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German Pages 482 Year 2019
Dirk Hammes Der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung: Rechtsstellung und besondere Verantwortung
Der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung: Rechtsstellung und besondere Verantwortung
von Dirk Hammes
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG · Köln
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Dem Andenken meines Vaters Peter Hammes (1938–2004)
Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die erweiterte Fassung meiner Dissertation, die im August 2019 von der Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim angenommen wurde. Rechtsprechung und Literatur sind bis August 2019 berücksichtigt. Den beiden Referenten, Prof. Dr. Georg Bitter und Prof. Dr. Ulrich Falk, danke ich für die äußerst zügige Erstellung ihrer Voten, vor allem aber für ihre kritischen, den Blick schärfenden Hinweise. Den Herausgebern dieser Schriftenreihe und Herrn Rechtsanwalt Markus J. Sauerwald bin ich für die Möglichkeit der Veröffentlichung im RWS Verlag sehr verbunden. Zu danken habe ich auch meinem Sozietätspartner, Rechtsanwalt Mark Steh, der mich stets unermüdlich ermutigt und beruflich umfassend entlastet hat. Mein besonderer Dank gilt meiner Ehefrau Gesa. Sie hat diese Arbeit mit ebenso großer Geduld wie innerer Anteilnahme und Aufmerksamkeit begleitet und gefördert. Gewidmet ist diese Arbeit dem Andenken meines Vaters Peter Hammes. Er hat mich auf meinem beruflichen Weg selbstlos unterstützt und inspiriert.
Kevelaer, im Sommer 2019
Dirk Hammes
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Vorwort .............................................................................................................. VII Abkürzungsverzeichnis .................................................................................. XXI Kapitel 1 Einleitung ............................................................................... 1 ........ 1 Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung ..................................................... 21 ........ 9 A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung ... I. Subsidiäre Geltung der „allgemeinen Vorschriften“ (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO) ......................................................... II. Verfahrenszweck der gemeinschaftlichen und bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger ......................................... 1. Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger .................. 2. Ziel der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger und kein Vorrang der Sanierungsinteressen des Schuldners .......
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B. Gesetzgeberisches Leitbild der Eigenverwaltung ............................. 38 ...... 20 C. Gang des Verfahrens in der Eigenverwaltung .................................. 44 ...... 22 D. Allgemeine Kompetenzen, Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners .................................................................. I. Rechtsgrund der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners ............................................................................ 1. Meinungsstand ..................................................................... 2. Stellungnahme ...................................................................... a) Endgültige Eigenverwaltung .......................................... b) Vorläufige Eigenverwaltung .......................................... II. Eigenverwaltung als persönliche Aufgabe ................................. III. Pflicht zur Beachtung von Zuständigkeitszuweisungen, Zustimmungserfordernissen und Verfügungsbeschränkungen ..... IV. Pflichten bei der Betriebsfortführung ......................................... V. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten ........................................ VI. Sonstige verfahrensrechtliche Pflichten und Sonderrechte des Schuldners ............................................................................ VII. Pflichtverletzung als nachteilsindizierender Umstand ..............
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E. Stellung und Funktion des Sachwalters ............................................ 84 I. Grundsätzliches .......................................................................... 85 II. Prüfungspflichten ....................................................................... 89 III. Überwachungs- und Meldepflichten .......................................... 90 IV. Mitwirkungspflichten ................................................................. 95 V. Verwaltungs- und Verfügungsrechte .......................................... 97 1. Übernahme der Kassenführung nach § 275 Abs. 2 InsO ..... 98 2. Geltendmachung von Haftungs- und Anfechtungsansprüchen (§ 280 InsO) .................................................... 102
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F. Zwischenergebnis: Rechtlicher Kern der Eigenverwaltung ............ 104 ...... 47 G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters .......................... I. Verfassungsrechtliche Vorgaben .............................................. II. Einfachgesetzliche Grundlagen für das Erfordernis der Eignung .............................................................................. 1. § 56 Abs. 1 InsO – allgemeines Gebot der Eignung des Verwalters .................................................................... a) Wortlaut des § 56 InsO und Entstehung des § 270 InsO ............................................................. b) Entsprechende Anwendbarkeit des Eignungsgebots aus § 56 Abs. 1 InsO über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO ... 2. § 274 Abs. 1 InsO – keine abschließende Spezialverweisung für den Schuldner ................................................. 3. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO – fehlende Eignung als nachteilsindizierender Umstand ................................................. III. Kriterien und wesentliche Bestandteile der Eignung ................ 1. Eignung des Insolvenzverwalters ....................................... a) Zuverlässigkeit ............................................................. b) Geschäftskunde und Fähigkeit zur persönlichen Amtsführung ................................................................ c) Unabhängigkeit ............................................................ 2. Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung ................... a) Zuverlässigkeit ............................................................. b) Geschäftskunde ............................................................ c) Fähigkeit zur persönlichen Amtsführung ..................... d) Unabhängigkeit ............................................................
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H. Aufsicht des Insolvenzgerichts über Schuldner und Sachwalter .... 144 ...... 64 I. Adressaten der Aufsicht ........................................................... 145 ...... 64 II. Aufsichtsbefugnisse des Insolvenzgerichts .............................. 152 ...... 67 J. Missbrauch der Eigenverwaltung ................................................... 155 ...... 68 I. Risiken der Eigenverwaltung aus der Sicht des Gesetzgebers .... 159 ...... 70
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II. Motive des Schuldners ............................................................. III. Bedeutung der Sanierungsberater und Gefahr der Nebeninsolvenzverwaltung ................................................................. 1. Erstellung der Antragsunterlagen und der Personalvorschläge .......................................................................... 2. Abhängigkeit des mitgebrachten Sachwalters vom Berater ........................................................................ 3. Einflussnahme auf Zusammensetzung und Tätigkeit des Gläubigerausschusses .................................................. 4. Umsetzung des Konzepts durch Sanierungsgeschäftsführer .................................................................................. IV. Systematisierung möglicher Missbrauchshandlungen .............. 1. Einflussnahme auf die Auswahl der Kontrolleure .............. 2. Missbrauch bei der Ausübung der Verfügungsgewalt ....... a) Zweckentfremdeter Umgang mit dem Aktivvermögen ..................................................................... b) Begründung von Masseverbindlichkeiten zur Plünderung der Masse .................................................. c) Manipulationen bei übertragenden Sanierungen .......... 3. Missbrauch der Informationsherrschaft .............................. a) Behinderung oder Vereitelung einer wirksamen Kontrolle ...................................................................... b) Verschleierung strafbarer Handlungen ........................ c) Unvollständige oder unrichtige Berichterstattung in der Gläubigerversammlung ..........................................
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Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten ........................................................................... 203 ...... 95 A. Gläubigerausschuss als besonderes verfahrensrechtliches Gremium ......................................................................................... 204 ...... 95 B. Verhältnis des Gläubigerausschusses zur Gläubigerversammlung ....................................................................................... I. Rechtliche Rangordnung beider Organe ................................... 1. Meinungsstand ................................................................... 2. Stellungnahme .................................................................... a) Abzugrenzende Befugnisse im Überblick .................... b) Insolvenzrechtliches Regelungsmuster ........................ c) Folgerungen für das Verhältnis von Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss ........................ II. Auskunfts- und Berichtspflicht des Ausschusses gegenüber der Versammlung .....................................................................
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C. Verhältnis des Gläubigerausschusses zum Schuldner .................... 237 .... 108 D. Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den Trägern der Insolvenzverwaltung ............................................................................... I. Verfahrenszweckorientierter Überwachungs- und Unterstützungsauftrag des Ausschusses ............................................ II. Organisatorische Unabhängigkeit des Ausschusses ................. III. Auskunftspflicht des Verwalters gegenüber dem Ausschuss ... IV. Kein Weisungsrecht des Ausschusses gegenüber dem Verwalter ........................................................................................ E. Verhältnis des Gläubigerausschusses zum Insolvenzgericht .......... I. Zweck und rechtliche Grenzen der Gläubigerautonomie ......... II. Rechtsaufsicht durch das Insolvenzgericht ............................... III. Aufsichtsmittel und Aufsichtsvollzug ...................................... 1. Sitzungsteilnahme und Einsicht in die Protokolle .............. 2. Ermittlungen bei Verdacht auf Pflichtverletzungen ........... 3. Deklaratorische Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Ausschussbeschlusses durch das Insolvenzgericht ............ 4. Entlassung eines Mitglieds (§ 70 InsO) .............................
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F. Abgrenzung der Kollektivrechte des Ausschusses zu den Individualrechten seiner Mitglieder ......................................................... 263 .... 121 I. Individuelle Rechte und Pflichten ............................................ 264 .... 122 II. Kollektive Organrechte ............................................................ 266 .... 122 G. Ergänzende analoge Anwendbarkeit von Regeln über den Aufsichtsrat ........................................................................................... 267 .... 123 H. Grundsätze ordnungsgemäßer Gläubigerausschusstätigkeit ........... I. Unverzügliche Konstituierung .................................................. II. Autonome Festlegung einer Geschäftsordnung ........................ III. Einberufung von Sitzungen ...................................................... IV. Sitzungsleitung und ständiger Vorsitz ...................................... V. Teilnahme von Gästen .............................................................. VI. Wahrung der Verschwiegenheit ............................................... VII. Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen ............................... VIII. Dokumentation der Ausschusstätigkeit .................................. IX. Verfahrenshandlungen gegenüber dem Insolvenzgericht ......... X. Organisation der Überwachung ................................................ 1. Vorgaben zur Berichterstattung ......................................... 2. Festlegung interner Zustimmungsvorbehalte ..................... XI. Allgemeine Reaktionspflicht des Gläubigerausschusses ..........
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses ................................................................... 302 .... 139 A. Notwendigkeit eines eigenverwaltungsspezifischen Aufgabenund Pflichtenkreises des Ausschusses ............................................ 304 .... 139 B. Adressaten der Überwachung und Unterstützung: Schuldner und Sachwalter ............................................................................... I. Schuldner als erster Adressat .................................................... II. Sachwalter als zweiter Adressat ............................................... III. Aufgabenabgrenzung bei der Mehrfachaufsicht durch Sachwalter und Gläubigerausschuss ......................................... C. Bestimmung des zu überwachenden Funktionsbereichs ................. I. Funktionsbereiche in der Eigenverwaltung .............................. 1. Sachwalter-Verdrängungsbereich ...................................... 2. Eigenverwaltungs-Verdrängungsbereich ........................... 3. Überschneidungsbereich .................................................... 4. Keine Überwachung des insolvenzfreien Schuldnerbereichs .............................................................................. II. Konsequenzen für die Kompetenzen des Gläubigerausschusses .................................................................................... D. Grundsätze über die Zielrichtung und die Wahrnehmung der Überwachung und Unterstützung ............................................. I. Verwirklichung des gesetzlichen Verfahrenszwecks ............... II. Schutz der Gläubiger vor eigenverwaltungsspezifischen Gefahren und Nachteilen .......................................................... 1. Nachteilsindizierende Umstände im Allgemeinen ............. 2. Mangelnde Eignung des Schuldners .................................. a) Fehlverhalten im Vorfeld der Antragstellung .............. b) Fehlverhalten im insolvenzgerichtlichen Verfahren .... c) Unzureichende Konzeption zur Bewältigung der Insolvenz ................................................................ d) Abhängigkeit von unzuverlässigen oder sonst ungeeigneten Sanierungsberatern ................................ e) Konflikte innerhalb der Sphäre des Schuldners ........... f) Drohende unerlaubte Einflussnahme auf die Geschäftsführung .............................................................. 3. Höhere Kosten ....................................................................
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E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners ................................................................ 360 .... 164 I. Notwendigkeit der persönlichen Amtsführung durch den Schuldner oder seine organschaftlichen Vertreter .................... 361 .... 164 XIII
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II. Verdrängung der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane (§ 276a Satz 1 InsO) ..................................................... 1. Träger der Geschäftsführung .............................................. 2. Adressaten des Einflussnahmesverbots .............................. 3. Formen der Einflussnahme ................................................. 4. Überwachung des Einflussnahmeverbots durch den Ausschuss ................................................................................. III. Überwachung des Einflusses externer Experten, insbesondere des Sanierungsberaters ............................................................. 1. Prüfung der Zuverlässigkeit des Sanierungsberaters .......... 2. Zustimmung zum Neuabschluss von Beratungsverträgen .... 3. Einschaltung eines Sanierungsgeschäftsführers ................. 4. Bereitstellung externer Führungskräfte unterhalb der Ebene des Vertretungsorgans ....................................... F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses: Die einzelnen Geschäfte der Masseverwaltung .............................. I. Ordnungsmäßigkeit der Überwachungsmechanismen des Sachwalters gegenüber dem Schuldner .............................. II. Kontrolle des wirtschaftlichen Verlaufs des Verfahrens .......... 1. Überprüfung und Bewertung der Verfahrenskonzeption ... a) Prüfungshandlungen gegenüber dem Schuldner .......... b) Prüfungshandlungen gegenüber dem Sachwalter ........ 2. Unterrichtung über den Gang der Geschäfte und Einsichtnahme in Geschäftsunterlagen (§ 69 Satz 2 InsO) ............. a) Inhalt der Unterrichtungspflicht ................................... b) Auswertung der Informationen des Schuldners und des Sachwalters ............................................................ c) Überwachung der laufenden Geschäftsaufsicht des Sachwalters (§ 274 Abs. 2 Satz 1 InsO) ................ 3. Begründung und Deckung von Masseverbindlichkeiten .... a) Überwachung der Finanzplanung ................................ b) Anzeige der Masseunzulänglichkeit ............................ 4. Berichterstattung des Schuldners an die Gläubigerversammlung und das Gericht ............................................ 5. Beachtung der Vorgaben der Gläubigerversammlung ....... III. Prüfung und Sicherung des Zahlungsverkehrs und des Geldbestands .................................................................................... 1. Vorgaben zur Hinterlegung von Wertgegenständen .......... 2. Überwachung des Finanzwesens des Schuldners ............... 3. Kontrolle des Zahlungsverkehrs nach Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter ..........................
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Inhaltsverzeichnis Rn.
IV. Mitwirkung bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (§ 276 InsO) ............................................................................. 1. Besondere Bedeutsamkeit der Rechtshandlung .................. 2. Notwendigkeit der vorherigen Zustimmung ...................... 3. Ermittlung zustimmungsbedürftiger Rechtshandlungen .... 4. Verhältnis zur Mitwirkung des Sachwalters ...................... 5. Besonders bedeutsame Rechtshandlungen des Sachwalters ................................................................................ V. Personelle Veränderungen in der Geschäftsleitung (§ 276a Satz 2, 3 InsO) ............................................................. 1. Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich des § 276a Satz 2, 3 InsO ......................................................... 2. Prüfung durch den Sachwalter ........................................... 3. Überwachungsmaßnahmen des Ausschusses ..................... VI. Erfüllung der Nachteilsmeldepflicht durch den Sachwalter gemäß § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO .............................................. VII. Vorlage und Prüfung der Verzeichnisse .................................. 1. Zweck und Bedeutung der Verzeichnisse .......................... 2. Vorprüfung durch den Sachwalter (§ 281 Abs. 1 Satz 2 InsO) ........................................................................ 3. Zielrichtung und Umfang der Pflichten der Ausschussmitglieder ........................................................................... 4. Keine Befreiung von der Inventarisierungspflicht ............. VIII. Anmeldung, Prüfung und Feststellung der Insolvenzforderungen (§ 270c Satz 2, § 283 Abs. 1 InsO) .................... IX. Ausübung der Erfüllungswahl (§ 279 InsO) ............................. X. Verwertung von Sicherungsgut und Aussonderung (§§ 282, 47 InsO) ...................................................................... XI. Bearbeitung der Haftungs- und Anfechtungsangelegenheiten durch den Sachwalter (§ 280 InsO) .......................................... 1. Bedeutung für den Gläubigerschutz ................................... 2. Keine Ausnahme vom Prinzip der Anspruchsgeltendmachung ............................................................................. 3. Praktische Bedeutung ......................................................... 4. Zugewiesene Ansprüche im Sinne von § 280 InsO ............ a) Ansprüche auf Ersatz eines Gesamtschadens (§ 92 InsO) ................................................................... b) Ansprüche aus persönlicher Haftung von Gesellschaftern (§ 93 InsO) ................................................... c) Anfechtungsansprüche (§§ 129–147 InsO) .................. d) Sondergesetzliche Zuweisungen und deren analoge Anwendung .................................................................. e) Geltendmachung der Ansprüche ..................................
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5. Pflichten des Sachwalters ................................................... 6. Überwachungsmaßnahmen der Ausschussmitglieder ........ XII. Entnahme von Mitteln zur Lebensführung (§ 278 InsO) ........ XIII. Rechnungslegung durch den Schuldner ................................. 1. Umfang der Rechnungslegung ........................................... 2. Besonderheiten der insolvenzrechtlichen Buchführung ..... 3. Delegation der insolvenzrechtlichen Rechnungslegung ..... 4. Rechnungslegung bei Kassenführung durch den Sachwalter .................................................................................. 5. Rechnungslegung zum Abschluss der Eigenverwaltung (§ 66 Abs. 2 Satz 2 InsO) ................................................... a) Schlussrechnungslegung .............................................. b) Rechnungslegung bei vorzeitiger Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung ................................. 6. Prüfung der Rechnungslegung ........................................... a) Ordnungsmäßigkeit des Rechnungswesens ................. b) Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Masseverwaltung ................................................................... G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen ............................................................ I. Anlässe zum Einschreiten des Gläubigerausschusses und Vorbereitung seiner Reaktion ................................................... II. Adressaten der Reaktionspflicht ............................................... III. Handlungsmöglichkeiten des Ausschusses .............................. 1. Hinweise und formlose Erörterungen ................................. 2. Rügen und Aufforderungen zur Nachbesserung ................ 3. Nachteilsmeldepflicht gegenüber dem Insolvenzgericht .... 4. Information des Sachwalters und Anregung zur Übernahme der Kassenführung .................................................. 5. Sonstige Stellungnahmen, Voten und Anregungen einzelner Mitglieder ........................................................... 6. Anträge und Anregungen des Gläubigerausschusses ......... a) Antrag auf Entlassung des Sachwalters ....................... b) Anregung eines Antrags auf Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts ............................................... c) Anregung eines Antrags auf Aufhebung der Eigenverwaltung ................................................................... d) Anregung zur Aufhebung der Eigenverwaltung von Amts wegen ................................................................. aa) Zulässigkeit der Aufhebung der Eigenverwaltung von Amts wegen .................................................... bb) Folgerungen für das Verhalten der Ausschussmitglieder ............................................................... XVI
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Kapitel 5 Die besonderen eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren ............................................................................ 590 .... 269 A. Behandlung von Anträgen und Personalvorschlägen der Beteiligten ............................................................................................... 594 .... 270 B. Stellung des vorläufigen Gläubigerausschusses in der vorläufigen Eigenverwaltung ............................................................................. 599 .... 273 C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages ...................... I. Prüfung der Plausibilität des Eigenverwaltungsantrags ............ 1. Inhaltliche Anforderungen an den Eigenverwaltungsantrag .................................................................................. 2. Konkrete Prüfungs- und Handlungspflichten der Ausschussmitglieder in Bezug auf die Anträge des Schuldners ......... 3. Prüfung der Kostenvergleichsrechnung ............................. II. Anhörung und Votum nach § 270 Abs. 3 InsO zur Frage der Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung .................... 1. Notwendigkeit vorausgehender Ermittlungen des Gerichts ................................................................................... 2. Pflichten der Ausschussmitglieder im Zusammenhang mit gerichtlichen Ermittlungen ........................................... 3. Pflichten bei der Anhörung und der Beschlussfassung nach § 270 Abs. 3 InsO ...................................................... 4. Rechtliche Bedeutung des einstimmigen Votums .............. a) § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO als gesetzliche Vermutungsregelung ....................................................................... b) Notwendigkeit einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO ... c) Konsequenzen für die Rechtsanwendung des Gerichts ................................................................. D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO ..................................................................................... I. Verfahrensrechtliches Umfeld der Ausschusstätigkeit ............. II. Keine bindende Mitwirkung des Ausschusses bei gerichtlichen Entscheidungen nach § 270a InsO ............................................ III. Pflichten bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters (§ 56a InsO) .............................................................................. IV. Laufende Überwachung der Geschäftsführung des Schuldners .......................................................................... V. Entsprechende Geltung des § 276 und des § 276a Satz 1 InsO in der vorläufigen Eigenverwaltung .........................................
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1. Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen ........................ 2. Ausschluss des Einflusses der Überwachungsorgane und Anteilsinhaber .................................................................... VI. Überwachung des Schuldners bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten ............................................................ 1. Notwendigkeit der gerichtlichen Umqualifizierungsermächtigung ...................................................................... 2. Kontrolle der zweckentsprechenden Nutzung der Ermächtigung ................................................................................. VII. Auswertung des Insolvenzgutachtens ..................................... E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO .................................................................................... I. Systematische Stellung des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) und sein Verhältnis zur allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a InsO) .................................. II. Keine bindende Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses ............................................................................... III. Prüfung der Plausibilität der Antragsunterlagen ....................... 1. Drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners? .................................................................. 2. Sanierungs-Grobkonzept des Schuldners ........................... 3. Sanierbarkeitsbescheinigung .............................................. IV. Überwachung der Sanierungsvorbereitungen und der Aufstellung des Insolvenzplans ...................................................... 1. Ernsthaftigkeit der Sanierungsbemühungen ....................... 2. Beratende Mitwirkung des Ausschusses bei der Entwicklung des Insolvenzplans .............................................. 3. Überwachung der Mitwirkung des vorläufigen Sachwalters ................................................................................ V. Pflichten anlässlich des Vorschlags und der Bestellung des „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalters .......................... VI. Recht und Pflicht zur Stellung eines Aufhebungsantrags nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO ...................................... 1. Rechtliche Tragweite des Aufhebungsantrags ................... 2. Maßgebliche Gesichtspunkte für die Ermessensausübung .................................................................................. 3. Weitergehende Anregungen des Ausschusses ....................
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Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung .......... 715 .... 337 A. Grundzüge der Haftung der Gläubigerausschussmitglieder ........... 717 .... 337
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B. Entsprechende Anwendung der Business Judgment Rule .............. I. Grundsatz ................................................................................. II. Orientierung am Wohl der Gläubiger ....................................... III. Angemessene Informationsgrundlage ......................................
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.... .... .... ....
341 342 345 347
C. Erforderliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Ausschussmitglieds ........................................................................ 734 .... 348 D. Bewusstsein der besonderen Gefahren der Eigenverwaltung ......... 744 .... 353 I. Sensibilität für nachteilsindizierende Umstände ...................... 746 .... 354 II. Deutlich gesteigerte Skepsis gegenüber Schuldner und Sachwalter ........................................................................................ 747 .... 355 E. Verantwortung bei der Mitwirkung an gerichtlichen Entscheidungen .................................................................................... 753 .... 357 Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung ......................................................................... 755 .... 359 A. Sachkunde als notwendige Voraussetzung einer gerichtlichen Bestellung zum Ausschussmitglied ................................................ 758 .... 361 B. Mindestanforderungen an die Sachkunde von Ausschussmitgliedern in der Eigenverwaltung ..................................................... 767 .... 367 I. Allgemeine Mindestanforderungen in der Unternehmensinsolvenz ................................................................................... 768 .... 367 II. Besondere Mindestanforderungen im Fall der Eigenverwaltung ..................................................................................... 771 .... 369 C. Gerichtliche Feststellung der Sachkunde ........................................ 772 .... 369 I. Allgemeines zur gerichtlichen Auswahl der Ausschussmitglieder ................................................................................. 774 .... 370 II. Überprüfung der Eignung der potentiellen Ausschussmitglieder ................................................................................. 777 .... 372 D. Wahl einer nicht sachkundigen Person durch die Gläubigerversammlung .................................................................................. 779 .... 373 E. Auswirkungen der Anforderungen an die Sachkunde auf die Vergütung der Ausschussmitglieder ......................................... 782 .... 374 Kapitel 8 Abschließende Bemerkungen und Schlussfolgerungen .... 788 .... 379 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 393 Stichwortverzeichnis ........................................................................................ 449
XIX
Abkürzungsverzeichnis a. A. ............................................... Andere(r) Ansicht/andere(r) Auffassung allg. A./allg. M. ............................. allgemeine Auffassung/allgemeine Meinung Abg. .............................................. Abgeordnete/Abgeordneter ABl. L ........................................... Amtsblatt der Europäischen Union, Teil L (leges) Abs. ............................................... Absatz/Absätze abw. ............................................... abweichend/abweichende abw. A./abw. M. ............................ abweichende Auffassung/Meinung AG ................................................. Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift); Amtsgericht AGB .............................................. Allgemeine Geschäftsbedingungen AktG ............................................. Aktiengesetz amtl. .............................................. amtlich Anm. ............................................. Anmerkung/Anmerkungen arg. e(x) ......................................... argumentum e(x) (Argument aus) ASJ ................................................ Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen und Juristinnen ausf. ............................................... ausführlich BAFin ........................................... Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BAG .............................................. Bundesarbeitsgericht BAKinso e. V. ............................... Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte e. V. BankenKomm-InsR ...................... Bankenkommentar zum Insolvenzrecht (siehe Literaturverzeichnis unter Cranshaw) BDU e. V. ..................................... Bundesverband Deutscher Unternehmensberater e. V. BeckOK ........................................ Beck’scher Online-Kommentar BeckRS ......................................... Beck Rechtsprechung (Online-Datenbank)
XXI
Abkürzungsverzeichnis
Begr. .............................................. Begründung Berliner-Komm ............................. Berliner Kommentar Insolvenzrecht (siehe Literaturverzeichnis unter Blersch) Beschl. .......................................... Beschluss BFuP ............................................. Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis BGHZ ........................................... Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (amtliche Sammlung) BGH .............................................. Bundesgerichtshof BGBl. ............................................ Bundesgesetzblatt BMJ ............................................... Bundesministerium der Justiz BR ................................................. Bundesrat BReg. ............................................ Bundesregierung BT-Drucks. ................................... Drucksachen des Deutschen Bundestags BT-Plenarprotokoll ....................... Plenarprotokolle (Stenografische Berichte) des Deutschen Bundestags BVerfG ......................................... Bundesverfassungsgericht BVerfGE ....................................... Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) CCZ ............................................... Corporate Compliance (Zeitschrift) CRO .............................................. Chief Restructuring Officer DAV .............................................. Deutscher Anwalt Verein DCGK ........................................... Deutscher Corporate Governance Kodex DGVZ ........................................... Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung Diss. .............................................. Dissertation DNotZ ........................................... Deutsche Notar-Zeitschrift DZWIR ......................................... Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht et al. ............................................... et alii (und andere) ebd. ................................................ ebenda
XXII
Abkürzungsverzeichnis
Ed. ................................................. Edition ESUG ............................................ Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 e. V. ............................................... eingetragener Verein EWiR ............................................ Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) FamRZ .......................................... Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FD-InsR ........................................ Fachdienst Insolvenzrecht FK-InsO ........................................ Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Fn. ................................................. Fußnote FS .................................................. Festschrift GmbH ........................................... Gesellschaft mit beschränkter Haftung GRUR ........................................... Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) GRUR-Prax ................................... Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht (Zeitschrift) GWR ............................................. Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) h. A. .............................................. herrschende Auffassung/herrschende Ansicht HambK-InsR ................................. Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht Hdb. .............................................. Handbuch HFA .............................................. Hauptfachausschuss (siehe Literaturverzeichnis unter IDW) HK-InsO ....................................... Heidelberger Kommentar – Insolvenzordnung h. L. ............................................... herrschende Lehre h. M. .............................................. herrschende Meinung HRI ............................................... Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz (siehe Literaturverzeichnis unter Kübler, Bruno M.) Hs. ................................................. Halbsatz
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
i. d. F. ............................................ in der Fassung IDW .............................................. Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. i. E. ................................................ im Ergebnis InsbürO ......................................... Zeitschrift für das Insolvenzbüro InsO ............................................... Insolvenzordnung InsR ............................................... Insolvenzrecht InsR-Hdb. ...................................... Insolvenzrechts-Handbuch (siehe Literaturverzeichnis unter Gottwald) InsVV ............................................ Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung i. S. v. ............................................ im Sinne von i. V. m. .......................................... in Verbindung mit JZ .................................................. Juristenzeitung KK-InsO ....................................... Kölner Kommentar zur Insolvenzordnung (siehe Literaturverzeichnis unter Hess) KPB ............................................... Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur Insolvenzordnung KS-InsO ........................................ Kölner Schrift zur Insolvenzordnung KSV1870 ...................................... Kreditschutzverband von 1870 KuT ............................................... Konkurs- und Treuhandwesen (Zeitschrift) li. ................................................... links, linke li. Sp. ............................................. linke Spalte Lit. ................................................. Literatur Ls. ................................................. Leitsatz MK-InsO ....................................... Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung (siehe Literaturverzeichnis unter Kirchhof) Nachw. .......................................... Nachweis NJOZ ............................................. Neue Juristische Online-Zeitschrift n. r. ................................................ nicht rechtskräftig
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
NStZ .............................................. Neue Zeitschrift für Strafrecht NWB ............................................. Neue Wirtschaftsbriefe NZG .............................................. Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZI ................................................ Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht NZM ............................................. Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht re. Sp. ............................................ rechte Spalte RegBericht .................................... Regierungsbericht (siehe Literaturverzeichnis unter Bundesregierung) RegE ............................................. Regierungsentwurf RH ................................................. Rechnungslegungshinweis (siehe Literaturverzeichnis unter IDW) RSI ................................................ Handbuch Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz (siehe Literaturverzeichnis unter Buth) Rspr. .............................................. Rechtsprechung S. ................................................... Seite SanRKomm ................................... Sanierungsrecht Kommentar (siehe Literaturverzeichnis unter A. Schmidt) UMAG .......................................... Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.9.2005 Univ. ............................................. Universität unstr. ............................................. unstreitig Urt. ................................................ Urteil vgl. ................................................ vergleiche z. B. ............................................... zum Beispiel ZIP ................................................ Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZIS ................................................ Zentrum für Insolvenz und Sanierung an der Universität Mannheim e. V. ZPO ............................................... Zivilprozessordnung
XXV
Abkürzungsverzeichnis
ZRG GA ........................................ Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung ZRP ............................................... Zeitschrift für Rechtspolitik zust. ............................................... zustimmend zutr. ............................................... zutreffend ZVI ................................................ Zeitschrift für Verbraucher- und PrivatInsolvenzrecht
Hinsichtlich der weiteren verwendeten Abkürzungen wird verwiesen auf Byrd/Lehmann, Zitierfibel für Juristen, 2. Auflage 2016, Anhang II.
XXVI
Kapitel 1 Einleitung Der Grundsatz der rechtlich gebundenen Gläubigerautonomie gehört zu den we- 1 sentlichen Prinzipien des deutschen Insolvenzrechts. Er beruht auf der Erkenntnis, dass bei betriebswirtschaftlichen Abläufen privatautonome Entscheidungen ein höheres Maß an Effizienz verbürgen als eine hoheitliche Regulierung. Auch im Insolvenzverfahren soll deshalb bei Entscheidungen über wirtschaftliche Angelegenheiten grundsätzlich das Urteil der Gläubiger maßgeblich sein, weil sie es sind, deren Vermögenswerte auf dem Spiel stehen und die deshalb die Folgen von Fehlentscheidungen zu tragen haben. Dies gilt vor allem für die Art der Masseverwertung und die Gestaltung des Verfahrens, insbesondere für die Frage der Fortführung des schuldnerischen Unternehmens (vgl. §§ 156 – 159 InsO), aber auch für die Form als Fremd- oder Eigenverwaltung.1) Dem Gläubigerausschuss kommt in diesem Zusammenhang eine schwerlich zu über- 2 schätzende Bedeutung zu. Während die Gläubigerversammlung eher die grundsätzlichen Entscheidungen zu treffen hat, speziell über die Dauer und Zulässigkeit einer Betriebsfortführung sowie über die Einleitung oder den Abbruch von Sanierungsbemühungen (§§ 157, 159, 217 InsO), obliegt es dem Gläubigerausschuss, die laufende Geschäftsführung des jeweiligen Masseverwalters kontinuierlich unterstützend und überwachend zu begleiten (§ 69 InsO) und so den ständigen Einfluss der Gläubiger auf den wirtschaftlichen Gang des Verfahrens sicherzustellen.2) Dies gilt unabhängig davon, in welcher Form die Insolvenzverwaltung organisiert ist. Die gesetzliche Einrichtung eines Gläubigerorgans zur ständigen Beteiligung an 3 der Verwaltung und Verwertung der Masse war in der deutschen Rechtsgeschichte nicht immer selbstverständlich. In der Praxis des gemeinrechtlichen Konkursprozesses, wie er in weiten Teilen Deutschlands bis zur Einführung der einheitlichen Konkursordnung im Jahr 1877 stattfand, lag der Schwerpunkt der Verwaltung stets beim Gericht. Trotz eines Vorschlagsrechts der Gläubiger war der Kurator in Wirklichkeit nur ein Werkzeug des Gerichts und wurde allein von ihm beaufsichtigt und angeleitet. Soweit bei wichtigen Maßnahmen eine Anhörung der Gläubiger oder eines von ihnen gebildeten Ausschusses vorgesehen war, hatten deren Äußerungen überwiegend nur den Wert eines Gutachtens, das der freien Würdigung des Ge___________ 1) 2)
Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 78, 79 f. Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 (zu § 78 = § 69 InsO); BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324 Rn. 16 = NZI 2015, 166 = ZIP 2014, 2242; ebenso schon § 88 KO, dazu RegE KO, 1875, zu § 80, Motive zu dem Entwurf einer Konkursordnung, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, Drucks. Nr. 200, S. 1363 ff. = (wegen der sachlichen Diskontinuität wortgleich erneut eingebracht) 2. Legislaturperiode, III. Session 1875/76, Drucks. Nr. 20, S. 311 = Hahn, Materialien, 1881, S. 285.
1
Kapitel 1 Einleitung
richts unterlag.3) Vereinzelt war der Einfluss der Gläubiger durch die Bestellung mehrerer Verwalter gestärkt.4) Bindende Beschlüsse eines Gläubigerausschusses zu Fragen der Masseverwaltung waren lediglich seit 1850 in Braunschweig, seit 1855 in Preußen und seit 1869 in Bayern vorgesehen.5)
4 Diesen Rechtszustand hat man bereits damals als unbefriedigend empfunden. So hieß es zusammenfassend in den Motiven des Entwurfs der Konkursordnung von 1875, die Gläubiger hätten an einer vorteilhaften Verwaltung und Realisierung der Masse nicht nur das größte Interesse, sondern seien auch dazu am besten geeignet, „ohne einer fortgesetzten vormundschaftlichen Leitung des Gerichts zu bedürfen“. Man glaubte deshalb, bei den bisherigen Regelungen in Preußen und Bayern nicht stehenbleiben zu dürfen, die neben dem Verwalter bereits einen Verwaltungsrat oder Gläubigerausschuss vorsahen. Die Verfasser des Entwurfs stellten es sich zur Aufgabe, durch die Regelungen über den Gläubigerausschuss „das allseitig als richtig anerkannte Prinzip der Preußischen Konkursordnung zur konsequenten Durchführung zu bringen und in Wirklichkeit die Gläubiger von jeder Bevormundung, die Gerichte von der Besorgung fremder Angelegenheiten zu befreien“.6)
5 Das stolze Wort des damaligen Gesetzgebers7) hat bis heute seinen Reiz nicht verloren. Noch die Begründung zum Regierungsentwurf der Insolvenzordnung von 1992 greift es auf und proklamiert den Grundsatz, dass im Insolvenzverfahren jede Bevormundung der privaten Beteiligten durch Gericht und Verwalter zu unterbleiben habe.8) ___________ 3)
4)
5)
6)
7)
8)
2
Zum Folgenden vgl. RegE KO, 1875, zu §§ 79 – 84, Motive zu dem Entwurf einer Konkursordnung, 1875, a. a. O., Drucks. Nr. 20, S. 308 ff. = Hahn, Materialien, 1881, S. 283, sowie Darstellung der Quellen des in Deutschland geltenden Konkursrechts, Anlage I zu den Motiven des Entwurfs einer Konkursordnung, 1875, a. a. O., zu Drucks. Nr. 20, Anlagenband, S. 7 ff. = Hahn, Materialien, 1881, S. 435 ff. So etwa in Hamburg und im rheinischen Geltungsbereich des napoleonischen Code de commerce (Darstellung der Quellen des in Deutschland geltenden Konkursrechts, a. a. O., S. 50 f., 59 f. = Hahn, Materialien, 1881, S. 465, 470 f.). Darstellung der Quellen des in Deutschland geltenden Konkursrechts, a. a. O., S. 40 (Braunschweig), 67 (Preußen), 75 (Bayern) = Hahn, Materialien, 1881, S. 458, 475, 480; Bornhorst, Insolvenzrecht, 2002, S. 131 f. RegE KO, 1875, zu den §§ 79 – 84, Motive zu dem Entwurf einer Konkursordnung, 1875, a. a. O., Drucks. Nr. 20, S. 308 ff., 310 = Hahn, Materialien, 1881, S. 283, 284. Vgl. auch Henckel, KTS 1989, 477, 493: „Unsere Konkursordnung von 1877 entstammt einer liberalen Epoche der Gesetzgebung und hebt sich deutlich von ihren gemeinrechtlichen Vorläufern ab […].“ Siehe Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S. 23 ff, 210, zum Begriff des „Gesetzgebers“ als einer „abstrakten Bezeichnung für die gesetzgeberische Gewalt oder Funktion im verfassungsrechtlichen Sinne, die durch die Organe Bundestag und Bundesrat ausgeübt werden.“ RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 76 (Die Ordnungsaufgabe des Insolvenzrechts in der sozialen Marktwirtschaft).
A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung
Wie jede Mündigkeit ist auch die Freiheit der Gläubiger und ihrer Organe von der 6 Bevormundung durch Insolvenzgericht und Verwalter letztlich nur dann ein Fortschritt, wenn sie auf hinreichender Kenntnis der maßgeblichen Umstände beruht und mit Aufmerksamkeit, geistiger Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein wahrgenommen wird.9) Dies gilt erst recht, wenn das autonome Handeln nicht nur unmittelbar die eigenen materiellen Interessen betrifft, sondern sich kraft gesetzlicher Ermächtigung notwendigerweise auf die Belange der gesamten Gläubigerschaft und die Funktionsfähigkeit des insolvenzgerichtlichen Verfahrens auswirkt. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben deshalb unzweifelhaft die Pflicht, sich über alle wirtschaftlichen und rechtlichen Besonderheiten des Verfahrens zu informieren und sie bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben angemessen zu berücksichtigen. Hierzu gehören neben den vermögensbezogenen Umständen nicht zuletzt die Rahmenbedingungen, die sich aus der Organisationsform des Insolvenzverfahrens in Fremd- oder Eigenverwaltung sowie aus der persönlichen und fachlichen Eignung der jeweiligen Träger der Verwaltung ergeben. Als wesentliches Merkmal der Eigenverwaltung fällt zunächst unmittelbar ins Au- 7 ge, dass die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über die Insolvenzmasse nicht einem externen Insolvenzverwalter, sondern dem Schuldner selbst anvertraut ist (§ 270 Abs. 1 InsO). Der ihm beigeordnete Sachwalter ist jedoch mehr als nur eine Aufsichtsperson. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich, dass in der Eigenverwaltung die gesetzlichen Aufgaben des Insolvenzverwalters insgesamt aufgespalten und teils dem Schuldner, teils dem Sachwalter, teils beiden gemeinsam zugewiesen sind (vgl. §§ 275, 276a – 285 InsO). Auch der Sachwalter ist deshalb Mitträger der Insolvenzverwaltung. Diese Konstruktion ist keineswegs immer leicht zu durchschauen. In derartigen Ver- 8 fahren stellen sich dem Gläubigerausschuss damit Aufgaben, die umfangreicher, anspruchsvoller und teilweise auch anders gelagert sind, als sie in der Fremdverwaltung gewesen wären. Insbesondere ist die Reichweite der Überwachungs- und Unterstützungsfunktion des Ausschusses gegenüber dem eigenverwaltenden Schuldner und dem Sachwalter sowohl grundsätzlich als auch im Einzelfall nicht immer zweifelsfrei zu bestimmen und von der originären Überwachungsaufgabe des Sachwalters abzugrenzen. Völlig ungeklärt ist bislang, welchen Eignungskriterien der eigenverwaltende 9 Schuldner zu genügen hat. Der Gläubigerausschuss hat bei der Erfüllung seiner Pflichten darum allzeit zu bedenken, dass der eigenverwaltende Schuldner ein Lai___________ 9)
Vgl. bereits Holm-Nielsen, KuT 1930, 92, 93, der die „abstrakte Gläubigerautonomie“ rechtsvergleichend „als praktisch undurchführbar“ bezeichnet und aus einem justizministeriellen Bericht wie folgt zitiert: „Die Kontrolle über den Verwalter liegt kraft Gesetzes vor allem dem Gläubigerausschuß ob, aber auch dem Konkursgericht. Während das Gericht im ganzen seine Pflichten in dieser Beziehung erfüllt, hat es sich erwiesen, daß der Gläubigerausschuß die Kontrolle in dem vom Gesetze vorgeschriebenen Umfang oft vernachlässigt.“
3
Kapitel 1 Einleitung
enverwalter ist. Die rechtlichen Bindungen der Insolvenzverwaltung sind ihm fremd, er verfügt in aller Regel nicht über eine entsprechende Ausbildung oder Erfahrung. Jedoch hat auch er seine Geschäftsführung, ebenso wie ein regulärer Insolvenzverwalter, strikt am Verfahrenszweck zu orientieren und eine Fülle besonderer gesetzlicher oder in der Rechtsprechung entwickelter Einzelregelungen zu beachten. Ohne professionellen externen Sachverstand ist der Schuldner hierzu kaum in der Lage. Die Heranziehung dieses Sachverstands in Gestalt von Beratern ist nahezu unumgänglich. Sie führt fast zwangsläufig zu einer nur schwer zu kontrollierenden Nebeninsolvenzverwaltung, deren Gefahren- und Haftungspotential durchgängig unterschätzt wird.10) Dies gilt erst recht, wenn auch die gerichtliche Auswahl und Bestellung des Sachwalters auf einen vom Berater inspirierten Vorschlag des Schuldners (§ 270b Abs. 2, § 56a InsO) zurückgehen. Schon allein von diesen Umständen geht ein eigenverwaltungstypisches Risiko zu Lasten der Gläubiger aus, dem der Gläubigerausschuss durch eine sorgfältige Wahrnehmung seiner Aufgaben entgegenwirken muss.
10 In der Eigenverwaltung ergeben sich durch die erhebliche Missbrauchsanfälligkeit dieser Verfahrensgestaltung besondere Anforderungen an den Gläubigerausschuss. Gleichwohl existiert bisher keine systematische Darstellung der Missbrauchshandlungen sowie ihrer Ursachen und Erscheinungsformen. Im Kern folgt der Missbrauch der Eigenverwaltung aus der Tatsache, dass die meisten Menschen auch und gerade im Fall der Insolvenz die Verantwortung für ihr Scheitern nicht bei sich selbst, sondern bei andern suchen und nicht bereit sind, die Konsequenzen auf sich zu nehmen und ihre wirtschaftlichen Eigeninteressen dem Interesse der Gläubigergesamtheit unterzuordnen.11)
11 Die mit der Eigenverwaltung verbundene Möglichkeit, auch noch während des insolvenzgerichtlichen Verfahrens die Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen auszuüben und damit zugleich den Zugriff auf wesentliche Informationen und Entscheidungsprozesse zu kontrollieren, wenn nicht gar zu monopolisieren, bietet dem Schuldner und den Führungskräften seines Unternehmens nicht nur die Gelegenheit zu kriminellen oder zumindest unredlichen Vermögensverschiebungen.12) Sie verschafft vor allem die verlockende Aussicht, den eigenen Anteil an den Ursachen der Insolvenz zu verschleiern, insbesondere die Aufdeckung von Vermögensverschiebungen oder von Fehlentscheidungen, etwa der aussichtslosen Fortführung ___________ 10) Hierzu bereits Hammes, NZI 2017, 233. 11) So die Erfahrung von Föhlisch, ZVI 2014, 161 in Bezug auf freiberufliche Schuldner. In der Verhaltensökonomik sind solche Wahrnehmungsverzerrungen („biases“) als self-serving-bias (Selbstwerterhaltungsprinzip) bekannt, vgl. z. B. Gutjahr, Lexikon der verhaltenswissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre, S. 2; instruktiv Falk, ZRG GA 131 (2014), S. 266, 282 f. zum Erkenntniswert der kognitionspsychologischen Forschung für die Insolvenzpraxis. 12) Allgemein zu den Möglichkeiten der Tarnung von Vermögensverschiebungen Hauser, Jahresabschlussprüfung und Aufdeckung von Wirtschaftskriminalität, 2000, S. 200 ff.
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A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung
eines defizitären, leistungswirtschaftlich nicht dauerhaft zu sanierenden Unternehmens, zu verhindern oder zu erschweren. Zugleich kommen die Möglichkeiten der Eigenverwaltung häufig der Neigung des Schuldners entgegen, an der illusionären Selbsteinschätzung festzuhalten,13) dass eigentlich er selbst zur Bewältigung seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten am besten geeignet sei. Das Gesetz sieht die Mitwirkung des vorläufigen oder endgültigen Gläubigeraus- 12 schusses im Zusammenhang mit der Eigenverwaltung in mehreren Fällen ausdrücklich vor:
Im Eröffnungsverfahren und bei der Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung ist der vorläufige Gläubigerausschuss (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, § 22a InsO) nach Maßgabe des § 56a InsO an der Auswahl des vorläufigen und endgültigen Sachwalters zu beteiligen (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 270b Abs. 2 InsO). Im Schutzschirmverfahren wird die Beteiligung allerdings durch das Vorschlagsrecht des Schuldners nach § 270b Abs. 2 InsO ausgeschlossen.14)
Der vorläufige Gläubigerausschuss kann das Insolvenzgericht im Schutzschirmverfahren durch bloßen Antrag zwingen, die dem Schuldner gewährte Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans aufzuheben (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO).
Vor der Entscheidung über den Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung hat das Gericht dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Wird der Antrag von einem einstimmigen Beschluss des Ausschusses unterstützt, so soll die Anordnung der Eigenverwaltung nicht als nachteilig für die Gläubiger gelten (§ 270 Abs. 3 InsO).
Der Sachwalter hat neben dem Insolvenzgericht auch dem Gläubigerausschuss unverzüglich Mitteilung zu machen, wenn er Umstände feststellt, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (§ 274 Abs. 3 Satz 1 InsO).
Entsprechend den Regelungen der §§ 160, 161, 164 InsO hat der eigenverwaltende Schuldner die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind (§ 276 InsO).
___________ 13) Es handelt sich um ein weiteres aus der Verhaltensökonomik bekanntes irrationales Denkund Entscheidungsmuster (overconfidence bias); vgl. grundlegend Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken, 2012, S. 315 – 327; Falk/Alles, ZIP 2014, 1209, 1217; ausführlich Korch, Haftung und Verhalten, 2015, S. 37 ff., 69 ff., 258. 14) Vgl. Thole, KTS 2018, 225, 245, wonach keine andere europäische Rechtsordnung („Jurisdiktion“) dem Schuldner oder einem Gläubigerausschuss maßgeblichen Einfluss auf die Verwalterbestellung einräumt.
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Kapitel 1 Einleitung
In entsprechender Anwendung des § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO kann der vorläufige Gläubigerausschuss den vorläufigen Sachwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen und tritt so an die Stelle der noch nicht existierenden Gläubigerversammlung.15)
13 Die kurze Aufstellung belegt, dass die verfahrensrechtlichen Besonderheiten der Eigenverwaltung den Aufgaben- und Pflichtenkreis des Gläubigerausschusses und seiner Mitglieder maßgeblich beeinflussen. Systematische monographische Darstellungen zu diesem Thema sind bisher nicht ersichtlich. Zwar sind insbesondere seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre einige Monographien zur Eigenverwaltung16) und zum Gläubigerausschuss17) erschienen. Die besondere Bedeutung und die Aufgaben des Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung werden jedoch in der Regel nicht, allenfalls in allgemeiner Weise oder am Rande behandelt.18) Gleiches gilt für Kommentare und die sonstige rechtswissenschaftliche Literatur.
14 Jene Autoren, die sich näher mit der Frage befasst haben, ob der Gläubigerausschuss im Eigenverwaltungsverfahren eine andere Bedeutung hat als in der Fremd-
___________ 15) BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14 = NZI 2016, 963 Rn. 77 = ZIP 2016, 1981, m. zust. Anm. Kampshoff/Schäfer, NZI 2016, 941, 942 f.; Braun/Riggert, InsO, 7. Aufl. 2017, § 284 Rn. 2; vgl. Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 284 Rn. 8; Beck/Lebmeier, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 44 Rn. 227 in Fn. 297; Rendels, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 24 Rn. 8; Hölzle, ZIP 2012, 855, 859 f.; ohne Begründung a. A. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 284 Rn. 3. 16) Hervorzuheben sind Neumann, Gläubigerautonomie, 1995, S. 313 – 318 (allg. zur Eigenverwaltung); Koch, Eigenverwaltung, 1998; Schlegel, Eigenverwaltung, 1999; Dietrich, Eigenverwaltung, 2002, S. 157 – 159 nur allg. zur Mitwirkung des Gläubigerausschusses gemäß § 276 InsO; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1148 – 1183 zu den Einflussmöglichkeiten des Gläubigerausschusses; Kruse, Eigenverwaltung, 2004; Gulde, Anordnung der Eigenverwaltung, 2005; Wehdeking, Masseverwaltung, 2005, die auf die besondere Rolle des Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung nicht eingeht; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006; Körner, UnternehmensTurnaround, 2006, S. 57 – 114, 195 ff.; Hofmann, Eigenverwaltung, 2006; Lindner, Eigenverwaltung, 2013; Hübler, Eigenverwaltung, 2013; Wiche-Wendler, Eigenverwaltung, 2013; Friedrichs, Schutzschirmverfahren, 2014; König, Haftung, 2015; Cadmus, Haftung, 2016; Grotebrune, Haftung, 2017; Schaal, Haftung, 2017; Schulz, Sanierungsgeschäftsführung, 2017; Sedlak, Schutzschirmverfahren, 2017; Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018; Mutzek, Kompetenzen, 2018; Mitsching, Masseverbindlichkeiten, 2018. 17) Grundlegend Hegmanns, Gläubigerausschuss, 1986; zum Gläubigerausschuss nach schweizerischem Recht siehe Sprecher, Gläubigerausschuss, 2003, dort S. 391– 432 auch zum Gläubigerausschuss im deutschen Insolvenzrecht. Allg. und rechtshistorisch zur Gläubigerautonomie Riedemann, Entwicklung, 2004, S. 171 – 176 auch zum vorläufigen Gläubigerausschuss der InsO; de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss im Insolvenzeröffnungsverfahren, 2015; Hoppe, Rechtsgeschäfte der Gläubigerversammlung und des Gläubigerausschusses, 2018; Thoma, Gläubigerautonomie, 2019. 18) Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 221 – 223; Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 242 f.; Vallender, WM 2002, 2040, 2048.
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A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung
verwaltung19), verweisen als Ausgangspunkt vor allem darauf, dass der Ausschuss Adressat der Nachteilsanzeige des Sachwalters sei (§ 274 Abs. 3 InsO). Neben dem Sachwalter selbst habe der Ausschuss jederzeit die rechtliche Möglichkeit, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen (§ 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO), von der die Aufhebung der Eigenverwaltung oder zumindest die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts beantragt werden könne (§ 272 Abs. 1 Nr. 1, § 277 Abs. 1 InsO).20) Damit stehe ihm gegenüber dem Schuldner ein Druckmittel zur Verfügung.21) Angesichts der besonderen Gläubigergefährdung, die der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Weise erheblich unterschätzt habe,22) sei es deshalb in der (vorläufigen) Eigenverwaltung regelmäßig geboten, einen Gläubigerausschuss einzusetzen.23) Ihm komme bei dieser Verfahrensgestaltung eine erhöhte Verantwortung zu.24) Erkannt wird zumeist auch die Pflicht des Ausschusses, sowohl den Schuldner als 15 auch den Sachwalter zu überwachen.25) Eine Beschränkung der kontrollierenden Funktion allein auf den Sachwalter wird skeptisch beurteilt.26) Die Einflussmöglichkeiten des Schuldners auf die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 22a Abs. 2, 4 InsO) und das damit gegebene Manipulationspotential, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Auswahl des vorläufigen und endgültigen Sachwalters (§§ 56a, 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO), werden gelegentlich recht unkritisch und oberflächlich behandelt.27) Angesichts des besonderen Gefährdungspotentials der Eigenverwaltung liegt die 16 Annahme nahe, dass die Mitwirkung des Gläubigerausschusses nicht auf die aus___________ 19) Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1179 – 1182; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 94 – 97; Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 767, 804 Rn. 70 ff.; Wiche-Wendler, Eigenverwaltung, 2013, S. 134 ff.; Boddenberg/Göb in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 108 – 163; Schaal, Haftung, 2017, S. 18 ff.; Pape/Schultz, ZIP 2016, 506 ff. 20) Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1180; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 97; Pape, KSInsO, 3. Aufl. 2009, S. 767, 803 Rn. 70; Schaal, Haftung, 2017, S. 26. 21) Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 97. 22) Schaal, Haftung, 2017, S. 26 f. 23) MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 276 Rn. 18; KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 33, 35; KK-InsO/Hammes, 2017, § 69 Rn. 41; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 25; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 67 Rn. 21 f., § 69 Rn. 23, 23a; HambKInsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 22a Rn. 3; Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 767, 804 Rn. 70 ff.; Specovius, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 13 Rn. 56; Boddenberg/Göb, in: Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 109; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1181 f.; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 96; Frind, ZIP 2012, 1380, 1383 a. E. 24) Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 767, 804 Rn. 70; Pape/Schultz, ZIP 2016, 506, 514. 25) Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 94 – 97; Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 767, 804 Rn. 70 ff.; Göb, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 159. 26) Schaal, Haftung, 2017, S. 20 f.; vgl. auch Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung, 2018, S. 12 (Kurzbericht), 78, 83, 88, 90 f., 299 = BT-Drucks. 19/4880, S. 18, 118, 123, 128, 130 f., 339. 27) Wiche-Wendler, Eigenverwaltung, 2013, S. 134 ff.
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Kapitel 1 Einleitung
drücklich im Gesetz geregelten Fälle beschränkt bleiben darf. Ungeklärt ist bisher auch, ob und in welcher Hinsicht an die Qualifikation und die Amtsführung der Ausschussmitglieder im Eigenverwaltungsverfahren andere, vor allem strengere Anforderungen zu stellen sind als im Verfahren mit Fremdverwaltung. Diese Gesichtspunkte sollen in der vorliegenden Arbeit systematisch überprüft und etwa auftretende rechtliche Probleme gelöst werden.
17 Eine solche Aufarbeitung wird sachgerecht nur möglich sein, wenn zunächst neben den Gemeinsamkeiten die wesentlichen Besonderheiten gegenüber der Fremdverwaltung und die strukturellen Gefahren analysiert werden, die mit der Eigenverwaltung verbunden sein können (Kapitel 2). Für das Verständnis erforderlich ist ebenfalls ein Blick auf die Rechtsstellung des Gläubigerausschusses im System der Verfahrensbeteiligten (Kapitel 3). Dabei spielt die bislang nicht abschließend geklärte Frage eine Rolle, ob und mit welchen Mitteln das Insolvenzgericht die Rechtsaufsicht über den Gläubigerausschuss ausübt, welche Grundsätze für eine ordnungsgemäße Ausschusstätigkeit gelten und in welchem Umfang die Regeln über den Aufsichtsrat sinngemäß angewandt werden können (Kapitel 3 G.).
18 Anschließend sind die Pflichten des Ausschusses als Mitwirkungsorgan der Gläubiger in der endgültigen Eigenverwaltung (Kapitel 4) und in beiden Varianten der vorläufigen Eigenverwaltung (Kapitel 5) systematisch herauszuarbeiten. Für die Rechtspraxis essentiell ist, welche Reaktionspflichten sich aus Pflichtverletzungen des eigenverwaltenden Schuldners ergeben. Mit dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, auch auf diese Frage eine befriedigende und praxistaugliche Antwort zu geben.
19 Aufgrund der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse wird sich bestimmen lassen, ob für die Gläubigerausschussmitglieder in der Eigenverwaltung ein abweichender Sorgfaltsmaßstab gilt und ob die Grundsätze der sogenannten Business Judgment Rule anwendbar sind (Kapitel 6). Abschließend ist die ebenfalls offene Frage zu klären, ob die gerichtliche Bestellung eines Gläubigerausschussmitglieds oder dessen Wahl durch die Gläubigerversammlung von besonderen Qualifikationen abhängig gemacht werden darf (Kapitel 7).
20 Wesentlicher empirischer Hintergrund dieser Untersuchung ist die rund 20jährige berufliche Tätigkeit des Verfassers als Insolvenzverwalter, Sachwalter und Mitglied von Gläubigerausschüssen. Er ist seit dem Jahr 1999 von verschiedenen nordrheinwestfälischen Amtsgerichten in insgesamt mehr als 3.000 Unternehmensinsolvenzen als Sachverständiger, Insolvenzverwalter oder Sachwalter bestellt worden. Diese Tätigkeit hat, insbesondere durch Gespräche mit Verfahrensbeteiligten sowie mit Richtern und Rechtspflegern, besondere Einblicke nicht nur in Ursachen und Verläufe von Insolvenzen, sondern auch in die Denk- und Handlungsgewohnheiten der Beteiligten eröffnet. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen lassen sich nicht immer in exakten Zahlen ausdrücken, sie sind jedoch als Hilfe und Maßstab bei der Einschätzung von Behauptungen und Argumenten wertvoll.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung Der Begriff der insolvenzrechtlichen Eigenverwaltung ruft im Bewusstsein der Öffent- 21 lichkeit vielfach die Vorstellung hervor, der Schuldner28) genieße in dieser Variante des Insolvenzverfahrens einen besonderen rechtlichen Schutz und könne sein Vermögen auch weiterhin nach eigenen wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitserwägungen und Planungen autonom verwalten und darüber verfügen. Insbesondere seit dem Inkrafttreten des ESUG am 1. März 201229) und der darin enthaltenen Normierung des sog. Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) ist die Eigenverwaltung mit erheblichem publizistischen Aufwand als zukunftsträchtige, wenngleich von kritischen Stimmen30) begleitete Neuerung des deutschen Insolvenzrechts gefeiert worden.31) Dabei wird im___________ 28) Nachfolgend wird der Begriff des „Schuldners“ grundsätzlich in einem umfassenden Sinne gebraucht, also sowohl für natürliche als auch für juristische Personen und für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit. 29) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (BGBl. I S. 2582), Art. 10. 30) Lüke, ZIP 2010, 1371; Frind, ZInsO 2010, 1524 – 1530; ders., DB 2014, 165 – 170; ders., ZIP 2017, 993 („dolos handelnde Unternehmen drängen in die Eigenverwaltung“); ders. ZInsO 2018, 231 234, 236 ff.; Hill, ZInsO 2010, 1825 ff.; Bornemann, NZI 2011, 892 ff.; Brinkmann/ Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1338 ff.; Heyer, ZIP 2011, 557 f.; Siemon, ZInsO 2011, 381 ff.; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1043 ff.; Flöther, ZIP 2012, 1833, 1840, 1842; Gruber, NJW 2013, 584 ff.; Graeber, INDat Report 2013 Nr. 2, 16, 17; ders., in: FS Vallender, 2015, S. 165, 172 ff.; Klinck, ZIP 2013, 853, 855; Pape, ZIP 2013, 2285 ff.; ders., ZInsO 2016, 125 („Umgestaltung der Unternehmensinsolvenz in ein gerichts- und verwalterfernes schuldnergesteuertes Verfahren“); ders. ZInsO 2018, 2725 ff.; Wimmer, ZIP 2013, 2038, spricht gar von „Auswüchsen“ und „Wildwuchs“; Thole, ZIP 2013, 1937, 1944; ders., in: FS Vallender, 2015, S. 679; ders., ESUG, 2016, S. 4; ders., in: FS Pannen, 2017, 733; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, vor §§ 270 Rn. 20 – 24; Falk, ZRG GA 131 (2014), S. 266, 273, 276, 278 f.; nunmehr ebenfalls Eidenmüller, KTS 2014, 401, 417; Leib/Rendels/Zabel, INDat Report 2014 Nr. 9, 52; Madaus, KTS 2015, 115, 131 f., 135; tendenziell kritisch Rendels, in: FS Kübler, 2015, S. 577, 588; Gravenbrucher Kreis, ZIP 2014, 1262, 1263 sowie ZInsO 2015, 2173; Ganter, NZI 2016, 377, 382 f.; Schaal, Haftung, 2017, S. 2; Madaus, NZI 2017, 329, 331, 334; Keramati/Klein, NZI 2017, 421, 427; Siemon, NZI 2018, 189 ff.; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung, Kurzbericht, 2018, S. 11 = BTDrucks. 19/4880, S. 17; DAV, Pressemitteilung vom 10.10.2018. 31) Hofmann, NZI 2010, 798, 805, aber kritisch bzgl. der Auswirkungen auf § 1 InsO und die Unabhängigkeit des Sachwalters; Kammel/Staps, NZI 2010, 791, 798; Vallender, NZI 2010, 838, 843, ders. INDat Report 2013 Nr. 2, 16, 20; ders., DB 2015, 231, 238; DAV, Stellungnahme Nr. 16/11 (zum RegE ESUG), 29.3.2011, S. 3; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), S. 11, 35, 37; Mönning, in: FS Wellensiek, 2011, S. 641, 664; ders., in: FS Kübler, 2015, S. 431, 432 f.; Commandeur/Schaumann, NZG 2012, 620, 622; Göb, NZG 2012, 371 (und Fn. 2 – 4 m. w. N.), 377; Haarmeyer, ZInsO-Newsletter 4/2012, 8 f. („Deutschland ist auf dem besten Weg zu einer neuen Sanierungskultur“); Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 1. Aufl. 2012, S. 23 – 27; Pleister, GWR 2013, 220 ff.; Hübler, Eigenverwaltung, 2013, S. 137, 215, 260 – 262; Föhlisch, ZVI 2014, 161, 170; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2166, jedoch seien Fehlentwicklungen zu beobachten; Lau, DB 2014, 1417, 1423; Buchalik/Brömmekamp, Sanierung unter Insolvenzschutz, 2015, S. 84; Silcher/Brandt, Handbuch Insolvenzplan in Eigenverwaltung, 2017, Kap. 2, Rn. 35 – 60; Haarmeyer, in: FS Pannen, 2017, S. 371; Uebele, NZG 2018, 881; Gillmann/Silcher, DeutscherAnwaltSpiegel 08/2018, S. 12 f.; vorsichtig positiv Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 2 f.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
mer wieder behauptet, Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren seien in Wirklichkeit Insolvenzverfahren eigener Art.32) Sie stellten eine gerichtlich organisierte Alternative zur außergerichtlichen Sanierung oder gar ein eigenständiges Sanierungsverfahren dar,33) das mit einem herkömmlichen Insolvenzverfahren praktisch nichts mehr zu tun habe. Gelegentlich wird die Eigenverwaltung geradezu als „Sanierung unter Insolvenzschutz“ glorifiziert.34) Solche Äußerungen nähern sich bedenklich den Grenzen ernsthaft vertretbarer juristischer Argumentation.35) Es wird suggeriert, mit Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren habe man nun endlich das Instrument zur Hand, mit dessen Hilfe der Schuldner die Insolvenz als strategische Option einsetzen und dem Schutz seiner eigenen Vermögensinteressen Vorrang vor den Interessen der Gläubiger verschaffen könne.36)
22 Tragfähige Aussagen über die besonderen Anforderungen an die Bestellung und Amtsführung des Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung sind deshalb nur möglich, wenn Klarheit über die Stellung der Eigenverwaltung im System des deutschen Insolvenzrechts, über ihren rechtlichen Charakter sowie über die Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners und des Sachwalters besteht. Dabei sind nicht nur die formalen, gleichsam organisatorischen Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich aus der Aufteilung der Verwalteraufgaben auf Schuldner und Sachwalter ergeben. Sie sind gewiss schwerwiegend genug und erfordern schon für sich genommen eine am gesetzlichen Verfahrenszweck orientierte eingehende gedankliche Durchdringung. Darüber hinaus sind jedoch vor allem die insolvenzspezifischen Interessen der Verfahrensbeteiligten und ihre durch die Eigenverwaltung veränderten rechtlichen und faktischen Gestaltungsmöglichkeiten zu analysieren.
___________ 32) So ausdrücklich für das Verfahren nach § 270b InsO Haarmeyer/Wutzke/Förster/Buchalik, InsO, 2. Aufl. 2012, § 270b Rn. 6; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 511; Haarmeyer, in: FS Pannen, 2017, S. 371, 374, 379. 33) Vgl. etwa Haarmeyer/Wutzke/Förster/Buchalik, InsO, 2. Aufl. 2012, § 270b Rn. 6; wohl auch Nerlich/Römermann/Mönning, InsO, 33. EL. 09.2017, Vorbemerkung vor §§ 11 – 34 Rn. 1; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 511; Buchalik, ZInsO 2012, 349; Buchalik/Brömmekamp, Sanierung unter Insolvenzschutz, 2015, 19; Mönning, in: FS Kübler, 2015, S. 431, 447; Mönning/ Schäfer/Schiller, BB 2017, Beil. zu Heft 25, 1 ff.; Berner/Köster/Lambrecht, NZI 2018, 425. 34) So bereits der Titel von Buchalik/Brömmekamp, Sanierung unter Insolvenzschutz, 2015; dies., Newsletter Bau 2015 (Die Insolvenz als strategische Option), 5; so noch MK-InsO/Haarmeyer, 3. Aufl. 2013, § 22a Rn. 35; Horstkotte, ZInsO 2013, 160, 162; Haarmeyer, in: FS Pannen, 2017, S. 371, 372. 35) Sehr kritisch auch K. Schmidt/Uhlenbruck/Spliedt, GmbH, 5. Aufl. 2016, S. 959 Rn. 9.1. und Bitter, Wirtschaftsspiegel v. 1.6.2015, 18 f.: „Häufig hörten wir beispielsweise, dass ein Betroffener meinte, sich nicht in einem Insolvenz-, sondern in einem Schutzschirmverfahren zu befinden. Dass das Schutzschirmverfahren in Wahrheit auch ein Insolvenzverfahren ist, hat man verdrängt.“ 36) Binz/Sorg, GmbH & Co. KG, 12. Aufl. 2018, § 12 Rn. 45; Mönning/Schäfer/Schiller, BB 2017, Beil. zu Heft 25, 1, 5.
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A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung
A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung Die gesetzlichen Bestimmungen über die Eigenverwaltung (§§ 270 – 285 InsO) 23 stellen kein geschlossenes System dar. Sie sollen nicht sämtliche formellen und materiellen Aspekte dieser Verfahrensvariante abschließend regeln, sondern beschränken sich, auch soweit sie das Eröffnungsverfahren betreffen (§§ 270a, 270b InsO), auf die Besonderheiten der Verwaltungsorganisation, der Verteilung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse sowie deren Auswirkungen auf den Verfahrensablauf. Außerhalb dieser Teilbereiche gelten nach § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO für das Verfahren die allgemeinen Vorschriften, soweit in den §§ 270 – 285 (dem Achten Teil der Insolvenzordnung) nichts anderes bestimmt ist.
I.
Subsidiäre Geltung der „allgemeinen Vorschriften“ (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO)
In § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO kommt der Grundsatz der Einheitlichkeit des Insol- 24 venzverfahrens37) zum Ausdruck. Zu den angesprochenen allgemeinen Vorschriften zählen deshalb sämtliche Normen des Insolvenzrechts außerhalb des Achten Teils. Die subsidiäre Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO verknüpft die Eigenverwaltung mit allen Vorschriften des formellen und materiellen Insolvenzrechts,38) insbesondere mit allen Regelungen über den Einfluss der Verfahrenseröffnung auf den Inhalt der materiell-rechtlichen Beziehungen der Beteiligten untereinander. Dabei sind allerdings die Besonderheiten der Eigenverwaltung zu berücksichtigen, so dass es sich vielfach nur um eine entsprechende oder sinngemäße Geltung handeln kann (sog. Analogieverweisung).39) Bei dieser rechtlichen Modifikation der allgemeinen Vorschriften durch die Analogieverweisung ist jeweils zu entscheiden, welche charakteristischen Merkmale die Eigenverwaltung hinsichtlich des Regelungsgegenstands aufweist und welche Auswirkung dies auf die entsprechende ___________ 37) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 82 f. (Grundzüge der Neuregelung): „Mit der Schaffung eines einheitlichen Insolvenzverfahrens, das die Funktionen von Konkurs und Vergleich in sich vereint, greift der Entwurf eine seit vielen Jahren fast einmütig erhobene Reformforderung auf. […] Der Entwurf geht insoweit über diese Vorschläge hinaus, als er das Insolvenzverfahren einem einheitlichen, also unabhängig von der angestrebten Verwertungsart bestimmten Hauptzweck unterwirft: der Verwirklichung der Vermögenshaftung.“ 38) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 (Vorbemerkungen zur Eigenverwaltung und zu § 331 = § 270 InsO); BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290, Rn. 19 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977; MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 184; BeckOKInsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270 Rn. 80; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270 Rn. 3, 38; Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, InsO § 270 Rn. 33; Bachmann, ZIP 2015, 101, 102 f.; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 33; Mitsching, Masseverbindlichkeiten, 2018, S. 59, 275. 39) Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 129; Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 43 f.; zum Begriff der Analogieverweisung vgl. Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Teil B, 4.1 Rn. 219, 4.3 Rn. 232: Verweisung, die den Bezugstext nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß übernimmt; Reimer, Methodenlehre, 2016, S. 249 Rn. 555.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
Anwendung hat. Fehlen solche Merkmale, so gelten angesichts der Einheitlichkeit des Insolvenzverfahrens die allgemeinen insolvenzrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze auch in der Eigenverwaltung ohne Einschränkung.
II. Verfahrenszweck der gemeinschaftlichen und bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger 25 Eine der grundlegenden und das gesamte Insolvenzverfahren prägenden allgemeinen Vorschriften i. S. d. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO ist § 1 Satz 1 InsO. Er legt den Verfahrenszweck fest: „Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird.“
26 Die Bestimmungen über den Insolvenzplan ihrerseits verfolgen ebenfalls das einheitliche Hauptziel: die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger.40) Ein Insolvenzplan, der einen Gläubiger gegen seinen Willen voraussichtlich schlechter stellt, als er ohne den Plan stünde, und keinen finanziellen Ausgleich hierfür sicherstellt, darf vom Gericht nicht bestätigt werden (§ 251 InsO).
27 Diese fundamentalen gesetzlichen Vorgaben über die gemeinschaftliche Verwirklichung der Vermögenshaftung als dem einheitlichen Hauptzweck des Insolvenzverfahrens41) sind für die rechtliche Handhabung und die wirtschaftliche Ausgestaltung jeder auf der Insolvenzordnung beruhenden Masseverwaltung maßgebend.42) Die Interessen der Gläubiger an der wirksamen Durchsetzung der Haftungsordnung haben stets Vorrang vor den persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen des Schuld-
___________ 40) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 108 zu § 1; RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17; vgl. Madaus, Insolvenzplan, 2011, S. 436 ff. 41) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 83; BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116, 1, 13 Rn. 34 = NZI 2006, 453, 454; BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 232/17, NZI 2018, 2494, 2496 f. Rn. 26, 29 = ZIP 2018, 1451 f.; ausf. Landfermann, in: FS Wimmer, 2017, S. 408 ff. 42) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 108 zu § 1; RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17 (re. Sp. unter II.); FK-InsO/Schmerbach, 9. Aufl. 2018, § 1 Rn. 12; Uhlenbruck/Pape, InsO, 15. Aufl. 2019, § 1 Rn. 1; MK-InsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl. 2019, § 1 Rn. 20; Jaeger/ Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270 Rn. 3.
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A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung
ners.43) Ob das Schuldnervermögen liquidiert wird oder ob es im Rahmen einer Fortführung oder Sanierung investiert bleiben soll, ist insoweit rechtlich unerheblich.44)
1.
Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger
Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung und Befriedigung aller Gläubiger 28 (par condicio creditorum45)) zählt zu den prägenden Prinzipien des Insolvenzrechts. Er verlangt innerhalb verschiedener, vom Gesetz abgegrenzter Gläubigergruppen die jeweils gleiche Behandlung der Gläubiger.46) Gegenstück ist das in der Einzelzwangsvollstreckung herrschende Prioritäts- oder Präventionsprinzip des § 804 Abs. 3 ZPO, das den Vorrang des zuerst vollstreckenden Gläubigers vor den später herandrängenden Gläubigern festlegt.47) Der insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz muss in jedem Insolvenzver- 29 fahren streng beachtet werden,48) die gewählte Organisationsform als Eigen- oder Fremdverwaltung ist dabei unerheblich. Die Einhaltung des Grundsatzes setzt auf Seiten des Masseverwalters, freilich auch beim Gläubigerausschuss als Kontrollorgan, besondere Kenntnisse des Insolvenzrechts und seines Systems der Gläubigerkategorien und Rangklassen voraus. ___________ 43) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222; BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, NZI 2007, 188 Rn. 8 = ZIP 2007, 249; BGH, Beschl. v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, NZI 2007, 240 f. Rn. 12 f.= ZIP 2007, 448; BGH, Beschl. v. 5.2.2009 – IX ZB 85/08, NZI 2009, 396 f. Rn. 4 f. = ZIP 2009, 976; BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 29/08, NZI 2010, 196 f. Rn. 15 = ZInsO 2010, 230; BGH, Beschl. v. 5.3.2015 – IX ZB 62/14, NZI 2015, 380 f. Rn. 13 = ZIP 2015, 791; BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 53, 62 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977; vgl. MK-InsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl. 2019, § 1 Rn. 3; Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier/Lind, InsO, 3. Aufl. 2017, § 1 Rn. 54 f.; HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 270 Rn. 36; einschränkend, aber ebenso wie der RegE (a. a. O. S. 108 zu § 1 InsO) wohl auf natürliche Personen beschränkt Uhlenbruck/Pape, InsO, 15. Aufl. 2019, § 1 Rn. 1; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 8.04, 8.13 f.; Flöther/Pleister, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, § 5 Rn. 5; Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 2; Gulde, Anordnung, 2005, S. 31 f., 34; Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 106; Bartels, KTS 2010, 259, 262; i. d. S. wohl auch Madaus, Insolvenzplan, 2011, S. 436 f.; a. A. wohl FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 7 („Abwägung der Beteiligteninteressen“). 44) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 83. Wellensiek/Flitsch, in: FS Fischer, 2008, S. 579, 581 f. 45) Zur richtigen Schreibweise (nicht: par conditio creditorum) siehe Ulpianus, Ad edictum 66, Digesten 42.8.6.7 (https://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost06/Iustinianus/ ius_di42.html#08) und Falk, ZRG GA 131 (2014), S. 266, 271. 46) Thole, Gläubigerschutz, 2010, S. 61, 63. 47) Thole, Gläubigerschutz, 2010, S. 61, 65. 48) Abzulehnen sind deshalb Bestrebungen von Beratern, diesen Grundsatz zu umgehen. Vgl. hierzu Buchalik, Newsletter 33, Januar 2015: „Es sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen die ungesicherte Bank gleichwohl vollständig befriedigt wird, obwohl die übrigen ungesicherten Gläubiger nur eine geringe Quote erhalten.“ Gegen eine „Gläubigerzentrierung“ anscheinend auch Paulus, NZI 2015, 1001, 1003.
13
Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
2.
Ziel der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger und kein Vorrang der Sanierungsinteressen des Schuldners
30 Das Ziel der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger als Teil des gesetzlichen Verfahrenszwecks nach § 1 Satz 1 InsO gilt in der Eigenverwaltung ebenso uneingeschränkt wie in der Fremdverwaltung.49) Auch der eigenverwaltende Schuldner hat die Führung seiner Geschäfte jederzeit vorrangig an den Interessen der Gläubiger auszurichten.50) Die §§ 270 – 285 InsO enthalten keine Ermächtigung, von dieser Vorgabe abzuweichen. Insbesondere ergibt sich aus den Vorschriften über die Vorwirkungen der angestrebten Eigenverwaltung auf das Eröffnungsverfahren (§ 270a InsO) und über das sog. Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) keine grundsätzliche Modifikation des Verfahrenszwecks. Beide Verfahrensvarianten sind Teil des insolvenzgerichtlichen Eröffnungsverfahrens (§§ 11 ff. InsO).51) Sie setzen einen zulässigen, zumindest auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Eröffnungsantrag des Schuldners voraus und zielen auf die Eröffnung eines einheitlichen Insolvenzverfahrens ab. Sie regeln in ihren möglichen Rechtsfolgen – der Einsetzung eines vorläufigen Sachwalters, dem einstweiligen Verbot der Einzelzwangsvollstreckung in bewegliches Vermögen, der Fristsetzung zur Vorlage des Insolvenzplans sowie der Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten – allein formelle Verfahrensfragen, die für den relativ kurzen Zeitraum von höchstens drei Monaten (§ 270b Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 InsO) die Vorbereitung einer nicht ___________ 49) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 18 für die Unternehmensinsolvenz; Prütting/ Huhn, ZIP 2002, 777, 781; Braun/Heinrich, NZI 2011, 505, 516; Frind, ZInsO 2012, 2028, 2029; ders., ZInsO 2015, 22, 23; Hess/Ruppe, NZI 2002, 577, 579; Körner, NZI 2007, 270, 273, 275; Smid, KTS 2008, 79, 83; Klöhn, NZG 2013, 81, 82; ders. DB 2013, 41; Jacoby, in: FS Vallender, 2015, 261, 268; Laroche/Schöttler/Siebert/Pruskowski, in: FS Vallender, 2015, 311, 326; Thole, in: FS Pannen, 2017, S. 731, 739; Landfermann, in: FS Wimmer, 2017, S. 408, 421; K. Schmidt, ZIP 2018, 853, 854; Schulte-Kaubrügger, ZIP 2019, 345, 347 f. 50) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 zu Nr. 47 (§ 276a InsO); BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, NZI 2007, 188 Rn. 8 = ZIP 2007, 249; BGH, Beschl. v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, NZI 2007, 240 f. Rn. 12, 13 = ZIP 2007, 448 f.; BGH, Urt. v. 3.12.2009 – IX ZR 29/08, NZI 2010, 196 f. Rn. 15; BGH, Beschl. v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, NZI 2011, 760 f. Rn. 10 = ZIP 2011, 1622 f.; BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 53, 62 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977 m. zust. Anm. Bitter, ZIP 2018, 986 ff.; HKInsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 29; 270a Rn. 24; Specovius, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 13 Rn. 2, 47 mit der Feststellung unter Rn. 66, „dass der Eigenverwalter immer eine möglichst geringe Quote für die Gläubiger anstreben wird, um die Chancen der Sanierung zu erhöhen […]“; kritisch Förster, in: FS Kirchhof, 2003, 85, 103; Thole, JZ 2011, 765, 771; Hirte/Knof/Mock, Insolvenzrecht, 2012, S. 64; Jaffé, in: FS Vallender, 2015, S. 281, 287; wohl auch Thiele, ZInsO 2015, 977, 992 f.; Haarmeyer, in: FS Pannen, 2017, S. 371, 372; Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2239; Waltenberger, NZI 2018, 505, 506. 51) Wimmer, Insolvenzrecht, 2012, S. 25; ebenso K. Schmidt/Uhlenbruck/Spliedt, GmbH, 5. Aufl. 2016, S. 959 Rn. 9.1.; a. A. Class, in: Silcher/Brandt, Handbuch Insolvenzplan in Eigenverwaltung, 2017, IV. Teil Exkurs, S. 767 Rn. 139 (versus Rn. 143): „Das Schutzschirmverfahren ist ein Sanierungsverfahren und kein Insolvenzeröffnungsverfahren. Dessen Ziel ist deswegen auch nicht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.“
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A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung
offensichtlich aussichtslosen Sanierung erleichtern sollen. Ihr Wortlaut rechtfertigt dagegen nicht ansatzweise den Schluss, dass in der vorläufigen oder endgültigen Eigenverwaltung die Interessen der Gläubiger zugunsten der Sanierung des Schuldners oder seines Unternehmens substantiell zurücktreten sollen.52) Auch die Entstehungsgeschichte der §§ 270 – 285 InsO53) einschließlich der §§ 270a, 31 270b InsO54) ergibt hierfür keinen Anhaltspunkt. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers kommt die Eigenverwaltung zwar vor allem in Fällen in Betracht, in denen der Schuldner ein Unternehmen fortführt und realistische Aussichten bestehen, dieses Unternehmen auf der Grundlage eines Insolvenzplans zu sanieren.55) Der in § 1 Satz 1 InsO angesprochene Erhalt des Unternehmens in der Insolvenz ist jedoch aus der Sicht des Gesetzes kein Selbstzweck,56) sondern stets den Interessen der Gläubiger und ihrer Entscheidung über einen Insolvenzplan untergeordnet. Die Sanierung dient diesen Interessen nur dann, wenn der voraussichtliche Fortführungswert den Liquidations- oder Zerschlagungswert übersteigt.57) „Die sanierungsfördernden Vorschriften des Insolvenzrechts“, so heißt es schon im Regierungsentwurf der Insolvenzordnung, „bezwecken nicht eine zwangsweise Subventionierung notleidender Unternehmen aus dem Vermögen der privaten Verfahrensbeteiligten.“58) ___________ 52) Vgl. MK-InsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl. 2019, § 1 Rn. 85 m. w. N.; siehe allg. auch Funke, BFuP 1995, 26, 27 f.: „Die Sanierung des schuldnerischen Unternehmen wird dem Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung untergeordnet. Saniert werden soll, wenn dies für die Gläubiger vorteilhaft ist.“ Klinck, ZIP 2013, 853; Möhlenkamp/Andres, Eigenverwaltung, 2013, S. 67; Brünkmans/Uebele, ZInsO 2014, 265, 272: „Die Sanierung ist auch nach Inkrafttreten des ESUG für den Schuldner lediglich ein Reflex der Gläubigerinteressen, d. h. eine Option auf dem Weg zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger.“ Brinkmann, ZIP 2014, 197, 199; Madaus, ZIP 2014, 500, 500 f.; so auch Landfermann, in: FS Wimmer, 2017, S. 408, 422: „Damit [§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO] hat der Gesetzgeber die Interessen der Gläubiger eindeutig über die des Schuldners gesetzt.“ Zipperer, INDat Report 2018 Nr. 8, 48, 49: „Hinzu kommt, dass die Eigenverwaltung auf einem Hype der Sanierung surft, auch wenn es längst keine Substanz zum Sanieren mehr gibt.“ 53) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 – 226 zu §§ 331 – 346 (= §§ 270 – 285 InsO). 54) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17 ff., 39 – 41. 55) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 (Vorbemerkung), S. 226 zu § 343 (= § 282 InsO); RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 2, 17. 56) Balz, ZIP 1988, 1438, 1440; Bitter, ZInsO 2010, 1959, 1960; Thole, JZ 2011, 765, 771, 774 a. E.: „Umso wichtiger erscheint es, sich aller Sanierungseuphorie zum Trotz der Funktion und Ziele des Insolvenzrechts zu vergewissern.“ 57) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 74, 76; RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17. Siehe hierzu auch MK-InsO/Eidenmüller, 3. Aufl. 2014, Vor. § 217 – 269 Rn. 7; Engelhardt, ZIP 1986, 1287, 1290; Balz, ZIP 1988, 273, 275; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 31; Jaffé, ZGR 2010, 248, 251; Marotzke, DB 2012, 560, 562. Zum Einfluss irrationaler Faktoren und zur psychologischen Manipulierbarkeit der Entscheidung zwischen zerschlagender Liquidation und Sanierung vgl. Falk/Alles, ZIP 2014, 1209, 1215 f. 58) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 75 f.; ähnlich Bericht RA zur InsO, 1994, BTDrucks. 12/7302, S. 185 Nr. 169 zu § 331 (= § 270 InsO) sowie v. Lambsdorff, ZIP 1987, 809, 811.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
Ebenso wenig gibt es ein öffentliches Interesse an der Perpetuierung von Unternehmensträgern oder an einer „Unsterblichkeit“ insolventer Gesellschaften.59) Deshalb darf auch aus wirtschaftspolitischen Gründen nicht generell die Erhaltung eines Unternehmens seiner Liquidation vorgezogen werden.60)
32 Diese gesetzgeberischen Überlegungen gelten über alle Novellierungen der Insolvenzordnung hinweg bis heute.61) Der vielbeschworene Paradigmenwechsel62) des ESUG besteht in diesem Zusammenhang lediglich darin, dass der Eigenverwaltung sowie der Fortführung und Sanierung des schuldnerischen Unternehmens als Instrument zur besseren und effizienteren Durchsetzung der unverändert vorrangigen Gläubigerinteressen größere Bedeutung beigemessen wird.
___________ 59) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 76. 60) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 76; zum Gleichrang von Liquidation, übertragender Sanierung und Sanierung des Schuldners vgl. ebd. S. 77 f.; Balz, ZIP 1988, 273, 276; Braun, NZI 2003, 588; Madaus, Insolvenzplan, 2011, S. 436 ff. 61) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17, 40 f.; Stellungnahme des Bundesrats zum ESUG, ebd., S. 65 zu Nr. 43: „Der Bundesrat begrüßt den Ansatz des Gesetzentwurfs, innerhalb eines gläubigerorientierten Verfahrens Erleichterungen für die Sanierung von Unternehmen zu schaffen.“ – BMJ Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), BT-Plenarprotokoll 17/117 v. 30.6.2011 (1. Lesung ESUG), S. 13455 (A): „Ziel eines jeden Insolvenzverfahrens ist die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Die strikte Orientierung am Gläubigerinteresse kann aber dazu führen, dass das für den Einzelfall angemessene und zugleich im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegende Ergebnis nicht in der Zerschlagung des Unternehmens, sondern darin liegt, das Unternehmen fortzuführen und zu sanieren.“ – Abg. Winkelmeier-Becker (CDU/CSU), ebd., S. 13458 (A): „Im Mittelpunkt stehen die Gläubiger. Es geht im Insolvenzverfahren darum, dass ihre Forderungen durchgesetzt werden.“ – Dies., BT-Plenarprotokoll 17/136 v. 27.10.2011 (2. Lesung ESUG), S. 16165 (D): „Neben dem primären Ziel, der Gläubigerbefriedigung, senden wir damit ein deutliches Signal für den Erhalt von Arbeitsplätzen, für den wirtschaftlichen Wert und aus meiner Sicht auch für die Qualifikation des Unternehmers, der in die Insolvenz geraten ist.“ Vgl. auch Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1199, der die Steigerung der Haftungsmasse durch frühzeitige Insolvenzantragstellung als wesentliches ESUG-Reformziel bezeichnet. Zur Reformdiskussion vgl. bereits Balz, ZIP 1988, 1438 (zum DiskE InsO, 1988): „Den […] Entwurf einer Insolvenzordnung kennzeichnet dagegen eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche, ökonomisch bewährte Funktion des Konkurses: die optimal gemeinschaftliche Haftungsverwirklichung.“ 62) Vgl. Abg. Ahrendt (FDP), BT-Plenarprotokoll 17/136 vom 27.10.2011 (2. Lesung ESUG), S. 16163; Abg. Heider (CDU/CSU), ebd., S. 16169 (D); MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 44; Loszynski, ZIP 2014, 1614, 1619; kritisch mit Recht Häsemeyer, in: FS Schilken, 2015, S. 693.
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A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung
Dies alles wird in der Rechtsprechung63) und ganz überwiegend auch in der Litera- 33 tur nicht in Zweifel gezogen. Das Insolvenzverfahren ist eine besonders umfassende Form der Vollstreckung;64) es ist eilbedürftig und auf eine rasche Befriedigung der Gläubiger angelegt.65) Schon deshalb kann die Eigenverwaltung kein Rechtsinstitut im Interesse des Schuldners66) oder ein Instrument zu seiner schlichten Eigensanierung sein.67) Unabhängig von einem rechtlich relevanten Verschulden muss der Schuldner als Rechtsträger die Verantwortung für die unternehmerischen Misserfolge übernehmen, die zur Verwirklichung des Insolvenztatbestands geführt haben.68) Dies gilt bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (vgl. § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO) nicht anders als bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit. Spätestens mit Einleitung des insolvenzgerichtlichen Verfahrens, im Zusammen- 34 hang der Eigenverwaltung also mit Einreichung des (möglicherweise noch unvollständigen) Eröffnungsantrags des Schuldners, dient sein Vermögen stets ausschließlich dem Zweck der Haftungsverwirklichung zur rangentsprechend gleichmäßigen und zugleich bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger,69) nicht aber der ___________ 63) BGH, Beschl. v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, NZI 2007, 240 f. Rn. 12 f. = ZIP 2007, 449 f.: „Gleichwohl dient das Insolvenzverfahren – abgesehen von der Frage der Restschuldbefreiung – nicht den Interessen des Schuldners, sondern der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger durch Verwertung des Vermögens des Schuldners (§ 1 Satz 1 InsO). Folgerichtig enthalten die Vorschriften über die Eigenverwaltung einen deutlichen Vorrang der Gläubigerautonomie vor den Einflussmöglichkeiten des Schuldners oder des Insolvenzgerichts (BTDrucks. 12/2443, S. 100). […] Die Eigenverwaltung ist deshalb auch keine eigene Form des Insolvenzverfahrens […].“ – BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 53, 62 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977: „Bei der Ausübung ihrer Kompetenzen haben die Geschäftsleiter vorrangig auf die Belange der Gläubiger Bedacht zu nehmen. […] Die Gleichstellung des Eigenverwaltungsverfahrens mit dem Regelverfahren erfordert daher als Äquivalent der Haftung des Insolvenzverwalters eine Haftung der Geschäftsleiter.“ 64) Vgl. Prütting, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 1, 21 Rn. 65. 65) BGH, Beschl. v. 27.7.2006 – IX ZB 15/06, NZI 2006, 642 Rn. 5. 66) So wohl auch HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 270 Rn. 23 f., 36; eindeutig Henkel, ZIP 2015, 562. 67) Auf diese Gefahr hat bereits Grub, WM 1994, 880, 881 hingewiesen: „Der Schuldner, der sich auch im Insolvenzverfahren selbst verwalten kann, wird ein Insolvenzverfahren ungehemmt als Sanierungsmittel einsetzen.“ 68) Vgl. HambK-InsR/Weitzmann, 7. Aufl. 2019, § 61 Rn. 7. 69) Pape/Uhländer/Berner, InsO, 2013, § 270 Rn. 3; wohl auch K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 270 Rn. 2; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 6; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270 Rn. 3; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270a Rn. 12; MK-InsO/ Ganter/Bruns, 3. Aufl. 2019, § 1 Rn. 20; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2007, Rn. 1.11; Herbst, in: Buth/Hermanns, RSI, 4. Aufl. 2014, § 28 Rn. 4; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 86 Rn. 2; Bork, Insolvenzrecht, 2017, Rn. 470; Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 172; Noack, ZIP 2002, 1873, 1875; Schilken, KTS 2007, 1, 5; Forster, Konkurs als Verfahren, 2009, S. 323 gebraucht in historischem Zusammenhang den Begriff der „ranggestuften Befriedigung“; Uhlenbruck, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 1603, 1608; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337, 1338; Buchta/Ott, ZInsO 2015, 288, 292 u. a.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
freien wirtschaftlichen Entwicklung des eigenverwaltenden Schuldners.70) Er hat deshalb die Insolvenzmasse nach den gleichen strengen Maßstäben zu verwalten wie ein vorläufiger oder endgültiger Insolvenzverwalter.71) Unabhängig vom jeweiligen Verfahrensstadium beginnt für den Schuldner bzw. dessen vertretungsberechtigte Organe zumindest im Fall der Überschuldung ein „Pflichtenumschwung“: sein Vermögen ist wirtschaftlich den Gläubigern zugeordnet.72) Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind selbst die Anteilsinhaber als Treuhänder der Gläubigerinteressen zu qualifizieren.73)
35 Betriebswirtschaftlich gesehen ist die isolierte Eigenverwaltung ohnehin kein Sanierungsinstrument. Diese Funktion kann allenfalls dem Insolvenzplan zukommen. Er kann kraft autonomer Entscheidung der Gläubiger mit Zustimmung des Schuldners Regelungen enthalten, die dazu dienen sollen, die wirtschaftliche Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens dauerhaft wiederherzustellen und damit dessen weitere Existenz zu sichern.74) Ist der Schuldner keine natürliche Person, so kann der Plan auch die Fortsetzung des durch die Verfahrenseröffnung aufgelösten schuldnerischen Rechtsträgers vorsehen (§ 225a Abs. 3 InsO).75) Sofern der Plan nichts anderes festlegt, hat sich die Verwirklichung der Schuldnerhaftung durch Verwertung seines gesamten der Vollstreckung unterlie___________ 70) Zutr. Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 31; Bartels, KTS 2010, 259, 275, spricht mit Recht von „der strengen Fremdnützigkeit des Eigenverwalters“ Ähnlich Siemon, ZInsO 2012, 1045, 1047: „[…] dass die Sanierung nicht um der Sanierung willen geschieht, sondern der gleichmäßigen, gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung zu dienen hat.“ – Ebenso BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 – 2 BvR 1978/13 (Suhrkamp), NJW 2015, 465, 467 Rn. 24 = ZIP 2015, 80: „Gleichwohl sind die aufgeführten negativen Auswirkungen des Insolvenzverfahrens für die Schuldnerin plausibel, weil der Erfolg ihres operativen Geschäfts in erheblichem Umfang von ihrem guten Namen und dem Vertrauen von Autoren und Buchhandel in die dauerhafte Sicherung ihres Bestandes abhängig ist und weil für den Gläubigerausschuss und den Sachwalter im Hinblick auf § 1 InsO im Zweifel der Erhalt der Masse Priorität gegenüber einer strategischen Neuausrichtung der Schuldnerin haben muss.“ 71) Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270 Rn. 3; Herbst, in: Buth/Hermanns, RSI, 4. Aufl. 2014, § 28 Rn. 7; Schlegel, ZIP 1999, 954; Gulde, Anordnung, 2005, S. 31 f., 34; Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 30 f. und m. w. N. in Fn. 119; wohl auch Jaffé, in: FS Vallender, 2015, S. 281, 287 und Gehrlein, ZInsO 2017, 849, 853. Zum Massebegriff ausf. K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990, S. 76 ff. 72) Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557, 566 f. m. w. N. zum Streitstand; zur Vorwirkung insolvenzrechtlicher Pflichten vgl. auch Skauradszun/Spahlinger, DB 2015, 2559, 2562 f.; Schaal, Haftung, 2017, S. 91. 73) Bitter, ZGR 2010, 147, 189 (str.). 74) Zum Begriff der Sanierung vgl. Bitter, ZGR 2010, 147, 151 f. m. w. N.; vgl. auch IDW, Standard S 6 – Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (Stand: 16.5.2018); allg. Prütting, ZIP 2013, 203 ff. 75) Zur gesellschafts- und vereinsrechtlichen Auflösung durch die Verfahrenseröffnung und zur Fortsetzung vgl. § 262 Abs. 1 Nr. 3, § 274 Abs. 2 Nr. 1, § 289 Abs. 1 AktG; § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG; §§ 101, 117 GenG; § 131 Abs. 1 Nr. 3, § 144 HGB, §§ 42, 728 Abs. 1 BGB; § 9 Abs. 1 PartGG.
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A. Gesetzlicher Zweck des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung
genden Vermögens einschließlich des Neuerwerbs (§ 35 Abs. 1 InsO) zu vollziehen. Hierzu gehört auch der gesamte Fortführungswert des Unternehmens. Die Anteilsinhaber sind nicht berechtigt, während der Laufzeit des Insolvenzplans ohne eine entsprechende Regelung einen Teil des Fortführungswerts für sich zu vereinnahmen.76) Abgesehen von der Restschuldbefreiung natürlicher Personen (§ 1 Satz 2, §§ 286 ff. 36 InsO) ist die schlichte vermögensrechtliche Entschuldung des schuldnerischen Rechtsträgers ohne ernsthafte und realistische Bemühungen um die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger kein eigenständiges Ziel des Insolvenzverfahrens.77) Genau hierauf zielen jedoch Beraterkonzepte ab, die dem Schuldner und seinen Anteilsinhabern in Aussicht stellen, mit Hilfe der Eigenverwaltung die Kontrolle über ihr Unternehmen zu behalten und durch einen vorwiegend auf die Interessen der Anteilseigner ausgerichteten Insolvenzplan die Eigenkapitalquote auf Kosten der Gläubiger zu erhöhen.78) Letztlich handelt es sich bei Liquidation und Sanierung um zwei unterschiedliche, 37 aber untereinander gleichrangige Verwertungsarten zur Erreichung des gesetzlichen Verfahrensziels.79) Sie sind bis zu einer definitiven Entscheidung der Gläubigerversammlung auch in der Eigenverwaltung vom Schuldner und Sachwalter gleichwertig zu verfolgen und zu fördern. Auch hier kann und muss deshalb eine Liquidation des Unternehmens stattfinden, wenn die Gläubiger sich dafür entscheiden.80) ___________ 76) So aber C. Becker, Eigensanierungsrahmen, 2015, S. 209; vgl. die zutreffende Differenzierung von Schäfer/Wüstemann, ZIP 2014, 1757, 1762, 1768 (keine Vorenthaltung eines Teils des Unternehmenswerts für den Fall, dass dieser über dem Nominalwert der Verbindlichkeiten liegt). 77) MK-InsO/Stürner, 4. Aufl. 2019, Einleitung, Rn. 2; MK-InsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl. 2019, § 1 Rn. 85; Klinck, ZIP 2013, 853 m. w. N. in Fn. 1 f. 78) Vgl. hierzu Buchalik/Brömmekamp, Newsletter Bau, 2015, S. 5 f.: „Die weitverbreitete Auffassung von Insolvenzverwaltern, möglichst hohe Quoten erzielen zu müssen, um damit eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu erreichen, entspricht nicht der wirklichen Intention des Gesetzgebers und schon gar nicht dem Willen der meisten Gläubiger. Entscheidend ist das, was die Gläubiger wollen. Deswegen werden die Gläubiger dazu im Rahmen der Abstimmung über den Insolvenzplan befragt. Geringe Befriedigungsquoten für die Gläubiger sichern die künftige Liquidität des Unternehmens. Denn je mehr an die Gläubiger abfließt, umso weniger steht dem Unternehmen in Zukunft zur Liquiditätssicherung zur Verfügung.“ Vgl. ebd. S. 11 auch das Berechnungsbeispiel einer bilanziellen Sanierung, bei der eine Eigenkapitalquote von 70,4 % erreicht wird. Auch Gillmann/Silcher, DeutscherAnwaltSpiegel 08/2018, S. 12 f. („Steigerung der Eigenkapitalquote von bis zu 80 %“). 79) Kommission für InsR, Erster Bericht, 1985, S. 88; RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 77 f.; RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17, 20: „So ist das Insolvenzplanverfahren nicht nur auf eine Sanierung des Unternehmensträgers ausgerichtet, vielmehr kann der Plan auch die Liquidation des Schuldners, also eine geordnete Abwicklung, vorsehen.“ Ebenso Jaeger/ Eckardt, InsO, 2018, § 157 Rn. 7. 80) BT-Drucks. 12/2443, S. 226 li. Sp. a. E. zu § 343 (= § 282 InsO); MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 101; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 4; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270 Rn. 6; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2007, Rn. 8.03; Haas, in: Gottwald, InsRHdb., 5. Aufl. 2015, § 87 Rn. 2; Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 95 f.; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 166 – 194; Gulde, Anordnung, 2005, S. 5.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
B. Gesetzgeberisches Leitbild der Eigenverwaltung 38 „Es erscheint zweckmäßig, für den Regelfall des Insolvenzverfahrens anzuordnen, dass nicht der Schuldner die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Insolvenzmasse ausübt, sondern ein unabhängiger Insolvenzverwalter. Eine Person, die den Eintritt der Insolvenz nicht hat vermeiden können, wird meist nicht dazu geeignet sein, die Insolvenzmasse optimal zu verwerten und bei der Durchführung des Insolvenzverfahrens die Interessen der Gläubiger über die eigenen Interessen zu stellen. Auf der anderen Seite zeigt das bisherige Vergleichsverfahren, daß es Vorteile haben kann, den Schuldner im Grundsatz verfügungs- und verwaltungsbefugt zu lassen und ihn lediglich unter die Aufsicht eines Verwalters zu stellen.“
39 Mit diesen oft zitierten Worten beginnt der Regierungsentwurf der Insolvenzordnung seine Vorbemerkungen über die Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Sachwalters.81) In der Insolvenz eines Unternehmensträgers, so heißt es weiter, könnten auf diese Weise die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung am besten genutzt werden. Die Einarbeitungszeit, die jeder Fremdverwalter zur Einarbeitung in die Probleme des Unternehmens und der Branche82) benötige, werde vermieden, und das Verfahren verursache insgesamt weniger Aufwand und Kosten.83)
40 Die Ausführungen zeigen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Eigenverwaltung in der Insolvenz die Ausnahme, nicht die Regel sein soll. Dies war während des Gesetzgebungsverfahrens den Beteiligten stets bewusst.84) Bereits im Diskussionsentwurf der Insolvenzordnung von 1988 ist ausgeführt, dass es für den Regelfall des Insolvenzverfahrens zweckmäßig erscheine, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse nicht durch den Schuldner ausüben zu lassen, sondern durch einen unabhängigen Insolvenzverwalter.85) Der gleiche Gedanke kommt auch im Regierungsentwurf von 1992 zum Ausdruck: „Insolvenz ist diejenige schwere Gefährdung des Gläubigerinteresses, die es rechtfertigt, die Verfügungsrechte über das Schuldnervermögen grundsätzlich den Gläubigern zuzuweisen.“86) An dieser Bewertung hat sich auch in der Gesetzgebung der Folgezeit nichts geändert.87) ___________ 81) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f. 82) Zur Einarbeitungszeit vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223, 129 zu § 71 (= § 60 InsO). 83) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223, vgl. auch ebd., S. 85, 100, 223 zu § 331 (= § 270 InsO); ebenso Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 118, 185 zu § 331(= § 270 InsO); RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17. 84) Vgl. Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 185 Nr. 169 zu § 331 (= § 270 InsO). 85) DiskE InsO, 1988, 3. Teil, S. B 289; ebenso RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f. (Vorbemerkungen zur Eigenverwaltung). 86) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 73; so auch Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 185 zu § 331 (= § 270 InsO). 87) Vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 38 zu Nr. 42 (Änderung des § 270 InsO).
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B. Gesetzgeberisches Leitbild der Eigenverwaltung
Über den quantitativen Aspekt der bestmöglichen Befriedigung hinaus gehört zum 41 gesetzgeberischen Leitbild der Eigenverwaltung, dass sie im Vergleich zur Fremdverwaltung in keinem Fall zu Nachteilen für die Gläubiger führen darf und deshalb weder angeordnet noch fortgesetzt werden soll, wenn nach den Umständen solche Nachteile zu erwarten sind (in dieser Untersuchung „nachteilsindizierende Umstände“ genannt).88) Als Standardbeispiel eines Nachteils gilt die Verzögerung der ordnungsgemäßen Verfahrensabwicklung.89) Die Erkenntnis, dass die Eigenverwaltung trotz der Aufsicht des Sachwalters ein erhebliches Risiko für die Gläubiger bedeutet,90) mag im Laufe der Zeit gelegentlich in den Hintergrund des gesetzgeberischen Bewusstseins gerückt sein.91) Sie ist aber, wie der Blick auf § 270 Abs. 2, § 270b Abs. 4, §§ 272, 274 Abs. 3, § 276a Satz 3, § 277 InsO zeigt, keineswegs verlorengegangen. Der eigenverwaltende Schuldner hat deshalb aus der Sicht des Gesetzgebers bei der Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben den gleichen qualitativen Anforderungen zu genügen, die in der Fremdverwaltung für den Insolvenzverwalter gelten. Er hat sein Amt jederzeit zuverlässig und mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Masseverwalters wahrzunehmen (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO). Insbesondere darf der eigenverwaltende Schuldner keine dem Verfahrenszweck fremden Vermögensverschiebungen oder sonstige rechtswidrige oder unredliche Manipulationen vornehmen. Diese Gefahr ist in der Eigenverwaltung noch größer als im Fall der professionellen Fremdverwaltung.92) Der eigenverwaltende Schuldner steht stets unter der Aufsicht eines unabhängigen 42 Sachwalters (§ 270 Abs. 1 Satz 1, § 274 InsO). Diese Aufsicht hat sich am gesetzlichen Verfahrenszweck zu orientieren und erstreckt sich auf das gesamte Verhalten des Schuldners im Zusammenhang mit der Masseverwaltung im weitesten Sinne (§ 274 Abs. 2, 3, § 275 InsO). Zusätzlich weist das Gesetz dem Sachwalter besondere eigene Aufgaben zu (vgl. §§ 276a – 285 InsO). Maßgebend für die Abgrenzung der beiderseitigen Aufgabenbereiche ist die gesetzgeberische Überlegung, dass die laufenden Geschäfte der Masseverwaltung vom Schuldner geführt werden und der Sachwalter einerseits diese Geschäftsführung kontrolliert und unterstützt, ___________ 88) Der Begriff „nachteilsindizierende Umstände“ bezeichnet hier und im Folgenden die in § 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1, § 277 Abs. 2 InsO angesprochenen Umstände, die erwarten lassen, dass die Anordnung oder Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (vgl. zur Begriffsbildung bereits Hammes, NZI 2017, 233, 235 f.). 89) § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO i. d. F. bis zum 29.2.2012 („Die Anordnung setzt voraus, dass […] nach den Umständen zu erwarten ist, dass die Anordnung nicht zu einer Verzögerung des Verfahrens oder zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führen wird.“). Die Bestimmung wurde durch Art. 1 Nr. 45 ESUG in einer neuen Nr. 2 des § 270 Abs. 2 InsO zusammengefasst und gestrafft. – Allgemein bereits Berges, KTS 1955, 49, 53: „Überhaupt muß jedes moderne, den Bedürfnissen der Wirtschaft entsprechende Insolvenzverfahren vorab auf den Gesichtspunkt der Beschleunigung ausgerichtet sein.“ 90) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 333 (= § 272 InsO). 91) Vgl. insbesondere RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 19, 38. 92) Siehe ausführlich unten Kapitel 2 J., Rn. 155 ff.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
andererseits die besonderen Aufgaben wahrnimmt, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind. Nach diesen Grundsätzen soll die Aufteilung der Befugnisse zwischen Schuldner und Sachwalter auch in den Fällen vorzunehmen sein, die im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt sind.93)
43 Neben den Beschränkungen durch die Aufsicht des Sachwalters hat der eigenverwaltende Schuldner die verfahrensrechtlichen Aufgaben und Befugnisse der Gläubigerversammlung und des Gläubigerausschusses zu beachten (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Gesetzmäßige Vorgaben dieser Gremien (vgl. etwa §§ 276, 157, 159 ff., 217 ff. InsO) sind für ihn ebenso bindend wie für den Insolvenzverwalter in der Fremdverwaltung. Ist er mit diesen Einschränkungen nicht einverstanden, so steht es ihm frei, die Aufhebung der Eigenverwaltung zu beantragen (§ 272 Abs. 1 Nr. 3).94)
C. Gang des Verfahrens in der Eigenverwaltung 44 Die Einleitung der vorläufigen und die Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung haben auf den prozeduralen Ablauf des Insolvenzverfahrens unmittelbar keinen wesentlichen Einfluss. Bestellt das Gericht im Eröffnungsverfahren anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters einen vorläufigen Sachwalter (§ 270a Abs. 1 InsO),95) so hat dieser gemeinsam mit dem Schuldner die gleichen Aufgaben, die ansonsten dem vorläufigen Insolvenzverwalter obliegen. Beide haben dafür zu sorgen, dass bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag jede den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners verhütet wird (§ 21 Abs. 1 InsO).96)
45 Die einzige gesetzmäßige Möglichkeit des Schuldners, in diesem Zusammenhang auf den Verfahrensgang einzuwirken, besteht im sog. Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO). Hat das Insolvenzgericht nach § 270b Abs. 1 InsO eine Frist von höchstens drei Monaten zur Vorlage eines Insolvenzplans bestimmt, so kann über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht vor Ablauf dieser Frist entschieden werden (§ 270b Abs. 4 Satz 3 InsO), falls diese Anordnung nicht vorzeitig aufgehoben wird.97) Das Eröffnungsverfahren ruht jedoch innerhalb der Frist nicht. Das Gericht bleibt verpflichtet, die laufende Frist für die erforderlichen Ermittlungen zur Vorbereitung der Eröffnungsentscheidung (§ 5 Abs. 1, §§ 16, 26 InsO) zu nutzen. ___________ 93) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 zu § 331 (= § 270 InsO). 94) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 333 (= § 272 InsO). 95) Dieser Vorgang wird hier als Einleitung der vorläufigen Eigenverwaltung bezeichnet, weil die §§ 270a, 270b InsO anders als § 270 InsO keine ausdrückliche richterliche Anordnung der vorläufige Eigenverwaltung vorsehen. Siehe unten Kapitel 2 D. I. 2. b), Rn. 66; Kapitel 5 D. I., Rn. 641 ff. 96) Vgl. AG Hamburg, Beschl. v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, NZI 2015, 177 = ZIP 2014, 2101 f.; ebenso wohl Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270a Rn. 13; HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 270a Rn. 15; vgl. auch Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557, 567. 97) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 zu Nr. 43 (§ 270b InsO).
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C. Gang des Verfahrens in der Eigenverwaltung
Für das eröffnete Insolvenzverfahren sieht das Gesetz keine besonderen Befugnis- 46 se des Schuldners oder des Sachwalters vor, mit denen in der Eigenverwaltung die Abläufe rechtlich stärker beeinflusst werden können als in der Fremdverwaltung. Erfolgt die Anordnung schon im Eröffnungsbeschluss, so finden auch hier, durch die Bedingungen der Eigenverwaltung nur leicht modifiziert, die bei Verfahrenseröffnung üblichen Einleitungsprozeduren statt (§§ 27 – 29, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO).98) Die Gläubiger werden zur Anmeldung ihrer Forderungen beim Sachwalter aufge- 47 fordert (§ 270c InsO) und die Gläubigerversammlungen mit den vorgeschriebenen Tagesordnungspunkten anberaumt (§ 29 InsO); zu diesen gehören analog § 57 Satz 1 InsO auch die Abstimmung über die Stellung eines Antrags auf Aufhebung der Eigenverwaltung sowie die Wahl eines anderen Sachwalters oder Insolvenzverwalters (§ 272 Abs. 1 Nr. 1, § 274 Abs. 1, § 57 InsO). Der Schuldner hat sein Unternehmen unterdessen einstweilen fortzuführen, sofern nicht der Gläubigerausschuss der Stilllegung oder Veräußerung zustimmt (§ 158 Abs. 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Rechtzeitig vor dem Berichtstermin hat der Schuldner die vorgeschriebenen, vom 48 Sachwalter geprüften Verzeichnisse und Übersichten einzureichen (§§ 151 – 154, 281 Abs. 1 InsO). Im Berichtstermin hat der eigenverwaltende Schuldner den Gläubigern über seine wirtschaftliche Lage und ihre Ursachen zu berichten und darzulegen, welche Möglichkeiten zum Erhalt seines Unternehmens sowie für einen Insolvenzplan bestehen (§§ 156, § 281 Abs. 2 InsO). Die Gläubigerversammlung hat sodann zu entscheiden, ob das Unternehmen des 49 Schuldners stillgelegt oder vorläufig fortgeführt werden soll. Sie kann den Sachwalter oder Schuldner beauftragen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten, und ihm das Ziel des Plans vorgeben; sie kann ihre Entscheidungen in späteren Terminen ändern (§§ 157, 284 Abs. 1 InsO). Auch die Prozeduren zur Anmeldung und Prüfung der Insolvenzforderungen nehmen, 50 so wie in jedem Insolvenzverfahren, ihren gesetzlichen Lauf (§§ 174 ff., § 283 Abs. 1 InsO). Nach dem Berichtstermin hat der eigenverwaltende Schuldner unverzüglich die Insolvenzmasse einschließlich des Sicherungsguts zu verwerten, soweit nicht die Beschlüsse der Gläubigerversammlung entgegenstehen (§§ 159, 165 ff., 270 Abs. 1 Satz 2, § 282 InsO) oder bereits ein zulässiger Insolvenzplan vorliegt und das Gericht die Verwertung und Verteilung ausgesetzt hat (§ 233 InsO). Dem Sachwalter obliegt es, unverzüglich Anfechtungsansprüche nach den §§ 129 ff. InsO sowie Haftungsansprüche nach den §§ 92, 93 InsO geltend zu machen (§ 280 InsO). Abschlags- und Schlussverteilung hat der Schuldner nach Prüfung durch den Sachwalter vorzunehmen (§ 283 Abs. 2, §§ 187 ff. InsO). Die Pflicht zur Zwischen- und Schlussrechnungslegung gegenüber der Gläubigerversammlung trifft ___________ 98) Vgl. MK-InsO/Busch, 4. Aufl. 2019, §§ 27 – 29 Rn. 2 f., 33.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
den Schuldner (§ 281 Abs. 3, § 66 InsO). Legt der Schuldner oder der Sachwalter dem Gericht einen Insolvenzplan vor, so bestimmen auch in der Eigenverwaltung die §§ 231 – 269 InsO den weiteren Gang der Dinge (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 284 InsO).
51 Die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung (§ 271 InsO) ändert an dem grundsätzlichen Gang des Insolvenzverfahrens ebenfalls nichts. Sie hat keine Folgen für die Wirksamkeit schwebender bzw. nicht oder nicht vollständig erfüllter Rechtsgeschäfte des bisherigen Insolvenzverwalters. Der eigenverwaltende Schuldner und der Sachwalter müssen das Verfahren in dem Zustand übernehmen, in dem sie es vorfinden.99) Es wird nicht in den Stand der Verfahrenseröffnung zurückversetzt.100) Vom Insolvenzverwalter begründete Verbindlichkeiten und sonstige Verpflichtungen sind vom Schuldner zu erfüllen.
D. Allgemeine Kompetenzen, Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners 52 Aus eigener Sicht ist zweifellos der Schuldner Hauptakteur der Eigenverwaltung. Er hat in dieser Verfahrensgestaltung nicht nur die der Öffentlichkeit vertraute verfahrensrechtliche Position des wirtschaftlich zumeist gescheiterten Pleitiers, sondern erhält, sarkastisch ausgedrückt, auf gesetzlicher Grundlage durch gerichtliche Anordnung die Gelegenheit, sich am eigenen Zopf aus dem Morast zu ziehen,101) indem er zum Nutzen der Gläubiger seine Insolvenz besser bewältigt, als dies ein professioneller Insolvenzverwalter zustande bringen könnte. Dabei ist vom Gläubigerausschuss „ein alter Erfahrungssatz“102) in Rechnung zu stellen, demzufolge der Schuldner unter der emotionalen Anspannung einer Insolvenz nicht selten an Selbstüberschätzung leiden kann, zu erhöhter Risikobereitschaft neigt,103) selbst marginale Chancen überbewertet und die mit dem wirtschaftlichen Scheitern verbundene Offenbarung eigener fachlicher Inkompetenz scheut.104)
___________ 99) MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 271 Rn. 45. 100) Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 140. 101) Dieser Vergleich wurde bereits in einem Anflug unfreiwilliger Ironie in den parlamentarischen Beratungen gezogen; vgl. Abg. Ahrendt (FDP), BT-Plenarprotokoll 17/136 vom 27.10.2011 (2. Lesung ESUG), S. 16163 (D): „Das ist das Schutzschirmverfahren. Es macht planbar, was man in der Krise tun kann, um sich sozusagen wie Münchhausen selbst an den Haaren herauszuziehen.“ 102) Falk, ZRG GA 131 (2014), S. 266, 282 mit ausführlichem historischen Bezug und Nachweis. 103) Instruktiv Falk, ZRG GA 131 (2014), S. 266, 282 f. m. w. N. in Fn. 65 zu den kognitionspsychologischen Befunden sowie Korch, Haftung und Verhalten, 2015, S. 37 ff., 69 ff., 258. Siehe auch die Nachweis oben Kapitel 1, Rn. 10 Fn. 11 und Rn. 11 Fn. 13. 104) Uhlenbruck, in: FS Gerhardt, 2004, S. 979, 993 ff.
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D. Allgemeine Kompetenzen, Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners
I.
Rechtsgrund der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners
Für die Einordnung des eigenverwaltenden Schuldners in das System der Insolvenz- 53 ordnung, insbesondere auch für sein Verhältnis zum Gläubigerausschuss, ist von erheblicher Bedeutung, auf welcher prinzipiellen rechtlichen Grundlage er seine Tätigkeit entfaltet. Nur wenn hierüber Klarheit besteht, lässt sich nachvollziehen, warum der eigenverwaltende Schuldner – nicht anders als der Insolvenzverwalter in der Fremdverwaltung – als masseverwaltender Treuhänder der Gläubiger zu behandeln ist, nicht aber als Verwalter eigenen Vermögens. Es ist deshalb zunächst der Ursprung der Rechtsmacht darzustellen, die dem Schuldner in der vorläufigen und endgültigen Eigenverwaltung zukommt. Hierdurch wird seine Stellung im Verfahren definiert. Zu klären ist insbesondere, ob der Schuldner in der Eigenverwaltung weiterhin auf der Grundlage seiner privatautonomen Rechtsmacht handelt oder ob ihm die Befugnisse (vgl. § 270 Abs. 1 Satz 1, §§ 278, 279 Satz 1, § 282 Abs. 1 Satz 1, § 283 Abs. 1 Satz 1 InsO) erst durch den gerichtlichen Anordnungsbeschluss (§ 270 Abs. 1 Satz 1, § 271 bzw. § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO) eingeräumt werden. Erst danach ist rechtlich nachzuvollziehen, dass die Eigenverwaltung weder experimentelles Verfahren noch Selbstzweck ist,105) erst recht aber kein Instrument, um sich den materiellen Folgen der Insolvenz zu Lasten der Gläubiger zu entziehen. Das alles ist grundlegend für die Reichweite der Überwachung durch den Gläubigerausschuss.
1.
Meinungsstand
Nach herrschender Auffassung106) wird der Schuldner erst durch den gerichtlichen 54 Anordnungsbeschluss zur Eigenverwaltung konstitutiv ermächtigt (§ 270 Abs. 1 Satz 1, § 271 InsO). Seine bisherige privatautonome Rechtsmacht über das insolvenzbefangene Vermögen erlischt nach diesem Verständnis mit dem Erlass des ___________ 105) Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 767, 771 Rn. 4. 106) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 21, 25, 27 f., 52, 57, 59, 60, 61, 63 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977; BAG, Beschl. v. 22.8.2017 – 1 AZR 546/15 (A), NZI 2018, 47, 48 Rn. 11; OLG Naumburg, Beschl. v. 2.5.2000 – 5 W 47/00, ZInsO 2000, 505; KPB-InsO/Pape, 48. EL. 04.2012, § 270 Rn. 1; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 141; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 270 Rn. 17; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 117 Rn. 2; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 12; Uhlenbruck/Hirte/Praß, InsO, 15. Aufl. 2019, § 35 Rn. 65; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270 Rn. 16; Flöther/Smid/ Wehdeking, Eigenverwaltung, 2005, Kap. 2 S. 67 Rn. 118; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2007, S. 213 Rn. 8.13 ff.; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 121; Bork, Einführung, 8. Aufl. 2017, Rn. 471, dort in Fn. 17; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 6; Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 36; Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 121; Hess/Ruppe, NZI 2002, 577 ff.; Görg/Stockhausen, in: FS Metzeler, 2003, 105 ff.; Gulde, Anordnung, 2005, S. 31, wohl auch Spies, ZInsO 2005, 1254, 1256; Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 49 f.; Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S. 107; Hofmann, ZIP 2007, 260 ff.; Mönning, in: FS Wellensiek, 2011, S. 641, 648; Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337 ff.; N. Weber, ZInsO 2014, 2151, 2153; König, Haftung, 2015, S. 10, 25 – 28, 33; Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2240; K. Schmidt, ZIP 2018, 853, 854; Waltenberger, NZI 2018, 505, 506.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
Eröffnungsbeschlusses (§ 27 InsO).107) Ab diesem Zeitpunkt sei der Schuldner, so folgert man, Amtswalter in eigener Sache und ebenso wie ein Insolvenzverwalter im Interesse der Gläubiger tätig.108) Richtschnur für sein Tun sei, vorrangig vor allen anderen Interessen, der Verfahrenszweck der bestmöglichen und gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 1 Satz 1 InsO).109) Durch den konstitutiv wirkenden Anordnungsbeschluss würden dem Schuldner jene insolvenzspezifischen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse eingeräumt, die er für ein Verfahren in Eigenverwaltung benötige.110)
55 Er behalte nicht seine alte, vor Verfahrenseröffnung bestehende Verfügungsmacht über sein Vermögen,111) sondern das Gericht weise ihm die wesentlichen Befugnisse eines Insolvenzverwalters zu,112) sofern nicht die Vorschriften der §§ 274 ff. InsO oder der Sachzusammenhang einer Regelung eine andere Beurteilung verlangten.113) Die Anordnung der Eigenverwaltung ist nach dieser Auffassung daher im Grundsatz so zu verstehen, als ob der Schuldner zum Insolvenzverwalter bestellt würde.114) Gleiches gilt, wenn die Anordnung erst nachträglich auf Antrag der Gläubigerversammlung ergeht (§ 271 Satz 1 InsO).
56 Nach abweichender Meinung115) übt der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis kraft privatautonomer Rechtsmacht aus; sie wird einerseits ergänzt ___________ 107) MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 141; Vill, ZInsO 2015, 2245, 2248. 108) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 52 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977; KPB-InsO/Pape, 48. EL. 04.2012, § 270 Rn. 2; Pape/Uhländer/Berner, InsO, 2013, § 270 Rn. 9; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 141; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270 Rn. 16; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 6; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2007, Rn. 8.13 f.; Vill, ZInsO 2015, 2245, 2248, Jacoby, in: FS Vallender, 2015, 261, 268; Spliedt, in: FS Vallender, 2015, 613. Haarmeyer, in: FS Pannen, 2017, S. 371, 372 f. 109) Vgl. Kapitel 2 A. II., Rn. 25 ff. 110) Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 121; Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 121 f., 127; Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S. 106; Vill, ZInsO 2015, 2245, 2248. 111) MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 141; Vill, ZInsO 2015, 2245, 2248. 112) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 20 f., 27 f., 52 f., 56, 59 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 142; Finke, Kollision, 2011, S. 37. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, den Schuldner bzw. dessen vertretungsberechtigte Organe als „Eigenverwalter“ zu bezeichnen; vgl. BGH, Urt. v. 26.4.2018, a. a. O. Rn. 52 m. w. N.; Spies, ZInsO 2005, 1254, 1256. 113) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 117 f. 114) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 28 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977 („gleichsam als Insolvenzverwalter in eigener Sache“); Bork, Einführung, 8. Aufl. 2017, Rn. 471, dort in Fn. 17; Gulde, Anordnung, 2005, S. 32; Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 30. 115) Ausf. Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 579 – 603; i. E. wohl auch Kruse, Eigenverwaltung, 2004, S. 224; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 47 – 73, 99, in Fn. 89 (S. 49) m. w. N. zur abweichenden Auffassung; ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung Rödder, Kompetenzbeschränkungen, 2007, S. 183, 186, 208 und Doliwa, Geplante Insolvenz, 2012, S. 162; WicheWendler, Eigenverwaltung, 2013, S. 79 m. w. N. in Fn. 348.
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D. Allgemeine Kompetenzen, Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners
durch insolvenzrechtliche Befugnisse (§ 279 Satz 1, § 282 Abs. 1 Satz 1, § 283 Abs. 1 Satz 1 InsO), andererseits beschränkt durch den Verfahrenszweck des § 1 Satz 1 InsO und durch die Regelungen der §§ 275 ff. InsO. Der Anordnungsbeschluss wirke, so wird argumentiert, grundsätzlich deklaratorisch; lediglich in Bezug auf die zusätzlichen insolvenzspezifischen Rechte und Pflichten könne die privatautonome Rechtsmacht nicht als Rechtsgrundlage fungieren, so dass der Anordnungsbeschluss in diesem Bereich konstitutiv wirke.116) Der Übertragung der Rechte nach den §§ 279, 103 ff., 282 InsO lägen praktische Erwägungen zugrunde, doch habe dies keine Folge für die Rechtstellung des Schuldners.117) Mit einem Insolvenzverwalter sei der Schuldner nur in funktionaler Hinsicht zu vergleichen. Die Vertreter dieser abweichenden Auffassung118) stützen sich zur weiteren Be- 57 gründung auf eine eher beiläufige Formulierung des Regierungsentwurfes zur InsO, wonach der Schuldner in der Eigenverwaltung verfügungsbefugt „bleibt“.119) Das Gesetz lehne sich hier an die Regelungen der Vergleichsordnung an.120) Die Verfügungsbefugnis über alle dem Schuldner „gehörenden“ Gegenstände setze sich nach der Anordnung der Eigenverwaltung deckungsgleich an der Insolvenzmasse fort,121) die ebenso wie in der Fremdverwaltung zu bilden sei.122) Als systematisches Indiz dafür, dass der Schuldner in der Eigenverwaltung sein ursprüngliches Verfügungsrecht behält, wird angeführt, § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO enthalte keinen mit § 80 Abs. 1 InsO vergleichbaren Übergangstatbestand. Im Übrigen fehle der Rechtsfolgenanweisung des § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO eine dem § 150b Abs. 1 Satz 1 ZVG (Eigenverwaltung in der Zwangsversteigerung) entsprechende Anordnung, wonach durch öffentlich-rechtlichen Bestellungsakt „der Schuldner zum Verwalter zu bestellen“ sei.123)
2.
Stellungnahme
Die Auffassung der herrschenden Meinung trifft zu, soweit sie sich auf die Rechts- 58 stellung des Schuldners in der endgültigen Eigenverwaltung nach Verfahrenseröffnung (§ 270 Abs. 1 InsO) bezieht. In der sog. vorläufigen Eigenverwaltung, also ___________ 116) Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 603. 117) Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 598 ohne Quellenbeleg. 118) Insbesondere Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 603; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 49 sowie Nachweise oben in Fn. 115. 119) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 zu § 331 RegE (= § 270 InsO): „Solange der Schuldner verfügungsbefugt bleibt, ist eine Eintragung der Verfahrenseröffnung im Grundbuch […] entbehrlich.“ 120) Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 175; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 591. 121) Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 50. 122) Allg. M., vgl. z. B. MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 156; Uhlenbruck/Hirte/Praß, InsO, 15. Aufl. 2019, § 35 Rn. 65; Gulde, Anordnung, 2005, S. 18. 123) Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 57 f.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
nach gerichtlicher Bestellung eines vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO),124) handelt der Schuldner dagegen, sofern das Gericht nicht besondere Ermächtigungen ausspricht, auf der Grundlage seiner privatautonomen Befugnisse; auch sie werden allerdings durch den Sicherungszweck des § 21 Abs. 1 InsO erheblich modifiziert.
a) Endgültige Eigenverwaltung 59 Im Hinblick auf das eröffnete Verfahren spricht bereits der Wortlaut des § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO dafür, dass dem Schuldner durch den gerichtlichen Anordnungsbeschluss die für die Führung der Eigenverwaltung erforderlichen Rechte konstitutiv eingeräumt werden.125) Davon, dass er seine bisherigen Verfügungsrechte „behält“, ist dort nicht die Rede. Er ist vielmehr ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung auf ihrer Grundlage (§ 270 Abs. 1 Satz 1, § 271 Satz 1 InsO) berechtigt und verpflichtet, die ihm gesetzlich zugewiesenen insolvenzspezifischen Befugnisse und Aufgaben wahrzunehmen.
60 Gegen den Fortbestand der privatautonomen Rechtsmacht spricht auch die Formulierung „Insolvenzmasse“ in § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO. Vor der Verfahrenseröffnung existiert keine Insolvenzmasse, die der Schuldner verwalten könnte. Die Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1, § 36 Abs. 2 InsO) ist auch in der Eigenverwaltung ein mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses kraft Gesetzes entstehendes Sondervermögen,126) das im Interesse der Gläubiger zweckgebunden zu verwalten ist. Dem Schuldner ist damit seine frühere Rechtsmacht entzogen, im Eigeninteresse über sein Vermögen zu verfügen. Sobald das Insolvenzverfahren eröffnet wird, verändert sich zudem die zu verwaltende Verfügungsmasse. Sie umfasst neben dem insolvenzbefangenen Vermögen des Schuldners zur Zeit der Eröffnung auch den sog. Neuerwerb (§ 35 Abs. 1 2. Hs. InsO) sowie Insolvenzanfechtungsansprüche und andere insolvenzspezifische Ansprüche. Unpfändbare Gegenstände wiederum werden nicht Bestandteil der Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO). Folglich kann die Insolvenzmasse von Rechts wegen größer oder kleiner sein als das Vermögen des Schuldners vor der Verfahrenseröffnung. Deckungsgleichheit der Vermögensmassen vor und nach Eröffnung des Verfahrens besteht in der Realität so gut wie nie.127)
___________ 124) Kapitel 5 D. I., Rn. 641 f. 125) BAG, Beschl. v. 22.8.2017 – 1 AZR 546/15 (A), NZI 2018, 47, 48 Rn. 11; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 149; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 12; a. A. Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 49 f. 126) Statt aller Uhlenbruck/Hirte/Praß, InsO, 15. Aufl. 2019, § 35 Rn. 11; KPB-InsO/Holzer, 69. EL. 11.2016, § 35 Rn. 116b. 127) So aber zu Unrecht Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 50.
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D. Allgemeine Kompetenzen, Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners
Verfehlt ist es, allein aus der beiläufigen Formulierung des Regierungsentwurfes 61 zur InsO, wonach der Schuldner verfügungsbefugt „bleibt“,128) zu schließen,129) dass hiermit grundsätzliche Aussagen zum Rechtsgrund der schuldnerischen Befugnisse in der Eigenverwaltung getroffen werden sollten.130) Aus der systematischen Auslegung sowie dem Sinn und Zweck des Rechtsinstitutes ergibt sich ein anderes Verständnis. Das Insolvenzverfahren ist nach Funktion und Rechtscharakter insgesamt ein öffentlich-rechtliches Vollstreckungsverfahren. Mit der Verfahrenseröffnung wird die Insolvenzmasse als Sondervermögen konstituiert und den Gläubigern durch den vom Träger der Masseverwaltung auszuübenden Insolvenzbeschlag zugewiesen, um sie vor dem Zugriff Unberechtigter zu schützen.131) Der jeweilige Verwalter handelt im Interesse der Insolvenzgläubiger für dieses Sondervermögen, ohne dass es im einheitlichen Insolvenzverfahren auf die gewählte Organisationsform der Verwaltung ankommt. Durch die Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung werden die Befugnisse des 62 Schuldners kraft Gesetzes grundlegend neu geordnet. Der Schuldner nimmt nunmehr – zum Beispiel bei der Ausübung des Erfüllungswahlrechts bei gegenseitigen Verträgen (§ 279 Satz 1, §§ 103 ff. InsO) oder bei der Verwertung von Sicherungsgut (§ 282 InsO) – wesentliche Kompetenzen eines Insolvenzverwalters wahr,132) die keineswegs seiner privatautonomen Rechtsmacht entstammen können,133) weil sie insolvenzspezifischer Art sind und die grundrechtlich geschützten Eigentumspositionen der Gläubiger berühren. Solche Rechte können in einem staatlich überwachten Gesamtvollstreckungsverfahren nur hoheitlich verliehen werden; dies wird auch von Vertretern der abweichenden Auffassung zugestanden.134) Hinzu kommt, dass Sachwalter (§§ 275, 279 Satz 2, § 280 InsO) und Gläubiger- 63 ausschuss (§ 276 InsO) die Handlungsfähigkeit des Schuldners zumindest im Innenverhältnis maßgeblich einschränken. Das Insolvenzgericht kann sogar mit Außenwirkung anordnen, dass bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit Zustimmung des Sachwalters wirksam sind (§ 277 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Theorie der fortbeste___________ 128) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f.: „[…] daß es Vorteile haben kann, den Schuldner grundsätzlich verwaltungs- und verfügungsbefugt zu lassen und ihn lediglich unter die Aufsicht eines Verwalters zu stellen.“ Ferner ebd., S. 223 zu § 331 (= § 270 InsO), siehe oben Fn. 119. 129) So jedoch im Ergebnis Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 591; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 61. 130) Zutr. König, Haftung, 2015, S. 27. 131) Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2007, Rn. 9.05. 132) So z. B. auch Vill, ZInsO 2015, 2245, 2248. 133) Vgl. z. B. MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 141; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 6.; Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 49 f.; ders., Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 121. 134) Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 598, 603; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 48.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
henden privatautonomen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist mit dieser gesetzlichen Konzeption der Eigenverwaltung nicht zu vereinbaren.
64 Das hier vertretene rechtliche Verständnis wird schließlich auch durch § 276a InsO gestützt.135) Ist der Schuldner keine natürliche Person, so werden nach dieser Vorschrift seine Eigenverwaltungsrechte nicht von dem bisherigen schuldnerischen Rechtsträger in seiner Gesamtheit ausgeübt, sondern er agiert ebenso wie im allgemeinen Rechtsverkehr nach außen hin durch vertretungsberechtigte natürliche Personen. Diese sind bis zur Anordnung der vorläufigen oder endgültigen Eigenverwaltung im Innenverhältnis jedoch an Aufsichts-, Informations-, Zustimmungsund Weisungsrechte anderer Organe gebunden, die in der Zeit nach dieser Anordnung als Folge des § 276a InsO weitgehend außer Kraft gesetzt sind.136)
65 Im Ergebnis stellt sich damit die gerichtlich angeordnete Eigenverwaltung körperschaftlich strukturierter Rechtsträger kraft Gesetzes als eine Eigenverwaltung durch das leitende Management unter weitgehender Ausschaltung der Anteilsinhaber und ihrer Aufsichts- und Mitwirkungsorgane dar.137) Die bisherige privatautonome Rechtsmacht des körperschaftlich strukturierten Rechtsträgers als Ganzes erlischt und wird durch eine aus § 276a InsO folgende insolvenzspezifische Befugnis einzelner Organmitglieder ersetzt.
b) Vorläufige Eigenverwaltung 66 In der vorläufigen Eigenverwaltung während des Eröffnungsverfahrens ist die Situation tatsächlich und rechtlich anders, denn hier gibt es noch keine zu verwaltende Insolvenzmasse als Sondervermögen. Das Gesetz spricht deshalb in diesem Zusammenhang allenfalls mit Bezug auf die Zukunft von der zu erwartenden Insolvenzmasse (vgl. etwa § 22a Abs. 3 InsO), im Übrigen aber stets nur vom Vermögen oder von der Vermögenslage des Schuldners (vgl. etwa § 21 Abs. 1, § 22 Abs. 1, § 25 Abs. 2, § 26 Abs. 1, § 270 Abs. 3 InsO). Das Gesetz kennt auch keine ausdrückliche gerichtliche Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung, sondern nur die gerichtliche Bestellung des vorläufigen Sachwalters „anstelle eines vorläufigen ___________ 135) So auch Bierbach, in: Kübler, HRI, 2. Aufl. 2015, § 11 Rn. 7; nicht ausdrücklich wird § 276a InsO erwähnt in der 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 6. 136) Vgl. dazu im Einzelnen Kapitel 5 D. V., 2., Rn. 655 ff. 137) Vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 zu Nr. 47 (§ 276a). – Anmerkung zur Terminologie: Das Gesetz verwendet in § 276a InsO die gesellschaftsrechtliche Terminologie zur Bezeichnung der jeweiligen Organe ausdrücklich nur beispielhaft und fragmentarisch. Insbesondere lässt es, anders als in § 101 Abs. 1 InsO, bei den rechtsformübergreifenden Bezeichnungen (Überwachungsorgan, Geschäftsleitung) die anerkannten Begriffe des Umwandlungsgesetzes (vgl. dazu Begründung zum UmwG, 1994, BT-Drucks. 12/6699, S. 78 ff., Allgemeines, Nr. VI) außer Betracht. Im Folgenden werden, sofern nicht einzelne Rechtsformen angesprochen sind, zumeist die umwandlungsrechtlichen Ausdrücke verwendet: Anteilsinhaber, Vertretungsorgan, Aufsichtsorgan, Versammlung der Anteilsinhaber (vgl. § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 UmwG).
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D. Allgemeine Kompetenzen, Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners
Insolvenzverwalters“ (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO). Lediglich in der juristischen Umgangssprache wird dieser Vorgang in Anlehnung an die Terminologie des § 270 InsO gemeinhin als Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung bezeichnet.138) Anders als nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses und Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung steht dem Schuldner deshalb in diesem Verfahrensabschnitt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen aus eigenem Recht zu, soweit das Gericht keine beschränkenden Anordnungen erlässt.139) Insolvenzspezifische Befugnisse können dem Schuldner im Eröffnungsverfahren nur durch ausdrückliche gerichtliche Ermächtigung zugewiesen werden.140) Allerdings verdeckt die eigenwillige Gesetzestechnik des § 270a Abs. 1 InsO, dass 67 sich die Rechtsstellung des Schuldners auch durch die Bestellung des vorläufigen Sachwalters kraft Gesetzes in erheblichem Maße ändert. Den Schuldner treffen zwar keine allgemeinen Verfügungsbeschränkungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO. Ihm werden jedoch über die Verweisung des § 270a Abs. 1 Satz 2 auf die Regelungen des § 275 InsO schon zu diesem Zeitpunkt eigenverwaltungsspezifische Bindungen seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auferlegt, die zwar nicht die Wirksamkeit seiner Rechtshandlungen im Außenverhältnis berühren,141) aber für den weiteren Gang des Verfahrens und die Rolle des Schuldners durchaus richtungsweisende Bedeutung haben. Die Bindungen des § 275 InsO betreffen nicht nur organisatorische Fragen im Innenverhältnis zwischen Schuldner und vorläufigem Sachwalter, sondern stehen bereits in unmittelbarem Zusammenhang mit der insolvenzrechtlichen Funktion der Eigenverwaltung. Der Sache nach handelt es sich bei der Bestellung des vorläufigen Sachwalters nämlich um eine besondere Sicherungsmaßnahme i. S. d. § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO, die ebenso wie die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters den Zweck verfolgt, eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten.142) Sofern das Gericht keine zusätzlichen Anordnungen trifft, haben damit beide Ak- 68 teure, der vorläufig eigenverwaltende Schuldner und der vorläufige Sachwalter, gemeinsam die an § 21 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1 Satz 1 InsO zu messenden insolvenzspezifischen Sicherungsaufgaben wahrzunehmen, die im Regelverfahren jedem vorläufigen Insolvenzverwalter obliegen, selbst wenn ihm keine besonderen ___________ 138) Kapitel 5 D. I., Rn. 641 ff. 139) Vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 225 Rn. 11 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488. 140) Vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 226 Rn. 14 ff. = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488. 141) Siehe Kapitel 2 D. III., Rn. 72 ff. 142) Siehe Kapitel 2 C., Rn. 44 ff. Vgl. auch FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U (Revision eingelegt: BFH – XI R 35/17), NZI 2017, 939, 942 = ZIP 2017, 2217. Zum Vorrang der Massesicherungspflicht ferner Bork, KTS 2017, 189, 205; ders., ZIP 2018, 1613, 1614 f., 1617; Mielke/ Sedlitz, ZIP 2017, 1646, 1647. Zum Pflichtenumschwung siehe bereits oben Fn. 72 und 73.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
weiteren Aufgaben zugewiesen sind (vgl. § 22 Abs. 2 InsO). Die Bestellung des vorläufigen Sachwalters bezieht somit notwendigerweise zugleich auch den Schuldner institutionell in das gesetzliche System der vorläufigen Massesicherung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 InsO) ein. Sie bewirkt eine besondere öffentlich-rechtliche Bindung des Schuldners an das Verfahrensziel des § 1 Satz 1 InsO, die seine rechtliche Stellung gegenüber dem zu sichernden Vermögen wesentlich verändert. Der Schuldner erlangt bereits hier für seine gesamte Geschäftsführung während des Eröffnungsverfahrens eine die bisherigen privatautonomen Befugnisse überlagernde treuhänderische Stellung, die sich von der Situation in der endgültigen Eigenverwaltung lediglich durch ihren vorläufigen Charakter unterscheidet. Insbesondere sind dem Schuldner nunmehr jegliche unwirtschaftlichen, insolvenzzweckwidrigen oder sonst gläubigerschädigenden Rechtshandlungen untersagt. Forderungen darf er ohne insolvenzgerichtliche Ermächtigung erst nach Verfahrenseröffnung im Rahmen der gesetzlich geregelten Verteilung bedienen (§§ 178, 283 Abs. 2 InsO). Vermögenswerte der Aus- und Absonderungsberechtigen sind zu sichern. An die Stelle privatwirtschaftlicher Eigennützigkeit tritt, wenn auch zunächst nur vorläufig bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses, die Pflicht zur vorrangigen Wahrnehmung der Interessen der Gläubiger.143)
II. Eigenverwaltung als persönliche Aufgabe 69 Die Tätigkeit der Insolvenzverwaltung darf ausschließlich von natürlichen Personen in persönlicher Verantwortung betrieben werden.144) Dies gilt auch in der Eigenverwaltung. Ist der Schuldner keine natürliche Person, so sind eigentliche Träger der Eigenverwaltung auf Seiten des Schuldners diejenigen natürlichen Personen, die nach der jeweiligen Rechtsform zur gesellschaftsrechtlichen organschaftlichen Vertretung berufen sind und durch die deshalb der schuldnerische Rechtsträger allgemein am Rechtsverkehr teilnimmt.145) Soweit das Gesetz nicht einzelne Aufgaben dem Sachwalter zuweist, haben daher der eigenverwaltende Schuldner und seine organschaft-
___________ 143) Siehe oben Kapitel 2 A. II., Rn. 25 ff. 144) Zur allgemein anerkannten Notwendigkeit der persönlichen Amtsführung des Insolvenzverwalters und zu ihren Grenzen vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, NZI 2009, 641, 643 f. Rn. 23–25 = ZIP 2009, 1722; BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121, 136 f. Rn. 49 = ZIP 2016, 321, 326; BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225, 228 Rn. 9 = ZIP 2013, 2070 f.; BGH, Beschl. v. 25.9.2014 – IX ZB 11/14, NZI 2015, 20, 22 Rn. 27 f. = ZIP 2014, 2399; BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, NZI 2016, 913, 914 Rn. 13 = ZIP 2016, 2127; BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 34 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977 m. zust. Anm. Bitter ZIP 2018, 986 ff. Siehe auch Pape, ZInsO 2016, 428, 430 (zu den Anforderungen an die gerichtliche Aufsicht). 145) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 56, 57, 59 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977.
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D. Allgemeine Kompetenzen, Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners
lichen Vertreter alle ihre verfahrens- und massebezogenen Aufgaben sorgfältig und persönlich wie ein gewissenhafter Insolvenzverwalter wahrzunehmen.146) Ihnen ist es nicht erlaubt, die Durchführung der Verwaltung in ihrer Gesamtheit 70 oder in ihren Kernaufgaben vertraglich oder faktisch auf den Sachwalter oder einen Dritten,147) etwa einen Prokuristen oder Generalbevollmächtigten, zu delegieren. Die in der Insolvenzordnung vorgesehenen Erklärungen gegenüber dem Gericht oder anderen Verfahrensbeteiligten obliegen grundsätzlich dem Schuldner oder seinen organschaftlichen Vertretern persönlich. Dies gilt gleichermaßen für schriftliche wie für mündliche Berichte, Auskünfte und sonstige Erklärungen, etwa im Rahmen der Gläubigerversammlung oder der Forderungsprüfung148) oder gegenüber dem Gläubigerausschuss. Die gängige Praxis, Berichte des Schuldners an dessen Stelle und in dessen Namen von seinem Berater erstatten zu lassen, ist deshalb nicht nur unzulässig, sondern zugleich ein Indiz für eine Nebeninsolvenzverwaltung, bei der die gesetzlich verantwortlichen Personen allenfalls eine Statistenrolle spielen.149) Ebenso wie ein Insolvenzverwalter darf sich der Schuldner allerdings zur Vorbe- 71 reitung und nachgeordneten Erledigung einzelner Tätigkeiten der Hilfe von Mitarbeitern, Hilfskräften und Beratern bedienen. Alle verfahrensleitenden Entscheidungen und Anordnungen (Kernpflichten) sind jedoch ausschließlich vom Schuldner oder seinen organschaftlichen Vertretern zu treffen.
III. Pflicht zur Beachtung von Zuständigkeitszuweisungen, Zustimmungserfordernissen und Verfügungsbeschränkungen Zu den wesentlichen Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners gehört, dass er 72 die verfahrensrechtliche Zuständigkeitsordnung und die gesetzliche Aufgabenver___________ 146) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 59 ff. = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977 m. zust. Anm. Bitter ZIP 2018, 986 ff.; vgl. BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270 Rn. 70; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270 Rn. 3; Hess/Ruppe, NZI 2002, 577 f.; Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 30 – 32 mit Fn. 119; Gehrlein, ZInsO 2017, 849, 853; Hölzle, ZIP 2018, 1669, 1672. Zur Eigenverwaltung durch das Management siehe oben Kapitel 2 D. I. 2. a), Rn. 65. 147) OLG Dresden, Urt. v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13 (Dailycer), ZIP 2015, 1937, 1941 m. zust. Anm. Zimmer, EWiR 2015, 707 f. = ZInsO 2013, 2273, 2275; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 70; BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270 Rn. 70, 70.1; Frind NZI 2014, 937, 941; Jaffé, in: FS Wimmer, 2017, S. 339, 341 – 344. Siehe außerdem die Nachweise in Fn. 144. 148) BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, NZI 2016, 913, 914 Rn. 14 = ZIP 2016, 2127 (zum Insolvenzverwalter); MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 281 Rn. 21; MK-InsO/ Görg/Janssen, 3. Aufl. 2013, § 156 Rn. 14 m. w. N. in Fn. 22; Jaeger/Eckardt, InsO, 2018, § 156 Rn. 7; BeckOK-InsO/Kreutz/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 281 Rn. 12; Uhlenbruck/ Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 281 Rn. 4; Graeber, NZI 2003, 569, 574. Zum notwendigen Inhalt des Berichts siehe z. B. Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 108 – 116. 149) Vgl. hierzu bereits Hammes, NZI 2017, 233.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
teilung unter den Beteiligten beachtet. Insbesondere hat er die für die Eigenverwaltung charakteristische Aufteilung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse zwischen Schuldner und Sachwalter (§§ 275, 277, 279, 280, 282 Abs. 2 InsO), dessen Recht zur Übernahme des Zahlungsverkehrs (§ 275 Abs. 2 InsO) sowie die Mitwirkungsrechte des Gläubigerausschusses (§ 276 InsO) und der Gläubigerversammlung (§§ 157, 159, 162, 163 InsO) strikt zu respektieren. Auch soweit die gesetzlichen Zustimmungserfordernisse nur als Soll-Vorschriften150) ausgestaltet sind, die allein im Innenverhältnis Rechtswirkungen auslösen und deren Missachtung daher die Wirksamkeit der Rechtshandlung im Außenverhältnis nicht berührt (§ 275 Abs. 1, § 279 Satz 2, § 282 Abs. 2, § 276 i. V. m. § 164 InsO),151) handelt es sich nicht um Empfehlungen des Gesetzgebers, sondern um Verpflichtungen, die den Schuldner rechtlich binden. Ihre Missachtung begründet die Besorgnis, dass der Schuldner künftig ähnliche Eigenmächtigkeiten begehen wird; sie indiziert die Erwartung, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (vgl. § 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 2, § 274 Abs. 3 InsO).152)
73 Ist der Schuldner keine natürliche Person, so sind nicht nur die organschaftlichen Vertreter, sondern auch die Anteilsinhaber und die Mitglieder der Aufsichtsorgane an die insolvenzrechtliche Zuständigkeitsordnung gebunden. Sie haben daher insbesondere jeden Versuch zu unterlassen, entgegen § 276a InsO Einfluss auf die Führung der Eigenverwaltung oder die Tätigkeit des Sachwalters zu nehmen.
IV. Pflichten bei der Betriebsfortführung 74 Der eigenverwaltende Schuldner ist ebenso wie ein Insolvenzverwalter verpflichtet, das Unternehmen grundsätzlich bis zur ersten Gläubigerversammlung (Berichtstermin) fortzuführen (vgl. § 158 Abs. 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Geschäftsbetrieb muss ausnahmsweise zuvor eingestellt werden, wenn dies aus wirtschaftlichen Gründen zwingend und unaufschiebbar geboten ist, etwa weil fortlaufend Verluste erwirtschaftet werden und keine Aussicht auf Sanierung besteht (arg. e § 1 Satz 1, § 60 Abs. 1 InsO)153) oder die Liquidität zur Fortführung nicht ausreicht (arg. e § 61 InsO). Das entscheidende Kriterium für die Notwendigkeit einer Stilllegung ergibt sich aus § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO: Durch die Fortführung darf keine ___________ 150) Vgl. dazu Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl. 2008, Teil B, 1.1. Rn. 84. 151) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 225 zu § 340 Satz 2 (= § 279 Satz 2 InsO): „Ein Verstoß des Schuldners gegen diese Vorschrift hat im allgemeinen keine Außenwirkung; die Ausübung des Wahlrechts oder des Kündigungsrechts ist wirksam, auch wenn der Sachwalter nicht einverstanden ist.“ Ebenso ebd. S. 266 zu § 343 Abs. 2 (= § 282 Abs. 2 InsO) unter Hinweis auf § 340 Satz 2. 152) Zu den Folgen eigenmächtigen Schuldnerhandelns in der Eigenverwaltung siehe Kapitel 2 D. VII., Rn. 79 ff. 153) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 117 zu § 26 (= § 22 InsO), S. 173 zu § 177 (= § 158 InsO).
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D. Allgemeine Kompetenzen, Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners
erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse eintreten. Zur vorzeitigen Stilllegung hat der eigenverwaltende Schuldner die Einwilligung des Gläubigerausschusses einzuholen (§ 158 Abs. 1 InsO). Nach dem Berichtstermin darf das Unternehmen nur fortgeführt werden, wenn und soweit dies von der Gläubigerversammlung beschlossen worden ist (§§ 157, 159 InsO).
V. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten In der Eigenverwaltung wird die Rechtsstellung des Schuldners in besonderer Wei- 75 se von seinen umfassenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gegenüber dem Sachwalter (§§ 97, 98, 101 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 2, § 22 Abs. 3 InsO) und dem Gläubigerausschuss geprägt (§§ 97, 98, 101 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2, §§ 69, 276 InsO). Diese Pflichten werden infolge der privilegierten Stellung des Schuldners in der Eigenverwaltung nicht etwa verringert, sondern im Gegenteil noch erheblich erweitert und intensiviert, weil hier seine Aufgaben, Befugnisse und faktischen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Insolvenzmasse über diejenigen in der Fremdverwaltung wesentlich hinaus gehen. Sie gelten für alle Umstände und Tätigkeiten, die mit der Führung der Eigenverwaltung zusammenhängen. Ist der eigenverwaltende Schuldner keine natürliche Person, so bestimmen sich die Adressaten seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 101 Abs. 1 InsO. Die Pflichten treffen daher auch die Mitglieder körperschaftsrechtlicher Vertretungsund Aufsichtsorgane sowie vertretungsberechtigte persönlich haftende Gesellschafter des schuldnerischen Rechtsträgers. Der eigenverwaltende Schuldner muss nicht nur die umfassende Aufsicht von 76 Sachwalter und Gläubigerausschuss akzeptieren. Er ist darüber hinaus verpflichtet, ihnen über alle das Verfahren und die Verwaltung betreffenden Umstände und Planungen unaufgefordert, unverzüglich und wahrheitsgemäß, also richtig und vollständig, zu berichten.154) Hierzu gehören alle wesentlichen Geschäftsvorfälle, ihre Anbahnung und Abwicklung, alle organisatorischen oder vermögensbezogenen Planungen, Absichten und Entschlüsse sowie alle Störungen oder sonstigen Veränderungen der früher mitgeteilten Verhältnisse. Unrichtige oder unvollständige Informationen sind ebenso wie in der Fremdverwaltung umgehend in eigener Initiative zu berichtigen oder zu ergänzen.155) Hierzu zählen etwa die Erkenntnis, dass ___________ 154) BGH, Beschl. 9.10.2008 – IX ZB 212/07, NZI 2009, 65 Rn. 9, 11 = ZIP 2008, 2276 f.; BGH, Beschl. v. 17.11.2008 – NotZ 130/07, ZIP 2009, 675, 677 f. Rn. 36; BGH, Beschl. v. 7.10.2010 – IX ZA 29/10, NZI 2011, 66 Rn. 4; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2163; Vallender, DB 2015, 231, 233. 155) BGH, Beschl. v. 9.10.2008 – IX ZB 212/07, ZIP 2008, 2276 f. Rn. 11; BGH, Beschl. v. 17.11.2008 – NotZ 130/07, ZIP 2009, 675, 677 f. Rn. 36; BGH, Beschl. v. 15.4.2010 – IX ZB 175/09, ZIP 2010, 1042 f. Rn. 9; BGH, Beschl. v. 7.10.2010 – IX ZA 29/10, NZI 2011, 66 Rn. 4; BGH, Beschl. v. 13.1.2011 – IX ZB 163/10, ZInsO 2011, 396 Rn. 3; BGH, Beschl. v. 17.3.2011 – IX ZB 174/08, NZI 2011, 330, 331 Rn. 7; BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZB 70/10, ZInsO 2012, 751 Rn. 13; BGH, Beschl. v. 26.4.2012 – IX ZB 274/11, juris Rn. 2.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
der vorgelegte Ertrags- oder Finanzplan nicht eingehalten werden kann, sowie die Berichtigung unzutreffender Angaben über Vermögenswerte oder Kreditoren. In gleicher Weise hat der Schuldner den Sachwalter über Umstände zu unterrichten, die für dessen eigenständigen Aufgabenbereich (§§ 280, 283 Abs. 1, § 285 InsO) bedeutsam sind oder dies vernünftigerweise sein können, selbst wenn sie sich möglicherweise zum Nachteil des Schuldners oder eines seiner Anteilsinhaber oder organschaftlichen Vertreter auswirken können.156) Das gleiche gilt für die Information des Gläubigerausschusses im Rahmen seiner Mitwirkungsaufgaben nach § 276 InsO. Vorgaben zur Durchführung des Informationsflusses, die der Sachwalter oder der Gläubigerausschuss dem Schuldner gemacht hat, sind sorgfältig zu beachten. Die Eigenverwaltung ist in ihrer gesamten gesetzlichen Konzeption auf einen Schuldner zugeschnitten, der jederzeit die Gewähr für die Einhaltung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten sowie für eine transparente Amtsführung bietet.157)
VI. Sonstige verfahrensrechtliche Pflichten und Sonderrechte des Schuldners 77 Soweit die Insolvenzordnung nicht ausdrücklich oder nach dem systematischen Zusammenhang einzelne Aufgaben dem Sachwalter zuweist, sind sämtliche Angelegenheiten, die in der Fremdverwaltung vom Insolvenzverwalter zu erledigen sind, in der Eigenverwaltung vom Schuldner wahrzunehmen.158) Dazu zählen auch die Pflichten im Zusammenhang mit dem formellen, prozessähnlichen Ablauf des Insolvenzverfahrens (verfahrensrechtliche Pflichten), insbesondere die Pflicht,
Erklärungen über die Erfüllung gegenseitiger Verträge (§§ 103 ff. InsO) abzugeben (§ 279 InsO),
die für den Fortgang des Verfahrens relevanten Verzeichnisse zu erstellen und vorzulegen (§ 281 Abs. 1, § 283 Abs. 2 InsO),
der Gläubigerversammlung Bericht zu erstatten (§ 281 Abs. 2 Satz 1 InsO),
im Auftrag der Gläubigerversammlung einen Insolvenzplan auszuarbeiten (§ 284 Abs. 1 InsO),
unberechtigten Forderungen im Rahmen der Forderungsprüfung zu widersprechen (§ 283 Abs. 1 Satz 2 InsO),
Zwischen- und Schlussrechnung zu legen (§ 281 Abs. 3 InsO),
die Abschlagsverteilungen und die Schlussverteilung vorzunehmen (§ 283 Abs. 2 Satz 1, §§ 187 – 199 InsO). ___________ 156) BGH, Beschl. v. 5.3.2015 í IX ZB 62/14, NZI 2015, 380, 381 Rn. 11 ff. = ZIP 2015, 791 f.; Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1988. 157) Vgl. z. B. Specovius, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 13 Rn. 18; ebenso für das österreichische Eigenverwaltungsverfahren Nunner-Krautgasser/Reckenzaun, ZInsO 2016, 413, 421. 158) Siehe Kapitel 2 C., Rn. 44 ff. und D II., Rn. 69 ff.
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D. Allgemeine Kompetenzen, Rechte und Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners
Darüber hinaus hat der Schuldner als eigenverwaltungsspezifisches Sonderrecht 78 das Privileg, für sich und seine Familienangehörigen (§ 278 Abs. 1 InsO) sowie für vertretungsberechtigte persönlich haftende Gesellschafter (§ 278 Abs. 2 InsO) aus der Insolvenzmasse die Mittel zu einer bescheidenen Lebensführung zu entnehmen.
VII. Pflichtverletzung als nachteilsindizierender Umstand Jede nicht völlig unerhebliche Verletzung einer insolvenzrechtlichen Pflicht durch 79 den eigenverwaltenden Schuldner, einen seiner organschaftlichen Vertreter oder ein Mitglied seines Überwachungsorgans (§ 276a InsO) ist in aller Regel ein Umstand, der erwarten lässt, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (vgl. § 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 2, § 274 Abs. 3 InsO).159) Der Schuldner erweist sich durch ein solches Verhalten als unzuverlässig. Er bietet nicht mehr die Gewähr, dass er die Eigenverwaltung jederzeit ordnungsgemäß ausüben wird. Ob die verletzte Pflicht unmittelbar die Gläubiger schützen oder eher allgemein den ordnungsgemäßen Gang des Verfahrens fördern soll, hat keine Bedeutung. Auch eine messbare Schädigung der Insolvenzmasse ist nicht erforderlich. Die Pflichtverletzung als solche begründet, vor allem wenn sie schuldhaft begangen 80 wird, die tatsächliche Vermutung, dass der Täter künftig ähnliche Verstöße begehen wird. Ein entsprechender Erfahrungssatz ist vor allem auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts allgemein anerkannt.160) Es besteht kein Grund, ihn im Zusammenhang der Eigenverwaltung nicht anzuwenden, in der sich der Schuldner in einer existentiellen, von Druck und Erfolgszwang im wirtschaftlichen Wettbewerb bestimmten Krisensituation befindet. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr gilt dabei nicht nur für eine identische Form der Pflichtverletzung, sondern für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt.161) ___________ 159) Vgl. MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 275 Rn. 15 f.; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 275 Rn. 6; Undritz/Schur, ZIP 2016, 549 ff.; Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 204; siehe auch Ahlbrecht, 2015, S. 9, der die Verletzung der Pflichten im Innenverhältnis als einen Missbrauch der Verfügungsbefugnis i. S. d. § 266 StGB qualifiziert (für den Insolvenzverwalter); hierzu LG Frankfurt/M., Urt. v. 15.11.2012 – 5/26 KLs 7640 Js 208746/10, ZInsO 2014, 1811 – 1814 mit Ls. 1 und 2. 160) Vgl. etwa RG, Urt. v. 19.6.1923 – II 92/23, RGZ 108, 8, 10; RG, Urt. v. 9.10.1929 – I 63/29, RGZ 125, 391, 393; BGH, Urt. v. 12.9.2013 – I ZR 208/12, GRUR 2013, 1259, 1260 f. Rn. 25 f. = DB 2013, 2561; BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 134/15, GRUR 2016, 530, 531 Rn. 23 = NJW 2016, 870; BGH, Urt. v. 14.1.2016 – I ZR 65/14, GRUR 2016, 946, 951 Rn. 52 = DB 2016, 1807; BGH, Urt. v. 12.9.2017 – XI ZR 590/15, NJW 2017, 3649, 3655 Rn. 68 f. = ZIP 2017, 1992; BGH, Urt. v. 27.2.2018 – VI ZR 86/16, GRUR 2018, 757, 760 Rn. 33 = NJW 2018, 2489; BGH, Urt. v. 4.12.2018 – VI ZR 128/18, GRUR-Prax 2019, 118 Rn. 9 (alle m. w. N). 161) Vgl. ebenfalls aus dem Lauterkeitsrecht BGH, Urt. v. 17.9.2015 – I ZR 92/14, GRUR 2016, 395, 398 Rn. 38 = DB 2016, 827.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
81 Ein Verschulden des Schuldners an der Pflichtverletzung liegt auch dann vor, wenn der Verstoß nur auf einem Organisationsfehler beruht. Der Schuldner ist nämlich generell verpflichtet, seine Geschäftsorganisation so zu gestalten, dass die gesetzmäßige Durchführung der Eigenverwaltung gewährleistet ist. Wer als Schuldner die Eigenverwaltung beantragt, bekundet dadurch seine persönliche und organisatorische Bereitschaft, diese Aufgabe mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Verwalters wahrzunehmen (§ 60 Abs. 1 Satz 2, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO).162) Er hat sich spätestens anlässlich der Antragstellung sorgfältig über die angestrebte Rechtsstellung zu informieren. Insbesondere muss er sich mit den rechtlichen Beschränkungen und Pflichten vertraut machen, die ihm bei antragsgemäßer Entscheidung des Gerichts obliegen.163) Gleiches gilt, wenn ihm im weiteren Verlauf zusätzliche Anordnungen des Gerichts zugehen. Der Schuldner muss sie nicht nur aufmerksam zur Kenntnis nehmen, sondern sich auch ihre Bedeutung und Tragweite bewusst machen; notfalls muss er unverzüglich bei einer zuverlässigen Person sachkundigen rechtlichen Rat einholen. Er hat ferner organisatorisch sicherzustellen, dass die Angehörigen seines Unternehmens ebenfalls über Art, Umfang und rechtliche Bedeutung der insolvenzrechtlichen Einschränkungen informiert sind.
82 Auch Verhaltensweisen, die noch keine Pflichtverletzung darstellen, sondern nur die drohende Gefahr einer erstmaligen Begehung begründen, können ein Nachteilsindikator sein. Ihre Feststellung setzt allerdings ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür voraus, dass der Schuldner oder einer seiner Verantwortlichen sich in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird.164)
83 Unzulässig wäre es, die Tatsache, dass der Schuldner wirtschaftlich gescheitert ist, von vornherein definitiv als nachteilsindizierend i. S. d. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO und der hieran anknüpfenden Vorschriften zu bewerten.165) Bei der Insolvenz handelt es sich jedoch gleichwohl im weiteren Sinne um ein negatives Indiz,166) das zumindest den ersten Anschein erweckt, der Schuldner sei nach seinen persönlichen, fachlichen und organisatorischen Fähigkeiten nicht imstande, seine Vermögensverhältnisse nachhaltig zu beherrschen und geordnet zu halten, und deshalb auch für die Aufgaben der Eigenverwaltung ungeeignet.
___________ 162) Vgl. Gehrlein, ZInsO 2017, 849, 853. 163) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 61 ff. = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977. 164) Vgl. BGH, Urt. v. 16.1.1992 – I ZR 84/90, GRUR 1992, 318, 319 = NJW-RR 1992, 617; BGH, Urt. v. 23.2.2017 – I ZR 92/16, GRUR 2017, 793, 796 Rn. 33 = BeckRS 2017, 114508; BGH, Urt. v. 11.5.2017 – I ZR 60/16, GRUR 2017, 1140, 1142 Rn. 35 = DB 2017, 2286, 2289. 165) Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 48. 166) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222; Schmudde/Vorwerk, ZInsO 2006, 347, 351 f.
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E. Stellung und Funktion des Sachwalters
E. Stellung und Funktion des Sachwalters Die Rechtsstellung des Schuldners in der Eigenverwaltung ist stets in Zusammen- 84 hang mit der Position des Sachwalters zu sehen. Die Insolvenzordnung kennt keine unbeschränkte Eigenverwaltung, sondern nur Eigenverwaltung unter der Aufsicht eines Sachwalters (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO). Eine Eigenverwaltung ohne Aufsicht ist im Gesetzgebungsverfahren zu Recht verworfen worden.167) Die Befugnisse des eigenverwaltenden Schuldners sind von vornherein kraft Gesetzes mit der Aufsicht des Sachwalters belastet.168) Dieser ist ebenso wie der Schuldner bei seiner Tätigkeit dem Verfahrenszweck des § 1 Satz 1 InsO verpflichtet und hat im Rahmen seiner Zuständigkeiten dafür zu sorgen, dass die grundlegenden Vorgaben dieser Bestimmung beachtet werden.169) Ist der Schuldner keine natürliche Person, so hat sich die Aufsicht vor allem auf dessen organschaftliche Vertreter als die eigentlichen Akteure der Eigenverwaltung zu richten.170) Entsprechendes muss ebenfalls für sonstige Mitglieder der Geschäftsleitung im Sinne von § 276a Satz 2 InsO gelten, das heißt für alle natürlichen Personen, die eine für die Ausübung der Eigenverwaltung maßgebende leitende Stellung im schuldnerischen Unternehmen innehaben. Hierzu gehören nicht nur die Mitglieder des Vertretungsorgans und die vertretungsberechtigten Anteilsinhaber, sondern ebenso Prokuristen und Generalbevollmächtigte aller Art. In der Praxis werden anlässlich der Eigenverwaltung in diesen Positionen häufig Sanierungsfachleute oder sonstige juristische Berater eingesetzt,171) deren Einfluss auf den Gang der Ereignisse die Aufmerksamkeit des Sachwalters erfordert.
I.
Grundsätzliches
Schwerpunktmäßig ist der Sachwalter vom Gesetz damit betraut, die Geschäftsfüh- 85 rung und Sanierungsbemühungen des Schuldners zu überwachen. Er ist verpflichtet, nicht nur die großen Züge und wesentlichen Rechtshandlungen im Auge zu be___________ 167) Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 131 (zu §§ 347 ff. RegE), 151 f. 168) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 9, 61, 85, 222 – 226. Zur rechtspolitischen Kritik an den eingeschränkten Befugnissen des Sachwalters vgl. z. B. Ganter, NZI 2016, 377, 382 f. („Geburtsfehler des ESUG“); Brinkmann, ZIP 2018, 2339, 2340 (zu 1.4). 169) Pape, ZInsO 2016, 2149 stellt den Sachwalter wegen der von ihm wahrzunehmenden Aufgaben gar mit einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes gleich. Zur Vermögensbetreuungspflicht des Sachwalters i. S. d. § 266 StGB siehe z. B. Schramm, NStZ 2000, 398, 401 f. 170) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 19, 24 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977 m. zust. Anm. Bitter, ZIP 2018, 986 ff. 171) Vgl. Bea/Fischer, NZI 2019, 15. In dieser Weise wird auch in Großinsolvenzen verfahren, etwa im Fall der Air Berlin PLC (AG Charlottenburg, 36a IN 4301/17) bzw. Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (AG Charlottenburg, 36a IN 4295/17). Zu diesem vor allem haftungsrechtlich relevanten Thema siehe Bitter, Anm. zu BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 986, 988. Zur Chronologie der Ereignisse instruktiv Beissenhirtz, Air Berlin – ein merk-würdiges Verfahren, 2018. Hölzle, ZIP 2018, 1669, 1672 erblickt in der Übernahme insolvenzrechtlicher Aufgaben durch Handlungs- und Generalbevollmächtigte zu Recht eine unzulässige Delegation, mit der die Aufsicht unterlaufen wird.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
halten, sondern er muss auch das kleinteilige Tagesgeschäft beaufsichtigen (vgl. § 275 Abs. 1 Satz 2 InsO). Ob der Sachwalter dieser zentralen Aufgabe ordnungsgemäß nachkommt, ist wiederum vom Gläubigerausschuss zu überwachen. Es liegt im Interesse aller Gläubiger, dass ein unabhängiger (§ 274 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO),172) selbstbewusster und fähiger Sachwalter die Eigenverwaltung des Schuldners eng begleitet und den Gläubigerausschuss so früh wie möglich über nachteilsindizierende Umstände oder sonstige Fehlentwicklungen informiert. Das Gesetz beschränkt die Aufgaben des Sachwalters allerdings nicht, wie gelegentlich missverständlich formuliert wird,173) auf eine reine Aufsichtsfunktion, sondern weist ihm eigenständige Verwaltungs- und Verfügungsrechte zu (§ 275 Abs. 2, § 280 InsO), die die Rechtsmacht des eigenverwaltenden Schuldners im Interesse der Gläubiger beschränken. Der Sachwalter ist somit kein „Verwalter zweiter Klasse“,174) sondern Aufseher mit partiellen Verwalterbefugnissen.
86 Somit besteht der wesentliche konstruktive Unterschied zur Fremdverwaltung letztlich darin, dass in der Eigenverwaltung die Kompetenzen eines Insolvenzverwalters zwischen Schuldner und Sachwalter aufgeteilt sind. Deshalb ist es nur konsequent, wenn § 274 Abs. 1 InsO für die Bestellung, die Aufsicht des Insolvenzgerichts sowie die Haftung und die Vergütung des Sachwalters auf die für den Insolvenzverwalter geltenden Vorschriften verweist. Unter anderem aus diesem Verweis ist abzuleiten, dass der Sachwalter eine insolvenzverwalterähnliche Amtsstellung ausübt, letztlich also Amtswalter ist,175) auch wenn sein Tätigkeitsbereich eingeschränkter ist als der des Insolvenzverwalters oder der des eigenverwaltenden Schuldners.
87 Die Pflichten und die Rechte des Sachwalters sind zu unterscheiden nach Prüfungs-, Überwachungs- und Meldepflichten sowie nach Mitwirkungspflichten und Verwaltungsrechten. Alle Rechte begründen zugleich die Pflicht, diese Befugnisse entsprechend dem Verfahrenszweck (§ 1 InsO), den zulässigen Vorgaben der Gläubigerversammlung (§ 270 Abs. 1 Satz 2, §§ 157, 159, 217 InsO) und dem Stand des Verfahrens mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sachwalters wahrzunehmen (§ 274 Abs. 1 i. V. m. § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO). Spiegelbildlich schränken die Pflichten und Rechte des Sachwalters die nur grundsätzlich beste___________ 172) Lüke, ZIP 2001, 2188, 2190. 173) Erst der Zusammenhang derartiger Formulierungen ergibt, dass sie sich zumeist nur auf den in § 274 Abs. 2, 3 InsO geregelten Teilbereich beziehen, nicht aber auf die zusätzlichen Aufgaben des Sachwalters nach § 275 Abs. 2, § 280 InsO. Vgl. z. B. RegE InsO, 1992, BTDrucks. 12/2443, S. 224 zu § 335 Abs. 2 (= § 274 Abs. 2 InsO); BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 56 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977; MK-InsO/Tetzlaff/ Kern, 3. Aufl. 2014, § 274 Rn. 3; Damm, Zwangsvollstreckung, 12. Aufl. 2017, § 8 Rn. 466; Geißler, DStRK 2017, 346 (Anm. zu FG Münster, Urt. v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15 U, NZI 2017, 939 = ZIP 2017, 2217). 174) So aber Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 165, 172 in Bezug auf den geringeren Vergütungsanspruch des Sachwalters. 175) Siehe Nachweis in Fn. 108, S. 30.
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E. Stellung und Funktion des Sachwalters
hende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des eigenverwaltenden Schuldners ein und zwingen diesen, seine Aufgaben im Einvernehmen und ständigen Informationsaustausch mit dem Sachwalter zu erledigen. Die Trennungs- und Verbindungslinien der beiden Kompetenzkreise sind für die 88 Überwachung durch den Gläubigerausschuss von grundlegender Bedeutung. Sie lassen sich wie folgt systematisieren:
II. Prüfungspflichten Prüfungspflichten dienen ebenso wie Überwachungs- und Meldepflichten primär dem 89 Gläubigerschutz. Grundlegend ist die Pflicht des § 274 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 InsO: „Der Sachwalter hat die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen […].“ Er hat sich unverzüglich nach der Übernahme des Amtes durch Bestandsaufnahme und Analyse mit der wirtschaftlichen und rechtlichen Situation des Schuldners vertraut zu machen und diese während der gesamten Dauer des Verfahrens permanent zu beobachten.176) Er hat ferner zu untersuchen, ob der Schuldner oder dessen organschaftliche Vertreter zur Führung der Eigenverwaltung geeignet sind und realistische Möglichkeiten für eine Betriebsfortführung bestehen.177) Die Prüfungspflicht ist Ausgangspunkt verschiedener Folgepflichten, zum Beispiel nach § 274 Abs. 3, § 280 und § 285 InsO. Besondere Untersuchungen sehen § 281 Abs. 1 Satz 2 InsO (Prüfung der Masse- und Gläubigerverzeichnisse), § 281 Abs. 3 Satz 2 InsO (Prüfung der Schlussrechnung), § 283 Abs. 1 InsO (Prüfung der angemeldeten Insolvenzforderungen) und § 283 Abs. 2 Satz 2 InsO (Prüfung der Verteilungsverzeichnisse) vor.
