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German Pages [232] Year 2016
Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte
Band 17
Herausgegeben von Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke
Magda Schusterov#
Der Friedensvertrag Georgs von Podiebrad von 1464 vor dem Hintergrund der spätmittelalterlichen Vertragspraxis
V& R unipress Universitätsverlag Osnabrück
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-7076 ISBN 978-3-8471-0531-2 ISBN 978-3-8470-0531-5 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0531-9 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Veröffentlichungen des Universitätsverlags Osnabrück erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. T 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. ˇ K, Inv.Nr. 1734. Titelbild: Nationalarchiv Prag: NA, AC Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, D-96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Parentibus
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Forschungsgegenstand und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Der Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entdeckung des Textes und seine Behandlung im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Renaissance des Themas im 21. Jahrhundert . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Geschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . II. Türken ante portas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Regnum Bohemiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ein Ketzer wird König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Für das Königreich und nicht für die Dynastie: die Politik König Georgs von Podiebrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Analyse der »interterritorialen« Verträge König Georgs mit den deutschen Reichsfürsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erbbündnisse mit dem Haus Sachsen . . . . . . . . . . . . . b) Erbbündnisse mit dem Haus Brandenburg . . . . . . . . . . c) Erbbündnisse mit dem Haus Wittelsbach . . . . . . . . . . d) Einungen mit dem Haus Habsburg . . . . . . . . . . . . . . 2. Georgs Bemühungen um den deutschen Thron . . . . . . . . . 3. Bündnispläne des Jahres 1463 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entstehung des großen Friedensprojekts . . . . . . . . . . . . 5. Die Gegner werden stärker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 33 35 39 41
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46 48 49 51 53 54 55 63 66 81 84
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Inhalt
D. Die spätmittelalterlichen Friedensverträge . . . . . . . . . . . . . . . I. Die spätmittelalterlichen Friedensverträge als Gestaltungselement des Völkerrechts in statu nascendi . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Begriff des Friedensvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Quellen für eine Typenbildung der Friedensverträge . . . . . . . . IV. Typologie der Friedensverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Instrumentum intelligentiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Instrumentum concordiae et pacis . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Instrumentum treugae seu induciae . . . . . . . . . . . . . . . 4. Instrumentum compromissi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Analyse des Friedensvertragstextes . . . . . . . . . . . . . . . . I. Betrachtung der Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion der Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. »Erzschändliche Türken« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rex debet esse pacificus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Transcribere humanum est . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Scriptura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Cancellaria imperialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) »Kanzleitechnische« Ausdrücke . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Elemente eines Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Socii et congregacio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitglieder des Fürstenbundes . . . . . . . . . . . . . . b) Bundesversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfigur des Fürstenbundes . . . . . . . . . . . . . 2. Schaffung eines Rechts- und Friedensbereiches . . . . . . a) Fraternitas, amicitia, caritas – Verwerfung des Krieges b) Auxilium et consilium . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Streitbeilegung unter den Herrschern . . . . . . . . . d) Bestrafung der straffällig gewordenen Untertanen . . . 3. Finanzielle Verwaltung des Fürstenbundes und Exekutionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kein Austritt aus dem Fürstenbund . . . . . . . . . . . . III. Bellum contra Turcos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Türkenkreuzzüge im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . 2. Der geplante Kreuzzug im böhmischen Friedensvertrag . a) Besteuerung der Ligamitglieder . . . . . . . . . . . . . b) Machinae bellicae et apparates . . . . . . . . . . . . . c) Die Rolle des Papstes im geplanten Kreuzzug . . . . .
85 85 89 93 97 97 105 110 112 115
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Inhalt
F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 1: Lateinischer Text des böhmischen Friedensvertrags Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . .
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189 195 205 205
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2014/2015 vom Fachbereich Rechtwissenschaften der Osnabrücker Universität als Dissertation angenommen. Eine besondere Prägung verlieh dieser Arbeit das Stipendium der Europäischen Kommission »Europäische Rechtskulturen« (Marie Curie Programm). An dieser Stelle gilt mein tiefer Dank Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Stolleis für die Unterstützung in meinem Vorhaben, an diesem Programm teilzunehmen, und für die Begleitung bei den ersten Forschungsschritten während meines Aufenthalts am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte. Für zahlreiche konstruktive Hinweise im Rahmen des Internationalen Max-PlanckForschungskollegs gebührt mein Dank den Herren Prof. Dr. Dr. h.c. Bernhard Diestelkamp, Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Rückert, Prof. Dr. Albrecht Cordes und Prof. Dr. Gerhard Dilcher. Herrn Dr. Vincenzo Colli verdanke ich Unterstützung bei dem Lesen von mittelalterlichen Handschriften und Herrn Dr. Steffen Wunderlich bin ich für seine unglaubliche Geduld bei meinen unzähligen Fragen zum gelehrten Recht tief verbunden. Herrn Prof. Emanuele Conte, Herrn Prof. Paolo Napoli und den Mitstipendiaten des Marie Curie Programms danke ich für ihre Unterstützung, für den wissenschaftlichen Austausch sowie eine wunderbare Zeit während der gesamten Dauer des Programms. Mein Dank gebührt des Weiteren Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christian von Bar, der mir neben der Arbeit am Projekt zum gemeineuropäischen Sachenrecht auch den Raum gab, meine Dissertation weiter zu schreiben. Für das Korrekturlesen bedanke ich mich aufrichtig bei Herrn Dr. Christoph Sliwka, Frau Stefanie Günthner und Frau Imke Tuma, die mich bei dem letzten Schliff der Arbeit meisterhaft unterstützte. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke, der mich im fortgeschrittenen Stadium meiner Arbeit als seine Doktorandin annahm und mich noch kurz vor dem Ziel entscheidend unterstützte.
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Vorwort
Ebenfalls herzlich bedanken möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Fryderyk Zoll dafür, dass er das Zweitgutachten übernahm und dieses in einer kurzen Zeit bewältigte. Mein letzter Dank wie auch dieses Buch ist meinen Eltern Marie Schusterov# und Jan Schuster gewidmet, die mich in allen meinen Vorhaben im Leben stets unterstützt haben. Magda Schusterov#
Osnabrück, Oktober 2015
A.
Forschungsgegenstand und Fragestellung
»…matura deliberacione prehabita, invocata ad hoc Spiritus Sancti gracia, prelatorum, principum, procerum, nobilium et iuris divini et humani doctorum nostrorum ad hoc accedente consilio et assensu, ad huiusmodi connexionis, pacis, fraternitatis et concordie inconcusse duraturam ob Dei reverenciam fideique conservacionem devenimus in unionem in modum, qui sequitur, pro nobis, heredibus et successoribus nostris futuris perpetuis temporibus duraturam«.1
Für immer sollen sich die Fürsten des Deutschen Reiches, die Könige aus Polen, Ungarn und Böhmen, sowie der französische Herrscher, der Doge Venedigs und die italienischen Stadtstaaten zu einem ewigen Bund des Friedens, der Freundschaft und der Brüderlichkeit verbinden. In einer solchen Liga verbunden wollen sie untereinander keine Kriege mehr führen und jegliche Streitigkeiten vor einem gemeinsamen Schiedsgericht austragen. Eine Fürstenliga in der Form einer mittelalterlichen Korporation – ein collegium – soll begründet werden. Die gemeinsamen Organe und Beamten sollen finanzielle und administrative Aufgaben erfüllen und Hauptziel der Liga verwirklichen – den Kreuzzug gegen die Türken. So könnte man den Inhalt des mittlerweile 550 Jahre alten und bekannten Friedensvertrages des böhmischen Königs Georg von Podiebrad (1458–1471) kurz zusammenfassen. Dieser böhmische Vorschlag für einen pan-europäischen Frieden (Tractatus
1 Aus der Arenga der lateinischen Edition des böhmischen Friedensvertragsentwurfes, übernommen aus Vaneˇˇcek/Kincl/Kejrˇ, Vsˇeobecn# m&rov# organizace, S. 62. » (…) haben wir uns auf Grund unserer zuverlässigen Kenntnis nach vorausgegangener reiflicher Erwägung unter diesbezüglicher Anrufung der Gnade des Heiligen Geistes nach Beratung und Zustimmung unserer Prälaten, Fürsten, Magnate, Herren, Doktores des göttlichen und menschlichen Rechts, entschlossen, zum Zwecke einer fortdauernden unverbrüchlichen Verbundenheit des Friedens, der Brüderlichkeit und Eintracht zur Ehre Gottes und zum Schutze des Glaubens einen Bund zu stiften, der auch für unsere Erben und künftigen Nachfolger verbindlich bleiben soll«. Deutsche Übersetzung von Messler, Das Weltfriedensmanifest, S. 39.
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Forschungsgegenstand und Fragestellung
pacis toti christianitati fiendae – 1464)2 wird in der Geschichtsschreibung den idealistischen Friedensprojekten zugeordnet3 und mit den Ideen von Pierre Dubois »De recuperatione Terrae Sanctae« (1306), Philippe de M8ziHres »Songe du vieil pelerine« (1389), Erasmus von Rotterdam »Querela pacis« (1507), Duc de Sully »Le Grand Dessein de Henry IV« (1641) in eine Reihe gestellt. Es läßt sich nicht leugnen, dass die Podiebradsche Friedensidee mit den oben angeführten Projekten einen gemeinsamen Nenner hat – nämlich die Suche nach einem allgemeinen Frieden innerhalb der Christenheit. Die Einordnung in diese Reihe unterstellt dem Podiebradschen Friedensplan jedoch eine realitätsfremde Grundrichtung was nicht richtig ist. Außer Streit steht, dass es viele Gemeinsamkeiten solcher Friedensentwürfe gibt. Doch jeder Friedensplan entstand zu einem anderen Zeitpunkt und wuchs aus einer eigenen besonderen politischen Situation heraus. Wenn die Ziele der unterschiedlichen Friedensprojekte also unter dem Überbegriff eines universellen Friedens stehen, liegt es nahe, dass oft sehr ähnliche Lösungsansätze anzutreffen sind. Wenn eine Gemeinschaft der Fürsten besteht, welche Möglichkeiten verbleiben einem einzelnen Fürsten dann? Entweder wird ihre Streitigkeiten einer entscheiden, dessen Urteil sich alle fügen, oder die Fürsten bilden eine Gruppe, in deren Rahmen ihre Mitglieder nach einer Konfliktlösung suchen. In der Literatur werden dementsprechend solche Projekte unterschieden, die den Frieden durch die Herrschaft des einen verwirklichen wollen, und solche, die sich der Einung als Strategie der Konfliktlösung bedienen. In die erste Gruppe gehörten Autoren wie Rufinus »De bono pacis« (1180), Dante »De Monarchia« (um 1316), Engelbert von Admont »Speculum virtutum« (1297), Christine de Pizan »Le livre de la paix« (1412/1414), während die zweite von Namen wie Piere Dubois »De recuperatione terrae sanctae«, Marsilius von Padova »Defensor pacis 1324« oder Philippe de M8zierHs »Le songe du vieil p8lerin« (1389) vertreten würde.4 In letztere Gruppe wäre dann selbstverständlich das Projekt des Königs Georg einzuordnen. Es ist natürlich verlockend, den böhmischen Friedensplan vor allem mit den Vorschlägen von Piere Dubois in Zusammenhang zu bringen. Dubois verlangte in seiner an Philipp IV. gerichteten Denkschrift5 die Wiedergewinnung und Erhaltung des Heiligen Landes, nachdem ein ewiger Frieden unter den europäischen Herrschern – ein Bund – geschlossen wird. Für die Bereinigung von
2 Lateinische Edition des Textes bei Vaneˇˇcek, Vsˇeobecn# m&rov# organizace, S. 61–69. 3 Oft wird in diesem Zusammenhang auch das Wort Utopie benutzt, etwa bei: Schwedler, Herrschertreffen des Spätmittelalters, S. 291. 4 Oexle, Friede durch Verschwörung, S. 118–119. 5 In der Literatur wird Dubois Werk der Gattung der Kreuzzugsschriften zugeordnet. Oexle, Utopisches Denken, S. 335.
Forschungsgegenstand und Fragestellung
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internen Streitigkeiten sah Dubois ein Schiedsgericht vor.6 Auf den ersten Blick mögen sich die Projekte von Dubois und Podiebrad in ihren Ansätzen gleichen. Zunächst muss ein Friedenszustand geschaffen und ein gemeinsamer modus vivendi postuliert werden, um anschließend gegen den gemeinsamen Feind kämpfen zu können. Immer verfolgen die Autoren zwei Ziele, die man als »außenpolitisch« und »innenpolitisch« bezeichnen könnte. Während Dubois die Wiedergewinnung und Erhaltung des Heiligen Landes im Visier hat, geht es Podiebrad um die Wiedergewinnung und Erhaltung der zu seiner Zeit eroberten christlichen Gebiete. Das ist der »außenpolitische« Aspekt. Der »innenpolitische« Aspekt entspricht dann den politischen Interessen der jeweiligen Herrschaft, für welche das Projekt kreiert wurde. Dubois will der päpstlichen Macht die Stirn bieten und die Herrschaft Frankreichs territorial ausbauen sowie ihre vorrangige Stellung unter den anderen europäischen Mächten sichern. Podiebrad suchte lediglich die Sicherheit des Königreichs und die Erhaltung seines Status quo bezüglich der »Religionsfreiheit«. So könnte man mit jedem weiteren Friedensprojekt verfahren, seine Entstehungszeit, -gründe, außen- und innenpolitischen Interessen betrachten. Dass die Friedensprojekte letztendlich zu gleichen oder ähnlichen Mitteln greifen, ergibt sich, wie bereits angedeutet, aus der beschränkten Auswahl an tatsächlichen Möglichkeiten zur Regelung der Beziehungen, die zwischen den Herrschern, Königen oder später Staaten fruchtbar gemacht werden können. In einem wichtigen Aspekt unterscheidet sich das Podiebradsche Friedensprojekt von den oben angeführten Friedensideen jedoch: durch seine Form. Bei den meisten dieser Friedensprojekte handelt es sich um Traktate, um Vorschläge für bestimmte Fürsten und Könige oder um allgemeine, an keinen spezifischen Adressaten gerichtete Überlegungen und gerade nicht – wie im Falle des Podiebradschen Friedensvertrages – um Vorschläge für ein rechtlich relevantes Dokument, das verhandelt, ratifiziert und in Kraft treten sollte.7 Der böhmische Text besitzt die Form einer Urkunde (littera)8 – der Präambel folgt der eigentliche Textkorpus, der in inhaltlich abgeschlossene, nummerierte Absätze aufgeteilt ist. Aus der Liste der Friedensvorschläge für einen allgemeinen Frieden weist nur der Londoner Vertrag von 1518,9 von dem man vermutet ihm könnte das böhmische Werk als Muster gedient haben,10 die gleiche Form auf. 6 Dazu strebte Pierre Dubois noch nach einer Reform der Kirche durch ein Generalkonzil, die er wiederum als eine Bedingung der pax universalis ansah. 7 Eine gewisse Ausnahme bildet hier der Plan einer »kollektiven Sicherheit« des Kardinals Richelieu, der versuchte, sein Vorhaben politisch wirklich durchzusetzen. Details bei Malettke, Frankreich, Deutschland und Europa, S. 275–282, oder bei Weber, Une paix s0re et prompte, S. 111–129. 8 Artikel 23 des Podiebradschen Friedensvertrags. 9 Zum Londoner Vertrag siehe Fn. 970.
16
Forschungsgegenstand und Fragestellung
Neben diesen Versuchen einer Einordnung des böhmischen Friedenvertrags in den Zusammenhang der anderen paneuropäischen Friedensvorstellungen tritt eine andere Forschungsrichtung, die versucht, die vorgeschlagene Fürstenliga verschiedenen Kategorien zuzuordnen – Bundestaat, Staatenbund und Föderation – oder sie, abhängig von ihrem eigenen historischen Kontext, als einen Vorreiter bestehender internationalen Organisationen darzustellen, wie etwa der »Heiligen Allianz«,11 der Haager Konferenz,12 des Völkerbunds,13 des Briand-Kellog-Paktes der Vereinten Nationen14 oder sogar der Europäischen Union.15 Diesen und ähnlichen anachronistischen Ansätzen wird hier nicht gefolgt. Es ist unumstritten, dass viele Charakteristika des böhmischen Friedensvertrags sich in gewissem Masse in den modernen Friedensinstrumenten wiederfinden lassen. Zu beschränkt ist jedoch der Erkenntnisgewinn wie etwa, dass der böhmische Friedensvertrag Vorgänger der Vereinten Nationen gewesen sei oder dass es sich dabei um einen Staatenbund oder einen Bundestaat gehandelt habe. In Abkehr von solchen Verlängerungen in die Zukunft plädiert die vorliegende Untersuchung dafür, den böhmischen Friedensvertrag in seinem historischen Entstehungskontext zu belassen und dabei von einem vergleichenden Ansatz auszugehen. Der Podiebradsche Friedensvertrag wird hier im Zusammenhang der zu seiner Entstehungszeit unter den Herrschern und Fürsten gängigen Vertragspraxis untersucht, wobei der Fokus auf den politischen Friedensverträgen liegt. Dadurch rücken viele andere Fragen in den Blick: Wonach richteten sich die Schöpfer des Textes? Gingen sie von der verfestigten Vertragspraxis aus oder improvisierten sie? Sind die Bestimmungen des Friedensvertrages auch in anderen Vertragsdokumenten dieser Zeit zu finden? Um diese Fragen zu beantworten, ist es notwendig, sich mit der spätmittelalterlichen Vertragspraxis unter den Vertretern des damaligen politischen »internationalen« Europa sowie mit dem Begriff des Friedenvertrages schlechthin zu beschäftigen. Leider fehlt es an »einer umfassenden Monographie über die mittelalterlichen Verträge, über ihre rechtliche Funktion und politische Stellung«.16 Mit anderen Worten: »eine Typologie fürstlicher Bündnispolitik ist ein Desiderat der spätmittelalterlichen Verfassungsgeschichte«.17 »Das Fehlen einer Zusammenstellung und Analyse der zwischen den europäischen Fürsten und 10 11 12 13 14 15 16 17
Mattingly, An Early Nonaggression Pact, S. 9. ˇ asopis Spolecˇnosti wlastensk8ho museum w C ˇ ech#ch 1 (1827), S. 41. Palacky´, C Zucker, Jirˇ& Podeˇbradsky´ a cˇesk8 mezin#rodn& styky v 15. stolet&, S. 9ff. Krofta, Idea m&ru v nasˇich deˇjin#ch, N#rodn& listy vom 26. 3.1932, S. 1–2. Zˇourek, Le Projet du Roi TchHque George de Podiebrad, S. 21. Kranjc, Die Vorboten der europäischen Integration (2008), S. 180. Fisch, Krieg und Frieden, S. 620. Carl, Der Schwäbische Bund, S. 72.
Forschungsgegenstand und Fragestellung
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Republiken geschlossenen (Friedens)Verträge, die in ihrer Bedeutung für den Augenblick, aber auch für eine künftige völkerrechtliche Vertragskultur nicht unterschätzt werden sollten, auch wenn sie nur für kurze Friedensperioden standen«, unterstreicht Alfred Kohler in der Einleitung zum ersten Band des Handbuches der Geschichte der internationalen Beziehungen.18 Kurz gefasst kann die sich mit dem Wesen der spätmittelalterlichen Friedensverträge zwischen den europäischen Mächten auseinandersetzende Sekundärliteratur als überschaubar bezeichnet werden.19 Daher versucht diese Arbeit einen vorsichtigen Ansatz zur Typologisierung der spätmittelalterlichen Friedensverträge unter den europäischen Mächten anzubieten. Die hier unternommene Analyse der Inhalte und Vertragsformen der spätmittelalterlichen Vertragspraxis unter den mittelalterlichen »völkerrechtlichen« Akteuren sowie deren Vergleich mit dem böhmischen Friedensvertragstext zielt darauf, das böhmische Friedensprojekt aus dem Zusammenhang der »utopischen« Friedenspläne herauszulösen und konkret zu prüfen, inwieweit seine Bestimmungen 18 Kohler, Expansion und Hegemonie, S. 9. 19 R. Lesaffer, Peace treaties from Lodi to Westphalia, in: ders. (Hrsg.), Peace treaties and international law in European history, Cambridge 2004; ders., War, Peace Interstate Friendship and the Emergence of the ius publicum Europeum, in: G. Asch/W.E. Voß/M.Wrede (Hrsg), Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit, München 2001. Und ders., The three peace treaties of 1492–1493, in: H. Durchhardt/M. Peters (Hrsg.), Kalkül-Transfer-Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne, Mainz 2006–11–02 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beihefte Online1), Abschnitt 41–52. URL: http://www.iegmainz.de/vieg-online-beihefte/01-2006.html. H. Steiger, Vorsprüche zu und in Friedensverträgen der Vormoderne, in demselben Band. Das Institut für Europäische Geschichte in Mainz führt ein Digitalisierungsprojekt zu den europäischen Friedensverträgen der Vormorderne durch, das von themenbezogenen Publikationen begleitet wird. K. H. Ziegler, The influence of medieval Roman law on peace treaties, in: R. Lesaffer (Hrsg.), Peace treaties and international law in European history, Cambridge 2004. M. Stieber, Böhmische Staatsverträge, Innsbruck 1912. Nützliches kann dem 21. Band der Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit entnommen werden: Föderationsmodelle und Unionsstrukturen, T. Fröschel (Hrsg.), München 1994. J. Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag, Stuttgart 1979. H. Mitteis, Politische Verträge im Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Bd. 67, Weimar 1950. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beihefte Online1), Abschnitt 6–40. URL: http://www.ieg-mainz.de/vieg-on line-beihefte/01-2006.html. M. Peters, Können Ehen Frieden stiften? Europäische Friedensund Heiratsverträge der Vormoderne, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte, Bd. 8, München 2007. H. Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966. P. Moraw, Die Funktion von Bünden und Einungen im spätmittelalterlichen Reich, in: ZHF Bd. 28, 2001. In der letzten Zeit kann man in der Forschung ein Interesse vor allem an Erbverträgen verzeichnen – wie etwa bei E. Hirsch, Generationsübergreifende Verträge, der eine Typologie der Erbverträge anbietet. Vgl. die Fn. 476. Den Erbeinungen und Erbverbrüderungen widmet sich das neueste Werk zu diesem Thema von den Herausgebern M. Müller, K.-H. Spieß und U. Tresp: Generationsübergreifende Verträge und Strategien im europäischen Vergleich in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 17, Berlin 2014.
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Forschungsgegenstand und Fragestellung
aus der damaligen Vertragspraxis schöpften. Aus politischer Perspektive mag das Vorhaben des böhmischen Königs »utopisch« anmuten. Vom juristischen Standpunkt aus scheint es sich jedoch nicht um eine Aneinanderreihung bloßer programmatischer Aussagen zu handeln, sondern um einen durchaus lebensfähigen Vertrag. Diese »Lebensfähigkeit« soll eine in drei größere Kapitel gegliederte Kommentierung des Vertrags beweisen. Im ersten Kapitel geht es um die Präambel, ihren Inhalt und ihre Funktionen. Das nächste Kapitel identifiziert im böhmischen Friedensvertragstext jene Grundelemente eines Bundes, die sich im Laufe der Jahrhunderte im spätmittelalterlichen Einungswesen ausgebildet und fest verankert haben. Das letzte Kapitel befasst sich schließlich mit dem Bündniszweck – dem Türkenkreuzzug der Fürstenliga. Die Wahl dieser Reihenfolge ist nicht zufällig, sondern folgt der Logik des Friedensvertrags selbst. Dieser sah zunächst die Schaffung eines Friedensbundes der europäischen Mächte vor, durch welchen diese die Bedingungen für die Verteidigung des christlichen Glaubens herbeiführen sollten. Erst danach könnte eine gemeinsame militärische Unternehmung gegen den Feind zustande kommen. Für ein Verständnis der Beweggründe, die den böhmischen König Georg von Podiebrad zur Unterstützung und Propagation dieses Dokuments veranlassten, ist es unerlässlich, die geschichtlichen Zusammenhänge der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu verstehen. Deswegen muss am Beginn der Untersuchung – so wie es auch bei den anderen Werken zu diesem Thema der Fall ist – eine wenn auch knappe, Schilderung des historischen Kontextes stehen. Eine Analyse des Friedensvertragstextes allein würde dem Leser nicht ermöglichen, diesen in dem historisch-politischen Kontext seiner Zeit richtig zu verstehen. Bei der Auseinandersetzung mit juristischen Texten verhalten sich das Recht und die Geschichte wie zwei Seiten einer Münze. Die Betrachtung nur der einen Seite liefert ein unvollständiges Bild. Der Darstellung des geschichtlichen Hintergrundes geht eine Darstellung des Forschungsstands zu diesem Thema voraus. Da die Periode der hussitischen Kriege und die nachfolgende Zeit des nationalen Königtums von Georg von Podiebrad zu den wichtigsten Momenten in der tschechischen Geschichte zählen, ist auch der geschichtswissenschaftliche Forschungsstand zum Podiebradschen Friedensvertrag entsprechend umfassend.
B.
Der Forschungsstand
Seit seiner Entdeckung wurde der Podiebradsche Friedensvertrag zum Gegenstand zahlreicher tschechischer, aber auch internationaler Forschungsarbeiten. Bei diesen handelt es sich nicht nur um selbstständige Monographien, die sich ausschließlich diesem Thema widmen, sondern auch um Artikel und Passagen in Büchern, die vor allem die Friedensidee in ihrer historischen Entwicklung oder die Entwicklung der internationalen Organisationen verfolgen. Das Forschungsinteresse an dem Friedensprojekt des Königs auf einen Graph übertragen, ergäbe in etwa das Bild einer Sinuskurve. Die erste Forschungswelle beginnt mit der Veröffentlichung des Friedensvertragstextes im Jahr 1847 und endet mit seinen ersten Besprechungen bis zum Jahre 1917. In den zwanziger Jahren blieben Veröffentlichungen aus: Zentraleuropa musste sich von den Ereignissen des Ersten Weltkrieges erholen und die junge, im Oktober 1918 gegründete Tschechoslowakische Republik hatte andere Herausforderungen zu meistern. Erst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden sowohl in der Tschechoslowakei als auch im internationalen Umfeld wieder Veröffentlichungen zum Podiebradschen Projekt. In den vierziger und fünfziger Jahren sind verhältnismäßig wenige Erwähnungen des böhmischen Friedensprojektes zu verzeichnen – eine Spitze erreichte die Forschungstätigkeit dagegen im Jahre 1964, als der 500. Jahrestag seiner Entstehung gefeiert wurde. Danach geriet das Forschungsfeld zwar nicht ganz in Vergessenheit, doch lässt sich bis zum Anfang des nächsten Jahrhunderts – von einigen Ausnahmen abgesehen – eine Lücke ausmachen. Vor allem in der zweiten Hälfte der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts kam es aber zu einer gewissen Renaissance des Themas, an die die vorliegende Arbeit anknüpfen will. Obwohl man während der Zeit des Kommunismus versucht hat, vor allem die hussitische Zeit an die eigene Ideologie anzupassen und sich dafür zu Nutze zu machen, blieb das Friedensprojekt des Königs Georg von einer weitgehenden »propagandistischen« Vereinnahmung verschont.
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I.
Der Forschungsstand
Die Entdeckung des Textes und seine Behandlung im 19. Jahrhundert
Der Text des böhmischen Friedensvertrages wurde zum ersten Mal in den Memoiren von Commines in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Namen »Trait8 d’alliance et conf8deration entre le Roy Louis XI., George Roy de BohHme et la Seigneurie de Venise, pour resister au Turc« veröffentlicht.20 Zunächst blieb die Existenz des gedruckten Friedensvertrages in diesem vom Abb8 Lenglet herausgegebenen Werk den Wissenschaftlern verborgen. Der »Vater der Nation« – Frantisˇek Palacky´ – kannte die Ziele des Friedensprojekts aus anderen ihm vorliegenden Dokumenten und äußerte sich darüber im zweiten Teil des vierten Bandes seines im Jahre 1860 veröffentlichten »Opus Magnum«, der »Geschichte von Böhmen«, mit folgenden Worten: »Diese Idee hatte die Emancipation der politischen Regierungen in Europa von hierarchischen Einflüssen überhaupt, die Befreiung christlicher Fürsten und Herrscher von der römischen Bevormundung, die Zerstörung der mittelalterlichen Fiction vom zweifachem Schwerte und die Anerkennung des Rechtes der Völker im politischen Staatensystem als eines göttlichen Rechtes zum Zwecke«.21 Eine Analyse der einzelnen Bestimmungen des Friedensvertragsvorschlags ist bei Palacky´ freilich ausgeblieben. Ein Jahr nach Palacky´ veröffentlichte der deutsche Historiker Georg Voigt den Artikel »Georg von Böhmen, der Hussitenkönig«.22 Darin hält er den königlichen Berater Antonius Marini für den Urheber des Gedankens der europäischen Fürstenliga.23 Neben den politischen Hintergründen und Gegebenheiten der Zeit schildert er das Werben für den Friedensvertrag bei anderen europäischen Mächten und verurteilt den Podiebradschen Friedensplan als »eine neue und übelberechnete Praktik, durch welche der König sich des Papstes zu erwehren und andere Fürsten gegen diesen aufzuhetzen suchte«.24 Georg Voigt war auch beauftragt, das ebenfalls im Jahr 1861 erschienene Buch25 von Max Jordan zu rezensieren,26 welches das gleiche Thema wie die Schrift von Palacky´ zum Gegenstand die Regierungszeit des Königs Georg hatte. Jordan muss also praktisch zeitgleich zu Palacky´ an seinem Werk gearbeitet 20 Du Fresnoy, Memoires de Messire Philippe de Commines, S. 424–431. 21 Palacky´, Geschichte von Böhmen, S. 237–238. 22 Georg Voigt, Georg von Böhmen, der Hussitenkönig, in: Historische Zeitschrift, Bd. 5, 1861, S. 398–475. 23 Voigt, Georg von Böhmen, S. 464. 24 Ebd., S. 465. 25 Jordan, Das Königthum Georg’s von Podeˇbrad (1861). 26 Das Buch von Max Jordan rezensiert Georg Voigt in: Historische Zeitschrift, Bd. 5, 1861, S. 469–471.
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haben. Abgesehen davon, dass die Rezension nicht gerade zu Gunsten des Autors ausfiel, ist zu erwähnen, dass Jordan bezüglich des Friedensprojekts von »Staaten-Parlament«27 spricht, das er aber nicht im Detail beschreibt. Dies erklärt sich daraus, dass er bei dessen Beurteilung nach eigener Auskunft lediglich ˇ ech#ch«28 ausging, von dem Dokument »Rada kr#li Jirˇ&mu o zlepsˇen& kupectv& v C ˇ asopis spolecˇnosti wlastensk8ho Muzeum v C ˇ ech#ch« das von Palacky´ in »C veröffentlicht wurde. Jordan teilte also das Schicksal Palacky´s, auch er kannte den eigentlichen Text des Friedensvertrags noch nicht. Erstmals beschrieben wird der böhmische Friedensvertragstext in einem 1869 erschienenen Artikel des Breslauer Historikers und Archivars Hermann Markgraf,29 der mit der bereits oben erwähnten Edition Lenglets arbeitete. Auf den Seiten 280–285 gibt er den Friedensvertragsentwurf wieder. Dabei interessiert es sich jedoch mehr für die historisch-politischen Hintergründe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als für die juristischen Aspekte. Markgraf beschreibt den trägen und zähen Kaiser Friedrich III., den Weg des Hussiten Georg von Podiebrads auf den böhmischen Thron sowie seine Bemühungen um die deutsche Königswürde und natürlich widmet er sich auch dem Initiator des Friedensplanes – Antonio Marini. Die starke politische Ausrichtung des Friedensvertrages auf den französischen König entgeht ihm nicht. In seiner Erzählung erwähnt er auch die Gründe des Scheiterns des Projektes und die große Gesandtschaft nach Frankreich im Jahr 1464, mit der im Grunde alle Hoffnungen endeten. Folgende Sätze des Artikels fassen die allgemeine Meinung des Autors über das Friedensprojekt zusammen: »Die große Idee war eben nur ein Versuch Georgs, aus der isolierten Lage innerhalb der damaligen christlichen Welt herauszutreten und einen größeren Spielraum für seinen Ehrgeiz zu gewinnen, der in Ermangelung eines realen Objects sich ins Phantastische verirrt. Auf diese Weise war die Freiheit des Staates von der Kirche nicht zu begründen«.30 Louis Raymond de Vericour erwähnte im Jahre 1873 das böhmische Projekt in seinem Artikel »Podiebrad. Bohemia Past and Present«.31 Er widmet ihm aber nur einen einzigen knappen Satz und sieht es als »a project for the organisation of a new Europe, based upon a general peace which would be secured by a Parliament or congress of Sovereigns«.32 Wesentlich umfassender behandelt das böhmische Friedensprojekt die fünf Jahre später erschienene, auf Latein verfasste Dissertation »De Antonio Marini et de Bohemiae ratione politica eo oratore« des französischen Historikers Ernest Denis, dessen Forschungs27 28 29 30 31 32
Jordan, Das Königthum Georg’s von Podeˇbrad, S. 165. Näheres dazu im Kapitel: Entstehung des großen Friedensprojekts. Markgraf, Ueber Georgs von Podiebrad Project eines christlichen Fürstenbundes (1869). Markgraf, Ueber Georgs von Podiebrad Project eines christlichen Fürstenbundes, S. 304. De Vericour, Podiebrad, Bohemia Past and Present (1873). Ebd., S. 66.
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schwerpunkt die Geschichte Böhmens und des Deutschen Reiches war.33 Denis stellt in seiner Einführung den speziellen historischen Rahmen des 15. Jahrhunderts, seine Akteure und besonderen Gegebenheiten, wie etwa die Basler Kompaktata, dar. Im Zentrum seines Interesses steht jedoch die Person des königlichen Beraters Antonius Marini. Durch die Beschreibung seiner Unternehmungen wird zugleich die Entstehungsgeschichte des großen Friedensprojektes geschildert. Im Vergleich zu Markgraf birgt Denis’ Untersuchung jedoch keine neuen Erkenntnisse. Große Ereignisse im internationalen Umfeld waren immer eine gute Gelegenheit, den Podiebradschen Friedensvertragsentwurf mit diesen in Zusammenhang zu bringen. So aus Anlass der Haager Friedenskonferenz (1899) beschrieb Alois Zucker, Professor für österreichisches Strafrecht an der Prager Universität, das Friedensprojekt.34 Er äußerte sich nicht zu den rechtlichen Eigenheiten des Friedensvertragstextes, sondern konzentrierte seine Beschreibung auf die Gesandtschaft nach Frankreich im Jahre 1464 und die Missionen Marinis bei den unterschiedlichen europäischen Mächten zwecks Realisierung des Friedensprojekts. Eine zweite Dissertation zum Thema ließ nicht lange auf sich warten – sie wurde von Ernst Schwitzky, Doktorand an der juristischen Fakultät der Universität Marburg, unter dem Titel »Der europäische Fürstenbund Georgs von Podeˇbrad. Ein Beitrag zur Geschichte der Weltfriedensidee« verfasst.35 Nach einer allgemeinen Einführung in die Geschichte der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts fragt der Autor nach der Form des geplanten Vereines der Staaten und will die juristischen Aspekte des zu schaffenden Vereins nach modernen Begriffen ordnen und in einen Zusammenhang mit der schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Niederlanden bringen. Schwitzky erläutert die wichtigsten Aspekte des Vertrages und schreitet danach zur Betrachtung des Podiebradschen Projekts mit Hilfe der Dogmatik Jellineks, Meyers, Bries und Westerkamps. Er kommt zu dem Schluss, dass der geplante Friedensbund nach Jellinek, Brie und Westerkamp die Eigenschaft eines Staatenbunds und nach Georg Meyer die eines Bundestaats hätte. Der Autor versucht also, den Podiebradschen Friedensvertrag mit Kategorien zu fassen, die erst um das Jahr 1800 entstanden sind.36 Ganze 31 Jahre nach seiner lateinischen Dissertation meldete sich der bereits erwähnte französische Historiker Ernest Denis noch einmal zu Wort37 und sah in 33 34 35 36
Denis, De Antonio Marini et de Bohemiae ratione politica eo Oratore (1878). Zucker, Jirˇ& z Podeˇbrad a cˇesk8 mezin#rodn& ot#zky v XV. stol. (1901). Schwitzky, Der europäische Fürstenbund Georgs von Podeˇbrad (1907). Koselleck, »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« – zwei historische Kategorien, S. 371. 37 Denis, Konec cˇesk8 samostatnosti (1909).
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dem böhmischen Plan einen Versuch, anstelle von Kaiser und Papst eine neue Macht einzusetzen, um Kriegen innerhalb der Christenheit vorzubeugen und diese im gemeinsamen Kampf gegen die Türken zu einen. In ähnlicher Weise kommt Walter Schücking zu der Annahme, dass der böhmische Friedensplan den Kaiser und den Papst völlig auszuschalten beabsichtigt habe.38 Er hebt den weltlichen Charakter des Unternehmens hervor und es fällt wieder der Name Georg Meyers, nach dessen Theorie es sich bei der zu schaffenden Friedensliga um einen internationalen Bundesstaat gehandelt haben soll. Einige Jahre danach begegnen wir dem böhmischen Friedensplan in einer Monographie zur Geschichte der internationalen Organisationen von Jacob Ter Meulen.39 Der Autor führt den Leser in das Geschehen der betreffenden Zeit ein. Im Anschluss gibt er die lateinische und die deutsche Fassung des Friedensvertrages wieder, denen eine knappe Analyse des Vertragsinhalts folgt. Der Autor geht vor allem von Markgraf, Jordan, Voigt und Jorga aus und fördert keine neuen Erkenntnisse zu Tage. Ter Meulen beendet seinen Beitrag mit dem Abschluss des Böhmisch-Französischen Friedensvertrags von 1464. Im Jahre 1932 promovierte an der juristischen Fakultät der Warschauer Universität Jerzy Pogonowsky über die böhmische Friedensliga.40 Pognowsky widmet den ersten Teil seiner Dissertation der Vorstellung der Hauptdarsteller dieser »böhmisch-internationalen« Geschichte – des Königs Georg und seines ausländischen Beraters Marini; danach schildert er den Vertragsinhalt und vergleicht die böhmische Unternehmung mit anderen Friedensprojekten – wie etwa Pierre Dubois’ »De recuperatione terrae sanctae«, Pmeric Cruc8’s »La Nouveau Cynee« (1623), Jakob Heinrich von Lilienfelds »Neues Staats-Gebäude« (1767), Duc de Sullys »Le Grand Dessein de Henry IV« (1662) und Kants »Zum Ewigen Frieden« (1795). Nach einem Vergleich des böhmischen Vertragswerks mit dem Völkerbund kommentiert Pognowsky ausgewählte Passagen des böhmischen Friedensvertrags, die er jeweils auf Lateinisch und Polnisch wiedergibt.
II.
Die Zwischenkriegszeit
Im seinem Lehrbuch »Einführung in das internationale Friedensrecht« gibt Hobza lediglich eine knappe Übersicht über das böhmische Friedensprojekt.41 Er unterstreicht das ständige Gericht und den ständigen Kongress der Mitglieder 38 Schücking, Organisation der Welt (1909), S. 32–36. 39 Ter Meulen, Der Gedanke der Internationalen Organisation in seiner Entwicklung 1300–1800 (1917). 40 Pogonowsky, Projekt zwia˛zku władcjw krjla Jerzego z Podiebrad (1932). 41 Hobza, 5vod do mezin#rodn&ho pr#va m&rov8ho (1933).
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sowie die zwei Hauptziele des Friedensvertrages, die Friedenswahrung und den Kampf gegen die Türken. Des Weiteren widmet Josef Kliment dem Thema in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Monographie.42 Kliment erzählt verkürzt die Geschichte des deutschen Königreichs und erläutert wichtige Aspekte wie translatio imperii, die Lehre über die zwei Schwerter oder das Lehnsverhältnis der böhmischen Könige zum Kaiser. Er sieht die Leistung Georgs in dem Gedanken der Gleichheit unter den beteiligten Mächten und rechnet der Liga der Fürsten Zuständigkeiten zu, wie sie auch das deutsche Königreich inne hatte. Danach spricht Klement Einzelfragen des Friedensvertrages an – wie seinen korporativen Charakter, die totale Verwerfung des Krieges oder den Schutz des angegriffenen Ligamitglieds. Auch er sieht in Marini, dessen diplomatische Reisen im Dienste des böhmischen Königs zu Werbezwecken für das Projekt er beschreibt, den Urheber des Projekts. Am Ende seines Buches gibt er den Text des Friedensvertrages wieder, so wie er bei Lenglet abgedruckt ist. Eine kurze Zusammenfassung der Ziele des Friedensvertrages wurde von Jan Kapras im Jahre 1936 veröffentlicht.43 Wieder wird die Beseitigung der ZweiSchwerter-Lehre betont sowie die Tatsache, dass die Abwehr gegen die türkischen Eroberungszüge durch die Verwirklichung der Podiebradschen Friedensliga aus dem Kompetenzbereich des Heiligen Stuhles ausgegliedert und in die Hände der Fürsten gelegt worden wäre, wozu es historisch zwar kam, aber erst wesentlich später. Rudolf Marsˇan sieht in seiner Monographie über den böhmischen König Georg von Podiebrad das hauptsächliche Ziel des Projekts im Schutz des hussitischen Königs gegenüber dem Papst und in der Beseitigung der alten ordo – der zwei capita mundi.44 Eine Wiedergabe des lateinischen Textes und die Schilderung der Genese des Friedensprojektes bietet Bartosˇ in seinem ausschließlich diesem Thema gewidmeten Artikel.45 Zwar hält auch Bartosˇ Marini für den Vater des Gedankens einer fürstlichen Liga, nicht aber für den Autor des Textes, denn Marini habe nicht über die notwendigen Kenntnisse des römischen Rechts verfügt. Der tschechische Historiker schlägt hier als Schöpfer des Textes den anderen ausländischen Berater des Königs – Dr. Martin Mair – vor. Bartosˇ berichtet von den diplomatischen Reisen Marinis in Europa sowie über das Fehlschlagen der diplomatischen Forcierung der Friedensidee. 42 Kliment, Svaz n#rodu˚ Jirˇ&ho z Podeˇbrad a idea jedin8 sveˇtovl#dy (1935). ˇ eskoslovensk8ho st#tu (1936), S. 67– 43 Kapras, M&rov8 snahy kr#le Jirˇ&ho z Podeˇbrad, in: Idea C 69. 44 Marsˇan, Jirˇ& z Podeˇbrad, tvu˚rce sporˇ#dan8ho st#tu (1937). 45 Bartosˇ, N#vrh kr#le Jirˇ&ho na utvorˇen& svazu evropsky´ch st#tu˚ a jeho pu˚vodce Doktor Martin Mair (1939).
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Auch in der neuen Welt war das böhmische Projekt bekannt. Sylvester John Hemleben beschreibt es auf drei Seiten seines Buches. In den Augen des Autors schlug Georg ein international parliament vor und wünschte sich »to bring about a general understanding to secure a lasting peace which would also limit the powers of the pope and the emperor and protect christianity against the Turks«.46
III.
Die Nachkriegszeit
Hans Pfeffermann behandelt in seiner Monographie das Podiebradsche Projekt aus dem Blickpunkt des Türkenkrieges. Er betont, dass dem Papst durch den Friedensvertrag zwei wichtige Aufgaben entrissen worden wären: seine Stellung als Schiedsrichter unter den Fürsten sowie seine Führungsposition im Krieg gegen die Türken.47 Aus dem Jahre 1951 stammt eine nicht publizierte Dissertation von Günter Seltenreich (Heidelberg).48 Der Autor widmet sich zuerst dem historischen Hintergrund des böhmischen Unternehmens, um anschließend die politische Handschrift Marinis eingehend zu analysieren. In seiner Beschreibung des Friedensprojekts betont er die Autorschaft Marinis. Sein Traktat49 und das böhmische Projekt werden bezüglich ihrer Inhalte verglichen. Der Autor bezeichnet den böhmischen Friedensvertrag als die erste wirkliche internationale Organisation, für die die Zeit leider noch nicht reif gewesen sei. Eine Erwähnung des böhmischen Friedensvertrages durfte auch in HansJürgen Schlochhauers Buch über die Idee des ewigen Friedens nicht fehlen.50 Schlochhauer liefert eine knappe und übersichtliche Erklärung der wichtigsten Grundsätze des Vertrages (totaler Kriegsverzicht, friedliche Streitbeilegung, Bestellung von Bundesorganen – Versammlung, Gerichtshof). 46 Hemleben, Plans for World Peace through Six Centuries (1943). 47 Pfeffermann, Die Zusammenarbeit der Renaissancepäpste mit den Türken (1946), S. 68ff. 48 Seltenreich, Georg von Podiebrads Plan eines europäischen Fürstenbundes (1951). Insgesamt gibt es drei Ausgaben dieses Werks, und zwar jeweils in den Nationalbibliotheken in Leipzig und Frankfurt am Main, die letzte Ausgabe besitzt das Institut für Theologie und Frieden in Hamburg. 49 Es handelt sich um ein auf Lateinisch geschriebenes Werk, in dem Marini die Könige Böhmens und Polens auffordert, Frieden in Europa zu stiften. Näher wird auf das Traktat im Kapitel über die Entstehung des großen Friedensprojekts eingegangen. Anthonii Marini Gratianopolitani ex Delphinatu epistola ad reges Bohemiae et Poloniae de unione Christianorum contra Turcos, 1462 (München BSB 1462, Clm 15606). Dieses Traktat war zum Zeitpunkt von Seltenreichs Dissertation eine uneditierte Quelle. Aus diesem Grunde entschied sich Seltenreich auf den Seiten 226–251 seiner Dissertation eine moderne Edition anzubieten. 50 Schlochhauer, Die Idee des ewigen Friedens (1953), S. 14–15.
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Ernst Reibstein widmet in seiner völkerrechtsgeschichtlichen Monographie dem Podiebradschen Vorhaben ganze sechs Seiten, von denen die erste den Inhalt des Friedensvertrags zusammenfasst (friedliche Streitbeilegung, Verfolgung von Friedensbrechern, ständige Organisation), gefolgt von der deutschen Übersetzung der Ausgabe Lenglets.51 Ein weiteres Buch zur Völkerrechtsgeschichte, dieses Mal von Nussbaum, spricht über die Friedensliga Georgs als einer Föderation und stuft das ganze Unternehmen als zu phantastisch ein, als dass es für irgendjemanden hätte annehmbar sein können.52 Eine neuere deutsche Übersetzung des Friedensvertrages ist in Foersters Monographie »Die Idee Europa« zu finden. Eine halbseitige Erklärung des geschichtlichen Hintergrundes dient als Einführung für die wieder von Lenglet übernommene Textversion des Friedensvertrages.53 Eine schöne Darstellung der geschichtlichen Umstände sowie eine Erläuterung der einzelnen Artikel des Friedensvertrages bietet Frederick Heymann in seinem Buch über den böhmischen König im Kapitel 13 unter der Überschrift »Grand Design« an.54 Mit einem Vergleich der Friedenspläne König Georgs und des moldawischen Fürsten Stephan des Großen beschäftigt sich Josef Macu˚rek in seinem Artikel.55 Während das Friedensprojekt König Georgs neben dem Türkenkreuzzug vor allem auf die Friedenserhaltung unter den europäischen Fürsten ausgerichtet war, ging es dem moldawischen Fürsten vor allem um das gemeinsame Vorgehen gegen die Türken und sein Vorschlag sah keine institutionalisierte Vereinigung der europäischen Herrscher vor.56 Der bereits erwähnte Foerster verfasste einige Jahre später ein zweites Buch – »Europa. Geschichte einer politischen Idee«.57 Auch darin durfte Podiebrads Plan nicht fehlen. Der Autor beschreibt dieses Mal ausführlicher das historische Vorspiel des Friedensvertrages, dessen Produkt er als Staatenbund bezeichnet. Im Anschluss werden die einzelnen Artikel kommentiert. Seine Ausführungen zum Podiebradschen Friedensprojekt beendet er mit der Erläuterung der Reise der großen böhmischen Gesandtschaft nach Frankreich im Jahre 1464. Reibstein, Völkerrecht (1958), S. 206–211. Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts in gedrängter Darstellung (1960), S. 48–49. Foerster, Die Idee Europa 1300–1946 (1963), S. 43–50. Heymann, George of Bohemia. King of Heretics (1965). Macu˚rek, Dvoj& n#vrhy 2. poloviny 15. stolet& na organizaci Evropy (1965). In seinem Brief an den ungarischen König und alle andere Länder, macht Stephan der Große lediglich einen Ausruf:Et per tanto adomandiamo alle amicitie vestre, come tutti re debiate [spinger] presto sopra el nemico della christianita, imperche e tempo, che el dicto Turco ad ogni parte ha molti avversari, li quali con armata mano contro di lui procederanno. Bogdan, Documentele lui S¸tefan, S. 323. 57 Foerster, Europa. Geschichte einer politischen Idee (1967), S. 88–108. 51 52 53 54 55 56
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Zu den wenigen rechtshistorisch ausgerichteten Veröffentlichungen gehört die Monographie von V#clav Vaneˇcˇek.58 Er sieht in der Podiebradschen Liga »einen Verband freier, gegenseitig unabhängiger und formell gleichberechtigter Staaten ohne Rücksicht auf ihre innere Struktur, Regierungsform und ähnliches«.59 Es sollte eine »höhere, in der politischen Praxis ganz unbekannte politische Formation«60, »ein überstaatliches Ganzes«61 entstehen. Gerade in diesem Punkt soll nach Vaneˇcˇek der größte Unterschied zu den üblichen mittelalterlichen Verträgen bestehen. Die Parteien sind seines Erachtens nicht mehr Feudalherren, so wie es bei den üblichen innerstaatlichen Landfriedensverträgen der Fall war, sondern »selbstständige, durch ihre Herrscher repräsentierte Staaten«.62 Das Jahr 1964 brachte das 500 jährige Jubiläum des Podiebradschen Friedensvertrages und dies schien ein guter Anlass, ihm größere Aufmerksamkeit zu schenken. So wurde in der damaligen Tschechoslowakischen Republik eine Konferenz veranstaltet (Praha, Podeˇbrady, 28.9.-30. 9. 1964).63 Der aus dieser Konferenz hervorgegangene Tagungsband bietet ein breites Spektrum an Informationen zu Georgs Friedensprojekt. Während sich Kavka,64 Kalivoda65 und Seibt66 mit dem Hussitismus als einem wichtigen Hintergrund des Projekts beschäftigen, behandeln Taip867 und Heck68 die Reaktionen und Folgen in Frankreich und Polen. Ein rechtshistorischer Ansatz findet sich in den Beiträgen von Outrata69 und Vaneˇcˇek.70 Mit der allgemeinen Friedensidee und den Friedensplänen beschäftigen sich in ihren Artikeln Kardos,71 Horvat,72 Winter73 und 58 59 60 61 62 63
64 65 66 67 68 69 70 71 72
Vaneˇcˇek, Eine Weltfriedensorganisation (1963). Vaneˇcˇek, Eine Weltfriedensorganisation, S. 10. Ebd., S. 10. Ebd., S. 19. Ebd., S. 10. Es wurde ein Tagungsband unter »Cultus pacis: e´tudes et documents du Symposium Pragense Cultus Pacis 1464–1964: commemoratio pacis generalis ante quingentos annos a Georgio Bohemiae rege propositae« von der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1966 herausgegeben. Kavka, La BohÞme hussite et les projets de paix de Georges de Podi8brad, im oben genannten Tagungsband, S. 13–20. Kalivoda, Die hussitische Revolution und die Podiebrader Epoche, ebd., S. 167–178. Seibt, Die hussitische Revolution und die europäische Gesellschaft, ebd., S. 21–23. Taip8, Le projet pacifique de Georges et la politique franÅaise, ebd., S. 111–118. Heck, Polen und das Friedensprojekt Georgs von Podiebrad, ebd., S. 97–107. Outrata, Some Legal Principles Reflected in the Project and Their Historical Perspective, ebd., S. 119–126. Vaneˇˇcek, Le projet du roi Georges sous l’aspect de l’histoire du droit, ebd., S. 47–56. Kardos, Die Ideen des Humanismus und des allgemeinen Friedens, ebd., S. 127–134. Kardos betrachtet das Friedensprojekt als Werk eines hussitischen Humanisten, das durch die Gerechtigkeit geprägt wird, um zum universalen Frieden zu gelangen. Horvat, Comparaison des projets de paix de Georges de Podiebrad avec les projets pr8c8dents et suivants, ebd., S. 187–192.
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Bierzanek.74 Einen Bericht über die einzelnen Handschriften und Editionen des Friedensvertragsvorschlages legt Kejrˇ vor.75 Noch im gleichen Jahr erschien ein Artikel Jaroslav Zˇoureks.76 Er macht den Leser mit den innenpolitischen Fragen Böhmens – wie etwa dem Utraquismus und der Aufhebung der Basler Kompaktata des Papstes – vertraut und erwähnt auch die »auswärtige« Politik sowie die türkische Bedrohung. Danach wendet er sich den einzelnen Regelungen des Friedensvertrages zu – Verbannung des Krieges an sich, Streitbeilegung unter den Mitgliedern und Nichtmitgliedern der Organisation, finanzielle Absicherung dieser und ihrer Organe. Den großen Fortschritt des Friedensvertrages sieht er in der Schaffung einer internationalen Organisation für die Friedenserhaltung in Europa. Des Weiteren hält er die Beseitigung der »Theorie der zwei Schwerter« für wichtig. Das Projekt stellte in seinen Augen einen Vorläufer zur weltlichen Konzeption des Naturrechts dar, die erst mit dem Namen Fernando Vasquez’ verbunden ist. Die 50 Seiten umfassende Schrift Messlers »Das Weltfriedensmanifest König Georgs von Podiebrad« beschäftigt sich neben der notwendigen Einführung in die böhmische und europäische Zeitgeschichte mit den handschriftlichen Textquellen des Friedensvertrages, seiner Entstehung und den Beurteilungen anderer Autoren und endet mit einer deutschen Übersetzung des Friedensvertrages.77 Den Fortschritt sieht er in der »Konzeption einer auf kollegialer Basis zusammentretenden Fürstenunion«, die »den epochalen Schritt vom universalistischen Weltbild des Mittelalters zu jenem der sich nationalen Zielsetzungen zuwendenden gleichberechtigt-souveränen modernen Staaten postuliert«.78 In der Zeitspanne zwischen den siebziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts sind Veröffentlichungen zum Thema eher spärlich. In den siebziger Jahren erwähnt lediglich Louis Rene Beres in seinem der historischen Entwicklung der Föderationsidee gewidmeten Artikel »Examining the logic of world federal government« das Podiebradsche Friedensprojekt im Rahmen der weiteren Friedensideen.79 In den achtziger und neunziger Jahren sind bis auf den
73 Winter, Vom Defensor pacis des Marsilius von Padua (1324) bis zum Amator pacis Georg von Podiebrad (1464), ebd., S. 135–142. Winter unterstreicht bei den von ihm erwähnten Friedensschriften die Idee der Nichteinmischung der Kirche in die politischen Angelegenheiten der weltlichen Sphäre. 74 Bierzanek, Les nouveaux 8l8ments politiques et sociaux dans le projet du roi Georges Podi8brad, ebd., S. 57–74. 75 Kejrˇ, Manuscrits, 8ditions et traductions du projet, ebd., S. 75–82. 76 Zˇourek, Le Projet du Roi TchHque George de Podiebrad (1964). 77 Messler, Das Weltfriedensmanifest König Georgs von Podiebrad (1973). 78 Messler, Das Weltfriedensmanifest, S. 8. 79 Beres, Examining the Logic of World Federal Government (1974), S. 77.
Renaissance des Themas im 21. Jahrhundert
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Hinweis auf das Friedensprojekt in Zieglers »Völkerrechtsgeschichte«80 keine wichtigen Publikationen zu verzeichnen.
IV.
Renaissance des Themas im 21. Jahrhundert
Im neuen Jahrhundert bedenken Peach und Stuby in ihrem Studienbuch »Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen« das Thema mit folgender kurzer Bemerkung: »Als König Georg Podiebrad von Böhmen 1462 zur Sicherung des Friedens in Europa eine Staatenverbindung mit einem ständigen Rat vorschlug, war dies eine Reaktion gegen das Vordringen des Osmanischen Reiches«.81 Einen Vergleich mit den Friedensideen von Johann Amos Comenius liefert der Artikel von Herold und Korthaase, der anlässlich der Konferenz »Gewalt sei ferne der Dinge – Comenius und der Weltfriede« (Berlin, 2001) im Tagungsband zu dieser erschien.82 Der NATO Summit in Prag im Jahre 2002 lud dazu ein, das Podiebradsche Friedensprojekt wieder in den Fokus zu rücken. Im selben Jahr erschien unter der Patronage des tschechischen Außenministeriums das Buch »From the Hussite Wars to NATO Membership«, in dem eine historische Abhandlung von Miloslav Pol&vka veröffentlicht wurde.83 Der Autor eröffnet seine Erzählung mit der Aushandlung der Basler Kompaktata (1436) und beendet sie mit der Schlacht bei Moh#cs (1526). Dem Leser werden die Hintergründe und Grundlagen des böhmischen Friedensvorhabens vermittelt, rechtshistorische Aspekte des Friedensvertrages werden hier aber nicht berührt. Jaroslav Boub&n schildert in seinem Artikel den historischen Verlauf bei der Entstehung des Friedensprojekts sowie die Grundprinzipien der Friedensliga. Interessant ist seine Prognose zu der Auswirkung der Friedensliga auf die Stände der einzelnen Herrschaften. »Die praktische Umsetzung des Plans hätte in dramatischer Weise das machtpolitische Gewicht zu Gunsten des Herrschers verlagern und das bisherige Verhältnis innerhalb der Ständemonarchien vornehmlich in Ostmitteleuropa verändern können«.84 Eine sehr übersichtliche und in die Tiefe gehende Darstellung des Projekts und eine Analyse liefert Heinz-Gerhard Justenhoven in seinem Buch zur inter80 Auf 20 Zeilen stellt der Autor das böhmische Friedensprojekt als eine europäische Bündnisund Friedensorganisation vor. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 131. 81 Peach/Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, S. 48. 82 Herold/Korthaase, Der Friedensplan des böhmischen Königs Georg von Podiebrad und die Friedenspläne des Johann Amos Comenius (2005). 83 Pol&vka, George of Podeˇbrady and His Idea of European Security (2002). 84 Boub&n, Der Versuch der Neuordnung Europas, S. 105.
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nationalen Schiedsgerichtsbarkeit.85 Wie die Autoren vor ihm unterstreicht auch er die Tatsache, dass die Schöpfer des Friedensvertragstextes durch das Basler Konzil inspiriert wurden, indem sie einerseits gerade Basel zum ersten Tagungsort der Bundesversammlung bestimmten, und andererseits die Organisation der Versammlung am Vorbild der mittelalterlichen »Nationen« ausrichteten. Nach Justenhoven soll die Bildung eines Bundes von gleichgestellten Fürsten und Städten unter Aussparung der traditionellen Stellung von Kaiser und Papst die Friedenssicherung nach innen und außen gewährleisten, damit ein Krieg gegen die Türken organisiert werden kann. Im Anschluss äußert sich der Autor zu den einzigen römisch-rechtlichen Begriffen der Bezeichnung der Bundesversammlung. Er gibt auch eine Beschreibung der einzelnen Bundesorgane und würdigt den Beitrag des Vertrages zur Eindämmung der Fehde. Am Ende steht folgende Bewertung: »Auch wenn Georg von Podiebrads Vertragsentwurf nicht umgesetzt wurde, so hat er ein weit in die Zukunft greifendes Modell zur Streitregelung zwischen souveränen Staaten entwickelt«.86 Im Rahmen der Kooperation der Prager Universität und der französischen Universität in Toulouse87 entstand aus den Akten der im Oktober des Jahres 2007 veranstalteten Konferenz ein Tagungsband, der sich ausdrücklich mit den spätmittelalterlichen Kreuzzügen beschäftigt. Neben der Beschreibung der tschechischen Gesandtschaft nach Frankreich im Jahre 1464 zur Vorstellung und Anpreisung des Podiebradschen Projekts,88 findet man hier auch die erste kritische Edition des Memorandum von Marini.89 Nicht nur ein christliches, sondern auch ein »europäisches Gemeinschaftsgefühl« sollte Podiebrads Friedensplan nach Ansicht von Jürgen Sarnowsky widerspiegeln.90 Anhand aktueller Phänomene – »europäische Kommission und Euro« – beschreibt er die wichtigsten Grundzüge des geplanten Fürstenbundes. In seinem in »Prague Papers on the History of the International Relations« veröffentlichten Aufsatz führt Martin Nejedly´ den Leser mittels einer kurzen historischen Skizze in die Lebenswirklichkeit des Böhmischen Königreichs des 15. Jahrhunderts ein, um sich anschließend mit den ausländischen Beratern des Königs, dem Inhalt des Friedensprojekts sowie der Gesandtschaft nach Frankreich zu beschäftigen.91 85 86 87 88
Justenhoven, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit (2006), S. 100–114. Ebd., S. 114. Nejedly´/Sv#tek (8ds.), La noblesse et la croisade / la fin du Moyen ffge (2009). Nejedly´, Promouvoir une alliance anti-turqe, 8viter une croisade anti-hussite: un noble tchHque en mission diplomatique. Le t8moignage de l’8cuyer Jaroslav sur l’ambassade / Louis XI en 1464 (2009). 89 Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum sur la n8cessit8 d’une alliance anti-turque (2009). 90 Sarnowski, Das spätmittelalterliche Europa und die Osmanen, S. 36. 91 Nejedly´, Le premier projet d’union des Etats europ8ens, conÅu en BohÞme dans les ann8es
Zusammenfassung
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Janez Kranjc widmet in seinem Artikel über die Vorboten der europäischen Integration dem Friedensprojekt Podiebrads neun Seiten.92 Nach der Einführung in die historischen und politischen Gegebenheiten, die Grundlage der Entstehung des Friedensprojekts waren, gibt er die Hauptgedanken des Projekts samt Zitaten aus der lateinischen Fassung wieder. Dabei sieht er in Podiebrads Plan weniger einen »juristischen Text« als eine Ansammlung von Ideen, die »durch uneinheitliche Terminologie gekennzeichnet ist«.93 Aus dem Jahre 2009 stammt die auf Deutsch veröffentlichte Monographie der Rechtshistoriker der Brünner juristischen Fakultät der Masaryk Universität »Geschichte von Integrationskonzeptionen in Europa bis 1945«.94 Von den 115 Seiten des Buches entfallen ganze 4 Seiten auf das Friedensprojekt. Die Autoren fassen die Hauptprinzipien des Friedensprojektes zusammen und geben eine kurze Übersicht über den Forschungsstand. Mit der Persönlichkeit des Königs Georg und seinem Friedensplan beschäftigt sich ein fünfseitiger Artikel,95 der in Kooperation von Frau Professor Karolina Adamov# und JUDr. Anton&n Lojek entstanden ist. Die Autoren beschreiben die politischen Fähigkeiten des Königs und skizzieren in groben Zügen die wichtigsten Aspekte des Friedensprojekts. Sie unterstreichen, dass sich die Ziele des Projekts in der heutigen europäischen Integration widerspiegeln: »We refer to the preservation of peace and cooperation of member states, for example in the area of criminal law, but also common principles of the building of European community – unity and justice«.96
V.
Zusammenfassung
Der Überblick über den Forschungsstand dokumentiert, dass dem Podiebradschen Friedensvertrag in der Forschung bis heute große Aufmerksamkeit zuteil wird. Im Zentrum standen dabei aber vor allem die historischen Zusammenhänge der Entstehung des Friedensvertrages. Stets wird abgewogen, ob das Podiebradsche Friedensprojekt unter den gegebenen geopolitischen Verhältnissen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Aussicht auf Erfolg hatte. Die einzelnen Artikel des böhmischen Friedensvertrags werden meistens lediglich
92 93 94 95 96
1463–1464 / l’initiative de Georges de Pode˘brady, le »roi hussite« et de son conseiller franÅais Antonio Marini de Grenoble (2008). Kranjc, Die Vorboten der europäischen Integration (2008). Kranjc, Die Vorboten der europäischen Integration, S. 179. Schelle/Vesel#/Voj#cˇek/Tauchen, Geschichte von Integrationskonzeptionen in Europa bis 1945 (2009), S. 26–30. Adamov#/Lojek, The Personality of the Czech King George of Podeˇbrady and his Peace Project of 1462–1464, in: Journal on European History of Law 1 (2014), S. 182-186. Adamov#/Lojek, The Personality of the Czech King George, S. 186.
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Der Forschungsstand
inhaltlich wiedergegeben und oft mit Erscheinungen des modernen Völkerrechts in Zusammenhang gebracht. Eine tiefere rechtshistorische Analyse des Vertragskorpus unternimmt kaum einer der Autoren. Allein Vaneˇcˇeks97 Darstellung kann hier als Ausgangspunkt dienen. Diese einseitige Betrachtung der Materie hängt wahrscheinlich mit der Tatsache zusammen, dass die meisten Autoren Historiker waren und die Juristen oder Rechtshistoriker unter den Autoren sich beinahe an einer Hand abzählen lassen (Zucker, Schwitzky, Pognowski, Hobsa, Kliment, Vaneˇcˇek). Der rechtshistorische Ansatz dieser Arbeit soll daher neue Perspektiven bei der Betrachtung dieses über 550 Jahre alten Dokumentes eröffnen.
97 Es geht vor allem um den Artikel: Vaneˇcˇek, Historicky´ vy´znam projektu kr#le Jirˇ&ho a veˇdeck8 probl8my kolem neˇho (1964).
C.
Geschichtlicher Hintergrund
I.
Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts
Die in der Literatur zu findenden Beschreibungen des ausgehenden 15. Jahrhunderts lassen es als eine Zeit des Wandels erscheinen.98 Man liest von einer »Neuordnung und Neuorientierung im staatlich-politischen Sektor Europas«.99 Eine Intensivierung der Staatsbildungsprozesse und die Internationalisierung der Kommunikationswege werden als grundlegende Merkmale des 15. Jahrhunderts genannt.100 Es ist eher die Rede von Aufschwung und Vorbereitung als vom Ausklang des Mittelalters.101 Bürokratisierung und Territorialisierung der Herrschaft sind zwei weitere Stichworte, die in den Beschreibungen des spätmittelalterlichen Europas eine große Rolle spielen. Die beiden wichtigsten Institutionen des Hohen Mittelalters – der Kaiser und der Papst – verlieren an Macht und Europa kämpft um eine weltliche Identität.102 Gerade das Fehlen einer strengen weltlichen Führung bildet den Motor für den Prozess der Geburt der Nationalstaaten.103 Das nationale Königtum, das jedoch nicht mit der »Nation« im modernen Sinne gleichzustellen ist, befindet sich zu dieser Zeit auf dem Vormarsch. In Böhmen beschleunigte die hussitische Bewegung die Ausbildung eines solchen Königtums. Viele Territorien lockerten ihre Bindung an das Heilige Römische Reich; als Reichsgebiet galten damals de facto nur noch Deutschland und Italien. Königreiche wie Polen, Ungarn, Dänemark und Böhmen waren mit dem Deutschen
98 Die Periode des 14. und 15. Jahrhunderts wurde in der Literatur gegenüber anderen historischen Epochen oft als eine Zeit der Krise dargestellt. Inwieweit dies zutrifft, wird diskutiert bei Schuster, Die Krise des Spätmittelalters. S. 19–55. 99 Merzbacher, Europa im 15. Jahrhundert, S. 375. 100 Heinig, Konjunkturen des Auswärtigen, S. 24. 101 Schmidt, »Bien public« und »raison d’Etat«, S. 188. 102 Hankins, Renaissance Crusaders, S. 145. 103 Ebd., S. 113.
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Geschichtlicher Hintergrund
Reich durch ein lockeres Lehnsband verbunden. Die Eidgenossen erlangten ihre Unabhängigkeit. Die inneren Angelegenheiten im Heiligen Reich waren von den Reformbestrebungen, die letztendlich in den Wormser Reichstag 1495 mündeten und den Antagonismen unter den Reichsfürsten geprägt.104 Gegenüber standen sich die kaisertreue brandenburgische Partei mit Sachsen und den Reichsstädten einerseits und die Wittelsbacher in Verbindung mit den österreichischen Herzögen andererseits.105 Der böhmische König balancierte zwischen diesen zwei Parteien, indem er zuerst der kaiserlichen Partei angehörte, um später zur Gegenpartei zu tendieren, wobei er jedoch seine Rolle als ein in die Streitigkeiten der Reichsfürsten häufig eingeschalteter Mediator und Schiedsrichter beibehielt. Europa wurde neben der Reichsreform noch von einer anderen großen internen Dynamik bewegt – und zwar in Gestalt des Konziliarismus, bei dem das Konzil als allgemeine Versammlung der Gläubigen die Reform bewerkstelligen sollte.106 Die zu dieser Zeit aktuelle Debatte um die Superiorität des Papstes über das Konzil versuchte Papst Eugen durch seine Bulle Etsi non dubitemus bereits im Jahr 1441 zu beenden.107 Der spätere Papst Pius II. erklärte sogar jeden für verflucht (exsecrabilis), der nach einem Konzil verlangt. Seine Bulle von 1460 erzielte jedoch nicht den gewünschten Effekt. Die Mehrheit der Kanonisten am päpstlichen Hofe betrachtete sie sogar als ungültig. Die päpstliche Kompetenz, die Appellation an das Konzil zu verbieten, wurde angezweifelt.108 Während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde dieses Rechtsmittel, diese verfas104 Illud adhuc late patens et amplissimum quidem in vestram dederunt fidem, sed vestra negligencia, vestra desidia, et discordia vestra in eum statu, quem hodie madentibus cernimus oculis redactum est. (…) Nunquam hac dissimulacione, o Imperator, vere te Augustum denominabis. So redet Peter von Andlau den Reichsfürsten in das Gewissen. Von Andlau, Kaiser und Reich, S. 303. 105 Ein gewisses Rangsystem (15. Jahrhundert) unter den Reichsfürsten baute Spiess nach der Leistungsfähigkeit der einzelnen Fürstenhäuser auf. Die erste Stelle nahm Herzog Sigmund von Tirol ein, gefolgt von den Herzögen von Sachsen, im Anschluss die Herzöge von Bayern-Landshut und der Pfalzgraf bei Rhein. Nähere Angaben bei Spiess, Fürsten und Höfe im Mittelalter, S. 13. 106 Das wissenschaftliche Zentrum der Konziliartheorie war die Pariser Universität. Aufgrund der Werke von Marsilius von Padova, Wilhelm von Ockham, Thomas von Aquin und anderer entwickelte Konrad von Gelnhausen den Lösungsvorschlag für das große Schisma und zwar ein gemeines Generalkonzil. Seine Ansichten rezipierten andere, zum Beispiel der Vizekanzler der Pariser Universität und spätere Rektor der Wiener Universität Heinrich Heinbuche von Langenstein, der die via concilii in seinen Werken wie Epistola pacis und Epistola concilii pacis für die Lösung des Schismas vorsah. Hartmann, Lateinische Dialoge 1200–1400, S. 656. Zum Verständnis des Konzils als Reforminstruments der kirchlichen Verwaltung vgl. Fink, Die konziliare Idee im späten Mittelalter, S. 119–134. 107 Stieber, Pope Eugenius IV, the Council of Basel, S. 240. 108 Fink, Die konziliare Idee im späten Mittelalter, S. 127.
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Türken ante portas
sungsmäßige Bremse, mehrmals herangezogen, etwa im Streit zwischen Nikolaus von Cues und Sigismund von Tirol, in der Mainzer Stiftsfehde oder in den späteren 1460er Jahren von Georg Podiebrad,109 auf dessen Idee, ein allgemeines Konzil einzuberufen, am Ende des Kapitels zur Entstehung des Friedensprojekts näher eingegangen wird. Um das Bild zu vervollständigen, seien die übrigen Protagonisten der Geschichte des späten Mittelalters erwähnt. Auf dem politischen Schachbrett Europas begegnete der böhmische König Podiebrad seinem polnischen Gegenspieler Kasimir IV. aus dem Haus der Jagiellonen (1447–1492), dessen Regierung im Zeichen des Kampfes gegen den Deutschen Orden stand. Das Schicksal eines nicht »aus einem Königshause« hervorgegangenen Herrschers teilte mit Podiebrad auch der vom Papst aufgrund seines Kampfes gegen die Türken als defensor ecclesiae ausgezeichnete ungarische König Matthias Corvinus (1458–1490). Der rex christianissimus – der französische König Ludwig XI. (1461–1483) – gehörte zu den wichtigsten politischen Akteuren, auf die Podiebrad seine auswärtige Politik ausrichtete und mit deren Unterstützung er für das große böhmische Friedensprojekt rechnete.
II.
Türken ante portas Ich tun euch hie grosz iamer offenbore. ein Em wir C ein el dreu y, ist funfczehenthalb hundert iare, und in dem driten zwore nach der gepurd iesu cristi, als die chriehisch kron ist verdorben. Daszelbig mort, peschach von einem kaiser, aus der turkey, han ich gehort. der haidenisch wutrich und freiser und der cristen verweiser constantinopel hat czustort.110
Neben der internen staatspolitischen Entwicklung Europas wurde der ganze Kontinent in den nächsten Jahrhunderten durch einen weiteren Faktor stark beeinflusst – die osmanische Expansion in die traditionell christlichen Gebiete. Während Pierre Dubois im Jahr 1306 noch De recuperatione terrae sanctae schrieb und Philippe de M8ziHres 1389 die Herrscher des christlichen Europas zu 109 Becker, Die Appellationen vom Papst an ein allgemeines Konzil, S. 165. 110 Von Karajan, Zehn Gedichte Michael Beheims, S. 64.
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Geschichtlicher Hintergrund
den Kreuzzügen ermutigte,111 dachte man zu Podiebrads Zeit nicht daran, das Heilige Land wieder zu erobern, sondern es ging nunmehr darum, die von den Türken gewonnenen Gebiete zurückzugewinnen: Konstantinopel112 sowie den europäischen Südosten. Das Blatt hatte sich gewendet. Es waren nun nicht mehr die abendländischen Ritter, die gen Osten zogen. Vielmehr stand der Feind ante portas. Aufgrund der türkischen Bedrohung fand der Begriff Europa,113 den man als Synonym zum Christentum verstehen sollte, Eingang in die politische Diskussion. Europa sollte Besitz der Europäer, das heißt der Christen, werden.114 Man muss daher die türkische Expansion seit der Eroberung Konstantinopels im Blick behalten, will man den Hintergrund des böhmischen Friedensprojektes verstehen. Der Fall von Konstantinopel im Jahre 1453 wurde als tragisch wahrgenommen, was die öffentlichen Reaktionen darauf zeigen: Die Poeten schrieben Gedichte,115 die Humanisten verfassten Traktate,116 die Männer der hohen Politik hielten Reden117 und die zumeist anonymen Hellseher machten Prophezeiungen.118 Der neu erfundene Buchdruck beförderte die Verdichtung der Kommunikation119 und die schnelle Verbreitung von Nachrichten. Durch die Eroberung von Byzanz ermutigt, setzten die Türken ihren Zug gen 111 De M8ziHres, Chancellor of Cyprus, 1969. 112 Papst Nicolaus V. ließ von Lampo Biragi (1453–1455) ein Gutachten (Strategicon adversum Turcos) erstellen, wie man die Türken taktisch bekämpfen und Konstantinopel wieder gewinnen könne. Setton, The Papacy and the Levant (1204–1571), Bd. II, S. 156. 113 Die gemeinsame kulturelle Herkunft und die Abgrenzung Europas von Asien dienten als verbindende Elemente der vielen Völker und unterschiedlichen Kulturen unter dem gemeinsamen Nenner Europa. Mehr bei Schneidemüller, Die mittelalterlichen Konstruktionen Europas, S. 5–24. 114 Mertens, Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, S. 49–53. 115 Balthasar Mandelreiß mit seinem »Türkenschrei«, Hans Rosenblüt, »Von den Türken«, Pertusi, La caduta di Costantinopoli, S. 335–336. 116 Ein Traktat für Alfons, den König von Aragon, verfasste der römische Historiker Blondus Flavius unter dem Titel: Ad Alphonsum Aragonensem serenissimum regem de expeditione in turchos. Nogara, Scritti inediti e rari di Biondo Flavio, S. 31–51. Filelfo adressierte seinen Brief im Jahre 1444 an den polnischen und ungarischen König Wladislaus III. – Philelphus Franciscus, Epistolare Francisci Philelphi, Basileae 1506, liber vi., ohne Seitenangabe. 117 Die bekanntesten Reden stammen von Aeneas Silvius de Piccolominibus, gehalten am Fürstentag zum Anlass der Behandlung der Türkenfrage im Jahre 1454, und von Kardinal Bessarion ca. sechs Jahre später auf dem Reichstag in Nürnberg. Vgl. Mertens, »Europa, id est patria, domus propria, sedes nostra…«, S. 46. 118 Hankins, Renaissance Crusaders, S. 202. Eine solche Prophezeiung auf der Rückseite einer Handschrift des Neffen von Papst Pius II. besagte, dass im Jahre 1470 turchus superatus et victus, und ein Jahr später, also im Jahr des Todes von Georg von Podiebrad, tempore istius pape fiet unio totius christianitatis. 119 Das älteste vollständig erhaltene Buch, mehr ein Flugblatt, erzählt in Reimen über »Eyn manung der christenheit widder die durken«: Mertens, Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, S. 73.
Türken ante portas
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Europa fort. Im Jahr 1459 fiel Serbien, 1461 wurde das Kaisertum Trapezunt besetzt, im Laufe des Herbstes 1462 kamen dazu noch Lesbos und das Fürstentum Sinope. Im Frühling des darauffolgenden Jahres fiel Bobovatz und Bosnien wurde zur osmanischen Provinz. Die Reaktionen der führenden politischen Kräfte in Europa waren unterschiedlich. Der burgundische Herzog Philipp der Gute (1419–1467) schwor, in die Fußstapfen seines Vaters tretend, beim berühmten Fasanenfest Mitte Februar 1454 feierlich mit anderen Adeligen, das Kreuz aufzunehmen und gegen die Türken in den Kampf zu ziehen.120 Die Reichsfürsten versammelten sich auf zwei großen Reichstagen, also auf europäischen Fürstenkongressen im Jahre 1454 in Regensburg121 und Frankfurt am Main. Allerdings erzielten sie keine Ergebnisse.122 Kein Landfrieden kam zustande und von der Bildung eines Heeres für einen Türkenkreuzzug konnte man weiterhin nur träumen.123 Der letzte Reichstag, der sich in Wiener Neustadt mit der Türken-Frage auseinandersetzte und sogar vom Kaiser selbst eröffnet wurde, brachte hierzu ebenfalls keine Entscheidung. Aus der Initiative des nicht einmal einen ganzen Monat im Amt weilenden Papstes Pius II. erwuchs der nächste antitürkische Kongress, und zwar durch die Bulle Vocavit nos pius et misericors Deus (1458). Er wurde für den 19. September 1458 nach Mantua einberufen, denn vincere Turcas non huius aut illius regni 120 Müller, Kreuzzugspläne und Kreuzzugspolitik des Herzogs Philipp des Guten von Burgund, S. 61. Dieser Eid war aber auf zweierlei Weise bedingt: Einerseits musste der Frieden unter den abendländischen Fürsten errichtet werden und andererseits musste noch ein anderer Herrscher seine Teilnahme an dem Kreuzzug zusagen. Matzenauer, Studien zur Politik Karls des Kühnen, S. 49. Ähnlich versprach Philipp der Gute bei dem »Türkenreichstag« in Regensburg im Jahre 1454, persönlich an einem entweder vom Kaiser oder vom ungarischen König Ladislaus angeführten Kreuzzug teilzunehmen. Und sollte niemand diese Unternehmung in die Hand nehmen, werde er selbst ein großes Heer aufstellen. V. Zsolnay, Vereinigungsversuche Südosteuropas im XV. Jahrhundert, S. 127. Die Kreuzzugsbemühungen des burgundischen Herzogs wurden nie verwirklicht. Im Dezember des Jahres 1463 fand eine Generalversammlung der burgundischen Adeligen in Brügge statt, wo Philipp der Gute von diesen verlangte, den Eid abzulegen in den Kreuzzug zu ziehen. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen und auch die Flotte, welche sich im Mai 1463 auf den Weg machte, beendete ihre Reise wegen des Todes des Papstes vorzeitig. Devereaux, Reconstructing Byzantine Constantinople, S. 306. 121 Diese Fürstentage wurden dank der Anregungen des kaiserlichen Sekretärs Aeneas Silvius Piccolomini, dem späteren Pius II., einberufen. V. Zsolnay, Vereinigungsversuche Südosteuropas im XV. Jahrhundert, S. 122. 122 Für den größten Erfolg des Kreuzheeres im 15. Jahrhundert hält man den Sieg in der Schlacht um Belgrad (1456). Dieser Kreuzzug kam auf Initiative des Papstes Calixt III. zustande, der bei der Aufstellung des Heeres von seinem Legaten Johannes von Carjaval und dem franziskanischen Mönch Johannes von Capistrano unterstützt wurde. Die Führung des Heeres übernahm der ungarische Regent Johann Hunyadi. Sarnowski, Das spätmittelalterliche Europa und die Osmanen, S. 29. 123 Mertens, Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, S. 76.
