden‘ betroffen sein könnten. Kritisch auch Lindner, NVwZ 2002, 37 (38). 1082 Isensee, ZRP 1996, 10 (13); Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 238: „Die negative Religionsfreiheit ist also gerade nicht ein Abwehrrecht gegen die Religionsausübung anderer, sondern betrifft nur die eigene Freiheit, die Religionsausübung zu unterlassen.“ 1083 Isensee, ZRP 1996, 10 (12) (Herv. hinz.); siehe auch von Camphausen, Religionsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 157 Rn. 129, der von einem vermeidbaren Irrtum spricht; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 75; ähnlich Dürig, Die nega­ tive Religionsfreiheit, 2018, S. 237 f.; Mückl, in: Bonner Kommentar, GG, 210. Aktualisierung Februar 2021, Art. 4 Rn. 170: „‚Negative Freiheiten‘ berechtigen zur eigenen Nichtbetätigung und Verweigerung, nicht aber dazu, die (grundrechtlich geschützte) Betätigung anderer zu unter­ binden.“ (Herv. i. O.) 1084 In diesen Konstellationen kann im Einzelfall auch die Eröffnung des Schutzbereichs der positiven Freiheit geprüft werden, schließlich könnte das Aufhängen des Schulkreuzes im Klas­ senraum statt der negativen Religionsfreiheit die positive Weltanschauungsfreiheit betreffen. Auch in diesem Fall wäre die Eröffnung des Schutzbereiches beziehungsweise der Eingriff in den Schutzbereich bei einer bloßen Konfrontation kritisch zu hinterfragen. 1085 Zu dieser Beschreibung des Begriffs Konfrontation siehe Art.: Konfrontation, in: Oxford Language, https://languages.oup.com/google-dictionary-de/; Art.: konfrontieren, in: Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/konfrontieren; Art.: konfrontieren, in: Digitales Wörter­ buch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/konfrontieren.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

solchen Störung nicht.1086 Ein Recht, ‚in Ruhe gelassen zu werden‘, existiert inso­ weit nicht. Der grundrechtsmündige Bürger muss einer solchen Konfrontation in besonnener Selbstbehauptung gegenüberstehen, sind diese doch für das Leben in einer Gemeinschaft in der der Staat für einen Ausgleich der divergierenden Inte­ ressen sorgen muss typisch.1087 Dieses Ergebnis wäre auch auf Grundlage der ‚Symmetriethese‘ nachvollzieh­ bar: Der Grundrechtsträger kann im Rahmen der Wahrnehmung der positiven Freiheit nicht das Mitwirken des Staates oder eines Dritten verlangen, daher darf er umgekehrt auch nicht das Recht haben, vom Staat oder einem Dritten ein Unter­ lassen zu verlangen.1088 Das Aufhängen des Kreuzes im Klassenraum ist schließ­ lich ebenso wenig Ausdruck der positiven (Religions-)Freiheit,1089 wie die negative Religionsfreiheit ein Recht zum Abhängen des Kreuzes gewährt.1090 Daher kann der Grundrechtsträger sein Bestreben, das Glockengeläut sonntags zu beenden,1091 nicht auf die Religionsfreiheit stützen. Die negative Religionsfreiheit schützt den Grundrechtsträger lediglich vor der Pflicht, dem „Ruf in die Kirche“ zu folgen, nicht aber vor dem durch die Glocken verursachten Lärm.1092 Folglich gewährt 1086

Siehe hierzu auch Hufen, DÖV 1983, 353 (358); Kühling, in: BeckOK InfoMedienR, 35. Ed. 01. 11. 2021, Art. 5 GG Rn. 44, fordert eine gewisse Erheblichkeitsschwelle. Die Frage, ob die Konfrontation mit dem staatlichen Handeln als Eingriff gewertet werden kann, soll an dieser Stelle nicht näher betrachtet werden; siehe auch Bethge, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 57a: „Faktische Einwirkungen stehen einem Eingriff [in die negative Informationsfreiheit] gleich, so­ fern sie nicht bloße Belästigungen darstellen oder keine Ausweichmöglichkeiten offen lassen.“ 1087 So im Ergebnis auch Wendt, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 45; Kokott, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 34; siehe auch Zacharias, NVwZ 2006, 1329. Daher schützt die negative Religionsfreiheit den andersgläubigen Schüler auch nicht vor der Konfrontation mit einem freiwilligen Schulgebet. Solange er zur Teilnahme an dem Schul­ gebet nicht gezwungen wird, hat er dieses zu tolerieren. Ausführlich zum durch ein Schulgebet hervorgerufenen Konflikt von positiver und negativer Religionsfreiheit siehe Starck, in: von Mangoldt / Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 26 f.; vergleiche in Bezug auf die negative Informationsfreiheit auch Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 1019: „aus einer negativen Informationsfreiheit folgt kein absoluter Konfrontationsschutz“; so auch Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 138 ff. Zum Dilemma zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem gemeinschaftlichen Zusammenleben mehrerer vergleiche auch Kap. 1 F. I. 4. c). 1088 Isensee, ZRP 1996, 10 (13). 1089 Ähnlich Isensee, ZRP 1996, 10 (13); Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 30. 1090 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 30, 75; ders., Der „Kruzifix-Beschluß“ des Bundesverfassungsgerichts aus grundrechtsdogmatischer Sicht, in: FS Stern, 1997, S. 987 (996); Listl, Die neuere Recht­ sprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesre­ publik Deutschland, in: FS Klecatsky, 1980, S. 571 (576 ff., insbesondere 581); Müller-Volbehr, JZ 1995, 996 (999). 1091 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 30. 1092 LG Essen, MDR 1970, 505 f.; ausführlich Baldus, DÖV 1971, 338 (338 f.); Merten, Ne­ gative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 78.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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weder die negative Religionsfreiheit dem Grundrechtsträger ein Recht auf das Unterlassen des Läutens, noch gewährt die positive Religionsfreiheit ein Recht auf das Kirchengeläut. Der Grundrechtsträger ist also durch die Ablehnung eines solchen allgemeinen Konfrontationsschutzes nicht völlig schutzlos: Je intensiver die Störung des Bür­ gers, insbesondere wenn er – zumindest mittelbar – zu einem bestimmten Ver­ halten gezwungen wird,1093 ist, desto eher ist das unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene Recht, etwas zu unterlassen, betroffen – zumal den Staat im Einzelfall auch Schutzpflichten gegenüber dem Grundrechtsträger treffen können, die ihn zum Schutz des Grundrechtsträgers verpflichten. In diesen Konstellationen kann der Grundrechtsträger sich unter Umständen auf ein Recht auf die ungestörte Entfaltung seiner Persönlichkeit aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht1094 oder auf ein anderes Grundrecht berufen. Damit folgt aus der negativen Freiheit, auch vermittelt durch ein vermeint­ liches Recht, ‚in Ruhe gelassen zu werden‘, kein grundsätzlicher Anspruch auf ein fremdes Unterlassen, insbesondere in den Konstellationen nicht, in denen der Grundrechtsträger nur mit einem staatlichen Verhalten konfrontiert wird.1095 Die negative Freiheit ist eine „Entsagungs- und Verneinungsfreiheit“ und keine „Ver­ schonungsfreiheit“.1096 Sie schützt den Grundrechtsträger nur vor solchen Beein­ 1093

Das erzwungene Verhalten muss ‚mehr‘ als ein bloßes Erdulden sein. So auch Husemann, Das Verbot der parteipolitischen Betätigung, 2013, S. 167 ff., 240. 1095 Renck, NVwZ 1994, 544 ff.; Müller-Volbehr, JZ 1995, 996 (999); Isensee, ZRP 1996, 10 (12): „Kein Grundrecht zur einseitigen Verfügung über die Umwelt“; Merten, Negative Grund­ rechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 30, 75; Listl, Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kir­ chenfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland, in: FS Klecatsky, 1980, S. 571 (581); Lindner, NVwZ 2002, 37 (38); Baldus, DÖV 1971, 338 (339); Mückl, in: Bonner Kommentar, GG, 210. Aktualisierung Februar 2021, Art. 4 Rn. 169 f.; siehe auch Dürig, Die negative Religionsfrei­ heit und christlich geprägte Gehalte des Landesverfassungsrechts, 2018, S. 237 f. (Fn. 1075); vergleiche auch Husemann, Das Verbot der parteipolitischen Betätigung, 2013, S. 167 f., 220. Husemann merkt zurecht an, dass die negative Meinungsfreiheit auf Grundlage eines solchen Verständnisses den Kommunikationsprozess verhindern würde, den die Kommunikationsfrei­ heiten ermöglichen sollen. 1096 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 75; Merten, Der „Kruzifix-Beschluß“ des Bundesverfassungsgerichts aus grundrechtsdogmatischer Sicht, in: FS Stern, 1997, S. 987 (996); Listl, Die neuere Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichts zur Religions- und Kirchenfreiheit in der Bundesrepub­ lik Deutschland, in: FS Klecatsky, 1980, S. 571 (576 ff., insbesondere 581); Müller-Volbehr, JZ 1995, 996 (999); so auch Lindner, NVwZ 2002, 37 (38); Burghart, in: Leibholz / Rinck, GG, 83. EL. April 2021, Art. 4 Rn. 76; Mückl, in: Bonner Kommentar, GG, 210. Aktualisierung Fe­ bruar 2021, Art. 4 Rn. 169 f.; Dürig, Die negative Religionsfreiheit, 2018, S. 237 f.; siehe auch Classen, Religionsrecht, 3. Aufl. 2021, Rn. 162: „Wie bei jeder anderen Freiheit auch, die sich mit der Artikulation bestimmter Haltungen verbindet, also der Meinungs-, der Kunst-, der Wis­ senschafts- und der Versammlungsfreiheit gehört zur Religionsfreiheit auch, sie im öffentlichen Raum frei ausleben zu können. Andere können sich nicht auf ein Recht vor Konfrontation mit anderen Meinungen berufen.“ 1094

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

trächtigungen, die ihm die Berufung auf sein Recht, etwas zu unterlassen, erheblich erschweren,1097 zum Bespiel weil ein Tun des Grundrechtsträgers erzwungen wird. Dann aber ist die negative Unterlassensfreiheit und nicht ein spezielles Recht, ‚in Ruhe gelassen zu werden‘, einschlägig. b) Der Schutz vor Konfrontation in Dreieckskonstellationen Deutlich relevanter ist der Schutz vor Konfrontationen in Dreieckskonstellatio­ nen. Schließlich ist eine Konfrontationssituation umso wahrscheinlicher, je mehr Akteure beteiligt sind. Dabei gilt es zwischen den Drittwirkungskonstellationen in denen mindestens zwei Grundrechtsträger beteiligt sind und den Dreieckskonstel­ lationen in Sonderstatusverhältnissen zu unterscheiden. Schließlich treten sich im letzteren Fall zwei Private in einem Verhältnis besonderer Nähe zum Staat gegen­ über. Beide treten einander jedoch nicht als Private, sondern als Teile des Staates gegenüber. Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob die negative Freiheit für diese Situationen besondere Regeln zum Schutz des Grundrechtsträgers in seinem Un­ gestörtsein aufstellt. (1) Der Schutz vor Konfrontation in Sonderstatusverhältnissen Während früher vorwiegend vertreten wurde, dass sich der Bürger, der sich in einem besonderen Näheverhältnis zum Staat1098 befindet, nicht auf die Grundrechte berufen kann – ist er doch als Teil des Staates den Grundrechten verpflichtet1099 – ist mittlerweile anerkannt, dass diese besondere Nähe des Bürgers zum Staat die Geltung der Grundrechte nicht aufhebt.1100 Soweit der Bürger zumindest auch in seiner persönlichen Rechtsstellung betroffen ist, kann er sich auf seine Grund­ rechte und damit auch auf den unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit abgebildeten Handlungsschutz berufen. So kann sich ein Straf­gefangener 1097

Zu dem wesentlichen Erschweren gehört nicht die bloße Konfrontation, von diesem Be­ griff sind viel mehr Situationen erfasst, in denen eine Zwangslage herbeigeführt wird, die den Bürger zu einem Tun veranlasst, oder Ähnliches. Vergleiche auch Bethge, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 57a. 1098 Diese Verhältnisse besonderer Nähe des Bürgers zum Staat werden auch als ‚Sondersta­ tusverhältnis‘ bezeichnet. 1099 Vergleiche Graf von Kielmansegg, Grundrechte im Näheverhältnis, 2012, S. 52; Herdegen, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 1 Abs. 3 Rn. 1 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 10 Rn. 324. 1100 BVerfGE 33, 1 (9 ff.); Herdegen, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 1 Abs. 3 Rn. 48; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 65; Starck, in: von Mangoldt / Klein / ders., 7.  Aufl. 2018, Art.  1 Rn.  295 ff.; Graf von Kielmansegg, JA 2012, 881 (insbesondere 883 ff.); siehe auch Merten, Grundrechte und Besonderes Gewaltverhältnis, in: ders. (Hrsg.), Das besondere Gewaltverhältnis, 1985, S. 53 ff.; Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 18 Rn. 520; vergleiche auch Götzfried, NJW 1963, 1961 (1963); Hesse, Grund­ züge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 10 Rn. 324.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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beispielsweise unter Berufung auf die negative Meinungsfreiheit dagegen weh­ ren, sich politisch bekennen zu müssen, oder eine Schülerin kann sich darauf be­ rufen, aufgrund ihrer positiven Religionsfreiheit ein Kopftuch im Unterricht zu tragen.1101 Auf Rechtfertigungsebene gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die Freiheit einer Person, die in einem Verhältnis besonderer Nähe zum Staat steht, leichter beschränkt werden kann.1102 Eine besondere Konfrontationssituation liegt daher vor, wenn zwei Personen, die beide in einem besonderen Näheverhältnis zum Staat stehen, sich auf ihre mög­ licherweise konfligierenden Rechte berufen. In dieser Situation treten die beiden einander nicht als Bürger, sondern als Teil des Staates gegenüber. Teilweise wird vertreten, dass den Staat in diesen Fällen der Kollision widerstreitender Freiheiten eine Garantenpflicht treffe, schließlich habe er die Grundlage für das Zusammen­ treffen dieser verschiedenen (konfligierenden) Verhaltensweisen geschaffen. Ihm sei daher das Unterlassen der Verhinderung einer Beeinträchtigung der Freiheits­ sphäre des Privaten durch einen Dritten zuzurechnen.1103 Gerade der Bürger, der sich nicht freiwillig in ein besonderes Näheverhältnis zum Staat begebe oder dem Staat in besonderer Weise, sei in seiner Freiheitssphäre aufgrund der Nähe zum Staat besonders gefährdet. Aus diesem Grund treffe den Staat „eine umfassende Grundrechtsverantwortung gegenüber Grundrechtsträgern, die ihm ausgesetzt sind,“1104 also eine Garantenpflicht zugunsten von Personen, die sich zwangsweise in ein solches Verhältnis begeben haben. Eine solche Garantenpflicht des Staates diskutieren Michael / Morlok etwa zu­ gunsten der Schüler in den „Kopftuchfällen“, bei denen die Lehrerin während der Schulzeit ein Kopftuch tragen wolle.1105 Anders als die Lehrerin, die ein Kopftuch im Unterricht tragen wolle – also Gebrauch von ihrer positiven Religionsfreiheit mache – habe sich ein Schüler weniger aufgrund eines freiwilligen Entschlusses, sondern primär wegen der Schulpflicht in diese besondere Nähe zum Staat bege­ ben, sodass seine Rechte besonders schutzwürdig seien.1106 Daher müsse der Staat auch das Verhalten eines Soldaten, der in einer Kaserne um die Unterstützung einer Solidaritätsbekundung gegen den Bau eines Atomkraftwerkes geworben habe und 1101

Siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 215. Merten, Grundrechte und Besonderes Gewaltverhältnis, in: ders. (Hrsg.), Das besondere Gewaltverhältnis, 1985, S. 53 (63 ff.); Graf von Kielmansegg, JA 2012, 881. 1103 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 18 Rn. 511. 1104 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 18 Rn. 521. 1105 Da nach der hier vertretenen Auffassung im Fall der Konfrontation mit dem Kopftuch der Lehrerin der Schutzbereich der negativen Religionsfreiheit der Schüler nicht eröffnet wäre, wäre ein besseres Beispiel für die Kollision der positiven Religionsfreiheit des Lehrers mit der negativen Religionsfreiheit der Schüler, wenn der Englischlehrer etwa im Englischunterricht anlasslos an die Schüler die Bibel verteilt und diese zum Gebet zwingt. 1106 Zu den unterschiedlichen Formen der Begründung besonderer Gewaltverhältnisse durch „freiwilligen Eintritt“ oder „durch Inanspruchnahme auf Grund eines Gesetzes“ siehe Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 10 Rn. 322; Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis, 1982. 1102

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

dadurch seine Kameraden belästigt habe, beschränken. Das Bundesverfassungs­ gericht hat in dieser Konstellation wegen der durch den Staat begründeten be­ sonderen Nähe der Kameraden in einer Kaserne ihr ‚Recht, in Ruhe gelassen zu werden‘, als gefährdet angesehen.1107 Eine solche allgemeine Garantenpflicht des Staates greift jedoch zu weit. Zwar ist der Staat in einem Sonderstatusverhältnis an die Grundrechte gebunden, aller­ dings können die Grundrechte in diesen Fällen besonderer Nähe besonders be­ schränkt werden. Dies bedeutet, dass sowohl die positive Freiheit des werbenden Soldaten als auch die negative Freiheit seiner Kameraden leichter beschränkt wer­ den kann. Der Bürger ist in diesen Konstellationen gegenüber der Konfrontation mit dem Verhalten eines anderen Grundrechtsträgers, solange dieses nicht zu einer erheblichen Störung seiner Freiheitssphäre führt, nicht schutzwürdiger, weil er in einem besonderen Näheverhältnis zum Staat steht. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die negative Freiheit nicht vor der Konfrontation mit einem dem Handeln eines anderen schützt, existiert daher auch im Sonderstatusverhältnis nicht. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positi­ ver und negativer Freiheit definiert somit keine besonderen Regeln für den grund­ rechtlichen Handlungsschutz und den daraus folgenden Grundrechtskonflikten in Verhältnissen besonderer Nähe zum Staat. (2) Der Schutz vor Konfrontationen in Drittwirkungskonstellationen In einer Gemeinschaft, in der mehrere Individuen gleichzeitig von ihren Frei­ heiten Gebrauch machen, kommen die verschiedenen Freiheitssphären also immer wieder miteinander in Berührung.1108 Das Verhalten eines Dritten kann Voraus­ setzung der eigenen Grundrechtsausübung sein, etwa bei den Kollektivfreiheiten wie der Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit. Umgekehrt kann der Grund­ rechtsträger für die Ausübung seiner Grundrechte aber auch auf die Duldung sei­ nes Verhaltens durch einen Dritten, der von der Grundrechtsausübung betroffen ist, angewiesen sein. Der Grundrechtsträger wird also in vielfältiger Weise mit der Grundrechtsausübung eines Dritten konfrontiert.1109 So möchte er beispielsweise 1107 BVerfGE 44, 197 (203 f.): „Vielmehr gebiete unter den besonderen Bedingungen des mi­ litärischen Lebensbereichs der Schutzanspruch der anderen sich nicht gegen ihren Willen einer sie bedrängenden Inanspruchnahme oder Beeinflussung seitens ihrer Kammeraden mit deren Gedankenwelt aussetzen lassen zu müssen eine gleichrangige Berücksichtigung.“ Das Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“ wurde damals vom Bundesverfassungsgericht aus dem allge­ meinen Persönlichkeitsrecht und nicht aus einer negativen Informationsfreiheit hergeleitet. Als das Urteil gesprochen wurde, war die Dogmatik zur negativen Informationsfreiheit jedoch noch nicht entwickelt, vergleiche hierzu auch Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 62; siehe auch Fn. 796. 1108 Siehe bereits unter Kap. 1 F. I. 1109 Zu der Frage, ob die negative Freiheit dem Grundrechtsträger auch ein Recht, ‚in Ruhe gelassen zu werden‘, gewährt, ausführlich unter Kap. 3 A. III. 4.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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nicht beim Gang durch den Supermarkt mit Werbung des Supermarktes ‚berieselt‘ werden1110 oder von der unliebsamen Meinung eines Dritten unbehelligt bleiben. Fraglich ist daher, ob und wie die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit im Verhältnis der Privaten wirkt, insbesondere ob die ne­ gative Freiheit den Bürger vor der Konfrontation mit dem Verhalten eines anderen schützt, das möglicherweise selbst Grundrechtsschutz beansprucht. Während die Grundrechte zu Beginn nur als isolierte, autonome1111, das Indivi­ duum schützende Rechte verstanden wurden,1112 hat sich spätestens seit der LüthEntscheidung1113 des Bundesverfassungsgerichts ein objektiv-rechtliches Grund­ rechtsverständnis etabliert, das die Grundrechte auch im Bürger-Bürger-Verhältnis berücksichtigt.1114 Die Grundrechte können daher grundsätzlich auch im Verhältnis der Grundrechtsträgern Wirkungen entfalten.1115 Nach dem dieser Untersuchung zugrunde gelegten Verständnis gelten die Grundrechte mit Ausnahme des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nur mittelbar1116 unter Privaten;1117 diese sind nach Art. 1 Abs. 3 GG 1110

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 89. Bumke, AöR 144 (2019), 1 (29). 1112 Vergleiche Papier, Drittwirkung der Grundrechte, in: Merten / ders. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 55 Rn. 4; Rüfner, Grundrechtsadressaten, in: Isensee / Kirch­ hof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 197 Rn. 97; siehe auch Guckelberger, JuS 2003, 1151 (1152). 1113 BVerfGE 7, 198 (205). 1114 Siehe auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (3 ff.) zu der Feststellung, dass die Grund­ rechte „auch (objektive) Grundsatznormen oder Wertentscheidungen sind“ (Zitat S. 1); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 90, 198, 203; Müller-Franken, Bindung Privater an Grundrechte?, in: FS Bethge, 2009, S. 223 (233); Hellgardt, JZ 2018, 901; Berger, Die Bindung der Bürger an die Grundrechte, 2014, S. 36 f; Dreier, JURA 1994, 505 (509). 1115 Jarass, AöR 120 (1995), 345 (351); auch Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte, 2018, S. 47; vergleiche auch Dreier, JURA 1994, 505 (509 ff.). Insoweit befinden sich die Grundrechte regelmäßig auf einer ‚Gratwanderung‘ zwischen der Gemeinschaftsgebundenheit des Grund­ rechtsträgers und der Sicherung der individuellen Freiheitssphäre, siehe hierzu Kap. 1 F. I. 4. c); vergleiche auch Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte, 2018, S. 47. 1116 Schließlich betrifft die mittelbare Drittwirkung stets das Dreiecksverhältnis von Staat-Bür­ ger-Bürger. Teilweise wird in diesem Kontext auch von der ‚Ausstrahlungswirkung‘ der Grund­ rechte gesprochen; siehe Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157 (184 Fn. 61); Eberle, DÖV 1977, 306 (311); Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (66 f., 73 f.); Jarass, AöR 120 (1995), 345 (351); ders., in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Vorb. Rn. 12, Art. 1 Rn. 56 f.; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (210); ders., Grundrechte und Privatrecht, 1998; Oeter, AöR 119 (1994), 929; siehe auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (8, 10), der die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte als Voraussetzung der Drittwirkung erachtet; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 198; Müller-Franken, Bindung Privater an Grundrechte?, in: FS Bethge, 2009, S. 223 (242); siehe auch Hellgardt, JZ 2018, 901. 1117 Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157 (174); ­Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 15 Rn. 479; zur unmittelbaren Drittwirkung der negativen Koalitionsfreiheit siehe Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 91 m. N.; Dietz, Koalitionsfreiheit, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 3/1, 1958, S. 417 (457 f.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 11 Rn. 355 ff.; Steinberg, RdA 1975, 99 (102); so auch Hellgardt, JZ 2018, 901; Papier, Drittwirkung der Grundrechte, in: Merten / ders. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1111

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

nicht an die Grundrechte gebunden und können daher durch die Grundrechte nur berechtigt werden.1118 Der Staat ist jedoch über Art. 1 Abs. 3 GG an die Grund­ rechte gebunden und hat diese bei Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zu berücksichtigen.1119 Die Grundrechte setzen so im Bürger-Bürger-­ Verhältnis maßgebliche Schutzimpulse, auch wenn sie keine unmittelbaren Pflich­ ten für die Bürger begründen.1120 1. Aufl. 2006, § 55 Rn. 24; Rüfner, Grundrechtsadressaten, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Hand­ buch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 197 Rn. 86; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013 Vorb. Rn. 98; Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte, 2018, S. 33 f. Teilweise wird die unmittelbare Anwendbarkeit der Grundrechte im Bürger-Bürger-Verhältnis diskutiert, siehe hierzu Nipperdey, RdA 1949, 214; ders., RdA 1950, 121 (124); ders., Grundrechte und Privat­ recht, 1961, S. 13 ff. Ausführlich zu der Theorie der „unmittelbaren“ Drittwirkung von Nipperdey­ Berger, Die Bindung der Bürger an die Grundrechte, 2014, S. 30 ff. Siehe auch Leisner, Grund­ rechte und Privatrecht, 1960, S. 378 ff.; Laufke, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, in: FS Leh­ mann, Bd. 1, 1956, S. 145 (167 ff.); weitere Nachweise bei Guckelberger, JuS 2003, 1151 (1153); siehe auch Lücke, JZ 1999, 377 (378 f.) mit dem Versuch, die unmittelbare Drittwirkung aus Art. 19 Abs. 3 GG herzuleiten; weitere Nachweise bei Hellgardt, JZ 2018, 901. 1118 Siehe auch Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 79, der im Falle der unmittelbaren Drittwirkung eine Aufhebung der Privatautonomie fürchtet; vergleiche auch Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157 (174); Canaris, AcP 184 (1984), 201 (205, 210); Neuner, NJW 2020, 1851 (1852); Rüfner, Grundrechtsadressaten, in: Isensee / Kirch­ hof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 197 Rn. 97; siehe auch MüllerFranken, Bindung Privater an Grundrechte?, in: FS Bethge, 2009, S. 223 (226 ff.); Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 1 Rn. 48 ff.; Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (66 f.); Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 237; siehe auch Knebel, Die Drittwirkung der Grund­ rechte, 2018, S. 34 f. 1119 Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157 (176 ff.); Jarass, AöR 120 (1995), S. 345 (351); Rüfner, Grundrechtsadressaten, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 197 Rn. 86; BVerfGE 7, 198 (205 f.); 7, 230 (233 ff.); Schwabe, AöR 100 (1975), 442 ff.; Böttcher, in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 242 Rn. 30; Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (67). So haben beispielsweise die gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebundenen Gerichte bei der Lösung von Streitigkeiten unter Pri­ vaten auch die Wirkungen der Grundrechte zu berücksichtigen. Siehe Neuner, NJW 2020, 1851 (1852); Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971; ders., Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 211 f., 221 ff.; kritisch zur Erweiterung der abwehrrechtlichen Eingriffskonstellation, Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 416 f.; Rüfner, Grundrechtsad­ ressaten, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 197 Rn. 89; Papier, Drittwirkung der Grundrechte, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, 1. Aufl. 2006, § 55 Rn. 1; Dreier, JURA 1994, 505 (511); Canaris, AcP 184 (1984), 201 (210); siehe auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (8): „Die Ausstrahlungswirkung ist nicht auf die rechtsprechende Gewalt beschränkt […], sie betrifft vielmehr alle drei Staatsfunktionen.“ 1120 Bumke, AöR 144 (2019), 1 (22); Müller-Franken, Bindung Privater an Grundrechte?, in: FS Bethge, 2009, S. 223 (233); Dreier, JURA 1994, 505 (510); siehe auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1 (8). Die Beteiligung des Staates am trilateralen Verhältnis führt aber nicht dazu, dass er die Ursache für die mittelbare Wirkung im Verhältnis der Bürger ist, sondern dass er die Grundrechte nur insoweit berücksichtigen muss, wie sie auf das Rechtsverhältnis einwir­ ken, vergleiche Papier, Drittwirkung der Grundrechte, in: Merten / ders. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, 1. Aufl. 2006, § 55 Rn. 5; Doehring, Staatsrecht, S. 2009, zitiert nach Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 98: „Das Gericht hat die Grundrechte zu beachten, soweit sie gelten; nicht etwa gelten sie, weil ein Gericht entscheidet.“

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Fraglich ist daher, welche Schutzimpulse die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit unter Privaten setzt. Möglicherweise gewährt die positive Freiheit dem Grundrechtsträger insoweit einen Anspruch auf das Mit­ wirken eines Dritten und die negative Freiheit zum Schutz vor der Konfrontation mit einem Dritten einen Anspruch auf dessen Unterlassen.1121 In diesen Drittwirkungskonstellationen sind die Grundrechte sowohl in ihrer Funktion als Abwehrrechte als auch als Schutzrechte betroffen:1122 Ungeachtet der Frage, ob der Staat aufgrund einer Schutzpflicht oder aus sonstigen Gründen einen Grundrechtsträger verpflichtet, ein bestimmtes Verhalten zu tun oder zu unterlas­ sen, greift er in die Grundrechte des Dritten ein, mit der Folge, dass die Grund­ rechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension betroffen sind. Verbietet der Staat aufgrund einer ihn treffenden Schutzpflicht dem Grundrechtsträger ein Tun, zum Beispiel das Äußern einer Meinung, ist die positive (Meinungs-)Freiheit betroffen. Verpflichtet der Staat den Bürger zu einem Tun, obwohl der Bürger die infrage stehende Tätigkeit unterlassen will, ist die negative Freiheit betroffen. Soweit die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte betroffen ist, wird die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit also von Rechtsprechung und Literatur angewendet. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit be­ schränkt sich jedoch auf die abwehrrechtliche Dimension, aus ihr kann nicht unmittelbar eine Schutzpflicht für den Bürger hergeleitet werden. So schützt weder die negative Freiheit automatisch vor der Konfrontation mit dem Dritten, noch gewährt die positive Freiheit einen Anspruch die Mitwirkung eines ande­ ren.1123 Entscheidend für die Frage des Drittschutzes in diesen Konstellationen ist vielmehr, ob der Grundrechtsträger aus seinen Grundrechten eine Schutz­