III. Überwachungs- und Meldepflichten Überwachungspflichten stehen in engem Zusammenhang mit den Prüfungspflichten. 90 Sie sind zukunftsorientiert wahrzunehmen.178) Maßgebend bestimmt § 274 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 InsO, dass der Sachwalter die Geschäftsführung des Schuldners sowie seine Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen hat. Die Überwachung ist so zu organisieren, dass die rechtzeitige Einbindung des Sachwalters in die Entscheidungsprozesse des Schuldners stets sichergestellt ist; insbesondere gilt dies bei der Erarbeitung, Durchführung und Kontrolle von Sanierungsmaßnahmen. Der Sachwalter ist verpflichtet, solche Prozesse beratend zu begleiten, darf sie aber nicht ___________ 176) So auch Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 274 Rn. 12. 177) Vgl. FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 274 Rn. 58, 61; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 274 Rn. 12; Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 173. 178) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 247 Rn. 74 = NZI 2016, 796 = ZIP 2016, 1592; BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 966 Rn. 64 a. E. = ZIP 2016, 1981 mit zust. Anm. Körner/Rendels, EWiR 2016, 763 f; KPB-InsO/Pape, 49. EL. 07.2012, § 274 Rn. 71; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 274 Rn. 49; BeckOK-InsO/ Plaßmeier/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 274 Rn. 23; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 274 Rn. 12.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
ohne Mitwirkung des Schuldners lenken oder gar für ihn die Entscheidungen treffen179) oder sich auf andere Weise zum „treibenden Unterstützer“180) der Eigenverwaltung aufschwingen.
91 Eine weitere, weitgehend als bedeutsam angesehene Grundpflicht,181) die sogenannte Nachteilsmeldepflicht, statuiert § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO: „Stellt der Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, so hat er dies unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen.“ Der Sachwalter hat demnach in seiner gesamten Tätigkeit nicht nur ständig zu beobachten und zu prüfen, ob derartige nachteilsindizierende Umstände vorliegen, sondern sie auch umgehend den weiteren aufsichtsführenden Stellen zu melden. Prüfungs- und Überwachungspflichten wären sinnlos, wenn mit ihnen nicht zugleich Anzeige- und Redepflichten verbunden wären. Sie treten an die Stelle unmittelbarer Eingriffsmöglichkeiten des Sachwalters.182)
92 Vereinzelt wird die Ansicht vertreten, dass die Nachteilsanzeige nur geringe praktische Bedeutung habe.183) Allenfalls als Druck-, nicht aber als Sanktionsmittel komme ihr eine Funktion zu. Der Sachwalter stehe in der Realität durch das von Sanierungsberatern gesteuerte Auswahlverfahren derart unter Druck, dass er Nachteile für die Gläubiger nicht pflichtgemäß melde.184) Ein Sachwalter, der insoweit seinen gesetzlichen Pflichten nachkomme, mache sich „unbeliebt“, schädige damit seine eigene Reputation und seine wirtschaftlichen Interessen und könne nicht damit rechnen, von beteiligten Sanierungsberatern und Großgläubigern zukünftig als Sachwalter oder Insolvenzverwalter vorgeschlagen zu werden.185) Diese Diagnose, die
___________ 179) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 247 f. Rn. 73 = NZI 2016, 796 = ZIP 2016, 1592; BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 966 Rn. 64 = ZIP 2016, 1981 mit zust. Anm. Körner/Rendels, EWiR 2016, 763 f; BeckOK-InsO/Plaßmeier/ Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 274 Rn. 23. 180) Frind, NZI 2014, 937, 942 a. E.; ders. InsbürO 2016, 14, 20; Haarmeyer/Mock, ZInsO 2016, 2125, 2127. 181) Allg. hierzu: AG Köln, Beschl. v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, NZI 2018, 210, 211 = ZInsO 2018, 743, 744; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 274 Rn. 58 ff.; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 274 Rn. 13; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 274 Rn. 16; Zimmer, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz 3. Aufl. 2017, § 48, Rn. 2; Frind, NZI 2014, 937, 939 f.; zur Unterdrückung meldepflichtiger Umstände in der Praxis siehe Frind, ZInsO 2015, 22; vgl. auch BAKinso, ZInsO 2018, 2792, der eine wirksamere Ausgestaltung der Nachteilsmeldepflicht fordert. 182) MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 274 Rn. 66; Schur, ZIP 2014, 757, 760 f. 183) Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 191. 184) Zutr. Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 187 f. 185) Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 188.
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E. Stellung und Funktion des Sachwalters
bedeutsame Auswirkungen auf die Tätigkeit des Gläubigerausschusses hat, ist zuzustimmen und wird durch die Ergebnisse der ESUG-Evaluierung bestätigt.186) Das Pflichtenprogramm des § 274 InsO gilt bereits für den vorläufigen Sachwalter 93 (vgl. § 270a Abs. 1 Satz 2, § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO). Es ist wegen des im deutschen Insolvenzrecht stark ausgeprägten Gläubigerschutzgedankens (vgl. nur § 1 Satz 1, § 21 Abs. 1, § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) sehr weit auszulegen.187) Aus den Prüfungs- und Überwachungspflichten folgt auch die Redepflicht des 94 Sachwalters im Berichtstermin (§ 281 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 156 Abs. 1 InsO); sie gilt entsprechend in weiteren Gläubigerversammlungen, in denen es um die Lage oder die Geschäftsführung des Schuldners geht (vgl. etwa § 157 Satz 3, § 232 Abs. 1 Nr. 3, § 235 Abs. 1, 2 InsO). Die Zuständigkeit des Sachwalters für die Anzeige der drohenden oder eingetretenen Masseunzulänglichkeit (§§ 285, 208 InsO) ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen. Gleiches gilt für seine Pflicht, nach erfolgter Prüfung der Verzeichnisse und der Schlussrechnung des Schuldners mitzuteilen, ob Einwendungen zu erheben sind (§ 281 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 InsO).
IV. Mitwirkungspflichten Gesetzliche Mitwirkungsrechte des Sachwalters bei Rechtshandlungen des Schuldners 95 sind besondere Ausprägungen der Prüfungs- und Überwachungspflicht. Sie begründen zugleich eine entsprechende Pflicht des Sachwalters zur Zustimmung, wenn und soweit diese angesichts des Verfahrenszwecks, der wirksam beschlossenen Vorgaben der Gläubigerversammlung (§ 270 Abs. 1 Satz 2, §§ 157, 159, 217 InsO) und des Verfahrensstandes sachlich gerechtfertigt und geboten ist. Ihre Erfüllung ist ohne vorangehende sorgfältige Prüfung und Überwachung nicht vorstellbar. Bedeutung erlangen die Mitwirkungspflichten und die damit verbundenen Prüfungspflichten des Sachwalters insbesondere
bei den in § 279 Satz 3 InsO genannten arbeitsrechtlichen Befugnissen (§§ 120, 122, 126 InsO) sowie bei der Abwicklung von Verträgen (§ 275 Abs. 1, § 279 InsO),
bei der Begründung von Verbindlichkeiten (§ 275 Abs. 1 InsO),
bei der Ausübung des gerichtlich angeordneten besonderen Zustimmungsvorbehalts (§ 277 Abs. 1 InsO),
bei der Verwertung von Sicherungsgut (§ 282 Abs. 2 InsO),
___________ 186) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 86 = BT-Drucks. 19/4880, S. 126: „Die Fallstudien und die Befragungsergebnisse legen jedenfalls in einem gewissen Umfang nahe, dass der Sachwalter einen Anreiz haben kann, Nachteile nicht anzuzeigen […].“ 187) Allg. zum Prinzip des Gläubigerschutzes Uhlenbruck/Pape, InsO, 15. Aufl. 2019, § 1 Rn. 2.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
bei der Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung (§ 276a Satz 2 InsO) und
bei der Aufstellung eines Insolvenzplanes (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO).
96 Für Umfang und Intensität der Prüfung des Sachwalters ist es unerheblich, ob die Wirksamkeit der Rechtshandlung im Außenverhältnis von der Zustimmung des Sachwalters abhängt (vgl. § 277 Abs. 1, § 279 Satz 3, § 276a Satz 2 InsO)188) oder ob der Schuldner im Fall von Soll-Vorschriften (vgl. § 275 Abs. 1, § 279 Satz 2, § 282 Abs. 2 InsO)189) nur im Innenverhältnis auf dessen Mitwirkung angewiesen ist.190) In beiden Fällen können durch pflichtwidriges Verhalten des Schuldners und Nachlässigkeit des Sachwalters wirtschaftlich irreparable Nachteile für die Gläubiger eintreten.191) Der Sachwalter hat daher beide Varianten der Mitwirkung mit der gleichen Sorgfalt wahrzunehmen.
V. Verwaltungs- und Verfügungsrechte 97 Neben der gerichtlichen Anordnung eines besonderen Zustimmungsvorbehalts (§ 277 Abs. 1 InsO) erfolgt der stärkste Eingriff in die Rechtsstellung des eigenverwaltenden Schuldners durch die Verwaltungs- und Verfügungsrechte, die das Gesetz dem Sachwalter durch § 275 Abs. 2 und § 280 InsO einräumt.
1.
Übernahme der Kassenführung nach § 275 Abs. 2 InsO
98 Der Sachwalter hat nach § 275 Abs. 2 InsO jederzeit die Möglichkeit, durch formlose Erklärung gegenüber dem Schuldner die Zuständigkeit für dessen gesamten Zahlungsverkehr an sich zu ziehen (sog. Kassenführungsrecht).192) Alle Ein- und Auszahlungen sowie der gesamte unbare Zahlungsverkehr dürfen anschließend nur noch vom Sachwalter ausgeführt werden; er übt die Verfügungsbefugnis über die
___________ 188) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 225 zu § 338 (= § 277 InsO); Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 742. 189) Vgl. dazu Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl. 2008, Teil B, 1.1. Rn. 84. 190) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 225 zu § 340 Satz 2 (= § 279 Satz 2 InsO): „Ein Verstoß des Schuldners gegen diese Vorschrift hat im allgemeinen keine Außenwirkung; die Ausübung des Wahlrechts oder des Kündigungsrechts ist wirksam, auch wenn der Sachwalter nicht einverstanden ist.“ Ebenso ebd. S. 266 zu § 343 Abs. 2 (= § 282 Abs. 2 InsO) unter Hinweis auf § 340 Satz 2. 191) Bartels, KTS 2010, 259, 274. 192) Zum leicht anachronistischen Begriff vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 336 (= § 275 InsO).
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E. Stellung und Funktion des Sachwalters
Bankkonten oder die von ihm eingerichteten Sonder- bzw. Anderkonten aus.193) Die Übernahme der Kassenführung ist nicht an besondere gesetzliche Voraussetzungen gebunden. Sie steht im pflichtgemäßen Ermessen des Sachwalters194) und bedarf keines bestimmten Anlasses.195) Insbesondere ist nicht erforderlich, dass bereits ein pflichtwidriges Verhalten des Schuldners vorliegt oder eine solche Pflichtverletzung unmittelbar droht.196) Abzulehnen ist die abweichende Auffassung, wonach die Übernahme der Kassen- 99 führung die Besorgnis voraussetze, der Schuldner könne die Gläubigerinteressen verletzen.197) Die anlasslose Übernahme der Kassenführung widerspricht nicht der Kompetenzverteilung in der Eigenverwaltung,198) weil das Übernahmerecht kraft Gesetzes als generelle verfahrensrechtliche Gestaltungsbefugnis besteht.199) Die Schwierigkeiten einer effizienten Kontrolle des schuldnerischen Zahlungsverkehrs ohne Verfügungsgewalt des Sachwalters über die Zahlungsmittel und Bankkonten sind so naheliegend, dass die Eigenverwaltung schon nach dem gesetzlichen Mo___________ 193) Nach BGH, Urt. v. 7.2.2019, IX ZR 47/18, NJW 2019, 1442, 1445 Rn. 31 f. = NZI 2019, 414 = ZIP 2019, 718, ist ein Sonderkonto anzulegen (für das Regelverfahren); siehe auch KPBInsO/Pape, 28. EL. 03.2007, § 275 Rn. 26; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 275 Rn. 19; K. Schmidt/Undritz, InsO, § 275 Rn. 7; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 275 Rn. 8; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 275 Rn. 21; ebenso HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 275 Rn. 17. Zur Frage, ob der Sachwalter ein Ander- oder Sonderkonto einzurichten hat vgl. Undritz/Schur, ZIP 2016, 550, 554 sowie Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 275 Rn. 7 m. w. N. (Erforderlichkeit eines Sonderkontos); HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 275 Rn. 15 (für die Zulässigkeit eines Anderkontos). Zur Kontoführung des (vorläufigen und endgültigen) Sachwalters insgesamt ausführlich Kamm, Kontoführung, 2017, S. 173 – 196. 194) AG Hannover, Beschl. v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893, 1894 a. E. = ZInsO 2015, 1111; KPB-InsO/Pape, 28. EL. 03.2007, § 275 Rn. 24 f.; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 275 Rn. 18; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 275 Rn. 7; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 275 Rn. 20 f.; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 275 Rn. 19; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 90 Rn. 75; Minuth, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 48 m. w. N. in Fn. 94; Kamm, Kontoführung, 2017, S. 174 f.; Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 210. 195) Kamm, Kontoführung, 2017, S. 175; Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 210; a. A. wohl Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 275 Rn. 7 (Gefährdung der Gläubigerinteressen). 196) So nunmehr zutr. Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 253, der abweichend von seiner bisherigen Auffassung (Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 126 f.) durchaus die mit der Kassenführung verbundenen Vorteile für den Eigenverwalter anerkennt. Minuth, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 48. 197) Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 275 Rn. 7; so auch ursprünglich Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 126 f. 198) So aber seinerzeit Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 127; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 970. 199) AG Hannover, Beschl. v. 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893, 1894 a. E. = ZInsO 2015, 1111; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 275 Rn. 20; ebenso im Erg. und unter Bezug auf § 57 VerglO auch HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 275 Rn. 12 f.; Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 210.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
dell ipso iure mit dieser Eingriffsmöglichkeit des Sachwalters belastet ist. Die Gesetzesmaterialien200) enthalten keinen Hinweis auf ein anderes Normverständnis.
100 Eine Pflicht zur Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter besteht grundsätzlich nicht.201) Er hat deshalb nach dem pflichtgemäßen Ermessen202) eines ordentlichen und gewissenhaften Sachwalters (§ 274 Abs. 1 i. V. m. § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO) darüber zu entscheiden, ob zum Schutz der Gläubiger die unmittelbare Übernahme der Kassenführung zweckmäßiger als andere Aufsichtsmaßnahmen erscheint. Dabei können auch rein organisatorische Gesichtspunkte bedeutsam sein, etwa die Größe des Unternehmens oder der Umfang und die Streuung des Zahlungsverkehrs. Dass die Übernahme für den Schuldner mit zusätzlichem Aufwand oder gar mit Zeitverzug im Tagesgeschäft verbunden ist, steht ihrer Zweckmäßigkeit im Interesse des Gläubigerschutzes nicht entgegen. Besondere Umstände können dazu führen, dass sich das Ermessen des Sachwalters auf Null reduziert und die Übernahme unabweisbar notwendig wird.203)
101 Anders als ein gerichtlich angeordneter Zustimmungsvorbehalt nach § 277 InsO wirkt das Übernahmeverlangen des Sachwalters nach § 275 Abs. 2 InsO unmittelbar nur im Innenverhältnis zum eigenverwaltenden Schuldner. Die grundsätzlich beim Schuldner verbleibende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse wird nicht berührt.204) Der Sachwalter handelt im Bereich des Zahlungsverkehrs deshalb entweder als gesetzlicher Vertreter des Schuldners205) oder als Amtswalter mit gesetzlich definiertem Aufgabenkreis. Zahlungen, die der Schuldner trotz der Übernahmeerklärung leistet oder annimmt, haben gleichwohl schuldbefreiende Wirkung.206) ___________ 200) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 336 (= § 275 InsO), mit kurzem Hinweis auf § 57 VerglO. In diesem Sinne wohl auch Böhle-Stamschräder/Kilger, VerglO, 11. Aufl. 1986, § 57, S. 136 zu 3): „Diese Befugnis [zur Kassenführung] ist gegeben, ohne daß es dazu […] einer ausdrücklichen Anordnung des Gerichts bedarf.“ 201) Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 210 f. 202) Siehe Nachweis in Fn. 194. 203) K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 275 Rn. 7; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 275 Rn. 26; Kamm, Kontoführung, 2017, S. 175. 204) Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 736; Buchalik/Hiebert, ZInsO 2015, 1953, 1955, die gleichwohl von „verkümmerte[r] Eigenverwaltung“ sprechen. 205) BGH, Urt. v. 19.5.1988 – III ZR 38/87, NJW-RR 1988, 1259, 1260 (für einen Vergleichsverwalter); KPB-InsO/Pape, 28. EL. 03.2007, § 275 Rn. 26; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 275 Rn. 19; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 275 Rn. 26; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 275 Rn. 8; vgl. auch HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 275 Rn. 17, mit der Konsequenz, dass der Sachwalter keine eigenständige Rechnungslegungspflicht gegenüber dem Insolvenzgericht habe; a. A. Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 260 m. w. N. in Fn. 217; Undritz/Schur, ZIP 2016, 550, 553 f. 206) AG Hannover, 8.5.2015 – 909 IN 264/15, ZIP 2015, 1893; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 90 Rn. 74.
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F. Zwischenergebnis: Rechtlicher Kern der Eigenverwaltung
2.
Geltendmachung von Haftungs- und Anfechtungsansprüchen (§ 280 InsO)
Ausschließlich zuständig ist der Sachwalter nach § 280 InsO für die Anfechtung 102 von Rechtshandlungen nach den §§ 129 – 147 InsO sowie für die Geltendmachung der Haftung nach den §§ 92, 93 InsO (Gesamtschaden, persönliche Haftung der Gesellschafter) und analoger Ansprüche. Analog anzuwenden ist § 280 InsO etwa auf Ansprüche gegen Geschäftsführer, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder wegen Verletzung ihrer organschaftlichen Pflichten (§ 92 InsO, § 43 GmbHG, §§ 92, 93 Abs. 5 Satz 4, § 116 AktG, § 34 Abs. 3, 5, § 41 GenG), gegen Aktionäre wegen des Empfangs verbotener Leistungen (§ 62 Abs. 2 AktG),207) gegen Dritte wegen des Missbrauchs ihres Einflusses auf die Gesellschaft (§ 117 Abs. 5 Satz 3 AktG), gegen die gesetzlichen Vertreter eines herrschenden Unternehmens wegen pflichtwidriger Weisungen (§ 309 Abs. 4 Satz 5 AktG), gegen Genossenschaftsmitglieder auf Zahlung von Nachschüssen (§ 115e i. V. m. §§ 105 – 155d GenG),208) sowie gegen Kommanditisten auf Zahlung ihrer Einlagen (§ 171 Abs. 2 HGB).209) In diesem Bereich seiner ausschließlichen Zuständigkeit wird der Sachwalter wie 103 ein Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes tätig.210) Ihm steht nach allgemeiner Auffassung ein eigenes gesetzliches Verfügungs- und Einziehungsrecht an einem Teil der Insolvenzmasse zu.211) Er ist aufgrund seiner Unabhängigkeit (§ 274 Abs. 1, § 56 InsO) besser als der Schuldner geeignet, derartige für die Gläubigerbefriedigung besonders wichtige Ansprüche geltend zu machen.212)
F. Zwischenergebnis: Rechtlicher Kern der Eigenverwaltung Gegenüber den Versuchen, die Eigenverwaltung als eigenständiges Sanierungsver- 104 fahren im Interesse des insolventen Schuldners und als Schutzschirm gegenüber den Zumutungen der Gläubiger zu glorifizieren,213) sind als wesentliche Zwischenergebnisse der bisherigen Untersuchung folgende Gesichtspunkte festzuhalten: 1. Auch unter dem Regime der Eigenverwaltung dient das Insolvenzverfahren dem 105 in § 1 Satz 1 InsO festgelegten Verfahrenszweck der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger durch Verwertung des Schuldnervermögens und Verteilung des Erlöses (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Interessen der Gläubiger an der wirksamen Durchsetzung der Haftungsordnung haben ebenso wie in der Fremd___________ 207) 208) 209) 210) 211) 212) 213)
RegE EGInsO, 1992, BT-Drucks. 12/3803, S. 84 (zu Art. 45 Nr. 2). RegE EGInsO, 1992, BT-Drucks. 12/3803, S. 94 (zu Art. 47 Nr. 37). RegE EGInsO, 1992, BT-Drucks. 12/3803, S. 82 (zu Art. 38 Nr. 14). MK-InsO/Kirchhof, 3. Aufl. 2014, § 280 Rn. 6. Vgl. BeckOK-InsO/Kreutz/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 280 Rn. 1. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 225 zu § 341 (= § 280 InsO). Siehe oben Einleitung zu Kapitel 2, Rn. 21 ff.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
verwaltung Vorrang vor den persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen des Schuldners und seiner Anteilsinhaber.214)
106 2. Der in § 1 Satz 1 InsO angesprochene Erhalt des schuldnerischen Unternehmens ist auch in der Eigenverwaltung kein Selbstzweck, sondern stets den insolvenzbedingten Interessen und der Entscheidung der Gläubigergesamtheit untergeordnet (§§ 157, 158, 229 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Verwertung der Insolvenzmasse kann sowohl durch teilweise oder vollständige Veräußerung des Vermögens (Liquidation) als auch durch Fortführung und nachhaltige Wiederherstellung der wirtschaftlichen Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens (Sanierung) sowie Abschöpfung des hierbei entstandenen Fortführungswertes erfolgen. Liquidation und Sanierung sind gleichwertige Möglichkeiten der insolvenzrechtlichen Masseverwertung.215)
107 3. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners über die Insolvenzmasse beruht im Fall der endgültigen Eigenverwaltung auf einer konstitutiven öffentlichrechtlichen Anordnung des Insolvenzgerichts. Der eigenverwaltende Schuldner ist in seiner gesamten massebezogenen Tätigkeit, auch schon in der vorläufigen Eigenverwaltung, strikt an den gesetzlichen Zweck dieses Verfahrens (§ 1 Satz 1 InsO) sowie an die Grundsätze und Einzelregelungen des gesamten Insolvenzrechts gebunden.216)
108 4. Der Schuldner steht bei der Wahrnehmung der Eigenverwaltung stets unter der Aufsicht eines Sachwalters (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dessen Funktion erschöpft sich allerdings nicht in der Überwachung der laufenden Geschäftsführung des Schuldners (§ 274 Abs. 2, § 275 Abs. 1 InsO), sondern ihm obliegen zugleich eigenständige Mitwirkungs-, Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse (vgl. § 275 Abs. 2, § 277 Abs. 1, § 279 Satz 2, 3, §§ 280, 282 Abs. 2, § 283 Abs. 1 Satz 2, §§ 284, 285 InsO).217) Hierbei handelt es sich um typische Teilaufgaben der Insolvenzverwaltung. Der Sachwalter hat generell diejenigen besonderen Aufgaben wahrzunehmen, die in der Fremdverwaltung dem Insolvenzverwalter in erster Linie im Interesse der Gläubiger übertragen sind.218) Fügt man die eigenverwaltungsspezifischen Aufgabenkreise des Schuldners und des Sachwalters zusammen, so ergibt sich exakt der einheitliche Aufgabenkreis des Insolvenzverwalters im Regelverfahren.
109 5. Dies bedeutet: Die Eigenverwaltung ist in ihrem rechtlichen Kern nichts anderes als eine besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung. Die Aufgaben und Befugnisse, Rechte und Pflichten, die im Regelverfahren dem Insolvenzverwalter anvertraut sind, werden in der Eigenverwaltung nach Maßgabe der §§ 270 – 285 InsO auf den Schuldner (in den Fällen des § 276a InsO: auf dessen organschaftliche Vertreter) und den Sachwalter aufgespalten. Beide zusammen sind Träger der In___________ 214) 215) 216) 217) 218)
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Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff. Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff. Kapitel 2 D. I., Rn. 53 ff. Kapitel 2 E., Rn. 84 ff. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 zu § 331 (= § 270 InsO).
G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters
solvenzverwaltung, wenn auch mit verteilten Rollen, teils allein, teils gemeinsam. Die Eigenverwaltung schafft keine völlig neuen Aufgaben und Befugnisse, sondern verteilt die bestehenden nur anders. Ihre rechtliche Besonderheit besteht allein in der abweichenden Zuständigkeitsordnung für die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse und in der dadurch veränderten Stellung des Schuldners.
G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters Der (vorläufige und endgültige) Gläubigerausschuss ist durch die Regelungen des 110 § 270 Abs. 3 und des § 274 Abs. 1 i. V. m. § 56a InsO in die Entscheidungen des Insolvenzgerichts über die Anordnung der Eigenverwaltung und die Auswahl des Sachwalters in besonderer Weise einbezogen. In beiden Fällen ist die Eignung des Masseverwalters von grundlegender Bedeutung. Der Schuldner bzw. seine organschaftlichen Vertreter nehmen in der Eigenverwaltung in Arbeitsteilung mit dem Sachwalter die Befugnisse eines Insolvenzverwalters wahr. Schuldner und Sachwalter sind gemeinsam die Träger der Insolvenzverwaltung. Es kann deshalb nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass der Schuldner, wenn der ge- 111 setzliche Verfahrenszweck der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung erreicht werden soll, ebenso wie ein Insolvenzverwalter oder Sachwalter persönlich, fachlich und organisatorisch zur ordnungsgemäßen Führung der Verwaltung geeignet sein muss. Anders gewendet: Gerade weil der eigenverwaltende Schuldner im ständigen Konflikt mit seinen eigenen Interessen zu agieren hat, muss er zur Führung seines Amtes zumindest ebenso qualifiziert sein wie ein Insolvenzverwalter.
I.
Verfassungsrechtliche Vorgaben
Im Insolvenzverfahren als einem staatlich kontrollierten Gesamtvollstreckungsverfah- 112 ren ist den Insolvenzgläubigern die individuelle Durchsetzung ihrer Rechte verwehrt (§ 89 Abs. 1 InsO). Dies beschränkt ihren vermögensrechtlichen Freiraum. Es stellt zugleich einen Eingriff in die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG dar,219) denn auch schuldrechtliche Forderungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als private vermögenswerte Rechte von dieser Norm geschützt.220) ___________ 219) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.1.1991 – 1 BvR 929/89, BVerfGE 83, 201, 208 f. = NJW 1991, 1807 zu B. I. 1.; BVerfG, Beschl. v. 22.12.2005 – 1 BvL 9/05, ZInsO 2006, 317 f. Rn. 13 = ZVI 2006, 125 f. 220) BVerfG, Urt. v. 8.7.1976 – 1 BvL 19/75, BVerfGE 42, 263, 292 f. (Contergan) = NJW 1976, 1783, 1785 f. zu D. I. 5; BVerfG, Beschl. v. 8.6.1977 – 2 BvR 499/74, BVerfGE 45, 142, 179 ff. = NJW 1977, 2024, 2027 f. zu B. II. 2.; BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984 – 1 BvR 35/82, BVerfGE 68, 193, 222 f. m. w. N. = NJW 1985, 1385, 1389 zu C. II. 1; BVerfG, Beschl. v. 9.1.1991 – 1 BvR 929/89, BVerfGE 83, 201 208 f. = NJW 1991, 1807 zu B. I. 1.); BVerfG, Beschl. v. 7.12.2004 – 1 BvR 1804/03, BVerfGE 112, 93, 107 = NJW 2005, 879 f. zu B. II. 1. a.; BVerfG, Beschl. v. 22.12.2005 – 1 BvL 9/05, ZInsO 2006, 317 f. Rn. 13 = ZVI 2006, 125 f.; BVerfG, Beschl. v. 27.6.2005 – 1 BvR 224/05, NZM 2005, 657, 659 zu II. 2. b. cc. = FamRZ 2005, 1972.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
113 Das materielle und formelle Insolvenzrecht muss folglich so gestaltet sein, dass die grundrechtliche Gewährleistung des Eigentums hinreichend beachtet ist.221) Als Teil des Vollstreckungsrechts zielt es primär auf den Schutz und die Durchsetzung verfassungsrechtlich geschützter privater Interessen.222) Auch der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Justizgewähranspruch gebietet es, ein wirkungsvolles Verfahren zur Verfügung zu stellen, wenn dem Vollstreckungsgläubiger Selbsthilfe verboten ist.223) Ein funktionierendes Insolvenzverfahren liegt im öffentlichen Interesse.224)
114 Mit der in Art. 14 Abs. 1 GG verankerten Eigentumsgarantie ist es nicht zu vereinbaren, wenn die Abwicklung eines staatlichen Vollstreckungsverfahrens einer Person überlassen wird, die nicht zweifelsfrei geeignet ist, diese Aufgabe im Rahmen der Gesetze ordnungsgemäß zu erfüllen. Die Tätigkeit als Masseverwalter im Insolvenzverfahren setzt zwar keine bestimmte berufliche Ausbildung und Erfahrung voraus.225) Das wirtschaftliche Ergebnis eines solchen Verfahrens wird jedoch unbestreitbar maßgeblich durch die Fähigkeiten des Verwalters bestimmt.226) Von einem ungeeigneten Verwalter gehen von vornherein erhebliche Gefahren für die Eigentumsposition der Gläubiger aus. Es ist nicht mit hinreichender Gewissheit zu erwarten, dass er die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger realisieren wird.227) Der Mangel an Eignung kollidiert notwendigerweise mit dem Verfahrenszweck des § 1 Satz 1 InsO.
115 Dies alles hat für die Eigenverwaltung wesentliche Bedeutung. Es wäre mit einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Gefährdung der Eigentumsposition der Gläubiger verbunden, wenn das Insolvenzgericht aufgrund einfachgesetzlicher Regelungen erkennbar ungeeigneten Personen Zugang zum Amt des Masseverwal___________ 221) BVerfG, Beschl. v. 24.4.1979 – 1 BvR 787/78, BVerfGE 51, 150, 156 = BeckRS 1979, 809 zu II. 1. a; BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116, 1, 13 f. = NZI 2006, 453 f. Rn. 34; BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121, 134 = NZI 2016, 163 f. Rn. 43. 222) BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121, 134 = NZI 2016, 163 f. Rn. 43. 223) BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121, 134 = NZI 2016, 163 f. Rn. 44; vgl. auch Pape, ZInsO 2016, 428, 430. 224) BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121, 134 = NZI 2016, 163 f. Rn. 44; KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 5; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56 Rn. 2; Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149, 151. 225) BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121, 131 f. = NZI 2016, 163 f. Rn. 36. 226) So schon RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 127; Stellungnahme des Bundesrats, ebd., S. 250 (Nr. 12 zu § 66 Satz 2); RegE eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, 2014, BT-Drucks. 18/407, S. 32 (zu § 269a InsO-E, Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter). 227) Ebenso z. B. Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 3, jedoch ohne verfassungsrechtlichen Bezug.
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G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters
ters gewähren müsste. Ein derart fehlgeleitetes Verfahren wäre selbst durch die spätere Aufhebung der Eigenverwaltung wirtschaftlich kaum zu retten.228)
II. Einfachgesetzliche Grundlagen für das Erfordernis der Eignung In der Fremdverwaltung dürfen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO nur Personen zum 116 Insolvenzverwalter bestellt werden, die zur Übernahme des Amtes geeignet sind. In der Eigenverwaltung wird der Schuldner zwar nicht förmlich und ausdrücklich zum Verwalter bestellt, ihm wird jedoch durch den Anordnungsbeschluss des Insolvenzgerichts (§ 270 Abs. 1, § 271 InsO) und dessen gesetzliche Rechtsfolge die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse konstitutiv eingeräumt.229) Gleichwohl enthalten die §§ 270 – 285 InsO keine ausdrückliche Regelung, welche die Anordnung der Eigenverwaltung von der Eignung des Schuldners abhängig macht. Die Frage der Eignung des eigenverwaltenden Schuldners wird, wenn überhaupt, 117 vorwiegend im Zusammenhang mit den nachteilsindizierenden Umständen im Sinne von § 270 Abs. 2 Nr. 2, § 270a Abs. 1 Satz 1 und § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO230) oder mit Vergütungsfragen231) erörtert. Dabei bleibt zumeist offen, ob der eigenverwaltende Schuldner Kernaufgaben der Insolvenzverwaltung auf externe Geschäftsbesorger übertragen darf 232) und inwieweit er persönlich über insolvenzspezifische Mindestkenntnisse verfügen muss,233) um seine gesetzlichen Aufgaben in eigener Verantwortung bewältigen zu können. ___________ 228) Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 767, 782 Rn. 24; Schaal, Haftung, 2017, S. 25. 229) Siehe oben Kapitel 2 D I. 2., Rn. 58 ff. 230) AG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2013 í 67 c IN 501/13, NZI 2014, 312 = ZIP 2014, 487; AG Hamburg, Beschl. v. 28.2.2014 í 67c IN 1/14, NZI 2014, 566 f. = ZInsO 2014, 566; MKInsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 64, 70; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 270 Rn. 12; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl. 2017, § 270 Rn. 12; HK-InsO/ Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 14 f.; BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270a Rn. 15; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 5, Rn. 7 sowie Rn. 49 f. (Geschäftskunde und Geeignetheit in Anlehnung an § 56 InsO). Vgl. auch Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Auflage 2015, Rn. 2053; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 1; Henkel, ZIP 2015, 562, 564; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 26; BAKinso, ZInsO 2013, 2549; Haarmeyer, ZInsO 2013, 2345, 2346; Frind, DB 2014, 165, 167; ders. ZIP 2017, 993, 995 Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162, 2164. A. A. offenbar nur Haarmeyer/Wutzke/Förster/Buchalik, InsO, 2. Aufl. 2012, § 270 Rn. 12 a. E. (und mit unzutreffendem Bezug auf Uhlenbruck, NJW 2002, 3219, 3220 in Fn. 30), weil solche Voraussetzungen in § 270 InsO – anders als in § 56 InsO – nicht postuliert seien. 231) BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 967 f. Rn. 81 = ZIP 2016, 1981: „Die Eigenverwaltung setzt eine insolvenzrechtliche Expertise des Schuldners voraus. Ob der Schuldner oder seine Geschäftsführung sich diese Expertise selbst verschaffen oder zu diesem Zweck einen Berater beschäftigen, ist unerheblich […].“ 232) Befürwortend die h. A, vgl. statt aller Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 26. 233) Befürwortend MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 64, 70; ausführlich Hammes, NZI 2017, 233 ff.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
1.
§ 56 Abs. 1 InsO – allgemeines Gebot der Eignung des Verwalters
118 Das Erfordernis, dass der Schuldner zur Führung der Eigenverwaltung geeignet sein muss, kann sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO ergeben, soweit dort von der Eignung des Insolvenzverwalters die Rede ist. Dies setzt voraus, dass es sich bei dieser Norm oder diesem Teil der Norm, der in § 57 Satz 3 InsO nochmals bekräftigt wird, um eine allgemeine Vorschrift im Sinne von § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO handelt.
a) Wortlaut des § 56 InsO und Entstehung des § 270 InsO 119 Der Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO als Ganzes spricht auf den ersten Blick gegen die Anwendbarkeit der Norm auf den eigenverwaltenden Schuldner. Der Schuldner wird vom Insolvenzgericht weder formal zum Insolvenzverwalter bestellt234) (§§ 27 Abs. 1, 259 Abs. 1, 270 Abs. 1 InsO), noch ist er „aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen“. Er kann auch keine von „dem Schuldner unabhängige natürliche Person“ sein.
120 Im Gesetzgebungsverfahren ist die Frage der Eignung des eigenverwaltenden Schuldners nicht ausdrücklich diskutiert worden. Den Gesetzesmaterialien ist jedoch mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass die Eignung des Schuldners zur ordnungsgemäßen Eigenverwaltung als notwendige und geradezu selbstverständliche Voraussetzung für deren Anordnung angesehen worden ist. Im Regierungsentwurf von 1992 kommt dies insbesondere in der bereits zitierten negativen Formulierung zum Ausdruck, dass eine Person, die den Eintritt der Insolvenz nicht habe vermeiden können, meist nicht dazu geeignet sein werde, die Insolvenzmasse optimal zu verwerten und bei der Durchführung des Insolvenzverfahrens die Interessen der Gläubiger über die eigenen Interessen zu stellen.235) An anderer Stelle heißt es zur Erläuterung des heutigen § 270 InsO, dass der Schuldner, der das Insolvenzverfahren selbst beantragt habe oder den der antragstellende Gläubiger für vertrauenswürdig halte, in der Regel geeignet sei, die Eigenverwaltung bis zu einer Entscheidung der Gläubigerversammlung zu führen.236) Diese bereits mehrfach erwähnten Ausführungen237) sprechen dafür, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Eignung des Schuldners zur ordnungsgemäßen Masseverwaltung, ebenso wie bei einem Insolvenzverwalter, notwendige Bedingung für die Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis sein sollte.238) ___________ 234) Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 168. Gegen die Anwendbarkeit von § 56 Abs. 1 InsO auf den eigenverwaltenden Schuldner Laukemann, Unabhängigkeit, 2010, S. 138 f. 235) S. oben Kapitel 2 B., Rn. 38 f.; RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 (Vorbemerkungen zur Eigenverwaltung); ebenso Klinck, ZIP 2013, 853, 855. 236) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 zu § 331 RegE (= § 270 InsO). 237) Siehe oben Kapitel 2 B., Rn. 38 ff. 238) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 re. Sp.
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G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters
b) Entsprechende Anwendbarkeit des Eignungsgebots aus § 56 Abs. 1 InsO über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO In der Eigenverwaltung gelten sämtliche Normen des Insolvenzrechts außerhalb 121 des Achten Teils (§§ 270 – 285 InsO) entsprechend, soweit in diesem Teil nichts anderes bestimmt ist (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO).239) Hieraus folgt, dass die §§ 270 – 285 InsO als leges speciales in ihrem Geltungsbereich Vorrang vor den allgemeinen insolvenzrechtlichen Vorschriften haben. Ob und in welchem Umfang sie eine solche allgemeine Vorschrift verdrängen, ein bestimmtes Thema abschließend regeln oder nur eine Modifikation der allgemeinen Vorschrift erfordern, ist auf der Grundlage des Normzwecks und des systematischen Zusammenhangs durch Auslegung zu ermitteln. Dabei sind allerdings die Besonderheiten der Eigenverwaltung zu berücksichtigen, so dass es sich vielfach nur um eine entsprechende oder sinngemäße Geltung der allgemeinen Vorschrift handeln kann240) (sog. Analogieverweisung241)). Ein Analogieverbot besteht angesichts der Vorschrift des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO für die Eigenverwaltung gerade nicht. Im vorliegenden Zusammenhang ist nur derjenige Teil des § 56 InsO entsprechend 122 anzuwenden, der die Eignung des Verwalters als notwendiges Grundprinzip anspricht. Diese prinzipielle Aussage des § 56 Abs. 1 InsO gilt über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechend für alle Personen, die im Fall der Eigenverwaltung die Verwaltung und Verwertung der Masse verantwortlich leiten sollen. Dass andere Textteile des § 56 InsO auf den eigenverwaltenden Schuldner nicht passen, insbesondere die Passagen über die Unabhängigkeit des Verwalters und über seine Auswahl, ist kein durchschlagendes Gegenargument. Die generelle Analogieverweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die allgemeinen Vorschriften muss sich nicht unbedingt auf den gesamten Text einer Vorschrift erstrecken, sondern kann sich ebenso gut auf einzelne Teile einer Norm beziehen, wenn diese einen eigenständigen Rechtsgedanken zum Ausdruck bringen. So ist es im Fall des § 56 InsO. Angesichts der Unterschiede zwischen Fremd- und 123 Eigenverwaltung kommt hier keine entsprechende Anwendung sämtlicher Regelungen des § 56 InsO in Betracht, sondern nur eine solche, bei der die Übertragung einer Teilregelung auf die Eigenverwaltung sachgerecht ist. Der Rechtsgedanke der notwendigen Eignung des Insolvenzverwalters ist eine solche entsprechend anwendbare Teilregelung; er könnte ohne weiteres in einem eigenen Rechtssatz normiert sein (vgl. § 57 Satz 3 InsO). § 56 InsO ist – wie soeben dargelegt – Ausdruck eines verfassungsrechtlich zwingend 124 gebotenen Prinzips: Die Eigentumsinteressen der Gläubiger sind durch ein funktionie___________ 239) Siehe oben Kapitel 2 A. I., Rn. 24. 240) Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 129; Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 43 f. 241) Zum Begriff siehe oben Rn. 24 Fn. 39.
53
Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
rendes und wirkungsvolles Insolvenzverfahren abzusichern.242) Dazu zählt ein für den Einzelfall geeigneter Masseverwalter.243) Die persönliche, fachliche und organisatorische Eignung des Schuldners zur ordnungsgemäßen Eigenverwaltung ist nach § 270 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. der Regelung des § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO über die Eignung des Insolvenzverwalters eine verfassungsrechtlich gebotene unabdingbare Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung. Hat das Gericht auf der Grundlage seiner Ermittlungen Zweifel an dieser Eignung und können die Zweifel vor der Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung nicht vollständig ausgeräumt werden, so ist diese Ungewissheit schon für sich genommen ein nachteilsindizierender Umstand (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO).244)
2.
§ 274 Abs. 1 InsO – keine abschließende Spezialverweisung für den Schuldner
125 Gegen die Anwendung des Eignungsgebots des § 56 InsO i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO spricht auch nicht § 274 Abs. 1 InsO. Die Norm enthält eine Verweisung auf § 56 InsO zwar nur für den Sachwalter, nicht aber für den Schuldner. Es wäre jedoch verfehlt, hieraus zu schließen, § 56 Abs. 1 InsO sei für den eigenverwaltenden Schuldner in keiner Weise maßgebend.245) § 274 Abs. 1 InsO regelt ausschließlich die allgemeinen Statusfragen des Sachwalters.246) Weder aus dem Zusammenhang noch aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Bestimmung in irgendeiner Weise den Status des Schuldners berühren oder für beide Akteure der Eigenverwaltung eine abschließende Regelung darstellen soll.
3.
§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO – fehlende Eignung als nachteilsindizierender Umstand
126 Das Erfordernis der persönlichen, fachlichen und organisatorischen Eignung des Schuldners zur ordnungsgemäßen Eigenverwaltung ist ferner über § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO in die Voraussetzungen der Eigenverwaltung inkorporiert.247) Kommt das Gericht aufgrund der Angaben des Schuldners und der gerichtlich ermittelten Tatsachen nicht zu der gesicherten Überzeugung, dass der Schuldner zur Eigenverwaltung geeignet ist, so ist schon diese Ungewissheit ein Umstand, der erwarten ___________ 242) 243) 244) 245) 246) 247)
54
Siehe oben Kapitel 2 G. I., Rn. 112. Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 56 Rn. 54; K. Schmidt/Ries, InsO, 19. Aufl. 2016, § 56 Rn. 4. Kapitel 2 F., Rn. 126. So aber z. B. Laukemann, Unabhängigkeit, 2010, S. 139. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 225 zu § 335 RegE (= § 274 InsO). RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222; HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 15; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019 § 270 Rn. 46.
G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters
lässt, dass die Anordnung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird.
III. Kriterien und wesentliche Bestandteile der Eignung Während die Eignung, Auswahl und Kontrolle des professionellen Insolvenzver- 127 walters Gegenstand jahrzehntelanger intensiver Diskussionen ist,248) wurde bislang nicht ansatzweise geklärt, welchen Eignungskriterien und Grundsätzen249) der Schuldner gerecht werden muss, wenn er sein eigenes Vermögen als Insolvenzmasse verwalten soll. Es ist auch im Zusammenhang mit dem ESUG nicht geschehen, obwohl dieses Gesetz das Ziel verfolgte, den Zugang zur Eigenverwaltung zu vereinfachen,250) und es nahegelegen hätte, in diesem Zusammenhang auch klare rechtliche Anforderungen an die Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung aufzustellen. An die Feststellung, dass der Schuldner, der sich um das Privileg der Eigenverwal- 128 tung bewirbt, zu ihrer ordnungsgemäßen Führung generell geeignet sein muss, schließt sich deshalb zwangsläufig die Frage an, nach welchen Kriterien diese Eignung zu beurteilen ist und inwieweit sie denen eines Insolvenzverwalters entsprechen.251) Dabei ist auch von Bedeutung, ob der Schuldner bzw. dessen Vertretungsorgane die Verwaltung und Verwertung der Masse persönlich zu erledigen haben und in welchem Umfang sie sich hierzu geeigneter Berater bedienen dürfen. Nur nach Klärung dieser Punkte wird es möglich sein, die besonderen Aufgaben des Gläubigerausschusses und die besonderen Anforderungen an seine Tätigkeit im Zusammenhang mit der Eigenverwaltung im Einzelnen zu bestimmen.
1.
Eignung des Insolvenzverwalters
In der Fremdverwaltung darf das Insolvenzgericht zum Insolvenzverwalter nur eine 129 für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person bestellen (§ 56 ___________ 248) Exemplarisch: BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116, 1, 12 f., 17 = NZI 2006, 453, 454 f. Rn. 13, 45; Kilger, KTS 1975, 142, 147; Schick, NJW 1991, 1328 ff.; Pape, ZIP 1993, 737; Schumann, in: FS Geimer, 2002, 513 ff.; Prütting, ZIP 2002, 1965 ff.; Frind/Schmidt, NZI 2004, 533 ff.; Graeber, DZWIR 2005, 177 ff.; Bork, ZIP 2006, 58 ff.; Gaier, ZInsO 2006, 1177 ff.; Uhlenbruck, NZI 2006, 489 ff.; Henke, Effektivität, 2009, 18 ff. m. w. N.; Bitter/Falk, Wirtschaft Konkret Nr. 107, Juni 2009, S. 23; Kumpan, KTS 2010, 169 ff.; Vallender/ Zipperer, ZIP 2013, 149 ff.; Prütting, in: FS Vallender, 2015, 455 – 469; Möhring, Grenzen der Berufsausübungsfreiheit für Insolvenzverwalter (Vortrag beim ZIS, Mannheim), 2016; Vallender, NZI 2017, 641 ff.; Ganter, NZI 2018, 137 ff. (auch zur Spruchpraxis des BGH); Vallender, ZIP 2018, 353, 354, 358. Weitere Nachweise zum umfangreichen Schrifttum z. B. bei Nerlich/Römermann/Delhaes, InsO, 38. EL. 01.2019, § 56. 249) Zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung vgl. z. B. Uhlenbruck, KSI 2012, 5 ff.; Beck, in: FS Wimmer, 2017, S. 31, 44 f. m. w. N.; Frind, NZI 2018, 729 ff. 250) Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 1, 17. 251) Kapitel 2 G. II. 1., Rn. 118 ff.
55
Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
Abs. 1 Satz 1 InsO).252) Die Auswahl des Verwalters ist seit jeher anerkanntermaßen die „Schicksalsfrage des Konkurses“.253) Sie ist für die Erreichung des Verfahrensziels (§ 1 InsO) von grundlegender Bedeutung.254) Die (persönliche) Eignung ist ein Oberbegriff, dessen Teilaspekte nach allgemeiner Auffassung Zuverlässigkeit, Geschäftskunde und Unabhängigkeit sind.255)
a) Zuverlässigkeit 130 Die Eignung des Insolvenzverwalters wird maßgeblich von seiner persönlichen Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit beeinflusst.256) Er muss nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens die Gewähr dafür bieten, dass er seine Tätigkeit jederzeit ordnungsgemäß ausüben wird. Zu den persönlichen Anforderungen zählt auch Integrität,257) speziell Ehrlichkeit.258) Ein Verwalter ist zum Beispiel unzuverlässig, wenn die Gefahr einer Beeinträchtigung des Verfahrens durch seine eigenen wirtschaftlichen Interessen besteht,259) etwa weil er Wirtschaftsstraftaten begangen,260) nicht vorhandene Qualifikationen vorgespiegelt261) oder dem Insolvenzgericht in sonstiger Weise vorsätzlich falsche Auskünfte erteilt hat oder Umstände verschweigt, die geeignet wären, ernsthafte Zweifel an seiner Unabhängigkeit zu begründen.262)
b) Geschäftskunde und Fähigkeit zur persönlichen Amtsführung 131 Der Insolvenzverwalter muss alle juristischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und Fähigkeiten haben, die zu einer geordneten Verwaltung des Vermögens ___________ 252) Zur gerichtlichen Praxis siehe Frind, NZI 2012, 650, 652. 253) So die klassische Formulierung von Jaeger, KO, 6./7. Aufl. 1936, § 78 Anm. 7. Aus neuerer Zeit siehe Uhlenbruck, KTS 1989, 229 ff.; ebenso z. B. Harbrecht, in: FS Beck, 2016, 255, 262; Gehrlein, ZInsO 2018, 2234. 254) HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 56 Rn. 1; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019 § 56 Rn. 1. 255) NWB-InsO/Bornheimer, 2013, § 56 Rn. 1; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 56 Rn. 40; Bork, ZIP 2013, 145, 146. 256) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 127 zu § 66 (= § 57 InsO). 257) Hierzu ausführlich KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 182 f.; FK-InsO/Jahntz, 9. Aufl. 2018, § 56 Rn. 12; Zipperer, EWiR 2017, 435 f. 258) BGH, Beschl. v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 128 f. = NZI 2004, 440 = ZIP 2004, 1214; BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15, NZI 2017, 667, 669 Rn. 14 = ZIP 2017, 1230 f. m. zust. Anm. Zipperer, EWiR 2017, 435 f. 259) BVerfG, Beschl. v. 12.7.2006 – 1 BvR 1493/05, ZIP 2006, 1956 f. Rn. 12 = ZInsO 2006, 1102 f.; KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 183. 260) BGH, Beschl. v. 31.01.2008 – III ZR 161/07, NZI 2008, 241 Rn. 5 = ZIP 2008, 466. 261) BGH, Beschl. v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 129 = NZI 2004, 440 = ZIP 2004, 1214. 262) BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – IX ZB 102/15, NZI 2017, 667, 669 Rn. 12 = ZIP 2017, 1230 f. m. zust. Anm. Zipperer, EWiR 2017, 435 f.
56
G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters
und der Verbindlichkeiten unerlässlich sind.263) Hierzu zählt jedenfalls bei Betriebsfortführungen die praktische Befähigung zur ordnungsgemäßen Leitung und, falls notwendig, Abwicklung des Unternehmens, nicht aber die vorherige Tätigkeit als Verwalter.264) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Insolvenzverwalter Kernaufgaben265) der 132 Masseverwaltung persönlich wahrzunehmen hat.266) Hierzu muss er selbst fachlich und organisatorisch in der Lage sein. Exakt lässt sich der Kernbereich persönlicher Amtsführung von den delegationsfähigen Verwalteraufgaben zwar nicht abgrenzen.267) Überwiegend anerkannt ist jedoch, dass hierzu die Organisation der Gesamtabwicklung des Verfahrens268) sowie alle für den Gang und den wirtschaftlichen Erfolg des Verfahrens wichtigen Entscheidungen gehören. Insbesondere hat der Insolvenzverwalter alle unternehmerischen und arbeitsrechtlichen Führungsentscheidungen zu treffen, etwa solche über die Fortführung des Betriebes oder dessen Einstellung,269) über die Anerkennung von Aus- und Absonderungsrechten, über den Eintritt in Verträge sowie über die Art und Weise der Masseverwertung.270) Ferner gehören zum Kernbereich seiner Aufgaben die persönliche Teilnahme am Berichts- und Prüfungstermin und an allen übrigen Gläubigerversammlungen sowie die sonstige Berichterstattung gegenüber dem Gericht, dem Gläubigerausschuss und den übrigen Verfahrensbeteiligten.271) ___________ 263) KPB-InsO/Lüke, 76. EL. 05.2018, § 56 Rn. 39. 264) KPB-InsO/Lüke, 76. EL. 05.2018, § 56 Rn. 41. 265) Zur Terminologie siehe BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225, 228 Rn. 9 = ZIP 2013, 2070, 2071, der diese Aufgaben als „insolvenzverfahrensspezifische Handlungen“ bezeichnet. Beide Begriffe werden synonym gebraucht; vgl. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 56 Rn. 21. 266) Zur allgemein anerkannten Notwendigkeit der persönlichen Amtsführung des Insolvenzverwalters und zu ihren Grenzen vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, NZI 2009, 641, 643 Rn. 23 ff. = ZIP 2009, 1722; BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, NZI 2016, 163, 165 Rn. 49 = ZIP 2016, 321; BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225, 228 Rn. 9 = ZIP 2013, 2070; BGH, Beschl. v. 25.9.2014 – IX ZB 11/14, NZI 2015, 20, 22 Rn. 27 f. = ZIP 2014, 2399; BGH, Beschl. v. 13.10.2016 – IX AR (VZ) 7/15, NZI 2016, 913, 914 Rn. 13 = ZIP 2016, 2127; KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 130, 190; KPB-InsO/Lüke, 76. EL. 05.2018, § 56 Rn. 44; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56 Rn. 35, 57, 59, 61; Pape, ZIP 1993, 737, 741 (zum Konkursverwalter); Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2236. 267) Ausführlich HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56 Rn. 60 f. sowie Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 56 Rn. 20 f. 268) BFH, Urt. v. 15.12.2010 í VIII R 50/09, NZI 2011, 301, 304 Rn. 44 = ZIP 2011, 582. 269) KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 190. 270) K. Schmidt/Ries, InsO, 19. Aufl. 2016, § 56 Rn. 29. 271) BFH, Urt. v. 15.12.2010 í VIII R 50/09, NZI 2011, 301, 305 Rn. 45 f. = ZIP 2011, 582; KKInsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 192, 194; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 56 Rn. 21; MK-InsO/Graeber, 4. Aufl. 2019, § 56 Rn. 149; vgl. auch die Aufstellung bei Frind, InsbürO 2015, 47, 49.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
133 Zu den delegierbaren, also nicht zwingend persönlich wahrzunehmenden Aufgaben zählen unter anderem solche, die ein Verwalter ohne volljuristische Ausbildung nicht ohne rechtliche Unterstützung bewältigen kann,272) ferner die Erledigung von steuerlichen und buchhalterischen Angelegenheiten,273) die datentechnische Tabellenführung,274) alle sonstigen administrativen Routinearbeiten275) sowie einfache kaufmännische Tätigkeiten.276)
c)
Unabhängigkeit
134 Der Insolvenzverwalter muss nach nahezu einhelliger Auffassung von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängig sein und das Amt unparteiisch führen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 InsO).277) Er muss die Gewähr bieten, dass er sich nicht von sachwidrigen Einflüssen278) oder verfahrenszweckwidrigen Entscheidungen der Gläubigergremien bestimmen lässt279) und vor allem keinen Verfahrensbeteiligten oder gar Außenstehenden gesetzwidrig bevorzugt.280) Etwaige Interessenkollisionen hat er dem Gericht und dem Gläubigerausschuss unverzüglich anzuzeigen.281) Die singuläre Gegenauffassung, wonach die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters der Disposition der Gläubiger unterliege,282) hat angesichts des eindeutigen, entgegenstehenden Gesetzeswortlauts und des Schutzzwecks des Unabhängigkeitserforder-
___________ 272) BGH, Urt. v. 17.9.1998 – IX ZR 237/97, BGHZ 139, 309, 317 f. = NZI 1998, 77, 80; LG Aachen, Beschl. v. 8.5.2007 – 6 T 67/07, ZInsO 2007, 768, 769. 273) BGH, Beschl. v. 11.11.2004 – IX ZB 48/04, NZI 2005, 103 f. = ZIP 2005, 36 f.; KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 191. 274) Frind, InsbürO 2015, 47, 50. 275) Eine ausführliche Aufstellung delegationsfähiger Verwalteraufgaben finden sich unter anderem bei KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 197 und Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 56 Rn. 22. 276) BFH, Urt. v. 15.12.2010 í VIII R 50/09, NZI 2011, 301, 303 Rn. 42 = ZIP 2011, 582. 277) Siehe vor allem Bork, ZIP 2013, 145 f.; ferner KPB-InsO/Lüke, 76. EL. 05.2018, § 56 Rn. 47; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56 Rn. 66, 68 – 70; KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 145; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1042; Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 – 153; deutlich auch GrafSchlicker, ZInsO 2013, 1765, 1766; Kebekus/Zenker, in: FS Beck, 2016, S. 285, 295. 278) Graeber, NZI 2002, 345, 346; vgl. auch Hirte/Knof/Mock, Insolvenzrecht, 2012, S. 18, die insbesondere eine laufende Zusammenarbeit zwischen Sanierungsberatern und Insolvenzverwaltern zu Recht sehr kritisch sehen. 279) Vgl. Grell, NZI 2006, 77, 80. 280) Vgl. HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56 Rn. 66 mit Beispielen und Nachweisen; Frind, ZInsO 2010, 1966, 1969. Bitter, Wirtschaftsspiegel v. 1.6.2015, S. 18, 21 spricht zutreffend von dem „Ehrenkodex der Unabhängigkeit“. 281) BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262, 277 f. = NJW 1991, 982, 985. 282) A. Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238 ff.
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G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters
nisses mit Recht ablehnende und scharfe Kritik erfahren.283) Weder die Gläubigerversammlung noch der begrenzt legitimierte vorläufige Gläubigerausschuss284) haben die Kompetenz, diese (auch) im öffentlichen Interesse bestehende Bestellungsvoraussetzung abzubedingen.285)
2.
Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung
Für die Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung gelten im Grundsatz die glei- 135 chen Maßstäbe wie beim Insolvenzverwalter.286) Abweichende Auffassungen, die aus der Gesamtheit der Vorschriften über die Eigenverwaltung herauslesen wollen, dass die fachliche und persönliche Eignung des eigenverwaltenden Schuldners nicht dem partiellen Geltungsbereich des § 56 InsO unterliege,287) sind schon aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen.288) In den Fällen des § 276a InsO sind die Eignungskriterien auf die organschaftlichen Vertreter des Schuldners entsprechend anzuwenden.289) Besonderheiten und Unterschiede ergeben sich daraus, dass der Schuldner nicht von sich selbst unabhängig sein kann. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz in den §§ 280, 285 InsO bestimmte insolvenzspezifische und verfahrenstechnische Angelegenheiten ausschließlich dem Sachwalter zuweist. ___________ 283) Siehe Bork, ZIP 2013, 145 f., 149 und in Fn. 31: „Hingegen zeugt es weder von guter Methode noch von besonderem Respekt vor der Gewaltenteilung, wenn man versucht, das Recht zurechtzuinterpretieren. Normen sind mehr als gesetzgeberische Problemlösungsvorschläge, die man im Wege der Auslegung an das konkret zu lösende Problem anzupassen habe (so aber Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238, 2242).“ Bornemann, Unternehmenssanierungen, 2013/2014, S. 9, 22 (die Forderungen „begegnen auch dann durchgreifenden Bedenken, wenn man sie als rechtspolitische Forderung[en] liest“); Flöther, ESUG, 2013/2014, S. 27, 33 mit Fn. 8; Kebekus/ Zenker, in: FS Beck, 2016, S. 285, 29: „Letztlich soll diese Auffassung wohl lediglich die für wünschenswert erachtete Möglichkeit der Gläubiger legitimieren, im Interesse der Planbarkeit den vom Schuldner vorbefassten Sanierer auch zum Insolvenzverwalter zu wählen.“ WimmerAmend, in: FS Wimmer, 2017, S. 593, 635. 284) Bornemann, Unternehmenssanierungen, 2013/2014, S. 9, 22. 285) Bork, ZIP 2013, 145, 148. 286) In diesem Sinne wohl auch Ries, in: FS Pannen, 2017, S. 667, 672 f. („Eigenverwalter als Organ der Rechtspflege“), S. 677. 287) Vgl. etwa Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270 Rn. 25, welche die §§ 270 ff. InsO hinsichtlich der Befähigung zum Verwalteramt ohne Begründung als leges speciales qualifiziert. 288) Kapitel 2 G. I., Rn. 112 ff. – Folgerichtig ist deshalb die Regelung des § 150b Abs. 1 Satz 2 ZVG über die Bestellung des Schuldners zum Zwangsverwalter seines eigenen landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Grundstücks: „Von seiner [des Schuldners] Bestellung ist nur abzusehen, wenn er nicht dazu bereit ist oder wenn nach Lage der Verhältnisse eine ordnungsgemäße Führung der Verwaltung durch ihn nicht zu erwarten ist.“ Hier setzt das Gesetz ersichtlich voraus, dass der Schuldner fachlich und persönlich zur Zwangsverwaltung geeignet ist. Siehe dazu Haarmeyer/Wutzke/Förster/Hintzen, Zwangsverwaltung, 4. Aufl. 2007, §§ 150b – e Rn. 5; Böttcher/Keller, ZVG, 6. Aufl. 2016, § 150e Rn. 5; Kindl/ Meller-Hannich/Wolf/Sievers, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Aufl. 2016, § 150b Rn. 7. 289) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 61 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977 m. zust. Anm. Bitter ZIP 2018, 986 ff.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
a) Zuverlässigkeit 136 Die Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung hängt maßgeblich von seiner persönlichen Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit ab. Der Schuldner muss nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens die Gewähr dafür bieten, dass er die Eigenverwaltung jederzeit ordnungsgemäß ausüben wird.290) Diese Anforderung umfasst vor allem den festen Willen und die Fähigkeit des Schuldners, seine Befugnisse und Möglichkeiten entsprechend den Regeln der Insolvenzordnung und den anerkannten Grundsätzen des Insolvenzrechts einzusetzen sowie seine verfahrensrechtlichen Pflichten sorgfältig zu erfüllen, auch wenn dies für ihn mit vermögensrechtlichen Nachteilen verbunden ist.291) Insbesondere muss er bereit und imstande sein,
die Interessen der Gläubiger nicht zu gefährden,
die Bestimmungen über den Gang des Verfahrens und die Zuständigkeit der Beteiligten zu beachten,
jede ungerechtfertigte Verzögerung des Verfahrens und jede nutzlose Erhöhung der Masseverbindlichkeiten zu vermeiden,
die Insolvenzmasse vollständig zu erfassen und offenzulegen,
sie im Interesse der Gläubigergesamtheit und entsprechend deren Vorgaben zu verwalten,
den wirtschaftlichen Wert der Masse effizient und bestmöglich zu realisieren,
den Erlös nach den gesetzlichen Regeln an die Gläubiger zu verteilen sowie
den Sachwalter und den Gläubigerausschuss bei ihren Aufgaben jederzeit vorbehaltlos zu unterstützen.
137 Unzuverlässig ist insbesondere der Schuldner, der (bzw. dessen organschaftlicher Vertreter) im Vorfeld der Antragstellung Insolvenz- oder sonstige Wirtschaftsstraftaten begangen hat.292) Dabei ist zu beachten, dass eigene Eröffnungsanträge der
___________ 290) So im Kern schon AG Duisburg, Beschl. v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock), NZI 2002, 556, 560 zu III B = ZIP 2002, 1636, 1641; ähnlich AG Mannheim, 22.2.2014 – 4 IN 115/14, NZI 2014, 412, 413 f. = ZIP 2014, 484, 485 f.; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 53; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 270 Rn. 12; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 5, 50. Vgl. auch Wuschek, ZInsO 2012, 110, 111, 113; Vallender, DB 2015, 231, 232; Kranzusch, ZInsO 2016, 1077, 1078; Krämer, NZI 2017, 960, 965. 291) Vgl. AG Köln, Beschl. v. 17.9.1999 – 71 IN 28/99, NZI 1999, 466 = ZIP 1999, 1646 f. 292) Vgl. z. B. AG Essen, Beschl. v. 1.9.2015 – 163 IN 14/15, NZI 2015, 931 = ZInsO 2015, 1981; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; Lau, DB 2014, 1417 f.; Vallender, DB 2015, 231, 233.
60
G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters
Schuldner erfahrungsgemäß in ihrer großen Mehrzahl verspätet gestellt werden.293) Nicht gerechtfertigt wäre es hingegen, dem Schuldner die Zuverlässigkeit abzusprechen, nur weil er wirtschaftlich gescheitert ist.294) Der Eintritt der Insolvenz, auch in den Varianten der drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, ist allerdings ein negatives Indiz,295) welches zumindest den ersten Anschein erweckt, der Schuldner sei nach seinen persönlichen, fachlichen und organisatorischen Fähigkeiten nicht imstande, seine Vermögensverhältnisse nachhaltig zu beherrschen und geordnet zu halten,296) und sei deshalb auch für die Aufgaben der Eigenverwaltung ungeeignet. Hilfskräfte und externe Berater, insbesondere Unternehmens- und Sanierungsbera- 138 ter, müssen ebenso zuverlässig sein wie der Masseverwalter selbst. Bedient sich der Schuldner zur Führung der Eigenverwaltung der maßgeblichen Hilfe solcher Berater, so ist auch deren Zuverlässigkeit Teil der Eignung des Schuldners.297)
b) Geschäftskunde Darüber hinaus setzt die Eignung zur Eigenverwaltung voraus, dass der Schuldner 139 über die notwendigen geschäftlichen, auf sein Unternehmen und seine Branche bezogenen Kenntnisse und Erfahrungen sowie über die organisatorischen und technischen Hilfsmittel verfügt, die ihn in die Lage versetzen, ein Insolvenzverfahren ordnungsgemäß und zügig zu bewältigen.298) Branchen- und Unternehmenskenntnisse sind – anders als beim Insolvenzverwalter – in aller Regel nicht das Problem, da gerade der Schuldner über sie verfügen müsste. Ob er aber fähig ist, sein Unternehmen unter den (noch) schwierigeren Bedingungen eines Insolvenzverfahrens zu ___________ 293) Kirstein, ZInsO 2006, 966, 967 geht auf Basis von 326 ausgewerteten Verfahren davon aus, dass die materielle Insolvenz im Durchschnitt rund 10 Monate vor der tatsächlichen Antragsstellung eingetreten war. Bitter/Röder, ZInsO 2009, 1283, 1287 gehen auf Basis einer Befragung von Verwaltern davon aus, dass 2/3 der Unternehmen den Antrag zu spät stellen. Ähnlich auch Pape, ZInsO 2010, 1582, 1586; Falk, ZRG GA 131 (2014), S. 266, 283 f.; Goetker/ Schulz, ZIP 2016, 2095, 2099; Frind, ZIP 2017, 993, 994 m. w. N. in Fn. 18. Noch immer aktuell auch Weber, KTS 1959, 80, 83 sowie die Klage eines Konkursrichters aus dem Jahr 1931 (siehe Schloßmann, KuT 1931, 85, 87): „Die Schuldner halten andrerseits mit ihrem Anträgen zurück, weil sie hoffen, sich doch noch irgendwie über Wasser halten zu können. Wenn es dann soweit ist, daß sie nicht mehr können, suchen sie nicht das Gericht auf, sondern irgendwelche berufsmäßigen Berater. Diese doktern dann erst noch wochenlang herum, bis es dann doch zum Konkurs kommen muß.“ 294) Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 48. 295) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222; Schmudde/Vorwerk, ZInsO 2006, 347, 351 f.; Häsemeyer, in: FS Schilken, 2015, S. 693, 694; Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2240. 296) Zur Bedeutung von Selbstüberschätzung und verzerrter Wahrnehmung siehe oben Kapitel 2 D., Rn. 52 mit Nachweis in Fn. 103. 297) So wohl auch BAKInsO, ZInsO 2013, 2549 (zu 2. a. E.). 298) Vgl. Rattunde, ZIP 2003, 2103, 2106; Wuschek, ZInsO 2012, 110, 111; Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2241.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
führen, hängt von seinen betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Fähigkeiten, aber auch von seinen Rechtskenntnissen ab.
140 Die Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung umfasst ebenso wie beim Insolvenzverwalter auch die gründliche Kenntnis des Insolvenzrechts299) einschließlich der hiermit zusammenhängenden Bereiche anderer Rechtsgebiete, etwa des Arbeits- und Steuerrechts.300) Ein Schuldner, der beispielsweise nicht in der Lage ist, Aus- und Absonderungsrechte (§ 282 InsO) oder Insolvenz- und Massegläubiger zu unterscheiden (§ 281 Abs. 1 Satz 1 InsO), oder dem die Rangordnung der Verbindlichkeiten oder die Besonderheiten der Verteilung nicht geläufig sind (§ 283 Abs. 2 InsO), wird nicht ordnungsgemäß mit ihnen umgehen können. Verfügt der Schuldner nicht über die erforderliche Rechtskenntnis, so hat er zumindest sicherzustellen, dass er während des gesamten Verfahrens auf einen zuverlässigen und rechtskundigen Berater zurückgreifen kann.301) Andernfalls besteht von vornherein die Gefahr gläubigerbenachteiligender und verfahrenszweckwidriger Handlungen.302)
141 Dass der Schuldner bekundet, sich die Kenntnisse im Verlauf des Eigenverwaltungsverfahrens aneignen zu wollen, reicht nicht aus.303) Ebenso wenig kann er insoweit auf den Sachwalter verweisen. Abgesehen von der beratenden Mitwirkung bei der Ausarbeitung eines Insolvenzplans (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO), zählt es nicht zu dessen gesetzlichen Aufgaben, die schuldnerische Inkompetenz durch rechtliche Beratung zu kompensieren; sie ist mit der gebotenen Unabhängigkeit (§ 274 Abs. 1, § 56 Abs. 1 InsO) und seiner Kontrollfunktion (§ 274 Abs. 2, 3 InsO) unvereinbar.304)
c)
Fähigkeit zur persönlichen Amtsführung
142 Die zentrale gesetzliche Befugnis des eigenverwaltenden Schuldners, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO), erfordert es zwingend, dass der Schuldner ebenso wie der externe Insolvenzverwalter ___________ 299) BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 967 f. Rn. 81 = ZIP 2016, 1981; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 26; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/ Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; Lau, DB 2014, 1417, 1418; Vallender, DB 2015, 231, 232. 300) Siehe bereits den Nachweis oben Kapitel 2 G. II., Rn. 117, Fn. 230; KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 135. 301) Vgl. BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 967 f. Rn. 81 = ZIP 2016, 1981. 302) Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 26. 303) Ebenso Frind, DB 2014, 165, 167; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 27; a. A. wohl Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2241. 304) OLG Dresden, 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937 ff. m. zust. Anm. Zimmer, EWiR 2015, 707 f.; vgl. auch Frind, NZI 2014, 937, 941; Hammes, NZI 2017, 233 ff.; Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 289 – 298.
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G. Notwendigkeit der Eignung des Masseverwalters
die ihm zugewiesenen Aufgaben der Masseverwaltung im wesentlichen Kern in eigener Verantwortung persönlich erfüllt.305) Wer auf eigenen Antrag partiell die Rolle des Insolvenzverwalters übernimmt, muss nach seinen Fähigkeiten imstande sein, sie seinem Part entsprechend auch selbst sachgerecht auszufüllen.306) Gleichwohl zeigt die Erfahrung, dass den meisten eigenverwaltenden Schuldnern in der Praxis selbst grundlegende Kenntnisse des Insolvenzrechts fehlen und sie auf die Aufgaben des Masseverwalters faktisch nicht oder nur äußerst unvollkommen vorbereitet sind.307) Deshalb werden auf Seiten des Schuldners nahezu alle Eigenverwaltungsverfahren unter wesentlicher Mithilfe spezialisierter Berater durchgeführt, die rechtlich betrachtet nichts anderes als Geschäftsbesorger sind.308) Die fehlenden Erfahrungen und Kenntnisse, die zur persönlichen Wahrnehmung der Kernaufgaben der Masseverwaltung erforderlich sind, dürfen jedoch, nimmt man den Normzweck des § 270 InsO ernst, nicht vollständig durch derartige Berater substituiert werden.309) Ist abzusehen, dass die Masseverwaltung in ihrem Kernbereich ganz oder teilweise, vertraglich oder faktisch auf einen Dritten delegiert oder ihm sonst zur Erledigung überlassen werden soll, so fehlt es deshalb ersichtlich an der persönlichen Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung. Die Unterstützung des Schuldners durch Berater darf niemals zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen und letztlich unkontrollierbaren Nebeninsolvenzverwaltung durch diese Personen führen.310)
d) Unabhängigkeit Das Kriterium der Unabhängigkeit des Schuldners kann in der Eigenverwaltung 143 nicht als Absolutum begriffen werden. Es fließt in die grundsätzliche Pflicht des Schuldners ein, seine Amtsführung in vollem Umfang stets am gesetzlichen Verfahrenszweck und damit am vorrangigen Interesse der Gläubigergesamtheit zu orientieren (§ 1 Satz 1 InsO).311) Eigenverwaltung ist gleichsam per definitionem von ___________ 305) Zu diesem Kernbereich siehe oben Kapitel 2 G. III. 1. b), Rn. 131 f. 306) Siehe Nachweise in Kapitel 2 D. II., Rn. 69, Fn. 144. 307) Dies bestätigen selbstverständlich auch Sanierungsberater, denn anderenfalls wäre ihr Geschäftsmodell obsolet. Hierzu z. B. Buchalik/Brömmekamp, Was ist eine Eigenverwaltung?, 2018: „Ohne professionelle Beratung und Begleitung ist der Verfahrenserfolg praktisch ausgeschlossen.“ Berner/Köster/Lambrecht, NZI 2018, 425, 426. – Aber auch in der Literatur wird dies diagnostiziert: Vgl. z. B. KPB-InsO/Pape, 1. EL. 08.1998, § 281 Rn. 18; HK-InsO/ Landfermann, 8. Aufl. 2016, vor §§ 270 ff. Rn. 19, 25; nunmehr auch HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, vor §§ 270 ff Rn. 20; Silcher/Brandt/Claas, Handbuch, 2017, Kapitel 4, Rn. 77; Frind, NZI 2014, 937, 938; BDU, ZInsO 2013, 2095, 2100; Nöll, ZInsO 2013, 745, 752; Siemon, ZInsO 2014, 172, 174, 179; Graeber, in: FS Vallender, 2015, S. 165, 177 f.; Hammes, NZI 2017, 233 ff.; Moldenhauer/Wolf, Sechs Jahre ESUG, Studie der BCG (April 2018), S. 8; Korch, ZIP 2018 109, 112. 308) Vgl. ausführlich Hammes, NZI 2017, 233 ff. sowie unten Kapitel 2 J. III., Rn. 164 ff. 309) Kapitel 2 B., Rn. 38 ff. Zu Recht insoweit kritisch auch Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2241. 310) So schon Hammes, NZI 2017, 233. 311) Kapitel 2 A. II., Rn. 25.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
vornherein mit einer geringeren Unabhängigkeitsgewähr der maßgeblichen Akteure auf Seiten des verfügungsberechtigten Schuldners verbunden.312) Sie stellt die stärkste Form einer gesetzesimmanenten Interessenkollision dar. Der Schuldner kann nicht unabhängig von eigenen Interessen wirken, denn das würde voraussetzen, dass er zur Spaltung der eigenen Persönlichkeit fähig ist.313)
H. Aufsicht des Insolvenzgerichts über Schuldner und Sachwalter 144 Die Rechtsaufsicht des Insolvenzgerichts über die Träger der Insolvenzverwaltung gehört zu den grundlegenden Gemeinsamkeiten von Fremd- und Eigenverwaltung (§§ 58, 274 Abs. 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Sie ist schon aus verfassungsrechtlichen Gründen314) unerlässlich, um einen gesetzmäßigen Verfahrensablauf sicherzustellen und die Einhaltung der insolvenzspezifischen Pflichten des Masseverwalters zu überwachen.315) Bei erkennbar pflichtwidrigem Verhalten hat das Gericht die Pflicht, mit allen rechtlich zulässigen Mitteln einzuschreiten.316) Es ist nicht zuletzt Aufgabe des Gläubigerausschusses und des Sachwalters, das Gericht durch die aufmerksame Wahrnehmung ihrer eigenen Überwachungspflichten sowie durch die Meldung rechtswidriger Vorgänge und die Stellung sachdienlicher Anträge hierbei zu unterstützen; die in § 274 Abs. 3 InsO geregelte Nachteilsmeldepflicht des Sachwalters ist Ausfluss dieses allgemeinen Rechtsgedankens.
I.
Adressaten der Aufsicht
145 Weil sowohl der Schuldner (in den Fällen des § 276a InsO: seine organschaftlichen Vertreter) als auch der Sachwalter mit verteilten Rollen, teils allein, teils gemeinsam, Träger der Insolvenzverwaltung sind,317) erstreckt sich das Recht und die Pflicht des Gerichts zur Aufsicht in der Eigenverwaltung nicht allein auf den Sachwalter (§ 274 Abs. 1, § 58 InsO), sondern auch auf den eigenverwaltenden Schuldner (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 58 InsO): denn dieser nimmt die wesentlichen operativgeschäftlichen Aufgaben eines Insolvenzverwalters wahr.318)
___________ Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097, 1103; vgl. auch Pape, in: FS Vallender, 2015, S. 363, 372. Vgl. Pape, ZInsO 2016, 2149. Kapitel 2 G. I., Rn. 112 ff.; Rechel, Aufsicht, 2009, S. 492. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 128 zu § 69; HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 58 Rn. 3. 316) HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 58 Rn. 3. 317) Siehe Kapitel 2 E., Rn. 84 ff. sowie Kapitel 2 F., Rn. 104 ff. 318) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 zu § 331 (= § 270 InsO); BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 19, 24 f., 28 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977. Zutreffend meint Zipperer, KTS 2008, 167, 174, dass die insolvenzrechtlichen Pflichten des Masseverwalters und die gerichtliche Kontrolle deckungsgleich sind. 312) 313) 314) 315)
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H. Aufsicht des Insolvenzgerichts über Schuldner und Sachwalter
Die Zuständigkeit und Pflicht des Insolvenzgerichts zur Aufsicht über den Schuld- 146 ner entfällt nicht wegen der Aufsichts- und Überwachungsaufgabe des Sachwalters nach § 274 Abs. 2 InsO. Die Gegenansicht wird allerdings von zahlreichen Stimmen vertreten. Größtenteils ohne nähere Begründung wird hierzu ausgeführt, der Schuldner unterliege nicht der Rechtsaufsicht des Insolvenzgerichts.319) Diese Aufsicht richte sich ausschließlich auf den Sachwalter, der seinerseits den eigenverwaltenden Schuldner zu überwachen habe (sog. gestaffelte oder gestufte Aufsichtspflicht).320) Eine unmittelbare gerichtliche Aufsicht über den eigenverwaltenden Schuldner sei selbst dann ausgeschlossen, wenn er insolvenzspezifische Pflichten verletze. Das vermag nicht zu überzeugen. Die Rechtsaufsicht des Insolvenzgerichts über 147 den eigenverwaltenden Schuldner ergibt sich aus der Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die allgemeinen Vorschriften, zu denen auch § 58 InsO zählt.321) Die beiläufige Formulierung im Regierungsentwurf von 1992, wonach „der Schuldner lediglich unter die Aufsicht eines Verwalters zu stellen“ sei,322) ist in einen wirtschaftlichen Kontext eingebunden und beschreibt die kostenmäßigen Vorteile, die es haben kann, wenn der Schuldner verwaltungs- und verfügungsbefugt ist. Der Begriff der Aufsicht wird in diesem Zusammenhang vor allem zur Abgrenzung zur nicht Gesetz gewordenen Eigenverwaltung ohne Sachwalter gebraucht.323) Der Gesetzgeber selbst ist zudem später bei der Schaffung des ESUG bereits für das Stadium der vorläufigen Eigenverwaltung (§§ 270a, 270b InsO) davon ausgegangen, dass der Schuldner auch der Aufsicht des Gerichts unterliegt.324) Dass der Sachwalter ___________ 319) KPB-InsO/Pape, 49. EL. 07.2012, § 274 Rn. 34; BankenKomm-InsR/Hörmann/Sußner, 3. Aufl. 2016, § 270 Rn. 33; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 270 Rn. 2; so wohl auch BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270 Rn. 83; § 274 Rn. 7; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 28; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 7; Rechel, Aufsicht, 2009, S. 18; Schmidtberger, NZI 2011, 928, 931; Langer/Bausch, ZInsO 2018, 1138; widersprüchlich Grotebrune, Haftung, 2018, S. 334, 337, der einerseits eine unmittelbare Überwachungspflicht des Insolvenzgerichts verneint, ihm andererseits aber ein Recht zur Zwangsgeldfestsetzung (nach § 58 Abs. 2 InsO anstelle der Zwangsmittel des § 98 Abs. 2 InsO) zugesteht, falls der Schuldner in der Eigenverwaltung Auskunftspflichten verletzt. 320) Uhlenbruck/Vallender, InsO, 15. Aufl. 2019, § 58 Rn. 14; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 28; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 90 Rn. 18; Rechel, in: FS Pannen, 2017, S. 631, 634, 647, 652. 321) Ebenso AG Potsdam, Beschl. v. 13.12.2012 – 35 IN 748/12, ZIP 2013, 181, 184 mit Anm. Rendels/Körner, EWiR 2013, 157 f.; AG Hamburg, Beschl. v. 15.7.2013 – 67e IN 108/13, ZIP 2013, 1684, 1685; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 45; Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 168; wohl auch Madaus, NZI 2017, 329, 333. 322) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 220 f. 323) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 63 ff., 227 ff. (§§ 347 – 357); Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 129 ff. 324) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 zu § 270b InsO (Nr. 43, Einfügung der §§ 270a – 270c): „Der Schuldner erhält durch Beschluss des Gerichts bis zu drei Monate Zeit, um unter einem Schutzschirm und unter der Kontrolle des Gerichts sowie eines vorläufigen Sachwalters unbehelligt solche Sanierungsmaßnahmen vorzubereiten, die Aussicht auf Erfolg haben.“
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
ebenfalls der gerichtlichen Aufsicht untersteht und er seinerseits den Schuldner beaufsichtigen muss (§ 274 Abs. 2, 3 InsO), ändert hieran nichts. Der Sachwalter kann die Aufsicht des Gerichts schon deshalb nicht ersetzen, weil ihm anders als dem Gericht keine Zwangsmittel gegen den Schuldner zur Verfügung stehen (§ 58 Abs. 2, §§ 98, 101 InsO).
148 Das Gesetz enthält auch im Übrigen nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass die Aufsicht des Sachwalters über den Schuldner diejenige des Gerichts ersetzen soll.325) § 274 InsO behandelt einzig die Rechtstellung des Sachwalters,326) nicht aber das Verhältnis des eigenverwaltendem Schuldners zum Gericht.
149 Da in der Eigenverwaltung die Befugnisse des Insolvenzverwalters auf Schuldner und Sachwalter aufgeteilt sind,327) ist kein überzeugender Grund ersichtlich, warum die für den Gläubigerschutz erforderliche gerichtliche Aufsicht über die Träger der Insolvenzverwaltung nicht vor allem gegenüber dem in natürlicher Interessenkollision verhafteten Hauptakteur des Verfahrens bestehen sollte: dem Schuldner. Es wäre mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gestaltung eines die Einzelvollstreckung verdrängenden Gesamtvollstreckungsverfahrens328) unvereinbar, wenn der Staat die Verwaltung und Verwertung der Masse einer Person überlassen würde, die er selbst nicht überwacht.329)
150 Das von der Eigenverwaltung, und hier insbesondere von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners, ausgehende Gefahrenpotential ist für die Gläubiger ungleich höher als in der Fremdverwaltung. Unter diesen Umständen stehen die Insolvenzgerichte sogar in der verfassungsrechtlich gebotenen Pflicht, die Rechtsaufsicht in der Eigenverwaltung generell zu verschärfen. Insbesondere gilt dies für Verfahren, in denen der Schuldner die Möglichkeit genutzt hat, durch einen eigenen Vorschlag die Auswahl des vorläufigen und damit praktisch auch des endgültigen Sachwalters maßgeblich zu beeinflussen (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO, sog. mitgebrachter vorläufiger Sachwalter330)); die Notwendigkeit der verschärften Rechtsaufsicht ist aber im Grundsatz nicht auf Fälle dieser Art beschränkt.
151 Zur Erfüllung seiner Aufgaben muss der Staat nicht ausschließlich Hoheitsträger einsetzen; er kann sich ebenso der Dienste privater Personen bedienen, wenn dies ___________ 325) So im Ergebnis auch Klinck, ZIP 2013, 853, 859 für den Fall der vorläufigen Eigenverwaltung. 326) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 225 zu § 335 (= § 274 InsO); siehe auch Kapitel 2 G. II. 2., Rn. 125. 327) Siehe Kapitel 2 F., Rn. 108 f., Thesen 4 und 5. 328) Kapitel 2 G. I., Rn. 112 f.; vgl. auch Gerloff, Funktionen, 2008, S. 34. 329) Kuhn/Uhlenbruck, 11. Aufl. 1994, KO, § 83 Rn. 1; Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 168; Gundlach/Frenzel/Strandmann, NZI 2008, 461, 462. 330) Zum Begriff siehe MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 71; Westermann, Auswahl und Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, 2016, Rn. 174; ferner Hammes, NZI 2017, 233, 234.
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H. Aufsicht des Insolvenzgerichts über Schuldner und Sachwalter
aus Effektivitätsgründen erforderlich ist.331) Unabhängig von einer solchen Aufgabenübertragung bleibt das Insolvenzgericht aber notwendigerweise immer Hüter der Rechtmäßigkeit des Verfahrens,332) weil es sich beim Insolvenzverfahren um ein staatlich veranlasstes, mit Zwangswirkungen für die Gläubiger ausgestattetes Verfahren handelt. Die gewählte Organisationsform der Insolvenzverwaltung spielt keine Rolle.
II. Aufsichtsbefugnisse des Insolvenzgerichts Aufgrund seiner gesetzlichen Aufsichtskompetenz fällt dem Insolvenzgericht nicht 152 nur die bloße Aufgabe der Beobachtung zu. Es ist vielmehr berechtigt und verpflichtet, eine rechtswidrige, insbesondere verfahrenszweckwidrige oder sonst rechtlich nicht einwandfreie Geschäftsführung des eigenverwaltenden Schuldners oder des Sachwalters zu beanstanden und nach pflichtgemäßem Ermessen mit geeigneten gesetzmäßigen Mitteln gegen sie einzuschreiten.333) Dies umfasst die Befugnis, angemessene Weisungen zu erteilen.334) Das Einschreiten des Gerichts kann auch durch Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit gerechtfertigt sein, wenn eine unzweckmäßige Maßnahme der Geschäftsführung sich als Ausdruck eines rechtswidrigen Pflicht- oder Amtsverständnisses darstellt.335) Dass das Gericht derartige Aufsichtsmaßnahmen ebenso wie beim Insolvenzverwalter nicht unmittelbar durch eine vollstreckbare Anordnung durchsetzen kann,336) ändert hieran nichts. Die Missachtung einer rechtmäßigen Beanstandung oder Weisung des Gerichts ist 153 nicht nur eine Pflichtverletzung nach § 58 Abs. 2, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO, sondern in aller Regel auch ein erheblicher nachteilsindizierender Umstand (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO), den das Gericht bei seinen Entscheidungen über einen Aufhebungsantrag (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO) oder über die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts (§ 277 Abs. 2 InsO) berücksichtigen muss. Das Gericht kann vom Schuldner überdies ebenso wie vom Sachwalter jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand und seine Geschäftsführung verlangen. (§ 270 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Informationen müssen unverzüg___________ 331) Preuß, Zivilrechtspflege, 2005, S. 53 f., 442; Heilmaier, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 8 Rn. 2. 332) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 80; Rechel, Aufsicht, 2009, S. 492. 333) Vgl. FK-InsO/Jahntz, 9. Aufl. 2018, § 58 Rn. 5, 8; HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 58 Rn. 3. 334) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 128 zu § 69: „Das Insolvenzgericht ist kraft seiner Aufsichtsgewalt berechtigt und verpflichtet, durch geeignete Gebote und Verbote gegen Pflichtwidrigkeiten des Insolvenzverwalters einzuschreiten.“ – Zum Zusammenhang zwischen öffentlichrechtlichem Aufsichts- und Weisungsrecht am Beispiel der Notaraufsicht vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2012 – 1 BvR 3017/09, BVerfGE 131, 130, 147 Rn. 64 f. = NJW 2012, 2639 ff; BGH, Beschl. v. 23.4.2018 – NotZ (Brfg) 6/17, NJW 2018, 2567, 2568 Rn. 12. 335) LG Wuppertal, Beschl. v. 29.9.1957 – 6 T 514 u. 578/57, KTS 1958, 45; MK-InsO/Graeber, 4. Aufl. 2019, § 58 Rn. 20; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 15. Aufl. 2019, § 58 Rn. 5; stärker einschränkend K. Schmidt/Ries, InsO, 19. Aufl. 2016, § 58 Rn. 9. 336) Der § 69 InsO-RegE, der diese Rechtsfolge vorsah, ist nicht Gesetz geworden; vgl. Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 25, 161 zu § 68 ( = § 58 InsO).
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
lich erteilt werden und nachvollziehbar, hinreichend detailliert, richtig und vollständig sein.337) Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse müssen dem Gericht auf Anforderung offengelegt werden, soweit es der Verfahrenszweck erfordert. Die allgemeine Auskunfts- und Mitwirkungspflicht des Schuldners nach den §§ 97, 98, 101 InsO bleibt unberührt. Ihre Erfüllung kann auch in der Eigenverwaltung mit den Zwangsmitteln des § 98 InsO durchgesetzt werden. Soweit der Schuldner nach Aufhebung der Eigenverwaltung noch Rechnungslegungspflichten für die Zeit seiner Amtsführung zu erfüllen hat, bleibt die Aufsicht des Gerichts ebenso wie gegenüber einem Insolvenzverwalter338) bestehen, bis diese Pflichten ordnungsgemäß erledigt sind.
154 Die insolvenzgerichtliche Aufsicht über den Sachwalter und den eigenverwaltenden Schuldner entfällt oder verringert sich nicht dadurch, dass ein Gläubigerausschuss bestellt ist;339) sie ist geradezu eine notwendige Ergänzung zu dessen Überwachungstätigkeit. Die Aufsichtspflicht des Gerichts folgt im Übrigen nicht aus der Nichtexistenz eines Gläubigerausschusses, sondern aus der allgemeinen Vorschrift des § 58 InsO und dem ihr zugrunde liegenden, in Art. 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz, dass der Staat gegenüber allen Verfahrensbeteiligten die Gesetzmäßigkeit des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten hat.340)
J.
Missbrauch der Eigenverwaltung
155 Unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten oder eine Rechtsausübung rechtsmissbräuchlich ist, wird im Allgemeinen nach den §§ 242, 226 BGB, im Besonderen durch den Charakter des jeweiligen Rechtsinstituts bestimmt. Rechtsmissbrauch liegt vor allem dann vor, wenn der Rechtsinhaber ein Recht in einer Art und Weise oder mit einer Zielrichtung ausübt, die nicht den gesetzlich vorgesehenen, sondern anderen, nicht notwendig unerlaubten, aber funktionsfremden und rechtlich zu missbilligenden Zwecken dient.341)
156 Auch ganze Rechtsinstitute oder rechtliche Regelungszusammenhänge können missbraucht werden.342) Auf die insolvenzrechtliche Eigenverwaltung angewandt bedeutet dies: Ihre Ausübung ist rechtsmissbräuchlich, wenn der eigenverwaltende ___________ 337) AG Potsdam, Beschl. v. 13.12.2012 – 35 IN 748/12, ZIP 2013, 181, 183 mit zust. Anm. Rendels/ Körner, EWIR 2013, 157 f.; AG Hamburg, Beschl. v. 15.7.2013 – 67e IN 108/13, NZI 2013, 903 = ZIP 2013, 1684. 338) BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – IX ZB 76/04, NZI 2005, 391 f. = ZIP 2005, 865 f.; BGH, Beschl. v. 23.9.2010 – IX ZR 243/09, NZI 2010, 984 Rn. 8 = ZIP 2010, 2209 f. 339) So auch zutr. Preuß, Zivilrechtspflege, 2005, S. 52 f. 340) Zutr. Rechel, Aufsicht, 2009, S. 492. 341) BGH, Beschl. v. 10.5.2007 – V ZB 83/06, BGHZ 172, 218 Rn. 12 m. w. N. = NJW 2007, 3279; BGH, Urt. v. 30.9.2010 – IX ZR 175/09, DGVZ 2011, 31, 32 Rn. 16; BGH, Beschl. v. 19.5.2011 – IX ZB 214/10, NZI 2011, 540 f. Rn. 5 = ZIP 2011, 1161. 342) Vgl. Prütting, in: FS Kübler, 2015, S. 567 ff.; Westermann, NZG 2015, 134, 136 f. (zum Fall Suhrkamp). Vgl. zu § 13 Abs. 2 GmbHG z. B. Scholz/Bitter, GmbHG, 12. Aufl. 2018, § 13 Rn. 113 ff.
68
J. Missbrauch der Eigenverwaltung
Schuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse sowie die daraus folgenden rechtlichen und faktischen Möglichkeiten nutzt, um die ordnungsgemäße, dem gesetzlichen Zweck des § 1 InsO verpflichtete Durchführung des Insolvenzverfahrens insgesamt oder in wesentlichen Teilen zu vereiteln oder zumindest zu erschweren oder zu verzögern. Die Diskussion um die Missbrauchsanfälligkeit der Eigenverwaltung ist so alt wie 157 die Diskussion um die Insolvenzrechtsreform.343) Die fundamentale Skepsis gegenüber der Eigenverwaltung basiert auf der empirisch belegten Einschätzung, dass Schuldner nur selten – erst recht nicht in Zeiten eigener wirtschaftlicher Not – bereit sind, ihre Interessen denen der Gläubiger unterzuordnen. Genau diese Haltung wird aber dem Schuldner in der Eigenverwaltung abverlangt.344) Die bis heute anhaltende und mit jedem Missbrauchsfall erneut aufkeimende Kritik345) wird auf einen ___________ 343) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222, S. 224 zu § 333 (= § 272 InsO); Kommission für InsR, Erster Bericht, 1985, S. 125 f.; Gravenbrucher Kreis, ZIP 1990, 476, 477; Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 165, 168 f.; Grub/Rinn, ZIP 1993, 1583, 1587; Grub, ZIP 1993, 394, 396; ders. WM 1994, 880 f.; ders. KS-InsO, 1. Aufl. 1997, S. 520 ff. Rn. 26 – 31; Förster, ZInsO 1999, 153 f.; Vallender, WM 1998, 2129, 2137 – 2139; zur Gesetzgebungsgeschichte und Diskussion vgl. ausführlich MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 5 – 16; FK-InsO/Wimmer, 9. Aufl. 2018, Vorbem. vor §§ 270 Rn. 1, 10 – 13. 344) Siehe auch Kapitel 2 A. II., Rn. 25 ff.; Uhlenbruck, in: FS Gerhardt, 2004, S. 979, 993. 345) Vgl. exemplarisch RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222, 224 zu § 333 (= § 272 InsO); BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 ff. = NZI 2018, 519, 526 Rn. 60, 62 = ZIP 2018, 977 m. zust. Anm. Bitter ZIP 2018, 986 ff.; MK-InsO/Klöhn, 3. Aufl. 2014, § 270a Rn. 8 f.; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, Vorb. vor §§ 270 ff. Rn. 7, § 270c Rn. 5, § 274 Rn. 11, § 275 Rn. 21, § 277 Rn. 2; Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 142 f., 152; Smid, WM 1998, 2489, 2505, 2508; Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 208; Vallender, WM 2002, 2040, 2048; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 909, 1116; Grub, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 501 ff. Rn. 38 – 45; Uhlenbruck, NJW 2002, 3219, 3220); ders., in: FS Metzeler, 2003, S. 85, 86 f., 92, 100; Rödder, Kompetenzbeschränkungen, 2007, S. 185; Körner, NZI 2007, 270, 274; Hill, ZInsO 2010, 1825, 1829; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1043 f., 1045; Gruber, NJW 2013, 584 ff.; Nöll, ZInsO 2013, 745, 752; Pape, ZIP 2013, 2285 – 2294; ders., in: FS Vallender, 2015, S. 363, 372 f., 376; Thole, ZIP 2013, 1937, 1944; ders. Deutscher Insolvenzrechtstag 2016, Impulsreferat Eigenverwaltung, S. 2; Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands, Insolvenzverwalter prangern Missbrauch an, Presseerklärung vom 25.10.2012; BAKinso, ZInsO 2013, 2549; ders. ZInsO 2014, 2566 f.; Frind, WM 2014, 590, 595; ders. DB 2014, 165, 166, 170; ders. ZInsO 2018, 231, 234, 236 ff.; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 25; Brand, KTS 2014, 1 ff.; Entschließung des 3. Deutschen Gläubigerkongresses, ZInsO 2014, 1270 f.; Eidenmüller, ZIP 2014, 1197, 1202; Leib/Rendels/Zabel, INDat Report 2014 Nr. 9, 52; Madaus, ZIP 2014, 500, 500 f.; Brinkmann, ZIP 2014, 197; Bitter, Wirtschaftsspiegel v. 1.6.2015, 18, 20 ff.; Häsemeyer, in: FS Schilken, 2015, S. 693, 694 f.; Ehlers, ZInsO 2015, 1417 f.; Graeber, in: FS Vallender, 2015, S. 165, 177 f., 180; Jaffé, in: FS Vallender, 2015, S. 281, 283, 285; Madaus, KTS 2015, 115, 131; Mönning, in: FS Kübler, 2015, S. 431, 433; Spliedt, in: FS Vallender, 2015, S. 613, 616 f.; Commandeur/Hübler, NZG 2016, 340, 343; Hammes, NZI 2017, 233 ff.; Kebekus/Zenker, in: FS Beck, 2016, 285 ff.; Meier, ZInsO 2016, 1499 f., 1506; Ries, in: FS Pannen, 2017, S. 667, 671; Riewe, ZRP 2017, 179, 182; Schaal, Haftung, 2017, S. 13 f. und in Fn. 31, S. 19, 26, 58; Siemon, NZI 2018, 189, 191; Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 135, 138; Hölzle, ZIP 2018, 1669, 1670 (der konstatiert, dass die Eigenverwaltung sich in „einer Vielzahl von Fällen an und jenseits der Grenze des Missbrauchs“ bewege, trotzdem aber etabliert habe und aus der Sanierungslandschaft „mit Recht nicht mehr wegzudenken“ sei; die Etablierung beruht, so ist hierauf zu erwidern, in Wahrheit gerade auf diesen erheblichen Missbrauchsmöglichkeiten).
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
einfachen Nenner gebracht: Durch die Anordnung der Eigenverwaltung werde der Bock zum Gärtner gemacht346) oder der Schuldner zu seinem eigenen Gerichtsvollzieher bestellt.347) Vereinzelt wird gar empfohlen, sich von dem Modell der Eigenverwaltung zu verabschieden,348) da es von vornherein nur für eine beschränkte Anzahl von Unternehmen und Sanierungskonstellationen in Betracht kommt;349) mit dem Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO) stehe ein ausreichendes sanierungsfreundliches Rechtsinstitut zur Verfügung.350)
158 Die Tätigkeit des Gläubigerausschusses im Rahmen der Eigenverwaltung kann nur dann dem Zweck des Insolvenzverfahrens entsprechend Erfolg haben, wenn den Beteiligten klar ist, von welchen verfahrensfremden Motiven der eigenverwaltende Schuldner und sein Berater in der Insolvenz möglicherweise gesteuert werden und welchen Missbrauchshandlungen man in der Praxis begegnen kann. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass es auch Fälle gibt, in denen sich Mitglieder des Gläubigerausschusses selbst an dem Missbrauch beteiligen oder ihn durch pflichtwidriges Unterlassen fördern.351)
I.
Risiken der Eigenverwaltung aus der Sicht des Gesetzgebers
159 Dem Gesetzgeber waren die grundsätzlichen Bedenken, ob der eigenverwaltende Schuldner typischerweise willens und in der Lage sein werde, seine gesetzlichen Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen, wohlbekannt.352) Die Eigenverwaltung, so heißt es im Regierungsentwurf ausdrücklich, bedeute trotz der Aufsicht durch einen Sachwalter ein erhebliches Risiko für die Gläubiger, weil der Schuldner gläubigerschädigende Handlungen begehen könne, die nicht wieder rückgängig gemacht werden könnten, auch nicht nach Aufhebung der Eigenverwaltung.353)
___________ 346) Dieser Ausspruch wird Volker Grub zugeschrieben; ein Quellenbeleg ist nicht bekannt, in diese Richtung weisend Grub, WM 1994, 880; ders., KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 531 Rn. 155: „Die Insolvenzordnung sieht statt eines übermächtigen Insolvenzverwalters den gescheiterten Schuldner als das kleinere Übel an.“ Vgl. hierzu auch Smid, Handbuch Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2018, § 1 Rn. 110; Bork, Einführung, 8. Aufl. 2017, Rn. 466. 347) Gravenbrucher Kreis, ZIP 1993, 625, 627; Grub/Rinn, ZIP 1993, 1583, 1587; Kübler/Ampferl, HRI, 3. Aufl. 2019, § 14 Rn. 26. 348) Pape, ZInsO 2013, 2077; Wallner, ZIP 2015, 997, 1002. 349) M. Brinkmann/Zipperer, ZIP 2011, 1337. 350) Westpfahl/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1 f. 351) Siehe beispielhaft Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 251 f., 255 f., 258 f., 262 = BT-Drucks. 19/4880, S. 291 f., 295 f., 298 f., 302 (Fallstudien Nr. 3, 4, 6). 352) Siehe oben Kapitel 2 B., Rn. 38 ff. 353) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 333 (= § 272 InsO).
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J. Missbrauch der Eigenverwaltung
Gleichwohl hat man die Möglichkeit der Eigenverwaltung unter Aufsicht eines 160 Sachwalters geschaffen und später durch das ESUG noch erweitert. Die Gesetzgebungsorgane waren augenscheinlich der Ansicht, durch die vorgesehenen Kontrollmechanismen einschließlich der Möglichkeit, die Eigenverwaltung wieder aufheben zu lassen, seien die Interessen der Gläubiger hinreichend gesichert und die Gefahren des Missbrauchs beherrschbar.
II. Motive des Schuldners Wer als Schuldner die Eigenverwaltung anstrebt, handelt in der Erwartung, mit ihrer 161 Hilfe trotz Krise und Insolvenz seinen eigenen materiellen und immateriellen Nutzen maximieren zu können. Er will, vereinfacht ausgedrückt, aus der Insolvenz weniger mitgenommen und gerupft hervorgehen als im Fall der Fremdverwaltung.354) Isoliert betrachtet sind Motive zumeist rechtlich unbedenklich. Handlungen zu ihrer Umsetzung im Insolvenzverfahren sind es nur dann, wenn sie den Zweck der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger (§ 1 Satz 1 InsO) nicht beeinträchtigen. Bei der Eigenverwaltung aber tritt diese Beeinträchtigung in aller Regel ein. Hier treffen existenzielle wirtschaftliche Interessen des Schuldners auf solche seiner Gläubiger,355) so dass Zielkonflikte zwischen Schuldner und Gläubigern die Regel und keineswegs die Ausnahme sind. Die Motivlage des Schuldners und seiner Anteilsinhaber lässt grundsätzliche Schlüsse auf das zu erwartende Verhalten zu. Dies haben alle Verfahrensbeteiligten in Rechnung zu stellen, nicht zuletzt die Mitglieder des Gläubigerausschusses. Der Schuldner will mit Hilfe der Eigenverwaltung zumeist sein Unternehmen finanz- 162 wirtschaftlich, idealerweise auch leistungswirtschaftlich nach eigenen Vorstellungen sanieren. Im Vordergrund steht das Ziel, Altverbindlichkeiten abzuschütteln, Vertragsverhältnisse unter den privilegierenden Bedingungen des Insolvenzrechts neu zu ordnen und einen unternehmerischen Neustart mit möglichst hohem Eigenkapital
___________ 354) Frind, ZInsO 2018, 231, 237 spricht, vornehmer ausgedrückt, von der „Hoffnung, die Eigenhaftung wegen möglicher Insolvenzverschleppung zu reduzieren“. Offen auch Förster, ZInsO 2003, 402, 403 f.: „Deren [des Schuldners und seines Managements] Interesse an der Eigenverwaltung ist einigermaßen durchsichtig. Die Eigenverwaltung schützt in gewissem Umfang vor der Aufdeckung von Vermögensverschiebungen und vor der persönlichen Haftung von Gesellschaftern und Managern.“ 355) Vgl. z. B. Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2007, Rn. 8.03: „Insofern wird dem Schuldner reichlich viel Standfestigkeit gegen die Versuchung zugemutet, zum Schaden der Gläubiger zu retten, was noch zu retten ist […].“ Ähnlich Desch, BB 2011, 841, 845; Laukemann, 2010, S. 66 f.; Kumpan, Interessenkonflikt, 2014, S. 186; Frind, ZInsO 2018, 231, 234.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
zu arrangieren; Finanzierung und Rekapitalisierung sollen durch Einsatz des Insolvenzgelds und durch Forderungsverzichte der Gläubiger getragen werden.356)
163 Ferner hoffen der Schuldner und seine organschaftlichen Vertreter, in der Eigenverwaltung den fast regelhaft vorhandenen persönlichen Haftungsansprüchen357) (zum Beispiel aus den §§ 43, 64 GmbHG) oder Insolvenzanfechtungsansprüchen (§§ 129 ff. InsO) mit höherer Wahrscheinlichkeit entgehen zu können als in der Fremdverwaltung.358) Auch sind sie bestrebt, eigene unternehmerische Fehlleistungen,359) strafbare Handlungen360) oder eine bereits definitiv eingetretene Zahlungsunfähigkeit zu verschleiern, weil deren Aufdeckung die Pläne für die Zukunft zunichtemachen könnte. Organschaftliche Vertreter oder Anteilsinhaber können zudem ein persönliches Interesse daran haben, eigene zivil- und strafrechtliche Risiken zu beseitigen, indem Verbindlichkeiten des Schuldners aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen unter Verletzung der insolvenzrechtlichen Regeln vollständig und vorab erfüllt werden.361)
III. Bedeutung der Sanierungsberater und Gefahr der Nebeninsolvenzverwaltung 164 Insolvente Schuldner und ihre organschaftlichen Vertreter sind fast nie in der Lage, die mit der Eigenverwaltung verbundenen Aufgaben betriebswirtschaftlich, recht___________ 356) Das wird auch durch die ESUG-Evaluation bestätigt (u. a. Fallstudie Nr. 3), siehe oben Kapitel 2 J., Rn. 158 Fn. 351. Zur entsprechenden Zielrichtung des Schuldners und seiner Berater vgl. Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 1. Aufl. 2012, S. 113, 152; ebenso Buchalik/ Brömmekamp, Was ist Eigenverwaltung, 2018. Hall, Legal Tribune v. 9.10.2017, zitiert aus einem Werbebrief der Kanzlei Buchalik Brömmekamp aus dem Jahr 2017: „Verbesserungen der Eigenkapitalquote von mehr als 50 Prozent sind eher die Regel als die Ausnahme, und eine Finanzierung des Verfahrens durch Insolvenzgeld, Nichtabführung von Umsatzsteuer, Lohnsteuer und sonstiger Steuern während des vorläufigen Verfahrens und die Nichtzahlung ungesicherter Altverbindlichkeiten zeigen Effekte, die in der Regel eine Mittelzuführung von außen überflüssig machen.“ Zu den Folgen des Werbebriefs vgl. Reuter/Woltersdorf/Schmidt, INDat Report 2019 Nr. 2, 7. Vgl. auch Buchalik/Hiebert, Sanierung unter Insolvenzschutz, 2014, S. 30: „Am Ende des Verfahrens ist das Unternehmen operativ saniert und der Altgesellschafter behält sein Unternehmen.“ – Zum spanischen „Adels-Sanierungskonkurs“ als historischem Vorläufer und seinen frappierenden Parallelen in der Gegenwart s. Falk, ZRG GA 131 (2014), S. 266, 285 sowie Forster, Konkurs als Verfahren, 2009, S. 365: „kastilische Gerichtspraxis als die Erfindung eines sanierenden Konkurses“. 357) MK-InsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl. 2019, § 1 Rn. 120, wonach schätzungsweise bei ca. 80 % aller Firmenzusammenbrüche Insolvenzstraftaten verübt werden; Kirstein, ZInsO 2006, 966, 967; Einzelheiten in Kapitel 2 G. III. 2. a), Rn. 137 Fn. 293. 358) In diesem Sinne wohl auch Ehlers, ZInsO 2015, 1417. 359) Zutr. Buchalik, in: FS Metzeler, 2003, S. 225, 247: das Management sei zumeist nicht bereit, „sein Versagen einzugestehen“. 360) Vgl. AG Köln, Beschl. v. 9.2.2017 – 72 IN 496/16, ZIP 2017, 889, 890. Instruktiv und mit zahlreichen Praxisfällen Frind, ZIP 2017, 993 ff. 361) Vgl. LG Hagen, Urt. v. 7.10.2015 – 10 O 57/15, NZI 2016, 138; AG Hamburg, 14.7.2014 – 67b IN 196/14, ZIP 2014, 2101 f.; AG Cottbus, Beschl. v. 1.10.2015 – 63 IN 231/15, ZInsO 2016, 115 f.
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J. Missbrauch der Eigenverwaltung
lich und organisatorisch in eigener Kompetenz zu bewältigen. Sie benötigen geradezu zwangsläufig die Hilfe eines erfahrenen und spezialisierten Sanierungsberaters.362) Dies führt in aller Regel nicht nur entgegen der bereits erwähnten Vorstellung des Gesetzgebers363) zu einer Verteuerung des Verfahrens,364) sondern vor allem zu einer nur schwer zu kontrollierenden Nebeninsolvenzverwaltung des in der Insolvenzordnung nicht vorgesehenen Beraters.365) Sein Marktwert besteht vor allem darin, dass er dem Schuldner, dessen organschaftlichen Vertretern und Anteilsinhabern Wege aufzeigt, auf denen sie das Insolvenzverfahren (vermeintlich) besser überstehen können als im Fall der Fremdverwaltung – und dass er sie an die Hand nimmt366) und auf diesem Weg kontinuierlich begleitet.367)
1.
Erstellung der Antragsunterlagen und der Personalvorschläge
Die entscheidende Unterstützung durch den Sanierungsberater wird schon im Vor- 165 feld des Insolvenzeröffnungsantrags erforderlich. Allein die Vorbereitung und Erstellung der Antragsunterlagen mit dem Ziel der Eigenverwaltung verlangt mehr als juristische oder betriebswirtschaftliche Allgemeinbildung. Strebt der Schuldner bereits bei Stellung des Eröffnungsantrags die vorläufige und später endgültige Ei___________ 362) Hierzu bereits Kapitel 2 G. III. 2. c), Rn. 142 Fn. 307. 363) Siehe Kapitel 2 B., Rn. 38 ff.; RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 85, 100, 223 f.; Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 118, 185 zu § 331 (= § 270 InsO); RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17. 364) Sie wird inzwischen wohl überwiegend anerkannt. Vgl. AG Freiburg, Beschl. v. 1.5.2015 í 58 IN 37/15, NZI 2015, 604 f. = ZIP 2015, 2238 f.; AG Köln, Beschl. v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, NZI 2018, 210 ff. = ZInsO 2018, 743 ff.; AG Aachen, Beschl. v. 1.12.2017 – 92 IN 187/17, ZInsO 2018, 272 f.; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 276; Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 391; Siemon, NZI 2018, 189 ff.; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 262, 297 = BT-Drucks. 19/4880, S. 302, 337. 365) Vgl. Pape, ZInsO 2011, 1033; ders. ZInsO 2016, 2149 („Geflecht von Beratern, Sachwaltern und Eigenverwaltern“); Hammes, NZI 2017, 233. 366) So Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 1. Aufl. 2012, S. 110 zu den Aufgaben des CRO: „Die Praxis zeigt, dass sich das Management gerne an die Hand nehmen lässt. Dies nicht nur, weil die rechtliche Kompetenz für die Durchführung des Verfahrens fehlt, sondern weil die Identifikation mit der Insolvenz weiterhin schwer fällt. Wenn sich das Management überschätzt, führt das in vielen Fällen zwangsläufig zu Fehlentscheidungen, die haftungsauslösend sein können.“ Das Bild wird von Sanierungsberatern immer wieder gern aufgegriffen. So zitiert etwa die Presseerklärung eines Unternehmensberaters (Planer, 2019) den Geschäftsführer einer Schuldnerin: „Wir sind sehr froh, den erfahrenen Sanierungsexperten [N. N.] an unserer Seite zu haben. Er wird uns bei der Umsetzung der Sanierung an die Hand nehmen und uns während des Verfahrens fachgerecht mit Rat und Tat zur Seite stehen.“ 367) Hammes, NZI 2017, 233. In der Broschüre eines Sanierungsberaters (Buchalik/Brömmekamp, Newsletter Bau, 2015, S. 5) liest sich dies so: „Der Insolvenzschuldner ist sein eigener Insolvenzverwalter, und das von Verfahrensbeginn an. Da er natürlich nicht über die ausreichenden rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Kenntnisse zur Durchführung einer Insolvenz verfügt, benötigt er einen Experten an seiner Seite, der ihn während des Verfahrens begleitet und für den Erfolg des Verfahrens geradesteht.“ Vgl. dies., Vorteile der Eigenverwaltung und des Schutzschirmverfahrens, 2018.
73
Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
genverwaltung einschließlich des dreimonatigen Schutzschirms nach § 270b InsO an und will er den weiteren Gang des Verfahrens unter Kontrolle halten, so liegt es in seinem Interesse, beim Insolvenzgericht nicht nur die hierfür erforderlichen Anträge und Begründungen einschließlich eines prüfungsfähigen Sanierungs-Grobkonzepts368) einzureichen (§ 13 Abs. 1, § 270 Abs. 1, § 270b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 InsO). Er muss zusätzlich die Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Experten über den gegebenen Insolvenztatbestand und über die Erfolgsaussichten der angestrebten Sanierung vorlegen (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO). Außerdem ist er berechtigt, Vorschläge zur Person des vorläufigen Sachwalters und zur Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses zu machen (§ 270b Abs. 2 Satz 2, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 22a Abs. 2, 4 InsO).369)
166 Sind alle Unterlagen ordnungsgemäß, so kann das Gericht von dem Vorschlag des Schuldners für den vorläufigen Sachwalter nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für das Amt offensichtlich nicht geeignet ist (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO). Dieser „mitgebrachte“ vorläufige Sachwalter,370) auch „Verwalter von Schuldners Gnaden“ genannt,371) hat im Wesentlichen schon die gleichen Aufgaben, die dem endgültigen Sachwalter obliegen (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 InsO).372) Er wird üblicherweise später zum endgültigen Sachwalter bestellt (§ 270c InsO), sofern nicht seine Amtsführung erkennbar unzureichend ist oder der vorläufige Gläubigerausschuss im Rahmen des § 56a InsO andere überzeugende Argumente gegen ihn vorbringt. Die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses wiederum ist vor allem wegen der Befugnis des Ausschusses bedeutsam, durch ein eigenes Votum die Entscheidung des Gerichts über die Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung sowie die Auswahl des endgültigen Sachwalters maßgeblich zu beeinflussen (§ 270 Abs. 3, § 274 Abs. 1, §§ 56, 56a InsO).373) ___________ 368) So zutr. die h. M.; vgl. MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 35; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 88 Rn. 24; Henkel, ZIP 2015, 562, 565 m. w. N. in Fn. 35; Frind, ZInsO 2012, 1546, 1548 m. w. N.; Bremen, NZI 2014, 137, 140, 144. 369) Aus der Sicht der Berater vgl. v. Buchwaldt, BB 2015, 3017, 3021: „Nun lässt das Gesetz Interpretationsspielraum zu, wie der Sachwalter – und nicht zuletzt der vorläufige Sachwalter – seine Rolle im Rahmen eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung interpretiert. Wünschenswert […] [ist], dass er den […] gemeinsamen Sanierungsgedanken mitträgt. Insofern sollte vor der Einreichung eines Antrages auf Eigenverwaltung die Person des Sachwalters mit dem Sanierungsberater erörtert werden. Gemeinsam mit dem Sanierungsberater sollte eine Vorauswahl eines potentiellen Sachwalters getroffen werden. […] Generell sollten die Kriterien für die Auswahl der Person des Sachwalters im Rahmen der Vorbereitung des Insolvenzantrages festgelegt werden.“ 370) Zum Begriff siehe Kapitel 2 H. I., Rn. 150 Fn. 330. 371) Frind, ZInsO 2011, 757, 759; ders., ZInsO 2014, 119, 124. 372) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 236 Rn. 38 = NZI 2016, 796, 797 = ZIP 2016, 1592. 373) Richtigerweise empfehlen Richter deshalb, Gläubigerausschüsse mit „neutralen“ Mitgliedern zu besetzen, siehe Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2156.
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J. Missbrauch der Eigenverwaltung
Alle diese Personalvorschläge kann der Schuldner regelmäßig nur mit Hilfe des 167 spezialisierten Beraters unterbreiten. Er oder seine organschaftlichen Vertreter und Anteilsinhaber kennen in aller Regel kaum jemanden, der persönlich und fachlich geeignet und bereit wäre, die Sanierbarkeitsbescheinigung374) (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO) zu erstellen oder gar das Amt des vorläufigen (und später endgültigen) Sachwalters zu übernehmen. Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, die bisher für das Unternehmen tätig waren, kommen nicht ernstlich in Betracht, weil sie offenkundig nicht die stets erforderliche innere Unabhängigkeit aufweisen, ohne die der Bescheinigung jeder sinnvolle Beweiswert fehlt.375) Auch sind sie nur selten in Insolvenzsachen so erfahren, wie das Gesetz es verlangt. In dieser Situation ist der Sanierungsberater gefragt. Wenn er professionell arbeitet, 168 steht ihm für beide notwendigen Aufgaben – die Erstellung der Sanierbarkeitsbescheinigung und die Tätigkeit als Sachwalter – ein von ihm gebildeter kleiner Pool von Insolvenzverwaltern zur Verfügung, die aus seiner Sicht geeignet und zur Zusammenarbeit bereit sind. Um etwaiger Skepsis der Insolvenzgerichte zu begegnen, hat er sie dem Bestand der regional oder überregional gerichtsbekannten Verwalter entnommen, deren grundsätzliche Eignung vom Insolvenzrichter schwerlich in Zweifel gezogen werden kann.
2.
Abhängigkeit des mitgebrachten Sachwalters vom Berater
Angesichts der seit dem Jahr 2010 rückläufigen Zahl der Unternehmensinsolven- 169 zen376) und der seit Inkrafttreten des ESUG wirksamen Bestellungsmechanismen (§ 270b Abs. 2, §§ 56, 56a InsO) sehen sich viele Insolvenzverwalter veranlasst, eine fortlaufende Geschäftsbeziehung mit derartigen Sanierungsberatern einzugehen,377) weil nur so Insolvenzverwaltungen von einiger wirtschaftlicher Bedeutung ___________ 374) Allgemein wird das Testat nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO „Sanierungsbescheinigung“ genannt. Bescheinigt wird aber nicht die Sanierung, sondern allenfalls die Sanierbarkeit. Hier und im Folgenden wird darum der Begriff der „Sanierbarkeitsbescheinigung“ benutzt. 375) AG München, Beschl. v. 29.3.2012 – 1507 IN 1125/12, NZI 2012, 566 f. = ZIP 2012, 789; KPBInsO/Pape, 49. EL. 07.2012, § 270b Rn. 44; Seagon, in: Buth/Hermanns, RSI, 4. Aufl. 2014, § 26 Rn. 8; Fanselow/Kreplin, in: Regh/Fanselow/Jakubowski/Kreplin, Arbeitsrecht in der Insolvenz, 2015, § 2 Rn. 510; für die analoge Anwendung der §§ 56, 56a InsO: Hölzle, ZIP 2012, 158, 162. 376) Eröffnete Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2010: 23.531 – im Jahr 2018: 13.907; vgl. Statistisches Bundesamt: https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/data;sid=B06D6911F3C059BA62207327651B4426.GO_2_1?operation=previous&levelindex=3&levelid=1552729227193& levelid=1552729205520&step=2 (abgerufen am 16.3.2019). 377) Siehe HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56a Rn. 24; ders., ZInsO 2007, 643, 646; Gruber, NJW 2013, 584 f.; Settele, INDat Report 2018 Nr. 4, 42. Laut Moldenhauer/Wolf, Sechs Jahre ESUG, Studie der BCG (April 2018), S. 4, 8, sind im Jahr 2017 Personen aus fünf Kanzleien in etwa 35 % der Top-50-Insolvenzen zum Sachwalter bestellt worden. Sanierungsgeschäftsführer kommen in fast 50 % der Top-50-Insolvenzen aus einem Kreis von fünf Sozietäten bzw. Beratungsgesellschaften.
75
Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
zu akquirieren sind.378) Aussteller der Sanierbarkeitsbescheinigung und Sachwalter sind damit zunehmend Teil eines vom Berater beherrschten Modells der Eigenverwaltung geworden,379) bei dem der Sachwalter faktisch in ein Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk des Beraters verstrickt ist.380) Ein Sachwalter, der in der geschilderten Weise auf Veranlassung des Beraters in sein Amt gekommen ist, kann auf die nächste Nominierung nur hoffen, wenn er das Eigenverwaltungskonzept des Beraters nicht stört. Andernfalls gilt er aus dessen Sicht als „Eigenverwaltungskiller“ oder „Wachhund des Gerichts“ ohne „verfahrensangepasste Flexibilität“.381)
170 In der praktischen Auswirkung führt dies dazu, dass Sachwalter, die ihr Amt dem Einfluss des Beraters verdanken, ihre gesetzlichen Aufgaben nicht mehr zuverlässig erfüllen, etwa indem sie Nachteilsanzeigen (§ 274 Abs. 3 InsO) nicht oder nur unzureichend erstatten,382) Haftungs- und Insolvenzanfechtungsansprüche gegen Personen aus der Sphäre des Schuldners (§ 280 InsO) nicht konsequent durchsetzen383) ___________ 378) Zutr. Bitter, Wirtschaftsspiegel v. 1.6.2015, 18, 22: „Wir wissen heute, dass das ESUG das Insolvenzgeschehen verändert hat. Insbesondere dahingehend, dass die Berater eine viel größere Bedeutung haben. Die Insolvenzverwalter werden vielfach über die Berater in die Verfahren gebracht. Das führt dazu, dass die guten und großen Verfahren, mit denen man auch Geld verdienen kann, nach Einführung des ESUG an quantitativ weniger Verwalter gehen. Dadurch ist der Ausgleich zwischen attraktiven und weniger attraktiven Verfahren, um die sich ein Insolvenzverwalter kümmern kann, nicht mehr gegeben. Der Rahm wird von einigen wenigen Insolvenzverwaltern abgeschöpft und der unattraktivere Rest wird von den Gerichten anschließend verteilt.“ 379) Zur Einschätzung der Banken vgl. Matthias Braun (BayernLB), Interview im ZInsO Newsletter 4/2013, S. 4: „Meines Erachtens sind die neuen Königsmacher der Verwalter die insolvenzrechtlichen oder sonstigen Berater der künftigen Gemeinschuldnerin.“ Siehe auch Frind, NZI 2018, 729, 730 m. w. N. in Fn. 12: „[…] die »Team- und Tandem-Bildung« bei Eigenverwaltungsverfahren ist mit der Absprache wechselseitiger Wiederholungsvorschläge längst Gegenstand kritischer Fachbetrachtungen.“ 380) Vgl. Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233, 2242; Bitter, Wirtschaftsspiegel v. 1.6.2015, 18, 21; Kebekus/ Zenker, in: FS Beck, 2016, S. 285, 296; Wimmer-Amend, in: FS Wimmer, 2017, S. 593, 634; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung, 2018, S. 97 = BT-Drucks. 19/4880, S. 137; Pape, ZInsO 2018, 2725. Zu dem Selbstverständnis der Berater und der dem Insolvenzgericht zugedachten Rolle siehe Hänel, Die Rolle des Sachwalters, 2017, S. 73: „[…] vielmehr ist die diesbezügliche Auswahl [der Person des vorläufigen Sachwalters] in der Regel bereits getroffen oder zumindest auf wenige Kandidaten eingeschränkt, wenn der Insolvenz- und Eigenverwaltungsantrag bei Gericht eingeht. Der künftige Sachwalter muss daher ein breiteres Netzwerk aufbauen und pflegen und im konkreten Fall auch regelmäßig an einem Beauty Contest in Gestalt eines Vorgesprächs mit den Beratern und Organen des Schuldnerunternehmens teilnehmen.“ 381) Hänel, Die Rolle des Sachwalters, 2017, S. 73 f. 382) Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 188, 191; Beispielsfall bei Böhmer, Windige Wiederentdeckung, 2018, S. 21, 25; zur Nachteilsanzeige siehe bereits oben Kapitel 2 E. III., Rn. 90 f. 383) AG Hamburg, Beschl. v. 18.12.2013 – 67c IN 410/13, NZI 2014, 269 = ZIP 2014, 390; Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl. 2017, § 270 Rn. 12; Förster, ZInsO 2003, 402, 403 f.; Hammes, NZI 2017, 233, 234. – Dem Autor ist aus eigener Erfahrung bekannt, dass Berater Sachwaltern unverblümt erklären, man erwarte von ihnen, dass Ansprüche nach § 280 InsO gegen ihre Mandanten nicht geltend gemacht würden. Auf Vortragsveranstaltungen wird in diesem Zusammenhang ebenso offen mitgeteilt, die Eigenverwaltung erfordere es, dass man als Sachwalter hier und da mal ein Auge zudrücke. Beispielsfälle bei Böhmer, Windige Wiederentdeckung, 2018, S. 24 f.
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J. Missbrauch der Eigenverwaltung
oder dem Anschwellen der Beratungskosten nicht mit dem gebotenen Nachdruck entgegentreten. Sie sind schlicht nicht mehr unabhängig und damit aus gesetzlicher Sicht für das Amt des Sachwalters ungeeignet.384) Entsprechendes gilt für den Aussteller der Sanierbarkeitsbescheinigung nach § 270b 171 Abs. 1 Satz 3 InsO. Er ist vom Schuldner auszuwählen und zu entlohnen und wird vom Gesetz offen als Privatgutachter des Schuldners behandelt. Auch er entstammt dem Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk des Beraters. Der Aussteller ist deshalb in gleicher Weise wie der nominierte vorläufige Sachwalter auf das Wohlwollen des Beraters angewiesen und darf auf eine künftige Berücksichtigung als Sachwalter nur hoffen, wenn seine Bescheinigung den Vorstellungen des Beraters entspricht. Nicht selten führt der Aussteller der Bescheinigung in der Praxis schon wegen des Zeitdrucks und der Kosten gar keine eigene sachkundige Prüfung durch, sondern übernimmt in zentralen Punkten die Feststellungen, Annahmen und Prognosen des Beraters.385)
3.
Einflussnahme auf Zusammensetzung und Tätigkeit des Gläubigerausschusses
Ein weiteres Instrument zur Beherrschung der Eigenverwaltung steht dem Sanie- 172 rungsberater zur Verfügung, indem er frühzeitig Einfluss auf die personelle Zusammensetzung und Meinungsbildung des vorläufigen Gläubigerausschusses nimmt.386) Hierzu beruft der Berater, noch bevor der Eröffnungsantrag und die ergänzenden Anträge gestellt werden, eine Zusammenkunft derjenigen Personen ein, die aus seiner Sicht als Mitglieder des noch zu bestellenden vorläufigen Gläubigerausschusses
___________ 384) AG Stendal, Beschl. v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875 f. mit zust. Anm. SchulteKaubrügger, EWiR 2012, 705 f.; vgl. hierzu KK-InsO/Hess, 2016, § 22a Rn. 58; Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1043 m. w. N. in Fn. 29; Pape, ZInsO 2013, 2129, 2132; Lau, DB 2014, 1417, 1419. 385) Wie hier auch Siemon, ZInsO 2014, 172, 177 f. und in Fn. 88. 386) Vgl. KPB-InsO/Pape, 48. EL. 4/2012, § 270 Rn. 29; FK-InsO/Wimmer, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 78; plastisch und zutr. auch Graeber, INDat Report 2013 Nr. 2, 16, 17: „[…] hat das ESUG eine Stärkung der Schuldner(-Berater) bei der Verwalterauswahl bewirkt, welche zwar unter der Zielvorgabe der Stärkung der Gläubigerautonomie eingeführt wurde, praktisch jedoch ein Wahlmännergremium der Insolvenzschuldner geschaffen hat“; ders., in: FS Vallender, 2015, S. 165, 179; Pape, ZIP 2013, 2285, 2289, ders., in: FS Vallender, 2015, S. 363, 372; Vallender, DB 2015, 231, 233; Thole, KTS 2018, 225, 228; Weitzmann, in: FS Pannen, 2017, 757, 759 f.; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 98 f. = BTDrucks. 19/4880, S. 138 f.: „Ein großes Problem liegt darin, dass die Sanierungsberater über § 56a InsO die Wahl des Sachwalters auch außerhalb des § 270b InsO steuern können. […] Es erscheint bedenklich, wenn damit die überwachte Person das Überwachungsgremium bis zu einem bestimmten Grad selbst aussuchen kann.“
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
in Betracht kommen (sog. präsumtiver oder vor-vorläufiger Gläubigerausschuss387)). Dabei handelt es sich vielfach um Personen, die dem Schuldner wirtschaftlich oder persönlich nahestehen oder von ihm abhängig sind, die aufgrund ihrer Rolle bei der Entstehung der Insolvenz im Lager des Schuldners stehen und ein eigenes Interesse an der Eigenverwaltung haben oder die sonst besonders leicht unter Druck gesetzt oder beeinflusst werden können.388) Ihnen gibt der Berater sein Konzept für die Durchführung des künftigen Insolvenzverfahrens bekannt und stellt den von ihm ausgesuchten Kandidaten für das Amt des vorläufigen Sachwalters vor. Ergeben sich keine Schwierigkeiten, so unterschreiben die ins Auge gefassten Ausschussmitglieder noch bei dieser Gelegenheit programmgemäß eine Einverständniserklärung gegenüber dem Gericht (§ 22a Abs. 2 InsO)389) und votieren gleichzeitig schriftlich für den vom Berater nominierten vorläufigen Sachwalter.390) Die Erklärungen werden sodann dem Insolvenzgericht mit dem Eröffnungs- und Eigenverwaltungsantrag vorgelegt.
___________ 387) Selbstverständlich handelt es sich hierbei um ein verfahrensrechtliches Nullum; vgl. LG Kleve, Beschl. v. 4.4.2013 í 4 T 32/13, NZI 2013, 599; LG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2018 – 326 T 41/17, 326 T 43/17, ZIP 2018, 2330, 2331; Ganter, NZI 2018, 137, 142; kritisch, aber begrifflich unklar und inkonsequent, im Ergebnis die gesetzliche Einführung befürwortend Jacoby/ Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung, 2018, S. 97, 221, 225 = BT-Drucks. 19/4880, S. 137, 261, 265; hierzu ablehnend BAKinso, Entschließung vom 26.11.2018, S. 1 (Ziffer 2) und Frind, ZIP 2019, 61 ff. 388) Siehe hierzu bereits Fn. 386. Vgl. auch die Fallstudie Nr. 14 von Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/ Thole, Evaluierung, 2018, S. 293 = BT-Drucks. 19/4880, S. 333: „Die Gläubigerausschussmitglieder wurden nur durch wirtschaftliche Zugeständnisse dazu angehalten, den Aufhebungsantrag [nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO] nicht zu stellen.“ Zum System der sog. Konkurshyänen aus der Sicht eines Konkursrichters siehe bereits Schloßmann, KuT 1931, S. 85, 86: „Die vorstehende Darstellung ergibt schon zur Genüge, wie es kommen kann, daß Schuldner, Gläubigerausschuß und Konkursverwalter sich schon vor Eröffnung des Verfahrens einigen und sich zu Herren des Verfahrens machen können, in dem dann nach einem vorher überlegten Plan gearbeitet wird.“ 389) Eine Handreichung nebst kommentierter vorformulierter Erklärung gegenüber dem Insolvenzgericht bieten Buchalik/Haarmeyer, Gläubigerausschuss, 4. Aufl. 2016, S. 22 ff. 390) Hierzu bereits der Kölner Konkursrichter Braß, KuT 1931, 99 f.: „Aber es gelingt fast stets nach kurzem Verhör des Schuldners, einiger vertrauenserweckender Gläubiger oder der Berufsvertretung festzustellen, daß der Vorgeschlagene entweder für den Schuldner oder aber für einen Gläubiger oder eine Gläubigergruppe tätig war oder ist. Solche Feststellungen ergeben aber die Ungeeignetheit des Vorgeschlagenen. Insbesondere sollte man auch deshalb den Vorschlägen von Gläubigern mißtrauen, die, wenn sie überhaupt den Vorgeschlagenen kennen, doch nur deshalb auf einem schon vorgedruckten Formular dem Vorschlag zustimmen, weil es dem Vorgeschlagenen durch seine Redekunst gelungen war, auf der vorbereiteten Versammlung ihn für »fähig« zu halten.“ – Zur „generalstabsmäßigen Planung des Schutzschirmverfahrens“ und zur Lenkung der potenziellen Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschusses auch Kolmann, DB 2014, 1663, 1666 f.
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Diese von § 22a Abs. 2 InsO allenfalls formal gedeckte Vorgehensweise391) zielt 173 auf eine Handhabung ab, die von der Praxis der Insolvenzgerichte vor dem Inkrafttreten des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und des § 22a InsO wesentlich abweicht. Zwar haben manche Gerichte auf der Grundlage des § 21 Abs. 1 InsO in besonderen Fällen auch damals schon im Eröffnungsverfahren vorläufige Gläubigerausschüsse eingesetzt.392) Eine solche Anordnung erging jedoch in aller Regel erst auf Vorschlag des vorläufigen Insolvenzverwalters. Dieser hatte sich zu diesem Zeitpunkt zumindest einen ersten Überblick über die Vermögenslage und die Verschuldungsstruktur des Schuldners, also über die wesentlichen Gläubigergruppen, über die insolvenzrechtlich maßgebenden Unterschiede ihrer Rechtsstellungen sowie über die Art und Höhe ihrer Forderungen verschafft, durch entsprechende Überprüfungen geklärt, welche Personen als Ausschussmitglieder ernstlich in Betracht kamen, und dem Gericht darüber berichtet.393) Es bestand also die relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass der vorläufige Ausschuss auch in diesem frühen Verfahrensstadium mit fachlich geeigneten, pflichtbewussten und vom Schuldner unabhängigen Mitgliedern besetzt sein würde. Mit der geschilderten, vom Sanierungsberater inspirierten neuen Antrags- und Vor- 174 schlagspraxis soll das Gericht unter Hinweis auf die Dringlichkeit der Konstituierung des Ausschusses394) unter Zeitdruck gesetzt und davon abgehalten werden, über die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses erst nach einer eigenständigen Überprüfung zu entscheiden. Selbst wenn das Gericht aber den vom Schuldner bei Antragstellung vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalter nicht bestellt (vgl. § 270b Abs. 2 Satz 1, 2 InsO) und auch den vorläufigen Gläubigerausschuss anders besetzt als von Seiten des Schuldners angeregt,395) wird der Berater weiterhin bemüht sein, die Meinungs- und Willensbildung des Ausschusses in seinem Sinne zu beeinflussen.396) Der vorläufige Gläubigerausschuss hat nämlich in der all-
___________ 391) § 22a Abs. 2 InsO (Art. 1 Nr. 5 ESUG) wurde vom Rechtsausschuss des Bundestags ohne besondere Begründung in den Entwurfstext eingefügt (Bericht RA zum ESUG, 2011, BTDrucks. 17/7511, S. 7, 34). 392) Vgl. etwa LG Duisburg, Beschl. v. 29.9.2003 – 7 T 203/03, NZI 2004, 95 = ZIP 2004, 729; LG Duisburg, Beschl. v. 13.9.2004 – 7 T 221/04, NZI 2005, 116 f.; AG Duisburg, Beschl. v. 20.6.2003 – 62 IN 167/02, NZI 2003, 502 = ZIP 2003, 1460. 393) Zur Verfahrensweise bei der Prüfung der Eignung potentieller Gläubigerausschussmitglieder nach Inkrafttreten des ESUG siehe unten Kapitel 7 C., Rn. 772 ff. 394) Zu den besonderen eigenverwaltungsspezifischen Aufgaben und Pflichten des Ausschusses in Eröffnungsverfahren siehe unten Kapitel 5, Rn. 590 ff. 395) Siehe dazu unten Kapitel 5 A., Rn. 594 ff.; Kapitel 7 C., Rn. 772 ff. 396) Brenner, ZInsO Newsletter, 4/2013, S. 4: „[…] aber auch hier bestimmt der Initiator halt immer die Zielrichtung des Gläubigerausschusses und – ob als CRO oder als vorläufiger Sachwalter – es sind immer dieselben Teams. Also dürfen Sie an die Überwachungsdichte durch den Gläubigerausschuss in praxi auch hier keine allzu hohen Erwartungen knüpfen.“
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gemeinen vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a InsO), also außerhalb der besonderen Schutzschirmregelung des § 270b InsO, das Recht, durch einstimmigen Beschluss in seiner ersten Sitzung eine andere Person als die bestellte zum vorläufigen Sachwalter zu wählen (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 56a Abs. 3 InsO); außerdem steht ihm stets die Befugnis zu, vor Verfahrenseröffnung ein Anforderungsprofil für den endgültigen Sachwalter zu formulieren und einen Personalvorschlag zu machen, dem das Insolvenzgericht grundsätzlich folgen muss (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 56a Abs. 1, 2 InsO).
175 Erfahrungsgemäß nehmen die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses es zumeist widerspruchslos hin, dass der Berater des Schuldners an ihren Sitzungen teilnimmt, für sein Sanierungs- und Verfahrenskonzept wirbt und seinen Kandidaten für das Amt des vorläufigen und endgültigen Sachwalters vorstellt. Diesen Kandidaten kann der Ausschuss durch einstimmigen Beschluss auch dann noch zum vorläufigen Sachwalter wählen, wenn das Insolvenzgericht vor der Einsetzung des Ausschusses bereits eine andere Person bestellt hat (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 56a Abs. 3 InsO).
4.
Umsetzung des Konzepts durch Sanierungsgeschäftsführer
176 Als interne Ergänzung zur Einflussnahme auf die gerichtlichen Personalentscheidungen ist es ferner gängige Praxis der Sanierungsberater,397) möglichst frühzeitig einen sog. Sanierungsgeschäftsführer, auch Chief Restructuring Officer (CRO), Chief Insolvency Officer (CIO) oder Interim-Manager genannt, zum organschaftlichen Vertreter des Schuldners bestellen zu lassen. Diese Person übernimmt innerhalb des Unternehmens die maßgebliche Geschäftsführung der Eigenverwaltung und setzt das Sanierungskonzept des Beraters unmittelbar um.398) Hierdurch wird erneut ein entscheidender Kontrollwechsel in der Eigenverwaltung herbeigeführt, der zu Recht als „Fremdverwaltung im Kostüm der Eigenverwaltung“ bezeichnet und
___________ 397) Laut Moldenhauer/Wolf, Sechs Jahre ESUG, Studie der BCG (April 2018), S 8 sind im Jahr 2017 bei 72 % der Top-50-Insolvenzen Insolvenz- bzw. Sanierungsexperten von außen in die Geschäftsführung bzw. den Vorstand berufen worden. 398) Siehe dazu z. B. Buchalik, NZI 2000, 294, 295 f.: „Es gilt deshalb, das Management davon zu überzeugen, in dieser Situation aus der ersten Reihe zurückzutreten und das Feld einem möglichst sanierungserfahrenen Management zu überlassen.“
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J. Missbrauch der Eigenverwaltung
kritisiert wird.399) Der gleiche Effekt wird durch die Bestellung von Insolvenzfachleuten zu Prokuristen oder Generalbevollmächtigten und ihre Einbeziehung in die Geschäftsleitung im weiteren Sinne (§ 276a InsO) erzielt.400) Unternehmen die Akteure auf Seiten des Schuldners zudem den – wenn auch untauglichen – Versuch, durch Vereinbarungen oder gesellschaftsrechtliche Regelungen für den Sanierungsgeschäftsführer einen mit Außenwirkung eingeschränkten Zuständigkeitsbereich zu definieren, um dadurch das haftungsrechtlich relevante und gläubigerschützende Prinzip der Gesamtverantwortung aller organschaftlichen Vertreter zu umgehen,401) so indiziert dies unverkennbar potentielle Nachteile für die Gläubiger i. S. v. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Eine solche regressfreie Zone für einzelne Organmitglieder existiert in der Eigenverwaltung ebenso wenig402) wie außerhalb der Insolvenz und kann deshalb auch nicht von den Haftungsschuldnern zum Nachteil der Gläubiger geschaffen werden.
___________ 399) AG Duisburg, Beschl. v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock), NZI 2002, 556, 558 f. = ZIP 2002, 1636, 1639: „Es entspricht deshalb nicht dem Zweck der §§ 270, 271 InsO, durch Anordnung der Eigenverwaltung die Bewältigung der Insolvenz externen, vom Schuldner ausgewählten Sanierungs- und Insolvenzfachleuten zu überlassen, die, ohne über nennenswerte unternehmens- oder branchenbezogene Kenntnisse und Erfahrungen zu verfügen, erst in der Krise in eine Führungsposition berufen worden sind und die für ihre Aufgabe keine wesentlich anderen Fähigkeiten als die eines tüchtigen Insolvenzverwalters vorzuweisen haben. Der Sache nach bedeutet dies Fremdverwaltung im Kostüm der Eigenverwaltung. Mit einer solchen Handhabung wird durch die Verwendung einer äußeren rechtlichen Form für einen Zweck, für den sie nicht vorgesehen ist, die Anforderung des § 56 InsO umgangen, dass der Schuldner sich seinen Insolvenzverwalter nicht selbst aussuchen kann und der Insolvenzverwalter vom Schuldner unabhängig sein muss. Das Kriterium der Unabhängigkeit als Element der Eignung (§ 57 Satz 3, § 56 InsO) kann nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass der bloßen äußeren Form nach Eigenverwaltung beantragt und angeordnet wird.“ – Zustimmend z. B. Hess/Ruppe NZI 2002, 577; Gundlach/Schmidt, DStR 2002, 2092; Berscheid, in: FS Kirchhof, 2003, S. 27, 44 f.; Förster, ZInsO 2003, 402, 404; wohl auch Westrick, NZI 2003, 65, 70; Hofmann, ZIP 2007, 260, 263; Siemon, ZInsO 2014, 172, 178; vgl. Marotzke, KTS 2014, 113, 118; Hammes, NZI 2017, 233, 234; Grotebrune, Haftung, 2018, S. 299. Selbst Hirte, ZRG 2010, 224, 232 f., der die Eigenverwaltung zum Normalfall wandeln möchte, bezeichnet solche Konstruktionen als „Krücke“. Kritisch zu dieser Konstruktion nun auch Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 7 infolge der Einfügung der §§ 56a, 270b InsO. Ablehnend oder ohne Bedenken gegen diese Erscheinungsform der Eigenverwaltung: Uhlenbruck/Hirte, InsO, 15. Aufl. 2019, § 11 Rn. 179; Uhlenbruck, NJW 2002, 3219, 3220; Kluth, ZInsO 2002, 1001 ff; ders., ZInsO 2002, 1170; ders., NZI 2003, 22; Köchling, ZInsO 2013, 53 ff. Siehe auch Schmittmann, ZInsO 2010, 2044 f.: „Lediglich wenige Insolvenzeröffnungsbeschlüsse waren so spektakulär, dass sie das Interesse der breiten Öffentlichkeit gefunden haben. Legendär ist der Beschluss des AG Duisburg über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Babcock Borsig AG […].“ 400) Zu dem damit verbundenen Haftungsproblem siehe Bitter, Anm. zu BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, ZIP 2018, 986, 988; zur Unzulässigkeit einer solchen Delegation vgl. Hölzle, ZIP 2018, 1669, 1672. 401) So die Empfehlung von Hölzle, ZIP 2018, 1669, 1672 f. 402) Vgl. BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 47 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977.
81
Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
177 Alle diese Personen kommen entweder unmittelbar aus dem Personalbestand des Beraters403) oder werden als freiberufliche Geschäftsbesorger von ihm rekrutiert. Darunter sind häufig Personen, die ansonsten als Insolvenzverwalter tätig sind; sie können rotierend und universell als Aussteller der Sanierbarkeitsbescheinigung, Sachwalter oder Sanierungsgeschäftsführer404) eingesetzt werden.405) Ist der Sanierungsgeschäftsführer Angestellter des Beraters, so fehlt ihm aufgrund dieser regelmäßig längerfristigen und keineswegs immer mit den Interessen des Schuldners oder der Gläubiger übereinstimmenden rechtlichen und wirtschaftlichen Bindung schon äußerlich die für die Ausübung der Organstellung in der Eigenverwaltung rechtlich gebotene Unabhängigkeit (§ 276a InsO).406) Der Schuldner und seine Anteilsinhaber haben in aller Regel keine eigenen Kenntnisse über Persönlichkeit und Qualifikation solcher Insolvenzexperten und vertrauen erfahrungsgemäß auf die Personalvorschläge des Beraters.407) Der Sanierungsgeschäftsführer wiederum tritt gemeinsam mit dem Berater gegenüber dem Gericht (§ 270b Abs. 2 InsO) oder gegenüber dem Gläubigerausschuss (§ 274 Abs. 1, § 56a InsO) als Vertreter des Schuldners auf und bemüht sich, die ins Auge gefasste Person als Sachwalter durchzusetzen.408) Im nächsten Verfahren können Sanierungsgeschäftsführer und Sachwalter, wenn sie sich im Sinne des Beraters bewährt haben, die Rollen tauschen. Mit Recht wird ein solches Vorgehen als „Ping-Pong-Spiel“409) bezeichnet; es ist weder mit dem Verfahrenszweck noch mit der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit des Sachwalters vereinbar.410)
178 Das Vertrauen des Schuldners und seiner Anteilsinhaber auf die Sachkunde und Seriosität des Sanierungsberaters ist nicht ungefährlich. Es soll schon Fälle gegeben haben, in denen die Eigenverwaltung als Instrument der unfreundlichen Übernahme eingesetzt worden ist, indem auf Veranlassung des Beraters die Führungskraft eines konkurrierenden Unternehmens zum organschaftlichen Vertreter des Schuldners bestellt und sodann die Eigenverwaltung mit dem Ziel der Übernahme des schuldnerischen Unternehmens geführt wurde.411) So kann sogar der Missbrauch noch missbraucht werden. ___________ Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 1. Aufl. 2012, S. 118. Auch Chief Restructuring Officer (CRO) oder Interim-Manager genannt. Zum Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk oben Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 f. Hammes, NZI 2017, 233, 238; ähnlich Ganter, NZI 2018, 137, 142. Hammes, NZI 2017, 233, 234. Zutr. Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233, 2245. Ganter, NZI 2018, 137, 142. AG Stendal, Beschl. v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875 f. m. zust. Anm. SchulteKaubrügger, EWiR 2012, 705 f.; Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2223, 2238; Frind, DB 2014, 165, 168; Henkel, ZIP 2015, 562, 564; Ganter, NZI 2018, 137, 142 f. 411) Siemon, Der unabhängige Insolvenzverwalter, 2018, S. 5. Vgl. zum „Sanieren durch Rausschmiss“ K. Schmidt, ZIP 2012, 2085, 2086.
403) 404) 405) 406) 407) 408) 409) 410)
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J. Missbrauch der Eigenverwaltung
IV. Systematisierung möglicher Missbrauchshandlungen Starke Eigeninteressen bringen den insolventen Schuldner naturgemäß in einen 179 fortwährenden Konflikt mit dem gesetzlichen Verfahrenszweck (§ 1 InsO).412) In der Eigenverwaltung besteht daher stets die Gefahr, dass für den Schuldner in seiner gesamten Geschäftsführung nicht das Befriedigungsinteresse der Gläubiger im Vordergrund steht, sondern die Umsetzung eigensüchtiger oder sonst verfahrenswidriger Motive.413) Hierzu bietet ihm die Eigenverwaltung trotz aller Überwachungsund Prüfungsregelungen zahlreiche Möglichkeiten. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die aus der Praxis bekannten Missbräuche zu systematisieren. Eine effektive Überwachung durch den Gläubigerausschuss ist nur möglich, wenn seine Mitglieder die wichtigsten Missbrauchskonzepte kennen.
1.
Einflussnahme auf die Auswahl der Kontrolleure
Einer der wesentlichen Schlüssel zur manipulativen eigennützigen Beherrschung 180 des Eigenverwaltungsverfahrens ergibt sich bereits im Eröffnungsverfahren aus dem Recht des Schuldners, im Rahmen der Schutzschirmregeln dem Insolvenzgericht nahezu bindend einen vorläufigen Sachwalter zu benennen (§ 270b Abs. 2 Satz 1, 2 InsO). Von gleichwertiger Bedeutung ist die Möglichkeit des Schuldners, Einfluss auf die Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses zu nehmen, indem er dem Gericht Mitglieder vorschlägt, die ihm bedingungslos wohlgesonnen oder gar von ihm abhängig sind414) und sich deshalb weniger dem Verfahrenszweck des § 1 InsO verpflichtet fühlen als dem Wohl des Schuldners, seiner Anteilsinhaber und seiner organschaftlichen Vertreter.415) Dies ist im Zusammenhang mit der Rolle des Sanierungsberaters bereits angesprochen worden.416) Zusätzliche missbräuchliche Möglichkeiten, die Entscheidung des Insolvenzge- 181 richts über die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses zu beeinflussen, ergeben sich schon durch die Vorlage eines unvollständigen oder sonst unrichtigen Gläubigerverzeichnisses (§ 13 Abs. 1 Satz 3 – 7 InsO).417) Dort können nichtkooperative oder notorisch eigenverwaltungskritische Gläubiger verschwiegen oder die Angaben zu sympathisierenden Gläubigern beschönigt sein; Forderungen können ___________ 412) Siehe hierzu bereits Kapitel 2 G. III. 2. d), Rn. 143; KPB-InsO/Pape, 48. EL. 04.2012, § 270 Rn. 30; Ringstmeier/Homann, NZI 2002, 406 f.; Graeber, in: FS Vallender, 2015, S. 165, 178 f.; noch deutlicher Rechel, INDat Report 2016 Nr. 8, 100 Stimmen, S. 19; Kebekus/Georg, in: FS Graf-Schlicker, 2018, S. 297, 298. 413) Kapitel 2 J. II., Rn. 161. 414) Wohl auch FK-InsO/Wimmer, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 78; klarer Graeber, in: FS Vallender, 2015, S. 165, 179; Pape, in: FS Vallender, 2015, S. 363, 372; KPB-InsO/Pape, 48. EL. 4/2012, § 270 Rn. 29; de Bruyn, Gläubigerausschuss, 2015, Rn. 318 f. 415) Pape/Schultz, ZIP 2016, 506, 509; Hammes, ZIP 2017, 1505, 1508. 416) Kapitel 2 J. III. 1., Rn. 164. 417) Vgl. hierzu Pape, ZInsO 2011, 1033, 1036; Frind, DB 2014, 165, 166.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
zu hoch oder zu niedrig beziffert oder der Rechtsgrund bedeutender Forderungen kann unrichtig oder missverständlich angegeben sein. Ferner kann die Einverständniserklärung des Vorgeschlagenen (§ 22a Abs. 2 InsO) durch Druck (etwa bei einem Arbeitnehmer418)) oder durch Zusagen (etwa bei einem Lieferanten, einem potentiellen Anfechtungsgegner oder einem gesicherten Gläubiger419)) veranlasst sein. Ernsthaft in Betracht zu ziehen ist auch die Möglichkeit, dass ein dem Schuldner verbundener Gläubiger, etwa ein Steuerberater oder Rechtsanwalt, seine Forderung auflaufen lässt oder erst kurz vor Antragstellung durch Abtretung erwirbt, um am Insolvenzverfahren teilnehmen und für den vorläufigen Gläubigerausschuss benannt werden zu können.420)
182 Wenn das Insolvenzgericht die Besetzungsvorschläge des Schuldners ohne eigene Nachprüfungen akzeptiert und den vorläufigen Gläubigerausschuss in der gewünschten Zusammensetzung bestellt,421) hat der Ausschuss die Möglichkeit, über seine Mitwirkungsrechte (§§ 56a, 274 Abs. 1 InsO) bereits im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung auch außerhalb der Schutzschirmregeln (§§ 270a, 270b InsO) einen vorläufigen Sachwalter durchzusetzen, der faktisch im Lager des Schuldners steht.422) In der Konsequenz hat sich damit der Schuldner seine Kontrolleure selbst ausgesucht: paradox, aber clever – und nur dem Anschein nach legal.
183 Aus Kreisen der Justiz und der Insolvenzverwalter ist bitter konstatiert worden, das Insolvenzverfahren sei durch derartige Regelungen zu einem schuldnerbestimmten Verfahren und das Insolvenzgericht zu einem reinen Vollzugsorgan mutiert,423) so dass ein faires und ausgleichendes Verfahren kaum noch durchführbar sei.424) Diese Reaktion ist gut nachzuvollziehen. Sie sollte aber nicht verdecken, dass Insolvenzgerichte, die den Verfahrenszweck (§ 1 Satz 1 InsO) und ihre eigenen Aufgaben ernst nehmen, durchaus gesetzliche Möglichkeiten haben, dem Missbrauch prozessualer Rechte auch in dieser Hinsicht entgegenzuwirken. Darauf wird noch einzugehen sein.425) ___________ 418) Vgl. Steinwachs, ZInsO 2011, 410, 411, der Arbeitnehmer bei der Verwalterauswahl für überfordert hält. 419) Pape, ZInsO 2011, 1033, 1034. 420) Vgl. KK-InsO/Hess, 2017, § 56 Rn. 171. 421) Für derart zusammengesetzte Gläubigerausschüsse hat sich inzwischen die Bezeichnung „Familyand-friends-Ausschuss“ durchgesetzt; vgl. KK-InsO/Hess, § 56 Rn. 171. Siehe hierzu auch Fallstudie Nr. 12 bei Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 285 = BT-Drucks. 19/4880, S. 325. 422) Urlaub, ZIP 2011, 1040, 1043, 1045; Frind, DB 2014, 165, 169; Graeber, in: FS Vallender, 2015, S. 165, 179; ebenso aus der Sicht der Berater v. Buchwaldt, BB 2015, 3017, 3021. 423) KPB-InsO/Pape, 48. EL. 4/2012, § 270 Rn. 29; Pape, in: FS Vallender, 2015, S. 363, 372. 424) Graeber, in: FS Vallender, 2015, S. 165, 179; vgl. auch KK-InsO/Hess, 2016, § 22a Rn. 9, 59; vgl. Frind, ZInsO 2017, 363 f.; Pluta, INDat Report 2013 Nr. 2, 17; Graeber, ebd., S. 17; Weiland, ebd., S. 24; Bork, ebd., S. 25. 425) Vgl. unten Kapitel 5 A., Rn. 594 f., Kapitel 5 C. II., Rn. 616 ff., Kapitel 5 D. III., Rn. 648 ff., Kapitel 5 E. VI., Rn. 702 ff.; Kapitel 7 C., Rn. 772 ff.
84
J. Missbrauch der Eigenverwaltung
2.
Missbrauch bei der Ausübung der Verfügungsgewalt
Die Eigenverwaltung verschafft dem Schuldner einen fast ungehinderten rechtlichen 184 und faktischen Zugriff auf die Insolvenzmasse. Der Zugriff erstreckt sich nicht nur unmittelbar auf die Gegenstände des Aktivvermögens, sondern umfasst auch die Möglichkeit, Masseverbindlichkeiten zu begründen und damit die Befriedigungsquote zu verringern, die im Ergebnis an die Insolvenzgläubiger ausgeschüttet werden kann. Ob der Schuldner seine Verfügungsmacht entsprechend den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung einsetzt oder ob er sie zum Nachteil der Gläubigergesamtheit missbraucht, hängt im Wesentlichen von seiner Redlichkeit und seiner sonstigen Eignung ab.426) Allerdings besteht die Gefahr insolvenzzweckwidriger Handlungen grundsätzlich 185 auch beim externen Insolvenzverwalter.427) Und auch der Schuldner hatte bereits im Vorfeld der Insolvenzantragstellung die Gelegenheit, Vermögenswerte beiseite zu schaffen, unter Wert zu veräußern oder unberechtigt an angebliche Drittrechtsinhaber herauszugeben. Anders jedoch als der Insolvenzverwalter befinden sich der Schuldner sowie dessen organschaftliche Vertreter und Anteilsinhaber infolge der Insolvenz regelmäßig in einer existenziellen wirtschaftlichen Krise, also in einer extremen persönlichen Ausnahmesituation. Als Notar, Rechtsanwalt oder Steuerberater wären sie in gleicher Lage von jeder weiteren Ausübung treuhänderischer Berufstätigkeit grundsätzlich ausgeschlossen.428) Diese persönliche Lage der Verfügungsberechtigten erhöht das Gefahrenpotential erheblich, das für die Gläubiger in der Eigenverwaltung mit der Verfügungsgewalt des Schuldners über die Insolvenzmasse verbunden ist. Neben der unmittelbaren Selbstbegünstigung der handelnden Personen kommt der 186 nicht zu unterschätzende Anreiz hinzu, durch gezielte Zweckentfremdung der Finanzmittel einzelne Gläubiger zu einem Wohlverhalten bei Abstimmungen der Gläubigerversammlung zu veranlassen und so den wesentlichen Gang und das wirtschaftliche Ergebnis des Verfahrens unredlich zu beeinflussen.429) Unter diesen Um___________ 426) BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 23, 23a; Jaffé, in: FS Vallender, 2015, S. 281, 285; vgl. Siemon, NZI 2018, 189, 191. Zur Zuverlässigkeit des Schuldners als Eignungskriterium siehe oben Kapitel 2 G. III. 2. a), Rn. 136. 427) Vgl. Ganter, in: FS Fischer, 2008, S. 121. 428) Vgl. etwa § 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO (dazu RegE EGInsO, 1992, BT-Drucks. 12/3803, S. 66 zu Art. 15), § 7 Nr. 9, § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO (dazu ebd., S. 67 zu Art. 16), § 46 Abs. 2 Nr. 4, § 55 Abs. 2a StBerG (dazu ebd., S. 100 f. zu Art. 63), § 16 Abs. 1 Nr. 7, § 20 Abs. 2 Nr. 5 WiPrO (dazu ebd., S. 102 zu Art. 73). – Exemplarisch zur Rspr. vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.8.2008 – 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057, 3058 = DNotZ 2007, 548, 549 ff.; BGH, Urt. v. 13.3.2017 – NotZ (Brfg) 4/16, Rn. 25 f., juris; BGH, Beschl. v. 8.1.2018 – AnwZ (Brfg) 10/17, NJOZ 2018, 1301, 1302 f. Rn. 6, 14 f.; BGH, Beschl. v. 25.6.2018 – AnwZ (Brfg) 18/18, Rn. 7, juris; BFH, Beschl. v. 22.8.2017 – VII B 23/17, Rn. 6, juris; BGH, Beschl. v. 4.3.2019, AnwZ (Brfg) 82/18, ZInsO 2019, 1063 Rn. 5. 429) Siemon, NZI 2018, 189, 190.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
ständen ist das Risiko der insolvenzzweckwidrigen Verwendung von Gegenständen oder Mitteln der Masse in jeder Eigenverwaltung systembedingt ungleich höher als in einem Verfahren mit einem professionellen externen Insolvenzverwalter.430)
a) Zweckentfremdeter Umgang mit dem Aktivvermögen 187 Beim Umgang des Schuldners mit Gegenständen des Aktivvermögens liegen die Möglichkeiten des Missbrauchs besonders nahe. Sie sind vor allem in den Tatbeständen der Insolvenzstraftaten wiederzuerkennen (§§ 283 ff. StGB):
Der Schuldner kann Bestandteile der Insolvenzmasse beiseiteschaffen oder gegenüber dem Sachwalter oder den Gläubigern verheimlichen (vgl. § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Er kann Massegegenstände in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise behandeln, insbesondere durch unwirtschaftliche Ausgaben übermäßige Beträge verbrauchen sowie Gegenstände erheblich unter ihrem Wert veräußern oder sonst abgeben (vgl. § 283 Abs. 1 Nr. 2, 3 StGB).
Er kann Rechte anderer an Massegegenständen vortäuschen oder erdichtete Rechte an ihnen anerkennen (vgl. § 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB) und auf dieser Grundlage die angeblichen Ansprüche erfüllen.
Er kann die Übersicht über seinen Vermögensstand erschweren, indem er noch während des Verfahrens Geschäftsunterlagen unrichtig oder unvollständig führt, beiseiteschafft, verheimlicht, zerstört oder beschädigt (vgl. § 283 Abs. 1 Nr. 5, 6 StGB).
Er kann Gläubiger durch inkongruente Erfüllungshandlungen oder Sicherheitsleistungen begünstigen (vgl. § 283c StGB).
188 Sehr häufig besteht der Missbrauch der Eigenverwaltung schlicht darin, dass der Schuldner seine Art des Wirtschaftens fortführt, die zur Insolvenz geführt hat, indem er, wie es in § 283 StGB heißt, „in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise“ unbekümmert um die Auswirkungen auf die Gläubiger gegen grundlegende Gebote der wirtschaftlichen Vernunft und der ordnungsgemäßen Unternehmensführung verstößt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Schuldner unkalkulierbare riskante Geschäfte eingegangen ist und diese auf Kosten der Gläubiger im Insolvenzverfahren fortsetzt. Gleiches gilt, wenn er versucht, betriebsnotwendiges Sachanlagevermögen durch Veräußerung und anschließende Anmietung vom Erwerber (sog. Sale-and-lease-back-Geschäfte431)) zu versilbern, um ___________ 430) Kühne, NZI 2015, 172, zust. Anm. zu BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, NZI 2015, 166 ff.; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 23a. 431) Allg. hierzu v. der Goltz/Bartelheimer, ZInsO 2017, 2208.
86
J. Missbrauch der Eigenverwaltung
mit dem Erlös die defizitäre Betriebsfortführung432) oder nutzlose Beraterleistungen zu finanzieren. Im Ergebnis wird hierdurch unter dem Deckmantel der Eigenverwaltung lediglich die zumeist längst unumgängliche Liquidation des Unternehmens verschleppt.433) Eine weitere Zweckentfremdung des Aktivvermögens liegt vor, wenn der eigen- 189 verwaltende Schuldner einzelne Gläubiger oder sogar Dritte entgegen den Regeln des Insolvenzrechts bevorzugt. Ab Eintritt der materiellen Insolvenz, spätestens aber ab Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung (§§ 270a, b InsO), gilt für den Schuldner ein verändertes Pflichtenprogramm, das ihn strikt an die insolvenzrechtlichen Grundsätze bindet.434) Wirtschaftlich und rechtlich ist sein Vermögen nunmehr der Haftung für die Gläubiger zugeordnet, so dass die Pflichtenbindung des eigenverwaltenden Schuldners ausschließlich gegenüber diesen Personen besteht.435) Es ist deshalb missbräuchlich, wenn bereits vor Beginn des geregelten Verteilungsverfahrens (§§ 53, 187 ff., 283 Abs. 2 InsO) Zahlungen auf Insolvenzforderungen (§§ 38 f. InsO) geleistet werden.436) Dies gilt auch, wenn die Nichterfüllung der Verbindlichkeiten, etwa bei Steuern und Sozialabgaben, zivil- oder strafrechtliche Risiken für den Schuldner oder seine organschaftlichen Vertreter mit sich bringt.437) Solche Zahlungen können allenfalls, wenn sie unter dem Vorbehalt der Anfechtung erfolgen, in Erpressungsszenarien zulässig sein, in denen nicht substituierbare Lieferanten die künftige Geschäftsbeziehung von der Erfüllung von ___________ 432) Siehe Vallender, WM 1998, 2129, 2138: „Fortlaufende Verluste werden den an einer Sanierung nicht interessierten Schuldner kaum tangieren, weil diese nur zu einer geringeren Quote der Insolvenzgläubiger führen.“ Pape, in: FS Kirchhof, 2003, 391, 407: „Der Versuch, eine Betriebsfortführung im Hinblick auf dubiose Verwertungsmöglichkeiten um jeden Preis durchzuführen, sollte nicht gemacht werden. […] Die Vorschrift [§ 61 InsO] verbietet es, ein solches Verfahren auf Kosten und auf Risiko der Neugläubiger durchzuführen.“ 433) Zu den Voraussetzungen der Nichtigkeit derartiger Rechtshandlungen vgl. etwa BGH, Beschl. v. 15.1.2004 – IX ZB 197/03, NZI 2004, 216 = ZIP 2004, 425 f.; LG Bonn, Beschl. v. 23.7.2003 – 6 T 135/03, NZI 2003, 653 f. = ZIP 2003, 1412. 434) Siehe oben Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff.; AG Hamburg, Beschl. v. 14.7.2014 – 67b IN 196/14, NZI 2015, 177 f. = ZIP 2014, 2101 f.; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 149; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 58 Rn. 17; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 12; Frind, ZInsO 2015, 22, 23; zum Wandel der Schutzrichtung siehe Bitter/ Baschnagel, ZInsO 2018, 557, 567. 435) Siehe oben Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff.; ausführlich Bitter, ZGR 2010, 147, 189 ff., 191 („Anteilseigner als doppelt nachrangige Insolvenzgläubiger“); Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233, 2235; Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557, 567. 436) Vgl. Siemon, NZI 2018, 189 f., der berichtet, dass Schuldner nicht selten Altverbindlichkeiten befriedigen, um diese Gläubiger so bei Abstimmungen „auf seine Seite zu ziehen“. Berner/ Köster/Lambrecht, NZI 2018, 739, 740 halten im Eröffnungsverfahren Zahlungen unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Anfechtung für empfehlenswert. 437) Vgl. LG Hagen, Urt. v. 7.10.2015 – 10 O 57/15, NZI 2016, 138 = ZInsO 2016, 397; AG Hamburg, 14.7.2014 – 67b IN 196/14, NZI 2015, 177 f. = ZIP 2014, 2101 f.; AG Cottbus, Beschl. v. 1.10.2015 – 63 IN 231/15, ZInsO 2016, 115 f. = Insbüro 2016, 166 f.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
Altforderungen abhängig machen und so eine aussichtsreiche Unternehmensfortführung gefährden.438)
b) Begründung von Masseverbindlichkeiten zur Plünderung der Masse 190 Bei der Ausübung seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Masse begründet der eigenverwaltende Schuldner im eröffneten Verfahren, mit gerichtlicher Ermächtigung teilweise auch schon im Eröffnungsverfahren Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 InsO.439) Diese Rechtslage wird häufig dazu genutzt, wirtschaftlich nutzlose Masseverbindlichkeiten zu veranlassen, die den Verfahrenszweck nicht fördern, sondern lediglich Leistungen an Empfänger aus dem Umfeld des Schuldners rechtfertigen sollen. Insbesondere ist dies zu beobachten, wenn das Unternehmen ohne realistische Sanierungsperspektive fortgeführt wird.440) Liquide Mittel fließen so an Massegläubiger ab, ohne dass dies einen Nutzen für die Insolvenzgläubiger ergäbe.
191 Begünstigt sind auf diese Weise nicht zuletzt die Berater des Schuldners, deren Honorare ohne gleichwertigen Nutzen für die Masse beglichen oder dinglich abgesichert werden, oder ihnen nahestehende Dienstleistungsunternehmen, deren Leistungen zu nicht marktadäquaten Konditionen in Auftrag gegeben werden. Den „überproportionalen“441) und „kaum kontrollfähigen“442) Kosten für Sanierungsberatung und Sanierungsgeschäftsführer sind hier de facto keine Grenzen gesetzt.443) In diesem Zusammenhang sind auch sog. Kick-back-Vereinbarungen von Bedeutung, auf deren Grundlage zumindest Teile der aus der Masse gezahlten Vergütungen an den Schuldner oder ihm nahestehende Personen zurückfließen (sog. verdeckte Rückvergütungen). Im Ergebnis handelt es sich in allen diesen Fällen um nichts anderes als eine verdeckte Plünderung der Insolvenzmasse.
192 Vielfach dient geradezu die gesamte Unternehmensfortführung in Eigenverwaltung lediglich dem Zweck, möglichst hohe, nach § 55 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO vorrangige ___________ 438) Vgl. etwa BGH, Urt. v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, BGHZ 154, 190, 197 f. = NZI 2003, 315, 316 f. = ZIP 2003, 810; BGH, Urt. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, BGHZ 161, 315, 319 ff. = NZI 2005, 218, 219 ff. = ZIP 2005, 314; BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, BGHZ 165, 283, 286 f. Rn. 15 ff. = NZI 2006, 227, 228 = ZIP 2006, 431 f.; BGH, Beschl. v. 9.2.2012 – IX ZR 147/09, juris; Frind, ZInsO 2019, 1292 ff. 439) Vgl. etwa BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 32 = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977; BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224 f., 226 Rn. 8, 16 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 160; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 133. 440) FK-InsO/Wimmer, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 78; Brand, KTS 2014, 1, 7 m. w. N. in Fn. 29. 441) Freudenberg, red. Anm. zu AG Freiburg, Beschl. v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, NJW-Spezial 2015, 407. 442) Rendels, in: FS Kübler, 2015, 577, 582. 443) Vgl. AG Köln, Beschl. v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16; Henkel, ZIP 2015, 562, 564; Siemon, NZI 2018, 189, 191.
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J. Missbrauch der Eigenverwaltung
Vergütungszahlungen für das Insolvenzmanagement mit entsprechenden Abzweigungen zugunsten des Schuldners oder nahestehender Personen herbeizuführen.444) Höhere Kosten der Eigenverwaltung im Vergleich zur Fremdverwaltung werden allgemein zu Recht als Nachteil für die Gläubiger im Sinne des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO gewertet.445) Gleichwohl unterstützt man auf Seiten der Berater im eigenen Honorarinteresse zumeist und in großem Umfang die geschilderte Vorgehensweise. Zur Rechtfertigung wird die evident unzutreffende Auffassung vertreten, Honorar- 193 vereinbarungen zwischen Schuldner und Sanierungsberater zu Lasten der Insolvenzmasse bedürften nicht der (internen und haftungsträchtigen) Zustimmung des vorläufigen und endgültigen Sachwalters nach § 275 Abs. 1 Satz 1, § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO.446) Es sind, wie hervorzuheben ist, nicht zuletzt die zum Teil immensen Beratungs- und Managementkosten, welche die Eigenverwaltung zur kostspieligeren Verfahrensvariante machen.447) Sanierungs- und sonstige Unternehmensberater werden regelmäßig auf Stundenhonorar- oder Tagessatzbasis tätig. Dies führt nicht nur zu sehr hohen, sondern zu schlechthin unkalkulierbaren Kosten für die Gläubigergesamtheit.448) Die in dieser Weise anfallenden Masseverbindlichkeiten, summiert mit der regulären Vergütung des Sachwalters (§ 274 Abs. 1, §§ 63, 64 InsO), übersteigen die Kosten eines Verfahrens mit Fremdverwaltung zumeist um ein Mehrfaches. Dies darf bei realistischer Betrachtung inzwischen als Erfahrungssatz gelten449) und kann in Vergleichsrechnungen nur ignoriert werden, indem man die Be___________ 444) Zur Bewertung aus Kreisen des BGH siehe Kayser, NJW 2014, 422, 424: „Die Rechtsprechung macht nicht selten mit Fallgestaltungen Bekanntschaft, in denen die Akteure – getarnt als Sanierung – von vornherein nur ihre eigenen Interessen durchzusetzen versuchen oder aber – in einer für sie ausweglos erscheinenden Situation – noch umschalten, um das Beste für sich selbst herauszuholen. Gerade in größeren Insolvenzfällen mit entsprechendem Beratungs- und Finanzhintergrund stößt man auf solche Praktiken, wobei die Weichen hierfür sehr früh gestellt sein können. Mitunter kann man sich im Nachhinein des Eindrucks nicht erwehren, dass die Plünderung des Unternehmens erst so richtig auf Touren kam, nachdem die Berater ins Haus geholt worden waren.“ Ähnlich Leib/Rendels/Zabel, INDat Report 2014 Nr. 9, 52; Henkel, ZInsO 2015, 2477 f.; Ehlers, ZInsO 2015, 1417. 445) AG Mannheim, Beschl. vom 21.2.2014 í 4 IN 115/14, NZI 2014, 412 f.; AG Essen, Beschl. v. 3.2.2015 – 163 IN 14/15, ZInsO 2015, 700; AG Freiburg, Beschl. v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, ZIP 2015, 2238 f.; AG Köln, Beschl. v. 15.11.2017 – 74 IN 103/16, NZI 2018, 210 f. 446) So etwa Haarmeyer/Buchalik, Sanieren, 1. Aufl. 2012, S. 110. 447) Vgl. hierzu Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 21, 40, 56 f., 70, 74 f. = BT-Drucks. 19/4880, S. 61, 80, 96 f., 110, 114 f.; siehe auch Specovius/Uffmann, ZIP 2016, 295, 297. 448) Vgl. bereits Hammes, NZI 2017, 233, 237 ff.; ferner Specovius/Uffmann, ZIP 2016, 295, 297; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 21, 40, 56 f., 70, 74 f. = BT-Drucks. 19/4880, S. 61, 80, 96 f., 110, 114 f. 449) Zutr. Frind, WM 2014, 590; Henkel, ZIP 2015, 562, 564; Madaus, KTS 2015, 115, 135; Wallner, ZIP 2015, 997, 999; siehe auch Hammes, NZI 2017, 233, 239 sowie Jacoby/Madaus/Sack/ Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 21, 40, 56 f., 70, 74 f. = BT-Drucks. 19/4880, S. 61, 80, 96 f., 110, 114 f.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
ratungskosten schlicht außer Ansatz lässt.450) Diese eigenverwaltungstypischen Mehrkosten werden nur selten durch nachweisbare Mehrerlöse ausgeglichen.451)
c)
Manipulationen bei übertragenden Sanierungen
194 Eine besondere Variante des Missbrauchs der Verfügungsgewalt eröffnet sich dem eigenverwaltenden Schuldner und seinen Anteilsinhabern im Fall der übertragenden Sanierung. Die bisherigen wirtschaftlichen Unternehmensträger sind häufig bestrebt, mit Hilfe nahestehender Personen im Rahmen einer übertragenden Sanierung das Unternehmen über eine Auffanggesellschaft zu erwerben – allerdings nur zu einem nicht marktadäquaten niedrigen Preis.452) Für die Eigenverwaltung kann nichts anderes als für die Fremdverwaltung gelten; stets hat ein am Gläubigerinteresse orientiertes Investorenauswahlverfahren stattzufinden (sog. M&A-Prozess), bei dem systematisch nach potentiellen Investoren gesucht werden muss und bei dem der Preis sich über die verschiedenen Angebote bildet.453)
195 Um bei dem Übernahmeprojekt keine Konkurrenz fürchten zu müssen, wird in der Eigenverwaltung vielfach das Auswahlverfahren vom Schuldner von vornherein nicht oder nur zum Schein durchgeführt. Dabei liegt es im Interesse des künftigen, dem Schuldner nahestehenden Erwerbers, den Wert des Unternehmens möglichst niedrig erscheinen zu lassen. Zu diesem Zweck legt der Schuldner dem Sachwalter oder dem beauftragten Sachverständigen nicht selten Bewertungsunterlagen vor, die zu niedrige, also unrichtige Werte des Sachanlagevermögens ausweisen. Darüber hinaus versucht der Schuldner, angeleitet durch den Sanierungsberater, die Ermittlung des Unternehmenswerts durch Einflussnahme auf den Sachwalter oder Sachverständigen zu steuern und sich mit ihm zum Vorteil des Erwerbers, aber
___________ 450) So wie etwa bei Buchalik/Schröder/Ibershoff, ZInsO 2016, 1445, 1449. 451) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 70 = BT-Drucks. 19/4880, S. 110. 452) Vgl. AG Hamburg, Beschl. v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566, 567; Graeber, in: FS Vallender, 2015, S. 165, 179; Schnabl/Siemon, NZI 2018, 913, 915, 918 (zum Fall Air Berlin – Lufthansa). 453) KPB-InsO/Prasser/Stoffler, 56. EL. 11.2013, § 11 InsVV Rn. 94; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 23; Thole, in: FS Pannen, 2017, S. 731, 738 f.; Uebele, NZG 2018, 881, 889; ausf. Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1373, 1379; Rendels, INDat Report 2018 Nr. 3, 68, 69 ff.; Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1433; Reus/Höfer/Harig, NZI 2019, 57, 60; abwägend Exner/ Lebmeier, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 44 Rn. 134 – 137 sowie Berner/ Köster/Lambrecht, NZI 2018, 425, 430, a. A. LG Stade, Beschl. v. 29.12.2017 – 7 T 151/17 (Ls. 1), ZInsO 2018, 614 (ohne ausreichende Begr.) m. zust. Anm. Schröder, ZInsO 2018, 668 ff.; kritische Anm. hingegen bei Rendels, EWIR 2018, 345 f.
