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German Pages 584 [586] Year 2019
Anna Jerratsch
Der frühneuzeitliche Kometendiskurs im Spiegel deutschsprachiger Flugschriften
Wissenschaftsgeschichte Franz Steiner Verlag
Boethius | 71
B O ET H I U S Texte und Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften Begründet von Joseph Ehrenfried Hofmann, Friedrich Klemm und Bernhard Sticker Herausgegeben von Menso Folkerts und Richard L. Kremer Band 71
Der frühneuzeitliche Kometendiskurs im Spiegel deutschsprachiger Flugschriften Anna Jerratsch
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: Jeanette Frieberg, Buchgestaltung | Mediendesign, Leipzig Druck: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12517-8 (Print) ISBN 978-3-515-12518-5 (E-Book)
Gewiß, Ovid hat keine ausserordentlichere Metamorphose ausgedacht, als die Cometen bey den Weltweisen ausgestanden haben. Johann Heinrich Lambert, 1761
Danksagung Das vorliegende Buch basiert auf der im November 2017 von der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommenen Dissertation, die im Mai 2018 erfolgreich verteidigt wurde. Es hätte ohne die Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen in dieser Form nicht realisiert werden können. Für die vielfältig erfahrene Hilfe möchte ich mich an dieser Stelle sehr herzlich bedanken. An erster Stelle gilt mein Dank meinem Doktorvater Jürgen Renn, der meine Arbeit durch konstruktive Diskussionen und anhaltende Hilfestellung fachlich und persönlich begleitet, der mich gefördert und auch finanziell unterstützt hat und mir stets mit großem Verständnis begegnet ist – besonders im Hinblick auf meine private Situation als Mutter von drei Kindern. Unsere zahlreichen Gespräche, die vielfältigen intellektuellen Impulse und die kritische Diskussion meiner Thesen habe ich immer als sehr bereichernden und motivierenden Austausch empfunden. Mein besonderer Dank, insbesondere für seine wissenschaftlich-methodische Unterstützung, zahllose wertvolle Anregungen und die ein oder andere Grammatiklektion, gebührt Eberhard Knobloch, der meine Doktorarbeit als zweiter Gutachter betreut hat. Seinem inspirierenden Vorbild, seiner lebhaften Begeisterung für die Astronomiegeschichte und seinem Anstoß ist es nicht unmaßgeblich zu verdanken, dass ich das Promotionsprojekt überhaupt begonnen habe – seiner fordernden und fördernden Begleitung, dass ich es erfolgreich zum Abschluss gebracht habe. Die intellektuelle Heimat dieser Arbeit ist das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Die Unterstützung, die mir hier während der gesamten Bearbeitungsphase meiner Dissertation zuteilwurde, ist vielfältig und kann an dieser Stelle nur im Ansatz gewürdigt werden. Zunächst möchte ich Matthias Schemmel danken. Als Teil seiner Forschungsgruppe „Epistemologie des Raums“ konnte ich die wesentliche Forschungsarbeit für die Dissertation umsetzen und fand in ihm einen kritischen Leser erster Entwürfe und konstruktiven Rat- und Ideengeber mit stets offenem Ohr. Außerdem danke ich Martin Thiering, Irina Tupikova, Paul Trzeciok und Sascha Freyberg für die zahlreichen fachlichen Diskussionen und methodischen Anregungen, die mich auf dem Weg zur fertigen Arbeit immer wieder neue Aspekte und Ansätze entdecken ließen. Insbesondere Letzterem gebührt mein herzlicher Dank für seine scharfen Analysen sowie Lektüre und Lektorat großer Teile meiner Dissertation.
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Danksagung
Als langjähriger Kollege, akademischer Mentor und mittlerweile guter Freund hat Pietro Omodeo mich unermüdlich unterstützt und ganz wesentlich dazu beigetragen, dass dieses Buch in dieser Form vorliegt. Er kennt meine Arbeit wie kein Zweiter, hat ihre inhaltliche Ausrichtung und thematische Eingrenzung entscheidend geprägt und den mitunter mühevollen Weg immer wohlwollend begleitet. Durch sein großes Engagement, seine zahllosen fachlichen Hinweise, seine kritischen Betrachtungen und differenzierten Anmerkungen hat er maßgeblich zum erfolgreichen Abschluss des Promotionsprojekts beigetragen. Vor allem aber sein moralischer Beistand, seine fortwährende Ermutigung und der menschliche Halt haben mir Kraft und Mut zur Fortsetzung und Vollendung meiner Dissertation gegeben. Wegen dieser persönlichen und überragenden Unterstützung gebührt ihm hier mein tiefempfundener und ganz besonders herauszustellender Dank. Ich möchte mich auch bei Giulia Giannini und Angela Axworthy bedanken, die mir insbesondere in der späteren Phase der Promotion mit ihrem Wissen und mit ihrer Freundschaft, mit viel Geduld, Interesse und Hilfsbereitschaft zur Seite standen. Von Anfang an waren Shadiye Leather-Barrow und Petra Schröter meine Wegbegleiterinnen. Ihre über das kollegiale Maß weit hinausgehende Unterstützung bei den verschiedensten Anliegen, ihre freundschaftliche Begleitung und ihr ermutigender Zuspruch in mancher Stunde des Zweifelns waren für mich von unschätzbarem Wert. Des Weiteren danke ich herzlich Urs Schoepflin, Esther Chen und allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Bibliothek des Max-Planck-Instituts, die mir in so komfortabler Weise Zugang zu Literatur ermöglichten und zahlreiche Digitalisate seltener Drucke für mich besorgten und so die Erarbeitung der Quellenbasis dieses Werkes entscheidend gefördert haben. Besonders möchte ich Urte Brauckmann für die Arbeit und Zeit danken, die sie in die Beschaffung der Bildrechte investiert hat. Für die stets kompetente Hilfestellung technischer Natur danke ich dem gesamten IT-Team, besonders aber Mario Berner, der jeder Anfrage stets schnell, kundig und mit einem freundlichen Lächeln begegnet ist. Ich danke außerdem Louis Berger für seine hilfreiche Unterstützung bei der Erstellung der Bibliographie und Lindsay Parkhowell für die Durchsicht und Korrektur englischer Texte. Für die Förderung meiner Forschung durch Promotionsstipendien gebührt mein großer Dank dem Exzellenzcluster TOPOI und dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Friedrich Steinle und Richard Kremer danke ich für Ihre Einladung, meine Arbeit als Teil der von Ihnen herausgegebenen Boethius-Reihe zu veröffentlichen. Für die stets umsichtige und engagierte Durchführung und Begleitung der Publikation gilt mein Dank Frau Katharina Stüdemann vom Franz Steiner Verlag. In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch bei der VG Wort für die finanzielle Unterstützung bedanken. Zahlreiche Bibliotheken im In- und Ausland stellten mir umfangreiches Text- und Bildmaterial sowie vielfältige Informationen unbürokratisch zur Verfügung. Sie alle seien in diese Danksagung eingeschlossen.
Danksagung
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Zudem danke ich meinen ehemaligen KommilitonInnen Simon Rebohm, Nora Thorade, Sevilay Karaduman und Lidia Westermann für zahlreiche Gespräche auf intellektueller und persönlicher Ebene, die zum Nachdenken angeregt, beflügelt oder auch nur abgelenkt haben. Bei Letzterer bedanke ich mich außerdem sehr herzlich für die Durchsicht und redaktionelle Überarbeitung verschiedener Texte. Mein besonderer Dank gilt schließlich neben vielen Freunden meinen Eltern, die meine Arbeit immer unterstützt und mit großem Engagement begleitet, mich unermüdlich gestärkt und motiviert haben und die stets ein offenes Ohr für meine Gedanken hatten. Der größte Dank jedoch gebührt Jan Jerratsch. Ohne seinen immerwährenden Rückhalt, seinen unerschütterlichen Glauben an mich und meine Fähigkeiten und seine verständnisvolle Unterstützung im Großen wie im Kleinen wäre die vorliegende Arbeit nicht denkbar gewesen. Ihm ist dieses Buch von Herzen gewidmet.
Inhaltsverzeichnis TEIL I: Einführung und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1 Kometen in der Frühen Neuzeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Forschungsstand und Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Kometenflugschriften als wissenschaftshistorische Quelle . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Verbreitung und Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Auswahl und Darstellung des Quellencorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Gegenstand, Ziele und Methodik des Forschungsvorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Zum Wissensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Zum theoretischen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Forschungsleitende Thesen und Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2.1 2.2 2.3 2.4
2.5
Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutende Kometentheorien der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die meteorologische Theorie des Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Stoische Kometentheorien nach Seneca und Plinius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen der astrologischen Kometeninterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Ptolemaios und die Astrologisierung der Kometentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Transformation der Kometentheorie im Mittelalter: arabisch-islamische Tradition und Christianisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Grundzüge der theologischen Kometeninterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die systematische Beobachtung von Kometen und ihre naturkundliche Konzeptualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die Entdeckung des Schweifrichtungsgesetzes und die optische Kometentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Supralunarität als naturphilosophische Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Melanchthons theologisierte Naturphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Die augmentierte Kometentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 22 32 34 38 44 44 48 52 59 61 61 65 69 72 77 83 89 93 97 101 103 109
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TEIL II: Kometen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3
Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre: Die Formation des integrierten Kometenbildes im gemeinsamen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . 119 3.1 Die Kometen der 1530er Jahre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.1.1 Das Primat der Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.1.2 Die Dualität von Natürlichkeit und Zeichenhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3.1.3 Die integrierende Rolle der Astrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.1.4 Die Kometen als Zeichen und die Vermittlung von Kometenwissen . . . . . . . . . 138 3.2 Die Kometen der 1550er Jahre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3.2.1 Die Rolle der historischen Argumentation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3.2.2 Funktionen der Theologisierung von Kometen als Wunderzeichen . . . . . . . . . . 148 3.2.3 Kometen im prognostisch-medizinischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.2.4 Die Darstellung von Beobachtung als epistemische Technik . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3.2.5 Die Diffusion und Kommunikation von Kometenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3.2.6 Die Instrumentalisierung der Kometenfurcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3.3 Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 TEIL III: Der Große Komet 1577 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen . . . . . . . . . 189 4.1 Schinbains Kometenchronik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4.1.1 Die moraltheologische Instrumentalisierung von Kometen . . . . . . . . . . . . . . . . 194 4.1.2 Das naturkundliche Kometenbild Schinbains. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 4.2.1 Das Prodigium im straftheologischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4.2.2 Die Kometenmetapher als Medium der Sozialsteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4.2.3 Die Popularisierung des Kometenmotivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 4.3 Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 5.1 Johann Rasch: Kometenwissen im katholischen Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 5.1.1 Struktur und Thesen von Raschs Cometen Buech . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 5.1.2 Die Grenzen legitimer theologischer Kometenprognostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 5.1.3 Die interpretative Abgrenzung verschiedener Kometenkonzepte. . . . . . . . . . . . 239 5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 5.2.1 Die Komplementarität von theologischer und astrologisch-naturkundlicher Kometendimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 5.2.2 Die Astrologie als Bindeglied zwischen meteorologischer Wirkung und zeichenhafter Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
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5.3 Matthias Meines naturkundliche Kometenastrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 5.3.1 Die theologische Kometenkonzeption als Wunderzeichen der Natur . . . . . . . . 263 5.4 Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 6.1 Das Kometenbild des Leonhard Thurneysser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 6.1.1 Eine alchemistische Wunderzeichenkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 6.1.2 Die Inszenierung paracelsischen Kometenwissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 6.2 Johannes Heurnius’ neuplatonisches Kometenverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 6.2.1 Die Deutung des Kometen als politisches Prodigium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 6.3 Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 TEIL IV: Kometen im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 7
Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 7.1 Theodor Mays Meinungswandel bezüglich Kometen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 7.1.1 Der Komet als natürliches Zeichen Gottes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 7.1.2 Die Belegfunktion der kausalen Meteorologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 7.1.3 Exkurs zu Keplers Astrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 7.1.4 Der Zusammenhang von historischer Empirie und Astrologie . . . . . . . . . . . . . 346 7.2 Peter Crüger und die astronomische Beobachtung göttlicher Zeichen . . . . . . . 349 7.2.1 Die Parallaxe als mathematisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 7.2.2 Der Beweis der himmlischen Kometennatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 7.2.3 Die Debatte um den epistemologischen Status der Astronomie . . . . . . . . . . . . . 366 7.2.4 Die theologische Verursachung und Signifikanz von Kometen . . . . . . . . . . . . . 371 7.3 Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses . . . . . . 384 8.1 Die Vielfalt der theoretischen und interpretativen Positionen . . . . . . . . . . . . . . . 391 8.2 Die Transformation(en) der traditionellen Astrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 8.2.1 Die Ablehnung der deutenden Sternkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 8.2.2 Dimensionen der Zustimmung zur Astrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 8.3 Die Aufspaltung der Diskurse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 8.4 Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 9.1 Newton, Dörffel, Kirch: Kometen als Himmelskörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 9.2 Die theologische Kometeninterpretation im Wandel: Der zweite Ulmer Kometenstreit und die Physikotheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 459
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9.3 Vom Schreckenszeichen zum Kuriosum: Pierre Bayle und das Ende des „Kometenaberglaubens“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 9.4 Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 TEIL V: Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 10 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 10.1 Überblick über die Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes . . . . . . . . . . . . 504 10.2.1 Naturkunde: Wissenswandel durch mentale Modelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 10.2.2 Theologie: Vom moraltheologischen Wunderzeichen zum physikotheologischen Naturwunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 10.2.3 Astrologie: Marginalisierung durch Funktionsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 10.3 Theoretische und historiographische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 10.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 11 11.1 11.2 11.3
Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 Verzeichnis der Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 Verzeichnis der Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580
TEIL I: Einführung und Voraussetzungen
Man schreibt davon in Zeitungen / man lauf zusammen / man zeygt sie mit Fingern / man redet in jeden Gesellschafften davon / man fragt wie oder wann / und in was grösse oder schnellem lauff Sie da und dorten gesehen worden seien. Johann Matthias Schneuber, 16651 Cometary transits have always displayed the troubled relationship between astronomers, theologians, natural philosophers, and their public. Simon Schaffer, 19872
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[1.3] Schneuber, Johann Matthias: Umständliche Beschreibung Dess grossen Cometen Welcher im Anfang dess Christmonats 1664 erschinen und biss zu end dess Jenners 1665 gestanden: Samt beigefügter Abbildung dess gantzen Lauffs und beiläuffiger Bedeutung in underschidliche Kurtzgedichte verfasst, Straßburg 1665, Bl. A 2v. Schaffer, Simon: Authorized Prophets: Comets and Astronomers after 1759, in: Studies in Eighteenth-Century Culture 17 (1987), S. 45–74, S. 45.
1 Kometen in der Frühen Neuzeit Als am 12. November 2014 die Raumsonde Philae im Rahmen der Rosetta-Mission auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko landet, ist das nicht nur ein bahnbrechender Erfolg der Eroberung des Weltalls durch die Raumfahrt, sondern auch die Erfüllung eines jahrtausendealten Traums der Menschheit, den Kometen als geheimnisvollen Phänomenen des Kosmos auf die Spur zu kommen. Wenn noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Wiederkehr des Halleyschen Kometen zu einem auch von Panik und Weltuntergangsszenarien bestimmten Medienereignis werden konnte oder in der heutigen Astrophysik und -biologie darüber spekuliert wird, ob organisches Material oder das für irdisches Leben notwendige Wasser einst durch Kometeneinschläge auf die Erde gelangten, zeigt sich nicht nur die enorme Bedeutung, die diesen Himmelsobjekten zugeschrieben wurde und wird, sondern auch die Langlebigkeit der damit verbundenen Vorstellungen.3 Obwohl die Faszination der Menschen für Kometen eine lange Tradition hat, erreicht ihre wissenschaftliche und kulturelle Bedeutung in der Frühen Neuzeit einen vorläufigen Höhepunkt, der sich in einer großen Debatte über die Natur und die Relevanz der Kometen als Ausdruck von Begeisterung, Erschrecken und Neugierde angesichts der aufsehenerregenden Himmelsphänomene widerspiegelt. Während der Volksglauben Kometen traditionell mit wunderhaftem und katastrophalem Geschehen in Verbindung gebracht hat, werden sie im Kontext der auf die Reformation folgenden religiöskonfessionellen Spannungen als deutungsbedürftige Fingerzeige Gottes interpretiert. Die Empfindung politischer Instabilität und gesellschaftlicher Krisen im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts stimuliert diese Verunsicherung, wodurch Kometen zur Projektionsfläche kollektiver Hoffnungen und Ängste werden. Gleichzeitig schafft das Wegbrechen vertrauter Ordnungen in einer Zeit des auch geistesgeschichtlichen Umbruchs Informations- und Orientierungsbedarf; Humanismus und Renaissance füh3
Zur Kometenpanik des Jahres 1910 siehe Archenhold, Friedrich Simon (Hrsg.): Der Halleysche Komet im Jahre 1910: Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte (1909–1911). Mit einem Vorwort v. Klaus Fritze, Leipzig 1985. Einen Einblick in aktuelle Fragen moderner Kometenforschung bieten: Festou, Michel / Keller, H. Uwe / Weaver, Harold A. (Hrsg.): Comets II, Tuscon 2004.
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
ren zur Wiederentdeckung alter Wissensbestände und philosophischer Traditionen, die die intellektuelle Arena und die Formen der Verhandlung, Organisation und Legitimation von Wissen nachhaltig verändern. Die mit der Erfindung des Buchdrucks einhergehende Kommunikationsrevolution schafft eine frühmoderne Öffentlichkeit, in der Kometen zum Medienereignis und Kondensationskern menschlicher Versuche der Wissensproduktion, Naturerklärung und Weltdeutung avancieren. Als solchermaßen herausfordernde Objekte stoßen sie intensive Kommunikationsprozesse an und werden zum Gegenstand und Motor von Medien- und Wissenswandel. Die auf dem Wechselverhältnis dieser eng verwobenen Wandlungsprozesse beruhende Kometendebatte findet auf vielfältige Weise medial-literarische Verarbeitung. Einen geographisch und zeitlich klar abgrenzbaren Ausschnitt aus dieser Debatte bilden die deutschsprachigen Kometenflugschriften, die zwischen Mitte des 16. und Ende des 17. Jahrhunderts in so großer Zahl publiziert werden, wie sie weder vorher noch nachher erreicht worden ist.4 Die historische Analyse des in ihnen sichtbaren Diskurses5 um die Erklärung und Deutung von Kometen, der Aspekte der Kultur-, Sozial-, Religions-, Ideen- und Wissensgeschichte auf einzigartige Weise vereint, ist Ziel dieser Arbeit. Vor dem Hintergrund der sozialen, gesellschaftlichen und intellektuellen Entwicklungen, die schließlich in die Aufklärung und die sogenannte Wissenschaftliche Revolution münden, werden die Kometen als multidimensionale Grenzgänger zum challenging object6, da ihre Erklärungs- und Deutungsbedürftigkeit auf neue Art und Weise gesehen wird: Sie sind in verschiedenen Theorietraditionen, Kontexten und Sinnwelten eingebunden, die in den Flugschriften als unterschiedliche Zugänge, Wahrnehmungs- und Interpretationsweisen der Himmelsphänomene manifestiert sind, die verschiedene, auf komplexe Weise miteinander verknüpfte Darstellungs- und Instrumentalisierungsmöglichkeiten von Kometen generieren. Sie werden daher zum Kristallisationspunkt einer Debatte um die Erklärung und Deutung von Natur, in der gängige theoretische und interpretative Konzeptionen infrage gestellt und neue Ideen entwickelt werden. Die Untersuchung des in den Flugschriften fassbaren Diskurses dient der Rekonstruktion einer Wissenskultur, die nicht nur Gelehrtenwelt und Volkskultur, akademische Elite und den gemeinen Mann verbindet, sondern mit anderen kulturellen Systemen menschlichen Schaffens, Denkens und Glaubens eng verzahnt ist. Die Explosion und Diversifizierung des Wissens zu Beginn der Neuzeit verlangt 4 5
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Eine ausführliche Darstellung des Quellencorpus bietet Kap. 1.2.2. Der Ausdruck des Diskurses ist hier von der Materialität des Quellenmaterials her gedacht und findet in dieser Studie in seiner allgemeinen sprachwissenschaftlichen Definition als verbale oder textuelle Erörterung eines Themas und ausdrücklich nicht als Begriff einer linguistischen, philosophischen oder literaturwissenschaftlichen Diskurstheorie Verwendung. Zum Diskurs als Gegenstand von Wissensgeschichte siehe Sarasin, Philipp: Was ist Wissensgeschichte?, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36/1 (2011), S. 159–172. Zum Konzept des challenging object als wichtigen Elements des theoretischen Ansatzes dieser Arbeit siehe Kap. 1.3.
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nicht nur nach Ordnung, Organisation und Konsolidierung dieses Wissens, sondern schließlich auch nach epistemologischer Grenzziehung zwischen den einzelnen Wissensbeständen, zwischen Wissen und anderen Formen der Erkenntnis und Weltdeutung sowie den legitimen Praktiken zur Herstellung und Kommunikation dieser kollektiv geteilten Meinungen über Wirklichkeit, Wahrheit, Mensch und Natur. Diese Wandlungsprozesse werden im Kometendiskurs konkret greifbar und in dieser Arbeit mit ihren Ausprägungsformen, Bedingungen und Konsequenzen analysiert. Die geographische Eingrenzung des Untersuchungsraums auf das deutsche Sprachgebiet ist nicht nur aus pragmatischen Gründen erfolgt, sondern zunächst einmal der durchaus erklärungsbedürftigen Materialfülle geschuldet. Die Auswertung bibliographischer Kollationen hat ergeben, dass die Zahl der Kometenflugschriften und -blätter im Untersuchungszeitraum im deutschen Sprachgebiet mit Abstand am höchsten ist.7 Der Frage, warum das so ist, wird in dieser Studie ebenso nachgegangen wie der nach den Ursachen des plötzlichen Abebbens der Schriften nach dem Jahr 1681, wodurch der in den Flugschriften präsente Kometendiskurs einen natürlichen Schlusspunkt erhält. Der Anfangs- und Endpunkt des Untersuchungszeitraums ergibt sich nicht nur aus der dazwischen so hohen Publikationsdichte der Druckwerke, sondern auch aufgrund der wissenschaftshistorischen Relevanz, die einzelnen signifikanten Kometenerscheinungen in dieser Zeit zugeschrieben wird: Der Komet von 1577 gilt gemeinhin als derjenige, dessen Erforschung durch Tycho Brahe, Michael Mästlin und andere 7
Dieser Umstand ist nur teilweise darauf zurückzuführen, dass die deutschsprachige Kometenliteratur die am besten bibliographisch erschlossene und erforschte ist, wenn auch mit einem Fokus auf den gelehrt-akademischen Diskurs. Konkrete Zahlenangaben zum hiesigen Quellencorpus folgen in Kap. 1.2.2. Isabelle Pantin konstatiert z. B., dass der Komet 1577 in Frankreich deshalb nicht zu einer Flut von Schriften geführt habe, weil es dort zu der Zeit keinen Astronomen vom Format eines Michael Mästlin oder Tycho Brahe gegeben habe, vgl. Pantin, Isabelle: La poésie du ciel en France. Dans la seconde moitié du seizième siècle, Genf 1995 (Travaux d’Humanisme et Renaissance CCXCVII), S. 457–494, hier S. 472–473. Siehe für Frankreich außerdem Döring, Martin: Von der Wundergeschichte zum ‚fait divers‘. Untersuchungen zur Berichterstattung über Kometen in französischen canards an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, in: Nitsch, Wolfram / Teuber, Bernhard (Hrsg.): Vom Flugblatt zum Feuilleton. Mediengebrauch und ästhetische Anthropologie in historischer Perspektive, Tübingen 2002, S. 129–146, für Italien Tessicini, Dario: The Comet of 1577 in Italy: Astrological Prognostications and Cometary Theory at the End of the Sixteenth Century, in: Tessicini, Dario / Boner, Patrick J. (Hrsg.): Celestial Novelties on the Eve of the Scientific Revolution 1540–1630, Florenz 2013 (Biblioteca di Galilaeana III), S. 57–84 und für den spanischen Raum Navarro Brotons, Victor / Lanuza-Navarro, Tayra M. C.: Prophecy and Politics in Spain: Celestial Novelties and the Stars, 1572–1630, in: Tessicini, Dario / Boner, Patrick J. (Hrsg.): Celestial Novelties on the Eve of the Scientific Revolution 1540–1630, Florenz 2013 (Biblioteca di Galilaeana III), S. 33–56. Die englische und niederländische Kometenliteratur ist Thema von zwei einzelnen Monographien, deren Untersuchungszeiträume allerdings entweder eingeschränkter oder viel weitgefasster sind als der hiesige und die ebenfalls nicht ausschließlich den volkssprachlichen Diskurs in den Blick nehmen, vgl. Schechner, Sara J.: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, Princeton 1999 sowie Nouhuys, Tabitta van: The Age of Two-Faced Janus. The Comets of 1577 and 1618 and the Decline of the Aristotelian View in the Netherlands, Leiden 1998 (Brill’s Studies in Intellectual History 89).
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nicht nur die Supralunarität von Kometen und damit die Unhaltbarkeit der bis dahin weitgehend akzeptierten aristotelisch-meteorologischen Theorie erwiesen, sondern auch hinsichtlich Exaktheit und Methodik der beobachtenden und instrumentellen Kometenforschung neue Maßstäbe gesetzt habe. Der Komet von 1682 ist hingegen der erste, den Halley durch Vergleich mit älteren Beobachtungsdaten als periodisch wiederkehrend erkannt und dessen Bahnperiode er korrekt bestimmt hat,8 während der in dieser Zeit entstehende konzeptuelle Rahmen der Newtonschen Gravitationstheorie für die Akzeptanz der Kometen als kosmische Körper, die sich auf berechenbaren Bahnen um die Sonne bewegen, und das Ende des Kometenaberglaubens verantwortlich gemacht wird. Als Gelegenheits- und vermeintlich rein populäre Literatur sind die Kometenflugschriften eine wissenschaftshistorisch bisher unterschätzte Quellengattung, jedoch können gerade solche von akademischen Zwängen weitgehend freie Texttraditionen Aufschluss über Ideen von Wissen, Weltbildern, Mentalitäts- und Glaubensvorstellungen geben, die in konventionelleren Genres eher nicht präsent sind. Die Kometen sind als zu beschreibende und zu erklärende Naturphänomene nicht nur Gegenstand von Wissensproduktion, sondern aufgrund der ihnen zugeschriebenen metaphysischen oder religiösen Signifikanz auch Objekte der Deutung. In welchem Verhältnis stehen Wissensproduktion und Deutung und wer sind die dahinterstehenden historischen Akteure? Welche Bilder von Kometen werden in den Flugschriften formiert, präsentiert und rezipiert und welche Inhalte und Methoden sind dabei von Bedeutung? Welche soziokulturellen, historisch-politischen, intellektuellen oder religiösen Entwicklungen sind mit dem Kometendiskurs verknüpft, welche Hintergründe und Kontexte relevant? Diese Fragen sollten nach einer ersten Sichtung des umfangreichen Quellenmaterials zunächst durch eine ordnende Kategorisierung der Kometenflugschriften angegangen werden. Eine strenge Klassifikation der Druckschriften hat sich dabei jedoch insofern als schwierig erwiesen, als einerseits die Gruppe der Autoren sehr heterogen ist und ihre Werke andererseits als Konglomerat verschiedener Diskurstraditionen, Zugängen zu, Repräsentationsformen und Interpretationsweisen von Kometen erscheinen, die zuweilen so eng miteinander verflochten sind, dass z. B. eine eindeutige thematische Charakterisierung nur schwer möglich ist. Hier liegt die Ursache der für die Kometenthematik so wichtigen Interdisziplinarität,9 die daher den methodischen Ausgangspunkt des relationalen Ansatzes dieser Arbeit bildet:
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Eine Übersicht über Halleys Kometenbeobachtungen bietet Hughes, David W.: Edmond Halley: His Interest in Comets, in: Thrower, Norman J. W. (Hrsg.): Standing on the Shoulders of Giants. A Longer View of Newton and Halley. Essays Commemorating the Tercentenary of Newton’s „Principia“ and the 1985–1986 Return of Comet Halley, Berkeley 1990, S. 324–372. Daher schreibt Dario Tessicini „Thus, the interplay between different disciplines becomes a key variable in the intellectual characterization of cometary literature.“, siehe Tessicini: The Comet of 1577 in Italy, S. 79.
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Ob gelehrter Naturphilosoph, astrologischer Prognostiker, Arzt oder Geistlicher, sie alle interessiert – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – sowohl die Seite der Deskription und Erklärung als auch die interpretative Dimension von Kometen. Diese verschiedenen Erklärungsweisen und Deutungsmuster werden in ihren Relationen und Interdependenzen im Spannungsfeld von akademischer Gelehrsamkeit und populärer Volkskultur in den Blick genommen. Es geht dabei insbesondere um das Zusammenund Wechselspiel von Elementen aus drei thematischen Kontextgebieten, die für die Kometendebatte primär relevant sind. Die disziplinären Felder der Naturkunde – hier insbesondere die Meteorologie, die Himmelsphysik und die Astronomie –, der Astrologie und der Theologie fungieren in dieser Arbeit daher als strukturierender Rahmen der historischen Rekonstruktion und Analyse, wobei besonders deren argumentative Verbindungen fokussiert werden: Im Zentrum dieser Interdisziplinarität steht die Mehrdimensionalität der Kometen als kausal zu erklärende und astronomisch zu beobachtende Naturphänomene einerseits und als zu interpretierende Zeichen Gottes andererseits. Die zwei Säulen, auf denen diese Wunderinterpretation ruht, sind die Astrologie und die Divination, die im Laufe der Geschichte in wechselhaften Relationen zueinanderstehen und in Spätantike und Mittelalter theologisiert, also in das christliche Weltbild integriert werden. Schon früh haben christliche Autoren die Bibel genutzt und Kometen als die dort erwähnten Zeichen am Himmel oder Zeichen der Endzeit interpretiert und ihnen damit eine spezifisch religiöse Signifikanz verliehen. Astrologie und Theologie haben als gemeinsamen Bezugspunkt das Zeichenhafte der Kometen und ihre Aufgabe des Entzifferns der im Zeichen inkorporierten Botschaft. Diese Sichtweise der Kometen als Prodigien ist dabei nicht losgelöst von ihrer Untersuchung als Phänomene der Natur, da die natürlichen Wunderzeichen dual sowohl naturphilosophisch als auch theologisch bestimmt sind. Die Kernfrage dieser Studie ist die nach dem Transfer und der Transformation von Wissen:10 Der Wissenstransfer kann z. B. diachron sein, etwa insofern als antike Wissensbestände bis weit ins 17. Jahrhundert einen wichtigen – wenn nicht den wesentlichen – Bezugspunkt für theoretische Erklärungsmodelle über Kometen darstellen, wobei sich in diesen Dialog mit der Antike fortwährend neue, zeitgenössische Erkenntnisse, Entdeckungen und Innovationen mischen. Der Transfer kann jedoch auch vertikal verlaufen, z. B. zwischen sozial oder bildungsmäßig verschiedenen Gruppen. Die von einer heterogenen Autorengruppe verfassten Kometenflugschriften erfüllen dabei für verschiedene Rezipienten unterschiedliche Bedürfnisse, das der Information und Orientierung etwa, oder auch das der Weltdeutung, Komplexitätsreduktion und Kontingenzbewältigung. Auf diese Weise avancieren die Kometen in der Frühen Neuzeit zu Vehikeln der Zirkulation und Veränderung von Wissen, Funktionen und Bedeutungen. Diese Transformationsprozesse werden in dieser Studie über die Dynamik des
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Zum Wissensbegriff dieser Arbeit siehe Kap. 1.3.1.
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Zusammenspiels der drei Kontextgebiete analysiert, um nach Produktion und Rezeption, Inhalten, Methoden und Praktiken sowie nach dem medialen und epistemologischen Ort und Modus der Verhandlung und Deutung von Wissen zu fragen und den damit verknüpften Wandel historisch zu konkretisieren und zu interpretieren. Bevor Gegenstand, Ziele und theoretisch-methodischer Rahmen dieser Studie in den folgenden Unterkapiteln näher ausgeführt werden, erfolgen vorab ihre Verortung in Bezug auf den aktuellen Stand der Forschung sowie einige grundsätzliche Erläuterungen zum Quellencorpus als definitorische Annäherung an die Textgruppe, deren interpretative Analyse die Basis der vorliegenden Arbeit bildet. 1.1 Forschungsstand und Historiographie In dieser Arbeit geht es um die Analyse und Interpretation des in den volkssprachigen Flugschriften sichtbaren Diskurses anlässlich der großen Kometenerscheinungen zwischen ca. 1530 und 1680. Ihren Kern bilden sieben chronologische Fallstudien, die um diese Kometenerscheinungen als synchrone Schnitte im Untersuchungszeitraum zentriert sind. Während in den Einleitungen der entsprechenden Kapitel drei bis neun jeweils die auf diese konkreten Kometen bezogene Forschungsliteratur diskutiert wird, geht es in diesem Abschnitt um den allgemeineren Forschungsstand in Bezug auf die Grundfragen dieser Arbeit und die Historiographie der frühneuzeitlichen Kometendebatte. Für Kometenflugschriften hat man sich aus verschiedenen disziplinären Kontexten heraus interessiert und sie etwa als Ausdruck frühneuzeitlicher Alltags- oder Populärkultur in den Blick genommen.11 Besonders in der Bedeutung der Kometen als Wunder oder Wunderzeichen sind sie Gegenstand kultur- oder literaturgeschichtlicher sowie volkskundlicher Untersuchungen.12 Als himmlische Prodigien sind Kome-
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Lehmann, Hartmut: Die Kometenflugschriften des 17. Jahrhunderts als historische Quelle, in: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland, Teil II, Wiesbaden 1985 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 13), S 683–701. Siehe dazu exemplarisch die Arbeiten Schweglers oder auch Schendas Studien zur Prodigienliteratur: Schwegler, Michaela: „Erschröckliches Wunderzeichen“ oder „natürliches Phänomenon“? Frühneuzeitliche Wunderzeichenberichte aus der Sicht der Wissenschaft, München 2002 (Bayerische Schriften zur Volkskunde 7); Dies.: Die Darstellung des Wunderbaren in Flugblättern und Flugschriften der Frühen Neuzeit, in: Augsburger Volkskundliche Nachrichten 8 (1998), S. 77–96; Schenda, Rudolf: Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 4 (1963), Sp. 637–710; Ders.: Die französische Prodigienliteratur in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, München 1961 (Münchener romanistische Arbeiten 16). Eine mediengeschichtliche Rekonstruktion der Prodigiendebatte bietet Berns, Jörg Jochen: Wunderzeichen am Himmel und auf Erden. Der frühneuzeitliche Prodigiendiskurs und dessen medientechnische Bedingungen, in: Jaumann, Herbert / Stiening, Gideon (Hrsg.): Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit, Berlin 2016, S. 99–161.
1.1 Forschungsstand und Historiographie
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ten insbesondere vom Luthertum vereinnahmt worden – tatsächlich ist der Großteil der Kometenflugschriften von protestantischen Autoren verfasst, die die Himmelserscheinungen im Kontext religiöser Frömmigkeitspraxis, konfessioneller Polemik oder straftheologischer Appelle verorten und instrumentalisieren.13 Auf die Bedeutung von Sprache, Text, Bildlichkeit und medialer Form in der frühneuzeitlichen Kometendebatte rekurrieren Forschungen im Kontext der Medien-, Kommunikations- oder Pressegeschichte, die sich hauptsächlich – aber nicht nur – auf illustrierte Flugblätter konzentrieren.14 In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Arbeiten von Alfred Messerli und Franz Mauelshagen relevant, in denen die Bedeutung der Wahrnehmung untersucht wird.15 Diese ist demnach weniger als passive Aufnahme von dabei
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Die Literatur zu diesem Themenkomplex ist vielfältig und insbesondere im Bereich der Reformations- und Kirchengeschichte sehr umfangreich. Für diese Studie von Relevanz sind z. B. Zambelli, Paola (Hrsg.): ‚Astrologi hallucinati‘ Stars and the End of the World in Luther’s Time, Berlin 1986; Leppin, Volker: Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548–1618, Heidelberg 1999 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 69); Barnes, Robin B.: Prophecy and Gnosis. Apocalypticism in the Wake of the Lutheran Reformation, Stanford 1988; Bergdolt, Klaus / Ludwig, Walther (Hrsg.): Zukunftsvoraussagen in der Renaissance, Wiesbaden 2005 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 23); Smolinsky, Heribert: Deutungen der Zeit im Streit der Konfessionen. Kontroverstheologie, Apokalyptik und Astrologie im 16. Jahrhundert, Heidelberg 2000 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 20); Soergel, Philip M.: Miracles and the Protestant Imagination: The Evangelical Wonder Book in Reformation Germany, Oxford 2012; Salatowsky, Sascha / Lotze, Karl-Heinz (Hrsg.): Himmelsspektakel. Astronomie im Protestantismus der Frühen Neuzeit, Gotha 2015 (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha 52); Wels, Volkhard: Manifestationen des Geistes. Frömmigkeit, Spiritualismus und Dichtung in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2014 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 17). Federführend Wolfgang Harms und zahlreiche Mitarbeiter geben seit über 30 Jahren systematisch deutsche Flugblätter in kommentierten Editionen heraus, die einen wertvollen Fundus bilden, darunter z. B. Harms, Wolfgang et al. (Hrsg.): Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Kommentierte Ausgabe, Bd. 1–4 und 7, Tübingen 1980–1997 sowie Harms, Wolfgang et al. (Hrsg.): Illustrierte Flugblätter des Barock. Eine Auswahl, Berlin 2011 (Deutsche Neudrucke / Reihe Barock 30), außerdem Harms, Wolfgang / Schilling, Michael (Hrsg.): Das illustrierte Flugblatt in der Kultur der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1998 (Mikrokosmos 50). Eine mittlerweile zum Standardwerk avancierte Monographie bietet Schilling, Michael: Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700, Tübingen 1990 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 29). Siehe dazu außerdem Burkhardt, Johannes / Werkstetter, Christine (Hrsg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, München 2005 (Historische Zeitschrift Beiheft 41). Spezifisch zu Kometenflugschriften siehe Dünnhaupt, Gerhard: „Neue Kometen – böse Propheten“. Kometenflugschriften in der Publizistik der Barockzeit, in: Philobiblon 18 (1974), S. 112–118. Harms, Wolfgang / Messerli, Alfred (Hrsg.): Wahrnehmungsgeschichte und Wissensdiskurs im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit (1450–1700), Basel 2002; Messerli, Alfred: Angst und Wunderzeichen in Einblattdrucken, in: Librarium 31 (1988), S. 182–197; Mauelshagen, Franz: Illustrierte Kometenflugblätter in wahrnehmungsgeschichtlicher Perspektive, in: Harms, Wolfgang / Schilling, Michael: Das illustrierte Flugblatt in der Kultur der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1998, S. 101–136; Mauelshagen, Franz: Die „portenta et ostenta mines lieben herren unsers säligen …“ Nachlassdokumente Bullingers im 13. Buch der Wickiana, in: Zwingliana XXVIII (2001),
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
unveränderlichen Inhalten zu denken, sondern als aktiver Prozess der Rezeption, der Bedeutung überhaupt herstellt: Weder sind Anschauung und Interpretation sinnvoll voneinander zu trennen, noch ist letztere eine bloße Reaktion auf eine neutrale Realität; die Deutung bestimmt die Wahrnehmung und die wiederrum jene Bilder, die über Wirklichkeit und Wahrheit generiert werden. Es ist genau dieser aktive Prozess, auf den die Kulturhistorikerin und Ethnologin Rebekka Habermas in ihrer Erforschung der Funktion des Wunders rekurriert, wenn sie von Interpretation als Bedeutungsproduktion spricht.16 Aus diesem Grund kann auch diese Arbeit nicht als reine Rezeptionsstudie funktionieren, sondern widmet sich ebenfalls gerade dem Zusammenhang von Wissen und Weltbild in frühneuzeitlichen Kometenvorstellungen, in denen das Konzept des Wunders eine zentrale Rolle spielt. Die wechselvolle Geschichte des Wunders über mehr als ein halbes Jahrtausend untersuchen die Historikerinnen Lorraine Daston und Katherine Park mit dem Ergebnis, dass den sehr unterschiedlichen Ideen des Wunders jeweils ganz verschiedene Vorstellungen über die Ordnung der Natur zugrunde liegen.17 Damit gehen nicht nur veränderte Empfindungen einher – so ist die Geschichte des Wunders zu großen Teilen eine Geschichte des Staunens – sondern z. B. auch unterschiedliche Konzeptionen von Rationalität. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis dieses grundlegenden Werkes besteht darin, dass diese Kulturgeschichte des Wunderbaren einmal mehr verdeutlicht, dass die Geschichte der modernen Naturwissenschaften mit Narrativen der Entzauberung der Welt als Ausdruck einer fortschreitenden Rationalisierung nur sehr unzureichend beschrieben werden kann. Die Kometen als gleichzeitig nach Beschreibung und Erklärung verlangende Naturereignisse und als zeichenhafte Phänomene des Wunderbaren und Unerklärlichen bilden geradezu einen paradigmatischen Fall für die Untersuchung solcher Fragen. Die Kometenflugschriften liegen als Gebrauchsund Gelegenheitsliteratur vermeintlich nur an der Peripherie des Kosmos gelehrten Wissens; in dem durch sie konstituierten Diskurs geht es jedoch ganz konkret um das wechselhafte Verhältnis von Weltbild, Naturerkenntnis und Glaubensvorstellungen und damit durchaus um die großen Fragen der Wissenschaftsgeschichte. Während Daston und Park genau diese Fragen in Bezug auf historische Vorstellungen des Wunders angehen, sind die Kometenflugschriften selber nur selten im Fokus
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S. 73–117; Mauelshagen, Franz: Wunderkammer auf Papier. Die Wickiana zwischen Reformation und Volksglaube, Epfendorf 2011 [zugl. Diss. Universität Zürich 2008]. Siehe dazu Habermas, Rebekka: Wunder, Wunderliches, Wunderbares. Zur Profanisierung eines Deutungsmusters in der frühen Neuzeit, in: Dülmen, Richard van (Hrsg.): Armut, Liebe, Ehre. Studien zur historischen Kulturforschung, Frankfurt am Main 1988, S. 38–66; Dies.: Wallfahrt und Aufruhr. Zur Geschichte des Wunderglaubens in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1991. Daston, Lorraine / Park, Katherine: Wunder und die Ordnung der Natur 1150–1750, Frankfurt am Main 2002.
1.1 Forschungsstand und Historiographie
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konkret wissenschaftshistorischer Untersuchungen gewesen.18 Ein wesentlicher Grund für dieses geringe Interesse liegt an dem Ruf der Kometenflugschriften als rein populäre Medien, als Literaturform nicht nur des gemeinen Mannes, sondern als Massenlesestoff der unteren Schichten, in dem in anspruchsloser Weise Profanitäten verhandelt und bloßer Sensationshunger gestillt werden, aber Inhalte von wissenschaftlicher Relevanz eher nicht zu finden seien. Hartmut Lehmann hat bereits 1985 den historischen Quellenwert von Kometenflugschriften aufgezeigt und deren bisherige Berücksichtigung als Forschungsdesiderat deklariert:19 Er sieht diese Medien primär als Ausdruck der Weltsicht und -deutung des frühneuzeitlichen Bürgertums und als Reflexion auf die als krisenhaft empfundene Zeit. Inhaltlich gehe es um Erbauung und Buße mit dem missionarischen Zweck, die christlichen Zeitgenossen zu erziehen. Demgegenüber hat der Astronomiehistoriker Jürgen Hamel gezeigt, dass naturwissenschaftlicher Fortschritt sich auch in der astronomisch-astrologischen Kleinliteratur finden lässt:20 Ihm geht es nicht zuletzt darum aufzuzeigen, welchen Anteil gerade die deutschsprachige Kometenliteratur an der Überwindung der meteorologischen Kometentheorie und der Etablierung einer neuen Kometenkonzeption hatte, um damit die Bedeutung dieser Schriften für die wissenschaftshistorische Forschung zu illustrieren. Er konstatiert u. a., dass der faktische oder „wissenschaftsrelevante“ Gehalt der Kometenflugschriften in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts deutlich zunimmt und meint damit z. B. die Erkenntnis der Supralunarität und ätherischen Natur von Kometen, deren Interpretation als beständige Himmelskörper oder die Dokumentation ihrer systematischen Observation.21
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Eine Ausnahme bilden z. B. die Arbeiten Krohn, Thomas: Kometenobservationen in der Mitte des 17. Jahrhunderts: Die deutschsprachigen Kometenschriften von Christoph Nothnagel mit einem Vergleich zu themengleichen Ausarbeitungen von Erhard Weigel und Tobias Beutel, Hamburg 2011 (Mathematische Forschung und Lehre an der Universität Wittenberg 2); Ders.: Erhard Weigels Welt- und Kometenverständnis in den 1660er Jahren: Orientierung auf das Erfahren der Natur in einer Zeit noch großer astronomischer Unsicherheit, in: Herbst, Klaus-Dieter (Hrsg.): Erhard Weigel (1625–1699) und die Wissenschaften, Frankfurt am Main 2013, S. 105–132; Ders.: Über die Schrift „Prodromus Conjunctionis Magnae, anno 1623. futurae.“ Von Erasmus Schmidt (1570–1637), Professor für Mathematik an der Wittenberger Universität, in: Reports on (Didactics and) History of Mathematics des Instituts für Mathematik der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg 13 (2008); Krohn, Thomas / Schöneburg, Silvia: Cometa per Bootem – Wittenbergs Beitrag zum Großen Kometen von 1618: Mathematisch-astronomische und mathematik-didaktische Analyse, in: Richter, Karin / Schöneburg, Silvia (Hrsg.): Mathematische Forschung und Lehre an der Universität Wittenberg 1, Hamburg 2010, S. 57–183. Vgl. Lehmann: Die Kometenflugschriften des 17. Jahrhunderts als historische Quelle. Vgl. Hamel, Jürgen: Die Kometen in der deutschsprachigen astronomisch-astrologischen Kleinliteratur um 1600 – Tradition und Innovation, in: Die Sterne 71/1 (1995), S. 18–28, S. 18–19. Auch Schilling hat in seiner Studie zur frühneuzeitlichen Bildpublizistik belegt, „daß die Ausführungen naturkundlicher Flugblätter des 17. Jahrhunderts sich erstaunlich oft auf der Höhe der zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskussion bewegen.“, vgl. Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 87.
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
Der populäre Charakter der Kometenflugschriften ist hauptsächlich an bestimmten Inhalten – oder dem Fehlen dieser Inhalte – sowie an ihrer sprachlichen Fassung festgemacht worden. In diesen Medien wird die naturkundliche Beschreibung oder astronomische Beobachtung meist mit prognostisch-religiöser Analyse und Interpretation verbunden. Ebenso wie andere Textformen der astronomisch-astrologischen Kleinliteratur22 wie etwa Kalender oder Praktiken, bieten sie – z. T. in nicht unerheblichem Umfang – exakte und verlässliche astronomische Informationen und durch die Deutung, aber z. B. auch das Aufzeigen der medizinischen Relevanz, gleichzeitig Orientierung für das Alltagsleben und Möglichkeiten der Kontingenzbewältigung. Die Kometeninterpretation als Teil der natürlichen Astrologie und Theologie bestimmt bis in die Aufklärung hinein das Interesse an Kometen und dies betrifft Gelehrte ebenso wie Laien, es ist der Blickwinkel beider.23 Die Astrologie stellt zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine weit verbreitete, akademisch verankerte und legitimierte Disziplin dar. Die Koexistenz wissenschaftlicher Rationalität und der sich in okkulten Strömungen wie der Mantik, dem Hermetismus oder der Astrologie widerspiegelnden magisch-ganzheitlichen Weltdeutung ist für die Renaissance die Regel und nicht die Ausnahme.24 Warum sind also die Kometenflugschriften als medialer Ort der Verhandlung der Astrologie prädestiniert? Rienk Vermij hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass gerade volkssprachige25 Werke ihren Autoren die Freiheit bieten, jenseits enger Genrekonventionen und der spezifischen Zwecke, Anforderungen und disziplinären Zwänge des gelehrten Diskurses gerade solche Themen zu integrieren:26 Hier können spekulative, innovative und möglicherweise auch in anderen Kontexten von Zensur bedrohte Ideen dargeboten werden, ohne gleich auf den Prüfstand akademischer Gelehrsamkeit gestellt zu werden. Ebenso kann hier thematisch umfassender argumentiert, also z. B. bei der Diskussion von Naturphänomenen auch deren kosmologische oder religiöse Dimension berücksichtigt werden. Kurz gesagt: Während ein Traktat oder Lehrbuch keinen Raum für die umfassende Darstellung von Weltbildern 22 23 24 25
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Siehe dazu Mahlmann-Bauers Ausführungen zu Jahresprognostiken: Mahlmann-Bauer, Barbara: Sprüche in Prognostiken des 16. Jahrhunderts, in: Haug, Walter / Wachinger, Burghart (Hrsg.): Kleinstformen der Literatur, Tübingen 1994 (Fortuna vitrea 14), S. 165–204, S. 165–166. Vgl. Weichenhan, Michael: „Ergo perit coelum …“ Die Supernova des Jahres 1572 und die Überwindung der aristotelischen Kosmologie, Stuttgart 2004 (Boethius 49), S. 383. Bauer, Barbara: Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung in den Medien und Künsten. Ein Forschungsbericht, in: Wolfenbütteler Barocknachrichten 26/1 (1999), S. 3–35. Der Begriff „volkssprachig“ bezieht sich im Folgenden auf in der Volkssprache Vorgetragenes oder Geschriebenes (etwa volkssprachige Literatur oder volkssprachige Flugschriften), während „volkssprachlich“ etwas die Volkssprache Betreffendes meint (etwa volkssprachliche Terminologie oder volkssprachlicher Diskurs). In der Sekundärliteratur werden beide Termini jedoch häufig undifferenziert oder synonym verwendet. Vgl. Vermij, Rienk: Seventeenth-Century Dutch Natural Philosophers on Celestial Influence, in: Granada, Miguel Á. / Boner, Patrick J. / Tessicini, Dario (Hrsg.): Unifying Heaven and Earth. Essays in the History of Early Modern Cosmology, Barcelona 2016, S. 289–313
1.1 Forschungsstand und Historiographie
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bietet, ist dieser in der volkssprachigen Kleinliteratur vorhanden: „Consequently, it is not in academic textbooks or disputations, but in pamphlets, books for the general public and unpublished notes that we see the views of the universe change.“27 Wenn daher also die inhaltlich-thematische Gestaltung bestimmte Schriften nicht eindeutig als entweder gelehrt oder populär erscheinen lässt, was kann man aus der Tatsache ihrer sprachlichen Fassung ableiten? Die Sprachwissenschaft hat für das frühneuzeitliche Europa einen Aufschwung der Volkssprachen seit dem 15. Jahrhundert konstatiert, wobei dieser Aufschwung im deutschen Sprachgebiet – etwa im Vergleich zu Frankreich und Italien – vergleichsweise spät stattfindet.28 Das gilt für genuin volkssprachige Texte, deren Zahl seit dem 15. Jahrhundert stetig zunimmt, als auch für Übersetzungen seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Trotzdem bleibt bis ins 18. Jahrhundert Latein die Sprache der Gelehrten, nicht als eine Fremdsprache unter anderen, sondern als Universalsprache der Wissenschaft oder Arkansprache und damit gleichzeitig Ausdruck und Instrument einer bildungsspezifischen Trennung.29 Die Sprachenordnung ist hier primär nicht national, sondern sozial-hierarchisch, die Gelehrten verteidigen über ihre Lateinkompetenz und den Gebrauch der Sprache einen gesellschaftlichen Vorrang und grenzen sich als Elite ab.30 Dem Lateinischen ist zudem traditionell eine komplexere Ausdrucksfähigkeit, stilistische Überlegenheit und eine größere Einfachheit in der Nachahmung antiker Muster zugesprochen worden. Einen bedeutsamen Schub zur Förderung der Volkssprachen, insbesondere im deutschen Sprachraum, leistet die Reformation: Neben der Wirkung der Bibelübersetzung Luthers sind hier etwa die Entwicklung volkssprachigen protestantischen Liedguts, Predigtdrucke oder deutsche Katechismen zu nennen, außerdem das Eintreten für einen volkssprachigen Gottesdienst und nicht zuletzt die Nutzung der Flugschriften durch die Reformatoren, als Medium der Information und Nachricht, aber auch der Agitation und Propaganda.31 Die Reformation stellt eine der wichtigsten Ursachen eines Aufwertungsdiskurses dar, der sich parallel zu einem Abwertungsdiskurs des Deutschen vollzieht und diesen schließlich ablöst.32 Der „reformatorisch eingeleitete
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Vermij: Seventeenth-Century Dutch Natural Philosophers on Celestial Influence, S. 290. Siehe Gardt, Andreas: Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Berlin 1999, insbesondere ab S. 45. Vgl. Friedrich, Udo: Naturgeschichte zwischen artes liberales und frühneuzeitlicher Wissenschaft. Conrad Gessners ‚Historia animalium‘ und ihre volkssprachliche Rezeption, Tübingen 1995 (Frühe Neuzeit 21), S. 143–148. Vgl. Kleinschmidt, Erich: Volkssprache und historisches Umfeld. Funktionsräume einer deutschen Literatursprache in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 101 (1982), S. 411–436, S. 424–425. Siehe dazu Köhler, Hans-Joachim (Hrsg.): Flugschriften als Massenmedien der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, Stuttgart 1981 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 13). Zu den Ursachen und historischen Entwicklungen des Auf- und Abwertungsdiskurses der Volkssprachen im frühneuzeitlichen Europa vgl. Klein, Wolf-Peter: Die deutsche Sprache in der Gelehr-
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
Durchbruch zur Volkssprache“33 entsteht aus dem Wunsch, ein ungelehrtes Publikum zu erreichen und verbindet sich mit anderen, z. B. humanistischen Ansätzen der Laienbildung, die insgesamt zu einem breiteren Bildungsinteresse und Wissenszugang führen. Sind die volkssprachigen Kometenschriften Ausdruck einer solchen Laienkultur und daher vielmehr populäre als gelehrte Medien? Hinter dieser Frage steht implizit die in der historischen Forschung nicht unbekannte, aber methodisch durchaus problematische Vorstellung einer Gelehrtenkultur und einer Volkskultur als dualistischem Gegensatzpaar mit jeweils spezifischen Ausdrucksformen und bestimmten Personengruppen als Trägern dieser Kulturformen.34 Allein hinter den Begrifflichkeiten verbergen sich recht unpräzise analytische Konzepte. Das Volk erscheint dabei sozial, wirtschaftlich und auch bildungsmäßig ebenso heterogen wie die Gelehrten: Ein reicher Kaufmann des Stadtpatriziats gehört ebenso zum Volk wie ein einfacher Handwerker oder Bauer; ein Adeliger wie Tycho Brahe oder Wilhelm IV. von Hessen-Kassel kann ebenso Gelehrter sein wie ein vergleichsweise einfacher Pfarrer oder Amtsträger einer dörflichen Gemeinde. Insbesondere der Bildungsstand des humanistisch inspirierten und aufstrebenden Bürgertums entspricht nicht immer dem akademisch oder universitär Gelehrter, kann jedoch weit über dem des gemeinen Mannes liegen.35 Der französische Historiker Roger Chartier hat in diesem Zusammenhang kritisch angemerkt, dass das Populäre oft allein über die Negation definiert worden sei, also darüber, was es nicht ist, nämlich gelehrt.36 Er hat daher für die Frühe Neuzeit eher von populärer Rezeption als populärer Literatur gesprochen, da das Populäre meist nicht in den Texten an sich, sondern in den Formen ihrer Aneignung oder ihres Gebrauchs liege. Aneignung oder Rezeption sind hier als produktive und transformative Kulturprozesse zu verstehen, nicht als passive Aufnahme, sondern als kreativer Umgang mit Inhalten: „Das Populäre ist also weder die für das Volk hergestellte Kultur noch jene vermeintlich entwurzelte Kultur, sondern ein spezifisches Beziehungsverhältnis zu einem kulturellen Objekt. (…) An die Stelle der oft enttäuschten Suche nach einer spezifischen und ausschließlichen Volkskultur muß die Identifikation differenzierter Gebrauchsformen von gemeinsamen Materialien treten. Die Strategien
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samkeit der frühen Neuzeit. Von der lingua barbarica zur HaubtSprache, In: Jaumann, Herbert: Diskurse der Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch, Berlin 2011, S. 465–516. Kleinschmidt: Volkssprache und historisches Umfeld, S. 412. Siehe dazu Friedeburg, Robert von: Einleitung zur Sektion ‚Welt des Volkes‘ – ‚Welt der Gelehrten‘. Dialog und Rezeption in der Frühen Neuzeit, in: Kerner, Max (Hrsg.): Eine Welt, eine Geschichte? 43. Deutscher Historikertag in Aachen, 26. bis 29. September 2000, München 2001, S. 160–163. Vgl. dazu Roeck, Bernd: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit, München 2011 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 9), S. 52–65. Vgl. Chartier, Roger: Volkskultur und Gelehrtenkultur. Überprüfung einer Zweiteilung und einer Periodisierung, in: Gumbrecht, Hans-Ulrich / Link-Heer, Ursula (Hrsg.): Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt am Main 1985, S. 376– 388.
1.1 Forschungsstand und Historiographie
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des Gebrauchs, die Verfahren der Verarbeitung werden so zu dem, was die kulturellen Universen unterscheidet.“37 Daran anknüpfend geht es in dieser Arbeit also darum, diese beiden kulturellen Sphären nicht als hierarchisch voneinander abgeschottet, sondern als ineinandergreifend anzusehen und ihre Berührungspunkte, Durchlässigkeiten, Verflechtungen, Symbiosen und gegenseitigen Einflussnahmen in den Blick zu nehmen, denn die Faszination für Kometen in dieser Zeit betrifft das Volk und die Gelehrten gleichermaßen. Die Kometenflugschriften gehören damit per se weder zur Welt akademischer Gelehrsamkeit, noch zur sogenannten „rural literacy“38, sondern generieren für unterschiedliche Rezipientenkreise vielmehr verschiedene Lesarten und Nutzungsweisen, bedienen unterschiedliche Interessen und erfüllen spezifische Bedürfnisse und Funktionen. Allein ein Blick auf die Autoren, zu denen berühmte Astronomen wie Apian oder Kepler ebenso gehören wie einfache Pfarrer oder Ärzte, verdeutlicht die Brückenfunktion dieser Medien zwischen Fachgelehrten und gebildeten Laien. Heterogene Gruppen von Rezipienten und Verfassern treten in einen Austausch von Daten, Information, Meinungen und Wissen. Aus diesem Grund spricht die Historikerin Sara Schechner treffend von einem „shared discourse“, also einem gemeinsamen Diskurs über Kometen, der Hoch- und Populärkultur verbindet.39 Die Fragestellungen ihrer Studie sind nicht nur genuin wissenschaftsgeschichtlich, sondern zielen ganz konkret auf den historischen Zusammenhang zwischen dem, was man gemeinhin Kometenaberglauben nennt, und dem sich Ende des 17. Jahrhunderts etablierenden wissenschaftlichen Kometenbild. Neben dieser Relation ist es insbesondere der analytische Ansatz, der die in verschiedenen historischen Epochen vorherrschenden Konzeptionen von Kometen als Zeichen und als Ursachen in den Blick nimmt, der im Rahmen der hiesigen Untersuchung fruchtbar gemacht wird. Es sind zwei Dinge, die Schechners Studie im Kontext der jüngeren Forschungen zum historischen Kometenbild auszeichnen: Zum einen ist das ihre Fokussierung auf die Populärkultur und damit unter anderem auch englischsprachige Quellen, zum anderen ihre diachrone Perspektive auf Kometen von der Antike bis ins 18. Jahrhundert. Dieser longue durée-Ansatz kennzeichnet im Allgemeinen eher rein historiographische Werke, wohingegen die bekannteren historisch-analytischen Arbeiten oft synchrone Schnitte bei einer spezifischen Himmelserscheinung als Ausgangspunkt gewählt und das entsprechende Schrifttum vergleichend untersucht haben: Als mittlerweile klassische und geographisch übergreifende Studien sind hier Doris Hellmans
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Chartier: Volkskultur und Gelehrtenkultur, S. 385–386. Darunter ist die „volkstümliche“ Textproduktion von Laien zu verstehen, die im Gegensatz zur offiziellen Gelehrsamkeit einer akademisch gebildeten Elite steht, vgl. Bauer, Alessia: Laienastrologie im nachreformatorischen Island. Studien zu Gelehrsamkeit und Aberglauben, München 2015 (Münchner Nordistische Studien 21). Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 4.
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
The Comet of 1577 (1944) sowie James Robinsons The Great Comet of 1680 (1916) zu nennen, die vor allem aufgrund ihrer bibliographischen Grundlagenarbeit wertvoll sind.40 In jüngerer Zeit und für das deutsche Sprachgebiet hat Marion Gindhart eine grundlegende Untersuchung vorgelegt, die die Literatur zum Kometen 1618 aus literatur- und wissensgeschichtlicher Perspektive analysiert.41 Der Rezeption und Relevanz dieses Kometen und dem von 1577 widmet sich, mit dem geographischen Schwerpunkt auf den Niederlanden, Tabitta van Nouhuys.42 Beide Autorinnen betonen in ihren sehr lesenswerten und kenntnisreichen Studien die basale Bedeutung antiker Wissensbestände als maßgeblichen Bezugspunkt frühneuzeitlicher Kometenkonzeptionen und kontextualisieren bzw. relativieren die Bedeutung, die den Kometen für die Durchsetzung des neuen nicht-aristotelischen Physik- und Weltbilds z. B. in den klassischen Werken von Hellman und Robinson zugeschrieben worden ist.43 Sowohl Gindhart als auch van Nouhuys nehmen hauptsächlich lateinische Schriften und damit primär die Kometenbilder des gelehrten Diskurses in den Blick. Indem diese Studie auf die deutschsprachigen Schriften rekurriert, wird nicht nur eine Forschungslücke geschlossen, sondern in einzigartiger Weise eine Möglichkeit geschaffen, sich auf „die zweite Reihe“ der Naturforscher einer gegebenen historischen Epoche zu konzentrieren. Anne-Charlott Trepp spricht in diesem Zusammenhang von der „zweite[n] Garde von ‚Naturkündigern‘“:44 Diese als Autoren und Rezipienten der Kometenflugschriften zu fokussieren, erlaubt Einsichten in generelle Prozesse der Wissensentwicklung, -ausgestaltung, -konsolidierung und -modifikation jenseits der Diskurse der Fachgelehrten oder „Spitzenautoren“45, aber mit diesen doch verbunden und auf deren Wissen und Praktiken bezogen. Zwei wesentliche Konsequenzen sind mit dieser Perspektive verknüpft, nämlich zum einen die Abkehr von einer Heldenhistoriographie und dem Fokus auf die innovativen Leistungen dieser Helden und zum anderen die Erkenntnis, dass nicht nur das innovativ ist, was sich rückblickend als rational oder wissenschaftlich charakterisieren lässt. Die Literaturwissenschaft40
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Hellmann, C. Doris: The Comet of 1577. Its Place in the History of Astronomy, New York 1944; Robinson, James H.: The Great Comet of 1680. A Study in the History of Rationalism, Diss. Northwestern University, Northfield 1916. Beide Studien werden in den Einleitungsabschnitten der den jeweiligen Kometenerscheinungen gewidmeten Fallstudienkapiteln – für den Kometen 1577 Kapitel vier bzw. Teil III und für den von 1680 Kapitel neun – in ihrer Bedeutung näher beleuchtet. Gindhart, Marion: Das Kometenjahr 1618. Antikes und zeitgenössisches Wissen in der frühneuzeitlichen Kometenliteratur des deutschsprachigen Raumes, Wiesbaden 2006 (Wissensliteratur im Mittelalter 44). Wenn auch nicht auf eine Kometenerscheinung bezogen, aber vom methodischen Ansatz her ähnlich ist Weichenhans Studie zur Rezeption der Nova von 1572 und ihrem Einfluss auf das zeitgenössische kosmologische Weltbild: Weichenhan: „Ergo perit coelum …“ Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus. Einer solchen Interpretation folgt z. B. auch Gingerich, Owen: Tycho Brahe and the Great Comet of 1577, in: Sky and Telescope 54 (1977), S. 452–458. Vgl. Trepp, Anne-Charlott: Von der Glückseligkeit alles zu wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 2009, S. 10–18, hier S. 17. Hamel: Die Kometen in der deutschsprachigen astronomisch-astrologischen Kleinliteratur, S. 27.
1.1 Forschungsstand und Historiographie
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lerin Barbara Mahlmann-Bauer hat darauf hingewiesen, dass die diesen Vorstellungen zugrunde liegende Idee einer progressiven Wissenschaftsentwicklung, also die Konstruktion der Wissenschaftsgeschichte als Fortschrittsnarrativ, als Folge von Revolutionen und Paradigmenwechseln mit Helden und Verlierern, eine irreführende rhetorische Inszenierung ist, die häufig auf starken Abstraktionen einerseits und der engen Fokussierung von theoretischem Wissen als isolierte, hoch technische und spezialisierte Tätigkeit andererseits beruhe, wobei soziale, politische oder religiöse Zusammenhänge unberücksichtigt blieben.46 Peter Burke schreibt dazu treffend: „Wollte ich Aufsehen erregen, würde ich an dieser Stelle behaupten, die sogenannten intellektuellen Revolutionen im Europa der frühen Neuzeit, Renaissance, wissenschaftliche Revolution und Aufklärung, seien nichts weiter gewesen als das Sichtbarwerden und vor allem das Lesbarwerden bestimmten volkstümlichen oder praktischen Wissens und seiner Legitimation durch einige akademische Einrichtungen. Bei aller Übertreibung wäre eine solche Behauptung kaum weniger einseitig als die konventionellere Prämisse, die Wissen mit akademischer Gelehrsamkeit gleichsetzt.“47 So überholt dieses historiographische Narrativ auch erscheint, so wirkmächtig ist sein Echo, das sich als subtiles Denkmuster als erstaunlich langlebig erweist, gerade dann, wenn die Wissenschaftsgeschichte ihre Gegenstände unter dem Aspekt des Erkenntnisfortschritts und der Vorwegnahme moderner Ansichten betrachtet. Diese Problematik spiegelt sich nicht zuletzt in den Begrifflichkeiten wider, die Wissenschaftshistoriker zur Charakterisierung und Analyse ihrer Untersuchungsobjekte verwenden: Die Begriffe „Naturwissenschaft“ oder „Popularisierung“ sind für einen frühneuzeitlichen Kontext insofern ungeeignet, als sie auf etwas rekurrieren, das es erst später gibt und das mit einer bestimmten Konzeption von Gegenstandsoder Anwendungsbereich, Theorie, Methodik und Praxis verknüpft ist. Trepp plädiert daher für einen offenen Naturbegriff, verstanden als Gegenstand kulturell geprägter Projektionen, Wertvorstellungen und Praktiken: Die sich in den Flugschriften zeigenden Zugänge zum Phänomen Komet sind nicht sinnvoll als „naturwissenschaftlich“ oder „populär“ zu charakterisieren, sondern verdeutlichen in diesem Sinne bestimmte Wahrnehmungsweisen von und Haltungen gegenüber der Natur.48 Dass diese Wahrnehmungen mit Denkmustern verbunden sind, die heute als Aberglauben oder Pseudowissenschaft eingeordnet werden, erscheint aus dieser Perspektive nicht mehr als widersprüchlicher historischer Befund, sondern resultiert schlicht aus einer anderen Begrenzung des Zuständigkeits- und Gegenstandsbereichs von Naturkunde und einer anderen Definition von Rationalität. Diese Art des Naturzugangs kann dadurch vielmehr so erkannt werden, wie sie zeitgenössisch wahrgenommen worden ist: Nämlich als in einem kohärenten Sinnzusammenhang stehend, als 46 47 48
Bauer: Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung, S. 18. Burke, Peter: Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft, Berlin 2001, S. 24. Vgl. Trepp: Von der Glückseligkeit alles zu wissen.
