Der Griff nach dem Weltwissen: Zur Genealogie von Area Studies im 19. und 20. Jahrhundert [1 ed.] 9783666355967, 9783525355961


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German Pages [401] Year 2018

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Der Griff nach dem Weltwissen: Zur Genealogie von Area Studies im 19. und 20. Jahrhundert [1 ed.]
 9783666355967, 9783525355961

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Anne Kwaschik

Der Griff nach dem Weltwissen Zur Genealogie von Area Studies im 19. und 20. Jahrhundert

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)

Band 229

Anne Kwaschik

Der Griff nach dem Weltwissen Zur Genealogie von Area Studies im 19. und 20. Jahrhundert

Mit 6 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Dieses Buch wurde gefördert mit Mitteln des im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder eingerichteten Exzellenzclusters der Universität Konstanz »Kulturelle Grundlagen von Integration« sowie mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung gedruckt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: »The New Trojan Horse« from Bob Bastian Cartoon Collection, Holt-Atherton Special Collections, University of the Pacific Library, Stockton California. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0130 ISBN 978-3-666-35596-7

Inhalt 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Der Griff nach dem Weltwissen. Area Studies als Konzept . . . . 9 1.2 Die Verwissenschaftlichung des Kolonialen . . . . . . . . . . . . . 14 1.3 Phasen der Entwicklung und Struktur des Buchs . . . . . . . . . . 20 2. »La colonisation est une science qui ne s’improvise pas.« Die Verwissenschaftlichung des Kolonialen im imperialen Zeitalter . 29 2.1 Auf der Suche nach einer »Kolonistik«. Debatten und Institutionen in Westeuropa . . . . . . . . . . . . . . 31 2.1.1 Die koloniale Wende der 1880er und 1890er Jahre . . . . . . 31 2.1.2 Kolonisierung als Wissenschaft. Die Entstehung eines internationalen Kommunikationszusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . 38 2.1.3 Die Ausbildung der Beamten und Verwalter. Das Moment der Nationalisierung in Belgien und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.1.4 Prinzipien der Kolonisierung, Module der Ausbildung und der Mythos des englischen Modells . . . . . . . . . . . . 55 2.1.5 Von der Sprachausbildung zur »Nationenwissenschaft« in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.1.6 Die effiziente Neuausrichtung des Empire und die Gründung der School of Oriental Studies (1917) . . . . . 75 2.1.7 Der Körper des Kolonialverwalters. Anthropologische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.2 Undiszipliniertes Wissen. Die »soziale Seite der Kolonisierung« und die Kartierung der »sogenannten primitiven Gesellschaften« 93 2.2.1 Koloniale Ausbildung und Sozialwissenschaften . . . . . . . 93 2.2.2 Der Congrès international de sociologie coloniale zwischen Soziologie, Psychologie und Biologie (1900) . . . . 99 2.2.3 Ethnologische Ordnungskriterien und Organisationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2.2.4 Der Fragebogen, die Koordinierung von Beobachtung und die Entstehung von Expertenkulturen . . . . . . . . . . 116 2.3 Kolonialwissenschaftliche Konfigurationen . . . . . . . . . . . . . 123

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3. »Toward total world knowledge, toward cooperative research and the integration of knowledge«. Konstruktionsmechanismen in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3.1 Vom geisteswissenschaftlichen Internationalismus der Zwischenkriegszeit zum Kalten-Kriegs-Konzept . . . . . . . . 129 3.1.1 Erste Terrainmarkierungen zwischen ACLS und SSRC . . . 129 3.1.2 Der »cultural approach« im Kriegseinsatz . . . . . . . . . . . 137 3.1.3 Ethnogeographic Board und Office of Strategic Services als Clearingstellen für Konzepte und Netzwerke . . 146 3.1.4 Nachkriegsdebatten im Zeichen des Modernisierungsparadigmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.2 »The parade is on«. Förder- und Lenkungspraktiken in den 1950er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3.2.1 »Pooling of interests«. Die Pionierrolle der Rockefeller Foundation . . . . . . . . . 160 3.2.2 Die Ford Foundation und die zunehmende Nationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3.3 Der Sozialwissenschaftler als Kolonialverwalter. Die Kritik der 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3.4 Organisationsformen und Management . . . . . . . . . . . . . . . 192 3.4.1 »Projectitis« und die Effekte der Bundesförderung . . . . . 192 3.4.2 Teamarbeit und Forschungsplanung. Innenansichten und erste Erfahrungen . . . . . . . . . . . . 202 3.5 Wissenschaftliche Dekolonisierung und veränderte Fördermechanismen seit den 1970er Jahren . . . . . . 210 3.5.1 »One articulated world problem«. Ford und die Krise der 1970er Jahre . . . . . . . . . . . . . . 210 3.5.2 Von der Area zur Kontextsensitivität. Reformprojekte des SSRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3.6 Internationalisierungskonfigurationen . . . . . . . . . . . . . . . . 229 4. »The new attack«. Area Studies als transatlantisches Kooperationsprojekt in Frankreich und Großbritannien in den 1950er und 1960er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 4.1 Area Studies als Modernisierungsprogramm der Sozialwissenschaften in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4.1.1 Strategische Positionierungen im Paris der 1950er Jahre . . 235 4.1.2 Das Salzburg Seminar in American Studies als Modell . . . 244 4.1.3 Programmaufbau an der Sechsten Sektion. Erster Förderantrag 1955 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

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4.1.4 Konsolidierung und Profilbildung. Zweiter Förderantrag 1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 4.1.5 Projektmanagement der Area Studies und planification der Sozialwissenschaften . . . . . . . . . . . . 275 4.2 Area Studies als nationales Förderinstrument in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4.2.1 Sozialwissenschaftliche Matrix und Kolonialpolitik in den 1940er Jahren . . . . . . . . . . . . . . 282 4.2.2 »Unworthy of our country and people«. Die Scarbrough Commission (1947) . . . . . . . . . . . . . . 290 4.2.3 Programmaufbau am Royal Institute of International Affairs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 4.2.4 Area Studies als Projekt. Kommunikationsprobleme und Kritik . . . . . . . . . . . . 306 4.2.5 »Lessons from America«. Rockefeller Foundation und Hayter Committee (1961) . . . 313 4.2.6 Die Wirkung des NDEA und das Schwinden des entwicklungspolitischen Konsenses . . . . . . . . . . . . 323 4.3 Area Studies als »best practice« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 5. Area Studies als Produktivkraft von Wissensgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Veröffentlichte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394

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1. Einleitung

1.1 Der Griff nach dem Weltwissen. Area Studies als Konzept Im Oktober 2006 empfahl der deutsche Wissenschaftsrat eine verstärkte Förderung außereuropäischer Regionalstudien an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen in Form von interdisziplinären Center for Area ­Studies. »Nur, wenn die wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland auch in Zukunft ein breites Spektrum an Expertise in den Regionalstudien sicherstellen, wird es den Akteuren in der deutschen Politik und Wirtschaft auf Dauer möglich sein«, begründete der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Peter Strohschneider, »mit ihren Partnern in anderen Regionen der Welt erfolgreich zu kommunizieren«.1 Das Strategiepapier erklärte einen globalpolitischen Notstand. Eine »sich beschleunigende Globalisierung«, welche die Bundesrepublik »zunehmend in globale Handlungszusammenhänge« einbinde, mache die Institutionalisierung und Förderung der Area Studies notwendig.2 In einer universitären Umbruchsituation wurden interdisziplinär ausgerichtete afrikaund asienwissenschaftliche Studiengänge auf allen Ausbildungsstufen gefordert, die im Anschluss an Sprachausbildung und landeskundlichen Unterricht auch berufspraktische Bereiche umfassen sollten. Mit dem Fokus auf dem gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Nutzen der »international wettbewerbsfähigen Regionalforschung« war das Plädo­yer für eine konsequente Verankerung von Regionalstudien in Forschung und Lehre strategisch, das Argument utilitaristisch. Im Dialog von Wissenschaftlern und Wissenschaftspolitikern  – auch Studenten waren auf der Freiburger Tagung »Regional- und Kulturwissenschaften und neue Studiengänge« im Jahr 2005 involviert – gab das Papier gleichwohl einen von allen Beteiligten geteilten Eindruck wieder. Diese Regionalstudien sollten nicht in den herkömmlichen Institutionen und innerhalb der traditionellen Strukturen der Hochschullandschaft angesiedelt sein, sondern in interdisziplinären Zentren, die als Beitrag zu einer veränderten, »entsprechend angepassten wissenschaftlichen Infrastruktur in der universitären Lehre und Forschung« konzipiert wurden.3

1 Kling-Mathey; Empfehlungen des Wissenschaftsrats (Drs. 7381–06). 2 Freiburger Memorandum zur Zukunft der Regionalstudien in Deutschland. 3 Ebd.

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Globalisierung als wissenschaftspolitisches Argument hatte nicht nur eine strategisch-organisatorische Dimension, sondern auch eine methodische Pointe.4 Die Bilanz der theoretischen Überlegungen, die im Jahr 2005 im Rahmen der internationalen Tagung des Forschungsverbunds »Wege des Wissens. Transregionale Studien« zur »Zukunft der Area Studies in Deutschland« erfolgte, war zwar mit Blick auf das koloniale Erbe der Regionalstudien kritisch, zugleich aber von erkenntnistheoretischem Optimismus geprägt. Area Studies seien ohne Zweifel ein Kind der kolonialen Vergangenheit Europas, so wurde konstatiert. Aber die konfrontative Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit berge die Chance, Formen des »methodischen Nationalismus« zu überwinden. Gerade weil die Area Studies gezwungen sind, Kultur und Raum zusammenzudenken, so das Resümee der Berliner Tagung, könnten sie mit der Kritik an »geschlossenen Raumkonstruktionen« und der Frage nach Kategorien und Geltungsbereichen von Konzepten eine konsequente transregionale Perspektive entwickeln helfen.5 Blickt man zurück auf diese Tagungen und Strategiepapiere, erhalten Area Studies als eine Form außereuropäischer Regionalstudien eine bestimmte Kontur. Einerseits fungieren sie als staatliche Wissenschaftsressource im Zeitalter zunehmender globaler Verflechtungen. Andererseits wird ihnen, insbesondere vonseiten der Wissenschaftler, ein methodisches Innovationspotenzial zuge­ schrieben, das in der Überschreitung nationaler Perspektiven und einem disziplinübergreifenden Zugriff liegt. Ihre Organisationsform in interdisziplinären Centers for Area Studies ist Teil dieser Argumentation. Für die Bundesrepublik war die Einschreibung der transregionalen Betrachtungsweise in eine »soziale Wertschöpfungskette« in vielerlei Hinsicht eine Nachholdiskussion.6 Sie führte zur Gründung von Center for Area Studies an der Freien Universität Berlin (2006) und an der Universität Leipzig (2009), mit dem Forum Transregionale Studien am Wissenschaftskolleg in Berlin (2006) zu einer neuen Organisationsform sowie im Anschluss an die Empfehlung des Wissenschaftsrats zum Programm »Freiraum für die Geisteswissenschaften«, in dessen Rahmen ebenfalls regionalwissenschaftliche Forschung erfolgte.7 So aktuell und zeitgebunden die Diskussionen und Institutionalisierungsbemühungen um Wissen für eine globalisierte Welt nach der Jahrtausendwende scheinen mögen, sie haben eine Geschichte.8 Diese wurde für das 20. Jahrhundert als Geschichte spezifischer Area Studies wie Russian Studies oder Latin American Studies im Rahmen einer Wissenschaftskultur und unter Verweis auf Personen, Institutionen und Förderinstrumente erzählt. Oder sie wurde in einer vergleichenden Perspektive als eine Geschichte der universitären Beschäftigung 4 Cooper, Was nützt der Begriff der »Globalisierung«. 5 Braig u. Hentschke. 6 Nettelbeck, Wann, wenn nicht jetzt; für die deutschen Auslandswissenschaften vgl. Brahm u. Meissner. 7 Vgl. Empfehlungen des Wissenschaftsrats (Drs. 7381–06), S. 86 ff. 8 Vgl. programmtisch Lackner u. Werner; Middell, Self-Reflexive Area Studies.

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mit einer außereuropäischen Region geschrieben.9 Dass und wie diese Entwicklungen miteinander verbunden sind, gerät dabei nicht in den Blick. Problematisch an dieser Perspektive ist zudem, dass sie die Existenz von Area Studies voraussetzt, wenngleich diese weder in ihren Inhalten noch in ihrer Methodik jemals eindeutig definiert wurden. Sowohl die Befürworter als auch die Gegner der Area Studies konstatieren bis in die Gegenwart, dass diese sich nicht auf klar definierte Räume beziehen und methodisch heterodox sind.10 Pragmatisch hielt Ende der 1960er Jahre die »Encyclopedia of Social Sciences« fest: »The basic concept of area studies is that the people of a definable geographical sector, acting in their society and their environment, offer an appropriate unit for scholarly attention.«11 Einigkeit hingegen herrscht in Bezug auf ihr organisatorisches Innovationspotenzial. Immanuel Wallerstein und Jürgen Kocka haben mit Nachdruck betont, dass Area Studies als »vermutlich bemerkenswerteste akademische Innovation nach 1945« gelten, weil sie eine neue institutionelle Kategorie intellektueller und interdisziplinärer Gruppenarbeit darstellen und damit eine bewusste Aufweichung der bisherigen Wissenschaftstradition.12 Seit dem späten 18. Jahrhundert waren Disziplinen als sozio-kognitive Strukturen geschaffen worden,13 gegen die die Area Studies mit ihrer Programmatik der Interdisziplinarität antraten. Festhalten lässt sich in der Konsequenz dieser Überlegungen, dass Area Studies eine sehr spezifische Form von Regionalwissenschaften bezeichnen – und nicht jede wissenschaftliche Beschäftigung mit Asien und Afrika meinen.14 Sie beruhen auf einem globalen Konzept, sind interdisziplinär organisiert und institutionalisiert und zeichnen sich durch sozialwissenschaftliche Methoden und Erkenntnisinteressen in Frontstellung zu einer philologischen Tradition aus. In dieser Hinsicht schließen sie an die Oriental Studies des 18. Jahrhunderts an, die sich trotz ihrer vorwiegend philologischen Ausrichtung öffneten und in Sankt Petersburg bereits ab 1855 andere Ansätze integrierten.15 Wie kann eine Geschichte der Area Studies aussehen, die diesen Erörterungszusammenhängen Rechnung trägt? Geht man von der skizzierten Debatte und den vorliegenden Studien zu einzelnen Regionen, Disziplinen und Institutionen aus, müssen dabei zunächst wissenschaftsorganisatorische und wissenschaftspolitische Aspekte analysiert16 und in ihren Zusammenhängen mit der Ent9 Bahnbrechend Engerman, Know Your Enemy; vgl. für die neuere Forschung Popa, Area Studies in France, S. 125–150; Loschke, Area Studies; eher inventarisierend: Brahm, Wissenschaft und Dekolonisation. 10 Vgl. Wallerstein u. a., S. 43 f. 11 Wood, Area Studies, S. 401. 12 Wallerstein u. a., S. 43 f. Vgl. Empfehlungen des Wissenschaftsrats (Drs. 7381–06). 13 Vgl. zur Disziplin Foucault, Die Ordnung des Diskurses, S. 25; zur Interdisziplinarität Morin. 14 Vgl. exemplarisch Blanckaert, Le terrain des sciences humaines. 15 Marung u. Naumann. 16 Vgl. insgesamt Szanton, The Politics of Knowledge.

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wicklung sozialwissenschaftlicher Ansätze und Institutionen dargestellt werden.17 Aber dies muss auch in einer Perspektive geschehen, die Fragen nach dem Wissens­transfer ermöglicht,18 wie schon die Bezeichnung »Area Studies« nahelegt. Im Ausgang von der Beobachtung, dass die Geschichte der Area Studies mehr ist als die Geschichte von Institutionen, Professuren und Disziplinen, soll hier die Geschichte eines Konzepts und seiner Verwissenschaftlichung geschrieben werden. Diese Geschichte der Area Studies ist nicht leicht auf den Begriff und in ein Narrativ zu bringen. Denn die Geschichte eines Konzepts kann keine abgeschlossene Geschichte sein. Vielmehr hat sie auf Entwicklungsschübe zu verweisen und in der Rekonstruktion von Konstellationen und Kristallisationsmomenten interne und externe Sichtweisen auf Wissenschaft zusammenzuführen. Sie ist, wenn sie ihrem Anspruch genügt, auf andere Kontexte übertragbar und kann aufgrund des ungesicherten Status der Area Studies um weitere Situationen ergänzt werden. Diese Offenheit erlaubt es, die Geschichte des Konzepts als eine Geschichte der Konstruktion von Wissensfeldern und der Aushandlung um ihre Wissenschaftlichkeit zu schreiben.19 So werden Area Studies hier verstanden als ein »Ordnungssystem von Wissen«, das aufgrund seiner Fluidität ein privilegiertes Untersuchungsobjekt für die Analyse der gesellschaftlichen Produktion und Zirkulation von Wissen darstellt.20 In dieser wissenschaftssoziologisch erweiterten Gesamtperspektive zeichnet sich die Geschichte der Area Studies ab als eine Geschichte des science in the making,21 in der das Konzept als politisches Instrument und rhetorisches Werkzeug, gleichermaßen aber auch als ein Denkmuster und eine organisatorisch-institutionelle Struktur aufgefasst wird. In dieser Geschichte des Konzepts liegen die entscheidenden Entwicklungsschübe im Kolonialismus und im Kalten Krieg. Dies ist einerseits naheliegend. Vielfach wurde auf die Bedeutung der US-amerikanischen Ausbildungsprogramme für die Begriffsprägung verwiesen. Militär und Regierung hatten entweder in Form der an 55 Institutionen angegliederten Foreign Area and Language Curricula of the Army Specialized Training Programs (ASTP-FALC) oder an den sogenannten Civil Affairs Training Schools (CATS) Offiziere und andere Armeeangehörige im Schulterschluss von Wissenschaft, Politik und Geheimdiensten mit praxisrelevanten Fernkompetenzen ausgebildet.22 Spätestens seit dem National Defense Education Act (NDEA) von 1958 gelten Area Studies als Inbegriff der Kalten-Kriegs-Wissenschaft. Nachdem sie in den 1970er Jahren 17 Vgl. exemplarisch Steinmetz, Sociology and Empire; Kuklick, A New History of Anthropology; Mills, Difficult Folk? 18 Vgl. Ash, Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit; Mayntz u. a. 19 Pestre. 20 Sarasin, Was ist Wissensgeschichte?; Pickering. 21 Weingart, Wissenschaftssoziologie; Camic u. a. 22 Vgl. exemplarisch Schäbler; Wallerstein, Consequences of Cold War Area Studies.

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als »Erbin des Kolonialismus« kritisiert wurden,23 ist auch die Verbindung zum 19. Jahrhundert zum Standardargument geworden. Andererseits sind beide Momente noch nicht in ein Narrativ gebracht worden und auch die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Nicht nur lassen sich direkte Kontinuitätslinien über 100 Jahre hinweg schwer nachzeichnen, auch im Detail kann die Identität von Konzepten nicht verglichen werden. Die Wissenschaftstraditionen und -systeme, in denen Area Studies funktionierten, unterscheiden sich; und mit den Kontexten ändern sich Namen und Referenzsysteme. Aber diese Kontexte verbindet die mit der Perspektive des science in the making anvisierte gemeinsame Matrix des Griffs nach dem Weltwissen. Die Argumentation geht davon aus, dass die Konturen des Konzepts und erste Formen der Institutionalisierung im Rahmen struktureller Veränderungen des »Ressourcenensembles von Wissenschaft und Politik«24 seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden und sich in Form der Kolonialwissenschaften zu einem wissenschaftlichen und nationalen Projekt gleichermaßen entwickelten. Dabei basierte der Einschreibungsprozess dieses Wissens in die »soziale Wertschöpfungskette«25 in Kontinentaleuropa auf gemeinsamen Formen von Staatlichkeit, die sich mit der Institutionalisierung der Sozialwissenschaften Ende des 19. Jahrhunderts ausprägten, wohingegen die anglo-amerikanischen Entwicklungen anderen Orientierungen folgten.26 Der Griff nach dem Weltwissen wird als ein globalpolitischer Erörterungszusammenhang in gesellschaftlichen Umbruchsituationen analysiert. Die Historisierung folgt der für die Entwicklung von »Modernisierungskonfiguratio­nen« in der »Verwissenschaftlichung des Sozialen« vorgeschlagenen Periodisierung mit einem Fokus auf dem »imperialen Zeitalter« und der Zeit des Kalten Kriegs.27 Beide Modernisierungskonfigurationen zeichnen sich dadurch aus, dass Wissen auf dem Weg zur Wissensgesellschaft einen neuen Status erhält28 und der Staat als Akteur in der Wissenschaftsförderung sowie -organisation auftritt und Planungsfunktionen übernimmt.29 Dies gilt für das Zeitalter der europäischen Kolonialreiche Ende des 19. Jahrhunderts30 ebenso wie für die Nachkriegsgesellschaften Westeuropas.31 In all diesen Kontexten war das Konzept der Area Stu23 Vgl. Kapitel 3.3. 24 Ash, Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit; Ash, Wissens- und Wissenschaftstransfer. 25 Nettelbeck, Wann, wenn nicht jetzt; für die deutschen Auslandswissenschaften vgl. Brahm u. Meissner. 26 Wagner, Sozialwissenschaften und Staat, S. 36 ff. 27 Raphael, Embedding the Human and Social Sciences; ders., Die Verwissenschaftlichung des Sozialen. 28 Weingart, Vom Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, insbes. S. 17; vgl. Touraine. 29 Vgl. Geschichte und Gesellschaft 34 (2008) 3; Laak, Planung. 30 Osterhammel, Die Verwandlung, S. 866–906; Laak, Imperiale Infrastruktur; im Zusammenhang mit der Wissenschaftsförderung, Vogel. 31 Für Frankreich vgl. Nord; für Großbritannien zum Ausbau des kolonialen Interventionsstaats vgl. Butler, The British Colonial Model; für die Zeitgeschichte O’Hara.

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dies Bestandteil größerer politischer Projekte zur Schaffung sozialer Interventionsstaaten und der Entstehung von Wissensgesellschaften, wie sie sich im Übergang von den 1960er zu den 1970er Jahren auch terminologisch formierten.32 Ihre Policy-Orientierung ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass es sich um Legitimierungsdiskurse über die Gesellschaft handelt.33 Mit dieser Fragerichtung setzt die Argumentation dort an, wo die Begriffe und Konzepte geprägt und verhandelt wurden: in den westlichen Metropolen des 19. Jahrhunderts. Die Ideologiekritik an dieser kolonialen Prägung ist Bestandteil der Analyse. Die Darstellung von Rezeptionsprozessen in den Kolonien hingegen oder die Frage nach dem indigenen Wissen als einem Korrekturmodus würde einen anderen Zuschnitt verlangen als eine Geschichte des Area-Studies-Konzepts.34

1.2 Die Verwissenschaftlichung des Kolonialen Der Griff nach dem Weltwissen bezeichnet in den Metropolen eine Situation globalpolitischer Mobilisierung und ihrer diskursiven Verwissenschaftlichung, in der die Produktion von Regionalwissen als politischer Wille durch rationale Sachzwänge legitimiert wird. Dieser Erörterungszusammenhang verläuft im 19. und 20. Jahrhundert parallel, wie der vergleichende Blick nach Deutschland und in die USA zeigt. Im Deutschen Reichstag wurde am 7. Dezember 1886 die Bedeutung des Regionalwissens als einer »gesellschaftlichen Produktivkraft« zum Argument für die Errichtung eines Seminars für Orientalische Sprachen.35 Im Ausgang von seinen Erfahrungen in Algerien bestand der elsässische Abgeordnete Charles Grad auf dem Zusammenhang von Sprachwissen und Bevölkerungswachstum, Industrialisierung und der Zunahme der überseeischen Handelsverflechtungen: »Meine Herren, seit einem halben Jahrhundert hat sich die Bevölkerung Deutschlands um die Hälfte vermehrt. Vor fünfzig Jahren war das Land ein besonders landwirthschaftliches. Seither aber ist die wirthschaftliche Lage hier ganz verändert. Anstatt Getreide auszuführen, haben wir einen bedeutenden Import an Nahrungsmitteln, sind hingegen auf den wachsenden Export von industriellen Produkten angewiesen. Wenn wir der stark wachsenden Bevölkerung dienen wollen, so muss für die Industrie genügend Absatz im Auslande gefunden werden. […] Ich meine, daß die Einrichtung

32 Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft. 33 Hier folge ich dem erweiterten Diskurs-Begriff von Wagner in seiner Analyse der Sozialwissenschaften als legitimierte Diskurse über Gesellschaft, vgl. Wagner, Sozialwissenschaften und Staat, insbes. S. 31. Für eine historiographische Studie im Längsschnitt vgl. Nolte. 34 Fischer-Tiné. 35 Touraine, S. 16.

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des Seminars für orientalische Sprachen in Hinsicht auf die Volkswirthschaft gerade dieselbe Bedeutung hat wie die Dampfersubvention.«36

Das Argument vom volkswirtschaftlichen Nutzen entfaltete im 19. ebenso wie im 20. (und noch im 21. Jahrhundert) seine Bedeutung gemeinsam mit einer beschleunigten Kommunikation und zunehmender globaler Verflechtungen. Moderne Verkehrsmittel, Eisenbahnen und Dampfschifffahrt sowie das Entstehen der Kreditwirtschaft waren für die Wahrnehmung entscheidend, dass die Ära der »kolonialen Aufteilung« »ein Tempo« angenommen hatte, »das so in früheren Jahrhunderten nicht möglich gewesen wäre. Eine noch lebhaftere Beschleunigung führte dann der Wettbewerb neuer Konkurrenten, insbesondere Deutschlands herbei.«37 Der Zusammenhang von Beschleunigung und Globalisierung prägte auch die wissenschaftspolitische Argumentation in den USA der 1940er Jahre in der Nachfolge von Vannevar Bush, ebenfalls unter Verweis auf ein rasantes Bevölkerungswachstum.38 Das Konzept fungierte als Instrument beim Aufbau globaler Handels- und Kommunikationsverbindungen. Es unterfütterte eine Friedenssemantik, die den US-amerikanischen Führungsanspruch begründete, und bedeutete eine strategische Ressource im Kampf um Rohstoffe, Öl und Energie. Der entscheidende Unterschied zwischen der Situation im 19. und im 20. Jahrhundert liegt mit Blick auf die Genealogie im sozialwissenschaftlichen Zuschnitt des US-amerikanischen Konzepts, der an die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts anschließt. Der Griff nach dem Weltwissen hatte nach 1880 mit der Institutionalisierung der Kolonialwissenschaften eine Katalysatorfunktion für die Herausbildung einer sozialwissenschaftlichen Matrix. Die Definition ihrer Inhalte zwischen Recht, Ethnologie, Nationalökonomie, Botanik, Buchhaltung und Hygienekursen war schwankend und differierte zwischen den Ländern und Institutionen. Die disziplinären Felder, die in Reaktion auf den epistemischen Sog, den die Kolonien auf die Metropolen ausübten, entstanden, waren Übergangsphänomene. Aber als eine quer zu den Disziplinen liegende Beschäftigung mit den Kolonien erwiesen sich die sciences coloniales in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht als äußerst produktiv.39 Sie produzierten mit ihrem Zugriff auf das Wissen aus und über die Kolonien die ethnogeographischen Denkmuster und sozialtechnischen Perspektiven, die für die Area Studies leitend und in den ideologiekritischen Debatten der 1970er Jahre als »Erbe des Kolonialismus« hinterfragt wurden. Wenn also das Committee on World Regions des Social Science Research Council (SSRC) in den USA seinem ersten Bericht zu den »Weltregionen« von 36 Redebeitrag Charles Grad am 7.12.1886, in: RT, Bd. 94, S. 143 f. Vgl. für eine Analyse Kap. 1.1.5. 37 Zache. 38 Von 1900 bis 1940 stieg die Bevölkerung in den USA von 75 Millionen auf 130 Millionen an, vgl. Bush, Science. Zur Entwicklung Geiger. 39 Singaravélou, Sciences coloniales, S. 104; ders., Professer l’Empire; Poncelet.

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1943 den programmatischen Titel »World Regions and Social Sciences« gibt, knüpft dieser direkt an die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts an. Das Koordinatensystem, in dem die Area Studies in den 1940er Jahren zu einer nationalen Ressource erklärt werden, ist den Debatten um das Kolonialwissen vergleichbar: »The present war has focused attention as never before upon the entire world. Interest in foreign regions has been intensified and sharp attention drawn to areas over which we have felt little or no concern. The immediate need for social scientists who know the different regions of the world stands second only to the demand for military and naval officers familiar with the actual and potentials combat zones. Since few overseas areas have hitherto attracted research, we lack the regional knowledge now required; and traditional curricula and methods of instruction have left inert much of such information as we possess […] No matter what shape international organization may assume, the United States will enjoy unexampled opportunities and face heavy responsibilities. In order that we may fulfill our postwar role as a member of the United Nations our citizens must know other lands and appreciate their people, cultures and institutions.«40

Beide Produktionsbedingungen für Regionalwissen weisen eine charakteristische Struktur auf. Ihre hegemoniale Asymmetrie wurde mit der Formel von der »kolonialen Situation« analysiert, die sich von den Kolonialwissenschaften im 19. Jahrhundert auf die Area Studies im 20. Jahrhundert übertragen lässt.41 Wissen, so ist erkennbar, war einerseits konstitutiv für die Machtbeziehung zwischen Metropole und Kolonie und andererseits davon geprägt. Es ermöglichte »die Ausbeutung von Ressourcen, Handel, Eroberung und Kolonisierung« und war gleichzeitig ihr Ergebnis.42 Mit der klassisch gewordenen Formulierung von Nicholas Dirks im Vorwort zu »Colonialism and its Forms of Knowledge« lässt sich die grundsätzliche Wechselbeziehung von Wissen und Kolonialismus am Beispiel Indiens resümieren: »Colonial knowledge both enabled conquest and was produced by it; in certain important ways, knowledge was what colonialism was all about. Cultural forms in societies newly classified as ›traditional‹ were reconstructed and transformed by and through this knowledge, which created new categories and oppositions between colonizers and colonized, European and Asian, modern and traditional, West and East.«43

Parallel dazu hat Fred Cooper für den Kalten Krieg beobachtet, dass Imperialismus nach 1945 ein »Imperialismus des Wissens« war.44 Area Studies waren 40 SSRC, Committee on World Regions, World Regions in the Social Sciences. Report of a Committee of the SSRC, New York 1943, S. 1–2. 41 Nach Balandier. Vgl. zur Historisierung Gosselin. 42 Ballantyne, S. 178; für eine weiterführende praxeologische Perspektive, Roque u. Wagner, S. 1–34. 43 Dirks, S. ix. 44 Cooper, Modernizing Bureaucrats, S. 64. (mit Bezug auf die Entwicklungsprojekte der 1940er Jahre: »Postwar imperialism was the imperialism of knowledge«).

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als cold war social science ausschlaggebend nicht nur für die Konstruktion der Dritten Welt, sondern auch als Lieferantin von Wissen zur Eindämmung des Kommunismus oder der Beeinflussung von Nationalbewegungen. In Reaktion auf diese Entwicklung erklärte Noam Chomsky mit Blick auf das VietnamSymposium in Harvard 1967 den Sozialwissenschaftler des 20. Jahrhunderts zum Nachfolger des Kolonialverwalters des 19. Jahrhunderts. Das entscheidende Schlagwort war die »behavioristische Einstellung«: Beide produzierten governance-Wissen über fremde Kulturen.45 Diese Zuordnungen sind so eindeutig, dass es wenig relevant erscheint, ob man zwischen einer »an konkrete koloniale Situationen geknüpfte[n] Wissensproduktion« und Kolonialismus als einer Art Strukturbedingung der Wissensproduktion unterscheidet.46 Beide Dimensionen sind am Untersuchungsobjekt selbst kaum voneinander zu trennen: Konkret sollte in den bezeichneten Situationen Wissen für eine bessere Kolonisierung produziert werden. Strukturell funktionierten die außereuropäischen Gebiete auch in wissensgeschichtlicher Hinsicht lediglich als Rohstofflieferanten: Die hier gesammelten Daten zu Land und Bevölkerung wurden in den Institutionen der Metropole verarbeitet und genutzt.47 Sie waren die Grundlage sozialtechnischer Maßnahmen oder bildeten als das Andere Theorien und Disziplinen.48 Aber damit ist über dieses Wissen noch nicht alles gesagt. Der Aufschwung der Wissensgeschichte hat in den letzten Jahren das Wissen zu einem der zentralen Paradigmen auch der Geschichte des Imperialismus gemacht und dabei vielfältige Differenzierungen ermöglicht.49 Die Einsicht in die Tatsache, dass koloniale Herrschaftsverhältnisse seit ihren Anfängen Expansionen sowie Organisations- und Ordnungsvorgänge im Bereich des Wissens bedeuteten,50 bewirkte insbesondere in der angloamerikanischen und französischen Historiographie eine Konjunktur der Wissensgeschichte des Kolonialismus. Ihre Ergebnisse sind kaum noch zu überblicken, aber in der Konsequenz der Forschungen lässt sich festhalten, dass sich die Vorstellungen von der Verbreitung des Wissens und seiner Konstruktion gewandelt haben. An die Stelle der Annahme linearer Entwicklungen und des Diffusionsmodells traten Zirkulationsbewegungen in Netzwerken und Verflechtungen.51 Gefragt wurde in grundlegender Hinsicht sowohl nach der Definition von »Wissen« als auch danach, was zu welchem historischen Zeitpunkt als »kolonial« gelten kann.52 Das Machtproblem wurde in 45 Chomsky, Objectivity, S. 34 f. Chomsky verweist vor allem auf das einleitende Statement von Huntington, vgl. Chomsky, The Backroom Boys, S. 19. 46 Vogel, S. 263 f. 47 Hountondji. 48 Vgl. zum Problem des Beobachters Said, Representing. Zum othering, Spivak. 49 Vgl. Schiebinger; Ballantyne. 50 Zur Konzeptualisierung kolonialer Machtbildung, von Trotha, Koloniale Herrschaft; insbes. zum Konzept der Herrschaftsutopie, ders., Was war Kolonialismus?, S. 60 f. 51 Fischer-Tiné. 52 Renn; Cooper, Kolonialismus.

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analytische Kategorien überführt, nicht zuletzt dadurch, dass die strukturelle Dichotomie von Zentrum und Peripherie durch die Frage nach der »Lokalität von Wissen« dynamischer gefasst wurde.53 Ähnliche konstruktivistische Tendenzen sind auch für die Historiographie des Kalten Kriegs zu konstatieren und haben diese inzwischen zu einem wichtigen Experimentierfeld der Zeitgeschichtsschreibung werden lassen.54 Auch hier wurden mit der Dynamisierung der Perspektiven sowie der Lösung aus der OstWest-Dialektik eindimensionale und hegemoniale Interpretationen mit einem Fragezeichen versehen.55 Die Einsicht, dass der Kalte Krieg nicht als generelles Vorzeichen der Nachkriegsgeschichte verstanden werden kann, hat die Wissens- und Wissenschaftsgeschichte aus dem Korsett statischer Konzepte befreit. An ihre Stelle sind die Problematisierung des Konstrukts einer »Kalten-KriegsWissenschaft«,56 die Frage nach der Bedeutung des military-industrial complex57 und blocküberschreitende sowie internationale Perspektiven getreten.58 Die Positionen changieren zwischen der Betonung der Handlungsoptionen der Akteure und der Wirkmächtigkeit der militärisch-politischen Struktur. Letzten Endes aber kann nach zwanzig Jahren historiographischer Debatte auch für die Geschichte der Sozialwissenschaften festgehalten werden, dass es keinen Kalten-­Kriegs-Modus und keinen Kalten-Kriegs-Status für einzelne Wissenschaftszweige und Theorien gibt, der nicht definiert werden müsste.59 Wie Anders Stephanson luzide resümierte war nicht alles, was während der Zeit des Kalten Kriegs geschah, ein Phänomen des Kalten Kriegs, dieser vielmehr »not the backdrop but the stage itself«.60 Die Frage nach der Macht bzw. nach hegemonialen Einflüssen erweist sich in der Mikroanalyse nicht immer als produktive Kategorie. Die »koloniale Situation« verbindet in Bezug auf die Wissensproduktion sehr heterogene Phänomene und ist nicht nur als eine »two-dimensional landscape over-saturated with power and discourse« zu interpretieren.61 Versteht man Macht in der Nachfolge Foucaults und gemeinsam mit Philipp Sarasin als »Relationen, in die Menschen, Diskurse, Artefakte und Institutionen verflochten sind«, gilt vielmehr in der Geschichte von Wissen und Wissenschaft die folgende Paradoxie: »Macht als Relation [ist] genauso unumgänglich und damit nicht wirklich ›kritisierbar‹ […], wie man die Ballung von Macht in Institutionen oder die verschleierte Macht

53 Wade Chambers u. Gillespie. 54 Greiner. 55 Vgl. für den Befund Oldenburg, S. 725; Westad; Mirowski. 56 Isis, Bd. 101, 2010, S. 362–411; Isaac. 57 Rohde, insbes. S. 37 ff.; Solovey, Shaky Foundations; Krige u. Rausch. 58 Vgl. History of the Human Sciences, Bd. 29 (1), 2016 (= Social and Human Sciences across the Iron Curtain); Defrance u. Kwaschik. 59 Gilman, The Cold War; Solovey u. Cravens. 60 Stephanson, S. 22. 61 Roque u. Wagner.

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hinter scheinbaren Wahrheiten dennoch kritisieren und genealogisch dekonstruieren kann, ja muss, wenn man nicht zu ihrem Sänger werden will.«62 Die Lösung liegt mit Blick auf die Metropole darin, diese Relationen sichtbar und zum Bestandteil der Analyse zu machen. Dabei zeigt die Geschichte der Area Studies, dass sowohl eine linear-funktionalistisch als auch eine rein sozialkonstruktivistisch gedachte Beziehung zwischen Politik und Wissenschaft den historischen Situationen nicht gerecht wird. Benoît de l’Estoile hat mit der Trennung von Legitimierungs- und Instrumentalisierungsfunktionen des Wissens über indigene Völker versucht, im Ausgang von Max Weber die historische Sicht auf die Rationalisierung von kolonialer Herrschaft zu differenzieren.63 Seiner Beschreibung dieser Produktionsbedingungen, die administrative und wissenschaftliche Interessen in der Entstehung der Anthropologie zusammenführt, ist unbedingt zuzustimmen. Nur, dass diese historische Konfiguration »einzigartig« ist, darf bezweifelt werden. Mit Blick auf die Entwicklung nach 1945 lässt sich die Beobachtung vielmehr in die These von einem zweiten imperialen Entwicklungsschub der Wissensfelder im Kalten Krieg übersetzen. Die Annahme von einem gegenseitigen Bedingungs- und Ermöglichungsverhältnis gibt die komplexen Wechselbeziehungen angemessener wieder, darf aber die Grenze zwischen Politik und Wissenschaft nicht auflösen. Denn sowohl die Frage nach den Produktionsbedingungen des Wissens über die Fernregionen als auch nach der Grenze zwischen Politik und Wissenschaft sind konstitutiv für die Entstehung und Entwicklung des Konzepts. Sie zielen auf eine Geschichte der Area Studies als einer Gesellschafts- und Kulturgeschichte, die »Wissenschaft« als Analysekategorie versteht, nach ihren intellektuellen und institutionellen Praktiken fragt und ihren normativen Gehalt als Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse und politischer Maßnahmen nachzeichnet.64 Mit der Historisierung von Wissenschaft sind nicht nur verstärkt Fragen nach der Vergesellschaftung von Wissen, seiner Institutionalisierung und organisierten Produktion verbunden, sondern auch nach der Verbindlichkeit, Legitimität und Objektivität des Wissens. Die Geschichte der Area Studies als eines Konzepts kann zeigen, wie imperiales Wissen zu Wissenschaft wird: wie es verhandelt wird, wie Kategorien etabliert und legitimiert werden. Selbst wenn es sich dabei nie um eine eindeutig festgelegte Disziplin handelt, erscheinen Area Studies als eine sozio-kognitive Struktur, die einen legitimativen Diskurs entwickelt, der zwischen Sozialwissenschaften und Anwendungsorientierungen um Anerkennung ringt.65 62 Sarasin, Was ist Wissensgeschichte?, S. 14. 63 L’Estoile. 64 Pestre; vgl. Rainer Forst, Klaus Günther, Die Herausbildung normativer Ordnungen. Zur Idee eines interdisziplinären Forschungsprogramms, Normative Orders Working Paper 01/ 2010. URL: http://www.normativeorders.net/de/ [20.3.2018]. 65 Mit Bezug auf die Sozialwissenschaften, Wagner, Sozialwissenschaften und Staat, S. 34; für die Anwendungsorientierung von Wissen im Modus 2 generell vgl. Gibbons u. a.

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In diesem Zusammenhang wird auch der kritisierte Begriff der »Kolonialwissenschaften« für die seit den 1880er Jahren in Europa entstehenden Wissenschaftszweige benutzt. Die ideologiekritische These, dass die Verwendung des Wissenschaftsbegriffs in Bezug auf die Kolonialwissenschaften diese unberechtigterweise in den Rang einer »Wissenschaft« erhebt und damit die kolonialen Kontexte vernachlässigt, ist berechtigt.66 Aber der Begriff der »Kolonialwissenschaft« ist als Quellenbegriff für das 19. Jahrhundert auch nicht entbehrlich, weil sich darin ihr Legitimationsanspruch ausdrückt. Die Verwendung des Wissenschafts-Begriffs ist nicht nur eine Chimäre oder, wie in der Verlängerung sozialimperialistischer Thesen angenommen wurde, ein Hilfsmittel und Propagandainstrument, damit die Staaten Westeuropas nach den Expansionen in China (1897/1899), dem Ende der Umverteilungskämpfe in der Südsee (um 1900) und dem subsaharischen Afrika (1898/1899) die ökonomische Rationalisierung ihrer kolonialen Ressourcen vorantreiben konnten. Mit ihm verbindet sich die Wahrnehmung der Zeitgenossen von einem neuen »gesellschaftspolitischen Ordnungsrahmen für den europäischen Kolonialismus« an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und der Rolle, die die Wissenschaft dabei spielen sollte.67

1.3 Phasen der Entwicklung und Struktur des Buchs Das erste Kapitel des Hauptteils setzt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein und analysiert die Verwissenschaftlichung des Kolonialen als Entstehungskonstellation des Area-Studies-Konzepts. Die Darstellung geht mit dieser These davon aus, dass »Wissenschaftlichkeit« ein zentraler und zwischen den Kolo­nial­ mächten verhandelter Code der intellektuellen Aneignung des Kolonialismus in den Metropolen war. Auf der Suche nach einer »Kolonistik«68 – einer kontinentaleuropäischen Wissenschaft des Kolonisierens – entstanden nationale und internationale Institutionen, die als »centres of calculation« Ressourcen mobilisierten, Zirkulationsprozesse und Netzwerke institutionalisierten, vor allem aber »knowledge claims« formulierten.69 Die sozioökonomischen Entwicklungen (Expansion im Bildungsbereich, Abschaffung des Sklavenhandels, Etablierung des Freihandels und zunehmende Ansiedlung von Europäern in den Kolonien) bildeten die Voraussetzungen dafür, dass das Kolonisieren nun in den Metropolen in Form einer »systematischen und wissenschaftlichen Ausbeutung« erfolgen sollte.70 66 Lepetit u. a. Vgl. den Begriff der »science impériale« bei Sibeud, Une science impériale. 67 Grosse, S. 26. 68 Lannoy. 69 Latour. 70 [O. A.], Le recrutement des fonctionnaires coloniaux en Angleterre, en Hollande et en France, in: Bulletin de la Société [belge] d’études coloniales, Jg. 8 (11), 1901, S. 746–774, hier: S. 746.

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Als Grundlage einer europäischen Kolonisierungssprache steuerte dieser Code die Aushandlung gemeinsamer Wissensvorräte über effiziente Formen der Kolonisierung und sorgte für das Entstehen gemeinsamer Kolonisierungssemantiken, wie am Beispiel der Schaffung kolonialer Ausbildungsoptionen gezeigt wird. In der Frage nach der Ausbildung für Kolonialbeamte laufen die Dimensionen der Debatte zusammen und lassen sich als Elemente der Verstaatlichung des Kolonialismus darstellen. Der zentralisierte Zugriff auf das Wissen aus fernen Regionen führte zu Diskussionen um die Beeinflussung und Steuerung seiner Produktionsbedingungen. Motor der Debatten und Institutionalisierungsschübe waren die europäischen Netzwerke der Kolonialaktivisten um das Institut colonial international (Brüssel, 1894), die Kolonialgesellschaften und ihre Publikationsorgane sowie die internationalen Kongresse (Congrès colonial international, 1889; Congrès international de sociologie coloniale, 1900; Congrès international d’expansion économique, 1905). Dabei changierten die in dieser colonial community vorgeschlagenen und vorangetriebenen Ausbildungsoptionen zwischen den Prinzipien des Kolonisierens, der Assoziierung und der Assimilation. Mit diesem Zuschnitt vertritt das Buch am Beispiel der kolonialen Ausbildungsgänge die These von einer konstanten Aufeinanderbezogenheit der Argumente und dem internationalen Charakter der Kolonial-Debatten. Im Unterschied zu nationalen Perspektiven und den daraus resultierenden Überlegungen von einem »analogen« Charakter der Entwicklungen71 geht es von der Relevanz von Zusammenarbeit zwischen insbesondere Belgien, Frankreich und Deutschland aus, die unter Einbezug anderer Kolonialmächte einen Kommunikationsraum schufen. Mag eine Zusammenarbeit zwischen Belgien und Frankreich naheliegen, scheint hingegen das Einbeziehen Deutschlands trotz der Perspektivänderungen der letzten Jahre immer noch erklärungsbedürftig.72 Die internationalen Einbindungen seit den 1870er Jahren hatten aufgrund der Zäsur des Jahres 1907 für die Verwissenschaftlichung der deutschen Kolonialpolitik in der Historiographie kaum Gewicht. Und selbst aktuelle Studien, die den Schwerpunkt auf die Kooperation der europäischen Kolonialmächte setzen, schreiben in ihren Argumenten – wie in der klassischen Konstruktion einer deutsch-englischen Bezogenheit unter Ausblendung des europäischen Gesamtgeflechts – Sonderwegsgeschichte.73 Das Entstehen von Wissenschaftszweigen, die als »Kolonialwissenschaften« bezeichnet wurden, fand verstärkt erst seit den 2000er Jahren Eingang in die Forschung zum deutschen Kolonialismus.74 Gleichwohl haben auch diese Detail­ Vgl. für die Debatte Congrès colonial international; für ihre Institutionalisierung, Institut colonial international, 1894. 71 Ruppenthal, S. 59 f. 72 Lindner, Koloniale Begegnungen; Wagner, Kolonialverbände in Deutschland, Frankreich, Spanien und Belgien. 73 Barth u. Cvetkovski, S. 12. 74 Vgl. zuletzt Horstmann; Zimmerman, Ruling Africa; Schaper, S. 228 ff.

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studien und Inventare aufgrund ihres Zuschnitts nichts daran geändert, dass die Diskussionen im Kaiserreich als »Plagiat der international geführten kolo­ nialpolitischen Debatte« gelten.75 Aber nicht nur Friedrich Fabri hatte bereits mit seiner berühmten und vor allem wirtschaftspolitisch ausgerichteten Schrift von 1879 an einer internationalen Debatte teilgenommen,76 auch die Mitglieder der Deutschen Kolonialgesellschaft gehörten selbstverständlich zur europäischen colonial community. Entdecker engagierten sich auf den internationalen Kongressen ebenso wie Kolonialbeamte seit der Gründung des Institut colonial international in Brüssel im Jahr 1894 wichtige Vorstandsämter bekleideten: 1894/1895 fungierte Prinz von Hohenlohe-Langenburg als Vizepräsident, 1895/1896 Prinz Johann-Albrecht von Mecklenburg als Präsident des Institut colonial international.77 Die kolonialwissenschaftlichen Debatten können nur in einer transnationalen Perspektive analysiert werden. Die mit dem Zugriff des Staats verbundene Zentralisierung der Ausbildung stellt eine gemeinsame Entwicklung dar, in deren Konsequenz allerdings zwei »Module« der Ausbildung entstehen.78 Während die alten Kolonialreiche die Kolonialausbildung über offene Kolonialexamina steuerten, gründeten die neuen Kolonialreiche nationale Schulen bzw. Einrichtungen in der Metropole (1887 Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-­Wilhelms-Universität in Berlin; 1908 Hamburgisches Kolonialinstitut; 1889 École coloniale in Paris; 1920 École coloniale supérieure in Antwerpen).79 Die englische Referenz mit ihrer mythischen Aufladung eines Kolonial­ examens und Praktikums in der Kolonie strukturierte die kontinentaleuro­ päische Debatte. Aber im positiven Bezug auf das Modell entstand in der Selbstverständigung der industriekapitalistischen Gesellschaften ein alternatives »Modul« der Ausbildung, das mit der Gründung der School of Oriental Studies 1917 auch in London Einzug hielt. Unterschiedliche Bildungstraditionen, nationale Organisationsformen und Zuständigkeiten sorgten für unterschiedliche Institutsprofile und Ausbildungsschwerpunkte in den einzelnen Ländern, welche die nationalen Entwicklungen bis ins 20. Jahrhundert prägten. In diesen beiden Kolonisierungs-Modulen liegen die Unterschiede der Entwicklungen der Area Studies nach 1945 begründet, die am Beispiel Großbritanniens und Frankreichs im vierten Kapitel analysiert werden. Die Frage nach einer effizienten Kolonisierung führte in allen Kolonialreichen zu methodischen Diskussionen über den Zugriff auf eine Kultur als einer 75 Grosse, S. 122. 76 Fabri, Bedarf Deutschland der Colonien. Zwei Jahre zuvor hatte die »Kölnische Zeitung« in einer Artikelreihe über »Englands Ausbreitung in Südafrika« im Juni 1877 auch die »Verdienste um linguistische, geographische, anthropologische Forschung« als modellhaft notiert, ebd. 77 Lindner, ICI. 78 Zur Hypothese von Modulen des Kolonialismus, Cooper u. Stoler, Between Metropole, S. 15. 79 Kwaschik, L’État et la construction d’une »formation coloniale«.

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wissenschaftlichen Untersuchungseinheit.80 Sozioethnologische Perspektiven wurden entwickelt, die trotz ihres Übergangscharakters (Congrès international de sociologie coloniale, 1900) katalysierende Wirkung und um die Jahrhundertwende eine erste Welle von Institutionalisierungen zur Folge hatten. In der Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Bureau of Ethnology (1879) wurden kooperative Arbeitstechniken verhandelt und das Instrument des Fragebogens als Form der Verwissenschaftlichung des Kolonialen im Übergang von der Ethnographie zur Ethnologie standardisiert (Bureau international d’ethnographie, 1899; Institut de sociologie Solvay, 1902). Die Analyse konzentriert sich einerseits auf die Ausbildung der Kolonialbeamten und macht andererseits das koloniale Moment in der Entwicklung der Sozialwissenschaften stark.81 Dennoch lässt sich nicht übersehen, dass die Debatten um die koloniale Ausbildung in Deutschland, Frankreich und Belgien auch Selbstverständigungsdebatten waren, die anthropologische Dimensionen aufweisen. Über die Körper- und Charaktermerkmale der Kolonialbeamten und die Kriterien für die korporative Elitebildung an den Schulen wurden Momente von Europäizität verhandelt. Diese Dimension spielt in der weiteren Geschichte des Konzepts im 20. Jahrhundert keine Rolle mehr. Aber sie verweist auf die grundlegende Struktur, dass die Kartierung fremder Kulturen nicht nur Fremdes, sondern vor allem auch Eigenes konstruiert, wie konkret für die 1940er Jahre am Beispiel der US-amerikanischen kulturanthropologischen Konzepte argumentiert wurde.82 Versteht man das »imperiale Zeitalter« als Anfangspunkt dieser Entwicklungen, verliert der Zweite Weltkrieg viel von seiner Bedeutung als Gründungsmoment und Zäsur. Ohne die Bedeutung des Kalten-Kriegs-Kontexts in Abrede stellen zu wollen, handelt es sich hier doch in vielerlei Hinsicht mehr um eine Intensivierung und Verschiebung denn um eine neue Entwicklung. Institutionen, Netzwerke und Diskurse der Area Studies waren in Kontinentaleuropa sowohl als ein wissenschaftliches als auch als ein nationales Projekt bereits etabliert und mit der in den 1920er Jahren einsetzenden Förderung der Sozialwissenschaften durch die Rockefeller-Stiftung in Frankreich und Großbritannien auch als Organisationsproblem wahrgenommen worden. Die Entwicklungen, die in den 1880er Jahren einsetzten, hatten zunehmend den Charakter eines transnationalen Verflechtungsprozesses im Bereich der Wissens- und Wissenschaftsentwicklung angenommen. Das dritte Kapitel analysiert die Entwicklung des Area-Studies-Konzepts in den USA vom Ende der Progressive Era bis zum Ende des Kalten Kriegs. Gezeigt wird im Längsschnitt, wie im Anschluss an eine geisteswissenschaftliche Mobilisierung durch den American Council of Learned Societies (ACLS) im Bereich der Chinese / Japanese Studies das Konzept in den Verhandlungen zwischen SSRC 80 Conklin, In the Museum. 81 Singaravélou, Le moment. 82 Borneman.

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und philanthropischen Stiftungen Ende der 1940er Jahre sozialwissenschaftliche Konturen annahm und als wissenschaftspolitischer Trend auf nationaler Ebene umgesetzt wurde. In dieser längerfristigen Perspektive wird empirisch gezeigt, dass, entgegen der These von der Geburt der Area Studies aus dem Geist einer militarisierten Wissenschaft in den USA, die Zusammenhänge von wissenschaftlichem Progressivismus und Internationalismus als Impulse während der 1920er Jahre relevant waren und bis zum Ende des Kalten Kriegs blieben. Der Zweite Weltkrieg verstärkte mit der strategischen Koordinierung von Fernwissen und Unterstützung der Regierungsaktivitäten einerseits die Herausbildung des für die Nachkriegsentwicklungen entscheidenden Ressourcenensembles und führte andererseits zur Kartierung inhaltlich-methodischer Elemente (Ethnogeographic Board; Foreign Area and Language Curricula of the Army Specialized Training Programs; Civil Affairs Training Programs). Durch Förder- und Lenkungsstrategien zunächst der Rockefeller-Stiftung, dann der Ford-Stiftung wurde in der Koordination durch den SSRC aus den Kriegsprogrammen eine Form der Nachkriegswissenschaft geschaffen, die als Teil internationaler Sicherheits- und Verteidigungspolitik institutionalisiert wurde: zunächst in der Erklärung der UNESCO (1951), dann im National ­Defense Education Act (1958). Erst mit dem Anbruch des »globalen Zeitalters« und dem Ende des Ost-West-Konflikts verlor das Konzept seine nationale Codierung und Bedeutung. Im Sommer 1996 löste der SSRC seine Area Committee auf und ersetzte sie durch transregionale Netzwerkstrukturen im Rahmen eines neuen »Joint International Program«. Die Darstellung verbindet in der Analyse die organisatorisch-institutionelle mit der wissenschaftssoziologischen Dimension. Dabei zeigt sich, dass das im Krieg entstandene private-public partnership nur der materielle Ausdruck eines sich herausbildenden modernisierungstheoretischen Konsenses war, der einen gleichermaßen geopolitisch-ideologischen wie wissenschaftstheoretischen Referenzrahmen für Regional- und Sozialwissenschaften absteckte.83 In diesem Zusammenhang geriet das Konstrukt der Area Studies als Ergebnis des militaryindustrial complex ins Zentrum der Ideologiekritik der 1960er und 1970er Jahre. Die Analyse dieser Kritik am »Sozialwissenschaftler als Kolonialverwalter« (Chomsky) problematisiert drei entscheidende Dimensionen der Entwicklung der Area Studies: den Kalten-Kriegs-Kontext, die funktionalistische Ausrichtung der Sozialwissenschaften sowie ihre Abhängigkeit von einer projektbasierten Drittmittelfinanzierung. Grundlage der Analyse sind drei konkrete Projekte – die Arbeit der Michigan State University Vietnam Advisory Group (MSUG), das vom Militär finanzierte Projekt »Camelot« zu revolutionären Bewegungen und den Möglichkeiten ihrer Unterwanderung sowie die Gespräche zwischen der Ford Foundation und kritischen Afrikaforschern, wie Richard Sklar und Immanuel Wallerstein, im Jahr 1973 über die konkrete Zukunft der Area Studies. 83 Vgl. insbes. Gilman, Mandarins.

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In einem größeren Zusammenhang, so argumentiert die Darstellung, reagierte die Kritik an den Area Studies auch auf einen Strukturwandel der Wissenschaft, der in den 1960er Jahren in seine formative, bürokratische Phase eintrat.84 In Reaktion auf die veränderten Rahmenbedingungen (Bevölkerungswachstum; Verdreifachung der Studierendenzahlen) hatten sich nicht nur die Summen staatlicher Fördergelder allein im Jahr 1960 um 100 Prozent erhöht, sondern diese Finanzierung erfolgte auch in einer neuen Form: fast ausschließlich auf der Basis von Projekten. Die damit verbundenen strukturellen Veränderungen sowie die neue Arbeitsweise der Forscher werden auf der Grundlage von Überblicksevaluationen, universitätsinternen Erhebungen und Projektbeschreibungen analysiert. Im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften gehörten Area Studies zu den ersten interdisziplinären Forschungsprojekten, welche die in den 1950er Jahren formulierte kooperative Ethik der Teamforschung umsetzten (Modern Chinese History Project des Far Eastern and Russian Institute der University of Washington; NiikeProjekt des Center for Japanese Studies an der Universität Michigan). Die hier dargestellten Entwicklungen bilden die Grundlage für das folgende Kapitel, das den »Transfer« des Area-Studies-Konzepts nach 1945 nach Westeuropa analysiert und sich dabei auf die Aktivitäten der Rockefeller-Stiftung konzentriert. Das vierte Kapitel charakterisiert diese Kooperation im Austausch über ein wissenschaftsorganisatorisches Modell am Beispiel Frankreichs und Großbritanniens als eine Form der Koproduktion von Wissen im Kalten Krieg. Im Ausgang von zwei strategischen Förderprojekten der Rockefeller-Stiftung – der Sechsten Sektion der École pratique des hautes études in Paris (ab 1954) und dem Royal Institute of International Affairs in London (ab 1953) – wird die Förderung der Area Studies aus der Mikroperspektive als ein Aushandlungsprozess auf mehreren Ebenen rekonstruiert.85 Das Kapitel schließt an die zu Beginn aufgezeigten Entwicklungen des 19. Jahrhunderts und die hier entstandenen nationalstaatlichen Kontexte an. Sowohl Großbritannien als auch Frankreich verfügten über maßgebliche Institutionen und intellektuelle Traditionen. So wurden nach 1945 die Area Studies auch nicht als intellektuelles Konzept auf- und angenommen, sondern als »new attack« im Sinn eines amerikanischen Organisationsmodells und Katalysators für die Entwicklung der Sozialwissenschaften.86 Mit Blick auf die Bedeutung der Drittmittelförderung durch die amerikanischen Stiftungen lässt sich für diese Periode die These von der »kooperativen Hegemonie Amerikas beim Wiederaufbau der europäischen Forschungslandschaft« um wissenschaftssoziologische Aspekte erweitern.87 Denn eine wesentliche Dimension dieser Hegemonie lag 84 In Anlehnung an Kerr, The Uses of the University. 85 Für das RIIA vgl. Parmar, Think Tanks; für die Sechste Sektion vgl. Raphael, Die Erben; Mazon. Für eine Einordnung vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique. 86 Bulletin international des sciences sociales Jg. 4 (4), 1952 (Schwerpunktheft: Area Studies). 87 Krige.

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in der langfristigen Veränderung der Forschungslandschaft durch kooperative und drittmittelgestützte Projektförderung infolge der Kommunikation mit den philanthropischen Stiftungen.88 Im Ergebnis der Fallstudien zu Großbritannien und Frankreich ergibt sich ein klarer Befund. Die Untersuchung der Wissenschaftsnetzwerke und der multilateralen Aushandlungsprozesse, der Umgang mit unterschiedlichen und miteinander konkurrierenden Konzepten von Sozial- und Geisteswissenschaften sowie die Frage nach den Interdependenzen und Interaktionen von Wissenschaft und Politik markieren zwei Modi der Aneignung. Während sich Großbritannien durch eine auffällige Konvergenz mit der US-amerikanischen Entwicklung auszeichnet, überwiegt in Frankreich strukturell der Eindruck der Divergenz. In Großbritannien wurden regional studies, wie Area Studies hier genannt wurden, zwar erst im Kontext des entwicklungspolitischen Konsenses im »Report of the Interdepartmental Commission of Enquiry on Oriental, Slavonic, East European and African Studies« (1947) zu einer nationalen Aufgabe definiert.89 Dies führte zunächst vor allem zur Expansion der School of Oriental and African Studies. Aber fast parallel zum NDEA leitete der seit 1959 vom University Grant Committee in enger Zusammenarbeit mit der Rockefeller-Stiftung vorbereitete Hayter Report des Sub-Committee on Oriental, Slavonic, East European and African Studies (1961) das golden age der Area Studies in Großbritannien ein. Im Rahmen eines Zehnjahresprogramms wurden 125 Stellen und zehn Center for Area Studies nach US-amerikanischem Modell geschaffen. Nachdem seit Mitte der 1970er Jahre die Area Studies an Relevanz verloren, zog der Parker Report (1986) eine begrenzte kurze Finanzierungs- und Koordinationsanstrengung nach sich, ebenfalls in der Orientierung am US-amerikanischen Beispiel.90 Im Unterschied dazu fand in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg keine staatlich unterstützte Welle von Zentrumsbildungen statt. Vielmehr kam die Initiative zur Institutionalisierung von Area Studies Mitte der 1950er Jahre aus der Sechsten Sektion. Sie galt in einem ersten Schritt ihrer Profilbildung an der École pratique des hautes études und war damit anders gelagert. Die Annahme aber, diese Konvergenzen und Divergenzen wären darin begründet, dass nur Großbritannien mit den USA eine außerwissenschaftliche Erwartungshaltung in die Nutzung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse als gesellschaftspolitische Planungsinstrumente teile, wird den Kontexten nicht gerecht. Denn auch in Frankreich schreibt sich die Debatte über die Kontexte des »Troisième plan de modernisation et d’équipement« (1957) in den Managementimport im Gefolge des Marshallplans ein und ist eine der ersten Initiativen, als Mitte der 1950er Jahre unter Mendès-France im Zeichen der planifica-

88 Patel; Fleck. 89 Foreign Office. Zur Wissensproduktion vorher vgl. Stuchtey, Science; Sengupta u. Daud. 90 Hayter, Report of the Sub-Committee; Parker.

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tion die Umrisse einer französischen Wissenschaftspolitik entstanden.91 Der His­toriker Fernand Braudel und sein Wissenschaftsmanager Clemens Heller entwickelten unter dem Namen der »programmes d’aires culturelles« eine Zentrumsstruktur, der eine europäische Leuchtturmfunktion zukam. Die Kooperation mit der ­Rockefeller-Stiftung war auch hier vor allem eine Profildiskussion über Projektmanagement, Ausrichtung, die interdisziplinäre Arbeitsweise und die Koordination der französischen Sozialwissenschaften auf nationaler Ebene (1963 M ­ aison des sciences de l’homme; 1975 École des hautes études en sciences sociales).92 Die Bedeutung des US-amerikanischen Konzepts für die westeuropäischen Nachkriegsgesellschaften, so resümiert das Fazit, war eine doppelte. Einerseits lag sie in seinem Verweischarakter: Area Studies und ihre staatliche Förderung in den USA wurden zu einer Chiffre, die beim Aufbau und der Organisation regionalwissenschaftlicher Programme in Frankreich und Großbritannien Modernisierungsprozesse voranbringen sollten. Andererseits bildete die direkte Zusammenarbeit mit den philanthropischen Stiftungen die Grundlage für entscheidende Veränderungen des science making. Die Geschichte des Konzepts der Area Studies, die hier geschrieben wird, ist mit der gewählten organisatorischen Perspektive auch die Geschichte der Umsetzung des Projektmanagements und interdisziplinärer Gruppenarbeit. Im Blick auf das 19. und 20. Jahrhundert liegt die Bedeutung der Area ­Studies in ihrer Funktion als einer gesellschaftlichen Produktivkraft.93 Der Prozess einer Verwissenschaftlichung des Kolonialen wird als Modus der Selbstverständigung industriekapitalistischer Gesellschaften der »Verwissenschaftlichung des Sozialen« an die Seite gestellt, deren globalgeschichtliche Erweiterung das Buch mit seinen Fragehorizonten vorschlägt.

91 Boltanski, S. 111 ff.; für eine Beurteilung vgl. Gosewinkel. 92 Kwaschik, Transatlantic Exchanges; vgl. dagegen die Feldanalyse von Popa, Aires culturelles. 93 In Anlehnung an Touraine, S. 16.

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2. »La colonisation est une science qui ne s’improvise pas.«1 Die Verwissenschaftlichung des Kolonialen im imperialen Zeitalter

Regionalwissen über und aus Afrika und Asien wurde im 19. Jahrhundert an verschiedenen Orten und innerhalb verschiedener Kontexte produziert: in den etablierten Disziplinen wie den Philologien, der Theologie oder den Rechtswissenschaften; an den großen, im Zeichen der Aufklärung und der kosmopolitischen Oriental Studies des 18. Jahrhunderts gegründeten Spezialschulen wie der École des langues orientales in Paris (1795); im Rahmen konkreter Kolonisierungsaufgaben an einzelnen Institutionen mit interdisziplinärem Charakter wie im College in Fort Williams (1800) oder im Ausbildungszentrum Haileybury (1806) des Indian Civil Service; an Missionsschulen oder kaufmännisch-technischen Ausbildungszentren sowie zunehmend im Umkreis der geographischen Gesellschaften. In der Bewertung der Relevanz des Wissens für die Metropole standen sich seit der Great Indian Education Debate in den 1830er Jahre zwei Positionen paradigmatisch gegenüber. Die sogenannten »Orientalisten« betonten die Bedeutung von indischer Kultur, Recht und den klassischen Sprachen für die Kolonisierung Indiens und bestanden auf der Finanzierung der damit verbundenen Ausbildungsoptionen und Publikationen, wohingegen die »Anglizisten« in der Kritik an der vorangegangenen Bildungspolitik des Indian Civil Service eine Vermittlung der westlichen Kultur und Wissenschaft sowie einen Unterricht ausschließlich in englischer Sprache forderten. Schließlich setzten sich die »Anglizisten« unter Macaulay durch. Die Fronten verliefen unter Mitwirkung der indischen Eliten und insbesondere der britischen Missionare zwar weniger eindeutig als von der Forschung zunächst angenommen.2 Dennoch ist unübersehbar, dass über die konkrete Finanzierungsproblematik hinaus hier der Status von Wissen aus und über die Kolonie verhandelt und neu geordnet wurde. Der Kolonialismus schuf Bedürfnisse, Strukturen und Produktionsbedingungen für das Fernwissen. Aber die Bedeutung, die diesem Wissen und seiner gesellschaftlichen Funktion zugeschrieben wurde, entwickelte sich und erhielt 1 Silvestre, S. 231. Im Folgenden sind alle Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, von der Verfasserin. Groß- und Kleinschreibungen in den englischen und französischen Zitaten sowie Literaturangaben werden wie im Original beibehalten. Akademische Stellenbezeichnungen und Formen der Finanzierung werden aufgrund der Verschiedenartigkeit der Wissenschaftssysteme ebenfalls zumeist im Original aufgeführt. Bei weniger üblichen Bezeichnungen wird ein deutsches Äquivalent gewählt und der Originalausdruck in Klammern angegeben. 2 Zastoupil u. Moir.

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im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine neue Dynamik. Die Voraussetzung dafür stellte die durch die veränderte Geographie und die neue Art des Kolonisierens herbeigeführte Wende zur »Inwertsetzung« der Kolonien dar. Diese thematisierte nicht nur die Organisation des Wissens aus und über die Kolonien sowie seine gesellschaftliche Relevanz in den Metropolen und machte sie zu einer Aufgabe des Staats, sondern sie formulierte auch Ansprüche an ein neues Wissen, das in sozialwissenschaftlichen Zugriffen resultierte. Signum dieser Wende waren die in allen Metropolen unter Mitwirkung des Staats entstehenden zentralen Schulen mit kolonialen Ausbildungsoptionen, die über die Sprachausbildung hinausgingen und auch Wissen über die Menschen und die Formen ihres Zusammenlebens vermitteln sollten: In Berlin wurde 1887 an der Friedrich-Wilhelms-Universität das Seminar für Orientalische Sprachen gegründet, das sich unter Eduard von Sachau von einer Dolmetscherausbildung in Richtung eines Kolonialinstituts entwickelte. Das 1908 bis 1919 bestehende Hamburgische Kolonialinstitut stellte dann wie keine andere Institution die Ziele der wissenschaftlichen Kolonisierung der Dernburg-Ära dar. In Paris wurde per Dekret im November 1889 eine École coloniale als Spezialschule geschaffen. Ähnliches gilt für Antwerpen, wo erst Jahrzehnte nach den Debatten im Jahr 1920 eine eigenständige Eliteausbildung an der École coloniale supérieure institutionalisiert wurde, die gleichwohl unabhängig vom Ministerium war. Seit 1923 fungierte die Schule als Kolonialuniversität. Großbritannien folgte dieser kontinentaleuropäischen Entwicklung mit der Gründung der School of Oriental Studies 1916. Dieses Kapitel analysiert die Gründung der Schulen im Umkreis der Debatten um das Entstehen einer »Kolonistik«, einer Wissenschaft von der Kolonisierung, als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Area Studies. Vorangetrieben wurde sie von Diskursen der Globalisierung und Verflechtung durch ein sich transnational konstituierendes Netzwerk aus Kolonialaktivisten, die sich zunächst aus den Handelskammern und geographischen Gesellschaften sowie Kolonialbeamten rekrutierten, die in praktisch-administrativen Zusammenhängen an Wissen aus und über die Kolonien interessiert waren. Seit den 1880er Jahren institutionalisierten sich die Pressure-Groups in Kolonialgesellschaften und ähnlichen Vereinigungen. Vermehrt machten sich auch Wissenschaftler zu Anwälten der Verwissenschaftlichung des Kolonialen und seiner Institutionalisierung als einer nationalen Ressource. Sie nahmen die kolonialwissenschaftlichen Impulse auf und ergänzten in der Auseinandersetzung mit den ethnographischen Arbeiten der Missionare die Forderung nach der Wissenschaftlichkeit der Kolonialpolitik um die Forderung nach der Wissenschaftlichkeit des Wissens aus und über die Kolonien. Im Ergebnis dieser Entwicklungen entstand eine wechselseitige Beziehung zwischen Kolonialismus und Sozialwissenschaften. Einerseits führte die Frage nach der effizienten Kolonisierung im Ausgang vom Paradigma der Assoziierung zur Konstruktion von »Mentalitäten«, deren Analyse sich durch disziplinäre Mischformen und große Praxisnähe auszeichnete. Andererseits war der 30

epistemische Sog, der von den Kolonien ausging, für die entstehenden disziplinären Felder der Sozialwissenschaften konstitutiv. Er führte nicht nur zu einer umfassenden Institutionalisierung, sondern auch zur Professionalisierung des Wissens in Form von Methodendiskussionen und Untersuchungstechniken, zur Bildung von kolonialer Expertise sowie schließlich zur geographischen Aufsplittung der sozialwissenschaftlichen Felder zwischen Ethnologie und Soziologie.

2.1 Auf der Suche nach einer »Kolonistik«.3 Debatten und Institutionen in Westeuropa 2.1.1 Die koloniale Wende der 1880er und 1890er Jahre Im Jahr 1913 gab die belgische Académie royale eine kleine Schrift von vierzig Seiten heraus, die aus der Feder des Genter Rechts- und Sozialwissenschaftlers Charles de Lannoy stammte und den knappen Titel »La colonistique. Définition et méthode« trug. Der Neologismus »Kolonistik« meinte eine Wissenschaft von der Kolonisierung, deren Inhalte und Institutionen in Westeuropa seit den 1880er Jahren diskutiert, konzipiert und in verschiedenen Ausbildungsmodulen umgesetzt wurden.4 De Lannoy, der die Kontexte auch als Dozent der Université coloniale in Antwerpen kannte, versuchte mit der Wortschöpfung, die hetero­ genen Elemente dieser Wissenschaft im Rückblick auf einen Begriff zu bringen und zu systematisieren. Seine Bilanz der Entwicklung fiel ambivalent aus: »Tous les éléments d’une science de la colonisation existent donc. Cependant, en aucun pays, la colonisation n’est encore franchement admise comme une discipline particulière, et elle n’a pas encore trouvé place dans la nomenclature des sciences. Le phénomène dont elle s’occupe, politique par certains côtés, économique par d’autres, est si complexe qu’il est difficile de discerner ses caractères essentiels, ceux qui lui donnent son individualité et se rencontrent, par conséquent, dans toutes ses manifestations actuelles et anciennes.«5

In der Tat existierte kurz vor dem Ersten Weltkrieg weder eine Wissenschaft von der Kolonisierung noch gab es einen Konsens über ihre Definition, ihre Inhalte und die Formen ihrer Institutionalisierung. Selbst ihre Stellung im disziplinären Geflecht war unklar geblieben. Hatte sie den Status einer eigenständigen Disziplin, wozu de Lannoy aufgrund der Komplexität der Kolonisierung und in Übereinstimmung mit den meisten Kolonialwissenschaftlern nach der Jahrhundertwende tendierte? Oder handelte es sich, wie noch der Frühsozialist Jules Duval im Jahr 1864 nach seinen Erfahrungen in Algerien postulierte, um eine Wissen­ 3 Lannoy. Vgl. Ganshof. 4 Zur Wissensgeschichte des Frühsozialismus vgl. Kwaschik, Gesellschaftswissen. 5 Lannoy, S. 504 f.

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schaft, die zwar mit der Kolonisierung ein eigenständiges und spezifisches Untersuchungsobjekt hatte, sich aber ihre Methoden bei anderen Wissenschaften borgte und nur durch diese Zusammenführung eigenständige Konturen erhielt?6 Die Fragen blieben offen. Aber – und auch hier ist de Lannoys Retrospektive korrekt – »alle Elemente dieser Wissenschaft von der Kolonisierung« lagen im Jahr 1913 vor. Die Genese dieses Ordnungssystems von Wissen steht im Zentrum der folgenden Kapitel. Sie ist ein vielschichtiger Prozess, der die Verwissenschaftlichung des Kolonialen einerseits in der Entstehung einer organisatorischinstitutionellen Struktur zeigt und diese andererseits als Produktionsbedingung für ethnogeographische Denkmuster beschreibt, deren grundsätzliche Ideolo­ giekritik erst in den 1960er und 1970er Jahren erfolgte. Dabei erweisen sich die 1880er Jahre als Zäsur für ein verändertes Verständnis von der Kolonisierung und die Durchsetzung von »Wissenschaftlichkeit« als ihrem neuen und entscheidenden kulturellen Code. Die Landkarte der europäischen Kolonialreiche hatte sich verändert und eine neue Ausgangssituation geschaffen. Mit Italien, Belgien und Deutschland erweiterte sich die Gruppe der Kolonialmächte. Deutschland erklärte 1884 die »Schutzherrschaft« über die Gebiete in Südwestafrika, 1885 über Ostafrika. 1884/1885 eroberte das Deutsche Reich in Afrika und im Stillen Ozean Kolonien mit einer Gesamtfläche von 2.907.000 Quadratkilometern und 14,4 Millionen Einwohnern.7 In Belgien machte Leopold II. nach jahrzehntelangen vergeblichen Versuchen unter anderem in China und auf den Pazifischen Inseln einen Teil Afrikas zu seinem »Freistaat Kongo«.8 Dieser wurde 1885 von den anderen europäischen Staaten und den USA anerkannt und im Jahr 1908 infolge internationaler Protestwellen an seinen Ausbeutungspraktiken an einen mehr als zurückhaltenden belgischen Staat verkauft.9 Frankreich verfügte zwar im Gegensatz zu Belgien und zu Deutschland  – sieht man von dem preußischen Intermezzo im 17. Jahrhundert ab  – bereits über eine koloniale Tradition. Diese war aber nach dem Verlust der Eroberungen im Siebenjährigen Krieg in Amerika und der Karibik abgebrochen. Sie hatte wenig Spuren hinterlassen, so dass die Kolonialpolitik der Dritten Republik in Afrika und Indochina ebenfalls einen Neuanfang markierte.10 Unter imperialistischem Konkurrenzdruck und begleitet von universalistisch-republikanischem Sendungsbewusstsein war die junge Republik mit den neuen Protektoraten und ihren Erweiterungen bis in die 1890er Jahren ein Kolonialreich geworden. Die ökonomische Bedeutung für das Mutterland war und blieb bis zum Ersten Weltkrieg bescheiden. Zwischen 1909 und 1914 gingen die meisten französischen 6 Duval, S. 39. 7 Liebknecht, S. 267; Laak, Deutscher Imperialismus, S. 70 ff. Grundlegend vgl. Speitkamp. 8 Vandersmissen, Léopold II; Senelle u. Clément. 9 Vgl. insgesamt Vanthemsche; historiographisch Schuylenbergh. 10 Vgl. Ageron u. a.; Conklin u. a. Für einen synthetischen Überblick zur Dritten Republik, Andrew u. Kanya-Forstner.

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Übersee-Investitionen nach Russland, Südosteuropa und Lateinamerika. Der Handel mit den Kolonien machte nur 10 Prozent des Außenhandels und nur 9 Prozent der Kapitalinvestitionen aus.11 Die wirtschaftliche Bedeutung der Kolonien war gering; aber ihre gesellschaftspolitische Relevanz stieg. Nicht nur die Geographie und die Konkurrenzverhältnisse hatten neue Rahmenbedingungen geschaffen. Auch das Koordinatensystem des Kolonisierens hatte sich verändert. Die Abschaffung des Sklavenhandels und die zunehmenden Verflechtungen von Kolonie und Metropole, von denen die Ansiedlung von Europäern nur eine Dimension war, verlangten nach einem neuen Ordnungsrahmen. Die Ausbreitung des »Freihandelsimperialismus« führte zur Entstehung eines »weltweiten Zusammenhangs«, welcher durch die Fortschritte der Verkehrs- und Informationstechnologie den Charakter einer »ersten globalen Informations-Infrastruktur« annahm.12 Die kolonialpolitischen Reformen der 1880er Jahre waren eine erste Reaktion darauf und der Versuch einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen »Inwertsetzung der Kolonien«. Diese Zusammenhänge galten auch für die alten Kolonialreiche wie Großbritannien und die Niederlande. Für Großbritannien bedeuteten die 1880er Jahre eine Zäsur für das Entstehen einer imperialen Kultur.13 Ähnlich wie die Verantwortlichen in Frankreich und Deutschland vollzog der neue Kolonialsekretär Joseph Chamberlain nach 1895 eine kolonialpolitische Wende hin zu einem »konstruktiven Imperialismus«.14 Zwar änderte dies zunächst nichts an der Tatsache, dass die Mehrzahl der Mitglieder des Empires unregiert bzw. »informell regiert« wurde.15 Aber es entstanden in der Konsequenz genauer Planungen die Ansätze einer modernen Kolonialverwaltung.16 In den Niederlanden waren die Inwertsetzung der Kolonien und die Verbindung von Wissenschafts- und Kolonialpolitik seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Bestandteil einer »moralischen Reform« propagiert worden, in welcher die »Eingeborenpolitik« sich als »ethische Politik« (ethische koloniale politiek) verstand.17 Nach einer Intensivierung der Debatte und dem Sieg des katholisch-rechten Lagers bei den Parlamentswahlen von 1901 wurde sie als offizielle Politik umgesetzt.18 11 Persell, S. 2. Vgl. dazu Marseille, S. 58. 12 Conrad, S. 35 ff., hier: S. 36; 38. 13 Diese Einschätzung teilen beide Lager in der historiographischen Debatte um die Wirkung bzw. Nicht-Wirkung des Empires in der Metropole, vgl. Porter, The Absent-Minded Imperialists, S. 18 f. Selbstreflexiv für die Entwicklung der new imperial history vgl. Burton. 14 Vgl. als ältere, aber konsequent vergleichende Studie August. 15 Gallagher u. Robinson. Vgl. dazu Louis; Gosh. Zu den Zahlen: Es lebten etwa 400 Millionen Menschen im Empire, davon 41,5 im Vereinigten Königreich, 294 Millionen in Indien, 6 Millionen in anderen Teilen Asiens, 43 Millionen in Afrika, 7,5 Millionen in den Amerikas, 5,2 Millionen in Australasien, vgl. Hyam, The British Empire, S. 48. 16 Kirk-Greene, On Crown Service, S. 15 ff. 17 Bertrand, Histoire. 18 Bertrand, La »politique éthique«.

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Die Ausgestaltung des Kolonialismus als einer gesellschaftspolitischen Aufgabe stand im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auf der Agenda der europäischen Metropolen. In der Wahrnehmung der kolonial gesinnten Zeitgenossen war eine neue Zeit angebrochen: Es war nun an den Nationen selbst, die Verantwortung für die Kolonien zu übernehmen, wie der Congrès colonial international 1889 selbstbewusst formulierte: »Désormais, ce ne sont plus des hommes isolés, ce sont des nations elles-mêmes qui agissent, procédant avec prévoyance et méthode, et qui d’une prise de possession précaire font une opération définitive.«19 Diese neue Form des Kolonialiusmus zeichnete sich durch ihre Wissenschaftlichkeit aus. »L’ère des conquêtes est terminée, celle de l’exploitation systématique et scientifique est ouverte«, resümierte nach der Jahrhundertwende das »Bulletin« der Société belge des études coloniales die neue Phase.20 Die Debatten um das Selbstverständnis als kolonisierende Nationen folgten gemeinsamen Entwicklungen.21 An den Anfängen dieses neuen Bewusstseins stand in den 1870er Jahren die Ausrufung nationaler Notstandssituationen. Strukturierend für diese Selbstwahrnehmung in Europa war die Orientierung an den Argumenten des liberalen Pariser Ökonomen Paul Leroy-Beaulieu, der an der reformorientierten und 1872 neu gegründeten École libre des sciences politiques lehrte und in ihrem kolonialwissenschaftlichen Studiengang nach 1886 auch die Professur für Kolonialsysteme (systèmes coloniaux) innehatte.22 Im Jahr 1874 definierte Leroy-Beaulieu in »De la colonisation chez les peuples modernes« die Kolonisierung zur Existenzfrage jeder modernen Nation. In einer für die intellektuelle Geschichte des französischen Kolonialismus charakteristischen Entwicklung war der Vorsitzende der Société française de protection des indigènes vom Verfechter eines »informellen« und auf Freihandel basierenden Kolonialreichs angesichts der geistigen Regenerationsdynamiken nach 1870 zum vehementen Anwalt territorialer Eroberungen geworden.23 In den schnell aufeinanderfolgenden Auflagen seines Buchs wurde der Tonfall zunehmend alarmistisch. In der zweiten Auflage von 1882 hieß es: »La colonisation est pour la France une question de vie ou de mort: ou la France deviendra une grande puissance africaine, ou elle ne sera dans un siècle ou deux qu’une puissance européenne secondaire, elle comptera dans le monde, à peu près comme la Grèce ou la Romanie comptent en Europe. Nous ambitionnons pour notre patrie des destinées plus hautes: que la France devienne résolument une nation colonisatrice.«24

19 Vgl. die Eröffnung durch den Senator und ehemaligen Minister für Marine und Kolonien Édouard Barbey, Séance d’inauguration tenue le mardi 30 juillet 1889 au palais du Trocadéro, in: Congrès colonial international, S. 11 f. 20 [O. A.], Le recrutement des fonctionnaires coloniaux en Angleterre, en Hollande et en France, in: Bulletin de la société [belge] d’études coloniales, Jg. 8 (11), 1901, S. 746. 21 Wesseling, The European Colonial Empires; Osterhammel, Die Verwandlung. 22 Singaravélou, Professer l’empire, S. 47 f. 23 Todd. 24 Leroy-Beaulieu.

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Was zunächst nur der Warnruf einzelner war, entfaltete in Frankreich in den 1880er Jahren eine grundsätzliche gesellschaftliche Dynamik. Die neue Welle an Eroberungen und die imperialistische Politik Ferrys reaktivierten die Zivilisierungsmission, die mit der Vorstellung einer hierarchischen Anordnung von Zivilisationen Fremd- und Selbstbilder von der französischen Nation generierte.25 Der Vorwurf, dass die europäischen Nationen die Bedeutung der Kolonien für ihr Fortbestehen nicht genügend erkannt hätten, wurde auch in den anderen Metropolen zum Leitmotiv. Die Erklärungen und Gedankengänge wurden geteilt und die Positionen auf Kongressen und in Zeitschriften mit- und gegeneinander ausgehandelt. In Belgien und Deutschland wurde das Buch aufmerksam gelesen und das Argument ungeachtet der nationalstaatlichen Konkurrenz übernommen. In Deutschland war es der Inspektor der Rheinischen Mission Friedrich Fabri, der in seiner einflussreichen Schrift »Bedarf Deutschland der Kolonien« (1879) mit Bezug auf Leroy-Beaulieu ausführte, dass Deutschland seinen »kolonisatorischen Beruf« als Kulturmission und in der Orientierung an den Engländern ausüben müsse, um nationales Wachstum und nationalen Wohlstand zu gewährleisten.26 Sein Tonfall war nicht weniger beschwörend-agitativ als der des Franzosen. Er ließ die Gelegenheit nicht aus, den Nachbarn einen mangelnden kolonisatorischen Trieb zu attestieren.27 Leroy-Beaulieu wiederum legte in der dritten Auflage seines Buchs 1886 noch einmal nach und verschärfte die Dringlichkeit seines Anliegens für Frankreich mit dem Hinweis auf das Auftreten von Deutschland und Italien als neuen Kolonialmächten.28 In Deutschland gehörte Leroy-Beaulieus These, dass die Kolonisierung die Existenzbedingung moderner Nationen sei, bald zum festen Repertoire der Kolonialpublizistik.29 Sie diente als Mobilisierungsargument zur Rechtfertigung unterschiedlicher Kolonialprojekte.30 Eine ähnliche Funktion hatte der Text in Belgien, wo er die Überlegungen von Alphonse de Haulleville, Konservator am Königlichen Museum für Zentral-Afrika in Tervuren, zur Notwendigkeit der Schaffung eines belgischen Kolonialreiches verstärkte. In seiner Programmschrift »Les aptitudes colonisatrices des Belges et la question coloniale en Belgique« (1898) war Kolonisierung ebenso wie bei Fabri gleichermaßen eine Antwort auf die soziale Frage und ein Akt nationaler Existenzsicherung.31 Sie diente der Herausbildung eines Selbstverständnisses des jungen belgischen Staats als einer »kolonisierenden Nation«. Dieser Selbstverständigungsprozess vollzog sich langsam und gegen große gesellschaftliche Widerstände. Die mentale Aneignung der Kolonien in Deutsch25 Vgl. Bowden. 26 Fabri, Bedarf Deutschland der Colonien, S. 178 f. 27 Ebd., S. 154. 28 Leroy-Beaulieu. 29 Bade, S. 178. 30 Vgl. z. B. Hübbe-Schleiden, S. 375; vgl. dazu Gründer. 31 Haulleville, Les aptitudes colonisatrices, S. 7; für den Bezug auf Leroy-Beaulieu vgl. insbes. S. 39; für die Eigenschaften einer kolonisierenden Nation ebd., S. 31.

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land und Belgien erfolgte in komplexen innenpolitischen Gemengelagen: im vereinigten Deutschland in parlamentarischen Kämpfen, die nach der Ablehnung der Dampfersubventionen durch die SPD im Jahr 1906 mit der Ablehnung der Umwandlung der Kolonialabteilung in ein selbständiges Reichsamt einen Höhepunkt erreichten.32 In Belgien versuchte Leopold II., das Kolonialprojekt innenpolitisch zwischen den Fronten zu manövrieren. Als aufgrund innen- und außenpolitischer Proteste 1908 die Zession an den belgischen Staat anstand, konnte Jules Renkin, der zukünftige Kolonialminister, das Parlament nur mit Mühe überzeugen. Auch seine späteren kolonialpolitischen Projekte stießen immer wieder auf Widerstand.33 In Frankreich, dessen Kolonialismus noch oft in der Perspektive der langen Dauer als Inkarnation der Zivilisierungsmission missinterpretiert wird, war die Situation nach Revolutionsniederschlagung, Kriegsniederlage und im Zeichen des Revanchismus gegen Deutschland nicht weniger komplex.34 Es ist richtig, dass nach 1870 das Erziehungs- und Bildungsideal der jungen Dritten Republik, das Kolonialismus und Fortschritt in einen inhärenten Zusammenhang stellte, den Gedanken einer universalen Zivilisierungsmission verstärkte. Elemente einer republikanisch gewendeten Konversionsidee trafen auf das wirtschaftliche Argument der Absatzmärkte.35 Als Signum dieser Mentalität wird ebenfalls mit guten Gründen Ferrys emblematisch gewordene Parlamentsrede von Juli 1885 zitiert, welche die Kolonisierung zu einer humanistischen Selbstverpflichtung erklärte: »Il faut dire ouvertement qu’en effet les races supérieures ont un droit vis à vis des races inférieures […] parce qu’il y a un devoir pour elles. Elles ont le devoir de civiliser les races inférieures.«36 Aber die Idee von Frankreichs Zivilisierungsmission war kein »kultureller Konsens« der Dritten Republik.37 Symptomatisch zeigt sich dies allein bei einem Blick auf die Parlamentsdebatte. Liest man nicht nur die Rede Ferrys, sondern den gesamten Text der Verhandlungen um die erneute Bewilligung der Madagaskar-Kredite, wird das Ausmaß der Widerstände deutlich, gegen die auch der Prokolonialismus Leroy-Beaulieus mit seiner zunehmenden Verve argumentierte. Ferry wurde während seiner Ausführungen so häufig unterbrochen, dass die Abschrift der Rede in den Sitzungsprotokollen einem Lückentext gleicht. Die Einwürfe sowohl von Abgeordneten des linken als auch des bonapartistischen Flügels waren grundsätzlicher Art. Ferry wurde des Verrats an den Ideen 32 Schiefel, S. 30 ff. 33 Vgl. insgesamt Stanard. 34 Stuchtey, Die europäische Expansion, S. 307: Hier die These, das imperiale Frankreich folge dem imperialen Leitgedanken des Universalismus. Vgl. Conklin, A Mission to Civilize. Zur Bedeutung der Zivilisierungsmission in anderen Kolonialreichen, Barth u. Osterhammel; zur deutschen »Kulturmission« vgl. Conrad; für Japan vgl. die These einer doppelten Zivilisierungsmission, Hée, S. 32 ff. 35 Petitjean. 36 Séance du mardi 28 juillet 1885, in: Manceron, S. 60. Vgl. Pervillé, S. 47 ff. 37 Petitjean.

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von 1789 bezichtigt. Ihm wurde vorgeworfen, ein Protagonist des Sklavenhandels zu sein.38 Die Kritik richtete sich im Namen des Universalismus der Französischen Revolution insbesondere gegen die Idee von »niederen Rassen«. Clemenceaus Verweis darauf, dass auch deutsche Wissenschaftler im Krieg von 1870/1871 die Franzosen als eine »unterlegene Rasse« bezeichnet hätten,39 ridikülisierte die Idee und formulierte ein weiteres gewichtiges Gegenargument: die Bedeutung der Revanche gegen Deutschland, die nicht durch eine andere politische Agenda vernachlässigt werden sollte. Die Rede Ferrys, die vor dem Hintergrund der liberalen und ökonomischen Traditionen des französischen Imperialismus verstanden werden muss, war keine Zustandsbeschreibung, sondern sie formulierte einen programmatischen Anspruch  – und dies nicht zufällig nach dem Ende seines zweiten Kabinetts.40 Die gesellschaftlichen Dynamiken während der »kolonialen Wende« in Frankreich mögen zwischen Revanche und dem Bedürfnis nach moralischer Regeneration vielschichtig gewesen sein, ein Sonderfall in Bezug auf die Aneignung des Kolonialismus in der Metropole waren sie nicht. Vielmehr war dieser geprägt von der beginnenden »Eroberung Frankreichs durch seine Kolonien« und der kulturellen Durchdringung nach 1871.41 Und ebenso wie in den anderen Ländern erfolgte die »Inwertsetzung« angesichts einer geradezu notorischen Feindschaft des Parlaments. Ihre Propagierung war die Angelegenheit von Kolonialaktivisten, deren internationale Netzwerke die Voraussetzung ihrer nationalen Wirkung bildeten. Das Hauptargument war die mit der »Inwertsetzung« einhergehende Professionalisierung der staatlichen Verwaltung, die nach Wissen über die Kolonien und ihre Bewohner verlangte. Eindeutig und programmatisch definierte der Congrès colonial international von 1889 in Paris die neue Form der Kolonisierung als Wissenschaft, die eng mit den konkreten und administrativen Aufgaben in der Kolonie zusammenhing. Ihre Institutionalisierung wurde von Jules Silvestre, einem ehemaligen Kolonialverwalter in Tonkin, zu einem gemeinsamen europäischen Anliegen mit nationalen Varianten erklärt: »La colonisation est une science qui ne s’improvise pas: c’est une science dont les éléments, très divers, exigent des études préalables, théoriques et pratiques, et qui varient étrangement selon le rôle attribué à chacun des agents de la colonisation.«42

38 Vgl. z. B. die Diskussionsbeiträge von Jules Maigne (Haute-Loire) und Joseph de Guilloutot (Landes), in der Debatte am 28.7.1885, in: Manceron, S. 61. Während der Bonapartist Guilloutot gegen die Kredite stimmte, stimmte Maigne dafür. 39 Séance du jeudi 30 juillet 1885, in: Manceron, S. 78. 40 Sehr detailliert zur Regierungspolitik, Ganiage, S. 54 ff. 41 Blanchard u. Lemaire kennzeichnen die Phase von 1871–1914 als eine der »imprégnation«. 42 Silvestre, S. 231.

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2.1.2 Kolonisierung als Wissenschaft. Die Entstehung eines internationalen Kommunikationszusammenhangs Kolonialismus und Wissenschaft gingen in diesen Diskussionen eine charakteristische Verbindung ein. Die auf die kolonialen Eroberungen folgenden Maßnahmen der Erschließung und Verwaltung sollten einerseits der Wissenschaft dienen und sich andererseits durch »Wissenschaftlichkeit« ausweisen. Diese Entwicklungen waren Teil einer Dynamik, die in Anlehnung an Lutz Raphaels »Verwissenschaftlichung des Sozialen« als »Verwissenschaftlichung des Kolonialen« beschrieben werden können und die Verkopplung von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft im Umkreis des Kolonialen auf internationaler Ebene bedeuten.43 Das Fanal, das den gemeinsamen Anbruch der neuen Epoche markierte, kam aus Belgien. König Leopold II. stellte sein »Zivilisationswerk« in Zentralafrika von Anfang an unter das Banner der Wissenschaft und band dabei die anderen europäischen Staaten ein. Im Anschluss an die internationalen Kongresse der geographischen Gesellschaften lud er im September 1876 »die Freunde der Humanität«,44 die »sechs großen europäischen Mächte und Belgien«,45 zu einer internationalen geographischen Konferenz nach Brüssel, »um eines der größten Probleme der Wissenschaft und der Philanthropie zu lösen«.46 Auf der Tages­ ordnung stand nichts weniger als die Durchführung »eines Kreuzzugs im Namen des Fortschritts«: »d’ouvrir à la civilisation la seule partie de notre globe ou elle n’ait point encore pénétré«.47 Die konkrete Umsetzung erfolgte durch die Gründung der Association africaine internationale (AIA), nach einem Entwurf der französischen Société géographique de Paris.48 Die Aufgabe der kurzlebigen Vereinigung war es, unter dem Vorsitz des Königs sogenannte Stationen in Zentralafrika zu organisieren und zu finanzieren. Im Verlauf der Diskussionen wurden am Ende der vier Tage mögliche Orte identifiziert, von denen aus die weitere Durchdringung des Landes durchführbar schien.49 Diese »wissenschaftlichen Stationen« hatten drei Funktionen: Sie sollten der Krankenversorgung, der Wissenschaft und der Befriedung der Gebiete dienen.50 Im Dienst an der Wissenschaft lag auch die zivilisatorische Wirkung der Stationen begründet: »Servir la science et les hommes qui s’en font les apôtres: telle sera donc la mission immédiate, essentielle des établissements qui vont 43 Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen. 44 Discours prononcé par le Roi à l’ouverture de la conférence, in: Banning, S. 123–124. 45 Ebd., S. 102. 46 Ebd., S. 9. 47 Discours prononcé par le Roi à l’ouverture de la conférence, in: Banning, S. 123. 48 Banning, S. 99. 49 Laveleye, S. 12 f. 50 Déclaration de la conférence au sujet des stations, in: Banning, S. 127 ff. Parallel zur AIA nahm das deutlich einflussreichere Comité d’Études du Haut Congo (CÉHC) seine Arbeit auf, eine Finanz- und Handelsvereinigung zur Finanzierung der Expeditionen.

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être créés en Afrique: il s’en ajoutera bientôt une autre non moins importante, celle de répandre les lumières de la civilisation parmi les peuples indigènes.«51 Diese Form des Kolonialismus kam einer Wiederbelebung der Zivilisierungsmission im Geiste des Szientismus gleich.52 Bereits im Einladungsschreiben zu der Konferenz hatte der König mit der Abschaffung der Sklaverei in Afrika ein Argument für seine Politik formuliert, dessen vorgeblichem Ethos sich viele Zeitgenossen nicht entziehen konnten.53 Neben dem ethisch-zivilisatorischen Etikett erwies sich auch die von Leopold II. gewählte internationale Formel als wegweisend. Das Credo der Diskussionen lautete, dass es nach einer Phase nationaler Anstrengungen und Eroberungen, die teilweise privat finanziert wurden, nun darum gehen müsse, sich international zu koordinieren.54 Diese Strategie der Internationalisierung mag als »fiktiv« und »instrumentell« beurteilt werden, dennoch orientierte sie sich an dem entscheidenden Paradigmenwechsel des Kolonialismus und gestaltete diesen mit. In Bezug auf den Kongo realisierte sie sich mit zu Beginn der 1880er Jahre einsetzenden Debatte um die »Internationalisierung« oder »Neutralisierung« der Souveränitätsrechte und die »Liberalisierung der Schifffahrt« unter Mitwirkung des Institut du droit international und verhalf Leopold II. schließlich 1885 zum État indépendant du Congo.55 Die Konferenz war ein wichtiger Faktor in der Lobbyarbeit und internationalen Netzwerkbildung unter Einbezug wissenschaftlicher Perspektiven. Neben Beamten und Verwaltungsspezialisten nahmen die Präsidenten der großen geographischen Gesellschaften Europas von Italien bis Russland teil. In der deutschen Delegation befanden sich auch die bekannten Eroberer und Expeditionsreisenden Gustav Nachtigal, späterer Reichskommissar von Deutsch-Westafrika, Gerhard Rohlfs und Dr. Georg Schweinfurth.56 Alle drei hatten kurz vor der Konferenz die große Medaille der geographischen Gesellschaft in Paris erhalten.57 Das Etikett der »Wissenschaftlichkeit« diente der Legitimation der Afrika­ politik Leopold II. In der konfessionell gespaltenen Situation Belgiens verlieh es dem Kolonialismus einen neutralen Charakter, der es dem König erlaubte, sein Kolonialwerk zunächst jenseits der konfessionellen Fronten zu jonglieren. Das Signal an die Kirchen war nicht zu übersehen. Der Wissenschaftler sollte den Missionar ersetzen. Die Stationen waren weder Missionars- noch Handelsstationen. Sie sollten nicht nur keine militärischen, sondern auch keiner51 Ebd., S. 90. 52 Dagegen Grosse, der die Rassendifferenzierung als grundlegend für die neue Phase annimmt, s. o. Zur Zivilisierungsmission vgl. Barth u. Osterhammel. 53 Laveleye, S. 6. 54 Ebd., S. 6. 55 Singaravélou, Les stratégies d’internationalisation de la question coloniale. 56 Zu den Forschungsreisenden der 1850er und 1860er Jahre vgl. insbes. Essner. Zu den späteren Expeditionen, Gräbel. 57 Laveleye, S. 10.

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lei religiöse Funktionen haben.58 Das Zivilisierungspotenzial des Christentums wurde nicht in Zweifel gezogen, aber es sollte sich auf die Tätigkeit der Kirchen beschränken und sich in der Zusammenarbeit von Missionen und Stationen niederschlagen.59 Positiv auf die Vergesellschaftung des Kolonialismus in Belgien wirkte sich auch aus, dass Leopold II. mit den Handels- und Geographiegesellschaften die wichtigsten und frühesten Akteure und Multiplikatoren eines gesellschaftlichen Kolonialismus eingebunden hatte. Wie in Frankreich, wo seit 1870 eine regelrechte geographische Bewegung die Provinzstädte ergriffen hatte, bildeten sich auch in Deutschland, Großbritannien, Russland, den USA, Österreich, der Schweiz, Italien und Belgien geographische Gesellschaften und Vereine heraus.60 In Belgien hatte sich kurz vor der Konferenz die Société royale belge de géographie zu ihrem ersten Treffen im August 1876 in Brüssel zusammengefunden. Ebenfalls im Jahr 1876 wurde das Institut national géographique gegründet, das die Zeitschrift »Mouvement géographique« publizierte, dessen Netzwerke die entschiedensten Befürworter des Königs stellten. Ein Jahr später nahm in Antwerpen die Société géographique d’Anvers unter Leitung von General Wauwer­ mans ihre Arbeit auf. Der Lobbyismus der Gesellschaften popularisierte den kolonialen Gedanken. Sie trug aber ebenso zur Etablierung der Geographie als Disziplin bei und kann deshalb nicht auf die Funktion eines Propaganda­ instruments reduziert werden.61 In der Konsequenz dieser Entwicklungen wurde im Jahr 1900 das Fach Geographie durch Leopold II. an den Universitäten eingeführt.62 Um 1900 hatte sich die Situation allerdings bereits grundlegend geändert. Seit den 1890er Jahren mehrte sich in Belgien die Kritik an Besitz und Verwaltung der Kolonie, die anfänglich fast ausschließlich von Freimaurern gekommen war.63 Ursache waren schon vor der internationalen Kritik an Leopold II. ökonomische Interessenkonflikte wegen des königlichen Kautschukmonopols. 1892 wurde auch der Mouvement géographique zum Sprachrohr der Handelsvereinigungen, die sich gegen den König stellten.64 Parallel dazu hatte die Geographie ihre Führungsrolle an andere Wissenschaften abgegeben. Die Semantik 58 Banning, S. 93. Vehement in diesem Sinn auch Laveleye. 59 Diese Neubewertung übersieht die neuere Forschung, vgl. Tilley, S. 40 ff. Vgl. deshalb das ältere und sehr präzise recherchierte Standardwerk La conférence de géographie. 60 Für Frankreich vgl. nach wie vor Lejeune; für die geographischen Gesellschaften in London, Paris und Berlin Schröder. Eine globale Perspektive werden die Ergebnisse des Teilprojekts »Geographische Gesellschaften 1821–1914 im internationalen Vergleich« im SFB 1199 »Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen« in Leipzig bringen. 61 Vandersmissen, The Geographical Societies. 62 Poncelet, S. 54 ff. Obwohl 1871 der erste internationale geographische Kongress in Antwerpen stattfand (noch vor dem Kongress 1875 in Paris), wurden die Entwicklungen in Belgien wenig in die Wissensgeschichte des Kolonialismus einbezogen, vgl. Tilley, S. 36 ff. 63 Cornet. Zu den Freimaurern vgl. Berger, Between Universal Values. 64 Poncelet, S. 30.

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des kolonialen Wissens hatte sich ausdifferenziert. Während der Generalsekretär der Société royale belge de géographie Jean du Fief im Jahr 1885 noch Aufstieg und Fort­entwicklung der Wissenschaften durch den Kongo selbstverständlich mit der Geographie gleichgesetzt hatte,65 galt das Feld nun als spezialisiert: Jura und Medizin beschäftigten sich mit Kolonien, darüber hinaus entwickelten sich anthropologische Sichtweisen. Im Jahr 1885 konzipierten belgische Wissenschaftler in Antwerpen zum ersten Mal die sogenannten kolonialen Sektionen einer Weltausstellung, 1897 beteiligten sie sich in Brüssel mit einem eigenen Menschenzoo.66 Über die Legitimation der Afrikapolitik Leopold II. hinaus lag die weiter reichende Bedeutung der Konferenz von 1876 in der Mobilisierung und Semantisierung von Kolonialisierung als Wissenschaft. Zwar waren die Wissenschaftler nicht an den Vorbereitungen beteiligt und ihre Beiträge erfolgten wohl vor allem in den Sitzungen der Komitees und gingen nicht in das Protokoll ein.67 Sie verfügten zumeist auch nicht über koloniale Kompetenzen oder Interessen und erklärten dies zu Beginn auch nachdrücklich. Der Star der Delegation, der politische Ökonom Émile de Laveleye (Lüttich), der mit John Stuart Mill zur Frage der Kolonien kritisch korrespondiert hatte, war sogar als Gegner des Kolonialismus bekannt.68 Dennoch erwies sich die Konferenz auch für die Verwissenschaft­ lichung des Kolonialen als ein Meilenstein. Sie war einerseits der erste Schritt auf dem Weg zur Herausbildung einer wissenschaftlich-intellektuellen Elite Belgiens, welche den Kolonialismus zu ihrer Sache machte. De Laveleye verfasste direkt im Nachgang der Konferenz einen langen und grundlegenden Artikel für die französische »Revue des deux mondes«, der ihn, den dezidierten Vertreter des Freihandels, nun als Verfechter der königlichen Afrikapolitik zeigte.69 Andererseits trugen die Konferenz und ihre Publikationen dazu bei, dass das Etikett der »Wissenschaftlichkeit« in Bezug auf den Kolonialismus selbstverständlich wurde. Bemerkenswert ist, dass diese Entwicklung noch vor Beginn des scramble for Africa einsetzte. Der Erörterungszusammenhang der Verwissenschaftlichung ging der Eroberung voraus: Acht Jahre vor der Berliner Konferenz 1884/1885 besaß König Leopold II. den Kongo noch nicht. Deutschland hatte noch keinen 65 Fief, S. 221–299. Vgl. für die wissenschaftliche Dimension der Zivilisierungsmission: »l’extension de la science géographique et l’introduction de la civilisation chez des peuples incapables de sortir par eux-mêmes de leur barbarie séculaire«, S. 298. 66 Zu beiden Ausstellungen vgl. Stanard; zu Menschenzoos insgesamt vgl. Bancel u. a.; Blan­ chard u. a. 67 Banning, S. 101 f. Für die Behauptung Poncelets, dass die belgischen Wissenschaftler kein Rederecht hatten, fehlt der Beleg, Poncelet, S. 41. 68 Vandersmissen, The King’s Most Eloquent Campaigner, S. 7–48. Vgl. zur Konferenz Poncelet, S. 40 ff. 69 Laveleye. Der Text erschien als eigenständige Veröffentlichung ein Jahr später in der Librairie générale J. Sandoz (Neuchâtel) 1878. Vgl. dazu Vandersmissen, The King’s Most Eloquent Campaigner, S. 17 ff.

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Schutzbrief unterzeichnet. Frankreich hatte weder seine Eroberungen in Indochina noch in Afrika begonnen. In dieser frühen Phase sorgte die Konferenz 1876 dafür, dass das Wissen von und aus Afrika zwischen den Expeditionsreisenden, Wissenschaftlern und Politikern zirkulierte und international geteilt wurde. Die Konferenz hatte die Praxis des wissenschaftlichen Internationalismus mit dem sozioökonomischen Projekt des Kolonialismus zusammengebracht. Zwar bezog sich diese Praxis zunächst vor allem auf die konkrete Frage, welche Regionen aufgrund welcher klimatischen und geographischen Gegebenheiten bereist werden konnten.70 Aber die auf der Konferenz erprobte Form des Austauschs und Aushandelns von kolonialem Wissen fand ihre Fortsetzung in einer Vielzahl von internationalen und nationalen Kolonialkongressen, in denen sich die Gruppierungen und Pressure-Groups auf internationaler Ebene zusammenfanden und legitimierten.71 Der Congrès colonial international, der 1889 anlässlich der Weltausstellung in Paris stattfand, beschleunigte diese Austauschprozesse. Sein Hauptziel war neben dem ökonomischen Anliegen die Präsentation des vorhandenen Wissens über die einzelnen Kolonien. In der Konsequenz bildete sich auch in Frankreich eine Koloniallobby heraus, welche die Öffentlichkeit zu mobilisieren und die Politik zu beeinflussen suchte.72 Zunehmend erhielt sie auch Einfluss im Parlament. Der ehemalige Unterstaatssekretär Eugène Étienne (1887–1890), ein 1844 in Oran geborener Geschäftsmann, versammelte in der Assemblée nationale die kolonialen Befürworter in einem kolonialen Block, dem Groupe colonial der Abgeordnetenkammer, und stand ihm als Präsident vor (1892–1905). Einer der aktivsten und tonangebenden Kolonialprotagonisten war seit den 1890er Jahren der Publizist und Generalsekretär der Union coloniale Joseph Chailley-Bert, ab 1906 ebenfalls Mitglied im Parlament (vgl. Abb. 1). Für Chailley-Bert, den Vertreter eines Kolonialismus nach englischem Vorbild, stand außer Frage, dass die Grundlage einer effizienten Kolonialisierung in einer professionalisierten Zusammenarbeit und im Austausch von Erfahrungen und Wissen lag. Das Instrument dazu sah er in der Gründung eines internationalen Instituts. Das Institut colonial international, dessen Gründung Chailley-Bert gemeinsam mit den Belgiern und insbesondere den Niederländern seit spätestens 1893 vorantrieb, nahm 1894 in Brüssel seine Arbeit auf.73 Es sollte durch die 70 Laveleye, S. 21 ff. 71 Zum Kongress als Ort der Legitimation und der Netzwerkbildung seit 1850 vgl. Mil Neuf Cent, Jg. 7, 1989; zum Internationalismus von Kongressen Revue germanique internationale, Jg. 12, 2010. 72 Persell, S. 7 ff. Persell analysiert im Folgenden den Congrès colonial international. 73 Die Vorbereitungsgespräche fanden im Frühling 1893 in Paris statt. Beteiligt waren Fransen van de Putte (ehemaliger niederländischer Kolonialminister), Pieter Antonie van der Lith (Professor für Kolonialrecht in Leiden), Lord Reay (Unterstaatssekretär für Indien), Major Thys (Direktor der Sociétés belges du Congo) und Camille Janssen (Ehrengeneralgouverneur des Freistaats Kongo) sowie Léon Say (ehemaliger französischer Finanzminister). Vgl. Institut colonial international, 1897, S. 50–53.

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Abb. 1: Der Kolonialaktivist Joseph Chailley-Bert (1854–1928), Generalsekretär der Union coloniale, in seiner Kanzlei. Chailley-Bert war maßgeblich an der Gründung des Institut colonial international beteiligt, das 1894 seine Arbeit aufnahm.

Zirkulation und Standardisierung von Wissen die Kolonialisierung institutionell auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen. Seinen Statuten folgend war es seine Aufgabe, das Wissen aus und über die Kolonien zu sammeln und vergleichend auszuwerten, insbesondere in den Bereichen Verwaltung und Recht. In der Selbstbeschreibung betrachtete sich das Institut als Knotenpunkt eines wissenschaftlichen Netzwerks, zu dem gleichwohl auch Politiker und Kolonialverwalter gehörten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Institut politikfern gearbeitet hätte, vielmehr suchten seine Mitglieder die Nähe zu den Ministerien, nicht zuletzt um die benötigten Dokumente und Materialien zu erhalten. Darüber hinaus lag es im Interesse der Regierungen, die Brüsseler Institution zu unterstützen. Belgien stellte die Räume in Brüssel zur Verfügung.74 Deutschland und Frankreich gewährten finanzielle Zuschüsse.75 74 Institut colonial international, 1894, S. 40. 75 Ebd., S. 58: Das französische Kolonialministerium erklärte sich im Jahr 1897 zu einer jährlichen Zahlung von 2000 Francs bereit. Deutschland hatte 1895 2500 Francs zugesagt, vgl. Institut colonial international, 1895, S. 35.

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Die internationale Arbeitsweise des Instituts definierte Bedingungen für die Produktion von Kolonialwissen. Sie sah vor, dass mindestens alle zwei Jahre eine Zusammenkunft der Mitglieder Fragen der Kolonisierung diskutieren sollte, die im Vorjahr bestimmt worden waren. Zugrunde lag ihr die Idee des Vergleichs der verschiedenen Kolonisierungsmodelle (colonisation comparée), die praktisch und administrativ motiviert war und alle Bereiche der Kolonisierung betraf.76 Gleichwohl beförderte bereits dieser Zugriff das Entstehen von kolonialer Expertise im Allgemeinen und die Konstruktion von verschiedenen Kolonisierungsmodulen im Speziellen. Das Prozedere war wie folgt geplant: Ein Mitglied schlug eine Frage vor, für deren Bearbeitung nach Annahme durch das Institut ein Berichterstatter pro Land zuständig war.77 Dieser sollte zunächst Material und Unterlagen sammeln und das vorhandene Wissen umfassend präsentieren. Alle Berichterstatter bildeten eine Kommission, aus deren Mitte ein Hauptberichterstatter dann auf der Grundlage der Einzelberichte einen vergleichenden Bericht zu erstellen hatte.78 Um die internationale Kooperation nicht zu gefährden, waren Fragen ausgeschlossen, die zu »irritierenden Debatten zwischen den Nationen« führen könnten. Verboten waren darüber hinaus Fragen aus dem Bereich der Kolonialpolitik.79 Allerdings kam die Arbeit des Instituts nur langsam voran. Nach den ersten drei Jahren zeigte sich, dass die Ergebnisse insgesamt unbefriedigend waren. Offenbar lieferte kaum jemand Informationen, die ausstehenden Berichte zu den Kolonialfragen waren nur ungenügend vorbereitet.80 Daraufhin etablierte der Vorstand ein Delegiertensystem.81 Für jedes Land wurde nun von den Mitgliedern ein Delegierter für die Dauer von drei Jahren als Ansprechpartner für das Institut bestimmt, der die Dokumente zusammenzustellen hatte.82 Auf der Sitzung vom 6. September 1897 wurden ernannt: für Deutschland der Jurist, ehemalige Staatssekretär und Mitglied im Kolonialrat Herzog, für Belgien der Generalgouverneur des Kongo Camille Janssen, für Frankreich Chailley-Bert, für die Niederlande der Professor für Kolonialrecht in Leyden Pieter Antonie van der Lith, für Österreich-Ungarn der Afrikaforscher und Geographieprofessor Oskar Lenz aus Prag und für Russland Serge de Proutschenko aus Petersburg.83 76 Singaravélou, Les stratégies d’internationalisation de la question coloniale; Wesseling, Le modèle; Bertrand, Histoire. 77 In Berlin wurde 1897 die Resolution angenommen, dass jedes Mitglied in der Vollversammlung eine zu bearbeitende Frage formulieren kann (vgl. Statuts, in: Institut colonial inter­ national, 1897, S. 28). 78 Institut colonial international, 1897, S. 65. 79 Statuts, Article 13, in: Institut colonial international, 1897, S. 27. 80 Institut colonial international, 1897, S. 59 ff. 81 Ebd., S. 65. 82 Ebd., S. 78. Zuvor war eine Ernennung diskutiert, aber verworfen worden, vgl. ebd., S. 67. Die Diskussionen führten zur Veränderung des Artikels 9 in Sektion II der Satzung, vgl. z. B. die Statuten, in: Institut colonial international, 1900, S. 17 ff. 83 Institut colonial international, 1897, S. 81.

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Die Definition der Themen und ihre vergleichende Behandlung bildeten nur einen Aufgabenbereich des Instituts. Die andere Aufgabe bezog sich auf die Dokumentation. Die Materialien zu den Kolonialfragen sollten den Grundstock eines zukünftigen Dokumentationszentrums bilden, dem Bureau international de renseignement. Das Institut sollte auch mindestens ein Buch pro Jahr publizieren, als Grundstock einer Bibliothèque coloniale internationale, die für eine größere Öffentlichkeit bestimmt war. Geplant war darüber hinaus längerfristig auch die Herausgabe einer Zeitschrift, der »Revue coloniale internationale«. Die Institutsmitglieder gingen davon aus, dass die Zeit für eine Zeitschrift Mitte der 1890er Jahre noch nicht reif war. Bereits in den 1880er Jahren war in den Niederlanden für zwei Jahre eine »Revue coloniale internationale« erschienen, die von der Association coloniale néerlandaise in Amsterdam herausgegeben wurde. Ihre Zielsetzung glich der des Brüsseler Instituts, an dem sie in der Person ihres Herausgebers van der Lith vertreten war. Lith, Mitbegründer der Zeitschrift und des Institut colonial international, war seit 1877 Professor für Kolonialrecht in Leiden. Die 1883 nach der Kolonialausstellung in Amsterdam gegründete niederländische Kolonialvereinigung verfolgte das Anliegen, internationale Netzwerke und Kooperationen zu stiften, zwischen all jenen, die sich für die science coloniale interessierten.84 Ostentativ verpflichteten sich die Niederländer dem Kolonialismus als einem internationalen wissenschaftlichen Projekt und stellten die erste Nummer ihrer Zeitschrift im Jahr 1885 unter dieses Motto.85 Kolonialaktivisten aus anderen Ländern trugen dazu bei. Für Deutschland zum Beispiel folgte Friedrich Fabri 1885 dieser Rhetorik und apostrophierte das kolonialpolitische Bestreben seiner Nation als Friedensgarantie für Europa und Übersee.86 Die Zeitschrift wurde nach zwei Jahren eingestellt. Das Institut colonial international selbst gründete während seines Bestehens keine Zeitschrift. Insgesamt blieben seine Erfolge in den Bereichen der Dokumentation des Wissens und der Inventarisierung der Materialien gering.87 Drei Jahre nach der Gründung des Instituts war das Bureau de renseignement international nicht mehr als ein frommer Wunsch.88 Die Mitglieder selbst lieferten wenige brauchbare Berichte. Und offenbar führte auch das Drängen des unermüdlichen Chailley-Bert auf erhöhte Durchsetzungsbemühungen vonseiten des Vorstands unter Einsatz drakonischer Maßnahmen nicht zum Erfolg.89 Die Ergebnisse der Arbeit des Instituts entsprachen schon in den ersten Jahren nicht den Erwartungen seiner Gründungsmitglieder.

84 Kan u. Lith, S. VII–X. 85 Kan u. a., S. I. 86 Fabri, Deutsche Colonialpolitik, S. 24. 87 Vgl. zu den Publikationen und der Arbeitsweise nach 1920 Poncelet, S. 302 ff. 88 Institut colonial international, 1897, S. 59 ff. 89 Ebd., S. 75.

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Gleichwohl gehörte das Institut zu den wichtigen Dynamiken der Internationalisierung des Kolonialwissens. Es institutionalisierte Netzwerke und Verbindungen, wie die zwischen den Niederlanden und Frankreich.90 Gleichzeitig bemühten sich die Mitglieder bewusst um Erweiterungen, wie insbesondere im Fall Großbritanniens, dessen mangelnde Kooperationsbereitschaft zu den häufigsten Monita des Vorstands gehörte.91 Entscheidend erscheinen im Rückblick auf die ersten Jahrzehnte weniger die Anzahl der Institutspublikationen und Berichte als die Entwicklung und Institutionalisierung einer internationalen Praxis zur Zirkulation und Validierung von Wissen über die Kolonien und die Kolonisierung. Auf dieser Ebene bestätigte sich auch die Überzeugung der Mitglieder, eine Pionierfunktion bei der Verwissenschaftlichung des Kolonialismus auszuüben. Wichtige Grundthemen der Kolonialisierung wurden aufgegriffen. In frappierender Einstimmigkeit identifizierten die Mitglieder die zu verhandelnden Fragen und ihre Inhalte in den Institutsdiskussionen. Die Vorgehensweise differenzierte sich immer weiter aus. Bei einer der ersten Diskussionen schlug Chailley-Bert mit der Einführung von Fragebögen eine weitere Form der Standardisierung der Einzelbeobachtungen vor, die in dieser Form zu Daten wurden. In einem mehrstufigen Verfahren wurden sie gesammelt, geteilt und verhandelt und in neue Kategorien eingeordnet. Der Generalsekretär und das Mitglied, das die Frage vorgeschlagen hatte, sollten einen Fragebogen erarbeiten, diesen an die Mitglieder versenden, woraufhin sich in einem zweiten Schritt eine Kommission (commission d’études) grundsätzlich mit der Frage auseinandersetzen und den Bericht schreiben sollte, der dann der Diskussion zugrunde gelegt würde.92 Einer der ersten Problemkreise, auf den diese Praxis angewendet werden sollte, und eines der ersten vorgeschlagenen Wissensfelder überhaupt, war im Frühling 1894 die Ausbildung der kolonialen Beamten und der Aufbau zentraler Kolonialausbildungen.93 2.1.3 Die Ausbildung der Beamten und Verwalter. Das Moment der Nationalisierung in Belgien und Frankreich Gut ausgebildete und sinnvoll ausgewählte Kolonialbeamte galten seit Beginn der Neuorganisation der Kolonialreiche als die entscheidende Voraussetzung für prosperierende Kolonien. Leroy-Beaulieu hatte argumentiert, dass Frankreich sich im Ausgang von den Erfahrungen der älteren Kolonialmächte eine eigene effiziente Kolonialausbildung organisieren müsse, um eine »kolonisie90 Zum new imperialism in den Niederlanden vgl. Raben. Für die ältere Literatur vgl. Wesseling, The Giant. 91 Institut colonial international, 1897, S. 88. 92 Institut colonial international, 1894, S. 34 f. 93 Ebd., S. 34. Weitere Vorschläge betrafen die Protektoratsfrage und die Landfrage. Die Frage­ bogenaktion scheint nicht stattgefunden zu haben, da die Fragebögen zu spät versendet wurden.

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rende N ­ ation« zu werden. Und auch in Deutschland lag das Argument, dass die Kolonisierung als eine Kulturaufgabe die Forderung nach gut ausgebildeten Beamten nach sich ziehe, seit den ersten öffentlich-bedeutsamen Stellungnahmen in den 1870er Jahren auf dem Tisch,94 obwohl ein Planungsbedarf erst entstand, nachdem Bismarcks Idee privater Kolonisationsgesellschaften gescheitert war und nach verschiedenen Zwischenstufen im Jahr 1907 das zumindest eigenständige Reichskolonialamt institutionalisiert wurde. Als im Jahr 1885 der erste Reichskommissar in Südwestafrika sein Amt aufnahm, hatte dieser lediglich zwei weitere Beamte zu seiner Unterstützung. Und noch im Jahr 1901 bestand das zivile Personal der Gouvernements von Togo, Kamerun, Südwest- und Ostafrika aus nur 35 höheren und mittleren sowie 1.354 niederen und technischen Beamten.95 Dennoch war auch der deutsche Kolonialismus schon vor 1900 Teil der internationalen Aushandlungsprozesse um die Kolonialbeamtenausbildung.96 Denn die Ausbildung der Beamten, die in die Kolonien gehen sollten, war nicht nur mit administrativ-technischen Fragen verbunden, sondern es waren grundsätzliche Entscheidungen zu treffen, welche das abstrakte Verhältnis von Kolonie und Metropole konkret machten. Das Organisations- und Verwaltungsbedürfnis der Kolonien war nur die praktische Seite dieses Identitätskonflikts, in dessen Verlauf der Kolonialismus als Ordnungs­ projekt von Wissen in den Metropolen umgesetzt wurde. Der Gedankengang lag in der Logik der als notwendig propagierten Vergesellschaftung der Kolonien. Chailley-Bert rückte die Frage auf der Sitzung des Institut colonial international im September 1895 in Den Haag ins Zentrum der Debatte: »Il n’est point de question plus considérable que celle-ci pour l’avenir des colonies. Même le régime législatif doit passer après le recrutement des fonctionnaires. De bonnes lois, appliquées par des fonctionnaires mauvais ou médiocres, ne produisent pas le bien qu’elles devraient produire; et à l’inverse, de mauvaises lois peuvent être, dans l’application, corrigées par de bons fonctionnaires.«97

Seine Worte nahmen den Charakter eines Leitmotivs an. Die Definition der Ausbildungsgänge und -inhalte wurde zu einer der wichtigsten Aufgabe der jüngeren Kolonialmächte erklärt, zu deren Erfüllung die Analyse und Evaluierung der Ausbildungsmodelle der Niederlande und Großbritanniens den ersten Schritt bildeten. 94 Fabri, Bedarf Deutschland der Colonien, S. 176 f. 95 Ruppenthal, S. 27. Zur Entwicklung der Zentralverwaltung, Spidle, The German Colonial Civil Service, S. 79 ff.; Eckert, Pesek. 96 Für Deutschland lässt sich der Begriff exakter Weise erst seit 1892 verwenden, da die Kolonialbeamten erst seit der haushaltsmäßigen Selbständigkeit der Schutzgebiete auch aus deren Etat bezahlt wurden. Der Sonderstatus der »Beamten für das Schutzgebiet« wurde 1886 geschaffen (Erlass des Schutzgebietsgesetzes, 1886), vgl. Zurstrassen, S. 35 f. Für eine vorsichtige Zäsur auf den 1890er Jahren, Laak, Deutscher Imperialismus, S. 83. 97 Institut colonial international, 1895, S. 271.

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Der Weg zur Institutionalisierung nationaler Ausbildungsmodelle in den 1890er Jahren führte über die Evaluierung der Ausbildungsmodelle der Nachbarstaaten in einen europäischen Kommunikationszusammenhang. Die französischen, belgischen und deutschen Akteure hatten, als sie darangingen, ihre Ausbildungsmodelle zu entwerfen, die Traditionen der alten Kolonialmächte vor Augen und die jüngsten Versuche der europäischen Konkurrenten fest im Blick.98 Die Argumente in diesen zahlreichen Schriften und Berichten wurden gegeneinander und mit Bezug aufeinander ausgetauscht. Die übliche Arbeitspraxis bestand in zumeist recht ausführlichen Forschungsreisen, an deren Ende ein Bericht geschrieben wurde, der wiederum von den anderen Kolonialgesellschaften rezipiert und kommentiert wurde. Schon vor der Brüsseler Institutsgründung hatte Chailley-Bert sich mit dem niederländischen Modell beschäftigt und im Auftrag der französischen Regierung 1893 eine Überblicksdarstellung verfasst.99 Die Ausbildung in den Niederlanden war besonders weit entwickelt und bereits obligatorisch: Seit 1842 gab es in Delft eine königliche Akademie, seit 1864 eine staatliche Kolonialschule in Leiden (Rijksinstelling van onderwijs in Indische taal-, land- en volkenkunde) und ein kommunales Indien-Institut in Delft (Indische Instelling). Die Ausbildung von Rechtsanwälten und Richtern erfolgte an der Universität Leiden.100 Wegweisend schien ihm vor allem die 1864 eingeführte und ähnlich wie beim Indian Civil Service durchgeführte Kolonialprüfung, die sowohl in Batavia als auch in Den Haag abgenommen wurde (grootambtenaarsexamen).101 Ein Jahr nach Chailley-Bert erschien in Deutschland unter dem Titel »Die Ausbildung der Kolonialbeamten« (1894) die Darstellung des Kammergerichtsreferendars Max Beneke, die im Ergebnis umfangreicher Reisen verfasst worden war. Die Deutsche Kolonialgesellschaft hatte den ineffizienten Charakter der deutschen Kolonialverwaltung seit längerem kritisiert und die Studie in Auftrag gegeben, die den Stand der europäischen Diskussion und Ausbildungsmodelle festhielt und auch von den anderen Kolonialgesellschaften rezipiert wurde. In Belgien resümierte die 1894 gegründete Kolonialgesellschaft, die Société d’études coloniales, das Buch Benekes und veröffentlichte übersetzte Ausschnitte als Impuls und Katalysator für die eigenen Institutionalisierungsbestrebungen.102 Die Wissensvermittlung über den Kongo war die Hauptaufgabe der Gesellschaft.103 98 Im Gegensatz dazu hat die Forschung in reduktionistischer Weise »falsche Paare« konstruiert wie klassischer Weise »Deutschland / Großbritannien« (vgl. z. B. Ruppenthal) oder die internationale Dimension der Debatte als Forschungsdesiderat an das Ende einer nationalen Darstellung gesetzt, vgl. z. B. Singaravélou, Professer l’empire; Poncelet. 99 Grundsätzlich vgl. Wesseling, Le modèle. 100 Fasseur, A Passage to Indonesia. Das Standardwerk liegt auf Niederländisch vor, Fasseur, De indologen. 101 Chailley-Bert, Le recrutement des fonctionnaires coloniaux. 102 Overloop. 103 Vgl. [o. A.], Statuts, in: Bulletin de la Société [belge] d’études coloniales, Jg. 1 (1), 1894, S. 18–24, hier: S. 18.

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Das Lernen aus den Erfahrungen anderer Kolonialmächte galt als patriotische Selbstverpflichtung.104 Die Société d’études coloniales sammelte Berichte und übersetzte aus den anderen europäischen und amerikanischen Kolonialpublikationen. Regelmäßig diskutierte das »Bulletin« zum Thema der Beamtenausbildung, publizierte die Ergebnisse der Sitzungen des Institut colonial international105 und verwies noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg auf die Diagnose Chailley-Berts, als in Brüssel eine Arbeitsgruppe am neu gegründeten Soziologieinstitut sich wieder dem Problem der Auswahl und Ausbildung der Beamten zuwandte.106 Die Gesellschaft forderte eine zentrale Ausbildung, entwickelte aber auch ein eigenes breit angelegtes Kursangebot. Die Kurse fanden jährlich von Januar bis März statt und reichten inhaltlich von der Mineralogie über Hygienekurse bis zur Einführung in religiöse Institutionen.107 Gleichwohl blieb diese erste Kolonialschule ein Provisorium. »L’idée ne fut malheureusement pas comprise comme elle le méritait et le nouvel organisme, qui promettait de rendre de si grands services à la cause coloniale, dut être abandonné«, klagte das »Bulletin« 1901 den Staat mit Blick auf Deutschland an.108 Einer ihrer Mitbegründer war der spätere Direktor der Université coloniale, Charles Lemaire.109 Angesichts der Welle an Institutsgründungen in Europa ist die Vehemenz der Argumente in Belgien erklärlich.110 Belgien war vom Vorreiter internationaler Netzwerkbildung und der Organisation wissenschaftlicher Kolonialexpertise, »dem Hauptquartier der Zivilisierungsbewegung«,111 zum europäischen Schlusslicht geworden. Die Eröffnung der École coloniale supérieure d’Anvers im Jahr 1920 erfolgte im Vergleich sehr spät.112 Und selbst diese Gründung war nicht gleichzusetzen mit einem eindeutigen staatlichen Engagement. Ein Großteil der Mittel kam aus den USA und wurde von der Commission for Relief in Belgium 1919 eigens für die Gründung einer »colonial school« vergeben.113

104 Couvreur, S. 12. 105 Spoelberch. 106 Travaux du groupe d’études coloniales, S. 243. 107 [O. A.], École coloniale, in: Bulletin de la Société [belge] d’études coloniales, Jg. 1 (6), 1894, S. 211–220. Vgl. auch das Studienprogramm der Sektionen, das von Mineralogie bis zur Vermittlung der »Institutions religieuses et de bienfaisance« reichte, Bulletin de la Société [belge] d’études coloniales 1 (1), 1894, S. 24. 108 [O. A.], Le recrutement des fonctionnaires coloniaux en Angleterre, en Hollande et en France, in: Bulletin de la Société [belge] d’études coloniales, Jg. 8 (11), 1901, S. 746–774, hier: S. 746. 109 Vgl. Institut royal colonial belge, Sp. 603–608. 110 In Rom entstand 1908 ein Kolonialinstitut, vgl. Singaravélou, Professer l’empire, S. 374 f. 111 Discours prononcé par le Roi à l’ouverture de la conférence, in: Banning, S. 124. 112 Vgl. für diese Wahrnehmung und zum Scheitern des Vorgängerprojekts der École mondiale Rathgen, S. 30, insbes. FN 5. 113 Poncelet spricht von 10 Millionen Francs, S. 278. Vgl. dazu und zur Rolle Hoovers Halleux u. Xhayet, S. 24 ff.

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Neben dem belgischen Staat und der Stadt Antwerpen beteiligten sich auch private Vereinigungen wie die Association des planteurs de caoutchouc an den Kosten.114 Die Ausbildung umfasste in den ersten beiden Jahren allgemeine Kurse in Ethno­graphie, Geographie, Kartographie und Wirtschaft  – ein Schwerpunkt lag auf dem Sprachunterricht, der mit 400 Stunden angesetzt war. Im letzten Jahr kamen spezifische Kurse in Hygiene, Zoologie und Finanzverwaltung hinzu, ebenso wie Ingenieurs- und Militärkurse. Einen wichtigen Ausbildungsschwerpunkt bildeten praktische Tätigkeiten, wie zum Beispiel Gartenarbeit und Fotokurse oder Praktika im Musée du Congo oder dem Tropeninstitut von Antwerpen. Im Gegensatz zur zeitgenössischen Kritik der Kolonialgesellschaft am vermeintlichen Fehlen von Ausbildungsoptionen bestand bereits ein breit ausge­ fächertes koloniales Ausbildungsangebot. In Belgien gab es ebenso wie in den anderen Ländern in den 1890er Jahren eine Vielzahl an gewachsenen Aus­ bildungsoptionen, welche die in Antwerpen unterrichteten Bereiche abdeckten. Schnell waren in einer ersten Mobilisierungsphase Ausbildungsangebote verschiedener Couleur durch geographische Gesellschaften, Handelsvereinigungen, die Interessenvertretungen der großen Hafenstädte und die Kolonialgesellschaften institutionalisiert worden. Bis zum Jahr 1910 – zwei Jahre nach dem Übergang des Kongo an den belgischen Staat – vermittelten alle vier Universitäten Wissen aus und über die Kolonie mit verschiedenen Ausbildungsschwerpunkten und mit spezifischen Abschlüssen. Der Charakter der Ausbildung und ihre disziplinäre Prägung variierten ebenso wie der Stellenwert, den praktische Kurse einnahmen. In allen Fällen aber waren die Kursangebote in den sciences coloniales interdisziplinär, problembezogen und pragmatisch organisiert. Lag der Ausbildungsschwerpunkt in Brüssel auf Recht, Verwaltung, Kolonialpolitik und Geographie, inkludierte die licence en sciences coloniales an der katholischen Universität Löwen auch praktische Fähigkeiten wie Buchhaltung, Verwaltung, Landwirtschaft und als einziger Studiengang in Belgien auch Englisch- und Landessprachkurse.115 Die Aus­ bildung in Gent vollzog sich zwischen 1908 und 1914 ähnlich wie in Brüssel, nur dass hier die Sozialwissenschaften nicht an der kolonialen Ausbildung beteiligt waren.116 Angeboten wurden eine licence en sciences commerciales et coloniales sowie eine Promotion. Lüttich war am wenigsten engagiert, aber auch hier war an der École spéciale de commerce ab 1908 der Abschluss einer licence en sciences commerciales et coloniales möglich.117 In Brüssel war es an der École des sciences 114 Stanard, S. 140; Poncelet, S. 278. 115 Poncelet, S. 171. Am Institut agronomique wurde auch ein ingénieur agricole coloniale angeboten. 116 Für die Angaben zu Gent vgl. Poncelet, S. 176 ff. 117 Ebd., S. 175 f. Eingang fanden die sciences coloniales auch in den Rechtswissenschaften. Hier wurden für eine Promotion in Jura Kurse zur Verwaltung des Kongo vorgeschrieben.