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J. Missbrauch der Eigenverwaltung
zum Nachteil der Gläubiger auf „tragbare“ Gutachtenwerte zu einigen.454) Eine solche Mitwirkung des Schuldners bei der Verfälschung oder Verschleierung des Verkehrswerts eines Massebestandteils widerspricht offenkundig dem Interesse der Gläubiger an der bestmöglichen Verwertung der Insolvenzmasse (§ 1 Satz 1 InsO).455)
3.
Missbrauch der Informationsherrschaft
Die Geschäftsunterlagen einschließlich der elektronischen Datenträger und Daten- 196 sammlungen sind Bestandteil der Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Sie unterliegen folglich in der Eigenverwaltung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners. Er allein übt an ihnen den unmittelbaren Besitz aus und hat damit faktisch auch die Möglichkeit, ihren Bestand und ihren Inhalt zu verändern. Diese Herrschaft über vermögensbezogene Informationen ist in der Eigenverwaltung ein wesentliches Instrument zur Umsetzung der eigennützigen Motive des Schuldners.
a) Behinderung oder Vereitelung einer wirksamen Kontrolle Durch den Zugriff auf sämtliche geschäftlichen Unterlagen hat der eigenverwal- 197 tende Schuldner die faktische Möglichkeit, Massebestandteile zu verheimlichen, indem er Datenbestände oder sonstige Unterlagen, die er dem Sachwalter oder dem Gläubigerausschuss zur Wahrnehmung ihrer Aufsicht vorzulegen hat, manipuliert oder vernichtet. Gleiches gilt für Unterlagen, die der Sachwalter im Rahmen seiner originären Alleinzuständigkeit (§ 280 InsO) benötigt, um Haftungs- und Anfechtungsansprüche geltend zu machen und durchzusetzen. Der Sachwalter ist zwar berechtigt, jederzeit die Geschäftsräume des Schuldners 198 zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Auch hat der Schuldner ihm Einsicht in alle seine Unterlagen zu gestatten, ihm jede erforderliche Auskunft zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen; dies kann sogar durch Haft erzwungen werden (§ 274 Abs. 2 Satz 2, § 22 Abs. 3, §§ 97, 98, 101 InsO). Der Sachwalter hat jedoch nicht das Recht, Datenbestände oder sonstige Unterlagen zu ihrer Sicherstellung in Alleinbesitz zu nehmen. Der Schuldner bleibt damit in der Eigenverwaltung wesentlich mehr als in der Fremdverwaltung Herr über Um___________ 454) Haarmeyer/Buchalik, Sanieren, 1. Aufl. 2012, S. 142 f.: „Bei einem vertrauensvollen Zusammenarbeiten zwischen vorläufigem Sachwalter, Berater und Unternehmensleitung wird es möglich sein, sich im Vorfeld auf machbare Gutachtenwerte zu einigen, die die Möglichkeiten des Unternehmens nach Aufhebung des Verfahrens nicht sprengen. Je höher die Werte sind, die der Gutachter ausweist, umso höher müssen auch die Zahlungen an die ungesicherten Gläubiger sein. Denn der Vergleich einer Insolvenzplanrechnung zu einer Liquidationsrechnung fällt umso mehr zu Ungunsten der Planrechnung aus, je höher die Liquidationswerte sind. Anders als der vorläufige Sachwalter muss der Insolvenzschuldner ein Interesse an möglichst geringen Liquidationswerten haben.“ 455) Kapitel 2 A. II., Rn. 25.
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Kapitel 2 Die Eigenverwaltung als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung
fang, Art und Zeitpunkt der Informationserteilung. Hierdurch kann er die Tätigkeiten des Sachwalters und des Gläubigerausschusses erheblich erschweren und letztlich vereiteln. Zugleich kann er die Verifizierung früherer Auskünfte unmöglich machen, die er etwa bei Antragstellung oder während des Eröffnungsverfahrens erteilt hat.456)
199 Da der Schuldner in der Eigenverwaltung seine Arbeitgeberposition behält (vgl. § 279 InsO), hat er außerdem nachhaltigen Einfluss auf den Zugang des Sachwalters zu Auskünften von Betriebsangehörigen. Arbeitnehmer werden kaum bereit sein, mit dem Sachwalter oder den Mitgliedern des Gläubigerausschusses zu kooperieren, wenn sie deswegen mit Kündigungen oder anderen Repressionen von Seiten des Schuldners rechnen müssen. Anders als der Insolvenzverwalter, der in der Fremdverwaltung die Arbeitgeberrolle einnimmt, kann der Sachwalter Arbeitnehmer nicht wirksam und dauerhaft schützen. Erfahrungsgemäß sind es aber gerade Arbeitnehmer, die nützliche Hinweise geben können, wenn es um die Aufdeckung gläubigerbenachteiligender Handlungen des Schuldners oder um Fehler des Managements457) vor oder nach der Eröffnung des Verfahrens geht.
b) Verschleierung strafbarer Handlungen 200 Der Fortbestand der Informationsherrschaft bietet dem eigenverwaltenden Schuldner oder seinen organschaftlichen Vertretern ferner vielfältige Möglichkeiten, Wirtschaftsstraftaten zu verschleiern oder sogar fortzusetzen.458) Da der Sachwalter faktisch nur beschränkten Zugriff auf die Geschäftsunterlagen hat,459) haben seine aktenkundigen Berichte an das Insolvenzgericht für die Strafverfolgungsbehörden eine geringere Aussagekraft als die entsprechenden Berichte eines Insolvenzverwalters. Hinzu kommt, dass ein Sachwalter, der dem Pool eines Sanierungsberaters entnommen ist,460) geneigt sein wird, die Aufklärung und Dokumentation verdächtiger
___________ 456) Ehlers, ZInsO 2015, 1417 f. 457) Buchalik, in: FS Metzeler, 2003, S. 225, 247; Lüke, ZIP 2010, 1371: „Bekanntlich sind Insolvenzen in der Regel nicht monokausal, aber stets auch auf Managementfehler zurückzuführen.“ Hierzu auch ausf. Bitter/Falk, Wirtschaft Konkret Nr. 418, Nov. 2007, S. 29; Bitter, Wirtschaftsspiegel v. 1.6.2015, 18 f.; Häsemeyer, in: FS Schilken, 2015, S. 693, 694; zu den Erfahrungen in Österreich: KSV1870, Pressemitteilung vom 18.5.2012: „Blauäugigkeit und Überschätzung gehen Hand in Hand mit echten Managementfehlern und führen die Liste der Insolvenzursachen an.“ 458) AG Köln, Beschl. v. 9.2.2017 – 72 IN 496/16, ZIP 2017, 889; Ehlers, ZInsO 2015, 1417; Wessing, Strafrecht als Sanierungshindernis?, 2015; S. 13; wohl auch Haarmeyer, in: FS Pannen, 2017, S. 371, 373. Hier gilt ebenso wie bei Scholz, Konkurs, 1934, S. 19: „Die Mittel, zu welchen manche Schuldner greifen, um die Gläubiger zu betrügen und sich durch Hinterziehung von Vermögensteilen einen Vorteil zu verschaffen, können hier unmöglich aufgeführt werden.“ 459) Kapitel 2 J. IV. 3. a), Rn. 197. 460) Zum Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk oben Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 f.
92
J. Missbrauch der Eigenverwaltung
Sachverhalte eher restriktiv zu handhaben, und den Organen der Gläubigerschaft hierüber allenfalls zurückhaltend berichten wird.461)
c)
Unvollständige oder unrichtige Berichterstattung in der Gläubigerversammlung
Bei der Berichterstattung des Schuldners in der ersten Gläubigerversammlung (Be- 201 richtstermin, § 281 Abs. 2, §§ 156, 157 InsO) eröffnen sich ebenfalls erhebliche Missbrauchsmöglichkeiten. Der Schuldner hat bei der Darstellung der Insolvenzursachen, der gegenwärtigen Lage und der Möglichkeiten für den Fortgang des Verfahrens primär die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger im Auge zu behalten (§ 1 Satz 1 InsO). Demgegenüber liegt es in seinem eigenen Interesse, den Gläubigern vor allem den Eindruck zu vermitteln, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung für sie vorteilhaft sei. Er wird daher vielfach zu einer tendenziösen oder gar falschen Berichterstattung neigen. Der Sachwalter ist zwar verpflichtet, in der Versammlung zu dem Bericht des 202 Schuldners Stellung zu nehmen und unrichtige oder unvollständige Angaben zu korrigieren (§ 281 Abs. 2 Satz 2 InsO). Angesichts seiner vielfach vorhandenen Abhängigkeit vom Berater des Schuldners462) wird man sich jedoch nicht auf sein Pflichtbewusstsein verlassen können. Die Teilnehmer der Gläubigerversammlung und der Gläubigerausschuss haben deshalb darauf zu achten, dass noch im Termin hinreichende und fundierte Klarheit über den weiteren wirtschaftlichen Gang des Verfahrens und den zu erwartenden zeitlichen Ablauf geschaffen wird. Ist der Schuldner hierzu nicht überzeugend in der Lage, so muss jede weitere Betriebsfortführung als Liquidationsverschleppung und damit als Missbrauch der Eigenverwaltung gewertet werden.
___________ 461) Vgl. zum Beispiel die Fälle bei Frind, ZIP 2017, 993 ff. und Böhmer, Windige Wiederentdeckung, 2018, S. 21 – 25. 462) Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 f.
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Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten Der Rechtscharakter des Gläubigerausschusses und das Verhältnis seiner Mitglieder 203 untereinander sind in der Rechtsprechung und Literatur bislang eher schlagwortartig beschrieben. Dabei handelt es sich keineswegs um rein dogmatische Rechtsfragen. Es geht um praktisch relevante Themen, die einerseits für das Rollenverständnis des Ausschusses und das Selbstbewusstsein seiner Mitglieder von Bedeutung sind und sich andererseits auf Umfang und Inhalt der nicht ausdrücklich gesetzlich geregelten Aufgaben und Befugnisse sowie auf die rechtlichen Beziehungen zu den anderen Beteiligten auswirken.463) Diese Themen sind unabhängig von der Organisationsform der Insolvenzverwaltung und sollen deshalb in diesem Kapitel allgemein geklärt werden. Hierauf aufbauend werden in den nachfolgenden Kapiteln 4 und 5 die besonderen Aufgaben und Pflichten des Gläubigerausschusses im vorläufigen und im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren dargestellt.
A. Gläubigerausschuss als besonderes verfahrensrechtliches Gremium Die allgemeinen Regelungen der Insolvenzordnung über den Gläubigerausschuss 204 (§§ 67 – 73 InsO) stehen gemeinsam mit jenen über die Gläubigerversammlung unter der gesetzlichen Überschrift „Organe der Gläubiger“.464) In den Gesetzesmotiven wird der Ausschuss ohne Differenzierung teils als Organ465), teils als Gremium466) bezeichnet, durch das im Rahmen der Beteiligtenautonomie467) der ständige Einfluss der Gläubiger auf den Ablauf des Insolvenzverfahrens sichergestellt werden solle.468) Er habe die Interessen aller beteiligten Gläubiger angemessen zu berücksichtigen.469) Die Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss wird eher beiläufig als „Amt“ verstanden.470) Mit diesen Aussagen sind der Rechtscharakter des Gläubigerausschusses und seine 205 Aufgabenstellung nicht eindeutig definiert. Versuche, durch begriffliche Unter___________ 463) Zutr. stellt Graeber, in: FS Runkel, 2009, S. 63, 82 f. fest, dass die gesetzlichen Regelungen über den Gläubigerausschuss völlig unzureichend sind („erstaunt diese Rechtlosigkeit“). 464) Zweiter Teil, Dritter Abschnitt, Überschrift vor § 56 InsO: „Insolvenzverwalter. Organe der Gläubiger“. 465) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 126 (Abschnittsüberschrift vor § 65 [= § 56 InsO]), S. 128, 131 zu § 78 (= § 67 InsO), S. 142, 205. 466) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 86, 95, 99, 126 (Vorbemerkung zum Abschnitt „Organe der Gläubiger“), S. 201. 467) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 79, 81, 99, 132. 468) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 zu § 78 (= § 67 InsO). 469) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 zu § 78 (= § 67 InsO). Falsch ist es daher, wenn etwa Buchalik behauptet (Newsletter 33, Januar 2015), „das einzelne Mitglied“ sei „nur seiner Gläubigergruppe verpflichtet […].“ 470) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 132 zu § 81 – Entlassung (= § 70 InsO).
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Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
scheidungen zwischen Organ471), Gremium472) oder Kollegium473) Klarheit zu schaffen, haben keinen weiterführenden Erkenntniswert. Auszugehen ist vielmehr von der gesetzlichen Funktion des Ausschusses. Er ist kein Organ, mit dem die äußere Handlungsfähigkeit einer rechtsfähigen Organisation hergestellt wird. Die Gesamtheit der an einem Insolvenzverfahren beteiligten Gläubiger ist nach dem Gesetz weder als rechts- noch als teilrechtsfähige Organisation verfasst und kann nach allgemeiner Auffassung außerhalb des insolvenzgerichtlichen Verfahrens nicht rechtlich wirksam tätig werden.474) Deshalb ist auch der Gläubigerausschuss für sich genommen oder als Einrichtung der Gläubigergesamtheit außerhalb der Strukturen und Abläufe des Insolvenzverfahrens nicht prozessfähig; er kann dort weder für seine Mitglieder oder sich selbst als Kollektiv noch für die Gläubigergesamtheit aktiv- oder passivlegitimiert sein.475)
206 Unter den Organbegriff im institutionell-funktionalen weiteren Sinn werden allerdings auch solche Funktionseinheiten innerhalb einer Organisationsstruktur subsumiert, die für das organisierte Subjekt keine Vertretungsfunktionen, sondern lediglich interne Aufgaben der Meinungs- und Willensbildung wahrnehmen, beispielsweise Kontroll-, Beratungs- oder Entscheidungsaufgaben.476) Versteht man die strukturierte Organisation der Gläubiger im Insolvenzverfahren als ein solches Subjekt (vgl. etwa § 78 Abs. 1 InsO), so trifft dies auch auf den mit eigenen Kompetenzen ausgestatteten Gläubigerausschuss zu. Er hat keine externe Vertretungsbefugnis,477) ist aber zur Wahrnehmung seiner verfahrensinternen Aufgaben im handlungsorga___________ 471) So etwa RegE KO, 1875, zu §§ 79 – 84, Motive zu dem Entwurf einer Konkursordnung, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 2. Legislaturperiode, II. Session 1874/75, Drucks. Nr. 200 = 2. Legislaturperiode, III. Session 1875/76, Drucks. Nr. 20, in: Hahn, Materialien, 1881, S. 284; RG, Urt. v. 28.1.1888 – I 362/87, RGZ 20, 108, 109; RG, Urt. v. 14.11.1895 – VI 169/95, RGZ 36, 367, 368; ebenso später BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 Rn. 15 = ZIP 2008, 652, 654 („Der Gläubigerausschuss ist ein unabhängiges und eigenständiges Organ der Insolvenzverwaltung“); Jaeger, Konkursrecht, 1924, S. 53 Fn. 1; Kilger/K. Schmidt, KO, 16. Aufl. 1993, § 87 Anm. 1; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 87 Rn. 1 m. w. N.; Hegmanns, Gläubigerausschuß, 1986, S. 67; Pape, ZIP 1990, 1251, 1253. 472) So etwa Hegmanns, Gläubigerausschuß, 1986, S. 74, 76 f. 473) So etwa MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 10; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 4; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Rn. 1217a, 1217c; Schirmer, DStR 2012, 733. 474) Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 22.4.1981 – VIII ZR 34/80, ZIP 1981, 1001 f.; MK-InsO/SchmidBurgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 9; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 2; Hegmanns, Gläubigerausschuß, 1986, S. 49; Heeseler/Neu, NZI 2012, 440, 441. 475) Wohl unbestritten, vgl. Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 69 Rn. 2; Uhlenbruck/ Vallender, InsO, 15. Aufl. 2019, § 22a Rn. 66; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 8; Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 1, 8. 476) Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 158, 196 f. 477) Hegmanns, Gläubigerausschuß, 1986, S. 49.
96
B. Verhältnis des Gläubigerausschusses zur Gläubigerversammlung
nisatorischen Sinne verselbständigt478) und betätigt seinen Willen durch einzelne handlungsfähige Personen, die als Gremienmitglieder selbst Teilinstitutionen sind.479) Insofern ist es gerechtfertigt, den Gläubigerausschuss als Organ im weiteren Sinne zu bezeichnen.480) Solche Handlungsorganisationen werden üblicherweise jedoch zumeist Gremien genannt, um sie vom Zurechnungsbegriff des Organs abzugrenzen.481) Der Gläubigerausschuss lässt sich demnach wie folgt rechtlich charakterisieren: Er 207 ist ein vom Insolvenzgericht oder von der Gläubigerversammlung auf gesetzlicher Grundlage eingesetztes mehrköpfiges482) Gremium, das im rechtlichen Rahmen der Insolvenzordnung den ständigen Einfluss der vom Verfahren betroffenen Gläubiger auf die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse sicherstellen soll. Dem Verfahrenszweck des § 1 InsO verpflichtet, obliegt es ihm, den Insolvenz- oder sonstigen Masseverwalter (Träger der Insolvenzverwaltung) bei der gesetzmäßigen Durchführung seiner Aufgaben zu unterstützen und zu überwachen sowie die besonderen Aufgaben und Befugnisse wahrzunehmen, die dem Ausschuss durch Einzelnormen zugewiesen sind. Die Rechtsstellung des Gläubigerausschusses und seiner Mitglieder, auch im Ver- 208 hältnis zueinander, bestimmt sich primär nach den Vorschriften der Insolvenzordnung. Soweit sich dem Gesetz auch durch Auslegung keine sinnvolle Regelung entnehmen lässt, sind im Wege der Analogie Bestimmungen anderer Gesetze oder allgemeine Rechtsgrundsätze heranzuziehen, wenn sie strukturell ähnliche Sachverhalte regeln.
B. Verhältnis des Gläubigerausschusses zur Gläubigerversammlung Während die Einsetzung des Gläubigerausschusses im Grundsatz nur fakultativ 209 ist,483) wird mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses die Gläubigerversammlung kraft Gesetzes das obligatorisch eingerichtete Basisorgan der Gläubiger. Sie trifft die wesentlichen Entscheidungen über den organisatorischen und wirtschaftlichen Ablauf des Insolvenzverfahrens (§§ 57, 271, 272, 157, 159, 217 InsO).484) In ihrer Hand liegt es, ob das schuldnerische Unternehmen fortgeführt und saniert, ob es im Wege der übertragenden Sanierung485) als Sachgesamtheit an einen neuen Rechts___________ Vgl. Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 197. Vgl. Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 170. Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 196 f. Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 158, 170. Lediglich Pollmächer/Siemon, NZI 2018, 625 ff., erachten auch einen Ein-Personen-Gläubigerausschuss für zulässig. 483) Vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 1a, § 22a Abs. 1, 2, § 67 Abs. 1, § 68 InsO. Hierzu ausführlich z. B. Bogumil/ Pollmächer, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, B Rn. 1 – 52. 484) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 96. 485) Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 150. 478) 479) 480) 481) 482)
97
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
träger veräußert oder ob es endgültig stillgelegt und liquidiert wird (§§ 157, 217 InsO). Im Gegensatz zum Gläubigerausschuss kann die Gläubigerversammlung allerdings keinen permanenten und schnellen Einfluss der Gläubiger auf den Ablauf des Insolvenzverfahrens und auf die Masseverwaltung sicherstellen.486) Sie kann ausschließlich vom Insolvenzgericht und nur unter Einhaltung von Ladungsfristen und -formalien einberufen werden (§§ 29, 74 ff. InsO).
210 Diese Schwerfälligkeit steht der effizienten und flexiblen Arbeit eines selbstständigen Kontrollorgans entgegen.487) Besonders in Fällen der Betriebsfortführung, in denen häufig innerhalb weniger Tage wirtschaftlich irreversible Entscheidungen getroffenen werden müssen (§§ 160, 276 InsO), kann eine sachgerechte Unterstützung und Überwachung des Masseverwalters nur durch einen kurzfristig arbeitsfähigen Gläubigerausschuss sichergestellt werden. Aber auch die Beratung über Themen, die der Geheimhaltung bedürfen oder die komplex und anspruchsvoll sind, ist regelmäßig nur in einem kleinen Gremium wie dem Gläubigerausschuss zweckmäßig durchzuführen.488)
I.
Rechtliche Rangordnung beider Organe
211 Aus der Zuständigkeit der Gläubigerversammlung, allein darüber zu entscheiden, ob ein endgültiger Gläubigerausschuss gebildet wird, welche Größe er haben soll und wer seine Mitglieder sind (§ 68 InsO), wird teilweise gefolgert, die Gläubigerversammlung sei gegenüber dem Gläubigerausschuss das ranghöhere Organ mit Letztentscheidungskompetenz, der Gläubigerausschuss nur sein nachgeordnetes Vollzugsorgan.489) Ob eine solche rechtliche Rangordnung besteht oder ob der Gläubigerausschuss als eigenständiges und von der Gläubigerversammlung unabhängiges Gremium zu qualifizieren ist,490) betrifft den Kern des Verhältnisses der Gläubigerselbstverwaltungsorgane untereinander491) und soll nachfolgend geklärt werden. ___________ 486) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 zu § 78 (= § 67 InsO); Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 163, Nr. 47 zu § 80 (= § 69 InsO); BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 330 Rn. 16 = NZI 2015, 166, 167 = ZIP 2014, 2242 f.; MK-InsO/Ehricke, 4. Aufl. 2019, § 74 Rn. 17. 487) F. Weber, KTS 1959, 80, 86. 488) KK-InsO/Hammes, 2017, § 69 Rn. 6; vgl. Oelrichs, Gläubigermitwirkung, 1999, S. 35. 489) So noch missverständlich MK-InsO/Schmid-Burgk, 3. Aufl. 2013, § 69 Rn. 12 (siehe Rn. 10); KK-InsO/Frege, 2017, § 160 Rn. 4, 6; HK-InsO/Ries, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 14; Nerlich/Römermann/Balthasar, InsO, 38. EL. 01.2019, § 160 Rn. 19, 22; HambK-InsR/Decker, 7. Aufl. 2019, § 162 Rn. 1; Oelrichs, Gläubigermitwirkung, 1999, S. 36; Hoppe, Rechtsgeschäfte, 2018, S. 27 f. 490) So etwa BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 Rn. 15 = ZIP 2008, 652; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Kapitel 1 Rn. 1249; Mönning, in: Göb/ Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, A Rn. 101, 103, 105, 107; Graeber, in: FS Runkel, 2009, S. 63, 70 f.; Runkel, in: FS Görg, 2010, S. 393, 401; Weitzmann, in: FS Pannen, 2017, S. 757 f., 762; im Grundsatz wohl auch Vallender, in: FS Kirchhof, 2003, S. 507, 509 f., jedoch ohne Behandlung der Ersetzungskompetenz. 491) Hegmanns, Gläubigerausschuss, 1986, S. 51.
98
B. Verhältnis des Gläubigerausschusses zur Gläubigerversammlung
Allgemein anerkannt ist in diesem Zusammenhang zunächst, dass der Gläubiger- 212 ausschuss und seine Mitglieder ebenso wie der Insolvenzverwalter verpflichtet sind, in ihrer gesamten Amtsführung die Vorgaben zu beachten, welche die Gläubigerversammlung im Rahmen ihrer Grundlagenkompetenzen (§§ 157, 159, 217 ff. InsO) zum weiteren wirtschaftlichen und rechtlichen Fortgang des Verfahrens beschlossen hat. Insofern ist es unproblematisch, von einer Überordnung der Gläubigerversammlung über den Gläubigerausschuss zu sprechen. Dies gilt nicht nur für bereits gefasste Beschlüsse der Gläubigerversammlung, sondern grundsätzlich auch für die Willensbildung einer absehbaren künftigen Versammlung. Deshalb hat der Gläubigerausschuss etwa nach Einberufung einer Gläubigerversammlung, in der neue Entscheidungen nach § 157 Satz 3 InsO anstehen, eigene, den möglichen Beschlüssen der Versammlung widersprechende Entschließungen zurückzustellen, soweit dies ohne Nachteil für die Masse möglich ist. Die Frage der Rangordnung zwischen Gläubigerversammlung und Gläubigeraus- 213 schuss kann nur dann zu einem rechtlich relevanten Kompetenzkonflikt im engeren Sinne führen, wenn die Gläubigerversammlung beabsichtigt (oder wenn die Einberufung einer Versammlung zu dem Zweck beantragt wird), eine vom Gesetz dem Ausschuss zugewiesene Aufgabe an sich zu ziehen, zum Beispiel nach § 160 InsO,492) ihm bindende Weisungen für den Einzelfall zu erteilen, einen seiner Beschlüsse aufzuheben oder zu ersetzen oder seinen Aufgabenkreis zu verändern.
1.
Meinungsstand
Ob der Gläubigerversammlung eine solche Befugnis zusteht, war und ist umstrit- 214 ten.493) Bereits unter der Geltung der Konkursordnung waren die Meinungen geteilt.494) Die damalige Diskussion hat aber für das geltende Recht keine Bedeutung mehr, weil sich die Argumentationsgrundlage wesentlich geändert hat. Nach § 92 KO war die Gläubigerversammlung berechtigt, die Bestellung von Gläubigerausschussmitgliedern jederzeit zu widerrufen. Diese Kompetenz räumt die Insolvenzordnung ihr nicht mehr ein (vgl. § 70 InsO). Aus den Gesetzesmotiven lassen sich ebenfalls keine allgemeinen Erkenntnisse zur 215 rechtlichen Rangordnung zwischen Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss gewinnen.495) Von einer Zuständigkeit der Versammlung zur „Letztentscheidung“496) ist dort nicht im Verhältnis zum Ausschuss die Rede, sondern nur ___________ 492) Ablehnend dazu LG Göttingen, Beschl. v. 15.5.2000 – 10 T 42/00 (Ls. 2), NZI 2000, 491 f. = ZInsO 2000, 349 f.; Marotzke, KTS 2014, 113, 130; bejahend bspw. Nerlich/Römermann/ Balthasar, InsO, 38. EL. 01.2019, § 160 Rn. 19. 493) Vgl. KK-InsO/Plathner, 2017, § 74 Rn. 10. 494) Siehe zum Streitstand ausführlich Hegmanns, Gläubigerausschuss, 1986, S. 51 – 65. Für eine Ersetzungskompetenz seinerzeit Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 133 Rn. 1c; dagegen Kilger/K. Schmidt, KO, 16. Aufl. 1993, § 134, S. 495, Ziff. 1 sowie Jaeger, KuT 1934, 1 f. 495) Ebenso MK-InsO/Ehricke, 4. Aufl. 2019, § 74 Rn. 16. 496) So wörtlich RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 100.
99
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
im Zusammenhang mit dem (generellen) Ablauf des Insolvenzverfahrens, insbesondere mit der Zulässigkeit und Dauer einer Betriebsfortführung, der Beauftragung des Insolvenzverwalters mit der Erstellung eines Plans sowie mit der Zulässigkeit oder dem Abbruch einer Sanierung (vgl. §§ 157, 159, 217 ff. InsO).497)
216 Als Rechtsgrundlage einer Ersetzungskompetenz der Gläubigerversammlung gegenüber (vermeintlich) rechtswidrigen oder unzweckmäßigen Beschlüssen des Gläubigerausschusses wird insbesondere § 68 InsO angeführt.498) Die Gläubigerversammlung habe das Recht, endgültig zu entscheiden, ob und in welcher Größe und Zusammensetzung ein Gläubigerausschuss eingesetzt werde. Daraus ergebe sich, so wird argumentiert, dass der Gläubigerausschuss letztlich ein nachgeordnetes Exekutivorgan der Gläubigerversammlung sei. Die Bestimmungen der §§ 100, 149, 157 i. V. m. § 158 und § 161 InsO, die einen Vorrang der Gläubigerversammlung in Einzelfällen vorsehen, seien lediglich besonders betonte Fälle einer generell vorausgesetzten Ersetzungskompetenz.499) Die Gläubigerversammlung wolle mit der Einsetzung des Ausschusses kein Konkurrenzorgan schaffen, sondern nur ein flexibleres Arbeitsorgan.500)
217 Nach der vor allem in der Rechtsprechung vorherrschenden Gegenauffassung ist der Gläubigerausschuss ein eigenständiges und von der Gläubigerversammlung unabhängiges Organ mit einem eigenen, gesetzlich definierten Aufgabenkreis.501) Mit der Einrichtung oder Bestätigung des Ausschusses durch die Gläubigerver___________ 497) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 100 (Allgemeiner Teil, Unterabschnitt Legitimation des Verfahrensablaufs durch die Beteiligten). 498) Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 160 Rn. 3. Ohne Begründung befürwortend z. B. HK-InsO/Ries, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 14; begründungslos ablehnend z. B. HK-InsO/ Riedel, 9. Aufl. 2018, § 72 Rn. 7. 499) Widersprüchlich MK-InsO/Ehricke, 4. Aufl. 2019, § 74 Rn. 16 f.; MK-InsO/Görg/Janssen, 3. Aufl. 2013, § 160 Rn. 32; KPB-InsO/Webel, 70. EL. 01.2017, § 160 Rn. 5; Uhlenbruck/ Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 160 Rn. 3; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl. 2015, Kap. 21 Rn. 332 f.; Hegmanns, Gläubigerausschuss, 1986, S. 60 – 62 (zur KO); Schulz, Treuepflichten, 2003, Rn. 135. 500) MK-InsO/Ehricke, 4. Aufl. 2019, § 74 Rn. 16 f. 501) BGH, Urt. v. 11.12.1967 – VII ZR 139/65, BGHZ 49, 121 123 = NJW 1968, 701 f.; BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 Rn. 15 = ZIP 2008, 652; LG Göttingen, Beschl. v. 15.5.2000 – 10 T 42/00, NZI 2000, 491 f.; AG Duisburg, Beschl. v. 10.2.2010 – 60 IN 26/09, NZI 2010, 303 f. = ZIP 2010, 847 f.; Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 67 Rn. 6 f., § 72 Rn. 14; KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 7 f.; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 67 Rn. 5; KK-InsO/Plathner, 2017, § 75 Rn. 10 – 18; Braun/Hirte, InsO, 7. Aufl. 2017, § 72 Rn. 19 f; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 14; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 10; Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, InsR, 2. Aufl. 2010, Kap. 16 Rn. 59, Frege/ Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Kapitel 1 Rn. 1249; Mönning, in: Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, A Rn. 101 – 105; Göb, ebd., D Rn. 5; Pape/Gundlach/Vortmann, Handbuch, 3. Aufl. 2018, Rn. 175 f.; Frege, NZG 1999, 478, 482 f.; Pape, ZInsO 1999, 305; Graeber, in: FS Runkel, 2009, S. 63, 70; Runkel, in: FS Görg, 2010, S. 393, 401; Marotzke, KTS 2014, 113, 130, 134; Weitzmann, in: FS Pannen, 2017, S. 757 f., 762; im Grundsatz wohl auch Vallender, in: FS Kirchhof, 2003, S. 507, 509 f., jedoch ohne Behandlung der Ersetzungsbefugnis; Kirschey, Haftung, 2018, S. 25 f.; Thoma, Gläubigerautonomie, 2019, S. 122.
100
B. Verhältnis des Gläubigerausschusses zur Gläubigerversammlung
sammlung (§§ 67, 68 InsO) beginne für ihn ein rechtliches Eigenleben.502) Die Versammlung könne nur innerhalb der ihr gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen agieren.503) Sie könne deshalb zwar über die Einrichtung und personelle Zusammensetzung des Gläubigerausschusses bestimmen, nicht aber über dessen Zuständigkeit und Sachentscheidungen.504)
2.
Stellungnahme
Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Gläubigerversammlung und Gläu- 218 bigerausschuss leiten ihre jeweilige rechtliche Existenz ausschließlich aus der Insolvenzordnung ab. Deshalb kann dem jeweiligen Gremium die Befugnis, rechtlich wirksame Beschlüsse zu fassen, nur zustehen, soweit sie ihm durch das Gesetz eingeräumt ist. Auch eine rechtliche Rangordnung zwischen beiden Gremien kann sich folglich nur entweder aus einer Norm ergeben, die beide Gremien erwähnt, also ein Verhältnis zueinander voraussetzt, oder aus einem offenkundigen allgemeinen insolvenzrechtlichen Grundsatz.505)
a) Abzugrenzende Befugnisse im Überblick Stärkstes Argument für ein generelles Weisungs-, Ersetzungs- und Letztentschei- 219 dungsrecht der Gläubigerversammlung sind auf den ersten Blick Normen, die der Versammlung die Befugnis zuweisen, eine Entscheidung des Ausschusses zu revidieren oder im Einzelfall Vorgaben zu machen. Das trifft auf folgende Fälle zu:
§§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 56a Abs. 2, § 57 Satz 1 InsO: Der vorläufige Gläubigerausschuss kann dem Gericht einen geeigneten Insolvenzverwalter mit verbindlicher Wirkung vorschlagen. In der ersten Gläubigerversammlung kann jedoch eine andere Person gewählt werden.
§ 100 InsO: Die Gläubigerversammlung trifft die endgültige Entscheidung über die Gewährung von Unterhalt aus der Insolvenzmasse; der Gläubigerausschuss wirkt nach Abs. 2 Satz 1 nur vorläufig mit.
§ 149 Abs. 2 InsO: Hat der Gläubigerausschuss eine Hinterlegungsstelle bestimmt, so kann die Gläubigerversammlung eine abweichende Regelung treffen.
___________ 502) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 10; ebenso KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 7; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 6. 503) Vgl. LG Göttingen, Beschl. v. 15.5.2000 – 10 T 42/00, NZI 2000, 491 f.; AG Duisburg, Beschl. v. 10.2.2010 – 60 IN 26/09, NZI 2010, 303, 304 = ZIP 2010, 847 f.; KK-InsO/Plathner, 2017, § 74 Rn. 10; Kübler, in: FS Kreft, 2004, S. 369, 381 – 383, 391. 504) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 10; Pape, EWiR 2000, 827, 828. – Ehricke (MK-InsO, 3. Aufl. 2013 sowie 4. Aufl. 2019, § 74 Rn. 17) gelingt es, ohne den Widerspruch zu bemerken, in einem einzigen Absatz nacheinander beide Auffassungen zu vertreten. 505) Ebenso Vallender, in: FS Kirchhof, 2003, S. 507, 509.
101
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
§ 157, § 158 Abs. 1 InsO: Die Gläubigerversammlung kann im Berichtstermin beschließen, dass das schuldnerische Unternehmen vorläufig fortgeführt wird, selbst wenn der Gläubigerausschuss zuvor seine Zustimmung zur Stilllegung erteilt hat.
§ 159 InsO: Bei der Verwertung der Insolvenzmasse sind Beschlüsse der Gläubigerversammlung zu berücksichtigen.
§ 161 Satz 2, § 163 Abs. 1 InsO: Hat der Gläubigerausschuss nach § 160 InsO die Zustimmung zu einer besonders bedeutsamen Rechtshandlung erteilt oder beabsichtigt er dies, so kann das Gericht auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigerquorums (§ 75 Abs. 1 Nr. 3 InsO) die Vornahme der Rechtshandlung untersagen und eine Gläubigerversammlung einberufen, die endgültig über die Vornahme beschließt. Die Vorschrift des § 160 Abs. 1 InsO soll, so die Gesetzesbegründung, nicht ausschließen, „dass der Insolvenzverwalter durch einen Beschluss der Gläubigerversammlung verpflichtet werden kann, auch bei Vorhandensein eines Gläubigerausschusses bestimmte Geschäfte – etwa eine Unternehmensveräußerung – nur mit Zustimmung der Gläubigerversammlung vorzunehmen“.506)
§ 162 InsO: Wird das Unternehmen oder ein Betrieb an besonders Interessierte veräußert, ist die Zustimmung der Versammlung einzuholen, selbst wenn ein Gläubigerausschuss eingesetzt ist.507)
§§ 271 f. InsO: Die Gläubigerversammlung kann unabhängig von einem entgegengesetzten Votum des Gläubigerausschusses (§ 270 Abs. 3 InsO) die nachträgliche Anordnung der Eigenverwaltung oder deren Aufhebung beantragen.
220 Gegen ein generelles Letztentscheidungsrecht der Gläubigerversammlung sprechen dagegen folgende Normen, die dem Ausschuss alleinige oder gleichwertige Kompetenzen einräumen:
§ 35 Abs. 2 Satz 3 InsO: Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, so hat allein dieser, nicht aber die Gläubigerversammlung das Recht, eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters für unwirksam erklären zu lassen.508)
§ 59 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO: Versammlung und Ausschuss sind gleichrangig berechtigt, einen Antrag auf Entlassung des Insolvenzverwalters oder Sachwalters zu stellen. Wird der Antrag abgelehnt, so steht dem Antragsteller (im Fall der Gläubigerversammlung jedem Insolvenzgläubiger) je-
___________ 506) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 174 zu § 179 (= § 160 InsO). 507) MK-InsO/Görg/Janssen, 3. Aufl. 2013, § 162 Rn. 16; KK-InsO/Frege, 2017, § 162 Rn. 1; HambK-InsR/Decker, 7. Aufl. 2019, § 162 Rn. 1; hierzu kritisch Gundlach/Frenzel/Jahn, ZInsO 2008, 360, 361. 508) Vgl. hierzu allgemein Haberzettl, NZI 2017, 474, 478.
102
B. Verhältnis des Gläubigerausschusses zur Gläubigerversammlung
weils einzeln das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zur Verfügung (§ 59 Abs. 2 InsO).
§§ 66, 197 InsO: Der Ausschuss hat zur Schlussrechnung des Verwalters und zum gerichtlichen Prüfungsvermerk Stellung zu nehmen (§ 66 Abs. 2 InsO). Die abschließende Erörterung der Schlussrechnung obliegt der Versammlung (§ 197 Abs. 1 Nr. 1 InsO).
§§ 68, 70 InsO: Die Gläubigerversammlung beschließt zwar, ob ein Gläubigerausschuss eingesetzt oder ein vom Insolvenzgericht vorläufig eingesetzter beibehalten werden soll, und kann bei dieser Gelegenheit die personelle Zusammensetzung des Ausschusses ändern. Eine generelle Befugnis der Versammlung zur Abwahl von Ausschussmitgliedern oder gar zur nachträglichen Auflösung des gesamten Ausschusses509) sieht das Gesetz jedoch nicht vor (vgl. § 70 InsO). Sowohl Gläubigerversammlung als auch Gläubigerausschuss können lediglich die Entlassung eines Ausschussmitgliedes beantragen (§ 70 Satz 1 InsO).
§ 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO: Auf Antrag des Gläubigerausschusses hat das Gericht eine Gläubigerversammlung einzuberufen.
§ 79 Satz 2 InsO: Die Gläubigerversammlung darf den Geldverkehr und -bestand des Verwalters nur prüfen lassen, wenn ein Ausschuss nicht bestellt ist.
§ 97 Abs. 1 Satz 1 InsO: Der Schuldner ist dem Ausschuss zur Auskunftserteilung verpflichtet; gegenüber der Versammlung nur, wenn das Insolvenzgericht dies anordnet.
§ 233 Satz 2 InsO: Die notwendige Zustimmung zum Antrag des Insolvenzverwalters auf Fortsetzung der Verwertung und Verteilung der Masse im Insolvenzplanverfahren kann sowohl vom Gläubigerausschuss als auch von der Gläubigerversammlung erteilt werden.
Die Insolvenzordnung enthält demnach keine Norm, die der Gläubigerversamm- 221 lung gegenüber dem Gläubigerausschuss ein allgemeines, über eine bestimmte, gesetzlich geregelte Situation hinausgehendes Weisungs- oder Letztentscheidungsrecht zuweist.
b) Insolvenzrechtliches Regelungsmuster Dem Gesetz liegt auch kein durchgehendes Regelungsmuster zugrunde, das die 222 Gläubigerversammlung stets als übergeordnetes, endgültig bestimmendes Gläubigerorgan vorsieht. Dies ergibt sich aus einem systematischen Vergleich der Kom___________ 509) Entgegen der ganz überwiegenden Ansicht (siehe ausführlich KK-InsO/Hammes, 2017, § 68 Rn. 12 m. N. in Fn. 32) aus neuerer Zeit abweichend Brinkmann, ZIP 2019, 241 ff. (m. w. N. zum Streitstand in Fn. 1).
103
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
petenzen von Ausschuss und Versammlung. Dabei sind folgende Kategorien zu unterscheiden:510)
Alleinkompetenzen, Interimskompetenzen und Simultankompetenzen,
primäre und subsidiäre Kompetenzen,
zeitweilige und endgültige Kompetenzen.
223 Bei den Alleinkompetenzen handelt es sich um Befugnisse, die im Verhältnis der Gläubigerorgane zueinander ausschließlich dem Ausschuss511) oder der Versammlung512) zugewiesen sind. Ferner besteht eine Alleinkompetenz des Gläubigerausschusses, wenn das Gesetz die Einsetzung des Ausschusses als Regelfall betrachtet und nur für den Fall seiner Nichteinsetzung eine subsidiäre Kompetenz der Gläubigerversammlung statuiert (vgl. etwa § 160 Abs. 1 Satz 1, 2, § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO).
224 Interimskompetenzen verschaffen dem jeweiligen Gremium die Befugnis, als erstes, aber nur während einer absehbaren Übergangszeit, über einen Sachverhalt zu befinden oder ein Recht wahrzunehmen. Dazu zählt die Beteiligung des Gläubigerausschusses bei der Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters oder Sachwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, § 56a Abs. 2 InsO) und bei der gerichtlichen Entscheidung, ob bereits mit der Verfahrenseröffnung die Eigenverwaltung angeordnet werden soll (§ 270 Abs. 3 Satz 2 InsO).
225 Der Gläubigerversammlung steht in solchen Fällen (§§ 57, 271 f., § 149 Abs. 2 InsO) nachträglich eine endgültige Letztentscheidungskompetenz zu. Allerdings geht es hier nicht um eine rechtliche Unterordnung des Ausschusses unter die Versammlung. Maßgeblich ist vielmehr die gesetzgeberische Absicht, grundlegenden Verfahrensentscheidungen durch die Einbeziehung der Gläubigerversammlung eine möglichst breite Legitimationsgrundlage zu verschaffen.513) Solange die Versammlung nichts anderes beschließt, bleibt das Votum des Gläubigerausschusses wirksam.
226 Daneben existieren subsidiäre Kompetenzen der Gläubigerversammlung. Ein Gläubigerausschuss, der nicht eingesetzt ist, kann seine Kompetenzen nicht wahrnehmen. In einem solchen Fall erstarken die subsidiären gesetzlichen Kompetenzen der Gläubigerversammlung zu primären Kompetenzen, wenn und solange kein Gläubigerausschuss konstituiert ist (zum Beispiel § 35 Abs. 2 Satz 3, § 79 Satz 2 InsO). Die Kompetenz liegt in dieser Zeit allein bei der Gläubigerversammlung. ___________ 510) Vgl. zum Versuch einer Kategorisierung Hegmanns, Gläubigerausschuss, 1986, S. 55. 511) Vgl. etwa § 214 Abs. 2 Satz 1, § 218 Abs. 3, § 232 Abs. 1 Satz 1, §§ 261, 274 Abs. 3 Satz 1 InsO. 512) Vgl. §§ 68, 70 Satz 2, § 162 Abs. 1, § 163 Abs. 1, § 207 Abs. 2, § 271 Satz 2, § 272 Abs. 1 Nr. 1, § 277 Abs. 1, § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO. 513) K. Schmidt/Ries, InsO, 19. Aufl. 2016, § 57 Rn 2; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 57 Rn. 4.
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B. Verhältnis des Gläubigerausschusses zur Gläubigerversammlung
Außerdem können Simultankompetenzen bestehen, die beiden Gläubigerorganen 227 gleichzeitig dieselben Befugnisse einräumen. Beispiele sind neben den Prüfungsrechten nach § 66 Abs. 2 InsO insbesondere die Anhörungs-, Antrags- und Beschwerderechte (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 2, § 233 Satz 2, § 248 Abs. 2 InsO). Auch Simultankompetenzen belegen indiziell, dass die Gläubigerversammlung nicht in jedem Fall die ranghöhere Entscheidungsinstanz sein kann. Insgesamt betrachtet spricht die gesetzliche Normierung solcher sehr unterschied- 228 lichen Einzelkonstellationen nachdrücklich gegen ein allgemeingültiges Recht der Gläubigerversammlung, sich jederzeit nach ordnungsgemäßer Einberufung (§§ 74, 75 InsO) selbst an die Stelle des Gläubigerausschusses zu setzen. Hätte der Gesetzgeber den Willen gehabt, der Gläubigerversammlung dieses Recht zuzusprechen, so hätte eine einzige knappe Vorschrift genügt.514) Alle Einzelfälle hätten nicht mehr gesondert geregelt werden müssen.
c)
Folgerungen für das Verhältnis von Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss
Bei der Annahme eines generellen Aufhebungs- und Letztentscheidungsrechts der 229 Gläubigerversammlung würden das dargestellte gesetzliche Geflecht der unterschiedlichen Zuständigkeiten und Befugnisse der Gläubigergremien und das ihnen zugrunde liegende Regelungsmuster zerrissen. Eine so weitgehende rechtliche Befugnis der Gläubigerversammlung ist ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht zu begründen.515) Die Gläubiger müssen nach Verfahrenseröffnung in der ersten Gläubigerversamm- 230 lung entscheiden, ob und in welcher personellen Zusammensetzung ein Gläubigerausschuss eingesetzt oder ein bereits vorläufig vom Gericht eingesetzter Ausschuss beibehalten werden soll (§§ 67, 68 Abs. 1 InsO); es handelt sich um einen obligatorischen Tagesordnungspunkt i. S. d. § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO.516) Mit der erstmaligen Einsetzung entstehen kraft Gesetzes Befugnisse des Ausschusses, die andernfalls entweder allein der Gläubigerversammlung zugestanden hätten517) oder die als Alleinkompetenzen überhaupt nur aufleben, weil ein Ausschuss errichtet worden ist.518) Wird ein bereits vom Gericht eingesetzter Gläubigerausschuss, möglicher___________ 514) Sie hätte (etwa als § 72 Abs. 2 InsO) lauten können: „Die Gläubigerversammlung kann einen Beschluss des Gläubigerausschusses aufheben, ändern oder durch eine eigene Entscheidung ersetzen. Bei der Einberufung der Gläubigerversammlung zu diesem Zweck kann das Gericht einstweilige Anordnungen treffen.“ 515) AG Duisburg, Beschl. v. 10.2.2010 – 60 IN 26/09, NZI 2010, 303 f. = ZIP 2010, 847 f.; KKInsO/Plathner, 2017, § 74 Rn. 10; Oelrichs, Gläubigermitwirkung, 1999, S. 36. 516) Vgl. für alle MK-InsO/Busch, 4. Aufl. 2019, §§ 27 – 29 Rn. 92 f. 517) Zum Beispiel nach § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO. 518) KK-InsO/Plathner, 2017, § 74 Rn. 12; Frege, NZG 1999, 478, 482 f. – Vgl. z. B. § 214 Abs. 2 Satz 1, § 218 Abs. 1, § 232 Abs. 1 Satz 1, § 261, § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO.
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Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
weise in anderer Zusammensetzung, von der Versammlung bestätigt, so stehen ihm für das weitere Verfahren ebenfalls sämtliche Befugnisse zu, die das Gesetz dem Ausschuss zuweist. Die Gläubigerversammlung ist nicht befugt, anlässlich der Bestätigung oder Einsetzung des Ausschusses oder bei späterer Gelegenheit dessen gesetzliche Kompetenzen abweichend festzulegen, zu erweitern oder einzuschränken. Entsprechende Einverständniserklärungen der Ausschussmitglieder sind rechtlich unwirksam. Die Mitglieder sind infolge der Konstituierung und ihrer Wahl oder Bestätigung berechtigt und verpflichtet, ihre gesetzlich definierten Aufgaben in eigener Haftungsverantwortung wahrzunehmen.519)
231 Die Bedeutung der Gläubigerversammlung bei der Einrichtung des endgültigen Gläubigerausschusses (§ 68 InsO) kann eine uneingeschränkte generelle rechtliche Subordination des Ausschusses unter die Versammlung nicht rechtfertigen. Selbst die Befugnis der Versammlung, nach § 68 Abs. 2 InsO vom Gericht bestellte Mitglieder des Gläubigerausschusses ohne Angabe von Gründen abzuwählen, ändert hieran nichts. Die Abwahlbefugnis steht nämlich nur derjenigen Gläubigerversammlung zu, die nach der Verfahrenseröffnung über die Beibehaltung des vom Gericht eingesetzten Gläubigerausschusses entscheidet. Im weiteren Verlauf des Verfahrens ist eine schlichte Abwahl von Ausschussmitgliedern durch die Gläubiger nicht mehr zulässig, sondern dann kann auch ein ursprünglich von der Versammlung gewähltes oder von ihr bestätigtes Ausschussmitglied nur noch vom Gericht aus wichtigem Grunde entlassen werden (§ 70 InsO).520)
232 Gegen ein generelles Subordinationsverhältnis zwischen Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss spricht ferner die Regelung des § 161 Satz 2 InsO. Hat der Gläubigerausschuss nach § 160 InsO die Zustimmung zu einer besonders bedeutsamen Rechtshandlung erteilt oder beabsichtigt er dies, so kann das Gericht nach § 161 Satz 2 InsO auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigerquorums die Vornahme der Rechtshandlung untersagen und eine Gläubigerversammlung einberufen, die über die Vornahme beschließt. Dies ist neben § 149 Abs. 2 InsO (Bestimmung der Hinterlegungsstelle) die einzige gesetzliche Regelung, die der Ver___________ 519) So schon BGH, Urt. v. 11.12.1967 – VII ZR 139/65, BGHZ 49, 121 123 = NJW 1968, 701 f.; vgl. ferner MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 10; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 6; ebenso trotz gegensätzlicher Ausgangsposition: MK-InsO/Ehricke, 4. Aufl. 2019, § 74 Rn. 17. 520) Vgl. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 zu § 81 (= § 70 InsO); BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, ZIP 2012, 876 f. Rn. 6; LG Göttingen, Beschl. v. 25.8.2011 – 10 T 50/11, NZI 2011, 857, 858 = ZInsO 2011, 1748 f.; AG Duisburg, Beschl. v. 3.7.2003 – 62 IN 41/03, NZI 2003, 659 f. m. zust. Anm. Gundlach/Schirrmeister, NZI 2003, 660 f.; NWBKomm. InsO/Pape, 2013, § 68 Rn. 9; KPB-InsO/Kübler, 60. EL. 09.2014, § 68 Rn. 14; FK-InsO/ Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 68 Rn. 3; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 68 Rn. 3; Uhlenbruck/ Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 70 Rn. 7, 9; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 68 Rn. 15; Pape, ZInsO, 1999, 305 f., 313; Vallender, in: FS Kirchhof, 2003, S. 507, 511; Vallender, in: FS Ganter, 2010, S. 391, 399. A. A. Heidland, KS-InsO, 2. Aufl. 2000, S. 711, 721 Rn. 20 und wohl auch Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 68 Rn. 9 f.; vgl. ferner Brinkmann, ZIP 2019, 241 ff.
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B. Verhältnis des Gläubigerausschusses zur Gläubigerversammlung
sammlung ausdrücklich die Befugnis zuweist, eine Entscheidung des Ausschusses zu revidieren. Nach den Gesetzesmotiven sollten durch § 161 Satz 2 InsO die Rechte der Gläubi- 233 gerversammlung im Verhältnis zum Gläubigerausschuss gestärkt werden.521) Läge dem Gesetz durchgehend, wenn auch unausgesprochen, der Subordinationsgedanke mit einer allgemeinen Ersetzungskompetenz der Gläubigerversammlung zugrunde, so wäre diese Einzelregelung nicht verständlich. Eine rechtliche Rangordnung der beiden Gläubigerorgane würde schließlich bei 234 Simultankompetenzen zu nicht auflösbaren Interessen- und Kompetenzkonflikten führen. Die Gläubigerversammlung wäre dann etwa berechtigt, einen Antrag des Gläubigerausschusses auf Entlassung des Insolvenzverwalters oder Sachwalters (§ 59 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO) zurückzunehmen oder den Ausschuss zur Rücknahme anzuweisen. Auf diese Weise könnte die Gläubigerversammlung ohne eigenes Haftungsrisiko den gesetzlichen Überwachungsauftrag des besser informierten Ausschusses hintertreiben und dessen Mitglieder an der Wahrnehmung ihrer Pflichten hindern. Umgekehrt wäre es ebenso fatal, wenn die Gläubigerversammlung anstelle des Gläubigerausschusses eine Entscheidung an sich ziehen dürfte, um die Haftung der Ausschussmitglieder nach § 71 InsO zu vermeiden.522) Für ein derartiges Verständnis bietet das Gesetz nicht den geringsten Anhaltspunkt, es widerspräche evident dem Sinn und Zweck des Gläubigerausschusses (§ 69 InsO). Ein Beschluss der Gläubigerversammlung, der ihre gesetzlichen Kompetenzen über- 235 schreitet, ist wegen Verstoßes gegen zwingendes Recht mit Wirkung gegenüber jedermann nichtig; dies kann vom Insolvenzgericht durch Beschluss ohne Bindung an die Voraussetzungen des § 78 Abs. 1 InsO jederzeit festgestellt werden.523) Ebenso nichtig wäre im Übrigen ein Beschluss des Gläubigerausschusses, der sich seinerseits eine Kompetenz der Gläubigerversammlung anmaßen würde.524) Hält der Ausschuss vor seiner eigenen Beschlussfassung eine Erörterung durch die Versammlung für sachgerecht, um seine Entscheidung durch ein Meinungsbild abzusichern, so steht es ihm frei, nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO die gerichtliche Einberufung der Versammlung zu beantragen.525)
___________ 521) So wörtlich RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 174 zu § 180 (= § 161 InsO). 522) Zum Vorstehenden Jaeger/Gerhard, InsO, 2007, § 67 Rn. 7. 523) AG Duisburg, Beschl. v. 10.2.2010 – 60 IN 26/09, NZI 2010, 303 f. = ZIP 2010, 847 f.; KKInsO/Plathner, 2017, § 74 Rn. 10. 524) Vgl. für den Aufsichtsrat z. B. Geißler, GmbHR 2019, 861, 864 ff. 525) Vgl. zum entsprechenden Recht des Verwalters LG Münster, Beschl. v. 21.1.2019 – 5 T 742/18, NZI 2019, 282 = ZIP 2019, 486.
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Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
II. Auskunfts- und Berichtspflicht des Ausschusses gegenüber der Versammlung 236 Die Gläubigerversammlung kann vom Gläubigerausschuss analog den §§ 79, 58 Abs. 1 und § 66 Abs. 3 InsO ebenso wie vom Insolvenzverwalter jederzeit einzelne Auskünfte und einen Bericht über den Sachstand und die Amtsführung verlangen. Insoweit liegt eine planwidrige Lücke im Gesetz vor, die durch Analogie zu den genannten Bestimmungen zu schließen ist. Normzweck der §§ 79, 58 Abs. 1 und § 66 Abs. 3 ist die Sicherstellung der Transparenz der Insolvenzverwaltung gegenüber den Gläubigern und dem Gericht. Im funktionalen Sinne gehört auch die Tätigkeit des Gläubigerausschusses zur Insolvenzverwaltung.526) Es gibt keinen Grund, warum der im Interesse aller Insolvenzgläubiger und absonderungsberechtigten Gläubiger tätige Gläubigerausschuss weniger transparent handeln dürfte als der Masseverwalter.527) Das Bestehen einer Auskunftspflicht setzt weder im Insolvenzrecht noch in anderen Rechtsgebieten ein Unterordnungsverhältnis voraus.528) Sachlich erstreckt sich die Auskunfts- und Berichtspflicht des Gläubigerausschusses gegenüber der Versammlung nur auf seinen eigenen Aufgabenbereich. Das Auskunftsverlangen wird durch einen Beschluss der Gläubigerversammlung ausgeübt, der unter den Voraussetzungen des § 78 Abs. 1 InsO vom Insolvenzgericht schon in der Versammlung aufgehoben werden kann. Einzelne Gläubiger besitzen keine individuellen Auskunftsrechte gegenüber dem Gläubigerausschuss.
C. Verhältnis des Gläubigerausschusses zum Schuldner 237 Beeinflusst wird die Tätigkeit des Gläubigerausschusses schließlich durch das zum Schuldner bestehende gesetzliche Rechtsverhältnis.529) Es ist maßgeblich gekennzeichnet durch die einseitigen und unabhängig von der Organisationsform der Insolvenzverwaltung bestehenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners (§ 97 Abs. 1, §§ 98, 101 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 InsO).530) Da er für den Eintritt der Insolvenz rechtlich verantwortlich ist, hat der Schuldner alles zu unternehmen, um den gesetzlichen Verfahrenszweck des § 1 InsO zu fördern; dieser Zweck genießt
___________ 526) Kapitel 3 A., Rn. 204 ff. Vgl. insbesondere RG, Urt. v. 28.1.1888 – I 362/87, RGZ 20, 108, 109; RG, Urt. v. 14.11.1895 – VI 169/95, RGZ 36, 367, 368; BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 f. Rn. 15 = ZIP 2008, 652. 527) In diesem Sinne wohl auch HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 2; ausf. ebenso Heese, Gläubigerinformation, 2008, S. 300 f., der sogar von einer stärkeren „informatorischen Verantwortlichkeit im Insolvenzrecht“ als im Aktienrecht (vgl. etwa § 171 Abs. 2 AktG) ausgeht. 528) Im Ergebnis ebenso Eicke, ZInsO 2006, 798, 799. 529) Vgl. Frege, NZG 1999, 478, 484; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 11; Göb/ Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 33. 530) Kapitel 2 D. V., Rn. 75 f.
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D. Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den Trägern der Insolvenzverwaltung
auch gegenüber einer strategischen Neuausrichtung des Schuldners Priorität.531) Die Interessen der Gläubiger an der wirksamen Durchsetzung der Haftungsordnung haben stets Vorrang vor den persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen des Schuldners;532) deshalb kann der Schuldner beispielsweise auch kein rechtlich geschütztes „Erhaltungsinteresse“ an seinem Unternehmen haben. Eine allgemeine Pflicht zur Wahrnehmung der wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen des Schuldners mit dem Ziel, diese bestmöglich zur Geltung zu bringen, oder eine Fürsorgepflicht hat der Gläubigerausschuss nicht.533) Vielmehr hat er die wirtschaftlichen Interessen der Insolvenzgläubiger und der absonderungsberechtigen Gläubiger zu wahren.534) Aus dem Legalitätsgebot folgt allerdings die Pflicht des Ausschusses, gesetzliche 238 Bestimmungen zu beachten, die dem Schutz des Schuldners dienen. Hierzu zählt das Schikaneverbot (§ 226 BGB)535) sowie das Verbot des vorsätzlichen verfahrenszweckwidrigen Rechtsmissbrauchs (§ 826 BGB). Auch darf der Schuldner in seinen vermögensrechtlichen Angelegenheiten nicht weiter eingeschränkt werden, als es durch den Verfahrenszweck gedeckt ist. Auf den Gläubigerausschuss angewandt bedeutet dies: Der Ausschuss und seine Mitglieder sind gegenüber dem Schuldner verpflichtet, bei ihrer Tätigkeit die rechtlichen Grenzen zu beachten, die ihnen durch den Zweck des Insolvenzverfahrens gesetzt sind. Durchsetzen kann der Schuldner dieses Recht insbesondere durch Anrufung des Insolvenzgerichts (Anregung auf Einschreiten im Wege der Rechtsaufsicht, § 58 Abs. 1, § 161 Satz 2 InsO) sowie durch überzeugendes Auftreten in der Gläubigerversammlung.
D. Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den Trägern der Insolvenzverwaltung Der Gläubigerausschuss und seine Mitglieder stehen zu den Trägern der Insolvenz- 239 verwaltung – in der Fremdverwaltung zum Insolvenzverwalter, in der Eigenverwaltung zum Schuldner und Sachwalter536) (im Folgenden auch allgemein „Verwalter“ oder „Masseverwalter“ genannt) – in einem durch die Aufgaben des § 69 InsO definierten gesetzlichen Rechtsverhältnis.537) Der Ausschuss ist vor allem ein ___________ 531) So wörtlich BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 – 2 BvR 1978/13 („Suhrkamp“), NJW 2015, 465, 467 Rn. 24 = ZIP 2015, 80, 82; vgl. dazu schon BVerfG, Beschl. v. 18.7.1979 – 1 BvR 655/79, BVerfGE 51, 405 ff. = NJW 1979, 2510; BVerfG, Beschl. v. 6.6.1986 – 1 BvR 574/86, ZIP 1986, 1336 f.; BVerfG, Beschl. v. 28.7.1992 – 1 BvR 859/92, NJW 1993, 513 = ZIP 1993, 686 f. 532) Ausf. oben Kapitel 2 A. II., Rn. 25 ff. 533) Vgl. BGH, Beschl. v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, NZI 2007, 240 f. Rn. 12 = ZIP 2007, 448. 534) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 zu § 79 (= § 68 InsO), 132 zu § 82 (= § 71 InsO); BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 Rn. 15. 535) Vgl. z. B. Ley, in: FS Beck, 2016, S. 319, 320, 322 f., 340. 536) Kapitel 2 F., Rn. 104 ff. 537) Frege, NZG 1999, 478, 483; Weitzmann, in: FS Pannen, 2017, S. 757, 762.
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Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
kontrollierendes Organ.538) Auch soweit seine Mitglieder den Verwalter unterstützen, haben sie vor allem auf die bestmögliche Effizienz der Insolvenzverwaltung im Dienste des Verfahrenszwecks zu achten. Deshalb ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Verwalter und Ausschuss zwar wünschenswert, aber keine notwendige Grundlage ihres Verhältnisses. Die Überwachung muss so gestaltet sein, dass stets eine zuverlässige Beurteilung des Verwalterhandelns möglich ist.539) Der Verwalter hat die Überwachung durch den Gläubigerausschuss nicht nur zu akzeptieren und zu dulden, sondern durch sein gesamtes Verhalten zu ermöglichen und nach besten Kräften zu erleichtern. Der Ausschuss seinerseits hat seine Tätigkeit so einzurichten, dass sie die Effizienz der Insolvenzverwaltung nicht zum Nachteil der Gläubiger beeinträchtigt.
I.
Verfahrenszweckorientierter Überwachungs- und Unterstützungsauftrag des Ausschusses
240 Unter Überwachung im Sinne von § 69 InsO sind in Anlehnung an den alltäglichen Sprachgebrauch die aufmerksame Beobachtung und die Gewinnung von Informationen über den Überwachten zu verstehen, die zuverlässige Aussagen darüber ermöglichen, ob er sich im Sinne des maßgeblichen Regelsystems ordnungsgemäß verhält. Zugleich umfasst sie die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass erkannte Regelverstöße neutralisiert oder korrigiert werden. Betriebswirtschaftlich gesehen dient Überwachung beispielsweise der Bestimmung des Fortschritts eines Projekts, der Funktionsfähigkeit von Prozessen, der Aufdeckung gefährlicher Vorgänge oder der Gegenüberstellung tatsächlich angefallener mit den geplanten Kosten. Letztlich handelt es sich um die Kontrolle von Prämissen, Planungs- und Umsetzungsprozessen und Ergebnissen.540) Die Überwachung der Träger der Insolvenzverwaltung durch den Gläubigerausschuss ist also auf die Erkenntnis gerichtet, ob, in welchem Maße und mit welchem Erfolg sie ihre Geschäftsführung an den wirtschaftlichen Zielen des Insolvenzrechts orientieren. Diese Überwachung hat nach § 69 InsO durch die nachträgliche, begleitende, aber auch vorausschauende Kontrolle541) der wirtschaftlich und rechtlich relevanten Verwaltungshandlungen zu erfolgen.
241 Unterstützung, die zweite grundlegende Komponente des Verhältnisses zwischen Gläubigerausschuss und den Trägern der Insolvenzverwaltung, umfasst nach allgemeinem Sprachgebrauch Beistand, Hilfe, Förderung und Beratung, aber auch warnende ___________ 538) BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 f. Rn. 15 = ZIP 2008, 652; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 69 Rn. 4; FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 2; Weitzmann, in: FS Pannen, 2017, S. 757, 768. 539) BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324 f., 335 Rn. 27 = NZI 2015, 166 = ZIP 2014, 2242. 540) Vgl. zum Vorstehenden Dillerup/Stoi, Unternehmensführung, 4. Aufl. 2013, S. 399 f., 542. 541) Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 69 Rn. 18.
110
D. Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den Trägern der Insolvenzverwaltung
Hinweise.542) Die Unterstützung durch den Ausschuss ist ebenso wie die Überwachung ein systematisches und regelmäßig unter hohem Zeitdruck ablaufendes Geschehen. Sie dient in der Fremdverwaltung vor allem dazu, fehlende Unternehmens- und Branchenkenntnisse des Insolvenzverwalters zu kompensieren.543) In der Eigenverwaltung muss sie speziell darauf gerichtet sein, die Aufmerksamkeit des Schuldners stets auf den rechtlichen Vorrang der Gläubigerinteressen zu lenken und ihm zu helfen, die Auswirkungen seines Verwaltungshandelns auf diese Interessen richtig zu beurteilen. Die Unterstützung ist nicht nur auf Nachfrage, sondern stets auch in eigener Initiative zu gewähren.544) Die Ausschussmitglieder haben alles individuell Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um durch Informationen545), Einschätzungen und Ratschläge vorteilhafte Verwertungs- und Ablaufentscheidungen des Verwalters zu fördern.546) Im Vergleich zur Überwachung ist die Unterstützung eine sekundäre Hilfspflicht;547) im Vordergrund steht stets der Schutz der Masse durch Überwachung.548) Deswegen hat jedes Ausschussmitglied darauf zu achten, dass die Unterstützung nicht durch mangelnde Distanz oder Unabhängigkeit seine Position als Kontrolleur gefährdet. Die Leitlinie für das Handeln des Ausschusses und seiner Mitglieder ist durch den 242 Verfahrenszweck des § 1 Satz 1 InsO vorgegeben.549) Wahrzunehmen ist das Interesse der Gläubigergesamtheit, wie es sich in den grundlegenden Beschlüssen der Gläubigerversammlung über den Gang des Verfahrens (§§ 157, 159, 217 InsO) manifestiert.550) Der Gläubigerausschuss wacht im Gegensatz zum Insolvenzgericht allerdings nicht vorrangig darüber, dass der jeweilige Träger der Insolvenzverwaltung das Verfahren rechtmäßig, sondern vor allem, dass er es zweckmäßig durchführt.551) Deshalb unterliegen alle seine wirtschaftlichen Ermessensentschei___________ 542) Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 69 Rn. 9; zum Beratungsbegriff im Zusammenhang mit der Aufsichtsratstätigkeit vgl. Kordt, 2016, S. 139 f. („eine am Unternehmensinteresse orientierte kommunikative Wahrnehmung des Kontrollauftrages.“). 543) Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 21. 544) Für alle Graeber, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 10 Rn. 68. 545) Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 88 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 69 Rn. 12. 546) KK-InsO/Hammes, 2017, § 69 Rn. 12. 547) Vgl. Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 21; in diesem Sinne auch Kordt, 2016, S. 139 f. 548) K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 69 Rn. 4. 549) BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 f. Rn. 15 = ZIP 2008, 652; KK-InsO/Hammes, 2017, § 69 Rn. 4. 550) FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 2. 551) Allg. Ansicht, siehe z. B. OLG Celle, Urt. v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, NZI 2010, 609 f.; Jaeger/ Gerhardt, InsO, 2007, § 69 Rn. 2; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 69 Rn. 16; BeckOK-InsO/Frind, 13. Ed., 28.1.2019, § 69 Rn. 2; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 1; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 11 f., 14 (für das Eigenverwaltungsverfahren) sowie Rn. 20; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 11; Berger/Frege/ Nicht, NZI 2010, 321, 325, 328; U. Becker, Insolvenzverwalterhaftung, 2016, 51; Harbrecht, in: FS Beck, 2016, 255, 260; Weitzmann, in: FS Pannen, 2017, S. 757, 763.
111
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
dungen bei der Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse grundsätzlich der Beurteilung durch den Gläubigerausschuss.
II. Organisatorische Unabhängigkeit des Ausschusses 243 Grundlegend für jede sinnvolle Überwachung durch den Gläubigerausschuss ist das Gebot der sachlichen Unabhängigkeit und der intellektuellen Selbständigkeit jedes Ausschussmitglieds gegenüber dem Überwachten.552) Aus diesem Gebot folgt zugleich, dass der Ausschuss als Institution seine Meinungs- und Willensbildung eigenständig zu organisieren hat. Gleichwohl werden Gläubigerausschüsse vielfach im Kern ihrer Arbeitsorganisation vom Insolvenzverwalter oder dem Sanierungsberater des Schuldners gesteuert. Es ist in der Praxis nicht selten, dass über die Einberufung von Sitzungen des Ausschusses der jeweilige Träger der Insolvenzverwaltung entscheidet, dass er sie leitet und auch das Protokoll führt. Dies wird von den Mitgliedern geduldet und selbst in der Literatur teilweise ohne Widerspruch hingenommen.553) Derartige Praktiken sind jedoch mit der vom Gesetz vorausgesetzten Unabhängigkeit und der Kontrollfunktion des Ausschusses nicht zu vereinbaren.554)
III. Auskunftspflicht des Verwalters gegenüber dem Ausschuss 244 Der Gläubigerausschuss kann seinen gesetzlichen Überwachungs-, Unterrichtungsund Prüfungsauftrag nur zweckgerecht erfüllen, wenn er vom Träger der Insolvenzverwaltung die zur Erfüllung des Auftrags notwendigen Informationen erhält. Aus der Bestimmung des § 69 InsO folgt deshalb unmittelbar, dass der Ausschuss als Gremium berechtigt ist, vom Insolvenzverwalter, vom eigenverwaltenden Schuldner und vom Sachwalter einzelne Auskünfte sowie einen Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung zu verlangen.555) Auch Anfragen eines Mitglieds sind gegenüber dem Ausschuss zu beantworten. Dass das Gesetz, anders als im Fall der Gläubigerversammlung (§ 79 InsO), eine solche Auskunfts- und Be___________ 552) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 132 zu § 81 (= § 70 InsO); BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 f. Rn. 15 = ZIP 2008, 652; BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 330 Rn. 16 = NZI 2015, 166, 167 = ZIP 2014, 2242; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 2; Hegmanns, Gläubigerausschuß, 1986, S. 67; Kumpan, Interessenkonflikt, 2014, S. 223; de Bruyn, Gläubigerausschuss, 2015, S. 42. 553) Vgl. FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 5 (Organisation der Ausschusssitzungen als übliche, wenn auch freiwillige Dienstleistung des Insolvenzverwalters). 554) Zutr. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Lind, InsO, 3. Aufl. 2017, § 69 Rn. 13 sowie Uhlenbruck/ Knof, 15. Aufl. 2019, InsO § 69 Rn. 19. – Zur geschäftsordnungsmäßigen Autonomie des Gläubigerausschusses siehe auch Kapitel 3 H. I. – V., Rn. 275 ff. 555) Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 69 Rn. 30 – 32; KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 24; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Lind, InsO, 3. Aufl. 2017, § 69 Rn. 4, 5; FK-InsO/Wimmer/ Amend, 9. Aufl. 2018, § 80 Rn. 30; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 69 Rn. 21; Pape, ZInsO 1999, 675, 682; Heese, Gläubigerinformation, 2008, 307 f.; Sponagel, DZWIR 2011, 270, 273; U. Becker, Insolvenzverwalterhaftung, 2016, S. 51.
112
D. Verhältnis des Gläubigerausschusses zu den Trägern der Insolvenzverwaltung
richtspflicht nicht ausdrücklich vorsieht, ist ohne Bedeutung. Zwar ist eine entsprechende Regelung, die der Regierungsentwurf der Insolvenzordnung556) in Anlehnung an § 88 Abs. 2 Satz 1 KO557) vorsah, vom Gesetzgeber nicht übernommen worden, doch war mit ihrer Streichung keine Rechtsänderung, sondern nur eine redaktionelle Straffung des Gesetzes beabsichtigt.558) Es kann nicht ernsthaft angenommen werden, dass dem Gläubigerausschuss geringere Informationsrechte zustehen sollen als der Gläubigerversammlung. Dem entspricht die Pflicht des jeweiligen Trägers der Insolvenzverwaltung, dem 245 Gläubigerausschuss und jedem seiner Mitglieder unverzüglich alle Informationen zugänglich zu machen, die sie zur Wahrnehmung ihrer Überwachungs- und Unterstützungsaufgaben benötigen oder die sie aus ihrer Sicht für erforderlich halten. Der Verwalter hat diese Auskunfts- und Berichtspflicht in eigener Initiative zu erfüllen, darf sich also nicht darauf zurückziehen, lediglich auf Anfragen zu reagieren. Außerdem ist er verpflichtet, bereits erteilte Auskünfte unverzüglich zu ergänzen oder richtigzustellen, wenn er erkennt, dass sich wesentliche Änderungen ergeben haben; ein besonderes Auskunftsverlangen des Ausschusses oder eines seiner Mitglieder ist nicht erforderlich. Dies alles ist für die Auskunftspflicht des Schuldners in der Fremdverwaltung 246 (§§ 97, 101 InsO) allgemein anerkannt.559) Es ist kein Grund ersichtlich, der für die Ausgestaltung der Auskunftspflicht im Verhältnis zwischen Verwalter und Gläubigerausschuss eine andere Sicht rechtfertigt; die Organisationsform der Verwaltung ist unerheblich (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Darüber hinaus folgt aus § 69 Satz 2 InsO, dass jeder Träger der Insolvenzverwaltung den Ausschussmitgliedern die erforderliche Einsicht in seine eigenen verfahrensbezogenen Akten nebst Datenbeständen sowie in die zur Insolvenzmasse gehörenden Geschäftsunterlagen des Schuldners zu gestatten und die Einsichtnahme zu ermöglichen hat. Diese Pflichten gelten auch gegenüber einem vom Ausschuss beauftragten Prüfer (§ 69 Satz 2 InsO). Die Entscheidung darüber, wann und in welcher Art und Weise der Verwalter sei- 247 nen Pflichten gegenüber dem Gläubigerausschuss nachzukommen hat, liegt grund___________ 556) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 132 zu § 80 (= § 67 InsO). 557) Dazu Uhlenbruck, BB 1976, 1198, 1199; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 88 Rn. 4; Hegmanns, Gläubigerausschuss, 1986, S. 102 – 106. 558) Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 29, 163 Nr. 43. zu § 80 (= § 69 InsO). 559) Vgl. BGH, Beschl. v. 9.10.2008 – IX ZB 212/07, NZI 2009, 65 f. Rn. 11 = ZIP 2008, 2276 f.; BGH, Beschl. v. 17.11.2008 – NotZ 130/07, ZIP 2009, 675, 677 f. Rn. 36 = NJW-RR 2009, 783, 785; BGH, Beschl. v. 8.1.2009 – IX ZB 73/08, NZI 2009, 253, 254 Rn. 12; BGH, Beschl. v. 11.2.2010 – IX ZB 126/08, NZI 2010, 264, 265 Rn. 5; BGH, Beschl. v. 15.4.2010 – IX ZB 175/09, NZI 2010, 530 Rn. 9 = ZIP 2010, 1042; BGH, Beschl. v. 13.1.2011 – IX ZB 163/10, ZInsO 2011, 396 Rn. 3; BGH, Beschl. v. 17.3.2011 – IX ZB 174/08, NZI 2011, 330, 331 Rn. 7; BGH, Beschl. v. 8.3.2012 – IX ZB 70/10, ZInsO 2012, 751 Rn. 13; BGH, Beschl. v. 26.4.2012 – IX ZB 274/11, juris Rn. 2.
113
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
sätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Ausschusses. Sie wird durch den gesetzlichen Verfahrenszweck, die Aufgaben des Ausschusses sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit560) begrenzt. Ein Einvernehmen des Ausschusses mit dem Verwalter ist nicht erforderlich.561) Die Gefahr, dass Teile der Insolvenzmasse beiseite geschafft oder nicht ordnungsgemäß verwertet werden oder die Verwaltung in anderer Weise ordnungswidrig geführt wird, besteht grundsätzlich in jedem Verfahren. Die Ausschussmitglieder haben deshalb unabhängig vom guten Ruf des Verwalters eine effizienten Überwachung sicherzustellen.562) Der Überwachte darf nicht selbst bestimmen, wann und in welcher Weise die Überwachung stattfindet.
IV. Kein Weisungsrecht des Ausschusses gegenüber dem Verwalter 248 Aus der Kontroll- und Unterstützungsfunktion des Gläubigerausschusses ergibt sich nach ganz überwiegender und zutreffender Auffassung nicht die Befugnis, dem Träger der Insolvenzverwaltung außerhalb gesetzlich bestimmter Ausnahmen (vgl. § 149 Abs. 1 Satz 1 InsO)563) generelle oder spezielle Weisungen für seine Geschäftsführung zu erteilen.564) Gleichwohl kann der Ausschuss sie durch seine gesetzlichen Mitwirkungs- und Antragsrechte wesentlich beeinflussen, insbesondere durch sein Recht, die Einberufung der Gläubigerversammlung zur Aufhebung der Eigenverwaltung oder mit dem Ziel der Entlassung des Insolvenzverwalters oder Sachwalters zu beantragen (§ 75 Abs. 1 Nr. 2, § 272 Abs. 1, § 59 Abs. 1, § 274 Abs. 1 InsO), sowie bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (§ 158 Abs. 1, § 160 InsO). Dabei darf er allerdings nicht als Verwalter hinter dem Verwalter agieren.565) Außerhalb der gesetzlich festgelegten Zuständigkeiten des Gläubigerausschusses verbleibt jedem Träger der Insolvenzverwaltung für die Verwaltung und Verwertung der Masse ein funktionaler Freiraum, in dem er allein an gesetzmäßige ___________ 560) Heese, Gläubigerinformation, 2008, S. 307; Thole, ZIP 2012, 1533, 1539 f., auch zur analogen Anwendbarkeit von § 131 AktG. 561) So aber FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 8 („kein Zitierrecht“). 562) OLG Celle, Urt. v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, NZI 2010, 609, 611 = ZIP 2010, 1862, 1864 (rechtskräftig, s. BGH, Beschl. v. 21.3.2013 – IX ZR 109/10, ZIP 2013, 1235); zust. K. Schmidt/ Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 69 Rn. 23. 563) Einzelheiten auch zur Haftung bei Berger, ZInsO 2017, 2100, 2103. 564) Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 88 Rn. 1; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 88 Rn. 1; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Lind, InsO, 3. Aufl. 2017, § 69 Rn. 3; KK-InsO/Hammes, 2017, § 69 Rn. 12; HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 7; FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 8; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 3, 15; in diesem Sinne wohl auch Rattunde/ Smid/Zeuner/Kamm, InsO, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 2; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 30; Theiselmann/Stengel/Sax, Restrukturierungsrecht, 3. Aufl. 2017, 4. Abschn., Kap. 19 Rn. 68; U. Becker, Insolvenzverwalterhaftung, 2016, S. 52 a. E., S. 52 ff. auch ausf. zum Meinungsstand; Harbrecht, in: FS Beck, 2016, 255, 260; Weitzmann, in: FS Pannen, 2017, S. 757, 765. 565) FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 3.
114
E. Verhältnis des Gläubigerausschusses zum Insolvenzgericht
Vorgaben der Gläubigerversammlung gebunden ist (§§ 157, 159, 244 ff. InsO), im Übrigen aber im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung handeln kann.566)
E. Verhältnis des Gläubigerausschusses zum Insolvenzgericht Im Zusammenhang mit der Selbstverwaltung567) oder Autonomie568) der Gläubiger- 249 gesamtheit im Insolvenzverfahren wird auch die Stellung des Gläubigerausschusses im Verhältnis zum Insolvenzgericht vielfach uneingeschränkt als die eines unabhängigen Organs der Gläubigerselbstverwaltung569) umschrieben. Diese Aussage ist nicht nur simplifizierend, sondern auch einseitig und damit missverständlich.
I.
Zweck und rechtliche Grenzen der Gläubigerautonomie
Das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren unter Ausschluss der 250 Einzelvollstreckung ist Teil der Vollzugsordnung des staatlichen Rechts. Im Fall der Vermögensunzulänglichkeit soll ein Rechtsverfahren sicherstellen, dass das Schuldnervermögen bestmöglich zur Befriedigung der Gläubiger verwendet wird.570) Gleichwohl hat der Gesetzgeber in einer bewussten Entscheidung den Vollzug des Insolvenzverfahrens nicht vollständig unmittelbar dem Staat anvertraut, sondern ihn in wesentlichen Teilen nichtstaatlichen Masseverwaltern übertragen, die ihrerseits mit den Gläubigergremien zusammenwirken müssen.571) Nach dem Konzept des Gesetzgebers zielt diese Zuweisung von Entscheidungskom- 251 petenzen darauf ab, in höherem Maße wirtschaftlich effiziente Verfahrensergebnisse zu erreichen, als dies bei umfassender hoheitlicher Lenkung der Fall wäre.572) Die Deregulierung der Verfahrensorganisation bedeutet jedoch nicht, dass das Insolvenzverfahren von den Gläubigern uneingeschränkt in eigener Verantwortung und Gestaltungsfreiheit, also gleichsam in kollektiver Selbstjustiz, durchgeführt wird. Die Gesamtvollstreckung mit dem Ziel der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung aller Gläubiger unter Ausschluss der Einzelvollstreckung bleibt eine originär staatliche Aufgabe, deren Wahrnehmung den Beschränkungen des Verfassungsrechts und der Gesetze unterliegt.573) Die Gläubigerautonomie im Insolvenzverfahren kann nur eine ___________ 566) 567) 568) 569)
570) 571) 572) 573)
Vgl. Preuß, Zivilrechtspflege, 2005, S. 442 m. w. N. in Fn. 11. Schick, NJW 1991, 1328. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 73, 76, 79 f., 81, 99 f., 131 f., 134, 173, 194, 196, 223. Allgemein BGH, Urt. v. 12.7.1965 – III ZR 41/64, WM 1965, 1158 = JurionRS 1965, 11475 Rn. 20; BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, NZI 2007, 346, 347 Rn. 16 = ZIP 2007, 781; BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 f. Rn. 15 = ZIP 2008, 652; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 2; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 19, 21; Vallender, in: FS Kirchhof, 2003, S. 507, 509. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 72. Vgl. Schick, NJW 1991, 1328. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 76 ff.; siehe oben Kapitel 1, Rn. 1. Zum Vorstehenden siehe Preuß, Zivilrechtspflege, 2005, S. 49; zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben siehe oben Kapitel 2 G. I., Rn. 112.
115
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
rechtlich gebundene Autonomie sein. Soweit es nicht allein um Fragen der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit geht, steht daher auch auf Seiten der von der Insolvenz betroffenen Gläubiger kein Entscheidungsträger über dem Gesetz.
II. Rechtsaufsicht durch das Insolvenzgericht 252 Ist dies klargestellt, so wird auch die Aufgabe des Insolvenzgerichts deutlich. Es ist Hüter der Rechtmäßigkeit des Verfahrens.574) Es soll und darf nicht in die wirtschaftliche, an der Zweckmäßigkeit orientierte Autonomie der Gläubiger eingreifen,575) sondern hat darauf zu achten, dass deren rechtliche Grenzen gewahrt bleiben.576) Dieser Rechtsaufsicht des Insolvenzgerichts unterliegen notwendigerweise auch der Gläubigerausschuss und seine Mitglieder.577) Gegenstand der Aufsicht ist die Rechtmäßigkeit der gesamten Tätigkeit des Ausschusses. Sie bezieht sich nicht nur auf die Bereiche der Überwachung, Unterstützung und Mitwirkung, sondern betrifft auch die Rechtmäßigkeit der internen Geschäftsordnung des Ausschusses und deren Handhabung.578)
253 Diese Auffassung ist umstritten. Von einem großen Teil der Literatur wird der Standpunkt vertreten, dass weder der Gläubigerausschuss noch seine Mitglieder einer Aufsicht des Insolvenzgerichts unterstehen.579) Die Rechtmäßigkeitskontrolle ___________ 574) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 80; vgl. MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 12, der eine „verfahrensrechtlich orientierte, reine Rechtmäßigkeitskontrolle“ befürwortet, gleichwohl aber eine Rechtsaufsicht ablehnt; Pape/Schmidt, ZInsO 2004, 955, 958. 575) Allg. M., für alle Huntemann/Brockdorff, 1999, Kap. 11 Rn. 27; Graeber, in: FS Runkel, 2009, S. 63, 76. 576) Bereits Jaeger, Konkursrecht, 1924, S. 3 sprach davon, dass sich die Konkursordnung von 1877 „für eine staatlich überwachte Selbstverwaltung entschieden“ habe, und meinte damit die rechtlich gebundene Gläubigerautonomie. 577) BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 Rn. 15 („Rechtskontrolle“) = ZIP 2008, 653; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Frind, InsO, 2. Aufl. 2012, § 69 Rn. 10; KK-InsO/ Hammes, 2017, § 70 Rn. 8; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 58 Rn. 6 f.; Huntemann/Brockdorff, 1999, Kap. 11 Rn. 27 (S. 294); Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2010, Kap. 16 Rn. 4; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl. 2015, § 21 Rn. 114; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Kap. 1 Rn. 1023; Klopp/Kluth/Pechartscheck, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 21 Rn. 1; ausf. Gundlach/Frenzel/Strandmann, NZI 2008, 461, 462 f., 464 f.; weitergehend Ide, in: Cranshaw/Steinwachs/Vallender, Gläubigerausschuss, 2. Aufl. 2014, Rn. 332. 578) Vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 28.5.2004 – 3 W 11/04 (zur GesO), ZInsO 2004, 814, 815; ebenso schon KK-InsO/Hammes, 2017, § 67 Rn. 17. 579) Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 67 Rn. 8; KPB-InsO/Kübler, 64. EL. 07.2015, § 72 Rn. 13; FK-InsO/Wimmer, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 4; wohl auch HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 8; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 21; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 6; Rattunde/Smid/Zeuner/Kamm, InsO, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 5; Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 19; Pape/Gundlach/Vortmann, Handbuch, 3. Aufl. 2018, Rn. 179; Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 14 Rn. 21; Schulz, Treuepflichten, 2003, Rn. 134; Frind, ZInsO 2007, 643, 649; Graeber, in: FS Runkel, 2009, S. 63, 73; Meyer-Löwy/ Ströhmann, ZIP 2012, 2432, 2433; Wroblewski, AuB 2012, 188, 193 (li. Sp. a. E.); de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, 2015, Rn. 41, 57; Harbrecht, in: FS Beck, 2016, 255, 256; Löffler, in: FS Pannen, 2017, 481, 490; Thoma, Gläubigerautonomie, 2019, S. 124 f.; zur KO vgl. Riedemann, Entwicklung, 2004, S. 32.
116
E. Verhältnis des Gläubigerausschusses zum Insolvenzgericht
des Insolvenzgerichts finde ihre Grenzen an der nahezu unbeschränkten Unabhängigkeit des Ausschusses;580) außer der Möglichkeit, seine Mitglieder nach § 70 InsO zu entlassen, stehe dem Gericht keine Möglichkeit zur Verfügung, auf ihre Entscheidungen Einfluss zu nehmen.581) Insbesondere habe das Insolvenzgericht kein Recht, Beschlüsse des Ausschusses aufzuheben, zu korrigieren582) oder zu beanstanden, Weisungen zu erteilen583) oder Streitigkeiten unter den Ausschussmitgliedern zu entscheiden.584) Selbst bei schwerwiegenden Verstößen sei es dem Gericht verwehrt, einen deklaratorischen Feststellungsbeschluss zu erlassen.585) Zur Stützung dieser Auffassung wird zumeist auf die Regelung des § 78 InsO verwiesen, die eine Aufhebungsbefugnis des Gerichts nur in Bezug auf Beschlüsse der Gläubigerversammlung vorsehe. Die Norm sei so speziell, dass sie nicht analog auf den Gläubigerausschuss angewandt werden könne.586) Dass das Gericht nicht berechtigt sei, Beschlüsse des Gläubigerausschusses aufzuheben, ergebe sich auch daraus, dass die Aufsicht in anderen Rechtsmaterien stets explizit angeordnet sei, § 70 InsO hingegen regele weder Art noch Umfang einer Rechtsaufsicht.587) Diese Überlegungen werden der Bedeutung des Insolvenzgerichts im Rahmen des 254 Insolvenzverfahrens nicht gerecht. Das folgt bereits aus der gerichtlichen Befugnis, von Amts wegen Ausschussmitglieder zu entlassen (§ 70 InsO), und aus der Einbindung des Ausschusses in den rechtlichen Rahmen eines staatliches Vollstreckungsverfahrens.588) Die Führung der Rechtsaufsicht selbst ist Amtspflicht (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG);589) in einem staatlichen Verfahren dürfen generell keine rechtswidrigen Zustände geduldet werden. Das öffentliche Interesse an einer ge___________ 580) Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 8; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 22. 581) Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 6, 8, widersprüchlich jedoch zu Rn. 7 („In Ausnahmefällen kann es sinnvoll sein, wenn der zuständige Richter oder Rechtspfleger an den Ausschusssitzungen teilnimmt, um die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu gewährleisten.“); Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 22. 582) Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 6, 8; Rattunde/Smid/Zeuner/Kamm, InsO, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 5; Pape, ZInsO 1999, 675, 681. 583) HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 8; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 12; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 20. 584) KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 9. 585) Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 22. 586) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 12; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 6; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 20 f.; Pape/Gundlach/Vortmann, Handbuch, 3. Aufl. 2018, Rn. 179 f.; de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, 2015, Rn. 42 – 48. 587) de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, 2015, Rn. 44, 47 f. mit Hinweis auf die Überwachung des Testamentsvollstreckers nach § 2227 BGB sowie des Vormundes nach § 1837 BGB. 588) Gundlach/Frenzel/Strandmann, NZI 2008, 461, 462 f., 464 f. 589) Ausf. Rechel, Aufsicht, 2009, S. 70; Lissner, ZInsO 2012, 957, 963; Knop, Amtshaftungsansprüche, 2015, S. 11 ff., 92 m. w. N. in Fn. 540.
117
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
setzmäßigen Durchführung des Verfahrens wiegt schwerer als die auf die Wirtschaftlichkeit der Masseverwertung beschränkte Gläubigerautonomie und die hieran anknüpfende Unabhängigkeit der Ausschussmitglieder.590)
255 Von Bedeutung ist auch, dass § 70 InsO parallel zu der Vorschrift über die Entlassung des Insolvenzverwalters verfasst worden ist.591) Letzterer unterliegt ausdrücklich der Rechtsaufsicht des Insolvenzgerichts (§ 58 Abs. 1 InsO). Durch die Möglichkeit der amtswegigen Entlassung von Ausschussmitgliedern sollte ebenso wie im Fall des Insolvenzverwalters (§ 59 InsO) erreicht werden, dass Personen, die schwere Pflichtverletzungen begehen oder amtsunfähig sind, unverzüglich vom Insolvenzgericht abberufen werden können.592) Ob diese Personen partielle Verfahrenshoheit593) ausüben oder nicht, ist dabei irrelevant. Für eine Rechtsaufsicht kennzeichnend ist gerade die Existenz von Zwangsmitteln, wobei die Entlassung ultima ratio ist. Sie dient dazu, einen geordneten und gesetzmäßigen Verfahrensablauf zu gewährleisten und sicherzustellen.594)
256 Ohne Belang für das Bestehen oder Nichtbestehen der Rechtsaufsicht ist das Argument, das Insolvenzgericht könne Beschlüsse des Gläubigerausschusses nicht aufheben, da eine § 78 InsO entsprechende Vorschrift fehle. Die Norm hat den Zweck, die Majorisierung der Gläubigerversammlung durch einzelne Gläubigergruppen, etwa Großgläubiger oder Absonderungsberechtigte, zu verhindern, wenn ihre Beschlussfassung dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht.595) Im Übrigen ist § 78 InsO keine Bestimmung zur Rechtsaufsicht, weil das Insolvenzgericht nur auf Antrag tätig werden kann (Abs. 1).
III. Aufsichtsmittel und Aufsichtsvollzug 257 Einen abgestuften Sanktionskatalog enthält die Insolvenzordnung nur für das gerichtliche Einschreiten gegen den Insolvenzverwalter (§§ 58, 59 InsO), nicht aber für das Vorgehen gegen Gläubigerausschussmitglieder.596) Das Gesetz regelt mit ___________ 590) Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 70 Rn. 3. 591) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 132 zu § 81 (= § 70 InsO). 592) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 128 zu § 70 (= § 59 InsO). Nach altem Recht war die Entlassung des Konkursverwalters von Amts wegen nur vor der ersten Gläubigerversammlung möglich, später nur auf Antrag der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses (§ 84 Abs. 1 Satz 2 KO). Gläubigerausschussmitglieder konnten vom Gericht nur entlassen werden, wenn sie auch von ihm bestellt worden waren; von der Gläubigerversammlung gewählte Ausschussmitglieder konnte nur die Versammlung abberufen (§ 92 KO). Dies wurde weitgehend als unzweckmäßig empfunden (vgl. bereits Schloßmann, KuT 1931, 85, 87 a. E.). 593) Zum Begriff siehe Preuß, Zivilrechtspflege, 2005, S. 49. 594) Vgl. Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 70 Rn. 3. 595) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 134 zu § 89 (= § 78 InsO); Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 164 (zu § 89); HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 78 Rn. 1. 596) Pape, ZInsO 2002, 1017, 1019; Vallender, in: FS Kirchhof, 2003, S. 507, 511.
118
E. Verhältnis des Gläubigerausschusses zum Insolvenzgericht
der Entlassung eines Ausschussmitglieds (§ 70 InsO) nur die ultima ratio der gerichtlichen Aufsicht über den Gläubigerausschuss. Zur Vorbereitung dieser Entscheidung ist das Gericht berechtigt, von Amts wegen Ermittlungen anzustellen (§ 5 Abs. 1 InsO), um sich anlassbezogen Informationen zu beschaffen. Darüber hinaus sind auch weniger einschneidende, den Status nicht berührende Aufsichtsmaßnahmen des Gerichts durchaus zulässig, wenn sich herausstellt, dass einzelne Mitglieder, die Mehrheit oder gar der gesamte Ausschuss gegen die rechtlichen Pflichten ihres Amtes verstoßen.
1.
Sitzungsteilnahme und Einsicht in die Protokolle
Zur Wahrnehmung der Rechtsaufsicht ist der Insolvenzrichter oder -rechtspfleger 258 jederzeit befugt, sich über den Inhalt sowie die Art und Weise der Amtsführung des Gläubigerausschusses zu unterrichten. Dies ergibt sich aus dem Prinzip der Aufsicht. Es setzt zwingend voraus, dass der Aufsichtsführende sich die für die Aufsicht erforderlichen Informationen beschaffen darf. Er kann deshalb auch nach eigenem Ermessen vom Beaufsichtigten einzelne Auskünfte oder einen zusammenhängenden Bericht über dessen Tätigkeit verlangen. Die Regelungen des § 69 Satz 2, des § 58 Abs. 1 Satz 2, des § 22 Abs. 3, des § 274 Abs. 2 Satz 2 InsO sowie beispielsweise des § 111 Abs. 2 AktG und des § 1839 i. V. m. § 1837 Abs. 2 BGB sind insoweit Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens.597) Im vorliegenden Zusammenhang bedeutet dies insbesondere, dass dem Richter oder Rechtspfleger die Befugnis zusteht, sich durch Teilnahme an den Sitzungen des Ausschusses598) sowie durch Einsichtnahme in dessen Beratungsprotokolle,599) rechtlich gesprochen: durch Einnahme des Augenscheins (§ 5 Abs. 1, § 4 InsO, § 371 ZPO), jederzeit aus erster Hand zu informieren.
2.
Ermittlungen bei Verdacht auf Pflichtverletzungen
Ein weiteres Instrument der Rechtsaufsicht über den Gläubigerausschuss ist die 259 Befugnis des Insolvenzgerichts, von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO). Sie gilt auch für nicht ausdrücklich normierte, aber aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen folgende Vorgaben für ein geordnetes Verfahren. Das Gericht darf daher, sobald ___________ 597) Vgl. auch RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 128 zu § 68 (= § 58 InsO) zum Insolvenzverwalter: „Damit das Gericht imstande ist, die Aufsicht sachgerecht zu führen, muss es sich stets über den Sachstand und über die Geschäftsführung des Insolvenzverwalters unterrichten können.“ 598) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 12; Braun/Hirte, InsO, 7. Aufl. 2017, § 70 Rn. 4; Graeber, in: FS Runkel, 2009, S. 63, 76. 599) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Lind, InsO, 3. Aufl. 2017, § 69 Rn. 13; Braun/Hirte, InsO, 7. Aufl. 2017, § 70 Rn. 4; KK-InsO/Hammes, 2017, § 67 Rn. 19; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 27; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 21; nicht eindeutig Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 10; de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, 2015, Rn. 411.
119
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die auf eine rechtswidrige Verhaltensweise des Gläubigerausschusses oder eines seiner Mitglieder oder auf den Eignungsmangel eines Mitglieds hinweisen, von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen Ermittlungen einleiten, um den Sachverhalt aufzuklären.600) Seine Befugnisse sind nicht auf Fälle beschränkt, in denen ein wichtiger Grund zur Entlassung eines Gläubigerausschussmitglieds in Betracht kommt. Je schwerwiegender der Verdacht ist, umso mehr reduziert sich allerdings das Ermessen.
260 Der Amtsermittlungsgrundsatz ist ein wichtiger insolvenzrechtlicher Verfahrensgrundsatz, der die rechtmäßige Durchführung eines staatlichen Vollstreckungsverfahrens gewährleisten soll. Dass er im Verhältnis zum Gläubigerausschuss nicht gelten soll, geht aus dem Gesetz nicht hervor. Die Ausschussmitglieder sind nach den allgemeinen Regeln des Zeugenbeweises (§ 4 InsO) zur mündlichen und schriftlichen Auskunft gegenüber dem Gericht verpflichtet. Sie haben zudem aufgrund ihrer besonderen Stellung im Verfahren alles zu unterlassen, was die Wahrnehmung der gerichtlichen Aufsicht verzögert, erschwert, beeinträchtigt oder verhindert.
3.
Deklaratorische Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Ausschussbeschlusses durch das Insolvenzgericht
261 Da eine gesetzliche Grundlage fehlt, ist es ausgeschlossen, dass das Insolvenzgericht von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten einen Beschluss des Gläubigerausschusses förmlich aufhebt,601) ihm verbindliche Weisungen erteilt oder gegen ein Ausschussmitglied Zwangsgeld festsetzt (§ 58 Abs. 2 InsO). Das Gericht ist hingegen berechtigt, wenngleich nicht verpflichtet, Verfehlungen des Ausschusses oder einzelner seiner Mitglieder durch ausdrückliche Hinweise oder sonstige Erklärungen zu beanstanden602) oder durch einen deklaratorischen Beschluss festzustellen.603) Es kann in gleicher Weise die Nichtigkeit eines Beschlusses des Gläubi___________ 600) Vgl. hierzu allgemein BGH, Beschl. v. 1.12.2010 – IX ZB 232/10, NZI 2012, 151 f. Rn. 11 = ZIP 2012, 139; Jaeger/Gerhardt, InsO, 2004, § 5 Rn. 6; HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 70 Rn. 3; MK-InsO/Ganter/Lohmann, 4. Aufl. 2019, § 5 Rn. 16; BeckOK-InsO/Madaus, 14. Ed. 04.2019, § 5 Rn. 5, 7; Vallender, in: FS Kirchhof, 2003, S. 507, 515 f. 601) HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 8; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 8; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 12; Frege, NZG 1999, 480, 482; ausf. de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, 2015, Rn. 42 – 48; Graf, Rechtsbehelfe, 2019, S. 392; a. A. HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 19, § 70 Rn. 2; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 70 Rn. 12; Ide, in: Cranshaw/Steinwachs/Vallender, Gläubigerausschuss, 2. Aufl. 2014, Rn. 332 m. w. N. in Fn. 348. 602) BGH, Beschl. v. 18.6.2009 – IX ZB 271/08, juris; LG Deggendorf, Beschl. v. 27.2.2013 – 13 T 18/13, ZIP 2013, 2371; LG München I, Beschl. v. 23.3.2016 – 14 T 1983/16, juris Rn. 36; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 70 Rn. 18; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 70 Rn. 12; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 70 Rn. 1, 7; Vallender, in: FS Kirchhof 2003, S. 507, 512 f. 603) So HambK-InsR/Frind, 6. Aufl. 2017, § 70 Rn. 2; in der 7. Aufl. 2019 befürwortetet Frind (ebd.) nunmehr eine generelle Aufhebungskompetenz des Insolvenzgerichts; ebenso BeckOK-InsO/ Frind, 14. Ed. 04.2019, § 70 Rn. 12.
120
F. Abgrenzung der Kollektivrechte des Ausschusses zu den Individualrechten seiner Mitglieder
gerausschusses feststellen. Rechtlich handelt es sich um eine auf die fachliche Autorität des Gerichts604) gestützte, durch die Form des Beschlusses hervorgehobene Einschätzung, die der Information der Verfahrensbeteiligten oder der Einleitung eines Entlassungsverfahrens dient (§ 70 Satz 3 InsO).605)
4.
Entlassung eines Mitglieds (§ 70 InsO)
Die einzige gesetzlich geregelte Aufsichtsmaßnahme gegen ein Ausschussmitglied 262 ist die Entlassung nach § 70 Satz 1 InsO. Die Einzelheiten sind parallel zur Entlassung des Insolvenzverwalters geregelt (§ 59 InsO).606) Liegt ein wichtiger Grund vor, so hat das Insolvenzgericht keinen Ermessensspielraum: das betroffene Mitglied ist aus dem Amt zu entlassen. Das Wort „kann“ in § 59 Abs. 1 Satz 1 und § 70 Abs. 1 Satz 1 InsO regelt lediglich die Befugnis und Zuständigkeit des Gerichts zur Entlassung.607) Neben den vielfältigen Gründen schwerer Pflichtverletzungen, die Eingang in Rechtsprechung und Literatur gefunden haben,608) ist die objektiv mangelnde Eignung des Ausschussmitglieds zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Aufgaben nach allgemeiner Auffassung ein wichtiger Grund für seine Entlassung.609)
F. Abgrenzung der Kollektivrechte des Ausschusses zu den Individualrechten seiner Mitglieder Zur Abgrenzung der Kompetenzen und aus Haftungsgründen muss zwischen der 263 Rechtsstellung des Gläubigerausschusses als Organ und dem persönlichen Rechtskreis seiner Mitglieder unterschieden werden. Zum Schadensersatz nach § 71 InsO können nur einzelne Ausschussmitglieder persönlich verpflichtet sein. Der Gläubigerausschuss als Gremium ist außerhalb des insolvenzgerichtlichen Verfahrens kein eigenständiger Rechts- und Vermögensträger. Ihm kann kein Verschulden seiner Mitglieder zugerechnet werden, er kann nicht passivlegitimierter Anspruchsgegner sein.610) ___________ 604) 605) 606) 607)
RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 80. So bereits KK-InsO/Hammes, 2017, § 67 Rn. 18. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 132 zu § 81 (= § 70 InsO). Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 128 zu § 70 (= § 59 InsO), S. 132 zu § 81 (= § 70 InsO). 608) Soweit solche Gründe für diese Arbeit relevant sind, werden sie in den nachfolgenden Kapiteln behandelt. Darüber hinaus wird allgemein auf die Kommentierungen zu § 70 InsO verwiesen. 609) BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 Rn. 7 = ZIP 2008, 652; BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 223/05, NZI 2008, 308 Rn. 5 = ZIP 2008, 655; LG Magdeburg, 17.12.2001 – 3 T 1070/01 (zur GesO), ZInsO 2002, 88, 89; KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 70 Rn. 7; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 70 Rn. 7; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 70 Rn. 8; Rattunde/Smid/Zeuner/Kamm, InsO, 4. Aufl. 2019, § 70 Rn. 4; wohl auch Pape, ZInsO 1999, 675, 678; Graf, NZI 2016, 757, 759. 610) Vgl. MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 14. Hierzu siehe bereits oben Kapitel 3 A. mit Nachweis auf Rn. 205, Fn. 475.
121
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
I.
Individuelle Rechte und Pflichten
264 Immer wenn das Gesetz die Formulierung „die Mitglieder des Gläubigerausschusses“ verwendet, ist der individuelle und persönliche Rechtskreis des Mitglieds betroffen. So sind die in § 69 InsO genannten Hauptaufgaben und Pflichten solche eines jeden Ausschussmitglieds.611) Umgekehrt kann das Mitglied die in § 69 InsO genannten Auskunfts- und Einsichtsrechte grundsätzlich persönlich geltend machen.
265 Allerdings sind diese Aufgaben und Befugnisse grundsätzlich nach interner Meinungs- und Willensbildung durch den Ausschuss auf der Grundlage von Beschlüssen gebündelt und koordiniert wahrzunehmen. Ein einzelnes Ausschussmitglied kann deshalb vom jeweiligen Träger der Insolvenzverwaltung lediglich verlangen, dass er dem gesamten Ausschuss zu einem bestimmten Thema einen Bericht erstattet, eine Auskunft erteilt oder Einsicht in seine Unterlagen ermöglicht. Dies war bereits für das Konkursverfahren anerkannt und gilt auch für das Insolvenzverfahren.612) Entsprechendes gilt für die Duldung von Prüfungshandlungen. Hält ein Ausschussmitglied eine Überwachungsmaßnahme für erforderlich, so hat es hierzu einen Beschluss des Ausschusses zu beantragen. Ohne diese Einschränkungen ist eine sinnvolle Tätigkeit des Ausschusses ebenso wie des Verwalters schwer vorstellbar. Wird die Einsicht in Unterlagen der Insolvenzverwaltung oder die Prüfung des Geldverkehrs und -bestandes auf einen Beauftragten delegiert (§ 69 Satz 2 InsO), so reduziert sich die Pflicht des Ausschussmitgliedes darauf, die beauftragte Person sorgfältig auszusuchen und zu überwachen.613)
II. Kollektive Organrechte 266 Der Gläubigerausschuss als Gremium äußert seine Meinung oder seinen Willen durch Beschluss (§ 72 InsO). Sieht das Gesetz ein Tätigwerden des Gläubigerausschusses vor, insbesondere eine Antragstellung, Stellungnahme oder sonstige Erklärung gegenüber dem Insolvenzgericht, dem Verwalter, einem anderen Verfahrensbeteiligten oder der Gläubigerversammlung, so muss der Ausschuss als Gremium handeln und einen Beschluss fassen, der dem Adressaten mitzuteilen ist. Er darf die Entscheidung nicht einem seiner Mitglieder überlassen.614) Die zusätzliche Mitteilung von Minderheitsvoten ist zulässig. Anhörungen des Gläubigerausschusses, bei denen ihm Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden soll, kann das Insolvenzgericht zudem durch die Einzelanhörung sämtlicher Mitglieder durchführen; auf diese Weise ist es ihm möglich, die maßgeblichen Informationsgrundlagen, Motive und Argumente eines jeden Mitglieds zu ermitteln. ___________ 611) 612) 613) 614)
122
BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 330 Rn. 16 = NZI 2015, 166. Kapitel 3 D. III., Rn. 244 ff. BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 331 Rn. 19 = NZI 2015, 166. Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 69 Rn. 5.
G. Ergänzende analoge Anwendbarkeit von Regeln über den Aufsichtsrat
G. Ergänzende analoge Anwendbarkeit von Regeln über den Aufsichtsrat Der Gläubigerausschuss wird schlagwortartig häufig als „Aufsichtsrat im Insolvenz- 267 verfahren“ bezeichnet.615) Dahinter steht die Erwartung, dass etwaige Lücken der Regelungen über den Gläubigerausschuss im Wege einer Gesetzesanalogie durch Rückgriff auf vergleichbare und verallgemeinerungsfähige Rechtsvorschriften über den Aufsichtsrat geschlossen werden können. Der Aufsichtsrat ist im Gesellschaftsrecht Teil des institutionellen Gefüges zwi- 268 schen Hauptversammlung616) einerseits und Vorstand andererseits. In gleicher Weise steht der Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren zwischen der Gläubigerversammlung und den Trägern der Insolvenzverwaltung. Beide Institutionen, Aufsichtsrat und Gläubigerausschuss, haben die gleiche grundlegende Aufgabe, die Träger der Geschäftsführung bei der Verwaltung des ihnen anvertrauten Sondervermögens zu überwachen und zu beraten; sie sind zu diesem Zweck befugt, Prüfungen durchzuführen oder zu veranlassen (§ 111 Abs. 1, 2 AktG, § 69 InsO). Für den Aufsichtsrat ergibt sich die Pflicht, den Vorstand in Fragen der Unternehmensführung zu beraten, aus der Überwachungspflicht nach § 111 Abs. 1 AktG; die Beratung ist ein Mittel der in die Zukunft gerichteten Kontrolle.617) Entsprechendes gilt im Insolvenzverfahren für den Gläubigerausschuss.618) ___________ 615) Siehe z. B. BGH, Urt. v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, BGHZ 124, 86, 91 = ZIP 1994, 46, 47; Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 67 Rn. 4; KPB-InsO/Pape, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 37; FKInsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 5; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 2; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 58 Rn. 6; Pape/Grundlach/Vortmann, Handbuch, Rn. 319 m. w. N. in Fn. 498; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, D Rn. 9; Hegmanns, 1986, Gläubigerausschuss, S. 52; Preuß, Zivilrechtspflege, 2005, S. 52; Berger/ Frege/Nicht, NZI 2010, 321, 325; Frind, ZIP 2012, 1380, 1381; Heeseler/Neu, NZI 2012, 440, 444; Kolbe, NZI 2015, 400, 401 f.; vgl. auch Wohlleben, in: FS Wimmer, 2017, S. 636, 641 f.; Wroblewski, ZInsO 2018, 2512; Thoma, Gläubigerautonomie, 2019, S. 102 – 109. 616) Obwohl auch Gesellschaften anderer Rechtsformen einen Aufsichtsrat haben können, werden zur Vereinfachung der Darstellung im Folgenden nur die Organe der Aktiengesellschaft angesprochen. 617) Vgl. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 ff. = NJW 1991, 1830 = ZIP 1991, 653; BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340 ff. = NJW 1994, 2484 = ZIP 1994, 1216; BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 Rn. 16 f. = ZIP 2006, 1529; BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 Rn. 13 f. = NJW 2007, 298 = ZIP 2007, 22; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, NZG 2007, 516, 518 f. Rn. 15 f. = ZIP 2007, 1056; BGH, Urt. v. 20.3.2018 – II ZR 359/16, NZG 2018, 629, 630 Rn. 17 = ZIP 2018, 926; ferner Schütz, in: Semler/v. Schenck, Aufsichtsrat, 2015, § 111 Rn. 186 f.; Roth/Wörle, ZGR 2004, 565, 567. 618) Insoweit gelten für den Gläubigerausschuss allgemein die gleichen Argumente, die für die Beratungstätigkeit des Sachwalters in der Eigenverwaltung angeführt werden. BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 247 f. Rn. 73 f. = NZI 2016, 796, 801 = ZIP 2016, 1592, 1598: „Der (vorläufige) Sachwalter hat die Eigenverwaltung des Schuldners im Rahmen seiner Überwachungs- und Kontrolltätigkeit […] beratend zu begleiten. […] Er muss […] beratend in dem Sinne tätig werden, dass er sich rechtzeitig in die Erarbeitung der Konzepte einbinden lässt und rechtzeitig zu erkennen gibt, welche erwogenen Maßnahme nach seiner Auffassung möglich und welche geprüften Wege gangbar sind. […] Die Überwachungsfunktion hat zukunftsorientiert zu erfolgen.“
123
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
269 Die Mitglieder beider Gremien nehmen einzeln und gemeinsam fremde Vermögensinteressen wahr.619) In Abgrenzung zur relativ schwerfällig organisierten Vollversammlung der Aktionäre oder Gläubiger handelt es sich in beiden Fällen um ein permanentes, mit relativ wenigen Mitgliedern besetztes Arbeitsgremium, das an Entscheidungen beteiligt, jedoch nicht mit unmittelbaren Vollzugsaufgaben betraut ist. Beide Rechtskreise sehen interne gesetzliche oder durch Satzung zu konkretisierende Zustimmungsvorbehalte zwischen Überwachungsorgan und Träger der Geschäftsführung vor (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG, § 158 Abs. 1, § 160 Abs. 1 Satz 1, § 162 Abs. 1, § 276 InsO). Über diese Aufgaben hinaus steht weder dem Aufsichtsrat noch dem Gläubigerausschuss ein direktes Weisungsrecht gegenüber den Überwachten zu.620)
270 Auch die Interessenlage der Aktionäre einerseits und der Insolvenzgläubiger andererseits gegenüber dem jeweiligen Überwachungsorgan ist ähnlich. Eine sachkundige, unabhängige und durchsetzungsfähige Kontrolle führt in beiden Fällen tendenziell zu besseren Ergebnissen der kontrollierten Tätigkeit.621) Dies gilt für die verbesserte Vermögens- und Ertragslage einer solventen Gesellschaft zum Nutzen der Aktionäre622) nicht anders als für die bestmögliche Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse zur Optimierung der Insolvenzquote. Ausschlaggebend ist, dass die Kontrolle und Unterstützung der Geschäftsführung durch eine effiziente Aufsicht grundsätzlich zu einem besseren wirtschaftlichen Ergebnis für Aktionäre oder Insolvenzgläubiger führt.
271 Die gesetzliche Regelungsdichte ist im Fall des Aufsichtsrats wesentlich höher als beim Gläubigerausschuss. Dies gilt nicht nur für Fragen der personellen Zusammensetzung, sondern auch für die Bestimmungen über Inhalt und Grenzen der Kompetenzen sowie über die innere Organisation und Arbeitsweise. Der geringe Umfang der Vorschriften über den Gläubigerausschuss (§§ 67 – 73 InsO) hängt im Wesentlichen damit zusammen, dass der Gesetzgeber sich bei Schaffung der Insolvenzordnung an den ebenfalls recht kleinen einschlägigen Normenbestand der Konkursordnung (§§ 87 – 92 KO) und der Vergleichsordnung (§§ 44, 45 VerglO) angelehnt hat und nur in wenigen sachlichen oder redaktionellen Einzelheiten von ihm abgewichen ist.623) Daraus darf man jedoch nicht schließen, dass er weitere Einzelheiten oder Themen bewusst nicht habe regeln wollen. Dies wird an einer Änderung der Bestimmung des heutigen § 69 Satz 2 InsO deutlich. Dort war in ___________ de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, 2015, Rn. 69. Vgl. oben Kapitel 3 D. IV., Rn. 248 f. So Heeseler/Neu, NZI 2012, 440 f., 446. Lutter/Krieger/Verse, Aufsichtsrat, 6. Aufl. 2014, Rn. 893; Semler/v. Schenck, Aufsichtsrat, 2015, § 116 Rn. 182, 186. 623) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 126, 131 f.; Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 29 f., 162 f. zu den §§ 78 – 84 (= §§ 67 – 73 InsO) sowie oben Einleitung zu Kapitel 3, Rn. 203 Fn. 463.
619) 620) 621) 622)
124
H. Grundsätze ordnungsgemäßer Gläubigerausschusstätigkeit
Anlehnung an § 88 Abs. 1 Satz 2 KO zunächst vorgesehen, die Mitglieder des Gläubigerausschusses seien befugt, sich über den Gang der Geschäfte des Verwalters zu unterrichten, die Bücher und Geschäftspapiere einzusehen und den Bestand der Kasse zu prüfen.624) Die Regelung wurde im Gesetzgebungsverfahren dahin geändert, dass die Ausschussmitglieder zu diesen Überwachungsmaßnahmen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet seien.625) Mit dieser Erweiterung und Verschärfung der Pflichten, so heißt es in der Begrün- 272 dung, werde die Aufsicht über die wirtschaftliche Tätigkeit des Insolvenzverwalters verstärkt und gleichzeitig den Gläubigern eine schnellere Einflussnahme auf die Handlungen des Verwalters ermöglicht.626) Dem gesetzgeberischen Plan lag demnach unverkennbar die allgemeine Regelungsabsicht zugrunde, im Vergleich zum alten Recht die Intensität der Überwachungstätigkeit des Gläubigerausschusses zu verstärken sowie deren Effizienz sicherzustellen und zu erhöhen. Unter diesen Umständen ist es angesichts der grundlegenden wirtschaftlichen und 273 rechtlichen Ähnlichkeit beider Gremien, die sich nicht zuletzt auch im Inhalt des § 276a InsO widerspiegelt, und der Interessenlage der von ihnen jeweils repräsentierten Personenkreise prinzipiell gerechtfertigt, zur Ergänzung und Konkretisierung der Bestimmungen über den Gläubigerausschuss einzelne gesellschaftsrechtliche Regelungen über den Aufsichtsrat im Wege der Analogie auf das Insolvenzrecht zu übertragen. Dabei wird man auch auf nicht ausdrücklich normierte Grundsätze zurückgreifen können, zu denen sich in der aktienrechtlichen Rechtsprechung und Literatur eine gefestigte Meinung gebildet hat. Ob, in welcher Weise und in welchem Umfang dies im Einzelnen geschehen soll, kann allerdings nur im jeweiligen sachlichen Regelungszusammenhang geklärt werden.
H. Grundsätze ordnungsgemäßer Gläubigerausschusstätigkeit Fragen der Arbeitsweise und inneren Organisation des Gläubigerausschusses regelt 274 die Insolvenzordnung nur fragmentarisch. Ausdrücklich normiert sind nur die Beschlussfähigkeit und die Ermittlung der Mehrheit bei Abstimmungen (§ 72 InsO) sowie die Befugnis des Ausschusses, einzelne Prüfungen durch Beauftragte durchführen zu lassen (§ 69 Satz 2 InsO). Ergänzende Grundsätze ergeben sich aus der zweckgerichteten institutionellen Einbindung des Ausschusses in das rechtliche System des Insolvenzverfahrens. Aus ihr folgt, dass die Ausschussmitglieder ver___________ 624) „Die Mitglieder des Gläubigerausschusses […] können sich über den Gang der Geschäfte unterrichten, die Bücher und Geschäftspapiere einsehen und den Bestand der Kasse prüfen.“ RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 21 (§ 80 Abs. 1 Satz 2) und S. 132. 625) „Die Mitglieder des Gläubigerausschusses […] haben sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einsehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen.“ Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 29 (§ 80 Satz 2). 626) Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 163 zu Nr. 47 zu § 80 (= § 69 InsO).
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pflichtet sind, ihre gemeinsame Tätigkeit so zu organisieren, dass sie ihre gesetzlichen Aufgaben einzeln und gemeinschaftlich jederzeit effizient erfüllen können.627) Bei dieser Selbstorganisation ist insbesondere, aber keineswegs ausschließlich die kollektive Arbeitsfähigkeit des Ausschusses sicherzustellen. Ebenso unerlässlich ist, dass die Unabhängigkeit und Gleichberechtigung jedes Mitglieds (§ 72 InsO) gewahrt werden und das dem Kollegialprinzip immanente Gebot der gegenseitigen prozeduralen Rücksichtnahme beachtet wird. Jedes Ausschussmitglied ist deshalb gegenüber jedem anderen Mitglied und gegenüber der Gläubigergesamtheit verpflichtet, die sachgerechte Erledigung der gemeinsamen Aufgaben entsprechend seinen Fähigkeiten und Kenntnisse zu fördern sowie alles zu unterlassen, was dieser Erledigung abträglich ist oder sonst die Interessen der Gläubigergesamtheit schädigt.628)
I.
Unverzügliche Konstituierung
275 Die Erledigung der Aufgaben des Gläubigerausschusses setzt voraus, dass er sich als Gremium konstituiert. Seine Mitglieder haben deshalb in eigener Verantwortung unverzüglich nach der Annahme des Amtes für den erstmaligen Zusammentritt des Gläubigerausschusses und die Aufnahme seiner Tätigkeit zu sorgen. Weder das Insolvenzgericht noch irgendeine andere Person außerhalb des Ausschusses ist berechtigt, diese Organisation in eigene Hände zu nehmen, insbesondere Sitzungen einzuberufen oder die Tagesordnung vorzuschreiben. Zulässig sind allenfalls Hilfstätigkeiten wie zum Beispiel die Übermittlung von Anschriften oder die koordinierte Herbeiführung eines einvernehmlich vereinbarten Termins.
II. Autonome Festlegung einer Geschäftsordnung 276 Aus der Unabhängigkeit und dem Selbstorganisationsrecht des Gläubigerausschusses629) folgt zugleich seine Verpflichtung, in eigener Zuständigkeit Regeln zur Organisation eines geordneten Arbeitsablaufs aufzustellen, soweit sich nicht aus dem Gesetz oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen etwas anderes ergibt. Diese Organisationspflicht gilt insbesondere für Regeln über die Einberufung von Sitzungen, die Bestimmung der Tagesordnung, die Wahl eines Vorsitzenden, die Zulassung von Gästen, die Delegation von Aufgaben auf einzelne oder mehrere Mitglieder, außerordentliche Formen der Beschlussfassung sowie die Dokumentation der Beschlüsse und des wesentlichen Inhalts der Beratungen. Unzulässig sind Eingriffe in die gesetzlichen Rechte der Ausschussmitglieder, etwa durch die konstitutive Be___________ 627) Allg. M., vgl. hierzu z. B. Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 18 f. 628) Zu einem solchen Fall vgl. z. B. OLG Celle, Urt. v. 21.8.2018 – 13 U 104/17 (nicht rechtskräftig), NZI 2018, 892 ff. m. zust. Anm. Harbrecht sowie Rendels, EWiR 2019, 407 f. Zum Teilnahme-, Einsichts- und Klagerecht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds vgl. Friedeborn, NZG 2018, 770, 771. 629) Kapitel 3 A., Rn. 204 ff.
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H. Grundsätze ordnungsgemäßer Gläubigerausschusstätigkeit
gründung von Stimm- oder Teilnahmeverboten630) oder die Zuweisung eines Zweitstimmrechts an den Vorsitzenden bei Stimmengleichheit. Die Festlegung der Regeln kann durch förmliche Verabschiedung einer schriftlichen Geschäftsordnung631) oder durch eine sich von Fall zu Fall weiterentwickelnde mehrheitlich akzeptierte Übung geschehen. Die so verstandene Geschäftsordnung ist ein Instrument der Selbstorganisation des 277 Gläubigerausschusses und bildet die unentbehrliche Grundlage für eine geordnete, selbstbewusste und effiziente Tätigkeit des Ausschusses.632) Die Ausschussmitglieder haben darauf zu achten, dass diese grundlegenden organisatorischen Elemente ihrer Tätigkeit nicht der Initiative oder dem Ermessen eines Trägers der Insolvenzverwaltung überlassen bleiben oder von diesem gar regelrecht usurpiert werden. Der Masseverwalter ist weder Mentor noch Sekretär des Gläubigerausschusses. Ihm als dem Adressaten der Überwachung darf auch nicht auf andere Weise die Organisation des Überwachungsgremiums zugewiesen werden. Eine solche Handhabung ist mit der Rechtsstellung des Ausschusses unvereinbar. Aus seiner gesetzlichen Funktion ergeben sich bestimmte organisatorische Pflichten, die unabhängig davon einzuhalten sind, ob eine schriftliche Geschäftsordnung beschlossen worden ist.
III. Einberufung von Sitzungen Existiert keine Geschäftsordnung oder enthält diese keine abweichende Regelung, 278 so hat jedes Mitglied des Gläubigerausschusses das Recht, formlos und unter Angabe von Tagesordnung, Zeit und Ort innerhalb angemessener Frist eine Sitzung des Ausschusses einzuberufen. Dies ergibt sich immanent aus dem Gleichberechtigungsgrundsatz des § 72 InsO und aus dem Rechtsgedanken des § 110 Abs. 1, 2 AktG. Ohne ein solches Einberufungsrecht wäre der Ausschuss nicht handlungsfähig. Jedes Mitglied ist im Rahmen des gesetzlichen Aufgabenspektrums berechtigt, Diskussionen und Entscheidungen des Ausschusses herbeizuführen, wenn aus seiner Sicht die Lage des Verfahrens es erfordert. Die Geschäftsordnung kann allerdings
___________ 630) Die Ausführungen von Buchalik/Haarmeyer, Der (vorläufige) Gläubigerausschuss, 4. Aufl. 2016, S. 67, 124 beziehen sich nur auf deklaratorische Stimmverbote. 631) Vgl. die Mustersatzungen von Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Kapitel 1 Rn. 1207b sowie Coordes, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, C Rn. 133 f. und Ingelmann/Ide/Steinwachs, ZInsO 2011, 1059 ff. 632) Vgl. allg. MK-InsO/Schmid-Burg, 4. Aufl. 2019, § 72 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Mönning, InsO, 38. EL. 01.2019, § 21 Rn. 146; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 72 Rn. 9, 9a; wohl auch Coordes, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, C Rn. 3; vgl. für den Aufsichtsrat Sick/Köstler, Geschäftsordnung, 2012, S. 5 ff., 7; Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) v. 7.2.2017, Abschnitt 5.13.
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bestimmen, dass nur der Ausschussvorsitzende die Sitzungen einberuft.633) In diesem Fall verbleibt jedem Mitglied das Recht, zur Behandlung eines bestimmten Themas die Einberufung zu verlangen. Kommt der Ausschussvorsitzende der Aufforderung nicht unverzüglich nach, so kann das Mitglied sein originäres Recht auf Einberufung wahrnehmen.634) Einberufungsmängel können nach den allgemeinen Regeln durch Verzicht sämtlicher Ausschussmitglieder oder durch nachträgliche ordnungsgemäße Beschlussfassung geheilt werden.635)
279 Dem Insolvenzverwalter, eigenverwaltenden Schuldner oder Sachwalter steht ein Einberufungsrecht nicht zu.636) Er kann aber beim Vorsitzenden oder bei den Mitgliedern des Ausschusses anregen, eine Sitzung abzuhalten, damit über abstimmungsbedürftige Sachverhalte entschieden werden kann. Ein Ausschussmitglied, das sich ohne sachlichen Grund einer notwendigen oder zweckmäßigen Beratung oder Abstimmung verschließt, verletzt grob seine Überwachungs- und Unterstützungspflicht (§ 69 Satz 1 InsO).
IV. Sitzungsleitung und ständiger Vorsitz 280 Von wem und in welcher Weise die Ausschusssitzungen zu leiten sind, ist gesetzlich nicht geregelt, so dass die Modalitäten entweder von Fall zu Fall oder generell in einer Geschäftsordnung zu regeln sind. Wird ein ständiger Vorsitzender gewählt, so ist es grundsätzlich seine Sache, bei Bedarf Sitzungen anzuberaumen, sie zu leiten und nach Beschlusslage Gäste einzuladen. Die Wahl eines Vorsitzenden entbindet die übrigen Ausschussmitglieder aber nicht von der Verpflichtung, auf die Ordnungsmäßigkeit der Ausschussarbeit zu achten und ihre Amtskollegen auf etwaige Mängel hinzuweisen.
___________ 633) So wohl auch MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 72 Rn. 11; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 72 Rn. 7; Flöther/Hoffmann, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, Rn. 120 (zum Gruppen-Gläubigerausschuss nach § 269c InsO), Ingelmann/Ide/Steinwachs, ZInsO 2011, 1059. 634) Ebenso für den Aufsichtsrat Baumann, Rechte des Aufsichtsratsmitglieds, 2017, S. 151. 635) Vgl. zu den entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen (siehe § 121 Abs. 6 AktG, § 51 Abs. 3 GmbHG) etwa BGH, Urt. v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, BGHZ 100, 264, 269 f. = NJW 1987, 2580, 2581 f. = ZIP 1987, 1117, 1119; BGH, Beschl. v. 19.1.2009 – II ZR 98/08, NZG 2009, 385 f. = ZIP 2009, 562 f.; BGH, Urt. v. 11.3.2014 – II ZR 24/13, NZG 2014, 621 f. = ZIP 2014, 1019 f. 636) Vgl. HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 72 Rn. 7; ebenso schon KK-InsO/Hammes, 2017, § 72 Rn. 5; Flöther/Hoffmann, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018 Rn. 122 (zum GruppenGläubigerausschuss); wohl auch Klopp/Kluth/Pechartscheck, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 21 Rn. 17; a. A. KPB-InsO/Kübler, 64. EL. 07.2015, § 72 Rn. 2. K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 72 Rn. 3 (einzuberufen ist „in aller Regel vom Insolvenzverwalter als Geschäftsführer“), § 72 Rn. 17; Coordes, in: Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, C Rn. 19; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2005, 304, 305.
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Einzelne organisatorische Aufgaben, wie zum Beispiel die Anforderung von Informa- 281 tionen bei einem Träger der Insolvenzverwaltung, können beim Vorsitzenden gebündelt werden. In diesem Rahmen kann ihm ebenso wie jedem anderen Ausschussmitglied aus verfahrensökonomischen Gründen auch Vollmacht erteilt werden. Dies gilt insbesondere, wenn im Namen sämtlicher Mitglieder Erklärungen abzugeben sind, etwa Kassenprüfer oder andere Sachverständige beauftragt, Haftpflichtversicherungen abgeschlossen oder beim Insolvenzgericht Auslagenvorschüsse beantragt werden sollen. Eine generelle Befugnis, ohne Zustimmung aller übrigen Ausschussmitglieder gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten oder gar in der Öffentlichkeit als Sprecher des Ausschusses aufzutreten, steht dem Vorsitzenden nicht zu.637)
V. Teilnahme von Gästen Gäste, also alle Nichtmitglieder des Ausschusses, dürfen an den Sitzungen im All- 282 gemeinen nur teilnehmen, wenn kein Mitglied widerspricht. Auch Träger der Insolvenzverwaltung sowie Schuldner und ihre organschaftlichen Vertreter oder Bevollmächtigten sind im Ausschuss nur Gäste.638) Sie haben deshalb keinen Anspruch auf Anwesenheit oder Rederecht. Gleiches gilt für Rechtsberater eines Ausschussmitglieds.639) Die unbeeinflusste und unbefangene Kommunikation der Ausschussmitglieder untereinander darf zu keiner Zeit beeinträchtigt werden. Bei Bedarf, vor allem wenn eine Diskussion zwischen Ausschussmitgliedern und einem Träger der Insolvenzverwaltung nicht sachdienlich ist, hat der Ausschuss ohne Gäste zu tagen. Auch bei der Entscheidung über die Zulassung von Gästen haben die Ausschussmitglieder sich allein am Verfahrenszweck (§ 1 Satz 1 InsO)640) und an ihren gesetzlichen Aufgaben zu orientieren. Dies schließt nicht aus, dass sonstige Verfahrensbeteiligte oder Dritte als sachkundige Auskunftspersonen zu einer Beratung hinzugezogen werden; ihre Teilnahme muss jedoch so gestaltet sein, dass die freie Meinungs- und Willensbildung der Ausschussmitglieder jederzeit sichergestellt ist. Lediglich die zuständigen Richter und Rechtspfleger des Insolvenzgerichts sind nach 283 zutreffender,641) wenn auch nicht unbestrittener642) Ansicht stets als Gäste zuzulassen. ___________ 637) Anders zu Unrecht Buchalik/Haarmeyer, Der (vorläufige) Gläubigerausschuss, 4. Aufl. 2016, S. 68. 638) So bereits KK-InsO/Hammes, 2017, § 72 Rn. 6; ebenso HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 72 Rn. 7; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 72 Rn. 6; Rattunde/Smid/Zeuner/ Kamm, InsO, 4. Aufl. 2019, § 72 Rn. 3 (für den Insolvenzverwalter); Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373 ff.; Coordes, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, C Rn. 47. Zur Sitzungsteilnahme siehe bereits oben Kapitel 2 J. III. 3., Rn. 172. 639) Zutr. K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 72 Rn. 13. 640) Siehe oben Kapitel 2 II., Rn. 25 ff. 641) Braun/Hirte, InsO, 7. Aufl. 2017, § 70 Rn. 4; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 27; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 12 a. E.; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/ Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl. 2015, Kap. 21 Rn. 117. 642) Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 72 Rn. 6; Vallender, WM 2002, 2040, 2047.
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Ihnen obliegt die Rechtsaufsicht über jeden Träger der Insolvenzverwaltung und über den Gläubigerausschuss.643) Halten sie es für erforderlich, sich durch Teilnahme an den Beratungen des Ausschusses allgemein oder aus gegebenem Anlass einen persönlichen Eindruck von der Eignung der Mitglieder und von der Qualität ihrer Arbeit zu verschaffen, so hat der Ausschuss diesen Entschluss zu respektieren.
VI. Wahrung der Verschwiegenheit 284 Nach einhelliger Meinung sind die Ausschussmitglieder grundsätzlich verpflichtet, gegenüber Dritten, also den Nichtmitgliedern, Verschwiegenheit über alle Angelegenheiten und Informationen zu wahren, die ihnen anlässlich ihrer Mitarbeit im Gläubigerausschuss bekannt werden.644) Diese Geheimhaltung dient ähnlich wie beim Aufsichtsrat (§ 116 Satz 1, 2, § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG) der Sicherung solcher Informationen, die Dritten nicht oder nicht vollständig bekannt sind und deren Weitergabe zu einem Schaden der Gläubigergesamtheit oder einer Gläubigergruppe führen kann (objektives Geheimnis)645) oder in sonstiger Weise geeignet ist, den gesetzmäßigen Ablauf des Verfahrens zu beeinträchtigen. Im Insolvenzverfahren gilt dies nicht nur für Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse des schuldnerischen Unternehmens oder eines Trägers der Insolvenzverwaltung. Es liegt darüber hinaus im Interesse der Gläubigergesamtheit, dass die Ausschussmitglieder untereinander generell ungehemmt und allein an sachlichen Kriterien orientiert um die beste Entscheidung ringen können, ohne Sanktionen oder Anfeindungen Dritter fürchten zu müssen. Die gebotene geschützte Diskussion wäre unmöglich, wenn Inhalt, Verlauf und einzelne Meinungsäußerungen jederzeit öffentlich gemacht werden dürften (Beratungsgeheimnis).646)
285 Die Verschwiegenheitspflicht der Ausschussmitglieder wird rechtlich entweder aus der Unterstützungspflicht nach § 69 InsO,647) teilweise kumuliert mit einer analo___________ 643) Siehe Kapitel 2 H., Rn. 144 ff.; Kapitel 3 E. II., Rn. 252 ff.; Kapitel 3 E. III. 1., Rn. 258. 644) Ausf. Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 33 – 35; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Rn. 1237; Mönning, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, A Rn. 69; Uhlenbruck, BB 1976, 1198, 1200; Haenecke, KTS 1983, 533 f. (zur Verschwiegenheit eines Ausschussmitglieds gegenüber seinem Arbeitgeber); Frege, NZG 1999, 478, 483; Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373, 1378; Heese, Gläubigerinformation, 2008, S. 308 f., 468 m. w. N. in Fn. 430; Vallender, in: FS Ganter, 2010, S. 391, 395f; Hoegen/Kranz, NZI-Beilage 2018, 20, 24. 645) Vgl. zum Aufsichtsrat (bezogen auf die Beeinträchtigung der Interessen des Unternehmens) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329 = NJW 1975, 1412; BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354, 372 f. Rn. 47 = NJW 2014, 541, 546 = ZIP 2013, 2454, 2459 f.; BGH Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, ZIP 2016, 1063, 1066 f. Rn. 31 ff.; Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 52 Rn. 67; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 254, 259; Ries/Haimerl, NZG 2018, 621, 622. 646) Zutr. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 266 f. 647) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 7; wohl auch BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 17; Brand/Sperling, KTS 2009, 355, 364 f.; Vallender, in: FS Ganter, 2010; S. 391, 395. Zur KO vgl. Mohrbutter, KTS 1955, 57, 58.
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gen Anwendung des § 116 Satz 2 (genauer: § 116 Satz 1, 2, § 93 Abs. 1 Satz 3) AktG,648) hergeleitet, oder sie wird auf die grundlegende Pflicht zur Förderung des Verfahrenszwecks (§ 1 InsO) gestützt.649) Überzeugend ist die zuletzt genannte Begründung. Die Stellung des Gläubigerausschusses und seine gesetzliche Funktion als Überwachungsorgan erfordern es, dass seine Mitglieder die Verschwiegenheit grundsätzlich auch gegenüber dem jeweiligen Träger der Insolvenzverwaltung wahren, sofern dies zur ordnungsgemäßen Erledigung der Aufgaben des Ausschusses erforderlich oder auch nur zweckmäßig ist. Nicht geboten ist die Vertraulichkeit allerdings, wenn der Ausschuss einen offenkundig verfahrenszweckwidrigen oder sonst rechtswidrigen oder gar nichtigen Beschluss gefasst hat oder wenn eine Offenlegung zur Abwendung eines wesentlichen Nachteils für die Gläubigergesamtheit650) oder zur Erfüllung insolvenzspezifischer Aufgaben erforderlich ist, etwa zur Ermittlung und Durchsetzung von Haftungs- oder Anfechtungsansprüchen (§ 280 InsO) oder zur wirtschaftlichen Realisierung sonstiger Massebestandteile.651)
VII. Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben im Rahmen des Verfahrenszwecks 286 die vermögensrechtlichen Interessen der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger und der absonderungsberechtigten Gläubiger wahrzunehmen (§§ 1, 71 InsO). Dieser Verantwortung können sie nur gerecht werden, wenn ihre Meinungs- und Willensbildung auf der Grundlage rechtzeitiger, sorgfältiger und sachgerechter Vorbereitung, insbesondere angemessener Informationen über alle maßgeblichen Umstände stattfindet.652) Es handelt sich hierbei um eine grundlegende Voraussetzung für die ordnungsgemäße Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen, die auch außerhalb der aktienrechtlichen Normierung (§ 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG)653) allgemein anerkannt ist.654) ___________ 648) BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 26; Frege/Nicht, ZInsO 2012, 2217, 2224. 649) BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 f. = ZIP 2008, 652; Vallender, WM 2002, 2040, 2045; wohl auch Gundlach, ZInsO 2006, 69, 70; Bruckhoff, NZI 2008, 229, 230; vgl. auch Reichard, GWR 2017, 72 (Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern als „Pendant zur Pflicht der Vorstandsmitglieder zur unbedingten Offenheit“). 650) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 283. 651) Vgl. BGH, Beschl. v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, BGHZ 162, 187, 194 = NZI 2005, 263 f. = ZIP 2005, 722 (zu den Grenzen der Schweigepflicht des insolventen Arztes gegenüber seinem Insolvenzverwalter). 652) Vgl. Frind, ZIP 2012, 1380, 1381; für den Aufsichtsrat Diekmann/Wurst, NZG 2014, 121, 125. 653) Vgl. Semler, Leitung und Überwachung der AG, 2. Aufl. 1996, Rn. 380. 654) Vgl. etwa BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, 1926 = ZIP 1997, 883; BGH, Urt. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 336 = NJW 2006, 522 = ZIP 2006, 72; BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, 224 f. Rn. 12 ff.; BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361 f. = ZIP 2008, 1675 f.; BGH, Urt. v. 13.8.2009 – 3 StR 576/08, ZIP 2009, 1854, 1857 Rn. 27 f.; BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 27, 30 = NJW 2013, 3636 = ZIP 2013, 1712; BGH, Urt. v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 Rn. 29 = NZI 2017, 521 f. = ZIP 2016, 2467. Ebenso etwa Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 52 Rn. 69.
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Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
287 Die Ausschussmitglieder sind deshalb verpflichtet, sich einzeln und gemeinsam in eigener Verantwortung und möglichst unabhängig von den Trägern der Insolvenzverwaltung ausreichende Kenntnis über alle Umstände zu verschaffen, die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben bedeutsam sein können. Dies betrifft nicht nur so grundlegende Informationen wie die periodisch aktualisierte Übersicht über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des schuldnerischen Unternehmens oder die laufende Berichterstattung über die Geschäftsführung des Masseverwalters einschließlich der Planungen und des Fortgangs etwaiger Verwertungs- oder Sanierungsbemühungen. Die Pflicht der Ausschussmitglieder zur Beschaffung angemessener Informationen erstreckt sich ebenso auf die wirtschaftlichen und rechtlichen Hintergründe dieser Geschäftsführung, ihre realistischen Chancen, Risiken und Alternativen sowie ihre absehbaren Auswirkungen auf die Befriedigung der Gläubiger und auf den sonstigen Gang des Insolvenzverfahrens.
288 Zeichnet sich die Notwendigkeit einer Mitwirkungshandlung, einer Stellungnahme oder einer sonstigen Entscheidung des Ausschusses ab, so haben seine Mitglieder rechtzeitig dafür zu sorgen, dass sie über ausreichende Entscheidungsgrundlagen verfügen. Sie haben in angemessenem Umfang alle tatsächlichen und rechtlichen Informationen heranzuziehen und auszuwerten, die zur Beurteilung des anstehenden Themas, seiner wirtschaftlichen Bedeutung und seiner rechtlichen Tragweite notwendig und geeignet sind. Dabei haben die Ausschussmitglieder sämtliche verfügbaren Informationsquellen auszuschöpfen. Selbstverständlich dürfen sie auch die Kenntnisse und den Sachverstand der Träger der Insolvenzverwaltung in Anspruch nehmen, denn diese sind ihnen gegenüber zu entsprechenden Auskünften (§§ 69, 97, 101 InsO)655) und unbedingter Offenheit verpflichtet.656) Sie dürfen deren Angaben jedoch nicht ohne Skepsis hinnehmen, sondern haben sie mit anderen Erkenntnissen, etwa Hinweisen aus dem Kreis der Gläubiger, eigenen Erfahrungen oder seriösen Presseberichten,657) abzugleichen und kritisch zu würdigen; in besonderen Ausnahmefällen ist hierbei die Nutzung externer Sachkunde zulässig.658)
289 Auch in den eigentlichen Beratungen des Ausschusses sind die zu entscheidenden Themen rechtzeitig zur Sprache zu bringen und ihrer Bedeutung entsprechend zu behandeln. Die Mitglieder haben darauf zu achten, dass sie von den Trägern der ___________ 655) Kapitel 2 D. V., Rn. 75 f. (Schuldner) sowie Kapitel 3 D. III., Rn. 244 ff. (Insolvenzverwalter); vgl. für den Aufsichtsrat Sick/Köstler, Geschäftsordnung, 2012, S. 39. 656) Vgl. Reichard, GWR 2012, 506, 508 zum Verhältnis von Aufsichtsrat und Vorstand sowie weiterem Nachweis zur Rechtsprechung. 657) Frind, ZIP 2017, 993, 996. 658) Vgl. Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Grundsätze ordnungsmäßiger Aufsichtsratstätigkeit, 2011, S. 9 Nr. 12: „Das Aufsichtsratsmitglied prüft im Einzelfall, ob der Aufsichtsrat zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Tätigkeit Sachverständige bzw. externe Beratungshilfe hinzuziehen soll. Externe Beratung bildet jedoch die Ausnahme. Generell ist auf ein eigenes Tätigwerden zur Beurteilung unternehmerischer Sachverhalte nicht zu verzichten. Die Eigenverantwortlichkeit jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds bleibt in jedem Fall unberührt.“
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H. Grundsätze ordnungsgemäßer Gläubigerausschusstätigkeit
Insolvenzverwaltung nicht ohne Not unter Zeitdruck gesetzt oder gar wegen angeblicher Dringlichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Je schwerwiegender die Auswirkungen einer Beschlussfassung sein können, desto größer muss die Sorgfalt sein, mit der die Informationsgrundlagen beschafft und alle Gesichtspunkte erörtert und geprüft werden.659) Zur Vorbereitung seiner Meinungs- und Willensbildung kann der Ausschuss im Einzelfall Arbeitsgruppen aus sachkundigen Mitgliedern bilden. Er kann ihnen allerdings keine Beschlusskompetenz zuweisen; die Entscheidung selbst obliegt stets dem gesamten Ausschuss (§ 72 InsO).
VIII. Dokumentation der Ausschusstätigkeit Die Insolvenzordnung sieht für den Gläubigerausschuss, anders als für die vom 290 Gericht geleitete Gläubigerversammlung (§ 76 Abs. 1, § 4 InsO i. V. m. § 159 ff. ZPO), keine generelle Pflicht zur Protokollierung der wesentlichen Inhalte und Ergebnisse der Sitzungen vor. Für Beschlüsse ergibt sich die Notwendigkeit der Niederschrift nach dem Gesetz nur in Fällen, in denen sich der Ausschuss gegenüber dem Gericht im schriftlichen Verfahren äußern kann oder soll (vgl. etwa §§ 56a, 66 Abs. 2, § 214 Abs. 2, § 231 Abs. 2, § 232 Abs. 1, 3, § 248 Abs. 2, § 270 Abs. 3 InsO).660) Hieraus wird in Rechtsprechung und Literatur wohl überwiegend der Schluss gezogen, dass eine allgemeine Protokollführungspflicht für den Gläubigerausschuss nicht bestehe661) oder sie allenfalls eine Obliegenheit im eigenen Interesse der Ausschussmitglieder sei.662) Diese Schlussfolgerung überzeugt nicht. Die gesetzliche Regelungslücke ist plan- 291 widrig, denn sie entspricht nicht der rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Gläubigerausschusses. Sie ist angesichts der grundlegenden Ähnlichkeit des Ausschusses mit dem Aufsichtsrat663) durch eine analoge Anwendung des § 107 Abs. 2 AktG zu schließen. Die aktienrechtliche Regelung dient dem Zweck der Beweissicherung. Sie soll gewährleisten, dass die Verhandlungen und Beschlüsse
___________ 659) Hier gilt der Grundsatz, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung umso gründlicher zu prüfen sind, je mehr ein Antragsteller auf eine rasche (gerichtliche) Entscheidung dringt; vgl. hierzu LG Kassel, Beschl. v. 20.11.2015 – 3 T 352/15, ZInsO 2015, 2569; ebenso wohl MKInsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl. 2019, § 5 Rn. 21; HambK-InsR/Rüther, 7. Aufl. 2019, § 5 Rn. 11; Uhlenbruck/Pape, InsO, 15. Aufl. 2019, § 5 Rn. 4. 660) Vgl. Obermüller, ZInsO 2012, 18, 24. 661) BGH, Urt. v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423, 425; Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 72 Rn. 5; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 72 Rn. 15; Huntemann/Brockdorff, 1999, Kap. 11 Rn. 87 (S. 311); Madaus, NZI 2015, 606 (Anm. zu AG Freiburg, Beschl. v. 11.5.2015 í 58 IN 37/15, NZI 2015, 605 f.). 662) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 72 Rn. 7; wohl auch FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 72 Rn. 12; HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 72 Rn. 3. 663) Kapitel 3 G., Rn. 267 ff.
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Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
des Aufsichtsrats in späterer Zeit nachgeprüft und festgestellt werden können.664) Diese Notwendigkeit besteht in gleicher Weise beim Gläubigerausschuss.665)
292 Insolvenzverfahren, zumal solche, in denen ein Gläubigerausschuss eingerichtet wird, dauern nicht selten mehrere Jahre, jedenfalls zumeist länger als zunächst angenommen. Ohne zeitnah erstellte und autorisierte Protokolle wären Entscheidungen und Erwägungen des Ausschusses für seine Mitglieder, aber auch für die Gläubigerversammlung666) und die Gerichte im Nachhinein nicht mehr mit der gebotenen Sicherheit nachzuvollziehen. Man wäre etwa zur Ermittlung der Beschlusslage oder zur Aufklärung haftungsbegründender Sachverhalte auf private und daher vielfach einseitig-subjektive Aufzeichnungen und Erinnerungen der Beteiligten angewiesen. Angesichts der bekannten Unzulänglichkeit des menschlichen Erinnerungsvermögens wäre unter diesen Umständen eine verantwortungsbewusste, auf eine gewisse Dauer und sachliche Kontinuität angelegte Arbeit des Ausschusses kaum möglich.
293 Das Protokoll ist von einem Mitglied des Gläubigerausschusses zu führen und zu verantworten. Die Niederschrift ist originäre Aufgabe des Ausschusses und darf nicht auf Gäste delegiert werden. Unzulässig ist deshalb die vielfach geübte Praxis, die Protokollführung einem der Masseverwalter zu überlassen;667) sie ist sinnfälliger Ausdruck der Dominanz der Träger der Insolvenzverwaltung über den Gläubigerausschuss. Das Protokoll muss zumindest den wesentlichen Verhandlungsinhalt,668) die Beschlussanträge und die Beschlüsse dokumentieren.669) Findet keine einstimmige Beschlussfassung statt, so kann jedes Mitglied beanspruchen, dass die Voten und die sie tragenden Argumente namentlich zugeordnet und protokolliert werden670) (§ 71 InsO i. V. m. § 107 Abs. 2 Satz 2 AktG analog). Jedem Mitglied ist auf sein Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Die unterzeichnete Niederschrift hat Beweisfunktion671) und darf in einem Haftungsprozess trotz grundsätzlich bestehender Verschwiegenheitspflicht verwendet werden;672) alle ___________ 664) RegE AktG, 1962, BT-Drucks. IV/171, S. 141 f. zu § 104 Abs. 2 (= § 107 Abs. 2 AktG 1965); K. Schmidt/Lutter/Drygala, AktG, 3. Aufl. 2015, § 107 Rn. 1, 30. 665) Siehe Heese, Gläubigerinformation, 2008, S. 301, der in Bezug auf die Protokollierungspflicht sogar von „einer stärkeren informatorischen Verantwortlichkeit im Insolvenzrecht“ ausgeht. 666) Vgl. Heese, Gläubigerinformation, 2008, S. 299 f., 467 f. 667) Vgl. MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 72 Rn. 7: „Protokollführer ist in der Regel der Verwalter […].“ 668) RegE AktG, 1962, BT-Drucks. IV/171, S. 142 zu § 104 Abs. 2 (= § 107 Abs. 2 AktG 1965). 669) Semler/v. Schenck/Mutter, Aufsichtsrat, 2015, § 107 Rn. 193, 198. 670) Vgl. für den Aufsichtsrat K. Schmidt/Lutter/Drygala, AktG, 3. Aufl. 2015, § 107 Rn. 32; Schürrle/ Olbers, CCZ 2010, 102, 104 f. 671) Vgl. für den Aufsichtsrat K. Schmidt/Lutter/Drygala, AktG, 3. Aufl. 2015, § 107 Rn. 30. 672) Vgl. für den Aufsichtsrat Baumann, Rechte des Aufsichtsratsmitglieds, 2017, S. 235.
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H. Grundsätze ordnungsgemäßer Gläubigerausschusstätigkeit
enthaltenen Angaben begründen die Vermutung ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit.673)
IX. Verfahrenshandlungen gegenüber dem Insolvenzgericht Erklärungen des Gläubigerausschusses gegenüber dem Insolvenzgericht, die den 294 rechtlichen Gang des Verfahrens beeinflussen sollen, insbesondere Anträge, Vorschläge, Anregungen674) oder Stellungnahmen (vgl. etwa §§ 56a, 66 Abs. 2, § 231 Abs. 2, § 232 Abs. 1, 3, § 248 Abs. 2, § 270 Abs. 3, § 270b Abs. 4 InsO), erfordern einen Beschluss des Ausschusses (§ 72 InsO). Zum Zweck der Dokumentation ist sein datierter Wortlaut dem Gericht schriftlich vorzulegen. Der Text ist in der Regel zumindest von allen zustimmenden Ausschussmitgliedern zu unterzeichnen.675) Aus ihm muss neben der Art und Weise der Abstimmung nachvollziehbar und glaubhaft hervorgehen, dass sämtliche Ausschussmitglieder im Rahmen einer mündlichen oder schriftlichen Abstimmung die Möglichkeit hatten, an der Beschlussfassung teilzunehmen, die Mehrheit der Mitglieder diese Möglichkeit wahrgenommen hat und der Beschluss mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst worden ist (§ 72 InsO). Verlangt das Gesetz einen einstimmigen Beschluss (§ 56a Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, 295 § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO), so bedarf dieser wegen der außergewöhnlich schwerwiegenden Bedeutung derartiger Voten, bei denen jegliche Manipulationsmöglichkeit ausgeschlossen werden muss, der ausdrücklichen Zustimmung sämtlicher Ausschussmitglieder;676) Stimmenthaltung oder Nichtteilnahme ist in diesem Zusammenhang als Ablehnung zu werten. Ergänzende oder nachfolgende Erklärungen, etwa Begründungen, Sachverhaltsdarstellungen oder Repliken auf Äußerungen des Antragsgegners, können auf der Grundlage einer Vollmacht der Ausschussmitglieder auch von einer Einzelperson abgegeben werden.
X. Organisation der Überwachung Aufgrund seiner Aufgaben nach § 69 Satz 1 InsO ist der Gläubigerausschuss auch 296 berechtigt, jedem Träger der Insolvenzverwaltung organisatorische Vorgaben zu machen, die zur effizienten Durchführung der Überwachung erforderlich sind; sie ___________ 673) Semler/v. Schenck/Mutter, Aufsichtsrat, 2015, § 107 Rn. 186. 674) Für den Aufsichtsrat vgl. allg. Geißler, GmbHR 2019, 861, 864. 675) Zum Sinn und Zweck des Schriftformerfordernisses im Prozessrecht vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 30.4.1997 – GmS-OGB 1/78, NJW 1980, 172; wie hier auch FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 52; Sedlak, Schutzschirmverfahren, 2017, S. 182; ähnlich MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 122 („schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle“). 676) Die abweichende Auffassung von Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 58, dass lediglich die Beschlussfähigkeit des Ausschusses nach § 72 InsO erforderlich sei, wird dieser Bedeutung nicht gerecht.
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Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
sind integraler Bestandteil seiner Auskunftsrechte.677) Er hat diese Befugnis nach pflichtgemäßem Ermessen entsprechend den Bedürfnissen des Einzelfalls auszuüben.
1.
Vorgaben zur Berichterstattung
297 Ohne ein fortlaufendes aussagekräftiges Berichtswesen ist eine aufmerksame und wirkungsvolle Überwachung der Insolvenzverwaltung von vornherein ausgeschlossen. Der Gläubigerausschuss hat deshalb durch organisatorische Vorgaben sicherzustellen, dass er sowohl periodisch als auch bei besonderen Anlässen unverzüglich und angemessen informiert wird. Zu diesem Zweck kann er die Auskunfts- und Berichtspflichten der Träger der Insolvenzverwaltung näher festlegen, insbesondere die Berichtszeiträume, die Themen sowie die Art und Weise der Informationserteilung verbindlich vorgeben.678) Wird das schuldnerische Unternehmen fortgeführt, so wird eine zumindest zweiwöchentliche Berichterstattung erforderlich sein. In sachlicher Hinsicht zu verlangen sind jedenfalls schriftliche Übersichten über Umsatz, Liquidität und Erträge einschließlich einer Planabweichungsanalyse, ferner Ausführungen zu allen Ereignissen und Entwicklungen, die Einfluss auf den wirtschaftlichen oder rechtlichen Gang des Verfahrens oder auf Entscheidungen des Ausschusses haben können. Dazu zählen je nach den Umständen auch Informationen zum Stand der Ausarbeitung eines Insolvenzplans oder zum sonstigen Fortschritt der Sanierungsbemühungen.
298 Auch die Form der Berichterstattung kann der Gläubigerausschuss vorgeben. Bereits aus Dokumentations- und Zweckmäßigkeitsgründen kommt im Regelfall die Textform in Betracht (vgl. § 90 Abs. 4 AktG, §§ 126b, 127 Abs. 1 BGB). Dies schließt nicht aus, dass die Ausschussmitglieder über eilbedürftige Vorgänge auch auf andere Weise informiert werden dürfen und sie dies verlangen können. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben darauf zu achten, dass die von ihnen beschlossenen Vorgaben eingehalten werden. Derartige Berichtsvorgaben dürfen nicht als Schikanen oder Ausdruck von Pedanterie wahrgenommen werden. Sie sind nicht dazu bestimmt, die Insolvenzverwaltung zu erschweren, sondern sind Ausdruck ordnungsgemäßer Überwachung. Sie können dem Verwalter zugleich als Mittel der Selbstkontrolle dienen.679) ___________ 677) Kapitel 2 D. V., Rn. 75 f. (Schuldner) sowie Kapitel 3 D. III., Rn. 244 ff. (Insolvenzverwalter). 678) Vgl. für den Aufsichtsrat Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) v. 7.2.2017, Abschnitt 3.4: „Die Information des Aufsichtsrats ist Aufgabe des Vorstands. Der Aufsichtsrat hat jedoch seinerseits sicherzustellen, dass er angemessen informiert wird. Zu diesem Zweck soll der Aufsichtsrat die Informations- und Berichtspflichten des Vorstands näher festlegen.“ 679) Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 1984, S. 74; im Ergebnis wohl auch Harbrecht, in: FS Beck, 2016, 255, 264, der allerdings ohne Rechtsgrundlage eine Vereinbarung zwischen Gläubigerausschuss und Insolvenzverwaltung für notwendig hält.
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H. Grundsätze ordnungsgemäßer Gläubigerausschusstätigkeit
Der Gläubigerausschuss darf aufgrund seiner Überwachungspflicht verlangen, dass 299 jeder Träger der Insolvenzverwaltung zu einer Sitzung des Ausschusses persönlich erscheint und dort den Mitgliedern Rede und Antwort steht. Derartige mündliche Erörterungen, auch Erläuterungen schriftlicher Berichte, sind zur sachgerechten Überwachung und Unterstützung häufig unerlässlich. Sie dienen nicht nur der Klärung von Folge- und Verständnisfragen, sondern sind vor allem für die Diskussion und Bewertung von Planungen einschließlich möglicher Risiken oder Alternativen von wesentlicher Bedeutung.
2.
Festlegung interner Zustimmungsvorbehalte
Rechtshandlungen, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung sind, darf je- 300 der Träger der Insolvenzverwaltung im Innenverhältnis nur mit Zustimmung des Gläubigerausschusses vornehmen (§§ 160, 164, § 276 InsO).680) Die Abgrenzung zwischen gewöhnlicher und besonders bedeutsamer Rechtshandlung unterliegt nicht der freien Beurteilung des Verwalters. Der Gläubigerausschuss ist vielmehr aufgrund seiner Überwachungsaufgabe (§ 69 Satz 1 InsO) berechtigt, gegenüber dem Verwalter durch Benennung einzelner Geschäfte oder anhand bestimmter allgemeiner Kriterien diejenigen Rechtshandlungen verbindlich festzulegen, die nach seiner Auffassung für das Verfahren so bedeutsam sind, dass er frühzeitig in den Entscheidungsprozess einbezogen werden will und sie stets nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden sollen. Diese Befugnis ist – prinzipiell nicht anders als im Fall der entsprechenden Regelung des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG681) – ein wesentliches Instrument vorbeugender Kontrolle.682) Mit ihr kann der Ausschuss masseschädlichen Maßnahmen der Insolvenzverwaltung, die möglicherweise nicht mehr rückgängig gemacht werden können, von vornherein entgegenwirken oder sie sogar verhindern.
XI. Allgemeine Reaktionspflicht des Gläubigerausschusses Das Aufsichtsrecht des Gläubigerausschusses ergäbe keinen Sinn, wenn das Über- 301 wachungsorgan bei Pflichtverletzungen eines Trägers der Insolvenzverwaltung keine Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergreifen könnte. Der Ausschuss kann zwar in einem solchen Fall nicht selbst unmittelbar in die persönliche Rechtsstel___________ 680) Einzelheiten unten Kapitel 4 F. IV., Rn. 462 ff. 681) Vgl. dazu RegE des Transparenz- und Publizitätsgesetzes, 2002, BT-Drucks. 14/8769, S. 17 zu Nr. 9 (Änderung des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG): „Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats erfordert nicht nur, dass er rechtzeitig über die vom Vorstand geplanten oder getroffenen Maßnahmen informiert wird, sondern er muss in grundlegende Entscheidungen auch eingebunden werden.“ 682) Vgl. für den Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, NZG 2007, 187, 188 Rn. 9 = ZIP 2007, 224 f.; BGH, Urt. v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, NZG 2018, 1189, 1190 f. Rn. 17 = ZIP 2018, 1923, 1925.
137
Kapitel 3 Der Gläubigerausschuss im System der Verfahrensbeteiligten
lung des jeweiligen Verwalters eingreifen. Seine Mitglieder haben jedoch alle rechtlich zulässigen Mittel in Betracht zu ziehen, die zur Verfügung stehen und nach Lage der Dinge zur Abhilfe der festgestellten Fehlentwicklung geeignet sind.683) Neben Rügen und Ermahnungen684) gehören hierzu je nach Bedeutung der Angelegenheit insbesondere Mitteilungen an das Insolvenzgericht (§ 58 InsO) oder die Stellung besonderer Anträge, etwa auf Entlassung des Insolvenzverwalters oder Sachwalters (§ 59 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO) oder auf Einberufung einer Gläubigerversammlung zur Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 75 Abs. 1 Nr. 2, § 272 Abs. 1 InsO).685)
___________ 683) BGH, Beschl. v. 21.3.2013 – IX ZR 109/10, ZIP 2013, 1235 Rn. 3 = ZInsO 2013, 986 (Poolkonto); BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 337 Rn. 29 = NZI 2015, 166, 169. m. zust. Anm. Kühne = ZIP 2014, 2242; vgl. bereits Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 88 Rn. 2; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 88 Rn. 1; ferner Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 69 Rn. 8; FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 69 Rn. 28; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 1; U. Becker, Insolvenzverwalterhaftung, 2016, S. 51; Weitzmann, in: FS Pannen, 2017, S. 757, 769. – Vgl. für den Aufsichtsrat etwa BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 253 ff. = NJW 1997, 1926 = ZIP 1997, 883; BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, NZG 2007, 187, 188 Rn. 10 ff. = ZIP 2007, 224 f. Rn. 10 ff.; BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71, 79 ff. Rn. 14, 21 = NJW 2009, 850 = ZIP 2009, 70; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, NZI 2009, 490, 491 Rn. 15 = ZIP 2009, 860; BGH, Urt. v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, NJW 2019, 596, 597 f. Rn. 15, 31 = ZIP 2018, 2117. 684) BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 337 Rn. 29 = NZI 2015, 166 = ZIP 2014, 2242. 685) Einzelheiten hierzu in Kapitel 4 G., Rn. 556 ff.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses Jedes Mitglied des Gläubigerausschusses hat seine Pflichten so zu besorgen, wie es 302 dem Interesse der Insolvenzgläubiger und der absonderungsberechtigten Gläubiger entspricht (vgl. § 71 InsO). Innerhalb seines Aufgabenkreises hat es dazu beizutragen, dass alle Möglichkeiten genutzt werden, zum Nutzen dieser Gläubigergruppen das wirtschaftliche Ergebnis des Insolvenzverfahrens zu optimieren und die insolvenzbedingten Schäden und Nachteile zu minimieren. Dabei hängt der Umfang und Inhalt seines Pflichtenkreises in der konkreten Ausprägung stets von den Besonderheiten des jeweiligen Insolvenzfalls ab. Hierzu gehören nicht nur Eigentümlichkeiten der Betriebsgröße, der Unternehmensorganisation, der Gefährlichkeit des Betriebes für Umwelt und Bevölkerung, des Wirtschaftszweigs oder der Einbindung in regionale, nationale oder internationale Zusammenhänge. In gleicher Weise sind auch die Besonderheiten der verfahrensrechtlichen Gestaltung von Bedeutung, insbesondere die Organisationsform der Insolvenzverwaltung sowie die Eignung und die Interessenlage der mit der Insolvenzverwaltung betrauten Personen. Die Insolvenzordnung regelt die Funktion und sonstige Rechtsstellung des vorläufigen 303 und endgültigen Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung im Wesentlichen durch die Verweisung auf die allgemeinen Vorschriften (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Achte Teil selbst (§§ 270 – 285 InsO) macht hierzu nur fragmentarische Angaben. Er enthält neben der Klarstellung des Mitbestimmungsrechts des Ausschusses bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (§ 276 InsO)686) lediglich einzelne Sonderregelungen über seine Mitwirkung bei der Beendigung des Schutzschirmverfahrens (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO) und bei der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 3 InsO) sowie über seine Empfangszuständigkeit für die Nachteilsanzeigen des Sachwalters (§ 274 Abs. 3 InsO). Diese Bestimmungen sind ersichtlich unvollständig. Sie geben insbesondere keine abschließende Antwort auf die Frage, welche Auswirkungen die rechtliche Konstruktion und die Missbrauchsanfälligkeit der Eigenverwaltung auf den Inhalt, den Umfang und die Intensität der Aufgaben des Gläubigerausschusses im Einzelnen haben und welcher – möglicherweise abweichende – Sorgfaltsmaßstab an die Wahrnehmung der Rechte und Pflichten seiner Mitglieder anzulegen ist.
A. Notwendigkeit eines eigenverwaltungsspezifischen Aufgaben- und Pflichtenkreises des Ausschusses Die Einsetzung eines Gläubigerausschusses ist in der Eigenverwaltung wegen der 304 Eigentümlichkeiten dieser Verfahrensvariante in aller Regel unerlässlich.687) Dabei ___________ 686) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 337 (= § 276 InsO). 687) Siehe oben Kapitel 1, Rn. 14 mit Nachweis in Fn. 23.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
sind in der Eigenverwaltung nicht nur die Gefahren für die Insolvenzmasse deutlich größer als in der Fremdverwaltung. Es sind auch anspruchsvollere und umfangreichere Aufgaben zu erfüllen. In erster Linie ergeben sich die Besonderheiten bereits aus der eigenverwaltungsspezifischen Aufspaltung der Aufgaben der Insolvenzverwaltung auf Schuldner und Sachwalter.688) Dem Schuldner ist zwar die allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Masse eingeräumt, der Sachwalter tritt aber als Überwachungsperson hinzu und hat zusätzlich eigene Mitwirkungs- und Verfügungsrechte.
305 Diese Situation stellt für die Mitglieder des Gläubigerausschusses eine augenfällige Erweiterung und Erschwernis ihrer Tätigkeit dar. Sie werden diesen Anforderungen nur genügen können, wenn ihnen das nicht leicht zu durchschauende eigenverwaltungsrechtliche Kompetenzgefüge zwischen Schuldner und Sachwalter genau bekannt ist. Ist der Schuldner ein körperschaftlich strukturierter Rechtsträger (vgl. § 11 InsO), so sind ferner die Funktionsbereiche der Akteure, einschließlich der Kontroll- und Überwachungsorgane des Schuldners, voneinander abzugrenzen. Auch diese Abgrenzung beeinflusst die Reichweite der Aufgaben und Befugnisse des Ausschusses in der Eigenverwaltung.
306 Ein weiterer gewichtiger Grund für die erhöhten Anforderungen an den Gläubigerausschuss ist die hohe Missbrauchsanfälligkeit der Eigenverwaltung, die viele Ursachen und Erscheinungsformen hat.689) Einer der wichtigsten Aspekte ist, dass der eigenverwaltende Schuldner im Vergleich zum Insolvenzverwalter insgesamt eine geringere Gewähr für die rechtliche vorrangige Verfolgung der Gläubigerinteressen (§ 1 Satz 1 InsO) bietet.690) Hinzu kommt die erhöhte Gefahr der Verschleierung und Verschleppung defizitärer Betriebsfortführungen leistungswirtschaftlich nicht zu sanierender Unternehmen; sie muss vom Gläubigerausschuss aufmerksam in Betracht gezogen werden. Missbräuchliches Verhalten kann dabei nicht alleine vom Schuldner ausgehen, sondern auch von dessen Berater oder von einem nicht unabhängigen oder sonst ungeeigneten Sachwalter.
307 Konstruktionsbedingt gefahrgeneigter als die Fremdverwaltung ist die Eigenverwaltung auch deshalb, weil der Schuldner insolvenzrechtlicher Laie ist – jedenfalls in der personellen Besetzung, die zur Insolvenz geführt hat. Ohne über entsprechende Erfahrung oder Ausbildung zu verfügen, erprobt er sich erstmalig in der Rolle eines treuhänderischen Masseverwalters. Er muss trotz der erschwerten wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen eines Insolvenzverfahrens in der Lage sein, allen unternehmerischen und insolvenzrechtlichen Anforderungen gleichermaßen zu genügen. Da in der Eigenverwaltung alle allgemeinen insolvenzrechtlichen ___________ 688) Siehe oben Kapitel 2 E., Rn. 84 und Kapitel 2 F., Rn. 104. 689) Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 690) Kapitel 2 J. II., Rn. 161 sowie IV. 2. a), Rn. 187.
140
B. Adressaten der Überwachung und Unterstützung: Schuldner und Sachwalter
Regeln, Grundsätze und Ziele unverändert gelten,691) ist der Schuldner in der Realität fast nie in der Lage, seine gesetzlichen Aufgaben ohne professionellen externen Sachverstand zu erfüllen.692) Daher führt die Heranziehung entsprechender Berater meistens nicht nur zu einer Verteuerung des Verfahrens, sondern fast zwangsläufig zu einer vom Gericht oder Gläubigerausschuss nur schwer zu kontrollierenden Nebeninsolvenzverwaltung, deren Gefahren- und Haftungspotential unterschätzt wird.693) Diese Faktoren haben maßgebliche Auswirkungen auf die Arbeitsweise, den Pflichtenkreis und den Inhalt der Tätigkeit des Gläubigerausschusses. Insbesondere die Rolle der Berater und die Einbindung von Sachwaltern in deren 308 Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk694) sowie der (häufig nur vorübergehend zu verbergende) Mangel an fachlicher oder persönlicher Eignung auf Seiten des Schuldners und seiner organschaftlichen Vertreter695) führen zu der Frage, ob Ausschussmitglieder besondere Anzeige- oder sonstige Handlungspflichten haben, wenn diese Umstände bekannt werden und Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind.696) Relevant ist dieser Gesichtspunkt bereits im Eröffnungsverfahren, wenn es um die Mitwirkung des Gläubigerausschusses bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters (§ 274 Abs. 1 i. V. m. § 56a, § 56b Abs. 2, § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO) oder bei der Anordnung der Eigenverwaltung geht (§ 270 Abs. 3 Satz 2 InsO). Lediglich bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters im Schutzschirmverfahren ist dieser Aspekt der Gläubigerautonomie durch das Vorschlagsrecht des Schuldners nach § 270b Abs. 2 InsO eliminiert. Wegen dieser besonderen Aufgaben und Umstände kann nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass sich die Tätigkeit des Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung in wesentlichen Punkten von jener in der Fremdverwaltung unterscheidet. Neben permanenten eigenverwaltungstypischen Pflichten existieren abschnittsbezogene Sonderpflichten, die zumindest in dieser spezifischen Ausprägung in der Fremdverwaltung nicht existieren. Nur mit diesem Verständnis erhält die Tätigkeit des Ausschusses einen der Eigenverwaltung angemessenen Sinn.
B. Adressaten der Überwachung und Unterstützung: Schuldner und Sachwalter An erster Stelle bedeutsam für die Bestimmung des Pflichtenkreises ist die Fest- 309 stellung, wen der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung zu überwachen und zu unterstützen hat. Die Antwort ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Die ___________ 691) Kapitel 2 A., Rn. 23. 692) Korch, ZIP 2018 109, 112; siehe auch in Kapitel 2 J. III., Rn. 164 ff. sowie den Folgeverweis in Fn. 362. 693) Hammes, NZI 2017, 233. 694) Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 ff. 695) Siehe oben Kapitel 2 G. III. 2., Rn. 135 ff. 696) Kapitel 2 D. VII., Rn. 79 f.