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Geschichtlicher Hintergrund
opus, sed totius Christianae Reipublicae videbatur.124 Diesem stark vom Kreuzzugsgedanken ergriffenen Papst gelang es sogar noch vor dem Beginn des Kongresses, zwei neue Orden zur Türkenbekämpfung zu begründen, einerseits die ordo militaris religiones B. Mariae Bethlehemitanae,125 die den Norden der Ägäis beschützen sollte, und anderseits die Societas Jesu,126 die man eher als privates Unternehmen des Franzosen Gerard Deschamps ansehen kann. Die Organisation der Zusammenkunft in Mantua sollte Elemente des Basler Konzils und der deutschen Reichstage vereinigen.127 Als problematisch erwiesen sich die schlechte Besetzung des Kongresses – zum Beispiel blieb die böhmische Gesandtschaft trotz mehrerer Ermahnungen seitens der Kurie Mantua fern128 – sowie der Umstand, dass ein jeder der Akteure für seine Hilfe im Türkenkreuzzug politische Zugeständnisse verlangte. Die Franzosen brachten immer wieder das Königreich Neapel auf die Tagesordnung und Venedig, unter Wahrung seines Janusanlitzes, ging es mehr um seine Handelsinteressen als um den Kreuzzug. Die Reichsfürsten waren untereinander so zerstritten, dass Pius II. nach dem Kongress den Kardinal Bessarion mit der Friedensstiftung zwischen ihnen beauftragte.129 Kaiser Friedrich III., der Mohammed II. einige Jahre zuvor vor der Eroberung Konstantinopels gewarnt hatte,130 ignorierte praktisch seine Ernennung zum Feldhauptmann im geplanten Kreuzzug gegen die Türken.131 Allein der französische König versprach für den Türkenzug, wenn auch nicht
124 Müller, Reichstagstheatrum, Bd. 1, S. 630. 125 Der Ritterorden unserer lieben Frau von Bethlehem wurde am 18.1. 1459 gegründet. Setton, The Papacy and the Levant, S. 203. Gründungsurkunde bei Müller, Reichstagstheatrum, Bd. 1, S. 633. Einige Orden entstanden während des 15. Jahrhunderts auch aus privater Initiative, wie der Drachenorden in Ungarn (1408) oder der Hermelinorden in Neapel (1465). Housley, The Later Crusades, 1274–1580, S. 395. 126 Die Stiftung dieses Ordens wurde durch die Bulla Dilectis filiis für den 13.1. 1459 angekündigt. Näheres zu dessen Geschichte: Schwoebel, The Shadow of the Crescent, S. 116ff. 127 Helmrath, The German Reichstage and the Crusade, S. 63. 128 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´, Bd. 4, S. 338. Ende Januar ermahnte ihn Pius II. als seinen carissimum in Christo filium, sich nach Mantua zu begeben. Einen Monat später tat das gleiche Kardinal Carvajal. FRA, XX, S. 165–166 und 174–175. 129 Setton, The Papacy and the Levant, S. 213. 130 Jorga, Geschichte des Osmanischen Reiches, Bd. 2, S. 13. 131 Das Engagement des Kaisers für einen potenziellen Türkenkampf beschränkte sich auf die Zustimmung zur Einberufung der Reichstage nach Regensburg, Frankfurt am Main oder in Wiener Neustadt, wo die Einzelheiten besprochen werden sollten. Seine Absage der Teilnahme an diesem nicht gerade gut besuchten Reichstag und seine Zurückhaltung der Türkenfrage gegenüber provozierten im Reich Zweifel an seiner Eignung als Reichsoberhaupt. Koller, Kaiser Friedrich III., S. 139–141. Um den Kaiser zum Türkenkriege aufzumuntern, übersandte ihm Pius II. ein geweihtes Schwert. Müller, Reichstagstheatrum, Bd. I, S. 641. Zur Seite stehen sollte ihm der Pfalzgraf Friedrich, der vom Papst als vice–capitaneus vorgeschlagen wurde. Jorga, Geschichte des Osmanischen Reiches nach den Quellen dargestellt, Bd. 2, S. 97.
Regnum Bohemiae
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bedingungslos, 70 000 Männer zur Verfügung zu stellen.132 Gerade der rex christianissimus und der burgundische Herzog133 waren für das Gelingen eines potenziellen Kreuzzugs unter den gegebenen politischen Umständen die zentralen Figuren, wie in der Analyse eines möglichen Vorgehens gegen die Türken von Francesco Sforza, dem Herzog von Mailand, deutlich zum Ausdruck kommt: perche quando se intendera per li altri principi et signori de christiani che il re de franza vole providere con effecto et che monsignore de bergogna gli vole andare in persona, tutti se disponerano bene ad porgere aiuto et socorso ad questa impresa.134 Dessen waren sich auch der böhmische König und sein ausländischer Berater Antonius Marini wohl bewusst, ja das gesamte böhmische Friedensprojekt war auf Ludwig XI. ausgerichtet.135
III.
Regnum Bohemiae
Plebs toto regno bibula et ventri dedita superstitionumque sequax et avida novitatum. Quotiens Cretense vinum caupones venale proponunt, inveniens complures, qui iuramento adacti nunquam cellam vinariam egredientur, nisi exhausto dolio.136
Auf der Suche nach den Ursachen und Hintergründen für die Entstehung des großen Friedensprojekts trifft man auch auf ein typisch böhmisches Phänomen, den Hussitismus. Da die Literatur zu diesem Thema sehr umfassend ist,137 erfolgt an dieser Stelle lediglich eine kurze Zusammenfassung. Ohne eine gewisse Kenntnis dieser in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Böhmischen Königreich anzutreffenden sozialen und religiösen Bewegung, lassen sich aber die nachfolgenden Ereignisse und politischen Bemühungen des Königs Georg nicht vollständig verstehen. Den Ursprung der hussitischen Bewegung muss man in der Prager Universität suchen, wo sich die Gelehrten mit den Schriften von John Wyclif beschäf132 Ludwig XI. verlangte Gehorsamkeit von Genua und die Auslieferung des neapolitanischen Erbes an das Haus Anjou. Lucius, Pius II. und Ludwig XI. von Frankreich 1461–1462, S. 69. 133 Die Herzöge von Burgund strebten nach einer führenden Position im Reich, der Sohn Philipps später sogar nach der Kaiserkrone. Die Führung eines Kreuzzuges wäre eine große Aufgabe gewesen, die den burgundischen Herzog in die höchste politische Liga hätte aufsteigen lassen können. 134 Sestan, Fonti per la Storia d’Italia, S. 137. 135 Siehe im Haupttext zu Fn. 335. 136 Beschreibung der tschechischen Nation bei: Piccolomini, Historia Bohemica, Bd. 1, S. 097 und 29–31. »Das Volk im ganzen Königreich ist trinkfreudig und verfressen. Es folgt schnell abergläubischen Bräuchen und giert nach Neuheiten. Sooft die Schankwirte kretischen Wein feilbieten, findet sich eine Reihe Leute, die, von einem Schwur getrieben, den Weinkeller nur verlässt, wenn das Fass geleert ist«. 137 Siehe nur das »opus magnum« von Sˇmahel, Die Hussitische Revolution, 3 Bde.; MGHSchriften 43/I–III; Hannover (2002).
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Geschichtlicher Hintergrund
tigten. Zum damaligen Zeitpunkt gab es eine familiäre Verbindung zwischen dem böhmischen Königreich und dem englischen. Die Schwester des böhmischen und des deutschen Königs Wenzels IV. hatte den englischen König Richard II. geheiratet und so studierten in der Folge einige böhmische Gelehrte in England und brachten die die wiclifsche Lehre beinhaltenden Schriften in die Heimat. Dadurch verbreitete sich am Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts auch die konziliaristische Theorie an der Prager alma mater. Durch das Dekret von Kuttenberg aus dem Jahr 1409, das die Stimmengewichtung an der Prager Universität regelte und diese zur quasi ersten nationalen Hochschule in Europa machte, wurde ein günstiger Nährboden für die Entstehung der hussitischen Bewegung geschaffen. Es wäre zu keinen stürmischen sozialen Umbrüchen gekommen, wenn, wie zu Beginn, die reformatorischen Gedanken in lateinischer Sprache nur auf dem heiligen Boden der Universität zirkuliert hätten. Aber sobald Johannes Hus, Professor an der Karlsuniversität, begann, diese Ideen auch in der Betlehem-Kapelle in Prag auf Tschechisch zu predigen, nahm der Lauf der Geschichte eine andere Richtung. Die Forderung nach einer armen und ursprünglichen Kirche hatte Plünderungen von katholischen Kirchen und Klöstern zur Konsequenz. Rechtliche Basis für die Kreuzzüge gegen die hussitischen Ketzer bildeten die Bullen Omnium plasmatoris domini (1. März 1420) und Salvatoris omnium (18. März 1427).138 Das Scheitern aller (fünf) Kreuzzüge139 gegen sie wurde unter den Hussiten als Zeichen Gottes für ihre Auserwähltheit und als Bestätigung ihrer Sache verstanden. Wie in jeder Bewegung – sei sie politisch, religiös oder beides – gab es auch hier radikale und moderate Anhänger. Die letztgenannten (darunter auch der junge Georg von Podiebrad) setzten sich zusammen mit den Katholiken in der Schlacht bei Lipany im Jahre 1434 schließlich gegenüber dem radikalen Zweig der Bewegung durch. Zu den Forderungen der Hussiten gehörten die communio sub utraque specie, 138 Sˇmahel, Die hussitische Revolution, Bd. II, S. 1410. 139 Gegen die Hussiten organisierte sich auch der benachbarte Adel im Bayerischen Wald, im Straubinger Land und in der Oberpfalz selbst und zwar in der sog. Geselschaft vom Aingehürn vom April des Jahres 1428, obwohl sich die Gefahr seitens der Utraquisten in Grenzen hielt. Ranft, Adelsgesellschaften, S. 215. Dass die Einsetzung und politische Ausrichtung der Adelsgesellschaften flexibel war und sich je nach der aktuellen politischen Lage änderte, zeigt die Tatsache, dass, als die akute Gefahr seitens der Hussiten vorüber war, die Gesellschaft seit Ende der sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts im Rahmen des Streites um die Beteiligung an der Regierung unter den Söhnen Herzogs Albrecht III. von BayernMünchen zu Gunsten seines Bruders Christoph, der seit 1467 auch aktives Mitglied war, Partei gegen Herzog Albrecht IV. von Bayern-München ergriff. Krieger/Fuchs, Konflikte und Konfliktbewältigung, S. 395.
Ein Ketzer wird König
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das Abendmahl in beiderlei Gestalt (daher die Bezeichnung Utraquisten/Calixtiner), des Weiteren das Verbot und die Bestrafung der Todessünden, die klare Kritik des Ablasshandels, die freie Propagation der hussitischen Ideen und schließlich das Verbot weltlicher, politischer Macht in den Händen von Klerikern. Diese sogenannten vier Prager Artikel waren seit dem Landtag von Tschaslau (Juni 1421) gewissermaßen Bestandteil der Landesverfassung.140 Die Entwicklung dieses hussitischen Programms gegenüber der katholischen Kirche dauerte fünf Jahrzente lang und führte zu mehreren Allianzen mit anderen im damaligen böhmischen Königreich bestehenden theologischen Strömungen.141 Die Prager Artikel wurden im Anschluss vom Basler Konzil in abgeschwächter Form erlaubt. Die zwischen den hussitischen Gesandten und dem Basler Konzil ausgehandelte Serie von Dokumenten ging unter dem Titel »Basler Kompaktata« in die Geschichte ein. Feierlich proklamiert wurden sie am 5. Juli 1436 in Iglau. Niemand war sich vermutlich darüber im Klaren, dass diese Dokumente bis zum Jahre ihrer Aufhebung (1567) den Mittelpunkt der böhmischen Politik bilden würden.142
IV.
Ein Ketzer wird König Der Irsick was ein falscher man, er legt seiner frawen fremde kleider an, das thet er mit geferde, das si fur den kung her tret, als si ein lantzfraw were. Kunig Laßla pald erplichen was, mit der frawen er eins apfels aß, groß gift was darinnen.143
Georg von Podiebrad144 gehört neben Karl IV. und Tom#sˇ Garrigue Masaryk zu den wichtigsten Persönlichkeiten der böhmischen Geschichte. Leider gibt es über seine Kindheit wenig gesicherte Fakten. Im Jahre 1420 geboren, wuchs er zunächst bei seinem zum Herrenstand145 gehörenden Vater Viktorin von Kunsˇt#t Sˇmahel, Pax externa et interna, S. 236. Sˇmahel, Die Hussitische Revolution, S. 636. Cˇornej/B#rtlov#, Velk8 deˇjiny zem& Koruny cˇesk8, S. 12. Noch heute kann man auf der Standarde der tschechischen Präsidenten das Motto der Hussiten lesen: veritas omnia vincit. 143 Cramer, Die kleineren Liederdichter, S. 482 und 483, Vers. 16 und 24. Vgl. den Text zur Fußnote, sowie den Fußnotentext Nr. 154. 144 Zur äußerlichen Erscheinung Georgs von Podiebrad – Z#gora, Jirˇ& z Podeˇbrad ve vizu#ln&ch pramenech pozdn&ho strˇedoveˇku a pocˇ#tku novoveˇku, S. 67–78. 145 Die »Herren« (p#ni) war die offizielle Bezeichnung des hohen Adels im böhmischen Kö-
140 141 142
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Geschichtlicher Hintergrund
auf. Mit sieben Jahren wurde Georg zum Waisen und verließ die Burg in Podeˇbrady. Die nächsten Jahre verbrachte er bei seinem Onkel, Herolt von Kunsˇt#t, auf dessen gleichnamiger Burg. Dieser nahm den jungen Georg 1434 zu einem der wichtigsten Ereignisse jener Jahrzehnte mit, zur Schlacht bei Lipany, wo Georg zum Zeugen der Niederlage der radikalen Hussitenbewegung wurde. Um die Erziehung von Georg kümmerte sich mit größter Wahrscheinlichkeit ein hussitischer Kaplan. Der Utraquismus sollte auch seine spätere Laufbahn prägen doch war er kein fanatischer Utraquist, sondern eher realistisch veranlagt.146 Es gibt keinerlei Belege dafür, dass Georg von Podiebrad eine Schule oder sogar Universität besuchte. Seine Gegner nannten ihn deswegen auch illitteratus. In späteren Jahren, als er bereits böhmischer König war, bediente er sich, weil er kein Latein verstand und nur gebrochen Deutsch sprach, der Hilfe von Dolmetschern.147 Da man sich aber in der Lausitz, Schlesien, Polen oder Ungarn auf Böhmisch verständigen konnte, stellte dies kein schwerwiegendes Problem dar. Von Georgs natürlicher Intelligenz schreibt Ctibor Tovacˇovsky´, Rechtsgelehrter und Landeshauptmann von Mähren. Er nennt ihn einen natürlichen Weisen, der durch Geschriebenes seinen Geist nicht habe »schleifen« müssen.148 Dieser, seiner »natürlichen« Weisheit mangelte es offensichtlich nicht am Gespür für wirtschaftliche Erfolge, denn Georg von Podiebrad baute ein Vermögen auf, das mit dem Besitz eines der größten Geschlechter des Böhmischen Königreichs, dem Geschlecht von Rosenberg, konkurrieren konnte.149 Auf seinem Weg zur böhmischen Krone sammelte er mannigfaltige politische Erfahrung. Bereits im Jahre 1437 hatte er einen Sitz im Landgericht.150 Mit 20
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nigreich. Im 15. Jahrhundert gab es im Böhmischen Königreich zwei Rangstufen von Adeligen, der erwähnte höhere Adel – die »Herren« (p#ni) – und der niedere Adel, der sich noch in Ritter (ryt&rˇ) und Edelknaben (panosˇ) unterteilte. Mehr zum Adel im 14. und ˇ esk# a moravsk# 15. Jahrhundert in den Ländern der Böhmischen Krone bei Mezn&k, C sˇlechta ve 14. a 15. stolet&, S. 7–36. Titel wie Baron oder Graf hatten keine Tradition und fanden erst am Ende des Mittelalters Eingang in das Königreich. Die Titulatur des Fürsten durfte nur der böhmische König benutzen. Sˇimu˚nek, Prestizˇn& a patetick8 titulatury, S. 308 und 311. Der lateinische Ausdruck barones wurde in den auf Latein verfassten Urkunden für die Herren benutzt. Vgl. auch die Fn. 232. Der junge Podiebrad war unter den mährischen und böhmischen Herren, die dem letzten König aus dem Hause Luxemburg, Sigismund, in Iglau im Jahre 1436 die Lehnshuldigung ablegten. Felcman, Podeˇ bradove´ : rod cˇ eskomoravsky´ch pa´nu˚ , S. 63. Für die Übersetzung der deutschen Sprache nutzte er seinen katholischen Sekretär Jobst von Einsiedel, den er oft auch als Gesandten einsetzte. Der böhmische König übertrug ihm für seine treuen Dienste die Herrschaft Angerbach. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´, Bd. 1., S. 11. Eine geographische Darstellung des Podiebradschen Vermögens ist zu finden bei Felcman, Podeˇ bradove´ : rod cˇ eskomoravsky´ch pa´nu˚ , S. 67. Es handelte sich um das wichtigste adelige Gericht im Lande. Hier saßen zwölf Herren und acht Ritter, gegen deren Entscheidung es keine Berufung gab. Nur in den strafrechtlichen Sachen konnte der König Begnadigung erteilen. Adamov# et alii, Deˇjiny cˇesk8ho soudnictv& do roku 1938, S. 10.
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Jahren wurde er zum Hauptmann des Landfriedens zu Boleslav,151 seit dem Jahre 1444 übte er das Amt des Oberhauptmannes einer der ostböhmischen Landfrieden aus.152 Vier Jahre später wurde Georg zum Anführer der Landfriedenseinungen gewählt. Die politische Karriere Georgs ging weiter steil bergauf, so dass er beim Landtag im Jahr 1452 zum Verweser des ganzen Landes mit umfangreichen Kompetenzen gewählt wurde, also zum mächtigsten Mann des Königreiches. Georg von Podiebrad sollte die vollziehende Gewalt im Böhmischen Königreich bis zur Mündigkeit des künftigen Thronnachfolgers Ladislaus Posthumus aus dem Geschlecht der Habsburger ausüben. Durch den Vater von Ladislaus, Albrecht von Habsburg, der lediglich ein Jahr auf dem böhmischen Thron weilte (1438–1439), war es nämlich zu einem Wechsel der königlichen Dynastien im Böhmischen Königreich gekommen. Das Haus Luxemburg wurde auf der Grundlage älterer Erbverbrüderungen von der Familie Habsburg abgelöst.153 Albrecht von Habsburg hinterließ einen nicht geborenen Sohn, dem deshalb der Zuname Posthumus gegeben wurde. Man wartete auf seine Mündigkeit. Diese trat im Jahre 1453 ein. Der neue böhmische König bediente sich der Dienste Georgs von Podiebrad und bestätigte ihn für ganze sechs Jahre in seinem Amt. Die Regierungszeit des jungen Habsburgers wurde vier Jahre nach seiner Thronbesteigung durch eine spezielle Form der Leukämie vorzeitig beendet. Die damals kursierenden Gerüchte, der einflussreiche Landesverweser Georg von Podiebrad könnte ihn vergiftet haben, wurden durch neueste chemische Analysen des exhumierten Körpers Ladislaus’ ausgeräumt.154 Nach den alten Vereinbarungen mit den österreichischen Herzögen sollte das 151 Beran, Boleslavsky´ landfry´d, 1440–1453, S. 91. 152 Es handelte sich um den Landfrieden des Bunzlauer Kreises, der fast ein Drittel des damaligen Königreiches umfasste. Vonka, M&rov# mysˇlenka, S. 130. 153 Die Ablösung der Familie Luxemburg durch die Familie Habsburg auf dem böhmischen Thron erfolgte aufgrund von Erbverträgen, die bereits der böhmische König und deutsche Kaiser Karl IV. in Brünn im Jahre 1364 mit den österreichischen Herzögen abschloss. Zap, Deˇjiny panov#n& Karla IV., S. 208. Hiermit hob Karl IV. faktisch das im siebten Kapitel der Goldenen Bulle dem Böhmischen Königreich gegebene Recht auf, den König frei zu wählen. Vinarˇ, Z genealogie cˇesky´ch kr#lu˚. Bd. 3–4, S. 139–170. Karl IV. förderte als Kaiser den Abschluss der Erbverbrüderungen und ging selbst diese nicht nur mit dem Hause Habsburg, sondern auch mit den Hohenzollern, dem Erzbistum Mainz, den Bistümern Mainz und Würzburg sowie den Wettinern ein. Hirsch, Generationsübergreifende Verträge, S. 167, Fn. 558. Zur weiteren Politik Karls IV. bezüglich der Erbverträge (Erbbündnisse, Erbverbrüderungen), ebd., S. 167–173. 154 Hora-Horˇejsˇ, Toulky cˇeskou minulost&, S. 367. MUDr. Emanuel Vlcˇek konnte aufgrund der Veränderungen am Skelett Hemoblastose als Todesursache nachweisen. Dies ist eine tödliche Erkrankung der Leukozyten. Siehe den Artikel von Povy´ˇsil/Vlcˇek, Mohl cˇesky´ kr#l Ladislav Pohrobek trpeˇt hypofosfatemickou osteomal#ci& vyvolanou n#dorovy´m onemocneˇn&m?, S. 339–341. Man ging davon aus, dass der König an der Pest verstarb, siehe den Brief des Landesverwesers Georg von Podiebrad an die Wiener, in dem er den Tod Ladislaus’ mitteilt, FRA, 2. Abt., Bd. VII, S. 59–60.
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Geschichtlicher Hintergrund
Haus Habsburg die Linie auf dem böhmischen Thron fortsetzen. Erster Kandidat in der Linie der Erstgeborenen war Kaiser Friedrich III. Da aber der böhmische Thron nicht umsonst zu haben war – Friedrich III. sollte alle Privilegien der böhmischen Stände unangetastet lassen, also auch die Kompaktata einhalten – verfolgte er seine Kandidatur nicht weiter.155 Interesse am böhmischen Thron zeigten aber der Bruder des Kaisers, Erzherzog Albrecht VI. von Österreich, und Sigmund von Tirol, Friedrichs Vetter. Die Stände berücksichtigten jedoch weder sie noch Ladislaus’ Schwestern – Anna, Gemahlin des Herzoges Wilhelm von Sachsen156 und Elisabeth, Gemahlin des polnischen Königs Kasimir IV.157 Ladislaus’ Schwestern hatten nämlich ohne das Einverständnis der böhmischen Stände geheiratet.158 Zum böhmischen Landtag, der über die Wahl des neuen Königs entscheiden sollte, schickte auch der französische König Karl VII. seine Gesandtschaft, um den böhmischen Thron für seinen Sohn zu sichern.159 Die böhmischen Stände entschieden, von ihrem Recht, den König frei zu wählen, so Gebrauch zu machen, wie es im siebten Kapitel der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. über die Erbfolge der Kurfürsten festgelegt war.160 Karl IV. hatte darin eine Regel bestätigt, die bereits in der Goldenen Bulle von Sizilien (1212) niedergeschrieben worden war. Allerdings war man sich nicht sicher, ob die freie Wahl nicht gegen andere Bestimmungen der Goldenen Bulle Karls IV. verstöße, denn durch sie wäre das Prinzip der Primogenitur zweitrangig geworden. Nach den Bestimmungen in der Goldenen Bulle sollte der Thron aber eindeutig dem Kaiser zufallen. Vor der Königswahl wurden deshalb alte Privilegien von Karlstein nach
155 Tomek, Deˇjepis meˇsta Prahy, Bd. VI., S. 272. 156 Herzog Wilhelm der Tapfere von Sachsen kam als böhmischer König nicht in Frage, vor allem wegen seines freien und ungezügelten Lebensstils. Butz, Die Beziehungen der Wettiner, S. 194 m.w.N. Zu nennen ist hier vor allem seine außereheliche Beziehung mit Katharina von Brandenstein, mit der er im Schloss Rossle weilte, während seine Frau Anna auf der Eckartsburg ihre Tage verbrachte. Urb#nek, Veˇk podeˇbradsky´, Bd. III, T. 2, S. 873. 157 Elisabeth verzichtete ein Jahr nach der Krönung Ladislaus’ für sich und ihre Nachkommen auf jegliche Rechte bezüglich der Königreiche, Länder und des königlichen Schatzes. Dieses Recht sollte sich aber erneuern, wenn Ladislaus ohne Thronfolger sterben sollte. Haas, Archiv koruny cˇesk8, Bd. 6, Urkunde vom 6. 3. 1454, Nr. 43, S. 46. 158 Die böhmischen Stände akzeptierten höchstens Rechte der unverheirateten Frauen, deren Mitgift noch nicht ausgezahlt worden war. Frais, Jirˇ& z Podeˇbrad – kr#l dvoj&ho lidu, S. 70. 159 Tomek, Deˇjepis meˇsta Prahy, S. 276. 160 Si vero aliquem ex huiusmodi principatibus ipsorum imperio sacro vacare contingeret, tunc imperator seu rex Romanorum, qui pro tempore fuerit, de ipso providere debebit et poterit, tanquam de re ad se et imperium legitime devoluta, salvis semper privilegiis, iuribus et conuetudinus regni nostri Boemie super electione regis in casu vacationis per regnicolas, qui ius habent eligendi regem Boemie, facienda iuxta continentiam eorundem privilegiorum et observatam consuetudinem diuturnam a divis Romanorum imperatoribus sive regibus obtentorum (…). Weinrich, Quellen zur Verfassungsgeschichte des römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter (1250–1500), S. 346–348.
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Prag geholt, deren Lektüre schließlich zu dem Schluss führte, dass die jeweiligen Ansprüche der Kandidaten die freie Wahl des Königs nicht ausschlössen.161 Seine faktische Machtstellung, die konfessionelle162 Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bewohner, die Verdienste um das Königreich sowie seine Fähigkeit, im richtigen Moment Kompromisse einzugehen, sicherten Georg von Podiebrad schließlich den böhmischen Thron.163 Georgs Ausgangssituation war gut, denn zwei der drei Wahlkurien der böhmischen Stände, Städte und Ritter, waren größtenteils hussitisch.164 Die Unterstützung der katholischen Stände gewann Georg von Podiebrad vor allem durch das Versprechen, das während der hussitischen Kriege beschlagnahmte Eigentum der katholischen Kirche in ihrem Besitz zu lassen. Den größten Gegner hatte Georg in der südböhmischen Magnatenfamilie der Rosenbergs, mit denen er sich häufig auch militärisch auseinandersetzen musste. Zu einer gewissen politischen Stabilisierung trug vorerst der Umstand bei, dass er angeblich eine Schuldverschreibung auf 16000 Gulden gegen sie besaß.165 Am 2. März 1458 wurde Georg von Podiebrad im Altstädter Rathaus von den böhmischen Ständen zum König gewählt und dies ohne jede Rücksicht auf dynastische Herkunft, verwandtschaftliche Beziehungen und frühere Abmachungen.166 Die Stände in den böhmischen Nebenländern bestätigten die Wahl des Königs nachträglich. Breslau167 erkannte den König nie an und suchte Schutz 161 Tomek, Deˇjepis meˇsta Prahy, Bd. VI., S. 278. 162 Die Erhaltung des erkämpften Glaubens, des Utraquismus, spielte die wichtigste Rolle. In einem agitatorischen Flugblatt (Kr#tk8 sebr#nie z kronik cˇesky´ch), das vor der Wahl eines fremden Königs auf den böhmischen Thron warnte, stellt sein Autor Martin Lup#cˇ aus Rokycany den böhmischen Glauben an die erste Stelle. Die Erhaltung des böhmischen Glaubens gehe Hand in Hand mit der Erhaltung der böhmischen Sprache. Kein fremder König werde sich für den Glauben einsetzen, für den so viele Böhmen starben. Deswegen sei es unentbehrlich, dass Georg von Podiebrad zu diesem Amt erhoben werde. Sˇmahel, Idea ˇ ech#ch, S. 198. n#roda v husitsky´ch C 163 Sˇmahel, Mezi strˇedoveˇkem a renesanc&, S. 196. 164 Bis zu 70 % der Bevölkerung des Königreiches gehörte dem hussitischen Glauben an. 165 Cˇornej, Deˇjiny zem& koruny cˇesk8, S. 179. 166 Im Jahre 1420 wurde zum ersten Mal öffentlich die Möglichkeit propagiert, einen eigenen Kandidaten auf den böhmischen Thron zu wählen, wenn der legitime Thronnachfolger dessen nicht würdig ist. Es geschah, als Sigismund, der Sohn des verstorbenen böhmischen Königs Wenzel IV., den Thron besteigen sollte. Er stand wegen seines »Verrats« an Johannes Hus, der kurz vor dem ersten Kreuzzug gegen die Hussiten in Konstanz verbrannt wurde, in den Augen der Hussiten als Feind da. Siehe auch Fn. 946 a. E. Sˇmahel, Die Hussitische Revolution, S. 1075. Sigismund wurde erst im August 1436 feierlich als böhmischer König anerkannt, nachdem er die Forderungen der Majestätsbriefe des tschechischen Adels zu befolgen versprach und nachdem er die Basler Kompaktata in der Hand hatte. Sˇmahel, Die Hussitische Revolution, S. 1679. 167 Neben den religiösen Gründen wollte sich das katholische Breslau wahrscheinlich nicht mehr einer starken Monarchie fügen, nachdem es während des böhmischen Interregnums in Schlesien die Hauptrolle spielte und an Macht gewonnen hatte. Filip Borchardt, Schle-
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Geschichtlicher Hintergrund
beim polnischen König Kasimir IV., der sich in der Angelegenheit jedoch neutral verhielt. Der größte Gegner Georgs, Pius II., beurteilte seine Wahl naturgemäß anders: Not tam Bohemorum amor aut lex, quam hussitarum potentia regem fecit.168 Hervorzuheben ist, dass die böhmischen Adeligen bis zu diesem Zeitpunkt für den Thron nicht wählbar waren. Der niedrigste Adelsgrad, der eine Kandidatur für den Thron erlaubte, war der des Grafen.169 Bereits die Wahl des Matthias Corvinus im Januar desselben Jahres zum König von Ungarn hatte dieses Prinzip in Mitteleuropa aber in gewissem Maße durchbrochen.170
V.
Für das Königreich und nicht für die Dynastie: die Politik König Georgs von Podiebrad
Der erste »frei« gewählte König in der Geschichte Böhmens musste von Anfang an mit den aus der Glaubensspaltung seines Landes erwachsenden Problemen fertig werden. Nicht nur der Papst, sondern auch die Spannungen unter den Katholiken und Utraquisten im eigenen Königreich erschwerten seine Regierung. Er versuchte, die konfessionell gespaltenen Parteien unter dem im Mittelalter ständisch171 verstandenen Grundsatz Quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet172 zur Kooperation bezüglich der gemeinsamen Aufgaben im Königreich zu bewegen.173 Obwohl er zu den mächtigsten Herrschern dieser Zeit gehörte, ähnelt seine gesamte Regierungszeit einem Drahtseilakt.
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sien, Georg von Podiebrad und die römische Kurie, S. 85. Hier befindet sich auch eine genaue Analyse der Entwicklung der politischen Beziehungen zwischen dem böhmischen Königreich und Schlesien. Cugnoni, Aeneae Silvii Piccolomini Senensis opera inedita, S. 151. Felcman/Fukala, Podeˇ bradove´ : rod cˇ eskomoravsky´ch pa´nu˚ , S. 77. Bereits im Februar des Jahres 1458 sicherte sich Georg von Podiebrad die Gunst des neuen ungarischen Königs, als er noch als Gubernator des Böhmischen Königreiches mit Matthias in Str#zˇnice ein Bündnis einging und ihm hierbei seine Tochter Katharina zur Braut versprach. Perpetuam amicitiam et fraternitatem gingen die Herren ein und versprachen sich gegenseitig consilio et auxilio gegenüber jedem Feind. Vertragstext bei Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Sp. 1467–1468. Nicht im Sinne der ganzen Bevölkerung des Königreiches. Scheuner, Mehrheitsprinzip, S. 29. Dieses aus dem römischen Recht stammende Repräsentationsprinzip (C. 05,59,05,02) wird zuerst von den Päpsten im 13. Jahrhundert zitiert, um dann im weltlichen Bereich übernommen zu werden. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 18. Vertiefung des Themas bei: Ives M.–J. Congar, Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet, in: Heinz Rausch (Hrsg.), Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Volksvertretung: die Entwicklung von den mittelalterlichen Korporationen zu den modernen Parlamenten, Bd. I., Darmstadt 1980, S. 115–182. Sˇmahel, Die Hussitische Revolution III, S. 1859.
Für das Königreich und nicht für die Dynastie
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Grundstein seiner Politik waren die Basler Kompaktata, die die Glaubensfreiheit für alle Hussiten und Katholiken im Böhmischen Königreich garantierten und über den späteren, auf territorialer Basis beruhenden Augsburger Frieden weit hinaus gingen.174 Allerdings waren diese Dokumente aus dem Jahre 1436 nach den Verhandlungen mit den Hussiten vom Basler Konzil und nicht vom Papst verabschiedet worden. Es liegt nahe, dass die Autonomie der Hussiten innerhalb der katholischen Kirche der Kirchenführung ein Dorn im Auge war. Aeneas Silvius de Piccolomini, der als Pius II. im Krönungsjahr von König Georg den päpstlichen Stuhl bestieg, war mit der böhmischen Situation gut vertraut,175 wollte und konnte die Hussiten aber nicht tolerieren.176 König Georg wusste dies und mied den direkten Kontakt mit ihm. Er schickte keine Gesandten zum Reichstag in Mantua, zeigte aber weiterhin Interesse für ein mögliches Vorgehen
174 Sˇmahel, Mezi strˇedoveˇkem a renesanc&, S. 98. Wie wichtig dieses Dokument für Böhmen war, bezeugt der Versuch des päpstlichen Legaten Juan Karvajal im Jahre 1448, es zu stehlen. Frais, Jirˇ& z Podeˇbrad – kr#l dvoj&ho lidu, S. 57. Bis zum September 1452 gab es eigentlich drei Glaubensbekenntnisse im Böhmischen Königreich – nämlich auch noch das der Taboriten, deren Militärrepublik zu diesem Zeitpunkt endete. Sˇmahel, Pax externa et interna, S. 255. 175 Aeneas Silvius Piccolomini als Verfasser der Historia Bohemica pflegte persönliche Kontakte mit vielen Böhmen, seien es Adelige wie die Herren von Neuhaus oder Gelehrte wie Prokop von Rabstein, der Kanzler des böhmischen Königs, oder Magister Johann Papousˇek von Sobeˇslav. Er kannte auch Georg von Podiebrad, den er in Benesˇov (Beneschau) im Jahre 1451 traf. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, Buch 5 und 6, S. 534. Auf dessen Empfehlung wurde Georg von Podiebrad im Herbst des Jahres 1451 von Friedrich III. zum Landesverweser ernannt. Beran, Boleslavsky´ landfry´d, 1440-1453, S. 112. 176 Die Beurteilung der böhmischen Frage durch Pius II. unterlag im Laufe seiner Lebenszeit einem Wandel. In seiner vor Papst Calixtus III. gehaltenen Rede De Compactatis Bohemorum von 1456, die anlässlich seiner Ernennung zum Kardinal verfasst wurde, zeigte er den Hussiten gegenüber noch eine gewisse Toleranz. Piccolomini, Historia Bohemica, S. 02 und 096. Seit den hussitischen Kreuzzügen genossen die Böhmen den Ruf, gute Kämpfer zu sein, und Aeneas betrachtete sie als ein geeignetes Mittel zum Kampf gegen die Türken. Am Anfang der Regierungszeit Georgs stellte sich der Papst sogar im Streit mit dem katholischen Bollwerk in Schlesien – der Stadt Breslau – an die Seite von König Georg. Die in November 1459 empfangenen päpstlichen Legate – Girolamo Lando und Francisco de Toledo – verlangten die Versöhnung mit Prag und die Anerkennung Georgs als König mit der Begründung, man solle die christlichen Kräfte nicht weiter schwächen, denn diese brauche man im Kampf gegen die Türken. Aus der ganzen Angelegenheit resultierte ein Vertrag, dem zufolge die Huldigung des Königs durch die Breslauer für drei Jahre aufgeschoben wurde, während diese versprachen Georg von Podiebrad als König anzuerkennen und ihm Gehorsam zu leisten. Filip/Borchardt, Schlesien, Georg von Podiebrad und die römische Kurie, S. 99–103. Nicht nur im Kampf gegen die Türken rechnete man mit den Hussiten. Im Jahre 1452 erlaubte Calixtus III., der Vorgänger von Pius II., dem Kaiser Friedrich III., die utraquistischen Kämpfer gegen die Aufständischen in österreichischen Ländern einzusetzen: Ut (…) necessitas id tibi faciendum persuaserit scismaticorum et extra communionem fidelium existentium succursu et auxilio te et huiusmodi tua hereditaria dominia tueri et recuperare cum sana conscientia possis. Chmel, Regesta, S. 287.
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Geschichtlicher Hintergrund
gegen die Türken, weil er wusste, dass dies für den Papst von großer Wichtigkeit war.177 Georg von Podiebrad war sich der problematischen Position des Böhmischen Königreiches im restlichen Europa bewusst. Non est fides Bohemo ging als Sprichwort in den benachbarten Ländern um. Eine machtpolitische Absicherung des Königreiches durch ein gut aufgebautes Netzwerk von Verträgen mit umliegenden Herrschaften war notwendig. Das nächste Kapitel zielt zum einen auf die Analyse der von König Georg abgeschlossenen Verträge ab, die als eine Art politische Vorstufe des großen Friedensprojekts zu verstehen sind. Dabei wird der Akzent auf den Inhalt der einzelnen Verträge gelegt. Darauf aufbauend lassen sich Ansätze für bestimmte Typisierungen (Schemata) der spätmittelalterlichen Verträge ableiten. Zum anderen soll herausgearbeitet werden, dass jegliche »internationale« Unternehmung des böhmischen Königs auf ein einziges Ziel gerichtet war – die Sicherung des Böhmischen Königreiches.
1.
Analyse der »interterritorialen« Verträge König Georgs mit den deutschen Reichsfürsten
Die mit anderen Fürsten geschlossenen Verträge des böhmischen Königs Georg lassen sich aus »außenpolitischer« Perspektive vor allem in drei Blöcke aufteilen. Eine Gruppe bilden die zahlreichen bilateralen Einungen mit den deutschen Fürsten, worin diese seine Stellung als böhmischen König anerkannten. In einigen dieser Verträge wurden auch Grenzen gezogen und die Aufteilung der Machtbereiche zwischen dem böhmischen Königreich und den jeweiligen Herrschaftsbereichen der Fürsten klargestellt. Zweitens wurde ein Netz von Friedensverträgen aufgebaut, die im Zusammenhang mit Georgs Bemühungen um den deutschen Thron stehen. Der dritten Gruppe schließlich lassen sich solche Verträge zuordnen, die er in Vorbereitung auf das große Friedensprojekt abschloss. Man könnte vielleicht noch eine vierte Art von Verbindungen identifizieren, nämlich diejenigen, die seine machtpolitische Position in Europa unterstützen sollten und die man unter den Titel »Miscellanea« stellen könnte. Technisch lassen sich die von Georg abgeschlossenen Verträge unterteilen in einerseits Bündnisse,178 die oft zugleich als Erbbündnisse begründet wurden, und andererseits allgemeine Freundschaftsverträge und Friedenseinungen, die die friedliche Koexistenz der Herrscher bestätigen und weiter aufrechterhalten sollten. 177 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, Buch 5 und 6, S. 338. 178 Vgl. in: D. IV.1. Instrumentum intelligentiae.
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Die Darstellung des Inhalts dieser Verträge erfolgt chronologisch, denn nur so sind die geschichtlichen Zusammenhänge und die Motive der Friedenspolitik Georgs sowie seine Beweggründe zu verstehen. a)
Erbbündnisse mit dem Haus Sachsen
Das erste Erbbündnis, das von Georg bald nach seiner Krönung auf dem gut besetzten Fürstentag179 in Eger am 25. April 1459180 geschlossen wurde, sollte einige Streitigkeiten um Schlösser und Ländereien zwischen der böhmischen Krone und den sächsischen Herzögen (Friedrich, dem Erzmarschall des Heiligen Römischen Reichs, seinem Bruder Wilhelm181 sowie Ernst und Albrecht, den Söhnen Friedrichs) ein für allemal bereinigen. Nach der Intitulatio182 der einzelnen vertragschließenden Parteien wurde festgestellt, dass Fehde, Feindschaft oder Angriff zukünftig ausgeschlossen sein sollen; stattdessen versicherten sich die Vertragspartner potentiellen gegenseitigen Beistand und Schutz. Schützen will der böhmische König die Herrschaft, das Erbe, die Güter, die Rechte, sowie Ehre, Gewohnheit, Land und Leute der sächsischen Herzöge, deren Besitzungen im Vertrag aufgelistet sind. Damit wurden de facto auch die Grenzen zwischen dem Böhmischen Königreich und den sächsischen Herrschaften festgelegt, die in diesem Verlauf noch heute bestehen und somit zu den ältesten in Europa zählen. Der König versprach den Herzögen Unterstützung im Falle eines Angriffs, und zwar innerhalb eines Monats, gerechnet vom Zeitpunkt seiner Anrufung. Die Herzöge sollten den Truppen Bier, Brot und Küchenspeisen zur Verfügung 179 Anwesend waren Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg, Kurfürst Friedrich von der Pfalz, Kurfürst Friedrich von Sachsen, dessen Söhne Ernst und Albert, Herzog Wilhelm von Sachsen, Herzog Otto von Bayern, der Bischof von Magdeburg. Außerdem wurden folgende Fürsten durch ihre Räte vertreten: Ludwig von Bayern, der Bischof von Würzburg, Herzog Albrecht von München, Erzherzog Albrecht von Österreich. Siegl, Zur Geschichte der Fürstentage Georgs von Podiebrad in Eger, S. 204. Einzelheiten und Bedeutung des Egerer Fürstentages sind detailreich und sehr gelungen erläutert im Tagungsband: Thieme/Tresp (Hrsg.), Eger 1459, mit vollständiger Liste der Teilnehmer dieses Tages, S. 431–433. Eine der wichtigsten Ergebnisse des Egerer Tages war die Anerkennung Podiebrads als König von Böhmen seitens der deutschen Fürsten. Tresp, Das Fürstentreffen von Eger, S. 94. 180 Das Erbbündnis findet sich bei Dumont, Corps universel diplomatique, T. III, P. I., S. 254– 256. Die neueste Edition der beiden Texte – jede Partei stellte eine Vertragsurkunde aus – bei Tresp, Das Fürstentreffen von Eger, S. 119–128. Dieses Erbbündnis war an sich bereits die Erneuerung eines früheren Erbbündnisses vom 25./26. November 1372. Das Egerer Erbbündnis von 1459 wurde seinerseits am 2. 5. 1482, am 6. 12. 1505 sowie in den Jahren 1546, 1557, 1579 und 1587 erneuert. Tresp, Erbeinung, S. 66, 77–79. 181 Man darf hierbei nicht vergessen, dass Herzog Wilhelm von Sachsen dem böhmischen König Georg aufgrund der gescheiterten Bewerbung um den böhmischen Thron nicht gerade wohlgesonnen war. 182 Die Darstellung erfolgt anhand der Vertragsurkunde des Königs Georg.
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Geschichtlicher Hintergrund
stellen. Jegliche Schäden sollte der Hilfeleistende selbst tragen. Die Gefangenen und die erworbenen Städte sowie die sich nicht auf dem Gebiet der Parteien befindlichen oder nicht zu ihrem Lehen zählenden Schlösser würden, wie auch die Gefangenen, gerecht aufgeteilt. Vereinbart wurde weiter die Gewährleistung von Sicherheit auf den Straßen; Feinden der Vertragspartei und Verbrechern sollte keine Zuflucht gewährt werden. Im Fall eines Streites zwischen den Vertragsparteien sollte ein Schiedsverfahren eingeleitet werden. Einen Monat nach Erhalt eines Ankündigungsbriefes sollten die Parteien ihre Schiedsrichter gen Eger schicken. Falls die Schiedsrichter keine Einigung erzielten, sollte ein Obmann bestellt werden. Der Obmann würde dann innerhalb eines Monats nach seiner Ernennung einen »Rechtstag« nach Eger berufen, wohin beide Parteien jeweils zwei Räte entsenden sollten.183 Der erste Rechtstag setzte zugleich eine halbjährige Frist in Lauf, innerhalb derer die Entscheidung vollzogen werden sollte. Gerieten Prälaten, Herren, Grafen oder Ritter der einen Vertragspartei in Streit mit der anderen, sollte sich die jeweils andere Partei, also entweder der König Georg oder die sächsischen Herzöge, um eine Schlichtung bemühen. Streitigkeiten unter den Untertanen der Parteien sollten unterschiedlichen Regimen unterstellt sein, je nach Gewohnheit und Stand der Betroffenen. Die Geistlichen würden sich vor den geistlichen Gerichten verantworten, die das Lehen betreffende Angelegenheiten würden vor dem Lehnsgericht des jeweiligen Lehnsherrn verhandelt. Die Aufzählung der verschiedenen fori endet mit der Auflistung von Gewalttaten und sonstigen üblen Taten der Untertanen, die dort verfolgt werden sollten, wo der Täter gefangen genommen wurde.184 Gegen Ende des Vertrages wurden fast beiläufig noch zwei weitere wichtige Angelegenheiten geklärt: Einerseits verzichtete das Haus Sachsen auf jegliche Ansprüche auf den böhmischen Thron und andererseits gab der böhmische König seine Lehen in Sachsen auf.185 Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass am gleichen Tag auch der Schiedsspruch des Markgrafen Albrechts von Brandenburg ratifiziert wurde, der eine Aufteilung der strittigen Ländereien unter den Herrschaften und eine
183 Die Bestellung der gleichen Anzahl von Schiedsrichtern der Parteien mit Benennung eines Obmanns war unkanonisch. Denn das kanonische Recht arbeitete mit einer ungeraden Zahl von Schiedsrichtern, was natürlich eine Mehrheitsentscheidung begünstigte. Büttner, Schiedsspruch oder Krieg, S. 4. 184 Vgl. in: E. II. 2. d. Bestrafung der straffällig gewordenen Untertanen. 185 Es handelte sich um einige Schlösser und Herrschaften in Meißen und Thüringen. Tomek, ˇ esky´ch 1361– ˇ &msky´ch a C Deˇjiny meˇsta Prahy, S. 306. Sedl#cˇek, Zbytky register kr#lu˚v R 1480, S. 242 (Nr. 1707).
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Doppelheirat vorsah.186 Georgs Sohn Hynek187 wurde Katharina, der Tochter Wilhelms von Sachsen, versprochen und Georgs Tochter Zdena Albrecht dem Beherzten, dem Sohn Friedrichs von Sachsen.188 Wichtig während der Egerschen Verhandlungen für die Zukunft der böhmischen auswärtigen Politik war ferner, dass der deutsche Jurist Dr. Martin Mair,189 der hier den Pfalzgrafen in den Verhandlungen mit dem böhmischen König vertrat, und letzterer einander das erste Mal trafen.190 b)
Erbbündnisse mit dem Haus Brandenburg
Der Egerer Tag brachte noch ein weiteres positives Ergebnis: das Erbbündnis191 vom 25. April zwischen König Georg und allen brandenburgischen Markgrafen (dem Kurfürsten Friedrich II., Albrecht Achilles, Johann und dem jüngsten von ihnen, Friedrich). Die böhmische Partei erklärte den Verzicht auf Fehden, Feindschaften und 186 Die neueste Edition des Schiedsspruchs ist bei Müller, Die diplomatische Kärrnerarbeit, S. 211–215 zu finden. 187 König Georg war während seines Lebens zweimal verheiratet. Aus der ersten Ehe mit Kunhuta von Sternberg erreichten 7 Kinder das Erwachsenenalter. Der hier erwähnte Sohn Hynek (mit eigenem Namen Heinrich der Jüngere) war aus Georgs zweiter Ehe mit Johanna von Rozˇmit#l hervorgegangen, die aus einem katholischen Geschlecht stammte. Es handelte sich um eine politische Ehe, die Georg Verbündete gegen die Rosenbergs verschaffen sollte. Felcman, Podeˇ bradove´ : rod cˇ eskomoravsky´ch pa´nu˚ , S. 73. Die moderne Edition des Vertrages der Heirat bei Müller, Die diplomatische Kärrnerarbeit, S. 219–220. Die Hochzeit wurde am 26. Februar 1471 vollzogen. 188 Palacky´, Geschichte von Böhmen, Bd. 4, S. 91. Eine moderne Edition des Vertrages über die Heirat findet sich bei Müller, Die diplomatische Kärrnerarbeit, S. 215–217. Zu der Hochzeit kam es, als König Georg das zweite Mal Eger besuchte. Am 10. 11. 1459 vermählte der Erzbischof von Magdeburg die zehnjährige Zdena mit Albrecht. Siegl, Zur Geschichte der Fürstentage Georgs von Podiebrad in Eger, S. 214. 189 Manche Forscher gehen davon aus, dass Dr. Mair bereits in Eger Georg von Podiebrad den Plan unterbreitete, diesen zum römisch-deutschen König wählen zu lassen. V. HasselholdtStockheim, Kampf der wittelsbachischen und brandenburgischen Politik, S. 115. Bachmann, Böhmen und seine Nachbarländer unter Georg von Podiebrad, S. 133. Hansen bestreitet dies in seiner Monografie: Hansen, Martin Mair, S. 164. Er belegt, dass Dr. Mair erst im Juli 1459 den Dienst bei Georg aufnahm. Hansen, Martin Mair, S. 165. Dr. Mair hatte den Dienst beim böhmischen König aber schon länger im Visier, was aus einem Schreiben des Bischofs Aeneas S. Piccolomini vom 15. 11. 1453 an Prokop von Rabenstein, den böhmischen Kanzler, hervorgeht. FRA, Bd. 67–68, S. 358. 190 Siegl, Zur Geschichte der Fürstentage Georgs von Podiebrad in Eger, S. 204. König Georg ging mit Pfalzgraf Friedrich I. dem Siegreichen ein Bündnis auf Lebenszeit ein (15. April 1459). Die Parteien verprachen sich Freundschaft und legten ein Schiedsverfahren in Nürnberg (zwei Räte je Vertragspartei, ein Obmann von den Räten der Partei des Beklagten) für künftige Streitigkeiten fest. Für die Untertanen der Vertragsparteien wurden typische Regime verabredet – siehe Fn. 865, 867. Hofmann, Quellen zur Geschichte Friedrich des Siegreichen, S. 310–311. 191 Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. 1, 1732, Sp. 1478–1482.
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Geschichtlicher Hintergrund
Übergriffe auf die andere Vertragspartei. Man versprach sich, die Feinde der jeweils anderen Vertragspartei nicht zu hausen, hofen, essen und tränken.192 Um etwaige Streitigkeiten unter den Fürsten sowie den Untertanen der Vertragsparteien zu regeln, sollten sich ihre schidlich Räte in Beeskow193 oder in Eger treffen, um die Parteien freundlich und guettlich mit einander czu vereinigen.194 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass zwei Schiedsorte bestimmt wurden. Sollte die böhmische Seite klagen, würde das Treffen in Beeskow stattfinden, sollten die brandenburgischen Markgrafen oder ihre Untertanen klagen, würde Eger195 Schiedsort sein. Auch in diesem Falle sollten die Räte die Macht haben Recht zwischen unsrer darumb zusprechen und ob sie sich des Rechten unter einander auch nicht vertragen könnten, sollen sie einen Obermann aus des Rechten, der Antworther ist, czu Ihn Kiesen und siech des vertragen. Was der Obmann und die Zuseze, oder der Mer Teil unter ihn zu recht erkennen und sprechen, dabey soll es bleiben und dem von allen Teilen nachgegangen und vollzogen werden ungeferlich.196 In Einklang mit der herrscherlichen Vertragspraxis dieser Zeit überließen die Parteien lehensrechtliche Angelegenheiten dem jeweiligen Lehensherrn zur Entscheidung und die geistlichen Streitigkeiten dem geistlichen Stand. Aus dem Vertrag sind natürlich Papst und Kaiser ausgenommen, letzterer aber mit der Bedingung, dass er oder das Reich den böhmischen König und die Böhmische Krone in deren Rechten nicht stört.197 Im Jahre 1462 (5. Juni) bestätigten die Parteien ihre Egersche Vereinbarung von 1459 auch mit Wirkung für ihre Erben und Nachkommen.198 192 Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. I., Sp. 1483. Eine übliche Redewendung in den Verträgen, so auch z. B. im Bündnisvertrag (11. 11. 1473) zwischen dem Nachfolger des Königs Georg von Podiebrad – Vladislav II. – und dem Kurfürsten von Brandenburg Albrecht: mer haben wir uns (…). verbunden, dass wir wissentlich keinen des offgenandten unsers lieben Herrs, und Bruders (König Vladislav II.) Feindt in unsern Furstenthumben, und Landen nicht Hausen, Höfen, Essen, Trencken, noch enthalten, noch der keinem der Unsern gestatten sollen noch wollen. Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Sp. 1528. 193 Beeskow befand sich im Gebiet der Niederlausitz, das seit dem Jahre 1370 Bestandteil der Länder der Böhmischen Krone war. Im Jahre 1653 wurde die Niederlausitz und die Oberlausitz an Sachsen als Pfandlehen abgetreten. 194 Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. 1., Sp. 1479. 195 Während der Hussitenkriege festigte die deutsche und katholische Stadt Eger ihre Position als eine unabhängige Reichsstadt. In der Frage der Königswahl im Jahre 1458 stellte sich Eger dezidiert auf die Seite Georgs von Podiebrad und nährte sich politisch dem Böhmischen Königreich an. Knoll, Orlice a labutˇ, S. 175. 196 Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. I., Sp. 1480. 197 Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. I., Sp. 1483. Weiter nahmen die Brandenburger den Herzog von Sachsen und den Landgraf von Hessen aus dem Vertrag aus, König Georg dann Friedrich, den Pfalzgraf bei Rhein. 198 Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. I., Sp. 1493–1494. Riedel, Codex diplomaticus, S. 63. Der Vollständigkeit halber sei noch der Friedens- und Freundschaftsbund zwischen dem König Georg von Podiebrad und dem Markgraf Albrecht Achilles vom 14. Februar
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c)
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Erbbündnisse mit dem Haus Wittelsbach
Zu einem weiteren wichtigen Verbündeten wurde am 16. Oktober 1459 Ludwig von Bayern, der mit Georg fruntschaft gutwillikait und ainung einging.199 Danach wollten die Parteien sich in Zukunft (mit Verbindlichkeit auch für ihre Erben) nicht schaden und ihren Untertanen ein solches ebenfalls verbieten. Sollte es gleichwohl zu Streitigkeiten kommen, sollten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Fehdebriefes schidlich Räte nach Regensburg geschickt werden. Sollte eine der Parteien in eine Fehde oder Feindschaft mit Regensburg geraten und dementsprechend keinen Geleitsbrief von der Stadt bekommen, sollten sich die Räte anderen Orts treffen. Bei Uneinigkeit der Schiedsrichter sah man, wie üblich, die Ernennung eines Obmanns vor. Das Recht, ihn zu benennen, sollte beim Kläger in der Sache liegen; die Vereinbarung besagte jedoch, dass er aus dem Kreis der Ratgeber des Gegners stammen musste. Einen Monat nach seiner Wahl hätte der Obmann eine Sitzung in Regensburg abzuhalten gehabt, welche beide Fürsten mit zwei Räten beschicken sollten. Die Entscheidung der Angelegenheit sollte entweder einstimmig oder mehrheitlich erfolgen und von den Parteien innerhalb eines halben Jahres nach der ersten Sitzung des Schiedsgerichts vollzogen werden. Die typischen Ausnahmeregelungen bezüglich des Streitgegenstandes betrafen das Lehen und den geistlichen Stand, welche nicht der Kompetenz der Schiedsrichter unterstanden. Anders als andere Verträge, die Georg mit Fürsten schloss, ist der Vertrag zwischen Georg und Ludwig von Bayern recht detailliert. Verankert wurden hier auch Bestimmungen zum Eigentum, vermutlich vor allem zum unbeweglichen Eigentum. Man könnte fast geneigt sein, hier den Terminus technicus des modernen Internationalen Privatrechts zu bemühen und zu sagen, die vermögensrechtlichen Streitigkeiten (Erb und aigen) der Untertanen würden dem sog. lex rei sitae unterstellt. Gemäß den Worten des Friedensvertrages oblag die Entscheidung denjenigen Gerichten, darinn dann sölhe güter gelegen wärn. Eine besondere Regelung findet sich auch in Bezug auf fräuel und missetat200 (jedes gewalttätige Vergehen oder Verbrechen), welche dort gerichtet werden sollten, darinn der misstäter begriffen wurde.201 Die Könige besiegelten diesen Friedensvertrag
1463 erwähnt. Die Parteien legten alle Fehden und Feindschaften bei und wollten nur noch in Freundschaft und Einung miteinander verbleiben. Palacky´, Urk. Beiträge, S. 296–297. 199 Höfler, Über die politische Reformbewegung in Deutschland im XV. Jahrhundert, S. 137. 200 Bei den Landfriedenseinungen kann man die Ausbildung bestimmter Gruppen von Straftaten beobachten, die dann in die Verträge automatisch übernommen wurden. Interpretationskonflikte sollten vermieden werden, ebenso Kompetenzkonflikte unter den Gerichten. Mehr bei Fahrner, Der Landfrieden im Elsass, S. 367ff. 201 V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage Nr. XXI, S. 128.
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Geschichtlicher Hintergrund
durch hantgeben. Die den Abschluss der Friedensverträge begleitenden symbolischen Handlungen202 werden in den Verträgen oft explizit erwähnt. Einen Monat später, am 20. November 1459, verband sich Georg mit dem anderen Zweig der bayerischen Herzöge, und zwar mit dem in München residierenden Herzog Albrecht III. und seinen Söhnen Johann und Sigmund.203 Es handelte sich um den gleichen Herzog, dem im Jahre 1440 böhmische Stände den Thron angeboten hatten.204 Dieser die tschechische Sprache beherrschende Neffe der böhmischen Königin und Ehefrau Wenzels IV., Sophie von Bayern, lehnte aber damals das Angebot der böhmischen Stände ab. Die Parteien brachten im Friedensvertrag den Willen zum Ausdruck vmb kainerlaj sach willen zu kainer aufrur veintschafft noch krieg nymer komen (…) auch den vnnsern in kainen wege von kainerlai sach wegen, gestatten zetün.205 Das Schiedsverfahren wird hier in der gleichen Manier geregelt, wie es in dem Friedensvertrag mit Ludwig von Bayern vorgesehen war. Jedoch sollten dem Obmann anstelle von zwei Räten jeweils drei Räte zur Seite stehen. Dieser Vertrag war nicht erblich, sondern auf konigs zu Beheym lebtag begründet.206 d)
Einungen mit dem Haus Habsburg
Am 2. August 1459 festigte der böhmische König seine freundschaftlichen Beziehungen zum Kaiser, als er mit Friedrich III. ein Schutzbündnis einging.207 Für 202 Zur Wichtigkeit der symbolischen Handlungen im Mittelalter Gerd Althoff, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003. 203 Herzog Albrecht III. von Bayern-München hatte insgesamt 5 Söhne. Die zwei oben genannten, Johann und Sigmund, regierten mit ihrem Vater. Nach seinem Tod im Jahre 1460 übernahmen sie die Führung des Hauses. Mit dem Tod Johanns, der 1463 an der Pest starb, meldeten weitere Brüder ihr Mitregierungsrecht an. Einzelheiten bei: Krieger/Fuchs, Konflikte und Konfliktbewältigung im spätmittelalterlichen Fürstenhaus, S. 393–394. 204 Diese Szene der »Thronanbietung« seitens der böhmischen Stände ist im Münchener Hofgarten auf dem Bild Nummer 12 dargestellt. 205 V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage XXV, S. 135. 206 Ebd. S. 136. 207 König Georg von Podiebrad erfüllte seine Vertragspflichten, als er ihm gegen die Aufständischen in Wien zur Seite stand (1462). Dafür erteilte ihm der Kaiser folgende Privilegien: zur Krönungsfahrt nach Rom brauchte der böhmische König lediglich 150 bewaffnete Reiter anstelle von 300 zu stellen, der böhmische König brauchte an Reichstagen lediglich in den nahe gelegenen Städten Bamberg oder Nürnberg teilzunehmen, die Investitur erteilte der Deutsche König oder Kaiser dem böhmischen König an den Grenzen des Königreiches oder höchstens 15 Meilen von den Grenzen und die Hauptmänner des Deutschen Reiches durften keine Jurisdiktion über die Untertanen des böhmischen Königs ausüben. Haas, Archiv koruny cˇesk8, Bd. 6, Urkunde Nr. 156, S. 90. Die letztgenannte Regel über die deutschen Hauptmänner ist auf ein Ereignis aus dem Jahre 1461 zurückzuführen: Markgraf Albrecht von Brandenburg ließ Kopien eines kaiserlichen Schreibens bezüglich des Reichskrieges gegen Ludwig von Bayern auch in den Ländern der Böhmischen Krone verbreiten. Georg von Podiebrad sah dieses als eine klare Verletzung der Goldenen Bulle
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den Fall dass, jemand eine der Parteien auf irgendeine Art und Weise störte, sollte die andere Partei consilio, auxilio, adiutorio et favori, realiter et cum effectu, ad propulsandum et oppugnandum huiusmodi iniuriam et molestiam, assistere und zwar totiens, quotiens id necessarium fuerit.208 Noch bevor das Jahr 1459 zu Ende ging, gelang es dem böhmischen König noch einen weiteren Friedensvertrag abzuschließen. Am 28. Dezember bekräftigte er seine Freundschaftverhältnisse mit dem Erzherzog Albrecht von Österreich.209 Die Vertragsbestimmungen unterscheiden sich nicht erheblich von denen der zuvor mit den bayerischen Herzögen vereinbarten Verträge. Im Schiedsverfahren sollte eine gütliche Einigung angestrebt und erst im Fall ihres Scheiterns ein Gerichtstag in Passau abgehalten werden.210 Die Zahl der Räte, die gemeinsam mit dem Obmann entscheiden sollten, wurde erneut auf zwei beschränkt und die Frist für den Vollzug des Schiedsspruchs betrug das übliche halbe Jahr. Wie auch im Vertrag mit dem Münchner Herzog sollten die »körperlich Verletze«, Lehen und geistliche Angelegenheiten betreffenden Streitsachen jeweils einem eigenen Regime unterstehen und nicht in die Kompetenz der Schiedsrichter fallen.211 Neben dem Papst und dem Kaiser nahmen die Parteien ihre verbündeten Fürsten aus dem Vertrag.212 Dieser Friedensvertrag wurde am 18. Februar 1461 von den Parteien auf lebtag erneuert.213
2.
Georgs Bemühungen um den deutschen Thron
Einen interessanten Komplex von Vertragsbeziehungen ging König Georg im Rahmen seiner Bemühungen um den deutschen Thron ein. Eine günstige Fügung des Schicksals ließ den geschickten deutschen Juristen214 und Diplomaten
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und sobald sich eine Möglichkeit ergab, erwirkte er vom Kaiser den oben erwähnten Ausschluss der Jurisdiktion der deutschen Hauptmänner auf dem Gebiet des Böhmischen Königreiches. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 70. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III, P. I., S. 256–257. Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. 1, Sp. 1485–1488. Vgl. Fn. 811. Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. 1, Sp. 1487. Der Erzbischof von Mainz, der Bischof von Würzburg, der Pfalzgraf bei Rhein, die Herzöge Friedrich und Wilhelm von Sachsen, alle Markgrafen zu Brandenburg, Ludwig von Bayern, der Bischof von Passau und Sigmund von Österreich. Kurz, Österreich unter Kaiser Friedrich dem Vierten, S. 219. Die gelehrten Räte könnte man im Spätmittelalter als »universelle Rechtsgelehrte« bezeichnen, denn sie waren in unterschiedlichsten Bereichen des Rechtslebens tätig, in der Gerichtsbarkeit, der Verwaltung oder in diplomatischer Mission. Annas, Fürstliche Treffen, S. 164. Zur Rolle der gelehrten Juristen als Berater der Könige oder Fürsten z. B. folgende drei Artikel in der Monographie: Hartmut Boockmann/Ludger Grenzmann/Bernd Moeller/ Martin Staehelin (Hrsg.), Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, I. Teil. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmit-
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Geschichtlicher Hintergrund
Dr. Martin Mair seinen Weg kreuzen. Die Vorstellungen und Pläne dieses Mannes fielen bei Georg auf fruchtbaren Boden, denn sie sollten ihm Wege eröffnen, seine Machtstellung in Europa weiter zu festigen und so den Heiligen Stuhl auf Distanz zu halten. Dr. Martin Mair hat vermutlich Anfang des Jahres 1460 mit König Georg darüber gesprochen, wie man ihm eine herausragende Stellung im Deutschen Reich verschaffen könnte.215 Dr. Mair beabsichtigte, gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen wollte er den böhmischen König zum Vorkämpfer der Reichsreform machen, zum anderen hatte er einen Kreuzzug gegen die Türken im Auge.216 Dabei spielte ihm eine kursierende Volksprophetie in die Hand: »Wenn der Adler in Löwen’s Höhle nesten wird, dann kommt Wohl und Frieden in das Deutsche Reich«.217 Beim anstehenden Reichstag in Nürnberg (28. Februar 1460) sollte sich Georg zum Feldhauptmann des Kreuzzugsheeres wählen lassen.218 Dr. Mair ignorierte dabei wahrscheinlich den Umstand, dass in Mantua bereits Kaiser Friedrich III. vom Papst zum Feldhauptmann219 bestimmt worden war ; da dieser seiner Pflicht nicht nachzukommen schien, hatte mittlerweile Pius II. ein Auge auf Albrecht Achilles als einen potentiellen neuen Kandidaten geworfen.220 So wie die Beziehungen zwischen dem neuen Papst und dem böhmischen König standen, gab
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220
telalters 1994–1995, Göttingen 1998. Paul- Joachim Heinig, Gelehrte Juristen im Dienst der römisch-deutschen Könige des 15. Jahrhunderts, S. 167–184. Hartmut Boockmann, Gelehrte Juristen im spätmittelalterlichen Nürnberg, S. 199–214. Ingrid Männl, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren am Beispiel von Kurmainz (1250–1440), S. 185–198. Peter Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493), S. 77–148, oder Notker Hammerstein, Universitäten-Territorialstaaten-Gelehrte Räte, S. 687–736, beide in: Roman Schnur (Hrsg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986. Hansen, Martin Mair, S. 174. Ebd., S. 172. In dieser Prophezeihung werden das Deutsche Reich und das Böhmische Königreich durch ihre Wappentiere vertreten. Solche Prophezeihungen gehörten zum mittelalterlichen Alltag. Man erwartete zum Beispiel die Rückkehr des Kaisers Friedrich II., der angeblich durch den mythischen Priester Johannes die Gnade ewiger Jugend erfahren hatte. Schatz, Imperium, Pax et Iustitia, S. 203. Ein nahendes Weltende, aus unterschiedlichen Zeichen gedeutet, war ebenfalls ein beliebtes Thema der Prophezeihungen. Graus, Epochenbewusstsein, S. 155. FRA, XX, S. 214. Nachdem sich Pius II. der Lobesworte Ciceros über die Eigenschaften des Pompeius (die fünf besonderen Eigenschaften eines Herrschers) bedient hatte und mit diesen den Kaiser auszeichnete, ernannte er ihn zum ducem et capitaneum generalem contra Turchorum. Leibniz, Codex iuris gentium, S. 421. Bei dem Kongress in Mantua beabsichtigte Pius II., den teilnehmenden Markgrafen Albrecht Achilles für den Türkenzug als potenziellen Feldhauptmann zu gewinnen. Weiss, Die ersten Hohenzollern in der Mark, S. 43. Ein Jahr später, im Oktober 1460, hatte der Papst wieder einen anderen Kandidaten im Auge und schrieb an den Kaiser, dass er an seiner Stelle Friedrich, den pfälzischen Kurfürsten, als Anführer des christlichen Heeres akzeptieren solle. Mertens, Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, S. 54.
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es kaum eine Chance, dass dieser zum Feldhauptmann ernannt würde. Da der Reichstag in Nürnberg inhaltlich jedoch vor allem vom Streit der Reichsfürsten beherrscht wurde, gab es für die Umsetzung der Mairschen Pläne nur wenig Raum.221 War indes das Vorhaben Mairs, den böhmischen König zum König des Deutschen Reiches wählen zu lassen, überhaupt realistisch? In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gab es im Deutschen Reich eine Reihe widerstreitender dynamischer Prozesse und erhebliches Potenzial für Auseinandersetzungen. Grundsätzlich standen sich zwei territorial-politische Zusammenschlüsse gegenüber. Die eine Seite bildete das kaisertreue Haus Brandenburg mit seiner Führungsfigur Albrecht Achilles. Dieser war für seine ungewöhnliche Körperkraft und geistige Wendigkeit bekannt, welche er in zahlreichen Turnieren und Kämpfen bewiesen hatte. Palacky´ bezeichnet ihn als eines der letzten Musterbilder eines mittelalterlichen Helden.222 Ausgangspunkt war einmal mehr das Streben nach politischer Macht und Machtzuwachs. Albrecht beabsichtigte, mittels seines Landgerichts, dessen Befugnisse vom Kaiser erneuert wurden, im Burggrafenthum Nürnberg den fränkischen Besitzungen mehr Gewicht zu verleihen und diese auszubauen. Das rief auf Seiten der bayerischen Herzöge Unmut hervor. Sie bildeten eine zweite Partei, die gegen den Kaiser opponierte. Der Bayerische Krieg wurde durch das Vorgehen Ludwigs des Reichen gegen die Reichsstadt Donauwörth (1458) und gegen Dinkelsbühl provoziert. Unterstützung erhielt Ludwig bei dieser Unternehmung von dem Pfalzgrafen, den bayerischen Herzögen, den Bischöfen von Würzburg, Augsburg, Eichstätt und Regensburg, den Herzögen von Sachsen, sowie von Herzog Albrecht.223 Diese Friedensbrüche gaben wiederum Kaiser Friedrich III. freie Hand und so verhängte er über die bayerischen Herzöge die Reichsacht. Albrecht von Brandenburg und Herzog Wilhelm von Sachsen ernannte er zu kaiserlichen Hauptleuten. Aufgrund der Bündnisverträge stand den Wittelsbachern ein kaisertreuer Block, bestehend aus Albrecht Achilles, seinem Bruder Friedrich Kurfürst von Brandenburg, den Herzögen Wilhelm von Sachsen, Karl von Baden, den Landgrafen Ludwig von Hessen und Ulrich von Württemberg, gegenüber.224 Durch politische Manöver während des Bayerischen Krieges, versuchte Georg, Verbündete und Unterstützer für Mairs Plan zur Reform des Deutschen Reiches und für seine Ernennung zum Deutschen König zu gewinnen. Allerdings 221 Hansen, Martin Mair, S. 185. 222 Palacky´, Geschichte von Böhmen, Bd. 4, S. 68. Zu seinen Fähigkeiten als erfolgreicher und gewandter Vermittler Müller, Die diplomatische Kärrnerarbeit, v. a. S. 208–209. 223 Hansen, Martin Mair, S. 157. Palacky´, Geschichte von Böhmen, S. 71. 224 Der Letztgenannte begründete gemeinsam mit Albrecht Achilles und Herzog Ludwig von Veldenz im Jahre 1458 ein Bündnis in Mergentheim, das später ausdrücklich gegen den Pfalzgrafen gerichtet wurde. Hansen, Martin Mair, S. 159.
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war der böhmische König nicht der einzige Aspirant für den deutschen Thron. Die dem Kaiser gegenüberstehende Partei zog Fürsten wie den Herzog von Burgund,225 den Bruder des Kaisers, Erzherzog Albrecht von Österreich, oder den Pfalzgrafen Friedrich in Betracht.226 Um weiter Stimmen zu sammeln, setzte König Georg seine rege Bündnispolitik im Jahre 1460 weiter fort. Am 8. Mai 1460 ging er mit Ludwig dem Reichen verpüntnüss und aynung ein, gemäß dem sie mit hillf und beystand trewlichen beyeinander steen und beleiben wollten.227 Das Schiedsverfahren sollte weiter so gehandhabt werden, wie es der Pilsener Vertrag vom 16. Oktober 1459 vorgesehen hatte.228 Bei den traditionellen »Ausnahmen« zugunsten der Herrscher, gegen die solche Bündnishilfe nicht beansprucht werden konnte, wurde Kaiser Friedrich III. nur noch in den die heilige Kirche und das Deutsche Reich betreffenden Angelegenheiten ausgenommen.229 Damit sollte klar gestellt werden, dass der Krieg gegen die kaisertreue Partei allein territorialpolitischer Natur war. Den Versuch, zwischen der Reichsgewalt und dem Landesherrn zu differenzieren und damit eine Fehde zu ermöglichen, unterband Friedrich III. später.230 Neben dem Bündnisvertrag wurde auch die Vermählung von Georgs Tochter Ludmila mit Ludwigs Sohn Georg vereinbart.231 König Georg kümmerte sich auch um eine standesgemäße Vermählung seiner zweiten Tochter sowie um die Sicherung der Machtposition seiner Söhne. So wurden im Jahre 1462232 seine drei Söhne, Viktorin, Heinrich der Ältere und Heinrich der Jüngere genannt Hynek, von Kaiser Friedrich III. in den Reichsfürstenstand erhoben und erhielten die Titel der Reichsfürsten und Herzöge von Münsterberg und Grafen 225 Bereits im Jahre 1445 dachte man daran, den Herzog von Burgund zum Reichsvikar zu ernennen; dieser Gedanke kam erneut in den Jahren 1454, 1462 und 1467 auf. Bachmann, Deutsche Reichsgeschichte, S. 236. 226 V. Hasselholdt-Stockheim, Kampf der wittelsbachischen und brandenburgischen Politik, S. 111. 227 V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage XXXV, S. 173. 228 Ebd. S. 175. 229 Ludwig von Bayern versuchte im Jahre 1461 eine in gleicher Weise beschränkte Ausnahme zugunsten des Kaisers in ein Bündnis mit der Stadt Nördlingen einzukomponieren, worauf sich die Stadt aber nicht einließ. Der Nürnberger Rat ließ sogar diesbezüglich ein juristisches Gutachten (Dr. Seyfrid Plaghal) ausarbeiten. Dieser sah ein Bündnis ohne die kaiserliche Zustimmung als durch das gemeine Recht verboten und ipso iure für nichtig an. Mehr bei Isenmann, Recht, Verfassung und Politik in Rechtsgutachten spätmittelalterlicher deutscher und italienischer Juristen, S. 107–109. 230 V. Hasselholdt-Stockheim, Herzog Albrecht IV. von Bayern und seine Zeit, S. 444. 231 V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage XXXIV, S. 168. 232 Georgs Sohn Viktorin wurde von seinem Vater bereits im Jahre 1459 zum Grafen erhoben. Das an ihn übergebene Gebiet Glatz wurde dadurch zur Grafschaft. Letzteres bestätigte Kaiser Friedrich III. auf dem Brünner Treffen am 5. August 1459. Damit wurde im Böhmischen Königreich der Titel des Grafen überhaupt zum ersten Mal vergeben. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 65.
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von Glatz.233 Sie genossen aber keine reichsfürstlichen Rechte wie zum Beispiel das Stimmrecht bei den Reichstagen; mit Aussterben ihrer Dynastien sollte auch die Reichsunmittelbarkeit der genannten Gebiete erlöschen.234 Dies war die Konsequenz aus dem Umstand, dass Georg die Herrschaften Münsterberg und Glatz als Lehen der Böhmischen Krone an seine Söhne weitergegeben hatte.235 Am 8. Oktober 1460 erneuerte und vertiefte der böhmische König seine Beziehungen mit Ludwig dem Reichen. Insgesamt wurden drei Verträge ausgehandelt. Der erste Vertrag bestätigte die beiden vorhergehenden vom 16. Oktober 1459 und vom 8. Mai 1460. Es wurde ein Schutzbündnis zwischen den Fürsten bekräftigt und die Tür für diejenigen offen gehalten, die ihm beitreten wollten. Die zweite Urkunde beinhaltete ein gegen den ungarischen König gerichtetes militärisches Bündnis. In der letzten Vereinbarung ging es bereits um die Wahl Georgs zum römisch-deutschen König. Die Fürsten begründeten ihr Vorgehen mit den Missständen, die im Deutschen Reich herrschten. Mort name prant gehörten zum Alltag, die gericht und gerechtigkeit verdruckt, dadurch herrschte kein fride vnd ainigkait, was den cristenlich zuck gen den vnglaubigen Turken verhindere.236 Um all dieses zu korrigieren und da der keiser der dann solichs von kaiserlicher pflicht vnd ampts wegen schuldig ist zw thun, wollte man die Unterstützung für die Wahl Georgs zum römisch-deutschen König bei den Erzbischöfen von Mainz und Köln sowie beim Pfalzgrafen suchen. Dieses Unterfangen barg natürlich ein gewisses Risiko, weswegen man vereinbarte, sich in einem möglichen kriegerischen Konflikt zurseite zu stehen und getrewen Rat hillf und beystandt [zu] thun. Die Unterstützung Georgs hatte ihren Preis und sie war überdies an eine Bedingung geknüpft. Ludwig forderte das oberste Hofmeisteramt und Bestätigung aller ihm zustehenden Privilegien und Rechte. Weiter machte er zur Bedingung, dass die Stimme des Pfalzgrafen für die Wahl zuerst gewonnen werden müsse. Noch am selben Tag, an dem diese Vereinbarungen zwischen Böhmen und Bayern getroffen wurden, erließ die böhmische königliche Kanzlei Vollmachten für Dr. Martin Mair, um Einungen hinsichtlich der Krönung Georgs zum römisch-deutschen König mit dem Pfalzgrafen und den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier eingehen zu können.237 Am 3. Dezember 1460 gelang es Mair, einen Vertrag mit Diether von Isenburg, dem Mainzer Erzbischof abzuschließen. Doch dieser Vertag stand ebenfalls unter einer Bedingung: Man musste für Georgs Wahl den Pfalzgrafen, den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg gewinnen. Außerdem verschob 233 234 235 236 237
Schlinker, Fürstenamt und Rezeption, S. 178. Ebd., S. 180. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 66. V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage XLVIII, S. 255. V. Hasselholdt-Stockheim, Kampf der wittelsbachischen und brandenburgischen Politik, S. 118.
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der Erzbischof die Versiegelung seines Versprechens für die Wahlunterstützung Georgs auf den künftigen Fürstentag. Des Weiteren verlangte er für seine Stimme vom böhmischen König einige politische Zugeständnisse. Persönlich ließ sich Diether das Erzkanzleramt und gewisse Geldeinnahmen, zum Beispiel 2000 Gulden238 jährlich und den zehnten Pfennig der Judensteuer, zusichern. Daneben verlangte er eine Reform des Reiches, verpflichtete den König also dazu, ein ordentlich gericht, in dem heiligen Reich aus[zu]richten und [zu] exeguiern.239 Diether hatte die Angelegenheiten der deutschen Kirche im Sinn, deren Position er sichern wollte.240 Keinerlei vom Papst auferlegte Zehnte sollten gestattet sein. Die Basler Kompaktata sollten bekräftigt werden. Daneben sollte Georg ein allgemeines Konzil an einem beliebigen deutschen Ort am Rhein einberufen. Dr. Mair schreibt in seinem Bericht an den böhmischen König, Diether bevorzuge Mainz oder Worms. Die Residenzstadt des Bischofs wäre auch für das zu schaffende Gericht, parlamentum, günstig.241 Über dieses konkrete Projekt hinaus wurden auch später Beziehungen seitens des Böhmischen Königreichs zum Mainzer Erzbistum gepflegt.242 Zu einem weiteren politischen Verbündeten des böhmischen Königs sollte Francesco Sforza werden, für welchen sich Georg politisch einsetzte, indem er dessen Status bestätigen, Regalien an diesen verliehen und seine Lehen sichern wollte.243 Bereits Ende 1459, anlässlich des Egerschen Reichstags, erhielt Dr. Mair vom böhmischen König ein Beglaubigungsschreiben für den Abschluss eines Bündnisses mit Sforza.244 Dem Mairschen Bericht können die Einzelheiten entnommen werden.245 Francesco Sforza versprach ein verus et perfectus amicus 238 V. Hasselholdt-Stockheim, Kampf der wittelsbachischen und brandenburgischen Politik, S. 284, nennt die Summe von 2000 Gulden, mit dem Hinweis, dass Höfler 2700 Gulden erwähnt. 239 Ebd., S. 282. 240 Kluckhohn, Ludwig der Reiche, Herzog von Bayern, S. 167. 241 V. Hasselholdt-Stockheim, Kampf der wittelsbachischen und brandenburgischen Politik, S. 286. 242 Am 15. April des Jahres 1464 wurde das zwischen Karl IV., seinem Sohn Wenzel einerseits und dem Mainzer Erzbischof Gerlach andererseits geschlossene erbbindtnus und einung vom 3. Februar 1366 von Georg von Podiebrad und dem Mainzer Erzbischof Adolf erneuert. Regest der Urkunden von 1366 bei Lang, Reg. Boica, Bd. IX, S. 141. Verweis auf die Urkunde von 1464 bei Stieber, Böhmische Staatsverträge, S. 181. 243 Die Herzöge von Visconti (Herzogstitel von König Wenzel IV. in den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts erhalten), starben im Jahre 1447 aus. Die einzige Tochter des letzten mailändischen Herzogs Filippo Maria Visconti, Bianca Maria, heiratete Francesco Sforza, der den Kaiser zur Investitur des Herzogtums an ihn bewegen wollte. Die Fürsprache des Kardinals Bessarion und des Erzherzogs Albrecht von Österreich halfen nicht, deswegen wandte sich Sforza an den böhmischen König. Bachmann, Böhmen und seine Nachbarländer unter Georg von Podiebrad, S. 134–135. 244 Hansen, Martin Mair, S. 175. 245 FRA, XX, S. 201–216.