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politiques et sociales innerhalb der section coloniale nach zwei Jahren nicht nur möglich eine kolonialwissenschaftliche licence zu erwerben, sondern auch einen Doktortitel, der nach Ansicht vieler Zeitgenossen die eigentliche Voraussetzung für die wissenschaftliche Fortentwicklung des Feldes darstellte – wie in Deutschland noch nach der Jahrhundertwende bei der Eröffnung des Hamburgischen Kolonialinstituts geklagt wurde.118 Das Angebot belegt die flächendeckende Umsetzung sowie die beginnende Ausdifferenzierung des Feldes. Zahlenmäßig hingegen handelte es sich um ein Randphänomen: In Löwen wurden zwischen 1910 und 1920 im Schnitt drei Diplome pro Jahr verliehen, in Brüssel wurde 1920 nur ein Kolonialabschluss abgelegt.119 Die Zahlen erklären sich aus der Tatsache, dass eine Ausbildung in den sciences coloniales keine Karriererelevanz hatte. Ein Abschluss, in dessen Titel das Wort »kolonial« vorkam, wurde nicht nur nicht von den Ministerien verlangt, sondern diesen Ausbildungsgängen kam oftmals sogar weniger Reputation zu als einem der »normalen« Studienfächer an der Universität.120 Der Gründung einer Kolonialschule innerhalb dieser Ausbildungslandschaft hatte vor allem eine zentralisierende Funktion und sollte die Entscheidung über die Auswahl und Ausbildung der Beamten und die Gestaltung des Kolonialismus der Nation unterstellen. Entgegen dieses immer wieder rhetorisch stark akzentuierten politischen Anspruchs gelang die Umsetzung in unterschiedlichem Maße. Berlin und Hamburg nahmen niemals den Rang einer zentralen Ausbildungseinrichtung an. Die 1917 nach deutschem Vorbild eröffnete School of Oriental Studies in London sollte diesen Zweck zu Beginn auch gar nicht verfolgen. Antwerpen war zwar eine obligatorische Ausbildungsstation, aber als Eliteinstitution war die Zahl ihrer Absolventen gering: Pro Jahr wurden im Ergebnis eines concours zwanzig Belgier mit baccalauréat zugelassen, die sich als administrateur territorial für drei Jahre verpflichteten.121 Angesichts der bestehenden Ausbildungsmöglichkeiten mag das Ausmaß der Debatte um die Institutionalisierung von Ausbildungen in den 1890er Jahren in Kontinentaleuropa überraschen. Ihre Wirkung lag nicht in der Zustands­ beschreibung. Innenpolitisch funktionierte die viel beschworene Nationalisierung der Ausbildung vor allem als gewichtiges und strategisches Argument in einem globalpolitischen Erörterungszusammenhang. Vielmehr als um die Institutionalisierung von Abschlüssen ging es um die nationale Selbstkonstruktion 118 Ebd., S. 168 ff.; für die Einschätzung vgl. Rathgen, S. 51. 119 Poncelet, S. 170; 169, FN 56. 120 Ebd., S. 178. 121 Ebd., S. 278 ff. Bis zum Jahr 1931 hatte die Schule insgesamt nur 98 Abschlüsse erteilt, bis zum Jahr 1940 waren es 216. Dies war insgesamt nur die Hälfte aller belgischen Funktionäre im Kongo. Die Schule war nie die einzige Institution, die für den Kongo ausbildete. Auch nach dem Ersten Weltkrieg kamen weitere koloniale Bildungsinstitute hinzu, wie die École coloniale de Liège (1936), die École coloniale in Tournai (1943) und nach dem Zweiten Weltkrieg die koloniale Sektion an der École provinciale d’agriculture in Waremme, vgl. Stanard, S. 143; 140.

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Belgiens, Frankreichs und Deutschlands als »kolonisierender Nationen«, für die die Ordnung und Organisation des Wissens zentral war. Der Zuschnitt der Institutionen und ihre Optimierung sowie die Definition der Ausbildungsinhalte bildeten wichtige Bestandteile des Prozesses, in dessen Verlauf über das Moment der Verstaatlichung einer spezifischen kolonialen Ausbildung verschiedene Wissensfelder unter dem Etikett »kolonial« zusammengeführt wurden. Besonders greifbar werden diese Zusammenhänge in Frankreich. In Paris führte die Zentralisierungsbewegung zu einer vereinigten Oppositionsbewegung von Vertretern anderer Ausbildungszentren gegen die im Jahr 1889 er­ öffnete École coloniale, die schließlich auch das Parlament erreichte und zur Neu­organisation der Schule im Jahr 1896 im repräsentativen Neubau der Avenue de l’Observatoire führte.122 Entgegen den gegnerischen Argumenten für dezentrale Angebote oder spezifisch regionenbezogene Spezialschulen in der Provinz wurde allerdings mit der Neuorganisation die Nationalisierung in Form einer spezialisierten Elitehochschule (grande école)  erst konsequent vollzogen. Die Zulassungsprüfung und deren Vorbereitung wurden wie für alle grandes écoles organisiert: Eine zentralisierte Aufnahmeprüfung (concours) regelte seit der Reorganisation der Schule 1896 den Zugang und fragte Themen aus Recht, politischer Wirtschaft, Kolonialgeschichte, Geographie, Topographie und Sprachen ab.123 Die entsprechenden einjährigen Vorbereitungsklassen (classes préparatoires) wurden eingerichtet.124 Die Annahmequote betrug nach Einrichtung des concours 1 zu 3. Die Anzahl der ausländischen Studenten sank, das nationale Prestige der Schule stieg.125 Die Lager in der Auseinandersetzung um die Kolonialausbildungen hatten sich bereits vor der Gründung der Schule in der Diskussion um die Nachfolge des Collège des administrateurs stagiaires in Saigon formiert, das nach 1873 einen Apparat an zivilen Verwaltern geschaffen und den Abschluss des administrateur civil verliehen hatte.126 Die einjährige Ausbildung bei gleichzeitiger praktischer Tätigkeit in der Kolonie umfasste Sprachen, Geschichte, Geographie, Botanik, Verwaltung, Recht, die Organisation Kambodschas und Fragen der Baupraxis.127 Die Monita an der Ausbildung waren vielfältig und bezogen sich neben der Prüfungsbelastung bei gleichzeitiger beruflicher Tätigkeit insbesondere auf das Verhältnis von Theorie und Praxis: Muss ein guter französischer Kolonialbeamter in Indochina Konfuzius lesen können?, fragten die Teilnehmer des

122 Treney, S. 588: Mitglieder der Kommission waren neben dem Minister und Vertretern der Handelskammern auch Boutmy, Chailley-Bert, Aymonier und die beiden Abgeordneten Ernest Delaunay-Belleville und Jules Léveillé. 123 Ebd., S. 589. 124 Für einen Überblick vgl. Singaravélou, Professer l’empire, S. 50 f. 125 Cohen, Rulers of Empire, S. 43. 126 Décret qui réorganise l’administration civile des affaires indigènes en Cochinchine. Das Ende der Schule wird zumeist auf 1878 datiert, vgl. Cohen, Rulers of Empire, S. 37. 127 Silvestre, S. 235.

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Congrès colonial international 1889. Kritisiert wurde ebenfalls der Standort der Institution in der Kolonie.128 Auf dem Congrès colonial international im Jahr 1889 war der Frage eine eigene Sektion gewidmet. Grundsätzlich stießen hier die verschiedenen Auffassungen aufeinander. Diametral standen sich die beiden zu Paradigmen aufgeladenen Ausbildungsmöglichkeiten gegenüber: Examen oder Zentralschule. Étienne Aymonier, ehemaliger Leiter des Collège in Saigon (1877–1878) und zukünftiger Direktor der École coloniale (1889–1905), plädierte für einen restriktiven Zugang zur Kolonialausbildung für eine kleinere Elite und begründete dies mit vergangenen Erfahrungen von Klientelismus und Ineffizienz.129 Er hatte nicht vor, französische Rechtsprechung und Institutionen im Sinn des Assimilationismus nach Indochina zu bringen. Aber an der französischen Sprache als dem entscheidenden Kulturinstrument hielt er fest. Der ehemalige leitende Kolonialbeamte in Tonkin Jules Silvestre schlug hingegen ein zentralisiertes Examen in Abstimmung mit dem Unterstaatssekretariat vor, nach einer Ausbildung an einem der vorhandenen Ausbildungszentren. Dezidiert wandte er sich gegen eine zentrale Schule mit dem Argument, dass die Kolonien in sich verschieden seien und nicht gemeinsam »unterrichtet« werden könnten. Silvestre forderte eine Spezialisierung und Beschränkung auf eine Verwaltungs-Ausbildung für Indochina, die in Paris anzusiedeln wäre.130 Die Gründung der École coloniale 1889 bildete dann zunächst vor allem eine administrative Etappe in der Organisation des Kolonialreichs. Sie folgte auf die Gründung eines Unterstaatssekretariats für die Kolonien (1882), das erst 1894 durch ein Ministerium abgelöst wurde, sowie weitere Maßnahmen unter dem Einfluss Étiennes zur Organisation und Zentralisierung der Kolonialverwaltung.131 In den Jahren 1887/1888 wurde mit der Festlegung von Dienstgraden und Gehaltsstufen ein »corps de l’administration coloniale« geschaffen, der die zivilen Verwaltungen aller Kolonien zusammenführte.132 Nach der Schließung des Collège hatte Paul Bert die Gründung einer École d’administration annamite vorgeschlagen. Étienne unterstützte ihn und er­ weiterte schließlich die Ausrichtung.133 Aus Sorge um antikolonialistische Mehrheiten im Parlament sicherte er das Budget für das erste Jahr in Form eines

128 Ebd., S. 236. 129 Aymonier, S. 194. Zu Aymonier vgl. Singaravélou, Étienne, S. 39–40. 130 Silvestre, S. 241 f. Vgl. Treney, S. 585. Silvestre war Verwalter in Vietnam (Ancien administrateur principal en Cochinchine; Ancien directeur des affaires civiles et politiques au Tonkin). Vgl. Serge Dubreuil, Jules Silvestre, un soldat en Indochine 1862–1913 ou la diffusion de l’idée coloniale. Dissertation an der Université de Toulouse le Mirail 1998. 131 Cohen, Rulers of Empire, S. 19 f. 132 Décret établissant des classes personelles. Für die Vereinheitlichung der Benennung der Beamten vgl. Ministre de la marine et des colonies, 1887. Vgl. dazu Cohen, Rulers of Empire, S. 21. 133 Cohen, Rulers of Empire, S. 37 ff.

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privaten Antrags bei der Regierung.134 Die Schule wurde als Nachfolgerin der privaten École cambodgienne unter dem Namen »École coloniale« im Jahr 1889 eröffnete.135 Die Tradition der École cambodgienne wurde in der »indigenen Sektion« (section indigène) der Schule bis zum Ersten Weltkrieg fortgeführt, verlor aber an Gewicht.136 In der Umsetzung orientierte sie sich am Modell Aymoniers, wenn auch in einer vermittelten Form. Die bestimmende »französische Sektion« (section française) war in einen Ausbildungszweig für Kolonialverwaltung (administration coloniale) und einen für Handel und Landwirtschaft in den Kolonien (commerce /  agriculture) unterteilt.137 Der inhaltliche Schwerpunkt lag auf juristischen und verwaltungsrechtlichen Fragen sowie Sprachen und ethnographischen Vorlesungen.138 Die Kurse waren nicht nach Regionen unterteilt, aber es wurden zusätzliche Spezialisierungskurse für Indochina und seit 1892 auch für Afrika angeboten.139 Zugangsvoraussetzung war das Abitur (baccalauréat) oder der Abschluss einer Handelsschule.140 Die Kritik an der École coloniale war vielfältig und fundamental. Sie betraf ihre Ausrichtung auf Indochina und Kambodscha, die Theorielastigkeit der Ausbildung und das Fehlen von Praxiserfahrung in der Kolonie ebenso wie den finanziellen Aufwand des Staats und die repräsentative Architektur des Neubaus, die auf die wachsende Bedeutung des Kolonialismus in der Metropole hinwies.141 Aber im Zentrum stand der Wert eines zentralisierten Ausbildungsmonopols für die Kolonie in Paris an sich. Die Kritiker rekrutierten sich aus Anhängern des assoziativen Modells, die sich in der Union coloniale française sammelten, und den liberalen Intellektuellen der École libre des sciences politiques. Neben Chailley-Bert, Direktor des Kolonialinstituts in Marseille und Professor an der École libre des sciences politiques (1896–1927), machte sich insbesondere Ulysse Pila, Vizepräsident der Union coloniale und Direktor der Handelskammer in Lyon, zum Wortführer der Kritik.142 Der Unternehmer Pila monierte die mangelnden praktischen Ausbildungsanteile und schlug spezialisierte Schulen in den Provinzstädten vor.143 In der französischen Provinz 134 Ebd., S. 41. 135 Treney, S. 578; 584. Die École cambogdienne war aus der Mission cambodgienne entstanden, einer privaten Initiative des Indochina-Entdeckers und Vizekonsuls Auguste Pavie, der im Jahr 1885 zwölf Kambodschaner und einen Siamesen nach Paris gebracht und für sie ein westliches Erziehungsprogramm erarbeitet hatte. 136 Enders, S. 274: Bis zum Ersten Weltkrieg hatte die Sektion nur ca. 20 Schüler. 137 Treney, S. 588. Zur Ausbildung in diesen Bereichen vgl. Chailley-Bert, L’éducation, S. 38 ff. 138 Foncin, S. 5443–5444. 139 Grand, S. 69 f. 140 Ministère des colonies, 1894. Später wurde dies erweitert und auch Abschlüsse des Institut agronomique sowie die Zulassung zur Marineschule anerkannt, vgl. Ministère des colonies, 1896, S. 1891–1892. 141 Treney, S. 585. 142 Pila. 143 Treney, S. 585. Für eine Biographie vgl. Klein, Pila.

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waren die Handelskammern die treibenden Kräfte der Institutionalisierung von Ausbildungsgängen. Alle zehn wichtigen Schulen der Handelskammern bauten Kursangebote auf, die zu Studiengängen erweitert wurden. Lyons École supérieure de commerce war mit einem Kurs in Kolonialgeographie im Jahr 1890 der Vorreiter gewesen. Die Kolonialschule in Lyon wurde im Jahr 1900 eröffnet.144 Aber auch an den französischen Fakultäten gab es Ausbildungsgänge. Darüber hinaus etablierten auch Institutionen wie die École pratique des hautes études oder das Collège de France Kurse. Pionierfunktion hatte in Paris der von Émile Boutmy organisierte koloniale Ausbildungsgang an der École libre des sciences politiques. Von 1886 bis 1892 bereitete er auf den concours de l’administration coloniale und auf Laufbahnen in Industrie und Handel vor. Die Kurse waren regionenspezifisch angelegt und behandelten Algerien, Tunesien, Afrika und den Fernen Osten. Darüber hinaus gab es allgemeine Kurse in Kolonialgeographie (géographie coloniale) und Kolonialwirtschaft (géographie économique), vergleichende Kolonisierung, Kolonialpolitik der europäischen Staaten und ihre Ursprünge sowie Einführungen in die Kolonialsysteme. Boutmy hatte das Konzept gemeinsam mit der École des langues orientales vivantes entwickelt. So wurden im Jahr 1886 die erste Professur für Kolonialgeographie in Frankreich sowie die Professur für Kolonialsysteme (systèmes coloniaux) geschaffen.145 Boutmys Kritik an der École coloniale war grundsätzlich und ging über praktische Punkte hinaus. Der liberale Bildungsreformer kritisierte wie die Vertreter der Handelskammern den »Jakobinismus« der École coloniale.146 Aber er reflektierte vor diesem Hintergrund die Spezifik der kolonialen Wissenskonstruktion und -vermittlung. Er sah, dass mit dem Zugriff des Staats die Konstruktion und Institutionalisierung eines eigenständigen Wissensfeldes verbunden war und kritisierte das in den 1890er Jahren selbstverständlich werdende Etikett »kolonial« grundsätzlich. Am Beispiel der Vorlesungen zu »Kolonialhygiene« zog er die Existenz kolonialen Wissens grundsätzlich in Zweifel: »Le mot même est significatif. Il peut y avoir une hygiène des pays chauds; il n’y a pas d’hygiène coloniale.«147 2.1.4 Prinzipien der Kolonisierung, Module der Ausbildung und der Mythos des englischen Modells Die Diskussionen in Frankreich signalisieren, wie tiefgreifend die Frage nach dem richtigen Ausbildungsmodell das Selbstverständnis der gesellschaftlichen Eliten affizierte. Nach der Niederlage gegen Deutschland kristallisierten sich in einer Phase der republikanischen Identitätsbildung zwischen rechts und links 144 Klein, La création de l’École coloniale de Lyon. 145 Singaravélou, Professer l’empire, S. 47 f. 146 Boutmy, Le recrutement des administrateurs coloniaux. 147 Ebd., S. 27.

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an diesen Punkten Fragen wie die nach der Rolle des Staats, der gesellschaftlichen Elitenbildung und der Bedeutung der Zivilisierungsmission heraus. In diesem Kontext nahm die Kritik Boutmys eine philosophisch-moralische Färbung an. Er argumentierte für seine Institution. Aber er bettete seine Kritik in ein generelles Reformplädoyer für die französische Gesellschaft ein, wie es charakteristisch für die »deutsche Krise des französischen Denkens« und die Netzwerke der École libre des sciences politiques war, der Boutmy gemeinsam mit Hippolyte Taine, Ernest Renan, Leroy-Beaulieu und anderen ein innovatives Profil gegeben hatte.148 Im Zugriff auf die Kolonialbildung hypostasierte Boutmy zwei Modi, die auf zwei verschiedenen Staatsmodellen beruhten. Großbritannien, das schon seit Längerem im Zentrum seiner Publikationstätigkeit stand, verkörperte in der Argumentation im Gegensatz zu Frankreich eine freiheitliche und pluralistische Grundordnung: Es gab keine zentrale Ausbildung für den Indian Civil Service. Die an einer Karriere in Indien Interessierten konnten ihren Ausbildungsort frei wählen, die Universitäten hatten sich auf eine spezifische Ausbildung in Bezug auf eine Kolonie spezialisiert. Die Eingangsprüfung war vielfältig, aber auch hier konnte der Kandidat zwischen verschiedenen Bereichen wählen, so dass nicht geprüft wurde, was er nicht wusste, wie im System des französischen concours, sondern evaluiert wurde, was er wusste. Ein pragmatisch agierender und zurückhaltender Staat schaffe sich in Großbritannien, so die Darstellung Boutmys, freie und selbständige, Verantwortung und Initiative ergreifende Männer, die in den Kolonien nicht nur das Kolonialreich vertraten, sondern auch international konkurrenzfähig waren.149 Im Gegensatz dazu war Frankreichs Ausbildung der Kolonialbeamten von bürokratischem Formalismus geprägt und zentralistisch organisiert. Die Stellen in den Kolonien wurden nach den im concours erreichten Listenplätzen vergeben: »L’une de nos pires et vaines superstitions est celle d’un enseignement intégral, ordonné et échelonné dans toutes ses parties et imposé de force à tout le monde, sous la sanction d’un examen uniforme«.150 Boutmy argumentierte gegen eine zentrale Einrichtung und vor allem gegen das System des französischen concours. Er forderte eine pluralistische und offene Ausbildung: verschiedene Studiengänge, die ausgerichtet waren auf die jeweilige Kolonie und die zukünftigen Aufgaben des Beamten, verschiedene Ausbildungsstandorte, offene Zugangsprüfungen, zu denen jeder Zutritt hatte und die auch in den Kolonien stattfanden, um die indigenen Bewerber nicht auszuschließen – nach dem Modell des Examens in den Niederlanden.151 148 Digeon; für den Bereich der Bildung vgl. Kwaschik, Deutsche Bildung. Vgl. zur Institution Damamme. Zur Reformdiskussion Vanneuville. Zum englischen Modell als Reformimpuls vgl. Kapitel 2.1.7. 149 Boutmy, Le recrutement des administrateurs coloniaux. 150 Ebd., S. 60. 151 Ebd., S. 93 f.; 106 f.

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Unterschiedlicher hätte die Struktur der Ausbildung in der Tat nicht sein können: in Frankreich eine Aufnahmeprüfung in die Pariser École coloniale als einer grande école, mit der bereits die Aufnahme in den Beamtenapparat verbunden war; in Großbritannien eine Eingangsprüfung – die open competition – an einer der zugelassenen Institutionen, mit der zunächst nur die Zulassungsfähigkeit verliehen wurde. Nach einem Jahr als probationer folgte der final test, der die Zulassung zum Indian Civil Service bedeutete.152 Die französischen Diskussionsteilnehmer waren sich darüber einig, dass das französische System keine effiziente Leistungselite in den Kolonien heranbildete. Die Gründe sahen sie in der Organisation von Zulassung und Prüfung selbst. Die Zulassung nach einem Examen, das ausschließlich die Ausdrucksfähigkeit im schriftlichen Französisch abprüfte, war für ein modernes Kolonialreich ungeeignet. Eine Abschlussprüfung ohne einen mündlichen Teil, der Auskunft über die Persönlichkeit des Kandidaten geben konnte, schien den Kritikern im Bereich der Kolonialbildung unvollständig. Im Bereich der Charakterbildung hielten allerdings selbst die Kritiker der Schule dieser das korporatistische Element der Ausbildung zugute. Ohne die Schaffung einer Art communauté d’origine, die sich an einzelnen Schulen und pluralen Ausbildungsgängen nicht herausbilden konnte, schien auch Boutmy die Ausbildung nicht effizient.153 Boutmys Kritik hatte im Unterschied zu den technisch-administrativen Argumenten der Kolonialaktivisten aus den Handelsschulen einen intellektuellen Charakter. Gleichwohl war auch seine Perspektive in der Orientierung am englischen Modell entstanden und folgte den Grundprinzipien der Kolonisierung. Auf die Frage, wie das Verhältnis von Metropole und Kolonie gestaltet werden sollte, gab es Ende des 19. Jahrhunderts drei Antworten: »Unterwerfung«, »Autonomie« oder »Assimilierung«. Diese drei Formen der Kolonialpolitik wurden typologisiert und in heftigen Diskussionen in ein Spannungsverhältnis zueinander gebracht. Der Jurist Arthur Girault hatte sie als moralische und juristische Prinzipien in seinem viel gelesenen Buch »Principes de la colonisation« (1895) nicht nur erklärt, sondern auch ontologisiert. Während die vollständige Unterwerfung im Rahmen der neuen Kolonialpolitik angesichts der ökonomischen Nutzbarmachung und der drängenden Frage der Regulierung der Auswande­rungsbewegungen keine ernsthafte Option mehr für die Nationen darstellte, war die Autonomie der englische Weg und galt als unfranzösisch. Die Assimilation der Kolonien hingegen entsprach den Ländern des »lateinischen Genies«.154 Gegen die Übernahme dieser Einteilung und die Fortschreibung der Gleichsetzung von Assimilationismus und französischem Kolonialismus ist darauf zu verweisen, dass das Ideenkonglomerat einem historischen Wandel unterlag 152 Chailley-Bert, The Colonisation, S. 232. Vgl. Chailley-Bert, Le recrutement des fonction­ naires coloniaux, S. 18 ff. 153 Treney, S. 586. 154 Girault, Principes, S. 55 f.; zum Prinzip der Autonomie, S. 52 ff. Vgl. dazu El Méchat.

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und auch andere Kolonialmächte beeinflusste.155 Bereits in den 1930er Jahren wurden die Schwierigkeiten diskutiert, die allein eine historisierende Definition als Doktrin mit sich bringt.156 Die Bedeutungen des Assimilationismus können von der Erarbeitung eines Gesetzeswerks für alle Kolonien bis zu weitgehender kultureller Assimilierung reichen.157 Selbst wenn man die Definitionen großzügig auslegt, ist nicht zu übersehen, dass auch in Frankreich der Assimilationismus nur ein Element kolonialer governance war. Und schließlich verstellt eine Gleichsetzung den Blick auf Verschiebungen und Zäsuren. In ideengeschichtlicher Hinsicht war vor 1870 in Frankreich zunächst die später als »unfranzösisch« etikettierte Idee einer vor allem ökonomischen Domination der Kolonien leitend.158 Auf der Ebene der Selbstwahrnehmung hingegen spielte die Assimilationsidee, wie Giraults Darstellung zeigt, eine wichtige Rolle bei der Vergesellschaftung des Kolonialismus Ende des 19. Jahrhunderts. Nur so lässt sich auch die Sogwirkung des englischen Modells erklären und die Tatsache, dass dessen unbestreitbare Überlegenheit zu selbstkritischen Anfragen an französische Re­ gierungs- und Verwaltungsformen sowie Denkmodelle, kurz: das französi­ sche Selbstverständnis als einer Kolonialmacht, führten. Die Kolonialaktivisten orientierten sich am Prinzip der Assoziierung, welches das Wissen aus und über die Kolonien bedeutsam werden ließ.159 Der Assimilationismus hingegen wurde für das Scheitern der französischen Kolonisierung verantwortlich gemacht und seine Vertreter wurden zur Zielscheibe nicht nur vehementer Kritik, sondern auch beißenden Spotts. Die Idee eines assimilationistisch-universalistischen Konsenses der Dritten Republik als Grundlage ihrer imperialistischen Selbstfindung erweist sich angesichts dieser vehement geführten Auseinandersetzungen als Fiktion.160 Bereits vier Jahre nach der Parlamentsdebatte von 1885 war der Congrès colonial international von 1889 geprägt von der heftigen Auseinandersetzung um die Assimilationsidee. Im Zentrum stand dabei der Eröffnungsvortrag von Gustave Le Bon, dem Verfasser von völkerkundlich-anthropologischen Studien über den Nahen Osten und Indien, der heute vor allem über seine Mitte der 1890er Jahre erschienenen Bücher zur Massenpsychologie bekannt ist.161 Er behandelte in seinem Überblick »den Einfluss, den unsere europäische Zivilisa-

155 In der Betrachtung von kolonialer Staatsbildung und Herrschaftspraxis verblassen die Unterschiede zwischen »indirekter« und »direkter Herrschaft«, vgl. Trotha, Koloniale Herrschaft, S. 23. 156 Vgl. den Überblick Knight, French Colonial Policy. 157 Lewis. 158 Todd. 159 Vgl. Grosse, S. 26 ff. Zur These von der Ablösung der Assimilationsidee durch eine Dissimilationsidee vgl. ebd., S. 11. 160 Vgl. Saada. 161 Le Bon, La civilisation des Arabes; ders., Les civilisations de l’Inde; vgl. Marpeau, S. 72 ff.

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tion auf die indigenen Bevölkerungen in den Kolonien ausüben kann« im Ausgang von drei Elementen: »dem europäischen Leben, den Institutionen und der Ausbildung«.162 Le Bon ließ an der Idee der Zivilisierungsmission kein gutes Haar und hielt selbst die linguistische Assimilation für nicht möglich. Seine Überzeugung gründete in der Einsicht in die unüberschreitbare Verschiedenheit der Rassen, die er durch Beobachtungen auf seinen Reisen, Schädelmessungen sowie physio­ logische Überlegungen gewonnen hatte. Nach der Jahrhundertwende spitzte Le Bon seine kolonial- und rassenpolitischen Überlegungen zu. Er bettete sie in eine politische Psychologie ein und gab der »Chimäre« der Assimilationsidee die Schuld am Verfall der französischen Kolonien.163 Die Reaktionen des internationalen Publikums öffnen den Blick auf das Spannungsfeld, in dem die Diskussionsbeiträge sich bewegten: Einerseits fand die rassentheoretisch begründete Idee der Unerziehbarkeit der Indigenen zunächst kaum Anhänger und wurde zum Teil selbst als Affront aufgefasst.164 Andererseits hielt kaum einer der Anwesenden eine komplette Assimilation in allen Kolonien für wünschenswert und durchführbar. Der einzige, der sich vehement für die Einführung auch nur der französischen Sprache einsetzte, war ein nichteuropäischer Senator aus Martinique.165 Die Diskussion changierte zwischen den Polen Assimilierung und Assoziierung. Die Verhandlungen um die Art und Weise, wie die Beziehungen zwischen Metropole und Kolonie gestaltet werden sollten, resultierten in konkreten Vorschlägen für Ausbildungsmodelle für Kolonialbeamte. Dass Silvestre in Frontstellung zu Aymonier, dem Verfechter der Pariser Eliteschule, die Einführung mündlicher Prüfungen vorschlug, ebenso wie die Schaffung einer grande commission, in der die ehemaligen Verwalter versammelt waren, signalisiert seine Orientierung am englischen und am niederländischen Modell.166 Ihr Dreh- und Angelpunkt war die Bedeutung der Kolonie selbst in der Ausbildung derjenigen, die ihre Beziehung zur Metropole gestalteten. Je mehr ein Diskussionsteilnehmer das englische Modell befürwortete, desto weniger erschien ihm eine zentrale Schule in der Metropole mit einem rein schriftlichen Examen, das darüber hinaus nur theoretische Kontexte abprüfte, angemessen. In der Orientierung an der Protektoratsidee und ihren Denk­ modellen lag der Schwerpunkt der Ausbildung auf spezifischen Kursen, den Besonderheiten der jeweiligen Regionen und der Einbindung lokaler Eliten. Für eine Implementierung des französischen Rechts hingegen schienen die Kenntnis 162 Le Bon, De l’influence de l’éducation, S. 50. Der Bericht wurde vollständig in der Revue scientifique abgedruckt (24.8.1889). Vgl. zum Kontext Bernardini. 163 Le Bon, La psychologie politique S. 274. Vgl. insgesamt Kapitel V »Les formes nouvelles de la colonisation«, S. 226 ff. 164 Marpeau, S. 82. 165 Vgl. dazu Nishiyama; Lewis, 1962. 166 Silvestre, S. 244 ff.

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der lokalen Strukturen sowie das Wissen über die Kolonie selbst den Teilnehmern weniger wichtig. Die Kolonialaktivisten aus den Handelsgesellschaften griffen das assimilationistische Modell direkt und explizit an. Chailley-Bert kritisierte die Idee, die Kolonien bzw. »Besitzungen« gleich zu behandeln.167 In seiner Perspektive war eine gute Ausbildung gleichbedeutend mit Praxisorientierung, Sprachkenntnissen und Einblicken in die lokale Administration.168 Ebenso wie Pila hing er dem Protektoratsmodell an. Beide wollten, dem englischen Modell folgend, die französischen »Besitzungen« auch nicht unbedingt »kolonisieren«, sondern vor allem gute Handelsverbindungen aufbauen, einen stabilen Wirtschaftsfluss und eine gute Verwaltung initiieren.169 Das englische Modell nahm in den kontinentaleuropäischen Diskussionen mythische Ausmaße an. Das Bild, das die Debatten prägte, war ein sich fast selbst regierendes Indien, das die Metropole kaum Geld kostete, sondern ihr im Gegenteil zusätzliches Prestige verlieh: »Quel merveilleux spectacle que ce gigantesque empire des Indes où 250 millions d’indigènes sont gouvernés dans une paix profonde par un millier de fonctionnaires appuyés d’une petite armée de soixante milles hommes, et qui se couvre de canaux, de chemins de fer, de travaux de toute sorte sans qu’il en coûte un centime à la métropole! Le prestige moral fait la seule force de cette poignée de gouvernants mais un prestige tel que nous n’avons jamais su l’inspirer dans nos propres colonies.«170

Der umtriebige Generalsekretär der Union coloniale française Chailley-Bert hatte in seinem Buch »La colonisation en Indes« von 1892 die englische Kolonialpolitik analysiert und unter großem Beifall der Briten selbst in kaum zu überbietender Ausführlichkeit ebenso wie Boutmy das englische Prüfungs- und Auswahlsystems des Civil Service den Franzosen als Beispiel empfohlen. Er ging in seinem Eifer sogar so weit zu behaupten, kein französischer Gymnasiast würde die Auswahlprüfungen im Vereinigten Königreich bestehen können.171 Die aktuelle Situation hielt er für verheerend: Die meisten in den Kolonien eingesetzten Beamten seien nicht nur schlechter als die Engländer, sondern auch schlechter als der Durchschnittsbeamte in Frankreich. Die Verwaltung sei nach Zufall und Laune ausgesucht – ohne Kompetenz und Verantwortungsgefühl.172 Sein Ziel war ein selbstständig arbeitender Verwalter, seine Kritik galt der Bürokratie: 167 Vgl. dazu insbes. die Kritik an der Theorie, die französischen Kolonien würden »einen Block« darstellen, für den eine Kolonialpolitik entwickelt werden müsste, z. B. ChailleyBert, Dix années de politique coloniale, S. 1 ff. Zum Unterschied zwischen einer »Kolonie« und einer »Besitzung« vgl. ebd., S. 104 ff. 168 Zur Rolle der Praxis in der Bildung vgl. Chailley-Bert, L’éducation. 169 Chailley-Bert, Dix années de politique coloniale, S. 104 ff. 170 Le Bon, De l’influence de l’éducation, S. 75. 171 Chailley-Bert, The Colonisation, S. 236. 172 Ebd., S. XVII.

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»Quand on cherche quels sont les éléments indispensables de la prospérité des colonies, on en trouve trois principaux: de bons colons, de bonnes lois, de bons fonctionnaires. […] Enfin, les bons fonctionnaires sont les administrateurs aux idées larges et aux intentions élevées, à l’intelligence compréhensive et au jugement droit, jaloux des seuls intérêts des colons et de la colonie, interprétant les lois et au besoin élargissant de façon à en faire une force, non une gêne pour la communauté.«173

Chailley-Bert, der von seinem Schwiegervater Paul Bert als erster Direktor der École coloniale vorgeschlagen worden war, rügte ebenso wie Boutmy nicht nur die Organisation der Eingangsprüfung, sondern auch die Art der Prüfungsfragen und die Auswahl der Prüfer.174 In der Orientierung an Großbritannien müsse der Schwerpunkt der Ausbildung auf der Allgemeinbildung liegen – auf Literatur, Geschichte, technischem Wissen, der Geschichte Indiens, nur wenig Sanskrit und Arabisch.175 Im Gegensatz dazu orientierte sich die Pariser Schule eher am assimilationistischen Modell. Im zweiten Jahr  – wenn man die classe préparatoire mitrechnet – lag der Schwerpunkt auf Kolonialrecht, Topographie, ausländischer Kolonisierungspolitik und nur wenige Stunden waren den spezifischen Regionen gewidmet. Erst im letzten Jahr der Ausbildung spielte die regionale Unterscheidung zwischen Afrika oder Indochina eine Rolle. Die meiste Zeit über beschäftigten sich die Studierenden mit Verträgen und rechtlichen Abhandlungen. Die Themen waren zum Teil sehr spezifisch und nicht für alle relevant, wie zum Beispiel das klassische und viel kritisierte Prüfungsthema zur Finanzpolitik des französischen Staats auf den Antillen im Jahr 1866.176 Das Argument der französischen Kritiker unterschied sich kaum von den Diskussionen in Belgien und Deutschland. Überall forderten Kolonialpropa­ gandisten eine an den Paradigmen der Effizienz und der Professionalisierung orientierte Ausbildung, deren Inhalte mit den Ergebnissen der entstehenden Kolonialwissenschaften zu füllen seien. Die Besonderheit der Diskussionen in Deutschland lag in ihrer Kritik am »Assessorismus«, der großen Bedeutung juristischer Anteile in der Ausbildung.177 Diese findet sich, gemeinsam mit dem Verweis auf die Erfahrungs- und Persönlichkeitsbildung der britischen Ausbildung, bereits in Fabris Schrift von 1879: »Freilich, der in Deutschland seit langem herrschende Aberglaube, daß ein dreijähriges, zwischen Kneipe und Colleg oft noch sehr ungleich getheiltes juristisches Studium zu allem Denkbaren befähige, könnte bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal einen starken Stoß erleiden; und das wäre am Ende wohl werth, eine kleine nationale Verlegenheit bestehen zu müssen. Jedenfalls würden wir, eintretend in die Bahn 173 Ebd., S. 1 f. 174 Étienne hatte diese Besetzung verhindert, vgl. Cohen, Rulers of Empire, S. 37. 175 Chailley-Bert, La colonisation, S. 236. 176 Cohen, Rulers of Empire, S. 46 f. 177 Vgl. Laak, Deutscher Imperialismus, S. 84; Ruppenthal, S. 30; Spidle, The German Colonial Civil Service, S. 83 ff.; 102 ff.

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colonialer Verwaltung, wohl thun, auch nach dieser Seite England zum Muster zu nehmen, dessen colonialer Beamthen-Stand sich im Durchschnitte neben den nöthigen Kenntnissen durch Lebens-Erfahrung und praktisches Geschick, durch Humanität und Selbständigkeit des Charakters vorteilhaft auszeichnet.«178

Die Argumentation blieb bis zum Ersten Weltkrieg relevant. Noch im Jahr 1912, auf der Hauptversammlung der internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre, wies Bezirksamtmann a. D. Hans Zache vom Hamburgischen Kolonialinstitut dem idealen Verwaltungsbeamten eine Zwischenstellung zwischen Kolonie und Metropole zu, die Vermittlung nur in eine Richtung kannte. Er musste wissen, »was den Europäer fördert und den Eingeboren frommt«.179 Zache schlug eine Reduktion der juristischen Anteile vor und zählte im Anschluss an Beneke die vielen verschiedenen Bereiche der notwendigen Ausbildung auf, wie Sprachkenntnisse, rechtliche Grundlagen, Kolonialökonomie, Wirtschaftsgeographie, Kolonialgeschichte und technische Kenntnisse. Er bemerkte, dass hier Ansprüche »wie an ein Konversations­ lexikon« formuliert würden.180 Aber er schlussfolgerte ebenso wie Beneke 1894 daraus auf die Bedeutung der Persönlichkeit des Verwalters.181 Die Kritik am »Assessorismus« bildete zwar ohne Frage das Leitmotiv der deutschen Diskussion. Sie war das Ergebnis der spezifischen Tatsache, dass die meisten Kolonialbeamten in Deutschland die rein juristische Ausbildung für den höheren preußischen Staatsdienst durchliefen, da das Reichsbeamtengesetz von 1873 keine Angaben zur Ausbildung von höheren Verwaltungsbeamten machte.182 Dennoch wäre es reduktionistisch, sie als ein deutsches Spezifikum zu interpretieren. Vielmehr handelte es sich um eine Variation der in allen europäischen Diskussionen anzutreffenden Unzufriedenheit mit einer rein bürokratischen Ausbildung und Auswahl der Kolonialbeamten. Die gemeinsame Struktur für diese Kritik gab der Blick auf die persönlichkeitsbildenden Anteile der britischen Ausbildung vor: Der deutsche Jurist stand dabei ebenso wie der französische Bürokrat dem englischen Tatmenschen gegenüber. In der Rezeption der Ausbildungsmodule der alten Kolonialmächte wurde ein entscheidendes Element der Persönlichkeitsausbildung des Verwalters mit besonderer Ausführlichkeit in den Metropolen diskutiert, nämlich das Praktikum in der Kolonie. Beneke hielt in seiner Schrift von 1894 den Kontakt zu den Menschen aus der Kolonie für die Bildung des Beamten für wesentlich. Dieser sollte aber in der Ausbildungsstätte erfolgen, so wie auch am Seminar für Orientalische Sprachen indigene Assistenten eingesetzt wurden.183 Am Institut colonial inter178 Fabri, Bedarf Deutschland der Colonien, S. 177. 179 Zache, S. 7. Zum Rassismus Zaches und der Rezeption durch Richard Thurnwald vgl. Steinmetz, Neo-Bourdieusche Theorie. 180 Zache, S. 8. 181 Ebd., S. 9. 182 Ruppenthal, S. 30. 183 Beneke, S. 68 f. Vgl. 2.1.5.

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national erfolgte die Diskussion um das Praktikum militanter. Nach ChailleyBerts Bericht 1897 dominierte vor allem Oberst Albert Thys, Geschäftsmann und Kolonialbeamter Leopold II. seit der geographischen Konferenz, die Diskussion mit Pro-Argumenten, die auf seiner Erfahrung beim Bau der Eisenbahn im Kongo beruhten.184 In der letzten großen Diskussion, die in Belgien vor dem Ersten Weltkrieg nun auf einer Arbeitssitzung der interdisziplinären Arbeitsgruppe zu Kolonialfragen am 1902 gegründeten Institut de sociologie Solvay stattfand, wurden die Argumente noch einmal systematisiert. Erbittert wurde um den Stellenwert des Praktikums in der Kolonie gerungen: Der Jurist Félicien Cattier und der Sozial­ wissenschaftler und Direktor des Instituts Émile Waxweiler setzten sich für einen einjährigen Afrika-Aufenthalt vor Schuleintritt ein, um die Ausbildung auf konkrete Vorstellungen von der fremden Kultur und den Menschen zu gründen: »Former des fonctionnaires coloniaux sans les obliger à faire d’abord un stage dans la colonie, serait la même chose que vouloir former des ingénieurs sans leur montrer des machines.« Andere bezweifelten den Wert dieser praktischen Ausbildungsinhalte entweder generell oder ihre Relevanz vor Beginn des Unterrichts an der Kolonialschule.185 Die britische Option, wonach ehemalige Officer des Indian Civil Service in die Auswahl der Kandidaten einbezogen wurden, diese in einer Art Mentoring begleiteten und während des praktischen Jahres ihre Zwischenberichte evaluierten, stand nicht zur Debatte.186 Man einigte sich 1912 in Brüssel auf ein Arbeitspapier, in dem ein Praktikum von unbestimmter Dauer vorgeschlagen wurde, dessen Zeitpunkt nicht näher bestimmt war.187 Unstrittig war allerdings, dass über die Zulassung des Kandidaten erst nach dem Aufenthalt in der Kolonie zu entscheiden wäre.188 Der Plan wurde nicht umgesetzt. Aber die Übereinstimmung in diesen Punkten zeigt den Stellenwert dieser Form der kolonialen Ausbildung an. Die Bedeutung des Praktikums in der Debatte erklärt sich durch seinen hohen und vieldimensionalen Symbolwert für die »Inwertsetzung« der Kolonien. Das Praktikum fungierte als Referenz auf die Leistungsfähigkeit und den Pragmatismus des englischen Modells. Mit ihm verbanden sich die Ansprüche an Charakter und Kulturfähigkeit des zukünftigen Verwalters oder Beamten, die sich in der Region erweisen mussten. Aber der Praktikums-Diskurs verwies auch auf den Wert, welcher der fremden Kultur und dem direkten Kontakt mit ihr zugestanden wurde. So stiegen durch die Institutionalisierung der Ausbildungsgänge 184 [O. A.], Le recrutement des fonctionnaires coloniaux. Discussion, in: Institut colonial international, 1897, S. 101–109. 185 Travaux du groupe d’études coloniales. 186 Chailley-Bert, The Colonisation, S. 230 f.; Boutmy, Le recrutement des administrateurs coloniaux, S. 79 ff. 187 Travaux du groupe d’études coloniales, S. 243. 188 [O. A.], Le recrutement des fonctionnaires coloniaux en Angleterre, en Hollande et en France, in: Bulletin de la Société [belge] d’études coloniales, Jg. 8 (11), 1901, S. 746.

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nicht nur die Relevanz und der Bedarf von Wissen über die Kolonie und ihre Bewohner, sondern auch die Bedeutung von Wissen über Kontakte mit fremden Kulturen und die Möglichkeiten ihrer Beeinflussung. Das hier noch intuitiv und kolonialwissenschaftlich verhandelte Problem professionalisierte sich: In den 1940er Jahren konzipierten die Anthropologen Gregory Bateson, ­Margaret Mead und Ruth Benedict vom Council on Intercultural Relations auf der Grundlage eines »cultural approach« Kulturkontakt-Trainingsprogramme für Armeeangehörige.189 2.1.5 Von der Sprachausbildung zur »Nationenwissenschaft« in Deutschland Deutschland war spät zu Kolonien, aber auf Initiative des Reichskanzlers schnell zu einer Ausbildungseinrichtung gekommen. Die Gründung des Seminars für Orientalische Sprachen im Jahr 1887 war eine Reaktion auf die Verflechtung der Handelsbeziehungen und kein Ergebnis der Diskussion um die »kolonisierende Nation«. »Bei der fortschreitenden Entwicklung unserer Beziehungen zu Asien und Afrika hat sich in Deutschland in neuerer Zeit ein vermehrtes Bedürfniß nach Erweiterung der Kenntniß der Sprache des Orients und Ostasiens, und zwar sowohl im Interesse des Dolmetscherdienstes als auch für andere Berufszweige, dringend fühlbar gemacht«, begründete die Denkschrift zur Errichtung eines Seminars für Orientalische Sprachen selbige im Jahr 1885.190 Am 3. April 1886 war der Vorschlag von Bismarck in den Reichstag eingebracht worden, ein Jahr später passierte das Gesetz das Parlament. Am 23. Mai 1887 wurde das Gesetz gegeben, im Oktober 1887 eröffnete das Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität.191 Die Initiative ging von der Regierung aus und das Institut war je zur Hälfte vom Reich und von Preußen finanziert. Es sollte erklärtermaßen »unter Mitwirkung des Auswärtigen Ressorts« funktionieren.192 Die Ausbildungsoption war als eine Strategie der Wettbewerbsfähigkeit lanciert worden und hatte kaum Widerspruch hervorgerufen. Im Reichstag wurde der Finanzierung dieselbe Bedeutung zugesprochen wie der Dampfersubvention, die 1885 private Postdampferlinien nach Ostasien und Australien unterstützten sollte.193 Die Geschwindigkeit der 189 Margaret Mead an Clyde Kluckhohn, 16.2.1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 190 Vgl. Entwurf eines Gesetzes betreffend die Errichtung eines Seminars für orientalische Sprachen; Denkschrift (= Drucksache 309), in: RT, Bd. 92, S. 1652 f. Der Text wurde unverändert beibehalten. 191 Vgl. nach wie vor Morgenroth, S. 7. Dazu Mangold. 192 Entwurf der Grundlagen einer zwischen dem Reich und Preußen abzuschließenden Vereinbarung (= Drucksache 309), in: RT, Bd. 92, S. 1653. 193 Redebeitrag Grad am 7.12.1886, in: RT, Bd. 94, S. 143 f. Am 20. November 1884 hatte die Regierung dem Reichstag einen Gesetzentwurf zur staatlichen Subventionierung privater Postdampferlinien nach Afrika, Australien und Ostasien vorgelegt. Die Sozialdemokraten

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Institutsgründung, nur wenige Jahre nach den ersten Schutzbriefen, lag im Zuschnitt des Seminars begründet. Es war der philologische Geist des Seminars, der selbst den lautstarken Kritiker des deutschen Kolonialismus und BismarckGegner Ludwig Bamberger zur Zustimmung bewegte. Bamberger war ein vehementer Kritiker der Schutzzölle und jeder Form der »Bemutterung des Handels«, die er auch hinter diesem Gesetzesvorschlag mit seiner linguistischen Vorbildung von Kaufleuten vermutete.194 Mit dankenswerter Offenheit griff er in den Verhandlungen des Reichstags 1887 das in der Geschichte der Area Studies immer wieder anzutreffende Argument einer direkten positiven Beeinflussung des Handels durch erweiterte Sprachkenntnisse an. Nachdem der elsässische Abgeordnete Grad den »volkswirtschaftlichen Werth« des Seminars mithilfe einer Tabelle begründet hatte, auf welcher der Export Englands und Deutschlands in die Türkei, nach Ägypten, China, Hongkong, auf die Ostindischen Inseln, nach Japan und Britisch Indien verglichen wurde,195 erklärte Bamberger: »Es ist doch eine etwas gar zu einfache Vorstellung, wenn Herr Grad uns vorrechnet, wie hoch die Exportziffern von England nach dem Orient sind im Vergleiche zu den Exportziffern Deutschlands, und nun glaubt, je mehr Geld wir für ein orientalisches Seminar ausgeben werden, desto mehr werden unsere Exportziffern nach dem Orient wachsen. Ich glaube sogar, dass die Vergleichung mit der in meinen Augen zweifelhaften Leistung der Dampfersubvention noch viel zu hochgehend ist und ich würde der Sache durchaus nicht freundlich gegenüberstehen, wenn ich wirklich dächte, ihre kommerzielle Bedeutung bilde ihren Schwerpunkt.«196

Bamberger wandte sich gegen antiliberale Elemente in der Wirtschaftspolitik. Er argumentierte in der Tradition des deutschen Bildungsideals gegen ein utilitaristisches Ausbildungsverständnis, das als undeutsch und französisch empfunden wurde.197 Aber er unterstützte den Vorschlag, weil er in ihm die »Förderung des philologischen Studiums nach der lebenden Sprachbildung hin« sah. Die Verbesserung der Dolmetscherausbildung war ein Beitrag zur Modernisierung von Deutschlands Vorreiterrolle in den philologischen Disziplinen: »weil wir alle ein stimmten im Reichstag am 23. März 1885 geschlossen gegen die Dampfersubvention. Die Vorlage löste in der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion heftige Meinungsverschiedenheiten aus. Ihr Antrag, dass alle Schiffe subventionierter Linien auf deutschen Werften gebaut werden müssten, wurde abgelehnt. Für ein Resümee der Debatte, der Kritik am »schutzzöllnerischen Hexensabbath« und dem häufig übersehenen Impuls, das Hamburger Proletariat durch die Ablehnung zu schützen (da die Subvention der Bremer Lloyd zugutekam und als Zinsgarantie interpretiert wurde), Mehring, Bd. 4, S. 265 ff. Vgl. für eine zeitgenössische Zusammenstellung der Dokumente, Frachtladungen Jaensch. 194 Redebeitrag Bamberger am 20.4.1887, in: RT, Bd. 96, S. 403 f. 195 Redebeitrag Grad am 7.12.1886, in: RT, Bd. 94, S. 143 f. 196 Redebeitrag Bamberger am 7.12.1886, in: RT, Bd. 94, S. 144–146. 197 Vgl. zum Moment der Verflechtung in der deutsch-französischen Bildungsgeschichte Kwaschik, Deutsche Bildung.

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bisschen Philologen sind und gerade in den modernen Sprachen mehr das Alte lieben und suchen als das Moderne.«198 Schon in den ersten Debatten waren Erweiterungsvorschläge gemacht worden. Der deutschkonservative Abgeordnete Heinrich Hermann Klemm aus Sachsen hatte in allen Beratungen über die Gesetzesvorlage darauf hingewiesen, dass andere europäische Länder – die Modelle für Sprachschulen waren Frankreichs École des langues orientales (1795) und Österreichs Akademie der Orientalischen Sprachen (1754)  – längst nicht mehr bei der Sprachausbildung stehen geblieben wären, sondern andere Ausbildungselemente hinzunähmen. Frankreich sei sogar schon dabei, seinen höheren diplomatischen Dienst zu schulen.199 Klemm brachte den in der französischen Diskussion so relevant gewordenen Vorschlag vor, auch Externe zur Abschlussprüfung zuzulassen und ihr damit mehr Gewicht zu verleihen.200 Aber seine Gedanken wurden nicht aufgegriffen.201 Dennoch hatte der Name »Seminar für Orientalische Sprachen« den Charak­ ter der Institution eher verborgen als benannt: Weder war das Seminar für Orientalische Sprachen ein universitäres Seminar wie das Germanische Seminar oder andere Bestandteile der Berliner Universität noch wurden nur orientalische Sprachen unterrichtet, sondern auch afrikanische und europäische. Darüber hinaus war die Ausbildung nicht rein philologisch, sondern umfasste auch die sogenannten Realien, die an Bedeutung gewannen.202 Das Seminar wurde ab 1892 zur inoffiziellen Ausbildungsstätte für das Personal des Kolonialamts oder in anderen kolonialen Kontexten Beschäftigte.203 Aus der Dolmetscherschule war unter ihrem ersten Direktor Eduard von Sachau ein Kolonialinstitut geworden. Die Veranstaltungen in Landeskunde wurden zahlreicher ebenso wie Kurzausbildungen in afrikanischen Sprachen. Die kolonialpolitischen Fächer beinhalteten unter anderem Vorlesungen über die Geschichte der politischen Aufteilung und ökonomischen Erschließung der Kolonien, Missionsprobleme, Tropenhygiene. Das Lehrpersonal wurde um Missionare, Konsulats- und Kolonialbeamte erweitert; die Hörerschaft umfasste nach 1892/1893 vor allem angehende Kolonialbeamte. Für 1912 sind als Absol-

198 Redebeitrag Bamberger am 7.12.1886, in: RT, Bd. 94, S. 144–146. 199 Redebeitrag Klemm am 7.12.1886, in: RT, Bd. 94, S. 144. Der Bezug auf Wien und Paris findet sich in der Denkschrift, vgl. Entwurf eines Gesetzes betreffend die Errichtung eines Seminars für orientalische Sprachen; Denkschrift (= Drucksache 309), in: RT, Bd. 92, S. 1652 f. 200 Redebeitrag Klemm am 20.4.1887, in: RT, Bd. 96, S. 326. 201 Vgl. zur Dolmetscherausbildung Redebeitrag Hammacher am 20.4.1887, in: RT, Bd. 96, S. 326: Es wurden 53 Dolmetscher, darunter 11 Dolmetschereleven, ausgebildet. 202 Palme, S. 27. Vgl. auch Pohl, S. 12 ff. Vgl. Matthias Erzberger auf der Sitzung des Reichstags vom 14.4.1913, zitiert nach: ebd., S. 29; vgl. das Plädoyer Palmes 1914 für den Titel »Deutsche Auslandshochschule«. Pohl hatte zunächst für eine Akademie für den Auslandsdienst plädiert, ebd., S. 7; 54. 203 Spidle, The German Colonial Civil Service, S. 282 ff.

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venten 101 Kolonialbeamte, 64 Postbeamte im Kolonialdienst und 228 Offiziere der Schutztruppe überliefert.204 Der Sprachunterricht in Berlin wurde als nationale Ressource reguliert. Sprachen, die nicht mehr gebraucht wurden, wurden abgesetzt (wie Jaunde und Herero).205 Die Sprachausbildung am Seminar war anwendungsorientiert, in den Worten des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten Gustav von Goßler war in den Planungen »von Anfang an die Praxis, das praktische Bedürfnis des Lebens allein in den Vordergrund der Erwägungen gestellt worden«.206 Die Sprachvermittlung richtete sich an »Aspiranten für den Dolmetscher-Dienst sowie Angehörige sonstiger Berufsstände, welche den erforderlichen Grad geistiger und sittlicher Reife besitzen«.207 Die Schlussprüfung war nicht obligatorisch, »jedoch wird das Auswärtige Amt in Zukunft solchen Aspiranten für den Dolmetscher-Dienst, welche diese Prüfung bestanden haben, und im Uebrigen geeignete Qualifikationen besitzen, vor anderen Aspiranten vorzugsweise Berücksichtigung zu Teil werden lassen«.208 Angesichts dieser Ambivalenzen in der Position des Seminars kann es nicht verwundern, dass seine Existenz mit Blick auf die internationalen Entwicklungen nicht als ausreichende Antwort auf die drängenden Fragen der Kolonialausbildung im Kaiserreich empfunden wurde. Beneke hatte in seinem 1894 im Auftrag der Kolonialgesellschaft erarbeiteten Bericht im Ausgang von den Entwicklungen in den anderen europäischen Ländern eine wissenschaftliche Ausbildung und eine Reduzierung der juristischen Anteile gefordert. Die Bestandteile kolonialer Ausbildungsoptionen waren ebenfalls konkret benannt worden. Diese sollten eine Sprache, Landeskunde, Kolonisationslehre, Geschichte der Kolonien, Tropenhygiene und Landwirtschaft beinhalten, praktisch-technische Elemente, sowie Reiten und Fechten.209 Nach der Jahrhundertwende wurde dieses Programm großflächig umgesetzt. Neue Institutionen entstanden: Im Jahr 1898 wurde die Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe Wilhelmshof in Witzenhausen gegründet, deren Ausbildungsschwerpunkte auf Plantagenbau und Wirtschaft lagen.210 Gleichwohl sollte sie theoretische und praktische Kurse verbinden und darin die Erfahrungen des Colonial College in Harwich und der Reichslandbauschule in Wageningen zusammenbringen. Die Schule diente ihrerseits den 204 Morgenroth, S. 15. 205 Ebd. 206 Redebeitrag Goßler am 27.4.1887, in: RT, Bd. 96, S. 402 f. 207 Entwurf der Grundlagen einer zwischen dem Reich und Preußen abzuschließenden Vereinbarung (= Drucksache 309), in: RT, Bd. 92, S. 1653. 208 Ebd. 209 Beneke, S. 68 f. 210 Ruppenthal, S. 43 ff. Vgl. für die zeitgenössische Rezeption in Belgien (allerdings mit falschem Gründungsdatum) das Resümee [o. A.], L’École coloniale allemande et sa mission, in: Société belge d’études coloniales, Jg. 15 (3), 1908, S. 253–256. Für einen Überblick vgl. Böhlke.

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kolonialen Ackerbauschulen in Tunis und Nogent sur Marne als direktes Vorbild, »teilweise unter direkter Benutzung des deutschen Prospekts und Arbeitsprogramms«.211 Im Jahr 1901 wurde in Hamburg das international einzigartige Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten eröffnet.212 Bis zum Ende des Jahres 1907 sollten in Deutschland an circa 32 Hochschulen und Ausbildungseinrichtungen (inklusive Forstschulen) kolonialwissenschaftliche Ausbildungsoptionen eingerichtet werden.213 Die Vermittlung kolonialen Wissens wurde ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Die Kolonialschule in Witzenhausen nahm Modellcharakter an und zog weitere Gründungen von Kolonialschulen mit verschiedenen kolonialwirtschaftlichen Ausrichtungen nach sich.214 Ebenso wie in Frankreich wurden die Handelshochschulen zu frühen Trägerinnen umfassender kolonialwissen­schaftlicher Ausbildungen.215 Ein besonders umfassendes Angebot aus wirtschaftswissenschaftlichen, kolonialgeographischen und völkerkundlichen Kursen wies die Städtische Handelshochschule in Köln auf.216 Im Sommer 1906 wurden hier zum Beispiel Veranstaltungen über »Die Organisation des Welthandels«, »Kolonialgeschichte und Kolonialpolitik«, »Die Seehäfen des Weltverkehrs in wirtschaftlicher Beleuchtung« und zu »Landeskunde und Wirtschaftsgeographie Afrikas« ebenso wie botanische Veranstaltungen angeboten.217 Die Kölner Handelshochschule hatte 1907 innerhalb eines Jahres mit vier Professoren und 26 Studenten ein spezifisches Programm aufgebaut und sogar eine einmonatige Exkursion nach Ostafrika unternommen.218 Über Volkshochschulen, Bergakademien und tierärztliche Hochschulen erreichte die Kolonialausbildung schließlich auch die Universitäten. An den Universitäten gab es an den verschiedenen Fakultäten Veranstaltungen, die sich mit den deutschen Kolonien beschäftigten oder mit Themenbereichen, die als kolonialpolitisch relevant angesehen wurden und deshalb als »kolonialwissenschaftlich« etikettiert wurden.219 Als Indikator für ein systematischeres Inte­ resse können die Listen mit sogenannten »Kolonialen Vorlesungen« an deutschen 211 Fabarius. 212 Spidle, The German Colonial Civil Service, S. 289 ff.; Ruppenthal, S. 86 ff. 213 Spidle, Colonial Studies, S. 243. 214 Vgl. z. B. 1903 die Missionarsschule Engelport; 1908 die Kolonialschule in Hohenheim (Eine neue Kolonialschule in Hohenheim, in: DKZ, Jg. 25 (46) 1908, S. 807); 1911 die Kolonialfrauenschule in Bad Weilbach (vgl. Heyl, S. 8 f.). Zur Literatur, Blisch; Lerp. 215 Neben den technischen Hochschulen, vgl. für Danzig [o. A.], Koloniales an deutschen Hochschulen, in: DKZ, Jg. 23 (8), 1906, S. 77; vgl. darüber hinaus die späteren Listen für Danzig, Darmstadt, Hannover und München, Oberstleutnant Gallus z. D., Koloniale Vorlesungen, in: DKZ, Jg. 23 (43), 1906, S. 429 f. 216 Horstmann. 217 [O. A.], Koloniales an deutschen Hochschulen, in: DKZ, Jg. 23 (9), 1906, S. 85. 218 Spidle, Colonial Studies, S. 243. 219 Z. B. Überblicksveranstaltungen zur Geschichte Englands, Japans, der Türkei, der Völkerkunde Australiens und Ozeaniens oder der USA, vgl. Oberstleutnant Gallus z. D., Koloniale Vorlesungen, in: DKZ, Jg. 23 (43), 1906, S. 429 f.

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Hochschulen, Handelsschulen und Vereinen gelten, die seit 1906 in der »Deutschen Kolonialzeitung« erschienen. Zunächst hatte die Zeitung lediglich auf einzelne Veranstaltungen hingewiesen. Ab dem Jahr 1907 wurde die Liste zu einer regelmäßigen Rubrik. Die Aufstellungen verfolgten das Ziel, das Interesse insbesondere der Jugend an kolonialwissenschaftlichem Unterricht zu stimulieren, gemäß dem auf der Hauptversammlung der DKG 1907 in Worms gefassten Beschluss.220 Berücksichtigt wurden in der ersten Aufstellung neben den Kursen des Seminars für Orientalische Sprachen Veranstaltungen an den Universitäten in Berlin, Bonn, Breslau, Freiburg, Gießen, Göttingen, Greifswald, Halle, Heidelberg, Jena, Kiel, Königsberg, Leipzig, München, Münster, Straßburg und Tübingen.221 Die Listen mögen nicht vollständig und inhaltlich von begrenzter Aussagekraft sein. Jüngere Lokalstudien belegen für Köln, dass die Anzahl der Veranstaltungen deutlich höher gelegen haben muss.222 Es fällt des Weiteren auf, dass im weiteren Verlauf einzelne Universitäten fehlen, die wie Rostock bereits zuvor Veranstaltungen gemeldet hatten.223 Und es stellt sich schließlich die Frage, inwiefern die genannten Veranstaltungen in der Tat kolonialwissenschaftlichen Charakter hatten. Grundtendenzen lassen sich gleichwohl ablesen. Abgesehen von der flächendeckenden geographischen Verteilung ist auch das inhaltliche Spektrum dieser Kolonialwissenschaften dem der anderen Länder vergleichbar. Neben dem besonders stark ausgeprägten missionswissenschaftlichen Schwerpunkt (Halle, Tübingen, Marburg, Freiburg) und der Vorreiterrolle des Rechts fanden sich Kurse zu Tropenhygiene sowie botanische, medizinische und geographische Veranstaltungen. Landeskunde und Völkerrecht wurden einbezogen. Universitäre Veranstaltungen zur »Besiedlung unserer Kolonien (mit Lichtbildern)« wie in Halle zeigen den allgemeinen Charakter der Kurse an. Die im November 1908 an der Universität Halle auf Betreiben einer Dozentengruppe gegründete Kolonialakademie hatte 23 Professoren und bot, was aus der Liste der DKZ nicht hervorgeht, 49 Kurse in Kolonialwissenschaft an.224 Auffällig ist im Vergleich mit den Entwicklungen in Belgien und Frankreich der vereinzelte Charakter der Kurse. Die aufgelisteten Veranstaltungen waren nicht Teil eines eigenständigen Programms mit einem separaten Abschluss, sondern Spezialisierungen innerhalb anderer Disziplinen oder Ausbildungsgänge. 220 [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen an deutschen Hochschulen, Instituten usw., Winterhalbjahr 1907–1908, in: DKZ, Jg. 24 (35) 1907, S. 350–352. 221 Oberstleutnant Gallus z. D., Koloniale Vorlesungen, in: DKZ, Jg. 23 (43) 1906, S. 429 f. 222 Vgl. die Aufstellung für Köln von 1902–1944/45 Horstmann, S. 327–346. 223 Die Universität Rostock bot z. B. im Bereich Landeskunde und Geographie im Sommer 1906 Veranstaltungen an, Koloniales an deutschen Hochschulen, in: DKZ, Jg. 23 (11) 1906, S. 103. 224 Vgl. [o. A.], Kolonialakademie in Halle, in: DKZ, Jg. 25 (49), 1908, S. 854; für die Sicht eines beteiligten Dozenten vgl. Fleischmann, S. 56–57. Zur Kursliste im Wintersemester 1909 vgl. [o. A.], Die Kolonialakademie zu Halle a. S., in: DKZ, Jg. 26 (28), 1909, S. 470. Die Vorlesungen behandelten Kolonialgeschichte, Missionsgeschichte, Geologie, Vegetation, Geburtshilfe, Tierwelt, Meteorologie, Landeskunde und Recht.

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Nur in Göttingen wurde die »Kolonialkunde« im Sommer 1906 als eigene Rubrik aufgeführt, bestehend aus Medizin, Geographie, Völkerrecht und Kolonialpolitik;225 zwei Jahre später fassten Göttingen und Halle die Veranstaltungen unter dem Titel »Kolonial-Wissenschaften« im Vorlesungsverzeichnis zusammen.226 Dies gilt auch für die Denominationen von Lehrstühlen oder die Ausrichtung von Professuren. Erst im Jahr 1908 wurde der Wirkliche Admiralitätsrat Otto Köbner, der seit mehreren Jahren in Berlin Vorlesungen in Kolonialrecht und Kolonialpolitik gab und seit 1898 im Allgemeinen Marinedepartment für die Angelegenheiten des Gouvernements Kiautschou zuständig war,227 außerordentlicher Professor, was entgegen der begeisterten Notiz in der DKZ nicht gleich­ bedeutend mit der Schaffung einer Professur für Kolonialrecht war.228 Mit Blick auf die anderen Nationen allerdings war der Ausruf der deutschen Kolonial­ gesellschaft und insbesondere ihrer Abteilung Charlottenburg verständlich.229 In Leiden war bereits dreißig Jahre zuvor, im Jahr 1877, mit der Berufung van der Liths, einem der wichtigsten Protagonisten am Institut colonial international, eine Professur für Kolonialrecht im Sinn eines eigenständigen Wissensgebiets geschaffen worden.230 Die entscheidende Zäsur bildete in Deutschland die zwischen Hamburg und dem Reich ausgehandelte Gründung des Hamburgischen Kolonialinstituts (1908–1919), das wie keine andere Institution in Deutschland die Ziele der wissenschaftlichen Kolonisierung dernburgscher Prägung darstellte. Das Hamburger Institut sollte alle Elemente kolonialwissenschaftlicher Ausbildungsoptionen von historischen über juristische, geographische, zoologische bis hin zu nationalökonomischen Themen zu einer fächerübergreifenden Ausbildung vereinen, die gleichermaßen für Beamte wie für Männer aus Wirtschaft und Handel geeignet sein sollte. Die Ausbildung war umfassend und anwendungsorientiert. Sie reichte

225 [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen, in: DKZ, Jg. 23 (43), 1906, S. 429 f. 226 [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen an deutschen Hochschulen, Instituten usw., Winterhalbjahr 1907–1908, in: DKZ, Jg. 24 (35), 1907, S. 350–352. Die Begriffe »Kolo­nialwissenschaften« und »Kolonialkunde« wurden dabei synonym verwandt, für 1908 wurde in Göttingen wieder die Rubrik »Kolonialkunde« aufgeführt, vgl. [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen, in: DKZ, Jg. 25 (16), 1908, S. 276–278. 227 Zunächst fanden die Veranstaltungen am Seminar für Orientalische Sprachen statt. Ab dem Sommer 1906 fanden die Veranstaltungen ausschließlich an der Friedrich-WilhelmsUniversität statt, vgl. Vorlesungen über Kolonialrecht und Kolonialpolitik, in: DKZ, Jg. 23 (19), 1906, S. 182. 228 [O. A.], Die Professur für Kolonialrecht, in: DKZ, Jg. 25 (9), 1908, S. 148 f. 229 Ebd. 230 Genau genommen erfolgte die Ernennung 1877 an der juristischen Fakultät als Professor für mohammedanisches Recht, andere Volkseinrichtungen in Niederländisch-Indien und koloniales Staatsrecht. Vgl. die Antrittsvorlesung, Lith. Lith hatte nach seiner Jurapromo­ tion im Jahr 1868 die Prüfungen in Leiden für den Beamtendienst in Indien abgelegt, wurde dann aber an dem Institut Professor, zunächst für indische Sprache, Landes- und Völkerkunde. Ab 1886 war er Institutsdirektor, zur Biographie vgl. Louter.

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von den Anfängen einer kulturwissenschaftlichen Orientalistik bis zu Fragen des Schiff- und Hafenbaus.231 Das Institut entwarf ein umfassendes Programm der Kolonialwissenschaften. Aber es wurde weder zur obligaten Ausbildung deutscher Kolonialbeamter noch zog es, wie geplant, kaufmännisch oder wirtschaftlich arbeitende Studierende an. Sein Scheitern schien schon vor der offiziellen Schließung 1919 absehbar.232 Dennoch brachte es Deutschland den Ruf ein, an der Spitze der wissenschaftlichen Kolonialausbildung zu stehen und erregte den Neid der Engländer, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht über eine zentrale Schule verfügten.233 Die Modellwirkung zeigte sich auch in den USA. Als hier in den 1940er Jahren nationale Strukturen für Lateinamerikastudien geschaffen werden sollten, fungierte das Institut als Referenz, allerdings ohne weitere Debatte oder Realisierung.234 In seiner Größe und dem Grad der Wissenschaftlichkeit der vermittelten Inhalte war das kurzlebige Hamburger Institut in der Tat einzigartig: Im Jahr 1913 hatte es 67 Professoren und Dozenten.235 Die Gründung des Instituts hatte die Eigenständigkeit einer kolonialen Ausbildung bestätigt, ihr institutioneller Ort in der Wissenschaftslandschaft blieb dennoch unbestimmt. Das Institut, das als Grundstein einer Hamburgischen Universität gegründet worden war, stand zwischen einer Fachhochschule und einem universitären Seminar. Nach der Eröffnung stellte sich bald die Frage nach einer Erweiterung in Richtung einer Kolonialuniversität.236 Mit den Rekrutierungsproblemen der Studierenden und der Schließung des Instituts erübrigte sich die Diskussion nach dem Ersten Weltkrieg. Sie hatte nicht zuletzt durch die Konkurrenz mit Berlin an Dynamik gewonnen. Denn das grundlegende Problem der institutionellen Integration des Kolonialwissens in die Hochschullandschaft stellte sich auch in Bezug auf das Seminar für Orientalische Sprachen. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte dessen mögliche Erweiterung zu einer Deutschen Auslandshochschule in Berlin die Begründung einer eigenständigen Disziplin aus praktisch-anwendungsorientierten regionalwissenschaftlichen Ausbildungsmodulen ins Zentrum einer wissenschaftspolitischen Debatte gerückt. Im Interesse seiner Disziplin hatte sich bereits 1908 der Jura-Professor Heinrich Pohl für eine Erweiterung des Seminars durch eine Wirtschafts- und eine Rechtsabteilung mit völkerrechtlicher Ausrichtung eingesetzt.237 Im Anschluss an das 25-jährige Jubiläum des Seminars intensivierte sich mit der Frage nach seiner Zukunft die Diskussion um mögliche Erweiterungen.238 Der Reichs231 Ruppenthal, S. 135 ff. 232 Spidle, The German Colonial Civil Service, S. 315 ff. 233 Hamilton, Colonial Education. 234 Loschke, Area Studies, S. 115. 235 Spidle, The German Colonial Civil Service, S. 320. 236 Ruppenthal, S. 167 ff. 237 Pohl, S. 35. 238 Vgl. das Resümee der Diskussion bei Pohl, S. 15 ff. Vgl. dazu Müller, Weltpolitische Bildung, S. 142 ff.

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tag nahm im April 1913 positiv Stellung. Erzberger hatte sich für eine unter Reichsaufsicht stehende Auslandshochschule ausgesprochen. Widerstände gab es kaum.239 Carl Heinrich Becker, der am Hamburger Institut das erste islamwissenschaftliche Seminar in Deutschland begründet hatte, legte ein alternatives Reform­ programm vor. In seiner »Denkschrift über die Förderung der Auslandsstudien« (1917) im Ergebnis der »praktischen staatlichen Bedürfnisse« Deutschlands forderte er den Aufbau einer dezentralen, nach Universitäten und Regionen organisierten Ausbildungsstruktur.240 Die methodischen Grundlagen dieser wissen­ schaftlichen Auslandsstudien sollten interdisziplinär und an der Gegenwart orientiert sein. Der auszubildende Auslandsexperte sollte das »vielgestaltige Denken und Empfinden, die gesamte soziologische Struktur des betreffenden Landes kennen und verstehen«.241 Die Denkschrift wurde nicht umgesetzt. Und auch der Aufbau einer reichseigenen Auslandshochschule wurde 1917 ad acta gelegt.242 Als einflussreicher sollten sich die Protagonisten des Sprachenseminars erweisen. Anton Palme, Russischlehrer am Seminar, lieferte in methodischer Hinsicht mit dem Begriff der »Nationenwissenschaften« das entscheidende Stichwort. Es stand für die Umstrukturierung der Sprachstudien in eine umfassende Auslandskunde, deren Ziel »die lebende Sprache und die Gegenwartsverhältnisse jedes fremden Volkes ist«.243 Sein Konzept knüpfte nicht an ältere Traditionen an, sondern versuchte eine transdisziplinäre Ortsbestimmung der Auslandswissenschaften in Deutschland. Ebenso wie die Befürworter einer umfassenden Kolonialausbildung ging Palme davon aus, »daß das Studium fremder Völker infolge der Gleichartigkeit des Gegenstandes und der Methode als Auslandsstudium zu einer besonderen Kategorie von Wissenschaften zusammengefaßt werden kann«.244 Diese Nationenwissenschaft sollte einem neuen wissenschaftlichen Prinzip folgen, das neben der Sprachausbildung den staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnissen je eines bestimmten Staats oder einer Region Rechnung trüge: »Ohne das nationenwissenschaftliche Verstehen einer Nation als Gesamtheit ist das volle Verständnis jeder einzelnen Gruppe ihrer Lebensäußerungen unmöglich.«245 Palme folgte einem totalen Ansatz zur Erfassung frem239 Pohl, S. 24 ff. 240 Becker; Müller, Internationale Wissenschaft, S. 157. 241 Becker, S. 166: »Fachstudien in Bezug auf das Ausland greifen aber über den Rahmen der Einzeldisziplinen hinaus, und der Spezialist für ein bestimmtes Gebiet braucht nicht nur philologische, d. h. sprachliche Kenntnisse.« Vgl. für ein sehr genaues Resümee Bonniot, S. 73 ff. 242 Morgenroth, S. 17, vgl. für die Reichsregierung Drucksache 663, für Preußen Landtagsdrucksache 388. 243 So Palme zuerst aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Seminars für Orientalische Sprachen in einem Artikel am 3.11.1912 im »Berliner Tageblatt«, zitiert nach: Palme, S. 25. 244 Palme, S. 23. 245 Ebd., S. 19.

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der Nationen, der aber gerade die Gefahren einer »reiseführerartigen Landeskunde« vermeiden sollte, indem nach den kausalen Zusammenhängen in den staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnissen des fremden Volkes gefragt wurde.246 Wie alle Anhänger einer umfassenden Institutionalisierung der Regionalwissenschaften war sich auch Palme sicher, dass sein neues wissenschaftliches Prinzip eine grundlegende »Lücke im Bildungssystem hinsichtlich des Auslandsstudiums« zum Besten »unseres wirtschaftlichen und kulturellen Einflusses«247 füllen würde. Er sah den Vorteil seines Prinzips nicht zuletzt in dem, was nach dem Zweiten Weltkrieg das Moment der Interkulturalität genannt wurde. Die Ergebnisse der Nationenwissenschaften gäben den anderen Wissenschaften die Möglichkeit, die Relativität ihrer Ergebnisse einzusehen, argumentierte der Russischlehrer. Sie könnten ihre Perspektiven mit Materialien aus anderen Regionen erweitern und die Relativität ihrer Ergebnisse und Fragen, die sich als allgemeingültig ausgaben, einsehen.248 Palmes Position war in seiner organisatorischen Präferenz begründet: Sein Argument von der Eigenständigkeit der neuen Wissenschaft richtete sich gegen die Angliederung der Institution an die Handelshochschulen. Er präferierte entweder eine eigenständige deutsche Auslandshochschule oder eine eigenständige Auslandsfakultät an der Berliner Universität. In beiden Fällen bestand er auf dem Promotionsrecht. Darüber hinaus sollte der Institution eine umfangreiche Auslandsbibliothek, bzw. wie man nach dem Zweiten Weltkrieg sagte, ein Dokumentationszentrum, angegliedert sein.249 Palmes Konzept wurde nicht umgesetzt, aber es sollte ihm gemeinsam mit anderen Dozenten des Seminars gelingen, die innovative Nachkriegsinitiative Beckers zu verhindern. Carl Heinrich Becker, inzwischen Staatssekretär im preußischen Kultus­ ministerium, griff seine frühere Konzeption in einer bahnbrechenden Denkschrift im Januar 1923 wieder auf. Im Ausgang von der drängenden Frage nach der Reform des Seminars formulierte er ein pädagogisches Reformprogramm, das die Gründung einer regionalwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft aus den verschiedenen Einrichtungen der Universität vorsah. Er plädierte in Übereinstimmung mit dem Auswärtigen Amt für eine Dezentralisierung der Auslandsstudien nach »Kulturkreisen« an deutschen Universitäten sowie für ihre Hinwendung zu modernen Epochen.250 Gegen das Seminar, das Becker zu Recht als unzeitgemäß empfand, wurde der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit erhoben. Der Widerstand des Seminars formierte sich hinter dem Banner der Nationenwissenschaft. Angeführt wurde er von dem medial besonders aktiven Arabisten am Seminar, Georg Kampffmeyer. Dieser verfasste zahlreiche Broschüren und 246 Palme, S. 18. 247 Ebd., S. 13. 248 Ebd., S. 21. 249 Ebd., S. 40. 250 Nach Müller, Weltpolitische Bildung, S. 353–368.

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Pamphlete, um die hinter dieser Denkschrift stehenden »gröbsten Irreführungen« zu berichtigen.251 Zunächst galt es den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit zu widerlegen. Die Konzentration auf die Gegenwartsverhältnisse fremder Völker sei ein Unterschied in der Richtung und nicht in der Wissenschaftlichkeit der Ausbildung im Vergleich zur Universität, erklärte Kampffmeyer. Das Seminar habe immer im Ausgang von der »Wissenschaftlichkeit der Universität als von einer Selbstverständlichkeit« gearbeitet.252 Aber Beckers Position wurde von anderen Wissenschaftlern geteilt. Sein ehemaliger Kollege am Hamburger Kolonialinstitut, der Sinologe Otto Franke, hatte in einer »Schmähschrift« den wissenschaftlichen Charakter der am Seminar betriebenen Studien in Frage gestellt, für die Palme und Pohl neben anderen schon vor dem Ersten Weltkrieg immerhin das Promotionsrecht gefordert hatten.253 Franke hatte durch seine Tätigkeit als Gesandtschaftsdolmetscher einen praktischen Hintergrund, konnte aber der Abkehr von der historischen Vermittlung der Sprachen und dem gegenwartsorientierten Prinzip nichts abgewinnen. »Es graust einem vor dem Unterricht, den Herr K. im Auge hat«, schrieb er im Jahr 1914: »Bewahre uns der Himmel vor einer ›Nationenwissenschaft‹, die dieser philologisch-historischen Methode entraten zu können glaubt.«254 Kampffmeyer trat weiter gegen die Geringschätzung der Gegenwartsanalyse und des praktischen Spracherwerbs an: »Für eine in den Wolken schwebende Islamistik ist am Orientalischen Seminar kein Platz. Hier sind keine Flugübungen anzustellen in Höhen, von denen aus man nur noch Wälder, aber keine Bäume mehr sieht. Am Seminar soll man Bäume sehen und unterscheiden lernen.«255 Er bestand auf dem Eigenwert dieses Wissens und klagte dessen Zweckgerichtetheit als Förderkriterium ein: Ohne das Seminar würde bald »n i e m a n d mehr in Deutschland arabische Zeitungen lesen« können, den Behörden und Wirtschaftskreisen würde eine Kontaktstelle für Sachanalysen und Über­setzungen fehlen und schließlich könnten die Deutschen sich nicht mehr »mit Sachkenntnis« im Orient betätigen.256 Nach langen Diskussionen wurde die Denkschrift Beckers im Jahr 1926 abgewiesen. Neben den Intrigen der Dozenten war es die Unvereinbarkeit von 251 Kampffmeyer, Die deutschen Auslandsinteressen, S. 15. Insgesamt liegen in dieser Serie, die ab Broschüre 2 den Titel »Die Reform des Seminars für Orientalische Sprachen zu Berlin. Berichte und Dokumente« annimmt vier Hefte vor. Ein weiterer Streitpunkt war die Direktorialordnung des Seminars, die – so der Wunsch der Dozenten – in eine kollegiale Struktur überführt werden sollte, vgl. dazu ebenfalls die Broschüren Kampffmeyers. 252 Kampffmeyer, Die deutschen Auslandsinteressen, S. 15 f. Die Kampfschrift von 1924 endet so auch mit der Rubrik »Die wissenschaftliche Arbeit des Seminars für Orientalische Sprachen«, die vor allem ein Kommentar zu bisherigen Veröffentlichungen ist, S. 25 ff. 253 Pohl, S. 60. Zu Franke vgl. Steinmetz, The devil’s handwriting. 254 Otto Franke, Das Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin und seine geplante Umformung, 1924, S. 25, zitiert nach: Kampffmeyer, Antwort auf die Schmähschrift Prof. O. Frankes, in: ders., Die Reform 2, S. 6. 255 Kampffmeyer, Die Reform 3, S. 10. [Hervorhebung im Original] 256 Ebd.

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freier Universitätsforschung und zweckgebundenen Ausbildungszielen, die zum Fortbestehen des Seminars führten.257 Das Seminar blieb eine eigenständige Fachhochschule ohne Promotionsrecht. Mitte der 1920er Jahre kamen die auf die Gegenwartsverhältnisse258 und die Gegenwartsgeschichte259 konzentrierten Nationenwissenschaften gegen die Wissenschaftlichkeit der deutschen Universitätsorientalistik und ihre »philologisch-historische Methode« nicht an. Ihre Stunde schlug nach 1933. Die durch Palme und Kampffmeyer vorangetriebene Errichtung einer nationenwissenschaftlichen Ausland-Hochschule resultierte zunächst in der Gründung einer Ausland-Fakultät (1936–1939), die gegenwartsorientierte Auslandswissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Außenpolitik betrieb. Sie wurde mit der Hochschule für Politik zur Auslandswissenschaftlichen Fakultät zusammengelegt. Ihr Dekan wurde Franz Six, der ab 1941 im RSHA als Chef des Amtes VII für »weltanschauliche Forschung« zuständig war. Six leitete auch das 1940 gegründete Deutsche Auslandswissenschaftliche Institut (DAWI). Dessen Abteilungsleiter waren die Lehrstuhlinhaber der Fakultät.260 2.1.6 Die effiziente Neuausrichtung des Empire und die Gründung der School of Oriental Studies (1917) Für Großbritannien bedeutete die Gründung der School of Oriental Studies in London ein erstes Moment der Verstaatlichung des Kolonialismus. Nachdem der Ausbau des Imperial Institute im Jahr 1902 endgültig gescheitert war,261 übernahm die Schule die Ausbildungsteile für orientalische Sprachen vom University College und vom Kings’ College, die seit 1826 und 1833 bestanden. Finan257 Vgl. zur Diskussion im preußischen Landtag Morgenroth, S. 21. Zu den Intrigen Palmes und Kampffmeyers sowie zur Resignation Beckers über die Niederlage seines Herzensprojekts, Müller, Weltpolitische Bildung, S. 362 ff. 258 Kampffmeyer, Erläuterung zu den Leitsätzen, in: ders., Die deutschen Auslandsinteressen, S. 18. 259 Erich Pritsch (Landgerichtsrat), Aufgaben des Seminars für Orientalische Sprachen für das Studium der Gegenwartsgeschichte des Orients, in: Kampffmeyer, Die Reform 4, S. 19. 260 Vgl. Botsch, S. 33 ff.; 42 f. Zu Six vgl. Hachmeister. 261 Das Imperial Institute (1887–1890) war auch keine eigenständige Schule. Vielmehr handelte es sich um Sprachkurse, die an verschiedenen Institutionen angeboten wurden und deren Kostenübernahme langfristig ein Problem darstellte, so dass der Versuch 1902 endete, ([o. A.], London School of Oriental Studies, in: Africain Affairs 13 (1914) 52, S. 423–429. Vgl. zu diesen Diskussionen insgesamt Hartog, sowie das vom Direktor des Instituts erstellte Papier, Professor Wyndham R. Dunston (Director of the Imperial Institute), Memorandum on the History of the School of Modern Oriental Studies Founded in Connection with the Imperial Institute, in: Mackay, S. 153–156. Vgl. für die Einweihung [o. A.], School For Modern Oriental Studies, in: The Times, 13.1.1890, S. 8. Die ersten Stipendien wurden 1891 vergeben, vgl. [o. A.], Imperial Institute, in: The Times, 19.9.1891, S. 12. Zum Kontext vgl. MacKenzie, S. 122–146.

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ziert von der Rockefeller-Stiftung kam ein linguistisches Programm für Afrika hinzu.262 Im Jahr 1938 änderte die Institution ihren Namen in School of Oriental and African Studies (SOAS).263 »Co-ordinated, unified, centralized in the Metropolis of the Empire«, fasste Lord Curzon, ehemaliger Vizekönig von Indien und künftiger Außenminister Großbritanniens während der Eröffnungsfeierlichkeiten am 23. Februar 1917 die entscheidenden Charakteristika der neuen Ausbildungsinstitution zusammen.264 Mit der Gründung reagierte Großbritannien aus Sicht der Zeitgenossen auf die kontinentaleuropäischen Entwicklungen. Allerdings wurde dies nicht als inhaltlicher Nachholbedarf, sondern lediglich im Sinn einer technisch-organisatorischen Maßnahme der Effizienzsteigerung verstanden.265 Denn das Empire blickte Ende des 19. Jahrhunderts bereits auf eine lange gelehrte Tradition in Bezug auf Asien zurück. Aber diese mehr als 200-jährige Tradition war fast ausschließlich sprachlich orientiert und sie konzentrierte sich auf Oxford und Cambridge sowie seit dem 18. Jahrhundert auch auf einzelne Angebote wissenschaftlicher Gesellschaften und der East India Company. Im Jahr 1632 und 1636 waren die ersten Profes­ suren für Arabisch in Cambridge und Oxford eingerichtet worden; im Umkreis der East India Company hatte Sir William Jones 1784 eine Sprachschule gegründet, an der Sanskrit unterrichtet wurde. Die erste Schule für orientalische Sprachen soll im Jahr 1818 von John B. Gilchrist mit einem Schwerpunkt auf Unterricht in Hindustani für Mediziner  – ebenfalls unter der Ägide der East India Company  – am Leicester Square eingerichtet worden sein.266 Seit 1878 wurden Arabisch, Persisch, Chinesisch, Sanskrit und einige andere Sprachen in Cambridge im Oriental Tripos geprüft.267 Sprachschulen, Privatgelehrte und Elemente einer universitären Ausbildung gab es auch für Chinesisch und Japanisch. In Oxford existierten zum Beispiel von 1909 bis 1912 zwei Lektorenstellen für Japanisch. Die Beschäftigung mit Südostasien geht ebenfalls auf das 16. und 17. Jahrhundert zurück. Wörterbücher in Malaysisch erschienen seit den 1670er Jahren. Malaysisch wurde seit dem Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen der Royal Asiatic Society unterrichtet ebenso

262 Philips, A History of SOAS, S. 26. 263 Vgl. für ein Resümee Memoranda on Teaching in Oriental Languages at University and Kings’ College London, Mackay, S. 65 ff. 264 [O. A.], The Opening Ceremony, in: Bulletin of the School of Oriental Studies, 1 (1917) 1, S. 23–31, hier: S. 15; 29. 265 Vgl. kondensiert zum Diskurs von »national efficiency« und »re-engining the Empire« Hyam, The British Empire, S. 50; vgl. auch Porter, The Edwardians; Stuchtey, Die europäische Expansion, S. 322 ff. 266 Vgl. dazu sowie zu früheren Institutionen Memorandum by Professor Thomas Walker Arnold, M. A., Assistant Librarian to the India Office, Professor of Arabic of University College, London, Mackay, S. 45–48. 267 Werner, S. 227. Zur Einrichtung eines Semitic and Aryan Tripos in Cambridge, vgl. [o. A.], University Intelligence, in: The Times, 17.11.1871, S. 4.

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wie Burmesisch.268 Siam rückte mit dem Burney-Vertrag und nach dem Bangkok Agreement stärker in den Fokus der Metropole.269 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Afrika hingegen setzte erst im 19. Jahrhundert ein. Sie wurde nach der geographischen Konferenz in Brüssel vor allem von den geographischen Gesellschaften weiter vorangetrieben und nach dem Ersten Weltkrieg mit besonderer Geschwindigkeit institutionalisiert. Koordinierte Anfänge ließen sich 1924 am Royal Institute of International Affairs mit der Gründung einer Studiengruppe zu Afrika verzeichnen, aus der dann 1926 das International Institute of African Languages and Culture hervorging – gefördert von der Rockefeller-Stiftung.270 Für Russisch, das in Großbritannien ebenfalls im Rahmen der Area Studies verhandelt wurde, gab es sowohl in Oxford als auch in Cambridge seit Ende des 19. Jahrhunderts jeweils eine Lektorenstelle. Liverpool begann im Jahr 1907 mit Sprach- und Landeskundekursen. Im Ersten Weltkrieg eröffnete die School of Slavonic and East European Studies (SSEES) am King’s College und andere Universitäten zogen mit der Schaffung von Stellen nach.271 Die Gründung nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte, vergleicht man sie mit den Entwicklungen in den jüngeren Kolonialreichen, spät. Dies lag nur bedingt an bürokratischen Verzögerungen, sondern vor allem daran, dass eine zentrale Ausbildungsstätte für Kolonialverwalter der britischen Tradition diametral zuwiderlief. Die Ausbildung der Kolonialbeamten war, wenn sie überhaupt als erforderlich galt und institutionalisiert war, vor allem linguistisch orientiert und praktisch ausgerichtet.272 Nur der Indian Civil Service (1858–1947), der aus dem Civil Service der East India Company hervorging und bis 1858 ein eigenes C ­ ollege betrieb, hatte 1854 eine Eingangsprüfung eingeführt und verband diese mit einer Prüfung nach der Einjahresausbildung an einer Universität.273 Ausreise­willige konnten sich seit 1885 in der Colonial College and Training Farm, die aus einer privaten Initiative resultierte, in praktischen Siedlertätigkeiten üben.274 Aufgrund der Heterogenität der Kolonien, der starken nicht-interventionistischen Tradition und des Staatsverständnisses erfolgten Maßnahmen zur zen268 Zur Bedeutung der Gesellschaften als Hauptakteuren der Wissenschaftspolitik vgl. Alter, S. 25 ff. 269 Vgl. Braginsky; für die Zeit nach 1950 vgl. Chou u. Houben. 270 Tilley, S. 65 f.; 70. 271 Vgl. dazu insgesamt die Bestandsaufnahme Foreign Office, S. 8–16. Oxford diskutierte seit 1874 neue Stellen und einen Ausbau der Sprachausbildung, vgl. [o. A.], Oriental Studies at Oxford. The Academy, in: The Times, 2.11.1874, S. 10. 272 Vgl. für einen Überblick Cell; für eine Materialsammlung Kirk-Greene, On Crown Service. 273 Thomas; Kirk-Greene, Britain’s Imperial Administrators, S. 93. Schon im Jahr 1680 hatte die East India Company Vierjahresstipendien für Oxford gestiftet. 1878 gab es das erste readership in Indian history, 1884 wurde das Indian Institute gegründet, so dass, als 1905 der Chair for Colonial History eingerichtet wurde, schon eine mehr als 25-jährige Kooperation mit dem Indian Civil Service bestand, vgl. Madden. 274 Dunae. Bis 1900 wurden 700 certificates of comptency verliehen.

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tralen Organisation des Wissens aus und über die Kolonien im Vereinigten Königreich erst nach der Jahrhundertwende.275 Die Wende hin zum »konstruktiven Imperialismus« in den 1890er Jahren änderte zunächst nichts daran, dass »die Kolonien nicht in London verwaltet wurden«.276 Sie sollten, so war der kolonialpolitische Konsens bis zum Entstehen des Development-Paradigmas Ende der 1930er Jahre finanziell autark agieren.277 Die Gründung einer zentralen Schule erwies sich vor diesem Hintergrund nicht nur strukturell als schwierig, sondern stieß auch mental auf kaum überwindbare Hindernisse. Gleichwohl blieb die Tatsache, dass es im Gegensatz zu Berlin, Paris, Wien und St. Petersburg keine zentrale Ausbildungsstätte gab, nicht unbemerkt und führte seit der Jahrhundertwende zu einer Intensivierung der Debatte über die Notwendigkeit der Organisation und Zentralisierung der Sprachausbildung. Angetrieben wurde sie vom Argument der besonderen Rückständigkeit des Vereinigten Königreichs: »England is the country which above all others has important relations with the East, the fact that no Oriental School exists in its capital city is not creditable to the nation.«278 Dass selbst Berlin eine »orientalische Schule« hatte, wog in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg besonders schwer.279 Vertreter des Senats der University of London wandten sich im Namen eines breiten Spektrums an wissenschaftlichen Gesellschaften, wie der Royal African Society und der Royal Asiatic Society, Missionars-, Bibel- und Handelsgesellschaften sowie der British Academy am 4. Dezember 1906 mit einem Memorandum an Premierminister Henry Campbell-Bannerman.280 Der Premierminister stimmte dem Memorandum zu.281 Es verlangte das Einsetzen einer Kommission, welche die finanziellen Bedingungen prüfen sollte. Gefordert wurde eine Institution für »oriental studies« in London mit dem Verweis auf die Schulen in Paris, Berlin und St. Petersburg. Als konkretes Vorbild, sowohl was die Ausstattung als auch das Profil betraf, galt das Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin. Die Arbeit des Reay-Komitees, die zur Gründung der School of Oriental Studies führte, sollte das Kapitel »of national inefficiency« beenden,282 aber seine Zusammensetzung definierte das Problem nicht als ein umfassend-gesellschaftliches wie die Debatten in Belgien und Frankreich. Das Komitee war vor allem eine Angelegenheit des India Office und der University of London. Eingesetzt 275 Vgl. den Hinweis Porters, dass in Großbritannien (im Unterschied zu anderen Kolonialreichen) kein Konzept von citizenship existierte, Porter, The Absent-Minded Imperialists, S. 19. 276 Hyam, Bureaucracy, S. 257. 277 Butler, The Ambiguities of British Colonial Development Policy; ders., The British Colonial Model. 278 [O. A.], London School of Oriental Studies, in: African Affairs, 13 (1914) 52, S. 423–429. Hier auch die Aufzählung der o. g. Städte. 279 Vgl. Appendix 1, Mackay, S. 37. 280 Vgl. zur Vorgeschichte, Hartog. 281 [O. A.], Oriental Studies in London, in: The Times, 5.12.1906, S. 12. 282 [O. A.], A Chapter of National Inefficiency, in: The Times, 27.9.1909, S. 9.

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vom Secretary of State for India John Morley wurde Lord Reay Vorsitzender des Komitees. Er verfügte als ehemaliger Gouverneur von Bombay (1885–1890) und Under-Secretary of State for India (1894/1895), Rektor der University of St. Andrews (1884–1886) und Vorstandsvorsitzender der London School (1897–1904) sowie als Präsident der British Academy und der Royal Asiatic Society sowohl über Verwaltungs- und Regierungskompetenzen in der Kolonie als auch über Erfahrung in der Wissenschaft und im Hochschulsystem des Vereinigten Königreichs. Als Vizepräsident des Institut colonial international in Brüssel kannte er die kontinentaleuropäischen Debatten sehr genau. Das Komitee bestand aus drei Vertretern des India Office, Lord Redesdale, Sir Thomas Raleigh und Sir Alfred Lyall  – Letzterer ebenfalls Vertreter Großbritanniens am Institut colonial international – sowie Vertretern aus Finanzwesen und Bildungspolitik: Sir Montagu Turner (Direktor der Chartered Bank of India, Australia, China), und A. R. Guest (Board of Education). P. J. Hartog (Academic Registrar of the University of London) fungierte als Sekretär und war die treibende Kraft hinter der Gründung. Die nationale Schulgründung war das Ergebnis internationaler Enwicklungen. Die Sogwirkung, die von den ausländischen Modellen ausging  – Berlin wurde mit 42 Lehrenden zitiert, Paris mit 26 Dozenten –, war so stark, dass im Bericht des Komitees dann explizit und nachdrücklich den Aussagen zu den ausländischen Modellen folgend festgehalten wurde, dass nicht diese allein die Gründung einer Schule rechtfertigen würden, sondern auch Aspekte der britischen »high policy«.283 Unter den 73 Anhörungen, die das Komitee vornahm, galten die Auftritte von Eduard von Sachau (Seminar für Orientalische Sprachen, Berlin), Paul Boyer (École des langues orientales, Paris) und Sylvain Lévi (Professor für Sanskrit am Collège de France) gleichwohl als wegweisend.284 Selbst als eine zweite Kommission unter Leitung des India Office sich dann im Jahr 1911 mit den technischen und räumlichen Gegebenheiten befasste, blieb das Seminar für Orientalische Sprachen als Modell für die Raumanordnung, Einrichtung der Klassenräume und der Bibliothek leitend.285 Bei ihrer Gründung zentralisierte die School of Oriental Studies wie geplant eine umfassende Sprachausbildung im Zentrum Londons und sie verfügte über eine Bibliothek.286 Letztere übernahm sie von der London Institution, die mit circa 500 Büchern über Indien, 4.000 über Afrika, insgesamt einen Bestand 283 Mackay, S. 3. 284 Ebd., S. 2. 285 Note on the Seminar für Orientalische Sprachen, Berlin (= Appendix V), in: Baring, S. 13 ff. Besonders beeindruckt zeigte sich P. J. Hartog von den durch elektrische Lampen angeleuchteten Tafeln. 286 Sie wurde in den Räumen der London Institution for the Advancement of Literature and the Diffusion of Useful Knowledge am Finsbury Circus untergebracht. Zur Eröffnung vgl. [o. A.], The Opening Ceremony, in: Bulletin of the School of Oriental Studies, Jg. 1 (1), 1917, S. 23–31. Zu den praktischen Fragen der Einrichtung vgl. Interim Report der Commission unter Cromer, 1911. Mackay hatte die Notwendigkeit der zentralen Lage betont.

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von 200.000 Bänden aufwies.287 Die Ausbildung war in sieben Schwerpunkte unterteilt: »Ancient India, The Near East, Northern, Eastern and Western India, Southern India, Further India and the Malay Archipelago, Far East, African Languages«.288 Zu Beginn ihres Bestehens hatte die Schule zwar nur neun Studenten, die sie aus ihren Vorgängerinstitutionen übernahm. Aber im Juli 1917 waren bereits 125 Studenten eingeschrieben.289 Während des Ersten Weltkriegs festigte sich die Stellung der Schule durch spezielle Sprachkurse für Offiziere, Sechsmonatskurse in Japanisch und in Arabisch, Türkisch, ­Amharisch. Bemerkenswert war das breite Programm: Im Jahr 1919/1920 wurden 32 Sprachen angeboten.290 Die Schule fungierte als anerkanntes Ausbildungszentrum für den Indian Civil Service. Sie bereitete unter dem Dach der University of London auf Handels- und Verwaltungsaufgaben in Asien, Afrika und im Mittleren Osten vor. Aber ihre Position war von der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Kolonialbehörden und der Konkurrenz aus Oxford und Cambridge geprägt. Das Misstrauen der Kolonialbehörden war grundsätzlicher Natur. Nicht nur hielten sie eine Sprachausbildung außerhalb des Einsatzterritoriums für wenig effizient, auch scheuten sie den damit verbundenen finanziellen Aufwand, weshalb das Colonial Office im ersten Jahr nicht einmal im Verwaltungsrat (governing board) der Schule vertreten war. Die Schule wurde nie zur zentralen und einzigen Ausbildungsinstitution oder obligatorischen Karrierestation für die Kolonialbeamten. Neben der SOAS konnten die probationer sich auch in Oxford, Cambridge und dem Trinitiy College in Dublin ausbilden lassen. Bis 1935 war kein nach Hongkong Entsandter in der Schule ausgebildet worden, ebenso kein Mitglied des Tropical African Service.291 Die Ämter und Behörden – das Colonial Office, Foreign Office, India Office und die Zweige der militärischen Ausbildung – bevorzugten nach wie vor eine dezentrale Ausbildung, möglichst »on the spot«. Zwar stieg das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Ausbildung. Und es wurden verstärkt auch theore­ tischere Kurse eingeführt, diese aber fanden in Oxford und Cambridge statt. Der Colonial Administrative Service (1895–1966) prüfte bis zum Jahr 1930 nur die Eastern Cadets (Ceylon, Hongkonk, Straits Settlements), die circa 25 Prozent des Personals darstellten. Die erst ab 1908 eingeführte Ausbildung beschränkte sich bis 1925 auf einen achtwöchigen Kurs am Imperial Institute, der sich auf Recht, Tropenhygiene, Wachdienst, Buchhaltung und Tropenprodukte kon­ zentrierte.292 Erst im Jahr 1926 wurden auch theoretische Kurse in Cambridge 287 Baring, S. 14: Verschiedene Themenbereiche wie Naturwissenschaften, politische Ökonomie und Recht wurden dabei nicht berücksichtigt. 288 Werner, S. 230. 289 Hartog, S. 21. Die »Times« vermerkt im ersten Semester 71, im dritten 91, davon 54 neue Studenten, vgl. [o. A.], Eastern Languages for Army Officers, in: The Times, 14.1.1918, S. 5. 290 Brown, S. 51. 291 Ebd., S. 48. Vgl. zur Opposition der SOAS S. 28 ff. 292 Vgl. Kirk-Green, On Crown Service, S. 16 f. Später wurde die Dauer auf drei Monate erhöht.

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und Oxford eingerichtet, die als Tropical African Service Training Course Vorbildwirkung entfalteten.293 In Oxford und Cambridge erfolgte die Ausbildung zwischen der Auswahl und Entsendung der Männer und der Unterricht wurde während der 1930er Jahre durch die Dozenten vor Ort erteilt, mit Ausnahme der afrikanischen Sprachen. Da hierfür keine Dozenten vorhanden waren, wurden Kolonialbeamte im Ruhestand eingesetzt.294 Der Sudan Political Service (1899–1955) rekrutierte sich zunächst aus den britischen Offizieren der ägyptischen Armee. Als nach 1901 die ersten Zivilisten eingesetzt wurden, verbrachten diese bis zum Ersten Weltkrieg anderthalb Jahre ebenfalls in Cambridge oder Oxford zur Sprachausbildung, allerdings auf eigene Kosten.295 Einzelne anthropologische Kurse wurden in diesem Rahmen im Jahr 1908 durch den Civil Service for the Soudan angeboten.296 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein Dreimonatskurs an der School of Oriental Studies verpflichtend, der neben den praktischen Bereichen auch anthropologische Anteile enthielt und sich an die Ausbildung in Cambridge und Oxford anschloss. Seit 1930 mussten die unter 22-jährigen Bewerber ebenfalls den Tropical African Service Course belegen.297 Dass die Ausbildung an der School of Oriental Studies nicht den Platz der Kurse in Cambridge und Oxford einnehmen konnte, überrascht umso mehr, als der gesamte Planungs- und Organisationsprozess darauf angelegt war. Das ­Reay-Komitee, das sich vorwiegend aus Kolonialbeamten und Vertretern der University of London zusammensetzte, lud ungeachtet der wiederholten Nachfrage des Board of Education keine Vertreter anderer Hochschulen ein.298 Mit ausdrücklicher Zustimmung des Premierministers wurden auch Oxford und Cambridge lediglich im Rahmen der Befragungen gehört.299 Alle Versuche von Vertretern des Bildungsministeriums (Board of Education), das Kolonialministerium zu einer gemeinsamen Aktion im Sinn einer Erweiterung des Komitees zu agitieren, waren umsonst. »There has been for some time a growing pressure to improve the facilities in this Country for the study of oriental languages including therein, of course languages used in parts of Africa. The matter is one of Imperial importance as bearing of the supply of 293 Kirk-Greene, Britain’s Imperial Administrators, S. 133. 294 Appendix to Circular No. 55. Commission of Enquiry into the facilities for Oriental, African, Slavonic and East European Studies. Evidence of the Royal Asiatic Society. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4. 295 Kirk-Greene, Britain’s Imperial Administrators, S. 133. Für einen Überblick, weniger zu den Inhalten als dem Mechanismus der hermetischen Selbstrekrutierung, Gayffier-Bonneville. 296 Myres, S. 39; 47. 297 Kirk-Greene, Britain’s Imperial Administrators, S. 133. 298 Der Sanskrit-Professor Rapson hatte sofort mit einem Leserbrief auf die Nachricht von dem Memorandum reagiert und unterstrichen, dass die Londoner Institution die anderen Ausbildungszentren nicht beeinträchtigen sollte, vgl. Edward J. Rapson, The Organization of Oriental Studies in London, in: The Times, 28.12.1906. 299 Henry Higgs an R. L. Morant, 18.10.1907. TNA, ED 24/516; R. L. Morant an [Steven] Runciman, 5.11.1909. TNA, ED 24/516.

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Civil Servants for the various Colonies and Protectorates as well as for service in the Indian Empire«,300 hieß es im Frühling 1907 in einem Brief an den UnderSecretary of State for the Colonies, Winston Churchill. Kritisiert wurde, dass das Ziel der Kommission offenbar nur eine Verbesserung der Position der Universität London sei: »some more professorships and readerships; whereas what is really needed, in my view, is to enlist the interest of persons in all parts of the Empire, and certainly not to arouse (as this scheme will do) the hostility of Oxford and Cambridge and other Universities which are already helping in the study of Oriental Languages«.301 Die Kritik beschrieb die Planung der Kommission treffend. Die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung und Funktion des Wissens aus und über die Kolonien wurde nicht gestellt und erfolgte erst in den 1940er Jahren.302 Grundlage dafür war die beginnende Herausbildung eines Konsenses zur Rolle des Staats als Akteur sozialer Reformen und die zunehmende Bedeutung wohlfahrtsstaatlicher Arrangements. Die 1930er Jahre sollten mit der Erfahrung des New Deal auch den Status des Empire entscheidend verändern. Es galt nun: »more as a whole, and as a stage upon which more interventionist and generally applicable policies might be evolved«.303 Aber kurz nach der Jahrhundertwende blieb es bei der Irritation der Ministerien über die Zusammensetzung des Departmental Committee of the Treasury. In der weiteren Entwicklung konsolidierte sich die Ausbildung in London. Von 1930 bis 1939 waren zwischen 27 und 37 Personen pro Jahr für Chinesisch und 8 bis 17 für Japanisch eingeschrieben.304 Zum Zeitpunkt der Anhörungen der Scarbrough Commission in den 1940er Jahren gab es kriegsbedingt zehn Chinesisch-Lehrer und 30 Japanisch-Lehrer, wohingegen in Friedenszeiten nur vier der Dozenten eine Anstellung hatten. Das Stipendienprogramm des Bildungsministeriums im Zweiten Weltkrieg festigte die Position: 74 SprachStipendien wurden für kriegsbedingte Tätigkeiten vergeben, mit einem Schwerpunkt auf Japanisch und Chinesisch (1942/1943). Der Krieg gegen Japan ließ im Jahr 1944/1945 auch die Anzahl der Offiziere, die Japanisch-Kurse belegten, auf 183 anwachsen.305 Das grundsätzliche Problem der kolonialwissenschaftlichen Gründungen blieb auch für London bis Ende der 1950er Jahre prägend: die Verbindung von wissenschaftlichem Anspruch und praktisch-administrativer Sprachausbildung. Schon in den Anhörungen des Reay-Komitees wurde die Ausrichtung dis300 A. R. Guest an Winston Churchill, 21.3.1907. TNA, ED 24/516. 301 Ebd. 302 Vgl. für eine zeitgenössische Wahrnehmung Bowra; vgl. insgesamt Kapitel 4.2.2. 303 Hyam, Bureaucracy, S. 257. 304 Circular No. 97. Commission of Enquiry into the Facilities for Oriental, African, Slavonic and East European Studies. Report on the Terms of Reference (A). Set to the Far East SubCommittee, 7.5.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3. 305 Brown, S. 83–92.

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kutiert. Aber noch Ende der 1930er Jahre schwankte die Institution in ihrer Funktion zwischen einem »praktischen Ausbildungszentrum« und einem »Universitätscollege«, wie der zukünftige Direktor Cyril Henry Philips rückblickend festhielt.306 Dies lag nicht zuletzt auch daran, dass ein weiteres Gründungsziel nicht erreicht wurde. Das Reay-Komitee hatte zwar 1909 ausdrücklich die Vermittlung von soziologischen Kenntnissen, »provision for teaching of sociology«, gefordert.307 Die Studenten sollten neben den Sprachen ebenso in Geschichte, Religion, Sitten und Gebräuchen, Recht der Völker ausgebildet werden; politische und wirtschaftliche Geographie sowie Handelsgeographie wurden ebenfalls genannt.308 Die Schule hatte dieses Ziel auch in ihrem Namen als School of Oriental Studies festgeschrieben. Dennoch blieb die Umsetzung mehr als zurückhaltend. Zunächst war neben den Sprachlehrern nur noch ein Historiker angestellt.309 Als im Jahr 1932 Departments eingeführt wurden, beschäftigte sich eines der acht Departments mit Geschichte, ein anderes mit Recht.310 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zwar im Jahr 1949/1950 ein Department für Kulturanthropologie eingerichtet, aber den eigentlichen Auf- und Umschwung brachten erst die Hayter-Jahre 1962–1967.311 2.1.7 Der Körper des Kolonialverwalters. Anthropologische Perspektiven Die Debatten um die adäquate Ausbildung der Kolonialbeamten hatten einen administrativ-strategischen Charakter. Aber sie formulierten nicht nur Wissensinhalte und Vorstellungen von Wissenschaft, sondern verbanden diese über die Ansprüche an die Persönlichkeit des Kolonialbeamten auch mit anthropologischen Konzepten. Unverkennbar sollte die Auswahl des Kolonialpersonals die Rekrutierung der »richtigen Männer« sein,312 die Ausbildung hatte auch die Formung von Körper und Charakter zum Ziel: Die Einführung mündlicher Examina wurde als Persönlichkeitstest diskutiert, weil Charakter und Persönlichkeit des Mannes sich nicht in schriftlichen Prüfungen abbildeten. Das Praktikum wiederum sollte nicht nur Tropentauglichkeit testen, sondern auch ­autarke Männlichkeit formen ebenso wie die sportlichen Anteile der Ausbildung.

306 Philips, The School of Oriental & African Studies, S. 28; Philips, A History of SOAS, S. 29. 307 Mackay, S. 19. 308 Ebd., S. 17 f. 309 Philips, The School of Oriental & African Studies, S. 18. 310 Ebd., S. 23. 311 Brown, S. 157 ff. Im Jahr 1962 wurde ein Department of Economic and Political Science gegründet und das Department of Anthropology in Department of Anthropology and Sociology umbenannt. Vgl. zum Kontext Kapitel 4.2.5. 312 Chailley-Bert, The Colonisation, S. XIX.

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Der Sport hatte eine besondere Relevanz und führte in der Vorstellungswelt der Kolonialaktivisten zur Ausbildung von Männern mit Führungsqualitäten, bei denen »self-control« im Inneren mit »self-government« im Äußeren eine dialektische Verbindung eingingen und einen Idealtyp ergaben.313 Pragmatisch formulierte der deutsche Bezirksamtmann a. D. Hans Zache 1912 die Grundüberzeugung: »Denn für keinen Beruf ist es so wahr, wie für den kolonialen, daß es im tiefsten Grunde weniger darauf ankommt, was der Mann ist als wer der Mann ist.«314 Diese Vorstellung wurde geteilt, gleichwohl gab es unterschiedliche Akzente und auch die Vehemenz dieser Debattenelemente war in Frankreich deutlich größer als in Deutschland. In Paris nahm das Nachdenken über die Konstitution des Mannes sehr konkrete Formen an: Von stabilem Körperbau musste der Kolonialist ein Mann der schnellen Entscheidungen sein, mit starkem Willen, energiegeladen: »le ressort physique, l’énergie de la volonté, la décision de l’esprit, la faculté d’invention rapide«, hielt Émile Boutmy 1895 die wichtigsten Eigenschaften fest.315 Weitere häufig anzutreffende Attribute waren Mut, Aufrichtigkeit, Standhaftigkeit, Eifer und Hingabe an die Aufgabe.316 Chailley-Bert unterschied zwischen dem Kolonisten und dem Verwalter. Körper­ liche und familiäre Anforderungen galten vor allem für die Kolonisten: »Les bons colons sont les hommes vivant ou aptes à vivre en famille, robustes et sains, riches d’énergie et d’initiative, doués de patience et munis de quelques capitaux«. In Bezug auf den Kolonialbeamten unterstrich Chailley-Bert hingegen dessen intellektuelle und pragmatische Selbständigkeit.317 Die Attribute des guten Kolonialbeamten als eines starken und selbstbe­ stimmten Mannes entstammten dem Verweissystem auf den britischen Kolonialismus. Sie waren nicht zufällig die des Selfmademan und reflektierten in der Aufnahme traditioneller Stereotype die britische Hegemonie. »À quoi tient la supériorité des Anglo-Saxons?«, war eine Leitfrage der reformbegierigen Dritten Republik um die Jahrhundertwende.318 Die politisch-ökonomische Vormachtstellung Großbritanniens beruhte auf der Verbindung von »Freihandelsimperialismus« und Expansion. Aber die unilaterale Öffnung der Märkte und der Verzicht auf Schutzzölle wurden von den Zeitgenossen nicht nur als wirtschaftsund handelspolitische Maßnahme verstanden. Vielmehr wurde ihnen eine quasi »mythische Autorität« zugesprochen.319 Spiegelbildlich nahmen die Anforderungen an den Kolonialverwalter den Charakter des Systems auf: Freiheit und Stärke. Chailley-Bert fasste in seiner 313 Boutmy, Essai d’une psychologie, S. 159. 314 Zache, S. 9. 315 Boutmy, Le recrutement des administrateurs coloniaux, S. 46; 43. 316 Chailley-Bert, The Colonisation, S. 388. 317 Chailley-Bert, La colonisation, S. 2 f. 318 Vgl. Coulevain u. Demolins. Für eine Analyse der Krisensymptomatik vgl. Charle, Sciences morales; für die Konstruktion der englischen Referenz Chabal. 319 Conrad, S. 38. Vgl. insgesamt die Abschnitte zu Freihandelsimperialismus und britischer Hegemonie, S. 35 ff. sowie Osterhammel, Anthropologisches zum Freihandel.

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Schrift L’éducation et les colonies kurz vor der Jahrhundertwende die anthropologischen Grundzüge dieses Bilds zusammen: »Une chose est capitale: le caractère. Ce n’est point l’argent qui fait le succès; ce n’est point la science: c’est l’homme. On peut, avec de l’argent, être un sot, et, avec du savoir, un niais. On n’est un homme qu’avec du caractère. Le caractère est chose difficile à définir: la définition varie avec la condition de chacun. Disons, quand il s’agit du colon, que c’est l’ensemble des qualités d’esprit, d’intelligence et de volonté requises pour lutter efficacement contre la solitude et le découragement, les espoirs et les illusions de l’ignorance, les conseils de la vanité et les suggestions de l’orgueil.«320

Der englische Aristokrat besaß in der Rezeption der Kontinentaleuropäer eine scheinbar ungezügelte Tatkraft. Der moralische Typus war gekennzeichnet durch steten und pragmatischen Aktivismus.321 Ihm entsprach eine physische Konstitution. Die Vorstellungswelten in Frankreich waren in den Jahren der querelles coloniales bevölkert von diesen Verwandten John Bulls,322 die aber im Unterschied zu Letzterem einen vorbildlichen, gut proportionierten Körperbau aufwiesen: Der Engländer war robust und von großer Statur, sein Körper war durch Übungen trainiert. Er war gesund und strahlte eine unangefochtene Männlichkeit aus.323 Ein entscheidender Einfluss auf die Formung des auf sich selbst gestellten Mannes in der Kolonie wurde dem Sport zugeschrieben. Noch bei der Eröffnung des Hamburger Kolonialinstituts im Jahr 1908 vermerkte der Nationalökonom und Japan-Spezialist Karl Rathgen verwundert, dass es in Großbritannien für die Vorauswahl der Beamten in den Universitätsempfehlungen fast entscheidender sei, »ob der Mann sich durch Sports hervorgetan hat«, als der »Grad seiner Kenntnisse«.324 Fasziniert blickten insbesondere die Deutschen auf die Reit­ ausbildung in Großbritannien. Kolonialbeamte mussten hier für die Abschlussprüfung nicht nur reiten und sich auf dem Pferd halten können, sondern Hürden springen. Beneke, der deutsche Kammergerichtsrat, hatte 1894 die Bedeutung des Reitsports für die Engländer in seinem Bericht herausgestrichen. Nicht ohne Erstaunen notierte er detailliert die Höhe der Anforderungen und die Bedeutung des Reit-Examens: »Die darin [im Reiten, d. Verf.] gestellten Anforderungen sind ziemlich hohe, da der Kandidat nicht nur eine grössere Reise zurückzulegen, sondern auch seine Kunst im Barrierenehmen zu zeigen hat. Auch das Oeffnen von Thueren zu Pferde ist erforderlich. Hat der Kandidat den Anforderungen nicht genügt, aber doch einige Fertigkeiten in der Reitkunst erlangt, so wird er zwar vorläufig ausgesandt, hat aber in Indien eine 320 Chailley-Bert, L’éducation, S. 19 f. 321 Vgl. das Schema zu den psychologischen Eigenschaften der Engländer in französischen Romanen, Barblan, S. 122. Barblan hat das Bild des Engländers in circa 300 Romanen ausgewertet, die zwischen 1880 und 1906 erschienen sind, S. 57 ff. 322 Vgl. Andrew. 323 Barblan, S. 99 ff. 324 Rathgen, S. 65. Zu Rathgen vgl. Grimmer-Solem.

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Ergänzungsprüfung im Reiten zu bestehen, bis zu deren Ablegung er nur das Minimalgehalt bezieht. Kandidaten, die das Schlussexamen nicht bestanden haben – also auch die mehr als mittelmässigen Reiter – dürfen sich zur Wiederholung der Prüfung nicht melden.«325

Beneke führte in seinem Bericht die aus seiner Sicht erklärungsbedürftige Bedeutung des Reitsports auf »nationale Vorlieben« der Engländer zurück und darauf, dass die »vornehmen Inder selbst meist gute Reiter sind und doch den englischen Beamten nicht in den Schatten stellen dürften«.326 Aber er schätzte den Reitunterricht generell als »vortreffliches Mittel zur Stählung des Körpers und damit zur Erhöhung der Tropentüchtigkeit« und kritisierte gemeinsam mit Chailley-Bert sein Fehlen in den Curricula anderer europäischer Staaten, selbst in den Niederlanden.327 Trotz aller Diskussionen um Willensbildung und Persönlichkeitsformung durch sportliche Betätigung blieb der Wert der sportlichen Ausbildung in den neuen Kolonialreichen gering. Eine derart wichtige Bedeutung wie der Reitsport der Engländer hatten in den anderen europäischen Ländern selbst die gängigen sportlichen Übungen nicht, die zum Teil nicht einmal durch Prüfungen nachgewiesen werden mussten. An der École coloniale wurden seit 1890 Reit- und Fechtklassen angeboten. Die Fechtmannschaft soll eine der besten in Frankreich gewesen sein. Die reformierte École coloniale machte ab 1896 die körperliche Eignung zur Zulassungsvoraussetzung.328 Aber erst 1906 wurde die Sportnote für den Abschluss obligatorisch.329 Im Deutschen Reich führte die sportliche Ertüchtigung in den Lehrplänen ein Schattendasein. Scheint für das Seminar für Orientalische Sprachen der Verzicht darauf naheliegend, verwundert der geringe Stellenwert mit Blick auf das Gesamtspektrum. An der praktisch-technisch orientierten Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen, die 1899 nach dem Modell des britischen Colonial College and Training Farms bei Harwich gegründet worden war, war Sport in Form von Reiten, Schwimmen und Bootfahren Teil des Unterrichts.330 Am Hamburger Kolonialinstitut wurde Reiten und Fechten unterrichtet, eine Besonderheit im europäischen Vergleich war die Wassersportausbildung auf Elbe und Alster im Rudern und Segeln.331 Nach Ansicht der Zeitgenossen verband das Institut »den Geist männlichen Sports, wie er in Hamburg zu Hause« war mit dem Ideal der deutschen Wissenschaft.332

325 Beneke, S. 43 f. 326 Ebd., S. 43, FN 5. 327 Ebd., S. 27. 328 Ministère des colonies, 1896. 329 Foncin, S. 5443–5444; Cohen, Rulers of Empire, S. 49 f. 330 Ruppenthal, S. 43 ff. 331 Ebd., S. 210 f. 332 Rathgen, S. 85.

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Die Unterschiede zwischen den Kolonialsystemen wurden anthropologisch aufgeladen. Chailley-Bert brachte die Differenz zwischen französischem und englischem Modell auf die Formel: »préparez-vous« versus »débrouillez-vous«.333 Für andere Zeitgenossen, wie zum Beispiel den Juristen Girault, war das englische System nicht nur das effizienteste, sondern auch das virilste. »L’autonomie est une conception virile et hardie. De même que le but de l’éducation est de faire des hommes capables de se conduire eux-mêmes et destinés à sortir de la puissance paternelle.«334 Im intellektuellen Koordinatensystem Taines, der die Verschiedenartigkeit der beiden Völker in diesen Jahren in ein dichotomes Schema der Rassen Nord- und Südeuropas eingepasst hatte, war die originäre Gegensätzlichkeit der beiden Völker eine Denkvoraussetzung. Diese Form der englischen Referenz – immer wurde der Aristokrat als Gegenbild zum französischen Bürokraten aufgerufen – mag spezifisch sein. Die mit dem englischen Kolonialsystem verbundenen Männlichkeitsfantasien und Körperkonstruktionen waren Bestandteile der europäischen Vorstellungswelten. Die Betonung von Körperlichkeit und Charakterbildung ging weit über die Sicherung der Einsatzfähigkeit hinaus. Dass Kolonisten und Kolonialbeamte eine gewisse Robustheit aufweisen mussten, um unter tropischen Temperaturen ihrer Aufgabe nachgehen zu können, lag in der Natur der Sache. Aber die anthropologischen Dimensionen der Ausbildung, die hier mit verhandelt wurden, repräsentierten als Gegenbild zum städtisch-zivilisierten Mann ein Projekt zur Erneuerung der europäischen Gesellschaften. Diese Imaginationen beeinflussten die organisatorisch-administrativen Diskurse, gleichzeitig aber handelte es sich um Reflexionen über die Formung einer männlichen Elite, deren Aufgabe die Durchsetzung europäischer Werte in den Kolonien war. »L’important […], c’est d’avoir semé ses idées dans le monde et laissé des héritiers de son génie«, erklärte Girault in seinem Buch zu den Prinzipien der Kolonisierung.335 Der Prozess der Kolonisierung wurde von den Zeitgenossen, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten, als eine Form sozialer Biologie wahrgenommen. Die europäischen Gesellschaften nahmen in der »wissenschaftlichen Phase« ihrer Kolonisierung eine Bildungsverpflichtung gegenüber ihren Kolonien wahr, in der das Bild des Herrn durch das des Vaters abgelöst wurde.336 Die Rolle des europäischen Kolonialisten als Erzieher war bereits im Bild der Kulturmission angelegt. Aufklärerische und positivistische Ideale lebten in der imperialistischen Konzeption fort. Im Zeichen einer sozial-darwinistisch grundierten vitalistischen Zivilisationskritik, die die Kolonien als Terrain einer möglichen Regeneration verherrlichte, entstand so die Idee, dass der Status als Kolonialreich den alten Mächten neue Energien und Stärke induziere und sie zu neuem Leben

333 Chailley-Bert, La colonisation, S. 392. 334 Girault, Principes, S. 52; vgl. dazu El Méchat, S. 135. 335 El Méchat, S. 136. 336 Couvreur, S. 12.

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erwecken könne.337 Allegorisch bildete die Vignette der »Revue indigène« eine mädchenhaft-verjüngte Verkörperung der französischen Republik ab, die mit Tropenhut und Buch ausgestattet ihre Mission der Zivilisierung ausführt: Sie sitzt vor einem Meer, am Horizont geht die Sonne auf.338 Der Kolonialist war nicht nur Projektionsfläche klassen- und geschlechtergebundener Modernisierungsängste in den Metropolen. Mit ihm verbanden sich auch konkrete pronatalistische Vorstellungen und Projekte, die in Frankreich angesichts des geringen Bevölkerungsanstiegs und der im Vergleich geringen Geburtenzahlen von Anfang an integraler Bestandteil des Kolonialismus in der Metropole waren.339 Innerhalb dieser Ideologie war auch der Kolonialverwalter ein Frontmann, der auf seinem Posten in der Kolonie eine besondere Bedeutung für die Regulierung dieser Regenerationsströme hatte. Seine Funktion war dabei durchaus traditionell-konservativ, gegen eine umfassende innere Modernisierung der Gesellschaft gerichtet. Er gehörte zu einer Elite, die einer besonderen Ausbildung bedurfte, bei der die Vermittlung von Kolonialwissen mit spezifischen Formen eines elitären Korporatismus einherging. Die Ausbildung selbst und die Prüfungen konnten dabei die Funktion von Initiationsriten annehmen, wie Cees Fasseur für die dreitägigen Prüfungen des grootambtenaarsexamen gezeigt hat.340 In der Diskussion der Ausbildungsentwürfe bestand an den elitebildenden Effekten der Ausbildung kein Zweifel. Selbst Boutmy als Kritiker einer zentralen Ausbildung in der École coloniale befürwortete die Idee mit Nachdruck. Ernsthaft überlegte er, wie sich der korporative Geist auch ohne den Besuch einer zentralen Schule einstellen könnte.341 In Hamburg erklärte Rathgen dieses Standesbewusstsein zu einem Erziehungsziel: »Wir wollen nicht einfach Kolonialtechniker ausbilden. Wir brauchen Männer mit festen Überzeugungen, Männer, die das Ehrgefühl der Zugehörigkeit zu einem festen und ehrenwerten Stande haben, den sie sauber halten wollen.«342 In Belgien gehörte die Formung eines Korpsgeistes zu den erklärten Ausbildungszielen.343 Der Fall illustriert, welche Ausmaße diese Ideologie annehmen konnte. Die École coloniale supérieure d’Anvers war wie viele der ersten Kolonialschulen eine Institution, deren Ausbildungsangebot zwischen Theorie und Praxis changierte. Die Didaktik kreiste aber vor allem um die Schaffung einer männlichen und ausschließlich weißen Führungselite für die Verwaltungsherrschaft im Kongo.344 337 Bernardini; Carol. 338 Vgl. z. B. die Nummer 12 (1916/17) 98–100. Für einen Abdruck vgl. Sibeud, Une science impériale, S. 276. Vgl. auch Singaravélou, Professer l’empire, S. 372. 339 Vgl. Cook Andersen, vgl. zum Mythos des »fruchtbaren Siedlers« S. 53 ff. 340 Fasseur, A Passage to Indonesia. 341 Boutmy, Le recrutement des administrateurs coloniaux, S. 24 f. 342 Rathgen, S. 84. 343 Vgl. [o. A.], Recrutement et formation des magistrats et des fonctionnaires coloniaux du Congo belge, in: Bulletin de la Société belge d’études coloniales, Jg. 16 (4), 1909, S. 269–314. 344 Stanard, S. 140.

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Die beiden Direktoren, Charles Lemaire, Kongo-Verwalter der ersten Stunde unter Leopold II. und der Militär Norbert Laude, sahen sich ganz der Charakterbildung der Zöglinge verpflichtet. Lemaires Stunden folgten einer esoterischanekdotischen Didaktik, sein Nachfolger Laude perfektionierte das Programm ab 1926. Er trug zwar zu seiner Verwissenschaftlichung bei, gleichwohl waren auch seine Konzepte aus heutiger Sicht nicht weniger exzentrisch, wie zum Beispiel die feierliche Namensgebung der einzelnen Jahrgänge nach verstorbenen Missionaren oder Kolonialisten.345 Die Ausbildung war Teil des Militärs und geprägt von den Idealen der Pfadfinderbewegung. Uniform und Selbstorganisation, aber auch das gemeinsame Internatsleben mit Ausstellungsbesuchen, Konferenzen von Missionaren und anderen coloniaux, sowie die geselligen Abende und die aufpeitschenden Reden der Direktoren zu den Spezifika der männlichen Charakterbildung trugen in den 1920er und 1930er Jahren zu einer besonders intensiven Gruppenatmosphäre bei.346 Dass die Agenda des scouting mit der kolonialen Pädagogik konvergierte, lag allerdings nicht nur in der Person Laudes und seinem Engagement für die Pfadfinderbewegung in Belgien begründet, sondern gehört zur Entstehung der Scout-Bewegung selbst. Die Vorstellungen ihres Gründers Robert BadenPowell basieren auf seinen Erfahrungen im Buren-Krieg und der Arbeit mit jugendlichen Kundschaftern in Afrika.347 Die Verbindung von idealisierter Männlichkeit und zivilisationskritischem Sozialdarwinismus prägte die Vorstellungswelten auch an anderen Kolonialschulen. Nicht zufällig und nicht ohne Berechtigung wählte Robert Delavignette, Direktor der École coloniale und hoher Kolonialbeamter in Paris und Kamerun, für seine Memoiren in der Erstauflage den bezeichnenden Titel »Les vrais chefs de l’Empire« (1939).348 Die späteren Auflagen und die englische Übersetzung entschieden sich für neutralere Formulierungen. Der Hinweis auf das dem Originaltitel zugrunde liegende Selbstverständnis und die damit verbundene Gesellschaftsutopie schienen nicht mehr zeitgemäß.349 In einem größeren Zusammenhang gehören die Diskussionen um die Charaktereigenschaften des Kolonialverwalters und seine Kulturaufgaben zu einem ambivalenten anthropologischen Großprojekt, zu dem sich die Gesellschaften Ende des 19. Jahrhunderts gedrängt fühlten: der Neudefinition der Bildung im imperialistischen Zeitalter. Der Körper als einer der »wichtigsten Parameter der Moderne« war in diesen Diskussionen um den Status der neuen Kolonialreiche ein wesentlicher Ort der Aushandlung.350 Denn die »neuen Energien« des 345 Grévisse. Vgl. insgesamt Busschaert. 346 Stanard, S. 143 ff. 347 Vgl. Baden-Powell. 348 Die geänderten Titel lauten: Service africain, Paris 1946; Freedom and Authority in French West Africa, London 1950; vgl. zu Delavignette Mouralis u. a. 349 Vgl. für eine Variation die Diskussion von Carl Peters’ »Herrenmenschentum« Laak, Kolonien als »Laboratorien der Moderne«, S. 267 f. 350 Sarasin, Mapping the Body, S. 448.

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revitalisierten Menschen konnten, ebenso wie die des guten Kolonialbeamten, nur durch eine moderne Bildung von Geist und Körper freigesetzt werden. Auf internationalen Foren wurden die Elemente der neuen Bildung erwogen und gegeneinandergestellt. Der Congrès international d’expansion économique mondiale, der unter der Schirmherrschaft des belgischen Königs fünf Tage lang im September 1905 in Mons stattfand, diskutierte angesichts der Tatsache, dass »neue Länder sich der Zivilisation öffnen würden«,351 die sozioökonomischen und moralischen Folgen dieser Expansion. Vertreter aus Handel, Wirtschaft, Wissenschaft und Regierung widmeten sich den Problemen von Marine, Weltmeeren und Seehandel, Fragen aus Wirtschafts- und Zollpolitik ebenso wie der Bedeutung der internationalen Statistik und der Veränderungen im Bildungssystem.352 Die Kolonisierung forderte in den Metropolen die Modernisierung von Schulen und Lehrplänen: »Comment réaliser […] l’expansion économique mondiale qui est devenue une nécessité? Tous les hommes de science ont répondu unanimement: par une formation spéciale de l’intelligence, par une gymnastique spéciale du corps, par une adaptation spéciale de tout l’être au milieu économique dans lequel il devra se mouvoir, bref, par un enseignement général spécial. Le monde de l’expansion économique est entré dans une période nouvelle où industrie et civilisation vont cheminer de concert. Est-il possible d’aborder cette période avec les mêmes hommes et les mêmes procédés qu’autrefois? Non, cette organisation nouvelle réclame impérieusement une éducation nouvelle, des énergies nouvelles. L’école sera la base de cette transformation.«353

Die Inhalte der neuen Bildung wurden deutlich benannt. Konkret handelte es sich um die Organisation des Fremdsprachenunterrichts, die Erweiterung des Geographie- und Geschichtsunterrichts und die Einführung von Sporteinheiten, schon im frühen Kindesalter. Zur Debatte stand der Stellenwert der humanistischen Bildung, insbesondere des Griechisch- und Lateinunterrichts, die als unzureichende Basis für moderne Zivilisationen empfunden wurde.354 Stattdessen wurde die Konzentration auf den Englischunterricht empfohlen, ergänzt durch 351 Vgl. Rapport au roi, in: Congrès international d’expansion économique mondiale, S. 7. Vgl. Herren, Internationalismus. 352 Umfassender und internationaler hätte das Diskussionsforum kaum geplant und durchgeführt werden können: Konsularische Vertreter und Entsandte ausländischer Regierungen von Bolivien bis nach Bulgarien, Vertreter der Collèges épiscopales in Belgien, Handelsgesellschaften von Kairo über Kyoto und Adelaide bis nach Düsseldorf und Mailand, Kohle-, Eisenbahn- und Rechnungsgesellschaften, Kolonialgesellschaften, Vertreter der Deutschen Feuerversicherung und amerikanischer Universitäten wie Washington und North Dakota sowie anthropologischer Gesellschaften, wie die aus Berlin, Statistikprofessoren und Ingenieure, Lehrer und ihre Ausbilder, Vertreter der Schulen, des soziologischen Instituts und des internationalen bibliographischen Instituts in Brüssel, vgl. Congrès international d’expansion économique mondiale, S. XLI ff. 353 So die Eröffnung der ersten Sektion »Enseignement« des Kongresses, vgl. Congrès international d’expansion économique mondiale, S. 15. 354 Ebd., S. 44 f.

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einen muttersprachlichen Unterricht und Latein. Die meisten Teilnehmer teilten die Einsicht in die Reformbedürftigkeit. Einige Teilnehmer gingen sogar so weit zu erklären, Englisch solle die allgemeine Sprache werden.355 Als im Plenum der Endbericht der Sektion vorgetragen wurde, der das Studium moderner Sprachen und der Muttersprache in Kombination mit Latein als wünschenswert darstellte, folgte prompter Applaus.356 Im Jahr 1906 wurde in Belgien eine Kommission eingesetzt, die Reformvorschläge unterbreiten sollte.357 Der Kongress markierte eine Etappe in der internationalen Diskussion über die Modernisierung des Sprachunterrichts. Seine Erklärungen und Protokolle hatten keine bindende Wirkung – insbesondere nicht für ausländische Bildungsministerien oder -einrichtungen  – wie unter den deutschen Pädagogen nicht ohne Erleichterung der Direktor der Franckeschen Stiftungen hervorhob.358 In Deutschland waren zwar im Jahr 1900 alle drei höheren Lehranstalten, lateintreibende und nicht lateintreibende, gleichgestellt worden.359 In Mons aber war vor einer breiten und internationalen Öffentlichkeit das Ideal der humanistischen an den Gymnasien verankerten Bildung als einer Bastion bürgerlicher Selbstbestimmung und Identifikation grundsätzlich ins Wanken geraten, das auch im Kaiserreich seit den 1880er Jahren immer stärker mit dem Argument der Anforderungen der neuen Zeit kritisiert wurde. Das Argument war inzwischen schon klassisch geworden. In Frankreich hatte Ende des 19. Jahrhunderts Chailley-Bert, der Pragmatiker des französischen Kolonialismus, immer wieder den unnötigen Ballast der Gymnasialausbildung kritisiert und eine generelle Ausrichtung der Kurse sowie eine praktische Unterrichtsmethode gefordert.360 Chailley-Berts Bildungsprogramm setzte bereits bei der Schule an und beschränkte sich nicht auf Vorschläge für Spezialausbildungen. Das koloniale Zeitalter verlange eine neue Bildung, so führte er aus: Das üblicherweise vermittelte Wissen mag für die Ausbildung der Aristokraten (gentilshommes) des 17. Jahrhunderts angemessen gewesen sein. Für das 19. Jahrhundert sei es schlichtweg nicht geeignet.361 Der Frage kam im Kampf um eine professionelle Kolonisierung Frankreichs eine prinzipielle Bedeutung zu, denn solange die französische Schule nicht auf das Leben vorbereitet, sondern ihre Schüler davon entferne, könne Frankreich auch seinen Status als Kolonialmacht nicht festigen. Die ökonomische Expansion und der mit ihr verbundene kulturelle Auftrag verlangten – so hielt die Tagung 1905 im Ergebnis fest – gravierende Einschnitte in das bestehende Schul- und Ausbildungssystem. Diese Veränderungen bezogen sich nicht nur auf Schultypen und Lehrpläne. In dem neuen Bildungs355 Ebd., S. 49 f. 356 Ebd., S. 268. 357 Fries. 358 Ebd. 359 Zur Reformdiskussion in Deutschland vgl. Albisetti u. Lundgreen. 360 Chailley-Bert, L’éducation, S. 24 ff. 361 Ebd., S. 26.