1121

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 92. „Die Schutzpflichtenlehre gilt […] so als der ‚dogmatisch ‚sauberste‘ Ansatzpunkt‘, grundrechtliche Vorgaben unter Privaten wirksam werden zu lassen.“, so Müller-Franken, Bin­ dung Privater an Grundrechte?, in: FS Bethge, 2009, S. 223 (243) unter Bezugnahme auf das Zitat von Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3/1, 1988, S. 1527. Siehe auch Berger, Die Bindung der Bürger an die Grundrechte, 2014, S. 34 f. Im Ansatz so schon Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: FS Nawiasky, 1956, S. 157 (176). Auf die Schutzpflichten und Abwehrrechte abstellend, Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1998, ins­ besondere S. 30 ff., 50 ff., 71 f. et passim; ders., AcP 184 (1984), 201 (225 ff.); Hager, JZ 1994, 373 (378); siehe auch Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 141 ff.; Floren, Grundrechtsdogmatik im Vertragsrecht, 1999, S. 19 ff., 29; ähnlich auch Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte, 2018, S. 55 ff.; Gostomzyck, JuS 2004, 949 (952); etwas kritischer Müller-Franken, Bindung Privater an Grundrechte?, in: FS Bethge, 2009, S. 223 (243, 245). 1123 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 98; Hufen, DÖV 1983, 353 (358 Fn. 47); Suhr, NJW 1982, 1065 (1067); Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 110; Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 4 Rn. 48: „Eine derartige Gegenüberstellung positiver und negativer Freiheit würde sich gegen­ seitig nivellieren. Schutz vor Freiheit würde den Schutz der Freiheit aufheben.“ 1122

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

pflicht1124 des Staates herleiten kann, die den Staat zu einem Tätigwerden gegen­ über dem Störer verpflichten.1125 Da gewisse Kollisionen zwischen Freiheitssphären von Privaten in einer plura­ listischen Gemeinschaft üblich sind,1126 kann und muss der Staat nicht jede Frei­ heitsbeschränkung des Grundrechtsträgers durch einen Privaten abwehren, sodass nicht jede Konfrontation mit dem Verhalten eines anderen eine Schutzpflicht aus­ lösen kann.1127 Diesen Konfrontationen muss der Grundrechtsträger in besonnener Selbstbehauptung entgegentreten. Da das Tätigwerden des Staates zur Lösung des Konflikts in der Regel selbst einen Eingriff in die Grundrechte Dritter darstellt,1128 sind qualifizierte Anforderungen an das Auslösen einer staatlichen Schutzpflicht zu stellen: Erforderlich ist eine qualifizierte Störung der Handlungsmöglichkei­ ten des Grundrechtsträgers beziehungsweise seiner individuellen Freiheitssphäre, die den Grundrechtsträger, der etwas unterlässt, zu einem Tun zwingt, oder den Grundrechtsträger, der etwas tut, zu einem Unterlassen zwingt.1129 Aus diesem Grund können sich Andersdenkende zur Verhinderung unliebsamer Versamm­ lungen auch nicht auf die negative Versammlungsfreiheit berufen.1130 Die negative Versammlungsfreiheit des X, der die zur Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie festgelegten Maßnahmen für sinnvoll hält, kann daher nicht die Versammlung so­ genannter ‚Querdenker‘ verhindern, die gegen die zur Bekämpfung der SARS-CoV-2Pandemie getroffenen Maßnahmen protestieren wollen. Unbenommen bleibt es 1124

Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 18 Rn. 511; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2. Aufl. 2005; zum Bezug zwischen der Schutzpflichtenlehre und der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung Guckelberger, JuS 2003, 1151 (1155); MüllerFranken, Bindung Privater an Grundrechte?, in: FS Bethge, 2009, S. 223 (242 f.); Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 1 Rn. 55; Rüfner, Grundrechtsadressaten, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 197 Rn. 94; Papier, Dritt­ wirkung der Grundrechte, in: Merten / ders. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 55 Rn. 9; Ruffert, JuS 2020, 1  (2) m. w. N.; vergleiche auch Röthel, JuS 2001, 424 (427 f.). 1125 Müller-Franken, Bindung Privater an Grundrechte?, in: FS Bethge, 2009, S. 223 (242) m. w. N. 1126 Siehe auch Kap. 1  F. I. 4. c).; Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 18 Rn. 522: „Nicht jede Grundrechtsbeeinträchtigung, d. h. nicht alles, was von einem grundrechtlichen Schutzbereich erfasst wird, löst auch staatliche Schutzpflichten aus.“ Siehe auch Erichsen, JURA 1996, 527 (530), der daher fürchtet, dass eine unmittelbare Drittwirkung zur erheblichen Beschränkungen der Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers führt. Ähnlich auch Guckelberger, JuS 2003, 1151 (1153). 1127 Andernfalls würde das im Rahmen der Untersuchung der negativen Freiheit abgelehnte allgemeine ‚Vetorecht‘ des Bürgers gegen die Betätigung Dritter mittelbar auf Ebene der Schutz­ pflichten verfassungsrechtlich verankert. Vergleiche hierzu auch Kap. 3 A. III. 4. 1128 Canaris, Grundrechte im Privatrecht, 1999, S. 20; Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 17 Rn. 505. 1129 Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte, 2018, S. 58. 1130 BVerfGE 84, 203 (209); Renck, NVwZ 1994, 544 ff.; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 78; siehe auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 8 Rn. 5.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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dem X jedoch, sich von dieser Versammlung fernzuhalten (Gebrauch der negativen Freiheit) und eine Gegendemonstration zu veranstalten (Gebrauch der positiven Freiheit), etwa um die Solidarität zum Krankenpflegepersonal auszudrücken.1131 Wird dem Bürger jedoch unerwünschte E-Mail-Werbung zugeschickt und er kann sich nicht von der Versandliste streichen lassen, dann kann die negative Informa­ tionsfreiheit unter der Voraussetzung, dass das E-Mail-Postfach beispielsweise nicht mehr vernünftig verwaltet werden kann oder der Grundrechtsträger wegen der Erreichung der Kapazitätsgrenze des Postfachs keine neuen E-Mails empfan­ gen kann, einen Schutz vor aufgedrängten Informationen begründen.1132 Erforder­ lich ist demzufolge eine vom Grundrechtsträger glaubhaft zu machende, über das gewöhnliche Maß der in einer pluralistischen Gesellschaft drohenden Störungen hinausgehende Störung der eigenen Freiheitssphäre. Zusätzlich muss zwischen dem Störer, der nicht an die Grundrechte gebunden ist, und dem in seinen grundrechtlichen Freiheiten beeinträchtigten Grundrechts­ träger ein Kräfteungleichgewicht bestehen.1133 Ein solches Kräfteungleichgewicht kann sich etwa aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen ergeben.1134 Die staat­ liche Regulierung muss zur Herstellung eines Kräftegleichgewichts zwischen dem Störer und dem Gestörten geboten sein.1135 Insbesondere wegen der „zunehmenden Macht von privaten Akteuren“ kann es dann eines „einheitlichen Schutzes“ sowie „gleich effektiver Instrumente“1136 bedürfen, wie zum Schutz gegen staatliche Be­ einträchtigungen der Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers. Bei der Anerkennung staatlicher Schutzpflichten handelt es sich aber nicht um eine Besonderheit der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit beziehungsweise der liberalen Prämisse des umfassenden grundrecht­ lichen Schutzes von Handlungen gewährten grundrechtlichen Konfrontations­ schutz Schließlich können auch statische Schutzrechte1137 Schutzpflichten be­ gründen. Diesbezüglich definiert die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit also keine speziellen Regeln. Es gelten die allgemeinen Grundrechtslehren.

1131 Ähnlich auch das Beispiel Hufens, der die Frage aufwirft, ob die negative Kunstfreiheit ein Recht gewährt, „nicht mit Kunst behelligt zu werden“ (Herv. i. O.). Schließlich ist die Kunst selbst Ausdruck der Ausübung der positiven Kunstfreiheit eines anderen. Hufen, DÖV 1983, 353 (358). 1132 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 124 ff.; Grabenwarter, in: Dürig / Herzog /  Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 1027. 1133 Vergleiche BVerfGE 89, 214 ff.; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1998, S. 49; siehe auch Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte, 2018, S. 52 f., 55, 60 f. 1134 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 18 Rn. 516. 1135 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 18 Rn. 516. 1136 Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte, 2018, S. 61. 1137 Siehe Kap. 3 A. I.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

c) Zusammenfassung Die negative Freiheit gewährt demzufolge grundsätzlich keinen Schutz vor der Konfrontation mit dem Handeln eines Dritten, weder im bilateralen Bürger-StaatVerhältnis noch in Dreieckskonstellationen. Sie gewährt den grundrechtlichen Schutz des eigenen Unterlassens, nicht aber den Anspruch auf ein fremdes Unter­ lassen. Ein allgemeines ‚Veto-Recht‘ gegen ein fremdes Handeln – sei es des Staa­ tes oder eines Privaten – folgt damit nicht aus der negativen Freiheit. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit definiert insoweit keine von den allgemeinen Grundrechtslehren abweichenden Regeln für den Grund­ rechtsschutz in Konfrontationsfällen, insbesondere in Dreieckskonstellationen. 5. Zusammenfassung Der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene Schutz bildet verschie­ dene Verhaltensdimensionen ab: die negative Unterlassungsfreiheit, die negative Auswahlfreiheit und die negative Beibehaltungsfreiheit. Wie auch die positive Freiheit schützt die negative Freiheit die Aufgabe- und Beendigungsfreiheit.1138 Die Funktion der negativen Freiheit beschränkt sich, dies zeigt diese Untersuchung, nicht nur auf die Ergänzung des unter dem Begriff der positiven Freiheit verstande­ nen Grundrechtsschutzes.1139 Vielmehr hat die negative Freiheit einen eigenständi­ gen, vom Schutzgehalt der positiven Freiheit unabhängigen Schutzgehalt. Auffällig ist insbesondere mit Blick auf die Unterlassungsfreiheit und die Betätigungsfreiheit sowie die positive und die negative Auswahlfreiheit, dass positive und negative Freiheit nicht wie ‚Feuer und Wasser‘ sind, sondern sich gegenseitig komplettieren und flankieren. Die Untersuchung der Dimensionen der negativen Freiheit zeigt somit bereits, dass der unter den Kategorien von positiver und negativer Freiheit verstandene Schutz keine binären Unterschiede abbildet.1140 Bei der Untersuchung der verschiedenen Dimensionen der negativen Freiheit fällt auf, dass der Inhalt der negativen Freiheit maßgeblich durch die dogmatischen Konkretisierungsregeln, insbesondere durch die ‚Symmetriethese‘, der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit gestaltet wird. Da gerade der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene Schutzgehalt durch die dogmatischen Konkretisierungsregeln bestimmt wird, werden die Problematiken der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit in diesem Kontext besonders deutlich.

1138

Ausführlich zur Beendigungs- und Aufgabefreiheit, die sich weder eindeutig der positiven noch der negativen Freiheit zuordnen lässt, unter Kap. 3 A. II. 5. 1139 Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (391). 1140 Binäre Unterschiede meint in dieser Konstellation, dass positive und negative Freiheit nicht als trennscharf abgrenzbare Gegensätze zu verstehen sind.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Die bereits existierenden Konkretisierungsregeln der Lehre des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit können nicht unreflektiert auf alle Freiheitsrechte angewendet werden. So zeigt gerade die zu der Frage, ob die Unter­ lassungsfreiheit auch das ‚Nichthaben‘ miteinschließt, gewonnen Erkenntnisse, dass die entsprechenden Konkretisierungsregeln nicht einfach generalisiert und auf die übrigen Freiheitsrechte übertragen werden können, sondern stets auch die Spezifika des einzelnen Freiheitsrechts bei der Bestimmung der Reichweite des Unterlassungsschutzes berücksichtigt werden müssen. Es bedarf also bevor die im Kontext eines speziellen Freiheitsrechts entwickelten Regeln generalisiert werden ihrer Kontextualisierung. Noch problematischer sind die Reflexionsdefizite der Lehre des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit mit Blick auf die Anwendung der ‚Symmetriethese‘ zur Bestimmung des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Schutzgehaltes. Die theoretischen Prämissen des grundrechtlichen Handlungsschutzes werden nicht hinreichend reflektiert, wenn für die negative Freiheit dieselben Schutzbereichsbeschränkungen wie die positive Freiheit gel­ ten sollen, ohne zu untersuchen, weshalb für einen bestimmten Fall eine Schutz­ bereichsbeschränkung im Grundgesetz vorgesehen und ob die Schutzbereichsbe­ schränkung auf das infragestehende Verhalten übertragbar ist. Fraglich ist daher, ob die ‚Symmetriethese‘ aufgrund dieser Untersuchungs­ ergebnisse noch als legitime Konkretisierungsregel des grundrechtlichen Hand­ lungsschutzes qualifiziert werden kann.

IV. Die ‚Feuerprobe‘ für die ‚Symmetriethese‘ Die Untersuchung der Schutzgehalte von positiver und negativer Freiheit, ins­ besondere mit Blick auf die Schutzbereichsbeschränkungen, begründet Zweifel an der Funktionalität der ‚Symmetriethese‘. Daher ist im Folgenden eine dif­ ferenzierte Untersuchung der ‚Symmetriethese‘ erforderlich, um zu klären, ob an der spiegelbildlichen Bestimmung des Schutzgehalts festgehalten werden kann oder aber ob der Gedanke der symmetrischen Bestimmung des Inhalts zu ver­ werfen ist. Gerade die Frage, ob die Grundrechte auch vor dem Zwang zum Handeln in öf­ fentlicher Form schützen, unterzieht die ‚Symmetriethese‘ der Probe auf das Exem­ pel.1141 Die Beantwortung dieser Frage entfaltet insbesondere mit Blick auf das Ver­ ständnis der (negativen) Vereinigungsfreiheit eine besondere Relevanz: Unstreitig

1141

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 59; Merten, Ver­ einsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 63; Bethge, JA 1979, 281 (284); siehe auch Ernst, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 86.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

schützt die positive Vereinigungsfreiheit die Gründung von sowie die Betätigung in (einer) privatrechtlichen Vereinigung und die negative Vereinigungsfreiheit das Fernbleiben von privatrechtlichen Vereinigungen.1142 Dieses Ergebnis entspricht auch den Regeln der ‚Symmetriethese‘. Die positive Vereinigungsfreiheit schützt allerdings nicht die Gründung von und die Betätigung in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen. Auf der Grundlage eines streng symmetrischen Verständnisses von positiver und negativer Freiheit dürfte die negative Vereinigungsfreiheit also nicht das Recht schützen, von einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung fernzublei­ ben. Würde dieses Verhalten vom Schutzgehalt der negativen Vereinigungsfreiheit erfasst, dann wäre der Schutz der negativen Vereinigungsfreiheit deutlich weiter als der Schutz der positiven Vereinigungsfreiheit und könnte nicht mehr als ihre spiegelbildliche Entsprechung qualifiziert werden.1143 Die symmetrische Bestim­ mung von positiver und negativer Freiheit wäre demzufolge abzulehnen, wenn die negative Vereinigungsfreiheit auch vor der Pflichtmitgliedschaft in öffentlichrechtlichen Vereinigungen schützt.1144 1. Die Anwendung der allgemeinen Handlungsfreiheit auf die Mitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinigungen Die Anwendbarkeit der negativen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1  GG auf die Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen wird in der Literatur und der Rechtsprechung überwiegend verneint.1145 Der Schutzgehalt der 1142 BVerfGE 10, 89 (102); 38, 281 (297 f.); 50, 290 (354); Bauer, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 46; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 9 Rn. 7; Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 56 ff.; Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 22. 1143 Siehe oben Kap. 3 A. I. 1144 Ein ähnlicher Aufbau zur Darstellung dieses Problems der Anwendbarkeit der negativen Vereinigungsfreiheit auf die Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen findet sich bei Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 59 ff. 1145 BVerfGE 10, 89 (102); 10, 354 (361 f.); 15, 235 (239); 32, 54 (64); 38, 281 (297 f.); 78, 320 (329 f.); 97, 271 (286); Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 253; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 1953, S. 198 ff.; ders., Wirtschaftsver­ waltungsrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 1954, S. 122; Maunz, Deutsches Staatsrecht, 23. Aufl. 1980, S. 182 f.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 59 f.; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 9 Rn. 7; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 2 Rn. 22; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg,), Hand­ buch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 202 ff.; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, § 165 Rn. 62; ders., JuS 1976, 345 (346); Papier, Grundrechte und Sozialordnung, in: Merten / ders. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 30 Rn. 79; Kaltenborn, NZS 2001, 300 ff.; Martini, JURA 2008, 734; Kluth, JURA 1989, 408; Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 23 ff., 37; ders., NJW 2003, 1761 (1765); ders., Krankenversorgung, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 53 Rn. 47; ders., Die „Bürgerversicherung als Bürgerzwangsversicherung, 2004, S. 30; Durner,

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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negativen Vereinigungsfreiheit folge aus der spiegelbildlichen Umkehrung1146 des Schutzgehalts der positiven Vereinigungsfreiheit. Da Art. 9 Abs. 1 GG in seiner positiven Ausprägung nur die privatrechtliche Vereinigung schütze, könne sich der Schutz des Grundrechts auch in der negativen Umkehrung nicht auf öffentlichrechtliche Vereinigungen erstrecken.1147 Die negative Vereinigungsfreiheit könne als „logisches Korrelat“ der positiven Vereinigungsfreiheit kein höheres Schutz­ niveau als die positive Vereinigungsfreiheit gewähren.1148 Vor der Zwangsinkorpo­ ration in eine öffentlich-rechtliche Vereinigung werde der Grundrechtsträger daher allein durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.1149 Wirtschaftsverfassung, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 11 Rn. 32; Reinhardt, Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft in Prüfungsver­ bänden mit dem Grundgesetz, in: GS Draheim, 1968, S. 227 (228); Rinke, BayVBl. 2016, 325 (327); Bethge, JA 1979, 281 (285 f.); Enseleit, Die Vereinigungsfreiheit in Deutschland und Frankreich, 2007, S. 213 ff., insbesondere S. 216; Kemper, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 59 spricht von einem „Scheinproblem“, da Zwangsver­ bände – unabhängig von ihrer Organisationsform – nicht vom Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG er­ fasst werden. 1146 Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (398); Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigun­ gen auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 24 f.; ders., Die „Bürgerversicherung“ als Bürgerzwangsversicherung, 2004, S. 29. 1147 BVerfGE 10, 89 (102); 10, 354 (361 f.); 15, 235 (239); 32, 54 (64); 38, 281 (297 f.); 78, 320 (329 f.); 97, 271 (286); Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 253; ­Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 1954, S. 122; Maunz, Deutsches Staats­ recht, 23. Aufl. 1980, S. 182 f. (später auch ders. / Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 26. Aufl. 1985, S. 200); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 59 f.; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg,), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 202 ff.; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 66; Papier, Grundrechte und Sozialordnung, in: Merten / ders. (Hrsg,), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 30 Rn. 79; Kaltenborn, NZS 2001, 300 ff.; Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 23 ff.; ders., Krankenversorgung, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 53 Rn. 47; ders., NJW 2003, 1761 (1765); Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 9 Rn. 90; Durner, Wirtschaftsver­ fassung, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 11 Rn. 32; Rinke, BayVBl. 2016, 325 (327). 1148 Ausführlich bereits unter Kap. 1 E. I. 1149 BVerfGE 10, 89 (102); 10, 354 (361 f.); 15, 235 (239); 32, 54 (64); 38, 281 (297 f.); 78, 320 (329 f.); 97, 271 (286); Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 1954, S. 122; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 59 f.; Merten, Nega­ tive Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg,), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 202 ff.; ders., Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 63, 66; Papier, Grundrechte und Sozialordnung, in: Merten / ders. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2011, § 30 Rn. 79; Ziekow, Vereinigungsfrei­ heit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 33; Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 9 Rn. 90; Durner, Wirtschaftsver­ fassung, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 11 Rn. 32; Sodan, Krankenversorgung, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Ver­ waltungsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 53 Rn. 47; ders., NJW 2003, 1761 (1765); ders., Berufs­ ständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 23 ff.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Dieses Vorgehen sei auch mit Blick auf die Schranken der Vereinigungsfreiheit die „elegantere und einleuchtendere Lösung“1150. Schließlich sei die Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG auf die positive Vereinigungsfreiheit zugeschnitten, mit der Folge, dass die negative Vereinigungsfreiheit nur durch verfassungsimmanente Schranken beschränkt werden könne. In diesem Fall unterläge ein Eingriff, also die staatliche Anordnung der Pflichtmitgliedschaft, besonders hohen Rechtfertigungsanforde­ rungen, könne das Recht doch nur zugunsten anderer Güter mit Verfassungsrang eingeschränkt werden.1151 Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit können hingegen zugunsten der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung oder des Sittengesetzes erfolgen. Die Anforderungen an die Rechtfertigung des Eingriffes wären dann auf Schrankenebene zwar deutlich geringerer als bei der staatlichen Anordnung einer Pflichtmitgliedschaft in eine privatrechtliche Ver­ einigung.1152 Allerdings, so Merten, könne das Schutzniveau auf der Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch einen strengen Prüfungsmaßstab ausreichend angeglichen werden.1153 Nach dieser Auffassung ist die spiegelbildliche Bestimmung des Schutzbereichs von positiver und negativer Freiheit Grundlage der Argumentation, den Schutz des Grundrechtsträgers vor der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereini­ gungen durch Art. 2 Abs. 1 GG zu gewähren.1154 2. Eine Modifikation der allgemeinen Handlungsfreiheit Nach einer vermittelnden Position sollen die Wertungen des Art. 9 Abs. 1 GG der Anwendung der allgemeinen Handlungsfreiheit auf die Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtliche Vereinigungen nicht gänzlich zum Opfer fallen. Vielmehr müsse die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG als objektiv-rechtliches Prinzip bei der Auslegung und Anwendung der allgemeinen Handlungsfreiheit berücksichtigt werden,1155 insbesondere soweit die öffentlich-rechtlichen Vereini­ 1150 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 66. 1151 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 66. 1152 Siehe hierzu bereits Kap. 1 F. III. 2.; zur Anwendung der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG siehe Ksoll, Deutsches Staatsrecht, 1966, S. 104. 1153 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 66. 1154 So auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 93. 1155 Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 280; ders., Selbstverwaltung in wirtschafts- und berufsständischen Kammern, in: FS von Unruh, 1983, S. 777 (790 f.): „Ele­ mente objektiver Ordnung“ (S. 791); Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (397): „Zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört auch die Aus­ strahlungswirkung, die Art. 9 Abs. 1 GG als allgemeine Wertentscheidung zugunsten einer op­ timalen Entfaltung freier gesellschaftlicher Zusammenschlüsse, als ‚Element objektiver Ord­ nung‘ erzeugt.“; vergleiche auch Jäkel, DVBl. 1983, 1133 (1136); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 62.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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gungen in Konkurrenz zu den privatrechtlichen Vereinigungen treten, weil die öffentlich-rechtlichen Vereinigungen beispielsweise auch private Zwecke verfol­ gen.1156 Schließlich könnten öffentlich-rechtliche Vereinigungen den Bestand und die Gründungsbereitschaft „privater Vereinigungen mit gleichgerichteter Zielset­ zung gefährden,“ mit der Folge, dass der Staat „privatrechtlich strukturierte ge­ sellschaftliche Bereiche durch öffentlich-rechtliche Zwangsverbände organisieren und disziplinieren“1157 könnte. Diese vermittelnde Ansicht bewirkt also eine Lockerung der ‚Symmetriethese‘. Sie wendet die ‚Symmetriethese‘ zwar dem Grundsatz nach an, indem sie die ne­ gative Vereinigungsfreiheit bei der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen nicht für anwendbar hält. Durch die Berücksichtigung der Wertun­ gen der Vereinigungsfreiheit bei der Anwendung der allgemeinen Handlungsfrei­ heit wird der Grundsatz der streng spiegelbildlichen Bestimmung des Schutzgehalts auf Grundlage der ‚Symmetriethese‘, die eine Anwendbarkeit der Wertungen der Vereinigungsfreiheit auf die Zwangsinkorporation in öffentlich-rechtlichen Ver­ einigungen gerade nicht vorsieht, aufgeweicht. 3. Die negative Vereinigungsfreiheit Nach einer anderen Auffassung ist der Schutzbereich der negativen Vereini­ gungsfreiheit unabhängig von der Organisationsform der Vereinigung eröffnet. Art. 9 Abs. 1 GG schütze demnach gleichermaßen vor der Zwangsinkorporation in öffentlich-rechtliche wie auch in privatrechtliche Vereinigungen.1158 Schließlich bilde die negative Vereinigungsfreiheit nicht nur das spiegelbildliche Gegenstück der positiven Vereinigungsfreiheit, ihr Schutzbereich sei vielmehr entsprechend einem liberalen Grundrechtsverständnis in Bezug auf die öffentlich-rechtlichen Vereinigungen weiter als der Schutzbereich der positiven Vereinigungsfreiheit. Die Beschränkung der positiven Vereinigungsfreiheit auf privatrechtliche Ver­ einigungen folge schließlich daraus, dass Privaten hoheitliche Handlungsformen verwehrt bleiben würden, sie also selbstständig keine öffentlich-rechtlichen Ver­ einigungen gründen könnten.1159 1156

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 61. Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 62. 1158 Scholz, AöR 100 (1975), 80 (124 ff.); ders., Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 272 f.; Murswiek, JuS 1992, 116 (118); Quidde, DÖV 1958, 521 (522 f.); von Mutius, JURA 1984, 193 (196 f.); ders., VerwArch 64 (1973), 81 (82 f.); Pietzcker, JuS 1985, 27 (29); Rode, DÖV 1976, 841 (844 f.); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 12 Rn. 414; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 143 ff.; Stober, Grundrechtsschutz und Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 49 f.; Fröhler / Oberndorfer, Körperschaf­ ten des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 19 ff.; Jung, JA 1984, 467 (468); Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 25. 1159 Bethge, JA 1979, 281 (285): „Die einzelnen Positionen des öffentlichen Rechts als ein Sonderrecht des Staates sind der Position des einzelnen entzogen. Die Inanspruchnahme der 1157

254

Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Bei der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen geht es jedoch um den umgekehrten Fall: Der Private möchte sich vor dem Zwang zur In­ korporation in eine öffentlich-rechtliche Vereinigung schützen, er will nicht der öffentlich-rechtlichen Vereinigung beitreten und gegebenenfalls hoheitliche Auf­ gaben wahrnehmen müssen.1160 Die Interessenlage bei der Anwendung der positi­ ven Vereinigungsfreiheit auf öffentlich-rechtliche Vereinigungen ist damit grund­ sätzlich anderer Natur als bei der Anwendung der negativen Vereinigungsfreiheit auf die Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen. Werde der Grundrechtsträger zur Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung gezwungen, wehre er sich gegen einen hoheitlichen Eingriff.1161 Diese Pflicht­ mitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen sei „die wohl stärkste Form des Eingriffs in die Vereinigungsfreiheit“1162. Der Bürger, der sich in einer solchen Konstellation auf seine Grundrechte beruft, wehrt sich gegen staatliche Eingriffe in seine Freiheitsphäre, er beruft sich folglich auf die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte.1163 Daher müsse die negative Vereinigungsfreiheit zum Schutz der Freiheitssphäre des Bürgers sowohl vor Zwangsmitgliedschaften in privatrechtlichen Vereinigungen als auch vor Zwangsmitgliedschaften in öf­ fentlich-rechtlichen Vereinigungen Schutz gewähren. Der Staat dürfe den Grund­ rechtsschutz der Vereinigungsfreiheit nicht durch das Ausweichen auf öffent­ lich-rechtliche Organisationsformen aushöhlen.1164 Er habe nämlich nicht nur die Möglichkeit, sondern auch ein erhebliches Eigeninteresse, sich durch die Wahl der

Rechtsform des öffentlichen Rechts steht dem Staat als Herren des Formarsenals zu.“ Siehe auch Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (394); ähnlich auch Winkler, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 52; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 1953, S. 198 f.: „Körperschaften des öffentlichen Rechts können nicht im Wege der freien Vereinsbildung geschaffen werden; vorausgesetzt ist bei ihnen, daß die öffentlich-rechtliche Korporationsqualität durch staatlichen Verleihungsakt übertragen wird.“ 1160 So auch Rode, DÖV 1976, 841 (845); Murswiek, JuS 1992, 116 (118); Schöbener, ­VerwArch 91 (2000), 374 (399); Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (395): „Wenn ein Bürger fordert, vom Zwang zum Eintritt in einen öffentlich-rechtlich strukturierten Verband freigestellt zu bleiben, dann bedeutet das keine un­ zulässige Usurpation öffentlich-rechtlicher Gestaltungsformen.“ 1161 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 63. 1162 Scholz, AöR 100 (1975), 80 (124); BVerfGE 38, 281 (310 f.); anders Kluth, DVBl. 1986, 716 (720), der generell den Eingriffscharakter von Zwangsmitgliedschaften in Frage stellt. 1163 Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 23; Bauer, in: Dreier, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 47; Stober, Grundrechtsschutz der Wirtschaftstätigkeit, 1989, S. 50 f. 1164 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 63; Bethge, JA 1979, 281 (285); von  Mutius, VerwArch 64 (1973), 81 (82 f.); Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (398 f., 402 f.); Kaltenborn, NZS 2001, 300 (301); Pietzcker, JuS 1985, 27 (29); Däubler, in: ders. / Mayer-Maly (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 26 (47); Scholz, Die  Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 272 f.; ähnlich auch Brohm, Selbst­ verwaltung in wirtschafts- und berufsständischen Kammern, in: FS von Unruh, 1983, S. 777 (790 f.) und Friauf, Negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (395).