141
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die allgemeinen Vorschriften bezieht sich zwar zweifelsfrei auch auf § 69 InsO, wie aus § 276 InsO hervorgeht.697) Danach hat der Ausschuss im Regelverfahren den Insolvenzverwalter zu unterstützen und zu überwachen. Die Übertragung dieser Regelung auf die Eigenverwaltung hat indessen deren Charakter als besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung zu berücksichtigen, bei der die gesetzlichen Aufgaben des Insolvenzverwalters aufgespalten und teils dem Schuldner, teils dem Sachwalter, teils beiden gemeinsam zugewiesen sind. An der Insolvenzverwaltung wirken hier somit zwei Träger mit.698)
I.
Schuldner als erster Adressat
310 Im Schrifttum besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung die Geschäftsführung des Schuldners umfassend zu überwachen und zu unterstützen hat, weil dieser den überwiegenden Teil der Aufgaben eines Insolvenzverwalters wahrnimmt.699) Dass der Schuldner nach § 274 Abs. 2 InsO zusätzlich vom Sachwalter überwacht wird, ändert hieran nichts; denn gerade der an eigenen Interessen orientierte Laienverwalter bedarf der besonderen Aufmerksamkeit der Gläubiger.700) Dies wird durch den Grundgedanken der §§ 276, 276a InsO bestätigt. Wenn das Gesetz in diesen Vorschriften den eigenverwaltenden Schuldner in gleicher Weise wie den externen Insolvenzverwalter an die Mitbestimmungsrechte des Gläubigerausschusses bindet, geht es ersichtlich davon aus, dass die wirtschaftlichen Maßnahmen des Schuldners nicht allein vom Sachwalter, sondern ebenfalls vom Gläubigerausschuss zu überwachen sind.701) Ein allgemeiner Vertrauensgrundsatz, demzufolge die Ausschussmitglieder davon ausgehen dürfen, dass der Sachwalter den Schuldner hinreichend überwacht,702) existiert nicht und lässt sich aus dem Gesetz nicht herleiten. ___________ 697) Ebenso KPB-InsO/Pape, 28. EL. 03.2007, § 276 Rn. 1, 4; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 276 Rn. 18, 20 21 f.; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 276 Rn. 1; Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, Kap. 24 Rn. 71; Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 123; Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 14 Rn. 23. 698) Einzelheiten oben in Kapitel 2 D., Rn. 52 ff., E. V., Rn. 97 ff. 699) MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 276 Rn. 18; KPB-InsO/Pape, 28. EL. 03.2007, § 276 Rn. 12; vgl. Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 276 Rn. 2; Uhlenbruck/ Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 13; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 1, 12, 14 f.; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 274 Rn. 5; Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, Kap. 24 Rn. 71 f.; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 112 f.; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 8; ebd. Ampferl, § 14 Rn. 22; Grotebrune, Haftung, 2018, S. 337 ff. 700) Vgl. Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 276 Rn. 2; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1181. 701) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 333 (= § 272 InsO), S. 224 zu § 337 (= § 276 InsO); RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 (zu Nr. 47, Einfügung eines § 276a InsO). 702) So jedoch Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 116.
142
B. Adressaten der Überwachung und Unterstützung: Schuldner und Sachwalter
Abzulehnen ist die Auffassung, wonach der Gläubigerausschuss den Schuldner nur 311 in solchen Bereichen zu überwachen habe, in denen keine Aufsicht des Sachwalters stattfinde, und er sich im Übrigen lediglich durch geeignete Maßnahmen vergewissern müsse, dass der Sachwalter seine Überwachungspflichten ordnungsgemäß erfülle.703) Dieses Verständnis, für das sich allenfalls Kostengründe anführen lassen, wird dem gesetzlichen Modell der Gläubigerautonomie und der unabhängigen Rolle des Gläubigerausschusses nicht gerecht. Aus der Gesetzgebungsgeschichte der Eigenverwaltung geht nicht ansatzweise hervor, dass durch die Einführung des Sachwalters als Aufsichtsperson die Aufgaben des Gläubigerausschusses reduziert werden sollten.704) Vorbild für die Konzeption der Eigenverwaltung und die Funktion des Sachwalters waren die entsprechenden Regelungen der früheren Vergleichsordnung.705) Dem Vergleichsverwalter oblag ebenfalls die Aufgabe, die Geschäftsführung des (grundsätzlich weiterhin verfügungsberechtigten) Schuldners zu überwachen (§ 39 VerglO). Ergänzend sah das Gesetz die Befugnis des Gerichts vor, zur Unterstützung und Überwachung des Vergleichsverwalters einen Gläubigerbeirat einzusetzen (§ 44 Abs. 1 VerglO), dessen Mitglieder ihrerseits berechtigt waren, die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners und des Vergleichsverwalters einzusehen und Aufklärung über sich hierbei ergebende Fragen zu verlangen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 VerglO).706) Damit unterlag auch die Geschäftsführung des Schuldners uneingeschränkt und unabhängig von der Rolle des Vergleichsverwalters der Kontrollbefugnis des Gläubigerbeirats. Dementsprechend haben auch in der Eigenverwaltung die Aufsichtsfunktionen des Sachwalters nicht den gesetzlichen ___________ 703) So etwa BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 23c; wohl auch Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 116; Pape/Schultz, ZIP 2016, 506, 514 für den vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren; anders wohl noch Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, Kap. 24 Rn. 71 f. 704) Siehe insbesondere die lapidare Begründung zu § 276 Satz 1 InsO (RegE InsO, 1992, BTDrucks. 12/2443, S. 224 zu § 337 = § 276 InsO): „Es wird klargestellt, daß die Geschäfte, die im Regelinsolvenzverfahren an die Zustimmung des Gläubigerausschusses gebunden sind, auch im Falle der Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Sachwalters nur mit Zustimmung des Gläubigerausschusses vorgenommen werden dürfen.“ Diese Klarstellung setzt die umfassende Kontrollaufgabe des Ausschusses als selbstverständlich voraus. 705) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 100: „Im Falle der Eigenverwaltung steht dem Schuldner ein Sachwalter zur Seite, dessen Aufgaben im wesentlichen denen des heutigen Vergleichsverwalters entsprechen. Anders als ein solcher hat der Sachwalter auch das Recht der Insolvenzanfechtung.“ Ebd., S. 223 (Vorbemerkung zur Eigenverwaltung): „Der Gesetzentwurf schafft daher in Anlehnung an das Modell der Vergleichsordnung die Möglichkeit, das Insolvenzverfahren im Wege der Eigenverwaltung unter Aufsicht durchzuführen.“ Ferner ebd., S. 224 zu § 335 (= § 274 InsO). 706) § 44 Abs. 1 Satz 1 VerglO: „Zur Unterstützung und Überwachung des Vergleichsverwalters kann das Gericht einen Gläubigerbeirat bestellen, wenn der besondere Umfang des Unternehmens des Schuldners dies geboten erscheinen lässt.“ – § 45 Abs. 1 Satz 1 VerglO: „Die Mitglieder des Gläubigerbeirats sind berechtigt, die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners und des Vergleichsverwalters einzusehen und Aufklärung über hierbei sich ergebende Fragen zu verlangen.“
143
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
Zweck, die Zuständigkeiten des Gläubigerausschusses teilweise zu verdrängen oder entbehrlich werden zu lassen. Sie dienen vielmehr dazu, den Mangel an Unabhängigkeit des eigenverwaltenden Schuldners gegenüber den Interessen der Gläubiger und seine insolvenzrechtliche Inkompetenz auszugleichen.707) Es ist und bleibt nach den gesetzgeberischen Motiven auch hier Aufgabe des Ausschusses, den ständigen Einfluss der Gläubiger auf sämtliche betriebswirtschaftlich orientierten Entscheidungen über die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse sowie auf den zielgerichteten Ablauf des Verfahrens sicherzustellen.708)
312 Rechtlicher Träger dieser operativen Geschäftsführung sind in der Eigenverwaltung der Schuldner und im Fall des § 276a InsO dessen organschaftliche Vertreter.709) Es ist mit der grundlegenden gesetzlichen Funktion des Gläubigerausschusses unvereinbar, wenn seine Überwachungstätigkeit gegenüber dem Schuldner durch Zwischenschaltung des Sachwalters eingeschränkt und der Ausschuss damit von der unmittelbaren Kontrolle des Schuldners als des primären Masseverwalters auch nur teilweise ausgeschlossen wird. Dies gilt umso mehr, als es grundsätzlich nicht Aufgabe des Sachwalters ist, die Zweckmäßigkeit geschäftlicher Entscheidungen des Schuldners zu beurteilen, solange diese nicht einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen. Hierzu ist allein der Gläubigerausschuss berechtigt.
II. Sachwalter als zweiter Adressat 313 In der Eigenverwaltung zählt es zu den Aufgaben der Gläubigerausschussmitglieder, nicht allein die Geschäftsführung des Schuldners, sondern zusätzlich die gesamte Tätigkeit des Sachwalters, wie sie in seinen gesetzlichen Zuständigkeiten umschrieben ist, zu überwachen und zu unterstützen (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 69 InsO).710) Dies mag denjenigen, die den Sachwalter als reinen Kontrolleur betrachten,711) unnötig und unwirtschaftlich erscheinen, weil er bereits unter der Rechtsaufsicht des Insolvenzgerichts steht (§ 274 Abs. 1 i. V. m. § 58 InsO). Dabei wird jedoch verkannt, ___________ 707) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 zu § 331 (= § 270 InsO). 708) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 zu § 78 (= § 67 InsO); siehe auch Kapitel 1, Rn. 1 ff. 709) Zur Eigenverwaltung durch das Management siehe Kapitel 2 D. I. 2., Rn. 65. 710) Ebenso MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 276 Rn. 21; KPB-InsO/Pape, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 13, 30, 33 und § 276 Rn. 12; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 13; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 69 Rn. 29; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 274 Rn. 5; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1021 ff.; Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, Kap. 24 Rn. 71; Buchalik/Haarmeyer, Gläubigerausschuss, 2014, S. 51; Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 14 Rn. 5; Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 114 m. w. N. in Fn. 189, Schnieders, ebd. F Rn. 116; Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 96; Häsemeyer, in: FS Schilken, 2015, S. 693, 694; de Bruyn, Der vorläufige Gläubigerausschuss, 2015, Rn. 466; Madaus, KTS 2015, 115, 134; Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 329. 711) Vgl. oben Kapitel 2 E. I., Rn. 85 und Nachweis in Fn. 173.
144
B. Adressaten der Überwachung und Unterstützung: Schuldner und Sachwalter
dass der Sachwalter durch die Mitwirkungsregelung des § 275 Abs. 1 InsO ständig und mitverantwortlich in die laufende Geschäftsführung des eigenverwaltenden Schuldners eingebunden ist. In Teilbereichen nimmt er sogar unmittelbar Aufgaben eines Insolvenzverwalters wahr, beispielsweise bei der Anmeldung und Prüfung von Insolvenzforderungen (§ 270c Satz 2, § 283 Abs. 1 InsO), bei der Ermittlung und Durchsetzung von Haftungs- und Anfechtungsansprüchen (§ 280 InsO) sowie im Fall der Übernahme der Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO).712) Deshalb überzeugt eine vereinzelt vertretene abweichende Auffassung nicht, wonach die Überwachungs- und Unterstützungspflicht des Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung nur im Verhältnis zum Schuldner bestehe.713) Dies würde dazu führen, dass abweichend von der Fremdverwaltung wesentliche Bereiche der Masseverwaltung der Überwachung durch den Gläubigerausschuss entzogen wären. Das aber kann in einer Verfahrensvariante, die schon prinzipiell mit besonderen Gefahren für die Gläubiger verbunden ist,714) nicht dem Sinn und Zweck des § 69 Satz 1 InsO entsprechen. Zwar ist der Wortlaut des § 69 InsO in diesem Zusammenhang unergiebig, da nur 314 von der Geschäftsführung des Insolvenzverwalters die Rede ist. In der Eigenverwaltung sind jedoch sowohl der Schuldner als auch der Sachwalter „geschäftsführend“ tätig. Beide zusammen sind Träger der Insolvenzverwaltung und nehmen, wenn auch mit verteilten Rollen, teils allein, teils gemeinsam, die gesetzlichen Aufgaben des Insolvenzverwalters wahr.715) Nur wenn man diese Besonderheit der Eigenverwaltung berücksichtigt (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), wird dem aus dem Konkursrecht übernommenen Normzweck des § 69 InsO Geltung verschafft, der darauf abzielt, den ständigen Einfluss des Gläubigerausschusses auf den gesamten Ablauf des Verfahrens sicherzustellen.716) Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn sich Überwachung und Unterstützung 315 des Ausschusses auf sämtliche Tätigkeiten der masseverwaltenden Geschäftsführung erstrecken, unabhängig davon, ob im Einzelfall ein Insolvenzverwalter, der Schuldner oder ein Sachwalter zuständig ist. Andernfalls ergäben sich in der Eigenverwaltung Überwachungslücken in jenen Bereichen, in denen das Gesetz dem Sachwalter eigene Verwertungs- oder Verwaltungsbefugnisse zugewiesen hat.
___________ 712) Einzelheiten oben Kapitel 2 E. V., Rn. 97 ff. 713) Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 125 mit unzutreffenden Nachw. in Fn. 206; Graeber, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 2017, 3. Teil § 10 Rn. 22. 714) Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 715) Kapitel 2 E., Rn. 84 ff; Kapitel 2 F., Rn. 108 f., Thesen 4 und 5. Im Ergebnis ebenso Kessler, Aktiengesellschaft, 2006, S. 95 sowie Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 326. 716) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 126 – Vorbemerkung zu § 65 (= § 56 InsO), S. 131 zu § 78 (= § 67 InsO).
145
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
316 Überwachungsfrei wäre insbesondere das Verhalten des Sachwalters bei der Verwirklichung von Anfechtungs- und Haftungsansprüchen nach § 280 InsO, bei der nicht nur Rechtmäßigkeits-, sondern auch Zweckmäßigkeitserwägungen eine Rolle spielen. Diese Ansprüche stellen regelmäßig einen beträchtlichen Teil der Insolvenzmasse dar und haben deshalb einen hohen wirtschaftlichen Stellenwert. Gerade hier besteht eine erhebliche Missbrauchsgefahr.717) Typischerweise richten sich die Ansprüche nach § 280 InsO nämlich gegen Personen aus der Sphäre des Schuldners oder beruhen jedenfalls auf einem Verhalten des Schuldners, das die Gläubiger benachteiligt hat.
317 Wenn die Bestellung des Sachwalters direkt oder indirekt auf einem Vorschlag des Schuldners bzw. dessen Berater zurückgeht,718) gibt es für ihn vielfältige sachfremde Gründe, solche Ansprüche nicht geltend zu machen oder offenzulegen. Hierzu gehört vor allem die Erwartung, im Falle des Wohlverhaltens von den Sanierungsberatern in anderen Verfahren erneut als Sachwalter vorgeschlagen zu werden. Ohne eine vollständige Überwachung der Verwertungstätigkeiten des Sachwalters nach § 280 InsO hinge es allein von dessen persönlicher Integrität und Unabhängigkeit ab, ob eine durchgreifende Haftungsverwirklichung in der Eigenverwaltung erfolgt. Weitere Überwachungslücken ergäben sich, wenn der Sachwalter von seinem Recht zur Übernahme der Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO) Gebrauch macht.719) Auch in diesem Fall muss die Prüfung des Zahlungsverkehrs und Geldbestandes (§ 69 Satz 2 InsO) durch den Gläubigerausschuss ausnahmslos sichergestellt sein.
318 Die Richtigkeit dieser Überlegungen wird auch hier durch die entsprechende Regelung der früheren Vergleichsordnung bestätigt, die bei der gesetzgeberischen Konzeption der Eigenverwaltung und der Funktion des Sachwalters weitgehend als Vorbild gedient hat.720) Dem im Vergleichsverfahren gerichtlich eingesetzten Gläubigerbeirat oblag es ausdrücklich, den Vergleichsverwalter bei seiner Tätigkeit zu unterstützen und zu überwachen (§§ 44, 45 VerglO). Diese Kompetenzzuweisung entsprach nach allgemeiner Auffassung den Aufgaben des Gläubigerausschusses im Konkursverfahren. Der Gläubigerbeirat hatte gegenüber dem Vergleichsverwalter die gleiche Rechtsstellung wie der Gläubigerausschuss gegenüber dem Konkursverwalter. Die Unterstützungs- und Überwachungspflicht des Beirats bezog sich ___________ 717) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 87, 256 = BT-Drucks. 19/4880, S. 127, 296. 718) Zum Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk siehe Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 f. 719) Kapitel 2 E. V. 1., Rn. 98. 720) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 100: „Im Falle der Eigenverwaltung steht dem Schuldner ein Sachwalter zur Seite, dessen Aufgaben im wesentlichen denen des heutigen Vergleichsverwalters entsprechen. Anders als ein solcher hat der Sachwalter auch das Recht der Insolvenzanfechtung.“ Ebd., S. 223 (Vorbemerkung zur Eigenverwaltung): „Der Gesetzentwurf schafft daher in Anlehnung an das Modell der Vergleichsordnung die Möglichkeit, das Insolvenzverfahren im Wege der Eigenverwaltung unter Aufsicht durchzuführen.“
146
B. Adressaten der Überwachung und Unterstützung: Schuldner und Sachwalter
auf den gesamten Aufgabenbereich des Vergleichsverwalters.721) Die Materialien zur Insolvenzordnung enthalten keinen Anhaltspunkt, der darauf hindeutet, dass der Gesetzgeber beim Verhältnis des Gläubigerausschusses zum Sachwalter von diesem anerkannten Grundsatz abweichen wollte.
III. Aufgabenabgrenzung bei der Mehrfachaufsicht durch Sachwalter und Gläubigerausschuss Auf den ersten Blick weist das Gesetz dem Gläubigerausschuss und dem Sachwal- 319 ter in der Eigenverwaltung in weiten Bereichen die gleiche Aufgabe zu: jeder von ihnen soll die Geschäftsführung des eigenverwaltenden Schuldners überwachen (§ 69 Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO). Diese scheinbare Verdoppelung der Kontrollaufgaben wird verständlich, wenn man sich die gesetzliche Grundkonzeption der Eigenverwaltung vergegenwärtigt. Der Schuldner nimmt nicht die gesamten Aufgaben der Insolvenzverwaltung wahr, sondern diese Aufgaben sind auf ihn und den Sachwalter verteilt; der Schuldner soll schwerpunktmäßig die laufenden operativen Geschäfte der Masseverwaltung einschließlich der Entwicklung und Umsetzung eines Sanierungskonzepts durchführen, während der Sachwalter seine Aufmerksamkeit darauf zu richten hat, dass der Schuldner hierbei die spezifisch insolvenzrechtlichen Aspekte und Einschränkungen seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse beachtet.722) Der Sachwalter hat demnach durch seine Überwachung hauptsächlich die Konsequenzen der insolvenzrechtlichen Inkompetenz und fehlenden Unabhängigkeit des Schuldners auszugleichen und darauf zu achten, dass den Gläubigern hierdurch kein Nachteil entsteht (§ 274 Abs. 3 InsO), also nachteilige Auswirkungen frühzeitig erkannt, verhütet oder möglichst gering gehalten werden.723) Diese Überwachung ist im Kern eine sehr intensive Rechtsaufsicht. Mit ihr soll – 320 soweit möglich, wenn auch nicht ausschließlich, zukunftsorientiert und (ausnahmsweise) in begleitender Beratung,724) im Übrigen durch unverzügliche Intervention, Beanstandung und Nachteilsanzeige – die feste Bindung der schuldnerischen Geschäftsführung an den gesetzlichen Verfahrenszweck (§ 1 InsO) und die sonstigen insolvenzrechtlichen Regelungen einschließlich der Anordnungen des Insolvenzgerichts und der zulässigen Vorgaben der Gläubigerversammlung gewährleistet werden. Die permanente Überwachung durch den Sachwalter hat sich dabei, wie sich aus ___________ 721) BGH, Urt. v. 26.5.1994 – IX ZR 39/93, NJW 1994, 3102, 3106 = ZIP 1994, 1121, 1126 f.; Bley/Mohrbutter, VerglO, 4. Aufl. 1979, § 44 Rn. 1, 2; Uhlenbruck, BB 1976, 1198, 1201 f. 722) Siehe hierzu oben Kapitel 2 B., Rn. 38 ff.; insbesondere auch RegE InsO, 1992, BTDrucks. 12/2443, S. 223 zu § 331 (= § 270 InsO). 723) Hierzu bereits oben Kapitel 2 E. III., Rn. 90 ff. 724) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 247 f. Rn. 71 ff. = NZI 2016, 796, 801; BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 966 Rn. 62 ff = ZIP 2016, 1981.
147
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
§ 274 Abs. 2 Satz 1 und § 275 Abs. 1 InsO ergibt, intensiv und umfassend auf alle Bereiche der schuldnerischen Insolvenzverwaltung zu erstrecken; selbst das kleinteilige Tagesgeschäft ist zu kontrollieren, so dass sich die Prüfungsintensität des Sachwalters von der eines Insolvenzverwalters, der in der Fremdverwaltung den schuldnerischen Betrieb fortführt, kaum unterscheidet.725) Etwas anderes ergibt sich entgegen einer sehr vereinzelt vertretenen Ansicht726) auch nicht aus § 272 InsO.
321 Demgegenüber hat die Überwachungstätigkeit des Gläubigerausschusses sicherzustellen, dass das Insolvenzverfahren ordnungsgemäß, wirtschaftlich und zweckmäßig zu einer bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger führt. Da allerdings in der Eigenverwaltung zwei Träger der Insolvenzverwaltung existieren, muss die überwachende Aufmerksamkeit der Ausschussmitglieder die Tätigkeit beider Akteure im Blick haben.727)
322 Mit dieser wesentlichen Modifikation hat der Gläubigerausschuss auf der Grundlage zulässiger Beschlüsse der Gläubigerversammlung den wirtschaftlichen Ablauf des Verfahrens und die hierfür bedeutsamen Entscheidungsprozesse und Maßnahmen vorausschauend, überwachend und unterstützend zu begleiten, an ihnen sachkundig mitzuwirken sowie alle Entwicklungen zu beobachten, die der Erreichung des Verfahrenszwecks zuwiderlaufen könnten. Sieht man von der delegationsfähigen Kassenprüfung ab (§ 69 Satz 2 InsO), die unter Umständen eine detaillierte Befassung mit Geschäftsvorfällen jeder Art und Größenordnung erfordert, sind die Ausschussmitglieder nicht verpflichtet, das Tagesgeschäft des Schuldners in seinen Einzelheiten zu beobachten. Dies obliegt allein dem Sachwalter. Der Gläubigerausschuss hat insoweit lediglich darauf zu achten, dass der Sachwalter die Überwachung des Schuldners und die Mitwirkung an dessen Masseverwaltung sachgerecht organisiert hat und sie mit der gebotenen Intensität und Sorgfalt zum Nutzen der Gläubiger wahrnimmt.
323 Seine wesentliche Aufmerksamkeit hat der Gläubigerausschuss auf diejenigen Angelegenheiten zu richten, die sich auf das Ergebnis des Insolvenzverfahrens erheblich und substantiell auswirken können. Soweit dem Sachwalter darüber hinaus eigene originäre gesetzliche Aufgaben der Insolvenzverwaltung obliegen, hat der Gläubigerausschuss deren pflichtgemäße Wahrnehmung in gleicher Weise unmit___________ 725) Vgl. exemplarisch KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 07.2012, § 274 Rn. 71, 73; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 274 Rn. 48 – 50; HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 274 Rn. 10; Rattunde/ Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 308, 311, 318 – 322; wohl auch Lau, DB 2014, 1417, 1420; HedaiatRad, Sachwalter, 2018, Rn. 174. 726) Buchalik/Haarmeyer, Der (vorläufige) Gläubigerausschuss, 4. Aufl. 2016, S. 59; Haarmeyer, in: FS Pannen, 2017, S. 371, 375. Diese Ansicht verfolgt augenscheinlich den Zweck, die Grundlage für ein „Kleinrechnen“ der Sachwaltervergütung zu schaffen, um größere Spielräume für externe Beratungshonorare zu gewinnen. Zutreffend dagegen früher Haarmeyer/ Wutzke/Förster/Buchalik, InsO, 2. Aufl. 2012, § 274 Rn. 9. 727) Kapitel 4 B., Rn. 309 ff.
148
C. Bestimmung des zu überwachenden Funktionsbereichs
telbar zu überwachen und zu unterstützen, wie dies in der Fremdverwaltung im Verhältnis zum Insolvenzverwalter geboten wäre.
C. Bestimmung des zu überwachenden Funktionsbereichs In der Insolvenz körperschaftlich strukturierter Rechtsträger (vgl. § 11 InsO) ist im 324 Grenzbereich zwischen Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht eine Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den Trägern der Insolvenzverwaltung und den Organen des schuldnerischen Rechtsträgers notwendig. Die gesellschaftsrechtliche Autonomie der Anteilsinhaber wird verdrängt, soweit dies durch den insolvenzrechtlichen Verfahrenszweck (§ 1 InsO) geboten ist.728) Sie wird weitgehend durch die Kompetenzen des Insolvenzverwalters überlagert.729) Hierzu hat schon zu Zeiten der Konkursordnung Friedrich Weber730) die inzwischen allgemein anerkannte Lehre von der Dreiteilung der Funktionsbereiche entwickelt. Sie gilt auch im heutigen Insolvenzverfahren731) und ist zugleich Ausgangspunkt für die Frage, auf welche Bereiche die Mitglieder des Gläubigerausschusses ihre Tätigkeit zu erstrecken haben.
325
Im Fall der Fremdverwaltung wird unterschieden zwischen
dem Verwalter-Verdrängungsbereich, der alle Angelegenheiten umfasst, die das insolvenzbefangene Vermögen der Gesellschaft betreffen und damit in den gesetzlichen Aufgabenkreis des Insolvenzverwalters fallen; in ihm verdrängt die Alleinzuständigkeit des Insolvenzverwalters jegliche Kompetenzen der Gesellschaftsorgane;732)
dem (insolvenzfreien) Schuldnerbereich, der neben den verfahrensrechtlichen Befugnissen und Pflichten, die dem Schuldner nach den allgemeinen Vorschriften außerhalb der Eigenverwaltung zugewiesen sind, diejenigen Angelegenheiten umfasst, die nicht die Insolvenzmasse betreffen oder jedenfalls keine nachteiligen Auswirkungen auf sie haben können. In ihm sind ausschließlich die Organe des schuldnerischen Rechtsträgers zuständig; hierzu gehören nach den allgemeinen Regeln in der Fremdverwaltung u. a. die Bestellung und Abberufung organschaftlicher Vertreter, die Regelung ihrer Vertretungsbefugnis sowie die Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern;733)
___________ Vgl. Finke, Kollision, 2011, S. 21, 239. Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 264 Rn. 8. F. Weber, KTS 1970, 73 ff; hierzu Finke, Kollision, 2011, S. 69 ff., 86 (kritisch). MK-InsO/Ott/Vuia, 3. Aufl. 2013, § 80 Rn. 111 – 115b; MK-AktG/J. Koch, AktG, 4. Aufl. 2016, § 264 Rn. 44 ff.; Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 264 Rn. 10 m. w. N.; Finke, Kollision, 2011, S. 23, 68 – 86; Wellensiek/Flitsch, in: FS Fischer, 2008, S. 579 ff. 732) F. Weber, KTS 1970, 73, 77. 733) RG, Urt. v. 6.5.1911 – I 164/10, RGZ 76, 244, 247; BayObLG, Beschl. v. 10.3.1988 – BReg. 3 Z 125/87, ZIP 1988, 1119 ff. = NJW-RR 1988, 929; OLG Köln, Beschl. v. 11.7.2001 – 2 Wx 13/01, ZIP 2001, 1553 ff. 728) 729) 730) 731)
149
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
I.
dem Überschneidungsbereich, für den die Gesellschaftsorgane nur gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter zuständig sind.734)
Funktionsbereiche in der Eigenverwaltung
326 Dieses Schema der Teilung der Funktionsbereiche gilt grundsätzlich auch in der Eigenverwaltung. Da hier die Aufgaben der Insolvenzverwaltung auf den eigenverwaltenden Schuldner und den Sachwalter aufgespalten sind, ist jedoch der dem Verwalter zugeordnete Verdrängungsbereich auf Schuldner und Sachwalter aufzuteilen.
1.
Sachwalter-Verdrängungsbereich
327 Der Sachwalter-Verdrängungsbereich enthält alle Aufgaben, die das Gesetz dem Sachwalter zuteilt. In ihm stehen weder dem schuldnerischen Rechtsträger insgesamt noch einzelnen seiner Organe Befugnisse zu. Hierzu zählen:735)
der Antrag auf Aufhebung eines dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger widersprechenden Beschlusses der Gläubigerversammlung (§ 78 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO),736)
die Geltendmachung von Auskunfts- und Mitwirkungsrechten gegenüber dem eigenverwaltenden Schuldner (§§ 97, 98, 101 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 2, § 22 Abs. 3 InsO),
die Beantragung und Vollziehung einer Postsperre (§ 99 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO),
die Siegelung (§ 150 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO),
der Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung des Schuldners hinsichtlich der Vollständigkeit der von ihm erstellten Vermögensübersicht (§ 153 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO),
der Antrag, dem Schuldner die Stilllegung oder Veräußerung des Unternehmens zu untersagen (§ 158 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO),737)
die Entgegennahme und Vorprüfung der Forderungsanmeldungen (§ 270c Satz 2, § 175 Abs. 1 – 3 InsO), ihre datentechnische Erfassung und Verarbeitung (§ 175
___________ 734) BayObLG, Beschl. v. 10.3.1988 – BReg. 3 Z 125/87, ZIP 1988, 1119, 1121 = NJW-RR 1988, 929; Finke, Kollision, 2011, S. 24. 735) Vgl. die Aufzählung bei Finke, Kollision, 2011, S. 142 f. 736) BGH, Beschl. v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, NZI 2017, 758 Rn. 7 = ZIP 2017, 1377; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 859; Finke, Kollision, 2011, S. 140. 737) Str., zust. Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 146 f., 224; abl. Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1045 – 1049; ihm folgend Finke, Kollision, 2011, S. 135 – 138, jedoch widersprüchlich zur dortigen Zusammenfassung auf S. 143; Jaeger/Eckardt, InsO, 2018, § 158 Rn. 10.
150
C. Bestimmung des zu überwachenden Funktionsbereichs
Abs. 1 InsO) sowie die anschließende Tabellenführung, soweit sie nicht nach dem Gesetz vom Insolvenzgericht zu erledigen ist,738)
die allgemeine Kontroll- und Überwachungspflicht nach § 274 Abs. 2 InsO,
das Recht zur Übernahme der Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO),
die Geltendmachung der von § 280 InsO direkt oder analog umfassten Anfechtungs- und Haftungsansprüchen739) sowie
die alleinige Kompetenz zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 285 InsO).
2.
Eigenverwaltungs-Verdrängungsbereich
Der Eigenverwaltungs-Verdrängungsbereich740) schließt alle Angelegenheiten ein, 328 welche die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse betreffen, soweit sie nicht in die vorrangige Zuständigkeit des Sachwalters fallen oder in anderer Weise mit Wirkung nach außen beschränkt sind. Er entspricht somit grundsätzlich dem gesetzlichen Aufgabenkreis des Insolvenzverwalters in der Fremdverwaltung,741) soweit nicht Kompetenzen des Sachwalters bestehen.742) Dort ist durchweg das Vertretungsorgan des schuldnerischen Rechtsträgers im internen Einvernehmen mit dem Sachwalter (§ 275 Abs. 1, § 279 Satz 2, § 282 Abs. 2 InsO) zuständig. Die übrigen gesellschaftsrechtlichen Organe und die einzelnen Anteilsinhaber dürfen nach § 276a Satz 1 InsO keinen Einfluss auf die Wahrnehmung dieser Aufgaben nehmen.743) In diesen Bereich fallen auch Satzungsänderungen, die nicht allein die innere Ord- 329 nung des schuldnerischen Rechtsträgers betreffen, sondern nachteilige Auswirkungen auf Bestand oder Wert der Insolvenzmasse haben können, etwa Beschlüsse zur Änderung der Firma oder des Unternehmensgegenstandes. Gleiches gilt für Beschlüsse über eine gesellschaftsrechtliche Umwandlung (Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel). Solche Beschlüsse betreffen die insolvenzbezogene Geschäftsführung des eigenverwaltenden Schuldners im Sinne des § 276a Satz 1 InsO und stehen deshalb nur noch dem Vertretungsorgan im Einvernehmen mit dem Sachwalter zu. ___________ 738) Allg. M., vgl. z. B. MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270c Rn. 6; BeckOK-InsO/Plaßmeier/ Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270c Rn. 5; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270c Rn. 5; Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 232 m. w. N. in Fn. 410. 739) Siehe oben Kapitel 2 E. V. 2., Rn. 102. 740) Er wird gelegentlich auch als „Schuldnerbereich“ bezeichnet (vgl. z. B. Klöhn, DB 2013, 41, 44), darf aber nicht mit dem aus der Fremdverwaltung bekannten insolvenzfreien Schuldnerbereich verwechselt werden. 741) Klöhn, DB 2013, 41 ff. spricht vom „Grundsatz der Gleichstellung“. 742) Vgl. ausführlich Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 724 ff.; Finke, Kollision, 2011, S. 144 – 154. 743) Siehe dazu unten Kapitel 4 E. II. 2., Rn. 371 ff.
151
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
3.
Überschneidungsbereich
330 Dem sog. Überschneidungsbereich sind diejenigen Befugnisse zuzuordnen, für welche die nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regeln berufenen Organe des schuldnerischen Rechtsträgers nur gemeinsam mit dem Sachwalter zuständig sind. Hierzu gehören beispielsweise die Bestellung und Abberufung der Mitglieder der Geschäftsleitung nach § 276a Satz 2 InsO, Rechtsgeschäfte, für die ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet ist (§ 277 Abs. 1 InsO), die Ausübung des Erfüllungswahlrechts bei bestimmten arbeitsrechtlichen Befugnissen (§ 279 Satz 3 i. V. m. §§ 120, 122, 126 InsO)744) und die Einigung über das Stimmrecht (§ 77 Abs. 2 Satz 1 InsO).745)
4.
Keine Überwachung des insolvenzfreien Schuldnerbereichs
331 Der insolvenzfreie Schuldnerbereich, für den ausschließlich die jeweils nach Gesetz und Satzung regulär maßgeblichen Organe des schuldnerischen Rechtsträgers zuständig sind, umfasst ebenso wie in der Fremdverwaltung zum einen die verfahrensbezogenen Rechte und Pflichten, die dem Schuldner nach den allgemeinen insolvenzrechtlichen Vorschriften außerhalb der Befugnis zur Eigenverwaltung zugewiesen sind, sowie zum anderen diejenigen Angelegenheiten, die nicht die Insolvenzmasse betreffen oder jedenfalls unter keinem rechtlichen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkt nachteilige Auswirkungen auf sie haben können.
332 Beispiele für Angelegenheiten ohne Bezug zur Insolvenzmasse sind etwa:
die Einberufung der Versammlung der Anteilsinhaber ohne Kostenbelastung der Masse,
die Zustimmung zur Übertragung von Geschäftsanteilen oder Namensaktien,
die Bestellung und Abberufung von Mitgliedern des gesellschaftsrechtlichen Aufsichtsorgans (es ist von der Regelung des § 276a InsO nicht betroffen),
Satzungsänderungen, die nur die innere Ordnung betreffen, insbesondere Beschlüsse zur Sitzverlegung ohne kostenträchtige Ortsveränderung der Hauptverwaltung, zur Kapitalerhöhung oder zur vereinfachten Kapitalherabsetzung einschließlich ihrer Anmeldung zum Handelsregister.746)
333 In der Fremdverwaltung gehört zum Schuldnerbereich auch die Verfügungsbefugnis über das insolvenzfreie, d. h. nicht vom Insolvenzbeschlag erfasste oder vom Verwalter freigegebene Vermögen des Schuldners.747) In der Eigenverwaltung exis___________ 744) 745) 746) 747)
152
Hierzu Finke, Kollision, 2011, S. 155. Zu Einzelheiten vgl. Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 847; zust. Finke, Kollision, 2011, S. 156. Siehe Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 272 (für das Regelverfahren). Finke, Kollision, 2011, S. 144.
C. Bestimmung des zu überwachenden Funktionsbereichs
tiert weder ein von Anfang an insolvenzfreies Vermögen noch steht dem Schuldner eine Befugnis zur nachträglichen Freigabe einzelner Vermögensgegenstände zu. Beides wäre sinnlos, weil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners sich ohnehin auf sein gesamtes Vermögen bezieht.748) Konsequenz dieser Rechtslage ist, dass in der Eigenverwaltung keine Möglichkeit besteht, die Insolvenzmasse vor Masseverbindlichkeiten zu schützen, die aus der Betriebsführung oder aus dem Besitz bzw. der Verwaltung einzelner Vermögensgegenstände resultieren. Diese Restriktion ist schon vor der Verfahrenseröffnung beim Kostenvergleich mit der Fremdverwaltung zu berücksichtigen.
II. Konsequenzen für die Kompetenzen des Gläubigerausschusses Aus der geschilderten Rechtslage folgt, dass die gesamte Tätigkeit des Gläubiger- 334 ausschusses sich ausschließlich auf
den Eigenverwaltungs-Verdrängungsbereich,
den Sachwalter-Verdrängungsbereich und
den Überschneidungsbereich
beziehen darf. Der insolvenzfreie Schuldnerbereich liegt außerhalb jeglicher insolvenzrechtlicher 335 Kompetenzen und fällt folglich nicht in die Zuständigkeit des Gläubigerausschusses. Innerhalb dieser Zuständigkeit hat der Ausschuss die gesamte Geschäftsführung 336 von Schuldner und Sachwalter zu überwachen und zu unterstützen (§ 69 Satz 1 InsO). Dabei meint das Gesetz mit Geschäftsführung nicht die aus dem Gesellschaftsrecht (vgl. etwa § 111 Abs. 1 AktG) bekannte interne Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den einzelnen Organen bei der Meinungs- und Willensbildung,749) sondern jedes tatsächlich oder rechtlich relevante Verhalten eines Trägers der Insolvenzverwaltung im Innen- oder Außenverhältnis, das im Zusammenhang mit der Verwaltung der Insolvenzmasse oder der Verfügung über sie steht (§ 270 Abs. 1, § 80 InsO). Der Begriff knüpft in § 69 Satz 1 ebenso wie in § 276a Satz 1 InsO an die Terminologie der § 58 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 79 Satz 1 InsO an, in denen von der Geschäftsführung des Insolvenzverwalters die Rede ist. Mit ihm wird jene Tätigkeit ___________ 748) BGH, Urt. v. 9.3.2017 – IX ZR 177/15, NZI 2017, 345 Rn. 8 = ZIP 2017, 686 m. zust. Anm. Ganter, NZI 2017, 347; KPB-InsO/Pape, 44. EL. 05.2011, § 283 Rn. 10; Rattunde/Stark, Praxisbuch Sachwalter, 2015, Rn. 154; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 125 f.; a. A. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 16; ohne überzeugende Begr. abw. M. auch Lindner, Eigenverwaltung, 2013, S. 98 ff. 749) K. Schmidt/Lutter/Seibt, AktG, 3. Aufl. 2015, § 77 Rn. 4; Spindler, ebd., § 142 Rn. 14; Rowedder/ Schmidt-Leithoff/Baukelmann, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 37 Rn. 5; Haas, in: Gottwald, InsRHdb., 5. Aufl. 2015, § 90 Rn. 32; ders., in: FS Kübler, 2015, S. 203, 216; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, 2015, Rn. 147 – 150.
153
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
beschrieben, die Schuldner und Sachwalter im Eigenverwaltungs- und SachwalterVerdrängungsbereich sowie im Überschneidungsbereich anstelle eines Insolvenzverwalters wahrnehmen.
337 Nicht überzeugend ist die vereinzelt vertretene Ansicht,750) der Begriff der Geschäftsführung sei ähnlich wie im Gesellschaftsrecht zu verstehen, so dass der Überwachungsgegenstand eng zu fassen und im Wesentlichen auf Leitungsmaßnahmen und gewichtige Einzelmaßnahmen begrenzt sei. Der Begriff der Geschäftsführung bezieht sich im Zusammenhang mit der Insolvenzverwaltung nicht nur auf die im engeren Sinne geschäftlichen, also betriebswirtschaftlichen und unternehmerischen Angelegenheiten des Schuldners innerhalb oder außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs (§ 275 Abs. 1 InsO). Er bezeichnet vielmehr allgemein sämtliche Tätigkeiten, die der Träger der Insolvenzverwaltung in zulässiger oder unzulässiger Wahrnehmung seiner Befugnisse mit Bezug auf die Insolvenzmasse, den Bestand der Verbindlichkeiten und die Befriedigung der Gläubiger entfaltet oder pflichtwidrig unterlässt.751) Hierzu gehören insbesondere
der Zahlungsverkehr und sonstige Verfügungen über Bestandteile der Insolvenzmasse,
die Eingehung von Verpflichtungsgeschäften,
der Erwerb neuer Vermögensgegenstände,
die Erfüllung von Verträgen einschließlich des Abschlusses von Zahlungsvereinbarungen oder sonstigen Änderungsverträgen,
das Verhalten bei der Prüfung der angemeldeten Forderungen,
Verfügungen mit Bezug auf Aus- oder Absonderungsrechte,
die Entnahme von Mitteln aus der Insolvenzmasse, unabhängig von dem Entnahmezweck (Mittel zur Lebensführung, Vergütungen oder Auslagen),
prozessrechtliche Handlungen mit Bezug zur Insolvenzmasse innerhalb und außerhalb des insolvenzgerichtlichen Verfahrens,
Planungen, Entscheidungen und Maßnahmen zur Veränderung der innerbetrieblichen Organisation einschließlich des Personalwesens und der Umorientierung des betrieblichen Produktions-, Dienstleistungs- und Vertriebsprogramms sowie
sonstige Handlungen, die sich auf die Liquiditäts- und Ertragslage der Insolvenzmasse einschließlich der Deckung der Masseverbindlichkeiten auswirken können. ___________ 750) Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, 2016, D. Rn. 60. 751) Vgl. MK-InsO/Graeber, 4. Aufl. 2019, § 58 Rn. 20 („gesamtes Handeln des Insolvenzverwalters in Zusammenhang mit der Ausübung seiner insolvenztypischen Pflichten“ sowie „sämtliche Handlungen mit Bezug auf die Vermögensmasse“).
154
D. Grundsätze über die Zielrichtung und die Wahrnehmung der Überwachung/Unterstützung
Welche Handlungspflichten sich für den Ausschuss im Einzelnen ergeben und auf 338 welche Person sich seine Aufgaben und Befugnisse jeweils beziehen, wird in den folgenden Unterkapiteln behandelt.
D. Grundsätze über die Zielrichtung und die Wahrnehmung der Überwachung und Unterstützung Die wichtigste und grundlegende Vorschrift über die Pflichten des Gläubigeraus- 339 schusses ist § 69 InsO: „Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen. Sie haben sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einsehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen.“
Diese Grundpflichten des Gläubigerausschusses und seiner Mitglieder752) gelten 340 unabhängig von der Organisationsform der Insolvenzverwaltung und in jeder Phase des insolvenzgerichtlichen Verfahrens753) (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1a, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). In der Eigenverwaltung sind sie entweder auf den Schuldner oder den Sachwalter gerichtet, zum Teil bestehen sie auch in Bezug auf beide Träger der Insolvenzverwaltung.
I.
Verwirklichung des gesetzlichen Verfahrenszwecks
Die in § 69 InsO angesprochenen Pflichten sind zunächst Leerformeln, da nicht 341 ausdrücklich erwähnt wird, unter welchem Blickwinkel Überwachung und Unterstützung stattfinden und an welchen sachlichen Gesichtspunkten sie sich orientieren sollen. Diese Kriterien ergeben sich erst aus dem gesetzlichen Zweck des Insolvenzverfahrens (§ 1 InsO)754) und der hieraus abzuleitenden Aufgabe jedes Masseverwalters, in seiner gesamten Geschäftsführung darauf hinzuarbeiten, dass der Verfahrenszweck im Rahmen der Gesetze und der gültigen Beschlüsse der Gläubigerversammlung möglichst weitgehend, zweckmäßig und kurzfristig verwirklicht wird (vgl. §§ 157, 159, 187, 217, 261 InsO). Sache des Gläubigerausschusses und seiner Mitglieder ist es, darauf hinzuwirken, dass der Verwalter diese Aufgabe ordnungsgemäß erfüllt. Dementsprechend existiert für sie die alle Einzelpflichten überlagernde Hauptpflicht, im Rahmen ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zur Erreichung des gesetzlichen Verfahrenszwecks den wirtschaftlichen Nutzen der Gläubiger zu mehren und (trotz der Insolvenz noch vermeidbaren) Schaden von ihnen abzuwenden. Diese Hauptpflicht gilt unabhängig von der Organisationsform der Insolvenzverwaltung. ___________ 752) Zur Abgrenzung individueller und organschaftlicher Kompetenzen siehe oben Kapitel 3 F., Rn. 263. 753) Harbrecht, in: FS Beck, 2016, 255, 256. 754) Vgl. oben Kapitel 2 A., Rn. 23.
155
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
342 Vor diesem Hintergrund wird die übliche Aussage verständlich, dass sich die Tätigkeit des Gläubigerausschusses hauptsächlich auf die Zweckmäßigkeit und die wirtschaftlichen Aspekte der Insolvenzbewältigung, also auf die Erzielung wirtschaftlich optimaler und effizienter Verfahrensergebnisse zu beziehen hat.755)
343 Zwar werden die grundsätzlichen Entscheidungen über die Verwertung der Masse von allen Gläubigern in einem flexiblen und privatautonomen Verhandlungsprozess in der Gläubigerversammlung entwickelt und durch Beschluss festgelegt (§§ 157, 217 InsO).756) Die Realisierung dieser Vorgaben ist jedoch zumeist komplex und zeitaufwändig. Sie wird daher von der umständlich einzuberufenden und im Detail nur bedingt arbeitsfähigen Gläubigerversammlung kaum sinnvoll zu begleiten und zu steuern sein. Diese Aufgabe kann nur ein flexibles und einsatzbereites Gremium wie der Gläubigerausschuss bewältigen.
344 Jedes Mitglied des Gläubigerausschusses hat sich bei seiner Tätigkeit am gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger und der absonderungsberechtigten Gläubiger zu orientieren (vgl. § 71 InsO). Das gilt auch für Vertreter aus dem Kreis der Arbeitnehmer.757) Abweichende persönliche Präferenzen und Belange einzelner Beteiligter sind in den Entscheidungsprozessen des Gläubigerausschusses zurückzustellen. Dies gilt insbesondere für die Interessen derjenigen Insolvenzgläubiger, die durch Leistungen nach Verfahrenseröffnung neue Forderungen erwerben und damit zugleich Massegläubiger werden (§ 55 InsO). Notleidende, auf Dauer unrentable Unternehmen dürfen keinesfalls durch sinnlose Betriebsfortführungen unter Auszehrung der Insolvenzmasse aus dem Vermögen der Insolvenzgläubiger und der absonderungsberechtigten Gläubiger subventioniert werden.758) Darum dürfen auch sozial- oder strukturpolitische Erwägungen keine Rolle spielen, soweit sie unab___________ 755) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 75 ff.; 99; BGH, Beschl. v. 21.3.2013 – IX ZR 109/10, ZIP 2013, 1235; OLG Rostock, Beschl. v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814, 815 f. (m. zust. Anm. Pape/Schmidt, ZInsO 2004, 955, 958 f.); OLG Celle, Urt. v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, NZI 2010, 609, 610 = ZIP 2010, 1862; KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 2; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 69 Rn. 16; KK-InsO/Hammes, 2017, § 69 Rn. 4; FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 69 Rn. 7; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 3; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 1; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 11 mit Betonung der Zweckmäßigkeitskontrolle; Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 123; Ganter, in: FS Fischer, 2008, 121, 124; Graeber, in: FS Runkel, 2009, S. 63, 75. 756) Zum Vorstehenden RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 75 f. (Die Ordnungsaufgabe des Insolvenzrechts in der sozialen Marktwirtschaft). 757) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 67 Rn. 16 a. E.; Flöther/Hoffmann, Konzerninsolvenzrecht, 2. Aufl. 2018, § 4 Rn. 96a a. E.; a. A. soweit ersichtlich allein Kolbe, NZI 2015, 400, 402, 405, der (nur) Arbeitnehmern im Gläubigerausschuss Partikularinteressen zugesteht, insbesondere bei dem Erhalt von Arbeitsplätzen. 758) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 75 f.; ähnlich Bericht RA zur InsO, 1994, BTDrucks. 12/7302, S. 185 Nr. 169 zu § 331(= § 270 InsO). Siehe oben Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff.; Gerloff, Funktionen, 2008, S. 70; Madaus, Insolvenzplan, 2011, S. 437.
156
D. Grundsätze über die Zielrichtung und die Wahrnehmung der Überwachung/Unterstützung
hängig von der Rentabilität auf den schlichten Erhalt von Unternehmen oder Arbeitsplätzen gerichtet sind.759) Die effektive Überwachung soll in allen Verfahrensphasen auf den Träger der Insol- 345 venzverwaltung präventiv verhaltenssteuernd wirken.760) Erfüllt der jeweilige Verwalter seine gesetzlichen Aufgaben hingegen nicht ordnungsgemäß, so dürfen die Ausschussmitglieder nicht abwarten und die Dinge treiben lassen, sondern müssen in jeder Verfahrenssituation auf der Grundlage angemessener Information unverzüglich und konsequent im Sinne des Verfahrensziels (§ 1 InsO) tätig werden.761) Die Überwachung eröffnet zugleich die Möglichkeit, frühzeitig mit repressiven Mitteln zu reagieren (§§ 58 Abs. 2, 3, § 59 Abs. 1, §§ 272, 277 InsO) oder Schäden umgehend zu kompensieren (§ 60 InsO). Dabei haben die Ausschussmitglieder alle verfügbaren legalen Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen.762) Wo Antragsrechte des Gläubigerausschusses als Gremium fehlen, sind die einzelnen 346 Ausschussmitglieder verpflichtet, zur Durchsetzung ihres gesetzlichen Auftrags auch diejenigen Antrags- oder Anzeigebefugnisse einzusetzen, die ihnen lediglich aufgrund ihrer allgemeinen Rechtsstellung als Gläubiger zustehen (vgl. etwa die Antragsrechte nach § 272 Abs. 1 Nr. 2, § 277 Abs. 2 InsO). Dabei dürfen und müssen sie im Interesse der Gläubigergesamtheit auch Informationen und Wahrnehmungen verwerten, die ihren Ursprung in der Tätigkeit des Ausschusses haben.763)
II. Schutz der Gläubiger vor eigenverwaltungsspezifischen Gefahren und Nachteilen In der Eigenverwaltung herrscht die Maxime, dass das Verfahren in dieser Organi- 347 sationsform nur durchgeführt oder fortgesetzt werden darf, wenn nicht zu erwarten ist, dass dies zu Nachteilen für die Gläubigergesamtheit führt (§ 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO).764) Es muss gewährleistet sein, dass der Schuldner die Eigenverwaltung jederzeit rechtlich und wirtschaftlich ordnungsgemäß ausübt. Maßstab für eine Bewertung als nachteilig ist der Vergleich mit einem Regelverfahren, in dem ein geeigneter externer Insolvenzverwalter die Geschäfte führt. Ebenso wie für die Rangordnung der beteiligten Interessen gelten auch für die wirtschaft___________ 759) Vgl. Kirchhof, in: FS Gerhardt, 2004, 443, 456; Marotzke, DB 2012, 560, 562; im Ergebnis auch Foerste, ZZP 2012, 265, 266; vgl. Falk, ZRG GA 131 (2014), S. 266, 279 f, zur sozialen Brisanz von Unternehmensinsolvenzen. Haarmeyer, in FS Pape, 2019, S. 117, 120 a. E.; abw. A. wohl Paulus, NZI 2015, 1001, 1006. 760) Vgl. BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 335 Rn. 26 = NZI 2015, 166, 168 f. (m. zust. Anm. Kühne) = ZIP 2014, 2242. 761) Hierzu bereits Kapitel 3 H. XI., Rn. 301 mit Nachweis in Fn. 683. 762) Einzelheiten unten in Kapitel 4 F., Rn. 406 ff. und Kapitel 4 G., Rn. 556 ff. 763) Vgl. Kapitel 3 H. VI., Rn. 284 f. 764) Vgl. ferner § 270 Abs. 3, § 270a Abs. 1 Satz 1 Hs. 1, § 270b Abs. 4, § 274 Abs. 3, § 276a Satz 3, § 277 Abs. 2 InsO.
157
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
lich-materielle Durchführung des Insolvenzverfahrens die gleichen Vorgaben wie in der Fremdverwaltung. An ihnen hat sich jedes Verständnis und jede Anwendung der gesetzlichen Regelungen über die Eigenverwaltung zu orientieren. Über § 78 Abs. 1 InsO gilt dies sogar bereits dann, wenn die Gläubigerversammlung durch einen Antrag nach § 271 InsO selbst die Anordnung der Eigenverwaltung in die Wege leitet.765)
348 Aus diesem Grundprinzip in Verbindung mit den §§ 69, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO folgt in der Eigenverwaltung die Pflicht der Gläubigerausschussmitglieder zur Abwehr eigenverwaltungsspezifischer Gefahren und Nachteile für die Gläubiger. Die Ausschussmitglieder müssen sich bei ihrer Tätigkeit stets der Interessen- und Motivlage des eigenverwaltenden Schuldners und seiner weitreichenden Missbrauchsmöglichkeiten bewusst sein.766) Sie haben in jeder Lage des Verfahrens ihre besondere Aufmerksamkeit auf Tatsachen und Entwicklungen zu richten, die auf drohende oder bereits eingetretene Nachteile für die Gläubiger hindeuten (also auf nachteilsindizierende Umstände)767), und müssen alles daran setzen, ihnen mit sämtlichen gesetzlichen Mitteln, insbesondere ihren Auskunfts-, Mitwirkungs- und Antragsrechten, so frühzeitig und nachdrücklich wie möglich entgegenzutreten.
1.
Nachteilsindizierende Umstände im Allgemeinen
349 Das Tatbestandsmerkmal des Nachteils für die Gläubiger im Sinne des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO ist weit auszulegen.768) Es ist erfüllt, wenn Angehörige einer der am Verfahren beteiligten Gläubigergruppen hinsichtlich ihrer gemeinsamen, vom Verfahrenszweck gedeckten Interessen wirtschaftlich oder rechtlich schlechter gestellt werden, als sie bei ordnungsgemäßer Durchführung des Verfahrens unter der Leitung eines geeigneten und gesetzmäßig handelnden externen Insolvenzverwalters stünden. Maßgeblich sind alle ihre vom Insolvenzverfahren berührten Interessen.769) Jede nicht völlig unbedeutende Gefährdung dieser Interessen,770) jede Verzögerung, ___________ 765) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 332 (= § 271 InsO): „Sieht eine Minderheit in der Gläubigerversammlung durch die von der Mehrheit getroffene Entscheidung [die Anordnung der Eigenverwaltung zu beantragen] ihre Interessen gefährdet, so steht das allgemeine Verfahren zur Verfügung, nach dem Beschlüsse der Gläubigerversammlung, die einen Teil der Gläubiger unangemessen benachteiligen, vom Gericht aufgehoben werden können (§ 89 des Entwurfs).“ – § 89 RegE entspricht im Wesentlichen dem § 78 InsO. 766) Vgl. oben Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 767) Zum Begriff siehe oben Kapitel 2 B., Rn. 41 Fn. 88. 768) AG Köln, Beschl. v. 1.7.2013 – 72 IN 211/13, ZIP 2013, 1390 = NZI 2013, 796 m. zust. Anm. Leib/Rendels, EWiR 2013, 625 f.; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Buchalik, InsO, 2. Aufl. 2012, § 270 Rn. 14; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 47; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260; Hölzle, ZIP 2012, 158, 159 f.; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2161; Lau, DB 2014, 1417, 1418; Madaus, KTS 2015, 115, 120; Henkel, ZIP 2015, 562, 564. 769) Henkel, ZIP 2015, 562, 564. 770) MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 47.
158
D. Grundsätze über die Zielrichtung und die Wahrnehmung der Überwachung/Unterstützung
Erschwerung oder gar Vereitelung der gesetzmäßigen Durchführung des Verfahrens bedeutet einen Nachteil. Als nachteilsindizierende Umstände kommen alle Tatsachen aus der Zeit vor oder 350 nach Stellung des Insolvenzantrags bzw. Anordnung der Eigenverwaltung in Betracht, die Zweifel an der Erwartung wecken, dass die ordnungsgemäße Führung der Eigenverwaltung durch den Schuldner uneingeschränkt gewährleistet ist. In aller Regel werden diese Umstände einen sachlichen Bezug zum Schuldner sowie zur Entstehung und Entwicklung seiner Insolvenz oder zu deren bisheriger und künftiger Bewältigung aufweisen. Relevant sind die persönliche Redlichkeit771) und Zuverlässigkeit772) des Schuldners, seine berufliche Qualifikation und geschäftliche Erfahrung, seine Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, seine betriebswirtschaftliche und rechtliche Unternehmensorganisation sowie allgemein seine bisherige und seine absehbare weitere Teilnahme am Rechtsverkehr. Da sie Grundlage einer Prognose sein sollen, kommen vor allem solche Umstände in Betracht, die Rückschlüsse auf künftige Entwicklungen und Verhaltensweisen ermöglichen.773) Auf ein Verschulden des Schuldners oder einer Person, deren Verhalten ihm zuzurechnen ist, kommt es dabei grundsätzlich nicht an; maßgeblich sind allein objektive Tatsachen, ihre Gewichtung kann allerdings vom Vorliegen oder vom Grad eines Verschuldens beeinflusst sein.
2.
Mangelnde Eignung des Schuldners
Ein Nachteil für die Gläubiger im Sinne des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO kann insbe- 351 sondere darin bestehen, dass dem Schuldner die erforderliche persönliche, fachliche oder organisatorische Eignung und Ausstattung zur Ausübung der Eigenverwaltung fehlt774) oder er schlicht überfordert ist.775) Bei der Beurteilung dieser Frage ist dem Schuldner das Verhalten jeder Person zuzurechnen, die seit der Zeit, in der die Insolvenzursachen gesetzt wurden, zumindest zeitweise in leitender Stellung ___________ 771) Der RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 86 spricht ausdrücklich von der Eigenverwaltung als einer Möglichkeit, „welche die Gläubiger normalerweise nur redlichen Schuldnern zugestehen werden“; wohl auch FK-InsO/Foltis, § 270 Rn. 77; ebenso Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 49; Frind, ZIP 2017, 993, 997 (mit zahlreichen Beispielen aus der Gerichtspraxis); ebenso Breitenbücher, in: FS Graf-Schlicker, 2018, S. 215, 219; vgl. auch Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 11, 71 f., 78, 80, 298 = BT-Drucks. 19/4880, S. 51, 111 f., 118, 120, 338, die den aus der VerglO bekannten Begriff der Vergleichs- bzw. „Eigenverwaltungswürdigkeit“ aufleben lassen. So auch Vallender/ Zipperer, in: FS Pape, 2019, S. 413, 417. Zur Vergleichswürdigkeit vgl. Uhlenbruck, KTS 1975, 166, 171 der seinerzeit betonte: „Auch de lege ferenda wird man wohl kaum auf Sanktionen vergleichsunwürdigen Schuldnerverhaltens ganz verzichten können.“ 772) Zur Zuverlässigkeit des Schuldners und insbesondere zur rechtzeitigen Eröffnungsantragstellung siehe ausführlich oben Kapitel 2 G. III. 2. a), Rn. 136 ff. 773) Zum Vorstehenden Hammes, ZIP 2017, 1505, 1506. 774) Hierzu ausführlich oben Kapitel 2 G. III. 2., Rn. 135 ff. 775) Zutr. Eichelbaum, NWB 9/2015, 605, 606.
159
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
verantwortlich für ihn tätig war oder dies während des insolvenzgerichtlichen Verfahrens ist.776) Dies gilt vor allem für organschaftliche Vertreter (§ 101 Abs. 1 Satz 1 InsO) und Anteilsinhaber eines gesellschaftsrechtlich organisierten Schuldners. Es gilt aber auch unabhängig von der Rechtsform für alle Personen, die als Bevollmächtigte des Schuldners innerhalb oder außerhalb der betrieblichen Organisation Leitungs- oder Kontrollaufgaben für das Unternehmen wahrnehmen. In gleicher Weise ist dem Schuldner das Verhalten eines Dritten zuzurechnen, dem er faktisch einen maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensleitung eingeräumt hat. Ob eine solche Person während des Verfahrens noch in dieser Funktion für den Schuldner tätig ist, hat für die Zurechnung keine Bedeutung.
352 Gesellschaftsrechtlich organisierte Rechtsträger, denen ein Handeln nur durch natürliche Personen möglich ist, können sich der fortdauernden Zurechnung früherer Verhaltensweisen eines Verantwortlichen nicht dadurch entziehen, dass sie faktisch oder rechtlich die Verbindung mit ihm abbrechen und an seiner Stelle eine unbelastete zuverlässige Person einsetzen. Solche Rechtsträger sind zwar aufgrund ihrer Konstruktion nicht unmittelbar mit der natürlichen Person identisch, die für den unternehmerischen Misserfolg und die Entstehung der Insolvenz verantwortlich ist. Sie müssen sich jedoch daran festhalten lassen, dass es ihre Organe einschließlich der Anteilsinhaber waren, die seinerzeit diesem Verantwortlichen den maßgeblichen und, wie die Entwicklung gezeigt hat, gläubigerschädigenden Einfluss auf die Geschäftsführung eingeräumt oder ihn zumindest haben gewähren lassen. Dieses objektive, für die Insolvenz mitursächliche Versagen ihrer Willensbildungs- und Überwachungsstrukturen wird auch nicht dadurch rechtlich irrelevant, dass in der Eigenverwaltung die Einwirkungsmöglichkeiten der Anteilsinhaber und Aufsichtsorgane des Schuldners durch § 276a InsO rechtlich eingeschränkt werden; faktisch bleiben sie von wesentlicher Bedeutung. Insofern hat nichts anderes zu gelten als für selbständig handelnde natürliche Personen; auch sie können nicht einfach ihre Vergangenheit abschütteln, indem sie sich durch den bloßen Hinweis auf Sinneswandel oder Zeitablauf von ihrer Verantwortung für früheres Verhalten selbst lossprechen.
a) Fehlverhalten im Vorfeld der Antragstellung 353 Zu Beginn des insolvenzgerichtlichen Verfahrens werden vor allem solche Umstände als nachteilsindizierend von Bedeutung sein, welche die Ursachen der Insolvenz und die Rolle des Schuldners in den bisherigen Phasen seiner Krise betreffen. Gerade in diesem Zusammenhang kommt den Erfahrungen und Informationen der Gläubiger über die Eignung des Schuldners zur ordnungsgemäßen Eigenverwaltung Gewicht zu. Sie haben das wirtschaftliche und rechtliche Verhalten des Schuld___________ 776) Zutr. Bichlmeier, DZWiR 2000, 62, 64: „[…] das Verhalten des Managements ist dem Schuldner zuzurechnen.“
160
D. Grundsätze über die Zielrichtung und die Wahrnehmung der Überwachung/Unterstützung
ners oder zumindest dessen Auswirkungen vielfach unmittelbar miterlebt und können aus eigener Anschauung Erkenntnisse zur Beurteilung der Lage beisteuern. Es gehört deshalb von Anfang an zu den vorrangigen Aufgaben des Gläubigerausschusses, diese in der Gläubigerschaft vorhandenen Informationen sorgfältig zu sammeln, auszuwerten und in den gerichtlichen Entscheidungsprozess über die Eigenverwaltung einzubringen.
b) Fehlverhalten im insolvenzgerichtlichen Verfahren Das Verhalten des Schuldners und seiner Beauftragten bei der Einleitung und Durch- 354 führung des insolvenzgerichtlichen Verfahrens kann ebenfalls Eignungsmängel des Schuldners offenbaren. Dies gilt nicht nur für jede Verletzung der gesetzlichen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten (§§ 97 f., 101 InsO),777) sondern vor allem für unzureichend durchdachte, unvollständige oder widersprüchliche Antragsunterlagen.778) Sie belegen einen Mangel an Sorgfalt, wenn nicht gar den Versuch, entgegen der allgemeinen prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO, § 4 InsO)779) das Gericht über entscheidungserhebliche Umstände zu täuschen oder das Verfahren zu verschleppen.780)
c)
Unzureichende Konzeption zur Bewältigung der Insolvenz
Die Möglichkeit des Schuldners, im Rahmen der Eigenverwaltung an der Verwal- 355 tung der Insolvenzmasse und der Führung der Geschäfte maßgeblich beteiligt zu bleiben,781) ist nur legitim, wenn er eine sinnvolle und realistische Vorstellung davon hat, mit welchem Ziel und mit welchen Mitteln er die Insolvenz bewältigen will. Diese Konzeption des Schuldners zur Fortführung und Sanierung des Unternehmens oder zur Abwicklung seines Vermögens muss ständig zweifelsfrei erkennbar sein und, soweit die Gläubigerversammlung ihr zugestimmt hat (§§ 157, 217 InsO), den weiteren Verlauf der Masseverwaltung bestimmen. Hierauf hat der Gläubigerausschuss während des gesamten Verfahrens zu achten. Fehlt eine solche Konzeption oder ist sie ersichtlich aussichtslos oder mit allzu großen Risiken ver___________ 777) Hierzu ausführlich oben Kapitel 2 D. V., Rn. 75 f. 778) AG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, NZI 2014, 312 = ZIP 2014, 487; AG Hamburg, Beschl. v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566, 567 = ZInsO 2014, 566; zur Praxis der Insolvenzgerichte siehe BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270 Rn. 13.1; Brand, KTS 2014, 1, 11 m. w. N. in Fn. 51: „Mehrheitlich hat sich zwischenzeitlich ein Verständnis herauskristallisiert, das den nicht richtigen Insolvenzantrag i. S. v. § 15a Abs. 4 InsO mit einem unzulässigen Antrag gleichsetzt.“ So bereits Schmahl, NZI 2008, 6, 9. 779) BGH, Beschl. v. 9.10.2008 – IX ZB 212/07, NZI 2009, 65 f. Rn. 11 = ZIP 2008, 2276; MKInsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 20 Rn. 25 f., 33, 37; vgl. auch Brand, KTS 2014, 1, 13. 780) AG Darmstadt, Beschl. v. 26.2.1999 – 9 IN 1/99, ZInsO 1999, 176; Brand, KTS 2014, 1, 11 m. w. N. in Fn. 51. 781) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223.
161
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
bunden, so ist der Schuldner fachlich nicht zur Eigenverwaltung geeignet.782) Entsprechendes gilt, wenn sich im Laufe des Verfahrens herausstellt, dass die Konzeption nicht zu verwirklichen ist, der Schuldner aber nicht unverzüglich realistische neue Planungen entwickelt.
d) Abhängigkeit von unzuverlässigen oder sonst ungeeigneten Sanierungsberatern 356 Ist der Schuldner nur mit Hilfe eines Sanierungsberaters fachlich oder organisatorisch zur Führung der Eigenverwaltung in der Lage, so hängt seine Eignung, insbesondere soweit es um die Umsetzung des Sanierungskonzepts geht, auch von der Zuverlässigkeit und sonstigen Eignung des Beraters sowie von der gesicherten und kontinuierlichen Zusammenarbeit der beiden ab. Der Berater muss ebenso wie der Schuldner die Gewähr bieten, dass er alles Erforderliche tun wird, um das vorrangige Verfahrensziel der gleichmäßigen und bestmöglichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO) zu fördern. Ist dies nicht der Fall, so sind Nachteile für die Gläubiger zu erwarten, weil eine ordnungsgemäße Führung der Eigenverwaltung nicht gewährleistet ist. Dies gilt auch, wenn zwischen dem Schuldner und dem Berater persönliche Spannungen oder wesentliche Meinungsverschiedenheiten über Fragen der Unternehmensführung auftreten.783)
e)
Konflikte innerhalb der Sphäre des Schuldners
357 Eine ordnungsgemäße Führung der Eigenverwaltung ist nur gewährleistet, wenn der Schuldner seine Entscheidungen in Fragen der Masseverwaltung mit der gleichen Entschlossenheit und Zielstrebigkeit treffen kann, wie es dem Insolvenzverwalter bei der Fremdverwaltung möglich ist. Ist dies wegen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Geschäftsleitung nicht sichergestellt, so ist jederzeit damit zu rechnen, dass notwendige Entscheidungsprozesse verzögert oder blockiert werden.784) Eine solche Ungewissheit stellt einen Mangel an organisatorischer Eignung des Schuldners dar und ist damit als nachteilsindizierender Umstand zu werten.785)
f)
Drohende unerlaubte Einflussnahme auf die Geschäftsführung
358 Unter dem Gesichtspunkt der fehlenden organisatorischen Eignung ist auch jeder Versuch eines nicht-geschäftsführenden Gesellschaftsorgans des Schuldners, trotz des Verbots des § 276a Satz 1 InsO faktisch Einfluss auf die Führung der Eigen___________ 782) Vgl. oben Kapitel 2 G. III. 2., Rn. 135 ff. 783) AG Duisburg, Beschl. v. 1.3.2015 – 63 IN 1/15 (unveröff.). 784) Vgl. AG Mannheim, Beschl. v. 21.2.2014 – 4 IN 115/14, NZI 2014, 412, 413 f. = ZIP 2014, 484, 485. 785) Vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 (zu Nr. 47, Einfügung des § 276a InsO). Im Ergebnis wohl auch Pape, ZIP 2013, 2285, 2287.
162
D. Grundsätze über die Zielrichtung und die Wahrnehmung der Überwachung/Unterstützung
verwaltung zu nehmen, als nachteilsindizierender Umstand zu werten. Entsprechendes gilt für das Handeln eines einzelnen Organmitglieds, insbesondere wenn es sich dabei zugleich um einen Anteilsinhaber handelt. Gesetzwidrige Interventionen dieser Art sind angesichts der Interessen- und Motivlage auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners786) jederzeit zu erwarten. Zeichnet sich ein derartiger Versuch ab, so hat jedes Gläubigerausschussmitglied unverzüglich einzuschreiten, und zwar unabhängig von den Reaktionen des geschäftsführenden Organs und des Sachwalters.
3.
Höhere Kosten
Besondere Aufmerksamkeit haben die Ausschussmitglieder während des gesamten 359 Verfahrens auf die Entwicklung der Verfahrens- und Beratungskosten zu richten. Es ist ein wesentlicher nachteilsindizierender Umstand im Sinne der §§ 270, 272 InsO, wenn abzusehen ist, dass die Eigenverwaltung im Vergleich zur Fremdverwaltung zu einer schlechteren Quote für die Insolvenzgläubiger führt, weil die Insolvenzmasse vorrangig mit höheren Kosten oder höheren sonstigen Masseverbindlichkeiten belastet wird (§§ 53, 54, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).787) Dies ist, wie die Erfahrung lehrt, wegen der ungehemmten Inanspruchnahme externer Dienstleistungen und wegen der eigenverwaltungsspezifischen Zusatzkosten für einen Sanierungsgeschäftsführer und das sonstige Insolvenzmanagement788) nahezu immer der Fall. Entsprechend höhere Wertzuwächse der Insolvenzmasse oder sonstige Vorteile zugunsten der Insolvenzgläubiger ergeben sich nur selten;789) die entgegengesetzte Erwartung des historischen Gesetzgebers790) hat sich in keiner Weise erfüllt.
___________ 786) Kapitel 2 J. II., Rn. 161 ff. 787) So zutr. AG Essen, Beschl. v. 3.2.2015 – 163 IN 14/15, ZIP 2015, 841, 842 = BeckRS 2015, 3320; Rattunde/Smid/Zeuner/Wehdeking, InsO, 4. Aufl. 2019, § 270 Rn. 33; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 87; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; Vallender, DB 2015, 231, 233 f.; Madaus, NZI 2015, 606 f. (Anm. zu AG Freiburg, Beschl. vom 11.5.2015 í 58 IN 37/15, NZI 2015, 605 f.); kritisch zu den Beratungskosten auch Siemon/Harder, NZI 2016, 434, 438 f.; Reus/Höfer/Harig, NZI 2019, 57, 58 f.; siehe oben Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff. 788) Hierzu ausführlich oben Kapitel 2 J. IV. 2. b), Rn. 190 ff. Vgl. auch Rost, Eigenverwaltung, 2015, S. 26 („kein nennenswertes Einsparpotential“); für kleinere Unternehmen zust. Breitenbücher, in: FS Graf-Schlicker, 2018, S. 215, 219. Flöther, ZInsO 2014, 465, 470 hält die Eigenverwaltung „wegen der enorme(n) Kosten für die Doppelspitze“ nur für „wirklich große Unternehmen“ für empfehlenswert. 789) Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; Hammes, NZI 2017, 233, 235 ff.; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 70, 252 (Fallstudie Nr. 3) sowie S. 287 (Fallstudie Nr. 12 zu nur teilweise nachvollziehbaren Kosten der Sanierungsberatung) = BT-Drucks. 19/4880, S. 110, 292, 327; siehe Kapitel 2 J. IV. 2. b), Rn. 190 ff. 790) Kapitel 2 B., Rn. 38 ff. Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 72 f., 77, 91, 96, 108 zu § 1, S. 173, 192, 195.
163
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners 360 Der eigenverwaltende Schuldner und seine organschaftlichen Vertreter haben alle wesentlichen verfahrens- und massebezogenen Aufgaben, die ihnen durch die Zuständigkeitsordnung der Eigenverwaltung zugewiesen sind, in persönlicher rechtlicher Verantwortung wahrzunehmen.791) Dieses Gebot wird in der Praxis vor allem durch zwei Tendenzen in Frage gestellt, die zugleich den gesamten gesetzlichen Verfahrenszweck gefährden oder gar vereiteln können: Auf der einen Seite führt die fast immer bestehende Notwendigkeit, die Unterstützung externer Insolvenzfachleute in Anspruch zu nehmen,792) zu einer intensiven Abhängigkeit des Schuldners von den Beratern, die es diesen erlaubt, den Gang der Masseverwaltung maßgeblich im Sinne ihrer eigenen finanziellen Interessen zu steuern. Ist der Schuldner gesellschaftsrechtlich organisiert, so kommt als zweites Gefährdungselement die Erwartungshaltung seiner Anteilsinhaber und ihrer Repräsentanten hinzu, die von dem Interesse getragen ist, die Insolvenz der Gesellschaft möglichst ohne Einbuße, wenn nicht gar mit Gewinn für sich selbst und zum Nutzen des eigenen Machtanspruchs im Unternehmen zu überstehen. Es gehört zu den grundlegenden Aufgaben des Gläubigerausschusses und seiner Mitglieder, diese Tendenzen wirksam zu kontrollieren.
I.
Notwendigkeit der persönlichen Amtsführung durch den Schuldner oder seine organschaftlichen Vertreter
361 Die Eigenverwaltung ergibt nur dann einen dem Zweck des § 270 InsO entsprechenden Sinn, wenn der Schuldner bzw. dessen organschaftliche Vertreter die Aufgaben im Kernbereich der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung stets persönlich und auf der Grundlage eigener Geschäftskunde wahrnehmen.793) Hierzu sind sie gesetzlich verpflichtet (§ 270 Abs. 1 Satz 1, § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO);794) sie dürfen sich aus diesem Bereich weder freiwillig zurückziehen noch von Dritten verdrängen lassen. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind daher nach § 69 Satz 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO verpflichtet, in jeder Phase des insolvenzgerichtlichen Verfahrens zu prüfen, ob der Schuldner tatsächlich noch auf dem von Beratern gern so genannten „driver´s seat“795) sitzt oder ob er bereits als Fahrgast im Fond Platz ge___________ 791) Kapitel 2 D. II., Rn. 69 ff. 792) Kapitel 2 J. III., Rn. 164 ff. 793) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f. (Vorbemerkung zur Eigenverwaltung); FKInsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270 Rn. 16. 794) Kapitel 2 G. III. 2. c), Rn. 142 sowie Nachweis in Fn. 144, Rn. 69. 795) Vgl. Schulte-Kaubrügger, 2012, S. 9; Gillmann/Silcher, Deutscher AnwaltSpiegel 08/2018, S. 12 f.; Fröhlich/Bächstädt, ZInsO 2012, 2044; Bitter, Wirtschaftsspiegel v. 1.6.2015, 18, 19: „Wir bewerben Schutzschirmverfahren und Eigenverwaltung und suggerieren den Betroffenen, dass sie auch in der Insolvenz »im Sattel« bleiben können. Aber sobald das Verfahren eröffnet wird, geschieht häufig das Gegenteil.“
164
E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
nommen hat und in Wahrheit sein Berater und dessen Beauftragte das Steuer übernommen haben. Zwar sind Schuldner fast nie ohne weitgehende Hilfe externer Berater in der Lage, 362 die mit der Eigenverwaltung verbundenen gesetzlichen Aufgaben ordnungsgemäß zu bewältigen.796) Ist die Eigenverwaltung jedoch einmal angeordnet, so haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses darauf zu achten, dass die wesentlichen unternehmerischen und insolvenzrechtlichen Pflichten und Entscheidungen, also die sogenannten Kernpflichten, vom Schuldner und seinen organschaftlichen Vertretern persönlich wahrgenommen werden. Eine aus dem Hintergrund agierende Nebeninsolvenzverwaltung durch die Berater ist im Gesetz nicht vorgesehen und verstößt gegen den Grundgedanken der Eigenverwaltung.797) Sie macht zudem jede effiziente und gesetzmäßige Aufsicht des Gläubigerausschusses unmöglich oder erschwert sie zumindest wesentlich. Externe Berater des Schuldners sind als solche keine Beteiligten des Insolvenzverfahrens. Ihnen gegenüber hat der Ausschuss keinen Auskunftsanspruch (§§ 97, 101 InsO), und das Insolvenzgericht kann gegen sie keine unmittelbaren Maßnahmen der Rechtsaufsicht ergreifen. Allerdings darf der eigenverwaltende Schuldner in gleicher Weise wie ein Insol- 363 venzverwalter zur Vorbereitung und nachgeordneten Durchführung einzelner Tätigkeiten Berater, Bevollmächtigte, Mitarbeiter und sonstige Hilfskräfte einsetzen. Die Grenze zwischen Hilfsdiensten und der verantwortlichen Wahrnehmung der Eigenverwaltung ist jedoch dort überschritten, wo der Schuldner den sachlich bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit der Hilfskräfte aufgibt oder verliert und diese selbst die wesentlichen Entscheidungen über die Zielrichtung und die einzelnen Schritte der Insolvenzverwaltung treffen.798) Eine vollständige Substitution des Schuldners ist dabei nicht einmal erforderlich; es reicht aus, wenn die Tätigkeit der angeblichen Hilfskraft sich faktisch als dominierende Wahrnehmung typischer rechtlicher oder wirtschaftlicher Aufgaben der Masseverwaltung darstellt. Dies ist der Fall, wenn die Hilfskraft mit dem Einverständnis oder der Duldung des Schuldners, seiner Vertretungsorgane oder Anteilsinhaber gegenüber dem formellen Träger der Eigenverwaltung im Prozess der internen Meinungs- und Willensbildung eine überragende bestimmende Stellung einnimmt oder zumindest ein deutliches Übergewicht hat. Gleiches gilt, wenn der Träger der Eigenverwaltung sich den wesentlichen Entscheidungen der Hilfskraft tatsächlich unterordnet oder ihr ein wesentliches Element der Masseverwaltung zur faktisch selbständigen Wahrnehmung überlässt. ___________ 796) Kapitel 2 J. III., Rn. 164 ff. sowie Nachw. in Fn. 362; siehe auch Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 797) Hierzu bereits Hammes, NZI 2017, 233 ff.; siehe auch oben Kapitel 2 B., Rn. 38 ff. 798) Vgl. Graeber, NZI 2003, 569, 572. A. A. wohl Horstkotte, ZInsO 2018, 2329, 2330: „In dem Segment, in dem es bei der Unternehmensführung zum Zwecke der Sanierung also um die Beachtung der insolvenzspezifischen Anforderungen geht, erweist sich bei einer an der Funktion des CRO orientierten Betrachtung dieser als Herr des Verfahrens.“
165
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
364 Dieses Gebot ist etwa verletzt, wenn der Zahlungsverkehr des eigenverwaltenden Schuldners über Konten abgewickelt wird, auf die sein Berater ohne Mitwirkung des Schuldners zugreifen kann, möglicherweise sogar unter dessen Ausschluss. Gleiches gilt, wenn zur Wahrnehmung eigenverwaltungsspezifischer Aufgaben eine Person in das Vertretungsorgan des Schuldners aufgenommen oder in eine sonstige leitende Position des Unternehmens eingesetzt wird, die gleichzeitig in einem Dienstverhältnis oder einem sonstigen wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Berater steht und deshalb rechtlich oder faktisch dessen Weisungen unterliegt.799) Dass der Berater selbst diese rechtlich leitende Position auch persönlich übernehmen kann, entkräftet diese Einschätzung nicht. In einem solchen Fall tritt der Berater nämlich offen und für jedermann sichtbar auf und bekennt sich – auch haftungsrechtlich – zu seiner Einflussnahme und zu seiner Verantwortung gegenüber allen Verfahrensbeteiligten. Dies macht in einem Verfahren, in dem trotz aller Kontrollmechanismen das Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der handelnden Personen eine wesentliche Rolle spielt, einen grundlegenden Unterschied aus, der nicht leichtfertig beiseite geschoben werden darf.
365 Die Überschreitung der Grenze zwischen (noch) zulässiger Beratung und Unterstützung einerseits und Nebeninsolvenzverwaltung mit faktisch selbständiger Steuerung wesentlicher Teile der Masseverwaltung durch den Berater andererseits ist für die Mitglieder des Gläubigerausschusses nicht leicht zu erkennen. Die Übernahme von Aufgaben und Entscheidungen durch den Berater spielt sich in der Regel weitgehend planvoll verdeckt ab. Gleichwohl werden sich bei sorgfältiger Wahrnehmung der Überwachung über kurz oder lang Indizien ergeben, die mit hinreichender Gewissheit die Feststellung erlauben, ob eine solche Grenzüberschreitung vorliegt. Hierfür ist erforderlich, dass die Ausschussmitglieder Verhalten, Auftreten und einzelfallbezogene Sachkompetenz der Akteure aufmerksam beobachten. Als erkenntnisfördernd erweisen sich immer wieder persönliche Erörterungen mit den nominell Verantwortlichen. Sie sind in Fällen der Nebeninsolvenzverwaltung häufig nicht in der Lage, der Gläubigerversammlung oder dem Gläubigerausschuss in Abwesenheit des Beraters aufgrund eigener Sachkenntnis wesentliche konzeptionelle und betriebswirtschaftliche Kernpunkte der geplanten oder eingeleiteten Maßnahmen aussagekräftig darzulegen. Lebenserfahrene und geschäftskundige Ausschussmitglieder werden in einem solchen Fall durch Nachfragen erkennen, ob der Schuldner oder seine satzungsmäßigen Führungskräfte das Unternehmen in der Eigenverwaltung auf der Grundlage eigener betriebswirtschaftlicher Kompetenz in leitender Funktion tatsächlich persönlich steuern oder ob die formellen Akteure als Strohleute und Marionetten externer Fachleute und Berater fungieren.
366 Die Pflicht zur persönlichen Führung der Eigenverwaltung verbietet es dem eigenverwaltenden Schuldner ebenso, den ihm vom Gericht beigeordneten Sachwalter ___________ 799) Kapitel 2 J. III. 4., Rn. 176 ff.
166
E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
zu Aufgaben heranzuziehen, die nicht zu dessen gesetzlichem Pflichtenkreis gehören, sondern Teil der vom Schuldner selbst zu erledigenden Masseverwaltung sind. Auch insoweit gilt ausschließlich die im Gesetz festgelegte oder ihm erkennbar zugrunde liegende Aufgabenverteilung und Zuständigkeitsordnung.800) Ihre Einhaltung ist als Bestandteil einer ordnungsgemäßen Eigenverwaltung von den Mitgliedern des Gläubigerausschusses zu überwachen. Sie haben ihr Augenmerk darauf zu richten, dass der Schuldner den Sachwalter nicht regelwidrig mit Beratungs- oder sonstigen Dienstleistungen betraut oder der Sachwalter eigenmächtig oder mit Duldung des Schuldners derartige Tätigkeiten an sich zieht. Zwar hat der Sachwalter die Aufsicht über die Geschäftsführung des Schuldners zu- 367 kunftsorientiert zu führen und sie deshalb so zu organisieren, dass er bei der Erarbeitung, Durchführung und Kontrolle von Sanierungsmaßnahmen möglichst frühzeitig in die Meinungs- und Willensbildung des Schuldners eingebunden ist (vgl. zum Insolvenzplan § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO).801) Dabei hat er zu prüfen und deutlich zu machen, welche vom Schuldner erwogenen Maßnahmen er für durchführbar hält.802) Es ist aber nicht seine Aufgabe, anstelle des Schuldners in dessen Auftrag oder in eigener Initiative den Gang der Masseverwaltung durch die eigenständige Entwicklung oder Ausarbeitung wirtschaftlicher oder rechtlicher Konzepte zu lenken oder zu beeinflussen.803) Ebenfalls unvereinbar mit seinem Amt ist jede andere administrative, wirtschaftliche, steuerliche oder rechtliche Beratung des Schuldners.804) Die gesetzlichen Aufgaben des Sachwalters können weder im Einvernehmen mit dem eigenverwaltenden Schuldner noch durch Beschluss des Gläubigerausschusses erweitert werden.805)
II. Verdrängung der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane (§ 276a Satz 1 InsO) Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersön- 368 lichkeit, so dürfen nach § 276a Satz 1 InsO in der Eigenverwaltung die gesellschafts___________ 800) Vgl. oben Kapitel 2 B., Rn. 38 ff.; Kapitel 2 D. III., Rn. 72 f. 801) Siehe Kapitel 2 E. III., Rn. 90 ff. 802) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 247 f. Rn. 73 = NZI 2016, 796, 801 = ZIP 2016, 1592; BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 966 Rn. 64 = ZIP 2016, 1981. 803) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 247 Rn. 71, 72 = NZI 2016, 796, 800 f. = ZIP 2016, 1592; BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 966 f. Rn. 57, 73, 79 = ZIP 2016, 1981. 804) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 245 f. Rn. 67, 248 f. Rn 78 = NZI 2016, 796, 800 f. = ZIP 2016, 1592; BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 965 ff. Rn. 55 f., 60, 73, 79 = ZIP 2016, 1981; OLG Dresden, Urt. v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13 (Dailycer), ZIP 2015, 1937, 1940 ff.; AG München, Beschl. v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308 f. (für den Aussteller der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO) = BeckRS 2012, 14972; Lüke, ZIP 2001, 2188, 2190 (Anm. zu LG Cottbus, Beschl. v. 17.07.2001 – 7 T 421/00, ZIP 2001, 2188). 805) BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 967 Rn. 71 = ZIP 2016, 1981.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
rechtlichen Überwachungsorgane keinen Einfluss auf die insolvenzrechtliche Geschäftsführung nehmen;806) Einflussrechte verbleiben ihnen nur im (insolvenzfreien) Schuldnerbereich.807) Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass die im Außenverhältnis nicht vertretungsberechtigten Organe des schuldnerischen Rechtsträgers in der Eigenverwaltung keine weitergehenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben als in der Fremdverwaltung.808) Zugleich wird damit zum Ausdruck gebracht, dass dem Träger der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung in der Eigenverwaltung im Grundsatz, sieht man von § 276a Satz 2, 3 InsO ab, die gleiche unabhängige Stellung zukommen soll, die der Insolvenzverwalter in der Fremdverwaltung innehat. Die Beachtung dieses Verbots gehört zu den grundlegenden gläubigerschützenden Pflichten aller Beteiligten. Sie ist ein wesentliches Element der ordnungsgemäßen Geschäftsführung i. S. d. § 69 Satz 1 InsO.809) Deshalb zählt es zu den Aufgaben des Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung, die Einhaltung des Einflussnahmeverbots durch alle seine Adressaten zu überwachen (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 276 InsO). Dass die gleiche Pflicht den Sachwalter unmittelbar trifft (§ 274 Abs. 2 Satz 1 InsO), ändert hieran nichts.
1.
Träger der Geschäftsführung
369 Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben darüber zu wachen, dass die Träger der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung die Eigenverwaltung tatsächlich unbeeinflusst von den Überwachungsorganen im Sinne von § 276a InsO und allein im Gläubigerinteresse durchführen. Träger der Geschäftsführung sind die nach der jeweiligen Rechtsform berufenen gesellschaftsrechtlichen Vertretungsorgane, also diejenigen natürlichen Personen, durch die der schuldnerische Rechtsträger allgemein am Rechtsverkehr teilnimmt, insbesondere Vorstandmitglieder, Geschäftsführer, vertretungsberechtigte Gesellschafter, geschäftsführende Direktoren, Abwickler oder Liquidatoren.810)
370 Darüber hinaus ist bei der Überwachung zu beachten, dass das Verbot des § 276a Satz 1 InsO auch für Einwirkungsversuche auf sonstige, dem Vertretungsorgan nachgeordnete vertretungsberechtigte Personen gilt, insbesondere für Prokuristen, Gene___________ 806) Zur Eigenverwaltung durch das Management siehe oben Kapitel 2 D. I. 2., Rn. 65. Plakativ Thiele, in: Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch, 2018, Kap. 4 Rn. 294: „§ 276a InsO beinhaltet folglich die Feststellung der wesentlichen Entmachtung der bisher ausschlaggebenden Gesellschaftsorgane zugunsten der Gläubigergemeinschaft auch in der Eigenverwaltung. Spätestens an dieser Stelle wird den Beteiligten klar werden, dass es sich bei der Anordnung der Eigenverwaltung nicht um ein »Weiter wie bisher!«, sondern um eine eigenverantwortliche Unternehmensführung im Interesse der Gläubiger und nicht mehr der Gesellschafter handelt.“ 807) Siehe oben Kapitel 4 C. I. 4., Rn. 331. 808) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 (zu Nr. 47, Einfügung eines § 276a InsO). 809) Kapitel 4. C. II., Rn. 334 ff. 810) Siehe oben Kapitel 2 D. II., Rn. 69 ff.
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E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
ralbevollmächtigte oder sonstige leitende Angestellte. Ferner erstreckt sich das Verbot auf die Beeinflussung sonstiger Personen, die in einem Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis zum Schuldner stehen, also auch von Arbeitnehmern und Beratern. Ihnen obliegt es, die Anordnungen des Vertretungsorgans zu vollziehen und zu unterstützen. Jede Einwirkung der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane auf ihre Tätigkeit ist zugleich eine unzulässige Einflussnahme auf die Ausübung der Eigenverwaltung. Diese Ausweitung ist geboten, weil es andernfalls den Überwachungsorganen indirekt möglich wäre, das Verbot des § 276a Satz 1 InsO zu umgehen und die mit ihm bezweckte Abschirmung zu unterlaufen.
2.
Adressaten des Einflussnahmesverbots
Als Überwachungsorgane im Sinne der Überschrift des § 276a InsO, die sich in der 371 Eigenverwaltung jeglicher Einflussnahme auf die Geschäftsführung zu enthalten haben, sind zunächst alle Organe und Gremien des schuldnerischen Rechtsträgers anzusehen, denen nach Gesetz, Satzung, satzungsmäßigen Beschlüssen, Geschäftsordnungen oder Absprachen der Beteiligten das Recht oder die faktische Möglichkeit zukommt, aus dem gesellschaftsinternen Bereich heraus auf die geschäftsleitende Tätigkeit des Vertretungsorgans rechtlich oder wirtschaftlich Einfluss zu nehmen. Hierzu gehören etwa die Versammlung der Anteilsinhaber (Hauptversammlung, Gesellschafter-, General- oder Vertreterversammlung, Mitgliederversammlung) und das Aufsichtsorgan, insbesondere der Aufsichtsrat,811) aber auch Verwaltungsräte, Beiräte, Ausschüsse und ähnliche Gremien mit beratender, unterstützender oder kontrollierender Aufgabe. Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO) gilt das 372 Verbot der Einflussnahme für alle Anteilsinhaber, die nach Gesellschaftsvertrag oder Gesetz von der Vertretung ausgeschlossen sind, selbst wenn ihnen intern eine Geschäftsführungsbefugnis (§§ 709 ff. BGB; §§ 114 ff HGB) oder, wie den Kommanditisten, sonstige Kontrollrechte zustehen. Sie sind insolvenzrechtlich als Überwachungsorgan anzusehen. Soweit die von der Vertretung ausgeschlossenen Anteilsinhaber allerdings für die Verbindlichkeiten des schuldnerischen Rechtsträgers, auch die in der Eigenverwaltung neu begründeten, unbeschränkt persönlich haften und deshalb von der Führung der Eigenverwaltung unmittelbar in ihren Vermögensrechten betroffen sind, stehen ihnen weiterhin die gleichen gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Kontrollrechte zu wie außerhalb der Insolvenz (vgl. etwa §§ 118, 156, 166 HGB, § 6 Abs. 3 PartGG).812) Der Normzweck des § 276a InsO, dem Träger der insolvenzrechtlichen Geschäfts- 373 führung in der Eigenverwaltung im Wesentlichen die gleiche unabhängige Stellung ___________ 811) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 zu Nr. 47 (Einfügung eines § 276a InsO). 812) MK-InsO/Klöhn, 3. Aufl. 2014, § 276a Rn. 35.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
zu verschaffen, die der Insolvenzverwalter in der Fremdverwaltung innehat,813) kann nur erreicht werden, wenn das Einflussnahmeverbot nicht zuletzt durch den Gläubigerausschuss auch gegenüber allen faktisch interessierten Einzelpersonen aus der Sphäre des Schuldners durchgesetzt wird. Hierzu sind etwa einzelne Anteilsinhaber unabhängig von der Höhe der Kapitalbeteiligung zu zählen,814) ferner einzelne Mitglieder des gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgans sowie Treugeber oder Hintermänner von Strohleuten, die sich außerhalb aller Regularien um eine Einflussnahme auf die Geschäfte bemühen. Die Gefahr sachwidriger Einwirkungsversuche ist bei solchen Einzelpersonen oftmals noch größer als bei einem regulären Gesellschaftsorgan mit kollektiver Willensbildung.815)
374 Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben dabei zu berücksichtigen, dass bei den meisten kleinen und mittleren Kapitalgesellschaften, die das Gros der eigenverwaltenden Schuldner ausmachen, die Anteilsinhaber zugleich die Stellung eines Vertretungsorgans innehaben. Bei einer solchen Selbstorganschaft geht der vom Gesetz beabsichtigte Abschirmungseffekt des § 276a InsO rechtlich ins Leere. Die Überwachung durch den Gläubigerausschuss muss hier von dem Bewusstsein getragen sein, dass das wirtschaftliche Eigeninteresse des schuldnerischen Managements mit dem nur nachrangig schutzwürdigen Interesse der Anteilsinhaber identisch ist.
3.
Formen der Einflussnahme
375 Die Ausschussmitglieder haben zu beobachten, ob gesellschaftsrechtliche Überwachungsorgane oder sonstige Adressaten des Verbots versuchen, entgegen § 276a Satz 1 InsO direkt oder indirekt Einfluss auf die Geschäftsführung auszuüben. Ein derartiges Verhalten innerhalb der Sphäre des Schuldners stellt in jeder Phase der Eigenverwaltung eine Missachtung der verfahrensrechtlichen Aufgabenverteilung dar und muss allein deshalb schon als nachteilsindizierender Umstand (§ 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 2, § 277 Abs. 2 InsO) qualifiziert werden.816) Derartige Einwirkungshandlungen fördern in aller Regel nicht den zügigen und zweckdienlichen Gang des Verfahrens, sondern wirken eher hemmend und blockierend.817)
376 Durch § 276a Satz 1 InsO sind alle Rechtsvorschriften, Satzungsbestimmungen, Geschäftsordnungen oder sonstigen internen Regelungen außer Kraft gesetzt, die den Mitgliedern des Vertretungsorgans einschließlich der vertretungsberechtigten Gesellschafter im Innenverhältnis zu anderen Organen oder zu Anteilsinhabern eine ___________ 813) 814) 815) 816) 817)
170
Siehe oben Einleitung zu Kapitel 4 E. II., Rn. 368. MK-InsO/Klöhn, 3. Aufl. 2014, § 276a Rn. 30; Klöhn, NZG 2013, 81, 85. Vgl. MK-InsO/Klöhn, 3. Aufl. 2014, § 276a Rn. 30. Siehe auch Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. So zu Recht RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 zu Nr. 47 [Einfügung eines § 276a InsO).
E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis auferlegen. Dies gilt insbesondere für Regelungen, die den Überwachungsorganen oder einzelnen Anteilsinhabern das Recht geben, bei der Führung der Geschäfte durch das Vertretungsorgan im Wege der Beschlussfassung oder auf sonstige Weise verbindlich mitzubestimmen, in seine Meinungs- und Willensbildung vor der Entscheidung einbezogen zu werden oder von ihm nachträglich Rechenschaft zu verlangen. Ob die Beeinflussung durch formalisierte Akte wie Beschlüsse, durch informelle Gespräche oder auf sonstige Weise erfolgt, ist ohne Bedeutung. Unter Einflussnahme ist jedes auch nur faktische Verhalten zu verstehen, mit dem 377 das Vertretungsorgan zu einer für die Insolvenzverwaltung rechtlich oder wirtschaftlich relevanten Handlung oder zur Rücksichtnahme gegenüber dem Überwachungsorgan818) veranlasst werden soll. Umfasst sind dabei auch alle mittelbaren Einwirkungen, die vom Vertretungsorgan bei verständiger Würdigung als Vorbereitung oder Versuch einer Einflussnahme aufgefasst werden können – bis hin zur Wahrnehmung von Auskunfts- oder Einsichtsrechten.819) Nach § 276a Satz 1 InsO untersagt ist nicht nur die Verwendung unredlicher Mittel, sondern jegliche Einflussnahme, unabhängig davon, ob sie sich durch Weisungen, Zustimmungs- oder Ablehnungserklärungen oder durch die Ankündigung, Gewährung oder Verweigerung rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteile vollzieht. Zulässig bleiben allenfalls Empfehlungen, Ratschläge oder Meinungsäußerungen, sofern sie zweifelsfrei als unverbindlich zu verstehen sind. Unerheblich ist ferner, ob die Einflussnahme für die Gläubiger nachteilig ist oder nicht.820) Auch vordergründig neutrale Maßnahmen können sich später als nachteilig erweisen.821) Jedes andere Verständnis würde sich über den Wortlaut und den Zweck der Norm hinwegsetzen.822) Die Ausschussmitglieder müssen sich bewusst sein, dass die Einflussnahme auf sehr 378 unterschiedliche Weise erfolgen kann. Die Methoden reichen vom persönlichen, rechtlichen oder finanziellen Druck auf die Mitglieder des Vertretungsorgans (wozu auch die Kündigung eines Dienstvertrages gehört823)) über das Anbieten oder Gewähren von Vorteilen, über die Androhung der Abberufung einzelner Personen oder der Bestellung zusätzlicher organschaftlicher Vertreter bis hin zu direktem eigenmächtigen Handeln einzelner Anteilsinhaber oder Organmitglieder zum Nach___________ 818) In letzterem Sinne König, Haftung, 2015, S. 46. 819) Vgl. AG Montabaur, Beschl. v. 19.6.2012 – HRB 20744, ZIP 2012, 1307 f. = BeckRS 2012, 14971; MK-InsO/Klöhn, 3. Aufl. 2014, § 276a Rn. 39; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 276a Rn. 5, soweit sich der Einfluss nachteilig auf die Gläubiger auswirken kann; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, 2015, Rn. 151 ff. 820) Zutr. HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 276a Rn. 6; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 90 Rn. 32; a. A. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 276a Rn. 5. 821) Zutr. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 276a Rn. 11. 822) HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 276a Rn. 6. 823) A. A. anscheinend Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 90 Rn. 35.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
teil der Insolvenzmasse und der Gläubigergesamtheit.824) Mit derartigen oder ähnlichen Verhaltensweisen hat der Ausschuss angesichts der in der Eigenverwaltung bestehenden Interessen- und Motivlage825) jederzeit zu rechnen.826) Typischerweise wollen Anteilsinhaber ihre gesellschaftsrechtliche Stellung aufrechterhalten und sichern, den Wert ihrer Anteile durch Forderungsverzichte der Gläubiger steigern und das Unternehmen auf deren Kosten leistungswirtschaftlich sanieren. Das kann nur gelingen, wenn auf den Träger der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung bestimmender Einfluss ausgeübt wird und alternative Verwertungen verhindert werden, die zu einem Verlust oder einer Entwertung der Geschäftsanteile führen.
379 Um die vom Gesetz bezweckte Abschirmung zu unterstützen und durchzusetzen, hat der Gläubigerausschuss sich zunächst ein im Einzelfall möglichst vollständiges realistisches Bild von der Interessenlage der Anteilsinhaber zu verschaffen. Liegt keine Selbstorganschaft vor, so sind die organschaftlichen Vertreter zu befragen, ob, in welcher Weise und mit welchem Erfolg gesellschaftsrechtliche Überwachungsorgane, Anteilsinhaber oder andere Personen aus der Sphäre des Schuldners seit Beginn der Krise versucht haben, Einfluss auf die Ausrichtung oder Führung der angestrebten oder bereits angeordneten Eigenverwaltung zu nehmen. Zwar können Handlungen vor der Einsetzung des Ausschusses von diesem nicht mehr verhindert werden, sie können sich aber noch in der Zukunft auf das Verhalten der Vertretungsorgane auswirken. Auch können die Ausschussmitglieder aus dem vorinsolvenzlichen Verhalten der Überwachungsorgane und Anteilsinhaber schließen, welche Konzeption der Eigenverwaltung tatsächlich zugrunde liegt und welche Gefahren für die Gläubiger sich hieraus ergeben können.
380 Wer § 276a Satz 1 InsO realistisch betrachtet, wird feststellen, dass die verhaltenssteuernde Wirkung der Norm und die Möglichkeiten des Gläubigerausschusses oder des Sachwalters, die Einhaltung des Einflussnahmeverbots wirksam zu überwachen, äußerst gering sind. Ursache hierfür ist, dass die Einflussnahme der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane auf den Gang der Eigenverwaltung nur selten auf offener Bühne und in aller Regel maßgeblich bereits im Vorfeld des insolvenzgerichtlichen Verfahrens stattfindet – nicht zuletzt durch die bestimmende Auswahl des Sanierungsberaters und der von ihm empfohlenen personellen und strategischen Maßnahmen. Es ist immer wieder daran zu erinnern, dass aus der Sicht der Anteilsinhaber die Chance, Einfluss auf die Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse zu nehmen, den eigentlichen Sinn, Zweck und Kern der Eigenverwaltung ausmacht. Letztlich ist die Regelung des § 276a Satz 1 InsO nur ein ___________ 824) MK-InsO/Klöhn, 3. Aufl. 2014, § 276a Rn. 58; vgl. Rödder, Kompetenzbeschränkungen, 2007, S. 191, 208. 825) Siehe oben Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 826) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 21 = BT-Drucks. 19/4880, S. 61.
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E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
weiterer Beleg für die unzureichende gesetzgeberische Konzeption dieses Rechtsinstitutes, das den insolvenztypischen Widerstreit zwischen Schuldner- und Gläubigerinteressen nicht befriedigend aufzulösen vermag. Nicht vom Verbot der Einflussnahme erfasst sind hingegen die Beziehungen der 381 organschaftlich vertretungsberechtigten Personen untereinander. Daher gelten Regelungen zur Einzel- oder Gesamtvertretungsbefugnis im Außenverhältnis ebenso unverändert fort wie interne Geschäftsordnungen, soweit sie die Aufgaben und die Meinungs- und Willensbildung innerhalb des Vertretungsorgans regeln. Änderungen der Vertretungsbefugnis einzelner Organmitglieder, insbesondere der Übergang von der Einzel- zur Gesamtvertretungsbefugnis oder umgekehrt, sind allerdings nur noch mit Zustimmung des Sachwalters nach § 276a Satz 2 und 3 InsO zulässig. Auch sie können nämlich ebenso wie die Abberufung oder Neubestellung bestimmter Personen die Machtverhältnisse innerhalb des Vertretungsorgans und damit die wirtschaftliche Orientierung und die Führung der Eigenverwaltung entscheidend beeinflussen.827)
4.
Überwachung des Einflussnahmeverbots durch den Ausschuss
Die Überwachung des Einflussnahmeverbots durch den Gläubigerausschuss ist eine 382 Querschnittsaufgabe, welche die Tätigkeit des Ausschusses und jedes einzelnen Mitglieds durchdringen muss. Dabei ist die Pflicht zur eigenverantwortlichen Beschaffung angemessener Informationen unter Ausschöpfung der verfügbaren Quellen für den Verfahrenserfolg besonders bedeutsam.828) Zusätzlich zur intensiven Lektüre der seriösen Wirtschaftspresse und zur Verbin- 383 dung mit einzelnen Gläubigern, die laufende Geschäftsbeziehungen zum Schuldner unterhalten, werden sich Erkenntnisse der Ausschussmitglieder vor allem aus den schriftlichen und mündlichen Berichten des Sachwalters ergeben, die dieser ihnen bei pflichtgemäßer Amtsausübung entsprechend ihren Vorgaben829) regelmäßig und anlassbezogen zukommen lässt. Eine solche Berichterstattung über erkannte Verstöße gegen das Einflussnahmeverbotgehört in die Tagesordnung jeder Ausschusssitzung. Dabei hat der Sachwalter über sämtliche Umstände zu berichten, die auch nur ansatzweise die Besorgnis rechtfertigen können, dass die Überwachungsorgane oder einzelne Personen versuchen, unerlaubten Einfluss auf die Geschäftsführung zu nehmen. Er hat unabhängig vom eigenen Verständnis des § 276a Satz 1 InsO alle Wahrnehmungen und Erkenntnisse mitzuteilen, die erfahrungsgemäß auf vermögens- oder verfahrensbezogene Interaktionen zwischen den Mitgliedern der
___________ 827) Siehe unten Kapitel 4 F. V. 1., Rn. 474 ff. 828) Siehe oben Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff. 829) Vgl. oben Kapitel 3 H. X. 1., Rn. 297 f.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane und den Angehörigen der Geschäftsleitung hindeuten.
384 Liegen solche Indizien vor, so hat der Gläubigerausschuss seine Überwachung zu intensivieren, indem er die beteiligten Personen zu einer Stellungnahme auffordert. Auch in diesem Zusammenhang wird deutlich, wie wichtig die regelmäßige persönliche Anwesenheit des Sachwalters im Unternehmen des Schuldners ist. Die reale und aufmerksame Einbindung in das Tagesgeschäft (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO) und die hiermit verbundenen Gespräche mit Führungskräften und Arbeitnehmern bieten nicht hoch genug einzuschätzende Möglichkeiten der Informationsgewinnung. Sie sind vom Sachwalter aufmerksam zu nutzen.
III. Überwachung des Einflusses externer Experten, insbesondere des Sanierungsberaters 385 Im Zusammenhang mit der persönlichen Amtsausübung des eigenverwaltenden Schuldners obliegt dem Gläubigerausschuss auf der Grundlage des § 69 Satz 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch die Überwachung des Einflusses externer Sanierungsberater. Dieser Einfluss kann in der Eigenverwaltung nicht ernst genug genommen werden.830) Er beschränkt sich keineswegs auf verbale Beratung oder auf die Übernahme einzelner rechtlicher oder verfahrenstechnischer Dienstleistungen, sondern umfasst sehr häufig neben der Entwicklung und Ausarbeitung des Sanierungskonzepts zugleich dessen betriebswirtschaftliche Realisierung. Hierzu gehört nicht zuletzt die Bereitstellung sogenannter Sanierungsgeschäftsführer831), rechtsformübergreifend auch Chief Restructuring Officers (CRO) oder Interims-Manager genannt, die innerbetrieblich und zumeist nach außen hin die Leitung der insolvenzspezifischen Geschäftsführung übernehmen.832) Der Schuldner oder seine bisherigen organschaftlichen Vertreter allein sind fast nie zur ordnungsgemäßen Durchführung der Eigenverwaltung in der Lage. Sie geraten daher beinahe zwangsläufig in ein grundlegendes Abhängigkeitsverhältnis zu dem im Gesetz nicht vorgesehenen Berater.833)
___________ 830) Siehe oben Kapitel 2 J. III., Rn. 164 ff. Die Begriffe Sanierungs- oder Insolvenzberater werden in Rechtsprechung und Literatur gleichbedeutend verwendet, in der Praxis überwiegt wohl der optimistischere Begriff des Sanierungsberaters. Hierzu auch Jacoby/Madaus/Sack/ Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 282 ff. = BT-Drucks. 19/4880, S. 322 ff. (Fallstudie Nr. 11). 831) Zu den weiteren rechtsformübergreifenden Begriffen siehe oben Kapitel 2 J. III. 4., Rn. 176 f. 832) Siehe oben Kapitel 2 J. III. 4., Rn. 176 ff. Der BGH spricht zu Recht von der „vieldeutigen Funktion eines Sanierungsgeschäftsführers“ (BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290, 306 = NZI 2018, 519, 523 Rn. 38 = ZIP 2018, 977, 985). Ausführlich dazu Thiele, ZInsO 2015, 1083 ff. 833) Vgl. dazu bereits Hammes, NZI 2017, 233 ff.
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E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
Die Überwachung des Einflusses des Sanierungsberaters ist für die Gläubiger und 386 besonders den Gläubigerausschuss von außerordentlicher Bedeutung. Zum einen führen die Kosten der Beratung, zumeist als Kosten des Insolvenzmanagements deklariert, in aller Regel zu einer wesentlichen Verteuerung des Verfahrens.834) Zum anderen beruht der Marktwert eines Sanierungsberaters gerade darauf, dass er vor allem die Interessen des Schuldners sowie seiner Anteilsinhaber und organschaftlichen Vertreter im Blick hat und mit den Möglichkeiten der Eigenverwaltung eine Sanierung um jeden Preis835) anstrebt, bei der die Interessen der Gläubiger allenfalls nachrangig berücksichtigt werden. Sein Einfluss kann sehr schnell zu einer Nebeninsolvenzverwaltung führen, die sich der gesetzlich geregelten Aufsicht des Gläubigerausschusses und des Insolvenzgerichts zu entziehen sucht. Ist der Sachwalter zudem nicht unabhängig,836) so ist die effiziente, am Verfahrenszweck orientierte Überwachung der Eigenverwaltung insgesamt in hohem Maße in Gefahr.
1.
Prüfung der Zuverlässigkeit des Sanierungsberaters
Sobald die Mitglieder des (vorläufigen oder endgültigen) Gläubigerausschusses vom 387 Wirken eines Sanierungsberaters auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners erfahren, haben sie sich umgehend über dessen vertraglichen und faktischen Aufgabenkreis sowie über dessen Sachkunde, Zuverlässigkeit und sonstige Eignung zu informieren. Unternehmensinterne Führungskräfte und externe Berater des eigenverwaltenden Schuldners müssen ebenso zuverlässig sein wie der Schuldner selbst. Ihre Zuverlässigkeit ist in der Eigenverwaltung Teil der notwendigen Eignung des Schuldners.837) Für aufmerksame Beobachter ergeben sich wesentliche Erkenntnisse über die fachli- 388 che und persönliche Zuverlässigkeit eines Sanierungsberaters zumeist bereits aus dessen Selbstdarstellung in den elektronischen Medien. Diese Verlautbarungen richten sich explizit an Unternehmer, die von der Insolvenz bedroht sind. In ihnen wird vielfach unverhüllt deutlich, dass die Bemühungen des Beraters ausschließlich darauf gerichtet sind, mit Hilfe der Eigenverwaltung den Verlauf und das Ergebnis des Insolvenzverfahrens so zu beeinflussen, dass die Interessen des Schuldners, seiner Anteilsinhaber und organschaftlichen Vertreter im Vordergrund stehen und die Gläubiger das
___________ 834) Siehe Kapitel 2 J. IV. 2. b), Rn. 190 und Nachw. in Fn. 444. 835) So ausdr. BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 60 a. E. = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977: „Gerade in der Eigenverwaltung bedarf es einer Haftung der Geschäftsleiter, um eine erhöhte Risikobereitschaft zu zügeln und einer Sanierung um jeden Preis entgegenzuwirken.“ Zust. Bachmann/Becker, NJW 2018, 2235, 2237. 836) Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 ff. 837) Kapitel 2 G III. 2. a), Rn. 136 ff.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
Nachsehen haben.838) Dabei zögert man auch nicht, die gesetzliche Zuständigkeit des Sachwalters unvollständig oder sonst irreführend darzustellen und etwa seine regulären Aufgaben nach den §§ 275, 280 InsO zu verschweigen.839)
389 Ausschussmitglieder aus Kreisen der institutionellen Gläubiger werden vielfach auf Erfahrungen mit dem Berater in anderen Insolvenzverfahren zurückgreifen können. Hat man dort Verfehlungen oder Anmaßungen des Beraters festgestellt, die Zweifel an seiner Zuverlässigkeit begründen, so hat der betreffende Gläubiger diese Kenntnis unverzüglich gegenüber den übrigen Ausschussmitgliedern und dem Insolvenzgericht zu offenbaren. Dies gilt nicht nur für Extremfälle wie einschlägige Vorstrafen oder die falsche Darstellung früherer Sanierungserfolge,840) sondern ebenso für alle sonstigen Bemühungen des Beraters, den gesetzmäßigen Gang der Eigenverwaltung unter Missachtung des Verfahrenszwecks zum Nachteil der Gläubiger zu beeinflussen.841) Insbesondere zu nennen sind
Versuche, die Überwachungstätigkeit des Sachwalters oder die Erledigung seiner sonstigen Aufgaben zu vereiteln, etwa durch Annahme der alleinigen Vollmacht über Verfahrenskonten,
die Vornahme, Veranlassung oder Hilfe bei der Verdeckung insolvenzzweckwidriger Handlungen,
Ansätze zur unredlichen Einflussnahme auf einen gerichtlich bestellten Sachverständigen oder auf den Sachwalter,
kollusives oder korrumpierendes Verhalten gegenüber dem Sachwalter (etwa in Fragen der Vergütung oder im Rahmen des Nominierungs- und Belohnungsnetzwerks des Beraters842)) sowie
unseriöse oder unvollständige Beratungsleistungen in anderen Fällen.843)
390 Aufschluss über die Zuverlässigkeit und sonstige Eignung des Sanierungsberaters gibt auch die von ihm erstellte Dokumentation seiner bisherigen Arbeit für den ___________ 838) Vgl. zum Beispiel die Ausführungen von Haarmeyer/Buchalik in Fn. 356 und Seidl, in: http:// www.ra-andrew-seidl.de/unsere-rolle.html: „So dokumentierte auch die WirtschaftsWoche (Heft Nr. 12 vom 18.3.2013), wie ein Unternehmen durch unsere optimale Beratung und Begleitung alle ESUG-Register ausspielend »das Beste für sich herausgeholt« hat und die übrigen Gläubiger deshalb »in die Röhre geschaut« haben.“ 839) Vgl. Buchalik/Brömmekamp, Sanierung unter Insolvenzschutz, 2015, S. 14: „Der Sachwalter hat nur eine Kontroll- und Überwachungsfunktion“, S. 40: „Äußerst schädlich ist es, wenn die Kassenführung beim Sachwalter liegt und die Gelder über Anderkonten des Sachwalters laufen.“ 840) Frege, NZI 2006, 545, 549. 841) Siehe zum Beispiel Seidl, oben Fn. 838. 842) Zum Netzwerk siehe Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 f. 843) Vgl. allgemein OLG Celle, Urt. v. 23.10.2003 – 16 U 199/02, NJW 2003, 3638 = ZIP 2003, 2118; Frege, NZI 2006, 545, 547; Kayser, NJW 2014, 422, 424.
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E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
Schuldner. Eine solche Dokumentation gehört für Angehörige freier Berufe zu den Grundlagen ordnungsgemäßer Berufsausübung.844) Regelmäßig wird der Sanierungsberater vor der Stellung des Eröffnungsantrags (§ 13 InsO) mandatiert und mit der Vorbereitung der notwendigen Antragsunterlagen einschließlich des SanierungsGrobkonzepts betraut. Die Dokumentation seiner Tätigkeit muss deshalb neben der Mandatsvereinbarung und den zur Vorlage bei Gericht erstellten Unterlagen insbesondere aussagekräftige Vermerke über die Gespräche mit dem Auftraggeber, die Zusammenstellung der Ermittlungsergebnisse zur Feststellung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens sowie Nachweise über die Prüfung sinnvoller Sanierungsalternativen enthalten.845) Der eigenverwaltende Schuldner hat aufgrund seiner Auskunftspflicht846) dafür zu 391 sorgen, dass alle diese Unterlagen den Mitgliedern des Gläubigerausschusses zur Verfügung gestellt werden. Aufgabe der Ausschussmitglieder ist es, die Unterlagen auf ihre Plausibilität und fachliche Seriosität hin zu prüfen und mit den bekannt gewordenen Sanierungsvorstellungen des Schuldners in Beziehung zu setzen. Fehlt eine solche Dokumentation, ist sie unzureichend oder wird sie nicht vollständig vorgelegt, so ist dies ein schwerwiegendes Indiz gegen die Zuverlässigkeit des Beraters und damit gegen die Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung. Zugleich indiziert ein solcher Mangel die Vermutung, dass auf Seiten des Schuldners keine ernsthaften und wirtschaftlich tragfähigen Vorstellungen über die gesetzeskonforme Bewältigung der Insolvenz existieren. Der Gläubigerausschuss hat in diesem Zusammenhang den (vorläufigen oder end- 392 gültigen) Sachwalter möglichst frühzeitig darüber zu befragen, wie er die Eignung und Zuverlässigkeit des mandatierten Beraterstabs einschätzt und auf welcher Informationsgrundlage diese Beurteilung beruht. Sind dem Sachwalter unseriöse, unvollständige oder weitgehend wertlose Leistungen des Beraters aus anderen Fällen bekannt,847) so hat er dem Ausschuss dies unverzüglich zu offenbaren. Die Ausschussmitglieder dürfen sich aber nicht ohne weiteres auf das Pflichtbewusstsein des Sachwalters verlassen. Seine Auskünfte können eine eigene Beurteilung der Ausschussmitglieder nicht ersetzten, sondern nur ergänzen. Besteht zwischen Sachwalter und Berater eine regelmäßige Geschäftsbeziehung,848) 393 was ebenfalls zu erfragen ist, so ist nicht zu erwarten, dass der Sachwalter eine neutrale Leistungsbeurteilung abgeben wird. In solchen Fällen ist es erforderlich, ___________ 844) Frege, NZI 2006, 545, 548. 845) Frege, NZI 2006, 545, 548 f. 846) § 69 Satz 2, § 97 Abs. 1, 2, § 101, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO; siehe oben Kapitel 3 D. III., Rn. 244 ff. 847) Vgl. allgemein OLG Celle, Urt. v. 23.10.2003 – 16 U 199/02, NJW 2003, 3638 = ZIP 2003, 2118; Frege, NZI 2006, 545, 547. 848) Vgl. Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 ff.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
dass die Ausschussmitglieder die Verfahrenskonzeption des Schuldners mit dem Sachwalter eingehend unter dem Gesichtspunkt der Zuverlässigkeit des Beraters erörtern, um sich einen genauen Eindruck von dessen Qualität und Einfluss sowie von der ihm in der Eigenverwaltung zugedachten Rolle zu verschaffen.
2.
Zustimmung zum Neuabschluss von Beratungsverträgen
394 Die Tätigkeit des Sanierungsberaters und der von ihm entsandten weiteren Fachleute ist üblicherweise eine dienstvertragliche Geschäftsbesorgung (§§ 675, 611 BGB); je nach Aufgabenstellung kann es sich aber auch um eine Geschäftsbesorgung mit werkvertraglichem Charakter handeln.849) Im vorliegenden Zusammenhang ist die Unterscheidung ohne Bedeutung, weil nach den §§ 115, 116 InsO in beiden Fällen die bisherigen Verträge zwischen Schuldner und Beratern ebenso wie eine erteilte Vollmacht (§ 117 InsO) mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen.850) Dies gilt auch, wenn das Gericht gleichzeitig die Eigenverwaltung angeordnet hat, denn nur so kann entsprechend dem Normzweck der §§ 115 – 117 InsO851) sichergestellt werden, dass die Verwaltung der Masse vom Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung an allein in den Händen der insolvenzrechtlich legitimierten Personen liegt. Der eigenverwaltende Schuldner besitzt diese Legitimation aber nur eingeschränkt. Ein erneuter Vertragsabschluss mit dem Berater ist sowohl wegen seines Inhalts und seiner Auswirkungen auf die gesamte Masseverwaltung als auch wegen der erheblichen Höhe der Vergütung eine besonders bedeutsame Rechtshandlung im Sinne des § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO, so dass er in die Mitwirkungskompetenz des Gläubigerausschusses (§ 276 InsO) und des Sachwalters (§ 275 Abs. 1 Satz 1 InsO) fällt. Dies ist vom Gläubigerausschuss und von den übrigen Beteiligten in allen Verfahrensphasen zu beachten.852)
395 Vor der Beschlussfassung über die Zustimmung hat der Gläubigerausschuss den genauen und vollständigen Inhalt des jeweiligen Vertrages zu ermitteln und zu prüfen, ob in ihm die Interessen der Gläubigergesamtheit vorrangig gewahrt sind.853) Der Schuldner hat dem Ausschuss zu diesem Zweck die Vertragsurkunde und sämtliche in diesem Zusammenhang relevanten Schriftstücke vorzulegen (§ 97 Abs. 1, § 69 Satz 2 InsO). Zu klären ist, wer auf Seiten des Schuldners Vertragspartner werden soll und wer die Vergütung zu leisten hat. Ist ein Vertrag nicht mit ___________ 849) Frege, NZI 2006, 545, 547; Doliwa, Geplante Insolvenz, 2012, S. 252. 850) LG Stuttgart, Urt. v. 18.4.2018 – 27 O 338/16 (n. rkr., anhängig OLG Stuttgart, 3 U 84/18), NZI 2018, 847, 850 = ZInsO 2018, 1733. 851) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 151 zu §§ 133 – 135 (= §§ 115 – 117 InsO). 852) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223, Vorbem. zu §§ 331 ff. (= §§ 270 ff. InsO): „Die Vorschriften des materiellen Insolvenzrechts sollen bei dieser Verfahrensgestaltung [d. h. in der Eigenverwaltung] im Grundsatz unverändert gelten. [… In den §§ 270 ff. InsO] wird lediglich die Aufteilung der Befugnisse zwischen Schuldner und Sachwalter geregelt.“ 853) OLG München, Beschl. v. 6.8.2004 – 2 Ws 660, 694/04, ZIP 2004, 2438.
178
E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
dem schuldnerischen Rechtsträger, sondern mit organschaftlichen Vertretern oder Anteilsinhabern geschlossen worden, so unterliegt er der Mitbestimmung des Ausschusses nach § 276 InsO nur, wenn die finanziellen Lasten der Beratung die Insolvenzmasse treffen. Eine Finanzierung des Beratervertrages aus Fremdmitteln zum vorgeblichen Nutzen der Masseverwaltung begründet jedoch regelmäßig den dringenden Verdacht einer unerlaubten Einflussnahme außenstehender Personen nach § 276a Satz 1 InsO und ist als nachteilsindizierender Umstand (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) zu werten. Der Gläubigerausschuss muss außerdem klären, ob der Berater allein vom Schuldner oder zusätzlich von Personen aus dessen Sphäre oder aus dem Kreis der Gläubiger mit einer insolvenzbezogenen Beratung beauftragt ist und ob sich hieraus eine Interessenkollision ergibt. Persönliche Verträge der organschaftlichen Vertreter oder Anteilsinhaber des Schuldners mit einem Berater sind selbstverständlich allein aus dem Vermögen des Mandanten zu honorieren; etwaige Vorschüsse oder sonstige Zahlungen aus dem schuldnerischen Vermögen sind in einem solchen Fall dem Ausschuss umfassend offenzulegen.854) Die auf beiden Seiten verpflichteten oder berechtigten Personen und die geschulde- 396 ten Leistungen müssen im Mandatsvertrag sachlich nachvollziehbar und vollständig dokumentiert sein. Als Mindestinhalt ist zu verlangen, dass einerseits Gegenstand und Ziel des Auftrages sowie die Berechnungsmodalitäten der Vergütung einschließlich der Tätigkeitsdokumentation hinreichend deutlich geregelt sind und andererseits vom Leistungsumfang ausgenommene, möglicherweise gesondert zu vergütende Tätigkeiten zweifelsfrei bestimmt werden können.855) Üblicherweise wird die Vergütung der Berater nach Stunden- oder Tagessätzen be- 397 rechnet. Die Ausschussmitglieder haben deshalb zur Ergänzung der Vertragsunterlagen durch Befragung des Schuldners zu ermitteln, welchen zeitlichen Umfang die Beratung (pro Tag oder Woche) voraussichtlich in Anspruch nehmen wird und welche Tätigkeiten im Einzelnen vom Berater und seinen Mitarbeitern wahrgenommen werden sollen. Die sich hieraus ergebenden Aufwendungen sind mit den Angaben in der vom Schuldner vorzulegenden integrierten Unternehmensplanung und mit den Erkenntnissen des Sachwalters abzugleichen. Sind diese Positionen im Rechenwerk des Schuldners nicht realistisch berücksichtigt, so ist zu vermuten, dass entweder die Ausschussmitglieder über die tatsächlich zu erwartenden Belastungen der Insolvenzmasse getäuscht werden sollen oder dass die Vergleichsrechnungen nicht mit der gebotenen Sachkunde oder Sorgfalt erstellt worden sind; beides sind gravierende nachteilsindizierende Umstände, die einer Anordnung oder Fortsetzung der Eigenverwaltung entgegenstehen (§ 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 2, § 277 Abs. 2 InsO).856) ___________ 854) Vgl. Frege, NZI 2006, 545, 549. 855) Zum Vorstehenden Frege, NZI 2006, 545, 549. 856) Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff.
179
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
398 Der Beratervertrag ist im Hinblick auf § 275 Abs. 1 Satz 1, § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO auch vom Sachwalter auf seine Vereinbarkeit mit dem Verfahrenszweck hin zu prüfen. Der Gläubigerausschuss hat sich davon zu überzeugen, dass dies geschehen ist. Dabei hat er die Erkenntnisse und Wertungen des Sachwalters in seine eigenen Überlegungen einzubeziehen und zugleich aufgrund seines eigenen Informationsstandes kritisch zu würdigen.
3.
Einschaltung eines Sanierungsgeschäftsführers
399 Auf Anraten und Vorschlag des Sanierungsberaters wird im Zusammenhang mit dem Eigenverwaltungsantrag häufig ein externer Insolvenzexperte als sog. Sanierungsgeschäftsführer857) zum organschaftlichen Vertreter des Schuldners bestellt.858) Mit diesem Schritt soll entweder die unzureichende insolvenzrechtliche und betriebswirtschaftliche Sachkunde des Schuldners verbessert oder etwa fehlendes Vertrauen der Gläubiger oder des Insolvenzgerichts in die Zuverlässigkeit des Schuldners hergestellt werden.859) Eine solche Handhabung ist zwar zutreffend als „Fremdverwaltung im Kostüm der Eigenverwaltung“ bezeichnet worden,860) weil der gesetzliche Zweck der Eigenverwaltung, im Interesse der Gläubiger die fachliche und betriebswirtschaftliche Vertrautheit des Schuldners mit seinem Unternehmen zu nutzen,861) aus eigennützigen Motiven des Schuldners und seiner Anteilsinhaber ignoriert wird. Ein Sanierungsgeschäftsführer unterliegt jedoch in der Eigenverwaltung ebenso wie jeder andere organschaftliche Vertreter des Schuldners als Träger der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung der unmittelbaren Aufsicht durch die Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 69 InsO).
400 Bei der Tätigkeit des Sanierungsgeschäftsführers ergeben sich besondere, vom Gläubigerausschuss bei der Überwachung zu beachtende Risiken, weil er infolge seiner Zugehörigkeit zum Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk des Sanierungsberaters862) oder als dessen Arbeitnehmer von diesem nahezu regelmäßig rechtlich oder wirtschaftlich abhängig ist und daher mit seiner Einschaltung eine entscheidende weitere Verlagerung der Kontrolle stattfindet. Der Berater erhält die Möglichkeit, über den Sanierungsgeschäftsführer unmittelbar in alle wesentlichen Bereiche der Geschäftsführung des Schuldners einzugreifen. Damit fehlt dem Sanierungsgeschäfts___________ 857) Auch Chief Restructuring Officer (CRO) oder Interim-Manager genannt. 858) Siehe oben Kapitel 2 J. III. 4., Rn. 176; vgl. Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 10 Rn. 75; Berner/Köster/Lambrecht, NZI 2018, 425, 426. 859) So bereits Hammes, NZI 2017, 233, 234. Zu Recht kritisch auch Frind, ZIP 2017, 993, 999: „Ein Austausch der bisherigen »bemakelten« Geschäftsführung wird in der Regel nicht genügen, um eine Nachteilsprognose zu vermeiden.“ 860) AG Duisburg, Beschl. v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock), NZI 2002, 556, 559 = ZIP 2002, 1636, 1637, 1639. Siehe oben Kapitel 2 J. III. 4., Rn. 176 Fn. 399. 861) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f. (Vorbemerkung zur Eigenverwaltung). 862) Kapitel 2 J. III. 4., Rn. 176.
180
E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
führer die für die Ausübung der Organstellung in der Eigenverwaltung notwendige Unabhängigkeit (§§ 270, 276a InsO).863) Publizistische Versuche, dies als enge und vertrauensvolle Beziehung zwischen Berater, Sanierungsgeschäftsführer, Sachwalter und Schuldner zu rechtfertigen,864) verkennen oder verschleiern, dass hier eine faktische Herrschaft des Beraters über die Geschäftsführung seines Mandanten, des Schuldners, installiert wird, die mit dem Grundgedanken der Eigenverwaltung865) nichts mehr gemein hat. Wirtschaftlich gesehen begründet die Aufnahme eines solchen vom Berater abhän- 401 gigen Sanierungsgeschäftsführers in die Unternehmensleitung des Schuldners unter anderem die Gefahr, dass der Geschäftsführer seine Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten missbraucht, indem er den Sanierungsberater oder eine diesem nahestehende Unternehmensberatungsgesellschaft in unkontrollierter und unangemessener Weise mit Dienstleistungen beauftragt. Diese häufig anzutreffende Situation, die in ihren wirtschaftlichen Folgen den Risiken eines Insichgeschäftes (§ 181 BGB) zumindest sehr nahekommt, unterscheidet sich maßgeblich von der Fremdverwaltung. Dort werden Beträge, die der Insolvenzverwalter wegen des Einsatzes besonderer eigener Sachkunde (§ 5 InsVV) erhält, von dem für seine Vergütung maßgeblichen Wert der Insolvenzmasse abgezogen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 lit. a InsVV);866) er muss außerdem bei der Darstellung seiner Auslagen nach § 8 Abs. 2 InsVV transparent darlegen, welche Dienst- und Werkverträge für besondere Aufgaben im Rahmen der Insolvenzverwaltung abgeschlossen worden sind (§ 4 Abs. 1 Satz 3 InsVV). Seine allgemeinen Geschäftskosten einschließlich der Gehälter seiner Angestellten, selbst wenn er sie anlässlich dieses Insolvenzverfahrens eingestellt hat, sind mit der gesetzlichen Vergütung abgegolten (§ 4 Abs. 1 Satz 2 InsVV). Die Aufgaben des Sanierungsgeschäftsführers sind vertraglich zumeist nur sche- 402 menhaft umschrieben.867) Sie umfassen gemeinhin die Bearbeitung insolvenzrechtlicher Sachverhalte mit dem Ziel der Sanierung des Unternehmens im Rahmen eines Eigenverwaltungsverfahrens sowie die Berichterstattung und sonstige Kommunikation mit dem Insolvenzgericht. Häufig sehen die Anstellungsverträge vor, dass diese Tätigkeit im Einvernehmen mit dem Sanierungsberater zu erfolgen hat. Als organschaftlicher Vertreter ist der Sanierungsgeschäftsführer von dem gesellschaftsrechtlich zuständigen Organ unter Beachtung des § 276a InsO (sowie indirekt auch
___________ 863) AG Stendal, Beschl. v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875 f. = BeckRS 2012, 19830; Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233, 2238; Frind, DB 2014, 165, 168; Siemon, ZInsO 2014, 172, 179 f.; Hammes, NZI 2017, 233, 238; Ganter, NZI 2018, 137, 142. 864) Berner/Köster/Lambrecht, NZI 2018, 425, 426 f. 865) Siehe Kapitel 2 B., Rn. 38 ff. 866) Vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 29.9.2011 – IX ZB 112/09, NZI 2011, 941 f. = ZIP 2011, 2117 f. 867) In diesem Sinne wohl auch Thiele, ZInsO 2015, 877.
181
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
des § 276 InsO) zu bestellen und hat sodann alle mit dieser Stellung verbundenen gesetzlichen Pflichten eigenverantwortlich zu erfüllen.868)
403 Die Ausschussmitglieder haben sich aufgrund ihrer Überwachungspflicht darüber Klarheit zu verschaffen, ob bei der Bestellung des Sanierungsgeschäftsführers und der Zustimmung des Sachwalters (§ 276a Satz 2, 3 InsO869)) ihre Mitwirkungsrechte nach § 276 InsO870) sowohl im Eröffnungsverfahren als auch nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses beachtet worden sind. Sie haben zu ermitteln, auf welchen Erwägungen die Bestellung des neuen organschaftlichen Vertreters beruht, ob sie notwendig war und ob sie zu angemessenen Konditionen erfolgt ist. Um die notwendigen Rückschlüsse in Hinblick auf § 276a InsO ziehen zu können, ist vom Ausschuss schließlich zu klären, in welchem rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnis der Sanierungsgeschäftsführer zum Sanierungsberater steht und in welchen anderen Fällen bereits eine Zusammenarbeit stattgefunden hat. Eine Frage des Sparsamkeitsgebotes ist es, in Erfahrung zu bringen, welche Konditionen und Absprachen, auch formloser Art, im Innenverhältnis zwischen Sanierungsgeschäftsführer und Sanierungsberater bestehen. So kann ermittelt werden, wie hoch die Gewinnspanne des Beraters ist, die letztlich zu Lasten der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger geht.871) Soll dem aus der Sphäre des Beraters stammenden Sanierungsgeschäftsführer gar die Einzelvertretungsbefugnis eingeräumt werden, so ist dies nicht etwa ein Zeichen für „Qualität und Verantwortung“872) des Beraters, sondern eher ein maßgebliches Indiz für die wirtschaftliche Entmündigung des eigenverwaltenden Schuldners.873)
404 Die vorstehend erwähnten Prüfungs- und Überwachungspflichten hat in gleicher Weise, keineswegs aber ausschließlich, auch der Sachwalter zu erfüllen (§ 274 Abs. 2 InsO); dies ist von den Ausschussmitgliedern ebenfalls zu kontrollieren. Da der Sachwalter in das Tagesgeschäft des Schuldners und die Erarbeitung und Umsetzung des Sanierungskonzeptes eingebunden ist, hat er wesentlich weitergehende Gelegenheiten als der Gläubigerausschuss, sich einen Eindruck von der Qualifika___________ 868) Thiele, ZInsO 2015, 877 f.; zu den rechtlichen Grenzen interner Geschäftsverteilung innerhalb des Vertretungsorgans vgl. etwa BGH, Urt. v. 18.10.1976 – II ZR 9/75, NJW 1977, 199 f.; BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, NJW 1994, 2149, 2150 f. = ZIP1994, 891 f.; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 216/01, NJW-RR 2004, 900 f. = ZIP 2004, 407; BGH, Urt. v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, NZI 2019, 225 f. Rn. 14 ff. = ZIP 2019, 261. 869) Siehe unten Kapitel 5 D. V., Rn. 653 ff. 870) Dazu unten Kapitel 4 F. V., Rn. 472 ff. 871) Die Gewinnaufschläge von Sanierungsberatern für die von ihnen vermittelten Sanierungsgeschäftsführern betragen nach Einschätzung und Erfahrung des Autors regelmäßig zwischen 300 und 400 % der Selbstkosten. – Vgl. auch Silcher/Brandt, Handbuch Insolvenzplan in Eigenverwaltung, 2017, Kap. 5 Rn. 21: „Die Einsetzung des CRO bietet sich aufgrund der hohen Kosten oftmals nur bei größeren Verfahren an.“ 872) Reus/Höfer/Harig, NZI 2019, 57 f. 873) Kapitel 2 J. III. 4., Rn. 176 ff.
182
E. Zielpersonen der Aufsicht des Ausschusses auf Seiten des eigenverwaltenden Schuldners
tion des Sanierungsgeschäftsführers und der Angemessenheit seiner Vergütung zu verschaffen. Fehlt diesem die erforderliche Eignung zur Masseverwaltung oder ist seine Vergütung unangemessen hoch, so hat der Sachwalter dies dem Gläubigerausschuss in eigener Initiative anzuzeigen (§ 274 Abs. 3 Satz 1 InsO). Dass dies geschieht, dürfen die Ausschussmitglieder jedoch nicht als Selbstverständlichkeit erwarten, sondern müssen dem Sachwalter substantiierte Erklärungen zu diesen Sachverhalten abverlangen.
4.
Bereitstellung externer Führungskräfte unterhalb der Ebene des Vertretungsorgans
Ob die Bestellung von Insolvenz- und Sanierungsexperten zu organschaftlichen 405 Vertretern auch künftig praktiziert werden wird, ist fraglich, weil inzwischen höchstrichterlich geklärt ist, dass derartig exponierte Sanierungsgeschäftsführer in der Eigenverwaltung den Verfahrensbeteiligten für Pflichtverletzungen entsprechend §§ 60, 61 InsO wie ein Insolvenzverwalter haften.874) Es ist zu erwarten, dass Personen, die bislang als Sanierungsgeschäftsführer eingesetzt wurden, sich künftig formal in Rechtspositionen unterhalb der Vorstands- und Geschäftsführerebene werden einweisen lassen, beispielsweise als Prokuristen oder Generalbevollmächtigte, um auf diese Weise das eigene Haftungsrisiko zu verringern.875) Aus der Sicht der Gläubigergesamtheit und damit des Gläubigerausschusses ist eine solche Situation als offenkundig nachteilsindizierender Umstand zu qualifizieren.876) Es kann nicht im Interesse der Gläubiger liegen, Personen maßgeblichen Einfluss auf die Führung der Eigenverwaltung zu überlassen, die ihnen für Folgen von Pflichtverletzungen nicht in gleichem Maße haften wie ein Insolvenzverwalter.877) Darum ist der Gläubigerausschuss verpflichtet, derartige Konstruktionen aufzudecken und zu unterbinden. Dies kann zum Beispiel durch die Versagung der Zustimmung zum Abschluss ___________ 874) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 ff. = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977 m. zust. Anm. Bitter, ZIP 2018, 986 ff.; zust. auch Poertzgen, in: FS Pape, 2019, S. 329, 331 f., 340 f., jedoch gegen eine Haftung anlaog §§ 60, 61 InsO im Eröffnungsverfahren. 875) Gegen eine Haftungserweiterung auf diese Personen Bitter, ZIP 2018, 986, 988; Gehrlein, ZInsO 2018, 2234, 2240; Hölzle, ZIP 2018, 1669, 1671 f.; ebenso wohl L. Weber, NZI 2018, 553, 555 f. (keine Außenhaftung nach §§ 60 f. InsO, allenfalls eine Innenhaftung); Bachmann/ Becker, NJW 2018, 2235, 2237; Flöther, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 19 Rn. 34a. Für eine analoge Haftung des „CRO ohne Stellung als Organwalter“ jedoch Horstkotte, ZInsO 2018, 2329, 2332; Baumert, LMK 2018, 407918 (Ziff. 3); tendenziell auch Schulte-Kaubrügger, ZIP 2019, 345, 349. 876) Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 877) Vgl. jedoch Bitter, ZIP 2018, 986, 988, der mit Recht die Frage aufwirft, ob die von der Rechtsprechung im Bereich der Organhaftung (§§ 43, 64 GmbHG) entwickelten Grundsätze zum sog. faktischen Geschäftsführer auch angewendet werden können, wenn eine Person die Eigenverwaltung faktisch unter Verdrängung der eigentlichen Geschäftsführer durchführt (§§ 60, 61 InsO analog).
183
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
entsprechender Dienstverträge geschehen (§ 276 InsO) oder durch Maßnahmen, die zur Aufhebung der Eigenverwaltung führen (§ 75 Abs. 1, § 272 Abs. 1 Nr. 2).
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses: Die einzelnen Geschäfte der Masseverwaltung 406 Zentrale Grundpflicht des Gläubigerausschusses und seiner Mitglieder ist es, Schuldner und Sachwalter bei der Ausübung ihrer insolvenzrechtlichen Geschäftsführung zu überwachen und zu unterstützen (§ 270 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 69 Satz 1 InsO). Aus der Sicht des Ausschusses ist zunächst nicht entscheidend, ob der Schuldner oder der Sachwalter im Einzelfall zuständig ist. Wesentlich ist, dass die jeweilige Verwaltungs- oder Verwertungstätigkeit im Interesse aller Gläubiger recht- und zweckmäßig mit optimalem wirtschaftlichem Ergebnis erledigt wird. Es hängt von den Spezifika der jeweiligen Aufgabe ab, mit welchem Schwerpunkt und mit welcher Intensität der Ausschuss Schuldner und Sachwalter zu überwachen hat und in welcher Weise er auf Pflichtverletzungen oder sonstige Fehlentwicklungen reagieren muss.
I.
Ordnungsmäßigkeit der Überwachungsmechanismen des Sachwalters gegenüber dem Schuldner
407 Die Eigenverwaltung darf nach § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO nur unter der ständigen Aufsicht eines Sachwalters stattfinden. Eine durchgehende und detaillierte Beaufsichtigung der täglichen Geschäftsführung des Schuldners ist somit Aufgabe des Sachwalters, nicht der Mitglieder des Gläubigerausschusses.878) Jedoch muss sichergestellt sein, dass der Sachwalter seiner Aufsichtspflicht gegenüber dem eigenverwaltenden Schuldner mit der gebotenen Sorgfalt und Sachkunde nachkommt. Sein Amt hat er im Kernbereich persönlich wahrzunehmen.879) Hierfür muss der Sachwalter sich nicht nur in zeitlicher Hinsicht beträchtlich engagieren, sondern er muss auch ein der Größe und Komplexität des schuldnerischen Unternehmens und seiner übrigen Vermögensverhältnisse angepasstes, gut organisiertes Überwachungssystem einrichten.880)
408 Die Ausschussmitglieder sind aufgrund ihrer Aufsichtspflicht gegenüber dem Sachwalter verpflichtet, sich davon zu überzeugen, dass dieser die Überwachung des Schuldners in einer Weise organisiert hat, die professionellen Ansprüchen genügt (§§ 69, 274 Abs. 2, 3 InsO). Sie haben sich ein realistisches Bild von der Arbeitsweise des Sachwalters zu verschaffen. Von dieser Prüfung wird es abhängen, ob die Gläubigergesamtheit gewillt ist, das Verfahren in dieser Organisationsform über___________ 878) Kapitel 4 B. III., Rn. 319 ff. 879) Kapitel 2 G. III. 1. b), Rn. 131 f. 880) Kapitel 2 E., Rn. 84 ff.
184
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
haupt und gemeinsam mit diesem Sachwalter fortzusetzen (§§ 272, 57, 274 Abs. 1 InsO), oder ob der Gläubigerausschuss sogar in eigener Initiative die Entlassung des Sachwalters beantragen muss (§§ 59, 274 Abs. 1 InsO).881) Die Überwachung ist vom Sachwalter so zu gestalten, dass sie sämtliche vermögensbezogenen Tätigkeitsbereiche und unternehmerischen Entscheidungsprozesse einbezieht und ihr alle wesentlichen Führungskräfte des schuldnerischen Unternehmens unterworfen sind.882) Ob und in welchem Umfang der Sachwalter hierbei bestehende unternehmensinterne Kontrollsysteme nutzen darf, hängt von ihrer Qualität sowie von der Art und Größe des Unternehmens ab. Fehlen solche Systeme oder sind sie untauglich, so hat der Sachwalter in eigener Verantwortung die erforderlichen Strukturen und Kontrollmechanismen zu schaffen. Obwohl der Schuldner im Verhältnis zum Sachwalter verpflichtet ist, ihm ohne ge- 409 sonderte Aufforderung alle zur Erfüllung seiner Aufgaben relevanten Informationen zuzuleiten (§ 274 Abs. 2 Satz 2, § 22 Abs. 3, §§ 97, 101 InsO), ist es zur wirkungsvollen Durchführung der Überwachung nötig, dass der Sachwalter, ebenso wie der Gläubigerausschuss883), dem Schuldner klare Vorgaben über eine tägliche oder wöchentliche Berichterstattung und über die jeweils vorzulegenden Unterlagen macht (z. B. Kalkulationen, Liquiditäts-, Ertrags- und Finanzpläne, betriebswirtschaftliche Auswertungen, Summen- und Saldenlisten, Belege, Verträge, Auftragseingänge u. ä.). Unverzichtbar ist eine fortlaufende, je nach Größe des Unternehmens mehrfach pro Woche stattfindende Kontrolle der vorzunehmenden Geschäfte und der Zahlungsflüsse,884) unabhängig davon, ob sie zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören oder nicht (vgl. § 275 Abs. 1 InsO). Zu einer professionellen Überwachung gehören die Auswertung und der fortlaufende 410 Zugriff auf die elektronisch gespeicherten Geschäftsdaten (z. B. E-Mail-Verkehr, Korrespondenz, Zahlungsverkehrsdaten, Buchhaltungsaufzeichnungen). Um Manipulationen885) und Beweisschwierigkeiten zu verhindern, sind vom Sachwalter so früh wie möglich Sicherungskopien des bei seiner Amtsübernahme vorhandenen Datenbestandes anzufertigen. Zu prüfen ist auch, ob die von der Finanzverwaltung aufgestellten „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“886) eingehalten sind. Ohne einen solchen authentischen Datenbestand wird es dem Sachwalter kaum möglich sein, die Haftungs- und Anfech___________ 881) 882) 883) 884) 885)
Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. Kapitel 4 B. III., Rn. 319 ff. Kapitel 3 H. X. 1., Rn. 297 f. Frind, NZI 2014, 937, 939. Instruktiv ist die praxisnahe Auflistung und Beschreibung der Manipulationsmöglichkeiten bei Peemöller/Hofmann, Bilanzskandale, 2005, S. 127 ff. 886) BMF, Schreiben vom 14.11.2014 – IV A 4 – S-0316/13/10003, BStBl. I S. 1450.
185
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
tungsansprüche aus § 280 InsO zu ermitteln und durchzusetzen. Ferner muss sichergestellt sein, dass der Sachwalter die für die wirkungsvolle Überwachung erforderlichen Unterlagen und Daten sichtet und auswertet, etwaige Nachfragen formuliert und erforderlichenfalls selbst Nachforschungen anstellt. Zu einem ordnungsgemäßen Überwachungssystem zählen fortlaufende, selbst unangemeldete Besuche im schuldnerischen Unternehmen und Gespräche mit Mitarbeitern. Die Informationen sind auf Plausibilität und Richtigkeit zu überprüfen. Diese Tätigkeiten bilden die unerlässliche Basis für Auskünfte und Berichte, die der Sachwalter dem Gläubigerausschuss zu erstatten hat.
411 Der Ausschuss seinerseits hat sich anhand der mündlichen und schriftlichen Berichterstattung des Sachwalters und der ihm sonst zugänglichen Informationen fortlaufend zu versichern, dass der Sachwalter ein funktionsfähiges Überwachungssystem der beschriebenen Art unterhält und er zudem tatsächlich alle für die Überwachung des Schuldners erforderlichen Informationen vorliegen hat. Stehen sie ihm nicht zur Verfügung, was keineswegs selten der Fall ist,887) so muss der Sachwalter die Ausschussmitglieder unverzüglich hiervon benachrichtigen und prüfen, ob eine substantiierte förmliche Nachteilsanzeige (§ 274 Abs. 3 InsO) zu erstatten ist.
412 Speziell bei Beratungen und Gesprächen mit dem Sachwalter können sich die Ausschussmitglieder einen Eindruck darüber verschaffen, ob er über einen angemessenen und aktuellen Informationsstand verfügt. Sie sind verpflichtet, sich in einem regelmäßigen Turnus über die Tätigkeit des Sachwalters berichten zu lassen, und können in diesem Rahmen auch von ihm verlangen, dass er sein Überwachungssystem und dessen Umsetzung nachvollziehbar erläutert.
II. Kontrolle des wirtschaftlichen Verlaufs des Verfahrens 413 Eine der wichtigsten Aufgaben des Gläubigerausschusses bei der Überwachung der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung besteht darin, in jedem Stadium des Verfahrens darauf zu achten, dass sämtliche Entscheidungen und Maßnahmen der Träger der Insolvenzverwaltung dem gesetzlichen und wirtschaftlichen Verfahrenszweck (§ 1 InsO)888) sowie den besonderen Vorgaben der Gläubigerversammlung (§§ 157, 159, 217 InsO) entsprechen.889)
1.
Überprüfung und Bewertung der Verfahrenskonzeption
414 Um Insolvenzverwaltung wirtschaftlich sinnvoll und ordnungsgemäß betreiben zu können, muss Klarheit über den Zustand des Unternehmens, die Insolvenzursachen ___________ 887) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 81 = BT-Drucks. 19/4880, S. 121 m. w. N. in Fn. 106; Roland Berger, ESUG-Studie 2016, S. 25. 888) Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30; Kapitel 2 J. II., Rn. 161, IV. 2., Rn. 184 ff. 889) Kapitel 4 D., Rn. 339 ff.
186
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
sowie die realistischen Sanierungs- und Verwertungsalternativen890) bestehen. Auf dieser Grundlage ist ein realistisches und schlüssiges Verfahrenskonzept auszuarbeiten und nach Zustimmung der Gläubigerversammlung umzusetzen.
a) Prüfungshandlungen gegenüber dem Schuldner In der Eigenverwaltung ist es Aufgabe des Schuldners, das grundlegende Verfahrens- 415 konzept unter Berücksichtigung sinnvoller Alternativen zu entwickeln und im Berichtstermin vorzustellen (§§ 156, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO).891) Hat die Gläubigerversammlung ihre Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens getroffen (§§ 157, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), so muss der Gläubigerausschuss darüber wachen, dass die von der Versammlung vorgegebene Zielrichtung zweckmäßig und effizient verfolgt wird. Von einem Schuldner, der die Eigenverwaltung anstrebt, wird daher mit Recht er- 416 wartet, dass er bereits bei der Antragstellung zumindest ein Sanierungs-Grobkonzept und eine Vergleichsrechnung vorlegt, auf deren Grundlage nachvollzogen werden kann, wie der Schuldner das Verfahrensziel (§ 1 InsO) erreichen will und ob seine Konzeption für die Gläubiger vorteilhafter ist als mögliche Alternativen.892) Für die Zielrichtung des Verfahrens bestimmende Kernfragen sind zunächst,
ob eine Fortführung betriebswirtschaftlich sinnvoll und eine nachhaltige Sanierung des schuldnerischen Rechtsträgers durchführbar ist,
ob eine übertragende Sanierung durch Gesamt- oder Teilveräußerung des Betriebsvermögens realisierbar ist893) und zu welchem finanziellen Ergebnis diese führen würde (sog. Markttest894)),
ob der Fortführungswert tatsächlich höher ist als der Liquidationserlös,
ob die Vorlage eines wirtschaftlich sinnvollen, für die Gläubiger vorteilhaften Insolvenzplans möglich ist oder ob der Schuldner mit dem angekündigten Plan überwiegend eigennützige und damit sachfremde Zwecke verfolgt.895)
___________ 890) Vgl. z. B. Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 534 – 537 zum Begriff der Sanierung. Zu Sanierungsstrategien siehe Hess, Sanierungshandbuch, 6. Aufl. 2013, S. 204 – 215. 891) Praxisfälle bei Frind/Köchling, ZInsO 2013, 1666, 1670 f. Zur Bedeutung des Managements für den Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens siehe z. B. Pechlander/Stechhammer/ Hinterhuber, Scheitern, 2010, S. 181 – 191. 892) Siehe Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff. Dazu auch Frind, ZIP 2017, 993, 995. 893) Zum Vorzug der übertragenden Sanierung trotz Gleichwertigkeit der Sanierungsmethoden in der Praxis siehe Bitter, ZGR 2010, 147, 155 f. m. w. N. in Fn. 37; zu den Voraussetzungen einer erfolgreichen übertragenden Sanierung Falk/Schäfer, ZIP 2004, 1337, 1338. 894) Zum Begriff siehe Korch, ZHR 182 (2018), 440, 455; allg. zust. Reus/Höfer/Harig, NZI 2019, 57, 60. 895) Vgl. das Zitat von Seidl in Fn. 838. Zu Möglichkeiten der Plangestaltung im Interesse des Schuldners siehe Tan/Lambrecht, NZI 2019, 249 ff.
187
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
417 Da den Verfahrensbeteiligten von Rechts wegen alle Verwertungsalternativen gleichrangig zur Verfügung stehen (§ 1 Satz 1 InsO), muss der vorläufige und endgültige Gläubigerausschuss von Anfang an sein Augenmerk darauf richten, dass der Schuldner diese Alternativen auf der Grundlage hinreichender und tragfähiger Informationen unabhängig von eigenen Interessen prüft und ernsthaft in seine Überlegungen einbezieht. Ein pflichtgemäß arbeitender Gläubigerausschuss wird in diesem Zusammenhang auch alle Prüfungsergebnisse zur wirtschaftlichen Lage des Schuldners heranziehen, die der vorläufige oder endgültige Sachwalter sowie ein vom Insolvenzgericht zusätzlich beauftragter Insolvenzsachverständiger (§ 5 Abs. 1 Satz 2, § 16 InsO) dem Gericht übermittelt haben. Zu klären hat der Ausschuss ferner, welche Erwägungen des Schuldners für die Beantragung der Eigenverwaltung maßgeblich waren und ob der Schuldner beabsichtigt, diese Organisationsform nur vorübergehend oder für die gesamte Dauer des insolvenzgerichtlichen Verfahrens zu nutzen. Die Erfahrung zeigt, dass die Eigenverwaltung mangels einer längerfristigen Konzeption häufig nur für die Anfangsphase des Verfahrens angestrebt wird, in der die grundlegenden und publikumswirksamen Weichenstellungen stattfinden, während man die anschließenden Mühen der Ebene in der Phase der täglichen Umsetzung gern dem professionellen Insolvenzverwalter überlässt. Dies gilt vor allem, wenn es nicht gelungen ist, das Verfahren mit Hilfe eines Insolvenzplans zügig zum Abschluss zu bringen.896) Ist von vornherein geplant, zwischen den Organisationsformen zu wechseln, oder ist ein solcher Wechsel bei realistischer Betrachtung nicht unwahrscheinlich, so sind die hiermit verbundenen Mehrkosten für Sachwalter und Insolvenzverwalter (§ 274 Abs. 1, §§ 63, 64 InsO, §§ 1, 12 InsVV) den tatsächlich realisierbaren Vorteilen für die Gläubiger gegenüberzustellen.
418 Sofern zum Zeitpunkt der Einsetzung des Gläubigerausschusses die Abwicklung des schuldnerischen Unternehmens oder die übertragende Sanierung noch nicht wirtschaftlich unumkehrbar in Gang gesetzt ist, hat sich der Ausschuss mit der Realisierbarkeit aller in Betracht kommenden Konzeptionen und ihren Auswirkungen auf die Gläubigerbefriedigung auseinanderzusetzen. Dies wiederum wird nur möglich sein, wenn der Schuldner bereits ein fundiertes Sanierungs-Grobkonzept entwickelt und eine integrierte Unternehmensplanung897) aufgestellt hat. Integraler Bestandteil einer solchen Grobplanung muss eine Vergleichsrechnung sein, in der ___________ 896) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 295 f. = BT-Drucks. 19/ 4880, S. 335 f. sowie die Kritik von Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1371. Im Verfahren Babcock Borsig AG (AG Duisburg, 62 IN 167/02) wurde die am 1.9.2002 im Eröffnungsbeschluss angeordnete Eigenverwaltung am 1.3.2004, also 18 Monate später, auf Antrag der Schuldnerin aufgehoben und Fremdverwaltung angeordnet. Noch schneller wurden die Organisationsformen gewechselt bei Air Berlin PLC (AG Charlottenburg, 36a IN 4301/17: 15.8.2017 vorläufige Eigenverwaltung, 1.11.2017 Eröffnung in Eigenverwaltung, 16.1.2018 Aufhebung der Eigenverwaltung auf eigenen Antrag und Fortsetzung in Fremdverwaltung); ebenso für Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (AG Charlottenburg, 36a IN 4295/17) und für airberlin technik GmbH (AG Charlottenburg, 36a IN 4299/17). 897) Vgl. hierzu z. B. Zabel/Rendels, INDat Report 2014 Nr. 6, 11 f.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
sämtliche absehbaren Kosten der Eigenverwaltung denen einer Fremdverwaltung gegenübergestellt werden.898) Unerlässliche Basis dieser Planung sind valide und aktuelle Daten aus einem ordnungsmäßigen Finanz- und Rechnungswesen. Ohne die Gewissheit, dass die vom Schuldner vorgelegten Entscheidungsgrundlagen zuverlässig und vollständig sind, ist eine verantwortungsvolle Meinungsbildung des Gläubigerausschusses zugunsten eines Konzepts des Schuldners schwerlich denkbar. Alle diese grundlegenden Informationen hat der Ausschuss beim Schuldner anzu- 419 fordern und nach Erhalt auszuwerten. Hierzu gehören auch die Unterlagen, die der Schuldner im Zusammenhang mit seinem Eröffnungs- und Eigenverwaltungsantrag bei Gericht eingereicht hat (§§ 13, 270 – 270b InsO). Dabei wird sich herausstellen, ob das Finanz- und Rechnungswesen des Schuldners den gebotenen Anforderungen entspricht. Ohne diese für das Verfahren grundlegenden Informationen, die zudem im weiteren Verlauf des Verfahrens regelmäßig zu aktualisieren ist, wird kein Ausschussmitglied die von ihm geschuldete Überwachung sinnvoll ausüben können. Ist erkennbar, dass der Schuldner nicht alle für eine bestmögliche Gläubigerbefrie- 420 digung einschlägigen Verwertungsalternativen prüft und abwägt, so hat der Gläubigerausschuss ihm gegenüber umgehend darauf hinzuwirken, dass derartige Untersuchungen eingeleitet werden.899) Insbesondere die Weigerung des Schuldners, eine Gesamtveräußerung der Vermögenswerte (übertragende Sanierung) ernsthaft und konsequent in Erwägung zu ziehen, ist in aller Regel ein nachteilsindizierender Umstand.900) Eine vereinzelt vertretene, allein auf den angeblich bestimmenden Sanierungsgedanken des ESUG abstellende Auffassung, wonach es dem Schuldner in der Eigenverwaltung nicht zuzumuten sei, sich selbst zu verkaufen,901) überzeugt schon deshalb nicht, weil der eigenverwaltende Schuldner ohne jede Einschränkung an das Verfahrensziel des § 1 InsO gebunden ist.902) Aus den umfassenden Verwaltungspflichten des Schuldners, die ihn in gleicher Weise wie einen externen Insolvenzverwalter treffen, folgt vielmehr, dass er ebenfalls verpflichtet ist, einen solchen Verkaufsprozess aktiv und effizient durchzuführen, falls dies im Interesse der Gläubiger liegt.903) Andernfalls muss sein Verhalten als schwerwiegender und erheblicher nachteilsindizierender Umstand gewertet werden. ___________ 898) Kapitel 4 D. II. 3., Rn. 359. 899) Ebenso Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1376; gegen ein direktes Weisungsrecht BeckOKInsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 21. 900) Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1374. Vgl. Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 901) Buchalik/Schröder, ZInsO 2016, 189, 196. 902) Hierzu bereits oben Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff. Ebenso Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1374; ausführlich und instruktiv Korch, ZHR 182 (2018), 440, 442, 444 f., 447. 903) Zutr. Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1374. m. w. N. in Fn. 49; Hofmann, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 7 Rn. 200 f.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
b) Prüfungshandlungen gegenüber dem Sachwalter 421 Der Sachwalter muss sich so frühzeitig wie möglich in die Entwicklung der schuldnerischen Verfahrenskonzeption einbinden lassen.904) Der Gläubigerausschuss kann deshalb von ihm nach angemessener Einarbeitungszeit eine Stellungnahme zu der Frage erwarten, welche Sanierungs- und Verwertungsmaßnahmen nach seiner Einschätzung gangbar sind und für die Gläubiger den größten Nutzen erwarten lassen. Er darf nicht hinnehmen, dass der Sachwalter es pflichtwidrig unterlässt, die Erstellung der Verfahrenskonzeption des Schuldners fortlaufend zu begleiten und zu überwachen, und sich lediglich auf die Billigung oder Ablehnung des fertiggestellten Konzepts beschränkt. Ein solches Verhalten könnte schon durch die zeitliche Verzögerung nicht nur einem aussichtsreichen Sanierungskonzept schaden,905) sondern würde auch die Arbeit des Gläubigerausschusses unzulässig erschweren.
422 Bei der Prüfung der Verfahrenskonzeption hat der Gläubigerausschuss den Sachwalter dezidiert zu befragen, welche Kenntnisse er bezüglich der Kosten der Eigen- und einer fiktiven Fremdverwaltung erlangt hat und ob die entsprechenden Angaben des Schuldners vollständig und plausibel sind. Dasselbe gilt für die mit einem Insolvenzplan vorzulegende Vergleichsrechnung über dessen Auswirkungen auf die Befriedigung der Gläubiger (vgl. § 220 Abs. 2, § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO).906) Der Sachwalter erfüllt im Verhältnis zum Gläubigerausschuss insoweit die Funktion eines Vor- oder Zusatzprüfers.
2.
Unterrichtung über den Gang der Geschäfte und Einsichtnahme in Geschäftsunterlagen (§ 69 Satz 2 InsO)
423 Als Bestandteil der Überwachungs- und Unterstützungspflicht obliegt es den Ausschussmitgliedern, sich über den Gang der Geschäfte des eigenverwaltenden Schuldners zu unterrichten sowie dessen Bücher und Geschäftspapiere einzusehen (§ 69 Satz 2, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Diese Pflicht ist eng verwandt mit den originären Prüfungs- und Überwachungsaufgaben des Sachwalters907) (§ 274 Abs. 2 Satz 1 InsO) und mit den Prüfungspflichten eines Aufsichtsrats (§ 111 Abs. 1, 2 AktG).908) Gläubigerausschuss und Sachwalter haben ihre Aufgaben jeweils eigen-
___________ 904) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 247 f. Rn. 73 = NZI 2016, 796 = ZIP 2016, 1592. 905) Vgl. zum Vorstehenden BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225 Rn. 73 = NZI 2016, 796 = ZIP 2016, 1592. 906) Hierzu ausf. Tan/Lambrecht, NZI 2019, 249 ff. 907) Allg. bereits Kapitel 4 B. III., Rn. 319 ff. 908) Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1152; ebenso wohl auch KPB-InsO/Pape, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 37 zumindest für das Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO).
190
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
ständig zu erfüllen, ein wechselseitiger Austausch von Informationen ist jedoch zweckmäßig und rechtlich geboten (§§ 69, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO).909)
a) Inhalt der Unterrichtungspflicht Der Gläubigerausschuss erhält nur durch ständige umfassende Beschaffung, 424 Kenntnisnahme und Verifizierung aller relevanten Informationen die Möglichkeit, die Masseverwaltung des Schuldners sowie die Mitwirkung und Aufsicht des Sachwalters wirksam zu kontrollieren und bei Bedarf zügig zu reagieren.910) Spiegelbildlich ergibt sich aus § 69 Satz 2 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO zugleich die Verpflichtung des Schuldners und des Sachwalters, dem Gläubigerausschuss unverzüglich, wahrheitsgemäß und vollständig sämtliche erforderlichen Auskünfte über den Gang der Geschäfte zu erteilen sowie ihm die Einsichtnahme in die gesamten Geschäftsunterlagen und deren Prüfung und Auswertung zu ermöglichen.911) Die Unterrichtungspflicht trifft jedes einzelne Ausschussmitglied unmittelbar. Aus 425 dem Wortlaut des § 69 Satz 2 InsO („einsehen […] zu lassen“) folgt allerdings, dass die Ausschussmitglieder nicht verpflichtet sind, zu ihrer Unterrichtung die geschäftlichen Unterlagen stets persönlich einzusehen, sondern dass sie diese vorbereitende Tätigkeit nach pflichtgemäßem Ermessen durch Beschluss einzelnen sachkundigen Mitgliedern oder externen Sachverständigen übertragen dürfen. Dabei ist sicherzustellen, dass jedenfalls die Ergebnisse einer solchen Einsichtnahme unter Angabe der Quellen jedem Mitglied des Ausschusses in verwertbarer, angemessen komprimierter und verständlicher Form zugeleitet werden. Im Übrigen folgt aus dem zwingenden Zusammenhang der Unterrichtungspflicht mit der Überwachungsund Unterstützungspflicht, dass jedes Ausschussmitglied gehalten ist, sich die zur sachgemäßen Wahrnehmung seiner Aufgaben notwendigen Informationen über den Gang der Geschäfte auf jede zumutbare Weise zu beschaffen. Insofern gelten die allgemeinen Grundsätze über die Notwendigkeit der angemessenen Informationsbeschaffung.912)
b) Auswertung der Informationen des Schuldners und des Sachwalters Die Unterrichtung des Gläubigerausschusses über den Gang der Geschäfte dient 426 keineswegs nur dazu, dem Ausschuss in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen (vgl. etwa § 276 oder § 270 Abs. 3 InsO) eine Stellungnahme oder sachgemäße Mitwirkung zu ermöglichen. Sie ist vielmehr, wie die allgemeine Fassung des § 69 InsO zeigt, ein generelles Instrument zur ständigen Überwachung und Un___________ 909) 910) 911) 912)
Siehe oben Kapitel 4 B., Rn. 309 ff. Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 29, 163 zu § 80 (= § 69 InsO). Siehe oben Kapitel 2 D. V., Rn. 75 f. Vgl. oben Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 f.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
terstützung des eigenverwaltenden Schuldners und des Sachwalters. Inhalt, Ausmaß und Art der notwendigen Unterrichtung hängen vom jeweiligen Stand des Verfahrens und der Masseverwaltung ab.
427 In der Anfangsphase des insolvenzgerichtlichen Verfahrens bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses und zur Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung hat der Gläubigerausschuss sich zunächst grundlegende Informationen über die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und über dessen vorläufige Vorstellungen zur Bewältigung der Insolvenz (das Sanierungs-Grobkonzept) zu beschaffen. Hierzu gehören neben den gesellschafts- und konzernrechtlichen Verhältnissen insbesondere die Entwicklung der externen und internen Ursachen der Insolvenz, der Zustand der technischen und kaufmännischen Organisation des Unternehmens sowie die fachliche Kompetenz und persönliche Integrität der maßgebenden Führungskräfte.
428 Zur Darlegung der wirtschaftlichen Sachverhalte hat der Schuldner dem Ausschuss insbesondere die vollständigen Jahresabschlüsse der letzten zwei bis drei Jahre nebst Informationen über etwaige stille Reserven und stille Risiken sowie die vollständigen aktuellen betriebswirtschaftlichen Auswertungen samt Summen- und Saldenlisten vorzulegen. Auch die beim Insolvenzgericht eingereichten Unterlagen zur Begründung der Anträge (§§ 13, 270 – 270b InsO) sind jedem Ausschussmitglied in Abschrift zuzuleiten. Im Zusammenhang mit dem Sanierungs-Grobkonzept und angesichts der fundamentalen Bedeutung des beigezogenen Sanierungsberaters913) hat der Gläubigerausschuss vom Schuldner frühzeitig umfassende Auskünfte und Nachweise über dessen Geschäftsbeziehung zu dem Berater anzufordern. Sind sie nicht hinreichend aussagekräftig, so hat jedes Ausschussmitglied dafür zu sorgen, dass der Schuldner umgehend ergänzende Unterlagen und Erläuterungen vorlegt.
429 Zugleich hat der Ausschuss im Hinblick auf die in der Eigenverwaltung zumeist vorgesehene Betriebsfortführung vom Schuldner die umgehende Vorlage einer integrierten Unternehmensplanung914) einschließlich einer zeitlich ausreichend gestaffelten Leistungs-, Investitions-, Liquiditäts- und Ertragsplanung zu verlangen, aus der sich ergibt, ob, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang das Unternehmen in den nächsten Monaten rentabel fortgeführt werden kann. Diese Planung ist im weiteren Verlauf der Eigenverwaltung vom Schuldner fortlaufend zu überprüfen sowie mit aktualisiertem Inhalt dem Gläubigerausschuss mindestens monatlich vorzulegen und zu erläutern. Dabei haben die Ausschussmitglieder insbesondere aufmerksam zu beobachten, ob die bisherigen Planungen eingehalten worden sind, worauf etwaige Abweichungen zurückzuführen sind und ob unter diesen Umständen die Planung des Schuldners für die Zukunft tragfähig erscheint. ___________ 913) Siehe oben Kapitel 2 J. III., Rn. 164. 914) Zum Begriff siehe Zabel, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 27 Rn. 97 ff.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
Dies gilt im Übrigen für die gesamte Dauer der vorläufigen und endgültigen Eigenverwaltung. In der Phase zwischen Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Berichtstermin 430 (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, §§ 156 – 158 InsO) hat der Gläubigerausschuss, ohne die permanente Kontrolle der laufenden Betriebsfortführung zu vernachlässigen, seine besondere Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass der Schuldner ihn umfassend über die Schritte zur endgültigen Entwicklung seiner Eigenverwaltungskonzeption informiert, insbesondere über die gleichrangige und qualifizierte Prüfung und Nutzung realistischer Verwertungsalternativen. Nur auf einer solchen thematisch breiten Informationsgrundlage kann der Ausschuss im Berichtstermin zu den entsprechenden Darstellungen und Ankündigungen des Schuldners substantiiert Stellung nehmen (§ 156 Abs. 2 InsO). Dies gilt auch, wenn der Schuldner oder der Sachwalter bereits die Vorlage eines Insolvenzplans angekündigt hat. In diesem Fall hat der Ausschuss zusätzlich darauf zu achten, dass er frühzeitig und im Einzelnen über die Vorbereitungen informiert und, wie das Gesetz es vorsieht (§ 218 Abs. 3, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), bei der Aufstellung des Plans zur beratenden Mitwirkung herangezogen wird. Die Beratung des Schuldners durch den Sachwalter (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO) ersetzt die Einbeziehung des Ausschusses nicht; die frühzeitige institutionalisierte Geltendmachung der Gläubigerinteressen, die § 218 Abs. 3 InsO gewährleisten soll,915) ist beim Insolvenzplan des eigenverwaltenden Schuldners zumindest ebenso wichtig wie beim Plan eines externen Insolvenzverwalters. Der Ausschuss kann gegenüber den Gläubigern und dem Gericht nur dann zum Insolvenzplan sachdienlich Stellung nehmen (§ 232 Abs. 1 Nr. 1, § 248 Abs. 2 InsO), wenn er an der Vorbereitung des Plans frühzeitig und detailliert beteiligt war und deshalb die ihm zugrunde liegenden Entwicklungen und Erwägungen kennt. Auch in der Phase des Verfahrens, in der ein Insolvenzplan vorliegt und die Ent- 431 scheidungen über die Annahme durch die Gläubiger und die gerichtliche Bestätigung zu treffen sind, haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses sich weiterhin umfassend über den Gang der Eigenverwaltung zu unterrichten. Sie haben nach wie vor darauf zu achten, dass der Schuldner seine Geschäfte so führt, wie es die grundsätzlichen Vorgaben des Gesetzes (§§ 1, 159 InsO) und die Beschlüsse der Gläubigerversammlung (§§ 156, 157 InsO) erfordern. Neben der laufenden Berichterstattung über die Betriebsfortführung hat der Schuldner den Ausschuss insbesondere über die Einleitung und Durchführung etwaiger Teilverwertungen der Insolvenzmasse zu unterrichten, solange nicht das Insolvenzgericht eine solche Verwertung nach § 233 InsO ausgesetzt hat. Sämtliche Mitwirkungsrechte des Gläubigerausschusses bei Rechtshandlungen des eigenverwaltenden Schuldners (§ 276 InsO) gelten auch in dieser Phase bis zur förmlichen Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens unverändert fort. ___________ 915) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 196 zu § 254 (= § 218 InsO).