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
legitimer Zugang zu einem vielschichtigen Phänomen, das sich nicht auf den einen Deutungskontext reduzieren lässt, der sich in der Formierung der modernen Naturwissenschaft schließlich als der erfolgreiche erwiesen hat. Die Kehrseite des Fokus auf Heldentum und Innovationen ist ja das historische Analysieren mit Negationen: So wird etwa vom „Verschwinden“ teleologischer Erklärungskonzepte gesprochen oder dem „Niedergang“ von Astrologie oder Alchemie. Stattdessen geht es hier darum, den Aberglauben als sozialanthropologisches Faktum und die Koexistenz rationaler und irrationaler, empirischer und spekulativer, positivistischer und holistischer Naturdeutungsansätze und Erkenntnisverfahren ernst zu nehmen49 und den Versuch einer historischen Rekonstruktion eines facettenreichen, interdisziplinären und über Wissenschaft im strengen Sinne hinausgehenden Diskurses und seiner Entwicklung – und damit des Welt- und Kometenbildes eines Renaissancemenschen – zu unternehmen. 1.2 Die Kometenflugschriften als wissenschaftshistorische Quelle Das steigende Interesse an der Kometenthematik seit dem 15. Jahrhundert spiegelt sich in Werken zahlreicher Genres und medialer Gattungen des hochliterarischen ebenso wie des trivial- oder kleinliterarischen Feldes wider.50 Als Kometenliteratur kann man zunächst alle Schriftwerke bezeichnen, die sich mit Kometen befassen, vom Fachbuch bis zum Flugblatt: Darunter finden sich monographische Abhandlungen, die sich allgemein mit dem Thema auseinandersetzen – oft als Kommentare zu oder Neueditionen von antiken Werken – ebenso wie Texte, in denen eine ganz bestimmte Kometenerscheinung fokussiert wird oder aber Kometen nur am Rande interessieren oder erwähnt werden, wie z. B. in vielen zeitgenössischen Prognostiken, anderen kalendarischen Werken, Enzyklopädien, Jahresrevolutionen, Messrelationen, Chroniken oder Prodigienkompendien.51 Die hier interessierenden Kometenflugschriften sind Teil der Kleinliteratur, wobei die Bezeichnung „Flugschrift“ sich auf das mediale Format bezieht, dem verschiedene literarische Textformen, z. B. Predigten, Briefe, Polemiken, Dialoge oder Lieder zugrunde gelegt werden können.52 49 50
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Vgl. Bauer: Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung, S. 12 und S. 19. Gindhart spricht in diesem Zusammenhang von einem breiten Spektrum frühneuzeitlicher Textsorten, vgl. Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 10. Die Begriffe „Gattung“ oder „Textsorte“ entsprechen literatur- oder medienwissenschaftlichen Kategorien, die zur Charakterisierung oder Klassifikation frühneuzeitlicher Drucke nur bedingt geeignet sind und im Rahmen dieser Arbeit daher pragmatisch verwendet werden. Siehe dazu Gindhart, Marion: „Astrologische Textsorten“, in: Paravicini, Wolfgang (Hrsg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hof und Schrift, Ostfildern 2007 (Residenzforschung 15 III), S. 73–86, S. 75. Der Begriff „Kleinliteratur“ bezieht sich hier auf Umfang, Produktionsaufwand und Verbreitung textueller Produktionen im Gegensatz zum Buch. Der begriffliche Gegenpart ist insofern nicht
1.2 Die Kometenflugschriften als wissenschaftshistorische Quelle
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Die technische Grundlage der Flugschriften ist die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern und die Entwicklung seiner Produktions- und Vertriebsstrukturen bis Anfang des 16. Jahrhunderts. Geistesgeschichtlich sind die beflügelnden Faktoren zum einen der Humanismus mit seinem Glauben an die universelle Bildungsfähigkeit des Menschen, der Wiederentdeckung antiker Wissensbestände und dem Aufbrechen scholastischer Studien- und Diskurskulturen.53 Zum anderen ist es die Reformation, die der Flugschrift als Medium der Information und Nachricht, aber auch der Agitation und Propaganda, ihr Gepräge gibt. Definitorisch betrachtet sind Flugschriften selbständige und nicht-periodische Druckschriften von ein bis etwa zweihundert Seiten Umfang, die anlassbezogen und daher schnell – oftmals als unmittelbare Reflexe auf aktuelle Ereignisse – produziert werden mit dem Ziel aktueller Orientierung eines anonymen, lesefähigen und zur Orientierungsmultiplikation geeigneten Publikums.54 Die Kometenflugschriften sind demnach also Flugschriften, die sich konkret auf eine aktuelle Kometenerscheinung beziehen und anlässlich dieser verfasst worden sind, womit sie als Informations- und Nachrichtenmedium gleichzeitig Teil der Tagespublizistik und der Gebrauchsliteratur sind. Einem Begriff Jürgen Hamels folgend lässt sich ihr größter Teil unter der Bezeichnung der astrologisch-astronomischen Kleinliteratur subsummieren.55
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die Hochliteratur, als sich die Flugschriften als Übergangsmedien der Vertikalsymbolik von „niedrig“ oder „gesunken“ entziehen, vgl. Harms, Wolfgang: Der kundige Laie und das naturkundliche illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 9/4 (1986), S. 227–246, S. 228. Zum Thema Flugschriften siehe z. B. Schwitalla, Johannes: Deutsche Flugschriften 1460–1525. Textsortengeschichtliche Studien, Tübingen 1983 (Germanistische Linguistik 45), S. 88–108. Vgl. Füssel, Stephan: Klassische Druckmedien der Frühen Neuzeit, in: Burkhardt, Johannes / Werkstetter, Christine (Hrsg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, München 2005 (Historische Zeitschrift Beiheft 41), S. 57–61, S. 59. Es muss jedoch betont werden, dass der Einfluss des Humanismus indirekt ist, besteht er doch zunächst in einer eher elitären Gelehrtenkultur, die z. B. die Rückkehr zu Latein und Griechisch fordert und der Verwendung der Volkssprachen mitunter sogar ablehnend gegenüber steht. Auf welche Weise der europäische Humanismus auf die Entwicklung der Volks- als Literatursprachen Einfluss genommen hat, beschreibt Kleinschmidt: Volkssprache und historisches Umfeld, S. 412–417. Zur Definition der Flugschriften vgl. Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 29. Ich fasse den Begriff Flugschriften zunächst als inhaltsneutralen und medialen Oberbegriff, unter den sich auch Einblattdrucke oder Flugblätter subsummieren lassen. Zur Entwicklung der Terminologie und Definition siehe Rosseaux, Ulrich: Flugschriften und Flugblätter im Mediensystem des Alten Reiches, in: Arndt, Johannes / Körber, Esther-Beate (Hrsg.): Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600–1750), Göttingen 2010, S. 99–114, hier S. 102–107. Dazu gehören unter anderem auch Gelegenheitsgedichte, Lehrbücher, Kalender, Almanache, Revolutionen, Prognostiken, Nativitätensammlungen und Horoskope, vgl. Hamel: Die Kometen in der deutschsprachigen astronomisch-astrologischen Kleinliteratur sowie Ders.: Die Rezeption des mathematisch-astronomischen Teils des Werkes von Nicolaus Copernicus in der astronomisch-astrologischen Kleinliteratur um 1600, in: Fritscher, Bernhard / Brey, Gerhard (Hrsg.): Cosmographica et Geographica. Festschrift für Heribert M. Nobis zum 70. Geburtstag, München 1994 (Algorismus 13), S. 315–335.
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
1.2.1 Verbreitung und Rezeption Über die Verbreitung der Kometenflugschriften und ihre Leserschaft lassen sich nur indirekte Schlüsse ziehen. Da die Dauer der Sichtbarkeit eines Kometen nicht vorhersagbar ist, die Erfahrung aber gezeigt hat, dass sie nicht sehr lang und eher im Bereich von Wochen oder wenigen Monaten liegt, gehören die oft hastig und daher minderwertig produzierten Schriften zur Gelegenheitsliteratur, die aufgrund ihres Aktualitätsbezugs relativ bald überholt erscheint. Die Kometenwerke stellen durch Form und Inhalt sicherlich keinen Wert dar, den es wie ein Buch sorgfältig und lange aufzubewahren gilt, was die immensen Überlieferungsverluste bis heute erklärt. Dies gilt insbesondere für die Flugblätter, die lose und ungebunden oft nur dann überdauern, wenn sie in Büchern aufbewahrt werden. Das erklärt außerdem, warum heute bekannte Exemplare oft in Besitz der gesellschaftlichen Oberschicht gewesen sind.56 Eine der bekanntesten und mit über 20 Foliobänden größten Sammlungen dieser Art ist die des Züricher Chorherrn Johann Jacob Wick (1522–1588).57 Aus der Menge des heute noch vorhandenen Materials kann man auf eine recht hohe Verbreitung schließen. Darauf weist indirekt auch schon die Auflagenhöhe der Schriften hin, die Schilling zwischen 1 000 und 2 000 Exemplaren ansetzt.58 Der Hauptentstehungsort für Flugschriften ist die Stadt. Hier sind die Druckwerkstätten, leben häufig die Verfasser und die weiteren am Produktions- und Vertriebsprozess beteiligten Personen59, und hier ist nicht zuletzt ein zumindest in Teilen zahlungskräftiges oder -fähiges, entsprechend gebildetes und interessiertes Publikum. Zeitgenössische städtische Druckzentren sind Straßburg, Nürnberg, Augsburg, Regensburg, Leipzig, Frankfurt und Tübingen; Köln, Wien und Ingolstadt gehören zu den wichtigsten katholischen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kommen Berlin und Halle dazu, während alte Druckzentren wie Basel oder Wittenberg an Bedeutung verlieren. Der Absatz findet häufig in Form des Direktverkaufs aus der Druckoffizin, an Ständen auf Märkten, Jahrmärkten und kirchlichen Festen, aber auch als seriöser Buchhandel über Messen und Buchläden statt. Insbesondere die Einblattdrucke und Flugblätter sind durch Kolportage und Hausierertum auch an die einfache Landbevölkerung 56 57
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Vgl. Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 52. Die sogenannte Wickiana ist eine Fundgrube für Historiker, mittlerweile gut erforscht und u. a. von Harms, Schilling und Mauelshagen erschlossen und ediert worden, vgl. Harms, Wolfgang / Schilling, Michael (Hrsg.): Die Wickiana. Die Sammlung der Zentralbibliothek Zürich, Kommentierte Ausgabe, Teil I/II, Tübingen 1997–2005 (Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. Jahrhunderts, Bd. 6/7) und Mauelshagen: Wunderkammer auf Papier. Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 25. Er spricht an dieser Stelle nur über Flugblätter, jedoch dürften die Zahlen für die Flugschriften in einem ähnlichen Bereich liegen. Also neben dem Buchdrucker und Texturheber (Satz) z. B. der Verleger, der Bildentwerfer, der Zeichner, Stecher, Briefmaler oder Formschneider, schließlich der Verkäufer oder Kolporteur. Viele, z. T. sogar alle diese Aufgaben, wurden häufig in Personalunion übernommen. Vgl. Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 12–13.
1.2 Die Kometenflugschriften als wissenschaftshistorische Quelle
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verkauft worden. Ihr Preis muss daher, besonders im Vergleich zu den aufwendig produzierten Büchern, recht günstig gewesen sein. Das gilt auch für die Flugschriften, die zwar umfangreicher, aber dafür seltener mit Illustrationen in Form von oft handkolorierten Holzschnitten versehen sind. Schilling schätzt den Verkaufspreis eines illustrierten Flugblatts auf 2 bis 4 Kreuzer, was ungefähr dem Stundenlohn eines gelernten Maurers entspricht.60 Keplers im Vergleich dazu recht aufwendig gestaltete, mit zahlreichen Illustrationen versehene und immerhin mit der Autorenschaft des Kaiserlichen Mathematikers verbundene Schrift De cometis ist auf der Herbstbuchmesse 1619 für 18 Kreuzer verkauft worden, was eher am anderen Ende des preislichen Spektrums für Flugschriften gelegen haben dürfte.61 Der durchschnittliche Preis einer Kometenflugschrift hat je nach Länge wahrscheinlich zwischen 2 und 10 Kreuzern betragen und damit außerhalb der wirtschaftlichen Möglichkeiten von Bevölkerungsgruppen unterhalb der gewerbetreibenden Mittelund Oberschicht gelegen.62 Zwischen Reformation und Aufklärung avancieren die Flugschriften zum Alltagsund Massenmedium und haben durch die mit ihnen verbundenen Kommunikationspraktiken die frühmoderne Öffentlichkeit wenn nicht geschaffen, so doch entscheidend geformt – eine Öffentlichkeit, die informiert, unterhalten und, durchaus in positivem Sinne, belehrt werden will.63 All diese Funktionen werden durch die Kometenflugschriften erfüllt, bei denen es sicherlich auch um die Befriedigung des Sensationshungers der Rezipienten geht, da die frühneuzeitlichen Sichtungen von großen Kometen „Medienereignisse ersten Ranges“ darstellen.64 Wer sind nun diese Rezipienten? Die Einschätzung der Flugschriften als populäre Massenmedien hat dazu verleitet, sie als Massenlesestoff der unteren Schichten zu charakterisieren.65 Nicht nur 60 61 62 63
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Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 40. Vgl. Brüning, Volker Fritz: Bibliographie der Kometenliteratur, Stuttgart 2000 (Hiersemanns bibliographische Handbücher 15), S. 147. Siehe dazu auch Rosseaux: Flugschriften und Flugblätter im Mediensystem des Alten Reiches, S. 112. Eine quantitative Studie bietet Köhler, Hans-Joachim: The Flugschriften and their Importance in Religious Debate: A Quantitative Approach, in: Zambelli, Paola (Hrsg.): ‚Astrologi hallucinati‘. Stars and the End of the World in Luther’s Time, Berlin 1986, S. 153–175. Siehe auch Ders.: Fragestellungen und Methoden zur Interpretation frühneuzeitlicher Flugschriften, in: Köhler, HansJoachim (Hrsg.): Flugschriften als Massenmedien der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, Stuttgart 1981 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 13), S. 1–28. Meinel, Christoph (Hrsg.): Grenzgänger zwischen Himmel und Erde: Kometen in der Frühen Neuzeit, Regensburg 2009 (Kataloge und Schriften der Staatlichen Bibliothek Regensburg 1), S. 120. Vgl. für einige kritische Anmerkungen zu dieser These Messerli, Alfred: War das illustrierte Flugblatt ein Massenlesestoff?, in: Harms, Wolfgang / Messerli, Alfred (Hrsg.): Wahrnehmungsgeschichte und Wissensdiskurs im illustrierten Flugblatt der Frühen Neuzeit (1450–1700), Basel 2002, S. 23–32. Auch Schenda widerspricht z. B. der Behauptung, dass das Bild für Analphabeten eine Art Schriftersatz darstellt, da Bildmedien wie illustrierte Flugblätter nicht nur Gelegenheit, Zeit und Geld voraussetzen, sondern auch die Kulturpraktik des Dechiffrierens des Bildcodes beim Rezipienten, vgl. dazu Schenda, Rudolf: „Bilder vom Lesen – Lesen von Bildern“, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 12 (1987), S. 82–106.
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der Preis von Flugschriften steht diesem Urteil entgegen; als gedruckte und textorientierte Medien haben sie sich vielmehr primär an eine lesefähige und an der Lesekultur partizipierende Elite gerichtet.66 Trotz eines geschätzten Anteils von nur unter 5 % der lesefähigen frühneuzeitlichen Bevölkerung ist der tatsächliche Adressatenkreis der Flugschriften wohl größer, da ihre Rezeption „zwischen den Medien Mündlichkeit, Skriptographie und Typographie hin und her [wechselt].“67 Rössing-Hager spricht in diesem Zusammenhang von einer zweifachen Kommunikation, indem in Aufbau, Sprache und Stil der Flugschriften der leseunkundige Rezipient berücksichtigt, also neben dem Leser auch der Hörer adressiert wird.68 Bezogen auf Flugschriften und insbesondere Flugblätter muss ergänzend noch die Bildlichkeit als weiteres wichtiges Element hinzugefügt werden.69 Da frühneuzeitliche Kommunikation in Dorf und Stadt, an Hof oder Universität, maßgeblich durch soziale Netzwerke beeinflusst ist, entstehen zahlreiche Kommunikationsräume jenseits der textuellen Rezeption. In diesem Sinne ist das informierende, meinungsbildende oder unterhaltende Medium nicht nur das Flugblatt allein, sondern auch dessen „orale Vermittlung durch die Predigt, den Gesang (…), das (laute) Lesen und das Vorlesen.“70 Diese Art der Multiplikation beginnt bereits bei den typischen Vertriebswegen der Flugschriften, z. B. in Form des Kolportagehandels oder des Direktverkaufs durch Drucker oder Verleger, wobei die Schriften und Blätter häufig durch Vorlesen oder Aussingen der Inhalte bekannt gemacht und beworben werden. Hinzu kommt, dass solche Flugmedien bei Messen, Markttagen oder in Predigten verbreitet, an Rathäusern oder Kirchentüren angeschlagen und in Wirtshäusern aufgehängt, vom Erstkäufer weitergereicht und in Hausgemeinschaften diskutiert und so Gegenstand öffentlicher Debatten werden.71 Diese Form der Mündlichkeit schlägt sich in Stil und formaler Struktur der Flugschriften nieder, z. B. durch eine bestimmte Rhetorik mit typischen Stilfiguren, eine metaphorische und bildhafte Sprache z. B. mit Gleichnissen oder All66 67 68
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Volker Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 27. Schwitalla, Johannes: Flugschrift, Tübingen 1999 (Grundlagen der Medienkommunikation 7), S. 28. Rössing-Hager, Monika: Wie stark findet der nicht-lesekundige Rezipient Berücksichtigung in den Flugschriften?, in: Köhler, Hans-Joachim (Hrsg.): Flugschriften als Massenmedien der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposion 1980, Stuttgart 1981 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 13), S. 77–137, S. 77. Während Schilling den Anteil der nicht bebilderten Flugblätter im Vergleich zu den illustrierten als unbedeutend einschätzt, also bei schätzungsweise über 90 % ansetzt, hat Köhlers quantitative Untersuchung für das erste Drittel des 16. Jahrhunderts den Anteil der mit Titelholzschnitt versehenen längeren Flugschriften auf ungefähr 17 % beziffert, vgl. Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 3 und Köhler: The Flugschriften and their Importance, S. 163. Füssel: Klassische Druckmedien, S. 57. Vgl. dazu: Friedrichs, Christopher R.: Das städtische Rathaus als kommunikativer Raum in europäischer Perspektive, in: Burkhardt, Johannes / Werkstetter, Christine (Hrsg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, München 2005 (Historische Zeitschrift Beiheft 41), S. 159–174 und im selben Band Freist, Dagmar: Wirtshäuser als Zentren frühneuzeitlicher Öffentlichkeit. London im 17. Jahrhundert, S. 201–224 und Freitag, Werner: Die Kirche im Dorf, S. 147–157.
1.2 Die Kometenflugschriften als wissenschaftshistorische Quelle
37
tagsbeispielen, die Wiederholung von Inhalten oder Texten in Reimform. Messerli spricht in diesem Zusammenhang von einer „illusion de l’oralité“ und konstatiert, dass die Kommunikation gedruckter Lesestoffe in den größeren kommunikativen Kontext von mündlicher Kommunikation, visueller Kommunikation und Aktion als Kommunikation zu stellen ist.72 Obwohl aufgrund der Oralität eine Streuung der Inhalte und damit indirekte Vermittlung anzunehmen ist, sind die Illiteraten von der selständigen Rezeption solcher Textmedien ausgeschlossen. Das liegt nicht nur an der fehlenden Lesefähigkeit, sondern auch an weiteren Kompetenzen, die für die bei Kometenflugschriften erforderliche Interpretationsarbeit notwendig sind, z. B. bezogen auf Sprache und Stil des Textes oder auf das Dekodieren der Bildsprache der Illustrationen. Auch deutschsprachige Schriften enthalten oft lateinische Partikeln, z. B. einzelne Worte, Marginalien, Sprüche, Zitate oder Bildinschriften; zudem kann die Verwendung der lateinischen Sprache auch der Aufwertung des Textes, der Steigerung der Seriosität des Autors oder der Veranschaulichung von dessen Kenntnisreichtum und Kompetenz dienen.73 Hinzu kommen beispielsweise auch komplizierte deutsche Versschemata, Anspielungen auf antike Mythologie, komplexe Ikonographien oder der Rekurs auf biblische Inhalte.74 Gehört demnach der gemeine Mann zum anvisierten Rezipientenkreis? Dieser Begriff setzt einen ähnlichen Akzent wie der Volksbegriff, indem damit in Abgrenzung zu einem elitären Personenkreis eine breitere Bevölkerungsschicht bezeichnet wird.75 Ebenso wie in Arznei- und Kräuterbüchern findet der Begriff zeitgenössisch im hier untersuchten Schrifttum eine recht häufige Verwendung und wird von den Verfassern vermutlich genau im eben beschriebenen Sinne gebraucht, also zur Charakterisierung eines breiten Adressatenkreises und als Verkaufsargument. Präzisieren lässt er sich insoweit, als damit sozial die mittlere Ebene zwischen Adel und Stadtpatriziat auf der einen und den plebejischen Schichten auf der anderen Seite gemeint ist, der gemeine Mann also als Gegenbegriff zur Obrigkeit konzeptioniert ist, der zwar ökonomisch an die unteren Lohngruppen heranreicht, aber nicht mit der Unterschicht identisch ist. Bildungsspezifisch handelt es sich eher um den nicht Lateinkundigen als um den Illiteraten.76 Wolfgang Harms verwendet in diesem Zusammenhang daher die Bezeichnung „kundiger Laie“, die für den frühneuzeitlich weitzufassenden Bildungsbegriff und die heterogene Bildungskultur geeigneter erscheint.77 Dieser Terminus weist zwar auf 72 73 74 75 76 77
Messerli: War das illustrierte Flugblatt ein Massenlesestoff?, S. 31. Vgl. Klein: Die deutsche Sprache in der Gelehrsamkeit der frühen Neuzeit, S. 506. Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 42. Vgl. Lutz, Robert H.: Wer war der gemeine Mann? Der dritte Stand in der Krise des Spätmittelalters, München 1979. Zum gemeinen Mann siehe Friedrich: Naturgeschichte zwischen artes liberales und frühneuzeitlicher Wissenschaft, S. 158–159. Siehe Harms: Der kundige Laie und das naturkundliche illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit.
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
ein Mindestmaß an oder den Zugang zu Bildung hin, die allerdings im Umfang weit unter der eines Fachgelehrten liegen kann, der ein jahrelanges Universitätsstudium absolviert hat. Gebildete Nicht-Akademiker wie z. B. Handwerker oder Kaufleute mit entsprechendem Fachwissen oder Autodidakten sind darin eingeschlossen. Darüber hinaus kann auch ein studierter Experte zum kundigen Laien in einem anderen Fach werden. Generell lässt sich sagen, dass in den Flugschriften bestimmte Rezipientengruppen selten ausschließlich, sondern allein schon aus Gründen des kommerziellen Absatzes mehrere Adressatenschichten auf verschiedenen Ebenen der Verständigung angesprochen werden. Je nach Rezeptionssituation und Vorkenntnissen wandelt sich die Informationsleistung der Flugschriften für verschiedene Rezipienten: Wo der eine angesichts eines Flugblatts über z. B. eine Wundergeburt nur eine staunenswerte Sensationsmeldung sieht, die an eine religiöse Lebensführung gemahnt, bietet sich dem fachkundigen Leser eine konkrete Fallbeschreibung, die genaue medizinische Informationen transportiert.78 1.2.2 Auswahl und Darstellung des Quellencorpus In der Sekundärliteratur finden sich oft die Bezeichnungen „Kometenschriften“ – statt „Kometenflugschriften“ – oder „Kometenliteratur“, die allgemeineren Charakters sind und z. B. auch lateinische Traktate über die Kometenthematik miteinbeziehen. Der Begriff der Kometenflugschriften meint spezifischer die monographischen und anlassbezogenen deutschsprachigen Druckmedien nicht zu großen Umfangs, deren Blütezeit etwa von Mitte des 16. bis Ende des 17. Jahrhunderts reicht. Sibylle Paulus hat für Texte der Renaissance eine linguistische Kategorisierung vorgeschlagen, die für eine Charakterisierung der Kometenliteratur fruchtbar gemacht werden kann und geeignetere Begrifflichkeiten bietet, als es die grobe Unterscheidung zwischen ‚wissenschaftlich‘ und ‚popularisierend‘ vermag.79 Sie unterscheidet zunächst – nach dem Rezipientenkreis – wissenschaftsinterne und wissenschaftsexterne und außerdem – nach Inhalt und Aufbau – systematische und didaktische Texte.80 Im Fokus dieser Arbeit stehen demnach in erster Linie wissenschaftsexterne Texte didaktischen Charakters – die Paulus als divulgativ bezeichnet. Nicht nur das Problem der unmöglichen trennscharfen Unterscheidung der Textsorten führt jedoch dazu, dass das Corpus nicht auf solche Texte beschränkt ist: Der Ausdruck „divulgativ“ ist zwar genauer als der Begriff
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Vgl. Harms: Der kundige Laie und das naturkundliche illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit, S. 231. Paulus, Sybille: Wissenschaftliche Textsorten in der italienischen Renaissance. Der Sprachwechsel aus dem Lateinischen in der astronomischen, meteorologischen und kosmologischen Literatur, Tübingen 2005 (Scriptoralia 131). Paulus: Wissenschaftliche Textsorten in der italienischen Renaissance, S. 39–40.
1.2 Die Kometenflugschriften als wissenschaftshistorische Quelle
39
„popularisierend“, suggeriert jedoch ein ähnliches Verständnis der Wissenspopularisierung als top-down Prozess, nach dem Wissen unverändert von den Gelehrten zum ungebildeten Volk transportiert wird. Wie oben ausgeführt, geht es in dieser Arbeit eher um die Zirkulation und Veränderung von Wissen innerhalb des in den deutschsprachigen Kometenflugschriften sichtbaren Diskurses, der durch eine sozial und bildungsmäßig heterogene Gruppe von Akteuren kreiert wird.81 Die erste deutschsprachige Kometenschrift ist ein 18-zeiliges Spruchgedicht des alemannischen Dichters Meister Boppe aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts.82 Seine vermutlichen Lebensdaten und historische Bezüge in seinen Schriften lassen vermuten, dass er sich – falls er überhaupt anlässlich einer konkreten Kometenerscheinung geschrieben hat – auf den Kometen von 1299 bezieht, über den auch Petrus von Limoges einen lateinischen Traktat verfasst hat.83 Die einzigen deutschen Kometenschriften des 14. Jahrhunderts stammen zum einen vom Gelehrten Konrad von Megenberg, der Sacroboscos Sphaera übersetzt und mit dem Buch der Natur das erste naturgeschichtliche Wissenskompendium in deutscher Sprache verfasst hat.84 Es handelt sich dabei um einen vergleichbar kurzen mittelhochdeutschen Text, der den Kometen von 1337 behandelt. Bei der anderen handelt es sich um eine Art Gedicht Heinrichs von Mügeln.85 Die lateinische Schrift zum Kometen 1472 von Eberhard Schleusinger ist die älteste gedruckte Kometenschrift und entspricht inhaltlich und formal in weiten Teilen dem, was in den folgenden zwei Jahrhunderten in einer typischen Kometenflugschrift zu finden ist:86 Schleusinger berichtet über eigene Beobachtungen, versucht, Größe und Entfernung des Kometen zu ermitteln und beschäftigt sich mit
81 82 83 84 85
86
Zum Verständnis von Popularisierung im Kontext dieser Studie siehe Nieto-Galan, Augusti: Science in the Public Sphere: A History of Lay Knowledge and Expertise, London 2016, S. 1–22. Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 4. Siehe dazu Thorndike, Lynn: Latin Treatises on Comets between 1238 and 1368 A. D., Chicago 1950, S. 196–207. Zu Leben und Werk Konrads von Megenberg siehe Märtl, Claudia (Hrsg.): Konrad von Megenberg (1309–1374) und sein Werk. Das Wissen der Zeit, München 2006 (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Reihe B/31). Brüning schreibt das Gedicht Matthias Widmann von Kemnat zu, der jedoch vermutlich nicht der Verfasser ist, wie Hilgers nachgewiesen hat. Siehe Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 5 und Hilgers, Heribert A.: Die drei Kometenstrophen Heinrichs von Mügeln in einer Handschrift des Matthias von Kemnat, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und Literatur 108 (1979), S. 414–429. Vgl. Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 7–8. Eine kritische deutsche Übersetzung mit Kommentaren bieten Stotz, Peter / Roelli, Philipp: Eberhard Schleusinger. De cometis – Traktat über den Kometen von 1472. Kritische Edition und deutsche Übersetzung mit Erklärungen, Zürich 2012. Zur Rezeption: Schleusingers Werk wird 1474 in Venedig und 1556 in Basel nachgedruckt, ebenso weiß man von einer italienischen Übersetzung im 16. Jahrhundert. Wahrscheinlich hat Regiomontanus einige Kapitel der Schrift abgeschrieben, siehe Stotz/Roelli: Eberhard Schleusinger. De cometis, S. 4–5. Diese werden erstmals 1548 als eigene Schrift unter Regiomontanus’ Namen von Jakob Ziegler publiziert. Jervis liefert eine englische Übersetzung: Jervis, Jane L.: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe, Dordrecht 1985 (Studia Copernicana 26), S. 118–119.
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
dessen Ausdeutung. Die einzigen deutschsprachigen Werke des 15. Jahrhunderts sind Sebastian Brants Schriften zum Meteoriten von 1492 und die Kometenberichte in der Schedelschen Weltchronik von 1493.87 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts nimmt die Zahl der deutschen Kometenschriften mit Werken von Josef Grünpeck, Johann Virdung und Peter Creutzer langsam zu.88 Volker F. Brüning hat im Jahr 2000 „die erste umfassende Bibliographie der internationalen Kometenliteratur“ vorgelegt, wobei das Diktum „international“ im Hinblick auf seine Recherchemethodik jedoch kritisch betrachtet werden muss:89 Der Großteil der von ihm konsultierten bibliographischen und monographischen Werke sowie der antiquarischen Verzeichnisse und wissenschaftlichen Periodika sind bis auf wenige Ausnahmen zumindest europäisch, die Antiquariatskataloge sind jedoch zu über 90 % deutschsprachig und werden einen entsprechenden Schwerpunkt aufweisen. Rein zahlenmäßig listet Brüning mehr Titel als seine Vorgänger – insbesondere für die großen Kometenerscheinungen des 17. Jahrhunderts – und durch Sach-, Titelund Autorenregister ist das Werk ein nützliches Referenz- und Recherchewerkzeug. Schade ist die nur seltene Kommentierung einzelner Titel und die etwas spärlichen Informationen zur Systematik der Klassifikation des Bibliographen: Nach welchen Kriterien etwa die Zuweisung oder Bezeichnung eines Einblattdrucks als „Einblattdruck“ oder „Flugblatt“ geschieht, ist unklar. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Bibliographie recht umfassend ist und einen guten Teil der bis heute überlieferten Kometenflugschriften und -blätter erfasst.90 In Ergänzung zu Brünings Bibliographie sind für die Recherche und Zusammenstellung des Quellencorpus dieser Arbeit daher
87 88
89 90
Vgl. Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 10–11. [1.5] Virdung von Haßfurt, Johannes: Usslegung und Erclerung der wunderbarlichen kunfftigen erschrockenlichen Ding, Nürnberg 1506 (VD 16 V 1260) und [1.4] Ders.: Auslegung und Beteütung der wunderbarlichen Zeichen, Oppenheim 1520, zu Virdung siehe Steinmetz, Max: Johann Virdung von Haßfurt, sein Leben und seine astrologischen Flugschriften, in: Zambelli, Paola (Hrsg.): ‚Astrologi hallucinati‘. Stars and the End of the World in Luther’s time, Berlin 1986, S. 195–214; [1.1] Creutzer, Peter: Ausslegung, Nürnberg 1527 (VD16 ZV 22438), vgl. Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 16–17; [1.2] Grünpeck, Joseph: Ein newe Auszlegung der seltzamen Wunderzaichen, Augsburg 1507 (VD16 G 3631), vgl. Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 13. Asiatische oder arabische Quellen sind in Brünings Bibliographie kaum repräsentiert, ganz im Gegensatz zu der Kometographie von Kronk, Gary W.: Cometography. A Catalog of Comets, Vol. 1: Ancient – 1799, Cambridge 1999. Friedrich Seck weist allerdings darauf hin, dass z. B. der Kometenschriftenbestand der Regensburger Universitätsbibliothek, der mit über 100 Exemplaren zu den größeren Deutschlands gehören dürfte, in Brünings Bibliographie unberücksichtigt bleibt, vgl. Seck, Friedrich: Rez. zu: Christoph Meinel (Hrsg.): Grenzgänger zwischen Himmel und Erde: Kometen in der Frühen Neuzeit, Regensburg 2009 (Kataloge und Schriften der Staatlichen Bibliothek Regensburg 1), in: Informationsmittel (IFB): Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft 1045 (2010), S. 1–4 (http://ifb.bsz-bw.de/bsz314932593rez-1.pdf, abgerufen am: 06.03.2014).
1.2 Die Kometenflugschriften als wissenschaftshistorische Quelle
41
thematische Bibliographien und Monographien, Onlinedatenbanken sowie Ausstellungsdokumentationen herangezogen worden.91 Zu den in dieser Studie hauptsächlich fokussierten Kometenerscheinungen werden so viele Kometenflugschriften publiziert wie niemals vorher und auch nicht wieder danach. Christoph Meinel spricht in diesem Zusammenhang von „Springfluten“ von Druckwerken anlässlich der Großen Kometen 1577, 1618, 1664/1665 und 1680.92 Um diese Auffassung quantitativ zu belegen, habe ich auf Basis von Brünings Bibliographie – ergänzt durch Schriften meines Corpus soweit sie dort nicht erfasst sind – eine statistische Auswertung vorgenommen: Dabei wurden deutschsprachige Kometenflugschriften, also Ein- und Mehrblattdrucke, die konkret anlässlich einer der Kometenerscheinungen innerhalb von bis zu fünf Jahren nach Ende der Erscheinung publiziert worden sind und sich hauptsächlich mit dieser Erscheinung befassen, berücksichtigt. Es sind darunter nur im Druck veröffentlichte Schriften, deren Erstausgabe im betrachteten Zeitraum und im deutschen Sprachgebiet stattgefunden hat. Monothematische, lateinische Publikationen sind zu Vergleichszwecken ebenfalls 91
92
An dieser Stelle sei dankend auf die enorme Digitalisierungsarbeit hingewiesen, die deutsche Forschungsbibliotheken im Verbund in den letzten zwei Jahrzehnten unternommen haben. Deren Ergebnis sind u. a. die Onlinedatenbanken VD16 und VD17 (http://www.vd16.de/und http://www. vd17.de/), die neben der bibliographischen Erfassung auch den Vorteil bieten, dass viele der Druckschriften des 16. und 17. Jahrhunderts frei abrufbar sind, was nicht nur neue Einsichten, sondern ganz neue Forschungsvorhaben – wie z. B. das hiesige – ermöglicht oder unterstützt. Bibliographische Grundlagenwerke zur Kometenthematik und ihrer Historiographie sind z. B. Zinner, Ernst: Geschichte und Bibliographie der astronomischen Literatur in Deutschland zur Zeit der Renaissance, Stuttgart 1964; Houzeau, Jean-Charles / Lancaster, Albert: Bibliographie générale de l’astronomie, 3 Bd., Brüssel 1882–1889 und Ludendorff, Heinrich: Die Kometenflugschriften des XVI. bis XVII. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Bücherfreunde, 12/2 (1908/09), S. 501–506. Eine reine Kometographie bieten Pingré, Alexander Guy: Cométographie ou Traité historique et théorique des Comètes, 2 Bd., Paris 1783–1784 sowie neuer der oben bereits erwähnte Gary Kronk. Speziell auf Einblattdrucke bezogen sind folgende Arbeiten: Heß, Wilhelm: Himmels- und Naturerscheinungen in Einblattdrucken des XV. bis XVIII. Jahrhunderts, Leipzig 1911; Ders.: Die Einblattdrucke des 15. bis 18. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung ihres astronomischen und meteorologischen Inhalts, Bamberg 1913; Hellmann, Gustav: Die Meteorologie in den deutschen Flugschriften und Flugblättern des XVI. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der Meteorologie, Berlin 1921 (Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1); Strauss, Walter L. (Hrsg.): The German Single-Leaf Woodcut 1550–1600. A Pictorial Catalogue, 3 Bd., New York 1975; Alexander, Dorothy / Strauss, Walter L. (Hrsg.): The German Single-Leaf Woodcut 1600–1700. A Pictorial Catalogue, 2 Bd., New York 1977. Insbesondere deutsche Kometenflugblätter in kleinerer Auswahl bieten Archenhold, Friedrich: Alte Kometeneinblattdrucke, Berlin 1917; Gebele, Eduard: Augsburger Kometeneinblattdrucke, in: Das schwäbische Museum. Zeitschrift für Kultur, Kunst und Geschichte Schwabens (1926), S. 89–94 sowie Classen, Johannes: 15 Kometenflugblätter des 17. und 18. Jahrhunderts, Leipzig 1977 (Veröffentlichungen der Sternwarte Pulsnitz 11). Die wichtigsten Ausstellungspublikationen sind Hofmann-Randall, Christina: Monster, Wunder und Kometen. Sensationsberichte auf Flugblättern des 16. bis 18. Jahrhunderts, Erlangen-Nürnberg 1999 (Schriften der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg 36) sowie Bott, Gerhard / Janeck, Axel: Zeichen am Himmel. Flugblätter des 16. Jahrhunderts. Katalog zur 25. Wechselausstellung der Graphischen Sammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, Nürnberg 1982. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 121.
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
erfasst worden. Neueditionen oder Veröffentlichungen an anderen Publikationsorten sind nur dann als eigenständig gezählt worden, wenn sie merklich von der Urfassung abweichen. Aus diesem methodischen Vorgehen ergeben sich die z. T. erheblichen Diskrepanzen zum Zahlenmaterial von Brüning und anderen.93 Folgendes Diagramm veranschaulicht das nach den beschriebenen Kriterien eruierte Quellenmaterial in den ca. 150 Jahren des Untersuchungszeitraums, differenziert nach den Jahren der Kometenerscheinungen – die zwei unterstrichenen Jahreszahlen markieren das Auftreten einer Supernova – dem Medientyp, also Einblattdruck oder Flugschrift, und den Publikationssprachen Deutsch und Latein:
Abb. 1.1 Übersichtsstatistik zum Quellenmaterial
Das Diagramm zeigt deutlich die quantitativen Sprünge in der Produktion der Kometenflugschriften: Zum einen im Jahr 1577, in dem mehr als dreimal so viele deutschsprachige Drucke publiziert werden wie zu den beiden letzten größeren Kometenerscheinungen in den 1550ern zusammengenommen und auf der anderen Seite der rapide Abfall der Schriftenanzahl auf unter zehn Prozent zwischen 1680 und 1682.94 Es sind die dazwischen liegenden gut 100 Jahre, in denen die kulturelle und wissenschaftliche Relevanz der Kometen so groß ist, dass die diese Erscheinungen verarbeitenden Textmedien einen eigenen – hiermit quantitativ qualifizierten – Diskurs kreieren. Das Dia-
93 94
Siehe dazu die Tabelle ermittelter Kometenwerke in Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. VIII. Die konkreten Zahlen – auch mit der Differenzierung von Ein- und Mehrblattdrucken – werden in den Einleitungen der den einzelnen Kometenerscheinungen zugeordneten Fallstudienkapitel jeweils nochmal aufgeführt und erläutert.
1.2 Die Kometenflugschriften als wissenschaftshistorische Quelle
43
gramm veranschaulicht dabei nicht nur den kontinuierlichen Anstieg in der Quantität der Schriftenproduktion insgesamt, sondern auch das sukzessive deutlicher werdende Anwachsen der deutschsprachigen Publikationen gegenüber den lateinischen: Sind 1577 noch über 30 Prozent der Kometenwerke auf Latein verfasst, ist dieser Anteil 1680 auf nur noch wenig mehr als zehn Prozent zurückgegangen. Die Fragen warum dies so ist, welche Ursachen konkret der kulturellen Relevanz der Kometen und dem damit zusammenhängenden zeitlich überraschend klar abgrenzbaren Beginn des Diskurses zugrunde liegen und warum schließlich – auf dem Höhepunkt der Schriftenproduktion – dessen Ende eingeläutet zu werden scheint, werden in dieser Studie beantwortet. Die Gesamtmasse der zur Rekonstruktion dieses Diskurses recherchierten und erfassten Quellen lässt sich auf ungefähr 630 Druckschriften beziffern,95 von denen ca. die Hälfte autoptisch gesichtet und eingehender untersucht worden ist: Alle Fallstudien dieser Arbeit beziehen sich auf die textuelle Verarbeitung von jeweils einer der großen Kometenerscheinungen im Untersuchungszeitraum und fokussieren dazu eine exemplarische Auswahl dieser Quellen.96 Diese Kometenflugschriften sind als Primärtexte jeweils kapitelspezifisch durchnummeriert und ihre Titel zur schnelleren Unterscheidung von der Sekundärliteratur typographisch abgesetzt. Aus Platzgründen erfolgt die Titelaufnahme in den Fußnoten meistens gekürzt, im Quellenverzeichnis jedoch so vollständig wie möglich, wobei auch hier Dinge wie Zeilenfall, Schriftartwechsel, andere Farbigkeit oder Versalsatz nicht berücksichtigt worden sind. Für die bibliographische Erfassung und für Zitationen aus den Primärquellen gilt, dass Anpassungen an moderne Interpunktion und Orthographie so wenig wie nötig, so behutsam wie möglich und nur dort vorgenommen wurden, wo sie nicht sinnverändernd wirken. Konkret heißt das, dass diakritische Zeichen nicht wiedergegeben sowie Ligaturen und Abbreviaturen aufgelöst worden sind. Wo im Original „v“ für „u“ oder „j“ für „i“ steht, ist der Buchstabe verwendet worden, dessen Laut gemeint ist. Umlaute oder doppelte Bindestriche sind entsprechend modernen Konventionen normalisiert und Virgeln in einfacher Form beibehalten worden. Die Namen historischer Persönlichkeiten verwende ich in der verbreitetsten Variante, zum einen aus Gründen der Wiedererkennung und zum anderen deshalb, weil diese Formen auch in den Quellen häufig so vorkommen. Das bedeutet, dass in der Regel die deutsche und zeitgenössische Schreibweise verwendet wird, außer wenn – wie z. B. im Falle von Regiomontanus, Tycho Brahe oder Melanchthon – die Latinisierungen oder Gräzisierungen gebräuchlicher sind.
95 96
Diese Zahl bezieht sich ausschließlich auf die deutschsprachigen Publikationen. Das dritte Kapitel widmet sich den Kometen der 1530er und 1550er Jahre, während die Rezeption des Kometen 1577 in den Kapiteln vier bis sechs ausführlich thematisiert wird. Die Wahrnehmung und Deutung des Kometen 1618 ist Gegenstand des siebten Kapitels, während die der Kometen von 1664/65 im achten Darstellung finden. Das neunte Kapitel bildet mit der Analyse der Rezeption des Kometen von 1680 den Abschluss der Untersuchung.
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1.3 Gegenstand, Ziele und Methodik des Forschungsvorhabens Grundlage dieser Studie ist die historische Analyse der in den deutschsprachigen Flugschriften präsenten Kometenbilder über einen Zeitraum von 150 Jahren, die erlaubt, den Diskurs im größeren Kontext der kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklung in dieser Zeit des Umbruchs zu verorten. Diese diachrone Perspektive beruht auf detaillierten Fallstudien als synchronen Schnitten, in denen die wichtigsten Themen und Problemstellungen, die anlässlich der jeweiligen konkreten Kometenerscheinungen debattiert worden sind, strukturiert herausgearbeitet werden. Aufgrund der ihm historiographisch traditionell zugeschriebenen wissenschaftshistorischen Relevanz steht der Große Komet von 1577 auch hier im Fokus der Analyse.97 Dabei geht diese Arbeit über eine reine Rezeptionsstudie insofern hinaus, als es hier um die historische Rekonstruktion eines facettenreichen, interdisziplinären und über Wissenschaft im strengen Sinne hinausreichenden Diskurses und seine Entwicklung geht. An dieser Stelle muss mit James Secord betont werden, dass die Wissensproduktion selber eine genuin kommunikative Dimension hat:98 Wissen wird nicht nur dann kommuniziert, wenn ein Kometentraktat gelesen oder im Dorfwirtshaus diskutiert wird, sondern schon in dem Moment, in dem der Komet beobachtet wird. Wissen wird daher auch nicht unverändert aufgenommen, sondern aktiv rezipiert, da die Leser und Betrachter nicht nur bei der Abfassung des Textes vom Autor mitgedacht werden, seine Themenwahl, seinen Stil und seine Inhalte bestimmen, sondern einen Text auch lesen oder ignorieren, ihn verändern, zusammenfassen, anderen mitteilen, ihn eklektisch nutzen oder zu widerlegen suchen, darauf Diskussionen gründen oder durch ihn zu bestimmten Dingen angeregt werden. Wie und warum haben sich die Vorstellungen, das Wissen und die Interpretation von Kometen in der Zeit von Mitte des 16. bis Ende des 17. Jahrhunderts gewandelt? 1.3.1 Zum Wissensbegriff Die methodische Herangehensweise an die Erfassung der Kometenbilder beruht darauf, Wissen grundsätzlich als sozial und kulturell determinierte Größe zu verstehen. Philipp Sarasin rekurriert z. B. auf die kommunikative Dimension dieser Bestimmtheit, wenn er Wissen als „always circulating back and forth, without hierarchies, between different societal spheres and institutions, through media, between scientists and the so called public“ charakterisiert und dafür plädiert, die Wissensgeschichte zum
97 98
Für eine Diskussion der wissenschaftshistorischen Relevanz des Kometen siehe die Einleitung zu Teil III. Secord, James A.: Knowledge in Transit, in: Isis 95/4 (2004), S. 654–672.
1.3 Gegenstand, Ziele und Methodik des Forschungsvorhabens
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Ausgangspunkt einer modernen Geschichtsschreibung zu machen.99 Die Frage der genauen Definition von Wissen, insbesondere in Abgrenzung zu Nicht-Wissen – handelt es sich dabei nun um „Meinung“ oder „Kunst“ – ist ein jahrtausendealtes Grundproblem der Philosophie und Erkenntnistheorie, wobei die Präsentation einer Lösung hier weder sinnvoll noch notwendig ist, weshalb es nun um die Annäherung an einen Wissensbegriff geht, mit dem in den Analysen dieser Studie operiert werden kann. Im Nachgang des sogenannten „cultural turn“100 wird Wissen weniger als Gesamtheit objektiver wissenschaftlich-rationaler Erkenntnisse, sondern als Ausgangspunkt, Weg und Ziel menschlicher Realitätskonstruktionen verstanden, die im Rahmen einer interdisziplinären und kontextualisierten Wissenschaftsgeschichte untersucht werden können: Der „cultural turn“ entwickelt damit eine grundsätzliche Kontingenzperspektive auf menschliches Verhalten und dessen Produkte, so auch Wissensordnungen, die nicht nur durch die geistig-kognitive Ebene des Mentalen konstituiert werden, sondern z. B. durch Formen der Materialität, diskursive Praktiken oder Repräsentationen im Handeln, wobei Kultur hier die Ebene ist, auf der den Dingen Bedeutungen zugeschrieben und wo Verhaltensweisen und Formen des Sozialen realisiert werden.101 In dieser Weise von einer kulturellen Bestimmtheit des Wissens auszugehen, bedeutet nicht, ältere wissenschaftstheoretische oder historische Ansätze für falsch zu halten, deren Erklärungspotential zu negieren oder einem relativistischen „anything goes“ das Wort zu reden. Vielmehr sollten diese postmodernen Interpretationen, die in der Wissenschaftsgeschichte z. B. die Akteursperspektive gestärkt und den soziokulturellen oder praktischen Kontext der Wissensproduktion in den Blick genommen haben, als Korrektiv betrachtet werden, das angesichts einer oftmals zu generalisierenden und zuweilen anachronistischen Sichtweise von Wissenschaft und der Überbetonung ihres objektiv-rationalen Wesens notwendig geworden ist. Mit diesem Blick auf primär menschengemachte Produkte als kulturelle Systeme geht zunächst eine „Entuniversalisierung“ dieser kulturellen Systeme einher, die auf der Zeitebene historisiert und auf der Raumebene lokalisiert werden können.102 Damit lässt sich nicht nur die Tendenz zu lokalen und mikrohistorischen Studien in der jüngeren Forschung erklären, sondern auch die historische Epistemologie als Forschungsprogramm begründen: Wenn man Wissen – etwas konservativer, aber keinesfalls inkompatibel mit der kulturtheoretischen Sichtweise – als Gesamtheit von überprüfbaren und reproduzierbaren Fakten, theoretischen Konzepten und methodischen Verfahren und Regeln betrachtet, die sich durch den größtmöglichen Grad an Gewissheit auszeichnet und deshalb als fun99 Sarasin: Was ist Wissensgeschichte?, S. 159. 100 Zum kulturtheoretischen Konzept des cultural turn und seinen verschiedenen Ausprägungsformen (u. a. spatial turn, iconic turn, linguistic turn) siehe Bachmann-Medick, Doris: Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Hamburg 2006. 101 Vgl. Reckwitz, Andreas: Kultur und Materialität, in: Reckwitz, Andreas: Kreativität und soziale Praxis. Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie, Bielefeld 2016, S. 83–96, S. 85. 102 Reckwitz: Kultur und Materialität, S. 86.
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diertes Modell der Wirklichkeit gilt, heißt das nicht, die Historizität von Wissen und Epistemologie zu negieren. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, die Unterscheidung von bodies of knowledge und images of knowledge zu berücksichtigen, die auf den Wissenschaftstheoretiker und Philosophen Yehuda Elkana zurückgeht.103 Demnach gibt es in einem konkreten historischen Kontext verschiedene und durchaus auch widersprüchliche bodies of knowledge, also etwa Wissenstraditionen, Methoden, Problemstellungen sowie metaphysische oder epistemologische Grundüberzeugungen, die das Handeln und Theoretisieren der Akteure leiten, während daneben unterschiedliche und kulturell determinierte Bilder dieses Wissens existieren, die z. B. Fragen der Deutung, der Anwendung, der Zielsetzung oder des Zwecks dieses Wissens oder auch Ideen über die Wahrheit oder Sicherheit dieses Wissens betreffen und die von Ideologien, Werten und Normen oder dem politischen und sozialen Kontext beeinflusst sind. Die Autoren von Kometenflugschriften rekurrieren z. B. auf traditionell überkommene oder neue Theorie- und Deutungstraditionen und verbinden sie in eklektischer Weise in ihren Versuchen, mit den Kometen umzugehen und sie mit ihrer sich wandelnden Bedeutung konzeptuell zu fassen. Der in dieser Arbeit analysierte Kometendiskurs illustriert, wie die Bilder des Wissens von Kometen sich ändern und dies hat Rückwirkungen z. B. auf die Akzeptanz oder den epistemologischen Status von bodies of knowledge wie dem der Astrologie oder dem der aristotelischen Kosmologie. Die Ausweitung des Wissensbegriffs – weg vom rein wissenschaftlichen Wissen – basiert auf der Idee, das Wissen weniger als Summe individueller theoretischer Leistungen oder Entdeckungen durch Einzelne verstanden, sondern vielmehr als sozial geteilt und Ergebnis eines kollektiven Prozesses gedacht wird.104 Aus diesem Konzept des shared knowledge ergeben sich einige wichtige und für diese Studie fruchtbare methodologische Konsequenzen.105 So gibt es nach diesem Verständnis eine komplexe Architektur des Wissens, an deren Spitze das theoretische Wissen steht, neben dem aber auch weitere Formen etwa des praktischen, technischen oder intuitiven Wissens existieren.106 In den Kometenflugschriften verbindet sich beispielsweise das 103
Siehe dazu Elkana, Yehuda: Experiment as a Second Order Concept, in: Science in Context 2 (1988), S. 177–196 sowie Ders.: A Programmatic Attempt at an Anthropology of Knowledge, in: Elkana, Yehuda / Mendelsohn, Everett (Hrsg.): Sciences and Cultures. Anthropological and Historical Studies of the Sciences, Dordrecht 1981 (Sociology of the Sciences 5), S. 1–76. 104 Renn, Jürgen: The Paradox of Scientific Progress. Notes on the Foundation of a Historical Theory of Knowledge, in: Research Report MPIWG 2002–2003, S. 21–49, S. 32. 105 Zum Konzept des shared knowledge siehe Büttner, Jochen / Damerow, Peter / Renn, Jürgen: Traces of an Invisible Giant. Shared Knowledge in Galileo’s Unpublished Treatises, in: Montesinos, José / Solis, Carlos (Hrsg.): Largo Campo di Filosofare. Eurosymposium Galileo 2001, La Orotava 2001, S. 183– 201. 106 Schon Aristoteles trennt z. B. zwischen praktischem Wissen, das aus Erfahrung resultiert, und theoretischem Wissen als Ergebnis des Denkens, vgl. dazu Kullmann, Wolfgang: Aristoteles und die moderne Wissenschaft, Stuttgart 1998 (Philosophie der Antike 5), besonders S. 13–34.
1.3 Gegenstand, Ziele und Methodik des Forschungsvorhabens
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abstrakt-mathematische Wissen der Astronomie mit dem eher deduktiv-qualitativen Wissen der aristotelischen Meteorologie; sie liefern mit der astrologischen Prognostik alltagsrelevantes Orientierungswissen praktischer Natur, aber auch theologisch verankertes Heilswissen. Diese Wissensdifferenzierung kann die erwähnte Historizität des Wissens verständlicher machen, wenn man davon ausgeht, dass zu bestimmten Zeiten und in spezifischen kulturellen Kontexten bestimmten Wissensformen größere Relevanz zugeschrieben wird als anderen oder aber einzelne Wissensformen für spezifische Zwecke oder Problemstellungen dienlicher erscheinen als andere und diese daher überlagern, ergänzen oder mit diesen koexistieren. So wie Bilder des Wissens durch eklektisches Verbinden verschiedener Wissensformen, Deutungstraditionen oder Glaubensüberzeugungen zusammengefügt werden, so kann auch die Interpretation dieser Bilder eklektisch sein, indem Rezipienten auf unterschiedlichen Ebenen angesprochen werden, eigene Deutungen entwickeln, sich für verschiedene Inhalte interessieren oder diese für bestimmte Zwecke instrumentalisieren. Es sind diese verschiedenen Ebenen oder Schichten von Wissen und Interpretationen dieses Wissen, die in ihrer Gesamtheit die historische Realität des Wissens konstituieren. Dieses vielgestaltige Wissen ist durch ebenso komplexe Strukturen sozial organisiert und in verschiedenste Kontexte eingebunden und von diesen geprägt. Als kulturelles System ist es durch definierbare Kriterien von anderen Sphären menschlichen Denkens und Schaffens unterschieden, aber doch auf vielfältige Weise mit diesen verbunden. Die Definition dieser Kriterien und damit die Abgrenzung von Wissen, Nicht-Wissen, Pseudo-Wissen oder auch Glauben unterliegt dem historischen Wandel. Wissenschaft ist kein monolithischer Block theoretischer Doktrinen, sondern eine „practical activity, located in the routines of everyday life“.107 Eine umfassende Erfassung der Kometenbilder der Renaissance-Autoren bedeutet, dass nicht nur die „wissenschaftsrelevanten“ Inhalte der Kometenflugschriften von Bedeutung sind, sondern allgemeiner Wissensformen im breiteren Kontext ihrer argumentativen Verflechtung auch und gerade mit nicht-wissenschaftlichen Inhalten in den Blick genommen werden müssen. Auf diese Weise lässt sich nicht nur die soziale Bedingtheit der Produktion, Distribution und Rezeption von Wissen fassen, sondern der Kometendiskurs selbst als Ausdruck einer breiten und breit verankerten Wissenskultur verstehen, deren Gegenstände, Konventionen, Anwendungsbereiche und Grenzen von einer heterogenen Gruppe von Akteuren stetig diskursiv ausgehandelt, verhandelt und weiterentwickelt werden.
107 Secord: Knowledge in Transit, S. 657.
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1.3.2 Zum theoretischen Ansatz Aus dieser Perspektive ergibt sich der relational-integrative Ansatz als ein logischer Ausgangspunkt der Analyse, der sich in dieser Arbeit z. B. an der herausgehobenen Rolle der drei disziplinären Gebiete der Naturkunde – worunter die für Kometen relevanten Fachgebiete der Meteorologie, der mathematischen Astronomie und der physikalischen Naturphilosophie subsummiert werden –, der Theologie – womit nicht nur die fachliche Disziplin, sondern allgemeiner auch intellektuelle Ansichten und kulturelle Praktiken der Religiosität und Frömmigkeit gemeint sind – und der Astrologie als maßgeblichen Ursprungskontexten der Kometenbilder zeigt.108 Diese Kontextgebiete konstituieren den Diskurs und werden umgekehrt durch diesen geformt; aus dieser Wechselbeziehung und ihrer sich verändernden Interaktion ergibt sich der Wandel des Diskurses bzw. ist in dieser Dynamik überhaupt erst erkenn- und erklärbar: Die Quellen werden daraufhin analysiert, welche Zugänge zum multidimensionalen Phänomen Komet sie entwickeln, welches Bild von Kometen sie zeichnen, welches Wissen sie dabei transportieren und welche medialen, kommunikativen, sozialen und kulturellen Funktionen sie dabei erfüllen. Der Fokus auf die Beziehungen zwischen den in den Kontextgebieten verankerten Wissensfeldern und anderen kulturellen Systemen – wie etwa dem des religiösen Glaubens – erlaubt, in der historischen Rekonstruktion dieses Wissenswandels über monokausale Erklärungen oder simplifizierende Ursache-Wirkungsbeziehungen hinauszugehen: Die Kometenkonzeptualisierung wandelt sich demnach nicht, weil der naturphilosophische Kontext, die kosmologische Theorie, der theologische oder auch der mentalitätsgeschichtliche Interpretationsrahmen sich verändern, sondern weil alle diese Prozesse in einem komplexen dynamischen Beziehungsgeflecht verbunden sind, in dem Wissenskonzepte, Wahrnehmungsweisen und Deutungstraditionen von Kometen ausgedrückt werden. Änderungen innerhalb eines dieser Kontexte haben daher Auswirkungen nicht nur auf andere Wissensfelder, sondern auch auf die sozialen Strukturen der Wissensproduktion, -organisation und -kommunikation sowie auf die diskursiven Praktiken der Verhandlung und Legitimation der Geltungsansprüche und damit des epistemologischen Status dieses Wissens. Die um das Konzept des shared knowledge zentrierte Idee der historischen Epistemologie109 ermöglicht, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass sowohl ein vermeint108 Es sind dies dieselben drei Kontexte, die Irene Ewinkel in ihrer Studie über Wundergeburtenflugblätter des 16. Jahrhunderts als prägend ausgemacht hat, auch wenn sie sie ‚Diskurse‘ nennt und aufgrund ihrer etwas anderen inhaltlichen Thematik statt des astrologischen einen gesellschaftspolitischen und zusätzlich noch einen geschlechterbezogenen Kontext identifiziert, vgl. Ewinkel, Irene: De monstris. Deutung und Funktion von Wundergeburten auf Flugblättern im Deutschland des 16. Jahrhunderts, Tübingen 1995 (Frühe Neuzeit 23). 109 Eine diesem theoretischen Rahmen verschriebene Studie ist z. B. Schemmel, Matthias: The English Galileo. Thomas Harriot’s Work on Motion as an Example of Preclassical Mechanics, Dordrecht 2008 (Boston Studies in the Philosophy and History of Science 268). Siehe zu dieser Thematik auch
1.3 Gegenstand, Ziele und Methodik des Forschungsvorhabens
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lich zielgerichteter Fortschritt, und damit das stabile oder kontinuierlich-kumulative Moment, als auch revolutionäre Zäsuren als abrupte Umbrüche in der Wissensentwicklung historiographisch erfasst werden können mit dem Anspruch, einer Heldengeschichtsschreibung entgegenzuwirken bzw. die historische Rolle und die scheinbar individuellen wissenschaftlichen Leistungen dieser Helden durch eine umfassende Kontextualisierung neu zu bewerten.110 Darauf aufbauend hat diese Studie den Kontext in Form eines Diskurses als Ausdrucksform der oben erwähnten „zweite[n] Garde von ‚Naturkündigern‘“111 betrachtet und bildet damit einen Gegenpol zum Konzept der einsamen Helden mit ihren singulären und vermeintlich voraussetzungslosen innovativen Taten. Die Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen Wissen und anderen Domänen menschlicher Kultur in den analytischen Fokus zu stellen bedeutet zudem, den Kontext nicht als Randbedingung der Wissenschaftsentwicklung zu betrachten, die im Kern von einer davon unberührten Methode oder Rationalität bestimmt ist, sondern gerade die Verquickung von Wissenschaft und Kontext ernst zu nehmen, die durch simple Kausalrelationen im Sinne einer Beeinflussung des einen autonomen Feldes durch ein anderes, nicht adäquat zu beschreiben ist. Die Protagonisten der zweiten Reihe in den Blick zu nehmen ist damit aber nicht nur Ergänzung und Untermauerung einer nuancierteren Historiographie, sondern darüber hinaus eine beispielhafte Umsetzung einer kontextualisierten Wissensgeschichte, die nicht nur Ideen- und Kulturgeschichte verbindet, sondern auf Quellen basiert, die gerade die Breite des Wissens, dessen verschiedene Ebenen und dessen Verbindungen mit anderen gesellschaftlichen, politischen oder religiösen Sphären abzubilden vermögen. Anstatt also die Relevanz entweder sozialer, kognitiver oder sonstiger Einflussfaktoren auf die Wissensentwicklung als sich ausschließende Erklärungsansätze zu betonen, können diese Kontexte auf diese Weise als verschiedene in der historischen Realität zusammenhängende Schichten betrachtet werden, die in ihrer relationalen Gesamtheit betrachtet werden müssen, um Wissen als kulturelles System in seiner Genese zu rekonstruieren.112 Dieser theoretische Rahmen ermöglicht, Wissenswandel als Transformationsprozess zu begreifen, der aus der Dynamik der verschiedenen im Diskurs verbundenen kulturellen Felder und Wissensformen entsteht, die neu kontextualisiert, verändert und reinterpretiert werden. Der Begriff der Transformation erlaubt nicht nur, neben Appropriation und Rekombination auch Exklusion, Negation und Ignorierung als
110 111 112
Feest, Uljana / Sturm, Thomas: What (Good) is Historical Epistemology?, in: Erkenntnis 75 (2011), S. 285–302 sowie Rheinberger, Hans-Jörg: Historische Epistemologie zur Einführung, Hamburg 2007 (Zur Einführung 336). Diese Problematik der Historiographie, wurzelnd in dem dualen Charakter der Wissenschaft als gleichzeitig stabil und fragil, und einen Ausweg aus dem darin liegenden Dilemma diskutiert Renn: The Paradox of Scientific Progress. Vgl. Trepp: Von der Glückseligkeit alles zu wissen, S. 17. Siehe dazu Renn, Jürgen: Galileo in Context: An Engineer-Scientist, Artist, and Courtier at the Origins of Classical Science, in: Renn, Jürgen (Hrsg.): Galileo in Context, Cambridge 2001, S. 1–8.