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ideal äußerte sich auch ein neues Menschenbild. Dieser Mensch brauchte anwendungsorientiertes Wissen und einen trainierten Körper. Mit Blick auf die Kulturarbeit in der Kolonie sollte die Gymnastik Muskeln und Charaktereigenschaften gleichermaßen formen, »den Menschen von morgen« anpassungs- und widerstandsfähig machen, so deklarierte der Kongress.362 Sport bzw. Gymnastik fristeten dennoch bis in die 1940er Jahre ein Schattendasein.363 Die Art und Weise der Institutionalisierung des Sportunterrichts erhitzte die Gemüter ebenso wie die Frage der Sprachausbildung. In allen Einzelheiten wurden die Möglichkeiten der körperlichen Ertüchtigung, die »gymnastique physique« durchdekliniert, die verschiedenen Gymnastikarten gegeneinander abgewogen – und dies nicht nur im Rahmen spezifischer Ausbildungsprogramme: Schon in der Grundschule im Alter von sechs Jahren sollte der allgemeine Sportunterricht beginnen, worauf die Mütter ihre Kinder vor der Einschulung vorzubereiten hätten.364 In der koordinierten und geplanten Körperarbeit kamen die Aspekte der Ausbildung des neuen Menschen zusammen und wurden wissenschaftlich bestimmt. Hygiene, Ästhetik, die Beherrschung körperlicher Kräfte spielten zusammen und nahmen moralische Dimensionen an. Auf der Grundlage sozialbiologischer Vorstellungen von der Entwicklung europäischer Gesellschaften sollten dabei Geschlechter- und Rassenhierarchien bestätigt und über den Körper ausgeübt und gelernt werden. Die Frage nach dem Sport als einer politischen Geschichte des Körpers bezeichnet eine konstitutive Dimension sich modernisierender Gesellschaften.365 Und es ist die Virulenz dieses kulturellen Ordnungsprojekts, die die Vehemenz der Diskussion um die Jahrhundertwende erklärt.366 Innerhalb dieses Koordinatensystems organisierten die Kolonialschulen eine männliche Eliteausbildung, die Ausdruck von Macht- und Regenerationsfantasien der sich als überlebt empfindenden europäischen Gesellschaften war. Vorschläge zur Kartierung und Normierung des Körpers waren Beiträge zur Schaffung einer kollektiven Identität. Dass der Sport dabei im Kontext von Degenerationsdiskursen den nationalen Körper gleichzeitig reformieren wie auch erhalten sollte, haben neuere Detailstudien gezeigt.367 Im Anschluss an die Überlegungen von Ann Laura Stoler könnte man auch den europäischen Organisatoren, Verwaltern und ihren Ausbildern das Agieren in einer imagined community attestieren, die Formen der Europäizität im wahrsten Sinn des Wortes 362 Vgl. v. a. Tissié (Gründungspräsident der Ligue girondine de l’Éducation physique); Fosséprez (Inspecteur de l’enseignement de la gymnastique). 363 Im Jahr 1941 wurde Gymnastik an Gymnasien fakultativ; ab 1925 war sie in der Sekundarstufe verpflichtend, mit zwei Stunden pro Woche, für die Unterstufe war sie seit 1882 zumindest im Programm vorgesehen, vgl. Gleyse, L’éducation physique comme analyseur. Vgl. insgesamt Andrieu; Gleyse, L’éducation physique au XXe siècle. 364 Vgl. Denève (Inspecteur de l’enseignement de la gymnastique, in Mons). 365 Alkemeyer, Körper, Kult; ders., Sport als Mimesis. 366 Vgl. Coubertin. 367 Heggie.

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performierte.368 Die medizinischen Diskurse über die Wirkungen der Hitze in den Kolonien auf europäische Männer zeigen, was dabei auf dem Spiel stand: der Verlust ihrer Kulturfähigkeit.369

2.2 Undiszipliniertes Wissen. Die »soziale Seite der Kolonisierung«370 und die Kartierung der »sogenannten primitiven Gesellschaften«371 2.2.1 Koloniale Ausbildung und Sozialwissenschaften Die Gründung von Kolonialschulen und die Schaffung von Studiengängen institutionalisierte Produktionsbedingungen für koloniales Wissens, welches die disziplinären Grenzen sprengte und neu ordnete. Die unter dem Etikett »kolonial« firmierenden Curricula legten fest, welche Disziplinen mit welchen Anteilen an der Ausbildung beteiligt waren. Dabei verbanden sie unter dem Postulat der Eigenständigkeit des Kolonialen heterogene Wissensbestände aus verschiedenen disziplinären Traditionen. Symptomatisch zeigte sich dies bei der Gründung des Hamburger Kolonialinstituts, wo die ursprüngliche Idee, das Gebiet der Kolonialwissenschaften mit einer Professur abzudecken, verworfen wurde. Stattdessen entwickelte sich das Institut in Richtung einer Kolonialuniversität mit mehreren Professuren.372 Die Debatten um die kolonialen Ausbildungsmöglichkeiten verhandelten die zentralen Dimensionen der Area Studies. Sie thematisierten sowohl den inhaltlichen Zuschnitt der Wissensfelder und ihre politische Ausrichtung als auch ihre Stellung im Wissenschaftssystem. Offenkundig war – jenseits von Argumenten der Besitzstandswahrung – die Irritation und Faszination im Umgang mit einer Wissenschaft, die quer zu den bestehenden Disziplinen angesiedelt wäre und deren »Wissenschaftlichkeit« sich erst erweisen musste. Denn obgleich die Zusammenfassung von Wissen und Ausbildungsgängen unter dem Etikett »kolonial« selten unwidersprochen blieb, belegt die zunehmende Verwendung des Etiketts »kolonial« für Schulen und Ausbildungsgänge, dass unabhängig von nationalen Bildungslandschaften der Tatbestand eines eigenen Wissensfeldes als gesichert galt. Die Tatsache, dass dabei Asien und Afrika gemeinsam unterrichtet wurden, als Sparten einer allgemeinen Kolonialwissenschaft, verweist auf das zugrunde liegende globale Konzept.

368 Stoler, S. 137. 369 Zu Frontier-Prozessen vgl. Osterhammel, Die Verwandlung, S. 465 ff.  370 Leseur, Rapport, S. 3. 371 Hardy, La foule, S. 23–47. 372 Hamilton, Colonial Education.

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Die Bezeichnung »kolonial« bezog sich nicht auf ein festes regionales oder disziplinäres Ensemble. »Kolonial« konnten Teile einer Disziplin sein, wie die Kurse in »kolonialer Geographie«, die seit 1886 an der École libre des sciences politiques in Paris gegeben wurden.373 Ebenso gut konnte es sich auch um eine Theorie und Praxis umfassende Ausbildungsoption handeln, wie die licence en sciences coloniales an der Universität Löwen, die sich sehr ausdifferenziert zusammensetzte aus Philosophie, Jura, Geographie, Chemie, Landwirtschaft, Botanik, Buchhaltung, Verwaltung und Handelsvorgänge, Hygiene, Englisch und den Sprachen des Kongo.374 Für die »Deutsche Kolonialzeitung« galten schließlich auch Veranstaltungen mit einer transnationalen Fragestellung an den deutschen Universitäten als »kolonial«: »Die Geschichte des Welthandels«, »Deutsche Schifffahrtspolitik« ebenso wie die »Geschichte Englands seit 1500«.375 Die Offenheit der Themen wurde auch von den beteiligten Dozenten und Kolonialaktivisten bemerkt. Noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg suchten sie dafür nach einer Begründung und konstatierten, dass die Inhalte der Wissenschaft von der Kolonisierung nicht definiert werden konnten, da das Phänomen der Kolonisierung nicht eindeutig zu definieren war. »La colonisation est-elle un phénomène géographique, économique, politique ou moral?«, fragte de Lannoy in seinem kolonialwissenschaftlichen Plädoyer aus dem Jahr 1913.376 Dennoch hatten die kolonialwissenschaftlichen Ausbildungen Wirkung gezeigt. Sie hatten zur Bildung von epistemic communities geführt und die Kartierung sozialwissenschaftlicher Felder vorangetrieben. Die Ausbildungen nahmen vorhandene Perspektiven auf, vor allem aber katalysierten sie auf verschiedenen Wegen die Entstehung einer sozialwissenschaftlichen Argumentationsebene.377 Sie trugen dazu bei, dass das ethnographische Wissen von nicht etablierten Außenseitern, wie Missionaren, Kolonialbeamten oder Militärangehörigen, Teil einer wenn auch nicht unwidersprochen wissenschaftlichen, so doch zertifizierten Ausbildung wurde.378 In Belgien, um nur ein Beispiel zu nennen, entwickelte sich die katholische Universität in Löwen zu einem Zentrum der Missionsethnologie und ihrer Versuche, die Arbeit der Missionare vor Ort und mit der einheimischen Bevölkerung

373 Singaravélou, Professer l’empire, S. 47. 374 Poncelet, S. 173 ff. 375 [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen, in: DKZ, Jg. 23 (43), 1906, S. 429. 376 Lannoy, S. 537. 377 Nach Bertrand, Les sciences. Vgl. auch Singaravélou, L’enseignement. Dabei handelt es sich um zwei getrennte Forschungstraditionen. Die Rolle des Kolonialismus wird nicht in der Disziplingeschichte, sondern in der Geschichte des Kolonialismus und »seiner« Wissensbestände abgehandelt, vgl. für Frankreich v. a. Mucchielli, La découverte du social; Sibeud, Une science impériale. 378 Für das internationale Spektrum dieses Wissens und die betroffenen Disziplinen vgl. den nach Regionen geordneten Überblick von Wallroth.

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auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen.379 Die Bedeutung der institutionellen Verbindung von Missionsschule und professionalisierter ethnographischer Beobachtung nahm mit der Organisation ethnologischer Wochen und der Gründung einer mehrsprachigen Zeitschrift europäische Ausmaße an. Noch vor dem Kautschuk-Skandal erschien in Löwen 1906 die erste Nummer der ersten Zeitschrift für Missionsethnologie Anthropos mit einer methodischen Einführung von Monseigneur Alexandre Le Roy, Supérieur der Congrégation des pères du Saint-Esprit und Mitglied der Société antiesclavagiste, der 1910 auch den Fragebogen für eine der ersten großflächigen Enqueten in Frankreich erstellte.380 Der Fragebogen bildete eines der wichtigsten Instrumente, um die fremden Kulturen zu kartieren, und wie die folgenden Kapitel zeigen werden, stand er im Zentrum der Methodendiskussion, mit der die erste Generation an Ethnologen das Terrain ihrer Disziplin bestimmten.381 Ethnologische, soziologische, völkerpsychologische und völkerkundliche eben­so wie anthropologische und rassekundliche Argumente waren auf verschiedene Weise mit der Verwissenschaftlichung des Kolonialen verbunden. Die dabei entstehenden Wissensfelder und Denkmuster waren Übergangsphänomene auf dem Weg zu einem holistischen Zugriff auf Kultur und Gesellschaft, der sich seit den 1880er Jahren organisierte und professionalisierte. In Deutschland war für die sozialwissenschaftliche Matrix zwischen Anthropologie, Völkerkunde und -psychologie zunächst vor allem die Völkerkunde prägend. Folgt man den Listen der »Deutschen Kolonialzeitung«, wurden im Jahr 1906/1907 zwar nur wenige Kurse aus diesem Spektrum angeboten. Aber ihre Anzahl stieg. Der Bereich der vergleichenden Völkerkunde, der zunächst an den Universitäten in Berlin und Leipzig vertreten war, nahm an Bedeutung zu.382 Die Universität Leipzig wurde mit der Gründung des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte 1909 ein Zentrum der Entwicklung kollektivierender Sichtweisen in Geschichte und Gegenwart. Sie führte 1908 auch Vorlesungen zur Psychologie der Naturvölker auf.383 Hier lehrten der Anthropogeograph Friedrich Ratzel, der Völkerpsychologe Wilhelm Wundt sowie der Kulturhistoriker Karl 379 Maxwell, S. 328 ff.; Poncelet, S. 173. 380 Sibeud, Du questionnaire. 381 Vgl. 2.2.3. und 2.2.4. 382 Vgl. für Erlangen und Köln [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen an deutschen Hochschulen, Instituten usw., Winterhalbjahr 1907–1908, in: DKZ, Jg. 24 (35), 1907, S. 350–352; [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen an deutschen Hochschulen, Instituten und solche, veranstaltet von wissenschaftlichen Instituten und Vereinen, Sommerhalbjahr 1907, in: DKZ, Jg. 24 (25), 1907, S. 252–254. 383 [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen an deutschen Hochschulen, Instituten usw., Winterhalbjahr 1907–1908, in: DKZ, Jg. 24 (35), 1907, S. 350–352; [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen an deutschen Hochschulen, Instituten und solche, veranstaltet von wissenschaftlichen Instituten und Vereinen, Sommerhalbjahr 1907, in: DKZ, Jg. 24 (25), 1907, S. 252–254; [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen, in: DKZ, Jg. 25 (38), 1908, S. 666–667.

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Lamprecht.384 Und auch das Museum für Völkerkunde und sein dynamischer Direktor, der Ethnologe Karl Weule, der wohl als erster in den deutschen Kolonien für seine Feldstudien 1906/1907 eine Filmkamera benutzte, stellten nach der Jahrhundertwende für das Berliner Museum und dessen Direktor Adolf Bastian eine ernsthafte Konkurrenz dar.385 In Berlin unterrichtete nicht nur der Völkerkundler und Wissenschaftsorganisator Bastian, seit 1868 Vorstand der Ethnographischen Abteilung in den Kunstsammlungen der Königlich Preußischen Museen und seit 1886 Direktor des neu gegründeten Berliner Völkerkundemuseums.386 Im Jahr 1885 wurde auch der Anthropologe Felix Luschan (1854–1924) als Direktorialassistent an das Berliner Museum für Völkerkunde berufen. Von 1904 bis 1910 war er Direktor der Afrika- und Ozeanien-Abteilung, seit 1909 ordentlicher Professor für Anthropologie an der Universität. Schon zuvor hatte Luschan im Museum für Völkerkunde Vorlesungen und anthropologische Übungen zu Messmethoden und der Herstellung photographischen Materials abgehalten.387 Rassekundliche und anthropologische Veranstaltungen zählten auch in Süddeutschland zum kolonialwissenschaftlichen Lehrprogramm: in Freiburg mit den Vorlesungen von Eugen Fischer, in München mit den Veranstaltungen von Johannes Ranke, der seit 1886 den ersten deutschen Lehrstuhl in Anthropologie innehatte.388 Sucht man nach völkerkundlichem Unterricht am Seminar für Orientalische Sprachen, fallen auf den ersten Blick insbesondere die zwei Wochenstunden in Geographie oder Geschichte Süd- und Ostafrikas bzw. zu den sozialen Verhältnissen von Mittel- und Südafrika auf.389 Stellt man allerdings die Publikationen und Interessensgebiete des Dozenten Carl Gotthilf Büttner in Rechnung, dürften die ethnographischen Kurse vor allem linguistisch ausgerichtet gewesen sein. Büttner, damals noch als Missionsinspektor tätig, unterrichtete ab 1888 vor allem Suaheli. Nach dem Ausscheiden aus der Missionsarbeit war er hauptamtlich am Seminar und hatte ab 1889 afrikanische Lektoren als Assistenten an seiner Seite. Büttner gab zwar Vorlesungen zur Volksliteratur der Suaheli, »Ethnographie und neueste Geschichte Südafrikas«, »Geographie und Geschichte der neuen Entdeckungen«, »Über die wirtschaftlichen und commerciellen Verhältnisse in den deutschen afrikanischen Gebieten«. Er veröffentlichte zu Ackerbau und Viehwirtschaft, in der DKZ auch zur »Kulturarbeit der Heidenmission«. Aber seine Hauptinteressen lagen auf der Erforschung und dem Vergleich der Bantusprachen. Von 1887 bis 1890 gab er die kurzlebige »Zeitschrift für afrikanische Sprachen« heraus.390 384 Vgl. für eine Zusammenfassung Espagne. 385 Fuhrmann. 386 Penny. 387 Ruggendorfer u. Szemethy. 388 Vgl. z. B. [Oberstleutnant Gallus z. D.], Koloniale Vorlesungen, in: DKZ, Jg. 25 (38), 1908, S. 666–667. 389 Beneke, S. 71. 390 Menzel, S. 202 ff. Vgl. zu Büttner inbes. Pugach.

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Allerdings war die Bedeutung der Sprache für die völkerpsychologischen Argumente im Kaiserreich maßgeblich. Die deutsche Völkerpsychologie und auch die Anthropologie wurden aufgrund ihrer antihumanistischen Derivate kritisiert, dennoch bleibt für das Kaiserreich ein vorwiegend kulturalistischer Konsens festzuhalten.391 Die Perspektiven partizipierten am selben epistemischen Feld wie die Soziologie und waren ein erster Schritt auf dem Weg zu den modernen Wissenschaften vom Menschen. Mit der Kombination psychologischer und sprachlicher Analysen wirkte der pluridisziplinäre Synkretismus der Völkerpsychologie stimulierend auf kollektivierende Sichtweisen, die ihre Prämissen weiterentwickelten oder sich von ihr lösten. Das Zusammenbringen von Ethnographie und Geschichte, wie es in der Völkerpsychologie Lazarus’ und Steinthals vorgenommen wurde, war die entscheidende Folie, auf der auch Georg Simmel seinen ersten soziologischen Aufriss formulierte.392 Die Völkerpsychologie war in ihrer Mischung aus Idealismus und Empirismus ein Übergangsphänomen, dessen Bedeutung vor allem in der Frontstellung zum Historismus lag. In wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht waren jedoch sowohl das deutsche »Volk« als auch der französische lien social Kristallisationspunkte der Frage nach dem Funktionieren gesellschaftlicher und kultureller Ordnungen.393 Neben der Völkerkunde und -psychologie bestand ein weiterer disziplinärer Kern in Deutschland in der Nationalökonomie. Die einzige Nennung des Wortes »sozial« in den kolonialwissenschaftlichen Aufstellungen der »Deutschen Kolonialzeitung« erfolgt im Titel der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt am Main. Durch private Mäzene gegründet, verstand diese ihre Aufgabe als praktische Sozialpolitik. Als kolonialwissenschaftliches Lehrprogramm wurden Kurse zur Arbeiterfrage, zur Wirtschafts- und Machtpolitik, neben Kultur- und Wirtschaftsgeographie angegeben.394 Aber mit der Person des Wirtschaftswissenschaftlers Paul Arndt lag der Fokus in Frankfurt auf der Nationalökonomie.395 Dieses Spannungsfeld von Sozialpolitik und Nationalökonnomie ist charakteristisch: Die ersten deutschen Lehrstühle in Soziologie, die im Jahr 1919 in Köln und Frankfurt am Main mit Benno von Wiese und Franz Oppenheimer besetzt wurden, standen nominell und personell in Verbindung mit den Staatswissenschaften und der Nationalökonomie. Letztere bildete insbesondere mit den Aktivitäten Gustav Schmollers und dem Verein für Sozialpolitik auch ein sozialwissenschaftliches Feld, aus dem vor der Jahrhundertwende neben Ethnographie und Völkerkunde konzertierte Bemühungen um koloniale Expertise kamen.396 391 Conklin, In the Museum, S. 13. Zur Kritik an der antihumanistischen Anthropologie Bastians und Luschans vgl. Zimmerman, Anthropology, S. 38 ff. 392 Köhnke. 393 Trautmann-Waller, Introduction, S. 9–21. 394 Oberstleutnant Gallus z. D., Koloniale Vorlesungen, in: DKZ, Jg. 23 (43), 1906, S. 429 f. 395 Vgl. den Studien-Leitfaden Arndt, Vgl. zur Entwicklung der Disziplin Köster. 396 Zimmerman, German Sociology. Für eine Einordnung der ersten Soziologen-Generation vgl. Steinmetz, Neo-Bourdieusche Theorie.

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Der Methodenstreit zwischen Anthropologie und Völkerpsychologie und seine Kritik am historisch-kritischen Paradigma im Kaiserreich sollten nicht den Blick darauf verstellen, dass es sich bei diesen Epistemologien nicht um Ausnahmeerscheinungen, sondern um europäische Entwicklungsstadien handelte. Völkerpsychologische Perspektiven, in der Allianz oder Frontstellung zur Anthropometrik ebenso wie biologische Belichtungen des Sozialen, waren feste Bestandteile der Entwicklung sozialwissenschaftlicher Perspektiven auch außerhalb Deutschlands.397 Der Blick nach Belgien zeigt, wie kolonialwissenschaftliche Perspektiven unter Rückgriff auf biologische und völkerpsychologische Argumente als selbstverständlicher Teil der Soziologie konzeptualisiert werden konnten. Der politische Ökonom und Statistiker Émile Waxweiler unterrichtete seit 1897 an der École des sciences politiques et sociales der Brüsseler Universität, ab 1906 als ordentlicher Professor.398 Nach den Kursen zu »Institutions et ­coutumes primitives« setzte sich sein Engagement in der Kolonialarbeitsgruppe am Institut de sociologie fort, die zwischen 1910 und 1914 einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Ethnologie in Belgien leistete.399 Waxweiler war 1902 erster Direktor des Institut de sociologie de Solvay geworden und damit nominell auch Soziologe. Er verfasste nicht nur ein theoretisches Grundlagenwerk, das 1906 unter dem Titel »Esquisse d’une sociologie« erschien, sondern wirkte auch als Wissenschaftsorganisator strukturbildend, nicht zuletzt mit der Gründung der Institutszeitschrift, die in Anlehnung an Durkheims seit 1898 erscheinende Zeitschrift den Titel »Années sociologiques« (1910–1912) trug. Gleichzeitig stand für Waxweiler zunächst außer Frage, dass seine später als »relationelle Soziologie«400 bezeichnete Wissenschaft einen biologischen Ausgangspunkt hat: »N’est-il pas évident que cette chose va se produire: tandis que ce qui devait être la sociologie continuera à tendre vers une cristallisation toujours fuyante, l’analyse biologique fera surgir une science, organisée pour l’observation des individus en tant qu’ils agissent et réagissent entre eux.«401 Waxweilers Soziologie war eine biologische Soziologie in der Nachfolge Geoffroy Saint-Hilaires, die von der Frage nach den Existenzbedingungen des Menschen in seiner Umwelt ausging.

397 Blanckaert, Les politiques; Reynaud-Paligot u. Charle. So auch Conklin, die bemerkt, dass Mauss und Rivet nicht aus Humanismus und nicht die Rassentheorie als Ganze verworfen hätten. Dies wäre im Übrigen zum damaligen Zeitpunkt auch ihrem Anspruch auf eine allgemeine Anthropologie zuwidergelaufen, dies., In the Museum, S. 58 ff. Vgl. für die späteren Jahrzehnte das 1937/1938 in Le Havre gegründete Institut de sociologie économique et de psychologie des peuples und seine Netzwerke, Kwaschik, Minder. 398 Zur Biographie vgl. Bie, S. 13 ff. Zu den Grundideen seiner Wirtschaftslehre vgl. die Antrittsvorlesung Waxweiler, Économie politique. 399 Crombois, S. 85 ff. 400 So der Jurist und Politiker Wodon, vgl. dazu Wodon, Quelques observations. 401 Waxweiler, Esquisse, S. 11. Vgl. Wodon, Quelques observations; Frost.

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Soziologie war für den Belgier nicht nur in der Nachfolge Geoffroys, sondern auch Ernst Haeckels, eine Wissenschaft des Lebens, die sich mit den »manifestations vitales des êtres organisés« beschäftigte.402 Dabei interessierte ihn nicht der Charakter der Menschen, sondern das Individuum in seinem Milieu. Letzteres stellte für ihn »den Teil der allgemeinen Umgebung« dar, mit dem das Individuum »unmittelbar« (»immédiatement«) in Kontakt sei.403 Der Leitsatz seiner Wissenschaft lautete: »se cramponner à l’individu agissant dans son milieu«. Die Methodik bestand im »Einhüllen« des Individuum in der es umgebenden Realität durch insbesondere die »direkte Beobachtung«: »L’éthologiste doit ENROBER l’individu qu’il étudie, dans la réalité qui l’enveloppe.«404 Waxweiler wusste um den unklaren Status seines Ansatzes. Er wollte sein verhaltenswissenschaftliches Setting, Individuen in ihrem Milieu zu untersuchen, als einen Vorschlag zur Weiterentwicklung der soziologischen Paradigmata verstanden wissen.405 Gleichzeitig bezeichnete er ihn aber auch als »psychologie collective« und »psychologie sociale«.406 Nach 1910 etikettierte er seine Systematisierungsvorschläge nicht mehr als Biologie.407 In den kolonialwissenschaftlichen Diskussionen rückten menschliche Gemeinschaften als soziobiologische Einheiten in den Blickpunkt. Dies geschah in durchaus verschiedenen und aus heutiger Sicht auch problematischen epistemischen Formationen. Dennoch darf der Übergangscharakter dieser Annäherungen nicht das Moment der Systematisierung übersehen lassen, die im Zugriff auf die Gesamtheit einer fremden Kultur lag. Die hybriden Mischformen aus ethnologischen, geographischen, psychologischen und historischen Anteilen bildeten in der Gärungsphase der Sozialwissenschaften eine Art »undiszipliniertes Wissen«, das die Frage nach der effizienten Kolonisierung mit der Kartierung der fremden Kulturen beantwortete. 2.2.2 Der Congrès international de sociologie coloniale zwischen Soziologie, Psychologie und Biologie (1900) Für die Entstehung kollektivierender Sichtweisen auf fremde Kulturen waren um 1900 die Positionen und Netzwerke der Anhänger des Assoziationismus entscheidend. Gustave Le Bons Vortrag auf dem internationalen Kolonialkongress von 1889 hatte gezeigt, dass neben wirtschaftlichen Interessen die Annahme einer grundsätzlichen Verschiedenheit der Rassen in der Nachfolge der 402 Waxweiler, Esquisse, S. 50 ff. 403 Ebd., S. 56. 404 Ebd., S. 64; 37. [Hervorhebung im Original] Zu den Stufen der Beobachtungen und anderen methodischen Aspekten vgl. ebd., S. 87 ff. 405 Ebd., S. 9. 406 Bie, S. 125. 407 Ebd., S. 23.

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Theorien Gobineaus ein grundlegendes Denkmuster für diese Ansätze bildete.408 Es war diese Idee, die Fragen nach den Regeln und Inhalten der fremden Kulturen provozierte und zunehmend als eine eigenständige Dimension der Kolonisierung wahrgenommen wurde. Aus der Kolonialerfahrung und der Kritik an der Assimilationsidee entwickelten sich sozialwissenschaftliche Zugriffe auf fremde Kulturen. Welche Funktionen diese »soziale Seite« der Kolonisierung zwischen Psychologie, Biologie und Soziologie in der Entwicklung einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise erhielt, machte im Jahr 1900 ein internationaler Kongress deutlich, der sich unter das Etikett »koloniale Soziologie« stellte.409 Der Congrès international de sociologie coloniale wurde während der Weltausstellung von 1900 in Paris in enger Zusammenarbeit mit der französischen Regierung und unter Vorsitz der französischen und niederländischen Kolonialgesellschaften abgehalten. Er versammelte Repräsentanten aus Wissenschaft und Politik, Wirtschaft und Finanzwesen, Religion und Gesellschaft, dem diplomatischen Corps sowie Vertretern der Verwaltung und technischer Berufe.410 Der Anspruch der Konferenz auf eine grundsätzliche Verwissenschaftlichung der Kolonialpolitik nahm ein allgemeines Anliegen auf: »de rendre à l’étude du côté social de la colonisation la place qui doit lui revenir, et de profiter précisément de cet admirable spectacle de progrès matériel que sera l’Exposition de 1900«.411 Konkret visierten die Diskussionen die Inhalte und praktische Umsetzung einer neuen »Eingeborenenpolitik«, »la politique indigène fait de bienveillance et de justice«.412 Diese zeichnete sich durch eine sorgfältige Auswahl der Beamten und ein profundes und detailliertes Wissen über die »Eingeborenenkulturen« aus und wurde in deutlicher Abgrenzung gegen ältere Formen der Kolonialpolitik konstruiert. In dieser Perspektive war es für jede Dimension der Kolonisierung wesentlich, die Lebens- und Vorstellungswelten der einheimischen Bevölkerung einzubeziehen. Alle auf dem Kongress verhandelten Fragen – waren sie auch noch so verwaltungstechnischer Natur, angefangen von der Veränderung indigener Rechtsinstitute bis hin zur Organisation der Arbeit im öffentlichen Sektor  – wurden zurückgebunden an ein Studium der »questions morales et sociales se rattachant à la colonisation«.413 408 Le Bon, De l’influence de l’éducation. Vgl. auch die umfassende Kritik an der Assimilationsidee als Grundlage für den Verfall der französischen Kolonien im Abschnitt V von Le Bon, La psychologie politique, S. 226 ff. 409 Die Akten sind in zwei Bänden erschienen: Congrès international de sociologie coloniale, tenu à Paris du 6 au 11 août 1900, 2 Bde., Paris 1901. (Bd. 1: Rapports et procès-verbaux des séances, Bd. 2: Mémoires soumis au congrès). Die Übersetzung des Titels folgt der deutschen zeitgenössischen Übersetzung im mehrteiligen Kongressbericht der DKZ, Leseur, Der Kongress 45–47. 410 Vgl. die Liste des Vorstands und der Teilnehmer, Congrès international de sociologie coloniale, Bd. 1, S. 465–478. 411 Leseur, Rapport, S. 3. 412 Kol. 413 Leseur, Rapport, S. 4.

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Diese Haltung zur Kolonisierung spiegelte sich in den Resolutionen der einzelnen Sektionen, die von einem auf Effizienzsteigerung angelegten Bewahrungsdrang der einheimischen Verhältnisse geprägt waren. Sie thematisierten die politische und juristische sowie die materielle und moralische Situation (»condi­ tions«) der »Eingeborenen«. Im Detail wurde insbesondere die Einführung des Zivil- und Strafrechts sowie liberaler Grundrechte wie Presse- und Versammlungsfreiheit diskutiert, ferner ihre konkrete Umsetzung unter Beibehaltung einheimischer Rechtsinstitutionen. Als Grundlage für jede Dimension dieser neuen »indigenen Politik« galt die genaue Kenntnis der Einheimischen und der Regeln ihres Zusammenlebens, ihrer Sitten und Gebräuche, Gerechtigkeitsvorstellungen bzw. der Idee von Schuld und Strafe.414 Vergleichende Studien zur Organisation von Familie und Eigentum wurden als Bestandteil einer sociologie comparée eingefordert.415 In dieser Hinsicht war auch die Arbeitsorganisation für den öffentlichen Sektor für die Kongressteilnehmer eine soziologische Frage, da sie »das soziale Leben und die soziale Ordnung« betraf.416 Generell wurde ein eklatanter Mangel an aktuellem Regionalwissen konstatiert, begleitet von der in der Geschichte der Area Studies klassisch gewordenen Klage, man sei besser über das antike Asien und dessen Bevölkerung informiert als über die Sitten, Gebräuche und Institutionen im zeitgenössischen Asien. Die Forderung der einzelnen Sektionen war immer dieselbe: Kompetente Forscher sollten in den Kolonien »die Bräuche der Einheimischen« (»les coutumes des indigènes«) studieren. Einen methodischen Vorschlag unterbreitete der Jurist Arthur Girault aus Poitiers, Autor des Standardwerks zu den Prinzipien der Kolonisierung. Er empfahl als Vorbild für diese wissenschaftlichen Studien ferner Kulturen den standardisierten Fragebogen, den sein Kollege, der Jurist Félicien Cattier in Brüssel »für Offiziere im Kongo« erarbeitet hatte.417 Die Debatte um die »soziale Seite der Kolonisierung« und ihre wissenschaftliche Verortung erfolgte auf der Grundannahme der Andersartigkeit der Menschen in den Kolonien. Auf dem Kongress von 1900 erklärte deshalb Charles François Marchal, Abgeordneter für Algier, die Völkerpsychologie zu einer Form der Kolonialsoziologie.418 Er definierte sie als die Wissenschaft einer genauen und unparteiischen Beobachtung des Lebens der Völker sowie der Analyse der 414 Kol. 415 Girault, Condition des indigènes, S. 49. 416 Treille. 417 Girault, Condition des indigènes. Der Fragebogen lag nicht vor und konnte deshalb den Kongressakten nicht beigelegt werden. Darüber hinaus war er nicht für Offiziere bestimmt, vgl. Kapitel 2.2.4. 418 Der Jurist und Militär Marchal (1849 in Algerien geboren) war von 1898 bis 1902 Abgeordneter in Algier und Herausgeber verschiedener Tageszeitungen. Er tat sich während seines Mandats in Algerien insbes. durch antisemitisches Engagement gegen das Décret Crémieux hervor, das ihn schließlich 1902 seinen Sitz kosten sollte, vgl. die biographische Notiz der Datenbank der französischen Nationalversammlung. http://www.assemblee-nationale.fr/ sycomore/fiche.asp?num_dept=4972 [20.3.2018].

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dabei hervortretenden Tatsachen und Charaktere. Zwischen dieser sozialen Wissenschaft und einem religiösen und pädagogischen Zugriff auf die »primitiven Völker« zog er eine Grenze: »On veut faire de la sociologie: on n’en fera jamais assez. Car la science sociale, la psychologie des peuples, surtout aux colonies, n’a été que fort peu étudiée. L’analyse des faits, des caractères a été si peu développée; on s’est si peu accoutumé à l’observation exacte et impartiale de la vie réelle, que je crois bien qu’on s’est laissé souvent entraîner, sous des noms nouveaux, sous un titre différent, aux mêmes théories qu’auparavant, aux mêmes conceptions idéalistes. Dans les formes de raisonnement à priori, en matière coloniale, il me semble entendre les prédicateurs de religion, les hommes de lettres, les pédagogues et les administrateurs, tour à tour répéter des formules peu différentes et se promettre cette conquête morale des consciences primitives que leurs prédécesseurs n’ont pu réaliser.«419

Der Fokus lag eindeutig auf der Verwissenschaftlichung des Kolonialen durch »exakte und unparteiische Beobachtung des wirklichen Lebens«. Aber die Grundannahme der Fremdheit hatte auch eine psychologisch-biologische Seite. Neben dem psychologischen Argument erklärte »die Rasse« die Fremdheit. In den Diskussionen der dritten Sektion des Kongresses, die sich der »condition morale des indigènes« widmete, wird die Belichtung der kolonialen Soziologie als Rassenkunde deutlich. Die Keynote des Hauptredners Léopold de Saussure (1866–1925) sollte Vorschläge zur »Hebung des moralischen und intellektuellen Niveaus der Indigenen« formulieren. Saussure, der als Marineleutnant mehrere Jahre in Ostasien verbracht hatte, formulierte in einer kruden Mischung aus Taine und einer Rassen-Vererbungstheorie seine Perspektive auf die Möglichkeiten der Erziehung der Eingeborenen.420 Wie der Blumenzüchter (»horticulteur«) erziehe der Europäer in den Kolonien eine neue Rasse, deren Charakteristika und Milieuangewiesenheit er kennen müsse, »nicht ohne die Vergangenheit und mögliche Veränderungen, die aus veränderten Existenzbedingungen resultieren« einzubeziehen.421 Diese Erziehung findet ungeachtet gemeinsamer menschlicher Grundmerkmale ihre Grenzen, so war sich die Sektion einig, in der »Rasse« und ihren Determinanten »Erbanlagen«, »Milieu« und »Temperament«.422 Der Vortrag schloss an die »Psychologie de la colonisation française dans ses rapports avec les sociétés indigènes« (1899) an, in der Saussure die Verschiedenartigkeit der Rassen in eine klare Hierarchie gebracht hatte, die eine Akkulturation der niederen Rasse ausschloss. Gegen die Assimilationspolitik gewandt und in deutlicher Frontstellung gegen die Vorstellung, dass Unterschiede zwischen 419 [Redebeitrag M. Marchal], in: Congrès international de sociologie coloniale, Bd. 1, S. 363 f. [Hervorhebung im Original] 420 Saussure, Moyens, S. 141 ff. Vgl. Saussure u. Saussure, Léopold de Saussure. 421 Saussure, Moyens, S. 155. 422 [Redebeitrag Mgr Le Roy], in: Congrès international de sociologie coloniale, Bd. 1, S. 380.

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Menschen in Bildung und Erziehung begriffen seien, brachte er seine Grundidee zu den Grenzen der Kolonisierung hier auf die prägnante Formel: »Wie groß auch immer die Bemühungen sein mögen, der Frosch wird niemals dem Rind ebenbürtig.«423 Auf dem Kongress bestimmte Saussure seine koloniale Züchtungskunde folgerichtig zur Leitwissenschaft der Kolonisierung. Während Juristen, Kolonialbeamte und Ausbilder die praktisch-technische Seite der Kolonisierung im Blick hätten und »Tierzüchtern« vergleichbar seien, stelle die »Soziologie« die »Zoologie der Kolonisierung« dar: »Ce sont des considérations humanitaires et politiques qui ont provoqué la réunion de ce Congrès et qui doivent conserver la direction de ses débats. La science n’a son mot à dire ici qu’autant qu’on le lui demande. Si vous vouliez excuser une comparaison qui semblera peut-être triviale à quelques-uns d’entre vous, Messieurs, je dirais que le rôle de la sociologie, ici, est analogue à celui de la zoologie dans un Congrès de zootechniciens. Ces derniers se proposent, comme vous, de réaliser une amélioration pratique; et la science pure recueille de leurs expériences beaucoup plus d’indications qu’elle ne peut elle-même leur en fournir.«424

Der im Ausgang von Saussure diskutierte Vorschlag, dass die Erziehungsmöglichkeiten des Charakters entsprechend der Rasse und den vererbten Fähigkeiten anzuvisieren sei, wurde in die Resolution übernommen.425 In der Forschung hat dies dem Kongress den Stempel der Rassenkunde eingebracht und die Aushandlungen um eine soziologisierende Ebene in der Auseinandersetzung mit den Kolonien übersehen lassen.426 Gleichwohl verweist bereits der Milieu-Bezug des hier verhandelten Rassebegriffs auf ihre Bedeutung. Und gegen eine Gleich­ setzung des Kongresses mit der Rassenkunde sprechen sowohl die Kritik, die Saussures Beitrag fand, als auch die Zurückhaltung der Resolutionen. Die starke Wirkung – Saussures Papier gehörte zu den besonders heftig diskutierten – erklären sich zwar vor allem als Reaktionen auf das ein Jahr zuvor erschienene Buch, das einer Verdammung der französischen Kolonialpolitik in einem anti-assimilatorischen Parforceritt gleichkam.427 Dennoch traf die Verve Saussures in der Betonung der grundsätzlichen Unterschiede indigener und europäischer Völker in der Nachfolge Le Bons auch in grundsätzlicher Hinsicht nicht die Zustimmung von Vertretern der Kirche, die die Grenzen der Vererbung betonten.428 Es wurde innerhalb der Sektion nicht bestritten, dass es Rassen mit »unterschiedlichen Mentalitäten« gäbe, aber gegen das von Saussure formulierte 423 Saussure, Psychologie, S. 346. Vgl. dazu Joseph. 424 Saussure, Moyens, S. 155 f. 425 Vœux adoptés par le congrès, S. 450 f. 426 Sibeud, Une science impériale, S. 69 f. 427 Vgl. den Problemaufriss im Vorwort von Saussure, Psychologie, S. 1 ff. 428 Vgl. die hymnischen Bezüge auf den Vortrag bei Saussure. Für eine kurze Auswertung vgl. Adas.

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Dogma protestierten nicht nur Missionare wie Le Roy.429 Auch andere und zwar bedingungslose politische Vertreter des Assoziationismus wie Chailley-Bert kritisierten die monolithische Sicht Saussures. Chailley-Bert protestierte gegen den Ausdruck, »lateinische Rasse« und lehnte ihn mit Bezug auf das französische Volk als historisch falsch ab.430 Diese Elemente eines wissenschaftlichen Rassismus sind charakteristisch für die konservativen Gegner der Assimilationspolitik, die auf dem Kongress versammelt waren. Dennoch zeichneten sich die Resolutionen des Kongresses zur »Verbesserung der sittlichen Lebensführung der eingeborenen Bevölkerung« im Unterschied zu den Ausführungen Saussures durch eine »gewisse Zurückhaltung« aus. Resümierend erklärte der Generalsekretär und Juraprofessor Paul Leseur in der »Deutschen Kolonialzeitung«: »Es mögen die verschiedensten Beweggründe gewesen sein, die den Kongress veranlasst haben, nicht in jener entschiedenen Art für oder gegen Stellung zu nehmen, wie dort, wo es sich darum handelte, einen Plan über die Handhabung des Rechtes und der öffentlichen sanitären Vorkehrungen unter den Einwohnern zu entwerfen: der mächtigste Grund, im Urteil hier zurückzuhalten, ist doch wohl der, daß die hier aufgeworfenen Fragen in Wirklichkeit sehr zarter Natur sind.«431

Die christliche Religion konnte nicht als Hauptinstrument der Zivilisierung erörtert werden, da die anwesenden Nationen unterschiedliche Traditionen aufwiesen. Auch auf allgemeine Unterrichtsinhalte konnte man sich nicht verständigen, so dass der Kongress sich nur allgemein für eine zivilisatorische Förderung aussprach. Auf der methodischen Ebene, so lässt sich im Ergebnis der Diskussionen festhalten, handelt es sich bei der auf dem Kongress debattierten Soziologie um das Gegenteil von dem, was Durkheim wenige Jahre vor dem Kongress in den »Regeln der soziologischen Methode« (1895) zum Inhalt der Soziologie bestimmt hatte: die »sozialen Tatbestände« nämlich wie »Dinge« zu behandeln.432 Der Generalsekretär des Kongresses Leseur bezeichnete die koloniale Soziologie selbst als »Sozialpsychologie, d. h. die Psychologie, welche das Seelenleben eines ganzen Volkes unter Berücksichtigung seiner sozialen Verhältnisse untersucht«.433 Angesichts der Bedeutung psychologischer und biologischer Elemente mag das in diesem Zusammenhang gewählte Mode-Etikett »Soziologie« rückblickend erstaunen.434 Dennoch ist es in seiner Bedeutung mit dem Verweis auf die Verwissenschaftlichungsansprüche nicht zu unterschätzen. Zudem 429 [Redebeitrag Mgr Le Roy], in: Congrès international de sociologie coloniale, Bd. 1, S. 379 f. 430 [Redebeitrag Chailley-Bert], in: Congrès international de sociologie coloniale, Bd. 1, S. 347. Der Beitrag wandte sich gegen die Gleichsetzung Frankreichs mit der Assimilationspolitik. 431 Leseur, Der Kongress 47, S. 534. 432 Vgl. Durkheim. 433 Leseur, Der Kongress 46, S. 519 f. 434 Mosbah-Natanson. Weder der Kongress noch die kolonialen Zusammenhänge werden in der Korpusauswahl oder der Argumentation berücksichtigt.

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deutet es die Unklarheiten in der Bezeichnung der neuen Argumentationsebene an. Die Soziologie fungierte als eine unspezifische Sammel- und Leitwissenschaft sozialer Fragen, die auf dem Kongress vor allem eines sicherstellen sollte, eine Verwissenschaftlichung der Kolonialpolitik unter Einbezug der »Eingeborenenkulturen« bzw. eine Verwissenschaftlichung der zugrunde liegenden Wissensproduktion.435 Der Kongress signalisiert, wie eng dabei die entstehenden disziplinären Verhältnisse in der Gärungsphase der Sozialwissenschaften nicht nur mit den technisch-administrativen Fragen der Kolonisierung, sondern auch miteinander zusammenhingen. In dieser Hinsicht markiert die koloniale Soziologie, wie sie auf dem Kongress diskutiert wurde, in der Abkehr von religiösen und pädagogischen Interpretationen einen Bruch mit bisherigen Denkmustern. Die Suche nach den »sozialen Tatbeständen« und ihren Erklärungsmodellen führte dabei nicht nur Saussure zu der Annahme, dass mentale Konstitutionen auf stabilen erblich bedingten Faktoren beruhen und diese wissenschaftliche Kategorien in der Produktion von Regionalwissen seien. Für diese Stoßrichtung des Denkens lagen seit der Jahrhundertwende zahlreiche Konzepte mit unterschiedlicher theoretischer Reichweite vor, die zwischen Soziologie und Psychologie navigierten. Vorschläge aus den Bereichen einer das Verhalten der Menschen untereinander fokussierenden Soziologie, wie die antinaturalistische »Intersoziologie« Gabriel Tardes, existierten neben kollektivpsychologischen Entwürfen und der Konstruktion »primitiver Mentalitäten« durch Lévy-Bruhl.436 In der Folge lösten sich soziologische Betrachtungsweisen aus psychologischen und philosophischen Koordinatensystemen, wie Halbwachs paradigmatisch in der gegen Bergson gerichteten sozialen Konstruktion des Gedächtnisses 1925 vorführte.437 Die weitere Disziplingeschichte zeigt, wie in der Entwicklung der 1920er Jahre in Frankreich eine Soziologie, die nach den Regeln der Gesellschaft fragte als dem, was die Individuen miteinander verbindet, sich notwendig im Dialog mit einer Kollektivpsychologie befand: Die klassischen Felder, die die Soziologie strukturieren, Fragen nach den sozialen Bedingungen von Glaubensformen oder das Problem des kollektiven Bewusstseins, gehören zu den mit der Psychologie geteilten Horizonten.438 Im Bereich der Kolonialwissenschaften wurde der kollektivpsychologische Zugriff mit international bekannten Kombinationsetiketten, wie der Völkerpsychologie, oder weniger bekannteren wie der »psychologie géographique« von

435 Vgl. Saussure, Moyens. 436 Lévy-Bruhl, La mentalité primitive. Vgl. Mucchielli, La découverte du social, S. 113 ff.; 317. Die Auseinandersetzung begann bereits 1903 mit Lévy-Bruhl, La morale et la science des mœurs. Jonghe spricht zu Beginn von »Mentalitäten«, vgl. Jonghe, L’activité ethnologique. 437 Halbwachs. 438 Mucchielli, Sociologie et psychologie.

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Marcel Dubois439 oder der »psychologie ethnique« von Georges Hardy440 ausgehandelt. Saussure gehörte nicht zu diesen Netzwerken und publizierte nach 1907 vor allem zu chinesischer Astronomie.441 Dem kolonialsoziologischen Denkmuster des Kongresses folgte in den 1920er Jahren der Kolonialbeamte und Direktor der École coloniale in Paris Georges Hardy mit seinem Ansatz einer »psychologie ethnique«442. In mehreren Veröffentlichungen siedelte Hardy seine Wissenschaft, die sich dem Studium fremder Kulturen widmen sollte, zwischen Psychologie und Ethnologie an. Ihr Schwerpunkt lag auf der Psychologie bzw. dem, was Hardy als »Psychologie« definierte: der Art und Weise des Denkens fremder Völker. Seine Kritik galt der Geschichtswissenschaft und ihrer Arbeitsweise, wenn er eine Untersuchung dessen forderte, was und vor allem wie fremde Völker denken.443 In diesen Entwürfen ist der soziale Konstruktionscharakter der Untersu­ chungsgruppen durchaus nicht immer eindeutig. Wie am Beispiel der Konferenz deutlich wird, wies das soziale Denken nach der Jahrhundertwende eine biologisch-psychologische Strömung auf, die im Umkreis der Kolonialdebatten starken Auftrieb erhielt. Die Positionen changierten, so lässt sich resümieren, zwischen einer massenpsychologischen und einer verhaltensbiologischen Perspektive. Während Saussures »Rassen« in der Nachfolge Le Bons »psychologische Rassen« waren, wurden in anderen Entwürfen deutlich biologische Erklärungsmuster ausgetestet, wie in den Schriften Waxweilers in Brüssel. Leitend waren für diese Positionen schon vor den Zuchtexperimenten Darwins die Überlegungen zu einer allgemeinen Naturgeschichte aus der Feder Geoffroy Saint-­ Hilaires.444 In der weiteren Entwicklung spielten die verhaltensbiologischen Vorschläge eine geringere Rolle, im Kern aber arbeiteten sie an behavioristischen Positionen, wie sie für die Sozialwissenschaften der Nachkriegszeit wichtig werden sollten. Der Rassebegriff hingegen erwies sich in diesen Zusammenhängen bereits auf dem Kongress als erklärungsbedürftig in Bezug auf westliche Völker und etablierte zunehmend ein eigenes Wissensfeld. In seinem programmatischen Artikel »Histoire coloniale et psychologie ethnique« von 1925 hatte Hardy ihn mit Bezug auf die europäischen Kulturen aufgegeben, gleichwohl jedoch 439 Vgl. Singaravélou, Professer l’empire, S. 253 ff. 440 Ebd., S. 333 ff. 441 Vgl. die Bibliographie Saussure u. Saussure, Léopold de Saussure. 442 An einigen Stellen bezeichnet er sie auch als »psychologie indigène«. Eine wissenschaftsgeschichtliche Betrachtung sollte diese Unterschiede beibehalten und nicht hinter dem allgemeinen und selbst gewählten Etikett »psychologie coloniale« verstecken, so z. B. bei Singaravélou, Professer l’empire, S. 333 ff. Hardy war Direktor des Service de l’enseignement en AOF (1911–1918); der Instruction publique, des Beaux-Arts et des Antiquités au Maroc (1920–1926) und der École coloniale (1926–1932); recteur in Algier (1932–1937; 1940–1943), vgl. Sibeud, Art. Hardy, S. 511 f. 443 Hardy, Histoire coloniale, S. 165. 444 Vgl. zur Zäsur des biologischen Denkens Ende des 18. Jahrhunderts Lepenies.

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für afrikanische oder asiatische Gesellschaften auf seine Relevanz verwiesen. Für die Geschichte dieser Völker bildete er in der Verlängerung kolonialsoziologischer Argumente die Denkvoraussetzung, innerhalb derer kolonialpolitische Fehler auf den Mangel an psychologischer Einsicht zurückgeführt werden konnten.445 Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass auch Hardy etwas in den Blick nehmen wollte, das an die »Mentalitäten« Lévy-Bruhls erinnerte und nach dem Ersten Weltkrieg von der ersten Generation der Annales als Verhaltens- und Denkmuster fremder Kulturen zu einem Untersuchungsobjekt der Historiker erklärt wurde.446 Um 1900 umkreisten die Begriffe und Debatten die neue Ebene, ohne sie einholen und beschreiben zu können. Unübersehbar aber ist, dass die Kolonisierung einen epistemischen Sog ausübte, dem die Metropolen sich nicht entziehen konnten und der die sich entwickelnden sozialwissenschaftlichen Tendenzen verstärkte, die sich in der weiteren Entwicklung von den Kolonialwissenschaften ablösten. Die koloniale Soziologie hat sich schließlich selbst innerhalb der kurzlebigen Kolonialwissenschaften keinen Platz sichern können. Aber sie konsolidierte die konstitutive Aufspaltung des sozialwissenschaftlichen Feldes in eine Sozialwissenschaft, die sich mit den »Eingeborenenkulturen« beschäftigte, und eine Sozialwissenschaft der westlichen Zivilisationen. 2.2.3 Ethnologische Ordnungskriterien und Organisationsmodelle Bei der Sicherung des wissenschaftlichen Terrains der Ethnologie spielte die Frage nach der Zentralisierung und Verarbeitung des von den Missionaren, Offizieren und Kolonialbeamten in den Kolonien gesammelten Materials und der von ihnen erhobenen Daten eine entscheidende Rolle.447 Solche Ordnungsversuche des Wissens in insbesondere ethnographischen Studien existierten nicht erst seit dem Anbruch des imperialen Zeitalters. Schon im frühen 18. Jahrhundert versuchten Reiseanleitungen, handbuchartige Führer und Fragenkataloge auf die Systematik von Notizen und Erfahrungsberichten, aber auch auf den Aufbau von Objektsammlungen Einfluss zu nehmen.448 Nun aber gab es nicht nur auf Seiten der Kolonialaktivisten institutionalisierte Kooperationen innerhalb der Ausbildungsgänge und den von ihnen gestifteten Netzwerken, sondern auch Initiativen der Ethnologen, die den Kolonialismus und die Professiona­ lisierung der Beamtenausbildung als Argument für den Aufbau und die Institutionalisierung ihrer Disziplin nutzten. 445 Hardy, Histoire coloniale, S. 161. Vgl. Hardy, Mon frère le loup. 446 Vgl. Burguière, Der Begriff der Mentalitäten. Für eine Abschwächung des Gegensatzes zwischen einem »psychologisierenden Febvre« und einem »anthropologischen Bloch« vgl. Schöttler, Mentalitäten. Für eine historiographische Einordnung vgl. Revel, S. 450–456; Duby. 447 Zum Sammeln als Machttechnik vgl. Pearce; Röschenthaler. 448 Vgl. Blanckaert, Le terrain des sciences humaines.

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Im 19. Jahrhundert verstärkten sich im Zeichen der Verwissenschaftlichung des Kolonialen die Maßnahmen der »Qualitätssicherung«, die Ordnung und Systematik in das Material und seine Erstellung bringen sollten. Sie waren Teil der Herausbildung und Neuordnung disziplinärer Felder. Aus den Wunderkammern und Kuriositätensammlungen der Könige und den Objektsammlungen der Missionare entstanden ethnographische Museen: In Frankreich schuf das Bildungsministerium 1878 das Musée d’ethnographie du Trocadéro, um die Aufbewahrung ethnographischer Objekte in einem wissenschaftlichen Umfeld zu zentralisieren.449 In Berlin eröffnete das Völkerkundemuseum im Jahr 1886, aber schon als 1873 die Abteilung der Kunstsammlungen der Königlich Preußischen Museen unter Bastian zu einer eigenständigen Institution wurde, war dies gleichbedeutend mit der Gründung einer zentralen ethnographischen Sammlung.450 In Belgien wurde 1898 das Königliche Museum für Zentral-Afrika in Tervuren gegründet.451 Die Zentralisierung der Sammlungen war der erste Schritt auf dem Weg zur Professionalisierung der Ethnologie, die nicht zuletzt im Ergebnis der Wissenschaftspolitik der Museumsdirektoren und ihrer Netzwerke entstand.452 Strukturierend für diese Debatte um Institutionen und Inhalte war in allen Ländern die Forderung, eine Art nationales Büro zu gründen, das Expeditionen, Sammlungspolitik und Methodendiskussion gleichermaßen steuern sollte. Das Modell dafür kam aus Washington. Im Jahr 1879 war an der Smithsonian Institution das Bureau of Ethnology durch einen Kongressbeschluss ins Leben gerufen worden. Die Bewegungen zur Produktion von Wissen über neue Regionen und Kulturen in den USA waren denen Europas als Maßnahmen der kollektiven Integration vergleichbar.453 Die Inbesitznahme neuer Territorien hatte linguistische und ethnologische Forschungen stimuliert, in deren Zentrum die Kulturen der amerikanischen Ureinwohner standen.454 Ebenso wie in Europa hatten die ersten Expeditionen und Auswertungen Improvisationscharakter und waren frei von wissenschaftlicher Expertise. Der Autodidakt und spätere Gründungsdirektor des Bureau of Ethnology John Wesley Powell hatte seine Expedition in den Grand Canyon des Colorado, der 1869 noch ein weißer Fleck auf der Landkarte war, als abenteuerlustiger Selfmade-Ethnologe unternommen.455 Mit der Gründung der später als Bureau of American Ethnology (BAE) bezeichneten Institution erfuhren diese Aktivitäten eine entscheidende Professionalisierung. Methodisch dominierte die im Anschluss an eine Entdeckungsreise 449 Conklin, In the Museum, S. 35 ff. 450 Essner. 451 Vgl. dazu Haulleville, Le musée du Congo; Silverman. Der Artikel Silvermans entstand anlässlich der (ersten) Schließung des Museums 2013, das seine Konzeption bis zur Wiedereröffnung 2018 überarbeitet. 452 Zum praktischen Ausgangspunkt der Museumsarbeit aus Sicht der folgenden Generation vgl. Ankermann. 453 Leclerc, S. 24. 454 Hallowell. 455 Murray.

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entstehende Überblicksstudie (Survey), die bald durch koordinierte Fragebogenaktionen ergänzt und abgelöst wurde. In Europa wurde sie zu einem Hauptargument in den Debatten, mit denen die Vertreter der Ethnologie in Belgien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien ihre Wissenschaft aus dem »vorwissenschaftlichen« Stadium herausführen wollten. In Großbritannien waren der Regierung seit den 1890er Jahren von den Anthropologen wiederholt Vorschläge für ein Bureau of Ethnology for Greater Britain unterbreitet worden, von denen jedoch keiner finanzielle Unterstützung erfuhr.456 Angesichts der gering vorangeschrittenen Institutionalisierung der Sozialwissenschaften mag das wenig erstaunen.457 Einen Abschluss in Anthropologie konnte man in Oxford erst im Jahr 1905, in Cambridge im Jahr 1908 ablegen.458 Dennoch und selbst angesichts der amerikanischen Institution bezeichneten Ministerien das Bureau für Großbritannien als »nutzlos«, was den Präsidenten des Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland noch Ende der 1920er Jahre empörte.459 In den 1920er Jahren allerdings intensivierte sich die Debatte um anthropologische Inhalte der Kolonialausbildung mit Bezug auf den Sudan und unter starker Beteiligung Malinowskis.460 Für das Jahr 1923 inventarisierte ein Bericht der British Association mit Kursen an mehr als zehn Universitäten und Institutionen außerhalb Londons eine breitere Verteilung.461 In den 1930er Jahren erhielt die Anthropologie aus Sicht ihrer Vertreter eine »gesicherte Position« an den Universitäten und in Form der Einjahreskurse für den probationer in der Kolonialausbildung.462 Ähnlich zurückhaltend erfolgte die Förderung in Deutschland. Bastian versuchte, das Zusammenwirken von Politik und Wissenschaft effizienter zum Nutzen der Ethnologie zu organisieren. Sein Positionspapier »Zur heutigen Sachlage der Ethnologie in nationaler und socialer Bedeutung« argumentierte

456 Die Diskussion wurde vom Anthropological Institute of Great Britain and Ireland (1871 aus Ethnological Society (1843) und Anthropological Society (1863) gegründet) vorangetrieben. Das 1896 vorgeschlagene Bureau of Ethnology sollte an das British Museum angegliedert sein (und nicht an das CO) und weiter gefasste Aufgaben als das Bureau of Ethnology in den USA erhalten. Auch die Delegation, die im Frühling 1909 beim Premierminister 500 Pfund pro Jahr für den Aufbau eines Imperial Bureau of Ethnology forderte, blieb erfolglos, Myres, S. 38; 46. 457 Mills, Difficult Folk?, S. 50 ff. Die Idee blieb ein wichtiger Bestandteil der kolonialwissenschaftlichen Vorstellungswelten. Sie wurde Ende der 1930er Jahre von Hailey im Umkreis seines »African Survey« (1938) wieder aufgegriffen. Vgl. [RIIA], Draft Letter for Rockefeller Foundation, [Frühling 1938]. RIIA, 2-IIII-8x. 458 In Oxford wurden Diploma abgenommen (von einer Kommission aus Altertumswissenschaftlern, Historikern, Linguisten orientalischer Sprachen, Biologen und Humanmedizinern u. a.); in Cambridge zunächst Diploma-by-Thesis, vgl. Myres. 459 Myres, S. 38. Zum Bureau of Ethnology und der Wirkung auf die Europäer, s. o. 460 Tilley, S. 265 ff. 461 Progress of Anthropological Teaching. 462 Smith, S. XVII. Die Kurse fanden in Oxford, Cambridge und Sydney statt.

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ebenfalls mit dem Bureau of Ethnology vor Augen.463 Bastians Vorgehen war unverhohlen strategisch, war doch bis 1887 die Afrikanische Gesellschaft das Beratungs- und Expertengremium der Regierung. Im Anschluss an frühere Ini­tiativen zur Gründung eines Völkerkundemuseums intensivierte er seit 1885 den Kontakt zur Kolonialverwaltung. Bastian erhielt, ebenso wie die Anthropologen in Großbritannien, keine staatliche Unterstützung. Auch die Bitte, zum Zweck der Materialbeschaffung die Marine begleiten zu dürfen, wurde ab­ gelehnt. Erst im Jahr 1889 wurde zumindest die Frage der Sammlungspolitik per Bundesratsbeschluss zugunsten Berlins gelöst, so dass alle Ethnographica aus Expeditionen mit staatlichen Geldern an das Berliner Völkerkundemuseum abzugeben waren, das mehr und mehr den Charakter einer Forschungsinstitution annahm.464 Bastian musste nun nicht mehr die Beamten und Militärs einzeln anschreiben, um Objekte zu erhalten. Aber der Beschluss änderte nichts an dem Problem, dass die Gegenstände und Daten nicht von Wissenschaftlern gesammelt und erhoben wurden. Am weitesten schritt die Professionalisierung in Belgien voran. Innerhalb seiner Netzwerke zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gelang es dem katholischen Politiker und Soziologen Cyrille van Overbergh auf dem Congrès international d’éxpansion économique in Mons im Jahr 1905 die Ethnographie als internationale Antwort auf die Frage nach der Verwissenschaftlichung des Kolonialen zu präsentieren. Van Overbergh, der Organisator der Tagung, hatte neben der Gründung einer École mondiale zur Ausbildung von Kolonialbeamten auch die Organisation einer umfassenden ethnographischen Enquete auf die Agenda gesetzt und damit, wie die Reaktionen der Teilnehmer zeigen, die beiden Grunddimensionen eines wissenschaftlichen Kolonialismus verbunden.465 Van Overbergh hatte 1899 die Société belge de sociologie gegründet und erreichte im Ergebnis des Kongresses die Einrichtung eines Bureau international d’ethnographie, das eine weitere Station in der Verknüpfung der Verwissenschaftlichung des Regionalwissens mit dem Aufbau und der Institutionalisierung der Sozialwissenschaften bedeutete. Die Aufgabe des Bureaus war die Organisation einer großen und professionell koordinierten ethnographischen Enquete zu Afrika.466 Die Entwicklung des Fragebogens wurde dem Geographen Joseph Halkin übertragen. Er war ebenfalls bereits Teil der kolonialwissenschaftlichen Netzwerke und gab in Lüttich Kurse im Bereich der »ethnographischen Geographie« (géographie ethnographique).467 Der Fragebogen war die Grundlage 463 Bastian, Zur heutigen Sachlage der Ethnologie, S. 15. 464 Vgl. Luschan, Anleitung zum ethnologischen Beobachten. Zum Kontext, Essner. 465 Herren, Internationalismus, S. 177 ff. Van Overbergh kam von einer dreimonatigen Reise in die USA und nach Kanada zurück und entwickelte die Idee zu der Tagung im Gespräch mit Leopold II., vgl. Overbergh. 466 Vgl. Jonghe, Le Musée. Heute ist es das Centre de documentation en sciences humaines. 467 So der Begriff in der Publikation des Fragebogens, Société belge de sociologie. Zu den Kursen und Bezeichnungen vgl. Poncelet, S. 176 (Géographie coloniale et Ethnologie coloniale; Histoire de la géographie et des explorations).

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für die 17 Monographien, die van Overbergh von 1907 bis 1913 im Auftrag der belgischen Regierung in der Reihe Collection de monographies ethnographiques publizierte.468 Ihr vollständiger Titel »Collection de monographies ethnographiques / Sociologie descriptive« wies ebenso wie der Titel der Fragebogenpublikation »Enquête ethnographique et sociologique« die charakteristische Navigation der Ethnologie zwischen Ethnographie und deskriptiver Soziologie auf. Die Reihe wurde von der französischen Regierung subskribiert.469 Van Overbergh berief den zukünftigen Ethnologen Edouard de Jonghe in das Bureau, der auf dem Congrès in Mons die Aufnahme der Ethnographie in die universitären Curricula eingefordert hatte.470 Jonghe schrieb seinen Bericht, in dem er für die Ansiedlung der Ethnographie an der Universität die Philosophische Fakultät und eine enge Zusammenarbeit mit den ethnographischen Museen vorschlug, im Ergebnis einer Studienreise nach Berlin und Paris 1904. In den kommenden Jahren wurde er zu einem entscheidenden Protagonisten der Professionalisierung der Ethnologie in der Ablösung von den Kolonialwissenschaften in Belgien. Jonghe unterrichtete seit 1908 an der neuen Sektion für Kolonialwissenschaften der École de sciences commerciales, consulaires et coloniales (De Handelshogeschool) und gab geographische und ethnographische Kurse über den Kongo.471 Im Jahr 1909 bereiste er den Kongo. Die Dienste, die die Missionare und mit ihnen die Kolonialbeamten der Wissenschaft leisten konnten, schätzte der Ethnologe außerordentlich hoch ein.472 Angesichts der maßgeblich von ihm unterstützten Initiativen für die Verwissenschaftlichung der Missionsethnologie in Löwen kann dies nicht verwundern.473 Jonghe schlug im Jahr 1909 Kriterien für die ethnographische Materialsammlung im Kongo vor, die an alle katholischen Missionare versendet wurden. Die so gesammelten Objekte und Materialien sollten den Grundstein für ein ethnographisches Museum an der Universität Löwen bilden.474 Auf die Anleitungspapiere für die Arbeit der Ethnographen, wie die Jonghes, folgte die Institutionalisierung von Vorbereitungskursen für zukünftige Ethnographen. Die Vorbereitungspflicht resultierte aus der besonderen Bedeutung der ethnographischen Dokumente. Mehr und mehr setzte sich allerdings die Einsicht durch, dass es nicht

468 Vgl. Crombois, S. 84. 469 Mauss, L’ethnographie, S. 431. 470 Jonghe, La place de l’ethnographie. Zu Jonghe vgl. Schampaert. Jonghe verband in seiner Biographie die klassische Trias von praktischer Ausbildung, Kolonialverwaltung und Wissenschaft. Er baute das Ethnographische Museum in Löwen auf, richtete eine Schule für Missionskrankenschwestern ein und wurde Privatsekretär des Kolonialministers Jules Renkin. Später war er am 1928 gegründeten Institut royal colonial belge tätig. 471 Poncelet, S. 170. 472 Jonghe, L’activité ethnologique. 473 Maxwell, S. 328 ff.; Poncelet, S. 173. 474 Jonghe, Guide pour la récolte des objets ethnographique. Vgl. für einen Abdruck Jonghe, L’ethnologie, S. 293 ff.

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ausreiche, dem Reisenden einen Fragebogen mitzugeben.475 Die Ethnographen vor Ort wurden als »ortsansässige Volkskenner« und reisende »Dilettanten« belächelt.476 Aber das von ihnen produzierte Wissen wurde von keiner anderen Disziplin zur Verfügung gestellt oder ausgewertet. Nach der Organisation des Materials liefen diese Diskussionen in einem nächsten Schritt auf die direkte Aushandlung disziplinärer Positionen hinaus. In einem Artikel aus dem Jahr 1920 versuchte Jonghe dann in seiner Zeitschrift »Congo« der Ethnologie ein eigenständiges Untersuchungsfeld und eine Methodik zu sichern. Der programmatische Charakter seines Vorgehens wurde noch dadurch unterstrichen, dass der Artikel als Einleitung zu einer ethnologischen Studie Jonghes zum Kongo präsentiert wurde, welche die erste ihrer Art gewesen wäre, dann aber offenbar nicht erschienen ist.477 Einleitend befragte er alle Disziplinen auf ihr Potenzial zur Untersuchung fremder Kulturen und kam zu dem Schluss, dass die Ethnologie zwar vieles mit den benachbarten Disziplinen teilte, sie aber ein eigenständiges Untersuchungsobjekt besaß: die »manifestations de l’esprit des peuples dans toutes les domaines de l’activité humaine«.478 Seine Argumente räumten der Ethnologie ein eigenes Feld frei. Sie ordneten die Disziplinen in sehr eindeutiger Weise neu: Die Geschichte konzentrierte sich auf die Vergangenheit, wohingegen die Gesellschaften der Ethnologen der Gegenwart angehörten. Die Soziologie gehe mit der Abstrahierung der Ergebnisse noch einen Schritt über die materialgebundene Ethnologie hinaus. Der Psychologie hingegen sprach er in ihrer Form als Völkerpsychologie durchaus zu, eine Fortführung der Ethnologie sein zu können.479 Jonghe richtete sich gegen jede Form von Biologismen, sei es in der Tradition Waxweilers oder der Anthropometrie,480 und grenzte sie von der Analyse sozialer Phänomene ab. Die Ethnologie visiere nicht biologische Merkmale an, sondern die Veränderung einer Gesellschaft, so postulierte er.481 Jonghes Text gehört in einen Chor von europäischen Terrainmarkierungen, deren Argumente sich ähneln. In Paris zeigte sich die Trennung von Ethno­ graphie, Anthropologie und Ethnologie nach der Jahrhundertwende in der 475 Jonghe, L’ethnologie, S. 290. An dieser Stelle unterscheidet Jonghe zwischen der Ethnographie (als Studie einer Gruppe) und der Ethnologie (als Vergleichsstudie). 476 Steinmetz, Ueber die Beschaffung des ethnographischen Materials. Steinmetz war promovierter Jurist. Er sah das Verhältnis von Ethnographie und Ethnologie dadurch geprägt, dass der Ethnologe sich sein Material nicht selbst beschaffen kann. 477 Jonghe, L’ethnologie. Das Buch wurde unter dem Titel »Les Primitifs du Congo belge. Essai d’Ethnologie« angekündigt, ebd., FN 1.  478 Jonghe, L’ethnologie, S. 280. »Peuple« versteht Jonghe als »eine Gruppe aus Menschen«, vgl. ebd., FN 1. 479 Vgl. zu den früheren stärker völkerpsychologisch argumentierenden Überlegungen Jonghe, L’activité ethnologique. 480 Vgl. Conklin, In the Museum; Blanckaert, Les politiques; Mucchielli, Sociologie versus anthropologie raciale. 481 Jonghe, L’ethnologie, S. 288.

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Gründung der beiden Institute – 1910 dem Institut ethnographique international de Paris und 1911 dem Institut français d’anthropologie – als zwei parallele Netzwerke und Institutspraktiken.482 Innerhalb dieser Konstellationen markierte im Jahr 1925 die Gründung des ersten Instituts für Ethnologie an der Sorbonne das Ende der ethnographischen Selbstständigkeit und den entscheidenden Schritt zur Institutionalisierung der Disziplin.483 Die Jahre vor der Institutsgründung waren Jahre disziplinärer Aushandlungsprozesse und Koalitionsgespräche.484 Gemeinsam mit Lévy-Bruhl und Rivet war es vor allem der Soziologe und Ethnologe Marcel Mauss, der die Gründung des Institut ethnologique an der Sorbonne vorantrieb.485 Der Institutsgründung war ein intellektueller Gründungsakt vorangegangen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg hatte auch der junge Mauss versucht, mit einer strategischen Geste die Wissensfelder zu ordnen. Der Mitbegründer der französischen Ethnologie lehrte zu diesem Zeitpunkt als Professor für »Religions­ geschichte nicht zivilisierter Völker« an der École pratique des hautes études und hatte in Rezensionen, insbesondere aber in seiner nur privat gedruckten Dissertation zum Gebet (1909) religiöse und kulturelle Phänomene aus der sozialen Gruppe heraus erklärt.486 Erst nach dem Tod seines Onkels Émile ­Durkheim 1917 wurde er zum führenden Kopf der Durkheimschule um die »Année sociologique« und im Jahr 1930 zum Professor für Soziologie am Collège de France ernannt.487 Mauss’ emblematischer Text aus dem Jahr 1913 entstand in Fortführung seiner religionsgeschichtlichen Interessen und war ein Überblick zur Situation der Ethnographie in Frankreich und im Ausland, der für Frankreich einer organisatorischen Bankrotterklärung gleichkam.488 Er forderte Gelder für die Musée d’ethnographie sowie die Gründung einer spezifischen Organisations- und Koordinationsstelle nach amerikanischem Vorbild, einem Bureau d’ethnographie. Er kritisierte, dass es in Frankreich nicht nur kein Forschungszentrum gab, sondern dass selbst eine Publikationsreihe, wie die belgische »Collection de monographies ethnographiques«, nicht existierte. Aber die Ausrufung des Notstands war nur die eine Seite der Strategie dieses Textes. Mit Bedacht hob Mauss die Leistungen der Ethnographie gegen ihre Unwissenschaftlichkeit ab. Der Kenner der Religionsgeschichte nicht zivilisierter Völker wusste, dass die Ethnographen mit ihrem Material und ihren Berichten unschätzbares Wissen lieferten. So lobte er die Leistungen von Ethnographen wie Maurice Delafosse, aber er rügte die mangelnde Systematik in vielen Berichten 482 Sibeud, A Crucial Experiment. 483 Vgl. insgesamt Sibeud, Une science impériale, S. 36 ff. 484 Zu den Kontakten vgl. Conklin, In the Museum, S. 58 ff. 485 Fournier, S. 233 ff. 486 Vgl. zum frühen Marcel Mauss Mauss, Schriften zur Religionssoziologie. 487 Fournier. 488 Mauss, L’ethnographie.

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und Dokumenten, wie im Bericht des Paters Lambert über Sitten und Gebräuche in Neukaledonien.489 Sein Plädoyer folgte einer für die Ordnung der miteinander kommunizierenden Wissensfelder interessanten Doppelstrategie. Ging es Mauss einerseits darum, die mangelnde Wissenschaftlichkeit der Ethnographie deutlich zu machen und damit ihre Abhängigkeit von einer sozialwissenschaftlichen Methodik nachzuweisen, konnte er andererseits ihr Wissen und seine Produktionsverhältnisse nicht komplett zurückweisen, da er auf die Berichte und das Material angewiesen war. Der Trennscheide gab Mauss den Namen »Tatsachensinn«, »ce sens indispensable et incommunicable des faits qui fait le bon ethnographe«. Er erklärte die wissenschaftliche Dürftigkeit der Ethnographie zu einer inhaltlichen Qualität. Die Ethnographen hatten exzellente Notizen und Berichte zusammengestellt, schloss Mauss, deren Interesse gerade in ihrem Mangel an technischer Erfahrung liegen. Der Wert solcher naiven Schriften, so behauptete der zukünftige Spezialist für die Symbolik gesellschaftlicher Tauschbeziehungen, liege genau darin, dass sie unabhängig von jeder wissenschaftlichen Methodik geschrieben worden wären.490 Mauss, der selbst außer einer Reise nach Marokko keine Feldforschungen betrieben hatte, hütete sich davor, die Leistungen der Ethnographie in Abrede zu stellen. Das von ihm vorgeschlagene Dokumentations- und Ausbildungsinstitut sollte die Arbeit der Ethnographen nicht ersetzen, sondern vielmehr eine erste Anlaufstelle für diejenigen sein, die die »Verantwortung für das Kolonialreich« hatten. Die Offiziere der Kolonialarmee, Kolonisatoren, Mediziner und Juristen gehörten nach Mauss zu den fähigsten Beobachtern indigener Kulturen, sie besaßen »wissenschaftliche Schätze« (»trésors de science«). Aber diese harrten ihrer wissenschaftlichen Auswertung.491 Ebenso hatte Jonghe die Ethnographie in seinem Artikel aus dem Jahr 1920 auf den Platz einer Hilfswissenschaft verwiesen. Jonghe hatte in Paris 1904 bei Mauss Religionsgeschichte primitiver Völker gehört und kannte das Pariser Umfeld sehr genau.492 Den Artikel von Mauss zitierte er nicht, aber seine Argumente waren 1920 nicht mehr neu: Es seien die Ethnographen, die den Wissenschaftlern die Informationen zur Verfügung stellten. Die Dokumentationen und Reiseberichte des Ethnographen seien die Quellen des Ethnologen, wie die Augenzeugenberichte die Quellen des Historikers seien. »Le rôle [celui de l’ethnologue, d. Verf.] est de mettre en œuvre les travaux des ethnographes.«493 489 Vgl. Amselle u. Sibeud. 490 Mauss, L’ethnographie, S. 431. 491 Ebd. Für die Beschreibung der Kategorien dieser wissenschaftlichen Auswertung vgl. insbes. die posthum edierten späteren Vorlesungen, Mauss, Handbuch der Ethnographie. Der Text beruht auf den Mitschriften der Afrikanistin Denise Paulme. 492 Vgl. Jonghe, La place de l’ethnographie; Schampaert, S. 96: Im Nachlass sind die Mitschriften überliefert. 493 Jonghe, L’ethnologie, S. 292.

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Sein Methodenexposé war das Ergebnis eines langjährigen Engagements zur Verwissenschaftlichung kolonialen Wissens. Die Grundlage der ethnologischen Methode Jonghes bildete die direkte Beobachtung der fremden Völker und der direkte Bezug auf die hier präsentierten »Tatsachen«, die in Enqueten eingefangen wurden.494 Das daraus entstehende Material sollte seiner Meinung nach auf der Basis einer evolutionistischen Vision von der Entwicklung der Gesellschaften vor allem im Vergleich interpretiert werden.495 Jonghes methodisches Konzept war das einer historischen Quellenkritik. Das ihr zugrunde liegende hermeneutische Problem bemerkte er nicht. Mauss hingegen hatte den entscheidenden Schritt hin zur Verwissenschaftlichung getan. Nicht in den programmatischen Abschnitten seines Artikels, sondern deutlich zurückhaltender platziert in den Passagen, in denen er einen Überblick über die ethnographische Literatur der verschiedenen Länder gab, äußerte er generelle Zweifel an der Brauchbarkeit des ethnographischen Materials. Er stellte eine der Grundannahmen der Kolonialausbildung in Westeuropa in Frage, nämlich die Annahme, dass der Aufenthalt eines Europäers in der Kolonie diesem in unmittelbarer Weise qualitatives Wissen über die Kultur und Gesellschaft der Bewohner vermitteln würde: »Mais, pour saisir une réalité aussi complexe et aussi étrangère à notre esprit, la seule bonne volonté ne suffit pas: des nomenclatures de parenté; des enchevêtrements de chefferies, de confréries, de clans et de groupes locaux; des systèmes complexes de mythes, de cultes sont choses difficiles à imaginer, même à quelqu’un qui vivrait des années à côté d’elles mais garderait sa mentalité d’Européen, a plus forte raison à un observateur qui garde une attitude confessionnelle.«496

Die Überlegung Mauss’ war eine logische Folge der Einsicht in den sozialen Konstruktionscharakter von Vorstellungswelten. Das Plädoyer für eine Verwissenschaftlichung der ethnographischen Studien musste schließlich auf den Widerspruch aufmerksam machen, der mit der Idee verbunden war, dass ein Aufenthalt in der Kolonie zum Verständnis der indigenen Kultur führte, obwohl der Europäer seine »europäische Mentalität« behielt. Mauss’ Argument macht darüber hinaus deutlich, dass der Ethnographie im Dialog von Psychologie und Soziologie eine besondere Rolle zugestanden wurde: Die Ethnographen stellten das Missing Link dar zwischen den entstehenden Sozialwissenschaften der Metropole und den Kolonialbeamten, die in den Kolonien Fernwissen inventarisierten. Sie verfolgten einen eigenen Weg zwischen der Soziologie à la Durkheim und der Anthropologie à la Broca. Da die Ethnographie, in den Worten Mauss’, eine »Richtung« auf dem Weg zu ihrer Verwissenschaftlichung benötigte,497 verlangte sie in letzter Konsequenz eine Neuordnung des 494 Ebd., S. 298; vgl. dazu auch Jonghe, L’activité ethnologique. 495 Jonghe, L’ethnologie, S. 299. 496 Mauss, L’ethnographie, S. 410. 497 Ebd., S. 431.

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wissenschaftlichen Feldes, von einer biologischen Anthropologie zu einer kulturellen Ethnologie.498 2.2.4 Der Fragebogen, die Koordinierung von Beobachtung und die Entstehung von Expertenkulturen Das entscheidende Instrument zur wissenschaftlichen Kartierung der sogenannten primitiven Völker war der Fragebogen, der bereits seit dem 17. Jahrhundert kollektive Beobachtung »koordinierte«.499 Aus der Sicht der Ethnologen des 19. Jahrhunderts systematisierte er die Daten bereits bei der Erhebung und steuerte die Arbeit der zumeist nicht von Wissenschaftlern unternommenen Expeditionen aus der Ferne in eine wissenschaftliche Richtung. Alarmiert von der drohenden Zivilisierung drängten die Wissenschaftler die Regierungen zur Förderung von Expeditionen unter Anwendung ihrer Fragebögen und verliehen ihren Anliegen eine besondere Dringlichkeit.500 In Deutschland war kurz nach der Reichsgründung ein ethnologischer Frage­ bogen im Umkreis der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte aus Anleitungspapieren erarbeitet worden. Zunächst und ohne dass Deutschland Kolonien besaß, waren auf diese Weise »Rathschläge für anthropologische Untersuchungen auf Expedition der Marine« (1872) erteilt worden, mit denen Offiziere und Ärzte zu Sammlungstätigkeiten ermuntert werden sollten.501 In den kommenden Jahrzehnten nahmen diese Anleitungen Buchform an und wurden schließlich durch Luschan auf der Grundlage der vorliegenden Vorschläge und im Auftrag des Museums in Form eines Fragebogens als »Anleitung für ethnographische Beobachtungen und Sammlungen in Afrika und Ozeanien« (1904) formuliert, zur »monographischen Behandlung des einzelnen Stammes«.502 Der Rückgriff auf Fragebögen war in allen Kolonialreichen ein Instrument zur Verwissenschaftlichung des Kolonialen. Aber in Aufbau und Inhalt unterschieden sich die Fragebögen. Der Bogen Halkins für die Afrika-Enquete wurde auf der Grundlage der bisher erarbeiteten internationalen Fragenkataloge erstellt.503 Er galt international als beispielhaft und wurde in alle Teile der Welt 498 Für die Afrikawissenschaften resümiert Sibeud: »La dissidence des ethnographes coloniaux a désenclavé les recherches sur l’Afrique en les inscrivant dans la logique disciplinaire qui sous-tend la constitution des sciences sociales« (Sibeud, Ethnographie africaniste, S. 17). 499 Daston, S. 87–91. 500 Für Bastian vgl. Essner; Luschan, Anleitung zum ethnologischen Beobachten. Vgl. hier einleitend den Bezug auf Wollastone, S. 6. 501 Berliner Gesellschaft für Anthropologie. Vgl. Rudolf Virchow, Adolf Bastian u. a., An das Kaiserliche Marine-Ministerium, 18.5.1872, in: ebd., S. 325 f. 502 Luschan, Anleitung zum ethnologischen Beobachten. Vgl. für einen Zwischenschritt Neumayer. 503 Vgl. die Liste, Société belge de sociologie, S. 5 f.

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versendet.504 Die 202 Fragen, die auf die Untersuchung aller Stämme angewandt werden sollten, waren in sechs Fragekategorien eingeteilt und betrafen soziale wie auch biologische Komponenten: »Materielles, familiäres, religiöses, intellektuelles und soziales Leben« sowie »anthropologische Merkmale«.505 Letztere waren »somatisch-physiologisch« definiert, aber auf Angaben zu Körpergröße, Schädel, Nase, Haut, Haaren, Augen, Händen und Missbildungen beschränkt. Der belgische Fragebogen ging davon aus, dass Laien Messungen nicht mit wissenschaftlicher Exaktheit durchführen könnten.506 Die Anleitungen Virchows und Bastians waren unterteilt in »Ethnographie«, »Prähistorische Forschungen« und »Anthropologie im engeren Sinne«. Sie defi­ nierten Sammlungsobjekte, angefangen von Kleidungsstücken, Schmuck, Hausgeräte, Waffen und Kultgegenstände. Die Anleitungen für Körpermessungen enthielten Tabellen, in die die Werte eingetragen werden sollten. In der Orientierung an Darwin wurde auch die Intensität von Gefühlsäußerungen evaluiert.507 Es gab Anleitungen für Fotoaufnahmen, »physiognomische und ethnographische Aufnahmen«, darüber hinaus Handreichungen für das Studium von Pathologie und Linguistik, Geographie, Statistik und Botanik. Der besondere Stellenwert der Anthropometrie in der antitheoretisch-empirizistischen Tradition blieb erhalten, spielte aber auch im ethnographischen Fragebogen Luschans eine untergeordnete Rolle.508 Diese Dimension verselbständigte sich und entwickelte sich zur Rassenkunde. Im Jahr 1911, als Luschan die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte auf dem Internationalen Rassenkongress in London vertrat, verkündete er das Ende des Interesses am »Völkergedanken« und ähnlichen nicht-anatomischen Konstrukten.509 Der Fragebogen markierte methodisch die Abkehr von historischen Narrativen und subjektivem Individualismus im Studium fremder Völker. Gleicher­ maßen war er ein politisches Instrument zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Ausbeutung und Regierbarkeit. In Deutschland wurden in den 1890er Jahren elf unterschiedliche Fragebögen mit Fragen zu den Rechtsgewohnheiten erarbeitet und in die Kolonien versendet, im Jahr 1895 auf direkten Auftrag 504 Gollier, S. 36. Gollier war Vizekonsul an der belgischen Gesandtschaft in Tokio, Doktor der Philosophie und der Sozialwissenschaften, ehemaliger Schüler der École d’anthropologie de Paris. 505 Vgl. Société belge de sociologie; für ein Resümee vgl. Crombois, S. 84. Leichter zugängig ist der Questionnaire ethnographique de la Société belge de sociologie, in: Congrès international d’expansion économique mondiale, Bd. 5, o. S., im Anhang zu Steinmetz, Ueber die Beschaffung des ethnographischen Materials. 506 Société belge de sociologie, S. 86–89; 6. 507 Darwin. Vgl. für eine Kritik im Kontext der Emotionsforschung Gross. 508 Vgl. Luschan, Anleitung zum ethnologischen Beobachten, S. 121 f. (»physische Anthropologie«); Zimmerman, Anthropology, S. 54 f. Vgl. insgesamt Zimmerman, Anthropology, S. 86 ff. 509 Luschan, Anthropological View, S. 21. Für eine Fortentwicklung vgl. Luschan, Völker, Rassen. Vgl. für einen neueren Überblick Laukötter, S. 103 ff; 260 ff.

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des Auswärtigen Amts.510 Auf dem Congrès international de sociologie coloniale wurde der Fragebogen des Juristen Félicien Cattier zu Rechtsgebräuchen aus dem Jahr 1894 diskutiert.511 Auch Girault präsentierte ihn als methodischen Ausweg aus der unwissenschaftlichen Kolonisierung im Sinn des social engineering.512 Cattier und sein Kollege Wodon hatten den Fragebogen »Coutumes juridiques des peuplades« dezidiert als Alternative zu Reiseberichten, Eroberungsdarstellungen, aber auch zu juristischen Spezialabhandlungen konzipiert und deshalb für jeden ausreisenden Staatsbeamten ohne juristisches Fachvokabular erstellt.513 Sein erklärtes Ziel war es, das Wissen für die Implementierung eines Rechtssystems zur Verfügung zu stellen, das die indigenen Institutionen und Rechtsvorstellungen berücksichtigte. Fragebögen transportierten so nicht nur die Hoffnungen der Zeitgenossen auf die Verbesserung der Nachforschungen von »ortsansässigen Dilettanten«,514 sondern sie waren auch ein wichtiges Instrument zur Herausbildung von politiknahen Expertenkulturen und ihrer Internationalisierung.515 Methodisch verwiesen sie auf die kolonialen Situationen und ihre Bedingungen für die Produktion von Wissen zurück. In ihrer Bedeutung nicht zu überschätzen war für diese Entwicklungen die Professionalisierung der Ethnologie in den USA im Umkreis des BAE. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dem BAE das Urheberrecht an den Fragebögen, auch nur in Bezug auf US-amerikanische Kontexte, zukäme.516 Vielmehr handelte es sich auch hier um eine Praxis zur Kartierung fremder Kulturen, die länger zurückreichte. Generell gehörten Fragebögen nicht erst zum Inventar der Aufklärung, sondern bereits zu den kolonialen Praktiken der frühen Neuzeit.517 Aber in den USA zeichnete sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine längerfristige Entwicklung ab. Thomas Jefferson hatte als Präsident mit Instruktionen zur Lewis-­Clark-Expedition die Erschließung des nordamerikanischen Westens begleitet (1804–1806) und bereits zuvor im Jahr 1799 als Präsident der Philo­sophical Society einen Rundbrief zum Sammeln von Informationen und Objekten veröffentlicht.518 Dieser mag Ende des 18. Jahrhunderts weniger detailliert und direktiv verfasst gewesen sein als die präzisen Instruktionen der Anthropologen Ende des 19. Jahrhunderts. Aber auch er führte in einem nächsten Schritt zu Erarbeitung von Fragebögen.

510 Schaper, S. 248. 511 Cattier u. Wodon. 512 Girault, Condition des indigènes, S. 51. 513 Wodon, Enquête. 514 Steinmetz, Ueber die Beschaffung des ethnographischen Materials, S. 4. 515 Zum social engineering, allerdings ohne Einbezug kolonialer Regierungstechniken, vgl. v. a. Brückweh u. a. Vgl. zur These von einer praxeologischen Einheit von Wissen und Wissenschaft Knorr-Cetina. 516 Vgl. z. B. Leclerc; Crombois; Hinsley. 517 Brendecke. Vgl. Blanckaert, Questionnaires; Blanckaert, Le terrain des sciences humaines. 518 Wallace, S. 97; Circular Letter.

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Jeffersons Finanzminister und späterer Botschafter in Frankreich und England Albert Gallatin überzeugte 1826 den Kriegsminister, einen Fragebogen zur Grammatik der Tscherokesen (Cherokee) versenden zu lassen, der seine eigenen linguistischen Studien unterfütterte und die zukünftigen vorantrieb.519 Gallatin wurde erster Präsident der American Ethnological Society (1842), deren erklärtes Ziel die Klassifikation der sogenannten Indianersprachen war. 1863 schlug dann George Gibbs einen neuen Fragebogen mit einem neuen Alphabet und einer neuen Vokabelliste vor, die 1877 von Powell übernommen, überarbeitet und zur Grundlage der ersten Systematisierung der in den USA vorhandenen Indianersprachen in 55, später 58 Sprachstämme (stocks) wurde.520 So entstanden eine linguistische Klassifikation (1891) und das »Handbook of American Indians North of Mexico« (1907–1910).521 Die Bedeutung des BAE lag in der Institutionalisierung, Professionalisierung und Weiterentwicklung der ethnologischen Forschung, nicht in deren »Erfindung«. Der erste Direktor der Smithsonian Institution John Henry hatte seit den 1840er Jahren ein nationales Netz von wissenschaftlichen Korrespondenten gebildet, die zunächst meteorologische Daten, dann aber vor allem ethnologische Daten lieferten. Durch die Versendung von Berichten und genauen Instruktionen wurde das Netzwerk institutionalisiert.522 Das so entstehende Wissen war Teil kollektiver Forschungsvorhaben, die in bürokratischen Strukturen produziert, koordiniert und verwaltet wurden. Kooperative Projekte mit unterteilten Arbeitsaufgaben und der dadurch hervorgerufenen Bedeutung von Verwaltung entstanden. In der Person Powells spiegelte sich der Übergang von der tradi­tionellen Forschung zu den Anfängen des Projektmanagements. Kriterien der Effizienz und Koordination schränkten die individuelle Freiheit des Forschers ein, der wie Powell und seine Kollegen Teil eines größeren Arbeitszusammenhangs wurde.523 Seit den 1870er Jahren erreichte die Forschungsorganisation in den USA einen neuen, von der heranwachsenden ersten Generation europäischer Ethnologen in Europa vielfach beschriebenen, Vorsprung. Der Bezug auf das Bureau of Ethnology stellte eine konstante bildungspolitische Referenz und eine selbstverständliche Argumentationsfolie für die Vertreter europäischer Konzepte und Institutionen dar. In Großbritannien wurde die Gründung einer solchen Institution zwar von den Ministerien abgelehnt, gleichwohl blieb sie nicht ohne Wirkung.524 Nachdem die Anthropologie im Jahr 1884 den Status einer Sektion in der British Association erhalten hatte, erfolgte die Gründung eines Komitees »for the purpose of investigating and publishing reports on physical characters, 519 Gallatin. 520 Darnell, S. 96. Vgl. hier auch zu den Mängeln von Powells Arbeit. 521 Fowler u. Wilcox, S. 210. 522 Leclerc, S. 26. 523 Hinsley, S. 152 ff. 524 Myres, S. 38.

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languages, and industrial and social condition of the North-western Tribes of the Dominion of Canada« unter Bezug auf das BAE ebenso wie die Erarbeitung des »Circular of Inquiry« für Missionare, Regierungsangehörige oder andere Reisende.525 Mauss hatte die amerikanische Institution vor Augen, als er ein französisches Bureau d’ethnographie forderte.526 Die Institution war eine feste Größe, auch als Konkurrenzprojekt. Auf dem Kongress in Mons 1905 wurde die Zentralisierung der Vorbereitung und Archivierung von ethnologischen Fragebögen in Form eines internationalen Büros heftig diskutiert. Der belgische Geograph Halkin setzte sich sehr dafür ein,527 der Soziologe Steinmetz aus Leiden hielt dagegen und befürchtete eine wachsende Uniformität in der Forschung. Gegen die Gründung eines internationalen Büros argumentierte er mit Bezug auf die Vorreiterrolle der USA. Ketzerisch fragte er: »Würde denn das Smithsonian Bureau of Ethnology sich je einer fremden Centralstelle unterwerfen?«528 Van Overbergh, der dann das europäische Pendant des Instituts gründete, hatte die Erfahrung der Enqueten und seine organisatorischen Vorstellungen ebenfalls aus den USA mitgebracht. Er hatte auf seiner Reise nicht nur Booker Washingtons Tuskegee Institute besucht, sondern wohl auch die Arbeit des Bureau of American Ethnology unter Powell kennengelernt.529 Die Vorbildwirkung der USA zeigte sich auch in der Organisation wissenschaftlicher Expertise. Am Institut de sociologie in Brüssel entstand in den acht interdisziplinären Arbeitsgruppen eine Expertenkultur, die charakteristisch für den gesellschaftlichen Beitrag des Instituts war. Waxweiler gründete den Groupe d’études coloniales, der dezidiert Aufgaben der Politikberatung wahrnahm und dabei an frühere Traditionen anschloss. Die koloniale Arbeitsgruppe war von ihrer Zusammensetzung her eine Verlängerung des Mouvement géographique und erinnerte so an die Kolonialpropaganda Leopolds II. Zu ihren Mitgliedern zählten Cattier, Wauters und Waxweiler.530 Die Studiengruppe erarbeitete Vorschläge für die Ausbildung der Kolonialbeamten und weitere Papiere zu konkreten politisch oder ökonomisch relevanten Fragen.531 Sie initiierte ab 1910 drei Studienreisen in den Kongo. Die Reisen widmeten sich der wirtschaftlichen Zukunft der rohstoffreichen Provinz Katanga.532 Sie konzentrierten sich auf die Ausbreitung 525 Stocking, Fieldwork, S. 72. Der Fragebogen ersetzte einen älteren, ebenfalls von der British Association erarbeiteten Fragebogen, der vergriffen war. 526 Mauss datierte im Eifer die Gründung vor. Sie fand nicht 1876, sondern 1879 statt, vgl. Mauss, L’ethnographie, S. 401. 527 Halkin. 528 Steinmetz, Ueber die Beschaffung des ethnographischen Materials, S. 6. 529 Overbergh. Vgl. insgesamt zu Washington Zimmerman, Alabama. 530 Vgl. die Liste der Mitglieder Crombois, S. 127. 531 Vgl. Travaux du groupe d’études coloniales. 532 Gleich im Januar 1910 wurde die »effiziente Kolonisierung der Provinz Katanga« als Arbeitsschwerpunkt lanciert, vgl. [Compte rendu de la réunion du groupe d’études coloniales du 24 janvier], in: Archives sociologiques (= Bulletin de l’Institut de sociologie Solvay), Jg. 1 (2), 1910, S. 42.

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des belgischen Handels in der Provinz, die Frage der Ansiedlung belgischer Siedler und die Organisation der Arbeit sowie die Landwirtschaft.533 In enger Nähe zur Politik wurden auf den Studienmissionen »durch Experten« im Bereich von Klima, Arbeitsorganisation (unter Rückgriff auf chinesische Arbeitskräfte)  und Landwirtschaft präzise Kenntnisse zusammengetragen.534 Waxweiler, der 1893 in den USA gewesen war,535 hatte während einer Diskussion über die geringen Kenntnisse der klimatischen Verhältnisse in Katanga vorgeschlagen, es »wie die Amerikaner in ihren Kolonien« zu machen und »sehr kompetente Experten« zu entsenden, die vor Ort methodisch präzise Informationen zum Klima zusammenstellen sollten: »Ce système des missions d’›experts‹ pourrait être utilement généralisé.«536 Der Bezug auf die USA war eine strukturierende organisatorische Referenz in Argumentationen zur Verwissenschaftlichung des Kolonialen. Die Fragebögen spielten bei dieser Form der Expertise eine entscheidende Rolle, gleichwohl stellten sie in der kulturellen Konstruktion von Wissen über Kulturen und Gesellschaften im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine grundsätzliche Praxis der Verwissenschaftlichung dar. Nicht nur in kolonialen Zusammenhängen katalysierte der Fragebogen in den USA, Belgien und Frankreich die Disziplinenbildung. Auch in der deutschen Volkskunde datierte die erste systematische Fragebogenaktion aus den 1870er Jahren, in denen Wilhelm Mannhardt nach der Reichsgründung Mythen über Wald- und Feldkulte mithilfe von 150.000 versendeten Fragebögen auf der Suche nach einer germanischen Tradition inventarisieren wollte. Perspektive und Methodik der Aktion wurden von den europäischen Nachbarländern weiterentwickelt.537 In methodischer Hinsicht materialisiert der Fragebogen das Grundproblem der mit ihm verbundenen Wissensproduktion, denn sein konzeptueller Kern ist der Vergleich. Das mithilfe der Fragebögen konstruierte Fernwissen erfolgt mit Bezug auf etwas Anderes und macht es so allererst zum Anderen bzw. Fremden. Sowohl alte Volkskonzepte als auch moderne Kulturkonzepte sind von dieser Form der Analogie- und Differenzbetrachtung und dem Vorwurf betroffen, das Eigene und das Fremde immer (und nicht immer wissenschaftlich) mit zu konstruieren. Als Instrumente ethnologischer Feldforschungen haben Fragebögen zur Ideologisierung von homogenen Gemeinschaften beigetragen, von denen die »primitiven Stammeskulturen« nur eine Spielart darstellten.538 Der Fragehorizont der frühen Ethnologen wie Powell war dabei evolutionistisch und in der Nachfolge Morgans auf Analogien und Homologien ausgerich533 Crombois, S. 84 ff. 534 Ebd., S. 85 ff. 535 Bie, S. 14. 536 [Compte rendu de la réunion du groupe d’études coloniales du 7 février], in: Archives sociologiques (= Bulletin de l’Institut de sociologie Solvay) Jg. 1 (2), 1910, S. 102 ff., hier: S. 104. 537 Kaschuba, Einführung in die Europäische Ethnologie, S. 46 ff. 538 Kaschuba, Anmerkungen zum Gesellschaftsvergleich, vgl. auch Bringeus.

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tet, im Ausgang von der Idee, dass die menschlichen Gesellschaften dieselben Entwicklungsstufen durchgemacht hätten.539 Die damit verbundenen Probleme in der Auswahl der Fragen bzw. der ihnen zugrunde liegenden Konzepte wurden schnell deutlich. Dies hatte bereits Morgan erlebt, als er in den 1860er Jahren seinen Fragebogen zu Verwandtschaftsverhältnissen versendete und zwei Jahre später von einem Missionar die folgende bezeichnende Antwort aus dem Pazifik erhielt: »But upon requiring into the matter I found that the natives here, who are very benighted, have no system of consanguinity at all. In fact, so far removed from civilization are they that they do not know how properly to address their kin. For example, an old man told me that he calls his father’s sister’s son ›son‹. I therefore decided not to waste your time and mine in such an investigation.«540

Es ist offensichtlich, dass sich diese Kartierung der Kriterien nicht aus der kolonialen Situation lösen kann. Nicht nur in den Metropolen der europäischen Kolonialreiche nahm sie sehr konkrete Züge in den Netzwerken und der Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Handel an. Auch in den USA war der Umgang mit den Ureinwohnern von einer Kriegsproblematik zu einer Angelegenheit der Innenpolitik geworden, die zwischen den Polen »Ausrottung« und »Zivilisierung« changierte. In diesem Zusammenhang finanzierte die Regierung den United States Geological Survey und das Bureau of Ethnography. Und auch in diesem Zusammenhang interessierte sich Powell für die linguistischen Verwandtschaftsverhältnisse der Stammessprachen und erarbeitete seine Vorschläge für das Management der Reservate.541 Dies bedeutet jedoch nicht, dass es kein kritisches Bewusstsein für die Konstruktion der anderen Kulturen gegeben hat. Das triadische Modell Morgans von Wildheit, Barbarei und Zivilisation wurde angefragt. Mauss hatte 1913 unkommentiert von »sogenannten primitiven Bevölkerungen« gesprochen,542 Lévy-Bruhl mit seiner »primitiven Mentalität« ein Konzept eingeführt, das bald kritisiert und wohl auch von ihm selbst als unglücklich empfunden wurde.543 Jonghe jedoch, der noch 1905 von »wild« und »Wildheit« sprach, wandte sich 1920 explizit gegen die Kategorien »wild« und »primitiv« und schlug stattdessen die Kategorie »nicht-zivilisiert« vor, hinter der auch seine vehemente Ablehnung von Biologismen deutlich wird.544 Morgans Begründung der Kategorie »wild«

539 Hinsley, S. 125 ff. 540 Morgan, The Indian Journals, S. 9. 541 Hinsley, S. 145 ff. Das Wissen um die historischen Verwandtschaftsverhältnisse der Stämme und damit der Freund- und Feindschaftsverhältnisse war grundlegend für eine erfolg­ reiche, d. h. konfliktfreie, Ansiedlungspolitik in den Reservaten. Aus den Bezeichnungen der Stämme selbst ließ sie sich nicht ablesen (ebd., S. 149). 542 Mauss, L’ethnographie, S. 406. 543 [Discussion], in: Bohn u. a., S. 48. 544 Jonghe, La place de l’ethnographie.

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lehnte er grundsätzlich ab.545 Bastian hatte in seinem Überblicksbeitrag zur »Völkerkunde in den deutschen Schutzgebieten« auf dem Deutschen Kolonialkongress 1902 die Begriffe ebenfalls »mit der größten Entschiedenheit« abgelehnt. Alle bisher vorgelegten Unterscheidungskriterien zwischen Rassen und Entwicklungsstadien seien willkürlich und haltlos. Nirgends konnte Bastian eine scharfe Grenze zwischen »Natur- und Kulturvölkern« ziehen.546 Allerdings war Bastian mit seiner »inductiven Methode«, die Menschenrassen einzuteilen, grundsätzlich in eine methodische Sackgasse geraten. Er wusste, dass das »craniologische Prinzip« nicht ausreichte, navigierte mit den Konzepten »Völkergedanke«, »Elementargedanke«, »geographische Provinz« zwischen den disziplinären Feldern.547 Aber letztlich sah er das seiner naturwissenschaftlichen Herangehensweise inhärente Problem nicht, nämlich, dass »die Entwicklung einer Pflanze oder eines Tieres vom Ei bis zur ausgebildeten Endform« nicht das Modell für die »Entwicklungsvorgänge der Kultur in der Menschheitsgeschichte« sein kann.548 Die Wissenschaftler waren sich unsicher in der Festlegung der Kategorien, die die Fremdheit der zu untersuchenden Kulturen wissenschaftlich charakterisieren sollte. Noch in den 1930er Jahren erwiesen sich die begrifflichen Abgrenzungen als schwierig. Auf der interdisziplinär organisierten Semaine internationale de synthèse wurden deshalb 1934 zur Thematisierung von Menschengruppen als Untersuchungseinheiten kontextbezogene Kategorien diskutiert.549 Hardy allerdings, zu diesem Zeitpunkt recteur in Algier, visierte mit seinem Vortragstitel noch die »sogenannten primitiven Gesellschaften« an und musste dann im Beitrag sich selbst widersprechend zugeben, dass einige der »zurückgebliebenen Gesellschaften« gleichwohl Phasen der Zivilisation gekannt hätten.550

2.3 Kolonialwissenschaftliche Konfigurationen Die Verbindungen von Kolonialismus und Sozialwissenschaften hatte den Cha­ rakter einer paradigmatischen Wechselbeziehung. Auf der einen Seite beschleunigten die Diskussionen der Kolonialbeamten und -wissenschaftler um die »soziale Seite der Kolonisierung« einen kollektivierenden Zugriff auf soziale

545 Jonghe, L’ethnologie, S. 283. Sein Argument war, dass die Kategorie »primitiv« zu vieldeutig sei. Verwendet man sie allerdings im Sinn von »nicht-zivilisiert«, war sie für Jonghe ak­ zeptabel. 546 Bastian, Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses, S. 169. 547 Bastian, Das natürliche System in der Ethnologie. 548 So die Zusammenfassung von Ankermann anlässlich des 100. Geburtstags von Bastian, S. 224. Für eine ambivalente Wertung vgl. Fiedermutz-Laun. 549 [Discussion], in: Bohn u. a., S. 48. 550 Hardy, La foule, S. 23.

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Formationen und Kulturen jenseits der disziplinären Zentren und in randständigen akademischen Feldern. Auf der anderen Seite war das »koloniale Moment« konstituierend für den Kern der Sozialwissenschaften, die ab 1890 in Frankreich und Belgien institutionell verankert wurden. Die Diskussionen markierten Wahlverwandtschaften in der Überführung des praktisch-administrativen Wissens in die im Entstehen begriffenen Sozialwissenschaften. Dabei überwogen die Unklarheiten und diese Sozialwissenschaften firmierten unter den wechselnden Etiketten »Soziologie« oder »Psychologie«. Mit den Begriffen changierten auch die Argumentationsebenen zwischen Essentialisierung und Sozial-Konstruktivismus. Auch wenn diese sich argumentativ voneinander abgrenzten und spätere Historiographien in retrospektiver Zuspitzung diese Terrainmarkierungen in die Wissenschaftsgeschichte übernommen haben, ist dieses gemeinsame Moment für die frühen Entwicklungen konstitutiv. Das Wissen von den Kolonien gehörte verschiedenen Disziplinen an, die im Zugriff auf eine Region einen Gesamtzugang zu einer Kultur erprobten. Die Institutionalisierungsformen und Diskussionen um Ausbildungsgänge waren Teil dieser Prozesse zur Abgrenzung von Terrain und zur Auslotung disziplinärer Felder. In diesen Debatten entstand auf den internationalen Kongressen, im Brüsseler Institut colonial international und im Umkreis der Zeitschriften und Kolonialgesellschaften ein internationaler Erörterungszusammenhang. Auf dem Weg zu einer »Kolonistik« absolvierten die Auseinandersetzungen mit dem Kolonialismus in Frankreich, Belgien und Deutschland gemeinsame Stationen. Nach der »Entdeckung« des Kolonialismus als einer nationalen Ressource in den Auseinandersetzungen mit den Überlegungen Leroy-Beaulieus 1874 lancierten koloniale Pressure-Groups in ihren internationalen Netzwerken das Argument der Notwendigkeit eigenständiger Ausbildungsgänge und mobilisierten Gesellschaften und Regierungen. Die sich modernisierenden Gesellschaften Westeuropas fanden eine gemeinsame Kolonisierungssprache, zu deren Grammatik nicht nur sozialdarwinistischer Rassismus und Vorstellungen von staatlichem Interventionismus und entwicklungspolitischen Maßnahmen gehörten, sondern auch antimoderne anthropologische Konzepte. Die in den 1880er und 1890er Jahren gebildeten Verwaltungsstrukturen in der Metropole erforderten koloniale Ausbildungsangebote. Die Bedeutung dieser neuen Ausbildungen in Westeuropa Ende des 19. Jahrhunderts lag in ihrer zentralisierenden Funktion: Sie systematisierten das vorhandene Fernwissen aus Universitäten, Handelshochschulen und Kolonialakademien. Die Institutionalisierungsgrade variierten. Kolonialwissenschaften konnten als Kursangebote an einzelnen Universitäten funktionieren, wie in Belgien bis 1920. Sie konnten über ein zentralisiertes Examen reguliert werden, auf das verschiedene Ausbildungsgänge hinführten, wie es in Großbritannien und den Niederlanden seit Mitte des 19. Jahrhunderts üblich war. Oder sie wurden an einer zentralen Schule unterrichtet, deren Zugangs- und Prüfungsbedingungen vom Ministerium bestimmt wurden, wie in Frankreich. 124

Die Entwicklungen zeigen deutlich zwei Module der Ausbildung, die sich zwischen den alten Kolonialmächten und den neuen kolonisierenden Nationen unterschieden.551 Während in den alten Kolonialreichen Großbritannien, Spanien, Portugal und den Niederlanden eine unabhängige Kommission die Auswahl der Kolonialbeamten als eine gesamtgesellschaftliche und offene Aufgabe definierte, lag der Fokus in Belgien, Frankreich und Deutschland auf einer geschlossenen Elitebildung, die sich in neuen Wissensformationen zwischen Wissenschaft und Praxis verortete. Der geringe Wert des Praktikums in der Region und insbesondere die geringere Bedeutung der Zulassung von indigenen Bewohnern zu den Ausbildungen sind weitere Belege für die Differenz in der Aneignung des Kolonialismus. In Antwerpen war die Zulassung grundsätzlich unmöglich. In den Niederlanden war die Prüfung seit 1864 offen für »Hollandais, ou sujet indigène de la Hollande, ou né de parents de civilisation européene fixés aux Indes orientales«.552 Und während es in Paris eine »Eingeborenensektion« gab, an der SOAS Inder studierten,553 spielten ähnliche Überlegungen in Deutschland trotz aufmerksamer Beobachtung der Nachbarn keine Rolle.554 In der Perspektive eines transnationalen Aushandlungsprozesses lassen sich an nationalen Kontexten gewonnene Beurteilungen korrigieren. So hat Deutschland nicht die meisten Anstrengungen im Bereich der Institutionalisierung kolonialer Ausbildungen unternommen, wie die Forschung in den 1970er Jahren herausstellte.555 Und auch die Konstruktion der klassischen Opposition Deutschland-Großbritannien erweist sich unter Einbezug Frankreichs und Belgiens und angesichts des Mythos des englischen Modells während des Zeitalters der Kolonialreiche als reduktionistisch. In Bezug auf die disziplinäre Verortung der Kolonialwissenschaften folgte auf die geographische Phase die Vorherrschaft der Rechtswissenschaften, die über rechtsethnologische Fragestellungen den Weg für die Ethnologie ebnete. Mit Blick auf die deutsche Entwicklung der Auslandswissenschaften aber unter­ schieden sich die disziplinären Felder. Denn in Berlin bestätigte die Wissenschaftlichkeits-Diskussion zunächst die Trennung von akademisch institutionalisierten Philologien und interdisziplinär organisierten Regionalwissenschaften, während in Brüssel und Gent nur wenige Jahre nach der Institutionalisierung kolonialer Ausbildungsgänge bereits eine Promotion in »Kolonialstudien« abgeschlossen werden konnte. Den deutschen Vertretern der Orientalistik galt eine gegenwartsorientierte Anwendbarkeit des Wissens als sprachbezogener Landes551 Vgl. zur Hypothese von Modulen die Einleitung. 552 Chailley-Bert, Le recrutement des fonctionnaires coloniaux, S. 20. Vgl. die Kritik ChailleyBerts an der Effektlosigkeit dieser Politik: Bis zum Berichtszeitpunkt habe nur eine Person, nämlich der Enkel des Wesirs des Sultans in Djakarta, die Prüfung bestanden, ebd. 553 Brown, S. 43: 1920/1921 waren 50 Inder unter den degree students eingeschrieben (von 412). 554 Rathgen, S. 62; 77. 555 Spidle, Colonial Studies, S. 15.

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kunde und »unwissenschaftlich« und auch eine engere Kooperation mit den Sozialwissenschaften blieb aus. Selbst der Alternativvorschlag zur Dezentralisierung der Auslandsstudien aus der Feder des Pädagogen und Philosophen Eduard Spranger zeigte sich in dieser Frage unentschieden. Er ging von der Kritik an einer Institutionalisierung »angesammelter Sachkunde« aus und bestand »auf dem wissenschaftlichen Charakter der Beschäftigung mit dem Ausland«, in expliziter Abgrenzung zu kolonialen und politischen Bedürfnissen und der Orientierung an ihnen durch die Einrichtung »zeitgemäßer Professuren«.556 Für Spranger stand fest, dass das disziplinäre Spektrum soziologische und wirtschaftswissenschaftliche Dimensionen einschließen musste. Aber sein wissenschaftliches Grundkonzept blieb das Verstehen einer Kultur im Sinne Diltheys. Eine Kooperation mit den entstehenden Sozialwissenschaften kam den Teilnehmern an der Debatte um die Auslandswissenschaften in Berlin nicht in den Sinn. Becker führte sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte in die Beschäftigung mit der »islamischen Zivilisation« ein.557 Palme erkannte den Wert kollektivierender Sichtweisen und interdisziplinärer Arbeit, ähnlich wie die Volksgeschichte in den 1930er Jahren.558 Aber diese Formen der intellektuellen Kooperation drangen nicht bis zum Kern der disziplinären Methodik vor, sondern beließen die Bestandteile als solche intakt. Die Wirkungen der Debatte waren damit anders gelagert. Dennoch lässt sich nicht übersehen, dass auch Deutschland innerhalb des dargestellten Schemas nach dem Weltwissen griff. Der Besitz von Kolonien war dafür von vorübergehender Bedeutung.

556 Spranger, Sp. 1047; 1026; 1028. Spranger schlug die Einrichtung einer neuen Fakultät vor, in die man nach dem Studium an einer anderen Fakultät eintreten konnte. 557 Vgl. Haridi, insbes. S. 13 ff.; 79 ff. 558 Oberkrome. Zur Kritik vgl. Schöttler, Geschichtsschreibung.

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3. »Toward total world knowledge, toward cooperative research and the integration of knowledge«.1 Konstruktionsmechanismen in den USA

In den 1940er Jahren wurde in den USA der Begriff »Area Studies« systematisch geprägt und auf die sozialwissenschaftliche Erforschung der Weltregionen in kooperativer und interdisziplinärer Form angewendet. Die Entwicklungen nahmen ihren Ausgang vom Internationalismus der Zwischenkriegszeit, als bereits wichtige Programme institutionalisiert wurden. Die sich nach dem Ersten Weltkrieg formierende Ideologie der corporate science und die dazugehörige Vorstellung von einer Forschung, die im Team und in praktischen Kontexten ausgeführt wird, bildete das Fundament für diese Entwicklungen.2 Der Zweite Weltkrieg legte mit der Verzahnung von Wissenschaft und Politik die Grundlage dafür, dass Area Studies im Zeichen des Aufstiegs des Wissenschaftsstaats nun zu Elementen der strategischen Strukturentwicklung der Wissenschaftslandschaft wurden. Dieses Kapitel analysiert die Geschichte der Area Studies in den USA vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs. Ebenso wie im 19. Jahrhundert stellt die Einsicht in einen globalpolitischen Erfahrungszusammenhang auch für die Nachkriegskonstellation eine Denkvoraussetzung dar. Und ebenso wie Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Debatten aus diesem Grund eine doppelte Funktion: Sie sprengten einerseits die Disziplinengrenzen, verstärkten die Neustrukturierung von Wissensfeldern und hatten andererseits über die mit ihnen verbundenen Selbst- und Fremdkonstruktionen auch identitätsstiftende Funktionen für die sich wandelnden Gesellschaften. Die Kolonialreiche hatten ausgehend von den grundsätzlichen Kolonisierungsmöglichkeiten – Assimilation und Assoziierung – in diesen Debatten, die anthropologische Ausmaße annahmen, auch ihre Identität als kolonisierende Nationen bestimmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg äußerte sich diese Komponente in einem modernisierungstheoretischen Koordinatensystem – in der Fortführung szientistischer Positionen, aber der Abkehr von anthropologischen Konzepten. In der Funktion als SelbstbeschreibungsDiskurs war das Denkmuster den Europäizitäts-Kategorien des 19. Jahrhunderts vergleichbar. Mit dem Grundgedanken der forcierten Entwicklung von traditionellen in moderne Gesellschaften steckte es seit Ende der 1940er Jahre einen geopolitisch-ideologischen und wissenschaftstheoretischen Referenzrahmen für Regional- und Sozialwissenschaften ab. 1 Hall, Area Studies, S. 46. 2 McGrath.

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Das Zeitalter der Kolonialreiche hatte die entscheidenden disziplinären Voraussetzungen für die Konstruktion der Area Studies in den USA geschaffen. Die Konzeptualisierung und Institutionalisierung kolonialwissenschaftlicher Ausbildungsmodule stellte die historisch-philologische Methodik in Frage und katalyisierte die Entwicklung der Sozialwissenschaften, deren disziplinäre Matrix den Kern der Area Studies bildeten, die nun in den USA umfassend um­ gesetzt wurden. Die Ende des 19. Jahrhunderts formulierten Grundfragen und diagnostizierten Probleme fanden in den neuen Kontexten ihre Fortsetzung: die Suche nach Ordnungskriterien und Systematiken des Wissens im CrossCultural Survey (CCS) über »primitive Gesellschaften« und in der Arbeit des Ethnogeographic Board; die von den Assoziierungs-Aktivisten formulierten behavioristischen Positionen und Einstellungen in funktionalistischen Zugriffen und kulturanthropologischen Ansätzen. In den Papieren, die der Council on Intercultural Relations für die Army Specialized Training Programs erarbeitete, findet sich die der Praktikums-Debatte im 19. Jahrhundert zugrunde liegende Forderung nach geordneten und wissenschaftlichen Kulturkontakten. Die Förderung von Regionalwissenschaften war in beiden Kontexten – in den USA ebenso wie in den Kolonialreichen – zunächst das Plädoyer von einzelnen, nun zumeist wissenschaftsorganisatorischen Akteuren im Geist der Progressive Era, bevor sie über die Netzwerke der philanthropischen Stiftungen und der Wissenschaftsräte zu einer Aufgabe des Staats gemacht wurde. Dabei zeichnet sich von den ersten Ansätzen im Rahmen einer Internationalisierungspolitik nach 1919 bis zur Auflösung der an den Area Studies ausgerichteten Organisations­ struktur des SSRC im Jahr 1996 eine Geschichte ab, welche die Entwicklung des Konzepts in der Abhängigkeit von der Genese und Zunahme der projekt­ basierten Drittmittelförderung zeigt. Dieser Fördermechanismus unterstützte die großformatige Umsetzung funktionalistischer und kulturanthropologischer Ansätze. In den 1960er und 1970er Jahren geriet er ins Visier der Gesellschafts- und Wissenschaftskritik, die mit der Gleichsetzung von Sozialwissenschaftler und Kolonialverwalter zum ersten Mal grundsätzliche Methodenfragen öffentlich und politisch diskutierte. Die Drittmittelförderung war eine Spezifik der Situation im 20. Jahrhundert. Aber sie verweist in einem größeren Zusammenhang auf Politiknähe und Legitimations­ charakter dieser Wissenschaften.

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3.1 Vom geisteswissenschaftlichen Internationalismus der Zwischenkriegszeit zum Kalten-Kriegs-Konzept 3.1.1 Erste Terrainmarkierungen zwischen ACLS und SSRC Der Zweite Weltkrieg hatte regionalpolitische Tatsachen und Formen der Zusammenarbeit geschaffen: In insgesamt 68 Einrichtungen waren in den Jahren 1943/1944  – so die Nachkriegsstatistik  – 110.000 Menschen aus Armee und Zivilbehörden kriegsbedingt in interkulturellen Fernkompetenzen geschult worden.3 Unter Leitung der US Armee wurden im Rahmen der Army Specialized Training Programs sogenannte Area Training Programs eingerichtet. Entweder in Form der an 55 Universitäten angegliederten Foreign Area and Language Curricula of the Army Specialized Training Programs (ASTP-FALC) oder als Civil Affairs Training Programs an zehn Civil Affair Training Schools (CATS) sollten sie Landes- und Sprachkompetenzen, insbesondere für Europa und den Fernen Osten, von Armeeangehörigen oder Zivilisten in neu konzipierten und zwischen den verschiedenen Abteilungen organisierten Kompaktkursen fördern.4 Die konzeptuellen und organisatorischen Besonderheiten standen auch den Verantwortlichen im Büro des Provost Marshal General deutlich vor Augen. »This program«, hieß es in einem ersten provisorischen Planungspapier des Kriegsministeriums für das ASTP vom Januar 1943, »is unprecedented in college and university education.«5 Die Bedeutung dieses Entwicklungsschubs ist nicht zu bestreiten.6 Gleichwohl knüpften die Kriegserfahrungen an Konzepte, Netzwerke und Wissensfelder aus den 1920er und 1930er Jahren an. Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich wissenschaftliche Gesellschaften insbesondere mit dem »Orient« (1842 The American Oriental Society) beschäftigt. Einzelne Institute waren an den amerikanischen Universitäten gegründet und Doktortitel verliehen worden. In den 1920er Jahren machten diese Entwicklungen einen quantitativen und qualitativen Sprung: Wurden im Jahr 1925 an den amerikanischen Universitäten dreißig 3 Discussion of the Future of Area Studies in Post-War Condition?, 28.2.1944. RAC, RF, RG 3.2. Ser. 900 Box 91, Folder 165. 4 War Department, Army Service Forces, Office of the Provost Marshal General, Military Government Division, Training Circular 5, 17.6.1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. Vgl. bspw. den Bericht zu dem europäischen Programm am Queens College von Schueler; zur Institutionalisierung Hyneman; zu den Sprachprogrammen Agard; zur zeitgenössischen Diskussion um die Sprachmethodik Angiolillo; für eine Programm-Fallstudie zur CATS in Stanford Justice. Die Programme waren nur ein kleiner Teil des umfassenden Ausbildungsprogramms, für dessen Entstehung die Orientierung an Europa ausschlaggebend war. Vgl. Keefer, S. 28. 5 MGD, PMG, Tentative Plans for Training of Officer Candidates Preparing for Service in Occupied Territory under the Army Specialized Training Program (Confidential), 29.1.1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 6 Vgl. z. B. Schäbler.

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Doktorarbeiten mit einem regionalen Schwerpunkt auf Ostasien, Lateinamerika, dem Mittleren Osten, Russland und Osteuropa sowie Südasien eingereicht, waren es 1934 bereits fünfzig.7 Eine erste Generation von Professoren, die zum Teil in Europa studiert hatten, ihre Landeskenntnisse als Missionare oder im Rahmen der Inquiry erworben hatten, begründete an den Universitäten einen disziplinären Kern. Sie sorgten nicht nur für die Sichtbarkeit von Regionalstudien, sondern schufen auch einen Definitions- und Koordinationsbedarf: ­Herbert Eugene Bolton für Lateinamerika (Berkeley), Kenneth Scott Latourette für China und Japan (Yale), Archibald Cary Coolidge für Russland (Harvard) und James Henry Breasted für Ägypten (Chicago).8 Die entscheidende Multiplikatorenrolle spielte der American Council for ­Learned Societies (ACLS), der 1919/1920 zur Vertretung der USA in der Union académique internationale gegründet wurde.9 Seine ersten Aktivitäten umfassten neben der Organisation und Unterstützung von Konferenzen vor allem die Publikation des »Dictionary of American Biography« sowie das »Dictionary of Medieval Latin«.10 In den Folgejahren entwickelte er sich zu einer Koordinierungsstelle, die Strategien für eine systematische und umfassende Planung der Geisteswissenschaften in den USA entwarf. Dass dabei der Schwerpunkt auf regionalwissenschaftlichen Konzepten lag, war dem unermüdlichen und vielfältigen Engagement Mortimer Graves (1893–1982) zu verdanken, zunächst stellvertretender Geschäftsführer (assistant secretary), später geschäftsführender Direktor (executive director) des ACLS. Graves, dessen Einfluss und Netzwerke bis in die Förderung der Area Studies in Großbritannien und Frankreich nach 1945 reichten,11 war selbst kein Wissenschaftler. Er hatte im Ersten Weltkrieg als Pilot gekämpft, in Harvard seinen BA und MA in Geschichte gemacht, aber seine Promotion nie abgeschlossen.12 Seine Agenda bestand in der Internationalisierung der amerikanischen Geisteswissenschaften im Geist des Progressivismus. Die Verbesserung der Kenntnisse über insbesondere den Fernen Osten, wie Graves sie in zahlreichen Papieren anmahnte, war nicht nur ein Vorschlag für eine Curriculumserweiterung der Universitäten, sondern auch als ein umfassendes Bildungsprogramm unter Führung der Geisteswissenschaften mit gesamtgesellschaftlichen Implikationen gedacht. Dementsprechend breit waren die Ziele und Maßnahmen formuliert: 7 McCaughey, S. 103. Davon 42 in Chicago, Harvard, Columbia, Yale, Berkeley, Wisconsin. Die Reihenfolge der Nennung entspricht der Anzahl der verliehenen Doktortitel an diesen sechs Universitäten. Am Ende der Liste figuriert Afrika, mit nur 25 Doktorarbeiten für die Zeit von 1900 bis 1940. Für die Aufteilung nach Regionen vgl. McCaughey, S. 105, für die Aufteilung nach Disziplinen ebd., S. 106. 8 Vgl. insgesamt McCaughey. 9 Tournès, Le Conseil international des unions scientifiques et l’Union académique internationale. 10 Vgl. ACLS Bulletin, Bd. 3, 1924. 11 Vgl. Kapitel 4. 12 Für ein Porträt vgl. Jones, S. 250 f. Vgl. für die biographischen Informationen De, S. 64 ff.

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Sie reichten von der Präsenz nicht-westlicher Themen im Schulunterricht über Sommerkurse und Stipendien bis hin zur Einrichtung von Forschungs- und Ausbildungszentren.13 Der ACLS vergab nicht nur Einzelstipendien und förderte den Druck und die Übersetzung von Manuskripten und Wörterbüchern, sondern entwickelte auch Förderstrategien und versuchte, mit der Gründung von Kommissionen und Zentren Strukturen zu schaffen. Graves unterstützte die wissenschaftlichen Gesellschaften; er war an der Gründung des American Russian Institute (1926) beteiligt. An der Library of Congress wurde ein Center of Far Eastern Studies mit bibliographischen Aufgaben eingerichtet.14 Der Aufbau von Stipendien sollte eine Nachfrage im Graduate-Stadium stimulieren.15 In enger Konsultation mit den Universitäten und Gelehrten entwickelte der ACLS im Jahr 1932 ein Pre-doctoral Fellowship in the Humanities: Es wurde im Bereich der Chinaund Japanstudien vergeben, ebenso wie in den Byzantine, Indic and Iranian Studies.16 Seit 1926 wurden die Aktivitäten des Council von der Rockefeller-Stiftung gefördert.17 Die Stiftung hatte das Alleinstellungsmerkmal des ACLS, der sich bald in Area Committee organisierte, erkannt. Mitte der 1930er Jahre gab es neben den Arbeitsgruppen zu den Lexikonprojekten und den anderen Arbeitsschwerpunkten die beiden besonders aktiven Chinese und Japanese Committee,18 die zum Committee on Far Eastern Studies zusammengeschlossen wurden,19 sowie das Committee on Latin American Studies, Committee on Indic and Iranian Studies, Committee on Byzantine Studies und ein Committee on Native American Languages.20 Bis 1941 entstanden das Committee on Near Eastern 13 Mortimer Graves, American Understanding of the Orient. Its Status and its Improvement. ACLS Records, Box E 27, LC, MSS. 14 Waldo G. Leland, David H. Stevens, 24.5.1933. ACLS Records, Box B 24, LC, MSS. 15 Bei einer im Jahr 1929 konzipierten und durchgeführten Umfrage war mangelnde Nachfrage und Interesse vonseiten der Studierenden als Haupthinderungsgrund für die Etablierung sinologischer Kurse angeführt worden, vgl. Chinese Studies in American Universities and Colleges. A Digest of Opinions expressed by individuals respecting the status of Chinese Studies in a number of principal American institutions, 3.4.1929. ACLS Records, Box B 24, LC, MSS. 16 Recommendation concerning the Establishment of Pre-Doctoral Fellowship in the Humanities, Exec. Com, 21.4.1932. ACLS Records, Box B 43, LC, MSS: Hier auch alle vorbereitenden Papiere und Statements der Universitäten. 17 Application from the ACLS to the Rockefeller Foundation for a Subvention in Continuation of Assistance for General Funds, 6.10.1931, hier: Annex 1. ACLS Records, Box B 43, LC, MSS. 18 Vgl. Pritchard; Hodous u. Graves; Laufer u. Graves. Vgl. auch Gardner, Chinese Studies. 19 Waldo G. Leland an David H. Stevens, 24.5.1933. ACLS Records, Box B 24, LC, MSS. Dabei handelte es sich nicht um eine Sprachregelung (De, S. 76), sondern um eine Koordinierungsmaßnahme, die auch konzeptuelle Bedeutung hatte, da man die Konzentration auf eine »Area« der Behandlung eines Landes vorzog. 20 Waldo G.  Leland, Draft of Application for Renewal of Support for General Purposes, ­1934–1936. ACLS Records, Box B 41, LC, MSS.

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Studies, das Committee on Arabic and Islamic Studies sowie das Committee on Slavic Studies.21 In der Zusammenarbeit mit der Rockefeller Foundation und insbesondere David H. Stevens (Humanities Division) wurden in den 1930er Jahren Fellowships, Sommerschulen, Trainings- und Forschungsprogramme zur Förderung der China- und Japanstudien entwickelt und Dozentenstellen an den Universitäten geschaffen.22 Die Publikation von interdisziplinären Zeitschriften und Dokumentationssammlungen wie der »Notes on Far Eastern Studies in America« (1937–1943), der »Far Eastern Bibliography« (1938/1939) und der »Far Eastern Quarterly« (1940) folgten Ende der 1930er Jahre. Auch die Lateinamerikastudien wurden über den ACLS mit Rockefeller-Geldern gefördert.23 Der Arbeitsschwerpunkt des ACLS lag im philologisch-historischen Bereich. Dennoch hatte er in seine Programmatik die Sozialwissenschaften eingeschlossen. Im Rückgriff auf die erste Conference of the Secretaries, mit der die Gesellschaft im Jahr 1925 de facto ihre Arbeit aufnahm, wurde die Aufgabe des Council definiert als »advancement of the humanistic studies in all fields of humanities and social sciences and the maintenance and strengthening of national societies dedicated to those studies«.24 Diese Selbstdarstellung war 1925 allerdings bereits eine Terrainmarkierung, denn zwei Jahre zuvor war mit dem Social Science Research Council ein wissenschaftspolitischer Organisation gegründet worden, welche die Vernetzung, Weiterentwicklung und gesellschaftliche Einbindung der Sozialwissenschaften zum Ziel hatte. Auf Initiative des Politikwissenschaftlers Charles Merriam (Chicago) gegründet,25 war die Hauptaufgabe des SSRC die Koordination und Entwicklung der Sozialwissenschaften, »the consideration of study and research in the various social sciences and the more effective and complete organization and development of social research«.26 Was unter »Sozialwissenschaften« verstanden wurde, zeigen die Kooperationsangebote der Gründungsphase. Nach ersten Gesprächen zwischen American Economic Association (Secrist), American Political Science Association (Merriam) und American Sociological Society (Crane), bei der die Ökonomen sich am zögerlichsten zeigten, sollten die Historiker hinzukommen.27 Auf dem zweiten Treffen im November 1923 wurde beschlossen, auch die Anthropologen, Psychologen und Statistiker zur Teilnahme einzu­ 21 Vgl. ACLS Bulletin, Bd. 33, 1941, S. 3 ff. 22 De, S. 76 ff.; 83 f. 23 Delpar, S. 112. Siehe auch Kapitel 3.2.1. 24 [O. A.], The First and Second Conferences of the Secretaries of Constituent Societies, in: ACLS Bulletin, Bd. 5, 1926, S. 54–62, hier: S. 54. [Hervorhebung von mir, d. Verf.] 25 Minutes of the Meeting on the Social Research Council, University Club, Chicago, May 17, 1923. ACLS Records, Box A 3, LC, MSS. 26 Charles E. Merriam and Charles H. Haskins (AHA), 15.5.1922. ACLS Records, Box A 3, LC, MSS. 27 Memorandum on the Meeting of the Committee to Consider the Organization of a Research Council in Social Science, 24.2.1923. ACLS Records, Box A 3, LC, MSS.

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laden,28 und als die American Statistical Association, American Psychological Association sowie die American Anthropological Association dieser Einladung folgten, war das disziplinäre Spektrum der 1920er Jahre vertreten. Im Jahr 1924 erhielt der Social Science Research Council sein erstes Geld und einen rechtlichen Status.29 Die beiden Organisationen verfolgten zunächst eine freundlich-kooperative Politik. Konkurrenzsituationen sollten durch eine offene Kommunikation vermieden werden.30 Bei Studien und Projekten, die beide Vereinigungen betrafen, wurde versucht, die sozialen und geisteswissenschaftlichen Felder aufzuteilen: linguistische Aspekte an den ACLS, statistische an den SSRC.31 Man ging auf beiden Seiten davon aus, dass die Tätigkeitsfelder verschieden und die wahrzunehmenden Aufgaben deutlich waren. Während der ACLS aufgrund seiner Netzwerke in Europa ein internationales Profil hatte und der »anerkannte Repräsentant des amerikanischen Gelehrtentums im Ausland war«,32 sollte der SSRC sich spezifischen Problemen im sozialen Feld zuwenden: »any scientific work of investigation or research in any of the general fields of the social science«.33 In den internen Papieren hieß es pragmatisch, man könne schließlich keinen Vertrag abschließen, in dem alle zukünftigen Konfliktfelder und zu erwartenden Überschneidungen aufgelistet seien.34 Bald jedoch stellte sich heraus, dass das Terrain des Sozialen sich nicht ohne eine Debatte aufteilen ließ. Die Sozialwissenschaften formulierten ihre Rolle in der Gesellschaft, aber sie konkurrierten mit den Geisteswissenschaften, repräsentiert durch den ACLS, um Gelder und thematische Felder. Dieser Definitions- und Abgrenzungsprozess zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften betraf die Regionalwissenschaften in ihrem Kern. Im Rückblick lagen die Probleme auf der Hand. Zum einen überschnitten sich die Mitgliederorganisationen. Bis auf die Statistiker, Psychologen und Anthropologen waren alle anderen Vereinigungen des SSRC auch im ACLS vertreten. Dessen frühe Mitgliedsorganisationen entstammten zwar vor allem den Geisteswissenschaften, wie die American Philosophical Society, American Academy of Arts and Sciences, American Antiquarian Society, American Oriental 28 Minutes of the Meeting of the Social Science Research Council held at the University Club, Chicago, 10.11.1923. ACLS Records, Box A 3, LC, MSS. 29 Worcester, S. 20. 30 Waldo G. Leland an W. F. Willcox, 15.4.1927. ACLS Records, Box A 50, LC, MSS. 31 W. F. Willcox an Waldo G. Leland, 1.4.1927. ACLS Records, Box A 50, LC, MSS. 32 [Waldo G.  Leland] an Beardsley Ruml, 7.4.1926. ACLS Records, Box A 48, LC, MSS: »In international relations therefore the ACLS is the recognized representative of American scholarship.« Ruml war von 1922 bis 1929 Direktor des Laura Spelman Rockefeller Memorial (LSRM). 33 So die Formulierung bei der Gründung, 26.12.1924, zitiert in: Wesley C.  Mitchell an Joseph P. Chamberlain, Relations between American Council of Learned Societies and Social ­Science Research Council, Januar 1928. ACLS Records, Box A 50, LC, MSS. 34 Comments of E. C. A. on Letter of W. G. L. to Dr. Ruml [wahrscheinlich 1927]. ACLS Records, Box A 50, LC, MSS.

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Society, American Philological Association, Archaeological Institute of America, Modern Language Association of America, American Historical Association. Aber seit Beginn waren auch Gesellschaften einbegriffen, die den disziplinären Feldern der Sozialwissenschaften zuzurechnen sind, wie die American Economic Association. Auf der Gründungsversammlung des ACLS im September 1919 wurden die American Political Science Association, American Sociological Society und die American Society of International Law zur Teilnahme eingeladen, die alle die Satzung im Verlauf des Jahres 1920 ratifizierten.35 Zum anderen erwies sich, allen Kooperationsbemühungen zum Trotz, die Zuordnung von ethnologischen und historischen Fragen als problematisch.36 Die inhaltlichen Schwierigkeiten hatten sich seit Gründung des SSRC im Verhalten der Historiker angedeutet. Es war die AHA, die immer wieder für Konflikte bei internen Abstimmungen und der Aufgabenteilung zwischen ACLS und SSRC sorgte. Ihre Sensibilität lag in ihrem unklaren Status begründet. Sie wollte weder den Geistes- noch den Sozialwissenschaften zugeschlagen werden. Zu Unrecht waren Merriam und seine Partner davon ausgegangen, dass sie sich der Organisation unkompliziert anschließen würden.37 Die Historiker nahmen an der Gründungssitzung des SSRC nicht teil. Und sie hatten bereits zuvor deutlich gemacht, dass die Gründung einer neuen Wissenschaftsorganisation aus ihrer Sicht nicht nötig war. Stattdessen schlugen sie eine Art gemeinsame Arbeitsgruppe unter Federführung des ACLS vor. Ihr erklärtes Ziel war es, ein »Aufsplitten« der Geisteswissenschaften zur vermeiden.38 Im Jahr 1925 traten sie als letzte Vereinigung dem SSRC bei.39 Aber auch in der nachfolgenden Diskussion um die Aufteilung der Aufgabengebiete zwischen ACLS und SSRC behielten die Historiker ihre Vetopolitik bei, wenn der Eindruck entstand, sie sollten einer Seite »zugeschlagen werden«.40 Ende der 1920er Jahre fand diese erste Profilierungsphase ihren Abschluss. Nach einem Vorschlag des SSRC sollten Projekte, die aus der Archäologie oder Philosophie kamen, grundsätzlich an den ACLS verwiesen werden; Stipendien für historische Forschungen sollten auch vom SSRC vergeben werden können, wenn sie eine sozialwissenschaftliche Dimension aufwiesen.41 Auf Seiten des ACLS deutete sich die Beschränkung auf einen geisteswissenschaftlichen Kernbereich an. War bei der Gründung des ACLS die weitestmögliche Definition des Aufgabenbereichs gewählt worden, die von Wirtschaft und Soziologie bis

35 Leland. 36 W. F. Willcox an Waldo G. Leland, 1.4.1927. ACLS Records, Box A 50, LC, MSS. 37 Charles E. Merriam an Charles H. Haskins, 15.5.1922. ACLS Records, Box A 3, LC, MSS. 38 [Charles H. Haskins] an Charles E. Merriman, 10.5.1923. ACLS Records, Box A 3, LC, MSS. 39 Worcester, S. 20. 40 Waldo G. Leland an Carlton J. H. Hayes, 24.1.1928. ACLS Records, Box A 50, LC, MSS. 41 Wesley C.  Mitchell an Joseph P.  Chamberlain, Relations between American Council of ­Learned Societies and Social Science Research Council, Januar 1928. ACLS Records, Box A 50, LC, MSS.