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
c)
Überwachung der laufenden Geschäftsaufsicht des Sachwalters (§ 274 Abs. 2 Satz 1 InsO)
432 Bei ihrer Unterrichtung über den Gang der Geschäfte haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses auch zu überwachen, ob der Sachwalter sich seinerseits die gebotenen Informationsgrundlagen für die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben verschafft.916) Der Sachwalter hat bei der ihm selbst obliegenden Aufsicht sämtliche Bereiche der schuldnerischen Insolvenzverwaltung so intensiv und umfassend in den Blick zu nehmen, dass die Gefahr insolvenzrechtswidriger Handlungen oder pflichtwidriger Unterlassungen des Schuldners so weit wie möglich ausgeschlossen ist. Im Fall der Unternehmensfortführung ist er insbesondere verpflichtet, sich zumindest am Verwaltungssitz des Schuldners mehrfach wöchentlich persönlich über den Verlauf und den Erfolg der Geschäfte zu informieren. Nur so kann er nachteilige Veränderungen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen frühzeitig erkennen.917) Ob und in welcher Weise die Lage in sonstigen Betriebsstätten des Schuldners durch persönlichen Augenschein des Sachwalters oder durch besondere Beauftragte überwacht werden muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
433 Dies alles kann von den Ausschussmitgliedern im Wesentlichen nur auf der Grundlage einer ständigen, vom Schuldner unabhängigen Berichterstattung des Sachwalters überwacht und beurteilt werden. Der Gläubigerausschuss hat deshalb sicherzustellen, dass der Informationsfluss unverzüglich nach der Amtsübernahme des Sachwalters mit einer umfassenden Bestandsaufnahme und Analyse der wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse des Schuldners einsetzt und der Sachwalter diese Berichterstattung regelmäßig aktualisiert.
3.
Begründung und Deckung von Masseverbindlichkeiten
434 Im eröffneten Insolvenzverfahren ist der eigenverwaltende Schuldner zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ohne weiteres kraft Gesetzes berechtigt (§ 270 Abs. 1 Satz 2 § 55 InsO).918) Die Begründung und Erfüllung von Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 55 Abs. 1 InsO) zählt zum Kernbereich der vom Gläubigerausschuss zu überwachenden Geschäftsführung nach § 69 Satz 1 InsO. In der Eigenverwaltung ist die Gefahr groß, dass der Schuldner entweder in insolvenzzweckwidriger Weise zum Nachteil der Insolvenzgläubiger handelt919) oder sogar die Masse so ver-
___________ 916) Siehe auch Kapitel 4 B. III., Rn. 319 ff.; Kapitel 2 E. III., Rn. 90, IV., Rn. 95. 917) Vgl. MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 274 Rn. 53; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 274 Rn. 12. 918) Allg. A., für alle BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 32, 64 ff. = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977. 919) Pape, ZInsO 2016, 2149, 2153 sowie Kapitel 2 J. IV. 2. b), Rn. 190.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
wirtschaftet, dass er derartige Verpflichtungen später nicht mehr begleichen kann.920) Bestandteil der Überwachungsaufgabe des Gläubigerausschusses ist es daher, sowohl die Zweckmäßigkeit der Begründung von Masseverbindlichkeiten als auch deren fristgemäße künftige Erfüllbarkeit sowie die rechtzeitige Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Sachwalter (§§ 285, 208 InsO) streng zu kontrollieren.921) Diese Kontrolle ist zugleich Teil und Konsequenz der allgemeinen Kontrolle der Liquiditätsplanung und -entwicklung. Dabei geht es nicht allein um die KostenNutzen-Relation, also um die Frage, ob der absehbare wirtschaftliche Ertrag des einzelnen Rechtsgeschäfts die entsprechende Belastung der Insolvenzmasse mit einer Masseverbindlichkeit zumindest ausgleicht. Es geht zugleich um die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen einer etwaigen Masseunzulänglichkeit (§§ 285, 208 ff. InsO), die das Schicksal des Verfahrens wesentlich verändert, weil die Insolvenzgläubiger nicht mehr mit einer Befriedigungsquote rechnen können. Die Verantwortung für diese Folgen liegt keineswegs allein beim Schuldner oder Sachwalter, sondern auch bei den Mitgliedern des Gläubigerausschusses.
a) Überwachung der Finanzplanung Ebenso wie der Sachwalter (§ 275 Abs. 1 InsO) haben auch die Mitglieder des 435 Gläubigerausschusses fortlaufend zu überwachen, ob der Schuldner bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten den Rahmen des Verfahrenszwecks (§ 1 InsO) beachtet. Dies ist nur der Fall, wenn die Masseverbindlichkeiten zur Durchführung eines – vom Ausschuss vorläufig und von der Gläubigerversammlung (§ 157 InsO) endgültig gebilligten – wirtschaftlich sinnvollen Verwaltungskonzepts geeignet und erforderlich sind und wenn durch ihre Erfüllung die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger nicht beeinträchtigt werden. Bestehen hieran Zweifel, so hat der Ausschuss vom Schuldner eine zufriedenstellende Begründung anzufordern. Die Ausschussmitglieder haben vom Schuldner eine gemeinsam mit dem Sachwalter regelmäßig überprüfte und aktualisierte Finanzplanung zu verlangen, in der auf der Grundlage einer realistischen, alle absehbaren Risiken einbeziehenden Einschätzung der Geschäftsentwicklung die Erträge, Kosten und Überschüsse (oder Defizite) nachvollziehbar erfasst und ihre absehbaren Auswirkungen auf die Befriedigungsquote der Insolvenzgläubiger dargestellt werden. Um eine Überlastung des Ausschusses bei der Zweckmäßigkeitskontrolle neuer 436 Masseverbindlichkeiten zu vermeiden, kann auf den Grundsatz des § 276 Satz 1 InsO zurückgegriffen werden. Er setzt ebenso wie § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO die allgemeine Überwachungspflicht nach § 69 InsO voraus und ergänzt sie zugleich. ___________ 920) Zur Fremdverwaltung und den haftungsrechtlichen Konsequenzen einer gescheiterter Betriebsfortführung siehe z. B. Pape, in: FS Kirchhof, 2003, S. 391, 407 f. 921) OLG Koblenz, Urt. v. 2.3.1995 – 5 U 825/94, ZIP 1995, 1101 = WM 1995, 2045 f.; zust. Frind, ZIP 2012, 1380, 1384. Zur Masseunzulänglichkeit als nachteilsindizierendem Umstand siehe allgemein Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff.
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Zu den dort angesprochenen besonders bedeutsamen Rechtshandlungen gehören grundsätzlich auch Handlungen, die Masseverbindlichkeiten auslösen und damit die Befriedigungsquote der Insolvenzgläubiger beeinträchtigen können. Aufgabe des Sachwalters ist es, das zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehörige kleinteilige Tagesgeschäft zu kontrollieren (§ 275 Abs. 1 Satz 2 InsO). Hieraus ergibt sich die gesetzliche Wertung, dass der Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung schwerpunktmäßig die Begründung solcher Masseverbindlichkeiten zu überwachen hat, die entweder im Vergleich zur Insolvenzmasse relativ hoch sind oder die wegen der Person des potentiellen Massegläubigers oder wegen des Vertragsinhalts nach allgemeiner Erfahrung als missbrauchsverdächtig oder sonst gefahrenträchtig gelten. Dies trifft jedenfalls auf sämtliche Verbindlichkeiten zu, bei deren Begründung der eigenverwaltende Schuldner sich typischerweise in einem Konflikt zwischen seinen eigenen Interessen und denen der Insolvenzgläubiger befindet; insofern gilt im Prinzip nichts anderes als bei Interessenkollisionen des Insolvenzverwalters, der solche Fälle ebenfalls rechtzeitig und umfassend (auch) gegenüber dem Gläubigerausschuss offenzulegen hat.922) Zu diesen Konfliktfällen wiederum gehört vor allem die Begründung solcher Masseverbindlichkeiten, die auf Leistungen des Schuldners an eine ihm nahestehende Person (vgl. § 138 InsO) hinauslaufen oder die dem Zweck dienen sollen, Leistungen eines Sanierungsberaters oder ähnliche Dienste höherer Art zur Unterstützung des Schuldners bei der Wahrnehmung seiner eigenverwaltungsspezifischen Aufgaben zu vergüten.923) Alle mit dem Insolvenzmanagement verbundenen Verbindlichkeiten hat der Gläubigerausschuss besonders sorgfältig im Auge zu behalten.
437 Aufgrund seiner allgemeinen Überwachungsaufgabe ist der Gläubigerausschuss berechtigt, gegenüber dem eigenverwaltenden Schuldner und dem Sachwalter für bestimmte Arten von Rechtshandlungen, aus denen sich Masseverbindlichkeiten ergeben können, einen internen Zustimmungsvorbehalt anzuordnen.924) Die Entstehung dieser Verbindlichkeiten ist wegen ihrer Auswirkungen auf die Stabilität der Insolvenzabwicklung und die Befriedigung der Insolvenzgläubiger gerade in der Eigenverwaltung regelmäßig als Angelegenheit von besonderer Bedeutung zu werten, die eine aufmerksame präventive Kontrolle durch den Gläubigerausschuss erfordert.
___________ 922) BGH, Urt. v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, BGHZ 113, 262, 270 ff = NJW 1991, 982 = ZIP 1991, 324; vgl. auch BGH, Beschl. v. 19.1.2012 – IX ZB 25/11, NZI 2012, 247 f. Rn. 13 = ZInsO 2012, 269; BGH, Beschl. v. 26.4.2012 – IX ZB 31/11, ZIP 2012, 1187 Rn. 17 = NJW-RR 2012, 953; MK-InsO/Görg/Janssen, 3. Aufl. 2013, § 160 Rn. 25; KPB-InsO/Webel, 70. EL. 01.2017, § 160 Rn. 20; Jaeger/Eckardt, InsO, 2018, § 160 Rn. 40 f.; Rechel, Aufsicht, 2009, S. 369 f. 923) Siehe Kapitel 2 J. IV. 2. b), Rn. 190 ff. 924) Siehe Kapitel 3 H. X. 2., Rn. 300.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
b) Anzeige der Masseunzulänglichkeit In der Eigenverwaltung ist die Masseunzulänglichkeit nicht vom Schuldner, son- 438 dern vom Sachwalter anzuzeigen (§§ 285, 208, 55 InsO). Seine Pflicht zur Beobachtung der Entstehung und Entwicklung der Masseverbindlichkeiten ergibt sich allgemein bereits aus § 274 Abs. 2 und § 275 Abs. 1 InsO. Die Kontrolle ihrer Deckung ist Teil und Konsequenz der allgemeinen Kontrolle der Liquiditätsplanung und -entwicklung. Diese Liquiditätskontrolle obliegt dem Sachwalter und dem Gläubigerausschuss. Sie schützt nicht nur die Massegläubiger, sondern alle Gläubiger vor verfahrenszweckwidriger Auszehrung der Insolvenzmasse. Alle mit der rechtzeitigen Anzeige und deren Vorbereitung zusammenhängenden Maßnahmen sind grundsätzlich Teil der von den Ausschussmitgliedern zu überwachenden Geschäftsführung des Sachwalters (§ 69 Satz 1 InsO). Anerkannt ist, dass der Sachwalter die eingetretene oder drohende Masseunzu- 439 länglichkeit (§ 208 Abs. 1 InsO) nicht nur dem Insolvenzgericht anzuzeigen, sondern diese Anzeige zusätzlich auch den Mitgliedern des Gläubigerausschusses mitzuteilen hat.925) Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus den §§ 208, 285 InsO, folgt aber aus der allgemeinen Informationspflicht des Sachwalters gegenüber dem Ausschuss,926) die auch dem § 274 Abs. 3 InsO zugrunde liegt. Die Masseunzulänglichkeit ist über die einschneidende Bedeutung für jedes Insolvenzverfahren hinaus in der Eigenverwaltung grundsätzlich auch ein schwerwiegender nachteilsindizierender Umstand im Sinne der §§ 270, 272 InsO.927) Sie belegt, dass das Verfahrenskonzept des Schuldners, das dem Anspruch nach für die Insolvenzgläubiger vorteilhafter als die Fremdverwaltung sein sollte, gescheitert und damit die wirtschaftliche und rechtliche Legitimation der Eigenverwaltung weggefallen ist.928) Müsste die ordnungsgemäße Erfüllung der Anzeigepflicht von den Ausschussmitgliedern nicht überwacht werden und würde der Sachwalter seine Anzeige an das Gericht nicht gleichzeitig auch dem Ausschuss zur Kenntnis bringen, so würde dies die Möglichkeiten der Insolvenzgläubiger beschneiden, aus diesem Anlass umgehend die Aufhebung der Eigenverwaltung zu betreiben (§ 272 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO).
___________ 925) KPB-InsO/Kübler, 28. EL. 03.2007, § 285 Rn. 3; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 285 Rn. 15; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 285 Rn. 10; Rattunde/Smid/Zeuner/ Wehdeking, InsO, 4. Aufl. 2019, § 285 Rn. 2; Minuth, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 88. 926) Siehe Kapitel 3 D. III., Rn. 244 ff. 927) So auch Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 285 Rn. 10; Rattunde/Smid/Zeuner/Wehdeking, InsO, 4. Aufl. 2019, § 285 Rn. 2; Minuth, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 86, 88. 928) Ebenso KPB-InsO/Kübler, 28. EL. 03.2007, § 285 Rn. 1; NWB-Komm. InsO/Berner, 2013, § 285 Rn. 9; Rattunde/Smid/Zeuner/Wehdeking, InsO, 4. Aufl. 2019, § 285 Rn. 1; wohl auch BankenKomm-InsR/Hörmann/Sußner, 3. Aufl. 2016, § 285 Rn. 3; Minuth, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 86; Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 264.
197
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
440 Praktisch bedeutsam ist die Masseunzulänglichkeit in der Eigenverwaltung vor allem in Fällen der defizitären Betriebsfortführung ohne realistische Möglichkeit einer Sanierung oder Verwertung des Unternehmens. Sofern die Masseunzulänglichkeit nicht ausnahmsweise durch rein externe, nicht prognostizierbare Ereignisse verursacht worden ist, beruht sie hier fast immer auf nicht ordnungsgemäßer Masseverwaltung und auf deren unzureichender Überwachung durch Sachwalter und Gläubigerausschuss. Die Mitteilung über die Anzeige des Eintritts der Masseunzulänglichkeit (§§ 285, 208 Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 3 InsO) kann den Gläubigerausschuss in aller Regel nur dann unerwartet erreichen, wenn seine Mitglieder ihre Überwachungsaufgaben gegenüber Schuldner und Sachwalter, insbesondere die Kontrolle der Liquiditätsplanung und -entwicklung, nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit wahrgenommen haben. Eine solche Situation begründet deshalb zumindest den ersten Anschein, dass die Ausschussmitglieder pflichtwidrig nicht rechtzeitig eingeschritten sind, um im Interesse der Insolvenzgläubiger auf einen Kurswechsel oder auf die Aufhebung der Eigenverwaltung hinzuwirken.929)
4.
Berichterstattung des Schuldners an die Gläubigerversammlung und das Gericht
441 Zum Kernbereich jeder Masseverwaltung gehört die Berichtspflicht des Verwalters gegenüber der ersten Gläubigerversammlung (Berichtstermin, § 29 Abs. 1 Nr. 1, §§ 156, 157 InsO) sowie die anschließende regelmäßige Zwischenberichterstattung an das Gericht (§ 58 Abs. 1 Satz 2 InsO), die im eröffneten Verfahren üblicherweise alle sechs Monate zu erfolgen hat.930) Dies gilt in der Eigenverwaltung gleichermaßen für den eigenverwaltenden Schuldner931) wie für den Sachwalter (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 281 Abs. 2, § 274 Abs. 1 InsO). Die Berichterstattung gibt Aufschluss über die bisherige insolvenzrechtliche Geschäftsführung und ihren geplanten Fortgang.
442 Durch den Bericht in der Gläubigerversammlung kann der Schuldner das weitere Verfahren und die Meinungsbildung der Gläubiger tiefgreifend beeinflussen, indem er die Ursachen der Insolvenz und die Entwicklungsperspektiven aus seiner subjektiven Sicht schildert und mit den Gläubigern die Möglichkeit eines Insolvenzplans oder einer sonstigen Form der Sanierung erörtert.932) Dabei bietet sich ihm zugleich die Gelegenheit, die Gläubiger durch einseitige, unvollständige oder falsche Unterrichtung zu täuschen und seinen eigenen Interessen in unredlicher Weise Vorschub zu leisten. Um dies zu vermeiden, schreibt § 281 Abs. 2 Satz 2 ___________ 929) Ähnlich auch Minuth, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 86. 930) Zur berechtigten Erwartungshaltung der Insolvenzgerichte siehe Langer/Bausch, ZInsO 2018, 1138 f.; Hillebrand, ZInsO 2018, 1650, 1651 f. 931) Vgl. etwa Mönning, in: FS Wellensiek, 2011, S. 641, 648, 654. 932) KPB-InsO/Pape, 1. EL. 08.1998, § 281 Rn. 14.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
InsO zugleich eine Stellungnahme des Sachwalters gegenüber der Gläubigerversammlung vor.933) Der Sachwalter allein gewährleistet indes noch keine hinreichende Sicherheit vor vorsätzlicher oder fahrlässiger Desinformation.934) In dieser Situation, in der die erste Gläubigerversammlung verfahrensrechtlich die 443 Weichen für den Fortgang des Verfahrens stellt, kommt dem Gläubigerausschuss eine besonders einflussreiche Aufgabe zu. Rechnet man das Eröffnungsverfahren hinzu, so ist er zu diesem Zeitpunkt zumeist bereits einige Monate im Amt. Deshalb kennen seine Mitglieder die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Schuldners besser als die meisten Gläubiger. Hieraus folgt zunächst, dass sich die Ausschussmitglieder auf den Berichtstermin so vorbereiten müssen, dass sie in der Lage sind, die Meinungs- und Willensbildung der Gläubiger unabhängig von den beiden Trägern der Insolvenzverwaltung wohlinformiert und am Verfahrenszweck orientiert zu unterstützen. Ihre eigene persönliche und gemeinschaftliche Meinungsbildung zu den in der Versammlung anstehenden Themen sollte darum rechtzeitig vor dem Termin abgeschlossen sein. Dies gilt zunächst für die zu erwartenden Darlegungen des Schuldners und des Sachwalters über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens und ihre Ursachen. Es gilt aber auch für die anschließenden Beratungs- und Beschlussthemen, also den allgemeinen weiteren Fortgang des Verfahrens (Unternehmensfortführung, Insolvenzplan, § 156 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 InsO), die Frage der Fortsetzung oder Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) und die Notwendigkeit von Verfügungsbeschränkungen für den Schuldner (§ 277 Abs. 1 Satz 1 InsO). Als Grundlage dieser Vorbereitung wird (und sollte) in erster Linie der vom Schuld- 444 ner schriftlich935) zu erstattende Bericht dienen, den sich die Ausschussmitglieder spätestens eine Woche936) vor dem Berichtstermin zuleiten lassen sollten (§ 281 Abs. 2 Satz 1 InsO). Der Bericht muss so aussagekräftig und umfassend sein, dass Ausschuss und Gläubigerversammlung in der Lage sind, auf seiner Grundlage die Entscheidungen über den Fortgang des Verfahrens zu treffen.937) Für den Inhalt des Berichts gilt § 156 Abs. 1 InsO entsprechend (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Sachwalter hat im Berichtstermin zusätzlich zu seiner Stellungnahme zum Bericht des Schuldners (§ 281 Abs. 2 Satz 2 InsO) auch einen selbständigen schriftlichen Bericht über seine eigene Geschäftsführung als Mitträger der Insolvenzverwaltung zu erstatten.938) Dieser Eigenbericht des Sachwalters ist den Mitgliedern des Gläu___________ 933) 934) 935) 936) 937) 938)
RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 225 zu § 342 (= § 281 InsO). Siehe Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 ff. So zu Recht Langer/Bausch, ZInsO 2018, 1138; Hillebrand, ZInsO 2018, 1650, 1651. Vgl. die Frist zur Niederlegung der Verzeichnisse nach § 154 InsO. Vgl. MK-InsO/Görg/Janssen, 3. Aufl. 2013, § 156 Rn. 17. Jaeger/Eckardt, InsO 2018, § 156 Rn. 7.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
bigerausschusses ebenfalls spätestens eine Woche vor dem Berichtstermin zur Vorbereitung zuzuleiten.
445 Jedes Ausschussmitglied hat sich zunächst eine eigene Meinung zum Status und weiteren Fortgang des Verfahrens zu bilden. Die Bedeutung des Berichtstermins erfordert es jedoch, dass noch vor dieser Versammlung eine Sitzung des Ausschusses stattfindet, in der alle für das weitere Verfahren wesentlichen Themen erörtert werden. Diese Sitzung ist grundsätzlich ohne Gäste abzuhalten.939) Sachwalter, Schuldner oder Dritte sollten als Gäste allenfalls zugelassen werden, soweit einzelne Sachverhalte trotz sorgfältiger Vorbereitung noch klärungsbedürftig sind. Ergibt sich im Vorfeld des Berichtstermins, dass der Schuldner oder der Sachwalter eine allzu optimistische,940) unvollständige oder gar unrichtige Berichterstattung plant, so ist dies ein nachteilsindizierender Umstand (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO).941) Die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind aufgrund ihres Überwachungsauftrags verpflichtet, einem solchen Vorhaben frühzeitig und wirksam entgegenzutreten, um Schaden von den Gläubigern abzuwenden.942) Zu diesem Zweck haben sie am Berichtstermin – ebenso wie an jeder anderen Gläubigerversammlung – persönlich teilzunehmen. Zwar ist eine Teilnahmepflicht gesetzlich nicht ausdrücklich angeordnet; sie folgt jedoch aus der Überwachungspflicht der Ausschussmitglieder und ihrer hiermit verbundenen Verantwortung gegenüber der Gläubigergesamtheit. Diese Verantwortung gebietet ihnen, einer unvollständigen, unrichtigen oder sonst irreführenden Berichterstattung der Träger der Insolvenzverwaltung in der Gläubigerversammlung zu widersprechen und sie richtigzustellen. Aus dem gleichen Grund müssen die Ausschussmitglieder in der Versammlung gegen Anträge vorgehen, die ersichtlich auf Desinformation beruhen oder diese gar unterstützen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn derartige Anträge dem gesetzlichen Verfahrenszweck zuwiderlaufen.
446 Es liegt in den Händen der Ausschussmitglieder, im Berichtstermin bei der Erörterung der Berichte und des weiteren Verfahrensablaufs Fragen an den Schuldner und den Sachwalter zu richten, sofern einzelne Punkte im Vorfeld nicht geklärt werden konnten oder die Erörterung zur besseren Information der Gläubigerversammlung erforderlich erscheint. Auf Beschluss der Versammlung sind ihr gegenüber beide Träger der Insolvenzverwaltung zur Auskunft verpflichtet (§§ 157, 79 Satz 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO).943) Aus dem Verfahrenszweck (§ 1 InsO) und der Funktion des Gläubigerausschusses als Interessenwahrer aller Gläubiger folgt, dass unter der gleichen Voraussetzung auch seine Mitglieder der Gläubigerver___________ 939) 940) 941) 942) 943)
200
Siehe Kapitel 3 H. V., Rn. 282. Vgl. KPB-InsO/Pape, 1. EL. 08.1998, § 281 Rn. 14. Kapitel 2 G. III. 2. a), Rn. 136; Kapitel 4 D. II. 2. b), Rn. 354. Kapitel 4 D. I. und II., Rn. 341 ff. Siehe Kapitel 3 B. II., Rn. 236 sowie zu den weitergehenden Überwachungs- und Meldepflichten für den Sachwalter in Kapitel 2 E. III., Rn. 90 f.
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
sammlung Auskunft erteilen müssen.944) Die Ausschussmitglieder verfügen über einen Wissensvorsprung, den sie gemäß ihrer Aufgabe mit den Gläubigern im Berichtstermin teilen müssen, damit diese in die Lage versetzt werden, optimale Entscheidungen zu treffen. Geheimhaltungsinteressen können nur in begründeten Ausnahmefällen die Pflicht zur Informationserteilung suspendieren.945) Die Anwesenheit der Ausschussmitglieder im Berichtstermin ist aber auch deshalb 447 erforderlich, weil die anwesenden Gläubiger den Bericht des Schuldners und das zugrundeliegende Sanierungs- oder Liquidationskonzept im zeitlich beschränkten Rahmen der Versammlung nicht im Einzelnen prüfen können. Die Gläubiger dürfen bei ordnungsgemäßer Führung der Eigenverwaltung erwarten, dass der Schuldner sein Konzept zuvor dem Sachwalter und dem Gläubigerausschuss mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf zur Prüfung zugeleitet hat. Eine überzeugende Stellungnahme des Sachwalters und des Gläubigerausschusses (vgl. § 232 Abs. 1 Nr. 1 InsO) in der Versammlung wird den Gläubigern die Zustimmung zu den Planungen des Schuldners erleichtern, eine kritische Stellungnahme wird zumindest den Argumentations- und Rechtfertigungsdruck auf den Schuldner verstärken und so zur weiteren Aufklärung der Gläubiger beitragen. Hat der Schuldner vor Verfahrenseröffnung ein Schutzschirmverfahren nach § 270b 448 InsO vollständig durchlaufen, so muss ein Insolvenzplan bereits vor dem Berichtstermin vorliegen. Falls der vorläufige Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren den vorläufigen Sachwalter mit der Ausarbeitung beauftragt hat,946) wird er auch die Eckpunkte für den Insolvenzplan vorgegeben haben. Auch dies macht die Teilnahme der Ausschussmitglieder in der Gläubigerversammlung zwingend erforderlich.
5.
Beachtung der Vorgaben der Gläubigerversammlung
Die grundlegenden Entscheidungen über den wirtschaftlichen Ablauf des Insol- 449 venzverfahrens trifft auch in der Eigenverwaltung nicht der Schuldner, sondern die Gläubigerversammlung (§ 270 Abs. 1 Satz 2, §§ 157, 159, 217 InsO).947) In ihrer Hand liegt es, ob das schuldnerische Unternehmen fortgeführt und saniert, ob es im Wege der übertragenden Sanierung948) ganz oder in Teilen als Sachgesamtheit an ___________ 944) Ebenso im Ergebnis Heese, Gläubigerinformation, 2008, S. 300 f., der von einer stärkeren „informatorischen Verantwortlichkeit im Insolvenzrecht“ als im Fall des § 111 Abs. 4 AktG ausgeht. 945) Vgl. Kapitel 3 B. II., Rn. 236. 946) BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 967 Rn. 77 = ZIP 2016, 1981. 947) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 96 (re. Sp.), 223 zu § 331 (= § 270 InsO); Jaeger/ Eckardt, InsO, 2018, § 157 Rn. 7, § 159 Rn. 14; § 166 Rn. 76. Hierzu ausführlich Pape, NZI 2006, 65 ff. 948) Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 150. Ausführlich Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157 ff. auch zur Dominanz der übertragenden Sanierung in der Praxis.
201
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
einen anderen Rechtsträger veräußert oder ob es endgültig stillgelegt und liquidiert wird (§ 157 InsO); dies alles kann auch auf der Grundlage eines Insolvenzplans erfolgen (§§ 1, 217 InsO). Es ist Sache des Gläubigerausschusses, im Rahmen seiner Aufsicht zu überwachen, ob der eigenverwaltende Schuldner die Vorgaben der Gläubigerversammlung beachtet und pflichtgemäß umsetzt.949) Dies gilt auch, wenn die Gläubigerversammlung die Stilllegung des Unternehmens beschlossen hat. In diesem Fall hat der Gläubigerausschuss darüber zu wachen, dass der Schuldner die Liquidation in jeder Hinsicht ordnungsgemäß, insbesondere zügig und rationell durchführt.
450 Beauftragt die Versammlung den Schuldner mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans (§ 284 Abs. 1 InsO), so kann sie ihm das Ziel des Plans vorgeben; die Ermächtigung des § 157 Satz 2 Hs. 3 InsO gilt ohne Einschränkung auch in der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Solche Zielvorgaben dienen dem Zweck, die Erfolgsaussichten für die Annahme des Plans zu erhöhen, indem er bereits so konzipiert wird, wie es den Vorstellungen der Gläubigermehrheit entspricht. Da der Insolvenzplan ein Instrument zur Masseverwertung und Befriedigung der Gläubiger ist (§ 1 Satz 1, § 217 InsO), sind alle mit seiner Aufstellung verbundenen Maßnahmen Akte der Geschäftsführung des Masseverwalters im Sinne von § 69 Satz 1 InsO. Der Gläubigerausschuss hat deshalb zu überwachen, ob bei der Planerstellung die inhaltlichen und zeitlichen Vorgaben der Gläubigerversammlung eingehalten werden. Die Mitwirkungskompetenz des Gläubigerausschusses nach § 218 Abs. 3 InsO, die weiter geht als die Überwachung, bleibt in der Eigenverwaltung ebenfalls unberührt.950)
451 Auch dem Sachwalter kann die Gläubigerversammlung im Rahmen der §§ 157, 159 InsO in dessen Aufgabenbereich Vorgaben machen (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Ihre Erfüllung hat sodann der Gläubigerausschuss nach den allgemeinen Regeln zu überwachen. Die Vorgaben können beispielsweise besonders bedeutsame Rechtshandlungen (§ 160 Abs. 2 InsO) oder einen Auftrag zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans (§ 284 Abs. 1 Satz 1 InsO) betreffen. Ist dieser Auftrag in zulässiger Analogie zu § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO bereits im Eröffnungsverfahren unmittelbar vom vorläufigen Gläubigerausschuss erteilt worden,951) so ist seine Erfüllung selbstverständlich erst recht zu kontrollieren.
III. Prüfung und Sicherung des Zahlungsverkehrs und des Geldbestands 452 Die wohl bedeutsamste Grundpflicht des Gläubigerausschusses und jedes seiner Mitglieder ist es, bei der Aufsicht über die massebezogene Geschäftsführung auf ___________ 949) Vgl. Jaeger/Eckardt, InsO, 2018, § 166 Rn. 76. 950) Vgl. Jaeger/Eckardt, InsO, 2018, § 157 Rn. 28; siehe oben Kapitel 4 F. II. 2. b), Rn. 426 ff. 951) Zur Zulässigkeit dieser Analogie siehe BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 967 Rn. 77 = ZIP 2016, 1981.
202
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
eine organisatorisch und rechtlich ordnungsgemäße Handhabung des Zahlungsverkehrs und des übrigen Finanzwesens durch die Träger der Insolvenzverwaltung zu achten.
1.
Vorgaben zur Hinterlegung von Wertgegenständen
Einen ersten Ansatzpunkt zur Überwachung des Finanzwesens bietet die Regelung 453 des § 149 Abs. 1 Satz 1 InsO. Sie ist in der Eigenverwaltung entsprechend anwendbar (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Organe der Gläubiger können bestimmen, zu welchen Bedingungen und an welcher Stelle der Schuldner Geld oder sonstige Wertgegenstände zu hinterlegen oder anzulegen hat. Ob der Schuldner diese Bestimmung uneingeschränkt beachtet, unterliegt zunächst der Aufsicht des Sachwalters (§ 274 Abs. 2, § 275 Abs. 2 InsO), anlässlich der Prüfung des Geldverkehrs (§ 69 Satz 2 InsO) aber auch der Aufsicht des Gläubigerausschusses.
2.
Überwachung des Finanzwesens des Schuldners
Das Gesetz schreibt in § 69 Satz 2 InsO ausdrücklich und in bewusster Verschärfung 454 des früheren Konkursrechts952) die Pflicht der Ausschussmitglieder fest, „den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen“. In der Eigenverwaltung erstreckt sich diese Pflicht auf das gesamte Finanzwesen des Schuldners und des Sachwalters, soweit es mit der Durchführung des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang stehen kann. Wie der Wortlaut der Norm zeigt, darf die Kassenprüfung im Auftrag des Ausschusses von einzelnen Mitgliedern oder von einem sachverständigen Dritten durchgeführt werden.953) Angesichts der besonderen Gefahren, die vom eigenverwaltenden Schuldner für die Insolvenzmasse ausgehen können,954) ist dieser Teil der Überwachungspflicht in der Eigenverwaltung noch gewissenhafter wahrzunehmen als in der Fremdverwaltung. Übernimmt der Sachwalter den Zahlungsverkehr des Schuldners (§ 275 Abs. 2 InsO), was bereits im Eröffnungsverfahren möglich ist (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO), so erstreckt sich die Überwachungspflicht des Gläubigerausschusses zusätzlich auf die vom Sachwalter eingerichteten Konten und Kassen. Mit der Prüfung des Zahlungsverkehrs und des Geldbestands haben die Ausschuss- 455 mitglieder unverzüglich zu beginnen, spätestens aber zwei Wochen nach der Konstituierung des Gläubigerausschusses.955) Bei jeder Prüfung ist notwendigerweise die ___________ 952) Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 163 zu Nr. 47 zu § 80 (= § 69 InsO). 953) Allg. A., siehe z. B. MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 18. 954) Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. Zu den strafrechtlichen Folgen unzureichender Kassenprüfung siehe Köllner/Cyrus, NZI 2015, 16, 19. 955) Allg. M.: BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 335 ff. Rn. 26, 31 = NZI 2015, 166, 168 f. (m. zust. Anm. Kühne) = ZIP 2014, 2242; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 8; Ampferl/Kilper, ZIP 2015, 553, 557, 562; Pape/Schultz, ZIP 2015, 1662, 1666.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
Plausibilität der zugrundeliegenden Geschäftsvorfälle und der Belege zu kontrollieren.956) Ob die Prüfung in festen zeitlichen Intervallen oder fortlaufend zu erfolgen hat, ist eine Frage des Einzelfalles. Hierüber hat der Gläubigerausschuss nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden.957) Bedeutsam für diese Festlegung sind neben Besonderheiten der Branche insbesondere der kaufmännische Organisationsgrad des Schuldners, die Transparenz seines Finanz- und Rechnungswesens, die Zuverlässigkeit seiner Organe, Mitarbeiter und Dienstleister sowie der Umfang des Zahlungsverkehrs. In Rechtsprechung und Literatur werden unterschiedliche Intervalle genannt. So sollen bei einer Betriebsfortführung im eröffneten Verfahren Kassenprüfungen alle drei Monate,958) ansonsten alle sechs Monate959) und bei natürlichen Personen als Schuldnern jährlich stattfinden.960) Solche schematischen Festlegungen mögen als zeitliche Grundraster gerechtfertigt sein. Beim Zahlungsverkehr können sich jedoch in jedem Verfahrensstadium und unabhängig von der Größe des Unternehmens jederzeit Gefahren für die Insolvenzmasse verwirklichen. Deshalb ist es weitgehend unbestritten, dass eine flexible, einzelfallbezogene Handhabung Vorrang hat vor starren Festlegungen.961) Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der insoweit bewusst keine Vorgaben gemacht hat.962)
456 In der Eigenverwaltung sind die Intervalle der Prüfungen wesentlich zu verkürzen,963) da die Gefahr einer Schädigung der Masse durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten des Schuldners besonders hoch ist.964) Aber auch hier verbietet sich eine schematische Festlegung des Prüfungstaktes. Hat der Sachwalter trotz der Möglichkeit des § 275 Abs. 2 InsO die Kassenführung nicht übernommen, so kann je nach Art des schuldnerischen Geschäftsbetriebs sogar eine tägliche oder wöchentliche Prüfung erforderlich sein, etwa bei hohem Bargeldumsatz. Als Nebenwir___________ 956) BGH, Urt. v. 11.12.1967 – VII ZR 139/65, BGHZ 49, 121, 122 f. = NJW 1968, 701; BGH, Urt. v. 27.4.1978 – VII ZR 31/76, BGHZ 71, 253, 256 = NJW 1978, 1527; MK-InsO/SchmidBurgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 18; so bereits Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 88 Rn. 2a. 957) OLG Celle, Urt. v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, NZI 2010, 609, 610 f. = ZIP 2010, 1862; Pape/ Schultz, ZIP 2015, 1662, 1666. 958) BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 335 ff. Rn. 26, 31 = NZI 2015, 166 ff. (m. zust. Anm. Kühne) = ZIP 2014, 2242; BGH, Urt. v. 25.6.2015 í IX ZR 142/13, NZI 2015, 799 Rn. 13 (m. zust. Anm. Dönges); Krüger, EWiR 2014, 781 f.; Huber/Magill, ZInsO 2016, 200, 205, jedoch differenzierend für die Eigenverwaltung. 959) Gundlach/Frenzel/Jahn, ZInsO 2009, 1095, 1098 (mindestens drei- bis sechsmonatige Intervalle, ansonsten flexibel zu handhaben). 960) BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 7 m. w. N. 961) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 18; Lind/Ellrich, DB 2014, 2819. 962) Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 163 zu § 80 (= § 69 InsO); der RegE InsO (BT-Drucks. 12/2443, S. 21, 132) sah ursprünglich die Pflicht des Ausschusses vor, wenigstens einmal in jedem Vierteljahr die Kasse des Verwalters prüfen zu lassen. 963) Huber/Magill, ZInsO 2016, 200, 205; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 7 a. E. 964) So zu Recht HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 69 Rn. 9; Pape/Schultz, ZIP 2016, 506, 513 f. Siehe Kapitel 2 J. IV. 2., Rn. 184 ff.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
kung des erhöhten Prüfungsaufwands sind bei der Eigenverwaltung höhere Kosten als in der Fremdverwaltung zu veranschlagen. Der erforderliche Umfang der Prüfung ist umstritten. Einerseits wird die Ansicht 457 vertreten, sämtliche Geldbewegungen und die ihnen zugrundeliegenden Geschäftsvorfälle seien zu prüfen,965) ein „blinder Fleck“ dürfe nicht verbleiben.966) Anderseits wird angenommen, stichprobenartige Prüfungen reichten grundsätzlich aus, um der Pflicht des § 69 Satz 2 InsO zu genügen.967) Nach der Rechtsprechung des BGH hängt es von den Umständen des Einzelfalles ab, ob eine lückenlose Prüfung erforderlich ist oder die Prüfung von Stichproben ausreicht; liegen keine Verdachtsmomente vor, so sollen Stichproben genügen, andernfalls oder für den Fall nicht ordnungsmäßiger Buchführung soll eine Vollprüfung erforderlich sein.968) Nach zutreffender Ansicht hat sich der Prüfungsumfang an dem Zweck der Kassenprüfungspflicht zu orientieren. Sie zielt darauf ab, die Korrektheit der Masseverwaltung in ihrem Kernbereich zuverlässig zu überwachen und den Verwalter von Veruntreuungen abzuhalten. Grundsätzlich ist es deshalb erforderlich, den Zahlungsverkehr und den Geldbestand vollständig zu prüfen und beleghaft nachzuvollziehen,969) es sei denn, der Umfang oder die Art der Geschäftsvorfälle rechtfertigt eine abweichende Vorgehensweise. Dies wird etwa bei Unternehmen der Fall sein, deren Umsatzerlöse im Massengeschäft erzielt werden. Auch hier ist es allerdings unerlässlich, Prüfungsschwerpunkte in besonders fehler- oder manipulationsanfälligen Bereichen zu bilden.970) So ist etwa in Betriebsfortführungsfällen die Wahrscheinlichkeit groß, dass es bei der Befriedigung von Insolvenzgläubigern zu Verstößen gegen die gesetzliche Rang- und Verteilungsordnung (§§ 39, 53, 187 ff. InsO) kommt.971) Im Übrigen haben alle Beteiligten schon bei der Vorbereitung der Ent___________ 965) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 18 („alle Kontenbewegungen mit den dahinter stehenden Geschäftsvorfällen“); Ganter, in: FS Fischer, 2006, S. 121, 124 (für „wesentliche Geschäfte und Angelegenheiten“). 966) Pape/Schultz, ZIP 2016, 506, 514 für die Überwachung des Schuldners durch den vorläufigen Sachwalter. 967) Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 22; Zimmer, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 49 Rn. 14; Schnieders/Göb/Boddenberg in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 60 („qualifizierte Stichprobenprüfung“). 968) BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 335 f. Rn. 27 = NZI 2015, 166, 169 = ZIP 2014, 2242. 969) Zum Vorstehenden vgl. BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 335, 3339 ff. Rn. 27, 35 – 42 = NJW 2015, 64 ff. = NZI 2015, 166 ff. = ZIP 2014, 2242 ff.; KPBInsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 69 Rn. 28. Vgl. zutr. Kloos, NZI 2009, 586, 590 (zur gerichtlichen Schlussrechnungsprüfung): „Der Schluss von der Beanstandungsfreiheit der Stichproben auf die Beanstandungsfreiheit der gesamten Schlussrechnung ist weder logisch noch statistisch zwingend, bekräftigt aber das Vertrauen.“ Lind/Ellrich, DB 2014, 2819. 970) Hierzu ausführlich KK-InsO/Hammes, 2017, § 69 Rn. 27. 971) Vgl. hierzu als Beispiel: Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 286 = BT-Drucks. 19/4880, S. 326 (Fallstudie Nr. 12).
205
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
scheidung über die Eigenverwaltung darauf zu achten, dass das Finanzwesen des Schuldners und die internen Kontrollmechanismen so organisiert sind, dass eine effektive, von der Mitwirkungsbereitschaft und dem guten Willen des Schuldners unabhängige Prüfung und Überwachung durch Sachwalter und Gläubigerausschuss mit angemessenem Aufwand technisch möglich sind. Andernfalls fehlt dem Schuldner bereits die zwingend gebotene organisatorische Eignung zur Eigenverwaltung.972)
458 Die notwendige Intensität der Prüfungen hängt wesentlich davon ab, ob sich aus den Erkenntnissen des Gläubigerausschusses oder des Prüfers Anhaltspunkte für eine mangelhafte Kassen- oder Buchführung ergeben. Dabei haben die Ausschussmitglieder auch Ermittlungsergebnisse des Insolvenzgerichts zur Zuverlässigkeit des Schuldners zu berücksichtigen. Beabsichtigt der Ausschuss, einen externen Sachverständigen mit Prüfungen zu beauftragen (§ 69 Satz 1 Hs. 2 InsO), so ist darauf zu achten, dass es sich um eine insolvenzrechtlich sowie betriebswirtschaftlich erfahrene und von allen Beteiligten unabhängige Person handelt. Aus der Praxis sind Fälle bekannt, in denen der Kassenprüfer vom Sanierungsberater des Schuldners vorgeschlagen worden ist und der anschließende Informationsfluss ausschließlich über den Berater stattgefunden hat. Wer als Berater auf ein Netzwerk für Sachwalter und Sanierungsgeschäftsführer zurückgreifen kann, überlässt auch bei der Auswahl von Kassenprüfern nichts dem Zufall.973) Eine solche Handhabung, die dem zu Kontrollierenden die Möglichkeit bietet, den Kontrolleur seinerseits zu steuern, hat der Gläubigerausschuss auszuschließen.
3.
Kontrolle des Zahlungsverkehrs nach Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter
459 Der Sachwalter ist nach pflichtgemäßem Ermessen jederzeit befugt, durch Erklärung gegenüber dem Schuldner das sog. Kassenführungsrecht974) an sich zu ziehen (§ 275 Abs. 2 InsO).975) Für die Kassenführung hat er ein gesondertes Konto einzurichten976) und ebenso wie der Schuldner über die von ihm verwalteten Geldmittel Rechnung zu legen (§§ 66, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO).977) In diesem Fall obliegt dem Gläubigerausschuss auch gegenüber dem Sachwalter die Überwachung und Prüfung des Zahlungsverkehrs und des Geldbestandes.978) Die Gründe für die Übernahme hat der Sachwalter dem Gläubigerausschuss unverzüglich in eigener Initiative mit___________ 972) 973) 974) 975) 976)
Kapitel 2 G. II., Rn. 116 ff. Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 ff. Zum Begriff vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 336 (= § 275 InsO). Siehe oben Kapitel 2 E. V. 1., Rn. 98 ff. Nach BGH, Urt. v. 7.2.2019 – IX ZR 47/18, NJW 2019, 1442, 1445 Rn. 31 f. = NZI 2019, 414 = ZIP 2019, 718, ist ein Sonderkonto anzulegen; siehe oben Kapitel 2 E. V. 1., Rn. 98 Fn. 193. 977) Uhlenbruck/Mock, InsO, InsO, 15. Aufl. 2019, § 66 Rn. 14. 978) Für das Vergleichsverfahren ebenso bereits Uhlenbruck, BB 1976, 1198.
206
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
zuteilen,979) selbst wenn es sich hierbei nicht um nachteilsindizierende Umstände handelt (§ 274 Abs. 3, § 69 Satz 1 InsO); notfalls hat der Ausschuss ihn zur Auskunft aufzufordern.980) Auf dieser Grundlage kann der Ausschuss nicht nur die Zielrichtung und die Schwerpunkte seiner Zahlungsverkehrskontrolle anpassen, die Informationen bilden auch die Basis für seine Entscheidung über weitere Maßnahmen, z. B. eine eigene Nachteilsanzeige an das Insolvenzgericht. Der gesetzliche Überwachungsauftrag des Gläubigerausschusses begründet die Pflicht, 460 den Sachwalter zu einer Stellungnahme aufzufordern, wenn dieser keine Anstalten macht, die Kassenführung zu übernehmen, obwohl dies nach Ansicht des Ausschusses zweckmäßig oder erforderlich ist. In einem solchen Fall hat der Ausschuss die für ihn maßgebenden Informationen und sonstigen Gründe dem Sachwalter mitzuteilen. Dasselbe gilt, wenn nach Ansicht der Ausschussmitglieder der Sachwalter ihm bekannte Sachverhalte tatsächlich oder rechtlich unzutreffend bewertet. Ein Weisungsrecht gegenüber dem Sachwalter steht dem Ausschuss allerdings nicht zu.981) Deshalb kann der Ausschuss ihn auch nicht anweisen, die Kassenführung zu übernehmen. Der Sachwalter ist insbesondere nicht verpflichtet, Zweckmäßigkeitserwägungen des Ausschusses den abweichenden eigenen Erwägungen vorzuziehen. Für schuldhaftes Fehlverhalten bei der Beaufsichtigung des Zahlungsverkehrs und bei der Ausübung seines Ermessens haftet er nach den allgemeinen Grundsätzen allen Beteiligten (§ 274 Abs. 1, § 60 InsO). Da die Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter (§ 275 Abs. 2 InsO) 461 rechtliche Wirkungen nur im Innenverhältnis erzeugt,982) kann sie die Gläubiger im Ergebnis nur unzureichend vor masseschädigenden Zahlungen des Schuldners schützen. Eine wirksame Kontrolle des schuldnerischen Zahlungsverkehrs in der Eigenverwaltung ist allein auf der Grundlage eines gerichtlich angeordneten und im Außenverhältnis wirksamen Zustimmungsvorbehalts für Verfügungen des Schuldners über Bar- und Buchgeld möglich (§ 277 InsO). Es gehört deshalb zum elementaren Pflichtenkreis des Gläubigerausschusses, bereits bei der Anhörung zur Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 3 InsO) darauf hinzuwirken, dass das Gericht in die Tagesordnung der ersten Gläubigerversammlung die Beschlussfassung über einen Antrag auf Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts aufnimmt (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, § 277 Abs. 1 InsO), sofern dies nicht ohnehin bereits von Amts wegen geschieht.983)
___________ 979) 980) 981) 982) 983)
Kapitel 3 D. III., Rn. 244 f. Kapitel 3 D. III., Rn. 244 ff. Siehe oben Kapitel 3 D. IV., Rn. 248. Kapitel 2 E. V. 1., Rn. 98. MK-InsO/Busch, 4. Aufl. 2019, §§ 27 – 29 Rn. 92.
207
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
IV. Mitwirkung bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (§ 276 InsO) 462 Mit dem Mitwirkungsrecht des § 276 InsO stellt das Gesetz dem Gläubigerausschuss auch in der Eigenverwaltung ein besonderes Instrument zur Überwachung und Unterstützung der Insolvenzverwaltung zur Verfügung. Der Schuldner hat die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind. Diese Regelung ist ebenso wie die Parallelvorschrift des § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO Ausdruck und Konsequenz der gesetzgeberischen Grundentscheidung, durch die Einrichtung des Gläubigerausschusses den kontinuierlichen Einfluss der Gläubiger auf den wirtschaftlichen Gang des Verfahrens sicherzustellen.984)
463 Verweigert der Ausschuss die Zustimmung zu einer besonders bedeutsamen Rechtshandlung, so hat dies zwar im Außenverhältnis gegenüber Dritten keine unmittelbare rechtliche Wirkung (§ 276 Satz 2, § 164 InsO), erzeugt aber intern im Verhältnis zur Gläubigergesamtheit eine rechtliche Bindung. Ihre Missachtung begründet nicht nur die Haftung des Schuldners oder der verantwortlich handelnden natürlichen Personen (§§ 60, 61, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), sondern ist stets ein nachteilsindizierender Umstand i. S. d. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO.985) Sie rechtfertigt zumindest die Anordnung eines extern wirkenden Zustimmungsvorbehalts (§ 277 Abs. 2 InsO), wenn nicht gar die Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO).986)
1.
Besondere Bedeutsamkeit der Rechtshandlung
464 Der Begriff der besonderen Bedeutung einer Rechtshandlung ist in § 276 InsO grundsätzlich im gleichen Sinn zu verstehen wie in § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO,987) auf den das Gesetz zwar nicht ausdrücklich verweist, der aber eine allgemeine Vorschrift im Sinne von § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO ist. Bei der Anwendung dieser Regelung ist eine am Gläubigerinteresse orientierte Interpretation geboten,988) die dem gesetzlichen Verfahrenszweck und dem Willen des Gesetzgebers Rechnung trägt, die Gläubigerautonomie zu stärken.989) Besonders bedeutsam für das Insolvenzverfahren ist eine Rechtshandlung, wenn sie aus der Sicht der Gläubigergesamtheit wegen ihrer Auswirkungen auf die Verwirklichung des Verfahrenszwecks ___________ 984) 985) 986) 987)
Kapitel 1, Rn. 1 mit Fn. 2; Kapitel 3 A., Rn. 204. Siehe oben Kapitel 2 D. VII., Rn. 79 ff.; Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. Kapitel 2 D. VII., Rn. 79 ff.; Kapitel 3 H. XI., Rn. 301 f. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224 zu § 337 (= § 276 InsO); MK-InsO/Tetzlaff/ Kern, 3. Aufl. 2014, § 276 Rn. 5 f.; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 276 Rn. 8. 988) Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1159; Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 14 Rn. 5. 989) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 99: „Der Entwurf schlägt vor, die Beteiligtenautonomie über die Regelung des heutigen Konkursrechts hinaus auszubauen.“ Ferner ebd., S. 79, 81, 131 f.; RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 3, 17 f.
208
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
oder auf den weiteren Ablauf des Verfahrens eine so schwerwiegende wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung hat, dass sie vernünftigerweise nur von der wirtschaftlich betroffenen Gläubigergesamtheit990) oder ihren Repräsentanten entschieden werden darf. Dabei sind nicht nur die gesetzlichen Wertungen zu beachten, die den Regelbeispielen des § 160 Abs. 2 InsO zugrunde liegen, sondern auch die speziellen Gefahren der Eigenverwaltung.991) Von besonderer Bedeutung können daher auch andere als die in § 160 Abs. 2 InsO genannten Rechtshandlungen sein. Maßgeblich ist insbesondere die Art und der Umfang des insolvenzbefangenen Vermögens. Nicht jede Rechtshandlung außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes muss zugleich eine besonders bedeutsame sein.992) Neben den Regelbeispielen des § 160 Abs. 2 InsO sind besonders bedeutsam etwa 465 Rechtshandlungen, die folgende Sachverhalte betreffen:
wirtschaftlich wesentliche, insbesondere langfristige Vereinbarungen mit Lieferanten, auch hinsichtlich der Abgeltung von Aus- und Absonderungsrechten,
die Erfüllungswahl bei Dauerschuldverhältnissen oder anderen wirtschaftlich bedeutsamen Verträgen sowie Entscheidungen mit kollektivarbeitsrechtlicher Bedeutung (§ 279 InsO),993)
die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes (§ 177 Abs. 4 SGB III),
personelle oder organisatorische Maßnahmen zur Vorbereitung oder Durchführung eines Sanierungskonzepts, insbesondere in der Betriebsfortführung,
die Inanspruchnahme und Abwicklung von unechten oder echten Massekrediten994) und von Überbrückungskrediten,995)
Abschluss, Durchführung, Änderung und Beendigung von Verträgen über Leistungen eines Sanierungsberaters oder ähnliche Dienste höherer Art zur Unterstützung des Schuldners bei der Wahrnehmung seiner eigenverwaltungsspezifischen Aufgaben,
die in § 276a Satz 2 InsO angesprochenen Veränderungen in der Geschäftsleitung, wenn der Schuldner keine natürliche Person ist.
Die Abgrenzung zwischen gewöhnlicher und besonders bedeutsamer Rechtshand- 466 lung steht nicht im Ermessen des eigenverwaltenden Schuldners. Der Gläubiger___________ 990) 991) 992) 993) 994) 995)
Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1159. Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 276 Rn. 6. Vgl. allg. FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 279 Rn. 9 a. E. Zum Begriff vgl. z. B. v. Buchwaldt, BB 2015, 3017, 3019 f. Vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 887 f.
209
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
ausschuss ist vielmehr berechtigt, gegenüber Schuldner und Sachwalter durch Beschluss im Einzelfall oder anhand bestimmter Kriterien diejenigen Rechtshandlungen festzulegen, die nach seiner Auffassung für das Verfahren so bedeutsam sind, dass er frühzeitig am Entscheidungsprozess beteiligt werden will und sie stets nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden sollen.996) Diese Befugnis zur Formulierung ausdrücklicher Zustimmungsvorbehalte nach § 276 InsO folgt aus der allgemeinen Überwachungsaufgabe des Ausschusses (§ 69 Satz 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Sie ist ein wesentliches Instrument vorbeugender Kontrolle, um von vornherein masseschädliche Maßnahmen der Insolvenzverwaltung zu unterbinden, die möglicherweise nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Insoweit gilt nichts anderes als für das entsprechende Recht des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG.997)
2.
Notwendigkeit der vorherigen Zustimmung
467 Bevor der Schuldner eine Rechtshandlung nach § 276 InsO vornimmt, ist er verpflichtet, sie dem Gläubigerausschuss zur Entscheidung vorzulegen. Die Terminologie der §§ 183, 184 BGB, welche die Zustimmung als Oberbegriff für die (vorherige) Einwilligung und die (nachträgliche) Genehmigung behandelt, ist hier sachlich nicht einschlägig. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und Sinn des § 276 InsO.998) Anders als in den §§ 182 – 185 BGB unterscheidet das Gesetz hier nicht zwischen der Vornahme und dem Wirksamwerden, sondern zwischen dem Entschluss und der Vornahme der Rechtshandlung („wenn er […] vornehmen will“).999) Hieraus folgt, dass die Mitwirkung des Gläubigerausschusses spätestens zwischen dem Entschluss des Schuldners und dessen Umsetzung zu erfolgen hat. Die Entscheidung über besonders bedeutsame Rechtshandlungen soll im Innenverhältnis den Gläubigern oder ihren Organen überlassen bleiben; wirksam im Außenverhältnis ist die eigenmächtig vorgenommene Rechtshandlung des Schuldners ___________ 996) Vgl. oben Kapitel 3 H. X. 2., Rn. 300. 997) Vgl. dazu RegE des Transparenz- und Publizitätsgesetzes, 2002, BT-Drucks. 14/8769, S. 17 zu Nr. 9 (Änderung des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG); BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, NZG 2007, 187 f. Rn. 9 = ZIP 2007, 224; BGH, Urt. v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, NZG 2018, 1189 f. Rn. 17 = ZIP 2018, 1923. 998) Ebenso Graf-Schlicker, InsO, 3. Aufl. 2012, § 276 Rn. 5; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 276 Rn. 8; SanRKomm/T. Brinkmann, 2016, § 276, Rn. 5; HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 276 Rn. 3; BeckOK-InsO/Plaßmeier/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 276 Rn. 5; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 276 Rn. 4; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 90 Rn. 9; Rattunde/Stark, Praxisbuch Sachwalter, 2015, Rn. 218; Pape/Gundlach/ Vortmann, Handbuch, 3. Aufl. 2018, Rn. 390; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 32; Minuth in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 43 (zu § 275 InsO), Rn. 53 (zu § 276 InsO). 999) Zu Recht auf den Wortlaut abstellend daher u. a. MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 276 Rn. 8; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 276 Rn. 4; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 32.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
ohnehin (§ 276 Satz 2, § 164 InsO). Deshalb kann nur die Einwilligung gemeint sein. Die Norm ist im Innenverhältnis zwingendes Recht, über das weder Gläubigerausschuss noch Schuldner disponieren können. Eine Genehmigung durch den Gläubigerausschuss steht der Einwilligung daher rechtlich nicht gleich.1000) Die abweichende Rechtsansicht, die in diesem Zusammenhang unter Zustimmung auch die Genehmigung versteht,1001) ist abzulehnen. Die Genehmigung des Gläubigerausschusses zu einer bereits vorgenommenen be- 468 sonders bedeutsamen Rechtshandlung des eigenverwaltenden Schuldners hat keine verfahrens- oder haftungsrechtlich verbindliche Heilung des Rechtsverstoßes zur Folge; hierzu fehlt dem Ausschuss die gesetzliche Befugnis.1002) Die Genehmigung hat allenfalls den Erklärungswert, dass die zustimmenden Ausschussmitglieder die begangene Pflichtverletzung des Schuldners nicht für schwerwiegend halten und tolerieren, weil sie der beabsichtigten Handlung bei rechtzeitiger Vorlage zugestimmt hätten. Dies mag im Einzelfall zutreffen. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass jede Verletzung der Vorlagepflicht nach § 276 InsO zugleich prinzipiell als erheblicher nachteilsindizierender Umstand nach § 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 2, § 277 Abs. 2 InsO zu werten ist.1003) Sie zeigt, dass der Schuldner entweder nicht in der Lage oder nicht willens ist, bei der Durchführung der Eigenverwaltung die gesetzliche Zuständigkeitsordnung jederzeit und uneingeschränkt zu beachten. Dies ist ein gewichtiges Indiz für drohende künftige erhebliche Pflichtverletzungen.1004) Jede Tolerierung eines rechtswidrigen Verhaltens des Schuldners verletzt zugleich die Überwachungspflicht des Ausschusses. Seine Mitglieder sind deshalb in einem solchen Fall verpflichtet, neben der Tolerierungserklärung eine Abmahnung an den Schuldner zu richten und, soweit möglich, Vorkehrungen zu treffen, die eine Wiederholung derartiger Verhaltensweisen wenn nicht unmöglich, so doch weniger wahrscheinlich machen.
3.
Ermittlung zustimmungsbedürftiger Rechtshandlungen
Der Gläubigerausschuss hat sich zu vergewissern, ob der Schuldner das Mitwir- 469 kungsrecht nach § 276 InsO vollständig und rechtzeitig beachtet. Da die Ausschuss___________ 1000) Ebenso zur Rechtslage beim Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 AktG: BGH, Urt. v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, NZG 2018, 1189, 1190 Rn. 15, 17 = ZIP 2018, 1923. 1001) KPB-InsO/Pape, 28. EL. 03.2007, § 276 Rn. 9; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 276 Rn. 9; Braun/Riggert, InsO, 7. Aufl. 2017, § 276 Rn. 4; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 276 Rn. 3; Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 14 Rn. 46. 1002) Eine solche Heilung (im Innenverhältnis) befürworten z. B. SanRKomm/T. Brinkmann, 2016, § 276 Rn. 5; HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 276 Rn. 3; BeckOK-InsO/ Plaßmeier/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 276 Rn. 5. 1003) Siehe oben Kapitel 2 D. VII., Rn. 79 ff.; Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 1004) Kapitel 2 D. III., Rn. 72.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
mitglieder nicht in das Tagesgeschäft des Schuldners eingebunden sind, haben sie bei der Festlegung der periodischen Berichtspflichten des Schuldners und des Sachwalters1005) zu verlangen, dass auch der Sachwalter ihnen unter Berücksichtigung gesetzlicher oder vom Ausschuss festgelegter interner Zustimmungsvorbehalte regelmäßig mitteilt, welche besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des Schuldners ihm bekannt geworden sind und auf welche Weise er von ihnen Kenntnis erlangt hat. Dies ist dem Sachwalter zuzumuten, denn er soll nach § 275 InsO bei der Eingehung gewöhnlicher und nicht gewöhnlicher Verbindlichkeiten mitwirken. Er hat im Rahmen seiner eigenen Aufsichtsführung (§ 274 Abs. 2 InsO) alle auch nur ansatzweise bedeutsamen Rechtshandlungen des Schuldners festzustellen und ihre ordnungsgemäße Handhabung zu überwachen. Insoweit ergeben sich in dem eigenverwaltungsspezifischen System der Mehrfachaufsicht unvermeidlich überschneidende Kontrollbereiche von Sachwalter und Gläubigerausschuss.1006)
4.
Verhältnis zur Mitwirkung des Sachwalters
470 Das Gesetz sieht bei der Eigenverwaltung an mehreren Stellen die Mitwirkung des Sachwalters bei Rechtshandlungen des eigenverwaltenden Schuldners vor (§§ 275, 277, 279 InsO). Diese Bestimmungen verdrängen nicht die gesetzlichen Pflichten des Schuldners gegenüber dem Gläubigerausschuss nach § 276 InsO. Beide Regelungskreise können sich zwar überschneiden, stehen aber grundsätzlich selbständig nebeneinander und haben ihre eigenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Stimmen die Voraussetzungen überein, so gelten die gesetzlichen Bestimmungen kumulativ und der Schuldner hat sowohl den Sachwalter als auch den Gläubigerausschuss um die Zustimmung anzugehen. Weder ersetzt die Zustimmung des Sachwalters diejenige des Gläubigerausschusses noch macht die Zustimmung des Ausschusses diejenige des Sachwalters entbehrlich.1007) Anders als der Insolvenzverwalter hat der eigenverwaltende Schuldner deshalb die Pflicht, eine doppelte Zustimmungserklärung einzuholen, wenn er Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung vornehmen will und hierdurch zugleich Verbindlichkeiten im Sinne von § 275 Abs. 1 InsO eingegangen werden sollen. Missachtet der Schuldner auch nur das Mitwirkungsrecht eines der beiden Kontrollorgane, so verhält er sich pflichtwidrig und begründet damit einen nachteilsindizierenden Umstand.1008)
___________ 1005) Kapitel 2 D. V., Rn. 75; Kapitel 3 D. III., Rn. 244. 1006) Jaeger/Eckardt, InsO, 2018, § 160 Rn. 13. Siehe oben Kapitel 4 B. III., Rn. 319 ff. 1007) KPB-InsO/Pape, 28. EL. 03.2007, § 276 Rn. 10; HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 276 Rn. 3; Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 14 Rn. 38; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1163, 1171. 1008) Siehe oben Kapitel 2 D. VII., Rn. 79 ff.; Kapitel 2 D. III., Rn. 72 und VII., Rn. 79, Kapitel 4 D. II. 2. b), Rn. 354.
212
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
5.
Besonders bedeutsame Rechtshandlungen des Sachwalters
Will der Sachwalter in seinem originären Aufgabenbereich1009) Rechtshandlungen von 471 besonderer Bedeutung vornehmen, so hat er ebenso wie der Schuldner die vorherige Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen (§ 270 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 160 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dieses Erfordernis kann sich vor allem im Zusammenhang mit der Zustimmungserklärung des Sachwalters nach § 276a Satz 2, 3 InsO ergeben.1010) Es ist jedoch auch im Anwendungsbereich des § 280 InsO von Bedeutung, wenn der Sachwalter insolvenzspezifische Ansprüche mit erheblichem Streitwert geltend machen (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO) oder in sonstiger Weise über solche Ansprüche verfügen will (z. B. durch Erlass nach § 397 Abs. 1 BGB).
V. Personelle Veränderungen in der Geschäftsleitung (§ 276a Satz 2, 3 InsO) Jede personelle Veränderung in der Geschäftsleitung, die auf einer Entscheidung des 472 gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgans beruht, ist als besonders schwerwiegender Fall der Einflussnahme auf die Geschäftsführung des Schuldners zu qualifizieren. Sie bedarf deshalb zunächst nach § 276a Satz 2, 3 InsO zu ihrer Wirksamkeit der konstitutiven Zustimmung des Sachwalters. Dieser hat darüber zu wachen, dass derartige Maßnahmen nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führen (§ 276a Satz 3 InsO), insbesondere weder dem Verfahrenszweck zuwiderlaufen noch die Unabhängigkeit der Geschäftsleitung von den übrigen Gesellschaftsorganen gefährden.1011) Ob der Sachwalter diese Aufgabe sachgerecht wahrnimmt, ist zusätzlich wiederum vom Gläubigerausschuss zu überwachen (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 69 InsO). Bei den in § 276a Satz 2 InsO angesprochenen Veränderungen in der Geschäftslei- 473 tung des Schuldners handelt es sich zugleich um besonders bedeutsame Rechtshandlungen i. S. d. § 276 Satz 1 InsO. Solche Veränderungen können schwerwiegende Auswirkungen auf die formale oder sachliche Führung der Eigenverwaltung und die Überwachungsmöglichkeiten des Gläubigerausschusses haben. Dass ihre Wirksamkeit von der Zustimmung des Sachwalters abhängt, bestätigt diese Wertung, bedeutet aber nicht, dass § 276 Satz 1 InsO durch § 276a Satz 2 InsO verdrängt wird. Beide Regelungskreise stehen selbständig nebeneinander und haben ihre eigenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Stimmen ihre Voraussetzungen überein, so gelten die gesetzlichen Bestimmungen kumulativ und das zuständige Organ des Schuldners, hier das Bestellungsorgan, hat sowohl den Sachwalter als auch den ___________ 1009) Siehe oben Kapitel 2 E. IV. und V., Rn. 95 ff. 1010) Dazu sogleich Abschnitt V., Rn. 472 ff. 1011) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 zu Nr. 47 (Einfügung eines § 276a InsO). Kritisch dazu K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607: „Der eigenverwaltende Vorstand oder Geschäftsführer ist genuines Organ der Gesellschaft, nicht dagegen ein Insolvenzverwalterersatz ohne gesellschaftsrechtliche Bindung.“
213
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
Gläubigerausschuss um Einwilligung anzugehen. Weder ersetzt die Zustimmung des Sachwalters diejenige des Gläubigerausschusses noch macht die Einwilligung des Ausschusses1012) die Zustimmung des Sachwalters entbehrlich.1013)
1.
Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich des § 276a Satz 2, 3 InsO
474 Das Gesetz bezieht den Zustimmungsvorbehalt (§ 276a Satz 2, 3 InsO) auf die „Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung“. Dies ist in mehrfacher Hinsicht missverständlich. In persönlicher Hinsicht ist „Geschäftsleitung“ kein anerkannter rechtsformübergreifender Begriff des Gesellschaftsrechts. Das Wort bezeichnet kein bestimmtes Organ im Rechtssinne, sondern eine wirtschaftlich-organisatorische Funktion.1014) Der Begriff ist, entsprechend dem Normzweck, auf alle natürlichen Personen anzuwenden, die eine für die Ausübung der Eigenverwaltung maßgebende leitende Stellung im schuldnerischen Unternehmen bekleiden. Hierzu zählen nicht nur die Mitglieder des Vertretungsorgans und die vertretungsberechtigten Anteilsinhaber, sondern zusätzlich Prokuristen und Generalbevollmächtigte aller Art, die auch in anderen Gesetzen mehrmals der Geschäftsleitung im weiteren Sinne zugeordnet werden, obwohl sie bloße Bevollmächtigte sind (vgl. § 89 Abs. 2, § 105 Abs. 1, § 117 Abs. 1 AktG; § 43a, § 46 Nr. 7 GmbHG; § 37 Abs. 1 GenG; ferner § 15 KWG; § 75 StGB, § 30 OWiG; § 71 WiPrO).
475 Die Vollmachten dieser Bevollmächtigten erlöschen bekanntlich durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, selbst wenn zugleich die Eigenverwaltung angeordnet wird (§ 117 Abs. 1 InsO).1015) Sollen sie weiterhin in ihrer bisherigen Funktion für den Schuldner tätig sein, so sind ihnen vom Vertretungsorgan, das von § 117 Abs. 1 InsO anerkanntermaßen nicht betroffen ist, neue Vollmachten zu erteilen, die nach § 276a Satz 1 InsO nicht mehr der Zustimmung eines gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgans des Schuldners bedürfen. Die Vollmachten und die Zuverlässigkeit der Bevollmächtigten können jedoch erheblichen Einfluss auf die Durchführung der Eigenverwaltung haben. Deshalb ist es geboten, jede Erteilung, jede Veränderung und jeden Widerruf der Prokura oder einer Generalvollmacht in den Geltungsbereich des § 276a Satz 2, 3 InsO einzubeziehen.
___________ 1012) Siehe oben Kapitel 4 F. IV. 2., Rn. 467 f. 1013) Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 14 Rn. 38; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1163, 1171. 1014) In diesem Sinn wird der Begriff, abgesehen von § 15 SEAG, § 13 SCEAG, vor allem im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Pflichten von Unternehmen verwendet; vgl. etwa §§ 10, 20 AO, § 25d KWG. 1015) KPB-InsO/Tintelnot, 32. EL. 04.2008, § 117 Rn. 5; MK-InsO/Ott/Vuia, 3. Aufl. 2013, § 117 Rn. 14; HK-InsO/Marotzke, 9. Aufl. 2018, § 117 Rn. 2; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl. 2019, § 117 Rn. 11; HambK-InsR/Ahrendt, 7. Aufl. 2019, § 117 Rn. 6; ausführlich Schilken, KTS 2007, 1, 2 f., 5, 14 f., 18 f.; Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1983.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
Die in § 276a Satz 2 InsO genannten Akte der Abberufung und Neubestellung er- 476 fassen sachlich nicht alle in diesem Zusammenhang relevanten Rechtshandlungen. Die Unabhängigkeit der Geschäftsleitung von den gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorganen kann nicht nur dadurch in Gefahr geraten, dass bereits amtierende Personen abberufen und ihre Stellen neu besetzt werden. Die erstmalige Bestellung eines zusätzlichen Mitglieds der Geschäftsleitung, die Erteilung des Rechts der Einzelvertretung oder die Umwandlung einer Einzelvertretungs- in eine Gesamtvertretungsbefugnis kann einen unliebsamen Amtsinhaber zumindest ebenso wirksam wie ein Austausch der Personen entmachten oder einer willfährigen Person eine ausschlaggebende Machtposition verschaffen. Der Zustimmungsvorbehalt des § 276a Satz 2, 3 InsO muss daher nach dem Normzweck für alle Akte der schuldnerischen Organe gelten, mit denen die bei Anordnung der Eigenverwaltung bestehende personelle Zusammensetzung der Geschäftsleitung im weiten Sinne oder die Vertretungsbefugnis eines ihrer Mitglieder verändert wird. Aus dem selben Grund und angesichts des engen Sachzusammenhangs muss der 477 Zustimmungsvorbehalt für alle Rechtshandlungen gelten, die aufgrund einer Annexkompetenz des Bestellungsorgans1016) den Abschluss, die Änderung oder die Beendigung des Dienstvertrags eines Mitglieds der Geschäftsleitung betreffen, insbesondere für Vereinbarungen über die Vergütung oder sonstige Einzelbestandteile des Anstellungsverhältnisses. Auch solche Vorgänge können die insolvenzrechtliche Geschäftsführung erheblich beeinflussen.1017) Durch sie können neue Masseverbindlichkeiten begründet werden, die für das Insolvenzverfahren nahezu immer von besonderer Bedeutung sind (§ 276 Satz 1 InsO).1018) Solche Rechtshandlungen haben gegenüber den Bestellungs- und Abberufungsakten und der Festlegung der Vertretungsbefugnis notwendigerweise begleitende rechtliche Bedeutung und müssen daher im Zusammenhang der Eigenverwaltung gemeinsam mit den gesellschaftsrechtlichen Vorgängen als Einheit behandelt werden. Nur bei diesem umfassenden Verständnis des Zustimmungsvorbehalts kann im Rahmen des § 276a InsO gewährleistet werden, dass Personalentscheidungen im Bereich der Geschäftsleitung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führen. Bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO) erstreckt 478 sich das Zustimmungserfordernis des § 276a Satz 2, 3 InsO auch auf Veränderungen im Bereich der persönlich haftenden Gesellschafter, soweit sie zur Vertretung ___________ 1016) Zu diesen Annexkompetenzen vgl. etwa BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, NJW 1991, 1680 f. = ZIP 1991, 580, 582; BGH, Urt. v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, NJW 1998, 1315 f. = ZIP 1998, 332 f.; BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NZG 2015, 792, 794 Rn. 24 = ZIP 2015, 1220; BGH, Urt. v. 3.7.2018 – II ZR 452/17, NZG 2018, 1073 f. Rn. 10 = ZIP 2018, 1629; BGH, Urt. v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, ZIP 2019, 1374, 1376 Rn. 18, 21 ff. 1017) Siehe oben Kapitel 4 E. II. 3., Rn. 375 ff. 1018) Siehe dazu oben Kapitel 4 F. II. 3., Rn. 434 ff.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
der Gesellschaft befugt sind oder künftig sein sollen (§ 714 BGB, § 125 HGB, § 7 Abs. 3 PartGG).
2.
Prüfung durch den Sachwalter
479 Nach § 276a Satz 3 InsO ist der Sachwalter verpflichtet, der Veränderung der personellen Zusammensetzung der Geschäftsleitung im oben dargestellten weiten Sinne einschließlich der Vertretungsbefugnis ihrer Mitglieder zuzustimmen, wenn die Maßnahme nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Er hat dabei auf der Grundlage angemessener Information eine auf Tatsachen und realistische Annahmen gestützte Prognose vorzunehmen, die aber nicht der Gewissheit einer gerichtlichen Überzeugung gleichkommen muss.1019) Der Gläubigerausschuss seinerseits hat zu überwachen, ob der Sachwalter seine aus § 276a Satz 2 und 3 InsO folgenden Pflichten ordnungsgemäß wahrnimmt (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 69 InsO).
480 Die Zustimmung nach § 276a Satz 2, 3 InsO steht nicht im Ermessen des Sachwalters, sondern ist das Ergebnis einer wertenden Subsumtion unter den gesetzlichen Tatbestand. Es dürfen keine Umstände vorliegen, die bei realistischer empirischer Betrachtungsweise mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die personelle Maßnahme zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Insbesondere muss gewährleistet sein, dass durch sie die rechtlich und wirtschaftlich ordnungsgemäße Führung der Eigenverwaltung nicht gefährdet wird. Grundsätzlich hat jede Unterbrechung der personellen Kontinuität der Insolvenzverwaltung die Vermutung gegen sich, dass sie für die Gläubiger mit Nachteilen verbunden ist;1020) dies zeigt schon die Bestimmung des § 59 InsO, derzufolge der Insolvenzverwalter nur aus wichtigem Grund entlassen werden darf. Bei pflichtgemäßer Wahrnehmung der Eigenverwaltung beruht die Durchführung des Verfahrens auf einem in der Geschäftsleitung entwickelten und von ihr mit Zustimmung der Gläubiger umgesetzten Gesamtkonzept (vgl. §§ 157, 284 InsO). Veränderungen auf der Ebene der Geschäftsleitung einschließlich der Vertretungsbefugnis bedürfen daher stets einer sachlichen, am Zweck des Insolvenzverfahrens und der Eigenverwaltung orientierten Rechtfertigung.
481 Der Sachwalter hat seine Entscheidung auf der Grundlage angemessener Information zu treffen. Er hat die für seine Zustimmung maßgebenden Sachverhalte mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sachwalters (§ 274 Abs. 1, § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO) aufzuklären und den Gläubigerausschuss über seine Untersuchungen und Feststellungen unverzüglich, wahrheitsgemäß und vollständig zu unterrichten. Hierfür ist ihm eine angemessene Prüfungs- und Entscheidungszeit ein___________ 1019) MK-InsO/Klöhn, 3. Aufl. 2014, § 276a Rn. 58; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 276a Rn. 11. 1020) Vgl. AG Duisburg, Beschl. v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock), NZI 2002, 556, 559 = ZIP 2002, 1636, 1637, 1639.
216
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
zuräumen. Er muss von dem Bestellungskandidaten alle für die Entscheidung relevanten Informationen und Nachweise verlangen. Darüber hinaus haben die Mitglieder des Bestellungsorgans alle Auskünfte zu erteilen, die der Sachwalter zur Beurteilung der Maßnahme für erforderlich hält. Dies folgt aus § 101 Abs. 1, 2, § 97 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 22 Abs. 3 InsO.
3.
Überwachungsmaßnahmen des Ausschusses
Da es sich bei den in § 276a Satz 2 InsO angesprochenen Veränderungen in der 482 Geschäftsleitung des Schuldners zugleich um besonders bedeutsame Rechtshandlungen nach § 276 Satz 1 InsO handelt,1021) ist der Sachwalter verpflichtet, die Einwilligung des Gläubigerausschusses einzuholen,1022) bevor er seine positive oder negative Entscheidung dem gesellschaftsrechtlichen Bestellungsorgan mitteilt. Abweichende Auffassungen, wonach der Sachwalter seine Entscheidung nach pflichtgemäßen Ermessen und ohne Einschaltung des Gläubigerausschusses treffen darf,1023) überzeugen schon deshalb nicht,1024) weil der Sachwalter dem Ausschuss die effiziente Ausübung seiner Überwachungs- und Unterstützungsaufgaben (§ 69 Satz 1 InsO) ermöglichen muss. Dies umfasst beim Sachwalter ebenso wie beim eigenverwaltenden Schuldner die Pflicht zur rechtzeitigen Berichterstattung an den Ausschuss1025) und zur anschließenden gemeinsamen Beratung. Die Entscheidung des Gläubigerausschusses über die Einwilligung zur beabsichtig- 483 ten Erklärung des Sachwalters gegenüber dem Bestellungsorgan des Schuldners hat ihrem Inhalt nach keine geringere Bedeutung als das nachfolgende Votum des Sachwalters selbst. Der Beschluss des Ausschusses muss auf einer umfassenden eigenen Prüfung der Sach- und Rechtslage beruhen, die sich nach Art und Inhalt nicht von der des Sachwalters unterscheidet. Im Innenverhältnis zu den Gläubigern ist der Sachwalter an die Entscheidung des Ausschusses gebunden, sofern ihr nicht, an § 276a Satz 3 InsO gemessen, ersichtlich sachwidrige Motive zugrunde liegen. ___________ 1021) Kapitel 4 F. V., Einleitung, Rn. 473. 1022) Siehe im Einzelnen oben Kapitel 4 F. IV. 2., Rn. 467 ff. 1023) Siehe zur abw. Auff. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 276 Rn. 4, der die Notwendigkeit der Einwilligung jedoch bei § 275 InsO bejaht (ebd., § 275 Rn. 4); ebenso KPBInsO/Pape, 28. EL. 03.2007, § 275 Rn. 5, § 276 Rn. 9; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 275 Rn. 12 (obgleich widersprüchlich formuliert); Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 14 Rn. 46; Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 124; wohl auch Neumann, Gläubigerautonomie, 1995, S. 374. 1024) Für die Notwendigkeit der vorherigen Zustimmung (Einwilligung) z. B. MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 276 Rn. 8; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl. 2017, § 276 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 276 Rn. 4; BeckOK-InsO/Plaßmeier/ Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 276 Rn. 5. 1025) Siehe oben Kapitel 3 D. III., Rn. 244 ff.; Kapitel 4 B., Rn. 309 ff. und Kapitel 4 F. II. 2., Rn. 423 ff.
217
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
Ein verbindliches Weisungsrecht besitzt der Ausschuss hingegen auch hier nicht;1026) er kann nach § 276 InsO lediglich die Zustimmung verweigern oder erteilen. Kommt der Sachwalter trotz der Argumente des Gläubigerausschusses zu der Überzeugung, dass die personelle Maßnahme nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, so hat er die Zustimmung zu erteilen; sie ist im Außenverhältnis gegenüber dem Bestellungsorgan des Schuldners allein maßgeblich und trotz verweigerter Zustimmung des Ausschusses wirksam (§§ 164, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Schuldner wird jedoch zu bedenken haben, dass die Durchführung personeller Maßnahmen gegen den Willen des Gläubigerausschusses das Vertrauen in die Träger der Eigenverwaltung zerstören und – auf Antrag der Gläubigerversammlung, die wiederum auf Antrag des Ausschusses einberufen werden muss – zu deren Aufhebung führen kann (§ 272 Abs. 1 Nr. 1, § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Ob tatsächlich Nachteile für die Gläubiger zu befürchten sind, ist bei einem solchen Verfahrensgang unerheblich. Ist die personelle Veränderung tatsächlich nachteilig für die Gläubiger, so ist ihr Vollzug durch das gesellschaftsrechtliche Bestellungsorgan trotz Zustimmung des Sachwalters eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die Schuldner und Sachwalter gleichermaßen zuzurechnen ist; sie kann die Aufhebung der Eigenverwaltung bereits auf Antrag eines Einzelgläubigers nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO rechtfertigen.
VI. Erfüllung der Nachteilsmeldepflicht durch den Sachwalter gemäß § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO 484 Eine weitere eigenverwaltungsspezifische Aufgabe des Gläubigerausschusses ist die Entgegennahme, Auswertung und anschließende Verarbeitung der Nachteilsanzeigen des Sachwalters (§ 274 Abs. 3 Satz 1 InsO). Es gehört zu dessen wesentlichen Aufgaben, dem Ausschuss (und dem Insolvenzgericht) stets ein umfassendes und aktuelles Bild von der Ordnungsmäßigkeit der Eigenverwaltung, also insbesondere von Pflichtverletzungen des Schuldners und von allen sonstigen Missständen und Fehlentwicklungen der Masseverwaltung zu vermitteln.1027) Stellt der Sachwalter anlässlich seiner Tätigkeit nachteilsindizierende Umstände (§ 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 2, § 277 Abs. 2 InsO) fest, so hat er sie dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht unverzüglich anzuzeigen,1028) weil damit die verfahrensrechtliche Geschäftsgrundlage der Eigenverwaltung ernsthaft gefährdet ist.
485 Die Nachteilsmeldepflicht ist eine zwingende Konsequenz aus dem gesetzlichen Auftrag des Sachwalters, den Schuldner zu beaufsichtigen (§ 270 Abs. 1 Satz 1, § 274 Abs. 2 InsO). Mit der Nachteilsanzeige gewinnt der Ausschuss eine wesentliche Informationsgrundlage, auf der entschieden werden kann, ob der Schutz der ___________ 1026) Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 254; Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 124 ebenso wohl Neumann, Gläubigerautonomie, 1995, S. 374. Allg. hierzu Kapitel 3 D. IV., Rn. 248 ff. 1027) Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 911. Vgl. oben Kapitel 4 F. II. 2., Rn. 423 ff. 1028) Vgl. auch Kapitel 2 E. III., Rn. 90. und Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff.
218
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
Gläubiger weitere Schritte des Ausschusses erfordert.1029) Zugleich ist eine substantiierte Anzeige des Sachwalters in aller Regel gegenüber dem Insolvenzgericht ein geeignetes Mittel der Glaubhaftmachung bei Anträgen nach § 272 Abs. 2 oder § 277 Abs. 2 Satz 2 InsO. Die Erfüllung der Nachteilsmeldepflicht des Sachwalters ist von den Mitgliedern des Gläubigerausschusses zu überwachen (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 69 Satz 1 InsO).1030) Diese Überwachung ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Gesetz den Ausschuss selbst zu einem der Empfänger der Nachteilsanzeige bestimmt. Die Regelung des § 274 Abs. 3 InsO belegt vielmehr, dass die Nachteilsmeldepflicht ein unverzichtbarer Teil des Systems der Eigenverwaltung unter der Aufsicht eines Sachwalters (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO) ist. Liegen nachteilsindizierende Umstände vor, so muss sichergestellt sein, dass hierauf von Seiten der Gläubiger und des Gerichts unverzüglich angemessen reagiert werden kann. Rechtlich wirksame Reaktionsmöglichkeiten stehen nämlich, sieht man von § 275 Abs. 2 InsO ab, nicht dem Sachwalter, sondern nur den Gläubigern und dem Gericht zur Verfügung (vgl. § 272 Abs. 1 Nr. 1, 2, § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 277 InsO). Die Anzeigepflicht tritt demzufolge an die Stelle unmittelbarer Eingriffsmöglichkeiten des Sachwalters selbst.1031) Die Überwachung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Nachteilsmeldepflicht ist 486 aber auch im Hinblick auf den Sachwalter selbst relevant. Verletzt er diese elementare Pflicht, so besteht die erhöhte Gefahr, dass er auch andere Aufgaben nicht mit der gebotenen Sorgfalt wahrnimmt. Der Gläubigerausschuss ist dann in aller Regel verpflichtet, einen Antrag auf Entlassung des Sachwalters aus wichtigem Grund zu stellen (§ 274 Abs. 1, § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO). Erfahrungen aus der Praxis bestätigen, dass der Ausschuss sich keineswegs unbesehen darauf verlassen kann, dass der Sachwalter seiner Nachteilsmeldepflicht stets nachkommen wird. Die Ausschussmitglieder müssen jederzeit damit rechnen, dass der Sachwalter gerade bei dieser Pflicht aus sachfremder Rücksichtnahme auf den Schuldner oder ihm nahestehende Personen oder aus anderen eigennützigen Motiven Zurückhaltung übt.1032) Es wäre allerdings eine Überforderung der Ausschussmitglieder, wollte man von 487 ihnen verlangen, dass sie selbst ohne besonderen Anlass fortlaufend nachforschen müssen, ob nachteilsindizierende Umstände bestehen oder einzutreten drohen. Sie sind, anders als der Sachwalter, üblicherweise nicht unmittelbar in das Tagesgeschäft und die Planungen des Schuldners eingebunden, so dass die Möglichkeiten und die Wahrscheinlichkeit, von solchen Tatsachen Kenntnis zu erlangen, sehr viel geringer sind als beim Sachwalter. In allen Bereichen, die erfahrungsgemäß beson___________ 1029) 1030) 1031) 1032)
Vgl. allg. Minuth, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 83. So auch Frind, ZIP 2012, 1380, 1385. Schur, ZIP 2014, 757, 760 f. Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Kurzbericht, 2018, S. 13 = BT-Drucks. 19/4880, S. 19; dies., Evaluierung ESUG, 2018, S. 86 f. = BT-Drucks. 19/4880, S. 126 f.; vgl. auch den Fall bei B. Böhmer, Bilanz 2017, S. 25.
219
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
ders missbrauchsanfällig1033) oder für die Arbeit und die Entscheidungen des Gläubigerausschusses grundlegend sind, haben sich seine Mitglieder indessen nach allgemeinen Grundsätzen eigenverantwortlich um angemessene Informationen zu bemühen, auf deren Grundlage sie sich ein unabhängiges Bild von der Lage der Dinge und von der Amtsführung des Schuldners machen können.1034)
488 Erstattet der Sachwalter eine Nachteilsanzeige, so haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses unverzüglich zu prüfen, ob diese vollständig, richtig und rechtzeitig erstattet worden ist. Die Nachteilsanzeige muss, ihrem Zweck entsprechend, nachvollziehbare und geordnete Angaben über bestimmte, vom Sachwalter oder seinen Hilfspersonen festgestellte Tatsachen enthalten, aus denen sich mit einiger Wahrscheinlichkeit schlüssige Hinweise darauf ergeben, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Regelmäßig wird es dem besseren Verständnis dienen, wenn der Sachwalter zusätzlich die zugrunde liegenden Ermittlungen und deren Anlass kurz darstellt. Neben den festgestellten Tatsachen sollte die Anzeige auf Art und Gewicht der drohenden Nachteile für die Gläubiger hinweisen. Zum Verständnis der Anzeige notwendige Unterlagen hat der Sachwalter dem Ausschuss zur Verfügung zu stellen.1035)
489 Der Sachwalter hat die Nachteilsanzeige unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB) zu erstatten. Ihm steht weder ein sachliches noch ein zeitliches Ermessen zu.1036) Allerdings hat er zu prüfen, ob ein von ihm festgestellter Umstand einen Nachteil für die Gläubiger erwarten lässt; insoweit muss der Sachwalter notwendigerweise vorläufige subjektive Wertungen vornehmen.1037) Sind weitere Nachforschungen geboten, so hat er, soweit dies seine Ermittlungen nicht gefährdet, eine vorläufige Anzeige zu erstatten. Das Verhalten des Sachwalters muss auch hier von dem Grundsatz geleitet sein, dass er ebenso wie der Gläubigerausschuss verpflichtet ist, von den Gläubigern jeden Schaden abzuwenden, der trotz der Insolvenz des Schuldners noch vermeidbar ist.1038) Dem Sachwalter steht es frei, in der Nachteilsanzeige, getrennt von seinen tatsächlichen Feststellungen, eine eigene Einschätzung der Sachlage zu geben. Es ist jedoch nicht seine Aufgabe, Abwägungen mit etwaigen Vorteilen der Eigenverwaltung vorzunehmen; die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige wird durch solche Saldierungserwägungen nicht berührt.1039)
___________ 1033) 1034) 1035) 1036)
Siehe oben Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. Siehe oben Kapitel 3 H. VII., Rn. 286; ferner Frind, ZIP 2017, 993, 999. Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 375. Hofmann, Praxisbuch, 2. Aufl. 2016, Rn. 291; wohl auch Minuth, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 83; Krämer, NZI 2017, 960, 961. 1037) So auch Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 183. 1038) Vgl. Kapitel 4 D. I., Rn. 341 ff. 1039) Vgl. Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 913.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
Ein pflichtbewusst arbeitender Gläubigerausschuss wird ohnehin absehbare Vorteile in seine Erwägungen einbeziehen. Hat der Ausschuss Zweifel, ob die mitgeteilten Umstände vorliegen oder ob sie 490 nachteilsindizierend sind, so muss er versuchen, sich Klarheit zu verschaffen. Er kann z. B. Einsicht in die Geschäftsunterlagen nehmen oder geeignete Auskunftspersonen auf Seiten des Schuldners befragen.1040) Im Übrigen haben seine Mitglieder unverzüglich über notwendige Maßnahmen zum Schutz der Gläubigerinteressen zu beraten und diese umzusetzen.1041) Darin besteht der Sinn und Zweck der Nachteilsmeldepflicht.1042) Die Mitglieder des Gläubigerausschusses sollten den Sachwalter bereits zu Beginn 491 des Verfahrens darauf hinweisen, dass sie erwarten, unverzüglich über alle Umstände informiert zu werden, die auch nur entfernt zu der Befürchtung Anlass geben könnten, dass sie sich in Zukunft für die Gläubiger nachteilig auswirken. Zwar muss jeder pflichtbewusste Sachwalter seine gesetzliche Funktion als zuverlässiger Brandmelder zum Nutzen der Gläubiger kennen. Jedoch ist es Aufgabe des Gläubigerausschusses, ein konstruktives und zweckorientiertes Klima der Überwachung zu schaffen. Der Sachwalter wird hieraus schließen, dass er es mit einem Ausschuss zu tun hat, der von dem Willen getragen ist, jede Kollusion, Interessenvermischung oder rechtlich nicht vorgesehene Rücksichtnahme auf den Schuldner oder den Sanierungsberater zu erkennen und auf sie gemäß seinem eigenen gesetzlichen Auftrag zu reagieren.
VII. Vorlage und Prüfung der Verzeichnisse Unverzüglich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens muss der eigenverwal- 492 tende Schuldner zur Unterrichtung aller Gläubiger die in den §§ 151 – 153 InsO geregelten Verzeichnisse und die Vermögensübersicht erstellen und sie nach Prüfung durch den Sachwalter rechtzeitig vor dem Berichtstermin bei Gericht einreichen (§ 281 Abs. 1, § 154 InsO). Wegen seiner allgemeinen Überwachungs- und Unterstützungspflicht (§ 69 Satz 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO) ist der Gläubigerausschuss in die Prüfung und Vorlage eingebunden.
1.
Zweck und Bedeutung der Verzeichnisse
Die Verzeichnisse und die Übersicht gemäß §§ 151 – 153 InsO dienen unabhängig 493 von der Organisationsform der Insolvenzverwaltung dem Zweck, den Insolvenzgläubigern einen vollständigen und realistischen Überblick über die Insolvenzmasse ___________ 1040) Siehe oben Kapitel 4 F. II. 2., Rn. 423 ff. 1041) Allg. bereits oben Kapitel 3 H. XI., Rn. 301 f. 1042) Ebenso Hofmann, Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 289; Minuth, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 12 Rn. 83.
221
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
einschließlich aller Haftungs- und Insolvenzanfechtungsansprüche und die diesem Vermögen gegenüberstehenden Belastungen und Verbindlichkeiten zu verschaffen.1043) Die Inventarisierung der Massegegenstände ist zugleich Ausgangspunkt der späteren Rechenschaftslegung. Beide Vorgänge sollen in der Eigenverwaltung die Gläubiger noch stärker als in der Fremdverwaltung vor einer Verschleierung und Verschleuderung des schuldnerischen Aktivvermögens schützen.1044) Bereits am früheren Vergleichsverfahren wurde bemängelt, dass der Schuldner seine Rechtsstellung als Herr seines Vermögens dazu nutzen könne, Gläubigerinteressen nachhaltig zu gefährden, indem er planmäßige Vermögensverschiebungen oder sonstige Manipulationen verschleiere.1045)
2.
Vorprüfung durch den Sachwalter (§ 281 Abs. 1 Satz 2 InsO)
494 Die Verzeichnisse des Schuldners hat zunächst der Sachwalter zu prüfen (§ 281 Abs. 1 Satz 2 InsO). Diese Aufgabe ist Ausprägung seiner allgemeinen Prüfungspflicht nach § 274 Abs. 2 InsO.1046) Kernzweck des § 281 InsO ist es, die besondere Prüfungs- und vor allem Redepflicht des Sachwalters bei der Offenlegung der schuldnerischen Vermögensverhältnisse durch den Schuldner selbst hervorzuheben (vgl. § 281 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 InsO).1047) Eine zuverlässige Stellungnahme des Sachwalters zu den Verzeichnissen ist ohne die ordnungsgemäße Ermittlung, Erfassung und Bewertung aller Vermögensgegenstände nicht möglich. Der Sachwalter darf auch hier nicht auf die unbedingte Korrektheit der Auskünfte des Schuldners vertrauen. Deshalb reicht es nicht aus, die vom Schuldner erstellten Verzeichnisse lediglich formal zu kontrollieren, ohne ihren Inhalt vollständig zu überprüfen.1048) Voraussetzung für diese Prüfung ist, dass die Gegenstände der Aktivmasse nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Inventur erfasst worden sind (§ 151 InsO).1049) In der Fremdverwaltung wird die Inventur des Sachanlage- und Vorratsvermögens vom Insolvenzverwalter und dessen Personal oder von einem beauftragten Verwertungsunternehmen durchgeführt; dabei muss durch organisatorische Vorkehrungen sichergestellt sein, dass Verstöße verhindert oder entdeckt und ___________ 1043) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 171 zu §§ 170, 171 (= §§ 151 f. InsO), S. 225 zu § 342 (= § 281 InsO); KK-InsO/Hess, 2017, § 151 Rn. 1. 1044) Kapitel 2. J. IV. 2. a), Rn. 187. 1045) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 74. Siehe zu den Ratschlägen von Sanierungsberatern das Zitat von Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 1. Aufl. 2012, S. 142 f., oben Kapitel 2 J. IV. 2. c), Rn. 195 Fn. 454. 1046) Vgl. hierzu oben Kapitel 2 E. II., Rn. 89. 1047) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 225 zu § 342 (= § 281 InsO). 1048) So zu Recht Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 281 Rn. 18. 1049) KK-InsO/Hess, 2017, § 151 Rn. 2 f.; Frystatzki, NZI 2009, 581 m. w. N.; vgl. IDW, Verlautbarungen, 67. EL Sept. 2018, Rechnungslegungshinweis: Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Rn. 2, 4, 7, auch zur Konkretisierung gesetzlicher Pflichten und Rechte des Gläubigerausschusses.
222
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
korrigiert werden.1050) Diese Vorkehrungen sind in der Eigenverwaltung vom Sachwalter zu treffen; nur so kann er seiner formellen und materiellen Prüfungspflicht nach § 281 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 2 Satz 1 InsO überzeugend gerecht werden. Wesentlich ist darüber hinaus, dass der Sachwalter sich aufgrund eigener Prüfung auch dazu äußert, ob der Schuldner alle bekanntgewordenen Haftungs- und Insolvenzanfechtungsansprüche i. S. d. § 280 InsO in das Masseverzeichnis aufgenommen hat.
3.
Zielrichtung und Umfang der Pflichten der Ausschussmitglieder
Eine effiziente und zweckentsprechende Prüfung der Verzeichnisse und ihrer Grund- 495 lagen durch den Gläubigerausschuss erfolgt mit der Zielrichtung auf Schuldner und Sachwalter. Der Ausschuss ist nicht verpflichtet, die gleichen Aufgaben wie der Sachwalter zu erledigen. Er hat sich die Verzeichnisse des Schuldners und den Prüfungsvermerk des Sachwalters (§ 281 Abs. 1 Satz 2 InsO) vorlegen zu lassen und zu prüfen, ob diese den gesetzlichen Anforderungen genügen und auf ordnungsgemäße Weise zustande gekommen sind. Hat der Sachwalter keinen hinreichend erläuternden Prüfungsbericht beigefügt, so ist er zu befragen, welche eigenen Untersuchungen er vor Erteilung des Prüfungsvermerks angestellt hat, insbesondere wie er sich von der Korrektheit der angewandten Methoden und des technischorganisatorischen Ablaufs der Bestandsaufnahme sowie von der Ordnungsmäßigkeit des schuldnerischen Rechnungswesens überzeugt hat. Zugleich hat er dem Ausschuss mitzuteilen, ob, wie und in welchem Umfang er zur Kontrolle der Verzeichnisse die Geschäftsunterlagen des Schuldners ausgewertet hat. Die Vorlage unvollständiger Verzeichnisse muss noch kein Beweis für eine vorsätz- 496 liche Pflichtverletzung des Schuldners sein. Möglicherweise ist er oder sein Berater fachlich nicht in der Lage, Anfechtungs- und Haftungsansprüche vollständig und sachkundig zu ermitteln.1051) Ebenso kann es auf Seiten des Sachwalters ein Indiz für unzureichende fachliche Eignung oder Sorgfalt sein, wenn er Lücken in den Vermögenspositionen oder fehlerhafte Bewertungen nicht bemerkt. Stellt der Gläubigerausschuss derartige Defizite oder Versäumnisse fest, so hat er sie zur Exkulpation seiner Mitglieder sowie im Hinblick auf Haftungsansprüche gegen den Sachwalter und die Verantwortlichen des Schuldners zu dokumentieren und umgehend dem Insolvenzgericht mitzuteilen.
4.
Keine Befreiung von der Inventarisierungspflicht
In der Fremdverwaltung kann dem Verwalter auf Antrag mit Zustimmung des Gläu- 497 bigerausschusses die Aufstellung des Masseverzeichnisses (Inventars) vom Insol___________ 1050) IDW, Verlautbarungen, 67. EL Sept. 2018, Rechnungslegungshinweis: Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren (IDW RH HFA 1.010), Rn. 31. 1051) Zur entsprechenden Eignung siehe Kapitel 2 G., Rn. 110 ff.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
venzgericht erlassen werden (§ 151 Abs. 3 InsO). Diese Regelung ist in der Eigenverwaltung nicht anzuwenden; die Ausschussmitglieder sind verpflichtet, einem Dispensantrag des Schuldners die Zustimmung zu verweigern.1052) Zum einen ist die Ausnahme nur für Kleinverfahren bestimmt, die keine oder eine äußerst geringe Masse aufweisen,1053) und diese Verfahren werden schon wegen der hohen Beratungskosten fast nie in Eigenverwaltung geführt.1054) Zum anderen widerspricht die Regelung des § 151 Abs. 3 InsO entgegen der überwiegend vertretenen Meinung1055) dem Sinn und Zweck der Eigenverwaltung. Die subsidiäre Anwendung der allgemeinen Vorschriften, wie sie § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO vorsieht, setzt voraus, dass die Situation in der Eigenverwaltung im Grundsatz der entsprechenden Situation in der Fremdverwaltung gleichwertig ist. Dies ist bei dem in § 151 Abs. 3 InsO geregelten Thema nicht der Fall.1056) Dabei geht es nicht allein um die unverkennbare, in der Eigenverwaltung deutlich erhöhte Gefahr, dass der Schuldner Massegegenstände vorsätzlich nicht inventarisiert, sie also verheimlicht, um sie beiseite zu schaffen (§ 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB).1057) Die sinnvolle Durchführung der Eigenverwaltung erfordert vielmehr schon nach ihrer anerkannten Zweckbestimmung stets eine vollständige, den Vorgaben des § 151 InsO entsprechende Inventarisierung. Die Eigenverwaltung ist in aller Regel, wie auch § 270b InsO zeigt, nur bei Unternehmensfortführungen mit dem Ziel der Sanierung oder bei einer planvollen Liquidation des schuldnerischen Vermögens sinnvoll.1058) In diesen Fällen ist das Masseverzeichnis als sachliche und wertmäßige Dokumentation der Aktivmasse ___________ 1052) Ebenso Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 806; Naumer, in: Silcher/Brandt, Handbuch Insolvenzplan in Eigenverwaltung, 2017, Kap. 7, Rn. 75 f. 1053) Vgl. bereits Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 123 Rn. 5. 1054) Im Durchschnitt erzielen eigenverwaltete Unternehmen einen Umsatz von € 5,2 Mio. und haben 52 Mitarbeiter; vgl. Moldenhauer/Wolf, Sechs Jahre ESUG, Studie der BCG (April 2018), S. 6. 1055) KPB-InsO/Pape, 1. EL. 08.1998, § 281 Rn. 9 (Befreiung jedoch nur als Ausnahmefall), vgl. unter Rn. 18 auch die allgemeine Kritik an der Eignung des Schuldners, insbesondere zur Aufstellung ordnungsgemäßer Verzeichnisse; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 281 Rn. 10; BeckOK-InsO/Kreutz/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 281 Rn. 5; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 281 Rn. 2; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 97. 1056) Ausführlich und überzeugend Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 803 ff. 1057) Auf diese Gefahr weisen nahezu alle Autoren hin; vgl. etwa MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 281 Rn. 10; KPB-InsO/Pape, 1. EL. 08.1998, § 281 Rn. 9; Jaeger/Eckardt, InsO 2016, § 151 Rn. 55; BeckOK-InsO/Kreutz/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 281 Rn. 5; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 805 f.; allg. auf das Insolvenzverfahren bezogen Kniebes, Rechnungslegung, 2014, S. 18: „Ferner sind in einem Insolvenzverfahren häufiger Inventarverluste unterschiedlicher Ursache zu beobachten, so dass auch die in einer Bilanz ausgewiesenen Bestände unter Umständen nicht korrekt dargestellt sind.“ 1058) Allg. M., vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 100, 223, 226; RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17, 19; BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 247 f. Rn. 75 = NZI 2016, 796, 801 = ZIP 2016, 1592; BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 16, 52, 60, 62 ff. = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977; Dietrich, Eigenverwaltung, 2002, S. 179.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
zusammen mit dem Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) und der auf beiden aufbauenden Vermögensübersicht (§ 153 InsO) eine der wesentlichen Informationsgrundlagen, die den Gläubigern eine Beurteilung der Vermögenslage des Schuldners und eine interessengerechte Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens ermöglichen sollen.1059) Auch wesentliche Elemente eines Insolvenzplanverfahrens, insbesondere Planrechnungen sowie die Vermögensübersicht nach § 229 InsO, sind ohne die Ausgangsbasis einer zuverlässigen aktuellen Inventarisierung und Bewertung der Masse nach Liquidations- und Fortführungswerten nicht denkbar.1060) Von den Gründen, die nach allgemeiner Ansicht eine Befreiung von der Inventari- 498 sierungspflicht nach § 151 Abs. 3 InsO rechtfertigen könnten,1061) käme in der Eigenverwaltung allenfalls der Fall in Betracht, dass unmittelbar zuvor eine ordnungsmäßige Inventur stattgefunden hat. Verfügt der Schuldner aber bereits über aktuelle Aufzeichnungen, so wird es ihm bei guter Organisation des Rechnungswesens nur wenig Mühe bereiten, sie in die Form des Masseverzeichnisses nach § 151 Abs. 1, 2 InsO einschließlich der erforderlichen Zuordnung der Liquidationsund Fortführungswerte zu bringen.1062) Die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und die Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen, die mitunter als Argument bemüht werden,1063) können den Verzicht auf eine Inventarisierung der Masse ebenfalls nicht rechtfertigen; sie können bei der identifizierenden Textfassung bestimmter Positionen berücksichtigt werden.
VIII. Anmeldung, Prüfung und Feststellung der Insolvenzforderungen (§ 270c Satz 2, § 283 Abs. 1 InsO) Aus Gründen des Gläubigerschutzes1064) weist § 270c Satz 2 InsO die Entgegen- 499 nahme der Forderungsanmeldungen ausschließlich dem Sachwalter zu. Dabei handelt es sich zwar um eine Aufgabe der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung im Sinne von § 69 Satz 1 InsO. Die Zuständigkeit des Gläubigerausschusses erstreckt sich jedoch zunächst nur auf die Kontrolle, ob der Sachwalter organisatorisch in der Lage ist, die Anmeldungen ordnungsgemäß zu erfassen sowie die Forderungen zu prüfen und die Tabelle zu führen (§§ 174, 175 Abs. 1 InsO). ___________ 1059) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 171 zu § 170 (= § 151 InsO). 1060) KPB-InsO/Wipperfürth, 62. EL. 02.2015, § 151 Rn. 9. 1061) Jaeger/Eckardt, InsO, 2016, § 151 Rn. 57; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 151 Rn. 12; Braun/Haffa/Leichtle, InsO, 7. Aufl. 2017, § 151 Rn. 12 f.; FK-InsO/ Wegener, 9. Aufl. 2018, § 151 Rn. 27; HambK-InsR/Jarchow, 7. Aufl. 2019, § 151 Rn. 25; BeckOK-InsO/von Bodungen, 14. Ed. 04.2019, § 151 Rn. 24. 1062) So schon zur Fremdverwaltung Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl. 2019, § 151 Rn. 10; BeckOKInsO/von Bodungen, 14. Ed. 04.2019, § 151 Rn. 24. 1063) MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 281 Rn. 10. 1064) Bericht RA zur InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 185 zu § 331 Abs. 3 (= § 270 Abs. 3 InsO 1994); Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 275 f.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
500 In diesem Rahmen sind die Ausschussmitglieder verpflichtet, sich den Tabellenvorentwurf des Sachwalters rechtzeitig vor dem Prüfungstermin aushändigen zu lassen und stichprobenartig mit den Forderungsanmeldungen abzugleichen. Besonderes Augenmerk verdienen dabei Anmeldungen von Personen, die dem Schuldner nahestehen (§ 138 InsO), von Gesamtschuldnern und Bürgen (§ 44 InsO) sowie von solchen Gläubigern, die für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung sind, für die ein Gesellschafter eine Sicherheit bestellt oder für die er sich verbürgt hat (§ 44a InsO). Bei solchen Anmeldungen haben sich die Ausschussmitglieder zu vergewissern, dass der Sachwalter genauso sorgfältig wie ein Insolvenzverwalter alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte in Erwägung zieht, aus denen sich Bedenken gegen eine Forderung ergeben können.1065)
501 Um Klarheit darüber zu gewinnen, ob das absehbare Verhalten des Sachwalters und des Schuldners im Prüfungstermin auf sachgerechten Überlegungen beruht, haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses im Vorfeld des Prüfungstermins mit ihnen eine gemeinsame Beratung durchzuführen. In ihr haben ihnen die beiden Träger der Insolvenzverwaltung Auskunft darüber zu erteilen, ob und aus welchen Gründen Bedenken gegen die Feststellung angemeldeter Forderungen bestehen. Entsprechendes gilt, wenn Ausschussmitglieder ihrerseits Forderungen als fragwürdig bewerten, die nach Ansicht des Schuldners oder des Sachwalters nicht bestritten werden sollen.
IX. Ausübung der Erfüllungswahl (§ 279 InsO) 502 Die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind nach § 69 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO verpflichtet, Schuldner und Sachwalter auch anlässlich der Entscheidungen über die Erfüllung von Rechtsgeschäften (§ 279 InsO) zu überwachen. Im Anwendungsbereich des § 279 Satz 1, 2 InsO handelt der Schuldner mit denselben Sonderrechten wie ein Insolvenzverwalter1066) und behält die Arbeitgeberstellung.1067) Er begründet durch die Erfüllungswahl Masseverbindlichkeiten oder kann durch die Ablehnung der Erfüllung von Verträgen die Insolvenzmasse vor weiteren Masseverbindlichkeiten schützen. Es handelt sich also um typische und zentrale Aufgaben der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung im Sinne von § 69 InsO,1068) an deren Wahrnehmung der Sachwalter überwachend und entscheidend mitwirkt. § 279 InsO ___________ 1065) Vgl. Bericht RA zur InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 122, 186 zu § 344 (= § 283 InsO). 1066) Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 237. 1067) Allg. M., siehe z. B. MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 164 – 166; Uhlenbruck/ Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 14; Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 51. 1068) Zur Bestimmung des zu überwachenden Funktionsbereichs und zum Begriff siehe Kapitel 4 C. II., Rn. 334 f.; Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 237; Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 137; Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 245.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
betrifft die Entscheidung über die Erfüllung beidseitig nicht vollständig erfüllter Verträge (§§ 103, 107 InsO), die Geltendmachung der Forderung aus Nichterfüllung eines Fix- oder Finanztermingeschäfts (§ 104 InsO), die Kündigung von Mietund Pachtverhältnissen, die der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war (§ 109 InsO), sowie die Kündigung von Dienstverhältnissen (§ 113 InsO) und die in den §§ 123, 125 InsO genannten kollektivarbeitsrechtlichen Befugnisse. Will der Schuldner Dauerschuldverhältnisse erfüllen, so handelt es sich angesichts 503 ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und der Belastung mit Masseverbindlichkeiten fast immer um Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung.1069) Das gilt erst recht für alle Maßnahmen, die im Zusammenhang mit geplanten Betriebsänderungen stehen. Hier hat der Gläubigerausschuss auf seine frühzeitige Einbindung durch Schuldner und Sachwalter zu achten (§ 276 InsO), da arbeitsrechtliche Maßnahmen zumeist nicht nur unumkehrbar sind, sondern die Insolvenzmasse sehr stark belasten können, wenn sie nicht hinreichend durchdacht und qualifiziert durchgeführt werden.1070) Vor der Ausübung betriebsbedingter arbeitsrechtlicher Befugnisse haben deshalb Schuldner und Sachwalter stets die Einwilligung des Gläubigerausschusses einzuholen. Die Übertragung der in § 279 InsO angesprochenen typischen Verwaltungsrechte auf 504 den Schuldner kennzeichnet einen der Kernpunkte der Eigenverwaltung. Zugleich sind mit ihrer Ausübung erhebliche Risiken für die Gläubigergesamtheit1071) und die Mitglieder des Gläubigerausschusses verbunden. Einzelne Stimmen empfehlen deshalb, nach dem Vorbild des § 279 Satz 3 InsO die Ausübung des Erfüllungswahlrechts regelmäßig unter den Zustimmungsvorbehalt des Sachwalters stellen zu lassen (§ 277 Abs. 1 Satz 1 InsO).1072) Dies ist durchaus sinnvoll und mit dem Normzweck des § 279 Satz 2 InsO vereinbar, zumal selbst dann die interne Einwilligung des Gläubigerausschusses erforderlich bleibt (§§ 276, 270 Abs. 1 Satz 2, §§ 160 ff. InsO). Der Ausschuss hat in diesem Zusammenhang zu überwachen, ob der eigenverwal- 505 tende Schuldner bei der Ausübung seiner Rechte nach § 279 Satz 1 InsO Maßstäbe anlegt, die auch für den pflichtgemäß handelnden Insolvenzverwalter bestimmend wären.1073) Dem Schuldner steht, vorbehaltlich der Zustimmung des Sachwalters und des Gläubigerausschusses, der gleiche unternehmerische Beurteilungsspielraum ___________ 1069) Siehe oben Kapitel 4 F. IV. 1., Rn. 464 f. 1070) Vgl. beispielhaft ArbG Berlin, Beschl. v. 21.12.2017 – 41 BV 13752/17 (Air Berlin), NZI 2018, 222 ff. m. zust. Anm. Krings, 227 f. = ZInsO 2018, 538 ff. 1071) Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2007, Rn. 8.04; Vallender, WM 1998, 2129, 2138; Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 237 f.; Uhlenbruck, in: FS Metzeler, 2003, S. 85, 100 f.; Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 137 – 139; Lindner, Eigenverwaltung, 2013, S. 89. 1072) Huber, NZI 1998, 97, 100; Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 139. 1073) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 li. Sp. (Vorbemerkung zur Eigenverwaltung).
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
wie dem Insolvenzverwalter zu.1074) Leitlinie für seine Entscheidung darf nur die Frage sein, ob die Erfüllung des Vertrages für die Masse und damit für die Gläubigergesamtheit unmittelbar oder mittelbar vorteilhaft ist; eigene Interessen des Schuldners oder diejenigen ihm nahestehender Personen sind unerheblich.1075) Im Vordergrund stehen stets die Erhaltung der Insolvenzmasse sowie die Förderung realistischer Sanierungsbemühungen und Betriebsfortführungen.1076) Die Ausschussmitglieder haben zu beachten, dass das Erfüllungswahlrecht nach den §§ 103 ff. InsO überhaupt nur sinnvoll ausgeübt werden kann, wenn für die Eigenverwaltung ein schlüssiges und tragfähiges Konzept zur Unternehmensfortführung existiert.1077) Ohne überzeugendes Konzept kann zum Beispiel nicht ordnungsgemäß über das Schicksal langfristiger Miet-, Pacht- oder Leasingverträge entschieden werden.
506 Das Erfüllungswahlrecht zählt zu den wichtigsten und effektivsten Sanierungsinstrumenten in der Insolvenz;1078) dessen müssen sich die Ausschussmitglieder stets bewusst sein. Richtig ausgeübt wirkt es wie ein Masseschutzmechanismus, falsch ausgeübt führt es unmittelbar zu einem Schaden für die Insolvenzmasse. Die Fortführung oder Beendigung gegenseitiger Verträge, die sich als fehlerhaft kalkuliert oder sonst der Sanierung abträglich erweisen, ist regelmäßig eine für das Verfahren besonders bedeutsame Angelegenheit i. S. d. § 276 InsO. Besondere Aufmerksamkeit hat der Gläubigerausschuss auf Vertragsverhältnisse zu richten, die im Vorfeld der Insolvenzantragstellung oder im Eröffnungsverfahren (vor allem in der vorläufigen Eigenverwaltung) mit Sanierungsberatern, Rechtsanwälten oder sonstigen Geschäftsbesorgern geschlossen worden sind.1079) Mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses erlöschen sämtliche Aufträge, Geschäftsbesorgungsverträge und Vollmachten kraft Gesetzes (§§ 115 – 117, 279 InsO). Der Schuldner muss sie neu abschließen bzw. erneut erteilen, wenn er die gewohnten Leistungen weiter in Anspruch nehmen möchte.1080) Sind Dienstleistungen nach Einschätzung des Gläubigerausschusses nicht von ausreichender Qualität oder hält der Ausschuss die Vergütung für über-
___________ 1074) Vgl. Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 943 f. 1075) Vgl. MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 279 Rn. 7; BeckOK-InsO/Kreutz/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 279 Rn. 3; Pape, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 353, 360 Rn. 11; zu taktischen Überlegungen bei der Erfüllungswahl Uebele, NZG 2018, 881, 889. 1076) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223; Pape, KS-InsO, 1. Aufl. 1997, S. 405, 408; ebenso wohl Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 143; Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 136. 1077) Kapitel 4 F. II. 1., Rn. 414 ff.; Grub, ZIP 1993, 393, 394, 397; Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 239. 1078) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsR, 3. Aufl. 2017, § 279 Rn. 2; Hofmann, Praxisbuch, 2016, Rn. 144; i. d. S. wohl auch Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 77 und Uebele, NZG 2018, 881, 889. 1079) Hierzu siehe oben Kapitel 4 E. III. 2., Rn. 394 ff. 1080) Zum Erlöschen von Vollmachten und Verträgen siehe oben Kapitel 4 E. III. 2., Rn. 394 ff. sowie F. V. 1., Rn. 474 ff.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
höht, so muss er dies gegenüber dem Schuldner (und dem Sachwalter) rechtzeitig rügen und Abhilfe verlangen. Allerdings ist bei der Ausübung des Wahlrechts zu bedenken, dass bei Wahl der 507 Nichterfüllung je nach Bedeutung des Vertrages eine Betriebsfortführung nicht oder nur noch eingeschränkt möglich ist.1081) Der Schuldner muss sich auf der Grundlage eines fundierten betriebswirtschaftlichen Konzepts bereits vor der Verfahrenseröffnung darüber klar werden, in welchem Umfang das Unternehmen fortgeführt werden kann.1082) Andernfalls wird er schwerlich in der Lage sein, unter dem Zeitdruck des § 103 Abs. 2 InsO die notwendigen Entscheidungen ordnungsgemäß und unter Beteiligung des Sachwalters und des Gläubigerausschusses zu treffen.1083) Die Überwachungsmaßnahmen des Sachwalters und des Gläubigerausschusses 508 sind auch im Anwendungsbereich des § 279 InsO in zweckmäßiger Weise und entsprechend ihrer gesetzlichen Funktion aufeinander abzustimmen. Der Sachwalter hat die Überwachung im Detail zu leisten. Der Schuldner muss zu diesem Zweck sämtliche Vertragsverhältnisse offenlegen sowie fundierte Begründungen und Vorschläge zur weiteren Vorgehensweise im Rahmen einer umfassenden Sanierungskonzeption unterbreiten. Der Gläubigerausschuss hat darauf zu achten, dass Schuldner und Sachwalter ihm das Gesamtkonzept sowie bedeutende Einzelverträge, die vom Erfüllungswahlrecht betroffen sind, gekündigt oder neu abgeschlossen werden sollen, zur Prüfung und Zustimmung (§ 276 InsO) vorlegen. Zu ihnen zählen wichtige Dauerschuldverhältnisse (Miet-, Pacht-, Leasingverträge), Verträge mit Sanierungsberatern und nahestehenden Personen (§ 138 InsO) sowie die in § 279 Satz 3 InsO genannten Verträge. Aus der Relevanz, die die Erfüllungswahl für den wirtschaftlichen Erfolg des Verfahrens hat, folgt die Pflicht des Gläubigerausschusses, das Gesamtkonzept des Schuldners und dessen Durchführung intensiv und fortlaufend zu kontrollieren.1084) Ist ein Personalabbau notwendig, so muss der Gläubigerausschuss überwachen, ob 509 der Schuldner die überzähligen Arbeitsverhältnisse nach § 112 InsO kündigt. Er muss darauf hinwirken, dass der Schuldner ein für die Gläubigerbefriedigung optimales Personalmanagement verfolgt.1085) Die Ausschussmitglieder müssen sich daher über das Personalkonzept genau informieren; sie müssen es mit dem Auslastungsgrad abgleichen und die Vereinbarkeit mit der Liquiditätslage prüfen. Allerdings kann weder der Gläubigerausschuss noch der Sachwalter den Schuldner rechtlich bin___________ Grub, ZIP 1993, 393, 397. Grub, ZIP 1993, 393, 394, 397; Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 239 f. Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 239. Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 847; Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 316 mit Bezug auf die Überwachungspflicht des Sachwalters. Beispiele zu Verträgen, deren Erfüllung in der Insolvenz nicht angemessen ist, bei Bierbach, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 11 Rn. 79. 1085) In diesem Sinne auch Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 137. 1081) 1082) 1083) 1084)
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dend anweisen, Dauerschuldverhältnisse zu kündigen.1086) Weigert sich der Schuldner, das Wahlrecht dem Verfahrenszweck entsprechend auszuüben, so verbleibt dem Gläubigerausschuss schwerlich eine andere Möglichkeit, als die notwendigen Schritte zur Aufhebung der Eigenverwaltung einzuleiten (§ 75 Abs. 1 Nr. 2, § 272 InsO).
X. Verwertung von Sicherungsgut und Aussonderung (§§ 282, 47 InsO) 510 Die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind verpflichtet, den eigenverwaltenden Schuldner bei der ihm gesetzlich zugewiesenen Verwertung von Sicherungsgut (§ 282 Abs. 1 Satz 1, §§ 165 ff. InsO) und bei der Aussonderung (§ 47 InsO) zu überwachen. Dies umfasst die Ordnungsmäßigkeit der Aufsicht des Sachwalters über diese Vorgänge (§ 282 Abs. 2, § 274 Abs. 2, 3 Satz 1 InsO). Der Ausschuss hat sich zu vergewissern, dass der Sachwalter sich eigenverantwortlich ein Bild davon gemacht hat, welche Drittrechte bestehen, ob der Schuldner bei deren Feststellung, Verwertung oder Abrechnung korrekt gehandelt hat und ob durch etwaige Fehler die Masse oder die Rechte aus- oder absonderungsberechtigter Gläubiger beeinträchtigt worden sind. Die dem Schuldner und Sachwalter durch § 282 InsO auferlegten Tätigkeiten zählen zum Kernbereich insolvenzrechtlicher Geschäftsführung (§ 69 InsO).
511 Bei der Überwachung des Schuldners hat der Gläubigerausschuss zunächst zu berücksichtigen, dass es selbst für einen Insolvenzexperten mit Schwierigkeiten verbunden sein kann, die inventarisierten Gegenstände, Rechte und Forderungen den richtigen Aus- oder Absonderungsberechtigten zuzuordnen. Die vertraglichen Vereinbarungen (einschließlich der verwendeten AGB) müssen lückenlos dokumentiert sein und vom Schuldner ebenso wie vom Sachwalter auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Nicht immer sind die eingeräumten Sicherungsrechte miteinander vereinbar. In der Praxis kommen gelegentlich Fälle vor, in denen Vermögensgegenstände nacheinander an mehrere Gläubiger zur Sicherung abgetreten oder übereignet worden sind; Konstellationen, in denen Sicherungsrechte miteinander kollidieren (z. B. das Vermieterpfandrecht mit einer Sicherungsübereignung), sind fast schon die Regel.1087)
512 Die Erfahrung zeigt, dass dem insolvenzrechtlich unerfahrenen Schuldner die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten im Zusammenhang mit Absonderungsrechten schwer fällt.1088) In den meisten Fällen ist ihm nicht einmal der Unterschied zwischen Aus- und Absonderungsrechten bekannt. Deshalb werden die mit § 282 InsO verbundenen Regelaufgaben der Eigenverwaltung zumeist an externe Dienstleister delegiert, deren Vergütungen als zusätzliche Kosten des Insolvenzmanagements zu Buche schlagen. Anders als in der Fremdverwaltung dürfen in der Eigenverwaltung ___________ 1086) Zutr. Schaal, Haftung, 2017, S. 24. 1087) Vgl. hierzu auch FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 282 Rn. 11. 1088) Ebenso Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 145.
230
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
bei der Auskehrung des Verwertungserlöses die Kosten der Feststellung des Sicherungsguts und des Absonderungsrechts aber nicht einbehalten werden (§ 282 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 170 Abs. 1, § 171 Abs. 1 Satz 1 InsO). Auch die Kosten der Verwertung können nicht pauschal nach § 171 Abs. 2 Satz 1 InsO angesetzt werden, sondern nur in Höhe der tatsächlichen und erforderlichen Kosten sowie des Umsatzsteuerbetrags (§ 282 Abs. 1 Satz 3 InsO). Diese eigenverwaltungstypischen Mehrkosten sind bereits bei der Kostenabschätzung im Rahmen des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO von Bedeutung und vom vorläufigen Gläubigerausschuss bei seinem Votum zum Eigenverwaltungsantrag (§ 270 Abs. 3 InsO) zu berücksichtigen. Nicht zulässig ist, dass der Sachwalter anstelle des Schuldners die Aus- und Ab- 513 sonderungsangelegenheiten bearbeitet1089) oder gesetzlich nicht vorgesehene Verwertungsmaßnahmen durchführt. Das Gesetz erwartet zwar vom Schuldner ausdrücklich, dass er diese Aufgaben im Einvernehmen mit dem Sachwalter wahrnimmt (§ 282 Abs. 2 InsO), erlaubt jedoch den beiden Trägern der Insolvenzverwaltung nicht, die gesetzliche Zuständigkeitsordnung zu durchbrechen. Übernimmt der Sachwalter freiwillig oder auf Betreiben des Schuldners derartige Aufgaben außerhalb seines Funktionsbereichs,1090) so wird der Gläubigerausschuss dies regelmäßig als Hinweis auf mangelnde fachliche Eignung des Schuldners und fehlende Unabhängigkeit des Sachwalters werten müssen.1091) Damit liegt zugleich ein gewichtiger nachteilsindizierender Umstand (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO) vor.1092) Der Gläubigerausschuss hat trotz all dieser tatsächlichen und rechtlichen Probleme zu überwachen, dass der Schuldner unter der Aufsicht des Sachwalters die Absonderungsrechte in eigener Verantwortung ordnungsgemäß prüft, die Gegenstände identifiziert und sie nach korrekter Anhörung (§ 168 InsO) verwertet oder herausgibt sowie den Erlös unverzüglich abrechnet und auskehrt. Der hohen Fehleranfälligkeit in diesem Aufgabenkreis müssen die Ausschussmitglieder durch Vorgabe einer detaillierten kurzfristigen Berichtspflicht und eine intensivierte Aufsicht über Schuldner und Sachwalter Rechnung tragen. Überwachen müssen die Ausschussmitglieder den Schuldner auch bezüglich seines 514 Umgangs mit Verwertungserlösen, also deren ordnungsmäßiger Separierung sowie unverzüglichen Abrechnung und Verbuchung (§ 282 Abs. 1, § 270 Abs. 1 Satz 2, § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO);1093) dies ist Teil der Zahlungsverkehrs- und Geldbe___________ 1089) So aber FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 282 Rn. 11. Hierzu und zum Folgenden siehe auch oben Kapitel 4 E. I., Rn. 361 ff. 1090) Kapitel 2 E., Rn. 84 ff. 1091) Kapitel 2 D. II., Rn. 69 f. sowie Nachweis in Fn. 147. 1092) Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 1093) Vgl. Hofmann, ZIP 2018, 1429, 1433 f. zu den entsprechenden haftungsbewehrten Pflichten des eigenverwaltenden Schuldners. Zur Separierungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters siehe BGH, Urt. v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, NZI 2019, 274, 276 Rn. 39 (m. zust. Anm. Ganter, NZI 2019, 279 ff.) = ZIP 2019, 472.
231
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
standsprüfung nach § 69 Satz 2 InsO. Den Erlös aus der Verwertung des Sicherungsguts hat der Schuldner unverzüglich von der übrigen Insolvenzmasse so zu separieren, dass er jederzeit unterscheidbar vorhanden ist (§ 170 Abs. 1 InsO). Nur so kann der absonderungsberechtigte Gläubiger vor der Gefahr geschützt werden, dass sein Auszahlungsanspruch (§ 170 Abs. 1 Satz 2 InsO) im Fall der Masseunzulänglichkeit, etwa bei defizitärer Betriebsfortführung, nicht erfüllt werden kann.1094) Die Separierung und Verwahrung ist eine insolvenzspezifische Verwalterpflicht,1095) die in der Eigenverwaltung den Schuldner trifft. Ihre Erfüllung steht nicht im Ermessen des Schuldners und ist von den Mitgliedern des Gläubigerausschusses (§ 69 InsO) ebenso wie vom Sachwalter streng zu überwachen (§ 274 Abs. 2, § 282 Abs. 2 InsO); sie darf nie verharmlost werden.1096) Der eigenverwaltende Schuldner darf die Erlöse daher nicht ohne vorherige Einwilligung des Absonderungsberechtigten als sogenannten unechten Massekredit für die Betriebsfortführung einsetzen1097) oder sie untrennbar mit der Masse vermischen.1098) Als besonders bedeutsame Rechtshandlung bedürfen auch alle mit einem Massekredit im Zusammenhang stehenden Vereinbarungen der Einwilligung des Gläubigerausschusses (§ 276 Satz 2, § 160 Abs. 2 Nr. 2 InsO).1099) Seine Mitglieder haben spätestens bei der Kassenprüfung zu untersuchen, ob die Erlöse aus der Verwertung von Sicherungsgut ordnungsgemäß verwaltet worden sind.
515 Die Tätigkeiten des Schuldners im Zusammenhang mit Aussonderungsgut (§§ 47 f. InsO) sind mit der Handhabung von Absonderungsansprüchen systematisch vergleichbar. Da auch hier eine hohe Wahrscheinlichkeit masseschädigender Handlungen besteht, haben die Ausschussmitglieder die Geschäftsführung des Schuldners in dieser Hinsicht mit erhöhter Sorgfalt zu überwachen.
XI. Bearbeitung der Haftungs- und Anfechtungsangelegenheiten durch den Sachwalter (§ 280 InsO) 516 Zu den wichtigsten Aufgaben des Gläubigerausschusses zählt es, den Sachwalter bei der Ermittlung und Geltendmachung insolvenzspezifischer Haftungs- und An___________ 1094) Ganter/Bitter, ZIP 2005, 93, 103. 1095) BGH, Urt. v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101, 113 Rn. 33 = NZI 2010, 339, 342 = ZIP 2010, 739, 743 (zum vorläufigen Insolvenzverwalter) m. zust. Anm. Knof, EWiR 2010, 395 f.; vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 24.1.2019 – IX ZR 110/17, NZI 2019, 274 (mit Ls. 2), 276 Rn. 39 (m. zust. Anm. Ganter, NZI 2019, 279 ff.) = ZIP 2019, 472. Zu den Rechtsfolgen berechtigter und unberechtigter Verwertung von Absonderungsgut ausführlich Ganter/Bitter, ZIP 2005, 93 ff.; Eckardt, in: FS Schilken, 2015, S. 645, 646 m. w. N. in Fn. 6. 1096) So aber MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 282 Rn. 21 („sollten separiert werden“); Hofmann, Praxisbuch, 2016, Rn. 184 („empfiehlt es sich“). 1097) Vgl. Knof, EWiR 2010, 395 f.; zu den Problemen dieser Sanierungsfinanzierung siehe ausführlich Madaus/Knauth, ZIP 2018, 149 ff. 1098) Vgl. Ganter/Bitter, ZIP 2005, 93, 95. 1099) Kapitel 4 F. IV., Rn. 462 ff.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
fechtungsansprüche (§§ 280, 92, 93, 129 – 147 InsO) zu überwachen und zu unterstützen (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO § 69 Satz 1 InsO). Nach § 280 InsO ist nur der Sachwalter berechtigt und verpflichtet, die von der Norm umfassten Ansprüche geltend zu machen. Das Gesetz durchbricht damit den Grundsatz des § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO1100) und weist die genannten Ansprüche durch einen gleichzeitig mit der Anordnung der Eigenverwaltung einsetzenden besonderen Insolvenzbeschlag dem Sachwalter zu. Diesem steht insoweit kraft Gesetzes eine originäre Verwaltungsund Verfügungsbefugnis an einem Teil der Insolvenzmasse zu. Er handelt hier wie ein Insolvenzverwalter (§§ 280, 270 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 35 Abs. 1, § 80 Abs. 1 InsO).1101) Der Schuldner ist insoweit von jeder Rechtsausübung ausgeschlossen.1102)
1.
Bedeutung für den Gläubigerschutz
Die von § 280 InsO erfassten Ansprüche sind im Hinblick auf den Gläubigerschutz 517 bedeutsam, weil sie in den meisten Insolvenzverfahren einen großen Beitrag zur Anreicherung der Insolvenzmasse leisten.1103) Die Vorstellung des Gesetzgebers, der Sachwalter sei zur Geltendmachung von Haftungs- und Anfechtungsansprüche besser geeignet als der Schuldner,1104) ist zwar grundsätzlich richtig. Wegen der oftmals berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit des Sachwalters ist aber in der Realität keineswegs gesichert, dass er Ansprüche vollständig ermittelt und geltend macht.1105) Das System der vom Sanierungsberater inspirierten Auswahl des Sachwalters bringt vielmehr die Gefahr mit sich, dass Ansprüche, die sich typischerweise gegen Personen aus der Sphäre des Schuldners richten oder jedenfalls auf einem Verhalten des Schuldners beruhen, nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Hartnäckigkeit ermittelt und durchgesetzt werden. Diese Situation stellt die Mitglieder des Gläubigerausschusses in besonderer Weise vor die Herausforderung, ___________ 1100) Siehe oben Kapitel 2 E. V. 2., Rn. 102 f.; ferner Hedaiat-Rad, Sachwalter, 2018, Rn. 260 m. w. N. in Fn. 449. 1101) Frege, Sonderinsolvenzverwalter, 1. Aufl. 2008, Rn. 399 – 401. 1102) Vgl. allg. Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 29 f. 1103) So für die Anfechtungsansprüche bereits die zutr. Prognose des RegE InsO, 1992, BTDrucks. 12/2443, S. 82, 85, ähnlich S. 139 f. zu §§ 103, 105 (= §§ 92, 93 InsO). Ausführlich Pape, ZInsO 2007, 1080, 1081. 1104) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 225 zu § 341 (= § 280 InsO). 1105) Siehe oben Kapitel 2. J. III. 2., Rn. 169 ff. Ferner BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 232/17, NZI 2018, 708, 709 f. Rn. 16 = ZIP 2018, 1451; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56a Rn. 27. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 87 = BTDrucks. 19/4880, S. 127; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2165; Weizmann, ZInsO 2017, 2491, 2494; zutr. auch Pape, ZInsO 2018, 2725, 2726: „Wenn der Schuldner und Berater in der Praxis das alleinige Bestimmungsrecht für die Person des Sachwalters haben, ist kaum zu erwarten, dass ein derart bestimmter Sachwalter die Erforderlichkeit von Honorarzahlungen und deren mögliche Anfechtbarkeit kritisch hinterfragen wird.“
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
den in § 280 InsO festgelegten Tätigkeitsbereich des Sachwalters mit ausgeprägter Aufmerksamkeit zu überwachen.
518 Ergeben sich etwa im Fall der Insolvenzverschleppung1106) tragfähige Hinweise auf Haftungs- und Schadenersatzansprüche gegen Anteilsinhaber oder organschaftliche Vertreter des Schuldners, so ist dies ein gravierender nachteilsindizierender Umstand (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO),1107) der die Fortsetzung der Eigenverwaltung in aller Regel ausschließt. Gleiches gilt, wenn dem Gläubigerausschuss solche Ansprüche bekannt werden, ohne dass der Sachwalter pflichtgemäß eine Nachteilsanzeige erstattet hat; in einem solchen Fall hat der Ausschuss den Sachwalter zur Rede zu stellen und mit ihm die Gründe für sein Verhalten zu erörtern.
2.
Keine Ausnahme vom Prinzip der Anspruchsgeltendmachung
519 Der Gläubigerausschuss hat im Rahmen seiner Überwachung ferner zu beobachten, ob der Sachwalter ohne triftigen Grund von der Geltendmachung der in § 280 InsO genannten Ansprüche absieht (§ 1 Satz 1, § 274 Abs. 1 i. V. m. § 60 InsO). Dies gilt im Grundsatz auch, wenn der Anspruchsgegner etwa als organschaftlicher Vertreter oder als Lieferant angeblich für eine sinnvolle Betriebsfortführung unentbehrlich oder die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung mit ihm aus sonstigen Gründen für die Insolvenzmasse von Nutzen ist. Das Gesetz begreift die Haftungsverwirklichung und die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen nämlich als wesentliche Aufgaben des Insolvenzverfahrens.1108) Gläubigerbenachteiligende Handlungen in Krise und Insolvenz sollen unabhängig davon rückgängig gemacht werden, ob das Unternehmen des Schuldners liquidiert oder saniert wird, ob eine insolvenzmäßige Zwangsverwertung durchgeführt oder das Verfahren durch einen Plan beendet wird und ob ein Insolvenzverwalter bestellt wird oder dem Schuldner die Eigenverwaltung verbleibt.1109) Die verstärkte Bekämpfung gläubigerschädigender Manipulationen ist ein nicht nur auf anfechtbare Handlungen beschränktes Ziel des Gesetzgebers. § 280 InsO ist diesem Ziel entsprechend weit auszulegen und erlaubt Ausnahmen nur, wenn sie dem Verfahrenszweck nicht zuwiderlaufen.1110)
3.
Praktische Bedeutung
520 Die praktische Relevanz der Norm ist für den Gläubigerausschuss erheblich. Zwar deuten die in § 280 InsO angesprochenen Haftungs- und Insolvenzanfechtungsan___________ 1106) Eingehend hierzu Bitter/Hommerich, Die Zukunft des Überschuldungsbegriffs, 2012, Rn. 321 ff., 441 f. 1107) Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 1108) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 83 (Grundzüge der Neuregelung). 1109) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 83. 1110) Zum entsprechenden Ermessensspielraum des Insolvenzverwalters in der Fremdverwaltung s. BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 232/17, BGHZ 219, 98 Rn. 13 ff., 28 f. = NZI 2018, 708 = ZIP 2018, 1451.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
sprüche in aller Regel unverkennbar auf eine Insolvenzverschleppung hin, so dass in einem solchen Fall die Eigenverwaltung nicht hätte angeordnet werden dürfen, weil erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit des Schuldners bestehen.1111) Tatsächlich legen jedoch Schuldner, wenn sie die Eigenverwaltung anstreben, in ihren Antragsunterlagen die von § 280 InsO erfassten Ansprüche regelmäßig nicht (vollständig) offen. Ihre Grundmotivation zur Eigenverwaltung zielt gerade darauf ab, die Durchsetzung von Ansprüchen jeglicher Art gegen sich selbst oder gegen rechtlich, persönlich oder wirtschaftlich nahestehende Personen zu verhindern.1112) Ob dem Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung über die Eigenverwaltung Ansprüche gegen den Schuldner und dessen Verantwortliche überhaupt bekannt sind, hängt daher im Wesentlichen davon ab, mit welcher Sorgfalt und Unabhängigkeit der gerichtlich beauftragte Insolvenzsachverständige zuvor die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Vorgeschichte untersucht hat. Ist dieser Sachverständige mit dem vom Schuldner mitgebrachten oder auf anderen Wegen dem Gericht nahegebrachten vorläufigen Sachwalter identisch, so besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass solche Ansprüche nicht, jedenfalls nicht rechtzeitig vor Anordnung der Eigenverwaltung aufgedeckt werden.1113)
4.
Zugewiesene Ansprüche im Sinne von § 280 InsO
Eine hinreichende Überwachung durch den Gläubigerausschuss setzt die Kenntnis 521 voraus, welche Ansprüche von § 280 InsO umfasst sind und welche Personenkreise üblicherweise als Anspruchsgegner in Betracht kommen.
a) Ansprüche auf Ersatz eines Gesamtschadens (§ 92 InsO) Die in § 92 InsO dem Insolvenzverwalter und in § 280 InsO dem Sachwalter zu- 522 gewiesenen Aufgaben betreffen Schadensersatzansprüche, die den Insolvenzgläubigern in ihrer Gesamtheit1114) oder einer bestimmten Gruppe von ihnen wegen Verminderung der Insolvenzmasse zustehen (Gesamt- oder Teil-Gesamtschaden). Nicht erfasst sind reine Individualschäden.1115) Von den Ausschussmitgliedern zu berücksichtigen ist, dass der Schaden nicht nur aus einer Schädigung der Aktiv-
___________ 1111) So zutr. HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 280 Rn. 3. 1112) Siehe Kapitel 2 J. II., Rn. 161 ff. Vgl. auch AG Köln, Beschl. v. 17.9.1999 – 71 IN 28/99, NZI 1999, 466 = ZIP 1999, 1646; AG Darmstadt, Beschl. v. 20.2.1999 – 9 IN 1/99, ZIP 1999, 1494, 1495 f. = ZInsO 1999, 176. 1113) Siehe Kapitel 2 J. II., Rn. 161 sowie III. 2., Rn. 169. 1114) Zur Terminologie vgl. M. Brinkmann, Bedeutung der §§ 92, 93 InsO, 2001, S. 5. 1115) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 139 zu § 103 (= § 92 InsO).
235
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
masse, sondern auch aus einer Erhöhung der Passiva resultieren kann.1116) Als anspruchsbegründende Normen kommen spezifisch gesellschaftsrechtliche oder deliktische Regelungen in Betracht; weder § 92 noch § 280 InsO selbst stellen eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar.1117) Der Vorschrift unterfallen u. a. Ansprüche auf Schadensersatz
gegen organschaftliche Vertreter des Schuldners wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO1118) oder wegen Verletzung eines sonstigen Schutzgesetzes, zum Beispiel nach §§ 263, 283 StGB (Betrug, Bankrott),1119)
gegen Personen aus der Sphäre des Schuldners wegen sittenwidriger Schädigung durch Vermögensverschiebungen oder gar existenzvernichtender Eingriffe gemäß § 826 BGB,
gegen Mittäter oder Gehilfen, die an haftungsbegründenden Handlungen der Personen aus der Sphäre des Schuldners beteiligt waren (§ 830 BGB), etwa Kreditinstitute wegen Beteiligung an einer Insolvenzverschleppung durch eigennützige Kreditgewährung nach den §§ 823, 826, 830 BGB,1120)
gegen den amtierenden oder einen früheren Sachwalter nach § 274 Abs. 1, § 60 InsO,
gegen den Staat wegen Verletzung von gläubigerschützenden Amtspflichten durch seine Amtsträger (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG),
gegen Gläubigerausschussmitglieder wegen Verletzung ihrer Pflichten (§ 71 InsO).
b) Ansprüche aus persönlicher Haftung von Gesellschaftern (§ 93 InsO) 523 Umfasst sind weiterhin Ansprüche aus der persönlichen Haftung des Gesellschafters einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien für Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 93 InsO) sowie Ansprüche aus akzessorischer Haftung nach § 128 HGB und Ansprüche, die von der Rechtsprechung in Analogie zu § 128 HGB entwickelt worden sind, etwa für die Durchgriffshaftung der Anteilsinhaber juristischer Personen wegen Vermögensver___________ 1116) BGH, Beschl. v. 14.7.2011 – IX ZR 210/10, NZI 2011, 682 Rn. 6 = ZIP 2011, 1575; vgl. auch BGH, Urt. v. 17.3.2011 – IX ZR 166/08, NZI 2011, 400 Rn. 8 = ZIP 2011, 824; BGH, Urt. v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, NZI 2019, 289, 292 Rn. 27 = ZIP 2019, 114; M. Brinkmann, Bedeutung der §§ 92, 93 InsO, 2001, S. 5. 1117) Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 255; Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 290. 1118) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 139 zu § 103 (= § 92 InsO). 1119) Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 1120) Hofmann, Praxisbuch, 2. Aufl. 2016, Rn. 268.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
mischung.1121) Gleiches gilt für die Geltendmachung der Kommandististenhaftung nach § 171 Abs. 2 HGB.1122)
c)
Anfechtungsansprüche (§§ 129 – 147 InsO)
Zugewiesen ist dem Sachwalter ferner die ausschließliche Befugnis zur Anfechtung 524 gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen nach den §§ 129 – 147 InsO. Hierzu gehört auch die Befugnis, Anfechtungsansprüche einzelner Gläubiger, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtshängig gemacht worden sind, nach Verfahrenseröffnung zugunsten der Insolvenzmasse weiterzuverfolgen (§§ 16 – 18 AnfG). Ebenfalls erfasst wird das Recht, die Unzulässigkeit einer Aufrechnung infolge der anfechtbaren Herbeiführung oder Erlangung einer Aufrechnungsmöglichkeit (§ 96 Abs. 1 Nr. 3, §§ 129 ff. InsO) geltend zu machen und die hierdurch wiederauflebende oder nicht erloschene Forderung durchzusetzen.1123) Besonderheiten bei der Geltendmachung oder bei den Voraussetzungen der Anfechtung ergeben sich in der Eigenverwaltung nicht. Der Sachwalter hat in dieser Hinsicht die gleichen Rechte und Pflichten wie der Insolvenzverwalter in der Fremdverwaltung.1124) Er handelt als Partei kraft Amtes.1125)
d) Sondergesetzliche Zuweisungen und deren analoge Anwendung Durch Sondervorschriften außerhalb der InsO sind dem Sachwalter im Fall der Ei- 525 genverwaltung ausdrücklich weitere Ansprüche zugewiesen, die dem schuldnerischen Rechtsträger aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen oder sonstigen Innenhaftung gegen seine Anteilsinhaber oder gegen Mitglieder seiner Organe zustehen und in der Fremdverwaltung zum Aufgabenbereich des Insolvenzverwalters gehören. Dies gilt insbesondere für die aktienrechtlichen Ansprüche aus § 62 Abs. 2 Satz 2, § 93 Abs. 5 Satz 4, § 116, § 117 Abs. 5 Satz 3 und § 309 Abs. 4 Satz 5 AktG sowie für die genossenschaftsrechtlichen aus § 34 Abs. 5 Satz 3, § 41 und § 115e GenG. Für alle diese Ansprüche gilt die Aussage des § 280 InsO. ___________ 1121) Vgl. Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 280 Rn. 3; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 271; Bitter, WM 2004, 2190, 2196 m. w. N. in Fn. 99; ders., ZInsO 2018, 625, 656 f. 1122) Der RegE EGInsO, 1992, BT-Drucks. 12/3803, S. 82 zu Art. 38 Nr. 14 (§ 171 Abs. 2 HGB) weist ausdrücklich auf den Zusammenhang hin: „Für ähnliche Ansprüche ist in § 341 des Entwurfs der Insolvenzordnung [= § 280 InsO] entsprechendes vorgesehen.“ Siehe auch ebd., S. 84 zu Art. 45 Nr. 2 (§ 62 Abs. 2 AktG), S. 94 zu Art. 47 Nr. 37 (§ 115e GenG). 1123) Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 273. 1124) KPB-InsO/Pape, 35. EL. 02.2009, § 280 Rn. 8; zur notwendigen Zusammenfassung von Anfechtungsrecht und Rückgewähranspruch vgl. Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 976 – 979. 1125) MK-InsO/Kirchhof, 3. Aufl. 2014, § 280 Rn. 6; Gehrlein, NZG 2016, 566 zum Insolvenzverwalter, der ähnlich wie ein gesellschaftsrechtliches Leitungsorgan tätig werde. Kritisch und ausführlich zum Rechtsinstitut der Partei kraft Amtes Stamm, KTS 2016, 279, 280 ff.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
526 Der Zuweisung liegt auch hier die Überlegung zugrunde, dass die organschaftlichen Vertreter des Schuldners in einen schwerwiegenden Konflikt mit eigenen Interessen geraten würden, wenn sie in der Eigenverwaltung für die Verfolgung solcher Ansprüche zuständig wären. Diesem Normzweck entsprechend ist die alleinige Zuständigkeit des Sachwalters darüber hinaus in Analogie zu § 280 InsO auf sämtliche originären Einlage- oder Innenhaftungsansprüche des Schuldners gegen Personen seiner eigenen Sphäre auszudehnen. Dass die §§ 270 – 285 InsO hierzu keine explizite Regelung treffen, kann nicht ausschlaggebend sein. Die Vorschriften sind in dieser Hinsicht offenkundig lückenhaft, so dass eine analoge Anwendung des § 280 InsO sachgerecht und geboten ist.1126)
e)
Geltendmachung der Ansprüche
527 Der Sachwalter ist befugt, im Aufgabenbereich des § 280 InsO sämtliche Erklärungen abzugeben und Verfahrenshandlungen vorzunehmen, die zur Ermittlung und Geltendmachung der Ansprüche erforderlich sind.1127) Richtet sich der Anspruch gegen den amtierenden Sachwalter (§ 92 i. V. m. § 274 Abs. 1, § 60 Abs. 1 InsO) oder haftet dieser gesamtschuldnerisch mit Mitgliedern des Gläubigerausschusses, so hat das Gericht einen Sondersachwalter zu bestellen oder den bisherigen Sachwalter zu entlassen, damit ein Amtsnachfolger die Ansprüche geltend machen kann (vgl. § 92 Satz 2 InsO).1128) Andernfalls käme es – ebenso wie bei dem Schuldner oder dessen organschaftlichen Vertretern – zu dem abstrusen Ergebnis, dass derjenige, der die Masse geschädigt hat, gegen sich selbst vorgehen müsste.1129)
5.
Pflichten des Sachwalters
528 Aus § 280 InsO folgt zugleich die Amtspflicht des Sachwalters, die ihm zugewiesenen Ansprüche sorgfältig und umfassend zu ermitteln und sie, soweit sie tatsächlich und rechtlich durchsetzbar erscheinen, für die Masse konsequent geltend zu machen.1130) Der Sachwalter hat jedem naheliegenden Verdacht nachzugehen und ___________ 1126) MK-InsO/Kirchhof, 3. Aufl. 2014, § 280 Rn. 3; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 274; Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 298. 1127) KPB-InsO/Pape, 35. EL. 02.2009, § 280 Rn. 8; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 976 ff. 1128) Ausf. und instruktiv für den vergleichbaren Sachverhalt in der Fremdverwaltung Graeber/ Pape, ZIP 2007, 991 ff. 1129) M. Brinkmann, Bedeutung der §§ 92, 93 InsO, 2001, S. 90. 1130) Vgl. BGH, Beschl. v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, NZI 2010, 734, 736 Rn. 19 = ZIP 2010, 1499; BGH, Urt. v. 16.5.2016 – IX ZR 114/15, BGHZ 210, 372, 375 Rn. 11 = NZI 2016, 779 = ZIP 2016, 1295; MK-InsO/Kirchhof, 3. Aufl. 2014, § 280 Rn. 5; Keramati/Klein, NZI 2017, 421 (zum Insolvenzverwalter); Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 98. Hierzu passt, ironisch gesprochen, auch die von Thole, ZIP 2017, 101, 108 referierte Diskussion über gegenläufige Tendenzen, die den Verzicht auf solche Ansprüche im Insolvenzplanverfahren quasi als „Marketinginstrument für das Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren“ einsetzen.
238
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
dabei alle zumutbaren Erkenntnismöglichkeiten zu nutzen; standardmäßig sind Kontoauszüge,1131) Buchhaltungsdaten und Kassenbücher auszuwerten.1132) Prozessrechtlich wird der Sachwalter hier als Partei kraft Amtes tätig und handelt stets, auch im Fall des prozessualen Unterliegens, für Rechnung der Masse.1133) Etwaige Erlöse aus der Verfolgung der Ansprüche sind Teil der vom Schuldner zu verwaltenden einheitlichen Insolvenzmasse.1134) Der Sachwalter hat sie deshalb umgehend dem Schuldner zur Verfügung zu stellen, sofern er nicht nach § 275 Abs. 2 InsO den Zahlungsverkehr an sich gezogen hat. In seinem originären Zuständigkeitsbereich nach § 280 InsO ist der Sachwalter bei 529 der Vornahme besonders bedeutsamer Rechtshandlungen ebenso wie ein Insolvenzverwalter an die Mitwirkung des Gläubigerausschusses gebunden (§ 270 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 160 InsO).1135) Das gilt insbesondere, wenn er einen Rechtsstreit mit erheblichem Streitwert anhängig machen oder ihn durch ein Rechtsgeschäft vermeiden oder beilegen will (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO).
6.
Überwachungsmaßnahmen der Ausschussmitglieder
Bei der Überwachung der Geltendmachung insolvenzspezifischer Ansprüche nach 530 § 280 InsO müssen die Ausschussmitglieder mehrstufig vorgehen. Zunächst haben sie sich anhand der Antragsunterlagen, des Eröffnungsgutachtens, des Masseverzeichnisses (§ 151 InsO) und der Berichte an die erste Gläubigerversammlung (§§ 156, 281 Abs. 2 InsO) einen Überblick darüber zu verschaffen, ob und welche Ansprüche bereits ermittelt worden sind oder ernsthaft geprüft werden. Die Ausführungen über die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen sowie über das Ausmaß der Ansprüche müssen so nachvollziehbar sein, dass eine Beurteilung ihrer Plausibilität möglich ist.1136) Ergeben sich bei aufmerksamer Lektüre keine Ungereimtheiten oder sonstigen Hinweise auf Versäumnisse des Sachwalters, so können die Ausschussmitglieder es grundsätzlich dabei bewenden lassen, die Geltendmachung der An___________ 1131) Für den Insolvenzverwalter siehe BGH, Urt. v. 6.12.2015 – IX ZR 1/13, NZI 2015, 734 f. Rn. 10 = ZIP 2015, 1303; AG Nürnberg, Urt. v. 6.12.2017 – 19 C 5916/17, NZI 2018, 645 f. = ZIP 2018, 2037. 1132) Zum Mindestumfang systematischer Unterlagenauswertung siehe Kirstein, ZInsO 2008, 830, 835. 1133) KPB-InsO/Pape, 35. EL. 02.2009, § 280 Rn. 5; MK-InsO/Kirchhof, 3. Aufl. 2014, § 280 Rn. 6 (dort auch zu weiteren prozessrechtlichen Fragen); Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 79 f., 98. 1134) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 139 zu § 103 (= § 92 InsO); KPB-InsO/Pape, 35. EL. 02.2009, § 280 Rn. 5; MK-InsO/Kirchhof, 3. Aufl. 2014, § 280 Rn. 3; Jaeger/MellerHannich, InsO, 2019, § 280 Rn. 10. 1135) Kapitel 4 F. IV. 5., Rn. 471. 1136) Vgl. Haarmeyer/Suvacarevic, ZInsO 2006, 953, 955 f., 958; BAKinso, Check-Liste Unternehmensinsolvenz v. 20./21.11.2008, S. 1.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
sprüche durch den Sachwalter nach den allgemeinen Regeln aufmerksam zu überwachen. Sie sind nicht verpflichtet, selbst nach Ansprüchen zu forschen.
531 Besteht jedoch Anlass zu der Annahme, dass der Sachwalter die Ermittlung und Durchsetzung der Ansprüche bisher nicht mit der gebotenen Sachkunde, Systematik und Intensität1137) betrieben hat, so haben die Ausschussmitglieder die Ursachen zu klären und darauf hinzuwirken, dass das Versäumte nachgeholt wird. Dies gilt insbesondere, wenn Feststellungen des Sachwalters zum Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Insolvenz fehlen oder nicht hinreichend bestimmt sind1138) oder wenn zwar zumindest objektiv eine Insolvenzverschleppung festgestellt wird, aber die daraus typischerweise mit hoher Wahrscheinlichkeit folgenden1139) Haftungs- und Anfechtungsansprüche nicht näher angesprochen sind. Nachfragen und eine Aufforderung zu weiteren Ermittlungen sind ferner dann geboten, wenn wesentliche Feststellungen unsubstantiiert sind oder ersichtlich auf ungeprüften Angaben des Schuldners beruhen1140) oder wenn erkennbar wird, dass der Schuldner unter Verstoß gegen seine Auskunfts- und Mitwirkungspflicht (§§ 97, 101 InsO) die Ermittlungen nur ungenügend unterstützt hat und der Durchsetzungswille des vorläufigen oder endgültigen Sachwalters nur schwach ausgeprägt war.
532 Um die Ernsthaftigkeit der Überwachung zu dokumentieren, sollte der Gläubigerausschuss dem Sachwalter stets aufgeben, regelmäßig schriftlich über Art, Umfang und Ergebnisse seiner Ermittlungen zu berichten.1141) Dabei hat der Sachwalter auch mitzuteilen, welche Ansprüche durch eigene Nachforschungen aufgedeckt und welche vom Schuldner offengelegt worden sind, welche Unterlagen für welchen Zeitraum er ausgewertet hat und welche Anhaltspunkte für weitere Untersuchungen bestehen. Einzelheiten sind notfalls durch die persönliche Befragung des Sachwalters zu klären. Sind die Ermittlungen nach dem Eindruck der Ausschussmitglieder bislang unzureichend gewesen, so ist der Sachwalter aufzufordern, sie pflichtgemäß fortzusetzen, auszuweiten und zu intensivieren.
XII. Entnahme von Mitteln zur Lebensführung (§ 278 InsO) 533 Obgleich der Gesetzgeber die Gefahren der Eigenverwaltung erkannt hat,1142) räumt § 278 InsO natürlichen Personen als eigenverwaltenden Schuldnern das Recht ein, der Insolvenzmasse in eigener Zuständigkeit Mittel für eine bescheidene Lebens___________ 1137) Hierzu ausführlich und instruktiv Huber, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 51 Rn. 27; Kirstein, ZInsO 2008, 830, 832, 834 f. 1138) Ebenso Pape, ZInsO 2007, 1080, 1082, 1094. 1139) Vgl. Huber, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 51 Rn. 27; Huber, ZInsO 2008, 929, 932 f. 1140) Haarmeyer/Suvacarevic, ZInsO 2006, 953, 958. 1141) Siehe oben Kapitel 3 H. X. 1., Rn. 297. 1142) Siehe oben Kapitel 2 J. I., Rn. 159 f.
240
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
führung zu entnehmen. Entsprechendes gilt für vertretungsberechtigte persönlich haftende Gesellschafter einer schuldnerischen Gesellschaft. Anders als in der Fremdverwaltung (§ 100 InsO) ist der Schuldner hierbei nicht auf das wohlwollende Ermessen der Gläubigerversammlung oder des Sachwalters angewiesen, sondern ihm steht im Rahmen des Gesetzes ein Anspruch auf Unterhaltsentnahme zu.1143) Die Ausübung des Entnahmerechts ist allerdings, wie der Vergleich mit § 100 InsO zeigt, Teil der Masseverwaltung und gehört zur insolvenzspezifischen Geschäftsführung des Schuldners. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind deshalb nach § 69 Satz 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO verpflichtet, zusätzlich zur Aufsicht des Sachwalters (§ 274 Abs. 2 Satz 1 InsO) im Rahmen ihres Überwachungsauftrags darauf zu achten, dass der Schuldner die gesetzlichen Grenzen seines Entnahmerechts nicht überschreitet und der Sachwalter ein Überschreiten nicht duldet. Die Überwachung durch den Gläubigerausschuss darf in einem Bereich, in dem 534 wie im Fall des § 278 InsO der Gegensatz zwischen den Eigeninteressen des Schuldners und den Interessen der Gläubiger mit Händen zu greifen ist, nicht auf nachträgliche Maßnahmen beschränkt sein. Die Ausschussmitglieder haben deshalb sicherzustellen, dass sie in die Entscheidung des Schuldners über die Höhe der Entnahmen sowie in die Aufsicht des Sachwalters rechtzeitig vorab eingebunden werden. Nur so können sie verhindern, dass der Schuldner unter dem Schutzschild oder Vorwand seines Rechts auf Unterhaltsentnahme faktisch unumkehrbar die Insolvenzmasse mindert oder gar auszehrt.1144) Entnahmen des Schuldners dürfen zudem im Vergleich zur Fremdverwaltung nicht zu einer schlechteren Gläubigerbefriedigung führen und müssen unterbleiben, wenn das schuldnerische Unternehmen unter Berücksichtigung der Entnahmen nicht kostendeckend geführt werden kann. Eine Subventionierung des Schuldners auf Kosten der beteiligten Gläubiger ist im Zusammenhang mit der Eigenverwaltung ersichtlich nicht vom Willen des Gesetzgebers gedeckt.1145) Diese Überlegungen machen deutlich, dass jede Entnahme des Schuldners zur De- 535 ckung der Lebensführungskosten als Rechtshandlung von besonderer Bedeutung im Sinne von § 276 Satz 1 InsO zu werten ist. Der Gläubigerausschuss ist daher nicht nur berechtigt,1146) sondern auch verpflichtet, zur Sicherung der Insolvenzmasse unverzüglich nach Aufnahme seiner Tätigkeit gegenüber Schuldner und Sachwalter einen internen Zustimmungsvorbehalt für alle auf § 278 InsO gestützten Entnahmen des Schuldners zu formulieren; auch in der Fremdverwaltung ist der Insolvenzverwalter in diesem Zusammenhang an die Einwilligung des Gläubigerausschusses gebunden (§ 100 Abs. 2 InsO). Der Ausschuss darf seine Einwilligung zu ___________ 1143) 1144) 1145) 1146)
Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 186 zu § 339 (= § 278 InsO). Vgl. zum Unterhalt des Schuldners Grub, KS-InsO, 3. Aufl. 2009, S. 491, 508 f. Rn. 58. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 75 f. Siehe oben Kapitel 3 H. X. 2., Rn. 300.
241
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
einer beabsichtigten Unterhaltsentnahme des Schuldners nur erteilen, wenn der Betrag nach seiner Überzeugung einer bescheidenen Lebensführung angemessen ist. Seine Mitglieder haben sich zuvor darüber zu informieren, ob der ins Auge gefasste Betrag der absoluten Höhe nach und angesichts der Ertragslage des Unternehmens zu verantworten ist. Entnimmt der Schuldner trotz eines Zustimmungsvorbehalts ohne Einwilligung des Gläubigerausschusses Beträge zum Lebensunterhalt aus der Insolvenzmasse oder überschreitet er die bewilligte Höhe der Entnahme, so stellt dies einen erheblichen nachteilsindizierenden Umstand dar.1147) Zivilrechtlich bereichert sich der Schuldner durch eine nach § 278 InsO übermäßige Unterhaltsentnahme in ungerechtfertigter Weise. Strafrechtlich kann je nach Lage des Einzelfalles eine Untreue nach § 266 StGB verwirklicht sein. In aller Regel wird ein Grund zur Aufhebung der Eigenverwaltung nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegen. Um in der Zwischenzeit die Masse zu sichern, ist die Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter unausweichlich. Hat dieser die rechtswidrige Handlungsweise des Schuldners schuldhaft geduldet, so ist eine Entlassung des Sachwalters in Betracht zu ziehen (§ 274 Abs. 1, § 59 InsO).
XIII. Rechnungslegung durch den Schuldner 536 Nach § 281 Abs. 3 Satz 1 InsO hat der eigenverwaltende Schuldner die in den §§ 66, 155 InsO normierten Pflichten des vorläufigen und endgültigen Insolvenzverwalters zur insolvenzrechtlichen und zur handelsrechtlichen Rechnungslegung zu erfüllen.1148) Beide Aufgaben sind typische Tätigkeiten der Geschäftsführung1149) i. S. d. § 69 Satz 1 InsO und daher von den Mitgliedern des Gläubigerausschusses in vollem Umfang zu überwachen. Soweit die Buchhaltung den Zahlungsverkehr und den Geldbestand abbildet, muss der Ausschuss sie bereits nach § 69 Satz 2 InsO unabhängig von der periodischen Rechnungslegung prüfen.
1.
Umfang der Rechnungslegung
537 Der eigenverwaltende Schuldner ist ebenso wie der Insolvenzverwalter zur sog. dualen Rechnungslegung verpflichtet; dabei ist zwischen der externen handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung nach § 155 InsO einerseits und der internen insolvenzrechtlichen Rechnungslegung andererseits zu unterscheiden.1150) Letztere ___________ 1147) Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. Ebenso Wipperfürth, ZInsO 2015, 1127, 1129 f. 1148) KPB-InsO/Kübler, 71. EL. 04.2017, § 66 Rn. 9; Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, 2013, Rn. 36; IDW, Rechnungslegungshinweis 1.011, Rn. 71 f., Rechnungslegungshinweis 1.012, Rn. 48 f. 1149) So auch Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 247. 1150) Vgl. z. B. Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl. 2017, § 281 Rn. 18; FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 66 Rn. 18; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 281 Rn. 24; BeckOKInsO/Kreutz/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 281 Rn. 14; Naumer, in: Silcher/Brandt, Handbuch Insolvenzplan in Eigenverwaltung, 2017, Kap. 7, Rn. 2; Rechel, Aufsicht, 2009, S. 218; Hillebrand, ZInsO 2018, 1650, 1652; siehe auch IDW, Rechnungslegungshinweis 1.011.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
besteht aus der Vermögensübersicht nebst Gläubiger- und Masseverzeichnis (§§ 151 – 153 InsO),1151) der Zwischen- und Schlussrechnung gegenüber der Gläubigerversammlung (§ 66 Abs. 1, 3 InsO) sowie dem Verteilungsverzeichnis (§§ 188, 283 Abs. 2 InsO).1152) Die Rechnungslegungspflichten zählen zu den Aufgaben zur Sicherung der Insolvenzmasse.1153) Grundlage der Zwischen- und Schlussrechnung (§ 66 Abs. 1, 3 InsO) ist die sog. 538 insolvenzrechtliche Buchführung;1154) sie ist eine reine Ist-Buchführung, in der die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben der einzelnen Verfahrensabschnitte abgebildet sind.1155) Mit Hilfe dieser Einnahmen-Ausgaben-Überschussrechnung ist es auch dem Gläubigerausschuss möglich, den wirtschaftlichen Verlauf des Insolvenzverfahrens, insbesondere den insolvenzrechtlichen Erfolg der Verwertung in seiner zeitlichen Reihenfolge nachzuvollziehen und zu kontrollieren.1156) Sie erfasst ebenso wie die externe Rechnungslegung sämtliche Geld- und Leistungsströme sowie alle Bestandsveränderungen.1157) Sie ist ausschließlich für die Verfahrensbeteiligten, nicht aber für die Öffentlichkeit bestimmt.1158) Ihre Adressaten sind neben dem Gläubigerausschuss das Insolvenzgericht, die Insolvenz- und Massegläubiger1159) sowie der Sachwalter. Sie liefert außerdem die Grundlage für die Berechnung der Vergütung des Sachwalters (§ 1 InsVV)1160) und der Gerichtskosten (§ 58 GKG). Die insolvenzrechtliche Buchhaltung ist getrennt für das Eröffnungsverfahren und 539 das eröffnete Verfahren zu führen (Rechnungslegungszeiträume). Tritt Masseunzulänglichkeit ein (§§ 285, 208 InsO) oder wechselt der Träger der Insolvenzverwaltung, so ist für den damit abgeschlossenen und für den neu beginnenden Verfahrensabschnitt jeweils auf der Grundlage der insolvenzrechtlichen Buchhaltung Rechnung zu legen. Der Gläubigerausschuss kann ebenso wie das Insolvenzgericht1161) aufgrund seiner allgemeinen Aufsichtspflicht (§ 69 Satz 2, § 58 Abs. 1 Satz 2, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO) vom eigenverwaltenden Schuldner jederzeit nach ___________ 1151) Zu den Pflichten der Ausschussmitglieder in Bezug auf die Verzeichnisse siehe bereits Kapitel 4 F. VII., Rn. 492 ff. 1152) Vgl. ausführlich Rechel, Aufsicht, 2009, S. 201 ff.; Kniebes, Rechnungslegung, 2014, S. 19. 1153) Siehe die Abschnittsüberschrift vor § 148 InsO; ferner allg. Kniebes, Rechnungslegung, 2014, S. 13 f. 1154) Die Begriffe Buchführung und Buchhaltung werden synonym verwendet. 1155) Naumer, in: Silcher/Brandt, Handbuch Insolvenzplan in Eigenverwaltung, 2017, Kap. 7, Rn. 34. Sie wird als insolvenzrechtlicher Mindeststandard bezeichnet, so wörtlich IDW, Rechnungslegungshinweis 1.011, Rn. 48; krit. Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, 2013, Rn. 221 f. („untauglich und nicht zeitgemäß“). 1156) Vgl. Hillebrand, in: IDW Sanierung und Insolvenz, 2017, Kap. D. Rn. 122, 127. 1157) Kniebes, Rechnungslegung, 2014, S. 23. 1158) Kniebes, Rechnungslegung, 2014, S. 17. 1159) Kniebes, Rechnungslegung, 2014, S. 17 f. zum Adressatenkreis in der Fremdverwaltung. 1160) Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, 2013, Rn. 37. 1161) Vgl. IDW, Rechnungslegungshinweis 1.011, Rn. 3.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
pflichtgemäßem Ermessen Zwischenrechnungslegung verlangen.1162) Dasselbe gilt im Verhältnis zum Sachwalter für den Fall der Übernahme der Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO).
540 Die Grundsätze handels- und steuerrechtlicher Rechnungslegung werden durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt (§ 281 Abs. 3 Satz 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der eigenverwaltende Schuldner hat eine laufende und ordnungsmäßige Buchführung zu unterhalten und Jahresabschlüsse (§§ 238 ff. HGB) zu erstellen, sofern und soweit er hierzu bereits vorher als Kaufmann (§§ 1 ff. HGB) verpflichtet war.1163) Hinzu kommen die Schluss- und die Eröffnungsbilanz anlässlich der Verfahrenseröffnung, mit der ein neues Geschäftsjahr beginnt (§ 155 Abs. 2 InsO). Die handelsrechtliche externe Rechnungslegung dient im Gegensatz zur insolvenzrechtlichen der Information der Öffentlichkeit.1164) Die ihr zugrunde liegende handelsrechtliche Buchführung ist jedoch auch für den Gläubigerausschuss in Fällen der Betriebsfortführung unentbehrlich. In ihr sind alle Veränderungen der Aktivund Passivbestände verbucht, so dass anders als bei der insolvenzrechtlichen Buchhaltung, wo der Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben im Vordergrund steht, eine unterjährige Erfolgskontrolle möglich ist.1165) Ohne sie könnte der Gläubigerausschuss defizitäre Betriebsfortführungen nicht erkennen.1166)
2.
Besonderheiten der insolvenzrechtlichen Buchführung
541 Die Organisation und Handhabung der insolvenzrechtlichen Buchführung stellt für den Schuldner eine unbekannte und kaum zu bewältigende Herausforderung dar.1167) Sie ist deshalb vom Gläubigerausschuss noch sorgfältiger zu prüfen als beim professionellen Insolvenzverwalter. Sie erfordert in aller Regel eine vertiefte Kenntnisse des Insolvenzrechts. Insbesondere die insolvenzspezifischen Geschäftsvorfälle, etwa die buchhalterische Erfassung von Verwertungskostenbeiträgen oder die Abgrenzung von Insolvenzforderungen gegenüber Masseverbindlichkeiten,1168) sind vom eigenverwaltenden Schuldner in einer Weise zu verbuchen, dass sie in ___________ 1162) IDW, Rechnungslegungshinweis 1.011, Rn. 32 (für den Insolvenzverwalter). 1163) Vgl. für den Konkursverwalter BGH, Urt. v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, BGHZ 74, 316, 318 = NJW 1979, 2212 = ZIP 1980, 25; Naumer, in: Silcher/Brandt, Handbuch Insolvenzplan in Eigenverwaltung, 2017, Kap. 7, Rn. 5 – 7; IDW, Rechnungslegungshinweis 1.012, Rn. 6. 1164) IDW, Rechnungslegungshinweis 1.012, Rn. 3. 1165) Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, 2013, Rn. 248; IDW, Rechnungslegungshinweis 1.011, Rn. 49. 1166) Siehe Kapitel 2 A II. 2 Rn. 30 ff. sowie Kapitel 4 F. II., Rn. 413 ff. 1167) Ebenso wohl Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl. 2017, § 281 Rn. 18; FK-InsO/ Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 66 Rn. 18; Naumer, in: Silcher/Brandt, Handbuch Insolvenzplan in Eigenverwaltung, 2017, Kap. 7, Rn. 4. 1168) Zu den besonders fehleranfälligen Bereichen vgl. ausführlich bereits KK-InsO/Hammes, 2017, § 69 Rn. 27.
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F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
ihrer verfahrensbezogenen Bedeutung für den Gläubigerausschuss und einen sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit nachvollziehbar sind. Anhand der Insolvenzbuchhaltung muss vor allem nachprüfbar sein, ob der eigenverwaltende Schuldner die Befriedigungsreihenfolge eingehalten und keine insolvenzzweckwidrigen Zahlungen vorgenommen hat. Da die Insolvenzbuchhaltung zugleich der Ermittlung der Berechnungsgrundlage 542 für die Gerichtskosten und die Vergütung des Sachwalters dient (§ 58 GKG, §§ 1, 12 InsVV), sind bei der Verbuchung der Geschäftsvorfälle auch die Besonderheiten des insolvenzrechtlichen Vergütungsrechts zu beachten. Fehleranfälligkeiten ergeben sich unter anderem aus der Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 InsVV. Danach sind bestimmte Einnahmen und Ausgaben der Masseverwaltung vergütungsrechtlich anders zu behandeln als sonstige Ein- oder Auszahlungen und deshalb auch anders zu verbuchen. Insbesondere sind die Einnahmen und Ausgaben im Zuge einer Betriebsfortführung von den Einnahmen aus der Verwertung von Massegegenständen und den Ausgaben auf Verfahrenskosten und sonstige Masseverbindlichkeiten strikt zu unterscheiden. Falschverbuchungen können dazu führen, dass die vergütungsrelevante Berechnungsgrundlage (§ 1 InsVV) zu hoch ausgewiesen wird. Wenn die Mitglieder des Gläubigerausschusses nicht über derartige Kenntnisse ver- 543 fügen, sind sie nicht in der Lage, die insolvenzrechtliche Buchführung des Schuldners sachgerecht zu prüfen und zu beurteilen. In einer solchen Situation ist der Ausschuss verpflichtet, einen sachkundigen Dritten mit der Prüfung zu beauftragen.1169) Geschieht dies nicht, so verliert die Aufsicht durch den Ausschuss ihren gesetzlichen Sinn und läuft leer.
3.
Delegation der insolvenzrechtlichen Rechnungslegung
Die insolvenzrechtliche Rechnungslegung zählt in der Fremdverwaltung zu den 544 Regelaufgaben des Insolvenzverwalters und ist mit dessen Vergütung abgegolten. In der Eigenverwaltung zeigt die Praxis, dass mangels spezifischer Sachkunde und Erfahrung fast kein Schuldner diese gemischt kaufmännisch-rechtliche Aufgabe eigenständig erfüllen kann. Ein solches Unvermögen, das in der Fremdverwaltung ein Bestellungshindernis für den Insolvenzverwalter ist,1170) führt zur Beauftragung spezialisierter externer Dienstleister oder Sanierungsberater, deren Vergütung zu Lasten der verteilbaren Masse zusätzliche Kosten des Insolvenzmanagements verursacht. Die Delegation derartiger Regelaufgaben ist eine besonders bedeutsame Rechtshandlung und bedarf der Einwilligung des Gläubigerausschusses (§ 276 InsO).1171) Der Ausschuss hat deshalb vom Schuldner zu Beginn der Eigenverwaltung zu ver___________ 1169) Siehe oben Kapitel 4 F. III. 2., Rn. 454. 1170) So zu Recht BeckOK-InsO/Karg, 14. Ed. 04.2019, § 66 Rn. 8a. 1171) Kapitel 4 F. IV., Rn. 462 ff.