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des Königs zu sein, also dem König mit Hilfe und Rat beizustehen. Sollte Georg zum römisch-deutschen König gewählt werden und dem Herzog sein Lehen bestätigen, ließe dieser dem böhmischen König reichlich Dukaten zufließen.246 Parallel zu den Bemühungen Georgs versuchte sein Verbündeter Ludwig von Bayern, den Kreis gemeinsamer Bündnispartner noch mehr zu erweitern und die machtpolitischen Beziehungen zu festigen. Einen Monat nach dem Bündnisschluss mit Böhmen ging er vertragliche Verpflichtungen mit dem Pfalzgrafen Friedrich, dem Bischof Johann von Würzburg und Georg von Bamberg ein (11. November 1460).247 In der Arenga des Bündnisvertrages beklagen die Vertragsparteien den Fall Konstantinopels sowie die beunruhigende Situation im Deutschen Reich. Die Bitte der Fürsten an den Kaiser, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, habe nit die frucht bracht.248 Weil sie das Reich befrieden wollten, um die notwendige Voraussetzung für einen Türkenzug zu schaffen, verbündeten sich die genannten Fürsten. Diese vornehme Zielsetzung sollte das offenbare Bündnis gegen Kaiser und Papst verbrämen. Unter den »ausgenommenen« Personen249 sind diese gerade nicht aufgeführt und dem politischen Klima entsprechend ist die Ausrichtung des Bündnisses eindeutig. Die Bündnisgenossen versprachen sich Hilfe für den Fall, dass jemand von ihnen in eine Fehde geriete. Auf Kosten des Hilfesuchenden sollten innerhalb eines Monat nach seinem schriftlichen Ersuchen einhundert bewaffnete Reiter zur Verfügung gestellt werden. Wenn es aber dazu käme, dass eine der Parteien mit Hereskraft vberczogen wurde,250 gleich von welchem Angreifer, dann sollten – erneut nach einer schriftlichen Ermahnung – alle Vertragsgenossen dem angegriffenen Partner helfen, und zwar so, als ob es sein aigen sach were.251 Dieser Formulierung, die sich in den Bündnisverträgen einige Male wiederholt, kann man entnehmen, dass die verbündete Partei den Hilfesuchenden auf eigene Kosten unterstützen sollte. Den deutschen Thron im Visier verband sich der böhmische König am 16. November des Jahres 1460 mit dem Pfalzgrafen.252 Wie auch andere Fürsten wollte dieser nicht bedingungslos zusagen. Er knüpfte seine Unterstützung an die Zustimmung des Herzogs Friedrich von Sachsen sowie des Markgrafen 246 247 248 249
FRA, XX, S. 211. V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage XLIX, S. 268–271. Ebd., S. 269. Folgende Herrscher wurden von den Parteien ausgenommen: Der Erzbischof von Mainz, Diether von Isenburg, Landgraf Ludwig von Hessen, Graf Eberhart von Wittemberg, Georg von Böhmen, Sigmund, der Erzbischof von Salzburg, Erzherzog Albrecht von Österreich, Herzog Wilhelm von Sachsen und schließlich die Herzöge von Bayern Johann und Sigmund. V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage XLIX, S. 271. 250 V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage XLIX, S. 270. 251 Ebd., S. 270. 252 Edition auf den Seiten 274–279 bei V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden.
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Friedrich von Brandenburg zur Wahl Georgs. Der Pfalzgraf forderte das Amt des Reichshauptmanns mit einer jährlichen Rente von 8000 (ungarischen) Gulden sowie eine Bestätigung sämtlicher Rechte, Freiheiten und Privilegien für seine Pfalzgrafschaft. Daneben sollte dem Pfalzgrafen und seinen Erben ein Drittel eines in Frankfurt einzuführenden Zolls zukommen. Der Pfalzgraf wollte sich im Gegenzug mit einem Zwölftel der Kosten an den Bemühungen um die Investitur des mailändischen Herzogs beteiligen. Dafür erhielte Georg des Pfalzgrafen Stimme und Beistand, sollte jemand seine Position anfechten. Friedrich würde ihm Rat und Hilfe leisten und sich der Sache annehmen, als ob es vnser aigen sach were.253 Der im deutschen Reich tobende Bayerische Krieg eröffnete dem böhmischen König die Möglichkeit, seine auf die deutsch-römische Krone zielende Politik weiter zu verfolgen. Er wurde nämlich als Schiedsrichter angerufen und beraumte in dieser Funktion einen Fürstentag in Eger an, der am 2. Februar 1461 begann. Dabei stand jedoch nicht so sehr der Territorialstreit im Mittelpunkt; es ging vielmehr um die Finanzen des Reiches sowie den bevorstehenden Türkenkrieg. Georg versuchte bei dieser Gelegenheit, die so notwendigen Stimmen des Hauses Brandenburg zu gewinnen. Da die Markgrafen aber von den geheimen Abkommen Georgs mit dem Pfalzgrafen und dem Erzbischof von Mainz wussten sowie von der Bedingung, dass gerade ihre Stimme sowie die der sächsischen Herzöge für die Wahl des böhmischen Königs gewonnen werden mussten, wandten sie folgende Taktik an: Kurfürst Friedrich von Brandenburg forderte, zuerst den Pfalzgrafen und den Erzbischof von Mainz in den Kurverein (1446)254 aufzunehmen; dann sei er bereit, für den böhmischen König zu stimmen.255 Sein Bruder Albrecht ging noch weiter und verlangte, der Kaiser müsse seine Zustimmung zur Wahl Georgs geben. Alle Versprechungen Georgs an die Brandenburger, etwa von Reichsämtern, und sogar die Entscheidung des Streites zwischen Ludwig von Bayern und dem Markgrafen Albrecht einseitig zu Gunsten des Letzteren256 halfen nichts. Die Brüder ließen sich für die Wahl Georgs nicht gewinnen. Damit fiel das ganze Gebäude ineinander. Es bestand kaum Hoffnung, dass der böhmische König auf dem nächsten Fürstentag zum römisch-deutschen König gewählt werden könnte. Der Kaiser wurde von der ihm treuen brandenburgischen Partei über alle politischen Verhandlungen und Pläne hinsichtlich der Erhebung Georgs zum 253 V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage L. 3., S. 275. 254 In diesem Kurverein versprachen sich die Parteien, dass sie »in allen Sachen und Handelungen die das heilige Römische Reich und uns Churfürsten von des heiligen Römischen Reichs wegen antreffende« alles gemeinsam beschließen wollten. Müller, Reichstagstheatrum, Bd. I., S. 307. 255 Hansen, Martin Mair, S. 208. 256 Kluckhohn, Ludwig der Reiche, Herzog von Bayern, S. 170.
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deutschen König auf dem Laufenden gehalten. Fraglich bleibt, warum dieser sich angesichts der Vorgänge so gelassen verhielt. Vielleicht ahnte er, dass sich die Fürsten aufgrund der unterschiedlichen machtpolitischen Interessen letztendlich nicht auf die Wahl eines Kandidaten einigen würden.257
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Bündnispläne des Jahres 1463
Als »eine eigentümliche Variante der Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts« werden jene Bündnispläne angesehen,258 die von böhmischer Seite nach dem Prager Friedenskongress im Jahre 1463 vorgetragen wurden. Sie waren das Gemeinschaftswerk des deutschen Juristen Dr. Martin Mair und des kaiserlichen Rates Sigmund Rohrbacher. Dieses Mal sollte nicht ein neuer römisch-deutscher König die Reichsreform durchführen, sondern ein Fürstenbund, der überraschenderweise beide der verfeindeten Reichsparteien einbeziehen sollte. Kaiser Friedrich III., der böhmische König Georg von Podiebrad, Friedrich II. Pfalzgraf bei Rhein, Herzog Ludwig von Bayern sowie die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg sollten sich verpünden und den frid hanthaben.259 Zu den Eckpunkten der Agenda der Fürsten gehörten der Landfrieden, die richtige Bestellung des kaiserlichen Gerichts, die Regelung des Münzwesens und die Verwaltung der Reichsfinanzen. Gerade Letztere war für die Beteiligten von besonderem Interesse und hier zugunsten des Kaisers vorgesehen. Ihm sollten neben Steuern und Zöllen auch die Einnahmen aus der Münzprägung zufließen. Die Steuerlast würde von seinen Erbländern, den freien Städten und Reichsstädten, anderen weltlichen oder geistlichen Fürstentümern, den geistlichen Gütern und den Juden getragen. Dazu sollte der Kaiser die Erträge aus der jährlichen Besteuerung der Jahrmärkte der Reichsstädte bekommen. Eine weitere Einnahmequelle sollte er durch Münzprägung an dreißig bzw. vierzig Orten im Reich erhalten. Für die Finanzierung des Gerichtswesens sollte jeder, der XIII jar allt ist, des jars ein grossen geben.260 Von diesem Groschen könnten die 257 Interessant ist, dass der Kaiser selbst dem böhmischen König gegenüber im Jahre 1461 versprach, dass er den kaiserlichen Hof besetzen und das Reich nach Georgs Rat regieren werde. FRA XX, S. 244. Dieses geheime Versprechen wurde im Zusammenhang mit Georgs Vermittlerrolle im Streit zwischen dem Kaiser und dem ungarischen König abgegeben. Von der politischen Gewandtheit Georgs zeugt, dass er sich neben der kaiserlichen Zusage zugleich die Unterstützung Ungarns für seine Wahl auf den deutsch-römischen Thron sicherte. Hansen, Martin Mair, S. 204. 258 Isenmann, Reichsfinanzen und Reichssteuern im 15. Jahrhundert, S. 146. 259 Höfler, Über die politische Reformbewegung in Deutschland im XV. Jahrhunderte, S. 38. Hierbei wurden einige der Kurfürsten, vor allem die geistlichen, aus dem geplanten Bund ausgeschlossen. Watanabe, Imperial reform in the mid-fifteenth century, S. 231. 260 Höfler, Über die politische Reformbewegung in Deutschland im XV. Jahrhunderte, S. 40.
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anderen Fürsten einen Anteil zurückbehalten ebenso wie einen Anteil der »Jahrmarktsteuer«, falls sich ihre Herrschaft in der Nähe einer Reichsstadt befände. Ein Stück von diesem Kuchen sollte auch dem böhmischen König gehören, da der konig dem kayser zu den sachen allen mit gantzen trewen hellfen wurd.261 Mit den Worten Isenmanns »zeichnet dieses Projekt neben intriganten Zügen ein überraschender rationaler Konstruktivismus aus«.262 Sollte der Kaiser sich nämlich nicht beteiligen wollen, würden die Reichsfürsten die Reform allein durchführen, was zu einem Machtverlust des Kaisers geführt hätte.263 Zum Mairschen Projekt gab es zwei Änderungsvorschläge, einen aus dem Hause Brandenburg und den anderen von den Wittelsbachern. Die Wittelsbacher verlangten eine andere Aufteilung der Steuerlasten; danach sollten sich nicht nur die Mitglieder der Einung, sondern auch andere Herren und Grafen je nach der Zahl ihrer Untertanen an den Steuererhebungen beteiligen. Die Verteilung der Steuereinnahmen sollte modifiziert werden. Für die Durchsetzung und Erhaltung des Friedens sollten den Fürsten in ihren Ländern zwei Drittel der Steuereinnahmen zufallen. In den übrigen, nicht an der Einung beteiligten Herrschaften wollte man von je zehn Personen einen Gulden erheben.264 Andere weltliche und geistliche Fürsten sollten für die Einung gewonnen werden, wie der Erzbischof von Trier, der Erzbischof von Köln (ein Wittelsbacher), die Bischöfe von Bamberg und Würzburg sowie der Landgraf Ludwig von Hessen.265 Die Fürsten sollten dem Kaiser nicht zu hoch verbunden werden, das heißt nicht über das Maß der bereits existierenden Verpflichtungen hinaus.266 Die Einung sollte ferner unbeschadet ihrer eigenen vertraglichen Verpflichtungen bestehen.267 Der Vertreter der brandenburgischen Partei, Markgraf Albrecht Achilles, hatte dagegen Einwände gegen die geplante Stimmgewichtung und forderte, dass jedes Haus mit je zwei Fürsten vertreten sein solle. Für das Königreich Böhmen sollte König Georg gemeinsam mit seinem Sohn Viktorin, für die Wettiner Wilhelm und Herzog Albrecht, für die Hohenzollern Kurfürst Friedrich und Markgraf Albrecht, für das Haus Habsburg der Kaiser und sein Vetter Sigmund von Tirol beteiligt sein.268 Markgraf Albrecht war zudem bereit, die
261 Ebd., S. 41. 262 Isenmann, Integrations- und Konsolidierungsprobleme der Reichsordnung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, S. 142. 263 Der zu erwartende Widerstand der Reichsstädte und der an dem Bund nicht beteiligten Herren sollte nach Meinung von Dr. Mair vom Kaiser mit dessen Autorität gebrochen werden. 264 Palacky´, Geschichte von Böhmen, S. 291. 265 FRA, XX, (1860) 2, S. 321. 266 Ebd., (1860) 2, S. 321. 267 Ebd., (1860) 2, S. 320. 268 Molitor, Die Reichsreformbestrebungen des 15. Jahrhunderts, S. 136–137.
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Herrschaften von Württemberg und Baden in die Einung einzubeziehen.269 Die Steuerfrage erfuhr in der brandenburgischen Variante eine Abänderung in dem Sinne, dass den jeweiligen Fürsten die in ihren Ländern erhobenen Steuern zukommen sollten. Die Steuern der übrigen Herrschaften würde man halbieren und zwischen dem Kaiser und der Reichsregierung aufteilen.270 Das Projekt eines das Reich reformierenden Fürstenbundes scheiterte an den fürstlich-dynastischen Gegensätzen271 sowie an dem Umstand, dass die Änderungsvorschläge eine Reduzierung der kaiserlichen Einnahmen zur Folge gehabt hätten. Für einen derart niedrigen Ertrag war Friedrich III. nicht bereit, das Risiko einer Einung mit den Fürsten einzugehen, in der er ja stets hätte überstimmt werden können.272 Alle drei Bundespläne implizierten nämlich, dass der Kaiser allenfalls primus inter pares wäre. Friedrich III. hielt aber an seiner kaiserlichen Macht fest und wehrte sich gegen die mit der Einung verbundene Beschränkung der bündnisrechtlichen und friedensrechtlichen Hoheit des Reiches.273 Zum Verständnis des böhmischen Friedensprojektes sind die Beweggründe des böhmischen Königs wichtig, aus denen er nach dem gescheiterten Versuch, auf den deutsch-römischen Thron zu gelangen, den Plan des Fürstenbundes unterstützte. Wie die nicht realisierte Wahl zum deutschen König sollte auch der Versuch einer Reichsreform dem böhmischen König helfen, sich gegen mögliche Angriffe seitens des Papstes zu wappnen. Der Mairsche Entwurf sah als ersten Punkt nämlich gerade vor, dass der Kaiser die Streitigkeiten zwischen dem böhmischen König und dem Papst beilegen sollte.274 Inwieweit Georg mit dem Mairschen Projekt, das er zwar mit seinem Namen unterstützte, einverstanden war, lässt sich den Quellen nicht entnehmen. Wie Urb#nek vermutet, könnte ihm die wittelsbachische Note des Mairschen Werkes, die wahrscheinlich seinen Prager Schiedsspruch zu Gunsten des Markgrafen Albrechts ausgleichen sollte, nicht gefallen haben.275
269 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 694. 270 Molitor, Die Reichsreformbestrebungen, S. 137. 271 Isenmann, Integrations- und Konsolidierungsprobleme der Reichsordnung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, S. 143. 272 Molitor, Die Reichsreformbestrebungen, S. 137. 273 Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, S. 444. 274 Einen anderen Ansatz griff zum Beispiel Meister Pavel Zˇ&dek in seiner Schrift für Georg Podiebrad Spravovna auf, in welcher er versucht, den König zu Gehorsamkeit und Rückkehr in die Einung mit der Kirche aufzufordern. Er schlägt vor, Legaten mit Geschenken an den Papst zu schicken, die den Papst bitten sollten, dass er zwei Kardinäle und zehn Doktoren nach Prag delegiert, um dort einen Tag zu veranstalten. Hierbei sollte die böhmische Frage unter der Präsenz eines kaiserlichen Rats, des polnischen, ungarischen und französischen Königs geklärt werden. Tobolka, Mr. Pavla Zˇidka Spravovna, S. 61. 275 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 686.
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Entstehung des großen Friedensprojekts Item patet per multas prophecias quod, aliquis princeps septentrionalis debet incipere opus tale divinum et humanum, temporibus istis per quemdam mundus relevabitur.276
Nachdem die Bemühungen um den deutschen Thron fehlgeschlagen waren und noch bevor man den Vorschlag eines Fürstenbundes bei dem Prager Tag im Jahre 1463 zum Thema machte, war bereits ein anderes Projekt in statu nascendi. Die Idee eines Türkenkreuzzuges wurde vom böhmischen König bereits bei der öffentlichen Anhörung vor dem Kaiser im März des Jahres 1455 aufgegriffen, als er damals, noch als Landesverweser, mitteilte, er werde mit der ganzen böhmischen Macht gegen die Türken ziehen, sobald die Länder der böhmischen Krone mit anderen Herrschaften einen ewigen Frieden erzielten.277 Zwischen den Zeilen gelesen zielte diese Bedingung vor allem auf die Erledigung des Streites mit der Kurie. Diese war aber mit dem Gedanken nicht einverstanden, dass Georg als Anführer eines Heeres gegen die Türken ziehen sollte. Einige Jahre später bezeichnete Paul II. diese Idee als ob hosti Christi christianus exercitus committatur et impio carnifici oves dominice mactandae traduntur.278 Bei der Durchführung des neuen Vorhabens sollte Georg ein weiterer ausländischer Berater behilflich sein: Anthonius Marini Gratianopolitanus ex Delphinatu, wie er sich selbst in einer für die Könige von Böhmen und Polen verfassten Schrift bezeichnete.279 Über diesen außergewöhnlichen Geist, der plötzlich auftauchte und genauso rasch wieder verschwand, unterrichten uns vor allem Ernest Denis in seiner lateinischen Dissertation,280 Jorga,281 Hermann Markgraf282 und die neueste Biographie von Sˇmahel.283 Der Franzose italieni276 277 278 279
280 281 282 283
Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 222. ˇ esk8 deˇjiny, Bd. III., T. 2., S. 936. Urb#nek, C SRS, Abt. 2, Bd. 9 (1874), S. 161. Anthonii Marini Gratianopolitani ex Delphinatu epistola ad reges Bohemiae et Poloniae de unione Christianorum contra Turcos, 1462 (München BSB 1462, Clm 15606; zum Verweis auf moderne Edition siehe Fn. 295). Delphinatus steht hier für Grenoble, das im Jahre 377 nach dem Kaiser Gratian Gratianopolis genannt wurde und erst im Laufe der Jahrhunderte seine heutige Namensform erhielt. In einer Vereinbarung – siehe Textstelle zur Fn. 287 – identifizierte sich Marini als Anthonius Marini de Francia filius quondam domini Bartholomei Marini miles et doctor natus in civitate gracinopolitanensi in delphinatu. Für weitere Bezeichnungen von Marini vergleiche Fn. 305. Denis, De Antonio Marini et de Bohemiae ratione politica eo oratore, Angouleme 1878. Iorga, Una auteur des projets de croisades, Antoine Marini, in: Gabriel Monod, Etudes d’histoire du moyen age, Paris 1896. Markgraf, Über Georgs von Podiebrad Project eines christlichen Fürstenbundes zur Vertreibung der Türken aus Europa und Herstellung des allgemeinen Friedens innerhalb der Christenheit, in: Historische Zeitschrift, 21 (1869), S. 245–304. Sˇmahel, Antonio Marini z Grenoblu a jeho »Memorandum« o nutnosti protitureck8 alliance. Kapitoly z de˘jin n#bozˇensky´ch konfliktu˚, in: Krˇ&zˇov8 vy´pravy v pozdn&m strˇedoveˇku, Pavel Soukup, Jaroslav Sv#tek et alii, Praha: Nakladatelstv& Lidov8 noviny, 2010, S. 171–190.
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scher Herkunft lebte zwischen den Jahren 1445–1456 in Venedig.284 Danach verlegte er seine Unternehmungen gen Norden. Das belegt eine Urkunde vom Kaiser Friedrich III. vom 10. April 1456. In dieser wurde Marini und seinen Genossen ein Privileg für die wirtschaftliche Betätigung in den Erbländern des Kaisers, vor allem in der Steiermark285 erteilt. Das Privileg verschaffte ihnen die Befugnis, in den darauffolgenden 25 Jahren Ziegel und Kalk zu brennen sowie Mühlen und Wasserläufe zu errichten. Marini baute seine Privilegien weiter aus, als er noch im selben Jahr vom Salzburgischen Bischof die Vorrechte pro coquendo calce et lateribus pro braxanda ceruisia Sale buliendo molendinis construendis aqueductibus formandis et firmandis aggeribus fluminum contra aquarum impetum erhielt.286 Diese Vorrechte wurden für die Dauer von 25 Jahren noch um das Salzsieden und das Bierbrauen erweitert. Dass Marini offensichtlich auch einige Zeit in Wien weilte, bezeugt eine andere Urkunde.287 Hier schloss Marini mit einem gewissen Mattheus Neupekch aus Salzburg einen Vertrag, der es Letzterem gestattete, den gleichen Ziegel- und Kalkofen, den Marini zur selben Zeit (1457) in Wien betrieb, in Salzburg zu unterhalten. Freilich war diese Art von Franchising nicht umsonst, Mattheus sollte Marini eine einmalige Zahlung von tres centos ducatos auri et boni ponderis, also dreihundert Goldgulden guter Qualität, leisten und einen Anteil am Gewinn (mediam partem lucri quam ipse faciet in dicta fornace tradere) überlassen. Im Jahre 1459 befand sich Marini in Prag, wo er als technischer Berater für den königlichen Münzmeister Zdeneˇk Kostka von Postupice288 tätig war. Marini lernte Tschechisch und nutzte die Zeit am Prager Hof, um verschiedene Kontakte
284 Vgl. Iorga, Una auteur e projets de croisades, S. 446. 285 AÖG1, 10 (1853), Nr. 107, S. 196. Hier erhielt Marini die Vorrechte, Ziegel und Kalk zu brennen, Mühlen und Wasserläufe zu errichten. 286 Notizenblatt, Beilage zum Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen, Bd. IV (1854), S. 289. 287 Ebd., S. 292–293. 288 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 217. Zdeneˇk Kostka von Postupic, Anhänger der utraquistischen Seite und Vertrauensmann des Königs, gehörte zu seinen größten Unterstützern. Seit dem Anfang der Podiebradschen Regierung verwaltete er die Münzprägung in Kuttenberg, 1462 wurde er zum höchsten Münzmeister des Böhmischen Königreiches, das heißt seine Kompetenz wurde auf sämtliche Bergstädte (horn& me˘sta) und die Förderung von Prägemetall erweitert. Für seine treuen Dienste, auch als Diplomat, erhob Podiebrad Kostka in den Herrenstand. Sˇandera, Zdeneˇk Kostka z Postupic – prˇ&tel kr#le, neprˇ&tel c&rkve, S. 325–327. Im Jahre 1467 wurde er sogar zum Prager Oberstburggrafen, das heißt er bekleidete das wichtigste Amt des ganzen Landes. Dieses Amt wurde vom König selbst besetzt und zwar aus den vornehmsten böhmischen Herrenfamilien. Der Oberstburggraf (prorex) verkörperte alle Stände und agierte bei Abwesenheit des Königs er als dessen Vertreter. P#nek, Hofämter- Landesämter-Staatsämter zwischen Ständen und Monarchie an der Schwelle zur Neuzeit, S. 46.
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zu knüpfen.289 Man nimmt an, dass er bei der dortigen Münzreform des Jahres 1460 mithalf. Durch diese Tätigkeit kam er möglicherweise mit König Georg in Kontakt, der ihn in den Kreis seiner Berater in Angelegenheiten der »auswärtigen« Politik aufnahm und begann, Marini als einen seiner Gesandten bei ausländischen Höfen einzusetzen. Seine erste Mission führte ihn im Jahre 1461 nach Rom, wo er die verspätete Ankunft der böhmischen Obödienzgesandtschaft ankündigen sollte. Anfang August schrieb er einen Brief an den böhmischen König, in dem er eine schnelle Ankunft der böhmischen Gesandtschaft erbat, denn alle seien verärgert, dass sie noch nicht auf dem Weg sei.290 Bei dieser Gelegenheit erwähnt Marini, dass er für Georg zwei Traktate in gutem Latein verfasst habe.291 An welche Traktate Marini hier denkt, wird nicht deutlich. Am Ende seines Briefes spricht er von einem »Scherz« – »wtip«, den er sich ausgedacht habe, um dem Glauben Christi wieder zu Ansehen zu verhelfen, wie es einst Gottfried von Boullion292 getan habe. Dafür sei es jedoch nötig, dass sich der böhmische König mit den Königen Polens und Ungarns zusammenschließe. In diesem Moment arbeitete Marini schon am Gedanken des großen Friedenprojekts, den er in seinem Memorandum festhielt.293 Urb#nek datiert die Entstehungszeit dieses Traktats auf den Juni des Jahres 1462, kurz nach dem Zusammentreffen des böhmischen Königs mit dem polnischen König Kasimir IV. in Glogau (Glogow).294 Eine kritische Edition liegt erst seit dem Jahr 2010 vor.295
Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 218. ˇ asopis spolecˇnosti wlastensk8ho Muzeum v C ˇ ech#ch, Bd. II (1828), S. 21–24. C Ebd., S. 22. Gottfried von Bouillon gehörte im Mittelalter zu den größten Vorbildern und Helden der Kreuzzüge. Er war einer der Anführer des ersten Kreuzzuges und nahm später die Stelle des Regenten von Jerusalem ein. Die Geschichtsschreibung überhöhte seine Verdienste und trug zu seiner Heldenverehrung bei. Im 15. Jahrhundert versuchte man durch die Erinnerung an den ersten erfolgreichen Kreuzzug die Begeisterung für ein türkisches Unternehmen zu befeuern. Housley, The Later Crusades, S. 393. 293 Andere Schreiben an Könige, die zu einem Türkenkreuzzug aufforderten, sind bereits in Fn. 116 genannt. 294 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 220, Fn. 266 und S. 584. Der polnische Historiker Heck ist anderer Ansicht und führt an, dass der Marinische Satz Ad tertiam deliberationem publicare debent Maiestates Vestrae per urbem quomodo convenistis ad invicem in Glogonia maiori propter Turcum expellere et fidem Christi defendere rein rhetorisch zu verstehen sei. Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 220. Heck, Polen und das Friedensprojekt, S. 106. Nach Heck ist das Marinische Memorandum also vor dem Treffen in Glogau entstanden. Mindestens ein Datum jedoch darf als sicher gelten: Marini muss sein Memorandum nach dem Fall des Kaiserreichs Trapezunt geschrieben haben. Iorga, Una auteur e projets de croisades, S. 451. Auf der ersten Seite seines Werkes schildert er die Verluste der Christenheit, zu denen neben neun Königreichen auch zwei Kaiserreiche zählten: Konstantinopel und Trapezunt, das am 15. August 1461 gefallen war. 295 Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum sur la n8cessit8 d’une alliance
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Das politisch orientierte Traktat für den böhmischen und polnischen König war keineswegs das einzige Schriftstück aus Marinis Feder. Es sind noch zwei weitere Werke erhalten, die explizit als Ratgeber für den böhmischen König verfasst wurden. Beim einen handelt es sich um eine Schrift über den Handel des Böhmischen Königreiches mit dem Ausland, beim anderen um ein geomantisches Traktat, auf das hier nicht näher eingegangen wird.296 Das erstgenannte Traktat wurde vom böhmischen Geschichtsschreiber Frantisˇek Palacky´ entdeckt und 1828 von ihm auch zum ersten Mal herausgegeben.297 Aus dieser Schrift geht hervor, dass es sich um das vierte Traktat einer Reihe handelt. Seine drei Vorgänger über das böhmische Münzwesen, die Verbesserung der Silber- und Goldförderung298 sowie die iura regalia299 sind entweder nicht erhalten oder warten noch auf ihre Entdeckung. Marini hatte eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie man den Außenhandel im Böhmischen Königreich verbessern könnte. Obwohl er bei seiner Beschreibung manche Details ausließ, kann man seine Ideen folgenderweise zusammenfassen: Die bisher von ausländischen Kaufleuten importierten hochwertigen ausländischen Waren sollten zukünftig von böhmischen Kaufleuten importiert werden, so dass das Kapital das Königreich nicht verlasse. Da die Böhmen aber keine geborenen Kaufmänner seien, müssten sie dabei gefördert werden. Man solle eine Gesellschaft begründen, die die Waren von den Venezianern vor allem in Salzburg und Passau erwerbe und an die böhmischen Händler weitergebe.300 Der König müsse den Kaufmännern dafür einen zinslosen Kredit gewähren. Dafür sei es aber überaus wichtig, dass Recht und Ge-
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anti-turque, S. 205–231. Tschechische Übersetzung des Memorandum: Sˇmahel, Antonio Marini z Grenoblu a jeho »Memorandum« o nutnosti protitureck8 alliance, S. 171–190. Maimer De Francis, Antonius: Tractatus astronomicus vel si placet astrologicus ad Georgium Podiebrad, Bohemiae regem. Handschrift Österreichische Nationalbibliothek Wien, Ms. 5503, Fol. 147r–157v. Geomantie war im Mittelalter eine sehr beliebte Kunst mit dem Ziel, die Zukunft vorherzusagen. Sie war wesentlich einfacher als die Astrologie, deren Elemente (wie Häuser oder Tierkreis) sie sich bediente. Dieses nicht edierte Traktat Marinis kann als eine Anleitung zum Betreiben dieser Kunst angesehen werden. Eine kurze Beschreibung dieses Traktats bei: Schusterov#, Astrologia minor neboli nahl8dnut& do geomancie bry´lemi poradce kr#le Jirˇ&ka, in: Pocta Karlu Schellemu k 60. narozenin#m, Ostrava 2012, S. 513–520. ˇ ech#ch, in: C ˇ asopis spolecˇnosti wlaPalacky´, Rada kr#li Jirˇ&mu o zlepsˇen& kupectv& v C ˇ ech#ch II (1828), S. 1–20. stensk8ho Muzeum v C Man darf nicht vergessen, dass »Gold und Silber die monetäre Basis sowohl für die inneneuropäische Zirkulation wie für den Orienthandel mit Luxusgütern waren«. Paech/ Stuby, Machtpolitik und Völkerrecht in den internationalen Beziehungen, S. 19. Chyl&k, Nejstarsˇ& cˇesky´ spis n#rodohospod#rˇsky´, S. 407. Salzburg und Passau waren für Böhmen wichtige Handelszentren, von denen jeweils Handelsstraßen bis in das Innere des Königreiches verliefen. Auf beiden beförderte man eines der wichtigsten Handelsgüter – das Salz, über welches das Böhmische Königreich nicht selbst verfügte, das aber im Mittelalter als wichtiges Konservierungsmittel benutzt wurde.
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wohnheit im Böhmischen Königreich gut gehandhabt würden. Der König selbst solle dafür einstehen, dass jegliches Recht sowie die Gewohnheiten und Verträge, die den Handel und die Währung betreffen, ordentlich gestaltet würden. Das gleiche gelte für die Maße301 und Münzen. Eine gewisse Rechtssicherheit für die Kaufleute und Grundregeln für ihre Tätigkeit waren essenzielle Voraussetzungen für einen gut funktionierenden Handel. Bei Marinis Vorschlägen handelte es sich um die ersten Versuche, ein wirtschaftliches System unter dem wachsenden Einfluss der königlichen Zentralgewalt in einem Bereich aufzubauen, der bis dahin von den Adeligen und Städten nach Belieben beherrscht wurde.302 Die von Marini vorgeschlagene böhmisch-polnische Annäherung hatte ihrerseits Vorläufer. Schon vor dem geplanten Treffen in Glogau pflegten das Böhmische und das Polnische Königreich untereinander freundschaftliche Beziehungen. Ende November 1460 schlossen sie in Bytom einen Freundschaftsvertrag ab,303 demzufolge keiner der beiden Könige die Gegner seines Vertragspartners publice oder occulte unterstützen dürfe (auxilium et consilium praestare).304 Ferner wurde statuiert, dass die jeweiligen Untertanen dem befreundeten Königreich keinerlei Schaden zufügen dürften. Sollte es gleichwohl dazu kommen, müsse der verantwortliche König den Verbrecher zur Rechenschaft ziehen. Die erste Variante bezieht sich wahrscheinlich auf Fehden zwischen kleineren Herrschaften, die zweite Variante spricht von culpa et injuria, die dem Untertan des jeweils anderen Königreichs angetan werde. Der Angeklagte solle da gerichtet werden, ubi residet. Andere Angelegenheiten sollten bei dem persönlichen Treffen der Herrscher in Glogau erörtert und vereinbart werden. Die Ansprüche von Elisabeth, Ladislaus’ Schwester und Gattin des polnischen Königs, wurden nicht behandelt. Vor dem Treffen in Glogau nahm Marini noch an einer wichtigen Gesandtschaft teil. Der König hatte ihm befohlen, sich der nach Rom ziehenden Obödienzgesandtschaft anzuschließen, die am 14. Januar 1462 Prag endlich verließ.305 Geleitet wurde die Gesandtschaft durch Prokop von Rabenstein, den Kanzler des Königs, und den Landvogt von Lausitz, Zdeneˇk Kostka von Postu301 In einigen böhmischen Städten kann man an den öffentlichen Gebäuden, wie zum Beispiel ˇ esk8 Budeˇjovice am Rathaus, die Abbildung eines einheitlichen Maßstabs finden. In C (Böhmisch Budweis) ist es die Elle, die den Händlern Streitigkeiten ersparen sollte. Marini schien über die Unordnung der europäischen Maße ziemlich unglücklich zu sein. In seinem politischen Traktat über den Türkenzug ärgert er sich, dass es necque ulla vera misuracio gibt. Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 217. 302 Chyl&k, Nejstarsˇ& cˇesky´ spis n#rodohospod#rˇsky´, S. 408. 303 FRA, XX (1860), S. 236–238. 304 Zu dieser Formel vergleiche Unterkapitel E.II.2.b. Auxilium et consilium. 305 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 510. Marini wird in den Notizen des päpstlichen Fiskalprokurators Antonius de Eugubio als Antonius carbonista de Francia laicus bezeichnet. FRA, XX (1860), S. 268.
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pice.306 Nach privaten Verhandlungen mit Kardinal Bessarion sowie dem Papst wurden die Kompaktata in einer öffentlichen Anhörung am 31. März 1462 aufgehoben und die Annahme von Georgs königlichem Versprechen an die Bedingung geknüpft, dass er seine Länder in die Einheit mit der katholischen Kirche führe.307 Mit dieser unerfreulichen Nachricht kehrte die böhmische Gesandtschaft Anfang Mai 1462 nach Prag zurück. Eine öffentliche Reaktion308 des böhmischen Königs wurde vorerst hintenan gestellt, denn wichtiger war die Verhandlung des Vertrages mit Polen in Glogau, der im Bythomer Vertrag bereits angelegt war. Zu diesen Vertragsverhandlungen reiste König Georg in Begleitung von Marini. Der böhmisch-polnische Fürstentag fand zwischen dem 18. und 29. Mai des Jahres 1462 statt. Angeblich liefen sämtliche Verhandlungen a huis clos ab.309 Der Vertrag lässt sich als Vorläufer des großen Friedenprojektes verstehen. Nicht geklärt ist, ob die böhmischen Diplomaten den Friedensplan in Polen bereits in groben Zügen vorstellten oder ob sie dieses Projekt den Polen vorerst verschwiegen.310 Der polnische und der böhmische König verbanden sich im Glogauer Vertrag considerantes rei publicae sacrosantae romanae universalisque Ecclesie fidei orthodoxae sacram, romani Imperii ac regnorum terrarum et subditorum nostrorum bonum commodum et utilitatem.311 Sie betonten die von den Türken ausgehende Gefahr und die Tatsache, dass diese bereits zahlreiche christliche Länder besetzt hielten. Deswegen wollten sie sich gegenseitig auxilium et subsidium dare, sollte eines der beiden Königreiche von den Türken angegriffen werden. Die danach folgenden Bestimmungen über die Bestrafung der Verbrecher sind fast wortgleich mit dem vorgehenden Bythomer Vertrag. Für die noch offenen Fragen wurde ein Treffen der böhmischen und polnischen consiliariorum et oratorum in Bedzin, einer Grenzstadt, vereinbart, was der üblichen Praxis entsprach, über gemeinsame Streitigkeiten an den Grenzen zu verhandeln.312 Hintergrund dieser Praxis ist vermutlich die pragmatische Überlegung, dass wenn die Verhandlungen ein schlechtes Ende nehmen sollten, jede Partei schnell 306 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 522. 307 Ebd., S. 553. 308 Zu einer solchen Reaktion kam es auf dem Prager Tag im August des Jahres 1462, der einberufen wurde, um die Gesandten aus Rom und den neu eingesetzten päpstlichen Legaten zu hören. Auf den Bericht der Gesandten über die Aufhebung der Kompaktata reagierte König Georg mit Frage: Wie kann der Papst eine Entscheidung des Konzils aufheben, wenn dieses über ihm steht? Palacky´, Geschichte von Böhmen, Bd. 1, S. 243. 309 Heck, Polen und das Friedensprojekt von Podiebrad, S. 100. 310 Ebd., S. 101. 311 Der Glogauer Vertrag ist abgedruckt bei Dogiel, Codex Diplomaticus Regni Poloniae et Magni Ducatus Litvaniae, Bd. 1, S. 14–19. 312 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 341, Fn. 29.
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in ihren eigenen Machtbereich zurückkehren konnte. Für das hohe Mittelalter ist belegt, dass diese Grenztreffen bei rangmäßig gleichgestellten Herrschern Anwendung fanden, während sie bei ungleicher Stellung eher im Territorium der »schwächeren« Partei anberaumt wurden.313 Der König von Böhmen verzichtete für die Dauer seines Lebens auf bestimmte schlesische Gebiete,314 der polnische König versprach, auf die Mitgift für seine Frau Elisabeth, Ladislaus’ Schwester, zu verzichten. Der Glogauer Bündnisvertrag verwirklichte den ersten wichtigen Punkt des Marinischen Memorandums: Ad primum dignentur Maiestates Vestre, Serenissimi reges Bohemie et Polonie ad honorem Christi et defensionem fidei se adinvicem concordare.315 Nachdem dies realisiert war, verlangte Marini in seiner Schrift von den Königen, ihre Gesandten zum französischen König zu schicken, um mit ihm einen Bund316 einzugehen und similiter ad Serenissimum ducem Burgondie et ad Serenissimos principes Veneciarum. Ihm zufolge verfügten weder der Kaiser noch der Papst über effektive Herrschaftsgewalt und wenn man auf einen Türkenkreuzzug hoffen sollte, solum remansi inter principes et commitates de aliis non est sperandum.317 Marini ist überzeugt, dass die anderen Fürsten sich beteiligen würden und nennt die Gründe, mit denen man die einzelnen Herrscher für den Beitritt zu einer solchen zum Zwecke des Türkenkreuzzuges gegründeten Liga gewinnen könne.318 313 Benham, Peacemaking in the Middle Ages, S. 60. 314 Wie die Herzogtümer Auschwitz und Zator sowie die Lehnshoheit über Masowien. Mikulka, Husitsk# revolucˇn& hnut& a Polsko, S. 154. 315 Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 220. 316 Nach der Marinischen Schrift sollten die Mitglieder dieses Bundes, der fraternitatis, einander amici amicorum et inimici inimicorum sein. Ebd., S. 221. Zu der Formel amici amicorum et inimici inimicorum siehe Fn. 474. 317 Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 220. 318 Primo Serenissimus rex Franciae iam promisit ad Dominum nostrum sanctum papam anno domini MoCCCCo sexagesimo secundo septima die aprilis in Roma in publico consistorio quomodo Sua Maiestas erat contenta pro defensione fidei quadraginta mille pedestres et triginta mille equestres. Maiestates vestre certificate sunt, quod Sua christianissima Maiestas non recusabit concordiam, nec serenissimus dux Burgondie minus, quia iam fecit iuramentum Deo, Beateque Marie Virgini, quod si aliter non esset in mundo inter christianos, quam sua sola serenitas, contra Turcos solus iret bellare cum tota sua potencia. Propter hoc michi videtur, Serenissimi reges, quod Vestre serenitates recusare non possunt pacem et concordiam ad invicem facere. Habebitis per necessitatem Serenissimum regem Ungarie, qui recusare non possit pro sua extrema necessitate. Similiter habebitis Serenenissimium principem Veneciarum cum tota sua potencia tam per mare quam per terram; ipsi non possunt recusare, quia primi percussi sunt, eo quod provincie sue confinantur cum Turcis. Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 220. Wahrscheinlich verweist hier Marini auf den Schwur, den der Herzog von Burgund beim Fasanenfest im Februar des Jahres 1454 aussprach. Dazu siehe Fn. 120. Der burgundische Herzog war zwar eifriger Befürworter eines türkischen Kreuzzugs, aber inwieweit er bereit war, sich mit einem häretischen König zu verbinden, wird offen gelassen. Einige Jahrzehnte zuvor hatte
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Dem Papst ordnete Marini lediglich eine organisatorische Aufgabe zu – er solle je einen weltlichen »Kapitan« und einen Legaten in alle christlichen Länder schicken, um die Organisation des Kreuzzuges zu verbessern. Bezüglich der Finanzierung des ganzen Vorhabens forderte Marini, dass die Geistlichen, wie der Papst angeblich bereits in Mantua befohlen hätte, ihren Zehnten und die weltlichen Herrscher den Verdienst eines Tages zur Verfügung stellten. Sei dies durchgeführt, gelte: tota Vestra liga principum (…) Sanctitatem pape et Serenissimum imperatorem rogabunt, quod consilium generale vocare debent.319 Die Liga der verbündeten Fürsten sollte also Kaiser und Papst zur Einberufung eines allgemeinen Konzils auffordern.320 Zuvor die vereinigten Fürsten sollten sich in Venedig treffen, um den Türkenkreuzzug näher zu erörtern. Die weiteren Teile des Traktates sind zwar unterhaltsam etwa Marinis Urteile über die verschiedenen Völker Europas321 für das große Friedensprojekt jedoch von geringerer Bedeutung. Zum nächsten Ziel Marinis wurde – nicht nur in seiner Schrift, sondern auch im realen Leben – Venedig, wohin er im Juli 1462 aufbrach, um die Idee einer gemeinsamen antitürkischen Liga zu befördern. Die Venezianer waren mit dem Gedanken einer liga et intelligentia der erwähnten Herrscher einverstanden, jedoch verlangten sie etwas, das für Georg unmöglich war : Commemoramus quoque et laudamus non obstantibus his, que idem sp. orator (Marini) dixit nobis,
er einen Kreuzzug gegen die Hussiten geplant, weil sich im Norden seiner Ländereien utraquistische Gedanken verbreiteten. Müller, Kreuzzugspläne und Kreuzzugspolitik des Herzogs Philipp des Guten von Burgund, S. 14. Nicht zu vergessen sind auch sein problematisches Verhältnis zum französischen Königreich und allgemein das burgundische Engagement in den anti-französischen Allianzen. 319 Ebd., S. 221. 320 Nur der Papst war zur Berufung eines allgemeinen Konzils berechtigt: Ad solum Papam pertinet congregatio concilii generalis. Garatus, De principibus, Qu. 500. Kaiser Friedrich III. ließ diesbezüglich Anfang der 1440er Jahre ein Gutachten von der berühmten juristischen Fakultät in Bologna anfertigen. Die Gelehrten kamen zu dem Resultat, dass der Kaiser keine Kompetenz besitze, ein allgemeines Konzil zu berufen. Papa debet convocare concilium et non alius, extra casum heresis et vacantis ecclesie, et ipsum dissolvere potest. RTA ä.R., Bd. 17 (1963), S. 166. Auf die distinctio 17 canon 2 des Gratians Dekrets (Non est ratum concilium, quod auctoritate Romanae ecclesiae fultum non fuerit) beriefen sich die Kardinäle des Konzils zu Florenz gegenüber den königlichen und kurfürstlichen Gesandten, die im November des Jahres 1442 nach Florenz kamen, um über die Einberufung eines dritten Konzils durch Papst Eugen IV. zu verhandeln. Denn nur der Papst und niemand andere sei berechtigt, ein concilium generale zu berufen und wenn so ein Konzil ohne die päpstliche Einberufung zustande komme, sei es höchstens als ein conciliabulum zu bezeichnen. Bäumer, Eugen IV. und der Plan eines »Dritten Konzils« zur Beilegung des Basler Schismas, S. 105 und S. 110. 321 Während die Italiener leere Versprechungen abgeben und die Griechen sehr überheblich sind, haben die Franzosen ihre schwache Seite in Bezug auf Frauen und die Deutschen essen und trinken allzu viel. Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 227.
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quod sumus pontifex in hanc intelligentiam intervenire deberet.322 Mit dieser unerfreulichen Bedingung kehrte Marini nach Prag zurück. Zu diesem Zeitpunkt wurde höchstwahrscheinlich auch der offizielle Text des Friedensprojektes verfasst.323 Die nächste Reise des fleißigen Franzosen ging nach Ungarn, wo Marini Unterstützung für den großen Friedensplan einholte. Bei seinem anschließenden Auftritt am Mailänder Hof konnte er nicht nur für Böhmen, sondern auch für Ungarn sprechen. Am Ende des Jahres 1462 war er schließlich in Frankreich, wo er den französischen König zur Kooperation zu bewegen versuchte. Nach der Mission in Frankreich kehrte er im März 1463 wieder nach Venedig zurück und präsentierte der Serenissima das Schreiben, das ihm der französische König mitgegeben hatte. Die Venezianer hießen in ihrem Antwortbrief seine Initiative willkommen und versprachen cum potenti classe nostra maritima, quicquid in nobis est, pro redemptoris nostri gloria in hac expeditione prompto animo.324 Zu diesem Zeitpunkt wusste der Papst aber bereits von dem böhmischen Plan und leitete Gegenmaßnahmen ein.325 Im Frühjahr des gleichen Jahres schickte er Kardinal Bessarion nach Venedig, um für seine eigene Unternehmung zu werben. Es wurde die Erhebung des Zehnten ausgehandelt und die für den Türkenkrieg bestimmte Fahne eingesegnet.326 Später schloss sich der Papst dem bereits seit dem 12. September 1463 bestehenden antitürkischen Bündnis Venedigs und Ungarns an327 – und zwar am 19. Oktober 1463.328 Drei Tage danach wurde in Rom die Kreuzzugsbulle verlesen.329 Obwohl der Papst dem böhmischen König den Wind aus den Segeln genommen hatte, wurde die Agitation für den böhmischen Plan fortgesetzt. Im 322 Schreiben vom 9. 8. 1462, FRA, XX (1860) 2, S. 290. 323 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 591. Bartosˇ verortet die Entstehung des offiziellen Textes ebenfalls in dieser Periode, also zwischen September und Dezember 1462, bevor Marini über Burgund nach Frankreich reiste. Bartosˇ, N#vrh kr#le Jirˇ&ho na utvorˇen& svazu evropsky´ch st#tu˚, S. 68. 324 Schreiben von 27. 3. 1462, FRA, XX (1860) 2, S. 291. 325 Pius II. erfuhr von dem böhmischen Vorhaben durch Antonio da Noceto, der in Frankreich weilte, bereits Anfang des Jahres 1463. Nachweis bei Pastor, Geschichte der Päpste, S. 182 und Anhang Nummer 57. 326 Jorga, Geschichte des Osmanischen Reiches nach den Quellen dargestellt, Bd. 2, S. 121. 327 Venedig und Ungarn schlossen eine unio, intelligetia et liga contra infidum Turcum, in der sie das gemeinsame militärische Vorgehen näher bestimmten sowie das Verbot verankerten, dass keine der Vertragsparteien ohne die Zustimmung der anderen Frieden mit den Türken schließen dürfe. Das Bündnis war natürlich für die anderen christlichen Fürsten zum Beitritt geöffnet. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III, P. I., S. 290–291. 328 In diesem modifizierten und um den Papst bereicherten Bündnis wollte man sich bis zu drei Jahren in einem Krieg gegen die Türken unterstützen. Der Papst versprach, selbst gegen die Türken zu ziehen unter der Bedingung, dass der burgundische Herzog persönlich nach Italien komme. Pastor, Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance (1928), S. 256. 329 Pastor, Geschichte der Päpste in dem Zeitalter der Renaissance (1928), S. 257.
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Oktober reiste Marini nach Polen, wo er sich an dem Tag in Piotrkjw beteiligte,330 bei dem auch über seine Vertretung Polens bei den Verhandlungen der antitürkischen Liga entschieden wurde.331 An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Dr. Mair nach der »Prager Richtung« im Juli 1463 mit dem Plan eines Fürstenbundes für ein Deutsches Reich aufwartete und dieser in den darauffolgenden Monaten ebenfalls verhandelt wurde. Das Böhmische Königreich betrieb also zwei Unternehmungen gleichzeitig. Als der Fürstenbundplan zu Beginn des Jahres 1464 schließlich scheiterte, verlagerte man die weiteren Aktivitäten auf das große Friedensprojekt. Im März 1464 reiste Marini zum ungarischen König nach Budin, um mit ihm über dieses zu verhandeln. Doch die Antwort des ungarischen Königs war unbefriedigend. Er wollte in dieser Sache zuerst seine Räte anhören und die Angelegenheit mit seinen nächsten Verbündeten, den Venezianern, dem Papst und dem Kaiser, besprechen. Allerdings gestattete er Marini, in seinem Namen mit dem französischen König über die Sache zu verhandeln.332 Zugleich sah sich König Georg gezwungen, nach dem Tod seiner Tochter, der Frau Matthias’, die Freundschaftsverträge mit Letzterem im Februar 1464333 aufzufrischen.334 Die nächsten Unternehmungen zur Verwirklichung des großen Friedensprojektes hingen im großen Maße von Ludwig XI. ab. Georgs Orientierung an Frankreich als einem mächtigen Verbündeten lag auf der Hand. Neben den Meinungsverschiedenheiten in kirchlichen Fragen herrschten zwischen dem rex christianissimus und dem Papst wegen der französischen Ansprüche auf Neapel erhebliche Spannungen.335 330 Töppen, Acten der Ständetage, Bd. 5, S. 84. Im Bericht über diesen Tag findet sich eine ausführliche Beschreibung des böhmischen Projekts. 331 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 607. 332 Palacky´, Geschichte von Böhmen, S. 305. 333 Ebd., S. 303. Noch als Landesverweser verbündete sich Georg von Podiebrad im Jahre 1453 mit anderen böhmischen und österreichischen Herren und mit Johann von Hunyadi, dem Vater von Matthias, in einem Bündnis gegen den Grafen Cilli, der damals gegen Hunyadi konspirierte. Gleichzeitig konnte dieses Bündnis als eines zur Bekämpfung der Türken gedacht werden. Denn die Böhmen versprachen Ungarn auch später eine nicht unbedeutende Zahl an Kämpfern für den Krieg. V. Zsolnay, Vereinigungsversuche Südosteuropas im XV. Jahrhundert, S. 102–121. 334 Am 14. April 1464 wurde der Freundschaftsvertrag zwischen den Königreichen erneuert. Sein Inhalt betraf die Proklamation des gegenseitigen friedlichen Zustandes (pax) und die Modalitäten der Bestrafung der verbrecherischen Untertanen sowie die Festsetzung eines Zusammentreffens am 24. Juni, an welchem einige bestehende Grenzstreitigkeiten in der Stadt Skalice geschlichtet werden sollten. Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. 1, Sp. 1514. 335 Als der König von Neapel, Alfons von Aragonien, im Jahr 1458 starb, erkannte der damalige Papst Eugen IV. seinen unehelichen Sohn, Ferrante, Ferdinand II., nicht als einen sukzessionsfähigen Erben an. Auch sein Nachfolger im Amt des Papstes, Calixtus III., erteilte ihm keine Belehnungsbulle. Diese wurde ihm erst vom darauffolgenden Papst Pius II. erteilt.
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Nach seiner Rückkehr aus Ungarn schloss sich Marini der feierlichen böhmischen Gesandtschaft an, die am 16. Mai 1464 in einer Stärke von circa 30 Pferden gen Frankreich aufbrach. Dank Palacky´s Entdeckung (1826 im Budweiser Archiv) der Handschrift eines Tagebuches, das diese Reise der Gesandtschaft dokumentiert,336 sind uns deren genaue Reiseroute sowie manches Detail der Verhandlungen am französischen Hof bekannt. Während der Vogt von Niederlausitz, Albrecht Kostka von Postupice, den böhmischen König vertrat, sollte Marini für den polnischen und den ungarischen König sprechen. Ludwig ließ sich bei den Verhandlungen die meiste Zeit von seinen königlichen Räten337 vertreten. Die Böhmen hatten vor allem seitens der französischen Geistlichen, namentlich von Johann Balue, dem späteren Bischof von Evreux, mit Widerstand zu kämpfen. Außerdem wußten sie bereits von der päpstliche Bulle Profecturos adversus sacrosante religionis hostes vom 16. Juni des gleichen Jahres, in welcher der Papst Georg von Podiebrad, qui nunc se gerit pro rege Bohemiae,338 eine Frist von 180 Tage einräumte, um vor dem Heiligen Stuhl zu erscheinen.339 Damit nicht genug: Pius II. suchte bereits nach einem geeigneten Kandidaten für den böhmischen Thron.340 Diese Suche blieb jedoch erfolglos. Es gab zu diesem Zeitpunkt einfach keinen Fürsten, der stark genug gewesen wäre, den böhmischen Thron einzunehmen. Bevor Pius II. mehr gegen Georg unternehmen konnte, musste er sicher sein, einen geeigneten Kandidaten für diesen Angriff aufbieten zu können. Dies unterstrich der Papst in seinem Gespräch mit dem Vertreter der Stadt Breslau im Jahre 1463.341 Die französischen Räte versuchten vor allem die Vollmacht der böhmischen Gesandtschaft zur Vereinbarung des Vertrages für die Fürstenliga anzuzweifeln. Ihre Argumentation war, dass Kostka und Marini lediglich zum Abschluss eines einfachen Friedensvertrages zwischen den zwei Königreichen bevollmächtigt seien.342 Marini gab nach. Es kam also lediglich zur Ausarbeitung und Unter-
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Pius II. ergriff damit Partei für die italienische Liga und verband sich mit Francesco Sforza, dem Herzog von Mailand. Die Franzosen allerdings erhoben über das Haus Anjou eigene Ansprüche auf den vakanten Thron Neapels. Ilardi, Studies in Italian and Renaissance Diplomatic History, S. 145. Als Autor des Tagebuches vermutet man Jaroslav, den Edelknaben des Herrn Kostka. Kalousek, Archiv cˇesky´, Bd. VII (1887), S. 427. Dies waren: der Bischof von Bayeux, Ludwig de Harancourt, der Bischof von Evreux, Wilhelm de Floques, die Ritter Hugo de Bournasel und de Labadie, Robert Biote de la Roque und de Monstreul und Jan Balue. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 758. Cugnoni, Aeneae Silvii Piccolomini Senensis opera inedita, S. 147. Setton, The Papacy and the Levant (1204–1571), Bd. II, S. 294. Hieronimus, der Erzbischof von Kreta, erhielt wegen seiner Kreuzzugkampagne im Norden Europas die Anweisung vom Papst, sich bei dem brandenburgischen Kurfürsten zu informieren, ob dieser nach der Absetzung Georgs bereit wäre, den böhmischen Thron anzunehmen. Bachmann, Geschichte Böhmens, Bd. 2, S. 568. Urb#nek, Kancel#rˇ kr#le Jirˇ&ka, S. 22. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 761.
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zeichnung eines Friedensvertrages (18. Juli 1464). Dessen Verhandlung verlief gleichfalls nicht reibungslos. Strittig waren die Titulatur des böhmischen Königs sowie eine in den böhmisch-französischen Beziehungen ungeklärte Frage – das Schicksal des Herzogtums Luxemburg.343 343 Eine übersichtliche Darstellung bietet Paquet, Die Geschichte des Luxemburger Landes, S. 38–42. Nach dem Tode Albrechts II. von Habsburg (1439) gingen die Rechte an dem Herzogtum auf Anna, seine ältere Tochter, und ihren Gemahl Herzog Wilhelm III. von Sachsen über. Luxemburg war zu dieser Zeit an Elisabeth von Görlitz verpfändet (seit 1411), die mit Empörung zusehen musste, wie die Luxemburger eher den Sachsen zuneigten. Elisabeth suchte Unterstützung bei Philipp dem Guten von Burgund, an den sie ihre Pfandrechte an dem Herzogtum durch den Vertrag von Hesdin (4. 10. 1441) verkaufte und den sie zum Statthalter von Luxemburg proklamierte, womit sie einen Aufstand im Herzogtum auslöste. Obwohl Wilhelm III. von Sachsen militärische Unterstützung durch seinen Schwiegersohn erhielt, konnte Philipp der Gute die Stadt Luxemburg im Jahre 1443 erobern. Gegen Ende desselben Jahres wurde ein Friedensvertrag mit dem Herzog von Sachsen unterschrieben – mit dem Resultat, dass Elisabeth von Görlitz ihre Pfandrechte am Herzogtum Luxemburg auf Philipp den Guten übertrug und Wilhelm hierfür einen finanziellen Ausgleich erhielt. Nach der Geburt von Ladislaus Posthumus im Jahre 1440 gingen die Rechte am Herzogtum vom Hause Sachsen auf diesen, als den einzigen lebenden männlichen Erben Albrechts II. über. Ladislaus verlangte im Jahre 1452 eine Huldigung seitens seiner luxemburgischen Untertanen. Dies führte zu einem Interessenkonflikt mit Philipp von Burgund, der sich seit dem Tode von Elisabeth von Görlitz als Herzog von Luxemburg titulieren ließ. Die böhmische Seite hoffte auf eine Heirat Ladislaus’ mit der Prinzessin Magdalene, Tochter des französischen Königs Karl VII., der in der luxemburgischen Sache natürlich ein günstiger Verbündeter sein konnte. Hlav#cˇek, Georg von Podiebrad und böhmische Lehen extra curtem, S. 221. Im Jahre 1455 wurde von den Vertretern der Parteien ein Vergleich geschlossen, laut dem sie und ihre Verbündeten alle Feindseligkeiten einstellen und ihre Gesandten zu einem Treffen nach Speyer schicken sollten, wo diese alle Dokumente und Anliegen dem Herzog Ludwig dem Reichen vorlegen ˇ K Bd. 6 (1958), Urk. Nr. 61, S. 54. und sich seinem Schiedsspruch unterwerfen sollten. AC Bevor dieser Streit gelöst werden konnte, verstarb Ladislaus an Leukämie. Nun fiel das Herzogtum wieder an Wilhelm von Sachsen zurück. Dieser verkaufte seine Ansprüche auf das Herzogtum im Jahre 1459 an den französischen König Karl VII. Engelhardt, Geschichte der Stadt und Festung Luxemburg, S. 63. Der französische König erwarb auch die Ansprüche der zweiten Tochter Albrechts II., Elisabeth, der polnischen Königin. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 95. Seine Bemühungen um das Herzogtum endeten aber mit seinem Tode im Jahre 1461. Da der neue französische König Ludwig XI. gute Beziehungen mit dem burgundischen Herzog pflegte (Ludwig hatte als Dauphin einige Jahre im Exil beim burgundischen Herzog Philipp dem Guten verbracht), verzichtete er auf das Herzogtum zu dessen Gunsten. Wilhelm III. von Sachsen und seine Gemahlin Anna verzichteten in einem neuen Vertrag mit Philipp im August 1462 gegen eine finanzielle Abfindung auf alle sächsischen Rechte am Herzogtum Luxemburg. Bereits einen Monat zuvor hatten die luxemburgischen Stände ihre Lehen von Philipp dem Guten empfangen. Ungeachtet dessen beabsichtigte Georg von Podiebrad keinesfalls, auf das Herzogtum Luxemburg als Teil des Böhmischen Königreiches zu verzichten. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 93. Rechtlich gehörte Luxemburg immer noch zur böhmischen Krone. Dies wird auch durch die Tatsache bezeugt, dass Karl der Kühne, als er 1467 zum ersten Mal den Titel des Herzogen von Luxemburg führte, den Hinweis beifügte, er sei titulo oppignorationis dazu berechtigt. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 97.
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Während der Verhandlungen über den böhmisch-französischen Friedensvertrag344 bestand die französische Seite darauf, dass der Titel des Luxemburgischen Herzogs in der Aufzählung der Herrschaften auf böhmischer Seite ausgelassen werde. Am Ende einigten sich die Parteien auf die schlichte Titulatur Ludovicus, Dei Gratia Francorum Rex – Georgius, Dei Gratia Rex Bohemiae.345 So ist am Ende dem Urteil der meisten Wissenschaftler zu zustimmen, dass der Abschluss lediglich eines Freundschafts- und Friedensvertrags mit Frankreich das Ende des großen Friedensprojekts bedeutete. Die Hauptfigur, auf deren Bedürfnisse der Plan zugeschnitten war, lehnte ihn ab. Antonius Marini verließ die böhmische Gesandtschaft auf ihrem Rückweg nach Prag und verschwand weitgehend sang- und klanglos aus der hohen Politik. Die letzten handfesten Spuren dieser interessanten Persönlichkeit führen zum Ausgangspunkt ihrer Unternehmungen zurück: nach Venedig.346 Der große Friedensplan war gescheitert. Der Tod von Pius II. Mitte August 1464 in Ancona, wohin er sich begeben hatte, um persönlich die Flotte gegen die Türken anzuführen,347 beseitigte keinesfalls die für das Böhmische Königreich von der Kurie ausgehende Gefahr. Der neue Heilige Vater Paul II. suspendierte zwar den gegen Georg eingeleiteten Prozess. Als Georg jedoch keine Obödienzgesandtschaft nach Rom schickte, diese aber immerhin mit einem Brief entschuldigte, lud Paul II. im August 1465 den böhmischen König nach Rom vor. Die Fürbitte seitens Ludwigs des Reichen für den böhmischen König – den Plan dazu hatte erneut Dr. Mair entworfen – vermochte den Lauf der Dinge nicht aufzuhalten.348 Der böhmische König wurde einer Reihe von Vergehen angeklagt, in der Hauptsache der Ketzerei, des Kirchenraubs sowie der Nichteinhaltung des Krönungseids. Aus nahe liegenden Gründen begab sich Georg von Podiebrad darauf nicht nach Rom.349 Der Zorn der Kurie hielt an. Im Dezember 1465 entband Paul II. die Untertanen des Böhmischen Königreiches von ihrem 344 Diesen Freundschaftsvertrag kann man als Fortsetzung der böhmisch-französischen Freundschaftsbeziehungen des 14. Jahrhunderts verstehen (Verträge von 1355 [Lünig, Codex diplomaticus, Bd. I, S. 387 und Jirecˇek, Korunn& archiv cˇesky´, S. 402], 1356 [C.d.m, Bd. IX, S. 15], 1380 und 1395 [Stieber, Böhmische Staatsverträge, S. 184, Nr. 266 und S. 186, Nr. 287]). 345 Dumont, Corps universel diplomatique, T. III, P. I., S. 315. 346 Iorga, Un auteur e projets de croisades, S. 457. 347 Pastor, Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance, S. 282. 348 Es sollte zu folgendem Handel kommen: König Georg mit seiner Familie würde zum traditionellen Glauben zurückkehren und den alten Ritus im Böhmischen Königreich wiederherstellen. Da man die Kompaktata nicht aufgeben konnte, sollten diese neben dem alten Glauben weiter bestehen. Dafür sollte einer seiner Söhne zu seinem Nachfolger werden, ein anderer Sohn zum Prager Bischof ernannt werden und Georg selbst zum Kaiser des (befreiten) Konstantinopel. Markgraf, Die Bildung der katholischen Liga gegen König Georg von Podiebrad, S. 72. 349 Pastor, Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance, S. 399–400.
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Treueid gegenüber dem König. In der Folge entwickelte der Papst eine aktive Propagandapolitik gegen den König, die seine Untertanen gegen ihn aufhetzen sollte. Dazu bediente er sich Rudolf von Lavants, den er vor allem nach Schlesien schickte, wo, neben dem gegen Georg bestehenden Herrenbund, das wichtigste Widerstandszentrum seinen Sitz hatte. Darüber hinaus stachelte Paul II. auch den Aufstand der katholischen Stadt Pilsen an.350 Angesichts des andauernden Kampfes mit der Kurie griff Georg zu einer neuen Strategie und forderte ein allgemeines Konzil.351 Allgemeine böhmische Auffassung war, dass es dem Papst nicht zustehe, die Kompaktata ohne Weiteres aufzuheben, wenn diese vom Konzil erlassen wurden. Auf europäischem Boden gab es einen weiteren König, der wegen seiner Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche nach einem Konzil verlangte, nämlich den französischen König Ludwig XI.352 Dies war dem böhmischen König bekannt und so beschloss er, die Kontakte zu Frankreich wiederaufzunehmen und zu intensivieren. Dieses Mal wurde jedoch mit Goswin Sˇp#n, dem Abt des Klosters in Neuzelle (Niederlausitz), nur eine kleine repräsentative Gesandtschaft an den französischen Hof geschickt. Die französische Abschrift der Botschaft, die der Abt dem französischen König überbrachte, blieb bis zum heutigen Tage erhalten.353 Erneut hatte man einen Bündnisplan geschmiedet, dessen Besetzung sich wegen der veränderten politischen Situation in Europa von derjenigen des großen Friedensprojekts unterschied. Nicht zu den Verbündeten sollte der König von Ungarn gehören. Dieser hatte sich nach dem Tod seiner Frau Katharina vom böhmischen König völlig entfremdet und betrachtete Böhmen nicht mehr als ein befreundetes Königreich, sondern als mögliche Beute. Neu in das Bündnis sollte der König von Dänemark (Christian I. von Oldenburg) aufgenommen werden, ebenso einige deutsche Fürsten – namentlich Herzog Otto von Bayern, die Herzöge von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg.354 Der polnische 350 Tomek, Handbuch der Österreichischen Geschichte, Bd. 1, S. 495. 351 Georg bekannte sich auf dem Brünner Tag, wo das Verhältnis der katholischen Stände zu den Kompaktata verhandelt werden sollte, öffentlich zu dem über dem Papst stehenden Konzil als der höchsten Instanz. Zum Brünner Tag bei Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 664–668. 352 Zu den strittigen Punkten gehörten vor allem die Anordnungen Ludwigs bezüglich der Publikation von päpstlichen Bullen, die von seiner Zustimmung abhingen, und das Verbot von Expektanzen. Der politische Preis für die Ernennung des Favoriten Ludwigs, Jean Balue, des Bischofs von Evreux, zum Kardinal war eine Deklaration gegen die Pragmatische Sanktion. Doch das Pariser Parlament sowie die französische Universität waren starke Befürworter der Pragmatischen Sanktion, so dass es sogar zum Erlass einer Konzilsappellation kam. Pastor, Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance, S. 370–373. 353 Macek, Der Konziliarismus in der böhmischen Reformation, S. 322, Abdruck der lateinischen Fassung des böhmischen Vorschlages: S. 328–329. 354 Es gelang Georg, durch die feierliche Vermählung seines Sohnes Heinrich mit Ursula, Tochter des Markgrafen Albrecht Achilles, in Eger im Jahre 1467 mit dem Haus Branden-
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Geschichtlicher Hintergrund
König wurde selbstverständlich miteinbezogen. Abgesehen von der anti-kaiserlichen und anti-päpstlichen Stoßrichtung des angestrebten Bündnisses ging es auch um ein gemeinsames Vorgehen gegen die Aufständischen. Der böhmische König hatte dabei in erster Linie die gegen ihn gerichtete Grünberger Allianz im Auge.355 Ludwig XI. hatte mit einem ähnlichen Aufstand zu kämpfen. Er wurde vom Aufstand der Ligue du bien public (der Liga für das Allgemeinwohl) aus dem Jahr 1465 bedrängt. An ihrer Spitze stand der ehemalige Beschützer Ludwigs, Karl der Kühne,356 bei dem er als Dauphin im Exil einige Jahre am burgundischen Hof verbracht hatte. Dies waren die Hintergründe für ein rein böhmisch-französisches gerichtetes Bündnis. Es richtete sich ausdrücklich gegen den burgundischen Herzog, dessen Herzogtum dem französischen König in Aussicht gestellt wurde.357 Nach einer erfolgreichen Unterwerfung Burgunds sollte dann ein allgemeines Konzil358 ausgerufen werden. Die Hoffnung auf die Einbeziehung des Markgrafen Albrechts von Brandenburg und der sächsischen Herzöge erwies sich als vergeblich. Die deutschen Fürsten wollten mit keiner der beiden Seiten – Georg bzw. dem Papst und Kaiser – in einen offenen Konflikt treten.359 Georgs Pläne gerieten durch das aktuelle Geschehen jedoch in den Hintergrund: In Gestalt der Rebellen der Grünberger Allianz, in deren Reihen sich auch fremde Kreuzfahrer befanden, und des ungarischen Königs Matthias, der seine zuvor angekündigte Feindschaft Ende März 1467 in die Tat umsetzte, wurde das Böhmische Königreich von einem Krieg heimgesucht.
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burg verwandtschaftliche Bande zu knüpfen. Siegel, Zur Geschichte der Fürstentage Georgs von Podiebrad in Eger, S. 225. Die Kurie reagierte auf diese Verbindung mit der Verhängung des Interdikts und mehrerer Verbote. Pazˇout, König Georg von Böhmen und die Concilfrage im Jahre 1467, S. 335. Markgraf Albrecht wurde sogar am 15. Oktober 1466 vom Papst gebannt. Doch fünf Jahre später, beim Tag in Regensburg, kam es zum Friedensschluss zwischen dem Papst und Markgraf Albrecht. Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. II (Ausgabe 1889), S. 388 und S. 656, Nr. 106. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Verlobung bereits am 25. November 1460 stattfand. Mit Verweis auf die Fundstelle des Vertrages zur Heirat: Müller, Die diplomatische Kärrnerarbeit, S. 186, Fn. 46. Die Entstehung und Zusammensetzung der Grünberger Allianz ist Fn. 368 zu entnehmen. Karl der Kühne war kein Freund der Hussiten. Denn als der polnische König jegliche Aktion gegen den böhmischen König ablehnte, wandte sich der Papst an den burgundischen Herzog und rechnete im Falle eines möglichen Kreuzzugs gegen das Königreich Böhmen mit dessen militärischer Stärke. Pazˇout, König Georg von Böhmen und die Concilfrage im Jahre 1467, S. 330. Macek, Der Konziliarismus in der böhmischen Reformation, S. 323. Dieses Konzil sollte auch »durch die Nation gehalten werden«, mit anderen Worten der Geschäftsordnung des Konstanzer und nicht etwa des Basler Konzils folgen. AÖG, 40, S. 364. Pazˇout, König Georg von Böhmen und die Concilfrage im Jahre 1467, S. 334.
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5.
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Die Gegner werden stärker
In dieser Situation erhielt Georg Unterstützung vom dritten Mann in seiner Troika ausländischer Berater,360 dem mit einem Bann überzogenen Gregor Heimburg. Dieser war mit den böhmischen »Staatsangelegenheiten« bereits vor der Krönung Georgs zum König in Kontakt gekommen, denn er stand als Rat des österreichischen Erzherzoges Albrecht mit Herzog Wilhelm von Sachsen in Verbindung.361 In die Dienste Georgs trat er im Juni des Jahres 1466 ein,362 in denen er bis zu der Kriegserklärung des ungarischen Königreichs blieb.363 Dieses Mal nahm die Verteidigung des böhmischen Königs die Form eines geschickt kompilierten Manifestes, der sogenannten Apologie, an. Sie wurde an die wichtigsten Fürsten Europas geschickt, an die Könige von Ungarn, Polen, die meisten Reichsfürsten, den Kaiser, den Herzog von Mailand sowie nach Dänemark. Dem französischen König wurde sie von einem Mönch aus dem Orden der Prämonstratenser überbracht.364 Für die Zwecke dieser Arbeit genügt es, auf dieses Schriftstück nur in seinen Grundzügen einzugehen. Danach sollten die weltlichen Fürsten gemeinsam mit den päpstlichen Legaten an einem Tag über das Schicksal des häretischen Königs entscheiden.365 Dabei handelte es sich um ein klares Ausweichmanöver Georgs, der als einer der mächtigsten Herrscher seiner Zeit, dem viele Fürsten verbunden waren, nur schwerlich eine Verurteilung durch Seinesgleichen fürchten musste. Auf dem Reichstag in Nürnberg im November 1466 stimmten die Fürsten der Heimburgschen Idee zu, zur Klärung der böhmischen Angelegenheit einen Reichstag abzuhalten. Allerdings war das Schlussdokument dieses Reichtages sehr vorsichtig formuliert und unterstrich vielmehr die Bereitschaft der Fürsten, die Parteien zu versöhnen.366 Die Bemühungen Heimburgs provozierten entsprechende Antworten von kirchlicher Seite und verhinderten nicht, dass der Papst König Georg im Dezember 1466 absetzte und die Untertanen erneut von ihrem Treueid entbunden wurden.367 Für den Fall der Nichtbesetzung des Thrones sollte Zdeneˇk von Sternberg zum Landeshauptmann ernannt werden. Der Kampf mit der Kurie 360 Der böhmische König wurde für die Tatsache, dass er sich mit ausländischen Beratern umgab und deren Dienste für diplomatische Reisen nutzte, etwa von seinem Leibarzt, dem höfischen Geschichtsschreiber und Utraquisten Sˇimon von Slany´, kritisiert. Sˇmahel, Idea ˇ ech#ch, S. 226. n#roda v husitsky´ch C 361 Brockhaus, Gregor von Heimburg, S. 252. Beide oben genannten Herzöge gehörten, wie bereits erwähnt, zu den Kandidaten für den böhmischen Thron. 362 Joachimsohn, Gregor Heimburg, S. 257. 363 Ebd., S. 379. 364 Macek, Der Konziliarismus in der böhmischen Reformation, S. 317. 365 Joachimsohn, Gregor Heimburg, S. 260. 366 Ebd., S. 264. 367 Excomunicato principe, vasalli non tenent obedire. Garatus, De principibus, Qu. 149.
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Geschichtlicher Hintergrund
setzte sich also fort. Neben der Erforderlichkeit der Verteidigung des Königreiches nach außen kam in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre auch ein stärker werdender innerer Feind hinzu. Am 28. November 1465 verbanden sich im Schwarzen Saal des Grünberger Schlosses 16 katholische Herrengeschlechter zu einem gegen den König gerichteten Bündnis.368 Ihr Anführer wurde der frühere Unterstützer Georgs und Prager Burggraf Zdeneˇk von Sternberg. Zentraler Streitpunkt war jedoch nicht die Glaubensfrage. Diese diente lediglich als ein geeigneter Aufhänger. Es ging vielmehr um die ständischen Freiheiten der Adeligen und ein stärkeres Mitentscheidungsrecht. Die Herren beklagten sich vor allem über die vom König angeordneten Militärzüge ins Ausland, an denen sie ohne finanziellen Ausgleich teilnehmen mussten, sowie über die Erhebung einer Sondersteuer und die aus ihrer Sicht unzureichende Berücksichtigung ihrer Ansichten bei den Entscheidungen des Königs.369 Da die Städte und der niedere Adel jedoch auf der Seite des Königs standen, suchten die Aufständischen Hilfe im Ausland. Die »Grünberger Allianz« rechnete mit der vom Papst versprochenen Unterstützung seitens des ungarischen und des polnischen Königs, den die Aufständischen zum Nachfolgekandidaten für den böhmischen Thron auserkoren hatten. Um in dieser Angelegenheit zu verhandeln und finanzielle Unterstützung vom Papst zu erbitten, wurden auch ein Ritter, Dobrohost von Ronsperg, und ein Priester aus Budweis nach Rom entsandt.370 Finanzielle Hilfe erhielten sie vom Papst jedoch nicht, denn die Grünberger Allianz verfolgte keine religiösen, sondern lediglich politische Ziele. An einer Neuwahl des böhmischen Königs war Paul II. dagegen interessiert und beauftragte in dieser Sache einen politisch geschickten Mann, seinen Legaten Rudolf von Rüdesheim, den Bischof von Lavant.371 Trotz der Bemühungen des Legaten Rudolf und der Pflicht der Kirche, im Konflikt mit dem Deutschen Orden zu vermitteln und diesen beizulegen, ließ sich Kasimir IV. nicht dazu bewegen, gegen den böhmischen König aktiv zu werden und ihn abzusetzen.372 Auch die Reichsfürsten ließen sich im Juni 1467 auf dem Reichstag in Nürnberg vom Papst nicht überzeugen, gegen den böh-
368 Eine Aufzählung der 15 Vertreter des höheren Adels und den Vertretern des niederen Adels findet sich bei Cˇornej/B#rtlov#, Velk8 deˇjiny zem& Koruny cˇesk8, S. 231. 369 Ebd., S. 231. 370 Tomek, Deˇje kr#lovstv& cˇesk8ho, Buch 6, § 69. 371 Dank seiner Vermittlung schloss der polnische König nach einem dreizehnjährigen Krieg einen Friedensvertrag mit dem Deutschen Orden (Oktober 1466). Der Text ist abgedruckt bei Wiese, Der zweite Thorner Vertrag vom 19. Oktober 1466, S. 8–68. 372 Die Versprechungen der Kurie zur Unterstützung Kasimirs, sollte er gegen den böhmischen König ziehen, behandelt Markgraf, Die Bildung der katholischen Liga gegen König Georg von Podiebrad, S. 261.
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mischen König vorzugehen. Sie wollten keinen Präzedenzfall schaffen, in dem ein König vom Papst abgesetzt würde.373 Nachdem der böhmische König beim Reichstag zu Beginn des Jahres 1467 fast allen Forderungen der Grünberger Allianz nachgegeben hatte, konnte er die Verbündeten der Grünberger Allianz zu Störern des allgemeinen Friedens erklären und damit rechtmäßig militärisch gegen sie vorgehen. Der Kampf des böhmischen Königs mit der Grünberger Allianz kann als »zweiter hussitischer Krieg« bezeichnet werden.374 Wie in den früheren hussitischen Kriegen standen sich zwei Lager gegenüber – der König mit dem utraquistischen Adel, den Städten und einem Teil des katholischen Adels einerseits und die katholischen Adeligen mit den katholischen königlichen Städten wie Pilsen und Breslau, sowie einem erheblichen Teil Schlesiens und der Nieder- und Oberlausitz andererseits. Um sich die päpstliche Unterstützung zu sichern, änderten die katholischen Aufständischen ihre Taktik und äußerten sich außer zu den rein ständischen Programmpunkten offen zur päpstlichen Bulle, in der Georg Ketzerei vorgeworfen wurde. Im Gegenzug erkannte der Papst den Herrn Zdeneˇk von Sternberg ausdrücklich als per barones catholicos et dilectos filios Pilsenses in capitaneum electum an und ergriff dadurch öffentlich für die Grünberger Allianz Partei.375 Die königliche Partei erwies sich jedoch als stärker und es wurden mehrere Waffenstillstände geschlossen. Der Papst versuchte zwar, weitere Unterstützer für die Grünberger Allianz zu gewinnen, vor allem in den Reihen der Reichsfürsten, diese blieben aber weiterhin neutral. Erst als der Konflikt in Böhmen durch die Kriegserklärung von Georgs Sohn Viktorin gegenüber Friedrich III. einen zwischen-»staatlichen« Charakter annahm, wendete sich das Blatt. Der ungarische König Matthias stellte sich auf die Seite des Kaisers, da er auf den böhmischen Thron hoffte. Er schloss sogar eine geheime Vereinbarung über einen dreijährigen Waffenstillstand mit den Türken, um sich dem böhmischen König stellen zu können.376 König Georg war somit gezwungen, an mehreren Fronten gleichzeitig zu kämpfen: intern gegen die Grünberger Allianz, nach außen gegen die Kreuzfahrer, die die Grenzgebiete zu Bayern plünderten, und gegen den ungarischen König Matthias.377 Dieser ließ sich nach einigen mit Georg abgeschlossenen Waffenstillständen 1469 in Olmütz von den Aufständischen des Böhmischen Königreiches zum neuen böhmischen Gegenkönig wählen. Auf seiner Seite hatte 373 374 375 376 377
Tomek, Deˇje kr#lovstv& cˇesk8ho, Buch 6, § 65. Cˇornej/B#rtlov#, Velk8 deˇjiny zem& Koruny cˇesk8, S. 242. FRA, XX (1860), S. 436. Kalous, Sluzˇba Boskovicky´ch u Maty#sˇe Korv&na, S. 89. Georg von Podiebrad bot sogar dem ungarischen König Matthias im Jahre 1470 ein Duell an, um das Land vor weiterem Krieg zu schützen. Dieser lehnte aber die Herausforderung ab. Goez, Über Fürstenzweikämpfe im Spätmittelalter, S. 154.
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er Schlesien, die Nieder- und Oberlausitz, einen guten Teil des mährischen Adels und die katholische Opposition. Auf diese Weise wurde Böhmen nicht nur zum Königreich zweier Glaubensrichtungen, sondern auch zum Königreich zweier gesalbter Häupter.378 Der kriegerische Konflikt zwischen ihnen blieb bis zu Georgs Tod unentschieden. Georg von Podiebrad wusste, dass seine eigene Dynastie auf dem böhmischen Thron eine sehr geringe Überlebenschance hatte. Deswegen richtete er seinen Blick auf den polnischen König als seinen möglichen Nachfolger. Nur so schien es ihm möglich, die Religionsfreiheit des Königreiches in der Zukunft einigermaßen zu sichern. Am 22. März 1471 starb Georg jedoch überraschend.379
6.
Zusammenfassung
Die ganze auswärtige Politik Georg von Podiebrads war auf die Erhaltung des status quo des Böhmischen Königreichs gerichtet. Einerseits versuchte er, Verbündete zu gewinnen, die für ihn beim Papst vorsprechen sollten, wie etwa Ludwig von Bayern. Andererseits beabsichtigte er, das Verhältnis zwischen sich und dem Papst auf eine europäische Ebene zu heben.380 Gerade durch die Einbettung des Königreichs in unterschiedliche Fürstenbünde sollte dem Streit zwischen dem böhmischen Kürfürsten und dem Papst eine andere, europaweite Bedeutung zuwachsen. Der Verzicht auf die Begründung einer eigenen Dynastie – auch wenn dieser Verzicht von den äußeren politischen Umständen erzwungen wurde – und die Bestimmung des polnischen Königs zu seinem Nachfolger zeugen von den wahren Absichten Georgs – pro bono et pacifico statu regni.381
378 Der Genauigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Papst die Wahl von Matthias bestätigte. 379 Angeblich kündete der Komet vom 22. September 1468 den Tod des böhmischen Königs an. So schrieb in seinem astrologischen Traktat Martin, Erzdiakon von Zagreb, an den ungarischen König Matthias. Thorndike, A History of Magic and Experimental Science, S. 421. 380 Vonka, M&rov# mysˇlenka a smysl cˇesky´ch deˇjin, S. 51. 381 Die Redewendung wurde übernommen aus der Urkunde des Königs Heinrich VII., in der er dem Erzbischof Balduin von Trier seine Privilegien bestätigt. MGH, Const. 4 I (1906), Nr. 276, S. 240f.
D.