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Weisen der Bezugnahme zu erfassen,113 sondern gestattet, die im Kometendiskurs sichtbare Komplexität, die sich darin manifestierende Spannung zwischen Rückwärtsgewandtheit und Modernisierung, die Ambivalenz des von Kontinuität und Brüchen geprägten Zeitalters als historische Realität und Analysegegenstand anzunehmen. Das Nebeneinander verschiedener theoretischer Konzepte, methodischer Ansätze oder Deutungstraditionen oder kurz gesagt, der verschiedenen Kometenbilder, ist eher wenig überraschend, wenn man davon ausgeht, dass die Modernisierung von Weltbildern nicht nur durch Entwicklungen im Bereich akademischer Ideen, theoretischer Konzepte oder erkenntnistheoretischer Positionen zu erklären und interpretieren ist, sondern sich aus der Verflechtung mit sozialen, religiösen und politischen Kontexten ergibt. So beruht auch der mit der Wissenschaftlichen Revolution verknüpfte Fortschritt weniger auf einem Zuwachs an Sachwissen – den es nichts desto weniger sowohl durch neue Entdeckungen als auch wiederentdeckte alte Quellen gegeben hat – sondern vielmehr auf der Neuinterpretation, Reorganisation sowie Umstrukturierung und damit Transformation vorhandenen Wissens,114 das modifiziert und für vorhandene Erklärungs- und Deutungsrahmen adaptiert wird, wodurch sich langfristig Methodologie und Epistemologie verändern. Sowohl Nouhuys als auch Gindhart betonen im Kontext der Kometenthematik beispielsweise die Bedeutung antiker Wissensbestände als heuristischen und strukturierenden theoretischen Überbau. In dieser Studie geht es nicht zuletzt darum, diese Veränderungs- und Umdeutungsprozesse des Wissens für ein spezifisches thematisches Feld zu konkretisieren, um damit Mechanismen der Transformation herauszuarbeiten. Das bedeutet z. B. bezogen auf den von Nouhuys und Gindhart konstatierten „Dialog mit der Antike“, genau zu schauen, welche Wissensbestände durch die historischen Akteure in welcher Weise herangezogen werden, um den vorhandenen Erklärungs- oder Deutungsrahmen anzupassen oder zu verändern. Insbesondere das Konzept des mentalen Modells kann in diesem Zusammenhang fruchtbar gemacht werden: Damit sind z. B. langlebige Denkstrukturen gemeint, die als Werkzeuge dienen können, um etwa neue Entdeckungen in ein kognitives Netzwerk vergangener Erfahrungen einzuordnen und somit als Leitideen oder Basis der Umdeutung und Neuinterpretation fungieren.115 Solche mentalen Modelle zu identifizieren und durch sie die sich im Wandel des frühneuzeitlichen
113
Hierin folge ich Weichenhan, Michael: Die Macht der Sterne und die Kontingenz, in: Böhme, Hartmut / Röcke, Werner / Stephan, Ulrike C. A. (Hrsg.): Contingentia. Transformationen des Zufalls, Berlin 2016 (Transformationen der Antike 38), S. 225–266, hier S. 240–241. Siehe dazu außerdem den Sammelband Böhme, Hartmut / Rapp, Christoph / Rösler, Wolfgang (Hrsg.): Übersetzung und Transformation, Berlin 2007 (Transformationen der Antike 1). Bauer: Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung, S. 8. Zum Konzept des mentalen Modells siehe Renn, Jürgen / Damerow, Peter: Mentale Modelle als kognitive Instrumente der Transformation von technischem Wissen, in: Böhme, Hartmut / Rapp, Christoph / Rösler, Wolfgang (Hrsg.): Übersetzung und Transformation, Berlin 2007 (Transformationen der Antike 1), S. 311–331. w
114 115
1.3 Gegenstand, Ziele und Methodik des Forschungsvorhabens
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Kometenbildes manifestierenden Prozesse der Wissenstransformation zu qualifizieren und zu interpretieren, ist ein Ziel dieser Arbeit. Die mentalen Modelle sind auch von historiographischer Relevanz, da sie sowohl ein Verständnis der Kontinuität und Stabilität innerhalb der Wissensentwicklung erlauben und zudem gleichsam die soziale und kognitive Dimension des Wissens verbinden. Christoph Meinel hat für die Kometen in der Frühen Neuzeit den Begriff der Grenzgänger geprägt, um ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Welten zu betonen:116 zunächst z. B. die nach aristotelischer Vorstellung dichotomischen physikalischen Sphären unter und über dem Mond oder die damit zusammenhängende metaphysische Skala, die sich zwischen den Polen irdischer Natürlichkeit und göttlicher Transzendenz aufspannt, aber auch zwischen verschiedenen Disziplinen, Theorietraditionen, Kontexten und Sinnwelten, die je spezifische Erklärungs-, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster für Kometen bereithalten. Nicholas Jardine spricht in ähnlicher Weise von Kometen als boundary objects zwischen Himmel und Erde, verschiedenen Disziplinen sowie der Hoch- und Populärkultur, deren Verhandlung die üblichen Grenzen des astronomisch-astrologischen Diskurses überschreite.117 Deskriptiv sehr treffend, sind diese Begriffe als analytische Kategorien etwas zu unscharf; hier bietet sich stattdessen das Konzept des challenging object an: Dabei kann es sich um materielle Objekte wie z. B. das Pendel oder Schwungrad handeln, aber auch um prozessuale Phänomene wie etwa die Projektiltrajektorie, die durch ihre Erklärung den aktuell akzeptierten theoretischen Rahmen herausfordern und so konzeptuelle Entwicklungen anstoßen.118 Gerade die Wissensexplosion der Frühen Neuzeit kann mithilfe dieses Begriffskonzepts als Resultat des herausfordernden Kontakts vielfältiger neuer Objekte und Prozesse – seien es unbekannte Pflanzen oder Tiere aus der neuen Welt, aber auch der Flug einer Kanonenkugel oder der Bau riesiger Domkuppeln – mit sich entwickelnden Wissensnetzwerken verstanden werden und damit weniger als Ausweitung einer abstrakten wissenschaftlichen Methodik auf neue Gebiete.119 Inwieweit also die 116 117
118
119
Vgl. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde. Jardine, Nicholas: How to Present a Copernican Comet. The Form and Tactics of Christoph Rothmann’s Dialexis on the Comet of 1585, in: Granada, Miguel Á. / Mosley, Adam / Jardine, Nicholas: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585. An Edition and Translation with Accompanying Essays, Leiden 2014 (History of Science and Medicine Library. Medieval and Modern Science 22), S. 258–281, S. 280. Siehe zu diesem Konzept, hier für das Gebiet der frühneuzeitlichen Mechanik entwickelt, Büttner, Jochen: The Pendulum as a Challenging Object in Early-Modern Mechanics, in: Laird, Walter Roy / Roux, Sophie (Hrsg.): Mechanics and Natural Philosophy Before the Scientific Revolution, Dordrecht 2008, S. 225–239 sowie Ders.: Big Wheel Keep on Turning, in: Galilaeana 5 (2008), S. 33–62. Siehe dazu außerdem Renn, Jürgen / Damerow, Peter / Rieger, Simone: Hunting the White Elephant: When and How did Galileo Discover the Law of Fall?, in: Science in Context 13/3–4 (2000), S. 229–419 sowie Bertoloni Meli, Domenico: Thinking with Objects. The Transformation of Mechanics in the Seventeenth Century, Baltimore 2006. Renn, Jürgen / Hyman, Malcolm D.: Towards an Epistemic Web, in: Renn, Jürgen (Hrsg.): The Globalization of Knowledge in History. Based on the 97th Dahlem Workshop, EOA (Berlin) 2012 (Max
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Reflexion über das Wesen, die Bewegung und die Interpretation von Kometen als Phänomenen, denen in der Frühen Neuzeit eine besondere kulturelle und wissenschaftliche Bedeutung zukommt, zu Wissenswandel führt, also zu einer Restrukturierung und Neuinterpretation überkommener Wissenselemente, zum Hinterfragen traditioneller Erklärungsmuster oder Methoden und zur Entwicklung neuer konzeptueller Vorstellungen, ist Gegenstand dieser Arbeit. 1.3.3 Forschungsleitende Thesen und Gliederung der Arbeit Das Ziel dieser Untersuchung, den im Diskurs greifbaren Wissenswandel, seine Bedingungen und Konsequenzen historisch zu rekonstruieren, erlaubt nicht nur, gängige historiographische Narrative wie das des kumulativen Fortschrittsmodells als wesentliche Ursache der sogenannten Wissenschaftlichen Revolution zu hinterfragen, sondern auch, einen Beitrag zur Beantwortung der großen Fragen der Wissenschaftsgeschichte – hier insbesondere die nach dem Zusammenhang von Wissenschaft und Gesellschaft, von Wissenschaft und Religion oder der Bedeutung der okkulten Wissenschaften in der Herausbildung des modernen Natur- und Weltverständnisses – zu leisten. Die methodische Grundmaxime besteht dabei in dem Anspruch, die Quellen im Kontext ihrer Zeit zu verstehen, die ein anderes Verständnis von Rationalität und Wissenschaftlichkeit kennzeichnet, weshalb moderne epistemologische Grenzziehungen und basale Definitionen von Wissenschaft und Pseudowissenschaft, Religion und Aberglauben, Rationalität und Irrationalität adäquat historisiert und nicht in ihrer modernen Fassung als primäre Bewertungskriterien des historischen Geschehens herangezogen werden müssen.120 In diesem ersten Kapitel wurde der in dieser Arbeit fokussierte Kometendiskurs zunächst näher charakterisiert, indem insbesondere die ihn konstituierenden deutschsprachigen Flugschriften als wissenschaftshistorisch bedeutsame Quellen qualifiziert worden sind. Ihre florierende Produktion seit Mitte des 16. Jahrhunderts markiert den Beginn des Diskurses: Die Interdisziplinarität und Mehrdimensionalität von Kometen und ihre Verankerung in verschiedenen Traditionen und Debatten machen sie dabei zu einer Art Kondensationskern, in dem sich die zeitgenössischen Prozesse der intellektuellen und wissenschaftlichen Entwicklung treffen. Diese prägenden Entwicklungen werden im folgenden zweiten Kapitel fokussiert auf die drei Kontextgebiete der Naturkunde, der Astrologie und der Theologie näher umrissen und erhellen, worin die kulturelle Relevanz der Kometen in dieser Zeit eigentlich besteht. Zwei wesentliche Gründe dafür sind zum einen die durch die Kometenflugschriften als mediale
Planck Library for the History and Development of Knowledge Studies 1), S. 561–604, hier S. 561. 120 Siehe dazu Bauer: Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung.
1.3 Gegenstand, Ziele und Methodik des Forschungsvorhabens
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Reflexionen der erschreckenden Himmelserscheinungen erfüllten Funktionen und zum anderen die duale Natur der Kometen als Zeichen und als Ursachen kommenden Unheils. Eine erste These ist, dass die im Untersuchungszeitraum sichtbare Veränderung des Kometenbildes als Ausdruck des allgemeineren Wandels der frühneuzeitlichen Bilder von Natur, Mensch und Gott sowie ihrer Verhältnisse zueinander sich analytisch auf die wechselhafte Relation der ursächlichen und zeichenhaften Dimension von Kometen zurückführen lässt und dass der mit dieser Veränderung einhergehende Funktionswandel nicht nur maßgeblich zum Ende des in den Flugschriften sichtbaren Diskurses beiträgt, sondern bezogen auf die Kontextgebiete weitreichende epistemologische Konsequenzen hat. Die erste Phase des Untersuchungszeitraums ist durch die Formation des sogenannten integrierten Kometenbildes geprägt, das in einem gemeinsamen Diskurs gestaltet und verhandelt wird. Im dritten Kapitel, das sich mit der in den Flugschriften widergespiegelten Rezeption der Kometen der 1530er und 1550er Jahre beschäftigt, werden aus den Quellen die wesentlichen Merkmale des integrierten Kometenbildes extrahiert, das auf argumentativen Verbindungen und legitimatorischen Bezügen, die zwischen verschiedenen Elementen der drei Kontextgebiete hergestellt werden, beruht. Die verschiedenen Ausprägungsformen des integrierten Kometenbildes werden mit je spezifischem Fokus auf die disziplinären Kontextfelder der Naturkunde, Astrologie und Theologie in den Kapiteln vier, fünf und sechs – hier geht es um die Rezeption und Präsentation des Großen Kometen von 1577 – dargestellt. Diese Verbindungen – so eine weitere These dieser Arbeit – kreieren eine Art metastabilen Zustand, der durch die harmonische Verknüpfung der Sichtweisen von Kometen als Zeichen und als Ursachen gekennzeichnet ist. Dieser Zusammenhang ist nicht zuletzt deshalb so interessant, weil der Übergang vom symbolischen, auf Analogien und Sympathien beruhenden Denken der Renaissance zum kausal-mechanistischen der modernen Natur wissenschaften als wesentliches Kennzeichen der Wissenschaftlichen Revolution gilt.121 Es ist genau dieser Übergang, dessen Bedeutung Ernst Cassirer in seinen Forschungen zur Philosophie der Renaissance betont hat und der sich an der Entwicklung des Kometenbildes als Prozess der Ausdifferenzierung nachvollziehen lässt.122 121
122
Schon Ludwik Fleck hat von einem graduellen Wandel der Denkstile gesprochen, um das zu charakterisieren, was Thomas Kuhn in seinem klassischen Werk der Wissenschaftstheorie als Revolution bezeichnet hat, vgl. Fleck, Ludwik: Denkstile und Tatsachen. Gesammelte Schriften und Zeugnisse. Herausgegeben von Sylwia Werner und Claus Zittel, Berlin 2011 und Kuhn, Thomas S.: Die Struktur Wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt am Main 1967. Eine Übersicht über den mit der Wissenschaftlichen Revolution verknüpften historischen Wandel des Denkens bietet das Kapitel 2.4 von Steenblock, Volker: Arbeit am Logos. Aufstieg und Krise der wissenschaftlichen Vernunft, Münster 2000 (Texte zur Theorie und Geschichte der Bildung 17), S. 87–158. Siehe dazu u. a. Cassirer, Ernst: Gesammelte Werke Ernst Cassirers. Herausgegeben von Birgit Recki. Bd. 14: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance. Die Platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge. Text und Anmerkungen bearbeitet von Friederike Plaga und Claus Rosenkranz, Hamburg 2002, insbesondere S. 114–142.
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Schon die Meteorologie als intellektuelle Heimat der Kometen hat den Status einer „mixed discipline“123, also einer nicht exakten, auf mathematischen Demonstrationen beruhenden, sondern qualitativen Wissenschaftlichkeit, die natürliche Zeichen interpretiert um auf die Phänomene zurückzuschließen, die durch ein vierstufiges Kausalitätsschema verständlich gemacht werden:124 „Derartige natürliche Zeichen gehören in eine lineare, von der entsprechenden Kausalitätsvorstellung bestimmten Ordnung. Sie zeigen an, was metaphysisch und axiologisch früher ist, zugleich weisen sie darauf, was temporal später sein wird.“125 Außerdem geht die Theoriebildung dieser Epoche davon aus, dass die Entitäten der Welt untereinander verbunden sind und wie Zeichen aufeinander verweisen, was der semiotisch-symbolischen Dimension entspricht. Auch Gott tritt nur zeichenvermittelt in Erscheinung, die gesamte Schöpfung wird als verschlüsselte – und zu entschlüsselnde – Offenbarung betrachtet, wobei alles Seiende als bedeutungsträchtiges Zeichen göttlichen Ursprungs gilt.126 Für den protestantischen Naturphilosophen und Theologen Philipp Melanchthon (1497–1560) und den Mathematikprofessor Caspar Peucer (1525–1602) sind Zeichen die den Sinnen zugänglichen Spuren, die zur Erkenntnis der Ursachen führen und damit weder Ursache noch Wirkung, sondern etwas mit Ursache und Wirkung Verbundenes.127 In dieser theologisch-teleologischen Natursicht kommt den Zeichen eine prophetische Dimension zu, in der die Bedeutung der historia als Argumentationsmodus sowie als Quelle der empirischen Datenbasis zur Untermauerung von Zukunftsprognosen wurzelt. Diese Aspekte sind u. a. Thema des siebten Kapitels, das anhand der Rezeption des Kometen von 1618 auslotet, in welchem Zusammenhang die ursächliche und zeichenhafte Sichtweise von Kometen in den ersten Dekaden des 17. Jahrhunderts stehen. Obwohl die aristotelische Meteorologie die Grundlage der im frühneuzeitliche Kometenbild präsenten Kausalitätsvorstellung bildet, stehen bei ihr als zu großen Teilen praktischer Wissenschaft nicht die Ursachen, sondern die Effekte und Wirkungen im Vordergrund. Wissen von etwas ist bei Aristoteles gleichgesetzt mit der Kenntnis der Ursachen von diesem Etwas, weshalb Wissenschaft im aristotelischen Sinne
123
Vgl. folgendes Zitat von Jardine „At least since the time of Aristotle, meteorology had been regarded as a mixed discipline combining terrestrial and celestial physics, a discipline drawing on mathematics, a discipline cognate with if not a part of natural history, a discipline abutting on astronomy and theology in its concern with portents, a discipline combining theoretical speculation with everyday practical concerns with weather and crops.“, Jardine: How to Present a Copernican Comet, S. 280. 124 Zum frühneuzeitlichen Status der Meteorologie als Scientia mixta siehe Martin, Craig: Renaissance Meteorology. Pomponazzi to Descartes, Baltimore 2011, S. 5–14 und S. 23–29. 125 Vgl. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 443. 126 Deppert, Wolfgang: Zeichenkonzeptionen in der Naturlehre von der frühen Renaissance bis zum 19. Jahrhundert, in: Steger, Hugo / Wiegand, Herbert Ernst (Hrsg.): Semiotik, Berlin 1998 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 13.2), S. 1362–1376, hier S. 1365. 127 Vgl. dazu Brosseder, Claudia: Im Bann der Sterne. Caspar Peucer, Philipp Melanchthon und andere Wittenberger Astrologen, Berlin 2004, S. 210–219.
1.3 Gegenstand, Ziele und Methodik des Forschungsvorhabens
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bedeutet, das Wahrgenommene durch formale, materiale, kausale und teleologische Ursachen zu erklären. Im Kontext des epistemologisch unsicheren Feldes der Meteorologie heißt das jedoch nicht, die Phänomene aufgrund der Kenntnis ihrer bewirkenden Ursachen vorauszusagen.128 Diese Möglichkeit der Prognostik, die ein wesentliches Moment der frühneuzeitlichen Beschäftigung mit Kometen darstellt, beruht primär auf der Astrologie. Durch sie ist es möglich, die den Kometen zugeschriebenen Unglücksfolgen als vorhersagbare Wirkungen zu verstehen, während sie gleichzeitig das technische Rüstzeug zur Entschlüsselung der göttlichen Zeichen liefert. Damit ist sie als Disziplin sowohl im Kontext des kausal-naturkundlichen Kometenverständnisses als auch in Bezug auf die semiotisch-wunderhafte Dimension der Himmelsphänomene relevant. Es ist diese verbindende Funktion der Astrologie, auf der das integrierte Kometenbild sowie dessen Attraktivität und Langlebigkeit maßgeblich beruhen. Aus diesem Grund ist ein Verständnis des Schicksals der Sterndeutungskunst in der Frühen Neuzeit für die Entwicklung der Kometenvorstellungen von essentieller Relevanz. In dieser Arbeit wird daher gezeigt, dass eine Ursache des Zusammenbruchs des integrierten Kometenbildes im Funktionsverlust der Astrologie und infolgedessen ihrer Marginalisierung als legitimen wissenschaftlichen Disziplin besteht. Diese Dissolution des integrierten Kometenbildes und deren Auswirkungen sowohl auf die diskursive Verhandlung der Kometenthematik als auch auf den epistemologischen Status der drei Kontextgebiete werden in achten und neunten Kapitel näher ausgeführt. Kann man also in der historischen Entwicklung des Kometendiskurses als exemplarisches Beispiel einer frühneuzeitlichen Wissenstradition und ihrer Verhandlung einen graduellen Prozess der Naturalisierung erkennen? Ist der Kometendiskurs ein paradigmatischer Fall für die im Kontext der Wissenschaftlichen Revolution stattfindende Modernisierung des Weltbilds, indem sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts ein rationales Kometenbild etabliert, das keinen Schrecken mehr auslöst und frei von Aberglauben oder religiöser Vereinnahmung ist? Zunächst muss man an dieser Stelle fragen, was genau unter einem rationalisierten oder naturalisierten Kometenbild zu verstehen ist. Dieses z. B. allein durch die Verortung in einem kausal-mechanistischen statt symbolischen theoretischen Rahmen zu charakterisieren, greift zu kurz, da „Analogie“ und „Kausalität“ beide als heuristische Prinzipien der Wissensgenerierung und -organisation fungieren können.129 Auch die aristotelisch-meteorologische Kometentheorie ist nicht weniger rational als die Vorstellung von Kometen als sich auf berechenbaren Bahnen um ein Zentralgestirn bewegenden Himmelskörpern, die den Gesetzen der Gravitation gehorchen. Wenn ein naturalisiertes Kometenbild dadurch
128 129
Vgl. Leiber, Theodor: Kosmos, Kausalität und Chaos. Naturphilosophische, erkenntnistheoretische und wissenschaftstheoretische Perspektiven, Würzburg 1996, S. 134. Zur Bedeutung von Analogien in wissenschaftshistorischer Perspektive siehe Hentschel, Klaus (Hrsg.): Analogien in Naturwissenschaft, Medizin und Technik, Stuttgart 2010 (Acta Historica Leopoldina 56).
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gekennzeichnet ist, dass es nicht mehr auf übernatürliche Elemente, also etwa das Handeln oder den Willen Gottes, rekurriert, so zeigt ein Blick auf die Naturkonzeptionen der Physikotheologie im 18. Jahrhundert – unter anderem Thema des neunten Kapitels dieser Arbeit – wie wenig adäquat eine solche Einschätzung ist. Tatsächlich ist eine wesentliche These dieser Studie, dass sich das moderne Kometenbild nicht trotz des Einflusses von theologischen oder astrologischen Elementen herausgebildet und sich also gleichsam von diesem vermeintlich irrationalen Ballast befreit hat, sondern vielmehr gerade wegen diesen und durch diese Elemente konstituiert worden ist. Barbara Bauer hat z. B. darauf hingewiesen, dass die Übereinstimmung der eigenen Ansichten mit der Bibel und der kirchlichen Lehre für die größte Zahl der Menschen in der Frühen Neuzeit nicht nur eine persönliche Meinung im Privaten, sondern eine Geisteshaltung darstellt, die auch für ihren Zugang zur Natur relevant ist und so Forschung motivieren und lenken sowie einen konzeptuellen Rahmen oder Legitimationsansatz bilden kann: Gerade die Interpretation himmlischer Prodigien zeigt, wie sich solche naturallegorischen Deutungsmuster mit theologischen Interpretationsweisen einerseits und dem Interesse an exakter Beschreibung und wissenschaftlicher Erklärung andererseits verbinden.130 Sie schlussfolgert daher, dass Bibelexegeten und Theologen die Durchsetzung neuer Erkenntnismethoden oder Disziplinen nicht einfach verhindert, sondern im Gegenteil selbige mitgeformt und bestimmt hätten.131 Martin Friedrich hat mit konkretem Bezug auf Kometen eine ähnliche These formuliert, wobei es ihm um die Wechselbeziehungen zwischen traditionellen Deutungen und neuen Erkenntnissen und die Frage geht, wie sich alte und neue Erklärungen schließlich in einem neuen Weltbild vereinigen.132 Er sieht in der Rezeption der Kometenerscheinungen ein Paradigma und konstatiert, dass gerade protestantische Theologen führend daran beteiligt gewesen seien, einer rationalen Kometenbetrachtung Bahn zu brechen, unter anderem aufgrund ihrer Überzeugung von einer unaufhebbaren Harmonie zwischen Vernunft und Offenbarung. In ähnlicher Weise kann man für die historische Rolle der Astrologie argumentieren. Dass zwischen ihrem Niedergang und dem Siegeszug der Astronomie ein ursächlicher Zusammenhang besteht, bezeichnet Bauer als „Legende der Aufklärung“ und kritisiert, dass der darauf fußende historiographische Ansatz, die Geschichte der Naturkunde als Vorgeschichte moderner Disziplinen zu begreifen und dabei die Rolle von Astrologie, Alchemie oder Magie herunterzuspielen, den Gegensatz zweier Kulturen als Ergebnis des 19. Jahrhunderts auf frühere Jahrhunderte zurückprojiziert.133 Welche Bedeutung
130 131 132 133
Bauer: Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung, S. 14. Bauer: Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung, S. 18. Friedrich, Martin: Der Komet von 1680/81 im Urteil evangelischer Theologen, in: MahlmannBauer, Barbara (Hrsg.): Scientiae et artes. Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik, Wiesbaden 2004 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 38), S. 411–423. Vgl. Bauer: Nicht-teleologische Geschichte der Wissenschaften und ihre Vermittlung, S. 6 und S. 3.
1.3 Gegenstand, Ziele und Methodik des Forschungsvorhabens
57
haben denn nun aber diese disziplinären Felder konkret? Die britische Historikerin Frances Yates hat insbesondere am Beispiel Giordano Brunos (1548–1600) den Einfluss von Magie und Mystik auf das frühneuzeitliche Denken untersucht und in dem auf okkulte Kräfte rekurrierenden und empirisch operierenden Renaissancemagus den Prototypen des modernen Naturwissenschaftlers gesehen.134 Ein bloßes Zurückdrängen des Aberglaubens durch ein bestimmtes Wissenschaftskonzept oder eine rationale Methodik sieht auch Christoph Meinel nicht am Werk, wenn er konstatiert, dass die neuen Naturwissenschaften nicht etwa deshalb entstanden sind, weil die sich durchsetzende mechanische Philosophie die okkulten Kräfte eliminiert, sondern weil es ihr gelingt, diese Vorstellungen in ein einheitliches und umfassendes Erklärungsschema zu integrieren.135 Wie oben erwähnt, liegt der Fokus dieser Studie insbesondere auf der Astrologie und ihrer Funktion im frühneuzeitlichen Kometenbild. Der deutsche Philologe Franz Boll hat die Sterndeutungskunst als „the most singular centaur that religion and science have ever produced“ charakterisiert und damit nicht nur ebenfalls ihre integrierende historische Rolle betont, sondern gleichzeitig auf die Nähe von Astrologie und Religion als wesentliche Elemente des für die Renaissance typischen ganzheitlichen Natur-, Menschen- und Weltbildes hingewiesen.136 Die hinter diesen Thesen stehenden Fragen sind die nach dem historischen Zusammenhang von Wissenschaft und Religion – hier übersetzt in eine Untersuchung der Relation zwischen Theologie und Naturverständnis – und die nach den konkreten historischen Prozessen, durch die aus legitimen Wissens- und Tätigkeitsfeldern sogenannte Pseudowissenschaften werden. Die großen historischen Thesen wie die von Frances Yates oder Robert K. Merton beruhen nicht zuletzt auf generalisierenden Abstraktionen oder starken wissenschaftstheoretischen Grundannahmen, die in jüngerer Zeit – sichtbar z. B. an dem oben erwähnten Konzept der historischen Epistemologie – durchaus kritisch evaluiert worden sind. Diese Studie hingegen unternimmt solche Überlegungen in Bezug auf ein sowohl zeitlich als auch thematisch klar abgegrenztes Quellencorpus. Die Untersuchung der diskursiven Verhandlung der Kometenthematik über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert bildet eine exemplarische Fallstudie zur Erforschung des epistemischen Wandels in der Frühen Neuzeit, deren Ergebnisse übertragbar auf andere thematische Felder sind. Es geht hier um die konkrete Umsetzung einer kontextualisierten Kulturgeschichte des Wissens als weiteren 134
135 136
Diese These entwickelt Yates erstmals in ihrem Werk Yates, Frances A.: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, Chicago 1964. Daran anschließend haben zahlreiche Historiker wie etwa Paola Zambelli, Joachim Telle, Wolf-Dieter Müller-Jahncke oder Hiro Hirai die Bedeutung vermeintlich irrationaler Praktiken im Kontext von Astrologie, Hermetismus oder Alchemie untersucht. Meinel, Christoph: Okkulte und exakte Wissenschaften, in: Buck, August (Hrsg.): Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance, Wiesbaden 1992, S. 21–43, S. 24. Zitiert nach Dooley, Brendan: Conclusion, in: Dooley, Brendan (Hrsg.): A Companion to Astrology in the Renaissance, Leiden 2014 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 49), S. 429– 435, S. 430.
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1 Kometen in der Frühen Neuzeit
Beitrag zu einer nicht-teleologischen Wissenschaftshistoriographie: Versteht man Wissenschaft als kulturelle Praxis137 ist eben nicht nur das „wissenschaftlich“, was faktisch ist oder das, was sich in der Rückschau als korrekt erwiesen hat, sondern das, was zeitgenössisch als Wissenschaft betrieben, konstruiert und popularisiert wird. Und diese Art von Wissenschaft wird nicht nur durch Gelehrte betrieben, sondern entspringt einer breiten und breit vernetzten heterogenen Gruppe von Gelehrten, kundigen Laien und gebildeten Praktikern, die wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur rezipieren, interpretieren und instrumentalisieren, sondern diskursiv mitgestalten. Die „Helden“ der Wissenschaftsentwicklung wie etwa Kepler, Galilei oder Newton werden nicht völlig ignoriert, jedoch interessiert hier eher, wie diese Namen und die mit ihnen verknüpften Ideen und Theorien in der volkssprachlichen Debatte präsentiert, gebraucht oder sogar vorbereitet werden und was dabei mit ihnen geschieht. Bevor es beginnend mit dem dritten Kapitel um die konkreten Quellenanalysen geht, werden im folgenden Grundlagenkapitel zunächst die relevanten historischen Hintergründe und Entwicklungen in den drei den Kometendiskurs prägenden Kontextgebieten der Naturkunde, Theologie und Astrologie zusammenfassend dargestellt.
137
Siehe dazu z. B. die Einführung zum Sammelband von Epple, Moritz / Zittel Claus (Hrsg.): Science as Cultural Practice. Cultures and Politics of Research from the Early Modern Period to the Age of Extremes, Berlin 2010 (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 24), S. 7–13 sowie ferner Fried, Johannes / Stolleis, Michael (Hrsg.): Wissenskulturen. Über die Erzeugung und Weitergabe von Wissen, Frankfurt am Main 2009.
2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die wesentlichen Entwicklungen der für die Analyse des Kometendiskurses relevanten drei Kontextgebiete der Naturkunde, der Astrologie und der Theologie. Diese Übersicht muss notwendigerweise kursorisch bleiben und selektiv erscheinen, da nur die wichtigsten Hintergründe und Problemstellungen der disziplinären Felder thematisiert werden, die in konkretem Bezug zur frühneuzeitlichen Kometendebatte stehen und aus denen sich die verschiedenen Zugänge, Wahrnehmungsformen, Deutungsmuster und Darstellungsweisen des Himmelsphänomens, die in den folgenden quellenanalytischen Kapiteln herausgearbeitet werden, speisen. Es geht also um eine punktuelle Darstellung der inhaltlich-thematischen Grundlage, auf der die Kometenschriftenverfasser ihre Werke aufbauen und ihre „Kometenbilder“1 entwickeln. Wenn also in dieser Arbeit vom theologischen Kontext die Rede ist, so sind damit die theologischen oder religiösen Aspekte gemeint, die für die theologische Konzeptualisierung und Interpretation von Kometenerscheinungen in der Frühen Neuzeit primär relevant sind. Die in den Quellen transportierten Kometenbilder in all ihren Facetten und den durch ihre Genese konstituierten Diskurs historisch zu rekonstruieren ist Ziel dieser Arbeit. Um die Entwicklung dieses Diskurses interpretierend nachzuzeichnen bilden die Relationen der auf vielfältige Weise miteinander verknüpften Elemente der drei genannten Kontextgebiete den Ausgangspunkt der Analyse. Der Ausdruck des Kometenbildes scheint dabei zur Konturierung des Kometendiskurses besonders passend, da alternative Begriffe wie Kometentheorie, -interpretation, -wissen oder Kometendeutung jeweils spezifische Aspekte betonen, die in dem, was in den Kometenflugschriften zu diesen Himmelserscheinungen präsentiert wird, oft nicht separat erscheinen. Diese Mehrdimensionalität und Interdisziplinarität ist jedoch gerade charakteristisch für den Kometendiskurs, der in seiner Vielschichtigkeit
1
In der Verwendung dieses Ausdrucks folge ich Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 10–12.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
konkret greifbar wird, wenn die Ursprünge der in den Kometenbildern zusammengefügten Versatzstücke näher beleuchtet werden. Die Adäquatheit der Bezeichnung Kometenbild erschließt sich bei Betrachtung des Weltbild-Begriffs, da auch dieser in umfassender Weise die Gesamtheit von theoretischen Ideen im Sinne von Wissen, aber ebenso deren Interpretation oder davon losgelöste Vorstellungen, z. B. metaphysischer, religiöser oder moralischer Natur meint. Der sozio-historische Hintergrund der Zeit ebenso wie kulturell und wissenschaftlich prägende Entwicklungen bilden dabei naturgemäß nicht nur eine Bühne für die Entfaltung des Diskurses, sondern sind konstitutiv für Inhalte und Struktur desselben. In den diesem Kapitel folgenden Fallstudien werden die wesentlichen Charakteristika der theologischen und astrologischen Kometendeutung ebenso wie die naturkundlich-theoretischen Entwicklungen des späten 16. und 17. Jahrhunderts in den konkreten Quellenanalysen herausgearbeitet und finden insbesondere in den Kapiteleinleitungen Darstellung. Im Folgenden liegt der Fokus somit auf der historischen Genese des Kometenbildes bis zum 16. Jahrhundert, wobei es naturgemäß zu Überschneidungen kommen kann, da die meisten Entwicklungsprozesse keinen konkreten oder chronologisch festen Anfangs- oder Endpunkt haben, sondern sich vielmehr in stetiger Weiterentwicklung befinden, Gegenstand von Transformation und Neuinterpretation sind und in verschiedenen historischen Phasen mehr oder weniger präsent sein können. Das Feld der Naturkunde, worunter im weiteren Sinne die Formen von Kometenwissen theoretischer, mathematischer oder empirischer Natur subsummiert werden, erfordert in dieser primär wissenschaftshistorischen Arbeit eine etwas ausführlichere Darstellung, die durch die wichtigsten theologischen und astrologischen Aspekte ergänzt wird, da diese die Deutungsdimension der Kometen konstituieren, die mit der Erklärungsdimension eng verbunden ist. Die Verbindung dieser Dimensionen lässt sich überhaupt nur durch Betrachtung der historischen Entwicklung verstehen. Die folgende Darstellung ist daher nicht chronologisch, sondern systematisch aufgebaut mit dem Ziel einer – wenn auch nur überblicksartigen – Rekonstruktion des in der Frühen Neuzeit als opinio communis2 vorherrschenden Kometenbildes, das aus der Rückschau konturiert wird. Den roten Faden bildet dabei die Entwicklung der theoretischen Kometenvorstellungen, deren wichtigste Meilensteine hier rekapituliert werden.3 Methodisch übersetzt sich das in einen gewissen Eklektizismus hinsichtlich des Präsentierten, was sich z. B. darin manifestiert, dass die in der Antike stattfindenden
2 3
Siehe dazu Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 402–423. Eine ausführliche und zwei Jahrtausende abdeckende Darstellung der Geschichte der Kometentheorie, die die physikalische und nicht astronomische Natur der Kometen in den Vordergrund stellt, jedoch nicht deren astrologische und theologische Implikationen thematisiert, bietet Heidarzadeh, Tofigh: A History of Physical Theories of Comets, From Aristotle to Whipple, Berlin 2008 (Archimedes: New Studies in the History and Philosophy of Science and Technology 19).
2.1 Bedeutende Kometentheorien der Antike
61
Entwicklungen vergleichsweise ausführlich erläutert werden, während die des Mittelalters nur am Rande Erwähnung finden – einfach deshalb, da die frühneuzeitlichen Autoren dem Geiste der humanistischen Renaissance folgend besonders antike Quellen in den Blick nehmen und dort ihre maßgeblichen Bezugspunkte finden:4 Neben den Ideen des Aristoteles, deren Tradierung, Transformation und Interpretation die Grundlage des frühneuzeitlichen Kometenbildes darstellt, sind dies insbesondere die mit den Namen und Werken von Seneca, Plinius d. Ä. und Ptolemaios verknüpften Theorien. Auf die stoische Naturphilosophie gehen die seit der Renaissance im Verbund mit neuplatonischem Gedankengut aufblühenden divinatorischen Vorstellungen von Kometen als zeichenhaft zurück, während die astrologische Kometendimension unter Rekurs auf die ptolemäische Tradition begründet wird. Beide Linien treffen sich in der christlichen Theologie, die mit den naturphilosophischen Kometenvorstellungen seit dem Frühmittelalter verbunden wird. Das sich in der Frühen Neuzeit aus diesen Entwicklungen herauskristallisierende Kometenbild wird hier daher als Synthese dieser Traditionslinien interpretiert. Die dieser Perspektive folgende systematische Darstellung wird durch die in den Folgekapiteln herausgearbeiteten Charakteristika illustriert und – für Entwicklungen seit dem späten 16. Jahrhundert – ergänzt. 2.1 Bedeutende Kometentheorien der Antike 2.1.1 Die meteorologische Theorie des Aristoteles Aristoteles, einer der wichtigsten und einflussreichsten Philosophen der griechischen Klassik und Schüler Platons, prägt mit seinem umfangreichen Werk zur Naturlehre, aber auch zur Ethik oder Logik als maßgebliche Autorität die europäischen Wissenschaften vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Er präsentiert seine Vorstellungen zur Kometentheorie hauptsächlich in einem eigenen Abschnitt seines Werkes zur Meteorologie.5 Seiner Systematik nach ist dies die Wissenschaft der sublunaren Phänomene:6 4 5
6
Insbesondere die Studien von Gindhart und Nouhuys thematisieren diesen Dialog mit der Antike auf konzeptueller Ebene, siehe Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 1–15 sowie Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 42–62. Aristoteles: Meteorologie, I, VI–VII, in: Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 12.1–2: Meteorologie. Über die Welt. Übers. von Hans Strohm, Berlin 1970, S. 17–22. Eine immer noch lesenswerte Zusammenfassung der aristotelischen Kometentheorie im Kontext ihrer Entstehung der antiken Meteorologie bietet Gilbert, Otto: Die meteorologischen Theorien des griechischen Altertums, Hildesheim 1967, S. 638–649. Siehe dazu außerdem Taub, Liba: Ancient Meteorology, London 2003 (Sciences in Antiquity). Aristoteles hat die Meteorologie als eigenständige Unterdisziplin überhaupt erst geschaffen, da sie sich seinen kosmologischen und physikalischen Vorstellungen nach als Konsequenz der Dichotomie von terrestrischer und ätherischer Welt ergibt, vgl. Flashar, Hellmut: Aristoteles. Lehrer des Abendlandes, München 2013, S. 280.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
Das wesentliche Konzept seiner Kosmologie und Physik ist die Unterscheidung eines irdischen und himmlischen Weltbereichs, wobei der Mond die Grenze markiert. Aristoteles entwickelt hier eine kinetische Theorie der Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, die sich aufgrund ihrer relativen Schwere oder Leichte an ihrem natürlichen Ort anordnen und so die schichtförmige sublunare Welt konstituieren, die aufgrund der stetigen Vermischung und veränderlichen Verbindung der Elemente von Werden und Vergehen gekennzeichnet ist.7 Über dem Mond ist der unveränderliche Bereich des Himmels, in dem sich die ätherischen Körper ewig und gleichförmig ihrer Perfektion entsprechend auf kreisförmigen Bahnen bewegen. Die unbewegliche Erde befindet sich im Zentrum dieser Welt, die nach außen hin durch die ebenfalls unbewegliche Fixsternsphäre begrenzt wird. Diese beherbergt in sich alle anderen Sphären als kugelförmige Trägerkörper der Planetenbewegungen, deren Ursprung in Gott als oberstem und erstem Beweger liegt. Ein wesentliches Kennzeichen dieser physikalisch-qualitativen Kosmologie, die nicht mathematischen oder spekulativen, sondern empirischen Charakters ist und von den Phänomenen induktiv ausgehend eine teleologische Systematik entwirft, ist der determinierende Zusammenhang von Ort und Bewegung der Weltkörper und der epistemologische Anspruch, das Weltgeschehen kausal zu erklären.8 Die sublunaren meteorologischen Phänomene beruhen auf natürlichen Ursachen, zeigen aber irreguläres Verhalten, anders als z. B. die regelmäßigen Bewegungen der Körper im supralunaren Himmel.9 Zudem sind insbesondere die Phänomene der oberen Atmosphäre einer empirischen Untersuchung durch eine direkte Beobachtung entzogen, weshalb einige gar nicht und andere nur eingeschränkt erklärt werden können. Aristoteles hat seine Theorie daher als vorläufig angesehen; sie liefere kein exaktes Wissen im Sinne mathematischer demonstrationes, sondern wahrscheinliches oder unsicheres als Teil einer zufriedenstellenden, wenn auch nicht umfassenden Erklärung.10 Nichts desto weniger gelingt es dem Stagiriten, die Kometen im Zusammenhang mit einer Reihe weiterer Naturphänomene in ein kohärentes und kausales Erklärungsschema einzuordnen, das in dem größeren Kontext seiner Naturphilosophie eingebettet ist. In der aristotelischen Meteorologie werden klassische Wettererscheinungen wie Wolken, Blitz, Donner, Hagel, Regen oder Schnee der die Erde umgebenden Luftschicht zugeordnet, während neben Kometen z. B. die Milchstraße, Chasmata, Halos 7 8
9 10
Siehe dazu Flashar: Aristoteles, S. 281–282. Dieses naturphilosophische System entwickelt Aristoteles in seinen Schriften Physik, Meteorologie, Über den Himmel und Metaphysik. Zur aristotelischen Naturlehre allgemein siehe Seeck, Gustav A.: Die Naturphilosophie des Aristoteles, Darmstadt 1975 (Wege der Forschung 225). Eine umfassende Diskussion der aristotelischen Himmelslehre bietet Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 133–168. Aristoteles: Meteorologie, I, VII, 344a–345a, S. 20–22. Vgl. Ruffner, James A.: The Background and Early Development of Newton’s Theory of Comets, Diss. Indiana University 1966, S. 19–20.
2.1 Bedeutende Kometentheorien der Antike
63
oder Sternschnuppen als kurzlebige Phänomene der Feuerregion definiert sind, die mit der darunterliegenden Luft- und der darüber liegenden ätherischen Region des Himmels ursächlich in Verbindung stehen:11 Sie werden durch terrestrische Exhalationen, die aus Mischungen der vier Elemente bestehen und von der Erde aufgrund der Wärme der Sonneneinstrahlung aufsteigen, materiell konstituiert, wobei vornehmlich feuchte und kalte irdische Ausscheidungen die Phänomene der Luftregion und die primär heißen und trockenen die der Feuerschicht bilden. Von dort können sie aufgrund ihrer natürlichen Qualität durch die Bewegung der himmlischen Sphäre entzündet werden. Kometen sind daher Verbrennungsprozesse, wobei Aristoteles nach Art ihrer Entstehung verschiedene Typen unterscheidet. Der Oberbegriff ist griechisch κομήτης, also Haarstern, was dem in den frühneuzeitlichen Kometenschriften eher präsenten lateinischen Begriff cometa oder stella crinita entspricht, worauf die deutsche Übersetzung Strobelstern zurückgeht. Daneben gibt es als zweiten Typus geschweifte Kometen oder Bartsterne, die bei spitz zulaufendem caudata und bei breiter werdendem Schweif barbata heißen.12 Kometen können im Gegensatz zu anderen Meteoren vergleichsweise langlebig sein, weshalb sie aus einer relativ großen Menge Materie bestehen müssen. Deren Zusammenballung kann sich aufgrund der von der Äthersphäre mitgeteilten Bewegung einerseits selbständig oder aber unter dem Einfluss oder der Kraft eines Himmelskörpers vollziehen, der dann auch die Eigenschaften des Kometen wie z. B. Bewegung oder Farbigkeit, mitbestimmt. Dieser letztgenannte Typus ist bei Aristoteles eine Art optische Reflexion des Gestirns in der Feuersphäre, ähnlich einer Haloerscheinung, weshalb diese Kometen keinen Schweif zeigen, sondern wie Haare von einer Art nebligen Hülle umgeben sind und ihrem beherrschenden Himmelskörper zu folgen scheinen.13 Der andere Typus der Bartsterne entsteht, da die den Kometen bildenden Exhalationen weniger leicht und flüchtig sind und somit länger verbrennen als etwa jene, welche eine Sternschnuppe bilden, und daher als langlebigere „Flamme“ erscheinen, die aufgrund der Bewegung der feurigen Schicht langgezogen und damit als Schweif oder Bart sichtbar wird.14
11 12 13 14
Gilbert: Die meteorologischen Theorien des griechischen Altertums, S. 646. Siehe dazu Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 143. Vgl. Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 13. Gilbert: Die meteorologischen Theorien des griechischen Altertums, S. 646–648. Lettinck interpretiert Aristoteles hier so, dass er die Entstehung des einen Kometentypen in der Feuerregion und den anderen in der obersten Luftschicht verortet: „Thus, there are two kinds of shooting stars. One kind is formed in the upper region of ‚fire‘, and is produced by ignition of the dry exhalation, caused by the celestial motion. The other kind is formed in the region of the air, and is produced by ejection of dry exhalation, caused by cooling and subsequent condensation (…) of the moist exhalation, in which the dry one is mixed.“ Er betont, dass die Darstellung bei Aristoteles nicht eindeutig ist und führt die Ungereimtheit bezüglich des Kometenortes auf die inhärente Widersprüchlichkeit des 3. und 7. Kapitels der aristotelischen Meteorologie zurück, siehe Lettinck, Paul: Aristotle’s Meteorology and its Reception in the Arab World. With an Edition and Translation of
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
Die terrestrischen Exhalationen sind demnach die causa materialis der Kometen, während die Bewegung der Äthersphäre, die auf die darunter liegenden sublunaren Schichten übertragen wird, die causa efficiens darstellt. Die Kometen bestehen aus irdischen Elementen und wirken aufgrund ihres Charakters als atmosphärische Phänomene auf die sublunar-elementarische Welt zurück – etwa, indem sie Veränderung in der Luftregion bewirken. Auf diesem Zusammenhang beruht die meteorologische Zeichenhaftigkeit der Kometen; sie sind natürliche und indizierende Zeichen vergleichbar z. B. mit Wetterzeichen. Dunkle Wolken sind ein Zeichen für Regen, ebenso wie Rauch ein Zeichen für Feuer ist. Aristoteles geht es aber weniger um die Möglichkeit der Vorhersage aus diesen Zeichen; vielmehr sieht er sie als Beleg für die Richtigkeit seiner meteorologischen Theorie.15 Ein Komet ist damit ein Anzeichen für das Aufsteigen, die Zusammenballung und die Entzündung von terrestrischen Ausdünstungen und da die Ursachen dieser Prozesse noch weitere Folgen nach sich ziehen können, wie etwa das Auftreten von Stürmen aufgrund der Änderung der Mischungsverhältnisse der Elemente in der Luftschicht, die dadurch trockener wird, ist der Komet ebenso ein (An-)Zeichen für kommende Stürme. Ein Komet entzieht der Erde Feuchtigkeit, so dass auch Dürre eine Folge sein kann. Auf diese Weise ist die Entstehung und Wirkung von Kometen – ihre durch sie angezeigte Folgenhaftigkeit im Bereich von Wetter, Witterung und Klima – meteorologisch erklärbar. Es ist diese kausal verstandene Zeichenhaftigkeit, die zum Ansatzpunkt für eine astrologische Kometenprognostik wird: Das bedeutet zum einen eine Ausbuchstabierung der durch einen Kometen angezeigten Folgen und zum anderen die Vorhersage von Kometen selbst, was nach traditioneller aristotelischer Meteorologie nicht möglich ist. Die oben erwähnte ontologische Verbundenheit zwischen einem Kometen und der supralunaren Welt bildet eine weitere wesentliche Grundlage für eine kometomantische16 Ausdeutung dieser Himmelsphänomene, wobei insbesondere das Konzept der Effizierung eines Kometen durch einen Planeten als theoretische Basis der astrologischen Kometeninterpretation fungieren kann.17
15 16
17
Ibn Suwar’s Treatise on Meteorological Phenomena and Ibn Bajja’s Commentary on the Meteorology, Leiden 1999 (Aristoteles Semitico-Latinus 10), S. 15–20; S. 32–39 und S. 66–96, Zitat S. 67. Vgl. dazu Taub: Ancient Meteorology, S. 96–98. Mantik bezeichnet allgemein jede Form der Zukunftsvoraussage im Gegensatz zur Divination, die speziell mit der Auslegung göttlicher Zeichen befasst ist. Während die Kometomantik also die Erscheinung eines Kometen als solchen erörtert, ist die darauf beruhende Kometologie als Form der astrologischen Prognostik komplizierter, da sie in einer systematischen Ausdeutung bestimmter Parameter der Kometenerscheinung besteht. Siehe dazu Stegemann, Viktor: „Komet“ in: Bächtold-Stäubli, Hanns / Hoffmann-Krayer, Eduard (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 5, Berlin 1932/33, Sp. 89–170, hier Sp. 113–116. Zur Bedeutung der Mantik in der Kulturgeschichte der Wissenschaft siehe den Sammelband von Hogrebe, Wolfram (Hrsg.): Mantik. Profile prognostischen Wissens in Wissenschaft und Kultur, Würzburg 2005. Auf dieses Konzept wird in Abschnitt 2.2.1 näher eingegangen.
2.1 Bedeutende Kometentheorien der Antike
65
2.1.2 Stoische Kometentheorien nach Seneca und Plinius Die bedeutendste Alternative zur aristotelisch-meteorologischen Kometentheorie entwickelt der römische Philosoph und Politiker Lucius Annaeus Seneca, der in der ersten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts wirkt. Sein wichtigstes naturphilosophisches Werk bilden die Naturales Quaestiones, die sich hauptsächlich mit Meteorologie und Astronomie befassen. Im 7. Buch dieses Werkes finden sich seine Vorstellungen zur Kometentheorie, nach der Kometen supralunare planetenähnliche Phänomene sind, die sich auf regelmäßigen und geschlossenen, aber unbekannten Himmelsbahnen bewegen.18 Seneca kombiniert und präzisiert in seinem Ansatz das Wissen der Chaldäer, die Kometen ebenfalls für Wandelsterne hielten, mit den traditionell den Pythagoräern zugeschriebenen Ideen, dass Kometen nach bestimmten Zeitabschnitten wiederkehren.19 Ähnlich wie auch Aristoteles in seiner Kometentheorie doxographisch die Ansichten früherer Denker – hauptsächlich des 6. bis 4. vorchristlichen Jahrhunderts – diskutiert, entwickelt und präsentiert Seneca seine Vorstellungen in Abgrenzung zu historisch früheren Alternativmodellen, wobei er besonders die Entwicklungen vom 4. bis zum 1. vorchristlichen Jahrhundert berücksichtigt:20 Zunächst widerlegt er die von Epigenes propagierte Idee der Kometen als atmosphärische Phänomene mit deutlichen Ähnlichkeiten zur aristotelisch-meteorologischen Konzeption, dann die Demokrit und Anaxagoras zugeschriebene Vorstellung von Kometen als durch Planetenkonjunktionen entstehende optische Illusionen und schließlich die etwa von Apollonios von Myndus oder Hippokrates von Chios vertretene chaldäisch-pythagoräische Sichtweise, dass Kometen selber Planeten sind.21 Seneca betont, dass auch die meisten Stoiker eine dieser drei Varianten favorisieren.22 Auch wenn er damit die Kometentheorie von Stoikern wie beispielsweise Zenon ablehnt, steht Senecas Philosophie insgesamt in der stoischen Tradition, die sich in seinem Kometenbild verbunden mit der platonischen Vorstellung einer hierarchischen kosmischen Ordnung zeigt.23 Die für Seneca erkenntnisleitende Frage – die auch zur zentralen Problemstellung der Kometendebatte seit dem 16. Jahrhundert avanciert – 18 19 20 21 22 23
Seneca, Lucius Annaeus: Naturales quaestiones, Liber septimus: De cometis, in: Seneca, L. Annaeus: Naturwissenschaftliche Untersuchungen. Herausgegeben u. übers. von Brok, Martinus F. A., Darmstadt 1995, S. 415–467. Siehe dazu insbesondere das 7. Kapitel von Williams, Gareth D.: The Cosmic Viewpoint. A Study of Seneca’s ‚Natural Questions‘, Oxford 2012, S. 273–294. Yeomans, Donald K.: Comets. A Chronological History of Observation, Science, Myth, and Folklore, New York 1991, S. 8. Vgl. Williams: The Cosmic Viewpoint, S. 278–289. Williams: The Cosmic Viewpoint, S. 277. Siehe dazu das Kapitel „Schreckenszeichen vs. Stern: Die himmlische Ordnung und die Kometen“ von Gauly, Bardo M.: Senecas Naturales Quaestiones. Naturphilosophie für die römische Kaiserzeit, München 2004 (Zetemata. Monographien zur klassischen Altertumswissenschaft 122), S. 143–164.
66
2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
ist, ob Kometen sublimia oder caelestia, also meteorologische oder astronomische Phänomene, sind: Seiner Vorstellung nach besteht der Kosmos aus drei Hauptregionen, wobei sublimia die intermediäre Zone zwischen der terrestrischen (terrena) und der himmlischen (caelestia) bezeichnet.24 Intermediär ist sie in räumlicher und epistemologischer Hinsicht, denn sie erfordert wie die terrestrisch-materielle Welt Beobachtung und die dem himmlisch-göttlichen Bereich vorbehaltene rationale Spekulation als Erkenntnisweise, die über die irdische Welt hinausgeht.25 Entsprechend ist auch der epistemologische Status des auf diese Weise generierbaren Wissens charakterisiert, das umso unsicherer oder unerreichbarer ist, je näher es dem Himmel und je größer seine Partizipation am Göttlichen ist: Bardo M. Gauly spricht hier von der „unüberwindlichen Distanz des Phänomens zu allem, was menschlicher Erfahrung nahe liegt (…); die Kometen gehören einer anderen Welt an, die erhaben und schön ist, und diese Schönheit verweist auf eine Ordnung, die in denkbar größtem Gegensatz zur wirren Beliebigkeit irdischer oder atmosphärischer Phänomene steht.“26 Seneca deutet Kometen daher anders als in der griechisch-römischen Tradition üblich, nicht primär als Unglücks- oder seltener Glückszeichen, sondern als ewige Werke der Natur, als „signs that can challenge and enlarge our worldview“.27 Als Stoiker glaubt Seneca an Notwendigkeit und schicksalhafte Vorbestimmung im Kosmos als einer prästabilierten Harmonie.28 Die von ihm propagierte Astrologie ist primär eine Form der Divination, nicht nur als eine Art der Zukunftsvoraussage, sondern allgemeiner verstanden als eine Art der Auslegung göttlicher Zeichen, die Nouhuys als Teratologie charakterisiert:29 Diese Form der Interpretation natürlicher Wunderzeichen leitet sich vom griechischen Ausdruck teras ab, der sich mit Zeichen, Schreckbild, Ungeheuer, Wunder oder Monster übersetzen lässt und auf die mantische Dimension dieser Divinationsform verweist. Die stoische Schule hat im Anschluss an Platon und die Pythagoräer die Verbindung zwischen Mensch und Gott in die Idee einer Weltseele gefasst und diese Idee in Form des Pneumas physikalisiert, wobei die Verbindung zwischen beidem sich in zeichenhaften Zusammenhängen ausdrückt.30 Die divinatorische Entschlüsselung dieser Zeichen hat damit einen immanent theologischen Charakter, während die stoische Weltsicht insgesamt durch eine intrinsische Verbindung von Naturerkenntnis und Religion gekennzeichnet ist.31 Das
24 25 26 27 28 29 30 31
Williams: The Cosmic Viewpoint, S. 274. Hine, Harry M.: Rome, the Cosmos, and the Emperor in Seneca’s ‚Natural Questions‘, in: Journal of Roman Studies 96/1 (2006): S. 42–72, S. 68. Gauly: Senecas Naturales Quaestiones, S. 157. Vgl. Williams: The Cosmic Viewpoint, S. 261–273. Gundel, Wilhelm K. / Gundel, Hans G.: Astrologumena. Die astrologische Literatur in der Antike und ihre Geschichte, Wiesbaden 1966 (Sudhoffs Archiv, Beiheft 6), S. 183–184. Siehe dazu Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 406–419. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 390. Vgl. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 392–395.
2.1 Bedeutende Kometentheorien der Antike
67
ist ein wesentlicher Unterschied dieser teratologischen Tradition zum anderen, oben thematisierten Zweig der antiken Divination, der physikalisch-meteorologischen Astrologie, deren Erklärungspotential in der Zurückführung des Naturgeschehens auf rein natürliche Ursachen besteht und die deshalb ohne die Vorstellung eines in der Natur manifesten Gottes auskommt. Es lässt sich daher feststellen, dass die Dualität der Kometen als Zeichen und als Ursachen auf die teratologisch-semiotische sowie die astrologisch-physikalische Tradition der Divination zurückgeführt werden kann. Marcus Manilius und Plinius der Ältere sind ebenfalls im römischen Kulturkreis zu verortende Zeitgenossen Senecas, die für die antike Kometentheorie relevant sind. Manilius lebt um die Jahrtausendwende im frühen ersten Jahrhundert und ist wahrscheinlich Verfasser des Lehrgedichts Astronomica oder Astronomicon libri V, in dem in fünf Büchern der zeitgenössische Stand astronomischen Wissens als Synthese aus hellenistischer Astrologie und kosmologischem Gedankengut vorwiegend stoischer Herkunft dichterisch dargelegt ist: Manilius fasst den Stoff erstmals poetisch in lateinischer Sprache als das Walten Gottes, der das Geschick der Menschen mit den Sternen verbunden habe.32 Die Astronomica werden in der Antike selbst scheinbar wenig rezipiert. Während die ältesten Handschriften in das 3. bis 4. Jahrhundert zurückreichen, wird das Lehrgedicht zusammen mit Lukrez’ De rerum natura Anfang des 15. Jahrhunderts wiederentdeckt und als Erstausgabe von Regiomontanus 1473 in Nürnberg publiziert.33 Im humanistischen Kontext avancieren die Astronomica zu einer der wichtigsten Quellen zur antiken Astrologie. Insbesondere Deutungssystematiken und z. B. das Konzept der astrologischen Häuser stellt Manilius erstmals systematisch dar.34 Die Kometen thematisiert er am Ende des ersten rein astronomischen Buches und damit nicht als meteora, sondern als himmlische omina, die Pest, Missernten oder Bürgerkrieg vorbedeuten.35 Auch der römische Gelehrte und Beamte Gaius Plinius Secundus Maior, genannt Plinius der Ältere († 79 n. Chr.), betont eher den zeichenhaften als den physikalischen Charakter von Kometen, wenn seine Vorstellungen auch stärker von den aristotelischen beeinflusst sind. Plinius verfasst zahlreiche vornehmlich historische, biographische und literarische Werke, die allerdings selten oder nur in Fragmenten erhalten geblieben sind. Seine Kometentheorie findet sich in seinem bekanntesten Werk, der Enzyklopädie zur Naturkunde Naturalis historia, die um 77 n. Chr. entsteht.36 In 32 33 34 35 36
Vgl. Gundel: Astrologumena, S. 141–146. Marcus Manilius: Astronomica, in: Hübner, Wolfgang: Manilius „Astronomica“, Buch V. Einführung, Text, Übersetzung und Kommentar, Berlin 2010, S. 64–65. Siehe dazu North, John D.: Horoscopes and History, London 1986, S. 1–2 und Eade, John C.: The Forgotten Sky. A Guide to Astrology in English Literature Oxford 1984, S. 73–76. Manilius: Astronomica, S. 7. Plinius Secundus d. Ä., C.: Naturalis historia libri XXXVII, liber II, XXII–XXIII, 89–94, in: Plinius Secundus d. Ä., C.: Naturkunde, Buch II. Kosmologie. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben u. übers. von Gerhard Winkler und Roderich König, Darmstadt 1974, S. 72–77.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
37 Büchern wird das zeitgenössische Wissen verschiedener Gebiete wie beispielsweise Kosmologie, Astronomie, Geographie, Biologie, Botanik oder auch Ackerbau, Medizin, Metallurgie und Kunst dargelegt, wobei Plinius traditionelles und aktuelles Wissen verbindet. Die Naturalis historia wird in Antike und Mittelalter breit rezipiert und gilt bis in die Neuzeit als kanonisch-autoritative Enzyklopädie. Seit der ersten Druckedition 1469 in Venedig erscheinen bis ins 19. Jahrhundert weit über 200 Ausgaben.37 Plinius’ Kometentheorie ist besonders in astrologischer Hinsicht bedeutsam. Er legt dar, wie aus bestimmten Kometenparametern Vorhersagen über zukünftige Katastrophen zu machen sind, etwa indem die Form oder Farbe, die Position des Schweifs oder die Stellung des Kometen im Zodiak betrachtet werden. Darauf aufbauend entwickelt er eine Typologie von Kometen und gibt Regeln an, wie man aus diesen zu prognostizieren habe. Dieses Klassifikationsschema basiert lose auf der aristotelischen Einteilung in Kometentypen, wobei Plinius diese durch die Integration viel älteren Wissens zu einem Deutungsschema erweitert, das über die Jahrhunderte tradiert und transformiert wird: Während beispielsweise Origenes im 3. oder Philoponos im 5. nachchristlichen Jahrhundert Kometen in vier verschiedene Typen einteilen, nennt Plinius elf genera – darunter Horn-, Pfeil-, Schwert- oder Fackelkomet – wobei die Kometennamen sich auf bestimmte optische Eigenschaften der Schweifgestaltung, die mit einem Gegenstand metonymisch oder metaphorisch verknüpft sind, beziehen.38 Neben der Form gibt es auch Kometeneinteilungen nach Farben, die dann jeweils den Planeten zugeordnet sind, z. B. in der ägyptischen Astrologie in der Tradition des Nechepso-Petosiris.39 Anders als bei der aristotelischen Einteilung in Kometentypen steht hinter dieser Art von phänomenologisch-formalen Klassifikationen, die Relationen zwischen Kometen und Planeten herstellen, keine naturphilosophische Problemstellung.40 Es geht also weniger um die physikalische Begründung oder Erklärung dieser Relationen, sondern um ihr prognostisches Potential im Kontext einer astrologischen Deutung. Die Verbindung von Kometen und Planeten in einem System von neun Kometentypen wird in der Frühen Neuzeit oft auf Ptolemaios zurückgeführt, dabei handelt es sich jedoch um eine bloße Zuschreibung.41 In dieser Form werden die neun Kometenarten Vera, Coenaculum, Pertica, Miles, Asconas, Aurora, Argentum, Nigra und Rosa über den einflussreichen Tetrabiblos-Kommentar des Girolamo Cardano (1501–1576), der sie explizit mit dem Fokus auf ihre astrologische Bedeutung anführt, breit rezipiert.42 37 38 39 40 41 42
Zur Rezeptionsgeschichte dieses Werkes vgl. Doody, Aude: Pliny’s Encyclopedia. The Reception of the ‚Natural History‘, Cambridge 2010. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 426. Siehe dazu Stegemann: „Komet“, Sp. 100. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 427. Ebd. Vgl. Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 3 sowie für eine kurze Beschreibung der Kometentypen Stoyan, Ronald: Atlas of Great Comets, Cambridge 2015, S. 14.
2.2 Grundlagen der astrologischen Kometeninterpretation
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Die plinianische Klassifikation entwickelt z. B. durch den über Jahrzehnte neu aufgelegten Naturalis historia-Kommentar des Wittenberger Mediziners Jacob Milich Einfluss.43 Dass die Frage nach der astrologischen Signifikanz und der physikalisch-kausalen Verursachung oder Wirkung von Kometen nicht eindeutig zu trennen ist, zeigt sich an der Debatte um die Frage, ob Kometen Zeichen oder Ursachen des ihnen zugeschriebenen Unheils sind. Die Diskussion wird in der Frühen Neuzeit erneut aktuell und bereits Plinius hat sie folgendermaßen kommentiert: Ich glaube, daß diese sowie die übrigen Naturerscheinungen zu bestimmten Zeiten auftreten, nicht aber, wie die meisten meinen, aus verschiedenen Ursachen, welche sich der Scharfsinn der Einbildungskraft ausdenkt. Sie sind zwar Vorboten großer Unglücksfälle gewesen, allein ich glaube, daß diese nicht deswegen eintrafen, weil jene Erscheinungen vorausgingen, sondern daß jene vorausgingen, weil diese eintreffen sollten, daß aber bei ihrer Seltenheit uns ihre Ursache verborgen ist und wir sie daher nicht so kennen, wie die oben beschriebenen Aufgänge, Finsternisse und vieles andere.44
Bei den Autoren des 16. Jahrhunderts ist das Interesse an der Dokumentation des Zusammenhanges zwischen dem Auftauchen eines Kometen und bestimmten Unglücksfällen allerdings sehr viel stärker ausgeprägt als bei ihren antiken Vorgängern.45 2.2 Grundlagen der astrologischen Kometeninterpretation Die Astrologie beruht auf dem Grundgedanken, dass alles mit allem ontologisch, topologisch und temporal zusammenhängt, was sich z. B. in der Idee von Mikro- und Makrokosmos manifestiert.46 Konkret verbindet man mit der Sterndeutungskunst die Vorstellung, dass die räumlichen Relationen und Bewegungen der Himmelskörper die irdische Welt beeinflussen, wobei die Art der Einflussnahme unterschiedlich – z. B. kausal, animistisch, symbolisch, analogisch oder synchronistisch – konzeptualisiert werden kann. Während die Astronomie mit numerischen Kalkulationen der vergan43 44 45 46
[2.10] Milich, Jacob: Commentarii in librum secundum historiae mundi C. Plinii, Hagenau 1535 (VD16 P 3538). Plinius Secundus d. Ä.: Naturalis historia, XXV–XXIX, 96–98, S. 79–81. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 374. Stuckrad verortet die Entstehung des Mikro-Makrokosmos-Modells in das erste vorchristliche Jahrtausend und konstatiert, dass dieses für das esoterische Denken fundamentale Erklärungsschema parallel in Mesopotamien, Ägypten und Griechenland entstand und dort durch die Philosophie von Pythagoras, Empedokles und anderen gedanklich abgesichert wurde, vgl. Stuckrad, Kocku von: Geschichte der Astrologie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2003, S. 382. Siehe dazu außerdem das Kapitel „Framed by the Stars“ von Sassi, Maria M.: The Science of Man in Ancient Greece, Chicago 2001, S. 161–88 sowie Dooley, Brendan: Astrology and Science, in: Dooley, Brendan (Hrsg.): A Companion to Astrology in the Renaissance, Leiden 2014 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 49), S. 233–266.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
genen, gegenwärtigen und zukünftigen Planetenbewegungen und -konstellationen befasst ist, verwendet die Astrologie diese Kalkulationen zur Zukunftsprognostik.47 Die Plausibilität der astrologischen Deutung beruht dabei auf ihrer Anschaulichkeit, dem epistemologischen Status ihres mathematisch-astronomischen Fundaments und der Autorität jahrtausendealter Erfahrung, was Tycho Brahe durch das Diktum „Ratione – Autoritate – Experientia“ charakterisiert.48 Prinzipiell kann man die astrologia iudicaria und die astrologia naturalis unterscheiden, also eine Astrologie, die spezifische Deutungen von mit dem menschlichen Willen verbundenen Ereignissen betrifft sowie eine auf die Natur bezogene: Horoskop und Nativität sind die wichtigsten Elemente der genethlialogischen oder Individualastrologie und dienen der Persönlichkeitserklärung und Konkretisierung eines individuellen Schicksals, während die historisch viel ältere Mundan- oder Makroastrologie das Schicksal und Ergehen aller anzeigt, etwa in Form von Herrscherhoroskopen, die ihre Legitimation aus der Bedeutung für die soziale Gemeinschaft ziehen.49 Demgegenüber umfasst die natürliche Astrologie hauptsächlich die sogenannte Iatromathematik und die Astrometeorologie: Erstere beschreibt die Kombination von Astrologie und Medizin, was auf der Vorstellung beruht, dass bestimmte Planeten oder Tierkreiszeichen bestimmte Organe oder Körperteile – ebenso wie Pflanzen oder Metalle – beeinflussen und auf das Gleichgewicht der Körpersäfte einwirken und so Krankheiten verursachen.50 Der Stand der Gestirne oder die Mondphasen sind dementsprechend bei Diagnostik und Behandlung zu berücksichtigen, um die richtigen Zeitpunkte zu finden, um aus Pflanzen wirksame Pharmazeutika herzustellen, zur Ader zu lassen sowie andere hygienische oder dietätische Maßnahmen zu ergreifen.51 Bei der universalastrologischen Astrometeorologie geht es darum, aus den vorausberechneten Konstella-
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Vgl. Slattery, Sarah: Astrologie, Wunderzeichen und Propaganda. Die Flugschriften des Humanisten Joseph Grünpeck, in: Bergdolt, Klaus / Ludwig, Walther (Hrsg.): Zukunftsvoraussagen in der Renaissance, Wiesbaden 2005 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 23), S. 329–347, S. 339–340. Siehe dazu Boockmann, Friederike et al.: „Nicht das Kindt mit dem Badt außschuetten“: Zur Rolle einer Pseudowissenschaft im Zeitalter der Wissenschaftlichen Revolution. Die Astrologie bei Johannes Kepler, Heinrich Rantzau und Galileo Galilei, in: Akademie Aktuell. Zeitschrift der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 4 (2008), S. 51–60. Zur epistemologischen Rolle der Erfahrung in der Genese der Naturwissenschaft siehe Fidora, Alexander / Lutz-Bachmann, Matthias (Hrsg.): Erfahrung und Beweis. Die Wissenschaften von der Natur im 13. und 14. Jahrhundert, Berlin 2007. Clark, William: Der Untergang der Astrologie in der deutschen Barockzeit, in: Lehmann, Hartmut / Trepp, Anne-Charlott (Hrsg.): Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 152), S. 433– 472, S. 436–439. Hamel, Jürgen: Astrologie – Tochter der Astronomie?, Leipzig 19872, S. 70–71. Zur Astromedizin siehe Chapman, Allan: Astrological Medicine, in: Webster, Charles (Hrsg.): Health, Medicine and Mortality in the Sixteenth Century, Cambridge 1979 (Cambridge Studies in the History of Medicine 1), S. 275–300.