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

255

öffentlich-rechtlichen Organisationsformen den hohen Schutzanforderungen des Art. 9 Abs. 1 GG zu entziehen.1165 Die Abwehr hoheitlicher Einschränkungen und der Schutz der individuellen Freiheit bilden den Kern der grundrechtlichen Abwehrfunktion und das Hauptan­ liegen des Grundrechtsschutzes durch die positive und die negative Freiheit, sodass es naheliegend ist, von der bisherigen dogmatischen Ausformung des Grundrechts­ schutzes der negativen Freiheit durch die „Symmetriethese“1166 Abstand zu neh­ men.1167 Nach dieser Auffassung ist also in dieser Konstellation der Schutzbereich der (negativen) Vereinigungsfreiheit eröffnet. 4. Stellungnahme Die divergierenden Ansichten kommen zu verschiedenen Ergebnissen, wie der grundrechtliche Schutz des Bürgers im Kontext der hoheitlich angeordneten Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen verfassungsrechtlich zu bewerten ist. Um die Frage nach der Anwendbarkeit der negativen Vereinigungs­ freiheit auf die Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen an­ gemessen beurteilen zu können, sind die einzelnen Argumente der verschiedenen Ansichten näher zu betrachten und zu gewichten. a) Die Entstehungsgeschichte der negativen Vereinigungsfreiheit Zur Beantwortung der Frage, welche Auffassung vorzugswürdig ist, ist zunächst der Einfluss der Entstehungs- und Ideengeschichte der (negativen) Vereinigungs­ freiheit näher zu untersuchen. Auf den ersten Blick spricht die historische Entwick­ lung des Grundrechts gegen die Einbeziehung des Schutzes vor Pflichtmitglied­ schaften in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen in den Anwendungsbereich der (negativen) Vereinigungsfreiheit.1168 Die Ergänzung der Vereinigungsfreiheit um 1165

Scholz, AöR  100 (1975),  80 (124 f.); Sodan, Krankenversorgung, in: Ehlers / Fehling /  Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 53 Rn. 47; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 144; Pietzcker, JuS 1985, 27 (27 ff., ins­ besondere 29). Bethge, JA 1979, 281 (285): „Es kann […] kaum in der Kompetenz eines grund­ rechtsgebundenen Gesetzgebers (Art. 1 Abs. 3 GG) liegen, durch die in seinem grundsätzlichen Belieben stehende Wahl der rechtlichen Handlungsform über die thematische Einschlägigkeit der grundrechtlichen Abwehrnorm zu befinden.“ 1166 Siehe unter Kap. 3 A. I. Wenn die Unterlassungsfreiheit weiter reicht als die positive Frei­ heit, begründet dies bereits für sich genommen erhebliche Zweifel an der ‚Symmetriethese‘. 1167 Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (402 f.); Murswiek, JuS 1992, 116 (118); Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 32 m. w. N. 1168 Sodan, Krankenversorgung, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungs­ recht, Bd. 2, 3. Aufl. 2013, § 53 Rn. 47; ders., Die „Bürgerversicherung“ als Bürgerzwangsver­ sicherung, 2004, S. 29.

256

Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

ein Verbot von Zwangsmitgliedschaften wurde schließlich durch den Verfassungs­ konvent von Herrenchiemsee abgelehnt, um die Möglichkeit aufrechtzuerhalten, Angehörige bestimmter Berufsgruppen zu Mitgliedschaften in bestimmten Ver­ einigungen verpflichten zu können.1169 Trotzdem wurde ein entsprechender Vorschlag in den darauffolgenden Beratun­ gen des Parlamentarischen Rates diskutiert. Ein Ausnahmetatbestand sollte ledig­ lich für die Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden gelten.1170 Die Möglichkeit zur Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen sollte im Gegensatz zur Pflichtmitgliedschaft in privatrechtlichen Vereinigungen grundsätzlich bestehen bleiben. Beide Regelungsvorschläge, sowohl das Verbot des Beitrittzwangs als auch der Ausnahmetatbestand für die öffentlich-rechtlichen Vereinigungen, wurden vom Verfassungsgeber letztlich nicht in das Grundgesetz aufgenommen.1171 Trotz dieses Verzichts auf die explizite Regelung der negativen Vereinigungsfrei­ heit im Grundgesetz schützt die Vereinigungsfreiheit nach einhelliger Auffassung vor der Zwangsmitgliedschaft in privatrechtlichen Vereinigungen.1172 Schließlich sollten die Grundrechte nach den Unterdrückungserfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus umfassend vor der verpflichtenden Betätigung in Verbänden 1169

BVerfGE 146, 164 (194); BVerfG, NVwZ 2002, 335; BVerfG, NVwZ 2007, 808. Detail­ lierte Ausführungen hierzu bereits unter Kap. 1 C. IV.; vergleiche auch Ziekow, Vereinigungsfrei­ heit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 33; Sodan, Krankenversorgung in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 53 Rn. 47; Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, S. 22; Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 64; Ehrengerichtshof der Rechtsanwaltskammern der Britischen Zone, DVBl.  1952, 371; Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (400). 1170 Die in den Beratungen des parlamentarischen Rates diskutierten Regeln zur Vereinigungs­ freiheit wurden zwar in Bezug auf die Vereinigungen zur Wahrung und Förderung von Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen diskutiert. Da es sich bei diesen Vereinigungen jedoch um einen qualifizierten Sonderfall der Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG handelt, so Bauer, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 103, sind diese Erwägungen übertragbar. Siehe hierzu von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (123 f.); Ziekow, Vereinigungs­ freiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 11. Aufl. 2011, § 107 Rn. 33; Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 64. 1171 von Doemming / Füßlein / Matz, JöR n. F. 1 (1951), 1 (124 f.). 1172 Sodan, Krankenversorgung, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungs­ recht, Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 53 Rn. 46; Durner, Wirtschaftsverfassung, in: Ehlers / Fehling /  Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 11 Rn. 32; Merten, Ne­ gative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 202 ff.; Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 30 ff.; Kemper, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd.  1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 58; Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 9 Rn. 42, 66; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 46.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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schützen.1173 Gründe, weshalb der Verzicht auf den Ausnahmetatbestand für die Zwangsinkorporation in öffentlich-rechtliche Vereinigungen der Anwendung der negativen Vereinigungsfreiheit auf den Schutz vor der Mitgliedschaft in öffentlichrechtlichen Vereinigungen entgegenstehen soll, sind nicht ersichtlich.1174 Schließ­ lich zeigt diese Diskussion über den Ausnahmetatbestand doch gerade, dass nach dem Verständnis des Parlamentarischen Rates grundsätzlich auch die Abwehr vor der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen vom Schutz­ bereich der negativen Vereinigungsfreiheit erfasst sein soll.1175 Die Entstehungsgeschichte der Vereinigungsfreiheit spricht weder eindeutig für noch eindeutig gegen die Anwendung der negativen Vereinigungsfreiheit auf öffentlich-rechtliche Zwangsvereinigungen. b) Die Beschränkung des Schutzbereichs der positiven Vereinigungsfreiheit Bei der Untersuchung der Anwendbarkeit der negativen Vereinigungsfreiheit auf die Zwangsinkorporation in öffentliche Vereinigungen wird ein zentrales Problem der durch die ‚Symmetriethese‘ bewirkten dogmatischen Ausformung des Grund­ rechtsschutzes der negativen Freiheit sichtbar. Wird die negative Freiheit ausgehend von der positiven Freiheit bestimmt, spiegeln sich die Beschränkungen der posi­ tiven Freiheit, ungeachtet der diese Beschränkungen rechtfertigenden Interessen­ lage, in der negativen Freiheit wider.1176 Eine streng symmetrische Bestimmung von positiver und negativer Freiheit könnte daher eine differenzierte, am Schutz der Freiheitssphäre des Bürgers orientierte, die Gemeinschaftsverträglichkeit eines

1173 Weshalb auf eine Regelung der negativen Freiheit im Verfassungswortlaut verzichtet wurde und wie sich die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus auf die Anerkennung von positiver und negativer Freiheit auswirken, ausführlich unter Kap. 1 A. und Kap. 1 C. IV. 1174 Zumal die historische Entwicklung der Vereinigungsfreiheit sich gerade durch den Wunsch nach Schutz vor „hoheitliche[n] Zwangsgemeinschaften (insbesondere die Zünfte) entzündet hat,“ so Kemper, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 61; ver­ gleiche auch Ernst, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 52; Müller, Kor­ poration und Assoziation, 1965, S. 231 ff. 1175 Schließlich hat er durch diesen Ausnahmetatbestand sichtbar gemacht, dass nach seinem Verständnis grundsätzlich auch ein Fernbleiben von öffentlich-rechtlichen Vereinigungen in den Schutzbereich fällt und es daher einer Spezialregelung bedarf, so auch Kaltenborn, NZS 2001, 300 (301): „Die im Entwurf noch vorgesehene Ausnahmeklausel mag zwar einerseits den Willen des Verfassungsgebers erkennen lassen, die Pflichtmitgliedschaft in berufsständischen Körper­ schaften verfassungsrechtlich nicht in Frage zu stellen, auf der anderen Seite zeigt sie jedoch auch, dass die Abwehr öffentlich-rechtlicher Zwangszusammenschlüsse nach den Vorstellungen des Parlamentarischen Rates durchaus in den Schutzbereich der negativen Vereinigungsfreiheit fallen sollte.“; siehe auch Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (400 f.). 1176 Siehe hierzu bereits oben unter Kap. 3 A. III. 1. b).; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 67.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Verhaltens berücksichtigende Lösung verhindern.1177 Dies ist insbesondere in den Fällen problematisch, in denen die Eröffnung des Schutzbereichs der positiven Freiheit von äußeren Faktoren abhängig ist.1178 Fraglich ist, ob der Gedanke der Spiegelbildlichkeit nicht hinter einer schutzzweckorientierten Betrachtung bezie­ hungsweise einer liberalen Betrachtung des Schutzgehaltes zurückstehen muss. Zur Beantwortung dieser Frage sind daher der Schutzbereich der positiven Frei­ heit des Art. 9 Abs. 1 GG und die Gründe für die Beschränkung auf privatrecht­ liche Vereinigungen zu betrachten. Anschließend ist zu untersuchen, ob diese Gründe auch eine Begrenzung der negativen Vereinigungsfreiheit auf privatrecht­ liche Vereinigungen rechtfertigen. Nach Art. 9 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Vereine und Gesell­ schaften zu bilden. Vereinzelt finden sich in Erwägungen aus der Aufzählung „Vereine und Gesellschaften“ in Art. 9 Abs. 1 GG eine Beschränkung des Schutz­ bereichs dieses Grundrechts auf privatrechtliche Vereinigungen herzuleiten, han­ dele es sich doch bei Vereinen und Gesellschaften originär um privatrechtliche Organisationen.1179 Körperschaften oder Stiftungen, also typische Beispiele für öffentlich-rechtliche Vereinigungen, habe der Verfassungsgeber hingegen nicht in den Wortlaut Art. 9 Abs. 1 GG aufgenommen. Daher wolle der Verfassungsgeber öffentlich-rechtliche Vereinigungen nicht vom Schutzbereich der Vereinigungs­ freiheit erfassen.1180 Eine solche Argumentation lässt jedoch unberücksichtigt, dass das einfache Recht, etwa §§ 21, 22 BGB, nicht die Auslegung des Verfas­ sungsrechts vorschreiben kann1181. Eine Beschränkung des Schutzbereichs der Vereinigungsfreiheit auf privatrechtliche Vereinigungen folgt damit nicht aus dem Verfassungswortlaut.1182 Die Beschränkung des Schutzbereichs der positiven Vereinigungsfreiheit auf privatrechtliche Vereinigungen könnte jedoch aus dem Kriterium der Freiwillig­ keit des Zusammenschlusses folgen. Dieses Kriterium der Freiwilligkeit wird aus

1177

Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 17; siehe auch zu Art. 11 EMRK EGMR, NJW 1999, 3695 (3699), siehe auch Kap. 3 A. III. 1. b) zur Versammlungs- und Informationsfreiheit, von äußeren Faktoren abhängig. 1178 Während gewisse Grundrechte tatsächliche Gegebenheiten schützen, etwa das Leben oder die körperliche Integrität oder eine Meinung, ist der Gegenstand anderer Grundrechte rechtlich konstruiert, wie etwa der Gegenstand der Vereinigungsfreiheit. 1179 Kluth, JURA 1989, 408 (412); Löwer, GewArch 2000, 89 (95); Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (399); siehe hierzu auch Enseleit, Die Vereinigungsfreiheit in Deutschland und Frankreich, 2007, S. 213. 1180 Gornig, WiVerw 1998, 157 (162). 1181 Zur Normenhierarchie auch Ipsen, JZ 1997, 473; ähnlich auch von Mutius, JURA 1984, 193. 1182 Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 17; BVerfGE 10, 89 (102); 10, 354 (361 f.); 38, 281 (297 f.); siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 65.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

259

dem der Vereinigungsfreiheit zugrundeliegenden Prinzip freier sozialer Gruppen­ bildung1183 hergeleitet.1184 Im Gegensatz zu privatrechtlichen Vereinigungen beru­ hen öffentlich-rechtliche Vereinigungen auf einem Hoheitsakt und nicht auf einem freiwilligen Zusammenschluss der Beteiligten.1185 Daher können öffentlich-recht­ liche Vereinigungen keine Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG sein.1186 Das Kriterium der Freiwilligkeit verdeutlicht lediglich, dass Private keine hoheitlichen Vereinigungen gründen können, ohne zugleich die negative Ver­ einigungsfreiheit zu beschränken.1187 Wehrt sich der Bürger gegen die Zwangs­ inkorporation, möchte er sich nicht hoheitlich betätigen. Der Grundsatz, dass sich Private nicht ohne weiteres hoheitlich betätigen können, wäre folglich auch in dieser Konstellation gewahrt. Daher kann auch das Kriterium der Freiwilligkeit keine Beschränkung der negativen Vereinigungsfreiheit auf öffentlich-rechtliche Vereinigungen rechtfertigen.1188

1183

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 12 Rn. 410; Hamacher, Die Bedeutung der Vereinigungsfreiheit, 1972, S. 144 f.; Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten /  Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 22, 30; von Mutius, VerwArch 64 (1973), 81 (82); Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (385) m. w. N.; BVerfGE 38, 281 (303). 1184 Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 22, 34; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Frei­ heitsrechte, 1993, S. 59 f.; 68; Cornils, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 9 Rn. 8; Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 9 Rn. 37; Enseleit, Die Vereinigungsfreiheit in Deutschland und Frankreich, 2007, S. 80 ff.; von Mutius, JURA 1984, 193 (194). 1185 BVerfGE 10, 89 (102); 38, 281 (298); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Frei­ heitsrechte, 1993, S. 68 m. N.; von Mutius, JURA 1984, 193 (194, 196); Rinke, BayVBl. 2016, 325 (327); vergleiche auch Jäkel, DVBl. 1983, 1133 (1134); Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (395) m. w. N.: „Derartige Zusammenschlüsse können nur durch staatlichen Hoheitsakt also aufgrund des dem Staat als Sonderrecht vorbehaltenen öffentlichen Rechts errichtet werden. Pri­ vatpersonen können sich nicht allein aufgrund autonomer Willensentschließung („freiwillig“) zu einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung konstituieren“; siehe auch Ksoll, Deutsches Staatsrecht, 1966, S. 103; so auch Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 1953, S. 194 f.; siehe auch Bethge, JA 1979, 281 (285). 1186 von Mutius, JURA 1984, 193 (194, 196); Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 24; Rinke, BayVBl. 2016, 325 (327). 1187 Ähnlich bereits Bethge, JA 1979, 281 (285). 1188 Häufig wird die ‚Freiwilligkeit‘ des Zusammenschlusses gerade als Ausgangspunkt für die Anerkennung einer negativen Vereinigungs-/Koalitionsfreiheit angeführt, siehe etwa MayerMaly, ZAS 1969, 81 (84); Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 99 m. w. N.; vergleiche auch Eberle, DÖV 1977, 306 (308) zur negativen Meinungsfreiheit. Schließlich müsse der Grundrechtsträger dann durch dieses Grundrecht vor einer unfreiwilligen Tätigkeit geschützt werden. Allerdings kann nicht zwingend aus der Beschränkung des Schutzbereiches des Art. 9 GG auf freiwillige Zusammenschlüsse geschlossen werden, dass aus diesem Recht zugleich ein subjektives Recht auf den Schutz der Freiwilligkeit erwächst, so zutreffend Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 100 ff. Siehe auch Weller, AuR 1970, 161: „Fehler, die Voraussetzung für ein Grundrecht zu einem eben solchen zu erheben.“

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Der Ausschluss der öffentlich-rechtlichen Betätigungen aus der positiven Ver­ einigungsfreiheit resultiert damit aus der Bestimmung der Freiheitssphäre des Bürgers, der die Freiheit, in hoheitlicher Form etwas zu tun, grundsätzlich nicht für sich beanspruchen kann.1189 Die individuelle Freiheit des Bürgers wird jedoch beeinträchtigt, wenn er gegen seinen Willen Mitglied einer Vereinigung werden muss.1190 Die unterschiedlichen Schutzinteressen der positiven und der negativen Ver­ einigungsfreiheit kann die ‚Symmetriethese‘ insoweit nicht abbilden. Der Schutz­ gehalt von positiver und negativer Vereinigungsfreiheit muss vielmehr isoliert voneinander betrachtet werden. Eine Übertragung der Schutzbereichsbeschrän­ kungen beziehungsweise die im Kontext eines Tuns – des Sich-Vereinigens – des Grundrechtsträgers entwickelten Bereichsdogmatiken ist nicht eins zu eins auf die negative (Vereinigungs-)Freiheit möglich. c) Der Widerspruch zu den benannten Unterlassungsgrundrechten Für gewisse Konstellationen hat der Verfassungsgeber die Unterlassungsrechte des Bürgers speziell geregelt:1191 So befreit Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG den Bürger vom Kriegsdienst und Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG die Lehrer von der Pflicht zur Erteilung von Religionsunterricht.1192 Diese speziellen Grundrechte gewähren dem Bürger zwar nicht das Recht zur hoheitlichen Betätigung, gleichwohl schützen sie sein Recht, etwas zu unterlassen. Von Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 7 Abs. 2 S. 2, 3 S. 3 GG werden also die Konstellationen erfasst, in denen der Grundrechtsträger in einer besonderen Nähe zum Staat steht. Die speziellen Regelungen zum Unterlassen der hoheitlichen Betätigung sollen betonen, dass der Bürger in den Fällen, in denen er sich in eine besondere Nähe zum Staat begibt, ein Recht zum Rückzug in die Innenwelt hat. Der Verzicht auf eine ausdrückliche Regelung eines solchen spe­ ziellen Unterlassungsgrundrechts im Kontext der Vereinigungsfreiheit lässt nicht den Umkehrschluss zu, dass der Bürger – weil von einer speziellen Regelung abge­ sehen wurde – sich nicht auf die negative Freiheit dieses speziellen Freiheitsrechts berufen kann, wenn ein entsprechendes Tun nicht grundrechtlich geregelt ist. Die Funktion dieser benannten Unterlassungsgrundrechte beschränkt sich allein auf den Schutz des Unterlassen des Handelns in hoheitlicher Form, in Situationen, in denen sich der Grundrechtsträger in ein besonderes Näheverhältnis zum Staat be­ gibt.1193 Dies muss genauso für die Situation gelten, in der sich der Bürger bei der Zwangsinkorporation in eine öffentlich-rechtliche Vereinigung befindet. Bei der

1189

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 66 f. Scholz, AöR 100 (1975), 80 (124 f.). 1191 Hierzu ausführlich Kap. 1 B. 1192 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 78. 1193 Ausführlich hierzu bereits in Kap. 1 B. I. 1190

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

261

Betätigung in einer öffentlich-rechtlichen Korporation wird der Bürger durch die Pflichtmitgliedschaft genauso unfreiwillig in die Nähe des Staates gezogen, wie es beispielsweise bei der Verpflichtung zum Kriegsdienst mit Waffen der Fall ist. Daher muss sich der Grundrechtsträger zum Schutz seiner Freiheitssphäre durch ein spezielles Freiheitsrecht und nicht bloß durch die allgemeine Handlungsfrei­ heit gegen die Pflichtmitgliedschaft in einer Vereinigungsfreiheit wehren können. Da dieser spezielle Unterlassungsschutz der exklusiven benannten Unterlas­ sungsgrundrechte stets im Kontext der speziellen Freiheitsrechte diskutiert wurde, könnte dies nahelegen, dass auch im Kontext der Pflichtmitgliedschaft in öffent­ lich-rechtlichen Vereinigungen das spezielle Freiheitsrecht und nicht die allge­ meine Handlungsfreiheit Anwendung finden sollte. d) Erzeugung von Schutzlücken Die Differenzierung zwischen Zwangsmitgliedschaften in privatrechtlichen und in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen erscheint für Detlef Merten gerade unter Berücksichtigung des in diesen Situationen divergierenden Schutzbedürf­ nisses des Grundrechtsträgers „sachgerecht“1194. Eine Zwangsmitgliedschaft in einer privatrechtlichen Vereinigung sei ein deutlich intensiverer Eingriff in die Freiheit des Bürgers als eine vergleichbare Zwangsmitgliedschaft in einer öffent­ lich-rechtlichen Vereinigung. Schließlich führe die Zwangsmitgliedschaft in einer Vereinigung zwangsläufig zu einer Zwangsidentifikation des Pflichtmitgliedes mit der Vereinigung.1195 Insbesondere die Mitgliedschaft in einer privatrechtlichen Vereinigung erwecke von außen den Anschein, dass es sich bei dem Beitritt des Grundrechtsträgers zur Vereinigung um eine selbstbestimmte und nicht um eine hoheitlich erzwungene Entscheidung des Grundrechtsträgers handele. Außenste­ hende würden bei einer Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung hingegen seltener davon ausgehen, dass es sich um die freie Entscheidung des Grundrechtsträgers handele.1196 Daher sei die individuelle Selbstbestimmung und -entfaltung des Grundrechtsträgers im Falle der Pflichtmitgliedschaft in privat­ rechtlichen Vereinigungen deutlich stärker beeinträchtigt. Diese Differenzierung kann nicht überzeugen, denn der Bürger kann auch im Rahmen einer Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen zu einem seinem Willen widersprechenden Verhalten angehalten und mit diesem von außen identifiziert werden. Eine Zwangsidentifikation droht daher grundsätzlich

1194 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 65. 1195 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 65. 1196 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 65.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

auch im Falle der Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung. Die individuelle Selbstbestimmung kann gleichermaßen bei der Zwangsinkorpo­ ration in öffentlich-rechtliche und in privatrechtliche Vereinigungen empfindlich betroffen sein, muss der Bürger sich doch von Dritten mit der Mitgliedschaft in dieser Vereinigung und gegebenenfalls erzwungenen Betätigungen in dieser Ver­ einigung identifizieren lassen. Insoweit macht es für die Betroffenheit der indivi­ duellen Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers – auch aus seiner Perspektive betrachtet – keinen Unterschied, ob es sich um eine privat-rechtliche oder um eine öffentlich-rechtliche Vereinigung handelt.1197 Zumal die Selbstbestimmung des Bürgers ungeachtet der Organisationsform der Vereinigung, der er beitreten soll, beeinträchtigt ist: Das Zwangsmitglied wird an der Mitgliedschaft in einer (nicht unmittelbar) konkurrierenden (privatrecht­ lichen) Vereinigung gehindert, beispielsweise, weil ihm die Zeit zur Betätigung in der privatrechtlichen Vereinigung fehlt. Die individuelle Entscheidungsfreiheit wird damit auch im Falle der staatlich angeordneten Pflichtmitgliedschaft in öf­ fentlich-rechtlichen Vereinigungen empfindlich beschränkt. Dennoch, so Merten, seien bei einer Differenzierung des grundrechtlichen Schutzes danach, ob der Bürger einer öffentlich-rechtlichen oder einer privat­ rechtlichen Vereinigung beitreten soll, keine Schutzlücken zu befürchten, wenn im ersteren Fall der Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit und im letzteren Fall der Schutzbereich der negativen Vereinigungsfreiheit eröffnet sei. Schließlich werde im Fall der staatlich angeordneten Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung mit hoheitlicher Aufgabenwahrnehmung ein zusätzliches Kontrollinstrument durch die staatliche Aufsicht über die Aufgaben­ wahrnehmung installiert, das eine übermäßige Beeinträchtigung der individuellen Selbstbestimmung und -entfaltung verhindere.1198 Insgesamt sei die individuelle Selbstbestimmung deshalb durch die Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-recht­ lichen Vereinigungen weniger stark bedroht als bei der Zwangsmitgliedschaft in privatrechtlichen Vereinigungen. Schutzlücken durch die Ablehnung der Eröff­ nung des Schutzbereichs des Art. 9 Abs. 1  GG bei einer staatlich angeordneten Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen seien daher nicht zu befürchten.1199 Allerdings kann der Schutz, den die staatliche Aufsicht bei der Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben gewährt, nicht mit dem Schutz, den ein Grundrecht vermittelt, verglichen werden. Die staatlichen Kontrollbefugnisse bei der Aufga­ 1197

Zumal die „Rechtsform auch häufig historisch nur zufällig zustande gekommen sei“, so Enseleit, Die Vereinigungsfreiheit in Deutschland und Frankreich, 2007, S. 215, der von Mutius, JURA 1984, 193 (196 f.) im Grundsatz zustimmt. 1198 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 65; in diesem Zusammenhang auch BVerfGE 38, 281 (298). 1199 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 65; in diesem Zusammenhang auch BVerfGE 38, 281 (298).

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

263

benwahrnehmung variieren zum Teil stark.1200 Die staatliche Kontrolle überprüft zwar auch die Wahrung der individuellen Selbstbestimmung des Bürgers, der mit der Aufgabenwahrnehmung betraut wird, dieser Schutz ist aber qualitativ anderer Natur und kann daher nicht als Argument für den höheren Schutz des Bürgers bei der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen angeführt wer­ den.1201 Die Selbstbestimmung des Bürgers wird im Falle der Zwangsinkorporation in öffentlich-rechtliche Vereinigungen nicht automatisch stärker geschützt als im Falle der Zwangsmitgliedschaft in privatrechtlichen Vereinigungen. Die Gefährdung der individuellen Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers ist also bei der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen nicht geringer als bei der Pflichtmitgliedschaft in privatrechtlichen Vereinigungen, wes­ halb durch die unterschiedliche rechtliche Bewertung dieser Konstellation grund­ rechtliche Schutzlücken drohen könnten. Die Gefahr von Schutzlücken droht vor allem mit der ersten Auffassung, wenn zwischen dem Schutz der Vereinigungs­ freiheit je nach Organisationsform differenziert wird. Dann könnte der Staat, der über die Formenwahlfreiheit beziehungsweise die Organisationsgewalt verfügt, nämlich über das grundrechtliche Schutzniveau des Bürgers disponieren.1202 Der Staat würde schließlich primär öffentlich-rechtliche Vereinigungen gründen, ob­ gleich es ihm ebenso möglich wäre, privatrechtliche Vereinigungen zu gründen, und Zwangsmitgliedschaften in diese Vereinigungen anordnen, da die hoheitlichen Maßnahmen in diesem Fall nur am Grundrecht der allgemeinen Handlungsfrei­ heit zu messen wären.1203 Diese Gefahr, dass der Staat über die Formenwahlfreiheit über den Grundrechts­ schutz des Bürgers disponieren könnte, würde allerdings nicht drohen, wenn die Eingriffe in die negative Vereinigungsfreiheit unter denselben Voraussetzungen wie die Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit gerechtfertigt werden könn­

1200 Dies kann unter anderem auch davon abhängen, ob es sich um einen Bereich der Rechtsoder der Fachaufsicht handelt. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Privati­ sierung von öffentlichen Sicherheitsaufgaben, 2007, S. 13. 1201 Diese Situation ist etwa vergleichbar mit den Konstellationen des Beliehenen, dem die Be­ fugnis zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeräumt wurde. Die staatliche Kontrolle bezieht sich in diesen Fällen der Beleihung zwar auch auf die Frage, ob der Private beliehen werden durfte, jedoch steht vor allem die ordnungsgemäße Auf­ gabenerfüllung im Mittelpunkt der Betrachtung. 1202 Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 34; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundge­ setz, 1986 S. 144; Pietzcker, JuS 1985, 27 (29); Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (402 f.); siehe auch Kemper, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 59.; vergleiche auch von Mutius, JURA 1984, 193 (196). 1203 Ziekow, Vereinigungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 107 Rn. 34; angedeutet auch bei Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 9 Rn. 90; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986 S. 144; Pietzcker, JuS 1985, 27 (29); Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (402 f., siehe insbesondere das Zitat 402 Fn. 143); von Mutius, JURA 1984, 193 (196).