Die spätmittelalterlichen Friedensverträge
I.
Die spätmittelalterlichen Friedensverträge als Gestaltungselement des Völkerrechts in statu nascendi
Eine Einordnung der Beziehungen zwischen den spätmittelalterlichen Herrschern382 und anderen Subjekten dieser Zeit in Kategorie des Völkerrechts kann, je nach der Betrachtungsweise, schwer fallen.383 Denn auch wenn der Prozess der Entstehung des Völkerrechts bis in das 13. Jahrhundert zurück datiert wird,384 kann bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts von einem Völkerrecht im modernen Sinne noch keine Rede sein.385 Die Europäer hatten die Glaubensspaltung, die großen überseeischen Entdeckungen, die damit verbundene Spätscholastik und den Aufstieg des Humanismus – alles Aspekte, die in Summa zur Entwicklung 382 Interessant in diesem Zusammenhang ist der Ausdruck der »Fürstengesellschaft«, der von der Wissenschaft für die Frühe Neuzeit vorgeschlagen wurde, um den anachronistisch wirkenden Begriff des Staates zu meiden. Krischer, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft, S. 10. Zu dieser Problematik vergleiche Fn. 897. 383 Unterschiedliche Ansätze und Meinungen zum Zeitpunkt des Entstehens des Völkerrechts bei: Focarelli, Lezioni di storia, S. 1ff. Zu unterscheiden sind in der deutschen Lehre zwei Entwicklungsströme. Während Ziegler den Ansätzen Preisers und Kasers folgend die Beziehungen unter den Herrschern als Völkerrecht bezeichnet, formuliert Steiger das Konzept eines Zwischen-Mächte Rechts, mit welchem er die normativen Regelungen beschreibt, die vor der Periode der »Wiederentdeckung« des römischen Rechts getroffen wurden. Steiger, Vom Völkerrecht der Christenheit zum Weltbürgerrecht, S. 172. Vgl. auch die Ausführungen Steigers zum Thema Völkerrecht in der karolingischen Periode: Steiger, Die Ordnung der Welt, S. 15–26. Ziegler, Continuity and Dicontinuity, S. 133–147. 384 Steiger erläutert in seinem Artikel die in der Geschichtswissenschaft herrschende Periodisierung der Völkerrechtsgeschichte und bietet eine neue Einteilung an. Steiger, Vom Völkerrecht der Christenheit zum Weltbürgerrecht, S. 171. 385 Ebd., S. 174. Vergleiche als gegensätzliche Meinung dazu: »no continuous tradition of international legal thought exists from early modernity – Gentili, Vitoria, Su#rez, Grotius, Pufendorf, Vattel, however one wants to date the moment of inception – to the twentieth century«. Koskenniemi, International Law and raison d’8tat, S. 298. Lesaffer sieht es ähnlich: »In the history of the international legal order of Europe, an important caesura needs to be laid around 1500«. Lesaffer, The Classical Law of Nations, S. 410.
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Die spätmittelalterlichen Friedensverträge
des modernen Völkerrechts beitrugen – im 15. Jahrhundert erst noch vor sich.386 Gleichwohl sind in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bereits überraschend viele Elemente eines solchen Völkerrechts jedenfalls rudimentär ausgebildet und manche zeitgenössischen Autoren definieren auch den Begriff selbst überraschend modern.387 Selbst die Schöpfer des Podiebradschen Friedensvertrags haben eine Ahnung vom in der Luft liegenden Völkerrecht in statu nascendi.388 Man kann das sich entwickelnde Völkerrecht als eine Mischung aus römischem Recht, Lehnsrecht389 und kanonischem Recht390 sowie der örtlichen Bräuche und Gewohnheiten391 ansehen.392 Es erbte Elemente aus der spätantiken Völkerrechtspraxis, wurde von der Theorie des bellum iustum des kanonischen Rechts beeinflusst und schöpfte daneben aus dessen weiteren Quellen.393 Nach der Wiederentdeckung des römischen Rechts konnten die mittelalterlichen Juristen in diesem einerseits »völkerrechtliche« Bestimmungen, andererseits Antworten auf ihre privatrechtlichen Fragen finden.394 Eben dem römischen Recht als einer 386 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 148. 387 »Da von Beginn der Welt an alle Menschen gleich geschaffen sind und da Völkerrecht – im Widerspruch zum Naturrecht, in dem Gott festlegte, dass alle Menschen sich im Besitz der Freiheit befinden – Fürstentümer und Herrschaftsterritorien in die Welt gebracht hat«. V. Andlau, Kaiser und Reich, S. 25. 388 Siehe Textstelle zur Fn. 841. 389 Obwohl das Lehnsrecht aufgrund seiner Regelungsgegenstände wie etwa Besitz, Nutzung, Erbrecht und Bodenrecht eher als Privatrecht verstanden wird, kann man in ihm ein völkerrechtliches Element finden, nämlich die lehnsrechtlichen Bindungen der europäischen Herrscher zueinander. Isenmann, »Pares curiae« und »väterliche, alte und freie Lehen«, S. 231–232. Die Eigentümlichkeit des Lehnsrechts für die »völkerrechtlichen« Beziehungen bestand darin, dass es sich um »vertraglich gegründetes Recht handelte, das wesentliche Elemente der Gegenseitigkeit enthielt«. Fisch, Krieg und Frieden, S. 535. In den mittelalterlichen Kommentaren zu den Beziehungen unter den Herrschern wird sehr häufig zu zwei Extravaganten Kaiser Friedrichs II. gegriffen, die in die Libri feudorum des Corpus Iuris Civilis aufgenommen worden waren. Es handelte sich um: De pace Constantiae und De pace tenenda inter subditos et iuramento firmanda. Ziegler, The influence of medieval Roman law on peace treaties, S. 155–156. 390 Hier wäre vor allem der Grundsatz pacta sunt servanda zu nennen, der in das Liber Extra eingeführt wurde. Lesaffer, The Medieval Canon Law of Contract and Early Modern Treaty Law, S. 183. 391 Wie Jucker trefflich beschreibt, wurde das Recht nicht nur in der geschriebenen Form weitergegeben, sondern auch mündlich ohne Auseinandersetzung mit den iurisperiti tradiert und weiter in die Vertragstexte aufgenommen. Jucker, Mittelalterliches Völkerrecht als Problem, S. 30. 392 Lesaffer, The three peace treaties of 1492–1493, Abschnitt 42. 393 Hier sind vor allem die Titel des Liber Extra zu nennen: De treuga et pace und De pace Constantiae. Wijffels, Martinus Garatus Laudensis on treaties, S. 189. Zum Einfluss der Kommentare von Innocenz IV. und Hostiensis zur Dekretale Quod super his auf das sich entwickelnde Völkerrecht: Muldoon, Medieval Canon Law and the Formation of International Law, ZRG KA 81(1995), S. 64–82. 394 Ziegler, Die römischen Grundlagen des europäischen Völkerrechts, S. 8. Für Alberico Gentili sollten sich die Herrscher bei ihren Auseinandersetzungen dem Zivilrecht unter-
Die spätmittelalterlichen Friedensverträge als Gestaltungselement
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gemeinsamen Quelle verdanken das Internationale Privatrecht und das Völkerrecht auch ihre strukturellen Gemeinsamkeiten.395 Allerdings muss dabei stets mitbedacht werden, dass man zu dieser Zeit – ebenso wie noch in den Frühphasen des eigentlichen Völkerrechts – nicht scharf zwischen »innerstaatlichem« und »zwischenstaatlichem« Recht unterschied.396 In welchem Verhältnis standen nun die spätmittelalterlichen Friedensverträge zum Völkerrecht in statu nascendi? Abgesehen von ihrer großen Bedeutung bei der Ausbildung der frühmodernen Staaten397 waren sie sein gestaltendes Element398 und bildeten die Basis für eben jenes Vertragsvölkerrecht, das sich seit dem 16. Jahrhundert entwickelte.399 Die Beziehungen zwischen den Herrschern weckten früh das Interesse der mittelalterlichen Juristen, die seit dem 14. Jahrhundert begannen, sich Fragen der Rechtsbeziehungen unter den Herrschern und Fürsten in speziellen Traktaten zu widmen.400 Zu den Klassikern gehören Johannes de Lignano mit seinem Tractatus de Bello, De Represaliis et De Duello (1360), Bartolus mit De Represaliis, Martinus Garatus Laudensis mit seinem Werk Tractatus de Bello, Tractatus de confoederatione, pace et conventionibus principum und schließlich Johannes Lupus’ Schrift De confoederatione principum.401 Die behandelten Themen und ihre Ausgestaltung sind von Autor zu Autor unterschiedlich. Vergeblich sucht man in diesen Traktaten nach einem System
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ordnen, denn er hielt das römische Recht nicht für einen speziellen Zweig, sondern für das Recht der Nationen an sich. Lauterpacht, Private Law Sources and Analogies of International Law with Special Reference to Arbitration, S. 11. Ziegler, Die römischen Grundlagen des europäischen Völkerrechts, S. 9. Hausmann, Die Spuren der treuga dei im Völkerrecht, S. 253. Schön zusammengefasst bei Peters, Europäische Friedensprozesse der Vormoderne 1450– 1800, S. 8: »Denn Frieden wurde errichtet, indem Herrschaftsbereiche neu definiert, Truppenbewegungen gesteuert, Besitzrechte ausgehandelt, Grenzen gezogen, Erbschaftsbestimmungen getroffen, Verteidigungs- und Sicherheitsmaßnahmen abgestimmt, Religionsausübung festgelegt, Durchmarschrechte bewilligt, Tribute und Mitgifte fixiert, dynastische Vermählungen vereinbart, Zölle erhoben, Kriegsgefangenenmodalitäten geregelt wurden u.v.m. Transferiert wurden Territorien, große Summen an Geld, kostbare Gastgeschenke und Präsente«. Man darf beim Völkerrecht eine seiner wichtigsten Eigenschaften nicht aus dem Augen verlieren: Die Theorie folgt hier immer der Praxis. Kintzinger, From the Late Middle Ages to the Peace of Westphalia, S. 619. Duchhardt, Das Vermächtnis des Spätmittelalters an die Frühe Neuzeit, S. 607. Bis zum heutigen Tage hat sich an der Tatsache nichts geändert, dass es im Völkerrecht keine normsetzende Instanz gibt. Die Staaten entscheiden für sich, was als verbindlich angesehen wird. Die schriftliche »Konservierung« der Praxis ist aber als Fortschritt anzusehen. Czempiel, Friedensstrategien, S. 85. Ziegler, Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter, S. 57. Liste weiterer Autoren, die den Krieg in ihren Traktaten, wenn auch marginal, behandelt haben, bei: Rondinini, Il diritto di guerra, S. 275–276.
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oder einem klar gegliederten inhaltlichen Aufbau.402 Von der Form her handelt es sich eher um Listen oder Aneinanderreihungen zu lösender Fragen, die oft lediglich mit Verweisen auf das gelehrte Recht beantwortet werden.403 Viele der grundsäztlich relevanten Themenbereiche werden schlicht nicht behandelt, da sie schon an anderer Stelle erörtert worden waren, wie etwa die Theorie des gerechten Kriegs im kanonischen Recht.404 Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die dargestellten Rechtsbeziehungen nicht als »völkerrechtlich« verstanden wurden, sondern einen Bestandteil der allgemeinen Rechtsordnung bildeten.405 Gleichwohl lassen sich drei inhaltliche Hauptbereiche identifizieren. Der erste betrifft vielfältige Fragen der Kriegsführung. Die Autoren geben Antworten auf die Frage, wer wann einen Krieg führen darf; insoweit stets mit Verweisen auf das kanonische Recht. Unterschiedlich intensiv wird die Theorie des gerechten Krieges behandelt. Dabei ist im 15. Jahrhundert im Gegensatz zu den früheren Jahrhunderten eine Akzentverschiebung zu beobachten: Die stark theologisch ausgerichtete Theorie des bellum iustum wird allmählich verweltlicht.406 Die juristische Beurteilung des gerechten Krieges rückt in den Mittelpunkt und die gelehrten Juristen konzentrierten sich auf die praktische Lösung der sich konkret ergebenden Fragen.407 Dieser thematischen Gruppe der Kriegsführung kann man noch weitere Komplexe zuordnen wie etwa die Frage, welche Gruppen der mittelalterlichen Gesellschaft sich am Kampf beteiligen dürfen, das Verbot für Christen, auf der Seite der Ungläubigen zu kämpfen, die Beuteverteilung oder die Sicherheitsgarantien für die Bauern und Kaufleute während des Waffenstillstandes. Ein weiterer Teilbereich betrifft die Stellung der Verbündeten und dabei insbesondere, inwieweit diese dem angegriffenen Vertragspartner zur Hilfeleistung verpflichtet sind. Eine häufig behandelte Überlegung ist, inwieweit die adhaerentes408 und andere Kategorien der Gefolgsleute des Fürsten in seine vertraglichen Verhältnisse und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten einbezogen werden müssen. Der zweite Fragenkomplex behandelt das allgemeine Gebot, den Frieden zu 402 Eine Ordnung und ein Ansatz zu einem systematischen Aufbau der Materie des »Völkerrechts« kommen erst in der zweiten Hälfte des 16. und des 17. Jahrhunderts zum Tragen. Dies hängt mit der Weiterentwicklung der juristischen Methodenlehre zusammen; Literatur zum Völkerrecht dieser Jahrhunderte kann als Ausdruck des usus modernus betrachtet werden. Wijffels, Alberico Gentili e il rinnovamento, S. 522, Fn. 5 und v. a. sein Artikel Early Modern Literature on International Law and the Usus Modernus, Grotiana 16 (1995), Bd. I, S. 35–54. 403 Siehe mit Beispielen: Wijffels, Martinus Garatus Laudensis on treaties, S. 188. 404 Ziegler, Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter, S. 62. 405 Steiger, Probleme der Völkerrechtsgeschichte, S. 111. 406 Rondinini, Il diritto di guerra, S. 284. 407 Baumgärtner, Martinus Garatus Laudensis, S. 196. 408 Siehe ab Textstelle der Fn. 484.
Der Begriff des Friedensvertrages
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sichern. Diese Pflicht oblag beiden Mächten, der geistlichen, repräsentiert durch den Papst, und der weltlichen in Gestalt der Fürsten und Könige. Dieser Themenbereich wird im Rahmen der Analyse der Präambel näher erörtert.409 Der dritte Block betrifft verschiedene Aspekte des Vertragsschlusses, etwa die Frage, wer einen Vertrag abschließen darf, mit wem ein Bündnis – foedus – oder eine Freundschaftsbeziehung – amicitia – eingegangen werden darf. Theoretisch bestand ein ausdrückliches Verbot für einen Vertragsschluss mit Ungläubigen, das sogar für den Papst selbst galt.410 Es ging nicht nur um die Frage, mit wem, sondern auch gegen wen man ein Bündnis eingehen durfte. Generell galt, dass gegen die zwei capita mundi gerichtete Bündnisse ungültig waren. Damit hingen die sich auf den Heiligen Vater und den Kaiser beziehenden Ausnahmeklauseln zusammen, die in die meisten Friedensverträge und Allianzen aufgenommen wurden und zur Folge hatten, dass die vertraglichen Vereinbarungen auf alle Vertragspartner mit Ausnahme dieser bei den anzuwenden waren.411 Obwohl auf dem Gebiet einige Forschungsarbeiten existieren, ist Kintzinger Recht zu geben, wenn er sagt, eine zusammenhängende Darstellung der Entwicklung des Völkerrechts im hohen und Spätmittelalter – vor allem im Vergleich zu anderen Perioden – bleibe ein Desiderat.412
II.
Der Begriff des Friedensvertrages Pax in carta conscripta non valet nisi in corde radicata.413
Die mittelalterliche Rechtswissenschaft leitete den allgemeinen Vertragsbegriff selbst vom Frieden ab: pactum est quaedam conventio ex pace facta oder pactio est actus pacis.414 Die zur Kennzeichnung von Friedensverträgen als solchen verwendete Begrifflichkeit ist aber im Vertragskorpus des 15. Jahrhunderts, das sich 409 Siehe E. I. 3: Rex debet esse pacificus. 410 Dieses Verbot jeglicher vertraglichen Vereinbarung mit den Ungläubigen, in diesem Falle mit den Türken, war Gegenstand der Enzyklika Si principes christiani des Papstes Pius II. vom 19. Januar 1461. Matanic, L’idea e l’attivit/ per la crociata anti-turca, S. 389. Es handelte sich um eine Reaktion des Papstes auf die Bedrohung von Rhodos durch die Türken. Der Johanniterorden sollte dem türkischen Angriff trotzen und mit ihnen keinen Frieden eingehen. Et vos pro virili parte in communi totius fidei Christianae tuitione ac defensione, quibus poteritis sufragiis pie animoseque omni studio, conatu as sollicitudine insurgere velitis per illum Deum (…) Vestram devotionem etiam atque etiam requirimus et rogamus. AE, T. 29, S. 277. Das gelang dem Orden auch das gesamte 15. Jahrhundert hindurch. Wienand, Der Orden auf Rhodos, S. 172ff. 411 Siehe Textstelle zur Fn. 482. 412 Kintzinger, From the Late Middle Ages to the Peace of Westphalia, S. 612. 413 Lucas De Penna, Super tribus libris Codicis, Lyon 1544, zum Tit. 63, § 8. 414 Nam qui paciscuntur ex diversis et contrariis motibus animorum post multa variaque certamina in unam consonantem sententiam deducuntur. Salatiele, Ars notariae, S. 95.
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im Gegensatz zu den vorherigen Jahrhunderten durch stärkere Schriftlichkeit und reichere Inhalte auszeichnet,415 sehr unterschiedlich. Allein im Podiebradschen Friedensvertragstext finden sich folgende Bezeichnungen: caritas, fraternitas, amicitia, pax nostra, unio, intelligentia; außerdem wären noch amicabilis compositio, pax perpetua, perpetue pacis et inviolabilis federi unio, ewiger frede, frede und eintrechtikeit zu nennen.416 Die Terminologie wurde im Mittelalter nicht präzise und einheitlich gehandhabt. »Die Rechtssprache des Spätmittelalters differenzierte nicht zwischen Landfriedens-, Kriegs- oder Interessenverbindungen. Als Oberbegriff für alle diese Zusammenschlüsse diente ›Einung‹, vor allem in der Selbstbezeichnung der Vertragspartner«.417 Unter diesen Begriff kann man also alle möglichen zwischenständischen Vereinbarungen subsumieren. Auch wenn dies nicht immer leicht ist, müssen von den einfachen Einungen die Landfriedensbünde und andere Gebilde mit einer gewissen institutionellen Festigkeit unterschieden werden.418 Für die zwischenstädtische Organisation wäre dann der »Bund« als Terminus technicus einschlägig.419 Die oben angeführten Ausdrücke müssen aber nicht unterschiedliche Typen von Friedensverträgen bezeichnen, sie können auch lediglich bestimmte Elemente betonen, die dem Friedensbegriff dieser Zeit eigen sind.420 Die Fürsten Europas trafen unterschiedlichste Abmachungen untereinander : Neutralitäts-, Hilfs-, Schutz- und Verteidigungsbündnisse,421 »Verträge zur Regelung von Gebietsstreitigkeiten, Schiedsverträge, Handels- und Schifffahrtsverträge«.422 Ein Freundschaftsvertrag konnte zugleich eine Erbeinung oder Erbverbrüderung sein. Die Gruppenbildung konnte verschiedene Formen annehmen – Haus, Vasallität, Amicitia, Verwandtschaft, Patenschaft, Verbrüderung.423 Es ist deshalb besonders wichtig, die Vorgeschichte, den Inhalt und den Zweck der jeweiligen Verträge zu betrachten. Nur auf diese Art und Weise kann das »wahre« 415 Die Friedensverträge des 12. und 13. Jahrhunderts weisen, was ihre Anzahl und die Ausdifferenzierung ihres Inhalts angeht, eine gewisse Beschränktheit auf. Nietmann, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen, S. 603. 416 Eine ausführliche Liste der unterschiedlichen Bezeichnungen für die Verträge und Bündnisse unter den Herrschern bei Stieber, Böhmische Staatsverträge, S. 38. 417 Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein, S. 37. 418 Für das Böhmische Königreich können als Beispiel der einfachen Einungen die sog. jednoty angeführt werden. Zwar wollten die Mitglieder untereinander auch auf friedliche Art und Weise ihre Streitigkeiten schlichten und Frieden halten, in den Gründungsverträgen wurden aber die konkreten Ziele der adeligen Mitglieder der Einung zum Ausdruck gebracht. Nicht der Frieden selbst, sondern das politische Ziel war hier das Wichtigste. Die bereits erwähnte ˇ ech#ch v polovineˇ 15. stolet&, S. 95. Grünberger Allianz ist ein Beispiel hierfür. Urfus, Z#sˇti v C 419 Koselleck, Art. Bund – Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 593. 420 Neitmann, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230–1449, S. 379. 421 Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, S. 437. 422 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 128. 423 Oexle, Friede durch Verschwörung, S. 120.
Der Begriff des Friedensvertrages
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Gesicht des Vertragstextes enthüllt werden. Hinzu kommt, dass die verwendeten Begriffe nicht nur den Vertrag selbst, sondern auch die durch den Schwur entstandene Gemeinschaft bezeichnen können.424 Ein ähnliches Problem bezüglich der Begrifflichkeit stellt sich auch bei den Städtebünden. Sie konnten inhaltlich und von der Form her unterschiedlich ausgestaltet sein: als Schutzbündnisse, Gerichtsstandsvereinbarungen oder Landfriedensbündnisse. Die Quellensprache verwendet für die einzelnen Typen nicht zwingend einheitliche Begriffe.425 Ähnliches ist auch bei der Gilde- und Zunftterminologie zu beobachten.426 Auch konnte jeder der zwischen den Fürsten geschlossenen Verträge einen eigenen politisch-diplomatisch-psychologischen Hintergrund haben und dementsprechend die Anwendung der friedenstechnischen Begriffe variieren.427 Wenn man die Bezeichnungen für die von Georg von Podiebrad abgeschlossenen Verträge vor diesem Hintergrund in Augenschein nimmt, kommt man zu folgendem überraschenden Befund: Während die Verträge mit dem Kaiser Friedrich III. als pax, unio et amicitiarum foedera,428 mit Ludwig XI. als liga, pax, foedera, amicitia, unio,429 die mit Ludwig von Bayern als fruntlich verpuntnüss und aynung,430 mit Albrecht Achilles als frewntschaft und eynung,431 mit Erzherzog Albrecht von Österreich als Freundschaft, Gutwilligkeit und Einunge432 und mit dem polnischen König Kasimir IV. als unio, pax et concordia433 bezeichnet werden, wird der Vertrag mit dem König Matthias von Ungarn aus dem Jahre 1464 schlicht pax434 genannt. Kein Wort über die fraternitas, amicitia oder caritas, einfach nur Friede. Wie bereits erwähnt, wurde dieser Friedensvertrag mit Ungarn geschlossen, nachdem die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Böhmen und Ungarn mit dem Tod Katharinas, der ältesten Tochter Georgs und Ehefrau König Matthias’ von Ungarn, unterbrochen worden waren.435 Der böhmische König hielt es für notwendig, die friedlichen Beziehungen zwischen Böhmen und Ungarn nun schriftlich niederzulegen. Die schlichte Bezeichnung des Vertragsverhältnisses und die Auslassung der sonst üblichen blumigen Ausdrücke sind darauf zu424 Unter fraternitas konnte die Institution, der Personenkreis oder eine Norm verstanden werden. Prietzel, Die Kalande, S. 38. 425 Distler, Städtebünde im deutschen Spätmittelalter, S. 12. Eine andere Liste von Ausdrücken für die Städtebünde bei Isenmann, Die deutsche Stadt, S. 315, Fn. 549. 426 Irsigler, Zur Problematik der Gilde- und Zunftterminologie, S. 53–70; Dilcher, Genossenschaftliche Struktur, S. 187–190. 427 Duchhardt, Frieden, Friedensvertrag, S. 475. 428 Vertrag vom 31. August 1459. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I, S. 257. 429 Vertrag vom 18. Juli 1464. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I, S. 315. 430 Vertrag vom 8. Mai 1460. V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage XXXV, S. 172. 431 Vertrag vom 14. Februar 1463. V. Hasselholdt-Stockheim, Urkunden, Beilage CXLVIa , S. 649. 432 Vertrag vom 28. Dezember 1459. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I, S. 257. 433 Vertrag vom 27. Mai 1462. Dogiel, Codex diplomaticus regni Poloniae, S. 15. 434 Vertrag vom 14. April 1464. Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. 1, Sp. 1511–1514. 435 Odlozˇil&k, The Hussite King, S. 157.
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rückzuführen, dass die Atmosphäre zwischen den Vertragspartnern eher kühl war, beargwöhnten die ungarischen Bischöfe doch das Vertragswerk.436 Aus der Menge der verschiedenen Vereinbarungen unter den Herrschern lassen sich gleichwohl bestimmte inhaltliche Muster isolieren, denn die Beweggründe und Motive für einen Vertragsschluss sind nicht uferlos. Es gibt gewisse Stereotypen im politischen Geschehen, die wie die Gesetze der Physik seit Ewigkeiten zu bestehen und sich auch in Zukunft nicht zu ändern scheinen. Man kann in diesem Zusammenhang auf die Typologisierung des Livius zurückgreifen.437 Livius unterscheidet drei Typen von Friedensverträgen. Der erste betrifft die Situation, in der die Sieger den Besiegten die Bedingungen für den Friedensschluss diktieren können. Der zweite betrifft Situationen, in denen die Konfliktparteien gleich stark sind und die Pflichten im Vertrag ausgeglichen gestaltet werden. In diesen Friedensverträgen wird, wie Kolmer treffend schreibt, »nicht immer Gleichheit der Parteien, sondern Gleichheit der Interessen ausgedrückt«.438 Der letzte Typ betrifft Friedensverträge, die aus friedlichen Beziehungen hervorgehen und diesen Status für die Zukunft bestätigen. Noch gröber als bei Livius lassen sich die Friedensverträge demnach auch in zwei grundlegende Gruppen aufteilen: in Friedensverträge, die nach einem kriegerischen Konflikt abgeschlossen werden, und Friedensverträge, die einen friedlichen Zustand in Zukunft verlängern sollen. Jörg Fisch geht von einer ähnlichen Vorstellung aus und unterscheidet Friedensverträge im engeren Sinne – unter die er Friedensverträge zur Beendigung eines Krieges sowie solche subsumiert, die lange nach den feindseligen Handlungen abgeschlossen werden – und Friedensverträge im weiteren Sinne, zu denen er Friedensverträge anlässlich der Aufnahme von Beziehungen und zur Friedenserneuerung rechnet. Letztere könnten auch als Freundschaftsverträge bezeichnet werden, doch Fisch sieht in diesem Typus keine eigenständige Kategorie. Schließlich differenziert er noch zwischen Friedensverträgen und Bündnissen, die geschlossen werden, nachdem ein gemeinsames militärisches Vorgehen vereinbart wurde.439 Ein anderer Autor, Chaplais, unterscheidet zwischen Verträgen, die 436 Antonius Marini beschwerte sich beim französischen König während der großen böhmischen Gesandtschaft am französischen Hof im Jahre 1464, dass die ungarischen Bischöfe ˇ , Bd. VII, S. 435. ihn sogar exkommunizieren wollten. AC 437 Livius, XXXIV, lvii, 7–9: Esse autem tria genera foederum quibus inter se pacisceretur amicitias civitates regesque: unum, cum bello victis dicerentur leges; ubi enim omnia ei qui armis plus posset dedita essent, quae ex iis habere victor, quibus multari eos velit, ipsius ius atque arbitrium esse;alterum, cum pares bello aequo foedere in pacem atque amicitiam venirent; tunc enim repeti reddique per conventionem res et, si quarum turbata bello possessio sit, eas aut ex formula iuris antiqui aut ex partis utriusque commodo componi; tertium esse genus cum qui nunquam hostes fuerint ad amicitiam sociali foedere inter se iungendam coeant; eos neque dicere nec accipere leges; id enim victoris et victi esse. 438 Kolmer, Promissorische Eide im Mittelalter, S. 185. 439 Fisch, Krieg und Frieden, S. 10–11.
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einen Krieg beenden – also dem Fisch’schen Friedensvertrag im engeren Sinne –, Bündnissen (treaties of alliance and friendship or confederations) und Heiratsverträgen (contracts of marriage).440 Der Vollständigkeit halber sei noch ein weiteres Kriterium, nämlich das der mittelalterlichen Rechtswissenschaft selbst erwähnt. Seit dem 14. Jahrhundert teilte man dort die Verträge grundsätzlich in zwei Kategorien ein und zwar je nach dem ob es sich um eine Rechtsbeziehung zwischen zwei Herrschern der gleichen Würde und Macht handelte oder um sog. adhaerentia441 Verträge.442
III.
Quellen für eine Typenbildung der Friedensverträge
Eine Untersuchung, die zu einer Typenbildung443 der spätmittelalterlichen Friedensverträge führen soll, kann grundsätzlich von zwei Quellengattungen ausgehen. Die eine Quellenart besteht in den abgeschlossenen und beschworenen Verträgen selbst. Hier lässt sich – unter Berücksichtigung deren unterschiedlicher Qualität444 – von verschiedenen Sammlungen von Friedensverträgen profitieren, die bereits am Ende des 17. Jahrhunderts eine verbreitete literarische Gattung darstellten. Eine der ersten Sammlungen dieser Art ist das 1463 erschienene Werk Jean Jacque Chifflets: Recueil des Traittez de Paix, Treves et Neutralit8 entre les couronnes d’Espagne et de France.445 Es folgten die Veröffentlichung der Friedensverträge von Osnabrück-Münster (1648), das Theatrum Pacis von Christoph Peller (1663), Recueil des Trait8s de Paix von Fr8d8ric Leonard (1693) und im gleichen Jahr der Codex iuris gentium diplomaticus von Freiherr von Leibnitz.446 Weit verbreitet waren im 18. Jahrhundert die Friedensvertragssammlungen von Dumont447 oder Rymer.448 Zu den letzten großen 440 441 442 443
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Chaplais, The Making of the Treaty of Paris, S. 237. Vgl. Text zur Fn. 484. Storti, Foedus, amicitia e societas, S. 363. Hierbei wird dem Ansatz von Dilcher gefolgt. Er führte im Rahmen der genossenschaftlichen Strukturen von Gilden und Zünften eine Typisierung durch, indem er nach einzelnen Idealtypen suchte; »d. h. gewisse in der Realität und ihrer zeitgenössischen geistigen Erfassung zu findende Prinzipien werden isoliert und überhöht herausgearbeitet«. Dilcher, Die genossenschaftliche Struktur, S. 94–95. An dieser Stelle soll keine detaillierte Typologie der Friedensverträge vorgenommen, sondern vielmehr ein Ansatz für eine noch zu leistende Typisierung angeboten werden. Viele dieser Vertragssammlungen stellten unkritische Textausgaben dar. Toscano, Storia dei trattati e politica internazionale, S. 63. Codex Juris Gentium Diplomaticus, in quo tabulae euthenticae actorum publicorum, tractatum, aliquarumque rerum majoris momenti per Europam gestarum, … continentur ; a fine seculi undecimi ad nostra usque tempora … Ex mss praesertim Bibliothecae Augustae Guelfebytanae Codicibus. 2 Bd. Hannoverae 1693–1700. Corps universel diplomatique du droit des gens; contenant un recueil des traitez d’ alliance,
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und allgemeinen Friedensvertragssammlungen zählt die von Georg Friedrich von Martens.449 Im 19. Jahrhundert nimmt die Zahl der veröffentlichten Friedensvertragssammlungen stark zu, wobei die meisten nicht weiter zurückgehen als bis zum westfälischen Vertragswerk, manche sogar noch weniger weit. Dies variiert und hängt vom Territorium ab, für welches die Friedensverträge gesammelt wurden. Neben dieser Tendenz, die Friedensvertragssammlungen auf ein bestimmtes geographisches Gebiet zu beschränken, versucht man, billigere Alternativen zu Dumont aufzulegen oder knüpft direkt an seine Sammlung an.450 Die zweite Quellengattung, die bei der Schaffung einer Rahmentypologie der Friedensverträge hilfreich sein kann, hängt mit der Frage zusammen, wie die schriftlichen Verträge zwischen den Herrschern zustandekamen. Unbeachtet bleibt hier der Prozess des Aushandelns des Vertragsinhalts, den die Fürsten entweder in personam besprachen oder durch ihre Vertreter bestimmten.451 Von Interesse ist jedoch der Moment, in dem die verhandelten Bedingungen festgehalten wurden. Hier trat nämlich eine der wichtigsten Figuren des mittelalterlichen Rechtslebens, der Notar452 oder eine mit iuris periti453 ausgestattete Kanzlei, auf den Plan. Im pluralen Rechtsuniversum454 des Mittelalters navigierend (ka-
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de paix, de treve, de neutralit8, de commerce, qui ont ete faits en Europe, depuis le Regne de l’Empereur Charlemagne jusques / pr8sent. 8 Bde., Suppl. 2. Amsterdam 1739. Foedera, conventiones, literae, et cuiuccunque generis acta publica inter reges Angliae et alios quosvis imperatores, reges, pontifices, principes vel communitates: ab ineunte saeculo duodecimo, viz. ab anno 1101, ad nostra usque tempora, habita aut tractata; ex autrographis, infra secretiores archivorum regiorum thesaurarias, per multa saecula reconditis, fideliter exscripta. 17 Bde. Londini 1704–1717. Zu den anderen führenden Sachkennern der Friedensverträge in der Frühen Neuzeit zählten: Georges Holmes, Johann Jacob Schmauss, Gabriel Bonnot de Mably, Christoph Wilhelm von Koch, Christian Daniel Voss. Peters, Europäische Friedensprozesse der Vormoderne 1450–1800, S. 15. Recueil des principaux trait8s d’alliance, de paix, de trHve, de neutralit8 de commerce … conclus par les puissances de l’Europe depuis 1761 jusqu’/ pr8sent. 7 Bde. Göttingen 1791– 1801 (1. Aufl.). [Idem, Suppl. Bde. 4, Göttingen 1802–1808; Idem, 2. Aufl., Bde. 8, Göttingen 1817–1835]. Toscano, Storia dei trattati e politica internazionale, S. 85. In der Lehre wurden zwei Verfahren unterschieden: das unmittelbare und das zusammengesetzte Vertragsschließungsverfahren. Vgl. Walter Heinemeyer, Studien zur Diplomatik, S. 342ff. und Ludwig Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, Stuttgart 1924. Für hohes Mittelalter z. B. Benham, Peacemaking in the Middle Ages. Sei es der städtische, der universitäre oder der öffentliche Notar, der seine Praxis an öffentlichen Plätzen ausübte oder die Parteien am vereinbarten Ort besuchte. An der Abfassung der unterschiedlichen Verträge beteiligten sich auch die gelehrten Räte der Fürsten. Diese aber waren oft nicht nur in Diensten eines Herren, sondern bei mehreren Höfen »angestellt«. Man könnte sich also die Frage stellen, inwieweit diese selbst zu einer gewissen »Rechtsvereinheitlichung« gerade im Vertragswesen im europäischen Raum beigetragen haben. Dieser Rechtspartikularismus des späten Mittelalters wird nicht als ein Bruch der einheitlichen Ordnung gesehen. Vielmehr wird er selbst als eine komplexe Ordnung begriffen, die sich in einzelne Autonomien aufteilte und die in mehreren nebeneinander koexistie-
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nonisches Recht, Feudalrecht, Gewohnheitsrecht, lex mercatoria, Stadtrecht, ius commune, Landesrecht, das geschworene Recht der Gilden und anderer Korporationen) sollten diese den Willen der Parteien in einer Urkunde zusammenfassen. So wie es heute Sammlungen von Musterverträgen gibt, griffen auch im Mittelalter die Notare zu Formularbüchern, die ihnen die Arbeit erleichterten. Der Vergleich einiger Formularbücher des Böhmischen Königreichs,455 des italienischen Territoriums456 sowie der »Klassiker«457 führt zu einem interessanten Befund: Die Vorlagen für unterschiedliche Verträge sind in Bezug auf die untersuchten Länder weitgehend identisch.458 Dabei kristallisieren sich folgende instrumenta459 heraus:
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renden Partikularrechtsordnungen artikuliert wurde. Grossi, L’ordine giuridico medievale, S. 226. Die Anwendung der Normen der jeweiligen Partikularrechtsordnungen verlief auf mindestens zwei Ebenen. Die horizontal-geographische Ebene der Partikularrechtsordnungen war durchaus unterschiedlich. Es gab solche, die auch eine gewisse gesamteuropäische Wirkung entfalteten, so wie es das kanonische Recht, das ius commune oder das Gewohnheitsrecht der Kaufleute taten. Es konnte sich aber auch um Landrecht oder Stadtrecht handeln, das in einem genau definierten Herrschaftsgebiet in Gebrauch war. Die vertikal-persönliche Ebene teilte die einzelnen Menschen je nach ihrem Stand einer Partikularrechtsordnung zu. So unterlag etwa ein böhmischer Adeliger dem Landrecht, ein Bürger der Stadt den Rechtsnormen dieser. Tamanaha, Understanding Legal Pluralism, S. 378. Für die Fälle, in denen eine Person mehreren »Rechtsordnungen« unterlag und klagen wollte oder verklagt wurde, konnte eine von diesen gewählt werden und nur in derjenigen Rechtsordnung, in welcher das gerichtliche Verfahren anfing, musste es auch zu Ende geführt werden. Vgl. Brandl, Kniha Tovacˇovsk#, Kapt. 75 und 76, S. 49. ˇ esk# »Ars dictandi«, Prag 1900. Maresˇ, Praxis cancellariae, Prag 1908. Ders., C Salatiele, Ars notariae, a cura die G. Orlandelli, Milano 1961. A.R. Natale, Stilus cancellariae: formulario visconteo- sforzesco, Milano 1965. Raineri de Perusio, Ars notaria In: Scripta anecdota antiquissimorum glossatorum, Bibliotheca iuridica medii aevii, Hrs. A. Gaudentio, Bologna 1892. Bencivenne, Ars notariae, Hrsg. G. Bronzino, Bologna 1965. M. Roberti, Un formulario inedito di un notaio padovano del 1223, Venezia 1906. Rolandinus Rodulphus Bononiensis, Summa totius artis notariae,Venetiis 1546. Reprint Roma, 1977. Ihre große Verbreitung in Europa bestätigt: Gero Dolezalek, La diffusione delle opere di Rolandino in Germania, In Rolandino e l’ars notaria da Bologna all’Europa, atti del convegno di studi storici sulla figura e l’opera di Rolandino, Milano 2002. Obwohl die Notare in ständigem Kontakt mit dem aktiven Rechtsleben waren, muss man doch bei der historischen Analyse von Formularbüchern Vorsicht walten lassen, denn in ihnen waren oft »tote« Formen enthalten, die keinerlei Bedeutung mehr hatten. Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, S. 480. In den meisten Quellen bedient sich die mittelalterliche Rechtssprache für die einzelnen Typen der Verträge des allgemeinen Ausdrucks »Instrumentum«, dem je nach dem Typ der Abmachung ein Adjektiv angehängt wird. Das Wort Instrumentum hat einen breiten Bedeutungsradius, der mit den Wörtern Dokument, Diplom, Privilegium umschrieben werden kann. Die Rechtslehre des ius commune berief sich auf folgenden Digestenabschnitt: D. 22.04.01 Paulus 2 sent. Instrumentorum nomine ea omnia accipienda sunt, quibus causa instrui potest: et ideo tam testimonia quam personae instrumentorum loco habentur. Ein Instrument wurde auch als charta seu scriptura facta super aliquo negocio ad probatione ipsius definiert, was mit einem Zitat aus dem Codex Justinians (C. 04.21.01) begründet wurde, vgl. Rolandinus, Summa totius artis notariae, S. 470. In einem jüngeren paduanischen Formularbuch wurde der Ausdruck »Carta« benutzt (carta controversie, carta finis et pacis), Roberti, Un formulario inedito di un notaio padovano nel 1223, S. 87. Desgleichen bei Bencivenne, Ars
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Die spätmittelalterlichen Friedensverträge
instrumentum intelligentiae (Bündnisvertrag), instrumentum pacis et concordiae (Friedensvertrag nach einem kriegerischen Konflikt), instrumentum compromissi (Schiedsvertrag) und instrumentum treugae (Waffenstillstandsvertrag, der an sich lediglich einen zeitlich eingeschränkten Frieden begründet).
Instrumentum communis Sine discordia
ligae et intelligentiae Instrumentum recomandisiae et adhaerentiae Pax (perpetua)
Cum discordia
Instrumentum comprommisi ad hoc Instrumentum concordiae et pacis
Discordia suspensa, Instrumentum treugae
finitur lapsu temporis
et induciae
vel pace
Die Tabelle veranschaulicht den friedlichen oder kriegerischen Anfgangszustand der Beziehung von den Parteien, die unterschiedlichen Typen der Friedensverträge und schließlich deren Ergebnis.
notarie, a cura di G. Bronzino, Bologna 1965. In den Formularbüchern des späten Mittelalters aus Cremona wurde wiederum das Wort »Forma« bevorzugt (forma instrumenti pacis). Falconi, Due formulari notarili cremonensi (sec. XIV–XV), S. 325.
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Typologie der Friedensverträge
IV.
Typologie der Friedensverträge Tempora tria sunt, scilicet paci, belli et induciarum.460
1.
Instrumentum intelligentiae
Der erste Typus der Friedensverträge, der aus einem schon zuvor bestehenden friedlichen Zustand der Parteien hervorgeht, ist der Bündnisvertrag. Er trägt in den Formularbüchern meistens die Bezeichnung intelligentia (instrumentum intelligentiae). In den abgeschlossenen Verträgen des Spätmittelalters trifft man häufig auch auf die Begriffe foedus,461 confederatio, unio und liga.462 Die Fürsten, Könige oder Kommunen verbinden sich, da dies für sie politisch günstig oder notwendig ist.463 Sie einen sich gegen eine bestimmte Person zusammen oder vereinbaren gegenseitigen Schutz gegenüber jeglichem Angreifer.464 Die Bündnisse beziehen sich also meistens auf einen Konflikt oder schließen einen solchen zumindest nicht aus. Hier liegt der große Unterschied zu den Bünden, die im Gegensatz dazu bewirken wollen, einen Krieg zu vermeiden.465 Während Bünde also meist Versuche darstellten, die sich aus dem Fehlen einer Staatsmacht im modernen Sinne ergebenden Konsequenzen zu kompensieren, indem sie eine solche Staatsmacht in bestimmten Bereichen (Friedenswahrung) ersetzten, verfolgten die Bündnisse rein politische Zwecke. Mit der Ausformung eines eine gewisse »innerstaatliche« Stabilität gewährleistenden Institutionen460 D. Ancharano, Cosilia sive juris responsa, Con. 88, Fol. 43r. 461 Im Frühmittelalter wurde noch zwischen amicitia und foedus unterschieden, denn foedus, abgeleitet von fides, enthält das Element der Beeidigung. Das klassische römische Recht verstand foedus als Steigerung der amicitia, die formlos war. Epp, Amicitia, S. 222. Diese Unterscheidung bestand im Spätmittelalter nicht mehr. In den Friedensverträgen wurden beide Begriffe synonym verwendet und nebeneinander gestellt. 462 Am 12. September 1463 gingen der ungarische König Matthias und Venedig eine unionem, intelligentiam et ligam contra infidum Turcum ein. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I., S. 290. 463 Komatsu, Landfriedensbünde im 16. Jahrhundert, S. 11. 464 Auch wenn kein bestimmter Feind der jeweiligen Partei in den Bündnisverträgen angeführt ist, kann aus den politischen Umständen geschlossen werden, gegen wen sich diese jeweils richteten. Am 3. Mai 1462 verbanden sich der französische König Ludwig XI. und Johann II., König Aragons, gegen den sich bereits 1461 die Katalanen erhoben hatten ligae, confoederationes, intelligentiae et amicitiae. Das Bündnis war gegen alle gerichtet, qui vellent temporibus futuris alicui ipsorum regum, vel eorum regnis, terris, dominiis et subditis guerram facere aut movere. Die Könige sicherten sich bis zu 500 Lanzenreiter im Bedarfsfall zu. Im kommenden Jahr profitierte der aragonische König von der amicitia mit dem französischen König, als ihm dieser zur Niederschlagung der Katalanen 700 Lanzenreiter zur Verfügung stellte. 465 Moraw, Die Funktion von Bünden und Einungen im spätmittelalterlichen Reich, S. 3.
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systems466 in der Frühen Neuzeit wurden institutionalisierte Bünde obsolet. Die Zukunft gehörte den Bündnissen, die nach der Herausbildung des modernen Völkerrechts nur von Staaten abgeschlossen werden konnten. Allerdings haben die Bünde und Bündnisse viele Zielsetzungen gemeinsam – zum Beispiel die Sicherung einer friedlichen Koexistenz ihrer Mitglieder. Zum typischen Inhalt der Bündnisverträge gehörte die Regelung des Verkehrs der Untertanen467 oder der Studenten468 zwischen den befreundeten Herrschaften 466 Das Böhmische Königreich beendete die spätmittelalterliche Verfassungskrise mit der Verabschiedung der Wladislawschen Landesordnung (1500) und des sog. St. Wenzel-Abkommens (1517–1782), womit der böhmische Ständestaat zu seiner Ausbildung kam und zugleich Grundregeln für das Wirtschaftsleben im Königreich festgelegt wurden. Cˇornej, Velk8 deˇjiny zem& Koruny cˇesk8, S. 542. 467 Im Bündnis zwischen dem französischen König Karl VII. und dem dänischen König Christian I. vom 27. Mai 1456, das gegen den englischen König gerichtet war, vereinbarten die Könige: quod incolae regnorum et dominiorum utriusque regis praedictorum pro ipsorum commoditatibus liberum habeant ad ambo regna hujusmodi ingressum et egressum etiam stando et remanendo pro mercantiis et bonis. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III, P. I., S. 239. In einem gegen Burgund gerichteten Bündnis stipulierten der französische König Karl VII. einerseits sowie Friedrich von Sachsen und Wilhelm von Sachsen andererseits: quod subditi et vasalli nostri aut dictorum ducum per terras et aquam mercari et merces hinc inde ferre, emere, vendere et permutare (…) poterint pro libito voluntatis. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III, P. I., S. 127. Omnes et singuli mercatores et institores per terras Moldaviae ire, transire, morari et negotia sua disponere poterint. Friedensvertrag vom 4. April 1459 zwischen dem Fürsten von Moldawien, Stephan, und dem polnischen König Kasimir IV., abgeschlossen durch ihre Vertreter, den russischen Wojewoden Adreas Odrowa˛cz und den Wojewoden von Podolien Hryczko aus Pommern, in Bogdan, Documentele lui S¸tefan, S. 268. Weitere Bestimmungen zum Handel und zu Besitzungen unter zwei Herrschaften sind z. B. in den Waffenstillstandsvereinbarungen zwischen den Venezianern und Kaiser Johann Palaelogus Ende des 14. Jahrhunderts zu finden. Thomas, Diplomatarium Veneto- Levantinum, 1351–1454, Bd. II, S. 225. Eine sehr interessante Bestimmung enthält der Bündnisvertrag (12. Juli 1475) zwischen dem ungarischen König Matthias und dem moldawischen Fürsten Stephan dem Großen. Hier geht es nicht nur um den »freien Verkehr« unter den Herrschaften, sondern der ungarische König verspricht dem moldawischen Fürsten Asyl, sollte er von den Türken aus seinen Ländereien verjagt werden: Et si contigerit (…) ipsum Stephanum vayvodam vi hostium suorum cogi ad exitum de terra sua et ad regnum nostrum intrare…ubilibet in regno nostro cum filiis, familia, boyaronibus et quibuscunque habitatoribus terrae suae, multis vel paucis, aut omnibus eius et orum bonis, rebus et thesaurus, promittimus, quod tute venire, stare et morari poterit tamdiu, quamdiu ei libuerit, et quod humane ac sine ulla offensione tractabitur. Bogdan, Documentele lui S¸tephan, S. 335. Jucker bezeichnete diesen freien Verkehr der Untertanen und ihres Eigentums in seinem Artikel über den Friedensvertrag von Ensisheim von 1444 zwischen dem Königreich Frankreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft als »free trade«. Das wirft die Frage auf, was unter »free trade« zu verstehen ist und inwieweit dieser moderne Begriff auf die mittelalterliche Wirklichkeit Anwendung finden kann. Der Autor bewertet es als fortschrittlich, dass in diesem Vertrag eine Bestimmung über den »freien Handel« enthalten ist. Doch ist diese in vielen Friedens- und Freundschaftverträgen um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu finden, wie die oben angeführten Beispiele zeigen. Vgl. Jucker, The Continuity of Values, S. 377. 468 Etwa im Vertrag von Br8tigny (1360) zwischen dem französischen König Johann II. und
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sowie deren Berechtigung zum Aufenthalt auf dem Gebiet des Vertragspartners.469 Die Straßen sollten für die Untertanen der anderen Vertragspartei sicher und friedlich sein.470 Potenzielle Vergehen der Untertanen im Territorium der anderen Vertragspartei bewirkten keinen Vertragsbruch, die Art und Weise ihrer Ahndung wurde regelmäßig festgelegt.471 Zeitlich waren diese Verträge nicht beschränkt, nur ausnahmsweise gab es eine großzügig bemessene feste Vertragslaufzeit.472 Ein wichtiges Typenelement dieser Verträge ist die Zusage der gegenseitigen Unterstützung und Hilfe für den Fall, dass eine Partei in einen Krieg involviert werde. Die Partner versprachen sich typischerweise auxilium et consilium praestare.473 Des Weiteren versprach man alter alterius amicos, presentes et futuros pro amicis et inimicos presentes et futuros pro inimicis tractare et reputare quicumque illi sint.474 Dieser Grundsatz sollte sich aber dem gelehrten Recht entsprechend nur auf die defensiven, notwendigen und gerechten Kriege beziehen.475 Dieser Kategorie der Bündnisse und Allianzen könnte man auch die Erbei-
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dem englischen König Eduard III. Vertiefend: Oschema/V.Thiessen, Freundschaft, Fürsten, Patronage, S. 29. Item omnes et singuli (…) bona in utroque Regno habentes, libere gaudebunt iisdem et servient de istis bonis. Beispiel aus dem Friedensvertrag zwischen dem schwedischen König Magnus II. und dem dänischen König Waldemar III. vom 18. November 1343. Dumont, Corps universel diplomatique, T. I., P. II, S. 222. Aus dem Glogauer Friedensvertrag zwischen dem böhmischen König Georg und dem polnischen König Kasimir von 1462: ut stratae publicae, et aliae viae sint pacificae et securae, quatenusque homines ex utriusque Regnis justis stratis secure ire, et transire, quovis impedimento cessante, possint. Dogiel, Codex diplomaticus regni Poloniae, S. 15. Siehe unter : E.II.2.d. Bestrafung der straffällig gewordenen Untertanen. Im Jahre 1454 haben Francesco Sforza und der Bischof sowie die Kommunen von Valigia eine sinceram amicitiam, etiam unionem, intelligentiam et confoederationem für 25 Jahre abgeschlossen. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I., S. 232. Am 8. Juli 1470 schloss Ferdinand, König von Sizilien, mit dem mailändischen Herzog eine confoederationem, unionem et intelligentiam et ligam amice et unanimi concordia für 25 Jahre. Ebd., S. 408. Vgl. unter : E.II.2.b. Auxilium et consilium. Diese Formel ist bereits im Bündnis und Vasallenvertrag zwischen dem Hethiterkönig Mursilis II. und Duppi-Tesup von Amurru zu finden. Grewe, Fontes historiae iuris gentium, Bd. 1, S. 11. Sie wurde auch in den griechischen und römischen Bündnisverträgen und in Treueiden der römischen Kaiser gebraucht. Brackmann, Gesammelte Aufsätze, S. 404. Sie findet Verwendung in Verträgen zwischen den Herrschern seit dem 8. Jahrhundert und ist auch in der Bibel (Exod. 23, 22) und den Apokryphen (2 Macc. 10, 26) zu finden. Wallach, Amicus amicis, S. 615. Auch ist sie im Bündnisvertrag zwischen dem französischen König Karl VII. und den sächsischen Reichsfürsten von 1444 enthalten, Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I., S. 127. Quia illud capitulum de tenendo amicos pro amicis et hostes pro hostibus, intelligi debet qua ad bella neccessaria, non quo ad voluntaria, Et quo ad iusta, non ad iniusta, Item et ad deffensam non etiam ad offensam. Belli, De re militari et bello tractatus, S. 66.
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nungen476 (hier im Sinne der Erbbündnisse) zurechnen. Ihre Hauptinhalte sind im Wesentlichen gleich: Friede und Eintracht (pax et caritas) unter den Herrschern, die Etablierung eines Streitbeilegungsmechanismus und militärischer Beistand. Je nach Bedarf und politischer Situation wurden spezielle Inhalte hinzugefügt, wie etwa im Fall der böhmisch-sächsischen Erbbündnisse, die vor allem den Grenzverlauf regulierten. Bestimmungen über Warenverkehr oder Zoll waren durchaus üblich.477 Die Erbeinungen (Erbbündnisse) waren dynastisch ausgerichtet. Oft gab es in ihrem Rahmen Hochzeitsvereinbarungen unter den Fürstenhäusern, womit ein gewisses Beziehungsnetz auf dem politischen Schachbrett geschaffen wurde.478 Ihre Besonderheit war aber, dass sie vererbt wurden, das heißt sie sollten auch den Nachfolger auf dem Thron binden. Vereinbarten die Fürstenhäuser darüber hinaus eine gegenseitige479 Erbnachfolge, spricht man von einer Erbverbrüderung.480 Neben den Erbbündnissen und 476 Es sei darauf hingewiesen, dass in der Sekundärliteratur noch keine feste Terminologie dieser »erblichen« Verträge besteht. Den neuesten Trend setzt Hirsch mit seiner Aufteilung in Erbverbrüderungen, Erbbündnisse und erbliche Verfahren zur Konfliktbeilegung, wobei er unterstreicht, dass Mischformen und kombinierte Inhalte üblich waren. Den in der älteren Forschung viel benutzten Terminus »Erbeinung« schlägt er als einen Überbegriff für die verschiedenen Formen der erblichen Verträge vor. Dieser Aufteilung wird hier gefolgt. Näheres, auch zur Typologie anderer Autoren, bei Hirsch, Generationsübergreifende Verträge, S. 14–15, 26 und 31. Dennoch bleibt fraglich, ob eine besondere Kategorie der »Erbbündnisse« überhaupt notwendig ist. Die einzige Besonderheit der Erbbündnisse scheint die angestrebte Verbindlichkeit auch für die Nachkommen der Herrscher zu sein, ansonsten unterscheiden sie sich inhaltlich von den auf bestimmte Zeit begründeten Bündnissen kaum. Auch Hirsch selbst spielt mit dem Gedanken, dass die Einbeziehung der Erben in die Einungen eher die Funktion hatte, die Wichtigkeit des Vertrages zu bekräftigen, wenn er sagt: »Möglicherweise aber hatte die zeitliche Ausdehnung der Abkommen durch die Erben- und Ewigkeitsklausel nur vorläufigen oder ideellen Charakter«. Hirsch, ebd., S. 116. Die Tatsachen, dass die Erbbündnisse von den Nachkommen kaum beschworen wurden (Hirsch, ebd., S. 116) und dass nur in den wenigsten Fällen für die kommende Generation eine Erneuerungspflicht in den Verträgen festgelegt wurde, die zudem auf einer freien Entscheidung der (künftigen) Parteien beruhte (Hirsch, ebd., S. 120), verstärken den Eindruck, dass es bei den Erbbündnissen um ganz gewöhnliche, durch aktuelle machtpolitische Verhältnisse beherrschte Allianzen ging. Letztendlich entschieden die späteren politisch-strategischen Interessen der Parteien und die dann aktuelle machtpolitische Lage darüber, ob der Vertrag wirklich auch für die Nachfolger Geltung beanspruchen konnte. 477 Müller, Besiegelte Freundschaft, S. 88–89 und S. 129–139. 478 Carl, Der Schwäbische Bund, S. 85. 479 Davon zu unterscheiden sind einseitige Erbeinsetzungsverträge, die lediglich die Erbeinsetzung der einen Vertragspartei bei Erlöschen der anderen im Mannesstamme begründen. Goez, Der Leihezwang, S. 107. 480 Diese kamen besonders in der Periode vom 14.–16. Jahrhundert und vor allem auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zur Anwendung. Eine Erbverbrüderung bedeutete primär die Einigung, dass für den Fall des Erlöschens einer Dynastie im Mannesstamme das verbrüderte Haus an ihre Stelle trete. Ein typisches Beispiel für das Königreich Böhmen wäre die Erbverbrüderung zwischen den Geschlechtern Luxemburg
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Erbverbrüderungen ließe sich als Subkategorie die für das Mittelalter so übliche (Friedens)Vertragserneuerung anführen.481 Zum üblichen Bestandteil der Bündnisverträge gehören die sogenannten Exzeptionsformeln, die festlegen, gegen wen sich das Bündnis und die daraus erwachsenden Pflichten gerade nicht richten sollten. In der Regel zählten zu den ausgenommenen Personen der Kaiser, der Papst und solche Personen, denen der Vertragspartner »entweder im herrschaftlichen, im familiär-dynastischen oder auch im bündnispolitischen Bereich verpflichtet war (…) oder zu denen er in einem Lehnsverhältnis stand«.482 Der Ursprung der Exzeptionsformeln ist im Lehnrecht zu suchen, wo sie bei mehrfacher Vasallität zum Einsatz kamen.483 Als Sonderfall lassen sich den Bündnisverträgen die Vereinbarungen über die sogenannte »Adhaerentia« zuschlagen. Man kann diese Verträge der adhaerentia und recommandisia als »Protektoratsverhältnisse«,484 »Schutz- und Schirmverträge«485 oder als »non fedual contracts which bound clients to each major state« umschreiben486 und die Adhaerentes (im Folgenden als Anhänger bezeichnet), wie Dean sehr treffend schreibt, als »semi-indipendent satellite
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und Habsburg. Dieses Bündnis entstand auf Initiative des Kaisers und des böhmischen Königs Karls IV., der auch als »Vordenker« der Erbverbrüderungen bezeichnet wird. Müller, Besiegelte Freundschaft, S. 16. Obwohl im oben genannten böhmischen Falle der Beweggrund Kaiser Karls IV. eher der Wunsch nach Erweiterung seiner Machtsphäre für den Fall des Aussterbens der Habsburger war, sollten die Erbverbrüderungen meist vor allem für die Zukunft vorhersehbare Konflikte zwischen den Fürstenhäusern eindämmen und vermeiden. Duchhardt, Frieden, Friedensvertrag, S. 475. Die das Reichslehen betreffenden Erbverbrüderungen bedurften zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Krone. Goez, Der Leihezwang, S. 106. Interessant ist die Feststellung von Hirsch, dass die Erbverbrüderungen kaum mit einer erblichen Bündnispolitik und einem Konfliktaustrag kombiniert wurden. Es scheint also, dass es sich eher um eine Absicherung der Fürsten pro futuro handelte, die nur in geringerem Maße die reale Politik der Fürsten beeinflusste. Zu unterstreichen ist des Weiteren die Tatsache, dass Erbverbrüderungen lediglich im Reich vorkamen und außerhalb dessen keine Anwendung fanden. Hirsch, Generationsübergreifende Verträge, S. 104 und 218. Fisch, Krieg und Frieden, S. 11, 293. Die Vertragserneuerung konnte nach Hirsch in drei Varianten auftreten: Entweder proklamierten die Nachfahren der einen Partei den Beitritt zu dem bis zum Tode des Vorgängers bestehenden Vertrag oder es kam zur gemeinschaftlichen Erneuerung entweder mit oder ohne Modifikationen des Vertragstextes. Hirsch, Generationsübergreifende Verträge, S. 121. Gerade diese Anpassungen und Veränderungen, die den aktuellen politischen Bedürfnissen der Parteien entsprachen, trugen erheblich dazu bei, dass die Verträge auch weiterhin in Geltung blieben. Tresp, Erbeinung, S. 76. Garnier, Amicus amicis inimicus inimicis, S. 187. Zu den Treuvorbehalten in den Bündnissen Englands und Frankreichs: Kienast, Untertaneneid und Treuvorbehalt, S. 66ff. Carl, Der Schwäbische Bund, S. 83. Rubinstein, Das politische System Italiens in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, S. 109. Willoweit, Zwischenherrschaftliche Beziehungen in der mittelalterlichen Welt, S. 278. Dean, Lords, Vassals and Clients in Renaissance Ferrara, S. 107.
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nobles from both within and outside the territories of the state of which they became clients«.487 Diese Rechtsverhältnisse waren vertikal ausgerichtet und da sie sich aus dem Lehnsverhältnis herleiteten, behielten sie nicht nur dessen Terminologie, sondern auch manche seiner Prinzipien bei. Sie wirkten als wichtige Stabilisierungselemente der Macht, vor allem in den Grenzgebieten. So suchten die kleineren Territorialherren bei ihren größeren Nachbarn Schutz und ergriffen im Gegenzug bei potenziellen kriegerischen Konflikten deren Partei. Die Adhaerentia-Rechtsverhältnisse waren vor allem in Italien verbreitet, wo sie »ein wichtiges Element der italienischen Außenpolitik des 15. Jahrhunderts« darstellten.488 Adhaerentiae (im Folgenden als Schutzverträge bezeichnet) waren somit nicht nur eine Basis für stabilere Beziehungen zwischen den Herrschaften, sondern konnten auch als Instrument zur Bestätigung der Macht über ein bestimmtes Territorium dienen.489 Sie halfen den expandierenden Staaten, ihre neuen Territorien zu kontrollieren.490 Soranzo datiert die ersten Erwähnungen der Anhänger italienischer Stadtstaaten auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts.491 Exemplarisch lässt sich die Aufzählung von Anhängern der Parteien beim Abschluss der Italienischen Liga im Jahre 1454 anführen.492 Im Heiligen Reich kamen solche Schutzverträge zwischen den Städten und örtlichen Adeligen zustande. Im Jahre 1409 trat etwa die Stadt Erlenbach in ein solches Schutzverhältnis mit dem Grafen Johann zu Wertheim ein.493 Wie bereits erwähnt ähneln die Schutzverträge hinsichtlich der 487 Ebd., S. 109. 488 Rubinstein, Das politische System Italiens in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, S. 109. 489 Dean, Lord, Vassals and Clients in Renaissance Ferrara, S. 113. 490 Ebd., S. 107. Ein Beispiel der brandenburgischen Expansionspolitik im 15. Jahrhundert durch Schutzverträge liefert Müller, Besiegelte Freundschaft, S. 117ff. Zur Inanspruchnahme des Rechtsinstituts der adhaerentia für das Gebiet der Toskana im 14. Jahrhundert, mit zusätzlichen Verweisen auf weiterführende Literatur, Giorgio Chittolini, Note sul comune die Firenze e i »piccoli signori« dell’Appennino secondo la pace di Sarzana (1353), in: D. R. Curto/E.R. Dursteler/J. Kirshner/F. Trivellato (Hrsg.), From Florence to the Mediterranean and beyond. Essays in Honour of Anthony Molho, Firenze 2009, S. 193–210. 491 Soranzo, Collegati, raccomandati, aderenti, S. 3. 492 Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I., S. 221–224. In den Friedensverträgen zwischen den italienischen Mächten ist die Praxis, die Anhänger der Parteien aufzuzählen, recht verbreitet. Dies hing wahrscheinlich mit den zersplitterten und kleinteiligen Machtverhältnissen auf der Apenninenhalbinsel zusammen. Die Mächte nördlich der Alpen erwähnen in ihren »internationalen« Verträgen ihre Anhänger zwar, aber oft ohne diese explizit aufzuzählen. Anders ist es bei Fehden, dann trifft man auch nördlich der Alpen oft auf Helferverzeichnisse. Siehe die Vereinbarung der gegenseitigen Versendung von Helferverzeichnissen in der Fehde zwischen Georg von Podiebrad und Oldrˇich von Hradec in ˇ , Bd. II, S. 253–254. der Kompromissurkunde vom 10. April 1449. AC 493 Die Gemeinde nimmt den Schutz des Grafen an: (…) wehrliche Hülff uns und unsern Nachkommen schüren schirmen vertretten und versprechen solen mit allen Rechten als ander ihre arme Leut di unter ihn sitzen und ihr eygen sind als serr si mit Recht können und
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Pflichten sowie des Vokabulars dem Lehnsverhältnis.494 Im mailändischen Formularbuch aus der Ära von Francesco Sforza495 liest man: Die machtpolitisch schwächere Seite – bestehend in den Anhängern – verspricht ihrem Beschützer – dem Superior – auxilium et consilium praestare und amicos per amicos et inimicos per inimicos tractare496 sowie erga ipsum dominum quecunque facere et adimplere que, boni, recti, veri adherentes et recomendati superioribus suis facere debent.497 Der Superior verspricht im Gegenzug: quod defendet et proteget dictos suosque, ab omni dominio, domino, communitate et universitate et singulari persona, et quod faciet erga ipsos totum, id quod boni principes erga suos adherentes et recomendatos facere tenentur et debent.498 Er will die Anhänger in alle seine künftigen Verträge mit anderen Mächten einbeziehen. Sie dagegen müssen dem Heer des Superiors Unterkunft und Verpflegung, freie Durchfahrt und Zuflucht gewähren – alles zu einem angemessenen Preis.499 Ohne die Zustimmung des Superiors dürfen seine Anhänger keine anderen Verträge eingehen. Zusammengefasst tauschten die Anhänger ihre politische Unabhängigkeit gegen den Schutz durch den Superior ein. Diese Rechtsverhältnisse blieben von der mittelalterlichen Rechtswissenschaft nicht unbeachtet. Die Definitionen verschiedener Autoren variieren nur unwesentlich: adhaerentes dicuntur, qui sunt eiusdem voluntatis, cuius est principalis,500 qui assistunt consiliis et filii familiares et domestisi, qui assistunt intentione, opibus, consiliis et favoribus.501 Die Anhänger waren keine Unterta-
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mögend onhgeferd mit solchem Unterschied dass sie uns oder unser Erben und Nachkommen wieder Recht nicht zwingen derhein schatzen oder schüren sollen… darzu sollen wir auch ihnen nicht verbunden sein noch schuldig seyn keinerley Frohndienst zu thun. Dumont, Corps universel diplomatique, T. I., P. I., S. 322. Dean, Lords, Vassals and Clients in Renaissance Ferrara, S. 111. Unter »Forma adhaerentie et recomanditiae«. Natale, Stilus cancellariae, S. 64. Siehe Fn. 474. Natale, Stilus cancellariae, S. 64. Ebd., S. 66. Aus dem oben genannten mailändischen Formularbuch, S. 64.: item promittunt dicti d.ni. F. et C. dare receptum et reductum intra terras, castra et loca, quas et que tenent (…) prefato d.no Comiti, suisque gentibus, tam equestribus quam pedestribus, et tam de die quam de nocte, ac victualia pro denariis suis et pretio competent, necnon liberum et expeditum passum ac transitum per territorium suum. Diese Fassung des Formularbuchs entspricht in allen Einzelheiten den Ergebnissen der Studie, die Dean für Ferrara durchführte. Er schreibt: »The standard clauses were military in purpose: the client promised to be a true aderente of the Estensi, to make war and peace according to their orders, to accept their friends and enemies as his own and to give passage, provisions and quartering to Estensi troops whenever recquired«. Dean, Lords, Vassals and Clients in Renaissance Ferrara, S. 110. Corsettus, Commentaria ad Nicolai Abbatis Panormitani super Decretalium et Clementarium libros, Ausgabe ohne Seitenangaben, unter dem Begriff adhaerentes. Sandeus, Commentaria in Decretalibus, in tit. De treuga et pace, in verbo »qui timet«, V. declaratio, no. 11, col. 1374.
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nen, sie fielen nicht sub dominio cui adhaerent, sed sub eius protectione.502 Panormitanus unterstreicht: adhaerentes non dicuntur subditi, sed potius socii.503 Der Superior erlangte mit dem Abschluss des Schutzvertrags keine Jurisdiktion über sie.504 Wenn also ein Vasall des Kaisers mit einem König die adhaerentia, liga oder confoederatio einging, weil er mächtige Nachbarn hatte, denen er selbst nicht trotzen konnte und der Kaiser nicht imstande war, ihm zu helfen, begründete diese adhaerentia, liga oder confoederatio keinesfalls superioritas oder subiectio.505 Man darf die Wirkungen dieser Verträge nicht mit der Territorialzugehörigkeit oder Untertänigkeit verwechseln.506 Manche der Adeligen wandelten das Schutzverhältnis allerdings in eine Lehnsbindung um. Sie übertrugen ihr Lehen an einen Superior, der sie wiederum damit belehnte. Diese Adeligen, meint Belli, sollte man dann nicht mehr zu den echten »Anhängern« rechnen.507 In diesen Fällen änderte sich nämlich die Natur des Verhältnisses zwischen dem Superior und seinen Anhängern: Der Superior erwarb, wie es im Lehnsrecht üblich war, das ius superioritatis und konnte die Strafgerichtsbarkeit und die ordentliche Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet seiner Anhänger ausüben.508 Allerdings scheinen verschiedene Mischformen möglich gewesen zu sein und so hingen die Pflichten und Rechte von den individuellen vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien ab. Im oben genannten Beispiel des Schirmvertrages zwischen der Stadt Erlenbach und dem Grafen zu Wertheim etwa fügt sich die Stadt freiwillig der Rechtsprechung des Grafen und fordert sie sogar ausdrücklich ein.509 Neben den Anhängern gab es noch eine Reihe weiterer Personen, die dem Fürsten in Gefolgschaft verbunden waren.510 Jedoch scheinen sie nicht ver502 Belli, De re militari et bello tractatus, S. 127. 503 Panormitanus, Commentaria primae partis, in primum Decretalium librum, T. I., Fol. 276. 504 Baldus schreibt in seinem Consilium Nr. 506, In tres marchiones, liber V., dass adhaerentia keine iurisdictio des Superiors begründet und stellt adhaerentia und confoederatio auf eine Ebene. Baldus de Ubaldis, Quinta pars Consiliorum, Fol. 96. Wenn eine Stadt unter die Schirmherrschaft eines Fürsten oder Königs trat, wurde hierdurch keine Jurisdiktion über sie begründet. Siehe Garatus, De Confederatione, pace et conventionibus Principum, Qu. LVI, Fol. 303r. 505 Belli, De re militari et bello tractatus, S. 133. 506 Willoweit, Zwischenherrschaftliche Beziehungen in der mittelalterlichen Welt, S. 278. 507 Belli, De re militari et bello tractatus, S. 127. 508 Dean, Lords, vassals and clients in Renaissance Ferrara, S. 114. 509 Dumont, Suplement au corps universel diplomatique, T. I., P. I., S. 322. 510 Neben den vertraglich etablierten adhaerentes gab es viele Gefolgsleute, die unter verschiedenen Bezeichnungen in den Friedensverträgen vorkommen: fautores, complices, coadiutores, sequaces, valitores, colligati, stipendiati, proximi, consortes, participes. Die proximi waren per lineam sanquinis mit dem Fürsten verbunden, die consortes per participationem dominii. Baldus, Commentaria in quartum et quintum Codicis liber, T. 6, Fol. 129. Unter sequaces sind solche Anhänger des Fürsten zu verstehen, die ihm assistunt intentione, opibus, consiliis et favoribus. Consortes gehören zum gleichen Haus oder zur
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traglich an ihn gebunden gewesen zu sein, zumindest widmet ihnen die mittelalterliche Rechtswissenschaft nur wenig Raum. Die Aufteilung in verschiedene Gruppen von Unterstützern, die z. B. dem Fehdeführer zur Seite standen, geht auf Otto Brunner zurück, der zwischen Freunden, Gönnern, Helfern und Dienern differenzierte.511 Während der Gönner der Partei im Rang überlegen war, waren die Diener dieser untergeordnet und die Helfer ihr gleichgeordnet.512 Die neuere Forschung zeigt aber, dass sich »eine hierarchische Schichtung oder gar rechtliche Einteilung der Fehdeteilnehmer nicht halten lässt«.513 Jedenfalls fielen alle Fehdeteilnehmer in die »Machtsphäre« des Fürsten in einem weiteren Sinne, denn sollte ihm ein Krieg oder eine Fehde erklärt werden, waren sie automatisch mit eingeschlossen.514 Es konnte aber auch dazu kommen, dass die Anhänger den Gegner unterstützten. Um die Verhältnisse nach dem Krieg zu stabilisieren und neue Konflikte zu meiden, wurden in den einem Krieg folgenden Friedensverträgen oft Klauseln vereinbart, dass die eine Partei den Anhängern der anderen Partei für deren Unterstützung keinen Schaden zufügen dürfe.515
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Als Instrumentum concordiae et pacis bezeichnet man solche Friedensverträge, die nach einem kriegerischen Konflikt zwischen den Parteien abgeschlossen
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Familie, aber non tamen sunt propinqui in quarto gradu. Unter den participes und complices werden filii, nepotes, propinqui, consiliarii et domestici verstanden. Sandeus, Commentaria in Decretalibus, Lib.I, in tit. de treuga et pace, in verbo »qui timet«, quinta declaratio – no. 11, col 1374. Brunner, Land und Herrschaft, S. 57. HRG, Bd. I, Sp. 1520. Schäfer, Fehdeführer und ihre Helfer, S. 219. Nota quod quando aliquis diffidatur et inciditur contra eum bellum, videntur similiter diffidati omnes eius complices et auxiliantes, erörtert Baldus unter Verweis auf die Codexstelle C. 03.34.02. Baldus de Ubaldis, Commentaria In quartum & quintum Codicis lib., Fol. 134r. Schwieriger zu beantworten war die Frage, ob die Anhänger beim Abschluss eines Friedensvertrags ausdrücklich erwähnt werden mussten. Panormitanus vertrat in seinem Kommentar zu den Dekretalen die Ansicht, dass ein zwischen zwei Fürsten geschlossener Friedensvertrag ohne explizite Erwähnung ihrer Anhänger für diese und ihre Güter nicht gelte. Panormitanus, Commentaria primae partis, in primum Decretalium librum, Bd. 1, Fol. 276. Vgl. Artikel 23 des Friedensvertrages von Brest (31. Dezember 1435) zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden: Item omnes coadiutores et adherentes, qui in favorem nostri et regni nostri Polonie, coadiutorum et subditorum nostrorum magistrum et ordinem Prussie diffidarunt, ab omni impeticione magistri et ordinis predicti sint liberi et soluti. Weise, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert, S. 206.
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wurden. Nach der von Fisch eingeführten Terminologie handelt es sich hier um Friedensverträge im engeren Sinne.516 Für den Krieg517 gab es im späten Mittelalter zwei Ausdrücke, die auch im böhmischen Friedensvertrag synonym nebeneinander stehen: bellum und guerra. Der erste Begriff ist die einzige offizielle Bezeichnung des Krieges im Corpus iuris civilis, während guerra vor allem im Bereich des Lehnsrechts gebraucht wurde.518 Letztlich werden sie aber von den doctores utriusque iuris, wie Bartolus oder Johannes von Lignano, promiscue verwendet.519 Für Baldus existierten drei Typen von Krieg – bellum defensionis, recuperationis und invasionis. Nicht jeden dieser Kriege konnte man seines Erachtens willkürlich beginnen. Während es im Verteidigungskrieg erlaubt war, Freunde und Unterstützer herbeizurufen, war für einen Krieg zwecks Gebietswiedererlangung die nachträgliche Einholung der Zustimmung des eigenen Fürsten erforderlich, für einen Angriffskrieg die eines Richters.520 Die für einen Krieg unter Herrschern zentralen Vorschriften waren aus der Sicht der mittelalterlichen Juristen der Digestentitel D. 49.15. De captivis et de postliminio sowie die quaestiones 1 und 2 der 23. causa des Dekrets von Gratian.521 Die Ausführungen zu diesem Thema wurden durch die Theorie des bellum iustum bestimmt. Diese christlich geprägte Lehre geht auf den heiligen Augustinus zurück, der wiederum vom Ciceronischen Begriff des bellum iustum ausging. Ihre spätere Vollendung fand die bellum iustum-Theorie im Werk Thomas von Aquins, durch dessen Wirken sie für das ganze Mittelalter maßgebend wurde.522 Über die Entwicklung und den Gehalt der Lehre vom gerechten Krieg gibt die vorhandene Sekundärliteratur hinreichend Aufschluss, so dass sich nähere Ausführungen hierzu an dieser Stelle erübrigen. Auch wenn sich das Rechtsdenken vom Wissen anderer Disziplinen nur schwer trennen lässt, sollen zudem die philosophisch-theologischen Grundlagen des Friedens – der pax – im mittelalterlichen Denken vorliegend nicht
516 Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag, S. 11. 517 Die Thematik des Krieges im Mittelalter wurde von zahlreichen Autoren aufgearbeitet. Eine knappe, aber präzise Übersicht über die Bibliographie zu diesem Thema bietet Benziger, Zur Theorie von Krieg und Frieden in der italienischen Renaissance, S. 1, Fn. 1. Der sozialwissenschaftliche und kulturhistorische Ansatz zur Erforschung von mittelalterlichen Konflikten wird in dieser Arbeit nicht verfolgt. Mehr zu dieser Betrachtungsweise, die sich vor allem in den Vereinigten Staaten seit den 1970er Jahren entwickelt hat, bei Patzold, Konflikte als Thema in der modernen Mediävistik, S. 198–205. 518 Ziegler, Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter, S. 60. In der juristischen Literatur der Zeit werden beide Ausdrücke als Synonyme gebraucht. Ebd., S. 64. 519 Ziegler, Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter, S. 64. 520 Baldus de Ubaldis, Commentaria In quartum & quintum Codicis lib., Fol. 134r. 521 Ziegler, Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter, S. 63. 522 Steiger, Krieg und Frieden im europäischen Rechtsgedanken, S. 91.
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thematisiert, sondern hierzu lediglich die Ansichten der mittelalterlichen Rechtsgelehrten betrachtet werden. Die mittelalterlichen Rechtswörterbücher beschreiben den Frieden523 als discordiae finis et vinculum charitatis,524 die dafür nötige Caritas wird als dilectio Dei et proximi definiert.525 Den Frieden verstand man auch als pactum, quo sint finis guerrae et discordiae.526 Es wurden traditionell sechs Gründe unterschieden, die den Frieden unter den Menschen unmöglich machten.527 Für die Erlangung des Friedens debet geri bellum.528 Daraus folgerte man, dass der Friede in voluntate des Menschen stehe, der Krieg im Gegenteil in necessitate erklärt werde.529 Viele iurisperiti dieser Zeit verwiesen auf die Dekretale Novit,530 welche eine Vermittlerrolle des Papstes bei den Streitigkeiten zwischen den weltlichen Herrschern vorsah. Aber auch auf ältere Quellen wurde zurückgegriffen. Sehr beliebt war ein spätantikes Cassiodorus-Zitat: omni quippe regno desiderabilis debet esse tranquillitas, in qua et populi proficiunt et utilitas gentium custoditur. haec est enim bonarum artium decora mater, haec mortalium genus reparabili 523 In der mittelalterlichen Wirklichkeit gab es eine Reihe von speziellen Frieden (»Sippen-, Haus-, Ding-, Dorf-, Stadt-, Land-, Königs-, oder Gottesfriede«), die personell, sachlich und regional eingeschränkt waren und die unterschiedliche Intensität aufwiesen. Der Friedensbegriff des Podiebradschen Vertragstextes zielte auf die pax universalis, auf den generellen Frieden unter den Christen ab, der an sich in keiner Weise eingeschränkt war, außer freilich dadurch, dass er eben nur unter den Christen begründet wurde. In diesem Geiste liest sich auch etwa der erste Artikel der Westfälischen Friedensverträge vom 24. Oktober 1648: Pax sit christiana, universalis et perpetua. Diese Denkweise veränderte sich bis in das 18. Jahrhundert nicht. Brunner, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 545, 554 und 555. 524 Corpus iuris canonici. X II. 1.13. »Vinculum caritatis« im Vertragstext der italienischen Liga von 1454, Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I., S. 222. 525 Rosate, Dictionarium iuris tam civilis, quam canonici, Venetiis 1572, Ausgabe ohne Seitennummern, unter dem Begriff pax. 526 Bertachinus, Repertorium iuris utriusque, Fol. 54. 527 Pax inter homines non servatur propter causas sex: prima quia non puniuntur maleficia. Secunda est abundantia temporalium. Tertia non occupamur in pugna contra demones et ideo non pugnamus ut homines. Quarta quia non consideramus damna guerrae intra animam et corpus et divitia perdimus. Quinta quia non consideramus dubium belli. Sexta quia non servamus precept. Repetorium Antonii Corseti ad Nicolai Abbatis Panormitani Commentaria super Decretalium et Clementarium libros, Venetiis, 1589, Ausgabe ohne Seitenangaben, unter dem Begriff pax. 528 Panormitanus, Commentaria primae partis in secundum librum Decretalium, T. III., Fol. 43. 529 Panormitanus, Commentaria primae partis in secundum librum Decretalium, T. III., Fol. 200. Dieser vom heiligen Augustinus stammende Gedanke wurde über die Jahrhunderte zum Sprichwort. Cardini, La pace come tregua di una guerra continua, S. 1. 530 Panormitanus, Commentaria primae partis in secundum librum Decretalium, T. III., Fol. 44r. Der Papst sieht hier seine Kompetenz gegenüber den Fürsten vor allem in Fragen des Friedensbruches und des Meineides. Deutsche Übersetzung der Auszüge der Dekretale bei: Schmidt, Die katholische Staatslehre, S. 16–17.