2.2 Grundlagen der astrologischen Kometeninterpretation
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tionen Voraussagen über das Wetter, Ernten oder auch Epidemien zu treffen.52 Solche Daten werden z. B. in kalendarisch-prognostischen Werken verarbeitet, wobei diese Art von Handlungswissen in den vornehmlich agrarischen Gesellschaften von nicht zu unterschätzender alltagspraktischer Relevanz ist.53 Außer in der Unterscheidung von judizierender und natürlicher Astrologie, tritt die Sterndeutungskunst noch in anderer Hinsicht in dualer Form auf, zum einen in ihrer praktischen und theoretischen Erscheinungsweise und zum anderen – nicht eindeutig korreliert dazu – in einer seriös-wissenschaftlichen Form sowie einer Variante, die eher einer Art Volksaberglauben verpflichtet ist und mitunter als Laien- oder Vulgärastrologie bezeichnet worden ist.54 Auch in der Kometomantik verbinden sich diese Formen und befriedigen das durch das erschreckende Himmelsphänomen entstehende Bedürfnis nach Erklärung und Deutung. Die Relevanz der Kometenastrologie und ihrer jahrhundertelangen Präsenz beruhen auf diesen von ihr erfüllten Funktionen. Der Erfolg der Astrologie allgemein gründet in ihrem dualen Charakter als Quelle von Lebensorientierung mit teilweise ersatzreligiösem Status und ihrem universalhermeneutischen Anspruch, eine kausal-rational fundierte Welterklärung zu bieten. Entsprechend sind die „Deutungsnatur des Menschen“ und die curiositas als wissenschaftliche Neugierde die wichtigsten Antriebsfedern der Astrologie.55 Die Vorhersagbarkeit eines harmonisch-symmetrisch von Gott geordneten und geschlossenen Kosmos, an dem das Individuum eingebettet in ein Netz von Beziehungen und analogischen Korrelationen partizipiert, vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.56 Angesichts der universalen persönlichen Erfahrung von existenzbedrohenden Naturkatastrophen, sozialen und politischen Krisen, Krankheit und Leid bildet das Werkzeug der Prognostik einen Gegenpol zum Gefühl des Ausgeliefertseins, spendet Trost und ist als Instrument der Selbst- und Weltdeutung ein Mittel der Alltags- und Kontingenzbewältigung sowie der Zukunftsbeherrschung, indem deren Planbarkeit und Gestaltbarkeit suggeriert wird. Auch die explanative Dimension
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Siehe dazu Gindhart, Marion: „Astrologie“, in: Paravicini, Werner (Hrsg.): Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe. Teilband 1: Begriffe, Ostfildern 2005 (Residenzenforschung 15 II/1), S. 235–238. Vgl. dazu ausführlich Mueller, Markus: Beherrschte Zeit. Lebensorientierung und Zukunftsgestaltung durch Kalenderprognostik zwischen Antike und Neuzeit. Mit einer Edition des Passauer Kalendars (UB/LMB 2° Ms. astron. 1), Kassel 2009 (Schriftenreihe der Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel 8) [zugl. Diss. Universität Göttingen 2006], S. 115–140. Zum Konzept der Laienastrologie siehe Bauer: Laienastrologie im nachreformatorischen Island, S. 63–89. Vgl. Stuckrad, Kocku von: Das Ringen um die Astrologie. Jüdische und christliche Beiträge zum antiken Zeitverständnis, Berlin 2000 (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 49), S. V. Hübner, Wolfgang: The Culture of Astrology from Ancient to Renaissance, in: Dooley, Brendan (Hrsg.): A Companion to Astrology in the Renaissance, Leiden 2014 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 49), S. 17–58, S. 31–34.
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der Naturerklärung und die Einordnung von Naturphänomenen wie Kometen in eine überzeitliche Chronologie von Welt- und Heilsgeschichte ist als Element der Sinnstiftung nicht zu unterschätzen. Besonders eine eschatologisch aufgeladene Astrologie, wie sie in nachreformatorischer Zeit populär wird, erfüllt dabei eine wichtige psychologische Funktion der Entlastung, indem eigener Misserfolg als Erfüllung biblischer Prophetie und damit als göttlicher Wille umgedeutet wird, damit eine ungewisse Zukunft als Handlungsweise eines intentionalen und vorhersorgenden Gottes erscheint.57 Die astrologische Deutung in Verbindung mit einer straftheologischen Interpretation von Kometen als Botschaften eines zürnenden Gottes bietet zusätzlich zu diesem geduldigen Ertragen der irdischen Widrigkeiten eine Handlungsoption: nicht nur sind Kometendeutungen oft mit konkreten Verhaltensanweisungen verbunden, z. B. zur Krankheitsprävention oder ethisch-moralischen Lebensführung; die „Autorität der Himmelsschrift“ unterstützt zudem die Androhung der Strafe als moralischen Imperativ zu deren Vermeidung, womit der Katastrophenangst aktiv begegnet werden kann.58 In der Renaissance avanciert die Astrologie zum Instrument der Selbstoptimierung und -disziplinierung für den Menschen als Individuum, der nicht mehr nur als in ein Netz von Beziehungen eingespannt gedacht wird, sondern auf den externe, himmlische Einflüsse wirken, denen er nicht passiv ausgeliefert ist, sondern mit denen er aktiv operieren kann.59 Diese Vorstellung wird zudem theologisch aufgeladen, indem die Sternwirkung als Ausdruck göttlichen Zorns oder seiner Liebe gesehen und himmlisches Geschehen wie Finsternisse, Konjunktionen oder Kometen als göttliche Orakel interpretiert werden. Der Impetus in Richtung erwünschten gottgewollten Verhaltens bildet außerdem den Ansatzpunkt zur Instrumentalisierung der Kometendeutung zum Zwecke der Disziplinierung des Sozialverhaltens oder der öffentlichen Meinungsbildung. 2.2.1 Ptolemaios und die Astrologisierung der Kometentheorie Der in Alexandria wirkende griechische Mathematiker und Philosoph Klaudios Ptolemaios (um 100–ca. 170) verfasst neben seiner geographischen Schrift Geographike Hyphegesis und dem Almagest als dem für Jahrhunderte maßgeblichen Werk der mathematischen Astronomie eine weitere Schrift zur Astrologie, die unter der Bezeichnung
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Siehe dazu das Kapitel „Krisen-Bewältigung durch Exegesen des ‚Buchs der Natur‘: Mirakelglaube und Astrologie“ bei Kemper, Hans-Georg: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit, Bd. 2: Konfessionalismus, Tübingen 1987, S. 34–65, hier S. 40–41 und S. 54–57. Vgl. Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit, S. 44–45. Siehe dazu ausführlich Vanden Broecke, Steven: Astrological Contingency. Between Ontology and Epistemology (1300–1600), in: Omodeo, Pietro D. / Garau, Rodolfo (Hrsg.): Contingency and Natural Order in Early Modern Science, Dordrecht 2019 (Boston Studies in the Philosophy and History of Science 332), S. 137–155.
2.2 Grundlagen der astrologischen Kometeninterpretation
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Tetrabiblos – also Vierbuch oder lateinisch Quadripartitum – bekannt geworden ist.60 Alle drei Werke sind in ihren Inhalten keine völlig originären Schöpfungen des hellenistischen Astronomen, sondern vielmehr äußerst systematische, ältere Quellen konsolidierende, theoretisch vertiefende und mathematisch begründete Zusammenstellungen des zeitgenössischen Wissensstands dieser Disziplinen und gelten bis in die Neuzeit als kanonische Standardwerke. Die in ihren Ursprüngen bei den Babyloniern und Ägyptern eher magisch-religiöse Praxis der Astrologie als Instrument zum Entschlüsseln der Willensäußerungen der Götter wird spätestens mit dem ptolemäischen Werk theoretisch-mathematisch fundiert, nachdem sie in der griechischen Rezeption bereits physikalisch untermauert und mit der Naturphilosophie, insbesondere der Elementenlehre und der Medizin, verbunden worden ist.61 Seither zeigt sie sich durch eine Verbindung von analogischem Entsprechungsdenken und kausalistisch gedachten Wirkungsbeziehungen zwischen den Gestirnen und der irdischen Welt gekennzeichnet, die auf der physikalisch-kosmologischen Grundidee der Bewegung als Ursache von Werden und Vergehen und einer geozentrisch-sphärischen Struktur des Kosmos, in der diese Bewegung weitervermittelt wird, beruht.62 Astronomie und Astrologie bilden bei Ptolemaios komplementäre Disziplinen der Sternkunde, als theoretische und praktische Ausprägungsform der gleichen Wissenschaft interpretiert: während die Astronomie die Positionen der Himmelskörper vorhersagt, prognostiziert die Astrologie die Effekte dieser Konstellationen auf der Erde. Der wesentliche Unterschied besteht daher in den Gegenstandsbereichen beider Formen, nämlich dem supralunaren für die Astronomie und dem sublunaren für die Astrologie. In Bezug auf die Kometentheorie wird diese duale Sternkunde durch die physikalische Dimension ergänzt, wobei die Astrologie aufgrund ihrer naturphilosophischen Fundierung den natürlichen Anknüpfungspunkt dafür bietet. Das Zusammentreffen
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Zur Geographike Hyphegesis siehe Ptolemaios: Handbuch der Geographie (griechisch-deutsch). Herausgegeben von Alfred Stückelberger und Gerd Graßhoff, 2 Bd., Basel 2006. Zum Almagest siehe Pedersen, Olaf: A Survey of the Almagest. With Annotation and New Commentary by Alexander Jones, New York 2011 (Sources and Studies in the History of Mathematics and Physical Sciences 1). Zur Tetrabiblos siehe Riley, Mark: Theoretical and Practical Astrology. Ptolemy and his Colleagues, in: Transactions of the American Philological Association 117 (1987), S. 235–256. Das neben dem astronomischen und dem astrologischen dritte Werk zur Sternenkunde bilden die sogenannten Planetenhypothesen, die jedoch im lateinischen Westen lange nicht rezipiert oder mit dem Namen Ptolemaios verbunden worden sind. In diesem Werk finden sich die über die astronomischen Modelle hinausgehenden physikalisch-kosmologischen Vorstellungen des Ptolemaios, siehe dazu Hamm, Elizabeth A.: Ptolemy’s Planetary Theory: An English Translation of Book One, Part A of the Planetary Hypotheses with Introduction and Commentary [unv. Diss. University of Toronto 2011]. Furthmann, Katja: Die Sterne lügen nicht. Eine linguistische Analyse der Textsorte Pressehoroskop, Göttingen 2006, S. 47. Siehe dazu auch Graßhoff, Gerd: Globalization of Ancient Knowledge: From Babylonian Observations to Scientific Regularities, in: Renn, Jürgen (Hrsg.): The Globalization of Knowledge in History, Berlin 2012, S. 175–190. Knappich, Wilhelm: Geschichte der Astrologie, Frankfurt am Main 1967, S. 50.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
dieser drei Dimensionen in der Beschreibung und Erklärung von Kometen spiegelt sich in den Namen von Aristoteles und Ptolemaios wider, die in der kometographischen Literatur bis zur Frühen Neuzeit als die mit Abstand wichtigsten Referenzautoren angeführt werden: Aristoteles entwickelt mit seiner die sublunaren Phänomene erklärenden Meteorologie den konzeptuellen Rahmen der physikalischen Kometentheorie, während die astronomische Observation die den spezifischen Kometen beschreibenden und verortenden Daten liefert, die schließlich astrologisch interpretiert werden. Diese astrologische Kometendeutung bezieht sich dabei auf die Tetrabiblos, in der die Himmelserscheinungen zwar nicht als Himmelskörper, aber als bedeutungstragende Phänomene erwähnt und einige der plinianischen Ideen erweitert werden sowie außerdem auf das – wie man heute weiß – pseudoptolemäische Centiloquium oder „Buch der 100 Sprüche“ – eine Sammlung astrologischer Aphorismen, die teilweise recht spezifische Regeln zur Kometenprognostik enthält.63 Die Tetrabiblos als erstes umfassendes Lehrbuch der Astrologie bietet zunächst eine systematische Darstellung der Sterndeutung im Allgemeinen:64 Das erste Buch behandelt ihre Grundlagen und Aufgaben, die astrologischen Eigenschaften der Planeten, Fixsterne und Tierkreiszeichen, die Planetenhäuser sowie die Bedeutung der Aspekte. Später folgen die genethlialogische oder Horoskopastrologie mit einer Darlegung der Lehren über die Häuser des Horoskops und der Bedeutung des Aszendenten sowie astrologische Aussagen über die Entstehung von Zwillingen, die astralen Ursachen von Krankheiten und Missbildungen sowie über die durch die Planeten vermittelten menschlichen Eigenschaften. Im zweiten Buch findet sich eine Darstellung der ethnogeographischen Astrologie oder Chorographie, wonach Regionen und Völker jeweils dem Einfluss bestimmter Planeten oder Zodia unterliegen, deren Wirkung auf Krankheiten, Wetter und politisches Geschehen sowie die astrologische Rolle von Kometen und Finsternissen. Demnach sind für eine astrologische Kometendeutung deren Entstehungsort im Tierkreis, die Richtung des Kometenschweifs als Markierung des Ortes, an dem die Kometenfolgen zu erwarten sind, die Ähnlichkeit der Kometengestalt mit einem Gegenstand als bildliche Repräsentation künftiger Ereignisse sowie die Erscheinungsdauer des Kometen relevant. An diese ist die Intensität der Kometenfolgen geknüpft, während die Relation zur Sonne Aufschluss darüber gibt, wann und wie schnell die Folgen eintreten werden.65 Kometen als prodigienhafte Vorzeichen und Unheilskünder zu deuten, erfordert eine deutliche Erweiterung der aristotelischen Meteorologie, die eine zeichenhafte Interpretation von Kometen nur im Zusammenhang mit Wetter und Witterung kennt, indem sie sich auf physische Wechselwirkungen zwischen sublunaren Phänomenen 63 64 65
Yeomans: Comets, S. 14–17. Der folgende Abschnitt beruht wesentlich auf Hamel: Astrologie – Tochter der Astronomie?, S. 34–39. Siehe dazu Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 438.
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und irregulären oder außergewöhnlichen irdischen Ereignissen konzentriert. Während Aristoteles an anderer Stelle von einem Kausalmodell66 ausgeht, wonach Sonne und Mond vermöge ihres Lichts und ihrer Wärme eine physische Wirkungen auf die Dinge ihres Einflussbereichs ausüben, verwendet er die Ursachenlehre in seiner Physik und Metaphysik nicht eigens zur Erklärung möglicher siderischer Wirkungen.67 Auch den Einfluss supralunarer Bewegungen auf den irdischen Raum hält er für sehr begrenzt: während seiner Vorstellung nach lediglich die himmlische Rotation für einige atmosphärische Phänomene, darunter Kometen, verantwortlich ist, ist das Konzept einer produktiven Einwirkung der stellaren auf die sublunare Sphäre im Kontext des Stoizismus entwickelt und insbesondere in der arabischen Philosophie ausgearbeitet worden.68 Die Grundidee der natürlichen Verursachung bildet das Fundament der Astrologie in ihrer durch Ptolemaios systematisierten Form, in der die planetarischen Kräfte physikalisch konzeptualisiert und jeder Wandel als durch die Einwirkung der Äthersphäre hervorgerufene Veränderung physikalischer Entitäten, z. B. der vier Elemente, gedacht wird.69 Das Konzept der Effizierung ist ein weiteres Element der Astrologisierung der Kometentheorie in nachptolemäischer Zeit, das die theoretische Basis der astrologischen Kometeninterpretation entscheidend erweitert: Die aristotelische Vorstellung des Typus des schweiflosen Kometen, dessen Entstehung – genauer, die Zusammenballung der terrestrischen Materie – durch den Einfluss und die Kraft eines Planeten geschieht und der daher etwa in seiner Bewegung dem Planeten zu folgen scheint, wird insofern astrologisiert als die ursächliche Rolle des Planeten – als causa efficiens – bei der Entstehung des Kometen angeführt wird um dessen planetarische Natur zu belegen, was wiederrum eine spezifische Deutungsweise legitimiert.70 Die Ausdehnung dieser Idee auf alle Kometentypen sowie auf den Einfluss des Planeten allge-
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Aristoteles: Über Werden und Vergehen, II, 10, in: Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 12.4: Über Werden und Vergehen. Übers. u. erl. von Thomas Buchheim, Berlin 2010, S. 74–77. Vgl. Weichenhan, Michael: Neugier und Furcht. Blicke auf Kometen in der frühen Neuzeit, in: Salatowsky, Sascha / Lotze, Karl-Heinz (Hrsg.): Himmelsspektakel. Astronomie im Protestantismus der Frühen Neuzeit, Gotha 2015 (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha 52), S. 59– 71, S. 62. Vgl. Mahlmann-Bauer, Barbara: Die Bulle ‚contra astrologiam iudicariam‘ von Sixtus V., das astrologische Schrifttum protestantischer Autoren und die Astrologiekritik der Jesuiten. Thesen über einen vermuteten Zusammenhang, in: Bergdolt, Klaus / Ludwig, Walther (Hrsg.): Zukunftsvoraussagen in der Renaissance, Wiesbaden 2005 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 23), S. 143–222, hier S. 219–220. Weichenhan, Michael: Luther und die Zeichen des Himmels, in: Bultmann, Christoph / Leppin, Volker / Lindner, Andreas (Hrsg.): Luther und das monastische Erbe, Tübingen 2007 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 39), S. 57–92, hier S. 73–74. Die arabisch-islamische Rezeption der Kometentheorie wird im nächsten Kap. 2.3 ausführlicher thematisiert. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 402. Siehe zum Konzept der Effizierung und allgemein zur Vorstellung der Kometenentstehung durch Planeten Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 408–423.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
mein erlaubt die Übertragung der den Planeten vorbehaltenen Art der astrologischen Ausdeutung auf die Kometen. Eine naturkundliche Konzeptualisierung dieser Relation von Planeten und Kometen, die gleichsam auf den okkulten – d. h. verborgenen und damit einem völligen Verständnis noch entzogenen – Charakter dieser Verbindung rekurriert, findet sich bereits bei Roger Bacon (ca. 1220–1292), der zum Kometen von 1264 konstatiert: „it did not cease speeding to its cause, namely, Mars; just as iron hastens to the magnet“, also, dass ein Komet von einem Planeten angezogen wird wie Eisen vom Magneten.71 Auf diese Weise wird die astrologische Kometendeutung durch ihre Verbindung mit der meteorologischen Theorie Teil des Systems kausaler Naturerklärung. Ein weiteres Beispiel für die Integration eines astrologischen Konzepts in die physikalische Kometentheorie ist die Verbindung der Kometenentstehung mit der prognostischen Konjunktionenlehre des persischen Mathematikers Abu Ma’sar (Albumasar).72 Nach dieser Vorstellung werden besonders große Konjunktionen, also das nur alle 20 Jahre stattfindende Zusammentreffen der Planeten Jupiter und Saturn, als Anzeichen großer historischer, gesellschaftlicher und vor allem religiöser Umwälzungen gedeutet, die von weiteren negativen Ereignissen und Vorzeichen, etwa Naturkatastrophen, begleitet werden. In der konkreten Adaption dieser Ideen für die Kometentheorie schreibt man einigen negativ konnotierten Planeten, wenn sie in Konjunktion stehen zu – mitunter auch in Kombination mit Finsternissen in bestimmten Zeichen – die giftige und verdorbene Materie anzuziehen, die zur Entstehung von Kometen besonders geeignet ist. In diesem Sinne können bestimmte Aspekte – also geometrische Verhältnisse der Planeten von eigentlich rein astrologischer Relevanz – als Ursachen der Kometenentstehung fungieren. Weder die Verbindung von Kometen und Planeten, noch die Erzeugung ersterer durch letztere werden bei Ptolemaios oder Aristoteles erwähnt, sondern sind Ergebnis der nach ihnen stattfindenden Transformationsprozesse. Im Kontext dieser Astrologisierung der Kometentheorie wird die Verbindung zwischen mathematischer Astronomie und aristotelischer Naturphilosophie und im Ergebnis auch die Verknüpfung von naturkundlichem und astrologischem Kometen71
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Zitiert nach Thorndike, Lynn: Some Tracts on Comets, 1456–1500, in: Archives Internationales d’Histoire des Sciences 11/44 (1958), S. 225–250, hier S. 246. Die Idee der Effizierung eines Kometen durch einen Planeten taucht ebenso bei Robert Grosseteste auf, ist bei ihm jedoch weniger eine astrologische Konzeption als vielmehr eine dem Neuplatonismus entnommene Vorstellung, wonach die himmlische Kraft sich hierarchisch und mittels verschiedener Medien auf die Erde überträgt. Die Kraft des Himmelskörpers ist bei ihm die hervorbringende Ursache des Kometen und auch der Grund, weshalb dieser „seinem“ Planeten folgt wie ein Magnet dem Eisen, vgl. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 415. Das Werk liegt seit dem 12. Jahrhundert in lateinischer Übersetzung vor und wird breit rezipiert. Eine kritische Edition bieten Burnett, Charles / Yamamoto, Keiji (Hrsg. u. Übers.): Abu Masar on Historical Astrology. The Book of Religions and Dynasties (On the Great Conjunctions), Bd. 2: The Latin Versions, Leiden 2000 (Islamic Philosophy, Theology and Science. Text and Studies 33).
2.3 Die Transformationen des Kometenbildes im Mittelalter
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verständnis gestärkt. Die Kometen gehören demnach materiell zur Elementarsphäre, zu ihrer Entstehung allerdings nimmt man eine fernwirkende Kraft von Seiten der Himmelskörper auf die irdischen Ausdünstungen an und verknüpft so die Kausalerklärung der Meteorologie mit der ontologisch-metaphysischen Natur des Himmels. Auf diese Weise hat die Astrologie zur Nobilitierung der Kometen nicht unwesentlich beigetragen, da es der Logik ihres Verfahrens entspricht, Erscheinungen auf astrale Ursachen zurückzuführen.73 Streng genommen hat diese Integration astrologischer Konzepte die Kometen überhaupt erst prognostisch behandelbar gemacht – zumindest im Kontext einer wissenschaftlichen Astrologie und damit noch einmal abgegrenzt von einem traditionellen Volksglauben, der Kometen unspezifisch als böse Omina interpretiert. Zudem bietet die Astrologisierung einen Anknüpfungspunkt für eine theologische Kometeninterpretation, deren Plausibilität dadurch erhöht wird, dass die göttliche Natur des Zeichens sich u. a. in der ontologischen Nähe der Kometen zur ätherischen Welt manifestiert. Die mit dem Namen Ptolemaios verbundene und in den folgenden Jahrhunderten vor allem durch die arabische Philosophie weitergeführte Astrologisierung der Kometentheorie bildet die Grundlage für eine weitere wichtige und ebenso transformative Entwicklung des Kometenbildes, die sich hauptsächlich im Mittelalter vollzieht: die Christianisierung. 2.3 Die Transformationen des Kometenbildes im Mittelalter: arabisch-islamische Tradition und Christianisierung In der römischen Antike wird die Astrologie besonders als politisches Instrument gepflegt. Gerade Kometen werden als Himmelszeichen oft in Verbindung mit römischen Kaisern gebracht: Am bekanntesten dürfte der Komet Caesars 43 v. Chr. sein, jedoch sollen auch zum Tode von Augustus, Claudius oder Nero Kometen erschienen sein.74 Wie andere astrale Ereignisse auch, dienen die Kometen den Kaisern als Mittel der politischen Propaganda, Machtlegitimation und Herrschaftsrepräsentation.75 Mit dem Erstarken des Christentums im 4. Jahrhundert – 380 erklärt Kaiser Valentinian II. es zur Staatsreligion, was den Höhepunkt der Konstantinischen Wende markiert – wird die Astrologie wie andere heidnische Praktiken, die vermeintlich in Verbindung mit Magie und Okkultismus stehen, zurückgedrängt. Augustinus (354–430) als wich73 74 75
Weichenhan: Neugier und Furcht, S. 64. Es handelt sich dabei um den Kometen C/-43 K1, der wahrscheinlich im Juli 43 v. Chr. erscheint und mit dem Ankommen der Seele Caesars im Himmel konnotiert wird, vgl. Kronk: Cometography, S. 22–24. Siehe dazu ausführlich Bechtold, Christian: Gott und Gestirn als Präsenzformen des toten Kaisers. Apotheose und Katasterismos in der politischen Kommunikation der römischen Kaiserzeit und ihre Anknüpfungspunkte im Hellenismus, Göttingen 2011 (Schriften zur politischen Kommunikation 9), S. 189–226.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
tigster Kirchenvater ist in jungen Jahren überzeugter Anhänger manichäischer Astrologie, wird aber später zu einem radikalen Kritiker insbesondere der fatalistischen Astrologie, da die Determination des Schicksals durch die Sterne der göttlichen Allmacht widerspricht: Die Astrologie stellt für ihn zudem eine Anmaßung und Selbstermächtigung des Menschen dar, die im Gegensatz zu den christlich geforderten Tugenden der Demut und dem freiwilligen Wissensverzicht stehen, wobei nicht nur die Astrologie als offenkundiges Trugwerk, sondern jeglicher Erkenntnisdrang und die curiositas an sich als unchristlich abgelehnt werden.76 Augustinus hält die Kunst der Zukunftsvoraussage prinzipiell für unmöglich, da es sich dabei um menschliche Mutmaßungen handele, bei denen der Zufall die Rolle des Orakels spiele.77 Diese antiastrologische Haltung entwickelt im lateinischen Westen einigen Einfluss. Nach der Schließung der Schule von Athen 529 droht den Astrologen im römischen Reich die Todesstrafe, 563 wird die Sterndeutungskunst gar mit dem Kirchenbann belegt.78 Auf diese Weise verschwindet auch das Wissen um die Astrologie langsam, die daher in nachptolemäischer Zeit zunächst stagniert. Im Gegensatz dazu gibt es diesen spürbaren Bruch der astronomisch-astrologischen Tradition im Osten nicht. Hieran knüpft die arabisch-islamische Rezeption an, die für die Tradierung, Konsolidierung und Weiterentwicklung der astrologisierten Kometentheorie und damit für die Formation des frühneuzeitlichen Kometenbildes von nicht unerheblicher Bedeutung ist:79 Zwar sind eigene Kometentraktate in der islamischen Kultur selten, da die Himmelsphänomene meist nur knapp in allgemeinen astronomischen oder historischen Werken erwähnt werden;80 für die technische Astronomie und die astrologische Praxis sind arabische Schriften jedoch von einiger Relevanz.81 In Bezug auf die Kometentheo76
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Vgl. Stuckrad: Geschichte der Astrologie, S. 148–150. Siehe dazu auch: Markschies, Christoph: „Providence leaves no real room to fortuna“: Vom Zufall bei Augustinus, in: Böhme, Hartmut / Röcke, Werner / Stephan, Ulrike C. A. (Hrsg.): Contingentia. Transformationen des Zufalls, Berlin 2016 (Transformationen der Antike 38), S. 39–49. Stuckrad: Das Ringen um die Astrologie, S. 777–778. Mueller: Beherrschte Zeit, S. 122. Siehe hierzu ausführlich das zweite Kapitel von Lettinck: Aristotle’s Meteorology and its Reception in the Arab World, S. 66–96. Für den Einfluss der arabischen Philosophie auf das Denken im lateinischen Mittelalter siehe Hasse, Dag Nikolaus: Influence of Arabic and Islamic Philosophy on the Latin West, in: Zalta, Edward N. (Hrsg.): The Stanford Encyclopedia of Philosophy (2014) (http:// plato.stanford.edu/archives/fall2014/entries/arabic-islamic-influence/, abgerufen am 15.06.2016) sowie Gutas, Dimitri: Greek Thought, Arabic Culture. The Graeco-Arabic Translation Movement in Baghdad and Early Abbasid Society (2nd–4th / 8th–10th Centuries), London 1998. Heidarzadeh konstatiert, dass außer kleinen Modifikationen der Kometentheorie in der arabischen Rezeption nichts konzeptuell Neues hinzugefügt worden sei, jedoch berücksichtigt seine Studie auch nicht die Entwicklungen auf dem Gebiet der Astrologie, vgl. Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 23. Jervis: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe, S. 31. Ein Beispiel dafür bilden die arabischen Quellen des Copernicus, ohne die dessen mathematische Theorie der Planetenbewegung nicht denkbar gewesen wäre, vgl. Saliba, George: Arabic Astronomy and Copernicus, in: Zeitschrift für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften 1
2.3 Die Transformationen des Kometenbildes im Mittelalter
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rie müssen an erster Stelle die Schriften des Albumasar genannt werden, der in seinen Werken des 9. Jahrhunderts De magnis conjunctionibus et annorum revolutionibus ac eorum profectionibus sowie De judiciis astrorum besonders die astrologische Kometendimension thematisiert und, wie oben erwähnt, die Bedeutung der Konjunktionenlehre betont.82 Im Wesentlichen über seine Vermittlung gelangen auch die ptolemäische Schrift Tetrabiblos und das pseudoptolemäische Centiloquium ins lateinische Europa. Es sind insbesondere Albumasar und Alkindi, die die astrologische Vorstellung einer himmlischen Einflussnahme auf die irdische Welt und ihre Geschöpfe ausbauen und mit der aristotelischen Naturphilosophie in Einklang zu bringen trachten.83 Sie akzeptieren die aristotelische Meteorologie als theoretischen Rahmen zur Erklärung der Kometen und diese als Phänomene von großer astrologischer Signifikanz, stärken so die Verbindung einer kausalistisch gedachten Astrologie mit ihrem naturkundlichen Fundament, was die konzeptuelle Verbindung zwischen physikalischer Erklärung und zeichenhafter Ausdeutung von Kometen vermittelt.84 Die himmlische Einwirkung beruht auf natürlichen Ursachen und beeinflusst die belebte wie unbelebte Natur, lediglich vor dem menschlichen Geist und der menschlichen Vernunft macht sie Halt, worauf das Argument gegen einen astrologischen Fatalismus beruht: Der Wille des Menschen ist nicht Produkt natürlicher Prozesse und daher auch nicht durch den Einfluss der Gestirne determiniert.85 Die Kometen werden demnach auf die grundlegenden kosmischen Kräfte zurückgeführt, von denen alles andere bestimmt ist, d. h. die Kräfte der Planeten, deren Wirkungsweise durch ihre Position im Tierkreis und durch bestimmte Aspekte determiniert ist; als „nachgeordnete Sterne“ – stellae secundae – bilden die Kometen somit das erste Glied in einer Kausalkette der Wirkungsvermittlung vom Himmel auf die irdische Welt.86 Diese Vorstellungen bieten in doppelter Weise Anknüpfungspunkte für die theologische Kometeninterpretation: Zum einen, indem die Erstursache der himmlischen Kraftvermittlung auf Gott übertragen wird und zum zweiten durch das Argument gegen den Determinismusvorwurf,
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(1984), S. 73–87 sowie Ragep, F. Jamil: Copernicus and His Islamic Predecessors: Some Historical Remarks, in: History of Science 45/1 (2007), S. 65–81. Zur arabischen Astronomie und Astrologie siehe Blake, Stephen: Astronomy and Astrology in the Islamic World, Edinburgh 2016 sowie Zambelli, Paola: Astrology and Magic from the Medieval Latin and Islamic World to Renaissance Europe. Theories and Approaches, Burlington 2012. Siehe Burnett/Yamamoto (Hrsg.): Abu Masar on Historical Astrology. Vgl. dazu Adamson, Peter: Abu Masar, al-Kindi and the Philosophical Defense of Astrology, in: Recherches de Théologie et Philosophie médiévales 69 (2002), S. 245–270. Für die historische Entwicklung der astrologischen Grundidee einer himmlischen Einflussnahme auf die irdische Welt siehe North, John D.: Celestial Influence – the Major Premiss of Astrologie, in: North, John D. (Hrsg.): Stars, Mind and Fate. Essays in Ancient and Medieval Cosmology, London 1989, S. 243–300. Weichenhan: Luther und die Zeichen des Himmels, S. 74–75. Weichenhan: Neugier und Furcht, S. 67. Hinsichtlich der Ursachen-Zeichen Frage, die auch Plinius beschäftigt hat, ist festzustellen, dass die Kometen nach dieser Konzeption eher Symptom als Ursache der mit ihnen konnotierten astrologischen Folgen sind.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
was die Möglichkeit der Absicherung gegenüber einer gängigen theologisch motivierten Astrologiekritik offeriert.87 Die Tradierung und Weiterentwicklung der hellenistischen Wissenschaften im islamischen Kulturkreis und die Rezeption dieser Texte im lateinischen Westen führt im Hochmittelalter zu einem Aufschwung des Bildungswesens, einem wachsenden Interesse an Naturwissenschaften und dem Aristotelismus und damit auch zu einem langsamen Wiedererstarken der Astrologie, die an den Höfen Fuß fasst und Eingang in den akademisch-universitären Bereich findet:88 Der Hofastrologe von Kaiser Friedrich II., Michael Scotus, verfasst mit dem Liber introductorius Anfang des 13. Jahrhunderts ein enzyklopädisches Kompendium der Astrologie, das zum Manual höfischer Repräsentation und Alltagspraxis wird, während etwa im südspanischen Toledo viele astronomisch-astrologischen Werke ins Lateinische übersetzt werden und als Auftragsarbeit von Alfons X. in der zweiten Jahrhunderthälfte das nach ihm benannte astronomische Tafelwerk – die Tabulae astronomicae Alphonsinae – entsteht, das bis zur Ablösung durch die Prutenischen Tafeln im 16. Jahrhundert die Grundlage aller astronomischen und astrologischen Berechnungen bildet.89 1125 wird in Bologna der erste Lehrstuhl für Astrologie eingerichtet, die sich damit in ihrer seriös-wissenschaftlichen Form als akademische Disziplin etabliert, so dass sich bis zum Spätmittelalter europaweit eine reiche Kultur astrologischer Lehre und Praxis entwickelt, die auf einem lose definierten Curriculum von Texten als corpus astrologicum beruht.90 Seit dem 13. Jahrhundert existiert in ganz Westeuropa eine rege Rezeption arabischer Texte zur Sterndeutung, insbesondere zur Horoskopastrologie, jedoch bleiben sie gegenüber der Autorität des Ptolemaios zumeist von nachrangiger Bedeutung.91 Im Laufe des 16. Jahrhunderts entsteht in humanistischen Kreisen eine ablehnende Haltung gegenüber der arabischen Philosophie insgesamt und auch der arabischen Astrologie, wobei insbesondere Melanchthon diese als irreführend und korrumpierend abwertet und eine Rückkehr zu den legitimen ptolemäischen Grundlagen der Sterndeutungskunst fordert.92 Dies 87 88 89 90 91
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Zur theologischen Bedeutung der Astrologie Albumasars siehe North, John D.: Astrology and the Fortune of Churches, in: North, John D. (Hrsg.): Stars, Mind and Fate. Essays in Ancient and Medieval Cosmology, London 1989, S. 59–89. Vgl. dazu ausführlich Mentgen, Gerd: Astrologie und Öffentlichkeit im Mittelalter, Stuttgart 2005 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 53), S. 159–216. Gindhart: „Astrologie“, S. 236. Furthmann: Die Sterne lügen nicht, S. 47. Zum corpus astrologicum siehe Azzolini, Monica: The Duke and the Stars. Astrology and Politics in Renaissance Milan, Cambridge 2012, S. 22–52. So stellt etwa Johannes Schöner in seinem recht erfolgreichen Nativitätenbuch De iudiciis nativitatum libri tres (1545) seine Synopse der zeitgenössischen Astrologie in klarer Zweiteilung dar, auf der einen Seite die seiner Meinung nach autoritativen Ideen und Methoden des Ptolemaios und auf der anderen, davon deutlich abgesetzt, die Vorstellungen arabischer Schriftsteller, vgl. Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 155–156. Stuckrad konstatiert, dass Melanchthon die muslimische Astrologie als magischen Aberglauben betrachtet und sich deshalb auf antike Quellen konzentriert, um seine christlich legitimierte Astrologie zu konturieren, vgl. Stuckrad: Geschichte der Astrologie, S. 248–249. Siehe für den Fall
2.3 Die Transformationen des Kometenbildes im Mittelalter
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mag ein Grund dafür sein, dass die astrologische Tradition des Orients in den seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend protestantisch-melanchthonisch geprägten Kometenflugschriften so wenig sichtbar ist. Seit dem 13. Jahrhundert kommen die Kometen wieder in den Vordergrund, nicht zuletzt aufgrund der sich allmählich durchsetzenden Vorstellung, dass die Gestirne die sublunare Welt nicht durch dämonische Zwischenwesen beeinflussen, sondern dass alles Entstehen und Vergehen allein von den Bewegungen der oberen Sphären abhängig sei.93 Insgesamt ist im gesamten Mittelalter die Tendenz zu erkennen, astronomische Zeichen zu instrumentalisieren, um damit Gut und Böse zu unterscheiden.94 Neben dieser zeichenhaften wird erneut die physikalische Kometendimension fokussiert. Dazu trägt auch der Einfluss neuplatonischen Denkens bei, das sich beispielsweise im Kometenbild des Robert Grosseteste (ca. 1170–1253) manifestiert.95 Er beschreibt den Kometenschweif als optische Reflexionserscheinung und sieht Kometen nicht als supralunare Sterne, sondern entzündete irdische Exhalationen an, die aufgrund himmlischen Einflusses von ihrer irdischen Natur getrennt und in die Natur der Himmelskörper assimiliert werden.96 Auch der wichtigste Universalgelehrte des 13. Jahrhunderts, Albertus Magnus (1194–1280), interpretiert Kometen zeichenhaft, geht jedoch ebenso auf ihre physikalische Natur ein: Einen kausalen Zusammenhang von Kometenerscheinungen und nachfolgenden Katastrophen lehnt er z. B. ab und konstatiert, dass Kometen natürliche Ursachen hätten, aber ihrerseits nicht Auslöser von etwas anderem seien.97 In seinem um 1260 verfassten Werk Speculum astronomiae wird die Astrologie unter Wahrung der Willensfreiheit als wissenschaftliche Disziplin
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der frühneuzeitlichen Medizin Hasse, Dag Nikolaus: Die humanistische Polemik gegen arabische Autoritäten. Grundsätzliches zum Forschungsstand, in: Laureys, Marc / Neuhausen, Karl August (Hrsg.): Neulateinisches Jahrbuch. Journal of Neo-Latin Language and Literature 3, Hildesheim 2001, S. 65–79. Solche polemischen Diskurse sind in größere zeit- und kulturgeschichtliche Entwicklungen eingebettet und haben eine lange Wirkungsgeschichte, siehe dazu z. B. Konrad, Felix: Von der ‚Türkengefahr‘ zu Exotismus und Orientalismus: Der Islam als Antithese Europas (1453– 1914)?, in: Europäische Geschichte Online (EGO), Mainz 2010 (http://www.ieg-ego.eu/konradf2010-de, abgerufen am 16.06.2016). Die Nachwirkungen dieser Diskurse finden ihren Widerhall ebenfalls in vergleichsweise junger Wissenschaftshistoriographie, vgl. Brentjes, Sonja / Fidora, Alexander / Tischler, Matthias M.: Towards a New Approach to Medieval Cross-Cultural Exchanges, in: Journal of Transcultural Medieval Studies 1/1 (2014), S. 9–50. Müller-Jahncke, Wolf-Dieter / Pfister, Kathrin: Astrologisches bei Apian, in: Röttel, Karl (Hrsg.): Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit, Eichstätt 1995, S. 133–138, hier S. 133–134. Rohr, Christian: Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum. Naturerfahrung im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit, Köln 2007, S. 519–521. Siehe dazu Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 415–419. Vgl. Thorndike, Lynn: Latin Treatises on Comets between 1238 and 1368 A. D., Chicago 1950, S. 91– 92. Für einen Auszug aus den kometenbezogenen Passagen aus Albertus Magnus’ Kommentar zur aristotelischen Meteorologie nebst englischer Übersetzung siehe das 3. Kapitel in Thorndike: Latin Treatises on Comets, S. 62–76.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
dargestellt, die den Menschen zur Erkenntnis Gottes führen könne.98 Dieser Auffassung folgt auch Alberts Schüler Thomas von Aquin (ca. 1225–1274), der eine deterministische Astrologie ablehnt, eine natürliche Astrologie, die sich mit der physikalischen Wirkung der Gestirne auf die sublunare Welt beschäftigt, jedoch fördert.99 Beiden geht es in ihrem Schaffen um eine Synthese der aristotelischen Wissenschaft mit der christlichen Theologie.100 Der Prozess der Christianisierung des Kometenbildes im Mittelalter beruht somit darauf, die oben kurz beschriebenen Formen der Astrologie – die teratologische und die physikalisch-meteorologische – unter Rekurs auf die Zeichenhaftigkeit der Himmelserscheinungen zu verbinden, indem die aristotelische Idee meteorologischer Zeichen und die stoische Grundvorstellung einer göttlichen Natur theologisch aufgeladen werden.101 Die Astrologie bildet dabei das Verbindungsstück zwischen der mathematisch-quantitativen Astronomie nach Ptolemaios und der qualitativen Kosmologie und Meteorologie des Aristoteles. Eine theologische Interpretation der Kometen als göttliche Zeichen kann hieran anknüpfen und wird über die Astrologie in die Kausalstruktur der Naturphilosophie integriert: Wenn – wie oben beschrieben – die terrestrischen Exhalationen die causa materialis der Kometen sind und die Bewegung der Äthersphäre oder der Einfluss der Himmelskörper auf die darunter liegenden sublunaren Schichten die causa efficiens darstellen, dann ist das Wesen Gottes die causa finalis dieser Himmelsphänomene. Mit dieser Entwicklung geht eine Naturalisierung des Gottesbildes einher, da dessen Wille per definitionem dem Menschen eigentlich unerforschlich ist. Vanden Broecke spricht in diesem Zusammenhang von der anagogischen Funktion der Astrologie: Schon bei Augustinus ist der Himmel Offenbarungsraum Gottes und der Mensch ein Teil dieser harmonischen Naturordnung, während Albertus Magnus die Sterndeutungskunst als das Instrument ansieht, das offenbart, was Gott im nächsten Jahr wirken wird und durch die Gestirne verkündet.102 Auf diese Weise avanciert die Astrologie zum Werkzeug der Ergründung Gottes, der sich mittels Zeichen in der Natur ausdrückt, durch diese erkannt werden will und die erste Ursache dieser Zeichen darstellt. Für einen weiteren Schüler von Albertus Magnus, Roger Bacon, manifestiert sich z. B. im Stand der Gestirne der von Gott gelenkte Lauf der Dinge, wobei die Planeten das durch die göttliche Allmacht prädisponierte irdische Geschehen nicht verursachen, sondern indizieren.103 98 99
Gindhart: „Astrologie“, S. 237. Für Thomas von Aquins Meteorologie-Kommentar siehe das 4. Kapitel in Thorndike: Latin Treatises on Comets, S. 77–86. 100 Yeomans: Comets, S. 20. 101 Siehe dazu Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 388–405. 102 Vgl. Vanden Broecke, Steven: Astrological Contingency. Between Ontology and Epistemology (1300–1600) 103 Siehe dazu Vescovini, Grazielle F.: The Theological Debate, in: Dooley, Brendan (Hrsg.): A Companion to Astrology in the Renaissance, Leiden 2014 (Brill’s Companions to the Christian Tradi-
2.3 Die Transformationen des Kometenbildes im Mittelalter
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Diese Form der astrologischen Divination als Erforschung des göttlichen Willens bildet die Basis des in der Frühen Neuzeit relevant werdenden theologisierten und melanchthonisch geprägten Natur- und Kometenverständnisses. Der Wunderzeichenglaube als ursprünglich paganes Element wird dabei in die christliche Theologie integriert: die antiken signa werden als auf den Menschen ausgerichtete Prodigien zu göttlichen Kommunikationsmedien und unter dem Einfluss der Reformation im Kontext einer Buß- und Straftheologie instrumentalisiert.104 Diese Vereinnahmung der Kometen als göttliche Zeichen durch die christliche Kirche beginnend im Mittelalter ist ein wesentlicher Grund für die Dominanz und Langlebigkeit der auf der kombinierten Autorität von Aristoteles und Ptolemaios beruhenden Kometentheorie. 2.3.1 Grundzüge der theologischen Kometeninterpretation Auf allen Teilgebieten der astronomischen Wissenschaft beeinflussen theologische Leitsätze und religiöse Vorstellungen die Gelehrten in ihrem Schaffen bis zur Aufklärung, wobei die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse selten dazu dienen, einem wie auch immer gearteten Atheismus Bahn zu brechen, sondern stattdessen der erbauliche und nützliche Charakter der Himmelsbetrachtung betont wird.105 Auch ein historischer Diskurs über antike Weltbilder kann ohne den Bezug zur Theologie nicht geführt werden: So bilden bei Aristoteles physikalisches Weltbild und rationale Theologie eine Einheit – wenn auch sein Gottesbegriff ein ganz anderer ist als der christliche – während Ptolemaios von der Göttlichkeit der ewigen Himmelskörper ausgeht, die er in seiner mathematischen Astronomie zu beschreiben sucht.106 Der Theologie oder Religion ist neben dieser epistemologischen auch eine sinnstiftende Dimension eigen: als Weltdeutung bietet sie ein Erklärungsmodell für das Außergewöhnliche und tion 49), S. 99–140, hier S. 111–113. 104 Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 9. 105 Baasner, Rainer: Das Lob der Sternkunst. Astronomie in der deutschen Aufklärung, Göttingen 1987 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Mathematisch-physikalische Klasse 3/40), S. 193–197. Auch in Kosmosbeschreibungen des 18. Jahrhunderts finden sich wissenschaftliche und theologische Elemente fruchtbar miteinander verknüpft, siehe dazu z. B. Holterhoff, Anna: Naturwissenschaft versus Religion? Zum Verhältnis von Theologie und Kosmologie im 18. Jahrhundert, Berlin 2009 (Preprints des Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte 376). 106 Vgl. Knobloch, Eberhard: Das Weltbild in den Wissenschaften: Geschichte einer Konzeption, in: Markschies, Christoph / Zachhuber, Johannes (Hrsg.): Die Welt als Bild: interdisziplinäre Beiträge zur Visualität von Weltbildern, Berlin 2008 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 107), S. 227– 246. Die Rationalität der Theologie macht Dijksterhuis an dem zentralen aristotelischen Konzept des ersten Bewegers fest, der als göttliche Figur den Ursprung der Bewegung bildet. Dieser Kausalzusammenhang zwischen Himmelsbewegungen und irdischen Ereignissen ist theoretische Basis und daher eines der stärksten Argumente für die Daseinsberechtigung der Astrologie, vgl. Dijksterhuis, Eduard J.: Die Mechanisierung des Weltbildes, Berlin 1956, S. 40–41.
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als Frömmigkeitspraxis ein oft konfessionell differenziertes Angebot an Bewältigungsformen.107 Beide Dimensionen sind in Bezug auf Kometen relevant. Die Ähnlichkeit dieser beiden Grundfunktionen – Deutung sowie Kontingenzoder Alltagsbewältigung – mit denen der Astrologie verdeutlicht einerseits, warum beide Disziplinen in der Kometeninterpretation von so großer Bedeutung sind und andererseits, dass zwischen ihnen ein prinzipielles Konkurrenzverhältnis besteht, das im Laufe der Jahrhunderte mal mehr und mal weniger sichtbar wird. Da sie beide auf die Zeichenhaftigkeit der Kometen rekurrieren, entwickeln sie ein Verhältnis reziproker Interdependenz: Da die Astrologie astrale Ereignisse dingfest machen, eine Interpretation aber nicht aus sich selbst heraus hervorbringen kann, wird sie immer mit kulturellen Deutungssystemen verbunden, die oftmals theologischer Natur sind.108 Umgekehrt gibt die systematische Prognostik der theologischen Deutung ein wissenschaftliches Gepräge. Die Sterndeuter vertiefen durch Aufnahme christlicher Elemente in die Ausdeutung der Himmelerscheinungen die Astrologie, während die christlichen Theologen bei der Interpretation der Glaubenssätze dieselben Erscheinungen in Anspruch nehmen können: In diesem Kontext werden die Zeichen und Wunder thematisierenden Bibelstellen gesehen sowie heilsgeschichtliche Zäsuren wie die durch den Stern von Bethlehem angekündigte – und durch die heiligen drei Könige in ihrer Funktion als astrologische Gelehrte aus dem Morgenland prognostizierte – Geburt Christi oder die zeichenhafte Ankündigung des Jüngsten Gerichts interpretiert.109 Besonders ein Abschnitt des Lukasevangeliums kann als biblische Legitimation der theologischen Kometendeutung herangezogen werden, wobei die Übereinstimmung mit dem astrologisch begründeten Folgekanon von Kometen als Unglücksboten frappierend ist und auf die ambivalente Dualität von Astrologie und Theologie hindeutet: Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Empörungen, so entsetzet euch nicht. Denn solches muß zuvor geschehen; aber das Ende ist noch nicht so bald da. Da sprach er zu
107 Mauelshagen, Franz: Rez. zu: Jakubowski-Tiessen, Manfred / Lehmann, Hartmut (Hrsg.): Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003, in: H-Soz-Kult, 2004 (http:// hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-004, abgerufen am 02.03.2016). 108 Stuckrad: Geschichte der Astrologie, S. 249. 109 Hamel: Astrologie – Tochter der Astronomie?, S. 89. Bei den Bibelstellen handelt es sich um Gen 1,14; Lk 21; Mt 24 sowie die Offenbarung des Johannes (Offb 1,1). Diese Bibelstellen können nicht nur als die Astrologie unterstreichend angesehen werden, so begründet Luther seine Astrologiekritik ebenfalls biblisch unter Bezug auf Gen 1 und schreibt, die Gestirne seien „Zeichen, nicht Monstra“ und dass den Sternen zu glauben dem ersten Gebot widerspreche, vgl. Luther, Martin: Tischreden, Nr. 678, in: Knaake, Joachim K. F. (Hrsg.): D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Tischreden, 1. Bd.: 1531–1546, Weimar 1912, S. 320–323. Luther lehnt die Astrologie im Gegensatz zu Melanchthon ganz grundsätzlich ab: Für ihn gibt nur das Wort Gottes Gewissheit, während die Natur nur Gegenstand von Wahrscheinlichkeitsschlüssen sein kann; zudem sieht er in der Astrologie die Gefahr, die eigene Sündhaftigkeit sowie die Providenz Gottes durch die Annahme natürlicher Ursachen zu relativieren, vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 108.
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ihnen: Ein Volk wird sich erheben wider das andere und ein Reich wider das andere, und es werden geschehen große Erdbeben hin und wieder, teure Zeit und Pestilenz; auch werden Schrecknisse und große Zeichen am Himmel geschehen.110
Das Erscheinen eines Kometen ist damit die ex post-Bestätigung eines metaphysischen Deutungsschemas, das einen sinnhaften Zusammenhang zwischen Prodigium und Folgen herstellt, während letztere zum intentionalen Handeln Gottes werden. Kometen als Fingerzeige Gottes theologisch zu interpretieren ist prinzipiell auf vier Arten möglich, die jedoch nicht scharf voneinander abgegrenzt werden oder gemeinsam auftreten können:111 Die bedeutsamste Sichtweise ist wohl die der Kometen als göttliche Warn- oder Zornzeichen im Rahmen einer überkonfessionellen Straftheologie, wobei sie hier sowohl als zur Buße mahnende Künder des göttlichen Strafgerichts fungieren, durch ihre negativen Folgen aber gleichzeitig Teil desselben sind. Daneben steht die besonders im Nachgang der Reformation relevant werdende Deutungsweise der Kometen als eschatologisch-apokalyptische Zeichen der Endzeit. Außerdem werden sie als Zeichen einer durch Gott zweckvoll geschaffenen providentiellen Weltordnung betrachtet, was besonders im Rahmen der Physikotheologie bedeutsam werden wird, sowie als historisch-prophetische Zeichen der Heilsgeschichte, die in sich gleichsam den Schlüssel zu ihrer Erkenntnis enthalten. All diese Interpretationsweisen rekurrieren auf eine semiotische Kometendimension, deren Ursprung im göttlichen Willen liegt. Die Art der Beteiligung Gottes an der Entstehung und Wirkung von Kometen wird jedoch durchaus in verschiedener Weise konzeptualisiert. Das Spektrum reicht dabei von der Sichtweise von Kometen als rein natürlichen Phänomenen, die lediglich auf der Bedeutungsebene theologisch signifikant sind, bis hin zu ihrer Konzeptualisierung als übernatürliche Wunder, die ohne göttliches Handeln – an den Gesetzen der regelhaften Natur vorbei – nicht existieren würden. Dieses göttliche Handeln kann dabei mehr oder weniger aktiv sein und beispielsweise auf das Auslösen der Initialzündung der Kometenentstehung begrenzt sein oder konkrete Schritte dieses Prozesses betreffen – oft solche, die sich einer Erklärung im aktuellen theoretischen Rahmen entziehen. Der Astronom Christoph Rothmann (1550/1560–1601112) konstatiert in seinem Werk zum Kometen von 1585 etwa, diese Himmelsphänomene entstünden aufgrund göttlicher Providenz, würden durch Gott 110 111 112
Lk 21,9–11, zitiert nach der Lutherbibel von 1912 (http://bibel-online.net/buch/luther_1912/lukas/ 21/, abgerufen am 04.02.15). Auch an weiteren Stellen der Arbeit wird – wo nicht ausdrücklich anders vermerkt – diese Bibelausgabe zitiert. Siehe dazu Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 17–21. Aufgrund von bisher nicht ausgewerteten Quellen konnten Lenke und Roudet das Todesjahr Rothmanns ermitteln, siehe Lenke, Nils / Roudet, Nicolas: Johannes, Christoph und Bartholomaeus Rothmann. Einige biographische Ergänzungen zu den Gebrüdern Rothmann, in: Dick, Wolfgang R. / Fürst, Dietmar (Hrsg.): Lebensläufe und Himmelsbahnen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Jürgen Hamel, Leipzig 2014 (Acta Historica Astronomiae 52), S. 223–242.
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zu einem Körper verdichtet und entweder mittels der Hilfe von Engeln oder von Gott selbst kreisförmig bewegt.113 Das Problem der ursächlichen Erklärung der Bewegung tritt für Rothmann deshalb auf, da er das Konzept fester Himmelssphären ablehnt, diese aber traditionell als Trägerkörper aller himmlischen Bewegungen fungieren.114 Nach der überkommenen Kometentheorie bedarf es einer gewissen Zeit zur Zusammenballung der Materie, die schließlich entzündet als Komet erscheint. Rothmann kommentiert, dass dazu nicht viel Zeit, sondern lediglich Gottes Wille erforderlich sei und Kometen als göttliche Prodigien instantan geschaffen werden und zur Erscheinung kommen. Er schreibt dazu weiter: „Great is the power of nature (or rather of God): it produces many things which appear utter impossibilities.“115 Die göttliche Beteiligung an der Entstehung von Kometen erscheint als Argument notwendig, da die jeweiligen Prozesse nicht entsprechend des ursprünglichen Erklärungskonzepts und damit scheinbar entgegen der natürlichen Regelhaftigkeit ablaufen und somit nach einer alternativen Erklärung verlangen. Dieser Denkfigur entspricht weniger die Vorstellung eines Gottes, der nur an den Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit bemüht wird, sondern eher eine Gleichsetzung von Gott und Natur. Eine Dimension des frühneuzeitlichen Verhältnisses von Theologie und Natur ist die eher bibelexegetische Frage der Vereinbarkeit oder Versöhnung von Naturforschung und biblischen Inhalten. Bedeutsamer für die Fragen dieser Arbeit ist neben dem biblischen jedoch vielmehr der Gott der Philosophen, um den es bei Themen wie der göttlichen Providenz oder Omnipotenz und deren Verhältnis zu einer regelhaften Naturordnung geht. Die Dualität von teratologischer Divination und meteorologisch-kausaler Astrologie – u. a. manifest in den Konzeptionen von Kometen als Ursachen oder Zeichen – entstammt nicht zuletzt der potentiell spannungsgeladenen Verbindung einer rationalen Ordnung, wie sie die mathematische Astronomie als Grundlage der Astrologie darstellt, und einem mythologischen oder spirituellen 113 114
115
Vgl. Granada, Miguel Á. / Mosley, Adam / Jardine, Nicholas: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585. An Edition and Translation with Accompanying Essays, Leiden 2014 (History of Science and Medicine Library. Medieval and Modern Science 22), S. 118–135. Die Idee einer passivischen Bewegung im Himmel ist auch nach Abschaffung der Sphären als mentales Modell noch lange präsent, z. B. sichtbar im Titel des Sidereus Nuncius des Galileo Galilei, in dem von vier Planeten gesprochen wird, die um den Jupiter herumgedreht werden. Die Idee einer Eigenbewegung ist hier nicht mitgedacht, vgl. dazu Knobloch: Das Weltbild in den Wissenschaften, S. 244. Auch in den Kometenflugschriften finden sich Formulierungen, die in dieser Weise die Eigenbewegung eines Kometen als in einer (Planeten-)Sphäre stattfindend konzeptualisieren. Zur Geschichte des Sphärenkonzepts in der Astronomie siehe Barker, Peter / Goldstein, Bernard R.: The Role of Rothmann in the Dissolution of the Celestial Spheres, in: British Journal for the History of Science 28/4 (1995), S. 385–403 und allgemeiner Granada, Miguel Á.: Essay Reviews – Celestial Spheres. The Presence of These Strange but Persistent Objects in Western Thought, in: Studies in History and Philosophy of Science Part A 29/4 (1998), S. 653–662. „Magna naturae (seu potius DEI) potentia est: multa producit, quae videntur prorsus impossibilia.“ Edition und Übersetzung zitiert nach Granada/Mosley/Jardine: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585, S. 172–173.
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Weltverständnis.116 Die Relation von Natur und Gott wird in der systematischen Theologie der mittelalterlichen Scholastik – von Denkern wie Thomas von Aquin, Duns Scotus oder Wilhelm von Ockham – durch die Unterscheidung einer absoluten und einer bestimmten Macht Gottes beschrieben: Grob gesagt begrenzt Gott seine universale Allmacht (potentia absoluta), um den Rahmen einer naturgesetzlichen Ordnung zu schaffen (potentia ordinata), in der er durch Zweitursachen wirkt und agiert.117 Die Naturgesetze zu umgehen erfordert dagegen ein göttliches Wunder, das dieser ohne Zweitursachen und damit durch Gebrauch der absoluten Allmacht bewirken kann. Diese Unterscheidung beschreibt also genau die Grenzziehung zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen, auf der auch der Begriff des Wunders beruht. Das folgende von Lorraine Daston paraphrasierte Zitat des Thomas von Aquin verdeutlicht, warum das Wunder ganz prinzipiell einer natürlichen Erklärung entzogen ist: „Ein Ereignis wird staunenswert, wenn nur einige Auserwählte seine Ursache kennen; es wird ein Wunder, wenn niemand die Ursachen kennt.“118 Der Begriff des Wunders ist in der Frühen Neuzeit jedoch recht vielschichtig und wird differenziert betrachtet, so dass die Beziehung von Wunder und natürlich-kausaler Erklärbarkeit sich komplexer gestaltet, als im obigen Zitat anklingt. Nach einer gängigen Klassifikation119 sind Miracula oder Mirabilia direkte von Gott gewirkte Wunder als Erscheinungen supra naturam; sie stehen also über der Natur, weshalb sie auch nicht oder nicht völlig kausal erklärbar sind. Prodigien sind Wunderzeichen und damit absichtlich von Gott als Botschaft bewirkt. Sie geschehen contra naturam, was man später durch praeter naturam ersetzt hat. Nach Aristoteles sind das Prozesse, die von der üblichen Art und Weise ihres normalen Verlaufs abweichen, aber immer noch in der Natur geschehen: Eine Missgeburt z. B. widerspricht nicht den Naturgesetzen, liegt aber außerhalb des gewöhnlichen Naturgeschehens und ist damit wunderhaft im Sinne von abnormal, jedoch nicht übernatürlich.120 Kometen gelten gemeinhin als Prodigien; sie allerdings als aus dem Nichts von Gott geschaffen zu denken oder supralunar im eigentlich unver-
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Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 388. Siehe dazu Granada, Miguel Á.: Il rifiuto della distinzione tra potentia absoluta e potentia ordinata di Dio e l’affermazione dell’universo infinito in Giordano Bruno, in: Rivista di storia della filosofia 49/3 (1994), S. 495–532 sowie Courtenay, William J.: „Potentia absoluta/ordinata“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 7, Basel 1989, Sp. 1157–1162. 118 Vgl. Daston, Lorraine: Neugierde als Empfindung und Epistemologie in der frühmodernen Wissenschaft, in: Grote, Andreas (Hrsg.): Macroscosmos in Microcosmo: Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450–1800, Opladen 1994 (Berliner Schriften zur Museumskunde 10), S. 35–59, S. 48. 119 Siehe dazu Schenda: Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Sp. 639. 120 MacLean, Ian: Logic, Signs and Nature in the Renaissance. The Case of Learned Medicine, Cambridge 2002 (Ideas in Context 62), S. 269–271. Zum Themenkomplex der Monstrageburten siehe ausführlich Ewinkel: De monstris.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
änderlichen Himmel zu positionieren transformiert sie von der üblichen Betrachtung als ostenta oder portenta zu miracula, also tatsächlichen Wundern.121 Weichenhan hat darauf hingewiesen, dass in Bezug auf Kometen oder Novae eine übernatürliche Wunderkonzeption epistemologisch fruchtbar gemacht werden kann, indem sie z. B. einen supralunaren Kometenort denkmöglich macht.122 Astronomen wie Brahe oder Rothmann, die eine modern anmutende Kometentheorie propagieren, nach der Kometen sich entgegen der Lehrmeinung über dem Mond befinden, betonen daher, dass Kometen göttliche Wunder sind und keine rein natürlichen Phänomene. Die Abweichung von der Naturordnung ist dabei der entscheidende Punkt. So argumentiert etwa der Tübinger Mathematiker Wilhelm Schickard (1592–1635) in seinem Traktat zum Kometen 1618, dass der historische Komet von Jerusalem123 als „extraordinari wunderwerkh Gottes und warnungs zaichen anzusehen“ sei: Aufgrund optischer Überlegungen zur Refraktion schätzt er die Ausdehnung der Luftschicht deutlich kleiner ein als traditionell angenommen und schlussfolgert, dass sich dort keine Kometen befinden können, da diese ja stets deutlich höher als die höchsten Wolken zu sehen und zudem langlebiger seien, als es die unbeständige Luftregion erlaube. Ein Komet, der – wie im Fall von Jerusalem historisch überliefert – allerdings ein Jahr lang direkt über der Stadt in Form eines Schwertes zu sehen gewesen ist, der müsse hingegen „in der nideren lufft gestanden sein, sonsten hett es nit eben so eigentlich auff ein gwisse statt deütten mögen“.124 Auch hier wird die Wunderhaftigkeit mit der Abweichung vom erwarteten Verhalten der regelhaften Natur begründet – nur, dass ein „normaler“ Komet bei Schickard supralunar verortet wird. Neben dem Interesse an der Dechiffrierung der göttlichen Botschaft ist die Unkenntnis der Ursachen das wichtigste Stimulanz der auf Wunderzeichen gerichteten wissen-
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Zur Wunderthematik in der Frühen Neuzeit siehe Daston, Lorraine: Marvelous Facts and Miraculous Evidence in Early Modern Europe, in: Parish, Helen (Hrsg.): Superstition and Magic in Early Modern Europe. A Reader, London 2015, S. 108–131. 122 Weichenhan: Neugier und Furcht, S. 65. 123 Es handelt sich dabei wahrscheinlich um den Kometen 1P/66 B1 (Halley) des Jahres 66 n. Chr., der ein Jahr lang über Jerusalem zu sehen gewesen sein soll und Jahrhunderte später als Halleys Komet in die Geschichtsbücher eingeht, vgl. Tammann, Gustav A. / Véron, Philippe: Halleys Komet, Stuttgart 1985, S. 91. 124 [2.13] Schickard, Wilhelm: Cometen Beschreibung. In zwen underschidliche Partes abgetheilt, deren Erster Von denselbigen ins gemein: der Ander Von allen Insonderheit, sonderlich aber denen drey Jüngsten, In abgeloffenen 1618 Jahr erschienen, aussführlich handelt, 1619, Bl. 27r. Das Werk liegt als Handschrift Cod. math. qt. 43 in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart vor (http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/ bsz307044173, abgerufen am 12.05.2016). Für den Hinweis und Einsicht in seine Transkription danke ich Miguel Á. Granada. Zu Schickards Kometentraktat siehe außerdem: Mauder, Horst: Die Kometenschriften von Schickard und Kepler, in: Seck, Friedrich (Hrsg.): Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard, Sigmaringen 1992 (Contubernium 41), S. 151–166.