245
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
langen, dass ihm nachvollziehbar dargelegt wird, welche Dienst- oder Werkverträge er mit welchen Personen für diese Aufgaben (vgl. § 8 Abs. 2 InsVV) abzuschließen beabsichtigt, ob und welche Angebote er von anderen Anbietern eingeholt hat und welche außerordentlichen Aufwendungen voraussichtlich entstehen werden.
4.
Rechnungslegung bei Kassenführung durch den Sachwalter
545 Übernimmt der Sachwalter die Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO),1172) so ist er verpflichtet, die insolvenzrechtliche Buchhaltung über den Zahlungsverkehr zu führen;1173) die sonstigen Rechnungslegungspflichten des Schuldners bleiben unberührt.1174) Er unterliegt, solange er diese Aufgabe an sich gezogen hat, zugleich der entsprechenden Überwachung durch den Gläubigerausschuss (§§ 69, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Anlässlich der Übernahme haben sich die Ausschussmitglieder davon zu überzeugen, dass die Übertragung der Guthaben von den Konten und Kassen des Schuldners auf den Sachwalter vollständig und unverzüglich erfolgt ist. Für eine etwaige Rückübertragung der Kassenführung auf den eigenverwaltenden Schuldner gilt Entsprechendes. Ermöglicht der Schuldner keine reibungslose Übernahme oder missachtet er das Kassenführungsrecht des Sachwalters,1175) so ist dies regelmäßig ein schwerwiegender nachteilsindizierender Umstand und muss zu einer unmissverständlichen Reaktion des Gläubigerausschusses führen.1176)
546 Die Übernahme der Kassenführung führt nicht dazu, dass der Sachwalter neben der Buchhaltung über den Zahlungsverkehr andere interne Rechnungslegungspflichten wahrnehmen muss, etwa die Erstellung der Verteilungsverzeichnisse oder der Zwischen- und Schlussrechnung. Diese Pflichten sind stets vom Schuldner zu erfüllen (§ 281 Abs. 3, § 283 Abs. 2 InsO). In der Eigenverwaltung ist der Schuldner derjenige, der die rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen zu Lasten der Insolvenzmasse eingeht und für deren Erfüllung zu sorgen hat. Er darf den Sachwalter anweisen, Zahlungen auszuführen, und bleibt im Übrigen verpflichtet, vorbehaltlich des § 280 InsO die gesamte Insolvenzmasse zur verwalten und zu verwerten. Hinsichtlich der den Zahlungen zugrundeliegenden Geschäftsvorfälle ist und bleibt der Schuldner weiterhin der verantwortliche Träger der Insolvenzverwaltung. Der Sachwalter hat den Schuldner in diesem Zusammenhang durch Übermittlung von ___________ 1172) Siehe oben Kapitel 2 E. V. 1., Rn. 98. 1173) KPB-InsO/Kübler, 71. EL. 04.2017, § 66 Rn. 9; Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl. 2019, § 66 Rn. 38 (Rechnungslegungspflicht aus § 259 BGB ableitend); Langer/Bausch, ZInsO 2018, 1138, 1140; vgl. zum Streitstand Schmittmann, in: FS Kübler, 2015, S. 645, 646. 1174) Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl. 2017, § 281 Rn. 18; ebenso zu verstehen ist wohl K. Schmidt/Rigol, InsO, 19. Aufl. 2016, § 66 Rn. 4. A. A. ohne Begr. KPB-InsO/Kübler, 49. EL. 07.2012, § 270a Rn. 35 sowie Flöther, ZInsO 2014, 465, 468. 1175) Zu den Unterlassungspflichten des Schuldners bei Übernahme der Kassenführung durch den Sachwalter vgl. Undritz/Schur, ZIP 2016, 549, 552. 1176) Siehe Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. Vgl. Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 252 f.
246
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
Bankauszügen oder Kontoübersichten über die Abwicklung des Zahlungsverkehrs fortlaufend zu informieren.
5.
Rechnungslegung zum Abschluss der Eigenverwaltung (§ 66 Abs. 2 Satz 2 InsO)
Der eigenverwaltende Schuldner hat ebenso wie ein Insolvenzverwalter bei Been- 547 digung seines Amtes einer Gläubigerversammlung über seine Geschäftsführung Rechnung zu legen (§ 270 Abs. 1 Satz 2, § 281 Abs. 3, § 66 Abs. 1 InsO).1177) Dies gilt in allen Fällen, in denen die Eigenverwaltung regulär oder irregulär ihr Ende findet. Bevor das Abrechnungswerk in der Gläubigerversammlung behandelt wird (§ 197 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO), ist es zunächst vollständig vom Sachwalter (§ 281 Abs. 3 Satz 2 InsO)1178) und vom Gläubigerausschuss (§ 66 Abs. 2 Satz 2 InsO) sowie anschließend vom Insolvenzgericht (§ 66 Abs. 2 Satz 1 InsO) zu prüfen.
a) Schlussrechnungslegung Soll die Eigenverwaltung gleichzeitig mit der Aufhebung oder Einstellung des In- 548 solvenzverfahrens abgeschlossen werden, so hat der Schuldner nicht anders als ein Insolvenzverwalter die Schlussrechnung (also die Einnahmen- und Ausgabenrechnung mit den Belegen, die Schlussbilanz nebst Schlussbericht) sowie das Schlussverzeichnis dem Gläubigerausschuss so rechtzeitig vor Beendigung des Verfahrens vorzulegen, dass den Ausschussmitgliedern eine ordnungsgemäße Prüfung und Stellungnahme vor der Auslegung beim Insolvenzgericht und der anschließenden Gläubigerversammlung möglich ist (§ 281 Abs. 3, § 66 Abs. 2 InsO). Im Interesse der zügigen Durchführung des Insolvenzverfahrens darf die Prüfung durch den Gläubigerausschuss nicht dadurch verzögert werden, dass auch der Sachwalter eine Prüfung der Schlussrechnung vorzunehmen hat (§ 281 Abs. 3 Satz 2 InsO). Schuldner und Sachwalter haben im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten für eine zügige Bearbeitung Sorge zu tragen.
b) Rechnungslegung bei vorzeitiger Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung Zeichnet sich die Entscheidung des Insolvenzgerichts ab, die Eigenverwaltung vor 549 der regulären Beendigung des Insolvenzverfahrens aufzuheben (§ 272 InsO), so haben Sachwalter, Gläubigerausschuss und Gericht darauf hinzuwirken, dass der Schuldner seiner Verpflichtung zur abschließenden Zwischen- bzw. Teilschlussrechnungslegung1179) (§ 281 Abs. 3 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 1 InsO) ebenso wie ein ___________ 1177) Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 136. 1178) Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 280 Rn. 26. 1179) Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 136. Zum Begriff vgl. FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 66 Rn. 2.
247
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
entlassener Insolvenzverwalter unverzüglich und ordnungsgemäß nachkommt.1180) Aus der Praxis sind Fälle bekannt, in denen der Schuldner noch mehrere Jahre nach Aufhebung der Eigenverwaltung keine zufriedenstellende Rechnungslegung zustande gebracht hat. Es liegt daher in aller Regel im Interesse der Gläubiger, dass diese Pflicht erfüllt wird, bevor die Aufhebung der Eigenverwaltung wirksam wird.
550 Dies gilt vor allem, wenn die Aufhebung auf Antrag des Schuldners selbst erfolgen soll (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Das Insolvenzgericht ist zwar befugt, gegen den als Eigenverwalter ausgeschiedenen Schuldner und dessen organschaftliche Vertreter Maßnahmen zur Erzwingung der Rechnungslegung zu ergreifen (§ 58 Abs. 2, 3, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO).1181) Da es sich bei der Rechnungslegungspflicht des eigenverwaltenden Schuldners sachlich um eine Auskunftspflicht nach § 97 Abs. 1 InsO handelt, darf das Gericht sogar die Haft nach § 98 Abs. 2, 3, § 101 Abs. 1 InsO anordnen. Vielfach wird es jedoch zweckmäßiger sein, in einem solchen Fall die Aufhebung der Eigenverwaltung von der vorherigen Erledigung oder Sicherstellung der ordnungsgemäßen Rechnungslegung abhängig zu machen. Hat der Schuldner die Motivation zur Eigenverwaltung verloren, so dürfen alle drei Aufsichtsorgane – Sachwalter, Gläubigerausschuss und Gericht – nicht hinnehmen, dass der Schuldner durch einen eigenen Aufhebungsantrag und die kurzfristige antragsgemäße Entscheidung des Gerichts die Gelegenheit erhält, sich auf leisen Sohlen davonzumachen und sich durch Untätigkeit oder Obstruktion jeder substantiellen Rechenschaft gegenüber den Gläubigern zu entziehen.
551 Wird der Aufhebungsantrag von der Gläubigerversammlung oder in zulässiger Weise von einem Gläubiger gestellt (§ 272 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO), so wird der weitere Gang der Rechnungslegung, ihrer Prüfung durch Sachwalter, Gläubigerausschuss und Gericht sowie ihrer Erörterung durch die Gläubigerversammlung (§ 281 Abs. 3 Satz 2, § 66 Abs. 1, 2, § 197 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO) wesentlich davon abhängen, welche Gründe für die Aufhebung der Eigenverwaltung maßgeblich sind. Den Mitgliedern des Gläubigerausschusses kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung zu, weil sie, neben dem Sachwalter, bei pflichtgemäßer Amtsausübung mit der bisherigen insolvenzrechtlichen Geschäftsführung des Schuldners am besten vertraut sind. Sobald sie von dem Aufhebungsantrag Kenntnis erlangen, müssen sie sich darüber klar werden, ob unter den gegebenen Umständen die sofortige vollständige Verdrängung des Schuldners und seiner Berater von der Masseverwaltung unumgänglich ist oder ob es vertretbar erscheint, dem Schuldner für eine Übergangszeit bis zur Abwicklung der Rechnungslegung ledig___________ 1180) BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – IX ZB 76/04, NZI 2005, 391 f. = ZIP 2005, 865; BGH, 23.9.2010 – IX ZR 243/09, NZI 2010, 984 Rn. 8 = ZIP 2010, 2209; AG Duisburg, Beschl. v. 4.10.2005 – 60 IN 136/02, ZIP 2005, 2335. 1181) BGH, Beschl. v. 14.4.2005 – IX ZB 76/04, NZI 2005, 391 f. = ZIP 2005, 865; BGH, Urt. v. 23.9.2010 – IX ZR 243/09, NZI 2010, 984 Rn. 8 = ZIP 2010, 2209; FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 66 Rn. 7.
248
F. Sachlicher Aufgabenbereich der Aufsicht des Ausschusses
lich einen generellen Zustimmungsvorbehalt nach § 277 InsO aufzuerlegen. Nur wenn aus der Sicht des Gläubigerausschusses in absehbarer Zeit vom Schuldner eine ordnungsgemäße Rechnungslegung zu erwarten ist, kann auf eine sofortige Aufhebung der Eigenverwaltung verzichtet werden. Aufgrund ihrer grundlegenden Pflicht, den insolvenzbedingten Schaden der Gläubiger möglichst gering zu halten,1182) haben die Ausschussmitglieder in einer solchen Situation in der Gläubigerversammlung oder gegenüber dem einzelnen antragstellenden Gläubiger (§ 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO) diese Gesichtspunkte vorzubringen und dafür Sorge zu tragen, dass ein ergänzender Antrag nach § 277 Abs. 1, 2 InsO gestellt wird.
6.
Prüfung der Rechnungslegung
Die Prüfung der Rechnungslegung durch den Gläubigerausschuss geht weiter als 552 die des Gerichts und erstreckt sich neben der formellen und materiellen Ordnungsmäßigkeit des Rechnungswesens auf die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der bisherigen Masseverwaltung.1183) Die Grenze zwischen Ordnungs- und Zweckmäßigkeitsprüfung ist aber nicht immer exakt zu bestimmen.1184)
a) Ordnungsmäßigkeit des Rechnungswesens Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit ist vorwiegend an formalen Kriterien orien- 553 tiert, also etwa daran, ob sämtliche Belege einschließlich der Kontoauszüge im Original vorliegen, ob Buchungen auf ordnungsgemäßen und tatsächlich vorliegenden Belegen basieren und ob die Geschäftsvorfälle vollständig erfasst sind.1185) Sie betrifft aber auch Fragen der Rechtmäßigkeit, etwa ob der Sachwalter die Masseunzulänglichkeit rechtzeitig angezeigt (§ 285 InsO) und der Schuldner bei seinen Zahlungen die gesetzliche Rang- und Verteilungsordnung beachtet hat, ob Abrechnungen mit Absonderungsberechtigten sachlich und rechnerisch korrekt durchgeführt worden sind und ob alle Vorgänge des Zahlungsverkehrs mit dem Verfahrenszweck vereinbar waren. Selbst geringfügige Verletzungen der Buchführungspflichten auf Seiten des Schuld- 554 ners müssen für die Ausschussmitglieder Anlass sein, bereits vor der Rechnungslegung des Schuldners die Intensität der Überwachung zu erhöhen und auf eine Intensivierung der Aufsicht durch den Sachwalter zu dringen.1186) Um sich in buchhalterischer Hinsicht ein Bild von der Zuverlässigkeit des Schuldners zu machen, ___________ 1182) Siehe oben Kapitel 4 D. I., Rn. 341 ff. 1183) K. Schmidt/Rigol, InsO, 19. Aufl. 2016, § 66 Rn. 28; KPB-InsO/Kübler, 71. EL. 04.2017, § 66 Rn. 25. Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl. 2019, § 66 Rn. 99; BAKinso, ZInsO 2007, 1211, 1212. 1184) Vgl. die Ausführungen bei Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, 2013, Rn. 879 – 881. 1185) Zimmer, Insolvenzbuchhaltung, 2013, Rn. 879. 1186) Siehe oben Kapitel 4 F. III. 2., Rn. 454 ff.
249
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
haben sie sich deshalb unverzüglich nach Übernahme ihres Antes darüber zu informieren, ob der Schuldner in den letzten drei Jahren seine handels- und steuerrechtlichen Buchführungspflichten ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt hat.1187) Entsprechende Erkenntnisse können sich aus vollständigen Jahresabschlüssen und monatlichen Buchhaltungsauswertungen (den sog. betriebswirtschaftlichen Auswertungen nebst Summen- und Saldenlisten), mittelbar aber auch aus den Ermittlungsergebnissen des Insolvenzgerichts und des von ihm beauftragten Sachverständigen im Eröffnungsverfahren ergeben. Verstöße gegen Buchführungspflichten sind in aller Regel nachteilsindizierende Umstände, die der Anordnung oder Fortsetzung der Eigenverwaltung entgegenstehen (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO).1188) Gelangt ein Schuldner gleichwohl in den Genuss der Eigenverwaltung, so hat der Gläubigerausschuss bei der Überwachung der schuldnerischen Geschäftsführung diese buchführungstechnische Seite aufmerksam zu beobachten.
b) Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Masseverwaltung 555 Die Überwachung der schuldnerischen Rechnungslegung nach Zweckmäßigkeitskriterien kann dem Grunde nach nur eine nachlaufende Tätigkeit sein. Der Gläubigerausschuss muss versuchen, bereits abgeschlossene Geschäftsvorfälle nach kaufmännischen und insolvenzrechtlichen Zweckmäßigkeitserwägungen zu beurteilen. Dieser Aspekt der Prüfung korrespondiert allerdings mit der Pflicht des Ausschusses zur zukunftsorientierten laufenden Überwachung.1189) Hat der Gläubigerausschuss im Rahmen des § 276 InsO ordnungsgemäß mitwirken können, so verbleibt letztlich noch die Teilmenge der gewöhnlichen Geschäftsvorfälle, deren vorausschauende Überwachung Aufgabe des Sachwalters ist. Das schließt nicht aus, dass erst bei der Prüfung der Buchführung Vorgänge bekannt werden, die nach ihrer Bedeutung der Einwilligung des Gläubigerausschuss bedurft hätten oder die unter Beachtung des von der Gläubigerversammlung beschlossenen Sanierungskonzepts unwirtschaftlich erscheinen. So kann zum Beispiel der Aufbau hoher Bestände von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen unzweckmäßig erscheinen oder die Bezahlung von Verzugszinsen Hinweise auf eine unzureichende Führung der Eigenverwaltung liefern. Ergeben sich solche Hinweise, so stellt sich die Frage, ob der Sachwalter bei der Überwachung des Tagesgeschäfts seine Aufgaben hinreichend erfüllt hat. Auch hierüber muss sich der Gläubigerausschuss klar werden und über die erforderlichen Konsequenzen beraten. Zumindest wird er seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen in den Prüfungsbericht an die Gläubigerversammlung (§ 66 Abs. 2 Satz 2 InsO) aufnehmen müssen. ___________ 1187) Vgl. hierzu und zu anderen Fällen von Missmanagement Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 48. 1188) Wohl unbestritten, vgl. z. B. HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 270 Rn. 23 m. w. N. 1189) Siehe oben Kapitel 4 F. II. 2., Rn. 423.
250
G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen
G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen Zum Kernbereich ordnungsgemäßer Tätigkeit des Gläubigerausschusses und seiner 556 Mitglieder in der Eigenverwaltung zählt es, auf Pflichtverletzungen des Masseverwalters und sonstige, die Gläubigerinteressen gefährdende Fehlentwicklungen im rechtlichen oder wirtschaftlichen Gang des Verfahrens unverzüglich in angemessener und wirksamer Weise zu reagieren.1190) Ein Überwachungssystem, das allein auf die präventive Wirkung von Information, Beratung und konsensorientierter Meinungsbildung vertraut, ist faktisch wirkungslos und rechtlich sinnlos. Es entfaltet keine verbindliche verhaltenssteuernde Kraft gegenüber den Trägern der Insolvenzverwaltung.1191) Vor allem in der Eigenverwaltung ist es angesichts ihrer Missbrauchsanfälligkeit deshalb unerlässlich, dass Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen empfindliche Folgen für die Akteure auslösen. Ein wesentlicher Garant hierfür ist der ordnungsgemäß und pflichtbewusst arbeitende Gläubigerausschuss. Dank ständiger Einbindung in den wirtschaftlichen Gang des Verfahrens hat er einen Wissensvorsprung vor dem Insolvenzgericht und der Gläubigerversammlung.1192) Den beiden Letzteren ist es im Verlauf des Verfahrens faktisch nahezu unmöglich, frühzeitig Anlässe zu erkennen, die Maßnahmen zum Schutz der Insolvenzmasse erforderlich machen.1193)
I.
Anlässe zum Einschreiten des Gläubigerausschusses und Vorbereitung seiner Reaktion
Der Gläubigerausschuss muss sich stets darüber im Klaren sein, dass in der Eigen- 557 verwaltung für das Pflichtbewusstsein und die Pflichtenbindung des Schuldners und des Sachwalters keine geringeren Maßstäbe gelten als für den Insolvenzverwalter in der Fremdverwaltung. Jede Verletzung einer amtsspezifischen Pflicht durch einen der Träger der Insolvenzverwaltung, den Schuldner oder seine organschaftlichen Vertreter ebenso wie den Sachwalter, muss deshalb für den Gläubigerausschuss und jedes seiner Mitglieder Anlass sein, umgehend eine deutlich wahrnehmbare Reaktion zu zeigen. Auf ein persönliches Verschulden des Handelnden kommt es nicht an. Ob die Pflichtverletzung eindeutig ist, welches Ausmaß der angerichtete oder drohende Schaden voraussichtlich hat und welcher Eignungsmangel in ihr erkennbar wird, ist erst für die Art und Intensität der Reaktion bedeut___________ 1190) Siehe Kapitel 3 H. XI., Rn. 301 sowie Kapitel 4 D., Rn. 339 ff. 1191) Vgl. BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324 Rn. 26 = NZI 2015, 166, 168 f. = ZIP 2014, 2242. 1192) Vgl. Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 1. 1193) Vgl. Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ) – Arbeitskreis Insolvenzrecht, ZInsO 2017, 2536 in Bezug auf die generelle Schwierigkeit der Feststellung nachweisbarer erheblicher Verstöße bei der Masseverwaltung.
251
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
sam.1194) Darüber hinaus müssen alle anderen Fehlentwicklungen zum Nachteil der Gläubiger eine verfahrensbezogene Reaktion des Gläubigerausschusses auslösen, selbst wenn sie zweifelsfrei durch widrige Umstände außerhalb des Verfahrens ausgelöst werden, etwa durch Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. In der Eigenverwaltung ergibt sich die Reaktionspflicht des Gläubigerausschusses zusätzlich aus dem ausnahmslos zu beachtenden Grundprinzip, dass das Verfahren in dieser Organisationsform nur durchgeführt oder fortgesetzt werden darf, wenn es nicht über den insolvenzbedingten Ausfall hinaus zu Nachteilen für die Gläubiger führt (§ 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO).1195) Hieraus folgt die Pflicht der Ausschussmitglieder, ihre besondere Aufmerksamkeit stets auf alle eigenverwaltungsspezifischen Verhaltensweisen, Symptome und Entwicklungen zu richten, die auf drohende oder schon eingetretene Nachteile für die Gläubiger hindeuten. Sie müssen alles daran setzen, ihnen mit gesetzlichen Mitteln, insbesondere ihren Auskunfts-, Mitwirkungs- und Antragsrechten, frühzeitig und nachdrücklich entgegenzutreten.1196)
558 Die Reaktion des Gläubigerausschusses muss geeignet, erforderlich und angemessen sein, um den Nachteil für die Gläubiger möglichst schnell, wirksam und nachhaltig abzuwehren oder zu korrigieren und den Schaden für die Gläubiger so gering wie möglich zu halten. Nachteile für den Schuldner, die sich hieraus ergeben, sind angesichts des gesetzlichen Verfahrenszwecks (§ 1 InsO) allenfalls von nachrangiger Bedeutung.1197) Die Reaktion des Ausschusses hängt in erster Linie davon ab, ob und mit welchem objektiven oder subjektiven Gewicht eine insolvenzrechtliche Haupt- oder Nebenpflicht verletzt ist, ob sie geringe oder erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Interessen der Gläubiger hat, ob Wiederholungsgefahr besteht oder von welcher Art und Gefährlichkeit der nachteilsindizierende Umstand ist. Maßgeblich ist zugleich, wie sich Schuldner oder Sachwalter vor und nach Bekanntwerden der maßgeblichen Tatsachen gegenüber dem Ausschuss verhalten, insbesondere ob sie Fehlentwicklungen sofort vorbehaltlos offenlegen, glaubhaft Einsicht zeigen und überzeugend bei der Bereinigung des Missstandes mitwirken oder ob sie gläubigerbenachteiligende Sachverhalte und ihre eigene Beteiligung daran verharmlosen, verschleiern oder gar verheimlichen.
559 Die Ausschussmitglieder haben ihre Entscheidung nach sorgfältiger Vorbereitung, insbesondere auf der Grundlage angemessener Informationen,1198) ohne schuldhaftes Zögern zu treffen. Die konkrete Reaktionshandlung des Ausschusses steht im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten in seinem pflichtgemäßen, an den Interessen der ___________ 1194) 1195) 1196) 1197) 1198)
252
Siehe oben Kapitel 4 D. II. 1., Rn. 349 f. Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. Siehe oben Kapitel 4 D., Rn. 339 ff. Siehe oben Kapitel 2 A. II., Rn. 25 ff. und Kapitel 3 C., Rn. 237. Siehe oben Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff.
G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen
Gläubigergesamtheit orientierten Ermessen. Dabei sind seine Mitglieder verpflichtet, sowohl die positiven als auch die negativen Auswirkungen der erwogenen Maßnahmen auf den weiteren Verlauf und das wirtschaftliche Ergebnis des Verfahrens in ihre Überlegungen einzubeziehen. Bei Bedarf haben sie vorab zu prüfen, ob vor ihrer endgültigen Beschlussfassung vorläufige wirtschaftliche oder rechtliche Sicherungsmaßregeln einzuleiten sind.
II. Adressaten der Reaktionspflicht Die Reaktionspflicht des Gläubigerausschusses obliegt als Ausfluss der Überwa- 560 chungs- und Unterstützungspflicht gleichermaßen dem Gremium in seiner Gesamtheit wie jedem einzelnen Ausschussmitglied (§ 69 Satz 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Zwar kann der Ausschuss gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten grundsätzlich nur kollektiv aufgrund eines Beschlusses handeln (§ 72 InsO).1199) Jedes Mitglied hat jedoch dafür zu sorgen, dass der Ausschuss seine Aufgaben stets ordnungsgemäß erfüllt und sich umgehend mit allen Themen befasst, zu deren Behandlung nach dem Gang des Verfahrens Anlass besteht.1200) Dies gilt auch für Verfahrenshandlungen in Wahrnehmung der Reaktionspflicht. Fehlt allerdings ein förmliches Antragsrecht des Ausschusses als Gremium oder bleibt er entgegen seinen Pflichten untätig, so ist jedes Ausschussmitglied gehalten, zur Durchsetzung seines eigenen gesetzlichen Auftrags diejenigen Antrags- oder Anzeigebefugnisse einzusetzen, die ihm aufgrund seiner Rechtsstellung als Gläubiger zustehen (vgl. etwa die Antragsrechte nach § 272 Abs. 1 Nr. 2, § 277 Abs. 2 InsO). Dabei darf und muss das Mitglied im Interesse der Gläubigergesamtheit auch Informationen und Wahrnehmungen verwerten, die ihren Ursprung in der Tätigkeit des Ausschusses haben.1201)
III. Handlungsmöglichkeiten des Ausschusses Das Gesetz enthält an verschiedenen Stellen Bestimmungen, denen im Kern die Vor- 561 stellung einer Reaktionspflicht des Gläubigerausschusses zugrunde liegt. Für die Eigenverwaltung etwa ist geregelt, dass der Ausschuss Gelegenheit hat, ein Votum zum Eigenverwaltungsantrag des Schuldners abzugeben (§ 270 Abs. 3 InsO), dass er die Aufhebung der Schutzschirmanordnung beantragen kann (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO) oder dass er ebenso wie in der Fremdverwaltung die Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des eigenverwaltenden Schuldners verweigern darf (§ 276 InsO). Auch seine Rechte, die Einberufung der Gläubigerversammlung zu verlangen (§ 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO) oder die Entlassung des Sachwalters zu beantragen (§ 59 Abs. 1, § 274 Abs. 1 InsO), geben dem Ausschuss die ___________ 1199) Ausführlich Kapitel 3 F., Rn. 263 ff. 1200) Vgl. oben Kapitel 3 H. III., Rn. 278 f. 1201) Siehe Kapitel 3 H. VI., Rn. 284 f. sowie Kapitel 4 D. I., Rn. 341.
253
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
Möglichkeit, zum Schutz der Gläubiger in eigener Verantwortung die Initiative zu ergreifen und den Fortgang des Verfahrens rechtlich maßgeblich zu beeinflussen. Neben diesen gesetzlich ausdrücklich geregelten Möglichkeiten kann der Ausschuss ferner formlose Instrumentarien nutzen und zu deren Nutzung verpflichtet sein. Er kann sich darauf beschränken, selbst die Träger der Insolvenzverwaltung zu ermahnen oder zu rügen,1202) oder je nach Bedeutung der Angelegenheit das Insolvenzgericht informieren, damit dieses von Amts wegen zur Abwendung von Nachteilen für die Gläubiger tätig werden kann (vgl. § 58 InsO).1203)
1.
Hinweise und formlose Erörterungen
562 Ist eine Pflichtverletzung oder ein sonstiger Missstand der Insolvenzverwaltung nach Art und Schwere von geringer Bedeutung, so reicht es in der Regel aus, wenn der Gläubigerausschuss den Schuldner oder Sachwalter auf die Ordnungswidrigkeit hinweist und in einem formlosen Gespräch auf kurzfristige Abhilfe dringt. Eine schriftliche Dokumentation, etwa in Form eines nachträglichen Bestätigungsschreibens, kann bereits hier notwendig oder zumindest zweckmäßig sein. Dies gilt vor allem, wenn von den Trägern der Insolvenzverwaltung die Angelegenheit heruntergespielt oder eine umgehende Erledigung nicht überzeugend in Aussicht gestellt worden ist. Ausreichend und angemessen ist eine derart niedrigschwellige Maßnahme beispielsweise, wenn die Buchhaltung oder die Verzeichnisse leichte Mängel aufweisen, aber auch wenn Schuldner oder Sachwalter ihren Berichtspflichten erstmalig nicht pünktlich oder nur unvollständig nachkommen.
563 Bloße mündliche Hinweise und Erörterungen sind ferner bei Themen der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit angezeigt, wenn Gläubigerausschuss und Schuldner sich noch im Stadium der Meinungsbildung befinden und der Ausschuss die vom Schuldner vertretene unternehmerische Einschätzung nicht teilt oder er eine geplante Entscheidung als für die Gläubiger nachteilig bewertet. Derartige Äußerungen stehen ihm kraft seiner zukunftsorientierten Unterstützungsfunktion ebenso zu wie das Recht, Vorschläge zu unterbreiten. Der eigenverwaltende Schuldner hat solche Anregungen ernst zu nehmen, die Vor- und Nachteile der Alternativen abzuwägen und den Entscheidungsprozess gegenüber dem Ausschuss substantiiert und nachvollziehbar offenzulegen. Erst diese Vorgehensweise lässt auf Seiten des Gläubigerausschusses die Einschätzung zu, ob die vom Schuldner ins Auge gefassten unternehmerischen Strategien oder Entscheidungen in ihrem Verhältnis von Chancen und Risiken ebenso zweckmäßig sind wie etwaige Alternativen. ___________ 1202) Vgl. BGH, Beschl. v. 21.3.2013 – IX ZR 109/10, ZIP 2013, 1235 Rn. 3 = ZInsO 2013, 986; BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 337 Rn. 29 = NZI 2015, 166, 169 (m. zust. Anm. Kühne) = ZIP 2014, 2242. Allgemein hierzu auch Kapitel 3 H. XI., Rn. 301 f. 1203) Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 69 Rn. 8.
254
G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen
2.
Rügen und Aufforderungen zur Nachbesserung
Sofern Mängel der bisherigen Tätigkeit durch den Schuldner oder Sachwalter be- 564 hebbar erscheinen und nicht auf prinzipielle Ungeeignetheit oder Unwillen der Verantwortlichen hinweisen, hat der Gläubigerausschuss sie unter möglichst genauer Beschreibung des Missstands zu rügen und eine angemessene Frist zur Nachbesserung zu setzen; ferner liegt es nahe, eine Stellungnahme zu den Gründen des Fehlverhaltens sowie zu etwaigen haftungsrechtlichen Auswirkungen zu fordern. Wird die Frist nicht eingehalten oder liefert der Träger der Insolvenzverwaltung trotz Rüge keine befriedigenden Arbeitsergebnisse, so sind andere Maßnahmen zu ergreifen. In aller Regel wird es dann notwendig sein, das Insolvenzgericht zu informieren, damit dieses über Aufsichtsmaßnahmen nach § 274 Abs. 1 i. V. m. §§ 58, 59 InsO entscheiden kann.1204) Auf schwerer wiegende Pflichtverletzungen oder Unzulänglichkeiten der Amtsfüh- 565 rung des Schuldners oder des Sachwalters muss zumindest eine förmliche und gut dokumentierte Abmahnung folgen, sofern nicht sofort weitergehende Maßnahmen erforderlich sind. Zu solchen Anlässen zählen alle nicht vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzungen zentraler Pflichten, zum Beispiel die erstmalige mangelhafte oder unterlassene Information des Ausschusses über verfahrensrelevante Sachverhalte. Gelangt der Gläubigerausschuss zu der Einschätzung, dass das Verhalten nur leicht fahrlässig war, keine Wiederholungsgefahr besteht und es nicht auf genereller Inkompetenz beruht, so kann dem Umstand zumeist durch verstärkte Aufsichtsauflagen1205) ausreichend Rechnung getragen werden.
3.
Nachteilsmeldepflicht gegenüber dem Insolvenzgericht
Jeden erkannten erheblichen Pflichtverstoß des Schuldners oder des Sachwalters 566 sowie jeden sonstigen nachteilsindizierenden Umstand müssen die Mitglieder des Gläubigerausschusses unverzüglich dem Insolvenzgericht melden.1206) Einer besonderen Analogie zur Nachteilsmeldepflicht des Sachwalters (§ 274 Abs. 3 InsO) bedarf es nicht, weil diese Pflicht letztlich nur eine zwingende Konsequenz der allgemeinen Aufsichtsfunktion ist. Die Grenze zwischen geringfügigen und erhebli___________ 1204) Vgl. für den Insolvenzverwalter BGH, Beschl. v. 21.3.2013 – IX ZR 109/10, ZIP 2013, 1235 Rn. 3 = ZInsO 2013, 986: „Deshalb sind Verstöße vom Gläubigerausschuss zu rügen und, wenn kurzfristige Abhilfe unterbleibt, an das Insolvenzgericht mit Antrag auf Amtsenthebung des Verwalters zu berichten.“ Ebenso BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 337 Rn. 29 = NZI 2015, 166, 169 (m. zust. Anm. Kühne) = ZIP 2014, 2242. Siehe auch oben Kapitel 2 H., Rn. 144 ff. 1205) Siehe oben Kapitel 3 H. X. 1., Rn. 297 f. 1206) Ebenso zur Fremdverwaltung BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 337 Rn. 29 a. E. = NZI 2015, 166, 169 (m. zust. Anm. Kühne) = ZIP 2014, 2242; Ampferl/ Kilper, ZIP 2015, 553, 559; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 1. Zur Nachteilsmeldepflicht vgl. Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff.
255
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
chen Verstößen oder Missständen auf Seiten der Insolvenzverwaltung ist jedenfalls dann überschritten, wenn das Fehlverhalten sich dem äußeren Anschein nach als vorsätzlich oder grob fahrlässig darstellt und damit eine erhöhte Wiederholungsgefahr besteht1207) oder wenn der Sachverhalt aus anderen Gründen, etwa wegen der Höhe des drohenden Schadens, aus der Sicht eines pflichtbewusst arbeitenden Gläubigerausschusses als Zeichen genereller Unzuverlässigkeit der Verwaltungsträger gewertet werden muss; in einem solchen Fall ist stets ein Einschreiten des Insolvenzgerichts im Rahmen seiner Rechtsaufsicht angezeigt.1208)
567 Aber auch auf den ersten Blick geringfügigere Pflichtverletzungen der Träger der Insolvenzverwaltung sind dem Insolvenzgericht unverzüglich und umfassend mitzuteilen, wenn sie wiederholt begangen werden.1209) Sie können als Ausdruck genereller Eigenmächtigkeit oder Pflichtvergessenheit ebenfalls ein erheblicher nachteilsindizierender Umstand sein. Das Insolvenzgericht ist nur dann in der Lage, seiner Aufsichtsfunktion (§ 58 InsO) wirkungsvoll nachzukommen, wenn ihm derartige Pflichtverletzungen bekannt werden. Die Mitteilung an das Gericht kann zugleich mit der Anregung verbunden werden, zu den gemeldeten Sachverhalten eigene Ermittlungen anzustellen (§ 5 Abs. 1, § 4 InsO), und von Amts wegen weitere Schritte zu unternehmen.1210)
4.
Information des Sachwalters und Anregung zur Übernahme der Kassenführung
568 In dem eigenverwaltungsspezifischen System der Mehrfachaufsicht von Sachwalter und Gläubigerausschuss1211) ist es unabdingbar, dass sich die Akteure der Überwachung durch gegenseitige Information unterstützen, wenn dies dem Interesse der Gläubigergesamtheit förderlich ist. Diese Kommunikation ist Teil der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihres Überwachungsauftrags. Auch die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind also gegenüber dem Sachwalter zur Information über ihnen bekannt gewordene gläubigerbenachteiligende Umstände verpflichtet. Zwar ist in der Regel anzunehmen, dass der Sachwalter einen besseren und aktuelleren Kenntnisstand als der Gläubigerausschuss hat, da er in das Tagesgeschäft und die Ab___________ 1207) Kapitel 2 D. VII., Rn. 79 f. 1208) Schnieders/Göb/Boddenberg, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 70; Ampferl/Kilper, ZIP 2015, 553, 559; siehe zur Rechtsaufsicht des Insolvenzgerichtes über Schuldner und Sachwalter Kapitel 2 H., Rn. 144 ff. 1209) Für die Fremdverwaltung vgl. dazu BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 337 Rn. 29 = NZI 2015, 166, 169 (m. zust. Anm. Kühne) = ZIP 2014, 2242; Schnieders/ Göb/Boddenberg, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 70. Ähnlich bereits Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 88 Rn. 1.: „festgestellte Verfehlungen [sind vom Gläubigerausschuss] dem Konkursgericht mitzuteilen.“ 1210) Siehe unten Kapitel 4 G. III. 6., Rn. 572 ff. 1211) Siehe oben Kapitel 4 B. III., Rn. 319 ff.
256
G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen
wicklung von Vertragsverhältnissen eingebunden ist (§§ 275 Abs. 1, §§ 279, 282 InsO). Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass der Gläubigerausschuss oder einzelne Mitglieder über Informationen verfügen, die der Sachwalter (noch) nicht besitzt, die aber für seine Aufsicht über den Schuldner oder für seinen originären Aufgabenbereich von Bedeutung sind. Dies gilt im Übrigen nicht nur für nachteilsindizierende Umstände, sondern auch für positive, die Verwertung der Masse fördernde Informationen, die etwa anfechtungs- oder haftungsrechtlich bedeutsame Sachverhalte (§ 280 InsO) betreffen. Kommt der Gläubigerausschuss zu der Einschätzung, die Übernahme der Kassen- 569 führung durch den Sachwalter (§ 275 Abs. 2 InsO) sei zweckmäßig oder als vorläufige Maßnahme bis zur Aufhebung der Eigenverwaltung dringend geboten, so hat er dies dem Sachwalter unverzüglich mitzuteilen oder mit ihm zu erörtern. Wenn die Übernahme unabweisbar notwendig ist, reduziert sich das pflichtgemäße Ermessen des Sachwalters auf Null.1212) Aber selbst in dieser Situation hat der Gläubigerausschuss ihm gegenüber kein explizites Weisungsrecht,1213) sondern hat, wenn der Sachwalter die Übernahme ablehnt oder verzögert, zur Umsetzung seiner Einschätzung nur die Möglichkeit, die Pflichtverletzung unverzüglich dem Insolvenzgericht zu melden. Die Meldung wird in einem solchen Fall regelmäßig mit dem Antrag auf Entlassung des Sachwalters zu verbinden sein (§ 274 Abs. 1, § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO).
5.
Sonstige Stellungnahmen, Voten und Anregungen einzelner Mitglieder
Weitere Instrumente des Gläubigerausschusses zur Verhinderung, Blockierung und 570 Beseitigung von Pflichtversäumnissen, Fehlentwicklungen oder sonstigen Missständen in der Amtsführung des Schuldners oder des Sachwalters sind Stellungnahmen, Voten und Anregungen gegenüber dem Insolvenzgericht. Teilweise sind sie gesetzlich vorgesehen (§ 270 Abs. 3, vgl. allgemein auch etwa § 66 Abs. 2, § 156 Abs. 2, § 214 Abs. 2, § 248 Abs. 2, § 248a Abs. 2 InsO), sie können jedoch auch in anderen Situationen geboten sein. Zielen solche Äußerungen auf eine Entscheidung oder ein Einschreiten des Insolvenzgerichts ab, so haben sie umso mehr Aussicht auf Erfolg, je substantiierter und überzeugender ihre Begründung und ihre Beweisgrundlagen sind.
___________ 1212) Siehe oben Kapitel 2 E. V. 1., Rn. 98 ff. sowie Kapitel 4 F. III., Rn. 452 ff.; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 275 Rn. 26; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 275 Rn. 7; Frind, ZInsO 2015, 22, 24. 1213) Hier gilt nichts anderes als im Verhältnis zum Insolvenzverwalter, vgl. Kapitel 3 D IV., Rn. 248.
257
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
571 Aus der Pflichtenstellung der Ausschussmitglieder (§ 69 Satz 1, § 71 InsO) ergibt sich auch das Recht jedes einzelnen von ihnen, sich unabhängig von ihrer Stellung als Gläubiger jederzeit mit Mitteilungen oder Anregungen an das Insolvenzgericht zu wenden. Mit Sachkunde, Augenmaß und kühlem Kopf verfasst,1214) sind solche Eingaben ein legitimes Instrument, mit dem sich Ausschussmitglieder einer überstimmten Minderheit bei Gericht Gehör verschaffen und mit der Kraft ihrer Informationen und Argumente den Gang des Verfahrens beeinflussen können. In Betracht kommen Anregungen zur Wahrnehmung aller Befugnisse, die dem Insolvenzgericht von Amts wegen zustehen. Neben Aufsichtsmaßnahmen gegenüber den Trägern der Insolvenzverwaltung gilt dies vor allem für die Einberufung der Gläubigerversammlung (§ 74 InsO), wenn im Gläubigerausschuss keine Mehrheit für einen förmlichen Einberufungsantrag nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO zustande kommt. Eine solche Situation kann zum Beispiel entstehen, wenn ein einzelnes Mitglied, ohne dass die Voraussetzungen des § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfüllt werden können, zu der Erkenntnis gelangt, die Eigenverwaltung müsse aufgehoben werden, die Mehrheit jedoch einen solchen Schritt, aus welchem Grund auch immer, ablehnt.1215)
6.
Anträge und Anregungen des Gläubigerausschusses
572 Die wirksamsten Reaktionsmöglichkeiten bestehen für den Gläubigerausschuss als Gremium dort, wo das Gesetz ihm eigene Antragsrechte einräumt. Mit ihrer Hilfe kann er zur Korrektur von Fehlentwicklungen entweder unmittelbar eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen oder mittelbar durch Antrag auf Einberufung der Gläubigerversammlung eine verbindliche Meinungs- und Willensbildung der Gläubigergesamtheit in Gang setzen.
a) Antrag auf Entlassung des Sachwalters 573 Der Gläubigerausschuss ist berechtigt, beim Insolvenzgericht die Entlassung des Sachwalters zu beantragen. Der Antrag ist begründet, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 274 Abs. 1 i. V. m. § 59 Abs. 1 Satz 1, 2 InsO), also ein Sachverhalt, der das Verbleiben des Sachwalters im Amt ausschließt, weil es unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des Amtsinhabers die Belange der Gesamtheit der Gläubiger und die Rechtmäßigkeit der Verfahrensabwicklung objektiv nach-
___________ 1214) Die Gefahr des Querulantentums von Einzelgängern ist allerdings nicht gänzlich zu vernachlässigen. Sie wird begrenzt durch die Unanfechtbarkeit richterlicher Entscheidungen, die ein Einschreiten des Insolvenzgerichts ablehnen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 InsO); ständige Rspr., vgl. etwa BGH, Beschl. v. 1.10.2002 – IX ZB 53/02, NJW 2003, 210 f. = NZI 2003, 31 f. = ZIP 2002, 2223; BGH, Beschl. v. 7.10.2010 – IX ZB 53/10, NZI 2010, 980 f.; BGH, Beschl. v. 16.12.2010 – IX ZB 238/09, ZInsO 2011, 131 f. Rn. 7. 1215) Oben Kapitel 2 J. IV. 1., Rn. 180 f.
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G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen
haltig beeinträchtigen würde.1216) Ist dies nach gewissenhafter, auf angemessener Information beruhender Einschätzung des Ausschusses1217) der Fall, so trifft seine Mitglieder zugleich die Pflicht (§ 1 Satz 1, § 69 InsO), anstelle bloßer Mitteilungen an das Insolvenzgericht unverzüglich einen Antrag auf Entlassung des Sachwalters zu stellen.1218) Der Beschluss (§ 72 InsO) ist schriftlich zu dokumentieren, aussagekräftig zu begründen und nach den Regeln über Verfahrenshandlungen des Ausschusses1219) beim Insolvenzgericht einzureichen. Ein wichtiger Grund, der stets die Entlassung aus dem Amt rechtfertigt, liegt ins- 574 besondere vor, wenn der Sachwalter sich im Verlauf des Verfahrens als ungeeignet im Sinne von § 56 Abs. 1, § 274 Abs. 1 InsO erweist.1220) Abgesehen von Fällen der fachlichen oder organisatorischen Inkompetenz ist das beispielsweise der Fall, wenn der Sachwalter nicht die gebotene Unabhängigkeit gegenüber dem Schuldner und dessen Beratern, Anteilsinhabern oder Organmitgliedern1221) oder gegenüber einzelnen Gläubigern1222) an den Tag legt, wenn er seiner Nachteilsmeldepflicht (§ 274 Abs. 3 InsO) nicht nachkommt oder wenn er eine sonstige Amtspflicht erheblich verletzt.1223) Auch jede Missachtung der Stellung des Gläubigerausschus___________ 1216) Ständige Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 8.12.2005 – IX ZB 308/04, NZI 2006, 158 f. Rn. 8 = ZIP 2006, 247; BGH, Beschl. v. 9.7.2009 – IX ZB 35/09, NZI 2009, 604 f. = ZInsO 2009, 1491; BGH, Beschl. v. 14.10.2010 – IX ZB 44/09, NZI 2010, 998 f. Rn. 9 = ZInsO 2010, 2147; BGH, Beschl. v. 17.3.2011 – IX ZB 192/10, NZI 2011, 282 f. Rn. 18 = ZIP 2011, 671; BGH, Beschl. v. 12.1.2012 – IX ZB 157/11, WM 2012, 280 Rn. 4; BGH, Beschl. v. 19.1.2012 – IX ZB 25/11, NZI 2012, 247 Rn. 8 = ZInsO 2012, 269; BGH, Beschl. v. 19.4.2012 – IX ZB 162/10, NZI 2012, 619 Rn. 21 = ZIP 2012, 1149; BGH, Beschl. v. 26.4.2012 – IX ZB 31/11, ZIP 2012, 1187 f. Rn. 10 = NJW-RR 2012, 953 f.; BGH, Beschl. v. 25.9.2014 – IX ZB 11/14, NZI 2015, 20 Rn. 7 = ZIP 2014, 2399. 1217) Vgl. Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 f. 1218) Zutr. Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 159. 1219) Siehe oben Kapitel 3 H. IX., Rn. 294 f.; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 59 Rn. 16. 1220) Siehe Kapitel 2 G., Rn. 110 ff. 1221) Vgl. Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169, Fn. 377 sowie Fn. 379; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56 Rn. 69 m. w. N.; siehe auch Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung, 2018, S. 12 = BT-Drucks. 19/4880, S. 18: „Jedenfalls sollte die hinreichende Unabhängigkeit des Sachwalters im Bestellungsvorgang gesichert sein. Dabei sind vor allem auch die systemischen Verknüpfungen und Anreizbeziehungen, die sich aus dem Beratereinfluss bei der Sachwalterauswahl ergeben, zu berücksichtigen. Es erscheint als ein Problem, dass nach dem geltenden Recht der Sachwalter als Überwachungsperson vielfach über die Berater des Schuldners entweder als mitgebrachter Sachwalter (§ 270b InsO) eingesetzt und jedenfalls auch außerhalb von § 270b InsO zumindest über eine Zusammenstellung des Gläubigerausschusses seine Wahl gesteuert werden kann (§ 274 InsO i. V. m. § 56a InsO).“ 1222) Vgl. AG Stendal, Beschl. v. 31.8.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 1875 f. = BeckRS 2012, 19830; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56 Rn. 95, 97; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270c Rn. 5; Ganter, ZIP 2013, 597, 604; Pape, ZIP 2013, 2285, 2287; ders., ZInsO 2013, 2129, 2132; a. A. Fölsing, ZInsO 2012, 2272, 2275. 1223) Allg. zu praktischen Gründen für eine Entlassung siehe Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 59 Rn. 10.
259
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
ses und seiner Rechte, insbesondere jener aus den §§ 276, 160 ff. i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO einschließlich der frühzeitigen Einbeziehung in Entscheidungsprozesse nach § 276a Satz 2, 3 InsO,1224) gehört in diesen Zusammenhang. Gleiches gilt, wenn der Sachwalter entsprechendes Fehlverhalten des Schuldners unterstützt oder duldet. Jedes Mitglied des Gläubigerausschusses muss sich darüber im Klaren sein, dass Heimlichkeit der Masseverwaltung Missbrauch und Missbrauch Ungeeignetheit bedeutet.1225)
b) Anregung eines Antrags auf Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts 575 Nach § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO kann das Insolvenzgericht anordnen, dass Verpflichtungs- oder Verfügungsgeschäfte des eigenverwaltenden Schuldners nur mit Zustimmung des Sachwalters wirksam sind. Im Unterschied zu den Beschränkungen der §§ 275, 276 InsO, welche die Einbeziehung des Sachwalters und des Gläubigerausschusses allein im Innenverhältnis regeln,1226) wirkt sich die gerichtliche Anordnung eines solchen Zustimmungsvorbehalts unmittelbar auf die Verfügungsbefugnis des Schuldners im Außenverhältnis gegenüber Dritten und damit auf die rechtliche Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts aus.1227) Sie kann daher ein effizientes Instrument zum Schutz der Gläubiger vor den spezifischen Gefahren der Eigenverwaltung sein, wenn der Vorbehalt nicht allzu kasuistisch formuliert ist und der Sachwalter seine Zustimmungsbefugnis pflichtbewusst wahrnimmt. Unter diesem Blickwinkel ist der Zustimmungsvorbehalt sogar als ein Mittel zur Steigerung der Akzeptanz der Eigenverwaltung bei den Gläubigern zu qualifizieren.1228)
576 Allerdings kann nach dem Wortlaut des Gesetzes eine solche Anordnung nur auf Antrag der Gläubigerversammlung oder auf Antrag eines absonderungsberechtigten Gläubigers oder eines Insolvenzgläubigers ergehen (§ 277 Abs. 1, 2 InsO), wenn glaubhaft gemacht wird, dass sie zum Schutz der Gläubiger unaufschiebbar erforderlich ist. Ein Antragsrecht des Sachwalters oder des Gläubigerausschusses1229) ist im Gesetz ebenso wenig ausdrücklich vorgesehen wie eine Anordnung des Gerichts von Amts wegen. Gewinnt der Gläubigerausschuss bei seiner Tätigkeit die Überzeugung, dass die Verfügungsbefugnis des Schuldners im Interesse der Gläu___________ 1224) Kapitel 4 F. V. 3., Rn. 482 f. und hiermit zusammenhängende Überwachungsmaßnahmen des Ausschusses. 1225) AG Potsdam, Beschl. v. 13.12.2012 – 35 IN 748/12, ZIP 2013, 181, 184 = BeckRS 2013, 01722; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270c Rn. 5: „Heimlichkeit ist Missbrauch, Missbrauch ist Ungeeignetheit.“ 1226) Siehe oben Kapitel 2 D. III., Rn. 72 f.; Kapitel 2 E. V. 1., Rn. 98. 1227) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 62, 225 zu § 277. 1228) AG Duisburg, Beschl. v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, NZI 2002, 556, 558, 560 = ZIP 2002, 1636, 1638, 1641; HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 277 Rn. 1; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 277 Rn. 3. 1229) Die abweichende Formulierung bei Mutzek, Kompetenzen, 2018, S. 28 (Gläubigerausschuss statt Gläubigerversammlung) beruht wohl nur auf einem Schreibfehler.
260
G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen
biger einer unmittelbar wirksamen Einschränkung i. S. d. § 277 InsO bedarf, so ist er darauf angewiesen, entweder über einen eigenen Antrag auf Einberufung der Gläubigerversammlung (§ 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO) einen das Gericht bindenden Antragsbeschluss der Gläubigergesamtheit herbeizuführen oder einen antragsberechtigten Gläubiger zur Stellung eines Antrags nach § 277 Abs. 2 InsO zu veranlassen. Aus der Grundpflicht des Ausschusses, Schaden von den Gläubigern abzuwenden,1230) sowie aus dem institutionellen Wissensvorsprung gegenüber der Gläubigergesamtheit ergibt sich in einer solchen Situation die Verpflichtung der Ausschussmitglieder, unverzüglich auf eine Antragstellung nach § 277 Abs. 2 InsO hinzuwirken und den Antragsteller im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach besten Kräften zu unterstützen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn nach den Erkenntnissen der Ausschussmitglieder 577 die Gefahr besteht, dass der Schuldner riskante Geschäfte abschließt oder sonstige Maßnahmen von zweifelhaftem Nutzen für die Masse durchführt, oder wenn sich im Laufe der Eigenverwaltung aufgrund der Erfahrungen mit dem Schuldner oder seinen Beratern prinzipielles Misstrauen aufgebaut hat. In aller Regel werden dem Ausschuss antragsberechtigte Gläubiger angehören (§ 67 Abs. 2 InsO). Solche Ausschussmitglieder dürften bei Bedarf unschwer in der Lage sein, aufgrund ihrer in den Ausschussberatungen oder durch Nachteilsanzeigen des Sachwalters gewonnenen Erkenntnisse1231) kurzfristig selbst einen zulässigen Antrag nach § 277 Abs. 2 InsO zu stellen. Auch Ausschussmitglieder, die keine antragsberechtigten Gläubiger sind (§ 67 Abs. 3 InsO), stehen üblicherweise in enger Beziehung zu einem solchen Gläubiger und können ihn zur Antragstellung veranlassen. Die Glaubhaftmachung der Anordnungsvoraussetzungen (§ 277 Abs. 2 Satz 2 InsO) kann nach den allgemeinen Regeln (§ 4 InsO, § 294 ZPO) jedenfalls auch durch eidesstattliche Versicherung des Ausschussmitglieds erfolgen. Der Antragsteller kann sich zur Glaubhaftmachung ferner auf konkret bezeichnete Bestandteile der Gerichtsakten beziehen, etwa auf aussagekräftige Mitteilungen des Sachwalters oder des Ausschusses.1232) Selbst seriöse Pressemeldungen kommen als geeignete Mittel der Glaubhaftmachung in Betracht.1233) ___________ 1230) Vgl. Kapitel 4 D. I., Rn. 341 ff., Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 1231) Siehe bereits Kapitel 3 H. VI., Rn. 284 f., Kapitel 4 D. I., Rn. 341 sowie Kapitel 4 G. II., Rn. 560 ff. 1232) Zur Glaubhaftmachung durch aktenkundige Verwalterberichte im Bereich der Restschuldbefreiung vgl. etwa BGH, Beschl. v. 7.12.2006 – IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96 f. Rn. 10; BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZB 183/07, NZI 2008, 623 Rn. 7 = ZInsO 2008, 920; BGH, Beschl. v. 8.1.2009 – IX ZB 73/08, NZI 2009, 253 Rn. 6 = ZInsO 2009, 395 f.; BGH, Beschl. v. 21.1.2010 – IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391 f. Rn. 10; BGH, Beschl. v. 30.6.2011 – IX ZB 169/10, NZI 2011, 641, 642 Rn. 5 = ZInsO 2011, 1471; BGH, Beschl. v. 26.1.2012 – IX ZB 51/10, juris Rn. 3 = BeckRS 2012, 03788. 1233) Vgl. etwa BGH, Urt. v. 15.11.1990 – IX ZR 92/90, WM 1991, 150, 151 f. = juris Rn. 8, 11; BGH, Urt. v. 22.11.1990 – IX ZR 103/90, ZIP 1991, 39 f. = DB 1991, 492; BGH, Beschl. v. 18.4.1996 – IX ZR 268/95 („Schneider-Konkurs“), ZIP 1996, 1015; BGH, Urt. v. 19.7.2001 – IX ZR 36/99, NZI 2001, 585 = ZIP 2001, 1641; BGH, Urt. v. 19.2.2009 – IX ZR 62/08, NZI 2009, 228, 230 Rn. 21 = ZIP 2009, 526; Frind, ZIP 2017, 993, 996.
261
Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
c)
Anregung eines Antrags auf Aufhebung der Eigenverwaltung
578 Ist aus der Sicht des Gläubigerausschusses durch die Eigenverwaltung der gesetzliche Verfahrenszweck ernstlich gefährdet, so ist er gehalten, ihre gerichtliche Aufhebung zu betreiben.1234) Ergänzend kann er zugleich die Entlassung des Sachwalters in die Wege leiten, wenn auch insoweit ein wichtiger Grund vorliegt.1235) Der Ausschuss ist jedoch schon wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen beider Anordnungen nicht an eine bestimmte Stufenfolge seines Einschreitens gebunden. Die Eignung eines Sachwalters für sein Amt ist etwas anderes als die Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung; deshalb kann der bisherige Sachwalter zum Insolvenzverwalter bestellt werden (§ 272 Abs. 3 InsO), wenn er weiterhin geeignet ist. Ähnlich wie die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts (§ 277 InsO) setzt nach dem Wortlaut des § 272 Abs. 1 InsO die gerichtliche Aufhebung der Eigenverwaltung einen Antrag der Gläubigerversammlung oder eines der dort genannten Gläubiger voraus. Der Gläubigerausschuss als Gremium ist nicht unmittelbar antragsberechtigt. Will der Ausschuss den Weg des § 272 InsO beschreiten, so ist er ebenso wie im Fall des § 277 InsO1236) darauf angewiesen, entweder über einen Antrag auf Einberufung der Gläubigerversammlung (§ 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO) einen Antragsbeschluss der Gläubigergesamtheit herbeizuführen oder einen antragsberechtigten Gläubiger zur Stellung eines Antrags nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu veranlassen. Auch hier folgt aus der allgemeinen Grundpflicht des Ausschusses, Schaden von den Gläubigern abzuwenden, sowie aus dem institutionellen Wissensvorsprung gegenüber der Gläubigergesamtheit die Verpflichtung der Ausschussmitglieder, unverzüglich auf eine Antragstellung nach § 272 Abs. 2 InsO hinzuwirken und den Antragsteller im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach besten Kräften zu unterstützen. Insoweit gilt nichts anderes als im Fall des § 277 InsO.
579 Anlässe für ein Tätigwerden des Gläubigerausschusses zur Aufhebung der Eigenverwaltung sind stets gegeben, wenn der Schuldner eine seiner Verwalterpflichten in nennenswerter Weise verletzt1237) oder ein sonstiger nachteilsindizierender Umstand vorliegt.1238) Praktisch relevant sind vor allem Fälle, in denen der Schuldner den Gläubigerausschuss nicht ordnungsgemäß informiert oder es sogar unterlässt, die vorgeschriebene Einwilligung des Ausschusses (§ 276 InsO) oder des Sachwalters (§§ 275, 276a, § 279 Satz 2, 3 InsO) einzuholen. Unabhängig davon, ob die Einwilligung für die Wirksamkeit einer Rechtshandlung erforderlich ist, verletzt der ___________ 1234) I. d. S. wohl auch MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 25; allg. Nerlich/ Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 69 Rn. 28; Fanselow/Kreplin, in: Regh/Fanselow/ Jakubowski/Kreplin, Arbeitsrecht in der Insolvenz, 2015, § 2 Rn. 178; Kühne, NZI 2015, 172 f.; Thole, in: FS Pannen, 2017, S. 731, 739. 1235) Dazu siehe Kapitel 4 G. III. 6. a), Rn. 573 f. 1236) Dazu siehe oben Kapitel 4 G. III. 6. b), Rn. 575 ff. 1237) Kapitel 2 D., Rn. 52 ff. 1238) Vgl. ausführlich Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff.
262
G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen
Schuldner bei einer solchen Eigenmächtigkeit immer eine wesentliche insolvenzspezifische Pflicht, weil er ein zum Schutz der Gläubiger geschaffenes Kontrollinstrument missachtet. Es ist daher verfehlt, die Mitwirkungsvorschriften, soweit sie nur im Innenverhältnis bedeutsam sind, rechtlich als bloßen Appell an die Kooperationsbereitschaft des Schuldners zu qualifizieren.1239) Die Erfahrung zeigt, dass die bloße interne, nicht konstitutive Bedeutung der Zustimmungserfordernisse nach den §§ 275, 276 InsO die Gläubiger in der Eigenverwaltung nicht hinreichend schützt.1240) Die entsprechende Geltung des § 164 InsO in der Eigenverwaltung (§ 276 Satz 2 InsO) ist letztlich ein in der gesetzlichen Konstruktion selbst angelegter permanenter nachteilsindizierender Umstand. Unerheblich ist, ob die Pflichtverletzung des Schuldners auf Vorsatz oder Fahrläs- 580 sigkeit, auf bewusster Missachtung der maßgebenden Rechtsnormen, auf fehlender Rechtskenntnis oder falscher Subsumtion oder auf unzureichender interner Organisation des Schuldners beruht. In jedem Fall belegt die Geringschätzung der Rechte des Gläubigerausschusses oder des Sachwalters, dass der Schuldner unzuverlässig und damit zur ordnungsgemäßen Führung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung nicht geeignet ist.1241) Selbst eine einmalige Pflichtverletzung dieser Art lässt bei Fortsetzung der Eigenverwaltung erhebliche Nachteile für die Gläubiger erwarten. Aber auch jenseits der Fälle, in denen unmittelbare Gefahr für die Gläubiger droht 581 und deshalb bereits der Antrag eines einzelnen Gläubigers nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfolgversprechend erscheint, kann der Gläubigerausschuss zu der Einschätzung gelangen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung nicht (mehr) dem Verfahrenszweck entspricht und damit nicht länger gerechtfertigt ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn dem Schuldner oder dessen Beratern das betriebswirtschaftliche Wissen, die geistige Beweglichkeit, das Gespür oder die sonstige Befähigung zur erfolgreichen Führung und Sanierung des Unternehmens fehlt.1242) In einem solchen Fall kann es – zur Versachlichung der Situation und zur Vermeidung künftiger Dolchstoßlegenden des Schuldners oder seiner Berater – sinnvoll sein, durch einen Einberufungsantrag des Gläubigerausschusses nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Gläubigerversammlung in die Abläufe zur Aufhebung der Eigenverwaltung einzubeziehen (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) und sie auf der Grundlage der bisherigen Überwachungsergebnisse von der Sinnhaftigkeit einer regulären professionellen externen Insolvenzverwaltung zu überzeugen. Die Gläubigerversammlung ist nach dem Willen des Gesetzes bei der Beschlussfassung über die Stellung eines Aufhebungsantrags ___________ 1239) So aber Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 237; Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 137 f. 1240) So zu Recht Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 81; ebenso Hügel, Eigenverwaltung, 2007, S 138 f. 1241) Siehe oben Kapitel 2 G. III. 2. a), Rn. 136. 1242) Vgl. zur entsprechenden Situation beim Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, 1926, 1927 f. = ZIP 1997, 883.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
Herrin des Verfahrens. Ihr Antragsbeschluss nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, abgesehen von der ordnungsgemäßen Einberufung und dem Erfordernis der Kopfund Summenmehrheit, nicht an rechtliche Voraussetzungen gebunden und kann nicht im Verfahren nach § 78 Abs. 1 InsO wegen Verstoßes gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger angefochten werden.1243) Es ist vielmehr allein Sache der Versammlung zu beurteilen, ob dem Schuldner die Fortführung oder Abwicklung seines Unternehmens oder eine Sanierung seiner Vermögensverhältnisse überlassen bleiben kann.1244) Ihr Aufhebungsantrag (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) muss gegenüber dem Gericht weder begründet werden noch irgendwelche sachlichen Kriterien erfüllen. Ist er ordnungsgemäß zustande gekommen, so hat das Gericht dem Antrag ohne Sachprüfung zu entsprechen und die Eigenverwaltung aufzuheben (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO).1245) Dieser Aufhebungsbeschluss des Gerichts ist anders als im Fall des Antrags eines einzelnen Gläubigers unanfechtbar (vgl. § 6 Abs. 1, § 272 Abs. 2 Satz 3 InsO).
582 Dass dem Gläubigerausschuss oder dem Sachwalter nach dem Gesetz kein Recht zur Stellung eines Aufhebungsantrags nach § 272 InsO oder zur Herbeiführung gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen nach § 277 InsO zusteht, erscheint innerhalb des gesetzlichen Modells der Eigenverwaltung wenig sinnvoll und wird rechtspolitisch zu Recht kritisiert.1246) Beide Institutionen, Gläubigerausschuss und Sachwalter, sind wie kein anderer Verfahrensbeteiligter ständig in den wirtschaftlichen Gang des Verfahrens eingebunden und noch am besten über alle maßgeblichen Umstände unterrichtet. Der gesetzliche Konstruktionsfehler wird durch die Möglichkeiten, auf indirektem Weg die Aufhebung der Eigenverwaltung zu erreichen, nur ungenügend ausgeglichen, zumal dieser Weg in aller Regel mit einer gläubigerbenachteiligenden Zeitverzögerung und damit auch einer frühzeitigen Alarmierung des Schuldners verbunden ist.
d) Anregung zur Aufhebung der Eigenverwaltung von Amts wegen 583 Die Meldepflichten des Ausschusses oder einzelner Mitglieder gegenüber dem Insolvenzgericht können mit Antragsrechten zusammenfallen. Die Meldungen sind ein Minus gegenüber dem Antrag. Sie können aber auch unabhängig von einem Antrag aufgrund ihres glaubhaften Inhalts für das Gericht Anlass sein, zur Sicherung ___________ 1243) BGH, Beschl. v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, NZI 2011, 760, 761 f. Rn. 4, 10 ff. = ZIP 2011, 1622. 1244) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 100. 1245) BGH, Beschl. v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, NZI 2011, 760, 761 f. Rn. 10 = ZIP 2011, 1622. 1246) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 50, 84 ff., 112, 114 = BT-Drucks. 19/4880, S. 90, 124 ff., 152, 154; Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2015, 2173, 2175 f.; Frind, ZIP 2017, 993, 999; Brinkmann (für das RWS-Forum ESUG-Evaluation), ZIP 2018, 2339, 2340 (Ziff. 1.4.3.). Bereits Grub, ZIP 1993, 393, 397 hielt die „Sachwaltung“ insgesamt für „rechtspolitisch verfehlt“.
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G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen
der Rechtmäßigkeit des Verfahrens von Amts wegen prüfend, beanstandend oder anordnend tätig zu werden (§ 5 Abs. 1, §§ 58, 270 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO).1247) Steht dem Meldenden kein eigenes Antragsrecht zu, so ist die Meldung gleichwohl sachdienlich, wenn das Gericht die Rechtsmacht hat, auch ohne Antrag einzuschreiten. Dies ist der Fall. Das Gericht ist befugt, nach pflichtgemäßem Ermessen jederzeit von Amts wegen eine Gläubigerversammlung mit einer dem Verfahrensstand entsprechenden Tagesordnung einzuberufen (§ 74 Abs. 1 Satz 1 InsO),1248) also auch zur Beschlussfassung über die Stellung eines Aufhebungsantrags nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Ein solches Vorgehen kommt insbesondere in Betracht, wenn sich im Gläubigerausschuss keine Mehrheit für einen Einberufungsantrag nach § 75 Abs. 1 Nr. 2 InsO findet, obwohl aus der (vorläufigen) Sicht des Gerichts die eingehenden Meldungen über den Verlauf der Eigenverwaltung das Schlimmste befürchten lassen.
aa) Zulässigkeit der Aufhebung der Eigenverwaltung von Amts wegen Das Gesetz sieht indessen in den §§ 270 – 285 InsO nicht ausdrücklich die Befug- 584 nis des Insolvenzgerichts vor, ohne Antrag die Anordnung der Eigenverwaltung von Amts wegen aufzuheben, wenn wie in den Fällen des § 59 InsO ein wichtiger Grund vorliegt. Dies wird wohl überwiegend als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers im Rahmen einer abschließenden Regelung des § 272 InsO angesehen, die trotz des damit verbundenen Gefahrenpotentials als Konsequenz der Gläubigerautonomie zu respektieren sei.1249) Nur vereinzelte Stimmen vertreten den Standpunkt, § 59 InsO sei über die Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den eigenverwaltenden Schuldner entsprechend anzuwenden.1250) Der Minderheitsmeinung ist zuzustimmen. § 59 InsO ist im Sinne des § 270 Abs. 1 585 Satz 2 InsO eine allgemeine Vorschrift über das Verhältnis zwischen Insolvenzgericht und Träger der Insolvenzverwaltung, die von den Bestimmungen des § 272 InsO nicht verdrängt wird. Die Regelungen der §§ 271, 272 InsO sind nicht als Sonder___________ 1247) Siehe oben Kapitel 2 H., Rn. 144 ff. 1248) BGH, Beschl. v. 9.6.2016 – IX ZB 21/15, NZI 2016, 684 f. Rn. 12 = ZIP 2016, 1351. 1249) Siehe etwa KPB-InsO/Pape, 48. EL. 04.2012, § 272 Rn. 32; Haarmeyer/Wutzke/Förster/ Buchalik, InsO, 2. Aufl. 2012, § 272 Rn. 13; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 272 Rn. 44 – 48 (der jedoch in Rn. 47 feststellt: „Es spricht in der Tat einiges dafür, dass es eine Fehlentscheidung des Gesetzgebers der InsO war, ein Tätigwerden des Gerichts von Amts wegen auszuschließen.“); BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 272 Rn. 3; im Grundsatz auch FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 272 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 272 Rn. 1; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 272 Rn. 1, jedoch kritisch („[…] was aber im schlimmsten Fall dazu führen kann, dass dem Schuldner drei Monate Zeit bleiben, die Masse auszuplündern“); Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 272 Rn. 15; Hofmann, Eigenverwaltung, 2006, S. 353. 1250) Hess, Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2013, § 272 Rn. 2; HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 272 Rn. 14; Koch, Eigenverwaltung, 1998, S. 76; Schlegel, Eigenverwaltung, 1999, S. 169.
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Kapitel 4 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des Gläubigerausschusses
vorschriften zu § 59 InsO, sondern in Parallele zu § 57 InsO und als Korrektiv zu § 270 InsO konzipiert. Dies ist durch die Anpassung der Mehrheitserfordernisse des § 271 InsO und des § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO an diejenigen des § 57 Satz 2 InsO durch das ESUG1251) nochmals bestätigt worden. Bei der Schaffung des § 59 InsO über die Entlassung des Insolvenzverwalters aus wichtigem Grund hatte der Gesetzgeber als Gegenbild die Regelung des § 84 Abs. 1 Satz 2 KO vor Augen, die eine gerichtliche Entlassung des Konkursverwalters von Amts wegen ausschließlich bis zu der auf seine Ernennung folgenden Gläubigerversammlung erlaubte.1252) Diese alte Rechtslage wurde als nicht sachgerecht empfunden, weil sie laut Begründung des Regierungsentwurfs1253) dazu führe, dass ein Konkursverwalter sogar bei schweren Pflichtverletzungen oder offensichtlicher Amtsunfähigkeit nicht sofort abberufen werden könne, sondern noch längere Zeit im Amt bleiben müsse, bis eine Gläubigerversammlung oder der Gläubigerausschuss die Entlassung beantrage. Die Bestimmung des § 59 InsO sehe deshalb, ebenso wie schon die Vergleichsordnung und die Gesamtvollstreckungsordnung, für das gesamte Verfahren eine Entlassungsbefugnis des Gerichts aus wichtigem Grund vor.
586 In den Gesetzgebungsmaterialien zur Eigenverwaltung wird die dem § 59 InsO zugrundeliegende Situation, dass ein wichtiger Grund vorliegt, der eine sofortige vollständige Aufhebung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des eigenverwaltenden Schuldners erfordert, nicht mehr erwähnt. Die Vorschriften des § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO und des § 277 Abs. 2 InsO über das Antragsrecht einzelner Gläubiger nähern sich zwar diesem Problem. Sie reichen jedoch in ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung nicht aus, um den Regelungsgehalt des § 59 InsO vollständig zu ersetzen. Dass der Gesetzgeber, der das besondere Gefährdungspotential der Eigenverwaltung sehr wohl kannte,1254) für den hier sehr viel wahrscheinlicheren Fall eines wichtigen Grundes bewusst eine gerichtliche Eingriffsmöglichkeit von Amts wegen zum sofortigen unerlässlichen Schutz der Gläubiger habe ausschließen wollen, ist nicht belegt. Die Begründung zu § 59 InsO zeigt vielmehr, dass eine solche Möglichkeit zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung unabhängig von deren Organisationsform für zwingend erforderlich gehalten wurde.
587 Über die Verweisung des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO ist deshalb § 59 InsO auf das Verhältnis zwischen dem Gericht und dem eigenverwaltenden Schuldner entspre___________ 1251) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 13, 41 f. zu Nr. 44, 45 (§§ 271, 272). 1252) § 84 Abs. 1 Satz 2 KO: „Es [das Konkursgericht] kann denselben [den Konkursverwalter] vor der auf seine Ernennung folgenden Gläubigerversammlung von Amts wegen, später nur auf Antrag der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses seines Amtes entlassen.“ 1253) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 128 zu § 70 (= § 59 InsO). 1254) Siehe oben Kapitel 2 J. I., Rn. 159 f. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222, Vorbem. zu §§ 331 ff. (= §§ 270 ff. InsO), S. 224 zu § 333 (= § 272 InsO); Bericht RA zum RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/7302, S. 185 zu § 331 (= § 270 InsO).
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G. Pflicht zur angemessenen Reaktion auf Pflichtverletzungen und sonstige Fehlentwicklungen
chend anzuwenden. Andernfalls wäre das Gericht, wenn ihm ein wichtiger Grund zur sofortigen Aufhebung der Eigenverwaltung bekannt wird, darauf angewiesen, entweder zunächst einzelne Gläubiger seiner Wahl zu informieren und sie zu einem Aufhebungsantrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu bewegen oder selbst von Amts wegen eine Gläubigerversammlung zur Erörterung und Stellung eines Antrags nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO einzuberufen. Die erste Variante ist als geradezu konspiratives Verhalten mit der verfahrensrechtlichen Position des Gerichts schwerlich zu vereinbaren, die zweite wird der Dringlichkeit der Ausgangslage nicht gerecht, die gerade wegen eines wichtigen Grundes ein kurzfristiges Eingreifen des Gerichts erfordert. Das Insolvenzgericht ist demnach aufgrund des § 59 Abs. 1 i. V. m. § 270 Abs. 1 588 Satz 2 InsO befugt, die Eigenverwaltung aus wichtigem Grund von Amts wegen aufzuheben. Ein solcher Grund besteht, wenn die Fortsetzung der Eigenverwaltung die Belange der Gesamtheit der Gläubiger und die Rechtmäßigkeit der Verfahrensabwicklung objektiv beeinträchtigen würde1255) und die Aufhebung so dringlich erscheint, dass eine Beschlussfassung der Gläubigerversammlung nach § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht abgewartet werden kann. Das Gericht muss also bei seiner Entscheidung erwägen, ob sein sofortiges Einschreiten geboten ist oder ob die Instrumente des § 272 InsO oder des § 277 InsO ausreichen, um Schaden von der Gläubigergesamtheit abzuwenden. Hierfür können auch taktische Überlegungen sprechen. Immerhin ist die Aufhebung der Eigenverwaltung auf Antrag einer Gläubigerversammlung (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) nicht mit einem ordentlichen Rechtsmittel anfechtbar (vgl. § 272 Abs. 2, § 6 Abs. 1 InsO); gleiches gilt für die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts nach § 277 InsO.
bb) Folgerungen für das Verhalten der Ausschussmitglieder Da das Insolvenzgericht unter den genannten Voraussetzungen zur Aufhebung der 589 Eigenverwaltung von Amts wegen befugt ist, obliegt es dem Gläubigerausschuss, ihm eine substantiierte Begründung zu übermitteln, wenn er eine solche sofortige Entscheidung für geboten hält. Darzulegen sind alle Umstände, die dafür sprechen, dass ein Abwarten bis zur Entscheidung der Versammlung zu erheblichen Nachteilen für die Gläubigergesamtheit führen würde. Dies kann isoliert geschehen oder mit einem hilfsweise gestellten Antrag auf Einberufung der Gläubigerversammlung nach § 75 Abs. 1 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO verbunden werden. Die gleiche Darlegung der Dringlichkeit obliegt einem Ausschussmitglied, das in seiner Eigenschaft als Gläubiger den Aufhebungsantrag nach § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO stellt oder als Nichtgläubiger einen solchen Antrag unterstützt. Eine umfassende Mitteilungspflicht als Ausfluss der Reaktionspflicht trifft im Übrigen jedes Ausschussmitglied, falls ihm der Aufhebungsantrag eines einzelnen Gläubigers bekannt wird. ___________ 1255) Vgl. die entsprechende Definition der Rechtsprechung zu § 59 InsO oben Kapitel 4 G. III. 6. a), Rn. 573 ff.
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Kapitel 5 Die besonderen eigenverwaltungsspezifischen Pflichten des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren Für das Insolvenzeröffnungsverfahren, also den Verfahrensabschnitt zwischen der 590 Stellung des Eröffnungsantrags und der gerichtlichen Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§§ 13 – 34, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), kennt die Insolvenzordnung im Zusammenhang mit der Eigenverwaltung zwei Varianten: die allgemeine vorläufige Eigenverwaltung nach § 270a InsO und das sog. Schutzschirmverfahren1256) nach § 270b InsO. Grundnorm ist § 270a InsO; sie gestattet dem Schuldner schon im Eröffnungsverfahren, die Vorteile der Eigenverwaltung zu nutzen. Diese erst durch das ESUG geschaffene Möglichkeit setzt neben einem Eröffnungs- 591 antrag (§ 13 InsO) einen Eigenverwaltungsantrag des Schuldners nach § 270 InsO voraus. Ist dieser Antrag nicht offensichtlich aussichtslos, so soll das Gericht auf die Anordnung vorläufiger Verfügungsbeschränkungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 InsO verzichten und stattdessen einen vorläufigen Sachwalter zur Aufsicht über den Schuldner bestellen (§ 270a Abs. 1 InsO), ohne dass dies zusätzlich beantragt werden muss. Das Gericht hat also bei jedem Eigenverwaltungsantrag von Amts wegen zugleich die Voraussetzungen des § 270a InsO zu prüfen. Ferner kann es in Abhängigkeit von den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, §§ 22a, 67 Abs. 2, §§ 69 – 73 InsO). Im spezielleren Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO erhält der Schuldner auf 592 besonderen Antrag (gewöhnlich als Schutzschirmantrag bezeichnet1257)) zusätzlich die vollstreckungsrechtlich gesicherte Gelegenheit, innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist von maximal drei Monaten im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung unter Aufsicht des vorläufigen Sachwalters einen Insolvenzplan zu erarbeiten. Des Weiteren kann der Schuldner in diesem Fall verlangen, durch besondere Anordnung des Insolvenzgerichts vor Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzelner ___________ 1256) So der allgemein übliche, wenn auch im Gesetzestext selbst nicht verwendete Begriff; vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 19, 40 f., 59 f., 70 f.; Ahrendt (FDP), BT-Plenarprotokoll 17/136 vom 27.10.2011, S. 16163; Lischka (SPD), ebd., S. 16164; WinkelmeierBecker (CDU/CSU), ebd., S. 16166; BGH, Beschl. v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, NZI 2013, 342 = ZIP 2013, 525; BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, BGHZ 210, 372 = NZI 2016, 779 = ZIP 2016, 1295; BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 247 Rn. 37, 44, 49, 76 = NZI 2016, 796, 797, 798, f., 801 = ZIP 2016, 1592; MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 13; Wimmer, Das neue Insolvenzrecht nach der ESUG-Reform, 2012, S. 25; Hirte/Knof/Mock, Insolvenzrecht, 2012, S. 53, 57; Kolmann, DB 2014, 1663. 1257) OLG Köln, Urt. v. 29.3.2017 – 2 U 45/16, juris Rn. 92 = BeckRS 2017, 145075 Rn. 56; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 4.7.2014 – 3f IN 260/14 Ft., ZIP 2014, 1746, 1747 f. = BeckRS 2014, 14510; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 14 – 20; Ganter, NZI 2012, 985, 986 ff.; Lang/Muschalle, NZI 2013, 953, 956; Westpfahl, NZI-Beilage 2018, 41, 42.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
Gläubiger geschützt (§ 270b Abs. 2 Satz 3 Hs. 2, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO, § 30d Abs. 4 Satz 2 ZVG) und zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt zu werden (§ 270b Abs. 3 InsO).
593 In der Praxis ist es üblich, dass der Schuldner die Anträge nach § 270 und § 270b InsO zeitgleich mit dem Eröffnungsantrag stellt. Für die weitere Untersuchung wird deshalb diese Lage zugrunde gelegt. Nicht behandelt werden selten auftretende Abläufe, beispielsweise Eröffnungsanträge von Gläubigern mit anschließendem Eröffnungs- und Eigenverwaltungsantrag des Schuldners oder der Übergang von einer regulären vorläufigen Insolvenzverwaltung nach § 21 Abs. 2, § 22 InsO in ein Eröffnungsverfahren nach § 270a oder § 270b InsO.
A. Behandlung von Anträgen und Personalvorschlägen der Beteiligten 594 Die vorläufige Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren können nach der abschließenden Regelung des § 270a Abs. 1 InsO bis zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nur auf Antrag des Schuldners, nicht aber auf Antrag sonstiger Verfahrensbeteiligter angeordnet werden. Denn die Eigenverwaltung kann nur Erfolg haben, wenn der Schuldner die ihm zufallenden Aufgaben mit uneingeschränkter innerer Zustimmung und vollem Einsatz erfüllt.1258) Materiell setzt die Anwendbarkeit der Regeln des § 270a Abs. 1 InsO über die vorläufige Eigenverwaltung voraus, dass der Antrag des Schuldners auf (endgültige) Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Dies ist der Fall, wenn kein nachteilsindizierender Umstand im Sinne des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO bekannt ist.1259) Allerdings ist das Insolvenzgericht stets verpflichtet, alles Notwendige zu unternehmen, um eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten (§ 21 Abs. 1 InsO).
595 Zu den vorläufigen Maßnahmen des Gerichts zählt die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 22a InsO).1260) Die Erfahrung lehrt, dass jede Variante der Eigenverwaltung wegen der mit ihr verbundenen Gefahren für die Gläubiger1261) von einem Gläubigerausschuss begleitet werden sollte, selbst wenn ein Fall vorliegt, in dem seine Einsetzung nicht obligatorisch vorgeschrieben ist.1262) Bei der personellen Zusammensetzung hat das Insolvenzgericht zu bedenken, dass den Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses schon im ___________ 1258) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 224. 1259) Siehe oben Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 1260) Zur Verfahrensweise und den notwendigen Amtsermittlungsmaßnahmen bei der Prüfung der Eignung potentieller Gläubigerausschussmitglieder siehe ausführlich unten Kapitel 7 C., Rn. 772 ff. sowie Hammes, ZIP 2017, 1505, 1506 ff.; siehe auch oben Kapitel 3 H. XI., Rn. 301; Kapitel 4 G., Rn. 556 ff. 1261) Siehe oben Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 1262) Siehe oben Kapitel 1, Rn. 14.
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A. Behandlung von Anträgen und Personalvorschlägen der Beteiligten
Eröffnungsverfahren sehr verantwortungsvolle Aufgaben übertragen sind (vgl. § 270 Abs. 3, § 274 Abs. 1, § 56a Abs. 2 InsO). Mit höchster Sorgfalt zu prüfen sind deshalb die Besetzungsvorschläge des Schuldners (§ 22a Abs. 2, 4 InsO), die zumeist auf Empfehlungen seines Beraters zurückgehen.1263) Das Gericht ist an solche Vorschläge nicht gebunden.1264) Sind dem Gericht andere geeignete Personen aus dem Kreis der Gläubiger bekannt, so ist es vorzugswürdig, diese zu Ausschussmitgliedern zu bestellen. In Betracht kommen in erster Linie Kreditinstitute, Kreditversicherungen und öffentlich-rechtliche Gläubiger (zum Beispiel Sozialversicherungsträger, die Bundesagentur für Arbeit, die Finanzverwaltung) sowie institutionelle Vertreter der Arbeitnehmer. Sie bieten eine höhere Gewähr für Unabhängigkeit und Beurteilungsvermögen als Personen, die der Schuldner unter dem Blickwinkel seiner eigenen Interessen selektiert hat. Dabei sollte das Gericht sich nicht scheuen, einen Sachverständigen damit zu beauftragen, kurzfristig die Vollständigkeit des Gläubigerverzeichnisses (§ 13 Abs. 1 Satz 3, 7 InsO) zu prüfen und Ermittlungen zu geeigneten Ausschussmitgliedern durchzuführen (§ 5 Abs. 1 InsO).1265) Liegen die Voraussetzungen für ein Schutzschirmverfahren vor, so kann der Schuld- 596 ner selbst einen vorläufigen Sachwalter vorschlagen, der vom Insolvenzgericht zu bestellen ist, sofern er für die Übernahme des Amtes nicht offensichtlich ungeeignet ist (§ 270b Abs. 2 Satz 1, 2 InsO). Eine Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei dieser Bestellung findet nicht statt. Die Mitwirkungsregelung des § 56a InsO ist nur in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung anzuwenden (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 56a InsO). Schlägt der Ausschuss hier einstimmig, also mit Zustimmung sämtlicher Mitglieder,1266) eine geeignete Person vor, so ist diese vom Insolvenzgericht zum vorläufigen Sachwalter zu bestellen (§ 56a Abs. 2 Satz 1 InsO). Die Instrumentalisierung des Gläubigerausschusses durch Sanierungsberater des 597 Schuldners beginnt in diesem frühen Verfahrensstadium. Vielfach versuchen Berater im Vorfeld der Antragstellung mit dem künftig zuständigen Insolvenzrichter Verbindung aufzunehmen, um Planungssicherheit hinsichtlich des vorläufigen Sachwalters und der Ausschussmitglieder zu erhalten.1267) Sie vertreten publizistisch teilweise offen die Ansicht, das Insolvenzgericht solle bereits in dieser Zeit in die Bildung eines „allseits konsentierten“, also im Einvernehmen mit dem Schuldner gebildeten Ausschusses einbezogen werden.1268) An dieser Verfahrensweise besteht ___________ 1263) 1264) 1265) 1266) 1267)
Dazu ausführlich oben Kapitel 2 J. III. 3., Rn. 172 ff. Auch hierzu siehe unten Kapitel 7 C., Rn. 772 ff. So bereits oben Kapitel 2 J. III. 3., Rn. 172 ff. sowie ausführlich unten Kapitel 7 C., Rn. 772 ff. Dazu oben Kapitel 3 H. IX., Rn. 294 f. Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 97 = BT-Drucks. 19/ 4880, S. 137. 1268) So allen Ernstes Haarmeyer/Buchalik, Der (vorläufige) Gläubigerausschuss, 4. Aufl. 2016, S. 25 a. E.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
kein schutzwürdiges rechtliches Interesse. Sie widerspricht der zentralen gesetzlichen Überwachungsaufgabe des Gläubigerausschusses nach § 69 InsO und bezweckt oft nichts anderes, als die Bestellung von Personen zu verhindern, die für eine unabhängige, von Nominierungs- und Belohnungsnetzwerken freie und am Gesetz orientierte Sachwalter- oder Ausschusstätigkeit bekannt sind. Unerheblich für die Besetzungsentscheidungen des Gerichts sind Erklärungen sog. präsumtiver vorläufiger Gläubigerausschüsse, Gläubigerbeiräte oder ähnlicher informeller Gläubigerzusammenkünfte,1269) die vom Sanierungsberater initiiert sind. Rechtlich gesehen handelt es sich um unverbindliche Anregungen mehrerer Gläubiger. Mit der Vorlage solcher Erklärungen wollen Berater häufig Zeitdruck auf das Insolvenzgericht ausüben oder ihm faktische Anreize bieten, angesichts der Arbeitsbelastung pflichtwidrig von Amtsermittlungen und einer eigenen Auswahl der Ausschussmitglieder abzusehen.1270)
598 Die Verantwortung für die Auswahl liegt jedoch in dieser frühen Phase des Verfahrens ausschließlich beim Gericht. Es hat den Ausschuss auf der Grundlage eigener Überzeugung und eigenen Ermessens mit geeigneten Personen repräsentativ zu besetzen (§ 67 Abs. 2 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO). Dabei ist auch die Vorläufigkeit des Gläubigerausschusses in diesem Verfahrensstadium von Bedeutung. Das Gericht muss den Ausschuss nicht unbedingt mit einem einzigen Beschluss vollständig besetzen, sondern kann ihn auch je nach seinem Wissensstand oder der sonstigen Entwicklung des Verfahrens personell ergänzen. Es kann jederzeit bis zur ersten Gläubigerversammlung eine Nachbesetzung vornehmen, wenn dies zweckmäßig erscheint,1271) um etwa die Repräsentativität oder die Sachkunde des Ausschusses zu erhöhen. Ein schutzwürdiges Interesse an einer konstanten Zusammensetzung haben weder die übrigen Ausschussmitglieder1272) noch der Schuldner oder einzelne Gläubiger. ___________ 1269) Vgl. hierzu Kapitel 2 J. III. 3., Rn. 172 ff.; zum sog. „präsumtiven “ oder „vor-vorläufigen Gläubigerausschuss“ siehe Nachweis in Fn. 387. 1270) Haarmeyer/Buchalik, Der (vorläufige) Gläubigerausschuss, 4. Aufl. 2016, S. 25. „Nur bei einem so vorbereiteten Antrag kann letztlich erwartet werden, dass die förmliche Einsetzung der Mitglieder des präsumtiven Ausschusses als vorläufiger Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren auch bereits am Tag der Antragstellung oder am Folgetag beschlossen wird.“ Vgl. auch Smid, ZInsO 2013, 209, 210, der behauptet, Ermittlungsmaßnahmen mancher Insolvenzgerichte seien dadurch bedingt, dass diese sich durch das ESUG „entmachtet und wesentlicher Kontroll-, aber auch Einflussbefugnisse beraubt fühlen.“ Tatsächlich waren die Amtsermittlungsmaßnahmen in dem von Smid, a. a. O. in Fn. 1 angegebenen Fall des AG Kleve (Beschl. v. 2.12.2012 – 34 IN 38/12) notwendig. Der vorläufige Sachwalter jedenfalls hatte nach den Erkenntnissen des Insolvenzgerichts seine Nachteilsmeldepflicht verletzt, was selbst in der Wirtschaftspresse aufgegriffen wurde (siehe Böhmer, Windige Wiederentdeckung, 2018, S. 21, 24 f.). 1271) LG Kleve, Beschl. v. 4.4.2013 í 4 T 32/13, NZI 2013, 599 = ZInsO 2013, 1037. Allg. für ein Nachbesetzungsrecht auch BeckOK InsO/Frind, 14. Ed. 26.4.2019, InsO § 67 Rn. 18c. 1272) So aber wohl Haarmeyer/Buchalik, Der (vorläufige) Gläubigerausschuss, 4. Aufl. 2016, S. 31.
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B. Stellung des vorläufigen Gläubigerausschusses in der vorläufigen Eigenverwaltung
B. Stellung des vorläufigen Gläubigerausschusses in der vorläufigen Eigenverwaltung Das Gesetz unterscheidet je nach Verfahrensphase zwischen dem gerichtlich einge- 599 setzten vorläufigen Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren und im eröffneten Verfahren (§ 21 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1a, § 67 Abs. 1 InsO) sowie dem von der Gläubigerversammlung gewählten endgültigen Gläubigerausschuss (§ 68 InsO). Wie sich aus dem Verweis des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO auf § 67 Abs. 2 InsO und die §§ 69 – 73 InsO ergibt, gelten für den Gläubigerausschuss und dessen Mitglieder stets dieselben Regeln. Da es sich um allgemeine Vorschriften im Sinne des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO handelt, ist auch in der Eigenverwaltung die rechtliche Stellung des vorläufigen Gläubigerausschusses grundsätzlich identisch mit der des endgültigen. Ausnahmen gelten jedoch, soweit dem vorläufigen Gläubigerausschuss in der vorläufigen Eigenverwaltung Sonderaufgaben obliegen, die im eröffneten Verfahren so nicht mehr existieren. Hierzu zählen das Votum zum Eigenverwaltungsantrag (§ 270 Abs. 3 InsO), die Mitwirkung bei der Auswahl des vorläufigen und endgültigen Sachwalters (§ 270a Abs. 1 Satz 2, 274 Abs. 1, § 56 Abs. 1, § 56a, § 21 Abs. 1 Nr. 1 InsO) sowie die Möglichkeit, die Aufhebung der Schutzschirmanordnung zu erreichen (§ 270b Abs. 4 InsO). Bedingt durch diese Sonderaufgaben und den oft erheblichen Zeitdruck im Eröff- 600 nungsverfahren, ist es für Wirksamkeit und Erfolg der Ausschusstätigkeit ausschlaggebend, dass bereits hier die entsprechenden Arbeitsgrundsätze1273) ernstgenommen werden. Erforderlich sind insbesondere die unverzügliche Konstituierung des Ausschusses, die Aufnahme der Überwachung sowie die schriftliche Niederlegung der Beschlüsse, in denen er sich gegenüber dem Gericht äußert.
C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages Zumeist haben die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses zu dem Zeit- 601 punkt, in dem sie dem Schuldner zur Überwachung und Unterstützung der vorläufigen Eigenverwaltung beigeordnet werden, keine oder nur geringe Kenntnisse über die Lage des Unternehmens, seine Sanierungsfähigkeit sowie die Kompetenz und Seriosität der Beteiligten. Zwar geschieht es nicht selten, dass Schuldner und Sanierungsberater über die Ausschussmitglieder ein Füllhorn von Präsentationen, Visionen, Informationen und Kalkulationen ausschütten. Der sachliche Gehalt derartiger Darbietungen ist jedoch häufig gering. Dahinter steckt die Absicht des Beraters, die Ausschussmitglieder von der Professionalität und den guten Erfolgsaussichten seiner Verfahrenskonzeption zu überzeugen, sie aber zugleich davon abzuhalten, die für die Eigenverwaltung entscheidenden Probleme zu analysieren und die richtigen Fragen zu stellen. Es ist deshalb in dieser Anfangsphase die vorrangige Auf___________ 1273) Siehe oben Kapitel 3 H., Rn. 274 ff.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
gabe der Ausschussmitglieder, sich unverzüglich in eigener Verantwortung die entscheidenden Informationen zu beschaffen und sie auswerten.
I.
Prüfung der Plausibilität des Eigenverwaltungsantrags
602 Die Tätigkeit des vorläufigen Gläubigerausschusses hat bei der Analyse und Bewertung der Anträge des Schuldners anzusetzen; sie sind vom Schuldner aufgrund seiner Auskunftspflicht1274) auch den Ausschussmitgliedern zur Verfügung zu stellen. Alle bei Gericht eingereichten Antragsunterlagen, der Eröffnungsantrag ebenso wie der Eigenverwaltungs- und gegebenenfalls der Schutzschirmantrag, sind aufmerksam zu studieren, um Lücken, Unrichtigkeiten oder Widersprüche sowie sonstige Hinweise auf nachteilsindizierende Umstände aufzudecken. Dies ist oftmals bereits auf der Grundlage der Antragsunterlagen möglich. Eine der notwendigen Bedingungen für die Eigenverwaltung ist nämlich, dass der Schuldner formal und inhaltlich richtige, vollständige und aussagekräftig begründete Anträge gestellt hat.1275) Einleuchtend und nachvollziehbar müssen auch die Angaben zu den Ursachen der Insolvenz sein. Hat der Schuldner mit seinen Anträgen ein Sanierungs-Grobkonzept vorgelegt, so muss der vorläufige Gläubigerausschuss sich umgehend eine Meinung bilden, ob das Konzept plausibel und für die Gläubiger akzeptabel ist.1276) Schon bei dieser ersten Auseinandersetzung mit der Aktenlage werden sachkundige Ausschussmitglieder beurteilen können, mit welcher Sorgfalt Schuldner und Berater arbeiten und ob sie ausreichend kompetent sind, ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung durchzuführen.
603 Da die Anträge Parteivortrag darstellen, müssen sie stets mit Aufmerksamkeit und Skepsis betrachtet werden. Zu Beginn der vorläufigen Eigenverwaltung stammen beinahe alle Informationen zur Lage des Schuldners aus dessen eigener Sphäre,1277) so dass die Startphase für die Ausschussmitglieder durch ein Höchstmaß an Unsicherheit geprägt ist. Bereits vom ersten Tag an müssen die Ausschussmitglieder sich der Tatsache bewusst sein, dass die Organisationsform der Eigenverwaltung mit besonderen Risiken und Nachteilen für die Gläubiger verbunden ist.1278) Daher ist der Austausch von Informationen mit dem Insolvenzgericht1279) und einem vertrauenswürdigen vorläufigen Sachwalter über die vom Schuldner gestellten Anträge essentiell für eine verfahrenszweckorientierte Tätigkeit des vorläufigen Gläubigerausschusses. ___________ 1274) Kapitel 3 C., Rn. 237 und Kapitel 3 D. III., Rn. 244 ff. 1275) Vgl. Rendels, in: FS Kübler, 2015, S. 577, 579; Häsemeyer, in: FS Schilken, 2015, S. 693, 695. 1276) Siehe oben Kapitel 4 F. II. 1., Rn. 414 ff. 1277) Siehe oben Kapitel 2 J., IV. 3., Rn. 196 ff. 1278) Siehe oben Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 1279) Siehe oben Kapitel 4 G. III. 3., Rn. 566 f.
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C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
1.
Inhaltliche Anforderungen an den Eigenverwaltungsantrag
Die Prüfungsmöglichkeiten des vorläufigen Gläubigerausschusses hängen von dem 604 sachlichen Gehalt und der Qualität der Anträge ab. Da in der Eigenverwaltung regelmäßig die Betriebsfortführung und Sanierung des Unternehmens angestrebt wird, reichen die allgemeinen Pflichtangaben des Eröffnungsantrags (§ 13 Abs. 1 InsO) nicht aus, um dem Gläubigerausschuss die zur Plausibilitätsprüfung notwendigen Informationen zu verschaffen. Begehrt der Schuldner die Anordnung der vorläufigen und endgültigen Eigenverwaltung (§ 270, § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO), so hat er den hierfür erforderlichen Antrag nach § 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO hinreichend zu begründen. Nach dem Wortlaut der Norm ist eine solche Begründung als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung zwar nicht ausdrücklich vorgesehen. Deshalb wird überwiegend die Auffassung vertreten,1280) eine besondere Begründung des Eigenverwaltungsantrages sei entbehrlich, weil nach der Gesetzesbegründung die schärferen Anforderungen des Rechts vor Inkrafttreten des ESUG hätten gelockert werden sollen und Unklarheiten über Nachteile für die Gläubiger nicht mehr zu Lasten des Schuldners gehen sollten. Das Gericht habe daher keine Prognose-, sondern eine Tatsachenentscheidung zu treffen.1281) Diese Ansicht überzeugt nicht.1282) Die Notwendigkeit der Begründung eines An- 605 trags, dessen Begründetheit an bestimmte Tatbestandsmerkmale gebunden ist, ergibt sich bereits aus allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen, wie sie etwa in § 253 Abs. 2 Nr. 2 und § 130 Nr. 3 ZPO i. V. m. § 4 InsO zum Ausdruck kommen.1283) Der Verweis in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auf die allgemeinen Vorschriften erstreckt sich auch auf das Eröffnungsverfahren.1284) Ein zulässiger Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung hat daher inhaltlich den Mindeststandards für Antragsschriften zu genügen.1285) Er muss eine substantiierte und nachvollziehbare Begründung dafür enthalten, dass der Schuldner abweichend vom Normalfall das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung durchführen will und hierdurch voraus___________ 1280) KPB-InsO/Pape, 49. EL. 04.2012, § 270 Rn. 90; MK-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, § 270 Rn. 24; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 43; BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270 Rn. 13; Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 146; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 10. 1281) KPB-InsO/Pape, 49. EL. 04.2012, § 270 Rn. 21, 90. 1282) Ebenso AG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, NZI 2014, 312 = ZIP 2014, 487 = NJW-Spezial 2014, 311 (m. zust. red. Anm.); Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Kapitel 2 Rn. 2043; Frind, WM 2014, 590, 595; Rendels, in: FS Kübler, 2015, S. 577, 579; Hammes, NZI 2017, 233, 236. 1283) Zur entsprechenden Geltung des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO im insolvenzgerichtlichen Verfahren vgl. insbesondere BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 = NZI 2003, 147 = ZIP 2003, 358. 1284) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 226 Rn. 16 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 33. 1285) Ebenso BAKinso, ZInsO 2013, 2549.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
sichtlich keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind. Andernfalls wären im Zeitpunkt der Antragstellung etwaige nachteilsindizierende Umstände im Sinne von § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO für das Gericht nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Die Eigenverwaltung stünde dann selbst Wirtschaftskriminellen zur freien Verfügung1286) und könnte zumindest im Eröffnungsverfahren auf Kosten der Gläubiger leichtfertig und geradezu experimentell eingesetzt werden.1287) Dies ist mit der Ordnungsfunktion eines staatlichen Zwangsvollstreckungsverfahrens nicht zu vereinbaren. Weder verfassungsrechtlich noch ökonomisch ist es zu rechtfertigen, den Weg in die vorläufige Eigenverwaltung begründungslos zuzulassen, obwohl jederzeit damit zu rechnen ist, dass kurze Zeit später aufgrund neuer Erkenntnisse ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit gesondertem Vergütungsanspruch bestellt werden muss.1288) Diese Gefahr ist hoch: Rund 40 % aller vorläufigen und eröffneten Eigenverwaltungen scheitern.1289) Schon deshalb müssen Eigenverwaltungsanträge „wohl vorbereitet“1290) und gegenüber dem Gericht ausreichend begründet sein.
606 Das notwendige Begründungsmaß ergibt sich aus § 270 Abs. 1 Satz 1, § 270a Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO. Es ist durch Sachvortrag darzulegen, dass die Eigenverwaltung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Aussicht auf Erfolg hat. Dieser Erfolg muss jedenfalls darin bestehen, dass die Fortführung des Unternehmens in der vorläufigen Eigenverwaltung nicht zu einer nachteiligen Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners führt. Ein ordnungsgemäß begründeter Eigenverwaltungsantrag hat somit zumindest Angaben darüber zu enthalten, auf welche Ursachen die Insolvenz aus der Sicht des Schuldners zurückzuführen ist1291) und welche wirtschaftliche Zielrichtung der Schuldner vor diesem Hintergrund mit der Eigenverwaltung verfolgt,1292) insbesondere, ob das Unternehmen fortgeführt oder liquidiert werden soll und ob es allein finanzwirtschaftlich saniert werden kann oder ob leistungswirtschaftliche Maßnahmen erforderlich sind. Der Verzicht auf gerichtliche Verfügungsbeschränkungen (§ 270a Abs. 1 InsO) setzt zudem voraus, dass der ___________ 1286) Beispielsfälle bei Frind, ZIP 2017, 933 ff. 1287) In diesem Sinne auch Frind, WM 2014, 590. 1288) Vgl. zu den Anforderungen an die gerichtliche Prüfung bei § 270a InsO Rendels, in: FS Kübler, 2015, S 577, 579. 1289) Moldenhauer/Wolf, BCG-Studie Fünf Jahre ESUG (März 2017), S. 9; ähnlich dies., BCGStudie Sechs Jahre ESUG (April 2018), S. 9; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUGEvaluierung, 2018, S. 113 = BT-Drucks. 19/4880, S. 153. – Buchalik, ZInsO 2019, 465, 469 interpretiert die BCG-Studie aus dem Jahr 2018 dahingehend, dass „nur knapp 40 % der beantragten Eigenverwaltungsverfahren erfolgreich“ seien. 1290) AG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, NZI 2014, 312 = ZIP 2014, 487 = NJW-Spezial 2014, 311 (m. zust. red. Anm.); wohl auch Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 10 Rn. 32; Frind, WM 2014, 590, 595; Rendels, in: FS Kübler, 2015, S. 577, 579. 1291) BAKinso, ZInsO 2013, 2549 (Nr. 2). 1292) BAKinso, ZInsO 2013, 2549 (Nr. 3); zur Zielrichtung des Verfahrens siehe oben Kapitel 4 D., Rn. 339 ff.
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C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
Schuldner zur Eigenverwaltung geeignet ist.1293) Im Antrag muss sich der Schuldner daher zwingend zur eigenen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Kompetenz1294) und derjenigen seiner Berater äußern. Ferner sind die vor der Antragstellung geschlossenen Beraterverträge einzureichen, damit die Sonderkosten der Eigenverwaltung abgeschätzt werden können.1295) Diese Informationen bieten dem vorläufigen Gläubigerausschuss allerdings nur eine 607 erste Orientierung. Entscheidenden Aufschluss über die Fortsetzungsfähigkeit des Unternehmens und die damit zusammenhängenden notwendigen Rechtshandlungen liefert erst eine integrierte Unternehmensplanung (Liquiditäts-, Vermögensund Ertragsplanung) sowie eine funktionierende Kosten- und Leistungsrechnung, je nach Größe und Komplexität des Unternehmens auch eine gestufte Deckungsbeitragsrechnung. Andernfalls bliebe es im Dunkeln, ob der Schuldner für mehr als nur ein konzeptionsloses „Weiter so“ steht, bei dem noch das restliche Vermögen verwirtschaftet wird.1296) Selbstverständlich sind detaillierte Angaben zum Unternehmensgegenstand, zur Vermögens- und Finanzlage sowie zur Unternehmensgröße nach § 13 Abs. 1 Satz 3 – 5, 7 InsO zu machen.1297) Ebenso sind bereits vorliegende Erkenntnisse zur Akzeptanz oder Ablehnung der angestrebten Eigenverwaltung auf Seiten der Gläubiger sowie frühere Eröffnungsanträge bei anderen Gerichten zu offenbaren.1298)
2.
Konkrete Prüfungs- und Handlungspflichten der Ausschussmitglieder in Bezug auf die Anträge des Schuldners
Jedes Mitglied eines vorläufigen Gläubigerausschusses ist verpflichtet, unmittelbar 608 nach der Annahme seines Amtes sämtliche bei Gericht gestellten Anträge und sonstigen Antragsunterlagen des Schuldners aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen und unter dem Blickwinkel der gesetzlichen Aufgaben des Ausschusses (§ 69 InsO) auszuwerten. Schon in der Anfangsphase der vorläufigen Eigenverwaltung haben die Ausschussmitglieder gemäß ihrer Grundpflicht, Nachteile für die Gläubiger abzuwenden, zu prüfen, ob die beantragte Eigenverwaltung mit den Interessen der ___________ 1293) Siehe oben Kapitel 2 G., Rn. 110 ff. 1294) AG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2013 – 67c IN 501/13, NZI 2014, 312 = ZIP 2014, 487 = NJW-Spezial 2014, 311 (m. zust. red. Anm.); Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Kapitel 2 Rn. 2020; BAKinso, ZInsO 2013, 2549 (Nr. 2); Frind, WM 2014, 590, 591, 596. 1295) Zu den Berater- und Insolvenzmanagementkosten siehe oben Kapitel 2 J. IV. 2. b), Rn. 190 ff.; Kapitel 4 D. 3., Rn. 359 ff.; BAKinso, ZInsO 2013, 2549 (Nr. 2); Laroche/ Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; Freudenberg, red. Anm. zu AG Freiburg, Beschl. v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, NJW-Spezial 2015, 407. 1296) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 zu Nr. 43 (§ 270b InsO). 1297) Frind, WM 2014, 590, 596; BAKinso, ZInsO 2013, 2549 (Nr. 2). 1298) BAKinso, ZInsO 2013, 2549 (Nr. 3); Doliwa, Geplante Insolvenz, 2012, S. 157; Haarmeyer, ZInsO 2013, 2345, 2347.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
Gläubiger vereinbar ist und welche Stellung sie gegenüber dem Gericht zu diesem Antrag einnehmen sollen (vgl. § 270 Abs. 3, § 69 Satz 1, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO). Dabei haben sie sich an der Regelung des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu orientieren, dass die Eigenverwaltung nur dann angeordnet werden darf, wenn keine nachteilsindizierenden Umstände bekannt sind. Derartige Hinweise können sich auch aus dem sonstigen Inhalt der Gerichtsakte ergeben; liegt ihr beispielsweise die Schutzschrift1299) eines Gläubigers bei, so hat sich der vorläufige Gläubigerausschuss mit ihrem Inhalt in eigener Verantwortung zu beschäftigen und ihn zu würdigen.
609 Vom Schuldner muss anlässlich der Antragstellung ferner verlangt werden, dass er dem Gericht und dem Gläubigerausschuss Auskunft darüber erteilt, ob und welche Vorgespräche er oder seine Berater mit dem vorläufigem Sachwalter (gleichgültig, ob förmlich „mitgebracht“ oder nicht) vor dessen Ernennung geführt und in welchen anderen Fällen sie mit ihm bereits zusammengearbeitet haben. Solche Informationen sind Voraussetzungen für eine sachgemäße Mitwirkung und Entscheidung des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 56a, § 274 Abs. 1 InsO. Falls der Schuldner eine natürliche Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist, sind auch Angaben darüber zu machen, ob und in welcher Höhe beabsichtigt ist, Mittel zur Lebensführung aus der Masse zu entnehmen (§ 278 InsO);1300) andernfalls ist ein Kostenvergleich zum Regelverfahren nicht möglich.
610 Offene Fragen haben die Ausschussmitglieder mit dem Schuldner, dem vorläufigen Sachwalter und dem gerichtlich eingesetzten Sachverständigen zu erörtern, weiterführende Unterlagen sind erforderlichenfalls anzufordern. Kommen widersprüchliche, unrealistische oder gar falsche Angaben in den Anträgen zum Vorschein, so sind diese Punkte durch Befragung des Schuldners unverzüglich zu klären. Verbleibende Unklarheiten sind ein Indiz für die mangelnde betriebswirtschaftliche oder organisatorische Eignung des Schuldners. Anschließend hat im Ausschuss eine Diskussion und Meinungsbildung darüber stattzufinden, ob die Eigenverwaltung die geeignete Organisationsform zur Bewältigung der Insolvenz darstellt oder ob wegen nachteilsindizierender Umstände zügig ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und Verfügungsbeschränkungen angeordnet werden sollten (§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 2, § 22 InsO). In diesem Zusammenhang ist von grundsätzlicher Bedeutung, ob die Ausschussmitglieder den Schuldner und Sanierungsberater sowie den vorläufigen Sachwalter als sachkundig und zuverlässig einschätzen, ob die Sanierung und Betriebs___________ 1299) Zur Abwehr von Eigenverwaltungsanordnungen sind sog. Schutzschriften, also vorbeugende Verteidigungsschriftsätze im Sinne von § 945a ZPO, gebräuchlich; vgl. dazu Laroche/ Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2163; Henkel, ZIP 2015, 562, 567; allg. Walker, in: FS Schilken, 2015, S. 815 ff.; ferner Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, zu Fallstudien Nr. 2 und 9, S. 115, 246 ff., 275 = BT-Drucks. 19/ 4880, S. 155, 286 ff., 315; Kunz/Weiß, ZIP 2019, 908 ff.; Reuter, INDat Report 2019 Nr. 5, 11 ff. (mit Muster), a. a. O. S. 16 f. auch zur Frage, ob die Einreichung im zentralen Schutzschriftenregister oder ausschließlich beim Insolvenzgericht zulässig ist. 1300) Siehe Kapitel 4 F XII, Rn. 533 ff.
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C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
fortführung unter dem Blickwinkel des Verfahrenszwecks (§ 1 InsO) realisierbar und finanzierbar ist und ob die Zahlenwerke des Schuldners auf einem ordnungsgemäßen Rechnungswesen beruhen und deshalb realistisch und tragfähig sind. Stehen dem Ausschuss zunächst keine aussagekräftigen Unterlagen zur Verfügung, 611 so sind diese unverzüglich und unter kurzer Fristsetzung anzufordern. Ist der Schuldner unter diesen Bedingungen zur Vorlage nicht in der Lage, so ist auch dies ein offensichtlicher nachteilsindizierender Umstand, der dem Insolvenzgericht sofort zu melden ist,1301) damit es über die Anordnung weitergehender Sicherungsmaßnahmen (§ 21 InsO) entscheiden kann.
3.
Prüfung der Kostenvergleichsrechnung
Für die Beurteilung der Anträge des Schuldners durch den vorläufigen Gläubiger- 612 ausschuss und das Gericht ist besonders bedeutsam, welche Kosten die Eigenverwaltung im Vergleich zu einem Verfahren in Fremdverwaltung voraussichtlich verursachen wird. Die Eigenverwaltung darf nur durchgeführt werden, wenn der mit ihr verbundene Aufwand im Vergleich zu dem Ergebnis einer Fremdverwaltung aus der Sicht der Gläubiger wirtschaftlich sinnvoll ist.1302) Nach überwiegender und zutreffender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist deshalb die Vorlage einer fundierten Vergleichsrechnung durch den Schuldner unerlässlich.1303) Oft ist sie in diesem frühen Verfahrensstadium der einzige Anhaltspunkt, der bereits jetzt erkennen lässt, ob bei Anordnung der Eigenverwaltung Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) und damit der Eigenverwaltungsantrag des Schuldners offensichtlich aussichtslos ist (§ 270a Abs. 1 Satz 1 InsO). Selbst wenn die Kosten nur annäherungsweise prognostiziert werden können,1304) ___________ 1301) Siehe oben Kapitel 4 G. III. 3., Rn. 566 ff. 1302) Vgl. allgemein Oberle, in: FS Wellensiek, 2011, S. 73. 1303) AG Hamburg, Beschl. v. 20.12.2013 – 67g IN 419/12 (Ls. 2), ZIP 2014, 237, 239 = ZInsO 2014, 569; AG Essen, Beschl. v. 3.2.2015 – 163 IN 14/15, ZIP 2015, 841 f. (m. abl. Anm. Kraus, EWiR 2015, 457 f.); AG Freiburg, Beschl. v 1.5.2015 í 58 IN 37/14, NZI 2015, 604 f. = ZIP 2015, 2238; AG Aachen, Beschl. v. 1.12.2017 – 92 IN 187/17, ZInsO 2018, 272 ff. (m. abl. Anm. Haarmeyer) = BeckRS 2017, 140125; HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 274 Rn. 20; Hofmann, Praxishandbuch, 2. Aufl. 2016, Rn. 36; Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 10 Rn. 48; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; Budnik, NZI 2014, 247, 249; Frind, NZI 2014, 937, 941; instruktiv Rendels, in: FS Kübler, 2015, 577, 581; 594; Henkel, ZIP 2015, 562, 564 (der die Aufstellung der Vergleichsrechnung durch einen Sachverständigen im Auftrag des Insolvenzgerichts befürwortet); Buchalik/Schröder/Ibershoff, ZInsO 2016, 1445; Hammes, NZI 2017, 233, 236 f.; Siemon, NZI 2018, 189 f. (auch zu den Gefahren falscher Vergleichsrechnungen). Anderer Ansicht BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270 Rn. 13.1 (Forderung nach einer „detaillierte(n)“ Vergleichsrechnung gehe zu weit), siehe dort jedoch Rn. 70 zu überzogenen Beratungskosten. 1304) Ebenso AG Freiburg, Beschl. v 1.5.2015 í 58 IN 37/14, NZI 2015, 604 = ZIP 2015, 2238 = NJW-Spezial 2015, 407 (m. zust. red. Anm. Freudenberg); Rendels, in: FS Kübler, 2015, 577, 582.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
ist die Vergleichsrechnung ein integraler Bestandteil jedes Eigenverwaltungsantrags.1305) Zweifel, ob das Insolvenzgericht oder der Gläubigerausschuss in der Lage ist, eine solche Rechnung bei Antragstellung sachgerecht zu prüfen,1306) sind unbegründet. Das Gericht darf und kann sich jederzeit der Unterstützung und Beratung eines Sachverständigen bedienen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 InsO). Für die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses stellt diese Prüfung keine größere Herausforderung dar als die gesamte weitere Begleitung des wirtschaftlichen Gangs des Insolvenzverfahrens.
613 Inhaltlich sind in der Vergleichsrechnung sämtliche zu erwartenden Kosten für beide Verfahrensvarianten mit realistischen Ansätzen aufgeschlüsselt und geordnet zu erfassen sowie transparent und übersichtlich einander gegenüberzustellen. Eigenverwaltungsspezifische Kosten, speziell solche für die Sanierungsberatung, die Rechtsberatung, den Sanierungsgeschäftsführer und das sonstige Insolvenzmanagement, sind wegen der Missbrauchsgefahr bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten1307) gesondert aufzuschlüsseln und mit Prämissen zur sachlichen Notwendigkeit, zum Zeitaufwand und zur Verfahrensdauer zu unterlegen.1308) Zur Plausibilisierung sind darüber hinaus alle bislang für Zwecke der Eigenverwaltung bereits angefallenen Sonderkosten einschließlich ihrer Berechnungsmodalitäten anzugeben und zu belegen, zum Beispiel solche für die Vorbereitung und Stellung des Eigenverwaltungs- und Schutzschirmantrages. Kosten, die sich auch in der Fremdverwaltung ergeben (sog. Sowieso-Kosten), sind offen auszuweisen. Qualitative Vorteile des Eigenverwaltungsmanagements dürfen nicht berücksichtigt werden, da sie angesichts der generellen Pflicht des Schuldners zur Unterstützung des Verwalters (§ 97 Abs. 2, § 101 InsO) jedenfalls in diesem Stadium des Verfahrens rein fiktiven Mutmaßungen beruhen und daher sachfremd sind. Tatsächlich werden sich aus der Eigenverwaltung nur ausnahmsweise seriös kalkulierbare (anderweitige) Vorteile ergeben, die höhere Kosten aufwiegen könnten.1309)
614 Ob die Vergleichsrechnung realistisch ist und die Beratungs- und sonstigen Managementkosten sich im Rahmen der Planung halten, haben die Ausschussmitglieder von Anfang an zu prüfen und im weiteren Verlauf des Verfahrens durchgängig zu ___________ 1305) Wohl auch Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; ferner Hammes, NZI 2017, 233, 236. 1306) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 74 = BT-Drucks. 19/4880, S. 114. 1307) Siehe oben Kapitel 2 J. IV. 2. b), Rn. 190 ff. 1308) Hier gilt nichts anderes als in der endgültigen Eigenverwaltung, siehe oben Kapitel 4 D., Rn. 339 ff. 1309) AG Aachen, Beschl. v. 1.12.2017 – 92 IN 187/17, BeckRS 2017, 140125 = ZInsO 2018, 272 ff. (m. abl. Anm. Haarmeyer); Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2162; Freudenberg, red. Anm. zu AG Freiburg, Beschl. v. 1.5.2015 – 58 IN 37/15, NJW-Spezial 2015, 407.
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C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
beobachten (§§ 1, 69 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO).1310) Bereits zu Beginn der vorläufigen Eigenverwaltung ist es erforderlich, die vom Schuldner geschlossenen Beraterverträge einzusehen und die Angemessenheit der Honorierung zu beurteilen.1311) Dabei ist von der mittlerweile weitgehend anerkannten Erkenntnis auszugehen, dass die Kosten des speziellen Insolvenzmanagements in der Eigenverwaltung kleinerer und mittlerer Unternehmen angesichts des geringen absoluten Werts der Insolvenzmassen überproportional hoch sind1312) und deshalb hier die Eigenverwaltung in aller Regel für die Gläubiger mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist.1313) Die Erkenntnisse zur Höhe der Verfahrenskosten sind spätestens für das Votum des 615 Ausschusses gegenüber dem Insolvenzgericht zur Frage der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 3 InsO) von entscheidender Bedeutung. Reicht der Sachverstand der Ausschussmitglieder oder des Insolvenzgerichts zu einer fundierten Prüfung nicht aus,1314) so hat der Ausschuss bei Gericht die Beauftragung eines Sachverständigen anzuregen (§ 5 Abs. 1 InsO). Dabei sind Besonderheiten zu berücksichtigen:1315) Der Wertansatz für die Insolvenzmasse kann in den Verfahrensvarianten unterschiedlich hoch sein, weil in der Eigenverwaltung beispielsweise keine Feststellungs- und nur geringere Verwertungskostenbeiträge beansprucht werden können (§ 282 Abs. 1 InsO).1316) Negativ schlagen bei der Eigenverwaltung vor allem die Kosten des Insolvenzmanagements zu Buche, also alle direkten und indirekten Aufwendungen, die der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen, wirtschaftlich und rechtlich kompetenten Eigenverwaltung dienen. Höhere Kosten werden in aller Regel auch für die Tätigkeit des Gläubigerausschusses zu veranschlagen sein, weil seine Mitglieder infolge der Doppelüberwachung von Schuldner und Sachwalter ein umfangreicheres Arbeitspensum zu bewältigen haben.1317)
II. Anhörung und Votum nach § 270 Abs. 3 InsO zur Frage der Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung Die wohl folgenreichste Aufgabe des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröff- 616 nungsverfahren obliegt ihm unmittelbar im Zusammenhang mit der gerichtlichen ___________ 1310) Siehe oben Kapitel 2 J. IV. 2. b), Rn. 190 ff.; Kapitel 4 E. III., Rn. 385 ff.; Kapitel 4 F. II. 3., Rn. 434 ff. 1311) BAKinso, ZInsO 2013, 2549 (Nr. 2); Rendels, in: FS Kübler, 2015, 577, 584. 1312) Siehe oben Kapitel 2 J. III., Rn. 164 ff. und Fn. 364 = S. 85; Kapitel 4 D. II. 3., Rn. 359 ff. sowie der Nachweis in Fn. 788 = S. 188. Speziell zur Kostenbelastung kleiner und mittlerer Unternehmen Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 391 a. E. 1313) Hofmann, Praxishandbuch Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 36; Klein/Thiele, ZInsO 2013, 2233, 2242; Frind, WM 2014, 590, 595; Wallner, ZIP 2015, 997, 999; Siemon, NZI 2018, 189 ff.; siehe auch oben Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff. 1314) So Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2166. 1315) Hierzu ausführlich Hammes, NZI 2017, 233, 237 ff. 1316) Siehe Kapitel 4 F. X., Rn. 510 ff. 1317) Hammes, NZI 2017, 233, 237 f.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung. Vor dieser Entscheidung hat das Gericht nach § 270 Abs. 3 InsO dem Ausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wird der Eigenverwaltungsantrag von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, so „gilt die Anordnung [der Eigenverwaltung] nicht als nachteilig für die Gläubiger“ (§ 270 Abs. 3 Satz 2 InsO). Durch diese Regelung werden der Ausschuss und jedes seiner Mitglieder in einen richterlichen Ermittlungs- und Entscheidungsprozess eingebunden, an dessen Ende die Antwort auf die Frage steht, ob die Anordnung der Eigenverwaltung aller Voraussicht nach zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Ob der vorläufige Gläubigerausschuss das Recht aus § 270 Abs. 3 InsO ausübt, liegt zwar in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Hinsichtlich des Inhalts der Stellungnahme sind die Ausschussmitglieder jedoch an den Maßstab des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO gebunden. Sie haben ein ablehnendes Votum abzugeben, wenn ihnen nachteilsindizierende Umstände1318) bekannt sind. Die Wertung, ob ein Umstand nachteilsindizierend ist, stellt keine Ermessensausübung dar, sondern ist ein Akt sorgfältiger persönlicher Überzeugungsbildung, den jedes Ausschussmitglied eigenverantwortlich (§ 71 InsO) zu vollziehen hat. Ausschussmitglieder, die gegenüber dem Gericht die Anordnung der Eigenverwaltung trotz erkennbarer Nachteile für die Gläubiger unterstützen, handeln pflichtwidrig.1319)
1.
Notwendigkeit vorausgehender Ermittlungen des Gerichts
617 Ob nachteilsindizierende Umstände im Sinne von § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO „bekannt“ sind, richtet sich nicht nach dem zufälligen Kenntnisstand des Insolvenzgerichts bei Einreichung des Eigenverwaltungsantrags, sondern nach dem Sachverhalt, den das Gericht nach Durchführung pflichtgemäßer Ermittlungen von Amts wegen bei Entscheidungsreife zu seiner Überzeugung feststellt. Zwar wird in der Literatur teilweise in Abrede gestellt, dass im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung überhaupt gerichtliche Ermittlungen zulässig und erforderlich seien.1320) Ein Anhaltspunkt im Gesetz oder ein sonstiger Grund für die Verdrängung des im gesamten insolvenzgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlungsgebots (§ 5 Abs. 1 InsO) wird jedoch nicht aufgezeigt. Er existiert nicht1321)
___________ 1318) Siehe oben Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 1319) Pape/Schultz, ZIP 2016, 506, 512. 1320) So wohl Hölzle, ZIP 2012, 158, 159; Smid, ZInsO 2013, 209, 210 ff.; Berner/Köster/ Lambrecht, NZI 2018, 425, 426; Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 181 (der Richter habe allein auf der Basis eigener Sachkunde zu prüfen, ob Nachteile vorliegen). 1321) Ebenso Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 392; Hofmann, NZI 2010, 798 und in Fn. 7; Frind, ZInsO 2012, 1546, 1552; Wuschek, ZInsO 2012, 110, 113; Knop, Amtshaftungsansprüche, 2015, S. 171 f.; Henkel, ZIP 2015, 562, 569; vgl. auch Hammes, ZIP 2017, 1505, 1506.
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C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
und wäre auch mit der Funktion des Gerichts als Garant der Rechtmäßigkeit des Verfahrens1322) nicht vereinbar. Das Gesetz verlangt im Zusammenhang mit der Gefahr drohender Nachteile für 618 die Gläubiger (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) nämlich keine offenkundigen Umstände. Nur sie aber bedürfen nach § 291 ZPO, § 4 InsO keines Beweises und damit auch keiner gerichtlichen Ermittlungen.1323) Ein anderes Verständnis des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO würde zudem der Rechtswirklichkeit nicht gerecht. Liegt ein gesetzlicher Insolvenztatbestand (Eröffnungsgrund, §§ 16 – 19 InsO) vor oder wird er vom Schuldner behauptet, so spricht nach allgemeiner Erfahrung eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Schuldner nicht geeignet ist, seine Vermögensverhältnisse sicher, dauerhaft und ordnungsgemäß zu beherrschen und die Interessen seiner Gläubiger über seine eigenen zu stellen.1324) Darum ist der Gesetzgeber aus gutem Grund davon ausgegangen, dass das Insolvenzgericht vor der Anordnung der Eigenverwaltung drohende Beeinträchtigungen der Gläubigerinteressen zwingend zu prüfen hat.1325) Die Eigenverwaltung wird völlig zu Recht als eine besonders zu rechtfertigende Ausnahme für geeignete Fälle qualifiziert.1326) Die Aufklärung und Feststellung der nachteilsindizierenden Umstände (§ 270 Abs. 2 619 Nr. 2 InsO), also der im Einzelfall durch die Eigenverwaltung drohenden, über den insolvenzbedingten Schaden hinausgehenden Gefahren für die Gläubiger, darf vom Insolvenzgericht nicht allein auf die Angaben des Schuldners gestützt werden, sondern muss auf der Ausschöpfung aller zumutbaren Erkenntnisquellen beruhen.1327) Ein regelhaftes „Durchwinken“ von Eigenverwaltungsanträgen ohne gerichtliche Prü___________ Siehe hierzu Haarmeyer, in: FS Fischer, 2008, S. 193, 199 f., 202. Hammes, ZIP 2017, 1505, 1506. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222. Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 185 zu § 331 (= § 270 InsO); RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 zu Nr. 45 lit. a (Änderung des § 272 InsO). 1326) AG Hamburg, Beschl. v. 28.2.2014 – 67c IN 1/14, NZI 2014, 566, 567 = ZInsO 2014, 566; wohl auch MK-InsO/Ganter/Lohmann, 4. Aufl. 2019, § 1 Rn. 121; Frind, Praxishandbuch Privatinsolvenz, 2. Aufl. 2017, Rn. 1233; Graf-Schlicker, ZInsO 2013, 1765, 1767; Haarmeyer, ZInsO 2013, 2345; BAKinso, ZInsO 2013, 2549; Henkel, ZInsO 2015, 2477 f. 1327) Ebenso Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 69 f. = BTDrucks. 19/4880, S. 109 f.; siehe auch Vallender, ZInsO 2010, 1457, 1459; Hölzle, ZIP 2012, 158, 163 f. (befürwortet die Bestellung eines Sachverständigen parallel zum vorläufigen Sachwalter im Schutzschirmverfahren). – Seit dem 9.8.2019 liegt der RegE eines Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften vor, der durch Änderung des § 144 ZPO die Heranziehung von Sachverständigen im Zivilprozess erleichtern und intensivieren soll, um den Gerichten durch fachliche Beratung die erforderliche Sachkunde zur Erfassung komplexer Sachverhalte zu verschaffen (BR-Drucks. 366/19, S. 2, 14 f.: Art. 2 Nr. 6). Eine solche Änderung hätte über die Verweisung der §§ 4, 5 Abs. 1 Satz 2 InsO auch für das insolvenzgerichtliche Verfahren Bedeutung.
1322) 1323) 1324) 1325)
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
fung der Anordnungsvoraussetzungen wäre amtspflichtwidrig.1328) Die Verfügungsund Verwaltungsbefugnis über die Insolvenzmasse darf dem Schuldner angesichts der Eigentumsgarantie der Gläubiger (Art. 14 Abs. 1 GG) schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ohne vorbeugende, von klaren rechtlichen Kriterien bestimmte staatliche Kontrolle überlassen werden.1329) Entsprechendes gilt, wenn das Gericht über die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung entscheidet und hierbei die Prognose anzustellen hat, ob der Eigenverwaltungsantrag offensichtlich aussichtslos ist (§ 270a Abs. 1, § 270b Abs. 1 InsO).1330)
2.
Pflichten der Ausschussmitglieder im Zusammenhang mit gerichtlichen Ermittlungen
620 Demgemäß gilt das Amtsermittlungsgebot des § 5 Abs. 1 InsO uneingeschränkt auch im Zusammenhang des § 270 Abs. 2 Nr. 2 sowie der §§ 270a, 270b InsO.1331) Das Insolvenzgericht kann zur Sachaufklärung nicht nur einen Sachverständigen beauftragen,1332) sondern in jeder Phase des Verfahrens auch Mitglieder des Gläu___________ 1328) Zutr. AG Hamburg, Beschl. v. 28.2.2014 í 67c IN 1/14, NZI 2014, 566, 567 = ZInsO 2014, 566 ff.; Thiele, in: Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2018, Kap. 4 Rn. 40 f.; Knop, Amtshaftungsansprüche, 2015, S. 172; Frind, ZInsO 2018, 231, 238, 240. Unzutreffend und angesichts der ganz überwiegend fehlenden insolvenzrechtlichen Kenntnisse der Gläubiger praxisfern Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 186: „Das Gericht kann sich bei seiner Anordnung auf diese Fiktion der fehlenden Nachteiligkeit stützen. Ein Durchwinken bedeutet dies im Ergebnis schon deshalb nicht, da die zur Entscheidung Berufenen die Risiken einer Eigenverwaltung im Vorfeld schon im eigenen Interesse beurteilt haben.“ 1329) Siehe oben Kapitel 2 G. I., Rn. 112 ff.; Hammes, ZIP 2017, 1505, 1506. 1330) Frind, Praxishandbuch Privatinsolvenz, 2. Aufl. 2017, Rn. 1233; Hammes, ZIP 2017, 1505, 1506 f. 1331) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 zu § 331 (= § 270 InsO) für den Fall des Eröffnungsantrags eines Gläubigers, der dem Eigenverwaltungsantrag zustimmt; AG Hamburg, Beschl. v. 28.2.2014 í 67c IN 1/14, NZI 2014, 566, 567 = ZInsO 2014, 566 ff.; MK-InsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 16 Rn. 12 (Amtsermittlung nicht verwehrt); FK-InsO/ Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270a Rn. 18; Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 270 Rn. 20 (Berechtigung zur Amtsermittlung); HambK-InsR/Rüther, 7. Aufl. 2019, § 5 Rn. 8; Hofmann, Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 18, 20; grundsätzlich auch Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 176; Thiele, in: Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2018, Kap. 4 Rn. 40 f., 43, 46, 49; Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 392; Knop, Amtshaftungsansprüche, 2015, S. 171 f.; Frind, ZInsO 2011, 2249, 2260; ders. ZInsO 2018, 231, 240; Beth, ZInsO 2015, 369, 371, 375; Hammes, ZIP 2017, 1505, 1507; Kübler/Rendels, ZIP 2018, 1369, 1372 f. 1332) Zutr. Beth, ZInsO 2017, 152, 155, der die Heranziehung externen Sachverstands besonders bei ökonomischen Themen nahelegt. A. A. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 37; nicht stringent Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 176, 181 f., die den Richter selbst bei derartig komplexen Sachverhalten auf die eigene Sachkunde beschränken will (Rn. 181), andererseits die Bestellung eines mit dem vorläufigen Sachwalter identischen Sachverständigen als Regelfall betrachtet, jedoch die „bloße“ Beauftragung eines Sachverständigen als schädlich für die Betriebsfortführung ansieht (Rn. 182).
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C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
bigerausschusses um Auskünfte angehen oder als Zeugen vernehmen.1333) Die Regelung des § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO enthält insofern im Kern nichts anderes als eine spezielle Ausprägung der herkömmlichen insolvenzgerichtlichen Ermittlungsinstrumente. Die Initiative zur Anhörung des vorläufigen Gläubigerausschusses und zur Einho- 621 lung seines Votums nach § 270 Abs. 3 InsO sowie die Bestimmung ihres Zeitpunkts sind allein Sache des Gerichts. Dies folgt schon aus dem systematischen Verhältnis der beiden Sätze des § 270 Abs. 3 InsO zueinander. Der Ausschuss hat nicht die Befugnis, dem Gericht das Votum zu einem Zeitpunkt aufzudrängen, zu dem dessen Ermittlungen zum Vorliegen nachteilsindizierender Umstände noch nicht abgeschlossen sind. Erst recht kann der Ausschuss durch die vorzeitige Abgabe eines Votums zugunsten des Eigenverwaltungsantrags das Gericht nicht zwingen, seine Ermittlungen abzubrechen. Die Einholung der Stellungnahme des Ausschusses ist nur sinnvoll, wenn das Gericht und die Ausschussmitglieder zuvor von allen für die anstehende Entscheidung wesentlichen Umstände haben Kenntnis nehmen können. Eigene Erkenntnisse können und müssen die Ausschussmitglieder ebenfalls erst im Verlauf des Eröffnungsverfahrens sammeln. Daneben ergeben sich die wichtigsten Informationen aus dem Gutachten des gerichtlich beauftragten Insolvenzsachverständigen und den Berichten des vorläufigen Sachwalters. Die Anhörung einzuleiten, ist deshalb erst dann sachgerecht, wenn hierbei das Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen berücksichtigt werden kann.1334) Thema der Anhörung und des Votums ist nicht die bloße Frage, ob die Ausschuss- 622 mitglieder den Eigenverwaltungsantrag unterstützen. Wesentlich für die Bewertung des Votums sind vor allem die hierfür vorgetragenen Gründe. Die Ausschussmitglieder haben sich gegenüber dem Insolvenzgericht dezidiert dazu zu äußern, ob ihnen Umstände bekannt sind, die im Fall der Eigenverwaltung Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen. Eine solche Auskunft setzt voraus, dass jedes Ausschussmitglied sich Kenntnis darüber verschafft hat, welche Tatsachen als nachteilsindizierende Umstände in Betracht kommen können, und dass das Mitglied die Verhältnisse des Schuldners und sein Verhalten in der Krise aufmerksam beobachtet, geprüft und bewertet hat. Im Rahmen der Anhörung kann das Gericht mit Ausschussmitgliedern auch erörtern, auf welchen Informationsquellen ihr Votum basiert. Die Prüfungspflicht der Ausschussmitglieder nach § 270 Abs. 3 InsO hat keine geringere sachliche Reichweite als die des Gerichts nach § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO.1335)
___________ 1333) Ebenso wohl Hofmann, NZI 2010, 798, 799, der sogar die Befragung (weiterer) wesentlicher Gläubiger anrät. 1334) So bereits Hammes, ZIP 2017, 1505, 1509; wohl auch Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 9 Rn. 212. 1335) Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 126.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
3.
Pflichten bei der Anhörung und der Beschlussfassung nach § 270 Abs. 3 InsO
623 Der in § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO angesprochene Beschluss des Gläubigerausschusses über die Unterstützung des Eigenverwaltungsantrags ersetzt nicht die Anhörung der Ausschussmitglieder zu diesem Antrag nach Satz 1 der Vorschrift. Das folgt aus der Systematik des § 270 Abs. 3 InsO. Eine dem Insolvenzgericht aufgedrängte Stellungnahme ohne vorherige gerichtliche Anhörung aller Ausschussmitglieder ist rechtlich nicht maßgeblich. Diese Anhörung ist mehr als eine kollektive Stellungnahme durch Beschluss. Eine Anhörung des Ausschusses im Sinne von § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO ergibt nur dann einen verfahrensrechtlichen Sinn, wenn sie als Übermittlung von Informationen und rechtlichen Bewertungen zu einer für die Gläubigerinteressen maßgeblichen Frage verstanden wird. Sie gibt den Ausschussmitgliedern die Möglichkeit, sich mit den Ermittlungsergebnissen des Insolvenzgerichtes auseinanderzusetzen und sich auf der Grundlage aller verfügbaren Informationen eine begründete Meinung zu bilden.
624 Wegen der außergewöhnlich schwerwiegenden rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Votums nach § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO bedarf der erforderliche einstimmige Beschluss der ausdrücklichen Zustimmung sämtlicher Ausschussmitglieder; Stimmenthaltung oder Nichtteilnahme ist in diesem Zusammenhang als Ablehnung zu werten.1336) Die Antwort auf die Frage, ob den Gläubigern durch die Eigenverwaltung Nachteile drohen, ist für das gesamte weitere Verfahren fundamental. Dieser Bedeutung ihres Votums müssen sich alle Gläubigerausschussmitglieder bewusst sein. Sie sind deshalb nicht nur gehalten, bei ihrer Stellungnahme zum Wohl der gesamten Gläubigerschaft zu handeln, sondern auch verpflichtet, ihre Informationsgrundlagen für diese Erklärung sorgfältig zu ermitteln.1337) Sie haben in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen, auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der Handlungsalternativen abzuschätzen und den Risiken Rechnung zu tragen.1338)
4.
Rechtliche Bedeutung des einstimmigen Votums
625 Fasst der vorläufige Gläubigerausschuss den einstimmigen Unterstützungsbeschluss nach § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO, so „gilt“ die Anordnung der Eigenverwaltung „nicht als nachteilig für die Gläubiger“. ___________ 1336) Siehe Kapitel 3 H. IX., Rn. 295. 1337) Dazu siehe Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff. 1338) Anklänge an die Grundsätze über das unternehmerische Ermessen nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG („Business Judgment Rule“) sind nicht zufällig. Näheres dazu unten Kapitel 6 B., Rn. 723 ff. Konsequent und zutr. billigt Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 10 Rn. 38, dem Gericht in Missbrauchsfällen eine vom Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses abweichende Entscheidung zu, insbesondere bei offensichtlicher Vernachlässigung der Aufsichtspflicht der Ausschussmitglieder.
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C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
a) § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO als gesetzliche Vermutungsregelung Damit nimmt das Gesetz Bezug auf § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Nach der Vorstellung 626 des Gesetzgebers soll ein einstimmiger Beschluss zugunsten der Eigenverwaltung die Wirkung haben, dass das Gericht bei seiner Entscheidung über den Antrag des Schuldners zu unterstellen hat, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Die Voraussetzung des Abs. 2 Nr. 2 soll also als erfüllt gelten.1339) Gleichwohl statuiert das Gesetz in § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO keine gesetzliche Fiktion.1340) Bei einer Fiktion steht von vornherein fest, dass ein Tatbestand mit einem anderen gleichgestellt wird, obwohl beide in der Lebenswirklichkeit nicht übereinstimmen.1341) Dies ist bei der Aussage des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO nicht der Fall. In Verfahren, in denen der Gläubigerausschuss den einstimmigen Unterstützungsbeschluss fasst, ist es durchaus möglich, dass im Fall der Anordnung der Eigenverwaltung wirklich keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind. Die Regelung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO begründet vielmehr lediglich eine ge- 627 setzliche Vermutung.1342) Einer solchen Vermutung gegenüber ist nach § 292 ZPO, § 4 InsO der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt oder sich die Unwiderlegbarkeit im Wege der Auslegung, insbesondere der historischen, ergibt.1343) Im Fall des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO ist der Systematik der Norm und ihrer Entstehungsgeschichte mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass die Vermutung nicht widerleglich sein soll. Die Bestimmung über die Wirkung eines einstimmigen Unterstützungsbeschlusses ist ersichtlich als Ausnahme von der Regel des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO konzipiert; sie soll die dort festgelegte Entscheidungskompetenz des Gerichts einschränken. Könnte die Vermutung des Abs. 3 Satz 2 jederzeit durch die gerichtliche Feststellung eines nachteiligen Umstands nach Abs. 2 Nr. 2 widerlegt werden, so hätte sie keine eigenständige rechtliche Bedeutung.1344) ___________ 1339) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 39 zu Nr. 42 lit. b (Änderung des § 270 InsO); ähnlich ebd. S. 19 (Begründung, Allgemeiner Teil): „Unterstützt dieser [der vorläufige Gläubigerausschuss] einstimmig den Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung, so kann das Gericht den Antrag nicht als nachteilig für die Gläubiger ablehnen.“ 1340) So aber z. B. BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270 Rn. 38; wohl auch Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 9 Rn. 217; ferner Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 185 f.; Buchalik/Haarmeyer, Sanieren statt Liquidieren, 1. Aufl. 2012, S. 107; Pape, ZInsO 2018, 2725, 2727. 1341) Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, 10. Aufl. 2018, § 292 Rn. 2; Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289, 290: „Im Gegensatz zur Vermutung kann das, was fingiert wird, jedoch niemals der Fall sein.“ 1342) Hierzu bereits Hammes, ZIP 2017, 1505, 1511. 1343) Wieczorek/Schütze/Assmann, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 292 Rn. 9 m. w. N. zu § 39a Abs. 3 WpÜG in Fn. 21. 1344) Zum Vorstehenden bereits Hammes, ZIP 2017, 1505, 1511.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
b) Notwendigkeit einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO 628 Die unwiderlegliche gesetzliche Vermutung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO ist allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen einschränkend auszulegen und umfasst nicht die Eignung des Schuldners zu einer rechtlich einwandfreien Eigenverwaltung. Die Anordnung der Eigenverwaltung ist nichts anderes als eine besonders folgenreiche Auswahlentscheidung über die Person des Masseverwalters.1345) Angesichts der grundrechtlichen Eigentumsgarantie der Gläubiger (Art. 14 Abs. 1 GG), die nicht zur Disposition der Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses steht, darf, wie in Kapitel 2 dargestellt ist,1346) die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über die Insolvenzmasse vom Gericht keiner ersichtlich ungeeigneten Person übertragen werden. Dementsprechend darf das Gesetz das Gericht auch nicht anweisen, die Insolvenzverwaltung in Form der Eigenverwaltung aufgrund eines Votums des Gläubigerausschusses einer Person anzuvertrauen, von deren Ungeeignetheit zur gesetzmäßigen Amtsausübung das Gericht aufgrund seiner Prüfungen und Feststellungen überzeugt ist. Ein solches Verständnis des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO wäre wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG verfassungswidrig.1347)
629 Diese Rechtsfolge kann indessen durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO vermieden werden:1348)
630 Sind unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischer Auslegung und Normzweck unterschiedliche Deutungen einer einfachrechtlichen Vorschrift möglich, von denen eine als verfassungswidrig zu verwerfen wäre, zumindest eine hingegen zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist nach allgemeiner Auffassung der verfassungskonformen Interpretation der Vorrang einzuräumen. Grenzen einer solchen Auslegung ergeben sich allerdings aus den anerkannten Auslegungsmethoden. Deshalb kann ein Normverständnis, das im Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers steht, auch im Wege der verfassungskonformen Auslegung nicht begründet werden.1349) Das Er___________ 1345) Vgl. BGH, Beschl. v. 21.7.2011 – IX ZB 64/10, NZI 2011, 760, 762 Rn. 14 = ZIP 2011, 1622. 1346) Siehe Kapitel 2 G. I., Rn. 112 f. 1347) Diese Konsequenz zieht etwa Siemon, ZInsO 2011, 381, 385 unter Hinweis auf Art. 14 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG. 1348) Zum Folgenden siehe bereits Hammes, ZIP 2017, 1505, 1511; zust. Frind, ZInsO 2018, 231, 240. 1349) St. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa Beschl. v. 7.5.1953 – 1 BvL 104/52, BVerfGE 2, 266, 282; Beschl. v. 11.6.1958 – 1 BvL 149/52, BVerfGE 8, 28, 34; Beschl. v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83, BVerfGE 71, 81, 105; Beschl. v. 26.4.1994 – 1 BvR 1299/89, BVerfGE 90, 263, 275; Beschl. v. 27.3.2012 – 2 BvR 2258/09, BVerfGE 130, 372, 398 Rn. 73; Urt. v. 16.12.2014 – 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64, 93 f. Rn. 86; Beschl. v. 22.3.2018 – 2 BvR 780/16, BVerfGE 148, 69 ff. Rn. 150; BVerfG, Beschl. v. 6.6.2018 – 1 BvL 7/14, NJW 2018, 2542 = ZIP 2018, 1260, jeweils m. w. N.; Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289, 295; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. 2012, § 7 g., § 10 III. b.; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 6. Aufl. 2015, S. 59 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, Rn. 630 – 643.
288
C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
gebnis einer solchen Auslegung muss nicht nur vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt sein, sondern auch die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers wahren.1350) Die Regelung des § 270 Abs. 3 InsO erweist sich bei genauerer Analyse trotz ihres 631 scheinbar klaren Wortlauts als auslegungsbedürftig. Sie ist nämlich planwidrig lückenhaft, soweit es um die Berücksichtigung der Eignung des Schuldners zur rechtlich ordnungsgemäßen Eigenverwaltung geht. Außerhalb des § 270 InsO bestimmt das Gesetz in allen Fällen, in denen Organe der Gläubigerschaft an der Auswahl des Masseverwalters mitwirken, dass das Gericht die Eignung des Vorgeschlagenen für die Übernahme des Amtes eigenständig und unabhängig vom Votum der Gläubiger zu prüfen und zu beurteilen hat. Dies gilt insbesondere bei einstimmigen Vorschlägen des vorläufigen Gläubigerausschusses für das Amt des Insolvenzverwalters (§ 56a Abs. 2 Satz 1, § 57 Satz 3, § 21 Abs. 2 Nr. 1, § 270b Abs. 2 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO). Bei der Schaffung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO ist dieser Gesichtspunkt versehent- 632 lich aus dem Blickfeld des Gesetzgebers geraten. Die Norm ist im Zusammenhang mit den ebenfalls durch das ESUG eingefügten Bestimmungen des § 56a InsO zu sehen. Beide Vorschriften sollen dem gesetzgeberischen Ziel dienen, dem Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Masseverwalters, sei es ein externer Verwalter oder der Schuldner selbst, zu stärkerer Geltung zu verhelfen; zugleich sollen sie diesen Einfluss nach Möglichkeit bereits im Eröffnungsverfahren, zumindest aber bei Erlass des Eröffnungsbeschlusses wirksam werden lassen.1351) Für den Fall der Fremdverwaltung bestimmt deshalb § 56a Abs. 2 Satz 1 InsO, dass das Gericht bei der Bestellung des Insolvenzverwalters von einem einstimmigen Personalvorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses abweichen darf, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Das Gleiche gilt, wenn das Gericht aus besonderen Gründen den Ausschuss vor der Verwalterbestellung nicht angehört hat. In diesem Fall kann der Ausschuss nach § 56a Abs. 3 InsO in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zum Insolvenzverwalter wählen; die auch hier erforderliche förmliche Bestellung dieser Person kann das Gericht nach § 57 Satz 3 InsO ebenso wie nach einer Wahl durch die
___________ 1350) Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 11.6.1958 – 1 BvL 149/52, BVerfGE 8, 28, 34; Beschl. v. 11.6.1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 299 f.; Beschl. v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83, BVerfGE 71, 81, 105; Beschl. v. 3.6.1992 – 2 BvR 1041/88, BVerfGE 86, 288, 320; Beschl. v. 26.4.1994 – 1 BvR 1299/89, BVerfGE 90, 263, 275; Beschl. v. 19.9.2007 – 2 BvF 3/02, BVerfGE 119, 247, 274; Beschl. v. 27.3.2012 – 2 BvR 2258/09, BVerfGE 130, 372, 398 Rn. 73; Urt. v. 16.12.2014 – 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64, 93 f. Rn. 86; Beschl. v. 22.3.2018 – 2 BvR 780/16, BVerfGE 148, 69 ff. Rn. 150. 1351) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17 f. zu II 1 (Gläubigereinfluss stärken), S. 25 f. zu Art. 1 Nr. 8 (Änderung des § 56); Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 33 (zu § 21 Abs. 2), S. 34 f. (zu den §§ 56 und 56a neu).
289
Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
erste Gläubigerversammlung versagen, wenn der Gewählte für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist.1352)
633 An dieses Modell der frühzeitigen Gläubigerbeteiligung knüpft § 270 Abs. 3 InsO für den Bereich der Eigenverwaltung an. „Die Frage, ob die Gläubiger schon im Eröffnungsverfahren maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung über die Eigenverwaltung haben sollten,“ so heißt es in der Entwurfsbegründung,1353) „ähnelt der Frage nach dem Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters. Auch für die Eigenverwaltung sieht das Gesetz derzeit eine Entscheidung der Gläubigerversammlung vor, und auch in diesem Fall findet die Entscheidung in einem Verfahrensstadium statt, in dem sie zu spät kommt, um größere praktische Bedeutung zu gewinnen. Es ist deshalb geboten, den Zeitpunkt der Einflussnahme der Gläubiger in das Eröffnungsverfahren vorzuverlegen. Nur so kann der Gläubigerautonomie effektiv Geltung verschafft werden.“ Die Entwurfsbegründung erwähnt in diesem Zusammenhang des § 270 Abs. 3 InsO nicht, dass im Fall der Fremdverwaltung die Bindung des Gerichts an das einstimmige Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses nicht absolut ist, sondern bereits nach der Entwurfsfassung eines § 56 Abs. 3, des späteren § 56a Abs. 2 InsO,1354) durch die Pflicht des Gerichts ergänzt wird, in eigener Zuständigkeit die Eignung des Vorgeschlagenen zu prüfen und bei einem negativen Ausgang der Prüfung die Bestellung zu versagen. Statt dessen heißt es ohne Einschränkung: „Ein einstimmiger Beschluss des Ausschusses zugunsten der Eigenverwaltung hat die Wirkung, dass das Gericht bei seiner Entscheidung über den Antrag des Schuldners zu unterstellen hat, dass die Anordnung der Eigenverwaltung nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Die Voraussetzung des neu gefassten § 270 Absatz 2 Nummer 2 InsO-E gilt also als erfüllt.“
___________ 1352) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 26 zu Nr. 8 b (§ 56 Abs. 3 RegE = § 56a Abs. 2 InsO): „An einen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses, eine bestimmte Person zum Verwalter zu bestellen, soll das Gericht allerdings nur dann gebunden sein, wenn der Beschluss einstimmig gefasst worden ist, und auch dann nur, wenn der Vorschlag nicht in Widerspruch zu den Kriterien der Eignung des Verwalters nach § 56 Absatz 1 Satz 1 steht, die vorgeschlagene Person also für die Übernahme des Amtes im konkreten Fall nicht geeignet ist.“ 1353) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 39 zu Art. 1 Nr. 42 b (§ 270 Abs. 3). Ähnlich bereits ebd. S. 19 zu II 5: „Die Gläubiger sollen schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in die Entscheidung über die Eigenverwaltung einbezogen werden. Dies geschieht in entsprechender Weise wie bei der Auswahl des Insolvenzverwalters durch die Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses: Unterstützt dieser einstimmig den Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung, so kann das Gericht den Antrag nicht als nachteilig für die Gläubiger ablehnen.“ 1354) Vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 8 (Art. 1 Nr. 8, Änderung des § 56), S. 25 f.; Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 9, 34 f. (zu den §§ 56 und 56a neu).
290
C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
Dem haben sich der Rechtsausschuss und das Plenum des Bundestags in den weite- 634 ren Beratungen ohne ersichtliche nähere Erörterung angeschlossen.1355) Die Bindung des Gerichts an einstimmige Vorschläge des vorläufigen Gläubigerausschusses ist dabei ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Eignung des Insolvenzverwalters, insbesondere seiner Unabhängigkeit von Großgläubigern, diskutiert worden,1356) nicht aber im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Ermächtigung des Schuldners zur Eigenverwaltung. Gründe hierfür sind den parlamentarischen Materialien nicht zu entnehmen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber mit der Fassung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO bewusst von dem grundsätzlichen Vorbild der §§ 56a, 57 InsO hat abweichen wollen. Die Notwendigkeit einer entsprechenden und dokumentierten Begründung hätte sich jedoch geradezu aufgedrängt, wenn man ausschließlich im Fall der Eigenverwaltung dem vorläufigen Gläubigerausschuss ein uneingeschränktes und gerichtlich völlig unkontrolliertes Entscheidungsrecht zugunsten der Eigenverwaltung hätte verschaffen wollen. Auch dem Gesetzgeber war nämlich, wie er im Zusammenhang mit § 56a Abs. 3 InsO selbst formuliert hat,1357) bewusst, dass der vorläufige Gläubigerausschuss nur ein unvollkommenes Abbild der Gläubigergesamtheit darstellen kann und ihm im Vergleich zur Gläubigerversammlung nur eine eingeschränkte Legitimation zukommt. Dem Gesetzgeber ist, anders lässt sich der dokumentierte Ablauf der parlamentari- 635 schen Beratungen nicht erklären, augenscheinlich entgangen, dass auch bei der Eigenverwaltung die Frage der Eignung des Schuldners zur gesetzmäßigen Führung der Masseverwaltung von wesentlicher Bedeutung ist und dass sie aus verfassungsrechtlichen Gründen ebenso wie beim Insolvenzverwalter nicht allein durch ein einstimmiges Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses beantwortet werden darf. Ein klar erkennbar geäußerter Wille des Gesetzgebers, von dieser Vorgabe aus nachvollziehbaren Gründen bewusst abzuweichen, kann nicht festgestellt werden. Dass § 56a und § 270 Abs. 3 InsO im selben Gesetzgebungsvorgang eingefügt worden sind, schließt die Annahme einer planwidrigen Lücke nicht aus,1358) sondern bestätigt sie eher noch. ___________ 1355) Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 19, 30 – 35, 37; BT-Plenarprotokoll 17/136, Stenographischer Bericht v. 27.10.2011, 136. Sitzung (2. Lesung ESUG), S. 16162 – 16173. 1356) Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 30 f. (abgelehnte Anträge der Fraktionen der SPD und der Grünen); Abg. Ahrendt (FDP), BT-Plenarprotokoll 17/136, Stenographischer Bericht v. 27.10.2011, 136. Sitzung (2. Lesung ESUG), S. 16164 (A, B); Abg. Lischka (SPD), ebd., S. 16165 (A – C); Abg. Winkelmeier-Becker (CDU/CSU), ebd., S. 16166 (B, C); Abg. Hönlinger (Grüne), ebd., S. 16169 (B, C); Abg. Heider (CDU/CSU), ebd., S. 16170 (D); Abg. Egloff (SPD), ebd., S. 16171 (C, D). 1357) Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 35. 1358) So aber Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 58.
291
Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
636 Für die rechtliche Bedeutung des einstimmigen Unterstützungsvotums nach § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO kann deshalb nichts anderes gelten als für die übrigen Fälle der Gläubigerbeteiligung an einer gerichtlichen Entscheidung über die Person des Verwalters. Die Regelungslücke in § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO ist im Wege der Analogie zu den Bestimmungen des § 56a Abs. 2 Satz 1, § 57 Satz 3 InsO zu schließen.1359) Eine Analogie zu § 271 InsO, der bei der nachträglichen, von der Gläubigerversammlung beantragten Anordnung der Eigenverwaltung keine gerichtliche Überprüfung der Eignung des Schuldners vorsieht, ist dagegen nicht gerechtfertigt. Beschluss und Antrag der Gläubigerversammlung nach § 271 InsO haben nämlich eine wesentlich breitere Legitimationsgrundlage als der einstimmige Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses. Ihnen liegt die Kopf- und Summenmehrheit der Gläubigerversammlung zugrunde, an der alle Gläubiger teilnehmen und durch das Stimmrecht ihre Interessen frei artikulieren können. Einen derartigen Beschluss hat die Gläubigermehrheit uneingeschränkt selbst zu verantworten.1360) Für den einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses gilt dies nicht. Ebenso wenig kann die festgestellte Lücke in § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO mit dem Hinweis geschlossen werden, dass das Gericht jedenfalls die Eignung des Sachwalters vor dessen Bestellung zu prüfen habe (§ 274 Abs. 1, § 56a Abs. 2 Satz 1, § 57 Satz 3 InsO) und dieser den Schuldner beaufsichtige. In der Eigenverwaltung ist der Schuldner, wie bereits mehrfach angesprochen,1361) neben dem Sachwalter gleichrangiger Träger der Insolvenzverwaltung mit sehr weitgehenden Befugnissen. Die Aufsicht des Sachwalters kann weder rechtlich noch tatsächlich so streng und detailliert sein, dass sie die unbedingte Notwendigkeit einer präventiven gerichtlichen Überprüfung und Bestätigung der Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung ersetzt.
c)
Konsequenzen für die Rechtsanwendung des Gerichts
637 Die erforderliche Analogie zu den Bestimmungen des § 56a Abs. 2 Satz 1, § 57 Satz 3 InsO bedeutet im Fall des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO, dass das Gericht trotz eines einstimmigen Unterstützungsvotums des vorläufigen Gläubigerausschusses die Anordnung der Eigenverwaltung zu versagen hat, wenn der Schuldner zur rechtlich einwandfreien Eigenverwaltung nicht geeignet ist. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht allerdings zugleich den gesetzgeberischen Willen zu respektieren, dass dem vorläufigen Gläubigerausschuss, soweit irgend zulässig, maßgeblicher Einfluss auf die Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung eingeräumt werden soll. Es hat insbesondere zu berücksichtigen, dass die Grenzen zwischen der Ungeeignetheit des Schuldners zur rechtlich einwandfreien Eigenverwal___________ 1359) A. A. neben Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270 Rn. 58 auch Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 185 a. E. (ohne Begründung). 1360) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 134 zu § 89 (= § 78 InsO), ferner ebd. S. 79, 224 zu § 332 (= 271 InsO) sowie Huhn, Eigenverwaltung, 2003, Rn. 1116. 1361) Siehe etwa Kapitel 2 E. I., Rn. 85 f. sowie Kapitel 2 F., Rn. 108 f.
292
C. Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrages
tung und den sonstigen nachteilsindizierenden Umständen – jedenfalls beim heutigen, noch immer sehr vorläufigen Stand der inhaltlichen Klärung dieser Begriffe durch die Rechtsprechung – fließend sind.1362) Das Gericht muss auch hier die grundsätzliche Aufgabenverteilung beachten, die bei der Aufsicht über die Träger der Insolvenzverwaltung zwischen ihm und dem Gläubigerausschuss eingreift. Sache des Gerichts ist es, die Rechtmäßigkeit des Verfahrens sicherzustellen; dem Gläubigerausschuss obliegt es, sein Augenmerk auf die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Masseverwaltung im Interesse der Gläubigergesamtheit zu richten. Das Gericht darf deshalb im Fall des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO die Ablehnung der 638 Eigenverwaltung wegen Ungeeignetheit des Schuldners nur auf solche nachteilsindizierenden Umstände stützen, die erwarten lassen, dass der Schuldner die rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Mindestanforderungen an eine gesetzmäßige Masseverwaltung nicht erfüllen wird.1363) Hierzu gehören beispielsweise
jeder ersichtliche Mangel an Gesetzestreue auf Seiten des Schuldners,
die organisatorische oder verfahrensmäßige Unzuverlässigkeit des Schuldners,
die rechtliche Inkompetenz des Schuldners und seiner Berater oder die Abhängigkeit des Schuldners von unzuverlässigen oder sonst ungeeigneten Beratern,
jedes unaufrichtige, manipulatorische Verhalten im Zusammenhang mit der Antragstellung oder anderen verfahrensrechtlichen Vorgängen,1364)
___________ 1362) Siehe Kapitel 2 G. III. 2., Rn. 135 ff. sowie Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 1363) Diese Differenzierung zwischen Erfahrung und Sachkunde einerseits sowie verfahrensrechtlicher Zuverlässigkeit andererseits liegt auch der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates über Restrukturierung und Insolvenz vom 20.6.2019 (ABl. L 172 vom 26.6.2019, S. 18) zugrunde, die in ihrem Titel IV (Art. 25 – 28) auch allgemeine Vorgaben für die nationalen Rechtsordnungen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren enthält. So heißt es im Zusammenhang mit Ausbildung, Erfahrung und Sachkunde der in solchen Verfahren bestellten Verwalter (Art. 26) in den Gründen (Nr. 88): „Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, vorzuschreiben, dass Verwalter von einem Schuldner, von Gläubigern oder von einem Gläubigerausschuss aus einer Liste oder aus einem Pool, die beziehungsweise der von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde zuvor gebilligt wurde, ausgewählt werden. Dem Schuldner, den Gläubigern oder dem Gläubigerausschuss könnte bei der Auswahl eines Verwalters ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Sachkunde und der allgemeinen Erfahrung sowie den Anforderungen des betreffenden Falls gewährt werden. Schuldner, bei denen es sich um natürliche Personen handelt, könnten ganz von dieser Pflicht ausgenommen werden.“ – Der Sinn des letzten zitierten Satzes mag sprachlich recht dunkel sein. Gleichwohl soll mit dem Hinweis auf einen „Ermessensspielraum hinsichtlich der Sachkunde und der allgemeinen Erfahrung sowie den Anforderungen des betreffenden Falls“ ersichtlich das grundlegende, hiervon unabhängige Erfordernis der generellen Zuverlässigkeit des Verwalters der Beurteilung des Gläubigerausschusses, des Schuldners und der Gläubiger entzogen werden. Dies muss erst recht im Fall der Eigenverwaltung für die verfahrensrechtliche Zuverlässigkeit des Schuldners gelten. 1364) Hierunter fallen auch die von Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 10 Rn. 38 angesprochenen Fälle des Missbrauchs.
293
Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
jedes rechtliche Fehlverhalten im insolvenzgerichtlichen Verfahren, vor allem jede Verletzung von Darlegungs-, Auskunfts- und Mitwirkungspflichten sowie jede Missachtung der verfahrensrechtlichen Aufgabenverteilung und Zuständigkeitsordnung,
alle Versuche, auf außergerichtlichem oder gar außergesetzlichem Wege auf die Verfahrensleitung und die Entscheidungen des Gerichts Einfluss zu nehmen,
die drohende oder praktizierte unerlaubte Einflussnahme von Anteilsinhabern, Aufsichtsorganen oder Außenstehenden auf die Geschäftsführung des Schuldners.
639 Demgegenüber fallen alle nachteilsindizierenden Umstände, die ausschließlich das zu erwartende wirtschaftliche Verhalten des Schuldners im weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens betreffen, also etwa Gesichtspunkte der mangelhaften betriebswirtschaftlichen Konzeption des Schuldners oder der absehbaren wirtschaftlichen Unzweckmäßigkeit der Eigenverwaltung, bei Vorliegen eines einstimmigen Unterstützungsvotums nach § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO allein in die (haftungsträchtige) Verantwortung jedes einzelnen Mitglieds des vorläufigen Gläubigerausschusses. Solche Umstände sind regelmäßig während des weiteren Verfahrens nach Anordnung der Eigenverwaltung ohnehin vom Gesetz der Beurteilung der Gläubiger und ihrer Organe anvertraut.
D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO 640 Strebt der Schuldner ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung an, so kann er unter den Voraussetzungen des § 270a Abs. 1 InsO bereits im Eröffnungsverfahren eine einflussreiche privilegierte Rechtsposition erlangen, die ihm weiterhin den Zugriff auf sein Vermögen erlaubt. Er steht allerdings unter der Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters.
I.
Verfahrensrechtliches Umfeld der Ausschusstätigkeit
641 Für die Entscheidungen und Maßnahmen, die das Insolvenzgericht in diesem Zusammenhang zu treffen hat, ist das systematische Verständnis des § 270a Abs. 1 InsO bedeutsam. Abs. 1 Satz 1 enthält nämlich keine Handlungs-, sondern eine Unterlassungsanweisung: Das Gericht soll, abweichend vom Normalfall der Unternehmensinsolvenz, von Amts wegen davon absehen, dem Schuldner Verfügungsbeschränkungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 InsO aufzuerlegen, wenn dessen Antrag auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Demgegenüber sieht Satz 2 eine Handlungsanweisung vor: Verzichtet das Gericht auf derartige Sicherungsmaßnahmen, so ist eine gegenüber § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 InsO alternative Anordnung zu treffen, nämlich die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Eine explizite Anordnung der vor294
D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO
läufigen Eigenverwaltung ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, in der Praxis jedoch zur Klarstellung üblich.1365) Dementsprechend hat sich für das Verfahren nach § 270a Abs. 1 InsO mittlerweile der Terminus der „(allgemeinen) vorläufigen Eigenverwaltung“1366) eingebürgert. Auch von einem „Antrag auf Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung“ wird gesprochen, wenngleich ein solcher, wie beschrieben, im Gesetz nicht vorgesehen ist. Zusätzlich zu diesen Anordnungen hat das Insolvenzgericht die erforderlichen Er- 642 mittlungen zur Feststellung der generellen Eröffnungsvoraussetzungen (Eröffnungsgrund und Kostendeckung, §§ 16, 26 InsO) sowie zur Aufklärung etwaiger nachteilsindizierender Umstände (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) einzuleiten.1367) Dies geschieht regelmäßig durch die zusätzliche Beauftragung des vorläufigen Sachwalters mit der Aufklärung dieser Punkte; die Aufgaben dürfen jedoch auch einem besonderen, nicht in die vorläufige Eigenverwaltung einbezogenen Insolvenzsachverständigen übertragen werden (§ 5 Abs. 1 InsO).1368)
II. Keine bindende Mitwirkung des Ausschusses bei gerichtlichen Entscheidungen nach § 270a InsO Wird der vorläufige Gläubigerausschuss schon vor der Anordnung der vorläufigen 643 Eigenverwaltung eingesetzt, so ist er nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 69 Abs. 1 InsO bereits zur Überwachung des (noch unbeschränkt verfügungsberechtigten) Schuldners verpflichtet und berechtigt. Das kommt allerdings in der Praxis fast nie vor.1369) Der Ablauf ist regelmäßig anders: Unverzüglich nach Eingang des Eröffnungs- und Eigenverwaltungsantrags prüft das Gericht die Anträge. Ohne zuvor einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen, wird es untersuchen, ob die Anträge verfahrensrechtlich zulässig sind, und anschließend entscheiden, ob es Sicherungsmaßnahmen entweder nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 oder nach § 270a Abs. 1 InsO erlässt. Über die Frage der offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Eigenverwaltungsantrags 644 (§ 270a Abs. 1 Satz 1 InsO) entscheidet ausschließlich das Insolvenzgericht in eigener Verantwortung. Selbst wenn es bereits einen vorläufigen Gläubigerausschuss eingesetzt hat (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO), ist es an dessen Votum zur Frage der ___________ 1365) Ebenso Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 332. 1366) Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 8; Hofmann, ebd., § 7 Rn. 3. 1367) Vgl. auch Häsemeyer, in: FS Schilken, 2015, S. 693, 695: „Im Übrigen ist [bei Vorliegen eines Eigenverwaltungsantrags] dem Verdacht auf schuldnerseitigen Rechtsmissbrauch amtswegig, die Zulässigkeit des Verfahrens betreffend, nachzugehen.“ Zu den Gefahren der missbräuchlichen Nutzung der Eigenverwaltung siehe ausführlich oben Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 1368) Siehe oben Kapitel 5 C. II. 1., Rn. 617 ff. 1369) Einen solchen, sehr aufschlussreichen Ausnahmefall beschreiben Jacoby/Madaus/Sack/ Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 253 = BT-Drucks. 19/4880, S. 293 (Fallstudie Nr. 4). Vgl. auch Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 85.
295
Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
vorläufigen Eigenverwaltung nicht gebunden. Dies gilt auch, wenn das Votum von allen Ausschussmitgliedern getragen wird; die für die Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung bestimmte Vermutung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO zugunsten des Schuldners greift nicht ein.1370) Ebenso wenig bindend sind für das Gericht sonstige Meinungsäußerungen aus dem Kreis der Gläubiger, etwa Entschließungen nicht gerichtlich bestellter präsumtiver vorläufiger Gläubigerausschüsse,1371) Gläubigerbeiräte oder sonstiger privater Zusammenkünfte von Gläubigern, in denen sie ihr Vertrauen zur Geschäftsleitung des Schuldners und zu dessen Sanierungskonzept zum Ausdruck bringen.
645 Zwar wird ohne Begründung verstärkt die Auffassung vertreten, ein einstimmiger Unterstützungsbeschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses i. S. d. § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO entfalte bereits bei der Anwendung des § 270a InsO Ausstrahlungsoder Vorwirkung.1372) Ohne den Ansatz einer Begründung wird gar behauptet, dass dem vorläufigen Gläubigerausschuss „nicht nur im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, sondern auch schon bei Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung […] eine das Gericht bindende Entscheidung über die Eigenverwaltung möglich“ sei.1373) Überzeugen kann das nicht. Die Regelung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO ist bei der Anwendung des § 270a InsO nicht einschlägig; sie betrifft nur die Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung für das eröffnete Verfahren. Ihre analoge Anwendung kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil eine planwidrige Gesetzeslücke nicht besteht. Die dem § 270a InsO zugrundeliegende Verfahrenslage im frühen Eröffnungsverfahren – kurz nach Stellung des Eigenverwaltungsantrags – weicht wesentlich von der Situation des § 270 Abs. 3 InsO ab, in der das Gericht die Anordnungshindernisse des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO bereits eingehend geprüft hat und seine Ermittlungsergebnisse vom vorläufigen Gläubigerausschuss bei der Anhörung und dem Votum nach § 270 Abs. 3 Satz 1 InsO zu berücksichtigen sind.1374) Die Regelung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO stellt eine Ausnahmebestimmung dar, die erheblich in die Entscheidungszuständigkeit des Insolvenzgerichts eingreift; schon deshalb ist eine extensive oder analoge Anwendung auf andere Fälle nicht zulässig. Daher entfaltet ein einstimmiger Unterstützungsbeschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses auch keine Ausstrahlungs- oder Vorwirkung. Für derartige Interpretationen und Schlussfolgerungen fehlt jeder Anhaltspunkt im Gesetz. ___________ 1370) Ebenso Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 139. 1371) Vgl. hierzu oben Kapitel 2 J. III. 3., Rn. 172 f. 1372) Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 323; Neußner, in: Kübler, HRI, 2. Aufl. 2015, § 6 Rn. 140 („Diese gesetzliche Bindung des Gerichts an die Entscheidung der Gläubiger hat nach § 270a InsO Vorwirkung für die Zulassung der vorläufigen Eigenverwaltung.“); Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 88 Rn. 4; Kolmann, Praxisbuch Schutzschirmverfahren, 2014, Rn. 374 f. für das Schutzschirmverfahren m. w. N. in Fn. 427. 1373) So nun Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 185. 1374) Siehe oben Kapitel 5 C. II., Rn. 616 ff.