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

ten. Da Art. 9 Abs. 2 GG nur in den Konstellationen, in denen ein aufrührerisches Tun des Grundrechtsträgers vorliegt, Anwendung findet,1204 scheidet diese Vor­ schrift als Schranke der negativen Vereinigungsfreiheit, ungeachtet der Frage, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche oder eine privatrechtliche Vereinigung handelt, von vornherein aus. Da die Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG nicht auf die Konstellationen passe, in denen der Bürger von der Vereinigung fernbleiben wolle, fänden sich vereinzelte Erwägungen, statt der verfassungsimmanenten Schranken im Wege der Schrankenleihe die Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit an­ zuwenden.1205 Mittlerweile ist jedoch allgemein anerkannt, dass Eingriffe in die negative Vereinigungsfreiheit durch verfassungsimmanente Schranken beschränkt werden können.1206 Die Pflichtmitgliedschaft in privatrechtlichen Vereinigungen muss daher, um gerechtfertigt zu sein, zugunsten anderer Güter von Verfassungs­ rang wirken. Sie kann nur durch verfassungsimmanente Schranken beschränkt werden. Würde der Schutz vor der Zwangsmitgliedschaft nur über die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet, müsste trotz der vergleichbaren Beschränkung der Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers eine hoheitliche Maßnahme nur dem einfachen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG genügen.1207 Detlef Merten erachtet diese Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ge­ setzesvorbehalten mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als wenig problematisch.1208 Schließlich könne über die Verhältnismäßigkeitsprüfung ein vergleichbares Schutzniveau erzeugt werden.1209 Zwar kann im Rahmen der Ver­ hältnismäßigkeit geprüft werden, ob die Zwangsinkorporation in die öffentlichrechtliche Vereinigung erforderlich war, also ob die Gründung einer privatrecht­ lichen Vereinigung als milderes und gleich geeignetes Mittel möglich gewesen wäre oder ob der Staat durch die Schaffung öffentlich-rechtlicher Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaften privatrechtliche Konkurrenzvereinigungen behin­ dert.1210 Letztlich kann aber auch die Erforderlichkeit nicht über den Umstand hin­ wegtäuschen, dass im Falle der Anwendbarkeit der negativen Vereinigungsfreiheit die Verhältnismäßigkeit strengeren Anforderungen unterläge, muss in diesem Fall doch der legitime Zweck, dem die Maßnahme dient, ein solcher von Verfassungs­ 1204

Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 45 ff. Siehe hierzu statt vieler Bethge, JA 1979, 281 (284); Friauf, Die negative Vereinigungs­ freiheit als Grundrecht, in: FS Reinhardt, 1972, S. 389 (396 f.). 1206 Ausführlich hierzu Kap. 4 A. I. 1207 Kritisch hierzu auch Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 9 Rn. 90: „daß der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 und der hieraus resultierende Beurteilungsmaßstab von ‚ver­ fassungsmäßiger Ordnung‘ sowie ‚legitimer öffentlicher Aufgabe‘ keinen wirksamen Grund­ rechtsschutz zu gewährleisten vermag.“ 1208 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 66. 1209 Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Blick auf den Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit ausführlich unter Kap. 4 B. 1210 BVerfGE 38, 281 (303); Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 66; siehe auch Gass, DÖV 1960, 778 (780); ähnliche Tendenz bei Quidde, DÖV 1958, 521 (524). 1205

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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rang sein1211 und im Rahmen der Angemessenheit der Grundsatz der praktischen Konkordanz gewahrt worden sein. Der Staat könnte also, sofern die allgemeine Handlungsfreiheit bei der Pflicht­ mitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen für einschlägig gehalten wird, über den grundrechtlichen Schutz des Bürgers disponieren. Der Staat darf sich nicht durch die Wahl der Organisationsform den höheren Rechtfertigungs­ voraussetzungen der verfassungsimmanenten Schranken entziehen können.1212 Schließlich verbiete „[d]er Grundsatz vom Vorrang der Verfassung (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) […] nicht nur der Verfassung widersprechende einfache Gesetze (und Rechtsverordnungen etc.), er versag[e] dem einfachen Gesetzgeber auch die Befugnis über Verfassungsbegriffe inhalt­ lich zu disponieren.“1213

Dies müsse insbesondere für Grundrechte wie die Vereinigungsfreiheit gelten, die dem Staat einen gewissen Spielraum geben, um die Eröffnung des Schutz­ bereichs des Grundrechts zu beeinflussen.1214 Der Staat darf nicht durch seine eigenen Geschicke darüber entscheiden können, an welchem Maßstab seine Maß­ nahmen zu prüfen sind. Die Beschränkung auf privatrechtliche Vereinigungen der positiven Vereinigungsfreiheit auf die negative Vereinigungsfreiheit zu übertragen, ist aus diesem Grund fragwürdig. Der Bürger ist im Falle der Zwangskorporation in öffentlich-rechtliche Vereinigungen genauso schutzwürdig, wie er es bei der Zwangsinkorporation in eine privatrechtliche Vereinigung wäre. Die Anwendung der allgemeinen Handlungsfreiheit auf die staatlich angeordnete Pflichtmitglied­ schaft in öffentlich-rechtliche Vereinigungen führt also zu Schutzlücken zulasten des Grundrechtsträgers. e) Liberale Bedenken Auch unter liberalen Prämissen kann die Beschränkung des Schutzbereichs der negativen Vereinigungsfreiheit auf privatrechtliche Vereinigungen nicht überzeu­ gen. Auf Grundlage eines liberalen Verständnisses der Grundrechte sind diese in erster Linie subjektive Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe in die individuelle Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers.1215 Die Freiheitsphäre des Grundrechts­ 1211 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 734: „Als legitime Zwecke dürfen in der Verhältnismäßigkeit in diesen Fällen [, in denen verfassungsimmanente Schranken ein­ greifen,] also nur Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte in Ansatz gebracht werden.“ 1212 Zu den Schranken der negativen Vereinigungsfreiheit siehe Kap. 4 A. I. 1213 Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (403). 1214 Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (403). 1215 Vergleiche Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1530 f.); ähnlich die Bedenken von Schöbener, VerwArch 91 (2000), 274 (399), vergleiche auch Dreier, JURA 1994, 505; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 66 f.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

trägers ist daher stets betroffen, wenn eine Handlung hoheitlich erzwungen wird. Seine Freiheitssphäre ist also grundsätzlich im Falle einer Zwangsmit­ gliedschaft in einer Vereinigung  – unabhängig von der Organisationsform der Vereinigung – beeinträchtigt. Die Bestimmung des Schutzgehalts der negativen Vereinigungsfreiheit entspre­ chend der ‚Symmetriethese‘ missachtet bedeutsame liberale Prämissen, da nicht der Schutz der Freiheitssphäre des Bürgers für die Bestimmung des Schutzgehalts der negativen Vereinigungsfreiheit maßgeblich sein soll, sondern die positive Ver­ einigungsfreiheit zum Ausgangspunkt der Bestimmung des Schutzgehalts der ne­ gativen Vereinigungsfreiheit wird. Da die Gründung einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung nie die individuelle Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers betrifft, schließlich können Private nicht ohne weiteres hoheitlich handeln,1216 kann der von der positiven Freiheit erfasste Lebensbereich nicht mit der Situation verglichen werden, in der der Grundrechtsträger zum Beitritt in eine öffentlich-rechtliche Vereinigung gezwungen wird. Der Zwang zum Beitritt (und zur Betätigung in) einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung hingegen beschränkt die Freiheitsphäre des Bürgers, genauso wie die Pflichtmitgliedschaft in einer privatrechtlichen Vereinigung die Freiheit des Bürgers eingrenzen würde. Der staatliche Zwang ist dabei nicht deshalb verschieden, weil er sich einmal gegen das Fernbleiben von öffentlich-rechtlichen Vereinigungen und einmal gegen das Fernbleiben von pri­ vatrechtlichen Vereinigungen richtet. Es könne, „keinen Unterschied machen, ob sich ein Privater gegen die Pflichtmitgliedschaft in pri­ vatrechtlichen oder in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen wehr[e]. Die Beschränkung der negativen Vereinigungsfreiheit als Abwehranspruch gegen privatrechtliche Verbände nehme ihr nahezu vollkommen ihre praktische Wirksamkeit, weil privatrechtliche Zusam­ menschlüsse, gegen die das Fernbleiberecht aktiviert werden könne, äußerst selten sein.“1217

In beiden Konstellationen ist die Vereinigungsfreiheit in ihrer klassischen Funk­ tion als Abwehrrecht betroffen.1218 Der Bürger, der einer Vereinigung – gleich wel­ cher Organisationsform – fernbleiben möchte, beabsichtigt, den staatlichen Zwang abzuwehren. Aus seiner Perspektive macht die Organisationsform der Vereinigung, der er beitreten soll, folglich keinen Unterschied.1219 Da Art. 9 Abs. 1 GG im Be­ reich sozialer Gruppenbildung ein Höchstmaß an Freiheit vor staatlicher Ein­ flussnahme gewähren soll, muss sich die negative Vereinigungsfreiheit auch auf den Schutz vor Zwangsmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen erstrecken.1220 Die negative Vereinigungsfreiheit muss daher auch unter liberalen 1216 Vergleiche auch Kap. 1 B. I.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 67. 1217 Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (399) bezugnehmend auf Friauf, Zur verfassungs­ rechtlichen Problematik der Pflichtmitgliedschaft, 1997, S. 43 f.; ähnlich auch Höfling, in: Sachs, GG, 9 Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 23. 1218 Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (399) m. w. N. 1219 So auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 95. 1220 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 143.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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Prämissen gleichermaßen vor der Zwangsinkorporation in privatrechtliche und in öffentlich-rechtliche Vereinigungen schützen. Die ‚Symmetriethese‘, nach deren Maßgabe sich der Schutz der negativen Ver­ einigungsfreiheit nur auf die Pflichtmitgliedschaft in privatrechtlichen Vereini­ gungen erstrecken könne,1221 reflektiert die liberale Prämisse des umfassenden Handlungsschutzes nicht hinreichend. Sie geht vielmehr von der Prämisse aus, dass positive und negative Freiheit nicht nur Begriffe sind, die die liberale Idee des um­ fassenden Handlungsschutzes beschreiben, sondern sieht die positive Freiheit als (dogmatische) Grundlage des grundrechtlichen Schutzes der negativen Freiheit.1222 Da der Grundrechtsschutz der positiven Freiheit die Grundlage des grundrecht­ lichen Schutzes der negativen Freiheit bilde1223 – sei die negative Freiheit doch das sachlich-notwendige Korrelat zur positiven Freiheit – müsse der Schutzumfang der negativen Freiheit einseitig ausgehend vom Schutzumfang der positiven Freiheit bestimmt werden. Nach diesem Verständnis ist die positive Freiheit die Grundlage der Anerkennung der negativen Freiheit, weshalb der Schutzgehalt der negativen Vereinigungsfreiheit in seiner Reichweite durch die Reichweite der positiven Frei­ heit beschränkt werden muss. Der Schutz der negativen Freiheit kann demnach nicht weiterreichender sein als der Schutz der positiven Freiheit. Als spiegelbild­ liche Entsprechung der positiven Vereinigungsfreiheit müsste die negative Ver­ einigungsfreiheit demnach auf privatrechtliche Vereinigungen beschränkt sein. Diese Beschränkung der negativen Vereinigungsfreiheit auf privatrechtliche Vereinigungen ist dementsprechend Ausdruck der Anwendung der ‚Symmetrie­ these‘ auf ein bestimmtes Freiheitsrecht, ohne dass die Gründe für die Beschrän­ kung des Grundrechtsschutzes der positiven Vereinigungsfreiheit auf privatrecht­ liche Vereinigungen beleuchtet und reflektiert werden. Die Beschränkung der negativen Vereinigungsfreiheit auf privatrechtliche Vereinigungen illustriert in­ soweit recht anschaulich einen Abkoppelungs- und Verselbständigungsprozess: Die ‚Symmetriethese‘ wird zum Ausgangspunkt der Beschränkung der negativen Vereinigungsfreiheit und veranschaulicht wie ein für sich genommen schon kritik­ würdiger dogmatischer Satz zum Ausgangspunkt weiterer präziserer dogmatischer Konkretisierungen wird und sich verfestigt. Da im Rahmen der Rechtsarbeit nur noch auf diese Konkretisierung Bezug genommen wird, ohne die zugrundelie­ genden Regeln zu reflektieren beziehungsweise in einen entsprechenden Kontext zu setzen, verfestigen sich diese dogmatischen Präzisierungen. Durch die Bezug­ nahme auf die bestehenden Regeln erwecken diese Präzisierungen den Anschein von Legitimität. Durch die stetige Anwendung der in Literatur und Rechtsprechung konsentierten ‚Symmetriethese‘ erweckt die Beschränkung des Schutzes der nega­ 1221

Siehe Kap. 3 A. IV. 3. Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (398): „Dahinter steht (unausgesprochen) wohl die Theorie von der negativen Seite als Korrelat der positiven Vereinigungsfreiheit.“ 1223 Ähnlich auch Quidde, DÖV 1958, 521; dies ist auch das maßgebliche Argument bei ­Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 1954, S. 122; so auch Rode, DÖV 1976, 841 (842). 1222

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

tiven Vereinigungsfreiheit auf privatrechtliche Vereinigungen den Anschein von Richtigkeit und Legitimität. Werden bei der Bestimmung des Schutzgehalts der negativen Vereinigungsfrei­ heit die dem grundrechtlichen Schutz von Handlungen zugrundeliegenden theore­ tischen Prämissen berücksichtigt, muss die Eröffnung des Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG bejaht werden, da die Freiheitssphäre des Bürgers im Falle der Pflicht­ mitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen betroffen ist und diese Be­ einträchtigung der Freiheitssphäre mit einer durch die Pflichtmitgliedschaft in einer privatrechtlichen Vereinigung hervorgerufenen oder durch die Verhinderung der Gründung einer privatrechtlichen Vereinigung hervorgerufenen Beeinträchti­ gung der Freiheitsphäre vergleichbar ist. Die Beeinträchtigung der Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers kann in dieser Situation nicht mit einer durch die Verhin­ derung der Gründung einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung des Bürgers her­ vorgerufenen Beeinträchtigung der Freiheitssphäre verglichen werden. Deshalb ist von der Bestimmung des Schutzgehalts der (negativen) Vereinigungsfreiheit unter Anwendung der ‚Symmetriethese‘ Abstand zu nehmen. f) Zusammenfassung Der Grundrechtsträger kann sich im Falle einer staatlich angeordneten Pflicht­ mitgliedschaft in einer Vereinigung, ungeachtet ihrer Organisationsform, auf die negative Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG berufen. Die liberalen Grund­ lagen des grundrechtlichen Handlungsschutzes würden bei der strikt symmetri­ schen Bestimmung des Schutzbereichs von positiver und negativer Vereinigungs­ freiheit weitgehend außer Betracht bleiben. Gerade auf Grundlage des liberalen Grundrechtsverständnisses ist es nicht vertretbar, den Grundrechtsschutz über die Formenwahlfreiheit zur Disposition des Staates zu stellen. Schließlich muss die individuelle Selbstbestimmung und -entfaltung unter liberalen Gesichtspunk­ ten umfassend geschützt werden. Der Staat würde sonst auch dann, wenn es ihm grundsätzlich möglich wäre eine privatrechtliche Vereinigung zu gründen und die Mitgliedschaft in dieser anzuordnen, immer eine öffentlich-rechtliche Vereini­ gungen errichten, um sich den hohen Schutzmaßstäben des Art. 9 Abs. 1 GG zu entziehen. Vergleichbare Beeinträchtigungen der Freiheitssphäre dürfen also nicht aufgrund der dogmatischen Operationalisierungsregeln einen unterschiedlichen Schutz erfahren. An der von der herrschenden Meinung praktizierten Begrenzung der negativen Vereinigungsfreiheit auf privatrechtliche Vereinigungen lässt sich das Problem der unreflektierten Ausformung und Verfestigung einer dogmatischen Regel illustrieren. Sie ist ein Symbol der durch die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit bewirkten Überdogmatisierung des grund­ rechtlichen Handlungsschutzes. Auch die vermittelnden Positionen scheinen sich, obgleich sie grundsätzlich an der ‚Symmetriethese‘ festhalten, der Problematiken einer strengen Anwendung der

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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‚Symmetriethese‘ bewusst zu sein, wenn sie die Berücksichtigung der Wertungen des Art. 9 Abs. 1 GG im Rahmen der Anwendung der allgemeinen Handlungs­ freiheit auf öffentlich-rechtliche Vereinigungen fordern. Allerdings führt auch die einschränkende Auslegung der allgemeinen Handlungsfreiheit zu keiner an­ gemessenen Lösung des Problems, schließlich bewirkt diese einen im Verhältnis zur negativen Vereinigungsfreiheit abgeschwächten Grundrechtsschutz vor der Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigung. Der Bürger muss sich daher zum Schutz vor der Zwangsinkorporation in öf­ fentlich-rechtliche Vereinigungen auf die negative Vereinigungsfreiheit berufen können. Die Anwendung der ‚Symmetriethese‘ auf die vorliegende Konstellation kann daher nicht überzeugen.

V. Kritische Reflexion der ‚Symmetriethese‘ als Grundlage zur Bestimmung der Schutzgehalte von positiver und negativer Freiheit Die Untersuchung der Schutzgehalte von positiver und negativer Freiheit zeigt, dass die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit die ihr zugrundeliegenden liberalen Prämissen bei der Bestimmung des Inhalts des grundrechtlichen Handlungsschutzes nicht hinreichend reflektiert. Angesichts dieser Untersuchungsergebnisse1224 ist fraglich, ob an der ‚Symmetriethese‘ zur Konkretisierung des grundrechtlichen Handlungsschutzes festgehalten werden kann,1225 oder ob sie nicht vielmehr ein Sinnbild für die Abkoppelung dogma­ tischer Sätze von den theoretischen Prämissen ist. Gegen die ‚Symmetriethese‘ sprechen gute Gründe: 1. Antithese vs. Synthese Michaela Schuhmann hält bereits die durch die ‚Symmetriethese‘ bewirkte spiegelbildliche Bestimmung des Schutzgehalts von positiver und negativer Frei­ heit für methodisch widersinnig. Ein ‚antithetischer‘ Aufbau des Schutzbereiches von positiver und negativer Freiheit steigere das Risiko (intra-)grundrechtlicher Kollisionen.1226 Auf Grundlage eines streng symmetrischen Verständnisses der Schutzbereiche würden die Grundrechte zwangsläufig gegensätzliche Verhaltens­ 1224

Hierbei wird sich sowohl auf die Ergebnisse der Untersuchung der Dimensionen von posi­ tiver und negativer Freiheit bezogen (siehe Kap. 3 A. II. und III.), als auch auf das Ergebnis der Untersuchung des Handelns in hoheitlicher Form (siehe Kap. 3 A. IV.). 1225 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 163; Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 57 f.; Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 153 ff. 1226 Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 26; siehe auch Leventis, Tarifliche Diffe­ renzierungsklauseln nach dem Grundgesetz, 1974, S. 36.

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

dimensionen schützen, die fortwährend miteinander kollidieren und sich gegen­ seitig aufheben würden.1227 Die Auffächerungen der unter den Begriffen von positiver und negativer Frei­ heit verstandenen grundrechtlich geschützten Verhaltensdimensionen, insbeson­ dere das Zusammenspiel von positiver und negativer Auswahlfreiheit, zeigen jedoch, dass auch sofern die Bestandteile des Schutzbereiches von positiver und negativer Freiheit symmetrische Elemente beinhalten, dies primär dazu beiträgt, dass sich der Schutz von positiver und negativer Freiheit gegenseitig flankiert und komplettiert. Die unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit ver­ standenen Verhaltensdimensionen wirken zum Zweck des Handlungsschutzes des Grundrechtsträgers zusammen.1228 Positive und negative Freiheit hebeln sich nicht gegenseitig aus. Die Befürchtung, dass ein symmetrisches Verständnis des Schutzgehaltes von positiver und negativer Freiheit dazu führen würde, dass sich der spiegelbildlich verstandene grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit gegensei­ tig ‚neutralisieren‘ würde, und die ‚Symmetriethese‘ aus diesem Grund abzulehnen ist, kann daher nicht überzeugen. 2. Die ‚Symmetriethese‘ als ‚Überbleibsel‘ Ein Anschein der Spiegelbildlichkeit von positiver und negativer Freiheit kann angesichts ihrer inhaltlichen Nähe nicht geleugnet werden. Schließlich führt be­ reits der Umstand, dass sich sowohl die positive als auch die negative Freiheit auf dasselbe spezielle Freiheitsrecht bezieht, dazu, dass ihr Schutzgehalt im Einzel­ fall spiegelbildlich erscheint: So schützt etwa die positive Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die Freiheit, sich künstlerisch zu betätigen, und die negative Kunst­ freiheit die Freiheit, sich nicht künstlerisch zu betätigen beziehungsweise die künst­ lerische Betätigung zu unterlassen. Obgleich sich der Schutzgehalt von positiver und negativer Freiheit beziehungsweise von Tun und Unterlassen auf den ersten Blick als spiegelbildliche Entsprechung präsentiert, kann dies nicht die Funktiona­ lität der ‚Symmetriethese‘ beweisen, geschweige denn diese legitimieren. Die ‚Symmetriethese‘ leitet den Schutzgehalt der negativen Freiheit einseitig ausgehend von der positiven Freiheit ab, ohne das dahinterstehende Vorverständnis 1227

Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 26; siehe auch Leventis, Tarifliche Diffe­ renzierungsklauseln nach dem Grundgesetz, 1974, S. 36: „da ein Spannungsverhältnis zwischen positiver und negativer Koalitionsfreiheit besteht. Diese Konfliktsituation würde aber kaum zu lösen sein, wenn beide Grundrechte durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wären.“ 1228 Kämmerer, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 51: „Negative und positive Berufswahlfreiheit greifen beim Berufswechsel ineinander.“ Dies zeigt auch die Aufzählung der geschützten Komponenten von positiver und negativer Freiheit bei Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 12 Rn. 9.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

271

zu reflektieren.1229 Sie beruht auf einem Vorverständnis, das die negative Freiheit als „logisches Korrelat“ der positiven Freiheit versteht.1230 Demnach ist der An­ knüpfungspunkt für den grundrechtlichen Schutz der negativen Freiheit der grund­ rechtliche Schutz der positiven Freiheit. Da nach diesem Verständnis die positive Freiheit die Grundlage des Grundrechtsschutzes der negativen Freiheit bildet, muss der Schutz der negativen Freiheit in seiner inhaltlichen Ausgestaltung durch die Reichweite der positiven Freiheit begrenzt werden. Diese Vorannahme, auf der die ‚Symmetriethese‘ beruht, ist jedoch veraltet. Sie ist ein ‚Überbleibsel‘ aus einer Zeit, in der die liberalen Hintergründe des grundrechtlichen Handlungsschutzes weitgehend unreflektiert blieben.1231 Sowohl der unter dem Begriff der positiven Freiheit als auch der unter dem Be­ griff der negativen Freiheit verstandene Grundrechtsschutz entspringen dem libe­ ralen Verständnis, dass die Grundrechte, soweit sie eine menschliche Handlung zum Gegenstand haben, diese umfassend schützen. Der Grundrechtsschutz der unter dem Begriff der negativen Freiheit zusammengefassten Verhaltensdimen­ sionen folgt also nicht aus dem Grundrechtsschutz der positiven Freiheit, sondern aus dem liberalen Verständnis der Handlungsgrundrechte. Dementsprechend kann der Schutzgehalt der negativen Freiheit nicht auf die spiegelbildliche Umkehrung der Funktionen der positiven Freiheit reduziert werden,1232 vielmehr muss der Schutzgehalt der negativen Freiheit selbst ausgehend von den liberalen Prämissen bestimmt werden. Die negative Freiheit ist folglich nicht der untergeordnete Part­ ner der positiven Freiheit.1233 Die unter der Prämisse, dass der grundrechtliche Schutz eines Tuns Ausgangs­ punkt der Herleitung des grundrechtlichen Schutzes eines entsprechenden Unter­ lassens sei, entwickelte ‚Symmetriethese‘ wird nach wie vor im Rahmen der Rechtsarbeit, obgleich mittlerweile einige Stimmen auf die grundrechtstheore­ tische Grundlage dieser Theorie hinweisen,1234 zur Bestimmung des Inhalts der negativen Freiheit angewendet. Der Umstand, dass die ‚Symmetriethese‘ in einem anderen Kontext entwickelt wurde, wird weder bei ihrer Anwendung noch bei der 1229

Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (398). Siehe hierzu Kap. 1 E. I.; vergleiche auch Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 79. 1231 Vergleiche Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374. 1232 Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 133; so auch Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit, in: FS Kriele, 1997, S. 301 (308); vergleiche auch Kemper, in: von Man­ goldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 58: „Der Schutz der Freiheit, einer Ver­ einigung nicht anzugehören, wird also nicht im Wege einer Schlussfolgerung aus dem Schutz der Freiheit zur Zugehörigkeit hergeleitet; er ergibt sich vielmehr unmittelbar aus dem Schutz der unteilbar positiven und negativen Freiheit, Vereinigungen zu bilden.“; vergleiche auch Durner, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 11 Rn. 89, der im Kontext des negativen Freizügigkeitsrechts kritisiert, dass die Anwendung der ‚Symmetriethese‘ zu „systemwidrigen Ergebnissen“ führe. 1233 Vergleiche Kap. 4  B. II. 1. 1234 Siehe unter Kap. 3 A. I. 1230

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

Fortentwicklung der durch ihre Anwendung erzeugten Ergebnisse reflektiert.1235 Die ‚Symmetriethese‘ hat vielmehr durch die stetige Anwendung den Anschein der Verbindlichkeit eines spiegelbildlichen Verständnisses des grundrechtlichen Schutzes von Tun und Unterlassen erweckt. Statt Umfang und Reichweite des durch die speziellen Freiheitsrechte gewährten Handlungsschutzes individuell, mit Blick auf die Besonderheiten des jeweiligen Grundrechts zu bestimmen, wird allgemein von der Spiegelbildlichkeit von Tun und Unterlassen ausgegangen. So wird regelmäßig etwa das ‚Nicht-Haben‘ einer Meinung oder einer Religion als Spiegelbild des Rechts verstanden, seine Meinung zu äußern oder seinen Glauben öffentlich zu praktizieren, ohne zu reflektieren, ob in diesen Fällen der Schutzbereich des speziellen Freiheitsrechts eröffnet ist. Insbesondere in den Fällen, in denen ein Tun besonderen Beschränkungen unter­ worfen ist, müssten auf Basis eines symmetrischen Schutzbereichsverständnisses die Beschränkungen der positiven Freiheit auch auf ein Unterlassen zu übertragen sein. So schützt die (positive) Informationsfreiheit beispielsweise das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten, mit der Folge, dass die ne­ gative Informationsfreiheit als ihre spiegelbildliche Entsprechung nur das Recht schützt, sich nicht aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten, ohne die Gründe und die Übertragbarkeit dieser Schutzbereichsbeschränkungen zu reflek­ tieren. Besonders anschaulich verdeutlicht dies nicht nur die Diskussion über die Reichweite der (negativen) Vereinigungsfreiheit in Bezug auf das Fernbleiben von öffentlich-rechtlichen Vereinigungen, sondern auch mit Blick auf die negative Ko­ alitionsfreiheit der Tarifaußenseiter.1236 So schützt die negative Koalitionsfreiheit auf Grundlage eines rein symmetrischen Schutzbereichsverständnisses nur das Fernbleiben von einer Koalition, nicht aber die Verschonung des Tarifaußenseiters vor der Ausdehnung tariflicher Normsetzung auf diesen.1237 Während bei der ersten Konstellation die individuelle Koalitionsfreiheit betroffen ist, ist im letzteren Fall die kollektive Koalitionsfreiheit betroffen. Die kollektive Koalitionsfreiheit schützt „die Freiheit der Vereinigung, sich entsprechend ihrer Zwecksetzung zu betätigen und verbindliche Regelungen für die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu schaffen“1238. Die positive kollektive Koalitionsfreiheit ist also grundsätzlich auf ihre Mitglieder bezogen,1239 sodass bei einem streng symmetrischen Verständnis die negative kollektive Koalitionsfreiheit nur auf die Mitglieder, nicht aber auf die Außenseiter bezogen sein könnte. Bei einer solchen Bestimmung der Reichweite der negativen Koalitionsfreiheit würden aber die besonderen Wechselwirkungen von individueller und kollektiver Koalitionsfreiheit, wie auch der grundrechtliche Schutz der Selbstbestimmung und -entfaltung des Außenseiters, der den Kern der 1235 So auch der Befund Schuberts, RdA 2001, 199 (200) m. w. N.; Schmidt-Eriksen, Tarifver­ tragliche Betriebsnormen, 1992, S. 155. 1236 Siehe hierzu etwa Schubert, RdA 2001, 199. 1237 Schubert, RdA 2001, 199 (199, 201). 1238 Schubert, RdA 2001, 199 (202). 1239 Schubert, RdA 2001, 199 (203 f.).