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Linguistik, Philosophie und Archäologe reichte, begann nun die Ausgliederung der Sozialwissenschaften. Der ACLS konzentrierte sich insbesondere auf Philosophie, Philologie, Lite­ ratur, Linguistik, Orientwissenschaften, Kunst, Archäologie und Geschichte. Letztere wurde explizit »als zu beiden Gebieten gehörig« definiert.42 Die Sozialwissenschaften wurden abgegeben: »it will in general leave to the Social Science Research Council the planning of active investigations in the social sciences, and also the task of aiding individual projects of research in those fields.«43 Das Abstecken des Terrains zog die Institutionalisierung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Organisationen nach sich. Das Committee of Conference wurde gegründet, das aus einem Vorsitzenden und Geschäftsführer pro Organisation bestand und die gemeinsame Arbeit koordinieren sollte.44 Die Vermessung des Terrains erfolgte kooperativ und im Ergebnis fast reibungslos. Die Ende der 1920er Jahre definierte Grenze zwischen den beiden Organisationen wollte der ACLS vor allen Dingen als etwas Verbindendes verstanden wissen. In der 1929 mit dem SSRC formulierten Übereinkunft zum »Geltungsbereich« hieß es: »This does not mean that the two Councils are endeavoring to establish  a line of demarcation between the ›humanistic‹ and the ›social‹ sciences, for to do so would be a retrograde movement, inconsistent with the scientific conception of the unity of knowledge. It means rather that the two bodies, in view of the immense territory that is to be cultivated, have agreed to concentrate on different areas within that territory, and to cooperate or act in consultation with each other in dealing with projects or interests that lie in both areas or that fall within the borderland between them.«45

Zu den wichtigsten dieser disziplinären Grenzobjekte gehörten die Area S­ tudies. Der Aushandlungsprozess markierte den Beginn ihrer interdisziplinären Organisation auf wissenschaftspolitischer Ebene. Zunächst galten die Initiativen im Bereich der Area Studies als eine Angelegenheit des ACLS. Ungeachtet der sich abzeichnenden Erweiterung,46 waren sie für den SSRC als ein vor allem philologisches Konzept nicht interessant. Darüber hinaus wollte der SSRC nicht mit der Kommunikation zwischen amerikanischen Sozialwissenschaftlern und ausländischen Staaten betraut sein, sondern sich mit sozialen Problemen innerhalb der USA beschäftigen. Eine sozialwissenschaftliche Expertise mit Bezug auf Afrika oder Asien wurde nicht angestrebt. Das Konzeptpapier, das Ende der 1920er Jahre eine erste Definition der Aufgaben vornahm, schlug nicht nur 42 [O. A.], Definition of scope; agreement with Social Science Research Council, in: ACLS Bulletin, Bd. 9, 1929, S. 11 f., hier: S. 12: »being common territory of both Councils«. 43 Ebd. 44 Ebd, S. 12. 45 Ebd., S. 11 f. 46 Mortimer Graves, The Development of Far Eastern Studies and American Scholarship, July 1924. ACLS Records, Box B 24, LC, MSS.

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die internationale Kommunikation, sondern auch die Beschäftigung mit fernen Kulturen dezidiert dem ACLS zu: »The Social Science Research Council doesn’t seek to represent the Amercian social-science associations in dealing with foreign societies.«47 Der SSRC konzentrierte seine interdisziplinär-sozialwissenschaftliche Kompetenz auf inneramerikanisch ausgerichtete Studien und Kommissionen. Das erste regionale Committee des SSRC und groß angelegte sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte widmeten sich den Südstaaten.48 Aber diese Expertise bei gleichzeitiger Institutionalisierung der Zusammenarbeit bildete die Grundlage für die Weiterentwicklung der Area Studies, die zum intensivsten Gebiet der Zusammenarbeit zwischen ACLS und SSRC wurden – angefangen mit Lateinamerika. Seit den 1930er Jahren gab es leistungsfähige Programme in diesem Bereich.49 Im Jahr 1941 erfolgte, nach intensiver Überzeugungsarbeit Lelands und sicher nicht ohne den Druck des Kriegs die erste Gründung eines gemeinsamen Area-Komitees zwischen SSRC und ACLS, des Joint Committee on Latin American Studies (JCLAS).50 Nach dem Krieg wurden bis weit in die 1960er Jahre hinein gemeinsam von ACLS und SSRC weitere dieser sogenannten Joint Area Committees gegründet, die während des Kalten Kriegs die zentralen Agenturen der Area Studies darstellten.51 Der ACLS gab seine Führungsrolle zur Koordination der Area Studies an den SSRC ab. Graves hatte die Entwicklung Mitte der 1930er Jahre vorausgespürt und diese Zäsur beschrieben: »I should like the ACLS take the lead, and, in particular, establish and maintain the center of guidance and coordination in America«, notierte er im Jahr 1934. »But if the Council should not maintain the lead which it has already acquired, some other body will have to assume it.

47 Wesley C.  Mitchell an Joseph P.  Chamberlain, Relations between American Council of ­Learned Societies and Social Science Research Council, January 1928, S. 3. ACLS Records, Box A 50, LC, MSS. 48 Vgl. insbes. die bahnbrechende Datensammlung und ihre Auswertung, Odum, Southern Regions; Odum, The State. Das Southern Regional Committee, das das Projekt gefördert hatte, funktionierte von 1929 bis 1947, vgl. Worcester, S. 42. 49 Ebenso Programme für »Oriental Civilizations«, vgl. Hall, Area Studies, S. 17. Hier auch zu den Programmen im Bereich der American Studies, von denen mindestens zehn der 1946 existierenden Programme für American Civilization und American Studies auf das Jahr 1935 zurückgingen. 50 ACLS Bulletin, Bd. 33, 1941, S. 5. Die Sitzung fand am 10.1.1941 statt, vgl. ebd., S. 118 f. Dagegen wird in der Forschung zumeist 1942 angegeben, wohl das Jahr, in dem das Komitee seine Arbeit aufnahm, Delpar, S. 117; Worcester, S. 42. Vgl. zum Kontext Loschke, Area ­Studies, S.  80–84. 51 Worcester, S. 42: In der Reihenfolge: Latin American Studies (1942–48), Near and Middle East Studies (1951–59), Slavic and East European Studies (1948–71), Southern Asia (­ 1949–53), Africa (1960–96), Contemporary China (1959–81), Japan (1967–96), Korea (1967–96), Latin America (1959–96), Near and Middle East (1959–96), Soviet Union (1971–77; 1­ 983–96), ­Western Europe (1975), South and Southeast Asia (1976).

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America and American scholarship are suffering because there was no organization like the Council to undertake the task a generation ago.«52 Innerhalb einer Generation war ein Wissensfeld entstanden, dessen strategische Weiterentwicklung nun vor allem eines erforderte: eine Sicherstellung des wissenschaftlichen Charakters. Graves diagnostizierte, dass insbesondere die Nähe zur Politik und die Tendenz zur Bürokratisierung des Feldes dies nötig machten: »Obviously some of these operations approach rather closely to the edge of propaganda. Also, they would offer ample opportunity for the development of a cumbersome machinery demanding to be kept in motion for its own sake, and even for personal advertising and aggrandizement on the part of those operating it.«53 Die weitere Entwicklung sollte Graves Recht geben. Die in den 1920er Jahren begonnene Zusammenarbeit intensivierte sich im Zweiten Weltkrieg. Sie schloss staatliche Institutionen und Geheimdienste ein und umfasste Institutionalisierungsversuche mit wechselnden Koalitionen. Der SSRC bildete 1943 ein Committee on World Regions, dessen Aufgabe es angesichts der Kriegsnotwendigkeiten war, den Nutzen der Area Studies auszuloten: »The present war has focused attention as never before upon the entire world. Interest in foreign regions has been intensified and sharp attention drawn to areas over which we have felt little or no concern. The immediate need for social scientists who know the different regions of the world stands second only to the demand for military and naval officers familiar with the actual and potentials combat zones.«54

Das Komitee arbeitete nur kurz, da bereits ein Jahr zuvor, im Juni 1942, das Ethnogeographic Board (1942–1945) gebildet wurde, gemeinsam mit SSRC, ACLS und NRC, und in Teilen von Carnegie und Rockefeller mitfinanziert.55 Die Leitdisziplinen der Auseinandersetzung um die Area Studies waren nun nicht mehr die Philologien, sondern die Anthropologie. Eine umfassende Umsetzung fand diese Konstellation in den Programmen zur Ausbildung von Armeeangehörigen und dem Personal für die zukünftigen Besatzungsbehörden ab 1942. 3.1.2 Der »cultural approach«56 im Kriegseinsatz Wenige Monate nach Pearl Harbor, im Frühling 1942, setzte der Provost Mar­ shal General die Ausbildungsfrage für Mitglieder der zukünftigen Besatzungsbörden auf seine Agenda. Eine eigene Abteilung, die Military Govern52 Mortimer Graves, A Program for the Development of Far Eastern Studies in America, August 1934. ACLS Records, Box B 24, LC, MSS. 53 Ebd. 54 SSRC, Committee on World Regions, World Regions in the Social Sciences. Report of a Committee of the SSRC, New York 1943, S. 1. Vgl. Worcester, S. 207. 55 Farish, S. 56 ff. 56 Margaret Mead an Clyde Kluckhohn, 16.2.1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS.

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ment Divison, sowie eine eigene auf dem Campus der University of Virginia in Charlottesville angesiedelte Ausbildungsstätte, die School of Military Government, wurden eingerichtet. Im Herbst begann die konzeptionelle Arbeit an den Lehrplänen.57 Die Programme unterstanden der Military Government Division, deren Aufgabe vor allem Sicherheitsfragen und die Kontrolle feindlicher Ausländer war. Bis zur Gründung der Abteilung für Civil Affairs im Kriegsministerium hatte sie das Monopol für Ausbildungsfragen und die Planungen für die Militärregierung.58 Im Dezember 1942 gaben Armee und Marine das Programm in einem »Joint Statement of the Secretary of War and the Secretary of Navy on Utilization of College Facilities in Specialized Training for the Army and Navy« bekannt.59 Im Januar 1943 wurden die ersten internen Konzeptpapiere erstellt, welche die Dauer der Ausbildung auf neun Monate mit 48 Wochenstunden ansetzten, davon 16 Stunden Sprachunterricht und zwanzig Stunden »area study«.60 Im Frühling 1943 begann der Aufbau des auf zwölf Wochen angelegten Ausbildungsprogramms, das an insgesamt 227 Universitäten durchgeführt wurde.61 Die ASTP-FALS (Army Specialized Training Programs – Foreign area and language study) waren an 55 Institutionen Teil der Ausbildung. Der Schwerpunkt lag auf den westeuropäischen Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch.62 Die Kurse waren breit angelegt und richteten sich sowohl an Bodentruppen als auch an Air Force, Military Intelligence Service, Signal Corps und das Department des Provost General. Die Teilnehmer mussten eine moderne Sprache und einen Collegeabschluss vorweisen; die Ausbildungssprache war, zumindest am Anfang, nicht frei wählbar.63 Nachdem Diskussionen über die Zusammenarbeit von Militär und Universitäten und institutionelle Kompetenzstreitigkeiten zu einem produktiven Ende gekommen waren, liefen die Programme gut an: Ende Januar 1944 scheinen die

57 Hyneman, S. 434 f.; Grace, S. V f. Im Unterschied zur Armee hatte die zumeist in der Forschung weniger berücksichtigte Marine bereits früher Schulen und Programme gegründet, vgl. insbes. zur Navy Japanese Language School (Kursbeginn im Oktober 1941), zu den Navy Schools of Military Government and Administration (Columbia University ab Sommer 1942), Princeton University ab Oktober 1944), Matthew, S. 14 ff. 58 Im März 1943 wurde die Civil Affairs Division im War Department General Staff gegründet, Hyneman, S. 435. 59 Keefer, S. 37. 60 MGD, PMG, Tentative Plans for Training of Officer Candidates preparing for Service in Occupied Territory under the Army Specialized Training Program (Confidential), 29.1.1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. Hier auch zu den weiteren Fächern. 61 Zum Aufbau vgl. Keefer, S. 44 ff. Graduierte konnten an die Officer Candidate Schools gehen oder an technische Ausbildungszentren, ebd., S. 54. 62 Für Aufteilung und Statistik der unterrichteten Sprachen vgl. Agard, S. 7 f.; Keefer, S. 48. Für eine Liste aller am ASTP teilnehmenden Institutionen, Matthew, S. 177. 63 Agard, S. 12 f. Dagegen Cardozier, S. 33 (ohne Quellenangabe).

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Teilnehmerzahlen mit 13.357 am höchsten gelegen zu haben.64 Allerdings hatten schon im Herbst 1943 erneut interne Diskussionen über die Notwendigkeit der Ausbildung und die Anzahl der Teilnehmer begonnen, die zu radikalen Einschnitten und dem Ende der Europa-Programme im Winter 1944 führten. Der Hauptgrund dafür war, dass die ASTP-Teilnehmer an der Front gebraucht wurden. Die Far Eastern Programs liefen noch ein Semester weiter.65 Die Leitung der einzelnen Programme lag, sowohl bei den CATS als auch den ASTP, in den Händen von Historikern und Sozialwissenschaftlern.66 Aus sicherheitstechnischer und militärischer Notwendigkeit heraus konzipiert, beschäftigten sich die Programme vor allem mit den Kriegsgebieten Europa und Ferner Osten. Dabei unterschieden sich die Army Specialized Training Programs (ASTP) von den Civil Affairs Training Schools (CATS), sowohl im Umfang als auch in Inhalt und Organisation der Ausbildung. Die für Offiziere, aber auch Experten aus dem zivilen Leben konzipierte Ausbildung im Rahmen der CATS war an Aufgaben im Bereich der Militärregierung und -verwaltung orientiert. Europa-Programme wurden in Harvard, Yale, Pittsburgh, Michigan, Stanford, Chicago, Boston, Wisconsin, an der Northwestern und der Western Reserve University realisiert. Harvard, Yale, Michigan, Chicago, Stanford und Northwestern setzten auch ein Fernost-Programm um.67 Die Curricula in beiden Programmen ähnelten sich. Im Europäischen Programm lag der Schwerpunkt auf integrierten Kursen zur Geographie und Geschichte Deutschlands, zur politischen Theorie der Nationalsozialisten und zur Rassenkunde.68 Im Unterschied zu den ASTP wurde an den CATS eine problemorientierte Gruppenarbeit eingeführt, die konkrete Situationen aus den besetzten Gebieten zum Thema hatte und den zumindest zu Beginn wenig interessierten Studenten die Bedeutung der Area-Expertise vor Augen führen sollte.69 Die Ausbildungszeit betrug anfänglich drei bis vier Monate, wurde dann aber gekürzt.70 Alle Programme verbanden eine Sprach- mit einer regionalwissenschaftlichen Ausbildung.71 Die Organisation der Sprachausbildung wurde Mortimer Graves übertragen, unter dessen Federführung Anfang der 1940er Jahre ein innovatives Programm für »seltene Sprachen« entstanden war. Bereits vor dem Kriegseintritt der USA hatte der ACLS 1941 gemeinsam mit der Linguistic ­Society of America (LSA) ein Intensive Language Program (ILP) umgesetzt, das 64 Cardozier, S. 40 (nach: Annual Report of the Armee Service Forces for the FY 1944, Washing­ ton DC: U. S. Government Printing Service 1944). 65 Keefer, S. 157 ff.; 171; 188; Fenton, Area Studies, S. 80. 66 Fenton, Area Studies, S. 227. 67 Matthew, S. 91 ff. 68 Vgl. Fenton, Area Studies, S. 50. 69 Matthew, S. 97. 70 Keefer, S. 48. Für einen Überblick über einige spezifische Programme und Kurse vgl. Fenton, Area Studies. 71 Angiolillo, S. 229 ff.

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nun das Rückgrat für die Sprachausbildung der Kriegsprogramme bildete. Finanziert wurde es über zwei seit 1939 laufende Rockefeller-Grants in Höhe von jeweils 50.000 Dollar.72 Linguisten erstellten Sprachführer, Lehrbücher und Unterrichtskonzepte für Sprachen, die vorher kaum oder gar nicht unterrichtet wurden mit dem Ergebnis,73 dass im Sommer 1942 in 56 Kursen an 18 Universitäten 26 Sprachen an mehr als 700 Studierende vermittelt wurden.74 Darunter waren neben den Klassikern Chinesisch, Russisch und Japanisch auch Türkisch, Arabisch, Mongolisch, Amharisch, Hausa, Persisch, Suaheli und Thai. Der Fokus der Sprachprogramme lag ebenso wie im ASTP auf dem Sprechen mithilfe der sogenannten drill method, die an sechs Tagen der Woche für täglich zwei Stunden durchgeführt wurde.75 Dabei handelte es sich um die ILP-Formel, die zwei bis drei Trainingseinheiten von sechs Wochen mit 15 Stunden pro Woche vorsah.76 Diese experimentelle Methode galt als Revolution und sorgte dafür, dass um die Sprachprogramme der Mythos entstand, es sei eine magische Formel für die Vermittlung schwieriger Sprachen gefunden worden.77 Für die Initiatoren des Sprachprogramms und insbesondere Graves handelte es sich bei diesen Programmen nur um einen ersten Schritt auf dem Weg zur Gründung einer US-amerikanischen National School of Modern Oriental Languages and Civilizations nach europäischem Vorbild.78 Für die Area-Ausbildung war der Council on Intercultural Relations um die Anthropologen Gregory Bateson, Margaret Mead und Ruth Benedict um ein Konzeptpapier gebeten worden.79 Im Januar 1943 hatte Mead ein erstes Memo­ randum für Colonel Herman Beukema, Professor of Government, History, and Economics an der Militärakademie und Leiter der ASTP, verfasst. Der Vorschlag enthielt neben einer genauen Aufschlüsselung von Universitäten und zu unterr­ichtenden Areas auch die Anzahl der pro Programm und Universität zu 72 Report of the First Year’s Operation of the Intensive Language Program of the American Council of Learned Societies, written by Mortimer Graves, Chairman of the National School of Modern Oriental Languages and Civilizations, and J. M. Cowan, Director, Intensive Language Program, 20.12.1942, abgedruckt, in: Joos. Vgl. Keefer, S. 13 ff.; Seuren, S. 194 ff.; Price, Anthropological Intelligence, S. 76 ff. 73 Vgl. Halle. 74 Die in den verschiedenen Quellen genannten Zahlen variieren leicht. So spricht Hyneman von 15 Universitäten und Colleges und 16 Sprachen, die im Rahmen dieser Kurse unterrichtet wurden, vgl. Hyneman, S. 436 ff 75 Für eine Darstellung der Ziele und des Ablaufs der Sprachstunden vgl. Matthew, S. 64 ff. Vgl. Cowan u. Graves. 76 Cowan u. Graves. 77 Agard, S. 6 f.; für eine kritische Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Überbewertung der Methode, Angiolillo, S. 199 ff. 78 Graves u. Cowan, S. 111 f. 79 Er war 1940 aus der American Anthropological Association hervorgegangen. Weitere Mitglieder waren Alfred Métraux, Philip Moseley. Nach dem Krieg gründeten Mead u. a. daraus das Institute for Intercultural Studies, vgl. zur Bedeutung die Nachweise Nakayama u.­ Halualani.

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unterrichtenden Studierenden – insgesamt 400 Männer sollten in diesen Kursen Grundlagen in Anthropologie und Geographie sowie Sprachkenntnisse erhalten. Die Kurse sollten 18 Monate dauern. Die ersten sechs Monate sollten der Grundlagenausbildung dienen; die zwölf folgenden Monate der Spezialisierung gewidmet sein.80 Schon in diesem ersten und wenig an den Fristen und Vorstellungen des Militärs ausgerichteten Vorschlag waren die unterschiedlichen Interessen von Anthropologen und Armeeangehörigen deutlich geworden. Crashkurse mit praktischer Ausrichtung konnten schwer als Ausbildungseinheiten für das grundsätzlich neue Kulturverständnis dienen, das die Anthropologen vermitteln wollten. Dennoch sahen die Wissenschaftler von Anfang an in der Zusammenarbeit mit dem Militär nicht nur eine Serviceleistung, sondern auch eine Chance, den Kern ihrer Disziplin zu vermitteln. Margaret Mead, Gregory Bateson, Clyde Kluckhohn und Ruth Benedict wollten mit ihrem ausführlichen Konzeptpapier und der hoch professionell gestalteten Materialsammlung Grundlagen für ein neues Kulturverständnis legen: »to apprehend culture as it is concretely apprehended in terms of peoples behavior, instruction in cultures as wholes«.81 Das im März 1943 eingereichte Memorandum umfasste schließlich 17 Einzelberichte zur Methodik, die angefangen vom Einsatz »lebender Quellen« bis hin zur Verwendung von Radiosendungen und Photographien eines deutlich machten: Kultur sollte nicht als eine Art Container von Sitten und Gebräuchen vermittelt werden, sondern als ein dynamisches Sinnsystem und Netz miteinander verbundener Interpretationsmuster. Der durchschnittliche amerikanische Kursteilnehmer ohne interkulturelle Erfahrung sollte in einem mehrstufigen Erkenntnisprozess von einem statischen und intuitiv-emotionalen Verständnis von Kultur abgebracht werden. Er sollte zunächst Kultur als ein erworbenes Set von miteinander verbundenen Grundannahmen erkennen, in einem zweiten Schritt die Logiken von Emotionen als Handlungsmodi begreifen, um schließlich Kultur als eine Folie (»screen«) beschreiben zu können, die auch das eigene Verhalten in einer fremden Kultur prägt. »Any culture is a system of e­ xpectancies«, resümierte Clyde Kluckhohn.82

80 Margaret Mead, Memorandum for Colonel Beukema. Allotment of Soldiers to be Trained in Anthropology as Regional Specialists Under the Army Specialized Training Program, January 1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. In einem wahrscheinlich früheren Papier setzte Mead die Ausbildung der Soldaten zu »ethnogeographic specialists« auf zwei Jahre an, vgl. Margaret Mead, Proposal for Allotment of Soldiers to Become Regional Ethnogeographic Specialists under the Army Specialized Training Programs. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. Vgl. dazu Price, Anthropological Intelligence, S. 79 ff.; zu Meads Nationalcharakteren und ihrer Entwicklung in den Kriegsnetzwerken, Mandler, S. 124 ff. 81 Ruth Benedict an Gregory Bateson, 8.3.43. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 82 Clyde Kluckhohn, On the Use of Culture Contact Situations in Regional Training (= Sug­ gested Materials for Training of Regional Specialists Army Program), hier: S. 2. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. Vgl. Price, Anthropological Intelligence, S. 8.

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Das Programm basierte auf einem theoretisch anspruchsvollen »cultural a­ pproach«.83 Seine Notwendigkeit versuchten die Anthropologen gegen die zu erwartende Kritik aus dem Büro des Provost Marshal General mit einem Argument zu rechtfertigen, an dessen Überzeugungskraft für das Militär sie nicht zweifelten: Hätten die »zivilisierten Nationen« auf der Grundlage ähnlicher Studien die »zurückgebliebenen Nationen« besser verstanden, wäre Pearl Harbor zu vermeiden gewesen.84 Inwiefern die Vorstellungen der Anthropologen umgesetzt wurden und die Kurse integrative Konzepte verfolgten, lässt sich nicht für alle Universitäten und Kurse in ihrer Gesamtheit beantworten. Fest steht, dass nach einer Phase der engen Zusammenarbeit zwischen dem Council on Intercultural Rela­tions, wohl auf Initiative insbesondere des Politologen Charles E.  Hyneman von der Louisiana State University, der im Office of the Provost Marshal General als Chief of the Training Branch für das Programm zuständig war, andere Aspekte und Personen in der Programmformulierung wichtiger wurden.85 Der von B ­ enedict formulierte Vorschlag, ein Zentrum zur Ausbildung der Dozenten zu gründen, wurde nicht umgesetzt.86 Die anfängliche Überlegung, zusätzlich zum Council of Intercultural Relations das Ethnogeographic Board prominent mit einzubeziehen, wurde ebenfalls nicht weiterverfolgt.87 Dass die institutionelle Kooperation mit dem Ethnogeographic Board nicht zu Stande kam und auch die Zusammenarbeit mit den Anthropologen zurückging, sollte allerdings nicht zur Unterschätzung ihrer Rolle führen. Das Kriegsministerium verhandelte nun zwar mit den Vertretern der programmleitenden Universitäten.88 Ungeachtet dessen erhob der erste Lehrplanentwurf, der im Frühling 1943 in Charlottesville diskutiert wurde, das »Special Knowledge of Characteristics and Conditions of Areas of Occupation« zum ersten Lernziel und gab in einer beigefügten Liste mit Schwerpunkten eine genaue Vorstellung von diesem zu vermittelnden Wissen.89

83 Vom »cultural approach« sprach Mead in der vorbereitenden Korrespondenz zu dem Bericht mit Kluckhohn, Margaret Mead an Clyde Kluckhohn, 16.2.1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 84 Kluckhohn, On the Use of Culture Contact Situations, S. 3. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 85 Maßgeblich für die Programmentwicklung war insbes. der Politologe Harold Stoke (Provost General Marshal Office), der die Kurse quer zu den Departments entwickelte, vgl. Cardozier, S. 32; Hyneman, S. 348. 86 Ruth F. Benedict, On the Role of the Faculty Instructor Concerned with the Use of Living Subjects (= Suggested Materials for Training of Regional Specialists Army Program), hier: S. 1. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 87 Margaret Mead an Carl Guthe, 24.2.1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 88 Ebd. 89 MGD, PMG, Army Service Forces, Division Memorandum Training Circular No. 2, 10.4.1943, in: Matthew, S. 58 ff. Im ersten Entwurf von Januar  – zu Beginn der Diskussionen  – war die Reihenfolge der Ausbildungsschwerpunkte noch umgekehrt. An erster Stelle stand die Sprachausbildung, vgl. MGD, PMG, Tentative Plans for Training of Officer Candidates

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Die Vermittlung der theoretischen anthropologischen Grundlagen, für die Mead sechs Monate angesetzt hatte,90 erwies sich im weiteren Verlauf allein aus Zeit- und Personalgründen als schwierig. Nicht zuletzt verlagerten sich die Schwerpunkte der Kurse, die sich seit Beginn durch ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Sprach- und Areakompetenz auszeichneten, zuungunsten der letzteren. Während das erste Curriculum (Nummer 705) auf der interdisziplinären Vermittlung der Area als einer Gesamteinheit beruhte und die Sprache als nachrangig ansah, setzte das zweite Curriculum (Nummer 704) in der Abkehr vom integrierten Ansatz den Schwerpunkt auf die Sprachausbildung und Kurse, die nach Fächern und Disziplinen unterteilt waren.91 Grundlage hierfür war der Kurs »area characteristics« und dessen Ziel »to integrate significant knowledge about the people of foreign areas and the way they live was designed by a group of social scientists working under a political scientist«.92 Die spätere Unterteilung der Area-Kurse nach Geographie, Geschichte und Institutionen wurde an vielen Universitäten als Rückschritt empfunden.93 Das Verhältnis der Unterrichtsanteile kehrte sich mit dem Curriculum 71 in 60 zu 40 um.94 Die zu Beginn der Programme euphorisch formulierten Ziele wurden von der Realität eingeholt. Zeitgenössische Evaluationen und die persönlichen Erinnerungen der Teilnehmer belegen den Improvisationscharakter der Kurse.95 Angesichts der äußeren Umstände ist dies nicht verwunderlich. Die Kriegsprogramme entstanden unter großen technischen und organisatorischen Schwierigkeiten. Die Kurse wurden im Jahr 1943 zwischen Wissenschaftlern und Militärs vor Ort an den Universitäten ad hoc ausgehandelt. Es galt Materialien zu erstellen, die Zusammenarbeit von verschiedenen Disziplinen in einem Regional­programm zu organisieren, die besten Formen der Lehre zwischen Machbarkeit und akademischen Ansprüchen zu finden. Der Lehrplan glich einem Kompaktkurs in preparing for Service in Occupied Territory under the Army Specialized Training Program (Confidential), 29.1.1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 90 Margaret Mead, Memorandum for Colonel Beukema. Allotment of Soldiers to be Trained in Anthropology as Regional Specialists Under the Army Specialized Training Program, January 1943. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 91 Curriculum 704 Foreign Area and Language Studies (Effective: 12 June 1943), in: Matthew, S. 182 f. Curriculum 705 Foreign Area and Language Studies (Effective: 13 April 1943), in: ebd. 92 Fenton, Area Studies, S. 1. 93 Ebd., S. 40. 94 Curriculum 71 Foreign Language and Area Studies (Effective: 11 October 1943), in: Matthew, S. 182. Fenton, Area Studies, S. 39. Allerdings lässt sich die Bedeutung der Curricula für den Unterricht schwer feststellen. Selbst welche Institution in welchem Monat nach welchem Curriculum unterrichtete, ist nur im Einzelfall zu eruieren: Curriculum 704 soll lt. Fenton, 1947 noch vor Inkrafttreten zurückgezogen worden sein. Einige Institutionen legten ihn dennoch zugrunde, andere erhielten die Erlaubnis, bis zum Ende des ersten Semesters weiter nach 705 zu unterrichten, ebd. S. 39 f. 95 Vgl. zusammenfassend insbes. den Bericht der MLA (Agard) und des Ethnogeographic Board (Fenton, Area Studies).

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Landeskunde mit einem intensiven Sprachunterricht, der sich zudem, was das Personal anbetraf, an den örtlichen Kapazitäten und An- und Abwesenheiten möglicher Dozenten orientieren musste. Die Leiter der Programme hatten zumeist die Wahl zwischen der Rekrutierung ausgebildeter Akademiker ohne Regionalkompetenz oder Regionalspezialisten ohne didaktische und akademische Erfahrung. Lehrer wurden aus dem Ruhestand zurückgeholt, Flüchtlinge aus Deutschland eingesetzt, Wirtschaftsspezialisten und Anwälte herangezogen, deren Unterrichtskompetenz sich als völlig unzureichend erwies. Archäologen unterrichteten Geographie, ein Anthropologe übernahm die Einführung in die NS-Rassenlehre.96 Die zahlenmäßig stark repräsentierten Historiker erwiesen sich grundsätzlich als schwierige Kooperationspartner, da sie sich unwillig zeigten, ihren Unterricht auf Zeitgeschichte zu konzentrieren. Der letzte und maßgebliche Lehrplan 71 sah einen Kurs »Contemporary History, 1914 to the Present« vor, der einen Fokus auf Europa und Asien und gleichzeitig einen »globalen Charakter«, haben sollte, allerdings kaum unterrichtet wurde.97 Neben dem Unterrichtspersonal fehlten geeignete Kursunterlagen, wie Einführungs- oder Überblicksdarstellungen oder auch einfach Grammatiken. Insbesondere für Kurse, die sich dem Fernen Osten widmeten, gab es so gut wie kein Material. Dies änderte sich im weiteren Kriegsverlauf mit der Konfiszierung von japanischen Filmen, die im Unterricht verwendet wurden. Filme und andere visuelle Unterrichtsmaterialien erwiesen sich als didaktisch besonders effektiv: Nachrichtenausschnitte aus Deutschland, aber auch die »langen russischen Historienfilme«, vermittelten in den Kursen der Cornell University einen »graphic sense of the meaning of cultural relativity«. Allzu große Unterschiede zwischen den Ländern wurden dabei nicht gemacht: Ein Film über schwedische Bauern konnte auch das Landleben in Finnland illustrieren.98 Obgleich generelle Aussagen über den Erfolg der Programme schwierig sind, scheint doch, trotz einiger positiver Erinnerungen bezüglich der erworbenen Sprachkompetenzen,99 die Kritik auf Seiten der Armeeangehörigen zu überwiegen. Gängige Meinung war, dass das vermittelte Wissen irrelevant gewesen sei, »historisch« und »akademisch«.100 Die Arbeitsanforderungen schienen den Teilnehmern zu hoch gesteckt. Die Teilnehmer des Civil Affairs Training Programs beklagten sich über den engen Stundenplan. Nach den Sprachkursen am Morgen waren die Area-Kurse, die am Nachmittag in Form von problemorientierten Vorlesungen oder Gruppenarbeit stattfanden, durch Desinteresse und den Mangel an Aufmerksamkeit gekennzeichnet, wie der Berichterstatter des 96 Fenton, Area Studies, S. 11 f.; 43. 97 Ebd., S. 41. Matthew, S. 77: Ebenso wie der zweite thematisch angelegte Kurs »Area Study« sollte er über alle drei Semester gehen. 98 Fenton, Area Studies, S. 71; 74. 99 Keefer, S. 110. 100 Fenton, Area Studies, S. 12; 60.

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Ethnogeographic Board nicht ohne Erstaunen beobachtete.101 Der Arbeitsaufwand war zwar in der Tat beträchtlich.102 Aber der Eindruck der Teilnehmer, bereits nach zwölf Stunden Vorlesung oder Seminar über Japan, Deutschland oder Italien »überausgebildet« zu sein, erklärt sich wohl am besten aus dem Gefühl, auf die anstehenden Aufgaben in den jeweiligen Ländern nicht angemessen vorbereitet zu werden.103 In diesem Rahmen konnte die von den Anthropologen anvisierte Professionalisierung und Verstetigung der Kurse nicht erfolgen. Dennoch waren die Theoretisierung des Kulturkontakts und die konkreten Unterrichtsvorschläge wichtige Stationen auf dem Weg der Institutionalisierung der Area Studies in den USA, wie die folgenden Jahrzehnte zeigen sollten. Dass wissenschaftliche und administrative Interessen dabei ebenso wie in den kolonialwissenschaftlichen Debatten Ende des 19. Jahrhunderts direkt ineinandergreifen, belegt nicht nur der Kriegskontext, sondern auch das Verständnis der Konzepte. So galt insbesondere der direkte Einsatz von Mitgliedern der zu unterrichtenden Kultur, der sogenannte »informant’s view on culture«, als innovativ und wurde als Unterrichtsmethode in den ASTP-FALS ausprobiert und nachweisbar zumindest in zwei CATS eingesetzt.104 Auf den ersten Blick mag es sich dabei um eine Parallele zur Sprachausbildung handeln, die den Überlegungen des Anthropologen Franz Boas folgte, nach denen die Imitation eines Muttersprachlers der beste Spracherwerb sei.105 Aber im Rahmen des »cultural approach« war der Eingeborene auch ein »Informant«. Denn in der Verwendung von »lebenden Quellen« sollte der Kursteilnehmer lernen wie der Bewohner des fremden Landes zu denken. In Rollenspielen wandten die Armeeangehörigen gemeinsam mit den »lebenden Quellen« ihr Wissen und ihre Kulturkompetenzen aktiv an.106 Der Wiedererkennungseffekt in der Region bildete die Voraussetzung für ein funktionsfähiges Besatzungsregime. Wenn ein Amerikaner in einem fremden Land nicht entscheiden kann, ob eine Gruppe von beieinanderstehenden Menschen arbeitet, sich unterhält oder eine Sabotageaktion vorbereitet, kann er das Land nicht effizient verwalten

101 Ebd., S. 51. Fenton bezieht sich auf eine Vorlesung zum Wirtschaftssystem Deutschlands, während derer der Dozent regelmäßig auf das Pult schlug, um die Klasse aufzuwecken. 102 Keefer, S. 265 ff. Vgl. für Erlebnisberichte ders., S. 112 f . 103 Borton, S. 2. Borton, Japan-Spezialist und Verfasser des Borton-Memorandums (1943), unterrichtete in Charlottesville und war im State Department tätig, vgl. Iriye, S. 149 ff. 104 Fenton, Integration, S. 704 f. 105 Matthew, S. XII. Diese kulturanthropologische Richtung prägte auch die von Boas und Bloomfield 1924 gegründete Linguistic Society of America, vgl. Joos. Zur Verbindung von Sprachpraxis und Kulturkonzept bei Boas vgl. Briggs. 106 Vgl. die Berichte, Margaret Mead, General Considerations [on the Use of Living Sources in Regional Training]; Ruth F. Benedict, On the Role of the Faculty Instructor Concerned with the Use of Living Subjects (= Suggested Materials for Training of Regional Specialists Army Program). Mead Papers, Box M 25, LC, MSS.

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und regieren: »Every change for which the administrator strives must fit with the character of the people and their economic and geographical circumstances«.107 3.1.3 Ethnogeographic Board und Office of Strategic Services als Clearingstellen für Konzepte und Netzwerke Die in den USA praktizierte kriegsspezifische Feind- und Landeskunde war kein Spezifikum der amerikanischen Geschichte. Institutionalisierte Formen einer länderbezogenen Ausbildung gehören bereits zur Geschichte des Ersten Weltkriegs. Frankreich hatte – um nur ein Beispiel zu nennen – nach dem Ersten Weltkrieg das Centre d’études germaniques (Zentrum für Deutschlandstudien) mit einer interdisziplinären Ausbildung vor allem für Armee- und Verwaltungspersonal gegründet.108 Die Geschichte der französischen Germanistik, deren Vertreter an diesem Institut unterrichteten, zeigt darüber hinaus, wie der Impuls der Feindbeobachtung in Kriegs- und Propagandakontexten zum Entstehen einer Regionalwissenschaft als einer universitären Disziplin führen kann.109 Nur waren die französischen Kurse Einzelmaßnahmen und nicht Teil einer groß­ flächig angelegten und organisierten Institutionalisierung. In den USA bildete sich im Zweiten Weltkrieg in Kooperation mit den Universitäten eine institutionelle Landschaft heraus, die das Koordinatensystem für die weiteren Entwicklungen darstellten. Im Zentrum dieser Netzwerke standen das Ethnogeographic Board am Smithsonian Institution und das Office of Strategic Service. Unter der Leitung des Anthropologen William Duncan Strong (Columbia University) war das Ethnogeographic Board die entscheidende Clearingzentrale zwischen den Akteuren der Kriegs-Area-Studies, dem Militär und der Regierung, die Informationen und Spezialisten über nichteuropäische Kriegsländer benötigten, insbesondere über Afrika, Japan und Mikronesien. In den vorwiegend regional organisierten Unterkomitees arbeiteten Ethnologen, Linguisten und Geographen zusammen: African Anthropology, Anthropology of Oceania, Asiatic Geography, Investigative Language Program, Latin American Studies, Smithsonian War Committee. Seine Expertise lag vor allem im Pazifikraum. Nach der Kriegserklärung der USA an Japan arbeitete es zunächst informell und beantwortete Einzelanfragen, die von der Regierung und dem Militär weitergegeben wurden. Die steigende Nachfrage – im ersten Kriegsjahr handelte es sich um 700 Anfragen – führte zu Institutionalisierung und Professionalisierung.110 107 Gregory Bateson u. a., General Memorandum. On Supplementing the Regional Training Curriculum, hier: S. 8. Mead Papers, Box M 25, LC, MSS. 108 Defrance u. Falbisaner-Weeda. 109 Vgl. insbes. Marmetschke. 110 Henson, S. 28 ff: So soll z. B. das US-Militär vor Beginn der Schlacht um die Aleuten keine Karten und nur sehr wenig Informationen zu Siedlungen auf der Inselkette vor Alaska gehabt haben.

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Neben der Übersetzungstätigkeit (aus den verschiedenen Disziplinen),111 dem Erstellen von Einzelstudien und Statistiken112 bestand die Hauptaufgabe des Boards in der Identifizierung von Personen mit Area-Expertise und ihrer Auflistung in einem Namensverzeichnis, dem Ethnogeographic Area Roster, unter Leitung des Ethnologen und Spezialisten für die Kultur der Irokesen, William Fenton (Smithsonian Institution).113 In den Kommissionen des Ethnogeographic Boards wurden erste geographisch-anthropologische Definitionen der Area Studies verhandelt. Die Arbeit an der Bestimmung von Räumen und ihren Semantiken führte zur Konstruktion von »Weltregionen«, die an die Stelle der Kontinente traten und zur Grundlage der Area Studies wurden. Im Ethnogeographic Board wurde ihre militärisch-strategische Form festgelegt und im Ausgang von Kriegsnotwendigkeiten bestimmt. Die »Areas« der Area Studies waren kriegs- und wissenschaftspolitisch strategisch konzipierte Regionen zur Feinderkenntnis. Die grundlegende Frage des amerikanischen Geheimdienstes, ob dessen Aktivitäten funktional oder regional organisiert werden sollten,114 fand hier ihr geographisches Pendant. Und der Krieg der »Areas« war zunächst ein Krieg der Karten und ihrer Logiken. Dabei knüpfte die Idee der »Weltregionen« an Prozesse der Weltordnung an, die in das 19. Jahrhundert zurückreichen. Neue Räume wurden als funktionale Einheiten geschaffen, die, wie bereits das ältere Konzept »Lateinamerika«, das unter Napoleon III. politisiert wurde, das Korrelat imperialer Strategien waren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte auch die Zerlegung des »Orients« in »Naher Osten«, »Mittlerer Osten« und »Ferner Osten« eingesetzt, die sich in den Area Studies verfestigte. Die Arbeit des Ethnogeographic Board zeugt vom zweiten Entwicklungsschub der »Geopolitisierung der Erdbeschreibung«, die auf den Hochimperialismus folgte.115 Die Arbeit des Boards trug entscheidend dazu bei, dass sich in den 1940er Jahren das Konzept »Südostasien« als einer künstlichen Residualkategorie durchsetzte.116 Der Begriff, der schon für die 1830er Jahre in archäologischen und ethnologischen Kontexten nachgewiesen wurde, erhielt durch die Einrichtung eines South East Asia Command (SEAC) der Alliierten und den Bezug des Hauptquar-

111 Ethnogeographic Board, First Meeting, 3.10.1942. RAC, RF, RG 1.1. Ser. 200, Box 331, Folder 3939. Vgl. auch Farish, S. 56 ff. 112 Vgl. Survival on Land and Sea. Der Anlass für die Publikation war die Anfrage George Murdocks, der kritisierte, dass US-Soldaten im Pazifik verhungerten, weil sie nicht in Überlebenstechniken geschult waren und die Gegebenheiten vor Ort (z. B. essbare Pflanzen) nicht kannten, vgl. Price, Anthropological Intelligence, S. 101 ff. Hier auch ein Abdruck von Kapitel IV des Buchs. 113 Price, Anthropological Intelligence, S. 98 f. Vgl. auch Henson. 114 Vgl. Farish, S. 88; 104. 115 Osterhammel, Die Verwandlung, S. 135–140; Zitat: S. 138. 116 Lewis u. Wigen, S. 163 ff; 170 ff.

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tiers in Ceylon eine militärische Realität.117 Die Experten des Ethnogeographic Board verwissenschaftlichten das Konzept, in dessen Konsequenz der traditionsreiche Gegensatz von Europa und Asien durch die Pluralisierung Asiens aufgebrochen wurde. Sie sorgten für seine Verbreitung und Nutzung und damit über den Fall »Südostasien« hinaus für die Zirkulation des geopolitisch definierten Area-Konzepts im militärischen und sozialwissenschaftlichen Zugriff. Funktionalistisch organisiert war auch der Kultur-Begriff der Area Studies. Die seit den 1930er Jahren von der Anthropologie vorangetriebene Arbeitsweise, komplexe kulturelle Formationen in nach klaren Kriterien abgegrenzte Gruppen zu unterteilen und ihnen, zumeist auf der Grundlage von empirischen Studien, bestimmte Eigenschaften zuzuordnen, erwies sich nicht nur in praktischer Hinsicht als leitend für die Area Studies. Das 1929 an der Universität Yale eingerichtete und von Rockefeller unterstützte Institute of Human Relations (IHR) wurde zum Zentrum dieser Form und Forschungspraxis von Kulturanalyse. Die materielle und konzeptuelle Grundlage war der 1937 von George Murdock entwickelte Cross-Cultural Survey (CCS), der Wissen und Literatur über »primitive Gesellschaften« systematisierte, auf dem Weg zu einem Wissen über die ganze Welt.118 Der Systematisierungseifer, der am Anfang des CCS stand – Murdocks ursprünglicher Plan von 1928 war eine Bibliographie aller Kulturen119 – führte über die Arbeit des OSS zu den Materialsammlungen der Nachkriegsregionalwissen­ schaften. Der CCS hatte im Krieg 500.000 Karten von circa 150 Menschen­ gruppen auf der ganzen Welt zusammengestellt, bevor er angewiesen wurde, sich auf die japanischen Gebiete im Pazifik zu konzentrieren.120 Nach dem Krieg wurde diese Wissensform 1949 in den Human Relation Area Files fortgeführt, die zumindest bis 1967 als CIA-Projekt galten.121 Das in diesen Kontexten einer strukturfunktionalistischen Anthropologie praktizierte Wissen122 wurde gemein­sam mit der funktionalen Aufteilung der Kontinente in der Geographie zum Kern der neuen Regionalwissenschaften. Diese »Areas« waren ein vor allem von Anthropologen mit Inhalt gefülltes Konzept im Anschluss an die Entwicklungen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Arbeit des Ethnogeographic Board wurde treffend als »mapping global categories of otherness«123 zusammengefasst und setzte sich nach 1945 in anderen Organisationen fort. Die drei amerikanischen Forschungsräte bildeten das Exploratory Committee on World Area Research (1945/1946) und bestimmten 117 Vgl. dazu Woo u. King; Acharya; Kratoska u. a.; Shirô, S. 30. Ich danke Nadin Hée für den Hinweis und die Übersetzung. 118 Vgl. Murdock, The Cross-Cultural, wieder in: ders., Culture and Society, S. 79 ff.; vgl. auch ders., Social Structure, S. 323 ff. 119 Lemov, S. 147; 151. 120 Farish, S. 65 121 Winks, S. 45. 122 Price, Anthropological Intelligence, S. 91 ff. 123 Borneman.

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den Geographen Robert B. Hall von der Universität Michigan zu seinem Vorsitzenden.124 Die Besetzung dieses Komitees, das die Nachkriegsentwicklungen vorantrieb, zeigt die Bedeutung der inzwischen etablierten Netzwerke zwischen Regierung, Wissenschaft und Geheimdiensten. Neben Hall, seinem Präsidenten, gehörten dem Exploratory Committee an: Mortimer Graves (American Council of Learned Societies), Wendell Bennett (Yale University), Maurice Halperin (Department of State), G. Evelyn Hutchinson (Yale University) und C. W. Thorthwaite (Soil Conservation Service).125 Die im Krieg erfolgten Institutionalisierungen und Kooperationen zwischen Regierung, Universitäten, Wissenschaftsorganisationen und Wirtschaft waren für die Area Studies strukturbildend und ressourcenschaffend. Neben dem Ethnogeographic Board und den Folgekomitees stellten insbesondere die Kommunikationsnetzwerke des Research and Analysis Branch des Office of Strategic Services eine Infrastruktur für die Nachkriegsentwicklungen zur Verfügung.126 Wenn der Präsident der Ford Foundation McGeorge Bundy im Jahr 1964 behauptete, dass das erste große Area Studies Center der Vereinigen Staaten das Office of Strategic Services gewesen sei,127 ist das gleich in mehrfacher Hinsicht richtig. Zum einen war der OSS nach einer internen Neuorganisation 1943 nicht mehr funktional, sondern regional organisiert worden: Europe-Africa-Division, USSR Division, Far East Division und die Latin America Division. Zum anderen resultierte das von ihm erarbeitete, den Kriegsbedürfnissen angepasste strategische Regionalwissen aus interdisziplinärer und kooperativer Arbeit, die als zukunftsträchtig empfunden wurde.128 Und schließlich wurden viele Area Programme, die direkt nach dem Krieg entwickelt worden waren, von »graduates of the OSS« inspiriert oder geleitet.129 Die Forschungs- und Analyseabteilung des zwischen 1941 und 1945 arbeitenden und zum ersten Mal zentral organisierten amerikanischen Geheimdienstes beschäftigte zahlreiche namhafte Wissenschaftler aus den USA und Europa, weshalb ihr eine ausgesprochen akademische Arbeitsweise zu eigen war.130 Das Personal für den wissenschaftspolitischen Bereich rekrutierte sich in Teilen ebenfalls aus dem OSS: In der Far East Division war der Japan-Spezialist Charles B. Fahs tätig. Nach der Auflösung des OSS ging Fahs zunächst ins Verteidigungsministerium, später wurde er Leiter der geisteswissenschaftlichen Abteilung der Rockefeller-Stiftung.131 124 Bennett, Preface, S. iii–iv. 125 Worcester, S. 39. 126 Fenton, Area Studies, S. 89. 127 Bundy, S. 2 f. 128 Katz, Foreign Intelligence, S. 22. Vgl. auch Farish, S. 88; 104. 129 Bundy, S. 2 f. 130 Müller, Marcuse, S. 33 ff. 131 Vgl. David H. Stevens, Diaries, 3.1.1946. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 394. Fahs hatte in den 1930er Jahren ein Rockefeller-Stipendium im Rahmen des Förderprogramms zu Far Eastern Studies (seit 1933). Im OSS war er als subdivision chief tätig.

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Zur Doppelspitze »Lateinamerika« zählte neben Preston James auch Maurice Halperin, der später dem Exploratory Committee on World Area Research angehörte.132 Halperin wurde nach dem Krieg Leiter des Latin American Regional Studies Program in Boston133 und bekannt aufgrund der Spionagevorwürfe, wegen derer er sich 1953 vor dem Senate Internal Security Subcommittee verantworten musste.134 Robert B. Hall, der Geograph aus Michigan und Vorsitzende des Exploratory Committee, der im Auftrag des SSRC den ersten großen Nachkriegsbericht zur Lage der Area Studies verfasste, war Leiter der Außenstelle des R&A für China und Indien.135 Von 1941 bis 1942 hatte er japanische Siedlungen in Lateinamerika erforscht.136 In den Aushandlungsprozessen um die Area Studies war die Zusammenarbeit zwischen den Stiftungen, Geheimdiensten und der Regierung eng und selbst­verständlich. Seit Fahs 1946 als stellvertretender Direktor der geisteswissenschaftlichen Abteilung der Rockefeller Foundation mit der Koordinierung betraut war, konsultierte er sich regelmäßig mit insbesondere der Kulturanthropologin Cora Du Bois. Beide kannten sich aus der Arbeit für den OSS. Fahs hatte Du Bois’ Wechsel zum South East Asia Command (SEAC) des R&A in Ceylon unterstützt, dessen Leitung sie 1944 übernahm.137 Nach dem Krieg war Du Bois in der Nachfolgeorganisation OIR für Südostasien zuständig und wurde Fahs Kontaktperson für alle Fragen, die Aktivitäten der Regierungsstellen und konkrete Hinweise zum Aufbau der Regional­ wissenschaften betrafen.138 Nicht immer führte dies zu konkreten Absprachen. Konkrete Direktiven lassen sich schwer nachweisen. Namen wurden genannt, Tendenzen besprochen, bis zu dem Zeitpunkt, als Du Bois 1950 das State Department verließ. Du Bois war nicht nur Teil des »politisch-philanthropischen Komplexes«,139 sondern auch eine ausgewiesene Wissenschaftlerin. Ihr Buch The People of Alor (1944) war im Ergebnis eines 18 Monate langen Aufenthalts in einem kleinen Bergdorf Indonesiens entstanden und galt als Markstein in der Geschichte der Kulturanthropologie.140 Die politisch-intellektuellen-philanthropischen Netzwerke und ihr militärischer und geheimdienstlicher Hintergrund stellten ohne Frage die entscheidenden Ressourcen für die Nachkriegsentwicklungen dar. Die Beispiele ließen sich vermehren. Der Anthropologe Clyde Kluckhohn, Direktor des Russian Research Center in Harvard, und der Russland-Spezialist Philip Moseley hatten nicht

132 Katz, Foreign Intelligence, S. 23. 133 Charles B. Fahs, Diaries, 28.9.1949. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. 134 Vgl. Kirschner. 135 Winks, S. 109. 136 Titiev. 137 Seymour. 138 Müller, Marcuse, S. 253 ff. Vgl. ebd. für ein Resümee der Gespräche. 139 Nach Müller, Marcuse, S. 251. 140 Du Bois.

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nur im Krieg beide Memoranden für die ASTP-Programme und deren interkulturelle Dimensionen geschrieben, sondern auch mit dem FBI zusammen­ gearbeitet.141 Moseley leitete von 1952 bis 1956 den Council on Foreign Relations. Er beriet Ford und Rockefeller beim Aufbau der Förderprogramme und war Direktor des Russian Research Center der Columbia University, das nicht nur zum Inbegriff der Kalten-Kriegs-Area-Studies wurde, sondern auch am Beginn der Dekonstruktion der monolithischen Vorstellung von »Kalten-Kriegs-Sozialwissenschaften« stand.142 Area Studies wurden als ein nationales und wissenschaftliches Projekt auf den Weg gebracht und die mit ihnen verbundene Internationalisierung der Wissenschaft war Teil einer neuen globalen Ordnung. Bereits im Juni 1944 hatte der Leiter der geisteswissenschaftlichen Abteilung der Rockefeller-Stiftung David H. Stevens einen »National Plan of Work« vorgelegt,143 der eine Spezialisierung auf einzelne Areas verteilt auf die amerikanischen Universitäten vorschlug und den verschiedenen Abteilungen der Regierung (Außenministerium, Armee und Marine sowie den Zuständigen für Handel und Landwirtschaft) zuging. Der Plan wurde so nicht umgesetzt. Signifikant für die Zusammenarbeit aber war die Bilanz, dass die besten Area-Spezialisten aus den Sozialwissenschaften im Sommer 1944 bei der Regierung angestellt waren. Als Koordinatoren sollten sie für den Aufbau des nationalen Programms zur Verfügung stehen.144 Die Regierung benötigte wissenschaftliche Expertise, die Stiftungen die Kompetenzen der Wissenschaftler im Staatsdienst. Aber diese Tatsache macht das Funktionieren und die Effekte der Netzwerke und den Austausch über die Ressourcen im Kalten Krieg nicht weniger komplex.145 Die Gesprächspartner waren auch Konkurrenten. Das Wettrennen um gute Kandidaten aus den Universitäten hatte 1948 zum Zeitpunkt der Berlinblockade bereits seit längerem begonnen. Und gleichzeitig hatten selbst die Mitarbeiter der Geheimdienste Sorge um einen möglichen Qualitätsverfall der Wissenschaft durch eine zu enge Zusammenarbeit mit der Politik.146 Eine strukturdeterministische Lesart dieser Situation vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs wird ihr nicht gerecht. Area Studies entstanden weder im Ergebnis einer direkten Auftragsvergabe noch resultierten sie aus der Rekrutierung 141 Zu Kluckhohn vgl. Diamond, S. 58 ff.; zu Moseley vgl. Cumings. 142 Engerman, Know your Enemy. Insgesamt zu den Sozialwissenschaften Solovey u. Cravens; zur Rolle der Stiftungen, Solovey, Shaky Foundations. 143 David H. Stevens, Proposal for a National Plan of Work on Foreign Languages, Institutions and Customs. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 144 Joseph H. Willits an David H. Stevens, Area Studies, 26.7.1944, hier: S. 8. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 145 Vgl. z. B. zu den internen Diskussionen und zur Weigerung der Ford Foundation, als Geldschleuse für den CIA in Europa zu dienen, bei gleichzeitiger Unterstützung des Congress for Cultural Freedom Berghahn, S. 270 ff. 146 Charles B.  Fahs, Diaries, Interview with Evron Kirkpatrick, 13.9.1948. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392.

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einer bürokratisch-militärisch orientierten Wissenschaftlergarde. Im Ausgang von der neueren Historiographie des Kalten Kriegs wäre dieser vielmehr als eine Art »Bühne« zu verstehen, auf der diese Prozesse stattfanden.147 Der Aufbau der Area Studies war ein Aushandlungsprozess, in dem zwischen den Stiftungen, wissenschaftspolitischen Institutionen und der Regierung immer auch die Grenzen des Ressourcenensembles von Politik und Wissenschaft ausgelotet wurden. Ihre Institutionalisierung in den USA leitete nach dem Zweiten Weltkrieg eine mehrstufige Entwicklung ein, die zu Beginn durch verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten gekennzeichnet war. 3.1.4 Nachkriegsdebatten im Zeichen des Modernisierungsparadigmas Auf seiner ersten Sitzung hatte das Exploratory Committee on World Area­ Research Robert Hall mit einer Überblicksstudie über die aktuelle Situation der amerikanischen Area Studies beauftragt. Der Überblick inventarisierte die ersten Erfolge und Misserfolge der neu konzipierten Nachkriegsprogramme. Der Eindruck von den Kriegsprogrammen war bei den Zeitgenossen durchaus negativ. Der Überblickscharakter der Kurse erfüllte nicht nur seinen Zweck bei den Teilnehmern nicht, sondern führte auch generell zu dem Eindruck, bei den Programmen handele es sich – in den Worten der SSRC-Evaluation – um eine Art von »slipshod teaching of touristic variety that never comes to grips with the fundamentals of the culture«.148 Zeitnah und in großer Geschwindigkeit wurden seit Etablierung der Kriegsprogramme vom Committee on World Regions, Ethnogeographic Board und ab 1946 vor allem dann dem Committee on World Area Research des SSRC Studien und Überblicksberichte in Auftrag gegeben, welche diese Einschätzungen inventarisierten und die Grundlage für die Nachkriegsdebatten bildeten.149 Wie in einer Laborsituation lassen sich an den frühen Diskussionen die organisatorischen und inhaltlichen Konfliktlinien erkennen, welche die Debatten um Area Studies bis in die Gegenwart prägen. Der Bericht Halls lässt Befürworter und Gegner zu Wort kommen und lotet die Möglichkeiten der Institutionalisierung vom Übergang von der Kriegs­ ausbildung zur Umstrukturierung der Sozialwissenschaften in Friedenszeiten aus. Von April bis September 1946 besuchte und evaluierte Hall in 24 der wichtigsten amerikanischen Universitäten insgesamt 114 Area-Programme im Auftrag des Social Science Research Council. Von den 114 Programmen funktionierten bereits 76 Programme oder sollten im Herbst 1946/1947 aufgenommen 147 Zur Metapher der Bühne für den Kalten-Kriegs-Kontext vgl. Stephanson, S. 22. 148 Fenton, Area Studies, S. 33. 149 Hamilton, World Regions; Fenton, Area Studies; Hall, Area Studies; Steward. Im Jahr 1949 initiierte auf einem Treffen der Universitätspräsidenten Carnegie einen neuen Überblicksbericht, der dann vom Committee on World Area Research koordiniert wurde, vgl. Bennett, Area Studies.

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werden. Die Programme im Planungsstadium wurden auf der Grundlage der Entwürfe sowie der personellen und finanziellen Voraussetzungen der Departments beurteilt. Als Area Program im Sinn der Studie galt ein Programm, das drei oder mehr Disziplinen (außer den Sprachen) ausgewogen in sich vereinte und sowohl qualifizierte Lehre als auch Formen institutionalisierter Kooperation aufwies, wie zum Beispiel gemeinsame interdisziplinäre Seminare.150 Der Bericht zeigte, dass die Institutionalisierung der Area Studies an den Universitäten unterschiedlich weit vorangeschritten war. Stellten die Area Studies in einigen wenigen Fällen durchaus bereits eine ernsthafte Alternative zu den herkömmlichen Disziplinen dar, glichen sie an anderen Institutionen Volkshochschulkursen. Es gab Programme, in denen der Graduate-Abschluss in der Area erteilt wurde, als Master of Arts in den Far Eastern Studies und als Doctor of Philosophy in Latin American Studies oder in American Civilization. Andere Programme bestanden als Nebenfach für in einer »Standarddisziplin« eingeschriebene Studenten. An einigen Universitäten wurde ein Zertifikat als Zusatzqualifikation verliehen, und in wieder anderen war area work in den regulären Abschluss integriert. Im letzteren Fall stellten die Area Studies nur eine Vertiefung in der Disziplin dar.151 Bei den im Rahmen der Studie befragten Akademikern bestand kaum ein Zweifel daran, dass sich die Kriegserfahrung aufgrund der mangelnden Forschungsorientierung nicht in Friedenswissenschaft verlängern ließ. Kritisiert wurde von den Universitätsangehörigen auch die stark linguistische Ausrichtung der Kriegsprogramme, die aus der Universität eine Art Sprachschule gemacht habe. »The experience of the past most clearly indicates that true area studies cannot be developed through language alone or through any other single discipline. They demand uniform progress on all fronts and the cooperation of all fields concerned, not the dominance of any one.«152 Der Kulturhistoriker Jacques Barzun, der drei Jahre in einem Area-Programm an der Columbia University unterrichtet hatte, warnte im Jahr 1945 vor jeder Form der »area instruction«, als »a potpourri mixed for the occasion and justified by emergency«. »Ein bisschen Geschichte und Politik – Geographie, Ökonomie und Literatur, vielleicht ergänzt um Informationen zur Zeitungslandschaft, die Organisation des Gesundheitssystems und die öffentliche Wohlfahrt – solche Kurse lehrten niemanden irgendetwas.« Barzun, der im Krieg Zivilisten und Offizieren, die anfänglich kein Wort Französisch sprachen, innerhalb eines Jahres »Frankreich und sein Kolonialreich beizubringen« hatte, sah die neue Form der Ausbildung als Gefahr für das gesamte Wissenschaftssystem. Eine Institutionalisierung der Programme, wie sie die Diskussionen nach dem Krieg nahe­

150 Hall, Area Studies, S. 6–8. Dabei handelte es sich um 52 Undergraduate Programs, 37 Graduate Programs und 25 Gruppenprojekte. 151 Ebd., S. 5. 152 Ebd., S. 15, vgl. auch S. 18.

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legten, würde das Abziehen von Dozenten aus den anderen Departments bedeuten, so dass die Ausbildung insgesamt an Niveau verlöre.153 William Nelson Fenton machte in seinem Bericht zu den Kriegsprogrammen für das Ethnogeographic Board in Teilen dafür die mangelnden epistemo­ logischen Grundlagen der Area Studies verantwortlich. Die Area Studies waren als Teil einer wissenschaftlichen Ausbildung zu allgemein konzipiert und ohne methodische Grundlage. In deutlichen Worten bemängelte er, dass die Programme keine »richtige Geographie« und ebenso wenig eine »richtige Anthropologie« beinhaltet hätten. Ohne eine wissenschaftliche Einordnung vorzunehmen, habe man Geographie als Landeskunde und Anthropologie als Einführung in Sitten und Gebräuche eines fremden Landes unterrichtet: »But the concept of integrated area study drew upon the geographer’s concept of region and the anthropologist’s concept of culture. The training, however, stressed content without scientific principles. It was descriptive ethnogeography of a superficial and ›pragmatic variety‹«.154 Die Skepsis, dass der neue und interdisziplinär geschulte Area-Professor leicht von einer Art »superman« zu einem »superficialman« werden könnte, war groß.155 Sie wurde nicht nur von den Dozenten und Wissenschaftlern geteilt, die in den Programmen unterrichtet hatten, sondern auch von Verwaltungsangehörigen an den Universitäten, wie dem Mitarbeiter, den der erste Nachkriegsbericht des Social Science Research Council zitiert: »I can imagine a man trained in area as being a most charming gentleman and interesting conversationalist but not as being a scholar.«156 Barzuns grundsätzliche und kompromisslose Ablehnung war kein Einzelfall und wurde auf Seiten der planenden Wissenschaftsorganisationen zur Kenntnis genommen,157 die das Problem der »leichten Inhalte« ebenfalls thematisierten. Im Ausgang von den Kriegserfahrungen stand seit Beginn der Diskussionen zwischen Rockefeller und SSRC der Vorwurf des Dilettantismus und des fehlenden »harten Kerns« im Zentrum der Überlegungen: »It is doubtful whether many acquired adequate understanding of the economic, social, and political problems which they were to be prepared to face. The training was too superficial on the social science side.«158 Immer wieder hoben die Officer diese Gefahr hervor 153 Barzun, Teacher in America. 154 Fenton, Integration, S. 706. Vgl. zur Entstehung des Berichts die Erinnerungen Fentons, Iroquois Journey, S. 61 ff. 155 Conference on Area and Language Programs in American Universities, March 15/16 1944, Philadelphia, hier: S. 96. RAC, RF, RG 1.1., Ser. 200, Box 210, Folder 2568. [Hervorhebungen im Original] 156 Hall, Area Studies, S. 29. 157 Vgl. Jacques Barzun, Historien and Philosopher, following his three years’ experience with AMG at Columbia, S. 142–145. RAC, RF, RG 3.2. Ser. 900 Box 31, Folder 165. 158 Donald Young u. Paul Webbink (SSRC), Social Science Consideration in the Planning of Regional Specialization in Higher Education and Research, Memorandum SSRC (March  1944), hier: S. 7. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165.

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und forderten für den Aufbau der Area Studies mehr sozialwissenschaftliche Expertise und eine institutionalisierte Verbindung zur Forschung: »Otherwise ›area studies‹ will be education in superficialities – of which America already has too much.«159 Die Zurückhaltung gegenüber Inhalt und Durchführung der Kriegsprogramme war aber nur die eine Seite der Aushandlungsprozesse. Denn vor dem Hintergrund einer allgemein empfundenen Krise der Disziplinen und des Aufstiegs der Sozialwissenschaften dominierte auf Seiten der beteiligten Wissenschaftler und Institutionen der Wunsch, die in den 1940er Jahren gemachte Erfahrung der Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen und der institutionalisierten Arbeit mit integrierten Konzepten von Interkulturalität auf Dauer zu stellen. Der Effekt der Programme lag, wie die Zeitgenossen schrieben, zunächst »im Mentalen«: »The mental upheaval caused by the experience […] is an important thing.«160 Unter dem Druck zu personeller Zusammenarbeit und dem Zusammendenken von Disziplinen, die vorher keine gemeinsamen Kurse an­boten, war aus der Kriegsnotwendigkeit etwas Neues entstanden, aus dem sich im Ergebnis einer umfassenden Planungs- und Methodendiskussion einer der einflussreichsten und erfolgversprechendsten Trends der Nachkriegswissenschaft entwickelte. Die Diskussionen in den Gruppen und Komitees zum Aufbau der Kriegs­ programme hatte diese interdisziplinäre Erfahrung konkret gemacht. Auch wenn die Wissenschaftler nicht leicht aus ihren disziplinären Konzepten herauskamen und insbesondere die Historiker in der Umsetzung des funktionalistischen Ansatzes und der Gegenwartsorientierung der Kurse als unwillige Kooperationspartner galten, nahmen Kursleiter an Kursen der Kollegen teil. Häufig wurde auf der Grundlage des Curriculums 705 auch ein gemeinsamer integrierter Kurs abgehalten.161 In den frühen Diskussionen, die noch dicht an der neuen Erfahrung der Kooperation waren, stellte sich auch die Frage nach dem Status der Area Studies als einer eigenen Disziplin bzw. eines eigenen Departments.162 Schon die erste nationale Konferenz zu den Area Studies im Jahr 1947 bestand dann allerdings mehr oder weniger deutlich auf den traditionellen Disziplinen als einem Kern, zu dem eine Area-Ausbildung hinzukommt.163 Getragen wurden die Nachkriegsdiskussionen vom Enthusiasmus über die erzwungenen Formen der Zusammenarbeit und dem Vertrauen in die eigenen Kompetenzen, die Probleme der Kriegsprogramme lösen zu können. Der Diskurs partizipierte als Teil des Modernisierungsnarrativs von diesem »hopeful 159 Joseph H. Willits an David H. Stevens, Area Studies, 26.7.1944, hier: S. 6. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 160 Fenton, Area Studies, S. 80. 161 Ebd., S. 19 f. 162 Ebd., S. 10 f.; 82. 163 Wagley, The Study of World Areas, S. 4. Im Folgenden wird der ausführliche Bericht zitiert, Wagley, Area Research.

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idiom«,164 das als Begründung für wissenschaftspolitische Aktionen nach außen, aber auch als integraler Bestandteil eines Glaubenssystems nach innen funktionierte.165 In den Diskussionen der Komitees an den Universitäten zur Programmentwicklung während des Kriegs waren methodische Fragen relevant geworden, wie die Erforschung einer Zivilisation oder der regionalen Verankerung der Sozialwissenschaften,166 die auch nach dem Krieg in den Kontexten modernisierungstheoretischer Denkmuster leitend blieben. Die Programme hatten grundsätzliche Fragen der disziplinären Selbstverortung und der akademischen Organisation aufgeworfen, die als zukunftsträchtig empfunden wurden. Schon durch ihre Anlage stellten sich die Area-Programme quer zu den Fächern und Methodologien, deren Zusammenarbeit sie im Zugriff »on the total civilization of a region« einforderten: Als innovativ und kooperationsfördernd wurde insbesondere ihr »funktionalistischer Blick« auf die zeitgenössischen Kulturen empfunden, der eine Anfrage an die traditionell starke Position historischen Denkens in den Disziplinen bedeutete.167 Dieses Verständnis war bereits das Ergebnis von ersten Verhandlungen und Absprachen zwischen den beteiligten Institutionen, den Stiftungen und Wissen­schaftsorganisatoren, die im März 1944 auf der Conference on Area and Language Programs in American Universities in Philadelphia Möglichkei­ten der Erweiterung und Fortführung der Programme formuliert hatten. Mortimer Graves (ACLS) hatte – als im Februar 1944 bekannt wurde, dass die ASTP-Progamme zum 1. März eingestellt werden sollten – die Überführung der Kriegserfahrung in eine Friedensausbildung auf die Agenda der Institutionen gesetzt und David H. Stevens (Rockefeller, Humanities Division) darum gebeten, dass die Rockefeller-Stiftung die Führung in dieser Planungsphase übernahm. Die Konferenz beruhte auf seiner Überzeugung vom bleibenden Wert der Programme. Immerhin war in der Kooperation zwischen Militär und ACLS in den USA das bisher größte und umfassendste Unterrichtsprogramm zu »orientalischen Sprachen« entstanden.168 164 Geertz, S. 137. 165 Gilman, Mandarins, S. 6. 166 Fenton, Area Studies, S. 30. 167 Ebd., S. 81 f. 168 Mortimer Graves an David H. Stevens, 1.2.1944. RAC, RF, R.G 1.1., Ser. 200, Box 209, Folder 2506. Im März sendete Graves eine erste und vertrauliche Liste mit den ASTPFALS-Institutionen, die beibehalten werden sollten, vgl. Mortimer Graves an John Marshall, 9.3.1944. RAC, RF, RG 1.1., Ser. 200, Box 209, Folder 2506. Neben Listen mit den Namen von Kursleitern und Wissenschaftlern sowie Kommentaren zu ihrer Tauglichkeit bzw. andere Formen der Einschätzungen (vgl. JWS, Area Studies in Post-War Education, 28.2.1944. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165) kursierten auch Positionsund Arbeitspapiere mit Definitionen und Zeitplänen, vgl. Mortimer Graves, Area Studies, 30./31.3.1944. RAC, RF, RG 1.1., Ser. 200, Box 209, Folder 2506. Die Rockefeller-Stiftung unterstützte die Konferenz mit 2.500 Dollar, vgl. Grant in Aid for Conference of Area and Language Programs, 2.3.1944. RAC, RF, RG 1.1., Ser. 200, Box 209, Folder 2505.

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Die Konferenz versammelte neben den verantwortlichen Programmleitern der Rockefeller-Stiftung und des ACLS Mitglieder des Ethnogeographic Boards, des SSRC, des Office of Provost Marshal General und einzelne Professoren, die in den Programmen unterrichtet hatten. Ungeachtet der Tatsache, dass die Konferenz sich nicht auf eine Liste mit zu behandelnden Areas einigen konnte und die Definition letzterer zwischen geographischen und anthropologischen Definitionskriterien schwankte, war sie der erste Schritt auf dem Weg von Sprachprogrammen zu integrierten sozialwissenschaftlichen Area-Programmen: »›Area studies‹ is in an unsatisfactory but convenient way used to describe the focusing of the several disciplines – history, geography, economics, etc. – upon a civilization for the purpose of providing an integrated picture of a section of mankind in his total environment – physical, social, and cultural. The expression is unsatisfactory because it emphasizes concern with the area, while the studies themselves deal rather with the people. Unfortunately, since the total study of any area is dependent upon the state of advancement of the partial study pertaining to it in the various disciplines, the term ›area studies‹ has also been used to describe simple disciplinary concern with an area. This definition is implicit in the recent report of the Social Science Research Council on World Regions and Social Studies. Area studies are, however, more properly the integration which cuts across disciplinary lines.«169

Die Zusammenführung von Forschern verschiedener Spezialisierungen bedeutete eine »Akademisierung der Kriegserfahrung«170 und eine bewusste Aufweichung der bisherigen disziplinären Wissenschaftstradition. Mit den Disziplinen waren auch mentale Konditionierung verbunden, gegen die die Area Studies mit ihrer Programmatik der Interdisziplinarität antraten, nicht nur im Sinn einer Kampagne für die Sozialwissenschaften, sondern auch als Reform der intellektuellen Kommunikation in der Wissenschaft. In den Worten der Zeitgenossen wurden die Area Studies zu einem Hoffnungsträger für diese Korrektur: »foster some kind of cross-fertilization and that will not so bluntly violate the essential unity of knowledge, as does much of our present structure. To these men the group approach to the study of an area offers hope of correction.«171 Gängiger Eindruck war, dass die Spezialisierung des Wissens dazu geführt habe, dass die Wissenschaftler sich oft schon innerhalb ihrer Disziplinen nicht mehr verständigen konnten. Die Fragmentierung in Disziplinen und die Proliferation von Kursangeboten hatten die organische Verbindung der Forschungsfelder untereinander aus dem Blick geraten lassen. Hier sollte der »total approach

169 Conference on Area and Language Programs in American Universities, March 15/16 1944, Philadelphia, hier: Appendix 5: The Future of Area Studies in American Universities and Colleges, S. 1. RAC, RF, RG 1.1., Ser. 200, Box 210, Folder 2568. [Hervorhebungen im Original] Das Papier bezieht sich auf Hamilton, World Regions. 170 Vgl. zur Rezeption von Hamiltons Bericht durch v. a. den OSS Farish, S. 53 f. 171 Hall, Area Studies, S. 10.

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to an area« ansetzen, Lücken füllen und disziplinär getrenntes Wissen zu einer Art »Einheits- bzw. Gesamtwissen« zusammenführen.172 Der Social Science Research Council erkannte in den Area Studies ein Mittel, eine neue Art von »totalem Wissen« zur Verfügung zu stellen: »Here was a possible means of bringing about cross-fertilization within the social sciences and of bridging the gaps between the social and the natural and humanistic disciplines. Here might be an important way of working toward the funda­ mental totality of all knowledge. Here might lay means by which research in the social sciences could be made more cumulative and comprehensive.«173 Die Fokussierung auf eine Region sollte eine neue Art von Wissen auf den Weg bringen: ein spezifisches Wissen, das aus der organischen Verbindung der Disziplinen durch Gruppenarbeit entsteht. Der eigentliche und entscheidende Beitrag der Area Studies lag in der sogenannten »area integration«, die nicht ohne einen gewissen Idealismus zu erreichen war: »Integration of the particular knowledge of the different disciplines is one of the chief avowed aims of area studies. The belief that this integration will somehow be achieved simply by offering parallel courses on the same area is largely unfounded. Similarly, the faith that an integrated study will be forthcoming just because research workers drawn from different disciplines put their minds upon the same area is equally erroneous. Vast amounts of labour, good will and wholehearted cooperation are required if this end is to be achieved. This runs counter to the individualistic tradition of the scholar. It may well require more time and energy than remains after other duties are fulfilled.«174

In dem Bericht des Social Science Research Council wird das von Disziplinen zur Verfügung gestellte Wissen als vertikale Pfeiler visualisiert. Sie sind voneinander isoliert und zwischen ihnen liegen Lücken, die nur durch einen gemeinsamen interdisziplinären Zugriff gefüllt werden können: »The cooperative attack upon the whole knowledge of an area is one way in which parts of these voids can be filled.«175 Die Begründung für die neue Struktur des »totalen Wissens« beruhte auf dem sozialwissenschaftlichen Denkmuster, in dem Gesellschaften als integrierte Gesamtsysteme funktionieren, in denen alle Bereiche miteinander verbunden sind, und sich durch neue Strukturen verändern. Der Gesamtbefund war eindeutig: Auch wenn die Distanz zu den Kriegs­ programmen schnell deutlich wurde, die mit den Area Studies verbundenen Hoffnungen waren beträchtlich. Das Konzept wurde in den USA als Vorschlag zu einer interdisziplinären Reform der intellektuellen Kommunikation verstanden, als eine Antwort auf den weit verbreiteten »demand for both an interdiscipli172 »The hope is that the total approach to an area will not only help to fill the now unknown interstices, but also bring about an exchange of the particular knowledge and peculiar insights of the different disciplines, to the general enrichment of research.« (ebd., S. 26) 173 Ebd., S. 2. 174 Hall, Area Studies, S. 35. 175 Ebd., S. 25.

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nary and intercultural approach to many of the problems which we have failed so far to answer«.176 Diese Veränderung war seit den frühen Diskussionen auch als didaktische Reform geplant. Die Undergraduate-Programme standen zunächst nicht im Fokus, dennoch war anvisiert, dass schon hier »the essential unity of all knowledge through an interdisciplinary and cross-cultural approach to the problems of a particular portion of the earth« ansetzen sollte.177 Die Ausbildung im Graduate-Bereich sollte dann das »full and integrated knowledge of some particular area of the earth and its people« in Form von »group participation« vermitteln.178 Ziel der Reform war es, die organische Verbindung der Disziplinen in der Lehre zu repräsentieren und durch das Denken in Gruppen die Form der Forschung einzuüben, die in Zukunft vorherrschen würde. Erwartet wurde die Korrektur der eigenen begrifflichen Schemata und Konzepte in der Auseinandersetzung mit fremden Kulturen. Theoretisch und methodisch sollten – so formulierte Pendleton Herring von der Carnegie Corporation auf der ersten nationalen Area-Studies-Konferenz 1947 – die Area Studies zur Einsicht in den kulturellen Relativismus beitragen und die Zusammenarbeit mit den Forschern der jeweiligen Länder und Regionen befördern.179 Die enge Verzahnung von Area Studies und Sozialwissenschaften sollte die Sozialwissenschaften internationalisieren und die nationale Bezogenheit auf amerikanische Kontexte überwinden: »Useful correctives to many generalizations based upon western European civilization should result from greater attention to the cultures and data of other areas. The European and American cultural provincialism of the social sciences needs to be overcome. What is needed is not  a substitute for work on American problems and materials, but rather additional work in widely different foreign areas so that better perspective may be gained.«180

Die Aussage über den »totalen Ansatz« und den »wissenschaftlichen Zugriff« lässt sich auf vielen Ebenen lesen: epistemologisch, wissenschaftspolitisch, aber auch militärisch-strategisch. Hall resümierte in seinem Nachkriegsbericht für den Social Science Research Council vier in gleichem Maße politisch-administrative wie methodische Ziele, die mit der Förderung der Area Studies verbunden waren: »1) toward total world knowledge; 2) toward cooperation research and the

176 Ebd., S. 21. 177 Ebd., S. 37. 178 Ebd., S. 41. Vgl. für eine erste sehr detaillierte didaktische und studientechnische Diskussion sowie konkrete Vorschläge für Einjahreskurse die Conference on Area and Language Programs in American Universities, March 15/16 1944, Philadelphia. RAC, RF, RG 1.1., Ser. 200, Box 210, Folder 2568. 179 Wagley, The Study of World Areas, S. 2. 180 Donald Young u. Paul Webbink (SSRC), Social Science Consideration in the Planning of Regional Specialization in Higher Education and Research, Memorandum SSRC (March 1944), hier: S. 5. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165.

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integration of knowledge; 3) toward cross-cultural understanding; 4) toward the elimination of handicaps in social science research«.181 Die Ambivalenz des Konzepts lässt sich Ende der 1940er Jahre in diesen Kategorien fassen. Area Studies füllten weiße Flächen auf Landkarten und stellten klassifizierbare Einheiten zur Wissensproduktion zur Verfügung. Der strate­ gischen Implementierung der Area Studies ist auch eine eindeutige Stoßrichtung nicht abzusprechen. »Imperialistisch« ist sie im Sinn der Asymmetrie, die bei der Neuorganisation und dem Aufbau einer globalen und von amerikanischen Modellen geprägten Wissensordnung in den Kontexten des Kalten Kriegs vorherrschend war.182 Darüber hinaus waren es geteilte Grundannahmen von der Stärke der USA, der nationalen Bedeutung der Ressource »Wissenschaft« und ihrer Aufgaben, die auf Seiten der Verantwortlichen in den Research Council, philanthropischen Stiftungen und den Regierungsorganisationen leitend für Entscheidungen und ihre Interpretation waren, zunächst innerhalb der USA, später auf Seiten der europäischen Partner.183 Aus Sicht der Sozialwissenschaften boten sie mit dem Zugriff auf eine Region ein konkretes Untersuchungsobjekt, an dem sich die sozialwissenschaftliche Methodik in Form von empirischen Fallstudien umsetzen ließ. Längerfristig trugen sie im Zeichen des Aufstiegs der Sozialwissenschaften und ihrer empirisch-quantitativen Neuorientierung zu deren Abwendung von einer historischen Vorgehensweise bei.184

3.2 »The parade is on«.185 Förder- und Lenkungspraktiken in den 1950er Jahren 3.2.1 »Pooling of interests«.186 Die Pionierrolle der Rockefeller Foundation In der ersten Profilierungs- und Planungsphase übernahm die Rockefeller-Stiftung die Führung. Die effiziente Koordination und Organisation vorhandener Ressourcen, das pioneering, bildete nach dem Selbstverständnis der Stiftung ihre

181 Hall, Area Studies, S. 46. 182 Grazia. Zur Hegemonie-Diskussion vgl. insbes. den bibliographischen Essay. 183 Latham, Modernization; zur »Koproduktion der Weltordnung« Krige u. Rausch; Krige. Vgl. dagegen die These eines »intellektuellen Marshallplans«, Pollak, Paul F. Lazarsfeld. 184 Ross, S. XIV. Bell, Die Sozialwissenschaften, S. 16. 185 Joseph H. Willits an David H. Stevens, Area Studies, 26.7.1944. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 186 Donald Young u. Paul Webbink (SSRC), Social Science Considerations in the Planning of Regional Specialization in Higher Education and Research (March 1944), hier: S. 15. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165.

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Hauptaufgabe. Ihr Ziel war die Verwissenschaftlichung der Kriegserfahrungen, die Konstruktion von Area Studies mit einem sozialwissenschaftlichen Kern, auf der Grundlage einer kooperativen Bündelung der Interessen, Bedürfnisse und Vorstellungen der verschiedenen Beteiligten. Dies war angesichts der komplexen Situation entscheidend. Denn als nach dem Krieg die Repräsentanten von Regierung und Militär, die Wissenschaftsorganisationen und die Stiftungen diskutierten, wie sich die Kriegserfahrungen in die Friedenszeit verlängern ließen,187 standen sich verschiedene Interessen und Konzepte gegenüber. Neben den beiden Programmschienen von ASTP und CATS stellte auch die umfangreiche Sprachenförderung des ILP eine Möglichkeit für die Fortführung der Area Studies dar. Europäische Vorbilder wurden gesucht und dann als der US-amerikansichen Situation inadäquat verworfen, wie die »Nationen­ wissenschaften« Palmes, die Graves (ACLS) aufgrund ihrer eher geisteswissenschaftlichen Ausrichtung bei gleichzeitiger Frontstellung gegen die Philologien herbeizitierte.188 Die Rockefeller-Stiftung war ein qualifizierter Akteur, verfügte sie doch seit längerem über Erfahrungen sowohl in Bezug auf einzelne Area-Schwerpunkte als auch auf die verschiedenen Praktiken der Area-Förderung. Seit den 1930er Jahren hatte sie mit dem ACLS zusammengearbeitet und 1933 das erste Fellowship für den Fernen Osten vergeben.189 Während des Kriegs setzte die Stiftung den Akzent verstärkt auf Stipendien. Stark entwickelt war insbesondere die länderbezogene Förderung für Lateinamerika durch Fellowships, Grant in Aids, die vereinzelte Unterstützung von Institutionen und das Engagement der Stiftung im Office of Inter-American Affairs (OIAA).190 Dennoch lesen sich die Zahlen zunächst bescheiden: In diesem Bereich waren bis 1949 zwölf Männer ausgebildet worden – »for important posts«.191 Die Verbleibestatistik der wenigen Jahre erwies sich als beachtlich: In Buenos Aires war seit 1942 ein modernes bibliographisches Zentrum entstanden, von dem aus gut ausgebildetes Personal in mehr als zwölf Länder der Welt gegangen war.192 Im Bereich des Fernen Ostens hatte die Rockefeller-Stiftung bis 1949 45 Fellowships für China und Japan (an Männer und Frauen) gezahlt, davon waren zwanzig Personen vollständig in Kriegsdienste involviert gewesen. Die Fellows errichteten Programme an den großen amerikanischen Universitäten Chicago, Yale, Harvard, University of California, Stanford und Johns H ­ opkins,

187 Discussion of the Future of Area Studies, 28.2.1944. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 188 Loschke, Area Studies, S. 156 f. 189 Estimate of Position in Area Studies as of the End of 1949, 23.3.1950. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. Vgl. zum ACLS Kapitel 3.1.1. 190 Loschke, Area Studies. 191 Humanities, Summary (1949), hier: S. 9. RAC, RF, RG 3.1., Ser. 911, Box 2, Folder 15. 192 David H. Stevens, Time in Humanities (1949), hier: S. 13. RAC, RF, RG 3.1., Ser. 911, Box 2, Folder 15.

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an denen es zum Teil vorher keinen solchen Länderschwerpunkt gab. Drei Fellows waren ins Department of State gegangen, einer in die Army Medical Library.193 Nicht nur die Netzwerke, auch die Fördermechanismen existierten bereits, als die Verhandlungen über das Profil der Area Studies begannen. Sie erfolgten in engen Absprachen mit den verschiedenen Etagen in Washington. Regierungen und Stiftungen arbeiteten Hand in Hand. Eine direkte Auftragsvergabe lässt sich nicht nachweisen. Vielmehr war der Kommunikationsbedarf vonseiten der Stiftungen eine Selbstverständlichkeit.194 Informationen aus dem Außenministerium oder auch von anderen Regierungsstellen waren eine grundlegende und praktische Voraussetzung für internationale Förderprogramme in den 1950er Jahren – allein in Bezug auf Einreiseformalitäten und den internationalen Zahlungsverkehr. Die Gespräche Fahs mit dem State Department von 1950 über die Möglichkeiten eines JapanProgramms führen das deutlich vor Augen: In Japan, dessen Besatzung erst 1952 endete, war kein ausländischer Schiffs- und Flugverkehr erlaubt, was auch ein geplantes Fulbright-Programm vor die schwierige Aufgabe stellte, seine Stipendiaten in das Land zu bringen.195 Ähnliche Probleme zeigten sich bei der Vergabe der Area Research Training Fellowships zwischen 1948 bis 1952. Von den vierzig Chinastipendiaten konnten nur fünf Forscher das Land betreten und diese waren stark in ihrer Forschungstätigkeit eingeschränkt. Nach 1950 wurde generell keine Einreise mehr gestattet.196 In den Gesprächen mit und in Washington dominierte die Dringlichkeit einer effizienten Planung. Als der External Research Staff des Office of Intelligence and Research gegründet wurde, der den Kontakt zu den Stiftungen und Universitäten pflegen sollte, gab es zwar eine neue Koordinierungs- und Kontaktstelle. Dies änderte aber nichts an Parallelentwicklungen und mangelnden internen Absprachen. Evron Kirkpatrick, der im State Department sein Leiter wurde, wurde so nach 1950 zum wichtigsten Gesprächspartner Fahs (vgl. Abb. 2).197 Bei einem Treffen vom September 1948 entstand der Eindruck, dass selbst innerhalb des Militärs keine Koordination zwischen den verschiedenen Abteilungen erfolgte. Kirkpatrick, der als stellvertretender Direktor des State Department’s Intelligence Research Bureau die Verbindung zur privaten Forschung sowohl für den CIA als auch für das State Department herstellte, betonte das große Inte­ resse der Regierung an universitären Area Studies, aber auch die Koordinationsund Organisationsprobleme. Das Strategic Research Board of the Armed Forces hatte bereits große Summen in die Area Studies investiert, eine Viertelmillion 193 Humanities, Summary (1949), hier: S. 9. RAC, RF, RG 3.1., Ser. 911, Box 2, Folder 15. 194 Charles B. Fahs, Diaries, 20.9.1950. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. 195 Charles B. Fahs, Diaries, 3.4.1950. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. 196 Casagrande u. Sibley, S. 39. 197 Vgl. die Tagebücher Fahs insbes. für 1950/1951 (RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392); zu Kirkpatrick vgl. Chester, S. 76 f.

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Abb. 2: Der Japan-Spezialist Charles B. Fahs (1908–1980) war seit 1946 als stellvertretender Direktor der Humanities Division der Rockefeller Foundation maßgeblich an der Entwicklung des Area-StudiesKonzepts beteiligt. Von 1950 bis 1961 leitete er die Abteilung.

US-Dollar an die Armee, 600.000 US-Dollar an die Marine. Das Air Corps hatte offenbar noch ein Extraprojekt, über das die Gesprächspartner aber nicht informiert waren. Nachrichteneinheiten sollten auf der Suche nach den besten Kandidaten direkt an den Universitäten errichtet werden.198 Die Regierung befürwortete insgesamt ein größeres Engagement der Stiftungen im internationalen Feld.199 Dennoch stiegen die Summen, mit denen die Regierung die Area Studies förderte, in den kommenden Jahren und bezogen sich auch nicht mehr nur auf den US-amerikanischen Raum: Das OIR för198 Charles B.  Fahs, Diaries, Interview with Evron Kirkpatrick, 13.9.1948. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. 199 Charles B. Fahs, Diaries, 20.9.1950. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392.

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derte wissenschaftliche Einrichtungen 1949 in diesem Bereich mit insgesamt 200.000 US-Dollar.200 Forschungsaktivitäten in Europa wurden über die Economic Cooperation Administration mit 15 Millionen US-Dollar in 16 Ländern unterstützt.201 Dass diese Forschungsförderung einen Beitrag zur Eindämmung des Kommunismus leisten sollte, war so selbstverständlich, dass es nur gelegentlich explizit gemacht wurde.202 Mit den Summen stieg der Koordinationsbedarf. Die Area Studies partizipierten am Aufbau der Wissenschaftsgroßmacht USA in ihrer grundlegenden Restrukturierungs- und Umbruchphase. Die Schwierigkeiten in der Gesamtkoordination und der Kommunikation der beteiligten Organisationen erhielten eine grundlegende Bedeutung im veränderten Zugriff des Staats auf die Ressource »Wissenschaft«. Von Du Bois wurde die Unzufriedenheit an der ineffizienten Organisation im Rahmen der bestehenden Strukturen auf den Punkt gebracht. Sie schlug Fahs nachdrücklich vor, angesichts der anstehenden Koordinationsaufgaben einen professionellen Manager einzusetzen und entwarf das (Bedrohungs-)Szenario einer von der Regierung gelenkten Wissenschaft: »Cora Dubois [sic] urged once more the need for systematic study, perhaps by an administrative consultant, of the whole question of American academic organizations, e.g. the relations of the various research councils, their methods of operation, and the organization of their constituent societies. Dr. Dubois feels strongly that if the American learned profession cannot organize more effectively to develop and plan its own research there is great danger that this planning function will be taken over by government to the detriment of academic and intellectual freedom.«203

Es war die Aufgabe der Stiftungen, den neuen Trend innerhalb eines hochschulpolitischen Gefüges zu gestalten, dessen Zuständigkeiten verteilt und diskutiert wurden. Auf der Grundlage traditioneller Förderstrategien und des philanthropischen Selbstverständnisses führten die Positionen auch zu Abgrenzungen. Die Rockefeller-Stiftung dachte ihr Engagement in den USA in internationalen Kategorien als eine Etappe zum Aufbau einer globalen Wissensordnung. Sie sah sich dabei nicht als verlängerter Arm der Regierung. In einem internen Papier von 1944 erklärte sie, dass sie weder arbeitslose Militärangehörige in der Wissenschaft unterbringen noch interne Kämpfe zwischen Universitätsdepartments moderieren oder die Language Departments im Sinn der ACLS-Programme unterstützen wollte. Die Stiftung wollte Standards setzen, Entwicklungen lenken und langfristige Veränderungen im Sinn einer Internationalisierung der Geistes- und Sozialwissenschaften herbeiführen: »promote standards and effec­

200 Müller, Marcuse, S. 257. 201 Charles B. Fahs, Diaries, 20.9.1950. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. Es ist unklar, wieso Müller nahelegt, dass sich die Zahl auf den Bereich der Area Studies bezieht. 202 Charles B. Fahs, Diaries, 18.–22.9.1949. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. 203 Charles B. Fahs, Diaries, 11.10.1947. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392.

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tiveness of a new movement in education«.204 Keinesfalls wollte man einem bereits angelaufenen Trend wie dem der Area Studies »hinterherfördern«: »Area studies should not be approached as though they presented a short-run problem, but with full realization that the movement to acquire intellectual mastery of other countries and culture is a long-run problem of first-rate dimensions. It is not a matter of catering to or riding with current interest and pressure. On principle, foundations do not follow, especially when it is clear as in this case that the ›parade is on‹. Colleges and universities throughout the land are promoting area studies with brave and ambitious words. The superficialities and reactions and disappointments which will result from such an inflated development will be reminiscent of the deflation of the exaggerated plans for training for foreign trade and diplomatic service after the last war. The prestige of RF interest should not encourage the inflationary tendencies of the present, but should be used to stress and add rigor and adequacy and modest efforts which can concentrate on a stated objective.«205

Um dieses Ziel zu erreichen und den Area Studies ihre Richtung im Sinn einer institutionalisierten und interkulturellen forschungsbasierten Ausbildung zu geben, begann die Stiftung den Gestaltungsprozess mit einem offenen pooling ohne restriktive Festlegungen. Kein Konformismus oder eine zu schnelle Festlegung auf bestimmte Universitäten, Disziplinen oder ein vorbestimmtes Rahmenprogramm, war die Devise. Stattdessen sollte eine große Offenheit das Experimentieren mit Ausbildungsoptionen ermöglichen, das von Kursen zwischen verschiedenen Departments und einer Auslandsphase über Ausbildungsmöglichkeiten für Studierende aus der zu erforschenden Region und Undergraduate-Optionen bis zum Aufbau von Zentren oder Dokumentationsstellen reichte.206 Das Bestreben der Stiftung galt der Schaffung von »formal or informal arrangements, a definite understanding among competent persons in several disci­ plines, including the relevant languages, that there will be a cooperative pooling of interests and of curriculum building«.207 Angetrieben wurden die Diskussionen von der Frage, wie viele Spezialisten in Friedenszeiten gebraucht wurden.208 Die Rockefeller-Stiftung sah ihren Aufgabenbereich genau an dieser Stelle, dem Beginn des neuen Wissenschaftstrends, der zu einem »Gruppeneffekt« führen

204 Joseph H. Willits an David H. Stevens, Area Studies, 26.7.1944, hier: S. 11. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 205 Ebd, S. 3. 206 Donald Young u. Paul Webbink (SSRC), Social Science Considerations in the Planning of Regional Specialization in Higher Education and Research (March 1944), hier: S. 15. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 207 Ebd. 208 Donald Young u. Paul Webbink (SSRC), Social Science Considerations in the Planning of Regional Specialization in Higher Education and Research (March 1944), hier: S. 8. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165.

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sollte: »When the minimum has been established on a sound basis R. F. should withdraw. It is our job to help someone start the band wagon. We have no responsibility to help the late comers to climb on.«209 Entscheidend für die Profilbildung war die Finanzierung. Der Aushandlungsprozess um das Profil der Area Studies war ein Aushandlungsprozess um die Definition der Budgets. In dieser Diskussion um das neue Modell zwischen Regierung, Stiftungen, Wissenschaftsräten und deren Kommissionen wurde neben der Frage »wer bezahlt« zunehmend auch die Frage »wie bezahlt werden soll« entscheidend. Die Strategiepapiere der Kommissionen und die epistemologischen Überlegungen der Wissenschaftler nahmen ihren Ausgang von Gegenwartsanalysen und modernisierungstheoretischen Theoremen, wie im letzten Kapitel analysiert wurde. Aber sie schlugen sich in konkreten Förderpraktiken nieder, die den Area Studies ihre Form verliehen und den Aufbau der Programme nach Kriterien der Effizienz steuerten. Die Definition der Förderrichtlinien begann mit einer Bestandsaufnahme. Die Rockefeller-Stiftung verfolgte die Initiativen von SSRC und ACLS, koordinierte Treffen, vor allem aber inventarisierte sie die Situation der Area Studies in den Vereinigten Staaten.210 Dabei war die Sicht auf die vorhandenen Ressourcen pragmatisch und perspektivisch zugleich. Geleitet wurde die Arbeit von dem Interesse, die vorhandenen Ressourcen zu stärken und zu profilieren. Die politische Relevanz der Regionen fungierte unhinterfragt als Argument. So wurde festgestellt, dass Südafrika innerhalb der nächsten Jahre »a critical international issue« werden würde und deshalb der Aufbau von zwei Zentren zu unterstützen wäre. Im Detail ergab die Analyse die folgenden Ergebnisse: Der Bereich der Russian Studies galt als zufriedenstellend abgedeckt. Das als hervorragend eingeschätzte Institut der Columbia University wurde weiter unterstützt, mit dem Ziel, dass die Universität die Finanzierung so bald wie möglich selbst übernehmen sollte. Stanford als zweitbestes Institut in diesem Bereich sollte sicherstellen, dass die Hoover Library und die Universität »integriert« werden. Mindestens vier weitere starke Zentren und mindestens zwei gute CollegeProgramme wurden als notwendig angesehen. Die zukünftige Politik lag hier im Bereich der Profilierung und Arrondierung durch weitere Zentren. Für den Fernen Osten zielte die Stiftung auf Konsolidierung und Erweiterung der Zentrumsausrichtungen. Es fehlte ein starkes Zentrum für Japan-Studien und eines der bestehenden Zentren, die sich insbesondere auf China konzentrierten, sollte sich auch auf Korea spezialisieren. Der Vorschlag der Stiftung war, dass die University of Washington neben China auch Japan abdecken könnte. Gleichzeitig richtete sich das Interesse auf die Internationalisierung der Ausbildung zum Fernen Osten selbst. Geplant wurden Initiativen in »England, perhaps Canada

209 Charles B.  Fahs, Brief on Language and Area Studies in the U. S., 3.12.1946. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 210 Ebd.

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Abb. 3: Überblick über die Förderung der Area Studies 1946–1954 durch die Rockefeller Foundation, Januar 1955.

and Australia, fellowships for non-Americans, exchange of personnel with Far East« (vgl. Abb. 3).211 Die Mitte der 1940er Jahre inventarisierten »weißen Flecken« auf der globalpolitischen Karte markierten einen längerfristigen Planungsbedarf im Bereich Afrika und Südostasien. Afrika überließ die Stiftung Carnegie und Ford, die in diesem Bereich bereits gefördert hatten.212 Als Problemfall galt der Aufbau eines Südostasien-Schwerpunkts. Da nach Einschätzung der Stiftung personelle Ressourcen für ein solches Programm nur im State Department verfügbar waren, bestand die Stiftungspolitik hier in der Vergabe von Fellowships an Kandidaten aus den Kriegsprogrammen, die zunächst in Europa und dann so bald wie möglich in Südostasien arbeiten sollten, um ein »native scholarship« zu entwickeln: »This is  a long-run job but one which may have great cultural and

211 Charles B.  Fahs, Brief on Language and Area Studies in the U. S., 3.12.1946. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 212 Charles B. Fahs, Widening our Cultural Horizons, 12.11.1954. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 32, Folder 166.

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political significance.«213 Auch Indien und Pakistan gehörten noch länger zu den »weißen Flecken« auf der Karte der US-amerikanischen Area Studies. Noch Mitte der 1950er Jahre wurde von der Rockefeller-Stiftung über einen guten Ort für ein Indien-Zentrum nachgedacht.214 Korea galt selbst Anfang der 1960er Jahre als »uncovered«.215 Der Blick auf die Ressourcen zum Aufbau der Area Studies ergab eine Karte mit entwicklungsstarken und entwicklungsschwachen Programmen. Es entstanden Zentren und Peripherien, die ihrerseits Förderlogiken produzierten. Im Detail scheint ein solcher Profil-Plan in seiner Verbindung aus Pragmatismus mit Effizienz aus wissenschaftspolitischer Sicht schwer zu kritisieren. Bestehende Institute zu unterstützen bzw. weiter zu entwickeln sowie neue Institute und Programme in Entwicklungsbereichen zu stimulieren, durch College-Programme abzustützen und dies auf der Grundlage der Evaluation des nationalen Bedarfs zu organisieren war das Basiskonzept der Förderung, zu dem es kaum Alternativen gab. Dennoch zeigte sich eine Konsequenz der Stiftungsintervention sehr deutlich. Denn mit der Einführung von Standards und der gezielten Mittel­ vergabe ersetzte ein zentraler Kontroll- und Gestaltungsmechanismus lokale Mechanismen und Kontrollinstanzen. Im Ergebnis dieser Steuerung und Standardisierung wurden andere Entwicklungstendenzen unterbunden, die man als »Provinzialisierung« und Gegenentwicklungen zur Bürokratisierung der Forschung bezeichnen könnte.216 Im Hinblick auf die geopolitische Ausrichtung der Programme galt dies nicht nur für die amerikanische Nation, sondern im beginnenden Kalten Krieg auch für die anderen Länder, die in diese Organisationsmodelle und Planungen einbezogen wurden. Die Stiftung agierte als ein selbstbewusster nationaler und globaler Akteur in der internationalen Szene, der Wissenschaftspolitik innerhalb klassischer Kategorien des Managements betrieb: Zentralisierung und Profilierung durch Ressourcenverteilung. Die Förderung galt einzelnen Projekte und Personen, das Ziel war die langfristige Beeinflussung und Veränderung von Strukturen und Perspektiven. Die Rockefeller-Stiftung koordinierte sich eng mit den anderen Stiftungen und Wissenschaftsorganisationen. Das area movement hatte viele Institutionen »ergriffen« und verschiedenartige Initiativen angeregt, wie z. B. Übersetzungsund Bibliotheksprojekte. Die Fulbright Commission legte 1946 ein Programm mit den Schwerpunkten »overseas teaching« und »exchange« auf, das sich bald zum wichtigsten akademischen Austauschprogramm der USA entwickelte. Im 213 Charles B.  Fahs, Brief on Language and Area Studies in the U. S., 3.12.1946. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 214 Charles B. Fahs, Widening our Cultural Horizons, 12.11.1954. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 32, Folder 166. 215 Charles B. Fahs, Area Studies, 29.9.1961. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 216 Zum »Lokalismus« als einer Standardkritik an philanthropischer Standardisierung, Lageman, S. 179 ff.

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Jahr 1948 wurden 47 Amerikaner und 36 Ausländer im Rahmen der binatio­nalen Abkommen mit China, Burma und den Philippinen gefördert. Im akademischen Jahr 1952/1953 waren es bereits 1.253 Amerikaner und 2.210 Ausländer. Im Jahr 1971 umfasste das Programm 55 binationale Verträge.217 Der geopolitische Fokus der Anfangsjahre sowie die Internationalismus-Philosophie des Programms waren dabei kein Zufall, sondern ebenso wie die Area Studies Teil der nationalen Strategien der globalen Vernetzung der USA zu Beginn des Kalten Kriegs.218 Ende des Jahres 1946 stieg auch die Carnegie Corporation mit einem größeren Förderprogramm in die Area Studies in den USA ein. Verantwortlich zeichnete das OSS-Mitglied John W. Gardner, zukünftiger Präsident der Carnegie Corporation (ab 1955) und später Minister für Bildung, Gesundheit und Wohlfahrt unter Johnson. Der Plan von Carnegie war es, zunächst die Universitäten zu fördern, die sich auf spezifische Programme festgelegt hatten – zwei Universitäten im Osten, zwei im Mittleren Westen und zwei im Süden. Bei Erfolg dieser Maßnahmen sollten dann in einem zweiten Schritt auch Colleges gefördert werden. Bereits im Februar 1947 arbeitete Gardner auch an einem Fellowship-Programm und plante dafür ein eigenes Komitee, da er nicht auf ACLS, SSRC oder die Universitäten selbst zurückgreifen wollte.219 Im September 1947 legte Carnegie nach Rücksprache mit Rockefeller sein Programm zur institutionellen Förderung vor. Insgesamt sollten schließlich an zwölf Universitäten einzelne klar definierte Schwerpunktbildungen unterstützt werden. Neben den Russian Studies in Harvard220 betraf die Mittelverteilung die folgenden Universitäten: 1. University of Michigan – $ 125,000 over five years for Japanese studies 2. University of Minnesota – $ 130,000 over five years for Scandinavian studies 3. Yale University – $ 150,000 over five years for Southeast Asia studies 4. University of Pennsylvania – $ 155,000 over five years for Indic studies 5. Princeton University – $ 61,000 over five years for Near Eastern studies 6. Texas, Tulane, North Carolina, and Vanderbilt – $ 250,000 over five years for Latin American studies 7. Johns Hopkins University – $ 12,000 for one year for research on the Chinese borderlands 8. Columbia University – $ 20,000 for one year for fellowships for the Russian Institute221 Die Verteilung der Gelder war das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses, in dem die Stiftung die Rockefeller-Kriterien anlegte. Die Universitäten mussten 217 Dudden u. Dynes, S. 3. 218 Vgl. Lebovic. 219 Charles B. Fahs, Diaries, 24.2.1947. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. 220 Loschke, Area Studies, S. 203. 221 Charles B. Fahs, Diaries, 15.9.1947. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392.

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sich auf eine Area und ein Programm festlegen, im Ausgang von den vorhandenen Ressourcen. So bekam Pennsylvania das Geld erst nach der Zusage, sich auf Indien zu konzentrieren und nicht mehr, wie ursprünglich, auch Afrika und den Nahen und Fernen Osten abzudecken. Die Anfrage von Columbia für den Nahen Osten wurde abgelehnt. Und mit Stanford dauerten die Diskussionen über eine Profilarea zum Zeitpunkt des Förderbeginns an den anderen Universitäten noch an.222 Das Vergabekriterium diente der Profilbildung und dem Aufbau einer strukturierten nationalen Wissenschaftslandschaft, an dem die Universitäten sich zu orientieren hatten. Neben der Koordination der Stiftungen und Forschungsräte untereinander war die Schaffung eines Kommunikationszusammenhangs mit den Wissenschaftlern entscheidend, um das Konzept »Area Studies« mit Inhalt zu füllen und die Netzwerkbildung voranzutreiben. Konferenzen mit länderspezifischen Schwerpunkten oder Treffen von Wissenschaftlergruppen waren zentral für die Förderpolitik der Stiftungen.223 Carnegie hatte bei Eintritt in die Area-StudiesFörderung 5.000 US-Dollar eingeplant, die an den SSRC zur Finanzierung der ersten nationalen Konferenz zur Erforschung der Weltregionen gehen sollten.224 Die beiden nationalen Area-Studies-Konferenzen, die 1947 und 1950 stattfanden, markierten den Übergang zu den neu verhandelten Konzepten und deren Verbreitung. Diese erste nationale Konferenz zur Erforschung der Weltregionen, die im November 1947 mit Unterstützung von Carnegie und organisiert vom Committee on World Area Research stattfand, brachte organisatorisch keine Ergebnisse. Aus Sicht Charles B. Fahs war man kaum vorangekommen.225 Entscheidungen wurden nicht getroffen, obwohl der Soziologe Talcott Parsons als einflussreicher Deutschland-Experte und ehemaliger Programmdirektor des ASTP für Europa in Harvard die Frage nach einer dauerhaften Institutionalisierung explizit gestellt hatte: »The meeting itself was very similar to what might be accomplished by an academic organization made up of area students, but there seemed to be no significant approach to the question of such an organization or to coordination between the area committees now in existence or of the area work of the several councils.«226 Wie Fahs kritisierte, wurden weder Kriterien noch Orga­ nisationsformen festgelegt, sondern man verständigte sich lediglich darauf, dass in einem Area-Programm Graduate- und Undergraduate-Optionen vorhanden sein müssten im Rahmen eines institutionalisierten Forschungsprogramms, das inter­disziplinäre und kooperative Forschung beinhaltete. 222 Ebd. Zu den Gesprächen der Folgejahre vgl. David H. Stevens, Diaries, März / April 1949. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 394. 223 David H. Stevens, Proposal for a National Plan of Work on Foreign Languages, Institutions and Customs. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 224 Charles B. Fahs, Diaries, 15.9.1947. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. 225 Charles B. Fahs, Diaries, 28.–30.11.1947. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. 226 Ebd. Zu Parsons vgl. Gerhardt.

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Dennoch war das Treffen nicht ohne Bedeutung. Es war eine erste großflächig organisierte nationale Bestandsaufnahme, an der Wissenschaftler aus allen Areas teilnahmen. Ebenso ist die Wirkung der Vernetzungseffekte und der interdisziplinären Arbeit an den gemeinsamen Konzepten in Area-Gruppen hervorzuheben. Die Diskussion war in fünf Area Panels organisiert: Lateinamerika, Europa, Sowjetunion, Naher Osten, Südasien und Ferner Osten. Im Ergebnis trafen sich die Diskussionen der Wissenschaftler in einigen Punkten mit den Einschätzungen und Zielen der Stiftungen, in anderen unterschieden sie sich. So sahen die Diskussionsteilnehmer zwar die Forschungen für den Nahen Osten und die Sowjetunion ebenfalls als besonders stark entwickelt an, wollten aber – im Unterschied zu den derzeitigen Förderinteressen der Stiftung – auch Europa und Lateinamerika auf die Förderagenda setzen.227 Die zweite nationale Konferenz von 1950 erbrachte ebenfalls keinen größeren organisatorischen Mehrwert. Debattiert wurde die Ungleichheit der Area Studies-Programme an den verschiedenen Universitäten. Einigkeit herrschte nach wie vor darüber, dass sowohl Graduate- als auch Undergraduate-Programme in Area Studies involviert sein müssten sowie institutionalisierte interdisziplinäre Forschung in kooperativer Form. Der Enthusiasmus der unmittelbaren Nachkriegsjahre war spürbar abgeklungen. Gleichwohl wurden erste Ergebnisse einer zunehmenden Internationalisierung der Hochschulen konstatiert, nicht nur im Bereich von Stundenplänen und Bibliotheksbeständen, sondern auch von akademischen Mentalitäten. Der Gedanke einer universalen Sozialwissenschaft war nun pragmatischen Diskussionen gewichen. Aber die methodische Bedeutung der Area Studies stand bei der Initialisierung interdisziplinärer Zusammenarbeit außer Frage: »It is a catalytic agent, not a temporary luxury nor a stopgap measure in national crisis.«228 Neben der Organisation von Konferenzen in nationalem Maßstab, institutioneller Einzelförderung und koordinierenden Treffen der Akteure haben in der Herausbildung der Area Studies Fellowship-Programme eine wichtige Rolle gespielt. Sie dienten als Instrument der Rekrutierung des wissenschaftlichen Personals. Mithilfe der Fellowship-Programme wurden Wissenschaftler in die Area entsendet und sollten dort einen entsprechenden Arbeitsschwerpunkt entwickeln. Mit der Einrichtung von Doktorandenstipendien richteten sich die Programme auch an den Nachwuchs. Schon im Jahr 1946 hatte deshalb die vom SSRC gegründete Commission on World Area Research ein solches Programm eingefordert, das dann insbesondere mit Mitteln der Carnegie Corporation finanziert wurde.229 Die sogenannten Area Research Training Fellowships und Grants wurden von 1948 bis 1952 an insgesamt 214 Forscher vergeben, Doktoranden und Postdoktoranden sowie fortgeschrittene Forscher. Die meis227 Wagley, The Study of World Areas, S. 4. 228 Taylor, S. 31. 229 Charles B. Fahs, Diaries, 15.9.1947. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. Für Fellowships und Reisestipendien standen 200.000 US-Dollar zur Verfügung.

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ten waren Historiker oder Anthropologen. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 700.000 US-Dollar.230 So günstig das Förderinstrument aber aufgrund seiner Flexibilität und Kurzfristigkeit auch scheinen mag, die Bilanz war geteilt: Denn abgesehen von den praktischen Problemen, waren insbesondere zwei Ziele nicht erreicht worden. Erstens: Es war so gut wie nicht gelungen, neue Forscher für die Areaforschung zu interessieren, was insbesondere die Postdoc-Stipendien hätten bewirken sollen, deren Bewerbungsalter eigens von 35 auf 40 Jahre erhöht wurde.231 Fast alle Postdoc-Fellowships gingen an Forscher, die bereits ein Area-Interesse mitbrachten.232 Zweitens: Das Programm hatte keine interdisziplinären Forschungsgruppen stimuliert, die meisten Forscher reisten allein oder mit Ehepartner und ihre Forschungen waren klassische »Individualforschungen«, obwohl sie als Teil eines Projekts an einem Zentrum ausgelegt waren. Dennoch lässt sich die Statistik des Programms auch als Beleg für die Institutionalisierung der Area Studies lesen. Waren in den ersten zwei Jahren die Forscher nicht an Area Studies Centers oder Instituten angesiedelt, stieg diese Zahl von Jahr zu Jahr an. Im letzten Förderjahr des Programms 1951/1952 waren mehr als zwei Drittel der Stipendiaten an einem regionalwissenschaftlichen Zentrum assoziiert. 3.2.2 Die Ford Foundation und die zunehmende Nationalisierung In den 1950er Jahren veränderte sich die nationale Förderlandschaft grundlegend. Ausschlaggebend dafür war der Auftritt der Ford Foundation. Nach dem Tod ihres Gründers im Jahr 1947 wurde die Stiftung mit 417 Millionen Dollar Ende des Jahres 1950 zur größten philanthropische Organisation der Welt und zur einflussreichsten Förderinstitution universitärer Forschung außerhalb der Naturwissenschaften: Ab Mitte der 1950er Jahre dominierte sie zumindest bis Anfang der 1960er Jahre die Finanzierung der Sozialwissenschaften in den USA.233 Die Förderpolitik der Area Studies erhielt 1953 mit der Bildung des International Training and Research Programs (ITR) eine eigenständige Abteilung. Innerhalb des institutionellen Geflechts zwischen Stiftungen, Regierung und Wissenschaftsorganisationen wurde Ford zum entscheidenden Förderer der Area Studies. Die institutionelle Förderung der Universitäten wurde in drei 230 Casagrande u. Sibley, S. 37 ff.: Von 216 Stipendien wurden 67 an Anthropologen, 42 an Historiker vergeben. 231 Diese Stipendien wurden intern deshalb auch als »conversion fellowships« bezeichnet, vgl. z. B. P&P Agenda, 8.1.1949. RAC, SSRC, Committee Projects, Subser. XXXIX, Box 119, Folder 650. 232 Vgl. für alle folgenden Angaben zur Statistik Casagrande u. Sibley, S. 38–40. 233 Zur Ford-Politik in den Eisenhower-Jahren vgl. Berghahn, S. 183 ff. Das Vermögen der Rockefeller Foundation lag bei 122 Millionen Dollar, das der Carnegie Corporation bei 170 Million Dollar, vgl. Sutton, The Ford Foundation, S. 52; Solovey, Visions, S. 104 f.

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Phasen organisiert. Nach der ersten Grundförderung gingen zwischen 1960 und 1962 15 Langzeit-Grants für Area Programme über zehn Jahre an Universitäten (block grants), 13 davon wurden mit Follow-up Grants in Höhe von 72 Millionen Dollar weiter gefördert. Elf große amerikanische Universitäten und Institute waren in dieser Weise gefördert worden: Berkeley, Chicago, Columbia, Cornell, Harvard, Indiana, Michigan, MIT, Stanford, Wisconsin und Yale.234 Bis zum Jahr 1966 zahlte die Stiftung 120 Millionen US-Dollar in Grants direkt an 15 US-Universitäten, um interdisziplinäre Area Studies Centers aufzubauen. Rechnet man die Area Förderung der Ford Foundation an den Aktivitäten des SSRC hinzu, die in diesen Jahren vier Fünftel des Gesamthaushalts des SSRC ausmachten, sowie die Unterstützung von 15 universitären Zentren, investierte Ford zwischen 1951 und 1966 mehr als 270 Millionen US-Dollar in die Area Studies.235 Die Bedeutung der Förderung zeigte sich retrospektiv, als die Ford-Stiftung in den 1970er Jahren begann, ihre regionalwissenschaftliche Förderung neu zu orientieren und damit letztlich die Auflösung der Area Committee des SSRC provozierte.236 In ganz anderem Umfang als die Vorgängerprojekte legte die Stiftung das erste große nationale Stipendienprogramm zur Area-Forschung auf.237 Das von der Ford Foundation von 1951 bis 1972 finanzierte prestigereiche Foreign Area Fellowship Program (FAFP) unterstützte 2.050 Doktoranden in den Sozial- und Geisteswissenschaften: Die Form war großzügiger und forschungsfreundlicher ausgelegt als die früheren Area Research Training Fellowships bzw. Grants des SSRC. Vergeben wurde ein zweijähriges Stipendium für ein interdisziplinäres und linguistisches Training, komplementiert um zwei weitere Jahre für Dissertationsrecherchen und das Schreiben der Arbeit. In den kommenden dreißig Jahren wurden darüber hinaus von den beiden Council 3.000 Promotionen und, mit anderen Stiftungen zusammen, 2.800 Postdoc-Stipendien vergeben.238 Die Förderung der Area Studies erfolgte im Rahmen der internationalen Strategie der Ford Foundation, die mit der Gründung des Boards on Oversea Training and Research (BOTR) 1952 formuliert wurde. Die Fördersemantik Anfang der 1950er Jahre war im Unterschied zu den Strategiepapieren der Rocke­feller-Stiftung weniger von konzeptuellen Erwägungen zum Aufbau der Sozialwissenschaften geprägt als von der nationalen Verantwortung oder, wie es die Ausschreibung des ersten Durchgangs des Fellowship Programms for-

234 Announcement of Foreign Study and Research Fellowships 1952, S. 19. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 3, Folder 12. 235 Szanton, The Politics of Knowledge. Im Jahr 1972 gibt Ford das Programm an die Area Studies Committee ab, vgl. Szanton, The Joint Committees. Zum Anteil der Finanzierung von Ford am SSRC, Worcester, S. 209. 236 Vgl. dazu Kapitel 3.5. 237 Casagrande u. Sibley, S. 4. Weitere Stiftungen waren z. B. die Doherty Foundation (für Latein­a merika) und die American-Scandinavian Foundation. 238 Szanton, The Politics of Knowledge.

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mulierte, der »Förderung des Weltfriedens«.239 Letzteres war der Stiftung im Bericht der Studienkommission ins Stammbuch geschrieben worden, der auf Beschluss des Treuhänder-Rats im Jahr 1949 zur Definition der Stiftungspolitik verfasst wurde.240 Vorsitzender der Kommission war der Jurist Rohan Gaither, welcher nicht nur den militärstrategischen Think Tank RAND Corporation mit begründet hatte,241 sondern 1957 auch Präsident des National Security Council und Autor des einflussreichen Berichts »Deterrence and Survival in Nuclear Age« wurde.242 Die Regierungs- und Politiknähe war von Anfang an ebenso konstitutiv für die Programme wie das militärstrategische Koordinatensystem der RAND. »It will be concernced«, führte der Präsident der Ford Foundation Paul Hoffman zur Funktion des Board on Oversea Training and Research im Frühjahr 1952 anlässlich seiner Gründung aus, »with the nation’s urgent need for greater numbers of better trained and qualified people to serve in educational, govern­mental, and technical capacities throughout Asia and the Middle East.«243 Hoffman, der seit 1951 Präsident der Stiftung war, war zuvor im Vorstand des Studebaker Autokonzerns gewesen und hatte unter Truman die Durchführung des Marshallplans in Europa beaufsichtigt.244 Die Erklärung subsumierte das Board on Oversea Training and Reseach unter die Förderaufgaben der Stiftung im Programmbereich »Weltfrieden«: die Schaffung von Strukturen und die Initiierung von Prozessen als Voraussetzung für eine verbesserte Wahrnehmung der weltpolitischen Rolle von amerikanischer Regierung und privaten Institutionen.245 Eine verstärkte Unterstützung der United Nations und ein Engagement im Bereich der öffentlichen Bildung galten dafür als ebenso wesentlich wie Geld und Expertise für die Politik.246 Die erste Aufgabe des Board on Oversea Training and Research unter Leitung von Gordon Gray (Präsident der University of North Carolina) war die Ausformulierung des Fellowship-Programms. Es spielte eine strategische Rolle bei der anvisierten Ausbildung besserer Führungspersönlichkeiten für den »internationalen Bereich«.247 Intern sollte der Ausschuss die Schlüsselprobleme und Kriterien der Auswahl bestimmen und darauf aufbauend eine Förderstrategie

239 Announcement of Foreign Study and Research Fellowships 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 3, Folder 12. 240 Gaither. Zum ersten der fünf Programme »Establishment of Peace« vgl. S. 52 ff. des Berichts. 241 Amadae, insbes. S. 34–39. 242 Solovey, Shaky Foundations, S. 113. Vgl. Snead. 243 Announcement of the establishment of The Ford Foundation Board on Overseas Training and Research, 24.3.1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 1. 244 Sutton, The Ford Foundation, S. 53 ff. 245 Vgl. für eine Analyse der Friedenspropaganda Anfang der 1950er Jahre am Beispiel von Eisenhowers Atoms for Peace-Rede (1953) Medhurst. 246 Gaither, S. 52 ff. Vgl. dazu Berghahn, S. 183 ff. 247 Gaither, S. 61.

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erarbeiten, »for a program best calculated to serve catalytic purposes«.248 Das Programm erwies sich als dynamisch. Auf der Sitzung des Boards vom 18. März 1952 hatte Carl Spaeth den Vorschlag für ein umfangreiches Fellowship-Programm präsentiert, das im Umfang von 500.000 Dollar 100 Stipendien an »US citizens« vergeben sollte, mit dem Ziel »to obtain greater knowledge and understanding of Asia and the Near and Middle East«.249 Die Spezifik des Programms lag in der Förderung von Journalisten, Anwälten und anderen »fortgeschrittenen Spezialisten«, die »increased knowledge of critical areas« in den Bereichen Bildung, Regierung, Landwirtschaft, Wirtschaft bereitstellen sollten, »um internationale Spannungen zu reduzieren«.250 Im ersten Jahr gingen 700 qualifizierte Bewerbungen ein. Es wurden 83 Graduates ausgewählt, vorwiegend aus der Anthropologie. Der regionale Schwerpunkt lag mit 31 Stipendien auf China und Japan, gefolgt vom Nahen und Mittleren Osten mit 27 Stipendien.251 Im zweiten Jahr galt die Aufmerksamkeit der Stiftung der Unterstützung des nicht-akademischen Sektors: Die Anfragen zu diesem Sektor machten circa 20 Prozent aus252 und die Stiftung beschloss, diesen Teil des Programms zu einem separaten Programm auszuarbeiten, mit einem eigenen Bewerbungsverfahren.253 In Bezug auf die Auswahl der Stipendiaten stellte sich für die Ford Foundation konkret die Frage nach der Zusammenarbeit mit der Politik. Wie auch in anderen Bereichen der Förderpolitik endete die interne Diskussion mit einer Entscheidung gegen eine formalisierte Anfrage bei Botschaften und State Department. Ausländischen Regierungen sollte kein Vetorecht bei Stiftungsentscheidungen eingeräumt werden. Aber auch das State Department sollte nicht über die Stiftung seine »Agenten« rekrutieren.254 Trotz der Zusammenarbeit mit den Ministerien wollte die Stiftung nicht zum Ausbildungspool für den Geheimdienst oder zum Propagandainstrument der Regierung werden.255 Weitere internationale Programmerweiterungen wurden geplant. Die Stiftung beabsichtigte, ihre Förderaktivitäten im Nahen Osten mit der Gründung 248 Carl Spaeht an Gordon Gray, 9.9.1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 5. 249 BOTR, Minutes, March 18 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 3, ­Folder  4. 250 Announcement of Foreign Study and Research Fellowships 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 3, Folder 12. 251 The Ford Foundation, BOTR, 6.10.1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 5. 252 BOTR, Staff Activity, Dec 1–12 1952, Confidential. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 5. 253 BOTR, Minutes, September 17 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 2, Folder 9.  254 Minutes of a Meeting of the Ford Foundation Board on Overseas Training and Research, May 22 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 2, Folder 7. 255 Gaither, S. 59.

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eines Verbindungsbüros (liaison office) zu arrondieren.256 Darüber hinaus wollte sie ihren geographischen Radius über die ursprünglichen Förderregionen des Programms – Asien, Naher und Mittlerer Osten – auf Afrika und Osteuropa ausweiten: Ein Programm zu Slavic Studies sollte von Moseley (Columbia) ausgearbeitet werden.257 Für das Jahr 1954/1955 wurden einjährige Scholarships und Fellowships »on Soviet and Slavic Area Studies« für den prä- und postdoktoralen Bereich ausgeschrieben.258 Für Afrika wurde eine umfangreiche Überblicksstudie in Auftrag gegeben und Kurzzeitstipendien ausgeschrieben, um diese »critical region« abzudecken. Mit Nachdruck hatte der SSRC Report von 1951 darauf verwiesen, dass nur an einer Universität in den USA ein AfrikaProgramm angeboten wurde, an dem lediglich 13 Studenten, größtenteils aus der Anthropologie, teilnahmen.259 Nach internen Evaluierungen schloss die Stiftung auch Lateinamerika in ihre Förderung ein, das z. B. im Jahr 1961 in das FAFP aufgenommen wurde.260 Die Arbeitsweise der Ford Foundation unterschied sich von der der Rockefeller Foundation. Dies ist in der Kritik an der Philanthropiegeschichte festzuhalten, die vorwiegend das Bild eines gemeinsamen amerikanischen Stiftungsmodells als Bestandteil der civil society gezeichnet hat.261 Denn diese Unterschiede waren konstitutiv für die weiteren Entwicklungen, wie die Umsetzung der Area ­Studies im Ergebnis der Komplementarität von Arbeitsweisen und Förderpraktiken zeigt. Die maßgebliche Intervention und Beeinflussung der Wissenschaftslandschaft durch Rockefeller lag in der anfänglichen strategischen Bündelung vorhandener Ressourcen und der Organisation von Netzwerken und Kommunikation, auf welche in einem nächsten Schritt die nationale Verbreitung und stärkere Verknüpfung mit Regierungsaufgaben durch Ford erfolgte. Bei internen Gesprächen zwischen Ford und Rockefeller, die zu Beginn der Programmplanung von Ford stattfanden, wurde explizit gemacht, wie verschieden die Stiftungen sich definierten und arbeiteten. Rockefeller hatte eine andere Rekrutierungs- und Netzwerkstrategie und einen, aus Sicht der Ford-Stiftung, 256 BOTR, Staff Activity, Dec. 1–12 1952, Confidential. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 5. Zunächst waren zwei Verbindungsbüros für zwei Jahre geplant (in Süd- oder Südostasien und im Nahen und Mittleren Osten). Nach umfangreichen Diskussionen, intern und mit u. a. dem SSRC wurde ein Pilotprojekt mit einem Büro im Nahen und Mittleren Osten auf der Grundlage einer in Auftrag zu gebenden Studie beschlossen, BOTR, Minutes, September 17 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 2, Folder 9. 257 BOTR, Staff Activity, Dec. 1–12 1952. Confidential. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 5. 258 BOTR, Announcement of Scholarships and Fellowships on Soviet and Slavic Area Studies 1954/55, 29.11.1953. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 2, Folder 2. 259 BOTR, Minutes, September 17 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 2, Folder 9. Das Programm wurde von sieben Fakultätsangehörigen unterrichtet. Des Weiteren wurde darauf verwiesen, dass das State Department weniger als sechs Afrika-Spezialisten habe. 260 Loschke, Area Studies, S. 381–388. 261 Vgl. Tournès, Carnegie, Rockefeller, Ford, Soros.

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elitären Zugang. Die Verantwortlichen betonten gegenüber der Ford-Stiftung den Netzwerkcharakter ihrer Förderung und die Bedeutung der fortlaufenden Zusammenarbeit mit den Fellows, im Unterschied zu einer einmaligen Förderung im Rahmen einer Programmschiene. John Weiss (Ford Foundation) notierte nicht ohne Erstaunen: »they spent a great deal of time and energy keeping in touch with their recipients, getting periodic reports from them, and maintaining through them thus a network of informants about other potential applicants.«262 Ford hingegen wurde von Rockefeller das Gefühl vermittelt, zu groß in die Area Studies eingestiegen zu sein. Es überwog bei den Kollegen der allgemeine Eindruck, »that we have bitten off more than could reasonably be chewed«.263 In der Tat differierten nicht nur die Förderpraktiken, sondern auch die Summen: Die Rockefeller-Stiftung hatte bis 1955 in ihren verschiedenen Abteilungen seit 1946 circa acht Millionen Dollar ausgegeben.264 Ford investierte zwischen 1951 und 1966 mehr als 270 Millionen US-Dollar in die Area Studies.265 Darüber hinaus entwickelte die Stiftung ein spezifisches Feld an Europa-Studien, das die europäische Integration untertützte und verwissenschaftlichte.266 Breitenwirksamkeit stand gegen elitäre und gezielte Einzelförderung und Programmgestaltung: die Ausrichtungen hätten unterschiedlicher nicht sein können. Die Strategie der Rockefeller-Stiftung hatte gemeinsam mit dem ACLS das Konzept auf den Weg gebracht. Die Kommunikationsstrategie der Ford-­Stiftung hingegen sorgte Anfang der 1950er Jahre für eine nationale Mobilisierung: Nach der Ausschreibung des Stipendienprogramms am 30. November hatte am 4. Dezember 1952 die »New York Times« ein Editorial gebracht. Bis zum 12. Dezember 1952 hatte Ford 940 Anfragen für Bewerbungsunterlagen erhalten.267 Bis Januar wurden es 1.724.268 Während Rockefeller Fellowship-Anträge und Projektförderungen verhandelte und bei Interesse annahm, wenn die Informationen zu den Kandidaten vorlagen und die Projektformulierung vereinbart war, wurden die Bewerbungsformulare von Ford breit und öffentlich vergeben.269 262 Mr. John K.  Weiss, Conference with Mr. Kimball of the Rockefeller Foundation, May 15 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 3. 263 Ebd. 264 The Rockefeller Foundation Overall Support for Area Studies, 7.2.1955. RAC, RF, RG 3.2, Ser. 900, Box 31, Folder 165. 265 Szanton, The Politics of Knowledge. Im Jahr 1972 gibt Ford das Programm an die Area Studies Committee ab, vgl. Szanton, in: Items, Bd. 36 (4), 1982. Zum Anteil der Finanzierung von Ford am SSRC, Worcester, S. 209. 266 Cohen, European Studies. 267 BOTR, Staff Activity Report, Dec. 1–12 1952, Confidential. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 5. 268 BOTR, Staff Activity Report, December 29–January 9 1953. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 6. 269 Auch intern wurde dieses Vorgehen bei Ford kritisch diskutiert, vgl. Mr. John K. Weiss, Conference with Mr. Kimball of the Rockefeller Foundation, May 15 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 3.

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In Anbetracht der neuen Situation zog die Rockefeller-Stiftung Mitte der 1950er Jahre eine erste Bilanz und definierte das eigene Engagement neu. Die Area Studies im Bereich der Far Eastern, Russian und Latin America Studies galten nach Einschätzung der Stiftung als gut etabliert. Der Bereich des Fernen Ostens schien am besten organisiert, besser als Lateinamerika, das gleichwohl zahlenmäßig über mehr Personal verfügte. Russisch wurde inzwischen an über hundert Colleges und Universitäten gelehrt.270 In den Bereichen China, Japan und Russland wurde eine Überproduktion an promovierten Wissenschaftlern festgestellt, da die Regierung seit 1952 weniger Spezialisten in diesem Bereich einstellte.271 Andere Länder und Regionen hingegen – wie Okinawa und Korea – waren immer noch nicht abgedeckt.272 Auch Kanada und Afrika gehörten dazu; nichtrussische Sprachen der Sowjetunion – wie Kirgisisch zum Beispiel – wurden in den USA gar nicht gelehrt.273 Angesichts dieser Situation galten die Schwerpunkte der zukünftigen Förderpolitik der Stiftung neben einigen wenigen größeren Grants nun vor allem den Area Studies im Ausland und dem UndergraduateBereich, in dem Ford und Carnegie sich nicht engagierten.274 Insgesamt war die Einschätzung der Rockefeller-Stiftung zur Leistung der Area Studies geteilt. Denn zum einen hatte sich die Idee, dass die Institute sich nach einer Anschubfinanzierung selbst tragen würden, nicht realisieren lassen.275 Und zum anderen waren zwar viele Area-Programme an den Universitäten vorhanden, aber diese fristeten das Dasein von Orchideenfächern. Sie hatten sich nicht als Ausbildungsoption durchgesetzt, sondern wurden als eine »luxury variety of specialized training« angesehen. Als bestes Beispiel dafür galt dem Berichterstatter und Japan-Spezialisten Fahs (Humanities Division) das ­Pomona College in Kalifornien: Selbst nach zwölf Jahren Rockefeller-Finanzierung waren die Programme nicht mehr als »a decorative appendage«.276 Pomona war eines der ersten Colleges in den USA gewesen, das in den 1940er Jahren

270 Estimate of Position in Area Studies at the End of 1949, 23.3.1950. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 271 Charles B.  Fahs, A reexamination of Rockefeller Foundation Program on Area Studies, 1954. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 272 Charles B. Fahs, Area Studies, 29.9.1961. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 273 Charles B. Fahs, Inter-Office Correspondence: Area Studies a Reexamination, 22.9.1948. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 274 Charles B. Fahs, Long-Range Policy with Regard to Area Studies, 5.5.1954. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. Schon bei dem Gespräch zwischen Weiss und Kimball hatte Ford die Einbindung der Colleges in die Area Programme als schwierig eingestuft, vgl. Mr. John K. Weiss, Conference with Mr. Kimball of the Rockefeller Foundation, May 15 1952. RAC, FF, BOTR, Office Files of Gordon Gray, Box 1, Folder 3. 275 Charles B. Fahs, Long-Range Policy with Regard to Area Studies, 5.4.1954. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 276 Charles B Fahs, Area Studies. A Reexamination, 22.9.1948. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165.

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Asien-Spezialisten für China und Japan eingestellt hatte. Fahs hatte hier unterrichtet, bevor er 1941 zum OSS ging.277 Noch dunkler zeichnete Fahs das Bild im Bereich des Konzeptuellen. Die Stiftung war mit einem enthusiastischen Programm zur Reform der sozialwissenschaftlichen Forschung angetreten. Aber kaum eine Universität hatte ein überzeugendes integriertes Unterrichtskonzept entwickelt. Die Disziplinen selbst leisteten kaum einen Beitrag zur regionalwissenschaftlichen Forschung. Organisatorische Fragen waren nicht gelöst worden, wie zum Beispiel Organisations- und Finanzierungsmodelle für regelmäßige Auslandsaufenthalte der Area-­Spezialisten.278 Auch die hehren Ziele im Bereich der Interdisziplinarität waren nicht erreicht worden. Die Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen hatte sich nicht verbessert, von der Area Integration ganz zu schweigen. Das Material aus den Area Studies war nicht einmal in die »normalen« Disziplinen eingegangen.279 Dies war aus Sicht der Stiftung ein wichtiger Indikator für die Internationalisierung im Bildungsbereich. Quellen aus und über Afrika oder Asien hätten nach fast zehn Jahren Förderung in nicht-regionalen Geschichtskursen Verwendung finden müssen. Unzufriedenheit über die mangelnde Organisation und Kooperation der universitären Programme sowie die geringen Erfolge der area integration zwischen Departments und Forschern wurde auch vom SSRC geäußert. Als dessen Committee on World Area Research im Frühjahr 1951 vom Außenministerium 15 Millionen US-Dollar für die Ausbildung von 1.000 Area-Studies-Spezialisten forderte, mussten seine Repräsentanten zumindest hinter den Kulissen zugeben, dass in der aktuellen Situation angesichts der mangelnden Koordination kein Verantwortlicher eine Garantie für die effiziente und wirksame Verwendung der Mittel übernehmen konnte. Aus diesem Grund wurde auch die Einrichtung einer Gesamtkoordinationsstelle, etwa in Form eines »foreign secretary« des SSRC oder einer »national conference«, erwogen.280 In der Konsequenz dieses Kommunikations- und Planungsprozesses lässt sich konstatieren, dass die Area Studies nicht das Ergebnis einer Instrumentalisierung sozialwissenschaftlicher Ressourcen durch die Regierung waren. Die Situation Anfang der 1950er Jahre war komplexer und das Interesse an einer Zusammenarbeit beidseitig. Zudem waren es die Protagonisten der Wissenschaftsorganisationen, die ein staatliches Engagement forderten. Noch vor der Finanzierunganfrage war Richard Heidel (SSRC) im Sommer 1950 bei George K. Kennan vorstellig geworden, um eine Art kollektive Aktion, unterstützt von der Regie277 Barnett u. Symons, S. 33. 278 Charles B.  Fahs, Area Studies. A Reexamination, 22.9.1948. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 279 Charles B. Fahs, Long-Range Policy with Regard to Area Studies, 5.4.1954. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165. 280 Charles B. Fahs, Diaries, 19.4.1951. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. Die Planungen wurden 1952 fallengelassen. Vgl. auch Loschke, Area Studies, S. 246.