2.4 Die systematische Beobachtung von Kometen und ihre naturkundliche Konzeptualisierung
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schaftlichen Neugierde.125 Kometen als Prodigien und nicht als rein göttliche Mirakel zu konzeptualisieren erfordert ja, neben der übernatürlichen noch eine andere Erklärung zu liefern. Die empirische Dimension dieser Erklärungsfindung wird in den folgenden Kapiteln thematisiert. 2.4 Die systematische Beobachtung von Kometen und ihre naturkundliche Konzeptualisierung Im 15. Jahrhundert vollzieht sich eine Wandlung im konzeptuellen Zugang zu Kometen, die durch die ersten Versuche einer dokumentierten kontinuierlichen Beobachtung von Kometen eingeleitet wird.126 Gleichzeitig erlebt, wie oben beschrieben, die seit dem 12. Jahrhundert im christlichen Europa wiedererstarkende Astrologie eine Blütezeit, was die Signifikanz der Kometen als interpretierbare Zeichen oder Vorzeichen erhöht. Neben der Art der Kometenbeobachtung, die bis dato nahezu ausschließlich im Dienste der astrologischen Deutung steht, tritt die Form eines von naturkundlichen Interessen motivierten Unterfangens der Observation eines natürlichen Phänomens mehr und mehr hervor. Die astrologische Deutung und die naturkundliche Erfassung bilden die intentionalen Motive der Kometenuntersuchung und -darstellung. Als astrologisch wichtige Parameter interessieren z. B. der Kometenort – also in welchem Tierkreiszeichen oder Sternbild, und nahe welchen Planeten oder Fixsterne er zu sehen ist –, dessen Größe, Schweifausrichtung und -länge. Außerdem sind die Zeitpunkte seiner Entzündung und seines Verlöschens, seines täglichen Auf- und Untergangs, das Durchlaufen anderer Kardinalpunkte sowie sein Lauf über den Himmel deutungsrelevant. An dieser Aufzählung zeigt sich, dass die astrologisch bedeutsamen Parameter und die naturkundlich interessanten Aspekte der Kometenbeobachtung in nicht geringem Maße koinzidieren. Das Bestreben solche und ähnliche Fragen möglichst exakt und umfassend zu beantworten, erhöht die Anforderungen an die Präzision der Beobachtung und der Methodik der rechnerischen Verarbeitung der daraus gewonnenen Daten. Die Ermittlung der Position eines Kometen an der Sphäre oder seiner Distanz zu dieser ist ohne elaborierte Fähigkeiten und Kenntnisse auf den Gebieten der empirischen Astronomie sowie der höheren Mathematik kaum denkbar. Es lässt sich feststellen, dass die Kometenbeobachtung im 15. und frühen 16. Jahrhundert zunehmend instrumentengestützt und methodisch systematischer und damit einhergehend die Beschreibung quantitativer statt qualitativ wird. Daher gehören die
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Vgl. Daston: Neugierde als Empfindung und Epistemologie in der frühmodernen Wissenschaft, S. 48. Aus demselben Denken heraus wird das Okkulte in der Scholastik nicht behandelt: Nicht, weil es außerhalb der Naturphilosophie liegt, sondern weil von Dingen, die den Sinnen nicht zugänglich sind, kein exaktes oder sicheres Wissen ermittelt werden kann. Zu diesem Themenkomplex siehe Jervis: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
Kometen zu den ersten nach aristotelischer Klassifizierung meteorologischen Phänomenen, die mathematisiert werden.127 In der Entwicklung von Methoden zur Kometenbeobachtung, -beschreibung und theoretisch-mathematischen Behandlung herausragend sind die Arbeiten des florentinischen Mathematikers und Kartographen Paolo dal Pozzo Toscanelli (1397–1482), des Wiener Astronomen Georg von Peurbach (1423–1461) und des Mathematikers Johannes Regiomontanus (1436–1476), die zu den führenden Gelehrten ihrer Zeit gehören. Toscanelli beobachtet jahrzehntelang Kometen und macht darüber detaillierte Aufzeichnungen in tabellarischer und graphischer Form.128 Er ist der erste, der auf konkrete Zeitpunkte bezogene Peilungen der Position eines Kometen an der Himmelssphäre angibt und die systematisch erhobenen Daten aufbereitet:129 Seine Skizzierungen von Kometenbahnen130 in Sternkarten sind daher keine bloßen Illustrationen des Phänomens, sondern ein epistemisch-heuristisches Werkzeug zur Erhöhung der Genauigkeit von Beobachtung und Positionierung der Kometen.131 Die Länge der Beobachtungsreihe und die Exaktheit der Methodik sind zeitgenössisch singulär, ihnen ist allerdings nur eine geringe Rezeption und Nachwirkung beschieden, da Toscanellis Werke bis zum 19. Jahrhundert nicht publiziert werden. Hierzu ist zu bemerken, dass es zwar heute für diesen konkreten Fall nicht belegbar, aber zeitgenössisch durchaus üblich gewesen ist, eigene Werke in Manuskriptform unter Freunden und Kollegen zirkulieren zu lassen; zudem weiß man, dass Toscanelli und Regiomontanus sich persönlich gekannt haben.132 Beider auf Kometen bezogene Unternehmungen verdeutlichen den veränderten empirisch-quantitativen Zugang zu diesem Phänomen. Die meist vagen Aussagen eher qualitativen Charakters der mittelalterlichen Kometenbetrachtungen, die sich auf die Angabe des Tags der Ersterscheinung des Kometen oder des nächsten Sternbildes oder Tierkreiszeichens beschränken, weichen hier solchen, die auf der für Himmelskörper
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Vgl. für die folgenden Ausführungen Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 35–37. Für eine vollständige Übersetzung und Analyse des Manuskripts siehe Jervis: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe, S. 43–85. Vgl. Waschkies, Hans-Joachim: Physik und Physikotheologie des jungen Kant. Die Vorgeschichte seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels, Amsterdam 1987 (Bochumer Studien Zur Philosophie 8), S. 215–216. Der Wortteil „Bahn“ darf in diesem Zusammenhang nicht missverstanden werden, war doch Michael Mästlin der erste, der eine explizite Beschreibung einer Kometenbahn als Raumkurve publizierte. Bahnen von Kometen sind bis weit ins 16. Jahrhundert die aufgezeichneten Bewegungen an der Sphäre als eine Abfolge von Positionen des Himmelsobjekts, beschrieben durch die zwei Koordinaten Breite und Länge. Bei dieser rein kinematischen Betrachtungsweise geht es nicht um die räumliche Lage und Orientierung einer Bahn. Erst Kepler entwirft eine kausal-dynamische Erklärung der Himmelsbewegungen, wobei er diese als integrale Ganzheiten, also als Bahnbewegungen im Sinne eines Orbits, auffasst und nicht mehr als aus einer Vielzahl von Partialbewegungen zusammengesetzt. Vgl. dazu Carrier, Martin: Auf dem Weg zur Himmelsphysik: Naturphilosophische Leitmotive bei Copernicus, in: Philosophiegeschichte und logische Analyse 7 (2004), S. 53–79, hier S. 77. Vgl. Jervis: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe, S. 43–48. Waschkies: Physik und Physikotheologie des jungen Kant, S. 217–218.
2.4 Die systematische Beobachtung von Kometen und ihre naturkundliche Konzeptualisierung
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üblichen Anwendung astronomischer Beobachtungs- und mathematischer Methoden basieren.133 Es geht also erstmals um eine Quantifizierung von Beobachtung ohne aprioristischen Bezug auf ihre Deutung; der astrologische Zweck der Beobachtung ist methodisch gesehen also irrelevant.134 Im Zuge dessen werden Fragen interessant, die mit der astrologischen Signifikanz von Kometen nicht unbedingt oder direkt zu tun haben, etwa die nach der Entfernung oder der Masse eines Kometen. Solche Fragen sind potentiell geeignet, basale Annahmen der meteorologischen Kometentheorie einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Die Entfernung von Himmelskörpern, z. B. von Sonne und Mond, ist bereits in der Antike parallaktisch bestimmt worden.135 Dies bei einem nur kurze Zeit sichtbaren Kometen zu tun, der eine – mitunter sehr rasche – Eigenbewegung hat und von dem man nicht weiß, ob er sich überhaupt in Form einer geometrisch beschreibbaren Bahn bewegt, geschweige denn in welcher Ebene, stellt ein anspruchsvolles mathematisches Problem dar. Der jüdische Philosoph Levi Ben Gerson (1288–1344), hat im astronomischen Teil seines theologischen Hauptwerks erstmals den Ansatz einer Methode zur Bestimmung der Parallaxe eines Kometen – basierend auf zwei Beobachtungen zu unterschiedlichen Zeiten – zwecks Ermittlung seiner Entfernung von der Erde beschrieben, wobei es sich, wie später auch bei Regiomontanus, um eine Art Generalisierung der ptolemäischen Methode der parallaktischen Entfernungsmessung des Mondes handelt.136 Georg Peurbach beobachtet nachweislich die Kometen von 1456 sowie 1472 und widmet sich dabei vornehmlich ebenfalls dem Problem der parallaktischen Bestimmung ihrer Entfernung.137 Seine Beobachtungsdaten zum Kometen 1456 sind im Vergleich zu denen Toscanellis dürftig.138 In der entsprechenden Veröffentlichung gibt Peurbach beispielsweise nur zwei Kometenpositionen an, wobei hier zu bedenken ist, dass der von ihm erwartete parallaktische Effekt in der Größenordnung mehrerer Grade lag. Systematische Beobachtungsreihen erscheinen unter der Annahme, dass Kometen keine Himmelskörper, sondern vergleichsweise erdnahe und kurzlebige Erscheinungen sind, möglicherweise auch nicht unbedingt lohnenswert oder notwendig. So hat Peurbach auf Basis seiner Observationsdaten die Kometenpositionen an 133 134 135 136
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Für mittelalterliche Kometentraktate siehe Thorndike: Latin Treatises on Comets. Vgl. Kokott, Wolfgang: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539 und ihre Bedeutung für die spätere Entwicklung der Kometenforschung, Stuttgart 1994, S. 13. Siehe hierzu Henderson, Janice A.: On the Distances between Sun, Moon and Earth. According to Ptolemy, Copernicus and Reinhold, Warschau 1991 (Studia Copernicana 30). Barker, Peter / Goldstein, Bernard R.: The Role of Comets in the Copernican Revolution, in: Studies in History and Philosophy of Science 19/3 (1988), S. 299–319, hier S. 311–313. Zum astronomischen Werk von Levi Ben Gerson siehe Mancha, José L.: Levi ben Gerson’s Astronomical Work: Chronology and Christian Context, in: Science in Context 10/3 (1997), S. 471–493. Siehe dazu Jervis: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe, S. 86–92. Vgl. Lhotsky, Alphons / Ferrari d‘Occhieppo, Konradin: Zwei Gutachten Georgs von Peuerbach über Kometen (1456 und 1457), in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 68 (1960), S. 266–290.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
Tagen, an denen er nicht beobachtete, rechnerisch extrapoliert. Er kommt schließlich zu dem Schluss, dass der Komet sublunar ist und berechnet aus der Entfernung außerdem dessen Größe und die Schweiflänge. Diese Kalkulation ist möglicherweise durch den Wunsch motiviert, die Menge der Exhalationen abzuschätzen, die nach aristotelischer Lehre das Kometenmaterial bilden.139 Wie auch bei Toscanelli zeigt sich in den Arbeiten Peurbachs ein naturphilosophisches Interesse am Phänomen Komet, das mithilfe empirischer und theoretischer Mittel umfassend deskriptiv erfasst werden soll. Der Versuch einer parallaktischen Distanzbestimmung eines Kometen wird von Peurbachs Schüler und Freund Regiomontanus aufgegriffen, theoretisch fundiert und ausgebaut.140 Er beobachtet die Kometen von 1456 und 1472 zusammen mit Peurbach und verfasst darauf aufbauend die Abhandlung De cometae magnitudine etc. Problemata XVI, die aber erst 1531 posthum von Johannes Schöner herausgegeben wird.141 Diese Schrift gilt gemeinhin als erstes wissenschaftliches Werk zur Kometenthematik, da es die trigonometrischen Methoden zur Bestimmung der Größe und Entfernung von Kometen didaktisch geschickt aufbereitet, in Form von rechnerisch zu lösenden Einzelproblemen erläutert und einen großen Einfluss auf die Astronomen des 16. Jahrhunderts entwickelt. Regiomontanus’ Bedeutung für die Entwicklung der Kometentheorie besteht darin, die bekannten mathematischen Verfahren der Positionskalkulation von Objekten an der himmlischen Sphäre explizit auf Kometen anzuwenden bzw. spezifisch für diese aufzubereiten und sie somit wie Himmelskörper mit astronomischen Methoden zu behandeln.142 Zudem verbessert er durch Einführung des Jakobsstabs in die Kometenbeobachtung die Messgenauigkeit entscheidend.143 Mit diesem mathematischen Rüstzeug und methodischem Zugang als Fundament avancieren die Kometen endgültig zum Objekt quantitativer Erforschung, wobei die abstrakte Natur des von Regiomontanus präsentierten geometrischen Zugangs – er geht beispielsweise von Kometen ohne Eigenbewegung aus – eine praktische Umsetzung seiner Methode doch deutlich erschweren. Nichts desto weniger kann diese Entwicklung als „paradigmatische Neuausrichtung der Astronomie“ charakterisiert werden, die nicht nur eine Re-Evaluation traditioneller Annahmen beflügelt, sondern das Nachrechnen als epistemologisch legitimes und gebotenes Verfahren der Disziplin zu etablieren hilft und zwar unabhängig davon, ob es um Bestätigung oder Widerlegung geht.144 139 Vgl. Jervis: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe, S. 90–92. 140 Zu Regiomontanus als wissenschaftlicher Persönlichkeit siehe Zinner, Ernst: Leben und Wirken des Johannes Müller von Königsberg genannt Regiomontanus, Osnabrück 19682 (Milliaria. Faksimiledrucke zur Dokumentation der Geistesentwicklung 10/1). 141 [2.12] Regiomontanus, Johannes: De Cometae magnitudine, longitudine [que] ac de loco eius vero, problemata XVI, Nürnberg 1531 (VD16 M 6522). Siehe dazu Jervis: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe, S. 93–120. 142 Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 36. 143 Vgl. Kokott: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539, S. 20. 144 Lalla, Sebastian: Über den Nutzen der Astrologie. Melanchthons Vorwort zum ‚Liber de sphaera‘, in: Frank, Günter / Lalla, Sebastian (Hrsg.): Fragmenta Melanchthoniana 2. Gedenken und Rezeption. 100 Jahre Melanchthonhaus, Heidelberg 2003, S. 147–160, Zitat S. 155–156.
2.4 Die systematische Beobachtung von Kometen und ihre naturkundliche Konzeptualisierung
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2.4.1 Die Entdeckung des Schweifrichtungsgesetzes und die optische Kometentheorie Regiomontanus’ Schrift wird genau dann publiziert, als die Erscheinung von mehreren hellen Kometen in den 1530er Jahren eine Reihe weiterer Observationen anregt, deren wichtigstes theoretisches Ergebnis die Entdeckung des Schweifrichtungsgesetzes ist, nach dem der Kometenschweif immer von der Sonne abgewandt ist. Unabhängig voneinander kommen der Mathematiker und Astronom Peter Apian (1495–1552) in Deutschland und der Arzt und Philosoph Girolamo Fracastoro (um 1476–1553) in Italien zu dieser Schlussfolgerung, die sie erstmals 1531 am später nach Halley benannten Kometen beobachten. 1538 publiziert Fracastoro seine Entdeckung in dem Werk Homocentrica sive de stellis, das das eudoxisch-aristotelische Prinzip der homozentrischen Himmelssphären aufgreift und in dem er die Theorie einer sublunaren Kometensphäre entwickelt.145 Apian veröffentlicht seine Annahmen 1540 im naturwissenschaftlich wie buchkünstlerisch bedeutenden Werk Astronomicum Caesareum, das ihm seine Anstellung als Hofmathematiker Karls V. und die Erhebung in den Adelsstand beschert.146 Er hat seine Entdeckung bereits 1531 und 1532 in zwei deutschsprachigen Kometenberichten bekannt gemacht, sie dort aber als Ergebnis einer spezifischen Observation dargestellt und noch nicht deutlich auf ihre Allgemeingültigkeit verwiesen.147 Die folgenden Worte Apians spiegeln den oben angesprochenen Umschwung in der praktischen Herangehensweise und theoretischen Behandlung von Kometen anschaulich wider: Dann ich bißher wider bey den alten / noch bey den newen Astrologen kein observation der Cometen gefunden hab / alein das sie schreiben / Zu der oder dißer zeyt ist ein Comet erschinen / hat so lang gewehrt / unnd das hat hernach gevolgt etc. So aber ich disen Cometen mit hoechstem vleyß (das die calculation genugsam bewert) observirt und in acht genommen / hab ich für gut angesehen / solhe observation zu einer doctrin oder leer den anfengern der Astronomey in den druck zubringen (…).148
[2.6] Fracastoro, Girolamo: Homocentrica. Eiusdem de causis criticorum dierum per ea quae in nobis sunt, Venedig 1538. Siehe dazu Kokott: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539, S. 73–76. 146 [2.1] Apian, Petrus: Astronomicum Caesareum, Ingolstadt 1540 (VD16 A 3073). Siehe dazu Gingerich, Owen: A Survey of Apian’s Astronomicum Caesareum, in: Röttel, Karl (Hrsg.): Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit, Eichstätt 1995, S. 113– 122. 147 Diese beiden Kometenschriften werden in Kap. 3.1 näher behandelt; dort sind sowohl ausführliche bibliographische Angaben als auch das Titelblatt zu finden, welches die entdeckte Gesetzmäßigkeit bildlich illustriert. Insbesondere bei dem Observationsbericht von 1532 scheint Apian von der sonnenabgewandten Schweifausrichtung als Prämisse auszugehen, deren Überprüfung durch verschiedene rechnerische Methoden ausführlich darstellt wird. 148 [2.2] Apian, Petrus: Practica auff dz 1532. Jar, Landshut 1531 (VD16 A 3105), Bl. A 2r. 145
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
Es ist die Entdeckung des Schweifrichtungsgesetzes und die Herausforderung der Integration dieser Entdeckung in eine physikalische Kometenbeschreibung, die im Zusammenhang mit der Ausarbeitung einer optischen Kometentheorie steht, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelt wird.149 Tatsächlich ist eine Erklärung für die sonnenabgewandte Schweifausrichtung im Kontext der aristotelischen Theoriekonzeption schwierig. Während Fracastoro die Antisolarität des Kometenschweifs lediglich konstatiert, bietet Apian einen Erklärungsansatz an, der mit bestimmten Elementen der überkommenen meteorologischen Theorie schwer zu vereinbaren ist und daher in der Folge einen Ansatzpunkt für Kritik, Erweiterung und auch Verwerfung derselben bildet:150 Der Grundgedanke Apians besteht in der Feststellung, dass die Richtung des Kometenschweifs ursächlich mit den Strahlen der Sonne zusammenhängen müsse. Darauf aufbauend entwickeln nachfolgend der Pariser Mathematikprofessor Jean de la Pène oder Pena (um 1528–1558/1568) und der Löwener Medizinprofessor Rainer Gemma Frisius (1508–1555) entsprechende Überlegungen, während Fracastoros Ideen besonders den italienischen Philosophen Girolamo Cardano (1501–1576) beeinflussen.151 Diese theoretischen Vorstellungen – auf die sich später Tycho Brahe und Johannes Kepler beziehen – sind von Erkenntnissen aus der Optik geleitet und oftmals von Elementen stoischer Philosophie und Kosmologie inspiriert.152 Pena greift die Ablehnung der atmosphärischen Refraktion Gemmas auf und schließt daraus, dass die Region der Luft nicht an der Sphäre des Mondes ende, sondern sich als universelles Medium auch in den Himmel der Planeten und Fixsterne erstreckt. Demnach können Kometen als transparente Körper bestehend aus verdichteter Luft als sphärische Linsen wirken und der Kometenschweif als die von der Erde sichtbare Form des Sonnenlichts, das durch diese Linse gebrochen wird, verstanden werden. Cardano entwickelt unabhängig davon eine ähnliche Idee, nachdem er zu der Überzeugung gelangt ist, dass Kome-
149 Vgl. Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 37–41. 150 Barker, Peter: The Optical Theory of Comets from Apian to Kepler, in: Physis. Rivista internazionale di storia della scienza 30/1 (1993), S. 1–25, S. 7. 151 [2.10] Pena, Joannes. ‚De usu optices praefatio‘ in: Ders.: Euclidis optica et catoptrica, Paris 1557, vgl. dazu Barker, Peter: Jean Pena (1528–58) and Stoic Physics in the Sixteenth Century, in: The Southern Journal of Philosophy 23 (1985), S. 93–107. [2.7] Gemma Frisius, Rainer: De Radio Astronomico et Geometrico Liber, Antwerpen 1545. In seinem Werk De subtilitate (1550) entwickelt Cardano seine Kometentheorie, die er in De rerum varietate (1557) modifiziert und präzisiert, vgl. [2.4] Cardano, Girolamo: De subtilitate [Opera Omnia III, Stuttgart 1966, S. 420b] und [2.5] Cardano, Girolamo: De rerum varietate [Opera Omnia III, Stuttgart 1966, S. 208a]. 152 Siehe hierzu Barker, Peter: Stoic Alternatives to Aristotelian Cosmology. Pena, Rothmann and Brahe, in: Revue d’Histoire des Sciences 61/2 (2008), S. 265–286, besonders S. 272–275. Für die optische Kometentheorie bei Kepler siehe: Mehl, Édouard: Théorie physique et optique des comètes de Kepler à Descartes, in: Granada, Miguel Á. (Hrsg.): Novas y cometas entre 1572 y 1618. Revolucion cosmologica y renovacion politica y religiosa, Barcelona 2012, S. 255–274.
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ten sich auch über dem Mond befinden können.153 Er schließt dies aus Beobachtungen des Kometen von 1532, der sich langsamer als der Mond bewegt habe und daher höher sein müsse als dieser.154 Auch die Entdeckung des Schweifrichtungsgesetzes deutet er dahingehend, dass Kometen sich längst nicht so regellos bewegen wie von Aristoteles für Meteore konstatiert.155 Ihrer Natur nach stehen Kometen für ihn daher zwischen dem Mond und den Sternen. Pena und Cardano propagieren in diesem Zusammenhang beide die supralunare Stellung von Kometen: Sie meinen, dass zumindest einige Kometen nicht aus terrestrischen Exhalationen bestehen, sondern im ätherischen Himmel entstehen.156 Die Supralunarität, die Kometenbewegung und Ausrichtung des Schweifes sind empirisch und theoretisch überprüfbare Annahmen, die von nachfolgenden Beobachtern als zu untersuchende Problemstellungen aufgegriffen werden. Die hier nur grob umrissene optische Theorie, in deren Rahmen die Antisolarität des Kometenschweifs erklärbar ist, bereitet neben anderem den Boden dafür, weitere Elemente der auf Aristoteles zurückgehenden Lehre, die ja über den Bereich der Kometentheorie weit hinausgeht und eine ganze Physik und Naturlehre umfasst, infrage zu stellen. Es bleibt jedoch zu erwähnen, dass die optische Kometentheorie nicht wirklich eine Alternative zur aristotelisch-meteorologischen Konzeption bildet oder diese gar verdrängt.157 Letztere bleibt die am meisten verbreitete Ansicht und etablierte Lehrmeinung, die im Übrigen auch so flexibel ist – oder von einigen ihrer Anhänger so ausgelegt wird – um mit der optischen Theorie verbunden werden zu können. Ein Beispiel dafür bietet die Genese der Kometenvorstellungen Christoph Rothmanns: Er fasst den Kometenkörper zunächst als aus irdischen Exhalationen ent- und bestehend auf, wobei diese terrestrischen Dünste in den ätherischen Himmel aufsteigen, von Gott verdichtet werden und dann entsprechend einer Linse das Sonnenlicht brechen, was zur optischen Erscheinung des Kometenschweifs führt.158 Obwohl Rothmann neben der Propagierung der supralunaren Kometenposition etwa die Trennung in einen elementarischen und einen ätherischen Weltbereich oder die Existenz kristalliner Planetensphären
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Cardano führt in diesem Zusammenhang auch die Widersprüchlichkeit in der aristotelischen Elementenlehre und speziell die Problematik der Feuerregion im Zusammenhang mit der traditionellen Kometenerklärung an, vgl. Schütze, Ingo: Die Naturphilosophie in Girolamo Cardanos De subtilitate, München 2000 (Humanistische Bibliothek. Texte und Abhandlungen 49), S. 94–100. Das Argument findet sich z. B. bei Aristoteles: Über den Himmel II, 10, in: Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 12.3: Über den Himmel. Übers. u. erl. von Alberto Jori, Berlin 2009, S. 70. Weichenhan: Neugier und Furcht, S. 62. Hellman, C. Doris: The Role of Measurement in the Downfall of a System. Some Examples from Sixteenth Century Comet and Nova Observations, in: Beer, Arthur (Hrsg.): New Aspects in the History and Philosophy of Astronomy, Oxford 1967, S. 43–52, S. 45. Der Einschätzung Barkers über die Bedeutung der optischen Kometentheorie als Ersatz für die aristotelische folge ich mit den geschilderten Einschränkungen, vgl. Barker: The Optical Theory of Comets from Apian to Kepler. Vgl. dazu Jardine: How to Present a Copernican Comet.
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strikt ablehnt, sind aristotelische Konzeptionen inhaltlicher und methodischer Natur, in seinen kosmologischen Ideen durchaus präsent. Mit einer grundsätzlichen Ablehnung der aristotelischen Theorie reagiert nur eine kleine Minderheit der Gelehrten.159 Diese Flexibilität des Aristotelismus generell kann wohl als das Geheimnis seines Erfolges und seiner enormen Langlebigkeit betrachtet werden.160 In diesem Sinne erfolgreiche Theorien sind selten monolithische Blöcke, sondern modifizierbar, erweiterbar und anpassungsfähig sowie in unterschiedlichem Maße sogar in der Lage, scheinbar widersprüchliche Elemente zu integrieren.161 Eine solche Theorie wird daher auch nicht gänzlich verworfen, sondern eher graduell und unter eklektischer Bezugnahme auf Elemente alternativer Konzeptionen, empirischer Ergebnisse oder anderer Deutungstraditionen erweitert und transformiert. Schon in ihrer ursprünglichen Fassung wird die meteorologische Kometenkonzeption von Aristoteles nicht als abgeschlossenes Theoriegebäude präsentiert:162 Die Unsicherheit ihres Wissens geht auf den Phänomenbereich der Meteorologie und die prinzipielle Unmöglichkeit, ihre Prozesse vollständig kausal zu erklären, zurück. Zudem finden sich Inkonsistenzen in der Theorie selbst, z. B. bezüglich des Kometenortes in der obersten Luftschicht oder Feuerregion oder hinsichtlich der unklaren definitorischen Abgrenzung von Kometen als Ursachen oder Zeichen. Solche Ungereimtheiten liegen jedoch im normalen Rahmen einer adaptierbaren Theorie und werden mitunter von den Zeitgenossen oder späteren Rezipienten gar nicht als widersprüchlich wahrgenommen. Manch eine Ungereimtheit wird erst vor dem Hintergrund veränderter Fragestellungen oder neuer Entdeckungen überhaupt zur korrekturbedürftigen Anomalie, wobei eine entsprechende Modifikation selten darauf ausgelegt ist, das Grundgebäude insgesamt infrage zu stellen. Zudem bilden gerade die genannten Inkonsistenzen Ansatzpunkte für Erweiterungen oder Neuinterpretationen, da z. B. die Frage des Kometenortes in der Frühen Neuzeit zur theorieentscheidenden Problemstellung avanciert und empirisch zugänglich wird. Im Fall der Kometentheorie kommt hinzu, dass sie seit mehr als einem Jahrtausend schon nicht mehr in der ursprünglichen aristotelischen Fassung existiert, sondern der stetigen Kommentierung, Weiterentwicklung und Ver159
Die Kontinuität und Langlebigkeit der aristotelisch-ptolemäischen Lehre auf dem Gebiet der Kometentheorie wird in den umfassenden Studien von Nouhuys und, wenn auch mit Fokus auf die Nova von 1572, von Weichenhan thematisiert, vgl. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus sowie Weichenhan: „Ergo perit coelum …“ 160 Auch im 17. Jahrhundert bilden die aristotelischen Konzepte den theoretischen Rahmen für Kometenvorstellungen, vgl. Ariew, Roger: Theory of Comets at Paris During the Seventeenth Century, in: Journal of the History of Ideas 53/3 (1992), S. 355–372. 161 Für den Fall der aristotelischen Meteorologie siehe Martin: Renaissance Meteorology, S. 1–20. 162 Aristoteles begründet dies mit der Unregelmäßigkeit der in der Meteorologie zu erklärenden Phänomene und konstatiert, Kometen könnten nur bis zu einem gewissen Grade, aber nicht vollständig zufriedenstellend erklärt werden, vgl. Ruffner: The Background and Early Development of Newton’s Theory of Comets, S. 18–19.
2.4 Die systematische Beobachtung von Kometen und ihre naturkundliche Konzeptualisierung
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änderung ausgesetzt ist. Was tradiert wird, ist ein erstaunlich kohärentes theoretisches Konglomerat, das zwar meistens mit dem Namen Aristoteles verknüpft erscheint, aber inhaltlich weit über dessen Ideen hinausgeht. Wie oben beschrieben, fusioniert die meteorologische Kometentheorie beispielsweise mit der ptolemäischen Lehre, was ihrer Astrologisierung entspricht, und wird durch einen Prozess der Theologisierung in den Rahmen der christlichen Theologie integriert. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts zeigen sich langsam die Schwächen dieser zwei Kompromisse und triggern eine Entwicklung, die ultimativ – jedoch viel später – im Niedergang des aristotelischen Weltbilds gipfelt.163 2.4.2 Die Supralunarität als naturphilosophische Problemstellung Die Entwicklung der optischen Kometentheorie spiegelt ungeachtet ihrer Rolle bei der Ablehnung kosmologischer Annahmen der aristotelischen Naturlehre die wachsende Bedeutung systematischer und genauer Beobachtung als Grundlage von theoretischer Reflexion wider.164 In Verbindung mit der beginnenden Mathematisierung und Quantifizierung der Naturlehre und ihrer Gegenstände sowie der Entwicklung theoretischer und praktischer Methoden und instrumenteller Innovationen verändert sich der epistemische Status der Astronomie: Sie wird von einer vornehmlich technischen Disziplin zur Bestimmung von Planetenpositionen, dem Erstellen von Horoskopen u. ä. zu einer (natur-)philosophischen, in der weltbildrelevante Fragen z. B. nach der Struktur und Beschaffenheit des Universums aufgeworfen werden, die nun nicht mehr nur im Rahmen oder im Dienste einer übergeordneten Theologie interessieren.165 Die Frage, ob Kometen sich über oder unter dem Mond befinden, hat schon seit der Antike eine größere Bedeutung als die rein positionale Ermittlung des Kometenortes, da durch ihre Beantwortung zwischen Theoriealternativen entschieden wird. Der Grund dafür liegt darin, dass der Mond nach dem vorherrschenden kosmologischen Weltbild die Grenze zwischen Himmel und Erde markiert und die Natur und Eigenschaften der sich in diesen epistemisch und physikalisch streng geschiedenen Bereichen befindlichen Körper fundamental unterscheiden. Eine Verortung unter dem Mond macht Kometen zu meteorologischen Phänomenen, vergänglich und vergleichsweise kurzlebig sowie z. B. in ihrer Bewegung eher regellos. Die supralunare Verortung kommt astronomischen Phänomenen zu, also ewigen Himmelskörpern, die sich auf regelmäßigen Bahnen bewegen. Aristoteles propagiert die erste Theorie,
163 Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 142. 164 Vgl. Hellman: The Role of Measurement in the Downfall of a System. 165 Siehe dazu Jardine, Nicholas: The Places of Astronomy in Early-modern Culture, in: Journal for the History of Astronomy 29/1 (1998), S. 49–62 sowie Westman, Robert S.: The Astronomer’s Role in the Sixteenth Century. A Preliminary Study, in: History of Science 18/2 (1980), S. 105–147.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
während die zweite eher im Kontext der stoisch-platonischen Philosophie auftritt. Wie oben beschrieben, betont Seneca als berühmtester Vertreter dieser letztgenannten Konzeption und ebenso wie Aristoteles die fundamentale Divergenz dieser Sichtweisen.166 Das Problem der Verortung von Kometen wird im Kontext der Astronomie des 16. Jahrhunderts zur bestimmenden Fragestellung. Dieser experimentell höchst anspruchsvollen Aufgabe widmen sich fast 100 Jahre nach Peurbach – allerdings unter deutlich veränderten methodischen und theoretischen Voraussetzungen – Michael Mästlin, Tycho Brahe und später Christoph Rothmann. Brahe entwickelt spätestens mit seinen Arbeiten zur Nova 1572 eine skeptische Haltung zur aristotelischen Himmelslehre und hebt die astronomische Beobachtungspraxis durch instrumentelle und methodische Innovationen auf ein vorher unerreichtes Niveau der Präzision.167 Ein vergleichbares Maß an Observationsgenauigkeit wird zeitgenössisch nur am Hofe Wilhelms IV. von Hessen-Kassel erreicht, wo neben dem Instrumentenbauer Jost Bürgi auch Christoph Rothmann tätig ist.168 Wie auch Brahe beobachtet der spätere Tübinger Professor und Lehrer Keplers, Michael Mästlin, die Nova 1572 und den Kometen 1577 aufmerksam und stellt dabei insbesondere die parallaktische Distanzmessung in den Fokus, die er interessanterweise ohne die Hilfe elaborierter Instrumente erfolgreich angeht.169 Während er für die Nova bereits keine Parallaxe nachweisen kann und daher deren supralunare Stellung proklamiert, führen ihn seine Untersuchungen des Kometen 1577 zu dem Ergebnis, diesen in der Sphäre der Venus – genauer: zwischen Erde und Venus – zu verorten.170 In seinem Werk liefert Mästlin die erste explizite Beschreibung einer Kometenbahn als Segment einer kreisförmigen Raumkurve; etwas, dass unabhängig davon auch Brahe gelingt, nach welchem sich der Komet auf einem außerhalb der Venus gelegenen Kreissegment bewegt haben soll.171 Interessant ist, dass sowohl für den Heliozentriker Mästlin als
166 Vgl. Williams: The Cosmic Viewpoint, S. 275–276. 167 Siehe dazu z. B. Maeyama, Yas: Tycho Brahe’s Stellar Observation. An Accuracy Test, in: Christianson, John R. et al. (Hrsg.): Tycho Brahe and Prague. Crossroads of European Science, Frankfurt am Main 2002 (Acta Historica Astronomiae 16), S. 105–120, hier S. 113–119. 168 Siehe hierzu Hamel, Jürgen (Hrsg.): Die astronomischen Forschungen in Kassel unter Wilhelm IV. Mit einer wissenschaftlichen Teiledition der Übersetzung des Hauptwerkes von Copernicus 1586, Frankfurt am Main 1998 (Acta Historica Astronomiae 2). 169 Mästlins Messungen sind trotzdem so genau, dass Tycho Brahe dessen Ergebnisse später wortgetreu in sein eigenes Werk aufnimmt, vgl. Schramm, Matthias: Zu den Beobachtungen von Mästlin, in: Betsch, Gerhard / Hamel, Jürgen (Hrsg.): Zwischen Copernicus und Kepler. M. Michael Maestlinus Mathematicus Goeppingensis 1550–1631, Frankfurt am Main 2002 (Acta Historica Astronomiae 17), S. 64–71. 170 [2.9] Mästlin, Michael: Observatio & demonstratio cometae aetherei, qui anno 1577 et 1578 constitutus in sphaera veneris, apparuit, cum admirandis eius passionibus, varietate scilicet motus, loco, orbe, distantia a terrae centro, &c. adhibitis demonstrationibus geometricis & calculo arithmetico, cuiusmodi de alio quoquam cometa nunquam visa est, Tübingen 1578 (VD16 M 101). 171 Vgl. Waschkies: Physik und Physikotheologie des jungen Kant, S. 221–224.
2.4 Die systematische Beobachtung von Kometen und ihre naturkundliche Konzeptualisierung
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auch für Tycho Brahe als Verfechter der Idee einer stationären Erde die Überlegungen zu Kometenbahnen wichtige Indizien für die Richtigkeit ihrer jeweiligen kosmologischen Vorstellungen sind. Das ist allerdings im Lichte der Forschungsergebnisse Ruffners insofern nicht verwunderlich, als demnach die räumliche Lage und Orientierung der Kometenbahn durch die Beobachtungsdaten im Kontext einer rein kinematischen Sichtweise – selbst wenn dasselbe Weltsystem zugrunde gelegt wird – nur wenig determiniert sind.172 Einerseits hängen die von einzelnen Gelehrten entwickelten quantitativ-theoretischen Beschreibungen der Kometenbewegung stark von ihren Vorstellungen über die Natur der Kometen ab. So hält etwa Kepler die Kometen anfänglich für vergängliche Körper und spricht ihnen deshalb eine geradlinige Bewegung zu, da Kreisförmigkeit nur perfekten und ewigen Himmelskörpern wie Planeten oder Sternen zukomme.173 Auf der anderen Seite haben empirisch gefundene neue Erkenntnisse nicht den theorieerschütternden Effekt, der ihnen historiographisch z. T. zugeschrieben wird. Das für Brahe oder Mästlin so offensichtlich aus ihren Untersuchungen folgende Faktum, dass Kometen sich über dem Mond befinden, erschließt sich den wenigsten Zeitgenossen in dieser Klarheit.174 Unabhängig davon macht die Überzeugung von der Richtigkeit dieser Annahme nicht alle Elemente der aristotelisch-meteorologischen Theorie der Kometenentstehung obsolet: So versetzen einige Gelehrte beispielsweise die Sichtweise der Kometen als relativ langsam ablaufende Verbrennungsprozesse lediglich in einen räumlich entfernteren Bereich und auch, dass Kometen aus irdischen Exhalationen entstehen, wird z. B. von Rothmann nicht abgelehnt.175 Dass 1572 ein neuer Stern im Bereich der Fixsternsphäre erscheint, bedeutet für Mästlin nicht, dass der ätherische Himmel nun generell als veränderlich oder weniger perfekt zu denken sei.176 Brahe wie auch Mästlin erkennen aber durchaus die Probleme, die ihre Distanzmessungen unabhängig von einzelnen naturphilosophischen Aspekten der Kometentheorie für die aristotelische Kosmologie insgesamt bedeuten. Tycho Brahe hat in mehreren kleinen Schriften über die Nova 1572 und den Kometen 1577 publiziert, bevor er 1588 mit De mundi aetherei recentioribus phaenomenis liber secundus de cometa anni 1577 sein opus magnum vorlegt, das neben seinen eigenen 172
173 174 175 176
Vgl. Ruffner: The Background and Early Development of Newton’s Theory of Comets, S. 49–71. Ruffner untersucht hier vergleichend die Kometentheorien der drei Kopernikaner Horrocks, Hevelius und Mästlin, die dem Kometen von 1577 völlig unterschiedliche Bewegungsbahnen zuschreiben, darunter eine geradlinige (Hevelius) und eine, die in der Sonne beginnt und endet (Horrocks). Siehe dazu den Nachbericht Franz Hammers zum achten Band Keplers Gesammelter Werke (im Folgenden KGW) Hammer, Franz: Nachbericht KGW VIII, München 1963, S. 463–468. Diese Thematik wird in Kap. 7 eingehender behandelt. Siehe dazu Kap. 6 dieser Arbeit. Vgl. Waschkies: Physik und Physikotheologie des jungen Kant, S. 224. Methuen, Charlotte: Maestlin’s Teaching of Copernicus. The Evidence of His University Textbook and Disputations, in: Isis 87/2 (1996), S. 230–247, hier S. 232.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
Ergebnissen auch die wichtigsten zeitgenössischen Beiträge zur Erforschung dieses Kometen diskutiert und sehr einflussreich wird.177 Hier entwickelt der dänische Astronom aufbauend auf der oben erörterten optischen Kometentheorie die Idee, dass Kometen, neue Sterne oder auch die Milchstraße aus einer besonderen Art himmlischer Materie bestehen – einer, die wesensmäßig zwischen der reinen, transparenten Form liegt, aus der die Sterne bestehen, und der lichtundurchlässigen, dichteren, aus der Körper wie der Mond bestehen, die Licht reflektieren.178 Anders als etwa bei Pena ist Brahes Universum nicht überall von Luft erfüllt, denn über dem Mond beginnt die Region des Äthers. Die ätherischen Kometen bestehen seiner Ansicht nach aus der genannten dritten Erscheinungsform der Himmelsmaterie, die weder transparent noch rein reflektierend, sondern eher porös sei. Sonnenstrahlen gelangen auf diese Weise teilweise in den Kometenkörper und machen ihn so sichtbar, während die den Kometen durchdringenden Strahlen den Schweif formen. Hinsichtlich ihres Perfektionsgrades sind Kometen den Sternen oder Planeten untergeordnet; sie werden als vergängliche und vorübergehende Objekte gedacht, die z. B. auch irreguläre Bewegungen haben können. Gleichzeitig sieht Tycho Kometen als übernatürliche und zweckhafte Schöpfungen Gottes an, deren Bedeutung als Zeichen nicht überschätzt werden könne. Insbesondere in seiner deutschsprachigen Schrift zum Kometen 1577 geht er außerdem auf die astrologische Signifikanz des Himmelsphänomens ein.179 Tycho Brahes Bedeutung und auch die Relevanz seines vermeintlichen Nachweises der Supralunarität von Kometen für die Entwicklung der physikalischen Kometentheorie ist in der Historiographie mitunter überbewertet worden.180 Nichts desto weniger ist er für die Astronomiegeschichte bedeutsam, da sich in seiner Person und Leistung das Alte und der Aufbruch in die Moderne widerspiegeln: Noch vor Einführung des Teleskops betreibt er ein überaus leistungsfähiges Observatorium, wobei die dort erreichte Beobachtungspräzision auf der Größe und Qualität der dortigen Instrumente sowie der systematischen Methodik beruht, mit der Brahe und seine Mitarbeiter große Datenmengen akkumulieren und analysieren, um an diesem empirischen Material dann theoretische Vorstellungen zu überprüfen. Seine Kometentheorie erscheint von modernem Standpunkt aus betrachtet innovativ; das neue Weltbild des Copernicus kann ihn hingegen zeitlebens nicht überzeugen, weshalb er stattdessen ein kosmolo-
[2.3] Brahe, Tycho: De Mundi Aetherei Recentioribus Phaenomenis Liber Secundus. Qui est de illustri stella caudata ab elapso fere triente Novembris Anni 1577, usque in finem Ianuarii sequentis conspecta, Uraniburg 1588 [Dreyer, Johan L. E. (Hrsg.): TBDOO IV, Kopenhagen 1913, S. 1–378]. Siehe dazu auch Kap. 6. 178 Vgl. Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 43–46. 179 Siehe dazu Christianson, John R.: Tycho Brahe’s German Treatise on the Comet of 1577. A Study in Science and Politics, in: Isis 70/1 (1979), S. 110–140. 180 Beispielhaft für diese Historiographie ist die klassische Monographie zum Kometen 1577 von Hellman: The Comet of 1577. Für eine Diskussion der Gründe dieser Überbewertung siehe die Einleitung von Kap. 6. 177
2.5 Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese
101
gisches Kompromissmodell ersinnt. Der dänische Astronom ist ein europaweit anerkannter Gelehrter, der ganz überwiegend lateinische Werke verfasst. Die hinter seiner Kometentheorie stehende Gedankenwelt, in der empirische Beobachtung, naturkundliche Theoretisierung, theologische Interpretation sowie astrologische Ausdeutung zusammenkommen, ist hingegen für das Konglomerat aus Zugängen zum Phänomen repräsentativ, das auch den hier interessierenden Kometendiskurs jenseits der gelehrtakademischen Welt prägt. 2.5 Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese Im Kometenbild des 16. Jahrhunderts kommen die in den bisherigen Kapiteln thematisierten Entwicklungslinien des Aufschwungs der Astrologie sowie der Quantifizierung der Naturphilosophie in Kombination mit einer Hinwendung zur Empirie besonders fruchtbar zusammen. Zwei wichtige Ereignisse bzw. deren Folgen beeinflussen den dieses Bildes verhandelnden Kometendiskurs wesentlich: Die Erfindung des Buchdrucks und die Reformation, die besonders durch ihre wechselseitige Förderung kulturell relevant werden. Während man im Mittelalter weitgehend Kometomantik betreibt, wird in der Renaissance die astrologische Kometologie populär.181 Eine systematische Prognostik mit ihrer kausalen Untermauerung in Form der meteorologischen Theorie integriert sich besser in das zeitgenössische Bestreben, die Etablierung einer auf Observation beruhenden Epistemologie sowie die Verwissenschaftlichung der Künste voranzutreiben. Gleichzeitig führt die protestantische Reformation zu einem Aufblühen des Prodigienwesens, das Nouhuys als comeback der teratologischen Tradition charakterisiert, die das Göttliche mit dem Natürlichen verbindet und den Fokus auf die zeichenhafte Kometendimension richtet.182 Die Verbreitung der protestantischen Lehre erfolgt neben dem primären Medium der Predigt auch über kleinliterarisches Schrifttum wie Flugblätter und Flugschriften, für die ein Markt und eine Öffentlichkeit entstehen. Den Autoren steht ein zunehmend größer und heterogener werdender Rezipientenkreis gegenüber, so dass sich ihnen und ihren Schriften ganz neue Wirkungsmöglichkeiten eröffnen.183 Das gesellschaftlich-kulturelle Ereignis der Reformation kreiert damit einen Informations- und Kommunikationsbedarf, der den Durchbruch der schon einige Jahrzehnte alten Technik des Buchdrucks bedeutet.184 181 182 183
Stegemann: „Komet“, Sp. 114. Vgl. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 415–417. Tschopp, Silvia S.: Rez. zu: Talkenberger, Heike: Sintflut. Prophetie und Zeitgeschehen in Texten und Holzschnitten astrologischer Flugschriften 1488–1528, Tübingen 1990 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 26), in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 104/XLII (1993), S. 120–123. 184 Siehe dazu Flachmann, Holger: Martin Luther und das Buch: Eine historische Studie zur Bedeutung des Buches im Handeln und Denken des Reformators, Tübingen 1996 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 8) sowie die dort genannte Literatur.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
Diese Kommunikationsrevolution ist ein wichtiger struktureller Faktor des Kometendiskurses – nicht zuletzt, da sie für eine Verbreitung und Verankerung der astrologischen Praxis im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit sorgt. Der erwähnte Aufschwung der Astrologie spiegelt sich dabei in laienastrologischer Gebrauchsliteratur ebenso wider wie in gelehrten Traktaten. Wichtige Werke der an den Universitäten fest verankerten Wissenschaft der Sterndeutung sind beispielsweise Johannes Schöners De iudiciis nativitatum libri tres (1545), Girolamo Cardanos Commentaria (1554) oder Francesco Giuntinis Speculum astrologiae (1573).185 Diese akademische Astrologie als selbstverständlicher Teil der frühmodernen europäischen Bildungslandschaft wird z. B. auch mit dem Humanismus verbunden, wie die gut untersuchten Beispiele Joseph Grünpecks oder Georg Tannstetters (1482–1535) verdeutlichen.186 Das zweite Standbein hat diese Form der Astrologie im Dienste der Politik: Viele astrologiekundige Gelehrte sind als Fürstenberater eng mit Herrscherhäusern assoziiert, darunter Johannes Carion (1499–1537), Johannes Lichtenberger (ca. 1440–1503), Georg Peurbach, der bereits genannte Georg Tannstetter, Peter Apian, Cyprian von Leowitz (1524–1574) sowie später Heinrich Rantzau (1526–1598), Christoph Rothmann, Tycho Brahe, Johannes Kepler oder Galileo Galilei (1564–1641).187 Die Hofastrologen, die zeitgleich mitunter auch Leib- oder Stadtärzte sind, verfassen astrologische Tafeln, astronomische Ephemeriden sowie kalendarische und prognostische Werke wie Praktiken und Almanache. An dieser Auflistung zeigt sich, wie wenig die akademisch-gelehrte und die Volks- oder Laienastrologie, zumindest in medialer Hinsicht, voneinander getrennt sind. Während es an italienischen Universitäten schon im 14. Jahrhundert üblich ist, für das bevorstehende Jahr einen Almanach zu veröffentlichen, ziehen nordeuropäische Universitäten seit dem 15. Jahrhundert nach:
185 186
187
Vgl. Gindhart: „Astrologie“, S. 235. Siehe Slattery: Astrologie, Wunderzeichen und Propaganda. Zu Tannstetter siehe Graf-Stuhlhofer, Franz: Humanismus zwischen Hof und Universität. Georg Tannstetter (Collimitius) und sein wissenschaftliches Umfeld im Wien des frühen 16. Jahrhunderts, Wien 1996 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 8), S. 128–144. Siehe dazu im Einzelnen Oestmann, Günther: Heinrich Rantzau und die Astrologie: Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des 16. Jahrhunderts, Braunschweig 2004 (Disquisitiones Historiae Scientiarum: Braunschweiger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 2); Christianson, John R. et al. (Hrsg.): Tycho Brahe and Prague. Crossroads of European Science, Frankfurt am Main 2002 (Acta Historica Astronomiae 16); Algazi, Gadi: Keplers Apologie. Wissensproduktion, Selbstdarstellung und die Geschlechterordnung, in: Reich, Björn / Rexroth, Frank / Roick, Matthias (Hrsg.): Wissen, maßgeschneidert. Experten und Expertenkulturen im Europa der Vormoderne, München 2012, S. 214–248; Biagioli, Mario: Galileo Courtier: The Practice of Science in the Culture of Absolutism, Chicago 1993; Fürst, Dietmar / Hamel, Jürgen (Hrsg.): Johann Carion (1499–1537). Der erste Berliner Astronom, Berlin 1988 (Archenhold-Sternwarte Vorträge und Schriften 67); Kurze, Dietrich: Popular Astrology and Prophecy in the Fifteenth and Sixteenth Centuries: Johannes Lichtenberger, in: Zambelli, Paola (Hrsg.): ‚Astrologi hallucinati‘. Stars and the End of the World in Luther’s Time, Berlin 1986, S. 177–194. Zur politischen Rolle der mittelalterlichen Astrologie siehe Mentgen: Astrologie und Öffentlichkeit im Mittelalter.
2.5 Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese
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Almanache avancieren im Laufe der Zeit zu Prestigeobjekten der Universitäten.188 Da sie jedes Jahr neu berechnet werden müssen, bildet sich allmählich der Berufsstand der Kalenderkalkulatoren heraus, die zunächst hohes Ansehen genießen und ihre Tätigkeit auch neben oder im Rahmen ihrer hauptamtlichen Beschäftigung als Universitätsprofessoren ausüben können.189 In Kombination mit der mit dem Buchdruck verbundene Medienrevolution tragen Hilfsmittel wie Ephemeriden, Direktions- und Häusertafeln, die das eigene Rechnen zunehmend überflüssig machen, dazu bei, die Astrologie aus den Studierzimmern der Experten auf die Gassen und Märkte zu holen: Sie wird damit zu einer Angelegenheit der öffentlichen Debatte, die sie mit konstituiert.190 Auch in den Kometenflugschriften treffen die akademisch-wissenschaftliche und die profane Form der Sterndeutung aufeinander und dienen der Konkretisierung der astrologischen Signifikanz des Himmelsphänomens. Dabei ist die Astrologie einerseits Teil der naturkundlichen Erklärung der Kometenentstehung und -wirkung und rekurriert außerdem auf die Zeichenhaftigkeit der himmlischen Erscheinung, da sie dessen primäres Interpretationsinstrument darstellt. Es sind diese beiden Begründungskontexte der astrologischen Prognostik, die Astronomie und die Apokalyptik – oder allgemeiner gesprochen Naturkunde und Theologie –, die Melanchthon aufgreift, wenn er die Astrologie zu einer universellen hermeneutischen Kunst weiterentwickelt.191 2.5.1 Melanchthons theologisierte Naturphilosophie Die Kometen als göttliche Zeichen zu interpretieren ist Element einer christlichen Theologie und Natursicht, die sich im Nachgang der Reformation konfessionell differenziert. Besonders außergewöhnliche Naturerscheinungen treten bei den Protestanten – interpretiert als Wunderzeichen – an die Stelle der Heiligenwunder bei den Katholiken.192 Gerade im deutschen Sprachraum ist die Prodigienbegeisterung ein
188
Vgl. Schöner, Christoph: Peter Apian und die Universität Ingolstadt. Aushängeschild oder Außenseiter, in: Röttel, Karl (Hrsg.): Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit, Eichstätt 1995, S. 39–46, S. 41. 189 Vgl. Biller, Joseph H.: Die Wandkalender Peter Apians, in: Röttel, Karl (Hrsg.): Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit, Eichstätt 1995, S. 147–152, S. 147. 190 Stuckrad spricht in diesem Zusammenhang von einer „Neuformatierung des astrologischen Diskurses“, vgl. Stuckrad: Geschichte der Astrologie, S. 242. 191 Siehe dazu Sparn, Walter: Astrologie im frühneuzeitlichen Luthertum. Theoretische Begründung und lebenspraktische Bedeutung, in: Salatowsky, Sascha / Lotze, Karl-Heinz (Hrsg.): Himmelsspektakel. Astronomie im Protestantismus der Frühen Neuzeit, Gotha 2015 (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha 52), S. 39–47 sowie Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 99–109. 192 Mańko-Matysiak, Anna: Das Teufelsmotiv in der schlesischen Wunderzeichenliteratur der Frühen Neuzeit, Marburg 1999 (Schriftenreihe der Kommission für deutsche und osteuropäische Volkskunde in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e. V. 79), S. 81.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
überwiegend protestantisches Phänomen.193 Das Aufblühen der Prodigienliteratur seit Mitte des 16. Jahrhunderts ist jedoch eine europaweite Erscheinung umfassenden Charakters: Sie findet in lateinischen Traktaten genauso Ausdruck wie in volkssprachigen Schriften, bezieht sich auf antike Philosophie sowie zeitgenössische Gelegenheitsliteratur als Quellen und ist damit in der humanistisch geprägten Elitenkultur ebenso beheimatet wie in der populären Volkskultur.194 Sie ist Ergebnis der zeitgenössischen Kompilationsmanier in Verbindung mit einer auf die Etablierung des Buchdrucks folgenden „Verdichtung der Kommunikation“ und somit „Artefakt der Druckerpresse“, wobei ihr Erfolg in ihrer Funktion der Bewältigung sozialen Elends und religiöser Unsicherheit gründet.195 Einen Sensationshunger der Massen oder die Möglichkeit der Polemisierung und Instrumentalisierung als hauptsächlich motivierende Faktoren der Prodigienliteratur anzuführen, griffe zu kurz, da sie in komplexere kommunikative Kontexte eingebunden ist: So geht es in den Schriften oftmals um eine nüchterne, beschreibende und vor allem deutungsoffene Berichterstattung, die Teil der – auch politischen – Kommunikation einer gebildeten Elite ist und vielfach von dort ihren Weg in die Publizistik und Geschichtsschreibung nimmt.196 Einen wesentlichen Faktor der protestantischen Prodigienbegeisterung stellt die Verortung der göttlichen Zeichen in einem apokalyptischen Interpretationsrahmen dar.197 Die eschatologische Weltsicht ist ebenfalls ein europäisches Phänomen, jedoch besonders bei Lutheranern in der Zeit von Mitte des 16. Jahrhunderts bis zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs verbreitet, die das Erleben der krisenhaften Jetztzeit mit Bedeutung belegen, indem sie mannigfaltiges Geschehen als Endzeichen deuten, z. B. außergewöhnliche Natur- und Himmelsphänomene wie Kometen- oder Haloerscheinungen, Nebensonnen, einen Blutmond oder andere Meteora, aber auch Blutregen, missgebildete Tiere oder Monstergeburten.198 Die theologische Legitimierung beruht dabei auf den oben genannten Bibelstellen, die Luther wörtlich versteht und in einer politisch-polemischen Deutung z. B. auf das Papsttum als Personifikation des Anti-
193
Siehe dazu ausführlich Soergel: Miracles and the Protestant Imagination. Die französische Prodigienliteratur scheint hingegen überwiegend katholisch geprägt, vgl. Schenda: Die französische Prodigienliteratur in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sowie Döring: Von der Wundergeschichte zum ‚fait divers‘. Das umfassendste zeitgenössische Kompendium zu Wundern entstammt der Feder des Jesuiten Caspar Schott, siehe dazu Unverzagt, Dietrich: Philosophia, Historia, Technica. Caspar Schotts Magia Universalis, Berlin 2000. 194 Schenda: Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts. 195 Mauelshagen, Franz: Die „portenta et ostenta mines lieben herren unsers säligen …“, S. 77. Zum Prozess der Verdichtung der Kommunikation siehe auch Dooley, Brendan: Die Entstehung von Gleichzeitigkeit im europäischen Bewusstsein auf der Grundlage der politischen Nachrichtenpresse, in: Blome, Astrid / Böning, Holger (Hrsg.): Presse und Geschichte. Leistungen und Perspektiven der historischen Presseforschung, Bremen 2008, S. 49–66. 196 Vgl. Mauelshagen: Die „portenta et ostenta mines lieben herren unsers säligen …“, S. 92–95. 197 Siehe dazu grundlegend Barnes: Prophecy and Gnosis. 198 Siehe dazu Leppin: Antichrist und Jüngster Tag.
2.5 Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese
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christen bezieht.199 Weitergehend untermauert wird dieser Blick auf die Endzeit durch die Vorstellung, in bestimmten eschatologisch konnotierten Zeitaltern zu leben. So beruhen verschiedene Weltalterberechnungen ebenfalls auf der Bibel und berufen sich zudem auf die astronomische Zyklizität und deren astrologische Implikationen, wonach z. B. für das Jahr 1524 eine Flutkatastrophe prognostiziert oder das am Ende des „feurigen Trigon“ liegende Jahr 1588 als großes Wunderjahr der umwälzenden Veränderungen erwartet wird.200 Solche Prognosen, die das Volk in Aufruhr versetzen und in gelehrten Kreisen hitzig debattiert werden, entwickeln ihre gesellschaftliche Wirksamkeit durch zahlreiche Flugschriften und veranschaulichen darin plastisch die Verknüpfung von christlichem mit astrologischem Gedankengut.201 Kometen sind aufgrund ihrer Zeichenhaftigkeit sowie ihres plötzlichen und schreckenauslösenden Auftretens für eine eschatologische Deutung prädestiniert, wobei diese Art der Kometeninterpretation geradezu als theologischer Spezialfall der Astrologie betrachtet werden kann, der darauf basiert, dass die Kometen in eine bestimmte Form christlicher Religiosität, die in einem extremen Sündenbewusstsein wurzelt, integriert werden.202 Eschatologische und astrologische Interpretation beflügeln sich hierbei gegenseitig wie beispielsweise Leppin ausführlich gezeigt hat.203 Die auf dem Prinzip der Analogie beruhende Deutungsmethode entspricht einem emblematischen Interpretationsverfahren, das nicht als willkürlich-allegorisches Setzen von Bedeutungen, sondern als Schlussfolgern aus dem in der Natur Vorgegebenen betrachtet wird.204 Je mehr die apokalyptisch-eschatologische Deutung mit dem Übergang zum 17. Jahrhundert von der prognostizierenden Astrologie verdrängt wird, umso mehr tritt die übliche Deutung der Kometen als Warn- und Bußzeichen in den Vordergrund.205 Hierbei üben sie eine Doppelfunktion aus, indem sie zum einen davor warnen, den eingeschlagenen
199 Vgl. Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit, S. 34. 200 Die Prognose geht auf den Astronomen Johannes Stoeffler zurück, der aufgrund von 20 Planetenkonjunktionen – davon 16 in wässrigen Zeichen – die Gefahr einer bevorstehenden Sintflut gekommen sieht, vgl. Reisinger, Reiner: Historische Horoskopie. Das iudicium magnum des Johannes Carion für Albrecht Dürers Patenkind, Wiesbaden 1997 (Gratia 32) [zugl. Diss. der Universität Bamberg 1995], S. 248. Zum Wunderjahr 1588 siehe Pohlig, Matthias: Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617, Tübingen 2007 (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe 37), S. 207–223 und Kap. 5.1 dieser Arbeit. Allgemein zu dieser Art himmlischer Prophetie siehe Ernst, Germana: From the Watery Trigon to the Fiery Trigon: Celestial Signs, Prophecies and History, in: Zambelli, Paola (Hrsg.): ‚Astrologi hallucinati‘. Stars and the End of the World in Luther’s Time, Berlin 1986, S. 265–280. 201 Siehe dazu ausführlich Talkenberger, Heike: Sintflut. Prophetie und Zeitgeschehen in Texten und Holzschnitten astrologischer Flugschriften 1488–1528, Tübingen 1990 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 26). 202 Stegemann: „Komet“, Sp. 113. 203 Leppin: Antichrist und Jüngster Tag. 204 Vgl. Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit, S. 42–43. 205 Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit, S. 41.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
Weg der Sündigkeit weiter zu beschreiten und zum anderen über ihre negativen Folgen gleichsam die Strafe der Unbußfertigen darstellen.206 Das Mahnen und Warnen ist integrativer Bestandteil des die soziale Lebenswelt begründenden, sichernden und Zukunft garantierenden Normensystems einer Buß- und Straftheologie, weshalb Kometen in dieser Funktion z. B. für Predigten instrumentalisiert werden.207 Diese Kometenpredigten bilden eine eigene Unterform der Kometenflugschrift, die hinsichtlich Inhalt, Stil und Anspruch z. T. beträchtlich variieren. Während manche Kometenpredigten tatsächlich reine Schriftfassungen mündlich gehaltener Predigten und daher durch einen diese Oralität widerspiegelnden Duktus und entsprechende Kürze geprägt sind, wachsen sich andere zu ausführlichen Traktaten aus, in denen theologische oder konfessionspolemische Diskussionen lange Exkurse bilden.208 Die Idee der Kometen als Bußmahner, die Franz Mauelshagen als „bedeutendstes Paradigma religiösen Denkens“209 in der frühneuzeitlichen Epoche bezeichnet, ist ein Ergebnis der Christianisierung der astrologischen Kometenprognostik in Verbindung mit Ideen des Volksglaubens, die schon lange vor der Reformation im 14. Jahrhundert auftaucht.210 Das Konzept der zeichenhaften Bedeutung von Kometen wird dabei insofern erweitert, als die Kometen zu göttlichen Kommunikationsmedien avancieren, die Offenbarungscharakter haben.211 Hinter dieser metaphysisch konzeptualisierten Kommunikation steht der Topos vom Buch der Natur, wobei die Wunderzeichen des Allmächtigen in den Rang einer heiligen Schrift erhoben werden.212 Der in den Kometen inkorporierte Aufruf zu Buße und Umkehr durchbricht den Zusammenhang von menschlicher Sünde und göttlichem Strafgericht, indem den Menschen eine Handlungsoption gegeben wird. Auf diese Weise wird der kosmische Kommunikationsraum zwischen Gott und Mensch zum Interaktionsraum, sobald die Adressaten auf Gottes Zorn reagieren und ihrerseits zum Handeln übergehen, Mandate erlassen, Buße leisten, Bittprozessionen abhalten oder Gebete an den Allmächtigen richten.213 Die Dechiffrierung der göttlichen Botschaft wird in diesem Kontext zur christlichen Pflicht, weil sich Gott in der Natur offenbart und durch diese erkannt werden will: Der lutherischen Theologie des Wortes tritt bei Melanchthon eine Theologie der 206 Vgl. Holtz, Sabine: Theologie und Alltag. Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550–1750, Tübingen 1993 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 3), S. 270–271. 207 Holtz, Sabine: Predigt. Religiöser Transfer über Postillen, in: Europäische Geschichte Online (EGO), Mainz 2011 (http://www.ieg-ego.eu/holtzs-2011-de, abgerufen am 06.09.2014). 208 Die Kometenpredigt von Jacob Heerbrand wird in Kap. 4.2 näher analysiert. 209 Mauelshagen: Rez. zu: Jakubowski-Tiessen/Lehmann (Hrsg.): Um Himmels Willen. 210 Stegemann: „Komet“, Sp. 111. 211 Döring bezeichnet sie als „Container des göttlichen Sprechakts“, vgl. Döring: Von der Wundergeschichte zum ‚fait divers‘, S. 133–135. 212 Mauelshagen, Franz: Verbreitung von Wundernachrichten als christliche Pflicht. Das Weltbild legitimiert das Medium, in: Mauelshagen Franz / Mauer, Benedikt (Hrsg.): Medien und Weltbilder im Wandel der Frühen Neuzeit, Augsburg 2000 (Documenta Augustana 5), S. 133–154, S. 152. 213 Mauelshagen: Verbreitung von Wundernachrichten als christliche Pflicht, S. 153.
2.5 Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese
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Natur entgegen, die Auslegung des „Theaters der Natur“ ergänzt als hermeneutisches Verfahren die Auslegung des Wortes.214 Die Astrologie ist für Melanchthon das probate Instrument dieser Auslegung, da Gott die Natur so eingerichtet habe, dass sich die Menschen durch deren Erforschung ein Bild des Schöpfungsplans und der göttlichen Eigenschaften machen können.215 In dieser Form einer christlichen Astrologie deuten die Menschen die Ordnung der Himmelssphären, die planetarischen Aspekte und andere siderische Konstellationen als Zeichen einer Sprache, mit der Gott seiner Kirche Anweisung gibt, wie sie sich in Zukunft verhalten solle.216 Es ist dieses Astrologiekonzept, das gleichermaßen die menschliche Willensfreiheit und die göttliche Allmacht wahrt und somit einen Ausweg aus dem alten Dilemma der Unvereinbarkeit von deterministischer Sterndeutung und christlicher Theologie bietet.217 Melanchthon löst diese Problematik, indem er konstatiert, dass natürliche Begebenheiten und menschliche Dispositionen formal durch den Einfluss der Gestirnskonstellationen bedingt seien, dies jedoch nicht im Sinne einer tatsächlichen Totalkausalität verstanden werden kann, was im Grunde genau der Grenzziehung zwischen der astrologia naturalis und der astrologia iudicaria entspricht.218 Mittels seiner theologisierten Naturphilosophie glaubt sich Melanchthon in der Lage, eben diese Grenze zu überwinden. Zudem ist es in diesem Kontext möglich, Wunderzeichen durch natürliche Ursachen zu erklären. Melanchthon hat diese Art der natürlichen Theologie nicht erfunden, sie aber doch in die protestantische Tradition implementiert und damit den Protestantismus für die Naturwissenschaften geöffnet.219 Die kompensatorische Verlagerung von Miracula als katholische Domäne auf Naturwunder im Kontext der reformatorischen Prodigienbegeisterung spiegelt sich in einem veränderten Wunderbegriff wider: Kometen als Mirakel sind zumindest dem Prinzip nach einer Erklärbarkeit durch natürliche Ursachen entzogen, während Kometen als Prodigien die Erklärung geradezu erfordern und das in mehrerlei Hinsicht: zum einen, weil Gott eben nicht die alleinige Ursache des Geschehens ist und zum anderen, da dessen im Naturprozess inkorporierte Botschaft der Entschlüsselung bedarf. Gott teilt sich den Menschen durch eine Reihe von Medien mit, die hierarchisch gestaffelt sind.220 Dieser Staffelung entspricht gleichzeitig eine Hierarchie von Erst- und Zweitursachen, auf der die Dualität von natürlicher und göttlicher Dimension der Naturbeschreibung basiert, die sich oft ganz harmonisch zu einem ganzheitlichen Erklärungsmodell außergewöhnlicher Naturereignisse verbin-
214 215 216 217 218 219 220
Wels: Manifestationen des Geistes, S. 106. Mahlmann-Bauer: Die Bulle ‚contra astrologiam iudicariam‘ von Sixtus V., S. 178–179. Mahlmann-Bauer: Die Bulle ‚contra astrologiam iudicariam‘ von Sixtus V., S. 145–146. Vgl. Gindhart: „Astrologie“, S. 238. Lalla: Über den Nutzen der Astrologie, S. 158. Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 106. Mauelshagen: Verbreitung von Wundernachrichten als christliche Pflicht, S. 153.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
den.221 Das Primat der Theologie, in deren Dienst Naturphilosophie und Astrologie stehen, wird nicht infrage gestellt: Die natürlichen Ursachen als physikalisch erklärbare werden sozusagen zwischengeschaltet; deren Ursache wiederum ist aber Gott, der sie einsetzt und damit mittelbar und nicht mehr unmittelbar wirkt.222 Der somit im protestantischen Naturverständnis und Gottesbild geradezu geforderte Rekurs auf natürliche Erklärungen führt zu einer graduellen Naturalisierung des Kometenbildes, wobei eine Säkularisierung durch Rationalisierung jedoch nicht stattfindet: „Eine lineare Entwicklung der ‚modernen Naturwissenschaften‘, in der die Zunahme empirischen Wissens die Abnahme theologischer und metaphysischer Vorstellungen impliziert, gibt es nicht.“223 Die Konzeption von Kometen als Wunderzeichen stellt den Anknüpfungspunkt für eine historische Argumentationsweise dar, da die Prodigien eine intermediäre Position zwischen einer Historia hominum und einer Historia naturalis einnehmen, weshalb sie sowohl historiographisch als auch naturgeschichtlich relevant sind.224 Der Prodigienglaube ist damit eine Vorstufe für eine letztlich heilsgeschichtlich orientierte Historiographie: Die Welt der Natur und die menschliche Gesellschaft bilden zusammen eine göttliche und gottgewollte Ordnung, der Anfang des Weltgeschehens durch die Schöpfung ist zugleich der Beginn des Heilsgeschehens, weshalb in der lutherischen Theologie eine Identität von Welt- und Kirchengeschichte besteht und der Zweck aller Geschichte durch den Bezug auf eine eschatologisch verstandene Heilsgeschichte festgelegt ist.225 Die Grundlage der historischen Kometendeutung bildet ein zyklischnaturhaftes Geschichtsverständnis, das von der Zyklizität astronomischen Geschehens inspiriert ist; dieser Zusammenhang von Natur-, Welt- und Menschengeschichte ist der Grund dafür, dass Ereignisse der Vergangenheit Aussagekraft und Belegfunktion für solche der Gegenwart oder Zukunft haben.226 Die Geschichte dokumentiert, wenn auch nur im Rückblick, die sich über Zeichen ausdrückende göttliche Providenz, weshalb ihr Studium eine empirische Grundlage für die Astrologie bietet, indem sie quasi statistisch relevantes Datenmaterial erhebt.227 Auch die auf Auswertung eigener und anderer Observationen basierende Kometographie vollzieht sich im epistemologischen Modus der historia.228 Diese ist weniger eine Disziplin, sondern vielmehr
221 Vgl. Mauelshagen: Verbreitung von Wundernachrichten als christliche Pflicht, S. 189. 222 Volkhardt Wels hat das in seinem Kapitel „causae naturales: naturphilosophische versus theologische Erklärung“ für die melanchthonische Sichtweise auf Naturphilosophie, Medizin und Astrologie überzeugend beschrieben, siehe Wels: Manifestationen des Geistes, S. 99–127. 223 Wels: Manifestationen des Geistes, S. 128. 224 Mauelshagen: Die „portenta et ostenta mines lieben herren unsers säligen …“, S. 92 225 Für den Zusammenhang von Eschatologie, Theologie und Historiographie als Begründung für die historische Argumentation vgl. Holtz: Theologie und Alltag, S. 52–59. 226 Vgl. Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit, S. 51. 227 Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 105–106. 228 Weichenhan: Neugier und Furcht, S. 63.