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

273

Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit bildet, unbe­ rücksichtigt bleiben.1240 Da die ‚Symmetriethese‘ die Prämisse des umfassenden Handlungsschutzes nicht hinreichend abbildet, kann sie nicht als Konkretisierung der inhaltlichen Gestaltung grundrechtlichen Handlungsschutzes qualifiziert werden, obwohl sie durch stetige Anwendung als verbindliche unumstößliche Regel zur Bestimmung des Schutzgehalts von positiver und negativer Freiheit erscheint. Diese Entwick­ lung ist maßgeblich durch die Speicher- und Entlastungsfunktion der Dogmatik bedingt. Da der Rechtsarbeiter die dogmatischen Regeln, sobald sie anerkannt sind, ohne neuerliche Begründung anwendet, werden dogmatische Sätze, wie die ‚Sym­ metriethese‘ zeigt, nur in einzelnen Ausnahmefällen noch reflektiert und auf ihren Bestand geprüft. Unterstützt wurde dieser Prozess im Kontext der ‚Symmetrie­ these‘ unter anderem dadurch, dass ein Unterlassen umgangssprachlich regelmä­ ßig als Negation eines Tuns beschrieben wird, weil sprachlich für das Unterlassen eines Verhaltens nicht die gleichen Spezifikationen wie für ein Tun existieren. Es ist insoweit ein Prozess der „Überdogmatisierung“1241 beziehungsweise der Ver­ selbstständigung zu beklagen, der letztlich ungenaue dogmatische Konkretisie­ rungen erzeugt. Gerade in Konstellationen, in denen besondere Schutzinteressen bei der Bestimmung des grundrechtlichen Schutzes von Handlungen zu beachten sind, etwa weil ein Verhalten nicht ohne weiteres spiegelbildlich umgekehrt wer­ den kann,1242 gerät die ‚Symmetriethese‘ an ihre Grenzen. Sie verkürzt in diesen Konstellationen den grundrechtlichen Handlungsschutz, da sie das unterschied­ liche Konfliktpotential und die unterschiedliche Interessenlage der verschiedenen Verhaltensweisen und -formen bei der Bestimmung von Inhalt und Umfang des unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit gefassten Grundrechts­ schutzes nicht im Stande ist abzubilden.1243 Der Schutzgehalt der negativen Frei­ heit darf nicht auf die Umkehrung der Funktionen der positiven Freiheit reduziert 1240

Schubert, RdA 2001, 199 (202 ff.). Volkmann, JZ 2020, 965 (975). 1242 Vergleiche auch Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit, in: FS Kriele, 1997, S. 301 (308). 1243 Dies zeigt nicht nur das Beispiel der Zwangsinkorporation in öffentlich-rechtliche Vereini­ gungen, bei dem der Grundrechtsträger auf Basis der strikten Anwendung der ‚Symmetriethese‘ vor der Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung schwächer geschützt würde als vor der Pflichtmitgliedschaft in privatrechtlichen Vereinigungen, sondern auch die Diskussion um andere Schutzbereichsbegrenzungen, wie etwa bei Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG oder Art. 8 Abs. 1 GG. Bei einer streng symmetrischen Bestimmung des Schutzbereiches müsste die Beschränkung der positiven Freiheit entsprechend auf den Schutz der negativen Freiheit an­ gewendet werden. Ein Tun, also der Gebrauch der positiven Freiheit, tritt in die Außenwelt hervor und erzeugt daher regelmäßig mehr Konflikte in einer Gesellschaft, als ein Verhalten wie etwa das Unterlassen, mit dem sich der Bürger aus der Außenwelt, zurückzieht. Dies muss bei der Bestim­ mung des Inhalts eines grundrechtlich geschützten Verhaltens, insbesondere bei der Bestimmung des Umfangs, berücksichtigt werden. Obgleich positive und negative Freiheit als unselbststän­ dige Gewährleistungen auf den Rückbezug zu demselben Freiheitsrecht angewiesen sind, wür­ den die zwischen diesen Verhaltensweisen divergierenden Schutzinteressen nicht (ausreichend) abgebildet, wenn die negative Seite die spiegelbildliche Entsprechung der positiven Seite sein soll. 1241

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

werden,1244 vielmehr muss der Schutzgehalt der negativen Freiheit selbst ausgehend von den liberalen Prämissen bestimmt werden. 3. Zusammenfassung Die ‚Symmetriethese‘ kann nicht überzeugen. Sie degradiert die negative Frei­ heit, indem sie sie einseitig von der positiven Freiheit ausgehend bestimmt, was bereits für sich genommen mit dem Gedanken des umfassenden Handlungsschut­ zes konfligiert. Die ‚Symmetriethese‘ ist also ein Beispiel dafür, dass sich die Rechtsarbeit verändern muss und Kontrollmechanismen geschaffen werden müs­ sen, die für eine hinreichende Reflexion der Konkretisierung des grundrechtlichen Handlungsschutzes sorgen und eine Abkoppelung der Dogmatik verhindern.1245 Die Folgen dieser Abkehr von der ‚Symmetriethese‘ zugunsten einer von libe­ ralen Prämissen geleiteten Bestimmung des Inhalts grundrechtlichen Handlungs­ schutzes lassen sich exemplarisch am Grundrecht der Koalitionsfreiheit illustrie­ ren. Da die positive Koalitionsfreiheit die Freiheit zur Gründung und zum Beitritt enthält, würde die negative Koalitionsfreiheit auf Basis der ‚Symmetriethese‘ schließlich nur das Fernbleiben von einer Koalition schützen.1246 „Eine Freiheit von der Normsetzung durch die Tarifvertragsparteien ist bei dieser Bestimmung der positiven Freiheit durch die bloße Spiegelung nicht konstruierbar.“1247 Ausge­ hend von einem liberalen Verständnis des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit kann folglich grundsätzlich auch der „Außenseiter“ vor der Unterwerfung unter tarifvertragliche Normen geschützt werden.1248 1244

Fenchel, Negative Informationsfreiheit, 1997, S. 133; so auch Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit, in: FS Kriele, 1997, S. 301 (308); vergleiche auch Kemper, in: von Man­ goldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 58: „Der Schutz der Freiheit, einer Ver­ einigung nicht anzugehören, wird also nicht im Wege einer Schlussfolgerung aus dem Schutz der Freiheit zur Zugehörigkeit hergeleitet; er ergibt sich vielmehr unmittelbar aus dem Schutz der unteilbar positiven und negativen Freiheit, Vereinigungen zu bilden.“; vergleiche auch Durner, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 11 Rn. 89, der im Kontext des negativen Freizügigkeitsrechts kritisiert, dass die Anwendung der ‚Symmetriethese‘ zu „systemwidrigen Ergebnissen“ führe. 1245 Vergleiche Kap. 2.; siehe auch Lepsius, Relationen, 2016. 1246 BVerfGE 50, 290 (367); 55, 7 (21); Schubert, RdA 2001, 199 (202) m. w. N.; Biedenkopf, JZ 1961, 346, 349; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 375 f.; Mayer-Maly, in: Däubler / ders. (Hrsg.), Negative Koalitionsfreiheit?, 1971, S. 5 (6); Hueck / Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 2/1, 7. Aufl. 1967, S. 154 ff.; Säcker, Grundprobleme der kollektiven Ko­ alitionsfreiheit, 1969, S. 36; Schmidt-Eriksen, Tarifvertragliche Betriebsnormen, 1992, S. 115. 1247 Schubert, RdA 2001, 199 (202). 1248 Zu der Frage, ob beziehungsweise unter welchen Voraussetzungen tarifvertragliche Nor­ men Wirkungen gegenüber ‚Außenseitern‘ entfalten können, siehe etwa Giesen, Tarifvertrag­ liche Rechtsgestaltung, 2002, S. 127 ff.; Arnold, Betriebliche Tarifnormen und Außenseiter, 2010. Auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen in diesen Konstellationen ein Eingriff vorliegt beziehungsweise unter welchen Voraussetzungen dieser Eingriff gerechtfertigt ist, soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.

A. Die Schutzbereichsdimensionen von positiver und negativer Freiheit

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VI. Fazit: Der grundrechtliche Schutz von Handlungen Die Assoziation von positiver und negativer Freiheit mit Tun und Unterlassen kommt folglich nicht von ungefähr. Gleichwohl ist diese Assoziation von posi­ tiver Freiheit und negativer mit dem Grundrechtsschutz eines ‚Tuns‘ und eines ‚Unterlassens‘ zu pauschal und nicht geeignet, die unterschiedlichen Elemente des grundrechtlichen Handlungsschutzes vollständig abzubilden. Die Kategorien von positiver und negativer Freiheit können, anders als dies durch die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit suggeriert wird, nicht abschließend und trennscharf voneinander abgegrenzt werden. Die unter den Be­ griffen von positiver Freiheit und negativer Freiheit abgebildeten Verhaltenswei­ sen und -formen können ebenso wenig wie die einzelnen unter diesen Begriffen dargestellten Verhaltensdimensionen isoliert voneinander betrachtet werden. Sie unterscheiden sich nicht kategorial, sondern zeichnen sich vielmehr durch ihre Wechselbezüglichkeit aus. Die verschiedenen Verhaltensweisen und -dimensio­ nen sind gleichwertige Bestandteile eines liberalen Handlungsbegriffs: Sowohl das Tun als auch das Unterlassen ergänzen sich bereits auf der Stufe des ‚Ob‘ der Entschließungsfreiheit. Schließlich könnte der Bürger auch dann nicht über das Unterlassen befinden, wenn das Tun nicht von den Grundrechten geschützt würde; umgekehrt könnte er nicht über ein Tun befinden, wenn ein Unterlassen nicht geschützt würde. Nur unter der Voraussetzung, dass beide Verhaltensweisen geschützt werden, kann der Bürger frei über das ‚Ob‘ der Grundrechtsausübung befinden. Noch stärker tritt dieses gegenseitige Geleit auf der Stufe des ‚Wie‘, etwa bei der Auswahlfreiheit, in Erscheinung. Der grundrechtliche Schutz von Tun und Unterlassen weist also gewisse Paral­ lelen auf: Beide Komponenten schützen sowohl auf der Ebene des ‚Ob‘ als auch auf der Ebene des ‚Wie‘ die Auswahl zwischen verschiedenen Verhaltensformen, aber auch das Beibehalten eines bestimmten Verhaltens sowie die Aufgabe und Be­ endigung eines Verhaltens. Gerade wenn es um die Beendigung eines Verhaltens geht, lässt sich ein Tun nicht immer trennscharf von einem Unterlassen abgrenzen, mit der Folge, dass die Beendigung eines Verhaltens sich strenggenommen nicht in eine positive und eine negative Komponente aufteilen lässt. Dass die positive Frei­ heit zusätzlich die Dimension der Änderung der konkreten Form des Tuns schützt, liegt in dem Umstand begründet, dass ein Tun variabler ist als ein Unterlassen. Diese Aufgliederung der verschiedenen Verhaltensdimensionen unter den Be­ griffen von positiver und negativer Freiheit ist jedoch kein Spezifikum der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit. Vielmehr reprä­ sentiert diese Aufgliederung die verschiedenen Verhaltensdimensionen, die unter dem Begriff des menschlichen Handelns zusammengefasst werden können. Auch inhaltlich im Kontext der Bestimmung der verschiedenen Verhaltensdimensionen liefert die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit und die durch sie bewirkte Kategorisierung eines Verhaltens keinen Mehrwert, da sie die dem umfassenden Handlungsschutz zugrundeliegenden theoretischen Prämis­

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

sen nicht hinreichend reflektiert. Im Gegenteil, die durch sie bewirkten Konkreti­ sierungen werden ihrerseits Grundlage weiterer Konkretisierungen, mit der Folge, dass sich dogmatische Regeln verfestigen und verselbständigen. Statt Klarheit über die Wechselwirkungen der verschiedenen Verhaltensweisen und -formen zu lie­ fern, impliziert diese Unterscheidung von positiver und negativer Freiheit schließ­ lich auch die trennscharfe Abgrenzung zwischen diesen Verhaltensdimensionen. Die Untersuchung der verschiedenen Dimensionen des grundrechtlichen Hand­ lungsschutzes zeigt zugleich, dass unter Zuhilfenahme der strengeren Regeln dog­ matischen Arbeitens funktionale Ergebnisse erzeugt werden können.

B. Der Eingriff in die positive und die negative Freiheit der Grundrechte Nachdem die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Frei­ heit auf der Ebene des Schutzbereichs näher betrachtet wurde, gilt es nun mit Blick auf die Ebene des Eingriffs zu untersuchen, wie die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit auf Eingriffsebene wirkt. Der Eingriff erfasst die „freiheitsmindernde Einwirkung“1249 des Staates auf den Schutzbereich. Nach dem sogenannten „klassischen“1250 Eingriffsbegriff setzt ein Eingriff die finale, unmittelbare, rechtsförmige und imperative Einwirkung der hoheitlichen Maßnahme auf die Grundrechte des Bürgers voraus.1251 Da ein solch enger Eingriffsbegriff den vielfältigen Einwirkungsmöglichkeiten des Staates auf die Sphäre des Grundrechtsträgers nicht gerecht werden kann,1252 weite Felder des hoheitlichen Handelns, etwa das hoheitliche Informationshandeln, vom klas­

1249 Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 13. 1250 Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 20. 1251 BVerfGE 195, 279 (299 f.); Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 124; Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7 (38); ders., Mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 58 Rn. 14; Michael /  Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 17 Rn. 492; Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten /  Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 20; Sachs, Verfas­ sungsrecht II, 3. Aufl. 2017, § 8 Rn. 6; Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Rn. 78 ff.; siehe hierzu auch Rauschemeier, Der additive Grundrechtseingriff, 2019, S.  ff.; Eckhoff, Der Grund­ rechtseingriff, 1992 fordert zusätzlich das Kriterium der Vorhersehbarkeit, gegen diese Voraus­ setzung Hillgruber, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsausgestaltung und Grund­ rechtseingriff, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 200 Rn. 94, 111. Diese Eingriffsvoraussetzungen müssen nach Hillgruber kumulativ vorliegen. 1252 Siehe auch Rauschemeier, Der additive Grundrechtseingriff, 2019, S. 93: „Die Möglich­ keiten staatlichen Handelns und damit grundrechtlicher Freiheitsbeeinträchtigungen übersteigen diese Kategorien um ein Vielfaches.“

B. Der Eingriff in die positive und die negative Freiheit

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sischen Eingriffsbegriff unberücksichtigt bleiben,1253 wurde der Eingriffsbegriff erweitert.1254 Demnach liegt ein Eingriff auch dann vor, wenn die hoheitliche Maß­ nahme ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht.1255 Soweit ein unter dem Begriff der positiven Freiheit verstandenes grundrechtlich geschütztes Tun beschränkt wird, finden diese Kriterien unstreitig Anwendung. Fraglich ist jedoch, ob diese Kriterien auch für einen Eingriff in ein Unterlassen des Grundrechtsträgers gelten können. Schließlich zieht sich der Grundrechtsträger, der etwas unterlässt, aus der Außenwelt zurück, sodass der Staat nicht immer erkennen kann, ob er in die Grundrechte des Grundrechtsträgers eingreift. Daher ließe sich erwägen, einen Eingriff in ein Unterlassen des Bürgers höheren Anforderungen zu unterstellen. So könnte der Eingriff in ein Unterlassen beispielsweise dahinge­ hend modifiziert werden, dass dieses durch einen Widerspruch1256 in der Außenwelt wahrnehmbar gemacht werden. Eine solche Modifikation des Eingriffbegriffs re­ gelt die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nicht. Gegen ihre Erforderlichkeit spricht, dass durch diese Modifikation nicht der Bür­ ger, sondern der Staat geschützt werden soll. Selbstbestimmung und -entfaltung des Bürgers sind bei jedem Eingriff des Staates in seine Grundrechte beeinträchtigt. Der Staat muss sich bewusst sein, dass die Grundrechte jedes Handeln des Grund­ rechtsträgers schützen, eine staatliche Maßnahme daher auch ein von außen nicht wahrnehmbares grundrechtlich geschütztes Unterlassen des Grundrechtsträgers beeinträchtigen kann – zumal auch Eingriffe in ein Tun denkbar sind, das im forum internum stattfindet und nicht von außen wahrnehmbar ist. Auch in diesen Fällen werden keine zusätzlichen Anforderungen an den hoheitlichen Eingriff gestellt. Soweit der Grundrechtsträger die Beschränkung seines Unterlassens durch die staatliche Maßnahme glaubhaft machen muss,1257 führt dies nicht dazu, dass an einen Eingriff unterschiedliche Voraussetzungen gestellt werden. Schließlich muss der Grundrechtsträger nicht den staatlichen Eingriff glaubhaft machen, 1253

Spaeth, Grundrechtseingriff durch Information, 1995. Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 30; vergleiche auch Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl.  2021, Vorb. Rn. 83 ff. 1255 Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7 (40); ders., Mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 58 Rn. 16; Murswiek, Der Staat 45 (2006), 473 (475); Sachs, Verfassungsrecht II, 3. Aufl. 2017; ausführlich zum erweiterten Eingriffsbegriff Rauschemeier, Der additive Grundrechtseingriff, 2019, S. 93 ff. m. w. N.; Peine, Der Grundrechtseingriff, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 57 Rn. 31; Hillgruber, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsaus­ gestaltung und Grundrechtseingriff, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 200 Rn. 89. 1256 Zur Idee eines Widerspruchs des Bürgers siehe etwa Hufen, Der Ausgleich verfassungsrecht­ lich geschützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 233. 1257 Siehe etwa Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Aus­ gestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 226 ff. 1254

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Kap. 3: Der grundrechtliche Schutz von positiver und negativer Freiheit

sondern den grundrechtlichen Schutz seines Verhaltens, also die Eröffnung eines Schutzbereichs. Der Grundrechtsträger muss aber beispielsweise auch bei ande­ ren Grundrechten die über eine starke subjektive Komponente verfügen die Er­ öffnung des Schutzbereichs glaubhaft machen.1258 So muss der Grundrechtsträger etwa im Kontext der Gewissensfreiheit glaubhaft machen, dass er durch das er­ zwungene Verhalten in Gewissensnot gerät. Überall dort, wo die Eröffnung eines Schutzbereichs nicht unmittelbar wahrnehmbar ist, etwa weil das forum internum betroffen ist, muss der Grundrechtsträger glaubhaft machen, dass die eigene Frei­ heitssphäre eröffnet ist. Da weder die Begriffe von positiver und negativer Freiheit noch die unter diesen Begriffen zusammengefassten Verhaltensdimensionen trennscharf voneinander abgrenzt werden können, würde eine Differenzierung der Eingriffsvoraussetzung danach, welche Handlungsdimension betroffen ist, ein gewisses Maß an Rechts­ unsicherheit bewirken. Den Bürger kann einerseits das Verbot treffen, etwas zu tun, andererseits kann der Bürger durch ein staatliches Gebot zu einem bestimmten Tun verpflichtet werden. So kann sowohl ein hoheitliches Verbot, eine Versamm­ lung zu veranstalten, als auch ein hoheitliches Gebot, an einer Versammlung teil­ zunehmen, in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit eingreifen. Die Grenze zwischen Ge- und Verbot kann dabei genauso fließend verlaufen wie die Grenze zwischen Tun und Unterlassen. Daher kann sowohl das Verbot einer (bestimmten) Wahl als auch das Gebot einer bestimmten Wahl unter denselben Voraussetzun­ gen einen Grundrechtseingriff darstellen.1259 Bei konkurrierenden Vereinigungen beispielsweise kann die Entscheidung für eine Vereinigung zugleich eine negative Entscheidung gegen eine konkurrierende Vereinigung sein.1260 Der Eingriff in die Grundrechte des Bürgers unterliegt stets denselben Voraus­ setzungen, ungeachtet der Frage, welche Handlungsdimension in der konkreten Situation betroffen ist.1261 Eine Modifikationen der allgemeinen Eingriffsdogma­ tik ist also nicht notwendig und wird von der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit nicht vorgenommen. 1258

Siehe auch Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Aus­ gestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes, 2014, S. 229 ff. 1259 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Auflage 2009, § 165 Rn. 58. 1260 Merten, Vereinsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7, 3. Auflage 2009, § 165 Rn. 58. 1261 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einer Konfrontation mit dem Verhalten des Staates ein Eingriff vorliegt, wie sie sich etwa im Falle des Kruzifix-Beschluss stellte, soll an dieser Stelle offenbleiben. Obgleich nach dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnis in diesem Fall nicht die Religionsfreiheit der Schüler betroffen ist, könnte es sich um einen Eingriff in die Weltanschauungsfreiheit der Schüler handeln. Die Frage, ob ein Eingriff in die Weltan­ schauungsfreiheit der Schüler vorliegt, wann also im Falle der Konfrontation mit dem Verhalten eines Dritten ein Eingriff gegeben ist, ist allerdings primär eine Frage der Eingriffsdogmatik und hängt weniger mit dem Verständnis der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit zusammen und soll daher im Rahmen dieser Untersuchung nicht näher be­ trachtet werden.

Kapitel 4

Die Rechtfertigung von Eingriffen in die positive und die negative Freiheit Ein Eingriff in die Grundrechte des Grundrechtsträgers, also auch in den Schutz­ gehalt von positiver und negativer Freiheit, verletzt die Grundrechte nur, wenn der Eingriff in die Grundrechte verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann.1262 Hinter dieser Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen verbirgt sich der Gedanke des Interessensausgleichs beziehungsweise der Güterabwägung.1263 Da in einer Gemeinschaft eine Vielzahl von Individuen lebt, muss der Staat zugunsten der Regelung des gemeinsamen Zusammenlebens Einschränkungen der Freiheit einer Person zugunsten der Freiheit aller vornehmen können.1264 Die Grundrechte sehen daher schon selbst gewisse Beschränkungs­ möglichkeiten der durch sie gewährten Freiheit vor (sog. Schranken).1265 Bei einer Einschränkung der Grundrechte unterliegt der Staat jedoch seinerseits Beschrän­ kungen. So hat er etwa die durch die staatliche Maßnahme betroffenen Interessen gegenüberzustellen und zum Ausgleich zu bringen (sog. Schranken-Schranken).1266 Im Rahmen einer umfassenden Untersuchung der Lehre des Grundrechtsschut­ zes von positiver und negativer Freiheit müssen auch Wirkungen der durch diese Lehre entwickelten dogmatischen Regeln auf die verfassungsrechtliche Recht­ fertigung eines hoheitlichen Eingriffs in ein grundrechtlich geschütztes Handeln untersucht werden. Hierfür gilt es, die von der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entwickelten Regeln der Rechtsarbeit zu ana­ lysieren, um zu überprüfen, ob diese im Kontext der Rechtfertigung entwickelten Konkretisierungen die dem umfassenden grundrechtlichen Schutz von Handlungen zugrundeliegenden theoretischen Prämissen hinreichend reflektieren und konkre­ tisieren oder sich von diesen Prämissen zunehmend abkoppeln. Möglicherweise

1262 Vergleiche hierzu auch Kap. 1 F. I. 4. c).; siehe auch Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 350. 1263 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 22 Rn. 554; Höfling, JURA 1994, 169; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 134 ff. 1264 Vergleiche hierzu Kap. 1  F. I. 4. c). 1265 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 10 Rn. 314 ff.; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 134 ff.; Höfling, JURA 1994, 169. 1266 Siehe auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 10 Rn. 317 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3/2, 1994; S. 693; Schnapp, JuS 1983, 850 (851); Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 144 ff.; Hufen, Staatsrecht II, 9. Aufl. 2021, § 9 Rn. 14.

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Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

könnten für die Rechtfertigung von staatlichen Beschränkungen eines Unterlas­ sens, also der negativen Freiheit, andere Maßstäbe gelten müssen als für die Recht­ fertigung von Eingriffen in ein Tun, also in die positive Freiheit. Schließlich ist den entsprechend der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit zur negativen Freiheit gehörenden Verhaltensdimensionen regelmäßig ein geringeres Konfliktpotential inhärent als solchen der positiven Freiheit. Prinzipiell dürfe, so Johannes Hellermann, für die Rechtfertigung von Ein­ griffen in die negative Freiheit „nichts anderes gelten“ als für die Rechtfertigung von Eingriffen in die positive Freiheit.1267 Dies setzt zunächst voraus, dass für die negative Freiheit und die positive Freiheit, also für alle Handlungen, dieselben Schranken gelten.1268 Daher ist im Folgenden zu untersuchen, ob entsprechend der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit für die posi­ tive Freiheit oder die negative Freiheit spezielle Schranken gelten, die für das jeweilige Pendant nicht gelten, und ob es mit dem Gedanken des umfassenden Handlungsschutzes vereinbar ist, auf Schrankenebene keine Differenzierung da­ nach vorzunehmen, welche Handlungsdimension eingeschränkt wird. Ferner gilt es zu untersuchen, ob sich im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs nach der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit wegen des unterschiedlichen Konfliktpotentials der unter diesen Begrif­ fen abgebildeten verschiedenen Handlungsdimensionen Besonderheiten ergeben und wie die Kollisionen von positiver und negativer Freiheit aufzulösen sind. Dabei sollen insbesondere auch die von der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entwickelten dogmatischen Abwägungskriterien zur Auflösung intragrundrechtlicher Kollisionen auf ihre Funktionalität und ihre Vereinbarkeit mit der liberalen Prämisse des umfassenden Handlungsschutzes überprüft werden.

A. Die Schranken von positiver und negativer Freiheit Die Schranken der Grundrechte sind Ausdruck der Gemeinschaftsgebunden­ heit des Individuums1269 sowie der „Koordinierungs- und Kompatibilisierungsbe­ dürftigkeit“1270 der Grundrechte. Ein absoluter Vorrang eines Freiheitsträgers oder

1267

Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 81: „Hinsichtlich der allgemeinen Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen soll für die negativen Frei­ heitsrechte nichts anderes gelten als für die Grundrechte im übrigen.“ Vergleiche auch Böttcher, Die politische Treuepflicht, 1967, S. 44; Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 35. 1268 Siehe Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 81; Böttcher, Die politische Treuepflicht, 1967, S. 44; Kloepfer, Produkthinweispflichten als Verfas­ sungsfrage, 1991, S. 35. 1269 Zur Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums ausführlich Kap. 1 F. I. 4. c). 1270 Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 134.

A. Die Schranken von positiver und negativer Freiheit

281

eines Freiheitsrechts existiert in einer Gemeinschaft gerade nicht.1271 Die grund­ rechtliche Freiheit des Einzelnen ist folglich relativ. Daher gilt es, die Schranken des grundrechtlichen Handlungsschutzes in den Blick zu nehmen. Bevor die kon­ kreten Einschränkungsmöglichkeiten menschlicher Handlungen, insbesondere die in diesem Kontext durch die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entwickelten Konkretisierungen, betrachtet werden können, ist zunächst allgemein der Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Schranken darzustellen. Am weitesten einschränkbar sind diejenigen Grundrechte, die aufgrund eines einfachen Gesetzesvorbehalts eingeschränkt werden können.1272 Diese Grund­ rechte können durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.1273 Das einschränkende Gesetz muss in diesem Fall keine weiteren Anforderungen erfül­ len, das Grundrecht kann also durch jedes Gesetz eingeschränkt werden.1274 Auf­ grund eines einfachen Gesetzesvorbehaltes können beispielsweise die Berufsfrei­ heit und die allgemeine Handlungsfreiheit eingeschränkt werden. Neben den mit einfachem Gesetzesvorbehalt ausgestatteten Grundrechten exis­ tieren auch Grundrechte, die einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt unterliegen. In diesen Fällen muss die einschränkende Maßnahme besondere, speziell auf das konkrete Grundrecht zugeschnittene Anforderungen erfüllen.1275 Sie konkretisie­ ren beispielsweise die Zwecke, zu denen ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, oder die Mittel, mit denen das Grundrecht eingeschränkt werden darf.1276 Ein Grundrecht, das einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt unterliegt, kann so­ mit nicht durch jedes beliebige Gesetz eingeschränkt werden, sondern nur durch solche, die diese speziellen Voraussetzungen erfüllen. Einen qualifizierten Geset­ zesvorbehalt regelt zum Beispiel Art. 5 Abs. 2 GG. Diese Vorschrift regelt, dass die in Art. 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG geregelten Freiheiten ihre Schranke in den allgemeinen Gesetzen, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre finden. 1271

Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 711; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 134: „Freiheitsausübungen ohne ‚dialektischen Konkurrenten‘ dürfte es in einer hochkomplexen und interdependenten Gesellschaft nur selten geben“. Siehe hierzu auch die Ausführungen zum Freiheitshindernis unter Kap. 1 F. I. 4. c). 1272 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 81; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 136; Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 371; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 10 Rn. 315. 1273 Siehe exemplarisch Art. 8 Abs. 2  GG. Vergleiche auch Hesse, Grundzüge des Verfassungs­ rechts, 20. Aufl. 1999, § 10 Rn. 314 f. 1274 von Arnauld, Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 113; Kingreen / Poscher, Staats­ recht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 371. 1275 Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 25; von Arnauld, Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 113; Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 373; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Vorb. Rn. 40. 1276 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 21 Rn. 541; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 136; Kingreen / Poscher, Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 6 Rn. 373.