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rung, einzufordern. Kennan war Berater im State Department und schien Heindel als führender Sowjet-Experte der Regierung und Vater der ContainmentPolitik ein geeigneter Fürsprecher. Aber Kennan, der ausgesprochen verärgert über den sozialwissenschaftlichen Jargon der ihm zugesandten Positionspapiere war, sah generell keinen Nutzen in der Zusammenarbeit. Die Bedürfnisse der Regierung rechtfertigten keine grundsätzliche Förderung. In seinem Tagebuch äußerte er sich über das Gespräch in sehr eindeutiger Weise: »I gathered that there was a certain feeling of frustration in the social sciences over their inability to be of assistance to the Government in its foreign policy task. They feel that they are the discoverers of some new techniques for the uncovering of knowledge about the world, and that the Government ought to have use for this. They have been promoting concentrated programs of area study in various U. S. universities, which I think is all to the good and much needed as a backstop for study and for governmental understanding of foreign counties. But I told him that I was suspicious of collective effort in this field […].«281

Die Notiz gibt ein Stimmungsbild zur Siuation der Area Studies Anfang der 1950er Jahre. Aber dieses ist nicht ausschlaggebend für die weitere Entwicklung. Wie auch in den Bereichen der Außenpolitik befand sich Kennan nicht mehr mit der Regierung auf einer Linie.282 Im Frühjahr 1951 absolvierten die Area Studies ihre erste Station auf dem Weg der Verstaatlichung. Die nationale Kommission der UNESCO, deren Aufgabe es war, das State Department in allen Fragen von Bildung, Wissenschaft, Kultur und in der Erarbeitung von Politiklinien gegenüber der UNESCO zu beraten, gab eine Erklärung zur Bedeutung und Förderung der Area Studies ab: »The U. S. National Commission for UNESCO believes that the concept of ›foreign area studies‹ which has taken on substance and definition among the scientist, scholars, and educators of the United States during the past quarter of a century, and which is now finding a place in the curricula of many universities has a vital bearing upon the problems of understanding, objectively and sympathetically, peoples unlike ourselves and cultures which differ from our own.«283

Die Erklärung wurde im Zusammenspiel von Regierung, SSRC und in Absprache mit der Rockefeller-Stiftung, die Formulierungsvorschläge erstellt hatte,284 verfasst. Sie transportierte den enthusiastischen Nachkriegsinternationalismus 281 George F. Kennan, [Eintrag vom 14.6.1950], in: ders., Costigliola S. 248. 282 Gaddis, S. 408 ff. Dies änderte sich in den 1970er Jahren, vgl. zur Rolle Kennans Ende 1974 bei der Gründung des Kennan Institute als Teil des Woodrow Wilson International Centers for Scholars, Engerman, Know your Enemy, S. 249 ff. 283 Proposal on Foreign Area Studies. Für eine zeitgenössische Einschätzung der Kommission vgl. den Artikel ihres Chairmans Eisenhower, The U. S. National Commission. 284 Charles B. Fahs Diaries, 19.4.1951. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. Bei diesem Gespräch fragt Richard Heindel (SSRC) Fahs nach Vorschlägen für die Formulierung der Erklärung.

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der Kommission, der sich nicht langfristig gegen das State Department durchsetzen konnte. Spätestens 1955 wurde die Kommission vom State Department auch in ihren Befugnissen eingeschränkt.285 Was sich hier im Spannungsfeld von Sicherheits- und Außenpolitik sowie Internationalismus ankündigte, war der »Zugriff« der Bundesregierung auf die Bildung. Die Erklärung hatte programmatischen Charakter und wies voraus auf den National Defense Education Act von 1958 (NDEA), der die Bundesregierung mit weitreichenden Kompetenzen ausstattete und am Beginn einer Reihe weiterer Initiativen zum Aufbau der Wissensmacht USA stand.286 Der Einstieg der Regierung in die Bildungspolitik beschloss die entscheidende Koordinierungs- und Profilierungsphase der Area Studies: Im Jahr 1958 wurden im Titel III und VI des National Defense Education Act sowohl die institutionelle als auch die individuelle Förderung von Fremdsprachen und Area Studies in den USA im Zeichen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und einer intellektuellen Verteidigungsstrategie festgeschrieben. Das in Titel VI formulierte Stipendienprogramm, das sich an Institute und Zentren gleichermaßen richtete, funktionierte wie ein groß aufgelegtes »graduate fellowship program«.287 Von der Definition her entsprachen die Förderbedingungen nach einer anfänglichen reinen Orientierung auf den Fremdsprachenerwerb dem bereits vor dem Sputnik-Schock entwickelten integrativen Area-Konzept, allerdings ohne dass diese Netzwerke in der Endphase einbezogen wurden.288 Das »language development« unter Titel VI erhielt zwischen 1958 und 1962 insgesamt 61 Millionen Dollar, pro Jahr 15,25 Millionen.289 Mehr als hundert Bewerbungen für die Förderung von Zentren gingen im ersten Jahr ein, 19 davon wurden 1959/1960 gefördert. Die Auswahl entsprach der Definition der geopolitischen Bedürfnisse: sieben Zentren waren mit Asien verbunden, sechs mit Osteuropa – nur ein Zentrum beschäftigte sich mit Afrika.290 Die Förderprioritäten glichen sich in den Folgejahren punktuell aus. Insgesamt erhielten Asien und Osteuropa in den ersten fünf Jahren mehr als die Hälfte der Zentrumsförderung: 38,5 Prozent der Gelder ging an Zentren mit einem AsienSchwerpunkt, 22 Prozent entfielen auf die Osteuropa-Förderung.291 Ende der 1960er Jahre wurden mit den Mitteln 106 Zentren an insgesamt 59 Institutionen unterstützt, bis unter Nixon die ersten Versuche zu verzeichnen waren, diese

285 Preston u. a., S. 78; vgl. Herren, Internationale Organisationen. 286 Für eine Einordnung des NDEA als Ergebnis längerfristiger bildungspolitischer Diskussionen, ohne Berücksichtigung der Sprachprogramme, vgl. Urban. 287 Derthick, S. 51. Laurence Mc Derthick war U. S. Commissioner of Education. 288 National Defense Education Act. Vgl. zur Entwicklung Loschke, Area Studies, S. 253–260. 289 Urban, S. 173. Man beachte allerdings den Unterschied in der Höhe der Subventionen: Den höchsten Anteil hat die Unterstützung für »Science, Mathematics, Foreign Languages« unter Titel III mit insgesamt 300 Millionen Dollar. 290 Office of Education, S. 22 f. Vgl. insbes. die Grafik »Allocation of Federal Support«, S. 23 291 Ebd., S. 32.

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Form der Förderung einzustellen.292 Dass die NDEA-Gelder Teil einer nationalen Sicherheitsstrategie waren, war nicht zuletzt durch die abzugebende Loyalitätserklärung der Stipendiaten im Bewusstsein der Zeitgenossen sehr präsent. Nachdem verschiedene Institutionen deshalb eine Beteiligung abgelehnt hatten und erste Initiativen J. F. Kennedys im Kongress scheiterten, wurde sie 1962 per Gesetz abgeschafft.293 Die Area Studies waren von einem Anliegen einzelner Wissenschaftler, Gelehrter und Pädagogen zu einem festen Bestandteil der US-amerikanischen Außen- und Bildungspolitik geworden, wie auch wenige Jahre nach dem NDEA der Fulbright-Hays Act (1961) unterstreicht.294 Im Vergleich zur Vorkriegssituation, in der es nur vereinzelte Programme gab, zeigte die Statistik Ende der 1960er Jahre ein gestiegenes internationales Interesse und eine beachtliche Bilanz in der Etablierung von Kursprogrammen und Lehrangeboten. Im Jahr 1969 waren 3.803 language and area specialists in 203 Graduate-Programmen organisiert, 8.890 Kurse beschäftigten sich mit den Weltregionen und brachten diese 65.243 Studierenden näher, von denen 3.014 eine Area Spezialisierung anvisierten. Selbst der Undergraduate-Bereich blieb davon nicht mehr unberührt: 227.541 Kursteilnehmer waren Undergraduates.295

3.3 Der Sozialwissenschaftler als Kolonialverwalter. Die Kritik der 1960er Jahre In den 1960er Jahren gerieten die Area Studies ins Visier der Studentenproteste und in eine größere Öffentlichkeit. Trotz oder gerade aufgrund ihrer unscharfen Konturen vereinte diese Form der Regionalwissenschaften alles, worauf die linke Gesellschafts- und Wissenschaftskritik in den USA abzielte. Area Studies schienen nicht nur eine direkte Manifestation des military-industrial complex zu sein, hinter der die strategische Einflussnahme von Regierung, Militär und CIA auf die Wissenschaft nachweisbar war. In besonderer Weise verwiesen sie auch auf dessen imperiale Ausrichtung. Das von den Zeitgenossen knapp »MIC« genannte System, das zuerst Präsident Eisenhower in seiner Abschiedsrede an die Nation von Januar 1961 als eine akute Gefahr für die amerikanische Demokratie und ihre politische Zukunft aufgerufen hatte,296 wurde zum Schlagwort der Gesellschaftskritik. Die Kritik am MIC betraf die Konzentration von Macht und Geld in den Händen von Militär und Industrie. Sie reflektierte die Abhängigkeit der 292 McDonnell u. a., Federal Support for International Studies, S. 6. 293 Vgl. Orlans, S. 285 ff. Für die Kritik vgl. Comstock (Vorwort von J. F. Kennedy). 294 Johnson u. Colligan, S. 291 ff. Im Anhang des Buchs ist auch der Gesetzestext abgedruckt. Insgesamt zu den beiden Pfeilern der Internationalisierung Wiley u. Glew. 295 Lambert, S. 17 f. 296 Eisenhower, Liberty is at Stake.

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Wirtschaft vom Militär, deren gesellschaftliche Folgen sowie den zunehmenden staatlichen Einfluss im Bereich von Bildung und Wissenschaft.297 Das Spezifikum der Kritik an den Area Studies lag in ihrem Bezug auf die Dritte Welt.298 Nach der Tonkin-Resolution von August 1964 und dem Einmarsch in Santo Domingo 1965 galt nicht nur die US-Außenpolitik als offensichtlich kriegstreibend, sondern auch die amerikanischen Area Studies. Verschiedene Projekte, die Mitte der 1960er Jahre national und international für Skandale sorgten, schienen die direkte Verbindung zu bestätigen. Einer größeren Öffentlichkeit zugängig wurden diese Zusammenhänge in der Debatte um die Arbeit der Michigan State University Vietnam Advisory Group (MSUG). Die Arbeitsgruppe beriet die Regierung Südvietnams und unterstützte während der Amtszeit Diems von 1955 bis 1961 mit der Entsendung von circa 72 Amerikanern nach Saigon vor allem die öffentliche Verwaltung, Polizeiund Sicherheitsbehörden und die Flüchtlingsbetreuung.299 Das Ziel der Zusammenarbeit war eindeutig. Präsident Diem, der den Professor für Politikwissen­ schaften an der MSU Wesley Fishel persönlich kannte, hatte Washington um diese Form der Unterstützung gebeten. Fishel, die MSU und das State Department waren dann für das Projekt verantwortlich, unter dessen Mitarbeitern auch zahlreiche CIA-Agenten waren. Dennoch lässt sich daraus weder auf eine reibungslose Servicetätigkeit der Wissenschaftler schließen, noch waren die universitären Area Studies betroffen. Die Zusammenarbeit verlief keineswegs reibungslos. Der Vertrag für das Projekt wurde 1962 auf Initiative von Diem nicht verlängert, nachdem sich die MSU mit Beginn des Guerillakriegs 1959 und angesichts der zunehmenden Militarisierung aus der Polizei- und Sicherheitsberatung zurückgezogen hatte und sich auch nicht an der Entwicklung eines paramilitärischen Programms beteiligte.300 Die amerikanischen Wissenschaftler waren durchaus nicht zu jeder Art von Konzession bereit. Projektbeteiligte kritisierten sowohl die CIABeteiligung als auch die politischen Ziele in der Zusammenarbeit mit Diem. Die CIA-Agenten, die zunächst wegen ihres universitären Status nicht aufgefallen waren, wurden 1959 aus dem Programm genommen. Stanley K.  Sheinbaum, der Projektkoordinator, trat 1959 von seinem Amt zurück. Er wurde zu einem führenden Mitglied der Anti-Vietnam-Bewegung sowie später Friedensaktivist im Nahostkonflikt. Als wenige Jahre später die Vereinigten Staaten mit der Bombardierung Nordvietnams offen in den Bürgerkrieg zwischen der Regierung und der durch Nordvietnam unterstützten Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams eingriffen, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Kritik öffentlich wurde. Im März 1965 begannen an der MSU Antikriegs-Versammlungen und Protestaktionen. Ein ad 297 Vgl. als Bestandsaufnahme Schiller u. Philipps, The Military-Industrial Establishment. 298 Kalter, S. 44 ff. 299 Vgl. den Abschlussbericht der MSUG Scigliano u. Fox. 300 Ebd., S. 10.

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hoc gegründetes MSU Faculty Committee for Peace in Vietnam organisierte im April ein erstes Teach-In mit 2.000 Teilnehmern, das neben sofortigen Verhandlungen in Vietnam auch die Gründung eines War and Peace Research Centers forderte, um zukünftig internationale Konflikte zu vermeiden.301 Im April 1966 veröffentlichte Sheinbaum in dem radikalen Westküstenmagazin »Ramparts« eine vernichtende Kritik des Projekts. Der Text sorgte für Aufsehen, zu einem Zeitpunkt als sich fünf während der Proteste festgenommene Studenten vor dem Michigan Supreme Court verantworten mussten.302 Direkt griff Sheinbaum den Präsidenten der MSU Hannah und die »Serviceorientierung« der MSU für die US-Außenpolitik unter seiner Ägide an, die inzwischen selbst der Erdölindustrie Konkurrenz mache. »What the hell is a university doing buying guns anyway?« fragte der ehemalige Projektkoordinator in deutlichen Worten und spielte damit auf die 25.000 US-Dollar an, die Fishel für das Projekt von der Regierung erhalten hatte.303 Hannah stritt zunächst alles ab und verweigerte die Kommunikation. Aber nach und nach wurden die Details des Projekts bekannt. Der Fall erreichte die nationale Presse und führte zu politischen Diskussionen.304 Das VietnamProjekt wurde zur Cause célèbre der Antikriegsbewegung und der US-amerikanischen Wissenschaftskritik. Zahlen, wie die berühmten 90 Prozent der USamerikanischen Vietnam-Forschung, die ausschließlich unter der Ägide der Regierung durchgeführt wurden,305 zirkulierten und erhielten eine neue Brisanz. Die militärisch-ideologischen Effekte des Programms lagen auf der Hand. Ohne Zweifel handelte es sich um ein außenpolitisches Projekt, in dem regionalwissenschaftliche Kompetenzen im Krieg gegen den Kommunismus genutzt wurden. Allerdings widersprechen nicht nur die Konflikte und die Kritik einzelner Arbeitsgruppenmitglieder einem instrumentalisierenden Verständnis der Kooperation von Wissenschaft und Politik. Bemerkenswert ist, dass die Hinweise der Beratergruppe durchaus nicht immer umgesetzt wurden. Dies gilt insbesondere immer dann, wenn sie im Gegensatz zu den modernisierungstheoretischen Annahmen der Nation-Building-Politik standen. Prophetisch mutet rückblickend die Studie aus dem Jahr 1957 zu den Bergvölkern des zentralen Hochlands an, in der im Ausgang von deren Traditionen eine Art Bodenreform vorgeschlagen wurde. Gravierende Probleme sagte die Beratergruppe angesichts der Aktivitäten des Vietcongs in der Region voraus, sollte Diem weiterhin die Unzufriedenheit dieser Stämme ignorieren, die vor allem von der Angst um 301 Heinemann, S. 131 f. 302 Ebd., S. 135. 303 Hinckle u. a., S. 14; 22. Hannah stritt den Erhalt des Geldes ab. Die Summe lässt sich unschwer im Abschlussbericht nachweisen (Scigliano u. Fox, S. 4), nicht aber die direkte Verwendung für Waffenkäufe in Südvietnam. Diese Seite des Berichts war den »Ramparts« in Vorbereitung des Artikels von einem Studenten in Kopie zugespielt worden, vgl. Heineman, S. 137. 304 Heineman, S. 135 ff. 305 Gendzier, Practice and Apology of Development, S. 86.

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ihr Land herrührte.306 Die Kultur der Bergvölker war aus modernisierungstheoretischer Sicht ein Assimilationshindernis für Vietnam. Seine Überwindung sahen auch andere Berichte der MSUG durchaus skeptisch.307 Darüber hinaus war das Projekt kein Area-Studies-Projekt. Die meisten beteiligten Akademiker, so wurde rückblickend konstatiert, konnten mit der Situation vor Ort mangels Sprach- und Kulturkompetenz nicht adäquat umgehen. Wenige kannten sich mit der französischen Verwaltung aus oder sprachen angemessen Französisch. Kein Projektmitarbeiter verfügte über VietnamesischKenntnisse.308 Die Situation auf Seiten des nicht-akademischen Personals war ähnlich. Die Rückwirkungen auf die Universität waren ebenso marginal wie die Verbindungen zu einem klassisch organisierten Area-Programm. Die MSU hatte keine foreign area or functional programs und die Region Südostasiens interessierte die beteiligten Departments insgesamt auch wenig: Bei einer in diesem Zusammenhang vorgenommenen Umfrage im Jahr 1958 hatten von den 770 Mitgliedern des Departments nur 14 ein Interesse an Südostasien angegeben.309 Die Kritik am Programm war grundsätzlicher und ging über den Einzelfall hinaus. Area Studies waren Teil eines Bedrohungsszenarios im Kalten Krieg, in dessen Zentrum Entwicklungs- und Beeinflussungsstrategien von Ländern der Dritten Welt und hinter dem Eisernen Vorhang standen. In diesem Kontext war es ihre Aufgabe, Wissen über die Menschen in den anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, um die Einführung moderner Verwaltungsmaßnahmen oder psychologische Kriegsführung zu ermöglichen.310 »In nuclear weapons it’s machine versus machine. When we started thinking about counterinsurgency we quickly realized that you cannot isolate these problems from people. What did we know about all these people – the Viet Cong and the Vietnamese generally?« fragte Jack Ruina, der Präsident des MIT, im Dezember 1966: »We felt we needed a great deal more from the anthropologist, from the social scientist. The greatest insight we have obtained about the Vietnam situation comes from anthropologists who speak Vietnamese.«311 Die Anwendung dieses Wissens in der Entwicklungspolitik verstärkte den sozialwissenschaftlich-militärisch-politischen Nexus und die Gesellschaftskritik. Die Massaker in der ehemaligen niederländischen Kolonie Indonesien 1965/1966 waren für die Kritiker ein weiterer Beleg für die blutigen Folgen sozialwissenschaftlicher Expertise. Die USA hatte in den Konflikt nicht offen militärisch eingegriffen, allerdings wie man heute weiß, die Massenmorde und die SuhartoDiktatur maßgeblich unterstützt.312 Für die Zeitgenossen bewiesen die Massaker 306 Scigliano u. Fox, S. 25. 307 Salemink, S. 193. Vgl. insgesamt S. 184 ff. 308 Hickey u. Wickert. Die Berichte der MSUG sind auf der Homepage der AID verfügbar, URL: http://pdf.usaid.gov/pdf_docs/PNAEC919.pdf [20.3.2018]. 309 Scigliano u. Fox, S. 71. 310 Vgl. Needell. 311 Chomsky, The Backroom Boys, S. 98. 312 Schwar. Vgl. für eine historiographische Bilanz Journal of Current Southeast Asian Affairs.

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das Komplizentum der Akademiker. Denn es waren, wie die »Ramparts« im Jahr 1970 investigativ recherchiert hatten, Wirtschaftsprogramme aus Berkeley gewesen, die Indonesien Mitte der 1960er Jahre vom Krisenland am Rand der Hungerkatastrophe zu einem strategischen und starken Partner der USA in Asien hatten werden lassen.313 Die Ford Foundation, der Council on Foreign Relations, RAND Corporation, MIT, Cornell, Harvard und der CIA hatten mithilfe der Wissenschaftler in der ehemaligen Kolonie die holländische Elite durch eine indonesische ersetzen wollen. Eine direkte Verbindung zu den Massakern – das Editoral trug den Titel »Lessons of a Massacre« – wurde von den Beteiligten an diesen Unterstützungsprogrammen zwar als Verschwörungstheorie abgetan.314 Aber die strategischimperiale Wirkung des Development-Programms lässt sich auch nicht von der Hand weisen.315 Die technische und wirtschaftliche Hilfe im Rahmen der Modernisierungspolitik sorgte für den Austausch lokaler Eliten, die Entwicklung bzw. Eindämmung von Nationalbewegungen und wurde von russischer Seite als eine neue Form des Kolonialismus beschrieben.316 Klassisch geworden ist für diese vermittelte Einflussnahme die Metapher des Trojanischen Pferds, aus dessen Bauch Bob Bastian im Jahr 1970 in einer Zeichnung für die »Ramparts« die »Berkeley-Mafia« entsteigen lässt: US-amerikanische Wissenschaftler, Ingenieure, Verwaltungsangestellte und Militärangehörige, welche die Dritte Welt in einer neuen Form des Kriegs mit anderen Mitteln »entwickeln« (vgl. Abb. 4).317 Wie die Planung zu einer solchen Beeinflussung im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts aussah, hatte Mitte der 1960er Jahre der Camelot-Skandal offengelegt. Er hatte die Bedeutung des MIC für die akademische Welt in einem ungekannten Ausmaß national und international deutlich gemacht. Die geplante und vom Militär finanzierte Studie zu revolutionären Bewegungen und den Möglichkeiten ihrer Unterwanderung sorgte bereits vor Beginn der Datenerhebung für Empörung, als 1965 ihr geheimdienstlicher Hintergrund offenbar wurde. Das Projekt war global angelegt und sollte Feldstudien zu Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Paraguay, Peru, Venezuela, aber auch dem Iran und Thailand umfassen und durch vergleichende historische Studien zu Argentinien, Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Kuba, der Dominikanischen Republik, El Salvador, Guatemala, Mexiko, Paraguay, Peru, Venezuela, Ägypten, Iran, Türkei, Korea, Indonesien, Malaysia, Thailand, Frankreich, Griechenland und Nigeria ergänzt werden.318 313 Ransom. 314 [O. A.], Editorial. The Lessons of a Massacre, in: Ramparts, Bd. 9 (4), 1970, S. 26.; vgl. zur Rezeption des Artikels in Indonesien und auf Seiten der Ford Foundation Bresnan, S. 94 f. 315 Parmar, Foundations, S. 136–142. 316 Gendzier, Development; Yermolov. 317 Bob Bastian in: The New Trojan Horse – to Indonesia from Harvard, MIT, Berkey and Cornell, in: Ramparts, Bd. 9 (4), 1970. Vgl. für eine umfassende kritische Bestandsaufnahme Weissman. Die deutsche Übersetzung erschien 1975 im Rotbuch Verlag. 318 Solovey, Project Camelot, S. 181.

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Abb. 4: Das »neue trojanische Pferd«: von Harvard, MIT, Berkeley und Cornell nach Indonesien. Cartoon von Bob Bastian.

Im Unterschied zu anderen Projekten unterlag Camelot nicht einmal der Geheimhaltung. Aber es hatte einen Code-Namen und dieser war es, der im April 1965 den chilenischen Forscher Alvaro Bunster, der von Hugo Nuntini, einem Anthropologen der Universität Pittsburgh, auf einer Rekrutierungsmission in Chile kontaktiert worden war, misstrauisch werden ließ. Zuvor hatte bereits der norwegische Mathematiker und Soziologe Johan Galtung, Begründer der Friedensforschung und Vater des Konzepts der »strukturellen Gewalt«, die Arbeit an Camelot aufgrund der politischen Ausrichtung abgelehnt.319 Galtung kannte die US-amerikanische Szene und die Debatten als ehemaliger assistant professor an der Columbia University aus der Zusammenarbeit mit Robert Merton und Paul Lazarsfeld genau. In Chile  – und auch in Kuba und Russland  – wurde Camelot als Projekt der US-amerikanischen Unterwerfung Lateinamerikas verstanden. In den USA wurde das Projekt im Juli 1965 gestoppt, gemeinsam mit zahlreichen anderen Projekten. Es stellte sich nicht nur den kritischen Wissenschaftlern, sondern auch der Regierung und den Ministerien die Frage, wie Auslandsprojekte in Zukunft organisiert sein sollten.320 Die Antwort hing von der Wahl der Perspektive ab. Während das Subcommittee on International Organizations and Movements 1965 in Abstimmung mit dem Präsidenten und dem State Department zur besseren Koordinierung die Gründung des Foreign Area Research Council vor319 Galtung. 320 Bericht des Committee on Foreign Affairs. Subcommittee on International Organizations and Movements.

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schlug,321 nahm auf Seiten vieler Wissenschaftler und auch einzelner Politiker die Kritik nun grundsätzliche Ausmaße an. Sie zielte auf die Ausrichtung der Sozialwissenschaften und das Finanzierungsinstrument des Projekts als einer politischen Einflussnahme auf die Wissenschaft. Für die Kritiker verwiesen die Arbeit der MSUG, das Projekt Camelot sowie die Development Studies auf ein Strukturproblem. Die Universität hatte im Zeichen der Serviceorientierung ihre Aufgabe, ein Ort der kritischen Selbstreflexion der Gesellschaft zu sein, aufgegeben, und eine gefährliche Leerstelle hinterlassen. »Where is the source of serious intellectual criticism that would help us avoid future Vietnam?« fragte nicht nur Sheinbaum 1966.322 Das Argument war als Standardkritik am MIC im Kongress zu hören. Für J. William Fulbright, Chairman des Foreign Relation Committee, stellten Universitäten als Erfüllungsgehilfen der Regierungspolitik ein grundsätzliches Problem der Demokratie dar: »it is betraying a public trust«.323 Die soziale Funktion von Bildung und internationalem Austausch zum Wohl der Nation waren für ihn grundlegend – und seit seiner Amtszeit als Präsident der University of Arkansas (1939–1941) ein Lebensthema.324 Die Entwicklungen der 1960er Jahre bewertete er nach dem Bruch mit Präsident Johnson 1965 als Signum einer »kranken Gesellschaft«.325 Reiner Empirizismus in der Wissenschaft – so befand auch der langjährige Präsident von Harvard, James Bryant Conant – mag einem Polizeistaat entprechen. Eine offene Gesellschaft mit ihren Idealen beruhe auf einem breiteren Verständnis vom Menschen und benötige andere Instrumente.326 Die Diskussion kreiste um die gesellschaftlichen Auswirkungen sozialwissenschaftlicher Denkfiguren und traf damit einen neuralgischen Punkt in der Geschichte der Regionalwissenschaften. Denn zwar spielten die Area Studies durchaus auch eine Stellvertreterrolle in den Diskussionen und Protesten gegen die cold war culture in den USA.327 Aber dass sie als paradigmatisch galten, lag nicht zuletzt an ihrer sozialwissenschaftlichen Ausrichtung und ihrer Kataly­ satorrolle für den Aufstieg der Sozialwissenschaften.328 321 Ebd., S. 7 R. Seine Aufgabe war die Evaluierung der regierungsgeförderten Forschung, welche auswärtige Angelegenheiten betrafen. Der Council hatte ein Vetorecht und die Aufgabe, die Politik des State Departments in diesem Bereich zu formulieren. Seine Arbeit, offenbar wurden nur sehr wenige Projekte abgelehnt, verstärkte die Militarisierung der Sozialwissenschaften. Vor allem aber verschaffte der Council dem State Department eine gewisse Kontrolle über die Forschungsprojekte des Pentagons, vgl. Rohde, S. 81 ff. 322 Sheinbaum, University on the Make, S. 13. 323 Fulbright, Military-Industrial-Complex, S. 178. 324 Vgl. v. a. Fulbright, The Social Function of the University, S. 269–270. Für das Manuskript mit Anstreichungen vgl. Fulbright Papers, Special Collections, University of Arkansas, URL: http://digitalcollections.uark.edu/cdm/ref/collection/Fulbright/id/742 [20.3.2018]. 325 Fulbright, The Price of Empire, S. 308 ff. Zur Rolle im Vietnam-Krieg vgl. Woods. 326 Parsons, S. 110. 327 Für diese Interpretation der Bewegung vgl. Anderson. 328 Vgl. Solovey, Cold War; zum Begriff vgl. Engerman, Wartime Social Science.

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Dieser war seit Ende des Zweiten Weltkriegs in unmittelbarer Politiknähe erfolgt, von Regierung, Militär und den Interessensvertretungen der einzelnen Disziplinen organisiert und gefördert. Im Jahr 1948 musste Talcott Parsons in seinem Positionspapier für eine nationale Organisationsstruktur den grundlegenden Wert der sozialwissenschaftlichen Arbeit für die Regierung noch ausführlich begründen. Als einen ersten und zentralen Beleg dafür führt er die Kriegserfahrung der Area Studies in OSS und CATP an.329 Die Nutzung der Sozialwissenschaften als einer nationalen Ressource parallel zu den Naturwissenschaften war in den 1950er Jahren noch erklärungsbedürftig.330 Aber der Boom ließ nicht lange auf sich warten. Schon von 1947 bis 1967 stieg die Anzahl der Mitglieder der amerikanischen Gesellschaft für Soziologie und Psychologie signifikant: Die American Sociological Association hatte 1947 2218 Mitglieder, im Jahr 1967 war es mit 11.000 das Fünffache.331 In den 1960er Jahren war es die funktionalistisch-empirische Ausrichtung der Sozialwissenschaften, die als Grundlage ihrer Policy-Orientierung kritisiert wurde. Selbstkritisch formulierte Sheinbaum angesichts des Vietnam-Desasters: »We have been conditioned by our social science training not to ask the normative question. We possess neither the inclination nor the means with which to question and judge our foreign policy. We have only the capacity to be experts and technicians to serve that policy. This is the tragedy of the Michigan State professors: we were all automatic cold warriors.«332

Der Sozialwissenschaftler fungierte als Berater und Experte, die Wissenschaft als nationale Ressource – die Ausrichtung der Sozialwissenschaften hatte dazu geführt, dass die sogenannte »normative Frage« nicht mehr gestellt wurde. Talcott Parsons erklärte die Rolle des Sozialwissenschaftlers strukturfunktionalistisch: »The line between the functions of the social scientists and the administrator is often difficult to draw. The ideal role of the former is as a professional expert who ›advises‹ while leaving formal responsibility for policy decisions to the administrator. The essential point here is not how firmly this distinction was made but how important were the contributions of social scientists in roles other than one required for the functioning of strictly research organizations.«333

Die Funktionsbeschreibung war im Kontext der Area Studies noch zu präzisieren. Noam Chomsky hatte mit Blick auf das Vietnam-Symposium in Harvard 1967 den Sozialwissenschaftler mit dem Kolonialverwalter gleichgesetzt. Beide produzierten im Rahmen von gesellschaftlichen Kontroll- und Verwaltungstech329 Parsons, S. 74. 330 Klausner. Auf Seiten der Stiftungen gilt dies v. a. für die Ford-Stiftung, die ebenfalls ein Strategiepapier anfordert, Riley. Vgl. insgesamt Solovey, Shaky Foundations, Kapitel 1, hier auch zur Rolle Parsons in der NSF-Debatte. 331 Solovey, Shaky Foundations, S. 1. 332 Hinckle u. a., S. 13. 333 Parsons, S. 80.

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niken Wissen über die Bevölkerung einer Region. Beide teilten die Denkvoraussetzung der »behavioral persuasion«: »When we strip away the terminology of the behavioral sciences, we revealed in such work as this, the mentality of the colonial civil servant, persuaded of the benevolence of the mother country and the correctness of its vision of world order, and convinced that he understands the true interests of the backward peoples whose welfare he is to administer.«334

Die behavioristische Überzeugung war für Chomsky identisch mit der Denkvoraussetzung der Gegenspionage: »[it] seems to me to lack merit, it seriously mistakes the method of science and imposes pointless methodological structures on the study of man and society.«335 Der Sozialpsychologe Herbert C.  Kelman (University of Michigan) suchte 1968 nach neuen Rahmenbedingungen, welche die andere Gesellschaft aus ihrem Objektstatus als Datenlieferant herausführen könnten. Kelman gehörte zwar nicht direkt zu den Beratern des Camelot-Projekts,336 aber sein Beitrag war von der Diskussion inspiriert. Kelman argumentierte für einen Bewusstseinswandel mit wissenschaftspolitischen Folgen. Eine internationale Besetzung von Forschungsprojekten auf der Grundlage von »patterns of truly participatory and reciprocal cooperation« sollte die kritische Selbstbefragung des Forschers begleiten, der in der Arbeit über ein fremdes Land seine Autonomie nicht nur in der Wahl der Methoden, sondern auch in der Analyse seiner Hypothesen und Forschungsperspektiven im Blick behält.337 Die unkritische Haltung der Vertreter der Area Studies wurde scharf verurteilt. Sie hatten weder die Militarisierung geographischen Wissens noch das anthropologische Kulturkonstrukt in Frage gestellt und ebenso wenig erkannt, dass die asymmetrische Beziehung von industrialisierten und weniger entwickelten Ländern dem Sozialwissenschaftler eine »pseudo-imperialistische Rolle«338 zuweise. Die Ursachen für die mangelnde Reflexivität und diese gefährliche Ausrichtung lagen – aus Sicht der Zeitgenossen – neben der sozialwissenschaftlichen Arbeitsweise in der Art und Weise der Institutionalisierung und Finanzierung. Das Konzept der Area Studies verriet das Ideal eines offenen kritischen und unabhängigen Gelehrtentums, weil es im Ergebnis einer umfassenden stiftungsbasierten Form der Wissenschaftsfinanzierung entstanden war. Das »globale amerikanische Imperium« hatte sich in Form der 191 bis 1968 an zwölf Universitäten entstandenen Area Studies Centers »a vast new ›service‹ and policy-

334 Chomsky, Objectivity. Vgl. für die Konferenz und die Bedeutung Vietnams als »government problem« Huntington. 335 Chomsky, Objectivity, S. 34 f. 336 S. Liste bei Solovey, Project Camelot. 337 Kelman, S. 81; 77. 338 Ebd., S. 59.

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oriented intellectual infrastructure« geschaffen, die von außen finanziert waren und deren Kontrolle außerhalb der gängigen Fakultätsstrukturen erfolgte.339 Im Rahmen der Kritik an dieser Infrastruktur und ihrem Management wurden auch die amerikanischen Stiftungen abgeurteilt. Die Macht der Stiftungen, die sich im Inneren der Universitäten wie eine Spinne ausbreite, so die Vorwürfe, beruhe auf dem System der Projektförderung. Die finanzielle Kontrolle der Wissenschaft hatte eine neue Stufe erreicht: »In the control of scholarship by ­wealth it is neither necessary nor desirable that professors hold a certain orientation because they receive a grant. The important thing is that they receive the grant because they hold the orientation.«340 Die Rolle des Wissenschaftlers wurde zu der eines Erfüllungsgehilfen, oder wie Pio E. Uliassi in der Kritik an Camelot vornehmer schrieb, der eines Technikers oder Ingenieurs, eben weil Werte und Perspektiven von Geldgeber und Sozialwissenschaftler konvergieren müssten.341 Die Forschungsorganisation wurde als Teil eines Verblendungszusammenhangs wahrgenommen, der im Zeichen des Empirismus die ideologische Basis der Forschungsprojekte nicht zu Bewusstsein kommen ließ: »Perhaps the most critical point of leverage in academic control is in the formation of perspectives, analytic model, agendas for research. Not all social phenomena are visible to all analytic models and methodologies, and the social scientist who shapes his tools to collect government and foundation finances will not be equipped to research or even ask questions which, though crucial to an understanding of the contemporary world, would not be looked on favorably by those agencies.«342

In dieser Interpretation hatten die Stiftungen mit ihrer Finanzierung die Kontrolle über die Ausrichtung der Forschung übernommen. Die projektgestützte Forschungsförderung entzog sich, so der Eindruck, der akademischen Beurteilung. Die Studentenproteste in Berkeley machten nach den Erfahrungen mit den CIA-Projekten diese Form der Finanzierung zu einem Hauptangriffspunkt. In Reaktion darauf wurden Richtlinien entwickelt, die festhielten: »No project […] can be regarded as acceptable either for Institute or extramural funds if an outside agency designs the basic character of the research without the full participation and agreement of a faculty member«.343 Die Reformvorschläge waren vielfältig. Sie reichten von der Forderung nach Offenlegung aller Finanzquellen bis zur Anregung, die US-amerikanischen Universitäten mögen sich an den Universitäten Westeuropas orientieren. Aus Sicht der US-Akademiker repräsentierten diese eine staatliche Finanzierung ohne direkte politische Aufgaben und nahmen ihre gesellschaftskritische Funktion 339 Horowitz, Sinews of Empire, S. 33. 340 Ebd. 341 Uliassi, S. 313. 342 Horowitz, Sinews of Empire, S. 42. 343 Zitiert nach: ebd., S. 39.

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wahr.344 Nach den großen Studentenprotesten 1968 in Harvard schlugen die »Ramparts« den Studierenden eine aktualisierte Agenda vor. Darauf stand neben der Beendigung aller militärischen Programme und aller Feldprojekte in der Dritten Welt, die nicht von der Universität finanziert wurden und unter »facultystudent-control« standen, auch eine Neuorientierung der Area Studies und ihrer Zentren zu »centers for the study of American imperialism«. Schließlich wurde darauf gedrängt, den politischen Charakter der Stiftungen wie Ford, Rockefeller und Carnegie anzuerkennen, und alle ihre Projekte zu stoppen ebenso wie die­ jenigen, die vom Pentagon, AID oder CIA finanziert wurden.345

3.4 Organisationsformen und Management 3.4.1 »Projectitis«346 und die Effekte der Bundesförderung Die Studierenden protestierten gegen staatliche Einflussnahme und Drittmittelfinanzierung und sie kritisierten die Funktion der Universität im Rahmen des MIC. In einem größeren Zusammenhang reagierten sie auch auf einen Strukturwandel der Wissenschaft, der in den 1960er Jahren in seine »bürokratische Phase« eingetreten war.347 Neben veränderten Rahmenbedingungen – wie einem rasanten Bevölkerungswachstum348 und der Verdreifachung der Studierendenzahlen – hatte sich das Zusammenspiel des Ressourcenensembles von Politik und Wissenschaft intensiviert. Während des »goldenen Zeitalters« der Bildung wuchsen die Ausgaben der Bundesregierung für die Forschung um 261 Prozent und die allgemeinen Ausgaben für die Bildung stiegen um 250 Prozent an.349 Allein im Jahr 1960 erhielten die Hochschulen und Colleges 1,5 Billionen US-Dollar vom Bund, was eine einhundertfache Erhöhung mit Blick auf die vergangenen zwanzig Jahre bedeutete.350 Insgesamt war die Förderung der universitären Forschung bemerkenswert. Im Jahr 1954 förderte die Bundesregierung 96 Prozent der Universitätsforschung in Physik, 50 Prozent der Lebenswissenschaften und 83 Prozent der Ingenieurs-

344 Kelman, S. 100. 345 [O. A.], Editorial. The Lessons of a Massacre, in: Ramparts, Bd. 9 (4), 1970, S. 26. 346 Dodds, S. 128. 347 In Anlehnung an Kerrs Überlegungen zur »bureaucratic balance«, The Uses of the University, S. 138; 135. 348 Die Bevölkerung in den USA stieg zwischen 1900 und 1940 von 75 Millionen auf 130 Millionen an, vgl. für eine Interpretation der Zahlen in Bezug auf die Rolle der Wissenschaft Bush, Sience. Vgl. dazu McGrath. 349 Geiger, S. 198. Vgl. auch die nach Jahren aufgestellte Tabelle zur Forschungsförderung 1953–1976 bei Karlesky u. Smith, S. 17. 350 Kerr, The Uses of the University, S. 53.

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wissenschaften.351 Die Förderung war den Aktivitäten und Förderschwerpunkten einzelner Ministerien und Institutionen geschuldet. Um eine Zentralisierung der Gelder zu vermeiden, verfolgte jede Institution eine Forschungspolitik mit eigenen Schwerpunkten.352 Im Jahr 1959 teilten sich die Gelder auf sechs Institutionen auf: Department of Defense, Department of Health, Education and Welfare, Atomic Energy Commission, National Science Foundation, Department of Agriculture, National Aeronautics and Space Administration.353 Im Verlauf der 1950er Jahre sank die Bedeutung des Verteidigungssektors. Lag der Anteil des Verteidigungsministeriums 1952 noch bei 73 Prozent der Bundesgelder für universitäre Forschung waren es 1959 nur noch 36 Prozent.354 Die Sozialwissenschaften, und weniger noch die Geisteswissenschaften, profitierten zunächst kaum davon. Innerhalb der Sozialwissenschaften machten die Bundesmittel nur 25 Prozent der Gelder aus. Der größte Anteil ihrer Förderung kam weder von Universitäten noch von der Bundesregierung: Mit 52 Prozent stellten die Sozialwissenschaften Mitte der 1950er Jahre das einzige disziplinäre Feld dar, das in den USA mit einem so hohen Anteil von Stiftungen und anderen Organisationen finanziert wurde.355 Der Bund engagierte sich erst spät und bei der Gründung der National Research Foundation waren die Sozialwissenschaften zunächst nicht berücksichtigt. Erst im Jahr 1957 setzte die NSF nach vielen Diskussionen ein Advisory Panel for Social Sciences ein.356 Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass die NSF bereits sozialwissenschaftliche Projekte förderte, bevor die Sozialwissenschaften 1956 als eine eigene Rubrik in ihrer Steuerabrechnung auftauchten. Diese vor allem anthropologisch ausgerichteten Projekte waren der Abteilung für Biologie und Medizin zugeordnet.357 Im Verlauf der 1960er Jahre stiegen die Ausgaben für die Sozialwissenschaften kontinuierlich an, lagen aber selbst bei ihrem vorläufigen Höhepunkt im Jahr 1968 nur bei 14,7 Millionen Dollar.358 Die Zahlen müssen mit Vorsicht gelesen werden, da weder in den Budgetaufstellungen der NSF noch in der Forschungsliteratur unter dem Label »Sozial351 Knight, National Goals, S. 137 f. 352 The Provision of Executive Order 10521 of Mar. 17, 1954, 19 FR 1499, 3 CFR, 1954–1958 Comp., S. 183, URL: http://www.archives.gov/federal-register/codification/executive-order/ 10521.html [20.3.2018]. 353 Knight, National Goals, S. 135 f. Vgl. auch Gumport. 354 Kidd, S. 47. 355 Ebd., Tabelle A-7, S. 236. Gefolgt von den Lebenswissenschaften, bei denen die Stiftungsförderung 38 Prozent betrug. Die Zahlen verstehen sich ohne Psychologie. 356 Larsen, S. 42. Im Jahr 1968 wurde daraus eine Abteilung (Division) und die Sozialwissenschaften wurden in einer Gesetzesänderung in die Aufgabenbeschreibung der Stiftung übernommen, vgl. ebd., S. 69. 357 Ebd., S. 42; 24. 358 Larsen, S. 73. In den 1970er Jahren verändert sich die Förderpolitik durch die Institutionalisierung der RANN (Research Applied to National Needs, 1971–1977), in denen die Förderung der Sozialwissenschaften einen Höhepunkt erreichte, vgl. ebd., S. 93 ff.

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wissenschaften« ein fester disziplinärer Kern verhandelt wird.359 Die daraus resultierenden Fragen können entscheidend sein: So errechnete eine Aufstellung der NSF nach Disziplinen für 1962, dass die meisten Bundesmittel im Bereich Psychologie (38,2 Millionen) gefolgt von dem der Ökonomie (24 Millionen) vergeben wurden. Sogenannte »andere Sozialwissenschaften«, von denen nicht bekannt ist, um welche es sich handelte, erhielten eine fast ebenso hohe Summe (4,5 Millionen) wie die Soziologie und die doppelte Summe der Anthropologie.360 Im Widerspruch dazu erhielt die Ökonomie nach den Rechnungsbüchern der NSF in diesem Jahr nur zwei Millionen Dollar und damit weniger Geld als die Anthropologie (2,2 Millionen) und die Soziologie (2,8 Millionen), die in der Aufstellung nach den Rechnungsbüchern die meist geförderten sozialwissenschaftlichen Disziplinen waren.361 Die Förderung der Area Studies ist im Detail noch schwerer zu bestimmten. Sie partizipierten an den Entwicklungen der Sozialwissenschaften. Aber in den Finanzberichten bildeten sie keine eigene Rubrik. Wurden sie in einzelnen Aufstellungen aufgelistet, muss die Interpretation der Zahlen aufgrund der interdisziplinären Ausrichtung der Projekte dennoch im Vagen verbleiben. Für die Zeit vor dem NDEA kann als Richtwert die in der Budgetaufstellung der NSF für das Jahr 1953/1954 angegebene Zahl gelten, dass die Gelder der Area Studies zu 17 Prozent aus Bundesmitteln stammen. Allerdings ist auch bei diesen Zahlen eine gewisse Skepsis angebracht, bezogen sie sich doch nur auf die Budgets von Colleges und Universitäten und klammerten Zuschüsse an Zentren aus. Darüber hinaus schlossen sie auch den Bereich des »Development« ein.362 Anzunehmen ist deshalb, dass auch Gelder aus Entwicklungsprojekten des State Department eingeschlossen waren, die kaum Forschungsanteile hatten.363 Trotz dieser Interpretationsschwierigkeiten lässt sich doch im Ausgang von dem Richtwert und der Analyse der bisherigen Förderentwicklung eine Tendenz festhalten, nämlich dass die Area Studies minimale staatliche Zuschüsse erhielten und bis 1958 stärker noch als die Sozialwissenschaften durch die Stiftungen gefördert und vorangetrieben wurden. Legt man die Zahl von 1953/1954 zugrunde, würde dies einen Stiftungsanteil von über 80 Prozent bedeuten. Dieser Anteil signalisiert auch, dass die Area Studies und ihre Implementierung an den Hochschulen in noch stärkerem Maße und über eine längere Dauer als die anderer sozial- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen vom Projektsystem betroffen waren. Die Area Studies hatten für die Integration interdisziplinärer Teamarbeit auf Projektbasis in die Forschung eine Katalysatorrolle. Der intellektuelle Schock, 359 Vgl. z. B. ebd., S. 63. 360 Orlans, S. 96. Nach einer Aufstellung der NSF über die Verwendung der Bundesmittel. 361 Larsen, Tabelle, S. 65. 362 Orlans, S. 97. Vgl. dazu Geiger; Karlesky u. Smith. 363 Dabei handelte es sich um außenpolitische Entwicklungsprojekte im Anschluss an Trumans Point Four Program, die mit der Gründung der Agency for International Development 1961 institutionalisiert wurden, vgl. Gardner, AID.

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den sie damit auslösten, war nach Meinung des chair der Latin American ­Studies in Yale, Richard Morse, ihr eigentlicher Beitrag zur Hochschulentwicklung nach 1945.364 Als Gruppenprojekte angelegt, verfügten die Area Studies seit den 1940er Jahren über die Struktur, die in den 1960er Jahren zu heftigen hochschulpolitischen Debatten führte. Denn entscheidend für die Wirkung der Gelder von der föderalen Ebene war weniger ihre Höhe als die Art und Weise, wie diese Gelder vergeben wurde. Die Bundeszuschüsse wurden kaum als institutionelle Förderung zugeteilt, sondern als Projektgelder.365 Die Organisation von Wissenschaft als einer nationalen Ressource schuf einen Planungsbedarf, der im verstärkten Rückgriff auf das Projekt als Steuerungsinstrument und Fördertechnik gelöst wurde. Forscher begannen nun auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften Anträge zu schreiben; und mit der Projektförderung stieg der Verwaltungsaufwand für die Hochschulen. Dies waren aber nur die sichtbaren Konsequenzen dieser Fördermethode, die weitreichende Effekte für Universitäten und Forschungsrealitäten hatte. Die Einführung und Umsetzung der Projektforschung an den Hochschulen führte zu einer veränderten Priorisierung der universitären Aufgaben, ihre Logiken zu einer Rationalisierung und Bürokratisierung des Forschungsprozesses. Im Rahmen der Bildungsdebatten erfolgte dabei in den 1960er Jahren in den USA in Evaluationen, internen institutionellen Analysen und in einem umfangreichen Schrifttum eine erste Bestandsaufnahme und Problemanalyse.366 364 Morse, S. 171 f. 365 Im Gegensatz zur Förderung von Projekten sanken die generellen Zuschüsse. Während ­institutionelle Förderungen 1967 noch 44 Prozent der akademischen Wissenschaftsförderung ausmachten, waren es 1975 nur noch 20 Prozent, vgl. Karlesky u. Smith, S. 27. 366 Die frühe und vor Sputnik begonnene Analyse von Charles V. Kidd wertete in Bezug auf die Lehre im Graduate-Bereich ausschließlich Naturwissenschaften und Ingenieurswissenschaften aus, mit Ausnahme der Psychologie, vgl. die Adressenliste im Anhang. Systematisch untersuchte die Studie der Brookings Institution die Effekte der staatlichen Förderung auf 36 Colleges und Universitäten anhand von Fragebögen und Datenanalysen, vgl. Orlans. The American Assembly (1950 von Eisenhower an der Columbia University gegründet) hatte sich auf ihrer 17. Sitzung dem Thema zugewandt und gab in der daraus hervorgehenden Publikation einen Überblick über die Debatten aus Sicht der »Betroffenen«, Knight, The Federal Government and Higher Education. Für die »Wirtschaftlichkeit« der privaten Universitäten, insbes. Vanderbilt, Princeton und Chicago, vgl. Bowen. Die Ergebnisse der Carnegie Commission on Higher Education wurden in drei Abschlussbänden vorgestellt. Der dritte, hier verwendete Band ist eine Zusammenstellung von Ausschnitten aus über 80 Berichten und bietet einen umfassenden Überblick über die diskutierten Themen, vgl. Carnegie Commission on Higher Education. Die Carnegie Foundation for the Advancement of Learning organisierte 1962 eine Studie, basierend auf 26 Analysen, welche die Universitäten und Colleges selbst zu den Effekten der staatlichen Gelder vorgenommen hatten, vgl. Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching. Eine kritische Bilanz der Vertrags- und Projektpolitik im Bereich Entwicklungshilfe bietet der Bericht John W. Gardners, Präsident der Carnegie Corporation, zur AID auf der Grundlage einer Fragebogenaktion, an der von 72 betroffenen Universitäten 68 teilnahmen, vgl. Gardner, AID; zur Machart des Berichts, ebd., S. 50. Individuelle Beiträge zur Debatte um das Projektmanagement wurden nach

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In dieser Debatte hatte der Begriff »Projekt« durchaus schillernde und zum Teil widersprüchliche Bedeutungen. Es kursierten verschiedene Konzepte und insbesondere in der vehementen Kritik am Projektsystem wurden Verträge und Projekte – das Kaufen und das Fördern von Forschungsarbeit – synonym behandelt. Nicht immer ist der Begriff gleichzusetzen mit einem zeitlich begrenzten, klare und im Rahmen eines bestimmten Programms formulierte Ziele verfolgenden Forschungsbeitrag, der in der Regel mehrere Forscher einschließt. Allgemein definierte der Präsident der Universität Princeton, Harold W. Dodds, Mitte der 1950er Jahre: »The phrase ›project‹ has come to describe  a special pattern of research undertakings in which the source which furnishes the funds does so with the understanding that the research will be directed to solving a problem in a specific area which has been mutually agreed upon in advance.«367 Die Rede von einem research project konnte sich aber auch auf Gelder beziehen, die als eine Art Stipendium (grant) an einzelne Universitätsangehörige gezahlt wurden, von denen zuvor ein Positionspapier verlangt wurde. Sie konnte einen institutionellen Zuschuss meinen, der sich auf ein bestimmtes Feld bezog oder wenig festgelegt war. Ein Projekt konnte von einer Stiftung angefordert, aber auch durch den zukünftigen Antragsteller initiiert worden sein, der Inhalt und Methode selbst festlegte.368 In jedem dieser Fälle war ein externer Geldgeber – wenn auch auf verschiedene Weise – an der Forschung beteiligt. Die Frage, wie diese Beteiligung aussah, war die im Ergebnis der Debatten eigentlich entscheidende. Sie wurde als wichtiger eingeschätzt als die Frage, wer das Geld gab: »Sponsorship is good or bad only insofar as the intended outcomes can be predetermined and the parameters of those intended outcomes tailored to the sponsor’s expectations« resümierte der Soziologe Horowitz nach den­ Camelot-Erfahrungen.369 Genau hier lag die Trennscheide zwischen den verschiedenen Projekten. Auf der Negativseite standen Dienstleistungen der Universität, wie sie in den Verträgen mit der Agency for International Development formuliert waren. Im Rahmen dieser außenpolitischen Entwicklungsprogramme, ihrer Verbreitung und Bedeutung ausgewählt sowie nach der analytischen Qualität, daher der Fokus auf Kerr, The Uses of the University und Wolff, die viele Diskursstränge auf sich vereinen. Die grundsätzlichen bildungspolitischen Positionen sind enthalten in dem, was die Zeitgenossen nach dem Leiter der Task Force John Brademas den »BrademasReader« nannten, vgl. Committee on Education and Labor / Task Force on International Education. Diese Positionen und die zitierte Literatur sind zu unterscheiden von dem, was man als »Krisenliteratur« bezeichnen könnte und in welcher v. a. Verfalls- und Befindlichkeitsdiskurse dominierten, für eine bewertete Auswahl: Kerr, The Great Transformation, S. 163–164. Als Symptom ist diese Form der Auseinandersetzung gleichwohl nicht unwichtig. Zwischen diesen beiden Bereichen steht das humanistisch argumentierende, einflussreiche Buch Jacques Barzuns (Columbia University), das am Ende 68 konkrete Verbesserungsvorschläge für die neue Universität unterbreitet, vgl. Barzun, The American University, S. 247 ff. 367 Dodds, S. 129. 368 Kidd, S. 105. 369 Horowitz, The Ethics of Overseas Research, S. 301.

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die als »Projekte« bezeichnet wurden, aber Mitte der 1960er Jahre ohne Forschungsanteile waren, wurden bis Ende des Jahres 1963 an 72 Universitäten insgesamt 129 Verträge über 158 Millionen Dollar abgeschlossen.370 Als kritisch galt Forschungsarbeit mit »built-in ends«, wie im Fall des Mammut-Projekts Camelot, das von der Armee initiiert wurde und eine klare Aufgabe verfolgte.371 Wie auch immer das Projekt strukturiert war, jede dieser Projektformen bedeutete einen Vertrag der Universität mit dem Geldgeber (contractual funding). In diesem Vertrag mussten nicht nur die Mittel des Geldgebers den Forschungszielen zugeordnet und definiert, sondern auch der Beitrag der Universitäten bestimmt werden. Unverkennbar, so war im Anschluss an die Überlegungen William H. Whytes zur neuen amerikanischen Sozialethik »The Organization Man« von 1956 die Wahrnehmung der Zeitgenossen, hatte damit die Managementrevolution die Universitäten erreicht.372 Mit Blick auf die längeren Entwicklungslinien und die Zäsur der 1990er Jahre im Bereich des Hochschulmanagements373 scheint es allerdings präziser, die 1960er Jahre in den USA als eine Art Gärungsphase zu verstehen. Der Umgang mit diesen veränderten Finanzierungs- und Organisationsmodellen erfolgte doch in den ersten zwanzig Jahren noch von Fall zu Fall und wurde im Sinn des Gewohnheitsrechts geregelt. Die Universitäten lernten zu planen. Sie mögen auch ihre Verwaltung und ihre administrativen Qualitäten verbessert haben.374 Aber von einer Implementierung des Managements oder einer Organisationsrevolution kann angesichts der technologischen und finanziellen Entwicklung nicht glaubhaft gesprochen werden: Im Jahr 1956 hatten nur vier US-amerikanische Universitäten einen Computer. Im Jahr 1964 waren es zwar bereits 500.375 Aber erst zehn Jahre später, als Stanford im Jahr 1975 begann, ein Computersystem zur Finanzplanung zu benutzen, lässt sich eine einschneidende Zäsur für die Einführung des Managements ausmachen.376 Trotz der hohen Fördersummen hatte sich insgesamt die finanzielle Situation der Hochschulen und Colleges nicht verbessert. Dies belegen die alarmierenden Zahlen zur Verschuldung der Hochschulen von Anfang der 1970er Jahre in dem einflussreichen Bericht des Dekans der Business School 370 Gardner, AID, S. 1. Die Beziehungen zwischen diesem staatlichen Geldgeber und den Universitäten waren besonders kritisch und aufgrund der praktischen Ausrichtung der Programme von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Aus diesem Grund wurde der GardnerBericht initiiert, der neben anderem auch die Inklusion von Forschungsanteilen vorschlug, vgl. Gardner, AID, S. 19. 371 Horowitz, The Ethics of Overseas Research, S. 301. 372 Kerr, The Uses of the University, S. 28. Vgl. Whyte, das Kapitel »The Organization Scientist«. 373 Keller. 374 Kidd, S. 170. 375 Keller, S. 66. Eine Zäsur für den neuen Umgang mit Daten war die Einführung des Loch­ kartensystems durch die Columbia University 1960, vgl. Barzun, The American University, S. 110. 376 Keller, S. 54. Es handelte sich um das Programm EDUCOM Financial Planning Model (oder EFPM), das 1978 auch in Carnegie-Mellon, Yale und Cornell und dann an zahlreichen weiteren Universitäten getestet wurde.

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in Berkeley Earl F. Cheit. Sie waren zwar nicht von einer Erörterung der Ursachen begleitet, lassen sich aber doch nicht erklären, ohne eine unzureichende Reaktion der Verwaltung und ein schwaches Finanzmanagement der Hochschulen in den vorangegangenen Jahren anzunehmen.377 Gleichwohl veränderte die Universität im Gefolge der »Projektitis«378 ihren Charakter so grundlegend, dass die Zeitgenossen ihr einen neuen Namen gaben. Am einflussreichsten und viel diskutiert war das Etikett der »multiversity«, das der Präsident der Universität Berkeley, Clark Kerr, dieser sich entwickelnden Universität in seinen Godkin Lectures von April 1963 verlieh: Aus der Universität wurde die »Multiversität«, nicht weil sie wie Berkeley auf mehrere Standorte verteilt war,379 sondern weil sie keine einheitliche Institution mehr darstellte.380 Die »Multiversität« funktionierte nicht mehr als eine intellektuelle Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, sondern als eine Art unternehmerischer Dachverband, der verschiedene Formen von Institutionen und Forschungsverbünde in sich vereinte, für deren Zusammenspiel eine zunehmend wachsende und komplexer werdende Verwaltung zu organisieren war: eine »paramount institution in a post-industrial age«.381 Diese pluralistische Institution, die eher einer Stadt als einem Kloster glich,382 konnte nicht mehr in organizistischen Bildern beschrieben werden, wie Abraham Flexner sie im Anschluss an Friedrich Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt benutzt hatte.383 Vielmehr ging das Bild von der »multiversity«, das Kerr zeichnete, von der Idee des Managements aus: »I have sometimes thought of it as a series of individual faculty entrepreneurs held together by a common grievance over parking.«384 Die Metaphorik war kein Zufall, sondern sollte auch einen Bruch mit der bisherigen Bildungstradition der Vereinigten Staaten markieren, die stark durch die europäischen Modelle geprägt war. Die Multiversität stellte etwas Neues und Eigenes dar, das sich unabhängig von europäischen Bildungstransfers entwickelt hatte. Die Bildungsinstitution, die am Ende des Transformationsprozesses entstanden sein würde, so vermutete Kerr, war nichts anderes als »die amerikanische Universität«: »By the end of this period, there 377 Cheit. Für eine erste Anfrage in dieser Richtung, Keller, S. 180, FN 13.  378 Dodds, S. 129. Dodds beschreibt die »projectitis« als eine Suchterkrankung der Universitäten und Wissenschaftler. 379 Zum System der UC Berkeley und Kerrs Rolle, Mattingly. Vgl. insgesamt die erste umfassende Studie zur Multicampus-Universität, Lee u. Bowen. 380 Clark Kerr (1911–2003), hatte sein Ph.D. 1939 in Ökonomie abgelegt, war von 1958–1967 Präsident der Universität Berkeley, von 1967–1973 Vorsitzender der Carnegie Commission of Higher Education und ihres Council of Policy Studies in Higher Education (1974–1979). Zu seiner Rolle als Administrator und Hochschulpolitiker, Schrum; Soo u. Carson. 381 Kerr, The Uses of the University, S. 129 [Postskriptum von 1972]. 382 Ebd., S. 135; 137. 383 Für die deutsch-amerikanische Perspektive vgl. Rothblatt u. Wittrock. Zur Bildungsdebatte im 19. Jahrhundert, Kwaschik, Deutsche Bildung. Zur Flexner-Referenz in der Debatte der 1960er Jahre vgl. Kerr, The Great Transformation, S. 69–78. 384 Kerr, The Uses of the University, S. 20.

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will be a truly American university, an institution unique in world history […] not looking to other models by serving, itself, as a model for universities in other parts of the globe.«385 Die Entwicklungen waren nicht das Ergebnis eines Planungsprozesses. Aber gemeinsam mit der Verdreifachung der Studierendenzahlen, der nationalen und industriellen Einbindung der Institution zogen sie entscheidende Veränderungen in der Organisation von Forschung und Lehre nach sich. Nicht nur die Konkurrenz zwischen den Fakultäten wuchs, auch die Frontstellungen innerhalb der einzelnen Fakultäten radikalisierten sich.386 Durch die Aufsplitterung in verschiedene Projekte verlor die Universität in letzter Konsequenz als Institution an Bedeutung und Autorität, wie nicht nur die Universitätspräsidenten alarmiert anmerkten. Sie drohte zu einem Hotel zu verkommen, dessen Leitung nur noch für die Verwaltung der Räume und das »housekeeping« verantwortlich war.387 Die Übertragung der Logik von Märkten und Management stieß aus Sicht vieler Kritiker bei der Universität an ihre Grenzen. Konkret wurden ihre Konsequenzen zu Beginn der 1960er Jahre nach dem ersten Durchlauf der NDEA-Stipendien, die als Beispiel für die expandierende Doktorandenausbildung dienen können. Der Dreijahres-Mechanismus hatte den nicht zu unterschätzenden Effekt, dass Anzahl, Themen und Dauer von Abschlussarbeiten nicht von diszi­plininternen Logiken bestimmt wurden. Deutlich wurde nicht nur der Druck auf die Doktoranden, sondern auch das Problem der Universitäten, Überbrückungsstellen in der Lehre zu schaffen, die nach Stipendienende auch den Abschluss der Dissertationen ermöglichten.388 Die Disziplinen fanden sich mit einer Vielzahl an Doktoranden zu Themen wieder, die von außen bestimmt waren, und das Bedrohungsszenario entstehen ließen, dass die Hochschulen und Forscher die Kontrolle über die Richtung der Forschung verlieren konnten.389 Gegen diese Entwicklung wurde insbesondere mit ethisch-humanistischen Argumenten die Selbstbehauptung der Universität gefordert. Die Sorge um den Distanzverlust zum Staat und anderen Geldgebern wurde mit den Erfahrungen des Nationalsozialismus begründet.390 Sie speiste sich aber auch aus der Verantwortung um die Wahrung des gesellschaftlichen Auftrags der Institution und bezog sich auf die Struktur der neuen Universität. Diese folge der Gleich­ setzung von Marktinteressen mit nationalen und sozialen Bedürfnissen, wie der vielleicht schärfste Kritiker Kerrs, der Philosophieprofessor Robert Wolff von der Columbia University, ausführte.391 Die Übertragung der Marktlogik auf die 385 Ebd., S. 86. 386 Ebd., S. 59; 101. 387 Ebd., S. 58 f.; vgl. Whyte, S. 247. 388 Wolff, S. 60. 389 Whyte, S. 214. 390 The Chairman, the U. S. Advisory Commission on International Educational and Cultural Affairs, S. 11. Vgl. Kapitel 3.3. 391 Wolff, S. 52.

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Universitäten war für ihn die Folge eines Kategorienfehlers: der Verwechslung der Konzepte »Bedürfnis« und »Nachfrage«.392 Die Universität konnte nicht wie eine Firma funktionieren, da sich Kunden bzw. Konsumenten sowie die Endprodukte schwer quantifizieren und evaluieren ließen: »When administrators attempt to apply the principle of efficiency to the operation of their institutions, they have a natural tendency to measure efficiency in terms of whatever they can qualify, rather than measuring it in terms of what is genuinely related to the real goals or values of the institution. They act like the drunk in the old joke who searched for his watch under the street lamp because that was where the light was best, not where he lost it.«393

Die Schwierigkeiten, Effizienz und Produktivität festzustellen und zu organisieren, wurden nicht nur in sogenannten humanistischen Argumenten festgehalten. Der Ökonom William G. Bowen, Professor und Kanzler (provost) in Princeton, analysierte das Problem in seiner Studie zu den Privatuniversitäten als fehlende Verbindung zwischen Produktivität (Out-put pro Arbeitsstunde) und Arbeitskosten.394 Auch Julius Adam Stratton, Präsident des MIT, betonte die originären Unterschiede zwischen Projektmanagement und Forschung, um mehr Grundlagenforschung einzufordern: »There is a basic incompatibility between the true spirit of  a university and those elements of management which tend to creep into the organization of projects, the planning of programs, and the utilization of costly facilities.«395 Aber selbst bei den schärfsten Kritikern führte das Argument von der Inkompatibilität der Marktlogik mit dem Funktionieren der Wissenschaft nicht zu Vorschlägen, die die Abschaffung des Projektsystems oder der Drittmittelforschung zum Inhalt hatten, so wie es die Studierenden forderten. Vielmehr wurde in der Orientierung an der in den Naturwissenschaften üblichen Unterscheidung zwischen angewandter Forschung und Grundlagenforschung eine Diversifizierung der Forschungsaufgaben in den Geistes- und Sozialwissenschaften notiert. Das Projekt sollte nicht individuelle Forschung und die Kreativität von einzelnen ungebundenen Arbeiten ersetzen, ebenso wie die Funktion der Universität sich nicht auf das Erbringen von Serviceleistungen beschränken konnte. Für die Universität ebenso wie für den einzelnen Forscher gab es nun verschiedene Forschungsaufgaben, einerseits im Rahmen von Programmforschung (»programmatic research«) und andererseits als freie Forschung (»uncommitted research«). Den Unterschied hatte James Bryant Conant, der Vorsitzende der NSF, als er diese beiden Begriffe als Substitute für Angewandte Forschung und Grundlagenforschung vorschlug, prägnant beschrieben: »Applied research is like drilling for

392 Ebd., S. 54. 393 Ebd., S. 67. 394 Bowen, S. 14 ff. 395 Zitiert nach: Kidd, S. 221.

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oil when you know where the oil is. Fundamental research is like prospecting for oil in a hitherto unexplored country.«396 Die Entwicklung wurde als grundsätzlich positiv eingeschätzt. Aus institutioneller Perspektive lagen die Vorteile auf der Hand.397 Das Projektformat ermöglichte es der Universität, zeitnah auf spezifische Anforderungen oder Trends zu reagieren, ohne langfristig bindende Entscheidungen zu treffen. Die Gelder waren leichter und direkter an nationalen Interessen zu orientieren, was der Verbesserung der Beziehungen zwischen Universitäten und Regierung diente. Diskutabel waren aus dieser Perspektive zwei Punkte: zum einen die Sicherung des Hochschuleinflusses auf die Anzahl und Art der Projekte und zum anderen der Prozentsatz, den die Projektgelder am Gesamtbudget darstellen sollten. Kerrs Positionspapier von 1963 plädierte dafür, dass die Projektgelder durch frei verfügbare Zuschüsse im Verhältnis 75 zu 25 ergänzt werden sollten, die für neue Projekte und jüngere Forscher verwendet werden könnten. Günstigstenfalls, so der Vorschlag, stellten diese Zuschüsse einen festen Bestandteil der bewilligten Projektgelder dar. Die Frage nach den indirekten Kosten der Projekte erhitzte die Gemüter nicht nur der Präsidenten, die damit die hohen administrativen Mehrkosten abfedern wollten. Overhead-Prozentsätze wurden zum Signalwort der vehement geführten Debatte zum Verhältnis von Regierungen und Universitäten. Auf Seiten der Hochschulen überwog zunächst die Skepsis gegenüber festen Prozentzahlen.398 Eine andere und radikale Position nahm die U. S. Advisory Commission on International Educational and Cultural Affairs ein, die für den Congress bzw. sein Committee on Foreign Affairs, im Frühjahr 1967 einen Bericht verfasste. Dieser argumentierte im Kontext von Area Studies und internationalen Projekten. Der Bericht forderte nicht die Abschaffung der »mission-oriented project contracts«, aber er wollte ihre Reichweite reduzieren. Nachdem das Camelot-Desaster das Problem der vertragsbasierten Forschung der Universitäten zu einem öffentlichen Thema gemacht hatte, bestand der Bericht auf der Überprüfung jeder Projektlinie durch die disziplinären Vertretungen und der Abschaffung der Overhead-Kosten für Forschungsprojekte.399 Beide Autoren des Berichts, Walter Adams und Adrian Jaffe, sahen genau in dem von Kerr hervorgehobenen Vorteil des Projekts seinen Nachteil. Sie sprachen sich für längerfristige institutionelle Investitionen des Staats aus, anstelle von »stylized contractual programs designed to accomplish specific short-term 396 Conant, S. VIII. 397 Die Rekonstruktion des folgenden Absatzes beruht auf Kerr, The Uses of the University, S. 69; 55; 59; 77 f. 398 Orlans, S. 221 ff. Für alternative Finanzierungsmodelle vgl. Farrell u. Andersen; Carnegie Commission on Higher Education. 399 The Chairman, the U. S. Advisory Commission on International Educational and Cultural Affairs, S. 17. Dabei handelte es sich ebenfalls um eine Lehre aus dem Projekt Camelot: Das Projekt hatte 25 Prozent Overhead-Kosten gehabt, ebd., S. 7.

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aims and containing within them the seeds of serious liabilities.400 Der Bericht forderte die Anhebung institutioneller Zuschüsse auf die Höhe eines Forschungsbudgets, unter Einbeziehung der Anzahl der Studienabschlüsse. Beide Autoren waren von dem Skandal um das Vietnamprojekt der MSU geprägt: Der Ökonom Adams, wurde 1969 Präsident der MSU, nachdem Hannah wegen des Vietnamprojekts gehen musste. Jaffe, Kafka-Spezialist und Gastprofessor am English Department, gehörte zu den ersten, die in harschen Artikeln gegen das Projekt angeschrieben hatten. 3.4.2 Teamarbeit und Forschungsplanung. Innenansichten und erste Erfahrungen Das Projektformat veränderte nicht nur die Institutionen, sondern auch die Praxis des Forschens. Projektorganisation und Planungstätigkeiten bestimmten den Alltag des Forschers und machten ihn zum Verwalter und Unternehmer, der in einem Team arbeitete. Für die Area Studies waren dieser Strukturwandel und die neue Organisationsethik nicht nur konstitutiv, sondern sie trieben diese Veränderungen auch mit voran. Sie waren seit den ersten Konzeptpapieren als eine Form der integrierten und interdisziplinären Gruppenarbeit geplant und angelegt. Die Idee, dass den Area Studies eine Pionierrolle in dieser Veränderung der Wissenschaftskultur hin zu interdisziplinärer Teamarbeit zukomme, gehörte zum modernisierungstheoretischen Konsens seit Ende der 1940er Jahre: »Social science research in an area is still social science research, and falls heir not only to its body of theory and methods but also to the difficulties inherent in interdisciplinary cooperation.«401 Eine erste Systematik der neuen Art interdisziplinärer Zusammenarbeit brachte die vom SSRC anberaumte erste nationale Konferenz zu den Area ­Studies, die vom 28. bis 30. November 1947 in New York stattfand und durch Mittel der Carnegie Corporation möglich wurde. Im Zentrum standen neben Fragen der Bestandsaufnahme zu den einzelnen Regionen vor allem die Probleme in der Realisierung der Team- und Projektarbeit. Von den 105 Teilnehmern waren 74 Universitätsangehörige, 17 Regierungsvertreter, fünf Mitarbeiter von Stiftungen und neun Mitarbeiter anderer Bildungsinstitutionen (»scholarly institutions«).402 In Analogie zur Medizin, die zu ihrer Ausübung ebenfalls verschiedene Wissenschaften brauche, verwiesen einleitend Talcott Parsons und der Vertreter der Carnegie Corporation Pendleton Herring darauf, wie sehr die Untersuchung einer Region auf die Zusammenarbeit verschiedener Sozialwissen­ schaften angewiesen sei. »Teamwork is absolutely necessary in area study, as in

400 Ebd., S. 16. 401 Wagley, The Study of World Areas, S. 2. 402 Ebd., S. 3.

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medicine«403 war das Leitmotiv der Debatte, die detailliert nach Methoden und Techniken interdisziplinärer Projektkooperation fragte. Wie diese interdisziplinäre Kooperation im Rahmen eines Forschungs­ projekts funktionieren konnte, wurde emphatisch in der Auswertung von zwei größeren Area-Projekten diskutiert: den Programmen zur Erforschung der taraskischen Kultur in Mexiko (Michoacàn) und der Virú Kultur in Nordperu. Als naheliegende Erfolgskriterien erschienen zuerst insbesondere die Größe und die Organisationsstruktur der Projekte. In beiden Fällen war ein Gesamtprogramm entwickelt worden, das dann in verschiedene Forschungseinheiten bzw. individuelle Projekte heruntergebrochen wurde. Im Fall des Projekts zur taraskischen Kultur war das Ergebnis ambivalent und gerade deshalb für die Zukunft erhellend. Das Projekt war durch den Krieg unterbrochen worden. Es hatte viele Einzelergebnisse geliefert und diese Indianerkultur in Mexiko galt nun als gut erforscht. Aber die Bilanz, insbesondere im Hinblick auf die Produktion von Teamergebnissen, wurde als inadäquat eingeschätzt. Es gab finanzielle Probleme und kaum eine Gesamtorganisation. Es fehlte ein Administrator bzw. ein koordinierendes Institut.404 Das Forschungsprojekt zum Virú Tal hingegen, das eine interdisziplinäre Forschergruppe aus Archäologen, Geographen, Historikern, Ethnologen und Soziologen für mehrere Monate vor Ort zusammenführte, galt als positives Modell. Das Projekt beschränkte sich mit dem Tal auf eine kleinere geographische Einheit und hatte das Studium der kulturellen Entwicklung von den archäologischen Anfängen bis zur zeitgenössischen Gesellschaft zum Inhalt. Es galt als ein erfolgreicher Versuch der Umsetzung von interdisziplinärer kooperativer Forschung. Der Grund lag nicht zuletzt in der effizienten Zusammenführung der Einzelforschungen und der Organisation der Anwesenheiten vor Ort.405 Die Bedeutung der Einzelrecherchen als Rückgrat des Projekts wurde als entscheidend bewertet. Sie stellten die empirischen Daten für Spezialprobleme der einzelnen Disziplinen zur Verfügung, selbst dann, wenn sie nicht direkt mit dem Programm in Verbindung standen – wie in diesem Fall die Daten der Botaniker. Die Einzelprojekte wurden von verschiedenen Institutionen unterstützt. Aber es gab eine klare Gesamtleitung, die bei dem Institute of Indian Research lag. Dieses pooling der Ressourcen im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsplans und unter der Ägide eines Instituts, das grundlegende Forschungsausrüstungen und Material wie Karten, Fotos und Transportmöglichkeiten, zur Verfügung stellte, schien der Schlüssel zum Erfolg. Neben der Organisation der Ressourcen und der Verwaltung des Gesamtprogramms galt die Definition der Forschungsziele als zentral. Die Erfahrungen aus dem taraskischen Projekt hatten gezeigt, dass die Bestimmung von Forschungszielen ebenso wie, eng damit verbunden, eine genaue Benennung der Area als 403 Wagley, Area Research, S. 5. 404 Ebd., S. 12. 405 Ebd., S. 13.

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Untersuchungsobjekt im Zentrum der Projektformulierung stehen müsste. Wie alle Nachkriegsdiskussionen zu möglichen Kriterien einer Area – linguistische, ökonomische und politische – endete auch diese mit dem Votum für eine projektbezogene Definition.406 Der geographische und kulturelle Raum sollte in Abhängigkeit von der Problemstellung, den Forschungszielen des Projekts und der Zusammensetzung des Forschungsteams definiert werden. Den Erfolg für die interdisziplinäre Arbeit garantierte eine spezifische Problemstellung in Bezug auf eine Region. Eine allgemeine Erforschung einer Region war nach Meinung der Vertreter von Wissenschaft und Wissenschafts­ politik nach dem Zweiten Weltkrieg weder durchführbar noch wünschenswert. Eng und klar definierte Probleme, die in Unterprobleme zerlegt werden, sollten das Zentrum eines wissenschaftlichen area approach bilden und vor allen Dingen eines verhindern: die Ansammlung »enzyklopädischen Wissens« über die verschiedenen Teile der Erde.407 Die Entscheidungskompetenz über die Definition der Probleme lag idealiter beim interdisziplinären Team. Die Problemstellung musste sich als ein qualitatives Forschungsprogramm ausweisen, »broad« und »all-inclusive«, und die verschiedenen Disziplinen sinnvoll zusammenführen.408 Am Ende der Konferenz von 1947 lautete das Resümee zur Problembezogenheit interdisziplinärer Forschung in den Area Studies: »Successful interdisciplinary research calls for a well-defined research problem as a focus for any cooperative and integrated study which is to be carried out by a team of specialists. […] In each case pertinent questions must be asked and the various disciplines must be called upon to contribute toward an integrated answer.«409

Wie neu und schwierig diese Problembezogenheit sich darstellte, zeigt sich insbesondere an Projekten, die diesen Anspruch nicht einlösen konnten. So hatte das Japan-Projekt des Center for Japanese Studies an der Universität Michigan, das 1947 von Hall gegründet wurde, eine ethnographische Datensammlung zu dem reisanbauenden Dorf Niike präsentiert. Ein Team aus einem Anthropologen, einem Geographen und einem Politologen sammelte von 1950 bis 1954 durch Beobachtung und Fragebögen Daten zu dem Dorf und präsentierte diese auch in den traditionellen Kategorien »Land und Wasser«, »Temperament«, »Lebenszyklus«, »Haushalt« – ohne eine Problemstellung.410 Methodische Überlegungen finden sich in der Publikation nur in Form eingestreuter Hinweise wie zum »Nationalcharakter«. Ein Vergleich der Ergebnisse mit anderen Dörfern findet nicht statt und auch eine interdisziplinäre Diskus406 Vgl. die Conference on Area and Language Programs in American Universities, March 15/16 1944, Philadelphia. RAC, RF, RG 1.1., Ser. 200, Box 210, Folder 2568. 407 Wagley, Area Research, S. 15. 408 Ebd. 409 Ebd., S. 49. 410 Beardsley u. a.

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sion von Kategorien scheint es nicht gegeben zu haben. Angesichts der Tatsache, dass in dem Dorf in 24 Haushalten 130 Personen leben, bedauerten zeitgenössische Rezensenten, dass angesichts der hohen technischen und finanziellen Unterstützung kein Beitrag zu einer Systematik ländlicher Kulturen in Japan entstanden war.411 Das Projekt hatte nicht mitvollzogen, dass die Problembezogenheit mit der Frage nach dem Thema zu kombinieren war. Die Frage nach den research desgin stellt sich ebenso für das sozialwissenschaftliche Großprojekt »Camelot« Mitte der 1960er Jahre (vgl. Abb. 5). Zwar wurde und wird für gewöhnlich vor allem der ethisch-ideologische Kontext des Projekts kritisiert. Aber auch die Ausformulierung der Fragestellung und die Anlage des Projekts können einer näheren Betrachtung nicht standhalten. Die Fragestellung changierte zwischen der Untersuchung von Möglichkeiten der Aufstandsunterwanderung oder -bekämpfung und der Analyse von revolutionären Prozessen. Die Vermittlung der zahlreichen Einzelprojekte mit dieser Fragestellung war unklar. Handelte es sich um eine Summe von Einzelstudien zu lateinamerikanischen Staaten oder sollte es im Ergebnis um die Analyse sozialer Strukturen gehen? Das Projekt hatte gewaltige Ausmaße, und bezog sich auf zu viele und zu verschiedene Kontexte. Es umfasste Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Paraguay, Peru und Venezuela, aber auch den Iran und Thailand. Darüber hinaus waren vergleichende historische Studien zu Argentinien, Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Kuba, der Dominikanischen Republik, El Salvador, Guatemala, Mexiko, Paraguay, Peru, Venezuela, Ägypten, Iran, Türkei, Korea, Indonesien, Malaysia und Thailand geplant, ebenso zu Frankreich, Griechenland und Nigeria.412 Das Projekt war eine Vertragsleistung der Wissenschaftler für das Militär. Und es war in methodischer Hinsicht ein schlechtes Projekt: intellektuell nicht ausgereift und wissenschaftlich nicht durchführbar, so das Resümee des Soziologen Horowitz.413 Die Bezüge der Studien untereinander waren unklar und die Denkvoraussetzungen des Projekts normativ. Die gewählte »soziologisch-hygienische« Sprache verschleierte nicht nur den antirevolutionären Impetus des Projekts, sondern verhinderte auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung. Die Diktatur in Paraguay nicht als »Diktatur« zu bezeichnen, die Worte »Kommunismus« und »Sozialismus« in einer Studie zu Revolutionen und ihrer Unterwanderung nicht zu benutzen, war nicht nur ethisch fragwürdig. Es verhinderte auch eine problemorientierte wissenschaftliche Auseinandersetzung. Die Schwäche des Projekts lag in der Kommunikation der Einzelprojekte untereinander. Ein Forschungsproblem im Projektformat unterschied sich in 411 Vgl. Ishino, S. 711 ff. Dieser von den Zeitgenossen als unreflektiert kritisierte Zugriff ist umso erstaunlicher als der Direktor des Zentrums, Robert B. Hall, zumindest für den Aufbau der Feldstation in Okayama und den Beginn der Forschungen verantwortlich war und mit seinen Berichten für den SSRC zu den vehementesten Befürwortern von interdisziplinärer Methodik gehört, vgl. für die Geschichte des Projekts Beardsley u. a. 412 Solovey, Project Camelot, S. 181. Vgl. zur Entstehung auch Rohde. 413 Horowitz, The Ethics of Overseas Research, S. 299.

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Zuschnitt und Inhalt von einem Einzelprojekt. Es setzte für die Teilnehmer insbesondere eines voraus: einen kontinuierlichen Planungs- und Kommunikationsaufwand, um eine gute Mischung von disziplinbezogener Arbeit und Interdisziplinarität sowie von individueller Forschung und Teamarbeit sicherzustellen. Eine Schablone für die Organisation dieser Vermittlung formulierte Ende der 1940er Jahre das Modern Chinese History Project des Far Eastern and Russian Institute der University of Washington, das sich der chinesischen Gesellschaft und ihrer westlichen Einflüsse seit Mitte des 19. Jahrhunderts widmete. Das Projekt ging von der Zäsur der Taiping-Revolution aus, die von 1850 bis 1864 das Kaiserreich China unter der niedergehenden Qing-Dynastie in »der bei weitem größten Aufstandsbewegung der Neuzeit« erschütterte.414 Das disziplinäre Spektrum war außerordentlich breit und erforderte ein hohes Maß an Koordination. Zunächst beteiligten sich Politikwissenschaften, Geschichte, Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Philosophie und Literatur. Später sollten Linguistik, Anthropologie und Geographie hinzukommen.415 Die Kooperation zwischen den Forschern aus den verschiedenen Disziplinen begann mit der Festlegung von Kategorien zur Klassifikation des Materials, die keine analytischen Kategorien darstellen sollten. In der Erarbeitung dieser interdisziplinären Kategorien, wie »lokale Aufstände« oder »Militärideologien«, mussten die Projektmitarbeiter bereits ihre disziplinären Koordinatensysteme überschreiten. In einem nächsten Schritt wurden die Probleme in einzelne Aspekte zerlegt, die innerhalb der verschiedenen Disziplinen und in Einzelstudien bearbeiten werden konnten. Diese Ergebnisse sollten dann wieder miteinander verbunden werden und auf das gesamte soziale System bezogen sein. Qualitative Einzelstudien bildeten das Rückgrat des Projekts, gleichzeitig sollten ihre Beiträge in den Gruppendiskussionen in integratives Wissen übergehen. Die Institutionalisierung der interdisziplinären Diskussion erfolgte im faculty seminar: Hier wurden die Kategorien gefunden, die immer wieder von der Gruppe korrigiert wurden. Hier erfolgte die Zuteilung der Projektmitarbeiter und ihrer Disziplinen zu den Forschungsproblemen (research lines) – in einem sich selbst fortschreibenden Definitionsprozess:416 »It was obviously not enough to have each member of the group search out a subject of his own field or interest to be collected later into a symposium. Nor could the barriers of isolated effort be overcome merely by placing the participants at adjoining desks or cubicles and having a process of integration take place by osmosis over cigarettes and luncheons. From the beginning, each move had to be planned and worked out by the group as a whole.«417

414 Osterhammel, Die Verwandlung, S. 783–788, Zitat: S. 784. 415 Michael u. Spector. 416 Ebd. 417 Ebd.

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Abb. 5: Interne Skizze von Struktur und Forschungsprozess des Projekts Camelot (1965).

Der Arbeitsalltag des Forschers und insbesondere des Projektleiters waren durch diese Planungs- und Kommunikationsarbeit gekennzeichnet: »The Scientist who gets  a series of projects going can become caught in his own apparatus. Graduate students and staff members become dependent upon him. He is committed to project deadlines and periodic contract negotiations. He is enmeshed in a web of obligations and it is very hard to break out. As a result, he often works hard at things he would rather not do – more often than need be true of the humanist.«418

Das Leben eines Professors wurde beschrieben als Konkurrenzkampf und »Tretmühle« aus »business and activity, managing contracts and projects, guiding teams and assistants, bossing crews of technicians, making numerous trips, sitting on committees for government agencies, and engaging in other distrac­ tions necessary to keep the whole frenetic business from collapse«.419 Andere grundlegende Veränderungen betrafen die Frage nach dem intellektuellen Eigentum an den entstehenden Texten sowie den verwendeten Materialien und ihrer Ordnung. Wie im Chinaprojekt konnten standardisierte Katalogsysteme für alle Mitglieder der Gruppe verwendet werden, Publikationen unter dem Namen des Projekts erscheinen.420 Und mehr noch: Die meisten Projekte 418 Kerr, The Uses of the University, S. 61 419 Merle Tuve, Is Science too big for Scientists, in: Saturday Review, 6.6.1959; zitiert nach: Kerr, The Uses of the University, S. 43. 420 Vgl. auch Fleck; Whyte, S. 242.

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hatten auch die Schaffung eines Dokumentationspools zum Ziel. Im Gegensatz zu den bisher privaten Quellen-, Daten- und Literatursammlungen der Forscher handelte es sich nun um eine kooperative Sammlung von Material, die kontinuierlich vergemeinschaftet wurde. »In group work it was found necessary to limit this type of academic private property. The data, consisting of bibliographical information, every type of research finding, translations, analytical comments and interpretations relating to his own or any other member’s interest, were placed on form cards by each member.«421 Die Tendenz zur Minimierung oder Abschaffung des Individuums in der Forschung war das Ergebnis einer Gruppenideologie, die nicht nur davon ausging, dass individuelle Forschungsleistungen durch die Gruppe transzendiert wurden, sondern auch, dass diese einen gesellschaftlichen Korrekturmodus darstellte: »Working in the group, we believe each individual member exceeded in scope and quantity of work what he could have accomplished on his own. A common stock of concepts verified by the various members’ disciplines have been developed. Yet divergences in interpretation remain. We believe that the methods developed can be applied to any area problem, and suggest that they may lead to a new concept of social research, a new synthesis of the social sciences.«422

Der Glaube an die Gruppe und den Wert kooperativer Arbeit wurde zwar diskutiert, selten aber hinterfragt.423 Nicht zuletzt kennzeichnete die »kooperative Idee« auch den Ort der Wissenschaft in der Gesellschaft: »Science can be effective in the national welfare only as  a member of  a team, whether the conditions be peace or war.«424 Eine seiner entscheidenden Grundlagen war die Organisationsethik, wie sie zuerst von Whyte als charakteristisch für die Nachkriegs-USA beschrieben wurden. Diese Ethik transportierte eben jene Gruppenmystifizierung und Kooperationsideologie, die aus dem kreativen Einzelforscher den organization man machte, der in Projekten oder Zentren arbeitete. Die Idee vom Projekt als einem effizienten Format der Forschung war Signum dieses umfassenden Rationalisierungsprozesses, der in den 1970er Jahren als Entstehung der Wissensgesellschaft diskutiert wurde.425 Das »Projekt« gehörte zu dieser sich verändernden Sozialideologie. Es vereinte Ideen zu Selektionsprozessen und Qualitätssicherung in sich, die auf der einen Seite das Schreckgespenst einer bürokratischen Forschungsgenehmigungs­ maschinerie entstehen ließen, auf der anderen Seite aber zum Eindruck von De421 Michael u. Spector, S. 152. 422 Ebd., S. 155. 423 Bush u. Hattery. Problematisch schien den Kritikern weniger die Arbeit in der Gruppe als ihre formalisierte Zusammensetzung nach Disziplinen und Instituten, die zwar nicht per se eine kreative und effiziente Forschungsarbeit versprach, dafür aber ein gutes Projektdesign, vgl. Whyte, S. 242. 424 Bush, Science. Zur Definition der »corporate culture as new American professionalism« vgl. McGrath, S. 23 f. 425 Vgl. für die Typologie der »programmierten Gesellschaft« Touraine.

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mokratisierungseffekten in der Mittelverteilung führten und den Gestaltungsspielraum einzelner Institutionen und Forscher erweiterten. Im Ausgang von den Fördermechanismen der Stiftungen und des Staats hatten sich die Rahmen­ bedingungen des Forschens und das intellektuelle Klima verändert. An den Anfängen dieser Entwicklungen stand nicht zuletzt vonseiten der Regierungsvertreter auch das Erstaunen darüber, dass die Hochschulen und Forscher diese Entwicklung nichts entgegensetzen.426 Denn in der Tat wurde allein die Einführung der Begutachtungspraxis von zum Teil hysterischen Äußerungen zur Entstehung von »Gutachtercliquen« und »Forschungsimperien« begleitet, um nur einen der Hauptkritikpunkte zu nennen.427 Schließlich aber schien sie so effizient, dass sie auf andere nicht-wissenschaftliche Bereiche der Mittel­vergabe, wie zum Beispiel der Agency for International Development, übertragen werden sollte.428 Und auch mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte sollten sich wenige Qualitätskriterien institutionell als so durchschlagend erweisen, wie die Zustimmung von Kollegen.429 Die Tatsache, dass ein Forschungsproblem als Projekt formuliert wird und die damit einhergehenden Vorstellungen von den Qualitätskriterien veränderte nicht nur das Arbeiten der Forscher, sondern auch ihr Denken. Sie beobachteten sich gegenseitig und stellten fest, dass einige Projekte mit bestimmten Ansätzen genehmigt wurden, andere nicht. Sie entwickelten Vorstellungen davon, was die Stiftungen förderten und wie Gutachterdynamiken funktionierten. Es entstand der Eindruck, dass nur konservativere Projekte mit wenig Originalität gefördert würden.430 Hartnäckig hielt sich auch die Vorstellung, dass kleinere und mittlere Projekte im Vergleich zu großen Projekten kaum Förderchancen hätten. Auch wenn die Statistiken dies nicht bestätigten, gehörte doch die Forderung nach der Schaffung von kleinen und schnell zu beantragenden Projekten zu den wichtigen Verbesserungsvorschlägen in den ersten Umfragen.431 Im Ergebnis dieser Vorstellungen vom Projekt wurden Ideen, die vielleicht nur Gelder für eine Forschungsreise und ein paar studentische Hilfskräfte benötigt hätten, so aufgeblasen, dass sie sich letztlich von der Ausgangsidee lösten. »One man I know«, so erzählte ein Sozialwissenschaftler in den 1950er Jahren Whyte in seinen Interviews, »has been working away at a prospectus for a year now. Every time he rewrites it, he gets further away from his original idea. I don’t think he himself realizes how much he has gotten into plain merchandising.«432 Die Logik des Projekts führte, so ließe sich diese erste Welle 426 Whyte, S. 239; 241. 427 Orlans, S. 255 ff. Vgl. Kidd, S. 200 ff.; Whyte, S. 244 ff. 428 Gardner, AID, S. 22. 429 Zuckerman u. Merton. Zur aktuellen Diskussion vgl. insbes. Münch; Franssen u. a. 430 Orlans, S. 250; 263. 431 Ebd., S. 256. 432 Whyte, S. 259. Vgl. zur Kritik Barzun, The American University, S. 153 (»They are full of wind and water, much too overwritten to be seen through – a ten-line summary would destroy them.«).

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an Fundamentalkritik zusammenfassen, schon vor der Erstellung des research designs zu einer Veränderung von Ausgangsideen und einer Umleitung der Forscherkreativität. Zum anderen schien das Projekt, insbesondere im Rahmen von Großprojekten, auch eine Eigendynamik zu haben, die das Planungsstadium ins Unendliche forttrieb. Der Area-Forscher, dessen Projekt zur Sammlung statistischer Daten verkommen war und stetig wuchs, ohne dass er es verhindern konnte, stellte abschließend nolens volens das Verhältnis des Forschers zum Produkt seiner Forschung in einer Figur der Entfremdung dar: »We started gathering statistics. […] I am not quite sure why, except that it seemed the best way to get started. But the more statistics we gathered the more statistics we thought of gathering. Pretty soon we had every graduate student in the area out here. Next we had to have more office space, and more clerical help. By the time we’d spent our initial grant, I’d done practically nothing I planned to. But the thing was rolling and there was no stopping it.«433

In der ersten systematischen Planungsphase wies Projektforschung drei Hauptcharakteristika auf: »teamwork, planning by committee and research design«.434 Da diese formaler Natur waren, vermuteten Skeptiker bald, dass die Darstellung der Forschung gegenüber der Forschung selbst an Bedeutung zunehmen würde.435

3.5 Wissenschaftliche Dekolonisierung und veränderte Fördermechanismen seit den 1970er Jahren 3.5.1 »One articulated world problem«.436 Ford und die Krise der 1970er Jahre Die Diskussionen der 1960er Jahre und das Negativimage der Area Studies ließen Regierung, Kongress und Stiftungen nicht unberührt, die nach dem CamelotSchock nach neuen Positionen suchten.437 Als wichtigster Geldgeber stand nun die Ford Foundation vor der Notwendigkeit, die bisherige Organisation der Förderungen und deren methodische Voraussetzungen zu überdenken. Verstärkt wurden Berichte von Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisatoren 433 Whyte, S. 260. 434 Ebd., S. 246. 435 Barzun, The American University, S. 153: »Doing things not just describing them …«. 436 Office for Middle East and Africa, Notes on luncheons, May 1973, S. 15. RAC, FF, ID, Office Files of Robert H. Edwards, Box 1, Folder 6. 437 Committee on Foreign Affairs. Subcommittee on International Organizations and Move­ ments; Vgl. zur Reaktion von Ford Francis X. Sutton an Elinor G. Barber, 30.7.1968. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 3.

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angefordert. Im Ergebnis dieser Berichte entstand das Bild einer tiefgreifenden Glaubwürdigkeitskrise der Area Studies, ihrer Inhalte und ihres geopolitischen Koordinatensystems, ihrer Finanzierung und Organisation im Rahmen des »military-industrial-academic complex«.438 Die Effekte der Diskussionen waren auch materiell schnell spürbar geworden. Viele Wissenschaftler zeigten sich am funding nicht mehr interessiert, so hatte zum Beispiel die LASA (Latin American Studies Association) seit 1966 keine auswärtigen Finanzierungsquellen mehr gesucht.439 Jüngere Forscher – und das galt nicht nur für Lateinamerikanisten  – waren misstrauisch geworden und grundsätzlich abgeneigt: »the chief problem is keeping social science research from being politically contaminated and from having politically-incendiary effects«.440 Die von Johan Galtung geäußerte Beobachtung, dass das Wissen der Area Studies sich selbst schon dadurch diskreditiert habe, dass es offenbar nur für Regierungsanalysen von der gegenrevolutionären Seite, nicht aber für die Befreiungsbewegungen Lateinamerikas geeignet sei, wurde von vielen geteilt.441 Sie affizierte die Stiftungsarbeit ebenso stark wie die Einsicht, dass die hoch subventionierte Vietnamforschung zum Aufbau von Forschungszentren, aber nicht zu einem besseren Verständnis Vietnams geführt habe. Die Vertreter der Stiftung suchten das Gespräch mit den Kritikern. Im Mai 1973 lud das Office for Middle East and Africa gezielt 18 kritische westliche und afrikanische Wissenschaftler mit einem Afrika-Schwerpunkt zu fünf informellen Lunch-Gesprächen ein. Fünf Jahre vor Edward Saids Darstellung der akademischen und literarischen Wissensproduktion als einer Praxis des Kolonialismus erhalten diese Gespräche im Rückblick einen symptomatischen Charakter. Sie zeigen die Area Studies in der Anfrage durch postkoloniale und -imperialistische Perspektiven in ihrer Entstehungsphase. Eine neue Generation von Afrikawissenschaftlern kündigte ihren grundlegenden auch wissenschaftspolitischen Reformwillen an. Area Studies wurden  – so ließe sich die Wahrnehmung im Ergebnis der Gespräche zusammenfassen – als ein anachronistisches Konstrukt des amerikanischen Imperialismus prinzipiell abgelehnt. Dieser war es, der die Areas »politisch, gesellschaftlich, militärisch, ideologisch, wissenschaftlich und imaginär« in Bezug auf den Westen organisiert und hervor438 Vgl. den Bericht von Haskell G. Ward u. Jennifer G. Ward, International Studies Programs. Crisis and Challenge (Dezember 1970). RAC, FF, ID, Office Files of Robert H. Edwards, Box 1, Folder 6. 439 SSRC, Meeting on Trends in Area and Language Studies, New York, Nov. 10 1969 (Summary Notes). RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 177, Folder 2000, hier: S. 3. Ausgenommen waren davon offenbar die in den letzten drei Jahren erhaltenen 60.000 Dollar, vgl. auch Loschke, Area Studies, S. 463–478. 440 Francis X. Sutton an Elinor G. Barber, 30.7.1968. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 3. 441 Ebd. Vgl. Galtung, S. 296. Die Kritik wurde von Ford rezipiert, vgl. Haskell G.  Ward u. Jennifer G. Ward, International Studies Programs. Crisis and Challenge (Dezember 1970). RAC, FF, ID, Office Files of Robert H. Edwards, Box 1, Folder 6.

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gebracht hatte.442 Nach den Debatten der 1960er Jahre kam diese Einschätzung nicht unerwartet. Das Ausmaß der Kritik und ihre Grundsätzlichkeit, insbesondere in Bezug auf die Sozialwissenschaften, überraschte die Ford Foundation gleichwohl. Die Kritik an den Denk- und Arbeitsvoraussetzungen der Area Studies war fundamentaler als von den Stiftungsvertretern erwartet, die offenbar annahmen, dass Einzelmaßnahmen hier bereits zu Veränderungen geführt hätten. Die Ford Foundation hatte auf vielfältige Weise gefördert: zwischen 1954 und 1976 350 Fellowships für Afrikastudien vergeben, Universitätsprogramme in Boston und an der Northwestern University und seit 1960 das Joint Committee on African Studies und zahlreiche Zentren finanziert.443 In den 1960er Jahren wurden aber auch Universitäten in Afrika selbst gefördert und ein Förderprogramm für Afroamerikaner für Feldstudien in Afrika aufgelegt.444 Dennoch wurden Area Studies als Bestandteil eines neo-kolonialistischen Koordinatensystems entlarvt, dessen hegemoniales Gefälle struktur- und wissensbildend gewesen war: Innerhalb dieses Koordinatensystems wurde die Zukunft der Area Studies von den Wissenschaftlern davon abhängig gemacht, dass die »entwickelte Welt« bereit wäre, ihre Vormachtstellung aufzugeben.445 Versammelt waren bei den Gesprächen drei der ersten afroamerikanischen Afrika-Spezialisten der USA446: Der Anthropologe Elliot Skinner (1927–2007), in Trinidad geboren, war 1972 der erste afroamerikanische Professor an der Columbia University gewesen. Im Jahr 1966 war er von Johnson zum Botschafter in Burkina Faso ernannt worden.447 Der Anthropologe William Shack aus Berkeley (1923–2000) hatte sich, bevor er nach Äthiopien ging, insbesondere für Migrationsprozesse interessiert und mit einem Buch zu afroamerikanischen Musikern im Paris der Zwischenkriegszeit an der LSE in London promoviert.448 Der Politologe Clement Cottingham arbeitete an seinem Buch über afrikanische Bürokratie und politische Eliten.449 Im Unterschied zu den amerikanischen Kollegen hatte der ebenfalls in den 1920er Jahren geborene Brite Terence Ranger (Jahrgang 1929) in den 1970er Jahren auch politisch für Furore gesorgt, da er den afrikanischen Befreiungskampf aktiv unterstützt hatte. Ranger musste

442 Said, Orientalism, S. 3. 443 Sutton u. Smock. 444 Ebd. 445 Office for Middle East and Africa, Notes on luncheons, May 1973, S. 15. RAC, FF, ID, Office Files of Robert H. Edwards, Box 1, Folder 6. 446 Wallerstein und Skinner hatten 1955 zu den ersten gehört, die Gelder für Afrikaforschung von Ford erhielten, vgl. Sutton u. Smock, S. 68. 447 Dennis Hevesi, Elliott Skinner, Scholar and Former Ambassador, Dies at 82, in: New York Times, 1.5.2007. 448 In den letzten Lebensjahrzehnten hatte Schack das Buch stark überarbeitet und um weitere Archivrecherchen ergänzt, vgl. Shack. 449 Cottingham.

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Zimbabwe aus diesem Grund 1963 verlassen; im Jahr 1969 kam er an die UCLA.450 Seine Unterstützung des afrikanischen Nationalismus provozierte Anfang der 1970er Jahre auch in historiographischer Hinsicht Diskussionen.451 Wortführer der Diskussion waren insbesondere Richard Sklar (UCLA) und Immanuel Wallerstein, die allerdings beide noch nicht ihre heutige Bedeutung erreicht hatten. Wallerstein, der bis in die 1970er Jahre vor allem als Soziologe über das postkoloniale Afrika gearbeitet hatte, sollte mit dem Werk »The Modern World System«, dessen erster Band 1974 erschien, zum Stichwortgeber der Globalisierungskritiker werden,452 Sklar zu einem wichtigen Protagonisten des Postimperialismus.453 Zu Beginn der 1970er Jahre war er als Präsident der African Studies Association durch seine USA-kritischen Positionen bekannt geworden. Unter seiner Leitung war auf deren Sitzung 1971 die vehemente Kritik an der Rolle der USA im südlichen Afrika und in der Rassenpolitik zu einem Brennpunktthema geworden, nicht ohne eine Parallele zur Situation in Vietnam zu ziehen.454 Beide Männer verband die Position, dass die Kapitalakkumulation in den 1970er Jahren die Nation als entscheidende Größe im Wirtschaftssystem abgelöst und ein Weltsystem geschaffen habe, das in wissenschaftlicher Hinsicht zu konzeptualisieren war. Cottingham, Schack und Skinner kritisierten die African Studies Center, in denen afrikanische Gelehrte nicht als intellektuell gleichwertig und -berechtigt wahrgenommen würden.455 Sklar begründete das negative Image der Area ­Studies mit ihrer hegemonialen Position: »Area studies are increasingly seen as part of this dominant system and people are embarrassed to be a part of them«,456 und schlug die grundsätzliche Auflösung vor. Die Aufteilung in Areas sei auch wissenschaftlich nicht mehr interessant, da es nur gemeinsame Probleme gäbe: »One articulated world problem and problems are universal.«457 Area Studies verkörperten laut Ranger eine »globale Sichtweise der USA auf die Welt«, die zugunsten transnationaler, komparativer und verflochtener Perspektiven aufgehoben werden sollte.458 Die Wissenschaftler forderten die Abschaffung der »kolonialen Situation« als Grundlage für die Wissensproduktion der Area Studies.459 Der Politologe Archie Singham (Howard University) hatte in Anlehnung an Frantz Fanon den 450 Vgl. Ranger, Writing Revolt. 451 Zur zeitgenössischen Polemik vgl. Denoon u. Kuper; Ranger, The »New Historiography«. Für die Erinnerung eines Schülers an die 1970er Jahre vgl. McCracken. 452 Wallerstein, The Modern World-System. 453 Vgl. Becker u. Sklar; Sklar u. Falola. 454 Sklar. 455 Office for Middle East and Africa, Notes on luncheons, May 1973, hier: S. 9. RAC, FF, ID, Office Files of Robert H. Edwards Box 1, Folder 6. 456 Ebd., S. 16. 457 Ebd., S. 15. 458 Ebd., S. 9. 459 Balandier.

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Weg des afrikanischen Forschers beschrieben, der erst ein weißer Wissenschaftler und Intellektueller werden müsse, um in einem zweiten Schritt nach neuen Wegen zu suchen.460 Der Anthropologe Asmaron Legesse (Northwestern University) kritisierte die Situation am Beispiel der Auseinandersetzung des afrikanischen Studenten, der zwischen den Modellen der westlichen Sozialwissenschaften keinen dritten Raum für eigene und andere Konstruktionen entdecken kann.461 Auch die Tatsache, dass die Ergebnisse der Forschung nicht nach Afrika zurückgelangen, sondern »im Westen gehortet würden«, wurde angesprochen.462 Die Frage danach, wer die Afrika-Forschung führen sollte, wurde eindeutig beantwortet: Afrika selbst.463 Die Vorschläge der Afrikaforscher liefen darauf hinaus, die Forschungsgelder direkt nach Afrika zu lenken, an afrikanische Institutionen, damit die Mittel vor Ort von afrikanischen Wissenschaftlern an afrikanische Wissenschaftler verteilt werden könnten. Denn inzwischen gab es eine wachsende Wissenschaftlergemeinschaft in den Ländern der sogenannten Dritten Welt, die die Richtung der Forschung selbst bestimmen sollten. Damit wäre zwar aus Sicht der Diskutanden grundsätzlich das Problem der Kontrolle durch die Finanzierungsflüsse ab­geschafft, aber gleichzeitig würden sich andere Probleme stellen. Die Ford Foundation müsste sich direkt mit den afrikanischen Regierungen konsultieren und das Geld würde in den afrikanischen Ländern zum Spielball in Generations- und Elitekonflikten werden.464 Auch an den SSRC wurden solche Fragen herangetragen. Der Lateinamerikanist Clarence Jones hatte die Frage direkt gestellt, ob sich der SSRC nicht generell und ausschließlich auf amerikanische Gelehrte konzentrieren und nicht unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Großprojekte Außenpolitik betreiben sollte. Jones hatte für den Bereich Lateinamerika die Zustimmung der jeweiligen Regierungen für die Forschung gefordert und mehrfach die Beteiligung der Forscher der erforschten Länder eingeklagt: »why not let Latin Americans set these conditions?«465 Die Frage des Neokolonialismus wurde gestreift. Jones hatte 1969 sogar den kompletten Rückzug des SSRC aus den Ford-Aktivitäten gefordert. Dennoch verblieben die Diskussionen bei den USA und der Förderung seiner nationalen Ressourcen. Auf einem Treffen des SSRC mit Vertretern von Ford und Wissenschaftlern zur aktuellen Situation der Area Studies im November 1969 hatte Pendleton Herring (SSRC) die Frage nach der Politiknähe des SSRC als Polemik 460 Office for Middle East and Africa, Notes on luncheons, May 1973, hier: S. 4. RAC, FF, ID, Office Files of Robert H. Edwards, Box 1, Folder 6. 461 Ebd., S. 7. 462 Ebd., S. 16. 463 Ebd., S. 14. 464 Ebd., S. 3; 11. 465 SSRC, Meeting on Trends in Area and Language Studies, New York, Nov. 10 1969 (Summary Notes), hier: S. 6 f. RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 177, Folder 2000.

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abgetan.466 Dies änderte jedoch nichts daran, dass die Institutionen und Netzwerke, die die Area Studies auf den Weg gebracht und finanziert hatten, für die Glaubwürdigkeitskrise verantwortlich gemacht wurden. Im internen Bericht der Stiftung über die Gespräche heißt es unmissverständlich: »The SSRC was seen by participants as an ideological institution whose orthodoxy Ford helped establish.«467 Die von den kritischen Wissenschaftlern angemahnte Dekolonisierung der Area Studies fand in den 1970er Jahren nicht statt. Die Wissenschaftler spalteten sich in zwei Gruppen. Entweder verteidigten sie den Status Quo. So hatte die Ford Foundation nach einem Gespräch über die verschiedenen Finanzierungskrisen und -optionen mit Direktoren der NDEA-Zentren und der Stiftung nahestehenden Forschern wie Richard Lambert, Robert Ward und George Beckmann (Direktor des Far Eastern and Russian Institute der University of Washington) nicht ohne Enttäuschung notiert: »But these scholar-administrators did not provide and perhaps could not provide any really new and different ways of thinking about the future of international studies. The emphasis seemed to be on saving as much of the good old past as possible, rather than trying to imagine a different future.«468 Oder die Kritik der Wissenschaftler war so radikal, dass Ford sich nicht in der Lage sah, sie in konkrete wissenschaftspolitische Maßnahmen umzumünzen. Auch hier zeigte sich die Stiftung erstaunt, dass die Wissenschaftler nicht mit kreativen Ideen zum Nachdenken über die Finanzierungs- und Anreizmöglichkeiten beitrugen. Jean Herskovitz (State University of New York) wandte sich gegen jede Form einer permanenten Förderung. Und Wallerstein fasste seine Fundamentalopposition abschließend kurz und bündig zusammen. Anläßlich der aktuellen Finanzierungskrise hielt er drei Konsequenzen aus einem Rückzug Fords aus dem Feld der Area Studies fest: »If Ford pulled out of area studies: 1) a lot of useless research would stop; 2) the little money remaining for research would go to established people, cutting off particularly those in their 30’s; and 3) informal institutional linkages which are a result of personalities, not funding, would not be affected.«469 Die Reaktionen der Wissenschaftler waren für Ford umso unbefriedigender als die Area Studies für sie seit den 1950er Jahren ein Hauptförderschwerpunkt darstellte und mit ihrer Problematisierung die Position der Stiftung in der US-amerikanischen Förderlandschaft zur Debatte stand. Fords Aktivitäten hatten sich als Teil einer Förderlandschaft entwickelt, die durch eine konkrete Auf466 SSRC, Meeting on Trends in Area and Language Studies, New York, Nov. 10 1969 (Notes on Discussions), hier: S. 1. RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 177, Folder 2000. 467 Office for Middle East and Africa, Notes on luncheons, May 1973, hier: S. 6. RAC, FF, ID, Office Files of Robert H. Edwards, Box 1, Folder 6. 468 Ford Foundation Inter-Office Memorandum, 26.2.1973, hier: S. 4. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 7.  469 Office for Middle East and Africa, Notes on luncheons, May 1973, hier: S. 13. RAC, FF, ID, Office Files of Robert H. Edwards, Box 1, Folder 6.

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gabenteilung gekennzeichnet war und – wie der Blick auf die 1950er Jahre gezeigt hat – gezielt und kooperativ organisiert wurde. Der Graduate-Bereich wurde vom NDEA abgedeckt, Promotionen vom FAFP. Die Unterstützung von Bibliotheken und Fachbereichen wurde von NDEA und Ford gesichert, Postdoc-Stipendien u. ä. verteilten ACLS und SSRC. Gruppenprojekte konnten unter anderem von FAFP und SSRC finanziert werden, um nur die wesentlichen Förderinstitutionen Anfang der 1970er Jahre zu berücksichtigen.470 Unübersehbar war, dass sich das Feld in der Zusammenarbeit zwischen privaten und öffentlichen Trägern ausdifferenziert hatte. Die vielfältigen Angebote zeigten Multiplikatoreneffekte, die – aus Sicht von Ford – nun Anfang der 1970er Jahre ihrerseits neu zusammengeführt werden mussten. Das Feld war »zu divers«.471 Die Unzufriedenheit der Stiftungsvertreter resultierte nicht zuletzt aus verschiedenen Erfahrungen, die sie mit der Fragilität der Bundesförderung gemacht hatten. Seit den 1960er Jahren war die Förderlandschaft in den USA immer wieder durch Finanzierungs- und Organisationskrisen erschüttert worden und schließlich ins Wanken geraten. Die Rede von der »crisis of funding« setzte im Jahr 1967 ein,472 nachdem 1966 die Finanzierung des International Education Act (IEA) gescheitert war.473 Betroffen war auch die Finanzierung der Area Studies durch den NDEA: Es wurden zwar im Jahr 1967 15,7 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt, aber alle damit verbundenen Stellen gestrichen.474 Die Ausgaben des State Department für internationale und kulturelle Aktivitäten wurden um zehn Millionen Dollar gekürzt. Ford schätzte, dass in den beiden kommenden Jahren circa 130 Millionen Dollar gebraucht würden, um den im Gesetz vorgesehenen Bereich der »international studies« von der Grundschule bis zur Promotion abzudecken.475 Die Situation wurde als gravierend eingeschätzt, da auch die zumeist von dritter Seite finanzierten Graduate Fellowships in den vergangenen zwei Jahren um 70 Prozent gekürzt worden waren. Schon im Oktober 1967 kalkulierte Ford, ob und wie für die beiden kommenden Jahre 470 Bryce Wood, Proposed Conference on Support for Area Studies, May 19 1973, hier: S. 3. RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 269, Folder 3151. 471 Robert Ward, Area Studies in the 1970’s, 28.10.1969. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1. Vgl. zum Befund der mangelnden Koordination Bryce Wood, Proposed Conference on Support for Area Studies, May 19 1973, hier: S. 2. RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 269, Folder 3151. 472 [O. A.], Consequences of the Threatened End of NDEA Titel VI, March 18 1970, S. 2. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 7. 473 Vgl. die zusammenfassende Notiz von Howard R. Swearer, International Education Act, 9.10.1967. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1; zu den Reaktionen vonseiten der Zentren, vgl. auch die Korrespondenz von George Beckmann an Versch., 25.2.1970, hier: S. 2. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 7.  474 Ford Foundation Inter-Office Memorandum, 5.12.1967, hier: S. 2. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 32, Folder 12. 475 What Should Be Done By the Major U. S. Foundations Over the Next Few Years as Concerns International Educational and Cultural Programs (14.12.1967). RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 5.

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1969/1970 die auf 190 Millionen kalkulierte Gesamtsumme zur Verfügung gestellt werden könnte.476 Der Hauptgrund für die Nichtfinanzierung des IEA und die schwindenden Zuschüsse in den anderen Bereichen der international education war eine im Unterschied zu den 1950er Jahren veränderte Stimmung im Kongress. Internationale Projekte hatten angesichts zunehmend isolationistischer Tendenzen keine Konjunktur; substantielle Finanzierungen schienen den Stiftungsvertretern vor einem möglichen Ende des Vietnamkriegs unrealistisch: »Congress is not in the mood for new programs, and international things, in particular, are not in good repute. The combination of the two words ›international‹ and ›education‹, does not make much sense to Congressmen – it is hard for them to understand that this has to do with developing American educational resources rather than foreign ones.«477 Ohne eine direkte Verbindung zu den nationalen, außen­politisch-strategischen Interessen der Vereinigten Staaten war die Förderung der Internationalisierung der Ausbildung keine Priorität.478 In den kommenden Jahren sollte sich die Situation verschärfen. Präsident Nixon hatte 1972/1973 zunächst sein Veto gegen NDEA-Mittel eingelegt, so dass die bereits erfolgten Ausschreibungen von Fellowships zurückgezogen werden mussten.479 Die Finanzierung war zwar letztlich erfolgt, hatte aber alle beteiligten Institutionen alarmiert, die die staatlichen Geldflüsse schon länger misstrauisch beobachteten. 1971 waren im Bundeshaushalt für den NDEA und die Senior Fulbright Fellowships zunächst nur 6 Millionen gemeinsam angekündigt worden, während in den Steuerjahren 1969 und 1970 18 Millionen zur Verfügung gestellt worden waren.480 Ohne die Gelder aus Titel VI fehlte den Zentren die finanzielle Grundlage. George Beckmann (Direktor des Far Eastern and Russian Institute der University of Washington), hatte an Präsident Nixon geschrieben und um Erklärungen und Prüfung gebeten. Gleichzeitig waren alle Direktoren der NDEA Centers und die Ford-Stiftung um ihr Einwirken insbesondere auf die Mitglieder der entscheidenden Komitees in Kongress und Senat sowie auf präsidialer Ebene gebeten worden.481 Im Jahr 1973 stellte sich das Problem erneut.482 Dann fand 476 Ebd. 477 Ford Foundation Inter-Office Memorandum, 5.12.1967, hier: S. 1. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 32, Folder 12. Ähnlich Wit, S. 28. 478 Wit, S. 28. 479 Bryce Wood, Proposed Conference on Support for Area Studies, May 19 1973, S. 2. RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 269, Folder 3151. Das Veto galt nicht allein dem NDEA, sondern auch der NIMH-Finanzierung. 480 George Beckmann an Versch., 25.2.1970, hier: S. 4 f. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 7. 481 George Beckmann an Versch., 25.2.1970, hier: S. 4 f. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 7. Vgl. auch [o. A.], Consequences of the Threatened End of NDEA Titel VI, March 18 1970. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 7. 482 Ford Foundation Inter-Office Memorandum 26.2.1973, S. 1. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 7.

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der NDEA in der letzten Minute im House Appropriation Committee ungeahnte Unterstützung.483 Für die Zentren wurde 1973 eine dreijährige Fördergarantie ausgesprochen: Beworben hatten sich 168 Zentren, von denen 62 bereits gefördert worden waren. Ausgewählt wurden fünfzig.484 Das grundsätzliche Problem wurde in der mangelnden Einsicht des State Department in die Bedeutung von Titel VI gesehen.485 Für die Verantwortlichen war klar, dass das Wahrnehmungsproblem in Washington auch aus einer unzureichenden Informationspolitik ihrerseits zur Bedeutung der Area Studies und der Arbeit der NDEA-Center resultierte. Dass man in Kongress und Senat der Meinung war, dass die Ziele des NDEA erreicht waren486 und kein Konsens über die Erweiterung der nationalen Wissensressourcen bestand, galt als Beleg für die vielen Unklarheiten im Ergebnis mangelnder Koordination. Verärgert und erstaunt wurde auch in den 1970er Jahren notiert, dass auf Anfragen nicht konkret gesagt werden konnte, was unter »Area Studies« zu verstehen war. »Area studies disappears under your fingers when you try to come to grips with it«, bemerkte der Südasien-Spezialist Richard Lambert (University of Pennsylvania) auf der internen SSRC-Konferenz von November 1969.487 Eine stärkere Koordinierung unter staatlicher Beteiligung war das Ziel nicht nur der Ford-Stiftung. Der Vorstand der American Anthropological Association forderte die Erarbeitung eines »comprehensive plan for graduate training in language and area studies«, gefolgt von der Einrichtung einer Taskforce, die ein Setting für einen nationalen Plan erarbeiten sollte.488 Die Einschätzung wurde generell geteilt, auch Ford klagte wiederholt, dass die Regierung ihre Verantwortung für die Internationalisierung der USA noch nicht erkannt habe.489 Gleichzeitig war die Kritik der Ford-Stiftung auch eine Selbstkritik an den großflächigen eigenen Fördermaßnahmen. Die Stiftung wollte mit dem »LaissezFaire-Approach« der Vergangenheit – gemeint waren die großzügigen institutionellen Förderungen (institutional block grants) – Schluss machen: 483 Ford Foundation Inter-Office Memorandum, 6.3.1973, S. 1. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 5. Als Ursache galt das Engagement des neuen Kongressabgeordneten Obey (Wisconsin) zur Verteidigung der Titel VI-Zuschüsse. Er hatte selbst ein Stipendium für die SU gehabt, ebd. 484 Ford Foundation Inter-Office Memorandum, 23.3.1973. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 5. 485 Ebd. 486 [O. A.], Consequences of the Threatened End of NDEA Titel VI, March 18 1970, hier: S. 5. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 7. 487 SSRC, Meeting on Trends in Area and Language Studies, New York, Nov. 10 1969 (Summary Notes). S. 1, RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 177, Folder 2000. 488 Bryce Wood, Proposed Conference on Support for Area Studies, May 19 1973, S. 3. RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 269, Folder 3151. 489 Ebd., S. 5 f. Eingesetzt wurde sie zu Beginn des zweiten Kalten Kriegs, s. u. Vgl. Report of the Task Force on National Manpower Targets for Advanced Research on Foreign Areas, hg. v. National Council on Foreign Language and International Studies (November 1981). RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 101, Folder 9.

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»On area studies our targets are much more pinpointed than they used to be – we use a rifle rather than a shotgun. You cannot just dump 11 Million Dollar on Harvard in the hope that 9 Million Dollar will be well spent. You want be sure every nickel will be spent well. After 15 years of pell-mell growth we felt it was time to use a more carefully calibrated approach to area studies. What now were the gaps: what methodology had the greatest promises? These were two of a larger number of questions.«490

Die 1970er Jahre brachten eine Zäsur für die Förderpolitik, welche die Konsequenz veränderter Denkvoraussetzungen war. Der Schwerpunkt verlagerte sich auf die Förderung regionaler und miteinander kooperierender Netzwerke. Die Frage war nicht mehr die Ausbildung amerikanischer Afrika-Spezialisten, sondern die Koordination der Zusammenarbeit zwischen Amerikanern und Afrikanern in Forschungsprojekten. Drei Jahre nach den Gesprächen mit den Afrika-Spezialisten und der Auseinandersetzung mit ihrer Kritik war das Argument fester Bestandteil der Selbstdarstellung der Stiftung: »Also, it has become increasingly apparent that African scholars are frequently better placed than Americans to undertake research on policy-related issues and to feed their research results into the policy process.«491 Signifikant für diesen Wandel war, dass Area-Studies-Stipendien für Afrika und Projekte in Afrika nun von denselben Mitarbeitern betreut werden sollten. Der Fokus der Stiftung richtete sich auf das competence building vor Ort. Ford investierte in overseas offices und »erfand« die Konzepte linkage und network. Damit veränderte die Stiftung ihre Forschungsagenda langfristig. Gleichzeitig aber verhinderte sie eine radikale Reform der Area Studies, wie sie von den Wissenschaftlern im Kontext der Dekolonialisierung vorgeschlagen wurde. Ford funktionierte in Bezug auf das Konzept und die Kritik der 1970er Jahre als »cooling out agency«.492 3.5.2 Von der Area zur Kontextsensitivität. Reformprojekte des SSRC Angesichts der Kritik und der Finanzierungskrise suchte auch der SSRC nach einer neuen Rolle und musste sich mit seiner Position zwischen Politik­beratung und Wissenschaft auseinandersetzen. In der Gesamtkoordination Ende der 1970er Jahre übernahm er die Führung, nachdem der ACLS seine Zurückhaltung deutlich gemacht hatte.493 Nach eigener Einschätzung war er zwar als Fellowship- und Grantverteiler fest institutionalisiert und mit seinen Komitees einer 490 SSRC, Meeting on Trends in Area and Language Studies (Notes on Discussions), New York, Nov. 10 1969, hier: S. 3. RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 177, Folder 2000. 491 Sutton u. Smock, S. 71. 492 Arnove. 493 Ad hoc Committee to review the Relations between the SSRC and the FAFP, Report and Recommendations, [o. D.], hier: S. 9. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33 Folder 1. 

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der Hauptumschlagplätze für die Entwicklung der Area Studies. Aber die ursprünglich anvisierte Verbesserung der Sozialwissenschaften war mangelhaft geblieben und sollte deshalb – so wurde im Rahmen einer neuen Planungswelle Ende 1969 überlegt – zum Hauptschwerpunkt der Arbeit werden. In den offiziellen Strategiepapieren wurde immer wieder betont, dass Area Studies stärker als ein Organisations- und Methodenmodell umzusetzen seien: als »one way of organizing inquiry and of helping to focus scholarly activity«.494 Gerade die im area approach angelegte Problemfokussierung bot Chancen für eine methodische Erweiterung der Sozialwissenschaften in Richtung Vergleich und eine stärkere Berücksichtigung der Erklärung gesellschaftlicher Entwicklungen.495 Das Leitmotiv dieser Debatte war bereits aus den 1940er Jahren bekannt, nur fehlte nun der enthusiastische Internationalismus. Die Überlegungen nahmen vor allem einen technischen Charakter an. Für den SSRC hatte das Problem in den 1970er Jahren eine finanziell-organisatorische Dimension. Es waren die internen Diskussionen bei Ford, die zur Reform der Area-Förderung des SSRC führten. Die Förderungen liefen aus496 und Ford hatte bereits 1970 alle Zuschüsse für Latin American Centers gestrichen und die Mittel für die anderen Zentren reduziert.497 Für das Jahr 1974 sollten die gesamten Area-Aktivitäten neu evaluiert werden. Dazu gehörte das FAFPProgramm, aber auch die Förderung der Area-Komittes. Beide Programmkomponenten sollten stärker verzahnt werden.498 Ford kündigte an, alle Zuschüsse an den SSRC ungefähr auf 10 Prozent des Vorjahres zu senken und EinjahresZuschüsse zum Zweck der Selbstevaluation an die Komitees zu vergeben.499 Für den SSRC bedeutete das nicht nur eine finanzielle Herausforderung, sondern auch die Neuformulierung seines Profils. Insbesondere zwei Programmbestandteile standen zur Disposition: zum einen die Organisation des FAFP-Programms, dessen Organisation Ford im Jahr 1962 an SSRC und ACLS abgegeben hatte, und zum anderen die Existenz der Joint Committee, die von ACLS und SSRC gebildet und von Ford bezahlt wurden. Wurden sie in den 1970er Jahren noch als Transportmedium für die Area Studies 494 Thompson, S. 42. 495 Robert E. Ward, Area Studies in the 1970s, 28.11.1969, hier: S. 6. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1.  496 The Foundations Strategy Towards University-Level, International Studies Programs, The Joint Committees of the SSRC / ACLS, The Foreign Area Fellowship Program, Professional Area Studies Associations and All That, hier: S. 7. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1. 497 Bryce Wood, Proposed Conference on Support for Area Studies, May 19 1973, S. 4. RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 269, Folder 3151: Vgl. auch den Bericht, Francis X. Sutton, International Studies in Our Future International Programs, 17.7.1974. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Ser. II, Program Files, Box 33, Folder 6.  498 Francis F. X. Sutton an David R. Smock, 13.9.1973. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1. 499 Francis X. Sutton an David R. Smock, 29.8.1973. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1. 

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gebraucht? Und wichtiger noch: Waren sie in der Lage, ihre Aufgabe in diesem Feld wahrzunehmen?500 Die Joint Committee hatten aus Sicht der Ford-Stiftung vor allem die Funktion, Forschung zu stimulieren und als Pressure-Group eine Führungsfunktion auszuüben: »The joint committees basically perform three functions: stimulation of new research and explorations of new subjects by the conference technique; some discussions of problems in research and training which crop up in  a field; allocations of faculty research grants – with particular attention to scholars located in institutions without major area studies programs.«501

Die Committee hatten ihre Arbeit aus Sicht der Ford-Stiftung unterschiedlich gut gemacht. In den ersten beiden Punkten wurden sie vorwiegend positiv eingeschätzt. In vielen Fällen waren die Joint Committee erfolgreicher als die professionellen Interessenvertretungen. Africa und Middle East Committee zogen die generelle Kritik von Ford auf sich sowie in deren Folge gekürzte Budgets, da sie keine Führungsfunktion ausübten und keine Prioritätensetzung in der Forschung erkennen ließen. Die Organisation einzelner Tagungen, die den Interessen einzelner Mitglieder entsprachen, war kein Ausweis für eine Führungsrolle und erbrachte nicht die »neuen Ansätze«, die Ford erwartete.502 Den dritten Aufgabenbereich, die Verteilung von Stipendien durch die einzelnen Komitees, schätzte Ford hingegen als kontraproduktiv ein. Er sollte sich zugunsten einer zentralisierten Struktur ändern. Die Situation war entstanden, weil das Committee on Problems and Policy der Ford-Stiftung eine Reform der Beziehungen und Aufgabenverteilungen von SSRC, Stiftung und FAFP eingefordert hatte.503 Die Komitees sollten in einer neuen Struktur mehr in die FAFP-Arbeit eingebunden werden.504 Grundsätzlich 500 The Social Science Research Council and Area Studies, 31.10.1969, hier: S. 1. RAC, SSRC, Accession 2, Ser. 1, Box 177, Folder 2000. 501 The Foundations Strategy Towards University-Level, International Studies Programs, The Joint Committees of the SSRC / ACLS, The Foreign Area Fellowship Program, Professional Area Studies Associations and All That, hier: S. 8. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1.  502 Francis X. Sutton an David R.  Smock, Inter-Office Memorandum, 13.9.1973. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1. Insgesamt wurde das Middle East Committee positiver eingeschätzt. Vgl. zur Kritik Francis X. Sutton an David R. Smock, 29.8.1973. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1. Vgl. hier auch die Kürzungsvorschläge Suttons für die beiden Komitees. 503 Ad hoc committee to review relations between the SSRC and the FAFP. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1.  504 The Foundations Strategy Towards University-Level, International Studies Programs, The Joint Committees of the SSRC / ACLS, The Foreign Area Fellowship Program, Professional Area Studies Associations and All That, S. 17; 11. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1. So befürwortete die Ford-Stiftung nach der Schaffung eines Fellowships für Westeuropa 1964 die Gründung eines Komitees für Westeuropa und wies auf die Tatsache hin, dass Westeuropa keine »starke akademische Pressure-Group« in den USA

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schien es sinnvoll, die verschiedenen Area-Aktivitäten stärker zusammenzu­ binden. Eine radikale Veränderung in der Arbeit der Komitees jedoch brachten die 1970er Jahre nicht. Und in der Praxis verstärkte sich die Tendenz der Imperienbildung innerhalb der Komitees, deren Arbeitsergebnisse für den SSRC nicht immer so überzeugend waren wie für die Komitees selbst. Noch in den 1980er Jahren übten die Komitees, die nun nicht mehr vollständig von Ford bezahlt wurden, die drei maßgeblichen Funktionen aus: Sie verteilten nach wie vor individual research awards, versuchten durch langfristige kooperative Projekte der Forschung Richtungen vorzugeben  – auf der Grundlage eines aufmerksamen und organisierten Monitorings.505 Allerdings führte der SSRC im Ergebnis der Diskussionen im Jahr 1973 das große Fellowship-Programm FAFP mit seinen anderen Area-Programmen zusammen. Die Programme der Joint Committee in African Studies, Contem­ porary China, Japanese Studies, Korean Studies, Latin American Studies, Near and Middle East and South Asia Studies wurden mit den Stipendien des FAFP zu einem zentralen und gemeinsamen Tätigkeitsschwerpunkt zusammengefasst. Alle Programme wurden nun direkt von den beiden Council betreut, die jeweils einen Vizepräsidenten stellten. Ein Interarea Committee wurde gebildet, das sich vor allem aus Vertretern aus den Joint Committee und anderen Sozialwissenschaftlern rekrutierte und die Vizepräsidenten in der Planung und Koordination neuer Richtungen unterstützte. Das neue Gremium sollte kein Kontrollgremium und auch nicht mit bestimmten Areas befasst sein, sondern politische Richtlinien und Strategien für den SSRC und den ACLS erarbeiten – und immer mit mehr als einer Area beschäftigt sein. Die neue Strategie, gemeinsam mit der Integration der Förderung vor, nach und während der Promotion, aber auch die Förderung der methodischen Area-Integration mit komparativen und transnationalen Ansätzen – dies alles führte zu einer Neuausrichtung der Area Studies unter Führung des SSRC.506 Der SSRC hatte sich den neuen Förderparadigmen der Ford-Stiftung angenähert, die insbesondere in der Bildung regionaler Netzwerke und der stärkeren Kooperation mit den Sozialwissenschaften bestand. So hatte das Interarea Research Committee im September 1973 zum ersten Mal übergreifende Fragen entwickelt und vorgeschlagen, mit den Fellowships stärker komparative und interhabe und akademisch »unterentwickelt« sei. Vgl. dazu z. B. das Papier Howard R. Swearer, Some Observations on Western European Studies, 1967. RAC, FF, ID, Office Files Francis Sutton, Ser. II, Program Files, Box 31, Folder 6. Vgl. zur Diskussion auch Moseley. 505 Szanton, The Joint Area Committees. Seit Mitte der 1970er Jahren kamen weitere Sponsoren hinzu, wie z. B. die Agency for International Development und die National Science Foundation, seit 1978 auch der National Endowment for the Humanities. 1982 verringerte sich das Budget der Komittees noch einmal um ein Drittel. Dies führte zu Programmreduktionen, aber die Komitees blieben arbeitsfähig. 506 Thompson. Für den internen Bericht vgl. Ad Hoc Committee to Review Relations between the SSRC and the FAFP, Revised Final Copy. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Box 33, Folder 1.

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disziplinäre Projekte zu unterstützen. Diskutiert wurde, die Grund­koordinaten der Ausschreibungen von den Joint Committee durch Umfragen oder Berichte vorzubereiten. Aber alle Synthese- und Profilierungsversuche stießen immer wieder an ihre Grenzen. Auf den Vorschlag, eine Liste mit Forschungsprioritäten zu erstellen, reagierten die Wissenschaftler mit Skepsis – auch wenn die Diskussion dann durchaus weiterführende und übergreifende Schwerpunkte mit »Ethnizität« auf Platz eins und »soziale Schichtung« auf Platz zwei ergab.507 Die 1970er Jahre brachten eine Zentralisierung der Struktur, aber nicht die erhoffte »Internationalisierung« der Area Studies.508 Gleichwohl legte die Profildiskussion den Grundstein für die intellektuelle Reform der 1990er Jahre. Insgesamt standen die Area Studies weder im Zentrum der Förderinteressen der Stiftungen noch der Bildungspolitik. Im Jahr 1973 wurde das Budget gekürzt und anstelle von 107 Zentren wurden nur noch 46 Zentren unter Titel VI gefördert.509 Nach Berechnungen für die Regierung gab Ford im Jahr 1978 nur drei bis vier Millionen für Area Studies aus, wohingegen es zwischen 1960 und 1967 27 Millionen pro Jahr gewesen sein sollen. Die finanzielle Förderung der Regierung von Area Centers und Fulbright Program soll um die Hälfte gesunken sein.510 Insbesondere im Umkreis der Zentren entstanden Untergangsszenarien. Im Jahr 1981 wurden im Rahmen des NDEA 87 Zentren unterstützt, von 640 in den USA bestehenden Zentren.511 Die Direktoren sahen angesichts der geschwundenen Finanzierungsmöglichkeiten für das Folgejahr 1980–1982 eine Katastrophe voraus. Berechnet wurde ein Rückgang der Gelder um 28 Prozent, den größten Anteil daran hatte der Rückgang der Regierungsmittel um 55 Prozent.512 Mit dem Wiederaufleben des Kalten Kriegs kam es zu einer kurzen Revitalisierung der Area Studies. Nach der Modernisierung der sowjetischen Mittel­ streckenraketen, dem Nato-Doppelbeschluss und dem Beginn des Kriegs in Afghanistan war die außenpolitische Bedeutung der Weltregionen 1979/1980 wieder zu einer Frage der nationalen Sicherheit geworden. Im Zentrum der zahlreichen Kommissionen und ihrer Berichte stand der Bericht »Strength through Wisdom«, der im November 1979 für den Präsidenten erstellt wurde. Er konstatierte einen eklatanten Mangel an Fremdsprachenkenntnissen in den USA vom Kindergarten über die Berufsausbildungen bis zum Ph.D.-Level.513

507 [O. A.], A Progress Report on New Directions for Interarea Research, in: Items, Bd. 27 (14), 1973, S. 48 f. 508 Francis X. Sutton, International Studies in Our Future International Programs, 17.7.1974. RAC, FF, ID, Office Files of Francis X. Sutton, Ser. II, Program Files, Box 33, Folder 6.  509 Lambert u. a., S. 11: 1983 stieg die Zahl wieder auf 76. 510 President’s Commission on Foreign Language and International Studies, S. 13. 511 McDonnell u. a., Federal Support for International Studies, S. VI. 512 Lambert u. a., S. 12. 513 President’s Commission on Foreign Language and International Studies. Vgl. für einen zweiten einflussreichen Bericht Berryman u. a.

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Eines der wichtigeren Ergebnisse des Berichts war neben der erneuten Mobilisierung die Bildung des National Council on Foreign Languages and International Studies im Jahr 1980. Dessen Taskforce on National Manpower Targets for Advanced Research on Foreign Areas versammelte ihrerseits 80 Experten in Area-Panel, die jeweils einen Länder-Bericht verfassten. Das gezeichnete Bild war düster, der Gestus aktionistisch. Der alarmistische Ton des Berichts beruhte auf dem Rückstand der USA angesichts der intellektuellen Aufrüstung der Sowjetunion, die an ihrer Akademie der Wissenschaften über 8.000 regionalwissenschaftliche Experten beschäftigte. Der Mangel an Regionalwissenschaftlern in den USA war eklatant und betraf nicht nur Vietnam, das seit dem Rückzug der Regierung aus den Vietnamstudien kaum noch wissenschaftlich abgedeckt wurde. Für Nicaragua wurde nur ein Spezialist in den USA aufgelistet, für El Salvador existierte keine Expertise. Unbefriedigend war die Situation auch für Südeuropa: Für die Wirtschaft ­Spaniens und Portugals waren nur zwei Experten zu verzeichnen, keiner für Griechenland. Und selbst in den klassischen Bereichen der Area-Förderung waren die Defizite beträchtlich. Dem pazifischen Raum wurde zu wenig Beachtung geschenkt. Für China mit zwanzig Experten in der US-Regierung und Korea mit zehn Spezialisten waren die Zahlen im Vergleich ebenfalls niedrig.514 Vieles an dieser Initiative und den Diskussionen erinnerte an die 1940er Jahre. Der Begründungszusammenhang von nationaler Sicherheit und internationaler Kompetenzvermittlung hatte sich seit dem Area Roster des Ethnogeographic Board nicht verändert, auch wenn das Argument des intellektuellen Wett­ rüstens 1980 deutlicher geworden und das der Methodenreflexion verschwunden war. Allerdings fehlte der Nachkriegsenthusiasmus am Internationalismus im Austausch von Studierenden und Forschern,515 wie ihn selbst die herbeizitierte Schlussakte von Helsinki mit ihrem Verweis auf die Bedeutung des Studiums fremder Sprachen und Kulturen als Mittel zur Völkerverständigung nicht setzen konnte. Eine zweite nationale Initiative und einen vergleichbaren Aufschwung der Area Studies mit Mitteln der Bundesregierung sollte es nicht geben. Die 180 Millionen US-Dollar, die der Bericht für den Präsidenten gefordert und auf die verschiedenen Ausbildungsbereiche aufgeteilt hatte, blieben aus.516 Anfang der 1990er Jahre verlieh das Ende des Ost-West-Konflikts der AreaStudies-Debatte neue Dringlichkeit. Der National Security Education Act (NSEA) von 1991 war noch einmal eine Antwort auf die Frage, wie die USA ihre internationale Führungsrolle behalten könnten. Allerdings galt das Programm zumindest anfänglich als Rekrutierungsprogramm für den CIA, die wissen-

514 Report of the Task Force on National Manpower Targets for Advanced Research on ­Foreign Areas by the National Council on Foreign Language and International Studies, 1981, hier: S. 20 f. RAC, FF, ID, Office Files of Franics X. Sutton, Ser. II, Program Files, Box 19, Folder 9. 515 Lebovic. 516 President’s Commission on Foreign Language and International Studies, S. 11.