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successione multiplicans facultates protendit, mores excolit: et tantarum rerum ignarus agnoscitur qui eam minime quaesisse sentitur.531 Der Frieden galt im mittelalterlichen Verständnis zeitlich unbegrenzt und wurde daher stets vom Waffenstillstand unterschieden.532 Diese Aussage betrifft aber vor allem das späte Mittelalter, denn im frühen Mittelalter findet man in den Friedensverträgen durchaus die Formulierung pax in annum unum und oft wird Frieden als Synonym zu indutiae gebraucht.533 Es bestand in den Augen der mittelalterlichen Rechtswissenschaft auch ein Unterschied zwischen concordia und pax, obwohl diese Begriffe in den abgeschlossenen Friedensverträgen sowie den Formularbüchern der Notare fast immer synonym nebeneinander stehen. Concordia hatte den mittelalterlichen Juristen zufolge ein anderes Gewicht. Antonius Corsettus, ein Schüler Barbazzas, macht darauf aufmerksam, dass im Fall eines von den Statuten geforderten Friedens ein instrumentum concordiae nicht ausreichen. Denn pax sei per se ewig, die concordia aber könne für eine bestimmte Zeit geschlossen werden.534 Unterstützung findet er in Aldobrandinus’ Kommentar zur Summa von Rolandinus.535 Die concordia wird hier mit den gleichen Worten beschrieben wie die treuga. Anders als letztere sei die concordia eher für den Einsatz zwischen zwei Menschen reserviert.536 Treuga dagegen wird als Rechtsinstrument für Waffenstillstandsverträge zwischen Städten, Burgen und Fürsten angeführt. Der Inhalt des instrumentum concordiae et pacis änderte sich seit der Antik wenig. Nach der Darstellung der Ursachen des Krieges wird dessen Beendigung erklärt und schließlich die Friedenssicherung pro futuro behandelt.537 Die Parteien versprechen sich gegenseitig, dass alle Beleidigungen, Ungerechtigkeiten 531 Cassiodorus, Variarum libri XII, Liber I., Kap. I. 532 Der Frieden wurde stets im Gegensatz zum Waffenstillstand betrachtet, um seine »Ewigkeit« zu unterstreichen. Bei Abschluss eines ewigen Friedens (pax perpetua) war es für die Parteien ausgeschlossen, diesen aufzukündigen und sich seinen Bestimmungen rechtmäßig zu entziehen. Nietmann, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230–1449, S. 380. 533 Wielers, Zwischenstaatliche Beziehungsformen im frühen Mittelalter, S. 5. 534 Corsettus, De privilegiis pacis, Fol. 124r : Pax est genus, concordia est species… pax enim est perpetua, concordia potest esse temporalis (…) si statutum requirat instrumentum pacis non sufficit instrumentum concordie. 535 Rolandinus, Summa totius artis notariae, S. 159. Peter Aldobrandinus macht darauf aufmerksam, dass die concordia weder im gemeinen Recht, noch in den Statuten Erwähnung findet. Das heißt, nur der violator pacis macht sich strafbar. Daher soll, wenn eine Partei nicht wirklich von Herzen verzeihen kann oder will, nur eine concordia (Vertrag) abgeschlossen werden, so dass im Falle des Vertragsbruchs der vertragsbrüchigen Partei keine Strafe droht. 536 Concordia ut quidam describunt est securitas personis et rebus praestita ad tempus et ita secundum hoc multum consonaret cum treuga et sit talis pactio concordiae inter privatas personas. Rolandinus, Summa totius artis notariae, S. 158. 537 Lesaffer, Peace Treaties and the Formation of International Law, S. 73.
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und jeglicher Hass erloschen seien.538 Die wechselseitig beschlagnahmten Güter werden zurückgegeben und die Gefangenen der Parteien ohne Lösegeld freigelassen.539 In Zukunft wollen die Parteien sich nicht mehr schaden. Diese Bestimmungen sind von großer Bedeutung. Die Parteien dürfen danach Taten, die im vorherigen Konflikt begangen wurden, nie wieder als Grund für einen Krieg oder eine Fehde anführen. So sollte einer endlosen Fortsetzung der Gewalt vorgebeugt werden. Was geschehen ist, sollte vergessen sein. Die Beziehungen beginnen auf der tabula rasa wieder neu. Damit war der Krieg zwischen den Parteien zwar nicht per se ausgeschlossen, denn er konnte durch ein neues Ereignis wieder entfacht werden. Dies bedeutete dann aber keinen Vertragsbruch, da ja ein neuer Kriegsgrund bestand.540 Durchaus üblich waren auch Konstellationen, in denen die Parteien lediglich hinsichtlich bestimmter Streitigkeiten Frieden schlossen, andere Angelegenheiten, hinsichtlich derer sie sich weiterhin im Kriegszustand befanden, jedoch nicht regelten.541 Wie in den Bündnisverträgen finden sich Bestimmungen über den »freien« Verkehr der Untertanen der Vertragsparteien. Sie dürfen in das Land der anderen Partei reisen und dort Handel treiben oder ihre Güter in Frieden nutzen. Das Vergehen eines Untertanen – gleich welcher Art542 – auf dem Gebiet der 538 Iniuria, offensio, damnificatio, odia, simultas. Vgl. Artikel 1 des Friedensvertrages von Brest (31. Dezember 1435) zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden: omnes dissensiones, controversie et dampna inter partes hincinde facta dimissa et totaliter sopita debent esse nec illorum de cetero aliqua mencio aut memoria. Weise, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert, S. 200. Oder vgl. den zwischen Francesco Sforza und dem Graf Guglielmo VIII. di Monferrato unter Vermittlung des ehemaligen Königs von Sizilien RenH I. aus dem Hause Anjou vereinbarten Frieden, in dem die Grafen von Monferrato auf die Stadt und das Gebiet von Alessandrina nach kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Sforza verzichten mussten: inter ipsas partes fiat (…) plenaria, integra et generalis remissio, perdonatio quarumcumque injurarum, offensionum, derobationum, damnificationum, captivationum. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I. S. 212. Während des 16. Jahrhunderts bildete sich in den Friedensverträgen eine Klausel heraus, die besagte, dass die Kriegshandlungen der Parteien vergessen seien und die Gefangenen freigelassen würden (oblivio et amnestia). Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, S. 155. Zu den Begriffen des Vergessens und Aufgebens im Mittelalter Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag, S. 78f. Wie man sieht, ist die Formulierung eher allgemein und die einzelnen Rechtsbrüche und Beleidigungen werden nicht aufgezählt. Dazu wurde auch in den Formularbüchern geraten. Seine Rechtfertigung findet dies bei Cato (Distich, lib.i. dist. 15): Post inimicitias iram meminisse malorum est. Rolandinus, Summa totius artis notariae (1588), Fol. 139r. 539 Brunner, Land und Herrschaft, S. 106. 540 Lesaffer, Peace Treaties and the Formation of International Law, S. 84. Sed si agerer ex nova causa non diceretur venire contra transactionem vel sententiam ut dicit legibus. Ita in proposito si percussi te ex causa antecedente per quam fueram tibi inimicus de qua inimicitia fuerat facta pax tunc rumpo pacem. D. Ubaldis, Consilia mit Widmungsbrief an Johannes Andreas Meliorinus, S. 54. 541 Benham, Peacemaking in the Middle Ages, S. 203. 542 Die Sprache der Quellen ist hier vielseitig: dampnum, incommodum, gravamen, detri-
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anderen Vertragspartei stört nicht den Frieden zwischen den Parteien.543 Die Bestrafung der verbrecherischen Untertanen der einzelnen Mächte ist auf unterschiedliche Art und Weise ausgestaltet. In den meisten Fällen sollen die Untertanen jedoch dort bestraft werden, wo sie das Unrecht begangen haben.544 Für künftige Streitigkeiten zwischen den Parteien wird auch in diesem Vertragstypus in aller Regel das institutionelle Schiedsverfahren als gemeinsamer Streitbeilegungsmechanismus gewählt.545
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Instrumentum treugae seu induciae
Zur Bezeichnung des Waffenstillstandes bedienten sich die mittelalterlichen lateinischen Rechtsquellen mehrerer Ausdrücke: treuga, indutiae, guerrarum abstinentia, sufferentia.546 Während die Praxis diese Begriffe meist promiscue benutzte, arbeiteten die Rechtsgelehrten einige dogmatische Unterschiede heraus – vor allem zwischen indutiae und treuga: induciae sunt ad modicum tempus, treuga in longum extenditur.547 Bei der Definition des Waffenstillstandes berief man sich zumeist auf die Digestenstelle 49.15.19.1: Indutiae sunt, cum in breve et in praesens tempus convenit, ne invicem se lacessant: quo tempore non est postliminium. »Die kriegerischen Aktivitäten sind suspendiert, der Krieg an sich dauert an«, sagt Alberico Gentili.548 Zu den beliebten Zitaten gehört die Aussage Marcus Teren-
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mentum, offensa, nocumenta, iniuria, derobaria, damnificatio, odium, simultas, rapina, spolium, incendium, vastatio, praeda, homicidio, maleficio. Ilud est sciendum quod per controversias iudiciales non dicitur pax publica immo privata rumpi. Mit Verweis auf D. 45.01.102. D. Ubaldis, Consilia mit Widmungsbrief an Johannes Andreas Meliorinus, S. 54. Vgl. auch Fn. 861. Item si subditos utriusque nostrorum successorum… unious vel alterius in aliquo regnorum nostrorum contingat delinquere, adhuc flagrante crimine secundum leges patriae, in qua quis eorum delinquit, pro delicti qualitate punietur. Aus dem Friedensvertrag zwischen dem schwedischen König Magnus II. und dem dänischen König Waldemar III. vom 18. November 1343. Dumont, Corps universel diplomatique, T. I., P. II., S. 223. Siehe unter D. IV. 4: Instrumentum compromissi. Im frühen Mittelalter bestand noch keine Unterscheidung zwischen Waffenstillständen und unbefristeten Friedensverträgen (nach einem abgelaufenen Krieg). Beide nannten sich pax. Seit dem 12. Jahrhundert fängt man an, die oben genannten lateinischen Ausdrücke für den Waffenstillstand zu nutzen und seit dem 13. Jahrhundert wird schon größtenteils zwischen pax und treuga unterschieden. Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag, S. 349ff. Die deutschen Quellen des 15. Jahrhunderts nutzen aber für den Waffenstillstand auch noch das Wort frid oder eyn uffrichtiger getreuwer und cristlicher fridlicher anstand, FRA, XX, S. 13. Gutlicher stand, FRA, XX, S. 16. Beifrieden war ebenfalls ein häufig verwendeter deutscher Begriff für den Waffenstillstand. Neitmann, Vom »ewigen Frieden«, S. 201. Rosate, Dictionarium iuris, Ausgabe ohne Seitenangaben, unter dem Begriff treuga. Induciae nec interrumpunt bellum, sed sustinent et morantur ; non interrumpunt hostilitatem, sed actus hostiles. Gentili, De iure belli libri III, Lib. II, Kap. XII, S. 179.
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tius Varros aus seinem Buch Antiquitates rerum humanarum et divinarum, in dem an verschiedenen Stellen anführt: indutiae sunt pax castrensis paucorum dierum oder auch belli feriae.549 Der Waffenstillstand wurde als »Zwitter« verstanden, weder als Frieden noch als Krieg – treuga est tempus medium inter guerram et pacem.550 Allerdings lässt sich eine gewisse Schlagseite zum Krieg erkennen.551 Zwar konnte der Waffenstillstand grundsätzlich nicht nur vom Kriegsherrn, sondern auch vom capitaneus – dem Befehlshaber – geschlossen werden,552 dieser bedurfte für den Abschluss eines Friedensvertrages aber eines speziellen Mandates seines Kriegsherrn.553 Es war üblich, den Beginn des Waffenstillstandes ab ortu solis eines bestimmten Tages zu bestimmen.554 Beendet werden konnte der Waffenstillstand auf zweierlei Art und Weise: treuga vel lapsu temporis vel pace finitur, quia pax est perpetua et longius tempus continet.555 Nach Beendigung des Waffenstillstandes lebte der Kriegszustand zeitlich elastisch wieder auf und es bedurfte in der Regel keiner weiteren Ankündigung der kriegerischen Aktivitäten seitens des Gegners.556 Zum Waffenstillstand wurde einerseits aus praktischen Gründen (Winter) gegriffen, andererseits in politisch fragilen Situationen oder wenn man einen längeren Frieden aufgrund der Umstände nicht abschließen konnte oder wollte. Ein gutes Beispiel dafür sind die Beziehungen zwischen den Venezianern und dem oströmischen Imperator Johannes Paleologus. Die Parteien schlossen im Jahre 1390 eine treuga ab, die in den folgenden Jahren in regelmäßigen Abständen lediglich erneuert wurde.557 Das gleiche gilt für die instabilen Verhältnisse auf den Britischen Inseln zwischen den Königreichen England und 549 Grewe, Fontes historiae iuris gentium, Bd. 1, S. 200. 550 Corsettus, Commentaria ad Nicolai Abbatis Panormitani super Decretalium et Clementarium libros. Venetiis, 1589, Ausgabe ohne Seitenangaben, unter dem Begriff treuga. 551 Treuga magis accedit guerrae, quam paci. Panormitanus, Commentaria in quartum et quintum librum decretalium, Fol. 172. Fisch erklärt in seiner Monografie den Waffenstillstand zu einer Kategorie des Friedens. Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag, S. 12. 552 Breviter puto quod capitaneus potest facere treugam, seu inducias indicere. Bartolus, Commentaria in primam Digesti Veteris Partem, Fol. 90. 553 Garatus, De Confederatione, pace et conventionibus Principum, qu. LIX, Fol. 303r, mit Verweis auf D. 03.03.60. 554 So im Waffenstillstand zwischen dem englischen und schottischen König vom 14. August 1451, Rymer, Foedera, Conventiones, Literae et cuiuscunque generis acta publica, Bd. XI, S. 293. 555 Moronius, Tractatus Aureus de fide Treuga et pace, Venetiis 1570. 556 Baldus, Commentaria in primam et secundam Infortiati Partem, Fol. 112r. Sowie Baldus, Commentaria in Feudorum Usus, Fol. 100v. 557 So geschehen in den Jahren 1406, 1412, 1418, 1423, 1431, 1436, 1442, 1447. Thomas, Diplomatarium Veneto- Levantinum, 1351–1454, Bd. II, S. 224ff.
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Schottland.558 Wie bei den Bündnis- oder Friedensverträgen nach einer kriegerischen Auseinandersetzung, hielten es die Parteien auch beim Einsatz dieses Instrumentums für notwendig, ausdrücklich festzustellen, dass die Verletzung des Waffenstillstandes durch eine Privatperson, einen einzelnen Untertanen, diesen nicht berühre.559 Bestimmungen über den Verkehr (Handel)560 der Untertanen sowie über deren Bestrafung, sollten sie während des Bestehens der Treuga Verbrechen verüben, hielten in die Waffenstillstandsverträge ebenfalls Einzug.561
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Instrumentum compromissi
Seit dem 13. Jahrhundert verbreitete sich ein Verfahren, das vor allem dann Anwendung fand, wenn die Parteien nicht bereit oder fähig waren, gemeinsame Bedingungen auszuhandeln. In diesem Fall wendeten sie sich an einen Vermittler (arbiter, arbitrator, mediator562), der die Verhältnisse zwischen ihnen 558 Waffenstillstände zwischen den Königreichen England und Schottland wurden in den Jahren 1444, 1449, 1451, 1453, 1457, 1459, 1464 geschlossen. Die Zeitspanne der treuga bewegte sich zwischen zwei und fünf Jahren. Offenbar schloss vor allem England induciae, treugae et guerrearum abstinentiae auch mit vielen kontinental europäischen Kräften. Abgesehen von dem mit Frankreich geführten Hundertjährigen Krieg, in dem man Waffenstillstände reichlich nutzte, schloss England »treugae« mit Burgund (1446) und mit dem König von Kastilien (1447). Rymer, Foedera, Conventiones, Literae et cuiuscunque generis acta publica, Bd. XI., S. 58, 231, 193, 327, 403, 525 (für England und Schottland), S. 132 (Burgund), S. 219 (Kastilien). 559 Si aliqua privata et singularis persona (…) contra praemissa (den vereinbarten Inhalt des Waffenstillstandsvertrages) quicquam attemptaverit… per hoc non intelligentur dictae treuge rupta aut violata per ipsas partes. Aus dem Waffenstillstand zwischen Heinrich VI. und der Republik Genua vom 13. Februar 1460, Rymer, Foedera, Conventiones, Literae, Bd. XI., S. 442. 560 Venire ad quaecumque loca maritima et terrestria…et ibidem exonerare, stare, morari, mercari, perhendinare (perennare)… nocteque dieque exinde discedere, reverti et redire, totiens quotiens voluerint. Aus dem Waffenstillstand zwischen Heinrich VI. und der Republik Genua vom 13. Februar 1460, Rymer, Foedera, Conventiones, Literae, Bd. XI, S. 441. Tempore treugae mercatores et rustici debent esse securi, Garatus, Confederatione, pace et conventionibus Principum, qu. XXX, Fol. 302vb. 561 (…) si treugis durantibus, aliquis de subditis..unius partis deliquerit .. in territorio alterius partis, liceat parti, in cuius territorio sic deliquerit…ipsum capere et punire secundum leges patriae in qua sic deliquerit. Waffenstillstand zwischen England und Schottland vom 14. August 1451, Rymer, Foedera, Conventiones, Literae, Bd. XI., S. 295. (…) licitum erit unicuique dictarum partium procedure contra taliter delinquentem per viam juris, coram judice competent et alia remedia convenientia. Aus dem Waffenstillstand zwischen Heinrich VI. und der Republik Genua vom 13. Februar 1460, Rymer, Foedera, Conventiones, Literae, Bd. XI., S. 442. 562 Der Mediator ist bis in das 11. Jahrhundert vor allem im religiös-theologischen Diskurs zu finden, was ideengeschichtlich auf die vermittelnde Stellung Christi zwischen Gott und den
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durch einen Schiedsvertrag – instrumentum compromissi – regelte. Hierbei sind der Schiedsvertrag ad hoc, die Kompromissurkunde (instrumentum compromissi), und der (generelle) institutionelle Schiedsvertrag zu unterscheiden.563 Während ersterer eine gegenwärtige Streitigkeit aus der Welt schaffen sollte, wurde die zweite Form in den Friedensverträgen564 meist als Mittel zur Beilegung künftiger Streitigkeiten verankert. Im Rahmen des ad-hoc-Schiedsverfahrens gab es in der Regel zwei Dokumente. Im ersten einigten sich die Parteien auf die Personen der Schiedsrichter. Das zweite Dokument, die Schieds- und Sühneurkunde, wurde von den Schiedsrichtern oder von den Konfliktparteien selbst verfasst.565 In ihr war das Urteil – der Schiedsspruch – enthalten,566 auf den die Erklärung der Parteien folgte, sich dem Schiedsspruch zu fügen567 und die von den Schiedsrichtern auferlegten Pflichten zu erfüllen. Die Urteile der Schiedsrichter wurden zumeist nicht begründet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass einerseits keine Rechtsmittel gegen sie zugelassen waren und man andererseits keinen Anlass zur Kritik an diesen Begründungen geben wollte.568 Inwieweit und unter welchen Umständen die Schiedssprüche von den Parteien befolgt wurden,
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Menschen zurückzuführen ist. Aus diesem Grunde kam die Eigenschaft des Vermittlers im Streit vorerst dem Papst und den Bischöfen zu. Kamp, Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter, S. 14–15. Die Person des Mediators musste sorgfältig ausgewählt werden, denn dieser musste eine gewisse Akzeptanz und den Respekt beider verfeindeten Parteien genießen. Meistens handelte es sich also um solche Akteure des mittelalterlichen »öffentlichen« Lebens, die entweder Verwandte oder Bündnispartner waren oder die in einem Lehnsverhältnis mit den zerstrittenen Parteien standen. Garnier, Die Legitimierung von Gewalt durch die hoch- und spätmittelalterliche Friedensbewegung, S. 241. Der in den Bündnis- und Schiedsurkunden verwendete Ausdruck des Mediators ist als Synonym zu arbiter und arbitrator zu verstehen. Kamp, Friedensstifter und Vermittler im Mittelalter, S. 20. Kobler, Das Schiedsgerichtswesen nach bayrischen Quellen des Mittelalters, S. 24. In der neueren Literatur wird der institutionelle Schiedsvertrag auch als ein »erbliches Verfahren zum Konfliktaustrag« gekennzeichnet, der durchaus die Form einer selbstständigen Urkunde annehmen konnte, was aber sehr selten vorkam. Eher er war ein regelmäßiger Bestandteil der (Erb-)Bündnisse. Hirsch, Generationsübergreifende Verträge, S. 102. Garnier, Amicus amicis inimicus inimicis, S. 238. In der mittelalterlichen Rechtswissenschaft wurde der Schiedsspruch des arbitrator als laudum und der des arbiters als arbitrium bezeichnet. In den Formularsammlungen der Notare wurde dies vielleicht noch beachtet, in der Praxis nahm man auf diese Einteilung oft keine Rücksicht. Ein Beispiel ist der Vergleich zwischen König Georg und den Herzögen Friedrich II. und Wilhelm III. von Sachsen, der vom Markgraf Albrecht von Brandenburg gesprochen wurde: Geredden und versprechen, au˚ch bey unnser ydes koniglichen und furstenlichen eren und wirden (…) wir, konig Jorg, fu˚r uns, unnser erben, nachkomen konig und die krone zu˚ Beheim und wir, hertzog Friederich und hertzog Wilhelm zu Sachsen… das allez also getreu˚lich zu˚halten, dawidder nymmer zu˚ sein oder zu˚thu˚n. Edition von Müller, Die diplomatische Kärrnerarbeit, S. 214. Dass sich die Parteien einem Schiedsverfahren und dem es abschließenden Urteil unterwerfen, wurde oft als »christliche Tat« angesehen. Smith, Disputes and Settlements, S. 842. Milej, Entwicklung des Völkerrechts, S. 18.
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ist ein eigenes Forschungsfeld. Man kann mit guten Gründen sagen, dass das compromissum nicht so sehr als eine friedensstiftende Maßnahme, sondern als eine zur Schaffung eines Waffenstillstandes erfolgreich war. Es stellte eine Alternative zum Krieg dar und verschaffte Parteien die Möglichkeit, die Lösung der Konflikte auf einen späteren Zeitpunkt hinauszuschieben, ohne ihre Ansprüche aufzugeben.569 Zunächst setzte sich die mittelalterliche Legistik mit dem instrumentum compromissi auseinander, die sich in ihren Ausführungen an die Bestimmungen des römischen Rechts anlehnte (D. 04.08., C. 02.55., Nov. 86.02., D. 17.02.76.), bevor an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert die Kanonistik das Thema aufgriff.570 Es wurden die Fragen erörtert, wer arbiter571 und wer arbitrator sein dürfe, wie sich diese unterschieden,572 über welche Materien sie entscheiden dürften573 und ob man gegen ihre Entscheidungen Berufung einlegen könne.574
569 Moeglin, Krieg und Vermittlungsverfahren, S. 222. 570 Ziegler, Arbiter, arbitrator und amicabilis compositor, S. 378. 571 Item scias quod arbiter esse prohibetur minor vigintiquinque annis et furiosus et servus et foemina, et hi qui iudices et arbitri esse possunt. Rolandinus, Summa totius artis notariae, S. 157. 572 Die Notwendigkeit, zwischen einem arbiter und arbitrator zu unterscheiden, ist »auf den Widerspruch zwischen den römischen Rechtsquellen über den arbiter = Schiedsrichter und der kirchlichen wie weltlichen Rechtspraxis der damaligen Zeit« zurückzuführen. Ziegler, Arbiter, arbitrator und amicabilis compositor, S. 378–379. Orientierung bietet das klassische Werk Durantus, Speculum iuris, Lib. I. Arbiter quid sit, n. 7. S. 155: Est etiam differentia inter arbitrum et arbitratorem. Nam arbiter est, quem partes eligunt ad cognoscendum de quaestione vel lite: et sic sumitur sub re litigiosa et incerta, ut de ea cognoscatur : et debet iuris ordinem servare. Et sit semper cum poenae stipulatione. Non cogendum est statur eius sententia, aequa sit, sive iniqua, nec ab ea appellatur nec ad arbitrium viri reducitur secundum quosdam. Arbitrator vero est amicabilis compositor nec sumitur super re litigiosa, vel ut cognoscat; sed ut pacificet et, quod certum est, dividat; ut in societate, quam certum fuisse contractum. Sed eligitur, ut de cuilibet certam suam partem, quae ipsum ex societate contingit. Et hoc non dicitur arbitrium nec tenetur iuris ordinem observare, nec statur eius sententiae, si sit iniqua: sed reducitur ad arbitrium boni viri. Sowie Accursius, Digestum Vetus, Seu Pandectarum Iuris, Bd. I, Fol. 629: arbiter est, qui recipit officium iudicis: et promittit se litem sua sententia reminare. Sed arbitrator est, qui vult videre an inter eos componere possit: nec procedit more iudicis sicut arbiter facit. 573 Super delictis, de libertate, de ingenuitate, sevitute, de matrimonio etc. Rolandinus, Summa totius artis notariae, S. 149. 574 Auf C. 02.55.01. gestützt war es unmöglich, gegen die Entscheidung des Schiedsrichters Berufung einzulegen. Der Schiedsspruch konnte nicht zwangsweise vollstreckt werden und es hing allein vom Willen der Parteien ab, ob sie ihm Folge leisteten.
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5.
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Zusammenfassung
Während die instrumenta intelligentiae, also die Bündnisverträge (Erbbündnisse, Erbverbrüderungen, Schutzverträge), zur Wahrung des Friedens dienten, stellten das instrumentum concordiae et pacis, das instrumentum compromisi und der Waffenstillstand Mittel zur Herstellung des Friedens dar. Diese einzelnen Idealtypen weisen viele gemeinsame Elemente auf – wie etwa die Regelungen über den Verkehr der Untertanen, die Sicherheit der Straßen, die Bestrafung der delinquenten Untertanen oder die Schlichtung künftiger Streitigkeiten zwischen den Parteien. Daher müssen stets der Zweck und das Ziel der Verträge im Auge behalten werden. Die Verortung des Podiebradschen Friedensvertragstextes in der vorgeschlagenen Schematik der Friedensverträge liegt auf der Hand. Er verstand sich als ein Bündnis – ein instrumentum intelligentiae, dessen ausdrücklicher Gegner die Türken waren. Aber darin erschöpft sich nicht das Ziel des Vertragstextes, denn in ihm ist kein Aufhebungsgrund575 vorgesehen. Die Parteien sollten auch nach der Erreichung des konkreten Bündniszwecks576 weiterhin vertraglich verbunden bleiben, und zwar in einem Friedensbund.
575 Auf diese Tatsache machte mich Herr Prof. Wulf Eckart Voß aufmerksam, wofür ich ihm dankbar bin. 576 Den Bündnisverträgen eigen war der Kampf gegen den äußeren politischen Feind. Dieser Zweck war für den Zusammenhalt eines Bündnisses ausschlaggebend. Entfiel er und änderten sich die politischen Umstände, verloren die Parteien in der Regel das Interesse am Fortbestand des Bündnisses und dieses lief aus. Vielleicht könnte man die »Institutionalisierung« des Podiebradschen Bündnisses als einen Versuch deuten, gerade dieser Gefahr die Stirn zu bieten. Theoretisch sollte nach Verwirklichung des Bündniszwecks – dem Türkenkreuzzug – das Bündnis als ein Friedensbund weiter bestehen. Dabei sollten die vorgesehenen ständigen Organe helfen sollten, in deren Rahmen die Fürsten auch ihre eigenen Interessen hätten vertreten und artikulieren können.
E.
Analyse des Friedensvertragstextes
Nach Einführung in die politischen Besonderheiten der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Böhmen und nach Entwicklung eines Ansatzes zur Typologisierung der spätmittelalterlichen Friedensverträge ist nun der Boden bereitet für eine Analyse des Podiebradschen Friedensvertragstextes. Die Kommentierung folgt hier nicht der Abfolge der einzelnen Artikel des überlieferten Friedensvertragstextes, sondern erfolgt anhand von drei Themenblöcken. Der gewählte Aufbau orientiert sich dabei an den logischen Schritten auf dem Weg zur Erreichung des Vertragszieles – 1. Begründung des Vorhabens (Arenga), 2. Schaffung eines Friedens- und Rechtsraums, und 3. Durchführung eines Türkenkreuzzuges. Das erste Unterkapitel widmet sich damit der Arenga des Podiebradschen Friedensvertragstextes. Gerade im Mittelalter wurde den Präambeln ein viel größerer Wert beigemessen als in modernen internationalen Verträgen. Der zweite Themenkomplex behandelt die Merkmale eines Bundes, zu denen typischerweise die Friedenswahrung unter den Mitgliedern, ihre Besteuerung und gemeinsame Organe gehören. Daneben werden die damit verbundenen Konzepte wie fraternitas, amicitia oder die gegenseitige Zusage von Hilfe und Beistand (auxilium et consilium praestare) erörtert, die fast in jeder spätmittelalterlichen vertraglichen Verbindung ihren Platz haben. Die Kommentierung endet mit der Beschreibung des geplanten Türkenkreuzzuges, dessen Durchführung allerdings von den Verfassern des Friedensvertragstextes nur sehr kursorisch behandelt wurde.
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Analyse des Friedensvertragstextes
I.
Betrachtung der Präambel
1.
Funktion der Präambel
Den Präambeln kamen im Mittelalter zwei wichtige Funktionen zu. Einerseits dienten sie der Ankündigung des Vorhabens der Parteien, anderseits dessen Begründung. Die Bekanntmachung eines Vorhabens war nicht nur nach innen, für die eigenen Untertanen, von großer Wichtigkeit, sondern auch für die anderen Mächte Europas. Wie Steiger festhält, »ging jeder Friedensschluss grundsätzlich ganz Europa an«.577 Der erste Satz der böhmischen Arenga ist in zwei Versionen überliefert. Die Memoiren von Commines geben die Version von Lenglet wieder, die mit Nos, Georgius, rex Bohemiae, notum facimus578 beginnt. Die zweite Variante nennt anstelle des Namens des Königs die ersten drei Buchstaben des Alphabets stellvertretend für die einzelnen Herrscher : Nos A.B.C. notum facimus universis et singulis ad perpetuam rei memoriam. Diese Formulierung ist sehr interessant, denn eine von den Parteien gemeinsam vereinbarte Arenga ist in den Vertragssammlungen des 15. und 16. Jahrhunderts nicht zu finden.579 Obwohl diese Präambel mit großer Sorgfältigkeit ausgearbeitet wurde, bleibt natürlich fraglich, ob die Parteien sie in den weiteren Verhandlungen und beim Abschluss des Friedensvertrages auch in dieser Form beibehalten hätten. Darüber lässt sich nur spekulieren. Die Begründung des jeweiligen Vorhabens der Parteien sollte ihm eine gewisse Legitimation verschaffen, freilich nicht in dem Sinn, dass die Herrscher eine höhere Macht um Beistand für ihr Vorhaben anriefen. Vielmehr ging es darum, die Untertanen bzw. alle diejenigen, die vom Vertragsschluss erfahren sollten, von dem Vorhaben zu überzeugen. Man wollte zeigen, wie unentbehrlich die geplante Unternehmung sei. Die Herrscher verbinden sich operam dare, quod vera, pura et firma pax, unio et caritas inter cristianos fiat et fides Christi adversus immanissimum Truchum defensetur (Zeile 42 der Arenga). Dabei handelt es sich um eine klassische Begründung dieser Zeit. Vor allem in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts findet man in den meisten Friedensverträgen die Aussage, man wolle Frieden unter den christlichen Herrschern stiften, um gegen die Ungläubigen, seien es Türken, Tataren oder Hussiten,580 kämpfen 577 578 579 580
Steiger, Vorsprüche zu und in Friedensverträgen der Vormoderne, Abschnitt 10–11. Der lateinische Text der Arenga ist dem Anhang 1 zu entnehmen. Ebd., Abschnitt 6. So warnte vier Jahrzehnte vor der Entstehung dieses Friedensvertragstextes Kaiser Sigismund die mit dem Herzog von Schleswig verbündeten Hansestädte vor einem Krieg mit dem dänischen König und drohte mit Repressalien. Denn der Krieg würde den dänischen König daran hindern, seine Hilfskontingente gegen die Hussiten zu schicken. Kleindienst,
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zu können.581 Krieg gegen die Ungläubigen wurde so zu einem friedensstiftenden Element. Jeder Krieg und jede Fehde unter den Christen galt nämlich als Schwächung des Okzidents und damit Stärkung der Türken.582 Interessant ist, dass das Argument, Frieden schaffen zu müssen, um Krieg gegen die Ungläubigen führen zu können, nicht nur in den »internationalen« Beziehungen genutzt wurde, sondern von den Herrschern ebenso zur Beruhigung ihrer zerstrittenen Untertanen eingesetzt wurde. Um einen Grenzstreit zwischen zwei kleinen Städten in seinem Königreich zu beenden, entsandte etwa der neapolitanische König Ferdinand von Aragonien seinen königlichen Rat Bomusio di Lucca mit dem Auftrag, er solle die Untertanen daran erinnern, ihre Kräfte in der schweren Zeit, da das Königreich von den Türken angegriffen würde, nicht in unnötigen Streitigkeiten zu verschwenden und diese lieber für die Erfüllung der ihnen auferlegten finanziellen Bürden einzusetzen.583 Desgleichen gab Pius II. den Breslauern, als diese sich weigerten, Georg von Podiebrad als ihren König anzuerkennen, warnend zu bedenken, dass ihr Streit letztlich nur den Türken nutze, sie mithin als gemeinsame Mörder der respublica christiana anzusehen wären.584 Genauso »befahl« Papst Paulus II. den italienischen Mächten einige Jahre später (2. Februar 1468) den Frieden, um die Voraussetzung für einen Kreuzzug gegen die Türken zu schaffen.585 In der Arenga wird die Befriedung also als Mittel zur Vorbereitung des Türkenkreuzzuges dargestellt. Um der Botschaft eine größere Dringlichkeit und mehr Gewicht zu verleihen, griff man dabei zu einer ausschmückenden Beschreibung des gemeinsamen Feindes und seiner Greueltaten.
2.
»Erzschändliche Türken«
Die 798 Wörter lange Arenga betont vor allem den elenden Zustand und die katastrophale Lage der respublica christiana, sowie ihren Verfall und ihre Verluste. Es wird an die goldene Zeit des Christentums erinnert, als der christliche
581 582
583 584 585
Der Monarchenkongreß von Luzk 1429, S. 14. Der gleiche Herrscher verkündete im Jahre 1422 ein vierjähriges Friedensgebot in Franken und in Bayern. Die Fehden in diesen Gebieten behinderten ebenfalls den Kampf gegen die Hussiten. Weitere Fehdeverbote im Kontext des Kampfes gegen die Hussiten bei Isenmann, Weshalb wurde die Fehde im römisch-deutschen Reich seit 1467 reichsgesetzlich verboten?, S. 345. Lesaffer, From Lodi to Westphalia, S. 29. Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit, S. 62. Vgl. 2. Satz des Artikels 21 des Podiebradschen Friedensvertrags: Nam qui praestare auxilia hoc tempore contra Turcos negaverit, infidelitatis proculdubio et inimicorum crucis Cristi fautorem se declarabit. Marchetti, De iure finium, S. 8. ˇ esky´ kr#l Jirˇ& a kompakt#ta, S. 391. Pavl&k, C Baronio/Rinaldi/Laderchi, Annales Ecclesiastici, Bd. 29, S. 452–457.
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Analyse des Friedensvertragstextes
Glaube in 117586 Königreichen (Zeile 4, 33) herrschte und sogar das Grabmal des Herrn sich in den Händen der Christen befand. Wozu aber seien die damaligen Siege nütze gewesen, wenn jetzt die Christen in einem Triumphzug587 vorgeführt würden (Zeile 24 der Arenga). Es sei nämlich zu einer grundlegenden Umwälzung gekommen!: Der verräterische Mohammed habe zuerst die kleine Nation der Araber vom richtigen Weg abgebracht. Da man ihn an weiteren Eroberungen nicht gehindert habe, seien weite Landstriche in Asien und Afrika unter seinen Einfluss geraten (Zeile 17) und mit ihnen auch die Türken. Es ist interessant, dass der böhmische Friedensvertrag zwei Ausdrücke für den gemeinsamen Feind benutzt, einerseits Teucri588 und andererseits Turc(h)i.589 Dies ist darauf zurückzuführen, dass am Ende des 14. Jahrhunderts neben dem Begriff Turc(h)i der Name Teucri im Sinne der »Trojaner« auftauchte. Diese neue Bezeichnung wurde sowohl von den Humanisten als auch im internationalen Verkehr (in den Bullen von Eugen IV. sowie in der Korrespondenz der italienischen Stadtstaaten) aufgegriffen,590 jedoch nicht von allen: Papst Pius II. kämpfte hartnäckig gegen den Gebrauch von Teucri und vor allem gegen deren Identifizierung mit den Trojanern. In der humanistischen Literatur der Zeit war nämlich der Gedanke aufgekommen, die Zerstörung Konstantinopels sei als Strafe für die Vernichtung Trojas durch die Griechen anzusehen.591 Selbst Sultan Mehmet II., der 586 In der Literatur wurde bereits auf die Ähnlichkeit zwischen dem Marinischen Traktat und der Arenga des Podiebradschen Friedensvertrages aufmerksam gemacht. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ III., Bd. IV, S. 582. Marini geht auch von anfänglich 117 christlichen Königreichen aus, wovon sich nur 16 vor der türkischen Übermacht retten konnten. Sˇmahel, Antonio Marini z Grenoblu a jeho »Memorandum«o nutnosti protitureck8 alliance, S. 179 und 181. 587 Hier wird wahrscheinlich an die römischen Triumphe erinnert, in welchen auch der besiegte Feind vorgeführt wurde, der die Niederlage meist mit seinem Leben büßte oder in die Sklaverei verkauft wurde. 588 In Zeile 14 der Arenga: spurcissimi denique Teucri, und im Artikel 13 des Friedensvertragstextes: protegere a spurcissimo Teucrorum principe. 589 In Zeile 43 der Arenga des Friedensvertragstextes: adversus immanissimum Turcum defensetur, im Artikel 14: debeant contra Turcos prosecturi, und schließlich im Artikel 21: hoc tempore contra Turcos negaverit (…) bella in Turcos conficienda (…) ut ipsi tamquam Turco pre ceteris nacionibus magis vicini ad instruendam classem maritimam assurgent. 590 Hankins, Renaissance Crusaders, S. 136. 591 In diesem Sinne könnte man den Satz der Arenga spurcissimi denique Teucri, qui a diebus paucissimis primo inclitum Grecorum imperium, deinde quamplures cristianitatis provincias et regna in suam potestatem redigere doppeldeutig dahin verstehen, dass die Trojaner das Kaiserreich der Griechen unter ihre Herrschaft gebracht haben. In diese Aussage könnte aber noch eine andere Nuance hineingelesen werden: Mit der Bezeichnung der Türken als Trojaner werden diese verspottet in dem Sinne, dass sie sich auf arogante Art und Weise selbst Trojaner nennen. Abgesehen von diesem möglichen Inhalt wurden die Ausdrücke Turc(h)i und Teucri von den Autoren meist promiscue benutzt. Meserve, Empires of Islam, S. 26–64 und S. 32. Man darf nicht vergessen, dass in der frühen fränkischen
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mit der antiken Geschichte gut vertraut war, hatte Troja im Jahre 1462 angeblich einen Besuch abgestattet. Viel aussagekräftiger als die Gleichsetzung der Türken mit den Trojanern waren jedoch die Eigenschaften, welche die verschiedenen antitürkischen Bündnisverträge und antitürkische humanistische Literatur dieser Zeit, die sich vor allem nach dem Fall Konstantinopels stark vermehrte typischerweise nur mit den Türken in Verbindung brachten.592 In erster Linie war dies die Grausamkeit – Immanitas593 im Gegensatz zu der vorgeblichen Humanitas der Christen. Im böhmischen Friedensvertrag wollten sich Podiebrad und die verbündeten Herrscher dafür einsetzen, dass fides Christi adversus immanissimum Turchum defensetur (Zeile 43). Neben den Zerstörungen der Gotteshäuser und Heiligtümer – plurima monasteria magnaque Dei templa demoliebantur (…) animas pene infinitas e cristianorum finibus asportarunt (Zeilen 19–20) – waren die Versklavung und Verschleppung der unterworfenen Bevölkerung weitere Topoi bei der Schilderung der vom türkischen Heer verübten Grausamkeiten.594 Auch die den Türken allgemein vorgeworfenene perfidia595 – Niederträchtigkeit – findet sich im böhmischen Friedensvertrag. Einerseits wird Mohammed so selbst charakterisiert, andererseits wird beklagt, dass er latissimas Affrice pariter et Asie regiones subiugavit et in dampnatissimam impulerit perfidiam (Zeile 16). Aber wer trägt die Schuld an diesem Elend? Sunt fortasse nonnulla peccata, que Deus punire vult, quemadmodum in Veteri testamento nonumquam factum legimus? (Zeile 34). Die Autoren des Textes führen den Beweis, dass Gott die Sünden der Christen bestrafen will. Schon während der ersten Kreuzzüge wurden die Niederlagen und das Unglück der Christen in diesem Sinne interpretiert.596 Am Anfang des 16. Jahrhunderts bedienten sich noch Erasmus von Rotterdam und Luther dieses Gedankens.597 Die Lieblichkeit der Heimat, wunderschöne Paläste und großer Reichtum
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596 597
Chronistik den Franken eine Abstammung von den Trojanern zuerkannt wurde. Kern, Lexikon der antiken Gestalten, S. 20. Hankins, Renaissance Crusaders, S. 112. Ebd., S. 122. Traktat über die Unmenschlichkeit/Furchtbarkeit: Giovanni Gioviano Pontano, De Immanitate, Augsburg 1519. Lehmann-Sieber, Der türkische Sultan Mehmed II. und Karl der Kühne, S. 19. Der Ausdruck perfidus wurde bereits mit den Juden in Zusammenhang gebracht. Am Karfreitag betete man: Oremus et pro perfidis Judaeis. Döllinger, Die Juden in Europa, S. 216. Später, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre des 15. Jahrhunderts, belegte Papst Paul II. mit dem gleichen Ausdruck den böhmischen König, den er als perfidus hereticus bezeichnete. FRA, XX (1860), Nr. 379. De Vries, God and Defeat in Medieval Warfare, S. 91. De Vries, The Lack of a Western European Military Response to the Ottoman Invasions of Eastern Europe from Nicopolis (1396) to Mohacs (1526), S. 553.
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Analyse des Friedensvertragstextes
sollen den Menschen nicht davon abhalten, zum Schutz des Glaubens in den Kampf zu ziehen, wie die Arenga festhält (Zeilen 53–54). Die allzu große Wertschätzung materieller Dinge wurde oft als Grund für göttliche Bestrafung begriffen. Nach der großen Niederlage der Christen bei Nicopolis im Jahre 1396 argumentierte etwa Philippe de M8ziHres in seiner Ppistre lamentable et consolatoire in diesem Sinne.598 Die Fürsten verfolgten die drei Schwestern Luzifers – Luxus, Stolz und Habgier.599 Auch für Marini sind in seinem Memorandum die Verhältnisse klar : Die Fürsten tragen die Schuld an der elenden Lage. Gleicher Meinung ist auch Michel Beheim in seinem Gedicht über die Türken und den Adel, wenn er die Schuld bei den Herrschern des Okzidents sucht.600 Für Marini vermögen es die Fürsten nicht mehr, in die Fußstapfen der alten Herrscher zu treten, verfolgten sie doch nicht deren Sitten und Bräuche, sondern versuche jeder nur, seinen eigenen Willen durchzusetzen. Mehr noch: Die christlichen Führer sind nicht einig, sondern zerstritten und konspirieren gegen die zwei Häupter der Christenheit.601 Allerdings kommt Marini zu dem Schluss, die Fürsten seien zugleich diejenigen, die den Gang der Geschichte ändern und die Türken bekämpfen könnten – solum remansi inter principes et commitates de aliis non est sperandum.602 Und weil eben alles an den Fürsten hängt, ist der Friede unter ihnen so überaus wichtig. Quod vera, pura et firma pax, unio et caritas inter cristianos fiat (Zeile 42) wurde so, wie erwähnt, zu einem »festen Topos in der Kreuzzugspropaganda«.603
3.
Rex debet esse pacificus
Nach herrschender mittelalterlicher Anschauung hatten die Fürsten eine primäre und natürliche Aufgabe: Ad hoc enim ad nos derivata sunt regna et principatus, ut solicitudine et diligentia nobis possibilibus pax decoretur, status rei publice sustenetur (Zeile 45). Gar lieben sollen die Herrscher den Frieden – 598 Ebd., S. 543. 599 Atiya, The Crusade in the Later Middle Ages, S. 153. 600 Ir fursten in römischem reich, babst, kaiser, küng mit namen, und die fursten und hern alsamen, dez blut vergiessens mussend ir euch ummer schamen. Pfei euch der schand, daz ir in eurem stand, vermugend so gross leut und land und lassent so vil kristen gut so mördigleichen tamen. Ir seit schuldig an irem plut. V. Karajan, Zehn Gedichte Michael Beheims zur Geschichte Oesterreichs und Ungerns, S. 64. 601 Serenissimi urbis principes dimiserunt mores, vestigia et consuetudines antiquorum imperatorum et sua proprias voluerunt adimplere voluntates. Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 219. 602 Ebd., S. 220. 603 Kerth, Der landsfrid ist zerbrochen, S. 260.
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principes debent diligere pacem – wie Martinus Garatus,604 ein italienischer Jurist des 15. Jahrhunderts, mit Verweis auf eine entsprechende Stelle im justinianischen Codex fordert (C. 01.17.01).605 Aus eben dieser Codexstelle stammt die in der Arenga des Podiebradschen Friedensvertragstextes benutzte Wendung pacem decorare, statum rei publicae sustenere, die man leicht abgewandelt auch im Werk Peter von Andlau findet: Decorare pacem, remque publicam perturbantes compescere imperatoris et cuiuscunque principis maxime proprium esse debet.606 Das römische Recht liefert viele Belege für die friedensstiftende Aufgabe der Fürsten. Die Digestenstellen D. 01.18.13pr607 und D. 01.12.01.12.608 galten als Zeugnis dafür, dass sich diese für den Frieden in ihren Territorien einsetzen müssen. Frieden müsse aus Gründen des Gemeinwohls herrschen (D. 2.14.5).609 Vor allem für das Volk sei es von Vorteil, wenn es sich auf den Straßen gefahrlos bewegen könne:610 Summa cum utilitate id praetorem edixisse nemo est qui neget: publice enim utile est sine metu et periculo per itinera commeari (D. 09.03.01.01). Diese Tatsache bringt Meister Zˇ&dek treffend zum Ausdruck:
604 Garatus, De Confederatione, pace et conventionibus Principum, Fol. 302r. 605 C. 01.17.01pr.: Deo auctore nostrum gubernantes imperium, quod nobis a caelesti maiestate traditum est, et bella feliciter peragimus et pacem decoramus et statum rei publicae sustentamus: et ita nostros animos ad dei omnipotentis erigimus adiutorium, ut neque armis confidamus neque nostris militibus neque bellorum ducibus vel nostro ingenio, sed omnem spem ad solam referamus summae providentiam trinitatis: unde et mundi totius elementa processerunt et eorum dispositio in orbem terrarum producta est. 606 Andlau, Kaiser und Reich, S. 297. 607 D. 01.18.13pr.: Congruit bono et gravi praesidi curare, ut pacata atque quieta provincia sit quam regit. quod non difficile optinebit, si sollicite agat, ut malis hominibus provincia careat eosque conquirat: nam et sacrilegos latrones plagiarios fures conquirere debet et prout quisque deliquerit, in eum animadvertere, receptoresque eorum coercere, sine quibus latro diutius latere non potest. Baldus kommentierte diese Stelle mit einem einfachen Grundsatz: provinciarum rectores provinciam malis hominibus purgare debent. Baldus, Commentaria in Primam Digesti Veteris Partem, Fol. 72v. 608 D. 01.12.01.12: Quies quoque popularium et disciplina spectaculorum ad praefecti urbi curam pertinere videtur : et sane debet etiam dispositos milites stationarios habere ad tuendam popularium quietem et ad referendum sibi quid ubi agatur. Nach Baldus sollten die Könige ihre Untertanen zum friedlichen Zusammenleben zwingen, denn die öffentliche Ordnung werde meistens aus privaten Gründen gestört. Baldus, Commentaria in Primam Digesti Veteris Partem, Fol. 57v. 609 D. 02.14.05: Conventionum autem tres sunt species. aut enim ex publica causa fiunt aut ex privata: privata aut legitima aut iuris gentium. publica conventio est, quae fit per pacem, quotiens inter se duces belli quaedam paciscuntur. 610 Zum überraschend großen, auch »internationalen« Verkehr unterschiedlichster Personengruppen auf den europäischen Straßen des Mittelalters: Landolt, Möbilität und Verkehr im europäischen Spätmittelalter, S. 489–510. Wie bereits oben erwähnt, wurde der Wunsch nach sicheren Straßen auch in den bilateralen Friedensverträgen unter den Herrschern häufig zum Ausdruck gebracht, siehe. z. B. Fn. 470.
124
Analyse des Friedensvertragstextes
»Der Mensch soll im Wald ebenso wie in einer geschlossenen Kammer an seinem Körper und Vermögen sicher sein«.611 Nach Rufinus bildete die Aufgabe der Friedensgewährung eine Basis für das Verhältnis zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen (pactio tacita). Der Princeps sicherte Frieden durch Gerechtigkeit und beschützte seine Untertanen, diese schuldeten ihm im Gegenzug Gehorsam.612 Der Herrscher galt eben als das Haupt und Herz des Staatskörpers, als das wichtigste Teil im staatlichen Organismus des Mittelalters, und er sollte sich für das »funktionsgerechte Zusammenwirken aller Stände und sozialen Gruppen« einsetzen.613 Die Glieder (membra), womit vor allem die führenden Fürsten gemeint sind, waren dem König zur Unterstützung und Hilfe verbunden.614 Auch der »Friedenskaiser« Friedrich II. sprach in seiner Constitutio Pacis – dem Mainzer Landfrieden – von vinculum pacis et iusticiae und der Pflicht des Herrschers, diesen gegenüber den Untertanen zu gewährleisten.615 Gott handelte nämlich nach mittelalterlichem Verständnis durch die Könige und Fürsten. Sie wurden von ihm durch die Salbung616 beauftragt, ihren Untertanen Gerechtigkeit, Frieden und Schutz zu gewährleisten. Diese Aufgaben symbolisierten zwei königliche Insignien, das Zepter und das Schwert. Das Zepter stand für die Gerechtigkeit617 des Herrschers. Malos comprimere et bonos sublevare, regum officium est.618 Das Schwert diente dem König zur Bestrafung der mali homines.619 611 Tobolka, Mr. Pavla Zˇ&dka Spravovna, S. 125. Meister Zˇ&dek, geboren im Jahre 1413, erlangte den Titel eines magister artium an der Wiener Universität; danach wechselte er nach Italien, wo er den Doktorgrad in Medizin erwarb. Nach seiner Italienreise wurde er in Regensburg zum Priester geweiht und trat in die Genossenschaft der Meister an der Prager Universität ein. Er musste Prag aber bald aufgrund seines schwierigen Charakters und seiner nur schwer vertretbaren Ansichten (omnis medicus est homicida) sowie der Beschimpfung des Rektors der Universität als »sillabicator« verlassen. Danach verdiente er sein Brot mit der Zusammenfassung von verschiedenen Traktaten. Auf Anordnung Georgs von Podiebrad verfasste er seine Spravovna. Tobolka, M. Pavla Zˇ&dka Spravovna, S. I.–IV. 612 Oexle, Friede durch Verschwörung, S. 126. 613 Struve, Bedeutung und Funktion des Organismusvergleichs, S. 152. Als Prototyp eines guten Herrschers galt in der mittelalterlichen Welt der König Salomo. Von den Fähigkeiten und der Weisheit Salomos begeistert ruft die Königin von Saba im dritten Buch der Könige 10, 9: Sit Dominus Deus tuus benedictus cui placuisti et posuit te super thronum Israhel eo quod dilexerit Dominus Israhel in sempiternum et constituit te regem ut faceres iudicium et iustitiam. Cölln, Der Heide als Vorbild für christliche Weltherrschaft, S. 91. 614 Ebd., S. 153. 615 MGH, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. II, S. 241. 616 Wie der biblische Prophet Samuel einst Saul und später David mit heiligem Öl salbte. 617 Der König steht zwar über dem ius civile. Das Naturrecht, das ius gentium, und die von ihm abgeschlossenen Verträge begrenzen jedoch seinen Handlungsrahmen. Isenmann, Zur Rezeption des römisch-kanonischen Rechts im spätmittelalterlichen Deutschland im Spiegel von Rechtsgutachten, S. 223. 618 Decretum Gratiani 2. Pars, C. 23 q. 5 c. 23. Dieses Zitat ist dem Kommentar entnommen,
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Die Idee des friedensstiftenden Herrschers gewann seit dem 12. Jahrhundert unter den mittelalterlichen Autoren an Popularität.620 Hoc igitur est quod maxime rector multitudinis intendere debet, ut pacis unitatem procuret. So äußert sich zu diesem Thema Thomas von Aquin in seiner Schrift De regimine principum.621 Sein Schüler Egidio Colonna betonte in seinem Werk vor allem die Wahrung der Gerechtigkeit als Obliegenheit des Fürsten.622 Die Schöpfer des Podiebradschen Vertragstextes berührten mit der Erwähnung der Friedensaufgabe der Herrscher eines der wichtigsten Prinzipien der mittelalterlichen Verfassung. Aus ihrer Sicht sollte der König in Kooperation mit den Fürsten den Untertanen ein ruhiges, sicheres Leben gewährleisten und diese sowohl vor inneren als auch vor äußeren Feinden beschützen.
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welchen die Kanonisten zur Promulgationsbulle (Rex pacificus), der Dekretalensammlung des Liber Extra des Papstes Gregor IX., schufen und in dem sie und zwar anhand der königlichen Insignien eine »poetische Beschreibung« der Eigenschaften lieferten, die ein König inne haben sollte. Der Ring des Königs sollte an seine Treue erinnern. Man berief sich hier vor allem auf das Decretum Gratiani C. 30 q. 5 c. 3, in dem von der ehelichen Treue die Rede ist. Ein Armband als Schmuck für die Hände sollte an gute Arbeit erinnern. Der König müsse sich für die wehrlosen Waisen, Witwen und Schwachen einsetzen. Diese wurden als personae miserabiles verstanden. Interessant ist, dass unter diese Kategorie nach Baldus nicht nur Witwen und Waisen fielen, sondern auch eine Frau, que habet maritum inutilem, vel danuatum ad perpetuum carcerem (Kommentar zu C. 03.04.01). Baldus, Commentaria In primum, secundum & tertium Codicis lib. Fol. 212. Princeps debet defendere orphanos et oppressos. Garatus, Tractatus de principibus, Qu.116. Das purpurfarbene Gewand, die Stirnbinde und die Krone zeugen von der Erhabenheit des Königs. Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass bei der Beschreibung der notwendigen königlichen Eigenschaften oft auf die klassischen Quellen wie Cicero zurückgegriffen wurde, vor allem auf die Rede, mit der er den des Mordversuches an Caesar beschuldigten König Deiotarus verteidigt hatte. Nach Cicero sollte ein König folgende Eigenschaften besitzen: forstem, iustum, severum, gravem, magnanimum, largum, beneficium, liberalem: hae sunt regiae laudes. Glücklich, Cicero für König Deiotarus, S. 23. Weitere Tugenden bei Althoff, Verwandte, Freunde, S. 140–141. Dem Protagonisten dieser Geschichte, dem böhmischem König, standen die Krone des Heiligen Wenzeslaus, das Zepter, der Mantel mit Stola, der Gurt und das sogenannte Manipel (Hand-, Mundtuch) sowie ein Königsapfel zu. Zur Beschreibung und Entwicklung der tschechischen Insignien Chytil/Vrba/Podlaha, Korunovacˇn& klenoty ˇ esk8ho, Prag 1912. kr#lovstv& C Decretum Gratiani 2. Pars, C. 23 q. 5 c. 27. Hagenlocher nennt hier als Beispiele das Werk von Pierre Dubois, De recuperratione terrae sanctae, oder De monarchia von Dante. Hagenlocher, Der guote vride, S. 72. Mathis, Divi Thomae Aquinatis – De regimine principum, S. 4. Colonna, De regimine principum libri III, (lib. I, pars II, cap. XII), S. 79.
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Analyse des Friedensvertragstextes
4.
Transcribere humanum est
a)
Scriptura
Die Autoren des Friedensvertragstextes komponierten in die Arenga nicht nur Verweise auf das römische Recht, sondern griffen auch zu Zitaten aus der Heiligen Schrift, etwa bei der Frage, wie es überhaupt möglich sei, dass die Türken so erfolgreich sind und so viele Gebiete erbeutet haben. »Die Äcker sind heute nicht weniger ertragreich als einstens, die Herden nicht weniger fruchtbar, die Weinberge sind ergiebig, aus Goldwäschen und Silberbergwerken strömen Gewinne (…).« (Zeile 29). Was ist also geschehen, dass die Christen derart an Macht eingebüßt haben, die Türken soweit vordringen konnten? Es sei nicht einfach zu begreifen, welche Hintergründe diese Veränderungen hätten, quia occulta sunt iudicia Dei623 (Zeile 27). Diese Aussage ist in dem Sinne zu verstehen, dass Gott grundsätzlich gerecht richtet, allein der Mensch aufgrund seiner beschränkten Vernunft nicht imstande ist, die Urteile Gottes zu verstehen.624 Zwar sei es verwunderlich, dass das Böse oft obsiegt. Die Christen dürften aber nicht vergessen, dass, auch wenn Gottes Urteile ungerecht wirkten, sie dies doch keineswegs seien. Erst am Jüngsten Tag ergehe das wahre, in den Augen der Menschen gerechte iudicium Dei.625 Anhand eines weiteren Bibelzitats (Zeile 36 des Vorspruches: (…) ipse (d. h. Gott) homines pro filiis habet, et quos diligit, corrigit et castigat)626 werden die Türken als Werkzeug Gottes dargestellt. Der hier zitierte Abschnitt des Neuen Testaments erzählt, dass Gott die Menschen als seine Söhne behandle und sie dementsprechend erziehe und züchtige. Gerade die Züchtigung627 sei der Beweis 623 In der Bibel im Brief an die Römer (11, 33) heißt es bereits, die Gerichte Gottes seien inconprehensibilia und seine Wege investigabiles. Diese Bedeutung hat auch der hier zitierte Text. Das Zitat über die unergründlichen Wege Gottes fand als gängiges Sprichwort Eingang in viele europäische Sprachen, bereits im Mittelalter wurde dieser Satz zu einer Redewendung. So heißt es zum Beispiel in der Braunschweigischen Reimchronik (13. Jahrhundert): Gotes urteyl sin vorholen. Andere Beispiele aus dem deutschen Raum bei Singer, Thesaurus proverbiorum medii aevi, S. 156. Die englische Version lautet: God moves in mysterious ways (the judgments of God are hidden), auf Tschechisch: Cesty Bozˇ& jsou nevyzpytateln8, im Finnischen: Tutkimattomat ovat Herran tiet, auf Bulgarisch: þVSVU_]^Y bQ `kcYjQcQ 4_b`_U^Y (Nevedomni sa patistata gospodni), auf Russisch: `dcY 4_b`_U^Y ^VYb`_SVUY]l (Puti Gospodni neispovedimy), auf Schwedisch: Huru outgrundliga äro icke hans domar, och huru outrannsakliga hans vägar!, auf Italienisch: I disegni di Dio sono imperscrutabili, auf Ungarisch: A Teremto˝/Isten ffltjai kifürk8szhetetlenek, auf Griechisch: \cmystai ai bouka_ tou Juq_ou, und in Estnisch: Jumala teed on ettearvamatud. 624 Greschat, Die Moralia in Job Gregors des Großen, S. 106. 625 Kolb, Himmlisches und irdisches Gericht in karolingischer Theologie und althochdeutscher Dichtung, S. 293. 626 Bibel, Brief an die Hebräer 12,5–11. 627 Augustinus sieht in seinem Werk De civitate dei (7, 30) auch einen Gott, der über den Krieg
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für seine väterliche Liebe und man solle diese hochschätzen, denn sie solle die Menschen vor einem schlechteren und tödlicheren Verderben bewahren. Je mehr man überstehe, desto größer werde die eigene Tragkraft und Ausdauer.628 Als Werkzeug Gottes zu einer solchen Züchtigung können eben die Türken begriffen werden. Durch die von ihnen verursachten Beschwernisse hätten die christlichen Fürsten die Möglichkeit, ihre Stellung vor Gott zu verbessern. Als von ihm bestrafte Söhne Gottes wollen die Fürsten Gott mit ihrem Friedensvorhaben erweichen. Der Heilige Geist verdamme nämlich diejenigen, die nicht mit ihm gegen den Feind kämpften und qui ex adverso non ascendunt, qui se murum pro domo Israel non ponunt. Dieses letzte biblische Zitat findet sich in Zeile 49 der Arenga. Es stammt aus dem fünften Vers des dreizehnten Kapitels des Buches Ezechiel. Der gleichnamige israelitische Priester gehörte zu den ersten, die in die babylonische Gefangenschaft verschleppt wurden. In seinen Visionen wird den falschen Propheten vorgeworfen, sie hätten im Kampf um Israel nichts beigetragen. Mit diesem Zitat wollen die Schöpfer des Textes also die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Türken unterstreichen. Domus Israel ist zu dieser Zeit mit der katholischen Kirche, mit den Gläubigen gleichzusetzen. Diese alttestamentarische Bibelpassage bietet einen breiten Interpretationsspielraum, läßt sich flexibel einsetzen und findet sich daher in vielen Schriften.629 Jenseits der Arenga findet man ein angebliches Bibelzitat auch im eigentlichen Textkorpus des Friedensvertrages, und zwar in Artikel 21. Hier berufen sich die Autoren ausdrücklich auf die Heilige Schrift: Item, cum Scriptura testatur, ei, qui fidem Cristi iuverit, auxerit, defenderit, diffinitum esse locum in celo, in quo beati evo sempiterno fruuntur. Das Zitat stammt aber aus Ciceros De re publica, genauer aus dem als Somnium Scipionis630 bezeichneten Teil, der im Mittelalter vor allem durch den Kommentar von Macrobius bekannt war.631 Patriam wurde hier durch fidem Christi ersetzt; der Rest des Zitats ist unverändert übernommen. Durch die Zuschreibung einer biblischen Herkunft wollten die Autoren des Friedensvertrages diesem Zitat Ciceros vermutlich eine höhere Legitimation verschaffen.
628 629 630 631
entscheidet, durch den die Menschen verbessert und gezüchtigt werden. Ziegler, Biblische Grundlagen des europäischen Völkerrechts, S. 6. Hegermann, Der Brief an die Hebräer, S. 247–251. Im ersten Canon der 43. Distinctio des Gratianischen Dekrets wird sie genutzt, um die Tugenden zu beschreiben, die ein Priester haben soll. Clemens/Janse, The Pastor Bonus, S. 63. Cicero, De re publica, VI, Somnium Scipionis, 13: Sed quo sis, Africane, alacrior ad tutandam rem publicam, sic habeto: omnibus, qui patriam conservaverint, adiuverint, auxerint, certum esse in caelo definitum locum, ubi beati aevo sempiterno fruantur. Willis, Ambrosii Theodosii Macrobi Commentarii in Somnium Scipionis, S. 13.
128 b)
Analyse des Friedensvertragstextes
Cancellaria imperialis
Die Arenga schließt mit einem Aufruf zum Frieden unter den Fürsten und Königen durch folgende Worte: (Zeilen 58–61): (…) et ob id rei cupientes, ut talis modi bella, rapinae, tumultus, incendia et caedes, quae, ut, pro dolor! Referimus, crsitianitatem ispam iamiam quasi undique circumdederunt, quibus agri vastantur, urbes diripiuntur, provinciae lacerantur et innumeris regna et principatus miseriis conteruntur (…). Eine wortgleiche Formulierung ist in einem auf den 1. Juni 1443 datierten, an die Könige der Christenheit gerichteten Brief des Kaisers Friedrich III. zu finden. In den Zeilen 39–41 schreibt er : (…) scimus etenim, qua turbata ecclesiastica pace nec populi nec principes conquiescunt, sed insurgentibus bellis rapinis tumultibus incendiis cedibus vastantur agri, urbes diripiuntur, provinciae lacerantur et innumeris regna miseriis conteruntur.632 In diesem Schreiben kündigt der Kaiser dietam in opido nostro Nurenbergensi633 an und äußert den Wunsch, dass die Fürsten ihn mit ihren Gesandtschaften aufsuchen und sich zur Frage des geplanten Friedenszuges im Rahmen des dritten Konzils (pro pace et unione ecclesie) äußern mögen. Dieses vom Kaiser geförderte Konzil sollte den Streit zwischen Papst Eugen IV. und den Basler Konzilsvätern634 entscheiden.635 Offen ist, ob entweder die Autoren des böhmischen Textes ausschließlich aus diesem kaiserlichen Schreiben geschöpft, oder ob beide Kanzleien, die böhmische und die kaiserliche, die fast identische Textfassung aus einer älteren Quelle übernommen haben.
c)
»Kanzleitechnische« Ausdrücke Qui dictare putat, in prima parte salutat, altera blanditur, sed tercia res apperitur. Quarta petit votum, claudit conclusio totum.636
Das Vorwort des böhmischen Vertragstextes enthält einige kanzleitechnische Ausdrücke, die sich im Laufe der Jahrhunderte als feste Formen in den Verträgen unter den Herrschern etabliert hatten. 632 RTA ä.R, Bd. 17, S. 148. 633 RTA ä.R, Bd. 17, S. 149. 634 Diese hatten Eugen IV. im Jahre 1439 als einen Ketzer vom Apostolischen Stuhl abgesetzt und einen Gegenpapst, Felix V., gewählt. Papst Eugen IV. gab mit seinen »Gegenkonzilien« (Ferrara, Florenz und Rom) bis zu seinem Tode (25. Februar 1447) nicht nach. Ein drittes Konzil kam deshalb nicht zustande. 635 Bäumer, Eugen IV. und der Plan eines »Dritten Konzils« zur Beilegung des Basler Schismas, S. 87. ˇ esk# »Ars dictandi«, 636 Diese »Eselsbrücke« der Notare wurde übernommen von: Maresˇ, C S. 34.
Betrachtung der Präambel
129
Ein Beispiel findet man etwa im letzten Satz der Arenga mit der Formulierung de certa scientia. Dieser Terminus technicus wurde von der päpstlichen Kanzlei erarbeitet und vom weltlichen Bereich vielfach übernommen. Im späten Mittelalter ist der Ausdruck fast in jeder Vereinbarung zwischen Herrschern zu finden. Die Formel besagte, dass der Aussteller den Inhalt geprüft habe und ihm die Sachlage daher völlig bekannt sei. So war der Einwand, dass über den Inhalt getäuscht und die Unterzeichnung erschlichen wurde, ausgeschlossen und die Urkunde erhielt volle Rechtskraft.637 In kaum einer spätmittelalterlichen Vereinbarung zwischen den Fürsten fehlte ferner die Erwähnung der vorherigen Beratung mit den eigenen Räten, Adeligen oder Rechtskundigen. Der böhmische Friedensvertrag geht sogar noch weiter und spricht von der Zustimmung dieser : (…) matura deliberatione praehabita, invocata ad hoc gratia Spiritus sancti, praelatorum, principum, procerum, nobilium et iuris divini et humani doctorum nostrorum ad hoc accedente consilio et assensu.638 Aus den Pflichten des Vasallen zur Beratung seines Herren ging eine Gruppe fürstlicher Consiliarii hervor, die sich später zu einem institutionellen Fürstenrat entwickelte, in den auch Gelehrte aufgenommen wurden. In den deutschen Urkunden fällt der Fürst seine Entscheidung mit Rade unser Rete. Im kirchlichen Bereich finden wir eine ähnliche Formulierung in den Urkunden der Päpste; seit der Mitte des 12. Jahrhunderts entscheiden sie de consilio fratrum nostrorum (der Kardinäle).639 Die Präambel endet mit einer Regelung über die zeitliche Geltung des Friedensvertrages. Dabei griff man zur klassischen Formulierung perpetuis temporibus duraturam. Dem steht eine weitere, hier ebenso wichtige Wendung voran, die die Verbindlichkeit für die Nachfolger und Erben postuliert:640 (…) pro nobis, heredibus et successoribus nostris futuris. Durch diese zweifache Betonung sollte eine Lesart ausgeschlossen werden, die die Geltung des Vertrags 637 Hageneder, Die Rechtskraft spätmittelalterlicher Papst- und Herrscherurkunden »ex certa scientia«, »non obstantibus« und »propter importunitatem petentium«, S. 410. 638 Nach vorausgegangener reiflicher Erwägung unter diesbezüglicher Anrufung der Gnade des Heiligen Geistes nach Beratung und Zustimmung unserer Prälaten, Fürsten, Magnaten, Herren, Doktoren des göttlichen und menschlichen Rechts (…). Messler, Das Weltfriedensmanifest, S. 39. 639 Van Eickels, Der Bruder als Freund und Gefährte, S. 222. 640 Vitam nostram tantummodo duraturis schloss Georg dagegen den Bündnisvertrag mit dem polnischen König Kasimir IV. in Glogau im Jahre 1462. In der Ausfertigung des Vertragstextes seitens des polnischen Königs heißt es ebenso: vitam saepe nominati Domini Regis Bohemiae, tantummodo duraturis. Dogiel, Codex diplomaticus, S. 17 und S. 19. Ebenfalls auf die Lebzeit des Königs Georg beschränkt ist der Vertrag, den er mit dem Herzog Albrecht III. von Bayern und dessen Söhnen schloss (1459). Siehe Fn. 203. Dies zeigt auch, dass Parteien des Friedensvertrags die Herrscher und Fürsten sind und nicht etwa die Herrschaften als politische Gebilde an sich. Lesaffer, The Three Peace Treaties of 1492–1493, S. 44.
130
Analyse des Friedensvertragstextes
auf die Lebenszeit der Herrscher beschränkt hätte. Erblich und ewig641 sollte er bestehen. Die Podiebradsche Friedensliga sollte also den Charakter eines erblichen Bündnisses haben.642 Zu den »kanzleitechnischen« Ausdrücken gehört außerdem der erste Satz des ersten Artikels im eigentlichen Vertragstext: in virtute fidei catolice643 et verbo regio et principis dicimus et pollicemur – »bei der Ehre des katholischen Glaubens versprechen wir mit unserem königlichen und fürstlichen Wort, die Artikel des Friedensvertrages einzuhalten«. Interessant ist, dass sich in den auf Lateinisch verfassten Verträgen Georgs von Podiebrad mit anderen Herrschen644 lediglich diese und ähnliche, den Glauben einbeziehende Formulierungen (meistens unter Zugabe der bona fidae645) finden, während in den deutschen 641 Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag, S. 354. 642 Zur Terminologie siehe die Fn. 476. 643 Man mag sich wundern, dass ein hussitischer König einen Eid zu Ehren des katholischen Glaubens ablegen will. Diese Formulierung wäre einem Utraquisten aber absolut korrekt vorgekommen. Die Utraquisten waren, auch wenn sie heute mit anderen Augen gesehen werden, der Auffassung, zu keiner Zeit außerhalb der katholischen Kirche zu stehen. Vielmehr sahen sie sich als die einzigen »richtigen« Gläubigen an. Sˇmahel, Pax externa et interna, S. 227. Bei dem Brünner Tag am 13. Juli 1463 soll König Georg gesagt haben, dass die »römische« Kirche und die Kirche der Christen nicht dasselbe seien. Kliment, Svaz n#rodu˚ Jirˇ&ho z Podeˇbrad a idea jedin8 sveˇtovl#dy, S. 34. Diese und ähnliche Eidesformeln waren in den folgenden Jahrhunderten auch bei konfessionell unterschiedlichen Parteien geläufig. Duchhardt, Das Vermächtnis des Spätmittelalters an die Frühe Neuzeit, S. 609. 644 So etwa im Glogauer Vertrag mit dem polnischen König Kasimir IV. (verbo nostro regio et bona fide), siehe Fn. 311, im Vertrag von Dieppe mit dem französischen König Ludwig XI. (promittentes bona fide et verbo nostro regio), siehe Fn. 345, in dem Vertrag mit Kaiser Friedrich III. (verbis nostris imperiali et regio, bona fide ac jurejurando), siehe Fn. 208, oder mit dem ungarischen König Matthias (verbo nostro regio), siehe Fn. 334. 645 Das gelehrte Recht qualifizierte jedes von einem Fürst abgegebene Versprechen als contractus bonae fidei. Mit weiteren Verweisen auf Garatus: Ziegler, The Influence of Medieval Roman Law, S. 159. Die in den mittelalterlichen Friedensverträgen oft zu findende Wendung bona fide et sine malo ingenio hat ihren Ursprung im Lehnsrecht (Lehnseid). Das consilium atque auxilium wurde eben absque fraude et male ingenio versprochen. Wyluda, Lehnrecht, S. 152. In den spätmittelalterlichen Verträgen sind sine fraude et malo ingenio oder etwa sine dolo et fraude als Paarformel anzutreffen. Ähnliche Formeln fanden sich bereits in merowingischen Urkunden oder auch im Treueid, der Karl dem Großen im Jahre 789 geschworen wurde. Dilcher, Paarformeln, S. 53. Auch in den auf Latein abgeschlossenen Verträgen des Königs Georg kann man diesen Ausdrücken begegnen: sine dolo et fraude im Friedensvertrag mit Matthias, dem König von Ungarn (siehe Fn. 334) oder dolo et fraude ac aliis quibusvis exquisitis coloribus procul motis im Glogauer Vertrag mit Kasimir IV., dem polnischen König (siehe Fn. 311). In den auf Deutsch verfassten Vertragswerken mit den Reichsfürsten kommt diese Paarfomel – wenn auch in unterschiedlichen Schreibweisen ebenfalls – vor: ohn arg und ohn alles Gefehrde, alle Geverde und Arglist hierinne ausgeschlossen (Vertrag mit dem Geschlecht Brandenburg von 1459, siehe Fn. 191, Vertrag mit demselben von 1462, siehe Fn. 198); getrewlich und an alles geverde (Vertrag mit dem Haus Sachsen von 1459, siehe Fn. 180); all argelist und geuerde hierynn genntzlich aussgeschaiden (Vertrag mit Lugwig von Bayern von 1460, siehe Fn. 227). Diese Formel wäre zu übersetzen als »ohne Absicht der Schädigung des anderen«. Sie sollte die Haftung der
Betrachtung der Präambel
131
Verträgen, die Georg meistens mit den umliegenden Reichsfürsten abschloss, die Vertragsparteien zusätzlich bei ihrer königlichen oder fürstlichen Ehre schwören. Dieses fürstliche Schwören auf die Ehre verbreitet sich im Deutschen Reich nach 1338 und erfüllt wahrscheinlich die gleiche Funktion wie das lateinische »Wortgeben«.646 Die Könige wollten dem Vertrag neben dem Schwur auf Evangelien und andere kirchliche Insignien durch ihr Wort eine zusätzliche Garantie geben.647 Auffällig ist nun, dass im besagten ersten Satz des ersten Artikels des Podiebradschen Vertrags nicht »geschworen« (iurare), sondern nur etwa »versprochen« (polliceri) bzw. »gesagt« (dicere) wird. War das etwa ein Versuch, den Vertrag aus dem Anwendungsbereich des kanonischen Rechts zu manövrieren? Ein Schwur beinhaltete nämlich automatisch die Unterwerfung unter das kanonische Recht, während das feierliche Versprechen auf die königliche oder fürstliche Ehre keine solche kirchliche Jurisdiktion begründete.648 Bei anderen Vertragsschlüssen hatte Georg von Podiebrad den Vertrag durchaus mit der kirchlichen Schwurformel bekräftigt, zum Beispiel bei seiner Einung mit Herzog Albrecht von Österreich, die er »zu gott und den heiligen in aller mass« erneuerte.649 Als anderes Erklärungsansatz kann das Fehlen eines Schwurs darauf hindeuten, dass sich unter den Vertragsparteien auch rangniedrigere Subjekte befanden. Georg hätte dann in Übereinstimmung mit der üblichen Praxis gehandelt, wonach ein König nie vor einem ihm hierarchisch Unterlegenen einen Schwur ablegen sollte.650
646
647 648 649 650
Vertragspartner auch für solche Handlungen begründen, die nicht gegen den Vertragstext, wohl aber gegen seinen Zweck verstießen. Gudian, Zur rechtlichen Bedeutung der Formel, S. 333. Die Wendung bey unsern kuniglichen und fürstlichen Ehren, und Wirden ist im Bündnis zwischen Georg von Podiebrad und Erzherzog Albrecht zu Österreich zu finden, siehe Fn. 209. Bey unseren königlichen Würden und Eren verspricht König Georg seine Verpflichtungen im Erbbündnis mit Pfalzgraf Friedrich, siehe Fn. 180, Bey iren Fürstlichen Ehren und Würden verbinden sich die brandenburgischen Markgrafen – Kurfürst Friedrich II., Albrecht Achilles, Johann und der jüngste, Friedrich – mit König Georg, siehe Fn. 191. In allen Verträgen findet sich neben dieser Formel noch der Ausdruck an Eydes statt. Die Forschung zeigt, dass die Zugabe des Ehrenwortes der Aussage objektiv keinen höheren oder anderen Wert verlieh und eigentlich überflüssig war. Doch scheint das »Ehrenversprechen« bei solchen Verträgen typisch zu sein, die für die Parteien von großer Wichtigkeit waren. Moeglin, Fürstliche Ehre, S. 80 und 83–84. Lesaffer, From Lodi to Westphalia, S. 25. Der Schwur wurde durch das tatsächliche Berühren der Evangelien oder anderer Sakramente weiter bekräftigt – juramentum corporaliter praestitum. Nussbaum, Form and Observance of Treaties, S. 191. Lesaffer, The Medieval Canon Law, S. 193. Kurz, Österreich unter Kaiser Friedrich dem Vierten, S. 219. Chaplais, The Making of the Treaty of Paris, S. 237.
132 5.
Analyse des Friedensvertragstextes
Zusammenfassung
Die böhmische Arenga ist im Geiste der spätmittelalterlichen Turcica verfasst. Die Greueltaten der Türken und der vergangene Ruhm der Christenheit werden einander gegenübergestellt. Man kündigt einen Friedensbund der Fürsten (in Form des Friedens innerhalb der gesamten respublica christiana651) und den Schutz des christlichen Glaubens an. Beides liegt in der Kompetenz der Herrscher, die sich für den internen Frieden sowie den Schutz des Glaubens652 »ex officio« einsetzen müssen. Die Arenga ist mit einigen Zitaten aus der Bibel sowie aus dem Justinianischen Codex ausgeschmückt und enthält die typischen Formulierungen spätmittelalterlicher Urkunden.
II.
Elemente eines Bundes
Das korporative Element der böhmischen Friedensliga ist über die Artikel 12, 16, 17, 18, 19, 20, 22, 23 verstreut. Zur Zeit der Entstehung des Vertragstextes gab es eine ganze Reihe von verschiedenen Korporationen beruflicher (Gilden), territorialer (Landfriedensbünde, Städtebünde) oder anderer (Turniergesellschaften) Art. Bei der Frage wie diese voneinander abgegrenzt waren, kann man sich an den Befund des Autorenkollektivs des Verzeichnisses der spätmittelalterlichen Ritterorden und Adelsgesellschaften in Deutschland halten: »Sehr schnell hatten wir bei unserer Arbeit bemerkt, dass die Übergänge zwischen Devise, Ritterorden, Adelsgesellschaften, Schützenbrüderschaft und städtischer Patrizierstube auf der einen Seite, Einung, Bündnis, Landfrieden, ständischer Vertretung, territorialer oder Reichs-Ritterschaft auf der anderen fließend waren – auch schon für die Zeitgenossen«.653 Ähnliches gilt für die Abgrenzung der Städtebünde von den Landfriedenseinungen: Auch hier lässt sich keine klare Trennlinie ziehen.654 Hinter all diesen Korporationen steht der Eid der Vertragspartner eines der wichtigsten konstitutiven Elemente der zwischenmenschlichen Beziehungen im Mittelalter überhaupt. Durch ihn gaben sich 651 Später, mit dem 18. Jahrhundert wird der Ausdruck der respublica christiana von dem Begriff der »Ruhe und Sicherheit« Europas abgelöst. Duchhardt, Das Vermächtnis des Spätmittelalters an die Frühe Neuzeit, S. 608. 652 Seit der Zeit der ersten Kreuzzüge gehörte der Schutz des Glaubens zur religiös begründeten Pflicht der Fürsten. Steiger, Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik?, S. 88. 653 Kruse/Paravicini/Ranft, Ritterorden und Adelsgesellschaften im spätmittelalterlichen Deutschland, S. 14. Zur Verflechtung der verschiedenen Formen der Organisation von mittelalterlichen Gemeinschaften, vor allem der mittelalterlichen Gilden, Zünfte und Bruderschaften: Sydow, Fragen zu Gilde, Bruderschaft und Zunft, S. 113ff. 654 Moraw, Die Funktion von Bünden und Einungen im spätmittelalterlichen Reich, S. 18.