282

Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

Der Verfassungswortlaut sieht aber nicht für jedes Grundrecht einen Gesetzes­ vorbehalt vor. Diese Grundrechte, für die von Verfassungswegen keine Schranken vorgesehen sind, werden als vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte bezeichnet. Auch wenn diese Grundrechte keinem Gesetzesvorbehalt im klassischen Sinne unterliegen, können die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte zum Schutz der Grundrechte Dritter oder sonstiger Güter mit Verfassungsrang1277 eingeschränkt werden.1278 Ihre Einschränkbarkeit ist Ausdruck des Prinzipiencharakters der Grundrechte sowie der Einheit der Verfassung.1279 Die Schranken der vorbehalt­ los gewährleisteten Grundrechte folgen also unmittelbar aus der Verfassung (sog. verfassungsimmanente Schranken).1280 Ein Beispiel für ein Grundrecht, das ver­ fassungsimmanenten Schranken unterliegt, ist etwa Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG kann folglich nur zugunsten anderer Güter von Verfassungsrang eingeschränkt werden.1281 Fraglich ist, ob diese Gesetzesvorbehalte gleichermaßen für Beschränkungen der positiven und der negativen Freiheit gelten. Diese Frage ist mit Blick auf die Grundrechte, die einem einfachen Gesetzesvorbehalt1282 oder verfassungsimma­ nenten Schranken unterliegen, unproblematisch. Da die einschränkenden Gesetze im Falle des einfachen Gesetzesvorbehaltes keine weiteren Voraussetzungen defi­ nieren, ist der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG beispielsweise in der Lage, Grundlage staatlicher Eingriffe in eine Handlung zu sein, ungeachtet dessen, welche Handlungsdimension betroffen ist. Sie können also die Grundlage von Ein­ schränkungen der positiven Freiheit wie auch der negativen Freiheit bilden. Auch die verfassungsimmanenten Schranken können die Grundlage von Eingriffen in die verschiedenen Handlungsdimensionen sein, beschränken sie doch lediglich den Kreis der Rechtsgüter, zu deren Gunsten ein Grundrecht eingeschränkt wer­ den kann, wie sich beispielsweise am Grundrecht der Kunstfreiheit illustrieren lässt. Entsprechend der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit können sie die Grundlage von Eingriffen in die positive oder die negative Kunstfreiheit darstellen. Deutlich schwieriger gestaltet sich die rechtliche Beurteilung der Grundrechte, die spezielle Anforderungen an die Geltung eines Gesetzesvorbehaltes stellen, wie 1277 BVerfGE 28, 243 (261); 30, 173 (193); 108, 282 (297); Meister, Das System des Frei­ heitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 25; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 263; von Arnauld, Freiheitsrechte und ihre Schranken, 1999, S. 112; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 139; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 4 Rn. 28. 1278 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 21 Rn. 544; Papier, Vorbehaltlos gewähr­ leistete Grundrechte, in: Merten / ders. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 3, 1. Aufl. 2009, § 64 Rn. 17 ff.; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 141; siehe auch Bethge, JA 1979, 281 (285). 1279 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 21 Rn. 544, § 23 Rn. 710 f. 1280 Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 139. 1281 Vergleiche auch Wittreck, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Kunst) Rn. 53. 1282 Mit Ausnahme des Art. 8 Abs. 2 GG, jedenfalls, wenn man Art. 8 Abs. 2 GG als einfachen Gesetzesvorbehalt qualifiziert.

A. Die Schranken von positiver und negativer Freiheit

283

beispielsweise Art. 8 Abs. 2 GG, wonach nur Versammlungen, die unter freiem Himmel stattfinden, durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können. Diese Schranken haben häufig eher die konfliktträchtigeren Konstel­ lationen, in denen der Grundrechtsträger etwas tut, also die Wahrnehmung der positiven Freiheit im Blick. Fraglich ist daher, ob diese Voraussetzungen auch für Einschränkungen eines Unterlassens, das heißt der negativen Freiheit, gelten.1283

I. Das Vereinigungsverbot des Art. 9 Abs. 2 GG Nach dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnis ist das Vereinigungs­ verbot des Art. 9 Abs. 2 GG als Schranke und nicht als Beschränkung des sach­ lichen Schutzbereichs zu klassifizieren.1284 Danach sind Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung rich­ ten, verboten. Art. 9 Abs. 2 GG soll gerade verhindern, dass den Strafgesetzen und der demokratischen Grundordnung zuwiderlaufende Vereinigungen anwach­ sen.1285 Schließlich haben solche Vereinigungen nicht nur eine besondere soziale Macht, sondern zugleich ein erhöhtes Konfliktpotential für den gesellschaftlichen Frieden. Beruft sich der Grundrechtsträger auf seine negative Vereinigungsfrei­ heit, will er der Vereinigung fernbleiben oder aus einer Vereinigung austreten. Dann verweigert er die Unterstützung krimineller, undemokratischer Vereinigun­ gen und verhindert ihr Anwachsen. Sein Verhalten entspricht demnach dem Sinn und dem Zweck des Art. 9 Abs. 2 GG. Der Zweck des Art. 9 Abs. 2 GG wird also auch in der Konstellation, in der der Grundrechtsträger von einer Vereinigung fern­ bleibt, gewahrt. Daher ist es grundsätzlich unproblematisch, dass diese Schranke im Kontext eines Unterlassens, also im Kontext der negativen Vereinigungsfrei­ heit, keine Wirkungen entfaltet. Die Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG ist auf die Beschränkung eines Tuns, das heißt auf die Beschränkung der positiven Freiheit, ausgerichtet.1286 Fraglich ist deshalb, auf welcher Grundlage der Staat stattdessen das Fernblei­ ben von einer Vereinigung einschränken kann. In der Literatur wird vereinzelt der Versuch unternommen, die Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit zur Be­ schränkung der negativen Vereinigungsfreiheit heranzuziehen.1287 Schließlich be­ schränke sich die Aufgabe der verfassungsimmanenten Schranken auf die Begren­ zung eines vorbehaltlosen Grundrechts zum Zwecke des Schutzes eines anderen 1283 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 164; deutlich kritischer Schuhmann, Negative Freiheitsrechte, 1997, S. 54. 1284 So auch Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 9 Rn. 17. 1285 Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 9 Rn. 113. 1286 So auch Bethge, JA 1979, 281 (285). 1287 Luchterhandt, Grundpflichten als Verfassungsproblem, 1988 S. 495 Fn. 219; kritisch Etzrodt, Der Grundrechtsschutz der negativen Vereinigungsfreiheit, 1980, S. 129 ff.

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Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

Grundrechts,1288 sodass die verfassungsimmanenten Schranken nicht angewendet werden dürften, wenn ein Grundrecht grundsätzlich unter einem Gesetzesvorbe­ halt steht, dieser Gesetzesvorbehalt jedoch nicht anwendbar ist. Allerdings scheidet die Übertragung der Grundrechtsschranken des Art. 2 Abs. 1 GG wegen der Spezialität der Schrankenregelung aus.1289 Die Schranken sind gerade auf den speziellen Lebensbereich, den das Grundrecht abbildet, zuge­ schnitten und können daher nicht einfach übertragen werden.1290 Da die verfassungsimmanenten Schranken nur ein Ausdruck der Gemein­ schaftsgebundenheit des Einzelnen sind, und alle Grundrechte grundsätzlich ver­ fassungsimmanenten Schranken unterliegen, finden die verfassungsimmanenten Schranken Anwendung, soweit der Gesetzesvorbehalt nicht eingreift.1291 Dass ein Gesetzesvorbehalt nur für bestimmte Konstellationen greift und die Grundrechte im Übrigen keinem Gesetzesvorbehalt unterliegen, das heißt partiell vorbehalt­ los1292 gewährleistet werden, ist nicht untypisch, wie ein Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 2 GG zeigt. In diesen Konstellationen werden ebenfalls, soweit der Gesetzesvorbehalt nicht eingreift, verfassungsimmanente Schranken angewendet. Schließlich wird auch ein Tun, soweit sich dieses nicht als undemokratisch und den Strafgesetzen zuwider darstellt, nicht von der Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG erfasst. Statt in diesem Fall eine Schrankenleihe anzudenken, wird in dieser Konstellation unbestritten auf die verfassungsimmanenten Schranken zurück­ gegriffen.1293 Sachgerechter als die Übertragung der Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit ist es daher, sofern der Gesetzesvorbehalt nicht eingreift, die verfassungsimmanenten Schranken anzuwenden.1294 Das Fernbleiben und Austre­ ten aus einer Vereinigung kann folglich durch verfassungsimmanente Schranken beschränkt werden. Für die positive und die negative Vereinigungsfreiheit gelten damit grundsätzlich dieselben Schranken.

1288

Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 21 Rn. 725. Vergleiche etwa BVerfGE 30, 173 (192); 32, 98 (107); Hellermann, Die sogenannte ne­ gative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 85. 1290 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 21 Rn. 725: „Eine ‚Schrankenleihe‘, für den Fall, dass der Gesetzesvorbehalt nicht passt, findet nicht statt. Diese würde nämlich zu einer Nivellierung der vorbehaltlosen Grundrechte mit denjenigen Grundrechten, die unter Gesetzes­ vorbehalt stehen, führen. […] Die ‚Grundrechte anderer‘ als Schranken dürfen also nicht mit den Schranken ‚anderer Grundrechte‘ verwechselt werden.“ 1291 Meister, Das System des Freiheitsschutzes im Grundgesetz, 2011, S. 26 f. 1292 Zum Begriff siehe Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 712. 1293 Cornils, in: BeckOK GG, 50. Ed. 15. 02. 2022, Art. 9 Rn. 22, 31; Hellermann, Die so­ genannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 82; Bauer, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 59. 1294 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 713. 1289

A. Die Schranken von positiver und negativer Freiheit

285

II. Versammlungen unter freiem Himmel, Art. 8 Abs. 2 GG Art. 8 Abs. 2 GG stellt die Versammlungsfreiheit nur dann unter einen Geset­ zesvorbehalt, wenn eine Versammlung „unter freiem Himmel“ stattfindet.1295 Fin­ den Versammlungen nicht unter freiem Himmel statt, unterliegen sie nur verfas­ sungsimmanenten Schranken (sog. partieller Gesetzesvorbehalt).1296 Hinter dieser Differenzierung, die Art. 8 Abs. 2 GG vornimmt, verbirgt sich der Gedanke, dass Versammlungen, die an einem Ort des Durchgangsverkehrs stattfinden, aufgrund ihrer Öffentlichkeit ein höheres Konflikt- und Störungspotential aufweisen als solche in geschlossenen Räumen.1297 Da der Bürger, der von einer Versammlung fernbleiben will und sich nach der Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit auf seine negative Versammlungsfreiheit beruft, selbst nicht aktiv zum Konflikt- und Störungspotential der unter freiem Himmel stattfinden­ den Versammlung beiträgt, müsste für dieses Verhalten, ungeachtet der Frage, ob die Versammlung, von der er fernbleiben möchte, unter freiem Himmel stattfin­ det,1298 stets verfassungsimmanente Schranken gelten.1299 Im Ergebnis unterliegt ein Unterlassen damit allerdings keinen anderen Schranken als ein Tun. Denn Versammlungen in geschlossenen Räumen, denen ebenfalls ein geringeres Kon­

1295

Die Frage, ob Art. 8 Abs. 2 GG einen einfachen oder einen qualifizierten Gesetzesvorbe­ halt regelt, kann an dieser Stelle offenbleiben; siehe hierzu etwa Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Vorb. Rn. 40, Art. 8 Rn. 17 ff.; für die Einordnung als einfacher Gesetzesvor­ behalt siehe etwa Höfling, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 60; Ernst, in: von Münch /  Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 121. 1296 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020 § 23 Rn. 712; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 8 Rn. 21; vergleiche auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 8 Rn. 72; Gusy, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 8 Rn. 81. 1297 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3.Aufl. 2013, Art. 8 Rn. 66, 72; Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 660 f.; Ernst, in: von Münch / Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 114; Depenheuer, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 8 Rn. 137: „Die Unterscheidung zwischen Versammlungen in geschlossenen Räumen und solchen unter freiem Himmel ist begründet durch die erhöhte Offenheit für Dritte, das stärker ausgeprägte Konfliktpotential mit den Rechten Dritter und die erhöhte Störanfälligkeit von Versammlun­ gen unter freiem Himmel, die gegenüber ihrer Umwelt nicht räumlich abgeschlossen sind. Die erleichterte Einschränkbarkeit von Versammlungen unter freiem Himmel durch Art. 8 Abs. 2 GG zielt darauf, das Risiko von Störungen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verringern.“; Höfling, in: Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 8 Rn. 61 (dort Fn. 171 m. w. N.); Hoffmann-Riem, Versammlungsfreiheit, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 4, 1. Aufl. 2011, § 106 Rn. 104; Dietel / Gintzel / Kniesel, Demonstrationsund Versammlungsfreiheit, 18. Aufl. 2019, § 1 Rn. 152; Gusy, in: von Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 8 Rn. 54; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 8 Rn. 17 ff. 1298 Zumal Dritte, auf die der Grundrechtsträger keinen Einfluss nimmt, durch ihr Verhalten dann letztlich entscheiden, welche Schranke gilt. 1299 Mit demselben Ergebnis Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, 1960, S. 167; ähnlich auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 82.

286

Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

flikt- und Störungspotential als Versammlungen unter freiem Himmel immanent ist,1300 können nur durch verfassungsimmanente Schranken eingeschränkt werden.

III. Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG Ähnliche Zweifel treten bei der Untersuchung der Schranken des Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 GG auf. Nach Art. 5 Abs. 2 GG finden die Meinungs-, Informations-, Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit ihre Schranken in den Vorschriften der all­ gemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre.1301 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­ verfassungsgerichts sind „allgemeine“ Gesetze solche, „die ‚nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Mei­ nung als solche richten‘, die vielmehr ‚dem Schutze eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen‘, dem Schutze eines Gemein­ schaftswertes, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat.“1302

Soweit der Grundrechtsträger verpflichtet wird, seine Meinung zu äußern, und der Inhalt der Äußerung beziehungsweise die konkrete Meinung durch das ein­ schränkende Gesetz nicht weiter konkretisiert wird, ist das Kriterium der Allge­ meinheit gewahrt. Insoweit kann der Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG ohne weiteres auch Grundlage von Eingriffen in die negative Freiheit der verschiedenen Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 GG sein. Problematisch sind hingegen die Konstellationen, in denen der Grundrechtsträ­ ger zu einer bestimmten Meinungsäußerung verpflichtet wird. So wirft Michael Kloepfer am Beispiel von Produkthinweispflichten für Tabakwaren die Frage auf, ob in einer solchen Konstellation „nicht gerade eine bestimmte Meinung lanciert, eine andere behindert“ werde und „dadurch nicht das Gebot der Meinungsneutra­ lität allgemeiner Gesetze verletzt“ werde.1303 Schließlich werde dem Grundrechts­ träger die Pflicht auferlegt, sich in einer bestimmten Weise zu äußern, sodass der Staat letztlich zugunsten einer bestimmten Meinung handele. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass der Schutzbereich in diesen Konstellationen nur betroffen ist, wenn der Grundrechtsträger verpflichtet wird, eine fremde Meinung als eigene Meinung zu äußern. Soweit der Grundrechtsträger kenntlich machen kann, dass es sich bei der Mitteilung nicht um die eigene, sondern 1300 Im Verhältnis zum Fernbleiben von einer Versammlung scheint der Teilnahme an einer Versammlung in einem geschlossenen Raum ein deutlich höheres Konfliktpotential immanent zu sein. Schließlich birgt das Zusammentreffen mehrerer Personen, auch wenn sie grundsätzlich dasselbe Thema verbindet, immer eine gewisse Eskalationsgefahr. 1301 Klarstellend Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 1–2 Rn. 146. 1302 BVerfGE 7, 198 (209 f.); 62, 230 (243 f.); 102, 347 (360); 93, 266 (290 f.); 111, 147 (155); 113, 63 (78); 117, 244 (260). 1303 Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 34.

A. Die Schranken von positiver und negativer Freiheit

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um eine fremde Meinung handelt, ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht eröffnet, sodass sich in diesem Fall auch die Frage stellt, ob die Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG ein Unterlassen, also entsprechend der Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit die negative Meinungsfreiheit, einschränken kann.1304 Muss der Grundrechtsträger eine fremden Meinung als eigene kundtun, ist die gesetzliche Vorschrift die Grundlage dieser Verpflichtung ist, unter Um­ ständen nicht meinungsneutral. Allerdings setzt die Definition der herrschenden Meinung nicht nur voraus, dass sich das einschränkende Gesetz nicht nur gegen eine Meinung als solche richten darf, das Gesetz muss zugleich auch dem Schutz eines anderen Rechtsgutes dienen. Daher können im Einzelfall auch „inhalts­ anknüpfende Normen“ allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sein, „wenn sie erkennbar auf den Schutz bestimmter Rechtsgüter und nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtet sind“1305. Das Rechtsgut müsse jedoch „schlecht­ hin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung geschützt sein“1306. Für den un­ wahrscheinlichen Fall, dass der Grundrechtsträger zur Kundgabe einer fremden Meinung als eigene verpflichtet wird, kann die negative Meinungsfreiheit also auf Grundlage des Art. 5 Abs. 2 GG zugunsten des Schutzes eines Rechtsgutes zu einer bestimmten Äußerung verpflichtet werden. Der qualifizierte Gesetzes­ vorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG kann folglich Grundlage für Eingriffe in ein Tun und ein Unterlassen, also für Eingriffe in die positive und die negative Meinungs­ freiheit, sein.1307

IV. Die Frage nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft, Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist grundsätzlich durch verfassungs­ immanente Schranken einschränkbar. Die verfassungsimmanenten Schranken sind dazu geeignet sowohl die positive als auch die negative Religionsfreiheit zu beschränken.1308 Problematisch ist allerdings, dass für das Verschweigen des eigenen Bekennt­ nisses, das heißt ein Unterlassen des Grundrechtsträgers, eine spezielle Schranken­ 1304 BVerfGE 95, 173 (182); Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 34; Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 96; Bethge, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 38b; differenzierter Di Fabio, NJW 1997, 2863 (2864), der erwägt, ob nicht die Verbreitung einer Meinung auch vor dem Zwang zur Kundgabe nicht geteilter Meinungen schützt; weitere Nachweise in Fn. 31. 1305 BVerfGE 124, 300 (322). 1306 Grabenwarter, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 123. 1307 Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren, 1991, S. 34 f., 72 f.: „Die Schranken­ ziehung liegt dabei grundsätzlich nicht anders als bei Eingriffen in die positive Meinungsäuße­ rungsfreiheit.“ (Zitat S. 35); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 82; Eberle, DÖV 1977, 306 (310 f.). 1308 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 82.

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Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

regelung in Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV normiert ist.1309 Danach haben die Behörden das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, soweit davon Rechte und Pflichten des Betroffen abhängen oder eine gesetzlich angeord­ nete statistische Erhebung dies erfordert. Eingriffe in ein Unterlassen, also in die negative Bekenntnisfreiheit, wären demnach auf Grundlage eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts möglich,1310 während die Äußerung des eigenen Bekenntnis­ ses, also die positive Bekenntnisfreiheit, nur auf Grundlage verfassungsimmanen­ ter Schranken eingeschränkt werden könnte. Möglicherweise könnte insoweit das Prinzip der gleichwertigen Beschränkung der verschiedenen Handlungsdimensio­ nen konterkariert werden. Fraglich ist aus diesem Grund, wie die Schranke des Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV konzipiert ist, und weshalb für diese Konstellation eine besondere Schrankenrege­ lung vorgesehen ist. Für die Anwendung des Art. 136 Abs. 3 S. 2 GG ist zwischen der „subjektiven Glaubensüberzeugung“ und der „objektiven Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft“ zu differenzieren.1311 Das Recht, die ‚subjektiven Glaubensüberzeugungen‘, also das, woran der Grundrechtsträger glaubt, nicht zu offenbaren, kann nicht auf Grundlage des Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV eingeschränkt werden.1312 Das Recht, die eigene ‚subjektive Glaubensüberzeugung‘ nicht zu of­ fenbaren, was Bestandteil der negativen Freiheit ist, kann daher auch nur durch verfassungsimmanente Schranken eingeschränkt werden.1313 Lediglich ‚objek­ tive Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft‘ wird durch die Schranke des Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV erfasst.1314 Der Zwang, zu offenbaren, an welche Inhalte der Grundrechtsträger glaubt, der einen weitaus engeren Bezug zur Persönlichkeit des Grundrechtsträgers aufweist, kann folglich nur durch verfassungsimmanente Schranken beschränkt werden, während der Zwang, die objektive Tatsache der Mitgliedschaft in einer Kirche zu offenbaren, ungeachtet der Frage, ob man an diese Inhalte glaubt, durch den Gesetzesvorbehalt des Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV eingeschränkt werden kann. Fraglich ist insoweit jedoch, ob in Bezug auf die Frage der Offenbarung der ob­ jektiv nachweisbaren Eigenschaft der Zugehörigkeit zu einer Religion, beispiels­ weise der Mitgliedschaft in einer Kirche, nach der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit die positive oder die negative Religionsfrei­ heit betroffen ist. Schließlich ist der Eintritt in eine Kirche, der die Voraussetzung der objektiven Tatsache der Mitgliedschaft bildet, als Tun Ausdruck der positiven 1309

Für die Einordnung als „verfassungsrechtliche Einschränkung der negativen Bekennt­ nisfreiheit“ siehe auch Starck, in: von Mangoldt / Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 24. 1310 Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 136 WRV Rn. 21. 1311 Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 136 WRV Rn. 82. 1312 Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 136 WRV Rn. 83. 1313 Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 136 WRV Rn. 83. 1314 Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, 95. EL. Juli 2021, Art. 136 WRV Rn. 83, 89, 103; so auch Classen, Religionsrecht, 3. Aufl. 2021, Rn. 161.

A. Die Schranken von positiver und negativer Freiheit

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Religionsfreiheit. Im Zeitraum der Mitgliedschaft spricht zunächst die objektive Tatsache des Dauerzustandes der Mitgliedschaft dafür, dass die positive Beibehaltungsfreiheit betroffen ist.1315 Das Verschweigen dieser Tatsache der Zugehö­ rigkeit zu einer Religion betrifft zusätzlich den Anwendungsbereich der negativen Religionsfreiheit, sodass in dieser Konstellation die positive Religionsfreiheit – also die ‚objektive Zugehörigkeit zu einer Religion‘ – die Voraussetzung der Ein­ schränkung der negativen Religionsfreiheit, nämlich des Verschweigens der Zu­ gehörigkeit zu einer Religion, ist. Art. 136 Abs. 3 S. 2 WRV betrifft demzufolge Konstellationen, in denen sich Tun und Unterlassen, das heißt positive und nega­ tive Freiheit, im Interesse des Grundrechtsschutzes des Bürgers komplettieren und flankieren.1316 In dieser Situation sind Tun und Unterlassen so eng verbunden, dass sie als eine Handlung erscheinen, bei der es keinen Sinn ergibt, die einzelnen Ver­ haltensdimensionen aufzugliedern. Schließlich ist der Eintritt in eine Religions­ gemeinschaft, ein Tun, also der Gebrauch der positiven Freiheit, die Grundlage der Einschränkung des Unterlassens, also der negativen Freiheit. Diese Vorschrift betrifft gleichermaßen die Einschränkung eines Tuns und eines Unterlassens im Kontext der Religionsfreiheit.

V. Die Beschränkung der Grundrechte durch verfassungsrechtliche Pflichten Möglicherweise gelten für ein Unterlassen des Grundrechtsträgers, also für die negative Freiheit, jedoch zusätzliche Schranken, soweit ihn verfassungsrecht­liche Pflichten zu einem (bestimmten) Tun verpflichten. Laut Detlef Merten werde „den negativen Grundrechten durch Verfassungsverbote in gleicherweise Schranken ge­ setzt wie den positiven Grundrechten durch Verfassungsverbote, z. B. in Art. 9 Abs. 2 GG. Ebenso wie die die öffentliche Gewalt auf Grund von Schrankenvorbehalten in die positive Freiheit eingreifen kann, vermag sie aufgrund von Pflichtvorbehalten die negative Freiheit zu beschränken […]“1317.

1315

Fraglich ist dabei, ob die fortdauernde subjektive Überzeugung für die Qualifikation dieses Verhaltens als Dimension der positiven Betätigungsfreiheit erforderlich ist, oder ob der durch die Mitgliedschaft erweckte objektive Schein, auch im Falle einer zwischenzeitlichen Aufgabe der subjektiven Überzeugungen, für diese Qualifikation ausreicht. Aus rein praktischen Gründen ist es naheliegend, auf die objektive Tatsache der Mitgliedschaft abzustellen, da die subjektiven Glaubensüberzeugungen nur schwer zu belegen sind. Jedenfalls soweit glaubhaft dargelegt wer­ den kann, dass der Glaube in der Zwischenzeit aufgegeben wurde, ist nicht der unter der positi­ ven Religionsfreiheit verstandene Grundrechtsschutz, sondern der unter der negativen Freiheit verstandene grundrechtliche Verhaltensschutz betroffen. 1316 Zum ‚Flankieren‘ von positiver und negativer Freiheit siehe allgemein Jäkel, DVBl. 1983, 1133 (1136). 1317 Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 42 Rn. 21; siehe auch ders., BayVBl. 1978, 554 (558); vergleiche auch Hofmann, Grundpflichten

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Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

Aus diesem Grund ist fraglich, ob es sich bei den verfassungsrechtlichen Ver­ pflichtungen um zusätzliche Schranken des unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandenen Grundrechtsschutzes handelt, die eine ungleich stärkere Einschränkung des unter dem Begriff der negativen Freiheit abgebildeten Grund­ rechtsschutzes im Verhältnis zu dem unter dem Begriff der positiven Freiheit abge­ bildeten Grundrechtsschutz bewirken.1318 Da die verfassungsrechtlichen Pflichten des Grundrechtsträgers vom Staat durchgesetzt werden können, also die Grund­ lage für ein staatliches Tätigwerden schaffen, sind diese verfassungsrechtlichen Pflichten mit den Gesetzesvorbehalten der Grundrechte vergleichbar und kön­ nen deshalb auch als Schranke verstanden werden. Schließlich ist die Funktion der Schranken gerade nicht nur die Begrenzung der Eingriffsmöglichkeiten des Staates in die Freiheitssphäre des Bürgers. Schranken bilden vielmehr zugleich die Grundlage, auf der der Staat in die Grundrechte des Bürgers eingreifen kann.1319 Diese Funktionen erfüllen auch die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen.1320 Die Elternverantwortung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist demnach als Schranke der negativen Elternfreiheit und die Lehrverpflichtung verbeamteter Hochschulund Universitätsprofessoren als Schranke der negativen Lehrfreiheit zu quali­ fizieren.1321 Sofern der Grundrechtsträger in diesen Fällen etwas tut, nimmt er das verfas­ sungsrechtlich geforderte Verhalten vor, sodass der Zweck der Verpflichtung er­ füllt wird und sein Verhalten nicht aufgrund der Lage der verfassungsrechtlichen Verpflichtung eingeschränkt wird. Dies ist auch unter Wertungsgesichtspunkten sachgerecht, ist einem Unterlassen des Grundrechtsträgers, beispielsweise ein Unterlassen der Erziehung des Kindes in diesen Konstellationen ein höheres Stö­ rungs- und Konfliktpotential immanent als einem Tun. Gleichwohl kann auch ein Tun in diesen Konstellationen eingeschränkt werden. Ungeachtet der Frage, ob es

und Grundrechte, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 195 Rn. 56, der die Grundpflichten jedoch weniger als Schranken als vielmehr als Ausschluss der Anerkennung einer negativen Freiheit eines Grundrechts erachtet. 1318 Siehe hierzu Kap. 1 D. Vergleiche auch Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 42 Rn. 21; siehe auch ders., BayVBl. 1978, 554 (558). 1319 Vergleiche Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Vorb. Rn. 96 ff.; Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 134. 1320 Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 135: „Grundpflichten, die im Grund­ gesetz anders als in Weimar nicht systematisch als Komplementärstück zu den Grundrechten nor­ miert sind, wirken abgesehen von ihrem programmatisch-strukturellen Gehalt wie Grundrechts­ schranken und bedürfen eben deswegen gesetzlicher Konkretisierung.“ (Herv. i. O.); Hofmann, Grundpflichten und Grundrechte, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 195 Rn. 53 ff. 1321 Da sich diese Schranken aber speziell auf die Konstellation des Unterlassens beziehen, können diese Schranken nur ein Unterlassen, nicht aber ein unter den Begriff der negativen Aus­ wahlfreiheit fallendes Verhalten beschränken, mit der Folge, dass man diese Verpflichtungen, statt sie als Schranken des grundrechtlichen Unterlassungsschutzes zu definieren, auch als Aus­ schluss des grundrechtlichen Unterlassungsschutzes verstehen kann.