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schaftspolitischen Dimensionen waren gering.517 Die Ford-Stiftung hingegen setzte mit einem neuen Stipendienprogramm Impulse zur erneuten Annäherung von Sozialwissenschaften und Area Studies. Das International Predissertational Fellowship Program (IPFP) vergab von 1991 bis 2000 350 Fellowships in den Wirtschaftswissenschaften, Politikwissenschaften und Soziologie (später auch Psychologie) für Studien in Afrika, China, Lateinamerika, in der Karibik und dem Mittleren und Nahen Osten sowie Süd- und Südostasien.518 Das Programm wurde vom SSRC verwaltet, der allerdings bei der Übertragung im Winter 1989 um eine deutliche Trennung von den Area Committee gebeten worden war.519 Die 1990er Jahre brachten schließlich auch das Ende der Struktur- und Organisationskrise der Area Studies, die seit den 1970er Jahren schwelte.520 Der Politologe Kenneth Prewitt, der 1995 Präsident des SSRC wurde, tat den entscheidenden Schritt. Prewitt hatte schon während einer ersten Koordinierungsphase zwischen ACLS, SSRC, Ford und der Mellon Foundation, damals als senior vice president der Rockefeller-Stiftung (1985–1995), im Sommer 1989 die Grundsatzfrage gestellt, ob Area Studies noch ein wissenschaftspolitisches Organisationsprinzip sein konnten.521 Für den SSRC, der seit den 1940er Jahren gemeinsam mit dem ACLS seine Struktur seit über vierzig Jahren in interdisziplinären Area Committee organisiert hatte,522 bedeutete das ein Fanal. Die Area Committee waren nicht nur die entscheidenden Multiplikatoren der Regionalwissenschaften gewesen, sondern stellten auch das Rückgrat des SSRC dar. Sie waren sein Beitrag zur Internationalisierung der Sozialwissenschaften. Im Jahr 1980 gab es zehn Komitees: African Studies (1960); Contemporary China (1959); Eastern Europe (1971); Japanese Studies (1967); Korean Studies (1967); Latin American Studies (1959);

517 Wit, S. 29. Die Gelder kamen aus dem Budget des Verteidigungsministeriums und im Beirat saß ein Vertreter des CIA. Diese Tatsache, gemeinsam mit dem »nationalen Dienst«, den die Teilnehmer nach der Rückkehr erbringen mussten, führte dazu, dass das Programm zumindest anfänglich als Rekrutierungsprogramm des CIA angesehen wurde. 518 Angelique Haugerud u. Wendy Cadge, The Social Sciences and Area Studies. An Evaluation of the SSRC’s International Predissertational Fellowship Program, 1991–2000. A Report to the Ford Foundation, Oct. / Dec. 2000. Privatarchiv Sheila Biddle. 519 Sheila Biddle (Ford) an David Featherman (SSRC) und Stanley Katz (ACLS), 20.12.1989. RAC, FF, Log-File 89–90. 520 Von früheren Versuchen, neue organisatorische Strukturen zu schaffen, sind wichtig insbes. die 1987 gegründete National Council of Area Studies Association (von der American Association for the Advancement of Slavic Studies) (vgl. The Internationalization of Scholarship and Scholarly Societies, ACSL Occasional Paper, N° 28, 1995, S. 21 ff.) und das gescheiterte Konkurrenzprojekt einer National Foundation of International Studies von Richard Lambert, für das im Sommer 1986 verschiedene Vorbereitungstreffen stattfanden, Gespräch mit Steven Wheatley, New York, 12.12.2014. 521 Kenneth Prewitt an Charles Blitzer, 20.4.1989. RAC, FF, Log Files 8990. Gespräch mit Ken Prewitt, New York, 11.12.2014. 522 Die Komitees verteilten die Hälfte des Budgets, Ludden, S. 5.

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Near and Middle East (1959); South Asia (1970); Southeast Asia (1976); Western Europe (1975).523 Im Sommer 1996 löste Prewitt die Area Committee in Übereinstimmung mit dem ACLS auf und ersetzte sie durch regionale Netzwerkstrukturen im Rahmen eine neuen »Joint International Program«. Mit diesem Programm erhielt er die Finanzierung durch die Ford-Stiftung im Bereich internationaler Studien aufrecht.524 Er ersetzte die Komitees durch eine »internationale Architektur«, die der neuen Situation Rechnung tragen sollte: collaborative research networks und regional advisory panels, die die Weltregionen miteinander verbanden. Während die Netzwerke Planungs- und Beratungsfunktionen hatten und situativ eingesetzt werden sollten, waren die Panels dazu bestimmt, Perspektiven zu entwickeln.525 Die neue Struktur sollte organisatorisch insbesondere ein Grundproblem der Aufteilung in Area Committee lösen, nämlich die fehlende Kommunikation der Komitees untereinander und die mangelnde Priorisierung von Fragestellungen der Verflechtung.526 Das neue Programm nahm Akzente auf, die Steven Heginbotham, Vizepräsident des SSRC, einige Jahre zuvor entwickelt hatte, als er kurz nach Ende des Kalten Kriegs einen Paradigmenwechsel von der area zur context-sensi­ tivity erklärte. Im Anschluss an ein Strategiepapier der Mellon Foundation sollte dies eine Abwendung der Wissensproduktion von den Förderbedingungen und -schwerpunkten des Kalten Kriegs darstellen, mit einem Fokus auf der »Lokalität von Globalisierungsprozessen«.527 Aber erst Prewitt ersetzte die Semantiken des Kalten Kriegs durch die Sprache der Globalisierung, in der Einsicht, dass auch der modernisierungstheoretische Konsens nicht mehr als gemeinsamer Referenzrahmen von Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisationen funktionieren konnte. Mit dem neuen Förderprogramm hatte der SSRC seine Förderpolitik und ihre Paradigmen an die der Stiftungen angepasst. Prewitt wusste, dass die neue Sprache der Globalisierung nicht mehr nur die der internationalen Netzwerk523 Prewitt, The Council’s International Program. 524 Vgl. SSRC / ACLS, Proposal to the Ford Foundation for Core Support of a New Joint International Program, April 1996. Privatarchiv Sheila Biddle. Im August erhielt der SSRC einen Grant von 2 Millionen Dollar für die Dauer von zwei Jahren, vgl. Request N° 654/Grant 9101039. Privatarchiv Sheila Biddle. 525 Prewitt, Presidential Items, 50 (2/3). Vgl. auch die Konzeptpapiere im Austausch mit Sheila Biddle, Program Officer Ford Foundation, v. a. SSRC, A New International Joint Program for the ACLS and the SSRC. A Concept Paper, March 1996. Privatarchiv Sheila Biddle. 526 Zu diesem Zeitpunkt bestanden noch zwei Joint Committee: Joint Committee on Chinese Studies (JCCS, gegründet 1982) und Joint Committee on Eastern Europe (JCEE, gegründet 1971), vgl. Katz, Report. Letzteres wurde 1997 als Committee on East European Studies wieder begründet und vergab ab 1998 auch wieder Fellowships, vgl. ACLS, Annual Report 1997/98, S. 28 f. 527 Heginbotham; Cumings; Daniel Featherman hatte den Fokus des SSRC insbes. auf die disziplinären Sozialwissenschaften gesetzt, den Konflikt aber nicht »angerührt«, vgl. Ludden.

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bildung war, sondern auch die des capacity buildings.528 Gemeinsam mit dem ACLS wurde eine neue Promotionsförderlinie aufgestellt. Die International Dissertation Field Research Fellowships (IDRF) boten fünfzig Stipendien für in den USA eingeschriebene Doktoranden, die im Rahmen ihrer Dissertation Feldarbeit im Ausland betrieben. Dabei war »Feldforschung« der neue Begriff für areabasiertes Wissen.529 Die Entscheidung, dieses Programm mit der Mellon-Stiftung aufzubauen, war durchaus als eine Bestätigung der Area-Tradition zu verstehen zu einem Zeitpunkt, als viele Universitäten vor der Entscheidung standen, die Programme entweder fortzuführen oder neue Akzente zu setzen. Aus der Sicht der Protagonisten wurden die Area Studies globalisiert. Auf einer großen und von Ford finanzierten SSRC / ACLS-Konferenz mit den PanelMitgliedern im Frühling 1997 wurden die Veränderungen unter dem Schlagwort der »Internationalisierung der Geistes- und Sozialwissenschaften« kommuniziert. Vorgebracht wurden die inzwischen klassisch gewordenen Kritikpunkte und Desiderata – die utilitaristische Ausrichtung, der Macht-Wissen-Nexus, die Tatsache, dass die Area in vielen Fällen Forscher nicht in gleichem Maße verbindet wie disziplinäre Kontexte und Methoden, die Frage nach einer verbesserten Sprachausbildung. In ihrer Bedeutung als entscheidende Untersuchungs- und Struktureinheit wurde die Area nicht in Frage gestellt, sondern neu konzipiert: von einer »static, geopolitical, and territorially-bounded conception« zu einem »international enterprise«.530 Die Areas wurden umdefiniert, von einem Untersuchungsobjekt zu einem sozialwissenschaftlichen Zugang, der transnationale Prozesse erschließen sollte. Diese Veränderungen und Diskussionen hatten in der Verlängerung der Ideologie- und Imperialismuskritik der Area Studies auch eine ethische Seite, aber diese stand weniger im Vordergrund.531 Auch die Ford-Stiftung wollte die Area Studies auf einer neuen Grundlage vitalisieren. Im Jahr 1997 legte sie nach jahrelanger konzeptueller Arbeit ein auf sechs Jahre angelegtes und mit 25 Millionen US-Dollar dotiertes Programm »Crossing Borders. Revitalizing Area Studies« auf, das drei Ziele verfolgte: Es sollte neue Wege zur Konzeptualisierung der »Area« und den Möglichkeiten ihrer wissenschaftlichen Erforschung bringen. Die Arbeit an der »Area« sollte nun »international« (d. h. nicht nur mit Kollegen aus der entsprechenden »Area«, sondern auch aus anderen Regionen) erfolgen, um den »amerikanischen Blick« zu durchbrechen. Und schließlich sollte die Regierung durch Fords Vorstoß in diesem Bereich zu einem neuen Engagement gebracht werden.532 In konzeptueller Hinsicht lag der neue Schwerpunkt auch hier auf der Verbindung zwischen den Areas, die nicht vorab festgelegt, sondern themenabhängig bestimmt wurden. Die Perspektive war eine prozessuale und sollte das »lokale 528 Prewitt, Presidential Items 50 (1). 529 Prewitt, Presidential Items 50 (4). 530 Abraham u. Kassimir, S. 30; 23 ff. 531 Appadurai, The Research Ethics and the Spirit of Internationalism. 532 Vgl. Ford Foundation.

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Globale« fokussieren, wie es zum Beispiel in Migrationsprozessen, der Analyse sozialer Bewegungen oder Diaspora-Phänomenen zu fassen sei.533 Das Interesse auf Seiten der Universitäten war groß: Über 200 Colleges und Universitäten bewarben sich, dreißig wurden im ersten Durchgang angenommen.534 Seit den 1990er Jahren mehrten sich auch die theoretischen Vorschläge vonseiten der Regionalwissenschaftler selbst für eine »neue Architektur« der Area Studies. Ihre intellektuellen Voraussetzungen wurden vom Postkolonialismus grundiert, der mit der Infragestellung der kulturellen und epistemologischen Grundlagen des Kolonialismus auch das Ende des Modernisierungsparadigmas bedeutete. Gekreuzte Perspektiven formulierten einen neuen Ausgangspunkt für die Forschung ebenso wie der Bezug auf eine nicht-europäische Region im Rahmen der Analyse von Globalisierungsprozessen.535 Die Grundidee einer »globalen Sozialwissenschaft«, die auf dem Prinzip der Territorialität bestand, ließ das Konzept weiterhin attraktiv erscheinen. Und es war nicht zuletzt die Tatsache, dass Internationalität und eine gewisse Form von Interdisziplinarität dieser Architektur eingeschrieben waren, die ihre »kritische Revitalisierung« beförderte. »The critical revitalization of the cultural studies of other parts of the world (area studies) is thus at least one way«, hielt Arjun Appadurai das Potenzial der Area Studies fest, »in which to restore the primacy of the liberal-cosmopolitan ideal of discipline over the later, research driven ideal of disciplinarity.«536 In der Auseinandersetzung mit der Methodenkritik der 1970er Jahre wurden die Area Studies »selbstreflexiv«.537 In unterschiedlichen Begriffen und im Kontext verschiedener theoretischer Koordinatensysteme äußerte sich dies in einer prozessualen Sicht auf Raum- und Kulturkonstruktionen sowie in wissenschaftskritischen Positionen. Diese kritischen Area Studies waren für den IndienSpezialisten David Ludden »international without being imperialistic«, weil sie nicht durch eine vorab erfolgte Aufteilung in Weltregionen, sondern durch »Kontextsensitivität« strukturiert waren.538 Andere Wissenschaftler wie Appadurai zeigten sich skeptischer und kritisierten, dass auch Anfang der 2000er Jahre die Wissenschaftler noch nicht außerhalb der Kalten-Kriegs-Architektur der Area Studies operierten.539 Die Beurteilung eines Programms muss von Fall zu Fall erfolgen, das Konzept der Area Studies jedoch eignet sich mit seinen epistemischen Vorentscheidungen und seiner sozialtechnologischen Grundierung aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr für die regionalwissenschaftliche Expertise des 21. Jahrhunderts. 533 Ford Foundation, Introduction. 534 Mercer. 535 Vgl. Cooper, Rethinking Colonial African History. Für einen Kommentar zur Verbindung von Subaltern Studies und South Asian Studies vgl. Chakrabarty. 536 Appadurai, Diversity and Disciplinarity als Cultural Artifacts, S. 35. 537 Middell, Self-Reflexive Area Studies. 538 Ludden, S. 8; 17. 539 Appadurai, Grassroots Globalization, S. 9.

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Dies zeigen die Umorientierungen der 1990er Jahre in den USA. An seiner wissenschaftshistorischen Funktion kann dennoch auch für die folgenden Jahrzehnte kein Zweifel bestehen. Mit Blick auf die weitere Entwicklung ist erkennbar, dass die dezidierte und in der Auseinandersetzung mit der Wissenschaftskritik der 1970er Jahre gewonnene Politik, das Andere institutionell und intellektuell einzubeziehen (»Third World within«) das Signum eines Neuanfangs bedeutete, der für andere Disziplinen und die Institutionalisierung von subalternen Perspektiven eine Pionierfunktion hatte.

3.6 Internationalisierungskonfigurationen Die Geschichte des Konzepts der Area Studies in den Vereinigten Staaten ist ebenso wie die der Kolonialwissenschaften im 19. Jahrhundert die Geschichte eines wissenschaftlichen, wissenschaftsorganisatorischen und eines nationalen Projekts. Dabei handelte es sich auch im 20. Jahrhundert um die Neustrukturierung eines Wissensfeldes, für das nun die Impulse der 1920er und 1930er Jahre entscheidend waren. Die Integration von Wissen über Afrika und Asien in das Bildungssystem war Teil eines gesamtgesellschaftlichen Reformprogramms,540 im Rahmen dessen das seit dem 19. Jahrhundert von wissenschaftlichen Gesellschaften und Missionsgesellschaften produzierte Wissen getragen vom wissenschaftlichen Internationalismus der Zwischenkriegszeit neu organisiert werden sollte. Die Zusammenführung der gelehrten Gesellschaften im ACLS 1919/1920 war der erste Schritt zur Bündelung dieser Aktivitäten gewesen und führte in den 1930er Jahren zum Aufbau von Ausbildungs- und Bibliotheksprogrammen vorwiegend asiatischer und fernöstlicher Sprachen und Kulturen. In den 1920er Jahren traf diese historisch-philologische Tradition in der institutionellen Auseinandersetzung zwischen ACLS und SSRC auf das sich formierende disziplinäre Feld der Sozialwissenschaften, dessen Entwicklung sie ebenso wie im 19. Jahrhundert vorantrieben. Sie waren nun Ausdruck der sich entwickelnden Kooperation zwischen Wissenschaftlern, Stiftungen und wissenschaftspolitischen Organisationen auf dem Weg zur Wissensgesellschaft. Die Vorstellungen von der Zusammenarbeit von Staat und Wissenschaft sowie von der Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft stammten aus Industrie und Wirtschaft und wurden von den Naturwissenschaften auf die Geistes- und Sozial­wissenschaften übertragen. Erste sichtbare Formen nahm dies im scientific militarism an, der mit dem Ressourcenensemble von Politik, Militär und Geheimdiensten die organisatorische und materielle Grundlage für die Entwicklung der Area Studies im Kalten Krieg schuf.

540 Mortimer Graves, Confidential Paper to the Members of the Committees on Far Eastern Studies, 8.4.1936. ACLS Records, Box B 24, LC, MSS.

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Die Spezifik der Situation lag in der Allianz der Stiftungen mit den Forschungsuniversitäten. Von den 1890er bis zu den 1950er Jahren waren sie nicht nur die wichtigsten Geldgeber im Bereich der Bildung, sondern hatten mit der Produktion von Standards und Evaluationssystemen das Universitätssystem auch in eine Bildungslandschaft von miteinander konkurrierenden Institutionen verwandelt.541 Zeichen dieser Nähe war die bis in die 1970er Jahre zu beobachtende Tatsache, dass die Stiftungen ihre Mitarbeiter aus den großen Universitäten rekrutierten, vor allem aus Chicago, Yale, Harvard oder der Columbia University.542 Im Bereich der Sozialwissenschaften blieben die Stiftungen innerhalb dieser Matrix auch nach dem Zweiten Weltkrieg die entscheidenden Förderinstitutionen.543 Sie formten das Konzept der Area Studies, wie Anfang der 1950er Jahre die Rockefeller-Stiftung festhielt: »Out of pioneering work in this field has come a concept of area studies as a means of coordinating many different disciplines in the social sciences and the humanities toward the understanding of a single culture.«544 Die entscheidende Grundlage für diese Entwicklung bildete wie im Zeitalter der Kolonialwissenschaften die Einsicht in einen globalpolitischen Zusammenhang und die Rolle, die der Wissenschaft als einer nationalen Ressource darin zukam. Wie Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein gesellschaftlicher Bedarf an Spezialisten und Ansprüche an ihre Expertise formuliert, der die Ausbildung der Wissensfelder förderte. War Ende der 1930er Jahre ein Stipendienplan zur Ausbildung von Sinologen noch belächelt worden, stellte er seit den 1940er Jahren eine akzeptierte Notwendigkeit dar. Die Vereinigten Staaten brauchten Experten für Russland, den Fernen und Nahen Osten. Damit fiel ein entscheidendes Entwicklungshindernis, das die Aktivitäten des ACLS in den 1930er Jahren immer wieder eingeschränkt hatte, wie ein Bericht des Committee for the Promotion of Chinese Studies in aller Deutlichkeit vermerkte: »It is useless to train personnel if no provision is made for their employement.«545 Im Längsschnitt folgt die Geschichte der Area Studies den Zäsuren, welche die Bildungsgeschichte der USA für Prozesse der Internationalisierung in Abhängigkeit von der Außen- und Sicherheitspolitik festgehalten hat.546 Die vom ACLS entwickelten Intensive Language Programs erhielten im Zweiten Weltkrieg sicherheitspolitische Bedeutung und leiteten eine Phase ein, die vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Ende der 1960er Jahre die Umsetzung der Area Studies als Teil der »Internationalisierungseuphorie« an den Hochschulen in Kooperation mit Regierungsorganisationen zeigt.547 Der NDEA markierte den 541 Karl u. Katz. 542 Wheatley, S. 91. Die Zahl sank zwischen 1970 und 1980 um 50 Prozent. Der Anteil der Mitarbeiter, die vorher andere Stiftungspositionen innehatten, stieg um 200 Prozent. 543 Zunz, S. 293. 544 Charles B. Fahs, Program in the Humanities, February 1951. RAC, RF, RG 3.1. Ser. 911 2 15 545 Graves, S. 62. 546 So die Ausgangsthese bei Wit. 547 Wit, S. 20.

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Zugriff des Staats auf diese Ressource im Rahmen einer nationalen Sicherheitsund Organisationsstrategie und nach Verhandlungen mit den Wissenschaftlern, Stiftungen und Institutionen. In den 1960er Jahren erreichte die Entwicklung ihren Höhepunkt. Waren im Jahr 1947 14 organisierte Programme nachzuweisen, waren es wenige Jahre später schon 25 und in den 1960er Jahren über 600 Programme, die sich selbst als »Area Studies« etikettierten und von denen 300 Programme die härter formulierten organisatorischen Kriterien von Hall und Bennett erfüllten.548 Für die Graduate-Ausbildung waren im Jahr 1962 153 Programme nachzuweisen, davon waren allein 17 in den vorangegangenen zwei Jahren entstanden. Selbst der in den Nachkriegsüberlegungen der Rockefeller-Stiftung immer wieder problematisierte Bereich der Undergraduate-Ausbildung war expandiert. Die Entwicklung hatte Mitte der 1960er Jahre solche Ausmaße angenommen, dass der External Research Staff des Außenministeriums in seinem Überblicksbericht die Programme nicht vollständig aufnehmen konnte, sondern sich auf einige repräsentative Programme beschränkte.549 Ende der 1960er Jahre wandelte sich das Zusammenspiel zwischen Staat und Stiftungen. Die 1960er Jahre hatten die state science in Frage gestellt, Studentenproteste und Vietnamkrieg direkt auf die Area Studies Bezug genommen. Das Scheitern der IEA-Finanzierung im Jahr 1967 bedeutete den Beginn einer Phase, in der die Area Studies keine wissenschafts- und sicherheitspolitische Priorität mehr hatten. Der gesellschaftspolitische Rahmen hatte sich verändert. Der Tax Reform Act von 1969 besteuerte nicht nur die Stiftungen, sondern stellte diese in einer »Atmosphäre des Terrors« auch vor die Notwendigkeit, sich neu zu profilieren.550 Die Gelder, die unter Titel VI des NDEA vergeben wurden, wurden gekürzt. Die Zusammenarbeit zwischen insbesondere der Ford Foundation, den Direktoren der Zentren und dem Außenministerium führte immer wieder zu einer Schadensbegrenzung, dennoch handelte es sich um eine Phase permanenter Finan­zierungsschwierigkeiten.551 Im Jahr 1973 wurden anstelle von 107 nur noch 46 Zentren unter Titel VI gefördert.552 Für die Jahre 1980–1982 sahen die Direktoren der Zentren einen Rückgang der Gelder von insgesamt 28 Prozent voraus.553 Mit dem Anbruch des »globalen Zeitalters« und dem damit einhergehenden grundsätzlichen Bedeutungsverlust der Nationalstaaten verlor das Konzept der Area Studies seine nationale Codierung.554 Nicht nur das Ende des Kalten Kriegs, der politische und außenpolitische Kontext spielten dabei eine Rolle, sondern 548 Lambert u. a., S. 7 f. 549 Moses. 550 Wheatley, S. 90. 551 Wit, S. 20. 552 Lambert u. a., S. 11. 553 Ebd., S. 12. 554 Ludden.

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auch die Veränderungen in den Sozialwissenschaften selbst.555 Die Wirkung des Konzepts ist gleichwohl nicht zu unterschätzen. Angelegt als interdisziplinäre Gruppenprojekte, die einen gemeinsamen Planungsprozess voraussetzten, waren die Area Studies Ausdruck und Teil des Rationalisierungsprozesses geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung. Die Implementierung dieser neuen Logiken zeigen sie auch als einen frühen und wichtigen Protagonisten in der Aufweichung der Disziplinen.556 Und schließlich waren Area Studies seit ihrer Konstruktion durch die Stiftungen ein Instrument zur Internationalisierung von Wissenschaft. Ihre Existenz, die steten Debatten und insbesondere die von den Stiftungen eingeforderte Koordinationsleistung führten in den 1990er Jahren dazu, dass Internationalisierung zum festen Bestandteil eines universitären Profils wurde. Administrative Strukturen entstanden, die in Form von Büros, Koordinierungsstellen oder anfänglich noch zurückhaltender in der Person von einzelnen Verantwortlichen die Internationalisierungspolitik der US-amerikanischen Hochschulen steuerten und verwalteten.557

555 Prewitt, The Two Projects of the American Social Sciences. 556 Wallerstein u. a. 557 Biddle. Biddle untersucht die ersten Umsetzungen an fünf Universitäten: Columbia University, Duke University, University of Iowa, University of Michigan und University of Washington.

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4. »The new attack«.1 Area Studies als transatlantisches Kooperationsprojekt in Frankreich und Großbritannien in den 1950er und 1960er Jahren

Die Entwicklungen in den USA lösten in Westeuropa Rezeptions- und Zirkulationsprozesse aus, in denen in der Konfrontation mit dem neuen Wissen wie im 19. Jahrhundert Selbstverständigungsdiskurse produziert wurden. Nach 1945 erfolgte dies in der Orientierung an den USA und in der direkten Kommunikation mit den Vertretern der Stiftungen oder Experten, die wie Mortimer Graves (ACLS) seit den 1920er Jahren den Aufbau von Regionalwissenschaften vorantrieben und europäische Netzwerke aufgebaut hatten. Die Geschichte der Area Studies in Westeuropa nach 1945 wird in diesem Kapitel als eine Geschichte von Amerikanisierungsprozessen in der Organisation von Wissenschaft analysiert. Da sowohl Großbritannien als auch Frankreich über eine weit zurückreichende wissenschaftliche Tradition in Asien- und Afrikastudien und maßgebliche Institutionen verfügten, führte die Rezeption der US-amerikanischen Area Studies einerseits zu der Frage nach Adaptionsmöglichkeiten, andererseits provozierte sie die Betonung eigener Entwicklungen. Im Rahmen dieses reframing bedeutete das US-amerikanische Modell keine inhaltliche Alternative, sondern fungierte als Organisationsmodell und Modernisierungschiffre. Die Analyse fokussiert die Area-Studies-Projekte im Anschluss an das dritte Kapitel als Finanzierungsinstrumente und das Ergebnis von Planungsentscheidungen der Akteure, gleichzeitig jedoch als Teil eines Strukturwandels, in dem Wissenschaft »projektierbar« wurde. Dieser Strukturwandel wissenschaftlicher Forschung war Bestandteil der Entstehung von Gesell­schaften »neuen Typs«, in denen Wissen zur zentralen Kategorie2 und im Rahmen von Effizienz- und Produktivitätssteigerungsdiskursen organisiert wurde.3 Dass auch in diesem Fall der Staat als ein zentraler Akteur auftritt, wird in unterschiedlicher Weise deutlich: in Großbritannien in der Arbeit der Kommissionen (1947 Scarbrough, 1961 Hayter), in Frankreich in der Zusammenarbeit der Historiker mit dem Bildungsministerium.

1 [O. A.], Introduction, in: International Social Science Bulletin, Bd. 4 (4), 1952, S. 633–635, hier: S. 634. 2 Touraine, S. 8 ff. 3 Patel; Fleck.

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Der zeitliche Schwerpunkt des Kapitels liegt auf den 1950er und 1960er Jahren, die jedoch für Großbritannien aufgrund der im Dekadenrhythmus eingesetzten Kommissionen mit dem Blick auf die 1940er und 1970er Jahre erweitert werden. Im Ausgang von zwei strategischen Förderprojekten der RockefellerStiftung – der Sechsten Sektion der École pratique des hautes études in Paris und dem Royal Institute of International Affairs (Chatham House) in London – wird die institutionelle Perspektive der vorangegangenen Kapitel um eine Akteurszentrierung ergänzt. Die Wahl der Perspektive schließt an die Analyse der ersten Projektarbeitserfahrungen in den USA aus der Innenperspektive an und setzt den Schwerpunkt auf die Anbahnungsphase der Projekte. Aus der Mikro­perspektive wird die Amerikanisierung so als ein Aushandlungsprozess auf mehreren Ebenen rekonstruiert, der mit dem Rekurs auf die nationalstaatlichen Kontexte an die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts anschließt. Die Aushandlungsprozesse behandeln signifikante Probleme der Rationa­ lisierung von Forschung in der konkreten Kommunikation. Während im Austausch mit dem Chatham House insbesondere die Inkompatibilität der Projektsemantik mit der Dynamik von Organisationen im Vordergrund stand, kreiste der Austausch in Paris um den Innovationscharakter versus die strukturelle Kopplung von Projekten an die Sechste Sektion.4 Gezeigt wird, dass die Effekte der Rockefeller-Gelder nicht im Transfer des Konzepts, sondern in der Bündelung europäischer Ressourcen und in der Förderung interdisziplinärer Projektforschung lagen. Dabei konzentriert sich die Darstellung mit der Wahl der Akteursperspektive auf die in den europäischen Metropolen entwickelten lokalen Strategien in der Nutzung der amerikanischen Referenz als Modernisierungsreferenz nach 1945. In disziplinärer Hinsicht führt diese Geschichte sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien zur Konstruktion politikwissenschaftlicher Felder bzw. der Neuorganisation der Geschichte der internationalen Beziehungen. Im Fall Frankreichs hebt die Darstellung auf die Sonderstellung der Geschichtswissenschaft ab aufgrund der Bedeutung der Sechsten Sektion und Fernand Braudels in der Organisation und Förderung der Sozialwissenschaften, deren vielfach besprochene methodische Kooperationsfreudigkeit sie um eine organisatorische Perspektive ergänzt.

4 Vgl. Besio.

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4.1 Area Studies als Modernisierungsprogramm der Sozialwissenschaften in Frankreich 4.1.1 Strategische Positionierungen im Paris der 1950er Jahre Auf der anderen Seite des Atlantiks wurde der Aufstieg der amerikanischen Area Studies mit Erstaunen und Interesse zur Kenntnis genommen. Das neue Etikett, das nicht eindeutig definiert werden oder einer Disziplin zugeordnet werden konnte, sorgte bereits vor dem durch den National Defense Education Act hervorgerufenen Boom für Aufmerksamkeit und Reaktionen. Anfang der 1950er Jahre versuchte das »International Social Science Bulletin« der UNESCO, den Trend aus einer europäischen und politikwissenschaftlichen Perspektive zu erklären. Area Studies wurden darin weniger als ein neuer Inhalt denn eine »wissenschaftliche Methode« beschrieben, deren Funktion als »Waffe« einer Pax Americana benannt, aber nicht als grundsätzlich diskreditierend eingeschätzt wurde.5 Die von dieser Methodik eingeforderte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geographen, Historikern, Soziologen, Anthropologen, Psychologen und Linguisten galt als Kern der »new attack on the hard and fast conceptions of university teaching and research«.6 Das Schwerpunkt-Heft übernahm die US-amerikanische, von Robert Hall in seiner Überblicksdarstellung gegebene Definition. Area Studies wurden als eine »scientific study of a region presenting a certain politico-social unity with a view to understanding and explaining its place and its role in international society« ausgewiesen.7 Die Antwort auf die Frage, ob dieser Ansatz neu war, fiel in Paris jedoch ambivalent aus. Einerseits ordneten sowohl die Artikel als auch die europäisch-amerikanische Bibliographie am Ende des Bands die Entwicklung eindeutig in eine größere und europäische Tradition ein. Andererseits wurde den Area Studies ein eindeutiges Innovationspotenzial im Bereich der Organisation und Koordination zugestanden. Ihre Originalität lag in der Systematisierung der sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit einer Region. In erster Linie wurden sie als eine neue Art des interdisziplinären Forschens im Team präsentiert: »The very scope of such work, its attempts at co-ordination, and the results already obtained would seem to confer on it a profound significance in the evolution of modern scientific research.«8 Die Argumentationsbewegung, die den USA das Privileg auf den Inhalt abund auf die effiziente Organisation zusprach, führt ins Zentrum eines fun5 O. A., Introduction, in: International Social Science Bulletin Bd. 4 (4) 1952, S. 633–635, hier: S. 633. Das Bulletin wird in englischer und französischer Sprache herausgegeben. Ich zitiere die englische Version der Artikel. 6 Ebd., S. 634. 7 Duroselle, S. 636. 8 Ebd., S. 637.

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damentalen Selbstverständigungsprozesses der französischen Nachkriegsgesellschaft während der sogenannten zweiten Welle der Amerikanisierung.9 Im Zusammenhang mit dem Marshallplan, aber auch im Rückgriff auf ältere französische Projekte, erfolgten Produktivitätsinitiativen. Es entstanden Modernisierungsdiskurse zunächst im Bereich der Wirtschaftsplanung. Die Maßnahmen des 1946 gegründeten Commissariat général du Plan (General-Kommissariat für Wirtschaftsplanung), seiner Arbeitsgruppe zu Fragen der Produktivität, sowie der 1950 gegründeten Association française pour l’accroissement de la productivité (Französische Vereinigung für Produktivitätssteigerung) lösten gesellschaftliche Erstarrungen.10 »Produktivitätsreisen« von Franzosen in die USA oder das Gespräch mit US-amerikanischen Experten in Frankreich trugen nicht nur zur Erhöhung der Produktivität und zur wissenschaftlichen Organisation der Unternehmen bei, sondern auch zu einer allgemeinen Aufbruchsstimmung. Diese bedeutete, wie Luc Boltanski luzide gezeigt hat, auf der Grundlage neuer Repräsentationen des sozialen Raums und einer neuen industriellen Ideologie eine grundsätzliche Veränderung des geistigen Klimas.11 Die Maßnahmen schlossen in den folgenden Jahren die Wissenschaft ein. Die Idee, dass der planende Staat auch in der Wissenschaft eine aktive Politik betreiben müsste, führte nach einer ersten Erwähnung der Wissenschaft im zweiten Plan zu ersten Institutionen und dem spezifischen Erörterungszusammenhang, der gleichermaßen durch sozialistisch motivierte Zehnjahresplanung und kapitalistisch-rationalisierenden Produktivitätssteigerungsenthusiasmus geprägt war.12 Unter Mendès-France wurde die Forschung, selten ohne Bezug auf die USA, zu einer nationalen Aufgabe erklärt13 und mit dem 1954 beim Président du Conseil angesiedelten Staatssekretariat entstand die Matrix eines eigenständigen Ministeriums. Die Diskussionen von 250 Wissenschaftlern, Industriellen, Parlamentariern und Journalisten auf dem Colloque de Caen 1956 schließlich, 9 Für die direkte Nachkriegszeit vgl. Esprit, Jg. 14 (11), 1946 (= L’homme américain); für ein Stimmungsbild vgl. die Erinnerung des Soziologen Crozier nach seiner Rückkehr vom Center for the Advanced Studies of the Behavioral Sciences, vgl. Crozier, S. 214 ff. 10 Der erste Wirtschaftsplan von Jean Monnet aus dem Jahr 1947 knüpfte an Traditionen und Überlegungen an, die über Vichy und die Résistance in die 1930er zurückreichen, vgl. Brunet. Für die weitere Entwicklung vgl. Rousso; Kuisel. Zur Neudefinition eines demokratischen, »planenden« Staats vgl. Mendès-France, La république; für eine Beurteilung des mendésisme Hoffmann. 11 Boltanski, S. 110–116. Insgesamt organisierte die AFAP von 1950 bis 1953 450 Produktivitätsreisen mit 4.000 Teilnehmern, ebd., S. 113. 12 Für den Produktivitätsdiskurs und die Umstrukturierungsvorschläge vgl. Les Cahiers de la République Jg. 2 (5), 1957; programmatisch zur Rolle des Staats Mendès-France, Pour une politique. (»Je ne conçois pas le rôle de l’État autrement dans le domaine de la science que je ne le conçois en matière économique.«, S. 34). 13 Vgl. La Nef, Jg. 11 (6), 1954 (= La Science et l’Homme); für eine Neuinterpretation der Wissenschaftspolitik von Mendès-France als Grundstein für de Gaulles Institutionalisierungspolitik, Duclert.

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die als die »Generalstände der Forschung« in die Geschichte eingingen, mobilisierten Netzwerke, bildeten den Auftakt einer Reihe von ähnlichen Treffen und die Basis zur Gründung der Association d’étude pour l’expansion de la recherche scientifique (AEERS).14 Der dritte Fünfjahresplan forderte dann vehement eine Professionalisierung der wissenschaftlichen Forschung. Sein Schwerpunkt lag auf den Naturwissenschaften und der technischen Entwicklung: Errechnet wurde, dass zwischen 1956 und 1961 51.300 Ingenieure rekrutiert werden müssten.15 Der UNESCO-Band verortet die Area Studies in diesem Modernisierungsdiskurs und folgt dabei der klassischen Rezeptionsbewegung amerikanischer Modelle. Er transportiert sowohl das Befremden über den Trend und seine Dynamik als auch die Faszination an der Stärke der amerikanischen Sozialwissenschaften und zeigt, dass Effizienz und Organisationskompetenz über den Bereich der Unternehmensführung und Wirtschaftsförderung hinaus die Wahrnehmungen steuerten. »Amerika« wurde zu einer Chiffre für Produktivität und diese bezog sich im Rahmen dieser Modernisierungsdiskussion auch auf die Wissenschaft und hier die Realisierung der Area Studies. Der Blick auf den UNESCO-Band verweist darauf, dass und wie die Referenz auf Amerika in der Pariser Wissenschaftslandschaft zum umkämpften Kennzeichen einer reformbereiten Elite wurde.16 Denn weniger als eine Darstellung der amerikanischen Entwicklung ist er zu lesen als Selbstpositionierung des Diplomatiehistorikers Jean-Baptiste Duroselle (1917–1994), der die Nummer verantwortete. Die Artikel des Bands, die von Sozialwissenschaftlern aus den USA und Großbritannien stammten, präsentierten die Area Studies als Feld der International Relations. In letzter Konsequenz wurden sie so zum Bestandteil einer neuen und im Sinn Duroselles erweiterten Theorie der internationalen Beziehungen, die sich auf Nationen bezieht.17 Zusätzliche Autorität erhält diese politikwissenschaftliche Stoßrichtung ungeachtet einiger Texte aus Geographie und Anthropologie durch den Artikel von Hans Morgenthau zu »Area Studies and the Study of International Relations«.18 Duroselle verfügte zum Zeitpunkt der Publikation als Historiker an der Universität des Saarlandes noch über eine marginale Position, stieg aber in den kommenden Jahren zur zentralen Figur im entstehenden Feld der Geschichte der internationalen Beziehungen auf. Ab 1958 war er Präsident der Fondation nationale des sciences politiques (FNSP), die auch die Bibliographie des Schwer14 Duclert. 15 Prost, S. 54. Begleitet wurden diese Entwicklungen seit Ende der 1950er Jahre vom Diskurs der technological gap. Dieser war Ausdruck eines Aufbruchs. Dennoch gab es manifeste Veränderungen. Vgl. z. B. zur Rolle Frankreichs als Importeur von neuen Technologien und Patenten Gilpin, S. 39 f.: Zwischen 1958 und 1962 verdoppelte sich das Defizit aus dem Kauf von Technik und Lizenzen. 16 Boltanski, S. 116–130. 17 Duroselle. 18 Morgenthau.

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punkt-Hefts verantwortete; ab 1964 Professor an der Sorbonne. Seine Position wurde verstärkt dadurch, dass sein Doktorvater Pierre Renouvin bis zu seiner Emeritierung 1964 als »Großordinarius« an der Sorbonne das Feld der modernen Geschichte dominierte – 1956 bis 1958 war er Dekan der Faculté des lettres.19 Mit der Einführung neuer wirtschaftlicher und geopolitischer Fragen hatte er für eine Erweiterung der traditionellen Diplomatiegeschichte gesorgt.20 In dieser Tradition vereinnahmte Duroselle die Area Studies für eine vergesellschaftete Geschichte der internationalen Beziehungen, in der die Area allerdings vor allem ein Verfahren zur Datenorganisation darstellte. Die Präsentation der Area Studies im Jahr 1952 war eine strategische Geste im sich ausdifferenzierenden Feld der Sozialwissenschaften, in dem das disziplinäre Feld der International Relations sich in der Orientierung an amerikanischen Modellen und mit Zuschüssen der philanthropischen Stiftungen entwickelte.21 Duroselle war innerhalb der breit ausgefächerten Rockefeller-Netzwerke in Paris ein wichtiger Verhandlungspartner. Während seiner Aufenthalte 1951 und 1953 an der University of Notre-Dame bei Waldemar Gurian hatte er die amerika­ nischen International Relations und die Area Studies kennengelernt. Mit dem UNESCO-Band und der Reklamation der amerikanischen Referenz exponierte sich Duroselle nach Außen als Kooperationspartner der philanthropischen Stiftungen, nach Innen als Befürworter von Reformen des französischen Wissenschaftssystems.22 In den philantropischen Netzwerken der USA galt er als potentieller Begründer der französischen Politikwissenschaften, der die Forschung zu internationalen Beziehungen aus dem typisch euroäischen »purely historical approach to international affairs« herausführen und am Centre d’études des relations internationales (CERI) eine neue Generation von »would-be political scientists« ausbilden würde.23 Das CERI war im Jahr des Erscheinens des Bands an der 1945 gegründeten FNSP mit finanzieller und intellektueller Unterstützung der Rockefeller-Stiftung ins Leben gerufen worden. Es wurde eines der wichtigen Pariser regionalwissenschaftlichen Zentren. Der erste Antrag für die Förderung einer nach »aires géographiques« geordneten Gruppenstruktur zur Reform der Geschichte der internationalen Beziehungen erfolgte zwei Jahre nach Erscheinen des UNESCO-Bands bei der Rockefeller-Stiftung; die erste Bewilligung im Jahr 1957.24 Die unter Duroselles Ägide vorgenommene Darstellung der Area Studies ist im Sinn Bourdieus eine »annexionistische Lektüre«,25 deren Bedeutung sich 19 Badel, Pierre Renouvin, Jean-Baptiste Duroselle. 20 Badel, Die französische Historiographie. 21 Gegen die These von einer »autarken« Entwicklung der Disziplin in Frankreich vgl. Ghuilot. 22 Kwaschik, Area Studies. 23 Arnold Wolfers an Shephard Stone, 9.1.1958. IfZArch, ED 468/174. 24 Ghuilot. 25 Bourdieu, Les conditions sociales de la circulation internationale.

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mit Bezug auf den innerfranzösischen Kontext erschließt. Die Geste war die Markierung eines Terrains in den Abgrenzungs- und Definitionsprozessen zwischen Geschichte und Sozialwissenschaften. Sie richtete sich vor allen Dingen gegen eine andere Pariser Institution, die 1947 mit Unterstützung der Rocke­ feller-Stiftung gegründet worden war und in den Folgejahren eine einzigartige  Dynamik entfaltete: die Sechste Sektion für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften unter der Leitung von Lucien Febvre an der École pratique des hautes études (EPHE). Die Anschubfinanzierung hatte der Sechsten Sektion im polarisierten Klima der Nachkriegsjahre den Ruf einer amerikanischen Institution eingebracht. Dies ist angesichts ihrer historiographischen Tradition und der Tatsache, dass nur 25 Prozent des ersten Budgets aus den USA kamen, nicht gerechtfertigt. Dennoch muss dieser Zuschreibung Rechnung getragen werden: nicht, weil die Institution in den Folgejahren von 1947 bis 1952 insgesamt 44.500 Dollar erhielt,26 sondern weil die Reputation, ein Repräsentant der amerikanischen Sozialwissenschaften zu sein, ihre Position in der Pariser Wissenschaftslandschaft prägte. Sie zog ihr nicht nur die Kritik der Kommunisten zu, sondern verlieh ihr die Aura von Produktivität und Innovation und machte sie zum Konkurrenten um die amerikanische Referenz. Fragt man nach dem Transfer der amerikanischen Area Studies an die Sechste Sektion und versucht, den Kontext des Kalten Kriegs in Anschlag zu bringen, ist dies nur innerhalb des institutionellen Geflechts in Paris, seiner Frontstellungen und in einer Perspektive der längeren Dauer sinnvoll. Zum einen unterstützte die Rockefeller-Stiftung nach dem Zweiten Weltkrieg viele Institutionen mit einer sozialwissenschaftlichen Ausrichtung – neben der FNSP zum Beispiel auch Gurvitchs Centre d’études sociologiques.27 Zum anderen hatten französische Sozialwissenschaftler und Vertreter der amerikanischen Stiftung seit den 1920er Jahren Gespräche über die Organisation und Institutionalisierung der Sozialwissenschaften geführt. Die in den 1950er Jahren diskutierten Vorschläge für die weiteren Entwicklungen lagen bereits Anfang der 1930er Jahre auf dem Tisch: die Gründung einer sozialwissenschaftlichen Fakultät oder einer sozialwissenschaftlichen Sektion an der EPHE oder die bescheidenere Variante eines universitären Instituts. Der Ethnologe Marcel Mauss hatte ein ethnologisch-anthropologisches Institut vor26 Mazon, S. 92; 95. Die Protagonisten der Anschubfinanzierung waren der Strahlungsphy­ siker Pierre Auger (Directeur de l’enseignement supérieur, 1945–1948) und der junge Wirtschaftshistoriker Charles Morazé. Auger kannte das US-amerikanische Wissenschaftssystem, weil er von 1941 und 1944 in Chicago unterrichtet hatte. Morazé war Repräsentant der nächsten Generation der Annales und bildete mit Febvre die französische Delegation bei der UNESCO, deren Natural Sciences Section Auger von 1948 bis 1958 leitete. Er war Sekretär des 1926 gegründeten Comité international des sciences historiques und unterrichtete an der FNSP und an der EPHE. Für eine impressionistische Erinnerung an die Gründung, insbes. zur (zurückhaltenden) Rolle Febvres vgl. Morazé, S. 169 ff.; Daix, S. 245 ff. 27 Vgl. die Aufstellung bei Mazon, S. 79.

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geschlagen, das an eine sozial- und wirtschaftswissenschaftliche sechste Sektion der EPHE angegliedert sein sollte. Der Ökonom Charles Rist favorisierte ein unabhängiges ökonomisches Institut. Der Soziologe Célestin Bouglé plädierte für eine Koordination der Sozialwissenschaften nach dem Modell des Social Science Building in Chicago, an dessen Einweihung er 1929 teilgenommen hatte.28 Nachdem die Konkurrenz der Pariser Protagonisten und die simultane Gesprächsstrategie der Stiftung ein Ergebnis verhindert hatten, verlagerte der Zweite Weltkrieg die Diskussionen auf die andere Seite des Atlantiks. Rockefeller gab seine europäische Niederlassung in Frankreich 1940 auf.29 Aber 1942 entstand in New York mit der École libre des hautes études eine Art französisches sozialwissenschaftliches Institut innerhalb der New School for Social Research, an dem Ökonomen, Soziologen und Ethnologen aus Frankreich lehrten und forschten. Die Institution war in vielerlei Hinsicht maßgeblich für die Nachkriegsentwicklungen. Organisatorisch eine Mischung aus École pratique und Collège de France hatte sie den Charakter einer interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Fakultät.30 Das soziologische Institut wurde von Georges Gurvitch geleitet und versammelte neben Claude Lévi-Strauss und Alfred Métraux auch den Geographen Jean Gottmann. Ein Großteil der einflussreichen Sozialwissenschaftler der Nachkriegszeit waren darunter, die sich in New York nicht nur mit dem Modell der amerikanischen Sozialwissenschaften auseinandersetzten, sondern auch mit der Praxis interdisziplinären Arbeitens, Projektmanagement und Fundraising.31 Die Spezifik des Aushandlungsprozesses in den 1950er Jahren liegt nicht im Transfer von den USA nach Frankreich, sondern in der Tatsache, dass Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg zum strategischen Argument einer aufstrebenden reformbereiten Generation wurde.32 Die Modernisierungsdiskussion, die im Kalten Krieg in einer hoch politisierten und polarisierten Öffentlichkeit stattfand, hatte das Koordinatensystem der Kommunikation über die Sozialwissenschaften in Frankreich verändert. Nicht nur für die Franzosen hatte die Zusammenarbeit mit Rockefeller nun eine andere Bedeutung. Auch für die Officer der Rockefeller-Stiftung stellte sich die Frage nach der Auswahl der Kooperationspartner in Frankreich mit besonderer Brisanz. Diese mussten als »neutral« gelten und von Kommunisten und Gaullisten anerkannt sein, was im Fall der Sechsten Sektion gegeben schien. Zudem erfüllte die Sechste Sektion weitere Kriterien für eine erfolgreiche Förderung. Sie verfügte über eine zentrale und einflussreiche Position im intellektuellen Feld, eine vielversprechende Führungsfigur sowie ein innovatives wissenschaftliches Profil. 28 Tournès, La construction d’une politique des sciences sociales en France, S. 1384. Vgl. insgesamt Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 316 ff. Zur Bedeutung von Chicago Ross, S. 402 ff. 29 Vgl. für einen Einblick die gleichwohl auf Quellenlektüre basierende Broschüre Leat. 30 Loyer, S. 216 ff. 31 Ebd., S. 400 ff. 32 Charle, Les références étrangères.

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Darüber hinaus hatten sich die Annales den Ruf einer interdisziplinären und innovativen Arbeitsweise, die sich auch in der Gruppenarbeit äußerte, erworben. Die Reputation verdankte sich der Arbeit Febvres und Blochs in der ersten Generation. Die Arbeitsweise des Historikers in Gruppen zu organisieren, war eine Dimension der Öffnungspolitik der Annales hin zu den Sozialwissenschaften.33 Seit der ersten Nummer der Zeitschrift im Jahr 1929 galt »Interdisziplinarität« als Charakteristikum ihrer Arbeit und die enquêtes34 waren in den 1930er Jahren die Umsetzung dieses Programms gewesen. Schon in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France im Jahr 1933 hatte Febvre in diesen Zusammenhang einen neuen Gelehrtentyp propagiert. An der Stelle des isoliert arbeitenden Forschers, dem »kleinen Wissenschaftshandwerker, der alles selber macht«, wollte er »anders geschulte Arbeiter« sehen, die sich zu Teams verbinden, um mit vereinten Kräften weiterzukommen. Im Jahr 1933 war dies noch eine »Formel für die Zukunft« gewesen.35 Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der Sechsten Sektion zeichnete sich die neue Rolle des Historikers, als Leiter eines Forschungslabors oder Forschungsprojekts, konkreter ab. In seiner Positionsbestimmung der neuen Geschichte aus dem Jahr 1949 bekräftigte Febvre seine Überlegungen. Er beschrieb den neuen Historiker nun als »Teamleiter« und skizzierte nolens volens damit die Aufgabenbereiche und die Arbeitsweise Braudels: »chef d’équipe alerte et mobile qui, nourri d’une forte culture, ayant été dressé à chercher dans l’histoire les éléments de solution pour les grands problèmes que la vie, chaque fois, pose aux sociétés et aux civilisations, saura tracer les cadres d’une enquête, poser correctement les questions, indiquer précisément les sources d’information et, ceci fait, évaluer la dépense, évaluer la rotation des appareils, fixer le nombre des équipiers et lancer son monde à la quête de l’inconnu«.36

Gruppenarbeit war nach 1945 in den USA zum Kennzeichen moderner Forschung geworden und besaß auch in Frankreich in den Initiativen für eine Neuorganisation des Verhältnisses von Staat und Forschung eine stark aufgeladene Bedeutung.37 Für die Rockefeller-Stiftung, deren Förderung sich zumeist strategisch an jüngere Forscher richtete, war zudem der Generationswechsel an der Spitze der Annales entscheidend. Mit Febvre bestand seit 1947 ein guter Kontakt, aber es wurde sehr deutlich, dass er als Repräsentant der älteren Generation für die Amerikaner kein Partner für zukünftige Projekte 33 Die hier von Febvre formulierte Bündnis-Strategie ist als »Strategie der Erschleichung« beschrieben worden, vgl. Chartier, S. 322 f. 34 Braudel, Die Rückkehr zu den Enqueten. Für die Jahre 1929–1935 vgl. Burguière, L’école des Annales. 35 Febvre, Ein Historiker prüft sein Gewissen, S. 19. Für eine Methodenreflexion vgl. Febvre, Les recherches collectives. 36 Febvre, Vers une autre histoire. 37 Pieron.

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war.38 Als dann im Jahr 1950 ein erstes Gespräch mit dem jüngeren Braudel (1902–1985) zur Zufriedenheit von D’Arms ausgefallen war, der sich von der dynamischen Weltoffenheit des Historikers angetan zeigte, waren die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Kooperationsprojekt aus Sicht der Stiftung gegeben.39 Braudel, dessen »Mittelmeer«-Buch gerade ein Jahr zuvor erschienen war, hatte zwar als directeur d’études noch keine Position. Er übernahm erst nach Febvres Tod 1956 die Präsidentschaft der Sechsten Sektion sowie die Redaktionsleitung der »Annales ESC«. Aber er hatte bereits Anfang der 1950er Jahre als Präsident der Agrégration seine Innovations- und Durchsetzungsfähigkeit unter Beweis gestellt.40 Die Sechste Sektion und ihr Centre de recherches historiques (CRH), das von einem Forschungslabor zu einer wissenschaftlichen Groß­einrichtung aufstieg,41 waren nun als zukunftsträchtiger Partner mit einer internationalen intellektuellen Ausstrahlung in der französischen Wissenschaftsszene so aufgestellt, dass die Papiere der Rockefeller-Stiftung enthusiastisch vermerkten: »This section has become the vigorous proponent of a style of scholarship new to the French scene, which is characterized by an interdisciplinary approach and group cooperation.«42 Braudel stand für ein interdisziplinäres sozialwissenschaftlich-integriertes Konzept der Area Studies. Area Studies sollten sowohl aus Sicht der RockefellerStiftung als auch aus Sicht des französischen Historikers die Organisation der Sozialwissenschaften voranbringen. Im »Troisième plan de modernisation et d’équipement« (1957–1961) wurden sie von Braudel konkret zum Bestandteil der gesellschaftlichen Planungsdiskussionen gemacht.43 Der Bericht wurde von Henri Longchambon, dem Leiter des 1954 gegründeten Conseil supérieur de la recherche scientifique et du progrès technique, koordiniert,44 der dazu mehrere 38 Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 2.5.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 99. Vgl. auch das Treffen vom April 1949, Edward D’Arms, Diaries, Interview, 15.4.1949. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 391. Zum Zeitpunkt der Gründung der Sektion war Febvre (1878–1956) 69 Jahre alt. 39 Edward D’Arms, Interview Professor Fernand Braudel, 21.10.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 S, Box 16, Folder 147. 40 Dumoulin, L’histoire, S. 359 ff. Braudel öffnete als Präsident der Agrégation (1950–1955) die Prüfung für Nachbardisziplinen, forderte die Kandidaten auf, sich mit Statistiken und Graphiken zu beschäftigen: Seine Berichte galten als Methodenkritik. Vgl. auch Dumoulin, Un entrepreneur des sciences sociales. 41 Vgl. Raphael, Die Erben, S. 177 ff.; Ferguson, Braudel’s Empire. 42 Grant in Aid to the Sixth Section of Paris of the EPHE to enable Prof. Fernand Braudel to visit the United States to obtain a direct acquaintance with the organization of area studies programs and related subjects, 30.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Folder 94, Box 9. 43 Nachdem der Conseil économique 1952 Anhörungen organisiert hatte, der Monnet-Plan die Forschung ausgeklammert hatte, bildete der zweite Plan eine Kommission für Forschung und Technik, vgl. Prost. Der dritte Plan hatte auch die Entwicklung der Forschung zum Inhalt, Bauchet, S. 80 f. 44 Bidault.

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hundert Forscher, Organisationen und Institutionen befragte.45 Die Abschnitte zu den Sozialwissenschaften stammen von Braudel, der eine sozialwissenschaftliche Fakultät vorschlug und damit einen Skandal auslöste.46 Die institutionelle Situation der Sozialwissenschaften in den 1950er Jahren, so inventarisierte der Bericht, war alarmierend.47 Jede nationale Reforminitiative hatte mit der Monopolstellung der Juristischen Fakultät der Sorbonne zu rechnen. Denn traditionell beheimateten die juristischen Fakultäten in Frankreich neben den Rechtswissenschaften auch die politische Ökonomie: Von 403 juristischen Professuren in Frankreich waren 110 wirtschaftswissenschaftlich ausgerichtet. Die Wirtschaftswissenschaften waren in der historischen Entwicklung dadurch bessergestellt.48 Vereinzelt waren neue Institutionen entstanden – neben der Sechsten Sektion fünf Zentren im Bereich der Wirtschaftswissenschaften, sieben Zentren mit Schwerpunkten in Sozialpsychologie, Soziologie oder Biometrie. Insgesamt schien die Gesamtstruktur im Bereich von Forschung und Lehre dennoch mangelhaft: In den 17 Facultés de lettres gab es nur drei Professuren für Wirtschaftsgeschichte (davon zwei in Paris), drei Professuren in Ethnologie, vier in Soziologie und keine mit einem Schwerpunkt in Demographie. Eingezwängt zwischen juristischer und philosophischer Fakultät befanden sich die Sozialwissenschaften in Frankreich in einer Art nationalem Verhinderungszustand. Ihre Entwicklung war Bestandteil der Neuorganisation der Geisteswissenschaften unter Beteiligung des Staats, wie sie in politischer Hinsicht auf dem Colloque de Caen diskutiert wurde.49 Zur Diskussion stand Ende der 1950er Jahre ebenfalls die Schaffung eines Abschlusses, einer licence des sciences sociales, die sowohl an der juristischen als auch an der philosophischen Fakultät abgelegt werden sollte. Allerdings sollte die Ausbildung keine Statistik oder Wirtschaft vorsehen. Der Sechsten Sektion und der Fondation nationale wurden bei der Strukturierung der Sozialwissenschaften eine besondere gestalterische Rolle zugesprochen, die nicht zuletzt in ihrem Engagement für die Area Studies lag. Drei regionalwissenschaftliche Zentren inventarisierte der Bericht von 1958: das Centre d’études de politique étrangère, das Centre d’études des relations internationales (FNSP) und das Programm der Sechsten Sektion, das hier unter dem Namen »Groupe d’études sur le monde actuel« figuriert. Ihre Vorreiterrolle wurde mit Blick auf die USA begründet: »Ce redressement présuppose une collaboration étroite. Ce n’est pas un spécialiste, c’est un groupe de spécialistes qui est seul capable d’étudier tel ou tel des problèmes que pose la Russie ou la Chine actuelle. Que la 45 Prost, S. 54 f. 46 Fernand Braudel, Rapport préliminaire sur les sciences humaines. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 100; Longchambon; Centre de rencontres de Châteauvallon, S. 217. 47 Longchambon. Alle Informationen des folgenden Absatzes stammen aus diesem Bericht. 48 Pollak, La planification. 49 Berger, Les sciences humaines, S. 40 f.

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méthode soit bonne, on le voit assez bien avec la mise en place aux Etats-Unis de très coûteuses opérations d’area studies.«50 Das enthusiastische Argument, dass die Methode der Area Studies eine Katalysatorfunktion für die Entwicklung der Sozialwissenschaften ausübte, war aus den Nachkriegsdebatten in den USA bekannt. Braudel benutzte es ebenso wie die anderen Pariser Akteure in den Pariser Planungsdiskussionen. Aber es fand auch Eingang in seinen methodischen Aufsatz »Geschichte und Sozialwissenschaften. Die lange Dauer«,51 der wie der Longchambon-Bericht im Jahr 1958 erschien und im Kontext eben dieser Selbstverständigungsdebatten ein Kooperationsangebot an die Sozialwissenschaftler formulierte, die Krise der Disziplinen unter Führung der Historiker zu überwinden. 4.1.2 Das Salzburg Seminar in American Studies als Modell Die europäische Vorreiterrolle der Sechsten Sektion verdankte sich der Arbeit und Reputation Braudels. Aber die Zusammenführung und Integration sozialwissenschaftlicher Ansätze über das amerikanische Modell der Area Studies war das Ergebnis seiner Zusammenarbeit mit Clemens Heller (1917–2002). An der Seite Braudels prägte er in den Worten Bourdieus als »unvergleichlicher wissenschaftlicher Stimmungsmacher«52 nicht nur die französische, sondern auch die europäische Wissenschaftslandschaft und ihre Neuorganisation nach 1945 unter den Paradigmen von Interdisziplinarität und Internationalität.53 Dass er bis heute ein »bekannter Unbekannter bzw. ein unbekannter Bekannter« geblieben ist,54 liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die Position des Wissenschaftsmanagers ohne eine Historisierung des science making nicht zu erklären ist. In vollem Umfang lässt sich Hellers Rolle erst dann verstehen, wenn man die Geschichte der Sechsten Sektion wissenschaftssoziologisch betrachtet und danach fragt, wie die Area Studies als ein transatlantisches Kooperationsprojekt organisiert und institutionalisiert wurden. Umgekehrt ist das Verständnis von Heller als Projektmanager im Paris der 1950er Jahre der Schlüssel zum historischen Verständnis des Programmaufbaus. Heller stand seit 1947 mit der Rockefeller-Stiftung im Kontakt. Seine zahlreichen Projektanbahnungsgespräche mit den Officer bildeten die Grundlage für die späteren Institutionalisierungen, auch wenn aus der Vielzahl von Projektanfragen nicht alle Ideen für die Stiftung leicht zu fassen waren und auch nicht immer einen konkreten Abschluss fanden.55 50 Longchambon, S. 98. [Hervorhebung im Original] 51 Braudel, Histoire, S. 726. 52 Bourdieu, Selbstversuch, S. 40. 53 Vgl. jetzt Nettelbeck, Mission; Bruhns u. a. 54 Pomian. 55 Kwaschik, »Planification souple«.

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Heller verkörperte auf idealtypische Weise nicht nur den Typus des Wissenschaftsmanagers, sondern auch den Remigranten, der nach der Rückkehr nach Europa das amerikanische Wissenschaftsmodell in intellektueller und institutioneller Hinsicht vermitteln konnte.56 Geboren in Wien als Sohn des FreudVerlegers Hugo Heller, war er in drei Kulturen zu Hause, was eine entscheidende Voraussetzung für seine interkulturelle Vermittlungsfunktion bedeutete. Nach einer zweijährigen Ausbildung am Schauspielseminar von Max Reinhardt in Schönbrunn emigrierte der Wiener im September 1938 über Frankreich in die USA. Empfehlungsschreiben von Thomas Mann, Oscar Jaszi und dem Dirigenten Eugene Ormandy ebneten ihm den Weg. Unter ausgesprochen prekären Verhältnissen machte Heller 1940 seinen BA-Abschluss (Oberlin, Ohio), studierte ein Semester Bibliothekswissenschaften an der Western Reserve University (Cleveland) und erhielt 1942 seinen Master-Abschluss an der Ohio State University. Im Jahr 1943 gab ihm die University of Pennsylvania aufgrund exzellenter Leistungen ein Promotionsstipendium für eine Arbeit zur Geschichte politischer Ideen der deutschen Jugend im 19. und 20. Jahrhundert.57 Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Heller, der den Dozenten und Kommilitonen an den amerikanischen Universitäten als Inbegriff des europäischen Gelehrten alten Stils erschienen war, der sich nie ganz »amerikanisieren« würde, nach Europa zurück.58 Seit 1949 lebte er in Paris, um an seiner Dissertation zu arbeiten. Allerdings hatte sich das Thema Anfang der 1950er Jahre wohl nicht zuletzt durch die Pariser Trends verändert. Heller schrieb nun an einer wirtschaftsgeschichtlichen Analyse des Kreditwesens in Antike und Mittelalter.59 Er war fasziniert von der Geschichte des Zinswucherverbots in der katholischen Kirche und wollte in letzter Konsequenz die These von der Nähe von Protestantismus und Kapitalismus widerlegen.60 Die Arbeit wurde nicht beendet. Auch Artikel aus diesem Projekt wurden nicht publiziert. Der Anstellung Hellers an der EPHE tat dies jedoch keinen Abbruch. Nach einer Zeit als Lehrbeauftragter und in verschiedenen Vertretungsfunktionen wurde er im Jahr 1971 zum Professor (directeur d’études) ernannt.61 56 Loyer, S. 400. 57 [Clemens Heller]. Class 146–13 (Alien Enemy) Litigation Case File. RG 60, NACP. 58 So das Ergebnis der Befragungen, die das FBI zur Eruierung der politischen Gesinnung Hellers an den Universitäten durchführte. Verdächtig schien anfänglich, dass das Zimmer­ mädchen in Hellers Papierkorb in Oberlin unfertige Zeichnungen gefunden hatte, die an Brücken erinnerten. Ebenso besaß Heller eine große Kartensammlung und hatte eine Kamera mit in die USA mitgebracht und diese dort verkauft. Letztlich jedoch wurde Heller vor allem als ein romantischer Träumer eingeschätzt, der die Errungenschaften der deutschen Kultur höher einschätzte als die der amerikanischen. Der Fall wurde im Winter 1943 geschlossen, vgl. Class 146–13 (Alien Enemy) Litigation Case File. RG 60, NACP. 59 Der Arbeitstitel lautete: Le crédit dans l’Antiquité et au Moyen Age, vgl. den Lebenslauf. Archives EHESS, Chemises Notice individuelle, Fiche d’état civile. 60 Edward D’Arms, Interview Heller, 9.12.1952. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 978. 61 Vgl. Kwaschik, Clemens Heller; Kaelble; Heller, Dossier personnel. Archives EHESS, Chemises Notice individuelle, Fiche d’état civile.

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Er hatte das Vertrauen Febvres erworben; mit Braudel bildete er ein erfolgreiches wissenschaftspolitisches Tandem. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden war so eng, dass es nicht nur im Nachhinein für Historiker schwer ist, die Anteile auseinanderzuhalten.62 »Figurez-vous«, resümierte Braudel am Ende seiner Karriere anlässlich der Aufnahme in die Akademie, »qu’il travaille à mes côtés, faisant l’essentiel de ma tâche depuis quarante ans. Il le fait avec une sorte d’élan, d’enthousiasme, d’intelligence, d’intelligence supérieure assez rare.«63 Beide gemeinsam, Braudel mit seiner fachlichen Reputation und Heller mit seinen Kompetenzen als visionärer Wissenschaftsmanager, waren für den Aufstieg der Sechsten Sektion verantwortlich. Es waren nicht zuletzt Hellers multilaterale Netzwerke zwischen Politik und Wissenschaft, die über das Programme d’aires culturelles der Sechsten Sektion der École pratique des hautes études (ab 1955) bis zur Planung und Gründung der Maison des sciences de l’homme in den frühen 1960er Jahren und der Gründung der École des hautes études en sciences sociales (1973) führten64. Hellers wissenschaftspolitisches Engagement für die Area Studies hatte direkt nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Salzburg Seminar 1947 begonnen. Bei allen Unterschieden handelte es sich bei diesen Sommeruniversitäten ebenfalls um ein interdisziplinär angelegtes, über Drittmittel finanziertes Seminar zu einer Region.65 Das Seminar wurde als internationaler Studentenworkshop zum Thema »American Civilization« auf Schloss Leopoldskron organisiert.66 Später wurde für die ersten drei Jahre der offizielle Name »General Session in American S­ tudies« angenommen.67 Die Initiative zu dem Seminar kam von drei Graduate-Studenten aus Harvard, unter ihnen Heller, der die Gruppe in den ersten drei Jahren von 1947 bis 1949 insbesondere im Bereich des Fundraising und Managements anführte. Im ersten Jahr kamen 25.000 Dollar aus privaten Quellen; nach dem dritten Durchgang wurden für das Budget 70.000 Dollar veranschlagt, von denen 50.000 aus privaten Quellen kamen und der Rest von Stiftungen übernommen werden sollte.68 Schon im zweiten Jahr wurden erste Strukturen geschaffen: Heller galt als execu­ tive secretary, Dick Campbell als european secretary, Scott Elledge als secretary of faculty.69 Aus dem Nichts war mithilfe eines enthusiastischen und erfolgreichen 62 Dies beginnt bereits damit, dass viele Dokumente des Wissenschaftsmanagers nicht von ihm selbst unterzeichnet sind und so die Entstehung von Ideen und Projekten nicht eindeutig zugeordnet werden kann. 63 Braudel, Réponse, S. 106 f. 64 Mazon. Zur Maison vgl. auch Tournès, Sciences de l’homme et politique. 65 Eliot u. Eliot; Wagnleitner; Matthiessen; Perkins. 66 Vgl. Eliot u. Eliot, S. 16 ff.; Margaret Mead, The Salzburg Seminar in American Civilization 1947. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 914. 67 Salzburg Seminar Directory 1947–1980, Salzburg 1980. 68 LCD, Interview Clemens Heller, 5.2.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. 69 Vgl. z. B. den Briefkopf des ersten Antrags an die Rockefeller-Stiftung, Clemens Heller an Edward D’Arms, 13.1.1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 975.

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Projektmanagements ein Seminar entstanden, das bereits nach zwei Jahren Gegenstand einer Institutionalisierungsdiskussion wurde. Das war nach Einschätzung der Rockefeller-Stiftung die Leistung Hellers, »to start something and to keep it going until tangible results are achieved«.70 Das Seminar war zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus Sicht der USA ein interkulturelles Experiment zwischen ehemaligen Kriegsgegnern71 und ein Beitrag zu Versöhnung und Völkerverständigung. Da die Gefahr bestand, dass es aus Sicht der Europäer als ein Propagandainstrument der Amerikaner angesehen wurde, betonten Organisatoren und Förderer von Anfang an die Unterschiede zu Veranstaltungen ähnlicher Art: »The first teaching center in Europe for advanced study of American civilization; sponsored by Americans, its purpose is to offer instruction at  a graduate level in American literature, history, the social sciences and the fine arts to Europeans. The Seminar serves intelligent American self-interest, stating the truth about our country at a time when our motives have been challenged by propagandists. In accord with the Jeffersonian dictum that truth can bring freedom, the Seminar employs our traditional concept of academic freedom to communicate our cultural materials to the intellectuals of Europe.«72

In einer Konjunkturphase des staatlich gesteuerten Interesses an AmericanStudies-Programmen in Europa war es – zumindest im Jahr 1950 – das einzige Programm, das unabhängig von staatlichen Geldern funktionierte.73

70 Interview Edward D’Arms Heller, 27.1.1950. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 976. »EFD was impressed by the tremendous restless energy and the selfless devotion of H.« Diese Form des Engagements brachte auch Probleme mit sich. Nicht nur die Officer, sondern auch involvierte Wissenschaftler fühlten sich durch die Geschwindigkeit der Kommunikation und Vielfältigkeit der Projekte und Kontaktanbahnungen oftmals vor vollendete Tatsachen gestellt oder verwirrt, vgl. z. B. NSB an ME, 24.2.1950. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 976. Vgl. auch den Austausch zwischen D’Arms und Odegaard (ACLS), Charles E. Odegaard an Edward D’Arms, 10.2.1950. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 976. Heller hatte offenbar vor einer Förderzusage des ACLS dessen Unterstützung »kolportiert« und gegenüber der Rockefeller-Stiftung als Argument verwendet. 71 Vgl. zur Feindschaft gegenüber den Deutschen z. B. Newsletter I, 8.8.1949. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 616, Folder 5290; Eliot u. Eliot, S. 18 f. 72 Salzburg Seminar in American Studies, Suppl. Data, Stempel 29.5.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. Professuren gab es lt. dieser Aufstellung 1947 in Paris, Uppsala, Oslo. Eine Leuchtturmfunktion wurde dem Harmsworth Chair of American History in Oxford zugesprochen, der allerdings als Gastprofessur für ein Jahr funktionierte. Vgl. Memorandum, To Aldrich from E. K. Wickman, 10.4.1950. RAC, RF, CWF, Ser. 18.1, Box 297, Folder 2846. Die Wahrnehmung eines nicht abgedeckten Feldes lässt sich nicht rechtfertigen. Es gab eine Vielzahl von Angeboten, nur waren sie nicht zentralisiert, vgl. Fisher. 73 Zur Antragswelle im Bereich der American Studies beim Commonwealth Fund, den Interessen des State Departments und der besonderen Stellung des Salzburg Seminars, vgl. Memorandum, To Aldrich from E. K. Wickman, 10.4.1950. RAC, RF, CWF, Ser. 18.1, Box 297, Folder 2846.

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Gleichwohl stellte das Seminar einen Modellversuch für die Institutiona­ lisierung der American Studies und eine internationale Koordinationsplattform dar, zu einem Zeitpunkt, als die Netzwerke und Konzepte europäischer American Studies sich nicht zuletzt aufgrund ihrer politischen Priorität zu entwickeln begannen.74 Die European Association for American Studies wurde im Jahr 1954 auf Schloss Leopoldskron während eines Sommerseminars zu europäischer Amerikaforschung gegründet.75 Konkret lässt sich auch die Vorbildwirkung für Großbritannien nachweisen, wo mit den ab 1952 organisierten Fulbright Conferences on American Studies ein entscheidender europäischer Vorstoß zur Institutionalisierung erfolgte.76 Für den Aufbau eines »American area studies program« in London fungierte Salzburg als Ausgangsorientierung. Der Cultu­ral Relations Officer der amerikanischen Botschaft in London und Verantwortlicher des Fulbright Programms für Großbritannien Joseph Charles hatte deshalb den zweiten Durchgang des Seminars besucht und ausführlich auch im Gespräch mit der Rockefeller-Stiftung, die die späteren Konferenzen förderte, evaluiert.77 Als der erste sechswöchige Durchgang des Salzburg Seminar on American Civilization am 20. Juli 1947 eröffnet wurde, waren 127 Teilnehmer auf Schloss Leopoldskron anwesend: 79 Männer und 18 Frauen aus 18 europäischen Ländern, 30 Teilnehmer aus den USA. Bis Mitte Mai waren zehn Lehrende aus verschiedenen Colleges in den USA zusammengekommen, die ohne Entgelt unterrichteten und auch ihre Reise selber bezahlten.78 Das Programm bestach durch seine Qualität: Neben Margaret Mead und den Ökonomen Wassily ­Leontieff und Walt W. Rostow unterrichteten Francis Otto Matthiesen Literatur, Richard Schlatter Geschichte und im Bereich Politikwissenschaften Benjamin F. Wright.79 Viele Teilnehmer erwarteten eine amerikanische Indoktrinationsveranstaltung.80 Aber im Widerspruch zu den Befürchtungen der Europäer bot das Se74 Fisher, S. 19 ff. Vgl. auch Schmidt, Networks. 75 Fisher, S. 38–41. In den Folgejahren veränderte das Seminar seinen Fokus. Es bietet heute als Salzburg Global Seminar über das ganze Jahr verteilt Kurse zu globalen Strukturproblemen für Führungspersönlichkeiten aus der ganzen Welt an. 76 Ebd., S. 164 ff. 77 The Foreign Service of the United States of America, Trip of Mr. Joseph Charles, Cultural Relations Officer, London, to Salzburg and Vienna for purposes of observing the Seminar in American Studies held at Leopoldskron, Salzburg, and discussing its work with Legation and U. S. M. A. (United States Forces Austria) education officials in Vienna, October 1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 975. Charles verhandelte in den USA mit dem State Department, was das Konzept für den Commonwealth Fund zu stark in die Nähe eines Propagandaunternehmens rückte. Vgl. Memorandum, To Aldrich from E. K. Wickman, 10.4.1950. RAC, RF, CWF, Ser. 18.1, Box 297, Folder 2846. Für Hellers Planungen in Bezug auf Großbritannien, vgl. Edward D’Arms, Diaries, Interview Joseph Charles / Clemens Heller, 29.3.1949. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 391. 78 Eliot u. Eliot, S. 15. 79 Salzburg Seminar Directory 1947–1980, Salzburg 1980. 80 Henry Nash Smith, The Salzburg Seminar in American Studies, 28.9.1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 975: »Many of the Europeans came to Salzburg in a very suspicious

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minar Raum für offene Diskussionen und interkulturelle Erfahrungen. Der größte Effekt des Treffens lag im Mentalen.81 Die Gesprächsbereitschaft und Kritikfähigkeit der amerikanischen Dozenten löste einen Kulturschock aus: »The particular behavior of the American teachers has been one of the most shocking experiences I lived. […] After six years of university I did not know what a Seminar was, and I could speak with my teachers only at the examinations,« erinnerte sich ein italienischer Teilnehmer.82 Die Dozenten hielten Ähnliches in ihren Berichten fest. Mead betonte die Bedeutung des amerikanischen Vorbilds für die Demokratisierung der europäischen Diskussionskultur;83 andere Lehrende notierten ihre Verwunderung über den langen Weg, den die Teilnehmer von »Guten Morgen, Herr Professor« zu »Hi« zurücklegen mussten.84 Der Eindruck der Rockefeller-Stiftung, die sich vor Ort und während der ersten Sitzungen 1947 informiert hatte, war positiv: »This is not a dilettante or ›hands-across-the-sea‹ mission. Hard work is being done.« Die Stiftung erwog die Unterstützung mit Büchern oder kleineren Reisestipendien.85 Schon vor dem ersten Seminar hatte die Stiftung durch Heller Informationen zu Budget und Programm erhalten.86 Und mit D’Arms persönlich begann der Kontakt noch während dessen Tätigkeit im Kriegsministerium bezüglich der Einreisegenehmigungen.87 Das Seminar war eine Veranstaltung des Harvard Student Council, der als offizieller Geldgeber in Kooperation mit dem World Student Service Fund und dem International Student Service arbeitete. Nachdem das Harvard-Präsidium die Finanzierung abgelehnt hatte, waren die Studierenden mit der Rockefeller-Stiftung in Kontakt gebracht worden.88 state of mind. They expected to be subjected to some kind of American propaganda. If they came nevertheless, it was because they thought they would at least have a pleasant vacation and hear some good music: or, to place a more favorable interpretation on their motives, they looked forward to making their own use of the library.«. 81 So der Eindruck auf allen Seiten, vgl. für die Sicht Rockefellers Excerpt from P. E. M.’s diary (NSB), 3./4.8.1947. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 914; für die Antragsteller vgl. Clemens Heller an Edward D’Arms, 13.1.1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 975; für Teilnehmerreaktionen vgl. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 975. 82 The Foreign Service of the United States of America, Trip of Mr. Joseph Charles, Cultural Relations Officer, London, to Salzburg and Vienna for purposes of observing the Seminar in American Studies held at Leopoldskron, Salzburg, and discussing its work with Legation and U. S. M. A. (United States Forces Austria) education officials in Vienna, October 1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 975. 83 Margaret Mead, The Salzburg Seminar in American Civilization 1947. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 914. 84 Matthiessen, S. 60. 85 Excerpt from P. E. M.’s diary (NSB), 3./4.8.1947. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 914. 86 Clemens Heller an John Marshall, 17.2.1947. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 914. 87 Edward D’Arms an Charles E.  Odegaard (ACLS), 7.2.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. 88 LCD, Interview Clemens Heller, 3.2.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976.

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Das Seminar war eine von allen Seiten anerkannte Organisationsleistung, in der sich die Grundelemente der späteren Planungen der Area Studies an der EPHE abzeichneten: der Aufbau einer interdisziplinär arbeitenden Gruppe, die Einrichtung einer Bibliothek bzw. eines Dokumentationszentrums sowie die Einwerbung von Drittmitteln. Die Basis dafür bildete eine Profildiskussion mit der Rockefeller-Stiftung. Nicht nur der Kontakt war Mitte der 1950er Jahre bereits etabliert, sondern auch die Kommunikationsrichtung. Heller kontaktierte die Stiftung vor allen Dingen als »expert on organizational structure«.89 Das Seminar war eine spontane Aktion und Idee gewesen, aber schon wenige Monate nach dem ersten Durchlauf wurden Pläne zur Fortführung entwickelt. Gespräche mit Rockefeller über die Vorbereitung eines Antrags wurden aufgenommen.90 Beantragt wurden 13.000 Dollar für Reisekosten der Lehrenden, Aufwendungen im Umkreis der Teilnehmerauswahl und die Bibliothek. Als Fernziel wurde die Gründung eines Center for American Studies in Europe genannt.91 Die Institutionalisierung schritt voran. Im zweiten Jahr wurde mit John Finch (Dartmouth College) ein permanenter Direktor für die Dauer von zwei Jahren gewählt. Es wurde auch über ein endowment nachgedacht.92 Für das dritte Jahr 1949 wurde eine Förderung für Reisekosten und die Bibliothek verabredet.93 Rockefeller unterstützte das Seminar im Rahmen des European Rehabilitation Program. Das Programm, das ab 1948 die intellektuelle Kommunikation zwischen Europa und den USA fördern sollte, war ein schnell initiiertes NotfallProgramm der Stiftung gewesen, in gewissem Sinn als intellektuelle Ergänzung des Marshallplans, das im Ergebnis einer ausführlichen Evaluation der Situation im Nachkriegsdeutschland und den Förderbedingungen entstand.94 Bis 89 Clemens Heller an Chester I. Barnard, 13.2.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. 90 Edward D’Arms, Interview Heller 2.1.1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 975. 91 Clemens Heller an Edward D’Arms, 13.1.1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 975. 92 Edward D’Arms, Interviews John Finch / Francis Otto Matthiessen, 29.12.1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 975. D’Arms machte sehr deutlich, dass die Stiftung sich an solchen Formen der Finanzierung nicht beteiligen könne. 93 Henry Nash Smith an Edward D’Arms, 8.1.1949. RAC, RF, RG 1.2., Ser.200, Box 111, Folder 975. Beantragt wurden 17.400 Dollar. Bewilligt wurden 15.000 Dollar: 11.000 für die Reisekosten von Amerikanern, 2.500 für die Reisekosten von Europäern, 1.500 Dollar für die Bibliothek, vgl. Flora M. Rhind an Kichen, 23.2.1949. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 975. Inzwischen wurde auch ein Präsidium aus sechs Professoren und sechs Studenten eingerichtet. 94 Die Summe belief sich auf 200.000 Dollar für die »rehabilitation of Europe«. Darüber hinaus war der Zugriff auf weitere 300.000 Dollar möglich. RF 47116. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 700, Box 10, Folder 83. Das Programm wurde neu aufgelegt, vgl. RF 49033 150.000 Dollars, in addition to RF 48120; RF 47116. Für ein Exemplar des Berichts vgl. Robert J. Havinghurst, Report on Germany, ReP-1 1947. For Rockefeller Foundation Confidential. November 1947. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 700, Box 11, Folder 96. Vgl. auch Robert J. Havinghurst, Recommendations for Program Germany Austria, ReP-4 1948. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 700, Box 11, Folder 95.

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November 1948 waren unter diesem Förderschwerpunkt bereits vierzig Projekte gefördert worden, Reisestipendien für amerikanische Lehrer nach Europa,95 Geschichtsbücher für deutsche Schulen96 und Sommerschulen, um nur einige Beispiele zu nennen.97 Für Sommer 1948 erhielt das Seminar einen ersten Zuschuss in der beantragten Höhe von 13.000 Dollar (in der Annahme, dass danach die Gelder vom Fulbright Fund übernommen werden könnten);98 ein Jahr später dann die beantragten 15.000 Dollar für das Jahr 1949.99 Im Jahr 1950 standen Finanzierung und Programmplanung deshalb grundsätzlich zur Debatte. Fünf Jahre nach dem Krieg hatte das Seminar seine Nachkriegsaufgabe erfüllt und es stellte sich die Frage nach seiner Funktion. Kritisiert wurden im Detail die Arbeit des Direktors, das fehlende Funding für das Soziologieprogramm, die fehlenden Dozenten für das Sommerprogramm etc. Aber dabei handelte es sich nur um Symptome des grundsätzlichen Problems, dass das Seminar aus einer innovativen Idee nun den Weg in eine institutionelle Struktur finden musste. Aus Sicht der Officer war es fünf Jahre nach Kriegsende keine Option mehr, ein aus den USA gefördertes Projekt zu American Studies ohne Einbindung der Europäer zu fördern, wie es das philanthropische Förderkonzept der cross-ferti­ lization verlangt hätte. »EFD stated the position put forth by Samuel Williams (Chief of Education Division for US forces in Austria, d. Verf.), that the Salzburg Seminar had been a good emergency project but that it had outlived its usefulness and should be supplanted by a larger and more permanent American Institute located elsewhere, perhaps Paris.«100 Hellers Verbindungen zum Seminar waren bereits seit dem zweiten Sommerkurs 1948 lockerer geworden, an dem er und Matthiesen nicht teilnehmen konnten. Heller war offenbar von Friedrich Hayek als Kommunist denunziert worden und durfte bis 1950 in Österreich nicht einreisen.101 Im Winter 1950 leistete er durch Gespräche mit dem ACLS, Rockefeller und dem State Department noch

95 Excerpt from Trustees Confidential Bulletin November 1948. RAC, RF, RG 1.2, Ser. 700, Box 10, Folder 89. 96 Suggested Rockefeller Foundations Project for the Writing of Text Books in History for the German Schools. Februar 1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 700, Box 10, Folder 85. 97 Vgl. insgesamt Grants approved under the European Rehabilitation Program, 2.4.1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 700, Box 10, Folder 86. Das Salzburg Seminar erhielt für Sommer 1948 13.000 Dollar. 98 Status of Programs in Germany and Austria, 27.2.1948. RAC, RF, RG 1.2., Ser.700, Box 10, Folder 85. 99 Officer’s Conference, 4.2.1949. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 700, Box 10, Folder 90. 100 Interview Edward D’Arms, Clyde Kluckhohn, 6.10.49. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 975. 101 Edward D’Arms, Interviews Clemens Heller, 11.5.48. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 975. Vgl. Eliot u. Eliot, S. 23 ff. Hier wird der Name Hayeks nicht genannt, sondern es ist lediglich von einem »famous ultra-conservative economist« die Rede (S. 25).

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einmal einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Krise.102 Für die kurzfristigen Probleme wurden Lösungen und Gelder gefunden. Aber das grundsätzliche Problem, dass das Seminar sich neu definieren musste, schwelte weiter. Die Rockefeller-Stiftung erhielt Bestätigungen aus den Ministerien, aus dem Department of the Army über den Wert des Seminars.103 Aber sie erhielt keine zufriedenstellenden Auskünfte oder einen Projektentwurf vonseiten des Seminars.104 Das wiederholt vorgebrachte Argument, es sei für Europäer angesichts eines starken Antiamerikanismus immer noch wichtig, sich mit den USA zu beschäftigen, überzeugte nicht.105 Vielmehr verfestigte sich bei den Officern die Ansicht, dass zur Frage der Institutionalisierung des Seminars bei den Verantwortlichen kein Problembewusstsein vorhanden war. In inoffiziellen Statements bezweifelte D’Arms sogar die Notwendigkeit, das Seminar fortzuführen.106 Noch 1954 lag keine zufriedenstellende Planung vor.107 D’Arms kritisierte die geringe Wirkung der Arbeit, die nicht über die direkten Teilnehmer am Seminar hinausging, das nicht nur kein Forschungsprogramm hatte, sondern auch keine Publikationen o.ä. hervorbrachte. Der Vorschlag, das Seminar zu einem Dokumentations- und Informationszentrum oder einer Koordinierungsstruktur für American Studies in Europa zu entwickeln, wurde nicht aufgegriffen. Aus Sicht der Stiftung hatte das Seminar keinen »kumulativen Effekt«. Nicht einmal die Alumni wurden eingebunden.108 Auch E. K. Wickman vom Commonwealth Fund, der bis in die 1970er Jahre ein wichtiger Geldgeber

102 Edward D’Arms, Interview Clemens Heller, 27.1.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. Zu den diversen Reisen und Gesprächen vgl. die Korrespondenzen aus dem Winter / Frühjahr 1950, insbes., Edward D’Arms, Interview Clemens Heller, 2.2.1950. RAC, RF, RG. 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. 103 Lynch an Edward D’Arms, 11.5.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. Vgl. auch Samuel Williams (Chief, Education Division, Headquarters United States Forces in Austria) an Edward D’Arms, 11.5.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. 104 Die wiederholt gegebene formale Antwort, das Seminar sei ein »outpost of American civilization«, befriedigte die Rockefeller Officer nicht, die auch auf ihre Frage nach der Einbindung von europäischen Wissenschaftlern oder die Affiliation an einer europäischen Universität fünf Jahre nach Kriegsende keine Antwort erhielten, vgl. Chester I. Barnard, Norman S. Buchanan, Edward D’Arms, Interview Dexter Perkins, Clyde Kluckhohn, Frederick Muhlhauser, 1.5.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. 105 Edward D’Arms, Interview Perkins, Muhlhauser, 18.12.1953. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 978. 106 Edward D’Arms an Charles E.  Odegaard, 7.2.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111. Folder 976. D’Arms formuliert diese eindeutige Kritik als Privatperson. 107 Edward D’Arms, Interviews, Dexter Perkins, Frederick P. Muhlhauser, 15.12.1954. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 979. Perkins war seit 1953 Präsident, Muhlhauser Vizepräsident: Beide sorgten für die Institutionalisierung und – so die Kritik der ersten Generation – den Verlust des Innovationspotenzials, vgl. Eliot u. Eliot, S. 51 ff. 108 Edward D’Arms, The Salzburg Seminar in American Studies, 3.9.1953. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 978.

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des Seminars blieb, kritisierte den Organisationsstand.109 Die Rockefeller-Stiftung gab 1951 noch einmal einen Grant in Höhe von 50.000 Dollar. Das war immerhin fast die Hälfte des Gesamtbudgets.110 Den letzten Grant bewilligte sie im Jahr 1955 für die folgenden fünf Jahre: 125.000 Dollar als Ergänzung zum allgemeinen Budget.111 Heller hatte schon 1951 die Beziehungen zum Seminar abgebrochen und, wie er D’Arms sagte, sich auf seine Dissertation konzentriert.112 Hellers Interesse als Wissenschaftsmanager galt ohnehin dem Neuen und Innovativen. An der Verwaltung etablierter Institutionen war er nicht interessiert. Seit spätestens 1954 konzentrierte er sich auf das neue Projekt, an der Sechsten Sektion Area S­ tudies-Programme aufzubauen. Ende 1954 präsentierte er der Stiftung zum ersten Mal verschiedene Projekte mit regionalwissenschaftlichen Schwerpunkten und fragte nach Möglichkeiten der Finanzierung.113 Sein Ziel war es nun, die französischen und europäischen Regionalwissenschaften insgesamt zu stärken, wie D’Arms notierte: »H.’s purpose is to extend the awareness of European scholars particularly historians to the islamic and oriental field. This is essentially a long process of education. H. would like to see historical treatment of e. g. Islamic and Oriental areas undertaken in comprehensible form and with an agreed terminology and definition of problems.«114 Heller schlug vor, einerseits Sozialwissenschaftler mit Sprachkompetenzen auszustatten bzw. Quellen zugängig zu machen sowie die Gelehrten, die über diese – vorwiegend im Bereich der Philologien – verfügten, für historische und soziale Fragestellungen zu interessieren. Er handelte die einzelnen Arbeitsschwerpunkte aus und wurde, als im Jahr 1956 die Abteilung der Area Studies (Division des aires culturelles) vom CRH getrennt wurde, ihr Leiter – ohne eine 109 Edward D’Arms, Interview Wickman, 15.12.1954. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 978. Der Commonwealth Fund hatte mit 25.000 Dollar jeweils 1951 und 1953 gefördert und zahlte 1953 10.000 Dollar für Crawfords Gehalt als Direktor (für 15 Monate), vgl. Edward D’Arms, Interview Wickman, 5.10.1953. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 978. Im Jahr 1955 erhielt auch Ford einen Antrag. Edward D’Arms, Interview Howard Mumford Jones, 11.1.1955. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 112, Folder 980. Vgl. die Liste und Höhe der vom Commonwealth Fund erteilten Grants, von 1950 bis 1978, RAC, RF, CWF. Ser. 18.1, Box 297, Folder 2846. 110 RF 50053. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 200, Box 111, Folder 914. Die Gesamtkosten beliefen sich nach dem veranschlagten Budget (inklusive eines Defizits aus dem Vorjahr) auf 113.000 Dollar. 111 Inter-Office Correspondence, 17.4.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 112, Folder 981. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 112, Folder 980. Vgl. zur Interpretation des Geldes auch Edward D’Arms, Inter-Office Correspondence, 17.4.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 112, Folder 981. 112 Edward D’Arms, Interview Heller, 28.11.1951. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. 113 Edward D’Arms, Development of Asiatic and Slavic Studies in France, 9.3.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 114 [Statement on Heller], 9.12.1954, Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Boîte Fondations américaines, Chemise Fondation Rockefeller, Dossier on Paris Office.

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abgeschlossene Dissertation.115 Seine Vorgehensweise als Projektmanager orientierte sich an den amerikanischen Förderkategorien, gleichwohl war die Kommunikation von signifikanten Missverständnissen über den Charakter der Projektförderung geprägt. 4.1.3 Programmaufbau an der Sechsten Sektion. Erster Förderantrag 1955 Die Förderung der Area Studies an der Sechsten Sektion schließt an die Profildiskussionen des Salzburg Seminars an. Aber die Rockfeller-Stiftung selbst hatte im Rahmen ihres Monitorings bereits vor dem Gespräch mit Heller Handlungsbedarf gesehen. Im Mai 1948 hatte D’Arms von Paul Demiéville, Sinologe am Collège de France, die Bestätigung erhalten, dass Area-Studies-Programme oder etwas Äquivalentes in Frankreich nicht vorhanden waren.116 Im Bereich der Sinologie, so ergaben weitere Recherchen, hatte Frankreich zwar seit Edouard Chavannes eine herausragende Tradition. Seine Schüler – das »Triumvirat« Marcel Granet, Henri Maspero und Paul Pelliot – hatten die Herausbildung der Disziplin entscheidend geprägt: Granet als Durkheim-Schüler in Richtung eines soziologischen Ansatzes, Maspero als Protagonist eines historisch-philologischen Ansatzes, Pelliot als Archäologe und Philologe.117 Aber alle drei waren 1945 tot. Die junge Generation sammelte sich um Demiéville, der zu chinesischem Buddhismus forschte. Seine Arbeiten galten als spezialisiert, stark philologisch orientiert und sie betrafen in keiner Weise das moderne China. Die Stiftung dachte daher verschiedene Projekte zum Aufbau der Sinologie in Frankreich an und tauschte sich auch mit Mortimer Graves (ACLS) darüber aus, der in den 1920er Jahren die ACLS-Programme in den USA in Gang gebracht hatte.118 In Bezug auf Russland bedeutete der Weggang des Slawisten Boris Ottokar Unbegaun von Straßburg nach Oxford 1953 einen sowohl in New York als auch in Paris bemerkten Einschnitt.119 Verschiedene Gespräche mit Repräsentanten in Frankreich zeigten, dass die französischen Ressourcen auch hier als schwach 115 [O. A.], Division des aires culturelles. (La Division des Aires Culturelles (o. D.). Archives EHESS, Fonds Louis Velay, Boîte 71. 116 Z. B. Edward D’Arms, Diaries, Interview Paris, 4.4.1949. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 391. 117 Étienne Balazs, The present situation of Chinese studies in France (International Symposium on the History of Eastern and Western Cultural Contacts, Tokyo, Kyoto, ­28.10.–5.11.1957). Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Fondations américaines, Chemise Rockefeller, Extrait du fonds Centre Chine. Erwähnt wurde auch Robert des Rotours am Institut des hautes études chinoises der Sorbonne. 118 David H. Stevens, Diaries, Interview with Jean-Pierre Dubosc, 2.12.1946; Interview with John W.  Hall, 8.8.1946; Interview with Mortimer Graves, 26.11.1946. David H. Stevens, Diaries, 3.1.1946. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 394. 119 Edward D’Arms an Clemens Heller, 30.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96.

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angesehen wurden: Offenbar erwartete man weder von der Sorbonne eine koordinierte Nachwuchsförderung120 noch vom Institut d’études slaves oder dem Collège de France. Von einem Rockefeller-Fellow hatte D’Arms schon 1948 die Mitteilung erhalten, dass die neue Generation der französischen Slawistik als weniger vielversprechend eingeschätzt wurde als die der britischen.121 Der das Feld beherrschende Slawist André Mazon (Präsident des Institut d’études slaves, 1937–1959) arbeitete vor allem als Linguist und Literaturwissenschaftler zu klassischer russischer Literatur.122 Bisherige Initiativen der Rockefeller-Stiftung zur Förderung der Russlandstudien waren gescheitert: Fellowships für Reisen in die USA hatten keine Konsequenzen gehabt. Und ein Grant für einen spezialisierten Bibliothekskatalog zog sich hin und brachte kaum Ergebnisse.123 Aus amerikanischer Sicht war Frankreich ein europäischer Nachzügler, ohne »full and objective knowledge of the contemporary Far East, Near East, Slavic areas«.124 Die aktuelle Positivfolie bildeten die Initiativen in Großbritannien, wo mit der Scarbrough Commission 1947 eine staatliche Kommission für eine Stärkung im Bereich Asien, Osteuropa und Afrika argumentiert und den Bedarf evaluiert hatte.125 Frankreich fehlte, so die Argumentation der Stiftung, die Einsicht in die Bedeutung des Fernwissens. Gerade mit Blick auf seine herausragende Tradition in der Beschäftigung mit Asien und Afrika seit dem 18. Jahrhundert wurde die Situation als dramatisch eingeschätzt. Es gab Institutionen wie das Collège de France, die Sorbonne und die École nationale des langues orientales vivantes, aber keine Pläne für die Entwicklung von stärker gegenwartsbezogeneren Studien: »Extreme specialization, preoccupation with the past and the traditional independence of French professors and institutions prevented the development of studies of the present and recent past«. Und es mangelte an Personal, welches die Koordination und Neukonzipierung der Regionalwissenschaften übernehmen konnte: »Until lately there has been no plan for the effective use of existing resources of personnel and materials, no vigourous leadership for group action.«126 Die Konkurrenz der Institutionen untereinander hatte einen wissenschaftspolitischen Vorstoß verhindert. Im Mai 1954 hatte D’Arms bei einem Gespräch 120 Edward D’Arms, Diaries, 13.6.1955 ff. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 391. 121 Edward D’Arms, Diaries, Interviews, 2.6.1948. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 391. 122 Vgl. für eine detaillierte Analyse des Pariser Felds Popa, Aires culturelles. 123 Edward D’Arms, Area Studies in France, 31.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 124 Grant in Aid to the Sixth Section of Paris of the EPHE to enable Prof. Fernand Braudel to visit the United States to obtain a direct acquaintance with the organization of area studies programs and related subjects, 30.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Folder 94, Box 9.  125 Report of the Interdepartmental Commission of Enquiry on Oriental, Slavonic, East European and African Studies, London Foreign Office 1947. Vgl. dazu Kapitel 4.2.2. 126 Grant in Aid to the Sixth Section of Paris of the EPHE to enable Prof. Fernand Braudel to visit the United States to obtain a direct acquaintance with the organization of area studies programs and related subjects, 30.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Folder 94, Box 9.

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mit dem Direktor der Nationalbibliothek Julien Cain notiert: »Coordinated effort is very difficult in a country like France where many different institutions have grown up, each with its own range of competence and responsibility.«127 Dass es in Frankreich nicht gelungen war, »an interest in the problems of the recent and contemporary periods in the Far East, South Asia and Slavic areas« zu entwickeln, wurde auf drei Faktoren zurückgeführt: die mangelnde Wissenschaftsorganisation, die historisch-philologische Tradition, aber auch das Versagen der großen Gelehrten, wie Pelliot und Mazon, eine neue Generation heranzubilden.128 »Part of the trouble has been the fact that the senior scholars (e.g. Mazon, Demiéville, Vaillant) were interested only in their own research.«129 In der Diagnose der Situation trafen sich die Positionen Hellers und D’Arms. In der Frage nach dem Zuschnitt des neuen Programms überwogen zunächst die Differenzen. Bei der ersten Diskussion im Winter 1954 berichtete Heller von verschiedenen Projekten, die Programmen zugrunde gelegt werden könnten. Das wichtigste war das großangelegte internationale Projekt zur Geschichte der Sung-Dynastie (960–1279). Es war im Herbst 1954 auf der Siebenten Tagung der »jungen Sinologen« in Durham international diskutiert worden und wurde zum Lebenswerk des Pariser Sinologen Étienne Balasz,130 den Heller und Braudel als Schlüsselfigur des China-Programms vorgesehen hatten. Balasz stammte aus Ungarn, hatte in Berlin promoviert und war 1935 nach Frankreich geflohen.131 Sein Projekt war interdisziplinär angelegt und verfolgte das Ziel, sozialwissenschaftliche Perspektiven in die Sinologie einzuführen.132 Balasz selbst war ein glaubwürdiger Kandidat für die Neuorientierung der Sozialwissenschaften, wurde er doch seit Mitte der 1950er Jahre national und international immer mehr zum Kritiker einer Sinologie, die sich auf »philologische Haarspalterei« beschränkte.133 Dennoch lehnte D’Arms das Projekt ab, weil es genau die philologisch-historische Wissenschaftstradition in Frankreich repräsentierte, die das Area-Studies127 Edward D’Arms, Area Studies in France, 31.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 128 Grant in Aid to the Sixth Section of Paris of the EPHE to enable Prof. Fernand Braudel to visit the United States to obtain a direct acquaintance with the organization of area studies programs and related subjects, 30.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Folder 94, Box 9. 129 Edward D’Arms, Inter-Office Correspondence, 31.8.1955. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 130 Demiéville. 131 Vgl. zu Balasz Zurndorfer. 132 Étienne Balasz, Projet provisoire d’un Manuel de l’Histoire des Song, 25.9.1954. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95; vgl. die zweite Fassung, Premiers Pas du Projet, 20.12.1954. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 133 Zurndorfer, S. 202. Hellers Argument, dass Balasz’ interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Interessen ihn zu einem guten Teamleiter und Vater einer neuen Generation machen würden, war also berechtigt und nicht nur aus Fördergründen angebracht worden, vgl. dazu auch Clemens Heller an Edward D’Arms, 21.2.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 95.

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Programm überwinden sollte. Mehrfach wies D’Arms Heller darauf hin, dass diese Art der traditionellen Beschäftigung mit Asien aus Sicht der RockefellerStiftung nicht förderwürdig und auch bereits in Europa gut etabliert war.134 Dass Heller hartnäckig an dem Projekt festhielt, führte zu einem längeren Austausch über die Notwendigkeit einer Konzentration der europäischen Regionalwissenschaften auf die Neuzeit. Heller argumentierte strategisch: Man müsse in Frankreich nach 1945 zunächst die Rahmenbedingungen für Forschungen zu Asien aufbauen, um in einem zweiten Schritt, die philologische Tradition zu durchbrechen. Balasz sei dafür zum jetzigen Zeitpunkt die »strongest card« der Sechsten Sektion.135 »We cannot put before you today a set of scholars specializing in Modern China. In the contrary, the very raison d’être of our effort derives from this incapacity.«136 Die Stiftung überzeugte der Hinweis auf die besondere Situation Frankreichs nicht. Zudem hatte sie bereits Anfragen von anderen beteiligten Sinologen aus anderen Ländern abschlägig beschieden.137 Allerdings bedeutete diese Diskussion nicht den Abbruch des Projekts oder die Eliminierung aus dem Gesamtprogramm. Schon im Juli 1955 bestand die realistische Möglichkeit, dass das Projekt vom Istituto Italiano per il Medio ed Estremo Oriente und anderen nationalen Komitees des Sung-Projekts finanziert wurde.138 Das Sung-Projekt blieb Teil des Gesamtplans, die historischen Forschungen zu Asien in Europa zu fördern. Der zweite regionale Schwerpunkt der Diskussionen mit Rockefeller betraf Russland. In diesem Bereich suchte Heller zunächst nach Wissenschaftlern: »Our greatest problem for the moment is personal. [sic] Especially when it comes to Russia. For instance, on recent economic history there are so far only two possibilities one a member of the communist party, the other a Jesuit. Both are quite good but you see the difficulties.«139 Der genannte Jesuit war Pater Henri Chambre, Ingenieur und Résistance-Kämpfer. Chambre gab Kurse zu Marxismus und Russlandkunde am Institut d’études sociales des Institut catholique in Paris und publizierte seit 1955 auch zur Sowjetunion.140 Er sollte zu den Schlüsselpersonen des neuen Programms gehören.141 Bei dem Kommunisten handelte es sich um den Vietnam- und Chinaexperten Jean Chesneaux (1922–2007). Im Jahr 1953 hatte Chesneaux einen Artikel über den Taiping-Aufstand (1851–1864) in der »Revue historique« publiziert; eine 134 Edward D’Arms an Clemens Heller, 8.2.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 95. 135 Clemens Heller an Edward D’Arms, 21.2.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 95. 136 Clemens Heller an Edward D’Arms, o. D. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 137 Charles B.  Fahs an Vadim Elisseeff, 3.9.1955. Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Carton Fondations américaines, Chemise Correspondance. Charles B. Fahs an Vadim Elisseeff, 13.9.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 138 Clemens Heller an Edward D’Arms, 2.7.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 139 Clemens Heller an Edward D’Arms. 21.2.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 140 Vgl. Chambre. 141 Clemens Heller an Philip Moseley, 6.5.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95.

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erste Monographie erschien 1955.142 Seine Stellung im Programm wurde aufgrund seiner Zugehörigkeit zum PCF zum Problem für die Förderzusage. Sie stand im Zentrum der Aushandlungsprozesse, obgleich zu diesem Zeitpunkt die Suche nach »unamerikanischen Umtrieben« in den USA bereits ein erstes Ende gefunden hatte und auch die Rockefeller-Stiftung ihre interne Position zur Enttarnung »subversiver« Forscher zwischen nationaler Sicherheitspolitik und philanthropischem Selbstverständnis bereits zugunsten des Letzteren entschieden hatte.143 Aktiv suchte Heller nach weiteren Russland-Spezialisten. Er bat darum, dass D’Arms sich bei Philip Moseley nach französischen Sowjetologen erkundigte. Später richtete er seine Anfrage direkt an Moseley und fragte nach »advice and names«.144 Im Frühling 1955 wurde Moseley so der Berater für den Aufbau eines Russland-Schwerpunkts an der EPHE. Der Direktor des Russlandzentrums der Columbia University nannte den Parisern insbesondere den Namen Jean Trains.145 Train unterrichtete seit 1950 Russisch an der École nationale des langues orientales vivantes. In der Folge wurde er als Lehrbeauftragter (chargé de cours) an die EPHE geholt, sein Seminar sollte als Kern eines neuen Russland-Programms dienen. Aber seine Rolle musste sich aus Sicht Braudels und Hellers auf die eines Katalysators beschränken. Schließlich war Train von der Ausbildung her Linguist und hatte wohl auch erklärt, dieses Feld trotz seiner weit gespannten Interessen nicht verlassen zu wollen.146 Heller und Train fanden schnell zusammen. Sie versuchten, Nachwuchswissenschaftler zu rekrutieren und diskutierten über angemessene Fördermaßnahmen.147 Zeitnah entstand der Plan einer USA-Reise Trains, finanziert von den Russian Centers von Harvard und Columbia.148 Der Kontakt zu Moseley war eng. Heller rückversicherte sich im Mai 1955 fast täglich in New York. Er fragte nach Arbeitsfeldern für französische Sowjetologen, um Überschneidungen mit den USA oder Großbritannien zu vermeiden.149 Am Ende der Diskussionen

142 Chesneaux, La révolution; Chesneaux, Contribution à l’histoire de la nation vietnamienne; vgl. insgesamt Chesneaux, L’engagement. 143 Im August 1954 hatte sich der Senatsausschuss zu McCarthy gebildet, vgl. Oshinsky, S. 472 ff.; vgl. insgesamt Schrecker. Ab August 1956 erfolgte auch die Routinekonsultation des Guide to Subversive Organizations and Publications durch die Officer der Stiftung nicht mehr. Zur Politik nach 1950, insbes. im Zusammenhang mit den Cox- und Reece-Untersuchungsausschüssen (1952, 1954) zur Unterstützung »subversiver« Projekte durch amerikanische Stiftungen (und andere Institutionen), vgl. Müller, Marcuse, S. 272 ff. 144 Clemens Heller an Philip Moseley, 21.3.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 145 Philip Moseley an Clemens Heller, 19.4.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 146 Clemens Heller an Philip Moseley, 2.5.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 147 Clemens Heller an Philip Moseley, 2.5.1955; 20.5.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95, vgl. Philip Moseley an Clemens Heller, 19.4.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 148 Clemens Heller an Philip Moseley, 2.5.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 149 Ebd.

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lag ein konkreter Plan für den Aufbau des Russland-Schwerpunkts mit David Djaparidze (Bibliothekar für Slawistik an der ENLOV), Train und Chambre vor. Chambre hatte Mitte Mai ein Projekt zur Entwicklung der Sowjetökonomie nach 1917 mit einem Asien-Schwerpunkt formuliert.150 Heller erwog neben Train auch für Chambre eine USA-Reise, woraufhin dann Moseley eine Anfrage bei Rockefeller empfahl.151 Eine dritte Region stand ebenfalls im Frühling 1955 zur Diskussion: Indochina. Heller sah in dem Projekt von Gustave Meillon (ENLOV) zum Kaodismus und anderen religiösen Sekten eine Möglichkeit, diese »vernachlässigte« Region »abzudecken«.152 D’Arms reagierte positiv, bestand aber auf einem formellen Antrag und einem persönlichen Treffen mit Meillon.153 Dass ein schriftlicher Antrag die Voraussetzung für eine Förderung bildete, war den Pariser Akteuren offenbar nicht klar. Selbst Heller bat noch im Jahr 1955, zu Beginn der Diskussionen und nach den Erfahrungen mit dem Salzburg Seminar,154 freimütig um die Übernahme der Reisekosten für Braudels USA-Reise sowie 2.000.000 Francs für das Sung-Projekt und 2.000.000 Francs als freie Mittel für das Zentrum zur Unterstützung von Forschern.155 Bevor Febvre im August 1955 den Förderantrag bei der Rockefeller-Stiftung einreichte, wurden weitere Professuren (directions d’études) mit regionalwissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkten geschaffen.156 Im Mai dominierte bereits der Eindruck, dass nun die Strukturen zu stabilisieren und die Projekte in ein Gesamtprofil zu integrieren seien.157 Im Juni flog Heller nach New York, um die einzelnen Programmschwerpunkte zu diskutieren: »Only a few of them depend on economic help from your foundation, but for all of them we wanted your advice and criticism.«158

150 R. Père Chambre, Projet d’études sur l’économie soviétique, 15.5.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 55. 151 Clemens Heller an Philip Moseley, 6.5.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95; Philip Moseley an Clemens Heller, 17.5.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 152 Clemens Heller an Edward D’Arms, 9.4.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. Vgl. dazu Hoskins. Hoskins beschreibt auch aus heutiger Sicht Meillon als Pionier: Er sei der einzige Forscher gewesen, der sich in den 1950er Jahren mit diesen Fragen beschäftigt habe. 153 Edward D’Arms an Clemens Heller, 15.4.1955; 1.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 154 Auch hier war Heller immer wieder darauf hingewiesen worden, dass ein formaler Antrag vorliegen müsste, vgl. z. B. während der Krise 1950 Edward D’Arms, Interview Clemens Heller, 7.2.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 200, Box 111, Folder 976. 155 Clemens Heller an Edward D’Arms, 21.2.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 156 Im Brief an Moseley war von Elisseeff, Balazs, Gernet und Chesneaux die Rede, vgl. Clemens Heller an Philip Moseley, 21.3.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 157 Clemens Heller an Philip Moseley, 20.5.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 158 Clemens Heller an Edward D’Arms, 25.5.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95.

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Auf Hellers persönlicher Agenda standen das China- und Russlandprogramm sowie das Reisestipendium für Braudel.159 Auf der Liste tauchte neben Süd­ ostasien und der jüdischen Geschichte, die dann nicht mehr im Vordergrund standen, aber auch Afrika auf: Balandier hatte im Mai 1955 ein kollektives Forschungsprojekt zu politischen Systemen im subsaharischen Afrika formuliert.160 Afrika gehörte mit Balandier, der 1954 zum Professor (directeur d’études) für Soziologie Schwarzafrikas (»sociologie de l’Afrique noir«) wurde, zu den Schwerpunkten des aufzubauenden regionalwissenschaftlichen Programms.161 Aber aufgrund seiner geringen Entwicklung wurde es nicht von Rockefeller gefördert.162 Der von Febvre eingereichte Antrag der Sechsten Sektion forderte 26.000 Dollar pro Jahr für eine Dauer von drei Jahren.163 Für die Bereiche China, Indien und zur Wirtschaftsgeschichte der SU lagen ausformulierte Projekte vor, die sich sowohl auf die Lehre als auch die individuelle und kooperative Forschung bezogen.164 Die Sechste Sektion machte großen Druck und wollte eine möglichst schnelle Entscheidung. D’Arms bekräftigte, dass keine Entscheidung vor Dezember getroffen werden könne und diese dem Stiftungsrat (board of trustees) obliege. Er betonte die Notwendigkeit einer internen Diskussion und schlug einen Austausch mit Braudel über die Programmplanung vor.165 Von Oktober bis Dezember 1955 besuchte Braudel mit seiner Frau die Vereinigten Staaten und studierte die Area-Studies-Programme in Columbia, Har-

159 Clemens Heller, Topics for discussion, 19.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 160 Georges Balandier, L’expression actuelle de la vie politique et des problèmes politiques en Afrique noire. Projet de recherche collective. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 161 Popa, Aires culturelles, S. 78. Die Liste bei Brahm (S. 198 ff.) unterscheidet sich in einigen Bezeichnungen und berücksichtigt ebenso directeurs cumulants (also Forscher, die an einer anderen Institution angestellt sind). Vgl. insgesamt zur Afrikanistik an der EPHE MuelDreyfus. 162 Schon im Bericht über das Gespräch mit Heller tauchte Afrika nicht mehr auf, vgl. Edward D’Arms, Area Studies Programs in France, 20.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 163 Lucien Febvre an Edward D’Arms, 20.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. Er schlug ursprünglich auch Reisestipendien für Wissenschaftler vor und Fellowships für ausländische Studierende. 164 Étienne Balasz, Sociologie et Histoire de la Civilisation chinoise; Alexis Rygaloff, Sociologie et Histoire de la Civilisation chinoise, Jean Chesnaux, Sociologie et Histoire de la Civilisation chinoise; Vadim Elisseeff, Sociologie et Histoire de la Civilisation chinoise; Jacques Gernet, Sociologie et Histoire de la Civilisation chinoise; Louis Dumont, Sociologie de l’Inde; [Père Chambre], Etudes sur l’économie régionale soviétique. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 165 Edward D’Arms an Clemens Heller 30.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. Eine andere wichtige Frage war, an wen das Geld gehen sollte: die Sechste Sektion oder das CRH.

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vard, Chicago, Berkeley, Washington.166 In vielerlei Hinsicht war diese Reise für die Entwicklung der Programme auf dem europäischen Kontinent entscheidend. Auch von der Rockefeller Foundation wurde ihr grundlegende Bedeutung zur Stimulierung der intellektuellen französischen Ressourcen und zur Klärung der offenen Fragen beigemessen.167 Für beide Seiten handelte es sich um eine »Produktivitätsreise«.168 »It is believed«, so die Stiftung, »that if Professor Braudel can obtain a first-hand knowledge of the experience and achievements of such area studies programs as those on Russia at Columbia and Harvard and on the Far East at Berkeley and the University of Washington, he will be able to formulate effective plans for the study of these and other areas in France.«169 Im Gegensatz zum Eindruck, die Rockefeller-Stiftung hätte in dieser Phase der Aushandlung Braudel quasi in die USA »einbestellt«, war der erste Vorschlag der Stiftung eine Reise ihrer Officer nach Paris gewesen. Darüber hinaus handelte es sich bei der dann umgesetzten USA-Reise der Franzosen um eine Idee Hellers, die bereits seit März im Raum stand und von D’Arms schon damals begrüßt wurde.170 Sie honorierte die Anstrengungen der Sechsten Sektion, ihre regionalwissenschaftlichen Forschungen zu konzentrieren und im Dialog mit den Amerikanern dauerhaft zu institutionalisieren.171 Im Sommer 1955 wurden auch Reisestipendien für den Linguisten Jean Train genehmigt, der im Oktober und November die Vereinigten Staaten in Vorbereitung des AreaStudies-Programms besuchte. In Columbia, Harvard, Berkeley, Washington und an der Cornell University sollte er die amerikanischen Lehrmethoden kennenlernen, um insbesondere die Verbindung der Sprachausbildung zu den anderen Diszi­plinen wie Geschichte, Sozialwissenschaften und Literatur zu verbes166 Über die Reisekosten von Paule Braudel gab es eine längere Diskussion. Schließlich gab die Stiftung nach, da sie Braudels engste Mitarbeiterin (»half of his brain«) war und aufgrund ihrer besseren Englischkenntnisse, vgl. Fernand Braudel an Edward D’Arms, 12.7.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 167 Edward D’Arms Diaries, 13.6.1955 ff. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 391. 168 In Anlehnung an Boltanski, S. 112–116. 169 Grant in Aid to the Sixth Section of Paris of the EPHE to enable Prof. Fernand Braudel to visit the United States to obtain a direct acquaintance with the organization of area studies programs and related subjects, 30.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Folder 94, Box 9; Grant in Aid to the Sixth section of the EPHE, Paris, France to enable Professor Jean Train to visit the United States in connection with teaching of Russian in area studies programs, 7.7.1955; Grant in Aid to the Sixth Section of the EPHE, Paris, France to enable R. P. Henri Chambre to visit the United States in connection with the development of area studies programs and related research, 7.7.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Folder 94, Box 9. 170 Clemens Heller an Edward D’Arms, vermutlich 21.2.1955 (Datum unleserlich). RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. In seiner Antwort stimmte D’Arms zu, Edward D’Arms an Clemens Heller, 9.3.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 171 Grant in Aid to the Sixth Section of Paris of the EPHE to enable Prof. Fernand Braudel to visit the United States to obtain  a direct acquaintance with the organization of area studies programs and related subjects, 30.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Folder 94, Box 9.

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sern. Gleiches galt für Pater Chambre. Train und Chambre reisten schließlich gemeinsam.172 In der nun folgenden Diskussion des Programms formulierte die Stiftung in den beiden Bereichen Gesprächsbedarf, die auch bereits in den ersten Briefen angesprochen worden waren. Zum einen handelte es sich um die politische Frage, ob Kommunisten bzw. Sympathisanten in das Programm involviert waren, verbunden mit der Aufforderung an Braudel, eine Garantie für die Wissenschaftlichkeit der Programme zu geben.173 Zum anderen betraf das Gespräch die Konzentration auf vergangene Epochen.174 Braudel wiederholte im Oktober 1955 die bereits per Brief vorgebrachten Argumente. Angesichts der Situation in Frankreich müsste das Programm politisch ein breites Spektrum haben. C ­ hesneaux’ Arbeit sei in die Gruppe eingebunden. Er sei ein objektiv arbeitender Wissenschaftler und würde sich selbst schaden, wenn er die wissenschaftliche Objektivität hinter sich ließe.175 Dieser Objektivitätsdiskurs, der schließlich den Verbleib Chesneaux’ im Programm begründete, kennzeichnete die Reaktion der Stiftung auf die politische Polarisierung der 1950er Jahre. Die Stiftung hatte in einem Akt der geistigen Selbstverteidigung nach den politischen Anschuldigungen der Untersuchungsausschüsse des Repräsentantenhauses das Objektivitätsprinzip an die Stelle der nationalen Sicherheitsinteressen gesetzt und damit den antikommunistischen Konsens zumindest in seiner Grundsätzlichkeit verlassen. Das Korrelat dieses Diskurses war die Einschätzung eines Kandidaten durch andere Wissenschaftler aus den internationalen Netzwerken der Stiftung.176 Aus der Frage nach der politischen Orientierung Chesneaux war seit den ersten Studien zur Sechsten Sektion und der Rockefeller Foundation Ende der 1980er Jahre eine Causa Chesneaux geworden. Von ihren Details hängt die Beurteilung sowohl des amerikanischen Einflusses auf die Programme als auch des Verhaltens Braudels zwischen Opportunismus und Eigensinn ab.177 Chesneaux war als einziger zeithistorischer Protagonist des China-Programms in der Tat eine Schlüsselfigur.178 Die Skepsis der Amerikaner beruhte aber auch 172 Grant in Aid to the Sixth section of the EPHE, Paris, France to enable Professor Jean Train to visit the United States in connection with teaching of Russian in area studies programs, 7.7.1955; Grant in Aid to the Sixth Section of the EPHE, Paris, France to enable R. P. Henri Chambre to visit the United States in connection with the development of area studies programs and related research, 7.7.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Folder 94, Box 9. 173 Edward D’Arms, Inter-Office Correspondence: Area Studies in France, 31.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 95. 174 Ebd. 175 Edward D’Arms, Area Studies in France: Interview Prof. and Mrs. Braudel, Prof. Train; Père Henri Chambre, 3.10.–19.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 98. 176 Müller, Marcuse, S. 286 ff. 177 Vgl. zuletzt Popa, Area Studies in France. 178 Vgl. dagegen Vadim Elisseeff an Edward D’Arms, 30.9.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96.

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darauf, dass noch zum Zeitpunkt des Folgeantrags in New York nur ein einziger Artikel von ihm vorlag, der zudem nach Ansicht Fahs nicht einmal das Niveau einer Masterarbeit hatte.179 Ob das im Jahr 1955 in den Editions sociales publizierte Buch zu Vietnam aus politischer Vorsicht oder mangelnder Sorgfalt bei der Zusammenstellung der Unterlagen nicht aufgeführt wurde, muss dahingestellt bleiben.180 Aber die Frage nach der wissenschaftlichen Reputation wurde auch im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung des Programms gestellt. In New York hatte die Stiftung das State Department eingeschaltet. Rhea Blue vom Intelligence Research Service, die selbst in Paris bei Paul Pelliot Sinologie studiert hatte, formulierte keine politischen Einwände. Aber sie kannte Chesneaux nicht, ebenso wenig wie die zweite von der Stiftung befragte Sinologin Lea Kisselgoff.181 Die Angabe zur Parteizugehörigkeit differierte und war bei den wiederholten Beteuerungen aus Paris, Chesneaux sei kein Mitglied, zudem falsch.182 Chesneaux war ohne jeden Zweifel ein politischer Aktivist, bis 1968 Parteimitglied und aufgrund seiner Verbindungen zu den Viet Minh 1947/1948 in Saigon inhaftiert gewesen. In den 1970er Jahren gehörte er zu den bekanntesten Mitgliedern der maoistischen Szene. Im Jahr 1972 rief der Greenpeace-Mitbegründer gemeinsam mit Sartre, Foucault und Deleuze im Justizministerium zur Unterstützung der französischen Gefangenenrevolten auf.183 Dies war in den 1950er Jahren zwar nicht absehbar, aber an der politischen Orientierung konnte kein Zweifel bestehen. Braudel selbst hatte Chesneaux bei seiner Wahl zum directeur d’études eine Art Erklärung zur Zusammenarbeit in der Gruppe abgenommen, die als Form der Neutralisierung verstanden und präsentiert wurde.184 In New York hatte Fahs die CIA kontaktiert. Doch der Bericht – der dann ausschließlich Chesneaux kritisierte und ansonsten eine aufmerksame Beobachtung des Programms empfahl  –, traf erst im Dezember ein. Zu diesem Zeitpunkt waren die Gelder bereits zugesagt.185 Dass der Bericht nicht abgewartet wurde, war kein Einzelfall und spricht nicht für seine große Bedeutung. Andererseits ist es angesichts der politischen Positionsfindung der Stiftung bemerkenswert, wie selbstverständlich noch im Herbst 1955 das Gespräch mit State Department und 179 Charles B. Fahs an Chadbourne Gilpatric 14.8.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. 180 Vgl. Chesneaux, Contribution à l’histoire de la nation vietnamienne. 181 Charles B. Fahs, Interview Dr. Rhea Blue (Intelligence Research Specialist, Department of State), 5.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 97; Interviews Miss Lea Kisselgoff, 2.11.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 98. 182 Vgl. Clemens Heller an Edward D’Arms, 31.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 97. 183 Foucault, Dits et écrits, S. 40. 184 Jean Chesnaux an Fernand Braudel, 16.3.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 185 Charles B. Fahs, Interviews Louise Page Morris, 9.12.1955, vgl. zuvor 28.11.1955; 14.11.1955. Zu Morris als »amerikanischer Mata Hari« vgl. Connelly, S. 126 f.

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CIA gesucht wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurde der nationale Sicherheitsdiskurs mit dem Abflauen des McCarthyismus für die Stiftung immer weniger relevant. Gegenüber dem Reece Committee hatte sie sich bereits mit einem selbstbewussten Positionspapier behauptet.186 Charakteristisch für die Situation ist auch, dass der Bericht nichts Neues brachte. D’Arms und Fahs hatten sich breit und nicht nur mit Heller und Braudel über Chesneaux’ politische Orientierung ausgetauscht. Sie befragten auch Train und Chambre sowie Vadim Elisseeff (Musée Cernuschi). Alle unterstützten die Programme und Kandidaten vorbehaltlos. Train und Chambre drehten im Gespräch über die kommunistische Ausrichtung des Programms den Spieß um und konfrontierten ihre Gesprächspartner mit der Einschätzung, dass die amerikanischen Russlandstudien den Ruf hätten, besonders und hauptsächlich »antikommunistisch in ihrer Orientierung« zu sein.187 In der Reaktion wiederholte die Stiftung ihre Position, dass die Art von Parteilichkeit der Forschung, der ein Kommunist sich verpflichtet sähe, nicht mit dem Verständnis von wissenschaftlicher Objektivität vereinbar war, dem die Stiftung folgte.188 Letzten Endes gab sich die Stiftung mit Braudels Zusicherung zufrieden, dass keine Gelder der Stiftung an Kommunisten oder Sympathisanten gingen.189 Im November 1955 wurde ein Zweijahres-Grant abgesprochen. Im Anschluss an die Reise sagte Rockefeller eine Summe von 60.000 Dollar für die Dauer von zwei Jahren zu.190 Die Verwendung des Geldes wurde noch einmal eingeschränkt, für die Entwicklung der Area Studies in den Schwerpunktbereichen: »Far East, Russia, India and the Islamic world«.191 Diese Zurückhaltung gegenüber einer umfassenden Förderung auf Seiten der Stiftung zeigte sich auch beim Folgeantrag, insbesondere in der Diskussion um das Afrika-Programm.

186 Müller, Marcuse, S. 286 ff. 187 Edward D’Arms, Interview Prof. J. Train, R. P. Henri Chambre. 3.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 97. 188 Charles B. Fahs an Vadim Elisseeff, 21.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 97. 189 Das Programm sah neben dem Kommunisten Chesneaux noch drei Weggefährten bzw. Sympathisanten vor, von denen nur einer namentlich erwähnt wird: Jacques Mayer. Da er für das Programm nicht bedeutend war, wurde er von Braudel bei dem Gespräch mit den Officer aus dem Programm genommen, vgl. Edward D’Arms, Area Studies in France: Interview Prof. and Mrs. Braudel, Prof. Train; Père Henri Chambre, 3.10.–19.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 98. 190 Vgl. Mazon, S. 130 f. Vgl. zur Einschätzung Charles B. Fahs’ Edward D’Arms, Interview Prof. and Mrs. F. Braudel, 1.11.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 98. 191 Fernand Braudel an Präsident der Rockefeller Foundation, 27.4.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 101.

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4.1.4 Konsolidierung und Profilbildung. Zweiter Förderantrag 1957 Die erste Bilanz der Programme im Frühling 1956, wenige Monate nach ihrem Anlaufen, war positiv. Das China-Programm galt als ein besonders gut etabliertes Gruppenprogramm, der Russland-Schwerpunkt wurde intern kritischer eingeschätzt.192 Die externe Beurteilung durch andere Wissenschaftler bestätigte die Qualität. Im Bereich des China-Schwerpunkts wurde die Selbsteinschätzung der Pariser Wissenschaftler von dem Sinologen Piet van der Loon geteilt, der ab 1972 Professor in Oxford, in den 1950er Jahren noch lecturer in Cambridge war.193 Bezüglich Russlands wurde der positive Eindruck von Moseley unterstützt, mit dem sich D’Arms über Fördermöglichkeiten für europäische Russlandstudien austauschte: Moseley hielt im Herbst 1956 die Sechste Sektion neben dem Osteuropa-Institut der Freien Universität für das wichtigste europäische Zentrum.194 Es war eine generelle Praxis der Rockefeller-Stiftung, sich kontinuierlich mit Wissenschaftlern und anderen Kontaktpersonen aus ihren weitreichenden internationalen Netzwerken zur Begutachtung von Projekten zu konsultieren.195 Durch dieses Kommunikations-Verfahren kam allerdings auch die Kritik vonseiten anderer Pariser Institutionen und Wissenschaftler am »Imperialismus« der Sechsten Sektion ungefiltert bei den Officer an. Gaston Berger, im Erziehungsministerium als Directeur général de l’Enseignement supérieur von 1953 bis 1960 für die Universitäten zuständig, bestätigte das allgemeine Unbehagen darüber, dass die Sechste Sektion zunehmend ein Monopol im Bereich der Sozialwissenschaften erwarb.196 Als die Rockefeller-Stiftung sich vor dem ersten Antrag 1955 über Braudel erkundigte, fiel sogar der Vorwurf mangelnder fachlicher Größe und Kompetenz. Braudels Konkurrent Duroselle inkriminierte den Journalismus des »Mittelmeer«-Buchs und klärte die Stiftung über zahlreiche Fehler in den Fußnoten auf.197 Erstaunt bemühte sich die Stiftung in den 192 Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 29.4.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 99. Vgl. auch Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 1.5.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 99. 193 Gegenüber D’Arms bezeichnete er das Programm für Europa als vielversprechend, vgl. Edward D’Arms, Diaries, Trip to Europe, April–June 1956. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 391. 194 Edward D’Arms, Interview Philip E. Moseley, 30.10.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 100. 195 Müller, Marcuse, S. 286 ff. Müller beschreibt die Netzwerke und ihre Konsultation als »Freundschaftsprinzip« und hebt stark auf ihre Bedeutung im McCarthyismus ab. Aber diese Art der inoffiziellen Evaluation wäre eher als Praxis der Bewilligungs- und Förderpolitik der Stiftung im Unterschied zu anderen Stiftungen, wie z. B Ford zu beschreiben, vgl. Kapitel 3.2.2. 196 Edward D’Arms, Interview Gaston Berger, 31.5.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. 197 Excerpt from KWT’s diary, Interview Jean-Baptiste Duroselle, 21.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 S, Box 15, Folder 141.

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folgenden Wochen durch intensive Gespräche in Paris, ein zuverlässiges Bild von der Reputation des Historikers zu bekommen. Im Ergebnis stellte sie fest, dass die Kritik an Braudel eigentlich eine Kritik am Projekt eines nationalen Instituts für Sozialwissenschaften war, das als Feigenblatt galt, hinter dem die Sechste Sektion sich »noch weiter ausbreiten könnte«.198 Die Kritik kam nicht zufällig und auch nicht nur von den Politikwissenschaftlern: Duroselle, Chapsal und Aron wandten sich gegen Braudels »empire-building«. Ein Kollege bezeichnete ihn als Ludwig XIV.199 An der Sorbonne herrschte Missstimmung über »the rapidity with which scholars have achieved profes­ sorial status in the Sixième Section as contrasted with the long slow road to that status in the Sorbonne«.200 Die unkonventionelle Anstellungspolitik, insbesondere jüngerer Forscher, war ein Markenzeichen des Wissenschaftsmanagements Braudels.201 Die Rockefeller-Stiftung fühlte sich angesichts dieser Informationen einerseits bestätigt, den richtigen Kooperationspartner gefunden zu haben; andererseits wollte sie die weitere Konzentration von Ressourcen an der Sechsten Sektion zuungunsten einer ausbalancierten Forschungslandschaft in Paris nicht zu sehr unterstützen. Nach dem Anlaufen der Programme verstärkte sich der Eindruck von einer hegemonialen Position der Sechsten Sektion im Pariser Wissenschaftsfeld. Der Ton war bereits mit der Kritik am »doktrinären Totalitarismus« der Annales in der kommunistischen Zeitschrift »Nouvelle critique« vorgegeben worden.202 Intern wurde Braudel angegriffen, weil er in die USA gefahren war, »implying that there was not anything in American scholarship from which the French could profit«.203 Heller empfand die Situation als schwer erträglich und erwog 198 Excerpt from KWT’s diary, Interview Raymond Aron, 20.10.1955. Vgl. auch Interview Edward D’Arms, F. C. Lane, 14.11.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R France, Box 10, Folder 98. Der Wirtschaftshistoriker Frederic C. Lane, der 1951 bis 1953 die Rockefeller-Stiftung in Paris repräsentierte (vgl. Gemelli, Lane) war seit der Zwischenkriegszeit mit den Annales in Kontakt und seit den 1940er Jahren der erste wichtigste Gesprächspartner Braudels in den USA, vgl. Gemelli, Fernand Braudel, S. 198 ff.; Berg. 199 Edward D’Arms, Interview Kenneth W. Thompson, 15.11.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R France, Box 10, Folder 98. 200 Excerpt from JM’s diary, Interview Julien Cain, 16.12.1957. RAC, RF, RG 1.2., RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. 201 Die Bedeutung wurde retrospektiv sichtbar, als in den Reformdiskussionen der 1970er Jahre die »sclérosité« des Personals kritisiert wurde, z. B. durch Roland Barthes. In seiner Bilanz beklagte er, dass auf dem Zukunfts-Treffen von Royaumont im März 1973, die Mehrzahl der Teilnehmer zwischen 40 und 55 Jahre alt war, Roland Barthes an Louis Velay, 28.5.1973. Archives EHESS, Fonds Louis Velay, Boîte 82/60. 202 Blot. 203 Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 29.4.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 99. Während Heller auf die Officer »mitgenommen« wirkte, vermittelte Braudel D’Arms den gleichen dynamischen Eindruck wie immer. Er zeichnete ein positiveres Bild der Situation, ohne die Schwierigkeiten zu erwähnen, Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 30.4.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 99.

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wiederholt, in die USA zurückzukehren.204 Die Rockefeller-Stiftung, die sich aufgrund der negativen Nachrichten aus Paris mit Braudel direkt darüber austauschte, erhielt eine abgeschwächte Erklärung der Pariser Verhältnisse: »The basis for the original criticism was that in his book on the Mediterranean in the 17th century B had indicated that given transportation and communication as they were in the 17th century and as they are today, the Mediterranean of the 17th century might be compared to the Atlantic Ocean in the mid-20th century. This was interpreted by the Communists to mean support for the Marshall Plan and they, consequently, attacked B. personally as well as his writings.«205

Die Kritik bezog sich durchaus nicht nur auf das »Mittelmeer«-Buch Braudels und dessen vermeintliche »Apologie des Yankee-Imperialismus«, sondern richtete sich gleichermaßen gegen den Schematismus der Konzepte und die Monopolstellung der Sechsten Sektion.206 Die Sechste Sektion war eine willkommene Projektionsfläche für die Auseinandersetzung mit Amerika, auf der sich ihre führende Position im Nachkriegs-Paris mit der Vormachtstellung der USA in Westeuropa verband. Welche Ausmaße imaginär dabei möglich waren, zeigte auch der Ruf des Projektmanagers Heller: Als Heller 1958 einen amerikanischen Gastwissenschaftler zum Essen einlud, berichtete dieser ihm freimütig, dass es in Paris einen »Gangster« geben müsse, der praktisch die Interessen der amerikanischen Stiftungen vor Ort kontrollierte.207 Die Position der Sechsten Sektion war nicht zuletzt dadurch geprägt, dass sie als einflussreichste Verfechterin einer umfassenden Institutionalisierung der Sozialwissenschaften in Paris galt und Braudel zumindest inoffiziell die Rolle eines nationalen Koordinators übernommen hatte. Das regionalwissenschaftliche Programm unterstützte den Eindruck. Parallel zu seiner Institutionalisierung setzte sich die Diskussion um eine Maison des sciences de l’homme fort. Ursprünglich hatte bis zu Braudels Abreise in die USA eine Entscheidung des Bildungsministeriums über die Art und Weise der Institutionalisierung getroffen werden sollen.208 Die Planungen sahen eine Kommission vor, dann eine Erwei204 Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 29.4.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 99. Schon im August 1955 war die Rede davon gewesen, dass Heller Frankreich verlässt. Offenkundig hatte Heller ein Angebot von der Brandeis University, vgl. Edward D’Arms an Clemens Heller, 18.8.1955. Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Carton Fondations américaines, Chemise Correspondance. Im Sommer 1958 hörte D’Arms, dass Heller zurück nach Harvard geht, vgl. Edward D’Arms an Clemens Heller, 21.6.1958, Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Carton Fondations américaines, Chemise Fondation Ford. 205 Edward D’Arms, Interview Fernand Braudel, 21.11.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 98. 206 Blot, S. 59. Vgl. grundlegend zur Einordnung Schöttler, Marxismus, S. 215 f. 207 Excerpt from JM’s diary, 10.11.1958. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 104. 208 Clemens Heller an Edward D’Arms, 18.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96.