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D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO
Ist ausnahmsweise ein vorläufiger Gläubigerausschuss bereits vor der Entscheidung 646 nach § 270a Abs. 1 InsO eingesetzt worden, so spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass das Gericht die Ausschussmitglieder zusammen mit der Anhörung zur Person des Sachwalters oder Insolvenzverwalters nach § 56a Abs. 2 InsO (vgl. § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO) auch dazu befragt, ob Bedenken gegen die Anordnung oder Aufrechterhaltung einer vorläufigen Eigenverwaltung bestehen. Der Schuldner kann nämlich mit der Eigenverwaltung nur erfolgreich sein, wenn er mit seinen wesentlichen Gläubigern einen tragfähigen Konsens über die wirtschaftliche und rechtliche Bewältigung der Insolvenz erzielt.1375) Dem Ausschuss und einzelnen seiner Mitglieder steht es zudem jederzeit frei, sich außerhalb der Anhörung nach § 270 Abs. 3 InsO in eigener Initiative beim Gericht für die Beendigung der vorläufigen Eigenverwaltung einzusetzen. Besonders sachdienlich sind solche Mitteilungen, wenn sie zugleich eine nachvollziehbare Darlegung der maßgeblichen Tatsachen enthalten. Zwar ist auch mit dem mehrheitlichen Votum des Ausschusses gegen die vorläufige Eigenverwaltung, anders als im sog. Schutzschirmverfahren (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO), keine rechtliche Bindung des Gerichts verbunden. Eine solche Äußerung stellt aber ein gewichtiges Anzeichen für die offensichtliche Aussichtslosigkeit der (vorläufigen oder endgültigen) Eigenverwaltung dar, insbesondere wenn die ablehnenden Gläubiger mehr als die Hälfte der voraussichtlichen Summe der Forderungsbeträge auf sich vereinigen (vgl. § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Ob die Gründe für die ablehnende Haltung des Ausschusses das Gericht uneinge- 647 schränkt überzeugen, ist letztlich unerheblich. Die Chance des Schuldners, in der Insolvenz mit Hilfe der Eigenverwaltung seine Rolle als Unternehmer weiterzuspielen, hängt nämlich stets von dem Willen und dem Vertrauen der Gläubiger ab (vgl. §§ 271, 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO).1376) Die ablehnende Haltung an sich ist in einem solchen Fall bereits ein schwerwiegender nachteilsindizierender Umstand im Sinne von § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Selbst wenn sogar nur eine für die Unternehmensfortführung oder den sonstigen Erfolg der Eigenverwaltung wesentliche Minderheit der Gläubiger die vorläufige Eigenverwaltung ablehnt, bringt dies ein fehlendes Vertrauen in die Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung zum Ausdruck. In einem solchen Fall sind stets Konflikte und Verfahrensverzögerungen zu erwarten,1377) die ihrerseits wesentliche Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen. ___________ 1375) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 zu Nr. 43 (§§ 270a, 270b InsO); MKInsO/Tetzlaff, 3. Aufl. 2014, Vorbemerkungen vor §§ 270 – 285, Rn. 22; Kolmann, DB 2014, 1663, 1665; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2155, 2159; Wallner, ZIP 2015, 997. 1376) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 100, 223 zu § 331 (= § 270 InsO); RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 zu Nr. 43 (§§ 270a, 270b InsO). 1377) Zum Vorstehenden vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 zu Nr. 43 (§ 270b InsO); LG Halle (Saale), Beschl. v. 14.11.2014 – 3 T 86/14 (MIFA), NZI 2014, 1050 = ZIP 2014, 2355; ebenso wohl auch Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009, 1, 6.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
III. Pflichten bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters (§ 56a InsO) 648 Von der Anhörung des Ausschusses bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 56a InsO) kann abgesehen werden, wenn die damit verbundene Verzögerung offensichtlich zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage führen würde (§ 56a Abs. 1 InsO). Die Gläubigerbeteiligung darf die notwendigen Sicherungsmaßnahmen nicht verzögern.1378) Im Gesetz nicht vorgesehenen selbsternannten Gläubigerbeiräten, präsumtiven vorläufigen Gläubigerausschüssen oder ähnlichen privaten Zusammenkünften von Gläubigern1379) steht selbstverständlich auch hier kein Mitwirkungsrecht zu. Sie sind verfahrensrechtlich irrelevant, zumal sie in aller Regel maßgeblich vom Schuldner oder seinem Sanierungsberater initiiert und daher nicht repräsentativ sind.1380) Ebenso wenig maßgeblich, sondern dem ersten Anschein nach der Fremdsteuerung verdächtig, sind frühzeitige Äußerungen einzelner Personen, die sich nach § 22a Abs. 2 InsO gegenüber dem Gericht zur Mitgliedschaft im vorläufigen Gläubigerausschuss bereit erklären und zugleich bereits Zustimmung zur Bestellung eines bestimmten Sachwalters kundtun. Die Anhörung zur Frage des vorläufigen Sachwalters und ein bestimmter Personalvorschlag können allein auf der Grundlage eines ordnungsmäßigen Beschlusses des gerichtlich bestellten Ausschusses erfolgen (§§ 72, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO). Anzuhören ist nicht nur das einzelne Mitglied, sondern der Ausschuss als Gremium; somit kann das Gericht den Ausschuss nicht zeitgleich mit der Bestellung seiner Mitglieder anhören, sondern erst nach dessen Konstituierung, Beratung und Beschlussfassung.1381)
649 Bei der Meinungs- und Willensbildung zur Person des vorläufigen oder endgültigen Sachwalters haben sich die Ausschussmitglieder ausschließlich an den gesetzlichen Rahmenkriterien des § 56 Abs. 1 InsO zu orientieren (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO). Sie sind verpflichtet, nur eine solche Person vorzuschlagen, die nach ihrer begründeten Überzeugung für den jeweiligen Einzelfall geeignet, insbesondere geschäftskundig sowie von den Gläubigern und dem Schuldner un___________ 1378) AG München, Beschl. v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308, 1309; HambKInsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56a Rn. 20. 1379) Vgl. hierzu oben Kapitel 2 J. III. 3., Rn. 172 f. 1380) HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56a Rn. 7, 28; Bogumil/Pollmächer in: Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 8. Die Beeinflussung gerichtlicher Auswahlentscheidung ist mindestens so alt wie die KO – vgl. z. B. die allgemeingültige Einschätzung und Handlungsempfehlung von Holm-Nielsen, KuT 1930, 92, 93: „Nach der Art und Weise, worauf die Agitation für die Verwalterauswahl in vielen Fällen getrieben wird, und in Anbetracht des Umstandes, daß je rücksichtsloser die Agitation, je weniger geeignet in der Regel der Aspirant zu sein pflegt, gibt es kein anderes effektives Mittel, als dem Konkursgericht die Befugnis zu geben, die Wahl verwerfen zu können, wenn nach seinem Ermessen Gründe dafür vorliegen.“ 1381) AG München, Beschl. v. 14.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1308, 1309 = BeckRS 2012, 14972; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56a Rn. 13, 20; Laroche/Pruskowski/ Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2155.
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D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO
abhängig ist. Die Stellungnahme gegenüber dem Gericht erfolgt durch Beschluss (§§ 72, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO). Bei seiner Vorbereitung sind die grundlegenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Arbeitsweise des Ausschusses zu beachten,1382) insbesondere das Erfordernis einer angemessenen Informationsgrundlage. Die Ausschussmitglieder haben deshalb Personalvorschläge, die vom Schuldner oder von dessen Berater stammen, mit äußerster Vorsicht zu prüfen.1383) Entsprechendes gilt für Vorschläge von Gläubigern, die dem Schuldner wirtschaftlich oder rechtlich nahestehen oder die ersichtlich ein persönliches Interesse an einem bestimmten Verlauf oder Ergebnis des Insolvenzverfahrens haben. Der Unabhängigkeit, dem Pflichtbewusstsein und der Durchsetzungsfähigkeit des 650 Sachwalters kommt angesichts der Missbrauchsgefahren in der Eigenverwaltung eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu.1384) Die Ausschussmitglieder dürfen sich deshalb nicht zum Werkzeug des Schuldners machen lassen. Das Interesse des Schuldners an der Bestellung einer wohlgesonnenen Person ist weder schutzwürdig noch beachtenswert. Der Ausschuss selbst hat in Unabhängigkeit und eigener Verantwortung gemeinschaftlich zu überlegen, ob ihm eine für das konkrete Verfahren geeignete Person bekannt ist. Ist dies nicht der Fall, so dürfen die Ausschussmitglieder den Vorschlag des Schuldners nicht ins Blaue hinein unterstützen. Sie haben vielmehr die Auswahl entweder insgesamt oder unter Angabe bestimmter Eignungskriterien (§ 56a Abs. 2 Satz 2 InsO) in die Hand des sachkundigen und erfahrenen Insolvenzgerichts zu legen.1385) Es verdient allemal mehr Vertrauen als der Schuldner und sein Berater. Soweit sich der vorläufige Gläubigerausschuss mit dem Vorschlag des Schuldners 651 auseinandersetzt, sind vor der Beschlussfassung alle Fragen zweifelsfrei zu klären, die Aufschluss über die Eignung des Kandidaten, insbesondere seine Unabhängigkeit von den Interessen des Schuldners und dessen Berater geben können. Im Zweifel ist trotz der Regelung des § 56 Abs. 1 Satz 3 InsO von der inzwischen empirisch hinreichend gestützten Erwartung auszugehen, dass ein vom Schuldner vorgeschlagener Sachwalter sein Amt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit der ___________ 1382) Kapitel 3 H., Rn. 274 ff. 1383) HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56a Rn. 7, 24 ff.; ebenso wohl auch Bogumil/ Pollmächer in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 10; Böhmer, Bilanz, Februar 2018, S. 21, 25. – Ein insoweit zumindest leichtfertiges Verhalten eines vorläufigen Gläubigerausschusses ist etwa belegt bei Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUGEvaluierung, 2018, S. 255 (Fallstudie Nr. 4) = BT-Drucks. 19/4880, S. 295. 1384) Vgl. Hamburger Leitlinien zu Reichweite und Durchführung des „conflict check“, ZInsO 2017, 375 ff.; BAKinso, Fragebogen zur Unabhängigkeit des Verwalters, ZInsO 2012, 2240 ff.; Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 299 = BTDrucks. 19/4880, S. 339. 1385) In diesem Sinne zu Recht HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56a Rn. 20; Jacoby/ Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 299 = BT-Drucks. 19/4880, S. 339.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
erforderlichen Unabhängigkeit wahrnehmen wird.1386) Aufgrund der Erfahrungen seit Inkrafttreten des § 56a InsO im Jahr 2012 konstatieren viele Insolvenzpraktiker zu Recht eine „Kultur der Abhängigkeit des vorgeschlagenen Verwalters oder Sachwalters von Schuldnerberatern und Hauptgläubigern“.1387) Von diesen Fakten dürfen verantwortungsbewusste Ausschussmitglieder ebenso wie die Gerichte ihre Augen nicht verschließen.1388)
IV. Laufende Überwachung der Geschäftsführung des Schuldners 652 Aufgrund ihrer Aufsichtspflicht (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, §§ 69, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO) haben der vorläufige Gläubigerausschuss und seine Mitglieder bis zur Entscheidung des Gerichts über den Eröffnungsantrag die Geschäftsführung des vorläufig eigenverwaltenden Schuldners und des vorläufigen Sachwalters im gleichen Umfang und mit der gleichen Intensität zu überwachen wie in der endgültigen Eigenverwaltung.1389) Ihre Aufgaben sind in beiden Verfahrensabschnitten strukturell gleich; es gilt nichts anderes als bei den ebenfalls gleichartigen Überwachungsaufgaben des vorläufigen und endgültigen Sachwalters.1390)
V. Entsprechende Geltung des § 276 und des § 276a Satz 1 InsO in der vorläufigen Eigenverwaltung 653 Bei ihrer Amtsführung während der vorläufigen Eigenverwaltung haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses zu beachten, dass bei dieser Verfahrensgestaltung für den Schuldner bereits die Bindungen und Einschränkungen gelten, denen er und seine gesellschaftsrechtlichen Organe nach den §§ 276, 276a Satz 1 InsO unterworfen sind. Diese Auffassung ist nicht unbestritten, doch sind angesichts der Bedeutung der vorläufigen Eigenverwaltung für das Schicksal des gesamten angestrebten Insolvenzverfahrens die geäußerten Zweifel nicht gerechtfertigt. Den Mitgliedern des Gläubigerausschusses fällt auch insoweit in diesem Stadium des Verfahrens bereits eine hohe Verantwortung zu. ___________ 1386) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 299 = BT-Drucks. 19/ 4880, S. 339, die de lege ferenda empfehlen, § 56a InsO in der Eigenverwaltung zu streichen. 1387) HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 56a Rn. 27 mit ausführlichem Nachweis; vgl. Jacoby/ Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 99 („Es erscheint bedenklich, wenn damit die überwachte Person das Überwachungsgremium bis zu einem bestimmten Grad selbst aussuchen kann“), ferner ebd. S. 70, 84, 87, 97, 119 sowie Fallstudie Nr. 1, S. 245 = BT-Drucks. 19/4880, S. 139, 110, 124, 127, 137, 285. – Ausführlich hierzu Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169. 1388) Vgl. Hamburger Leitlinien zu Reichweite und Durchführung des "conflict check“, ZInsO 2017, 375 ff.; BAKinso, Fragebogen zur Unabhängigkeit des Verwalters, ZInsO 2012, 2240 ff. 1389) Hierzu Kapitel 4, Rn. 302 ff. 1390) Vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 24 zu Nr. 4 b (§ 21 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1a InsO); BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, NZI 2016, 796, 797 f. Rn. 38, 42, 44 = ZIP 2016, 1592, 1594 f.
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D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO
1.
Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen
Auch im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung hat der Schuldner die Zustim- 654 mung des vorläufigen Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er Rechtshandlungen vornehmen will, die für das angestrebte Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind. Die entsprechende Geltung dieses Grundsatzes des § 276 InsO1391) folgt aus dem Umstand, dass der Schuldner hier ähnlich wie ein vorläufiger Insolvenzverwalter bereits an die rechtlichen Vorgaben gebunden ist, die sich aus dem Zweck des angestrebten Insolvenzverfahrens ergeben (§ 1 InsO).1392) Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers sollte durch die gesetzliche Anerkennung1393) und Regulierung des vorläufigen Gläubigerausschusses (Art. 1 ESUG, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, §§ 22a, 56a, 270 Abs. 3 InsO) der institutionalisierte Einfluss der Gläubiger in das Eröffnungsverfahren vorverlegt und gestärkt werden.1394) Dies kommt zweifelsfrei in den Bezugnahmen des § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO auf die Regelungen über den Gläubigerausschuss (§ 274 Abs. 1, 3 i. V. m. § 56a InsO) zum Ausdruck.1395) Es ist deshalb folgerichtig, auch die Bindung des eigenverwaltenden Schuldners an die gesetzlichen Mitwirkungsrechte des Ausschusses bereits in der vorläufigen Eigenverwaltung anzuwenden. Die Ausschussmitglieder haben zu überwachen, ob der Schuldner dieser Verpflichtung nachkommt. Dass § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO, wie die Gegenauffassung1396) hervorhebt, nicht ausdrücklich auf § 276 InsO Bezug nimmt, ist irrelevant. Der Regelungsgehalt des § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO betrifft allein die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters. Wer als Schuldner die Eigenverwaltung beantragt und damit auch die Privilegien der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a oder § 270b InsO genießen will, muss sich sämtli___________ 1391) Siehe Kapitel 4 F. IV., Rn. 462 ff. 1392) HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 270a Rn. 20 mit Fn. 56; ebenso wohl HambK-InsR/ Decker, 7. Aufl. 2019, InsO § 160 Rn. 13; Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 222; Ampferl, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 9 Rn. 208; Obermüller, ZInsO 2011, 1809, 1815; Frind, ZIP 2012, 1380, 1384; ders., NZI 2014, 977, 980; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 277 Fn. 83; Andres, NZI 2013, 93 (Anm. zu LG Duisburg, Beschl. v. 29.11.2012 – 7 T 185/11, NZI 2013, 91); König, Eigenverwaltung, 2015, S. 303. Siehe hierzu auch Kapitel 2 D. I. 2. b), Rn. 66 ff. 1393) Schon vor Inkrafttreten des ESUG setzten manche Insolvenzgerichte im Eröffnungsverfahren vorläufige Gläubigerausschüsse ein; siehe oben S. 91 Fn. 392. 1394) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17 f., 19, 24 (zu § 21 Abs. 2 Nr. 1a, zu § 22a), 25 (zu § 56), 39 (zu § 270 Abs. 3); Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 1, 33 f. (zu §§ 21, 22a), 34 f. (zu § 56 und § 56a neu). 1395) Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271, 277 in Fn. 83. 1396) Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 270a Rn. 15; Berliner-Komm/Spliedt/ Fridgen, InsO, 44. EL. 01.2013, § 276 Rn. 3; Herbst, in: Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014, § 28 Rn. 100, der jedoch konstatiert, dass es in der Praxis üblich sei, in solchen Fällen schon im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses einzuholen; allg. K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 276 Rn. 1.
301
Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
chen Grundsätzen dieses Rechtsinstituts unterwerfen; er hat folgerichtig auch die Einschränkungen des § 276 InsO in Kauf zu nehmen.1397)
2.
Ausschluss des Einflusses der Überwachungsorgane und Anteilsinhaber
655 Gleiches gilt für die Anwendung des Einflussnahmeverbots nach § 276a Satz 1 InsO1398) während der vorläufigen Eigenverwaltung.1399) Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, so haben die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses während der gesamten vorläufigen Eigenverwaltung auch darauf zu achten, dass die gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane und die Anteilsinhaber keinen Einfluss auf die insolvenzrechtliche Geschäftsführung des Schuldners nehmen. Die Aussage des § 276a Satz 1 InsO beschreibt ein grundlegendes Prinzip jeder Form der Eigenverwaltung. Ihr Normzweck besteht darin, die Unternehmensleitung des insolventen Schuldners im Interesse der Gläubiger (§ 1 InsO) gegenüber jeder eigennützigen und damit sachfremden Einflussnahme der Anteilsinhaber und der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane auf das Management abzuschirmen.1400) Diese Notwendigkeit besteht in der vorläufigen Eigenverwaltung genauso wie in der endgültigen. Auch hier steht schon die insolvenzbedingte Vorbereitung der für die Gläubiger bestmöglichen Verwertungs- oder Sanierungsvariante im Mittelpunkt.1401)
656 Die abweichende Auffassung1402) überzeugt nicht. Sie wird damit begründet, dass § 276a InsO nur die Zustimmung des Sachwalters und nicht die eines vorläufigen Sachwalters erwähne, in den §§ 270a, 270b InsO nicht auf sie verwiesen werde und sie systematisch hinter den §§ 270 – 273 InsO eingeordnet sei; außerdem stehe ___________ 1397) Vgl. bereits Hammes, NZI 2017, 233, 238. 1398) Siehe oben Kapitel 4 E. II., Rn. 368. 1399) Zutr. NWB-InsO/Berner, 2013, § 276a Rn. 6; Jaeger/Meller-Hannich, InsO, 2019, § 270a Rn. 7, § 276a Rn. 29; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, 2015, Rn. 199 f., 203; Brinkmann, DB 2012, 1369 Fn. 50; Hölzle, ZIP 2012, 2427 ff.; Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271; Haas, in: FS Kübler, 2015, S. 203, 215, 217; Häsemeyer, in: FS Schilken, 2015, S. 693, 699; Schulz, Sanierungsgeschäftsführung, 2017, S. 176 – 187 (mit ausführlicher Gesamtdarstellung des Meinungsstandes auf S. 169 ff.); wohl auch Schulte-Kaubrügger, ZIP 2019, 345, 347. Ohne Ergebnis abwägend hingegen Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren, 2018, S. 257 ff. 1400) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 42 zu Nr. 47 (§ 276a InsO); Jaeger/MellerHannich, InsO, 2019, § 276a Rn. 18. 1401) Vgl. Schulz, Sanierungsgeschäftsführung, 2017, S. 178 f. 1402) MK-InsO/Klöhn, 3. Aufl. 2014, § 276a Rn. 18; BankenKomm-InsR/Hörmann/Sußner, 3. Aufl. 2016, § 276a Rn. 4; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 276a Rn. 3; BeckOKInsO/Ellers/Plaßmeier, 14. Ed. 04.2019, § 276a Rn. 7; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 276a Rn. 5; HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 276a Rn. 16 f.; Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 276a Rn. 6; Kolmann, Praxisbuch Schutzschirmverfahren, 2014, Rn. 269 f., 448, 733; Hofmann, Praxisbuch, 2. Aufl. 2016, Rn. 366; wohl auch Gehrlein, ZInsO 2017, 849, 851.
302
D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO
im Eröffnungsverfahren noch gar nicht fest, ob das Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet werde.1403) Deshalb fehle die Legitimation, bereits hier in die innere Ordnung des Schuldners einzugreifen.1404) Der verbandsrechtliche Zweck des schuldnerischen Rechtsträgers werde ohnehin bereits im Eröffnungsverfahren vom Zweck des Insolvenzverfahrens überlagert, so dass das geschäftsführende Organ etwaigen Weisungen, die dem Gläubigerinteresse zuwiderliefen, nicht folgen müsse; im Übrigen könne das insolvenzzweckwidrige Verhalten eines gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgans durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen oder die Versagung der Eigenverwaltung wirksam sanktioniert werden.1405) Dem ist ebenso wie im Fall des § 276 InsO entgegenzuhalten, dass die entspre- 657 chende Anwendung des § 276a InsO schon durch den Eigenverwaltungsantrag des Schuldners, der stets auch auf die vorläufige Anwendung (zumindest) des § 270a InsO abzielt, hinreichend legitimiert ist. Wer die gesetzlichen Vorteile der vorläufigen Eigenverwaltung nutzt, muss sich sämtlichen Grundsätzen dieses Rechtsinstituts unterwerfen. Selbst Vertreter der abweichenden Auffassung erkennen an, dass eine Einflussnahme im Sinne von § 276a InsO jederzeit sanktioniert werden muss,1406) im Ergebnis also einen nachteilsindizierenden Umstand darstellt.1407) Damit aber wird zugleich konzediert, dass derartige Einflussnahmen in jeder Phase des Verfahrens unzulässig sind. Niemand, der diese Einschränkungen vermeiden möchte, ist gezwungen, die Privilegierung nach § 270a oder § 270b InsO in Anspruch zu nehmen. Er kann jederzeit den Weg in ein allgemeines Eröffnungsverfahren unter dem Regime der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 InsO einschlagen; aber auch hier haben die Überwachungsorgane nicht die rechtliche Möglichkeit, die Befugnisse eines vorläufigen Insolvenzverwalters zu beschränken.1408) Es wäre zudem mit dem Charakter des Eröffnungsverfahrens als zweckorientierter Vorbereitung auf das beantragte Insolvenzverfahren nicht zu vereinbaren, wenn die Vertretungsorgane in der vorläufige Eigenverwaltung zusätzlich zu ihren krisenregulierenden Aufgaben gezwungen wären, Weisungen der Überwachungsorgane fortlaufend auf ihre insolvenzrechtliche Kompatibilität hin zu prüfen; dies würde nicht nur zu Rechtsunsicherheit, sondern auch zu einer erheblichen, zudem kostenträchtigen Verfahrensverzögerung führen,1409) weil fast immer Rechtsrat in Anspruch genommen werden müsste. ___________ 1403) MK-InsO/Klöhn, 3. Aufl. 2014, § 276a Rn. 18; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 276a Rn. 3. 1404) Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 276a Rn. 6. 1405) BeckOK-InsO/Ellers/Plaßmeier, 14. Ed. 04.2019, § 276a Rn. 7 m. w. N. 1406) BeckOK-InsO/Ellers/Plaßmeier, 14. Ed. 04.2019, § 276a Rn. 7; HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 276a Rn. 17; Kolmann, Praxisbuch Schutzschirmverfahren, 2014, Rn. 270. 1407) Kapitel 4 D. II. 2. f), Rn. 358. 1408) Haas, in: FS Kübler, 2015, S. 203, 215, 217. 1409) Vgl. Schulz, Sanierungsgeschäftsführung, 2017, S. 179 f.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
VI. Überwachung des Schuldners bei der Begründung von Masseverbindlichkeiten 658 Ebenso wie in der endgültigen Eigenverwaltung1410) haben die Mitglieder des Gläubigerausschusses auch in jeder Form der vorläufigen Eigenverwaltung die Zweckmäßigkeit und Erfüllbarkeit der vom Schuldner begründeten Masseverbindlichkeiten anhand einer von diesem vorzulegenden Liquiditätsplanung zu überwachen. Die Handhabung solcher Verbindlichkeiten sind typische Geschäfte der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung des Schuldners (§ 69 InsO).
1.
Notwendigkeit der gerichtlichen Umqualifizierungsermächtigung
659 Allerdings hat der Ausschuss in der vorläufigen Eigenverwaltung zusätzlich darauf zu achten, dass die Begründung und vorrangige Erfüllung solcher vom Schuldner als Masseverbindlichkeiten deklarierten Zahlungsverpflichtungen von dessen rechtlichen Befugnissen gedeckt sind. Ob und unter welchen Voraussetzungen Verbindlichkeiten, die der Schuldner während der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO neu begründet oder die durch Inanspruchnahme von Leistungen aus einem Dauerschuldverhältnis entstehen, als vorrangig zu berichtigende Masseverbindlichkeiten im Sinne der § 55 Abs. 2, § 53 InsO einzustufen sind, ist umstritten. Zwischenzeitlich hat der Bundesgerichtshof zwar entschieden, dass Masseverbindlichkeiten in solchen Fällen nur entstehen, wenn und soweit das Insolvenzgericht den vorläufig eigenverwaltenden Schuldner ausdrücklich hierzu ermächtigt hat.1411) Es ist aber unklar, ob der Meinungsstreit damit beendet ist.1412) Während für das Schutzschirmverfahren auf Initiative des Rechtsausschusses des Bundestags mit § 270b Abs. 3 InsO die Rechtsgrundlage für eine gerichtliche Anordnung geschaffen worden ist,1413) fehlt für das Verfahren nach § 270a InsO eine entsprechende Regelung. Offenbar ist dieses praxisrelevante Thema in seiner Allgemeinheit im
___________ 1410) Siehe oben Kapitel 4 F. II. 3., Rn. 434 ff. 1411) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224 f., 226 Rn. 8, 16 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488; ebenso FG Münster, Urt. v. 12.3.2019 – 15 K 1535/18 U, NZI 2019, 547, 552 Rn. 41 ff. = ZIP 2019, 1238. 1412) Vgl. Thole, EWiR 2019, 49 f., der zu Recht auf die rechtspolitisch nicht zu begründende Privilegierung der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a InsO) gegenüber der vorläufigen Fremdverwaltung im Hinblick auf § 55 Abs. 4 InsO und die vom BGH nicht entschiedene Frage hinweist, ob eine Globalermächtigung im Verfahren nach § 270a InsO erteilt werden darf. Für die Zulässigkeit einer Globalermächtigung in der vorläufigen Eigenverwaltung Swierczok, ZInsO 2016, 2366, 2370 – 2374 (m. w. N. zum Streitstand) und Klinck, ZIP 2013, 853, 861 (für das Verfahren nach § 270b InsO). 1413) Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 20, 37 (zu § 270b Absatz 3 InsO neu).
304
D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO
Gesetzgebungsverfahren nicht erkannt worden.1414) Dies hat zu weit divergierenden insolvenzgerichtlichen Entscheidungen geführt und erhebliche Rechtsunsicherheit ausgelöst.1415) Nach einer vereinzelt vertretenen Ansicht sind im Verfahren nach § 270a InsO we- 660 der der Schuldner noch der vorläufige Sachwalter befugt, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Es fehle eine entsprechende Rechtsgrundlage; eine Ermächtigung durch das Insolvenzgericht sei deshalb nicht zulässig.1416) Eine weitere Minderheitsmeinung schließt aus § 270b Abs. 3 InsO, dass im Anwendungsbereich des § 270a InsO der vorläufig eigenverwaltende Schuldner bereits aufgrund eigener Rechtsmacht Masseverbindlichkeiten begründen könne. Einer gerichtlichen Ermächtigung bedürfe es folglich nicht.1417) Vereinzelt ist auch die Ansicht geblieben, eine gerichtliche Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten sei im Verfahren nach § 270a InsO zwar erforderlich und zulässig, könne aber ausschließlich dem vorläufigen Sachwalter erteilt werden.1418) Die überwiegende Mehrheit in Rechtsprechung und Literatur steht auf dem Standpunkt, dass der Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO Masseverbindlichkeiten begründen darf, wenn und soweit er aufgrund des § 21 Abs. 1 InsO vom Insolvenzge-
___________ 1414) BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, BGHZ 210, 372, 380 f. Rn. 32 = NZI 2016, 779 = ZIP 2016, 1295; vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, Anlage 4, Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 67 f. zu Nr. 4 (§ 55 Absatz 4 InsO-E). Blankenburg, ZInsO 2016, 1337, 1345 stellt zu Recht fest, dass der Gesetzgeber den Rechtsanwender bei einer entscheidenden Frage „im Regen stehen gelassen“ habe. Die Ursache hierfür liegt nach diesseitiger Einschätzung weniger bei den Abgeordneten als bei einer Ministerialbeamtenschaft, die entgegen ihrer fachlichen Aufgabe gesetzgeberische Neuerungen jedenfalls im Insolvenzrecht häufig nur unter punktuellen, publizistisch besonders hervorgehobenen Gesichtspunkten konzipiert, ohne sich des praktischen und theoretischen Zusammenhangs mit dem gesamten Rechtsgebiet bewusst zu sein. 1415) Vgl. hierzu Hofmann, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 7 Rn. 118; ders., Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, Rn. 379 – 392 mit ausführlicher Darstellung des Streitstands; ders., EWiR 2012, 359, 360; Gravenbrucher Kreis, Thesenpapier: ESUG, Erfahrungen, Probleme, Änderungsnotwendigkeiten, ZIP 2015, 2159, 2163 = ZInsO 2015, 2173, 2175; Pleister, GWR 2013, 220 f. 1416) OLG Jena, Urt. v. 22.6.2016 – 7 U 753/15, NZI 2016, 784 f. = ZIP 2016, 1741 (Laborchemie Apolda GmbH – Vorinstanz zu BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488). 1417) LG Erfurt, Urt. v. 16.10.2015 – 8 O 196/15, NZI 2016, 32 f. = ZIP 2015, 2181; AG Montabaur, Beschl. v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, NZI 2013, 350 = ZIP 2013, 899; AG Hannover, Beschl. v. 30.4.2015 – 909 IN 294/15, ZIP 2015, 1843 f. = ZInsO 2015, 1112 (aufgegeben durch AG Hannover, Beschl. v. 15.7.2016 – 908 IN 460/16, ZInsO 2016, 1535 ff. und LG Hannover, Beschl. v. 22.8.2016 – 11 T 30/16, ZIP 2016, 1790, 1791 f.); FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270a Rn. 25 f. Blankenburg, ZInsO 2016, 1337 ff. 1418) AG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787 = NZI 2012, 566; abl. Zipperer, EWiR 2012, 361 f.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
richt hierzu ermächtigt worden ist.1419) Teilweise wird ergänzend die Auffassung vertreten, dass in der gerichtlichen Anordnung die Wirksamkeit des schuldnerischen Rechtsgeschäfts im Außenverhältnis analog zu § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2, § 276 InsO zusätzlich an die Zustimmung des vorläufigen Sachwalters gebunden werden darf.1420)
661 Zutreffend ist die letztgenannte Auffassung. Der vorläufig eigenverwaltende Schuldner hat im Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO nur dann die Rechtsmacht, vorweg zu berichtigende Masseverbindlichkeiten im Sinne der § 55 Abs. 2, § 53 InsO zu begründen, wenn und soweit er, allein oder gemeinsam mit dem vorläufigen Sachwalter, vom Insolvenzgericht hierzu durch besondere Anordnung ermächtigt ist. Ausgangspunkt der Überlegungen muss das schlichte Axiom sein, dass der Schuldner bei der gerichtlichen Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nach § 270a Abs. 1 InsO im Außenverhältnis zwar seine bisherigen vermögensrechtlichen Befugnisse weiter wahrnehmen darf, aber keine neuen hinzugewinnt.1421) Es ist deshalb verfehlt, die Verbindlichkeiten, die der Schuldner im Zeitraum der vorläufigen Eigenverwaltung begründet, entgegen § 38 InsO generell als Masseverbindlichkeiten (§§ 53 – 55 InsO) zu qualifizieren.1422) Die ihm wie jedem anderen Schuldner gegebene Möglichkeit, bis zur Verfahrenseröffnung durch Verpflich-
___________ 1419) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 226 Rn. 16 f. = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488; OLG Dresden, Urt. v. 18.6.2014 – 13 U 106/14, NZI 2014, 703, 705 (zu 7.) = ZIP 2014, 1294; OLG Dresden, Urt. v. 15.10.2014 – 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937 f. (zu II. 1. a) = ZInsO 2015, 2273; OLG Köln, Beschl. v. 3.11.2014 – I-2 U 82/14, ZIP 2014, 2523, 2524 = ZInsO 2015, 204; LG Duisburg, Beschl. v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, NZI 2013, 91 f. = ZIP 2012, 2453; LG Hannover, Beschl. v. 22.8.2016 – 11 T 30/16, ZIP 2016, 1790, 1791 f.; AG Köln, Beschl. v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, NZI 2012, 375 = ZIP 2012, 788; AG München, Beschl. v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470 f.; Zipperer, EWiR 2012, 361 f.; AG Hannover, Beschl. v. 15.7.2016 – 908 IN 460/16, ZInsO 2016, 1535 ff.; MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270a Rn. 44; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl. 2017, § 270a Rn. 8; HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 270a Rn. 28; Uhlenbruck/ Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270a Rn. 18 f.; Hofmann, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 7 Rn. 121 – 128; Hofmann, Praxisbuch Eigenverwaltung, 2016, Rn. 380; MK-InsO/ Hefermehl, 4. Aufl. 2019, § 55 Rn. 233b; Hofmann, EWiR 2012, 359 f.; Oppermann/Smid, ZInsO 2012, 862, 865 f., 869 (durch „deklaratorischen Beschluss“); Klinck, ZIP 2013, 853, 856, 860; Marotzke, DB 2013, 1283, 1286; Madaus, KTS 2015, 115, 122; Meller-Hannich, KTS 2017, 309, 311 ff.; Pleister/Kunkel, ZIP 2017, 153, 159 ff. 1420) LG Duisburg, Beschl. v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, NZI 2013, 91 f. = ZIP 2012, 2453 f.; AG Köln, 26.3.2012 – 73 IN 125/12, NZI 2012, 375 = ZIP 2012, 788 f.; AG München, Beschl. v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470 f.; MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2013, § 270a Rn. 43 f.; KPB-InsO/Pape, 49. EL. 07.2012, § 270a Rn. 19 – 21; Hofmann, EWiR 2012, 359 f.; Pape, ZIP 2013, 2285, 2292; Klinck, ZIP 2013, 853, 861 f. 1421) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 225 Rn. 11 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488; vgl. Klinck, ZIP 2013, 853, 856. 1422) Vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 225 Rn. 8, 10 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488.
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D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO
tungsgeschäfte neue Verbindlichkeiten zu begründen,1423) sagt nichts über deren insolvenzrechtlichen Rang aus. Ebenso wenig ist die Ansicht gerechtfertigt, der vorläufig eigenverwaltende Schuld- 662 ner sei unter keinen Umständen befugt, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Hiergegen spricht schon die Vorschrift des § 22 Abs. 2 InsO. Sie gibt dem Insolvenzgericht die Möglichkeit, im Eröffnungsverfahren nicht nur die Pflichten, sondern auch die Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters nach den Notwendigkeiten des Einzelfalls festzulegen, sofern es dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt.1424) Da für die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270a InsO eine Regelung über die Entstehung von Masseverbindlichkeiten nach Art des § 55 Abs. 2 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO fehlt, ist es nicht nur naheliegend, sondern geradezu zwingend, in diesem Fall den Rechtsgedanken des § 22 Abs. 2 InsO auf das Verhältnis zwischen Gericht und Schuldner anzuwenden.1425) Zu diesem Rechtsgedanken gehören die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, nach denen der mit Zustimmungsvorbehalt ausgestattete, sogenannte schwache vorläufige Insolvenzverwalter im normalen Eröffnungsverfahren vom Gericht nach § 22 Abs. 2, § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO ermächtigt werden kann, vorrangig zu berichtigende Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse, also Masseverbindlichkeiten (§ 53 InsO), einzugehen.1426) Die Ermächtigung ist erforderlich, wenn das Gericht kein allgemeines Verfügungsverbot erlassen hat und deshalb die vom vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten nicht schon kraft Gesetzes (§ 55 Abs. 2, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) als Masseverbindlichkeiten gelten. Das gleiche rechtliche Instrumentarium, das der vorläufige Insolvenzverwalter in diesem Zusammenhang nutzen kann, muss im Verfahren nach § 270a Abs. 1 InsO auch dem vorläufig eigenverwaltenden Schuldner zur Verfügung stehen. Die Bestimmung des § 270b Abs. 3 InsO, nach der das Gericht im Schutzschirm- 663 verfahren auf Antrag des Schuldners anzuordnen hat, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet, bestätigt diese rechtliche Bewertung; sie orientiert sich erkennbar an der Rechtslage bei der vorläufigen Insolvenzverwaltung.1427) Zwar hat der Schuldner im Verfahren nach § 270a Abs. 1 InsO, in dem nur ein Teil ___________ 1423) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 361 = NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625. 1424) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 360, 367 = NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625. 1425) In diesem Sinne wohl auch BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 226 Rn. 14 – 17 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488. 1426) BGH, Urt. v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 365 f. = NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; BGH, Urt. v. 7.5.2009 – IX ZR 61/08, NZI 2009, 475 Rn. 13 = ZIP 2009, 1477; BGH, Urt. v. 3.1.2011 – IX ZR 233/09, NZI 2011, 143 f. = ZInsO 2011, 388; BGH, Beschl. v. 4.12.2014 – IX ZR 166/14, ZInsO 2015, 261 f. = BeckRS 2014, 23592. 1427) Vgl. Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 37 (zu § 270b Abs. 3); Pape, ZIP 2013, 2285, 2291.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
der Voraussetzungen des § 270b InsO vorliegen muss, anders als nach der privilegierenden Regelung des § 270b Abs. 3 InsO1428) keinen Anspruch auf Erteilung der rangerhöhenden Umqualifizierungsermächtigung.1429) Die Regelung des § 270b Abs. 3 InsO zeigt jedoch, dass aus der Sicht des Gesetzes für die Rangerhöhung der vom Schuldner eingegangenen Verbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren eine gerichtliche Ermächtigung erforderlich ist. Die Gefahr, dass Masseverbindlichkeiten unbezahlt bleiben, besteht im Verfahren nach § 270a InsO noch viel stärker als bei § 270b InsO. Es wäre nicht zu rechtfertigen, dem Schuldner in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung umfangreichere Rechte zuzugestehen als im speziellen Schutzschirmverfahren.
2.
Kontrolle der zweckentsprechenden Nutzung der Ermächtigung
664 Ist dem Schuldner die rangerhöhende Umqualifizierungsermächtigung erteilt, so findet keine weitere insolvenzgerichtliche Kontrolle statt, ob sie zweckentsprechend verwendet wird. Diese Aufgabe fällt als Teil der wirtschaftlichen Überwachung dem Sachwalter und den Mitgliedern des Gläubigerausschusses zu. Zweck der Ermächtigung ist es, in der kritischen Phase des Eröffnungsverfahrens, soweit sinnvoll, die Unternehmensfortführung als Grundvoraussetzung einer Sanierung zu unterstützen.1430) Der vorläufig eigenverwaltende Schuldner soll in beiden Verfahrensvarianten (§§ 270a, 270b InsO) die Möglichkeit erhalten, durch die Begründung von Masseverbindlichkeiten das Vertrauen der Geschäftspartner zu gewinnen, auf deren Mitwirkung durch Abschluss neuer Geschäfte oder durch Erfüllung ihrer eigenen Verpflichtungen aus einem Dauerschuldverhältnis er bei seiner Unternehmensfortführung angewiesen ist.1431) Dieser Hintergrund muss den Ausschussmitgliedern stets bewusst sein. Darüber hinaus haben sie darauf zu achten, dass durch die Nutzung der Umqualifizierungsermächtigung keine längerfristig wirksamen vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die der Entscheidung der künftigen Gläubigerversammlung über den endgültigen wirtschaftlichen Gang des Verfahrens vorgreifen. Wichtigste Überwachungsinstrumente sind in diesem Zusammenhang eine
___________ 1428) So ausdrücklich BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 225 f. Rn. 12 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488, 2489: „Die Regelung in § 270b Abs. 3 InsO stellt sich danach als eine von einer gerichtlichen Anordnung abhängige Privilegierung des Schuldners im Schutzschirmverfahren gegenüber dem Schuldner im eigenverwalteten Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO dar.“ 1429) Zum umgekehrten Fall der rangherabsetzenden Umqualifizierung von Masseverbindlichkeiten in Insolvenzforderungen nach § 55 Abs. 3 InsO siehe BGH, Urt. v. 16.6.2016 – IX ZR 114/15, BGHZ 210, 372, 384 f. Rn. 40 ff. = NZI 2016, 779 = ZIP 2016, 1295. 1430) Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 37 zu § 270b Abs. 3 (neu). Die Bestimmung wurde erst vom Rechtsausschuss des Bundestags in den Entwurf des ESUG eingefügt. 1431) Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 37 zu § 270b Abs. 3 (neu).
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D. Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO
konzeptionell nachvollziehbare aktuelle und aussagekräftige Liquiditätsplanung1432) sowie plausible Kalkulationen.1433)
VII. Auswertung des Insolvenzgutachtens Es gehört zu den grundlegenden Aufgaben der Ausschussmitglieder, alle für die 665 Überwachung und Unterstützung der Masseverwaltung relevanten Informationsquellen auszuschöpfen.1434) Dazu zählt im Endstadium des Eröffnungsverfahrens vor allem das Gutachten des vom Gericht beauftragten Insolvenzsachverständigen über die Voraussetzungen der Verfahrenseröffnung (§ 5 Abs. 1, §§ 16 – 19, 26 InsO). Ein solches Gutachten holen die Gerichte in der Unternehmensinsolvenz vor der Entscheidung über den Insolvenzeröffnungsantrag regelmäßig ein. Ist zugleich die Eigenverwaltung beantragt, so kann das Gericht den Sachverständigen oder den vorläufigen Sachwalter zusätzlich beauftragen, sich darüber zu äußern, ob Umstände vorliegen, die der Anordnung der Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO entgegenstehen.1435) Sofern nicht im Einzelfall besondere, aus dem Verfahrenszweck folgende Umstände 666 dagegen sprechen, sind die Mitglieder des Gläubigerausschusses aufgrund ihrer gesetzlichen Aufgaben berechtigt, das Insolvenzgutachten einzusehen oder beim Gericht eine Abschrift anzufordern (§ 4 InsO, § 299 Abs. 1 ZPO). Sie haben seinen Inhalt sorgfältig zu studieren und auszuwerten; offene Sachverhalte, die für die Ausschussarbeit von Bedeutung sind, haben sie in eigener Verantwortung zu klären.1436) Ein ordnungsmäßiges Gutachten über die Eröffnungsvoraussetzungen muss Erkenntnisse liefern über die Eröffnungsgründe und den Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Insolvenz, über die Höhe der zu erwartenden freien Masse und der voraussichtlichen Insolvenzquote sowie über die Sanierungs- und Fortführungsfähigkeit des Unternehmens (vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO).1437) Es hat die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage einschließlich der Verbindlichkeiten zu analysieren und die rechtliche und wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens darzustellen. Manipulationen der Handelsbilanz, Verletzungen der Buchhaltungspflichten1438) sowie die Verheimlichung von Vermögenswerten im Eröffnungsantrag (z. B. Firmenwert, Lizenzen, Marken, Patente, Software, Organhaftungs- und Anfechtungs___________ Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 152 f. Einzelheiten in Kapitel 4 F. II. 3., Rn. 434 ff. Siehe oben Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff. Siehe oben Kapitel 5 C. II. 1., Rn. 617 ff. Siehe oben Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff. Vgl. zu den inhaltlichen Anforderungen an das Gutachten die Arbeitshinweise des AG Duisburg für Insolvenzsachverständige im Eröffnungsverfahren, NZI 1999, 308 ff.; MKInsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 16 Rn. 67 f. 1438) Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 1. Aufl. 2012, S. 140. 1432) 1433) 1434) 1435) 1436) 1437)
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
ansprüche)1439) sind vom Sachverständigen ebenso offenzulegen wie unvollständige Angaben zu den Verbindlichkeiten. Nachteilige Verhaltensweisen des Schuldners im Umgang mit seinen Gläubigern in der Vergangenheit1440) sowie sonstige ermittelte nachteilsindizierende Umstände sind im Insolvenzgutachten ebenfalls zwingend zu erwähnen, weil sie einer Fortführung des Unternehmens entgegenstehen können. Zur Beurteilung der Sanierungs- und Fortführungsfähigkeit hat der Sachverständige die Gründe zu erforschen, die zum Eintritt der Insolvenz geführt haben. Sodann hat er auf der Grundlage einer aktuellen Bestandsaufnahme die Rahmenbedingungen zu prüfen und zu beurteilen, ob und inwieweit die Fortführung des Unternehmens möglich und sinnvoll ist.
667 Die Ausschussmitglieder haben die Wertansätze des Sachverständigen kritisch zu hinterfragen, vor allem, wenn das Gutachten lediglich Erinnerungswerte ausweist1441) oder der Verdacht besteht, dass Wertansätze im Verhandlungswege mit dem Schuldner oder seinem Berater auf „machbare“ oder „tragbare“ Beträge reduziert worden sind.1442) Ebenso bedeutend ist es für die Ausschussmitglieder zu erfahren, welche Ermittlungsmethoden dem Gutachten zugrunde liegen. Zu klären ist etwa, ob der Gutachter selbst eine Inventur hat durchführen lassen oder ob er sich auf Angaben des Schuldners verlassen hat,1443) ob das gegenständliche Sachanlage- und Umlaufvermögen in Augenschein genommen worden ist und inwieweit Geschäftsunterlagen geprüft und Mitarbeiter befragt worden sind. Beruhen Wertansätze auf Bewertungs- oder sonstigen Untergutachten, die der Schuldner hat anfertigen lassen, so ist dies offenzulegen; solche Ergebnisse sind besonders kritisch daraufhin zu prüfen, ob sie vom Eigeninteresse des Schuldners oder seines Beraters beeinflusst sind.
668 Bei der Einschätzung des Insolvenzgutachtens müssen die Ausschussmitglieder berücksichtigen, dass durch die dort zusammengestellten Liquidations- und Fortführungswerte, soweit sie allein auf Angaben des Schuldners beruhen, bestimmte, aus eigennützigen Motiven angestrebte Verwertungswege präjudiziert werden können.1444) Sehr selten wird die Liquidation des Unternehmens im Interesse des Schuldners und seiner Anteilsinhaber liegen, selbst wenn sie für die Gläubiger zur bestmögli___________ Rendels, NZG 1998, 839, 843 f. Westrick, NZI 2003, 65, 67. Rendels, NZG 1998, 839, 844. Siehe Kapitel 2 J. IV. 2. c), Rn. 194 f. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 270 = BT-Drucks. 19/ 4880, S. 310 (Fallstudie Nr. 8, vermutlich der Fall „Suhrkamp“; dort ging es u. a. um die gutachterliche Beurteilung einer Überschuldungsbilanz des Schuldners): „Insofern erscheint fraglich, ob sich der Gutachter der besonderen Konstellation und Bedeutung eines Gutachtens bewusst verschließen und im Zweifel den Wertvorstellungen der Antragsteller folgen sollte.“ 1444) Siehe Kapitel 2 J. IV. 2. c), Rn. 194 f. 1439) 1440) 1441) 1442) 1443)
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
chen Befriedigung führen sollte. Es ist daher in Fällen einer Unternehmensfortführung in Eigenverwaltung immer damit zu rechnen, dass etwa die Darstellung von Sicherungsrechten zum Nachteil der Insolvenzgläubiger beeinflusst ist. Entsprechendes gilt für die Verheimlichung oder nur eingeschränkte Offenlegung anfechtbarer Rechtshandlungen und haftungsbegründender Sachverhalte.1445)
E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO Die Vorschrift des § 270b InsO regelt ein zeitlich befristetes Verfahren zur voll- 669 streckungsrechtlich geschützten Vorbereitung der Sanierung mit Hilfe eines Insolvenzplans. In der juristischen Umgangssprache wird es als Schutzschirmverfahren bezeichnet,1446) formal ist es eine auf § 270a InsO aufbauende Sonderform der vorläufigen Eigenverwaltung und damit wie diese eine Variante des Insolvenzeröffnungsverfahrens.1447) Es soll Schuldnern zugutekommen, die im Sinne des § 18 InsO von der Zahlungsunfähigkeit lediglich bedroht sind, ihre wirtschaftlichen Probleme jedoch frühzeitig erkannt und bereits ein nicht offensichtlich aussichtsloses Sanierungs-Grobkonzept entwickelt haben. Solche vorausschauend handelnden Schuldner sollen weitgehend die Kontrolle über ihr Unternehmen behalten dürfen und verfahrensrechtliche Planungssicherheit im Eröffnungsverfahren erhalten.1448) Für die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses ist das Schutzschirmverfahren besonders schwer zu beherrschen, weil es komplexe rechtliche und betriebswirtschaftliche Sachverhalte miteinander verknüpft, die unter dem Druck einer maximal dreimonatigen Frist zu bewältigen sind. Nur etwa jedes zweite Schutzschirmverfahren wird bisher im eröffneten Insolvenzverfahren zumindest zeitweise in Ei___________ 1445) Vgl. die Ausführungen bei Buchalik/Haarmeyer, Sanieren statt Liquidieren, 1. Aufl. 2012, S. 112: „Die Interessen der Banken sind häufig auf Liquidation ausgerichtet. Von diesem Weg müssen sie abgebracht werden. Ihnen muss gezeigt werden, dass durch das Verfahren ihre Rechtsposition eine bessere wird.“ S. 122: „Je höher die Verzichtsquote, umso schwieriger wird es aber sein, die Banken an Bord zu halten. Dies sollte der Berater bei den Verhandlungen mit den Banken berücksichtigen. Deswegen ist es im Regelfall von Vorteil, wenn die Besicherungssituation so einzuschätzen ist, dass keine erheblichen Verzichte notwendig sind.“ Sowie Buchalik/Brömmekamp, Newsletter Bau, 2015: „Es sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen die ungesicherte Bank gleichwohl vollständig befriedigt wird, obwohl die übrigen ungesicherten Gläubigern nur eine geringe Quote erhalten.“ 1446) Zur Terminologie siehe oben Kapitel 5, Einleitung vor A., Rn. 590 f. 1447) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 39 f. zu Nr. 43 (zu §§ 270a, 270b InsO); Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 2014, Kapitel 14 Rn. 3 (allgemein für die Eigenverwaltung), Rn. 76 („Vollstreckungsschutzverfahren“); Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014, Rn. 192; ders., DB 2014, 1663, 1665; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 88 Rn. 15; Desch, BB 2011, 841; Frind, NZI 2014, 977, 979; Kebekus/Zenker, in: FS Beck, 2016, S. 285, 301; Sedlak, Schutzschirmverfahren, 2017, S. 131 f.; Schulz, Sanierungsgeschäftsführung, 2017, S. 120; Mitsching, Masseverbindlichkeiten, 2018, S. 209, 275. 1448) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 zu Nr. 43 (zu § 270b InsO); vgl. auch BTPlenarprotokoll 17/117, Stenographischer Bericht v. 30.6.2011, 117. Sitzung, S. 13455 (A) – 13465 (B); BT-Plenarprotokoll 17/136, Stenographischer Bericht v. 27.10.2011, 136. Sitzung, S. 16162 (C) – 16173 (C). Ebenso Haarmeyer, in: FS Pannen, 2017, S. 371, 372.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
genverwaltung fortgeführt.1449) Daraus ist zu schließen, dass die Anordnung in einer Vielzahl ungeeigneter Fälle letztlich erfolglos bleibt.1450)
I.
Systematische Stellung des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) und sein Verhältnis zur allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a InsO)
670 Im Anwendungsbereich des § 270b InsO ist der Schuldner im Vergleich zu allen anderen Verfahrensvarianten privilegiert durch die geschützte Planvorlagefrist (Abs. 1), durch das Vorschlagsrecht für die Person des vorläufigen Sachwalters (Abs. 2 Satz 2) sowie durch das Recht, vom Gericht Vollstreckungsschutz und die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu erhalten (Abs. 2 Satz 3, Abs. 3). Diese Privilegien machen den namensgebenden Kern des Schutzschirms aus.1451) Am gesetzlichen Verfahrensziel der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 1 Satz 1 InsO) ändert dies aber nichts.1452) Das Verfahren nach § 270b InsO ist kein eigenständiges Sanierungsverfahren,1453) sondern bleibt ein Insolvenzeröffnungsverfahren als gerichtlich organisierte unmittelbare Vorstufe eines Insolvenzverfahrens (vgl. § 218 Abs. 1 Satz 1, 2 InsO). Es dient nicht dem Schutz des von der Insolvenz bedrohten Schuldners vor seinen Gläubigern, sondern umgekehrt dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Gläubi-
___________ 1449) Der RegBericht ESUG, 2018, BT-Drucks. 19/4880, S. 2 f. nennt für den Auswertungszeitraum vom 1.3.2012 bis zum 28.2.2017 die Zahl von 54,33 % bei 300 erfassten Verfahren; vgl. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 10, Tabelle 7 = BTDrucks. 19/4880, S. 50. 1450) Aus der Praxis berichtet Frind (NZI 2014, 977, 979), dass „in einer ganzen Reihe vorgeblicher Schutzschirmverfahren“ die nur drohende Zahlungsunfähigkeit als „Eingangsvoraussetzung […] gar nicht gegeben war.“ 1451) Von Privilegien spricht ausdrücklich auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, Anlage 3, S. 50 ff., 59 f. zu Nr. 24 (§ 270b Abs. 3 InsO-E); ebenso BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 225 f. Rn. 12 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488. Siehe auch K. Schmidt, BB 2011, 1603, 1607 („Privileg der Eigenverwaltung“, das sich der Schuldner „nachhaltig verdienen“ müsse). 1452) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17; ausführlich ebenso schon allgemein RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 75 ff.; BeckOK-InsO/Martini, 14. Ed. 04.2019, § 270b Rn. 3; siehe oben Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff. 1453) So aber ebenso plakativ wie systemwidrig der RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 li. Sp. Abs. 2 (zu § 270b). Zutr. dagegen ebd., S. 41 li. Sp. Abs. 2 (zu § 270b Abs. 3 InsO-E): „Nach Absatz 3 [jetzt Absatz 4] ist das Gericht jedoch verpflichtet, seine Anordnung unter bestimmten Voraussetzungen insgesamt aufzuheben und damit das Eröffnungsverfahren nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 21 – 25 InsO sowie des § 270a InsO-E fortzuführen. […] Mit der Aufhebung des Verfahrens nach § 270b InsO-E stehen dem Gericht wieder alle im Eröffnungsverfahren bestehenden Optionen zur Verfügung.“ Zweifelnd auch Hirte/Knof/Mock, Insolvenzrecht, 2012, S. 57, da „es um eine befristete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht“ gehe.
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
ger (Art. 14 Abs. 1 GG) vor den Folgen einer sich andernfalls unkontrolliert fortentwickelnden Krise des Schuldners.1454) Weil das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO ein Sonderfall der allgemeinen 671 vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO ist,1455) kann es nach nahezu einhelliger Auffassung nur eingeleitet werden, wenn deren Anordnungsvoraussetzungen gegeben sind.1456) Dieser Zusammenhang der beiden Vorschriften wird aus der Rechtsgrundverweisung des § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO („und die Eigenverwaltung beantragt“) sowie aus der Formulierung des § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO deutlich, das Gericht bestelle „einen vorläufigen Sachwalter nach § 270a Abs. 1“. Während aber die Grundnorm des § 270a InsO unabhängig davon gilt, ob der Eröffnungsantrag von einem Gläubiger oder vom Schuldner ausgeht, kann § 270b InsO nur eingreifen, wenn der Schuldner nicht nur die Eigenverwaltung beantragt, sondern auch selbst einen allein auf drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestützten zulässigen Eröffnungsantrag gestellt hat. Das Verfahren nach § 270b InsO muss ein gut vorbereitetes Konsensverfahren1457) 672 sein; daher kann es kein schutzwürdiges Interesse des Schuldners an einer „diskreten Sanierung“1458) geben, die darauf gerichtet ist, wesentliche Gläubiger uninformiert zu lassen. Der Schuldner soll trotz seines Eröffnungsantrags die Kontrolle über sein Unternehmen nur zu dem Zweck behalten, bereits im Vorfeld zumindest grob konzipierte Sanierungsschritte bis zur Vorlage eines formgerechten und aussichtsreichen Insolvenzplans fortsetzen zu können.1459) Der Gesetzgeber ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine erfolgversprechende Sanierung planvolles Handeln voraussetzt, bei dem die notwendigen Schritte mit ausreichendem zeitlichem Vorlauf bereits vor Antragstellung eingeleitet worden sind. Das Verfahren nach § 270b InsO bietet zwar die Möglichkeit des Vollstreckungsschutzes (Abs. 2 Satz 3, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3), kann die Gläubiger aber nicht daran hindern, ihre Forderungen fällig zu stellen oder Verträge zu kündigen. Deshalb ist es in erster Linie für ___________ 1454) Siehe oben Kapitel 2 G. I., Rn. 112. 1455) Siehe oben Kapitel 5 E., Rn. 669, Fn. 1447. 1456) AG Ludwigshafen, Beschl. v. 4.7.2014 – 3f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746, 1747 f. = BeckRS 2014, 14510; KPB-InsO/Pape, 49. EL. 07.2012, § 270b Rn. 37; K. Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl. 2016, § 270b Rn. 8; Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 270b Rn. 12; BeckOK-InsO/Martini, 14. Ed. 04.2019, § 270b Rn. 18 f.; Uhlenbruck/ Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270b Rn. 7; Kolmann, Praxisbuch Schutzschirmverfahren, 2014, Rn. 668; Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 13 f.; Friedrichs, Schutzschirmverfahren, 2014; Sedlak, Schutzschirmverfahren, 2017, S. 131 f.; a. A. MK-InsO/ Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 39 (ohne Begr.). 1457) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 re. Sp. Abs. 1 (zu § 270b InsO). Ebenso Bitter Wirtschaftsspiegel v. 1.6.2015, 18 f.; Kebekus/Zenker, in: FS Beck, 2016, S. 285, 293. 1458) So jedoch Keller, ZIP 2012, 1895, 1900. 1459) Siehe zu berechtigten Aspekten aus Unternehmens- und Beratersicht Kolmann, DB 2014, 1663, 1664.
313
Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
solche Schuldner gedacht, die sich im Vorfeld mit ihren zentralen Gläubigern abgestimmt haben und von ihnen unterstützt werden. Kann ein solcher Konsens nicht gefunden werden, so ist das schuldnerische Unternehmen nicht für eine Sanierungsvorbereitung im Rahmen des § 270b InsO geeignet.1460)
673 Für die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses ergeben sich hieraus folgende Erkenntnisse und Konsequenzen: Grundsätzlich haben sie auch im Schutzschirmverfahren sämtliche Pflichten zu erfüllen, die ihnen in der allgemeinen vorläufigen und in der endgültigen Eigenverwaltung obliegen. Hierzu zählen die Überwachung der Geschäftsführung des Schuldners und des vorläufigen Sachwalters, insbesondere im Hinblick auf die Fortführung des Unternehmens, sowie die laufende Überprüfung, ob das praktizierte Management und Finanzgebaren, etwa durch die Begründung von Masseverbindlichkeiten, zu einer weiteren Verschlechterung der schuldnerischen Vermögenslage oder zu anderen Nachteilen für die Gläubiger führt.
II. Keine bindende Mitwirkung des vorläufigen Gläubigerausschusses 674 Ein Mitbestimmungsrecht darüber, ob ein Schutzschirmverfahren angeordnet wird, steht dem Ausschuss ebenso wenig zu wie im Verfahren nach § 270a InsO.1461) Eine entsprechende Anwendung des § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO auf das Schutzschirmverfahren sieht das Gesetz nicht vor. Sie ist auch nicht durch Analogie zu begründen; eine planwidrige Gesetzeslücke besteht nicht. Insofern gilt nichts anderes als bei der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO.1462)
III. Prüfung der Plausibilität der Antragsunterlagen 675 Die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses sind aufgrund ihrer Überwachungsaufgabe (§§ 69, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO) auch im Fall eines Schutzschirmantrags verpflichtet, sich über den Inhalt und die Plausibilität sämtlicher Anträge des Schuldners und ihrer Anlagen zu unterrichten und die dabei gewonnenen Erkenntnisse bei ihrer weiteren Tätigkeit zu nutzen.1463) Dies gilt vor allem, aber keineswegs allein, für das Sanierungs-Grobkonzept und die Sanierbarkeitsbescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO. Die in den Antragsunterlagen enthaltenen Angaben über die Verhältnisse, Überlegungen, Prämissen, Erwartungen und Absichten des Schuldners sind insgesamt für die Ausschussmitglieder Informationsgrundlagen, die sie vielfach erst in die Lage versetzen, sich eine Meinung über die Sinnhaftigkeit des Verfahrens zu bilden und abzuwägen, ob sie im Interesse der ___________ 1460) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 re. Sp. Abs. 1 (zu § 270b InsO). Zustimmend Paulus, NZI 2015, 1001, 1005. 1461) Vgl. z. B. Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 86. 1462) Siehe oben Kapitel 5 D. II., Rn. 643 ff. 1463) Siehe Kapitel 5 C. I., Rn. 602 ff.
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
Gläubigergesamtheit einen Aufhebungsantrag nach § 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO stellen müssen. Insbesondere das Sanierungs-Grobkonzept, das zwingend mit dem Antrag vorzutragen ist, enthält wichtige Anhaltspunkte für das zu erwartende wirtschaftliche und rechtliche Verhalten des Schuldners, selbst wenn es nur Absichtserklärungen und leere Phrasen bietet.1464) Zu diesem Zweck sollten die Ausschussmitglieder in der Regel nicht nur vom Schuldner Abschriften aller Antragsunterlagen verlangen, sondern auch Einsicht in die Gerichtsakte nehmen, um von möglicherweise eingereichten Schutzschriften oder gar Eröffnungsanträgen von Gläubigern sowie von dem Schriftverkehr zwischen Verfahrensbeteiligten und dem Gericht Kenntnis zu erhalten.
1.
Drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners?
Das Schutzschirmverfahren steht dem Schuldner nur zur Verfügung, wenn bei Stel- 676 lung des Eröffnungsantrags der Insolvenztatbestand (Eröffnungsgrund) der drohenden Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung vorliegt (§ 270b Abs. 1 Satz 1, §§ 18, 19 InsO).1465) Die Überschuldung ist nur bei juristischen Personen oder sonstigen beschränkt haftenden Rechtsträgern ein gesetzlicher Insolvenztatbestand (§ 19 Abs. 1, 3 InsO). Unschädlich ist es, wenn beide Eröffnungsgründe zusammentreffen. Es muss zumindest der eine oder der andere Tatbestand vorliegen; entscheidend ist, dass der Schuldner noch nicht definitiv zahlungsunfähig ist. Deshalb scheidet nach Wortlaut und Sinn der Norm eine analoge Anwendung des § 270b InsO auf Fälle bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit aus.1466) Ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 270b Abs. 1 InsO erfüllt sind, ist zwar vom 677 Gläubigerausschuss nicht eigenständig rechtlich zu überprüfen. Die Ausschussmitglieder haben jedoch im Zusammenhang mit der Überwachung des Schuldners anhand der Geschäftsunterlagen (§ 69 InsO) nachzuvollziehen, ob zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich die Zahlungsunfähigkeit noch nicht eingetreten war. Gegenteilige Anhaltspunkte hierfür können frühere oder noch anhängige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder Eröffnungsanträge von Gläubigern sein. Aufschlussreich sind ferner die betriebswirtschaftlichen Auswertungen sowie die Summenund Saldenlisten nebst „offene-Posten-Listen“ (OPOS-Listen). Aus diesen monat___________ 1464) Vgl. Brinkmann, DB 2012, 1313, 1316. 1465) Empirisch bestehen auch für das Schutzschirmverfahren vielfach Zweifel an einer rechtzeitigen Antragstellung vor Eintritt der definitiven Zahlungsunfähigkeit; vgl. Jacoby/Madaus/ Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 109 = BT-Drucks. 19/4880, S. 149 (dort zu den rechtspolitischen Vorschlägen der Verbände); RegBericht ESUG, 2018, BT-Drucks. 19/ 4880, S. 2 f. 1466) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 li. Sp. Abs. 2, 3 (zu § 270b InsO); MKInsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 25 f.; BeckOK-InsO/Martini, 14. Ed. 04.2019, § 270b Rn. 5; Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 15.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
lich zu erstellenden Buchhaltungsauswertungen können bei korrekter Handhabung die ausgabenwirksamen Kostenpositionen, der aktuelle Stand und die Entwicklung der Debitoren und Kreditoren sowie die Bank- und Kassenbestände abgelesen werden. Zugleich geben diese Unterlagen Aufschluss darüber, ob der Schuldner in seiner bisherigen Geschäftsführung riskante Geschäftspraktiken vermieden, insbesondere im Aktivvermögen das betriebswirtschaftliche Gebot der Streuung von Ausfallrisiken beachtet hat.1467) Die gehäufte Wahrscheinlichkeit absehbarer Zahlungsausfälle wiederum kann für die Prognose bedeutsam sein, in welchem Zeitraum mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu rechnen ist.
678 Auf eine eingetretene, aber verdeckte und verschleppte Zahlungsunfähigkeit deuten auch nach § 14 Abs. 1 InsO zulässige Insolvenzeröffnungsanträge von Gläubigern hin, die etwa in den letzten fünf Jahren1468) vor Eingang des aktuellen Schuldnerantrags anhängig waren (oder sogar noch anhängig sind). Ein solcher Antrag muss für den Ausschuss Anlass sein, die Angaben des Schuldners und den Inhalt der Sanierbarkeitsbescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO mit besonderer Skepsis zu betrachten und mit Sorgfalt zu prüfen. Dies gilt erst recht, wenn der Antrag des Gläubigers später zurückgenommen oder für erledigt erklärt worden ist. Ein solcher Vorgang begründet nämlich den Verdacht, dass der Schuldner unter dem Druck des Antrags anfechtbare Zahlungen an den Antragsteller geleistet hat und schon deshalb für die Eigenverwaltung ungeeignet ist. Wer seine finanzielle Lage in diesem Maße eskalieren lässt, bietet nicht die Gewähr dafür, dass er in der Eigenverwaltung die erforderliche Umsicht und Besonnenheit bei der Behandlung der Gläubigergruppen aufbringt.
679 Stellt sich während des Schutzschirmverfahrens heraus, dass entgegen den Angaben des Schuldners oder der Darstellung in der Sanierbarkeitsbescheinigung zur Zeit der Antragstellung die Zahlungsunfähigkeit keineswegs nur drohte, sondern bereits eingetreten war, so ist der Schutzschirmantrag nachträglich als unbegründet zu behandeln. Derartige Erkenntnisse haben die Ausschussmitglieder unverzüglich dem Insolvenzgericht mitzuteilen,1469) sofern ihnen nicht zuverlässig bekannt ist, dass der vorläufige Sachwalter hierzu bereits eine Anzeige nach § 270b Abs. 4 Satz 2 InsO erstattet hat. Ein solcher Fall nachträglich zu Tage tretender Gesetzwidrigkeit des Schutzschirmantrags liegt erst recht vor, wenn der Schuldner durch Manipulationen erreicht hat, dass bei Antragstellung eine schon eingetretene Zahlungsunfähigkeit als bloß drohende erschienen ist. Dies ist etwa der Fall, wenn der Schuldner kurz vor oder sogar nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorsätzlich durch Täuschung oder ___________ 1467) Vgl. Grigg, BWA-Analyse in der Kreditpraxis, 2. Aufl. 2005, S. 184 f., 187. Siehe auch Knief, DB 2015, 257, 258 zur Identifizierung und Früherkennung unternehmerischer Risiken mittels betriebswirtschaftlicher Auswertungen. 1468) Zum Zeitraum von 5 Jahren als angemessener Vorlauffrist vgl. die früheren Regelungen in § 3 Abs. 2 Nr. 1 – 3, § 17 Nr. 4, 5 VerglO. 1469) Siehe oben Kapitel 4 G. III. 3., Rn. 566.
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
unerfüllbare Versprechungen einzelne oder alle Gläubiger zu einer Stundungsvereinbarung oder zu einem einstweiligen Stillhalten veranlasst hat.1470) Eine solche Manipulation der Voraussetzungen des § 270b InsO ist rechtsmissbräuchlich.1471) Die Zusagen der Gläubiger sind als rechtlich unwirksam zu behandeln, ihre scheinbaren Auswirkungen auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit entfallen. Auch wenn sich nicht feststellen lässt, dass der Schuldner den Eintritt der Zah- 680 lungsunfähigkeit durch vorsätzliche Täuschung von Gläubigern hinausgezögert oder verschleiert hat, müssen Ausschussmitglieder Vereinbarungen mit Gläubigern, durch welche die eingetretene Zahlungsunfähigkeit kurzfristig in eine scheinbar nur drohende umgewandelt werden soll, mit großem Argwohn betrachten. Es widerspricht dem Sinn und Zweck der Regelungen des § 270b InsO, wenn der Schuldner vor der Antragstellung eine Stundungsvereinbarung oder eine Stillhaltezusage allein mit dem Ziel zustande bringt, sich in einem kleinen Zeitfenster den Zugang zum Schutzschirmverfahren zu verschaffen, obwohl er vor und nach der Antragstellung zahlungsunfähig ist.1472) Ein solches Verhalten mag zwar nicht rechtsmissbräuchlich oder gar insolvenzzweckwidrig sein,1473) weist jedoch auf die Unzuverlässigkeit des Schuldners hin. Wer derart taktiert, um in den Genuss einer privilegierenden Verfahrensregelung zu kommen, bietet nicht die Gewähr für eine uneingeschränkt gesetzmäßige Eigenverwaltung im Interesse der Gläubigergesamtheit. Sein Verhalten ist ein Indiz für die offensichtliche Aussichtslosigkeit des Eigenverwaltungsantrags (§ 270a Abs. 1 InsO) und damit der angestrebten Sanierung in Eigenverwaltung. Ergibt sich im Verlauf des Schutzschirmverfahrens, dass der Schuldner nicht nur 681 bereits zahlungsunfähig ist, sondern dass seine organschaftlichen Vertreter zugleich entgegen § 15a InsO den Eröffnungsantrag verspätet gestellt und damit zumindest objektiv Insolvenzverschleppung begangen haben, so sind die Mitglieder des Gläubigerausschusses nicht nur verpflichtet, nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO die Aufhebung der Schutzschirmanordnungen zu beantragen. Sie haben auch durch eine entsprechende Stellungnahme gegenüber dem Gericht darauf hinzuwirken, dass unverzüglich Verfügungsbeschränkungen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 InsO angeordnet werden und der Eigenverwaltungsantrag selbst wegen Unzuverlässigkeit des Schuldners abgelehnt wird.
2.
Sanierungs-Grobkonzept des Schuldners
Der zentrale Grund für die Einführung des Schutzschirmverfahrens war die Erwar- 682 tung, dass der seriöse und betriebswirtschaftlich kompetente Unternehmer recht___________ 1470) 1471) 1472) 1473)
Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270b Rn. 12; Ganter, NZI 2012, 985, 988. Zur Begriffsbestimmung siehe oben Kapitel 2 J., Rn. 155 f. Ebenso KPB-InsO/Pape, 49. EL. 07.2012, § 270b Rn. 32. Vgl. allg. Prütting, FS Kübler, 2015, S. 567, 569 ff.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
zeitig vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ein Sanierungs-Grobkonzept entwickelt, das er im Rahmen einer besonderen Variante des Insolvenzeröffnungsverfahrens federführend verfeinert, so dass es spätestens bei Erlass des gerichtlichen Eröffnungsbeschlusses in Form eines Insolvenzplans vorliegt. Dabei sollen die Gläubiger eine maßgebliche Rolle spielen. Die Möglichkeiten des § 270b InsO sind vor allem für solche Schuldner gedacht, so heißt es im Regierungsentwurf des ESUG, die „in Abstimmung und mit der Unterstützung ihrer zentralen Gläubiger“ das Verfahren betreiben wollen.1474) Die umfangreichen Aufgaben, die für die Gläubiger mit der Begleitung eines derartigen komplexen und zeitlich begrenzten Sanierungsprozesses verbunden sind, können sinnvoll nur von einem zugleich sachkundigen und aufmerksamen vorläufigen Gläubigerausschuss erfüllt werden.
683 Dreh- und Angelpunkt für die Tätigkeit der Ausschussmitglieder ist zunächst die Begründung, die der Schuldner notwendigerweise dem Schutzschirmantrag beizugeben und dem Insolvenzgericht vorzulegen hat (vgl. § 130 Nr. 3, § 253 Abs. 2 ZPO, § 4 InsO).1475) In ihr sind die Tatsachen und konzeptionellen Überlegungen darzustellen, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner angesichts seiner wirtschaftlichen und rechtlichen Lage die Sanierung seiner Vermögensverhältnisse mit Hilfe eines Insolvenzplans anstrebt, die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist und dass der Schuldner die Frist von höchstens drei Monaten zur Ausarbeitung des Insolvenzplans benötigt. Die Überlegungen zur Sanierung sind in einem Sanierungs-Grobkonzept näher auszuführen.1476)
684 Der Begriff der Sanierung wird in der Insolvenzordnung zwar erwähnt (§ 39 Abs. 4 Satz 2, § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO), aber nicht definiert.1477) Er ist kein feststehender Rechtsbegriff.1478) Das Wort bedeutet „Heilung“1479), im ökonomischen Zusammenhang: Ordnung oder Neuregelung zerrütteter Wirtschafts- und Vermögensverhältnisse1480) oder Wiederherstellung der wirtschaftlichen Rentabilität und Wett___________ 1474) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 re. Sp. Abs. 1 (zu § 270b InsO). Auch Kolmann, DB 2014, 1663, 1665 geht davon aus, dass der Einleitung eines Schutzschirmverfahrens zumeist ein außergerichtlicher Sanierungsversuch vorausgeht. 1475) Vgl. dazu auch Kapitel 5 C. I. 1., Rn. 604 ff. 1476) Herrschende Meinung: MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 35; Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 88 Rn. 24; ausführlich Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 77 – 83; Henkel, ZIP 2015, 562, 565 m. w. N. in Fn. 35; Frind, ZInsO 2012, 1546, 1548 m. w. N.; Bremen, NZI 2014, 137, 140, 144; Laroche/Pruskowski/Schöttler/ Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2164. 1477) § 39 Abs. 4 wurde angefügt durch Gesetz vom 23.10.2008, BGBl. I, S. 2026, 2038. Im RegE InsO und im RegE ESUG wird der Begriff der Sanierung in der Begründung durchgehend nur allgemein als Gegensatz zur Zerschlagung und Liquidation verwendet (BT-Drucks. 12/ 2443, S. 74, 76 ff., BT-Drucks. 17/5712, S. 17 ff., 39 ff.). 1478) Wellensiek, NZI 2002, 233; zu den Definitionsversuchen siehe ausf. Bergner, in: FS Wimmer, 2017, S. 63 ff. 1479) Sanare (lat.) = gesund machen, heilen; sanatio = Heilung. 1480) Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, http://www.dwds.de.
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
bewerbsfähigkeit.1481) Sanierung ist also der Inbegriff aller betriebswirtschaftlichen, finanziellen und rechtlichen Maßnahmen, die geeignet und bestimmt sind, ein in die Krise geratenes Unternehmen aus dieser Situation herauszuführen und seine weitere Existenz zu sichern, insbesondere durch die Wiederherstellung seiner Rentabilität.1482) Im insolvenzrechtlichen Kontext kann die Sanierung des Schuldners als Mittel zum Zweck lediglich Zwischenschritt auf dem Weg zu einer bestmöglichen und gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger sein.1483) Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben deshalb das Sanierungs-Grobkonzept vor allem unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob es realistisch und wirtschaftlich vernünftig ist und ob in ihm die Interessen der Gläubigergesamtheit hinreichend, dem Verfahrenszweck (§ 1 Satz 1 InsO) entsprechend vorrangig berücksichtigt sind. Das Konzept muss so substantiiert sein, dass es für die Ausschussmitglieder nachvollziehbar und prüfungsfähig ist. Andernfalls können sie nicht beurteilen, ob aus der Sicht der Gläubiger die weitere Unterstützung des Schuldners durch die Privilegien des § 270b InsO sinnvoll ist oder ob der Ausschuss einen Aufhebungsantrag nach § 270b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO stellen muss, damit der Schuldner nicht unter dem Schutz der gerichtlichen Anordnungen konzeptionslos und nur getragen von vagen Hoffnungen noch das letzte Vermögen vernichtet.1484) Verfehlt wäre es, in diesem Zusammenhang allein darauf abzustellen, dass inner- 685 halb der maximal möglichen Frist von drei Monaten die Finanzierung der Unternehmensfortführung gesichert und „keine erhebliche Vermögensminderung“ zu erwarten ist.1485) Dies sind notwendige Bedingungen jedes Sanierungsversuchs. Sie rechtfertigen aber kein privilegiertes Vorgehen nach § 270b InsO, solange der Schuldner seinen Sanierungswillen nur in allgemeinen Wendungen bekundet und von Kostensenkung oder Ertragssteigerung spricht, ohne zumindest eine auf den Einzelfall abgestellte durchdachte Grundkonzeption vorweisen zu können. Das Gesetz geht zu Recht davon aus, dass ein Antrag nach § 270b InsO nur sinnvoll ist, wenn der Schuldner schon im Vorfeld der Antragstellung mit seinen zentralen Gläubigern einen Konsens erzielt hat.1486) Dies wiederum setzt voraus, dass der Schuldner zumindest eine grobe, vor allem dem Gericht und den Ausschussmitgliedern vermittelbare realistische Vorstellung über Ziel und Weg seines weiteren Vorgehens hat. ___________ 1481) Duden, http://www.duden.de/rechtschreibung/Sanierung. Ähnlich MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 34. 1482) Vgl. zum Begriff zum Beispiel Bitter, ZGR 2010, 147, 151 f. 1483) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 108 zu § 1. 1484) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. Abs. 2 (zu § 270b InsO). 1485) So aber Siemon, ZInsO 2012, 1045, 1051; ebenso kritisch wie hier MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 34. 1486) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 re. Sp. Abs. 1 (zu § 270b InsO); Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 24 („wechselseitiges Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schuldner und Hauptgläubigern“).
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
686 Allerdings legt das Gesetz keinen Standard für die Darstellung der Sanierungsvorstellungen fest.1487) Das ist angesichts der eindeutigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO auch nicht erforderlich. Schon nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Regeln1488) muss die Antragsbegründung des Schuldners so substantiiert sein, dass das Gericht und nachfolgend die Ausschussmitglieder in die Lage versetzt werden, zu erkennen und zu prüfen, welche Sanierungsmaßnahmen angestrebt werden und ob diese nicht offensichtlich aussichtslos sind.1489) Es geht also nicht um die Frage, ob überhaupt ein Sanierungskonzept vorzulegen ist, sondern nur darum, welche Anforderungen an dessen gedankliche Tiefe und Präzision zu stellen sind. Erforderlich ist zumindest ein Sanierungs-Grobkonzept, das die tatsächlichen Grundlagen sowie den aktuellen Stand der Überlegungen des Schuldners und seiner Berater wiedergibt. Es muss so umfassend und konkret dargestellt sein, dass die Ausschussmitglieder die Hintergründe, die wirtschaftliche und rechtliche Zielrichtung der Sanierung, die Art und den Umfang der ins Auge gefassten Sanierungsmaßnahmen sowie die wesentlichen Chancen und Risiken der Sanierung erkennen können. Ausgehend von den tatsächlichen Gegebenheiten, die der Schuldner schon in den allgemeinen Antragsunterlagen (§ 13 Abs. 1, § 270 Abs. 1 InsO)1490) anzusprechen hat, und von plausiblen Prämissen, muss das Konzept nachvollziehbar, in sich schlüssig und frei von Widersprüchen sein.1491) Es muss erkennen lassen, dass der Schuldner seine wirtschaftliche Lage im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche mit praktischer Vernunft analysiert hat, es muss die Krisenursachen sowie die maßgebliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sachgerecht darstellen, und es muss hieraus realistische, einleuchtende, wenn nicht gar überzeugende Schlussfolgerungen ziehen. Das gilt auch für kleinere und mittlere Unternehmen.1492)
687 Genügt das Sanierungs-Grobkonzept diesen Anforderungen nicht und hat das Gericht gleichwohl das Schutzschirmverfahren angeordnet, so müssen die Ausschussmitglieder sich unverzüglich in eigener Initiative Klarheit verschaffen, ob die Sachkunde des Schuldners und seiner Berater für die Durchführung einer Sanierung ausreicht und welche einem Grobkonzept entsprechenden Überlegungen und Ab___________ 1487) So ausdrücklich RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, Anlage 4 (Gegenäußerung der Bundesregierung), S. 70 zu Nr. 20 (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO) zum IDW-Standard S 6 – Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (jetzt: IDW S 6 in der Fassung v. 16.5.2018); ebenso BGH, Urt. v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15, NZI 2018, 840, 841 Rn. 10 = ZIP 2018, 1794 f.; Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 77; Krystek/Klein, DB 2010, 1769 (dort für Sanierungskonzepte im Allgemeinen). 1488) Siehe oben Kapitel 5 C. I. 1., Rn. 604 ff. 1489) Ebenso auch MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 36. 1490) Siehe Kapitel 5 C. I., Rn. 602 f. 1491) BGH, Urt. v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561, 1563 f. = ZIP 1998, 248, 251; M. Brinkmann, DB 2012, 1313, 1316 f. 1492) BGH, Urt. v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561, 1563 zu III 3 d) aa) = ZIP 1998, 248; BGH, Urt. v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14, NZI 2016, 636, 637 f. Rn. 19 = ZIP 2016, 1235.
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
sichten den Anträgen des Schuldners zugrunde liegen. Kann dies nicht kurzfristig sichergestellt werden, so verdichtet sich die Prüfungs- und Überwachungspflicht des Ausschusses zur Pflicht, unverzüglich einen Aufhebungsantrag nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO zu stellen und zugleich das Gericht über die eigenen Feststellungen zu informieren.1493)
3.
Sanierbarkeitsbescheinigung
Mit seinen Schutzschirmantrag hat der Schuldner nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO 688 eine mit Gründen versehene Bescheinigung einer in Insolvenzsachen erfahrenen Person vorzulegen, aus der sich ergibt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine (bereits eingetretene) Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.1494) Diese Sanierbarkeitsbescheinigung,1495) die verfahrensrechtlich nichts anderes als qualifizierter substantiierter Parteivortrag1496) des Schuldners ist, muss von den Mitgliedern des Gläubigerausschusses ebenfalls in ihre Prüfung des Sanierungs-Grobkonzeptes und in die Auswertung der Antragsunterlagen einbezogen werden. Die Prüfungskriterien sind im Wesentlichen die gleichen, die für das Grobkonzept maßgebend sind. Da die Aussteller solcher Bescheinigungen sehr häufig dem Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk des Sanierungsberaters angehören,1497) vom Schuldner beauftragt und entlohnt werden und deshalb nicht unabhängig sind,1498) besteht die Gefahr von Gefälligkeitsattesten.1499) Wert und Überzeugungskraft der Bescheinigung werden ___________ 1493) 1494) 1495) 1496)
Ausführlich dazu oben Kapitel 4 G., Rn. 556 ff. Vgl. den Standard S 9 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW S 9), ZIP 2014, 2275 ff. Zur Terminologie siehe oben Kapitel 2 J. III. 1., Rn. 167 Fn. 374. Vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 8.7.2009 – VIII ZR 314/07, NJW 2009, 2894 f. Rn. 22 (Bestätigung eines Wirtschaftsprüfers über Bezugskostensteigerungen eines Energielieferanten); allgemein zur Einordnung eines Privatgutachtens als qualifizierter Parteivortrag ferner BGH, Urt. v. 11.5.1993 – VI ZR 243/92, NJW 1993, 2382, 2383; BGH, Urt. v. 10.10.2000 – VI ZR 10/00, NJW 2001, 77, 78; BGH, Beschl. v. 18.9.2013 – V ZR 286/12, juris Rn. 7. Die Aussage des IDW S 9, ZIP 2014, 2275 Rn. 3, es handele sich um eine gutachterliche Stellungnahme, ist im verfahrensrechtlichen Sinne unzutreffend. 1497) Siehe oben Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 1498) Schröder/Schulz, ZIP 2017, 1096, 1102. 1499) Ebenso Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729, 734. Vgl. hierzu auch Rendels/Körner, INDat Report 2012 Nr. 7, 56 sowie Frind, ZInsO 2018, 231, 236, 237: Die Eingangsvoraussetzung der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit „wird häufig zu leichtfertig von den Organen der Schuldnerunternehmen angenommen (in der Hoffnung, Eigenhaftung wegen möglicher Insolvenzverschleppung zu reduzieren) und von den Beratern willfährig bescheinigt.“ Pape, ZIP 2013, 2285, 2286 und Fn. 7; ders., ZInsO 2018, 2725, 2727: „Außerdem stellt sich die Frage, wie es zu einer Bescheinigung kommen kann, die dem Schuldner eine aussichtsreiche Sanierung attestiert, wenn dieser seine unternehmerischen Kardinalpflichten schon bisher nicht erfüllt hat.“ Siehe auch Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, ESUG-Evaluierung, 2018, S. 7 (eher keine taugliche Verfahrensgrundlage), 31, 103, 243 – 245 (Fallstudie Nr. 1), 282 – 284 (Fallstudie Nr. 11) = BT-Drucks. 19/4880, S. 13, 71, 143, 283 – 285, 322 – 324.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
wesentlich von der geistigen, persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit des Ausstellers gegenüber dem Schuldner und seinem Berater bestimmt. Insbesondere ist von Bedeutung, ob und in welchem Ausmaß die Bescheinigung auf eigenen Feststellungen und Bewertungen des Ausstellers beruht oder ob lediglich die Angaben, Schätzungen, Vorstellungen und Erwartungen des Schuldners und seines Beraters übernommen worden sind.
IV. Überwachung der Sanierungsvorbereitungen und der Aufstellung des Insolvenzplans 689 Die gesicherte Frist, die das Gericht dem Schuldner zur Vorlage eines Insolvenzplans und damit zur Vorbereitung der angestrebten Sanierung bestimmt, ist einer der gesetzlichen Kernpunkte des Schutzschirmverfahrens (§ 270b Abs. 1 Satz 1, 2 InsO). Es gehört deshalb zu den Pflichten des vorläufigen Gläubigerausschusses, die parallel zur Unternehmensfortführung laufenden Sanierungsbemühungen des Schuldners sowie die gleichzeitige Aufstellung des Insolvenzplans zu überwachen. Diese Tätigkeiten sind bereits Teil der insolvenzrechtlichen Geschäftsführung des Schuldners im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung (§§ 69, 270b, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO). Die Ausschussmitglieder haben innerhalb ihrer Möglichkeiten sicherzustellen, dass die eingeräumte Frist tatsächlich für den ihr vom Gesetz zugedachten Zweck genutzt wird. Sie haben einzuschreiten, wenn die Bemühungen des Schuldners sich als aussichtslos erweisen oder es aus anderen Gründen zum Schutz der Gläubiger geboten ist, die Sanierungsvorbereitungen abzubrechen (§ 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO).1500) Ausgangspunkt der Überwachung bilden insoweit das Sanierungs-Grobkonzept und ein vom Schuldner vorzulegender Zeitplan, der es den Ausschussmitgliedern ermöglicht, den Bearbeitungsstand laufend zu beurteilen.
1.
Ernsthaftigkeit der Sanierungsbemühungen
690 Der Gläubigerausschuss darf die Fortdauer des Schutzschirmverfahrens durch Nichtstellung eines Aufhebungsantrags nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO nur dann stützen, wenn der in Aussicht genommene Insolvenzplan auf der Grundlage eines leistungs- oder finanzwirtschaftlichen Konzepts1501) auf die Sanierung abzielt. Da die Sanierung Mittel zum Zweck und Zwischenschritt zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger ist,1502) kann der Insolvenzplan jede hierzu dienliche Regelung vorsehen. Er kann nicht nur die Sanierung und den Fortbestand des Unternehmens-
___________ 1500) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. Abs. 3 (zu § 270b Abs. 3 Nr. 2, 3 InsO-E = Abs. 4 Nr. 1, 2 InsO). 1501) Hierzu allg. für die Eigenverwaltung Uhlenbruck, FS Metzeler, 2003, S. 85, 93. 1502) Siehe oben Kapitel 5 E. III. 2., Rn. 682 ff.
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
trägers vorsehen, sondern ebenso eine übertragende Sanierung1503) des Unternehmens oder einzelner Unternehmensteile. Schließlich verfolgt das ESUG schon seinem Namen nach die „Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“. Eine Beschränkung auf die Sanierung von Unternehmensträgern lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Demgegenüber ist ein Insolvenzplan, der auf die weitgehende oder vollständige 691 Liquidation des schuldnerischen Vermögens und damit auch auf die entsprechende Abwicklung des schuldnerischen Unternehmens hinausläuft,1504) zwar an sich durchaus statthaft,1505) aber nicht durch § 270b InsO geschützt. Er hat entgegen § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO keine „angestrebte Sanierung“ des Schuldners oder seines Unternehmens zum Ziel und erfüllt damit weder den Wortlaut noch den Zweck der Norm.1506) Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung des § 270b InsO unverkennbar ausschließlich die Fortführung sanierungsfähiger Unternehmen im Auge. Es entspricht zudem auch der praktischen Erfahrung, dass für die Vorbereitung und Durchführung einer optimalen Zerschlagungsliquidation ein externer professioneller Masseverwalter wesentlich besser geeignet ist als der wirtschaftlich gescheiterte Schuldner selbst.1507)
2.
Beratende Mitwirkung des Ausschusses bei der Entwicklung des Insolvenzplans
Nach § 218 Abs. 3 InsO wirkt der Gläubigerausschuss bei der Aufstellung eines 692 Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter beratend mit. Diese Regelung betrifft das Verhältnis zwischen Träger der Insolvenzverwaltung und Gläubigerausschuss. ___________ 1503) Vgl. hierzu Stellungnahme des Bundesrats zum RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 54 (Anlage 3): „Ganz allgemein anerkannt ist damit, dass der Inhalt eines Insolvenzplans aufgrund der wirtschaftlich und rechtlich denkbaren Konstellationen seines Ziels durch Elemente der Liquidation, der Übertragung von Vermögenswerten auf Dritte (»übertragende Sanierung«), der Reorganisation (»Eigensanierung«) und der Schuldenregulierung gekennzeichnet sein kann.“ Siehe auch den Nachw. in Kapitel 2 II. 2., Rn. 37 Fn. 80; ebenso Haas, in: Gottwald, InsR-Hdb., 5. Aufl. 2015, § 88 Rn. 24; ausführlich zur übertragenden Sanierung Wellensiek, NZI 2002, 233 ff. sowie Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157 ff. Zum Begriff siehe auch RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 94 („Übertragende Sanierung als gleichrangiges Instrument neben der Sanierung des Schuldners: […] Unter übertragender Sanierung versteht der Entwurf die Übertragung eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteils von dem insolventen Träger auf einen anderen, bereits bestehenden oder neu zu gründenden Rechtsträger“), ferner S. 73, 78, 83, 130 zu § 74, S. 195 (zu § 253). 1504) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 91 zur Typenfreiheit sowie S. 94 zur übertragenden Sanierung auf Basis eines Insolvenzplans. 1505) Siehe oben Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff. 1506) Pape, ZIP 2013, 2285 f. 1507) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17; allgemein bereits RegE InsO, 1992, BTDrucks. 12/2443, S. 223: „[…] die Eigenverwaltung unter Aufsicht wird regelmäßig nur in Fortführungsfällen in Betracht kommen [… so dass] regelmäßig keine aufwendigen Verwertungsvorgänge stattfinden werden.“
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
Sie ist als allgemeine Vorschrift im Sinne von § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO in der Eigenverwaltung entsprechend auf die Aufstellung des Insolvenzplans durch den Schuldner anzuwenden1508) und gilt auch schon im Schutzschirmverfahren. Sie steht der beratenden Mitwirkung des Sachwalters (§ 284 Abs. 1 Satz 2 InsO) die diesem ebenfalls bereits in der vorläufigen Eigenverwaltung obliegt,1509) rechtlich nicht entgegen, sondern ergänzt sie. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben dabei zunächst darauf zu achten, dass die Ausarbeitung des Insolvenzplans auf Seiten des Schuldners nicht als Vorwand zur Verzögerung der endgültigen Verfahrenseröffnung eingesetzt, sondern mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und Intensität betrieben wird. Dem Schuldner sind deshalb im Schutzschirmverfahren vom Ausschuss kurzfristige periodische Sachstandsmitteilungen abzuverlangen.1510) Aus ihnen muss hervorgehen, wie weit die Vorbereitung des Insolvenzplans fortgeschritten ist, welche Punkte noch erledigt werden müssen und warum dies bisher nicht geschehen ist. Darüber hinaus hat der vorläufige Gläubigerausschuss darauf zu dringen, dass der Schuldner das beratende Mitwirkungsrecht des Ausschusses ebenso strikt beachtet wie die daraus folgende Pflicht des Schuldners, den Rat des Ausschusses wirklich einzuholen.1511) Der Schuldner hat diese Pflicht unter Wahrung seines eigenen Initiativrechts in einer Weise wahrzunehmen, die dem Ausschuss und jedem seiner Mitglieder eine möglichst frühzeitige und sachdienliche Einflussnahme auf den Inhalt des Insolvenzplans ermöglicht. Hierzu gehört nicht nur die rechtzeitige Übermittlung von Entwürfen, sondern auch die Bereitschaft, den Inhalt und die Hintergründe des Plans zumindest auf Wunsch auch mündlich mit dem Ausschuss zu erörtern.
693 Als vertrauensbildende Maßnahme wird es für den Schuldner naheliegen, dem vorläufigen Gläubigerausschuss bereits in den ersten Tagen oder Wochen des Schutzschirmverfahrens den möglicherweise noch fragmentarischen Vorentwurf eines Insolvenzplans zu übermitteln, den er innerhalb der gerichtlich bestimmten Frist weiter konkretisieren will. Eine solche frühzeitige Offenlegung wird zwar nur selten die Vorlage des Sanierungs-Grobkonzepts und die darin zwingend enthaltene Skizzierung des gesamten betriebswirtschaftlichen Sanierungsprozesses1512) ersetzen kön___________ 1508) KPB-InsO/Pape, 28. EL. 03.2007, § 284 Rn. 4; MK-InsO/Tetzlaff/Kern, 3. Aufl. 2014, § 284 Rn. 26; BeckOK-InsO/Ellers, 14. Ed. 04.2019, § 270 Rn. 87; Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, 38. EL. 01.2019, § 270 Rn. 10. 1509) Vgl. BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 247 f. Rn. 72 ff. = NZI 2016, 796, 801 = ZIP 2016, 1592; BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 966 Rn. 63 f. = ZIP 2016, 1981. 1510) Siehe oben Kapitel 3 H. X. 1., Rn. 297 f. 1511) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 196 zu § 254 Abs. 2 (= § 218 Abs. 3 InsO): „Bei der Aufstellung des Plans hat der Verwalter nach Absatz 2 den Rat des Gläubigerausschusses, des Schuldners und gegebenenfalls des Betriebsrats und des Sprecherausschusses der leitenden Angestellten einzuholen.“ 1512) Siehe oben Kapitel 5 E. III. 2., Rn. 682 ff.
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
nen, mag aber dem besseren Verständnis des Konzepts dienen. Die Übermittlung des Entwurfs indiziert immerhin eine ernsthafte Beschäftigung mit den Problemen der anstehenden Sanierung. Die frühzeitige Vorlage des endgültigen Insolvenzplans im Ausschuss und bei Gericht ist ebenfalls zumeist von Vorteil, weil sie das Verfahren beschleunigt. Jedes Eröffnungsverfahren ist nämlich besonders in der Anfangsphase regelmäßig mit betrieblichen und organisatorischen Erschwernissen verbunden, die für die anstehenden wirtschaftlichen Entscheidungen Zeitdruck erzeugen und den Schuldner und dessen organschaftliche Vertreter anderweitig binden.
3.
Überwachung der Mitwirkung des vorläufigen Sachwalters
Auch dem vorläufigen Sachwalter obliegt bei der Ausarbeitung des Insolvenzplans 694 während des Schutzschirmverfahrens im Rahmen seiner Aufsicht über den Schuldner eine beratende Mitwirkung.1513) Ob diese ordnungsmäßig erfolgt, hat der vorläufige Gläubigerausschuss ebenfalls zu überwachen (§§ 284, 270 Abs. 1 Satz 2, § 69 Satz 1 InsO). Es würde den Sanierungsprozess unvertretbar erschweren, wenn der vorläufige Sachwalter sich bei seiner Prüfungs- und Überwachungstätigkeit darauf beschränkte, vom Schuldner fertiggestellte Konzepte nur nachträglich zu prüfen und sodann zu billigen oder zu verwerfen. Es gehört deshalb zu seinen Aufgaben, sich auf der Grundlage frühzeitiger Informationen des Schuldners und unter Beachtung seiner Pflichten gegenüber den Gläubigern in die Konkretisierung der Sanierungsüberlegungen einbinden zu lassen und rechtzeitig zu erkennen zu geben, welche der vom Schuldner erwogenen Maßnahmen nach seiner Auffassung rechtlich möglich und mit dem Verfahrenszweck vereinbar sind und welche insolvenzrechtlichen Gesichtspunkte der Schuldner nicht genügend berücksichtigt hat.1514) Der vorläufige Gläubigerausschuss hat darauf zu achten, dass diese beratende Begleitung des vorläufigen Sachwalters nicht zu einer Rechts- oder Sanierungsberatung wird. Eine solche ist mit dem Gebot der Unabhängigkeit des Sachwalters vom Schuldner (§ 56 Abs. 1 InsO) nicht zu vereinbaren. Stellt sich im Verlauf des Schutzschirmverfahrens heraus, dass der Schuldner auch 695 unter beratender Mitwirkung des vorläufigen Sachwalters nicht in der Lage ist, einen formgerechten Insolvenzplan einschließlich der Anlagen (§ 219 InsO) auszuarbeiten, so verliert jedenfalls die gerichtliche Anordnung der geschützten Frist ihre innere Rechtfertigung. Sie soll ausschließlich die Entstehung eines Insolvenzplans des Schuldners absichern (§ 270b Abs. 1 Satz 1, 2 InsO).1515) Eine solche neue Lage haben nicht nur der vorläufige Sachwalter, sondern auch die Mitglieder des vorläu___________ 1513) Vgl. BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 247 f. Rn. 72 ff. = NZI 2016, 796, 801 = ZIP 2016, 1592. 1514) Vgl. BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 247 f. Rn. 73 f. = NZI 2016, 796, 801 = ZIP 2016, 1592. 1515) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 40 li. Sp. (zu § 270b InsO).
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
figen Gläubigerausschusses unverzüglich dem Gericht anzuzeigen.1516) Das Gericht kann sodann aufgrund der Generalklausel des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO1517) von Amts wegen die vorzeitige Aufhebung der bewilligten Frist anordnen.
696 Ob sich damit zugleich die vom Schuldner angestrebte Sanierung in Eigenverwaltung insgesamt als aussichtslos erwiesen hat und deshalb die Voraussetzungen der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a Abs. 1 InsO weggefallen sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Es hängt wesentlich von den Gründen für das Scheitern der Planvorbereitungen ab. Lassen die näheren Umstände erwarten, dass die Fortsetzung der vorläufigen Eigenverwaltung insgesamt zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, etwa weil das gesamte Sanierungskonzept unrealistisch ist oder der Schuldner sich als ungeeignet für die Eigenverwaltung erwiesen hat, so hat das Gericht die nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 21, 22 InsO erforderlichen Anordnungen zur Sicherung der Masse zu treffen. Dies kann auch die Entlassung des vorläufigen Sachwalters und die gleichzeitige Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters sowie die Anordnung von Verfügungsbeschränkungen umfassen.
697 Denkbar ist, dass das Unvermögen des Schuldners zur Aufstellung des Insolvenzplans weder seine generelle Eignung zur Eigenverwaltung in Frage stellt noch die von ihm angestrebte Sanierung insgesamt aussichtslos erscheinen lässt. In einem solchen Fall ist der vorläufige Gläubigerausschuss in Analogie zu § 284 Abs. 1 Satz 1, § 157 Satz 2 InsO berechtigt, mit Zustimmung des Schuldners den vorläufigen Sachwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans zu beauftragen und ihm das Ziel des Plans vorzugeben.1518) Der Ausschuss tritt insoweit an die Stelle der im Eröffnungsverfahren noch nicht existierenden Gläubigerversammlung. Ebenso wie der Schuldner genießt allerdings auch der auf diese Weise beauftragte vorläufige Sachwalter nicht mehr den Schutz der vormals vom Gericht gesetzten Frist nach § 270b Abs. 1 Satz 1, 2 InsO. Der Ausschuss hat deshalb bei seiner Überwachung des vorläufigen Sachwalters darauf zu achten, dass durch die diesem übertragene Ausarbeitung eines Insolvenzplans die zügige Aufklärung der Eröffnungsund Eigenverwaltungsvoraussetzungen nicht erschwert oder verzögert wird. Auch hier zeigt sich, dass es in der vorläufigen Eigenverwaltung nicht selten zweckmäßig ist, zur Vermeidung von Interessenkollisionen die gerichtlichen Ermittlungen nicht dem vorläufigen Sachwalter, sondern einem besonderen Insolvenzsachverständigen anzuvertrauen.1519)
___________ 1516) Siehe oben Kapitel 4 G. I., Rn. 557 ff. sowie Kapitel 4 G. III. 3., Rn. 566 ff. 1517) BGH, Urt. v. 22.11.2018 – IX ZR 167/16, NJW 2019, 224, 226 Rn. 16 = NZI 2019, 236 = ZIP 2018, 2488. 1518) BGH, Beschl. v. 22.9.2016 – IX ZB 71/14, NZI 2016, 963, 967 Rn. 77 = ZIP 2016, 1981. 1519) Siehe oben Kapitel 5 D. VII., Rn. 665 ff.
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
V. Pflichten anlässlich des Vorschlags und der Bestellung des „mitgebrachten“ vorläufigen Sachwalters Bei der Auswahl des vorläufigen Sachwalters ist der vorläufige Gläubigerausschuss, 698 soweit er bereits eingesetzt ist, grundsätzlich kraft ausdrücklicher Verweisung (§ 270b Abs. 2 Satz 1, § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO) nach Maßgabe des § 56a InsO zu beteiligen.1520) Dies gilt jedoch nur, soweit nicht das exzeptionell privilegierte Vorschlagsrecht des Schuldners nach § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO eingreift. Der Vorschlag des Schuldners zur Person des vorläufigen Sachwalters hat, wenn das Gericht ihm folgt, Vorrang vor einem Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 56a Abs. 2 InsO.1521) Ebenso ist die Ersetzungsbefugnis des Ausschusses nach § 56a Abs. 3 InsO suspendiert, wenn das Gericht den Kandidaten des Schuldners als vorläufigen Sachwalter eingesetzt hat.1522) Vereinzelt wird zwar die Auffassung vertreten, in Anwendung dieser Vorschrift könne in der ersten Sitzung des vorläufigen Gläubigerausschusses einstimmig ein anderer vorläufiger Sachwalter gewählt werden;1523) dies ist jedoch abzulehnen, weil andernfalls das für das Schutzschirmverfahren charakteristische Vorschlagsrecht des Schuldners aus § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO ins Leere liefe.1524) Auch wenn der Schuldner den vorläufigen Sachwalter „mitgebracht“ hat, entspricht 699 es dem Grundgedanken des § 56a Abs. 1 InsO, dass das Gericht vor der Bestellungsentscheidung den Mitgliedern des bereits eingesetzten vorläufigen Gläubigerausschusses Gelegenheit zur Äußerung gibt.1525) Jedes Ausschussmitglied hat sodann die Möglichkeit, dem Gericht frühzeitig Umstände mitzuteilen, aus denen sich ergibt, dass der Vorgeschlagene, wie es in § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO heißt, offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. Aus § 69 Satz 1, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO folgt sogar seine Pflicht, derartige Umstände, wenn sie ihm bekannt sind, dem Gericht anzuzeigen. Widersprechen die Ausschussmitglieder mehrheitlich dem Vorschlag des Schuldners und bringen sie sachgerechte, am Verfahrenszweck und den vorrangigen Interessen der Gläubiger orientierte Gründe vor, so wird das Gericht sorgfältig zu prüfen haben, ob es der Durchführung eines Schutz___________ 1520) Siehe oben Kapitel 5 D. III., Rn. 648 ff. 1521) MK-InsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 90; Braun/Riggert, InsO, 7. Aufl. 2017, § 270b Rn. 9; HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 38; BeckOK-InsO/Martini, 14. Ed. 04.2019, § 270b Rn. 57; HambK-InsR/Fiebig, 7. Aufl. 2019, § 270b Rn. 30; Uhlenbruck/ Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270b Rn. 59; Kolmann, Praxishandbuch, 2014, Rn. 383; Rattunde/Stark, Sachwalter, 2015, Rn. 96 m. w. N. in Fn. 170; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 145; Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 113; unklar KPB-InsO/Pape, 49. EL. 07.2012, § 270b Rn. 62. 1522) Kolmann, Praxisbuch Schutzschirmverfahren, 2014, Rn. 383; vgl. Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 146. 1523) Graf-Schlicker, InsO, 4. Aufl. 2014, § 270b Rn. 38. 1524) Ebenso Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 146. 1525) Vgl. Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 145.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
schirmverfahrens förderlich ist, gegen den Willen des Ausschusses einen vom Schuldner vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalter zu bestellen. Ein solcher Sachwalter wird nur unter besonderen Umständen „für den jeweiligen Einzelfall geeignet“ (§ 56 Abs. 1 Satz 1 InsO) sein. Das Schutzschirmverfahren kann in aller Regel nur Erfolg haben, wenn es dem Schuldner gelingt, schon vor der Antragstellung mit seinen wesentlichen Gläubigern Übereinstimmung hinsichtlich der Person des von ihm in Aussicht genommenen vorläufigen Sachwalters zu erzielen und diese während des Verfahrens aufrechtzuerhalten.1526)
700 Beim Umgang mit dem Besetzungsvorschlag des Schuldners für das Amt des vorläufigen Sachwalters nach § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO hat neben dem Insolvenzgericht jedes Mitglied des vorläufigen Gläubigerausschusses seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass das Vorschlagsrecht des Schuldners das bedeutsamste der mit dem Schutzschirmverfahren verbundenen Privilegien ist. Es ist Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen des Schuldners und seiner Berater, lange bevor der Eröffnungsantrag und der Schutzschirmantrag bei Gericht eingereicht werden.1527) Will das Gericht auf der Grundlage des § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO von dem Vorschlag des Schuldners abweichen, weil die vorgeschlagene Person für das Amt des vorläufigen Sachwalters offensichtlich nicht geeignet ist, so gelten die allgemeinen Regeln (§ 270b Abs. 2 Satz 1, § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, §§ 56, 56a InsO). Abgesehen von eilbedürftigen Fällen, muss das Gericht vor seiner Bestellungsentscheidung den Mitgliedern des vorläufigen Gläubigerausschusses Gelegenheit geben, sich zu den Anforderungen an den vorläufigen Sachwalter zu äußern und einen Personalvorschlag zu machen (§ 56a Abs. 1 InsO). Um Verzögerungen zu vermeiden, kann dieser Vorgang mit der Anhörung zum „mitgebrachten“ Kandidaten des Schuldners verbunden werden, schon bevor das Gericht sich eine abschließende Meinung über dessen Eignung oder offensichtliche Ungeeignetheit gebildet oder diese Meinung geäußert hat.
701 Ergibt sich aus der Sicht des vorläufigen Gläubigerausschusses nachträglich, dass der „mitgebrachte“ und vom Gericht bestellte vorläufige Sachwalter für sein Amt ungeeignet ist, insbesondere nicht die gebotene Unabhängigkeit vom Schuldner aufweist, so sind die Ausschussmitglieder aufgrund ihres gesetzlichen Überwachungsauftrags (§ 69 Satz 1, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO) schon während des Eröffnungsverfahrens verpflichtet, durch eine angemessene Reaktion im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten weiteren Schaden von den Gläubigern abzuwenden.1528) Hierfür steht dem Ausschuss die Möglichkeit offen, bei Gericht die Ent___________ 1526) Vgl. hierzu auch Markgraf/Remuta, NZI 2017, 334, 337 ff.; Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 113. 1527) Siehe oben Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 ff. Zur fehlenden Unabhängigkeit siehe z. B. auch Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153, 2165 sowie Korch, ZIP 2018, 109, 114. 1528) Siehe oben Kapitel 4 G., Rn. 556 ff.
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
lassung des vorläufigen Sachwalters aus wichtigem Grund zu beantragen (§ 270b Abs. 2, § 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO).1529) Fehlende Eignung, also auch mangelnde Unabhängigkeit vom Schuldner, ist ein solcher Grund. Seine tatsächlichen Voraussetzungen sind vom antragstellenden Ausschuss darzulegen. Außerdem hat jedes Ausschussmitglied nach den allgemeinen Regeln des Zeugenbeweises (§ 4 InsO) das Gericht bei der nachfolgenden Sachaufklärung nach bestem Wissen zu unterstützen.
VI. Recht und Pflicht zur Stellung eines Aufhebungsantrags nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO Als Reaktion auf Fehlentwicklungen des Schutzschirmverfahrens1530) kann der vor- 702 läufige Gläubigerausschuss nicht nur den Antrag auf Entlassung des vorläufigen Sachwalters aus wichtigem Grund stellen. Er kann auch nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses1531) beantragen, dass „die Anordnung nach Abs. 1“, also die gerichtliche Bestimmung der geschützten Planvorlagefrist, aufgehoben wird. Dieser Antrag muss nicht auf einen vom Insolvenzgericht sachlich zu prüfenden Grund gestützt werden,1532) sondern ist, sofern formell ordnungsgemäß gestellt, für das Gericht ohne weiteres bindend.1533) Er kann weitreichende Folgen haben.
1.
Rechtliche Tragweite des Aufhebungsantrags
Die Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses, die einen solchen Aufhebungs- 703 antrag beschließen (§ 72 InsO) und bei Gericht einreichen, müssen sich bewusst sein, dass mit der antragsgemäßen Entscheidung des Insolvenzgerichts allein die in § 270b Abs. 1 InsO geregelte zeitliche Sperre für eine Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfällt. Sind die Voraussetzungen der Verfahrens___________ 1529) Siehe oben Kapitel 4 G. III. 6. a), Rn. 573 f. und Kapitel 3 H. IX., Rn. 294. 1530) Siehe oben Kapitel 4 G., Rn. 556 ff. 1531) Einstimmigkeit schreibt das Gesetz hier nach zutreffender allgemeiner Auffassung nicht vor. Vgl. Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 37 zu § 270b Abs. 4: „Die Gläubiger können ihre Interessen durch den vorläufigen Gläubigerausschuss wahren, der mit Mehrheitsbeschluss eine Beendigung des Schutzschirmverfahrens beschließen kann.“ Ferner etwa KPB-InsO/Pape, 49. EL. 07.2012, § 270b Rn. 87; HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 52; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270b Rn. 75; Koch/ Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 229; Hübler, Eigenverwaltung, 2013, S. 214; Becker, Eigensanierungsrahmen, 2015, S. 110; Sedlak, Schutzschirmverfahren, 2017, S. 183. 1532) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. Abs. 3 (zu § 270b Abs. 3 Nr. 3 InsO-E); HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 52; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 18; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270b Rn. 75; Cranshaw/ Vallender/Steinwachs, Gläubigerausschuss, 2. Aufl. 2014, Rn. 96; Hübler, Eigenverwaltung, 2013, S. 214; Sedlak, Schutzschirmverfahren, 2017, S. 183. 1533) Kapitel 3 H. IX., Rn. 294.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
eröffnung und der Anordnung der Eigenverwaltung noch nicht abschließend geklärt, beispielsweise weil der Sachverständige sein Gutachten noch nicht erstattet hat, so ist auch nach Aufhebung der Fristbestimmung das Eröffnungsverfahren fortzusetzen.1534) Unmittelbar endet also weder die vorläufige Eigenverwaltung noch das Amt des vorläufigen Sachwalters; beide haben ihre Rechtsgrundlage nicht in § 270b Abs. 1, sondern in § 270a Abs. 1 InsO. Dass die Bestellung des vorläufigen Sachwalters im Schutzschirmverfahren „in dem Beschluss nach Absatz 1“ erfolgt (§ 270b Abs. 2 Satz 1 InsO), macht diesen Vorgang nicht zu einem Teil der in § 270b Abs. 4 Satz 1 InsO angesprochenen „Anordnung nach Absatz 1“. Ob unter diesen Bedingungen die übrigen Anordnungen nach § 270b InsO trotz der Aufhebung der Planvorlagefrist weiterhin Bestand haben sollen, geht aus dem Gesetz nicht unmittelbar hervor. Nach der Gesetzesbegründung soll das Gericht in den Fällen des § 270b Abs. 4 Satz 1 InsO verpflichtet sein, das Verfahren nach § 270b InsO insgesamt aufzuheben;1535) dieses Verständnis hat jedoch im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden. Die Frage lässt sich nur anhand des Normzwecks beantworten.
704 Den Fällen des § 270b Abs. 4 Satz 1 InsO ist gemeinsam, dass der Zweck des Schutzschirmverfahrens, dem Schuldner einen zeitlichen und organisatorischen Freiraum zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans zu schaffen, nicht mehr den Interessen der Gläubigergesamtheit entspricht. Das Gericht hat deshalb, wenn es einem Aufhebungsantrag nach § 270b Abs. 4 Satz 1 InsO stattgeben will, auch die übrigen Entscheidungen, die es im Zusammenhang mit der vorläufigen Eigenverwaltung bisher getroffen hat, unter dem Blickwinkel des § 21 Abs. 1 InsO im Allgemeinen und des § 270a Abs. 1 InsO im Besonderen von Amts wegen zu überprüfen. Anordnungen, die ihre unmittelbare Rechtsgrundlage in § 270b InsO haben, dürfen nur aufrechterhalten bleiben, soweit sie zugleich von den Voraussetzungen des § 270a Abs. 1 InsO oder der §§ 21 – 25 InsO gedeckt sind. Wegen Wegfalls einer wesentlichen Voraussetzung sind alle Anordnungen aufzuheben, deren sachliche Rechtfertigung allein aus dem besonderen Zweck des Schutzschirmverfahrens herzuleiten sind.
705 Durch die Aufhebung der Planvorlagefrist ist damit auch der weitere Verbleib des vorläufigen Sachwalters in seinem Amt in Frage gestellt. Als Rechtsgrundlage seines Amtes kommt nunmehr allein § 270a Abs. 1 InsO in Betracht. Hat das Gericht ihn ausschließlich wegen des privilegierten Vorschlagsrechts des Schuldners bestellt (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO), so muss es ihn jetzt von Amts wegen entlassen. Der Wegfall der rechtlichen Rahmenbedingungen dieses Vorschlagsrechts als einer wesentlichen Bestellungsvoraussetzung ist ein wichtiger Grund im Sinne des § 59 Abs. 1 InsO. Von dieser Entlassung darf das Gericht nur absehen, wenn es inzwischen zu der positiven Überzeugung gelangt ist, dass der bisherige Inhaber des ___________ 1534) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. Abs. 2 (zu § 270b Abs. 3 InsO-E). 1535) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. Abs. 2 (zu § 270b Abs. 3 InsO-E).
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
Amtes zu dessen Fortführung nicht nur nicht offensichtlich ungeeignet, sondern uneingeschränkt geeignet ist (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 56 Abs. 1 InsO). Bei der Ernennung eines neuen vorläufigen Sachwalters ist der vorläufige Gläubigerausschuss nach Maßgabe des § 56a InsO zu beteiligen (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO); dabei kann das Gericht auf die Ergebnisse der früheren Beteiligung zurückgreifen. Gleiches gilt für die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO). Mit der gerichtlichen Aufhebung der Planvorlagefrist findet demnach zunächst le- 706 diglich ein Wechsel vom Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) in die allgemeine vorläufige Eigenverwaltung (§ 270a InsO) statt. Etwas anderes gilt nur, wenn sich aus dem Aufhebungsantrag des vorläufigen Gläubigerausschusses oder aus sonstigen Umständen zur Überzeugung des Gerichts ergibt, dass der Eigenverwaltungsantrag des Schuldners generell oder als Teil des Sanierungskonzepts aussichtslos geworden ist. In einem solchen Fall sind neben den Voraussetzungen des § 270b InsO auch die des § 270a Abs. 1 InsO entfallen, so dass das Gericht von Amts wegen den vorläufigen Sachwalter entlassen muss, weil sein Amt durch den Wegfall einer wesentlichen rechtlichen Voraussetzung gegenstandslos geworden ist; auch dies ist ein wichtiger Grund im Sinne des § 59 Abs. 1 InsO. Zugleich hat das Gericht von Amts wegen über die Bestellung eines regulären vorläufigen Insolvenzverwalters und die Anordnung von Verfügungsbeschränkungen zu entscheiden (§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 2, § 22 InsO).1536) Hierfür gelten nicht die Kriterien des § 59 Abs. 1 InsO, sondern allein die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO.
2.
Maßgebliche Gesichtspunkte für die Ermessensausübung
Der Aufhebungsantrag des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 270b Abs. 4 707 Satz 1 Nr. 2 InsO hat somit für den weiteren Gang des Verfahrens eine Bedeutung, die weit über das formelle Antragsbegehren im engeren Sinn hinausgeht. Dies entspricht dem gesetzlichen Zweck des Antragsrechts. Mit ihm soll nach dem Willen des Gesetzgebers der Ausschuss eine schnelle Entscheidung des Gerichts herbeiführen können, die verhindert, dass zum Nachteil der Gläubiger „unter dem Schutzschirm der gerichtlichen Anordnung das letzte Vermögen des Schuldners vernichtet wird“.1537) Der Schuldner soll seine weitreichenden Befugnisse verlieren, wenn die Sanierung aussichtlos ist oder dies aus anderen Gründen zum Schutz der Gläubiger erforderlich erscheint.1538) Eine weitere Verlustwirtschaft1539) auf Kosten der Gläubiger soll vom Ausschuss mit Hilfe des Gerichts unverzüglich unterbunden werden ___________ 1536) Vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. Abs. 2, 3 (zu § 270b Abs. 3 InsO-E). 1537) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. Abs. 2 (zu § 270b Abs. 3 InsO-E). 1538) RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. Abs. 2, 3 (zu § 270b InsO-E). 1539) FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 47.
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
können. In der Bestimmung des § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 InsO über das Antragsrecht eines einzelnen Gläubigers wird dieser Zweck durch die Wiederholung der Kriterien des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO ausdrücklich angesprochen. Der Aufhebungsantrag nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO ist der Sache nach also eine gesetzlich ausdrücklich bestimmte Ausprägung der Reaktionspflicht des vorläufigen Gläubigerausschusses.1540) Die Regelung knüpft an die Pflicht des Ausschusses an, bereits in der vorläufigen Eigenverwaltung bei der Überwachung des Schuldners und des Sachwalters (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a, § 69 InsO) aufmerksam darauf zu achten, ob sich aus der Erfahrung mit ihrer Amtsführung Erkenntnisse über nachteilsindizierende Umstände (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) ergeben.
708 Aus dem Normzweck des § 270b Abs. 4 Satz 1 InsO ergibt sich zugleich, unter welchen sachlichen Voraussetzungen der Ausschuss im Innenverhältnis zu den Gläubigern berechtigt oder sogar verpflichtet ist, den Aufhebungsantrag zu stellen. Daraus, dass der Antrag des Ausschusses formell nicht an sachliche Voraussetzungen gebunden ist und dementsprechend keiner Begründung bedarf,1541) ergibt sich nichts Abweichendes. Ob es zum Schutz der Gläubiger geboten erscheint, die Sanierungsvorbereitungen abzubrechen, hat der Ausschuss eigenverantwortlich, nicht aber nach freiem Belieben, sondern nach pflichtgemäßem Ermessen entsprechend dem Zweck seiner Ermächtigung zu entscheiden.1542) Dies gilt umso mehr, als einzelne Gläubiger keinen Aufhebungsantrag stellen können, wenn ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt ist (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 InsO).
709 Die Ausschussmitglieder sind zur Stellung eines Aufhebungsantrags insbesondere dann verpflichtet, wenn die vom Schuldner angestrebte Sanierung aussichtslos geworden ist. Das ist etwa der Fall, wenn nachträglich Umstände bekannt werden, aus denen sich – allein oder in Verbindung mit schon bekannten Umständen – ergibt, dass die Sanierung bereits bei Einleitung des Schutzschirmverfahrens keine Erfolgsaussichten hatte, oder wenn wesentliche, das Sanierungskonzept tragende Voraussetzungen später wegfallen. Der Erfolg der Sanierung ist beispielsweise nicht mehr zu erwarten, wenn der einzige (seriöse) Investor sich zurückzieht und Finanzmittel ___________ 1540) Vgl. ausführlich oben Kapitel 4 G., Rn. 556 ff. 1541) Allgemeine Auffassung: KPB-InsO/Pape, 49. EL. 07.2012, § 270b Rn. 87; wohl auch MKInsO/Kern, 3. Aufl. 2014, § 270b Rn. 122; FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 51; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 69 Rn. 18; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 15. Aufl. 2019, § 270b Rn. 75; Koch/Jung, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 8 Rn. 229; Hübler, Eigenverwaltung, 2013, S. 214; Becker, Eigensanierungsrahmen, 2015, S. 110; Sedlak, Schutzschirmverfahren, 2017, S. 182 f.; a. A. soweit ersichtlich nur Cranshaw/Steinwachs/Vallender, Gläubigerausschuss, 2. Aufl. 2014, Rn. 93, 96. 1542) HK-InsO/Brünkmans, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 52; wohl auch Becker, Eigensanierungsrahmen, 2015, S. 110; a. A. und simplifizierend Neußner, in: Kübler, HRI, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 19: „Mit einem vorläufigen Gläubigerausschuss muss sich der Schuldner ebenso im Schutzschirmverfahren gut stellen. […] Wird dieser nicht vom Schuldner ausreichend informiert und in das Verfahren eingebunden, kann er das Schutzschirmverfahren gemäß § 270b Abs. 4 Nr. 2 ohne weitere Voraussetzung untersagen.“
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E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
auf anderem Wege nicht mehr zu beschaffen sind.1543) Gleiches gilt, wenn durch einen Umsatzeinbruch eine kostendeckende Betriebsführung unmöglich wird oder die Liquidität voraussichtlich nicht bis zur rechtskräftigen Bestätigung eines Insolvenzplans ausreichen wird. Erforderlich ist ein Aufhebungsantrag auch, wenn der Schuldner die Ausarbeitung 710 eines Insolvenzplans nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und Sachkunde betreibt1544) oder wenn sich herausstellt, dass das Verfahren von Anteilsinhabern oder Führungskräften des Schuldners zu verfahrensfremden Zwecken eingesetzt wird.1545) Erkennt der vorläufige Gläubigerausschuss zum Beispiel, dass das InsolvenzplanKonzept des Schuldners primär auf die Durchsetzung von Gesellschafterinteressen oder sogar auf die Austragung interner Machtkämpfe1546) abzielt, so ist die Fortführung des Schutzschirmverfahrens, gemessen am Verfahrenszweck des § 1 Satz 1 InsO, aus dem allein maßgeblichen Blickwinkel der Gläubiger objektiv ohne Aussicht auf Erfolg.1547) Anders als von manchen Beratern propagiert, besteht nämlich das Ziel eines Insolvenzplanverfahrens auch bei der vorläufigen oder endgültigen Eigenverwaltung nicht darin, die Vermögenslage des Schuldners auf Kosten der Gläubiger so zu verändern, dass eine „Verbesserung der Eigenkapitalquote von siebzig oder mehr Prozent“1548) erzielt wird, sondern darin, zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger die Grundlagen für eine nachhaltige Rentabilität des schuldnerischen Unternehmens zu schaffen.1549) Der nachträgliche Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist, isoliert betrachtet, kein Grund 711 für die Aufhebung des Schutzschirmverfahrens von Amts wegen (vgl. § 270b Abs. 4 Satz 2 InsO),1550) kann aber sehr wohl einen Aufhebungsantrag des Ausschusses ___________ 1543) Zu letzterem RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. Abs. 3 (zu § 270b InsO). 1544) Vgl. zu den vorstehenden Gründen Kolmann, Praxisbuch Schutzschirmverfahren, 2014, Rn. 748 – 754; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, E Rn. 147. 1545) FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 47. 1546) Vgl. dazu etwa Marotzke, KTS 2014, 113, 125, 128 f. 1547) Zum Verfahrenszweck siehe ausführlich Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff. 1548) Buchalik/Brömmekamp, Newsletter Bau, 2015, S. 10. Ähnlich dies., Die Insolvenz als strategische Option, 2017: „Durch die Gläubigerverzichte wird das Eigenkapital gestärkt, denn die Passivseite reduziert sich erheblich und die Aktivseite (Kasse, Forderungen, Vorräte) vergrößert sich durch den Mittelzufluss aus den normalen Einnahmen bei deutlich geringeren Ausgaben, bedingt durch Insolvenzgeld und nicht gezahlte Altverbindlichkeiten.“ – Ebenso dies., Was ist eine Eigenverwaltung, 2018: „Die Gläubigerverzichte [im Insolvenzplan] verbessern fast immer auch die Eigenkapitalquote, in der Regel in einer Größenordnung zwischen 40 % und 70 %. Regelmäßig ist es auch entbehrlich neue, bisher benötigte Liquidität von außen zuzuführen, weil über das Insolvenzgeld und Nichtzahlung von Altverbindlichkeiten ausreichend Liquidität generiert werden konnte.“ 1549) Siehe oben Kapitel 5 E. III. 2., Rn. 682 ff. 1550) Uebele, NZG 2018, 881, 884. – Eine entsprechende Regelung des RegE ESUG, die dies vorsah (§ 270b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InsO-E; BT-Drucks. 17/5712, S. 12, 41), hat der Rechtsausschuss des Bundestags gestrichen (BT-Drucks. 17/7511, S. 37).
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Kapitel 5 Die eigenverwaltungsspezifischen Pflichten im Eröffnungsverfahren
rechtfertigen, wenn dies auf der Grundlage angemessener Informationen aus der pflichtgemäßen Sicht seiner Mitglieder im Interesse der Gläubiger liegt.1551) Der Umschlag der drohenden in die eingetretene Zahlungsunfähigkeit stellt eine bedeutsame Zäsur im Verfahren dar, die eine erhöhte Wachsamkeit aller Beteiligten und eine verstärkte Aufsicht des vorläufigen Gläubigerausschusses über den Schuldner erfordert. Das gilt umso mehr, wenn die Zahlungsunfähigkeit innerhalb weniger Wochen nach Antragstellung eintritt1552) und nicht allein mit nachträglichen insolvenztypischen Umständen zu erklären ist, etwa der vertragsgemäßen Fälligstellung einer bedeutenden betagten Forderung im Vorgriff auf § 41 InsO. Es ist den Sanierungschancen und der Vertrauenswürdigkeit des Schuldners nicht eben förderlich, wenn sich herausstellt, dass der Schuldner, gemessen am Zweck des § 270b InsO, „den richtigen Zeitpunkt verpasst“1553) und den Eröffnungs- und Schutzschirmantrag aus der Sicht der Gläubiger zu spät gestellt hat.
712 Der definitive Eintritt der Zahlungsunfähigkeit innerhalb der Planvorlagefrist kann daher, wie die Anzeigepflicht nach § 270b Abs. 4 Satz 2 InsO verdeutlicht, ein signifikantes Indiz dafür sein, dass die angestrebte Sanierung durch Verlust ihrer bisherigen Grundlage aussichtslos geworden ist1554) oder – was nicht weniger nachteilsindizierend ist – dass die Angaben zur Finanzlage des Schuldners bei Antragstellung unrichtig oder unvollständig waren. Die Anzeige des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (§ 270b Abs. 4 Satz 2 InsO), die Schuldner und Sachwalter als Ereignis von besonderer Bedeutung dem vorläufigen Gläubigerausschuss unverzüglich mitzuteilen haben,1555) muss darum für die Ausschussmitglieder Anlass sein, die näheren Umstände und die Auswirkungen des angezeigten Ereignisses zu klären1556) und in einer Gesamtschau1557) zu prüfen, ob ein Aufhebungsantrag nach § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO erforderlich ist. Die Tatsache, dass der Schuldner den akuten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit trotz seiner Sanierungsbemühungen und der Schutzschirmanordnungen nicht hat verhindern können, birgt stets die Gefahr einer Schädigung der Gläubiger, wenn der Schuldner weiterhin unbeschränkt verfügungsbefugt bleibt.1558)
713 Unerheblich für die Ermessensausübung der Ausschussmitglieder sind auch hier die Interessen des Schuldners. Maßgeblich ist allein die Notwendigkeit, drohende ___________ 1551) Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 37 (zu § 270b Abs. 4 InsO). 1552) AG Ludwigshafen, Beschl. v. 4.7.2014 – 3f IN 260/14 Ft, ZIP 2014, 1746, 1747 f. = BeckRS 2014, 14510; Ganter, NZI 2012, 985, 987. 1553) Ganter, NZI 2012, 985, 987. 1554) FK-InsO/Foltis, 9. Aufl. 2018, § 270b Rn. 45. 1555) Siehe oben Kapitel 2 D. V., Rn. 75 f.; Kapitel 2 E. III., Rn. 90 ff. 1556) Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 37 (zu § 270b Abs. 4). 1557) Vgl. Kolmann, Praxisbuch Schutzschirmverfahren, 2014, Rn. 750. 1558) So zutr. die Stellungnahme des Bundesrats zum RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, Anlage 3, S. 60 zu Nr. 24 (§ 270b Abs. 3 InsO-E); ähnlich schon RegE InsO, 1992, BTDrucks. 12/2443, S. 222 (Vorbemerkungen zur Eigenverwaltung). Ebenso Klinck, ZIP 2013, 853, 855.
334
E. Besondere Pflichten im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO
Nachteile für die Gläubiger abzuwehren.1559) Die Pflicht zur Antragstellung ist auch nicht davon abhängig, ob der vorläufige Sachwalter seine Aufsichtspflichten einschließlich seiner Nachteilsmeldepflicht vernachlässigt. Ähnlich wie im Fall des § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO reicht es im Innenverhältnis zu den Gläubigern zur Rechtfertigung des Antrags schlicht aus, dass der Ausschuss ihn auf der Grundlage angemessener Informationen mehrheitlich im Interesse der Gläubiger für erforderlich hält.
3.
Weitergehende Anregungen des Ausschusses
Obwohl das Gesetz keine Begründungspflicht vorsieht,1560) kann es sinnvoll sein, 714 den Aufhebungsantrag des vorläufigen Gläubigerausschusses näher zu begründen, wenn die maßgebenden Überlegungen sich nicht nur gegen das Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO), sondern gegen die vorläufige Eigenverwaltung insgesamt (§ 270a InsO) richten. Im Zusammenhang mit der Aufhebung nach § 270b Abs. 4 InsO hat das Gericht nämlich von Amts wegen auch über die Fortdauer der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO und den Verbleib des vorläufigen Sachwalters im Amt sowie über die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und die Anordnung von Verfügungsbeschränkungen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 InsO) zu entscheiden.1561) Letztlich kann der Ausschuss in einem solchen Fall nur dadurch wirksam Abhilfe schaffen, dass er zusätzlich zum Aufhebungsantrag nach § 270b Abs. 4 Nr. 2 InsO durch eine substantiierte Stellungnahme gegenüber dem Gericht anregt, auf der Grundlage des § 21 Abs. 1 InsO unverzüglich die vorläufige Eigenverwaltung aufzuheben und einen regulären vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen, weil die Eigenverwaltung nicht mehr im Interesse der Gläubigergesamtheit liegt und damit die Voraussetzungen des § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO weggefallen sind.1562) Da die allgemeine vorläufige Eigenverwaltung nur fortdauern darf, wenn der Eigenverwaltungsantrag auch weiterhin nicht offensichtlich aussichtslos ist (§ 270a Abs. 1 Satz 1, § 270 Abs. 2 InsO), sind von besonderer Bedeutung alle Vorgänge und Überwachungsergebnisse des Ausschusses, die generell gegen die Zuverlässigkeit oder sonstige Eignung des Schuldners zur Eigenverwaltung sprechen. Außerdem liegt es nahe, dass der vorläufige Gläubigerausschuss sich anlässlich des Aufhebungsantrags auch zu der Frage äußert, ob Bedenken dagegen bestehen, den bisherigen vorläufigen Sachwalter zum vorläufigen Insolvenzverwalter und nach Verfahrenseröffnung zum Insolvenzverwalter zu bestellen (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 56a Abs. 1, 2 InsO), und möglicherweise einen eigenen Personalvorschlag nach § 56a Abs. 1, 2 InsO macht. ___________ 1559) 1560) 1561) 1562)
Siehe oben Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. Nachweis siehe oben Kapitel 5 E. VI. 2., Rn. 708, Fn. 1541. Siehe Kapitel 5 E. VI. 1., Rn. 703 ff. Vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 41 li. Sp. (zu § 270b Abs. 3 InsO-E).
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Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung Wie die bisherige Darstellung gezeigt hat, sind die Pflichten der Mitglieder des vor- 715 läufigen und endgültigen Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung noch umfangreicher und anspruchsvoller als in der Fremdverwaltung. Im Zusammenhang mit der Einführung der vorläufigen Eigenverwaltung durch das ESUG (§§ 270a, 270b InsO) sind dem Ausschuss zudem zusätzliche Befugnisse übertragen worden, die es ihm nunmehr ermöglichen, maßgeblichen Einfluss auf verfahrensleitende Entscheidungen des Insolvenzgerichts zu nehmen.1563) Hierzu zählt die Mitwirkung bei der Auswahl des Sachwalters (§ 270a Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1, § 56a InsO) und bei der Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 3, 4 InsO) ebenso wie das Recht, bindend und ohne Angabe von Gründen die Aufhebung der Schutzschirmanordnung zu verlangen (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO). Die Rechte des Ausschusses sind für jedes seiner Mitglieder mit der Pflicht ver- 716 bunden, sie verantwortungsvoll und dem gesetzlichen Verfahrenszweck entsprechend auszuüben. Nimmt man noch die hohe Missbrauchsanfälligkeit der Eigenverwaltung hinzu,1564) so ergibt sich in dieser Verfahrensvariante ein deutlich höheres Haftungsrisiko der Ausschussmitglieder (§ 71 InsO) als in der Fremdverwaltung.1565) Das ist eine der Kehrseiten der institutionalisierten Gläubigerautonomie.1566) Mehr noch als in der Fremdverwaltung ist es in der Eigenverwaltung gerechtfertigt, Insolvenzgläubiger und absonderungsberechtigte Gläubiger durch die Haftungsregelung des § 71 InsO umfassend vor schuldhaften Pflichtverletzungen der Ausschussmitglieder zu schützen.1567) Folgerichtig ist eine der ersten Amtshandlungen des Gläubigerausschusses regelmäßig der Beschluss, zugunsten seiner Mitglieder eine Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden abzuschließen.
A. Grundzüge der Haftung der Gläubigerausschussmitglieder Die Mitglieder des (vorläufigen oder endgültigen) Gläubigerausschusses sind den 717 absonderungsberechtigten Gläubigern und den Insolvenzgläubigern zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sie schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig, die Pflich___________ 1563) Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1153; Frind, ZIP 2012, 1380, 1384 f.; Friedrichs, Schutzschirmverfahren, 2013, S. 112. Offenkundig unzutreffend Mitsching, Masseverbindlichkeiten, 2018, S. 268 (keine gesonderten Kompetenzen des Gläubigerausschusses in der vorläufigen Eigenverwaltung). 1564) Siehe oben Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 1565) HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 71 Rn. 3; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 71 Rn. 4a; Kühne, Anm. zu BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, NZI 2015, 166, 172; Pape/ Schultz, ZIP 2016, 506, 507, 512 und in Fn. 10; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 6. 1566) Vgl. allgemein zur Wechselwirkung von Einfluss und Haftung Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 71 Rn. 2; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 1. 1567) Vgl. allgemein MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 1.
337
Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
ten verletzen, die ihnen nach der Insolvenzordnung obliegen (§ 71 Satz 1 InsO). Dabei können insolvenzspezifische Pflichten sowohl durch Handeln als auch durch Unterlassen einer rechtlich gebotenen Handlung verletzt werden.1568) Dies gilt auch in der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO) sowie in jeder Variante des Eröffnungsverfahrens (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, §§ 270a, 270b InsO).1569) Haftungsrechtliche Besonderheiten ergeben sich für die Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung aus der Erweiterung ihres Pflichtenkreises,1570) nicht aber bei den Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung. Ihr Haftungsrisiko mindert sich in der Eigenverwaltung nicht deshalb, weil der Sachwalter nach § 274 Abs. 1, § 60 Abs. 1 InsO und die organschaftlichen Vertreter des Schuldners analog § 60 InsO haften.1571) Für die Ausschussmitglieder besteht vielmehr ein eigener gesetzlicher Pflichtenkreis, der in der Eigenverwaltung keineswegs mit demjenigen der Träger der Insolvenzverwaltung identisch ist; ihre Haftung kann infolgedessen über die des Sachwalters nach den §§ 60, 274 Abs. 1 InsO oder jene des Schuldners und seiner organschaftlichen Vertreter analog § 60 InsO hinausgehen.1572) Fallen die Haftung des Schuldners oder Sachwalters sowie die Haftung von Ausschussmitgliedern zusammen, so haften alle Verpflichteten als Gesamtschuldner; im Innenverhältnis gilt § 426 BGB.1573)
718 Pflichtverletzungen der Ausschussmitglieder bei der Überwachung werden zumeist nur bekannt, wenn ein Träger der Insolvenzverwaltung gegen seine Pflichten in gravierender Weise verstoßen hat. Hierzu zählen Fälle der Untreue,1574) der nutzlosen Verwirtschaftung der Masse und ihrer fehlerhaften Verwertung. Zusätzlich zu den Versäumnissen der Ausschussmitglieder bei der überwachenden Beobachtung kommt in der Eigenverwaltung vor allem die Verletzung ihrer Reaktionspflicht beim Bekanntwerden nachteilsindizierender Umstände in Betracht.1575) Besonders haftungsträchtig sind ferner alle Handlungen und Unterlassungen der Ausschussmitglieder im Zusammenhang mit der Befürwortung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 3 InsO) und bei der Beteiligung an der Bestellung eines vorläufigen oder endgültigen Sachwalters (§§ 56a, 274 Abs. 1 InsO).
___________ 1568) Vgl. insbesondere Kapitel 4 G., Rn. 556 ff. 1569) Allg. Meinung; für alle Kühne, Anm. zu BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, NZI 2015, 166, 172. 1570) Siehe Kapitel 4, Rn. 302 ff. sowie Kapitel 5, Rn. 590 ff. 1571) So jedoch Bachmann/Becker, NJW 2018, 2235, 2237. 1572) Vgl. KPB-InsO/Kübler, 64. EL. 07.2015, § 71 Rn. 10. 1573) MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 22 für die Fremdverwaltung; KK-InsO/ Hammes, 2017, § 71 Rn. 28; Schaal, Haftung, 2017, S. 281; Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 1, 8. 1574) Zum Beispiel BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324 ff. = NZI 2015, 166 = ZIP 2014, 2242. 1575) Vgl. Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff.; Kapitel 4 G., Rn. 556 ff.
338
A. Grundzüge der Haftung der Gläubigerausschussmitglieder
Die Norm des § 71 Satz 1 InsO begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis zwi- 719 schen dem Ausschussmitglied und den Haftungsgläubigern und ist eine eigenständige Anspruchsgrundlage.1576) Weitergehende deliktische Ansprüche werden nicht verdrängt.1577) Der Haftungsanspruch richtet sich gegen jedes Ausschussmitglied, das seine Pflichten verletzt hat.1578) Während der Träger der Insolvenzverwaltung bei schuldhaften Pflichtverletzungen „allen Beteiligten“ zum Schadenersatz verpflichtet ist (§ 60 Abs. 1 Satz 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), sind nach § 71 InsO ausschließlich Insolvenzgläubiger (§ 38 f. InsO) und absonderungsberechtigte Gläubiger (§§ 49 ff. InsO) anspruchsberechtigt, nicht aber Massegläubiger (§ 55 InsO), Aussonderungsberechtigte (§§ 47 f. InsO) oder der Schuldner1579) und dessen Anteilsinhaber.1580) Konzeptionelle Unterschiede zwischen Fremd- und Eigenverwaltung bestehen bei 720 der Haftung der Gläubigerausschussmitglieder nicht (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Dies gilt auch hinsichtlich der persönlichen Zuordnung des Anspruchs. Schäden, die als Folge der Pflichtverletzung eines Ausschussmitglieds nur einzelne Gläubiger treffen, etwa durch Verlust oder Wertminderung von Absonderungsgut, sind in beiden Verfahrensvarianten stets vom Geschädigten selbst geltend zu machen.1581) Ist dagegen durch die Pflichtverletzung ein Gesamtschaden entstanden, also ein Schaden, der die Gemeinschaft aus Insolvenzgläubigern und absonderungsberechtigten Gläubigern insgesamt belastet, so ist dieser in der Fremdverwaltung grundsätzlich vom Insolvenzverwalter (§ 92 InsO) und in der Eigenverwaltung vom Sachwalter geltend zu machen (§ 280 InsO).1582) Im Fall einer Interessenkollision hat das In___________ 1576) Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 21; Ganter, in: FS Fischer, 2006, S. 121, 122. 1577) BGH, Urt. v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, BGHZ 124, 86, 96 = ZIP 1994, 46 (zu § 89 KO); BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 337 Rn. 14 = NZI 2015, 166 = ZIP 2014, 2242; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 3, 21; KPB-InsO/Kübler, 64. EL. 07.2015, § 71 Rn. 4, 21; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 71 Rn. 1; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 71 Rn. 1; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 71 Rn. 1. – Zur Rechtslage nach der KO vgl. Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 89 Rn. 1 sowie Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 89 Rn. 1. – Zur Anspruchshäufung und -konkurrenz siehe allg. MK-BGB/Bachmann, 7. Aufl. 2016, § 241 Rn. 35 – 39; Pape/Schultz, ZIP 2015, 1662, 1663; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 7; Pape/Gundlach/ Vortmann, Handbuch, 3. Aufl. 2018, Rn. 357; Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 1, 2. 1578) BGH, Urt. v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, BGHZ 124, 86, 96 (zu § 89 KO) = ZIP 1994, 46; BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 330 Rn. 17 = NZI 2015, 166 = ZIP 2014, 2242; Ganter, in: FS Fischer, 2006, S. 121 f., 129. 1579) Ausführlich Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 1, 2, 8. 1580) Vgl. die rechtspolitische Kritik und Praxisbeispiele bei Vortmann, ZInsO, 2006, 310 f. sowie Marotzke, KTS 2014, 113, 125 f. (Verletzung des „rechtsethische[n] Postulat[s] des Gleichklangs von Herrschaft und Verantwortung“). 1581) Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 2; KK-InsO/Hammes, 2017, § 71 Rn. 4 m. w. N. 1582) Kapitel 2 E. V. 2., Rn. 102 f.
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Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
solvenzgericht anstelle eines in der Fremdverwaltung erforderlichen Sonderinsolvenzverwalters1583) in der Eigenverwaltung einen Sondersachwalter zu bestellen.1584) Rechtshandlungen zur Geltendmachung oder Erledigung des Haftungsanspruchs gegen Ausschussmitglieder bedürfen weder der Zustimmung des Ausschusses nach § 160 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO1585) noch der Zustimmung der Gläubigerversammlung.1586)
721 § 71 InsO ist als Individualhaftung ausgestaltet, so dass entscheidend ist, welches Mitglied des Ausschusses eine Pflichtverletzung begangen hat.1587) Dies korrespondiert mit der Regelung des § 69 InsO, die jedem einzelnen Ausschussmitglied die Aufgabe zuweist, in eigener Verantwortung individuelle Pflichten wahrzunehmen.1588) Dabei dürfen ausgewählte, nicht zwingend persönlich zu erfüllende Aufgaben delegiert werden (vgl. § 69 Satz 2 Hs. 2 InsO), sofern das Ausschussmitglied die Plausibilität der Arbeitsergebnisse überprüft und sich vergewissert, dass die Tätigkeit des Beauftragten den Anforderungen entsprochen hat.1589) Wird jedoch eine den Mitgliedern originär selbst obliegende Pflicht an einen Dritten delegiert, so ist dessen Verschulden den jeweiligen Auftraggebern nach § 278 BGB zuzurechnen; sie haben für das Verschulden des Dritten in gleicher Weise wie für eigenes einzustehen.1590)
___________ 1583) BGH, Beschl. v. 5.2.2009 – IX ZB 187/08, NZI 2009, 238 = ZIP 2009, 529. 1584) AG Duisburg, Beschl. v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02, NZI 2002, 556, 560 = ZIP 2002, 1636, 1641. 1585) Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 89 Rn. 1; Jaeger, KuT 1934, 1; KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 72 Rn. 9; KK-InsO/Hammes, 2017, § 72 Rn. 19; HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 72 Rn. 3; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 72 Rn. 13; vgl. MK-InsO/SchmidBurgk, 4. Aufl. 2019, § 72 Rn. 15 f. 1586) MK-InsO/Ehricke, 4. Aufl. 2019, § 77 Rn. 35; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 77 Rn. 6. 1587) BGH, Urt. v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, BGHZ 124, 86, 96 f. = NJW 1994, 453 = ZIP 1994, 46; BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 330 Rn. 17, 334 Rn. 24 = NZI 2015, 166 = ZIP 2014, 2242; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 71 Rn. 6; Braun/Hirte, InsO, 7. Aufl. 2017, § 71 Rn. 6; Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 1, 8. 1588) BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, NZI 2007, 346, 348 Rn. 20 = ZIP 2007, 781. Siehe auch oben Kapitel 3 F., Rn. 263 f. 1589) BGH, Urt. v. 27.4.1978 – VII ZR 31/76, BGHZ 71, 253, 256 f. = NJW 1978, 1527 f.; BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 331 Rn. 19 f., 338 Rn. 34, = NZI 2015, 166, 167 f., 170 = ZIP 2014, 2242; OLG Celle, Urt. v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, NZI 2010, 609, 610 = ZIP 2010, 1862; Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 69 Rn. 18 f.; vgl. MKInsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 18; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 71 Rn. 8; KK-InsO/Hammes, 2017, § 69 Rn. 7; vgl. Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 4 m. w. N.; Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373, 1379 f. 1590) Vgl. zur entsprechenden Situation beim Aufsichtsrat Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 1012 f.
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B. Entsprechende Anwendung der Business Judgment Rule
Die individuelle Verantwortung des Ausschussmitglieds gilt auch bei der Ausübung 722 der kollektiven Verfahrensrechte und Mitwirkungsbefugnisse des Ausschusses,1591) welche die Mitglieder nicht individuell, sondern nur durch Beschluss (§ 72 InsO), also durch Beteiligung an der Meinungs- und Willensbildung des Organs wahrnehmen können.1592) Auch in einem solchen Fall besteht rechtlich keine kollektive Pflicht des Ausschusses selbst, sondern lediglich eine Gesamtverantwortung aller seiner Mitglieder.1593) Pflicht, Pflichtverletzung, Verschulden und Haftung sind hier mitgliedsbezogene Kategorien; die insolvenzrechtlichen Aufgaben des Ausschusses werden seinen Mitgliedern vom Gesetz entweder zur persönlichen oder zur gemeinsamen Besorgung übertragen.1594) Wird durch kollektives Verhalten im Rahmen des Organs eine den Mitgliedern obliegende Pflicht verletzt, so haften (nur) jene Mitglieder, die bei der Verletzung mitgewirkt oder es unterlassen haben, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren den Eintritt des Schadens zu verhindern. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Mehrheit der Ausschussmitglieder entgegen ihrer Reaktionspflicht einen nach Lage der Dinge unabweisbar gebotenen Antrag auf Aufhebung der Schutzschirmanordnung (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO) oder auf Einberufung der Gläubigerversammlung mit dem Ziel der Aufhebung der Eigenverwaltung (§ 75 Abs. 1 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) nicht stellt. Ausschussmitglieder, die sich pflichtgemäß verhalten, also sich in einem solchen Fall für die Antragstellung einsetzen, haften nicht. Verletzen mehrere oder sämtliche Ausschussmitglieder im selben tatsächlichen Zusammenhang eine insolvenzspezifische Pflicht, so haften sie dem Geschädigten als Gesamtschuldner nach Maßgabe der §§ 421 ff. BGB.1595)
B. Entsprechende Anwendung der Business Judgment Rule Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben sich bei ihrer Tätigkeit ausschließ- 723 lich am Verfahrenszweck der gemeinschaftlichen und bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 1 InsO) zu orientieren.1596) Sie haften daher nach § 71 InsO grundsätzlich auch für gläubigerschädigende Folgen solcher Verhaltensweisen, die nach diesem Maßstab lediglich als wirtschaftlich unvernünftig oder sonst ___________ 1591) Vgl. Kapitel 3. F. II., Rn. 266. 1592) BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, NZI 2007, 346, 348 Rn. 20 = ZIP 2007, 781; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 69 Rn. 6; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 69 Rn. 10; Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 69 Rn. 4; Pape/Schultz, ZIP 2015, 1662, 1668; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 29. 1593) BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 330 Rn. 17 = NZI 2015, 166, 167 = ZIP 2014, 2242; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 71 Rn. 8, Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 29. 1594) Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 29. 1595) Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 1, 8; Schaal, Haftung, 2017, S. 281. 1596) Siehe oben Kapitel 2 A. II., Rn. 25 ff.; Kapitel 4 D. I., Rn. 341 ff.
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Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
unzweckmäßig einzuordnen sind. Vor diesem Hintergrund ist zu erwägen, ob die sogenannte Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, die nach § 116 AktG auch für Aufsichtsratsmitglieder gilt, auf die Mitglieder des Gläubigerausschusses entsprechend anzuwenden ist.1597) Eine Übertragung dieses Grundsatzes hätte zur Folge, dass eine auf Prognosen beruhende und mit Risiken behaftete unternehmerische Entscheidung eines Ausschussmitglieds, die sich später als gläubigerschädigend erweist, nicht pflichtwidrig wäre,1598) wenn das Mitglied sich der schädigenden Wirkung nicht bewusst war und zur Zeit der Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Insolvenzgläubiger und der absonderungsberechtigten Gläubiger zu handeln. Nicht von dieser Privilegierung umfasst sind die Verletzung von Treue- und Informationspflichten sowie sonstige allgemeine Gesetzesverstöße; der Gegensatz zur unternehmerischen Entscheidung ist die rechtlich gebundene Entscheidung.1599) Ob eine Fehlentscheidung haftungsfrei oder haftungsbegründend ist, hat für den Gläubigerausschuss in der Eigenverwaltung besondere Bedeutung,1600) weil seine Mitglieder hier mit einer Vielzahl von Sonderpflichten belastet sind und während des Verfahrens im Rahmen einer Betriebsfortführung und Sanierung an zahlreichen unternehmerischen Entscheidungen mitzuwirken haben.
I.
Grundsatz
724 Die Frage der Anwendbarkeit der Business Judgment Rule im Insolvenzverfahren stellt sich hier in dreifacher Hinsicht: Zum einen hätte der Gläubigerausschuss bei der Überwachung der Geschäftsführung des eigenverwaltenden Schuldners und des Sachwalters deren durch die Business Judgment Rule vorgegebenen Spielraum zu respektieren, soweit er gesetzeskonform, also unter Beachtung des Verfahrenszwecks und der rechtmäßig beschlossenen Vorgaben der Gläubigerversammlung, genutzt wird. Zum anderen stünde dem Gläubigerausschuss bei der Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen (§ 276 InsO) ein eigener haftungsprivilegierender Spielraum zu. Er wäre also nicht verpflichtet, einer mit der Business Judgment Rule konformen Rechtshandlung des Schuldners oder Sachwalters zuzustimmen, wenn er im Rahmen seiner Entscheidungsbefugnis zu einer abweichen___________ 1597) Zu den Grundlagen dieser analogen Anwendung siehe oben Kapitel 3 G., Rn. 267 ff. 1598) Zur Verortung der Business Judgment Rule auf der Ebene der Pflichtwidrigkeit vgl. allgemein Fleischer, ZIP 2004, 685, 688, 692. 1599) Vgl. RegE UMAG, 2005, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 f. zu Art. 1 Nr. 1 lit. a (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG); Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, ebd., Anlage 3, S. 41 zu Nr. 2; BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361 Rn. 4, 11 = NZG 2008, 705; BGH, Beschl. v. 3.11.2008 – II ZR 236/07, ZIP 2009, 223 Rn. 3 = NZG 2009, 117; KK-InsO/Hammes, 2017, § 71 Rn. 13; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 63, 60; Jakobus, Vorstandspflicht, 2013, S. 181 ff.; G. Fischer, NZI 2016, 665, 667. 1600) Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 58, 60.
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B. Entsprechende Anwendung der Business Judgment Rule
den Beurteilung käme. Schließlich und entscheidend aber würde die Anwendung zu einer Einschränkung der Haftung der Ausschussmitglieder führen, wenn sie die Business Judgment Rule beachtet haben. Von denjenigen, die die Wertungen der Business Judgment Rule des Aktiengesetzes 725 auf den Insolvenzverwalter und die Mitglieder des Gläubigerausschusses übertragen wollen, werden § 93 Abs. 1 Satz 2 und § 116 AktG ausdrücklich oder unausgesprochen1601) entsprechend angewandt. Es handele sich, so wird argumentiert, nicht um ein rechtsformgebundenes Rechtsinstitut, sondern seine Rechtsgedanken seien überall anzuwenden, wo Verwalter fremden Vermögens zur Wahrnehmung von Chancen unternehmerische Risiken eingingen. Das treffe in Fällen der Betriebsfortführung sowohl auf den Insolvenzverwalter als auch auf den Gläubigerausschuss zu.1602) In der Rechtsprechung des BGH ist die Frage bisher nicht ausdrücklich behandelt 726 worden. Jedoch ist eine Tendenz zu erkennen, die aus Zweckmäßigkeitserwägungen darauf hinausläuft, die Pflichten der Ausschussmitglieder zu begrenzen, um die Bereitschaft zur Übernahme des Amtes nicht (noch mehr) zu beeinträchtigen.1603) Der BGH hält den Insolvenzverwalter sogar für verpflichtet, günstige Geschäftschancen, die „ohne sonderlichen Aufwand und ohne großes Risiko“ zu einer erheblichen Mehrung der Masse geführt hätten, zugunsten der Insolvenzmasse zu nutzen.1604) Ob der Insolvenzverwalter für eine unternehmerische Fehlentscheidung hafte, sei am Insolvenzzweck der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger und unter Berücksichtigung der von ihnen getroffenen Verfahrensentscheidungen zu beurteilen.1605) Hieraus wird teilweise der Schluss gezogen, die Business Judgment Rule sei als allgemeiner Rechtsgrundsatz zu qualifizieren und als „Insolvency Judgment Rule“ anzuwenden.1606) Andere wiederum halten die Übertragung der Business Judgment Rule für verfehlt, 727 weil es sich nicht um eine Frage des Sorgfaltsmaßstabs handele, sondern um eine auf das Insolvenzrecht nicht übertragbare Sonderregelung des Aktienrechts, durch ___________ 1601) Vgl. etwa Erker, ZInsO 2012, 199, 203 f. (für den Insolvenzverwalter). 1602) Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Kapitel 1 Rn. 1234; Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 69; Frege/Nicht, NZI 2010, 329 ff. (im Hinblick auf den Insolvenzverwalter); Cranshaw, ZInsO 2012, 1151, 1154 f.; Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1042; Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 1, 9. 1603) BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 334 f. Rn. 25 = NZI 2015, 166 = ZIP 2014, 2242; vgl. auch Ganter, in: FS Fischer, 2006, S. 121, 122; in diesem Sinne auch Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 1. 1604) BGH, Urt. v. 16.2.2017 – IX ZR 253/15, BGHZ 214, 220, 223 f. Rn. 13, 15 = NZI 2017, 442 = ZIP 2017, 779. 1605) BGH, Urt. v. 16.2.2017 – IX ZR 253/15, BGHZ 214, 220 (Ls. a) = NZI 2017, 442 = ZIP 2017, 779. 1606) Leichtle/Theusinger, NZG 2018, 251, 252, auf den Insolvenzverwalter bezogen.
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Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
die unternehmerische Entscheidungen unter bestimmten Voraussetzungen von einer gerichtlichen Kontrolle ausgenommen werden sollen.1607) Durch eine Analogie zu § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG würden die maßgeblichen insolvenzrechtlichen Haftungsanforderungen nur verschleiert; es bestehe ohnehin ein vom Insolvenzzweck geprägtes weites Ermessen, so dass es eines Rückgriffs auf das Aktiengesetz nicht bedürfe.1608) Die Herleitung könne nicht überzeugen, da andere – vor allem freiberufliche – Entscheidungsträger nicht privilegiert würden.1609) Ferner sei fraglich, ob die Anwendung der Business Judgment Rule mit dem Verfahrenszweck zu vereinbaren sei.1610)
728 Die besseren Argumente sprechen dafür, die Business Judgment Rule unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Insolvenzrechts in diesem Rechtsgebiet entsprechend anzuwenden. Dies gilt auch für die Einbeziehung der Mitglieder des Gläubigerausschusses, soweit sie auf der Grundlage des Verfahrenszwecks unternehmerische Entscheidungen zu treffen oder mitzuverantworten haben. Es handelt sich nämlich bei § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG keineswegs um eine auf das Aktienrecht begrenzte Sonderregelung. Die Bestimmung greift vielmehr bewusst allgemeine unternehmensrechtliche Überlegungen auf.1611) In dem Regierungsentwurf des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) von 2005,1612) durch das die Norm in das Aktiengesetz eingefügt worden ist, heißt es: „Der Grundgedanke eines Geschäftsleiterermessens im Bereich unternehmerischer Entscheidungen ist nicht auf den Haftungstatbestand des § 93 AktG und nicht auf die Aktiengesellschaft beschränkt, sondern findet sich auch ohne positivrechtliche Regelung in allen Formen unternehmerischer Betätigung. Das für das Aktiengesetz zu § 93 gefundene Regelungsmuster und die Literatur und Rechtsprechung dazu können aber als Anknüpfungs- und Ausgangspunkt für die weitere Rechtsentwicklung dienen.“1613) Damit ist für den Rechtsgedanken der Business Judgment Rule ein weiter Anwendungsbereich eröffnet. Ebenso wenig überzeugt ___________ 1607) BeckOK-InsO/Windau, 14. Ed. 04.2019, § 22 Rn. 119, § 22a Rn. 69; HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 71 Rn. 3; Jungmann, NZI 2009, 80, 86, der sich – konsequenterweise – auch gegen eine Haftungsprivilegierung der Organe eines eigenverwaltenden Schuldners ausspricht. 1608) MK-InsO/Schoppmeyer, 4. Aufl. 2019, § 60 Rn. 90a (zum Insolvenzverwalter). 1609) Jungmann, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 831, 836; ders. NZI 2009, 80, 81 m. w. N. in Fn. 21 – 24. 1610) Jungmann, NZI 2009, 80, 82. 1611) RegE UMAG, 2005, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 (li. Sp.) zu Art. 1 Nr. 1 lit. a (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG); vgl. etwa BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 253 f. = NJW 1997, 1926 = ZIP 1997, 883; weitere Nachweise bei Fleischer, ZIP 2004, 685 ff.; Paefgen, AG 2004, 245 ff.; Ulmer, DB 2004, 859 ff. 1612) Gesetz vom 22.9.2005, BGBl. I S. 2802. 1613) RegE UMAG, 2005, BT-Drucks. 15/5092, S. 12 (li. Sp. Abs. 3) Art. 1 Nr. 1 lit. a (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG).
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B. Entsprechende Anwendung der Business Judgment Rule
die Behauptung, die Business Judgment Rule laufe dem Zweck des Insolvenzverfahrens zuwider. Jedes unternehmerische Handeln ist risikobehaftet; Betriebsfortführungen sind gerade im Insolvenzverfahren (einschließlich des Eröffnungsverfahrens) ohne Inkaufnahme von Risiken schlechthin nicht möglich. Ausschlaggebend muss auch hier die Überlegung sein, dass unternehmerische Chancen genutzt werden dürfen, wenn und soweit dies auf der Grundlage angemessener Information1614) nach sorgfältiger Abwägung der Risiken im Zeitpunkt der Handlung aus der Sicht eines objektiv und sachkundig handelnden Dritten vertretbar und sinnvoll erscheint. Angesichts der strukturellen Vergleichbarkeit mit dem Aufsichtsrat1615) gilt dieser Grundgedanke nicht nur für die Träger der Insolvenzverwaltung, sondern auch für den Gläubigerausschuss. Seine Mitglieder sind nicht anders als jedes Aufsichtsratsmitglied stets der Gefahr unternehmerischer Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen ausgesetzt, selbst wenn sie noch so verantwortungsbewusst handeln.
II. Orientierung am Wohl der Gläubiger Undifferenziert darf die Übertragung der Business Judgment Rule auf die Mitglieder 729 des Gläubigerausschusses allerdings nicht erfolgen. Im Insolvenzverfahren geht es nicht um ein Handeln zum Wohl des Unternehmens oder seines Trägers, sondern um die bestmögliche gemeinschaftliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger und der absonderungsberechtigten Gläubiger1616) – genauer gesagt: um die größtmögliche Minimierung ihrer Verluste.1617) Der rechtliche Rahmen der Ausschussmitglieder ist durch den Zweck des Insolvenzverfahrens (§ 1 InsO) deutlich enger gezogen als für Mitglieder des Aufsichtsrats im allgemeinen Wirtschaftsleben. Bei allen unternehmerischen Entscheidungen des Ausschusses hat als alleiniger Maßstab das Wohl der Gläubiger zu gelten. Verfahren in Eigenverwaltung machen keine Ausnahme.1618) Die Erwartung, dass eine Entscheidung im Zuge der Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse dazu beiträgt, die Ertragslage und Wettbewerbsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens nach Abschluss des Verfahrens langfristig zu stärken, reicht deshalb für sich betrachtet keineswegs aus, um eine Privilegierung der Entscheidungsträger durch die Business Judgment Rule zu rechtfertigen. Der Begriff der unternehmerischen Entscheidung ist bisher in der Rechtsprechung 730 nicht näher definiert und lässt sich in Abgrenzung zum Gegenbegriff der rechtlich ___________ 1614) Siehe oben Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff. 1615) Kapitel 3 G., Rn. 267 ff. 1616) Vgl. für das Handeln zum Wohl der Insolvenzmasse Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 79. 1617) Vgl. Berges, KTS 1955, 49, 51. 1618) Siehe Kapitel 2 A. II. 2., Rn. 30 ff.
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Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
gebundenen Entscheidung1619) nur annäherungsweise bestimmen.1620) Er umfasst typischerweise Sachverhalte, welche die Festlegung betriebswirtschaftlicher Zielvorgaben sowie deren Umsetzung durch Investitionen, Desinvestitionen, Umstrukturierungen oder Betriebsänderungen betreffen und für die allein Zweckmäßigkeitserwägungen, Risikobeurteilungen sowie Rentabilitäts- oder Gewinnerwartungen maßgebend sind. In der Insolvenz sind hierunter vor allem solche Entscheidungen zu verstehen, die im Rahmen der Vorgaben der Gläubigerversammlung (§§ 157, 159, 217 InsO) die teilweise oder vollständige Einstellung oder Fortführung des Geschäftsbetriebs, die Erfüllungswahl sowie die Grundlagen arbeitsrechtlicher Sanierungsmaßnahmen (§§ 103 – 128, 279 InsO) betreffen. Rechtlich gebunden sind demgegenüber Entscheidungen, die nur getroffen werden dürfen oder zwingend zu treffen sind, wenn rechtlich vorgegebene Voraussetzungen vorliegen. Da das Insolvenzverfahren sich insgesamt im gesetzlichen Rahmen des Verfahrenszwecks (§ 1 InsO) zu bewegen hat, unterliegen hier sämtliche unternehmerischen Entscheidungen aus dem Blickwinkel der Gläubigergesamtheit in ihrem Ansatz einer besonderen rechtlichen Bindung, selbst wenn sie der Mitwirkung des Gläubigerausschusses anvertraut sind. So ist beispielsweise die Entscheidung des vorläufigen Gläubigerausschusses, ob er den Antrag des Schuldners auf Anordnung der Eigenverwaltung unterstützen darf (§ 270 Abs. 3 InsO), allein auf der Grundlage des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu beurteilen und deshalb insoweit rechtlich gebunden. Erst wenn den Ausschussmitgliedern nach pflichtgemäßer Prüfung keine nachteilsindizierenden Umstände bekannt geworden sind, dürfen sie nach unternehmerischem Ermessen für oder gegen den Eigenverwaltungsantrag votieren.
731 Notwendige Bedingung für die Anwendung der Business Judgment Rule ist demnach, dass rechtlich zulässige Verhaltensalternativen existieren,1621) es also nicht nur eine einzige rechtmäßige und damit richtige Entscheidung gibt. Als Maßstab dafür, ob ein Ermessen eröffnet ist, werden zu Recht auch § 21 Abs. 1 sowie die §§ 158, 160 ff. InsO herangezogen.1622) Kann zum Beispiel keine wirtschaftlich tragfähige Fortbestehensprognose für das schuldnerische Unternehmen aufgestellt werden, so hat der Gläubigerausschuss einer verlustreichen, die Masse schädigenden Betriebs___________ 1619) Vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats zum RegE UMAG, 2005, BT-Drucks. 15/5092, Anlage 3, S. 41 zu Nr. 2 (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). 1620) Vgl. etwa BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, 1926 = ZIP 1997, 883; BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361 Rn. 11 = ZIP 2008, 1675; BGH, Beschl. v. 3.11.2008 – II ZR 236/07, NZG 2009, 117 Rn. 3 = ZIP 2009, 223; BGH, Urt. v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, NZG 2011, 549 = ZIP 2011, 766; BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, NJW 2013, 1958 Rn. 35 = ZIP 2013, 455; BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, NJW 2013, 3636 Rn. 27 = ZIP 2013, 1712. Zu den Definitionsversuchen in der Kommentarliteratur vgl. z. B. Grigoleit/Tomasic, AktG, 2013, § 93 Rn. 31; Hüffer/ Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 16; MK-AktG/Spindler, 5. Aufl. 2019, § 93 Rn. 48. 1621) Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 64, 72. 1622) Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Kapitel 1 Rn. 1234.
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B. Entsprechende Anwendung der Business Judgment Rule
fortführung die Zustimmung strikt zu verweigern. Dem Gläubigerausschuss ist es ebenso wie dem eigenverwaltenden Schuldner durch § 1 InsO untersagt, auf Risiko und Gefahr der Gläubiger zu spekulieren.1623)
III. Angemessene Informationsgrundlage Eine Haftungsprivilegierung der Gläubigerausschussmitglieder aufgrund der Busi- 732 ness Judgment Rule kommt zudem nur in Betracht, wenn die beschließenden Mitglieder ihre Entscheidung auf der Grundlage angemessener Information getroffen haben. Nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln tragen sie im Haftungsprozess hierfür die Darlegungs- und Beweislast.1624) Der Nachweis wird umso leichter fallen, je überzeugender die Vorbereitungen und Beratungen des Ausschusses dokumentiert sind.1625) Bei der Informationsbeschaffung dürfen sich die Ausschussmitglieder nicht allein auf Auskünfte und Einschätzungen aus der Sphäre des Schuldners oder des Sachwalters verlassen.1626) Sie sind vielmehr verpflichtet, sich in eigener Verantwortung und möglichst unabhängig von den Trägern der Insolvenzverwaltung ausreichende Kenntnis über alle Umstände zu verschaffen, die für die ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Aufgaben bedeutsam sein können.1627) Fehlt ihnen das Wissen oder die Sachkunde, so haben sie neben den Kenntnissen 733 des Insolvenzgerichts auch den Sachverstand des Sachwalters und, soweit dessen Objektivität oder Urteilskraft zweifelhaft ist, den Rat unabhängiger externer Sachverständiger heranzuziehen. Je größer die Bedeutung der Entscheidung für den Zweck des Verfahrens und je schädlicher ihre möglichen Auswirkungen auf die Befriedigung der Gläubiger sein können, desto gründlicher und umfassender muss die Informationsbeschaffung sein.1628) Ebenso unerlässlich ist eine der Sache angemessene intensive Beratung innerhalb des Ausschusses. Der Austausch von Informationen und die Abwägung der Argumente, Risiken und Chancen ist eine der Grundlagen jeder ordnungsmäßigen Ausschusstätigkeit1629) und somit auch notwendige Voraussetzung einer Haftungsprivilegierung.
___________ 1623) Zum Vorstehenden vgl. Fischer, NZI 2016, 665, 667. 1624) Vgl. RegE UMAG, 2005, BT-Drucks. 15/5092, S. 12 (li. Sp. Abs. 2) zu Art. 1 Nr. 1 lit. a (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). 1625) Siehe Kapitel 3 H. VIII., Rn. 290 ff. 1626) Anders für Informationen des Insolvenzverwalters in der Fremdverwaltung Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 78. 1627) Siehe Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff. 1628) Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 65. 1629) Vgl. ausführlich Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff.; ferner Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 73.
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Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
C. Erforderliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Ausschussmitglieds 734 Die Haftung der Mitglieder des Gläubigerausschusses ist, wie § 71 InsO ausdrücklich sagt, eine Verschuldenshaftung. Sie greift im Grundsatz ein, wenn das Ausschussmitglied eine ihm in diesem Amt obliegende Pflicht vorsätzlich oder fahrlässig nicht mit der gebotenen Sorgfalt wahrnimmt. Die Bandbreite des haftungsbegründenden Verschuldens reicht dabei vom direkten Vorsatz bis zur leichten Fahrlässigkeit.1630) Da jedes Ausschussmitglied die Pflichten seines Amtes kennen muss und deshalb objektive Pflichtwidrigkeit und Verschulden grundsätzlich nach dem gleichen Maßstab zu beurteilen sind, indiziert eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung zugleich ein subjektiv vorwerfbares Verschulden,1631) sofern nicht besondere schuldausschließende Gründe vorliegen.1632)
735 Sorgfaltsmaßstäbe sind somit nicht nur im Hinblick auf das Verschulden von Bedeutung, sondern haben bereits auf der Ebene der Rechtswidrigkeit die Funktion, Regeln und Inhalt der Berufs- oder Amtsausübung generalklauselartig zu definieren.1633) Teilweise dienen sie zudem als Grundlage für die Verteilung der Beweislast.1634)
736 Der Sorgfaltsmaßstab für Mitglieder des Gläubigerausschusses ist im Gesetz nicht ausdrücklich festgelegt. Während Insolvenzverwalter, Sachwalter und die Geschäftsleiter des körperschaftlich organisierten eigenverwaltenden Schuldners1635) in Anlehnung an Formulierungen des Handels- und Gesellschaftsrechts1636) für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Verwalters einzustehen haben (§ 60 Abs. 1 Satz 2, § 274 Abs. 1 InsO), fehlt für Gläubigerausschussmitglieder ein solches ___________ 1630) Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 71 Rn. 8; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 71 Rn. 10; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 7; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 71 Rn. 8; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 7; Vortmann, ZInsO 2006, 310, 312; Ganter, in: FS Fischer, 2006, S. 121, 128 f.; Grell/Klockenbrink, DB 2013, 1038, 1041 f. 1631) HK-InsO/Lohmann, 9. Aufl. 2018, § 60 Rn. 30 für den Insolvenzverwalter; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 1009 für Aufsichtsratsmitglieder; allgemein Palandt/Grüneberg, 78. Aufl. 2019, § 276 Rn. 5. 1632) MK-BGB/Grundmann, 7. Aufl. 2016, § 276 Rn. 6; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 83; Dürr, Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern, 2. Aufl. 2008, S. 179. 1633) Vgl. Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 93 Rn. 5 („Doppelfunktion“); Göb/Schnieders/ Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 32, 83. 1634) OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, NZG 2010, 141 f. = ZIP 2009, 2386 (zu § 93 AktG); BGH, Beschl. v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, NZG 2008, 314 = ZIP 2008, 736 (zum GmbHG); dazu Paefgen, NZG 2009, 891, 893, 896. 1635) BGH, Urt. v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 ff. = NZI 2018, 519 = ZIP 2018, 977. 1636) Zum Beispiel § 86 Abs. 3, § 347 Abs. 1, § 384 Abs. 1 HGB; § 93 Abs. 1 Satz 1, § 116 Satz 1 AktG; § 43 Abs. 1 GmbHG.
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C. Erforderliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Ausschussmitglieds
normatives Leitbild, mit dessen Hilfe ein Anforderungs- und Pflichtenprogramm entwickelt werden kann.1637) Gleichwohl erkennen Rechtsprechung und Literatur an, dass die Ausschussmitglieder bei ihrer Tätigkeit eine besondere Sorgfaltspflicht zu beachten haben, die über die an den allgemeinen Verkehrsbedürfnissen ausgerichtete objektive Sorgfaltspflicht des § 276 Abs. 2 BGB hinausgeht.1638) Jedes Mitglied habe, so heißt es grundsätzlich übereinstimmend, in Ausübung seines Amtes für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Ausschussmitglieds,1639) Geschäftsmannes1640) oder Geschäftsleiters1641) einzustehen. Dem ist zuzustimmen. Ausschussmitglieder werden in ihrem Amt ebenso wie Auf- 737 sichtsratsmitglieder nicht nur im persönlichen Interesse tätig, sondern sind in ein Geflecht von Interessen einer Vielzahl anderer Beteiligter eingebunden, die durch ihr Verhalten geschädigt werden können. Der Sinn ihres Amtes besteht gerade darin, in persönlicher Verantwortung die Belange der Insolvenzgläubiger und absonderungsberechtigten Gläubiger zu wahren. Eine derartige treuhänderische Stellung begründet im Handels- und Gesellschaftsrecht regelhaft einen besonders strengen Sorgfaltsmaßstab.1642) Die Übertragung dieses Maßstabs auf das Insolvenzrecht ist nicht nur für die Träger der Insolvenzverwaltung, sondern auch für die Mitglieder des Gläubigerausschusses geboten. Allerdings wird vielfach die Auffassung vertreten, dieser auf § 276 Abs. 2 BGB 738 aufbauende und an die Regelungen des Handels- und Gesellschaftsrechts anknüpfende objektive Maßstab sei zu relativieren, indem man bei der Haftung der Ausschussmitglieder auf die individuellen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen des jeweiligen Ausschussmitglieds abstelle.1643) In der Konsequenz würde eine solche generelle Subjektivierung dazu führen, dass für das innerhalb desselben Sachverhalts gleiche objektiv pflichtwidrige Verhalten ein insolvenzrechtlicher Fachmann ___________ 1637) Vgl. Pape/Schultz, ZIP 2015, 1662, 1663. 1638) Pape/Schultz, ZIP 2015, 1662, 1663; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 33. 1639) Allg. M.: Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 71 Rn. 8; NWB-Komm. InsO/Pape, 2013, § 71 Rn. 11; Braun/Hirte, InsO, 7. Aufl. 2017, § 71 Rn. 3; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 71 Rn. 3, 12; HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 71 Rn. 6; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 8; Cranshaw/Steinwachs/Vallender/Bank, Gläubigerausschuss, 2. Aufl. 2014, Rn. 655; Pape/Schultz, ZIP 2015, 1662, 1663; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 83; a. A. wohl FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 71 Rn. 3 (Verschulden i. S. v. § 276 BGB). 1640) Kühne, Anm. zu BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, NZI 2015, 166, 172. 1641) OLG Frankfurt, Urt. v. 12.12.1989 – 22 U 19/88, NJW 1990, 583 = ZIP 1990, 722. 1642) MK-HGB/Häuser, 4. Aufl. 2018, § 384 Rn. 8 (Kommissionär). 1643) K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 71 Rn. 13; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 71 Rn. 10; HK-InsO/Riedel, 9. Aufl. 2018, § 71 Rn. 3; MK-InsO/ Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 7; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 8; Ganter, in: FS Fischer, 2006, S. 121, 128.