A. Die Schranken von positiver und negativer Freiheit

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sich bei Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG um eine Schranke handelt,1322 ist anerkannt, dass der Staat aufgrund seines Wächteramtes auch ein Tun einschränken kann, etwa wenn die Eltern zwar grundsätzlich ihrer Elternverantwortung nachkommen, ihr Tun – also der Gebrauch der positiven Erziehungsfreiheit – aber kindeswohlgefährdend erscheint.1323 Auch die positive Lehrfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG kann durch verfassungsimmanente Schranken eingeschränkt werden. Die Beeinträchtigung des unter dem Begriff der negativen Auswahlfreiheit verstanden Verhaltens ist, sind die Verpflichtungen doch nur auf das Unterlassen des Grundrechtsträgers möglich, auch nur auf Grundlage dieser, für ein Tun geltenden Schranken mög­ lich. Daher bestehen für positive und negative Freiheit insoweit keine unterschied­ lichen Schranken. Soweit die verfassungsrechtlichen Pflichten nicht als Ausschluss des grund­ rechtlichen Schutz eines Unterlassens, sondern als Schranke des grundrecht­ lichen Unterlassungsschutzes verstanden werden,1324 handelt es sich bei diesen Beschränkungsmöglichkeiten der Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers nicht um zusätzlich hinzutretende Schranken,1325 sondern um ergänzende Beschrän­ kungsmöglichkeiten, die eine Einschränkung eines Unterlassens, dem ein beson­ ders hohes Konfliktpotential immanent ist, erleichtern. Ein Tun hingegen stört das gesellschaftliche Gefüge in dieser Konstellation nicht in einer mit dem Unterlassen vergleichbaren Weise und kann daher nur unter strengeren Voraussetzungen ein­ geschränkt werden. Dann wäre die Konstellation grundsätzlich mit den Fällen des Art. 9 Abs. 2 GG oder Art. 8 Abs. 2 GG vergleichbar, in denen das höhere Kon­ fliktpotential eines Tuns eine erleichterte Einschränkbarkeit des Grundrechts zur Folge hat, mit der Folge, dass die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit keine besonderen Schranken für die negative Freiheit definiert. 1322 Heiderhoff, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 6 Rn. 106; Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG; als Schranke qualifizierend Kotzur / Vasel, in: Stern / Becker, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 100. Ähnlich Jestaedt / Reimer, in: Bonner Kommentar, GG, 195. Aktualisierung Dezem­ ber 2018, Art. 6 Rn. 343. Sollte man das staatliche Wächteramt nicht als Schranke qualifizie­ ren, unterliegt Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsimmanenten Schranken, so Heiderhoff, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 6 Rn. 107; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 6 Rn. 54 f. 1323 Beispielsweise wenn die Kinder ihr Kind entsprechend gewisser Überzeugungen dazu erziehen, nicht mehr als 500 Kalorien pro Tag zu sich zu nehmen. Siehe auch Heiderhoff, in: von Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 6 Rn. 106 f.; vergleiche auch Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 32 Rn. 658. 1324 Hielte man die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen nicht für Schranken, sondern für einen Ausschluss des grundrechtlichen Unterlassungsschutzes, dann würden für das grundrecht­ lich geschützte Verhalten erst recht, ungeachtet der Frage, ob das Verhalten entsprechend der Kategorien des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit der positiven oder der negativen Freiheit zuordnen wäre, dieselben Schranken gelten. Schließlich beziehen sich die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen nur auf ein Unterlassen des Bürgers, nicht aber auf die negative Auswahlfreiheit, die dann unter denselben Voraussetzungen wie die positive Freiheit eingeschränkt werden könnte. 1325 Allgemein hierzu Kap. 4 A.

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Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

VI. Zusammenfassung Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit definiert gerade keine zusätzlichen Schranken zur Einschränkung menschlicher Handlun­ gen. Positive und negative Freiheit, Tun und Unterlassen, sind also unter vergleich­ baren Voraussetzungen einschränkbar. Bei der Bestimmung der Schranken, auf­ grund derer ein Verhalten eingeschränkt werden kann, müssen stets die Gründe, die die erleichterte Einschränkbarkeit eines Grundrechts beziehungsweise eines konkreten Verhaltens rechtfertigen, wie etwa das Konflikt- und Störungspotential eines Verhaltens berücksichtigt werden. Soweit ein Gesetzesvorbehalt auf ein Tun ausgerichtet ist, hieran besondere Voraussetzungen für die Einschränkung knüpft, muss vor der Anwendung dieser Schranken als Grundlage der Beschränkung eines Unterlassens untersucht werden, ob der Zweck der Schranke bereits durch das Ver­ halten des Grundrechtsträgers verwirklicht wurde. Soweit dies der Fall ist, kann das infragestehende Verhalten nur durch verfassungsimmanente Schranken be­ schränkt werden. Bei diesem (ergänzenden) Rückgriff auf die verfassungsimma­ nenten Schranken handelt es sich jedoch nicht um eine spezielle Regel der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit, sondern um eine Regel der allgemeinen Grundrechtslehren. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entspricht also den liberalen Prämissen des umfassenden Handlungsschutzes, soweit sie davon ausgeht, dass positive und ne­ gative Freiheit denselben Schranken unterstehen.

B. Die Verhältnismäßigkeit Die Gesetzesvorbehalte liefern jedoch keine „Blanko-Ermächtigung“1326 zum Eingriff in die Grundrechte. Vielmehr unterliegt die Einschränkbarkeit der Grund­ rechte ihrerseits speziellen Beschränkungen (sog. Schranken-Schranken).1327 Zu diesen Schranken-Schranken zählt insbesondere der Grundsatz der Verhältnis­ mäßigkeit.1328 Voraussetzung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs ist stets die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs. Dies erfordert nicht nur die Überprüfung, ob die hoheitliche Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt, geeignet und erforderlich ist, sondern auch die Kontrolle, ob die infrage stehende

1326

Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 21 Rn. 543. Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 21 Rn. 543; zu den Einflüssen der Ver­ hältnismäßigkeitsprüfung auf die grundrechtliche Freiheit, ausführlich Kap. 1 F. I. 4. c). 1328 Siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 81: „Soweit nicht besondere Verfassungsrechtssätze wie das objektiv-rechtliche Prinzip der religiösweltanschaulichen Neutralität des Staates eingreifen, ergeben sich materiell-rechtliche Gren­ zen danach im Wesentlichen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der alle zur Erreichung eines legitimen Zwecks ungeeigneten, nicht erforderlichen oder unzumutbaren Maßnahmen verbietet.“ 1327

B. Die Verhältnismäßigkeit

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Maßnahme angemessen ist.1329 Angemessen ist eine staatliche Maßnahme, wenn ihr Zweck nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs steht.1330 Im Rahmen der Angemessenheit sind also die widerstreitenden Interessen in Einklang zu bringen. Neben einer abstrakten Gewichtung von Zweck und Mittel1331 muss im Rahmen der Angemessenheitsprüfung auch eine konkrete Gewichtung vorgenom­ men, die die konkrete Schwere des Eingriffs und den Grad der Zweckerreichung gegenüberstellt.1332 Anschließend wird zwischen der abstrakten und der konkreten Gewichtung bilanziert. Da diese Arbeit die abstrakte Untersuchung des Grundrechtsschutzes von posi­ tiver und negativer Freiheit zur Aufgabe hat und Aussagen über die Geeignetheit, Erforderlichkeit und den legitimen Zweck einer Maßnahme1333 stets nur in Anse­ hung eines konkreten Falles und einzelner konkreter Grundrechte möglich sind, liegt der Schwerpunkt dieser Betrachtung auf der Untersuchung der Ebene der abstrakten Gewichtung. Dabei wird der Fokus der Untersuchung auf die durch die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entwickelten Regeln zur Abwägung gerichtet.

I. Der grundsätzliche Vorrang der positiven Freiheit Im Rahmen der abstrakten Gewichtung fragt sich, wie die Verfassung die Rechtsgüter, also den unter den Begriffen von positiver und negativer Freiheit ab­ gebildeten Grundrechtsschutz, abstrakt gewichtet. Es bedarf daher zunächst der Klärung des grundsätzlichen Verhältnisses der verschiedenen Handlungsdimensio­ nen im Kollisionsfall, insbesondere der Frage, ob nach der Lehre des Grundrechts­ schutzes von positiver und negativer Freiheit abstrakt ein Vorrang der positiven Freiheit vor der negativen Freiheit oder ein Vorrang der negativen Freiheit vor der positiven Freiheit anzunehmen ist. Auf der Ebene der abstrakten Gewichtung könnte von einem grundsätzlichen Vorrang der positiven Freiheit vor der negativen Freiheit ausgegangen werden. Schließlich betone die positive Formulierung des Gesetzestextes, dass die Aus­ 1329 Siehe aus der Literatur statt vieler nur Lang, AöR 145 (2020), 75 (81; 93 ff. zum legiti­ men Zweck; 100 f. zur Geeignetheit; 103 ff. zur Erforderlichkeit; 109 ff. zur Angemessenheit); Grabitz, AöR 98 (1973), 568 ff.; siehe auch Reimer, Verhältnismäßigkeit im Verfassungsrecht, in: Jestaedt / Lepsius (Hrsg.), Verhältnismäßigkeit, 2015, S. 60 ff.; Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 611 ff. 1330 Lang, AöR 145 (2020), 75 (115). 1331 Auch wenn dies in der Praxis nur selten erfolgt, siehe hierzu Lang, AöR 145 (2020), 75 (116); Klatt / Meister, JuS 2014, 193 (196 f.); Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 624. 1332 Klatt / Meister, JuS 2014, 193 (196); Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 625. 1333 Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz siehe etwa Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Vorb. Rn. 56.

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Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

übung der positiven Freiheit gegenüber der negativen Freiheit besonders schutzwür­ dig sei.1334 So habe die Wahrnehmung der Verfassungsgüter einen besonderen Wert für die Gemeinschaft, der sich nicht im Unterlassen der Wahrnehmung von durch die Verfassung gewährten Freiheiten widerspiegele.1335 Derjenige, der Gebrauch von seiner positiven Freiheit mache, nehme anders als derjenige, der Gebrauch von seiner negativen Freiheit mache und das „Einzelgängertum[…]“1336 bevorzuge, aktiv an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens teil.1337 Da die Freiheit von etwas einen geringeren Wert als die Freiheit zu etwas habe,1338 müsse die negative Freiheit grundsätzlich zugunsten der positiven Freiheit eingeschränkt werden.1339 Die Annahme eines solchen abstrakten Vorrangs der positiven vor der negati­ ven Freiheit kann jedoch nicht überzeugen. Schließlich macht auch derjenige, der sich auf seine negative Freiheit beruft Gebrauch von seinen Grundrechten. Nach der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit sind beide Komponenten gleichrangig und gleichwertig.1340 Schließlich differenziert der 1334 Zu dieser Argumentation siehe auch Mückl, in: Bonner Kommentar, GG, 210. Aktualisie­ rung Februar 2021, Art. 4 Rn. 171. 1335 Arndt, Thesen zu Art. 9 Abs. 3 GG in: FS Kunze, 1969, S. 265 (266). 1336 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 103. 1337 Nitschke, DÖV 1972, 41 (46); Floretta, DRdA 1968, 1 (8): „wobei sich die positive Ko­ alitionsfreiheit als gewichtigere erweist.“ Dieser Vorrang, den Floretta zugunsten der positiven Freiheit annimmt, ist allerdings vor allem dadurch bedingt, dass er im Kontext der negativen (Koalitions-)Freiheit für den grundrechtlichen Schutz des Bürgers die allgemeine Handlungs­ freiheit für maßgeblich hält; Galperin, Organisationszwang und Koalitionsfreiheit, in: FS Bogs, 1959, S. 87 (98, 101). Soweit man mit Wiedemann, RdA 1969, 321 (330) die Funktion der ne­ gativen Koalitionsfreiheit in der Absicherung der positiven Koalitionsfreiheit sieht, muss die negative Koalitionsfreiheit geringer gewertet werden. Nach Gitter, JurA 1970 148 (151), muss ausgehend von einem solchen Grundrechtsverständnis: „der Aktivität in der Koalition der höhere Wert beigemessen werden als der Passivität des Fernbleibens.“ 1338 Ähnlich auch Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S 92. 1339 Vergleiche auch Nitschke, DÖV 1972, 41 (46); Gitter, JURA 1970, 148 (151); Floretta, DRdA 1968, 1 (8); Galperin, Organisationszwang und Koalitionsfreiheit, in: FS Bogs, 1959, S. 87 (98, 101); siehe hierzu auch den Befund Hellermanns, dass insbesondere die Autoren, die den Schutz der negativen Freiheit für zweifelhaft halten, einen Vorrang der positiven Freiheit annehmen, Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 103. 1340 Bethge, JA 1979, 281 (283): „gleichwertige und gleichrangige Emanationen eines Frei­ heitsgrundrechts“; Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 268; Merten, Negative Grundrechte, in: ders. / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 1. Aufl. 2006, § 42 Rn. 28 f.; vergleiche auch Kokott, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 28; Mückl, in: Bonner-Kommentar, GG, 210. Aktualisierung Februar 2021, Art. 4 Rn. 171: „Ein abstrakter Vor­ rang des einen wie des anderen Aspekts besteht nicht.“; siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 103: „Nicht haltbar ist also die Annahme eines abs­ trakten Vorrangs für eines der beiden Freiheitsrechte [also der positiven oder der negativen Frei­ heit], welcher im Kollisionsfall das höherwertige, vorrangige Freiheitsrecht obsiegen, das andere zurücktreten läßt.“; vergleiche auch Rüfner, NJW 1974, 491 (492), der gegen die Annahme eines grundsätzlichen Vorrangs der negativen (Religions-)Freiheit vor der positiven (Religions-)Frei­ heit argumentiert: „Eine mit absolutem Vorrang ausgestattete negative Religionsfreiheit besei­ tigt die Freiheit der Religion und bedeutet staatlich verordnete Religionslosigkeit.“; gegen einen abstrakten Vorrang der negativen (Religions-)Freiheit auch Hollerbach, JZ 1974, 578 (579):

B. Die Verhältnismäßigkeit

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Wortlaut der Grundrechte nicht zwischen einem Tun und einem Unterlassen des Grundrechtsträgers,1341 genauso wie auch das grundrechtliche Freiheitsverständ­ nis oder das Menschenwürdeprinzip zwischen der Schutzwürdigkeit von Tun und Unterlassen differenziert. Insoweit entspricht die Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit den grundrechtstheoretischen Vorgaben. Sollen Handlungen umfassend geschützt werden, müssen die einzelnen (zum Teil wech­ selbezüglichen) Verhaltensdimensionen gleichrangig und gleichwertig sein.1342 Ein grundsätzlich normativ abstrakter1343 Vorrang vor der negativen Freiheit kann daher ebenso wenig angenommen werden, wie ein grundsätzlicher Vorrang der negativen Freiheit vor der positiven Freiheit.1344 Wenn also das Tun eines Bürgers mit dem Unterlassen eines anderen kollidiert, hat abstrakt weder das Tun noch das Unterlassen Vorrang. Soweit positive und ne­ gative Freiheit verschiedener Freiheitsrechte kollidieren, kann bei der abstrakten Gewichtung nur das Verhältnis der speziellen Freiheitsrechte ins Gewicht fallen. Würde also rein hypothetisch nach der Lehre des Grundrechtsschutzes von posi­ tiver und negativer Freiheit die positive Versammlungsfreiheit mit der negativen Meinungsfreiheit kollidieren, würde in der abstrakten Gewichtung folglich nur das Verhältnis von Meinungs- und Versammlungsfreiheit ins Gewicht fallen, nicht aber die Frage, welche Verhaltensweisen und -dimensionen konkret kollidieren. In dieser Konstellation käme es somit allein auf die „abstrakte Wertigkeit“ der spe­ ziellen Freiheitsrechte an.1345

„[…] daß sich ein Vorrang der negativen vor der positiven Bekenntnisfreiheit dem Grundgesetz nicht entnehmen lasse.“ Siehe auch Burghart, in: Leibholz / Rinck, GG, 83. EL. April 2021, Art. 4 Rn. 80, mit der Klarstellung, dass auch die negative Bekenntnisfreiheit keinen absoluten Vorrang habe. So stellen Lothar Michael und Martin Morlok in Bezug auf die negative Religionsfreiheit fest, dass „die so genannte negative Freiheit, nicht gezwungen zu werden, etwas zu glauben, [keineswegs] eine lediglich sekundäre Erweiterung des Art. 4 Abs. 1 GG [ist]. Sie gehört zur Abwehrdimension dieser Grundrechte, genauso wie die so genannte positive Freiheit, nicht da­ ran gehindert zu werden, etwas zu glauben.“ So Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 4 Rn. 47; vergleiche auch Starck, in: von Mangoldt / Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 31: „Die negative Religionsfreiheit ist kein Obergrundrecht, das die positiven Äuße­ rungen der Religionsfreiheit im Falle des Zusammentreffens verdrängt.“ 1341 Hierzu bereits ausführlich unter Kap. 1 A. 1342 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 103: „Die rangund wertmäßige Differenzierung zwischen der positiven und der negativen Seite ein- und des­ selben Freiheitsrechts setzt sich darüber hinaus in Widerspruch zu der These von der gleichran­ gigen grundrechtlichen Schutzwürdigkeit von Aktivität und Passivität, die als zentraler Topos der Herleitung der negativen Seite zugrundeliegt.“ 1343 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 624. 1344 So auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 103; Bethge, JA 1979, 281 (283). 1345 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 624; im Ansatz auch Bethge, JA 1979, 281 (283). Bei der abstrakten Gewichtung kann grundsätzlich auch die Einschränkbarkeit eines Grundrechts berücksichtigt werden. So haben nach Michael / Morlok etwa die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte die höchste „abstrakte Wertigkeit“ (Michael / Morlok, Grundrechte,

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Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

II. Die Anwendung des Grundsatzes der praktischen Konkordanz Sofern der Staat eine Handlungsdimension zugunsten einer anderen Handlungs­ dimension einschränkt, insbesondere wenn positive und negative Freiheit desselben Freiheitsrechts kollidieren, sind gleichrangige und gleichwertige Interessen aus­ zugleichen. Aus diesem Grund wird vereinzelt diskutiert, die Verhältnismäßigkeit in diesen Konstellationen am Maßstab der praktischen Konkordanz zu messen,1346 also einen besonderen, strengen Prüfungsmaßstab zu Grunde zu legen.1347 Dem Grundsatz der praktischen Konkordanz zufolge müssen die konfligierenden Inter­ essen zur „optimalen Wirksamkeit“1348 gelangen. Dies erfordere den „nach beiden Seiten hin schonendsten Ausgleich“1349 der widerstreitenden Interessen.1350 Grundsätzlich ist der Grundsatz der praktischen Konkordanz bei der Rechtfer­ tigung von Eingriffen in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte zu beachten,1351 also bei Eingriffen in die Religions-, Gewissens- oder Weltanschauungsfreiheit, in die Kunst- oder Forschungs- beziehungsweise Wissenschaftsfreiheitfreiheit, bei Eingriffen in die Versammlungsfreiheit1352 oder bei Eingriffen in die Vereini­ gungsfreiheit1353. In diesen Fällen wird der Grundsatz der praktischen Konkordanz bereits aufgrund der Schranken dieser Grundrechte angewendet, ungeachtet der Frage, ob positive und negative Freiheit desselben vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts kollidieren. Auch im Falle der Kollision von positiver und negativer Freiheit muss in diesen Fällen daher der Grundsatz der praktischen Konkordanz beachtet werden. Positive und negative Freiheit desselben Freiheitsrechts kollidieren nur äußerst selten, da die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit grundsätzlich keinen Konfrontationsschutz gewährt. Obgleich positive und ne­ gative Freiheit gleichrangig und gleichwertig sind, führt dies nicht dazu, dass im Kollisionsfall automatisch der strenge Maßstab der praktischen Konkordanz be­ achtet werden muss. Außerhalb des Geltungsbereichs vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte findet der Grundsatz der praktischen Konkordanz bei der Verhältnis­ 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 624). Allerdings darf dies nicht zu einem absoluten Vorrang der vorbe­ haltlos gewährleisteten Grundrechte führen. Schließlich unterliegt das Leben, obgleich es sich um einen Höchstwert der Verfassung handelt (BVerfGE 39, 1 (42)), nur verfassungsimmanen­ ten Schranken. 1346 Zur praktischen Konkordanz siehe Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 2 Rn. 72, § 10 Rn. 317 ff. 1347 Siehe auch Fikentscher / Müller, NJW 1998, 1337 (1341); Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 733. 1348 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 2 Rn. 72. 1349 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1999, § 2 Rn. 72. 1350 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 737; Hufen, Staatsrecht II, 9. Aufl. 2021, § 9 Rn. 31. 1351 Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 737. 1352 Sofern die Versammlung nicht unter freiem Himmel stattfindet. 1353 Sofern die Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG nicht eingreift.

B. Die Verhältnismäßigkeit

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mäßigkeitsprüfung nur Anwendung, wenn eine Grundrechtskollision vorliegt.1354 Während Grundrechtskonflikte durch eine Güterabwägung zu lösen sind, sind Grundrechtskollisionen „hingegen […] durch praktische Konkordanz zu lösen“1355. „Grundrechtskollisionen sind Grundrechtskonflikte, die sich durch die Besonder­ heit der unvermeidbaren Einschränkung eines üblicherweise geschützten Gewähr­ leistungsgehalts auszeichnen.“1356 Außerhalb vorbehaltlos geschützter Grundrechte ist daher vor Anwendung der praktischen Konkordanz bei der Abwägung von posi­ tiver und negativer Freiheit zu überprüfen, ob sich der Konflikt von positiver und negativer Freiheit desselben Freiheitsrechts als Grundrechtskollision präsentiert. Nur wenn es sich um eine Grundrechtskollision handelt, kann der Grundsatz der praktischen Konkordanz bei der Abwägung berücksichtigt werden.

III. Die Abwägung bei Kollisionen von positiver und negativer Freiheit In der Literatur und Rechtsprechung haben sich im Kontext der Rechtfertigung von Eingriffen in die Religions- und die Vereinigungsfreiheit spezielle Abwä­ gungskriterien entwickelt, die auch zur Lösung von Konflikten zwischen der posi­ tiven und der negativen Freiheit desselben Freiheitsrechts herangezogen werden.1357 Diese Kriterien sind mit Blick auf ihre Funktionalität, Verallgemeinerungsfähig­ keit sowie auf eine mögliche Abkoppelung von den dem umfassenden Handlungs­ schutz zugrundeliegenden theoretischen Prämissen zu reflektieren. 1. Toleranzgebot Im Rahmen der Abwägungsentscheidung bei Kollisionen von positiver und ne­ gativer Religionsfreiheit wird als Parameter zum Ausgleich der Interessen häufig auf ein Toleranzgebot1358 abgestellt.1359 Danach solle der Grundrechtsträger gegen­ 1354

Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 737. Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 737. 1356 Uffer, Die Grundrechtskollision, 2021, S. 59; Michael / Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 23 Rn. 736. 1357 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 108. 1358 Das Toleranzgebot wird gerade in den Fällen angewendet, in denen angenommen wird, dass die negative Religionsfreiheit den Grundrechtsträger vor der Konfrontation mit der Reli­ gionsausübung eines anderen Grundrechtsträgers schützt (siehe etwa BVerfGE 93, 1 (22); auch BVerfGE 138, 296 (333)). Das Toleranzgebot sichert also auf Ebene der Rechtfertigung ab, dass die negative Freiheit nicht zu einer Verschonungsfreiheit mutiere. Die negative Freiheit kann daher auf Grundlage des Toleranzgebotes nicht deutlich besser beziehungsweise leichter ein­ geschränkt werden. Aus dem Toleranzgebot folgt also keine abstrakte Vorrangentscheidung zu­ gunsten der positiven oder der negativen Religionsfreiheit. Siehe auch Starck, in: von Mangoldt /  Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 29. 1359 BVerfGE 32, 98 (108); 41, 29 (51); 41, 65 (78); 41, 88 (96); 52, 223; 93, 1 (22); BVerfGE 138, 296 (333); Hollerbach, JZ 1974, 578 (580); Hamel, NJW 1966, 18 (20); Scheuner, DÖV 1355

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Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

über der Religions- beziehungsweise Glaubensausübung eines anderen tolerant sein.1360 Toleranz in diesem Sinne bedeutet nicht nur die Duldung abweichender religiöser oder weltanschaulicher Auffassungen durch den Staat,1361 sondern auch im Verhältnis der Bürger.1362 Gerade in einer pluralistischen1363 Gemeinschaft ist es erforderlich, auch andere Weltbilder, andere religiöse oder glaubensgeleitete Verhaltensweisen gewähren zu lassen beziehungsweise in besonnener Selbstbe­ hauptung zu erdulden. Gewisse Verzichte und gegenseitige Einschränkungen zu­ gunsten der in der Öffentlichkeit stattfindenden Glaubensbekundung sind daher typisch.1364 Dies bedeutet, dass der Grundrechtsträger gewisse Beschränkungen, die durch die Grundrechtsausübung eines anderen bedingt sind, hinzunehmen hat. Genauere inhaltliche Vorgaben für die Abwägung, wie beispielsweise das Stö­ rungspotential eines Verhaltens zu bewerten ist, die einheitliche Abwägungsergeb­ nisse erzeugen, enthält das Toleranzgebot jedoch nicht.1365 Das Gebot gegenseiti­ ger Toleranz ist letztlich nichts anderes als eine andere Formulierung des Gebots gegenseitiger Rücksichtnahme. Erforderlich bleibt daher stets die Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall. Das Toleranzgebot leitet die Abwägung 1967, 585 (591 ff.); Lorenz, JuS 1974, 436 (440); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 105; Müller, DÖV 1969, 441; Buchner, ZfA 1982, 49 (73); B ­ urghart, in: Leibholz / Rinck, GG, 83. EL. April 2021, Art. 4 Rn. 80; siehe auch Kokott, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 28; Starck, in: von Mangoldt / Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 27; zum Anwendungsbereich des Toleranzgebots siehe auch Baldus, DÖV 1971, 338 (339 f.). 1360 Lorenz, JuS 1974, 436 (440). 1361 Lorenz, JuS 1974, 438 (440). 1362 Vergleiche auch Schlüter / Grötker, Art.: Toleranz, in: Ritter / Gründer / Gabriel (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie Online, https://www.schwabeonline.ch/schwabexaveropp/elibrary/start.xav?start=%2F%2F%2A%5B%40attr_id%3D%27hwph_productpage %27%5D#__elibrary__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27verw.toleranz%27%5D__1637911 091231: „T. ist die Duldung von Personen, Handlungen oder Meinungen, die aus moralischen oder anderen Gründen abgelehnt werden; […] [ü]ber die ursprüngliche Begriffsbedeutung hinaus wird ‹T› auch im Sinne der Akzeptanz des ‚Anderen‘ und Fremden und des Respekts vor ihm gebraucht; siehe auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 89 ff. 1363 Lorenz, JuS 1974, 438 (440); Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheits­ rechte, 1993, S. 105. 1364 Lorenz, JuS 1974, 438 (440); Starck, in: von Mangoldt / Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 29: „Der vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Toleranzgedanke darf nicht einseitig gegen die Mehrheit ins Spiel gebracht werden. Toleranz kann auch von der Minderheit verlangt werden.“; Pirson, BayVBl. 1995, 755 ff.; Badura, BayVBl. 1996, 33 ff.; ­Müller-Volbehr, JZ 1995, 996. 1365 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 105 f.: „Das To­ leranzgebot bleibt ein rechtlich inhaltsloses Postulat. […] Wenn aber gleichwohl vom Staat bei der rechtlichen Beurteilung von Konflikten zwischen Bürgern die Wahrung des Toleranzgebots gefordert wird, so vermag dieses jedenfalls inhaltlich auch nicht mehr beizutragen, als die For­ mel von der verhältnismäßigen Zuordnung oder das Prinzip der praktischen Konkordanz bereits liefern; auch das Toleranzgebot sagt nicht, wem die Rücksichtnahme auf den anderen rechtlich abverlangt werden soll.“ Vergleiche auch Hollerbach, JZ 1974, 578 (580), der die verschiedenen Verständnisse des Toleranzgebotes beleuchtet.

B. Die Verhältnismäßigkeit

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also nicht in einer speziellen Form an.1366 Die Abwägung unterscheidet sich folg­ lich nicht von der typischerweise im Kontext von Grundrechtskonflikten vorzu­ nehmenden Abwägung. 2. Sozialadäquanz Während das Kriterium des Toleranzgebots im Kontext der Religionsfreiheit entwickelt wurde, wurde im Kontext der Kollisionen von positiver und negativer Koalitionsfreiheit das Abwägungskriterium der Sozialadäquanz entwickelt.1367 Danach sei für die Frage der Zulässigkeit eines Beitragszwanges nicht die Intensi­ tät oder der Grad des ausgeübten Drucks, sondern die Sozialadäquanz des Drucks entscheidend.1368 Im Rahmen der Abwägung wäre demnach insbesondere zu be­ rücksichtigen, ob das infrage stehende Verhalten sozial angemessen sei.1369 Die Frage, wann ein Verhalten sozial angemessen ist, hängt von subjektiven Wertun­ gen wie auch von Umständen des Einzelfalls ab. Ob der ausgeübte Druck sozial adäquat ist, ist letztlich ebenfalls eine Abwägungsentscheidung, in der sich vor allem „allgemeine Gerechtigkeitserwägungen“1370 niederschlagen. Erforderlich ist demzufolge auch hier die Abwägung im Einzelfall. Auch das Kriterium der ‚Sozialadäquanz‘ gibt keine verbindlichen Leitmaßstäbe für die Abwägung vor. Infolgedessen handelt es sich auch beim Kriterium der Sozialadäquanz letztlich nur um einen anderen Namen für die üblicherweise vorzunehmende Abwägung. 3. Zusammenfassung Weder das Toleranzgebot noch das Kriterium der Sozialadäquanz geben einen eindeutigen, präzisen Maßstab vor, der einheitliche Abwägungsergebnisse erzeugt. Sowohl im Toleranzgebot als auch beim Kriterium der Sozialadäquanz zeigen sich Mängel beim dogmatischen Arbeiten. Statt diese Gebote zu reflektieren und auf­ zudecken, dass es im Kontext der innergrundrechtlichen Kollision von positiver und negativer Freiheit letztlich einer Einzelfallabwägung bedarf,1371 wurden diese

1366 Zumal es fragwürdig ist, das Toleranzgebot als „rechtliches Gebot zu verstehen“, schließ­ lich handelt es sich bei der Toleranz eher um eine „moralische Haltung“. So zurecht Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 105; zuvor bereits Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, 1969, S. 85; kritisch Hollerbach, JZ 1974, 578 (580). 1367 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 105. Ausführ­ lich zum Kriterium der Sozialadäquanz Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, 2005, S. 124 ff. 1368 BAGE 20, 175: „Einen sozialinadäquaten Druck braucht niemand hinzunehmen, auch wenn die damit verbundene Belästigung verhältnismäßig gering sein sollte.“ 1369 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 105. 1370 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 105. 1371 Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 105.