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terung der Sechsten Sektion.209 Schließlich ging der Reise Braudels ein Brief des Bildungsministers Jean Berthoin an die Stiftung voran,210 der betonte, wie wichtig der Regierung die Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Frankreich war. Darüber hinaus verwies er darauf, dass die Sechste Sektion in ihrem Zentrum stand und man gerade dabei war, die passenden Gebäude für eine umfassende Institutionalisierung zu finden.211 Im Herbst 1955 entstand der Eindruck, dass Berger und Berthoin sich entschlossen hätten, zeitnah entweder eine Fakultät (Faculté des sciences sociales) oder ein Institut (Institut national des sciences sociales) per Dekret ins Leben zur rufen, allerdings nur unter der Bedingung einer amerikanischen »Unterstützung« (»support«).212 Heller erklärte zwar der Rockefeller-Stiftung, dass die Visibilität moralischer Unterstützung aus den USA das Wesentliche sei, um die Regierung zu Maßnahmen zu bewegen und die Pariser Konkurrenzkonflikte zu lösen. Aber auch die finanziellen Forderungen waren beachtlich: 500 Millionen Francs für den Bau des Gebäudes, Bibliothekszuschüsse, während der ersten drei Jahre zehn freie Millionen, plus Fellowships.213 Im Oktober teilte Braudel der Stiftung mit, dass die Politiker nun einem Institut vor einer Fakultät den Vorrang geben würden. Sie schätzten den Widerstand der akademischen Milieus dann als geringer ein. Darüber hinaus würde eine Fakultät in Paris nicht genügend in die Provinz ausstrahlen und die Schaffung von Fakultäten in der Provinz wäre nicht durchsetzbar. Ein nationales Institut hingegen wäre direkt dem Ministerium unterstellt und könnte als ein inter-universitäres Institut funktionieren.214 Bei den Gesprächen wurde schnell deutlich, dass die Stiftung nicht annährend eine so hohe Summe in Betracht zog wie ursprünglich von den Franzosen angedacht. Braudel befand daraufhin, dass 130.000 Dollar über drei oder vier Jahre verteilt ausreichend seien. Die Stiftung fragte nach der genauen Verwendung und Sicherheiten dafür, dass die Gelder vonseiten des Ministeriums eingeplant waren.215 Berger, der diplomatisch agierte und jeden Konflikt vermeiden wollte, 209 Clemens Heller an Edward D’Arms, 29.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 210 Jean Berthoin an M. le Directeur de la Fondation Rockefeller, 28.9.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 211 Braudel bat darum, das Programm für die USA-Reise so auszugestalten, dass er sich über Organisation und Lehre der Sozialwissenschaften informieren konnte, in Vorbereitung auf die »nouvelle faculté des Sciences Sociales«. Fernand Braudel an Edward D’Arms, 14.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. D’Arms stimmte zu, vgl. Edward D’Arms an Fernand Braudel, 19.8.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 212 Clemens Heller an Kenneth W. Thompson, 1.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 97. 213 Ebd. 214 Edward D’Arms, Inter-Office Notice, 6.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 97. 215 Norman S. Buchanan, Diaries, Interview Professor und Mrs. Fernand Braudel, 13.10.1955. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 391.

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plante für das Institut ein Kontrollgremium aus den Dekanen der bestehenden Fakultäten und ggf. anderen betroffenen Institutionen. Daraufhin lehnten Braudel und Febvre die Zusammenarbeit ab. Auf Nachfrage Bergers gaben sie vorsichtig zu verstehen, dass ihre Bedingung für eine weitere Zusammenarbeit die Leitung durch einen Wissenschaftler war, an dessen Identität wohl kaum ein Zweifel bestand. Dies bedeutete im November 1955 das vorläufige Ende der Gespräche.216 Im Jahr 1956 entstand eine neue Situation. Die Idee, alle betroffenen Institutionen in einem Gebäude zusammenzuführen, verbunden mit einer Bibliothek bzw. einem umfassenden Dokumentationszentrum, dominierte immer noch die Diskussion. Nun aber stellten sich Raymond Aron und andere ehemalige Gegner auf Braudels Seite. Auf einem Treffen mit allen beteiligten Institutionen im Kontext der Vorbereitung des Fünfjahresplans zur Förderung der Sozialwissenschaften zeigte sich, dass die Fakultäten und Sozialwissenschaftler die Gründung einer Maison des sciences sociales – dies war der Vorschlag Braudels – einem Institut vorzogen. Darin sollten neben der Sechsten Sektion auch die Institute von unter anderem Aron, Perroux, D’Armois, Lagache, Guilbaud, Stoetzel, LeviStrauss, Berque untergebracht sein.217 Die Situation war paradox. Einerseits, so unterstrich Heller, war es nun nicht mehr möglich zu behaupten, dass Braudels Initiativen ausschließlich die »imperialist desires on his part or on that of the VIème section« seien. Andererseits war Braudel nun erst recht der Repräsentant der Sozialwissenschaften in Paris.218 Die Entscheidung lag in den Händen von Berger. Dieser zögerte, so zumindest klagten Braudel und Heller gegenüber Rockefeller.219 Berger selbst wiederum hatte gegenüber D’Arms aus seinem Unbehagen angesichts einer weiteren Stärkung der Sechsten Sektion keinen Hehl gemacht und noch Ende 1957 bemerkt, dass in den kommenden Jahren die Statuten der Sechsten Sektion überarbeitet werden müssten.220 Heller forderte die Unterstützung der Stiftung ein. Er fragte wieder und wieder nach Unterstützungsschreiben und nach Geldern für den Kauf eines Hauses, in Höhe von 200.000.000 Francs.221 Die Gelder wurden abgelehnt, aber ein Unterstützungsbrief wurde geschrieben.222 Das Hauptargument der Franzo216 Edward D’Arms, Interview Prof. and Mrs. Fernand Braudel, 1.11.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 98. 217 Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 29.4.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 99. 218 Clemens Heller an Edward D’Arms, 20.6.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 99. 219 Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 30.4.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 99. Für ein Porträt und die »ausgleichende Rolle« Bergers im Wissenschaftsfeld vgl. Daix, S. 296 f. 220 Excerpt from JM’s diary, Interview Julien Cain, 16.12.1957. RAC, RF, RG 1.2., RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. 221 Kenneth W. Thompson, Interview Clemens Heller, 29.11.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 100. 222 Ebd., vgl. auch Kenneth W.  Thompson an Clemens Heller, 8.1.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 101.

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sen war, dass nur eine sichtbare Unterstützung der Amerikaner die französische Regierung zu Maßnahmen anregen und die Situation deblockieren würde. Die Verve, mit der Braudel jeden Versuch, die Stellung der Sechsten Sektion zu schwächen, abwehrte, stellte nicht nur die Konkurrenten, sondern auch die Mitarbeiter in den Ministerien vor diplomatische und politische Probleme. Als im Jahr 1956 Berger in den langwierigen Kämpfen um die Zusammenführung der Sozialwissenschaften vorschlug, die Bibliothek der zukünftigen MSH an der Université de Paris anzusiedeln, war Braudels Kampfbereitschaft kaum zu überbieten. Er wies darauf hin, dass die meisten beteiligten sozialwissenschaftlichen Zentren sich außerhalb der Universität befänden und so auf einen Gaststatus reduziert wären. Braudel forderte eine neutrale und gleichberechtigte Lösung für alle Institutionen, um dann schließlich doch die eigentlich entscheidende Frage zu stellen: »Pourquoi la VIeme Section devrait-elle forcément être l’invitée, plutôt que l’invitante?«223 Auf die Entwicklung der regionalwissenschaftlichen Programme selbst hatte diese Situation keine negativen Auswirkungen. Als D’Arms im Frühling 1957 seine traditionelle Europareise absolvierte, war die Bilanz im Bereich China exzellent, der Russland-Schwerpunkt schien weniger entwickelt, bot aber Entwicklungspotenzial.224 Die Mitglieder des Russland-Programms schätzten ihre Arbeit kritisch ein: Train befand das Niveau der Kurse für zu gering, Chambre zeigte sich generell etwas optimistischer. Zur Unterstützung des Programms waren vier neue Professorenstellen (direction d’études) geplant.225 Berger, den D’Arms ebenfalls konsultierte, bestätigte die gute Arbeit insbesondere für den Bereich des Fernen Ostens. Grundsätzlich plädierte er für die kommenden Jahre für eine Konsolidierung.226 D’Arms hatte von Berger gehört, dass die Verwaltungsvorkehrungen für die Maison nun alle getroffen worden waren.227 Aber das Ergebnis ließ auf sich warten. Und auf Seiten der Amerikaner verfestigte sich der Eindruck, hingehalten zu werden. Als die Verhandlungen zur Gründung einer nationalen Institution für die Sozialwissenschaften sich noch im Frühjahr 1957 hinzogen, planten Braudel und Heller einen neuen Antrag für die regionalwissenschaftlichen Programme bei 223 Fernand Braudel an Gaston Berger, 3.7.1956 (7). Fonds Fernand Braudel, Correspondance, Manuscrits de l’Institut de France. Ich danke Paule Braudel für die Unterstützung, unser Gespräch und die Genehmigung. 224 Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 4.3.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 101. 225 Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, Russian Area Studies, 6ième Section 19.3.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 101. 226 Edward D’Arms, Interview Gaston Berger, 31.5.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. Vgl. dazu auch die Treffen mit Elisseeff, Excerpt from EFD’s diary, Vadim Elisseeff, 18.3.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 101. 227 Edward D’Arms an Fernand Braudel, 19.6.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. Außerdem fragte D’Arms nach einer genaueren Aussage zur Verteilung der Gelder auf die Programme.

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der Rockefeller-Stiftung.228 Der Folgeantrag sah im Rahmen einer Fünfjahresförderung (1958–1962) in einer jährlichen Höhe von 50.000 Dollar die Konsolidierung der Programme und ihre Erweiterung um ein Programm für Afrika und Südostasien vor.229 Rockefeller sah den Antrag kritisch. Die Probleme waren prinzipieller Natur. Grundsätzlich wurden im Bereich der Profilbildung und des Managements Defizite gesehen. Die Stiftung hatte den Eindruck, die Programmleitung sei »opportunistisch«: Wenn ein Projekt auftauchte, versuchte man an der Sechsten Sektion daraus einen Programmschwerpunkt zu gestalten. Heller hatte diesen Verdacht genährt durch die Selbstbeschreibung, die Sechste Sektion hätte »a coordinating function among a number of other institutions and also a stimulating one«.230 Explizit problematisiert wurde nun auch die Konzentration der Area Studies an einer Institution. Zudem beschäftigte das schwache Profil der Sechsten Sektion im Bereich der Lehre die Officer. War sie für alle Programm-Bereiche ein guter Ort, um neue Generationen wissenschaftlich heranzubilden? Diskutiert wurde, dass die Programme fast ausschließlich einen sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt hatten, obgleich sie von der geisteswissenschaftlichen Abteilung gefördert wurden. Für Verwunderung sorgte das Fehlen eines Postens »Feldstudien« im Budget.231 Infolge der Skepsis gegenüber einer allzu großen Konzentration der Ressourcen wurden Afrika und Südostasien schließlich aus dem Förderprogramm genommen.232 Aber die Lektüre der Programme und eingesandten Publikationen hatte ernsthafte Bedenken im Detail zu Tage gefördert. Für Afrika fehlte nach Einschätzung der Stiftung ein historischer Fokus. Die ausschließlich sozialwissenschaftliche Ausrichtung und die Nichtberücksichtigung der geisteswissenschaftlichen Traditionen galten nicht als solider Ausgangspunkt.233 Erst im Jahr 1962 wurde für Henri Brunschwig eine direction d’étude in Geschichte 228 Edward D’Arms, Interviews Clemens Heller, 22.3.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 101. 229 Fernand Braudel an Präsident der Rockefeller Foundation, 27.4.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 101. Bei einem Gespräch mit Heller infolge des Antrags ging es allerdings um 10.000 Dollar pro Jahr, d. h. insgesamt 50.000 Dollar. RWJ, Interview Dr. Clemens Heller, 6.9.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. Für eine frühere Version des Antrags vgl. Fernand Braudel an Präsident der Rockefeller Foundation, 27.4.1957 (Version 1). Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Carton Fondations américaines, Chemise Application 1957 Rockefeller. 230 Interview JM / RWJ / CBF, Clemens Heller, 4.9.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. 231 Charles B. Fahs an Chadbourne Gilpatric 14.8.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. 232 Edward D’Arms an Fernand Braudel, 19.6.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. Außerdem fragte D’Arms nach einer genaueren Aussage zur Verteilung der Gelder auf die einzelnen Programme. 233 Vgl. dazu auch Claude Lévy-Strauss, Projet Africain, 4.7.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 100.

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geschaffen. Aber auch dann blieb das Problem bestehen: Aus Sicht der Officer war Brunschwig als Kolonialhistoriker kein geeigneter Afrika-Spezialist, der die neuen Generationen heranbilden sollte.234 Kritisiert wurde, dass im Antrag die Stellung des Programms in Bezug auf die anderen Institutionen in Paris (CNRS, ORSTOM) nicht deutlich wurde.235 Mit Recht fragten die Verantwortlichen der Stiftung, inwiefern nicht Teile der Ausbildung besser in Kooperation mit anderen Institutionen angeboten oder an diese verlagert werden könnten: In Frage kamen dafür insbesondere die Kolonial­ beamte ausbildende École nationale de la France d’outre-mer (ENFOM) oder das Office de la recherche scientifique et technique outre-mer (ORSTOM), das sich nach dem Krieg von einer Koordinationsstelle zu einer selbständigen Forschungs- und Lehrinstitution mit Schwerpunkt auf dem subsaharischen Afrika entwickelt hatte.236 Noch im Frühling 1959 waren nur circa zwanzig Studenten im Undergraduate-Programm eingeschrieben, wie die Stiftung monierte.237 Für die Islamstudien galt die Konzentration des Programms auf eine einzige Person – Berque – der Stiftung als ungenügend. Darüber hinaus hatte sie den Eindruck, dass die Studierenden in diesem Feld eher an die Sorbonne und das Collège de France gingen.238 Ebenso wie bei der Verteilung der Gelder in den USA bevorzugte die Stiftung eine plurale Aufteilung der Ressourcen an die Orte, wo die regionalwissenschaftlichen Kompetenzen in besonderem Maße vorhanden waren. Nach der internen Diskussion und kritischen Gesprächen mit Heller schlug die Rockefeller-Stiftung eine Neuformulierung des Antrags in Höhe von 30.000 Dollar jeweils für die ersten beiden Jahre und 10.000 für ein drittes Jahr vor. Gefordert wurde auch eine Beschränkung für die amerikanischen Gelder auf die bisher

234 Excerpt from RWJ’s diary, 14.4.1959. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 105. So auch die historiographische Wertung durch Hargreaves. Vgl. auch Brunschwig, Histoire de la colonisation; Brunschwig, L’expansion allemande. Das historiographische Urteil bestätigt sich retrospektiv. Heute wird Brunschwig in der Forschung zur Konstruktion kolonialer Diskurse in Frankreich genau diese Zwischenstellung auf dem Weg zu einer afrikanischen Geschichte zugestanden, vgl. Saaïdia u. Zerbini. 235 RWJ, Sixième Section request on African Studies, 12.8.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. 236 Für Hinweise zu den beiden Institutionen vgl. Brahm, S. 192. Die ENFOM wurde in diesen Jahren zum Institut des hautes études d’outre-mer (IHEO) ausgebaut. Brahms Bild regionalwissenschaftlicher Beschäftigung mit Afrika in Paris nach 1945 wäre zu ergänzen: Z. B. zählen hierzu im Bereich Anthropologie auch die Kurse Claude Lévi-Strauss’ am Collège de France (ab 1959) oder die Professuren an der Sorbonne von Raymond Mauny (Histoire ancienne de l’Afrique des origines à 1600, ab 1962) und Hubert Deschamps (Histoire moderne et contemporaine de l’Afrique, ab 1962) sowie die von den beiden vorangetriebene Gründung eines Centre de recherches africaines (1965), vgl. Saalïdia u. Zerbini, S. 48 ff. 237 Excerpt from RWJ’s diary, 14.4.1959. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 105. 238 JM, Islamic Studies in the Sixième Section, 9.8.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 102.

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geförderten regionalwissenschaftlichen Schwerpunkte.239 Die Sechste Sektion revidierte ihren Antrag.240 Ende 1957 wurden 80.000 Dollar zugesagt. Wie üblich war das Geld an die Person des Direktors gebunden.241 Höhe und Verteilung der Gelder spiegelten die Position der Stiftung wider, die das Programm anerkennend unterstützen wollte, aber nicht vollständig von der Umsetzung überzeugt war. Insgesamt überwog der Eindruck, das Programm sei »too important to abandon and at the same time not good enough to support without reservation«.242 Die Einschätzung der Stiftung traf nicht in allen Punkten die Selbstsicht der Pariser Verantwortlichen. Aus Sicht der Sechsten Sektion erschien die Entwicklung nach zwei Jahren als solide und wegweisend. Das Programm war national und international hervorragend vernetzt. Die Rockefeller-Gelder wurden nicht nur von der französischen Regierung ergänzt. Das Bildungsministerium bezahlte für 1956/1957 ungefähr den gleichen Betrag wie die Stiftung. Aber auch das Istituto Italiano per il Medio ed Estremo Oriente war mit der Unterstützung des Sung-Projekts beteiligt und von deutscher Seite hatte die DFG Stipendien in Höhe von jährlich 1.000.000 Francs vergeben.243 Allein bis Ende der 1950er Jahre war eine Vielzahl von Programmen entstanden, die 1956 in einer eigenen Abteilung zusammengeführt wurden, der Division des aires culturelles: Centre d’études indiennes (1955), Centre d’études arctiques (1957), Centre d’études maghrébines, Centre d’études et de documentation sur l’URSS et les pays slaves, Centre d’études sur la Chine contemporaine (1959), Centre de documentation et de recherches sur l’Asie du sud-est et le monde insulindien (1962).244 1958 wurde das Centre d’études africaines (CEAf) unter Leitung Balandiers gegründet.245 Die Arbeit an den Programmen und am Aufbau neuer Zentren setzte sich auch in den folgenden Jahren fort. Im Frühjahr 1959 bereitete Heller intensiv die Gründung eines Zentrums für Amerikastudien vor und versuchte, Jean Gott-

239 Charles B. Fahs an Fernand Braudel, 27.9.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. Gleichwohl sagte Fahs Braudel in dem Brief eine gewisse Flexibilität in der Verwendung zu. Die im Anschluss an die interne Begutachtung stattfindenden Gespräche im September in Paris konnten die Zweifel nicht ausräumen, vgl. insbes. RWJ, Interviews Clemens Heller, 6.9.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 102. 240 Fernand Braudel an President of the Rockefeller Foundation, 27.10.1057. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. 241 Flora M.  Rhind an Fernand Braudel 5.12.1957. Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Carton Fondations américaines, Chemise Application 1957 Rockefeller. 242 Charles B. Fahs an Chadbourne Gilpatric 14.8.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. Die folgenden Angaben beruhen auf diesem Brief. 243 Fernand Braudel an Präsident der Rockefeller Foundation, 27.4.1957 (1. Version). Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Carton Fondations américaines, Chemise Application 1957 Rockefeller. 244 Années de création de Centres de l’École des Hautes Etudes en Sciences Sociales, 24.6.1977. Archives EHESS, Fonds Louis Velay, Article 1. 245 Muel-Dreyfus.

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mann dafür zu gewinnen, der dann im März 1959 auch zum directeur d’études gewählt wurde.246 Mehrere kleine Anfragen bei Rockefeller folgten.247 Im Januar 1961 gab es in den Programmen schon dreißig Stellen.248 Heller bat erneut um Unterstützung und insbesondere um einen Besuch eines Officer bei Braudel. Aber dessen Gefühl, dass die Stiftung das Interesse an einem Projekt verloren habe, das sie selbst angestoßen hatte, war nicht unbegründet. Mit dem Weggang von D’Arms zu Ford 1957 lockerte sich der Kontakt. Erwogen wurde dennoch die Anfrage für eine Unterstützung der Bibliothek der Maison des sciences de l’homme und ihre Erweiterung zu einer Schwerpunktbibliothek zum modernen China.249 Die Förderung der Maison selbst erfolgte vor allem durch die Ford-Stiftung, von 1955 bis 1973.250 Im Jahr 1963 hatte das Ministerium den Bau des Hauses angeordnet.251 Ohne den Vorstoß der FordStiftung, so war sich Heller sicher, wäre das französische Ministerium nicht so schnell nachgezogen.252 Heller informierte die Rockefeller-Stiftung auch weiter über den Ausbau des Programms, wie zu Beginn des Jahres 1962 über den Aufbau eines Dokumentationszentrums zum Mittelmeerraum.253 Er fragte im Frühling 1962 nach Reisestipendien für die Türkei und den Iran.254 Kurzum: Rockefeller-Stiftung und Sechste Sektion blieben im Kontakt. Aber mit dem Jahr 1960 fand nicht nur die Finanzierung ein Ende.255 Die Enge und Selbstverständlichkeit der Kommunikation war ebenfalls nicht mehr gegeben: Die Sechste Sektion war kein strategischer Partner mehr für die Stiftung. Aber aus der Anschubfinanzierung 246 Die Gespräche mit Gottmann liefen seit Beginn des Jahres 1958. Sie gerieten in eine Krise, da Gottmann – irritiert von Hellers Verhandlungsgeschwindigkeit an verschiedenen Fronten zur gleichen Zeit  – sich als Argument für eine Förderung der Ford-Stiftung »missbraucht« fühlte, vgl. v. a. Jean Gottmann an Clemens Heller, 15.4.1959. Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Carton Fondations américaines, Chemise Amérique du Nord A–Z. Das Centre d’études nord-américaines wurde erst 1980 an der EHESS gegründet. 247 Clemens Heller an John Marshall, 6.4.59. Archives EHESS, Carton Fondations américaines, Chemise Correspondance. Die Ford-Stiftung hatte inzwischen 150.000 Dollar für Forschungen zu Algerien in Europa gegeben. Es wurde um ein Engagement der RockefellerStiftung in Höhe von 6.000 Dollar gebeten. 248 Charles B. Fahs, Interviews Clemens Heller, 5.1.1961. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 106. 249 Charles B. Fahs, Interview Clemens Heller, 5.1.1961. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 106. 250 Vgl. Sutton, The Ford Foundation’s Transatlantic Role. 251 Administrative Note, 8.11.1963. Paul Felix Lazarsfeld Papers, Columbia University RBML. 252 Clemens Heller an Shephard Stone, 26.10.1963. Paul Felix Lazarsfeld Papers, Columbia University RBML. Lazarsfeld war in den 1960er Jahren ein wichtiger »Anwalt« der Maison bei Stone und wurde deshalb von Heller über die Details der Verhandlungen informiert. 253 RXC, Interview Clemens Heller, 3.1.1962. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 11, Folder 106. 254 Vgl. KWT / R XC, Interview Clemens Heller 1963.3.1962. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 11, Folder 108. 255 Mazon, S. 131. Dagegen benennt Tournès die zweite Fördertranche 1957 als letzte Förderung an die Sechste Sektion, vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 344.

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und infolge der Profildiskussionen war eines der wichtigsten Area-Studies-Zentren mit gesamteuropäischer Ausstrahlung und internationaler Modellwirkung entstanden.256 4.1.5 Projektmanagement der Area Studies und planification der Sozialwissenschaften Der Aufbau der Area Studies-Programme war das Ergebnis einer strategischen Partnerschaft, die auf beiden Seiten des Atlantiks gleichermaßen wahrgenommen und umgesetzt wurde. Beide Seiten sahen in dem Austausch eine mögliche Steuerungsmaßnahme zur Förderung der Regionalwissenschaften. Der maßgebliche Einfluss der amerikanischen Stiftung auf die Wissenschaftslandschaft lag in der Organisation von Ressourcen, Netzwerken und Kommunikation. Im Rahmen eines tradierten Fördermodells transferierten die amerikanischen Stiftungen keine Ideen, sondern organisierten deren »internationalen Austausch«  und »weltweiten Handel«.257 Dieser Beschreibung der Stiftungsarbeit entspricht eine Interpretation des informellen amerikanischen Imperialismus als Transfer von Normen und institutionellen Praktiken.258 Denn seit den 1920er Jahren betrachtete sich die Rockefeller-Stiftung nicht mehr als Schülerin des europäischen Wissenschaftssystems, sondern mehr und mehr als Exporteurin eines organisatorischen Modells, das für die Europäer als »best practice« ­attraktiv schien.259 Mit dem Ersten Weltkrieg war die Rockefeller-Stiftung, deren Aktivitäten sich zunächst auf das amerikanische Territorium konzentriert hatten, zunehmend zu einer global agierenden wissenschaftspolitischen Agentur mit universalistischem Sendungsbewusstsein geworden. Das erste große Europa-Projekt, die Tuberkulose-Initiative in Frankreich von 1917–1922, steckte den Rahmen der europäischen Förderungen ab. Die Kampagne, die in enger Absprache mit dem State Department auf der Grundlage von Erfahrungen in Lateinamerika erfolgte,260 war ein Modell, sowohl in Bezug auf die Organisationsformen als auch französisch-amerikanische Wahrnehmungsmuster. Angesichts der epidemischen Ausmaße der Krankheit und der mangelhaften Organisation  – es fehlten eine zentrale Registrierungsstelle, Labors, Tests in der Bevölkerung oder Pläne zu einer nationalen Aufklärungskampagne – hatte die Rockefeller-Stiftung

256 Wood, Area Studies. 257 Tournès, La fondation Rockefeller et la naissance de l’universalisme philanthropique américain. 258 Grazia, S. 11 ff; 544 ff. 259 Ebd., S. 18. 260 Tournès, La fondation Rockefeller et la naissance de l’universalisme philanthropique américain, S. 185.

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eine Commission for the Prevention of Tuberculosis in France eingesetzt und sie im Mai 1917 mit 150.000 Dollar ausgestattet.261 Das »Problem« der Franzosen, so die Diagnose der Amerikaner im Jahr 1918, bestand nicht in mangelndem Wissen über die Tuberkulose, sondern in der Organisation einer öffentlichen Kampagne und einer effizienten Gesundheits­ verwaltung. Die Ursache für die Ineffizienz der französischen Maßnahmen war aus Sicht des Präsidenten der Rockefeller-Stiftung der »französische Individualismus«: »Il n’y a pas d’organisation centralisée et efficace permettant une action multiforme contre la tuberculose [et que] c’est dans ce domaine que l’Amérique peut apporter sa contribution.«262 Ebenso argumentierte D’Arms zur Förderung der Area Studies nach 1945. Er verwies auf die »extreme Spezialisierung, die Beschäftigung mit der Vergangenheit und die traditionelle Unabhängigkeit der französischen Professoren und Institutionen« und stellte dieser Situation eine effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen gegenüber.263 Neu war in der Nachkriegszeit nicht das Muster oder die Organisation der Kommunikation, sondern ihre Rahmenbedingungen. Die Einigkeit zwischen französischen Akteuren und amerikanischen Stiftungsverantwortlichen in Bezug auf die Reformbedürftigkeit Frankreichs beruhte auf einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der auch der Staat zunehmend eine neue Rolle als planende Modernisierungsinstanz erfüllte. Die Bedeutung des Austausch- oder Zirkulationsprozesses, so könnte man einen Schritt weitergehend sagen, lag in der Kommunikation über die Organisation von Forschung und ihre strukturierende Wirkung. Im Grunde genommen handelte es sich bei dieser Form der Wissenschaftsplanung ebenso um eine »Produktivitätsmission«, wie sie in den 1950er Jahren in der Unternehmensorganisation und Wirtschaftsförderung festgestellt und als »planification souple« beschrieben worden ist. Die drei Grundfunktionen, welche die Arbeit der Kommissionen auszeichneten, charakterisierten auch die Arbeit Braudels und Hellers in der Kommunikation mit der Rockefeller-Stiftung: Koordinierung, Impulssetzung und die Stimulation neuer Entwicklungen.264 Im Rahmen der Anträge wurden die Initiativen und Aktivitäten in einzelnen Bereichen nach bestimmten Zielsetzungen zusammengefasst. Voraussetzung dafür war die koordinierende und stimulierende Funktion der Sechsten Sektion 261 Wickliffe Rose, No. 7255, Tentative Working Plan for Control of Tuberculosis in France, 1.5.1917. RAC, RF, RG 1.1, Ser. 500 T, Box 25, Folder 249. Dabei waren die Summen für die regionalen Arzneimittelausgabestellen noch nicht berücksichtigt. Vgl. zur Beurteilung der Situation Herman M.  Biggs an Starr J.  Murphy, 29.11.1916. RAC, RF, RG 1.1, Ser. 500  T, Box 25, Folder 247. Die Dokumente sind im Rahmen der Präsentation zur Hundertjahrfeier der Stiftung digitalisiert worden, vgl. URL: http://rockefeller100.org [20.3.2018]. 262 George E. Vincent (1918), zitiert nach: Tournès, La fondation Rockefeller et la naissance de l’universalisme philanthropique américain, S. 185. 263 Grant in Aid to the Sixth Section of Paris of the EPHE to enable Prof. Fernand Braudel to visit the United States to obtain a direct acquaintance with the organization of area studies programs and related subjects, 30.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Folder 94, Box 9. 264 Bernard, S. 561 f. Vgl. Kwaschik, »Planification souple«.

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für die Sozialwissenschaften.265 Die Sechste Sektion war hierfür eine entscheidende Plattform geworden, wozu die proaktive Politik Hellers zur Rekrutierung von neuem Personal – wie zum Beispiel von Russland-Spezialisten über Mead und Moseley – beitrug.266 Mit dem Setzen von Impulsen und Anreizen sollten zukünftige Entwicklung gesteuert werden, die klar definiert waren: Es galt die regionalwissenschaftliche Forschung in Frankreich sozialwissenschaftlich auszurichten, stärker auf die moderneren Epochen zu beziehen, vernachlässigte Regionen abzudecken und die interdisziplinäre Arbeit in Gruppen zu fördern. Die Leistung Hellers lag in der Kommunikation des neuen Trends als »wissenschaftlicher Stimmungsmacher«.267 Dies betraf insbesondere den bedeutendsten Aspekt der Programme, die Gruppenarbeit.268 Zwar gab es bereits Gruppen­ projekte, dennoch hinderte die von Braudel konstatierte Teamunfähigkeit französischer Historiker die Pionierrolle der Programme: »Yet many research projects in the fields of the Sixième Section are really team projects. By bringing together Italians, Germans, Americans, British or others, some of the jobs could be done and perhaps the French could be shown the advantage of team research.«269 Die Überzeugungsarbeit und -leistung lag bei Heller, so gestand­ Braudel, dessen Ungeduld in den zahlreichen internen Konfliktsituationen sich als wenig weiterführend erwies: »Actually, cooperative work is very difficult to maintain at a high level. B attributes at least 50 % of the success of the area studies programs to Clemens Heller’s patience and willingness to spend endless time with groups and individuals, whereas B. confesses that he sometimes becomes short-tempered and has to withdraw from meetings for fear of provoking a crisis.«270

Die Selbstbeschreibung Braudels wurde auch von anderen Kennern der Pariser Situation geteilt, die wie der Ford Officer Frank Sutton die Leistung ­Hellers und seine »unique obsessiveness in the pursuit of academic enterprises« hervorheben.271 265 Interview JM / RWJ / CBF, Clemens Heller, 4.9.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 102. 266 Vgl. für den Beginn der Kontaktaufnahme Clemens Heller an Philip Moseley, 21.3.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 267 Bourdieu, Selbstversuch, S. 40. 268 So auch Train und Chambre, vgl. Edward D’Arms, Interview Prof. J.  Train, R. P. Henri Chambre, 3.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500, Box 10, Folder 97. 269 Edward D’Arms, Interview Professor Fernand Braudel, 21.10.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 S, Box 16, Folder 147. 270 Excerpt from EFD’s diary of trip to Europe, 4.3.1957. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 101. 271 Sutton, The Ford Foundation’s Transatlantic Role, S. 92: »I had been charmed by Fernand Braudel, and impressed by Mme Braudel too, when I was their luncheon guest. Braudel kept insisting with unrepentant realism that the Ford Foundation only needed to supply a stimu­ lant so that the government would do what only it could and ought to do. I found Braudel ›extraordinarly intelligent and urbane‹ but had ›misgivings about his patience and balance‹ and opined that he needed somebody like Heller beside him.«

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Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit markierte den Unterschied zwischen den traditionellen und den neuen Zentren. Ihre Grundlage war Hellers aktiver Netzwerkaufbau. Heller verbrachte einen Großteil seiner Arbeit damit, Forscher in Projekten zusammenzubringen, »die gar nicht wissen, dass sie zusammengehören«.272 Anlässlich des Konflikts mit dem Geographen Jean Gottmann um den Aufbau eines Nordamerika-Zentrums erklärte Heller den neuen Charakter der Area-Zentren ausführlich, die keine Zentren traditionellen Zuschnitts waren: »as the expression of the temperament and the ideas of one scholar. The Area Centers of the Ecole Pratique des Hautes Etudes bring together scholars of very different points of view and temperaments, among whom the only link is very often only the area in which they are interested. This does not mean that they have to make compromises in their method and position, or are asked to arrive at a common denominator in their work but it is hoped that they will collaborate in the creation of large institutional units which can command sufficient resources to be beneficial to them all, and which will create at least an opportunity and an inducement for collaboration between different disciplines and methods.«273

Diese Praxis der Interdisziplinarität wurde für die Zentren zur entscheidenden institutionellen Strategie. Als amerikanischer Export eroberte sie die scientific community nach 1945,274 gleichwohl knüpfte sie an europäische Experimente und Traditionen an, wie allein das Beispiel der Annales gezeigt hat. Langfristige Planung und Profilbildung waren die Koordinaten der Kommunikation zwischen der Sechsten Sektion und der Rockefeller-Stiftung über die Projektformulierung. Aufgrund der projektbasierten Mittelvergabe war sie zwar Voraussetzung für den Geldfluss, ihre Bedeutung aber ging darüber hinaus. Nicht aus Opportunismus betonte Heller immer wieder, wie wichtig das Gespräch und der Ratschlag D’Arms sei. Noch im Mai 1955, als er alle Einzelprogramme mit D’Arms diskutieren wollte, resümierte er, dass das Geld nicht das Entscheidende war: »but for all of them we wanted your advice and criticism.«275 Die Rockefeller-Stiftung teilte die Einschätzung und sah die dringendste Förderaufgabe in der Beratung: »Most needed at the present time is advice on the formulation and operation of area studies programs.«276 Zu Beginn der Gespräche 272 So Helga Nowotny, zitiert nach: Helmut Spudlich, Makler der Wissenschaft. Österreich ehrt mit Clemens Heller einen vertriebenen Sohn, in: Der Standard, 17.10.1990. Vgl. dazu auch Utz Jeggle, »Mein« Clemens Heller. Privatarchiv Isaac Chiva. 273 Clemens Heller an Jean Gottmann, 4.5.1959. Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Carton Fondations américaines, Chemise Amérique du Nord A–Z. 274 Giuliana Gemelli, Colporteurs d’innovation. Social Scientists et organisateurs français d’un rivage à l’autre de l’Atlantique, Vortrag auf dem Kolloquium »The French in New York during the Worl War II«, Columbia University, zitiert nach: Loyer, S. 401. 275 Clemens Heller an Edward D’Arms, 25. Mai 1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 276 Edward D’Arms, Area Studies Programs in France, 20.6.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95.

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hatte Heller sogar institutionalisierte Treffen im Abstand von drei bis fünf Monaten vorgeschlagen.277 Bei der Projektformulierung selbst handelte es sich um einen Lernprozess. Denn für die französische Seite war zunächst nicht klar, dass ihre Finanzierungsanfragen eine bestimmte Form haben mussten und diese ausschlaggebend für die Bewilligung waren. Die Stiftung wurde immer wieder als eine Art Notfallbudget bemüht, so als der CNRS seine Fellowships für Auslandsreisen nicht finanzieren konnte, weil die französische Regierung im Frühling 1958 keine Auslandswährung zur Verfügung stellte,278 oder als eine komplette Kopie der Human Area Files nach Frankreich gebracht werden sollte279. Mehrfach fühlten sich die Officer zu der Erklärung veranlasst, dass vor einer finanziellen Unterstützung ein begründetes Statement stehen müsste, das sich aus klar definierten Bestandteilen zusammensetzte: »In all cases of this sort we have to be able to make  a very clear statement of the character of the project, its justification, the scholars participating, and the reasons for believing that the research done will be of high scholarly quality and as nearly objective as is possible. We simply do not yet know enough about the project at the Sixième Section to make such a statement.«280

Diese Kommunikation war nicht nur ein Austausch über das konkrete Projekt, sondern auch darüber, wie Wissenschaft in ihrer neuen Organisationsform als Projekt gemacht wurde.281 Denn der Austausch mit den Stiftungsverantwortlichen bezog sich vor allem auf die Projektformulierung. Die häufig in der Forschung vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs in den Vordergrund gerückten politischen Probleme führten nicht zu einer Ablehnung eines Programms. Das Afrika-Programm hingegen wurde explizit nicht gefördert und die Gründe lagen dezidiert in Profil und Ausgestaltung.282 Selbst als im Sommer 1959 die Arbeiten von LéviStrauss unter dem Posten »Area Studies« im Budget unter dem Rockefeller Grant auftauchten, lehnte die Stiftung höflich, aber kategorisch ab. Ungeachtet der Hochachtung, die man für die grundlegende theoretische Bedeutung der MythenStudie habe, »strapaziere« die Zuordnung das Konzept doch deutlich »über«.283 Das Projekt als Organisationsform stieß Entwicklungen an, die idealiter in eine Institutionalisierung münden sollten, die sich realiter dann aber zumeist als 277 Clemens Heller an Edward D’Arms, 21.2.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 9, Folder 95. 278 John Maier an Gerard R. Pomerat, 21.3.1958. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 104. 279 Clemens Heller an John Marshall, 5.11.1959. Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Car­ tons Fondations américaines, Chemise Correspondance. 280 Edward D’Arms an Vadim Elisseeff, 13.9.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 96. 281 Braun-Thürmann. 282 Vgl. Kapitel 4.1.4. 283 John Marshall an Clemens Heller, 17.7.1959. Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Car­ ton Fondations américaines, Chemise Correspondance.

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schwierig bzw. langwierig herausstellte.284 Der Effekt lag in der Anschubwirkung von Entwicklungen.285 Ohne Zweifel hätte es auch ohne die Förderung Area Studies gegeben, wie bereits die Rockefeller-Stiftung bei der internen Evaluation 1955 resümierte: »Area programs at the Sixième Section will continue, whether RF support is given or not. They will, however, go forward more strongly with RF help at this time.«286 In dieser Katalysatorfunktion war die Anschubfinanzierung durch die Rockefeller-Stiftung entscheidend: »Once it had provided the possibility to demonstrate the usefulness and the efficacy of the area approach, considerable support from French sources has been forthcoming since the start of the program 14 new chairs specially assigned to the area programs, carrying each an annual salary of about 6.000 dollars have been established in the 6th section and the Rockefeller funds have been more than matched in outright research grants from the Ministry of Education and from the Recherche Scientifique. There is every reason to believe that the French commitments will continue to increase over the years to come.«287

Darüber hinaus bildete der effiziente und unterstützte Beginn der regionalwissenschaftlichen Programme den Anfangspunkt der Institutionalisierung der Sozialwissenschaften unter einem Dach in der Maison des sciences de l’homme. Das Area Studies-Programm war der erste Schritt auf dem Weg zu einer sozialwissenschaftlichen Fakultät, einem Haus für die Sozialwissenschaften in Paris. Die Förderung eines solchen Forschungszentrums als Ganzes lehnte die Stiftung ab. Inwiefern die geplante Veränderung der intellektuellen Kommunikation in Richtung Interdisziplinarität sich langfristig gewandelt hat, ist nicht einfach zu bestimmen. Bereits einige Jahre nach dem Anlaufen der Programme setzte eine Reformdiskussion ein, basierend auf der Evaluation des Statistikers André ­Piatier. Er konstatierte im Austausch mit Braudel, dass die Programme keine wirkliche Interdisziplinarität im angestrebten Sinn brächten. Seine Kritik besagte, dass die Zentren im Grunde nach dem alten, von Heller beschriebenen Muster funktionierten: Jedes Zentrum wurde durch einen Wissenschaftler und seine Disziplin dominiert und nicht durch die Produktion integrierten Wissens in den regionalwissenschaftlichen Programmen.288 Die Frage blieb identitätsstiftend für die École pratique, ihre Sechste Sektion und die weiteren institutionellen und intellektuellen Entwicklungen. Im Jahr 1973 stand sie im Zentrum einer Profildiskussion zur Neustrukturierung der 284 Vgl. dazu auch Kapitel 4.1.2. 285 Vgl. zum Projekt als Entscheidung und Strukturierung von Zukunft Besio, S. 157 ff. 286 Edward D’Arms, Area Studies in France: Interview Prof. and Mrs. Braudel, Prof. Train; Père Henri Chambre, 3.10.–19.10.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 98. 287 Fernand Braudel an Präsident der Rockefeller Foundation, 27.4.1957 (1. Version). Archives EHESS, Fonds Clemens Heller, Carton Fondations américaines, Chemise Application 1957 Rockefeller. 288 André Piatier an Fernand Braudel, 14.11.1961. Archives EHESS, Fonds Louis Velay, Article 1.

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Abb. 6: François Furet, Clemens Heller, Fernand Braudel, Anfang der 1980er Jahre. © Privatarchiv Marie-Louise Heller.

Institution. Animiert von Jacques Le Goff als Nachfolger Braudels sowie von Roland Barthes fand auf einem Treffen in Royaumont eine Leitbilddiskussion unter dem Stichwort »Interdisziplinarität« statt.289 Zwei Jahre später wurde gegen den Widerstand der Pariser Universitäten und einzelner Historiker aus der Sechsten Sektion die École des hautes études en sciences sociales gegründet.290 Der neu gewählte Präsident François Furet brachte in seinem ersten Positionspapier zur Zukunft der École diese Interdisziplinarität wieder mit den Area Studies zusammen, denen er eine herausragende Bedeutung zusprach. Wie Braudel 1958 bezog sich auch Furet 1978 auf die Gegenwart. Er konnte zwar bereits auf einen festen Bestand an Forschergruppen zurückgreifen, die nach Regionen und nicht nach Disziplinen institutionalisiert waren. Ausbau und Konsolidierung der Area Studies hatten dennoch auch in Furets Forschungsplanung Priorität (vgl. Abb. 6).291 289 Vgl. v. a. Roland Barthes, Compte rendu du Rencontre de Royaumont, 19.–20.5.1973. Archives EHESS, Fonds Louis Velay, Boîte 82/60. Vgl. hier auch weitere Dokumente zur Vorund Nachbereitung des Treffens, dessen Spiritus rector Barthes war. 290 Vgl. die Erinnerungen des Secrétaire d’état aux universités (1974–1976), der die Entwicklung als Ergebnis der persönlichen Zusammenarbeit mit Le Goff darstellt, Soisson, S. 63–83. Für die wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen vgl. Mercier. 291 François Furet, 15.6.1978, in: Romano, S. 115–117. Furet zählte zu den Areas nun auch Europa. In der Rekrutierung des Nachwuchses – so ein Hauptschwerpunkt der zukünftigen Politik der EHESS – sollte ein Schwerpunkt auf Deutschlandforschern und USA-Spezialisten liegen.

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Die Gelder der Rockefeller-Stiftung hatten weitreichende institutionelle Konsequenzen und auch ihr strategisches Potenzial in Bezug auf den Erwerb von Fernkompetenzen scheint zumindest in Teilen aufgegangen zu sein. Diese erfolgreiche Kooperation war, wie die Entwicklungen in den USA gezeigt haben, das Ergebnis von philantropischen Zielsetzungen aus den 1940er Jahren, die sich in den 1950er Jahren konkretisierten. »The European and American cultural provincialism of the social sciences needs to be overcome«292, hieß es strategisch in einem Papier der Rockefeller-Stiftung von 1954 zu den zukünftigen Leitlinien der Förderpolitik. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die in den 1970er Jahren formulierte These des Soziologen Michael Pollak von der Strategie einer antimarxistischen Wende hin zur Empirie, die im Rahmen dieses »intellektuellen Marshallplans« erfolgt wäre,293 eine hinreichende Erklärung ist. Sie reduziert, wie in der Mikroperspektive deutlich wird, die Handlungsspielräume der Pariser Akteure, unterschätzt das Planungs- und Modernisierungsprogramm des Nachkriegsfrankreichs und verkennt das strategische Potenzial der Chiffre »Amerika«. Die Forschungsförderung und Entwicklung der Regionalwissenschaften war eine Kooperation, eine »two way street between Europe and America«,294 wie Braudel beim Verlassen der USA im Jahr 1955 klargestellt hatte.

4.2 Area Studies als nationales Förderinstrument in Großbritannien 4.2.1 Sozialwissenschaftliche Matrix und Kolonialpolitik in den 1940er Jahren In Großbritannien wurde in den 1940er Jahren die Frage nach den Area Studies von einer kolonialtechnischen Angelegenheit zu einer gesellschaftspolitischen Aufgabe. Der Zweite Weltkrieg hatte die vorhandenen Ausbildungen gestärkt, die Nachfrage intensiviert und angesichts des Antikolonialismus des amerikanischen Verbündeten einen zusätzlichen Handlungs- und Rechtfertigungsbedarf produziert. Im Zeichen des modernisierungstheoretisch gerahmten Entwicklungsparadigmas wurden die Kolonien zum Bestandteil von Politik und durften staatliche Gelder beanspruchen. Aber ebenso wie in Frankreich bewirkte auch 292 Charles B. Fahs, Widening our Cultural Horizons, 12.11.1954. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Folder 166, Box 31.  293 Für die empiristische Wende unter amerikanischem Einfluss vgl. Pollak, La planification. Für den Begriff des »intellektuellen Marshallplans« vgl. Pollak, Paul F. Lazarsfeld, S. 56 ff. Vgl. zur Auseinandersetzung mit der These Pollaks Wagner, Sozialwissenschaften und Staat, S. 376 ff. 294 Clemens Heller an Edward D’Arms, 23.12.1955. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 500 R, Box 10, Folder 98.

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die Institutionalisierung von nationalem Wirtschaftsmanagement gemeinsam mit Planungs- und Produktivitätsdiskursen einen veränderten Zugriff des Staats auf das koloniale Wissen und seine Produktionsbedingungen.295 In dieser Konfiguration spielten wohlfahrtsstaatliche Elemente eine Rolle ebenso aber die Kooperations- und Finanzierungserfahrungen des »military-science complex« seit den 1920er Jahren und das Anknüpfen an eine weitreichende zentralisierende und kontrollierende Interventionspolitik des britischen Staats im Zweiten Weltkrieg.296 Wie in der Geschichte der britischen Sozialwissenschaften wenig betont wird,297 erfolgte ihr erster Koordinierungs- und Institutionalisierungsversuch durch den Zugriff auf das Wissen über die Kolonien. Erste Formen des Engagements in der Zusammenführung von Sozial- und Kolonialwissenschaften auf staatlicher Seite zeichneten sich im Ergebnis des »African Survey« (1938) ab. Seine Wirkmächtigkeit resultierte aus kolonial- und wissenschaftspolitischen Netzwerken und ihren Initiativen, die seit Ende der 1920er Jahre zunahmen.298 Der Survey, der unter dem Namen Haileys die Arbeit eines interdisziplinären Teams aus 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammenfasste,299 erbrachte für die britischen Behörden am Beispiel Afrikas den Beweis, dass Kolonien Teil des wohlfahrtsstaatlichen Aufgabenbereichs waren, »as a living laboratory, in which the reward of study may prove to be not merely the satisfaction of an intellectual impulse, but an effective addition to the welfare of people«.300 Der Überblick, der als Inbegriff und Ergebnis des entwicklungspolitischen Konsenses gilt und galt, jonglierte zwischen Politik und Wissenschaft. Einem vertraulichen Brief des Chatham House an die Rockefeller-Stiftung ist der Druck von allen Seiten auf Hailey zu entnehmen. Das Buch war die erste umfassende Darstellung britischer Politik in Afrika im weitesten Sinn. Aber »pressure from every quarter has made it necessary to do more. Lord Hailey had to draw conclusions and make suggestions and he has also had to bear in mind the original object of the Survey, i. e., to give some guidance about the future of African ­studies.« In seinen Vorschlägen sah Hailey die Gründung eines interdisziplinären Zentrums vor, das er »bureau« nannte und dem er die Funktionen des bereits Ende des 19. Jahrhunderts diskutierten Bureau of Ethnology zuwies: Das Material sollte an einem Ort gesammelt werden, die Rechercheergebnisse in einer vergleichenden Perspektive ausgewertet werden. Die Aufgaben des Zentrums, das gleichzeitig ein Dokumentationszentrum sein sollte, waren gleicher-

295 Tomlinson, Re-inventing the »moral economy« in post-war Britain; O’Hara. 296 Edgerton. 297 Vgl. z. B. King zur Gründung des SSRC ohne Erwähnung des Vorgängers (King, The Heyworth Committee). 298 Vgl. zur Vorgeschichte Tilley, S. 69 ff. 299 Ebd., S. 74. Vgl. darüber hinaus die Publikationen des Surveys Worthington; Frankel. 300 Hailey, An African Survey, S. 5.

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maßen wissenschaftlich und sozialpolitisch bestimmt. »He regards it as of prime importance that the Bureau should knit together the results of scientific, economic and social research and that its international character should be preserved.«301 Der Anthropologe Raymond Firth brachte in einem parallelen Vorschlag diese Zusammenhänge auf den Punkt. Der Frazer-Schüler und Nachfolger Malinowskis an der LSE302 formulierte in seinem »Memorandum on the Utility of Anthropological Services by colonial governments« die legitimativen Dimensionen anthropologischer Forschung, die bereits die Ethnologen Mauss, B ­ astian, Jonghe kurz nach der Jahrhundertwende angesprochen hatten und die als sozialpolitische Fragen auf den internationalen Kongressen diskutiert wurden. Die Grundfrage des Sammelns von Fakten und deren Auswertung folgte der »behavioristischen Einstellung«, mit der in der Kritik der 1970er Jahre der moderne Sozialwissenschaftler zum Nachfolger des Kolonialverwalters wurde: »Much of this information is in the process of accumulation, by administrative officers and missionaries in particular […] neither the administrative officer nor any other government official nor the missionary is usually in a position to cover the whole field of systematic information required for an adequate programme of rural development. This is the sphere where an anthropologist, equipped by his systematic training precisely for such study, should be able to offer assistance.«303

Firths Argument unterscheidet sich von den Debatten des 19. Jahrhunderts zur Gründung internationaler ethnologischer Institute, die auch in die Ausbildung der Beamten eingebunden sein sollten, durch ein viel konkreteres und umfassenderes Serviceangebot im Bewusstsein des staatlichen Aktionsradius. Er schlug den Einsatz von »Regierungsanthropologen« zur Beratung der Kolonialbeamten vor: »the appointment of a Government Anthropologist,  a specialist trained in modern methods of field research […] and with full time to devote to his enquiries. If this suggestion be adopted, then two questions arise at once: that of personnel, and that of the place which the anthropologist is to take in the machinery of the Government services.«304

Diese Diskussionen und Beiträge reflektierten den entwicklungspolitischen Planungskonsens, der im Juli 1940 zur Verabschiedung des Colonial Development and Welfare Act (CDWA) führte. Die skandalisierenden Ergebnisse des Moyne Reports, der 1945 veröffentlicht wurde, und die Aufstände und Streiks in der

301 [RIIA], Draft Letter for Rockefeller Foundation, [Frühling 1938]. RIIA, 2-IIII-8x. 302 Firth war mit Malinowski in den 1920er Jahren bei Mauss in Paris gewesen. Zum reservierten Verhältnis der beiden Ethnologien vgl. James. 303 Raymond Firth, Memorandum on the utilization of anthropological services by colonial governments, [ca. 1937/38], hier: S. 5. LSE Archives, Firth, 7/9/1. 304 Ebd., S. 10.

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Karibik direkt mit den Lebensbedingungen der Menschen und Problemen der governance zusammenbrachte, trug entscheidend zu seiner Ausprägung bei. Das Gesetz richtete unter dem ambivalenten Label des »colonial development« die Aufgaben des Colonial Office neu aus,305 ermöglichte dessen finanzielles Enga­ gement in den Kolonien und schrieb die Bedeutung der Forschung für die gesellschaftliche Entwicklungssteuerung fest. Vorgesehen war die – angesichts der Zeitumstände – bemerkenswerte Summe von 500.000 Pfund jährlich für eine Dauer von zehn Jahren für Forschung, »for the promotion of research and enquiry in matters affecting the Colonies«.306 Der »Hailey-Effekt« übersetzte sich in der Bildung eines Colonial Social S­ cience Research Council (CSSRC) im Jahr 1944 konkret in Forschungspolitik.307 Ein­ gesetzt vom Außenminister war der CSSRC dem Kolonialamt zugeordnet und sollte dessen Colonial Research Committee in Bezug auf die Sozialwissenschaften beraten und interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Forschung stimulieren.308 Die wissenschaftspolitischen Funktionen des CSSRC beschrieb Firth, Sekretär des CSSRC, in einem frühen Memorandum wie folgt: »1) the review of the organisation of research in the social sciences in the colonies (including the selection, training, and terms of service of research workers); 2) the scrutiny of particular schemes of research submitted for approval; 3) the initiation of proposals for research in fields not otherwise covered; 4) advice as to the publication of results of research.«309

Der Council war ein erster Planungsrat für die sozialwissenschaftlich orientierten Kolonialwissenschaften, der auch Aufgaben der Forschungssteuerung wahrnahm. Er verteilte nicht nur die Gelder, sondern entwickelte auch eine Begutachtungspraxis, nach der jedes Mitglied für eine Disziplin verantwortlich war und sich mit einer externen Expertengruppe konsultierte.310 Konkret betraf sein Arbeitsspektrum drei Bereiche: die Gründung von Forschungsinstituten in den Kolonien nach dem Vorbild des 1938 gegründeten Rhodes Livingstone Institute (Uganda, Jamaica, Nigeria), die Vergabe von Postgraduate Studentships in den Sozialwissenschaften311 und die Einladung amerikanischer Anthropologen und Soziologen an britische Universitäten zu Forschungsprojekten zu den britischen

305 Butler, The Ambiguities of British Colonial Development Policy. Die Entwicklung begann mit dem Colonial Development Act 1929. 306 CO. CSSRC (44) 13. Scope and functions of the CSSRC. Note by CO, 4.9.1944. LSE Archives, Firth 7/9/2. 307 Mills, British Anthropology. 308 CO. CSSRC (45) 26. Draft of First Report. First Report June 1944–March 1945, 15.6.1945. LSE Archives, Firth 7/9/2. 309 CO. CSSRC (44) 24, LSE Archives, Firth 7/9/2, zitiert bei: Mills, Difficult Folk?, S. 78. 310 CO. CSSRC (44) 3. Chairman’s notes on agenda for first formal meeting. LSE Archives, Firth 7/9/2. 311 Mills, Difficult Folk?, S. 69 ff.

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Kolonien.312 Im Jahr 1947 wurden die ersten zwölf Postgraduate Fellowships vergeben.313 Von den frühen Förderungen stachen insbesondere zwei AfrikaProjekte heraus, eines zum »Handbook of African Languages« und der Ethnographic Survey of British Territories in Africa.314 Die doppelte Funktion des Forschungsrats – »to report« und »to initiate« – bezog sich auf das gesamte Feld der Sozialwissenschaften, zu dem Linguistik, Ökonomie, Soziologie (inklusive Anthropologie), Recht, Demographie, Administration, Pädagogik und Psychologie gerechnet wurden.315 Dennoch stärkte der CSSRC aufgrund der Besetzung insbesondere die Stellung der London School of Economics und wirkte als Transmissionsriemen für die Entwicklung der Anthropologie. Von den bis zu seinem Ende 1961 etablierten Unterkomitees war das 1949 gegründete Anthropology and Sociology Subcommittee besonders aktiv. Mit Firth als Sekretär, Alexander Carr-Saunders, dem Direktor der LSE als Vorsitzenden, vertiefte der Forschungsrat die Kluft zwischen Oxford und LSE.316Aktives Mitglied und treibende Kraft war die Anthropologin Audrey Richards, Malinowski-Schülerin, Mitarbeiterin Haileys und nach dem Krieg Direktorin des East African Institute for Social Research an der Universität Makerere, Uganda (1949–1955).317 Der regionale Schwerpunkt lag auf Afrika, wenngleich auch modernisierungstheoretische Studien zu anderen Regionen gefördert wurden, wie der West Indian Social Survey Mitte der 1940er Jahre.318 Die Arbeit des CSSRC transportierte die Sicht, dass eine langfristige Forschungsplanung die Voraussetzung für eine Lösung administrativer und sozialer Probleme in den Kolonien sei.319 Die Auseinandersetzung mit kolonialen Angelegenheiten war dabei Teil sozialwissenschaftlicher Forschung geworden und galt nicht mehr ausschließlich als »rechts«, oder wie unter den Mitgliedern der 312 Vgl. dazu [o. A.], The British Colonial Social Science Research Council, in: American­ Anthropologist 51 (1949) 1, S. 167–169. 313 Mills, British Anthropology, S. 173. 314 Vgl. die Antragsdokumente und Diskussionsnotizen CO. CSSRC (44) 12. Application by the International African Institute; Ethnographic survey in Africa; Frederick Lugard an Seymour House, 26.8.1944; CO. CSSRC (45) 29. Ethnographic survey in Africa. Note by the Secretary. (Raymond Firth), 29.6.1945. LSE Archives, Firth 7/9/2. 315 CO. CSSRC (44) 3. Chairman’s notes on agenda for first formal meeting. LSE Archives, Firth 7/9/2. In den Notizen zum ersten Treffen wurde handschriftlich »Geographie« ergänzt. Vgl. die Auflistung der Problemfelder CO. CSSRC (45) 25. Statement on Research Needs. Memorandum by the Secretary. (Raymond Firth), 6.6.1945. LSE Archives, Firth 7/9/2. 316 Die Bipolarität des Felds formierte sich – so will es die Geschichte der Disziplin –, als EvansPritchard 1924 Oxford für die LSE (wo seit 1923 Malinowski als lecturer lehrte, 1927 wurde eine Professur eingerichtet) verließ, um dort sein Graduate-Studium zu absolvieren, vgl. Mills, Difficult Folk?, S. 29–48. Ebd. S. 84 ff. zur Kritik an der »LSE-Mafia«. Vgl. allgemein Dahrendorf, S. 242 ff. 317 Mills, Audrey Richards. 318 Bush, Colonial research. 319 CO. CSSRC. Minutes of the Second Meeting of the Council hold on Tuesday, 5th September, 1944, at 8.30 p.m. in the Conference Room, Dover House, Whitehall, O. W.1.19.9.1944, LSE Archives, CSSRC 8/1.

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Labour Party als »right wing crime«: »Factual teaching about the colonies« war nicht mehr identisch mit imperialistischer Propaganda.320 In Großbritannien übten die Area Studies ebenso wie in Frankreich und den USA eine Katalysatorfunktion für die Entwicklung der Sozialwissenschaften aus. Beiden Wissensfeldern – den Regional- und den Sozialwissenschaften – brachte das Einverständnis über ihren gesellschaftlichen Nutzen eine Pionierfunktion als staatliches Förderobjekt ein. Sie wurden im Ergebnis ihrer gesellschaftspolitischen Funktion in fast synchron verlaufenden Kommissionen in den 1940er und 1960er Jahren verhandelt – und dies mit ähnlichen Befunden, wobei die Area Studies den Sozialwissenschaften zeitlich vorangingen. 1946 folgte der »Report of the Committee on the Provision for Social and Economic Research« auf den »Scarbrough Report«, dessen Kommission im Dezember 1944 ernannt worden war,321 1965 der »Report of the Committee on Social Studies« der C ­ lapham Commission auf den Hayter Report von 1961.322 Beide Diskussionsstränge wurden zudem durch den Blick auf die Entwicklungen und Organisationen in den USA strukturiert und waren von Modernisierungs- und Produktivitätsdiskursen geprägt.323 Die amerikanische Referenz war nicht nur das ideologische Muster des Kalten Kriegs, sondern das Ergebnis des konkreten Austauschs mit der Rockefeller-Stiftung. Für die Clapham Commission bildete der Aufstieg der amerikanischen Sozialwissenschaften und ihre Finanzierung über den 1923 gegründeten Social Science Research Council die Diskussionsfolie. Clapham hatte die RockefellerStiftung als eine der Hauptförderinstitutionen in Großbritannien eingeladen und um ein Statement gebeten. Das Wirken der Stiftung war einer der Hauptgründe, der die Arbeit der Kommission erst nötig machte. Denn fast alle sozialwissenschaftlichen Publikationen in Großbritannien enthielten, wie der Bericht im Jahr 1946 nicht ohne eine gewisse Reserve bemerkte, eine Danksagung an die Stiftung. Und so wenig die Kommission dies öffentlich bedauern oder eine amerikanische Beeinflussung der britischen Forschung zugeben mochte, so wenig konnte diese Finanzierungsform und das geringe Engagement der Briten selbst auf lange Sicht befriedigen.324 Die Clapham Commission hielt den Stand der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Forschung für alarmierend. Der Bericht, der das Feld als aus Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsgeschichte, Soziologie, Anthropologie, 320 Circular No. 24. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Evidence of Sir Bernard Bourdillon, 14.2.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 321 Foreign Office, S. 5. 322 Die Anfertigung des Hayter Reports wurde 1959 beschlossen und das Komitee nahm im Januar 1960 seine Arbeit auf, vgl. University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. V. 323 Vgl. zur Produktivität als transnationaler Strategie im Rahmen der Economic Cooperation Administration Hogan, S. 135 ff. 324 Privy Council Office Treasury, S. 22 f.

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Sozialpsychologie, Demographie, Wirtschafts- und Sozialstatistik bestehend definierte,325 inventarisierte an allen britischen Universitäten insgesamt 52 Stellen.326 Für die Politikwissenschaften gab es nur drei Lehrstühle; Statistiker fehlten ebenso wie eine gut ausgestattete Bibliothek.327 Die Leuchtturminstitution der Sozialwissenschaften, die Social Research Division an der LSE, war ohne eine permanente Förderung.328 Die Forschung an den Universitäten und insbesondere die Kooperation unter den sozialwissenschaftlichen Disziplinen war verbesserungswürdig, so der Befund. Dennoch hielt die Kommission einen zentralen Forschungsrat für »nicht angezeigt«, da dieser nur die wenigen vorhandenen Spezialisten von ihren Forschungen abziehen und die Ausbildung der neuen Generation verhindern würde.329 Der Social Science Research Council wurde erst 1965 eingesetzt, nach den Empfehlungen der Heyworth Commission.330 Beide Diskussionen – die Diskussion zur Situation der Sozialwissenschaften ebenso wie die zu den Area Studies – gingen davon aus, dass moderne Gesellschaften das Wissen der Sozialwissenschaften als Planungsgrundlage benötigten. Die Argumentation bestand auf einer direkten Intervention des Staats nicht nur durch Zuschüsse als Steuerungsinstrumente, sondern auch den Einbezug von Experten.331 Gefordert wurden wissenschaftspolitische Maßnahmen und administrative Strukturen, so wie sie im Bereich der Naturwissenschaften bereits die Jahre zwischen Burenkrieg und Erstem Weltkrieg gebracht hatten.332 Dieser Planungskonsens hatte zur Konsequenz, dass die Gestaltung von Forschungsschwerpunkten nicht mehr allein bei den Universitäten, sondern auch beim Staat gesehen wurde. Im Rahmen dieser Verschiebung kristallisierte sich das Problem einer staatlichen Wissenschaftsförderung und -politik in der Frage nach der Zweckbestimmung der Zuschüsse an die Universitäten. Die Autonomie der Wissenschaft, ihre Unabhängigkeit von politischen Institutionen manifestierte sich in Großbritannien in den Strukturen. Die Hochschulfinanzierung erfolgte über das 1919 gegründete und dem Finanzministerium zugeteilte University Grants Committee (UGC), das die finanziellen Bedürfnisse der Universitäten durch Verhandlungen mit den Präsidenten ermittelte und die Regierung über die Nutzung der Zuschüsse beriet.333 Die Gelder wurden den Universitäten, die über die interne Verteilung selbst entschieden, in Form von pauschalen Zuweisungen (block grants)

325 Privy Council Office Treasury, S. 2. 326 Ebd., S. 14. 327 Ebd., S. 17; 19. 328 Ebd., S. 20. Darüber hinaus gab es kleine Forschungseinheiten in Glasgow und Liverpool. 329 Ebd. 330 Department of Education and Science. Vgl. dazu v. a. King, The Heyworth Committee. 331 Privy Council Office Treasury, S. 11. 332 Für die Präzision dieser Transformationsphase im Unterschied zur Zäsur des Ersten Weltkriegs selbst vgl. die Argumentation bei Alter, S. 15 f. 333 Shattock, S. 2.

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und im Rahmen einer Fünfjahresplanung zugeteilt.334 Für die Universitäten in Großbritannien war die Definition der UGC-Gelder nicht zuletzt deshalb relevant, weil von den 6 1/2 Millionen Pfund, die ihnen zum Beispiel im Jahr 1945 zur Verfügung standen, 44 Prozent vom Staat kamen.335 In den 1940er Jahren wurden die Aufgaben des Komitees um eine Planungsfunktion erweitert, wie im von der neuen Labour-Regierung zeitnah eingeforderten Barlow Report zu »scientific man-power« beschrieben.336 Wie ein Mitglied des Komitees notierte, war Bushs 1945 erschienenes Buch »Science. The Endless Frontier« ein Impuls für die Umorganisation der Universitätsausbildung gewesen.337 Das UGC erweiterte seinen Aufgabenbereich und wurde zum »Partner der Universitäten«.338 Dies änderte zwar zunächst nichts an seiner »Pufferfunktion« zwischen Staat und Universitäten, bedeutete aber den ersten Schritt auf dem Weg zu seiner neuen Rolle als »Stratege« in den 1970er Jahren.339 Die 1940er Jahre waren die Hochzeit der zweckbestimmten Geldzuteilung. Für die Fünfjahresfrist 1947 bis 1952 wurden fast dreißig Prozent der verteilten Gelder über earmarked grants vergeben. Neben Medizin, Zahnmedizin, Tiermedizin, Landwirtschaft und Lehrerausbildung profitierten davon die Sozialwissenschaften und die im Scarbrough Report verhandelten »Oriental and African studies, Slavonic and East European studies«.340 Als Förderobjekte hatten beide nicht-naturwissenschaftlichen Wissensfelder eine Pionierfunktion. Die ­1947–1952 vergebenen Gelder für die Sozialwissenschaften wurden von den einzelnen Universitäten unterschiedlich genutzt, vor allen Dingen aber gingen sie in die Lehre.341 Wie einschneidend die Veränderung in der Vergabepraxis war, zeigen die zurückhaltenden Reaktionen einiger Kommissionsmitglieder in der Diskussion um die Zweckbestimmung der Grants zu Beginn der Arbeit der Scarbrough Commission. Der Vertreter des Bildungsministeriums, Mr. Richardson, kritisierte die Definition von Forschungszielen und Stipendienrichtlinien durch den Staat grundlegend: 334 Fry. Vgl. insgesamt Hutchinson. 335 Circular No. 16. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Evidence of Lord Hailey, 4.1.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 336 Der Bericht forderte aufgrund des technologischen Rückstands eine Verdopplung der Studienplätze (in den Naturwissenschaften) innerhalb einer Dekade, vgl. Scientific Man-Power. 337 Bocock u. a., S. 334. Zur Koordinations- und Planungseuphorie vgl. Simon, The Universities and the Government. 338 So Walter Moberly (Vorsitzender des UGC) auf dem Sechsten Kongress der Universitäten des British Commonewealth (1948), vgl. Congress of the Universities of the British Commonwealth, S. 16. Vgl. zur Neuorientierung der Beziehungen von Staat und Universitäten ebd., S. 11–45. 339 Shattock, S. 477. 340 Ebd., S. 474. 341 Department of Education and Science, S. 7. Vgl. Appendix 2. 

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»I think the State has not in the past, except for strictly utilitarian and war purpose, earmarked scholarships for particular subjects. We have thought best to encourage talent wherever we found it and leave the student entirely free to choose his course. I think we should need a good deal of convincing that that method ought to be improved. It is a little startling to me that the State should come to the conclusion that, say, dentists or Orientalists are deficient, and should favour these subjects by earmarking entrance scholarships to Universities for students who will take them up.«342

Andere Diskussionsteilnehmer wie Lord Hailey führten das nationale Interesse an den regional studies als Förderargument ins Feld. Zu den Befürwortern zählte auch der für seine bevölkerungspolitisch-demographischen Studien bekannte Carr-Saunders, der als Orientierungshilfe die Shell-Stipendien für GeologieStudenten in Cambridge empfahl.343 Aber die Vorbildwirkung der Ölgesellschaft für eine Intervention des Staats war nicht für alle beteiligten Institutionen zwingend. Richardson bestand auf der britischen Tradition der Nichteinmischung des Staats zugunsten der universitären Freiheit und der Qualität der Forschung. »We are a Department of State and should do what the State wanted to do. I think on educational grounds there is some reason to fear the principle of earmarking State scholarships for particular subjects.«344 4.2.2 »Unworthy of our country and people«.345 Die Scarbrough Commission (1947) Für die Diskussionen der Scarbrough Commission erwiesen sich die Zusammenhänge von Kolonialismus und Sozialwissenschaften in den 1940er Jahren als konstitutiv, bestand ihr Anliegen nun doch dezidiert in einer Umorientierung philologischer Studien in Richtung der Sozialwissenschaften unter dem Label »Area Studies«.346 Dieses Anliegen beruhte auf der Diagnose eines sozio-­ 342 Circular No. 16. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Questions and Answers at meeting of Commission 4th January 1945. The attraction of students. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 343 So Saunders in der Diskussion, Circular No. 123. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. The 19th meeting of the Commission was held at the Foreign Office on Tuesday 19 th June 1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4, S. 23. 344 Circular No. 16. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Questions and Answers at meeting of Commission 4th January 1945. The attraction of students. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 345 Ernest Bevin an Ellen Wilkinson (M. P.), 24.8.1946. TNA, ED 121/315. 346 Der CSSRC bewertete die Reichweite der in dem Bericht behandelten Studien kritisch. Die Unterschiede zwischen Russisch und afrikanischen Sprachen seien zu groß, vgl. CO. CSSRC (44) Draft Minutes of the 1st meeting held at 11.15 a.m. on Monday, 17th July, 1944, at the Colonial Office Dover House, Whitehall, O. W.1. LSE Archives, CSSRC 8/1.

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ökonomisch motivierten Planungs- und Organisationsbedarfs, den während der 1940er Jahre verschiedene Memoranden deutlich gemacht hatten.347 Sowohl die Initiative der SOAS als auch der britischen Handelskammer oder des Colonial Research Committee zeigten: Es fehlte an Ausbildungsoptionen für Militär, Außenministerium, Handel und Civil Service.348 Der Mangel an Kulturkenntnissen hinderte die Expansion und die Zusammenarbeit mit indischen Firmen.349 Grundsätzliches Kulturwissen wurde allseits für notwendig befunden. Die Gestaltung seiner Produktionsbedingungen an den Universitäten und den mit ihnen verbundenen Zentren sowie ihre Ausrichtung auf die Sozialwissenschaften hin wurde nun als nationale Aufgabe verstanden. Die von Außenminister Anthony Eden im Dezember 1944 eingesetzte Kommission hatte dementsprechend die Aufgabe »to examine the facilities offered by universities and other educational institutions in Great Britain for the study of Oriental, Slavonic, East European and African languages and culture, to consider what advantage is being taken of these facilities and to formulate recommenda­ tions for their improvement«.350 Sie machte aus dieser Frage eine Selbstverständigungsdebatte der britischen Nachkriegsgesellschaft, wie bereits die umfassende Besetzung und Einladungspolitik der Kommission zeigt. Vertreter des Verteidigungs-, Bildungs- und Kriegsministeriums, darüber hinaus der Abteilungen des Overseas Trade, Colonial Office, UGC, Burma Office und India Office kamen zu dem Ergebnis, dass das britische Empire zwar Ausbildungsmöglichkeiten und wissenschaftliche Expertise vorzuweisen hatte, »but insufficient interest has perhaps been shown by both Government and public«.351 Die Liste der Organisationen, Firmen, Ministerien, Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisationen, die gehört wurden oder Berichte einreichten, hätte umfassender nicht sein können. Ihr gehörten die British-American Tobacco ebenso an wie das Royal Institute of International Affairs oder Eric Robinson Dodds (Regius Professor für Griechisch in Oxford), der über seine »Produkti­ vitätsreise« zu den Area Studies in den USA berichtete.352 Die Diskussion visierte Ausbildungsangebote für Angestellte im Handel und andere Firmen ebenso 347 Zur SOAS vgl. Philips, A History of SOAS, S. 32 f.; Philips, The School of Oriental & African Studies, S. 33 ff. 348 Circular No. 44. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, African, Slavonic and East European studies, 15.3.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 1; C. Y. Carstairs an Arnold (CO), 5.7.1944. LSE Archives, Colonial Research 7/1. 349 Circular No. 16. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Evidence of Lord Hailey, 4.1.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. Ebenso betonten die Ölfirmen die Wichtigkeit von Vorbereitungskursen. Circular No. 141. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. The 22nd Meeting of the Commission was held at the Foreign Office on Thursday 26th July, 1945, hier: S. 20. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3. 350 Foreign Office, S. 4. 351 [O. A.], Study of Foreign Languages. Inquiry into British Facilities, in: The Times, 8.2.1945. Vgl. auch die Parlamentsanfrage von Cazalet Keir, 7.2.1945. TNA, CO 859/88/8. 352 Vgl. für die Liste Foreign Office, S. 171–176.

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wie für Verwaltungspersonal der Regierung.353 Sie eruierte Vorstellungen der Firmen von Dauer und Inhalten der Ausbildung sowie die Frage, ob die Universitäten bereit wären, diese Form von Kompaktkursen anzubieten.354 Diskutiert wurden mögliche Karrierewege nach einer Ausbildung in regional studies355 und Rekrutierungsmöglichkeiten von Studenten.356 Aber ebenso forderte die Kommission die Verbreitung von Fernwissen an den Schulen und in der Presse357 und beschäftigte sich mit veränderten Ausbildungsprofilen für Lehrer.358 Alle Universitäten hatten einen Fragebogen auszufüllen. Im Gefolge der Einsicht in die Notwendigkeit der Planung und der Planbarkeit sozioökonomischer Entwicklungen,359 betraf die Auseinandersetzung nun im Gegensatz zur Gründungsdiskussion um die School of Oriental Studies in den 1910er Jahren die Verwissenschaftlichung des Kolonialen als einer Aufgabe des Staats, die einen systematischen Zugriff auf die fremden Kulturen implizierte und diesem einen organisierten Platz an den Universitäten verschaffen sollten. Dabei verortete sich die Kommission im Internationalismus der Nachkriegsjahre, der unkompliziert auf die Rolle Großbritanniens gegenüber den Dominions übertragen wurde, als »ein signifikanter Beitrag zum Weltfrieden« in einer Situation, in der der Krieg die Völker und Erdteile so eng zusammengerückt hatte, dass die Kenntnis nicht nur der Sprache, sondern insbesondere des »way 353 Vgl. z. B. für die sehr konkreten Diskussionen über eine Ausbildungsdauer von drei Monaten für Handelsangestellte Circular No. 141. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. The 22nd Meeting of the Commission was held at the Foreign Office on Thursday 26th July, 1945, S. 19, 25. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3. Zur Diskussion um eine kürzere Ausbildungsdauer vgl. Circular No. 23. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies, 14.2.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 354 Circular No. 86. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Record of Examination of Representatives of the Royal Central Asian Society, [o. D.]. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3. 355 Circular No. 141. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. The 22nd Meeting of the Commission was held at the Foreign Office on Thursday 26th July, 1945, hier: S. 7. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3; Circular No. 24. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Evidence of Sir Bernard Bourdillon, 14.2.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 356 Circular No. 16. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies, Questions and Answers at meeting of Commission 4th January 1945. The attraction of students. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 357 Circular No. 86. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Record of Examination of Representatives of the Royal Central Asian Society, [o. D.], hier: S. 9. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3.  358 Circular No. 141. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. The 22nd Meeting of the Commission was held at the Foreign Office on Thursday 26th July, 1945, S. 14. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3. 359 O’Hara.

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of life« anderer Völker politisch relevant wurde.360 Dieser »new type of connection« machte aus Sicht der Zeitgenossen über administrative Fragen und die Bedürfnisse des Außenhandels hinaus Wissen über die fremden Kulturen gesellschaftlich bedeutsam.361 »Let me put this to you«, so formulierte der Vorsitzende der Scarbrough Commission in der Anhörung der Royal Central Asian Society die Ausgangsfrage: »The view has been expressed to us, that it is of very considerable importance for our relations with Oriental countries that there should be a very high standard of learning, scholarship in their languages and cultures, and that if we could display such a standard to them, not only will they be flattered, but it will be a very considerable link.«362 Die Fragerichtung hatte sich auf ein generelles Kulturverständnis hin verschoben. Lord Zetland, der parallel zur Arbeit der Scarbrough Kommission eine Kommission zur Gründung eines Oriental Centers geleitet hatte,363 betonte diese Veränderung während seiner Anhörung im März 1945: »I suppose that almost every other country which has contacts with the East is ahead of us in the provision which they make for the study not only of Eastern languages but of Eastern cultures as well.«364 Die entscheidende Sogwirkung für die Neuoreintierung übten die US-amerikanischen Area Studies aus. Eine umfassende Ausbildung in Form der Area Studies wurde allseits begrüßt und als positiv angesehen,365 angefangen von den

360 Foreign Office, S. 4 f. 361 Circular No. 16. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Evidence of Lord Hailey, 4.1.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2.  362 Circular No. 86. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Record of Examination of Representatives of the Royal Central Asian Society. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3. 363 Der Report aus dem Jahr 1945, der mit der Organisation eines Center of Oriental Culture einer der wichtigen Bausteine der zeitgenössischen Auseinandersetzung ist, wurde nicht publiziert. In einer diesbezüglichen Parlamentsanfrage wurde Zetland am 9.11.1948 mit der Auskunft beschieden, dass die Situation sich seit 1945 so radikal verändert habe, dass eine Publikation nicht mehr wünschenswert sei, vgl. HL Deb 09 November 1948 vol 159 cc270–1. Der Scarbrough Report schließt sich den Empfehlungen der Zetland Commission zur Gründung des Zentrums in Paragraph 109–112 an, vgl. Foreign Office, S. 67. 364 Appendix to Circular No. 33. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, African, Slavonic and East European studies. Record of Lord Zetland’s examination before the Commission, on Tuesday, March 13th, 21.3.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 1. Vgl. auch Moberly, Circular No. 16. Questions and Answers at meeting of Commission 4th January 1945. The provision of facilities for these studies. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 365 Circular No. 94. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Reply of the University of London to second questionnaire, ohne Datum. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3; Circular No. 92. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. The University of Liverpool, 26.2.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3.

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Universitäten über die Royal African Society bis zur Missionary Society.366 Der Fragebogen, den die Kommission an die Universitäten sendete, enthielt die konkrete Frage nach den Vorteilen und Möglichkeiten einer Konzentration auf die »regional or ›area‹ studies (i. e. the study of the history, sociology etc. of given countries at the same time as modern languages)«.367 Dabei war der Unterschied zwischen den sogenannten colonial studies, die sich auf Kolonien bezogen, und den regional studies, die sich mit Ländern wie der Sowjetunion beschäftigten, kein grundlegender. Vielmehr waren die regional studies, auf die die Kommission ihre Aufmerksamkeit richtete, ein Oberbegriff und die britische Variante der Area Studies. Problematisiert wurde hingegen die Relevanz des Wissens für Afrika, wo mit Blick auf Indien keine vergleichbaren administrativen, wirtschaftlichen Beziehungen und politische Probleme vorlagen.368 Die Sozialwissenschaften bildeten die selbstverständliche disziplinäre, und deshalb selten explizierte, Matrix der verhandelten regional studies. Die Anthropologie fungierte als Leitwissenschaft zum Verständnis der fremden Kulturen. Und es stand außer Frage, dass die anvisierten Fellowships im Bereich der Sozialwissenschaften, und hier insbesondere der Anthropologie, vergeben werden sollten und nicht für Ärzte, Geologen o.ä. bestimmt waren.369 In dem Fragebogen an die Ministerien wurde die zu fördernde zukünftige Forschung im Bereich Linguistik, Sozialanthropologie und Wirtschaftswissenschaften angesiedelt.370 Explizit wurde die disziplinäre Zuordnung nur dann, wenn die Kommissionsmitglieder sich zwischen den Disziplinen genauer in das sozialwissenschaftliche  Terrain vorzutasten suchten, und zum Beispiel nach der Grenze zwischen Anthropologie und Soziologie in Bezug auf die Erforschung einer Region fragten.371 Die Kommission setzte Unterkomitees ein, die nach Regionen gegliedert waren und deren Einzelberichte die Grundlage für die Schlussempfehlungen darstellte: Near and Middle East Sub-Comittee, India Sub-Committee, Eastern Europe Sub-Committee, Far East Sub-Committee, South East Asia Sub-Committee, 366 Appendix to Circular No. 29. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Record of examination of Sir William Goodenough, at eighth meeting of Commission on the 1st March. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 367 Ebd. 368 Circular No. 16. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Evidence of Lord Hailey, 4.1.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. Den African Studies wird eine besondere Rolle zugesprochen, da sie nicht standardisiert sind, vgl. die Anhörung der Royal African Society, Appendix to Circular No. 59. Evidence of Mr. Hussey, on behalf of the Royal African Society. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4. 369 G. J. F. Tomlinson an A. J. Dawe, 2.10.1945. TNA, CO 859/88/8. 370 Notes on Questionnaire to Government Departments, [o. D.]. TNA, CO 859/88/8. 371 Appendix to Circular No. 59. Evidence of Mr. Hussey, on behalf of the Royal African Society. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4.

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African Sub-Committee.372 Vorwiegend waren sie mit Mitgliedern des Colonial, Foreign und India Office besetzt. Da das Außenministerium im August 1944 bereits eine Kommission zu den Russian Studies eingesetzt hatte, wurde die Erörterung auf die Rolle der Russian Studies im Gesamtspektrum beschränkt.373 Im Ergebnis skizzierte die Kommission als Zukunftsvision eine imaginäre Landkarte mit gleichmäßig an den Universitäten verteilten Forschungs- und Ausbildungsmöglichkeiten. Mit Ausnahme von Afrika und Südostasien plante sie, die Studien an vier bis fünf Universitäten anzusiedeln, inklusive Oxford, Cambridge und London. Da London bereits zwei spezialisierte Institute hatte, schien es sinnvoll, hier ein umfassendes Lehrangebot zu institutionalisieren.374 Die Ausbildungsgänge sollten an starken Fachbereichen an den Universitäten verankert sein, ihre Inhalte zwischen linguistischen und nicht-linguistischen Themen ausbalanciert sein und sowohl moderne als auch klassische Bereiche abdecken. Grundsätzlich sollten die beteiligten Fächer auf eine Integration und Kooperation hinarbeiten. Für die nächsten zehn Jahre wurden für die Universitäten jeweils 225.000 Pfund in Fünfjahresperioden vorgeschlagen, für Auslandsreisen zusätzlich 25.000 bis 50.000 pro Jahr.375 Zur Rekrutierung junger Forscher wurden 195 Postgraduate Studentships zur Verfügung gestellt, für die eine klare regionale Verteilung vorgesehen war: 100 Stipendien für den Nahen, Mittleren und Fernen Osten, Südostasien, Indien (und Singhalesisch), 45 Stipendien für die Slawistik mit einer Priorität auf Russland, vierzig Stipendien für Afrika. Der Schwerpunkt lag mit dreißig Stipendien nachdrücklich auf nicht-linguistischen Themen.376 Kalkuliert wurden dafür 40.000 Pfund pro Jahr für die nächsten fünf Jahre.377 Das konstatierte Koordinationsdefizit sollte durch die Bildung eines Unterkomitees des University Grant Committee gedeckt werden. Das International African Institute, dessen leuchtendes Beispiel aus der konstatierten Misere herausstach, bekam einen Zuschuss von 1.500 Pfund pro Jahr. Nach Rücksprache mit Hailey waren die ursprünglich vorgesehenen 1.000 Pfund erhöht worden.378 Grundsätzlich sollte in der Schule die Anzahl von Unterrichtseinheiten, die nicht Westeuropa betrafen, erhöht, Museen und Bibliotheken ausgebaut werden. In 372 Circular No. 20. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Note on the composition of Sub-Committees, 24.1.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2. 373 Vgl. dazu Footitt. 374 Zur Verteilung vgl. ebd., Paragraph 38–40. 375 Foreign Office, S. 69; 72. Auslandsreisen für Dozenten sollten zumindest alle drei Jahre stattfinden. Zur Kalkulation der Anzahl der Postgraduate Studentships nach Rücksprache mit Ward vgl. auch G. J. F. Tomlinson, Scarbrough Commission, Africa Subcommittee, 4.3.1946. TNA, CO 859/88/9. 376 Foreign Office, S. 70. 377 Ebd., S. 72. 378 G. J. F. Tomlinson, Scarbrough Commission, Africa Subcommittee, 4.3.1946. TNA, CO 859/88/9.

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dem der Einsendung des Berichts beigegebenen Anschreiben an den Außenminister strich Lord Scarbrough die Bedeutung des Handels mit dem Fernen Osten und die Notwendigkeit der Postgraduate Fellowships noch einmal explizit heraus.379 Aufgrund der Relevanz der Frage sollte in zehn Jahren eine Evaluation der aktuellen Situation und der Wirkungen der umgesetzten Maßnahmen vorgenommen werden. Im Ergebnis der Anhörungen war sich die Kommission im Grundsatz darüber einig, dass die vorhandenen Ausbildungsoptionen in einem Zustand waren, der den nationalen Interessen schadete. Der Außenminister verwendete die mobilisierende Formel der Kommission in seinen Briefen an die verschiedenen Ministerien: »unworthy of our country and people«.380 Im Detail beruhten die Empfehlungen auf der Einsicht, dass die Universitäten in diesen Bereichen staatliche Unterstützung brauchten381 und die nationale Situation der Area Studies insbesondere durch die folgenden Probleme gekennzeichnet war: keine systematische Organisation, geringer Fokus auf nicht-linguistische Themen, keine Lehrund Forschungsmöglichkeiten im Ausland, begrenzte Forschungsmöglichkeiten im Inland mangels Förderung, unzureichende Bibliotheken. Als besonders gravierend wurde die geringe Zahl an Studierenden bewertet.382 Verstärkt wurde der Eindruck durch den Blick nach Kontinentaleuropa. Für die Arbeit der Scarbrough Commission fungierten nach wie vor die ausländischen Modelle – insbesondere Deutschland und Frankreich – als Leitbilder. In Kombination mit dem Rückständigkeitsdiskurs sollten sie die Politik zum Handeln zwingen: »as compared with some other countries, particularly the United States, France, Holland and Germany, we have a good deal of leeway to make up.«383 Hailey hatte in seinem »African Survey« (1938) das Thema wieder an die Öffentlichkeit gebracht.384 Aber die stärkste Wirkung ging nun von der Dynamik der amerikanischen Area Studies aus, deren Kompatibilität mit britischen Bedürfnissen und dem Hochschulsystem von Anfang an im Zentrum der Diskussion stand. Zwei ausführliche Berichte über die amerikanischen Area Studies, die im Ergebnis von durch die Rockefeller-Stiftung finanzierten und koordinierten Reisen entstanden, bildeten die Diskussionsgrundlage. Beide Berichte, zu Osteuropa und dem Fernen Osten, waren in den Netzwerken der Stiftung und unter Mitwirkung von Mortimer Graves (ACLS) entstanden. Sie inventarisierten die Entwicklung in den USA in der formativen Phase der Area Studies im Hinblick auf die Frage nach ihrer Organisation, der sozialwissenschaftlichen Ausrichtung 379 Lord Scarbrough an Ernest Bevin, 17.4.1946. TNA, ED 121/315. 380 Ernest Bevin an Ellen Wilkinson (M. P.), 24.8.1946. TNA, ED 121/315. 381 Foreign Office, S. 8. 382 Ebd., S. 22. 383 Notes on Questionnaire to Government Departments, 10.1.1045. TNA, CO 859/88/8. 384 »It is a noteworthy fact, that the British Government has not given the same direct assistance as Belgium, France, or Germany to the institutions directed to the study of teaching of languages.« (Hailey, An African Survey. A Study of Problems, S. 70; 73).

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und der Finanzierung im vergleichenden Blick auf die Situation im Vereinigten Königreich. Sowohl der Bericht zu den Far Eastern Studies als auch zu den ­Slavonic Studies beschrieb die Dynamik der Area Studies nach den Kriegsimpulsen im Stadium der Anschubfinanzierung und die führende Rolle der Stiftung beim Übergang von klassisch-philologischen Studien zu den Area Studies, selbst in konservativeren Departments. Von Mai bis Juli 1945 eruierte Dorothy Galton, Sekretärin des Direktors Bernard Pares an der School of Slavonic and East European Studies, den Stand der Osteuropa-Forschung in Nordamerika. Der Bericht gibt einen sehr genauen Überblick über die Situation der einzelnen Universitäten (Berkeley, Chicago, Cornell, Harvard, Columbia, Michigan, Stanford, Syracuse, Toronto, Washington, Seattle und Yale), der neben der Evaluation der Bibliotheksbestände selbst Angaben zu den Lieferbedingungen der Bücher beinhaltet.385 Galtons Kontakte wurden über die Officer der Rockefeller-Stiftung, Marshall und Stevenson, sowie über Graves vermittelt. Mit Philip Moseley (Columbia University) hatte der Austausch in Vorbereitung der Reise bereits in London begonnen.386 Grundsätzlich hielt Galton die US-amerikanische Entwicklung mit der Großbritanniens nicht für vergleichbar. Weder die Impulse für den Aufschwung durch die Armeeprogramme noch die Förderung und Koordination durch RockefellerStiftung und ACLS waren auf der Insel gegeben: »A very important difference, for which the organizations mentioned in 2a (d. i. Rockefeller und ACLS) are in part responsible, is the attitude adopted in general in American universities to what are called ›Area Studies‹ (what we called ›Regional Studies‹). The Army Specialized Training Programme, which was in operation between 1942 and 1944, called for courses in Language and Area Study, and to meet this requirement many Universities found themselves obliged to make ad hoc arrangements for inter-departmental cooperation to provide lectures on a given area. In some universities, the committees which resulted from these arrangements are still in being and continuing discussion in an inter-departmental basis of permanent plans for ›Area‹ studies (e.g. Latin America, Far East, Russia, Western Europe, etc.). As in England, the better established studies such as French and German philology offer some resistance to the introduction of courses other than those in languages and literature, and in most universities there are administrative difficulties to be overcome; but, even in Harvard, which may be called conservative, an inter-departmental committee has been established to consider ›Area Studies‹, and Columbia has a very ambitious scheme in preparation.«387 385 Circular No. 131. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. A report on Slavic studies in the universities of the United States made to the Rockefeller Foundation, July 1945, 9./13.7.1945, S. 10 f. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 1. 386 Ebd. 387 Circular No. 131. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. A report on Slavic studies in the universities of the United States made to the Rockefeller Foundation, July 1945, 9./13.7.1945, S. 2. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 1 [Hervorhebung im Original].

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Ähnlich argumentiert der Bericht zur Situation der Far Eastern Studies in den USA, der aufgrund der Überschneidung der Interessensgebiete in besonders enger Zusammenarbeit mit Graves entstand, welcher die Kommission bereits früher unterstützt hatte.388 Als Gast der Rockefeller-Stiftung besuchte Dodds Harvard, Yale, Columbia und stellte erstaunt fest, dass der Staat sich in den USA erst seit dem Zweiten Weltkrieg finanziell an der Ausbildung beteiligte389 und aktuell gar keine öffentlichen Mittel in die Area Studies flossen. Er wies auf die Unterschiede in der Finanzierung hin und darauf, dass es in den USA im Unterschied zu Großbritannien circa 250 private Stiftungen gab.390 Weitsichtig prognostizierte er, dass die von der Rockefeller-Stiftung maßgeblich gesteuerte »pump-priming«-Phase bald abgeschossen sein müsste.391 Dodds hielt die Pläne in Maßen für übertragbar. Allerdings betonte er auch die Differenz in der Wirkung in den verschiedenen Bildungslandschaften. Während in den USA die Einführung der Area Studies eine Bewegung hin zu einer Spezialisierung darstellte, würde sie in Großbritannien das Gegenteil bewirken, nämlich eine Generalisierung in einer hoch spezialisierten Wissenschaftslandschaft. Festgehalten wurde in der Diskussion auch der manifeste europäische Vorteil Großbritanniens in Bezug auf Russlandkompetenzen aufgrund der stärkeren Präsenz von russischer Sprache und Kultur in Bildung und öffentlichem Leben.392 Dodds führte den Aufschwung auf den neu erwachten Internationalismus und das Ende des Isolationismus in den USA zurück. Die entscheidende Erkenntnis der Reise aber lag für ihn im Bereich der Organisation. Während er die Gründung einer zentralen Planungsinstanz in den USA für unwahrscheinlich hielt, die ja in der Tat seit den 1940er Jahren diskutiert, aber nicht realisiert wurde,393 wollte er sie in Großbritannien umsetzen. Nach dem Vorbild von ACLS und Rockefeller sollte eine »British academic planning agency« geschaffen werden in Form eines Unterkomitees des UGC und eine Anschubphase der Area Studies koordinieren und finanzieren, unter Einbezug Graves’. Die Rockefeller-Stiftung

388 Vgl. für die Liste mit Rockefeller-Geldern Circular No. 124. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Report on the position and prospects of Far Eastern studies in the United States. From E. R. Dodds, 1.6.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4.  389 Circular No. 124. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Report on the position and prospects of Far Eastern studies in the United States. From E. R. Dodds, 1.6.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4. 390 Ebd. 391 Ebd. 392 Circular No. 131. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. A report on Slavic studies in the universities of the United States made to the Rockefeller Foundation, July 1945, 9./13.7.1945, S. 3. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 1. 393 Vgl. Kapitel 3.2.1 und 3.2.2.

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hatte ebenfalls ihre Unterstützung zugesagt.394 Die Schlussfolgerungen des Berichts zu den Slavonic Studies ergänzten das Plädoyer für Koordination um den Aufbau eines Komitees für die Bibliotheken in enger Kooperation zwischen den USA, Großbritannien und Kanada.395 Im Unterschied zu Dodds empfahl Galton aber eine gewisse Zurückhaltung, was die Unterstützung durch RockefellerGelder anging. Nachdem im Herbst 1944 ein Rockefeller-Projekt mit dem Direktor der School of Slavonic Studies gescheitert war, sollte Unterstützung nicht für Forschung, sondern für Studenten und Bibliotheken anvisiert werden.396 Die Sogwirkung der amerikanischen Area Studies verstärkte auch die Hinwendung zu Forschungszentren. Die Idee dominierte bereits in den 1940er Jahren die Überlegungen als Instrument zur Verbesserung der Kooperation zwischen den Disziplinen. Sie wurde im Ergebnis des »African Survey«397 und auf Seiten derjenigen diskutiert, die eine Verbesserung der Kolonialausbildung verfolgten,398 und erhielt Aufwind durch die Debatte um ein Oriental Center.399 Aber sie griff auf den Bereich der Forschung über. Lord Hailey explizierte die Idee im Ausgang von der SOAS und forderte, dass »school of languages must be centers not merely of teaching but of research«.400 Gleichwohl war die Auseinandersetzung mit den amerikanischen Entwicklungen nicht frei von Kritik. Der positiven Rezeption der Area Studies wurden zwei Gefahren entgegengesetzt: der Verlust der Sprachkompetenz zugunsten einer allgemeinen und oberflächlichen Kulturkompetenz und der Verlust der historischen Dimension.401 Andere Kritiker verwiesen darauf, dass die angeb394 Circular No. 124. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Report on the position and prospects of Far Eastern studies in the United States. From E. R. Dodds, 1.6.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4. 395 Appendix to Circular No. 31. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Record of meeting held on 13th March. Statement made to Scarbrough Commission by K. D. Brough, hier: S. 5–7. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4. 396 Ebd., S. 5. 397 [RIIA], Draft Letter for Rockefeller Foundation, [Frühling 1938]. RIIA, 2-IIII-8x. 398 Commission of Enquiry into the Facilities for Oriental, Slavonic, East European and African Studies, African Subcommittee, 6.6.1946. TNA, CO 859/88/8. Vgl. auch Circular No. 59. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies, [o. D.]. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 1. Vgl. auch zum Standpunkt der East India Association für ein Zentrum zur Ausbildung in Oriental Studies Atul C. Chatterjee an R. T. D. Ledward, 14.3.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 1. 399 Appendix to Circular No. 33. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, ­Slavonic, East European and African studies, 21.3.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 1. 400 Circular No. 16. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Evidence of Lord Hailey, 4.1.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 2.  401 Circular No. 124. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Report on the position and prospects of Far Eastern studies in the United States. From E. R. Dodds, 1.6.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4;

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lich neue Form der Studien in London zum Teil bereits umgesetzt war.402 Wieder andere Vorschläge sahen ein Trennen von Sprach- und Kulturausbildung an verschiedenen Orten vor. Dennoch befürworteten fast alle britischen Universitäten die Realisierung bzw. Angliederung von Area Studies an ein Zentrum der Universität.403 An der grundsätzlichen Notwendigkeit dieser Ausbildungsanteile und ihrer effizienten Organisation bestand kein Zweifel, ebenso wenig wie an der Tatsache, dass Wissenschaftspolitik und ihre Effekte bei den Ministerien nicht mehr als »outside their scope« galten.404 4.2.3 Programmaufbau am Royal Institute of International Affairs In den Debatten der Kommissionen wurde immer wieder die Rockefeller-Stiftung als Hauptakteur im Bereich der Sozialwissenschaften und ihrer regionalwissenschaftlichen Orientierung genannt. Parallel zum Engagement in Frankreich mit der Gründung einer nationalen Forschungsinstitution405 arbeitete das Laura Spelman Rockefeller Memorial und insbesondere sein Direktor Beards Ruml seit 1923 eng mit britischen Institutionen zusammen. »Rockefeller’s Baby« in London war während der Zwischenkriegsjahre die London School of Economics: Nach der University of Chicago und der Columbia University erhielt diese 1895 gegründete Reformuniversität die meisten Rockefeller-Gelder überhaupt und 62,5 Prozent aller in der Zwischenkriegszeit im Vereinigten Königreich verteilten Gelder.406 Rockefeller unterstützte darüber hinaus das Nuffield College, das 1937 in Oxford gegründete erste Zentrum für Sozialwissenschaften, und das 1938 gegründete unabhängige National Institute of Economic and Social Research. Circular No. 123. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. The 19th meeting of the Commission was held at the Foreign Office on Tuesday 19th June 1945, S. 2. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4. 402 Circular No. 94. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Reply of the University of London to second questionnaire, [o. D.]. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3; Circular No. 99. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Views of the Conference of Missionary Societies in Great Britain and Ireland, [o. D.]. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 3.  403 Circular No. 111. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Summary of Replies by the Universities to the 2nd Ques­ tionnaire to Universities (Enclosure to Circular No. 23), [o. D.]. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4. 404 Lord Zetland, 13.3.1945, Appendix to Circular 33, Appendix to Circular No. 33. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Record of Lord Zetland’s examination before the Commission, on Tuesday, March 13th, 21.3.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 1. 405 Vgl. Kapitel 4.1. 406 Scot, LSE, S. 99–124, hier: S. 104.

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Gemeinsam mit der LSE wurde das Royal Institute of InternationalAffairs einer der Hauptgesprächspartner der Rockefeller-Stiftung in Großbritannien. Kurz nach der Gründung hatte Rockefeller Junior dem Institut 3000 Pfund als Geschenk vermacht, deren Verwendung sich aber mangels Dokumenten schon in den 1930er Jahren nicht mehr nachweisen ließ.407 Seit 1930 wurde der Gedanke eines Forschungsantrags mit der Stiftung diskutiert und 1932 in die Tat umgesetzt. Im Ergebnis förderte Rockefeller die wirtschafts- und politikwissenschaftliche Forschungsarbeit des Instituts kontinuierlich von 1932 bis 1964. Bis zum Jahr 1961, dem Jahr des letzten Antrags, hatte die Stiftung das Institut mit circa 1,3 Millionen Dollar unterstützt, vor allem seine Studien zu den Entwicklungsländern.408 Die in den Anträgen formulierten Forschungslinien und Summen variierten, betrafen aber im Kern immer eine Schwerpunktförderung nach Weltregionen, die auf mehrere Jahre und politik- und wirtschaftswissenschaftliche Expertise angelegt war. Das Institut war zusammen mit seinem US-amerikanischen Schwesterinstitut, dem Council on Foreign Relations, während der Friedenskonferenzen nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1919 in Paris gegründet worden.409 Es sollte unparteiische objektive Studien und Informationen zu den internationalen Beziehungen als Grundlage öffentlicher Meinungsbildung und rationaler politischer Entscheidungen für die Nachkriegszeit produzieren. Seit Ende der 1920er Jahre entwickelte es sich zu einem Zentrum politikwissenschaftlicher Expertise in Europa und bildete ein institutionelles Netzwerk mit globalen Dimensionen.410 Das sechsbändige Werk »A History of the Peace Conference« sowie die Publikation des Jahresüberblicks »Survey of International Affairs« und das »Journal of the Royal Institute of International Affairs« begründeten seine Stellung nicht nur in Großbritannien.411 Die anfänglich gespannten Beziehungen zum Foreign Office glätteten sich.412 Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs übernahm der Historiker Arnold J. Toynbee,413 langjähriger wissenschaftlicher Direktor des Instituts (1929–1956), als herausragender Experte für internationale Beziehungen die Leitung des Foreign Research and Press Service (FRPS), das bis 1943 als eine 407 Suggested method of approach for a grant, 21.2.1931. RIIA, 2-III-8g. Zu Beginn hatte das Institut weitere Zuwendungen von verschiedener Seite erhalten, vgl. [o. A.], Chatham House. Study of Foreign Relations, in: Journal of the Royal Institute of International Affairs Jg. 8, 1929, 5, S. 413–417, hier: 414 f. 408 RF 61010. RAC, RF 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 409 Dockrill. Hier auch zu den Mitgliedern der britischen und amerikanischen Delegation, welche die institutionellen Grundlagen erarbeiteten. Für eine statistische Auswertung der Gründungsmitglieder vgl. Parmar, Think Tanks, S. 31 ff. 410 Zu Chatham House und Round Table Movement vgl. Williams, Commonwealth of Know­ ledge. 411 Temperley u. a.; Morgan, Chatham House’s Early Research; King-Hall. 412 Dockrill; Keyserlingk. 413 Für Hinweise zur Geschichte des Instituts vgl. Cabell u. Bone. Nach Toynbee fungierten die Direktoren bis 1961 auch als wissenschaftliche Leiter.

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Art Informationseinheit in Oxford stationiert war und die Regierung beriet,414 bis es als Foreign Office Research Department dem Foreign Office eingegliedert wurde.415 Der Hauptarbeitsbereich des Instituts lag in der Geschichte der internationalen Beziehungen. Das Institut galt als führend in seinem Bereich. Selbst die zumeist zurückhaltend evaluierende Rockefeller-Stiftung äußerte sich in ihren internen Papieren enthusiastisch über die Qualität der erbrachten Leistungen: »the best Institute in the field of international relations so far«.416 Die Aufgaben des Instituts kristallisierten sich seit Mitte der 1920er Jahre heraus. Es stellte einerseits eine Plattform zwischen Politik, Wirtschaft und der Öffentlichkeit dar und fungierte andererseits selbst als Forschungsinstitut zur internationalen Geschichte mit einer Bibliothek sowie Presse- und Dokumentationssammlungen.417 Und schließlich war auch der außenpolitische Einfluss des Instituts und seiner Netzwerke, entgegen öffentlicher Verlautbarungen, unbezweifelbar.418 Mit der zu Beginn der 1930er Jahre einsetzenden Rockefeller-Förderung schärfte sich das wissenschaftliche Profil des Instituts und es erhielt eine wichtige Koordinierungsfunktion im Bereich der Sozialwissenschaften: Auf Vorschlag Tracy Kittredges ergriff Chatham House die Initiative und lud alle Forschungsorganisationen, die Grants im Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften von der Rockefeller-Stiftung erhielten, zu Planungsgesprächen ein. Dabei ging es nicht nur darum, Überschneidungen in der Förderung zu vermeiden. Die »Consultative Conference on the Coordination of Research in the Social and Economic Sciences in Wartime«, die unter Leitung des LSE-Direktors Alexander Carr-Saunders mehrfach zusammenkam, nahm den Charakter eines koordinierenden Forschungsrats in den Sozialwissenschaften an, der in Großbritannien erst 1965 gegründet werden sollte.419

414 Statement on the Present Position with Regard to an Application to the RF for a Grant for the Research work of the RIIA. RIIA, 2-IIII-8a. Vgl. zur Arbeit und der Verschiebung hin zu Nachkriegsplanungen Keyserlingk. Toynbee hatte schon im Ersten Weltkrieg für das Außenministerium gearbeitet und war als junger Historiker bei der Gründung des RIIA in Frankreich gewesen, ebd., S. 541. 415 Vgl. Anthony Eden an Waldorf Astor (Chairman of Council RIIA), 7.12.1942; Waldorf Astor an Anthony Eden, 9.12.1942. Die neue Bezeichnung der Abteilung lautete nun »The Foreign Office Research Department«, Application to the Trustees of the Rockefeller Foundation for a Continuation of the Research Grant to the Royal Institute of International Affairs, 16.4.1943. RIIA, 2-III-8r. 416 Report to the Trustees of the Rockefeller Foundation on the Research in the field of International Affairs made possible by the Grant from the Foudation 1937–1942 and Application for a continuation of the Grant for a further period of five years, April 16th 1942, hier: S. 6. RIIA, 2-III-8 r. Vgl. für einen Überblick Schmidt, On the History. 417 Report of the Council (1936), hier: S. 5–8. RIIA, 2-III-8 f. 418 Vgl. Bosco; Parmar, Think Tanks, S. 77 ff. (für eine Benennung konkreter Einflussnahmen). 419 Report to the Trustees of the Rockefeller Foundation on the Research in the field of International Affairs made possible by the Grant from the Foudation 1937–1942 and Application

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Schwerpunkte im Bereich der Area Studies waren bereits vor der Diskussion des US-amerikanischen Modells in den 1940er Jahren gesetzt worden. Im Jahr 1924 hatte eine Studiengruppe zu Afrika ihre Arbeit aufgenommen.420 Seit 1927 arbeitete das RIIA zum Fernen Osten.421 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Zusammenarbeit mit dem Salzburg Seminar angedacht.422 Die Stiftung hatte auch andere Schwerpunkte gesetzt. Rockefeller förderte das 1926 gegründete International Institute of African Languages and Culture seit Anfang der 1930er Jahre als Hauptsponsor.423 Darüber hinaus hatte die Stiftung an der SOAS das Sprachprogramm für Afrika finanziert und so entscheidend zur Erweiterung des Ausgangsfokus beigetragen.424 In der Förderung der LSE zeitigte insbesondere die Finanzierung von Malinowskis Sozialanthropologie in den 1930er Jahren weitreichende wissenschaftspolitische und methodische Effekte.425 Aber eine Programmförderung, die über einen längeren Zeitraum im Bereich der Area Studies erfolgte und unter diesem Etikett verhandelt wurde, war vor allem mit dem Royal Institute of International Affairs verbunden. Area Studies fungierten in diesem politikwissenschaftlichen Bereich ebenso wie in der Pariser Konzeption Duroselles als eine Organisationskategorie der Geschichte der internationalen Beziehungen. Sie traten als Konzept zunächst kaum in den Vordergrund, gleichwohl gehörten regionalwissenschaftliche und modernisierungstheoretisch ausgerichtete Studien zum Kern der Förderungen. Im Jahr 1937 war eine Verlängerung der Erstförderung beantragt worden und eine Erweiterung um einige Projekte für fünf Jahre in gleicher Höhe von 8.000 Pfund pro Jahr.426 Parallel zu den größeren Anträgen liefen einzelne Förderprojekte wie zu Lateinamerika und islamischen Gesellschaften oder Burma.427 Während des Zweiten Weltkriegs erfolgte die Bewilligung auf einer jährlichen Basis.428 Im Jahr

for a continuation of the Grant for a further period of five years, April 16th 1942, hier: S. 3 f. RIIA, 2-III-8 r. 420 Tilley, S. 65 f.; 70. 421 Report on an interview with Dr. Selskar Gunn,18.5.1936. RIIA, 2-IIII-8 f. 422 Edward D’Arms, Diaries, 30.3.1949. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 391. 423 Tilley, S. 65 f.; 70; Rausch, Expertenkämpfe, S. 89. 424 Vgl. Kapitel 2.1.6. 425 Malinowski wurde bis zu seinem Wechsel nach Yale 1939 gefördert, vgl. für eine Interpretation Rausch, Expertenkämpfe. 426 Vgl. Report to the Trustees of the Rockefeller Foundation on the Research in the field of International Affairs made possible by the Grant from the Foundation 1932–1937 and Application for a continuation of the Grant and for Supplementary Grants for three additional projects, Dec. 1st 1936. RIIA, 2-III-8 r. Vgl. Chatham House Research Programme, 20.12.1944. RAC, RF 1.1, Series 401, Ser. 401 S, Folder 79, Box 1031. 427 RF 61010. RAC, RF 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. Vgl. z. B. die Fördergelder für die Analyse des Flüchtlingsproblems oder die Organisation der International Studies Conference, R. Letort an Ivison Macadam, 20.1.1938. RIIA, 2-III-8g. 428 Chatham House Research Programme, 20.12.1944. RAC, RF, RG 1.1, Ser. 401 S, Box 79, Folder 1031.

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1942 war eine Verlängerung um fünf Jahre beantragt worden.429 Im Jahr 1943 wurde ein Antrag auf zwei Jahre für 8.000 Pfund pro Jahr zur Unterstützung der Forschung des Instituts gestellt.430 Im Jahr 1945 hatte das Institut 8.000 Pfund pro Jahr beantragt, die Periode wurde der Stiftung überlassen, zusätzlich 2.000 Pfund pro Jahr für den Ausbau der Russian Studies und 8.500 für fünf Jahre für das mehrbändige Publikationsprojekt zu »Peace and War Settlements«.431 Im Jahr 1951 wurden 45.000 Dollar bewilligt über drei Jahre und für Forschungen zu den Regionen des Mittleren Ostens, der Sowjetunion und allgemein »unterentwickelte Länder« festgelegt.432 Im Jahr 1953 waren die Gelder auf drei Jahre und die Regionen Europa, Mittlerer Osten, Südost- und Ostasien sowie ein Projekt zur Internationalen Ökono­mie festgelegt.433 Eine besondere Stellung nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen die Projekte zur Geschichte des Kommunismus ein.434 Daneben bildete die Förderung der individuellen Forschungen Toynbees einen wichtigen Finanzierungsposten.435 Für die Fünfjahresperiode 1956–1961 unterstützte die Stiftung das Institut mit 145.000 Dollar für Studien »on underdeveloped areas, on economic and political development, and on contemporary international relations from the standpoint of their political, economic and cultural aspects«.436 Im Jahr 1961 wurden 51.300 Dollar zugesagt für das »research program on economic and

429 Vgl. Report to the Trustees of the Rockefeller Foundation on the Research in the field of International Affairs made possible by the Grant from the Foudation 1937–1942 and Application for a continuation of the Grant for a further period of five years, April 16th 1942. RIIA, 2-III-8 r. 430 Application for a continuation of the Research Grant to the RIIA, 16.2.1942. RIIA, 2-III-8 r. Zur Bewilligung vgl. Chatham House Research Programme, 20.12.1944. RAC, RF, RG 1.1, Ser. 401 S, Box 79, Folder 1031. 431 Waldorf Astor an Raymond Fosdick, RAC, RF 1.1, Ser. 401 S, Folder 79, Box 1031. Die Stiftung gewährte einen Fünfjahres-Grant, 37.500 Pfund für Toynbees Arbeit, 8.000 Pfund jährlich für drei Jahre, 6.500 Pfund für ein viertes Jahr, 5.000 Pfund für das fünfte Jahr. Die Russian Studies wurden nicht gefördert, Joseph H. Willits an Ivison Macadam, Telegramm, 1.5.1945; Vgl. für das Bedauern Macadams die Antwort, Telegramm, 3.5.1945. RAC, RF 1.1, Ser. 401 S, Folder 79, Box 1031. 432 Ivison Macadam an Philip Moseley, 11.4.1951. RIIA, 2-III-8s. 433 Joseph H. Willits an Ivison Macadam, 20.2.1953. RIIA, 3-III-8t. Vgl. weiter unten zur Diskussion um den Antrag. 434 Vgl. v. a. die Quelleneditionen Degras’, Soviet Documents und Degras The Communist International. Vgl. bezüglich der Förderung den Austausch der Rockefeller-Stiftung mit dem Department of State, Interviews Charles B. Fahs mit Rhea Blue, 31.8.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401, Box 64, Folder 556. 435 Die Stiftung förderte Toynbees Forschungen seit spätestens 1942 mit Reisestipendien und weiteren Zuschüssen, vgl. RAC, RF, 1.2., Box 65, Folder 568. Für die hier angesprochene Periode vgl. v. a. das Reisestipendium in Höhe von 8.000 Dollar im Jahr 1951, Flora M. Rhind an Ivison Macadam, 1.4.1951. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 R, Box 45, Folder 403. 436 RF 56071. RAC, RF 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554.

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politi­cal development, contemporary international relations from the standpoint of their political, economic and cultural aspects«.437 Die frühen Anträge, und insbesondere der erste Antrag im Jahr 1932, hatten weniger die Schwerpunktregionen selbst als die Arbeitsweise des Instituts als Förderargument angeführt. Die Stiftung hatte im Jahr 1932 30.000 Dollar für fünf Jahre zugesagt, die für die Forschung des Instituts verwendet werden sollten.438 Die Aufteilung der Gelder regelte ein eigens dafür eingesetztes Komitee, das 80 Prozent der Gesamtsumme zu gleichen Teilen für die Entwicklung von Forschung nach der »study group method« und für Einzelprojekte unter Leitung des Studiendirektors vorsah.439 Diese Gruppen, die ein Markenzeichen der Arbeit des Instituts waren, wurden im Jahr 1931 in einem Department for the organisation of Study Groups zusammengefasst.440 Die problemorientierte Zusammenarbeit von Experten in Studiengruppen zu internationalen politischen und wirtschaftlichen Problemen (Chatham House Study Groups) war nicht vom Chatham House erfunden worden. Sie wurde von Behörden und Organisationen, im Völkerbund und in der britischen Regierung praktiziert (in der Royal Commission) und ihre Grundregel war einfach: »It consists simply of forming a group of persons of which the individual members besides being competent and qualified to examine the given problem represent all points of view about this problem.«441 Die Leistung des Instituts lag einerseits in der konsequenten Umsetzung des Prinzips, seit 1929 wurde mit verschiedenen Formaten experimentiert,442 und andererseits im inoffiziellen Charakter der institutionalisierten Gruppen. Ziel seiner Initiativen war es, für jedes internationale Problem eine inoffizielle Expertengruppe einzurichten und die aktualitätsgebundene Arbeit der Regierung durch eine langfristige und nicht auf schnelle Lösung angelegte Expertenarbeit zu unterstützen. Das Selbstverständnis des Instituts war uneingeschränkt policyorientiert. Die Zusammensetzung der Gruppen wurde frei gehandhabt; auch politische Gegner und Interessensvertreter konkurrierender Institutionen wurden zur Förderung kreativer und umfassender Lösungsansätze eingeladen,443 zu der auch die Chatham House Rule beitrug. Wurde ein Treffen dieser Regel unterstellt, durften die ausgetauschten Informationen nur unter Wahrung der Anonymität des Sprechers weitergegeben werden.

437 RF 61010. RAC, RF 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 438 Rockefeller Research Fund, Confidential, 23.11.1932. RIIA, 2-IIII-8a. 439 Ebd. Die restlichen Prozent gingen an die Bibliothek und das Information Department. Vgl. für die Planung und Darstellung im Antrag Application to the Rockefeller Foundation for a Grant for Research work of Chatham House, 10.10.1930. RIIA, 2-III-8g. 440 Statement on the Present Position with Regard to an Application to the RF for a Grant for the Research work of the RIIA. RIIA, 2-IIII-8a. 441 Research by the Study Group Method, [o. D.]. RIIA, 2-III-8g. 442 Ebd. 443 Ebd.

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Die Gruppen-Methodik interessierte die Verantwortlichen der Stiftung stark, die schon bei ersten Gesprächen Gelder für ihre Weiterentwicklung und den Ausbau zusagten.444 Im Jahr 1931 gab es drei Gruppen: »The International Function of Gold«, »Public Opinion and the League of Nation« und »Problems of Comparative Colonial Administration«.445 Ende 1936 wurden fünf neue Gruppen geplant: »The Limitations of Nationalism«, »International Economic Policies«, »Anglo-American Relations«, »International Communications«, »The Future of the League of Nations«.446 Die Anzahl der Gruppen und ihre Inhalte wurden flexibel gehandhabt, weshalb die Institutsleitung sich in den Anträgen auch nur ungern festlegte und immer wieder um Flexibilität bat.447 Für den Aufbau der Gruppen waren die Rockefeller-Gelder entscheidend, die während der ersten zehn Jahre 75 Prozent der Finanzierung ausmachten.448 Die kontinuierliche Förderung zeigt, dass das Chatham House seit Ende der 1920er Jahre zu den strategischen Partnern der Stiftung in Europa gehörte. Die Kommunikationsnetzwerke waren so eng, dass die Stiftungsbeiträge vonseiten des Instituts fast selbstverständlich in das Budget eingerechnet wurden.449 Dies bedeutete aber nicht, dass es keine Veränderung in der Förderung oder Konflikte in der Kommunikation über die Verwendung der Gelder gegeben hat. Vielmehr bestand im Unterschied zu anderen Förderprojekten von Anfang an ein grundsätzliches Problem darin, dass das RIIA die Stiftung als eine Art zusätzliche institutionelle Finanzierungsquelle ansah. Mit Recht gingen die Institutsmitglieder von der Bedeutung ihrer Arbeit aus. Zu Unrecht nahmen sie an, dass diese langfristig zu einer nicht-projektgebundenen Unterstützung durch Rockefeller im Bereich der Area Studies führen könnte. 4.2.4 Area Studies als Projekt. Kommunikationsprobleme und Kritik Die vonseiten der Stiftung im Gespräch mit dem Institut angeforderten Profilmerkmale oder Programmstrukturierungen stießen auf Kritik und warfen nach dem Krieg grundsätzliche Fragen der Forschungsorganisation auf. Die Probleme, welche eine Finanzierung mit Rockefeller-Geldern auslöste, waren aus Sicht des RIIA vielfältig. Auf wenig Gegenliebe stieß von Anfang an die von der Stiftung geforderte Gegenfinanzierung der Fördergelder. In seinem vertraulichen Bericht 444 Suggested method of approach for a grant, 21.2.1931. RIIA, 2-III-8g. 445 Research by the Study Group Method, [o. D.]. RIIA, 2-III-8g. 446 Application for a continuation of the Grant and for Supplementary Grants for three addi­ tional projects, Dec. 1st 1936. RIIA, 2-III-8 r. 447 Ebd. 448 Report to the Trustees of the Rockefeller Foundation on the Research in the field of International Affairs made possible by the Grant from the Foudation 1937–1942 and Application for a continuation of the Grant for a further period of five years, April 16th 1942, hier: S. 5. RIIA, 2-III-8 r. 449 [Ivison Macadam] an Raymond Fosdick, 4.12.1936. RIIA, 2-III-8 f.

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über ein Vorgespräch von 1936 zur Antragstellung bemerkte der erste Direktor Ivison Macadam: »I saw the old snag beginning to appear of a local contribution of £ 1 for every £1 given by the foundation, but was able to dodge it!«450 Die Kurzfristigkeit der Förderung für drei oder fünf Jahre wurde als unpraktisch moniert und die Tatsache, dass selbst die Intervention von Lord Lothian,451 dem späteren Botschafter Großbritanniens in den Vereinigten Staaten (1939/1940) bei dem neu ernannten Präsidenten der Stiftung Raymond Fosdick nicht zu einer zehnjährigen Förderung führte, sorgte für Verwunderung.452 In London ging man davon aus, dass mit Fosdicks Ernennung an die Spitze der Stiftung die Sozial- und Politikwissenschaften nun wieder stärker gefördert werden würden. Tief saß in Großbritannien der Schock über den Bruch mit der LSE. Dass neben anderen Institutionen selbst die LSE 1935 nicht unterstützt worden war, wurde auf die Profilentscheidung des scheidenden Präsidenten und Mathematikers Mason und seine Überzeugung vom geringen Nutzen der Sozial­w issenschaften zurückgeführt.453 Im Hintergrund standen allerdings neben strategischen Entscheidungen der Stiftung und ihrer Skepsis gegenüber der Monopolisierung der britischen Sozialwissenschaften an der LSE auch interne Querelen zwischen deren wirtschaftswissenschaftlichen Fronten, die sich um die Gründung eines Statistik-Instituts Ende 1934 formierten.454 Die Diskussionen um Profilschwerpunkte führten dazu, dass Area Studies in den Anträgen als Organisationsprinzip der Arbeit und Datenerhebung, und – so scheint es – auf Wunsch der Stiftung auftauchten. Als Macadam 1945 den Nachfolgeantrag vorbereitete, zeigte sich die Stiftung wie immer enthusiastisch über die Arbeit des Instituts. Aber sie machte deutlich, dass dessen Arbeitsweise mit ihren Förderpraktiken konvergieren müsste. Die Projektförderung und die Prinzipien der Antragstellung wurden zum Problem und explizit diskutiert, da die Rockefeller-Stiftung plante, ihre allgemeinen Zuschüsse, insbesondere zur Förderung der Geschichte der internationalen Beziehungen, einzustellen. Die allgemeine Situation der Geschichte der internationalen Beziehungen machte aus ihrer Sicht eine Schwerpunktförderung nötig.455 Dies führte allerdings nicht zu einem veränderten Argumentations- oder Antragsverhalten vonseiten des Instituts. Bei einem Gespräch mit Buchanan bat Macadam selbst- und erfolgsbewusst und zum Erstaunen des Officer um eine Ausnahmeförderung für das RIIA, da es schwierig sei, exzellente Wissen450 Report on an interview with Dr. Selskar Gunn, 18.5.1936. RIIA, 2-IIII-8 f. Macadam war bekannt für sein »schottisches Organisations- und Verwaltungstalent«. Er leitete das Institut von 1929 bis 1955 und war bis 1973 Herausgeber des »Annual Register of Word Events«. Während des Kriegs war er zeitweilig stellvertretender Generaldirektor im Informationsministerium, vgl. den Nachruf, The Times, 24.12.1974. 451 Vgl. Bosco. 452 Ivison Macadam an Philip Lothian, 3.12.1936. RIIA, 2-III-8 f. 453 Report on an interview with Dr. Selskar Gunn, 18.5.1936. RIIA, 2-IIII-8 f. 454 Scot, LSE, S. 115–124. Die umfassende institutionelle Förderung endete 1933, ebd., S. 115. 455 Inter-Office Correspondence, 25.4.1945. RAC, RF, RG 1.1, Ser. 401 S, Box 79, Folder 1031.

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schaftler für ein Projekt zu gewinnen, dessen Finanzierung unklar sei. Die Kommunikation der Folgejahre umkreiste dieses vom Chatham House vorgebrachte Problem der Inkompatibilität zwischen Projektsemantik und Dynamik der Organisation.456 Buchanan versuchte zu erklären, dass die Absage an allgemeine Zuschüsse nicht bedeute, dass nur noch kleine Einzelprojekte – »small grants in a piecemeal fashion« – gefördert würden. Buchanan »tried to explain to him that by a research ›project‹ we often meant a series of studies which were closely related and tried to deal with a broad topic of research comprehensively«. Er wies darauf hin, dass die Stiftung gewöhnlich in einem engen Kontakt mit den antragstellenden Institutionen bleibe und dies bereits im ersten Ideenstadium zu projektbildenden Gesprächen führen würde.457 Chatham House legte mit einem Arbeitsmittagessen Ende Januar 1950 nach, das Buchanan zumindest überraschte. Andererseits nutzte er die Gelegenheit, um den Standpunkt der Stiftung zu verdeutlichen und größere Projektpakete einzufordern, zum Beispiel zu Afrika, dem Mittleren Osten oder Indien.458 Im Antragstext des RIIA aus dem Jahr 1950 lässt sich der entscheidende Wechsel hin zu den regional studies als Organisationsprinzip der Einzelprojekte feststellen. Die Hauptschwerpunkte wurden nun nach Regionen aufgelistet: Sowjetunion, Ost- und Westeuropa, Mittlerer Osten, Ferner Osten und Süd­ ostasien, Lateinamerika sowie Commonwealth Relations. Nach langem Zögern wurde auch eine Gruppe zu Central African Affairs hinzugenommen. Die beratenden Unterkomitees (advisory subcommittees) waren nach Regionen gegliedert und »regional studies« wurden nun als ein eigener Schwerpunkt aufgeführt.459 Im Unterschied dazu hatte der Antrag davor einen Überblick über die Arbeit von 1943 bis 1945 gegeben und war nicht nach den Weltregionen gegliedert. Ansätze aus dem Bereich der Area Studies kamen in den Rubriken vor, aber sie waren nicht das Organisationsprinzip von Antrag und Arbeit. In den einzelnen Sektionen wurden Middle East, Far East, Commonwealth Relation, Latin America erwähnt, aber die Rubriken waren nicht problemorientiert organisiert. Der Antrag war gegliedert in: »I Prewar Studies; II Political and General Studies; III Economic Studies«.460 Die Rockefeller-Stiftung wies wiederum darauf hin, dass die Stiftung keine generellen Summen überweise. Es sei ausgeschlossen, »granting general support to international affairs agencies, and it was observed that their budget for general funds is large«. Das RIIA hatte 5.000 Pfund über fünf Jahre gefordert. 456 Besio, S. 125 ff. 457 Norman S. Buchanan, Interview mit Ivison S. Macadam, 20.10.1944. RAC, RF, RG 1.1, Ser. 401 S, Box 79, Folder 1033. 458 Ebd. 459 RIIA, Application to the Trustees of the Rockefeller Foundation, 30.4.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 460 RIIA, Application to the Trustees of the Rockefeller Foundation for a continuation of the Research Grant to the RIIA, 16.4.1945. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554.

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»It was decided that NSB would draft a letter for JHW to sign, again explaining our policy of ›no general support‹, but offering to look at some particular projects or areas. In the draft NSB will not spell out the areas, but JHW will take another look at the application which describes the areas in which they plan to work and then may insert one or two of these which fit in with RF program.«461

Willits führte dann in der Tat die Gedanken aus und empfahl eine Organisation nach »geographical areas«. An den Rand notierte er »area studies«.462 Die Re­ aktion aus London fiel unerwartet negativ aus. Chatham House war nicht bereit, einen detaillierten Antrag zu formulieren.463 Nach einem weiteren Gespräch unterbreitete die Stiftung selbst einen konkreten Vorschlag in dem anvisierten Sinn: 12.000 bis 15.000 Dollar pro Jahr für die Dauer von drei Jahren für Studien zum Mittleren Osten, den sogenannten unterentwickelten Regionen und der Sowjetunion.464 Das neu formulierte Forschungsprogramm argumentierte dann auf dieser Linie und nahm den »regional approach« auf. Explizit hieß es: »In problems of the development of under-developed territories a regional approach has been adopted, i. e. attention is focused primarily on geographical areas, irrespective of political boundaries, e.g. on West Africa rather than on British, French and Portuguese West Africa separately; on the Caribbean area rather than on British, French, Dutch and United States West Indian territories respectively. This kind of approach is already in use in the publications of the Caribbean Commission, of the Economic Commission for Asia and the Far East and of the South Pacific Commission; there is as yet no corresponding organisation in being for Tropical Africa. Investigations on regional lines can with advantage be complemented by specific studies of particular territories.«465

Der Antrag wurde geändert. Die Konfliktlinien blieben bestehen. Allerdings rückten im Jahr 1953 die Area Studies in den Titel auf und bildeten den Schwerpunkt des Forschungsprogramms. Unterteilt nach »European Studies, Southeast and East Asian Studies, Middle East and Mediterranean Studies«, stellten sie das entscheidende Organisationsprinzip der Forschungs- und Dokumentationsarbeit dar,466 461 Excerpt from Minute of SS Staff Meeting, 22.6.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 462 Joseph H. Willits an Ivison Macadam, 5.7.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 463 Margaret Cleeve an Jospeh H. Willits, 27.9.1950. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 464 Jospeh H. Willits an Ivison Macadam, 29.1.1951. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 465 RIIA, Research Programme, 1951–1955, Sections on The Development of Under-Developed Territories, The Middle East, Soviet Studies, 17.2.1951. S. 3. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 466 RIIA, Devlopment of Area Studies, 12.2.1953. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 64, Folder 555.

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das allerdings vieles in sich vereinte. Aus diesem Grund fragte die Stiftung nach den Forschungsprioritäten und bat darum, die eigenen Finanzierungen in den Bereichen zu benennen. Die Stiftung bestand darauf, dass die Projekte nur für drei Jahre gefördert wurden und ein Forschungsschwerpunkt nicht mehr als vier bis sechs Projekte umfassen sollte.467 Das Institut erhielt letztlich 72.000 Dollar für drei Jahre, für das Area Programm mit drei Schwerpunkten: Europa, Mittlerer Osten, Südost- und Ostasien.468 Die Diskussion um den Charakter der Förderung und die Möglichkeit, allgemeine institutionelle Zuschüsse zu erhalten, brach 1956 erneut aus. Mit einer im Vergleich zu anderen europäischen Partnern der Stiftung bemerkenswerten Unnachgiebigkeit stellte der Nachfolger Macadams, Christopher M. Woodhouse, Direktor des Instituts von 1955–1959, die Frage nach der Höhe der OverheadKosten neu.469 Das RIIA sendete ein Forschungsprogramm mit einem Schwerpunkt auf unterentwickelten Ländern und deren Analyse.470 Das Institut verwies darauf, dass Grants generell zu teuer seien, da sie nicht mit anderen Geldern gegenfinanziert werden könnten und, anders als die Universitäten, das Institut auch keine Sicherheiten, wie zum Beispiel Stiftungskapital, besaß.471 Woodhouse forderte einen Prozentsatz von 25 Prozent jedes Research Grants für administrative Ausgaben und bezeichnete dies zum Erstaunen der Stiftungsverantwortlichen als schlichte Fortführung der üblichen Förderpraxis.472 Dies löste in der Stiftung verstärkte Hintergrundrecherchen aus, da sich die Bemerkung im direkten Widerspruch zum eigenen Selbstverständnis befand. Im Grant von 1951 waren zwar in der Tat Kosten für »fees and travelling expenses« gemeinsam mit »office expenses and salaries« angegeben gewesen, allerdings hatte das RIIA auch keine detaillierten Budgets eingereicht, sondern zumeist globale Summen für die Einzelstudien angegeben.473 Während des Jahres spitzte sich der Konflikt so weit zu, dass Buchanan, der mit Woodhouse in London direkt sprach, per Telegramm nach New York mitteilte, dass das RIIA wohl keinen Antrag stellen werde, wenn die Stiftung nur die reinen Forschungskosten bezahlen würde.474 Darüber hinaus befand sich das Institut zu diesem Zeitpunkt im Gespräch mit der Ford-Stiftung und dieses entwickelte sich aus Sicht des RIIA weniger kompliziert.475 In der Tat erhielt das RIIA von Ford im Jahr 1956 einen Grant über 467 Joseph H. Willits an Ivison Macadam, 20.2.1953. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 555. 468 RF 53046. RAC, RF, 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 469 Zur Problematik der indirekten Kosten vgl. die Debatte in den USA, Kapitel 3.4. 470 Vgl. zur Verteilung der Gelder auf die Regionen den Bericht, Rockefeller Grant, 1956–1961. RIIA, 2-III-8v. 471 Christopher M. Woodhouse, 27.2.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 472 Christopher M. Woodhouse an Kenneth W. Thompson, 28.2.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 473 Inter-Office Correspondence, 21.3.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 474 Norman S. Buchanan, 23.3.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 475 Christopher M. Woodhouse, 27.2.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554.

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zehn Jahre in Höhe von 400.000 Dollar. Das Geld war nicht zweckbestimmt und wurde für die Gehälter der Angestellten verwendet.476 Dies bedeutete einen Neuanfang, nachdem 1951 erste Gespräche mit der neu entstandenen Ford Foundation gescheitert waren.477 Ende 1951 war bei Macadam nach einem Besuch bei den Stiftungen der Eindruck entstanden, dass Ford eher »zu neuen Abenteuern« aufbrechen wollte als bestehende Forschungsorganisationen zu fördern.478 Aus Sicht der Rockefeller-Stiftung verwies das Kommunikationsproblem auf den grundsätzlichen Strukturwandel in der Wissenschaft. Ursprünglich, so diskutierten die Officer intern, habe man Grants an Organisationen gegeben, die als Forschungsorganisationen andere Formen der finanziellen Absicherung hatten. Die Zuschüsse sollten einzelne Forschungsschwerpunkte verstärken, insgesamt aber nicht so stark ins Gewicht fallen, dass Ausstattung und andere Formen der Infrastruktur notwendig werden würden. Die Kosten waren in anderen Anträgen aus der sozialwissenschaftlichen Abteilung auch kaum aufgefallen. Man war davon ausgegangen, dass die Bibliothek, Hausmeister, Buchhaltung etc. vorhanden waren und nicht eigens wegen eines Rockefeller-Grants organisiert oder aufgestockt werden mussten.479 Angesichts der Zunahme der Anträge und der Verschiedenartigkeit der zu organisierenden Forschungsgelder stellte sich aber das Problem der indirekten Kosten seit Ende der 1950er Jahre neu: »It should be noted that this argument about the insignificance of these indirect costs of research is only valid provided what is added is small relative to the institution’s whole operation and is also  a ›single instance‹, not merely one of  a series. What has happened in recent years with universities is that they have had  a lot research pressed upon them from different sources which, in the aggregate, becomes quite large compared with the university’s previous scale of operations. When this occurs the indirect costs – janitors, library assistants, etc. – can no longer be absorbed out of slack. They have to be budgeted. Much of the latter day argument between universities and RF arises from this change in the situations in which universities find themselves today as against pre-1939 conditions.«480

Auf amerikanischer Seite wurden die indirekten Kosten zum Kampfbegriff der Gesellschaftskritik der 1960er Jahre.481 Auf britischer Seite hatte diese Debatte keine große gesellschaftliche Reichweite. Aber die grundsätzliche Unnachgiebigkeit in der Diskussion um Profile und Inhalte, wie sie sich auf Seiten des RIIA abzeichnete, war auch kein Einzelfall, sondern sie transportierte eine generelle 476 Kenneth G. Younger an Kenneth W. Thompson, 13.12.1960. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401, Box 64, Folder 556. Younger war der Nachfolger von Woodhouse und leitete das Institut von 1959 bis 1971. 477 Ivison Macadam an [Gordon] Gray, 15.10.1951. RIIA, 4 MACA-b. 478 Visit of the Director General to the United States and Canada, 12.12.1951. RIIA, 4 MACA b. 479 Inter-Office Correspondence, 16.4.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 480 Ebd. 481 Vgl. Kapitel 3.4.1.

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Skepsis gegenüber dieser Form der Wissenschaftsförderung in Großbritannien. Vorbehalte waren auch in den Diskussionen der Clapham Commission zur Situation der Sozialwissenschaften in Großbritannien gegenüber der Projektförderung deutlich geworden. Aus britischer Sicht sollte den projektbasierten und stiftungsgesteuerten Sozialwissenschaften in den USA eine andere Entwicklung entgegengesetzt werden. Ernsthaft dachte das Komitee über eine britische Alternative zum SSRC nach, in Form eines Interdepartmental Economic and Social Research Committee,482 das als Expertengremium die Regierung in Forschungsfragen beriet. Die Folgen der Projektförderung für das Wissenschafts- und Universitätssystem wurden 1946 detailliert beschrieben: »Such a state of affairs is bad not only because it means that insufficient provision is forthcoming; it is bad also because it introduces an element of contingency and uncertainty into arrangements which should be regarded as being no less settled and guaranteed than access to lecture rooms. It is bad too in that, in so far as the grants from the foundations are made in respect of specific research projects and programs, there is a standing temptation to the heads of departments, naturally anxious to keep their research organization together, to improvise projects of any kind and on a scale which they would not have felt disposed to undertake had routine expenses been covered in other ways. Ability to raise money from private (or public) donors is not necessarily an index of ability to carry out research; and, although it is not possible, or even desirable, to eliminate, for any university faculty, the occasional necessity for begging campaign, we are satisfied that, in the past, the social science faculties have had to bear a quite undue proportion of this sort of burden.«483

Für Chatham House als private Institution verhielt sich die Situation etwas anders. Aber das Problem des Strukturwandels der Wissenschaft betraf auch die Finanzierung dieses Instituts und Think-Tanks. Im Mai 1956 sagte die Rockefeller-­Stiftung dann 50.000 Pfund für Forschungsaktivitäten für eine Frist von fünf Jahren zu. Die Verfahrensfrage wurde in Form eines Kompromisses so gelöst, dass bestimmte Kosten ein-, andere ausgeschlossen wurden. Kosten für Forschungsverwaltung, Bibliothek und Pressearchiv, das Information and Publication Department durften von den Geldern bezahlt werden.484 Die Höhe des Prozentsatzes, den das RIIA errechnet hatte, wurde für adäquat befunden.485 Der Konflikt blieb bestehen. Der Neuantrag im Jahr 1960 warf die gleichen Probleme auf. Die Forderung belief sich auf 10.000 Pfund pro Jahr für fünf Jahre mit einem Schwerpunkt auf China- und Afrika-Projekten. Allerdings weigerte sich das Institut, den Antrag nach Areas zu gliedern: »we would prefer not to 482 Privy Council Office Treasury, S. 31. 483 Ebd., S. 23. 484 Norman S. Buchanan an Christopher M. Woodhouse, 29.5.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554. 485 Inter-Office Correspondence, 16.4.1956. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 S, Box 63, Folder 554.