Elemente eines Bundes
133
Individuen Spielregeln für ihre Beziehungen.655 Bei näherer Betrachtung scheint es, als ähnelte die vom böhmischen Friedensvertrag avisierte Körperschaft mehr den Landfriedenseinungen als Form einer säkularisierten656 Friedenssicherung657 bzw. den adeligen Gesellschaften.658 Dagegen könnte man einwenden, ein europaweiter Bund lasse sich nicht mit den Landfriedenseinungen vergleichen, da diese meistens im Rahmen eines enger eingegrenzten politischen Gebietes abgeschlossen wurden.659 Das ist zwar zutreffend, doch zur klaren Unterscheidung zwischen einem innerstaatlichen und einem zwischenstaatlichen Frieden kam es ohnehin erst im 17. Jahrhundert.660 In diesem Zusammenhang wird in der Literatur betont, dass der böhmische Friedensvertrag »in der Situation der Vertragspartner nicht feudale Repräsentanten im Sinne von Landfrieden voraussetzt, sondern selbstständige, von ihren Herrschern repräsentierte Staaten, aus denen durch die Vereinbarung ein höheres politisches Gebilde entstehen soll, das in der bisherigen Praxis der damaligen Zeit unbekannt war«.661 In den nächsten Abschnitten wird diese Ansicht widerlegt und herausgearbeitet, dass
655 Oexle, Die mittelalterlichen Gilden, S. 207. 656 Die Landfrieden waren gewissermaßen Nachfolger der Gottesfrieden. Steiger, Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik?, S. 88. 657 Carl bezeichnet in seinem Artikel die Landfriedenseinungen als Konzept einer »kollektiven Sicherheit« im Heiligen Römischen Reich, Carl, Landfrieden als Konzept, S. 121–138. 658 Es handelte sich um Verbindungen der nicht fürstlichen Adeligen, die untereinander die Fehde ausschlossen und sich einer gemeinsamen Gerichtsbarkeit unterwarfen. Gemeinsame Organe sollten ihnen dabei helfen. Koselleck, Artikel Bund – Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 597. Deswegen überrascht es nicht, dass einige der Adelsgesellschaften »die den Landfriedens- und Städtebundsverträgen im Detail gleichenden Regelungen« hatten, »die sich auf verfahrensrechtliche Maßnahmen beziehen, wie Nutzung des Schiedsgerichts bei Fehdesachen und Kriegsangelegenheiten, Landwehrbau sowie Bestimmungen über Pfandnahme, Schuldeintreibung und Kompetenzen der Hauptleute vor Ort«. Ranft, Adelsgesellschaften, S. 209. Der Grad der Verflechtung der vertraglichen Bestimmungen der Adelsgesellschaften und der Landfriedensbünde war eben sehr groß. An einer weiteren Stelle seines Buches spielt Ranft mit der Versuchung, die Adelsgesellschaften des 15. Jahrhunderts als »Landfriedensgesellschaften« zu bezeichnen. Ebd., S. 214. 659 Es gibt auch Gegenbeispiele, wie die Landfriedenseinungen zwischen Österreich und Mähren aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Mit der Edition von drei Landfriedensurkunden und weiterführenden Literaturangaben: Hruza, »Unsere beiden Länder Österreich und Mähren sollen künftig friedlich gegeneinander stehen«, S. 252, Fn. 2. 660 Steiger, Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik?, S. 294. 661 Vaneˇˇcek, Vsˇeobecn# m&rov# organizace podle n#vrhu cˇesk8ho kr#le Jirˇ&ho z let 1462–1464, S. 17. Eine leicht geänderte Aussage ist in folgendem Artikel zu finden: Vaneˇcˇek, Sveˇtovy´ m&rovy´ projekt cˇesk8ho kr#le Jirˇ&ho a jeho historick8 prvenstv&, S. 494. Hier meint der Autor, dass die Könige von Böhmen, Ungarn und Polen die Prinzipien der Landfriedensorganisation einfach auf ein höheres Niveau übertragen wollten, und zwar auf die Ebene der Staaten. Gegen diese Formulierung ist nichts einzuwenden. Allerdings wird im vorliegenden Werk davon ausgegangen, dass an erster Stelle die einzelnen Herrscher Garanten des Friedensvertrages waren und von »Staaten« zu jener Zeit kaum gesprochen werden kann.
134
Analyse des Friedensvertragstextes
die Herrscher für das Entstehen und Bestehen des Friedensvertrages das entscheidende Element darstellten. In diesem Kapitel werden ferner bestimmte Merkmale erläutert und in den Zusammenhang des böhmischen Friedensvertragstextes eingeordnet, die den städtischen Bünden, den adeligen Gesellschaften sowie den Landfrieden gemein sind: ein gemeinsamer Rat bzw. eine Vertretung, die Rechts- und Friedenswahrung unter den Mitgliedern, Hilfe für das einzelne Mitglied im Falle eines Angriffs durch einen auswärtigen Aggressor, Besteuerung der Mitglieder zugunsten der Gemeinschaft und exekutive Verfahrensnormen.662 Die Schöpfer des böhmischen Friedensvertragstextes brachten mit anderen Worten lediglich zur Anwendung, was in anderen Zusammenhängen längst vorhanden war.663 König Georg Podiebrad besaß als Anführer der ostböhmischen Landfriedensbünde jahrelange Erfahrung mit politischen Gebilden dieser Zeit. Es ist also durchaus möglich, dass er – obwohl er wegen seiner mangelnden Lateinkenntnisse nicht selbst an der Abfassung des Vertragstextes mitwirken konnte – Urheber der Hauptlinien und Ideen war, die die »Fachleute« in seiner Kanzlei dann umsetzten.
1.
Socii et congregacio
a)
Mitglieder des Fürstenbundes
Im Gegensatz zu der heute auf Staaten und internationale Organisationen beschränkten Summe der Völkerrechtssubjekte664 waren in den mittelalterlichen Einungen unter einem Dach verschiedene Subjekte versammelt, die sich nicht unbedingt auf der gleichen Stufe der Lehnspyramide befanden.665 Städtebünde oder Ritterorden und andere mittelalterliche korporative Zusammenschlüsse handelten als selbstständige Partner. Das beste Beispiel einer bunten Besetzung ist der Landfriedensbund, in dem Fürsten, Städte, Adelige und Ritter unter derselben vertraglichen Kuppel zusammengeschlossen waren.666 Dies hängt 662 Koselleck, Artikel Bund-Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 599. 663 In den Worten von Angermeier : »Es ist auch unverkennbar, dass die Fürsten für ihre Bündnisse das Recht und Organisation großenteils den alten Landfrieden in Gesetz und Einung entnommen haben und in gewisser Weise auch eine Fortbildung derselben darstellen«. Angermeier, Königtum und Landfriede, S. 437. 664 Abgesehen von den traditionellen Völkerrechtssubjekten wie dem Heiligen Stuhl, dem Malteser Orden oder dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Ipsen, Völkerrecht, S. 81. 665 Die Diversität der Akteure im mittelalterlichen Rechtsleben – Kaiser, Fürsten, Städte – findet ihr Pendant in den vielfältigen Typen von Rechtsnormen – Lehnsrecht, Reichsrecht, kanonisches Recht. Steiger, Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik?, S. 58. 666 Unter den Mitgliedern der Landfriedensbünde kann man auch Frauen finden. Als am
Elemente eines Bundes
135
damit zusammen, dass das Kriterium für das Recht, Krieg zu führen oder Frieden zu schließen nicht die Macht oder Souveränität667 der jeweiligen Herrschaft war, sondern ihre Selbstständigkeit.668 Hinzu kam in der Frühen Neuzeit ein weiterer wichtiger Aspekt, der dafür ausschlaggebend war, ob das jeweilige Subjekt einen Ranghöheren anerkannte, nämlich die Fähigkeit, Botschafter zu entsenden und zu empfangen.669 Gerade weil die oben angeführten Rechte zum »Auftreten im internationalen Verkehr« nicht an das Konzept der Souveränität670 gebunden waren, konnte es so viele unterschiedliche Akteure geben. Gemeinsames Merkmal der Einungen war – gleich, ob es sich dabei um Gilden, Städtebünde, Adelsgesellschaften oder andere Korporationen handelte – dass ihre Mitglieder untereinander gleichgestellt waren. Auch im Landfrieden standen sich die Parteien auf Augenhöhe gegenüber : »[M]it der Definition des Landfriedens als einer interterritorialen Gestaltung ist eine Gleichberechtigung aller Mitglieder ausgedrückt – und damit auch die Relativierung von herrschaftlicher Dominanz – oder einfacher als erste Regel formuliert – Landfrieden und hegemoniale Stellung vertragen sich nicht«.671 Im Fall der Podiebradschen Fürstenliga war dies nicht anders, was im Vertragstext dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Verbindung der Fürsten als amicitia672 oder fraternitas bezeichnet wird. Allerdings betraf diese Gleichstellung nur die vertraglichen Rechte und Pflichten, im Übrigen bestand die Hierarchie selbstverständlich
667
668 669 670 671
672
ˇ #slava die Vertreter der vier ostböhmischen Landfriedensbünde zu17. März 1440 in C sammentrafen und sich vereinigten, wurden unter deren Mitgliedern vier (verwitwete) Frauen aufgeführt. Sˇandera, Vy´chodn& landfry´d, S. 107. Ende des 15. Jahrhunderts mussten die Herrscher Europas ihre Souveränität vor allem gegenüber den eigenen Fürsten und Adeligen behaupten, weniger dagegen untereinander. Die auf der Hand liegenden Beispiele betreffen die Akteure der hier darzustellenden Ereignisse: etwa Georg von Podiebrad und die gegen ihn gebildete Grünberger Allianz, oder den französischen König Ludwig XI. und die unter dem Namen Ligue du Bien public bekannt gewordene Adelsrevolte. Der für die Obrigkeit jeden Ranges einsetzbare Begriff der Souveränität (superioritas) ist im Spätmittelalter nicht als Gegenpol zu der für diese Zeit typischen Hierarchie zu verstehen, sondern beide Ordnungsgrundsätze ergänzten sich gegenseitig. Erst Bodin proklamierte deren Unvereinbarkeit. Kleinschmidt, Diskriminierung durch Vertrag, S. 39–40. Steiger, Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik?, S. 296. Krischer, Das Gesandtschaftswesen, S. 198. Reibstein, Das Völkerrecht der deutschen Hanse, S. 59. Schubert, Die Landfrieden als interterritoriale Gestaltung, S. 129. »Die durch den Gildeeid verbundenen Personen sind untereinander Gleiche, »pares«. Oexle, Die mittelalterlichen Gilden, S. 208. Im Königreich Böhmen waren an den Landfrieden auch die Könige beteiligt, und zwar nicht als diejenigen, die diese anordneten, sondern als Parteien solcher Einungen. So etwa die Landfriedenseinung (1412) zwischen dem König Wenzeslaus IV., dem Olmützer Bischof Konrad und weiteren 56 Adeligen. Text der Landfriedenseinung bei Brandl, Kniha Tovacˇovsk#, S. 25–28. Siehe unter : E.II.2.a. Fraternitas, amicitia, caritas – Verwerfung des Krieges.
136
Analyse des Friedensvertragstextes
weiter.673 Es dauerte weitere zwei Jahrhunderte, bis die Fürsten Europas als unabhängige und einander völlig gleichgeordnete Mächte auftraten674 und die Städtebünde, Landfriedensbünde und andere Einungen aus dem internationalen Verkehr verdrängt wurden.675 Und auch hier waren es zuerst die Herrscher Europas und nicht die Staaten, die souverän wurden.676 Die Gleichordnung der Vertragssubjekte war ein bis ins 18. Jahrhundert andauernder Prozess.677 In der Podiebradschen Fürstenliga waren also politisch und geographisch unterschiedlich starke Mitglieder vertreten. Artikel 19 führt neben dem französischen König und weiteren französischen Fürsten, dem König und den Fürsten des Deutschen Reiches, dem König von Kastilien und anderen spanischen Königen und Fürsten, dem Dogen von Venedig und den italienischen Fürsten auch die italienischen Stadtstaaten auf.678 Aus der Aufzählung ist ersichtlich, dass die auctoritas imperialis des Kaisers an dieser Stelle ignoriert wurde. Ein Ehrenplatz wird dagegen dem rex christianissimus zugewiesen. Er wird als erster und als presidens, caput et pater (Artikel 16) erwähnt. Dies bezeugt die Tatsache, dass ihm das Friedensprojekt gewissermaßen auf den Leib geschneidert worden war. Da Marini den großen Friedensplan sowohl dem polnischen als auch dem ungarischen König angetragen hatte, muss man davon ausgehen, dass diese Königreiche gemeinsam mit dem böhmischen Königreich unter dem Titel reges et principes Germanie zusammengefasst waren. Anderenfalls hätte man lediglich den rex Germanie, d. h. den deutschen König erwähnt. Daran knüpft sich die Frage an, inwieweit das Böhmische Königreich einen Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation darstellte.679 Dem Text ist zu entnehmen, dass man den böhmischen König zu den 673 In der hierarchisch strukturierten mittelalterlichen Gesellschaft nahm unter den Adeligen die höchste Stellung der Kaiser ein, ihm folgte der Rang des Königs, der des Herzogs, des Markgrafen und des Grafen, danach folgten Vasallen und Kleinvasallen, also unterschiedliche kleinere Ränge wie Barone und andere Gefolgsleute. Von Andlau, Kaiser und Reich, S. 251. 674 Steiger, Krieg und Frieden im europäischen Rechtsdenken, S. 89. 675 Duchhardt, War and International Law in Europe Sixteenth to Eighteenth Centuries, S. 279. 676 Steiger, From the International Law of Christianity to the International Law of the World Citizen, S. 183. 677 Steiger, Vom Völkerrecht der Christenheit zum Weltbürgerrecht, S. 177. 678 Je mehr Parteien, desto schwieriger war die Einhaltung der Vertragspflichten. Hirsch führt ein schönes Beispiel an, aus dem ersichtlich ist, dass sich die Fürsten selber dieser Tatsache bewusst waren. Hirsch, Generationsübergreifende Verträge, S. 163. 679 Karel Maly´ sieht im böhmischen Königreich des Spätmittelalters keinen Vasallenstaat des Deutschen Reiches im Sinne der Lehnstheorie. Er hält es für einen Teil des Reiches und zugleich für einen selbstständigen »Staat«, dessen Beziehung dem Verhältnis deutscher Fürstentümer zum Reich nicht ähnelte, Maly´, Der böhmische Staat – ein Teil des Reiches?, S. 163–170. Ähnlich bei Kapras, der von der Umwandlung des territorialen Lehnsverhältnisses der böhmischen Könige zum Deutschen Kaiser in ein persönliches Verhältnis spricht. Als Lehen wird seines Erachtens nach in dieser Periode nicht mehr das Böhmische
Elemente eines Bundes
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Fürsten des Deutschen Reiches zählte. Jedweder separatistische Versuch hätte den böhmischen König wohl auch seine Rangstellung unter den Fürsten des Reiches gekostet. Immerhin wurde dem böhmischen König bei den Hoftagen zur rechten Hand des Kaisers nach dem Erzbischof von Köln der zweite Platz eingeräumt und damit das Recht, dem Kaiser den primum potum – den ersten Trunk – zu reichen.680 König Georg von Podiebrad, der beim Brünner Tag im Jahre 1459 die Krone vom Kaiser empfing und ihm die Treue schwor,681 äußerte sich zu diesem Thema folgendermaßen: Böhmen sei ein merklich glydt und fürstenthumb des heiligen Römischen Reichs,682 er selbst aber non sit vasallus imperii, nisi dumtaxat ratione officii, quod habet inter electores.683 Die Aufzählung der Vertragsparteien macht deutlich, dass der geistliche Stand als eigenständige Vertragspartei nicht vertreten war. In Artikel 21 wird sogar ausdrücklich gesagt, die geistlichen Fürsten seien als principes ecclesiasticos in hoc federe non existentes. Der Ausschluss der Geistlichen vom Vertrag könnte durch verschiedene Aspekte motiviert gewesen sein. Zum einen mag er die böhmische Wirklichkeit widergespiegelt haben. Einer der vier Prager Artikel hatte ja gerade die Beseitigung der weltlichen Macht der Geistlichen verlangt und während der hussitischen Revolution verloren die Geistlichen als dritter Stand tatsächlich ihren Platz im böhmischen Landtag, den die Städte in der Folge an sich rissen. Zum anderen wurden die Geistlichen, obwohl sie in den Landfriedenseinungen als Territorialfürsten figurierten, üblicherweise nicht in einen Landfrieden einbezogen.684 Wie Schubert bemerkt, versuchte man in Franken und Westfalen erst gar nicht, die Äbte der reichen Klöster zum Beitritt zur Landfriedenseinung zu bewegen und dies wahrscheinlich schon deshalb nicht, weil sie traditionell zu den geschützten Personen gehörten685 und eine Einbeziehung daher wenig sinnvoll gewesen wäre.686
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Königreich an sich erteilt, sondern lediglich das Amt des Erztrunken und die Würde des Kurfürsten. Kapras, Prˇehled pr#vn&ch deˇjin, S. 95. Kapitel 4 der Goldenen Bulle, in der Edition Weinrich, Quellen zur Verfassungsgeschichte des römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter, S. 343. Text des Schwurs bei: Schwedler, Herrschertreffen des Spätmittelalters, S. 183, Fn. 77. Die Belehnung war ein wichtiger Akt, durch welchen Georg beabsichtigte, die Anerkennung seiner Stellung als böhmischer König unter den Reichsfürsten sowie unter den nicht erfolgreichen Aspiranten auf den Thron zu erwirken. Sˇmahel, Mezi strˇedoveˇkem a renesanc&, S. 190. Der König sah sich nicht als Vasall des Kaisers, höchstens im Sinne seines Amtes als Erztrunk. Stieber, Böhmische Staatsverträge, S. 13, Fn. 1 mit weiteren Nachweisen. FRA, 20, Nr. 376, S. 428. In den mährischen Landfrieden der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts findet man allerdings als Mitglieder der Landfriedenseinungen doch z. B. die Olmützer Bischöfe. Janisˇ, K fflloze institutu landfry´du v moravsk8m zemsk8m pr#vu na prahu novoveˇku, S. 17. Seit der in Südfrankreich entstandenen und auf Synoden begründeten Gottesfriedensbewegung (Pax Dei) wurden die Kleriker als geschützte Personen angesehen. Mehr dazu unter
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Analyse des Friedensvertragstextes
Als letzter Gesichtspunkt ist zu bedenken, dass die gesamte fürstliche Liga nicht nur den Erhalt des Friedens sichern, sondern eben auch einen Kreuzzug veranstalten sollte. Die Geistlichen aber gehörten zu denjenigen Personen, denen die Kriegsführung untersagt war.687 Gerade diese »Ausgrenzung« des geistlichen Standes und die fehlende Einräumung einer Sonderstellung für den deutschen König führte dazu, dass jede Abhandlung688 über den böhmischen Friedensvertrag dessen Bedeutung als Schritt zur Verwerfung der Zwei-Schwerter-Lehre unterstreicht. Der Podiebradsche Friedensvertrag läutete damit einen neuen Kurs in der Entwicklung der Beziehungen unter den europäischen Mächten ein. b)
Bundesversammlung
Jedes ordentliche korporative Gebilde hatte in der Regel ein aus den Mitgliedern bestehendes Organ, das für die Verwaltung der eigenen Angelegenheiten zuständig war. Die Städtebünde689 sowie die Landfriedenseinungen690 bildeten einen aus den Vertretern der einzelnen Städte bestehenden gemeinsamen Rat, zu dessen Aufgaben die Regelung von Fragen gehörte, die für das Bestehen des Bundes wesentlich waren, wie etwa Entscheidungen über die Kriegsführung oder die Lösung von Streitigkeiten unter den Mitgliedern. Auch die Gilden besaßen in Form der Gildeversammlung eine höchste Entscheidungsinstanz,691 während die Adelsgesellschaften ihre Mahnungen hatten.692 Der böhmische Friedensvorschlag sah in Artikel 16 zwei Versammlungen vor.
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dem Begriff Gottesfrieden, I. Wort und Begriff, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, Sp. 1587– 1588. Schubert, Die Landfrieden als interterritoriale Gestaltung, S. 135. Thomas von Aquin äußerte sich zu diesem Problem in seinem Werk Summa Theologie, II, q. 40, ra 1–3. z. B.: Vaneˇcˇek, Eine Weltfriedensorganisation nach den Vorschlägen des böhmischen Königs Georg von Podiebrad, S. 10. Schwitzky, Der europäische Fürstenbund Georgs von Podeˇbrad, S. 29. Markgraf, Über Georgs von Podiebrad Project eines christlichen Fürstenbundes zur Vertreibung der Türken aus Europa, S. 286. Kliment, Svaz n#rodu˚ Jirˇ&ho z Podeˇbrad a idea jedin8 sveˇtovl#dy, S. 34. Distler, Städtebünde im deutschen Spätmittelalter, S. 130. Ein elfköpfiger, alle acht Wochen in der Stadt Eger tagender Rat bestand etwa im Landfriedensbund vom 13. April 1412, geschlossen zwischen dem römischen und böhmischen König Wenzel IV. einerseits und dem Pfalzgrafen bei Rhein, den Herzögen von Bayern, Johann und Ludwig, dem Landgrafen von Thüringen, den Markgrafen von Meißen, Wilhelm und Friedrich, den Grafen von Schwarzburg, Heinrich und Günther, und Albrecht von Leisseneck andererseits, gerichtet vor allem gegen den Nürnberger Burggrafen Johann, C.d.m., Bd. II, S. 1146, zur Liste aller Mitglieder der Landfriedenseinung auf S. 1142–1143. Oexle, Die mittelalterlichen Gilden, S. 211. Diese Mitgliederversammlung der St. Jörgenschildsgesellschaft traf sich in regelmäßigen Zeitabständen, meistens einmal in zwei Monaten, aber wenn nötig auch häufiger. Obenaus, Recht und Verfassung der Gesellschaften mit St. Jörgenschild in Schwaben, S. 172.
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Einerseits die sogenannte Congregacio, die im fünf-Jahres-Wechsel zunächst in Basel und später an nicht näher bestimmten Orten in Italien und Frankreich ständig tagen sollte. Warum gerade Basel als erste Tagungsstadt gewählt wurde, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Vielleicht war es eine Reminiszenz an das Basler Konzil, dem die Utraquisten die Bewilligung der vier Prager Artikel verdankten; möglicherweise hängt die Wahl auch damit zusammen, dass das Konzil und Podiebradsche Projekt ein gemeinsames Ziel hatten – die Friedenssicherung. Die Konzilväter bildeten für die causa pacis ja eigene Kommissionen693 und das Konzil galt den Fehdeherren als ordentlicher Gerichtsstand.694 Um die Beweggründe der Wahl Basels zu erschließen, bietet sich im Übrigen ein Rückgriff auf die von Heinz Duchhardt aufgestellten Kriterien für die Auswahl der europäischen Kongressorte der Frühen Neuzeit an. Danach ließen folgende Gegebenheiten eine Stadt als Ort eines potentiellen Fürstentreffens als geeignet erscheinen: die Möglichkeit, dort einen Gottesdienst zu veranstalten, die gute Anbindung an Verkehrswege, die Sicherheit des Gebiets und die Möglichkeit, sich dem potentiellen Publikum zu entziehen. Der Ort sollte darüber hinaus neutral, befriedet und von nicht allzu großem optischen Wert sein.695 Eine alte, zum Deutschen Reich gehörende Bischofsstadt wie Basel bot die Möglichkeit eines Gottesdienstes und die noch in den Kinderschuhen steckende dortige Universität einen gewissen Anziehungspunkt. Der zu dieser Zeit hier gerade aufblühende Buchdruck nach Gutenbergscher Art versprach sicher weitere Vorteile für die Congregacio. Die Stadt selbst war gut mit Mauern befestigt und veranstaltete Jahrmärkte sowie Messen, so dass eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln sichergestellt war. Auch hatte Basel aufgrund des Konzils bereits Erfahrungen mit der für solch größere Zusammenkünfte von hohen Würdenträgern notwendigen Logistik. Laut Wackernagel war die Stadt bei Fürsten allgemein beliebt und ihre Verkehrslage mehr als günstig.696 Für die potentiellen Mitglieder der Fürstenliga eignete sich Basel wegen seiner zentralen Lage perfekt. Da sich im Rahmen der Bundesversammlung auch ein aus den Königen und Fürsten bestehender engerer Rat (consilium speciale – Artikel 16) zusammenfinden sollte, war die Wahl eines passenden Tagungsortes von ausschlaggebender Bedeutung. Das Treffen an einer Grenze,697 einem fast neutralen, 693 Meuthen, Das Basler Konzil als Forschungsproblem der europäischen Geschichte, S. 35. 694 Hödl, Zur Reichspolitik des Basler Konzils, S. 49. 695 Duchhardt (Hrs.), Vorwort zum Buch Städte und Friedenskongresse, S. IX., Wackernagel, Geschichte der Stadt Basel, S. 476–477. 696 Eine üppige, aber übersichtliche Publikation mit weiterer Literatur zu den Verkehrswegen um Basel im Spätmittelalter : Doswald, Historische Verkehrswege im Kanton Basel-Stadt, S. 22–24. 697 Im frühen Mittelalter kam es oft zu Zusammenkünften der kriegsführenden Herrscher entweder inmitten eines Flußes oder an seinen Ufern. Heinemeyer, Studien zur Diplomatik, S. 343.
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nicht zu tief in einem Herrschaftsgebiet der beteiligten Mächte gelegenen Ort war psychologisch bedeutsam, als auch Ausdruck einer gewissen Gleichrangigkeit der Mächte.698 Die Rotation des Tagungsortes sollte verhindern, dass das höchste Organ der Einung unter den ständigen Einfluss einer Macht geriet und deren libido dominandi verfiel.699 Als Vertreter sollten oratores notabiles et magne auctoritatis viri700 der einzelnen Herrschaften entsandt werden. Die höheren Ämter sollten in den jeweiligen Ländern von denjenigen besetzt werden, die der entsprechenden Nation entstammten und deren moresque et habitudines kannten (Artikel 17).701 698 Siehe Textstelle zur Fn. 313. 699 Steiger, Krieg und Frieden im europäischen Rechtsdenken, S. 97. 700 Bei den Wahlen der Räte der mittelalterlichen Städte mussten die Wähler schwören, die »besten, geeignetsten und ehrbarsten« Kandidaten zu wählen. Isenmann, Die deutsche Stadt, S. 353. 701 Fraglich ist, wie diese Bestimmung des Podiebradschen Friedensvertrages hätte in Einklang gebracht werden können mit den tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnissen im Böhmischen Königreich. Abgesehen von den staatsrechtlichen Fragen war das Zusammenleben der auf dem Gebiet des Böhmischen Königreichs lebenden Deutschen und Böhmen gerade während der hussitischen Zeit schwierig. Die hussitischen Gedanken waren ausschließlich auf Tschechisch propagiert worden, während die meisten heimischen Deutschen katholisch blieben und Gegner der Utraquisten waren. Als im Jahre 1419 Sigmund von Luxemburg den böhmischen Thron besteigen sollte, wurden ihm von den böhmischen Ständen Wahlkapitel (zu Wahlkapiteln Fn. 892) vorgelegt. Artikel 9 lautete, dass »Fremde« – seien sie geistlich oder weltlich – in keine Ämter eingesetzt werden sollten. Dies betraf vor allem Deutsche und deren Tätigkeit in städtischen Vertretungen. Die Böhmen sollten im Königreich und ˇ , Bd. 3 (1844), S. 207. Bereits einhundert Jahre den Städten die »ersten« Stimmen haben. AC zuvor (1311) wurden Johann von Luxemburg ähnliche Bedingungen gestellt und auch in den Wahlkapiteln, die Albrecht von Habsburg und später seinem Sohn Ladislaus vorgelegt wurden, verlangten die Stände, dass lediglich Böhmen in Ämter und auf den Burgen einˇ , Bd. 3 (1844), S. 460 und AC ˇ , Bd. 4 (1846), S. 415. Ende des gesetzt werden sollten. AC 15. Jahrhunderts (1486) erließ der böhmische Landtag einen Befund (n#lez) darüber, dass an die »Fremden« ohne die Zustimmung des Königs und des Landrates keine unbeweglichen Sachen (Schloß, Burg und Festung) verkauft oder verpfändet werden durften. Urb#ˇ , Bd. 5 (1862), S. 427. Nach danek, Veˇk Podeˇbradsky´ III, Buch IV, S. 77. Urkunde in AC maliger Vorstellung war wie folgt mit einem »Fremden« zu verfahren: »Ein Fremder ist ein Mensch aus einem fremden Land, dem nicht erlaubt werden dürfe, ein Haus zu kaufen, bis er Böhmisch lerne. So einem Menschen, der die böhmische Sprache dermaßen hasse, dass er sie nicht lernen wolle und nicht erlaube, dass die eigenen Kinder sie lernen, diesem solle nie erlaubt werden ein Haus zu kaufen, vor allem nicht in Prag. Wenn er Böhmisch lerne, solle es ihm erlaubt werden, ein Haus zu kaufen sowie Ämter anzunehmen nach dem Recht der Stadt, in welcher er wohnt«. Tobolka, M. Pavla Zˇ&dka Spravovna, S. 56. Im Böhmischen Königreich kam es bereits Anfang des 15. Jahrhunderts zur Entwicklung einer »ständisch universellen« Definition der Nation. Hieronymus von Prag bezog in die tschechische Nation alle Stände vom König bis zum letzten Handwerker ein. Für seine Definition waren nicht nur das Heimatland, sondern auch die gemeinsame Sprache und die ethnische Abstammung von Bedeutung. Das Letztgenannte war von erheblicher Wichtigkeit, wenn man annimmt, dass die Menschen bis zu einem bestimmten Niveau bilingual waren. Sˇmahel,
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Der Versammlung wird die iurisdiccio voluntaria et contenciosa mit mero et mixto imperio in die Hand gelegt (Artikel 16). Diese Begriffe führen in das komplexe Feld der iurisdictio im römischen Recht und deren mittelalterlicher Entwicklung. Das römische Recht verstand unter der iurisdictio »die hoheitliche Machtbefugnis, die den Gerichtsmagistraten zur Wahrnehmung der Privatrechtspflege verliehen ist«.702 Sollte die Entscheidung in schwerwiegender Weise die Freiheit des Einzelnen betreffen, konnte sie nur von den Trägern der Imperiumsgewalt – typischerweise den Prätoren703 – getroffen werden. Die der Bundesversammlung zugeschriebene iurisdictio contenciosa und voluntaria ist lediglich in der Digestenstelle D. 01.16.02 zu finden.704 Neben der zivilrechtlichen bestand noch die strafrechtliche Jurisdiktion, ius gladii oder imperium merum705 genannt, die in den Digesten nur dreimal vorkommt (D. 01.18.03, in D. 01.21.01.01 und in D. 02.01.03) und die nicht übertragbar war. Daneben existierte noch das imperium mixtum, das Tatbestände wie die Vermögensvollstreckung oder die Anordnung der restitutio in integrum umfasste.706 Nach der Wiederentdeckung des römischen Rechts mussten diese Begriffe an die mittelalterliche Wirklichkeit angepasst und damit neu erörtert und definiert werden. Mit der iurisdictio (in Form der iurisdictio contenciosa und voluntaria lediglich in der Digestenstelle D. 01.16.02 zu finden)707 beschäftigten sich nach Irnerius viele andere iurisperiti wie Rogerius, Azzus, Placentinus, Cinus Pistoriensis oder Baldus. Aus deren Ausführungen kann man schließen, dass sich die iurisdictio contentiosa auf die Gerichtsbarkeit im eigentlichen Sinne bezieht, wobei zur voluntaria auch solche Tätigkeiten gehören konnten, die den Got-
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Mezi strˇedove˘kem a renesanc&, S. 97. Für einen purus Bohemus spielten also die lingua, ˇ ech#ch, S. 46. Auch sanquis und fides eine große Rolle. Sˇmahel, Idea n#roda v hustisky´ch C wenn diese hussitische Tendenz nicht als »Nationalismus« im heutigen Sinn betrachtet werden kann, wies »die böhmische Nation der hussitischen Periode eine größere Dynamik und Kohärenz auf, als es bei den benachbarten Nationen der Fall war. Der böhmische Nationalismus nahm sogar auf seiner ideologischen Ebene teilweise den Nationalismus der ˇ ech#ch, S. 258. Die Mutterspäteren Zeit vorweg«. Sˇmahel, Idea n#roda v husitsky´ch C sprache war, ungeachtet des Geburtsorts oder des Heimatlandes, ein entscheidendes Kriterium für die Eingliederung in die natio Germanica an der Bologner Universität: quod ex Teutonicorum natione, id es omnes qui nativam Alemanicam habent linguam. Kibre, The Nations, S. 4, Fn. 9. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S. 183. Ebd., S. 185. D. 01.16.02: Omnes proconsules statim quam urbem egressi fuerint habent iurisdictionem, sed non contentiosam, sed voluntariam: ut ecce manumitti apud eos possunt tam liberi quam servi et adoptiones fieri. D. 01.16.06, D. 01.18.06.08, D. 01.21.01.01 und D. 02.01.03. Hilling, Die Bedeutung der iurisdictio voluntaria und involuntaria im römischen und im kanonischen Recht, S. 449. Siehe Fn. 704.
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tesdienst und das Sakrament betrafen.708 In Azos Worten: Et certe dicitur voluntaria, quae exercetur inter volentes: ut emancipatio, adoptio et familia; contenciosa est, quae redditur in invitos, ut cum quid petitur ab aliquo: quia iudicium redditur in invitum.709 Bartolus dagegen glich iurisdictio an imperium an und teilte das merum und mixtum imperium in sechs Stufen auf, von maximum bis minimum. Unter das imperium merum subsumierte er vor allem die Gesetzgebungskompetenz, die Blutgerichtsbarkeit und strafrechtliche Befugnisse. Er formte so »den Begriff des merum inperium im Sinne einer unabhängigen öffentlichen Gewalt schlechthin«.710 Das imperium mixtum als Supplement sollte vor allem personenrechtliche Tatbestände, etwa die Frage der Volljährigkeitserklärung, umfassen.711 Seit dem 12. Jahrhundert verliehen die deutschen Könige und Kaiser das merum et mixtum imperium insbesondere an die italienischen Mächte.712 Dieses vom Kaiser an sie delegierte Recht beinhaltete sämtliche Machtbefugnisse des jeweiligen Territorialherrn und brachte die unmittelbare Unterstellung unter den deutschen Kaiser zum Ausdruck.713 Ein Jahrhundert später taucht dieser Terminus technicus auch in den deutschen Schriftzeugnissen auf. Zu der Zeit verstand man darunter bereits jegliche Machtausübung seitens des Fürsten, sei es die Einberufung der Stände oder die Gesetzgebung.714 Im ausgehenden Mittelalter kann man das merum und mixtum imperium also der Rechtsprechungsgewalt in Strafsachen und zivilen Streitigkeiten und zugleich der Landeshoheit – superioritas territorialis – gleichstellen.715 Der Congregacio war demnach eine breit angelegte Kompetenz über ihre Mitglieder zugedacht. Gierke spricht in diesem Zusammenhang von einer »superioritas«, die die Körperschaft in inneren Angelegenheiten über ihre Mitglieder ausübe.716 In der böhmischen Friedensliga sollten aber die Mitglieder selber darüber entscheiden, wie weit diese Kompetenz reiche (Artikel 16): Habeat eciam dictum collegium in nos omnes et nostros subditos eosque, qui eandem prorogaverint, iursidiccionem voluntariam et contenciosam una cum mero et mixto imperio, prout eadem congregacio vel maior pars eiusdem hoc decreverit et statuerit ordinandum. Über das Maß der Kompetenzen, die der Bundesversammlung zustünden, sollte diese somit selbst entscheiden. Die Gesandten der jeweiligen Könige, Fürsten und 708 Hilling, Die Bedeutung der iurisdictio voluntaria und involuntaria im römischen und im kanonischen Recht, S. 455. 709 Azo, Summa, Sp. 176. 710 Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, S. 21. 711 Ebd., S. 21. 712 Schlinker, Fürstenamt und Rezeption, S. 276. 713 Ebd., S. 277. 714 Mannori/Sordi, A Treatise of Legal Philosophy and General Jurisprudence, S. 227. 715 HRG, Bd. II, S. 334. 716 V. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. III, S. 453.
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Stadtstaaten sollten (entsprechend der Anordnung ihrer Herren) einstimmig oder durch Mehrheitsentscheidung selbst festlegen, wie weit die Entscheidungsmacht über die Mitglieder ginge. Dies war aber nicht die einzige »Sicherung« gegen eine viel zu große Macht der Bundesversammlung. Artikels 23 des Vertragsentwurfes sieht zwar vor, dass den künftigen Beschlüssen des gemeinsamen Bundesorgans zu folgen sei, was ein typisches Merkmal der mittelalterlichen Einungen – vor allem der Gilden und Kommunen,717 der böhmischen Landfriedensbünde718 oder Adelsgesellschaften sowie der St. Jörgenschild Gesellschaft – war.719 Die Bestimmung fungiert aber zugleich als Verfassungsbremse und Schranke für die Entscheidungsmacht der Bundesversammlung.720 Es war nämlich nur solchen Anordnungen des gemeinsamen Organs Folge zu leisten, die pro conservacione pacis et iusticie, fideliumque cristicolarum defensionem facere et conducere quomodolibet videbuntur. Hierbei handelt es sich um die beiden Hauptziele des Vertrags. In anderen die Mitglieder betreffenden Angelegenheiten konnte die Bundesversammlung keine verbindlichen Anweisungen erlassen.721 Diese klare Regel steht in Einklang mit dem Prinzip, dass die Mehrheitsentscheidungen im Rahmen einer Körperschaft le-
717 Oexle, Friede durch Verschwörung, S. 133. 718 Artikel 4 des Landfriedenbundes der vier Kreise: (…) jim plnu moc nad sebffl i nadewsˇemi nasˇimi d#waj&c a jich poslusˇni slibuj&ce by´ti podl8 z#pisu tohoto we wsˇem, cozˇ n#m kter8mu ˇ , Bd. I kraji hajtman woleny´ a jmenowany´ toho kraje s prˇidanffl sobeˇ radffl ucˇiniti rozk#zˇe. AC (1840), S. 251. Aus der Landfriedenseinung zwischen König Wenzel IV., dem Pfalzgrafen und den bayerischen Herzögen: Vnd ab denn der gesworne ratt der eynung den egenanten, landen, herscheften vnde gegenden czu irm nucz vnd besserunge vnd czu eyenem gemeynem nucz ichtes czu rate wuerden oder ab keynerleye in disem briff vorgessen vnd nicht begriffen oder czu kurcz geschriben were, des schullen sie volle macht haben eyntreichticleichen mit eynnander czu pessern czu eynem gemeynem nucz noch irem erkentnuesse. C.d.m., Bd. II., S. 1145. 719 In dem Bundesbrief der St. Jörgenschild Gesellschaft von 1463 heißt es: Und was sie zu yeglichem male handeln fuernemen und zu rat werden schaffen gepieten tund und laßen daß sollen wir gemeinlich und osnder benigig sin dem in vorgeschriebener wise volgen und nachkommen. Dumont, Corps universel diplomatique, Bd. V, S. 280. 720 Frei und ohne Einschränkung steht der Bundesversammlung das Recht zu, neue christliche Mitglieder (reges, principes et magnates cristianos, Artikel 12) in die Friedensliga aufzunehmen. Über die gleiche Kompetenz verfügte z. B. der Rat der Landfriedenseinung (zwischen König Wenzel IV., dem Pfalzgrafen bei Rhein und den bayerischen Herzögen, Fn. 690): (…) vnd sie (der gesworne ratt der eynunge) mugen auch furpass czu ine in die eynunge nehmen, wen sie wollen, die sie der eynunge duencket nucz seyn. C.d.m., Bd. II, S. 1145. 721 In ähnlich eingeschränkter Weise wollten beim Landfriedensbund der vier Kreise die Mitglieder der Entscheidung des Rates und der Hauptmänner folgen, und zwar : jezˇtoby se doty´kalo obrany a upokojenie krajjw nasˇich a dobr8ho obecn8ho a poctiw8ho koruny cˇesk8 – also was die Verteidigung und die Befriedung der Kreise und das Allgemeinwohl der ˇ , Bd. I (1840), S. 251. Böhmischen Krone angeht. AC
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diglich die »korporativen Angelegenheiten« und nicht die »individuellen Rechtssphären der Glieder« zu regeln vermögen.722 Die meisten Korporationen723 dieser Zeit verfuhren nach dem Majoritätsprinzip, welches schon die Glossatoren in den Rang eines »gültige[n] Rechtssatz[es]« für alle Korporationen erhoben hatten.724 Bei der Podiebradschen Friedensliga als einem collegium (Artikel 16) war es nicht anders.725 Doch bei genauerer Betrachtung des Textes rückt das Prinzip der Unanimitas als Ideal726 der mittelalterlichen Entscheidungsfindung in den Vordergrund und die Mehrheitsentscheidung kommt nur nachrangig zum Zuge. So wird etwa in Artikel vier festgehalten, dass im Fall eines Beschlusses der Fürsten, einem angegriffenen Mitglied Hilfe zu leisten, die Entscheidung über die Dauer und Kosten dieser Hilfeleistung ab congregacione nostra vel maiori parte ipsius getroffen werde.727 Über den Zeitpunkt eines Angriffs auf den türkischen Feind sowie über den Einsatz der dafür erforderlichen Streitkräfte sollte ebenfalls communi sentencia tocius congregacionis nostre vel maioris partis eiusdem entschieden werden. Die congregacio vel maior eius parte sollte auch in weiteren Angele722 V. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. III, S. 222. Nur insoweit, wie die Korporation berechtigt ist zu entscheiden, gilt also die Mehrheitsentscheidung und die Rechte des Einzelnen werden nur dann berührt, wenn diese zustimmen oder eine Verfügungsgewalt der Korporation über diese besteht. Ebd., S. 472. 723 Auch bei einfachen Bündnissen sollte die Mehrheit Entscheidungen treffen können: quod facit maior pars confoederatorum Principum, vel comitatum debet haberi ratum, licet minor pars confoederatorum contradicat. Garatus, De confoederatione, pace et conventionibus principum, Qu. 44, Fol. 302–303, mit Verweis auf Baldus, De pace Constantiae (Commentaria in Feudorum Usus), Fol. 103r-v, unter Ego. 724 V. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. III, S. 220. Die Kommentatoren entwickelten diese fictio iuris weiter und einigten sich darauf, dass die Entscheidung der Mehrheit als eine Entscheidung aller zu verstehen sei. Ebd., S. 470–471. Das römische Recht verstand die maior pars als die einfache Mehrheit, also als die Mehrheit der Anwesenden, und arbeitete mit Quoren; das kanonische Recht dagegen verstand unter der Mehrheit die absolute Mehrheit, also die Mehrheit des zählbaren Ganzen. Flaig, Die Mehrheitsentscheidung, S. 155. Im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts wurde die Mehrheitsentscheidung in den meisten Bereichen des mittelalterlichen Lebens zur Regel. Maleczek, Abstimmung, S. 86. 725 »Wurde eine Mehrzahl von Personen als Kollegium aufgefasst, so war der Wille der zahlenmäßigen Mehrheit mit dem Willen des Kollegiums als Einheit gleichzusetzen«. Vogel, Zur Rolle des Beherrschten, S. 186. 726 Vor allem im kirchlichen Bereich galt die einmütige Entscheidung als »Zeichen der Rechtgläubigkeit« (Joh 17,11.21–23); Gott in seiner Einheit sei nämlich bei einer solchen Entscheidung selbst am Werk. Maleczek, Abstimmungsarten, S. 81 und 82. 727 Ähnlich beim Wetterauer Grafenverein (1422), bei dem sich im Falle des Angriffs auf eine der Vertragsparteien die anderen Parteien in einer der drei im Vertrag aufgezählten Städte zur Beratung treffen sollten, um zu beschließen, wie starg und wie man den krieg und hilffe bestellen sulle; und wie wir und unser frunde, die wir dartzu schickten, oder daz merer teil des dan nach gelegenheit der sachen zu rade wurden und uberquemen, das sollte ungeverlich und ane vertzoig gescheen. Fabricius, Die älteren Landfriedenseinungen, S. 207.
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genheiten beschließen, etwa über die Form und Verfahrensweise der Gelderhebung für den Kreuzzug (Artikel 15), über die Änderung der fünfjährigen Rotationszeit der Congregacio sowie deren Jurisdiktion über die Mitglieder (Artikel 16), über den Zeitpunkt der Gelderhebung für die Ausgaben der Fürstenliga (Artikel 18) und über die allgemeine Frage, was darüber hinaus für die Bewahrung von Frieden und Recht nützlich sein könnte (Artikel 23). Das Erfordernis der Einstimmigkeit war ausschließlich auf zwei Materien beschränkt. Die Entscheidung, dem von außen angegriffenen Mitglied zu Hilfe zu eilen (Artikel 4), konnten die Fürsten nur unanimi ac concordi sentencia treffen, und unanimiter wollten sie beim Papst erwirken, dass er die Erhebung des Zehnten für den Türkenkreuzzug anordne (Artikel 21). Die in vier »Nationen«728 – die deutsche, gallische, italienische und eventuell spanische – aufgeteilte Bundesversammlung sollte also einmütige oder mehrheitliche Entscheidung fällen. Da man davon ausging, dass auch innerhalb einer Nation Unstimmigkeiten herrschen würden, sollte die Mehrheitsentscheidung letztendlich auch den Willen der jeweiligen Nation bestimmen. Sogar an den Fall einer Stimmengleichheit hatten die Autoren des Textes gedacht und festgelegt, dass die Stimmen derjenigen Gesandten, deren Herren von größerem Ansehen und Verdienst waren,729 von mehr Gewicht haben sollten. Waren Ansehen (dignitas) und Verdienst (meritum)730 gleich, sollten die übrigen Nationen entscheiden, welcher Ansicht sie sich anschließen wollten (Artikel 19). Da das böhmische Friedensprojekt scheiterte, behält die Aussage Erich 728 Die Ähnlichkeit der Organisation der Podiebradschen Friedensliga mit der Geschäftsordnung des Konstanzer Konzils wird in der Literatur mehrmals erwähnt. An dieser Stelle soll lediglich daran erinnert werden, dass an der Spitze jeder natio ein Präsident stand, der monatlich wechselte. Die Orientierung der Geschäftsordnung der Podiebradschen Friedensliga am Konstanzer Konzil bzw. an der konventionellen Organisation nach Nationen und nicht etwa am Basler Konzil liegt auf der Hand. Die Aufteilung der Bundesversammlung in vier Deputationen, auf die die Nationen proportional verteilt worden wären, hätte sich für die Vertretung der Interessen der einzelnen Ligamitglieder schlicht nicht geeignet. Details zur Geschäftsordnung des Basler Konzils bei Sudmann, Das Basler Konzil, S. 23ff. An den ausländischen Universitäten rechnete man die böhmischen und mährischen Studenten in der Regel zur natio Germanica, so z. B. laut den Statuten (1497) der Universität von Bologna, obwohl es auch Zeiten (1432) gab, in denen sie sogar eine eigene natio formten. An der Pariser Universität gehörten die Böhmen der Englisch-Deutschen natio an. Mit weiteren Verweisen Kibre, The Nations, S. 5, Fn. 10, S. 11 und 19. 729 Nach dem ius commune sollte den Mitgliedern einer Liga, die nobilior und potentior als andere Mitglieder waren, das Vorrecht zustehen, gemeinsame Versammlungen einzuberufen. Baldus, De pace Constantiae (Commentaria in Feudorum Usus), Fol. 103va, mit Verweis auf die Bestimmung D. 22.04.06, von der abgeleitet wurde, dass im kirchlichen Bereich dem Ältesten die Würde zustand, eine Versammlung des Domkapitels einzuberufen. Baldus, In Secundam Digesti Veteris Partem, Fol. 203ra. 730 Vgl. die kanonischen Ausführungen zum Inhalt der Sanioritas, die es neben der Maioritas als Prinzip bei Wahlen gab und deren Inhalt mit Ausdrücken wie dignitas, scientia, zelus, meritum oder auctoritas beschrieben wude. Maleczek, Abstimmungsarten, S. 117ff.
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Analyse des Friedensvertragstextes
Meuthens, »dass es einen europäischen Fürsten- bzw. Gesandtenkongress als universalpolitisches Gestaltungsorgan, wie es uns aus der Geschichte der Neuzeit geläufig ist, im Mittelalter nicht gegeben hat«,731 weiterhin Gültigkeit.
c)
Rechtsfigur des Fürstenbundes
Die geplante Fürstenliga sollte die Stellung einer juristischen Person haben, ein collegium, corpus732 und eine universitas sein, in welche die Mitglieder inkorporiert (incorporare – Art. 5, 12, 16) werden sollten. Während universitas733 einen allgemeinen Begriff für jede Personenverbindung darstellte, unter den man auch die Ausdrücke liga, confoederatio oder unio subsumierte,734 wurde collegium tendenziell eher für regligiöse Gemeinschaften verwandt, ohne auf diese beschränkt zu sein.735 Der Begriff corpus (incorporatio) wiederum verwies auf die Entstehungsart des Gebildes.736 Ein weiterer Ausdruck des mittelalterlichen Korporationsrechts, der eine handelsrechtliche Konnotation besaß, ist societas. Als solcher findet er sich im böhmischen Vertrag nicht. Allerdings werden die Mitglieder der Friedensliga als socii bezeichnet (Art. 4). Das lateinische Wort socius kann unterschiedlich übersetzt werden – als Bundesgenosse, Kamerad, Kompagnon, Verbündeter, Gefährte, Genosse oder Geselle.737 Aus der Summe dieser Bedeutungen lässt sich die Stoßrichtung des Begriffs – societas erschließen. Ihre Mitglieder sind »Freunde738, die gemeinsame Interessen gegenüber Dritten verfolgen«.739 Im Sinne einer auf Treu und Glauben basierenden brüderlichen Gemeinschaft740 sollte die Podiebradsche societas die gemeinsa731 Meuthen, Das Basler Konzil als Forschungsproblem der europäischen Geschichte, S. 33. 732 Als corpus mysticum und fictum begriffen. V. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. III, S. 428. 733 Beispiele bei: V. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. III, S. 420. 734 Angelus de Ubaldis sieht in seinem Consilium (Nr. 269) zur Beantwortung der Frage, ob die Mehrheit einer liga, unio und confoedaratio über die Annahme neuer Mitglieder entscheiden kann, diese als corpus und universitas. Angelus, Consilia, Fol. 185r–186r. 735 Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution, S. 363. 736 Eine gewandte Unterscheidung der oben genannten Ausdrücke gibt in seinem Gutachten der Lübecker Syndikus Dr. Johannes Osthusen, in dem er versucht nachzuweisen, dass die Hanse weder societas noch collegium oder unversitas sei. Um eine societas zu sein, müsse sie eine Gütergemeinschaft besitzen. Zum collegium fehle ihr ein richtiger Zusammenschluss der Glieder und da sie keinen gemeinsamen Sitz, Schatz, Siegel und Syndikus habe, könne man ihr die Eigenschaft einer universitas auch nicht zuerkennen. Dollinger, Die Hanse, S. 548–551. 737 Georges, LDHW, Bd. II, Sp. 2702. 738 Bereits in der Karolingerzeit waren die Übergänge zwischen der Freundschaft und der Genossenschaft fließend. Althoff, Amicitiae und Pacta, S. 16. 739 Zimmermann, The Law of Obligations, S. 451, Fn. 1 m.w.N. 740 Ebd., S. 454.
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men Ziele verwirklichen – die Sicherung des Friedens sowie die Aufnahme des Kampfes gegen die Türken. Die geplante Korporation trägt das Beiwort licita.741 In der Theorie des römischen mittelalterlichen Rechts gab es drei Typen von Gesellschaften, die zulässig waren. Den Ausführungen von Baldus folgend waren dies erstens das collegium civitatis, die castri vel villae mit der Zustimmung ihres superiors,742 zweitens das collegium pro iustitia conservanda et pro publica utilitate wie etwa das collegium doctorum, scholarium oder artificium und drittens das collegium ad honorem dei.743 Wenn es sich also um ein collegium licitum handelte, dann konnte es bona et iura habere, quae sunt ipsius collegii.744 Außerdem durfte ein Syndikus und ein »Geschäftsführer« (actor) bestellt werden, worauf in der Literatur unter Verweis auf die Digestenstelle D. 03.04.01 bereits aufmerksam gemacht wurde.745 Zu den Rechten einer Körperschaft gehörten auch die Wahl von Offizialen,746 eine gemeinsame Kasse747 oder die Führung eines Siegels.748 In den Worten des böhmischen Friedensvertrags: Habeat denique propria arma, sigillum et archam communem atque archivum publicum, sindicum, fiscalem, officiales (Artikel 16).749
741 Theoretisch kann man sich mit der Frage befassen, ob die böhmische Fürstenliga eine Erlaubnis seitens des Kaisers (angenommen, er wäre nicht Mitglied des Fürstenbundes) benötigt hätte, denn das Reichsrecht war weiter zu beachten. Die Goldene Bulle widmet sich im 15. Kapitel (De Conspirationibus) den collegia licita. Allgemein waren Schwureinungen, Vereinigungen und Verbindungen verboten, denn sie waren für den Kaiser stets potenziell gefährlich. Von dem Verbot ausgenommen waren solche Verbindungen, die der Friedenserhaltung dienten. Sie benötigten aber die Bestätigung des Kaisers. Weinrich, Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter, S. 363. 742 Die Bildung eines collegiums gegen den Kaiser wird zum crimen laese maiestatis. Garatus, Tractatus de confederatione, pace & conventionibus Principum, Fol. 302r–303r. 743 Baldus, Commentaria in primam Digesti Veteris Partem, Fol. 213v. 744 Collegia disciplinatorum et ista collegia misericordiae et similia quae pietatem respiciunt. Bartolus, In Secundam ff. Novi partem, Fol. 136. 745 Vaneˇcˇek, Historicky´ vy´znam projektu kr#le Jirˇ&ho a veˇdeck8 probl8my kolem neˇho, S. 19. 746 V. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. III, S. 454. 747 Dig. 03.04.01. Baldus, Commentaria in primam Digesti Veteris Partem, Fol. 213v. 748 Fahrner, Der Landfrieden im Elsass, S. 461. Eigene Siegel führten zum Beispiel einige der unterschiedliche genossenschaftliche Organisationsformen nutzenden Adelsgesellschaften. Ranft, Adelsgesellschaften, S. 209. 749 »Endlich soll sie ein eigenes Wappen und Siegel führen, eine gemeinsame Kasse und ein öffentliches Archiv haben, einen Syndikus, einen Fiskal, Beamte«. Messler, Das Weltfriedensmanifest, S. 46.
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Analyse des Friedensvertragstextes
Schaffung eines Rechts- und Friedensbereiches Vis ergo venire ad pacem ? Fac justitiam.750
Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts stand im deutschen Reich unter diesem Leitbild: der schwachen oder fehlenden Zentralmacht und den damit verbundenen negativen Erscheinungen, wie etwa der Fehde (diffidatio751). Auch wenn der Fehde in der neueren Literatur eine konstitutive Funktion bei der Entwicklung der Staatsverfassung zugeschrieben wird,752 wurde diese mittelalterliche Selbsthilfe zur Durchsetzung und Wahrung eigener Rechtsansprüche und Rechtsinteressen753 von den Zeitgenossen als unerwünscht angesehen und man bemühte sich, sie einzudämmen.754 Ein vom Kaiser gesetztes positives, die Fehde regulierendes Recht gab es im deutschen Reich zur Zeit der Entstehung des böhmischen Friedensplans zwar. Man konnte nur dann zur Fehde greifen, wenn die gegnerische Partei ein Schiedsgericht nicht einberufen wollte – so die Frankfurter Landfriedensordnung Friedrichs III. von 1442.755 Diese verwies weiter auf den Artikel 17 der Goldenen Bulle von 1356, in der ausführlichere Bedingungen der Fehdeführung verankert waren.756 Im Böhmischen Königreich 750 Enarratio in Psalmum 84, Augustinus Hipponensis. 751 Der Begriff »diffidatio« ist lehnsrechtlichen Ursprungs. Hier kündigt der Vasall seinem Herrn die Treue auf oder der Herr erklärt seinem Vasallen die Ungnade. Patschowsky, Fehde im Recht, S. 163. Zum Begriff der Fehde in der europäischen Geschichtsschreibung: Netterstrøm/Büchert/Jeppe, The Study of Feud in Medieval and Early Modern History, in: Feud in Medieval and Early Modern Europe, Jeppe Büchert Netterstrøm/Bjørn Poulsen (Hrsg.), S. 9–68. Es muss unterstrichen werden, dass die Fehde keineswegs eine exklusive Unternehmung der Adeligen war : z. B. Reinle, Peasants’ Feuds in Medieval Bavaria, S. 161–187. Für Dänemark Netterstrøm, Feud in Late Medieval and Early Modern Denmark, S. 184. 752 »Fehde erscheint folglich als ein Konflikt von Verfassungsinstitutionen, insofern als die Konfliktgegner in prinzipiell gleicher Weise an Herrschaft partizipieren. Damit gibt sich die Fehde als ein Instrument des Konfliktsaustrags öffentlicher d. h. im Sinne der Zeit – staatlicher Gewalten zu erkennen, oder anders ausgedrückt: die Entwicklung des Rechtsinstituts Fehde war konstitutiver Teil der Entwicklung der Staatsverfasssung geworden«. Patschowsky, Fehde im Recht, S. 163. 753 Brunner, Land und Herrschaft, S. 32. 754 Während die Städte den Bürgern bereits im 12. Jahrhundert Frieden gewährten, konnte sich der Landfrieden bei den Adeligen aufgrund des Fehderechts nur langsam durchsetzen. Dilcher, Die genossenschaftliche Struktur, S. 106. 755 Niman dem andern schaden tun oder zufugen sol, er hab in dann zuvor zu gleichen, villiche, lantlofigen rechten ervordert (…). Sollte die Gegenpartei auf diese Herausforderung nicht adäquat antworten, konnte der Geschädigte die Fehde beginnen. Obenaus, Recht und Verfassung der Gesellschaften mit St. Jörgenschild in Schwaben, S. 59. 756 Man war verpflichtet, drei Tage vor dem Beginn der Fehdehandlungen der Gegenpartei dies persönlich anzusagen oder an deren Wohnsitz mit Zeugen öffentlich anzukündigen. Zeigte aber die Partei ihre Bereitschaft, ein Schiedsgericht anzurufen, und fing die Gegenpartei trotzdem die Fehde an, stellte dies eine kriminelle Handlung dar. Die Abhängigkeit der Rechtmäßigkeit einer Fehde von der Einhaltung einer Frist wurde erstmals im Landfrieden
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war die Rechtslage jedoch dadurch verkompliziert, dass es über einen längeren Zeitraum keinen König gab. Nach dem Tod Albrechts von Habsburg Ende der dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts hatte das Land bis zur Thronbesteigung durch den jungen Ladislaus Posthumus im Jahr 1453 keinen Herrscher. In der Zeit des Interregnums757 wurde Böhmen vor allem durch die sogenannten »lantfrydi«, »zemsk8 m&ry«, das heißt Landfriedensbünde verwaltet, die das Königreich vor größeren Unruhen und Missständen bewahrten. Als Basis dieser Verwaltung diente der von allen Ständen des Böhmischen Königreiches auf ihrer Generalversammlung in Prag im Januar 1440 abgeschlossene Landfrieden, der das ganze Königreich umfasste. Seine Schöpfer bezeichneten ihn als »m&rny´ list«, als eine Vereinbarung, die den Frieden bringt. Die Stände versprachen sich die Einhaltung der Kompaktaten und bestätigten den Utraquisten Johann Rokycana in seiner Position als Prager Erzbischof. Nach der Entscheidung über einige spezifische Fehden unter den böhmischen Adeligen wurden die mit den Landtafeln verbundenen Ämter bis zur Einsetzung eines neuen Königs aufgehoben. Unter Berufung auf den generellen Landfrieden schlossen einzelne Regionen des Königreiches dann ihre eigenen, auf kleinere Gebietseinheiten – meistens auf die »Kreise« – bezogenen Landfriedensbünde.758 Die Einhaltung der Regeln der Fehdeführung war nach damaligem Verständnis essentiell.759 Wer diese Regeln brach, wurde ehrlos.760 Griff jemand etwa des Kaisers Friedrich I. in seiner Constitutio contra incendiarios vom 1186 festgesetzt. Der spätere Mainzer Reichslandfrieden (1235) sah vier Tage vor – nach der erfolglosen Anrufung eines Gerichts. 757 Ivan Hlav#cˇek macht in seinem Artikel darauf aufmerksam, dass zur Zeit des Interregnums in Böhmen keine völlige Herrenlosigkeit herrschte. »Die verwaltungs-politischen Mechanismen (…) sowohl die neu entstandenen als auch ältere, doch mit neuen Kompetenzen ausgestattete, funktionierten in dieser Zeit fast ununterbrochen, allerdings auf einer anderen Ebene als zur Zeit der Königsherrschaft, die sie in mehreren Hinsichten ersetzten«. Hlav#cˇek, Bemerkungen zur Problematik der Zentralmacht und -verwaltung und deren Ausübung im böhmischen Staat der hussitischen Zeit, S. 498. 758 Als Beispiel können angeführt werden: Der Landfriedensbund für den Kreis von Boleslav vom 8. März 1440, die Landfriedensbünde vom 17. März 1440 der vier Kreisen Kourˇim, ˇ #slav, Chrudim und Hradec, die sich auf eine einheitliche Regelung geeinigt hatten. Die C ˇ , Bd. I (1840), S. 249 und S. 254ff. An der Spitze des Urkunden der Landfriedensbünde in AC Landfriedensbundes standen in der Regel zwei Hauptmänner (hejtmani), die über breite Kompetenzen im Verwaltungs- und im militärischen Bereich verfügten. Grundsätzlich bekleideten sie die Position des sog. popravce – eines königlichen Beamten, der für die Sicherheit im Kreis verantwortlich war und die peinliche Gerichtsbarkeit ausübte. Mehr zu dieser Funktion in der Verfassung des Böhmischen Königreiches bei: Rieger, Zrˇ&zen& krajsk8, S. 76ff. Die Hauptmänner durften auch Steuern erheben und eine Entscheidung über die eroberten Burgen und Gebiete fällen. Zur Seite stand ihnen der sog. Hauptmannsrat (hejtmansk# rada), der vor allem Beratungs-, aber auch Exekutivfunktionen erfüllte. Sˇandera, Vy´chodn& landfry´d, S. 106–115. 759 Genauso wichtig war auch die Form, in welcher die Absagebriefe geschrieben wurden. Schimpfworte und Beleidigungen wurden vermieden. Im Gegenteil, man musste die pas-
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ohne einen Absagebrief zu Fehdehandlungen, galt dies als Rechtsverstoß761 und der Täter musste vor Gericht gebracht werden. Die Rechtmäßigkeit der Fehde war schon deshalb wichtig, weil die verschiedenen, an den Fürsten gebundenen Untertanengruppen wie Helfer, Diener, Lehensleute nur bei einer rechtsmäßigen Fehde zur Hilfe verpflichtet waren.762 Die meisten Fehdehandlungen763 beschränkten sich auf Tatbestände wie Raub, Plünderungen, Entführung von Personen und Brandschatzung zum Zweck der Lösegelderpressung und der Durchsetzung eigener Positionen. Man handelte mit dem Ziel, dem Gegner zu schaden, etwas zu erbeuten und sich im künftigen Friedensvertrag bessere Bedingungen zu sichern. Diese Übergriffe waren meistens nicht gegen den Feind in persona764 gerichtet, sondern gegen seine Untertanen – Bauern, die er als ihr Herr zu beschirmen hatte.765 Da bei der Fehde immer die Gefahr drohte, dass die Gewalt eskalierte und in größere kriegerische Konflikte mündete, was auch oft geschah, wollte man Fehden an sich aus der Welt schaffen. Interessant ist insoweit der Versuch der mittelalterlichen Jurisprudenz, die Regeln über den gerechten Krieg per Analogieschluss auf die Fehde anzuwenden.766 Isenmann beschreibt ein solches Beispiel, das aus einem für die Reichsstadt Nürnberg Anfang der 50er Jahre des 16. Jahrhunderts verfassten Rechtsgutachten aus Padua stammt. Die Fehde wird hier dem Krieg gleichgestellt und einen Krieg könnten eben nur diejenigen führen, qui superiorem non recognoscentes. Wer einen Krieg ohne Erlaubnis seines Fürsten beginne, begehe ein Majestätsverbrechen.767 Der böhmische Vertragstext macht hier ebenfalls keinen Unterschied und benutzt neben dem Wort diffidatio768 auch den lateinischen Begriff für den Krieg
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ˇ ech#ch v polovine˘ 15. stolet&, S. 96. sende Anrede und Titulatur beachten. Urfus, Z#sˇti v C Dies gelang den Parteien nicht immer. So beschwert sich Georg von Podiebrad beim südböhmischen Magnaten, dass dieser den früher vereinbarten Frieden nicht gehalten hätte: »Ich erinnere den Herrn Oldrˇich von Rosenberg daran, dass er sich auf seine Ehre und seinen Glauben verpflichtete, mir gegen meine Feinde zu helfen und sollte er dies nicht tun, dass wir ihn für einen Verräter und Hurensohn halten sollen«. List#rˇ, Bd. IV, S. 222. Sprandel, Die Legitimation zur Gewaltanwendung und Kriegführung, S. 31. ˇ ech#ch v polovine˘ 15. stolet&, S. 93. Urfus, Z#sˇti v C Brunner, Land und Herrschaft, Reprint der 5. Aufl., S. 57. Siehe auch Fn. 514. Beschreibung der Mittel der Fehdeführung bei Brunner, Land und Herrschaft, S. 77ff. Am Ende des 15. Jahrhunderts kam es aber zu Veränderungen in dem Sinne, dass die Gewalt direkt gegen den Feind gerichtet wurde. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass die früher auf die Adeligen beschränkte Fehdeführung plötzlich um weitere Akteure – typischerweise Städte – erweitert wurde und es an einem gemeinsamen »Verhaltenscodex« fehlte. Garnier, Die Legitimierung von Gewalt durch die hoch- und spätmittelalterliche Friedensbewegung, S. 251. Mit Verweis auf Schwabenspiegelstelle: Garnier, Die Legitimierung von Gewalt durch die hoch- und spätmittelalterliche Friedensbewegung, S. 240. Steiger, Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik?, S. 322. Isenmann, Städtisches Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht in Rechtsliteratur und in Rechtsgutachten deutscher Juristen des Spätmittelalters, S. 201. In böhmischen Quellen gab es für die Feindseligkeiten des böhmischen Adels unter-
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– bellum.769 Beide Ausdrücke werden gleichermaßen verwendet, was darauf schließen lässt, dass man sie semantisch als gleichwertig betrachtete.770 Auch andere spätmittelalterliche Quellen deuten darauf hin, dass Fehde und Krieg als Synonyme eingesetzt wurden.771 Die herrschende Meinung der Sekundärliteratur zieht ebenso wenig eine scharfe Trennlinie zwischen einem Krieg772 und einer Fehde. Die Fehde könne nicht als eine rein »innere« Angelegenheit eines Reichs eingestuft und dem Krieg als Sache zwischen Herrschern verschiedener Territorialgewalten gegenübergestellt werden. Grenzfehden zwischen zwei Machtbereichen, seien es Königreiche, Fürstentümer oder andere Herrschaften waren sehr häufig. Dabei war es belanglos, ob der Feind einem fremden oder dem eigenen Territorium angehörte. Das Resultat war dasselbe – es kam zum Bruch des Friedens und der Angreifer wurde zum Feind.773 Eine Unterscheidung zwischen Fehde und Krieg anhand ihrer Zielsetzung zu treffen, ist ebenfalls fast nicht möglich, da die Durchsetzung eigener Interessen in beiden Fällen Ziel sein konnte. Als Anhaltspunkt für die Differenzierung zwischen diesen beiden Kategorien könnte in gewissem Maße die Größe der Unternehmung dienen.774 Für das Spätmittelalter kommt noch ein Unterscheidungsmerkmal dazu – in den Fehden wurde trotz Waffengebrauchs eher selten getötet, was in einem Krieg dagegen der Regelfall war.775 Im böhmischen Friedensvertragstext tritt der Krieg in drei Zusammenhän-
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ˇ ech#ch v polovineˇ 15. schiedliche Ausdrücke: v#lka, z#sˇˇt, nechutˇ, nesn#ze. Urfus, Z#sˇti v C stolet&, S. 92. Außer der Fehde (Krieg) gab es im späten Mittelalter noch andere Arten von Konflikten. Hierbei kann man von drei Grundtypen ausgehen. Neben der bereits erwähnten Fehde konnte es sich um einen religiösen Kreuzzug oder die Verfolgung von Straftätern bzw. Unterdrückung von Aufständen handeln. Höfert, Der Krieg in der Individualperspektive von reichsstädtischem Patriziat und Adel im Spätmittelalter, S. 112. Detailliert zur Kriegstypologie: Kortüm, Kriegstypus, S. 71–98. Eine terminologische Differenzierung von unterschiedlichen Kriegstypen und Fehdeformen ist aber nur bedingt möglich, denn die Spannbreite der für bewaffnete Konflikte benutzen Ausdrücke ist in den mittelalterlichen Quellen groß – bellum, pugna, proelium, guerra, seditio, vastatio, faida etc. Schmolinsky/Arnold, Konfliktbewältigung, S. 37 und 38. Schrödl, Das Kriegsrecht des Gelehrten Rechts im 15. Jahrhundert, S. 33 mit weiteren Nachweisen. Auch im Dänemark des 15. Jahrhunderts sprechen die Quellen sowohl bei einer adeligen Fehde als auch bei einer großen kriegerischen Maßnahme von fejde. Netterstrøm, Feud in Late Medieval and Early Modern Denmark, S. 178. In der englischsprachigen Literatur ist für die Fehde der Ausdruck »private war« gängig. Kortüm, Kriege, S. 73. Beispiele zum weiteren mittelalterlichen Ausdruck für den Krieg – guerra – bei Ziegler, Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter, S. 59–60. Brunner, Land und Herrschaft, S. 46–47. »Fehden sind Kriege im kleinen und Kriege sind Fehden im größeren Maßstab«. Wadle, Landfrieden, Strafe, Recht, S. 107. Fichtenau, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts, S. 545. Diese Aussage mag auch für das Spätmittelalter gelten: Schrödl, Das Kriegsrecht des Gelehrten Rechts im 15. Jahrhundert, S. 36. Schmolinsky/Arnold, Konfliktbewältigung, S. 41. Vgl. den Haupttext zu Fußnoten 763 und 764.
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Analyse des Friedensvertragstextes
gen auf. Zum einen geht es um die Unterbindung kriegerischer Konflikte zwischen den Ligamitgliedern, zum anderen soll die Problematik der Behandlung straffällig gewordener Untertanen gelöst werden und drittens schließlich müssen die Türken als der gemeinsame äußere Feind geschlagen werden. a)
Fraternitas, amicitia, caritas – Verwerfung des Krieges
Die Fürsten sollten eine der wichtigsten und engsten Bindungen innerhalb der zwischenmenschlichen Beziehungen eingehen: die Bruderschaft776 – fraternitas. Damit ist im böhmischen Vertrag jedoch keine spezifische Bruderschaft777 gemeint. Fraternitas bezieht sich vielmehr auf die Prinzipien des brüderlichen Zusammenlebens.778 Unter den Begriff der fraternitas wurde Vieles subsumiert: nicht nur berufsspezifische Kleriker-, Kaufmanns-,779 Handwerker- und Gesellenverbände, Wallfahrer-, Pilgergemeinschaften oder spätmittelalterliche Frömmigkeitsbruderschaften, sondern eben auch Bündnisse zwischen Städten und Herrschern oder Erbverträge.780 Das Ideal der fraternitas und ihre vertragliche Form wurden also sowohl im kirchlichen als auch im weltlichen Bereich gebraucht, wobei die Palette der Subjekte, die eine solche fraternitas ein776 Bereits ca. zweitausend Jahre zuvor sprachen sich die Herrscher gleichen Ranges mit »Bruder« an, etwa im Friedensvertrag zwischen Pharao Ramses II. und dem König der Chetitten, Hattusili III. (um 1270 v. Chr.). Diese Praxis setzte sich über die hellenistische Zeit und das römische Reich bis zum Mittelalter fort. Ziegler, Continuity and Discontinuity, S. 139–141. Auch zwischen christlichen und nicht christlichen Herrschern griff man auf den Ausdruck der Bruderschaft zurück, zum Beispiel in den Verträgen zwischen dem portugiesischen König und den asiatischen Herrschern im 16. Jahrhundert. Roelofsen, Treaties between European and Non-European Powers, S. 414. 777 Ein Typisierungsvorschlag der Bruderschaften von Hardtwig: 1. Wirtschaftliche Gemeinschaften, 2. Sozial-caritative Gemeinschaften, 3. Bildungs- und Unterrichts-Gemeinschaften, 4. Erziehungs-Gemeinschaften, 5. Ständische Gemeinschaften, 6. Asketische Gemeinschaften, 7. Devotionelle Gemeinschaften. Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution, S. 72. 778 Unter dem Ausdruck fraternitas verstand man im Mittelalter eine Norm des sozialen Handelns, die sich aus den Auffassungen des Frühchristentums entwickelte, in welchem sich die Christen gegenseitig als »Brüder« bezeichneten und sich als solche auch behandeln wollten. Priezel, Die Kalande, S. 36. 779 In der Literatur wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die älteren Kaufmannsgilden sippenrechtliche (verwandtschaftliche) Funktionen erfüllten. Diese wurden durch Eid begründet und beinhalteten: »umfassende Hilfepflichten im Falle von Not, Fehde- und Rachepflichten, Gerichts- und Eidhilfe (bis hin zum prozessualen Zweikampf) […] internen Frieden einschließlich des Verbots, Konflikte vor fremder Gerichtsbarkeit auszutragen«. Dilcher, Die genossenschaftliche Struktur, S. 103. Hinsichtlich dieser Funktionen wurden die älteren Gilden später von der Stadtgemeinde abgelöst. Ebd., S. 109. 780 Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution, S. 30–31. Interessant ist, dass sich die böhmischen Adeligen in Waffenstillstandsverträgen gegenseitig mit dem Begriff bratr prˇ&meˇrny´ (Waffenstillˇ ech#ch v polovineˇ 15. stolet&, S. 101. standsbruder) bezeichneten. Urfus, Z#sˇti v C
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gingen, sehr breit war – von Verbindungen auf höchstem Niveau – zwischen zwei Herrschern – bis hin zu privaten Verträgen zwischen einzelnen Untertanen.781 Die Brüderlichkeit ist aber nicht automatisch ein ausschließlich positiv besetzter Begriff. Aus der Bibel (Kain, Abel) und der Geschichte (Hl. Wenzeslaus)782 kann man den Schluss ziehen, dass die »Brudermorde« die »brüderliche« Liebe bei weitem überwogen. Der Appell an die positive Seite der Brüderlichkeit sollte solchen negativen Erscheinungen dieser entgegenwirken, »die Affekte des Menschen mäßigen und in sozial verträgliche Bahnen lenken«.783 »Die gegenseitige fraternitas setzt wie die amicitia die völlige rechtliche Gleichheit der Kontrahenten voraus, schließt daher die Oberhoheit des Kaisers über die Könige aus«.784 In dieser Hinsicht gab es keinen Kaiser, keine lehnsrechtlichen Bindungen, also auch keine hierarchische Ordnung. Die Brüder sollten wie Christen in Liebe und Frieden koexistieren. Fraternitas wurde zusammen mit anderen Ausdrücken verwendet (amicitia, confraternitas, universitas, collegium, caritas), deren Bedeutung und Inhalt sich oft mit fraternitas deckten.785 Wichtigster Bestandteil der fraternitas ist es, »dem« Bruder Hilfe und Rat zu leisten. Wer in einer puram, veram et sinceram fraternitatem verbunden ist, greift nicht zur Waffe, um seinem Bruder zu schaden, sondern um ihm in der Not gegen dessen Feind zur Seite zu stehen. Die Fürsten sollten einander wie Brüder behandeln, für alle Zeit auf Kriege gegeneinander verzichten und sich um die Gesundheit, das Leben und die Ehre des anderen kümmern.786 Die absolute Negierung des Krieges zwischen den Vertragspartnern ist hier ein wichtiges Moment. Damit zweifelten die Schöpfer des böhmischen Vertrages die Lehre 781 Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution, S. 71. 782 Die Brüdermorde stehen meistens im Zusammenhang mit dem Kampf um die Herrschaftsnachfolge. So war es auch im Fall des heiligen Wenzeslaus, Patron des Landes und der böhmischen Fürsten. Er wurde von Gefolgsleuten seines Bruders Boleslav des Grausamen umgebracht (935). 783 Van Eickels, Der Bruder als Freund und Gefährte. Fraternitas als Konzept personaler Bindung im Mittelalter, S. 205. 784 Wielers, Zwischenstaatliche Beziehungsformen im frühen Mittelalter, S. 102. 785 Hardtwig, Genossenschaft, Sekte, Verein in Deutschland vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution, S. 70. 786 Im Artikel zwei: conservationem sanitatis, vite et honoris eiusdem pro posse procurabimus. Der mittelalterliche Mensch definierte sich neben seinem Besitz, seiner Seele und seinem Körper durch seine soziale Ehre. Moeglin, Fürstliche Ehre, S. 77. Wie hoch die damaligen Fürsten den Ruf ihrer Ehre schätzten, kann man an dem langen »Ehrenstreit« zwischen dem Markgrafen Albrecht Achilles und dem Herzog Ludwig von Bayern-Landshut beobachten (ebd., S. 90–91) oder an dem Vorfall zwischen dem Markgrafen Albrecht und dem Pfalzgrafen ablesen, bei dem der Markgraf letzteren einen »Schalk« nannte und dieser darauf das Schwert zückte. Palacky´, Geschichte von Böhmen, S. 72. Die Gesellen hatten innerhalb der Adelsgesellschaften die Pflicht, die Ehre des anderen zu verteidigen, Ranft, Adelsgesellschaften, S. 171ff.
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vom gerechten Krieg an.787 Nur auf friedliche Art und Weise sollten die Fürsten und Könige ihre Streitigkeiten zukünftig regeln dürfen. Kein Krieg zwischen ihnen sollte ab diesem Zeitpunkt mehr gerecht sein. Darüber hinaus findet das Motiv der Brüderlichkeit auch in den Artikeln 4, 5, 12 und 19 des Friedensvertrages Ausdruck. In allen Fällen fungiert die Brüderlichkeit als ein Synonym für die zu schaffende Friedensliga, so dass fraternitas einerseits den ideellen Inhalt der brüderlichen Liebe und Zuneigung bezeichnet, andererseits den Zusammenschluss der Fürsten selbst. Durch eine untereinander zu schließende Vereinbarung sollten die Fürsten also eine Gesellschaft der »Gleichgeordneten« und eine eigene Rechtsordnung schaffen, die vor allem gegenseitigen Schutz und Beistand sowie die friedliche Streitbelegung zum Ziel hatte.788 Auf diese zweifache Funktion verweisen auch die im Vertragstext neben der Brüderlichkeit verwendeten Begriffe amicitia, unio und caritas. Im letzten Artikel der modernen Edition, der die Nummer 23 trägt, wird schließlich von vinculum fraternitatis gesprochen. Damit verwandelt sich der imaginäre Bund der Brüderlichkeit zu einem Kreis. Die geschlossene Form eines Bannkreises, einer Fessel oder einer Kette – vinculum – deutet die Ewigkeit an, denn futuris perpetuis temporibus, wie es im letzten Satz der Arenga heißt, sollte die Brüderlichkeit zwischen den Herrschern bestehen. Mit amicitia789 – der Freundschaft – zieht sich durch den Text der spätmittelalterlichen Friedensverträge ein weiterer Begriff, der seit jeher die zwischenmenschliche Zuneigung und friedliche Koexistenz bezeichnet und bereits von den antiken Juristen benutzt wurde.790 Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Inhalts der spätmittelalterlichen Freundschaft reicht leider nur bis in das Hochmittelalter.791 Für das späte Mittelalter steht wohl nur der Aufsatz von Lesaffer zur Verfügung, der keinen großen Unterschied zwischen den Konzepten der antiken Freundschaft und der amicitia der Renaissance sieht.792 Zum allgemeinen Inhalt des Konzepts der amicitia in dieser Periode gehörte in erster Linie die Nichtverletzung der Interessen des amicus, was vor allem hieß,
787 Steiger, Krieg und Frieden im europäischen Rechtsdenken, S. 96. 788 Mehr zu den drei Momenten der geschworenen Einung bei Oexle, Die Kultur der Rebellion, S. 120. 789 In den böhmischen Quellen: mil& prˇ#tel8 (liebe Freunde). 790 Epp, Amicitia, S. 177. 791 Althoff, Verwandte, Freunde und Getreue (1990); Amicitiae und Pacta (1992); Epp, Amicitia, S. 177; Fritze, Die fränkische Schwurfreundschaft der Merowingerzeit (1954), S. 74–125; Garnier, Amicus amicis inimicus inimicis (2000); Kolmer, Promissorische Eide im Mittelalter (1989); Paradisi, L’amicitia internazionale nell’alto medioevo, S. 178–225; Wielers, Zwischenstaatliche Beziehungsformen im frühen Mittelalter (1959). 792 Lesaffer, Amicitia in Renaissance Peace and Alliance Treaties (1450–1530), S. 96.
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dessen Feinde nicht zu unterstützen.793 Typischerweise sollte man dem Feind des Freundes keinen Durchzug durch die eigenen Länder erlauben und mit ihr freilich keine offizielle freundschaftliche Vereinbarung (Freundschafts- oder Friedensvertrag) treffen. Ein solches Bündnisverbot finden wir auch im böhmischen Vertrag, nämlich im Artikel zwei. Danach war es untersagt, sich an einer Verschwörung gegen eines der Bündnismitglieder zu beteiligen. Des Weiteren sollten jegliche Konflikte zwischen den befreundeten Fürsten794 und unter deren Untertanen friedlich beigelegt werden.795 In amicitia verbunden sollten die Parteien einander gerecht behandeln.796 Wie die fraternitas stellte auch die amicitia Gleichrangigkeit zwischen den Vertragspartnern her. Solange man freundschaftlich verbunden war, war man sich gleichgestellt. Sollte es unter den Freunden jedoch zu einem Krieg kommen, war es möglich, dass die alten Abhängigkeitsverhältnisse und Rangunterschiede wieder griffen.797 Die Freundschaft kommt in dem böhmischen Friedensvertrag auch in der Wendung amicitia et caritas vor. Die Caritas oder Liebe (selbstständig in den Zeilen 40 und 60 der Präambel und im Artikel 13) hob genauso wie fraternitas und amicitia das hierarchische Verhältnis unter den Parteien auf, ihr Inhalt war wieder breit gefächert.798 Dieses schon im 6. Jahrhundert von den Klerikergilden verfolgte Ideal799 der caritas sollte vor allem Auseinandersetzungen vermeiden und den Frieden sichern.800 Neben der Brüderlichkeit, der Freundschaft und der Liebe findet man noch den Begriff der concordia – der Eintracht (Präambel Zeile 64, Artikel 4 und 5). Als »Grundnorm freier Einungen«801 gehörte diese zum Wertesystem mittelalterlicher Gilden und Kommunen.802 Die Einschwörung auf Brüderlichkeit, Freundschaft und Liebe, nach denen die Vertragsparteien handeln sollten, sollte die Einhaltung des Friedens für die
793 Zu dieser aus dem Marinischen Traktat als Beispiel angeführten Formulierung – ita quod unusquisque qui interbit in fraternitate sit amicus de amicis et inimicus de inimicis – siehe Fn. 474. 794 In den Quellen ist auch die Rede von der angeborenen adeligen Freundschaft als ein »mit dem Fürstenstand vorgegebenes und dem sozialen und rechtlichen Verbandsdenken entsprechendes, nicht gewillkürtes Verwandtschaftsverhältnis«. Isenmann, Kaiserliche Obrigkeit, S. 481. 795 Lesaffer, Amicitia in Renaissance Peace and Alliance Treaties (1450–1530), S. 94. 796 Nietmann, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230–1449, S. 434. 797 Von Eickels, Freundschaft im (spät)mittelalterlichen Europa, S. 25. 798 Kolmer, Promissorische Eide im Mittelalter, S. 215. 799 Oexle, Die mittelalterlichen Gilden, S. 215. 800 Fritze, Die fränkische Schwurfreundschaft der Merowingerzeit, S. 98. 801 Oexle, Friede durch Verschwörung, S. 145. 802 Ebd., S. 129.