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Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

zunächst im Rahmen einer konkreten Entscheidung getroffenen Konkretisierungen der Abwägung generalisiert, mit der Folge, dass sie bei den nachfolgenden Ent­ scheidungen rezipiert und angewendet wurden, ohne einen inhaltlichen ‚Mehrwert‘ für die Abwägungsentscheidung zu bringen. Insoweit entlasten die dogmatischen Regeln die Rechtsarbeit also nicht. Erforderlich ist also eine stärkere Kontextualisierung dogmatischer Regeln, die den Ursprung beziehungsweise den Zweck der Operationalisierungsregeln berück­ sichtigt, um zu verhindern, dass dysfunktionale Konkretisierungsmaßstäbe weiter rezipiert werden. Die lässt sich besonders eindrücklich am Beispiel des Toleranz­ gebotes illustrieren: Das Toleranzgebot wird unter anderem dazu eingesetzt, das weite Verständnis des Schutzbereichs auf Rechtfertigungsebene zu korrigieren. Soweit der Schutzbereich der Religionsfreiheit etwa auch bei der bloßen Konfronta­ tion mit religiösen Symbolen für eröffnet gehalten wird, wird auf Rechtfertigungs­ ebene versucht, über das Toleranzgebot eine Ausdehnung des Rechts, etwas zu unterlassen, zu einem Recht auf ein fremdes Unterlassen zu verhindern.1372 Dieser ‚Korrektur‘ des weiten Schutzbereichs auf Rechtfertigungsebene bedarf es jedoch nicht, wenn der grundrechtliche Unterlassungsschutz primär als auf das eigene Unterlassen verstanden und somit nur in Ausnahmefällen auf einen Anspruch auf ein fremdes Unterlassen ausgeweitet wird. Erforderlich ist auf Rechtfertigungsebene deshalb eine Einzelabwägung, um die widerstreitende Interessen in einer Gemeinschaft schonend in Ausgleich bringen zu können. In diesem Kontext sind unter anderem die Konfliktträchtigkeit bezie­ hungsweise das Störungspotential eines Verhaltens, die Öffentlichkeit beziehungs­ weise die Außenwirkung eines Verhaltens, die Dauer und Intensität der Störung sowie die Bedeutung der als störend empfundenen Verhaltenskomponente für die Grundrechtsausübung zu beachten. Auch potenzielle Ausweichmöglichkeiten des Grundrechtsträgers sind zu berücksichtigen. Soweit dem Einzelnen die Möglich­ keit verbleibt, dem konfligierenden Verhalten ohne größere Freiheitseinbußen aus­ zuweichen, ist diese vorrangig wahrzunehmen.1373 Bei der Abwägung zwischen den verschiedene Handlungsbegriffe umfassenden konfligierenden Verhaltensdimensionen ist stets zu berücksichtigen, dass der unter dem Begriff der negativen Freiheit verstandene Grundrechtsschutz dem Bürger ge­ rade kein allgemeines ‚Vetorecht‘ des Bürgers gegen ein als störend empfundenes Verhalten des Staates oder eines Dritten gewährt und daher auch auf Abwägungs­ ebene nicht durch eine überproportionale Gewichtung zu einer „Verschonungs­ freiheit“ mutieren darf.1374 Derjenige, der etwas unterlässt, muss als Teil einer Ge­

1372

So etwa im Kruzifix-Beschluss BVerfGE 93, 1.  BVerfGE 52, 223 (248); Hufen, DÖV 1983, 353 (358); Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (73 f.). 1374 Hollerbach, JZ 1974, 578 (579); Böckenförde, DÖV 1966, 30 (32); Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 (73); Rüfner, NJW 1974, 491 (492). 1373

C. Zusammenfassung

301

meinschaft hinnehmen, zu einem gewissen Grad in Berührung mit dem aktiven Verhalten eines anderen zu kommen. Umgekehrt muss derjenige, der seine positive Freiheit ausübt, als Teil einer Gemeinschaft hinnehmen, dass sein Verhalten be­ schränkt wird, wenn es andere beeinflusst.

IV. Zusammenfassung Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in ein Handlungs­ grundrecht gilt der gleiche Maßstab wie für die Verhältnismäßigkeit eines Ein­ griffs in die statischen Schutzrechte1375. Der Konflikt zwischen verschiedenen in den Schutzbereich desselben Grundrechts fallender Verhaltensdimensionen führt deshalb nicht dazu, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechend dem stren­ geren Maßstab der praktischen Konkordanz durchzuführen ist. Insbesondere im Gedanken der Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit des grundrechtlichen Schut­ zes der verschiedenen Verhaltensdimensionen zeigt sich der Einfluss des libera­ len Vorverständnisses auf den umfassenden Handlungsschutz.1376 Im Kontext der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist ein Widerspruch zwischen theoretischen Prä­ missen und dogmatischer Konkretisierung daher, soweit man nicht den Maßstab der praktischen Konkordanz für intragrundrechtliche Kollisionen verschiedenen Handlungsdimensionen für anwendbar hält, nicht zu beklagen. In den Diskussionen über die Anwendung des Maßstabes der praktischen Konkordanz bei der Abwä­ gung von intragrundrechtlichen Kollisionen verschiedener Handlungsdimensionen zeigt sich jedoch die Gefahr, die von Pauschalisierungen und Generalisierungen bestimmter Rechtskonkretisierungen ausgeht, ohne dass zuvor der Hintergrund dieser Konkretisierungen reflektiert wird.

C. Zusammenfassung Auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung sind also keine dog­ matischen Modifikationen für den grundrechtlichen Schutz von Handlungen erfor­ derlich. Die Gesetzesvorbehalte können die Grundlage der staatlichen Beschrän­ kung der verschiedenen Handlungsdimensionen bilden. Bei der Anwendung der Gesetzesvorbehalte, die spezielle Voraussetzungen aufweisen, muss im Einzelfall argumentiert werden, ob die besonderen Einschränkungsvoraussetzungen vorlie­ gen, beziehungsweise dass der durch die speziellen Einschränkungsvoraussetzun­ 1375

Siehe hierzu Kap. 1 G. I. Siehe Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 233: „Mit der Ablehnung einer negativen Seite der Handlungsrechte widerspricht diese Untersuchung der Forderung eines gleich intensiven grundrechtlichen Schutzes der Passivität, wie sie die liberale Grundrechtstheorie in der spezifischen inhaltlichen Ausprägung der Freiheitssphären-Vorstel­ lung erhebt.“ 1376

302

Kap. 4: Die Rechtfertigung von Eingriffen 

gen bewirkte Zweck bereits durch das einzuschränkende Verhalten erfüllt wird und deshalb auf die verfassungsimmanenten Schranken zurückzugreifen ist. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein Spezifikum der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit, sondern um eine Feststellung der allgemeinen Grundrechtslehren. Auch auf der Ebene der Schranken-Schranken, insbesondere im Kontext der Verhältnismäßigkeitsprüfung, gelten die allgemeinen Regeln. Der Maßstab der praktischen Konkordanz nicht allein deshalb anzuwenden, weil ver­ schiedene Handlungsdimensionen in Konflikt geraten. Alle Handlungsdimensio­ nen sind gleichrangig, sodass es der Abwägung im Einzelfall bedarf. Das Toleranzgebot und das Gebot der Sozialadäquanz sind zwar mit Blick auf positive und negative Freiheit spezieller Freiheitsrechte Beispiele für überdogma­ tisierte Teilregelungen, die aufgrund der ständigen Wiederholung, nicht mehr mit Blick auf ihre Sinnhaftigkeit reflektiert wurden. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit entwi­ ckelt demnach keine speziellen Regeln für die verfassungsrechtliche Rechtferti­ gung staatlicher Beschränkungen von Handlungen eines Grundrechtsträgers. Es gelten die allgemeinen Grundrechtslehren für die verfassungsrechtliche Rechtfer­ tigung von Eingriffen.

Schluss Zum Schluss der Arbeit lässt sich also festhalten, dass es in der Lehre des Grund­ rechtsschutzes weder für die Herleitung noch für die Anwendung beziehungsweise die Konkretisierung des grundrechtlichen Handlungsschutzes bedarf. Der um­ fassende grundrechtliche Schutz menschlicher Handlungen folgt bereits aus der Auslegung der Grundrechte unter Berücksichtigung eines liberalen Verständnisses der Funktion der Grundrechte. Auf Basis dieses Verständnisses sollen die Grund­ echte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension die Freiheitssphäre, insbesondere die Selbstbestimmung und -entfaltung, des Bürgers vor staatlichen Beeinträchtigungen schützen. Entsprechend einem liberalen Grundrechtsverständnis muss dem Grund­ rechtsträger zum Schutz der Selbstbestimmung die Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten verbleiben. Dies ist nur dann der Fall, wenn eine Handlung als solche geschützt wird, ist diese doch der Oberbegriff, der die verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten abbildet. Dieses liberale Vorverständ­ nis kanalisiert sich im Wesentlichen im Freiheitsverständnis, das den Grundrechten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension zugrunde liegt, und im Menschenwürde­ prinzip bei der Auslegung. Soweit die Grundrechte eine menschliche Handlung schützen, schützen sie auch ein Tun und ein Unterlassen des Grundrechtsträgers. Da eine Handlung grundrechtlichen Schutz genießt, genießen auch die einzelnen Handlungsdimensionen, wie Tun und Unterlassen, grundrechtlichen Schutz. Die liberal verstandenen Freiheitsrechte schützen ein menschliches Handeln, also auch ein Tun und ein Unterlassen. Unter dem Begriff der Handlung wird aber nicht nur ein Tun und ein Unterlassen, also verschiedene Verhaltensweisen und -formen, sondern die selbstbestimmte Entscheidung über das Handeln, das heißt die Entscheidung über das ‚Ob‘ und das ‚Wie‘ einer Tätigkeit. Voraussetzung einer selbstbestimmten Entscheidung ist schließlich, dass der Grundrechtsträger die Wahl zwischen mehreren Handlungsdimensionen, also verschiedenen Verhal­ tensweisen und -formen, hat. Vom grundrechtlichen Handlungsschutz wird jedoch nicht die Möglichkeit des Grundrechtsträgers erfasst, sich über das ‚Ob‘ der Betäti­ gung nicht entscheiden zu müssen. Der liberale Handlungsbegriff der Grundrechte erfasst demnach im dieser Untersuchung zugrundeliegenden Betrachtungsaus­ schnitt verschiedene Dimensionen des menschlichen Verhaltens: eine Ausübung des Verhaltens, ein Wählen und Verändern der konkreten Verhaltensweise und -form, ein Beibehalten eines bestimmten Verhaltens, aber auch ein Beenden eines Verhaltens. Diese Dimensionen des menschlichen Handelns können sowohl durch ein Tun als auch durch ein Unterlassen ausgefüllt werden. So schützen die Grund­ rechte entsprechend diesem Handlungsbegriff nicht nur abstrakt ein Tun des Grundrechtsträgers, vielmehr wird auch die Konkretisierung dieses Tuns durch die

304

Schluss

Wahl einer bestimmten Modalität wie auch das Beibehalten dieser konkreten Form des Tuns geschützt. Er kann die konkrete Form des Tuns aber auch verändern oder sein Tun beenden. Auch das Unterlassen kann sich – zumindest in einigen dieser Handlungsdimensionen – entfalten. So kann der Grundrechtsträger eine Tätigkeit unterlassen, das Unterlassen der Tätigkeit fortführen beziehungsweise beibehalten, er kann aber auch dieses Verhalten beenden und im nächsten Moment auf ein Tun umschwenken. In der Regel flankieren sich diese Dimensionen sogar. So geht ein bestimmtes Tun stets mit dem Unterlassen eines anderweitigen Tuns einher. Ein Dualismus des grundrechtlichen Schutzes von Tun und Unterlassen wie er durch die begriffliche Gegenüberstellung von positiver und negativer Freiheit suggeriert wird, existiert folglich nicht. Die Handlung muss vielmehr als etwas Einheitliches betrachtet werden, gerade wenn das Verhalten des Grundrechtsträgers mehrere Verhaltensdimensionen betrifft. Da auch die speziellen Freiheitsrechte, zumin­ dest die Darfrechte, genauso wie die allgemeine Handlungsfreiheit eine Handlung, also ein Tun und ein Unterlassen, zum Gegenstand haben, ist nicht nachvollzieh­ bar, weshalb im Kontext der speziellen Freiheitsrechte, die sich nur dadurch von Art. 2 Abs. 1 GG unterscheiden, dass sie den Handlungsschutz auf einen speziel­ len Lebensbereich beziehen, die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit rezipiert wird, während im Kontext des Art. 2 Abs. 1 GG – für den sich passenderweise der Begriff der allgemeinen Handlungsfreiheit etabliert hat – der grundrechtliche Schutz eines Tuns und eines Unterlassen nicht unter die Begriffe von positiver und negativer Freiheit subsumiert wird. Auf der Ebene des Schutzbereichs schützen die Handlungsgrundrechte dem­ zufolge die verschiedenen Dimensionen menschlichen Handelns. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit versucht den Handlungs­ schutz vor allem auf dieser Ebene zu konkretisieren. Die konkrete Form des durch ein spezielles Freiheitsrecht gewährten Handlungsschutzes muss in Ansehung der ihm zugrundeliegenden theoretischen Prämissen und der für dieses Freiheitsrecht entwickelten Bereichsdogmatiken, sowie unter Berücksichtigung des Einflusses der Grundrechtstheorie auf den grundrechtlichen Schutz von Handlungen be­ stimmt werden. Soweit diese Konkretisierungen des Handlungsschutzes in Bezug auf ein spezielles Freiheitsrecht generalisiert werden sollen, aus ihnen also all­ gemeine Regeln zum Handlungsschutz abgeleitet werden sollen, muss reflektiert werden, in welchem Kontext diese Aussagen getroffen wurden und welche ihrer Gehalte aus welchen Gründen verallgemeinerungsfähig beziehungsweise welche ihrer Gehalte aus welchen Gründen nicht verallgemeinerungsfähig sind. So schützt etwa die Meinungsfreiheit nicht das ‚Nichthaben‘ einer Meinung, weil das Merk­ mal, das zur Eröffnung des sachlichen Schutzbereiches notwendig ist, nämlich eine Meinung, nicht vorliegt. In diesem Fall liegt strenggenommen schon keine Handlung vor. Die Versammlungsfreiheit schützt hingegen das Fernbleiben von einer Versammlung beziehungsweise das ‚Nichthaben‘ einer Versammlung, da der Grundrechtsträger – wenngleich er keinen Beitrag zur Eröffnung des sachlichen Schutzbereiches leistet  – durch die Wirkungen der Versammlungen Dritter be­

Schluss

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troffen sein kann, sodass es entsprechend der liberalen Prämisse des umfassenden Handlungsschutzes gerechtfertigt ist, in diesem Fall die Versammlungsfreiheit als einschlägiges Grundrecht heranzuziehen. Schließlich sollen mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit die im Kontext von Versammlungen auftretenden Fra­ gestellungen erfasst werden. Sein Fernbleiben kann in dieser Konstellation als Handlung in dem von dem speziellen Freiheitsrecht erfassten Bereich der Lebens­ wirklichkeit verstanden werden. Dabei erstreckt sich der grundrechtliche Handlungsschutz nur auf das eigene Verhalten. Vor der Konfrontation mit anderen schützen die Freiheitsrechte nicht den Grundrechtsträger grundsätzlich nicht. Eine qualifizierte Störung seiner Frei­ heitssphäre, die über die bloße Konfrontation mit einem unliebsamen Verhalten hinausgeht, kann einen Eingriff in eine grundrechtlich geschützte Handlung dar­ stellen. Obgleich der Handlungsschutz seine Wirkungen auch im Bürger-BürgerVerhältnis entfalten kann, folgt aus dem eigenen Verhalten kein Anspruch auf das Mitwirken oder Unterlassen. Es handelt sich in diesen Konstellationen um typische Drittwirkungskonstellationen, in denen die allgemeinen im Kontext der mittelbaren Drittwirkung entwickelten Sätze greifen. Die Beeinträchtigung der Handlung des Grundrechtsträgers muss also eine Schutzpflicht auslösen, die den Staat zu einem Tätigwerden verpflichtet. Auch auf der Ebene der Rechtfertigung bedarf es für den grundrechtlichen Schutz von Handlungen keiner Modifikationen. Die Gesetzesvorbehalte sind grundsätzlich geeignet, Grundlage von Beschränkungen grundrechtlich geschütz­ ter Handlungen zu sein, ungeachtet der Frage, welche Handlungsdimension kon­ kret betroffen ist. Daher darf nicht etwa allein aufgrund des Umstandes, dass der Grundrechtsträger eine Tätigkeit unterlässt, auf die grundsätzliche Einschlägigkeit verfassungsimmanenter Schranken geschlossen werden, vielmehr müssen im Ein­ zelfall der Zweck des Gesetzesvorbehalts und das Ziel der konkreten Handlung be­ trachtet werden, ob der durch den infragestehenden Gesetzesvorbehalt erwünschte Zweck nicht ohnehin erreicht wurde. Wird der mit dem Gesetzesvorbehalt verfolgte Zweck bereits durch die Handlung erreicht beziehungsweise gefördert, können unter Umständen anstelle von speziellen Gesetzesvorbehalten verfassungsimma­ nente Schranken greifen. Der Rückgriff auf die verfassungsimmanenten Schran­ ken in diesen Konstellationen ist jedoch keine Besonderheit des grundrechtlichen Handlungsschutzes, sondern folgt aus den allgemeinen Grundrechtslehren. Da Tun und Unterlassen gleichartige und gleichwertige Bestandteile grundrechtlich ge­ schützten Handlungen sind, existiert weder ein abstrakter Vorrang des Tuns noch des Unterlassens. Erforderlich ist vielmehr eine Abwägung im Einzelfall. Der Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit bedarf es also grundsätzlich weder zur Herleitung noch zur inhaltlichen Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes von Handlungen. Sie ist vielmehr ein Symbol für die Über­ dogmatisierung des Grundrechtsschutzes und illustriert die Gefahr des Eintretens von Verselbständigungsmechanismen im dogmatischen Konkretisierungsprozess.

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Schluss

Weil die Anerkennung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Frei­ heit allgemein konsentiert ist, werden die grundrechtstheoretischen Prämissen des umfassenden Handlungsschutzes nur selten im Rahmen der Herleitung reflektiert. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit fokus­ siert sich vor allem auf die Anwendung des grundrechtlichen Schutzes von Tun und Unterlassen und erkennt dabei nicht, dass es sie weder für die Anerkennung noch für die inhaltliche Ausgestaltung bedarf. Von ihr wurden die dogmatischen Konkretisierungsregeln, wie etwa die ‚Symmetriethese‘ entwickelt, und weiter präzisiert und verdichtet. Die dogmatischen Konkretisierungsregeln haben, ins­ besondere dadurch, dass sie fortwährend einheitlich angewendet und nicht ständig neubegründet werden müssen, Selbststand erlangt und erzeugen den Anschein der Verbindlichkeit. Daher präsentiert sich der umfassende Grundrechtsschutz von Handlungen aufgrund der Konzeption von positiver und negativer Freiheit häufig als dogmatische Figur. Zwar erscheinen die durch die Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit entwickelten Konkretisierungsregeln, wie beispielsweise die ‚Symmetriethese‘ oder das Toleranzgebot, durch die fortwährend einheitliche Rechtsarbeit als verbindlich. Die im Kontext der Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit entwickelten dogmatischen Sätze sind jedoch textfremd. Sie verfügen über keine textliche Grundlage im engeren Sinne, sondern legitimieren sich aus einem Rückbezug auf den Wortlaut der Grundrechte und das ihnen zugrundeliegende Handlungsverständnis, welches durch liberale Prämissen geprägt wird. Die Untersuchung der Lehre vom Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit skizziert damit das Bedürfnis, checks and balances für das dogmatische Arbeiten zu installieren. Als Kontrollmechanismen kommen neben einer stärkeren Kontextualisierung der dogmatischen Sätze auch eine Offenlegung und Einbezie­ hung der verschiedenen Ebenen, aus denen sie sich speisen und auf die sie sich beziehen, wie auch eine regelmäßige Reflexion der dogmatischen Sätze, infrage. So muss beispielsweise bei der Beantwortung der Frage, ob die Vereinigungsfrei­ heit nur das Fernbleiben von privatrechtlichen Vereinigungen oder von öffentlichrechtlichen Vereinigungen schützt, das liberale Verständnis der Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension berücksichtigt werden. Ebenfalls muss offen­ gelegt werden, dass die Freiheitssphäre des Bürgers nur im Falle der Untersagung des Fernbleibens von öffentlich-rechtlichen Vereinigungen, nicht aber im Falle der Verweigerung der Gründung von privatrechtlichen Vereinigungen betroffen ist. Die Grundrechte schützten folglich ein jedes Handeln des Menschen, also auch ein Unterlassen des Menschen. Der Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit bedarf es also grundsätzlich nicht.

Zusammenfassung in Thesen 1. Der unter dem Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit verstandene grundrechtliche Schutz eines Tuns und eines Unterlassens des Grundrechtsträgers leitet sich aus einem liberalen Verständnis ab, das sowohl das Freiheits- und Handlungsverständnis der Grundrechte als auch das Menschen­ würdeverständnis beeinflusst, aber auch selbst durch das Freiheitsverständnis der Grundrechte beeinflusst wird. Entsprechend diesem liberalen Verständnis schüt­ zen die Freiheitsrechte nicht nur eine konkrete Verhaltensform, sondern jede Hand­ lung, die in den Schutzbereich des entsprechenden Grundrechts fällt. 2. Beim Begriff des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit handelt es sich um einen dogmatischen Begriff, der jedoch nicht geeignet ist, um den grundrechtlichen Schutz menschlicher Handlungen abzubilden. Der Begriff unterstützt vielmehr den Anschein, dass es sich beim Grundrechtsschutz von positiver und negativer Freiheit um eine grundrechtsdogmatische Figur handelt. 3. Der Begriff von positiver und negativer Freiheit ist nicht geeignet, um den Grundrechtsschutz von Handlungen abzubilden. Stattdessen ist, wie im Kontext der allgemeinen Handlungsfreiheit, allgemein davon auszugehen, dass ein Frei­ heitsrecht, soweit es zumindest mittelbar auch eine Handlung zum Gegenstand hat, ein Tun und ein Unterlassen des Grundrechtsträgers schützt, ohne dieses in die Kategorien von positiver und negativer Freiheit aufzugliedern. 4. Beim grundrechtlichen Schutz von Tun und Unterlassen handelt es sich nicht um einen binären Unterschied. Tun und Unterlassen gehen fließend ineinander über und flankieren sich gegenseitig, um einen umfassenden grundrechtlichen Schutz der Handlungen des Grundrechtsträgers gewährleisten zu können. Daher ist eine Kategorisierung der verschiedenen Verhaltensweisen und -formen abzulehnen. Sie alle werden vom Handlungsbegriff umfasst. 5. Alle vom grundrechtlichen Handlungsbegriff erfassten Verhaltensweisen und -formen sind gleichrangig und gleichwertig. 6. Der grundrechtliche Unterlassungsschutz gewährt keine Verschonungsfrei­ heit. Der Grundrechtsträger wird durch die Grundrechte nicht vor der Konfronta­ tion mit einer staatlichen Maßnahme oder dem Verhalten eines anderen Grund­ rechtsträgers geschützt. 7. Aus dem grundrechtlichen Handlungsschutz folgt nicht unmittelbar eine Schutzpflicht des Staates.

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Zusammenfassung in Thesen 

8. Im Kontext des Grundrechtsschutzes von Handlungen gelten die allgemei­ nen Regeln zum Grundrechtsschutz im Sonderstatus wie auch im Bürger-Bürger-­ Verhältnis. 9. Der durch die Grundrechte bewirkte umfassende Handlungsschutz ist keine dogmatische Errungenschaft, sondern Ausdruck eines liberalen Grundrechtsver­ ständnisses. Daher ist die Charakterisierung des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit als grundrechtsdogmatische Figur unzutreffend. 10. Die Lehre des Grundrechtsschutzes von positiver und negativer Freiheit ist ein Sinnbild der Überdogmatisierung und der Reflexionsdefizite bei der Rechts­ arbeit. Diese Abkoppelung der Grundrechtsdogmatik von der Grundrechtstheorie lässt sich besonders deutlich am Beispiel der ‚Symmetriethese‘ illustrieren. Inhalt und Reichweite des durch ein spezielles Freiheitsrecht gewährten grundrechtlichen Unterlassungsschutzes ergeben sich demnach nicht aus einer spiegelbildlichen Um­ kehrung des durch dieses Grundrecht gewährten grundrechtlichen Schutz eines Tuns. Der Schutzgehalt ist vielmehr unter Berücksichtigung liberaler Prämissen zu bestimmen. Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG ist daher auch bei der Pflicht­ mitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen eröffnet. 11. Im Rahmen der Rechtsarbeit müssen Kontrollmechanismen etabliert werden, die einen Verselbständigungsprozess der dogmatischen Konkretisierungen ver­ hindern. Neben der regelmäßigen Reflexion der dogmatischen Konkretisierungen und einer Offenbarung des Einflusses theoretischer Prämissen auf sie ist deshalb auch eine Überprüfung der Widerspruchfreiheit des dogmatischen Satzes sowie ihre Kontextualisierung erforderlich.

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Sachwortverzeichnis Abwehrrechte  86 ff. Allgemeine Handlungsfreiheit  120 ff. Allgemeine Gesetze  286 Änderungs- und Wechselfreiheit  198 Art. 136 Abs. 3 und Abs. 4 WRV 38 ff., 59 ff. Art. 159 WRV  32 ff., 59 ff. Augsburger Religionsfrieden  45 f. Auswahlfreiheit  196 ff., 229 ff. – negativ  229 ff. – positiv  196 ff. Beendigungsfreiheit  205 ff., Beibehaltungsfreiheit  202 ff. Beratungen des Parlamentarischen Rates 62 ff. Betätigungsfreiheit 195 Darfrechte  134 ff. Drittwirkung  242 ff. Eingriff 276 Elternverantwortung  74 ff. Entlastungsfunktion  177 ff. Freiheit  93 ff. – grundrechtlich  102 ff. – philosophisch  99 ff. – strukturtheoretisch  96 ff. Gesetzesvorbehalte  280 ff. Grundpflichten  73 ff. – benannte  74 ff. – unbenannte  80 ff. Grundrechtsdogmatische Ausgestaltung 161 ff. Grundrechtstheoretische Einflüsse  148 ff. Grundrechtstheorie  145 ff. Grundrechtsverzicht  226 ff. Handlung  131 ff. Historie  42 ff.

Ius emigrandi  45 Ius reformandi  45 Konfrontationsschutz  235 ff. Liberale Grundrechtstheorie  144 ff. logisches Korrelat  86 ff. Menschenwürde  114 ff. Negationsverbot  181 ff. Negative Berufsfreiheit  222 ff. Negative Elternfreiheit  74 ff. Negative Erb- und Eigentumsfreiheit  224 Negative Freiheit  208 ff. Negative Gewissensfreiheit  118 ff. Negative Informationsfreiheit  272 Nichthaben 212 Öffentlich-rechtliche Zwangsmitgliedschaften  249 ff. Paulskirchenverfassung  55 ff. Positive Freiheit  194 ff. Praktische Konkordanz  297 Preußen  47, 50, 54 Rationalitätsfunktion  175 ff. Recht, in Ruhe gelassen zu werden  234 ff. Schranken  280 ff. Schutzbereichsbeschränkungen  217 f., 249 ff. Schutzgutbezogenheit  28 ff. Selbstbestimmung und -entfaltung  92 ff. Selbsttötung 139 Sonderstatusverhältnisse  240 ff. Sozialadäquanz 299 Speicherfunktion  171 ff. Stabilisierungsfunktion  171 ff. Status negativus  104 Status positivus  104

Sachwortverzeichnis Symmetriethese  269 ff. Systematisierungsfunktion  167 ff.

Verhalten  130 ff. Verselbstständigungsprozesse 300 Vetorechte  234 ff.

Tätigkeitsbezogenheit  25 ff. Toleranzgebot  180, 297 f. Tun  131 ff.

Weimarer Reichsverfassung  59 ff. Wortlaut  22 ff.

Unterlassen  208 ff.

Zustandsschutz 129

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