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delimit our programme by references to geographical areas, since world affairs cannot nowadays be readily divided up on a territorial basis.«486 Nach wie vor lag der inhaltliche Fokus auf den internationalen Folgen von revolutionären Bewegungen, Problemen der wirtschaftlichen Entwicklung und den Interaktionen zwischen westlichen, afrikanischen und asiatischen Gesellschaften. Dennoch war der Grant der letzte, den die Stiftung dem Institut in London für diesen Schwerpunkt zukommen ließ. 4.2.5 »Lessons from America«.487 Rockefeller Foundation und Hayter Committee (1961) Für Ende der 1950er Jahre war die Revision des Scarbrough Reports angesetzt. Aber diese gestaltete sich angesichts der veränderten politischen Lage und der sozioökonomischen Rahmenbedingungen schwierig. Die Bedeutung des Wissens aus den Weltregionen war für die Ministerien und Behörden geschwunden. Das Colonial Office zeigte konsequenterweise kaum Interesse, die Kolonien waren souveräne Staaten. Indien, Pakistan und Ceylon  – und 1957 als erstes afrikanisches Land Ghana  – waren dem Commonwealth beigetreten. Gleichwohl war nicht zu übersehen, dass das politische Gravitationszentrum sich von Westeuropa nach Osten, Westen und Süden verlagert hatte.488 Mit Argwohn beobachteten die Vertreter der britischen Ministerien, wie Kommunismus und antiwestlicher Nationalismus sich im Fernen und Mittleren Osten sowie in Südostasien ausbreiteten und die Sowjetunion nicht nur politisch intervenierte, sondern an ihrer Akademie der Wissenschaften starke regionalwissenschaftliche Forschungsschwerpunkte aufbaute.489 Ein erstes Koordinierungstreffen fand im November 1959 statt. Auf Wunsch des Foreign Office beschränkte sich die Arbeit der Kommission nicht nur auf die Revision der Scarbrough-Empfehlungen, sondern hatte einen »wider review of the whole problem« zum Ziel.490 Entscheidend war, dass die Frage nun dezidiert 486 Kenneth Younger an Kenneth W. Thompson, 13.12.1960. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401, Box 64, Folder 556. 487 So der Titel von Abschnitt IX des Hayter Reports: University Grants Committee, Report of the Sub-Committee. 488 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 3; 41 ff. 489 Review of the Scarbrough Report (Confidential), 22.6.1959. TNA, UGC 7/824. Auf dem Internationalen Orientalistenkongress von 1957 hinterließen die russischen Delegierten einen starken Eindruck. Die Konkurrenzsituation war umso größer, als der nächste Kongress 1960 in Leningrad stattfinden sollte. Vgl. zur SU Marung u. Naumann. 490 Anthony Heigh, [Notiz], 7.9.1960. Vgl. Review of the Scarbrough Report. Minutes of the meeting held at No. 12, Carlton House Terrace, at 3 p.m. on Wednesday, November 25, 1959. TNA, UGC 7/824. Nach seinen Bedürfnissen gefragt, gab das CO an, genügend Linguisten zu haben. Das Commonwealth Relations Office konnte nur zwei bis drei Personen mit speziellen Sprachkenntnissen einstellen. Das Foreign Office hoffte, mindestens zehn

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zu einer Angelegenheit der Universitäten und ihrer Förderung wurde. Die Leitung der Kommission übernahm das UGC und setzte ein kleines Komitee ein, das – wie ausführlich problematisiert wurde – mit Elizabeth Layton eine Frau zur Sekretärin hatte.491 Sir William Hayter, ehemaliger Botschafter in Moskau, wurde zum Vorsitzenden ernannt.492 Die anderen Mitglieder kamen mit einer Ausnahme aus dem universitären und diplomatischen Bereich: William Dampier Deakin, Historiker mit nachrichtendienstlicher und diplomatischer Erfahrung und seit 1950 Rektor des St. Antony’s College (Oxford),493 Nicholas Mansergh, Professor für Geschichte des British Commonwealth (Cambridge), Lionel Lamb, chargé d’affairs in Peking, danach Botschafter in der Schweiz (1953–1958), Steven Runciman, Präsident der AngloHellenic League, Professor für Byzantinistik in Cambridge und Autor einer minutiös recherchierten »History of the Crusades« (1950–1954) sowie Stephen Gibson, Geschäftsführender Direktor der Iraq Petroleum Company (1950–1957).494 Die Kommission nahm ihre Arbeit zu Beginn des Jahres 1960 auf und besuchte im April 1960 auf Einladung der Rockefeller-Stiftung zwölf Universitäten in den USA und Kanada, die – nicht zuletzt im Gefolge des NDEA –, avancierte Area-Studies-Programme hatten. Im Anschluss daran evaluierte die Kommission die britischen Universitäten und stellte im Mai 1961 ihren Bericht vor.495 Wie Ende der 1940er Jahre war die Rockefeller-Stiftung ein wichtiger Gesprächspartner, aber im Unterschied zur Zusammenarbeit bei der Scarbrough Commission ging die Initiative diesmal von der Stiftung aus. Die Reise fand aufgrund der Intervention Fahs’, des Direktors der geisteswissenschaftlichen Abteilung Linguisten pro Jahr einzustellen, hatte allerdings eine eigene Ausbildungsstätte (das Middle East Centre for Arabic Studies im Libanon Foreign Office), vgl. Anthony Haigh, 14.4.1960 (Restricted). TNA, UGC 7/826. 491 J. C. Gridley an Stephen Gibson, 20.10.1959. TNA, UGC 7/826. Die Frage nach dem Geschlecht wurde nicht zuletzt aufgrund des Zutritts zu den »common rooms« in Oxford und Cambridge diskutiert. Hayter stimmte schließlich jedem bzw. jeder zu, der bzw. die »clubbable« war, vgl. William Hayter an Cecil Syers (UGC), 16.10.1959. TNA, UGC 7/826. 492 William Hayter an Keith Murray, 24.7.1959. TNA, UGC 7/826. 493 Dilks. 494 Travel Grant to enable Lionel Lamb, Chargé d’Affairs Peking 1951–1953, and Ambassador in Switzerland 1953–1958 to observe area study programs in the United States and Canada in relation to plans for area studies programs in Great Britain, 29.2.1960; Grant to enable Sir Steven Runciman, Chairman of the Anglo-Hellenic League, to observe area study programs in the United States and Canada in relation to plans for area studies programs in Great Britain, [o. D.]; Travel Grant to enable Sir Stephen Gibson, Managing Director Iraq Petroleum Company, 1950–1957, to observe area study programs in the United States and Canada in relation to plans for area studies programs in Great Britain, 29.2.1960. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. Vgl. insgesamt zur Teilnehmerliste William Hayter an Charles B. Fahs, 12.1.1960. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. 495 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. V, S. 2; University Grants Committee. Sub-Committee on Oriental, African, Slavonic and East European Studies. Minutes of the first meeting held at 38, Belgrave Square, S. W.1., on Thursday, 7th January, 1960. TNA, UGC 7/826.

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der Rockefeller-Stiftung, statt. Fahs hatte auf seiner London-Reise im Oktober 1959 bei Gesprächen mit Keith Murray (UGC) von dem Projekt der Kommission gehört und die Kommission sofort in die USA und nach Kanada eingeladen.496 Die Rockefeller-Stiftung erarbeitete ein Besuchs-Programm497 und erklärte sich letztlich einverstanden, dass alle Kommissionsmitglieder – inklusive der Sekretärin – reisten.498 Sie sorgte für die Kontakte und organisierte ein großes Mittagessen mit den wichtigsten Protagonisten der amerikanischen Area Studies und Vertretern der Stiftung.499 Wie die Scarbrough Commission gingen die Kommissionsmitglieder davon aus, dass grundsätzlich mehr Wissen über die nicht-westliche Welt vorhanden sein sollte, aber der Handlungsbedarf wurde nun ausschließlich bei den Universitäten gesehen. Im Unterschied zu den 1940er Jahren wurden auch nur wissenschaftliche Institutionen besucht und gehört. Der Schwerpunkt der Arbeit lag auf der Ausstattung und Unterstützung der Universitäten, der Erweiterung ihrer gesellschaftspolitischen Aufgaben500 sowie der Errichtung von Zentren und ihrer Verteilung in Großbritannien.501 Aber der Aufschwung der Area Studies in den USA funktionierte nicht allein als Modell, sondern hatte für Großbritannien konkrete Folgen. Da er eine Anzahl an Dozenten notwendig machte, die nicht innerhalb der USA rekrutiert werden konnte, war insbesondere Großbritannien von einem Braindrain betroffen. Einige Professoren hatten das Vereinigte Königreich bereits verlassen und zum Zeitpunkt der Erhebung durch das Komitee standen zwölf Mitglieder der SOAS mit amerikanischen Universitäten in Verhandlungen,502 deren Gehaltsangeboten die britischen Universitäten wenig entgegensetzen konnten. 496 Charles B. Fahs, Diaries, 20.10.1959/28.9.1949. RAC, RF, RG 12, Officer’s Diaries, FA 392. Zur Reiseplanung, Excerpt from CBF’s Trip to England, 20.10.1959. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. Vgl. insgesamt zur Planung die Korrespondenz RAC, RF, RG 1.2. Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. 497 Charles B. Fahs an William Hayter, 20.11.1959. RAC, RF, RG 1.2. Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. 498 William Hayter an Charles B. Fahs, 12.1.1960; Chadbourne Gilpatric (Associate Director) an William Hayter, 21.1.1960. RAC, RF, RG 1.2, Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. 499 Luncheon for the Subcommitte of the University Grants Committee. April 7, 1960. Dining Room 4. Rockefeller Center Luncheon Club. 30 Rockefeller Plaza. RAC, RF, RG 1.2, Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. 500 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 42. Diese enge Anlage wurde auch von der Rockefeller-Stiftung kritisiert, die in einem solchen Report die Frage nach möglichen Karrierewegen und verfügbaren Stellen für notwendig hielt, Elizabeth Layton an Charles B. Fahs, 30.6.1960. RAC, RF, RG 1.2, Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. 501 Vgl. auch die Kritik Scarbroughs, Lawrence Roger Lumley Scarbrough an Keith Murray, 23.12.1961. TNA, UGC 7/828. 502 William Hayter an Keith Murray, 9.8.1960. TNA, UGC 7/826. Eine erhöhte Nachfrage zeigte sich auch bei Historikern mit Russlandkompetenzen und Anthropologen, die über Afrika arbeiteten, vgl. University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 55 ff. (»Drain of manpower to America«).

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Die Situation im Jahr 1960 wurde mit Blick auf die Maßnahmen der Scarbrough Commission als enttäuschend beurteilt.503 Fünfzehn Jahre später erin­ nerte sich Hayter der Ausgangslage: »Small departments, with few students, seemed to be conducting rather narrowly linguistic or literary studies, often with  a strong classical bias, and almost always in complete isolation from the rest of their universities. The depression in these predominantly language departments was increased by the cut-off in government funds for their studies which occurred half-way through the Scarbrough ten-year period. This situation in the universities reflected a not dissimilar one in the outside world. Our enquiries into the demand for graduates in these studies in the professions and elsewhere produced depressing results. Government departments said they could themselves train any linguists they needed. Businesses were not interested. Even the oil companies said they would not recruit Arabic or Persian speakers; they had, they said, competent interpreters in the oil-fields (one wonders whether they would be quite so haughty now).«504

Die Probleme waren nur zu einem Teil dem Report und seinen Empfehlungen geschuldet. Zwar hatte dieser in der Tat fast ausschließlich Effekte für die linguistische Beschäftigung mit den Regionen, und die Gelder waren zu einem großen Teil der SOAS und der SSEES zugutegekommen.505 Aber zur Krise führte, wie die Erinnerungen Hayters andeuten, dass die Gelder nach der ersten Fünfjahresperiode nicht mehr zweckbestimmt vergeben wurden. Dies traf die meisten Universitäten unvorbereitet und bedeutete um 1952 einen tiefen Einschnitt für die neuen Entwicklungen. Die Annahme der Universitäten, dass die Gelder weiter fokussiert für Regionalwissenschaften vergeben werden würden, beruhte auf einer Fehldeutung der entsprechenden Abschnitte des Scarbrough Reports.506 Im Rückblick zeigt das Missverständnis das generelle Problem einer zeitlich begrenzten politischen Schwerpunktförderung innerhalb fragiler institutioneller Strukturen.507 Der Einschnitt war umso gravierender, als es im Gefolge der ScarbroughGelder von 1947 bis 1952 einen veritablen Aufschwung gegeben hatte, dem die »aura of a honeymoon« zugesprochen wurde.508 Die Expansion und Neugrün503 Draft Letter for Sir William Hayter to send to Sir Keith Murray, 5.10.1960. TNA, UGC 7/826. 504 Hayter, The Hayter Report, S. 169 f. 505 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 45 ff. 506 Im Bericht hieß es, dass die Ausgaben für die ersten fünf Jahre »might be of the order of £ 225.000 at the end of five years, and a further £ 225.000 at the end of ten years«. Vgl. auch Abschnitt III, 6, in dem explizit ausgeführt wird, dass die zweckgerichteten Zuschüsse mit den allgemeinen Zuwendungen zusammengelegt werden sollten, »when the programme of development is nearing completion«. Vgl. das Gespräch zwischen D’Arms und Murray über diese Zäsur und die zukünftige Politik der Rockefeller-Stiftung, Edward D’Arms, Trip to Europe, April–June 1956, London. RAC, RF, RG 12.1. D’Arms. 507 Vgl. zur Politik der zweckbestimmten Zuschüsse University Grants Committee, University, Paragraph 171–173. 508 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 11.

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dung von Ausbildungsgängen hatte durch die zweckgebundenen Zuschüsse (­ earmarked grants) beachtliche Ergebnisse gezeitigt. Der Logik der starken Departments folgend, die die verstreuten und isolierten Professuren der Vergangenheit verhindern sollten, kam es zu einer starken Konzentration der Ausbildungsgänge, die vorhandene Strukturen unterstützte. Die Verteilung selbst veränderte sich allerdings aus diesem Grund wenig, wie der Blick auf die einzelnen Bereiche nahelegt.509 Auch wenn 70 Prozent der Gelder an die SOAS gingen, wurden insgesamt sieben Universitäten gefördert (Cambridge, Durham, SOAS, Manchester, Oxford, Edinburgh, Glasgow) und es gab Entwicklungen, wie die von dem Komitee positiv hervorgehobene in Durham, wo keinerlei Vorbedingungen für eine School of Oriental Studies vorhanden waren. Cambridge wurde mit einem Anstieg von neun auf 32 Dozentenstellen zur stärksten Fakultät im Bereich der Far Eastern Studies.510 An der SOAS dienten die Gelder – die sich in immerhin 123 Stellen übersetzten – zum Ausbau der nicht-sprachlichen Orientierung, der Einrichtung eines Departments of Law and Cultural Anthropology sowie einem Fokus auf modernen Sprachen.511 In Slavonic and East European Studies wurden neun Universitäten unterstützt (Birmingham, Cambridge, Hull, SSEES, Manchester, Nottingham, Oxford, Aberdeen, Glasgow). Vierzig Prozent der Gelder gingen an die SSEES in London.512 Als im Jahr 1952 die zweckgerichteten Grants endeten und mit den allge­ meinen Grants zusammengelegt wurden, stellte dies insbesondere Oxford, Cambridge und Durham vor Probleme. Durham hielt sein Centre for Oriental Studies mit Geldern der Rockefeller-Stiftung und der Gulbenkian-Stiftung über Wasser.513 Aber generell machte sich Enttäuschung breit, da die Gelder nun weniger im Bereich der Area Studies verteilt wurden, sondern in der Tendenz Departments unterstützten, in denen hohe Studierendenzahlen eine höhere Dozentenzahl nötig machten. Insgesamt wurden zwischen 1952 und 1960 im Bereich Oriental and African Studies nur 23 Stellen geschaffen, im Vergleich zu 125 Stellen in den Jahren zuvor. Von den 23 Stellen waren 19 an der SOAS angesiedelt.514 Allerdings war der Aufschwung nicht nur im Bereich der Area-Förderung zu Ende. Angesicht der ersten großen Nachkriegswirtschaftskrise hatten die Universitäten und das UGC generell zurückzustecken,515 bevor sich die Zahlen angesichts steigender Studierendenzahlen sowohl im Undergraduate- als auch im Postgraduate-Bereich verbesserten.516 509 Ebd., S. 21. 510 Ebd., S. 15. 511 Ebd., S. 14. Vgl. 1.1.6. 512 Vgl. ebd., S. 11 ff. 513 Vgl. Edward D’Arms, Trip to Europe, April–June 1956, London. RAC, RF, RG 12.1. D’Arms. 514 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 22. 515 Ebd., S. 24. 516 Ebd., S. 32.

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Der viel beschworene »change of attitude«, der aus den Orchideenfächern eine allgemeine Ausbildungsoption gemacht hätte, war ausgeblieben.517 Effekte der Scarbrough-Gelder auf die nicht-sprachlichen Departments waren kaum vorhanden.518 Von den relativ erfolgreichen Treasury Studentships waren die meisten linguistisch ausgerichtet.519 Seit 1956 vergab das Bildungsministerium ein Postgraduate-Stipendienprogramm für Studierende in Sprachen.520 Die Hoffnung, dass die von Scarbrough vergebenen Stipendien (awards) im PostgraduateBereich zu einem Anstieg an Historikern und Ökonomen führen würde, die sich in den Regionalwissenschaften spezialisierten, hatte sich nicht erfüllt. Letztlich waren die Stipendien fast ausschließlich dem disziplinären Aufbau der Anthropologie zugutegekommen.521 Die Gründe für das Ausbleiben eines Aufschwungs im Bereich der Sozialwissenschaften waren selbst dem Vorsitzenden der Scarbrough Commission unklar. Schon in den 1940er Jahren hatte sich die Kommission dieses Ziel gesetzt.522 Externe Beobachter, wie der Philologe Cecil Maurice Bowra (Warden of Wadham College, Oxford), hatten diese Selbstbeschreibung unterstützt.523 Dennoch war es erst das Hayter-Komitee, das den Umschwung zur sozial­ wissenschaftlichen Orientierung der Regionalwissenschaften brachte. »The SubCommittee does not think that the main expansion of these studies should be in the language departments. It is in the history, geography, law, economic and other social science departments and faculties that the new developments should take place.«524 Immerhin, so wurde positiv notiert, gab es Anfang der 1960er Jahre zumindest an einer britischen Universität Versuche, eine interdisziplinäre sozialwissenschaftlichen Arbeitsgruppe mit einem Länderschwerpunkt zu Afrika und Asien aufzubauen.525 Die Krise, die das Ende der Schwerpunktförderung nach fünf Jahren bedeutete, führte bei den Mitgliedern des Hayter Committee zu der Einsicht, dass 517 Afro-Asian Language Studies (restricted). TNA, UGC 7/824. 518 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 40. 519 Ebd., S. 71 f.: Bis 1961 wurden sie an 146 Studierende vergeben, davon wurden 30 Stipendien nicht angetreten. 520 Ebd., S. 75. 521 Ebd., S. 39, vgl. Chapter XII. 522 Vgl. dazu Scarbrough nach der Lektüre des Hayter Reports Lawrence Roger Lumley Scarbrough an Keith Murray, 23.12.1961. TNA, UGC 7/828: »My Commission placed great stress on the importance of more being done about the non-linguistic side, history, geography and so on, and we also felt strongly that a better balance between classical and modern languages should be achieved. It may be that we were too polite to the linguists in what we said because what the Hayter Committee says about that aspect is in effect a repetition though a stronger one of what we said. It is disappointing that the results were not better, but I am inclined to think that they might have got gradually better if there had not been the partial reversal in 1952.« 523 Bowra, S. 378. 524 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 3. 525 Ebd., S. 46. Der Name der Universität wurde nicht genannt.

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eine langfristig angelegte Unterstützung über zehn Jahre notwendig sei. Inhaltlich sollte diese neue Forschung sich durch ein besseres Gleichgewicht zwischen sprachlicher und nicht-sprachlicher Ausbildung einerseits und modernen und klassischen Studien andererseits auszeichnen, was nur durch eine erhöhte Zusammenarbeit zwischen den Departments für möglich gehalten wurde. Konkret wurden 125 Stellen aus einem eigenen Pool für die nicht-sprachliche Ausbildung geschaffen: 75 Stellen für die ersten fünf Jahre, fünfzig für die zweite Fünfjahresperiode. Die Gelder kamen aus einem eigenen, vom UGC verwalteten, Fonds. Es wurden keine Quoten für die Disziplinen festgelegt, wohl aber für die Regionen. Im Postgraduate-Bereich sollten Reisezuschüsse und 100 Stipendien (awards) für sozialwissenschaftliche Arbeiten vergeben werden, für die die Universitäten sich über eine Zeitspanne von zehn Jahren bewerben können sollten.526 Einen wichtigen Schwerpunkt bildeten auch die Bibliotheken mit einer Förderung von insbesondere SOAS und SSEES.527 Entscheidend in der Geschichte der Area Studies war die Welle an Zentrumsgründungen in den 1960er Jahren: Zehn neue Zentren für »area studies« wurden aufgebaut, die als Hayter-Zentren in die britische Hochschulgeschichte eingingen.528 Der Begriff »area studies« wurde nun direkt und ausschließlich ver­ wendet, wenn auch in Anführungszeichen, um darauf zu verweisen, dass es sich um eine eigenständige Art der Regionalwissenschaften handelte. Das Phänomen hatte bemerkenswerte Enwicklungen hervorgerufen, dennoch gab es selbst in den Kommissionen kein festgelegtes Fächer- oder Methodenspektrum. Die Definitionsversuche blieben schwerfällig und von Missverständnissen geprägt. Die erste Version des Hayter-Berichts, der die Gruppenarbeit zum Inbegriff der »area studies« erklärte,529 wurde von Rockefeller korrigiert und abgeschwächt. In der Endversion liest sich die von den Amerikanern revidierte Definition wie eine Korrektur der ersten Wahrnehmung der Briten nach ihrer USA-Reise: »The words ›area studies‹ are in frequent use as a description of the work of the centers. They are easily misunderstood. They are used to mean a group of teachers and students who are all interested in and pursuing their separate studies about the same area of the world. They do not generally imply that joint research projects of the area are being

526 Ebd, S. 79. 527 Ebd, S. 109 ff. In der Korrektur der ersten Version des Reports hatte die Rockefeller-Stiftung kritisiert, dass die Bibliotheksfrage nicht vorkommt, Charles B. Fahs an Elizabeth Layton, 21.6.1960. RAC, RF, RG 1.2, Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. 528 King, British Perspectives on Southeast Asia. 529 University Grant Committee, Report on Visit to North America. Confidential Draft, April 1960. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 R, Box 50, Folder 446: »Area studies, in the American context, can therefore be taken to imply a group of scholars, and usually a group of M. A. students as well, who are loosely attached to a Centre or Institute, and who are all using their own disciplines to pursue studies related to that area. Normally it is assumed that the scholars will already have, and the graduate students will be on their way to, a command of the language or languages of the area.« (S. 8).

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pursued by group. The common denominator is the mutual interest of scholars and students in the same geographical area, be it Russia, the Middle East, the Far East, or more rarely, Africa.«530

In ihrem Bericht sprach die Kommission sich nicht grundsätzlich für Zentren aus, hielt diese aber als Impulsgeber für die Überbrückung des Abstands zwischen den Disziplinen und klassischen und modernen Studien gleichermaßen für unerlässlich. Ebenso schien die Außenwirkung die mit den Zentren verbundenen internen Organisationsprobleme auszugleichen.531 Die vorsichtige Formulierung des Berichts mag angesichts des umfassenden Programms erstaunen, erklärt sich aber aus der Bedeutung der amerikanischen Referenz. Ein vorbehaltloses Plädoyer für die Zentren wäre einem Kniefall vor den USA gleichgekommen. Dieser entsprach nicht dem Selbstverständnis der Kommissions­ mitglieder und ließ Kritik erwarten, die von Mitgliedern des UGC bereits im Vorfeld geäußert wurde, denen Zentren als »unbritisch«, »typisch amerikanisch« und exklusiv dem amerikanischen Hochschulsystem sowie der Größe der USA angemessen galten.532 Im Ergebnis der von den Universitäten eingereichten Bewerbungen entwickelte sich die folgende Verteilung an Zentren: Middle East / Islamic Studies in Oxford und Durham; Far East (Südostasien, China, Japan) in Hull, Leeds und Sheffield; Afrika in Birmingham, Edinburgh; Russland und Osteuropa in Birmingham und Swansea. Mit Cambridge erfolgte eine Diskussion über ein Zentrum in South Asian Studies. Die Qualität der Vorschläge wurde intern als sehr unterschiedlich eingeschätzt. Dies änderte jedoch nichts am BewerbungsEnthusiasmus der Universitäten und der Enttäuschung der abgelehnten Universitäten, wie insbesondere Liverpools für ein African Center und Sheffields für ein Far East Center.533 Insgesamt sollten 89 Stellen geschaffen werden, die sich wie folgt auf die Regionen verteilten: »Middle East 18; Far East-South East Asia 8; South-Asia 1; Others 9; Africa 15; Russia and Eastern Europe 38«.534 Parallel zu den Hayter-Empfehlungen schlug 1964 ein Komitee den Aufbau von fünf interdisziplinären Zentren für Latin American Studies über eine Fünfjahresperiode 530 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 121. 531 In den USA waren sie nicht mit der Undergraduate-Ausbildung verbunden. Einige Kurse wurden ebenso wie die Wahl der Forschungsthemen als oberflächlich kritisiert, vgl. University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 57 f. 532 William Hayter an Elizabeth Layton, 6.7.1960. TNA, UGC 7/826. 533 UGC. Sub-Committee on Oriental, African, Slavonic and East European Studies. Memorandum by Mrs. Layton, 29.3.1962. TNA, UGC 7/828. 534 Vgl. auch University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 83; 85 ff. University Grant Committee, Sub-Committee on Oriental, African, Slavonic and East European Studies, Implementation of the Recommendations of the Hayter Sub-Committee on Oriental, Slavonic, East European and African Studies, 16.8.1962. TNA, UGC 7/831. Vgl. auch den detaillierten Bericht des UGC an die Rockefeller-Stiftung, Keith Murray an Charles. Fahs, 19.11.1962. RAC, RF 1.2., Ser. 401 R, Box 50, Folder 446.

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vor (London, Cambridge, Glasgow, Liverpool, Oxford) sowie die Schaffung von 75 neuen Stellen und 200 Stipendien (awards) für Studierende.535 Von den neuen 89 Hayter-Stellen waren 42 mit den neuen Zentren assoziiert, von den anderen 47 wurden 18 benutzt, um die vorhandenen Institutionen zu stärken, wie die SOAS und SSEES in London. Acht Stellen sollten an anderen Londoner Universitäten geschaffen werden, 21 an sieben anderen britischen Universitäten, von denen sechs ohne Zentren waren. Insgesamt ergab sich so ein Anstieg der Fördersumme für die Area Studies in Großbritannien von 118.000 Pfund für 1962–1963 auf 290.000 Pfund für 1966–1967. Für die Gesamtdauer von fünf Jahren bedeutete dies eine Million Pfund.536 War die amerikanische Referenz in den 1940er Jahren deutlich, aber zurückhaltend und vor allem in den internen Dokumenten zu finden, war sie im Jahr 1960 omnipräsent und wurde öffentlich diskutiert. Der Bericht enthielt nicht nur eine Danksagung an die Rockefeller-Stiftung und einen Bericht der Reise, sondern auch eine Rubrik, die mit dem Titel »Lessons from America« die Richtung der Reformmaßnahmen andeutete und für Kritik sorgte. Intern war der Bericht bereits sofort von einigen Universitäten und Vereinigungen als zu kritisch den eigenen Aktivitäten gegenüber angegriffen worden. Ein Lektor der SOAS verwies gegen die Kritik an der sprachlichen Ausrichtung darauf, dass schließlich jeder Sprachdozent auch landeskundliche Kurse geben könnte.537 Die Slawisten hielten die defizitäre Darstellung der Russlandstudien für unangemessen wie generell die Tatsache, dass Osteuropa, Asien und Afrika gemeinsam behandelt wurden.538 Insbesondere die Universität Manchester, deren Situation direkt und zum eigenen Nachteil mit der Dynamik in Durham verglichen wurde, hatte den Eindruck, nicht angemessen eingestuft worden zu sein.539 Das Problem in Manchester war als Koordinationsmangel beschrieben worden. Die Universität schien nicht in der Lage, die verstreuten Ausbildungsoptionen bündeln zu können.540 Der Druck des Berichts brachte Gegner und Befürworter im Winter 1961 und Frühling 1962 vor einem größeren Publikum in Stellung. In den Spalten der ­»Times« 535 Vgl. Department of Education and Science, S. 11. Zum Bericht vgl. University Grants Committee, Report of the Sub-Committee. 536 Keith Murray an Charles B. Fahs, 19.11.1962. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. 537 D. M. Lang. The Universities Review. Report of the Sub-Committe on Oriental, Slavonic, East European and African Studies. TNA, UGC 7/829. Er bezog sich darauf, dass nur 52 von 103 Dozenten an der SOAS für nicht-sprachliche Themen angestellt waren. 538 Elizabeth Hill, Robert Auty (British Universities Association of Slavists) an University Grants Committee, 30.3.1962. TNA, UGC 7/828. 539 Mansfield Cooper (Vice-Chancellor, University of Manchester) an Keith Murray. Hayter Report, 21.7.1961. TNA, UGC 7/829. Allerdings fühlte sich auch Durham nicht angemessen dargestellt, da der Middle East Schwerpunkt des Geography Department nicht berücksichtigt wurde, vgl. D. G. Christopherson an Chairman UGC, 4.8.1961. TNA, UGC 7/829. 540 Mansfield Cooper an Keith Murray. Hayter Report, 21.7.1961. TNA, UGC 7/829.

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erreichte die, wenn auch zurückhaltende, Diskussion die Öffentlichkeit.541 Gefragt wurde, warum die Kommission sich ausschließlich in den USA umgesehen hatte  – und nicht in den europäischen Ländern, die doch über eine deutlich längere Tradition verfügten. Ebenso kritisierten die Linguisten die Tatsache, dass der Bericht keinerlei inhaltliche Aussagen mache, sondern rein quantitativ argumentierte.542 Die Befürworter des Konzepts stempelten die Gegner als Protagonisten einer konservativen Universitätselite ab, die sich gegen jede neue Entwicklung sträubten. Gegen das Argument einer mangelnden historischen Tiefendimension erfolgte die Verteidigung aus den Reihen der SOAS-Dozenten.543 Gegen den Vorwurf, die Area Studies wären grundsätzlich »unakademisch«, trat insbesondere die Far-Eastern-Fraktion aus Cambridge an.544 Hayter verteidigte den Bezug auf die Area Studies und das Argument, dass ihre Umsetzung an einigen Instituten wünschenswert sei, verwahrte sich aber gegen den Verdacht, dass die Kommission sich für Area Studies als eine Art Exklusivform von Regionalwissenschaften ausgesprochen hätte.545 Vor der Reise in die USA hatte auch innerhalb der Kommission die Skepsis überwogen, dass die amerikanischen Entwicklungen für das britische System überhaupt von Belang sein konnten, das nicht nur anders strukturiert war, sondern auch andere Inhalte und mehr Sprachunterricht in der Schule anbot. Nach der Reise hingegen bezweifelte keiner der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass der amerikanische Ansatz entscheidend für eine Neuorientierung der Regionalwissenschaften in Großbritannien sein würde. In den auswertenden Diskussionen in London wurde die Modellwirkung, parallel zu den Debatten in Paris und den Selbstbeschreibungen der US-amerikanischen Akteure, vor allen Dingen im Organisatorischen gesehen: »The most important lessons to be learned […] relate to its three most important characteristics: the scale of the effort, the type of organization on which it is based and the emphasis on modern studies.«546 Schließlich setzten sich »Hayter-money« und »Hayter-studies« durch. Die formulierten Ziele wurden erreicht: der Aufbau eines Dozentenstamms sowie die Ausbildung von Postgraduates und die Gründung von zehn gut funktionierenden Zentren.547 Die Gelder stärkten den sozialwissenschaftlichen Fokus der Regionalwissenschaften und initiierten eine neue Form der Koordination kooperativer Forschung.548 Bei der Rockefeller-Stiftung, die die Versendung des 541 [O. A.], Plea For Oriental And African Studies, in: The Times, 28.9.1961. 542 C. E. Bazell u. a., A Report criticized, in: The Times, 18.1.1962. TNA, UGC 7/828. 543 J. H. G. Lebon, A Report criticized, in: The Times, 5.3.1962. TNA, UGC 7/828. 544 E. B. Ceadel u. a., A Report criticized, in: The Times, 24.1.1962. TNA, UGC 7/828. 545 W. G. Hayter, A Report Critized, in: The Times, 22.1.1962. Vgl. zum Vorgang die Dokumente TNA, UGC 7/828. 546 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, 1961, S. 53. 547 Hayter, The Hayter Report. 548 Vgl. dazu die Beurteilung durch das Heyworth Komitee Department of Education and Science, S. 11 f. Vgl. auch Ministerial Meeting of Science Interim Committee, Draft only, 3.9.1964. TNA, ED 144/1.

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Berichts an amerikanische Universitäten koordinierte, fanden die Ergebnisse eine positive Aufnahme, moniert wurde lediglich das Fehlen der Bibliotheksfrage sowie der Diskussion von Berufsperspektiven.549 Nach Ablauf der Zehnjahresfrist erneuerte das University Grant Committee die zweckbestimmten Zuschüsse nicht. 4.2.6 Die Wirkung des NDEA und das Schwinden des entwicklungspolitischen Konsenses Das »goldene Zeitalter der Area Studies« im Großbritannien der 1970er Jahren verdankte sich einem modernisierungstheoretischen Konsens, der auch in Großbritannien Planungs- und Interventionsaufgaben des Staats einschloss. Der Aufstieg des amerikanischen Wissenschaftsstaats wirkte strukturierend für die Diskussionen und politischen Entscheidungen. Wie bereits in den ScarbroughDebatten in den 1940er Jahren akzentuierte die britische Rezeption der US-amerikanischen Entwicklungen die Bedeutung der Stiftungen und die Pionierrolle der Rockefeller-Stiftung.550 Aber der Fokus der Rezeption lag auf den Aufgaben des Staats, dessen Eingreifen der Bericht Dodds für die Scarbrough Commission in den 1940er Jahren noch für unwahrscheinlich gehalten hatte.551 Was die Briten Anfang der 1960er Jahre vor allen Dingen beeindruckte, war die gezielte Förderung von Zentren und Fellowships durch den Staat im Rahmen des NDEA und die damit einhergehende Konjunktur der Humanwissenschaften. Die Veränderung des intellektuellen Klimas wurde als eine der besonders wichtigen Lektionen aus den USA angesehen.552 Dass die Humanwissenschaften als Produktivkraft der Gesellschaft genutzt wurden, brachte ihnen eine bemerkenswerte Aufwertung:

549 Charles B. Fahs an Elizabeth Layton, 21.6.1960. RAC, RF, RG 1.2, Ser. 401 R, Box 50, Folder 446; Elizabeth Layton an Charles B.  Fahs, 30.6.1960. RAC, RF, RG 1.2, Ser. 401 R, Box 50, Folder 446; Charles B. Fahs an Elizabeth Layton, 22.8.1960. RAC, RF, RG 1.2, Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. Vgl. die Reaktionen der Universitäten Elizabeth Layton, Hayter Report. Note on Proposals Submitted by the Universities in their Quinquennial Estimates, 29.10.1961. TNA, UGC 7/829. 550 Charles B. Fahs an Elizabeth Layton, 21.6.1960. RAC, RF, RG 1.2, Ser. 401 R, Box 50, Folder 446. In der Korrektur des Reports betonte die Stiftung, dass die Fördertätigkeit für die Area Studies nicht im Zweiten Weltkrieg begann, sondern spätestens in den 1930er Jahren. Allerdings sei sie so umfassend, dass es nicht möglich sei, eine Auflistung aller Posten zu senden. 551 Circular No. 124. Commission of enquiry into the facilities for Oriental, Slavonic, East European and African studies. Report on the position and prospects of Far Eastern studies in the United States. From E. R. Dodds, 1.6.1945. LSE Archives, Firth, 7/10/15, Folder 4. 552 UGC. Sub-Committee on Oriental, African, Slavonic and East European Studies. Points for Discussion, 27.10.1960. TNA, UGC 7/826.

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»It is of particular interest that, as mentioned above, the National Defense Education Act puts on a footing of equal national importance the education of students of certain key foreign languages and that of students of science, mathematics and engineering. In the western world it is rare for any of the humanities to receive so high a priority.«553

Der NDEA als »crash programme« mit einer rasanten Expansion an Zentren – 19 allein im ersten Jahr, 46 Zentren nach zwei Jahren – ließ die Frage nach der staatlichen Wissenschaftsförderung in Großbritannien durch die Zweckbestimmung der Zuwendungen in einem neuen Licht erscheinen.554 Die Rezeption in Großbritannien plädierte für eine Übernahme des Modells, gleichwohl war sie nicht frei von Kritik an der staatlichen Beeinflussung: »This great expansion of work in the universities has some critics in America. There are those who consider that the freedom of the universities to choose their own lines of expansion is being unduly influenced by the funds provided by the foundations and the government. In the language of Britain these funds are ›earmarked‹, and such outside influences on university development are regarded with apprehension by those who are not the direct recipients. This is a familiar problem in this country. There are also those who dislike the heavy bias in these developments on recent or contemporary affairs. They fear that fundamental scholarship will be adversely affected if the balance between classical and modern languages and earlier and more modern history and political thought is not kept more evenly weighted. Others regard the centres as little more than skilfully constructed devices for collecting money rather than as new instruments of scholarship.«555

Der Blick in die USA verstärkte auch das Bewusstsein der britischen Spezifika. Großbritannien verstand sich und seine wissenschaftliche Tradition in Opposi­ tion zu den amerikanischen Entwicklungen. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten zeigten sich konkret in der Umsetzung der Förderpolitik. In den Anhörungen des Hayter Committee hatten sich zahlreiche Professoren und Universitätsangehörige gegen zweckbestimmte Zuschüsse ausgesprochen.556 Bereits vorab war die Information aus dem UGC gekommen, dass weder die Universitäten noch das UGC earmarked grants »mochten«.557 Die Skepsis gegenüber einem inhaltlichen Eingreifen wurde in der Tatsache deutlich, dass die Sprachstipendien, die vom Ministry of Education ausgegeben werden sollten, als eine

553 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 55. 554 UGC. Memorandum from the Sub-Committee on Oriental, African, Slavonic and East European Studies. 15.9.1960 (New College, Oxford). TNA, UGC 7/826. 555 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 124. 556 Sub-Committee on Oriental, African, Slavonic and East European Studies. Meeting on 9th February, 1961 at the School of Oriental and African Studies. Minutes, 15.2.1961. TNA, UGC 7/826; vgl. Sub-Committee on Oriental, African, Slavonic and East European Studies. Meeting on 9th February, 1961 at the School of Oriental and African Studies. Minutes, 15.2.1961. TNA, UGC 7/826. 557 William Hayter an Elizabeth Layton, 6.7.1960. TNA, UGC 7/826.

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Vorzugsbehandlung für die keine hinreichende Notwendigkeit bestünde, ab­ gelehnt wurden.558 In diesem Kontext wurden die Postgraduate Studentships, die durch ein SubCommittee des UGC an die Universitäten direkt vergeben werden sollten, zu einem grundsätzlichen Problem.559 In der Planung spielten sie zur Stimulierung der Nachwuchsforschung und zur inhaltlichen und methodischen Umorientierung der Regionalwissenschaften eine entscheidende Rolle. Dennoch wollte das Committee nicht von seiner grundsätzlichen Linie abweichen und sich nicht im Bereich der student awards engagieren, so dass die Entscheidung zunächst zurückgestellt werden musste.560 Das UGC schlug stattdessen ein Sub-Committee beim Ministry of Education vor. Aber auch das Ministry of Education Awards Committee blieb »a little sticky about accepting responsibility on behalf of the U. G. C. for these. They disliked earmarking in principle and were frightened that it might lead to lower standards in one particular field.«561 Um die Stipendien überhaupt in Gang zu bringen, wurden 1962–1963 gezielt Stipendien an Cambridge (ein Stipendium im Bereich Middle East), Durham College (ein Stipendium im Bereich Middle East), Oxford (ein Stipendium im Bereich Middle East), SOAS (vier Stipendien im Bereich Far East and Africa)  und SSEES (drei Stipendien im Bereich East Europe)  ausge­ geben. Das UGC hoffte, dass in Zukunft ein Wettbewerb unter den Studenten selbst stattfinden könnte.562 Für 1963–1964 bildete dann das Bildungsministerium ein Auswahlpanel. Die Bewerbungslage wurde allgemein als zufriedenstellend empfunden: Es lagen 65 Bewerbungen für zehn Stipendien vor.563 New York gegenüber hatte man – wohl nicht ohne Absicht – das staatliche Engagement übertrieben. Mit besonderem Nachdruck hatte Murray als Ergebnis der Kommission vermeldet: »Moreover, they have departed from their normal procedure and have earmarked these allocations to the Universities concerned so that the funds can be used only for developments in these fields of study.«564 In der Tat hatte sich das Komitee zwar grundsätzlich dafür ausgesprochen, dass aktuelle und neu auftauchende Forschungsschwerpunkte mit zweckbestimmten Geldern aus dem Wettbewerb zwischen den Departments ausgenommen 558 University Grants Committee, Report of the Sub-Committee, S. 75. 559 Ebd., S. 76 f. 560 Draft Letter to Mr. R. W. B. Clarke, [o. D.]. TNA, UGC 7/828. UGC. Sub-Committee on Oriental, African, Slavonic and East European Studies. General Note, 29.3.1962. TNA, UGC 7/828. 561 [Points of Discussion, 4.10.1962, Messrs. Embling, Sloman and Jamieson of the Ministry of Education]. TNA, UGC 7/816. 562 Keith Murray an verschiedene Universitäten (Vice-Chancellor, Cambridge; Warden, Durham College; Principal, London University; Vice Chancellor, Oxford), 8.5.1962. TNA, UGC 7/816. 563 Hayter Postgraduate Studenships, Draft Letter, [11.6.1963]. TNA, UGC 7/817. 564 Keith Murray an Charles B. Fahs, 19.11.1962. RAC, RF, RG 1.2., Ser. 401 R, Box 50, Folder 446.

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wurden. Aber die Vergabe selbst sollte dann eine andere Institution vornehmen. Als Hauptsponsor der britischen Universitäten – in den Jahren 1963 und 1964 mit siebzig Prozent  – wäre andernfalls eine zentralisierte Superbehörde entstanden: »It is not desirable that a single governmental colossus should bestride the whole university world but that is what would inevitably occur if our present functions and those of the Research Councils were all to be exercised by a single organisation.«565 Die Skepsis gegenüber einer gezielten Unterstützung in Großbritannien blieb bestehen, aber die Area Studies übten eine Pionierfunktion in der Stimulation einer geistes- und sozialwissenschaftlichen Förderpolitik aus. In der Konsequenz entwicklungspolitischer und modernisierungstechnischer Grundannahmen bestand an der sozialtechnischen Bedeutung dieses Wissens kein Zweifel mehr.566 Diese Umwandlung kolonialer in wissenschaftliche Probleme war Teil eines Prozesses, an dessen Ende die Konstruktion eines »Kompetenzmonopols« der Anthro­pologie über die Analyse des sozialen Wandels der ehemaligen Kolonien stand.567 Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Anthropologen ebenso wie in Kontinentaleuropa auch in Großbritannien mit Verweis auf das amerikanische Modell des BAE versucht, den Staat zu involvieren,568 waren aber nicht vor den 1930er Jahren erfolgreicher in der Etablierung einer Kommunikation geworden. Firth hatte diese Funktion unter Rückgriff auf die klassischen kolonialwissenschaftlichen Argumente Ende der 1930er Jahre zusammengefasst: »To say that if we intend to rule a people equitably, to give them an opportunity of developing their own institutions, to give them more confidence in themselves and pride in their achievements, the more we know about their way of life the better, is a commonplace.«569 Erst nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich für das britische Kolonialreich die Frage der administrativen Neuausrichtung mit besonderer Dringlichkeit gestellt, nicht zuletzt angesichts der erstarkenden Gewerkschaften. Mit der Erarbeitung von Reformvorschlägen zur Stärkung indigener Herrschaft und Infrastrukturen wurden die Sozialanthropologen zu einem entscheidenden Akteur in der »Koproduktion reformorientierten Kolonialwissens« zwischen Politik und Wissenschaft.570 Auch das Chatham House war ein direktes Ergebnis dieser Koproduktionswelle, bei der Lionel Curtis und die Netzwerke von Milner’s Kinder­

565 University Grants Committee, University, Paragraph 171c. 566 Vgl. zur kolonialen Wissenschaftspolitik auch Worboys. 567 Kuper, S. 117. 568 Vgl. Kapitel 2.2.3. 569 Raymond Firth, Memorandum on the Utilization of Anthropological Services by colonial governments, [ca. 1937/38], S. 17. LSE Archives, Firth 7/9/1. 570 Rausch, Expertenkämpfe, S. 94. Zur Situation des britischen Kolonialreichs vgl. insbes. Hyam, Britain’s Declining Empire; Lawrence.

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garten bzw. dem Round Table Movement, zu dem auch Lord Lothian gehörte, die entscheidenden Verbindungen darstellten.571 Dieser entwicklungspolitische Konsens wurde der Anthropologie in den 1970er Jahren auch in Großbritannien in der kritischen Anfrage durch die neue Generation zum Verhängnis. In berühmt gewordenen Debatten mit den kolonialpolitischen Protagonisten der 1940er Jahre wurde ihre enge Verbindung zum Kolonialismus entlarvt. Wie in den USA führte der Vietnamkrieg die Wirkung der »behavioristischen Einstellung« vor, nur dass in Großbritannien in diesem Zusammenhang keine Drittmittel-Debatte stattfand. Das Buch von Asad »Anthropology and the Colonial Encounter« aus dem Jahr 1973 formulierte die Kritik als Anfrage an die Wissenschaftlichkeit der Disziplin. Die britische Anthropologie stellte sich der Kritik an ihrer kolonialen Vergangenheit, die in der Auseinandersetzung mit neomarxistischen Positionen zusätzliche Schärfe erhielt. In einem Seminar an der LSE debattierten ihre maßgeblichen Vertreter – wie Raymond Firth und Audrey Richards – zunächst zurückhaltend über persönliche Erfahrungen, Prägungen und Formen der Institutionalisierungen.572 Firth rechtfertigte die disziplinäre Entwicklung und betonte die Unmöglichkeit, sich als Wissenschaftler gedanklich aus dem kolonialen System zu lösen: »The presence of the colonial system imposed a constraint which perhaps was not too clearly realized, by blocking through its existent structure a clear appreciation of possible avenues of change.«573 Aber auch für ihn stand rück­blickend außer Frage, dass die ethnographischen Forschungstechniken im Zeichen kolonialer governance professionalisiert worden waren, ohne Kritik vonseiten der Wissenschaftler.574 Die an diese frühen Diskussionen anschließende wissenschaftsgeschichtliche Forschung zeigte dann insbesondere für Großbritannien im Detail, wie diese durch außerakademische Faktoren und die Effekte der »kolonialen Situation« insgesamt geprägt worden war.575 Weniger in den Blick geraten war dabei, dass es sich bei diesen Kontexten nicht nur um Probleme des Kolonialismus handelte, sondern diese vielmehr mit grundsätzlichen sozialen Entwicklungen zusammenhingen. Deutlich wurde der gesellschaftspolitische Zusammenhang, als Mitte der 1960er Jahre das Heyworth Committee eingesetzt wurde, »to review the research at present being done in the field of social studies in Government Departments, Universities, and other Institutions and to advise whether changes are needed in the arrangements for 571 Williams, Commonwealth of Knowledge; Dubow. Vgl. für einen Überblick zum Round Table Movement May. 572 Vgl. Anthropological Research in British Colonies. 573 Firth, S. 165. 574 So Firth explizit, ebd.: »Anthropologists could no doubt have taken a stronger line on colonialism […] But simply to have led or fostered movement of challenge or revolt from the areas where they worked would in most cases been nothing but left-wing adventurism of a romantic kind.« 575 Mills, British Anthropology, S. 182 f. Vgl. für Gesamtdarstellungen Kuklick, The Savage; Stocking, The Ethnographer’s Magic; Pels u. Salemink; Mills, Difficult Folk?

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supporting and co-ordinating this research«. Das Komitee empfahl die Gründung eines Social Science Research Council.576 Seine Arbeit legte in der Befragung eines großen Spektrums öffentlicher Akteure offen, wie breit der sozialpolitische Konsens geteilt wurde.577 Im Ergebnis entstand zum ersten Mal ein koordiniertes und umfassendes Bild von der Organisation der Forschung in Großbritannien.578 Das Komitee schloss direkt an die Arbeit und Ergebnisse des Hayter-Komitees an. In der Neuausrichtung und Organisation der Sozialwissenschaften figurierten die Area Studies expressis verbis als ein Modernisierungsmodell: in genereller Hinsicht aufgrund der strukturierten staatlichen Förderung und im Detail aufgrund der Tatsache, dass hier Forschung in Zentren betrieben wurde.579 Seit Mitte der 1970er Jahre verschlechterte sich die Situation der Area Studies und wurde als so bedenklich und unkoordiniert empfunden, dass verstärkt Fördermaßnahmen gefordert wurden.580 Der Parker Report von 1986 kritisierte, dass Großbritannien sich von den Hayter-Prinzipien zurückgezogen hatte und die Area Studies weder koordiniert noch gefördert wurden. »We have to face the fact that since at least the early 70s there has existed no national policy for Oriental and African Studies, nor any effective system of coordination between those institutions engaged in them.«581 Mit dieser Zäsur scheint die Geschichte der staatlichen Förderung der Area Studies in Großbritannien auf den ersten Blick doch dem kritisierten declinismNarrativ zu folgen, das in klassisch gewordener Weise den ökonomisch motivierten Niedergang des intervenierenden Sozialstaats im Rahmen eines auch parteipolitisch definierten postwar-consensus beschreibt.582 Der Aufstieg der Sozialwissenschaften und der Area Studies als einer Form der Expertise ist an die Bedingung staatlicher Förderprogramme gebunden. Dies gilt auch für daraus resultierende Überlegungen zur Bindekraft nationaler Semantiken, wie sie für die Zäsur der 1970er Jahre für die Geschichte der Area Studies als einer nationalen Wissensressource in Großbritannien naheliegen. Der Parker Report war nicht zu vergleichen mit Umfang und Präzision seiner Vorgänger. Beauftragt wurde im Jahr 1984 James Craig, ehemaliger Botschafter in Syrien und SaudiArabien, der von Peter Parker, einem Geschäftsmann mit Ostasienkompetenz, abgelöst wurde.583 Der Bericht evaluierte nicht alle Universitäten, sondern behandelte neben der SOAS, an der Parker sein Büro hatte, nur Manchester und

576 Ministerial Meeting of Science Interim Committee, Draft only, 3.9.1964. TNA, ED 144/1. 577 King, The Heyworth Committee. 578 Edward A. Ackermann (Carnegie Institution of Washington) an C. H. Waddington, 12.11. 1963. TNA, ED 144/1. 579 Department of Education and Science. 580 King, British Perspectives on Southeast Asia. 581 Parker, S. 2. 582 Fraser; Tomlinson, The Decline. 583 Carey, S. 19 f.

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Edinburgh.584 Er wurde mit geringem Interesse und geringer finanzieller Unterstützung durchgeführt, ohne ein eigenständiges Komitee, und er beschränkte die Bedeutung der Area Studies auf Diplomatie und Handel.585 Gleichwohl liefert die Revision des Konsensus-Konstrukts seit Ende der 1980er Jahre in seiner rhetorischen Funktion und als politische Ideologie,586 eine genauere Analyse. Inzwischen ist auf den Umbau der nationalen Rhetoriken hingewiesen worden und die britische Zeitgeschichte hat das Schwinden der langfristigen Planungseuphorie der 1960er Jahre mit dem Auseinanderdriften von Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten unter Rückgriff auf Koselleck konzeptionalisiert.587 Im Ergebnis dieser neueren Perspektiven ergibt sich auch für die Area Studies ein präziseres Bild für die Zäsur der 1970er Jahre in ihrer Wahrnehmung als nationale Planungskrise. Der Parker Report dokumentierte das schwindende Interesse im Zeichen des Auseinanderbrechens des Planungskonsenses. Seine Forderungen waren bescheiden, führten aber neben der Nachwuchsförderung zumindest an einigen Universitäten (SOAS und Hull) zu einer Konsolidierung. Der Parker Report war vor allen Dingen ein erneutes Plädoyer für eine langfristige und koordinierte Wissenschaftsplanung in Großbritannien: »there has been no monitoring of the national stock of expertise in studies of Africa and Asia … Nor has there been any systematic planning of provision.«588 In seinem dem Bericht vorangehenden Begleitschreiben kritisierte Parker weniger diplomatisch mit Blick auf die periodische Einsetzung von Kommissionen die Kurzsichtigkeit der britischen Politik: »It cannot be right that every other decade the country goes into a spasm of concern.«589 Die Beschreibung dieses Planungsdefizits ist charakteristisch für den Strukturwandel der 1970er Jahre, in der Geschichte des Konzepts der Area Studies ist sie seit dem 19. Jahrhundert ein integraler Bestandteil von Plädoyers für die organisierte Produktion dieses Wissens. Das intellektuelle Koordinatensystem der Berichte, das aus Krisenbeschreibung, Interessensbekundungen von Wirtschaft, Handel und Politik sowie internationalen Rezeptionsmustern bestand, blieb unverändert. Der Parker Report blickte neben Frankreich und den Niederlanden insbesondere auch Mitte der 1980er Jahre in die USA, wo die Area Studies eine allgemein anerkannte Ausbildungsoption waren und umfassend und staatlich gefördert wurden.590

584 Latham, The Parker Report, S. 9. 585 King, British Perspectives on Southeast Asia. 586 Steber. 587 Toye; O’Hara. 588 Parker, S. 11. 589 Peter Parker, 18.2.1986, zitiert nach: Latham, The Parker Report, S. 3. Vgl. für die folgende Dekade Hodder-Williams. 590 Vgl. Parker, Kapitel 8.

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4.3 Area Studies als »best practice«591 Die Geschichte der Area Studies nach 1945 folgt dem von Krige beschriebenen Modell einer »Koproduktion von Wissen« in Amerikanisierungsprozessen.592 Enge Kooperationen und internationale Netzwerke, die in die 1920er Jahre zurückreichen, bildeten die Produktionsbedingungen dieses Wissens und wirkten auf Wahrnehmungsmuster sowie politische Argumentationsschemata zurück. Für beide Länder bedeutete die in den 1920er Jahren beginnende Förderpolitik der Rockefeller-Stiftung eine Zäsur in der Koordination der Sozial­ wissenschaften, die in den 1940er Jahren zu einer Auseinandersetzung mit wissenschaftsorganisatorischen Modellen führte und der Frage, wie moderne Gesellschaften Planungswissen nutzen und entwickeln sollten. Entscheidend für die Genealogie der Area Studies war dabei die Bindekraft des Entwicklungs- und Modernisierungsparadigmas, das die staatliche Interventions- und Planungspolitik bis in die 1970er Jahre vorantrieb. Dem Rollenwechsel von ehemaligen Kolonialmächten zu weltpolitischen Akteuren mit Schutzfunktion kam in der inhaltlichen Ausrichtung eine untergeordente Bedeutung zu, wiewohl sie sich in Großbritannien im Fokus auf dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika andeutet. Die traditionelle historiographische Betonung der Unterschiede zwischen Großbritannien und Frankreich ist zu relativieren, da auch in Frankreich die Institutionalisierung der Area Studies als Bestandteil der ökonomisch-politischen Modernisierungsdebatten, der planification, erfolgte.593 Beide Nachkriegskontexte zeichnen sich durch die Öffnung für eine staatliche Wissenschaftspolitik und die Orientierung an den USA aus. Dass die Area Studies in Großbritannien und Frankreich als amerikanisches Reformprojekt und Katalysator der eigenen Entwicklungen auf- und angenommen wurden, lässt sich nicht allein mit einem Verweis auf die Hegemonie der USA erklären, sondern ist an sozioökonomische Prozesse und insbesondere die Expansion des Bildungssektors und den Übergang zur Massenuniversität zurückzubinden.594 Gleichwohl divergieren die Entwicklungen. Der auffälligen Konvergenz mit der US-amerikanischen Entwicklung in Großbritannien steht die strukturelle Divergenz in Frankreich gegenüber. Area Studies waren mit der Arbeit der Scarbrough Commission (1947) zu einer nationalen Aufgabe und Ressource definiert worden, die bis Ende der 1960er Jahre relevant blieb und durch die Konsequenzen des Hayter Reports (1961) und die Zentrumsgründungswelle in direktem Anschluss an das US-amerikanische Modell ein »goldenes Zeitalter« erlebten. Nachdem seit Mitte der 1970er Jahre ebenso wie in den USA die Area Studies an Relevanz verloren, zog der Parker Report (1986) eine begrenzte kurze Finan591 Grazia, S. 18. 592 Vgl. Krige; Ash, Wissens- und Wissenschaftstransfer; Mayntz u. a. 593 Vgl. zur planification als französischem Wirtschaftsstil Thiemeyer. 594 Vgl. Bocock u. a.; Carmichael; insbes. den Robbins Report Committee on Higher Education.

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zierungs- und Koordinationsanstrengung nach sich. Dies ist nicht nur Zeichen eines Niedergangs, sondern auch einer Pluralisierung und Ausdifferenzierung des Feldes. Andere Experten wie die NGOs gewannen an Einfluss. Im Unterschied zu Großbritannien war die Entwicklung in Frankreich durch eine strukturelle Differenz geprägt. Die Initiative zur Institutionalisierung von Area Studies kam Mitte der 1950er Jahre von Braudel und Heller. Sie wurde im Rahmen der politisch-administrativen Netzwerke der Sechsten Sektion um­ gesetzt, deren USA-Erfahrungen konstitutiv waren. Eine staatlich geförderte und großflächig umgesetzte Zentrumsbildung fand jedoch nicht statt. Vielmehr galt das Förderprogramm in einem ersten Schritt der Profilbildung der Sechsten Sektion an der École pratique des hautes études und in einem zweiten Schritt der nationalen Institutionalisierung der Sozialwissenschaften in Form einer Fakultät oder eines eigenständigen Instituts, aus der 1963 die Maison des sciences de l’homme, 1975 die École des hautes études en sciences sociales entstand. Diese Unterschiede im Aufbau der Area Studies nach 1945 sind auch als Ergebnisse der zu Beginn skizzierten kolonialwissenschaftlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts zu erklären. Großbritannien hatte ohne Frage Kolonialwissen produziert, aber aufgrund der dezentralen und praxisnahen Organisation der Kolonialverwalter-Ausbildung brachte erst der entwicklungspolitische Konsens der 1940er Jahre den Beginn der Nationalisierung. Die vielfach diskutierte Nachzügler-Rolle Großbritanniens war die Voraussetzung für die strukturelle Orientierung am amerikanischen Modell. Eine Verbindung mit sozialwissenschaftlichen Methoden und eine verstärkte Gegenwartsorientierung, wie sie für Frankreich und andere westeuropäische Staaten Ende des 19. Jahrhunderts zum Kern der Diskussion um koloniales Wissen wurden und verschiedene Institutionalisierungsformen nach sich zogen, wurden erst im Ergebnis des Hayter Reports umgesetzt. Die methodische Relevanz des Modells und insbesondere die Rolle der Interdisziplinarität blieben geringer als in Frankreich,595 wo Interdisziplinaritätsdiskurse und Gruppenarbeit in der Auseinandersetzung mit den Sozialwissenschaften zur Arbeit der Annales-Historiker seit den 1920er Jahren gehörten. Sowohl in London als auch in Paris wurden die amerikanischen Area Studies als Teil der Pax Americana wahrgenommen und wurden zum Ausgangspunkt für Fragen nach den eigenen europäischen Traditionen und kritischen Potenzialen.596 Im Ergebnis der Analyse sind die nationalen Amerikanisierungs­kontexte auf mehreren Ebenen zu präzisieren. Die grundlegende Bedeutung der amerikanischen Referenz entfaltete sich auf der Akteursebene, auf der sie Anfang der 1950er Jahre konstitutiv für eine modernisierungsbereite Elite und ihre Reformprojekte wurde. Im Bereich des Wissenschaftstransfers verweisen die Area Studies so auf die »Lokalität« der US-amerikanischen Hegemonie in Westeuropa, 595 King, British Perspectives on Southeast Asia. 596 Vgl. dazu auch Kroll. Für Großbritannien vgl. Shils; für Frankreich Esprit Jg. 14 (11), 1946 (= L’homme américain).

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der gleichwohl das gemeinsame Perzeptionsmuster einer Orientierung an der »best practice« zugrunde lag.597 Entscheidend für diese Interpretation ist die Einsicht in die Tatsache, dass es verschiedene Aneignungsformen des Konzepts gab, die in den intellektuellen Zentren auch um die amerikanische Referenz konkurrierten. In Bezug auf die disziplinären Felder hat das Konzept der Area Studies nicht nur integriertsozialwissenschaftliche Annäherungen an eine Region verstärkt, sondern nach 1945 auch die Entwicklung der europäischen Politikwissenschaften bzw. der Geschichte der international relations vorangetrieben. Sowohl am RIIA in London als auch am CERI in Paris stellte es in den Aushandlungen mit der RockefellerStiftung ein Instrument dar, die politische Theorie nach geographischen Einheiten zu organisieren und die politische Analyse internationaler Beziehungen empirisch zu verankern. Dass es sich dabei um eine zumindest eigenständige Lesart des Konzepts handelte, bemerkten bereits die Zeitgenossen. Der Politikwissenschaftler Arnold Wolfers, der aus Europa in die USA emigriert war und zu den wichtigen Beratern der Stiftungen und Regierung gehörte, sprach sogar für den Pariser Fall von einer »fehlerhaften Bezeichnung«.598

597 Grazia, S. 18. 598 Arnold Wolfers an Shephard Stone, 9.1.1958. IfZArch, ED 468/174. Vgl. insgesamt Loth u. Osterhammel.

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5. Area Studies als Produktivkraft von Wissensgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert

Die vorangegangene Darstellung hat drei Situationen des Griffs nach dem Weltwissen in den Blick genommen und aus verschiedenen Perspektiven auf ihre Charakteristika hin befragt. Dabei folgte die Darstellung nicht einem Begriff, der im 19. Jahrhundert geprägt wurde und in die Gegenwart führte, sondern ging den umgekehrten Weg und fragte ausgehend von dem Begriff der Area Studies aus dem 20. Jahrhundert nach den Formen des Konzepts und seinem historischen Wandel.1 Die im Ergebnis der Kontextualisierungen gewonnenen Charakteristika machen diese Situationen zu Bestandteilen einer Geschichte. Dass die Analyse sich trotz der Parallelität der Konstellationen und Gemeinsamkeiten der verhandelten Dimensionen nicht auf eindeutige Bezeichnungen und Definitionen beziehen konnte, folgt aus der Genese der sozialwissenschaftlichen Felder. Die Begriffe des 19. Jahrhunderts »Kolonialwissenschaften« oder »Kolonistik« wurden nach dem Ende der Kolonialreiche nicht weitergeführt. Der Begriff der »Kolonistik« selbst war schon zum Zeitpunkt seiner Prägung kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein Kunstwort gewesen, das im Rückblick und als Resümee der vorangegangenen internationalen Debatte lanciert wurde und seit den 1920er Jahren keine Rolle mehr spielte.2 Die Kolonialwissenschaften blieben insgesamt ein Übergangsphänomen. Ihre Bedeutung lag in der Impulswirkung für das Entstehen und die Ausdifferenzierung sozialwissenschaftlicher Wissensfelder, von denen sie aufgenommen wurden. In dieser Form gingen ihre Perspektiven in die mit der Bezeichnung »Area Studies« belegten Regionalstudien des 20. Jahrhunderts ein. Zwar bestand auch innerhalb des US-amerikanischen Kontexts keine Einigkeit über eine Definition, weder in der ersten von ACLS und Rockefeller-Stiftung koordinierten Konferenz im Jahr 1944 noch zum Zeitpunkt der Reformdiskussion des SSRC in den 1970er Jahren. Aber der Kern des umgesetzten Konzepts war klar sozialwissenschaftlich definiert. »The basic concept of area studies is the application of many or all of the social sciences and humanistic disciplines […] toward a better understanding of a single region«,3 resümierte Charles B. Fahs Ende der 1940er Jahre die Politik der Rockefeller-Stiftung. In dieser Weise funktionierten die Regionalwissenschaften auch in Frankreich und Großbritannien nach 1945. Der Bezug auf die Area Studies als »new 1 Koselleck, S. 350. 2 Zum Ende der »internationalen Phase« vgl. Lindner, ICI, S. 71. 3 Charles B. Fahs, Area Studies, 10.6.1949. RAC, RF, RG 3.2., Ser. 900, Box 31, Folder 165.

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attack« trieb die wissenschaftspolitischen Debatten und Maßnahmen voran,4 aber die Verwendung des Worts selbst zur Kennzeichnung der eigenen Regionalwissenschaften war selten. In Großbritannien sprach man von »regional studies«, in Frankreich von »aires culturelles«. In dem Strategiepapier zur Modernisierung der Sozialwissenschaften von Braudel war von den »études sur le monde actuel« die Rede. Oftmals ergänzten die Verantwortlichen der Rockefeller-Stiftung handschriftlich selbst auf den Korrespondenzen mit den Europäern: »Area Studies«.5 Der Begriff funktionierte in Westeuropa als Referenz. Er konnte nach 1945 nicht durch andere abgelöst werden, weil seine Funktion in dem Verweis auf das fremde und amerikanische Modell lag. Symptomatisch dafür ist Braudels Methodenaufsatz »Geschichte und Sozialwissenschaften. Die longue durée« (1958), der sich auf die Vorbildwirkung der US-amerikanischen Area Studies bezieht. Kursiviert lässt Braudel die englischen Begriffe »area studies« und »social scientists« in seinem Artikel stehen, der die Zusammenarbeit zwischen Historikern und Sozialwissenschaftlern angesichts der interdisziplinären Herausforderung auslotet und einfordert: »Aber jetzt tut es not, erst einmal zusammenzukommen. In den Vereinigten Staaten hat der Zusammenschluß die Form kollektiver Forschungen in den kulturellen Bereichen der gegenwärtigen Welt angenommen: Die area studies stellen vor allem Untersuchungen einer Gruppe von social scientists über die politischen Riesengebilde der Gegenwart dar: über China, Indien, Rußland, Lateinamerika und die Vereinigten Staaten. Sie zu kennen ist eine Existenzfrage.«6

Die wissenschaftshistorisch relevanten Kursivierungen stellen das Binom von Area Studies und Sozialwissenschaftlern als Argumentationsmuster in den Vordergrund. Area Studies erscheinen so eindeutig als eine von den Sozialwissenschaftlern organisierte Wissensressource – und gleichzeitig selbst in einem positiven Plädoyer als ein Fremdkörper. Dies ist nicht nur die Voraussetzung für die wissenschaftsorganisatorische Orientierung an den USA, sondern auch für inhaltliche Kritik und Distanz im Rahmen der Aneignungsprozesse, wie Braudel sie für eine stärkere Einbeziehung der Geschichte formuliert: »Zum Beispiel ist der der Geographie eingeräumte Platz in diesen amerikanischen Versuchen 4 [O. A.], Introduction, In: International Social Science Bulletin, Bd. 4 (4), 1952, S. 633–635, hier: S. 634. 5 Vgl. die Einzelnachweise in den Fallstudien von Kapitel 4. 6 Braudel, Geschichte und Sozialwissenschaften, S. 48. Die Übersetzung wurde von mir verändert. Die deutsche Originalübersetzung lautet: »Die area studies stellen vor allem Untersuchungen einer Gruppe von Sozialwissenschaftlern [im Original: social scientists] über die politischen Riesengebilde der Gegenwart dar […] Sie zu kennen ist unerläßlich [im Original: »question de vie«].« Hinter der abschwächenden Übersetzung von »question de vie« mit »unerläßlich« verschwimmt die Bedeutung der Area Studies als eine »Produktivkraft« seit dem Kolonialismus, wohingegen die Originalformulierung fast direkt im Anschluss an LeroyBeaulieu (1874) verstanden werden kann, vgl. Kapitel 2.1.1.

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praktisch gleich Null; extrem belanglos der, den man der Geschichte zugesteht. Und um welche Geschichte handelt es sich übrigens?«7 Der Griff nach dem Weltwissen bezeichnet Prozesse der Koordination und Systematisierung dieses Wissens im Ergebnis des sich verändernden Ressourcenensembles von Wissenschaft und Politik. In allen Kontexten ging es mit der Definition von Fördermaßnahmen und Institutionalisierungen um den staatlichen Zugriff. Das Wissen wurde, wenn auch in unterschiedlichen Formen, aufgrund seiner Relevanz als ein staatlicher Gestaltungsbereich im Sinn einer »gesellschaftlichen Produktivkraft« verstanden.8 Mit Blick auf die dargestellten Kontexte im 20. Jahrhundert waren mit der Projektförderung der Rockefeller-Stiftung ähnliche strukturelle Bedingungen für die Aushandlungsprozesse formuliert worden und die finanzierte Organisationsstruktur prägte die Umsetzung des Konzepts. Die Grundlage für seine »Einreise« nach Großbritannien und Frankreich bildete die Definition eines gesellschaftlichen Reformbedarfs und der Aufstieg des Wissenschaftsstaats, die als gemeinsame Entwicklung seit den 1940er Jahren beschrieben werden können. Als bestimmend erwies sich für die Nachkriegskontexte die Öffnung für eine staatliche Wissenschaftspolitik, die Rolle amerikanischer Modelle sowie der philanthropischen Wissenschaftsförderung. In der Binnenperspektive ließ sich dabei in der Erweiterung der Forschung zu den nationalen Kontexten der Amerikanisierung zeigen, dass für das Verständnis der Amerikanisierung die Unterscheidung der strukturellen Ebene von der der Akteure wesentlich ist. Ausgehend von dem weichen Instrument der Area Studies erscheint die Hegemonie der USA in Westeuropa schließlich auch im Bereich der Wissenschaft als Paradox. Sie ist nicht nur abhängig von den europäischen Kooperationspartnern, sondern stellt auf der Ebene der Akteure auch eine Handlungsstrategie dar, deren Ziele auf nationaler und lokaler Ebene liegen. Macht und Einfluss der USA, so ist im Ergebnis der Länderstudien zu sehen, lagen insbesondere darin, dass sie in Paris und London in der Auseinandersetzung mit Modernisierungsprozessen zu einer Chiffre nationaler Selbstverständigung zwischen den Generationen und den politischen Fronten wurden. Die Protagonisten in Großbritannien und Frankreich konnten nicht zuletzt deshalb nicht auf den US-amerikanischen Begriff verzichten, weil der Aushandlungsprozess um die Kategorien und Gelder als ein permanenter Vergleichs- und Verweisprozess mit dem und auf das amerikanische Modell funktionierte. Die dabei verhandelten politischen, organisatorischen und intellektuellen Dimensionen sind bis heute in dem Konzept der Area Studies »eingefroren«, wie die einleitend angesprochenen Diskussionen in der Bundesrepublik seit Ende der 1990er Jahre deutlich machen.9 Nimmt man schließlich beide Ebenen zusam-

7 Braudel, Geschichte und Sozialwissenschaften, S. 48 f. 8 Touraine, S. 16. 9 Boatcã.

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men und berücksichtigt sowohl die Akteure als auch die Strukturen, muss man für die analysierten Aushandlungs- und Aneignungsprozesse mit größerer Genauigkeit als von Transfers oder travelling concepts von Prozessen des reframing sprechen.10 Dass Gesellschaften in Modernisierungsprozessen zum Verständnis sozialer Realitäten Wissen benötigen und dies nicht nur nutzen, sondern auch produzieren, ist im Ausgang vom Impuls der sozialen Frage als »Verwissenschaftlichung des Sozialen« beschrieben worden. Die Periodisierung dieser Modernisierungskonfigurationen in den Dekaden nach 1880 und dem Kalten Krieg ist entscheidend, um zu verstehen, wie in diesen Zusammenhängen die Sozialwissenschaften »als eine der üblichen Formen, in denen industriekapitalistische Gesellschaften sich über sich selbst verständigen« entstanden und sich professionalisierten.11 Aber für diese Konfigurationen waren auch »koloniale Momente« konstitutiv, die in diese Geschichte eingeschrieben werden müssen.12 Die vorangegangene Darstellung hat gezeigt, dass die »wissenschaftsorganisatorische Seite« der Gesellschaftsgeschichte um die Dimension des Kolonialen zu erweitern ist.13 Die Neuausrichtung der Kolonialreiche nach 1880/1890 ebenso wie die g­ lobale Veränderung nach 1945, als Europa seine »normative Dominanz« verlor, forderten neue Ordnungen im Bereich des Wissens.14 In beiden Situationen handelte es sich um die Produktion von Legitimierungsdiskursen, welche sich in einem Wechselverhältnis von Wissenschaft und Politik vollzog. Einerseits nutzte der Staat das Wissen aus den Regionalwissenschaften, andererseits beteiligte er sich an seiner Konstruktion durch die Schaffung der Produktionsbedingungen. Area Studies übten eine Pionierfunktion in dieser Rollenkonstitution aus, weil ihr Nutzen und ihre Nutzbarkeit nach den Naturwissenschaften sowohl im Kolonialismus als auch im Kalten Krieg für die Metropolen gesellschaftlich relevant wurden. Von der kolonialsoziologischen Frage nach der besten Form der Kolonisierung und im Zusammenhang damit der Schaffung von Ausbildungsformen führte ein direkter Weg zum entwicklungspolitischen Konsens der 1940er Jahre und dem modernisierungstheoretischen Koordinatensystem, das seit den 1950er Jahren griff. Waren die Anthropologen in Belgien, Deutschland, Frankreich und Großbritannien seit den 1870er Jahren bemüht, ihre gesellschaftliche Bedeutung mit Verweis auf die kolonialwissenschaftlichen und sozialtechnischen Bedürfnisse des Staats deutlich zu machen, zeichnete sich in der zweiten Modernisierungskonfiguration der interventionistische Konsens deutlich ab. Das Eingreifen des Staats in die Wissenschaft folgte auf sein Engagement in anderen

10 Middell, Border-Crossing Phenomena, S. 138. 11 Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen, S. 176 f. 12 Bertrand, Les sciences. 13 Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen, S. 187. 14 Mazower, S. 47.

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gesellschaftlichen Teilbereichen. Das Argument, dass die Förderung von Regionalexpertise die Bedeutung einer Wirtschaftsförderung hat, eben »dieselbe Bedeutung […] wie die Dampfersubvention«, trieb die Entwicklungen voran.15 Die Argumente mögen parallel sein. Der Status von Wissen unterscheidet sich in fortgeschrittenen Industriegesellschaften, die als »postindustrielle«, »technokratische« oder »programmierte Gesellschaften« eingeordnet wurden, von den westeuropäischen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Mit guten Gründen hat die Geschichte des Planens im Zusammenhang mit der Neudefinition der Staatsaufgaben und der Rückbindung von Modernisierung an staatliche Mitfinanzierung den Ersten Weltkrieg als Zäsur gesetzt und die 1960er und 1970er Jahre zu ihrer Hochzeit gemacht.16 Die Bedeutung der hierbei gesetzten Zäsur auf das Moment, in dem Organisationskonflikte Klassenkonflikte ersetzen, ist für die Geschichte der Wissensproduktion unbestreitbar.17 Andererseits haben schon Soziologen, die als Zeitgenossen die Entstehung der Gesellschaft »neuen Typs« Ende der 1960er Jahre diskutierten, auf die Parallelen zum Traditionsbruch der Industrialisierung hingewiesen, insbesondere wenn sie marxistisch orientiert waren.18 Betrachtet man eines der wichtigsten Charakteristika der Massengesellschaften weniger in ihrem Bezug auf andere soziale Tatsachen als in ihrem schnellen Wandel und ihrer Reaktions- und Integrationsgeschwindigkeit, erscheinen auch die Kolonialreiche als entstehende Wissensgesellschaften. Wachstum hing auch in Bezug auf die Kolonien nicht mehr von der »bloßen Akkumulation des Kapitals« ab, sondern von gesellschaftlichen Faktoren. Es ging seit den 1880er Jahren darum, »den Wandel zu programmieren«, »Systeme gesellschaftlicher Beziehungen zu verwalten, Verhaltensweisen zu verbreiten, die der Ingangsetzung und ständigen Verwandlung aller Produktivfaktoren förderlich sind«.19 Fortschrittsglaube und Szientismus prägten, wenn auch in unterschiedlichen Konfigurationen, die Gesellschaften. Technologietransfers und imperiale Infrastrukturprojekte forderten das Einbeziehen von Experten in Verwaltungshandeln. In diesem Kontext war die Institutionalisierung der Sozialwissenschaften nicht auf nationalstaatlicher, sondern auf »westlicher Ebene« erfolgt und eben »in dem Augenblick, als Europa seine Vorherrschaft über den Rest der Welt endgültig befestigte«.20 Die Imperien des 19. Jahrhunderts mussten sich ebenso wie die Nachkriegsgesellschaften nicht nur durch wissenschaftliche Informationen aus und über Asien und Afrika »festigen«,21 sondern diese Auseinandersetzung wurde ebenso wie die »Verwissenschaftlichung des Sozialen« zu einem Selbst15 Redebeitrag Charles Grad am 7.12.1886, in: RT, Bd. 94, S. 144. 16 Doering-Manteuffel, S. 398. (»Signum des 20. Jahrhunderts«). 17 Touraine, S. 47. Das Argument richtet sich gegen Dahrendorf. 18 Ebd., S. 10. 19 Ebd., S. 9 f. 20 Wallerstein u. a., S. 35. 21 Laak, Kolonien als »Laboratorien der Moderne«, S. 272.

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verständigungsmodus. Die Gesellschaftskritik der 1970er Jahre und die zentrale Rolle, die Area Studies in diesem Kontext spielten, machen diesen Konsens retrospektiv sichtbar. Das Moment, gesellschaftliche Kontrolle über Veränderungen und Informationen zu erlangen, charakterisiert beide Gesellschaftstypen. In beiden Situationen waren die Entwicklungen das Ergebnis technischer Revolutionen und wirtschaftlichen Wachstums, die einen strukturellen Wandel nach sich zogen. Bevölkerungswachstum und Expansion sowie die Ausdifferenzierung des Bildungssektors betrafen darüber hinaus die Universitäten als Orte der Wissensproduktion direkt. Die »Transformationskrise der Hochindustrialisierung«, die liberale Denkmuster erodieren ließ und neue soziokulturelle Orientierungen erforderlich machte, war aber nicht nur die ideengeschichtliche Vorbereitungsphase für die Zäsur des Ersten Weltkriegs.22 In einer internationalen Perspektive bezeichneten die Jahre von circa 1860 bis 1914 auch die erste Welle einer globalen Wissensproduktion.23 Die Geschichte der Area Studies hat gezeigt, dass die Etablierung des Kolonialen als eines Wissensfelds, in der Nähe zu den entstehenden Sozialwissenschaften und in direkter Anwendungsorientierung, seit den 1890er Jahren ein wichtiges Koordinatensystem für die Entstehung gesellschaftlichen Planungsdenkens darstellte. Die Konstruktion kolonialer Expertise ist auch das Ergebnis der Aushandlungsprozesse um Regulierungs- und Steuerungsmechanismen kolonialer Ausbildungsoptionen, deren Rahmen eine internationale Debatte um die wissenschaftliche Kolonisierung und ihre institutionellen und intellektuellen Effekte absteckte. Charakteristischer Ausdruck dieser Phase, die mit dem Ersten Weltkrieg endet, sind die Arbeitsweise und Netzwerke des Institut colonial international. Dabei antwortete das imperiale Zeitalter auch in der Kolonisierungsdebatte auf zuvor formulierte Problemstellungen und Ansätze. In Frankreich hatten schon vor der Eroberungswelle der Dritten Republik insbesondere die Anhänger und Dissidenten Charles Fouriers die Bedeutung der Kolonien für die Wissensproduktion in den Metropolen konstatiert. Der in den späteren Debatten um eine »Kolonistik« viel zitierte Anwalt Jules Duval, der in Algerien mit alternativen Gesellschaftsentwürfen experimentiert hatte, dachte bereits in den 1860er Jahren über eine eigenständige »Wissenschaft von der Kolonisierung« nach: »C’est une partie de la science à refaire ou plutôt à détacher pour être érigée en sciences spéciale, la science de la colonisation qui a son objet précis, délimité, bien distinct de tout autre, et qui l’explore avec des instruments fournis par d’autres sciences, mais formant en ses mains un ensemble qui n’appartient qu’à elle.«24

22 Doering-Manteuffel, S. 400. 23 Middell, Border-Crossing Phenomena, S. 140 f. Immer noch inspirierend der Ansatz von Geyer u. Bright. 24 Duval, S. 39.

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Diese Kolonialwissenschaft war 1864 noch eine unbestimmte Mischung aus den vorhandenen Disziplinen, von denen sie ihre Untersuchungsmethoden borgte. Duval war unentschieden, was den Status dieser Wissenschaft anbelangte. Fortschrittsoptimistisch ging er jedoch von einem möglichen Einfluss der neuen Wissenschaft auf die Wissensordnung der Metropole aus. Zwanzig Jahre nach Duvals Plädoyer war die Idee, dass Szientismus und Fortschrittsdenken des 19. Jahrhunderts in der Rekonfiguration des Kolonialismus als eines kulturellen Ordnungsprojekts zusammenliefen, schon eine Selbst­ verständlichkeit. Auguste Bordier meinte für den Titel seiner Schrift »La colonisation scientifique« (1884) kaum noch eine Begründung geben zu müssen und konstatierte einleitend kurz die Notwendigkeit einer wissenschaftlich fundierten Kolonialpolitik: »La politique coloniale doit être, comme toute politique, scientifique et que la colonisation ne peut se faire que par la science.«25 Die Geschichte der »Kolonistik« und ihrer anthropologischen Dimensionen verweist darauf, dass Kolonien für die sich modernisierenden Gesellschaften nicht nur aufgrund der Produktion von Planungswissen im vielfach problematisierten und ambivalenten Sinn »Laboratorien der Moderne« waren, sondern auch durch den Anspruch der Wissenschaftlichkeit selbst.26 Unübersehbar ist in der Reaktion der Gesellschaften auf die Transformationen der Zusammenhang zwischen globalpolitischer Mobilisierung und »diskursiver Verwissenschaft­ lichung«. Dass der »politische Wille als wissenschaftliche Prognose und rationaler Sachzwang legitimiert« wird,27 beschreibt die Entstehungskonstellationen zentralisierter und staatlich gesteuerter Regionalwissenschaften treffend. Die Wissenschaftlichkeit von Fernwissen wurde Teil von gesellschaftlichen Debatten.28 Das Argument einer wissenschaftlichen Kolonisierung war dabei die Kehrseite des Plädoyers für die Entwicklung von Kolonialwissenschaften. Diese übten Ende der 1890er Jahre eine Schubkraft auf die Genese sozialwissenschaftlicher Disziplinen aus, die die Voraussetzung für die Entwicklung der Area Studies im 20. Jahrhundert bildete. Waren Ende des 19. Jahrhunderts Objekte aus den Kolonien noch in der Kooperation mit Missionaren und Angehörigen des Militärs sicherzustellen, Datensammlungen in Form von Fragebögen zu organisieren und ihre Auswertung in Disziplinen zu überführen, konnten die Anthropologen der 1940er Jahre ihre Ansätze als Feldforscher in einem »leben­ den Laboratorium« experimentieren.29 Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte die erste Generation professioneller und universitär ausgebildeter Sozialwissenschaftler das Personal der Area Studies. Die Kritik an diesem Entstehungszusammenhang in den 1970er Jahren, welche den modernen Sozialwissenschaftler als Kolonialverwalter brandmarkte, 25 Bordier, S. XIII. [Hervorhebung im Original] 26 Für eine Problematisierung im deutschen Kontext vgl. Laak, Imperiale Infrastruktur. 27 Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen, S. 169. 28 Pestre. 29 Hailey, An African Survey. A Study of Problems, S. 5.

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hat auf die Gemeinsamkeit der hegemonialen Entstehungssituation hingewiesen. Wie im Bereich der wirtschaftlichen Ausbeutung, so betonte der Philosoph ­Paulin Hountondji, habe auch die wissenschaftliche Ausbeutung im 19. und 20. Jahrhundert lediglich ihr Datenmaterial aus den Kolonien »extrahiert«, in der Metropole verarbeitet und dort verwendet und verkauft.30 Die Kritik daran, dass diese Struktur Kategorien der Fremdheit produzierte und Prozesse des othering in Gang setzte, hat die Area Studies des Kalten Kriegs als Erbe des Kolo­nialismus nicht nur in Verruf, sondern auch in eine intellektuelle Genealogie gebracht. Es ist dieser Griff nach dem Weltwissen, der kolonialwissenschaftliche Ansätze und Area Studies in einen Entwicklungszusammenhang bringt und ihre drei Dimensionen – als politisches Argument, wissenschaftsorganisatorisches Modell und ethnogeographisches Denkmuster – in unterschiedlichen Konstellationen sichtbar und schließlich obsolet werden ließ. Angesichts der Tatsache, dass das Konzept nicht von den politischen Diskursen und ihrer Performanz zu trennen ist, ist die kritische Anfrage vonseiten der Sozialwissenschaftler bis heute nicht erstaunlich. Scheiterte der Aufbau der Weltordnungen im Bereich des Wissens nicht zuletzt deswegen, weil sich das Konzept im 19. Jahrhundert formiert hatte und, diese Dimensionen reproduzierend, im 20. Jahrhundert nur noch sein Gegenteil bewirken konnte? Statt Homogenität und Kontrolle zu produzieren, bewirkte es das Anwachsen von Unterschieden, lautete der noch in den 1990er Jahren geäußerte Vorwurf, der darauf abzielte, das 19. Jahrhundert auch in Bezug auf die historischen und sozialwissenschaftlichen Denkmuster zu überwinden.31 Die Linien vom imperialen Zeitalter bis in die Gegenwart zu ziehen, dient der Selbstreflexion der Disziplinen. Für die Geschichte ihrer Denkmuster und Institutionen ist abschließend noch einmal die Notwendigkeit einer globalgeschichtlichen Perspektive auf die »Verwissenschaftlichung des Sozialen« festzuhalten. Die Darstellung hat gezeigt, dass und wie seit dem Zeitalter der Kolonialreiche die Konstruktion und Institutionalisierung von Wissen aus und über Afrika und Asien konstitutiv dafür war, dass die Sozialwissenschaften zu einem ent­scheidenden Selbstverständigungsmodus für industriekapitalistische Gesellschaf­ten werden konnten. Die Verbindung der beiden Entwicklungen und die Suche nach den »kolonialen Momenten« leistet so einen Beitrag zu einer Gesellschaftsgeschichte, die sich mit Prozessen der Bürokratisierung und Verwissenschaftlichung beschäftigt. Mit dem Ansatz ist aber auch eine notwendige Form der grundsätzlichen Perspektiverweiterung verbunden. Denn er bringt in der historischen Analyse wieder zusammen, was im Ergebnis der sozialwissen­ schaftlichen Disziplinbildung im 19. Jahrhundert getrennt wurde: die Erforschung einer modernen und zivilisierten von einer nicht-modernen und un­ zivilisierten Welt. 30 Hountondji, Situation; ders., Knowledge. 31 Vgl. v. a. die zweite Auflage mit neuem Vorwort Wallerstein, Unthinking Social Science sowie Senghaas; Marglin u. Marglin.

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Danksagung Dieses Buch wäre nicht entstanden ohne die langjährig-vertrauensvolle Begleitung, ebenso wenig aber ohne die spontan-punktuelle Hilfsbereitschaft vieler Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland. Waren es zuerst vor allem meine Pariser und Berliner Kolleginnen und Kollegen, die mich unterstützten, wurden im weitere Verlauf der Forschung Kolleginnen und Kollegen in New York und vor allem meine Co-Fellows am Remarque Institute der New York University wichtig, die mir beigebracht haben, wie aus »Forschungsproblemen« »research questions« werden. Hätte mir die New York University nicht zwei so ausgesprochen großzüge Fellowships für das Projekt verliehen und mir außergewöhnliche Arbeitsbedingungen am Washington Square zur Verfügung gestellt, wäre dieses Buch wohl dann nicht neben dem allgemeinen Berliner Semestertrubel geschrieben worden. Dass mich meine Kolleginnen und Kollegen am Frankreich-Zentrum und am Friedrich-Meinecke-Institut während meiner Tätigkeit an der FU Berlin auf vielfältige Weise beraten und unterstützt haben, ist ebenso wenig selbstverständlich wie die unkomplizierte Hilfsbereitschaft von Kolleginnen und Kollegen der anderen Berliner und Brandenburger Institutionen und insbesondere der Humboldt Universität. Ihr intellektuelles und kollegiales Backup haben die Fertigstellung der Habilitationsschrift ermöglicht. Nach der Einreichung der Arbeit war die Einladung des DHI in Paris ein Glücksfall. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleiteten mich durch das Post-Habil-Jahr 2016/2017  – mit Diskussionen, Hinweisen, typographischem Detailwissen und so manch anderem. Dass ich mich seit meiner Ankunft am Bodensee im Oktober 2017 jederzeit und völlig selbstverständlich auf die nicht nur historiographische Hilfsbereitschaft meiner neuen Kolleginnen und Kollegen an der Universität Konstanz verlassen kann, ist dem Endmanuskript ebenso sehr zugutegekommen wie die Geschwindigkeit der Buchanschaffung durch die Bibliothek. Die Liste derjenigen, denen ich am Ende des Projekts persönlich für Kritik oder Ermunterung, Vortragseinladungen, Gutachten, Hinweise, Warnungen und Anstöße, die Lektüre von Anträgen und Kapiteln oder ein vertrauliches Gespräch zur rechten Zeit zu danken habe, würde Seiten füllen. Sie alle wissen, wie wichtig ihre Verfügbarkeit und Offenheit, Kollegialität oder Freundschaft in Krisenzeiten für mich waren und immer noch sind. Stellvertretend danke ich den Kolleginnen und Kollegen am Centre Georg Simmel an der EHESS und Michael Werner, dessen Interesse an amerikanischer Philantropie für mich vor vielen Jahren wegweisend war. Die Förderung durch den CNRS hat mir die Pariser Archivrecherche ermöglicht. Für Inneneinsichten 341

zum Kosmos der Sechsten Sektion danke ich Paule Braudel (†), Isaac Chiva, Wolf Lepenies, Serge Moscovici, Dominique Schnapper – und natürlich Peter Schöttler, Étienne François und Joachim Nettelbeck, für außergewöhnliche Gespräche zu Wissensgesellschaften Alain Touraine. Danken möchte ich auch den Archivarinnen und Archivaren in Frankreich, Großbritannien und den USA: An der EHESS Brigitte Mazon für die gewohntfabelhafte Unterstützung, der Fabienne Queyroux (Institut de France), David Bates (Chatham House), Briony Paxman (Kew), Joanne Anthony (LSE), Morgan Sawinsky und Lewis Wyman (LOC), Jennifer Comins (Butler Library) in nichts nachstanden. Besonderen Dank schulde ich dem Rockefeller Archiv, seiner Leitung und den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen: Jack Myers, James Allan Smith, Patricia Rosenfield, Barbara Shubinsky und vor allem Mary Ann Quinn für Ihre Hilfe vom ersten Archivaufenthalt bis zur Drucklegung der Arbeit. Steve Wheatley (ACLS) und Sheila Biddle (Ford) haben mir den Zugang zu ihren Materialsammlungen in New York ermöglicht und mir die Arbeit so leicht und angenehm wie möglich gemacht. Sebastian Conrad und Paul Nolte haben die Arbeit kritisch kommentiert und sich ihrer im Habilitationsverfahren an der FU Berlin angenommen. Ihnen gilt dafür mein nachdrücklicher Dank ebenso wie Gabriele Lingelbach, Jessica Gienow-Hecht und Stefan Rinke. Dass aus der Habilitationsschrift dann eine Publikation geworden ist, verdanke ich den »Kritischen Studien«: Für die Aufnahme in die Reihe danke ich Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Paul Nolte, Alexander Nützenadel und Hans-Peter Ullmann sehr. Paul Nolte danke ich darüber hinaus für intensive Kommunikation und Lektüren sowie dafür, dass er Publikation und Autorin (vor)antrieb. Dem Verlag, und insbesondere Daniel Sander und Carla Schmidt, bin ich für eine ausgezeichnete Zusammenarbeit zu großem Dank verpflichtet. Ein herzlicher Dank gilt auch allen studentischen Hilfskräften an den Institutionen, an denen ich tätig war, für ihre Intelligenz beim Bibliographieren und ihre Genauigkeit beim Korrigieren oder der Erstellung des Registers. Ohne Hope Läubli und Ella Müller wäre der Kampf gegen die Fußnoten im Januar und Februar dieses Jahres verloren gewesen. Für das Management im universitären Alltag danke ich Marie Bergeron während meiner Zeit an der FU Berlin und ­Veronika Weisser an der Universität Konstanz. Mein letzter und besonders nachdrücklicher Dank gilt der Gerda Henkel Stiftung: Ihr Forschungsstipendium hat mir Schreibstunden beschert, ihr Druckkostenzuschuss die Publikation ermöglicht. Konstanz, im April 2018

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Abkürzungsverzeichnis

AAUP ACLS AEC AEERS

American Association of University Professors Amercian Council of Learned Societies Atomic Energy Commission Association d’étude pour l’expansion de la recherche scientifique AFK Archiv für Kulturgeschichte Afr. Aff. African Affairs AfS Archiv für Sozialgeschichte AHR The American Historical Review AIA Association africaine internationale AID Agency for International Development Am. Anthropol. American Anthropologist ANN Annales. Histoire, sciences sociales AOF Afrique-Occidentale française ARSOM Annuaire de l’Académie royale des sciences d’outre-mer ARSS Actes de la recherche en sciences sociales ASocRev American Sociological Review ASTP Army Specialized Training Programs ASTP-FALC Foreign Area and Language Curricula of the Army Specialized Training Programs ASTP-FALS Foreign Area and Language Study of the Army Specialized Training Programs BAE Bureau of American Ethnology BOTR Board on Overseas Training and Research Br. J. Polit. Sci. British Journal of Political Science BSOAS Bulletin of the School of Oriental Studies Cah. Études Afr. Cahiers d’études africaines CATS Civil Affairs Training Schools CBF Charles B. Fahs (internes Kürzel der Rockefeller-Stiftung) CCS Cross-Cultural Survey CDWA Colonial Development and Welfare Act CEAf Centre d’études africaines CEH Contemporary European History CÉHC Comité d’études du Haut Congo CERI Centre d’études des relations internationales CIRET Centre International de Recherches et Études transdiscipli­ naires CNRS Centre national de la recherche scientifique CO Colonial Office Comp. Stud. Soc. Hist. Comparative Studies in Society and History

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CRH CSSRC CWF DAWI DKG DKZ DoD EB Econ. Hist. Review EFD EFPM EHESS ENFOM ENLOV EPHE FAFP FF FNSP FRPS GG GH HEL Hist. Anthropol. Hist. Hum. Sci. Hist. J. Hist. Workshop J. HMSO IASL

Centre des Recherches Historiques Colonial Social Science Research Council Commonwealth Fund Records Deutsches Auslandswissenschaftliches Institut Deutsche Kolonialgesellschaft Deutsche Kolonialzeitung Department of Defense Ethnogeographic Board Economic History Review Edward D’Arms (internes Kürzel der Rockefeller-Stiftung) Educom Financial Planning Model École des hautes études en sciences sociales École nationale de la France d’outre-mer École nationale des langues orientales vivantes École pratique des hautes études Foreign Area Fellowship Program Ford Foundation Records Fondation nationale des sciences politiques Foreign Research and Press Service Geschichte und Gesellschaft German History Histoire Épistémologie Langage History and Anthropology History of the Human Sciences The Historical Journal History Workshop Journal Her Majesty’s Stationery Office Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur IfZArch Institut für Zeitgeschichte, Archiv (München) ICI Institut colonial international ID International Division IDRF International Dissertation Field Research Fellowships IEA International Education Act IHEO Institut des hautes études d’outre-mer IHR Institute of Human Relations ILP Intensive Language Program IMWKT Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik IPFP International Predissertational Fellowship Program ITR International Training and Research Programs J. Imp. Commonw. Hist. The Journal of Imperial and Commonwealth History JAH The Journal of African History JAS The Journal of Asian Studies JCEE Joint Committee of Eastern Europe JCH Journal of Contemporary History JCLAS Joint Committee on Latin American Studies

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JM JMEH JMH JMP JORF JRAI JVS KWT LASA LC, MSS LCD LSA LSE LSRM ME MGD MIC MIT MLA Mod. Intellect. Hist. MSH MSU MSUG NACP NASA NDEA NIMH NSB NSEA NSF OIAA ORSTOM OSS PEM PMG PMLA Programs RAC RAND RANN RBML RBHC RBPhH RF

John Maier (internes Kürzel der Rockefeller-Stiftung) Journal of Modern European History The Journal of Modern History Janet M. Paine (internes Kürzel der Rockefeller-Stiftung) Journal officiel de la République française The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland Journal of Vietnamese Studies Kenneth W.  Thompson (internes Kürzel der RockefellerStiftung) Latin American Studies Association Library of Congress, Manuscript Divison Leland C.  Devinney (internes Kürzel der Rockefeller-Stif­ tung) Linguistic Society of America London School of Economics Laura Spelman Rockefeller Memorial Marion Elderton (internes Kürzel der Rockefeller-Stiftung) Military Government Division military-industrial complex Massachusetts Institute of Technology Modern Language Association Modern Intellectual History Maison des sciences de l’homme Michigan State University Michigan State University Vietnam Advisory Group National Archives at College Park, MD National Aeronautics and Space Administration National Defense Education Act National Institute of Mental Health Norman S. Buchanan (internes Kürzel der Rockefeller-Stif­ tung) National Security Education Act National Science Foundation Office of Inter-American Affairs Office de la recherche scientifique et technique outre-mer Office of Strategic Services Philip E. Mosely (internes Kürzel der Rockefeller-Stiftung) Provost Marshal General Publications of the Modern Language Association of America Rockefeller Archive Center Research and Development Research Applied to National Needs Rare Book and Manuscript Library (Columbia University) Revue Belge d’histoire contemporaine Revue Belge de philologie et d’histoire Rockefeller Foundation Records

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RFSP Revue française de science politique RIIA Royal Institute of International Affairs (Chatham House) RSHA Reichssicherheitshauptamt RT Stenographische Berichte über die Verhandlung des Deut­ schen Reichstages RWJ Robert W. July (internes Kürzel der Rockefeller-Stiftung) RXC Robert Webb Crawford (internes Kürzel der RockefellerStif­tung) SCID Studies in Comparative International Development SEAC South East Asia Command SOAS School of Oriental and African Studies Soc. Forces Social Forces Soc. Res Social Research Soc. Sci. Hist. Social Science History Soc. Stud. Sci Social Studies of Science SORO The Army’s Special Operations Research Office SSEES School of Slavonic and East European Studies SSRC Social Science Research Council TNA National Archives, Public Record Service, Kew UCLA University of California, Los Angeles UGC University Grants Committee ULB Université libre de Bruxelles ZfE Zeitschrift für Ethnologie ZIG Zeitschrift für Ideengeschichte

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Bildnachweis Abb. 1: La Dépêche coloniale illustrée, Jg. 3 (22), 1905, S. 308. © CIRAD-2016-191284 (Gallica). Abb. 2: © RAC. RF Photographs (FA003), Series 100 Portraits, Box 6, Folder 150. Abb. 3: © RAC. RF Program and Policy records (FA112), RG 3.2, Series 900, Box 31, Folder 165. Abb. 4: »The New Trojan Horse« from Bob Bastian Cartoon Collection, Holt-Atherton Special Collections, University of the Pacific Library, Stockton California. Abb. 5: SORO, Project Camelot: Design and Phasing, 1. Februar 1965, hier: S. 5. © NACP. Record Group 319, Entry UD-WW B1: Research and Development Instruction Files, 1970–1971. Abb. 6: © Privatarchiv Marie-Louise Heller.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Unveröffentlichte Quellen Rockefeller Archive Center, Tarrytown, N. Y. (RAC) Rockefeller Foundation Records (RF) RG 1.1. Projects – Ser. 200 R: United States – Humanities and Arts – Ser. 500 S: France – Social Sciences RG 1.2. Projects – Ser. 401 R: England – Humanities and Arts – Ser. 401 S: England – Social Sciences – Ser. 500 R: France – Humanities and Arts – Ser. 500 S: France – Social Sciences – Ser. 700: Europe RG 2 General Correspondence – Ser. 500: France RG 3.1. Administration, Program and Policy – Ser. 900 General Program and Policy – Ser. 911 Humanities RG 3.2. Administration, Program and Policy – Ser. 900 General Program and Policy RG 12 Officer’s Diaries – Edward D’Arms – Norman S. Buchanan – Charles B. Fahs – John Marshall – David H. Stevens – Joseph H. Willits Commonwealth Fund Records (CWF) – Grants, Subgroup 1, Series 18 Social Science Research Council Records (SSRC) – Record Group 1, Accession 2 Series 1, Committee Projects Subseries 39, Committee Projects – General Correspondence

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Library of Congress, Manuscript Division, Washington, D. C. (LC, MSS) Margaret Mead Papers and South Pacific Ethnographic Archives American Council of Learned Societies Archives

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Records of HQ Army Ground Forces, Training Section Study of Languages Records of the Military Government Division, Office of the Provost Marshal General (OPMG), 1942–1946 War Department and Special Staff, Office of the Director of Intelligences (G2) Department of Justice: Alien Enemy Litigation Case Files (RG 60)

Columbia University Rare Book and Manuscript Library, New York (RBML) Paul Felix Lazarsfeld Papers

Privatarchiv Sheila Biddle, New York

Materialsammlung und Dokumentation zur Geschichte des New Joint International Program, Ford Foundation / ACLS / SSRC 1996

Archives de l’École des hautes études en sciences sociales, Paris Fonds Clemens Heller Fonds Louis Velay

Fondation Maison des sciences de l’homme, Paris Fonds Fernand Braudel (zuvor Institut de France)

Privatarchiv Isaac Chiva, Paris

Dokumentation und Korrespondenz zu Clemens Heller

National Archives / Public Record Service, Kew (TNA)

Department of Education and Science: ED 24; ED 121; ED 144 University Grant Committee: UGC 7

350

Foreign Office: FO 924/1253; FO 633/23 Colonial Office, Commonwealth and Foreign and Commonwealth Offices, Empire Marketing Board, and related bodies: CO 859/88 Dominion Office and Commonwealth Relation Office: DO 35/8128

Royal Institute of International Affairs, London (RIIA) Records of the Institute of International Affairs

London School of Economics and Political Science, London (LSE)

Fabian Society Archives (Richard Morris) Titmuss Collection (Raymond William) Firth Collection (Audrey Isabel) Richards Collection Colonial Research Collection (Colonial Social Science Research Council Papers) International African Institute Collection

School of Oriental and African Studies, London (SOAS) Sir Charles Stewart Addis Papers PP MS 14 Box 51 SOAS Corporation Archive

Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München (IfZArch) ED 468 Nachlass Jean-Baptiste Duroselle

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Register Die kursiv gesetzten Seitenzahlen verweisen auf Fundstellen in den Fußnoten.

Personenregister Adams, Walter  201 f. Appadurai, Arjun 228 Arndt, Paul  97 Aron, Raymond  266, 269 Aymonier, Étienne  52–54, 59 Baden-Powell, Robert  89 Balandier, Georges  273 Balasz, Étienne  256 f. Bamberger, Ludwig 65 Barzun, Jacques  153 f., 196 Bloch, Marc  241 Blue, Rhea  263 Boltanski, Luc  236 Bolton, Herbert Eugene  130 Bordier, Auguste  339 Bouglé, Célestin  240 Bourdieu, Pierre  238, 244 Boutmy, Émile  52, 55–57, 60 f., 84, 88 Bowen, William G.  200 Bowra, Cecil Maurice  318 Boyer, Paul  79 Braudel, Fernand  234, 241–244, 246, 256, 258, 259, 260–271, 273 f., 276 f., 280–282, 331, 334 Breasted, James Henry  130 Brunschwig, Henri  271 f. Buchanan, Norman B.  307 f., 310 Bundy, McGeorge 149 Bunster, Alvaro 187 Bush, Vannevar  15, 289 Cain, Julien  256 Campbell, Dick  246 Campbell-Bannerman, Henry  78 Carr-Saunders, Alexander  286, 290, 302 Cattier, Félicien  63, 101, 118, 120 Chailley-Bert, Joseph  42–49, 52, 54, 60 f., 63, 84, 86 f., 91, 104

Chamberlain, Joseph  33 Chambre, Pater Henri  257, 259, 262, 264, 270 Chapsal, Jacques  266 Charles, Joseph  248 Chavannes, Edouard  254 Cheit, Earl F.  198 Chesneaux, Jean  257 Chomsky, Noam  17, 24, 189 f. Churchill, Winston  82 Conant, James Bryant  188, 200 Coolidge, Archibald Cary  130 Cooper, Fred  16 Cottingham, Clement  212 f. Craig, James  328 Curtis, Lionel  326 Curzon, George  76 D’Arms, Edward  242, 249, 252–261, 264 f., 266, 269 f., 271, 274, 276, 278 Dampier Deakin, William  314 Darwin, Charles  106, 117 Delavignette, Robert  89 Deleuze, Gilles  263 Demiéville, Paul  254, 256 Diem, Ngo Dinh  183, 184 Dilthey, Wilhelm 126 Dirks, Nicholas  16 Djaparidze, David  259 Dodds, Eric Robinson  291 Dodds, Harold W.  196, 198 Du Bois, Cora  150, 164 Dubois, Marcel  106 Durkheim, Émile  98, 104, 113, 115, 254 Duroselle, Jean-Baptiste  237 f., 265 f., 303 Duval, Jules  31, 338 f. Eden, Anthony  291 Eisenhower, Dwight D.  182, 195

Elisseeff, Vadim  264 Elledge, Scott  246 Étienne, Eugène  42 Fabri, Friedrich  22, 35, 45, 61 Fahs, Charles B.  149 f., 162–164, 170, 178 f., 180, 263 f., 273, 314 f., 333 Fanon, Frantz  213 Fasseur, Cees  88 Febvre, Lucien  107, 239, 241 f., 246, 259 f., 269 Fenton, William Nelson  143, 145, 147, 154 Ferry, Jules  35–37 Firth, Raymond  284–286, 326 f. Fischer, Eugen  96 Fishel, Wesley  183 f. Fosdick, Raymond  307 Foucault, Michel  18, 263 Furet, François  281 Gaither, Rohan  174 Gallatin, Albert  119 Galton, Dorothy  297, 299 Galtung, Johan  187, 211 Gardner, John W.  169, 195, 197 Gibbs, George  119 Gibson, Stephen  314 Gilchrist, John Borthwick  76 Girault, Arthur  57 f., 87, 101, 118 Goßler, Gustav von 67 Gottmann, Jean  240, 246, 278 Grad, Charles  14, 65 Granet, Marcel  254 Graves, Mortimer  130 f., 136 f., 139 f., 149, 156, 161, 233, 254, 296–298 Gray, Gordon  174 Gurian, Waldemar  238 Gurvitch, Georges  239 f. Haeckel, Ernst  99 Halbwachs, Maurice  105 Halkin, Joseph  110, 116, 120 Hall, Robert B.  149 f., 152, 159, 204 f., 231, 235 Halperin, Maurice  149, 150 Hannah, John Alfred  184, 202 Hardy, Georges  106 f., 123 Hartog, Philip Joseph  79 Haulleville, Alphonse de  35 Hayek, Friedrich  251 Hayter, William  26, 83, 233, 287, 313 f., 316, 318–322, 324, 328, 330 f. Heginbotham, Steven  226

392

Heidel, Richard  179 Heller, Clemens  27, 244–251, 253–261, 264, 266–274, 276–281, 331 Heller, Hugo  245 Henry, John  119 Herring, Pendleton  159, 202, 214 Herskovitz, Jean  215 Hoffman, Paul  174 Hohenlohe-Langenburg, Hermann zu  22 Hopkins, John  161, 169 Horowitz, Irving Louis  196, 205 Hountondji, Paulin  340 Hutchinson, George Evelyn  149 Hyneman, Charles S.  142 Jaffe, Adrian  201 f. James, Preston  150 Janssen, Camille  42, 44 Jaszi, Oscar  245 Jefferson, Thomas  118 f., 247 Jones, Clarence  214 Jones, Sir William  76 Jonghe, Edouard de  11 f., 114 f., 122, 284 Kampffmeyer, Georg  73–75 Kelman, Herbert C.  190 Kennan, George K.  179 f. Kennedy, John F.  182 Kerr, Clark  198 f., 201 Kirkpatrick, Evron  162 Kisselgoff, Lea  263 Kittredge, Tracy  302 Kluckhohn, Clyde  141, 150 Köbner, Otto  70 Lamb, Lionel  314 Lambert, Richard  215, 218, 225 Lamprecht, Karl  96 Lannoy, Charles de  31 f., 94 Latourette, Kenneth Scott  130 Laude, Norbert  89 Laveleye, Émile de  41 Layton, Elizabeth  314 Lazarsfeld, Paul  187, 274 Le Bon, Gustave  58 f., 99 f., 103, 106 Le Goff, Jacques  281 Le Roy, Alexandre  95, 104 Legesse, Asmaron  214 Lemaire, Charles  37, 49, 89 Lenz, Oskar  44 Leontieff, Wassily  248

Leopold II.  32, 36, 38–41, 63, 89, 110, 120 Leroy-Beaulieu, Paul  34–36, 46, 56, 124, 334 Leseur, Paul  104 Lévi, Sylvain  79 Lévi-Strauss, Claude  240, 269, 272, 279 Lévy-Bruhl, Lucien  105, 107, 113, 122 Lith, Pieter Antonie van der  42, 44 f., 70 Longchambon, Henri  242, 244 Lothian, Philip  307, 327 Ludden, David  228 Luschan, Felix  96 f., 116 f. Lyall, Sir Alfred  79 Macadam, Ivison,  307, 310 f. Macaulay, Thomas Babington  29 Malinowski, Bronislaw  109, 284, 286, 303 Mannhardt, Wilhelm 121 Mansergh, Nicholas  314 Marchal, Charles François  101 Mason, Charles Max 307 Maspero, Henri  254 Matthiesen, Francis Otto  248, 251 Mauss, Marcel  98, 113–115, 120, 122, 239, 284 Mazon, André  255 f. Mead, Margaret  64, 140–143, 248 f., 277 Mecklenburg, Johann Albrecht von  22 Meillon, Gustave  259 Merriam, Charles  132, 134 Merton, Robert  187 Métraux, Alfred  140, 240 Mill, John Stuart  41 Morgenthau, Hans  237 Morley, John  79 Morse, Richard  195 Moseley, Philip,  140, 150 f., 176, 258 f., 265, 277, 297 Murdock, George  147 f. Murray, Keith  315, 325 Nachtigal, Gustav  39 Nixon, Richard  181, 217 Nuntini, Hugo  187 Oppenheimer, Franz  97 Ormandy, Eugene  245 Overbergh, Cyrille van  110 f., 120 Palme, Anton  66, 72–75, 126, 161 Pares, Bernard  297 Parker, Peter  26, 328–330 Parsons, Talcott  170, 189, 202

Pater Lambert  114 Pelliot, Paul  254, 256, 263 Perroux, François  269 Philips, Cyril Henry  83 Piatier, André  280 Pila, Ulysse  54, 60 Pohl, Heinrich  71, 74 Pollak, Michael  282 Powell, John Wesley  108, 119–122 Prewitt, Kenneth  225 f. Proutschenko, Serge de  44 Provost Marshal General  129, 137 f., 142, 157 Raleigh, Sir Thomas  79 Ranger, Terence  212 f. Ranke, Johannes  96 Raphael, Lutz  38 Rathgen, Karl  85, 88 Ratzel, Friedrich  95 Reinhardt, Max  245 Renan, Ernest  56 Renkin, Jules  36, 111 Renouvin, Pierre  238 Richards, Audrey  286, 327 Rist, Charles  240 Rivet, Paul  98, 113 Rohlfs, Gerhard  39 Rostow, Walt W.  248 Ruina, Jack  185 Ruml, Beards  133, 300 Runciman, Steven  314 Sachau, Eduard von  30, 66, 79 Said, Edward  211 Saint-Hilaires, Geoffroy  98, 106 Sarasin, Philipp  18 Sartre, Jean-Paul  263 Saussure, Léopold de  102–106 Schlatter, Richard  248 Schleiermacher, Friedrich  198 Schmoller, Gustav  97 Schweinfurth, Georg August  39 Shack, William  212 Sheinbaum, Stanley K.  183 f., 188 f. Silvestre, Jules  37, 53, 59 Simmel, Georg  97 Singham, Archie  213 Six, Franz  75 Skinner, Elliot  212 f. Sklar, Richard  24, 213

393

Spaeth, Carl  175 Spranger, Eduard  126 Steinmetz, Sebald Rudolf  112, 120 Stevens, David H.  132, 151, 156 Stoetzel, Jean  269 Stratton, Julius Adam  200 Strohschneider, Peter  9 Strong, William Duncan  146 Sutton, Frank  221, 277

Virchow, Rudolph  117

Taine, Hippolyte  56, 87, 102 Tarde, Gabriel  105 Thorthwaite, C. W.  149 Thys, Albert  63 Toynbee, Arnold J.  301 f., 304 Train, Jean  258 Turner, Sir Montagu  79

Wallerstein, Immanuel  11, 24, 212 f., 215 Ward, Robert  215, 295 Wauters, Alfons Julius  120 Waxweiler, Émile  63, 98 f., 106, 112, 120 f. Weber, Max  19 Weule, Karl  96 Wiese, Benno von  97 Williams, Samuel  251 Willits, Joseph H.  309 Wodon, Louis  118 Wolfers, Arnold  332 Wolff, Robert  196, 199 Woodhouse, Christopher M.  310 f. Wright, Benjamin F.  248 Wundt, Wilhelm  95

Unbegaun, Boris Ottokar  254

Zache, Hans  62, 84

Sachregister Académie royale  31 administrateur territorial  51 African Studies  26, 76, 212 f., 222, 225, 283, 289, 317, 328 African Sub-Committee  295 African Survey  109, 283, 286, 296, 299 Afrika Programm  176, 264, 279, Air Force  138 aires culturelles  27, 246, 253, 273 f., 334 aires géographiques 238 Akademie der Wissenschaften  224, 313 Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften 97 American Academy of Arts and Science  133 f. American Anthropological Association  133, 140, 218 American Council of Learned Societies (ACLS)  23, 130–137, 139, 149, 156 f., 161, 164, 166, 169, 177, 216, 219 f., 222, ­225–230, 233, 251, 254, 296–298, 333, 342 American Economic Association  132 American Ethnological Society  119 American Historical Association  134 American Oriental Society  129, 133 f. American Philological Association  134 American Philosophical Society  133

394

American Political Science Association  132, 134 American Psychological Association  133 American Russian Institute  131 American Society of International Law  134 American Sociological Association  189 American Sociological Society  132, 134 American Statistical Association  133 American Studies  136, 244, 246–252 Anglo-Hellenic League  314 Anthropologie  19, 22–23, 41, 58, 64, 81, 83 f., 87, 89, 95–98, 109, 112 f., 115–119, 124, 127 f., 132 f., 137, 140–148, 150, 154, 157, 175 f., 185, 187, 193 f., 204, 206, 212, 214, 218, 235, 237, 239, 272, 284–287, 294, 315, 317 f., 326 f., 336, 339 Anthropology and Sociology Subcommittee  286 Archaeological Institute of America  134 Archäologie  134 f., 144, 147, 203, 254 Area – area instruction 153 – area movement 168 – Integration  158, 179, 222 – Kurse  143 f. – Programm  149, 152 f., 156 f., 170 f., 173, 178, 185, 222, 254, 260 f., 280, 310, 314

– Research Training Fellowships  162, 171, 173 Army Medical Library  162 Asien- und Afrikastudien  233 Association africaine internationale (AIA)  38 Association coloniale néerlandaise  45 Association d’étude pour l’expansion de la recherche scientifique (AEERS)  237 Association française pour l’accroissement de la productivité  236 Atomic Energy Commission  193 Barlow Report  289 Behavior  17, 106, 128, 141, 190, 236, 249, 284, 327 Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte  116 f. Berliner Völkerkundemuseum  96, 110 Biometrie 243 Boards on Oversea Training and Research (BOTR)  173 f. Botanik  15, 52, 94, 117, 203 British Academy  78 f. British Association  109, 119, 120 Bureau de renseignement international  45 Bureau international d’ethnographie  23, 45, 110 Bureau of American Ethnology (BAE)  108, 118–120, 326 Bureau of Ethnography  122 Burma Office  291 Burney-Vertrag 77 Byzantinistik 314 Camelot-Skandal  24, 186–188, 190 f., 196, f., 201, 205, 207, 210 capacity building  227 Caribbean Commission  309 Carnegie Corporation  159, 169, 171, 172, 195, 202 Center for American Studies in Europe  250 Center for Area Studies  9 f., 26 Center for Japanese Studies  25, 204 Center of Far Eastern Studies  131 Centre d’études africaines (CEAf)  273 Centre d’études arctiques  273 Centre d’études de politique étrangère  243 Centre d’études des relations internationales (CERI)  238, 243, 332

Centre d’études et de documentation sur l’URSS et les pays slaves  273 Centre d’études germaniques  146 Centre d’études indiennes  273 Centre d’études maghrébines  273 Centre d’études sociologiques  239 Centre d’études sur la Chine contemporaine 273 Centre de documentation et de recherches sur l’Asie du sud–est et le monde insulindien 273 Centre de recherches historiques (CRH)  242, 253 Centre for Oriental Studies  317 Chatham House  234, 283, 302 f., 305–312, 326, 332, 342 China-Programm  256, 262, 265 Chinese und Japanese Committee  131 Civil Affair Training School (CATS)  12, 129, 139, 145, 161 Civil Service  29, 48, 56 f., 60, 63, 77, 80 f., 291 Clapham Commission  287, 312 cold war social science  17 collaborative research networks  226 Collège in Saigon  53 Colloque de Caen  236, 243 Colonial Development and Welfare Act (CDWA) 284 Colonial Office  80, 285, 290 f., 313 Colonial Research Committee  285, 291 Colonial Social Science Research Council (CSSRC)  285 f. Commissariat général du Plan  236 Commission for the Prevention of Tuber­ culosis 276 Committee for the Promotion of Chinese Studies 230 Committee on African Studies  212 Committee on Arabic and Islamic Studies  132 Committee on Byzantine Studies  131 Committee on Contemporary China  225 Committee on Eastern Europe  225 Committee on Far Eastern Studies  131 Committee on Foreign Affairs  201 Committee on Indic and Iranian Studies  131 Committee on Korean Studies  222, 225 Committee on Latin American Studies  131 Committee on Native American Languages  131

395

Committee on Near and Middle East and South Asia Studies  222, 226, 294 Committee on Slavic Studies  132, 225 Committee on South Asia  226 Committee on Southeast Asia  226 Committee on the Provision for Social and Economic Research  287 Committee on Western Europe  226, 297 Committee on World Area Research  148, 150, 152, 170 f., 179 Committee on World Regions  15 f., 137, 152 Committee on World Regions des Social Science Research Council (SSRC)  15 Commonwealth Fund  247 f., 252 f. Conference on Area and Language Programs in American Universities  156 Congrès colonial international (1889)  21, 34, 37, 42, 53, 58 Congrès international d’expansion écono­ mique mondiale (1905)  21, 90, 110 Congrès international de sociologie coloniale (1900)  21, 23, 99 f., 118 Conseil supérieur de la recherche scienti­ fique et du progrès technique  242 Council of Intercultural Relations  142 Council on Foreign Relations  151, 186, 301 Council on Intercultural Relations  64, 128, 140, 142 Cross-Cultural Survey (CCS)  128, 148 cross-fertilization  157 f., 251 cultural approach  64, 137, 142, 145, 159 Demographie  243, 286, 288, 290 Denkschrift über die Förderung der Auslandsstudien 72 Department for the organisation of Study Groups (RIIA)  305 Department of Agriculture  193 Department of Defense (DoD)  193 Department of Health, Education and ­Welfare  193 Department of State  145, 149 f., 162, 167, 175 f., 180 f., 183, 187 f., 194, 216, 218, 247, 248, 251, 263, 275, 290, 304 Department of the Army  252 Departments of Law and Cultural Anthropology 317 Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG)  48, 69 Deutsche Kolonialzeitung (DKZ)  69 f., 94, 96

396

Deutscher Wissenschaftsrat  9 f. Deutsches Auslandswissenschaftliches Institut (DAWI)  75 Development Studies  188 Dictionary of American Biography  130 Dictionary of Medieval Latin  130 Durham College  317, 320 f., 325 East African Institute for Social Research  286 East India Company  76 f. Eastern Europe Sub-Committee  294 École cambodgienne  54 École coloniale (Paris)  22, 30, 49, 52–55, 57, 61, 86, 88 f., 106 École des hautes études en sciences sociales (EHESS)  27, 246, 281, 331 École des langues orientales  29, 55, 66, 79 École des sciences politiques et sociales  98 École libre des hautes études  240 École nationale de la France d’outre-mer (ENFOM) 272 École nationale des langues orientales ­v ivantes (ENLOV)  255, 258 f. École pratique des hautes études (EPHE)  25 f., 55, 113, 234, 239 f., 245 f., 250, 258, 278, 331 Economic Commission for Asia and the Far East and of the South Pacific Commission 309 Economic Studies  308 Ethnogeographic Area Roster  147 Ethnogeographic Board (EB)  24, 128, 137, 142, 145–149, 152, 154, 157, 224 Ethnographic Survey  286 Ethnologie  15, 23, 31, 94–96., 98 f., 106–121, 125, 134, 146 f., 203, 239 f., 243, 284, 340 Europa – European Association for American Studies 248 – European Rehabilitation Program  250 – Programme 139 – Studien / European Studies  177, 309 Experten / Expertise  9, 31, 44, 49, 72, 97, 108, 110, 116, 118, 120 f., 135 f., 139, 146–148, 151, 155, 170, 174, 180, 185, 189, 224, 228, 230, 233, 236, 250, 257, 285, 288, 291, 301, 305, 312, 328 f., 331, 337 f. Exploratory Committee on World Area ­Research  148, 150, 152 External Research Staff  162, 231

Far East – Far East Center  320 – Far East Division  149 – Far East Sub-Committee  294 – Far Eastern and Russian Institute  25, 206, 215, 217 – Far Eastern Bibliography  132 – Far Eastern Programs  139 – Far Eastern Quarterly  132 – Far Eastern Studies  131 f., 149, 153, 178, 261, 264, 297 f., 308, 317, 320 Fellowship – International Dissertation Field Research Fellowships (IDRF)  227 – International Predissertational Fellowship Program (IPFP)  225 – Postgraduate Fellowships  286, 296 – Research Training Fellowships  162, 171, 173 Fondation nationale des sciences politiques (FNSP)  237–239, 243 Ford Foundation  24, 149, 151, 172–177, 186, 210, 212, 214 f., 217 f., 221 f., 225–227, 231, 274, 277, 310 f. Foreign Area and Language Curricula of the Army Specialized Training Programs (ASTP–FALC)/Army Specialized Training Programs (ASTP)  12, 24, 128 f., 138–140, 145, 151, 156, 161, 170 Foreign Area Research Council  187 Foreign Office  80, 301 f., 313 Foreign Office Research Department  302 Foreign Research and Press Service (FRPS)  301 Forschungsprojekt / research project  25, 136, 188, 190 f., 196, 201, 203, 219, 241, 260, 277, 285, 312, 319 Fragebogen (ethnologisch)  23, 46, 95, 101, 109–112, 116–122, 195, 204, 292, 294, 339 Franckesche Stiftungen  91 Forschungsverbund »Wege des Wissens. Transregionale Studien«  10 Fulbright – Commission 168 – Conferences on American Studies  248 – Fellowship 217 – Fund 251 – Hays Act  182 – Program(m)  162, 223, 248 Fünfjahresförderung 271 Fünfjahresplan  237, 269, 289

Geographie 11, 22, 29–33, 38–42, 44, 50, 52, 55, 62 f., 68–70, 77, 83, 90, 94, 96 f., 99, 110 f., 117, 120, 123, 125 139, 141, 143 f., 146–150, 153 f., 157, 176, 190, 203 f., 206, 235, 237 f., 240, 278, 286, 309, 313, 318, 320, 332, 334 Grant – Area Research Training Fellowships und Grants  171, 173 – block grants  173, 218, 288 – earmarked grants  289, 317, 324 – Rockefeller Grants / Rockefeller-Stipendium 140, 149, 279, 311 Great Indian Education Debate  29 Groupe d’études coloniales  120 Groupe d’études sur le monde actuel  243 Haileybury (Ausbildungszentrum)  29 Hayter-Komitee / Hayter Committee  313, 318, 324, 328 Hayter Report  26, 287, 319, 330 f. Heyworth Committee  327 Human Relation Area Files  148 Hygiene  15, 49 f., 55, 66 f., 69, 80, 92, 94, 205 Hamburgisches Kolonialinstitut  22, 30, 51, 62, 70, 74, 85 f., 93 Imperial Institute  75, 80 India Office  76, 78–80, 291, 295 Indian Civil Service  29, 48, 56 f., 63, 77, 80 Inquiry  120, 130, 220, 291 Institut colonial international  21 f., 42–49, 70, 79, 124, 338 Institut d’études slaves  255 Institut de sociologie Solvay  23, 63, 98, 120 f. Institut national géographique 40 Institute of Human Relations (IHR)  148 Institut für Kultur- und Universalgeschichte  95 Intelligence Research Service  263 Intensive Language Program (ILP)  139 f., 161, 230 Interarea Committee  222 Interdepartmental Economic and Social ­Research Committee  312 International African Institute  286, 295 International Education Act (IEA)  216 f., 231 International Institute of African Languages and Culture  77, 303

397

International Relations (Geschichte der Internationalen Beziehungen)  133, 237 f., 301 f., 304 f., 332 International Training and Research Programs (ITR)  172 Internationaler Rassenkongress London  117 Islamstudien / Islamic Studies  132, 272, 320 Istituto Italiano per il Medio ed Estremo Oriente  257, 273 Japan-Studien / Japanese Studies  23, 25, 166, 169, 204, 222, 225 Joint Committee on Latin American Studies (JCLAS) 136 Joint International Program  24, 226 Kölner Handelshochschule  68 Kolonialismus / Kolonial– Akademie  69, 124 – Amt / Office  47, 66, 80, 285, 290 f., 313 – Kunde 70 – Soziologie 101 – Studien  125, 294 – wissenschaften  13, 15 f., 20 f., 22, 30 f., 34, 51, 61, 64, 68–71, 82, 93 f., 96–99, 105, 107, 109–111, 123–125, 128, 145, 229 f., 283, 285, 326, 331, 333, 336, 339 f. Kolonialschule Witzenhausen  67, 68, 86 Königlich Preußisches Museeum  96, 108 Königliches Museum für Zentral-Afrika  35, 108 Kooperative Forschung  170, 260 Korean Studies  222, 225 Kulturanthropologie  23, 83, 128, 145 f. Latin American Regional Studies Program  150 Latin American Studies Association (LASA)  211 Laura Spelman Rockefeller Memorial (LSRM)  133, 300 Lewis-Clark-Expedition 118 Linguistic Society of America (LSA)  139, 145 London School of Economics (LSE)  212, 284, 286, 288, 301–303, 307, 327, 342 Maison des sciences de l’homme (MSH)  27, 246, 267, 270, 274, 280, 331 Marshallplan  26, 160, 174, 236, 250, 267, 282 Massachusetts Institute of Technology (MIT)  173, 185–187, 200

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Medizin  41, 67, 69 f., 76, 93, 109, 114, 193, 202, 289 Mellon Foundation  225 f., 227 Michigan State University (MSU)  183–185, 202 Michigan State University Vietnam Advisory Group (MSUG)  24, 183, 185, 188 Middle East and Mediterranean Studies  309 Middle East Studies  136 Milieu  90, 99, 102 f., 268 Military Government Divison  138 Military Intelligence Service  138 military-industrial complex (MIC)  182 Milner’s Kindergarten  326 Ministerien / Ministerium  30, 43, 51, 53, 73, 81 f., 91, 108 f., 119, 124, 129, 138, 142, 149, 151, 162, 175, 179, 187, 193, 225, 231, 233, 236, 249, 252, 263, 265, 267 f., 270, 273 f., 280, 288 f., 291, 294–296, 300, 302, 307, 313, 318, 325 Ministry of Education  280, 324–325 Missionare  29 f., 39, 66, 78, 89, 94, 104, 107 f., 111, 120, 122, 130, 284, 339 Missionsgesellschaften / Missionary Society  229, 294 Mittlerer Osten  147, 176, 304, 308, 310 Modern Chinese History Project  25, 206 Modern Language Association of America  134 Modernisierung – Diskurs  236 f. – Konfiguration  13, 336 – Paradigma  152, 228, 330 – modernisierungstheoretischer Konsens  24, 202, 226, 323 Mouvement géographique  40, 120 Moyne Report  284 MSU Faculty Committee for Peace in ­Vietnam  184 Musée Cernuschi  264 Musée d’ethnographie du Trocadéro  108 Musée du Congo  50 National Aeronautics and Space Administration 193 National Council on Foreign Languages and International Studies  224 National Defense Education Act (NDEA)  12, 24, 26, 181 f., 194, 199, ­215–218, 223 f., 230 f., 235, 314, 323 f.

National Institute of Economic and Social Research 300 National School of Modern Oriental Languages and Civilization  140 National Science Foundation  193, 222 National Security Council  174 National Security Education Act (NSEA)  224 Nationalökonomie  15, 70, 85, 97 Nation-Building-Politik 184 Nationenwissenschaften  72 f., 75, 161 Near and Middle East and South Asia ­Studies  222 Near and Middle East Sub-Comittee  294 Near Eastern Studies  169 New School for Social Research  240 Niike-Projekt  25, 204 Northwestern University  139, 212, 214 Nuffield College  300 Office de la recherche scientifique et technique outre–mer (ORSTOM) 272 Office of Intelligence and Research  162 Office of Inter-American Affairs  161 Office of Strategic Service  146, 149 Office of the Provost Marshal General  142 Ohio State University  245 Organisationsethik  202, 208 Oriental and African Studies  26, 76, 289, 317, 328 Orientwissenschaften / Oriental Studies  11, 22, 29, 30, 51, 75, 78, 79, 81, 83, 135, 292, 299, 317 Osteuropa-Institut 265 othering  340 Parker Report  26, 328–330 Philosophical Society  118, 133 planification  275 f., 330 Politikwissenschaft / Political Science  83, 132, 134, 143, 183, 206, 225, 234 f., 237 f., 248, 266, 288, 301, 303, 307, 332 Pomona College  178 Postgraduate Studentships  285, 295, 325 Praktikum  22, 62 f., 83, 125, 128 programmatic research  200 Projekt – Arbeitserfahrungen 234 – Förderung  26, 177, 191, 195, 254, 307, 312, 335 – Formulierung  177, 180, 204 f., 272, 278 f. – Forschung  195, 210, 234,

– Management  27, 119, 195, 200, 240, 247, 275 – Manager  244, 254, 267 Protektoratsmodell 60 RAND Corporation  174, 186 Reay-Komitee  78, 81–83 Rechtswissenschaften / Law  29, 50, 62, 125, 134, 243, 317 f. Reece Committee  258, 264 regional advisory panels 226 regional approach  309 Regionalstudien / regional studies  9 f., 26, 130, 150, 290, 292, 294, 297, 308, 333 f. Regionalwissenschaften  10 f., 14, 16, 27, 29, 71, 73, 101, 105, 110, 125, 128, 130, 133, 139, 146, 148, 150, 172 f., 179, 182, 184, 188, 224 f., 228, 233, 238, 243, 253, 255, 257, 259–261, 267, 270, 272 f., 275, 277, 280, 282, 300, 303, 313, 316, 318 f., 322, 325, 333 f., 336, 339 Report of the Committee on Social Studies  287 Report of the Interdepartmental Commission of Enquiry on Oriental, Slavonic, East European and African Studies  25 Research and Analysis Branch des Office of Strategic Service  149 Rhodes Livingstone Institute  285 Rockefeller – Fellow  177, 255 – Gelder  132, 234, 273, 298–300, 306 – Stiftung / Foundation  23–27, 76 f., 131 f., 149–151, 156 f., 160–169, 172 f., 176–180, 225, 230 f., 234, 238–244, 247–253, 255, 257–268, 271–280, 282 f., 287, 296–302, 307 f., 311–319, 321–323, 330–335 Round Table Movement  301, 327 Royal African Society  78, 294 Royal Asiatic Society  76–79 Royal Central Asian Society  292 f. Royal Commission  305 Royal Institute of International Affairs (RIIA)  25, 77, 234, 291, 300–303, ­306–312, 332 Russland / Russia  33, 39 f., 44, 130, 178, 187, 257 f., 295, 298, 315, 320 – Institute  25, 131, 169, 206, 215, 217 – Studien / Studies  10, 130, 150 f., 166, 169, 178, 230, 254 f., 257–265, 270, 277, 295, 297 f., 304, 315, 320 f.

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Salzburg Seminar  244, 246–249, 251 f., 254, 259, 303 Scandinavian studies  169 Scarbrough – Komission / Commission  82, 233, 255, 289 f., 293, 295 f., 314–318, 323, 330 – Report  287, 289, 293, 295 f., 313, 316 School of Military Government  138 School of Oriental and African Studies (SOAS), zuvor School of Oriental Studies  22, 26, 30, 51, 75 f., 78–83, 125, 291 f., 299, 303, 315–317, 319, 321 f., 325, 328 f. School of Slavonic and East European Studies (SSEES)  77, 297, 316 f., 319, 321, 325 science coloniale 45 Scout-Bewegung 89 scramble for Africa  41 Semaine internationale de synthèse  123 Seminar für Orientalische Sprachen  22, 30, 62, 64, 66, 70 f., 78 f., 86, 96 Senate Internal Security Subcommittee  150 Sinologie 74, 131, 230, 254, 256 f., 263, 265 Slavic / Slavonic Studies  132, 176, 225, 297, 299 Slavonic and East European studies  77, 289, 297, 317 Smithsonian Institution  108, 119 f., 146 f. Smithsonian War Committee  146 Social Research Division  288 Social Science Building  240 Social Science Research Council (SSRC)  15, 132 f., 135 f., 152, 154, 157–159, 221, 285, 287 f., 328 Social Studies  157, 287, 327 Société antiesclavagiste  95 Société belge des études coloniales  34 Société géographique d’Anvers  40 Société géographique de Paris  38 Soil Conservation Service  149 South Asian Studies  228, 320 South East Asia Command (SEAC)  147, 150 Southeast and East Asian Studies  309 Southeast Asia Studies  169 Sozialanthropologie  294, 303, 326 Sozialpsychologie  104, 190, 243, 288 Soziologie  12, 24 f., 31, 49, 72, 83, 90, 95, 97–107, 110–113, 115, 120, 124, 126, 134, 170, 187, 189, 194, 196, 203, 205 f., 213, 225, 235, 240, 243 f., 251, 254, 260, 282, 285–287, 294, 336 f. St. Antony’s College, Oxford  314 state science  231

400

Stipendien  75, 77, 82, 131, 134, 161 f., ­171–177, 181 f., 196, 199, 216, 219–222, 227, 230, 245, 249, 251, 260, 273 f., 289 f., 295, 304, 318 f., 321, 324 f., 342 – Area–Studies–Stipendien 219 – Forschungsstipendium 342 – Postdoc–Stipendien  172 f., 216 – Promotionsstipendium 245 – Reisestipendium 171, 249, 251, 260 f., 274, 304 – Stipendienprogramm  82, 173, 177, 181, 225, 318 Strategic Research Board of the Armed Forces 162 student awards  325 Subcommittee on International Organiza­ tions and Movements  187 Sudan Political Service  81 Sung-Dynastie 256 Taiping-Aufstand  206, 257 Taskforce on National Manpower Targets for Advanced Research on Foreign Areas  224 Tax Reform Act  231 Team  25, 127, 194, 202–204, 206–208, 210, 235, 241, 256, 277, 283 Tonkin-Resolution 183 Treasury Studentships  318 Troisième plan de modernisation et d’équipe­ment  26, 242 Tropical African Service / Tropical African Service Training Course  80 f. Tuskegee Institute  120 U. S. Advisory Commission on International Educational and Cultural Affairs  201 UNESCO  24, 180, 235, 237–239 Union académique internationale  130 United Nations  16, 174 United States Geological Survey  122 University Grants Committee (UGC)  287–289, 291, 298, 314–317, 319 f., 324 f. Virú Kultur  203 War and Peace Research Center  184 Weltregionen  15, 127, 147, 170, 182, 223, 226, 228, 301, 308, 313 West Indian Social Survey  286 World Student Service Fund  249