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Zukunft in gewisser Weise absichern.803 Die Herrscher waren aufgerufen »Streitsachen, die sich häufig aus der Nachbarschaft der Fürsten ergaben, gütlich beizulegen oder von vornherein abzuwenden, keine Kriege aus expansiven Gründen gegen den Freund zu führen, sondern die Ansprüche des Anderen zu achten und im besten Fall die Herrschaft des Freundes bewahren zu helfen«.804 Wurden die Gebote der Freundschaft verletzt – vor allem Rat und Hilfe nicht geleistet – leitete man regelmäßig keine rechtlichen Schritte ein, sondern appellierte vielmehr an die geschlossene Freundschaft und ihren Inhalt im Sinne einer Herrschertugend.805 Im oben angeführten Artikel eins des böhmischen Friedensvertragstextes versprachen die Könige, eine reine Bruderschaft einzugehen und bei Streitigkeiten unter keinen Umständen zur Waffe zu greifen.806 Der Krieg unter den Ligamitgliedern wird absolut verworfen und es gibt keinen »legitimen« Grund, ihn zu rechtfertigen. Unterstützung sagte man dem Bruder zu, der absque legitimo edicto807 angegriffen wurde. Wenn ein »Bruder« also ohne eine rechtliche Grundlage angegriffen werde, wollten ihm die übrigen vertraglichen »Blutsverwandten« zu Hilfe kommen. Artikel eins des Friedensvertrages muss im Zusammenhang mit Artikel vier gelesen werden, in dem die Anforderungen an die Unschuld des Ligamitglieds noch mit anderen Worten beschrieben werden. Die Bundesversammlung musste danach einschreiten, wenn ein Mitglied von einer Macht, die vorher von den Mitgliedern nicht provoziert oder belästigt worden war (a nobis non lacessitos nec provocatos), mit Krieg überzogen würde. Die Aggression musste also von außen kommen und durfte nicht Folge einer eigenen Provokation oder Belästigung sein. Damit wollte man verhindern, dass ein Ligamitglied die von der Liga geleistete Unterstützung im Kampf zur Durchsetzung eigener machtpolitischer Zwecke ausnutzte.808 Wie aber sah diese Hilfe aus? Zuerst sollte eine Gesandtschaft (oratores sol803 804 805 806
Steiger, Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik?, S. 330. Müller, Besiegelte Freundschaft, S. 70. Ebd., S. 74. Im späten 15. Jahrhundert wurde die Fehde unter den Mitgliedern der Adelseinungen in weitem Umfang eingedämmt. Sie mussten sich bei Streitigkeiten dem Leitungsgremium stellen, welches ein Schiedsgericht bestellte und die Auseinandersetzung regelte. Carl, Adelseinungen, S. 419. 807 In der Literatur wurde bereits auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass der Ausdruck absque legitimo edicto hier einen Bogen zur Theorie des gerechten Krieges schlägt und in dem Sinne zu verstehen ist, dass der Angriff ohne einen obrigkeitlichen Befehl stattfindet. Vaneˇcˇek, Historicky´ vy´znam projektu kr#le Jirˇ&ho, S. 28. Die auctoritas – Ermächtigung (durch die Kirche oder einen Herrscher) – gehörte neben persona, res, causa und animus zu den Bedingungen unter welchen ein Krieg für gerecht gehalten wurde. Ausdrücklich ist dies im Dekretum Gratiani (C. 23 q.2 c.1) in einem Satz vorgesehen, den sein Schöpfer von Isidor von Sevilla übernahm: Iustum es bellum, quod ex edicto geritur de rebus repetendis, aut
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lempnes)809 auf Kosten der Gemeinschaft zu den Parteien geschickt werden, um an einem für sie passenden Ort eine gütliche Einigung in die Wege zu leiten. propulsandorum hominum causa. Ziegler, Zum ›gerechten Krieg‹, S. 179 und 181. Dieses Prinzip findet auch in den Quellen Ausdruck: Sollte ein Mitglied der Landfriedenseinung, die unter den Pfalzgrafen Ludwig und Otto, Markgraf Jakob von Baden und den Grafen Ludwig und Ulrich von Württemberg am 28. Juni 1440 vereinbart wurde, wider recht bekrieget werden, dann hieß es: demselben (…) wollen wir die andern heren in hilf und raut bigestendig und beholfen sin… als ob dieselben sachen unser ieglichen in sonderheit allein angiengent. RTA, ä.R., Bd. 15, S. 422. Im gelehrten Recht herrschte außerdem die Regel, dass wenn ein Verbündeter selber den auf ihn gezielten Angriff verursacht haben sollte, seine Alleaten nicht verpflichtet waren, ihm zu helfen. Quidam promisit defendere meum castrum:comisi delictum, ita quod exercitus sit: quaeritur, an iste teneatur defendere? Et certe, non teneatur defendere, quando iuste sibi infertur bellum. Bartolus, In Secundam ff. Novi Partem (Basileae 1588), Fol. 148v, unter Nr. 5. Genauso wollten sich die Mitglieder des böhmischen Bündnisses von Strakonice (vom 8. Februar 1449) nicht dazu verpflichten, dem Bündnismitglied im Falle eines willkürlichen (sw8wolneˇ) Angriffsakts beizustehen: Item byloliby, zˇeby se kto z tohoto nasˇeho jednostejn8ho z#pisu a swolen& chteˇl proti komu wztrhnfflti sw8wolneˇ, a w#lku neboli kterffl jinffl nesn#z pocˇieti a ji w8sti, takoˇ , Bd. 2, w8mu nejsem ani by´ti chcem zaw#z#ni, takow8 jeho sw8wolnosti pom#hati. AC S. 245. 808 Eine ähnliche Regel bestand bei den Adelseinungen, die dem angegriffenen Mitglied Schutz und Hilfe gewährleisteten, es sei denn, es begann ohne vorherige Provokation eine Fehde. Dann gebührte ihm nicht einmal Rechtshilfe. Carl, Adelseinungen, S. 418. Vgl. die Ergebnisse der Untersuchung von Hirsch, wonach in den Bündnisverträgen die Hilfe dem angegriffenen Mitglied »mit aller Macht« geleistet werden sollte, wohingegen bei der Fehde feste Truppenkontingente vorgesehen waren. Hirsch, Generationsübergreifende Verträge, S. 63. Das gelehrte Recht war in dieser Hinsicht eindeutig. Es stellte keinen Vertragsbruch dar, wenn der Bündnispartner Hilfeleistung bei einem Agressivkrieg ablehnte. Dicendum est ergo, quod gravetur pro necessariis, non pro voluntariis guerris et per illis quae alteri ipsorum moverentur, non pro illis quas alter ipsorum sponte moveret alteri. De Castro, Consilia, Bd. I., Con. 297, Fol. 153va. 809 Im 15. Jahrhundert ist die Terminologie bezüglich der Gesandten noch unterschiedlich und im Gebrauch nicht ganz verfestigt. Als König Ladislaus im November des Jahres 1455 den Landesverweser Georg von Podiebrad in Begleitung von anderen Räten zum Friedensabschluss mit Friedrich, dem Herzog von Sachsen schickte, und diese zu nostros veros et legittimos oratores, procuratores, actores, administratores ernannte, sah er sich gezwungen, noch sive quovis alio nomine nuncupari melius possunt ausdrücklich dazu zu schreiben. ˇ , Bd. 15 (1896), S. 216. Neben orator kann man in den Quellen auch auf commissarius, AC secretarius, deputatus, consilliarius, legatus, nuntius, procurator und später auf amboxiator treffen. Adamov#, Strucˇn8 deˇjiny diplomacie, S. 95. Die Gesandten der deutschen Hanse werden im 16. Jahrhundert als deputati bezeichnet. Reibstein, Das Völkerrecht der deutschen Hanse, S. 60. Interessant ist, dass die Schöpfer des böhmischen Friedensvertragstextes den Gesandten in unterschiedlichen Aufgaben auch unterschiedliche Adjektive zuwiesen. Im Artikel 4 werden zu der Schlichtung des Konflikts oratores sollempnes (feierliche Gesandte) geschickt. Im Artikel 16 dagegen sollten die Herrscher und Fürsten in der zu schaffenden Bundesversammlung durch oratores notabiles et magne auctoritatis viros (bedeutende und angesehene Männer) vertreten werden. Diese Unterscheidung ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass es zu dieser Zeit eine allgemeine Vorstellung darüber gab, dass unterschiedliche Aufgaben eben durch verschiedene Vertreter erledigt werden sollten. Auch König Georg benutzte für seine ausländischen Missionen unterschiedliche Vertreter. Während Marini offensichtlich geeigneter war, mit dem französi-
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Zunächst sollte also der Pfad der Mediation810 beschritten werden. Schlug diese fehl, sollten sich die Gesandten der Liga darum bemühen, dass die zerstrittenen Parteien arbitros eligant und sich deren Urteil unterwerfen.811 Außerdem bestand die Möglichkeit, den Streit vor das gemeinsame Gericht der Liga zu bringen. Erst wenn diese Wege allesamt erschöpft waren, wurde das angegriffene Mitglied finanziell (auf Grund einer unanimi et concordi sententia – Entscheidung der Bundesversammlung) von seinen Bundesgenossen unterstützt,812 und zwar solange und mit so vielen Mitteln, wie es die (wieder einstimmig oder durch Mehrheitsentsbeschluss handelnde) Bundesversammlung bestimmte.813 Diese Verfahrensweise, derzufolge zuerst die friedlichen Möglichkeiten der Streitschlichtung auszuschöpfen waren, ist keine Erfindung des böhmischen Friedensvertrages, sondern entsprach der üblichen Praxis. So wurde etwa die mili-
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schen, ungarischen, polnischen König und der Serenissima zu verhandeln, setzte Georg den deutschen Juristen Dr. Mair vor allem in den Reichsangelegenheiten ein, beispielsweise bei seinen Bemühungen um den deutschen Thron. Die Frage, wie der Herrscher geeignete Gesandte für eine spezielle Mission auswählen sollte, gehörte zu den größten Themen. Das zu dieser Zeit praktizierte Gewohnheitsrecht bezüglich der Gesandten ist in einigen Traktaten niedergelegt, etwa bei Martinus Garatus: Tractatus de Legatis maxime Principum; Johannes Bertachinus: Ambasiator oder Bernardus De Rosergio: Ambaxiator Brevilogus. Eine komplette Liste der Traktate zu diesem Thema liefert Behrens, Treatises on the Ambassador, S. 617, Fn. 1. Etwas über einhundert Jahre später nahm Alberico Gentili in seinem Werk De Legationibus Libri Tres eine gewisse Aufteilung der Gesandten im europäischen Raum je nach deren Wichtigkeit vor – Storti, Foedus, amicitia e societas, S. 361– 362. Im Bündnisvertrag zwischen Jodok, dem Markgrafen von Mähren, Albrecht, dem Herzog von Österreich, und Sigmund, König von Ungarn, wollen die Parteien zuerst den Angreifer biten und weisen [sullen], so wir freuntlichisten mugen, daz er von solchem dringen und anvallen lasse …. Wer aber, daz derselbe des nicht gevolgig wer, sunder daruber sulhe hindernusse oder anvalle tete, so sullen wir der oder die andern dheiner auf den andern nicht weigern, sunder wir sullen und wellen dem oder den unter uns, der oder die also gehindert oder angevallen weren, als bald wir von dem oder den darumbe ermant oder angeruft werden, geraten beistendig und geholfen sein mit aller unser macht. C.d.m, Bd. 12, S. 54. Einer in den interterritorialen Verträgen häufig vereinbarten Vorgehensweise nach – so auch im Bündnisvertag zwischen König Vladislav II. und dem Kurfürsten Albrecht (siehe Fn. 192) – sollten die Schiedsleute mit Fleiß versuchen, uns (die Parteien) freundtlich, und güttlich mit einander zu verainen, wo sie aber des güttlich nicht finden möchten, sollen Sie Macht haben, Recht zwischen unserer darumb zu sprechen. Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus, Sp. 1528. An dieser Stelle sei unterstrichen, dass der Podiebradsche Vertragstext in Artikel vier ausdrücklich festlegt, dass das angegriffene Mitglied seine Bundesgenossen nicht gesondert um Hilfe ersuchen muss (Hilfe a collega nostro oppresso non requisita). In den spätmittelalterlichen Verträgen war eher das Gegenteil die Regel, nämlich dass die von der äußeren Macht angegriffene Partei die Hilfe bei ihren Verbündeten anfordern musste. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass eigentlich viele einfache, nicht institutionalisierte Bündnisse der damaligen Zeit in ihren Bündnisverpflichtungen über den Podiebradschen Friedensvertrag hinausgingen. Zwar bestand bei ihnen vielleicht das Erfordernis, gegenseitige Hilfe anzumahnen, jedoch war diese dann ohne zusätzlichen Beschluss der Bündnismitglieder zu leisten.
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tärische Hilfe für eine angegriffene Hansestadt erst dann in die Tat umgesetzt, wenn alle zur Verfügung stehenden friedlichen Mittel (Verwendungsschreiben, Rechtserbieten, Angebot von Vermittlung durch neutrale Städte usw.) nicht zum Erfolg geführt hatten.814 Die Bedingungen einer militärischen Unterstützung für ein angegriffenes Mitglied lassen sich mithin folgendermaßen zusammenfassen: Der Krieg oder die Fehde durften nicht aus einem berechtigten Grunde angefangen worden sein, das angegriffene Mitglied oder die Fürstenliga durften diese also nicht selbst provoziert haben. Im letzteren Falle war nämlich ein begründeter (gerechter) Krieg gegen das Ligamitglied zugelassen und die anderen Mitglieder waren nicht verpflichtet, ihm zur Seite zu stehen. Die auf Artikel vier folgende Bestimmung des Vertragstextes nimmt direkt auf diesen Bezug. Darin verlangten die Autoren des böhmischen Textes von den künftigen Signataren, dass diese sich um Wahrung des Friedens auch mit Parteien außerhalb des Bundes bemühen sollten. Die Vertragsparteien waren für den Fall, dass ein Konflikt nicht auf dem Wege der Vermittlung oder durch Schiedsrichter (amice vel in iure)815 beigelegt werde, sogar dazu berechtigt, entsprechend der in Artikel vier stipulierten Weise zu verfahren, also denjenigen, der den Krieg oder die Fehde begann, bzw. nicht davon absehen wollte, mit militärischer Gewalt zur Räson zu bringen. Diese weitgehende Verpflichtung zur Friedenswahrung lässt sich aus dem Umstand erklären, dass die mittelalterlichen Gebiete durch verschiedene vertragliche und verwandtschaftliche Bindungen verflochten waren.816 Auch ein entfernter Krieg konnte infolgedessen Auswirkungen auf viele andere Territorien haben, wenn nämlich ein Herrscher Hilfeleistung schuldete, der zugleich potentielles Mitglied der angestrebten Friedensliga war. In diesem Fall wäre der kriegerische Konflikt in die Friedensliga hineingetragen worden, was es zu vermeiden galt. Zusammenfassung Die Brüderlichkeit war, zusammen mit der Freundschaft, Liebe und der Eintracht, die wichtigste Kohäsionskraft des mittelalterlichen sozialen Lebens. Die Brüderschaft stellt im Prinzip eine Steigerung zur Freundschaft dar, wobei eine scharfe inhaltliche Trennung aufgrund ihrer engen Verflechtung nicht möglich ist. Durch die Beschwörung der Bruderschaft und der Freundschaft sollten die 814 Jenks, Friedensvorstellungen der Hanse (1356–1474), S. 429. Überblick zur Diskussion über die Rechtsnatur der Hanse bei Distler, Städtebünde, S. 53ff. 815 Vgl. zur unterschiedlichen Vermittlung durch arbitrator und arbiter Fn. 572 und allgemein zum Schiedswesen unter : D.IV.4. Instrumentum compromissi. 816 Dazu war es noch möglich, die Fehde nicht nur in eigener Sache, sondern auch pro amico zu führen. HRG Bd. I. (1971), Sp. 1091.
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Fürsten eine Art Gleichrangigkeit untereinander etablieren. Zu den wichtigsten Aspekten dieser Beziehung gehörte, den Bruder nicht anzugreifen oder sein Leben zu gefährden sowie seine Ehre nicht anzutasten. In diesem Zusammenhang ist auf einen Aspekt hinzuweisen, den Oschema und Thiessen treffend hervorgehoben haben: »Ein Konflikt, der heute als entscheidendes Element für die Ausprägung einer nationalen Identität in den beteiligten Reichen gilt, konnte mittelalterlichen Autoren also als Kampf zwischen Personen gelten. Angesicht dieser Darstellungstradition überrascht es nicht, dass auch die Lösungsansätze für Konflikte häufig in personalisierte Form gefasst wurden. Praktisch bedeutet dies, dass oftmals von Freundschaft (amicitia, amiti8) und Liebe (amor, amour) die Rede ist, wo wir eher nüchterne politische Konzepte erwarten würden, etwa jene der Allianz und des Bündnisses, die auch den Zeitgenossen keineswegs unbekannt waren«.817 Diese gleichsam europaweite Verbindung der Fürsten in einem Bruderschafts- und Freundschaftsverband, der eine vielleicht stärkere Bindungswirkung als Blutsverwandtschaft hätte entfalten können, hätte eine neue Ordnung im Okzident begründet. Der enge Zusammenschluss der Könige und Fürsten als Brüder, Freunde und Genossen wäre als ein Gegenpol zur kaiserlichen Herrschaft entstanden.818 b)
Auxilium et consilium
Eng mit den Konzepten der Brüderlichkeit und der Freundschaft verbunden ist die »Rat- und Hilfeleistung«,819 die in fast jeder spätmittelalterlichen Vertragsbindung Erwähnung findet und von Brunner als »eine der Grundkategorien mittelalterlicher Ordnung« eingestuft wurde.820 Diese aus dem Lehnsrecht stammende Formel fand bereits gegen Ende des sechsten Jahrhunderts Eingang in die Friedensverträge.821 Nach der Lehnsrechtslehre war der Vasall verpflichtet, seinem Lehnsherrn in sechs Bereichen Rat und Hilfe leisten.822 Im praktischen Leben handelte es sich vor allem um 817 Oschema/V. Thiessen, Freundschaft, Fürsten, Patronage, S. 28–29. 818 Ähnlich bei den Adelsgesellschaften, die durch den promissorischen Eid an andere Genossen stärker gebunden waren als an ihren Lehnsherrn. Ranft, Adelsgesellschaften, S. 199. 819 Auxilium vel consilium praestare heißt es in den meisten Quellen, man begegnet aber auch den Ausdrücken favorem, assistentiam, audiutorium, subsidium praestare. In den deutschen Quellen heißt es hier meist: hilf und beystand trewlichen beyeinander steet und beleiben oder geholfen und geraten wie im Landfriedensbund des Königs Wenzel IV. mit dem Pfalzgrafen bei Rhein und dem Herzog von Bayern zugleich, u. a. siehe Fn. 690, C.d.m., Bd. II, S. 1143–1144. 820 Brunner, Land und Herrschaft, S. 271. 821 Mitteis, Politische Verträge im Mittelalter, S. 76–140. 822 Feudorum liber II. Tit. VI.: incolume: ne sit in damno domino suo de corpore suo, tutum: ne
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Beistand bei militärischen Aktivitäten des Herrn,823 was oft zu heftigen Protesten seitens der Adeligen führte, weil sie die dabei anfallenden finanziellen Lasten alleine tragen mussten.824 Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Bestimmungen bezüglich der geschuldeten Unterstützung immer detaillierter. Die Forschung hat herausgearbeitet, dass die Beschreibung der zu leistenden Hilfe zu Beginn des 13. Jahrhunderts noch sehr allgemein gehalten war. Am Ende desselben Jahrhunderts finden sich dagegen detaillierte Angaben, sei es zur Anzahl der zur Verfügung zu stellenden Krieger, zu deren Verpflegung oder zur Organisation des kriegerischen Konflikts.825 Einerseits sollte ein angegriffenes Mitglied durch Rat und Hilfe unterstützt werden, andererseits war es verboten, diese Hilfe demjenigen zu gewähren, der gegen ein Mitglied konspirierte. Auch die Konspiration durch Dritte gegen ein Ligamitglied oder gar eine Unterstützung der bzw. Verbindung mit den Konspirierenden waren untersagt (Artikel 2). Verband sich jemand mit dem Feind,826 würde er selbst als ein solcher angesehen.827 Stattdessen sollte man die Verhaltensweisen eines echten Bruders an den Tag legen, das heißt für die Erhaltung der sanitatis, vite et honoris des Partners Sorge tragen.
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sit ei damno de secreto suo, vel de munitionibus suis per quas esse tutus potest honestum; ne sit ei damno de sua justitia, vel de aliis causis quae ad honestatem eius pertinere videntur utile: ne sit ei in damno de suis possessionibus facile vel possibile- ne id bonum quod dominus suus leviter poterat, faciat ei difficile, neve id quod possibile ei erat faciat impossiblie. Beiseite gelassen werden hier die ethischen und moralischen Normen, die als zweite Seite der Medaille das Rechtsverhältnis zwischen dem Vasallen und seinem Lehnsherrn vervollständigen und die grundsätzlich helfen, das Lehnsverhältnis in seiner Komplexität zu verstehen. Cardini, La pace come tregua di una guerra continua, S. 20. Interessant ist jedoch die Tatsache, dass die Vasallen eines Herrn zur gegenseitigen Hilfeleistung nicht verpflichtet waren. Althoff, Verwandte, Freunde, S. 142. Die Nichtgewährleistung der Hilfe und des Rats gegenüber dem Lehnsherrn hatte hingegen Folgen. Sollte zum Beispiel der Vasall seinen Herrn im Krieg im Stich lassen, war dies ein Grund für den rechtmäßigen Verlust seines Lehns. Quaglioni, »Le ragioni della guerra e della pace«, S. 121. Et auxiliorum neque unum hoc genus est. Nicht nur militärische Hilfe kann dem Bündnispartner als Beistand geleistet werden, es existieren auch noch andere Arten von Unterstützung. Mit Verweis auf D. 25.05.19 Gentili, De iuire belli, Lib. III, Kap. XVIII, S. 373. Hinzu kam der Beistand in politischen Angelegenheiten im Sinne der Beratung des Superiors. Dies war auch einer der Streitpunkte zwischen der Grünberger Liga und Georg von Podiebrad. Vgl. den Haupttext zu Fn. 369. Garnier, Amicus amicis inimicus inimicis, S. 167. Dies war eine gängige Bestimmung in den Friedensverträgen, vgl. Artikel 17 des Podiebradschen Friedensvertrages; vgl. Artikel 23 des Friedensvertrages von Brest (31. 12. 1435) zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden. Weise, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert, S. 205. Quaestio 26: Si quis facit confederationem cum inimico, praesumitur inimicus, quia confederati sunt eiusdem intentionis et voluntatis (mit Verweis auf den Kommentar zur Codexstelle C. 03.28.28. von Baldus). Garatus, Tractatus de confederatione, pace et conventionibus Principum, Fol. 302v.
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Analyse des Friedensvertragstextes
Streitbeilegung unter den Herrschern
Durch die Wahl des Schiedsverfahrens als einer Methode zur Lösung von Konflikten unter den Herrschern griffen die Schöpfer des Friedensvertrages zu dem im Spätmittelalter am weitesten verbreiteten Streitbeilegungsverfahren, sei es im »privaten«828 oder im »interterritorialen« Bereich. Generale consistorium – ein Generalkonsistorium, ein gemeinsames Gericht sollte durch eine Mehrheitsentscheidung der Bundesversammlung gebildet werden.829 Um die Bestellung des gemeinsamen Schiedsgerichts zu begründen, bedienten sich die Autoren des Friedensvertragstextes mehrerer Passagen aus dem Liber Augustalis.830 Dies war nicht das erste Mal, dass man in Böhmen aus den Werken der sizilianischen kaiserlichen Kanzlei schöpfte. Als der deutsche Kaiser und der böhmische König Karl IV. die Prager Universität begründete, wurden in der Präambel der Gründungsurkunde Stellen aus der Sammlung von Petrus de Vinea übernommen.831 Das spätere Gesetzbuch Karls VI. für das Königreich Böhmen, die Maiestas Carolina von 1355, weist ebenfalls zahlreiche aus den sizilianischen Gesetzen stammende Passagen auf.832 Verum cum pacis cultus a iusticia et iusticia ab illo esse non possit heißt es im ersten Satz des neunten Artikels des Friedensvertragstextes.833 Durch die 828 Gerade in der privaten Sphäre stellte ein Schiedsgericht eine Alternative der Streitbeilegung zu dem formal anspruchsvollen ordo iudiciarius dar. 829 Die Bestellung des Schiedsgerichts durch eine (Bundes)Versammlung war ein auch bei den mittelalterlichen Gilden übliches Verfahren. Oexle, Die Mittelalterlichen Gilden, S. 211. 830 Die am 01. September 1231 feierlich erlassenen Gesetze des sizilianischen Königreiches wurden mit größter Wahrscheinlichkeit von Petrus de Vinea unter der Mitwirkung des kampanischen Bischofs Giacomo Amalfitano in einer Kompilation zusammengestellt. Kaiser Friedrich II. wollte nach seiner kriegerischen Unternehmung gegen die Liguren das sizilische Königreich wieder befrieden. Stürner, Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, S. 87. 831 Hlav#cˇek/Kasˇpar/Novy´, Vademecum pomocny´ch veˇd historicky´ch, S. 227. Es gab Verbindungen zwischen dem böhmischen Königreich und Kaiser Friedrich II. Noch als sizilianischer König bestätigte er im Jahre 1212 dem böhmischen Fürsten Prˇemysl Otakar I. seine königliche Würde in jenem Dokument, das in die Geschichte unter dem Namen Goldene Sizilianische Bulle einging. Im Jahre 1231 erließ er die Bulle von Melfi, mit der die Thronnachfolgerschaft von Otakars Sohn Wenzel I. besiegelt wurde. Kann es sein, dass gerade durch diese engen Kontakte eine Abschrift der melfitanischen Konstitutionen nach Prag gelangte? Die böhmische königliche Kanzlei scheint auch später gewisse Verbindungen zu der kaiserlichen Kanzlei gehabt zu haben. Zur Zeit von Prˇemysl Otakar II., dem Nachfolger von Wenzel I., wirkte Heinrich von Isernia in der staufischen Kanzlei, bevor er im Jahre 1274 als Notar der böhmischen königlichen Kanzlei seinen Dienst in Prag aufnahm. In neuerer Zeit wird die Meinung vertreten, dass er an das Werk von Petrus de Vinea, den Notar von Friedrich II., anknüpfte. Nechutov#, Die lateinische Literatur des Mittelalters in Böhmen, S. 130. 832 Weitere Hinweise bei Hergemöller, Maiestas Carolina, S. XXI.–XXII. 833 »Da indessen Friedenspflege ohne Gerechtigkeit und Gerechtigkeit ohne jene nicht möglich ist (…)«. Erstes Buch (des Liber Augustalis), achtes Kapitel mit der Überschrift: De cultu
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Übernahme dieser Textstelle aus dem Liber Augustalis griffen die Autoren auf eine ausgefeilte christliche Lehre zurück. Zum Doppel pax et iustitia834 sind in der Bibel zwei wichtige Textpassagen zu finden; zum einen bei Jesaja (32, 17): et erit opus iustitiae pax et cultus iustitiae silentium et securitas usque in sempiternum;835 zum anderen im Psalm 84,11, in dem sich die Gerechtigkeit und der Friede küssen und die Barmherzigkeit und die Wahrheit einander treffen.836 Wie es im Buch Jesaja heißt, muss der Friede als Folge der Gerechtigkeit verstanden werden.837 Da die Gerichtsordnung (ordo iudiciorum) aber vielen Veränderungen (multas mutationes) unterlegen habe und auch durch die Rechtsprechung abgeändert worden sei, hielten die Autoren des Podiebradschen Friedensvertragstextes sie für »völlig verworren«.838 Den neuen Missständen sollte mit neuen Mitteln begegnet werden – novis abusibus nova remedia reperire839 –, durch die ehrbare Menschen belohnt und Übeltäter mittels schwerer Strafen dauernd niedergehalten werden sollten – virtuosi ditentur premiis et viciosi continuis penarum maleis conterantur.840 Es bestand also die Notwendigkeit, ein
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pacis et generali pace in regno servanda bei Stürner, Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, S. 158, Zeile 25. Pax und iustitia gehörten gemeinsam mit misericordia und veritas zu den mittelalterlichen Kardinaltugenden. Kakridi, Cassiodors Variae: Literatur und Politik im ostgotischen Italien, S. 154. Sie spielten eine wichtige Rolle für den göttlichen Richterspruch. In diesem entschieden sie über das Schicksal des Menschen. Weiss, Die deutschen Mystikerinnen und ihr Gottesbild, S. 1783. Die Tugenden gruppierten sich in zwei Paare: Iustitia und veritas gegen misericordia und pax. Dies entstamme einem Streit der Töchter Gottes über das weitere Schicksal des Menschen, nachdem er der Sünde verfallen war. Jede der Schwestern vertrat die eigene, aus ihrer Natur begründete Haltung. Mäder, Der Streit der Töchter Gottes, S. 24. Dieses Themas der streitenden Tugenden bedienten sich die Prediger im hohen und späten Mittelalter sehr oft, wie sich in zahlreichen mittelalterlichen Schriften hierzu zeigt. Mäder, Der Streit der Töchter Gottes, S. 7. Vor allem der im Haupttext genannte Psalm war eine der am häufigsten erörterten Bibelstellen. Zu den Klassikern seiner Kommentierungen gehört die Aussage von Bernhard von Clairvaux: »In der Sünde aber fiel der Mensch unter die Räuber, wurde nackt und dieser vier Eigenschaften beraubt«. Weiss, Die deutschen Mystikerinnen, S. 1783. Die Behandlung und bildliche Darstellung dieses Psalms überschritt gleichwohl nicht die Grenzen der kirchlichen Predigt und »ist für die Entwicklung eines christlich-weltlichen Rechtsbegriffs nicht wirksam geworden«. Hattenhauer, Pax et iustitia, S. 15. »Das Werk der Gerechtigkeit wird der Friede sein, der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit für immer«. Misericordia et vertias occurrerunt iustitia et pax deosculatae sunt. Hagenlocher, Der guote vride, S. 186. Artikel 9 des Friedensvertragstextes: Confusus iudiciorum ordinem considerantes. Zeile 3, Leges Extravagantes, 8–10, Stürner, Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, S. 469. Diese und ähnliche Redewendungen, wie etwa das auch newen kranckhaiten new artzney zugeaignet werden (cum novis morbis nova conveniat antidota preparari, mit Verweis auf Liber Extra), scheinen zu den beliebten und wiederholten Klassikern zu gehören. Isenmann, Reichsrecht und Reichsverfassung, S. 574. Zeile 6, Leges Extravagantes, 8–10, Stürner, Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, S. 469.
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neues Recht zu schaffen. Dieses sollte iuxta novorum temporum841 – gemäß den Bedürfnissen der neuen Zeiten – und aus den unterschiedlichen Bräuchen, Gewohnheiten und Satzungen – diversarum provinciarum, regnorum et principatuum nostrorum – der verschiedenen Länder, Königreiche und Fürstentümer der Ligamitglieder sowie aus dem Naturrecht – de nature gremio – entstehen. Mit dem neuen Recht, das nach Artikel neun vom gemeinsamen Gericht geschaffen werden sollte, wollte man mithin eine neue Rechtsmaterie zur Entstehung bringen, eine Rechtsordnung, die die Herrscher binden sollte – etwas, das später als Völkerrecht bezeichnet wird. Die beiden Hauptquellen dafür identifizierten die Autoren des böhmischen Vertrages in einer beeindruckenden Einfachheit und Klarheit. Während das Naturrecht für alle Menschen gleich anwendbare Rechtssätze bereit halte,842 die zu ihrer Geltung keiner weiteren Autorität bedürften, erlange das Gewohnheitsrecht den Status allgemeiner Rechtssätze durch die Rechtsausübung zwischen den Mächten Europas. Dabei ging es jedoch nicht nur um Gewohnheiten und Gebräuche, die im Verhältnis zwischen den verschiedenen Mächten herrschten, sondern auch um diejenigen innerhalb der Königreiche, also solche Normen, denen man heute einen »innerstaatlichen« Charakter beimessen würde. So wurden das Naturrecht und das Gewohnheitsrecht nebeneinander bestehend zu einer Rechtsgrundlage, die die Fürsten in ihren Verträgen weiter entwickelten und die die Basis für das Völkerrecht bildete.843 Indem die Autoren des Friedensvertrags aber das zu schaffende Recht (Völkerrecht) dem Naturrecht zuordneten, blieben sie der mittelalterlichen Tradition verhaftet.844 Erst mit den Spätscholastikern ein Jahrhundert später wurde das internationale Recht Teil des positiven Rechts, wobei die starke Verbindung zum Naturrecht weiter fortbestand. Es stellt sich daher die Frage, ob man die Bestimmungen des böhmischen Friedensvertrages in dem Sinne auslegen darf, dass sie die Entstehung des »modernen« Völkerrechts ankündigten oder ob man lediglich davon sprechen kann, dass sie nach einem im mittelalterlichen Verständnis neuen ius gentium verlangten. Dies hängt mit einer weiteren Überlegung zusammen – die durch die hussitischen Kriege ausgelöste historische Entwicklung könnte in Böhmen einen Trend angestoßen haben, der sich im restlichen Europa erst mit der Reformation durchsetzte: die schrittweise Ersetzung des, mit der Schwächung der »kirchliche[n] konfessionelle[n] Bindung«845 verloren gegangenen Bezugs, zu den religiösen Grundlagen des Friedens durch die Bindung an das rationale Naturrecht. Doch darf nicht vergessen 841 Ebd., Zeile 2. 842 Steiger, Krieg und Frieden im europäischen Rechtsdenken, S. 90. 843 Ebd., S. 90. Kintzinger spricht, unter weiteren Verweisen, von der »zentrale[n] Rolle bei der Ausbildung des Völkerrechts«. Kintzinger, »Qui desiderat pacem praeparat bellum«, S. 41. 844 Janssen, Die Anfänge des modernen Völkerrechts, S. 12. 845 Steiger, Vom Völkerrecht der Christenheit zum Weltbürgerrecht, S. 176.
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werden, dass dieses noch bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts auf den göttlichen Willen zurückgeführt wurde. Erst in der späteren Entwicklung begründete man den Frieden mit dem Recht und nicht mehr mit religiösen Motiven. Das von der Bundesversammlung bestellte Schiedsgremium sollte also durch seine Tätigkeit ein neues Recht schaffen. Diese starke Verflechtung von gesetzgeberischer und (schieds-)richterlicher Funktion, die wahrscheinlich von den heutigen Juristen mit Skepsis betrachtet würde, war im Mittelalter gängig. Zu dieser Zeit ging eine Norm ihrer Anwendung nicht voraus, sondern entstand gleichzeitig mit ihr – dafür kann die Praxis des böhmischen Landgerichts846 als Beispiel dienen. Das neu geschaffene Recht hätte freilich von den Parteien anerkannt werden müssen, was aber automatisch mit dem Vertragsschwur geschehen wäre.847 Die ausschließliche Unterwerfung848 unter ein im Fall von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern zuständiges gemeinsames Gerichtsgremium war dagegen ausdrücklich im Vertragstext verankert (Artikel 11), denn dies stellte eine der wichtigsten Voraussetzungen für den inneren Frieden der Liga dar.849 Die obli846 Adamov#, Deˇjiny cˇesk8ho soudnictv&, S. 10. Zum Beitrag der Schiedsgerichtsbarkeit zur Entwicklung des Völkerrechts siehe die Habilitationsschrift von Milej, Entwicklung des Völkerrechts, in der der Autor auch eine kurze historische Zusammenfassung der mittelalterlichen Schiedsgerichtsbarkeit anbietet (S. 12ff). 847 Schubert, Die Landfrieden als interterritoriale Gestaltung, S. 135. 848 Die Mitglieder der städtischen Bünde oder adeligen Gesellschaften unterwarfen sich durch die Einung vorab dem gemeinsamen Schiedsgremium. Koselleck, Art. Bund – Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, S. 597. In der Landfriedenseinung zwischen König Wenzel IV., dem Pfalzgrafen bei Rhein und den bayerischen Herzögen steht für die Schlichtung der Streitigkeiten unter den Mitgliedern ausdrücklich: was danne die gesworen des rats dorynne erkennen, dopey schol es denn pleiben. C.d.m., Bd. II, S. 1145. Aus der Einung der Wetterauer Grafen von 1422: und was dan also von dem vorgnanten gemeynen und den raitluden von beyden syten oder dem merern tejl in eym fruntlichen rechten entscheiden und uff ire eyde ußgesprochen würdet, das soll von beyden parthien gefolgent und das gehalten und follentzogen werden ane geverde. Die Parteien versprechen hier also, sich an die Entscheidung des Schiedsgremiums zu halten, das sie zum alleinigen Konfliktregelungsmechanismus machten, womit sie zugleich die Fehde untereinander verwarfen. Die Ausgestaltung des Schiedsverfahrens war wie folgt: Sollten die Parteien während der Einungsdauer in einen Streit geraten, waren die Betroffenen verpflichtet, sich innerhalb von 14 Tagen zu einem gütlichen Tag in einer der drei Städte – Hanau, Eppstein oder Usingen – zusammenzufinden. Hierzu sollten auch die vom Streit nicht betroffenen Einungsmitglieder kommen und sich um eine gütliche Beilegung bemühen. Käme es dazu, dass man auf diese Art und Weise keine Ergebnisse erzielte, sollte aus den Unparteiischen ein Obmann gewählt werden, dem jede Partei ihre Schiedsleute zur Seite stellte. Der Kläger war verpflichtet, seine Klageschrift innerhalb von 14 Tagen an das Haus des Beklagten zu schicken und dieser musste innerhalb von 14 Tagen darauf antworten. Beide Urkunden sollten dann innerhalb der gleichen Frist an den Obmann geschickt werden. Ein Monat sollte dem Obmann und den Schiedsleuten zur Verfügung stehen, um den Streit zu entscheiden. Fabricius, Die älteren Landfriedenseinungen, S. 205. 849 Vnd were auch sache, das ymant inn den egenanten landen vnd hercheften mit ymanden in
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gatorische Schiedssprechung war zu diesem Zeitpunkt jedoch wie gesagt kein Novum. So hatten etwa die schweizerischen Kantone eine solche bereits in ihrem ersten Bundesbrief von 1291 vereinbart. Viele Bündnis- und Einungsverträge sahen das Schiedsverfahren als alleinigen Weg der Konfliktlösung vor. Durch den Ausschluss anderer Mittel der Streitbeilegung wurde das Schiedsgericht zur »quasi-ordentliche[n]«850 Gerichtsbarkeit. Die Zuständigkeit dieses Schiedsgerichts blieb materiell auf die Angelegenheiten der Liga beschränkt.851 Artikel 10 regelt wie die Schiedsrichter prozessual zu verfahren hatten – nämlich simpliciter et de plano sine figura et strepitu iudicii. Diese Redewendung beschreibt gewisse prozessuale Grundsätze, die ihren Ursprung im römisch-kanonischen Prozessrecht haben. Das römischkanonische Verfahren war hoch formalisiert und dementsprechend zeitaufwendig. Zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert setzten die Päpste durch entsprechende Briefe (Dekretalen) für bestimmte Rechtsstreitigkeiten delegierte Richter ein und erteilten ihnen die Befugnis, die Fälle effektiver, d. h. ohne Einhaltung der üblichen Formalien, zu entscheiden.852 In diesem Zusammenhang bedienten sich die Päpste standardmäßig der oben angeführten Formulierung. Da sich aber niemand vollends im Klaren darüber war, was die päpstliche Formulierung eigentlich genau beinhaltete, verabschiedete Papst Clemens V. im Jahre 1306 eine Dekretale mit dem Titel Saepe contingit (Clem. 5.11.2), die die oben angeführten Termini technici definierte:853 De plano hieß, dass der Richter nicht unbedingt in einem Tribunal sitzen musste, sondern sich in irgendeinem Raum befinden konnte. Es war ihm gestattet, seine Arbeit auch an Festtagen fortzusetzen, an denen normalerweise kein Gericht tagte.854 Sine figura wiederum meinte, dass der Richter die im Normalfall üblichen prozessualen Regeln nicht befolgen musste. Es sollte sine strepitu verfahren werden, also ohne Verwirrung und den Rumor, den die Advokaten und Parteien zu verursachen imstande waren.855 Dieses neue Verfahren wurde in den weltlichen Bereich übernommen.856 Manchmal ist ein expliziter Verweis darauf in den
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denselben landen czu schicken hett ader gewunne, das schol man czu dem gesworen ratt der eynunge bringen. So in der Landfriedenseinung zwischen König Wenzel IV., dem Pfalzgrafen und den Herzögen von Bayern, C.d.m., Bd. II, S. 1144. Die gleiche Bedingung galt auch für die Mitglieder des jüngeren Schwäbischen Bundes. Mehr zum Gericht dieses Bundes bei: Frey, Das Gericht des Schwäbischen Bundes, S. 227ff. Janssen, Die Anfänge des modernen Völkerrechts, S. 35. V. Gierke, Genossenschaftsrecht, S. 456. Terranova, La procedura sommaria, S. 21. Clem. 05.11.02. Terranova, La procedura sommaria, S. 38. Ebd., S. 39. Unter dem römischen Kaiser deutscher Nation, Heinrich VII., wurde die Konstitution Ad reprimendum geschaffen, in der für die Bestrafung der crimen laese maiestatis ein Ver-
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geschlossenen Friedensverträgen zu finden, womit man höchstwahrscheinlich zum Ausdruck bringen wollte, dass ohne große prozessuale Umstände entschieden werden sollte.857 Zusammenfassung Krieg unter den Ligamitgliedern sollte absolut ausgeschlossen werden, was man durch die Bestellung eines ständigen Schiedsgremiums verwirklichen wollte. Ein von der Bundesversammlung festgelegtes Schiedsgericht sollte zu einer Art ordentlichen Gericht der Liga werden. Dieses sollte nicht nur die Streitigkeiten unter den Bundesmitgliedern schlichten, sondern auch ein neues Recht schaffen, dessen Notwendigkeit die Autoren des Vertragstextes durch Zitate einiger Passagen aus dem Liber Augustalis hervorheben. Wäre der böhmische Friedensvertrag von den Parteien wirklich beschlossen und umgesetzt worden, träfe die Aussage Angemeiers, dass sich eine Verpflichtung auf ein über den Partnern stehendes allgemeines Friedensrecht in keinem Fürstenbündnis des 15. Jahrhunderts finde,858 nicht zu. Es bleibt aber fraglich, wie weit die freiwillige Unterwerfung unter die Entscheidungen des geschaffenen Schiedsgerichts und das gemeinsame »gewillkürte« Recht bei den Fürsten und Königen tatsächlich gereicht hätte. Durch die Forderung nach einer besseren Gerichtsordnung und den Vorschlag diese von einem gemeinsamen Gericht schaffen zu lassen, wird zwar das Entstehen des Völkerrechts angekündigt, aber dieses scheint sich geistig noch nicht von der mittelalterlichen Ordnung verabschiedet zu haben. d)
Bestrafung der straffällig gewordenen Untertanen
Neben der Streitbeilegung unter den Fürsten war von größter Wichtigkeit, Regeln darüber festzusetzen, wie Straftäter aus dem Herrschaftsbereich der jeweils anderen Ligamitglieder zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Diesem Thema widmen sich die Artikel 3, 6, 7 und 8 des böhmischen Friedensvertragstextes. Man könnte sie unter einer gemeinsamen Überschrift zusammenfassen, nämlich: violator pacis generalis – Landfriedensbrecher. Der Rückgriff
fahren de plano, sine strepitu et figura iudicii verlangt wurde. Betti, La dottrina costruita da Bartolo sulla constitutio »Ad reprimendum«, S. 39. 857 So im Friedensvertrag zwischen Francesco Sforza, dem Bischof und den Kommunen von Valigia vom 14. 09. 1454. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III, S. 232. Dieses Verfahren sollte bei den sich aus dem Handelsverkehr ergebenden Streitigkeiten zwischen der deutschen Hanse und dem englischen König Heinrich IV. ebenfalls angewandt werden – Handelsvertrag vom 22. März 1436. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III, S. 4. 858 Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, S. 438.
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auf die aus den Landfrieden(seinungen)859 bekannte Terminologie ist hier nicht zufällig. Bereits zu Beginn des Artikels 3 ist eine wichtige Regel festgelegt: Danach werden die Parteien nicht eidbrüchig, wenn ihre Untertanen in den benachbarten Herrschaftsgebieten vastaciones, predas, rapinas, incendia aut alia quecunque maleficiorum genera verüben. Auch in diesem Fall sollte der geschworene Frieden also weiterbestehen.860 Es entsprach verfestigter Vertragspraxis, dass der Verstoß eines einzelnen Untertanen gegen den abgeschlossenen Frieden – soweit dieser nicht vom Fürsten selbst in Auftrag gegeben worden war – keinen Bruch des Friedens darstellte.861 Es existierten verschiedene Modalitäten der Bestrafung von Straftätern, doch die meisten Friedensverträge folgten einem festgelegten Muster.862 Der böhmische Vertragstext schlägt vor: Wer eine Brandstiftung, einen Raub oder die Straftat der Verwüstung beginge, sollte vor ein Gericht gestellt werden. Für die Zuständigkeit bestanden zwei Anknüpfungspunkte, einmal war das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Täter lebte (forum domicili),863 zum anderen das 859 Für die Zwecke dieser Arbeit wurden vor allem die unter den Fürsten im 15. Jahrhundert vereinbarten Landfriedenseinungen in Böhmen und im Deutschen Reich herangezogen. Dabei war festzustellen, dass deren inhaltliche Ausgestaltung nicht von der »Größe« der beteiligten Akteure abhing. Die »Kreislandfrieden« (siehe Fn. 758) in Böhmen, die mährischen, die ganze Markgrafschaft einschließenden Landfrieden, die »internationalen«, also überterritorialen Landfrieden (Österreich-Mähren, siehe Fn. 875) und die deutschen, auf unterschiedliche Gebiete bezogenen Landfrieden teilen die gleichen Regelungsprinzipien. 860 Lesaffer, Alberico Gentili’s ius post bellum and Early Modern Peace Treaties, S. 235. 861 So wurde zum Beispiel in Artikel 31 des zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden abgeschlossenen Friedensvertrages von Brest (31. Dezember 1435) vereinbart, dass die Straftaten von Untertanen des polnischen Königs oder des Hochmeisters den geschworenen Frieden nicht beeinträchtigten. Szweda, Methoden der Schlichtung von Grenzstreitigkeiten zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden, S. 54. 862 Im Jahre 1438 legte der Kaiser Albrecht II. in seinem Landfrieden Regeln zur Streitbeilegung fest, die ihren Ausdruck in den meisten interterritorialen Verträgen finden. Für die Streitigkeiten der Fürsten untereinander hat er ein aus deren Räten bestehendes Schiedsgericht vorgeschlagen (§ 3); wenn es um Erben und Eigen ging, sollte das Gericht aufgesucht werden an dessen Ort sich diese befanden (§ 5); Lehenssachen, sollten in der Kompetenz des zuständigen Lehnsherrn bleiben (§ 6). Koch, Neue Sammlung, Bd. I, S. 155. Dies wurde vom Nürnberger Reichstag des Jahres 1438 bestätigt und in dem Abschied des Reichstags von Ulm 1466 wiederholt. Im Letztgenannten unterstrich man noch die ausschließliche Kompetenz der geistlichen Gerichte, wenn es um geistliche Sachen ging (§ 11), ebd., S. 199. 863 Diese Möglichkeit wurde auch im bereits erwähnten Glogauer Vertrag mit dem polnischen König vereinbart: in jurisdictione et iure, ubi reus residet. Dogiel, Codex diplomaticus regni Poloniae, S. 15. Die Geltung des forum domicilii wurde auch bei – in heutigen Worten ausgedrückt – »zivilrechtlichen Klagen« oft vereinbart: item wer’es ouch, das unsere burger und armen lfflt mit einander zu schaffen gewfflnnet, umb was sach das were, so sol der cleger dem, dem er zuspricht, nachfaren in das gericht, da er gesessen ist. So in der Landfriedenseinung vom 28. Juni 1440, siehe Fn. 807. RTA, ä.R., Bd. 15, S. 424. König Georg und der Pfalzgraf bei Rhein, Friedrich I. der Siegreiche, vereinbarten, dass bezüglich der persön-
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Gericht, in dessen Bezirk der Täter gefasst wurde (forum comprehensionis).864 Andere Friedensverträge sehen drittens noch die Zuständigkeit des Gerichts vor, in dessen Bezirk die Straftat verübt worden war (forum delicti commissi).865 Der Podiebradsche Friedensvertrag kennt diese Möglichkeit866 nicht, auch schweigt er zu Streitigkeiten über das Erbe867 oder Grund und Boden. Generell begründete die spätmittelalterliche Vertragspraxis für diese Fälle die Zuständigkeit des forum rei sitae. Eine Ausnahme bildeten die lehnsrechtlichen Streitigkeiten (Lehngüter), die vor dem entsprechenden Lehnsherrn entschieden wurden,868
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lichen Angelegenheiten dort geklagt werde, wo der Wohnsitz des Beklagten ist. Hofmann, Quellen zur Geschichte Friedrich des Siegreichen, S. 311. Dies entspricht der allgemeinen, aus dem römischen Recht (C. 03.19.03) stammenden Regel actor sequitur forum rei, die weiter von Gratian (Decretum Gratiani, C. 3, qu. 6, c. 16 und C. 11 qu. 1. c. 15–16) übernommen wurde. So heißt es auch im Bündnisvertrag (1472) zwischen dem polnischen König Kasimir IV., dem Pfalzgrafen bei Rhein und dem Herzog von Bayern, Albrecht IV., ausdrücklich: (…) actor debebit sequi forum rei, exempli gratia ut si Polonus et quivis alius subditis noster regius pretenderet sibi actionem contra Bavarum ex tunc Polonus et quilibet talis tenebitur adire judicem cuius interest Bavarum judicare. RBS Bd. II, S. 250. 1459 traf König Georg eine solche Vereinbarung mit Herzog Ludwig von Bayern: Berürte es aber fräuel und missetat, das sollte berecht werden an den gerichten, darinn der missetäter begriffen wurde, und was also an yedem gerichte wieuor steet, Zurecht erkannt und gesprochen wurde dem sullen baid partheien, nachkommen, an ferrer aufzüg waigrung, und Appellierungs, getrulich und on geverde. Höfler, Über die politische Reformbewegung in Deutschland im XV. Jahrhunderte, S. 129. Frevel als ein geringeres Vergehen wollte man regelmäßig dort bestrafen, da solicher frevel begangen wer, so in der Landfriedenseinung vom 28. Juni 1440, Fn. 807. RTA, ä.R., Bd. 15, S. 424. Im Friedensvertrag von 1343 zwischen dem schwedischen König Magnus und dem dänischen König Waldemar werden die auf frischer Tat ertappten Verbrecher (…) secundum leges patriae, in qua quis eorum delinquit, pro delicti qualitate punietur. Dumont, Corps universel diplomatique, T. I. P. II., S. 223. Im Bündnis zwischen König Georg und dem Pfalzgrafen bei Rhein, Friedrich I., sahen die Parteien für Tatbestände wie Frevel oder Missetat als Gerichtsstand den Ort vor, wo der Verbrecher ergriffen wurde. Hofmann, Quellen zur Geschichte Friedrich des Siegreichen, S. 311. Daneben existierten auch andere Lösungsansätze hinsichtlich des Problems des Gerichtsortes. So vereinbarte der böhmische König im Friedensvertrag mit Albrecht III. von Bayern und dessen Söhnen (18. Juni 1459) etwa, dass die böhmischen Untertanen berechtigt sein sollten, ihre Ansprüche gegenüber bayerischen Untertanen vor den bayerischen Gerichten geltend zu machen so wie umgekehrt die bayerischen Untertanen ihre Ansprüche vor den böhmischen Gerichten geltend machen durften. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ III, Buch IV, S. 67, Fn. 18. Dies stellte eine Ausnahme vom allgemeinen Prinzip de non appellando et de non evocando dar. Kroeschell, ›Appellationsprivilegien‹, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, Sp. 805. Wer aber solich zweiung zwfflschent in umb angefalme erb und gut, darumb sollent sie zu rechtlichem ußtrag komen vor dem herren under uns und sinen retten, in des land solich erb und gut gefallen und gelegen wer, so in der Landfriedenseinung vom 28. Juni 1440, siehe Fn. 807. RTA, ä.R., Bd. 15, S. 423. Wo das Erbe oder Eigentum gelegen war, sollte über die Streitigkeiten der Untertanen von König Georg und des Pfalzgrafen bei Rhein, Friedrich I., entschieden werden. Hofmann, Quellen zur Geschichte Friedrich des Siegreichen, S. 311. Traf aber solich zweiung zwfflschent den dienern lehengut an, das sol mit recht ffflrgenomen
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sowie die geistlichen Angelegenheiten, welche vor den geistlichen Gerichten verhandelt werden sollten.869 Dem Artikel 3 des Podiebradschen Vertragstextes nach sollte der verursachte Schaden aus dem Vermögen des Täters kompensiert werden und das Gericht über dessen Schicksal entscheiden. Entkamen die Täter vor dem Prozess, waren die Fürsten, in deren Gebieten sie lebten870 oder in deren Machtsphäre die Straftat geschehen war, aufgerufen, die Täter unabhängig voneinander zu verfolgen und zu ergreifen. Für die Erhaltung des Friedens in den einzelnen Territorien war die Verfolgung871 der Verbrecher essentiell. Verwandtschaftliche oder lehnsrechtliche Beziehungen traten dabei in den Hintergrund,872 denn wurde der Straftäter nicht an der Flucht gehindert oder dabei ertappt, konnte er seine schädigende Handlung möglicherweise von der Nachbarherrschaft aus fortsetzen oder seinen früheren Herrn befehden.873 Für den Fall, dass die Fürsten ihrer Pflicht nicht nachkamen, sollten sie daher mit der gleichen Strafe wie der Täter belegt werden und der Geschädigte hätte sie vor dem gemeinsamen Gericht oder vor der ständigen Bundesversammlung anklagen können (Artikel 3). Dadurch hätte den mittelalterlichen Konflikten eine gewisse interständische Qualität verliehen werden können. In erster Linie war die Fehde eine innerständische und nicht eine interständische Angelegenheit. Ein Fürst führte eine Fehde gegen seinen Standesgenossen. Dasselbe lässt sich von der Ritterfehde oder der Bauernfehde behaupten. Die Einhaltung dieser Hierarchie in der mittelalterlichen sozialen Ordnung könnte in Artikel 3 aber gerade durchbrochen worden sein. Hier wird von einem Geschädigten (passus)
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und ußgetragen werden vor dem herren und sinen mannen, von dem die gut zu lehen rürten, so in der Landfriedenseinung vom 28. Juni 1440, siehe Fn. 807. RTA, ä.R., Bd. 15, S. 423. Die Kompetenzen waren diesbezüglich im böhmischen Recht klar geregelt. Es bestand ein wichtiger Grundsatz dahingehend, dass die Angelegenheiten des Landes nicht vor die geistlichen Gerichte gebracht werden sollten. Die königlichen Beamten mit dem Prager ˇ Bd. II, (1842), S. 508. Burggrafen hatten die Macht, solche Klagen aufzuheben. AC (…) und were es, das iemand, es weren herren ritter knecht oder andere, die in unsern gebieten und landen wonung hettent, solich rouberi zugriff oder beschedigung in ir sloss stet oder gebiet gescheen liesent …oder ob derselben herren ritter knechte oder andere solich unbillig zugriff roub oder beschedigung selber fürnement… so sol der her runder uns, in des landen und gebieten der oder dieselben wonhaftig werent, mit ganzem ernst gegen in fürnemen dawider zu tunde …mit taglichem krieg, wie das dann nach notturft zu handeln ist, so in der Landfriedenseinung vom 28. Juni 1440, Fn. 807. RTA, ä.R., Bd. 15, S. 421. Der polnische König erlaubte die freie Verfolgung von Übeltätern, die aus dem Herrschaftsgebiet des Deutschen Ordens in sein Königreich flohen. Er versprach sogar, dass seine Amtsleute die Verfolger mit auxilia, consilia et favores unterstützen würden und dass kein Untertan des polnischen Königs den Geflohen Hilfe leisten werde. Vgl. Artikel 16 des Friedensvertrages von Brest (31. Dezember 1435) zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden. Weise, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert, S. 205. Kroeschell, Lehnrecht und Verfassung im deutschen Hochmittelalter, Rdnr. 37. Nietmann, Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230–1449, S. 442.
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gesprochen, der den seiner Verfolgungspflicht in Bezug auf den Schädiger nicht nachkommenden Fürsten vor dem Schiedsgericht anklagt. Nehmen wir an, der Geschädigte sei ein Bauer, dessen Besitzungen von einem Mitglied des niederen Adels oder einem Ritter aus dem Grenzgebiet geplündert und dessen Familienmitglieder von diesem getötet wurden. Könnte der Bauer für den Fall, dass sein Herr den ranghöheren Täter nicht, wie es Artikel 3 verlangt, zur Rechenschaft zieht, wirklich eundem coram parlamento seu consistorio subscripto iudicialiter requirere? Neben der Verfolgung der Übeltäter war es elementar, dass niemand sie unterstützte. Artikel 6 und 7874 des böhmischen Friedensvertragstextes wollen dies unterbinden. Niemand sollte denjenigen, die den vereinbarten Frieden zu stören versuchten, im eigenen Königreiche, in der eigenen Herrschaft, der Stadt, dem Schloss etc. Asyl gewähren.875 Vielmehr sollte mit solchen Störern wie mit einem Landfriedensbrecher (violator pacis generalis) verfahren werden. Ein Landfriedensbrecher galt als periurus – meineidig, denn er beging einen Eidbruch.876 Im gelehrten Recht wird der Meineidige als derjenige beschrieben, der scienter transgreditur iuramentum quod contra iura et certa scientia fecit.877 Jegliche Unterstützung eines Friedensstörers – in diesem Zusammenhang findet man die klassische Formel auxilium, consilium praestare – hat ernsthafte Konsequenzen. Der Helfer wird selbst zu einem periurus und als solchen erwartet ihn gemäß
874 Während Artikel 6 verlangt, dass jeder Friedensbrecher ungeachtet eines Geleitbriefs bestraft werden soll, versucht Artikel 7 die künftige Ausstellung von Geleitbriefen in folgender Art und Weise einzuschränken: Die Parteien sollten in ihren Machtbereichen nur noch solche Geleitbriefe an andere Personen ausstellen, die eine Ausnahmeklausel beinhalteten – nämlich dass der Schutz der Person sich nicht auf die Fälle beziehe, in denen diese sich in Feindschaft zur Friedensliga befinde. 875 Ein Beispiel für diese typische Bestimmung in den Landfriedenseinungen stammt aus dem Frieden zwischen den Ländern Mähren und Österreich vom 24. April 1416, der auf Befehl des Königs Wenzel IV. abgeschlossen wurde: Item das dhain vbilteter aus baiden landen Merhern und Osterrich in dhainem derselben landen wider das andir lande nicht schol aufgenomen, behauset, gehalden, gefurdert adi vortaydingt werden, sundir das ainn solher fur ainn solchen vbilteter in denselben landen schol gehalden werden«. Hruza, »Unsere beiden Länder Österreich und Mähren sollen künftig friedlich gegeneinander stehen«, S. 257. Die Verbrecher sollten nicht in unser deheins slossen stetten märkten dörfern hüsern oder gebiteten enthalten beschirmet geesset noch getrenket werden, oder in ouch deheinerlei hilf raut oder bistand von uns oder den unsern gescheen. Landfriedenseinung vom 28. Juni 1440, Fn. 807 und 870. RTA, ä.R., Bd. 15, S. 421. Im Böhmischen Königreich war es untersagt, die sog. Geleitbriefe an Brandstifter, Diebe, Räuber, Fälscher, Mörder und Verräter auszustellen. Kniha Tovacˇovsk#, Kap. 201, S. 111. 876 Durch den Friedensbruch kommt es also zum Eidbruch. So auch in der mittelalterlichen Stadt, Isenmann, Die deutsche Stadt, S. 160. Im Falle eines Vertrags wäre der Friedens- und Eidbruch als Vertragsbruch zu deuten. Es scheint aber, dass die Quellen keine klare Trennlinie zwischen diesen »Brüchen« ziehen. 877 Da Rosate, Dictionarium iuris, unter periurus.
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Artikel 8 die gleiche Strafe wie den Täter.878 Diese Regel geht auf das römische Recht zurück – dort heißt es: auxilium delinquenti ferens eadem poena qua delinquens punitur879 – sowie auf die tschechische Rechtstradition. Ondrˇej z Dub8880 hält fest, dass sich in der Rechtsprechungspraxis der Herren eine Regel herausgebildet habe, wonach der Unterstützer eines Friedensbrechers selbst zu einem Verbannten werde und sein Vermögen verliere.881 Zusammenfassung Der Podiebradsche Friedensvertrag folgt mit seinen Bestimmungen zur Bestrafung von Straftätern der spätmittelalterlichen Vertragspraxis. Die Herrscher mussten Vorkehrungen gegen die negativen Begleiterscheinungen in Gestalt von Straftaten treffen, die der freie Verkehr der Untertanen zwischen den jeweiligen Herrschaftsgebieten neben den positiven Folgen, wie etwa der Zunahme des Handels, haben konnte. Wie die oben angeführten Beispiele zeigen, knüpfte man dabei an die »polizeilichen« und »strafrechtlichen« Bestimmungen der Landfriedenseinungen882 an. Durch ihre Aufnahme in die »internationalen« Verträge wurden diese zu einem neuen, von den Parteien gesetzten objektiven Recht.883 878 Bereits im Jahre 1250 vereinbarten die Hansestädte Lübeck, Rostock und Wismar, dass Seeräuber und Straßenräuber von niemandem Asyl bekommen sollten, und nähme doch eine Stadt sie auf, dann würden sie wie der Räuber selbst geächtet werden. Reibstein, Völkerrecht der deutschen Hanse, S. 66. Aus der Landfriedenseinung des böhmischen Königs Wenzel IV. mit dem Pfalzgrafen bei Rhein und anderen Herren, Fn. 690: Vnd were auch, das ymands myt wissen schedliche lewt hilde, hawset, speisset, trenket, oder fuerderte, wo die gesworen des rats diser eynunge die erfueren, so schulen sie czu thun als czu schedlichen lewten, vnd wo man die erferet, dye schol yderman meden pey seynem eyde. C.d.m., Bd. II., S. 1144. 879 Kommentar von Baldus zur Codexstelle C. 09.28.01. Baldus, Commentaria in vj.vij, viij, ix, x& xj Codicis libris, Fol. 478r. 880 Böhmischer Rechtsgelehrter und Richter im Dienste der Könige Karl IV. und Wenzel IV., ˇ esk8, einem Rechtsbuch über das böhmische Verfasser von Wy´klad na pr#wo zemsk8 C Landrecht. ˇ , Bd. II (1842), S. 507. 881 AC 882 Dies ist auch ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie fließend die Grenzen zwischen den Rechtsquellen waren. Der vom König befohlene Landfriede und die von unterschiedlichen Subjekten (Fürsten, Städten oder Adelsgesellschaften) beschworenen Frieden weisen in inhaltlicher Hinsicht zwar ähnliche Regelungen auf. Allerdings würde man aus heutiger Sicht ersteren als Gesetz und letztere als Verträge kategorisieren. Zur Problematik der intertextuellen Verbindungen zwischen Gesetzen und Verträgen im Mittelalter, Benham, Law or Treaty?, S. 490. 883 Mitteis, Politische Verträge im Mittelalter, S. 127. In gewissem Maße entsprach diese Vertragspraxis den allgemeinen Regeln des ius commune. Dieses kannte hinsichtlich der Extraterritorialität der Strafnormen recht klare Vorgaben. Die Kanonisten hielten es für unmöglich, dass eine Strafnorm außerhalb des eigenen Territoriums angewendet werden könnte. Die allgemeine Regel der Legisten lautete ähnlich: Ein Statut konnte nicht außerhalb des eigenen Territoriums wirken und sich nicht auf fremde Untertanen erstrecken.
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Finanzielle Verwaltung des Fürstenbundes und Exekutionsverfahren
Die Selbstbesteuerung gehörte im ius commune zu den üblichen Rechten der Körperschaften.884 Die Finanzierung der Liga als solcher, des türkischen Krieges (Artikel 13) und der Hilfeleistung gegenüber einem von außen angegriffenen Ligamitglied (Artikel 4) werden im böhmischen Vertrag nicht systematisch auseinander gehalten. Man orientierte sich hier nicht an Marinis Memorandum, das vorgeschlagen hatte, die Tageseinkünfte der Adeligen und der Handelsleute sowie die einer convenientem exstimacionem unterliegende Steuer der Handwerker einzuziehen.885 Vielmehr sollte die Liga 10 % der jeweiligen Zehnten886 und die dreitägigen Einkünfte der Untertanen zur Sicherung ihres finanziellen Unterhalts bekommen.887 In der Praxis scheinen mehrere Modelle existiert zu haben, nach denen die Beiträge der Mitglieder berechnet wurden. Bei unserem Musterbeispiel der St. Georgenschildt-Gesellschaft leisteten die Adeligen ihre Beiträge entsprechend der jährlichen Erträge ihrer Güter. Die St. Georg-Gesellschaft (1375) stützte sich auf feste, je nach ständischer Stellung abgestufte, jährliche Beiträge ihrer Mitglieder.888 Die Städtebünde etwa besaßen keine »fest institutionalisierte Bundeskasse«889 und die Beiträge wurden bei Bedarf von den Mitgliedern erhoben.
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Allerdings ließen die Legisten einige Ausnahmen zu, etwa wenn die Städte in einer confoederatio verbunden waren. Contra homines de civitatibus federatis non procedimus tanquam contra hostes. Sed si delinquunt de iure ordinario proceditur contra eos reos sicut contra nostros reos. Bartolus ad Dig. 49,15,07, Bartolus, In secundam ff. Novi Partem, Fol. 214ra, No. 3. Die Städte konnten auch einen entsprechenden Justizvertrag untereinander abschließen. Solche Justizverträge wurden bereits im 13. Jahrhundert zwischen den Städten ausgehandelt, um die an den Reibungspunkten der zwischen-städtischen Verhältnisse (im Bereich des Handels, der Eheschließung, der Verfolgung von Straftätern etc.) entstehenden Streitigkeiten zu regeln. Im 15. Jahrhundert hatten solche Verträge schon ein beträchtliches Ausmaß erreicht. Ebel, Justizverträge niedersächsischer Städte im Mittelalter, S. 22. Für den Fall, dass keine solche Vereinbarung existierte und ein Untertan einer Stadt eine Straftat auf dem Territorium einer anderen Stadt beging, konnte er nach dem gelehrten Recht zur Rechenschaft gezogen werden. Bartolus hielt es für durchaus möglich, dass ein Statut die extraterritoriale Wirkung seiner Normen vorsah; dann wäre die Norm anwendbar gewesen. War eine solche Wirkung im Statut dagegen nicht festgesetzt worden, musste nach dem gelehrten Recht verfahren werden. Marchetti, De iure finium, S. 214–217. V. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. III, S. 460. Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 221. Diese »Besteuerung« der Zehnten wäre wahrscheinlich vom apostolischen Stuhl nicht gut geheißen worden, doch gab es bei der Erhebung der kirchlichen Steuern ohnehin stets Schwierigkeiten. Vgl. Fn. 918. Näheres bei Obenaus, Recht und Verfassung der Gesellschaften mit St. Jörgenschild in Schwaben, Göttingen, S. 187–188. Fürsten leisteten 25 Gulden, Grafen zehn, Herren sechs und Ritter oder Knechte vier Gulden. Storn-Jaschkowitz, Gesellschaftsverträge adliger Schwureinungen im Spätmittelalter – Typologie und Edition, S. 52. Distler, Städtebünde im deutschen Spätmittelalter, S. 158.
174
Analyse des Friedensvertragstextes
Die meisten Einungen mit korporativem Charakter entwickelten gewisse Exekutionsverfahren für den Fall, dass sich die Mitglieder den Entscheidungen der gemeinsamen Organe nicht fügen wollten. Im böhmischen Vertrag finden wir ein solches für die Eintreibung von Steuern (Artikel 18). Sollte ein Mitglied die vereinbarten Steuern nicht zahlen, konnte es vom Syndikus oder dem procurator fiscalis vor der Bundesversammlung oder dem gemeinsamen Gericht angeklagt werden. Die Steuern würden cum dampnis et interesse verlangt und es würde auch nicht davor zurückgeschreckt, diese manu militari890 einzutreiben. Es ist allerdings etwas widersprüchlich, die Eintreibung der Steuern bei einem Ligamitglied durch »militärische Hand« zuzulassen, wenn kriegerische Handlungen doch per se unter den Mitgliedern ausgeschlossen sein sollten.
4.
Kein Austritt aus dem Fürstenbund
Artikel 22 illustriert, dass der moderne Staat zur Zeit des böhmischen Friedensvertrages noch einige Jahrhunderte entfernt war. Der Verbleib einer Herrschaft in der Friedensliga war im Fall des Todes des jeweiligen Herrschers nämlich nicht automatisch sichergestellt, wie es in den modernen völkerrechtlichen Beziehungen etwa bei einem Regierungswechsel der Normalfall ist. Die Person des Herrschers war die wichtigste Größe; sie sollte die Einhaltung der vertraglichen Bestimmungen gewährleisten. Um die Kontinuität des Vertrages nach dessen Tod zu sichern, musste man auf verschiedene Mechanismen zurückgreifen.891 Im böhmischen Vertragsentwurf wählte man die verwegene Bestimmung, dass der neue Herrscher den Thron erst dann besteigen dürfe, wenn er verspreche, die Vorschriften des Friedensvertrags weiterhin einzuhalten.892 890 Auch die Statuten der St. Jörgenschild-Gesellschaft sahen ein Verfahren zur Zwangseintreibung der Steuern vor, denn die Nichtbezahlung der Abgaben bedeutete einen Eidesbruch und der Eidesbrecher hatte sich den vorgesehenen Strafen zu beugen. Tatsächlich kam es häufig vor, dass der Hauptmann sich persönlich zu diesem begab und das Geld einforderte. Obenaus, Recht und Verfassung der Gesellschaften mit St. Jörgenschild in Schwaben, S. 191. 891 Man konnte zum Beispiel in die Verträge eine Erneuerungspflicht für die Nachkommen der Fürsten einfügen. Die Forschung hat aber belegt, dass dies in der Praxis vor allem bei Erbbündnissen selten vorkam. Für die meisten der für die Nachfolger und Erben begründeten Verträge galten folgende Punkte: 1. Es bestand keine formelle Pflicht, die Nachfahren zum Beitritt zu dem Vertrag aufzufordern; und 2. Die Aufforderung zur Erneuerung der Verträge begründete für die aufgeforderte Partei keine Pflicht. Hirsch, Generationsübergreifende Verträge, S. 116 und 120. 892 Man könnte diese Erklärung als eine Art Krönungskapitulation bezeichnen. Im Böhmischen Königreich handelte es sich dabei um Bedingungen, die seitens der Stände dem neuen Königs-Kandidat vorgelegt wurden, damit dieser schwor, sie einzuhalten. Zu den ersten Krönungskapitulationen zählten bereits die Inaugurationsdiplome der Luxembur-
Elemente eines Bundes
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Hier zeigt sich, dass die Mitgliedschaft in der Friedensliga und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen direkte Auswirkungen auf die politische und rechtliche Struktur einer Herrschaft haben konnten. Das korporative Element hatte hier Vorrang vor der »Souveränität«. Doch das böhmische Vertragswerk schlug damit keinen gänzlich neuen Weg ein. Ähnliche Bestimmungen finden sich auch in den Landfriedenseinungen. Dem mährischen Landfrieden nach musste der neue Markgraf, um als solcher anerkannt zu werden, zum einen die ständischen Freiheiten bestätigen und zum anderen dem mährischen Landfrieden beitreten.893 Bei der St. GeorgenschildtGesellschaft griff man sogar zu einer Fiktion, indem man Folgendes festsetzte: Waer auch daß unser einer oder mehr in dem bestand dieser aynung abgieng so sollen dannoch die Schloss Stett Lut und gut u allen sachen verrvent sin und blieben nach lut deß briefs alß ob der oder die im leben waeren.894 Die böhmischen Landfrieden sagen – wenn auch in anderen Worten – das gleiche: Sollte ein Hauptmann während der Zeit, in der der Landfrieden Bestand hatte, sterben, würde mit Zustimmung des Bezirks ein neuer gewählt.895 Auf den status quo des Bezirks hatte dies keine Auswirkungen. Er blieb weiterhin Mitglied der Einung. Eine andere Ausgestaltung ist im sog. Wetterauer Grafenverein (1437) zu finden, bei dem den Söhnen der verstorbenen Mitglieder dieser Landfriedenseinung offen stand, innerhalb eines Vierteljahres das Versprechen abzugeben, den vereinbarten Artikeln Folge leisten zu wollen.896 Im Zusammenhang mit Artikel 22 wird in der Forschung oft die Ansicht vertreten, bei der Podiebradschen Friedensliga habe es sich bereits um einen Zusammenschluss von »Staaten«897 gehandelt. Zwar lässt sich nicht bestreiten,
893 894 895
896
897
ger. Zum Wesen des Herrschaftsvertrages Näf, Herrschaftsverträge und Lehre vom Herrschaftsvertrag, S. 26–52; Quarthal, Landstände und Fürstenverträge süddeutscher Territorien im Spätmittelalter, S. 35–58. Eine ähnliche Praxis ist in Schweden um das Ende des 13. Jahrhunderts zu finden. Hier musste der König vor seiner eigentlichen Wahl die Einhaltung der »Friedensgesetze« beschwören. Korpiola, »The People of Sweden shall have Peace«, S. 38. Janisˇ, K fflloze institutu landfry´du v moravsk8m zemsk8m pr#vu na prahu novoveˇku, S. 12. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., T. I., S. 282. Es war nicht unüblich, dass die Mitglieder des Rates über die Person des künftigen Landfriedenshauptmanns mitentschieden und – wenn die vom Kreis vorgeschlagene Person ihnen nicht gefiel – eine andere vorgeschlagen wurde. Beran, Boleslavsky´ landfry´d, S. 34–35. Fabricius, Die älteren Landfriedenseinungen, S. 211. Im Bündnis zwischen Friedrich, dem Landgrafen von Thüringen, dem Markgrafen von Meißen und seinen Söhnen einerseits und Karl IV., dem römischen und böhmischen König, und Wenzel, dessen Sohn, andererseits, versprach der Landgraf dagegen, dass seine Söhne, sobald sie die Mündigkeit erreichen, den Vertrag beschwören und ihre Siegel an diesen anhängen. Sollte es dazu aber aus irgendeinem Grunde nicht kommen, sollte das Bündnis so weiterbestehen, als ob seine Söhne dies getan hätten. Jirecˇek, Kor. arch. cˇesky´, S. 321. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass man es in der tschechischen Ge-
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Analyse des Friedensvertragstextes
dass der »Staat«, wie wir ihn heute kennen, zu dieser Zeit bereits im Entstehen begriffen war. Dennoch ist hier Vorsicht geboten. Schon 1165898 wird die corona regni Bohemiae als ein vom König unterschiedenes und im gewissen Sinn über ihm und den Herren stehendes »rechtliches Subjekt und moralisches Prinzip« erwähnt.899 Während der Regierungszeit der luxemburgischen Dynastie wird die Krone im Gegensatz zum König bzw. seiner sterblichen Hülle zu einer unsterblichen und vom jeweiligen Herrscher unabhängigen Größe.900 Der König war sterblich, das Königreich aber hatte Bestand. Seit dem 14. Jahrhundert wurde der Begriff »böhmischer Staat« – corona regni Bohemiae – also für ein fiktives Gebilde benutzt, welches das Herrschaftsgebiet, den Herrscher selbst sowie die Stände und ihre gegenseitigen Beziehungen unter einem Dach vereinigte.901 Auch in England, Frankreich oder Ungarn wird der Ausdruck corona regni zur gleichen Zeit in der Weise verwendet. Gleichwohl blieb der König das wichtigste Element dieser Konstruktion. Er gewährleistete, dass die der Krone unterstehenden Territorien auch weiterhin im Königreich verblieben. Daneben war er der Garant für die Einhaltung der Verträge mit anderen Herrschern. Die bereits erwähnte Betonung der Freundschaft in den meisten Friedensverträgen hängt damit zusammen – die Freundschaft verband vor allem die Herrscher und nicht die Staatswesen als solche.902 Die Fürsten schlossen die Verträge also für sich selbst, ihre Vasallen oder Verbündeten ab, und nicht für das Gebilde, das sie repräsentierten. Dies hielt bis zum Ende der Frühen Neuzeit an.903 Als Ausnahme könnte in diesem Zusammenhang der Vertrag von Ensisheim (1444) genannt
898 899 900 901 902 903
schichtswissenschaft keineswegs als problematisch ansieht, die europäischen mittelalterlichen Gebilde als Staaten zu bezeichnen. Der gleiche Ansatz ist auch in der englischen und französischen Wissenschaft zu finden. Eine abweichende Meinung herrscht in einem Teil der deutschen Mediävistik, der den Begriff des Staates für die Zeit des Mittelalters konsequent ablehnt. Gegen diese Auffassung Kortüm, Kriegstypus, S. 91–92. In der vorliegenden Arbeit wird in der Regel entweder auf die von den Quellen benutzte Terminologie zurückgegriffen – Königreich, Fürstentum, Markgrafschaft – oder es werden allgemeine Ausdrücke – wie Herrschaftsbereich oder Herrschaftsgebiet – verwendet. So lässt sich auch vermeiden, die auf unterschiedliche Art und Weise ausgestalteten Herrschaftsgebilde in Europa unter dem gemeinsamen Nenner des »mittelalterlichen« Staates zusammenfassen zu müssen. Prochno, Terra Bohemiae, Regnum Bohemaie, Corona Bohemiae, S. 62. Adamov#, Pojem koruna cˇesk#, S. 1. Ebd., S. 1. Adamov#, Pojem koruna cˇesk#, S. 6. Oschema, Freundschaft und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, S. 282ff. und S. 304– 323. Duchhardt, Das Vermächtnis des Spätmittelalters an die Frühe Neuzeit, S. 609. Ausgeklammert wird die Tatsache, dass es bereits Republiken gab, wie Venedig oder im späten 16. Jahrhundert die Niederlande, die »international« agierten und hierbei durch den Dogen bzw. den Statthalter vertreten wurden. Krischer, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft, S. 8, Fn. 26. Zum »internationalen« Auftreten der Hanse bei Reibstein, Das Völkerrecht der deutschen Hanse, S. 38–92.
Bellum contra Turcos
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werden, der zwischen der Schweizerischen Konföderation und dem Königreich Frankreich – vertreten durch Dauphin Ludwig, der keine Rückendeckung seitens des amtierenden französischen Königs hatte – abgeschlossen wurde. Nach Jucker wurden die Vertragspflichten hier primär an ein Territorium gebunden, das als solches erst noch ererbt werden sollte.904 In der Praxis üblich war gleichwohl umgekehrte Reihenfolge, und zwar vor allem bei den Erbbündnissen, in denen sich der herrschende König auch mit Wirkung für seine Nachfolger verband.
III.
Bellum contra Turcos
1.
Türkenkreuzzüge im 15. Jahrhundert
Was die Türkenkreuzzüge anging, war das 15. Jahrhundert ein Jahrhundert nicht erfüllter Versprechungen und im Sande verlaufender Projekte. Die Kreuzzugsideen wurden sublimiert und verfremdet, mehr in den Hoffesten und der Literatur ausgelebt905 als tatsächlich verwirklicht. Man bekannte sich zu den Idealen und ehrte sie, aber es fehlte an der treibenden Kraft, einen gesamteuropäischen Kreuzzug zustande zu bringen. So wurden die großen Helden und Türkenkämpfer, wie etwa der unicus et fortissimus athleta Christi,906 Johannes Hunyadi, der Woiwoda der Walachei, Vlad T¸epes¸, und der albanische Fürst Georg Kastriot (bekannt als Skanderberg) mehr von der Not in ihre Rollen gedrängt. Auch wenn man publizistisch die Dringlichkeit, gegen die Türken ins Feld zu ziehen, betonte, oder Treffen auf »europäischer« Ebene veranstaltete bzw. Gesandtschaften organisierte, blieben alle Anstrengungen vergebens. In den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts war es bereits gelungen, Kreuzzüge gegen die Hussiten zu führen, wenn auch mit schlechtem Ausgang für die Kreuzritter. Dabei hatte es sich jedoch um die Abwehr einer unmittelbaren Gefahr gehandelt – die Verbreitung hussitischen Gedankenguts und die damit verbundenen sozialen Unruhen stellten für die umliegenden Fürsten ein beträchtliches Risiko dar. 904 Jucker, The Continuity of Values, S. 387. Dagegen war das Auftreten des jungen, bereits gekrönten Nachfolgers des böhmischen Königs neben diesem in den Verträgen als ein der Vertragssubjekte nicht unüblich. Stieber, Böhmische Staatsverträge, S. 14. 905 Matschke, Das Kreuz und der Halbmond, S. 175. 906 Diese Auszeichnung erhielt Hunyadi vom Papst nach seinem Sieg über die Türken bei Belgrad im Jahre 1456: Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon, Bd. 6, Sp. 1609ff. Es war sein bedeutendster Sieg über die Türken, der weitere Angriffe auf Ungarn für die nächsten Jahrhunderte unterband. Mehr zur Schlacht bei Belgrad bei V. Zsolnay, Vereinigungsversuche Südosteuropas im XV. Jahrhundert, S. 127ff.