2.5 Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese
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ein in der frühneuzeitlichen Literatur etabliertes rhetorisches und epistemologisches Instrument, mit dem Objekte und Ereignisse der Natur sowie menschliche und gesellschaftliche Geschicke verbunden und in qualitative Sinnzusammenhänge gestellt werden.229 Die historische Deutung eines Kometen erlaubt eine retrospektive Sinnstiftung, indem bestimmte Ereignisse als dessen Folgen und damit göttliches Handeln deklariert werden, als auch eine prospektive Zukunftsschau. In der melanchthonischen Naturphilosophie wird auf diese Weise sowohl Vergangenheitsinterpretation als auch prophetische Prognostik auf eine rationalistische – nämlich erfahrungsdefinierte und erfahrungsabhängige – Grundlage gestellt.230 2.5.2 Die augmentierte Kometentheorie Durch die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebene Astrologisierung und Christianisierung der Kometentheorie entsteht im Laufe der Jahrhunderte die augmentierte meteorologische Theorie als das in der Frühen Neuzeit vorherrschende Paradigma zur Erklärung und Deutung dieser Himmelserscheinungen. In dieser charakterisierenden Bezeichnung manifestiert sich die Tatsache, dass der Ausgangspunkt der Kometeninterpretation nach wie vor durch die meteorologische Theorie nach Aristoteles gebildet wird, die allerdings in mehrerlei Hinsicht entscheidend erweitert worden ist: Die Verbindung mit der ptolemäischen Lehre hat die Kometen zu prognostizierbaren Objekten gemacht, die nunmehr mittels astrologischer Techniken umfänglich ausgedeutet und ihrerseits aus bestimmten astralen Begebenheiten vorhergesagt werden können. Die den Kometen zugeschriebenen und astrologisch spezifizierbaren negativen Folgen werden als deren Wirkungen verstanden, die genauso natürlich verursacht sind wie die Himmelserscheinungen selbst als aus irdischen Exhalationen entstehende Meteora, deren Existenz bestimmte meteorologisch verstehbare Konsequenzen nach sich zieht. Die theologische Vereinnahmung dieser Ideen deklariert den Zusammenhang von Entstehung, Erscheinung und Bedeutung von Kometen als göttlich intendiertes Handeln: Die menschliche Sündhaftigkeit erzürnt einen Gott, der sich in der Natur als seiner Schöpfung zeichenhaft ausdrückt und das Himmelsphänomen als Kommunikationsmedium einsetzt, das zur Buße mahnt und vor Strafe warnt, welche durch Umkehr und gottgefälliges Verhalten abgewendet werden kann. Der chronikal-dokumentarische Blick in die Vergangenheit untermauert die Relation von Kometenerscheinung und Kometenfolgen als Kausalzusammenhang zwischen
229 Siehe dazu Mosley, Adam: The History and Historiography of Early Modern Comets, in: Granada, Miguel Á. / Mosley, Adam / Jardine, Nicholas: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585. An Edition and Translation with Accompanying Essays, Leiden 2014 (History of Science and Medicine Library. Medieval and Modern Science 22), S. 282–325. 230 Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 111.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
vorangegangener Sünde und erfolgter Strafe Gottes, wobei aus dieser Historizität eine Aussagekraft bezüglich zukünftigen Geschehens abgeleitet wird. In diesem zeitgenössisch weitenteils akzeptierten Kometenbild spiegelt sich die Synthese von naturkundlicher Theoriebildung, astrologischer Ergänzung und theologischer Interpretation wider. Es ist das Zusammenspiel dieser drei Bereiche, die das Kometenbild so überzeugend machen, da sich die einzelnen Elemente gegenseitig stützen und dort ansetzen, wo sich ausgehend von nur einem Kontextfeld „Lücken“ oder Ungereimtheiten auftun. Weichenhan charakterisiert diese opinio communis entsprechend als nach vielen Seiten offene und disparate Elemente vereinende Kompromisslösung, mit der sich die in der genuin aristotelischen Kometenlehre verborgenen Probleme neutralisieren ließen: So führt die Astrologisierung der Kometen dazu, dass sie trotz ihrer Sublunarität ontologisch in die Nähe von Sternen und Planeten gerückt werden, womit sie nicht nur überhaupt in den Geltungsbereich der Astrologie gelangen, sondern z. B. auch erklärt werden kann, dass sie sich nicht nur geradlinig bewegen, wie es die aristotelischer Lehre verlangt.231 Die Kausalität des ptolemäischen Weltbilds wird auf den epistemologischen Status der Astrologie übertragen und ergänzt die meteorologische Kausalität, womit das Problem des Ursprungs von Kometen gelöst werden kann, da deren hervorbringende Ursache ebenfalls in den astrologischen und damit naturkundlichen Bereich der Gestirne verlagert wird, wobei durch die theologische Vereinnahmung des Kometenbildes nicht die causa efficiens, sondern die causa finalis mit einem göttlichen Akt belegt wird.232 Die Konzeptualisierung der Himmelserscheinungen als zweckhafte Botschaften Gottes bildet das wesentliche Movens ihrer Entschlüsselung durch naturkundliche Erklärung und astrologische Ausdeutung. Die augmentierte meteorologische Kometentheorie ist damit ein leistungsfähiges Modell, das auf verschiedene Rezeptionsinteressen antwortet: Zum einen das Bedürfnis nach Beschreibung und Erklärung des erschreckenden Phänomens durch sachliche Information und rationale Begründung des Geschehens. Zum anderen geht es um die sinnstiftende Einordnung der Kometen und ihrer Bedeutung in den konkreten lebensweltlichen Kontext der Individuen als Teil eines überzeitlichen und kollektiven Schicksals.233 Beides geschieht zum Zwecke der Kontingenz- und Angstbewältigung, da Kometenflugschriften zeitgenössisch erfahrene Krisen durch natürliche Ursachen erklären, wobei das Abstraktum Komet gleichzeitig Vehikel des Wissenstransports und Bedeutungsträger ist.234 Die Kometen fungieren damit als Projektionsfläche für 231 232 233
Vgl. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 402–408. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 403. Eine historische Untersuchung des Schicksalsbegriffs bietet Rehlinghaus, Franziska: Semantik des Schicksals. Zur Relevanz des Unverfügbaren zwischen Aufklärung und Erstem Weltkrieg, Göttingen 2015 (Historische Semantik 22). 234 Döring: Von der Wundergeschichte zum ‚fait divers‘, S. 143. Siehe dazu auch Kempe, Michael: Von „lechzenden Flammen“, „geflügelten Drachen“ und anderen „Luft-Geschichten“. Zur Neutralisierung der Naturfurcht in populärwissenschaftlichen Druckmedien der Frühaufklärung, in:
2.5 Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese
111
Inhalte, Information und Interpretation, wobei ihrer Wahrnehmung und Darstellung eine bestimmte Deutung von Realität zugrunde liegt.235 Die den Himmelsphänomenen zugeschriebene Bedeutung und Erklärung sind das „Produkt einer sinnstiftenden Arbeit“, worin sich vielfältige wissenskulturelle Praktiken widerspiegeln, die über den engen Bereich der naturkundlichen Erfassung von Kometen hinausgehen.236 Mit dem aus den verschiedenen disziplinären Zugängen gespeisten vielschichtigen Kometenbild geht zum einen ein Methodenpluralismus in der Herangehensweise an das Phänomen, als auch ein Nebeneinander verschiedener Deutungsweisen einher, da die unterschiedlichsten antiken und mittelalterlichen Theorien permanent mit neuen Deutungstraditionen vermischt werden.237 Bereits ein vergleichsweise simples Schema der astrologischen Ausdeutung eines Kometen erreicht aufgrund der teilweise interdependenten zu berücksichtigenden Parameter einen nicht zu unterschätzenden Grad an Komplexität. Ein gängiges Schema geht auf die Werke von Ptolemaios und Plinius zurück und wird im Laufe seiner Tradierung so erweitert, dass ein relativ fester Kanon von zehn Punkten entsteht, die durch beobachtbare Kometeneigenschaften konstituiert werden: Größe, Farbe, Form, Glanz, Ort, Bewegung sowie Ausrichtung des Schweifs, relative Stellung des Kometen zur Sonne, Projektion der Kometenbahn auf die Erde und Dauer der Erscheinung.238 Diese Parameter dienen in der astrologischen Feindeutung der Ausdifferenzierung der mit den Kometen konnotierten negativen Auswirkungen:239 Die Farbe lässt etwa auf den beherrschenden Planeten schließen, womit spezifische Wirkungen konnotiert sind, so ist etwa ein rötlicher Komet dem Mars zuzuordnen und kündigt Krieg, Unfrieden, Unwetter, Mord und Tyrannei an, während gelbliche venerischer Natur sind und Ehebruch und Blutschande bedeu-
Mauelshagen Franz / Mauer, Benedikt (Hrsg.): Medien und Weltbilder im Wandel der Frühen Neuzeit, Augsburg 2000 (Documenta Augustana 5), S. 155–178. 235 Vgl. Mauelshagen: Illustrierte Kometenflugblätter in wahrnehmungsgeschichtlicher Perspektive. 236 Siehe dazu den Aufsatz von Rebekka Habermas, die zur Beschreibung dieser Art von meaning production konstatiert, dass das, was in den Kometenflugschriften passiert nicht eine Interpretation der Wirklichkeit ist, sondern vielmehr eine Wirklichkeit durch die Interpretation begründet, organisiert und hergestellt wird, vgl. Habermas: Wunder, Wunderlicher, Wunderbares, S. 41. 237 Döring: Von der Wundergeschichte zum ‚fait divers‘, S. 132. 238 Vgl. dazu Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 139–155. Dieser Parameterkatalog avanciert zu einem maßgeblichen Strukturelement von Kometenflugschriften, wobei in einigen Werken manche der genannten Punkte gebündelt abgehandelt werden, während in anderen z. B. die relative Position des Kometen in Bezug zu anderen Planeten und Fixsternen oder die spezifische Deutung seines Laufs für bestimmte Personen- oder Volksgruppen in eigenen Kapiteln dargestellt sind. 239 Wie Hartmut Lehmann betont, ist diese ausschließlich negative Sichtweise erst seit dem Mittelalter und in ihrer Zuspitzung besonders im 16. und 17. Jahrhundert präsent, vgl. Lehmann: Die Kometenflugschriften des 17. Jahrhunderts als historische Quelle, S. 692. Auch antike Traditionen betonen vornehmlich die negativen Auswirkungen, in der christlich geprägten Historiographie findet sich als eine Ausnahme z. B. der Stern von Bethlehem, siehe dazu Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 38–45.
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ten.240 In ähnlicher Weise ist die Form eines Kometen mit spezifischen Folgen konnotiert und ebenfalls mit der Natur eines bestimmten Planeten verbunden. Die Heftigkeit oder das Ausmaß der negativen Kometenfolgen wird häufig proportional der Kometengröße oder der Intensität von dessen Schein gesetzt, während der Kometenschweif einerseits auf die Region weist, wo negative Wirkungen – etwa ein feindliches Heer – zu erwarten sind oder die Richtung bezeichnet, aus der diese kommen. Die Dauer der Kometenerscheinung weist auf das Andauern der Folgen hin, wobei eine schnelle Bewegung z. B. bedeutet, dass die Folgen schnell eintreten. Ebenso hat die Art der Kometenbewegung, z. B. mit oder retrograd zum Tierkreis, spezifische Folgen, während die Stellung des Kometen zur Sonne den Beginn seiner Wirkung markiert. Die vielfältigsten Deutungsmöglichkeiten bietet der Kometenort und damit zusammenhängend sein Lauf und die Projektion dieses Laufs auf die Erde. Dabei geht es um eine Verortung des Kometen innerhalb des Tierkreises oder relativ zu umgebenden Fixsternen oder Planeten, sowie die während seines Gangs durchlaufenen Zodia, astrologischen Häuser oder Sternbilder. So sind beispielsweise den Tierkreiszeichen bestimmte Regionen oder Personengruppen zugeordnet und den Häusern z. B. menschliche Lebensbereiche oder Institutionen.241 Ein Komet im 9. Haus droht etwa der Kirche oder dem Klerus Übles an, während ein Komet im 8. Haus den Tod eines Herrschers bedeutet. Planeten haben zudem ihre eigenen Häuser sowie aspektabhängige Komplexionen, die ihre Natur determinieren: Der Saturn hat demnach entsprechend der Elementenlehre die Qualitäten kalt und trocken und eine melancholische Natur.242 Bestimmten gesellschaftlichen Gruppen wie Handwerkern, Gelehrten, Klerikern oder Medizinern sind bestimmte Tierkreiszeichen zugeordnet, ähnlich auch ganzen Volksgruppen.243 Den Zodia werden weiterhin bestimmte Naturen zugeschrieben und sie 240 Vgl. [2.14] Schinbain, Johann Georg: Sternen oder Cometen Buch, in welchem die fürnemsten Cometen, deren bey 180. so hin und her, vor und nach Christi Geburt, an dem Firmament erschienen, sampt andern Meteorologicis so sich in Lüfften zugetragen: was auch gleich in jedem Jar besunder für Effect oder Würckung darauff gefolget, Ingolstadt 1578 (VD16 S 2843), Bll. T 2r–T 3r und für eine eingehende Analyse Kap. 4.1. Die den einzelnen Kometeneigenschaften zugeschriebenen Bedeutungen sind keineswegs immer gleich, eine andere Schrift zum Kometen 1577 schreibt venerischen Kometen „die fallende feucht und gichtbruchtigkeit / und schwerliche feber / ketzerische auffruhr / und Meutrische Fursten“ zu, siehe [2.8] Graminaeus, Theodor: Weltspiegel oder algemeiner Widerwertigkeit dess fünfften Kirchen Alters, kürtze Verzeignuss. Darinnen dess Cometen oder aussgereckter Rüthen, so im Jar Christi 1577 den 11. Novembris, am hohen Himmel vernomen Stand, Lauff, und Bedrewung zuersehen, so physice, astrologice, metaphysicae, oder aber formaliter erklert und aussgelagt wirt, Köln 1578 (VD16 G 2809), Bl. I 3r. 241 Für eine verständliche Übersicht astrologischer Grundbegriffe und Techniken siehe Azzolini: The Duke and the Stars, S. 53–64. 242 Vgl. Eade: The Forgotten Sky, S. 66. 243 Ein Komet im Sternbild Schütze droht nach Johann Gottfried Taust z. B. Arabien, Tyrrhonien, Spanien, Frankreich, England, Deutschland, Dalmatien, Sclavonien, Ungarn und Mähren, er listet weiterhin auch noch bedrohte Städte auf: Toledo, Modena, Avignon, Köln, Stuttgart, Rothen-
2.5 Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese
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sind außerdem in Erd-, Wasser- und Luftzeichen eingeteilt. Steht ein Komet in einem solchen Zeichen oder durchläuft es, kann das für ein Erdzeichen z. B. auf ein drohendes Erdbeben, für Wasserzeichen z. B. auf Dürre oder Überschwemmungen hinweisen. Bereits diese wenigen Anmerkungen lassen erahnen, wie kleinteilig und auch umfangreich eine astrologische Kometeninterpretation gestaltet werden kann, allein wenn nur die zehn Parameter und nicht noch die vielen Kombinationsmöglichkeiten betrachtet werden. Die Neuinterpretation und Erweiterung der tradierten Regeln der astrologischen Ausdeutung sowie die Berücksichtigung verschiedener Quellen führt zudem zu einem Nebeneinander verschiedener Deutungssystematiken, auf die eklektisch Bezug genommen wird. Aus dieser enormen Komplexität erwächst eine Flexibilität, die ermöglicht, die Kometeninterpretationen in vielfältige Richtungen zu ziehen. Sie können daher einerseits allgemein und übertragbar, andererseits auch individuell und aktuell anpassbar gestaltet sein, mit politischen, biblischen oder mythischen Deutungen verbunden und in Bezug zu tagesaktuellem Geschehen gesetzt und somit für theologische Erbauung, Sozialdisziplinierung, konfessionelle Polemik oder auch politische Propaganda instrumentalisiert werden. Auf diese Weise entstehen regelrechte Deutungsnarrative, die sich bei ein und derselben Kometenerscheinung erheblich unterscheiden können. Das bedeutet, dass die Autoren von Kometenflugschriften ihr methodisches Vorgehen legitimieren und ihre Kompetenz belegen müssen, was einen Druck in Richtung exakter und umfassender Beobachtung kreiert, da die astronomische Observation das für die Ausdeutung notwendige Datenmaterial liefert. Der Wunsch nach Deutung des erschreckenden Phänomens motiviert damit dessen deskriptive Erfassung, was einerseits zur Folge hat, dass astronomische Observationsmethoden und mathematische Verfahren auf die Behandlung von Kometen zugeschnitten oder dahingehend weiterentwickelt werden und zum anderen, dass das Phänomen als Naturprozess verstanden wird, welcher der Erklärung bedarf und an den naturphilosophische Fragestellungen herangetragen werden können. In der Deutung verbinden sich daher Beschreibung, Erklärung und Interpretation von Kometen, so dass eine sinnvolle Trennung von rein astrologischen und rein naturkundlichen Problemstellungen oftmals nicht möglich ist. Vielmehr werden Elemente dieser beiden Kontextgebiete im Kometenbild eng miteinander verwoben und zur gegenseitigen Legitimation verwendet. Konkret zeigt sich dies z. B. in der oben kurz beschriebenen Kometentypologisierung: Die Unterscheidung verschiedener Kometentypen resultiert bei Aristoteles aus den verschiedenen Arten der meteorologischen Entstehung burg und Buda, vgl. [2.15] Taust, Johann Gottfried: Cometa redivivus das ist der aus der Aschen viel entsetzlicher als zuvor hervorflammende und aufs Neue sich unserm Gesichte präsentirende Unglücks Prophete oder der nach gemeiner Art Genannte Comet und Schwantz Stern welcher seinen Curs und Lauff geändert und nach dem er unter der Sonnen Strahlen 3 Wochen verdecket gewesen nun mehr des Abends alsbald nach der Sonnen Untergang sich sehn lässet, Halle 1681 (VD17 14:073221Z), Bll. E 3v–E 4r.
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der Kometen aus terrestrischen Exhalationen. Die Klassifikation entspringt also der naturphilosophischen Problemstellung, den Ursprung und bestimmte Eigenschaften des Himmelsphänomens in ein explanatives Schema zu fassen. Die auf Plinius und andere zurückgehende Typologisierungstradition verknüpft das phänomenologisch Wahrnehmbare mit der historischen Erfahrung und entwickelt aus der so diagnostizierten Regelmäßigkeit ein Klassifikationsschema, dessen Relevanz allein im Kontext der astrologischen Interpretation liegt: Es geht nicht darum zu verstehen, wie z. B. ein Hornkomet zu seiner Form kommt, sondern welche astrologische Signifikanz diesem Typus von Kometen eigen ist. In der augmentierten Kometentheorie bündeln und verbinden sich damit die hinter diesen Typologisierungen stehenden epistemologischen modi und die dafür grundlegenden Potentiale von Naturkunde und Astrologie – versinnbildlicht in dem Namenspaar Aristoteles und Ptolemaios. Während der Kausalitätsanspruch der naturkundlichen Erklärung den epistemologischen Status der Sterndeutung aufwertet, liefern die astrologischen Techniken der Prognostik das Werkzeug, um die Bedeutung des theoretisch verstandenen Naturphänomens zu ergründen und dessen Erklärung damit maßgeblich zu vertiefen. Es ist überhaupt eine wesentliche Leistung der Astrologie, die abstrakt-theoretische Disziplin der mathematischen Astronomie, der es um Deskription und Demonstration geht, mit einer Naturphilosophie zu verbinden, die auf einer theoretischen Reflexion empirischer Erfahrung beruht und die mit der qualitativen Erklärung mittels Ursachen befasst ist.244 In der Kometenbeschreibung zeigt sich diese Integrationsfunktion der Astrologie besonders deutlich. Die für die astrologische Interpretation grundlegende Deutungsbedürftigkeit der Kometen bietet darüber hinausgehend einen Anknüpfungspunkt für die Theologie, die ebenfalls auf die Zeichenhaftigkeit der Kometen rekurriert. Dass beide Disziplinen mit ihrem Anspruch auf Weltdeutung nicht in Konkurrenz zueinander treten, sondern sich vielmehr harmonisch ergänzen und gegenseitig legitimieren, liegt an der besonderen historischen Situation der nachreformatorischen Zeit: Die Rivalität von meteorologisch-kausaler Astrologie und divinatorischer Teratologie ist im Kontext der melanchthonischen Naturphilosophie, die Kometen als natürliche Wunderzeichen Gottes betrachtet, fast bis zur Unsichtbarkeit verdeckt, da hier eine theologisierte Astrologie im Kontext einer ebenfalls auf das Theologische hingeordneten Naturforschung betrieben wird.245 Die Astrologie hat bei Melanchthon den Status einer Naturphilosophie, die auf der Synthese von aristotelischem und ptolemäischen Gedankengut beruht und Einblick in die Kausalitätsbeziehungen der Natur gestattet, während die Astronomie als angewandte Geometrie betrachtet wird, die Daten liefert
244 Siehe dazu Rutkin, Darrel H.: Astrology, in: Daston, Lorraine / Park, Katherine (Hrsg.): The Cambridge History of Science, Bd. 3: Early Modern Science, Cambridge 2006, S. 541–561. 245 Siehe dazu Meinel, Christoph: Certa Deus toti impressit vestigia mundo. Melanchthons Naturphilosophie, in: Fricke, Michael / Heesch, Matthias (Hrsg.): Der Humanist als Reformator. Über Leben, Werk und Wirkung Philipp Melanchthons, Leipzig 2011, S. 229–251.
2.5 Das frühneuzeitliche Kometenbild als Synthese
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und theoretisch-modellhaft beschreibt, aber keine Naturerklärung offeriert:246 Caspar Peucer sieht in der Astrologie den Schlüssel zur Natur, verstanden als göttliche Schöpfung, und z. B. die Möglichkeit der naturphilosophischen Erklärung von Wundern.247 Die Astrologie ist also in zweifacher Hinsicht Instrument: eines der Deutung im Dienste der Ausbuchstabierung des zeichenhaft ausgedrückten göttlichen Willens und eines der Explikation als Baustein der Kausalerklärung von Naturprozessen. Auf diese Weise stellt die Astrologie den Zusammenhang zwischen naturkundlichem und theologischen Naturzugang und interpretativem Kontext her. Neben dieser integrierenden Funktion der Astrologie schafft die Bezugnahme auf die Kausalität die Synthese zwischen den drei Kontextgebieten: Die Naturkunde nach Aristoteles erklärt alles Geschehen durch natürliche Ursachen. Die darauf beruhende Meteorologie liefert die physikalische Erklärung der Kometen und auch die hiermit zusammenhängende Idee der Zeichenhaftigkeit ist kausal konzeptualisiert, weil die Kometen als Naturzeichen ursächlich mit den Dingen, die sie anzeigen, verbunden sind. Die ptolemäische Astrologie der Tetrabiblos und damit die ganze Idee der Prognostik – sei es allgemein als Grundlage der Sterndeutung oder spezifisch auf die Vorhersage eines Kometen und seiner Wirkungen bezogen – beruht auf dem Konzept natürlicher Ursachen. Aus diesem Grund werden die Disziplinen der Astrologie und Medizin als empirische Wissenschaften verstanden, die der Naturerkenntnis ebenso dienen wie der Erkenntnis göttlicher Providenz, wobei die Geschichte in der Rückschau diese Providenz in der Natur als göttlicher Schöpfung dokumentiert.248 Auf diese Weise fungiert die historia-Argumentation als Deutungszugang, der Theologie und Astrologie verbindet – zudem liefert sie durch die chronikale Kometeninterpretation eine empirische Untermauerung der Zusammenhangs von Ursprung, Erscheinung und Wirkung der Kometen. Dieser Zusammenhang ist dual zu denken, wobei diese Dualität mit der Doppelnatur von Kometen als Zeichen und Ursachen korrespondiert. Zum einen geht es um eine metaphysisch-zeichenhafte Relation, die im Kontext der Buß- und Straftheologie theologisch aufgeladen wird: Der Mensch ist die Ursache des Bösen in der Welt durch seine Sünde als menschliches Fehlverhalten, dem eine Störung des personalen Verhältnisses zwischen Individuum und Gott entspricht, das durch reuige Buße wieder restituiert werden kann. Die Sünden sind damit Teil eines Kausalzusammenhangs von menschlichem Tun und Ergehen, wobei die bösen Taten der Menschen die Ursache des göttlichen Strafgerichts darstellen.249 Der Komet ist gleichzeitig indizierendes Zeichen der göttlichen Strafe und über seine negativen Folgen Teil der Strafe selbst. Dieses prodigienhafte Kometenbild ist weniger Element eines abergläubischen Weltbilds, sondern vielmehr Teil einer kausalen Konzeptualisierung der Himmelsphänomene durch eine fromme 246 247 248 249
Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 202. Vgl. Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 165–172. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 105. Holtz, Sabine: Theologie und Alltag, S. 270–271.
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2 Die historisch-thematischen Kontexte des frühneuzeitlichen Kometendiskurses
und gelehrte Elite.250 In diesem Konnex kann die straftheologische Interpretation selbst als eine Art Rationalisierung betrachtet werden, indem dadurch unterschwellige Ängste kanalisiert und einer sinnstiftenden Deutung bzw. einem im prodigiösen Zeichen inkorporierten Gnadenversprechen gegenübergestellt werden.251 Die Parallelität der Abläufe handlungsverursachter Ereignisse und warnender Zeichen, die ihrerseits natürlich entstehen und gleichzeitig Prodigien sind, wird durch die meteorologische Kausalität und die Plausibilisierung einer astrologischen Deutung ex post untermauert und ergänzt. Auf diesen metaphysischen Zusammenhang zwischen Kometenerscheinung und Kometenfolgen in ihrer Konzeptualisierung als Prodigien bezieht sich die Kausalrelation zwischen Kometenerscheinung und Kometenwirkung der meteorologischen Theorie. Die mit den Kometen konnotierten Folgen werden in diesem Kontext kausal als Wirkungen beschrieben, wobei die astrologische Interpretation nicht nur eine entsprechende Prognostik ermöglicht, sondern erlaubt, aktuelles Geschehen und die Widrigkeiten des irdischen Lebens retrospektiv als Kometenwirkung zu erkennen. Auf diese Weise treffen im frühneuzeitlichen Kometenbild naturkundliche, astrologische und theologische Interpretation aufeinander und ermöglichen die duale und auf den ersten Blick paradox anmutende Konzeption der Kometen als Zeichen und als Ursachen. Diese Relationen berühren hierbei nur die Beziehung zwischen Kometen und den ihnen zugeschriebenen negativen Ereignissen und nicht die Ursache der Kometen selbst, also die Frage, ob ihr Erscheinen auf natürliche Ursachen oder göttliches Wirken zurückzuführen ist. Auch bei dieser Frage gibt es keine eindeutige Antwort, so dass auch hier die verschiedenen Kometendimensionen harmonisch zusammenkommen können. Im folgenden Kapitel werden die hier kurz angerissenen Thesen durch konkrete Quellenanalysen untermauert, um zu zeigen, wie auf Grundlage der augmentierten Kometentheorie das integrierte Kometenbild entsteht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der in diesem Kometenbild inkorporierte Zusammenschluss unterschiedlicher Interpretationsweisen, Deutungstraditionen und letztlich verschiedener epistemologischer Zugänge und Ansprüche eine Kompromisslösung darstellt, die nicht unproblematisch ist. Ein Keim der Widersprüchlichkeit steckt bereits im Nebeneinander von zeichenhafter und ursächlicher Kometenkonzeption und den dahinter stehenden philosophischen Vorstellungen. Hinzu kommt der ambivalente Charakter der Astrologie, die sich zugleich für den spirituell-sinngebenden Bereich menschlichen Daseins als auch den kausal-rationalen der Wissenschaften zuständig sieht. Diese beiden Komplexe sind daher zentral für die Untersuchung des Kometendiskurses in den kommenden Kapiteln. 250 Vgl. Mosley: The History and Historiography of Early Modern Comets, S. 291–292 251 Auf diesen Punkt hat Rienk Vermij im Zusammenhang mit der Wahrnehmung und Deutung von Erdbeben in der Frühen Neuzeit hingewiesen, siehe Vermij, Rienk: Erschütterung und Bewältigung. Erdbebenkatastrophen in der Frühen Neuzeit, in: Jakubowski-Tiessen, Manfred / Lehmann, Hartmut (Hrsg.): Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003, S. 235–252.
TEIL II: Kometen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre: Die Formation des integrierten Kometenbildes im gemeinsamen Diskurs
Die Kometenerscheinungen der 1530er und 1550er Jahre sind die ersten, die in einer bis dato unbekannten systematisch-empirischen Weise beobachtet und dargestellt werden. Neben den im zweiten Kapitel näher ausgeführten theoretischen und intellektuellen Entwicklungen spielen dabei vor allem veränderte instrumentelle und methodologische Voraussetzungen sowie der gesellschaftlich-kulturelle Kontext eine Rolle. Die zu der Zeit verfügbaren Instrumente sind nicht unbedingt neu, sondern oftmals Weiterentwicklungen bereits vorhandener, aber dadurch, dass sie vermehrt größer, ortsfest oder aus anderen Materialien gebaut werden, sind sie präziser und ermöglichen die zweidimensionale Bearbeitung sphärischer Probleme – was eine immense Arbeitserleichterung darstellt – oder auch genauere Methoden der Zeitbestimmung.1 Hinzu kommen theoretische Entwicklungen wie etwa die geschilderte Fundierung der Trigonometrie für die Anwendung in der Astronomie durch Regiomontanus und die wachsende Zahl und Verfügbarkeit von Tafelwerken, Globen und Sternkarten. Der Buchdruck ist mittlerweile soweit etabliert, dass gelehrtes und triviales Wissen in vorher undenkbarer Weise Verbreitung finden kann, was auch den Umgang mit und Zugang zu diesem Wissen verändert: Nicht nur wird die universitäre Lehre zunehmend buchgestützt, viele für die Astronomie bedeutende Werke wie etwa der ptolemäische Almagest erscheinen seit Anfang des 16. Jahrhunderts erstmals in gedruckter Form. Die zweite wichtige Ebene ist ideeller und soziokultureller Natur. Der Humanismus als umfassende geistesgeschichtliche Bewegung hat einen enormen Einfluss auf die gelehrte Welt, in deren Rahmen das Wissen der klassischen Antike neu oder überhaupt verfügbar gemacht wird. Neben dieser Hochliteratur floriert ebenso die Klein-
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Siehe dazu Kokott: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539, S. 35–44.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
literatur, die breitere Kreise von Menschen auch jenseits von Universität, Kloster oder Hof erreicht. Zeitgleich finden gewaltige gesellschaftliche und politische Umwälzungen statt, darunter am folgenreichsten wohl die Reformation und die darauffolgenden gesellschaftlichen Veränderungen, die einhundert Jahre später in der gesamteuropäischen Katastrophe des 30jährigen Krieges münden. Die Reformation hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Florieren der Kleinliteratur – zu der auch die Kometenflugschriften gehören –, da sie die neuen Formen der medialen Kommunikation für Rezipientenkreise jenseits der gelehrten Kultur erschließt.2 Zudem sieht das 16. Jahrhundert eine Renaissance der Astrologie, die insbesondere im melanchthonischen Protestantismus einen Nährboden findet. In diesem Rahmen wird nicht nur die Wichtigkeit der Naturphilosophie insgesamt und der Astrologie im Besonderen betont, sondern beides im Kontext eines theologischen Weltverständnisses – hinsichtlich Zwecksetzung, Methode und Sinnstiftung – betrieben und mit diesem eng verknüpft. Diese Herangehensweise strahlt auch weit in nicht-gelehrte Sphären aus, was etwa an der Wunderzeichenbegeisterung greifbar ist, die damit ein thematisches Bindeglied zwischen akademisch-universitärer und populärer Kultur darstellt. Im Zuge der geographischen Entdeckungen seit Ende des 15. Jahrhunderts entwickelt sich die Neigung, die gewachsene Welt messend und beschreibend zu erfassen; die Kosmographie als alte Disziplin formiert sich in der Renaissance neu, ihr Entfaltungsraum ist nunmehr neben der irdischen Welt auch die Weite des Kosmos und seine Phänomene. Aus diesen Strömungen speist sich sowohl das Entstehen einer kritischen Haltung in der Tradierung und Generierung alten und neuen Wissens, als auch eine Aufwertung der curiositas als epistemischem Werkzeug, mit dem die Menschen die sie umgebenden Welt beobachten und interpretieren.3 Diese Entwicklungen bedeutet nicht, dass es zu einem völligen Bruch in der Behandlung und Darstellung von Kometen kommt. Viele Elemente der älteren und der nun zu untersuchenden Kometenflugschriften beziehen sich auf z. T. lange Traditionen, sei es die Sichtweise der Kometen als Unglücksbringer, als göttliche Warn- oder Strafzeichen, ihre naturalistische Erklärung als meteorologische Phänomene der oberen Atmosphäre oder ihre vielschichtige Deutung im Rahmen der Astrologie als Ausdruck einer Verbindung von Mikro- und Makrokosmos, wonach Kometen ähnlich anderen Himmelskörpern Einfluss auf die irdische Welt ausüben. Die als neues Element hinzukommende systematische Beobachtung von Kometen vollzieht sich in diesem Rahmen und findet in den Kometenflugschriften Darstellung und Interpretation. Sicher-
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Vgl. Nieden, Marcel: Die Wittenberger Reformation als Medienereignis, in: Europäische Geschichte Online (EGO), Mainz 2012 (http://www.ieg-ego.eu/niedenm-2012-de, abgerufen am 12.04.2014). Siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. 1.2. Siehe dazu Daston, Lorraine: Die Lust an der Neugier in der frühneuzeitlichen Wissenschaft, in: Krüger, Klaus (Hrsg.): Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit, Göttingen 2002, S. 147–175.
3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
121
lich die überwältigende Mehrheit der Kometenbeobachter der ersten zwei Drittel des 16. Jahrhunderts und wahrscheinlich auch die meisten in den folgenden Jahrzehnten bis weit ins 17. Jahrhundert, gehen a priori von der Richtigkeit der traditionellen aristotelischen Theorie von Entstehung und Wesen der Kometen aus und es geht ihnen nicht darum, diese Sichtweise durch Beobachtung zu widerlegen. Wie Kokott in seiner Analyse der Kometenbeobachtungen der 1530er Jahre – insbesondere bezogen auf die entsprechenden Schriften von Apian, Schöner und Gasser – feststellt, besteht die allgemeine Tendenz darin, „das Verständnis der Erscheinungen auf der Basis der hergebrachten Theorie durch empirische Messungen zu verbessern“4, wobei die Deutung der Erscheinung einen wichtigen, wenn nicht den primären Zweck darstellt. Die Vieldimensionalität der Kometen als Objekte der Untersuchung und Beschreibung in Gestalt der vielen Zugänge, Interpretation- und theoretischen Sichtweisen, die seit der Antike tradiert und kommentiert werden – z. T. durchaus widersprüchlich – hat sicherlich zu dem Bedürfnis nach empirischer „Überprüfung“ beigetragen. In den 1530er und 1550er Jahren erscheinen vergleichsweise viele Kometen5, wobei vier von ihnen besonders hell sind und in zahlreichen deutschsprachigen Kometenschriften rezipiert werden. Eine Auswahl aus diesen Schriften wird im Folgenden diskutiert. In diesen Werken formiert sich inhaltlich und stilistisch-strukturell das, was für mehr als ein Jahrhundert, und damit die Blütezeit dieser Publikationen, eine Kometenflugschrift ausmacht. Dies betrifft nicht nur einzelne Elemente, sondern auch ihre argumentative Verbindung. Solche Verbindungen im Zusammenspiel der relevanten Kontextfelder Naturkunde, Astrologie und Theologie herauszuarbeiten sowie anhand ihres Wandels die Entwicklung des frühneuzeitlichen Kometendiskurses zu analysieren, ist ein Ziel dieser Arbeit. Die folgenden Analysen sind weniger personenzentriert, sondern arbeiten überblicksartig heraus, welche spezifischen Themen und Problemstellungen in dieser Zeit relevant sind. Sie bilden damit einerseits den chronologischen Ausgangspunkt für die Analyse des Kometendiskurses und dessen Wandel und stellen das darin präsente Panorama an Zugängen, Traditionen, Darstellungs- und Interpretationsweisen thematisch fokussiert vor. Dies erfüllt nicht zuletzt eine propädeutische Funktion für die anschließenden Kapitel der eingehenderen Untersuchungen zum Kometen 1577.
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Kokott: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539, S. 140. Diese subjektiv wahrgenommene Häufung ist völlig zufällig und liegt im Bereich statistischer Schwankungen: Durchschnittlich ist alle 18 Monate ein Komet mit bloßem Auge und ungefähr alle zehn Jahre ein großer Komet mit langem Schweif zu sehen, vgl. Seargent, David A. J.: The Greatest Comets in History. Broom Stars and Celestial Scimitars, New York 2009, S. vii.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
3.1 Die Kometen der 1530er Jahre Zwischen 1531 und 1533 erscheinen drei6 helle Kometen, die in mindestens 29 deutschsprachigen Kometenflugschriften behandelt werden: Diese Anzahl setzt sich zusammen aus 15 Schriften zum Kometen 1531, neun anlässlich des Kometen von 1532 und schließlich fünf Publikationen zu dem von 1533.7 Eine exemplarische Auswahl dieser Werke bildet die Quellenbasis dieses Kapitels. Um die Breite des inhaltlichen Spektrums in den Kometenschriften deutlich zu machen, sind in dieser Auswahl sowohl die autoritativen als auch die weniger bekannten Autoren eingeschlossen, die professionell aus verschiedenen Richtungen kommen und Schriften unterschiedlichen Umfangs und Charakters verfasst haben: Neben den Werken von zwei der fähigsten und einflussreichsten zeitgenössischen Astronomen – Peter Apian und Johannes Schöner – sind das die Schriften des Landsberger Arztes Michael Krautwadel, des Geistlichen und Humanisten Nicolaus Pruckner und das Flugblatt des astrologisch interessierten Mediziners Achilles Pirmin Gasser. Ergänzend wird kurz auf die Kometenschriften Paracelsus’ eingegangen. Alle beziehen sich in ihren Werken auf die Kometen von 1531 oder 1532. 3.1.1 Das Primat der Beobachtung Der Beitrag Peter Apians zur physikalischen Kometentheorie ist im zweiten Kapitel bereits erläutert und insbesondere mit seinem lateinischen Hauptwerk, dem Astronomicum Caesareum in Verbindung gebracht worden.8 Schon acht Jahre früher, als er in Ingolstadt Professor für Mathematik ist und astronomische Beobachtungen macht, hat er je eine deutschsprachige Schrift zu den Kometen 1531 und 1532 publiziert.9 Es handelt sich bei der ersten um eine mit 76 Seiten recht umfangreiche Praktik10, die aus drei Teilen besteht, wobei der dritte den Kometen behandelt und ungefähr die 6
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8 9 10
Es handelt sich dabei um Halleys Kometen (1P/1531 P1) und die Kometen C/1532 R1 und C/1533 M1. 1537 und 1539 erscheinen noch zwei weitere, allerdings weniger helle Kometen, die als Einzelereignisse kaum in deutschen Flugschriften rezipiert und hier daher nicht berücksichtigt worden sind. Für die genannten Kometen der ersten Hälfte der 1530er Jahre vgl. Kronk: Cometography, S. 298–304. Die nachfolgend näher untersuchten Schriften werden mit den vollständigen bibliographischen Angaben im Primärquellenverzeichnis aufgeführt; in diesem und in allen weiteren quellenanalytischen Kapiteln werden die Werke eindeutig durch Autor und Veröffentlichungsjahr, aber meist mit verkürzten Titeln angegeben. Spezifisch zu Apians instrumenteller Kometenbeobachtung vgl. Wolfschmidt, Gudrun: Planeten, Kometen, Finsternisse. Peter Apian als Astronom und Instrumentenbauer, in: Röttel, Karl (Hrsg.): Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit, Eichstätt 1995, S. 93–106. [3.4] Apian, Petrus: Practica auff dz 1532. Jar, Landshut 1531 (VD16 A 3105) und [3.3] Apian, Petrus: Ein kurtzer Bericht der Observation und Urtels des jüngst erschinnen Cometen im Weinmon unn Wintermon dises XXXII. Jars, Ingolstadt 1532 (VD16 A 3093). Siehe dazu Green, Jonathan: Printing the Future. The Origin and Development of the ‚Practica Teütsch‘ to 1620, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 67 (2012), S. 1–18.
3.1 Die Kometen der 1530er Jahre
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Hälfte der Schrift ausmacht. Diesen Teil hängt Apian ein Jahr später an den Bericht über die Beobachtung des Kometen von 1532 erneut an und druckt ihn bis auf einen kurzen Einleitungsabschnitt wortgleich ab, was einerseits auf den kommerziellen Erfolg der Schrift und andererseits auf die Wichtigkeit hinweist, die Apian selbst deren Inhalten beigemessen hat. Dass Apian mit seiner Praktik eine Textsorte der astrologischen Prognostik gewählt hat, ist hinsichtlich des anvisierten Publikums aufschlussreich, handelt es sich bei einer Praktik doch, wie der Name schon andeutet, um ein praktisches Werk, das auf eine direkte Nutzanwendung ausgerichtet ist und traditionell eher einen nicht-gelehrten Rezipientenkreis hat. Er betont aber, dass sein Büchlein auch von den Liebhabern der astronomischen Kunst nicht wie eine normale „Jarpractica unnder die Banck gestossen / sonder mit grossem vleyß / in acht auffgehebt und gehaltn möcht werden“11, und betont damit die Relevanz des Werkes über das traditionelle Adressatenfeld hinaus, da der Leser eben keine klassische Praktik zu erwarten habe. Diese Rhetorik suggeriert, dass sein Werk ebenso für den kundigen Laien wie für den Fachmann interessant ist und diese Zwecksetzung spiegelt sich in Inhalt und Stil der Schrift wider. So bietet Apian dem Laien einführend etwa eine Auflistung astronomischer Symbole – Planetensymbole, Tierkreiszeichen, Aspekte, Sterngrößen, etc. – und ihrer Bedeutung „damit der leßer / der dißer kunst nicht geübt ist / die Practica deste leychter versteen möchte.“12 Die Ausführlichkeit der Darstellung und ihre didaktische Aufbereitung weisen ebenfalls auf Apians Bemühen hin, die Inhalte allgemeinverständlich zu gestalten. Seine ausführlichen Erläuterungen zur Methodik der Observation und den anschließenden Berechnungen sind klar strukturiert, wobei zahlreiche erklärende Skizzen die Inhalte gut nachvollziehbar machen. Er lässt seine Leser an der Entstehung seiner Arbeit regelrecht teilhaben, erläutert sein Vorgehen Schritt für Schritt und zeigt die Relevanz des Dargestellten auf. So erklärt er z. B. ausführlich eine Methode, den Tag der Entzündung des Kometen zu berechnen, der für eine korrekte Deutung bekannt sein muss.13 Diese Art der Darstellung von Inhalten, die außerhalb dessen liegen, was sich ein mathematischer Laie problemlos erschließen kann, deuten darauf, dass diese Ausführungen z. B. an Studenten oder Fachkollegen, also zumindest ein professionell versierteres Publikum gerichtet gewesen sind. Diese Betonung der Beobachtung und ihrer essentiellen Bedeutung für die Behandlung und das Verständnis von Kometen propagiert die systematische Observation von Kometen, deren Dokumentation und trigonometrische Verarbeitung als methodische Notwendigkeit; die jahrhundertealte Kometendeutung erhält so eine empirische Grundlage. Zudem könne nur darauf eine fundierte Deutung beruhen und nur so könnten Fehlurteile vermieden sowie Ursachen und Wesen der Kometen ergründet werden.14 Die Paraphrasierung autoritativer 11 12 13 14
[3.4] Apian: Practica auff dz 1532. Jar, Bl. A 2r. [3.4] Apian: Practica auff dz 1532. Jar, Bl. A 3v. Vgl. das 81. Theorem der Praktik [3.4] Apian: Practica auff dz 1532. Jar, Bll. R 1r–R 2r. Siehe z. B. [3.3] Apian: Ein kurtzer Bericht der Observation, Bl. A 3r.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
Ansichten mit entsprechenden Quellenangaben, lateinische Zitate, der Gebrauch von Fachtermini und der Verweis auf die Schwierigkeit der Aufgabe der fundierten Auslegung des Kometen verdeutlichen die Gelehrsamkeit des Autors und verleihen den Texten Seriosität, Glaubwürdigkeit und wissenschaftlichen Anspruch. Wenn Apian auch die Allgemeingültigkeit der der Sonne stets entgegen gerichteten Ausrichtung des Kometenschweifs noch nicht klar formuliert oder eine Begründung dafür liefert, so ist dieser beobachtete und rechnerisch bestätigte Befund das beherrschende Thema seiner Werke, den er ausführlich behandelt. In beiden Schriften finden sich entsprechende bildliche Darstellungen bereits auf dem Titelblatt (siehe Abbildungen 3.1 und 3.2). Dies zeigt nicht zuletzt, dass ein neues und zudem recht spezielles Ergebnis aktueller Forschung durchaus als Verkaufsargument fungieren konnte.
Abb. 3.1 Titelillustration der Praktik Apians (1531)15
15
Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 511,29, Titelseite, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00069205–4.
3.1 Die Kometen der 1530er Jahre
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Abb. 3.2 Titelillustration des Observationsberichts Apians (1532)16
Neben der Illustration der sonnenabgewandten Schweifausrichtung des Kometen ist das zentrale Thema bei Apians Titelbildern, wie auch im Text, die methodisch-systematische Beobachtung des Himmelsphänomens. Auf der Titelillustration des Observationsberichts (siehe Abbildung 3.2) sieht man neben dem Beobachter, der den Kometen mithilfe eines Jakobsstabs vermisst, ein Torquetum17 stehen; beide Instrumente gehören zu den wichtigsten der frühneuzeitlichen Himmelsbeobachtung. Apian ist selbst ein versierter Instrumentenbauer, aber kein Hersteller von Präzisionsinstrumenten, die aus Metall gemacht und ortsfest aufgestellt werden müssen, sondern bevorzugt Holzinstrumente, da es ihm darum geht, die praktische Astronomie zu befördern, das Messprinzip zu verdeutlichen und die Relevanz von messender Beobachtung herauszustellen.18 Nicht nur die hier betrachteten, sondern auch andere seiner Publikationen
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Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 511,30, Titelseite, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00087403–5. Es handelt sich hier um ein Torquetum, bei dem Tierkreis- und Äquatorebene auf die Horizontebene geklappt sind, so dass Azimut und Höhe des Kometen direkt gemessen werden können, vgl. Wolfschmidt: Planeten, Kometen, Finsternisse, S. 101. Vgl. Wolfschmidt: Planeten, Kometen, Finsternisse, S. 102–103.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
verfolgen diesen didaktischen Anspruch: Sein Hauptwerk – das Astronomicum Caesareum (1540) – enthält nicht nur zahlreiche anschauliche Abbildungen, sondern etwa auch Papierinstrumente, die astronomische Zusammenhänge nachvollziehbar illustrieren.19 Gleichzeitig gelingt es Apian, die im Text ausführlich beschriebenen, aber relativ abstrakten Ergebnisse und Methoden seiner Beobachtung bildlich darzustellen: Apians spezifische Methode der Positionspeilung des Kometen mithilfe zweier Fixsterne ist z. B. klar illustriert. Auf seiner Darstellung findet sich neben dem Ausschnitt der Bewegungsbahn des Kometen und den Linien, die zwischen diesem und der Sonne gezogen sind noch weitere astronomische Elemente: die Ekliptik mit einer Gradeinteilung, drei figürliche Darstellungen von Tierkreiszeichen und einige Fixsterne. Die Abbildung erscheint damit sowohl fachlich informativ als auch insofern auf den menschlichen Wahrnehmungshorizont bezogen, als das Subjekt der Beobachtung ebenfalls Darstellung findet. Apian hebt seine Pionierarbeit in der Entwicklung neuer und grundlegender Methoden der Kometenbeobachtung hervor und beklagt wiederholt die mangelnde Qualität von bisher erschienenen Iudicia der „unbilliche astrologos“20, die ihren Gegenstand nicht fundiert behandelten. Dieses Monieren der mangelnden Qualität und fehlerhafter Kometenschriften ist ein bis weit ins 17. Jahrhundert gängiger und weit verbreiteter Topos, dient er doch der Legitimation der eigenen Publikation – die entsprechend als von hoher Qualität, wahr und damit exklusiv aus der Masse der anderen Schriften herausgehoben erscheint. Die Kompetenz des Autors wird herausgestellt, oft unterstützt durch den ebenfalls sehr gängigen Zusatz, dass das eigene Kometenurteil nur auf Bitten Anderer veröffentlicht worden sei. Die qualitative Minderwertigkeit vieler Kometendeutungen und -darstellungen liegt für Apian aber nicht nur in der fehlenden Kompetenz ihrer Verfasser begründet, sondern auch in deren Methodik. Viele beriefen sich etwa in unkritischer Weise auf Autoritäten wie z. B. Ptolemaios, um ihre Behauptungen zu legitimieren. Nun ist es nicht so, dass Apian nicht auch große Namen anführen würde; durch die recht konkreten Angaben zur Fundstelle der verwendeten Aussagen macht er seine Zitationen aber nicht nur überprüfbar, sondern ist auch bereit, etablierte Ansichten kritisch zu hinterfragen oder sogar zu verwerfen – z. B. die Annahmen, dass ein Komet nie im Westen aufgehe oder sich nie weiter als 30° (in Nordsüd-Richtung) aus dem Tierkreis herausbewege – wenn seine Beobach19
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Siehe dazu z. B.: Schmeidler, Felix: Die Scheiben in Peter Apians Astronomicum Caesareum, in: Röttel, Karl (Hrsg.): Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit, Eichstätt 1995, S. 107–112. Insgesamt sind Apians Wirken und viele seiner Werke darauf ausgerichtet, als Handbücher praktische Verfahrensweisen außerhalb akademischer Gefilde für den gebildeten Kaufmann, Handwerker, Baumeister, Landvermesser oder eben den astronomisch interessierten Laien zu vermitteln, vgl. Riederer, Franz: Er lehrte Kaufleute, Kirchenmänner und Kaiser, in: Röttel, Karl (Hrsg.): Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit, Eichstätt 1995, S. 217–221. [3.4] Apian: Practica auff dz 1532. Jar, Bl. E 4v.
3.1 Die Kometen der 1530er Jahre
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tungsdaten und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen diesen widersprechen. Um die qualitative Güte seiner Beobachtungen und darauf gegründeten Aussagen zu belegen, wählt er den Vergleich mit anderen Beobachtungsdaten und nicht den alleinigen Bezug auf die klassischen Autoritäten des Fachgebiets: Das aber meine observation der warheyt geleich und gemäß sey, gib ichs zu vergleychen den observationen der zweyer hochberümbten und erfarnen der kunst Mathematice M. Johan Vöglin der Mathem. Kunst Ordinarien zu Wien / welher am 16. Tag Augusti observirt hat: Unnd Johan Schöner welher zu Nürmberg mit einem Törquet / in beysein viler erbarn leut vast alle Täg observirt hat.21
Zwar bleibt dieser Vergleich hypothetisch, wird aber als primär gebotene Option sowie legitimer Teil der Methodik und der Qualitätskontrolle dargestellt. Hinsichtlich der kommunikativen Funktion der Kometenflugschriften als Medien des Datenaustauschs ist diese Vergleichbarkeit von grundlegender Bedeutung. 3.1.2 Die Dualität von Natürlichkeit und Zeichenhaftigkeit Der oben von Apian genannte Johannes Schöner (1477–1547) studiert in Erfurt als Kommilitone Luthers und ist zunächst als Priester tätig, bevor er nach Nürnberg übersiedelt, zum Protestantismus konvertiert und dort auf Anraten Melanchthons Mathematikprofessor wird.22 Schöner publiziert hier neben prognostischen, medizinischen und astronomischen Werken die deutschsprachige Schrift Coniectur odder ab nemliche auslegung zum Kometen 1531.23 Auch er verfolgt wie Apian das Ziel, eine breitere und nicht ausschließlich gelehrte Leserschaft zu informieren. Schon das Titelbild von Schöners Werk transportiert viel Wissenswertes über den aktuellen Kometen, etwa den Ort seines Erscheinens im Sternbild der Plejaden, seine Bewegungsrichtung oder seinen Charakter als Grenzgänger zwischen den Welten (siehe Abbildung 3.3):
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[3.4] Apian: Practica auff dz 1532. Jar, Bl. R 3r. Siehe zu Leben und Werk Schöners Maruska, Monika: Johannes Schöner. Homo est nescio qualis. Leben und Werk eines fränkischen Wissenschaftlers an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert [unv. Diss. Universität Wien 2008]. [3.26] Schöner, Johannes: Coniectur odder ab nemliche Auslegung uber den Cometen so im Augustmonat des M.CCCCC.XXXI Jars erschinen ist, Leipzig 1531 (VD16 S 3471). Das Werk erscheint mindestens in vier Ausgaben, die in VD16 gelistet sind: Neben der hier konsultierten Leipziger Ausgabe je eine in Nürnberg, Magdeburg und Zwickau.
128
3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
Abb. 3.3 Titelillustration der Coniectur Schöners (1531)24
Der Komet scheint seinen Ursprung im ätherischen Himmel zu nehmen und die verschiedenen Schichten der terrestrischen Atmosphäre zu durchqueren, wenn er vom irdischen Beobachter gesichtet wird. Dies ist ein sprechendes Bild für die in der augmentierten meteorologischen Kometentheorie gefasste Vorstellung einer Beteiligung der supralunaren Welt an der Entstehung und Wirkung von Kometen. Hier wird das Entstehen eines Kometen als Zusammenballung elementarischer Materie als durch einen Himmelskörper verursacht oder zumindest beeinflusst sowie der Komet in seiner weiteren Erscheinung und Wirkung von einem Planeten beherrscht gedacht. Kometen überhaupt eine astrologisch ermittelbare Signifikanz zuzuschreiben, bedeutet, sie in irgendeiner Weise mit den ätherischen Himmelskörpern, denen traditionell allein eine solche Ausdeutung gebührt, in Verbindung zu bringen. Schöners Titelstich betont damit gleichzeitig den naturkundlichen und astrologischen Aspekt: Zwar fehlen z. B. der Tierkreis oder allegorische Sternbilddarstellungen als zeitgenössisch beliebte Motive, jedoch ist diese Bedeutungsdimension wie beschrieben in der naturkundlichen Darstellung inkorporiert und zeigt sich zudem im zentralen Bildelement des beobachtenden Menschen, auf welchen der Komet weist und der ihn mit einem Instrument observiert. Wenn Schöner mit seiner Schrift von zwölf Seiten auch längst nicht so ausführlich schreibt wie Apian, ist auch bei ihm die Herausstellung der Relevanz akkurater Beob-
24
Abbildung der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle, Saale, an 62 A 2372 (4), Titelseite, urn:nbn:de:gbv:3:1–114732.
3.1 Die Kometen der 1530er Jahre
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achtungen ein wichtiges Element.25 Er schließt daraus z. B. auf drei Bewegungsweisen des Kometen und berechnet dessen Höhe zu 1 000 deutschen Meilen.26 Der Schwerpunkt der Schrift Schöners ist ein astrologischer. Die letzten drei der sieben Kapitel befassen sich mit der Deutung des Kometen, unterteilt in allgemeine Kometenfolgen und spezifische, die z. B. von den durchlaufenen Zeichen oder der Planetennatur des Kometen abhängen. Die allgemeinen Folgen wie Trockenheit, Erdbeben, Missernten und Teuerung werden als physisch durch den Kometen verursacht dargestellt, ebenso wie die Entstehung von Kometen selber auf natürliche Ursachen zurückgeführt wird. Gleichzeitig werden Kometen als göttliche Zeichen, warnender Ausdruck seines Zorns und damit als Aufruf zu Buße präsentiert. Schöner reiht die Kometen in den Kreis der himmlischen Prodigien ein, die es neben den irdischen „monstra und wunderbarliche zeychen an andern creaturn“27 gebe und zu denen z. B. auch Finsternisse gehören, die in ihrer Bedeutung ebenso wie Kometen negativ konnotiert sind. Die Betonung der natürlichen Verursachung in Verbindung mit dem göttlichen Zeichencharakter von Kometen erfüllt hier zwei Funktionen. Zum einen dient sie der Legitimation und Absicherung: Schöner schreibt, dass es nicht unchristlich sei, sich mit Kometen, deren Natur und Auslegung zu beschäftigen, sondern im Gegenteil geradezu eine christliche Pflicht, da schon in der Bibel stehe, dass Zeichen Gottes existieren und beachtet werden müssen. Mauelshagen hat in diesem Zusammenhang allgemeiner konstatiert, dass die Autoren von Kometenflugschriften aus ihrer christlichen Identität und dem Offenbarungscharakter von Wunderzeichen einen normativen Anspruch zur Verbreitung von Wundernachrichten ableiten.28 Damit positioniert sich Schöner zudem gegen Aberglauben oder gar Magie als unchristliche – und teilweise verbotene – Gebiete, in deren Kontexten Kometen zu dieser Zeit mitunter verortet worden sind. Die Betonung der Natürlichkeit von Kometen und ihre Untersuchung „nach läre der Philosophis“29, wie es ein weiterer Autor von Kometenflugschriften – Johannes Virdung – ausdrückt, ist damit nicht zuletzt ein Verkaufsargument, um den 25 26
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Kokott konstatiert im Gegensatz zu Hellmans Urteil, dass die Genauigkeit der Beobachtungen Schöners durchaus mit der von Apian vergleichbar gewesen sei, vgl. Kokott: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539, S. 79–80. Bei den drei Bewegungsweisen handelt es sich um die tägliche Bewegung mit dem Himmel in 24 Stunden und um die Bewegungen in Länge und Breite. Von dieser dreifachen Bewegung spricht erstmals Peurbach in seiner Arbeit zum Kometen von 1456, von dem Schöner wahrscheinlich beeinflusst gewesen ist, siehe Kokott: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539, S. 17–18 und 79–80. Den genauen Rechenweg der Höhenmessung erläutert Schöner nicht, sondern spricht von der Anwendung der „kunst der zal und messunge“ und dem beobachteten Kometenlauf, aus dem er bei einer angenommenen Entfernung zwischen Erde und Mond von 30 000 dt. Meilen diese Zahl errechnet, vgl. [3.26] Schöner: Coniectur odder ab nemliche Auslegung, Bl. A 3v. [3.26] Schöner: Coniectur odder ab nemliche Auslegung, Bl. B 1r. Siehe Mauelshagen: Verbreitung von Wundernachrichten als christliche Pflicht, S. 137. [3.28] Virdung von Haßfurt, Johannes: Auslegung und Bedeütniss des Cometen der gesehen worden ist im Augustmon im 1531. Jahre zu Eren Herrn Ludwigen Paltzgravenn bey Rheyn Hertzogen in Bayern unnd zu eyner Warnung Yedermenniglichen wann
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
kursierenden falschen oder gar ketzerischen Lehren etwas Fundiertes entgegenzustellen. Kometen als eindrückliche, erschreckende und seit jeher mit Üblem in Verbindung gebrachte Himmelsphänomene sind – das will Schöner hier klarstellen – kein Teufelswerk, sondern vergleichbar mit Mond- oder Sonnenfinsternissen mit dem Unterschied, dass der Mensch das natürliche und damit erklärbare Zustandekommen letzterer bis dato besser ergründet habe. Zum zweiten ist diese Betonung der natürlichen Verursachung von Kometen nicht nur deshalb wichtig, um sich als kundiger und kompetenter Naturforscher zu präsentieren und sich von Unwissenden, Scharlatanen oder mit verbotenen Künsten Befasster abzugrenzen. Die Vorhersage des Erscheinens von Kometen wird von Schöner als schwierig, aber möglich dargestellt. Kometen sind überhaupt nur dann erklär- oder prognostizierbar, wenn sie natürlich entstehen und dieser Prozess nachvollzogen werden kann. Nur dann ist deren Beobachtung, theoretische Ergründung und Interpretation ein für den Naturforscher legitimes Unterfangen. Die Erforschung von Kometen ist damit objektivierbar. Der göttliche Zeichencharakter steht dem natürlichen Ursprung von Kometen damit nicht im Wege, sondern erscheint mit diesem in einer dualen Konzeptualisierung eng verbunden. Sowohl die Natürlichkeit als auch die Zeichenhaftigkeit von Kometen fungieren in diesem Kontext argumentativ als Grundlage und Konsequenz des jeweils anderen: eine genauere Kenntnis der Wirkweise von Kometen nimmt den ihnen zugeschriebenen üblen Folgen ihren Schrecken, die Informationsgabe entspricht also einer Rationalisierung.30 Die natürliche Entstehung von Kometen ist zudem insofern ein wichtiges Element ihrer Zeichenhaftigkeit, da diese als göttliche Kommunikation eine Interpretation erfordert, die ein Verständnis voraussetzt. Dieses Verstehen erfolgt rational und nicht im prophetischen Sinne als göttliche Inspiration, da doch Gott den Menschen einen Verstand gegeben habe, um solche Zeichen deuten zu können. In diesem Sinne ist die Astrologie das naturkundlich fundierte Instrument für diese Deutung. 3.1.3 Die integrierende Rolle der Astrologie Die Dualität von Natürlichkeit und Zeichenhaftigkeit der Kometen legitimiert die Astrologie als naturkundliche Wissenschaft ihrer Ausdeutung. Diese Deutung geht mit der theologischen Hand in Hand, wenn auch nicht ohne Spannungen: eine gängige Kritik ist etwa, dass astrologische Prognostik der Idee des freien Willens und der der Allmacht Gottes widersprechen würde. Indem man betont, dass Gott z. B. die
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es ist nye kein Comet gesehen worden der nit etwas gross erschröcklichs bracht hab, Speyer 1531 (VD16 V 1255), unpag. Martin Döring spricht in diesem Zusammenhang von der „Praxis einer ästhetischen Entängstigung“, die in den Flugschriften über Bild und Text (Metaphorik) im Dienste der Wissenssicherung und -erweiterung geleistet würde, vgl. Döring: Von der Wundergeschichte zum ‚fait divers‘, S. 143.