349
Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
haften müsste, während ein juristischer Laie hierfür nicht erfolgreich in Anspruch genommen werden könnte. Je geringer die Kenntnisse oder Erkenntnisfähigkeiten eines Ausschussmitglieds sind, desto niedriger wären die Anforderungen an die Sorgfalt seiner Pflichterfüllung und damit die Rückgriffsmöglichkeiten der Geschädigten.
739 Diese Ansicht überzeugt nicht. Im Zivilrecht gilt aus Gründen des Vertrauensschutzes kein individueller, sondern als Mindeststandard ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab.1644) Es kommt auf die Fähigkeiten, Kenntnisse und Einsichten an, die für die Erfüllung der Pflichten im Allgemeinen erforderlich sind.1645) Abzustellen ist auf das Maß an Umsicht und Sorgfalt, das von den Adressaten der Pflicht bei der Erledigung der entsprechenden Tätigkeit typischerweise verlangt werden kann. Die objektive Betrachtungsweise schließt eine Berufung auf individuelle Unkenntnis und Unerfahrenheit aus.1646) Für die Pflichterfüllung der Mitglieder des Gläubigerausschusses, die Treuhänder der Vermögensinteressen aller durch § 71 InsO geschützten Gläubiger sind, gilt nichts anderes.1647) Der Schutz der Gläubiger erfordert, dass jedes Ausschussmitglied sich so verhalten (und im Haftungsfall so behandeln lassen) muss, als besitze es die zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten. Es ist freiwillig auf der Grundlage eines zivilrechtlichen gesetzlichen Schuldverhältnisses tätig1648) und hat mit der Annahme seiner Bestellung oder Wahl aus der Sicht eines objektiven Dritten zu erkennen gegeben, dass es nicht nur willens, sondern auch imstande ist, die Anforderungen seines Amtes zu erfüllen. Insolvenzgläubiger und absonderungsberechtigte Gläubiger müssen sich darauf verlassen können, dass Personen, die ein solches Amt übernehmen, die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zur Erfüllung der damit verbundenen Pflichten besitzen.1649) Die Möglichkeit des Gläubigerausschusses, einen sachverständigen Dritten einzuschalten (§ 69 Satz 2 InsO), wenn Umfang oder Schwierigkeit einer Auf___________ 1644) Allg. A.: MK-BGB/Grundmann, 7. Aufl. 2016, § 276 Rn. 55; Palandt/Grüneberg, 78. Aufl. 2019, § 276 Rn. 15; BeckOK-HGB/Lehmann-Richter, 22. Ed. 15.7.2018, § 347 Rn. 7 f. 1645) BGH, Urt. v. 21.5.1963 – VI ZR 254/62, BGHZ 39, 281, 283 = NJW 1963, 1609; BGH, Urt. v. 26.1.1989 – III ZR 194/87 = BGHZ 106, 323, 329 f. = NJW 1989, 976. 1646) Vgl. etwa BGH, Urt. v. 17.3.1981 – VI ZR 191/79, BGHZ 80, 186, 193 = NJW 1981, 1603; BGH, Urt. v. 11.4.2000 – X ZR 19/98, NJW 2000, 2812, 2813 = ZIP 2000, 1110; BGH, Urt. v. 27.3.2003 – IX ZR 399/99, NJW 2003, 2022, 2024. 1647) BGH, Urt. v. 11.12.1967 – VII ZR 139/65, BGHZ 49, 121, 124 = NJW 1968, 701 f.; Jaeger/ Gerhardt, InsO, 2007, § 71 Rn. 7; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 83 (im Ausgangspunkt sei der Maßstab objektiv); widersprüchlich Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/ Lind, InsO, 3. Aufl. 2017, § 71 Rn. 6; Grooterhorst, NZG 2011, 921, 925 (für Aufsichtsratsmitglieder). 1648) Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 21; Ganter, in: FS Fischer, 2006, S. 121, 122. 1649) Für den Insolvenzverwalter MK-InsO/Schoppmeyer, 4. Aufl. 2019, § 60 Rn. 90; vgl. allg. Palandt/Grüneberg, 78. Aufl. 2019, § 276 Rn. 15.
350
C. Erforderliche Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Ausschussmitglieds
gabe dies im Einzelfall erfordert,1650) spricht nicht gegen diesen Grundsatz, sondern bestätigt ihn geradezu; sie setzt die Notwendigkeit eines hohen sach- und fachkundigen Niveaus der Ausschusstätigkeit voraus. Auch hier ist die Parallele zum Aufsichtsrat sachgerecht und geboten. Für seine 740 Mitglieder gilt nach wohl herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur als grundlegende Anforderung ein objektiver Sorgfaltsmaßstab.1651) Von jedem Aufsichtsratsmitglied wird verlangt, dass es die für die persönliche Wahrnehmung seiner Aufgaben gewöhnlich erforderlichen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzt. Dass ein Mitglied, das über beruflich erworbene Spezialkenntnisse verfügt, darüber hinaus individuell einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt und es auch diese besonderen Fachkenntnisse einsetzen muss,1652) soweit sein Spezialgebiet betroffen ist, ändert hieran nichts. Es ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben, zumal ein solches Mitglied nicht selten eben wegen dieser speziellen Kenntnisse in den Aufsichtsrat gewählt wird. Auch dies gilt gleichermaßen für Mitglieder des Gläubigerausschusses mit besonderen fachlichen Qualifikationen. Die Regelung des § 67 Abs. 3 InsO, dass zu Ausschussmitgliedern auch Personen bestellt werden können, die keine Gläubiger sind, beruht ausdrücklich auf der Überlegung, dass es sinnvoll sein kann, außenstehende Personen wegen ihrer besonderen Eignung in die ständige Arbeit des Ausschusses einzubeziehen.1653) Die grundlegende Bindung an den gesetzlichen Verfahrenszweck1654) verbietet aber auch jedem anderen Ausschussmitglied, seine speziellen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen zurückzuhalten, wenn sie der Aufgabenwahrnehmung des Ausschusses förderlich sind. Die Stellung des Gläubigerausschusses im institutionellen Gefüge des Insolvenz- 741 verfahrens und seine grundsätzliche Vergleichbarkeit mit dem Aufsichtsrat spricht somit dafür, an die Pflichterfüllung seiner Mitglieder einen objektiven Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Dieser Maßstab erfordert ausreichende insolvenzrechtliche und ___________ 1650) BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324, 333 Rn. 23 = NZI 2015, 166 ff. = ZIP 2014, 2242. 1651) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82 (Hertie), BGHZ 85, 293, 295 f. = NJW 1983, 991 = ZIP 1983, 55; Dürr, Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern, 2. Aufl. 2008, S. 153 (mit Fn. 647, 649), 157. 1652) BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529, 1533 Rn. 17 = NZG 2006, 712; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056, 1059 Rn. 16 = NZG 2007, 516; BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097, 2101 Rn. 28 = NZG 2011, 1271; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 1011. 1653) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 zu § 78 Abs. 3 (= § 67 Abs. 3 InsO): Mit dieser Regelung „wird zusätzlich dem Fall Rechnung getragen, dass eine außenstehende Person als besonders geeignet angesehen wird, die Interessen der Gläubiger oder eines bestimmten Kreises von Gläubigern im Gläubigerausschuss zu wahren.“ 1654) Siehe Kapitel 4 D. I., Rn. 341 ff.
351
Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
kaufmännisch-betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse,1655) die das Mitglied in die Lage versetzen, die rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge seiner Tätigkeit zutreffend zu erfassen und auf dieser Grundlage seine Aufgaben wahrzunehmen. Eine Herabsetzung dieser Anforderungen im Zusammenhang mit der Haftung kommt nicht in Betracht, auch nicht für Arbeitnehmervertreter und Kleingläubiger.1656) Selbst die Vertreter eines subjektiven Sorgfaltsmaßstabs gehen, soweit ersichtlich, davon aus, dass die Annahme des Amtes als Gläubigerausschussmitglied durch eine unerfahrene oder unfähige Person pflichtwidrig ist und ein haftungsträchtiges Übernahmeverschulden begründet.1657) Wer zum Ausschussmitglied bestellt oder gewählt wird, ist verpflichtet, sich bei Annahme des Amtes über seine künftige Rechtsstellung, seine Aufgaben und Pflichten sowie deren verfahrensrechtlichen Rahmen aus seriösen Quellen hinreichend zu informieren.1658) Ebenso hat er während des Verfahrens stets eigenverantwortlich zu prüfen, ob er den Anforderungen seines Amtes immer noch gewachsen ist. Das Fehlen der fachlichen Eignung ist ein wichtiger Grund, der die Entlassung des Ausschussmitglieds rechtfertigt.1659)
742 Stellt ein Ausschussmitglied nachträglich fest, dass es diese Eignung nicht besitzt oder aus anderen Gründen den Pflichten des Amtes nicht gerecht werden kann, so
___________ 1655) Ebenso im Erg. Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 83; ohne Begr. abw. Ansicht Graeber, in: FS Beck, 2016, 199, 209. 1656) Hierzu Dürr, Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern, 2. Aufl. 2008, S. 153 f. Vgl. auch Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Grundsätze ordnungsmäßiger Aufsichtsratstätigkeit, 2011, S. 8 Nr. 7: „Jedes Aufsichtsratsmitglied muss bei der Annahme und Ausübung der Aufsichtsratstätigkeit prüfen, ob es über diejenigen Fähigkeiten, Kenntnisse und fachlichen Erfahrungen und zeitlichen Möglichkeiten verfügt, die für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben des Aufsichtsrats erforderlich sind. Dies gehört ebenso zu seiner persönlichen Sorgfaltspflicht wie die Wahrnehmung einer nur begrenzten Anzahl von Mandaten.“ 1657) Allg. Ansicht: RG, Urt. v. 17.2.1936 – VI 372/35, RGZ 150, 286, 288 a. E.; OLG Hamm, Urt. v. 5.11.1954 – 6 U 185/54, BB 1955, 296, 297; OLG Rostock, Beschl. v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814, 816 (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 08.05.2008, ZInsO 2008, 750); KPB-InsO/Kübler, 64. EL. 07.2015, § 71 Rn. 13; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 71 Rn. 13; Braun/Hirte, InsO, 7. Aufl. 2017, § 71 Rn. 3; HambK-InsR/ Frind, 7. Aufl. 2019, § 71 Rn. 5; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 8; MKInsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 71 Rn. 7; Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 83; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl. 2015, § 21 Rn. 371 f.; Ganter, in: FS Fischer, 2006, S. 121, 128. Treffend auch Kühne, Anm. zu BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, NZI 2015, 166, 172: Der BGH hat „klargestellt, dass die Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss mehr ist als nur eine Mitgliedschaft in einem »Frühstücksdirektorium«.“ Ähnlich Grooterhorst, NZG 2011, 921, 925 für Aufsichtsratsmitglieder. 1658) BGH, Urt. v. 11.12.1967 – VII ZR 139/65, BGHZ 49, 121, 124 = NJW 1968, 701 f.; BGH, Urt. v. 27.4.1978 – VII ZR 31/76, BGHZ 71, 253, 257 = NJW 1978, 1527 f.; Göb/ Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 80 m. w. N. in Fn. 200. 1659) Vgl. BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 223/05, NZI 2008, 308 f. Rn. 5 = ZIP 2008, 655.
352
D. Bewusstsein der besonderen Gefahren der Eigenverwaltung
hat es unverzüglich seine Entlassung1660) durch das Insolvenzgericht (§ 70 Satz 2 InsO) zu beantragen.1661) Andernfalls verstößt es schuldhaft gegen seine grundlegende Pflicht, Schaden von den Gläubigern abzuwenden.1662) Diese Pflicht gebietet auch den übrigen Ausschussmitgliedern, das Insolvenzgericht zu benachrichtigen, wenn ein Mitglied des Ausschusses sich als unterqualifiziert oder aus anderen Gründen als ungeeignet erweist.1663) Das Gericht hat dann von Amts wegen die Angelegenheit zu untersuchen und notfalls die Entlassung auszusprechen. Welche Sorgfaltsanforderungen die Gläubigerausschussmitglieder beachten müssen 743 und welche Kenntnisse und Fähigkeiten von ihnen zu verlangen sind, hängt von den näheren Umständen des jeweiligen Verfahrens ab. Von Bedeutung sind etwa die Größe des Unternehmens, seine personellen und organisatorisch-betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten, die Branchenzugehörigkeit sowie die spezifische Eignung der Träger der Insolvenzverwaltung und ihrer Hilfspersonen. Bei einem im Anlagenbau international tätigen Großunternehmen beispielsweise sind andere Anforderungen an die Mitglieder des Gläubigerausschusses zu stellen als bei einem mittelständischen Getränkegroßhändler mit regionalem Einzugsbereich.1664)
D. Bewusstsein der besonderen Gefahren der Eigenverwaltung Zu den Umständen, die für die Anforderungen an die Sorgfalt der Gläubigeraus- 744 schussmitglieder von wesentlicher Bedeutung sind, gehören in der Eigenverwaltung nicht zuletzt die Besonderheiten dieser Organisationsform selbst und die in ihr angelegten Gefahren für die Gläubiger. Wer in der Eigenverwaltung das Amt des Ausschussmitglieds ordnungsgemäß und gewissenhaft ausüben will, muss sich der rechtlichen und wirtschaftlichen, ja auch der psychologischen und kriminologischen Besonderheiten dieser Verfahrensvariante gegenüber der Fremdverwaltung bewusst sein. Er hat nicht nur ständig die organisatorische Aufspaltung der Verwaltungsaufgaben auf Schuldner und Sachwalter sowie die Überwachungsfunktion des Gläubigerausschusses gegenüber beiden Trägern der Insolvenzverwaltung im Auge zu behalten. Seine erhöhte Aufmerksamkeit muss sich darüber hinaus vor allem auf die typische Motivlage des Schuldners und seine Möglichkeiten der Desinfor___________ 1660) Eine einseitige Niederlegung des Amtes ist rechtlich nicht möglich; BGH, Beschl. v. 29.3.2012 – IX ZB 310/11, ZIP 2012, 876 f. Rn. 6. 1661) Ebenso NWB-Komm. InsO/Pape, 2013, § 71 Rn. 11; zur entsprechenden Rechtslage für Aufsichtsratsmitglieder vgl. etwa Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 1009. 1662) Siehe Kapitel 4 D. I., Rn. 341 ff. 1663) Vgl. Dürr, Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern, 2. Aufl. 2008, S. 137 f., 181, der zu Recht annimmt, dass jedes Aufsichtsratsmitglied in Unterqualifizierungsfällen eine Organisationsbzw. Mitwirkungspflicht hat, eine Neubesetzung herbeizuführen. 1664) Zur Eignung der Gläubigerausschussmitglieder siehe ausführlich unten Kapitel 7, Rn. 755 ff.
353
Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
mation, Manipulation, Obstruktion und Zweckentfremdung sowie auf die hieraus resultierenden Missbrauchsgefahren zum Nachteil der Gläubiger richten.1665)
745 In diesem Zusammenhang ist auch die besondere persönliche Interessenlage des Sachwalters zu berücksichtigen. Dies gilt nicht nur, wenn er im Rahmen des § 270b Abs. 2 InsO vom Sanierungsberater des Schuldners mitgebracht worden ist oder wenn seine Bestellung auf eine vom Berater inspirierte Vorgabe des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 56a i. V. m. § 274 Abs. 1, § 270a Abs. 1 InsO zurückgeht.1666) Selbst wenn ein solcher Einfluss nicht ersichtlich ist, müssen die Ausschussmitglieder stets damit rechnen, dass der Sachwalter bestrebt ist, sich in den Augen des Sanierungsberaters zu bewähren und sich ihm für eine künftige ähnliche Verwendung zu empfehlen. Schon die bloße Existenz der Nominierungsund Belohnungsnetzwerke der Berater und das Phänomen der vom Berater gesteuerten Nebeninsolvenzverwaltung1667) können eine nicht zu unterschätzende disziplinierende und korrumpierende Wirkung entfalten. Unabhängigkeit und Pflichtbewusstsein des Sachwalters in der Eigenverwaltung sind deshalb durch seine eigenen längerfristigen wirtschaftlichen Interessen sehr viel stärker gefährdet, als dies beim herkömmlichen Insolvenzverwalter der Fall ist, der allenfalls auf die Zufriedenheit der Insolvenzgerichte und das Wohlwollen der regelmäßig beteiligten Großgläubiger angewiesen ist. Kein Mitglied des Gläubigerausschusses darf sich unter diesen Umständen1668) darauf verlassen, dass der Sachwalter seine gesetzlichen Aufgaben1669) ohne strenge Überwachung durch den Gläubigerausschuss vollständig, ordnungsgemäß und mit dem gebotenen Nachdruck erfüllt.
I.
Sensibilität für nachteilsindizierende Umstände
746 Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben in der Eigenverwaltung in jeder Phase des Verfahrens ihre Aufmerksamkeit auf nachteilsindizierende Umstände zu richten, also auf Tatsachen und Entwicklungen im Verantwortungsbereich des eigenverwaltenden Schuldners oder des Sachwalters, die auf drohende oder bereits eingetretene Nachteile für die Gläubiger hindeuten (vgl. § 270 Abs. 2 Nr. 2, § 274 Abs. 3 InsO).1670) Dieser Anforderung können sie nur gerecht werden, wenn ihnen jederzeit bewusst ist, welche Besonderheiten der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen oder sie vergrößern können. Jedes Ausschussmitglied hat sich deshalb spätestens bei der Übernahme seines Amts mit dem besonderen recht___________ 1665) 1666) 1667) 1668)
Siehe Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. Siehe Kapitel 2 J. III. 2., Rn. 169 ff. Siehe Kapitel 2 J. III., Rn. 164 ff. Anders für den Fall der Fremdverwaltung Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 78. 1669) Siehe Kapitel 2 E., Rn. 84 ff., insbesondere Abschnitt V. 2., Rn. 102 f. 1670) Siehe Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff.
354
D. Bewusstsein der besonderen Gefahren der Eigenverwaltung
lichen und faktischen Gefährdungs- und Benachteiligungspotential der Eigenverwaltung vertraut zu machen.1671) Seine Selbstinformationspflicht betrifft nicht nur die Möglichkeiten und Gelegenheiten eines vorsätzlichen Missbrauchs im eigentlichen Sinn, also des Einsatzes zu funktionsfremden und rechtlich zu missbilligenden Zwecken.1672) Sie bezieht sich auch auf solche Ursachen einer Gläubigerbenachteiligung, die schon allein in der rechtlichen Konstruktion der Eigenverwaltung angelegt sind.1673) Die gedankliche Erfassung dieses gesamten negativen Potenzials der Eigenverwaltung muss so gründlich sein, dass sich bei jedem Ausschussmitglied eine Sensibilität für entsprechende Indizien herausbildet und es imstande ist, im Zuge der Überwachungstätigkeit anhand detaillierter Kriterien und Wahrnehmungsmuster drohende oder bereits eingetretene Nachteile für die Gläubiger frühzeitig zu erkennen.
II. Deutlich gesteigerte Skepsis gegenüber Schuldner und Sachwalter Das Missbrauchs-, Gefährdungs- und Benachteiligungspotential der Eigenverwal- 747 tung1674) gebietet den Mitgliedern des Gläubigerausschusses, in jedem Verfahren, in dem die Eigenverwaltung angeordnet oder nur beantragt ist, ihre Aufgaben gegenüber beiden Trägern der Insolvenzverwaltung, dem Schuldner und dem Sachwalter, mit gesteigerter Skepsis wahrzunehmen. Ihre Skepsis hat sich auf alle Tätigkeitsbereiche zu beziehen, in denen Eigeninteressen des Schuldners, seiner Anteilsinhaber oder organschaftlichen Vertreter, des Sanierungsberaters oder des Sachwalters bestehen. Das Vertrauen in die Fachkompetenz und Integrität des Sachwalters oder des vom Schuldner in die Unternehmensleitung berufenen Insolvenzfachmanns1675) kann diese Skepsis nicht ersetzen. Soweit Schuldner und Sachwalter ihre Geschäftsführung, ihre Berechnungen, Prog- 748 nosen und Planungen, ihre rechtlichen und wirtschaftlichen Umsetzungsmaßnahmen, ihre Berichterstattung und ihre sonstigen Äußerungen auf überprüfbare Tatsachen stützen, haben die Ausschussmitglieder deren Richtigkeit und Vollständigkeit durch fachgerechte Prüfungsvorgänge und -aufträge (§ 69 Satz 2 InsO) zu verifizieren. Dabei haben sie insbesondere die maßgeblichen Geschäftsunterlagen des Schuldners heranzuziehen und sachkundig auszuwerten oder durch einen Sachverständigen auswerten zu lassen. Außerdem haben sie sich nach den Grundsätzen über die notwendige Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen1676) ausreichende Kenntnisse über alle Umstände zu verschaffen, die für die Verifizierung bedeutsam ___________ 1671) 1672) 1673) 1674) 1675) 1676)
Zutr. Schaal, Haftung, 2017, S. 22 f. Siehe Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. Siehe Kapitel 2, Rn. 21 ff., Kapitel 4, Rn. 302 ff. sowie Kapitel 5, Rn. 590 ff. Siehe Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. und Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. Sanierungsgeschäftsführer, Chief Restructuring Officer (CRO) oder Interim-Manager genannt. Siehe oben Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff.
355
Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
sein können. Von diesen Prüfungen dürfen die Ausschussmitglieder allenfalls absehen, wenn das Insolvenzgericht selbst solche Untersuchungen durch zuverlässige Sachverständige durchführen lässt. In derartigen Fällen haben die Ausschussmitglieder das Gericht jedoch zumindest durch fundierte Stellungnahmen auf der Grundlage ihrer eigenen Kenntnis, Sachkunde und Erfahrung zu unterstützen.
749 Im Übrigen muss sich die Skepsis der Ausschussmitglieder in einer strengen Plausibilitätsprüfung aller wirtschaftlich relevanten Verhaltensweisen beider Träger der Insolvenzverwaltung einschließlich ihrer Berater und Bevollmächtigten manifestieren. Die Pflicht zur Plausibilitätsprüfung bezieht sich insbesondere auf schriftliche oder mündliche Sachdarstellungen aller Art, auf Antragsbegründungen, Sanierungskonzepte, Insolvenzpläne1677) oder ähnliche konzeptionelle Entwürfe, auf Teil- oder Einzelplanungen sowie auf Berichte über den Gang und den Erfolg der bisherigen Masseverwaltung. In formaler Hinsicht ist darauf zu achten, dass die vom Schuldner oder Sachwalter dem Ausschuss unterbreiteten Tatsachen und Gedankengänge in aller Regel in einer schriftlichen Entscheidungsvorlage dargestellt werden1678) sowie sinnvoll geordnet, aus sich heraus verständlich und hinreichend substantiiert sind. Andernfalls ist eine ernsthafte Plausibilitätsprüfung kaum möglich. Sodann ist gedanklich zu erfassen,
ob die Informationen, auch solche über Umstände außerhalb der Sphäre des Schuldners, aus zuverlässigen Quellen stammen und auf deren methodisch einwandfreier Auswertung beruhen,
ob die maßgeblichen Tatsachen vollständig zusammengestellt sind oder ob nicht sich aufdrängende Umstände, Gesichtspunkte oder Alternativen fehlen, sowie
ob das Vorbringen, seine Richtigkeit und Vollständigkeit unterstellt, die gezogenen Schlussfolgerungen überzeugend rechtfertigt.
750 Die Ausschussmitglieder müssen sich stets bewusst sein, dass Schuldner und Sachwalter der Versuchung ausgesetzt sind, Informationen interessengerecht zu verfälschen oder Fakten mit Halbwahrheiten und Wunschdenken zu vermischen.
751 Im weiteren Zuge der Plausibilitätsprüfung ist kritisch nachzuvollziehen und zu beurteilen,
ob die mitgeteilten Tatsachen und Gesichtspunkte in ihren Grundlagen, Ausgangspositionen, Rahmenbedingungen, Zweckbestimmungen und Schlussfolgerungen realistisch, einleuchtend und widerspruchsfrei sowie zutreffend gewichtet sind,
___________ 1677) Vgl. dazu Marotzke, KTS 2014, 113, 125, 128 f. 1678) Zutr. Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, F Rn. 77.
356
E. Verantwortung bei der Mitwirkung an gerichtlichen Entscheidungen
ob sie sich nicht nur verbal, sondern auch faktisch hinreichend am allein maßgebenden gesetzlichen Zweck des Insolvenzverfahrens (§ 1 InsO) orientieren, also den Interessen der Gläubiger absoluten Vorrang einräumen,
ob die Informationen und Prognosen über die Umsetzung und Auswirkungen nachvollziehbar und mit bereits bekannten Tatsachen und Erfahrungswerten oder früheren Äußerungen vereinbar sind,
ob die absehbaren betrieblichen oder überbetrieblichen Risiken hinreichend berücksichtigt werden.
Bei diesen Beurteilungen sind wirtschaftliche Erfahrungssätze ebenso von Bedeu- 752 tung wie Vergleiche mit der Entwicklung anderer Unternehmen der gleichen Branche und Größenordnung oder persönliche Erkenntnisse der Ausschussmitglieder aus dem Verlauf der bisherigen Geschäftsverbindung mit dem Schuldner. Besondere Aufmerksamkeit im Rahmen der Plausibilitätsprüfung verdient das tatsächliche Verhalten des Schuldners, seiner organschaftlichen Vertreter und Anteilsinhaber sowie seiner Berater und sonstigen Hilfspersonen während des insolvenzgerichtlichen Verfahrens. Alle Ankündigungen und Planungen, Berichte und Erfolgsmeldungen des Schuldners können nur dann glaubhaft sein, wenn die maßgeblichen Personen sich in ihrem Handeln nicht in Widerspruch zu den von ihnen selbst proklamierten Absichten und Zielen setzen.
E. Verantwortung bei der Mitwirkung an gerichtlichen Entscheidungen Ausgeprägtes erhöhtes Verantwortungsbewusstsein ist von den Mitgliedern des Gläu- 753 bigerausschusses zu verlangen, wenn sie aufgrund gesetzlicher Vorschrift durch Vorschläge, Vorgaben oder Unterstützungserklärungen an Entscheidungen des Insolvenzgerichts über die Anordnung der Eigenverwaltung oder die Auswahl des Sachwalters mitwirken. Dies gilt nicht nur, wenn ihr Votum unmittelbar rechtlich bindend ist oder das Gericht nur unter engen Voraussetzungen von ihm abweichen darf (§ 270 Abs. 3 Satz 2, § 274 Abs. 1 i. V. m. § 56a Abs. 2 InsO), sondern auch, wenn es sich bei der Äußerung gegenüber dem Gericht eher um eine sachkundige Empfehlung handelt (vgl. § 270 Abs. 3 Satz 1 oder § 274 Abs. 1 i. V. m. § 56a Abs. 1 InsO). In beiden Fallgruppen bedeuten die Beschlussfassung des Ausschusses und das 754 Verhalten des einzelnen Ausschussmitglieds keine Kundgabe einer beliebigen subjektiven Meinung, sondern eine gesetzmäßige Teilhabe an der Verantwortung des Insolvenzgerichts. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben bei einer solchen Vorentscheidung die gleichen gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen zu beachten, die für das Insolvenzgericht maßgebend sind. Sie dürfen deshalb gegenüber dem Gericht im Fall des § 270 Abs. 3 InsO den Eigenverwaltungsantrag des Schuldners nur unterstützen, wenn ihnen kein nachteilsindizierender Umstand bekannt ist (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO), im Fall des § 56a Abs. 1 i. V. m. § 274 Abs. 1 InsO nur solche 357
Kapitel 6 Eigenverwaltungsrelevante Aspekte der Haftung
Anforderungen an den zu bestellenden Sachwalter formulieren, die mit dem Gebot der Eignung (§ 56 Abs. 1 InsO) zu vereinbaren sind, und im Fall des § 56a Abs. 2 i. V. m. § 274 Abs. 1 InsO nur eine solche Person für das Amt des Sachwalters vorschlagen, von deren Eignung sie sich überzeugt haben. Die Meinungs- und Willensbildung jedes einzelnen Ausschussmitglieds hat gerade in derartigen Fällen uneingeschränkt den Anforderungen an die Arbeit des Gläubigerausschusses zu entsprechen. Sie darf nur auf der Grundlage angemessener Informationen und nach Prüfung aller maßgebenden Umstände stattfinden.1679) Hierzu gehört nicht zuletzt die sachgerecht organisierte Erörterung der Angelegenheit unter den Ausschussmitgliedern. Jedes von ihnen ist verpflichtet, sein persönliches Wissen über nachteilsindizierende Umstände in die Beratungen einzubringen, und jedem Mitglied muss hinreichend Gelegenheit gegeben werden, dies offen, unbefangen und ohne Angst vor Sanktionen oder Anfeindungen zu tun.1680)
___________ 1679) Vgl. oben Kapitel 3 H. VII., Rn. 286 ff. und Kapitel 5 C. II., Rn. 616 ff. 1680) Siehe oben Kapitel 3 H. V., Rn. 282, Kapitel 3 H. VI., Rn. 284 f.
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Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung Der objektive Wert jedes Gläubigerausschusses bemisst sich vor allem nach der Sach- 755 kunde, der persönlichen Integrität und der Beharrlichkeit seiner Mitglieder. Obgleich den Mitgliedern des Ausschusses in zahlreichen Vorschriften verantwortungsvolle und schwierige Aufgaben zugewiesen sind, ist in der InsO nicht ausdrücklich geregelt, ob und gegebenenfalls über welche Sachkunde sie verfügen müssen. Auch bei Schaffung des ESUG, durch das die Notwendigkeit der Qualifikation der Ausschussmitglieder nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Eigenverwaltung nochmals gesteigert worden ist (vgl. §§ 22a, 56a, 270 Abs. 3, § 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO), hat man es versäumt, greifbare Anforderungen zu definieren.1681) § 67 Abs. 2 InsO bestimmt lediglich, aus welchen Gläubigergruppen die Mitglieder eines gerichtlich eingesetzten vorläufigen Ausschusses (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, § 67 Abs. 1 InsO) stammen sollen. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass die Zugehörigkeit oder Nähe zu einer solchen Gruppe alleinbestimmendes Kriterium für eine Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss sein kann. Weder aus der veröffentlichten Rechtsprechung noch aus der Literatur oder der 756 Praxis sind Fälle bekannt, in denen fehlende Sachkunde bei der Entscheidung über die Bestellung oder Entlassung eines Gläubigerausschussmitglieds (§§ 67, 70 Satz 1, 3 InsO) thematisiert worden wäre. Da die InsO gegen eine Nichtbestellung zum Ausschussmitglied kein Rechtsmittel vorsieht, kann eine Verweigerung der Bestellung ohnehin nicht Gegenstand obergerichtlicher Entscheidungen sein (§ 6 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Satz 2, § 67 InsO). Erfahrungen aus der Praxis weisen jedoch darauf hin, dass nur wenige Ausschussmitglieder über die Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, die sie befähigen, die Geschäftsführung des Trägers der Insolvenzverwaltung wirkungsvoll zu überwachen und zu unterstützen.1682) Professionelle Aus___________ 1681) Uhlenbruck/Vallender, InsO, 15. Aufl. 2019, § 22a Rn. 60; Haarmeyer, ZInsO Newsletter 6/2012, S. 9 f.; ebenso wohl Heeseler/Neu, NZI 2012, 440, 446. Vgl. § 15 Abs. 4 S. 1, 2 GesO (Hervorhebung durch den Autor): „Die Gläubigerversammlung kann aus dem Kreis der Gläubiger einen Gläubigerausschuß wählen. Zu Mitgliedern können auch sachkundige andere Personen gewählt werden.“ 1682) Vgl. hierzu bereits Levy, KuT 1928, 43, 44 (re. Sp.): „Darum muß der Gläubigerausschuss wirtschaftlich und juristisch vorgebildet sein. Wie will er sonst der ihm im § 88 KO auferlegten Pflicht genügen, den Konkursverwalter bei seiner Geschäftsführung zu überwachen.“ – Leopold Levy war von 1910 – 1933 Konkursrichter, zunächst am AG Charlottenburg und später am AG Berlin-Mitte (vgl. Riedemann, Entwicklung, 2004, S. 78; Künne, Einleitung, in: E. Bley, Vergleichsordnung, 2. Aufl., Berlin 1955, S. 4). – Ebenso Häberlin, KuT 1928, 99: „Bisher ist es aber so, daß, obwohl der Gläubigerausschuss den Konkursverwalter überwachen soll, der Konkursverwalter doch in jeder Sitzung des Gläubigerausschusses dominiert und nur selten ein Gläubigerausschuß-Mitglied wesentliche Dinge vorbringt.“ Ferner F. Weber, KTS 1959, 80, 87: „Beim Gläubigerausschuß, dessen Tätigkeit sehr ersprießlich sein kann, ist vor allem die Frage seiner Zusammensetzung ein rechtspolitisch wichtiges Problem.“ – Auch gegenwärtig haben Insolvenzpraktiker gravierende Zweifel an der Kompetenz der meisten Ausschussmitglieder: vgl. Pape/Schmidt, ZInsO 2004, 955, 959; Flöther, ZIP 2012, 1833, 1840; Siemon/Klein, ZInsO 2012, 2009, 2015 f.; Rendels, in: FS Kübler, 2015, 577, 584; Wipperfürth/Webel, ZInsO 2015, 76; Harbrecht, in: FS Beck, 2016, 255, 266.
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Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung
schussmitglieder stammen vorwiegend aus dem Kreis der Finanzverwaltung, der Bundesagentur für Arbeit, der Kreditversicherer sowie mittlerer und großer Banken; letztere verfügen traditionell über spezialisierte Sanierungseinheiten und KreditAbwicklungsabteilungen (sog. Workout-Abteilungen).1683) Die Gefahr fehlender Sanierungs- und Abwicklungserfahrung besteht insbesondere bei Personen, deren Mitwirkungsbereitschaft überwiegend den Zweck verfolgt, den Ausschuss als Informationsquelle im eigenen Interesse (oder dem eines Mandanten) zu nutzen,1684) oder deren Bestellung auf taktische Besetzungsvorschläge des schuldnerischen Sanierungsberaters zurückgeht (vgl. § 22a Abs. 2, 4 InsO), und dies nicht zuletzt in Fällen, in denen die Eigenverwaltung angestrebt wird.1685) Die Praxis steht zudem generell vor der Schwierigkeit, überhaupt Interessenten für eine Tätigkeit in Gläubigerausschüssen zu gewinnen. Ursächlich dürften die im Einzelfall starke zeitliche Belastung der Ausschussmitglieder und die vielfach als zu gering empfundene Höhe der gesetzlichen Vergütung (§§ 17, 18 InsVV) bei gleichzeitig hohem Haftungsrisiko sein.1686)
757 Das Klagen über mangelnde Sachkunde der Ausschussmitglieder ist so alt wie die Konkursordnung.1687) Grund für die Bestellung unzureichend qualifizierter Personen ist zumeist, dass entweder die Sachkunde nicht als rechtlich zu beachtendes Kriterium angesehen wird oder Insolvenzgerichte sich überwiegend an dem formalen Schema des § 67 Abs. 2 InsO und den Personalvorschlägen der Verwalter orientieren, deren Interesse eher auf einen kooperativen als auf einen kritischen Gläubigerausschuss gerichtet ist. Von Insolvenzrichtern wird gar verlautbart, dass es den Gerichten in aller Regel schon aus zeitlichen Gründen nicht möglich sei, „die Sachkunde und Erfahrung der vorgeschlagenen Personen hinreichend zu prüfen“.1688) Dass
___________ 1683) Vgl. Göb/Schnieders/Mönig/Mönning, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, 2016, A Rn. 68; Woltersdorf, INDat Report 2018 Nr. 1, 12 f. 1684) Vgl. etwa die Fälle BGH, Beschl. v. 15.5.2003 – IX ZB 448/02, NZI 2003, 436 = ZIP 2003, 1259; BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306 = ZIP 2008, 652. 1685) Siehe dazu Kapitel 2 J. III. 3., Rn. 172 – ferner Rendels, in: FS Kübler, 2015, 577, 584; Flöther, ZIP 2012, 1833, 1840 (zur „neuen Macht der Berater“ und zu den Gläubigern als einer vom Berater zu führenden „Herde“) sowie Siemon/Klein, ZInsO 2012, 2009, 2016. Ähnlich bereits Levy, KuT 1928, 43, 44: „Die Handelswelt […] weist darauf hin, dass sich unlautere Elemente in die Gläubigerausschüsse hineindrängen mit dem Ziel, dem Schuldner oder seinem Verwandten die Masse billig zuzuwenden, ihm einen günstigen Akkord zu ermöglichen und selbst dabei zu verdienen.“ 1686) Vgl. Pape, WM 2006, 19, 23; Ganter, in: FS G. Fischer, 2008, S. 121, 122; Woltersdorf, INDat Report 2018 Nr. 1, 12 ff.; de Bruyn, Gläubigerausschuss, 2015, Rn. 524. Instruktiv zur gerichtlichen Praxis der Vergütungsfestsetzung Graeber, in: FS Beck, 2016, 199 ff. 1687) Ausführlich Mönning, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch Gläubigerausschuss, 2016, A Rn. 64 – 68; Levy, KuT 1928, 43 ff. (siehe oben Fn. 1682); Heeseler/Neu, Plädoyer für die Professionalisierung des Gläubigerausschusses, NZI 2012, 440. 1688) Uhlenbruck/Vallender, InsO, 15. Aufl. 2019, § 22a Rn. 60.
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A. Sachkunde als notwendige Voraussetzung einer gerichtlichen Bestellung
dieser Grund weder rechtlich tragfähig ist noch zur Exkulpation ausreicht, dürfte einleuchten.
A. Sachkunde als notwendige Voraussetzung einer gerichtlichen Bestellung zum Ausschussmitglied In der Rechtsprechung spielt die Frage der Sachkunde im Zusammenhang mit der Be- 758 stellung oder Entlassung von Mitgliedern des Gläubigerausschusses keine gewichtige Rolle. Sie wird allenfalls, und meist nur am Rande, bei der Festlegung des Stundensatzes der Vergütung1689) oder in Haftungsfällen1690) aufgegriffen. Auch das Schrifttum widmet sich der Frage überwiegend nur allgemein, ohne das Anforderungsprofil hinreichend zu konkretisieren1691) oder die Konsequenzen für die Bestellungspraxis näher zu erörtern. Ob und gegebenenfalls welche Anforderungen an die Sachkunde zu stellen sind, ist ebenso offen wie die Frage, ob Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung über eine bessere Qualifikation als in der Fremdverwaltung verfügen müssen. Bei unbefangener Betrachtung ergibt sich bereits aus dem Verfahrensziel der best- 759 möglichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 Satz 1 InsO) und den hieran anknüpfenden Aufgaben des Gläubigerausschusses, dass er vernünftigerweise nur mit sachkundigen Personen besetzt werden darf. Kein rational handelnder Marktteilnehmer würde in vergleichbarer Situation einen blinden, tauben oder stummen Nachtwächter beschäftigen. Wer nicht fähig ist, den Träger der Insolvenzverwaltung sachgerecht zu überwachen und zu unterstützen, ist als Ausschussmitglied für die Gläubigergesamtheit entbehrlich und verursacht nur nutzlose Verfahrenskosten. Solche Personen können weder die Masse schützen noch einen Beitrag zu ihrer zweckdienlichen Verwertung leisten. Die Einsetzung eines Gläubigerausschusses ist aber wirtschaftlich sinnlos, wenn er zur Sicherung der Masse und zur Erzielung der optimalen Insolvenzquote nichts beitragen kann.1692) Die Tendenz, Missstände bei der Besetzung von Gläubigerausschüssen geradezu 760 fatalistisch hinzunehmen, überzeugt rechtlich keineswegs.1693) Ausschussmitglie___________ 1689) LG Aurich, Beschl. v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, ZIP 2013, 1342 = ZInsO 2013, 631; LG Münster, Beschl. vom 27.9.2016 – 5 T 253/16, NZI 2017, 548; AG Detmold, Beschl. v. 6.3.2008 – 10 IN 214/07, NZI 2008, 505; Lorenz/Klanke, InsVV, 3. Aufl. 2016, § 17 InsVV Rn. 1. 1690) OLG Rostock, Beschl. v. 28.5.2004 – 3 W 11/04 (zur GesO), ZInsO 2004, 814 f. 1691) Ansätze eines Anforderungsprofils bei Levy, KuT 1928, 43 ff.; allg. Frind, ZIP 2012, 1380, 1387. 1692) Hierzu nochmals Levy, KuT 1928, 43, 44, der die Kritik der damaligen Handelswelt referiert: „Die Gläubigerausschüsse sind oft so zusammengesetzt, daß sie nicht arbeitsfähig sind. Entweder verfolgen die Mitglieder Sonderinteressen, ihre eigenen oder die des Gemeinschuldners, oder sie sind unfähig, oder sie sind interesselos und kümmern sich nicht um die Abwicklung der Konkurse.“ Ähnlich Frind, ZInsO 2012, 2028, 2036. 1693) So bereits die bis heute unverändert gültige Feststellung von Levy, KuT 1928, 43, 44: „Der Gläubigerausschuß hat ungemein schwierige und verantwortungsvolle Aufgaben zu erfüllen. Viel zu viele gehen ahnungslos in dieses schwere Amt hinein.“
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Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung
der müssen fachlich und persönlich in der Lage sein, ihre mit dem jeweiligen Verfahren verbundenen gesetzlichen Aufgaben zu bewältigen.1694) Zwar hat der Gesetzgeber der InsO sich mit der Frage der Qualifikation von Gläubigerausschussmitgliedern nicht ausdrücklich beschäftigt, doch hat er ersichtlich vorausgesetzt, dass das Amt grundsätzlich persönlich verantwortlich wahrzunehmen ist (vgl. § 69 Satz 2, § 70 Satz 1, § 71 InsO). Die Vorschriften über den Gläubigerausschuss lehnen sich dabei im Wesentlichen an die Rechtslage der KO an,1695) für die ebenso wie für die VerglO anerkannt war, dass Gläubigerausschussmitglieder nach Sachkunde und Unabhängigkeitsgewähr auszuwählen seien.1696) Dieses Prinzip wird nicht dadurch relativiert, dass die Ausschussmitglieder Dritte hinzuziehen dürfen (§ 69 Satz 2 InsO) oder sogar müssen, wenn sie zeitlich überfordert sind oder ihnen in Ausnahmefällen Spezialwissen, ausreichende Erfahrung oder technische Möglichkeiten fehlen.1697) Im Umkehrschluss folgt daraus, dass Ausschussmitglieder so sachkundig sein müssen, dass sie alle allgemeinen Aufgaben der Überwachung und Unterstützung persönlich erfüllen können, insbesondere in der Lage sind, die Geschäftsvorfälle sowie die maßgeblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen und zu analysieren.
761 Ferner ist den Motiven zu § 67 Abs. 3 InsO zu entnehmen, dass der Gesetzgeber unausgesprochen und recht unbestimmt zwischen einer allgemeinen und einer besonderen Eignung differenziert. Personen, die keine Gläubiger sind, soll eine Mit___________ 1694) OLG Rostock, Beschl. v. 28.5.2004 – 3 W 11/04 (zur GesO), ZInsO 2004, 814, 815 f.; KPB-InsO/Kübler, 49. EL. 07.2015, § 70 Rn. 14; K. Schmidt/Jungmann, 1 InsO, 9. Aufl. 2016, § 70 Rn. 10; grundsätzlich auch Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Sander, InsO, 3. Aufl. 2017, § 22a Rn. 8; deutlich Uhlenbruck/Vallender, InsO, 15. Aufl. 2019, § 22a Rn. 60; Uhlenbruck/ Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 71 Rn. 8; HambK-InsR/Frind, 6. Aufl. 2017, § 22a Rn. 9, 9b, § 70 Rn. 3c; KK-InsO/Hess, 2016, § 22a Rn. 63; KK-InsO/Hammes, 2017, § 67 Rn. 47; BeckOKInsO/Windau, 14. Ed. 04.2019, InsO § 22a Rn. 50; vgl. MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 67 Rn. 11, § 71 Rn. 8, § 72 Rn. 4; BeckOK-InsO/Frind, 14. Ed. 04.2019, § 67 Rn. 16b; Heidland, in: KS-InsO, 2. Aufl. 2000, S. 711, 719 Rn. 15; nicht eindeutig Cranshaw/ Vallender/Steinwachs, Gläubigerausschuss, 2. Aufl. 2014, Rn. 39; Bogumil/Pollmächer, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, B Rn. 89; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016, Rn. 1.577; Levy, KuT 1928, 43, 44; Heeseler/Neu, NZI 2012, 440, 446; Haarmeyer, ZInsO 2012, 2114; ders., ZInsO Newsletter 6/2012, S. 9 f.; Frind, ZInsO 2013, 279, 283; Erforderlichkeit rechtlicher Grundkenntnisse befürwortend auch für Arbeitnehmervertreter Wroblewski, AuR 2012, 188, 194; Frind, WM 2014, 590, 597; Cranshaw/Portisch/Knöpnadel, ZInsO 2015, 1, 3 f.; wohl auch Lehmann/Rettig, NZI 2015, 790 f. Für das schweizerische Konkursverfahren befürwortend auch Sprecher, Gläubigerausschuss, 2003, Rn. 278. 1695) So ausdrücklich RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 126 (re. Sp. a. E.). 1696) Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 87 Rn. 4, 5; Weitzmann, in: FS Pannen, 2017, 757, 759 m. w. N. in Fn. 10. 1697) Für den Aufsichtsrat vgl. BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82 (Hertie), BGHZ 85, 293, 296 f. = NJW 1983, 991 f. = ZIP 1983, 55: „Nur wenn es sich im Einzelfall zur Erfüllung gesetzlicher oder satzungsmäßiger, mit der gesetzlich vorausgesetzten Sachkompetenz allein nicht zu bewältigender Aufgaben als notwendig erweist, kann es angezeigt sein oder vielleicht sogar zur Pflicht werden […], zu einer konkreten Frage externen Rat einzuholen.“
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A. Sachkunde als notwendige Voraussetzung einer gerichtlichen Bestellung
gliedschaft im Gläubigerausschuss insbesondere offen stehen, wenn sie zur Wahrnehmung von Gläubigerinteressen „als besonders geeignet angesehen“ werden.1698) Eine solche spezielle Eignung kann sich letztlich nur aus der Ausbildung oder einer beruflichen Tätigkeit ergeben, die erwarten lässt, dass die externe Person insolvenzrechtlich oder betriebswirtschaftlich überdurchschnittlich qualifiziert und einschlägig erfahren ist. Sie ist vergleichbar mit der in § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO erwähnten Sachkunde einer in Insolvenzsachen erfahrenen Person, vor allem eines spezialisierten Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts. Solche Spezialkenntnisse und Erfahrungen werden bei einem Ausschussmitglied aus dem Kreis der Gläubiger hingegen nicht verlangt. Sie müssen nur allgemein geeignet sein, also über unverzichtbare Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, die dazu befähigen, den Träger der Insolvenzverwaltung qualifiziert zu kontrollieren und zu unterstützen. Dass nur Personen mit der notwendigen Sachkunde zu Gläubigerausschussmitglie- 762 dern bestellt werden dürfen, ergibt sich auch aus einem Umkehrschluss zu § 70 Satz 1 InsO (Entlassung aus wichtigem Grund).1699) Zwar ist es nicht Aufgabe des Insolvenzgerichts, ungeeignete, aber wenig selbstkritische Kandidaten durch Nichtbestellung vor den Haftungsrisiken ihrer eigenen Selbsteinschätzung zu bewahren.1700) Jedoch ist das Gericht verpflichtet, ein Ausschussmitglied zu entlassen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 70 Satz 1 InsO); ein Ermessen steht ihm bei dieser Entscheidung nicht zu.1701) Ein Entlassungsgrund ist unter anderem dann gegeben, wenn die weitere Zugehörigkeit des zu entlassenden Mitgliedes die Erfüllung der Aufgaben des Gläubigerausschusses nachhaltig erschwert oder unmöglich macht und die Erreichung der Verfahrensziele objektiv nachhaltig gefährdet.1702) Dies ist anerkanntermaßen bei mangelnder persönlicher oder fachlicher Eignung der Fall.1703) Es wäre deshalb widersprüchlich und rechtswidrig, eine Person zu ___________ 1698) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 zu § 78 (= § 67 InsO). 1699) Die Norm ist dem § 59 InsO (Entlassung des Insolvenzverwalters aus wichtigem Grund) nachgebildet; siehe RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 132 zu § 81 (= § 70 InsO). 1700) So aber Haarmeyer, ZInsO 2012, 2109, 2114. 1701) KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 70 Rn. 12; Runkel, in: FS Görg, 2010, S. 393, 402. 1702) BGH, Beschl. v. 8.12.2005 – IX ZB 308/04, NZI 2006, 158 f. Rn. 10 (für den mit § 70 Satz 1 InsO vergleichbar wichtigen Grund i. S. v. § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO); BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, NZI 2007, 346 f. Rn. 9; KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 70 Rn. 5; Braun/Hirte, InsO, 7. Aufl. 2017, § 70 Rn. 6; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 70 Rn. 9; Bogumil/Pollmächer, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, B Rn. 99. 1703) Vgl. zur Inkompetenz als Entlassungsgrund nach § 70 InsO: BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, NZI 2008, 306, 307 Rn. 7; BGH, Beschl. v. 24.1.2008 – IX ZB 223/05, NZI 2008, 308 Rn. 5 = ZIP 2008, 655; Jaeger/Gerhardt, InsO, 2007, § 70 Rn. 8; Haarmeyer/ Wutzke/Förster/Frind, InsO, 2. Aufl. 2012, § 70 Rn. 7; MK-InsO/Schmid-Burgk, 4. Aufl. 2019, § 70 Rn. 2; KPB-InsO/Kübler, 62. EL. 02.2015, § 70 Rn. 7; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 70 Rn. 10; FK-InsO/Schmitt, 9. Aufl. 2018, § 70 Rn. 7; Nerlich/ Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, InsO § 70 Rn. 7; Uhlenbruck/Knof, InsO, 15. Aufl. 2019, § 70 Rn. 8, § 71 Rn. 8; Vallender, in: FS Kirchhof, 2003, 507, 514; Pape/ Gundlach/Vortmann, Handbuch, 3. Aufl. 2018, Rn. 343; Graf, NZI 2016, 757, 759.
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Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung
bestellen, die wegen offensichtlicher Inkompetenz sofort wieder entlassen werden müsste. Die Erfüllung seiner Aufgaben ist dem Gläubigerausschuss bereits erschwert, wenn nur ein einziges Mitglied ungeeignet ist; sie ist schlechthin unmöglich, wenn die Mehrheit keine ausreichende Sachkunde besitzt.1704)
763 Das Erfordernis der Sachkunde ergibt sich schließlich auch aus einem Vergleich mit der Rechtslage beim Aufsichtsrat.1705) Zwar enthalten die allgemeinen Bestimmungen des Aktiengesetzes1706) keine ausdrückliche Regelung zur Sachkunde von Aufsichtsratsmitgliedern. Für Unternehmen von öffentlichem Interesse finden sich insoweit jedoch spezielle Normierungen, die zugleich einen allgemeinen Rechtsgedanken ausdrücken. So wird etwa bei Unternehmen der Kreditwirtschaft von den Mitgliedern des Aufsichtsrats verlangt, dass sie „die erforderliche Sachkunde zur Wahrnehmung der Kontrollfunktion sowie zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte“ besitzen, „die das jeweilige Unternehmen betreibt“.1707) Entsprechendes gilt für Personen, die in einem Versicherungsunternehmen Schlüsselaufgaben wahrnehmen (zu ihnen gehören auch die Mitglieder des Aufsichtsrats1708)); sie „müssen zuverlässig und fachlich geeignet sein. Fachliche Eignung setzt berufliche Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen voraus, die eine solide und umsichtige Leitung des Unternehmens gewährleisten.“1709) Ähnliche Bestimmungen finden sich im Kapitalanlagegesetzbuch für Investment- und Kapitalverwaltungsgesellschaften.1710) Als kleinster gemeinsamer Nenner – oder anders gewendet: als Selbstverständlichkeit – ist diesen Regelungen der Grundgedanke gemeinsam, dass Mitglieder ___________ 1704) Vgl. BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, NZI 2007, 346 f.; Nerlich/Römermann/Weiß, InsO, 38. EL. 01.2019, § 67 Rn. 6. 1705) Vgl. hierzu allgemein Kapitel 3 G., Rn. 267 ff. 1706) § 100 Abs. 5 AktG ist eine Sonderregelung für kapitalmarktorientierte Gesellschaften. 1707) § 25d Abs. 1 Satz 1 KWG: „Die Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans eines Instituts […] müssen zuverlässig sein, die erforderliche Sachkunde zur Wahrnehmung der Kontrollfunktion sowie zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte, die das jeweilige Unternehmen betreibt, besitzen und der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ausreichend Zeit widmen.“ – § 25d Abs. 2 Satz 1 KWG: „Das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan muss in seiner Gesamtheit die Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen haben, die zur Wahrnehmung der Kontrollfunktion sowie zur Beurteilung und Überwachung der Geschäftsleitung des Instituts […] notwendig sind.“ 1708) Vgl. § 9 Abs. 4 Nr. 1 lit. a, § 11 Abs. 1 Nr. 2 VAG. 1709) § 24 Abs. 1 Satz 1 – 3 VAG: „Personen, die ein Versicherungsunternehmen tatsächlich leiten oder andere Schlüsselaufgaben wahrnehmen, müssen zuverlässig und fachlich geeignet sein. Fachliche Eignung setzt berufliche Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen voraus, die eine solide und umsichtige Leitung des Unternehmens gewährleisten. Dies erfordert angemessene theoretische und praktische Kenntnisse in Versicherungsgeschäften sowie im Fall der Wahrnehmung von Leitungsaufgaben ausreichende Leitungserfahrung.“ 1710) § 18 Abs. 4 Satz 1 KAGB: „Die Mitglieder des Aufsichtsrats oder eines Beirats sollen ihrer Persönlichkeit und ihrer Sachkunde nach die Wahrung der Interessen der Anleger gewährleisten.“ – § 119 Abs. 3 Satz 1 KAGB (gleichlautend auch § 147 Abs. 3 Satz 1 KAGB): „Die Persönlichkeit und die Sachkunde der Mitglieder des Aufsichtsrats müssen Gewähr dafür bieten, dass die Interessen der Aktionäre gewahrt werden.“
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A. Sachkunde als notwendige Voraussetzung einer gerichtlichen Bestellung
eines Aufsichtsorgans die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Sachkunde besitzen müssen. Der Grund für das Fehlen einer allgemeinen aktienrechtlichen Kodifikation der 764 Anforderungen an Befähigung und Erfahrung der Aufsichtsratsmitglieder soll darin liegen, dass diese sich je nach Branchenzugehörigkeit und Größe des Unternehmens stark unterscheiden.1711) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist gleichwohl generell und unabhängig von der Branche anerkannt, dass sich allgemeine, aus der Funktion des Aufsichtsrats abzuleitende Anforderungen an die Sachkunde des Mitglieds aus dem Gebot der persönlichen Wahrnehmung des Mandats (§ 111 Abs. 6 AktG) sowie aus den Vorschriften über die Sorgfaltspflicht und die Haftung (§ 116 AktG) ergeben.1712) Für den Geltungsbereich des Aktiengesetzes wird deshalb gefordert, dass ein Aufsichtsratsmitglied die Mindestkenntnisse und Mindestfähigkeiten besitzen muss, die es benötigt, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge ohne fremde Hilfe verstehen und beurteilen zu können.1713) Wird eine Person ohne solche Eigenschaften von der Hauptversammlung gewählt, so darf sie das Mandat nicht annehmen oder muss es zur Vermeidung eines Übernahmeverschuldens umgehend niederlegen.1714) Das gilt auch für Arbeitnehmervertreter.1715) Man könne nicht annehmen, so wird überzeugend argumentiert, dass das Gesetz einer Person Aufgaben zur Wahrung fremder Vermögensinteressen zuweise, ohne zu verlangen, dass sie die zur ordnungsgemäßen Erledigung notwendige Sachkunde besitze.1716) Das Eignungsmerkmal müsse bereits zu Beginn der Amtszeit vorhan-
___________ 1711) Semler/v. Schenck/Mutter, Aufsichtsrat, 2015, § 100 Rn. 75. 1712) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 f. (Hertie) = NJW 1983, 991 = ZIP 1983, 55; K. Schmidt/Lutter/Drygala, AktG, 3. Aufl. 2015, § 100 Rn. 30; Semler/v. Schenck/Mutter, Aufsichtsrat, 2015, § 100 Rn. 2, 76, 85 – 93, § 101 Rn. 123; wohl auch Grigoleit/Tomasic, AktG, 1. Aufl. 2013, Rn. 2, 14 – 16; Kremer, Deutscher Corporate Governance Kodex, 7. Aufl. 2018, Rn. 1316; Dürr, Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern, 2. Aufl. 2008, S. 166 ff.; a. A. MK-AktG/Habersack, 4. Aufl. 2014, § 100 Rn. 11, 13; Hüffer/ Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 100 Rn. 2 m. w. N. in Fn. 31. 1713) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 (Hertie) = NJW 1983, 991 = ZIP 1983, 55; vgl. OLG München, Beschl. v. 28.4.2010 – 23 U 5517/09, NZG 2010, 784 ff. zum sachverständigen Aufsichtsratsmitglied i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG; explizit OLG Stuttgart, Urt. v. 29.2.2012 – 20 U 3/11 (Piëch), ZIP 2012, 625, 629 = NZG 2012, 425; Eignung voraussetzend auch OLG Hamm, Beschl. v. 28.5.2013 – 27 W 35/13, NZG 2013, 1099 = GWR 2013, 463; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rn. 24; Semler, Leitung und Überwachung der AG, 2. Aufl. 1996, Rn. 137 m. w. N. in Fn. 195; siehe auch die Zusammenfassung bei Semler/v. Schenck/Mutter, Aufsichtsrat, 2015, § 100 Rn. 77. Für den Fall der Unfähigkeit eines Vorstandsmitgliedes vgl. § 84 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 AktG sowie die vergleichbare Regelung des § 38 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GmbHG. 1714) Semler/v. Schenck/Mutter, Aufsichtsrat, 2015, § 100 Rn. 79, 83. 1715) Semler/v. Schenck/Mutter, Aufsichtsrat, 2015, § 100 Rn. 84; Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Grundsätze ordnungsmäßiger Aufsichtsratstätigkeit, 2011, S. 8 Nr. 7. 1716) Vgl. Semler/v. Schenck/Mutter, Aufsichtsrat, 2015, § 100 Rn. 86, 89 f.
365
Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung
den sein, da zu diesem Zeitpunkt auch die Verantwortung des Aufsichtsratsmitgliedes beginne.1717)
765 Diese Grundsätze zum Aufsichtsrat sind uneingeschränkt auf die Mitglieder des Gläubigerausschusses zu übertragen. Die Mitglieder beider Gremien erfüllen grundsätzlich gleichartige Funktionen1718) und haften gleichermaßen für Pflichtverletzungen. Im Fall des Gläubigerausschusses sind sie in ein Vollstreckungsverfahren eingebunden, dessen Funktionsfähigkeit ebenso im öffentlichen Interesse liegt wie das ordnungsgemäße Funktionieren der Kredit-, Finanzanlage- und Versicherungswirtschaft. Hinzu kommt, dass die Ausschussmitglieder wegen der Insolvenzsituation regelmäßig unter viel höherem Zeitdruck stehen als Mitglieder des Aufsichtsrats und deshalb die kurzfristige und unmittelbare Abrufbarkeit ihrer persönlichen Sachkunde für die Tätigkeit des Ausschusses geradezu unerlässlich ist.
766 Die bloße Zugehörigkeit oder Nähe zu einer Gläubigergruppe ist kein ausreichendes Kriterium für die Fähigkeit des Ausschussmitglieds, die Träger der Insolvenzverwaltung sachgerecht zu kontrollieren und zu unterstützen. Das gesetzliche Schema für die Besetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 67 Abs. 2 InsO) dient ausschließlich dem Zweck, durch Meinungs- und Erfahrungspluralität die angemessene Berücksichtigung der Interessen aller beteiligten Gläubigergruppen sicherzustellen.1719) Notwendige zusätzliche Bedingung einer Bestellung bleibt stets die persönliche Eignung des Kandidaten.1720) Wer als Richter oder Rechtspfleger des Insolvenzgerichts bei seinen Besetzungsentscheidungen dieses Kriterium außer Betracht lässt, verletzt seine Amtspflicht (Art. 34 GG, § 839 BGB).1721)
___________ 1717) Semler/v. Schenck/Mutter, Aufsichtsrat, 2015, § 100 Rn. 93, vgl. dort und in Fn. 138 auch zum Problem des „Nachlernens“. 1718) Siehe Kapitel 3 G., Rn. 267 f. 1719) Vgl. RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 131 zu § 78 (= § 67 InsO); RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 27 zu Nr. 10 (§ 67 InsO); ferner BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – IX ZB 47/06, NZI 2007, 346, 348 Rn. 22 = ZIP 2007, 781 f. 1720) Vgl. Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 8. Aufl. 2015, Kapitel 1 Rn. 1204. 1721) Vgl. Bogumil/Pollmächer, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, B Rn. 90 mit Fn. 140. – Aus dem Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 GG) folgt allerdings, dass dem Richter außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (Spruchrichterprivileg) nur bei einem besonders groben Verstoß ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, also bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit, wenn seine Rechtsanwendung objektiv schlechthin nicht mehr vertretbar erscheint (BGH, Urt. v. 12.7.1965 – III ZR 41/64, WM 1965, 1158 f. = juris; BGH, Beschl. v. 26.4.1990 – III ZR 182/89, juris Rn. 3; BGH, Urt. v. 19.12.1991 – III ZR 9/91, ZIP 1992, 947 f. = NJW-RR 1992, 919; BGH, Urt. v. 3.7.2003 – III ZR 326/02, BGHZ 155, 306, 309 = NJW 2003, 3052 f.; BGH, Urt. v. 4.11.2010 – III ZR 32/10, BGHZ 187, 286, 292 f. Rn. 14 = NJW 2011, 1072; BGH, Urt. v. 16.10.2014 – IX ZR 190/13, NZI 2015, 24, 25 f. Rn. 19 = ZIP 2014, 2299; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschl. v. 22.8.2013 – 1 BvR 1067/12, NJW 2013, 3630, 3632 Rn. 37).
366
B. Mindestanforderungen an die Sachkunde von Ausschussmitgliedern in der Eigenverwaltung
B. Mindestanforderungen an die Sachkunde von Ausschussmitgliedern in der Eigenverwaltung Mit dem Postulat, dass alle Mitglieder des Gläubigerausschusses über die zur pflicht- 767 gemäßen Ausübung ihrer Tätigkeit notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen müssen, ist noch nicht die Frage beantwortet, welche Anforderungen an ihre Sachkunde speziell in der Eigenverwaltung zu stellen sind. Solche Kriterien lassen sich jedoch aus der Funktion und den Pflichten des Ausschusses sowie den typischen Besonderheiten der Unternehmensinsolvenz und der Eigenverwaltung gewinnen.
I.
Allgemeine Mindestanforderungen in der Unternehmensinsolvenz
Für die fachliche Eignung der Gläubigerausschussmitglieder ist schon zu Zeiten 768 der Konkursordnung eine allgemein gültige Formel entwickelt worden. Sie stammt von dem langjährigen Berliner Konkursrichter Leopold Levy: „Sachkundig ist also nur der juristisch vorgebildete Kaufmann und der kaufmännisch erprobte Jurist.“1722) Der Satz hat an Aktualität nichts verloren. Unabhängig davon, ob das Insolvenzverfahren in Fremd- oder Eigenverwaltung durchgeführt wird, muss jedes Mitglied eines Gläubigerausschusses einschließlich der ständigen Vertreter juristischer Personen über Grundkenntnisse des formellen und materiellen Insolvenzrechts verfügen, insbesondere den Zweck des Insolvenzverfahrens (§ 1 Satz 1 InsO), seinen Ablauf, die rechtlichen Unterschiede der Gläubigergruppen sowie die Bedeutung von Sicherungsrechten kennen.1723) Ist eine juristische Person als Ausschussmitglied bestellt, so ist die Sachkunde ihres entsandten Vertreters maßgeblich. Das Ausschussmitglied muss mit seinen grundlegenden Pflichten und Rechten sowie mit seinem rechtlichen Verhältnis zu den übrigen Verfahrensbeteiligten vertraut sein. Ebenso muss es in der Lage sein, die Berichte der Träger der Insolvenzverwaltung ohne fremde Hilfe zu verstehen und kritisch zu würdigen. Ist der schuldnerische Geschäftsbetrieb zu Beginn des insolvenzgerichtlichen Ver- 769 fahrens noch nicht vollständig eingestellt, so muss wegen der zumeist schnellen Abfolge, in der vor allem in der Anfangsphase wesentliche wirtschaftliche und rechtliche Entscheidungen getroffen werden müssen, bei allen Ausschussmitglie___________ 1722) Levy, KuT 1928, 43, 44 (re. Sp.). 1723) Vgl. HambK-InsR/Frind, 7. Aufl. 2019, § 22a Rn. 21; wohl auch Steinwachs/Vallender/ Flitsch, Gläubigerausschuss, 2. Aufl. 2014, Rn. 752. Anderer Ansicht, aber widersprüchlich MK-InsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl. 2019, § 22a Rn. 49 („Völlig überzogen ist jedoch die Anforderung, dass die benannten Mitglieder grundlegende Kenntnisse des formellen und materiellen Insolvenzrechts haben müssen […]“), während in Rn. 52 die Bestellung von „Laien“ als „wirklichkeitsfern“ bezeichnet wird; vgl. auch Haarmeyer, ZInsO 2012, 2109, 2114 (keine Bestellung nicht qualifizierter Mitglieder allein aufgrund der Gruppenzugehörigkeit); ders., ZInsO Newsletter 6/2012, S. 9 f. („Sachverstand und Unabhängigkeit müssen vorhanden sein“).
367
Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung
dern „ein hohes Maß an Geschäftserfahrung“ vorhanden sein.1724) Dazu zählt die Kompetenz, wirtschaftliche Sachverhalte (Unternehmensstrategie, Planung, Risikolage, Rechnungslegung) sowie besonders bedeutsame Rechtshandlungen zügig, vollständig und richtig zu erfassen1725) und sich ein eigenes Urteil über deren Rechtund Zweckmäßigkeit zu bilden. Ebenso unabdingbar ist die Fähigkeit, im Rahmen einer Chancen-Risiko-Abwägung Folgen von Entscheidungen über Betriebsfortführungen und Verwertungshandlungen abzuschätzen sowie Alternativen zu beurteilen. Außerdem muss jedes Ausschussmitglied mit den systematischen und technischen Grundzügen der Buch- und Kassenführung vertraut sein;1726) andernfalls wäre es nicht in der Lage, die Prüfung selbst vorzunehmen oder die Ergebnisse des Kassenprüfers auf ihre Plausibilität hin zu kontrollieren. Branchenkenntnisse sind erforderlich,1727) um die Aussichten einer dauerhaften Betriebsfortführung oder die Notwendigkeit einer Stilllegung beurteilen zu können.
770 Allgemeine rechtliche Grundkenntnisse sind immer dann unerlässlich, wenn im Ausschuss über die Zustimmung zur Einleitung von Rechtsstreitigkeiten oder zu einem Vergleich oder einer Schiedsvereinbarung zu entscheiden ist.1728) Weitere Anforderungen an die Sachkunde ergeben sich generell aus allen anderen Aufgaben und Pflichten, die dem Gläubigerausschuss und dessen Mitgliedern gesetzlich übertragen sind. Die Ausschussmitglieder müssen jederzeit in der Lage sein, diesen nach dem jeweiligen Verfahrensstand variierenden Anforderungen unter Nutzung ihrer verfahrensrechtlichen Möglichkeiten mit der gebotenen fachlichen Intensität und gedanklichen Klarheit gerecht zu werden. Bei Vertretern der Arbeitnehmer im Gläubigerausschuss wird man anstelle des ausgeprägten kaufmännischen oder rechtlichen Sachverstands die Kenntnis der betrieblichen Verhältnisse als tragenden Gesichtspunkt der Eignung akzeptieren können.1729) Dieser Kenntnis kommt in der Eigenverwaltung bei der Aufdeckung und Verhinderung missbräuchlichen Handelns eine bedeutsame Rolle zu.1730) Allerdings wird es wohl nur in Ausnahmefällen notwendig sein, allein auf die Unternehmenskenntnisse abzustellen, weil üblicherweise auch Betriebsratsmitglieder oder Beauftragte von Gewerkschaften1731) über die grundlegende allgemeine Sachkunde verfügen. ___________ 1724) 1725) 1726) 1727) 1728) 1729)
Insoweit zutr. MK-InsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl. 2019, § 22a Rn. 52. So auch Uhlenbruck/Vallender, InsO, 15. Aufl. 2019, § 22a Rn. 60. Levy, KuT 1928, 43, 44 (re. Sp.). Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Sander, InsO, 3. Aufl. 2017, § 22a Rn. 8. Levy, KuT 1928, 43, 44 (re. Sp.). Ähnlich RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 27 zu Nr. 10 (§ 67 InsO); vgl. jedoch zu Überforderungstendenzen, wenn es um Belange der Arbeitnehmerschaft geht, Pape/ Schmidt, ZInsO 2004, 955, 959. 1730) Zutr. Wroblewski, ZInsO 2014, 115, 116; ähnlich Kolbe, NZI 2015, 400, 403. 1731) Zu den Aspekten insolvenzrechtlicher Arbeitnehmervertretung vgl. ausführlich Kolbe, NZI 2015, 400 ff.; Wroblewski, ZInsO 2018, 2512 ff.; ders., AuR 2012, 188 ff.
368
C. Gerichtliche Feststellung der Sachkunde
II. Besondere Mindestanforderungen im Fall der Eigenverwaltung In der Eigenverwaltung haben die Ausschussmitglieder anspruchsvollere und um- 771 fangreichere Aufgaben zu erfüllen als in der Fremdverwaltung.1732) Deshalb sind die unerlässlichen Anforderungen an ihre Sachkunde signifikant höher als in der Fremdverwaltung. Die Ausschussmitglieder müssen mit den rechtlichen und wirtschaftlichen Besonderheiten dieser Verfahrensvariante vertraut sein. Insbesondere müssen sie über die mit ihr typischerweise verbundenen Risiken und Missbrauchsgefahren sowie über die verfahrensrechtlichen Ansatzpunkte für deren Realisierung und Eindämmung informiert und sensibilisiert sein. Sie müssen theoretisch und praktisch in der Lage sein, die Umstände zu erkennen, die rechtlich oder wirtschaftlich für die Gläubiger nachteilig oder nachteilsindizierend sind (§ 270 Abs. 2 Nr. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 2, § 277 Abs. 2 InsO).1733) Sie müssen beurteilen können, ob die Qualifikation des Schuldners sowie seiner verantwortlichen Hilfspersonen und Berater für eine ordnungsgemäße Eigenverwaltung ausreicht. Und sie müssen imstande sein, ohne fremde Hilfe Konzepte des Schuldners zur wirtschaftlichen Führung der Eigenverwaltung, insbesondere zur Sanierung und zu ihrer Umsetzung in einen Insolvenzplan sachgerecht und kritisch zu beurteilen sowie deren Vereinbarkeit mit dem gesetzlichen Verfahrenszweck realistisch abzuschätzen.1734) Über insolvenzrechtliche oder betriebswirtschaftliche Spezialkenntnisse brauchen Ausschussmitglieder indessen nicht zu verfügen. Sie müssen jedoch fähig sein, sich entweder selbst kurzfristig in eine Spezialmaterie einzuarbeiten oder zumindest die Notwendigkeit fremder Beratung zu erkennen,1735) und willens sein, sie bei Bedarf rechtzeitig und im erforderlichen Umfang in Anspruch zu nehmen.
C. Gerichtliche Feststellung der Sachkunde Entschließt sich das Insolvenzgericht, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzu- 772 setzen (§§ 67, 22a InsO), so gebietet es die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung dieser Entscheidung, bei der Auswahl der Mitglieder die Frage der Sachkunde, Erfahrung und sonstigen Eignung der in Betracht gezogenen Personen von Amts wegen und nach pflichtgemäßem Ermessen zu klären (§ 5 Abs. 1 InsO). Das Gericht hat zu berücksichtigen, dass es im Interesse aller Insolvenzgläubiger liegt (§ 1 Satz 1 InsO), wenn die Eignung der Ausschussmitglieder hoch und vielfältig ist. Zur Vorbereitung der Bestellungsentscheidung hat das Gericht alle erheblichen Umstände zu ermitteln. Diese Pflicht ist nicht deshalb suspendiert, weil die Entscheidung in diesem frühen Stadium des Eröffnungsverfahrens kurzfristig zu treffen ist ___________ 1732) Kapitel 4, Rn. 302 ff. sowie Kapitel 5, Rn. 590 ff. 1733) Kapitel 4 D. II., Rn. 347 ff. 1734) Vgl. BAFin, Merkblatt v. 23.11.2016 zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG, S. 12, 20. 1735) Vgl. BAFin, Merkblatt v. 23.11.2016, S. 12.
369
Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung
und das Gericht sich aus zeitlichen oder fachlichen Gründen nicht in der Lage sieht, Sachkunde und Erfahrung der Kandidaten eingehender zu prüfen.1736)
773 Erwägungen, die auf angeblich unzureichender personeller Ausstattung der Justiz beruhen, sind rechtlich ohne Belang. Die parlamentarischen und administrativen Gewalten des Staates haben die Pflicht, bei ihrer gesetzgeberischen und haushaltspolitischen Tätigkeit einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig und wirksam abzuhelfen.1737) Dies gilt auch für die Überlastung der Insolvenzgerichte. Gerade im Insolvenzrecht beruht zudem die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung erfahrungsgemäß nicht selten allein darauf, dass die Anträge zu spät gestellt werden oder Beteiligte die Eilbedürftigkeit nur zu suggerieren versuchen, um das Gericht unter Zeitdruck zu setzen und eine bestimmte Entscheidung als dringend geboten und alternativlos erscheinen zu lassen. Die insolvenzgerichtliche Einschätzung, dass eine Entscheidung eilbedürftig ist, darf jedenfalls nicht dazu führen, dass im Bereich der vorläufigen und endgültigen Eigenverwaltung die Voraussetzungen einer Entscheidung weniger sorgfältig ermittelt und geprüft werden, als dies nach der Sach- und Rechtslage notwendig ist. Dies gilt ganz besonders, wenn das Gericht mit dem Ansinnen konfrontiert wird, lediglich auf der Grundlage der Besetzungsvorschläge des antragstellenden Schuldners oder dessen Beraters (vgl. § 22a Abs. 2, 4 InsO) zu entscheiden.
I.
Allgemeines zur gerichtlichen Auswahl der Ausschussmitglieder
774 Wie in Kapitel 2 bereits erwähnt,1738) haben die Insolvenzgerichte vor dem Inkrafttreten des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und des § 22a InsO vorläufige Gläubigerausschüsse in aller Regel nur auf Vorschlag oder nach Anhörung des vorläufigen Insolvenzverwalters eingesetzt. Dieser hatte sich zuvor zumindest einen ersten Überblick über die Vermögenslage und die Verschuldungsstruktur des Schuldners, also über die wesentlichen Gläubigergruppen, über die insolvenzrechtlich maßgebenden Unterschiede ihrer Rechtsstellungen sowie über die Art und Höhe ihrer Forderungen verschafft, durch entsprechende Überprüfungen geklärt, welche Personen als Ausschussmitglieder ernstlich in Betracht kamen, und dem Gericht darüber berichtet.
775 Eine derartige Vorbereitung der gerichtlichen Entscheidung über die Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses ist auch unter dem geltendem Recht erforderlich. Die Vorstellung, das Gericht könne unmittelbar nach Eingang des Er___________ 1736) Vgl. BeckOK-InsO/Windau, 13. Ed. 28.1.2018, InsO § 22a Rn. 55 (Amtsermittlungspflicht); Frind, ZInsO 2013, 279, 283. 1737) Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 12.12.1973 – 2 BvR 558/73, BVerfGE 36, 264, 275 = NJW 1974, 307; BVerfG, Beschl. v. 30.7.2014 – 2 BvR 1457/14, juris Rn. 23; BVerfG, Beschl. v. 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, juris Rn. 18; BVerfG, Beschl. v. 11.6.2018 – 2 BvR 819/18, juris Rn. 30. 1738) Siehe Kapitel 2 J. III. 3., Rn. 172 ff.
370
C. Gerichtliche Feststellung der Sachkunde
öffnungsantrags allein auf der Grundlage des Gläubiger- und Forderungsverzeichnisses (§ 13 Abs. 1 Satz 3 ff. InsO) sowie des Vorschlags des Schuldners (§ 22a Abs. 2 InsO) einen sinnvoll, also mit geeigneten Personen besetzten vorläufigen Gläubigerausschuss ins Leben rufen,1739) ist wirklichkeitsfremd. Nicht selten sind den eingereichten Antragsunterlagen bereits die Informationen zur Verschuldungsstruktur nicht vollständig und glaubhaft zu entnehmen, so dass das Gericht zunächst ergänzende Auskünfte des Schuldners anfordern muss. Doch auch wenn die Unterlagen hinreichend aussagekräftig sind, hat das Gericht angesichts der großen Bedeutung des vorläufigen Gläubigerausschusses in jedem Fall mit der gebotenen Sorgfalt zu klären, welche Personen im Einzelnen zur Mitarbeit im Ausschuss bereit und hierfür geeignet sind. Zu diese Zweck darf das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen entsprechende Anfragen an jeden Gläubiger richten, der aus seiner Sicht als Ausschussmitglied in Betracht kommen kann. Kandidaten, die vom Schuldner benannt sind oder sich, etwa in einer Schutzschrift,1740) selbst gemeldet und ihr Einverständnis bereits erklärt haben, genießen keinerlei Vorrang; das Gericht ist in diesem Zusammenhang auch in Fällen eines Schuldnerantrags nach § 22a Abs. 2 InsO nicht an Anträge oder Vorschläge gebunden.1741) Die Anfragen und die weitere Überprüfung der Eignung möglicher Ausschussmit- 776 glieder darf das Gericht einem besonderen Sachverständigen übertragen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 InsO).1742) Von dieser Verfahrensweise wird nach der Erfahrung des Verfassers in noch geringem, aber zunehmendem Maße Gebrauch gemacht. Da inzwischen viele fachlich besonders geeignete Gläubiger, vor allem institutionelle, der Mitarbeit im Ausschuss gerade in Eigenverwaltungsfällen eher skeptisch gegenüberstehen,1743) bedarf es nicht selten einer gewissen Überzeugungsarbeit, um ihnen die Notwendigkeit ihrer Mitarbeit im Ausschuss bewusst zu machen. Auch diese Aufgabe kann im ersten Durchgang zunächst von einem Sachverständigen wahrgenommen werden. Das Gericht kann dem Sachverständigen für Art und Umfang seiner Tätigkeit Weisungen erteilen (§ 4 InsO, § 404a ZPO), etwa indem es den zu prüfenden Personenkreis1744) eingrenzt, bestimmte Anforderungen an die Qualifikation der Ausschussmitglieder festlegt oder sonstige Gesichtspunkte der Überprüfung vorgibt. Der Sachverständige hat den Verlauf und die Ergebnisse seiner Un___________ 1739) Vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 23 zu Nr. 2 a (§ 13 InsO), S. 25 zu Nr. 5 (§ 22a InsO); Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 33 f. zu § 13 und zu § 22a InsO). 1740) Vgl. Reuter, INDat Report 2019 Nr. 5, 10, 12 f. 1741) So ausdrücklich RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 25 zu Nr. 5 (§ 22a Abs. 3, jetzt § 22a Abs. 4 InsO); Bericht RA zum ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 33 f. (zu § 22a Abs. 2 InsO). Die abweichende Ansicht von Haarmeyer, ZInsO 2012, 2109 f. findet im Gesetz keine Stütze. 1742) Zutr. Frind, ZInsO 2012, 2028, 2031. 1743) Vgl. Woltersdorf, INDat Report 2018 Nr. 1, 12, 15 ff. 1744) Siehe hierzu allgemein oben Kapitel 5 A., Rn. 594 ff.
371
Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung
tersuchungen in einem Gutachten nachvollziehbar darzustellen. Die endgültige Auswahl der Ausschussmitglieder bleibt im Eröffnungsverfahren selbstverständlich stets dem Gericht vorbehalten.
II. Überprüfung der Eignung der potentiellen Ausschussmitglieder 777 Zur Darlegung und Überprüfung der Eignung einer Person zur Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss wird es in der Regel ausreichen, wenn der Kandidat dem Gericht oder dem beauftragten Sachverständigen schriftlich oder in einem Gespräch nachvollziehbar und glaubhaft darlegt, über welche Ausbildung und welche einschlägigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen er verfügt; hierbei kann ein Fragenkatalog oder ein berufsbezogener Lebenslauf hilfreich sein. Im Hinblick auf die Unabhängigkeit des Kandidaten können von ihm zugleich Auskünfte darüber verlangt werden, welche persönlichen und geschäftlichen Beziehungen zum Schuldner sowie zu dessen Anteilsinhabern und organschaftlichen Vertretern bestehen oder in den letzten Jahren bestanden haben. Vorbildlich ist insoweit die Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodex zum Inhalt von Kandidatenvorschlägen des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung nach § 101 AktG.1745)
778 Nach dem Gesagten steht dem Insolvenzgericht im Zusammenhang mit der Sachkunde der Ausschussmitglieder ein Ermessen bei der Auswahl der Kandidaten erst dann zu, wenn es nach angemessener Sachaufklärung zu der Überzeugung gelangt, dass eine hinreichende Anzahl der in Frage kommenden Personen sachkundig und auch im Übrigen für das Amt geeignet ist. Dabei muss das Gericht keine Bestenauslese im strengen Sinne vornehmen; diese ist ohnehin kaum zu erreichen und kann vom Gericht daher nicht erwartet werden. Sie stünde zudem im Widerspruch zum Repräsentationsgedanken des § 67 Abs. 2 InsO, der außerhalb seines unmittelbaren Geltungsbereichs in aller Regel sinnvolle Kriterien anbietet. Das Gericht hat vielmehr bei seiner Auswahl unter geeigneten Kandidaten das Ziel zu verfolgen, auf der Grundlage der Sachkunde und sonstigen Eignung durch Meinungsund Erfahrungspluralität unter den Ausschussmitgliedern die angemessene Berücksichtigung der Interessen aller beteiligten Gläubigergruppen sicherzustellen und zu fördern. Allein hierauf bezieht sich sein pflichtgemäßes Auswahlermessen.
___________ 1745) DCGK, 2017, Abschnitt 5.4.1 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6: „Dem Kandidatenvorschlag [des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung zur Wahl neuer Aufsichtsratsmitglieder] soll ein Lebenslauf beigefügt werden, der über relevante Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen Auskunft gibt; dieser soll durch eine Übersicht über die wesentlichen Tätigkeiten neben dem Aufsichtsratsmandat ergänzt […] werden. – Der Aufsichtsrat soll bei seinen Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung die persönlichen und die geschäftlichen Beziehungen eines jeden Kandidaten zum Unternehmen, den Organen der Gesellschaft und einem wesentlich an der Gesellschaft beteiligten Aktionär offenlegen.“
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D. Wahl einer nicht sachkundigen Person durch die Gläubigerversammlung
D. Wahl einer nicht sachkundigen Person durch die Gläubigerversammlung Die endgültige Entscheidung über die Einrichtung oder Beibehaltung eines Gläu- 779 bigerausschusses und die Wahl seiner Mitglieder liegt nach § 68 InsO allein in der Hand der Gläubigerversammlung. Hierbei sind die Gläubiger nicht ausdrücklich an besondere gesetzliche Vorgaben gebunden, auch nicht an das Repräsentationsschema des § 67 Abs. 2 InsO. Gleichwohl hat sich die Gläubigerversammlung rechtlich an dem Verfahrenszweck (§ 1 InsO) und dem daraus folgenden gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger an der Funktionsfähigkeit des Ausschusses zu orientieren (§ 78 Abs. 1 InsO). Mit diesem Interesse ist es nicht zu vereinbaren, wenn Ausschussmitglieder gewählt werden, die mangels persönlicher oder fachlicher Eignung keinen sinnvollen Beitrag zur Mitwirkung der Gläubiger bei der Überwachung und Unterstützung der Insolvenzverwaltung leisten können.1746) Sogar die mit ihrer Tätigkeit verbundene finanzielle Belastung der Insolvenzmasse ist sinnlos und geradezu gläubigerschädigend. Ein derartiger Wahlbeschluss der Gläubigerversammlung ist allerdings nicht nichtig und kann deshalb lediglich nach § 78 InsO auf Antrag eines Gläubigers oder des Sachwalters, der insoweit an die Stelle des Insolvenzverwalters tritt,1747) vom Gericht aufgehoben werden. Eine Aufhebung von Amts wegen ist unzulässig. Anders als bei der Bestellung der Mitglieder eines vorläufigen Gläubigerausschus- 780 ses ist das Insolvenzgericht nach der Wahl von Ausschussmitgliedern durch die Gläubigerversammlung (§ 68 InsO) nicht verpflichtet, die Sachkunde der gewählten Mitglieder von Amts wegen zu prüfen. Bei dem Wahlbeschluss handelt sich um einen gesetzlich vorgesehenen Akt der autonomen Willensbildung der Gläubigerversammlung, nicht aber um eine gerichtliche Entscheidung oder einen Antrag an das Gericht. Die von der Versammlung gewählten Ausschussmitglieder bedürfen zur Ausübung ihres Amtes weder der Bestellung noch der Bestätigung durch das Gericht; die weitergehende Regelung des Regierungsentwurfs (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 2 InsO-E) ist nicht Gesetz geworden.1748) Allerdings wird die Gläubigerversammlung bei dieser Wahl vom Insolvenzgericht 781 geleitet (§ 76 Abs. 1 InsO). Der Richter oder Rechtspfleger hat deshalb darauf hinzuwirken, dass die Beschlussfassung den rechtlichen Anforderungen genügt. Ist ihm zweifelsfrei bekannt, dass eine zur Wahl stehende Person zur Ausübung des Amtes ungeeignet ist oder ein anderer wichtiger Grund für ihre Entlassung im Sinne von ___________ 1746) So bereits Levy, KuT 1928, 43 ff. sowie Jaeger, KO, 8. Aufl. 1973, § 87 Rn. 5. 1747) BGH, Beschl. v. 22.6.2017 – IX ZB 82/16, NZI 2017, 758 Rn. 7 = ZIP 2017, 1377 mit Hinweis auf RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 223 zu § 331 (= § 270 InsO); dazu Kapitel 2 B., Rn. 38 ff. 1748) Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 163 (zu § 79 Abs. 2 = § 68 Abs. 2 InsO); RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 21, 132 (zu § 79 Abs. 2 Satz 2).
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Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung
§ 70 InsO vorliegt, so wird ein erfahrener Versammlungsleiter dies bereits in der Sitzung zur Sprache bringen und darauf hinweisen, dass im Falle eines entgegenstehenden Wahlbeschlusses die Entlassung des Gewählten nach § 70 InsO droht (§ 4 InsO, § 139 Abs. 1 – 3 ZPO). Der Hinweis eröffnet der Gläubigerversammlung die Möglichkeit, ein anderes, nicht offensichtlich ungeeignetes Mitglied zu wählen. Ein solches Vorgehen des Gerichts verstößt weder gegen die Gläubigerautonomie noch begründet es die Besorgnis der Befangenheit, sondern ist zur Gewährleistung eines rechtmäßigen und effektiven Insolvenzverfahrens geboten. Beachtet die Versammlung den gerichtlichen Hinweis nicht, so bleibt dem Gericht die Möglichkeit, das gewählte, aber ungeeignete Ausschussmitglied nach den Regeln des § 70 InsO aus seinem Amt zu entlassen.1749)
E. Auswirkungen der Anforderungen an die Sachkunde auf die Vergütung der Ausschussmitglieder 782 Die hier entwickelten gesteigerten Anforderungen an die Sachkunde und an die Sorgfalt der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung können nicht ohne Auswirkungen auf deren Vergütung bleiben. Diese Vergütung (vgl. § 73 InsO, §§ 17, 18 InsVV) richtet sich im Wesentlichen nach der für die Tätigkeit aufgewendeten und erforderlichen Zeit. Sie wird nach Stundensätzen honoriert, die sich nach § 17 Abs. 1 Satz 1 InsVV am „Umfang der Tätigkeit“ orientieren und „regelmäßig zwischen 35 und 95 Euro“ liegen sollen. Außerdem sind angemessene Auslagen zu erstatten (§ 18 InsVV).
783 Eine pflichtgemäße Tätigkeit im Gläubigerausschuss kann unter den Bedingungen der vorläufigen und endgültigen Eigenverwaltung regelmäßig nur von Personen erbracht werden, deren Arbeitszeit einen hohen Preis hat. Realistisch gesehen kommen grundsätzlich nur kaufmännische oder rechtliche Fachleute aus dem Kreis institutioneller Gläubiger1750) sowie Rechtsanwälte, wenn nicht gar Fachanwälte für Insolvenzrecht, und einschlägig spezialisierte Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer in Betracht. Der regelmäßige Vergütungsrahmen von 35 – 95 Euro je Stunde kann solche Personen schwerlich dazu motivieren, das Amt als Ausschussmitglied anzunehmen, da sie bei ihrer Berufsausübung oft deutlich höhere Alternativerträge erwirtschaften können.1751) Zwar setzen die Insolvenzgerichte für einschlägig qualifizierte Ausschussmitglieder gelegentlich höhere Stundensätze als 95 Euro fest.
___________ 1749) Bericht RA zum RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/7302, S. 163 (zu § 79 Abs. 2 = § 68 Abs. 2 InsO). 1750) Einleitung zu Kapitel 7, Rn. 755 ff. 1751) Vgl. für den Rechtsmarkt https://www.juve.de/rechtsmarkt/stundensaetze: Die durchschnittlichen Stundensätze in der „krisennahen Beratung“ (Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz) betrugen im Jahr 2018 für einen „Associate“ 282 Euro, für einen Partner 369 Euro.
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E. Auswirkungen der Anforderungen an die Sachkunde auf die Vergütung
Doch ist die Klage über zu geringe Vergütungen1752) und eine nicht verlässliche Festsetzungspraxis1753) in Fachkreisen Allgemeingut. So können selbst in Verfahren mit herausragender wirtschaftlicher Bedeutung Stundensätze von 200 – 400 Euro1754) solchen von 50 Euro1755) gegenüberstehen. Divergenzen können in sehr ähnlich gelagerten Fällen selbst innerhalb des selben Gerichts zwischen verschiedenen Richtern oder Rechtspflegern auftreten.1756) Diese Rechtsunsicherheit begründet angesichts des gesteigerten Bedarfs an Ausschussmitgliedern1757) die dringende Gefahr, dass Gläubigerausschüsse nicht mehr mit ausreichend qualifizierten Personen besetzt werden können.1758) Das aber wäre gerade für das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung und für ihr gesetzmäßiges Funktionieren verhängnisvoll. Wenn nämlich im Einzelfall keine geeigneten Mitglieder für den Ausschuss zur Verfügung stehen, bedeutet dies in der Konsequenz, dass das Verfahren nicht in Eigenverwaltung durchgeführt werden darf, weil die unerlässliche Überwachung der Träger der Insolvenzverwaltung von Seiten der Gläubiger nicht gewährleistet ist. Diese Situation ist aus der Sicht der Gläubigergesamtheit als gravierender nachteilsindizierender Umstand (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) zu werten.1759) Der obere Betrag des Vergütungsrahmens des § 17 Abs. 1 Satz 1 InsVV in Höhe 784 von 95 Euro stellt keine absolute Höchstgrenze dar, sondern einen von zwei normierten Regelwerten.1760) Er darf nach der Konzeption der InsVV aus besonderem ___________ 1752) Kapitel 7, Rn. 756 Fn. 1686. Woltersdorf, INDat Report 2018 Nr. 1, 10, 19. Zutr. krit. auch Mock, ZInsO 2015, 874, der § 17 InsVV als eine „von dem Grundsatz der umfassenden Kostenersparnis geprägt[e]“ Regelung bezeichnet, die nicht „nur unzeitgemäß, sondern letztlich völlig misslungen“ sei. 1753) Graeber, in: FS Beck, 2016, 199. 1754) Vgl. etwa LG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2018 – 326 T 41/17, ZInsO 2018, 2050 (200 Euro); LG Münster, Beschl. v. 27.9.2016 – 5 T 253/16, NZI 2017, 548, 550 = ZInsO 2017, 1053; AG Detmold, Beschl. v. 6.3.2008 – 10 IN 214/07, NZI 2008, 505 (300 Euro); Rattunde/ Smid/Zeuner/Kamm, InsO, 4. Aufl. 2019, § 73 Rn. 3; BeckOK InsO/Frind, InsO § 73 Rn. 7.1 m. w. N.; Mönig, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, G Rn. 14. 1755) AG Duisburg, Beschl. v. 20.6.2003 – 62 IN 167/02, NZI 2003, 502 = ZIP 2003, 1460; AG Duisburg, Beschl. v. 13.1.2004 – 62 IN 167/02 u. a., NZI 2004, 325, 326 (Babcock). 1756) Steinwachs, in: Cranshaw/Steinwachs/Vallender, Gläubigerausschuss, 2. Aufl. 2014, Rn. 733; Graeber, in: FS Beck, 2016, 199 („uneinheitliche Festsetzungspraxis“); KK-InsO/Hammes, 2016, § 73 Rn. 8. 1757) Graeber, in: FS Beck, 2016, 199. 1758) Vgl. hierzu Woltersdorf, INDat Report 2018 Nr. 1, S. 12 ff. mit dem Titel: „Besetzungslücken in Gläubigerausschüssen? Kapazität, Haftung; Vergütung: Rückzug institutioneller Gläubiger“. 1759) Siehe oben Kapitel 4 A., Rn. 304 ff.; Kapitel 4 D. II. 1., Rn. 349; Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 1760) LG Köln, Beschl. v. 13.2.2015 – 13 T 196/13 (74 IN 339/08), ZInsO 2015, 873 f. (als Ausnahme von der Regel); K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 73 Rn. 7; MK-InsO/ Riedel, 4. Aufl. 2019, § 73 Rn. 16; Rattunde/Smid/Zeuner/Kamm, InsO, 4. Aufl. 2019, § 73 Rn. 3; Zimmer, ZIP 2013, 1309, 1317 f.; im Ergebnis wohl auch Graeber, in: FS Beck, 2016, 199, 205 ff., jedoch beschränkt auf externe Experten, soweit sie ansonsten nicht Beteiligte des Verfahrens oder deren Vertreter sind.
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Kapitel 7 Die Sachkunde der Ausschussmitglieder in der Eigenverwaltung
Grund überschritten werden.1761) Es entspricht deshalb wohl einhelliger Auffassung,1762) dass sich die Bemessung des konkreten Stundensatzes1763) nach der Schwierigkeit der Aufgaben der Ausschussmitglieder und dem Maß an Sachkunde richtet, das zur Erledigung ihrer Aufgaben im Einzelfall zu verlangen ist.1764) In Fällen der Eigenverwaltung sind dabei auch die besonderen Rahmenbedingungen dieser Organisationsform von wesentlicher Bedeutung.
785 Bei jeder Überschreitung des höchsten Regelsatzes ist jedoch auch zu beachten, dass sich das gesamte Geschehen im Zusammenhang einer Insolvenz abspielt. Es handelt sich bei dem schuldnerischen Rechtsträger eben nicht um einen florierenden, finanziell aus dem Vollen schöpfenden Marktteilnehmer, sondern um den Träger eines notleidenden, in seiner Existenz bedrohten Unternehmens. Dies rechtfertigt nicht nur eine gewisse Zurückhaltung bei den festsetzenden Gerichten, sondern gebietet auch ein entsprechendes Problembewusstsein bei den beantragenden Ausschussmitgliedern.
786 Die Vergütung der Ausschussmitglieder dient der angemessenen Entschädigung für die entstandene Zeitversäumnis und ist außerdem ein Äquivalent für das übernommene Haftungsrisiko.1765) Die berufliche Abrechnungspraxis des einzelnen Mitglieds außerhalb des Insolvenzverfahrens kann allerdings eine entsprechende Erhöhung der Vergütung nicht generell rechtfertigen,1766) sondern nur, wenn die berufliche Qualifikation für die Tätigkeit im Ausschuss nützlich war und eingesetzt worden ist.1767) Ob die Tätigkeit im Gläubigerausschuss Teil der (hauptsächlichen) Berufsausübung des Mitglieds ist – also ein Experte im Sinne von § 67 Abs. 3 InsO betroffen ist – oder ob sie der Verfolgung auch eigener Interessen an einer optimalen Forderungsverwirklichung dient, ist kein rechtlich maßgebliches Kriterium bei der ___________ 1761) So schon die Begr. des BMJ zur InsVV, ZIP 1998, 1460, 1468 zu § 17: „Abweichungen von diesem Satz sind möglich, damit im Einzelfall eine Vergütung festgesetzt werden kann, die dem Umfang der Tätigkeit Rechnung trägt (§ 17 Satz 2 des Verordnungsentwurfs, vgl. auch § 73 Abs. 1 Satz 2 InsO).“ Zu den maßgeblichen Festsetzungskriterien vgl. z. B. KK-InsO/ Hammes, 2016, § 73 Rn. 9. 1762) Begr. des BMJ zur InsVV, ZIP 1998, 1460, 1468 zu § 17; exemplarisch LG Köln, Beschl. v. 13.2.2015 – 13 T 196/13 (74 IN 339/08), NZI 2015, 573 f.; ZInsO 2015, 873; AG Detmold, Beschl. v. 6.3.2008 – 10 IN 214/07, NZI 2008, 505 f.; K. Schmidt/Jungmann, InsO, 19. Aufl. 2016, § 73 Rn. 7; MK-InsO/Stephan, 4. Aufl. 2019, § 17 InsVV Rn. 24. 1763) Der zeitliche Umfang der Tätigkeit ist ein Multiplikator, der als Faktor Zeit in Verbindung mit dem Faktor Stundensatz die Gesamtvergütung ergibt. Hierzu instruktiv Zimmer, ZIP 2013, 1309, 1311 sowie KK-InsO/Hammes, 2016, § 73 Rn. 7. 1764) Zum erweiterten Aufgabenkreis der Gläubigerausschussmitglieder in der Eigenverwaltung vgl. Kapitel 4, Rn. 302 ff. und Kapitel 5, Rn. 590 ff. 1765) LG Münster, Beschl. v. 27.9.2016 – 5 T 253/16, NZI 2017, 548, 549 f. = ZInsO 2017, 1053; MK-InsO/Riedel, 4. Aufl. 2019, § 73 Rn. 8. 1766) Zutreffend LG Duisburg, Beschl. v. 13.9.2004 – 7 T 221/04, NZI 2005, 116 (Ls. 3), 117. 1767) Vgl. LG Aurich, Beschl. v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, ZIP 2013, 1342 (Ls. 2), 1344 = ZInsO 2013, 631; AG Braunschweig. Beschl. v. 21.6.2005 – 273 IN 211/99, ZInsO 2005, 870.
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E. Auswirkungen der Anforderungen an die Sachkunde auf die Vergütung
Bemessung des Stundensatzes.1768) Die Beitreibung einer Forderung ist notwendiger Bestandteil jeder unternehmerischen Tätigkeit, und es ist unerheblich, ob sie im Wege der Einzel- oder Gesamtvollstreckung erfolgt. Die Mitarbeit im Gläubigerausschuss ist weder altruistischer Zeitvertreib1769) noch „vergnügungssteuerpflichtig“1770); auch das Bild von der idealistischen Einzelperson, an das der Verordnungsgeber im Jahr 1998 gedacht haben mag,1771) geht an der Realität in jeder Hinsicht vorbei.1772) Es ist daher erforderlich und gerechtfertigt, den Stundensatz für Personen mit der 787 Qualifikation eines Rechtsanwalts, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers mit mindestens 150 Euro zu bemessen. Können Insolvenzexperten gewonnen werden, also zum Beispiel erfahrene Insolvenzverwalter oder Fachanwälte für Insolvenzrecht, so ist ein Regelsatz zwischen 250 und 300 Euro angemessen.1773) Vergütungen, die unterhalb dieses Rahmens liegen, erzeugen angesichts realisierbarer Alternativerträge und der Haftungsrisiken nicht die gewünschte und notwendige Anreizwirkung bei sachkundigen Personen. Somit liegt es letztlich in den Händen der Insolvenzgerichte, die Bildung und kompetente Besetzung von Gläubigerausschüssen zu fördern, indem Vergütungen festgesetzt werden, die den besonderen Anforderungen an die Tätigkeit des Gläubigerausschusses in der Eigenverwaltung und der erforderlichen erhöhten Sachkunde ihrer Mitglieder genügen.
___________ 1768) So jedoch LG Köln, Beschl. v. 13.2.2015 – 13 T 196/13 (74 IN 339/08), NZI 2015, 573 f.; ZInsO 2015, 873; LG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2018 – 326 T 41/17, ZInsO 2018, 2050, 2052; Graeber, in: FS Beck, 2016, 199, 205 ff.; in diese Richtung wohl auch Mönig, in: Göb/Schnieders/Mönig, Praxishandbuch, 2016, G Rn. 15 f. m. w. N. in Fn. 24 (keine hauptberufliche Tätigkeit). 1769) Im Kern zutreffend deshalb AG Duisburg, Beschl. v. 20.6.2003 – 62 IN 167/02 u. a., NZI 2003, 502, 504 = ZInsO 2003, 940: „Eine möglichst hohe Verteilungsquote für möglichst viele Gläubiger ist sicherlich für jedes Mitglied des Gläubigerausschusses der schönste Lohn.“ 1770) So ein gängiges Bonmot; vgl. etwa Woltersdorf, INDat Report 2018 Nr. 1, 10, 19. Zutr. krit. auch Mock, ZInsO 2015, 874. 1771) Siehe Begr. des BMJ zur InsVV, ZIP 1998, 1460, 1468 zu § 17: „In jedem Fall sollte aber beachtet werden, daß die Tätigkeit im Gläubigerausschuß unmittelbar der Durchsetzung der Interessen der Gläubiger dient und daß es insofern zumutbar ist, wenn die Gläubiger für diese Tätigkeit nur eine bescheidene Vergütung erhalten.“ 1772) Vgl. Zimmer, ZIP 2013, 1309, 1314; KK-InsO/Hammes, 2016, § 73 Rn. 11. 1773) BeckOK InsO/Budnik, InsVV § 17 Rn. 27 erachtet einen Stundensatz von bis zu 350 Euro für angemessen.
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Kapitel 8 Abschließende Bemerkungen und Schlussfolgerungen A. Rekapituliert man den Gang der vorliegenden Untersuchung, so sind folgende grund- 788 legenden Überlegungen hervorzuheben und festzuhalten:
I. Die Eigenverwaltung muss entmystifiziert werden. Sie ist in ihrem rechtlichen Kern 789 nichts anderes als eine besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung. Auch unter ihrem Regime dient das Insolvenzverfahren dem gesetzlichen Zweck der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger durch Verwertung des Schuldnervermögens und Verteilung des Erlöses (§ 1 Satz 1, § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Interessen der Gläubiger an der wirksamen Durchsetzung der Haftungsordnung haben ebenso wie in der Fremdverwaltung Vorrang vor den persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen des Schuldners und seiner Anteilsinhaber. Der in § 1 Satz 1 InsO angesprochene Erhalt des schuldnerischen Unternehmens ist auch hier kein Selbstzweck, sondern stets den insolvenzbedingten Interessen und der Entscheidung der Gläubigergesamtheit untergeordnet. An diese Vorgaben sind der eigenverwaltende Schuldner und der Sachwalter in ihrer gesamten massebezogenen Tätigkeit gebunden.
II. Aufgrund ihrer rechtlichen und faktischen Möglichkeiten ist die Eigenverwaltung 790 mit einem ganz erheblichen, über die Risiken der Fremdverwaltung weit hinausgehenden Potenzial des Missbrauchs verbunden. Dieses Potenzial ergibt sich nicht nur beim Beiseiteschaffen oder bei einer sonstigen zweckentfremdeten Verwendung vorhandener Aktiva, sondern auch bei der Begründung wirtschaftlich sinnloser, die Insolvenzgläubiger benachteiligender Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner. Bedeutsam ist hierbei nicht zuletzt auch die Aufrechterhaltung der Herrschaft des eigenverwaltenden Schuldners über sämtliche vermögensbezogenen Informationen.
III. Die Missbrauchsgefahr der Eigenverwaltung macht es erforderlich, dass zur auf- 791 merksamen, unabhängigen und sachkundigen Überwachung beider Träger der Insolvenzverwaltung, des Schuldners und des Sachwalters, grundsätzlich in jedem Fall ein Gläubigerausschuss eingesetzt wird. Seine Mitglieder trifft die alles überlagernde Grundpflicht, im Rahmen ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten den wirtschaftlichen Nutzen der Gläubiger zu mehren und dafür zu sorgen, dass deren insolvenzbedingte Verluste möglichst gering gehalten und die eigenverwaltungsspezifischen Gefahren frühzeitig erkannt und abgewehrt werden. Hieraus er379
Kapitel 8 Abschließende Bemerkungen und Schlussfolgerungen
gibt sich eine Fülle von Einzelpflichten, die nach Art und Umfang den aus der Fremdverwaltung bekannten Aufgabenkreis des Ausschusses erheblich überschreiten; ihre Darstellung macht einen wesentlichen Teil der vorliegenden Untersuchung aus.
IV. 792 Jedes Mitglied des Gläubigerausschusses haftet bei der Ausübung seines Amtes für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Ausschussmitglieds. Es gilt kein individueller, sondern als Mindeststandard ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab. Maßgeblich sind die Fähigkeiten, Kenntnisse und Einsichten, die für die Erfüllung der Pflichten im Allgemeinen erforderlich sind. Beruflich erworbene Spezialkenntnisse sind ebenfalls einzusetzen.
V. 793 Die Anforderungen an die Sachkunde der Ausschussmitglieder sind in der Eigenverwaltung signifikant höher als in der Fremdverwaltung. Dies ergibt sich insbesondere aus der Aufgabe der Doppelüberwachung von Schuldner und Sachwalter sowie aus der Notwendigkeit besonderer Sensibilität für nachteilsindizierende Umstände. Bei der Beurteilung von Informationen, Konzepten und Rechtshandlungen des Schuldners hat die Frage des Missbrauchs stets besonderes Gewicht und ist mit deutlich gesteigerter Sorgfalt und Skepsis zu behandeln. Der objektive Wert jedes Gläubigerausschusses bemisst sich deshalb in der Eigenverwaltung noch mehr als sonst nach der Sachkunde, der persönlichen Integrität und der Beharrlichkeit seiner Mitglieder. Diese Gesichtspunkte sind schon bei der Einrichtung und personellen Besetzung des Ausschusses maßgeblich zu berücksichtigen.
B. 794 Dem Leser wird nicht entgangen sein, dass der Verfasser keine besonders hohe Meinung vom Institut der Eigenverwaltung, von ihrer Anwendung und von ihrem Nutzen für die Gläubiger hat. Alle Bedenken und Befürchtungen, die Kenner der Verhältnisse seit mehr als zwei Jahrzehnten gegen diese Form der Insolvenzverwaltung vorgebracht haben,1774) sind immer wieder bestätigt und häufig übertroffen worden. Sie brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Es besteht Einigkeit darüber, dass das ursprüngliche gesetzliche Modell der Eigenverwaltung, das eine bessere Nutzung der Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung im Interesse der Gläubiger ermöglichen sollte,1775) wegen der rechtlichen und zumeist auch betriebswirtschaftlichen Inkompetenz des Schuldners und seiner bisherigen Füh___________ 1774) Kapitel 2 J., Rn. 155 ff. 1775) Kapitel 2 B., Rn. 38 ff.
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Kapitel 8 Abschließende Bemerkungen und Schlussfolgerungen
rungskräfte selbst bei Beaufsichtigung durch einen geeigneten und unabhängigen Sachwalter unrealistisch ist. Der eigenverwaltende Schuldner kann in aller Regel aus eigener Sachkunde den ihm obliegenden Teil der Masseverwaltung nicht gesetzmäßig bewältigen. Auf rechtlich einwandfreiem Wege kann die Eigenverwaltung allenfalls dann zu verfahrenszweckkonformen Ergebnissen führen, wenn der Schuldner von außen herangezogene Fachleute mit insolvenzrechtlichem Sachverstand in seine Unternehmensleitung aufnimmt.1776) Damit ist der eigentliche gesetzliche Kern der Eigenverwaltung in der Wirklichkeit ad absurdum geführt. Doch auch über dieses vergleichsweise schlichte Modell der Fremdverwaltung im 795 Kostüm der Eigenverwaltung ist die Entwicklung schon seit langem hinweggegangen. Mit dem Aufkommen spezialisierter und umfassende Unterstützung verheißender Sanierungsberater, die den Schuldner „an die Hand nehmen“1777) und deren Wirken und Motive in dieser Untersuchung mehrfach erwähnt werden mussten, stehen zahlungskräftigen Interessenten auf Seiten des Schuldners regelrechte Netzwerke von tatsächlichen oder selbsternannten Experten zur Verfügung, mit deren Hilfe der wirtschaftliche Verlauf eines Insolvenzverfahrens in den vordergründigen Formen der Eigenverwaltung im Sinne des Schuldners und seiner Anteilsinhaber umfassend beeinflusst und gesteuert werden kann. Das Geschäftsmodell derartiger Berater ist der Sache nach nur als außergesetzliche Nebeninsolvenzverwaltung zutreffend charakterisiert. Es hat aus der Sicht seiner Akteure und Nutznießer nicht nur den wesentlichen Vorteil, dass der insolvente Schuldner sich contra legem faktisch seinen Insolvenzverwalter selbst aussuchen kann. Es bietet zugleich den Beratern und den von ihnen eingeschalteten weiteren Fachleuten die Möglichkeit, sich ihrerseits diejenigen Fälle auszusuchen, in denen Aufwand und Vergütung voraussichtlich in einem einträglichen Verhältnis stehen. Bei allen anderen Fällen steht es ihnen frei, die Übernahme des Auftrags abzulehnen. Diese Entwicklung gefährdet erheblich das ordnungsgemäße Funktionieren des gesamten Systems der insolvenzrechtlichen Normen und Institutionen. Der Sache nach zielt das Modell der beratergesteuerten Eigenverwaltung nämlich 796 auf die Relativierung des gesetzlichen Verfahrenszwecks ab. Trotz aller entgegenstehenden Beteuerungen soll mit dem Modell erreicht werden, dass die kurzfristige finanzielle Entlastung des schuldnerischen Rechtsträgers Vorrang erhält vor der mög___________ 1776) BGH, Beschl. v. 21.7.2016 – IX ZB 70/14, BGHZ 211, 225, 249 Rn. 81 = NZI 2016, 796, 797 = ZIP 2016, 1592: „Die Eigenverwaltung setzt selbstverständlich eine insolvenzrechtliche Expertise des Schuldners voraus. Ob der Schuldner oder seine Geschäftsführung sich diese Expertise selbst verschaffen oder zu diesem Zweck einen Berater anstellen, dem sie Generalvollmacht erteilen, ist unerheblich […]. Bei der Bemessung der Zuschläge [zum Vergütungsregelsatz des Sachwalters] ist stets eine solche Expertise der Eigenverwaltung zugrunde zu legen.“ 1777) So die entlarvende Formulierung bei Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 1. Aufl. 2012, S. 110, vgl. Kapitel 2 J. III., Rn. 164 ff.
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Kapitel 8 Abschließende Bemerkungen und Schlussfolgerungen
lichst weitgehenden Erfüllung der Insolvenzforderungen und vor einer nachhaltigen, auf einem tragfähigen Konzept basierenden leistungswirtschaftlichen Gesundung des Unternehmens. Deshalb spielt in der Argumentation der Berater gegenüber den Gläubigern der Erhalt des Unternehmens und damit der Erhalt der künftigen Geschäftsbeziehungen und Arbeitsplätze eine so große Rolle. Ungesicherte Wechsel auf die Zukunft sollen den aktuellen insolvenzbedingten Verlust für die Gläubiger erträglicher erscheinen lassen. Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Denkweise allzu oft als Wunschdenken und letztlich als Liquidationsverschleppung, so dass Schuldner, Sanierungsgeschäftsführer und Berater nach einiger Zeit die Lust an der Eigenverwaltung verlieren. Nicht ohne Grund werden Eigenverwaltungsverfahren nicht selten nach einigen Monaten auf Antrag des Schuldners selbst in die Fremdverwaltung übergeleitet.1778) Und sogar wenn es gelingt, ein Verfahren in Eigenverwaltung mit Hilfe eines Insolvenzplans oder einer übertragenden Sanierung durchzustehen, mündet das Projekt vielfach mangels wirklicher unternehmerischer Neuorientierung über kurz oder lang in die nächste Insolvenz ein.1779)
797 Vor diesem Hintergrund widerspricht es evident dem grundlegenden gesetzlichen Zweck des insolvenzgerichtlichen Verfahrens (§ 1 InsO), wenn es Sanierungsberatern gelingt, unter den ohnehin privilegierten Bedingungen der vorläufigen oder endgültigen Eigenverwaltung auch noch die Institutionen und Instrumente der Gläubigerautonomie unter ihren maßgebenden Einfluss zu bekommen und sie planmäßig für die Ziele ihrer Auftraggeber zu instrumentalisieren. Ihre Einflussnahme auf die Zusammensetzung sowie die Meinungs- und Willensbildung des vorläufigen und endgültigen Gläubigerausschusses wird dabei mit dem Anspruch gerechtfertigt, die Konzepte und Vorschläge im Namen des Schuldners dienten in Wahrheit auch den wohlverstandenen Interessen der Gläubiger. Dies mag im Einzelfall sogar richtig sein. Weil es aber keineswegs immer zutrifft, sondern erfahrungsgemäß eine tatsächliche Vermutung gegen diese Annahme spricht, fällt den Mitgliedern des Gläubigerausschusses in jeder Lage des Verfahrens die grundlegende Aufgabe zu, derartige manipulative Bestrebungen frühzeitig zu erkennen und ihnen aufmerksam, sachkundig, entschlossen und wirkungsvoll entgegenzutreten.
___________ 1778) Kapitel 4 F. II. 1. a), Rn. 415 ff. sowie Nachweis in Fn. 896. 1779) Vgl. aus neuerer Zeit exemplarisch das Schicksal der Kettler Freizeit GmbH und der Kettler Plastics GmbH – (hierzu https://www.handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/ freizeitgeraete-kettcar-hersteller-kettler-ist-schon-wieder-insolvent/24856378.html, Meldung vom 31.07.2019; https://www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2019/08/dritteinsolvenz-kettler-geht-mit-kreplin-und-lambrecht-erneut-in-die-eigenverwaltung, Meldung vom 13.08.2019) – sowie des TV-Herstellers Loewe (https://www.handelsblatt.com/ technik/it-internet/insolvez-loewe-belegschaft-wird-gekuendigt/24704570.html, Meldung von 26.07.2019).
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Kapitel 8 Abschließende Bemerkungen und Schlussfolgerungen
C. Der Bericht der Bundesregierung vom Oktober 2018 über die Erfahrungen mit der 798 Anwendung des ESUG,1780) die von der Praxis der Eigenverwaltung insgesamt nicht zu trennen ist, nimmt auf die Manipulations- und Instrumentalisierungsmöglichkeiten des eigenverwaltenden Schuldners im Zusammenhang mit der Bestellung des Sachwalters und des Gläubigerausschusses allenfalls andeutungsweise und verharmlosend Bezug.1781) Im Gegensatz hierzu enthält der ihm beigefügte ausführliche Evaluierungsbericht der Forschergemeinschaft auch in dieser Hinsicht grundlegende kritische Feststellungen: So wird beispielsweise deutlich angesprochen,
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dass zwischen den Beratern der Schuldner und den Sachwaltern häufig eine auf ständigen Geschäftsbeziehungen basierende undurchsichtige Netzwerkbildung bestehe, aus denen sich systemische Verknüpfungen und Anreizbeziehungen ergäben,1782)
dass die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Beratern, Verwaltern, Sachwaltern und Profi-Gläubigern vom Gesetz nicht befriedigend in den Blick genommen worden seien und deshalb die hinreichende Unabhängigkeit des Sachwalters im Bestellungsvorgang gesetzlich nicht gesichert sei,1783) weil insbesondere der Berater über eine Zusammenstellung des Gläubigerausschusses die Wahl des Sachwalters steuern könne,1784)
dass Gesellschafter und Geschäftsleiter des Schuldners sich häufig zuungunsten der Gläubiger verhielten1785) und das Gesetz schuldnerfreundliche Strategien so___________ 1780) RegBericht ESUG, 2018, BT-Drucks. 19/4880, S. 1 – 3. Ihm sind die eigentlichen Evaluierungsberichte von Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, eine Kurz- und eine Langfassung, als Anlagen beigefügt (ebd., S. 5 – 26, 27 – 380). 1781) Ebd., S. 2, 3: „Eine Rückkehr zum früheren Recht ist nicht veranlasst. […] Auch die Befragung der Expertinnen und Experten weist überwiegend positive Erfahrungen mit der Reform aus. Bei den im Evaluierungsbericht vorgeschlagenen Reformen handelt es sich um Korrekturen in – wenn auch teils nicht unbedeutenden – Einzelfragen, ohne dass hierdurch die grundsätzliche Ausrichtung des ESUG in Frage gestellt würde. […] Die befragten Expertinnen und Experten sind dabei überwiegend nicht der Ansicht, dass die Eigenverwaltung insgesamt zu häufig oder die vorläufige Eigenverwaltung häufig bei dafür nicht geeigneten Schuldnern angeordnet werde. Sie unterstützen allerdings zugleich mehrheitlich die Forderungen nach klar definierten Ablehnungsgründen für die Eigenverwaltung und nach vereinfachten Möglichkeiten zu ihrer Aufhebung.“ – In der parlamentarischen Befragung der Bundesregierung zu dem Bericht (BT-Plenarprotokoll 19/54 v. 16.10.2018, S. 5807 – 5811) ist das Missbrauchsthema gänzlich unerwähnt geblieben. 1782) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 97, 299 f. = BT-Drucks. 19/ 4880, S. 137, 339 f. 1783) Ebd., S. 90 ff., 99 = BT-Drucks. 19/4880, S. 130 ff., 139. 1784) Ebd., S. 299 = BT-Drucks. 19/4880, S. 339. 1785) Ebd., S. 21 = BT-Drucks. 19/4880, S. 61.
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wie eine Sanierung zu Lasten und auf dem Rücken der Gläubigergesamtheit begünstige.1786)
800 Angesichts dieser empirisch gut fundierten Beobachtungen, deren Liste sich ohne Mühe fortsetzen ließe, ist für den sachkundigen Betrachter kaum nachzuvollziehen, warum es in der Zusammenfassung der Bundesregierung heißt, das ESUG sei von der Praxis weitgehend positiv angenommen worden und durch notwendige Korrekturen sei die grundsätzliche Ausrichtung des Gesetzes nicht in Frage gestellt.1787) Augenscheinlich ist die Bereitschaft der Bundesregierung, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie nicht ihrem Wunschdenken entspricht, genauso wenig ausgeprägt wie bei insolventen Schuldnern.
801 Dass die Einsicht und der politische Wille bestehen, die Gläubigerbeteiligung durch den Gläubigerausschuss im Zusammenhang mit der Eigenverwaltung so auszugestalten, wie der Zweck und die Rechtmäßigkeit des Insolvenzverfahrens dies erfordern, muss deshalb bezweifelt werden. Die regierungsamtliche Fehlinterpretation der Evaluierungsergebnisse zum ESUG legt jedenfalls den Schluss nahe, dass von dieser Seite das System der beratergesteuerten Eigenverwaltung nicht in Frage gestellt werden soll.
D. 802 Nicht zuletzt angesichts des hohen Anteils gescheiterter oder vorzeitig beendeter Eigenverwaltungen von rund 40 %1788) wäre den Gläubigerinteressen und der Wiederherstellung der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens am ehesten gedient, wenn das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung vollständig abgeschafft oder zumindest für eindeutig geeignete und gesetzlich klar definierte Fälle der Betriebsfortführung in Großverfahren reserviert würde.
803 Die angeblichen Vorteile der Eigenverwaltung bei der Sanierung von Unternehmen und ihren Rechtsträgern sind nämlich, wenn ein tragfähiges und überzeugendes Konzept des Schuldners existiert, auch im Rahmen der Fremdverwaltung ohne ernsthafte Schwierigkeiten umzusetzen.1789) Auch hier können die Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen, die auf Seiten des Schuldners vorhanden sind, für eine Bewältigung der Insolvenz planvoll und effizient eingesetzt werden. Zwar ist eine Sanierung unter Fortführung des Unternehmens nur möglich, wenn die kaufmännische und betriebliche Organisation funktionsfähig und ihr Personal leistungsbereit ___________ 1786) 1787) 1788) 1789)
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Ebd., S. 99 = BT-Drucks. 19/4880, S. 139. RegBericht ESUG, 2018, BT-Drucks. 19/4880, S. 2. Siehe Nachweis in Fn. 1289. Die folgende Argumentation findet sich im Kern bereits bei AG Duisburg, Beschl. v. 1.9.2002 – 62 IN 167/02 (Babcock), NZI 2002, 556, 559 zu III A 2 b = ZIP 2002, 1636, 1639 f.
Kapitel 8 Abschließende Bemerkungen und Schlussfolgerungen
bleibt. Der Schuldner und seine Führungskräfte sind jedoch in jedem Insolvenzverfahren von Anfang an verpflichtet, den Verwalter bei seiner Tätigkeit zu unterstützen (§ 97 Abs. 2, § 101, § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 3 InsO). Sie haben ebenso wenig wie die weiteren Betriebsangehörigen das Recht, mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens und mit Einsetzung eines regulären Insolvenzverwalters ihre Tätigkeit einzustellen, sondern müssen ihm ihre beruflichen und unternehmensbezogenen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Ebenso ist auch der vorläufige und endgültige Insolvenzverwalter verpflichtet, so- 804 weit die wirtschaftliche Lage des Unternehmens es erlaubt, die Möglichkeit einer Sanierung im Rahmen des Verfahrenszwecks bis zur Entscheidung der Gläubigerversammlung offen zu halten und sich auch mit entsprechenden Überlegungen des Schuldners zu befassen. Zumindest bis zur ersten Gläubigerversammlung obliegt im Grundsatz jedem Insolvenzverwalter die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens (§ 22 Abs. 1 Nr. 2, §§ 156 – 158 InsO). Sie hat mit der Frage der Eigenverwaltung nichts zu tun. Das eigentliche Sanierungsinstrument der Insolvenzordnung ist nicht die Eigenverwaltung, sondern der Insolvenzplan. Die Verfügungsbefugnis des Schuldners über die Insolvenzmasse ersetzt noch kein gut durchdachtes Sanierungskonzept und ist auch nicht dessen zwingende Voraussetzung. Die Organe und das Management des Schuldners sind im Fall der Fremdverwaltung durch nichts daran gehindert, dem Insolvenzverwalter jederzeit, je früher desto besser, ihre Ideen und Konzepte für eine Sanierung vorzutragen, mit ihm zu erörtern und ihn von deren Realisierbarkeit zu überzeugen. Ein guter Insolvenzverwalter wird derartige Überlegungen nicht leichtfertig beiseite schieben. Der Schuldner kann theoretisch bis zum Schlusstermin jederzeit aus eigenem Recht und ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters einen Insolvenzplan vorlegen und damit die entsprechenden Abläufe in Gang setzen (§ 218 Abs. 1 InsO). Frühe Planinitiativen kann er bereits vor oder unmittelbar nach Verfahrenseröffnung dem Verwalter, dem Gläubigerausschuss und sodann der Gläubigerversammlung im Berichtstermin vorstellen (vgl. § 156 Abs. 2, § 157 Satz 2 InsO). Ob die Versammlung auf die Argumente und Visionen des Schuldners eingeht, hängt allein von der Überzeugungskraft und der Vertrauenswürdigkeit seiner Sprecher ab, nicht dagegen von seiner Verfügungsgewalt über die Insolvenzmasse. Besitzen der Schuldner oder seine organschaftlichen Vertreter bereits bei Stellung 805 des Eröffnungsantrags ein realistisches, wenn auch noch unvollständiges SanierungsGrobkonzept, wie es Voraussetzung für die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung in jeder Form sein muss,1790) so steht es ihnen auch ohne die Privilegien der §§ 270a, 270b InsO jederzeit frei, dieses Konzept frühzeitig dem Gericht, dem vorläufigen Gläubigerausschuss und dem vorläufigen Insolvenzverwalter vorzulegen. Die Aussichten für eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens muss ___________ 1790) Kapitel 5 C. I. 1., Rn. 604 ff.
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der vorläufige und endgültige Insolvenzverwalter ohnehin im Interesse der Gläubiger in jeder Unternehmensinsolvenz prüfen (vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Dies gilt auch, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis noch nicht vollständig auf ihn übergegangen, sondern er nur mit einem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO) ausgestattet ist; es gilt sogar für den schlichten Insolvenzsachverständigen, der im Auftrag des Insolvenzgerichts die materiellen Eröffnungsvoraussetzungen zu überprüfen hat.1791) Gegen betriebswirtschaftliche Eigenmächtigkeiten des Insolvenzverwalters, die vor oder nach Verfahrenseröffnung die Vorbereitung und Durchführung eines Insolvenzplans des Schuldners behindern oder vereiteln könnten, stehen dem Schuldner die Rechtsschutzmöglichkeiten der §§ 158, 161, 163 und des § 233 InsO zur Verfügung. Entsprechende insolvenzgerichtliche Anordnungen gegenüber dem Insolvenzverwalter, auf der Grundlage des Amtsermittlungsgebots durch sinnvolle Aufsichtsmaßnahmen ergänzt, können dem Schuldner zwar nicht wie in der Eigenverwaltung das Bewusstsein vermitteln, er sei weiterhin Herr im eigenen Haus, lassen ihm aber auch weniger Raum für Verzögerungen, masseschädigende Verfügungen und Manipulationen aller Art.
E. 806 Selbst wenn in absehbarer Zeit wohl nicht mit der Bereitschaft des Gesetzgebers zu rechnen ist, die Eigenverwaltung grundsätzlich in Frage zu stellen, sollte er zumindest die bestehenden Möglichkeiten ihres Missbrauchs deutlich und wirkungsvoll einschränken. Im Einzelnen sind zumindest die folgenden gesetzgeberischen Konsequenzen zu ziehen:
I. 807 Dringend geboten ist zunächst die präzise positive Beschreibung der materiellen Zugangsvoraussetzungen der Eigenverwaltung. Der Gesetzestext sollte auf der allgemein anerkannten grundlegenden Prämisse beruhen, dass in der Insolvenz die Eigenverwaltung die Ausnahme von der Regel der Fremdverwaltung ist.1792) Ihre Anordnung sollte deshalb nur gestattet sein, wenn der Schuldner die Gewähr bietet, dass er die Eigenverwaltung jederzeit ordnungsgemäß ausüben wird, und nach den Umständen zu erwarten ist, dass die Eigenverwaltung im Vergleich zur Fremdverwaltung zu deutlichen Vorteilen für die Gläubiger führen wird. Nur eine solche Regelung, welche die Darlegungs- und Feststellungslast zweifelsfrei dem Schuldner zuweist, wird der Grundorientierung des § 1 InsO und den bisherigen Erfahrungen gerecht. Vermutungen zugunsten der Eignung des Schuldners nach Art des § 270 ___________ 1791) Vgl. Arbeitshinweise des AG Duisburg für Insolvenzsachverständige im Eröffnungsverfahren, NZI 1999, 308, 309; MK-InsO/Vuia, 4. Aufl. 2019, § 16 Rn. 67 f. 1792) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 222 f. (Vorbemerkung zur Eigenverwaltung); siehe oben Kapitel 2 B., Rn. 38 ff.; Kapitel 2 J. I., Rn. 159 ff.
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Abs. 3 Satz 2, des § 270a Abs. 1 Satz 1 oder des § 270b Abs. 1 Satz 1 InsO vernachlässigen grob das empirisch gesicherte Manipulationspotential des eigenverwaltenden Schuldners und seiner Berater. Entfällt eine der materiellen Anordnungsvoraussetzungen nachträglich oder stellt 808 sich heraus, dass sie zur Zeit der Anordnung nicht vorgelegen hat, so muss das Insolvenzgericht entsprechend dem Rechtsgedanken des § 59 InsO ausdrücklich gesetzlich befugt sein, von Amts wegen die Eigenverwaltung aufzuheben. Gleiches sollte klarstellend auch für den Fall eines sonstigen wichtigen Grundes bestimmt sein. Ebenso sollte dem Gericht unmissverständlich die Befugnis zugewiesen werden, zur Sicherung der ordnungsgemäßen Durchführung der Eigenverwaltung jederzeit von Amts wegen einen extern wirksamen Zustimmungsvorbehalt nach § 277 InsO anzuordnen. Die bisherigen umständlichen Regularien zur Aufhebung oder Einschränkung der Eigenverwaltung (§§ 272, 277 InsO) sind angesichts der klaren, schlichten und umfassenden Regelung des § 59 InsO über die Entlassung des Insolvenzverwalters nicht zu rechtfertigen.
II. Ferner sind alle Vorschriften aufzuheben, die dem Schuldner in der vorläufigen und 809 endgültigen Eigenverwaltung die rechtliche oder faktische Möglichkeit bieten, auf die Bestellung seiner gesetzlich vorgesehenen Kontrolleure maßgeblichen Einfluss zu nehmen. Die gesetzgeberische Tendenz, der Gläubigerautonomie bei der Bestellung des Verwalters und der Entscheidung über die Anordnung der Eigenverwaltung zu stärkerer Geltung zu verhelfen und deshalb die Einflussmöglichkeiten des Gläubigerausschusses sachlich und zeitlich zu erweitern (§ 56a, § 270 Abs. 3 InsO),1793) ist nur legitim, wenn sichergestellt ist, dass diese Möglichkeiten nicht von Seiten des Schuldners manipuliert und für eigene Zwecke instrumentalisiert werden können. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, durch Aufhebung der Verweisung des § 274 Abs. 1 auf § 56a InsO die Auswahl des vorläufigen und endgültigen Sachwalters bis zur Entscheidung der Gläubigerversammlung (§ 274 Abs. 1, § 57 InsO) ausschließlich in die Hände des Insolvenzgerichts zu legen.1794) Nur eine solche Regelung wird auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Gläubiger vor einem ungeeigneten Masseverwalter (Art. 14 Abs. 1 GG) gerecht.1795) Insbesondere ist jede Bindung des Gerichts an Vorschläge des Schuldners oder des 810 Gläubigerausschusses zur Person des vorläufigen oder endgültigen Sachwalters zu beseitigen. Dies gilt zunächst für das Recht des Schuldners auf den mitgebrachten ___________ 1793) Vgl. RegE ESUG, 2011, BT-Drucks. 17/5712, S. 17 f., 19, 25 f. (Nr. 8, zu § 56), 39 (Nr. 42, zu § 270 Abs. 3 InsO). 1794) Zur Forderung nach Streichung von § 56a InsO in der Eigenverwaltung siehe auch Jacoby/ Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung, 2018, S. 97 = BT-Drucks. 19/4880, S. 137. 1795) Siehe Kapitel 2 G. I., Rn. 112 f.
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vorläufigen Sachwalter im Schutzschirmverfahren (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO). Angesichts der Tatsache, dass der Schuldner sich in jeder Variante der vorläufigen Eigenverwaltung von einem professionellen Sanierungsberater betreuen lassen kann, ist sein Interesse, im Schutzschirmverfahren auch noch einen vorläufigen Sachwalter seines Vertrauens beigeordnet zu bekommen und sich damit der Aufsicht eines wirklich unabhängigen Sachwalters zu entziehen, nicht schutzwürdig. Unbedingt aufzuheben ist darüber hinaus die Bindung des Gerichts an ein einstimmiges Votum des vorläufigen Gläubigerausschusses außerhalb des Schutzschirmverfahrens (Verweisung des § 270a Abs. 1 Satz 2 auf § 274 Abs. 1 i. V. m. § 56a Abs. 2, 3 InsO). Diese Regelung schafft für den Schuldner und dessen Berater den geradezu unwiderstehlichen Anreiz, bei der Initiierung eines gerichtlich bestellten vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 22a Abs. 2 InsO) einseitige Vorschläge mit wohlgesonnenen oder abhängigen Gläubigern einzureichen, um die Besetzung des Ausschusses zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Die entsprechenden gegenwärtigen Versuche der außergesetzlichen Bildung eines sog. präsumtiven oder vor-vorläufigen Gläubigerausschusses und die Bemühungen, schon ihm ein bindendes förmliches Vorschlagsrecht zu verschaffen,1796) lassen dieses ständig verstärkte Bestreben bereits deutlich erkennen. Dem Gläubigerausschuss ist allenfalls die Gelegenheit einzuräumen, sich sachkundig, aber unverbindlich zum Anforderungsprofil des Sachwalters zu äußern (§ 56a Abs. 1, § 274 Abs. 1 InsO).
III. 811 Grundsätzlich sollte das Insolvenzgericht durch einen zusätzlichen Absatz des § 270 InsO verpflichtet werden, in jedem Fall, in dem ein nicht offensichtlich aussichtsloser Eigenverwaltungsantrag vorliegt, vorbehaltlich der Bagatellklausel des § 22a Abs. 3 InsO unabhängig von den Schwellenwerten des § 22a Abs. 1 InsO einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen. Angesichts der Missbrauchsgefahren besteht in diesen Fällen vor und nach Anordnung der Eigenverwaltung in aller Regel ein besonderes Interesse der Gläubigergesamtheit, dass die Träger der Insolvenzverwaltung bei ihrer Geschäftsführung durch Repräsentanten der Gläubiger überwacht werden.
IV. 812 Der Gläubigerausschuss kann seine Kontrollfunktion nur dann wirkungsvoll und zum Nutzen der Gläubiger erfüllen, wenn er mit sachkundigen und von Schuldnerinteressen unabhängigen Mitgliedern besetzt ist. Deshalb sollte die Mitgliedschaft im Ausschuss in allen Phasen des Verfahrens (§§ 67, 68, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a ___________ 1796) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung ESUG, 2018, S. 9 (Kurzbericht), 19, 35 = BT-Drucks. 19/4880, S. 15, 25, 75. Siehe Kapitel 2 J. III., Rn. 164 ff.; Kapitel 2 J. IV. 1., Rn. 180 ff.
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InsO) kraft Gesetzes ausdrücklich solchen Personen vorbehalten sein, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Ausschuss geeignet, insbesondere sachkundig sind. Diese Anforderung ergibt sich zwar, wie in dieser Untersuchung nachgewiesen ist, bereits aus dem gesetzlichen Zweck des Ausschusses.1797) Ihre Einhaltung kann jedoch nur vom Insolvenzgericht gewährleistet werden (§§ 67, 70 InsO). Dem Gericht sollte es zudem auch gestattet sein, bereits im Eröffnungsverfahren 813 ebenso wie im Fall des § 67 Abs. 3 InsO besonders geeignete und vom Schuldner unabhängige Personen zu Ausschussmitgliedern zu bestellen, auch wenn sie keine Gläubiger sind, sondern nur Repräsentanten einer ganzen Gläubigergruppe;1798) bisher ist ihm dies untersagt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO). Dieser Weg ist vor allem dann zu beschreiten, wenn im Fall eines Eigenverwal- 814 tungsantrags institutionelle Gläubiger wie Finanzverwaltung, Bundesagentur für Arbeit, Kreditinstitute und Kreditversicherer nicht oder nicht in ausreichender Zahl zur Mitarbeit im vorläufigen Gläubigerausschusses bereit sind. Gerade diese Gläubiger verfügen nämlich über spezialisierte und hochbefähigte Fachleute, die zur Bewältigung der besonderen Aufgaben des Ausschusses geeignet wären. In einer solchen Situation überhaupt keinen vorläufigen Gläubigerausschuss zu bilden, würde bedeuten, die Träger der vorläufigen Eigenverwaltung ohne jede Überwachung von Seiten der Gläubiger handeln zu lassen; dies wäre ein nachteilsindizierender Umstand (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO), der nicht hinzunehmen ist.
V. Der zulässige Einfluss des Schuldners einschließlich seiner Berater auf die Beset- 815 zung des Gläubigerausschusses ist auf die Vorlage des vollständigen Gläubigerund Forderungsverzeichnisses samt Anschriften (§ 13 Abs. 1 Satz 3 ff. InsO) zu beschränken. Es ist nicht Sache des Schuldners, dem Gericht in diesem Zusammenhang Vorschläge zu machen oder gar Einverständniserklärungen der von ihm benannten Personen beizubringen; die entsprechende Regelung in § 22a Abs. 2 Hs. 2 InsO ist zu streichen. Gut organisierte Insolvenzgerichte sind imstande, in eigener Sachkompetenz sowie mit Hilfe eines Sachverständigen ihres Vertrauens mit vertretbarem Arbeitsaufwand einen professionellen und unabhängigen vorläufigen Gläubigerausschuss zu bilden.1799)
___________ 1797) Kapitel 7 A., Rn. 758 ff. und D., Rn. 779 ff. 1798) Woltersdorf, INDat Report 2018 Nr. 1, 12, 21 zitiert einen Bankenvertreter: „Würde man die Gläubigereigenschaft nicht zwingend voraussetzen, könnten stattdessen die Mitglieder des vorläufigen Ausschusses aus einem Kreis sachkundiger, professioneller Experten ausgewählt werden.“ 1799) Siehe oben Kapitel 7 C. I, Rn. 774 ff.
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VI. 816 Die Möglichkeiten des Gläubigerausschusses, auf nachteilsindizierende Umstände oder sonstige Fehlentwicklungen der Eigenverwaltung angemessen zu reagieren, sind deutlich und für den Schuldner spürbar zu erweitern. Insbesondere ist es wegen der Sachnähe und Handlungsfähigkeit des Ausschusses sinnvoll, ihm zum Zweck der Anordnung eines gerichtlichen Zustimmungsvorbehalts oder der Aufhebung der Eigenverwaltung das gleiche bedingungslose Antragsrecht einzuräumen, das auch der Gläubigerversammlung zusteht (§ 277 Abs. 1, § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO); dabei kann an die absolute Kopfmehrheit der Mitglieder des Ausschusses angeknüpft werden. Der in dieser Untersuchung beschriebene Weg der Unterstützung eines Gläubigerantrags nach § 277 Abs. 2 oder § 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO1800) ist zwar bereits nach geltendem Recht zulässig, kann jedoch bei krisenhaften Entwicklungen der Eigenverwaltung nicht immer mit der gebotenen Geschwindigkeit gegangen werden. Es ist keineswegs überzogen, dem Gläubigerausschuss zur Stärkung seiner Autorität gegenüber dem eigenverwaltenden Schuldner diese zugegebenermaßen scharfen Sanktionsmöglichkeiten an die Hand zu geben. Einen Anspruch auf Fortbestand der uneingeschränkten Eigenverwaltung hat der Schuldner ebenso wenig wie einen Anspruch auf ihre Anordnung. Die Befugnisse des Gläubigerausschusses gehen auch sonst, etwa bei den besonders bedeutsamen Rechtshandlungen, sehr weit, ohne dass der Ausschuss gehalten wäre, nur vorläufige Beschlüsse zu fassen und die endgültige Entscheidung der Gläubigerversammlung zu überlassen. Für Fehlentscheidungen haften die Ausschussmitglieder ohnehin nach den allgemeinen Regeln des § 71 InsO.
VII. 817 Einer dringenden Änderung bedarf schließlich auch die Vergütungsregelung für Mitglieder des Gläubigerausschusses. Der realitätsferne Vergütungsrahmen des § 17 Abs. 1 Satz 1 InsVV ist keine geeignete Grundlage für die erforderliche Rekrutierung qualifizierter Fachleute. Der obere Regelwert des Stundensatzes ist auf 250 Euro anzuheben.1801)
F. 818 Die rechtlich gebundene Gläubigerautonomie im Insolvenzverfahren soll sicherstellen, dass Entscheidungen über den wirtschaftlichen Gang von den betroffenen Gläubigern selbst oder von ihren Repräsentanten im Gläubigerausschuss ohne Bevormundung durch Gericht und Verwalter getroffen werden.1802) Diese Zielsetzung ___________ 1800) Kapitel 4 G. III. 6. b) und c), Rn. 575 ff. 1801) Kapitel 7 E., Rn. 782 ff. 1802) RegE InsO, 1992, BT-Drucks. 12/2443, S. 76 (Die Ordnungsaufgabe des Insolvenzrechts in der sozialen Marktwirtschaft).
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fordert, wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, gerade in der Eigenverwaltung von den Mitgliedern des Gläubigerausschusses fundierte Sachkenntnis und großes Verantwortungsbewusstsein. Sie sind verpflichtet, ihre rechtlichen Möglichkeiten umfassend, eigenständig und selbstbewusst wahrzunehmen. Aber nicht nur für die Ausschussmitglieder ist die Missbrauchsanfälligkeit der Ei- 819 genverwaltung eine Herausforderung. Auch die Richter und Rechtspfleger der Insolvenzgerichte (einschließlich der Rechtsmittelinstanzen) sind dem § 1 InsO unterworfen. Die Gläubigerautonomie entbindet sie nicht von der Verpflichtung, sich in Fällen mit Eigenverwaltung bei ihren Entscheidungen zum Gläubigerausschuss stets der besonderen Motivlage der Beteiligten bewusst zu sein. Sie haben mit allen zulässigen Mitteln dafür zu sorgen, dass die rechtlichen Grenzen des Verfahrenszwecks jederzeit strikt beachtet werden. Ihre besondere Aufmerksamkeit muss darauf gerichtet sein, dass der Gläubigerausschuss sich nicht zum Nachteil der Gläubigergesamtheit manipulieren und instrumentalisieren lässt oder sich gar bewusst selbst zum Komplizen des eigenverwaltenden Schuldners und seines Beraters macht. Es entspricht daher durchaus der Aufgabe des Insolvenzgerichts, wenn es darauf hinwirkt, dass auch der Gläubigerausschuss ihm regelmäßig und eigenständig, zumindest in den gleichen Intervallen wie die Träger der Insolvenzverwaltung, aussagekräftig über seine Tätigkeit berichtet. Die besondere Verantwortung trifft die Gerichte schon bei der Entscheidung über 820 die Einrichtung und erste Zusammensetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren. Bereits in diesem frühen Stadium ist es unerlässlich, dass die fachliche Eignung der Kandidaten sowie ihre Distanz und Unabhängigkeit gegenüber dem Schuldner sorgfältig überprüft und bewertet werden. Entsprechendes gilt für die gerichtliche Begleitung der Ausschusstätigkeit im weiteren Verlauf des Verfahrens. Mitglieder des Gläubigerausschusses, die ihre Aufgaben nicht in der erforderlichen Weise wahrnehmen, bringen der Gläubigergesamtheit nicht nur keinen Nutzen, sondern können ihr durch ihre Unfähigkeit oder Untätigkeit erheblichen Schaden zufügen. Dies muss allen Entscheidungsträgern bei Gericht stets bewusst sein.
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Literaturverzeichnis Im Literaturverzeichnis werden die Verfasser nach Alphabet, mehrere Titel eines Verfassers nach der Reihenfolge ihres Erscheinens aufgeführt. In den Fußnoten werden zuerst Kommentare, sodann Hand- und Lehrbücher, danach Monographien und Aufsätze aufgeführt. Innerhalb jeder Kategorie wird die älteste Veröffentlichung zuerst genannt. Aufsätze und Urteilsanmerkungen sind nach Verfasser, Fundstelle und Jahr, Kommentare und sonstige Buchtitel – soweit nicht anders angegeben – nach dem ersten Hauptwort des Titels oder in einem erweiterten Kontext zitiert. Ahlbrecht, Heiko Insolvenz und Strafrecht, Vortrag vom 28.1.2015, Institut für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Düsseldorf, Vortragsmanuskript Ahrens, Martin; Gehrlein, Markus; Ringstmeier, Andreas Insolvenzrecht, Kommentar, 3. Aufl., Köln 2017 Ampferl, Hubert; Kilper, Raik Die Pflicht des Gläubigerausschusses zur Prüfung von Geldverkehr und -bestand, ZIP 2015, S. 553 – 562 Andres, Dirk Die fabelhafte Welt der Bilanztricks und wie sie zu finden sind – Fälle aus der Praxis, Vortrag vom 20.11.2017 auf der Jahrestagung 2017 des BAKinso e. V., Köln, Vortragsmanuskript Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen und Juristinnen (ASJ) – Arbeitskreis Insolvenzrecht Stellungnahme zur ESUG-Evaluation, ZInsO 2017, S. 2536 – 2537 Arbeitskreis für Insolvenzwesen Köln e. V. (Hrsg.) Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 1. Aufl., Herne 1997; 2. Aufl., Herne 2000; 3. Aufl., Münster 2009 Bachmann, Gregor Organhaftung in der Eigenverwaltung, ZIP 2015, S. 101 – 109 Bachmann, Gregor; Becker, Udo Haftung des Insolvenz-Geschäftsführers in der Eigenverwaltung, NJW 2018, S. 2235 – 2238 BAKinso e. V. (Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte) Entschließungen der BAKinso-Tagung am 5./6. November 2007, ZInsO 2007, S. 1211 – 1214
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447
Stichwortverzeichnis
Allgemeine Vorschriften (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO) 24 Amtsermittlung 259 f., 597, 617 ff., 772, 805 Analogieverweisung 24, 121 f. Aufgabenabgrenzung zwischen Schuldner durch Sachwalter und Gläubigerausschuss 319 ff., s. a. unter Mehrfachaufsicht Aufsichtsrat, analoge Anwendbarkeit von Regeln auf den Gläubigerausschuss 267 – 273 Aus- und Absonderungsrecht 132, 337, 465, 510 ff., 553, 720
Berichtstermin
201 f., 430, 441 ff. Betriebsfortführung, defizitäre 11, 188, 306, 440, 540, s. a. unter Liquidationsverschleppung Business Judgment Rule 723 – 733
Chief Insolvency Officer, Chief Restructuring Officer s. Sanierungsgeschäftsführer
Eigenverwaltung, vorläufige (§ 270a InsO) 23, 30 f., 44, 58, 66 ff., 147, 174, 189, 590, 640 ff., 670 f., 674, s. a. unter Schutzschirmverfahren Eigenverwaltung – Aufhebung 43, 115, 153, 172, 219, 248, 301, 405, 417, 439, 443, 483, 509, 549 ff, 578 ff., 583, 599, 675, 681, 684, 687, 702 ff., 722, 808, 816 – Berichterstattung an Gläubigerversammlung, unvollständige oder unrichtige 201 – besondere Organisationsform der Insolvenzverwaltung 21 ff., 309, 340, 347, 557, 586, 603, 744, 784, 789 – Fremdverwaltung im Kostüm der Eigenverwaltung 176, 399, 795 – Gefahrenpotential 150, 155 ff., 185, 347 ff., 454, 464, 533, 575, 584, 595, 612, 619, 650, 744 ff., 771, 791, 811, s. a. unter Eigenverwaltung, Missbrauchsgefahr – Kosten 39, 170, 192 f., 359, 386, 404, 417 f., 422, 456, 497, 512, 544, 606, 612 ff., 657
– Kostenvergleichsrechnung 333, 609, 612 ff. – Kritik 157 f., 359, 380, 582, 794 ff. – Mehrkosten 193, 417, 512 – Missbrauchsgefahr 10, 155 – 202, 303, 306, 316, 360, 442, 493, 497, 515, 556, 574, 638, 716, 746 f., 790, 793, 806, 819, s. a. unter Eigenverwaltung, Gefahrenpotential – Missbrauch bei der Ausübung der Verfügungsgewalt 184 – Missbrauch bei der Auswahl der Kontrolleure 180 – Missbrauch bei übertragender Sanierung 194 – Missbrauch der Informationsherrschaft 196 – Missbrauch durch Plünderung der Masse 190 – Motive des Schuldners 161 ff., 179, 196, 399, 520, 668, 795 – persönliche Aufgabe des Schuldners 69 ff. – rechtlicher Kern der Eigenverwaltung 104 ff., 794 – Verfahrensgang 44 – verfahrenszweckkonforme Ergebnisse 794 – Verschleierung strafbarer Handlungen 200 Eigenverwaltungsantrag 419, 591, 594, 601 ff., 730, 754 – Aussichtslosigkeit, nicht offensichtliche 594, 680, 706, 714, 811 – inhaltliche Anforderungen 604 ff. Eigenverwaltungskonzeption des Schuldners 76, 311, 318, 355, 379, 416 ff., 430, 639 Eigenverwaltungswürdigkeit 350 Eignung des Masseverwalters 110 ff. Einflussnahmeverbot (§ 276a Satz 1 InsO) 368 ff., 655, s. a. unter Geschäftsleitung – Adressaten 371 ff. – Begriff der Einflussnahme 377 – Formen der Einflussnahme 375 ff. – Rolle des Gläubigerausschusses 373, 379
449
Stichwortverzeichnis – Überwachung durch den Gläubigerausschuss 382 ff. Erfüllungswahlrecht des Masseverwalters 502 ff., 730 – Sanierungsinstrument 506
Freigabe von Teilen der Insolvenzmasse 333 Fremdverwaltung im Kostüm der Eigenverwaltung s. unter Eigenverwaltung Funktionsbereiche im Regelverfahren 324 f. Funktionsbereiche in der Eigenverwaltung 326 ff.
Geschäftsführung, insolvenzrechtlicher Begriff der 336 f. Geschäftsleitung, personelle Veränderungen 472 ff., s. auch Einflussnahmeverbot (§ 276a Satz 1 InsO) – Änderung der gesellschaftsrechtlichen Vertretungsbefugnis 475 – Änderung oder Beendigung des Dienstvertrags 477 – Zustimmung des Sachwalters 472 – Zustimmung des Gläubigerausschusses 473 Gläubigerausschuss, sog. präsumtiver oder vor-vorläufiger privatrechtlicher 172, 597, 644, 648, 810 Gläubigerausschuss, vorläufiger 590 – 714, s. a. unter Gläubigerausschuss – Anhörung und Votum (Beschluss) zur Frage der Anordnung der endgültigen Eigenverwaltung 616 ff. – Behandlung von Anträgen und Personalvorschlägen 594 ff. – Beschluss 623 f., 648 ff., s. a. unter Gläubigerausschuss – Besetzungsvorschläge des Schuldners oder seines Sanierungsberaters 182, 595, 756, 773 – Haftung 715 – 754 – Pflichten aus Anlass des Eigenverwaltungsantrags 601 – 639 – Pflichten im Schutzschirmverfahren 669 – 714 – Pflichten in der allgemeinen vorläufigen Eigenverwaltung 640 – 668 – Stellung in der vorläufigen Eigenverwaltung 599 f.
450
Gläubigerausschuss, endgültiger 203 ff., 302 ff. – Adressaten seiner Überwachung und Unterstützung 309 – 323 – analoge Anwendbarkeit von Regeln über den Aufsichtsrat 267 – 273 – Antrag auf Entlassung des Sachwalters 486 – Auskunfts- und Berichtspflicht gegenüber Gläubigerversammlung 236 – Auskunftsrechte gegenüber den Trägern der Insolvenzverwaltung 244 ff. – Auskunftsrechte, allgemeine, gegenüber dem Schuldner 75 f. – Beschluss 235, 265, 276, 278, 289, 293 f., 395, 573, 754 – Beschluss, rechtswidriger 261 – eigenverwaltungsspezifischer Aufgaben- und Pflichtenkreis 302 – 589 – Einflussnahme des Sanierungsberaters 172 ff., 364, 797 – Entlassung von Mitgliedern 262, 762, 781 – Gäste 276, 280, 282 f., 293, 445 – Geschäftsordnung 252, 276 f., 278, 280 – Gläubigerversammlung, Verhältnis zur 209 ff. – Grundsätze der Überwachung und Unterstützung 339 – 359 – Grundsätze ordnungsgemäßer Gläubigerausschusstätigkeit 17, 274 – 301 – Haftung seiner Mitglieder 715 – 754 – Informationspflichten 286 ff., 345 f., 382 ff. – Insolvenzplan, Mitwirkungskompetenz 450, 692 f. – Instrumentalisierung durch Sanierungsberater 597, s. a. unter Sanierungsberater, nachteilsindizierender Umstand und unter Nebeninsolvenzverwaltung – intensivierte Aufsicht 384, 513, 532 – Kollektivrechte und Individualrechte seiner Mitglieder 263 ff. – Legalitätsgebot 238 – Mitwirkung bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen 462 ff. – nachteilsindizierender Umstand s. dort – Nachteilsmeldepflicht 566 f.
Stichwortverzeichnis – Organisation der Überwachung 296 ff. – organisatorische Unabhängigkeit 243 – Passivlegitimation 205, 263 – Protokollierungs- und Dokumentationspflicht 290 – Prozessfähigkeit 205 – Prüfung der Verzeichnisse 492 ff. – Prüfung der Zuverlässigkeit des Sanierungsberaters 387 ff. – Prüfung und Sicherung von Zahlungsverkehr und Geldbestand 452 ff. – Reaktionspflicht bei Fehlentwicklungen 301, 468, 485, 496, 556 – 589, 707 ff., 718, 722 – Rechtscharakter als verfahrensrechtliches Gremium 204 – 208 – Rechtsverhältnis zum Schuldner allgemein 237 f. – Rechtsverhältnis zu den Trägern der Insolvenzverwaltung 239 – 248 – regelhafte Einsetzung 14, 595, 811 – Sachwalter als zweiter Adressat der Überwachung 313 ff., s. a. unter Mehrfachaufsicht – Schuldner als erster Adressat der Überwachung 310 ff., s. a. unter Mehrfachaufsicht und Sachwalter, Aufgabenabgrenzung zum Gläubigerausschuss – Schutz der Gläubiger vor eigenverwaltungsspezifischen Gefahren und Nachteilen 347 ff. – Sensibilität für nachteilsindizierende Umstände 746, 771, 793 – Überwachung der Begründung von Masseverbindlichkeiten 434 ff. – Überwachung der Einhaltung der Vorgaben der Gläubigerversammlung 449 ff. – Überwachung der Geltendmachung von Haftungs- und Anfechtungsansprüchen 516 ff. – Überwachung der Masseverwertung 510 ff. – Überwachung des Einflusses externer Experten und Sanierungsberater 385 ff. – Überwachung des Sachwalters 8 f., 15, 313 ff., 407 ff., 421 f., 426 ff., 459 ff., 471, 484 ff., 516 ff., 545 f., 568 f., 573 f., 648 ff., 694 ff., 747 ff., 793, 799, s. a. unter Sachwalter
– Überwachung des wirtschaftlichen Verlaufs des Verfahrens 413 ff. – Überwachung der Kassenführung nach Übernahme durch den Sachwalter 459 ff. – Überwachung der Erfüllung der Nachteilsmeldepflicht des Sachwalters 484 ff., s. a. unter nachteilsindizierender Umstand und Sachwalter – Überwachung der Liquidation 449 – Überwachung der Rechnungslegung 536 ff. – Unterrichtungspflicht über den Gang der Geschäfte 423 ff. – Verfahrenshandlungen gegenüber dem Insolvenzgericht 294 f., s. a. unter Reaktionspflicht – Verfahrenszweckorientierter Überwachungs- und Unterstützungsauftrag 240 ff., 716 – Verhältnis zum Insolvenzgericht 249 – 262 – Weisungsrecht, fehlendes 248, 269, 460, 483, 509, 569 – Zielpersonen der Aufsicht auf Seiten des Schuldners 360 – 405 – Zustimmung zum Neuabschluss von Beratungsverträgen 394 – Zustimmungsvorbehalt, interne Festlegung durch Ausschuss 300, 466, 469, 473 Gläubigerausschussmitglied s. a. unter Gläubigerausschuss – Arbeitnehmer 181, 344, 595, 741, 760, 764, 770 – Auskunfts- und Einsichtsrechte 264 – Berichtstermin, Vorbereitung 443 – Eignung s. unter Sachkunde – Eignung von Arbeitnehmern 741, 770 – gesamtschuldnerische Haftung 722 – Grundpflichten 302, 406, 452, 576, 608, 791 – Haftung 715 – 744 – Informationspflichten 286 ff., 345 f., 382 ff. – Protokollierungsanspruch 293 – Reaktionspflicht 346, 560, 571, s. a. unter Gläubigerausschuss – Sachkunde, notwendige 755 – 787 – Teilnahmepflicht am Berichtstermin 445
451
Stichwortverzeichnis – Überwachung der Erfüllungswahl 502 – Unterrichtungspflicht über den Gang der Geschäfte 423 – Verschwiegenheitspflicht 284 f. – Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen 269, 286, 739, 764 Gläubigerautonomie 1, 6, 33, 172, 250 ff., 308, 311, 464, 584, 633, 716, 781, 797, 809, 818 f. Gläubigerschutz 89, 93, 100, 149, 176, 368, 499, 516 f., 522 Gläubigerversammlung – Antragsbeschluss mit Ziel der Aufhebung der Eigenverwaltung 581, 816 – Antragsbeschluss mit Ziel der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts 576 – Berichterstattung durch den Schuldner 201 f., 365, 441 ff. – Beschlussaufhebung 581 – Grundsatzentscheidungen 2, 49, 74, 120, 242, 343, 414 f., 435, 555, 804, 809 – Teilnahmepflicht der Ausschussmitglieder 445 – Verhältnis zum Gläubigerausschuss 209 ff., 242 – Vorgaben zur Masseverwertung 87, 95, 136, 212, 242, 248, 413, 431, 449 ff., 450, 451, 453, 724, 730 – Wahl ungeeigneter, sachunkundiger Gläubigerausschussmitglieder 779 ff.
– Rechtsaufsicht 151, 252, 283, 313, 362, 566 – Teilnahme an Gläubigerausschusssitzungen 258, 283 – Verhältnis zum Gläubigerausschuss 249 – 262 Insolvenzplan 416, 422, 430, 689 ff. – Bedeutung der Verzeichnisse 497 – Gläubigerausschuss, Mitwirkung 450, 692 f., 710 – Sachwalter, Mitwirkung 694 ff. – Sanierungsinstrument 35, 690 – Schuldner, Inkompetenz bei Planerstellung 695 – Schuldnerinteresse 36 – Schutzschirmverfahren zur Ausarbeitung des Plans 592, 669, 672, 690 f. – Verfahrenszweck und Insolvenzplan 25 f., 771 – Vorentwurf 48, 693 – Vorlage vor dem Berichtstermin 448 – Ziel 26, 31, 49 Insolvenzverschleppung 518, 520, 522, 531, 681, 688 Insolvenzverwalter – Eignung 129 ff., 140, 142 – Unabhängigkeit 134 – Zusammenarbeit mit Sanierungsberater 168 ff. Integrierte Unternehmensplanung 397, 418, 429, 607 Interim-Manager 176, 399, 747, s. a. Sanierungsgeschäftsführer
Haftungs- und Anfechtungsansprüche
Kassenführung
(§ 280 InsO) 102 f., 410, 493, 494, 516 ff., 666
Insolvenzgericht – Amtsermittlung s. dort – Aufsicht über Schuldner und Sachwalter 144 – 154 – Aufsichtsbefugnisse 152 ff. – Aufsichtsmittel und Aufsichtsvollzug 257 ff. – Entlassung eines Gläubigerausschussmitglieds 262 – Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Ausschussbeschlusses 261 – Feststellung der Sachkunde der Ausschussmitglieder 772 – 778
452
98 ff., 313, 317, 327, 388, 456, 459 ff., 535, 539, 545 f., 568 f., 769 Kassenprüfung 322, 454 ff., 515, 769
Lebensführung, Entnahme von Mitteln zur 78, 90, 337, 533 ff., 609 Liquidationsverschleppung 31, 106, 188, 202, 306, 344, 416, 440, 449, 540, 796, s. a. unter Betriebsfortführung, defizitäre
Massekredit 465, 514 Masseunzulänglichkeit – Anzeige durch Sachwalter 94, 327, 438 ff. – Anzeige gegenüber Gläubigerausschuss 439 – nachteilsindizierender Umstand 439
Stichwortverzeichnis – Rechnungslegung 539 – Rechtzeitigkeit der Anzeige 553 Masseverbindlichkeiten 541 – Begründung durch den Schuldner 30, 337, 434 ff., 592, 658 ff. – missbräuchliche Begründung 136, 184, 190 ff., 333, 401, 613, 790, s. a. unter Eigenverwaltung: Gefahrenpotential und Missbrauchsgefahr sowie unter nachteilsindizierender Umstand – personelle Veränderungen in der Geschäftsleitung 477 Masseverzeichnis s. unter Verzeichnisse Mehrfachaufsicht durch Sachwalter und Gläubigerausschuss 319 ff., 469, 568, 615, 793, s. a. unter Sachwalter, Aufgabenabgrenzung zum Gläubigerausschuss Missbrauchsgefahren der Eigenverwaltung s. unter Eigenverwaltung
Nachteilsindizierende Umstände
41, 79 ff., 124, 126, 347 ff., 360, 389, 395, 439, 463, 484, 490, 513, 558, 579, 594, 608, 610 f., 616 ff., 657, 666, 712, 746, s. a. unter Sachwalter – Abhängigkeit des Sachwalters von ungeeigneten Sanierungsberatern 356 – Begriff 41, 349 f., 637 – Behinderung der Kassenführung 545 – Bereitstellung externer Führungskräfte unterhalb der Ebene des Vertretungsorgans 405 – Buchführungspflichten, Verletzung 554 – Eigenverwaltung, Aufhebung s. dort – Eigenverwaltungsantrag, unrichtiger 602 – Eigenverwaltungsantrag, Votum Gläubigerausschuss 730, 754 – Entnahme, unangemessene, von Mitteln zur Lebensführung 535 – Ermittlungen des Insolvenzgerichts 619 ff., 642, s. a. unter Amtsermittlung – fehlendes Vertrauen der Gläubiger 647 – Fehlverhalten im insolvenzgerichtlichen Verfahren 354, 397, 611 – Fehlverhalten im Vorfeld der Antragstellung 353, 666 – Gläubigerausschuss, fehlender 814 – Gläubigerausschuss, Reaktionspflicht s. dort
– Insolvenzverschleppung 518, 520 – Konflikte innerhalb der Sphäre des Schuldners 357 – Kosten, höhere 359, 386, 404, 612 ff. – mangelnde Eignung des Schuldners 117, 124, 126, 351 f., 513, 638 – mangelnde Sachkunde der Gläubigerausschussmitglieder 783 – Masseunzulänglichkeit 434, 439 – Masseverbindlichkeiten, missbräuchliche Begründung s. dort – Melde- und Beobachtungspflicht des Gläubigerausschusses 347 ff., 566 f., s. a. unter Gläubigerausschuss, endgültiger, Reaktionspflicht bei Fehlentwicklungen – Missachtung gerichtlicher Beanstandungen 153 – Missachtung von Mitwirkungsrechten bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen 470 – Missachtung von Zustimmungsvorbehalten 463 – Negierung von Verwertungsalternativen 420 – personelle Veränderungen in der Geschäftsleitung 480 – Pflichtverletzung 79 ff., 579 – Plünderung der Masse 190, 401 – Sachverständiger s. dort – Sanierungsberater, Ungeeignetheit s. dort – Schutzschriftinhalt 608 – Sensibilität des Gläubigerausschusses 746, 793 – Sinn und Zweck 490 – unerlaubte Einflussnahme auf die Geschäftsführung 358, 657 – ungeeigneter Sanierungsberater 356 – unrichtige Vergleichsrechnung 397 – unvollständige oder unrichtige Berichterstattung 445 – unzureichende Konzeption zur Bewältigung der Insolvenz 355 – Verletzung der Rechte des Gläubigerausschusses 463, 468, 470 – Verstoß gegen das Einflussnahmeverbot 358, 375, 395 – Wiederholungsgefahr 558 – Zahlungsunfähigkeit, Eintritt 712 Nahestehende Person 191, 194, 436, 486, 500, 505, 508, 520
453
Stichwortverzeichnis Nebeninsolvenzverwaltung 9, 70, 142, 164 ff., 307, 361 ff., 386, 745, 795 – Zurechnung 351 f. – Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk s. unter Sanierungsberater und Sachwalter, Eignung
Par condicio creditorum
28
Rang- und Verteilungsordnung 457 Rechnungslegung 536 ff. – Delegation auf Dienstleister 544 – Erzwingung 550 – Prüfung 552 ff., 769 – des Sachwalters nach Übernahme der Kassenführung 545 – bei vorzeitiger Aufhebung der Eigenverwaltung 549 ff. Rechtshandlung von besonderer Bedeutung 462 ff., 503, s. a. unter Gläubigerausschuss und Sachwalter – Definition 464 – Delegation insolvenzrechtlicher Rechnungslegung 544 – doppelte Zustimmungserklärung 470 – Entnahme von Mitteln zur Lebensführung 535 – Massekredit 514 – Rechtshandlung des Sachwalters 471 – Rechtsstreit mit erheblichem Streitwert 529 – Zustimmung nur durch (vorherige) Einwilligung 467 f. Sachkunde
s. unter Gläubigerausschussmitglied Sachverständiger 281, 288, 417, 425, 554, 610, 612, 615, 642, 733, 748, 805, s. a. unter Amtsermittlung – Einflussnahme durch Sanierungsberater 195, 389, s. a. nachteilsindizierende Umstände – zur Ermittlung geeigneter Gläubigerausschussmitglieder 595, 776 f., 815 – Insolvenzgutachten 665 ff. – Kassenprüfung 454, 458, 541, 739, s. a. dort – Schutzschirmverfahren 619 ff. – Unabhängigkeit 520, 697 – nachteilsindizierende Umstände, Ermittlung 665
454
Sachwalter, vorläufiger 12, 44, 67 f., 150, 166, 171, 174, 180, 520, 597, 660, 679, 694 ff., 698 ff., 712 f., s. a. unter Sachwalter – Auswahl 648 ff., 698 ff. – Vorschlagsrecht im Schutzschirmverfahren („mitgebrachter Sachwalter“) 166, 308, 596, 670 Sachwalter – Abhängigkeit vom Sanierungsberater 166 ff., 393, 400, s. a. unter nachteilsindizierende Umstände und Nebeninsolvenzverwaltung – Anzeige der Masseunzulänglichkeit 434, 438 ff., 553 – Aufgaben im Zusammenhang mit Forderungsanmeldungen 499 – Aufgabenabgrenzung zum Gläubigerausschuss 319 ff., 334 ff., 397, 470, 495, 508 – Auskunftsrechte 75 f. – Auswahl und Bestellung 753 f., 798 f., 809 f., s. a. unter Sachwalter, vorläufiger – Beaufsichtigung durch Gläubigerausschuss 15, 309 ff., 339 ff., 392, 406 ff., 421 f., 424, 426, 432 f., 451, 454, 459 ff., 673, 747 ff., s. a. unter Gläubigerausschuss – Beratung des Schuldners, begleitende 320 – Beratung des Schuldners, unzulässige 366 f., 513 – Berichterstattung 441, 433 ff., 482 – Delegation, unzulässige 70, 141, 513 – Eignung und Unabhängigkeit, notwendige (auch fehlende) 125, 166 ff., 182, 306, 308, 317, 386, 496, 574, 609 f., 636, 651, 745, 794, 799, s. a. unter nachteilsindizierende Umstände – Einflussnahme durch Sanierungsberater s. unter Sanierungsberater und unter Nebeninsolvenzverwaltung – Entlassung 248, 301, 535, 561, 573 f., 578 – Forderungsanmeldung 499 – Funktion, grundsätzliche 318, 422 – Geltendmachung von Haftungs- und Anfechtungsansprüchen 102, 516 ff., 720
Stichwortverzeichnis – Geschäftsleitung, personelle Veränderung 479 ff. – Haftung 496, 527, 555 f., 717, 736 – Informationspflicht gegenüber Gläubigerausschuss 439 – Insolvenzplan 430, 692, s. a. dort – Kassenführung s. dort – Kassenführungsrecht 459 – Mehrfachaufsicht über den Schuldner s. dort – Mitwirkungskompetenzen und -pflichten 95, 394 – Nachteilsanzeige 411, 484 ff., 577 – nachteilsindizierender Umstand, Anzeige 85, 91, 404, 484 ff., 574, s. a. dort – Nachteilsanzeige, unterlassene 518, 597 – persönliche Amtswahrnehmung 70, 407, s. a. unter Nebeninsolvenzverwaltung – Pflichten im Zusammenhang mit besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des Schuldners 469 – Pflichtverletzung 483, 562 ff. – Prüfung der Verfahrenskonzeption 421, s. a. unter Verfahrenskonzept(ion) – Prüfung der Verzeichnisse 494 – Prüfungs-, Überwachungs- und Meldepflichten 63, 89 f, 380 f., 384, 398, 404, 479 ff., 502, 510 ff., 555, 664 – Rechnungslegung 545 ff. – Rechtsaufsicht des Insolvenzgerichts 144 ff., s. a. unter Insolvenzgericht – Rechtsaufsicht über den Schuldner 320 – Rechtshandlung, besonders bedeutsame 471 – Rechtsstellung und Funktion 84 – 103 – Rechtsverhältnis zum Gläubigerausschuss 239 ff. – Stellungnahme zum Bericht des Schuldners (Eigenbericht) 444 – Tagesgeschäft, Überwachung s. unter Tagesgeschäft – Überwachungssystem 407 – Verdrängungsbereich 327, 334 – Verwaltungs- und Verfügungsrechte 7, 22, 42, 47 ff., 72, 97, 135, 304 f. – Verzeichnisse, Prüfung 494 – Vorgaben an den Schuldner zur Berichterstattung 409
– Zustimmung und Zustimmungsvorbehalt 403, 437, 466 ff., 472 f., 504 Sanierung, Begriff 106, 684 Sanierungsberater – Auswahl des Kassenprüfers 458 – Bedeutung 164 ff. – Eignung 356, 496 – Einflussnahme 385, 389, s. a. unter nachteilsindizierender Umstand und unter Nebeninsolvenzverwaltung – Einflussnahme auf Zusammensetzung und Tätigkeit des Gläubigerausschusses 172 – Erstellung der Antragsunterlagen und Personalvorschläge 165 – Kosten 359 – Nominierungs- und Belohnungsnetzwerk 308 – Überwachung durch den Gläubigerausschuss 385 ff. – Ungeeignetheit oder Unzuverlässigkeit 356, 387 ff. – Vertragskontrolle durch Sachwalter und Ausschuss 465, 508 Sanierungsgeschäftsführer (auch Chief Restructuring Officer, Chief Insolvency Officer oder Interim-Manager genannt) 164, 174, 176, 363, 385, 399, 403, 405, 747 Sanierungs-Grobkonzept 416, 418, 427, 428 Sanierungskonzept 465, 505 Schlussrechnung 548 Schuldner – Abhängigkeit vom Sanierungsberater 360, 385, s. a. unter Nebeninsolvenzverwaltung und nachteilsindizierende Umstände – Arbeitgeberstellung 502 – Auskunfts- und Mitwirkungspflichten 75 – Berichterstattung 76, 201, 297, 441 – Delegationsbefugnis 363 – Eignung zur Eigenverwaltung 135, 351, 457, 512 f., 541, 544, s. a. unter nachteilsindizierende Umstände – Interessenkollision bei Forderungseinzug 526 – Inventarisierungspflicht 497 – Kompetenzen, Rechte und Pflichten 52 – Motive 161, 520, 360, 378
455
Stichwortverzeichnis – Partei kraft Amtes 524 – persönliche Kernpflichten 361 – Pflicht zur Beachtung von Weisungen und gesetzlicher Aufgabenverteilung 72 – Pflicht zur Betriebsfortführung 74 – Pflicht zur Separierung und Verwahrung von Verwertungserlösen 514 – Rechnungslegung s. dort – Rechtsgrund der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis 53 ff. – verfahrensrechtliche Pflichten und Sonderrechte 77 f. – Verstoß gegen Auskunfts- und Mitwirkungspflicht 531 Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) 30, 45, 590 ff., 669 ff. Schutzschrift 608 Sondersachwalter 527, 720
Tagesgeschäft, Überwachung durch Sachwalter 85, 320, 384, 404, 436, 469, 487, 555, 568 Träger der Insolvenzverwaltung 109, 145 ff., 314
Unternehmerischer Beurteilungsspielraum 505, s. a. unter Business Judgment Rule
Verfahrenskonzept(ion) 414, 421 Verfahrenszweck der gemeinschaftlichen und bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger 25 ff., 341, 413, 666, 694, 699, 710, 724, 727, 789, 819
456
– bei Ausübung des Wahlrechts 509 – bei Bestimmung besonders bedeutsamer Rechtshandlungen 464 – bei Einsatz individueller Kenntnisse des Gläubigerausschussmitglieds 740 – Gefährdung 578 – Gefährdung durch Fortsetzung der Eigenverwaltung 581 – und Gläubigerversammlung 779 – bei personellen Veränderungen in der Geschäftsführung (§ 276a Satz 2, 3 InsO) 472, 480 – und unternehmerische Entscheidung 728, 730 – Vereinbarkeit von Zahlungsvorgängen mit dem 553 Vergleichsrechnung 416, 418, 422 Verwertungsalternativen 430 Verwertungserlöse – Abrechnung und Verbuchung 514 – Separierung 514 Verzeichnisse 492 ff., 497 f. – Erfassung der Haftungs- und Insolvenzanfechtungsansprüche 494
Zahlungsverkehr
s. unter Kassenführung Zustimmungsvorbehalt – externer (§ 277 InsO) 95 f., 153, 461, 463, 472 ff. (§§ 276a InsO), 504, 575 ff., 808 – interner nach Festlegung durch den Gläubigerausschuss 300, 437, 463, 466, 535