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Analyse des Friedensvertragstextes
Es ist nicht auszuschließen, dass auch das gesellschaftspolitische Klima der Zeit einen großen, europaweiten Kreuzzug nicht begünstigt hat: Das 15. Jahrhundert war eine Epoche des Übergangs, schwankte noch zwischen der traditionellen, mittelalterlich-hierarchischen Struktur und der im Entstehen begriffenen Souveränität einzelner europäischer Staaten.907 Die respublica christiana als eine allumfassende, universelle Macht existierte nicht mehr.908 An ihre Stelle waren kleinere Gebilde getreten, die ihre Beziehungen mit der Kirche durch bilaterale Abkommen – Konkordate – sicherten.909 Die traditionellen Zentralmächte, Kaiser und Papst, neutralisierten sich. Der nur mäßig enthusiastischen Haltung Kaiser Friedrichs III. zum Kreuzzug stand der Eifer Pius’ II. gegenüber. Auch diesem gelang es jedoch nicht, unter seinem Banner genügend Unterstützer für einen Kreuzzug zu versammeln. Das bereits erwähnte Marinische Traktat De unione Christianorum contra Turcas spricht mehr als einmal davon, dass papa non habet debitam obedientiam per urbem nec in temporalibus nec in spiritualibus und imperator non habet debitam obedientiam nec convenientem potentiam.910 Pius II. selbst führte die Untätigkeit der Fürsten auf zwei Ursachen zurück. Einerseits seien sie durch Kämpfe untereinander abgelenkt, andererseits fürchteten sie sich vor einem Krieg gegen die Türken, denen ein grausamer Ruf vorauseilte. Zwischen den europäischen Fürsten und den Türken standen außerdem die Ungarn, die durch ihre erfolgreiche Kriegsführung eine Art Bollwerk Europas bildeten.911 So blieb der Kreuzzug bei Nicopolis (1396) die letzte gemeinsame europäische Unternehmung. Die darauffolgenden Kämpfe waren lediglich einseitige Verteidigungskämpfe912 oder rein politische Initiativen.913 In-
907 Atiya, The Crusade in the Later Middle Ages, S. 480. 908 Später, Anfang des 16. Jahrhunderts, kam im europäischen politischen Diskurs die auf den gleichen Prinzipien wie die respublica christiana fußende Theorie der Universalmonarchie (monarchia universalis) auf. Mehr dazu bei: Franz Bosbach, Monarchia universalis – ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit. Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 32, Göttingen 1988. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts figuriert »Europa« als eine Standardformel zur Begründung des Abschlusses von Verträgen unter den Herrschern – zum Wohle Europas soll Frieden geschlossen werden. Duchhardt, »Europa« als Begründungs- und Legitimationsformel, S. 54. 909 HRG, Bd. 3, S. 33. 910 Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 217. 911 De Vries, The Lack of a Western European Military Response to the Ottoman Invasions of Eastern Europe from Nicopolis (1396) to Mohacs (1526), S. 545. 912 Atiya, The Crusade in the Later Middle Ages, S. 480. 913 Zu den Unternehmungen dieses Typs kann man auch die Konferenz von Loutsk zählen, bei der sich auf Einladung des Fürsten Vitautas und anderer litauischer und russischer Fürstenfamilien folgende Herrscher Europas zusammenfanden, um die akute türkische Gefahr zu erörtern: der Herrscher Polens, Władysław Jagiełło, der deutsche Kaiser Sigmund, der dänische und schwedische König Erich von Pommern, der Deutsche Orden und viele
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teressanterweise hegte man trotz der fehlgeschlagenen Versuche, einen Türkenkreuzzug zu organisieren, die Hoffnung, Konstantinopel zurückerobern zu können. Es kursierten Gerüchte, Pius II. wolle nach der Rückeroberung Konstantinopels anstelle der Paläologen seinen eigenen Neffen als Kaiser einsetzen.914 Auch dem böhmischen König wurden ähnliche Ambitionen nachgesagt,915 die der Nachfolger von Papst Pius II. freilich nicht goutierte.916
2.
Der geplante Kreuzzug im böhmischen Friedensvertrag
Die Bestimmungen des böhmischen Vertrags zum geplanten Kreuzzug sind in den Artikeln 13, 14, 15 und 21 konzentriert und betreffen drei wichtige Aspekte – die finanzielle Seite der Unternehmung, die Strategie sowie die materiell-technische Basis. Diese Themen werden unterschiedlich detailliert behandelt; in mancher Hinsicht sind die für den Kreuzzug unabdingbaren Fragen lediglich angedeutet. a)
Besteuerung der Ligamitglieder
Neben dem dreitägigen Ertrag aus den Renten der Königreiche waren die Zehnten für den Krieg bestimmt. Es gehörte zur üblichen Praxis, Zehnte für die Zwecke eines Kreuzzugs einzutreiben.917 In Artikel 21 findet sich die interessante Bestimmung pater et pastor fidelium (Papst) concedat et demandet per suas publicas et autenticas bullas sub formidabilibus penis executoribus sibi nominandis superinde in plenissima forma datis et deputatis, quod decime prefate
914 915 916
917
andere. Details bei Novacovitch, Les Compromis et les Arbitrages Internationaux du xii au xv SiHcle, S. 14–16. Jorga, Geschichte des Osmanischen Reiches nach den Quellen dargestellt, Reprint Darmstadt 1997, S. 130. Brockhaus, Gregor von Heimburg, S. 595. Der bayerische Herzog Ludwig der Reiche versuchte, bei Papst Paul II. ein gutes Wort für König Georg einzulegen und folgendes Geschäft anzubieten: König Georg kehrt mit seiner Familie zum katholischen Glauben zurück und stellt die katholische Kirche im Böhmischen Königreich wieder her. Als Ausgleich wird einer seiner Söhne zum König Böhmens, der andere zum Prager Erzbischof, Georg selbst sollte zum Kaiser von Konstantinopel ernannt werden. Dieser aus der Feder des ausländischen Beraters Dr. Martin Mair stammende Plan wurde von Paul II. natürlich abgelehnt: Sed quid mirum, si Georgius imperium petat, qui mox capitaneatum totius christianitatis exquirit, ut videlicet illi expedicio adversus Turcum cum cruciata et indulgenciis, id es tut hosti Christi christianus excercitus committatur et impio carnifici oves dominice mactande tradantur! Quam digna erit Romani pontificis exhortacio, si catholicos ad militandum sub heretico eciam per indulgenciarum concessionem invitet et cruciata indicatur pro illo adversus quem veluti fidei hostem et persecutorem fidei debet cruciata concedi! SRS Bd. 9 (1874), Nr. 316, S. 161. Neben dem Zehnten wurden auch die Ablassgelder zu diesem Zwecke eingetrieben.
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Analyse des Friedensvertragstextes
iuxta modum et condiciones sibi nostris nominibus offerenda dentur, tradantur et exolvantur. Dass die Eintreibung der Abgaben dem Papst auferlegt wird, ist allein noch nicht außergewöhnlich. Bemerkenswert ist vielmehr das ausdrückliche Vorsehen von executores, die das Geld persönlich eintreiben sollten. Diese Exekutoren sollten von den Vertragsparteien ausgewählt und beauftragt, jedoch vom Papst mit den nötigen Dokumenten ausgestattet werden, da die Herrscher selbst keine Befugnis besaßen, die Eintreibung des Zehnten anzuordnen. Die Art und Weise der Geldeintreibung blieb jedoch in der Kompetenz der Fürsten. Wie die Herrscher stets versucht hatten, die Befugnis zur Eintreibung finanzieller Mittel an sich zu reißen, so wollte auch die Kirche die Oberhand über diese Einnahmequelle behalten, um einem möglichen Missbrauch vorzubeugen – hatte es in der Vergangenheit doch genügend Beispielsfälle gegeben, in denen die Fürsten das eingetriebene Geld für eigene Zwecke benutzten.918 In den Bestimmungen des böhmischen Friedensvertrags wird der Papst also reduziert auf die Rolle eines reinen Instruments der Abgabenerhebung – die wegen der im Vergleich zu den ersten Kreuzzügen aufgrund neuer, fortschrittlicherer Ausrüstung und des allmählichen Übergangs zum Söldnersystem stark gestiegenen Kosten für die Kriegsführung919 so notwendig war. Aus Sicht des Böhmischen Königreiches war es essentiell, die eingetriebenen Mittel in der Obhut der Fürsten oder der Liga zu belassen. Es bestand nämlich die Befürchtung, dass, wenn das Geld in der Hand des Papstes konzentriert wäre, ein gegen das ketzerische Königreich Böhmen gerichteter Kreuzzug nicht auszuschließen sei.920
918 Als Calixtus III., der Vorgänger von Pius II., die Erhebung des Zehnten für den ausgerufenen Kreuzzug (1456) befahl, nutzte König Alfonso dieses Geld zur Schaffung einer Flotte. Doch diese schickte er nicht gegen die Ungläubigen, sondern gegen seinen Feind – den genuesischen Dogen Pietro Campofregoso. Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, S. 71. Ähnlich verfuhr auch der große Befürworter des Türkenkriegs, der Herzog von Burgund, der das Geld schlicht einbehielt. Christian, der König von Dänemark, ging sogar so weit, dass er in die Sakristei der Domkirche in der königlichen Stadt Roskilde eindrang und das gesammelte Geld stahl, welches für den Kreuzzug und zur Unterstützung des von den Türken bedrängten Königs von Zypern bestimmt war. Ludwig, Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance, S. 540. Der portugiesische König versammelte zwar eine Armee, da aber kein Kreuzzug stattfand, führte er sie für eigene Zwecke nach Nordafrika. Schon die praktische Erhebung und das Eintreiben des Geldes waren oft problematisch, wie zum Beispiel im Fall der von den Reichsständen erlaubten Türkensteuer des Jahres 1471. Krieger, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter, S. 33. 919 Housley, The Later Crusades, 1274–1580, S. 435. 920 Zur Sammlung des Geldes für einen Kreuzzug gegen das ketzerische Böhmische Königreich kam es dann später, im Jahre 1470, im Süden und Westen Deutschlands sowie in Burgund und Flandern. Näher dazu: Fink, Der Kreuzablass gegen Georg Podiebrad, S. 207–243. Man kann aber nicht von einer großen Bereitschaft der Reichsfürsten zu einem Feldzug gegen Georg von Podiebrad sprechen. Obwohl Papst und Kaiser im Jahre 1469 zu diesem auf-
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181
Auf den Aspekt der Finanzen bezieht sich auch eine weitere Forderung an die Fürsten (Artikel 14): Item quomodo provideatur de communi moneta, per quam in exercitu venientes in eundo, stando et redeundo non graventur. Auch wenn einige moderne Autoren in diesem Wunsch nach einer gemeinsamen Währung einen Vorläufer der Währungsunion im Rahmen der Europäischen Union sehen, ist diese Bestimmung des Friedensvertrages eher dahingehend auszulegen, dass sich die Parteien zum Zwecke des Kreuzzugs auf eine »Münze« einigen sollten, nicht jedoch auf ein allgemein verbindliches, einheitliches Zahlungsmittel innerhalb der Friedensliga.921 Vielmehr ging es darum, dem durch unterschiedliche Herrschaften ziehenden Heer den Erwerb von Lebensmitteln und anderen Güter zu vereinfachen, denn es existierte im mittelalterlichen Europa eine Unmenge an Münzen, die zwar oft keine Grenzen kannten, aber nicht überall als Zahlungsmittel akzeptiert wurden. Neben den regionalen Münzen wurden Währungen aus Nachbarländern, aber auch aus weiter entfernten Teilen Europas im Handel genutzt. In Mitteleuropa herrschte zu Podiebrads Zeiten ein wahrer »Münzpluralismus«. In Bayern und Österreich benutzte man vor allem den Pfennig, jedoch auch den Prager Groschen. Hierbei handelte es sich wohl um die am stärksten verbreitete überregionale mittelalterliche Groschenmünze für alltägliche Geschäfte in Europa.922 Der ungarische Gulden und der von den Kurfürsten bei Rhein geprägte Rheinische Gulden (1386) gehörten zu den beliebten größeren Zahlungsmitteln. Der Wunsch der Fürsten nach einer »guten« gemeinsamen Münze könnte auch den Hintergrund haben, dass man in der zweite Hälfte des Jahrhunderts unter der sogenannten »schwarzen« Münze litt – in Bezug auf Deutschland wurde hier von der »erste[n] große[n] Inflation« gesprochen.923 In Österreich wie auch in Böhmen stieg die Menge der im Umlauf befindlichen schwarzen Münzen in den fünfziger Jahren des 15. Jahrhunderts rapide an.924 Die Fürsten prägten Münzen, die einen niedrigeren Gehalt an Silber hatten oder fast aus Kupfer bestanden. Durch diese Münzverschlechterung verloren die betroffenen Zahlungsmittel nach und nach an Wert.925 Zu den Fürsten, die diese minderwertigen Pfennige – Schinderlinge genannt – prägten,
921 922 923 924 925
riefen, wurde er beim Regensburger Gesandtentag dessen Jahres elegant vom Tisch gefegt. Wefers, Zur Theorie auswärtiger Politik, S. 367. Die Fürsten schlossen untereinander oft Münzvereine. Durch die Erweiterung des Geltungsbereiches einer bestimmten Münze verfolgten sie den Zweck, den Handel zu fördern. Sprenger, Das Geld der Deutschen, S. 81. Der Grossus Pragensis wurde seit 1300 geprägt, in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bezahlte man mit ihm rund um den Bodensee und am Ende des 14. Jahrhunderts war er in Westfalen verbreitet. Sprenger, Das Geld der Deutschen, S. 75. Ebd., S. 92. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 200. Im 19. Kapitel der Goldenen Bulle (1356) Kaisers Karls IV. wurde das Recht, Gold- und Silbermünzen zu prägen (Münzregal), allen geistlichen und weltlichen Kurfürsten zugestanden.
182
Analyse des Friedensvertragstextes
gehörten der Kaiser926 selbst, sein Bruder Albrecht, der Graf von Öttingen, die Landgrafen von Hals, der Erzbischof von Salzburg und der Bischof von Passau. Die Prägung einer minderwertigen Münze verschaffte dem Inhaber des Münzregals einen finanziellen Vorteil,927 aber nur so lange, wie dies im Zahlungsverkehr nicht auffiel.928 Die Krise der damaligen »Finanzwelt« erreichte im Frühling des Jahres 1460 ihren Höhepunkt, als man in Wien für einen Goldgulden 3686 Pfennige bezahlen musste, während vor Ausbruch der Krise im Jahre 1458 noch 222 Pfennige ausgereicht hatten.929 Im selben Jahr noch begann man damit, neue, gute Pfennige zu prägen. Die Münzmeister des Kaisers und seines Bruders flohen ins Ausland, vor allem nach Venedig930 und Frankreich, wo man ebenfalls zu währungsbezogenen Maßnahmen griff.931 Georg von Podiebrad verbot bereits 1458, im Jahre seiner Krönung, die Annahme schwarzer Münzen, vor allem derjenigen des Kaisers bzw. Ludwigs von Bayern.932 Am Ende des darauffolgenden Jahres ordnete Georg an, dass niemand das schwarze Geld in das Königreich einführen und niemand böhmisches Geld aus Böhmen exportieren dürfe. Das sich auf schwarze und weiße Münzen beziehende Annahmeverbot sollte an den Stadtpforten von speziellen Beamten kontrolliert werden, die auch die Waren der Kaufleute in ein Register einzutragen hatten. Der Handel außerhalb von Städten mit Marktrecht wurde ebenfalls verboten.933 Beide Anordnungen erfolgten unter Androhung der Todesstrafe und der Beschlagnahme aller Güter.934 Georg ließ zudem eine neue Münze prägen, einen neuen Groschen, auf dem das Wappentier Böhmens, der zweischwänzige Löwe, abgebildet war.935 Nicht nur »innerstaatlich«, sondern auch
926 Da der Kaiser Geldmittel für die Erbstreitigkeiten mit seinem Bruder benötigte, verpachtete er das Recht der Münzprägung seinen Gläubigern Andreas Baumkircher, Bertold von Ellerbach, Ulrich Grafeneck und Sigmund Weispriach. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 201. 927 Dieser als praemium bezeichnete Vorteil bei der Prägung der einheimischen Münze war im gelehrten Recht erlaubt. Schreiber, Die volkswirtschaftlichen Anschauungen der Scholastik seit Thomas v. Aquin, S. 193. 928 Sprenger, Das Geld der Deutschen, S. 86. 929 Ebd., S. 93. 930 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 201. 931 Der französische König Ludwig IX. kämpfte damit, dass es in Frankreich viele ausländische Münzen gab, die wertvoller als die von ihm geprägten waren. Durch die Fixierung der Wertrelationen zu diesen und durch die Überbewertung der französischen Münze versuchte er, eine einheitliche Währung einzuführen, was jedoch erfolglos blieb. Schmidt, »Bien public« und »raison d’Etat«, S. 197. 932 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 203. ˇ , Bd.V 933 Vgl. Urb#nek,Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 218. Der Text der königlichen Anordnung: AC (1862), S. 434. 934 Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 205, unter Verweis auf den Brief des böhmischen Königs an den südböhmischen Magnaten Johann von Rosenberg. 935 Der alte Groschen verlor deutlich an Wert. Während zur Zeit Wenzels II. 60 Groschen einer
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»international« versuchte der böhmische König, gegen die schwarze Münze vorzugehen: Im Friedensvertrag von Glogau mit dem polnischen König Kasimir IV. einigte er sich mit diesem sogar darauf tenebimur monetam prohibere ubicunque, tam in regno nostro Bohemiae, quam in regno Poloniae (…), ne falsa, deordinata, et illegitima cuderetur.936 Neben der Bestimmung einer geeigneten Münze dem böhmischen Vertragstext (Artikel 14) zufolge sollten die Fürsten auch dafür Sorge tragen, dass die sich für den Kreuzzug rüstenden Soldaten Lebensmittel zu einem anständigen Preis erwerben könnten937 und ihnen eine preiswerte Unterkunft zur Verfügung gestellt würde.938 Auf diese Weise sollten die mit dem Durchzug einer Armee stets verbundenen Spekulationen und Preissteigerungen verhindert werden. Bereits beim Fürstenkongress in Mantua hatten die deutschen Fürsten zum Ausdruck gebracht, dass es bei einem künftigen Türkenkreuzzug notwendig sei, den Soldaten in Ungarn Verpflegung zu einem angemessenen Preis zur Verfügung zu stellen.939 Andererseits ist zu bedenken, was ein Strom vorbeireisenden Kriegsvolks für die betroffenen Herrschaften bedeuten konnte. Es existieren zahlreiche Quellen, in denen beklagt wird, wie die durchziehende befreundete Armee mehr Schaden anrichte als die eigentlichen Feinde.940
b)
Machinae bellicae et apparates
Die strategische Seite des Kreuzzuges wird im böhmischen Friedensvertrag leider nur sehr knapp und detailarm beschrieben. Der einstimmig oder mehrheitlich entscheidenden Bundesversammlung wurde insoweit eine weitreichende Befassungs- und Beschlusskompetenz eingeräumt. Sie sollte den Versammlungsort der Land- und Seestreitkräfte bestimmen, den Feldherrn bestellen, die Maschinen und Kriegsgeräte auswählen und den Zeitpunkt des Angriffes festsetzen. Auch die Entscheidung über die bereits erwähnte Gewährleistung der Verpflegung und der Unterkunft für die Soldaten sowie die zur
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Silbermark entsprachen, war es zur Zeit der Regierung Podiebrads das Doppelte. Siegl, Zur Geschichte der Fürstentage Georgs von Podiebrad in Eger, S. 205, Fn. 2. Dogiel, Codex regni Poloniae, S. 15. Auch im Rahmen der Landfriedenseinungen sollten die Truppen gegen ein angemessenes Entgelt verpflegt werden. Fahrner, Der Landfrieden im Elsass, S. 526. Bei der militärischen Hilfeleistung für ein angegriffenes Mitglied des Wetterauer Grafenvereins »sulden der oder die, den sie (verstehe die Kämpfer) geschickt wurden, bestellen, das sie in den slossen und an den enden, dar sie dangeschickt wurden, redelichen und feilen kauff funden«. Aus der Bündnisurkunde (1422) bei Baur, Hessische Urkunden IV, unter Nr. 85, S. 76. Vgl. die Bestimmungen des Vertragstextes der italienischen Liga zu der Unterkunft und Verpflegung des Kriegsvolkes. Dumont, Corps universel diplomatique, T. III., P. I., S. 222. Urb#nek, Veˇk Podeˇbradsky´ IV, S. 339. Brunner, Land und Herrschaft, S. 62, Fn. 2 und 3 m.w.N.
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Analyse des Friedensvertragstextes
Vereinfachung der Heeresversorgung zu schaffende gemeinsame Münze oblag ihr. Für den Fall, dass ein Türkenkreuzzug tatsächlich erfolgreich durchgeführt würde, sollte die Bundesversammlung auch über die Aufteilung der erworbenen Gebiete941 und den möglichen Abschluss eines Friedensvertrages mit den Türken entscheiden. Während die Legitimation des Krieges gegen die Ungläubigen bei den mittelalterlichen Juristen unumstritten war – neben der »Ungläubigkeit« musste lediglich ein weiterer Grund zum Angriff bzw. zur Verteidigung vorliegen, sei es die Verfolgung der Christen oder die Rückeroberung der ehemals christlichen Gebiete942 – war die Frage eines möglichen Friedensschlusses mit den Ungläubigen schon wesentlich komplizierter. Überlegungen zum sogenannten impium foedus (dem ruchlosen Bündnis) existierten bereits seit der Zeit des frühen Mittelalters.943 Hier wurde zur Heiligen Schrift gegriffen, vor allem zu einer Bestimmung aus dem zweiten Brief an die Korinther (Kapitel 6, Vers 14: nolite iugum ducere cum infidelibus), die das Verbot der Vertragsbindung mit den Ungläubigen944 untermauern sollte. Zur weiteren Absicherung dieser Argumentation zog man außerdem recht umständlich Vers 32 aus dem ersten Kapitel des Briefes an die Römer heran.945 Im neunten Jahrhundert gab es ein klares Verbot von jeglicher Allianz oder gar Freundschaftsverträgen mit den Ungläubigen;946 solche sahen den die Päpste als ungültig an. Wer sich mit den 941 In den Bündnisverträgen gab es unterschiedliche Modalitäten bezüglich der Aufteilung von gewonnenen Gebieten. Im Bündnisvertrag (8. April 1421) zwischen König Władysław Jagiełło und dem Kurfürsten Friedrich von Brandenburg, der gegen den Deutschen Orden gerichtet war, vereinbarten die Parteien zum Beispiel, dass die von ihnen gemeinsam gewonnenen Gebiete illa in parte huius remaneat perpetue, ad quem et ad cuius dominia spectaverint ab antiquo; und wenn dies nicht der Fall war : iuxta et secundum computacionem et numerum exercituum cuiuslibet iusta sorte dividentur, utputa maiori exercitui maior et minori minor porcio concedetur. AÖG, 45, S. 337. 942 Schrödl, Das Kriegsrecht des Gelehrten Rechts im 15. Jahrhundert, S. 62–63. Vgl. dazu die Meinungsunterschiede zwischen Innocenz IV. und Hostiensis in deren Kommentaren zur Dekretale Quod super his X. 3.34.8. Während Innocenz IV. nur die Wiedererlangung der von den Ungläubigen eingenommenen christlichen Gebiete billigte, sieht sein Schüler keine Einwände dagegen, auch die ursprünglichen Gebiete der Ungläubigen zu erobern. Mehr dazu: Muldoon, Medieval Canon Law and the Formation of International Law, S. 69. 943 Der Gesandte des Königs Dagobert (7. Jahrhundert) schloss das Zustandekommen einer Freundschaft oder gar Allianz zwischen den Franken und den Wenden aus. Vismara, Impium foedus, S. 16. 944 Den Muslimen war es aber laut Koran 5, 56ff. umgekehrt auch verboten, eine Freundschaft oder Allianz mit den Juden oder Christen einzugehen. Vismara, Impium foedus, le origini della »respublica christiana«, S. 2. 945 Qui cum iustitiam Dei cognovissent non intellexerunt quoniam qui talia agunt digni sunt morte non solum ea faciunt sed et consentiunt facientibus. Näheres dazu: Vismara, Impium foedus, S. 18, Fn. 33. 946 Bezüglich der Verträge mit den Heiden war die Sicht wohl weniger streng. Der Heilige Augustinus sah einen mit einem Heiden abgeschlossenen und beschworenen Vertrag nicht
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Ungläubigen verband, wurde zum Feind der Christenheit erklärt und beging ein crimen. Exkomuniziert sollten diejenigen sein, qui cum saracenis tempore guerrae aliquod habent commercium, vel eis praestant subsidium.947 Schon vor der Erlaubnis der foedera mit den Ungläubigen durch Papst Innozenz IV. schloss man aber während des ersten Kreuzzugs zahlreiche Verträge mit ihnen.948 Im späten Mittelalter wurde ein Friedens- oder Allianzvertrag mit den Ungläubigen schon nicht mehr so streng beurteilt.949 Allerdings war es untersagt, diese im Krieg gegen die Christen zu unterstützen und ihnen zu gestatten, Mohammed in christlichen Ländern öffentlich zu ehren.950 Dagegen war es den Christen imminente necessitate erlaubt, die Hilfe derjenigen Ungläubigen anzunehmen, mit denen man sich nicht in einem kriegerischen Konflikt befand.951
c)
Die Rolle des Papstes im geplanten Kreuzzug
Friedensstiftende Aufgabe Dem Papst wurde traditionsgemäß eine friedensstiftende Aufgabe zugeschrieben.952 Diese bezog sich aber nur auf solche Streitigkeiten zwischen den Fürsten,
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als eine Sünde an. Er musste aber einem guten und erlaubten Zweck dienen. Diese Argumentation übernahm auch Gratian in C. 22 q.1 c 16. Ziegler, Biblische Grundlagen des europäischen Völkerrechts, S. 9 und S. 16. Dafür waren Verträge mit Häretikern seit dem Dekret Urbans IV. (1382) verboten. Für diese Tatsache büßte der böhmische Reformator Johannes Hus, als der ihm von Kaiser Sigismund ausgestellte salvus conductus vom Konstanzer Konzil für ungültig erklärt wurde. Damit stand der Weg zu seiner Verbrennung offen. Nussbaum, Forms and Observance of Treaties, S. 193. Kommentar zu 5. Comp. 6.12. Quod olim. Panormitanus, Commentaria In Quartum, & Quintum Librum Decretalivm, Fol. 172v. Schwinges, Rechtsformen in der Kreuzzugszeit, S. 78. Die Zulässigkeit einer Vertragsbindung mit den Ungläubigen bejahte zum Beispiel auf dem Konstanzer Konzil der polnische Kanonist Paulus Vladimiri. Ziegler, Biblische Grundlagen des europäischen Völkerrechts, S. 21. Principes Christiani non debent permittere Sarracenos publice adorare Machometum in terris Christianis suis (…) principes Christiani non debent dare auxilium infidelibus contra Christianos in bello. Garatus, De Principibus, Qu. 343. D. Valderas, De Bello et Iustitia, Fol. 334r. Ad Papam pertinet pacem facere inter Principes Christianos. Garatus, De Confederatione, Pace, Qu.19, Fol. 302v. Als Mediatoren führte Guillebert de Lannoy, Vertrauter des burgundischen Herzogs Philipp, in seinen Friedensüberlegungen an erster Stelle den Papst und die Kardinäle an, die die Auseinandersetzungen unter den christlichen Fürsten regeln sollten, damit man gegen die Türken ziehen könne. Als weitere Schlichtungsmedien sah er im Anschluss das allgemeine Konzil, den Kaiser und das Fürstenkollegium vor. Müller, Konzil und Frieden. Basel und Arras (1453), S. 343 Fn. 32. (Seit Neuestem wird die Autorschaft dieses Traktats dem Bruder von Guillebert, dem Hugues de Lannoy, zugeschrieben – vgl. Bernhard Sterchi, Hugues de Lannoy, auteur de l’Enseignement de vraie noblesse, de l’Insturction d’un prince et des Enseignements paternels, in: Le Moyen Age (1) 2004, T. 110, S. 79–117.
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Analyse des Friedensvertragstextes
in denen es um eine Sünde ging. Konflikte, die rein politischer Natur waren, wie etwa ein lehnsrechtlicher Streit, fielen aus dem Kompetenzbereich des Papstes heraus.953 Der Friedensbruch oder ein Waffenstillstandsbruch bewegten sich allerdings als Sünde durchaus in der Zuständigkeit eines geistlichen Richters.954 Eine friedensstiftende Funktion wird dem Papst im böhmischen Vertragstext vor allem im Hinblick auf Streitigkeiten zwischen geistlichen Fürsten eingeräumt, in zweiter Linie dann für solche Konflikte, die die Durchführung des Kreuzzuges gefährden könnten. Hier war er verpflichtet, auf ihre Beilegung hinzuwirken, und zwar auf die übliche Art und Weise, nämlich durch die Entsendung von Legaten in die verfeindeten Länder. Allerdings hatte ein Legat gewisse Anforderungen zu erfüllen, er musste ein vir probus, expertus et bone vite955 sein, der die ritum, idioma et habitudines des betreffenden Landes gut kannte.956 Der Legat sollte zunächst versuchen, die Parteien zu einem Kompromiss zu bewegen. Wenn ein solcher fehlschlug, sollte ihm vom Papst ein Mandat zur Entscheidung des Streites de iure eingeräumt werden. Anfechtung der Kreuzzugskompetenz des Papstes Weil der Heilige Vater nicht in der Liga vertreten war, stand seine traditionelle Führungsrolle im Kampf gegen die Ungläubigen infrage. Da man aber schon wegen der Genehmigung der Erhebung des Zehnten nicht ohne den Heiligen Stuhl auskommen konnte, musste ihm irgendeine Position zugewiesen werden. Dies geschah, indem man dem Papst gewisse Aufgaben auferlegte. Neben der Funktion, Frieden unter den geistlichen Fürsten zu stiften, sollte er die Fürsten und Stadtstaaten Italiens zum Aufbau einer Kriegsflotte bewegen. Über den eigentlichen Krieg gegen die Türken sollte dagegen der Fürstenbund allein entscheiden. Indem Georg den Papst aus allen Fragen, die den Krieg selbst betrafen, heraushielt und seine Mitwirkung auf die Eintreibung der Finanzen und die Friedenserhaltung beschränkte, hielt er sich aber an ohnehin existierende Vorgaben, denn die direkte Beteiligung der Geistlichen am Krieg war 953 Novit ille, X 2,1,13. 954 Pennington, Panormitanus’Additiones to Novit ille [X 2,1,13], S. 701. Der Papst war auch berechtigt, die Fürsten dazu zu bringen, die von ihnen abgeschlossenen Verträge einzuhalten. Papa potest compellere principes ad servandam pacem inter eos contractam. Garatus, De Confederatione, Pace, Qu. 19, Fol. 302v, oder Qu. Nr. 22, ebd.: Crimen fractae pacis inter Principes pertinet ad iudicium ecclesiasticum. 955 Diese Stelle wird in der Literatur in dem Sinne gedeutet, dass die Schöpfer des Friedensvertrages gewisse Bedenken hinsichtlich der Sittlichkeit der damaligen Prälaten hatten. Boub&n, Der Versuch einer Neuordnung Europas, S. 104. Diese Interpretation ist durchaus berechtigt, wenn man sich die hussitische Kritik am geistlichen Stand bewusst macht (3. Prager Artikel: keine weltliche, politische Macht in den Händen der Kirche). 956 Marini verlangt in seinem Traktat vom Papst, dass dieser in die verschiedenen Länder Kardinäle entsende, die de bona et sancta vita seien und die Sprache des jeweiligen Landes beherrschten. Sˇmahel, Antoine Marini de Grenoble et son M8morandum, S. 228.
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grundsätzlich verboten.957 Durch seine wenig taktvolle Beseitigung der päpstlichen Autorität stand Podiebrad dennoch dem geplanten passagium im Weg: Er schloss diejenige Person aus, die rechtlich und theologisch für dessen ordentliche Proklamation zuständig war, und nahm so vorweg, was die Protestanten zu Beginn des 16. Jahrhunderts dann zu Ende führten.958
957 Gratian sah es in der achten Quaestio der Causa XXIII schlichtweg als erwiesen an, dass die Geistlichen nicht zur Waffe greifen dürften: De episcopis vero uel quibuslibet clericis, quod nec sua auctoritate, nec auctoritate Romani Pontificis arma arripere valeant, facile probatur. Die Geistlichen durften auch keinen Krieg anfangen, wohl aber sich gegen Gewalt wehren (vim vi repellere). Mehr dazu bei Isenmann, Recht, Verfassung und Politik in Rechtsgutachten spätmittelalterlicher deutscher und italienischer Juristen, S. 131 Fn. 294, 133 und S. 203 Fn. 526. 958 Housley, The Later Crusades, 1274–1580, S. 422.
F.
Zusammenfassung
Das Streben des böhmischen Königs nach allgemeinem Frieden galt vor allem dem Frieden für und in Böhmen. Ganz gleich, welche seiner Unternehmungen man betrachtet, stets zielten sie auf das Wohl des Böhmischen Königreichs. So sollten bereits die ersten (Erb-)Bündnisse zu Beginn der Regierungszeit Georgs von Podiebrad die benachbarten Reichsfürsten dem Königreich gewogen stimmen und die Grenzen stabilisieren, wie es im Fall der Einung mit den Herzögen von Sachsen auch tatsächlich gelang. Das erste Projekt aus der Feder des königlichen Beraters Dr. Martin Mair verfolgte dagegen schon den höheren Zweck, dem Böhmischen Königreich einen dauerhafteren Frieden zu sichern – Georg sollte danach zum römischen König bestellt werden. Durch ein Netz von Friedensverträgen versuchte Georg, Stimmen für seine Kandidatur zu sammeln. Da dieses Ziel praktisch jedoch nicht zu erreichen war, sollte Georg nach den Plänen Dr. Mairs Mitglied einer Fürstenliga werden, der die Reichsreform oblegen hätte. Im Erfolgsfall wäre dadurch der Bestand des Böhmischen Königtums gesichert worden. Denn wie hätte der Papst die übrigen Fürsten mit einem Kreuzzug gegen die Ketzer in Böhmen beauftragen können, wenn der böhmische König einer der ihren war? Da sich aber auch dieser Bündnisplan nicht in die Tat umsetzen ließ, sah sich der böhmische König gezwungen, ein neues Projekt in Angriff zu nehmen. Als sei ihm das Ausmaß der vorhergehenden politischen Unternehmungen zu klein erschienen, wollte er nun nicht mehr nur reichsintern agieren, sondern im Prinzip fast das ganze kontinentale Europa miteinbeziehen. Ein mit den Königen von Frankreich, Kastilien, Polen, Ungarn, den Reichsfürsten, dem Dogen von Venedig und anderen italienischen Fürsten vereinter Georg von Podiebrad hätte erst recht nichts mehr vom Papst zu befürchten gehabt. Die Corona regni Bohemiae und ihre Religionsfreiheit wären so gesichert gewesen. Der Friedensvertrag Podiebrads arbeitet zwar noch mit dem Begriff der respublica christiana als einer geistlich-weltlichen Ordnung, die nach außen von der einheitlichen universellen Kirche repräsentiert wird, und benutzt nicht das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bereits gängige Wort »Europa«,
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Zusammenfassung
welches das Ende einer von Papst und Kaiser als den beiden relevanten Mächten bestimmten Ära andeutete.959 Doch die Hussiten begannen das, was die spätere deutsche Reformation zu Ende brachte – die Spaltung der religiösen Einheit Europas und damit die Auflösung960 der vormals kompakten respublica christiana.961 Erst infolge dessen kam es zu einer gewissen Verweltlichung der Beziehungen unter den Herrschern,962 zur Suche nach einer von der Religion verschiedenen gemeinsamen Basis, zur Verlagerung des Ordo-Gedankens vom Papsttum auf die Staatenwelt.963 Die Distanznahme von der Religion war die notwendige Prämisse für die spätere Befriedung Europas964 – eine Entwicklung, die der Podiebradsche Friedensvertrag in gewisser Hinsicht bereits vorwegnahm, mit seiner Suche nach einer neuen Basis der Beziehungen unter den Herrschern. Diese Grundlage sollte ihm zufolge ein neues Recht bilden, das von dem gemeinsamen Schiedsgremium (das zugleich die allein zuständige Instanz der Konfliktbeilegung war), also von den Mitgliedern selbst geschaffen werden sollte. Eben diese in der Literatur vielfach hervorgehobene Forderung nach Aufstellung eines neuen Rechts de naturae gremio wurde im Wortlaut aus den Konstitutionen von Melfi übernommen. Der Wunsch nach einem neuen Recht entsprach der damaligen Mentalität. Eine Neugründung des Rechts verlangte in seiner Concordantia Catholica auch Nicolaus von Cusa. Nach dem Konzept des Vertragstextes sollte die Rechtsprechung den Frieden unter den Mitgliedern der Liga gewährleisten. Eine einfache Gleichung kommt somit im böhmischen Friedensvertrag zum Ausdruck: Da im Mittelalter Recht und Friede praktisch gleichgesetzt waren, sollte durch die Begründung des einen das andere erreicht werden.965 Der Podiebradsche Friedensplan versucht, damit die seit dem Ende des 13. Jahrhunderts auftretende Frage zu beantworten, wer das ius gentium legitimieren und abändern könne und wer die internationalen Konflikte beilegen solle.966 Die sich hier abzeichnende Verrechtlichung der 959 Schmale, Geschichte Europas, S. 17. 960 Zur Ausbildung einer neuen europäischen Ordnung mit habsburgisch und anti-habsburgisch ausgerichteten Bündnissystemen bei: Steiger, Bündnissysteme um 1600 – Verflechtung – Ziele – Strukturen, S. 77. 961 Doch ist der Legitimationsbegriff der Christianitas noch bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Verträgen zwischen den Herrschern Europas zu finden. Duchhardt, Das Vermächtnis des Spätmittelalters an die Frühe Neuzeit, S. 608. 962 Steiger, Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik?, S. 55. 963 Heppner, Europa-Bilder und ihre theoretischen Grundlagen, S. 29. Damit ist keineswegs eine vollständige Säkularisierung des aufkommenden Völkerrechts gemeint, denn eine solche Einordnung wäre mit den Ideen der Friedensverträge von Münster und Osnabrück und den Gedanken eines der Begründer dieses Rechtszweigs, Hugo Grotius, nicht in Einklang zu bringen. Schindling, Kriegstypen, S. 113. 964 Adam, Die Bedeutung des Christentums für die Idee Europa, S. 27. 965 Brunner, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 546. 966 Kintzinger, Superioritas, S. 368.
Zusammenfassung
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fürstlichen Beziehungen und die sich daraus ergebende Beeinflussung der von den Herrschern praktizierten Politik967 gehören zu den wichtigsten Aspekten des angestrebten Zusammenschlusses der Fürsten. Der Aufbau des Friedensvertragstextes folgt dem zu dieser Zeit gängigen Schema. Eine blumige Präambel erklärt und begründet das Vorhaben der Fürsten, wobei sich die Autoren einiger Bibelzitate, einiger Passagen aus dem Justinianischen Codex sowie einiger Textstellen aus einem kaiserlichen Schreiben bedienen. Die in der modernen Edition auf diese Präambel folgenden 23 Artikel des Friedensvertrages wurden offenkundig von einem geschulten Juristen verfasst, der Zugriff auf die Dokumente der böhmischen Kanzlei hatte. Ob es sich dabei wirklich um Dr. Martin Mair oder einem anderen Mitarbeiter der königlichen Kanzlei handelte, wird wahrscheinlich für immer ungeklärt bleiben müssen.968 Inwieweit der König selbst die Gestaltung des Textes inhaltlich beeinflusste, lässt sich ebenfalls schwer ermitteln. Da er aber während seiner politischen Karriere viele Jahre als Hauptmann eines Landfriedensbundes und später als Anführer einer Vereinigung amtierte, ist es durchaus möglich, dass die Idee der geplanten Fürstenliga als Bundesorganisation auf ihn zurückgeht. Der böhmische Friedensvertrag ist ein hervorragendes Zeugnis vom Rechtspluralismus des Mittelalters. Prinzipien aus dem Lehnsrecht, Verweise auf das römische Recht – etwa auf dessen Bestimmungen über die Korporationen (Recht zur Führung eines gemeinsamen Wappens und Siegels, einer gemeinsamen Kasse und eines gemeinsamen Archivs sowie zur Beschäftigung eines Syndikus und anderer Beamter) – Verweise auf das summarische Verfahren, Zitate von Passagen aus dem Liber Augustalis, dem Gesetzgebungswerk Friedrichs II. für das sizilianische Königreich, und Elemente des Gewohnheitsrechts werden hier als Mosaiksteine zu einer Einheit, zu einem einheitlichen Bild zusammengezogen. Inhaltlich können die Bestimmungen des Friedensvertrages in zwei große Blöcke aufgeteilt werden, in Bundes- und in Bündnisregelungen. Der böhmische Vertragsentwurf sieht eine Bundesorganisation vor, um die Ziele des Bündnisses – v. a. die Bekämpfung der Türken – zu verwirklichen. Im späten Mittelalter existierten viele Typen von Bünden – seien es Landfriedensbünde, Städtebünde, Adelsgesellschaften oder andere. Diesen allen lagen bestimmte Prinzipien zugrunde, die man auch im böhmischen Vertragstext wiederfindet. Zu den wichtigsten dieser Grundsätze gehörten die Schaffung eines einheitlichen Rechtsund Friedensrahmens, die friedliche Streitbeilegung unter den Mitgliedern, die 967 Czempiel, Friedensstrategien, S. 108. 968 Als einzige Hoffnung bleibt, dass man in einem böhmischen Archiv die Originalfassung des Vertragstextes auffindet, denn die moderne Edition musste, wie bereits erwähnt, auf Grundlage von fünf »ausländischen« Handschriften erstellt werden.
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Zusammenfassung
finanzielle Selbstverwaltung und das Recht des Bundes zur Durchführung bestimmter exekutiver Verfahren. Gleichwohl fällt die Annahme schwer, dass die Herrscher im Fall des Podiebradschen Planes einem aus den Vertretern der einzelnen Mitglieder gebildeten Gremium solch umfassende Kompetenzen überlassen hätten – Befugnis Streitigkeiten unter ihnen zu schlichten, neues Recht zu setzen, Geld zu erheben, den gesamten Türkenkreuzzug zu planen und andere Entscheidungen zu treffen, denen Folge zu leisten gewesen wäre. Zwar unterwarfen sich Fürsten zu dieser Zeit bereits durchaus Schiedssprüchen in Einzelfragen, doch selbst diese wurden nicht immer angenommen und es kam immer wieder zur Eskalation der Gewalt. Ob die Fürsten daher wirklich bereit gewesen wären, eine solche Fülle eigener Machtbefugnisse dauerhaft abzutreten, bleibt fraglich. Die Auswahl der Ligamitglieder hing freilich mit der damaligen politischen Situation zusammen. Wie der königliche Rat Marini in seinem Memorandum treffend formulierte, handelte es sich bei ihnen vor allem um Herrscher oder Fürsten, die willig oder gezwungen waren, gegen die Türken vorzugehen. Das Versprechen des französischen Königs, eine Streitmacht bereitzustellen, der Eifer des burgundischen Herzogs und die seitens Venedigs und Ungarns bestehende Notwendigkeit des Kampfes gegen die Türken waren bekannt. Die ausdrückliche Erwähnung des spanischen Königreichs Kastilien, nicht aber Aragons betont die Verbindung mit dem französischen König (dem drittwichtigsten Fürsten nach dem Kaiser und dem deutschen König), dessen Interessen sich mit denen des Hauses Aragon in Italien (Königreich Neapel) kreuzten. Die Gleichstellung der einzelnen in der mittelalterlichen Herrschaftspyramide nicht gleichberechtigten Mitglieder der Liga wirkt auf den ersten Blick zwar bahnbrechend, war aber durchaus üblich. In den Vertragsbeziehungen dieser Zeit wurden Subjekte unterschiedlichen Standes oft unter einem Dach vereinigt. Die Nichterwähnung des Kaisers ist auf seine damalige ungünstige Machtstellung zurückzuführen. Es bleibt fraglich, inwieweit Alcuins Zwei-SchwerterLehre explizit in Zweifel gezogen werden sollte. Kaiser Friedrich III. war als Herrscher zwar schwach, doch ist es wirklich denkbar, dass man es auf die Beseitigung seines Amtes abgesehen hatte? Warum hätte man sich dann bemühen sollen, ihm einen König an die Seite zu stellen? Es bestand ja der Wunsch nach einem guten, gerecht regierenden Herrscher, der die so dringend notwendige Ordnung im Reich wiederherstellen sollte. Ein solcher Herrscher hätte aber die zu schaffende Fürstenliga ersetzen und somit die Aufgaben des Reiches selbst übernehmen können. Die fast skandalöse Behandlung des zweiten, geistlichen Schwertes, des Heiligen Stuhls, im Vertragstext – seine Kompetenzen werden für die bündniseigenen Zwecke eingespannt, ihm werden ohne Gegenleistung zahlreiche Aufgaben zugewiesen – ist der eigentlichen Stoßrichtung des Friedensvertrages
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geschuldet. Nach den gescheiterten Versuchen, das hussitische Königreich durch die Besetzung des deutschen Thrones seitens Georgs von Podiebrad vor dem Papst zu schützen, musste ein anderer Weg zu diesem Ziel gefunden werden. Fünf Kreuzzüge waren während des hussitischen Ansturms gegen das Königreich Böhmen geführt worden. Deshalb befürchtete man stets, dass dies wieder geschehen könne. Die Einstellung des amtierenden Papstes Pius II. gegenüber den Utraquisten war mehr als offensichtlich und die Spannungen eskalierten, als der Heilige Vater die Basler Kompaktata im Jahre 1462 aufhob. Die durch diesen, vom Gedanken eines Türkenkreuzzuges besessenen Papst gesammelten Mittel und Kämpfer, riefen in Böhmen Unbehagen hervor. Daher beabsichtigte man, das Böhmische Königreich einerseits in einem Bund anderer großer europäischer Mächte zu platzieren und andererseits den alten Türkenkreuzzugswunsch des Eneas Silvius Piccolomini selbst zu verwirklichen. Denn wie hätte der Papst die hussitischen Böhmen weiter ablehnen können, wenn sie selbst tätig wurden, um den Glauben und die Christenheit zu beschützen? Auch wenn der ganze Vertrag politisch stark auf den französischen König zugeschnitten war, wurde für die erste Begegnung und Zusammenkunft der Bundesversammlung nicht eine Stadt in Frankreich gewählt, sondern Basel. Dabei handelte es sich um alles andere als eine zufällige Wahl. Als Tagungsort des vergangenen Konzils, das den Böhmen die Erlaubnis erteilt hatte, den utraquistischen Glauben beizubehalten, besaß Basel einen hohen symbolischen Wert. Die zweite Versammlung sollte dann an einem nicht näher bestimmten Ort in Frankreich stattfinden und die dritte Runde an einem ebenfalls nicht genauer festgelegten Ort in Italien tagen. Nicht nur der erste Tagungsort, sondern auch die Organisation der Versammlung erinnert an die Konzile. Wie es zum Beispiel seit dem Konstanzer Konzil Usus war, unterlagen auch die Mitglieder der Liga einer Aufteilung in die mittelalterlichen Nationen. Bereits diese Tatsache widerlegt die vielfach propagierte Auffassung, die Podiebradsche Liga sei auf einen Zusammenschluss unabhängiger »Staaten« ausgerichtet gewesen. Neben dem Rückgriff auf das mittelalterliche Konzept der natio ist die Regelung, dass kein Nachfolger eines Mitgliedes seinen Thron einnehmen dürfe, bevor er nicht die Einhaltung der Vertragsbestimmungen bestätigt habe, ein klares Zeichen dafür, dass es bis zum modernen Verständnis des »Staates« noch ein weiter Weg war.969 Dem böhmischen Friedensprojekt als einer auf den besonderen politischreligiösen Gegebenheiten des böhmischen Königreichs fußenden, zwischenständischen Landfriedenseinung sui generis970 kann man zwei Leistungen nicht 969 Siehe auch den Diskurs zu amicitia und fraternitas als einer persönlichen Beziehung unter den Herrschern in: E.II.2.a Fraternitas, amicitia, caritas – Verwerfung des Krieges. 970 Manchen späteren Vorschlägen für einen pax universalis fehlt es an einer bündischen Organisation. Als Beispiel kann der dem Podiebradschen Friedensvorschlag nachfolgende
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Zusammenfassung
absprechen: Zum einen die geschickte Zusammenführung jener Gewohnheiten und Regeln, die in den vertraglichen Beziehungen zwischen den politischen Subjekten des Mittelalters im Umlauf waren, zum anderen das Engagement und die Bekräftigung des Willens, das große Projekt einer pan-europäischen Friedensordnung in die Tat umzusetzen. Der Friedensvertragstext ist keine utopische Ansammlung von Artikeln unterschiedlichen rechtlichen Gehalts, sondern eine kritische Reflexion des zu diesem Zeitpunkt gängigen Rechts und der existierenden Rechtspraxis.971 Die durch den Friedensvertrag ins Werk gesetzte Innovation besteht darin, dass seine Autoren in Gestalt der Schaffung einer Friedens- und Rechtsgenossenschaft versuchten von den Prinzipien zu profitieren, die seit Jahrhunderten die menschliche Koexistenz erfolgreich geregelt hatten und die in den Genossenschaften unterschiedlichster Art (Gilden, Zünften, Adelsgesellschaften) sowie in den Rechtsordnungen der Städte vielfach Anwendung fanden. Gerade diese genossenschaftlichen Strukturen sollten auf die Beziehungen unter den Herrschern übertragen werden. Hier sei betont, dass von der Tradition des spätmittelalterlichen Einungswesens auch die in Worms 1495 zwischen dem Kaiser und den Ständen vereinbarte Reform des Reiches profitierte und wesentliche Elemente aus dieser rezipierte.972 Ende des 15. Jahrhunderts gab es weder eine gemeinsame Instanz, die die »internationalen« Verhältnisse regelte, noch klar definierte Spielregeln innerhalb dieser. Der Podiebradsche Friedensvertrag nimmt in Ansätzen vorweg, was erst noch entstehen musste. Er beschreibt das Völkerrecht in statu nascendi – eine Rechtsordnung, die sich auf der politischen Bühne Europas darauf vorbereitete, die mittelalterliche Ordo um Papst und Kaiser zu ersetzen. Mit der Etablierung einer solcherart definierten europäischen Rechtsordnung durch die Schaffung eines paneuropäischen Schiedsgremiums und eines überterritorialen Vertrag von London aus dem Jahre 1518 dienen. Die Parteien (der Papst und die Könige von Frankreich, Spanien und England) schlossen hier eine bona, sincera, vera, integra, perfecta, fidelis et firma Amicitia,Unio, Liga, Intelligentia, Confoederatio et Pax (…) Christianaeque Reipublicae Amplificationem, necnon Pacis universalis Propagationem (…) cupientibus, aber das Verfahren der friedlichen Streitbeilegung unter den Mitgliedern war keinem gemeinsamen Organ anvertraut, auch war der Krieg unter den Mitgliedern nicht gänzlich ausgeschlossen. Das angegriffene Mitglied der Liga musste seine Kollegen über den Angriff verständigen. Bevor die Liga militärische Hilfe leistete, forderte sie den Angreifer auf, sich zurückzuziehen und für die verursachten Schäden aufzukommen. Sollte der Angreifer dem nicht nachkommen, waren die Ligamitglieder verpflichtet, spätestens binnen zwei Monaten dem Aggressor den Krieg zu erklären und diesen auf eigene Kosten zu führen. Vertragstext bei Rymer, Foedera, conventiones, Bd. 6, S. 147–150. Beschrieben von Kampmann, Ius Gentium and a Peace Order, S. 393–406. 971 Hier kommt das Völkerrecht in statu nascendi in seiner Funktion der Friedenssicherung durch Normbildung zum Ausdruck. Czempiel, Friedensstrategien, S. 103ff. 972 Als Muster diente hier der Schwäbische Bund, »weil mit ihm ein ständeübergreifendes System kollektiver Sicherheit auf der Basis einer Landfriedenseinung geschaffen wurde«. Carl, Landfrieden als Konzept, S. 130 und 126.
Anhang 1: Lateinischer Text des böhmischen Friedensvertrags
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Rechts hätte einerseits der Papst viel von seiner Kompetenz als einer den Fürsten übergeordneten Schiedsinstanz verloren,973 andererseits wäre die Friedensmission des Kaisers974 und des Deutschen Reiches als dem Nachfolger des Imperium Romanum unmittelbar infrage gestellt worden.975 Die Podiebradsche Fürstengemeinschaft, als Bruderschaft gleichgestellter Fürsten und Stadtstaaten, als überständische genossenschaftliche Korporation, sollte ein neues System in Europa schaffen, eine neue Rechtsordnung, die in Opposition zur mittelalterlichen Verfassung stand. Es ging hier nicht mehr um Über- und Unterordnung in Einigkeit als Eckpfeiler von Herrschaft, sondern um Parität, Freiheit und tatsächliche Teilhabe, wie sie für einen Verband charakteristisch sind.976 Damit steht das böhmische Friedensprojekt zwar mit einem Bein in der Zukunft, bleibt aber andererseits noch in der mittelalterlichen Tradition gefangen: Fines rei publicae tueantur et propagentur – die Grenzen der christlichen Welt sollten erweitert werden, die Verbreitung des Christentums und dessen Schutz waren Hauptziele, die der Vertrag gewährleisten sollte.
Anhang 1: Lateinischer Text des böhmischen Friedensvertrags977 Präambel In nomine Domini nostri Ihesu Christi. Nos A.B.C. notum facimus universis et singulis ad perpetuam rei memoriam, quod, dum veterum historicorum scripta recensemus, reperimus cristianitatem florentissimam quondam fuisse et hominibus opibusque beatam, cuius tanta longitudo latitudoque fuit, ut in eius ventre centum decem et septem regna amplissima clauderentur, que eciam ex se tot populos emisit, ut magnam gentilium partem una cum Dominico sepulcro longo tempore occuparit; nec gens fuit tunc orbe toto, que cristianorum regimen lacessere auderet. At nunc quantum lacerata, confracta, cassata atque omni nitore splendoreque pristino enudata sit, omnes agnoscimus. Tanta etenim mutacio in ipsa cristianitate a paucis temporibus citra facta est, ut si quis regum, principum atque procerum antiquorum iam ab inferis resurgeret et cristicolarum partes 973 (…) ad nostrum pastorale officium pertinet dissidentibus Christianis populis pacem indicere, pacem praeferre et praedicare. Baronio/Rinaldi/Laderchi, Annales Ecclesiastici, Bd. 29, S. 453. 974 Conrad, Rechtsordnung und Friedensidee, S. 20. 975 Das Reich als eine Landfriedenseinung zu gestalten, versuchte schon König Wenzel im Jahre 1383. Schmidt, Der Wetterauer Grafenverein, S. 19. Der Text der Landfriedenseinung findet sich in RTA ä.R., Bd. 1, S. 368–374. 976 Dilcher, Die genossenschaftliche Struktur, S. 74. 977 Übernommen von: V#clav Vaneˇcˇek/Jarom&r Kincl/Jirˇ& Kejrˇ, Vsˇeobecn# m&rov# organizace podle n#vrhu cˇesk8ho kr#le Jirˇ&ho z let 1462–1464, Praha 1964, S. 61–69.
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intraret, nullatenus suam propriam recognosceret. Perfidus nempe Maumetus, cum pene universus orbis cristiane religionis sanctitate polleret, principio gentem Arabum exiguam seduxit; verum ubi primis conatibus eius occurrere neglectum est, continuo perditorum hominum tantam manum sibi acquisierat, ut latissimas Affrice pariter et Asie regiones subiugavit et in dampnatissimam impulerit perfidiam. Spurcissimi denique Teucri, qui a diebus paucissimis primo inclitum Grecorum imperium, deinde quamplures cristianitatis provincias et regna in suam potestatem redigere, animas pene infinitas e cristianorum finibus asportarunt, omnia in predam ducunt, plurima monasteria magnaque Dei templa demoliebantur, et ut ruerent, disposuerunt; alia quoque infinita mala commiserunt et perpetraverunt. O aurea provincia! O terrarum decus cristianitas, quomodo sic ex te nitor omnis abscessit, quomodo sic abiit color optimus? Ubi vigor ille tuorum hominum, ubi reverencia, quam tibi omnes gentes impendebant, ubi maiestas regia, ubi gloria? Quid tibi tot victorie profuerunt, si tam cito in triumphum duci debebas? Quid gentilium ducum restitisse potencie iuvat, si nunc vicinorum impetus ferre non potes? Heu fortuna, heu vicissitudo! Quam cito imperia variantur, quam cito mutantur regna, quam cito dilabuntur potestates! Que sit autem tante mutacionis ac ruine causa, non est intueri facile, quia occulta sunt iudicia Dei. Non minus hodie quam olim fertiles sunt agri, non minus fecunda pecora, assunt vinearum proventus, reddunt usuram effosse auri et argenti minere, sensati homines sunt, industri, magnanimes multarum rerum experti, littere tam vigent quam umquam. Quid enim est, qoud cristianitatem adeo depressit, ut ex predictis centum et decem septem regnis dumtaxat in ventre cristanitatis sexdecim remanserint? Sunt fortasse nonnulla peccata, que Deus punire vult, quemadmodum in veteri testamento non umquam factum legimus. Ob quam rem nobis diligenter considerandum videtur, ut si quid erratum est, emendetur, et per opera pietatis divina maiestas mitigetur, quam propter iniquitatem aliquam constat iratam esse. Sed quia cum animadvertimus, quod cum hiis pie ac misericorditer Deus agat, quorum delicta in hoc mundo punit, quodque ipse homines pro filiis habet et quos diligit, corrigit et castigat per multasque adversitates ad opera virtutis inducit, ideo spem nostram iactantes in Dominum, cuius res agitur, scimus, quod sanctimonie nostre nil religiosius, integritati nil congruencius et laudi nil gloriosius efficere poterimus, quam dare operam, quod vera, pura et firma pax, unio et caritas inter cristianos fiat, et fides Cristi adversus immanissimum Turcum defensetur. Ad hoc enim ad nos derivata sunt regna et principatus, ut solicitudine et diligencia nobis possibilibus pax decoretur, statur rei publice sustentetur, bella adversus infideles feliciter peragantur et fines rei publice tueantur et propagentur ; ad quas eciam res omnes populi, omnes naciones, omnesque reges et principes letis et promptis animis debent et tenentur intendere. Nam si cristianos nos dicimus, solicitudinem habere tenemur, ut cristiana religio tueatur ; et si contra Cristum esse nolumus, pro fide sua certare et
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secum esse debemus. Spiritus enim Sanctus eos dampnat, qui secum in bello non sunt, qui ex adverso non ascendunt, qui se murum pro domo Israhel non ponunt. Nec aliquem patrie dulcedo, nec palacia amplissima nec diviciarum multitudo a servicio Dei retrahere debent. Illi namque inserviendum erit, qui pro nobis mortem crucis subire non expavit, qui daturus est pro mercede unicuique fideli celi celorum patriam, ubi vera patria, ingencia habitacula, divicie incomparabiles et eterna vita consistit. Etenim quamvis hoc tempore lugubris sit fortuna Grecorum et dolenda nimis Constantinopolitana et aliarum provinciarum clades, nobis tamen, si glorie cupidi sumus, optanda fuit hec occasio, que nobis possit hoc decus reservare, ut defensores conservatoresque cristiani nominis appellaremur. Et ob id rei cupientes, ut talis modi bella, rapine, tumultus, incendia et cedes, que, ut, prochdolor dolenter referimus, cristianitatem ipsam iam iam quasi undique circumdederunt, quibus agri vastantur, urbes diripiuntur, provincie lacerantur et innumeris regna et prinipatus miseriis conteruntur, cessent et penitus extinguantur et ad statum debitum mutue caritatis et fraternitatis unione laudabili deducantur, nos de certa sciencia, matura deliberacione prehabita, invocata ad hoc Spiritus Sancti gracia, prelatorum, principum, procerum, nobilium et iuris divini et humani doctorum nostrorum ad hoc accedente consilio et assensu, ad huiusmodi connexionis, pacis, fraternitatis et concordie inconcusse duraturam ob Dei reverenciam fideique conservacionem devenimus in unionem in modum, qui sequitur, pro nobis, heredibus et successoribus nostris futuris, perpetuis temporibus duraturam. Artikel 1 Primo nempe in virtute fidei catolice et verbo regio et principis dicimus et pollicemur, quod ab hac hora et die inantea puram, veram et sinceram fraternitatem invicem exhibebimus et servabimus, nec propter quascunque dissensiones, querelas vel causas mutuo ad arma veniemus vel quoscunque nomine nostro venire permittemus, sed pocius unus alium contra omnem hominem viventem et nos vel aliquem ex nobis de facto et absque legitimo edicto hostiliter invadere molientem iuxta continenciam et tenorem capitulorum subscriptorum iuvabimus. Artikel 2 Secundo, quod nullus nostrum auxilium vel consilium dabit nec consenciet contra alterius personam neque in periculum seu necem persone ipsius per nos vel alium seu alios aliquatenus machinabimur aut de facto machinari volentibus consenciemus, sed conservacionem sanitatis, vite et honoris eiusdem pro posse procurabimus.
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Artikel 3 Tercio, spondemus modo supradicto, quod si aliquis vel aliqui ex subditis cuiuscunque nostrum aliquas vastaciones, predas, rapinas, incendia aut alia quecunque maleficiorum genera in regnis, principatibus seu terris alterius nostrum commiserit vel commiserint, volumus, qoud per hoc pax et unio premissa non sint violate nec infringantur, sed quod idem malefactores ad satisfaccionem, si amice fieri non poterit, iudicialiter compellantur ab eo, sub cuius dicione domicilium habuerint vel in cuius territorio delinquentes comperti fuerint, ita, quod dampna per ipsos facta de bonis eorum resarciantur et ipsi eciam alias pro qualitate delicti condigne puniantur. Qui malefactores, si iudicio parere contempserint, dominus eorum tam domicilii quam loci perpetrati delicti, quilibet eorum altero ad hoc eciam non expectato, ipsos tamquam maleficos persequi et impugnare tenebitur et debebit. Quod si aliquis nostrum, sub quo delinquens domicilium habuerit vel in cuius territorio delictum commisssum et deliquens detentus fuerit, negligens et remissus in predictis extiterit, tunc, cum eum et delinquentem iure disponente par pena constringat, poterit iniuriam seu dampnum passus eundem ex nobis coram parlamento seu consistorio subscripto iudicialiter requirere et convenire. Artikel 4 Quarto, volumus, quod si forte per aliquem seu aliquos extra hanc convencionem, caritatem et fraternitatem nostram existentes, a nobis non lacessitos nec provocatos, cuicunque ex nobis bellum inferretur seu inferri contingeret – quod minime verendum estimatur hac amicicia et caritate subsistente – tunc congregacio nostra subscripta nomine omnium in hoc federe existencium communibus nostris expensis, eciam a collega nostro oppresso non requisita, oratores suos sollempnes ad sedanda scandala pacemque componendam illico debet ad locum partibus accomodum transmittere et ibidem in presencia parcium dissidencium vel oratorum suorum pleno mandato suffultorum omni opera et diligencia dissidentes ad concordiam et pacem, si amice fieri poterit, revocare, vel ut arbitros eligant vel coram iudice competenti vel parlamento vel consistorio modo subscripto de iure certent, inducere. Et si causa aut defectu bellum inferentis pax et unio altero eorum seu predictorum modorum fieri non poterit, nos ceteri omnes tunc unanimi ac concordi sentencia oppresso seu defendente socio nostro ad sui defensionem ex decimis regnorum nostrorum et subditorum nostrorum proventibus, lucro seu emolumento, quos seu que ad usum domus et habitacionis sue pro tribus diebus proporcionabiliter in anno exposuerint singulis annis, succurrere, quantum et quousque ab eadem congregacione nostra vel maiori parte ipsius iudicatum et decretum fuerit fore condecens et opportunum ad pacem oppressi socii consequendam.
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Artikel 5 Utque diffidaciones et bella, que per suam consideracionem inter suscipientes alterutros operantur dolores, amplius arceantur et inter reliquos Cristi fideles, de hoc federe non existentes, eciam pax vigeat, volumus et ordinamus, quod si forsan contingeret alios principes et magnates cristicolas fraternitati nostre non incorporatos inter se dissensionibus aut bello certare, ex tunc congregacio nostra subscripta nostris nominibus per oratores deputandos communibus nostris expensis concordiam amice vel in iure, ut prefertur, inter differentes pro posse efficiat. Quam si ambe partes vel una earum eodem modo acceptare et a bellis et a guerris desistere noluerint vel noluerit, ex tunc bellum inferens vel a bello desistere nolens inducatur modis et formis in capitulo supra proximo insertis. Artikel 6 Item volumus, quod illi, qui pacem nostram presentem quovismodo violare temptaverint, in nullius nostrum regno, principatibus, dominiis, territoriis et districtibus, castris, civitatibus, oppidis seu fortaliciis receptari, conduci, protegi, tueri vel aliquem favorem quovis quesito colore habere debebunt seu poterunt; quinimmo non obstante quocunque salvo conductu arrestabuntur, capientur et punientur ut violatores pacis generalis, prout qualitas delicti seu excessus cuiuslibet eorum meruerit. Artikel 7 Volumus preterea et presentibus iniungimus omnibus et singulis officialibus et subditis nostris, ut nullum umquam hominem in eorum proteccionem et tuicionem communiter vel divisim recipiant vel illi salvum conductum generalem vel specialem quovismodo concedant vel prestent, nisi per prius particulariter et nominatim excipiant, quod salvus conductus sive proteccio ista non debeant eum, cui dantur, contra presentis nostre pacis edicta tueri et defendere, sed eo non obstante, si de violacione pacis infamatus, suspectus vel accusatus fuerit, poterit supra hoc contra eum, ut preferetur, et etiam iusticia mediante procedi. Artikel 8 Qui autem violatorem pacis presentis scienter sociaverit aut ei quovis quesito colore consilium, auxilium vel favorem prestiterit vel eum receptaverit aut ipsum defendere seu protegere vel ei salvum conductum contra presentem nostram unionem dare presumpserit, par pena ipsum et reum expectet. Artikel 9 Verum cum pacis cultus a iusticia ab illo esse non possit et per iusticiam pax gignitur et conservatur, nec sine illa nos et subditi nostri in pace subsistere poterimus, ob id rei paci iusticiam annectimus. Sed cum lex, que de iudiciorum
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ordine scripta est, multas mutaciones subsequentibus temporibus susceperat, ad hoc pervenit, ut paulatim omnino caderet, unde usus hoc precipiens in aliam transtulit figuram, propter que nos omnino confusum iudiciorum ordinem considerantes estimamus opportere iuxta novorum temporum et diversarum provinciarum, regnorum et principatuum nostrorum consuetudines, usus et qualitates de nature gremio nova iura producere et novis abusibus nova remedia reperire, per que virtuosi ditentur premiis et viciosi continuis penarum maleis conterantur. Et ut secundum ordinem singula tractemus, previdimus primitus ordinare quoddam generale consistorium, quod omnium nostrorum et tocius congregacionis nostre nomine in loco, ubi congregacio ipsa pro tempore fuerit, observetur, a quo veluti a fonte iusticie rivuli undique deriventur. Quod quidem iudicium ordinabitur in numero et qualitate personarum et statutorum, prout subscripta nostra congregacio vel maior pars eiusdem concluserit et decreverit. Artikel 10 Et ut in eodem iudicio finis litibus imponatur, ne immortales sint, volumus, quod iudex ipse et assessores eiusdem conquerentibus, prout causarum qualitates postulaverint, iudicium et iusticiam faciant simpliciter et de plano sine figura et strepitu iudicii, subterfugiis et frustratoriis dilacionibus omnino cessantibus. Artikel 11 Placet preterea, quod, si quas querelas et differencias de novo inter nos reges et principes aliosque in federe isto existentes suboriri contingat, quod alteri alter coram dicto iudicio nostro in iure respondere et secum experiri debeat et teneatur, servatis in hoc statutis, decretis et ordinacionibus per oratores et procuratores nostros vel maiorem partem eorundem in congregacione ipsa, ut prefertur, faciendis et statuendis. Artikel 12 Item volumus eciam, quod congregacio nostra debeat habere omnimodam et liberam facultatem quoscumque reges, principes et magnates cristianos, qui de presenti huic unioni incorporati non fuerint, ad presentem nostram pacem, unionem, caritatem et fraternitatem accipiendi et sese nomine nostro, quemadmodum nos ipsi fecimus, obligandi et reciproca vicissitudine obligaciones accipiendi litteris opportunis, ultro citroque datis et acceptis, hoc tamen adiecto, quod mox acceptacione tali facta congregacio ipsa nobis omnibus significet, ut acceptos ad nos fraternali affeccione, ut decet, perpetrare valeamus et possimus. Artikel 13 Ceterum cum hec unio, intelligencia et caritas potissime facta sit et constituatur ad gloriam et honorem divine maiestatis, sancte Romane ecclesie ac catolice fidei
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et ut potissime hiis Cristi fidelibus celerrime succurratur, qui a Teucrorum principe, cristiani nominis hoste sevissimo, deprimuntur, idcirco nos prefati reges et principes promittimus ac devovimus Domino nostro Ihesu Cristo, eius gloriosissime matri Virgini Marie, sancteque Romane ecclesie cristianam religionem ac universos fideles oppressos defensare ac protegere a spurcissimo Teucrorum principe communibus inter nos viribus et presidiis proporcionabiliter taxandis et declarandis, pro quibus conficiendis et exequendis omnes decimas, que ecclesiis ecclesiasticisque et religiosis personis in regnis, principatibus et dominiis nostris dantur et solvuntur, una cum dictis nostris et subditorum nostrorum proventibus, lucris et emolumentis pro tribus diebus, ut preferetur, singulis annis exponendis, quoadusque opus fuerit, soluturos et daturos atque ab hostis insecucione non destituros, si a congregacione nostra expediens iudicabitur, quoadusque a cristianorum finibus fuerit effugatus aut communi sentencia pax conficienda censeatur, que nulla racione confici debet, nisi finitimorum securitati cristianorum ante cautum fore iudicabitur. Artikel 14 Preterea cum omnia solerti studio ac diligencia ante cavenda sint, ne incautos demum adversa fortuna contendat, ideo placet nobis, quod communi sentencia tocius congregacionis nostre vel maioris partis eiusdem discernatur, quibus temporibus hostem aggredi expediat quibusve terrestribus ac maritimis copiis bellum gerere opus sit quibusve belli ducibus, quibus machinis bellicisve apparatibus uti necesse sit, quo in loco omnes exercitus terrestres convenire debeant ulterius contra Turcos profecturi. Item quomodo victualia haberi possint in competenti precio et hospicia in civitatibus, villis et aliis locis opportunis. Item quomodo provideatur de communi moneta, per quam in exercitu venientes in eundo, stando et redeundo non graventur. Item si quid ex hostium manibus aut potestate adimi ulla racione contingeret, communi sentencia, cui conferendum fuerit, decernatur, prout utilius cristiane religioni et ad maiorem fidelium tutelam in posterum convenire cognitum et iudicatum fuerit, ne hostis denuo negligencia aut impotencia possidencium excitatus deteriora prioribus detrimenta fidelibus inferat. Artikel 15 Volumus preterea, quod conclusis istis mox quilibet nostrum ad pecuniarum exacciones, ut prefertur, in regno, principatu et dominio suo procedat iuxta formam et ordinem a cogregacione ipsa vel maiori eius parte dandam in finem, ut divinum hoc opus illico exequatur et Cristi fidelibus succurratur.
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Artikel 16 Item, ut supra et infra scritpa omnia et singula debite execucioni demandentur, promittimus et pollicemur modo predicto, quod quilibet nostrum oratores suos notabiles et magne auctoritatis viros amplissimo mandato et sigillo suo suffultos dominica Reminiscere de anno a nativitate Domini millesimo quadringentesimo sexagesimo quarto proxime futura in civitate Basiliensi in Theotonia habeat, qui omnes ibidem ad quinquennium immediate sequens continuum resideant et nostris et aliorum incorporatorum seu incorporandorum nominibus corpus, universitatem seu collegium verum faciant, constituant et representent. Quo quidem quinquennio congregacionis Basiliensis effluxo eadem congregacio per aliud immediatum sequens quinquennium in civitate N in Francia et per tercium quinquennium in civitate N in Italia habeatur et observetur sub eisdem modis et condicionibus, quibus supra de Basilia cautum et dispositum dinoscitur, ut deinceps semper de quinquennio ad quinquennium circuitum faciendo tamdiu et quousque ipsa congregacio vel maior pars eiusdem aliud duxerit ordinandum et disponendum. Unum quoque proprium et speciale consilium ipsa congregacio habeat, cuius presidens, pater et caput N et nos ceteri cristianitatis reges et principes membra simus. Habeat eciam dictum collegium in nos omnes et nostros subditos eosque, qui eandem prorogaverint, iurisdiccionem voluntariam et contenciosam una cum mero et mixto imperio, prout eadem congregacio vel maior pars eiusdem hoc decreverit et statuerit ordinandum. Habeat denique propria arma, sigillum et archam communem atque archivum publicum, sindicum, fiscalem, officiales et quecunque alia iura ad licitum et iustum collegium quomodolibet pertinencia et spectancia. Artikel 17 Et ut unicuique provincie iura sua illesa conserventur, placeat nobis, quod tales in congregacione pocioribus officiis in qualibet nacione, in qua congregacio ipsa pro tempore fuerit, preficiantur, qui de eadem nacione ortum et originem traxerint moresque et habitudines ipsius agnoscant et intelligant. Artikel 18 Porro, ut expense et sumptus necessarie et utiles pro pace servanda, iusticia ministranda, oratoribus et nunciis hicinde transmittendis, designandis et aliis opportunitatibus congregacioni nostre non deficiant, promittimus et spondemus, quod quilibet nostrum decimam partem omnium pecuniarum per eum seu suo nomine de decimis et emolumento seu lucro trium dierum, ut prefertur, sublevandarum in tempore per congregacionem ipsam vel maiorem partem eius determinando ad archivum publicum collectoribus et consilio dicte congregacionis absque ulteriori mora deleget et transmittat. Quod si non fecerit, poterit et debebit ipsum sindicus seu procurator fiscalis eiusdem congregacionis mox coram par-
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lamento seu iudicio ipsius in ius vocare, pecuniam cum dampnis et interesse iudicialiter requirere et eciam nos alios sub debito per nos prestito fidei monere et hortari, ut dictam pecuniam, dampna et interesse manu militari ab eo et subditis suis requiramus et extorqueamus in usus communes congregacionis, ut prefertur, convertendas. Artikel 19 Rursum dicimus et volumus, quod nos rex Francie una cum ceteris regibus et principibus Gallie unam, nos vero reges et principes Germanie aliam et nos dux Veneciarum una cum principibus, communitatibus Italie terciam vocem in ipsa congregacione habeamus et faciamus. Ac si rex Castelle vel alii nacionis Hispanie reges et principes in hac nostra unione, amicicia et fraternitate concurrerint, ipsi consimiliter unam vocem in congregacione, corpore et collegio ipso habebunt. Si autem inter oratores regum et principum unius et eiusdem nacionis contraria vota super re aliqua data et conclusa fuerint, placet, ut quod a maiori parte dictum et conclusum sit, perinde firmitate subsistat, ac si ab ipsa nacione unanimi assensu iudicatum et decretum extitisset. Quod si equales persone numero in voto fuerint, prevaleant illi oratores, qui comparacione facta ad alios per representacionem dominorum suorum maiorum meriti et dignitatis fuerint. Et si in meritis et dignitatibus equales sint, opcio erit aliarum nacionum in hoc federe existencium, quam partem acceptarint. Artikel 20 Et ud dubietas omnino tollatur, placet, ut si aliquis regum vel principum nostrorum plures oratores ad dictam congregacionem transmiserit, quod hi omnes dumtaxat habeant unicam, videlicet ipsius mittentis in nacione sua dicte congregacionis vocem. Artikel 21 Item, cum Scriptura testatur, ei, qui fidem Cristi iuverit, auxerit, defenderit, diffinitum esse locum in celo, in quo beati evo sempiterno fruuntur, proinde sperandum est, quod omnes ceteri cristiani ad rem tam sanctam, tam piam, tam necessariam volentibus animis manus apponent. Nam qui prestare auxilia hoc tempore contra Turcos negaverit, infidelitatis proculdubio et inimicorum crucis Cristi fautorem se declarabit. Et ob id rei placet, quod nos omnes unanimiter per sollempnes oratores nostros apud summum pontificem omni opera et diligencia nobis possibilibus sub modis et formis per congregacionem predictam dandis efficiamus, ut Sanctitas sua attendat, quod exaccio supradicta decimarum ad tuendam cristianorum pacem, Cristi fidelium defensionem et inimicorum crucis Cristi impugnacionem exposcatur, et tamquam pater et pastor fidelium de benignitatis sue clemencia concedat et demandet per suas publicas et autenticas
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bullas sub formidabilibus penis executoribus sibi nominandis superinde in plenissima forma datis et deputatis, quod decime prefate iuxta modum et condiciones sibi nostris nominibus offerendas dentur, tradantur et exolvantur utque bella et dissensiones inter principes ecclesiasticos et in hoc federe non existens et – potissime illa, que (ad) bella in Turcos conficienda et pace predicta conservanda quoquomodo impedimento esse possent – e medio tollat vel legatum aliquem virum utique bone vite, probum et expertum, cum plenaria ad hoc facultate ad unamquamque provinciam transmittat, qui ritum, idioma et habitudines eiusdem intelligat et agnoscat operamque et diligenciam condignas adhibeat, ut partes differentes amice componantur ; quod si facere noluerint, differencias inter eos pendentes in vim commissionis sibi facte in iure diffiniat et decidat. Convocet denique Sanctitas sua alios principes et communitates Italie et eosdem sub divinis censuris et formidabilibus penis moneat et requirat, ut ipsi tamquam Turco pre ceteris nacionibus magis vicini ad instruendam classem maritimam una cum aliis cristicolis assurgant, illis proporcionabilia presidia ad honorem et gloriam Dei fideliumque defensionem conferant ac contribuant, ut hoc opus defendende fidei speratum finem eo laudabilius accipiat. Artikel 22 Preterea, ut pax et ordinacio ista inviolabiliter observetur, decrevimus ac pollicemur, ut quocunque ex nobis ad celestem patriam evocato heredum sive successorum suorum nulli in regno, principatu seu dominio suo succedere liceat neque ad hoc admitti debeat, nisi prius sese supra et infra scripta omnia et singula inviolabili fide servaturum spondeat litteris suis patentibus cum sigillo appenso congregacioni nostre tamquam communibus munimentis ad usum cuiuslibet nostrum datis. Artikel 23 Et si aliqua alia ultra premissa dicta nostra congregacio vel maior pars eiusdem ordinaverit, decreverit et concluserit, que pro conservacione pacis et iusticie fideliumque cristicolarum defensione facere et conducere quomodolibet videbuntur, illa omnia et singula attendemus et efficaciter observabimus atque id agemus, que vere et sincere fraternitatis vinculum exigit et requirit et que in presentibus litteris nostris per diffiniciones et continencias earundem in suis punctis, clausulis, articulis, sentenciis quoque et capitulis universis comprehenduntur. In cuius rei testimonium et robur quilibet rex et principum nostorum sigillum maiestatis sue presentibus duxit appendendum. Datum et actum etc. Bemerkung: Bei der Paraphrase des lateinischen Vertragstextes wird von der folgenden deutschen Übersetzung ausgegangen: Gerhard Messler, Der Welt-
Quellen- und Literaturverzeichnis
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friedensmanifest König Georgs von Podiebrad. Ein Beitrag zur Diplomatie des 15. Jahrhunderts, Karlsruhe-Dulrach 1973, S. 37–49.
Abkürzungsverzeichnis ˇ AC ˇ ACK AE AÖG1 AÖG C.d.m. Ebd. FRA HRG m. w. N. RBS Rdnr. RTA ä.R. Sp. SRS Urk. ZRG KA
ˇ esky´ Archiv C Archiv koruny cˇesk8 Annales Ecclesiastici Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen Archiv für österreichische Geschichte Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae Ebenda Fontes rerum austriacarum Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Mit weiteren Nachweisen Rerum Boicarum Scriptores Randnummer Deutsche Reichstagsakten, ältere Reihe Spalte Scriptores rerum silesiacarum Urkunde Zeitschrift der Savingy-Stiftung für Rechtsgeschichte, KanonistischeAbteilung
Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen und Lexika Acten der Ständetage Preussens unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, Max Töppen (Hrsg.), Bd. 5, Leipzig 1886. – Zitiert: Töppen, Acten der Ständetage. Ambrosii Theodosii Macrobi Commentarii in Somnium Scipionis, Iacobus Willis (Hrsg.), Leipzig 1963. Annales Ecclesiastici, Bd. 29, Odorico Raynaldus, Barri-Ducis 1880. Archiv cˇesky´, cˇili, Star8 p&semn8 pam#tky cˇesk8 i moravsk8, sebran8 z archivu˚ dom#c&ch i ciz&ch, Frantisˇek Palacky´ (Hrsg.), Bd. I, Prag 1840; Bd. II, Prag 1842; Bd. III, Prag 1844; Bd. V, Prag 1862; Bd. VI, Prag 1872. Archiv cˇesky´, cˇili, Star8 p&semn8 pam#tky cˇesk8 i moravsk8, sebran8 z archivu˚ dom#c&ch i ciz&ch, Josef Kalousek (Hrsg.), Bd. VII, Prag 1887; Bd. XV, Prag 1896. Archiv für Kunde österreichischer Geschichts- Quellen, Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien (Hrsg.), Bd. 10, Wien 1853. Archiv für Österreichische Geschichte, Commission der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Bd. 40, 45, Wien 1871.
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Zusammenfassung
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