3.1 Die Kometen der 1530er Jahre
131
Planetenbewegung kontrolliere oder sie in weiser Voraussicht so eingerichtet habe, begegnet man dieser Kritik. Wichtiger ist jedoch, die Vorhersagen der Sterndeutung als nicht fatalistisch darzustellen. Die in ihren Ursprüngen bis in die Antike zurückreichende und auch noch Keplers Auffassung charakterisierende Formel Astra inclinant, non necessitant – in etwa: die Sterne machen geneigt, zwingen aber nicht – verdeutlicht diese Haltung.31 Dass diese Formel sich relativ oft in frühneuzeitlichen Kometenflugschriften findet, zeigt, dass diese Spannungen zwischen theologischer und astrologischer Kometeninterpretation durchaus wahrgenommen werden. Insbesondere im katholischen Kontext verlangt die Verbindung beider Deutungsweisen nach Legitimation32, wohingegen die Astrologiebegeisterung des melanchthonischen Protestantismus zu einer Aufeinanderbezogenheit des naturkundlich-astrologischen und theologischen Kometenverständnisses beiträgt. Der Theologe, Arzt und Astronom Nicolaus Pruckner (1488–1557) ist ein Schüler Schöners am Nürnberger Gymnasium und wie dieser ein Konvertit und zeitweise Pfarrer.33 Er ist nicht nur an Planungen für eine neue astronomische Uhr am Straßburger Münster beteiligt, sondern hat neben prognostisch-kalendarischen Werken sowie einer verbesserten Version der alfonsinischen Tafeln auch eine Edition von Julius Firmicus Maternus’ Liber Matheseos besorgt und darin die Bedeutung der Astrologie hervorgehoben.34 Diese Sichtweise spiegelt sich auch in seiner 1532 in Straßburg veröffentlichten Kometenschrift Was ein Comet sey wider, in der er die Verbindung von irdischer und himmlischer Welt, von Mikro- und Makrokosmos, folgendermaßen umschreibt: dampff / unn rauch vom erdtreich / würt nit uffgezogen dann durch vorhin eingeleybte hitz und krafft eins gestirns / wie wir dann sehen in den Cometen / welche nit allein des hymels lauff volgen / sonder auch dem Planeten nach / durch welchen sie worden seind / bewegt werden / Doher dann etwa kompt so mancherley enderung / unnd kerung der Cometen / do her auch kunt würt unnd offenbar / das die Planeten ja jetlicher in sonderheyt sein krafft und würckung haben / ob schon vil darwiderreden.35
31 32 33
34 35
Für eine kurze Übersicht der historischen Entwicklung dieser Formel von Thomas von Aquin bis zur Reformation siehe Boll, Franz et al. (Hrsg.): Sternglaube und Sterndeutung. Die Geschichte und das Wesen der Astrologie, Berlin 1931, S. 39–42. Vgl. dazu Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 282–293. Zu Pruckner siehe Mackensen, Ludolf von: Der Astronom im Porträt. Nicolaus Prugner, ein Zeitgenosse des Apian und sein identifiziertes Gelehrtenbildnis, in: Röttel, Karl (Hrsg.): Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit, Eichstätt 1995, S. 127–132. Das Geburtsjahr findet sich so belegt bei Oestmann, Günther: Ein unbekanntes Bildnis des Reformators und Astronomen Nikolaus Prugner (1488–1557), in: Bulletin de la Cathédrale de Strasbourg 22 (1996), S. 64–70. Vgl. Oestmann: Ein unbekanntes Bildnis, S. 69. [3.25] Pruckner, Nicolaus: Was ein Comet sey; wo her er kome und seinen Ursprung habe un in was Form un Gestalt sye erscheynen auch von jrer Bedeütung mit Anzeygung etlicher Historie und Geschichten so denen Cometen nach gevolget
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
Pruckner gebraucht hier die Effizierung der Kometen durch Planeten als Argument für die Legitimation der Astrologie. Die astrologische Deutung, die weder bei Pruckner, noch bei Apian oder Schöner fehlt, ist in diesem Kontext folgerichtig und keinesfalls ein bloßes Zugeständnis an eine deutungshungrige, ungelehrte Leserschaft. Damit im Zusammenhang steht auch, dass die Astrologen insbesondere in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf verschiedenen Wegen eine grundlegende Fundierung ihrer Profession als natürliche Kunst anstreben und bemüht sind, entsprechender Kritik etwas entgegen zu setzen und die Forderungen nach einer Reformation der Astrologie umzusetzen.36 Pruckners Schrift ist zwölf Seiten lang und liefert weniger Beobachtungsdaten aktueller Observationen oder methodische Erläuterungen als vielmehr grundlegende Informationen zur Kometentheorie im naturkundlich-astrologischen Sinne. Es sind diese beiden Dimensionen, die unter dem Lemma der „natürlichen“ Sicht- und Präsentationsweise von Kometen zusammengefasst werden. Die wichtigsten und in der frühen Neuzeit immer noch zentralen Figuren beider Dimensionen, auf die man sich in der Behandlung von Kometen beruft, sind Aristoteles und Ptolemaios, deren Positionen von Pruckner daher einleitend erläutert werden. Die Verquickung von naturkundlicher und astrologischer Kometensichtweise spiegelt sich gewissermaßen in diesem Namenspaar wider. Der einleitende theoretische Teil von Pruckners Schrift endet mit einem doxographischen Abschnitt – ein Topos, der für lange Zeit ein konstitutives Element vieler Kometenflugschriften bildet: Hier werden in kurzer Zusammenfassung ältere Ansichten zu Kometen und ihrer Entstehung geboten und oft auch bewertet, z. B. die Theorien von Anaxagoras und Demokrit, der Pythagoräer oder des Hippokrates.37 Die vordergründig reine Informationsgabe erhält somit eine didaktische Dimension, indem der Leser den Erkenntnisprozess nachvollzieht und gleichsam einer geleiteten Argumentation folgt, die nacheinander begründend alternative Theorien widerlegt, um zum Schluss die „richtige“ – in diesem Fall die aristotelisch-meteorologische – zu präsentieren. Die verschiedenen Typen von Kometen sind Thema des nächsten Abschnitts bei Pruckner und hier zeigt sich ein weiteres Mal, wie eng verzahnt die naturkundliche und astrologische Dimension der Kometentheorie sind. Diese meist Plinius zugeschriebene Kometenklassifikation geht in ihren Ansätzen auf weit ältere Quellen zurück und hat im Laufe ihrer Tradierung und Kommentierung durch die Jahrhunderte eine große Varianz entwickelt.38 Die frühneuzeitlich am weitesten verbreitete Typologie besteht aus
36 37 38
und sonderlich von dem Cometen erschinen im Weinmonat des XXXIJ. Jars, Straßburg 1532 (VD16 P 5167), Bl. A 2v. Siehe dazu das 3. Kapitel „Astrology after 1550“ in Thorndike, Lynn: History of Magic and Experimental Science 6, New York 1941, S. 99–144. Vgl. [3.25] Pruckner: Was ein Comet sey, Bll. A 2v–A 3r. Seine Auflistung folgt im Wesentlichen jener der Aristotelischen Meteorologie, vgl. Aristoteles: Meteorologie, I, VI, S. 17–20. Für eine ausführliche Diskussion der verschiedenen Varianten, Quellen und historischen Entwicklungen der Kometentypen vgl. Gundel, Wilhelm: „Kometen“, in: Paulys Realencyclopädie XI/1
3.1 Die Kometen der 1530er Jahre
133
neun Grundformen, die bei Pruckner mit den sieben Planeten und den zwei Mondknoten in Verbindung gebracht werden. Sie unterscheiden sich vor allem nach Farbe, Figur, Größe und Schweifausrichtung, ferner außerdem in ihrer Bewegung oder anderen Eigenschaften des Laufs sowie hinsichtlich der Deutung, was gleichzeitig die Kriterien ihrer Diagnostizierung darstellen. Den aktuellen Kometen bestimmt Pruckner als merkurischen vom Typ Dominus Ascone.39 Diese verschiedenen Typen werden nun durch die Verschiedenheit der bei ihrer Entstehung aufgezogenen Materie und den dabei herrschenden Umständen erklärt. Der naturkundlich von Aristoteles und seinen Nachfolgern beschriebene meteorologische Prozess der Kometenentstehung wird auf diese Weise eng mit der astrologischen Typenlehre verbunden, so dass beide Elemente als konstitutiver Bestandteil der zeitgenössischen Kometentheorie erscheinen. Die Verbindung zwischen der sichtbaren Gestalt eines Kometen und den speziellen Umständen seiner Entstehung ist, wie erwähnt, viel älter als die Kometentheorie des Aristoteles, wird aber bei diesem in eine Form gebracht, die in den nachfolgenden Jahrhunderten eine weite Verbreitung erfährt. In seiner Meteorologie beschreibt er, dass Haarsterne entstehen, wenn die sie bildenden Exhalationen gleichmäßig und kugelförmig zusammengezogen werden, und Bartsterne, wenn sich die Exhalationen in die Länge ziehen.40 Für Aristoteles sind Kometen atmosphärisch, wie auch Sternschnuppen, andere Meteore sowie Stürme, Gewitter oder Blitze. Diese meteorologischen Phänomene treten, da sie aus ähnlichen Ursachen entstehen, oftmals zusammen auf. Vergleichsweise außergewöhnliche Naturereignisse wie Unwetter oder Überflutungen haben mitunter verheerende Folgen für die Menschen und sind daher traditionell negativ konnotiert; so auch Kometen, die mit solchen Ereignissen in Verbindung gebracht werden. Aristoteles versteht die Kometen in diesem Sinne als „Unglücksbringer“, da sie einerseits Begleiterscheinungen der negativ konnotierten Phänomene sind und diese damit indizieren, und andererseits zu einer Austrocknung der Luftschicht führen, auf welche die den Kometen zugeschriebenen Folgen – als Wirkungen – kausal zurückgeführt werden. Damit werden Kometen also gleichzeitig als Ursachen und als Zeichen gesehen.41 Diese Vorstellungen bleiben für Jahrhunderte präsent, werden aber auch weiterentwickelt und umgeformt, z. B. durch Albertus Magnus, der nicht Kometen selbst als ursächlich wirkend ansieht, sondern diesen und ihren Folgen die gleichen Ursachen
39 40 41
(1921), Sp. 1143–1193, besonders Sp. 156–1163. Demnach gehen entsprechende Einteilungsschemata von Kometen nach Farbe, Form u. ä. in ihren Ursprüngen auf ägyptische und chaldäische Vorstellungen zurück. Siehe dazu auch Kap. 2.1.1. [3.25] Pruckner: Was ein Comet sey, Bl. A 4r. Vgl. Aristoteles: Meteorologie, I, VII, S. 20–21 sowie Gilbert: Die meteorologischen Theorien des griechischen Altertums, S. 646–650. Eine erhellende Diskussion der Sichtweise von Kometen als Zeichen oder Ursache von Unglück in der Geschichte liefert Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 91–103.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
zuschreibt.42 Davon ist beispielsweise die Kometenkonzeption des Cardano geprägt, die einen wichtigen Bezugspunkt frühneuzeitlicher Kometenflugschriften darstellt.43 Die Idee der natürlich-kausalen Verursachung der Kometenfolgen bei gleichzeitiger Annahme der Zeichenhaftigkeit von Kometen bildet die Basis für eine „Astrologisierung“44 der Kometentheorie, die sich unter Bezugnahme auf Ptolemaios vollzieht: Obwohl dieser in der Tetrabiblos nur knappe Ausführungen zu Kometen und deren Deutung gemacht hat, wird er zur autoritativen Quelle bezüglich dieses Themenkomplexes. Eigentlich erwähnt Ptolemaios die Kometen dort im Zusammenhang mit Finsternissen, bei deren Auftreten auch immer die Farbe des Lichts zu beobachten sei, da dies Rückschluss auf den damit verbundenen Planeten sowie andere zeitgleich auftretende meteorologische Phänomene wie etwa Halos zuließe. Auf Basis dieser Ausführungen werden die älteren Traditionsstränge zur Typologisierung von Kometen nach Farben als Indikator ihrer planetarischen Natur sowie überhaupt ihre Zuordnung zu bestimmten Planeten und daraus resultierender Determinierung einer spezifischen Deutung legitimiert und zu einem festen Bestandteil der augmentierten meteorologischen Kometentheorie. Die Betonung der natürlichen Verursachung von Kometen und der oben erläuterte enge Zusammenhang der naturkundlichen und astrologischen Ebene des Kometenverständnisses finden sich auch in der Schrift zum Kometen 1531 des Landsberger Arztes Michael Krautwadel Anzaygung grüntlicher natürlicher ursachen der natur.45 Krautwadels Werk ist mit 32 Blatt im Quartformat relativ lang und enthält ausführliche Ausführungen zur naturkundlichen Kometentheorie. Nach einer knappen Einführung in die Elementenlehre begegnet im Vorwort dieselbe legitimatorisch-apologetische Grundhaltung wie schon bei Schöner, dass es nicht unchristlich sei, sich mit Kometen zu befassen oder sie zu deuten, da sie natürlich verursacht werden: Unn nach dem sie gesehen werden / nach dem selben sie vonn dem gemainen menschen vilerlay seltzam namenn uberkommen / unn den mehrern theil für teuffels gespenst / schwebend geyst / unnd trugknus / geforcht und geachtet werden / des sye doch in warheit nit seind.46
Ebenso bedauert Krautwadel die fehlende Fundierung bzw. fehlende Kompetenz der kursierenden Kometenurteile: „und ein yeglicher sagt sein thand / oder gutduncken 42 43 44 45
46
Siehe Thorndike: Latin Treatises on Comets, S. 62–76. Vgl. Jardine: How to Present a Copernican Comet, S. 270–171. Siehe dazu Kap. 2.2.1. [3.17] Krautwadel, Michael: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen der Natur Wachsung Underscheyd Farben Gestalt Bewegung Bedeütnus etc. aller unn sunderlich diss newlich erschinen Cometen auss fürnemer Philosophorum unn Astro nomorum ler dem durchleüchtigen hochgepornen Fürsten und Herren Wilhalmen Pfaltzgrafen bey Reyn Herzogen in obern unn nidern Bayern etc zu eeren beschriben, Augsburg 1531 (VD16 K 2311). Nähere Informationen zu Leben und Werk Krautwadels – abgesehen von einigen prognostischen Schriften und seiner Tätigkeit als Landsberger Stadtarzt – konnten nicht ermittelt werden. [3.17] Krautwadel: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen, Bl. A 4r.
3.1 Die Kometen der 1530er Jahre
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on grund und warheit (…).“47 Nachdem er kurz historische Kometentheorien als irrig widerlegt hat, präsentiert er im Wesentlichen die augmentierte meteorologische Kometentheorie, wobei die Effizierung durch einen Planeten ein zentrales Element darstellt. Wie auch Pruckner führt Krautwadel aus, dass das Erschrecken angesichts von Kometen in der Unwissenheit über ihre Natur und Bedeutung begründet liegt, er betont also ebenso die Intention der Information. Diese wird übersichtlich bereits mit dem Titelholzschnitt geliefert, der die Verknüpfung von Astrologie und Naturkunde ausdrucksvoll verbildlicht. Die an späterer Stelle des Werkes auch textuell entfalteten Informationen, in welcher Himmelsgegend oder in welchem Tierkreiszeichen der Komet steht, seinen Lauf nimmt und wo die Planeten sich währenddessen befinden, erschließen sich dem Kundigen allein durch Betrachten des Titelbilds (siehe Abbildung 3.4).
Abb. 3.4 Titelillustration der Anzaygung Krautwadels (1531)48
47 48
[3.17] Krautwadel: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen, Bl. A 4v. Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 528,44, urn:nbn:de:bvb: 12-bsb10198906–2.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
Der dargestellte und in zwölf Abschnitte eingeteilte Kreis ist nicht etwa der Tierkreis, sondern eine kreisförmige Darstellung der zwölf astrologischen Häuser.49 Die Funktion hier ist freilich dieselbe, nämlich ein Verortungsraster für den Kometen als Basis seiner Interpretation zu bilden, unterstützt außerdem durch die Angabe der Himmelsrichtungen sowie der Tag- und Nachthälfte der Erdkugel. Um die zentrale Erde sind allegorische Darstellungen der Planeten Jupiter und Mars gruppiert, jeweils in Zusammenhang mit den Sternzeichen Widder – am Fuße des Mars – sowie Krebs und Fische am Fuße bzw. in der Hand des Jupiter. Der darüber befindliche, stilisiert dargestellte Komet ist umgeben von fünf Sternen, was wahrscheinlich auf die Plejaden hinweist: Dafür spricht die oben untersuchte Kometenschrift Schöners, die eine ähnliche Darstellung auf dem Titelbild hat – hier allerdings mit sieben Sternen – und im Text explizit erwähnt, dass der Komet seinen Lauf im Sternbild der Plejaden beginnt.50 Bei Krautwadel steht der Komet zusätzlich neben dem Sternbild Skorpion, das sich im achten Haus befindet, und fast gegenüber des Mars. Dessen allegorische Verbildlichung steht wiederrum der des Jupiter gegenüber, was im Häuserkreis zudem durch die Planetensymbole ausgedrückt ist und somit eine Opposition beider Planeten darstellt. Bis auf die Verortung im Sternbild der Plejaden sind alle genannten Informationen nachfolgend im Text expliziert. Das Titelbild stellt damit ein Horoskop des Kometen dar, ähnlich wie es Tycho Brahe später für die Supernova 1572 aufstellen wird.51 Die relevanten astronomischen Informationen werden darin gebündelt und so präsentiert, wie sie für eine astrologische Ausdeutung benötigt werden. Krautwadels Kometentheorie entspricht der augmentierten meteorologischen Theorie: er stützt sich wesentlich auf Aristoteles, wobei sein astrologischer Fokus auf textueller Ebene auch daran zu erkennen ist, dass er im doxographischen Teil seiner Schrift besonders viele arabische Gelehrte und allgemein Befürworter und Praktiker der Astrologie auflistet, darunter neben Ptolemaios Alpetragius, Algazali und Albumasar sowie Guido Bonatti oder Leopold von Österreich.52 Interessant ist, dass Krautwadel verschiedene Interpretationen oder Zugänge zum Phänomen Komet unterscheidet, nämlich die Sichtweisen von Theologen, Philosophen und Astronomen. Zu ersteren rechnet er beispielsweise den Kirchenvater Johannes von Damaskus, der Kometen für Zeichen hält, die nach Gottes Willen existieren, auftauchen und verschwinden und daher nicht zu den Sternen gehören könnten, die am Anfang der Zeit geschaffen worden sind.53 Unter Philosophen versteht er die 49 50 51 52 53
Siehe dazu Stuckrad: Geschichte der Astrologie, S. 20–27 und die unter anderem auf das historische Problem der Häusereinteilung eingehende Monographie von North: Horoscopes and History, S. ii–3. [3.26] Schöner: Coniectur odder ab nemliche Auslegung. Eine ausführliche Übersicht über frühneuzeitliche Horoskopdarstellungen bietet North: Horoscopes and History, S. 155–180; die erwähnte tychonische Darstellung findet sich auf S. 175. [3.17] Krautwadel: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen, Bll. B 4r–C 1v. Vgl. z. B. Steinhofer, Dionys (Übers.): Des Johannes von Damaskus genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, I, VI, München 1923 (Bibliothek der Kirchenväter I/44), S. 61.
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Naturphilosophen im engeren Sinne, wobei mit Astronomen die Sterndeuter, also die Astrologen, gemeint sind. Die beiden letztgenannten seien sich zum Beispiel uneinig darüber, wie viele Typen von Kometen es gebe. Das Problem der Kometenklassifizierung wird damit als astrologisches und naturkundliches verstanden. Beide Aspekte sind integrativ zusammengeführt, insofern z. B. die Kometenfarben, die ihren astrologischen Typus bestimmen, von der Art und der Dichte der aufgezogenen Materie und der Natur des beherrschenden Planeten abhängen. Ihrem ganzen Wesen nach sind Kometen daher Mischobjekte zwischen Himmel und Erde: Sie bestehen zwar aus irdischer Materie, aber „die gehorsamkeit / die haben die Cometen / gegen der krafft des himels / ist das erst zeichen irer ferne / unnd absünderung von yrdischer natur und vergleichung himelischer natur.“54 Für diese Mischhaftigkeit bilden bereits die zwei aristotelischen Grundformen von Kometen, die z. B. in ihrer Gestalt und durch die Art ihrer Bewegung differieren, die Basis: Aristoteles hat hier einerseits phänomenologisch Haar- und Bartsterne, also geschweifte oder ungeschweifte Kometen unterschieden, und damit gleichzeitig jene, bei denen die Zusammenballung terrestrischer Materie ohne, sowie solche, bei denen diese Zusammenballung aufgrund oder zumindest unter Mitwirkung von Himmelskörpern geschieht.55 In der augmentierten Kometentheorie erscheint diese Idee in verallgemeinerter Form. Krautwadel hält Kometen für etwas vermüschtes auß einer irdischen elementischen natur / das ist ein irdische / warme / truckne / grobe / faiste / und zehe exalation oder auffschwebung / welliche hat vil zusamen gezwungen teil / auß krafft des stirns / ubersich gehept biß in die öbersten region des lufts / daselb von wegen seiner höhe / nehe des feürs / runder bewegung / der selben region / einflus des gestirns / und welchen es sich aufzeucht / unn gschicklikeit & materi außgepreit unn erzünt (…).56
Die aristotelische Grundunterscheidung ist dabei weiterhin präsent: Rein elementarische Kometen, die ihre Entstehung nicht der Kraft eines beherrschenden Gestirns zu verdanken haben, bewegen sich langsam und nach Art der obersten Luftregion, während himmlische sich ähnlich oder unter dem beherrschenden Gestirn bewegen, „von wegen der grossen vergleichung / die ein Comet hat gegen dem steren darunder er statt / dann gegen einem anderen / Derhalben er auch von im gezogen wirt / wie ein eysen von einem Magneten stein.“57 Das astrologische Element der Effizierung durch einen Planeten wird als Bestandteil naturkundlicher Theoriebildung von Krautwadel damit physikalisch verstanden. Dasselbe gilt für die Kometenfolgen, die hier primär als Wirkungen gedacht sind, die üblen Geschehnisse also nicht nur anzeigen, sondern 54 55 56 57
[3.17] Krautwadel: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen, Bl. D 3v. Siehe dazu Heidarzadeh: Theory of Comets, S. 9–15 sowie die Erläuterungen in Kap. 2.1. [3.17] Krautwadel: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen, Bll. C 1v–C 2r. [3.17] Krautwadel: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen, Bl. E 1v.
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sie tatsächlich verursachen. Krautwadel erläutert diese Wirkmechanismen, die etwa zu Trockenheit, Stürmen, Aufruhr und dem Tod von Herrschern führen, ausführlich.58 Diese allgemeinen Folgen sind Grundlage für die speziellen Kometendeutungen, die argumentativ geschickt an den genannten klassischen Folgekanon gebunden werden. Sie werden damit sowohl physikalisch als auch astrologisch konzeptualisiert, insofern als z. B. solche Menschen von ihnen betroffen sein werden, die dem Zeichen Skorpion unterworfen sind, also dieses Zeichen z. B. im Aszendenten haben. 3.1.4 Die Kometen als Zeichen und die Vermittlung von Kometenwissen In den beiden vorangegangenen Beispielen ist die Verbindung von naturkundlicher und astrologischer Kometeninterpretation besonders deutlich geworden. Diese Verquickung fußt nicht zuletzt auf der „Astrologisierung“ der aristotelischen Kometentheorie, deren Ergebnis die augmentierte meteorologische Theorie ist. Ein ähnlicher Prozess, den z. B. Martin Hille als Astrologisierung des Vorsehungsglaubens charakterisiert hat, hat auch bezüglich des anderen, theologischen Kontextfeldes stattgefunden.59 Beide Entwicklungen sind in gewisser Weise lediglich Ausdruck der Blütezeit der Astrologie, deren Anfänge in das 13. Jahrhundert zurückreichen.60 Es ist nicht überraschend, dass eine steigende Akzeptanz und Relevanz der Sterndeutung dazu führt, dass diese in anderen intellektuellen wie alltagspraktischen Sphären sichtbar wird und Anwendung findet. Die Kompatibilität der Astrologie sowie ihr Charakter als interpretative und gleichzeitig mathematische Kunst führen dazu, dass ihre integrierende Funktion in Bezug auf das sich frühneuzeitlich formierende Kometenbild besonders deutlich greifbar ist. Das Verständnis von Kometen als Zeichen ist für die Verbindung von astrologischer und theologischer Kometendeutung primär relevant. In der theologischen Naturphilosophie des melanchthonischen Protestantismus erscheint diese Verbindung nicht nur besonders eng, sondern auch mit der naturkundlichen Konzeptualisierung verknüpft. Das folgende Beispiel zeigt, dass diese zweiseitige Verbindung aber nicht grundsätzlich präsent sein muss. Der Deutung der Kometen als natürliche Ursachen steht der Schweizer Arzt und Alchimist Theophrastus Bombastus von Hohenheim – bekannt als Paracelsus (ca. 1493– 1541) – entgegen, der 1531und 1532 Kometenschriften sowie weitere Werke über Wun-
58 59
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Vgl. [3.17] Krautwadel: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen, Bll. D 2r–D 3r. Vgl. Hille, Martin: Providentia Dei, Reich und Kirche. Weltbild und Stimmungsprofil altgläubiger Chronisten 1517–1618, Göttingen 2010 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 81), S. 248. Zur Theologisierung der Kometentheorie siehe Kap. 2.3. Siehe Boll (Hrsg.): Sternglaube und Sterndeutung, S. 35–37.
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derzeichen publiziert.61 Wie den Titeln dieser Schriften zu entnehmen ist, versteht er auch Regenbögen, Erdbeben oder Blutregen als Wunderzeichen Gottes. Für Paracelsus stehen solche Prodigien und damit auch die Kometen außerhalb der Natur, sind als rein übernatürliche Zeichen Gottes anzusehen und eschatologisch im Rahmen einer theologischen Heilsgeschichte zu interpretieren. Die meteorologische Erklärung der Kometenentstehung aus irdischen Ausdünstungen lehnt Paracelsus daher ebenso ab wie eine traditionelle astrologische Ausdeutung.62 Trotzdem schreibt er Kometen eine Wirkung zu, darunter durchaus auch solche des klassischen negativen Folgenkanons wie Stürme und Erdbeben, oder sieht sie mit diesen im Zusammenhang stehend. In der Philosophie Paracelsus’ stehen Mikro- und Makrokosmos ebenso wie Himmel und Erde in enger Verbindung, weshalb z. B. auch Gestirne – mitunter durch Vermittlung über spirituelle Wesenheiten wie etwa die Penaten – eine Wirkungsbeziehung zu terrestrischen Phänomenen aufweisen. Diese Wirkung und damit die Bedeutung der Kometen werden rein theologisch konzeptualisiert, was sich darin manifestiert, dass Paracelsus einen physikalisch-natürlichen Himmel der Sterne und Planeten sowie einen übernatürlichen der Kometen unterscheidet.63 Er sieht Kometen als in diesem zweiten Himmel zweckvoll geschaffen an, mittels himmlischer Materie und den spirituellen Kräften, die Gott unterstehen. Paracelsus’ eigenwillige Sichtweise von Naturphilosophie und theologischer Astrologie ist nicht ohne Nachwirkung geblieben, was sich auch in einigen Kometenflugschriften des späteren 16. und frühen 17. Jahrhunderts zeigt, obwohl Paracelsus zeitgenössisch als Astrologe nicht anerkannt ist.64 Als einer der prominenteren Vertreter kann hier der Leibarzt des brandenburgischen Kurfürsten Johann Georg, Leonhard Thurneysser, angeführt werden, dessen 61
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[3.20] Paracelsus: Usslegung des Commeten erschynen im Hochbirg zu mitlem Augsten Anno 1531, Zürich 1531 (VD16 P 411); [3.22] Ders.: Usslegung desz Cometen und Virgulte in hohen tütschen Landen erschinen, Konstanz 1532 (VD16 P 412); [3.21] Ders.: Usslegung dess Fridbogens so erschinen ist im Winmon gstanden uff den bodenseeischen Grentzen im Jar 1531. der do abkündt den Unfriden so der Comet in Augstmon erschinen angezaigt hat, Konstanz 1531 (VD16 P 410); [3.23] Ders.: Uszlegung der erdbidem beschehen nach Ussganng dess Cometens in den alpischen Birgen. im M. D.XXXI., Konstanz 1531 (VD16 P 406); [3.24] Ders.: Von den wunderbarlichen ubernatürlichen Zeychen so inn vier Jaren ein ander nach imm Hymmel Gewülcke und Lufft ersehen von Sternen Regenbögen Fewrregen Plutregen wilde Thierer Tracken schiessen Fewrin mann mit sampt ander dergleychen. auch Ausslegung der zweyen Cometen so biss her yrrig aussgelegt seynd, Augsburg 1534 (VD16 P 636). Andrew Weeks bemerkt dazu: „What is noteworthy about the ‚astronomy‘ of Paracelsus is that it entails neither distance nor mathematics. (…) In reading the celestial signs, Ptolemy counts for nothing and Holy Scripture for everything.“ Vgl. Weeks, Andrew: Paracelsus. Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1493–1541. Essential Theoretical Writings, Boston 2008, S. 26. Vgl. Benzenhöfer, Udo: Die prognostischen und mantischen Schriften des Paracelsus, in: Hogrebe, Wolfgang (Hrsg.): Mantik. Profile prognostischen Wissens in Wissenschaft und Kultur, Würzburg 2005, S. 189–200, S. 192–193. Für diesen Aspekt siehe Pfister, Silvia: Paracelsus in frühneuzeitlichen Astrologica, in: Telle, Joachim (Hrsg.): Analecta Paracelsica. Studien zum Nachleben Theophrast von Hohenheims im
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
Schrift zum Kometen 1577 im sechsten Kapitel dieser Arbeit näher untersucht wird. Auch Tycho Brahe ist von Paracelsus’ anti-aristotelischen und alchemistischen kosmologischen Vorstellungen deutlich beeinflusst, z. B. hinsichtlich der Annahme, dass Kometen aus himmlischer und nicht terrestrischer Materie bestehen.65 An Paracelsus’ Ausführungen zu den Kometen der 1530er Jahre ist die lokale Bezugnahme interessant, nicht nur hinsichtlich der Folgen in klassisch chorographischer Form, wonach spezifische Folgen in bestimmten geographischen Regionen auftreten, sondern auch bezüglich des Auftretens himmlischer Ereignisse. So verortet er den Kometen 1531 „auff den Burgundischen ländern“ stehend, „im Hochgebirg“ erschienen oder den dem Kometen nachfolgenden Regenbogen in den „Bodenseeischen Grentzen“. Dies kann einerseits als Bezugnahme auf einen lokalen Adressatenkreis sowie als Beleg der Augenzeugenschaft des Autors und damit Legitimation der Schriften verstanden werden, spiegelt aber auch eine Sichtweise von Kometen wider, in der sie primär als lokale Ereignisse rezipiert und tradiert werden. Zwar geht es nicht um die vermeintlich naive Darstellung von Kometen, die Dächer von Häusern entzünden oder als fliegende Fackeln von Dorf zu Dorf ziehen und diese brennend hinterlassen.66 Obwohl diese vor allem bildlichen Darstellungen wohl selten so direkt zu interpretieren sind, sondern eher ikonographisch die katastrophale Wirkung der Kometen und ihre unmittelbare Relevanz für das persönliche Leben der Menschen verdeutlichen sollen. In diesem Sinne geht es auch bei Paracelsus um die Botschaft der persönlichen Betroffenheit der Involvierten und die unmittelbare Bedrohungssituation der angesprochenen Rezipienten: Die himmlischen Zeichen erscheinen bei ihnen, vor ihrer Tür und ihren Augen, und – das ist eine weitere Erklärungsdimension – aufgrund ihrer Lasterhaftigkeit und sündigen Lebensweise. Solche Darstellungen haben daher eine emotive und appellative Funktion, die sich im Aufruf zu Reue und Buße zeigt. Diese sozialdisziplinierende Dimension gehört bis ins 18. Jahrhundert zum Kanon der Interpretationen des Phänomens Komet im theologischen Kontext. Der Lindauer Arzt Achilles Pirmin Gasser (1505–1577), der später ein Freund und Förderer von Georg J. Rheticus (1514–1574) und ein früher Anhänger des kopernikanischen Weltmodells wird, veröffentlicht in den 1530er Jahren mehrere Kometenflugschriften und mindestens ein Flugblatt zum Kometen 1531, das hier im Fokus steht.67 Bereits mit
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deutschen Kulturgebiet der frühen Neuzeit, Stuttgart 1994 (Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit 4), S. 531–540. Granada/Mosley/Jardine: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585, S. 46. Die Autoren machen hier den interessanten Punkt, dass Brahe unter anderem aufgrund dieser Idee länger an das Konzept solider Himmelssphären geglaubt habe als Rothmann. Solche Darstellungen sind zu dieser Zeit durchaus noch zu finden wie auf der Abbildung 3.8 in Kap. 3.2.6 zu sehen ist. [3.12] Gasser, Achilles Pirmin: Von dem Cometen oder Pfawenschwantz so in etlichen Hochteutschen Land X. Tag des Augusten sich zu erst erzeygt und darnach vil Nächt ob aines Raissspiess lang anderthalb Schüch brayt am Himel gesehen ist
3.1 Die Kometen der 1530er Jahre
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dem Titel Von dem Cometen oder Pfawenschwantz / so in etlichen hochteutschen land / X. tag des Augusten sich zu erst erzeygt und darnach vil nächt ob aines raißspieß lang / anderthalb schüch brayt / am himel gesehen ist worden zielt Gasser durch die bildhafte Sprache – z. B. die Größenbeschreibung des Kometen durch zeitgenössische Maßangaben (Reißspieß, Schuh) oder den Vergleich seines Aussehens mit einem Pfauenschwanz – auf Anschaulichkeit und Verständlichkeit.68 Im Gegensatz zu den meisten Einblattdrucken ist hier der Bildanteil nicht größer als der textuelle. Gassers Hauptintention besteht in der Information seiner Rezipienten, was sich z. B. daran zeigt, dass die stilisierte Abbildung des Kometen nicht sensationalistisch ist, sondern diesen lediglich im Raster der Himmelsrichtungen verortet. Der Text ist durch drei inhaltliche Abschnitte übersichtlich gegliedert: Was es sey, Wie es werd, Sein außlegung und wircken. Im ersten Teil liefert Gasser eine grobe Definition von Kometen als Haar- oder Bartsternen, die allerdings keine echten Sterne seien, sondern „ain nüw zufellig ding / das nach art des wetters und goetlicher warnung sich zuzeitten also in den lüfften erzaigt.“69 Er verbindet damit die natürliche Verursachung des Kometen mit dessen zweckhafter Schöpfung durch Gott. Auch im zweiten Abschnitt zeigt sich diese Zweidimensionalität: Nachdem Gasser zunächst die aristotelisch-meteorologische Theorie der Kometenentstehung zusammenfasst, identifiziert er Mars als den effizierenden Planeten: von wegen des gwalts und regiment Martis so ain herr über die element diß jars ist / geschichts nit on ursach / das sölche unnd andre fewrzaichen offt in den lüfften die zeit das menschlich gschlecht sampt etlichen hochstressen junckern erschröckt.70
Gasser referiert damit die zeitgenössisch aktuelle naturkundlich-astrologische Kometentheorie, die er als Sichtweise der „haidnischen und naturlichen lerer“ bezeichnet. Obwohl der Mensch nach dem Wort des Propheten Jeremias „kain zaichen des himels förchten“ solle, hält Gasser diese Information für nützlich, da ein Komet eben doch Erschrecken auslöse. Er führt eine weitere Bibelstelle – Lukas 21 – an, wonach der Mensch angehalten sei, solche Zeichen an den Gestirnen oder am Himmel zu beachten. Eine bloße Kometenfurcht sei heidnisch, dem gläubigen Christen obliege hingegen eine vernunftgemäße Betrachtung.71 Man findet hier wieder die legitimatorische
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worden, o. O. 1531 [Archenhold, Friedrich Simon: Alte Kometeneinblattdrucke, Berlin 1917, Nr. 3]. Weitere Kometenschriften Gassers sind: [3.11] Gasser, Achilles Pirmin: Beschrybung unnd Abnemen über den Cometen, so imm Herbst dess M. D.XXXII. Jar zu morgens allweg erschinen ist, sampt einer kurtzen Erklärung siner erschrockenlichen Bedütnuss, Zürich 1532 (VD16 G 489) sowie [3.10] Ders.: Ain kurtze Underricht von dem Cometen und harigen Sternen so den Sumer des M. D.XXXIII. Jars etlich Zeit zu Morgens darnach auch lang zu Abendts ersehen ist worden, Augsburg 1533 (VD16 G 496). Vgl. dazu die Analyse von Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 88–89. [3.12] Gasser: Von dem Cometen oder Pfawenschwantz. Ebd. Auf diese Interpretationslinie verweist der von Gasser genannte Bibelvers ( Jer 10,2) noch deutlicher, wenn man ihn in Gänze betrachtet: So spricht der HERR: Ihr sollt nicht nach der Heiden Weise
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
Komponente, nach der die Erklärung und Deutung des Kometen eine christliche Pflicht ist: Derhalben ich diß mein iudicium nit dahin gestelt will haben / das ich dem almechtigen in sein fürsehung gegriffen / sunder yederman hiemit zu dem besten durch sölcher erschröcklicher mirackel außlegung / in disen gefärlichen zeitten seines ruffs und stadts vermanen möchte.
Durch die Erklärung und Deutung des Kometen wird dem Phänomen der Schrecken genommen und gleichzeitig die in dessen Zeichenhaftigkeit inkorporierte göttliche Botschaft dechiffriert und bekannt gemacht.72 Im folgenden dritten Teil nennt Gasser schließlich die Kometenfolgen wie Stürme, Austrocknen der Gewässer, Teuerung, Seuchen sowie Blutvergießen und Krieg. Diese Reihenfolge ist nicht willkürlich, sondern spiegelt die natürliche Verursachung der Kometen und ihrer Auswirkungen wider: Der Komet als meteorologisches Phänomen der oberen Luftregion besteht aus verschiedenen terrestrischen Ausdünstungen, die kraft der Planeten den Elementen der Erde und Luft entzogen werden. Dies führt in der Luft zu starken Bewegungen und auf der Erde zu Trockenheit. Dies führt nicht nur zu geringeren oder verdorbenen Ernten, sondern auch zu Gemütsänderungen der Menschen. Die Folgen sind Teuerung, vermehrte Krankheiten und gesteigerte Aggressivität, was Zwietracht, Aufbegehren und Konflikte zwischen den Menschen fördert. Die negativen Auswirkungen des Kometen sind damit kausal erklärt, außerdem belegt Gasser seine Ausführungen durch Verweis auf die traditionellen Autoritäten der Astrologie: Ptolemaios’ Quadripartitum, Albumasars Buch der großen Konjunktionen, zudem Guido Bonatti, Haly Abenragel, Johannes Pontanus und Leopold von Österreich. Gassers Einblattdruck zeigt, dass auch in dem platzbegrenzten und oft eine sensationshungrige Leserschaft bedienenden Medium des Flugblatts sachliche und wissenschaftlich begründete Information vermittelt werden kann und dafür ein Markt bzw. Bedürfnis vorhanden ist:73 Er geht von der Beobachtung des Kometen aus und liefert eine anschauliche Beschreibung. Dann wird das Phänomen theoretisch, unter Bezugnahme auf belegte gelehrte Positionen, erklärt. Erst zum Schluss erfolgt die Deutung, die ebenfalls naturalistisch begründet wird. Die Dimension der göttlichen Zeichenhaftigkeit ist präsent als Ergänzung der Darstellung und Erläuterung der naturkundlichen Theorie; auch sie wird durch zwei Bibelstellen belegt und damit in den entsprechenden interpretatorischen Kontext theologischer Exegese gestellt. Die kurze Schrift ist systematisch aufgebaut und klar geschrieben, Gasser verwendet Fachtermini und erklärt diese zudem durch anschauliche oder alltagsnahe Bezüge. Er verdeutlicht seine eigene Kompetenz und lässt den Text so seriös und glaubwürdig erscheinen.
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lernen und sollt euch nicht fürchten vor den Zeichen des Himmels, wie die Heiden sich fürchten. In seiner Schrift über den Kometen von 1533 nennt Gasser diesen „Gottes Bote“, siehe [3.10] Gasser: AIN KURTZE UNDERRICHT, Bl. A 2r. Vgl. Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 87–90.
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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3.2 Die Kometen der 1550er Jahre In den 1550er Jahren erscheinen 1556 und 1558 und damit relativ kurz hintereinander zwei helle Kometen.74 Ihre Rezeption spiegelt sich in mindestens 21 deutschsprachigen Kometenflugschriften wider: Zum Kometen 1556 sind das 15 Publikationen und für den Kometen 1558 sechs Publikationen, denen insgesamt 14 lateinische Werke gegenüberstehen.75 Die Schriften des Erfurter Stadtarztes Johannes Hebenstreit, des Erfurter Mathematikprofessors Nicolaus Neodomus, des Nürnberger Mathematikers Erasmus Flock, des Marburger Mathematikprofessors Victorin Schönfeld, des Wiener Hofastronomen Paulus Fabricius sowie zwei anonyme Einblattdrucke zum Kometen von 1556 stehen nachfolgend als exemplarische Auswahl im Fokus der Analyse. 3.2.1 Die Rolle der historischen Argumentation Johannes Hebenstreit (1525–1569) studiert in Erfurt und Wittenberg und wird nach seiner Zeit als Leibarzt des Herzogs von Braunschweig 1563 Stadtphysikus und ein Jahr später Medizinprofessor in Erfurt.76 Schon vorher, mindestens zwischen 1553 und 1568, hat er zahlreiche prognostisch-medizinische Schriften verfasst und jährlich deutsche und lateinische Kalender und Praktiken herausgegeben.77 In diesen interpretativen Rahmen lässt sich auch seine in Wittenberg publizierte Kometenflugschrift Des Cometen so dieses 1556. Jars von dem 5. tag Marcii an bis auff den 20. Aprilis zu Wittemberg erschienen bedeutung78 einordnen. Sie ist mit 36 Seiten relativ umfangreich und in sechs Kapitel unterteilt. Wie Hebenstreit schreibt, ist dies seine erste Kometenschrift, weshalb er sich methodisch an den gelehrten Autoritäten orientieren will, die er vielfach nennt, zitiert und paraphrasiert. Das bezieht sich einerseits auf die klassischen antiken Autoritäten zu den Themen der Meteorologie und Astrologie; andererseits ist an Aus-
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Es handelt sich dabei um die Kometen C/1556 D1 und C/1558 P1, siehe Kronk: Cometography, S. 309–315. Die 15 deutschsprachigen Werke zum Kometen 1556 teilen sich auf in neun Schriften und sechs Einblattdrucke, denen insgesamt elf lateinische Publikationen gegenüberstehen. Bei den sechs Werken zum Kometen 1558 handelt es sich um fünf Schriften und einen Einblattdruck, die durch lediglich drei lateinische Drucke ergänzt werden. Vgl. zu diesen Zahlen das Diagramm (Abb. 1.1) in Kap. 1.2.2. Vgl. Jöcher, Christian Gottlieb: Allgemeines Gelehrten-Lexicon 2, Hildesheim 1998 (2. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1750), Sp. 1420. Darunter zahlreiche Prognostiken, die hier interessierende Kometenflugschrift, die Übersetzung eines hippokratischen Textes, ein Werk zur Arzneikunde und eines über Wunderzeichen (1562). In VD16 sind knapp 30 Schriften Hebenstreits identifizierbar. [3.13] Hebenstreit, Johannes: Des Cometen so dieses 1556. Jars von dem 5.Tag Marcii an bis auff den 20. Aprilis zu Wittemberg erschienen Bedeutung. darinne auch derer Meinung so zween Cometen gesatzt gründtlich refutirt wird, Wittenberg 1556 (VD16 H 875).
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
richtung und Inhalten des Werkes der melanchthonische Geist des Wittenberger Umfelds spürbar. Ist seine Schrift auch deutschsprachig und enthält explizit Elemente, die „umb der einfeltigen willen erzelt“79 werden, so versucht Hebenstreit doch, den gelehrten Anspruch seiner Publikation zu vermitteln, z. B. durch fremdsprachliche Paratexte: Die Schrift beginnt mit einem griechischen Gedicht des Humanisten Johannes Caselius, einem lateinischen vom Theologen und Dichter Franz Raphael und endet mit einem lateinischen Epigramm des Rhetorikers und Melanchthonschülers Hieronymus Osius; unter der Titelillustration findet sich ein Melanchthonzitat. Hebenstreit paraphrasiert oder zitiert in der Widmungsepistel Ovid, Platon, Plutarch und Augustinus, überhaupt gebraucht er im Text viel Latein, mitunter Griechisch, sowie Fachtermini. Zum Teil sind die deutschen und lateinischen Worte in einzelnen Sätzen so sehr vermischt, dass ein Verständnis für den Lateinunkundigen zumindest erschwert erscheint. Nahezu apologetisch deklariert er längere Erklärungen als notwendig für die einfältigen Leute. Hebenstreit schimpft auf die „Simplicisten“, die die Kunst der Astrologie verachten oder sie nur zum Geldmachen gebrauchen, während er sich selbst und auch dem die Schrift Gewidmeten zu den „Verstendigen“ zählt.80 Die Möglichkeit und Notwendigkeit der astrologischen Kometendeutung ergibt sich für Hebenstreit aus der naturkundlichen Kometensichtweise selbst und folgt zudem aus ihrer theologischen Konzeptualisierung als göttliche Zeichen. Kometen entstehen und wirken natürlich, was Hebenstreit mehrfach betont: „Wiewol aber etliche furgeben / als sollten die Cometen keine natürliche ursache haben / sol man doch gelerten leuten / und der erfarung mehr gleuben / denn diesen Academicis.“81 Wolle man „de effectu Cometae“ – also von ihren Wirkungen – reden, müsse man ihre Ursachen kennen. Nur so sei es möglich, Kometen zu prognostizieren, wofür Hebenstreit Eudoxos, Johannes Ang[e]lus und Apian als Beispiele anführt, wobei er sich selbst in diese Reihe einordnet, da er den jetzigen Kometen in einer prognostischen Schrift des Vorjahres aus einer Mondfinsternis und der Opposition von Saturn und Mars im selben Haus vorhergesagt habe. Ohne Kenntnis dieser und anderer Ursachen könne man legitimerweise nicht fundiert über die Kometenwirkung schreiben, die auszubuchstabieren der astrologischen Deutung entspricht. Dieser naturalistisch zu verstehende Kausalzusammenhang von Entstehung, Erscheinung und Wirkung der Kometen wird nun zweifach argumentativ untermauert, nämlich theologisch-religiös und historisch, wobei diese beiden Ebenen verknüpft sind. Hebenstreit listet daher nicht nur historische Beispiele von Kometenerscheinungen und deren Folgen, sondern ebenfalls die als verursachend angesehenen vorangegangenen Finsternisse oder Konjunktionen der oberen Planeten. Ein weiteres Argument für die historisch belegten Folgen von Kometen ist, dass sie als Werke Gottes nicht umsonst geschaffen sein können und daher eine Wirkung haben 79 80 81
[3.13] Hebenstreit: Des Cometen so dieses 1556. Jars, Bl. B 3v. [3.13] Hebenstreit: Des Cometen so dieses 1556. Jars, Bll. B 2r–B 2v. [3.13] Hebenstreit: Des Cometen so dieses 1556. Jars, Bl. B 3v.
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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müssen. Ein Verständnis von Kometen als göttliche Zeichen, das Ergründen ihrer Wirkung und ihre Interpretation sind allein dadurch gefordert, dass Gott dem Menschen Vernunft gegeben und ihn von der tierischen Kreatur unterschieden habe. In Hebenstreits Kometenschrift spiegelt sich eine Verbindung von Naturverständnis und Geschichtsbild wider, die charakteristisch für die astrologisch-naturkundliche Interpretation der Kometen und generell von wunderhaften Erscheinungen im Kontext der um die Jahrhundertmitte aufblühenden Prodigienbegeisterung ist. Der Verweis auf historische Ereignisse wird zum Element der Argumentation für die Legitimation von Prognostik als Zukunftsvorhersage und erhält damit eine empirische Funktion.82 Hebenstreits jährlich erscheinende Praktiken haben schon im Titel den Zusatz Historicum und Physicum und fassen so programmatisch diese empirische Funktion der historischen Betrachtung von natürlichen Zeichen zusammen. „Darinne allerley künfftige voranderung / auff vorgangene gleiche / Exempla / gegründet werden / Warnungsweise gestalt“83 heißt es etwa in der Prognostik auf das Jahr 1566 oder in der des Folgejahres: „Darinne allerley zufell / ausz nechst verschienenen Wunder / und künfftigen / Zornzeichen / Auch ausz alten Prophezeyung hoher Leute / vergangenen gleichen Zeichen / und drauff erfolgeten Exempeln genommen / angezeigt werden.“84 Die historische Argumentation dient nun nicht nur der Begründung negativer Folgen von Kometen, sondern auch dazu, einzelne Aspekte des Wesens von Kometen zu belegen, etwa dass sie auf Mond- oder Sonnenfinsternisse folgen oder dass es möglich ist, dass zwei Kometen zur gleichen Zeit erscheinen. Die historische Erfahrung dient als Beweis- und Interpretationsmittel für beobachtete oder zu erwartende Eigenschaften bzw. Auswirkungen zukünftiger Kometen. Das individuelle Ereignis des aktuellen Kometen erhält seine Relevanz über diesen historischen Zusammenhang, der zudem theologisch begründet wird. Darin besteht der Zweck und die Legitimation des Genres der Kometenchroniken. Der informative Charakter und wissenschaftliche Anspruch von Hebenstreits Schrift spiegelt sich bereits im Titel wider: Des Cometen so dieses 1556. Jars von dem 5. tag Marcii an bis auff den 20. Aprilis zu Wittemberg erschienen bedeutung. Darinne auch derer meinung so zween Cometen gesatzt gruendtlich refutirt wird. Der Leser ist nicht nur 82
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Siehe hierzu Mosley, Adam: Past Portents Predict. Cometary Historiae and Catalogues in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: Tessicini, Dario/Boner, Patrick J. (Hrsg.): Celestial Novelties on the Eve of the Scientific Revolution 1540–1630, Florenz 2013 (Biblioteca die Galilaeana III), S. 1–32. [3.15] Hebenstreit, Johannes: Prognosticon historicum und physicvm. auffs M. D.LXVI. Jhar darinne allerley kuenfftige Voranderung auff vorgangene gleiche Exempla gegruendet werden warnungsweise Gestalt, Erfurt 1565 (VD16 ZV 7497). [3.14] Hebenstreit, Johannes: Prognosticon historicum physicum auffs Jhar 1567. Darinne allerley Zufell aus nechst verschinenen Wunder und kuenfftigen Zornzeichen auch aus alten Propheceyung hoher Leute vergangenen gleichen Zeichen und drauff erfolgeten Exempeln genommen angezeigt werden, warnungsweise Gestalt, Erfurt 1566 (VD16 ZV 23992).
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sofort über die Dauer der Erscheinung des Kometen informiert, sondern hat über den Titelholzschnitt (siehe Abbildung 3.5) auch eine Verbildlichung der Observationsresultate vor Augen: in zwölf Einzeldarstellungen eines stilisierten Kometenbildes wird der Komet an der Himmelssphäre astronomisch verortet, wobei leichte Unterschiede in Schweifrichtung und -länge erkennbar sind, was auf den Versuch einer realistischen Darstellung dieser Eigenschaften schließen lässt. Die astrologisch-naturkundliche Kometendimension wird über die allegorische Darstellung der den Kometen beherrschenden Planeten Merkur, Saturn und Mars sowie der Tierkreiszeichen, in oder neben denen sie sich aufgehalten haben, transportiert. Die Figuren des Saturn und Merkur berühren mit ihren Stäben z. B. den Kometenkopf, womit ihre ursächliche Rolle bei der Entstehung des Kometen ikonographisch dargestellt wird.
Abb. 3.5 Titelillustration der Kometenflugschrift Hebenstreits (1556)85
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Abbildung der Universitätsbibliothek Leipzig, Astron.425-d, urn:nbn:de:bsz:15-0005-22838.
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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Zudem nimmt Hebenstreit bereits im Titel zu einer Detailfrage des aktuellen Forschungsdiskurses Stellung, indem er die Ansicht, es handele sich bei dem Kometen in Wirklichkeit um zwei verschiedene, zurückweist. Er diskutiert diese Frage im fünften Kapitel seiner Schrift Schritt für Schritt und entwickelt seine begründete Refutation unter Bezugnahme auf historische, naturphilosophische und empirische Argumente:86 Zunächst führt er die Kometenerscheinungen der Jahre 729, 1337 und 1472 als Beleg dafür an, dass das gleichzeitige Auftreten von mehr als einem Kometen durchaus möglich ist. Wie beim Kometen von 1532 der Fall, sei es aber ebenso möglich, dass dichte Wolken oder andere Witterungsverhältnisse die Sichtbarkeit der Himmelserscheinung zeitweise unterbrechen, was dann fälschlicherweise als zwei verschiedene Phänomene interpretiert würde. Hebenstreit hält diese letzte Option beim aktuellen Kometen für möglich, weil der vermeintlich zweite Komet dieselbe Art der Bewegung und Farbe gehabt habe wie der erste, was beides durch die Natur des beherrschenden Planeten bestimmt ist. Zudem habe der vermeintlich zweite Komet in seiner Größe abgenommen, was bei Kometen eher in einer späteren Phase ihres Daseins oder ihrer Sichtbarkeit auftrete, da sie zu Beginn eher größenmäßig zunehmen oder zumindest gleichbleiben. Drittens bedeute die Tatsache, dass ein Komet nicht zu sehen ist, nicht zwangsläufig, dass er nicht mehr existiere, auch Finsternisse ereigneten sich, ohne immer von allen gesehen werden zu können. Abschließend referiert und kommentiert Hebenstreit kritisch die Kometenbeobachtungen und daraus gezogenen Schlussfolgerungen einiger Zeitgenossen, etwa die Überlegung des Greifswalder Mathematikprofessors Georg Holstein, der den Kometen am 20. März letztmalig gesehen und daraus auf dessen Vergehen geschlossen hat, da der Komet zu dieser Zeit auch der Sonne ganz nah gewesen sei.87 Um dies zu widerlegen, verweist Hebenstreit auf spätere Kometensichtungen kompetenter Beobachter. In ähnlicher Weise begegnet er Auffassungen, wonach die erstmalige Erscheinung des Kometen im März stattgefunden habe, mit dem Verweis auf beglaubigte Erfahrungen: So hat doch die erfarung und observation / das gegenteil beweisst. Denn das bin ich / durch glaubwirdige Leute / so den Mathematicis studiis zugethan / sie verstehen und uben / schrifftlich und mündlich bericht / das die es nicht gehört / oder propia sapientia coniecturiert, sondern selbs gesehen / auch mit instrumentis deprehendiert / das der Comet zu Zwickaw / in der Marck / und anderen örten / zu erzelen one not / den 28. Februarii / 88 auffn abent umb 9. Uhr / circa 4. gradum Ω – erschienen sey.
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Siehe [3.13] Hebenstreit: Des Cometen so dieses 1556. Jars, Bll. C 1v–C 3r. Der Hinweis auf die Sonnennähe deutet auf ein Kometenverständnis nach der optischen und nicht der meteorologischen Theorie, da in ersterer die Materie des Kometen durch die Sonne verzehrt wird, deren (gebrochene) Strahlen den Kometenschweif bilden. Nach der meteorologischen Theorie wird ein Komet auch verzehrt, allerdings dadurch, dass seine Materie verbrennt, womit die Sonne nichts zu tun hat. [3.13] Hebenstreit: Des Cometen so dieses 1556. Jars, Bl. C 4r.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
Nicht nur an dieser Stelle zeigt sich, dass Hebenstreit in Kontakt und Austausch mit zeitgenössischen Kometenbeobachtern steht und deren Verlautbarungen kritisch rezipiert. Neben dem genannten – heute unbekannten – Georg Holstein erwähnt Hebenstreit z. B. Melanchthon, Peucer und „andere Herrn Professores“89, von deren Observationen und Ansichten er Kenntnis hat sowie weitere namentlich nicht genauer identifizierte Beobachter auch außerhalb Wittenbergs. Diese Betonung der Wichtigkeit von Beobachtung und ihrer Beweiskraft ist als methodologisches Kernelement ein wichtiges Charakteristikum des sich vom Qualitativen zum Quantitativen wandelnden Zugangs zum Phänomen Komet, der mit Toscanelli, Regiomontanus und anderen Ende des 15. Jahrhundert begonnen und sich bereits in der Rezeption der Kometen der 1530er Jahre manifestiert hat. Bei Hebenstreit zeigt sich zusätzlich deutlich ein systematischer Zugang zur Kometendeutung. Er folgt hier einem klaren Schema, wonach als Parameter Ort, Schweifrichtung, das Zeichen, in dem der Komet erschien, sowie seine Bewegung zu beachten seien. Daraus werden die Effekte, also die Kometenfolgen, erschlossen, wobei Hebenstreit dann ebenso systematisch ausführt, in welchem Element, auf welche Weise, in welchen Ländern und Städten und für welche Menschen diese Wirkungen auftreten. Nachdem er dieses Vorhaben im sechsten Kapitel90 seiner Schrift programmatisch beschreibt, liefert er zunächst recht ausführlich alle beobachteten Fakten zu den relevanten Parametern wie Himmelsort, Zeichen oder Bewegung, um diese danach ausführlich zu deuten. Auf diese Weise werden Kometenfolgen wie Krankheiten, Fürstentod und Naturkatastrophen wie Dürre, Stürme oder Erdbeben gleichzeitig erklärt und prognostiziert. Bei fast allen Einzelschritten der Deutung führt Hebenstreit Autoritäten an – z. T. mit konkreten Textzitaten, Paraphrasen oder zumindest der Angabe des entsprechenden Werkes –, auf die diese Vorschriften zurückgehen, darunter Ptolemaios, Albumasar, Alkindi, Hippokrates, Galen, Leopold von Österreich oder Guido Bonatti. Durch diese Legitimierung drückt er den wissenschaftlichen Anspruch seines Werkes aus. Diese Art der systematischen Deutung von Kometen wird, wenn auch in unterschiedlichem Umfang und mitunter verschiedener inhaltlicher Ausprägung, zu einem kennzeichnenden Element frühneuzeitlicher Kometenflugschriften. 3.2.2 Funktionen der Theologisierung von Kometen als Wunderzeichen Auch bei Hebenstreit widerspricht diese naturalistisch-astrologische Kometenerklärung in keiner Weise der Zeichenhaftigkeit von Kometen. Um deren Wundernatur zu belegen, führt der Erfurter Arzt z. B. weitere Wunderzeichen an, die aktuell im Gefolge
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Ebd. [3.13] Hebenstreit: Des Cometen so dieses 1556. Jars, Bll. C 3r–F 1r.
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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des Kometen aufgetreten seien. Abschließend ermahnt er alle frommen Christen, solche Zeichen ernst zu nehmen und als göttliche Warnung zu betrachten. Denn Gott in seiner Allmacht könne auch Milde walten lassen. In diesem Zusammenhang schreibt er folgenden Satz, mit dem er sich geschickt zweifach absichert: „Bitte auch jederman / er wolle mir dis judicium / in keinen frevel deuten / und im nicht mehr / denn die erfarung geben wird / zu schreiben / denn es nicht edicta praetoria, sondern inclinationes sein.“91 Die göttliche Allmacht wird durch diese nicht-deterministische Charakterisierung der Astrologie nicht infrage gestellt, stattdessen wird es zur religiösen Aufgabe, Gott durch das eigene Verhalten milde zu stimmen und so seine mit dem Kometen angedrohten Strafen zu verhindern. Wenn die im Detail ausgedeuteten Strafen dann nicht eintreffen, ist dies außerdem nicht der Unfähigkeit des deutenden Astrologen zuzuschreiben, sondern einem allmächtigen Gott, der von seinem ursprünglichen Plan der Bestrafung willentlich absieht. Was gedeutet wird, ist also nicht eine notwendig eintretende Zukunft, sondern ein mögliches zukünftiges Panorama, das sich aus den aktuellen Zeichen ergibt, von dem Gott jedoch abweichen kann. Diese Art der theologischen Legitimierung der Astrologie im melanchthonischen Sinne überzeugt freilich nicht alle. Bekanntermaßen konnte Luther selbst die Begeisterung Melanchthons für die Astrologie nicht teilen, weshalb der Name des Reformators auch lange nach seinem Tod als Gewähr für eine protestantische Astrologiekritik gebraucht wird. Im Jahr 1554 erscheint etwa eine Schrift der Weimarer Pastoren Johannes Stoltz und Johannes Aurifaber, die Hebenstreits Praktik desselben Jahres als unchristlich kritisieren und ihm vorwerfen, „mit seiner abergleubischen ungewissen Astrologia“ schändlich mit der Heiligen Schrift und ihren Lehrern umzugehen.92 Sie verteufeln im Namen Luthers jede Art der Astrologie, die über jahreszeitliche und Wetterprognosen hinausgeht, denn über die menschliche Zukunft entschieden nicht die Philosophen, sondern Gott und woran man sich halten solle, seien die zehn Gebote und nicht die Prognostiker, die versuchten „ire observationes astrologicas, als für gewis und warhafftig / dem gemeinen Mann einzureden.“93 In dieser Replik manifestiert sich einerseits der Vorwurf der fehlenden Sicherheit des durch die Astrologie gebotenen Wissens und die Angst vor dem durch ihren Einfluss gegebenen sozial-gesellschaftlichen Zündstoff, also die Befürchtung des Macht- und Autoritätsverlustes, der dann zu drohen scheint, wenn der gemeine Mann als gehorsamer Untertan nicht nur Gottes Wort, sondern anderen Regeln oder Autoritäten für die Lebensgestaltung folgen kann.94 91 92 93 94
[3.13] Hebenstreit: Des Cometen so dieses 1556. Jars, Bl. E 1r. [3.5] Aurifaber, Johannes/Stoltz, Johannes: Kurtze Verlegung der unchristlichen Practica Magistri Johannis Hebenstreits auff das Jar 1554 zu Erffurd ausgangen, Jena 1554 (VD16 S 9266), Bl. A 2v. [3.5] Aurifaber/Stoltz: Kurtze Verlegung, Bl. A 3r. Eine ähnliche Angst vor der politischen Wirkmächtigkeit der Prognostik bringt den englischen König James I. ein halbes Jahrhundert später dazu, unter Verweis auf die Unsicherheit astrologischen Wissens zwischen einer sicheren und einer gefährlichen Astrologie zu unterscheiden und
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Dieser potentiell sozial aufwieglerischen Dimension der Astrologie zu begegnen, ist eine weitere Funktion der Theologisierung natürlicher (Wunder-)Zeichen, die somit ein Faktor der Sozialdisziplinierung sein können. Dies lässt sich an der Kometenflugschrift des Erfurter Mathematikers Nicolaus Neodomus (1535–1578) zeigen. Neodomus studiert in Erfurt bei Valentin Engelhardt und in Wittenberg bei Caspar Peucer und wird 1561 Professor an der Universität Königsberg.95 Er verfasst Kalender und Prognostiken und ein auf den prutenischen Tafeln basierendes Werk über Mondfinsternisse. Die 1558 in Erfurt publizierte Kometenflugschrift Von des Cometen Bedeutung gehört zu seinen frühesten Veröffentlichungen, ist 21 Seiten lang und in sechs Kapitel unterteilt.96 Auf der Titelseite unter der Kometenillustration zitiert Neodomus den Bibelvers: „[Et vos] estote parati, quia qua hora non putatis Filius hominis veniet“97 und präsentiert den Kometen damit in einem eschatologischen Kontext als göttliches Zeichen. Die Widmungsepistel an Herzog Friedrich zu Franken, Bischof zu Würzburg, nimmt diesen Faden auf, der zusammen mit dem Endpart der Schrift deren theologisch-religiösen Rahmen bildet. Hier beklagt Neodomus zunächst die Sündhaftigkeit der Menschen und beschreibt den Kometen als Bußprediger am Himmel: Weil sich aber schir niemands mehr durch das mündtliche wort und predigt will von sünden abzustehen bewegen lassen / so versuchts unser lieber Gott / der da an unserm verderben weder lust noch gefallen hat / dar neben auff ein andere weis / ob er doch unsere hart verstockte hertzen erschrecken und erweichen möchte / das wir die augen aufftheten / uns von dem irrigen weg auff die rechte ban wendeten (…).98
Kometen sind sprechende Zeichen am Himmel, die von Zorn und Strafe, aber auch von der Gnade Gottes als Versprechen künden, wenn die Menschen ihr Handeln ändern. Diese Interpretation ist damit eine Fortsetzung der göttlichen Kommunikation als Appell an das religiöse Gewissen der Gläubigen. Anders als etwa Paracelsus, präsentiert Neodomus diese Zeichen als natürlich verursacht. Er konstatiert explizit
95 96 97 98
ein entsprechendes Verbot zu erlassen: „All conjurers and framers of almanacs and prophecies exceeding the limits of allowable astrology shall be punished severly in their persons. And we forbid all printers and booksellers, under the same penalties, to print or expose for sale, any almanacs or prophecies which shall not first have been seen and revized by the archbishop, the bishop (…), and approved of by their certificates, and, in addition, shall have permission from us or from our ordinary judges.“ Vgl. Westman, Robert S.: The Copernican Question. Prognostication, Skepticism, and Celestial Order, Los Angeles 2011, S. 406. Vgl. Jöcher, Christian Gottlieb: Allgemeines Gelehrten-Lexicon 3, Hildesheim 1998 (2. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1751), Sp. 857. [3.19] Neodomus, Nicolaus: Von des Cometen Bedeutung welcher in dem jetzt lauffenden M. D.LVIII. Jar im Augstmond erschienen ist ein kurtzer Bericht aus gutem Grund der Astrologey gestellet vnd beschrieben, Erfurt 1558 (VD16 ZV 11443). Lk 12,40 lautet übersetzt: „Darum seid auch ihr bereit; denn des Menschen Sohn wird kommen zu der Stunde, da ihr’s nicht meinet.“ [3.19] Neodomus: Von des Cometen Bedeutung, Bl. A 2r.
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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ihre duale Natur, da sie „durch offenbarung des Allmechtigen Gottes ohn zweivel zum teil der Natur unterworffen / und der vernunfft bekannt sein / Jedoch so sein sie gleichwol / und bleiben auch zu aller zeit unsers lieben Gottes Zeichen und Wunderwerck (…).“99 Ihre Erforschung und Deutung ist nicht nur legitim, sondern christlich geboten, denn Kometen seien „durch Gottes versehung inn der Natur ordentlicher weis entsprungen“100. Das „ordentlicher weis“ belegt, dass Neodomus nicht die Entstehung oder Erscheinung der Kometen selbst als supra naturam betrachtet, sondern ihre Instrumentalisierung durch Gott zum Zwecke der Offenbarung einer Botschaft. Im ersten Kapitel seiner Schrift widmet sich Neodomus der Definition von Kometen und stellt die Theorien Senecas und Cardanos, wonach Kometen nur zeitweise sichtbare Sterne seien, als gelehrte, aber falsche Ansicht dar und propagiert die augmentierte meteorologische Kometentheorie, die er auf Aristoteles, Ptolemaios und Plinius zurückführt, als die glaubwürdigere. Er bewertet beide Theoriealternativen auch hinsichtlich des Zusammenhangs von natürlicher und göttlicher Verursachung: Die meteorologische Theorie erkläre die Entstehung von Kometen durch natürliche Prozesse. Diese müssten auch am Werk sein, soll ein Komet prognostizierbar sein. Neodomus belegt das Konzept der Kometenverursachung durch Sonnen- oder Mondfinsternisse in hitzigen Zeichen sowie Konjunktionen von Planeten in solchen Zeichen ausführlich durch Verweis auf die historische Erfahrung: Er erörtert in den nächsten beiden Kapiteln allgemein die „bösen Configurationibus (…), welchen gemeiniglich feurige Zeichen nachzufolgen pflegen“101 und schließlich „Von dieses itzt erschienen Cometen ursachen / sampt erklerung meines Prognostici“ 102, womit nicht nur der kausale Zusammenhang von Entstehung, Erscheinung und Wirkung der Kometen, sondern auch deren chronikale Dimension in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betont wird. Wäre der Komet hingegen ein Stern und sein Erscheinen damit rein göttliche Fügung – da alle Sterne bei der Schöpfung erschaffen worden sind und ihre Zahl seitdem gleichgeblieben ist –, so könnte weder ein Komet selbst, noch dessen Folgen vorhergesagt werden. Da Neodomus betont, dass er wie auch Hebenstreit den aktuellen Kometen in einer früheren lateinischen Prognostik vorhergesagt habe, liefert er durch das offenkundige Eintreten seiner Prognose gleichzeitig eine Bestätigung für die entsprechende Kometentheorie. Die Rolle Gottes ist damit klar, wobei dessen zeichenhaft-kommunikatives Handeln im Rahmen der natürlichen Ordnung und nicht außerhalb oder über dieser stattfindet. Zudem wird der Zusammenhang zwischen beiden Konzeptionen hier so dargestellt, dass die natürliche Verursachung und göttliche Zeichenhaftigkeit von Kometen sich gegenseitig argumentativ untermauern und damit legitimieren. 99 100 101 102
[3.19] Neodomus: Von des Cometen Bedeutung, Bl. A 2v. [3.19] Neodomus: Von des Cometen Bedeutung, Bl. A 3r. [3.19] Neodomus: Von des Cometen Bedeutung, Bll. A 4v–B 1v. [3.19] Neodomus: Von des Cometen Bedeutung, Bll. B 1v–B 2v.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
Neodomus klassifiziert den Kometen als Pogonias – also Bartstern – vom Typ Dominus Ascone103, der von Mars, Merkur und Saturn beherrscht wird. Den Lauf des Kometen beschreibt er eher qualitativ und grob, was er selbst jedoch bedauert und damit begründet, dass er „nicht mit Instrumenten zur Observation tüchtig versehen gewesen“104. Diese Aussage verdeutlicht, welche Bedeutung der möglichst exakten Beobachtung von Kometen zugemessen wird und welchen Stellen- und Informationswert diese hat. Auch wenn Neodomus keine systematisch erhobenen quantitativen Daten liefern kann, bemüht er sich doch um eine anschauliche und möglichst genaue Beschreibung, wann der Komet wo zu sehen war, wohin sich sein Schweif gerichtet und wie er sich fortlaufend bewegt hat. 3.2.3 Kometen im prognostisch-medizinischen Kontext Die Beobachtung als solche ist auch dann wichtig, wenn es gar nicht um die Kommunikation entsprechender Daten oder Methoden geht. Der Nürnberger Mathematiker und Arzt Erasmus Flock (1514–1568) ist Schüler von Johannes Schöner und Georg J. Rheticus und übernimmt 1543 auf Empfehlung Melanchthons die Professur der niederen Mathematik von Rheticus an der Universität Wittenberg.105 Nachdem Flock dort in Medizin promoviert worden ist, kehrt er nach Nürnberg zurück, wo er als Arzt praktiziert. Diese medizinisch-praktische Komponente bildet den Hintergrund seiner hier zu untersuchenden Kometenschrift. Flock hat bereits über den Kometen 1556106 geschrieben und unter anderem eine Neuauflage der Epitome des Almagest von Peurbach und Regiomontanus besorgt. Zum Kometen 1558 schreibt er die 30 Seiten lange Flugschrift Von dem jüngsten unnd achten Cometen, die hier im Fokus steht.107 Auf dem Titelblatt zitiert er Lk 21 mit „Auch werden schrecknuß und grosse zeychen vom Himmel geschehen“ und betont schon im zweiten Satz der Widmungsepistel die Funktion der historischen Argumentation – der Cometen historiae – als empirisch und bringt sie in Relation zur göttlichen Zeichenhaftigkeit von Kometen: „Die Chronicken und Historien mancherley zeyt beweysen / das wenn Gott ein enderung hat wöllen machen unn straff ergehen lassen / er allweg zuvor der selben zeychen hat lassen sehen / sie vor gestellet / unnd die enderung durch
103 Zu dieser Art von Kometentypologie siehe Kap. 2.1.1. 104 [3.19] Neodomus: Von des Cometen Bedeutung, Bl. B 3r. 105 Für Details zu Leben und Werk Flocks siehe Clemen, Otto: Erasmus Flock, ein Nürnberger Arzt und Mathematiker, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 14 (1939), S. 195–202. 106 [3.9] Flock, Erasmus: Von dem Lauff mancherley Orten des Cometen der im Mertzen und Aprilln des M. D.LVI Jars erschinen ist, Nürnberg 1557 (VD16 F 1654). 107 [3.8] Flock, Erasmus: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, deren, so von dem jar M. D.XXXI an, biss auff das yetzig lauffend M. D.LVIII Jar, erschinen sein, im August monat gesehen, Nürnberg 1558 (VD16 F 1653).
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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sie verkündigt (…).“108 Als Beispiel nennt er die von Vergil überlieferten „vil grewlicher Cometen“, die zu Zeiten Caesars erschienen und das Ende seiner Herrschaft angekündigt hätten. Bereits mit der im Titel der Schrift genannten Charakterisierung der aktuellen Erscheinung als „achten Cometen“ verweist Flock auf diese historische Perspektive und positioniert den aktuellen Kometen in einer Reihe mit den sieben vorangegangenen, die seit 1531 erschienen sind.109 Dies ist als ungewöhnliche Häufung von Kometen wahrgenommen worden, was sich in der ihnen zugeschriebenen Bedeutung widerspiegelt: Gebraucht Gott wiederholt solche Zeichen, muss seine Botschaft umso mehr beachtet werden bzw. umso wichtiger sein, da er schließlich immer wieder darauf hinweist. Es fällt auf, dass Flocks mit dem 21. August datierte Schrift äußerst schnell nach Ende der Sichtbarkeit des Kometen publiziert wird. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu beispielsweise Apian, der in seiner Praktik betont hat, wie kompliziert und langwierig notwendige Berechnungen seien, um bestimmte Beobachtungsergebnisse zu verarbeiten und daraus verwendbare Daten zu extrahieren. Apian kritisiert explizit diejenigen, die sich diese Zeit nicht nehmen, sich die Berechnungen sparen und in Konsequenz ihre Schriften zwar schneller veröffentlichen würden, diese aber nicht fundiert und daher auch nicht so nützlich seien. Am 17. August wird der Komet in Nürnberg überhaupt erstmals gesehen, von Flock selbst am Abend des 18. sowie am 19. und 20. August. Er gründet seine Überlegungen damit lediglich auf diese drei Observationstage und weist selber explizit und entschuldigend darauf hin, dass aus diesem Grund bestimmte Aspekte des Kometen in seiner Schrift nicht thematisiert werden konnten: Nun solt ich hie auch melden / wie hoch er von der Erden steht / wie groß er dem Stern nach ist / der Erden nach zurechnen / und die groß / leng/unn dicken seins strals nach gerechnet anzeigen. Weil aber zu solchen allen weytere mühe denn in zweyen oder dreyen tagen kann verbracht werden / gehört / will ich diese unterlassen / unn auff seine bedeutung kommen / als die höher unn nötiger zu wissen sein / unn mehr besserung oder frucht bringen.110
Trotz dieses offenkundig eher geringen Anspruchs an die Weitergabe von quantitativ exakten Daten und des Fehlens von Berechnungen jeder Art, sieht Flock seine Arbeit als informativ und nützlich an, da er mit dieser eine andere Intention verfolgt: Er bedient ein eher alltagspraktisches Bedürfnis, indem er vermittelt, was seiner Meinung nach nützlich und notwendig zu wissen sei. So konstatiert er unter anderem, dass die theoretische Detailfrage nach der Dauer der Formierung eines Kometen aus der irdischen Materie „in die schul zum förderst gehört“ und in seinem Kontext nicht weiter erörtert zu werden 108 [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bl. A 2v. 109 Es sind dies die fünf Kometen der 1530er Jahre (1531, 1532, 1533, 1537, 1539) und die zwei der 1550er Jahre (1556, 1558). Bei dem achten Kometen in diesem Zeitraum könnte es sich um den von 1557 handeln, den Joachim Camerarius erwähnt, vgl. Kronk: Cometography, S. 312. Im Text geht Flock darauf nicht weiter ein, da es ihm um die historische Folge der Kometenerscheinungen, um diese als exempla und nicht als individuelle Ereignisse geht. 110 [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bll. C 1v–C 2r.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
brauche.111 In diesem Zusammenhang betont er außerdem, dass nicht allein die Mathematik die für die Behandlung von Kometen zuständige Disziplin sein dürfe, „sonder es müssen andrer kunst bericht mehr dazu genommen wern / will man bestendig und mit grund darvon reden.“112 Im Anschluss zitiert er „Merus Mathematicus, merus idiota“113 und übersetzt frei „Der lauter auß des firmaments lauff und natur lehr allein gründet / von sachen wil reden / der ist ein lauter idiot oder leyh.“114 Neben der Mathematik müsse insbesondere die „Physica zuvorauß sampt anderen lehren mehr bedacht“ werden.115 Die Beobachtungen, die Flock betrieben hat und beschreibt, stehen daher auch ganz im Dienst der astrologischen Deutung, so schließt er etwa aus der langsamen und teilweise retrograden Bewegungsweise des Kometen auf dessen saturnische Natur. Diese Hypothese findet er durch weitere Beobachtungen bestätigt, wonach sich der Komet als dünner und kürzer werdend und von bleichem dunklen Schein dargestellt habe.116 Diese Erkenntnisse sind für ihn als Arzt bedeutsam, da diese Form prognostischer Astrologie einen grundlegenden Bestandteil medizinischer Praxis bildet. Fast die Hälfte seiner Schrift ist daher mit diesen astrologischen Deutungen des Kometen befasst und behandelt etwa die zu erwartenden Leiden oder Krankheiten, aber auch generelle Wirkungen, die sich aus der planetarischen Natur des Kometen oder des Zeichens, in dem er sich befindet, ergeben. Dies gilt insbesondere für Menschen, die dieses Zeichen in ihrer Nativität haben, für bestimmte Berufsgruppen oder in chorographischer Tradition bestimmte Regionen oder Länder. Denn auch wenn auf Kometen nie Gutes folge, so „wölle man geflissen sein solchem zu begegnen ein yeder seiner gelegenheyt nach / so vil müglich / dan solcher zeichen würckung warnung halben zuvor gesagt werden / darumb das man sie auß vorwissen entgehen unnd meyden solle.“117 Die Zeichen seien daher nicht nur zu beachten, sondern „man soll sie mit zittern und schrecken fürchten“, „sie im hertzen annehmen“, da sie als göttliche Warnungen verstanden und als Gebot der menschlichen Ratio gedeutet werden sollten, um „schaden dardurch zu meyden / unnd derhalb sich dardurch vor schaden zu schützen / zuverwarn / unnd allso auß noth sich [zu] retten“.118 Angesprochen ist ein christlicher Mensch, der aufgrund seiner Gottesfurcht und seiner Vernunft den Kometen in seiner Zeichenhaftigkeit verstehen müsse. Auch diese Form der praktischen Astrologie wird damit theologisch legitimiert: Darumb sollen wir auß solchen zeychen und disen ihren bedeutungen / als Christen zum Gebet gewisen werden / und zu besserung dises zeitlichen lebens / Gottes wort ehren
111 112 113 114 115 116 117 118
Vgl. [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bll. B 3r–B 3v. [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bl. B 4r. Eine wörtliche Übersetzung wäre etwa „Ein bloßer Mathematiker, ein bloßer Idiot“. [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bl. B 4r. [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bl. B 4v. [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bll. B 4v–C 1r. [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bl. D 1v. [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bll. D 2r–D 2v.
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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und achten und darnach leben / zu Got schreyen umb gnad / und also diese schreckliche / offtmals nur bey der yetzigen jugendt / nicht bey Mannes gedencken / unns gewisne ruten / unkrefftig machen (…).119
Die bekannteste Beobachtung des Kometen von 1556 liefert der Kaiserliche Hofastronom, -mathematiker und Leibarzt Paulus Fabricius (1529–1588), der am Wiener Hof von Karl V. wirkt. Der aus Lauban stammende Humanist, Astronom, Geograph und Lyriker ist ein Schüler von Johannes Schöner und „einer der profiliertesten Gelehrten des 16. Jahrhunderts an der Wiener Universität“120. Er lehrt dort und wird später eines der wichtigsten Mitglieder der Wiener Kommission zur Bewertung des gregorianischen Kalenders. Zum Kometen 1556 veröffentlicht Fabricius einen Einblattdruck Cometa visus mense Martio LVI. Anno und unmittelbar darauf eine kurze deutschsprachige Schrift Der Comet im Mertzen des LVI. Jhars in Nürnberg.121 Der Einblattdruck im Folioformat ist auf Latein verfasst, wahrscheinlich in Wien publiziert worden und enthält neben Titel und Holzschnitt 50 Textzeilen in zwei Spalten. Die deutsche Schrift besteht aus vier Blatt im Oktavformat. Der lateinische Einblattdruck ist dem Lilienfelder Pfarrer Georg Richard, die deutsche Schrift dem Kremser Ratsherren Vito Hütter gewidmet, auf dessen „gar vil begeren und bitten“122 Fabricius diese Schrift überhaupt verfasst haben will. Beide Werke sind sich inhaltlich sehr ähnlich und müssen gleichzeitig oder sehr kurz nacheinander verfasst und publiziert worden sein: Die letzte Beobachtung, die Fabricius im lateinischen Druck beschreibt, ist vom 15. März, wobei er zudem erwähnt, dass der Komet einen Tag später kaum noch sichtbar gewesen sei. Fabricius beobachtet noch, während das Werk, wie er wörtlich schreibt, sich schon im Druck befindet. Die deutsche Schrift verweist auf das „lateinisch iudicium“123 und ist mit dem 15. März datiert. Daran zeigt sich nicht zuletzt die Notwendigkeit – aus Gründen der Reputationswahrung, des kommerziellen Absatzes und zur Erfüllung der Amtspflichten – noch vor Ende der Sichtbarkeit des Kometen zu publizieren.124 119 [3.8] Flock: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, Bl. D 3r. 120 Fröde, Tino: Paulus Fabricius – ein universaler Humanist aus Lauban. Sein Leben, seine Schriften und seine Beziehungen zur Oberlausitz, in: Neues Lausitzisches Magazin 13 (2010), S. 55–70, S. 55. 121 [3.6] Fabricius, Paulus: Cometa visis mense martio lvi. anno, Wien 1556. Ein Exemplar dieses Einblattdrucks befindet sich heute in der Houghton Library der Harvard Universität, von welchem Véron und Tammann einen Abdruck liefern: Véron, Philippe / Tammann, Gustav A.: Astronomical Broadsheets and their Scientific Significance, in: Endeavour, New Series 3/4 (1979), S. 163–170, S. 169. Die Illustration und Teile des Textes sind bereits 1856 in einem Artikel Carl Ludwig von Littrows abgedruckt worden, vgl. Littrow, Carl L. von: Drei Quellen über den Kometen 1556, in: Sitzungsberichte der mathem. -naturw. Classe der kais. Akademie der Wissenschaften XX/4 (1856), S. 301–313. [3.7] Fabricius, Paulus: Der Comet im Mertzen des LVI. Jahrs zu Wien in Osterreych erschinen, Nürnberg 1556 (VD16 F 457). 122 [3.7] Fabricius: Der Comet im Mertzen, Bl. A 2v. 123 Ebd. 124 Der Nürnberger Astronom Joachim Heller (1518–1590) beobachtet den Kometen beispielsweise noch bis weit in den April hinein, siehe [3.16] Heller, Joachim: Practica auf das M. D.LVII.
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3 Die Kometen der 1530er und 1550er Jahre
3.2.4 Die Darstellung von Beobachtung als epistemische Technik Der Einblattdruck ist etwas ausführlicher hinsichtlich der Schilderung von Beobachtungsdaten: Nicht nur der Tag der Beobachtung, sondern auch die Beobachtungszeit wird in gerundeten Stunden angegeben. Der Kometenlauf durch die Zodiakalzeichen und in Bezug zu prominenten Sternen wird durch Gradangaben der einzelnen Kometenpositionen je Beobachtungstag quantitativ beschrieben, wobei auch auf optische Merkmale des Kometen wie Größe, Schweiflänge oder Helligkeit eingegangen wird.125 Auf diese Observationsbeschreibung folgt eine astrologische und theologisch-eschatologische Deutung des Kometen, die in etwas simplerer Form das Kernstück der deutschen Schrift bildet. Beide Werke beinhalten einen Holzschnitt der Kometenpositionen an den Tagen der Beobachtung auf der Himmelshemisphäre (siehe Abbildung 3.6):
Abb. 3.6 Titelillustration von Fabricius’ Cometa Visus Mense (1556)126
125 126
Jar sampt Anzeygung unnd Erclerung was die Erscheinung unnd Bewegung des vergangenen unnd zuvor angezeygten Cometen im sechs und funffzigstem Jar gewe sen und bedeutet habe, Nürnberg 1556 (VD16 H 1693). Vgl. die Textwiedergabe bei Littrow: Drei Quellen über den Cometen, S. 303–305. GC5.F1149.556c, Houghton Library, Harvard University.
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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Auf der Bildvariante des lateinischen Drucks sind die Sterne und der Kometenkörper koloriert. Zudem sind die Sterne unterschiedlich nach Größen- bzw. Helligkeitsklassen dargestellt. Die Himmelskreise und die einzelnen Sterne sind beschriftet, die einzelnen der insgesamt 14 Kometendarstellungen zudem mit der Datumsangabe des Beobachtungstages, zumindest zwischen dem 4. und 12. März, versehen. Fabricius berichtet im Text von seiner Kometenbeobachtung bis einschließlich den 15. März.127 Es handelt sich hierbei um eine der ersten Darstellungen dieser Art überhaupt. Schon Toscanelli skizziert im 15. Jahrhundert im Rahmen seiner systematischen Beobachtungsreihen fortlaufende Kometenpositionen vor dem Hintergrund eines Sternenfelds und leistet damit Pionierarbeit.128 Wie oben erwähnt, werden diese Arbeiten zeitgenössisch aber nicht publiziert und bleiben daher ohne merklichen Einfluss. Die erste in Europa gedruckte planisphärische Sternkarte entwirft Albrecht Dürer in Zusammenarbeit mit Johannes Stabius und Conrad Heinfogel 1515 in Nürnberg.129 Anders als bei vielen ihrer mittelalterlichen Vorläufer, die als Einzelexemplare handgezeichnet und in Manuskriptform vorliegen, zuweilen dekorativ und unpräzise130 sind sowie keiner einheitlichen Projektionstechnik folgen oder sich auf die Darstellung der Sternbilder fokussieren, sind hier akkurate ptolemäische Sternpositionen verzeichnet.131 In der europäischen Kartographie lässt sich seit dem 15. Jahrhundert
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Obwohl Fabricius’ Beobachtungszeitraum damit bei nur elf Tagen liegt und die Zeiten der Beobachtung zudem nur in gerundeten Stunden angegeben sind, werden seine und die Daten Joachim Hellers Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet, um den Orbit des Kometen zu berechnen, vgl. Hellman: The Comet of 1577, S. 108–109. Littrow hat nach seiner Auswertung der oben erwähnten Praktik Hellers dessen Daten als viel genauer und brauchbarer charakterisiert und seine Verwunderung darüber geäußert, dass diese im Vergleich zu denen von Fabricius so selten erwähnt werden, vgl. Littrow: Drei Quellen über den Cometen, S. 312. Vgl. Friedman Herlihy, Anna: Renaissance Star Charts, in: Woodward, David: The History of Cartography 3/1, Chicago 2007 (Cartography in the European Renaissance), S. 99–122, S. 99. Vgl. dazu Wörz, Adèle L.: The Visualization of Perspective Systems and Iconology in Dürer’s Cartographic Works. An In-Depth Analysis Using Multiple Methodological Approaches [unv. Diss. Oregon State University 2007], insbesondere S. 156–178. Vgl. Friedmann Herlihys Urteil „Very few medieval star maps can be considered scientifically rigoros. (…) Many, if not most, of the constellation illustrations that accompanied medieval astronomical and astrological texts were intended as decorative illustration, not something that an astronomer or student would take outside and compare to the sky.“, Friedmann Herlihy: Renaissance Star Charts, S. 101. Die Tradition der stereographischen Projektion als Grundlage von Sternkarten lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, liegt sie doch beispielsweise auch den Astrolabien zugrunde. Vgl. für den islamischen Kulturkreis z. B. Savage-Smith, Emilie: Celestial Mapping, in: Woodward, David / Harley, J. Brian (Hrsg.): The History of Cartography 2/1, Chicago 1992 (Cartography in the Traditional Islamic and South Asian Societies), S. 12–70. Für mittelalterliche Sternkarten siehe z. B. Dekker, Elly: Illustrating the Phaenomena. Celestial Cartography in Antiquity and the Middle Ages, Oxford 2013.
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allgemein ein Trend zu präziseren mathematischen und realistischeren Darstellungen ausmachen.132 Im Kontext des Aufschwungs der Kosmographie wird dieser Kartentyp sehr erfolgreich und zum gängigen Format für Sternkarten. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts greifen unter anderem Alessandro Piccolomini und Apian diesen Typus von Sternkarte auf.133 In dem Titelbild zu seinem Observationsbericht skizziert Apian erstmals den Kometenlauf in dieser technisch-abstrakten Form vor dem Hintergrund eines Himmelsausschnitts, allerdings nicht in Gänze, sondern nur den Teil vor den Sternbildern Skorpion, Waage und Jungfrau in Bezug zu ausgewählten Fixsternen und vor allem in Relation zur Sonnenposition.134 Der messende irdische Beobachter ist dort ebenso dargestellt wie ein tatsächlicher Horizont. Der Titelholzschnitt von Hebenstreits zu Beginn dieses Kapitels behandelter Kometenflugschrift135 zeigt zwar die ganze Himmelssphäre in der Draufsicht und enthält Elemente wie den Ekliptikpol, die Ekliptik mit der Unterteilung in die einzelnen Tierkreiszeichen, einen Äquinoktialkreis sowie eine Abfolge der Kometenpositionen. Es handelt sich hierbei aber weder um eine Projektion, noch scheinen die abgebildeten Fixsterne tatsächlichen Sternpositionen zu entsprechen. Zudem sind die einzelnen Darstellungen der Kometenpositionen nicht datiert. Auch in seinem Text liefert Hebenstreit keine nach einzelnen Beobachtungstagen aufgeschlüsselten Positionsdaten oder beschreibt überhaupt eine eigene systematische Observationsreihe: Er liefert Ortsangaben – abgesehen von singulären quantitativen Angaben – eher in qualitativer Weise, indem er etwa konstatiert, der Komet sei im Zeichen der Waage entzündet worden und habe sich immer über dem Horizont befunden. Fabricius’ Darstellung des Kometen von 1556 ist demgegenüber nicht nur präziser, sondern eine tatsächliche Verbildlichung seiner Observation, also eine schematische Fassung des beobachteten Kometenlaufs vor dem Hintergrund des Ausschnitts einer realistischen Sternkarte als Projektion der nördlichen ekliptischen Hemisphäre. Mir ist keine ältere Darstellung eines Kometenlaufs dieser Art bekannt. Das einzige annä-
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Vgl. Dekker: Illustrating the Phaenomena, S. 357–387. Realistisch bedeutet hier, dass etwa die tatsächlichen Sternpositionen oder ihre zeitgenössisch verwendeten Koordinaten berücksichtigt werden. Die Sternkarten resultieren aus einer enormen Abstraktionsleistung, sind sie doch konzeptuelle Repräsentationen eines Himmels – dazu noch aus der Außenperspektive dargestellt – der sich so dem menschlichen Betrachter nie darbietet. De le stelle fisse von 1540 kann als erster Sternatlas bezeichnet werden, vgl. dazu: Kansas, Nick: Alessandro Piccolomini and the First Printed Star Atlas 1540, in: Imago Mundi 58/1, S. 70–76. Apian publiziert zwischen den 1520er und 1540er Jahren zahlreiche Werke kosmographischen Inhalts, am bekanntesten und schönsten wohl sein Astronomicum Caesareum. Vgl. für eine Übersicht der terrestrischen Karten z. B. Röttel, Karl: Peter Apians Karten, in: Röttel, Karl (Hrsg.): Peter Apian. Astronomie, Kosmographie und Mathematik am Beginn der Neuzeit, Eichstätt 1995, S. 169–182. Siehe Abb. 3.2 in Kap. 3.1.1. Siehe Abb. 3.5 in Kap. 3.2.1.
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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hernd figürlich dargestellte Sternbild – und das auch nur teilweise – ist die Schlange. Der Komet selbst ist nicht mehr stilisiert, sondern insofern realistisch abgebildet, als spezifische Elemente seines Äußeren mit Informationswert erfasst sind. Das heißt nicht, dass z. B. der Kometenkopf nicht mehr sternförmig dargestellt wird, aber dass z. B. die Größenveränderung des Schweifs – also seine Form, Länge, Dicke und Ausrichtung – wiedergegeben wird, wie auch insgesamt das Verhältnis von Kometenkopf und Schweif realistischer wird. Eine weitere Neuerung ist, dass der Komet in Fabricius’ Illustration primär als Objekt der Beobachtung dargestellt ist: Er ist himmelsrichtungsmäßig und in Bezug zu astronomischen Himmelskreisen sowie anderen Himmelskörpern wie Fixsternen und Planeten verortet. Außerdem erscheint er nicht so, wie er zu einem gegebenen Zeitpunkt am Nachthimmel zu sehen gewesen ist, sondern in Form einer Abbildung des davon abstrahierten Bewegungsablaufs. Mehrere Beobachtungstage und die dort vermessenen Kometenpositionen werden hier kartographisch erfasst. Damit erreicht die graphische Darstellung von Beobachtung und Berechnung eine neue Qualität. Anders als bei Apian sind bei Fabricius die Bildelemente des Beobachters und der Erde als dessen Standort verschwunden. Man sieht keinen Nachthimmel über der Silhouette einer Stadt, über der sich der Komet am Himmel zeigt, keine Menschen mit astronomischen Geräten in der Hand, die den Kometen anpeilen oder ihn mit erstauntem Ausdruck betrachten. Die Information ist objektiviert, der Komet erscheint im Himmel der Astronomen und nicht in dem lebensweltlich realen, den der Mensch tatsächlich vor Augen hat. An der Reihenfolge der Tierkreiszeichen erkennt man zudem, dass die Sternhemisphäre in der Draufsicht dargestellt ist. Der Titelholzschnitt des Kometenlaufs von Fabricius’ deutscher Flugschrift (siehe Abbildung 3.7) wirkt im Vergleich zu der Illustration auf dem lateinischen Einblattdruck etwas schlichter und detailärmer; er enthält außer den Himmelsrichtungen überhaupt keine Beschriftungen, ist nicht koloriert und deutlich kleiner, wohl sind aber auch hier der Lauf des Kometen und zumindest sehr grob auch die Größenveränderung des Schweifs über den Zeitraum der Beobachtung erfasst.
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Abb. 3.7 Titelillustration von Fabricius’ Der Comet im Mertzen (1556)136
3.2.5 Die Diffusion und Kommunikation von Kometenwissen Fabricius verweist den interessierten Leser für Details zu seiner Beobachtung gleich zu Beginn der deutschen Schrift auf sein „lateinisch iudicium“137 – womit der Einblattdruck gemeint ist – und betont auch zum Schluss der Schrift, dass er die Dinge „im latein vil weitleufftiger ausgefürt habe“138. Es zeigt sich daran, dass die lateinische Publikation eher für den Fachgelehrten und einen internationalen Markt bestimmt ist und insbesondere bezüglich der Beobachtungsdaten mehr und konkretere Informatio136 137 138
Abbildung der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, H61/4 TREW.T 330. [3.7] Fabricius: Der Comet im Mertzen, Bl. A 2v. [3.7] Fabricius: Der Comet im Mertzen, Bl. A 4r.
3.2 Die Kometen der 1550er Jahre
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nen enthält. Allein die Größe des lateinischen Holzschnitts macht ihn für einen an den quantitativen Daten interessierten Astronomen überhaupt brauchbar. Trotzdem enthält auch die deutsche Schrift diese eher technisch wirkende Titelillustration des Kometenlaufs an der Sphäre, wenn auch kleiner und in gröberer bzw. simplifizierter Form. Fabricius beschränkt sich in der deutschen Flugschrift auf eine Deutung, wie sie „sich philosophisch gebueret“.139 Philosophisch bedeutet hier astrologisch, da im Weiteren etwa Länder und Regionen aufgezählt werden, denen der Komet droht sowie dessen Stand im Zeichen der Waage, seine Bewegung hin zum Planeten Saturn und sein genereller „Charakter“ gedeutet werden. Eine zweite Art der Deutung ist für Fabricius die theologische, die er mit der astrologischen so verbindet, dass beide Aspekte sich gegenseitig stützen: Dieweil aber unser Herr und seligmacher Christus / solche zeichen nicht allein auff zeitlich oder (wie es die Theologen nennen) leiblich trübsal deutet / sondern uns auch ernstlichen befelch thut / wir sollen auffsehen / unser haupter auffheben / denn es nahe unser erlösung / dadurch er den jüngsten tag verstehet / Ist nit unchristlich wenn ich gleych kein Theologus bin / so ich meldung davon thue / dieweil ich die umbstendt dieser zeichen sonst amptshalben beschreiben muß. Sag derhalben auß dem befelch unsers Herrn / dass diese zeichen weltlich ubel / und darneben das der jüngste tag sich nahet / anzeigen. Ich sage aber darumb desto lieber neben den umbstenden dieses Cometen / das er ein groß zeichen sey (…).140
Fabricius interpretiert den Kometen eschatologisch und führt das Kapitel 21 des Lukasevangeliums an. Dort heißt es in Vers 9 bis 11: Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Empörungen, so entsetzet euch nicht. Denn solches muß zuvor geschehen; aber das Ende ist noch nicht so bald da. Da sprach er zu ihnen: Ein Volk wird sich erheben wider das andere und ein Reich wider das andere, und es werden geschehen große Erdbeben hin und wieder, teure Zeit und Pestilenz; auch werden Schrecknisse und große Zeichen am Himmel geschehen.141
Es überrascht nicht, dass der klassische Kanon übler Kometenfolgen mit dieser Auflistung göttlicher Warn- oder Strafzeichen so gut übereinstimmt, ergibt sich daraus doch eine biblische Begründung für die theologische Zeichenhaftigkeit. Wie genau die Kometenwirkungen aussehen und für wen sie bedeutsam sind, eruiert die astrologische Feindeutung. Hier zeigt sich, dass nicht nur die naturkundliche Kometensichtweise mit der astrologischen verbunden ist, sondern beide Dimensionen theologisch legitimiert werden können.
139 [3.7] Fabricius: Der Comet im Mertzen, Bl. A 2v. 140 [3.7] Fabricius: Der Comet im Mertzen, Bl. A 4r. 141 Lk 21,9–11, zitiert nach der Lutherbibel von 1912 (http://bibel-online.net/buch/luther_1912/lukas/ 21/, abgerufen am 04.02.15). Auch an weiteren Stellen der Arbeit wird – wo nicht ausdrücklich anders vermerkt – diese Bibelausgabe zitiert.
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Diese Form der Deutung kann daher nicht als reines Zugeständnis an die vermeintlich allein astrologiebegeisterten Ungelehrten gesehen werden. Im Gegenteil, sie findet sich genauso im Text des lateinischen Einblattdruckes und ist hier sogar etwas ausführlicher und detailreicher: Während Fabricius in der deutschen Schrift lediglich konstatiert, welchen geographischen Regionen der Komet mit was für Folgen droht, führt er im lateinischen Text die astrologischen Begründungen dafür aus, z. T. unter Verweis auf die autoritative Literaturquelle. Wenn auch in Kurzform, wird im Einblattdruck die Deutung der astrologisch relevanten Parameter des Kometen – Position im Tierkreis, Lauf und Geschwindigkeit, Relation zu bestimmten Planeten, Größe, Farbe, Schweifausrichtung und -form – durchexerziert, während die deutsche Schrift eine konzise Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse bietet. Die Deutung als notwendiges und selbstverständliches Element in einer umfassenden Behandlung einer konkreten Kometenerscheinung ist damit für den Fachkollegen genauso nachvollziehbar oder für den Vergleich mit eigenen Ergebnissen geeignet, wie die Observationsdaten, auf denen sie beruhen. Daten und Deutung bilden in ihrer Gesamtheit und Aufeinanderbezogenheit den Kern der zu übermittelnden Information. Der lateinische Einblattdruck liefert beides in ausführlicherer Form als die deutsche Schrift, worin sich die Fokussierung eines anderen Adressatenkreises ausdrückt. Die Idee, dass die Gelehrten nur an der faktischen Information der Observationsdaten und breitere oder weniger gebildete Rezipientengruppen nur an der astrologischen Ausdeutung interessiert gewesen wären, lässt sich daher nicht aufrechterhalten. Beide Aspekte sind für alle Leser relevant und werden in den zwei Werken Fabricius’ in je auf die verschiedenen Adressatenkreise zugeschnittener Form präsentiert. Eine zwar nicht kolorierte, aber beschriftete Reproduktion der detailreicheren Bildvariante des lateinischen Einblattdrucks von Fabricius wird von dem polyhistorischen Gelehrten Konrad Wolffhart (1518–1561), besser bekannt als Lycosthenes, in seine einflussreiche Wunderzeichenchronik Prodigiorum ac ostentorum chronicon von 1557 aufgenommen, die noch im selben Jahr von Johannes Herold ins Deutsche übertragen und dezent kommentiert wird.142 Dies ist ein treffendes Beispiel einmal für die Aktualität der Chronik – das Ereignis ist immerhin vom Vorjahr – und veranschaulicht, auf welcher Art von Quellen die in dieser Zeit populär werdenden chronikalen Werke der Prodigienliteratur beruhen, nämlich massiv auf Flugschriften und Einblattdrucken als aktuellen Nachrichten- und Kommunikationsmedien. Dieser Informations- und Nachrichtencharakter ist ein wesentlicher Aspekt der Kometenflugschriften und spiegelt sich in beiden Publikationen von Fabricius zum
142 [3.18] Lycosthenes, Conrad: Prodigiorum ac ostentorum chronicon quae praeter naturae ordinem, motum, et operationem, et in superioribus & his inferioribus mundi regionibus, ab exordio mundi usque ad haec nostra tempora acciderunt. Lycosthenes Wunderwerck durch Johann Herold verteütscht, Hildesheim 2007 (Nachdruck der Ausgabe Bern 1557), Bll. Aa 2r–Aa 2v.
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Kometen 1556 wider. So ist seine deutschsprachige Schrift aus Nürnberg mit dem 15. März datiert, also dem Tag, an dem er den Kometen selbst noch beobachtet hat. Der den Kometenlauf darstellende Holzschnitt ist eine Verbildlichung dieser Beobachtung und enthält mit den Angaben der Tage und Stunden der Observation sowie der kartographischen Verortung der Kometenpositionen auf einer Sternkarte die für den Astronomen relevanten Daten. Gerade bei der Erfassung von Kometen im astronomischen Sinne ist es von großer Bedeutung, möglichst präzise Beobachtungsdaten von verschiedenen Orten – z. B. verschiedene geographische Breiten – zu haben und vergleichen zu können, um bestimmte Parameter z. B. hinsichtlich des Durchlaufens von Kardinalpunkten, der Bewegungsbahn und besonders der Erdentfernung des Kometen zu eruieren. Die Verwendung der Illustration von Fabricius in Lycosthenes’ Wunderzeichenchronik zeigt, dass diese Information über den Kometen selbst da relevant ist, wo er „nur“ als Wunderzeichen interessiert, also in einem Kontext einer „nicht mit philosophischem oder wissenschaftlichem Anspruch belastete[n] curiositas“143. Im begleitenden Text wird die Erscheinung und Dauer der Sichtbarkeit sowie der Lauf des Kometen grob beschrieben. Danach bekennt der Autor in Bezug auf den Holzschnitt freimütig: Die verzeichnung glerter leuthen ist hiezu gesetzt / und fürgebildt. Weyß nit was sie bedeüttet / das ist aber gwiß / es starb gleich mit zu / der Durchleuchtigst / Hochgeborn Churfürsten unn Herren herrn fridrich Pfaltzgrave bey Rhein / Hertzog in Beyern etc. des Heyligen Römischen Reichs Ertztruchseß unn Churfürst etc. Mein gnädigster herr.144
Das bedeutet, dass die graphische Darstellung des Kometenlaufs selbst dann Informations- und Illustrationswert hat, wenn sie gar nicht verstanden wird. Lycosthenes benutzt in seinem Werk insgesamt elf unterschiedliche Holzschnitte, um 138 verschiedene Kometenerscheinungen darzustellen, wobei es ihm – wie bei den meisten anderen Wunderzeichen auch – nicht um die Darstellung des individuellen Ereignisses, sondern um das ikonographisch standardisierte Schema Komet geht.145 Weichenhan betont aber, dass das zuweilen gegebene Urteil der völligen Unwissenschaftlichkeit dieser Kometenillustrationen eingeschränkt werden müsse, da sie mitunter recht genau den textuell gegebenen sprachlichen Beschreibungen der optischen Erscheinung der Kometen entsprächen.146 Es geht Lycosthenes daher durchaus um eine Visualisierung des Konkreten und vor diesem Hintergrund erscheint die Übernahme der astronomischen Skizzierung von Fabricius plausibel. Der chronikal-enzyklopädische Charakter seiner Kompilierung rechtfertigt die Visualisierung dieser speziellen Kometenerscheinung durch den Holzschnitt Fabricius’, wobei dieser trotz seiner vermutlich fehlenden 143 144 145 146
Weichenhan: „Ergo perit coelum …”, S. 378. [3.18] Lycosthenes: Prodigiorum ac ostentorum chronicon, Bll. Aa 2r–Aa 2v. Weichenhan: „Ergo perit coelum …”, S. 378. Weichenhan: „Ergo perit coelum …”, S. 379.
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Verständlichkeit durch den zeitgenössischen Rezipienten sowohl als Beleg der faktischen Existenz der Erscheinung als auch seiner Relevanz fungiert, da der Komet hier als Objekt gelehrter Naturforschung präsentiert wird. Innerhalb des gelehrten Kontexts setzt sich die von Apian, Fabricius und anderen gebrauchte schematische Erfassung eines Kometenlaufs in einer Art Sternkarte oder Projektion der Himmelsphäre schnell durch. Die Visualisierung von Beobachtungen ist für den Forscher selbst ein leistungsfähiges Werkzeug der Datenverarbeitung und -dokumentation und wird zum integralen Bestandteil der astronomischen Beschäftigung mit Kometen. Victorin Schönfeld (1525–1591), dessen Schrift zum Kometen 1558 nachfolgend näher betrachtet wird, erwähnt in seiner Widmungsepistel, dass er „… die taeglich bewegung des Cometen in eyn Schema Geometricum bracht hette“147 und beschreibt diese Art der Kometendokumentation damit als grundlegenden Arbeitsschritt. Neben diesem methodischen Aspekt erfüllen solche Kometenkartierungen einen kommunikativen. Das oben erwähnte Beispiel des Erscheinens der Kometenkarte von Fabricius in Lycosthenes’ Wunderzeichenbuch verdeutlicht eindrücklich den Informations- und Nachrichtenwert dieser graphischen Aufbereitungen der Bewegung eines Kometen. Der Marburger Mathematiker und Mediziner Schönfeld wird 1557 Professor für Mathematik und publiziert in der Folge zahlreiche astrologisch-kalendarische Werke, darunter am bekanntesten das über 30 Jahre lang regelmäßig erscheinende Prognosticon Astrologicum148, dessen Veröffentlichung eine seiner Amtspflichten ist. Seine anlässlich des Kometen von 1558 gedruckte Schrift Verzeychnus unnd erklerung des ungewoenlichenn fewrigen Comet sterns gehört zu seinen frühesten Veröffentlichungen.149 Sie besteht aus 23 Blatt im Quartformat und ist dem astronomisch hoch interessierten und ebenso versierten Prinzen Wilhelm von Hessen-Kassel (1532–1592) gewidmet.150 Schönfeld hat dessen astronomische Interessen bereits gefördert, bevor einige Jahre später seine Regierungszeit als Landgraf Wilhelm IV. beginnt. Er richtet in Kassel ein Observatorium ein, in dem Schönfeld mitarbeitet und beobachtet.151 Schönfelds
147 [3.27] Schönfeld, Victorin: Verzeychnus unnd Erklerung des ungewönlichenn fewrigen Comet Sterns welcher dieses lauffende M. D.LVIII Jar im Augustmonat von vilen Menschen in Lüfften vermerckt ist worden gestellet und beschriben, s. l. 1558 (VD16 ZV 22710), Bl. A 2v. 148 In VD16 sind allein 19 Exemplare gelistet. 149 Laut eigener Aussage hat Schönfeld bereits über den Kometen von 1556 in Wittenberg publiziert sowie 1557 eine Prognostik veröffentlicht. Beide Schriften sind heute nicht mehr nachweisbar. 150 Vgl. dazu Hamel (Hrsg.): Die astronomischen Forschungen in Kassel unter Wilhelm IV. 151 Schönfelds Nachfolger als Hofastronom wird dort später Christoph Rothmann, mit dem der Landgraf ein umfassendes Beobachtungsprogramm zur Erstellung eines Sternkatalogs realisiert, ab 1579 unterstützt durch die technischen Innovationen des versierten Instrumentenbauers Jost Bürgi. Siehe dazu neben Hamel (Hrsg.): Die astronomischen Forschungen in Kassel unter Wilhelm IV. auch Granada/Mosley/Jardine: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585, S. 20.
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Kometenwerk gliedert sich in sechs Kapitel und behandelt die Natur und Entstehung von Kometen generell und die Observation und Deutung des aktuellen. Wie der Titel der Schrift konstatiert, geht es Schönfeld nicht nur um die deskriptive Erfassung des Kometen, sondern um eine Erklärung des Phänomens. Was genau er damit meint, verdeutlicht seine Kritik an der Methodik und Nachlässigkeit neuer oder unerfahrener Verfasser astronomisch-astrologischer Flugschriften, „welche fast mit nichts mehr dann mit Almanach schreiben“152 würden. Er hingegen habe selber Beobachtungen und Berechnungen angestellt, die Observationsergebnisse von Wilhelm IV. brieflich erhalten und sei von diesem aufgefordert worden, seine eigenen ebenfalls zuzusenden. Zum Zeitpunkt der Bitte ist Schönfeld allerdings mit der Darstellung und Auswertung seiner Beobachtungen noch nicht fertig und publiziert sie schließlich in Form der vorliegenden Schrift nach erneuter Aufforderung und der Erkenntnis, dass bis dato „nichts gründtlichs von dem lauff / gelegenheyt des hymels wo dieser Comet gestanden / wie er gegen der Ecliptica der zwölff zeychen und dem Æquatore / auch umb welche sternen er gewiß gestanden / und wie lang er uber dem Horizonte ist gesehen worden / keyner geschrieben hat“153. Freilich steckt hinter der Kritik und der zitierten Aussage nicht zuletzt das legitime Autoreninteresse Schönfelds, die eigene Kompetenz und Praxis besonders herauszustellen sowie die Rezeption seiner Schrift zu fördern. Es spiegelt sich hier aber auch die Wahrnehmung der gewachsenen Wichtigkeit von Beobachtung und der Kommunikation ihrer Ergebnisse in der Kometenastronomie wider. Schönfeld selbst ist durch andere auf die Kometenerscheinung hingewiesen und zum Auffinden derselben angeregt worden, kann den Kometen dann aber nur an drei Tagen, u. a. mit einem Torquetum, beobachten. Er beschreibt diese Observationen ausführlich und nutzt die gewonnenen z. T. sekundengenauen Daten, um bestimmte Kometenparameter zu berechnen. Zudem ruft Schönfeld seine Fachkollegen dazu auf, sich für entsprechend fundierte Observationen bereitzuhalten und möchte eyn yeden alhie / welcher sich der Astronomiae unterstehet / und nicht alleyn sich seiner unerfarnen Astrologey rhümet / sondern der gründtlichen observation und rechnung sich fleisset / auffs aller höchste und freuntlichste gebetten und ermanet haben / wölle sich mit gerechten Instrumentis und so es müglichen parallactici / rüsten unn gefast machen154,
da er vom baldigen Erscheinen weiterer Kometen ausgeht. Außerdem betont er in seiner Schrift mehrfach, den aktuellen Kometen in einer prognostischen Schrift des Vorjahres vorhergesagt zu haben. Neben der Beobachtung von Kometen interessiert Schönfeld besonders die naturphilosophische Theorie ihrer Natur und Entstehung. Kometen sind für ihn natürli152 153 154
[3.27] Schönfeld: Verzeychnus unnd Erklerung, Bl. A 2r. [3.27] Schönfeld: Verzeychnus unnd Erklerung, Bl. A 2v. [3.27] Schönfeld: Verzeychnus unnd Erklerung, Bll. D 3v–D 4r.
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che, sublunare Körper, die aus den vier irdischen Elementen bestehen, die als Dünste von der Erde aufsteigen, wobei deren unterschiedliche Anteile die Farbe, Form und Schweiflänge des Kometen bestimmen. Kometen sind demnach Verbrennungsprozesse, wobei Schönfeld eine deutliche Trennung zwischen Kometenkopf und -schweif vornimmt und letzteren lediglich als Appendix ansieht, der aus dünnerer und daher durchscheinender Materie bestehe.155 Er führt in diesem Zusammenhang Analogien zur Brennbarkeit von verschiedenen Hölzern oder Bäumen an, die entsprechend ihrer Porosität und Beschaffenheit unterschiedlichen Rauch entwickeln und bemerkt, dass: „die Physici welche aller natürlichen ding ersucher sind / sich darinn sehr hart gekrencket und geübet haben“ und es allgemein schwer sei, davon „etwas gründtlichs zuschliessen“.156 Diese Aussagen verdeutlichen die Offenheit und Flexibilität der zeitgenössischen Kometentheorie: Schönfeld charakterisiert ihr Erklärungspotential nicht nur als zumindest in diesem einen Aspekt als nicht zufriedenstellend. In seiner Erklärung des Kometenschweifs bezieht er sich klar auf die optische Theorie und verbindet deren Vorstellungen mit den traditionellen Konzepten der meteorologischen Kometentheorie, die damit zwar nicht grundlegend infrage gestellt, aber doch modifiziert wird. Weiterhin scheut Schönfeld sich nicht, auf Grundlage seiner Observationen und Überlegungen bestimmte Annahmen namhafter Forscher anzuzweifeln oder zu widerlegen. So schildert er, dass Apian, Gemma Frisius und Fracastoro es „gantz fur gewiss gehalten / auch wol durch etliche Cometen / wie sie vermeynet demonstrir [sic] / das zu allen zeiten geschehe / das sich der Cometen schwantz è directo in oppositam Solis partem richten solt (…).“157 Fracastoro hätte dies mit den Kometen der Jahre 1472, 1531 und 1533 belegt. Schönfeld ist jedoch der Meinung, dass der ebenfalls von ihm beobachtete Komet von 1556 sowie der aktuelle von 1558 diese Annahme nicht stützen und lehnt die „Regel“ deshalb ab. Den genauen Gründen für seine Ablehnung widmet er ein eigenes Kapitel.158 Obwohl Schönfeld also weiterhin der klassischen Theorie anhängt, folgt er dieser nicht unreflektiert oder dogmatisch, sondern setzt sich im Gegenteil mit aktuellen Entwicklungen auseinander und bezieht sich auf traditionelles und neues Wissen sowie seine eigenen Beobachtungen. Er nimmt in dieser Weise nicht nur kritisch am Fachdiskurs teil, sondern möchte diesen für seine Leserschaft verständlich und nachvollziehbar darstellen.
155 156 157 158
[3.27] Schönfeld: Verzeychnus unnd Erklerung, Bll. C 2v–C 3r. [3.27] Schönfeld: Verzeychnus unnd Erklerung, Bll. C 2r–C 2v. [3.27] Schönfeld: Verzeychnus unnd Erklerung, Bl. C 2v. Vgl. „Das 5. Judicium. Von dem ungleichen Gange dieses Kometen / auch was die ursachen der verwendung seines strales oder schwantzes“, [3.27] Schönfeld: Verzeychnus unnd Erklerung, Bll. D 4r–E 3v.
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3.2.6 Die Instrumentalisierung der Kometenfurcht Abschließend stehen zwei anonyme Einblattdrucke zum Kometen des Jahres 1556 im Fokus, die einzelne der in den längeren Schriften präsenten Aspekte in rudimentärer Form ebenfalls enthalten, aber das Kometenthema nahezu ausschließlich für eine religiöse oder sozialdisziplinierende Instrumentalisierung nutzen. Der erste mit dem Titel Verzeychnus des Cometen so im anfang des mertzens erschynen ist / M. D.LVI159, in Nürnberg von dem Verleger und Drucker Hans Weigel dem Älteren herausgegeben, bedient sich z. B. der historisch-empirischen Argumentationsweise: Der Autor bekennt im ersten Satz, dass es noch nicht möglich sei, über die Wirkungen des Kometen Genaues zu prognostizieren, außer, dass er Ausdruck des göttlichen Zorns sei. Der klassische Kanon der üblen Kometenfolgen wird aufgelistet und einzelne dieser Folgen durch historische Beispiele belegt, z. B. eine Hungersnot im Anschluss an den Kometen von 945. Im folgenden Teil des Textes wird die Sündhaftigkeit der Menschen beklagt und dass die Zeichen Gottes nicht ernst genommen oder zu wenig beachtet würden, gefolgt von einem Aufruf zur Buße, da die göttliche Strafe nur dann und nur für den gläubigen Christen abgewendet werden könne. Der Komet erscheint hierbei ausschließlich als religiös-theologisches Zeichen, wobei andere Dimensionen entweder nicht erwähnt oder der Erscheinung explizit abgesprochen werden. Abgesehen von der Monatsangabe im Titel liefert der Text keinerlei Informationen über Beginn und Dauer der Erscheinung, das Aussehen oder die Position des Kometen; weder wird etwas zu Ursprung oder Theorie von Kometen berichtet, noch jene überhaupt als natürliche Phänomene dargestellt. Das Verhalten oder die Natur von Kometen „allein dem natürlichen lauff des hymels“ zuzuschreiben, hält der anonyme Autor für nicht vereinbar mit ihrer Interpretation als göttliche Wunderzeichen. Ebenso wenig wird eine über diese theologische Dimension hinausgehende Deutung des Kometen thematisiert. Die göttliche Zeichenhaftigkeit des Kometen – durch die historischen Beispiele und einige Bibelstellen argumentativ untermauert – ist damit das alleinige Thema des Textes. Der Komet sei als Kommunikation Gottes dann notwendig, wenn dessen Wort nicht beachtet werde; der Komet ist ein „anderer prediger“ am Himmel, der dann erscheine, wenn die herkömmlichen Prediger in der Vermittlung der göttlichen Botschaft nicht mehr erfolgreich sind. Recht drastisch-plakativ und nahezu drohend sind dementsprechend Wortwahl und Ton: „Will man sich nicht bekern / so hat er sein schwerdt gewetzt / und seinen bogen gespannet (…) Und hat darauff gelegt tödlich geschos / seine pfeyl hat er zugericht zu verderben.“ Reuige Buße und Gottesfürchtigkeit seien der einzige Ausweg, der sich nur den ehrlich gläubigen Christen biete. Gott
159
[3.1] Anon.: Verzeychnus des Cometen so im Anfang des Mertzens erschynen ist M. D.LVI, Nürnberg 1556.
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erscheint hier als der zornige, züchtigende und strafende Vater mit der Rute in der Hand, der jedoch als Ausdruck seiner Gnade eine letzte Warnung ausspricht. Der Einblattdruck enthält in der oberen Hälfte einen farblich ausgestalteten Holzschnitt, der einen stilisierten Kometen am Himmel über der Silhouette einer Stadt zeigt. Zwischen Text und Bild besteht außer der Kometendarstellung kein offenkundiger Zusammenhang, es geht also um die Illustration des Phänomens als kodifiziertes Schema oder ikonographisches Zitat und nicht dessen individuelle Elemente. Die Kometenerscheinung ist in diesem Sinne ein Aufhänger für den religiösen Appell und nur in diesem theologischen Kontext von Interesse, weshalb sie auch keiner naturalistischen Erklärung oder astrologischen Ausdeutung bedarf. Der zweite anonyme Einblattdruck von 1556 mit dem Titel Warhafftige Beschreibung ist ebenfalls in einer kolorierten Variante überliefert.160 Er enthält weder Ortsnoch Druckvermerk, Harms hat ihn jedoch dem Straßburger Drucker Augustin Fries zugeordnet.161 Der Text ist dem des eben beschriebenen Nürnberger Einblattdrucks sehr ähnlich, z. T. finden sich wörtlich gleichlautende Passagen, etwa in dem Teil der Kometenchronik, in welchem genau dieselben Kometenerscheinungen aufgezählt und kurz mit ihren Folgen beschrieben werden. Bereits der erste Satz beklagt, dass „niemands weder auff wunderzeichen / noch auff geschichten ettwas haltet / und ir niemands war nimpt als ob sy ungeferd oder umbsunst also geschehen und gesehen werden.“ Reue, Buße und Abkehr von den Sünden ist daher das Gebot der Zeit, auf deren Notwendigkeit der Autor eindringlich hinweist; nicht, um die gläubigen Christen zu erschrecken, sondern „allen denen zu einer warnung / die den Herren Jesum nit für iren einigen mittler unnd Säligmacher halten“. Diese Warnung hat damit eine sozialdisziplinierende Funktion, weshalb es durchaus zweckmäßig ist, die drohenden Übel eindrücklich und bildlich auszumalen. Auch hier ist der kolorierte Holzschnitt (siehe Abbildung 3.8) eine Illustration des generellen Ereignisses, allerdings mit einem spezifisch sensationalistischen Fokus auf die schrecklichen Auswirkungen, die ein Komet für die Menschen bedeutet. Zu sehen ist der zweifach – und damit temporal nacheinander – dargestellte Komet, der Häuser oder Dörfer in Brand steckt sowie verzweifelnde und fliehende Menschen:
160 [3.2] Anon.: Warhafftige Beschreibung was auff einen jeden sollichen Cometen geschehen sey, die gesehen sind von Anfang der Welt her biss auff disen Jetzgesehenen Cometen in dem 56 Jar, auch was sich an etlichen Orten darnach verloffen hat unnd in welchem Jar ein jeder gesehen ist worden, [Straßburg]1556. 161 Vgl. Harms/Schilling: Die Wickiana, S. 75.
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Abb. 3.8 Holzschnitt des anonymen Einblattdrucks Warhafftige Beschreibung (1556)162
Der Text greift dies ebenfalls auf: „So bin ich bericht worden durch warhafftige leüt / daß dieser stern im anfang deß Mertzen gesehen diß 56. Jars in Engeland seye gefallen unn da etliche stett und flecken verbrent hab (…)“. Die Darstellung der Ereignisse beruht offenkundig nicht auf Augenzeugenschaft, sondern auf Berichten Dritter von der Erscheinung, die „an dem Ostermontag zu nacht von vilen warhafftigen leüten widerumb gesehen worden“. Der Autor des Einblattdrucks wird damit zum distanzierten Berichterstatter, welcher der christlichen Pflicht der Warnung nachkommt, wobei das Phänomen selbst nicht primär relevant ist. Es geht nicht darum, die Kometenerscheinung explikativ zu beschreiben, Beobachtungsdaten zu kommunizieren oder der Erscheinung ihren Schrecken zu nehmen. Der Komet erscheint hier weder als Objekt naturkundlicher Untersuchung, noch als astrologisch zu deutendes Zeichen, sondern allein als göttliche Kommunikation. Der Verweis auf die historischen Beispiele ist in seiner Kürze nur mehr eine Bekräftigung dessen, was sowieso bekannt ist und nicht weiter belegt werden muss, nämlich die Zeichenhaftigkeit des Kometen und dessen negative Auswirkungen. Was vielmehr deutlich gemacht werden soll und daher in beiden Publikationen betont wird, ist die ursächliche Relation zwischen der Sündhaftigkeit der Menschen und dem Erscheinen des Mahnzeichen Gottes als Ausdruck von dessen Zorn und der kommenden Strafe. Der durch das plötzlich auftretende und durch die Unerklärbarkeit des Phänomens ausgelöste Schrecken wird als emotives Element bewusst aufgegriffen und zum Ansatzpunkt für die
162
Abbildung der Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, PAS II 14/14.
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sozialdisziplinierende Instrumentalisierung in Form des religiösen Appells. Der Komet in seiner Dimension als Wunderzeichen dient als reines Vehikel dieser Botschaft und interessiert nicht in seinen anderen Aspekten, seien sie naturkundlich oder astrologisch. 3.3 Zusammenfassendes Fazit Dass in den 1530er und 1550er Jahren kurz hintereinander relativ viele helle Kometen erschienen sind, ist ein glücklicher historischer Zufall, der die Anfänge der systematischen Kometenbeobachtung und allgemein das Interesse an dem Phänomen Komet, an dessen messender Erfassung und an der Ermittlung seiner Bedeutung beflügelt. Die durch die Reformation geförderte zeitgenössische Wahrnehmung des vermehrten Auftretens von Wunderzeichen, die sich z. B. an der wachsenden Zahl von Prodigienwerken seit den späten 1540er Jahren und der Kleinliteratur in Form von Flugschriften ablesen lässt, nährt wiederrum die öffentliche Aufmerksamkeit für die Kometen als wunderhaften Naturphänomene sowie das Bedürfnis ihrer Erklärung. Die in Kometenflugschriften gängige Formel, sie seien auf Bitten Anderer verfasst worden, ist weniger eine rhetorische Bescheidenheitsfloskel der Autoren als vielmehr Beleg für die kulturelle Bedeutung der Kometen, deren Erscheinung schichtübergreifend die Forderung nach Rat, Information und Interpretation entstehen lässt.163 Die disziplinäre Mehrdimensionalität der Kometen und ihr Charakter als Mischobjekte zwischen Himmel und Erde, die mit beiden Sphären in wesensmäßiger Verbindung stehen, führen dazu, dass diese Erklärung auf verschiedenen Wegen gegeben wird: Krautwadel konstatiert etwa unterschiedliche Zugänge in der Behandlung und Darstellung von Kometen bei Theologen, Philosophen und Astronomen und erläutert die Unterschiede ihrer Ansichten. Obwohl die frühneuzeitlich verbreitete augmentierte meteorologische Theorie die Kometen als atmosphärische Phänomene terrestrischen Ursprungs klassifiziert, haben sie im Bereich astrologischer Deutung eine ähnliche Relevanz wie Himmelskörper, wobei primär beobachtbare Eigenschaften gedeutet werden. Die theologisch-religiöse Sichtweise von Kometen als göttliche Wunderzeichen bezieht sich dagegen scheinbar gar nicht auf diese physische, sondern ihre semiotische Dimension. Die Analysen der vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, auf welche Weise diese Dimensionen in den Kometenflugschriften – und damit auch die in dieser Arbeit relevanten Kontextgebiete Naturkunde, Astrologie und Theologie – verbunden werden. Ein wiederkehrendes Element, das nahezu in allen bisher untersuchten Werken erscheint, ist die Betonung der Wichtigkeit von Beobachtung. Der Begriff selbst ist 163
Zimmermann, Christian von: „Wie man Cometen (…) soll betrachten“. Zwei Predigten des Jahres 1618 aus Riga und Magdeburg im Kontext der frühneuzeitlichen Kometenliteratur, in: Kühlmann, Wilhelm / Müller-Jahncke, Wolf-Dieter (Hrsg.): Iliaster. Literatur und Naturkunde in der Frühen Neuzeit. Festgabe für Joachim Telle zum 60. Geburtstag, Heidelberg 1999, S. 321–344, hier S. 334.
3.3 Zusammenfassendes Fazit
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recht unpräzise, bezieht sich hier jedoch auf eine zweckhafte Beobachtung des Kometen im Gegensatz zu dessen bloßer Sichtung, wobei die zugrunde gelegte Methodik oder Systematik bei einzelnen Autoren doch sehr variiert, je nach den spezifischen Umständen, instrumentellen Möglichkeiten und der Intention ihrer Publikationen. Manche, wie etwa Apian, präsentieren neue mathematische Methoden, entwickeln genauere Observationsverfahren und schaffen damit für die Untersuchung zukünftiger Kometenerscheinungen sowie die Quantifizierung der gewonnenen Daten eine methodische Grundlage, während andere sich auf eine qualitative Beschreibung dessen beschränken, was sich am Himmel darbietet. Zu letzteren gehört etwa Flock, der weder quantitative Daten liefert, noch die naturkundliche Dimension von Kometen, wie etwa Theorien ihrer Entstehung, erörtert und theoretische Fragen als außerhalb seines mit der Schrift gesetzten Schwerpunkts liegend charakterisiert. Er verfolgt die utilitaristische Intention, alltagspraktisch nützliche Informationen in Form spezifischer Deutungen des Kometen zu bieten, insbesondere prognostisch-medizinischer Natur: hierzu gehören z. B. chorographische Aspekte, wo genau welche Kometenwirkungen zu erwarten sind, sowie Ausführungen zur planetarischen Natur, die spezielle Auswirkungen auf Menschen einer bestimmten Nativität oder eines bestimmten Temperaments hat. An der teilweise nahezu apologetischen Haltung derjenigen, die den Kometen nicht beobachtet haben, zeigt sich jedoch, dass das Fehlen der quantitativen Daten oder allgemeiner das Fehlen der Thematisierung von Beobachtung in einer umfassenden Kometendarstellung als Manko empfunden wird – gerade vor dem Hintergrund, dass der Hinweis auf Präzision, Solidität und Korrektheit von Beobachtung die Kompetenz und Autorität der Kometenflugschriftenverfasser begründen hilft und die Fundiertheit ihrer Deutungen belegt. Beide Dimensionen beziehen sich auf physische und damit beobachtbare Eigenschaften eines Kometen und dienen in dem einen Fall einer deskriptiven Beschreibung zum Zweck des theoretischen Verständnisses und im anderen Fall der Erfassung relevanter Parameter, die nach astrologischen Regeln gedeutet werden können. Die Wichtigkeit von Beobachtung zeigt sich auch im Bildmaterial der Kometenflugschriften, bei welchem der Akt der Observation oder dessen Ergebnis als vorherrschendes Bildmotiv erscheint – entweder in Form eines im Bild sichtbaren Kometenbeobachters oder als graphische Darstellung des Kometenlaufs an der Himmelssphäre. Nur drei der acht Abbildungen dieses Kapitels entsprechen dieser Charakterisierung nicht: Die Titelillustration von Apians Praktik des Jahres 1531 (Abbildung 3.1) zeigt den Kometen – in fünf Einzeldarstellungen entsprechend fünf verschiedenen Beobachtungszeitpunkten – über einer Stadt. Der Einblattdruck Warhafftige beschreibung aus dem Jahr 1556 (Abbildung 3.8) zeigt ebenfalls nicht die Beobachtung des Kometen, jedoch dessen furchtbare Folgen für die Menschen, die angesichts von Feuer und Zerstörung erschrecken und fliehen. Das Titelbild von Krautwadels Werk des Jahres 1531 (Abbildung 3.4) zeigt schließlich das Horoskop des aktuellen Kometen. Allen drei Abbildungen ist – wenn auch in unterschiedlichem Maße – gemein, dass sie die Signifikanz der Himmelserscheinung und ihrer Beobachtung für den Menschen und seine
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Lebenswelt bildlich ausdrücken. Die empirische Beobachtung als Element frühneuzeitlicher Kometenliteratur ist in der Forschung häufig als Indiz einer zunehmenden Wissenschaftlichkeit gewertet worden. Die Analysen dieses Kapitels haben gezeigt, dass die Observation jedoch (noch) kein Selbstzweck ist, sondern ganz konkrete und durchaus unterschiedliche Funktionen haben kann. In erster Linie geht es dabei um die Deutung der Kometen und nur selten z. B um eine empirische Überprüfung theoretischer Ideen. Auch wenn etwa Schöner die Höhe des aktuellen Kometen berechnet, so ist der primäre Zweck seiner Schrift doch ein astrologischer und die Wissensproduktion auf diesen Zweck bezogen. Die Illustrationen in den Werken von Hebenstreit und Fabricius (Abbildungen 3.5, 3.6 und 3.7) erscheinen sachlicher und objektiver, da sie weder die Person eines Beobachters, noch die irdische Welt generell bildlich darstellen, sondern lediglich den abstrahierten Kometenlauf an der Himmelssphäre. Doch auch bei ihnen ist dieses faktische Wissen nicht von der Frage der Interpretation – sei sie astrologischer oder theologisch-eschatologischer Natur – und den damit verbundenen Wissensbeständen und Überzeugungen zu trennen. Bezüglich der Funktion und Rezeption der deutschsprachigen Kometenflugschriften kann man von einem gemeinsamen Diskurs sprechen, anstatt einen akademischgelehrten auf der einen und einen populären Diskurs auf der anderen Seite als in inhaltlicher und medialer Hinsicht prinzipiell voneinander geschieden zu konstatieren.164 Eher als spezifischen Texten, Medien oder Inhalten bestimmte Autoren oder Adressaten zuzuordnen, sollten vielmehr die Formen des Umgangs mit, der Aneignung und des Gebrauchs von diesen Inhalten oder Texten untersucht werden. Den gemeinsamen Diskurs kreieren Autoren und Rezipienten mit ihren unterschiedlichen Intentionen und Bedürfnissen. Kometenerscheinungen sind plötzliche und öffentliche Ereignisse, die allgemein und in ihrer Ausdeutung für alle sozialen Gruppen interessant und seit je her Teil sowohl der Hoch- als auch der Populärkultur sind. In Verbindung mit ihrem Charakter als disziplinäre Grenzgänger erscheinen Kometen daher als besonders geeignet, Brücken zwischen diesen Kulturen zu schlagen, auf denen Wissen, Bilder und Deutungen wandern können. Im Vergleich sind die deutschsprachigen Kometenflugschriften häufiger etwas weniger ausführlich bezogen auf technische Details oder quantitative Daten als die lateinischen, inkorporieren aber gleichermaßen z. T. ausführliche Ausführungen zur naturkundlichen Kometentheorie sowie didaktisch aufbereitete Beschreibungen von Observationen, Instrumenten und Methoden. Im Falle Apians werden dem Leser nicht einfach nur die Ergebnisse als theoretische Reflexion auf empirische Daten präsentiert, sondern er folgt dem Weg der Ergebnisfindung, erhält ausführliche Erklärungen sowie Rechenbeispiele und kann die Methodik so nachvollziehen. Zudem rezipieren
164 Vgl. dazu die Ausführungen zum shared discourse von Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 3–13.
3.3 Zusammenfassendes Fazit
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und beteiligen sich die Verfasser durchaus an aktuellen Debatten, positionieren sich bezüglich konkreter Forschungsfragen und orientieren sich in Stil und Präsentation – etwa durch Fachtermini, geometrische Schemata oder fremdsprachige Paratexte – an den Konventionen gelehrter Darstellungen. Apian etwa präsentiert seine methodischen Innovationen oder auch die Entdeckung der Schweifrichtungsgesetzes zunächst in seinen deutschsprachigen Werken, bevor er Jahre später ein lateinisches publiziert. Hebenstreit diskutiert die aktuelle Frage, ob es sich um zwei statt um einen Kometen gehandelt habe und lehnt das Schweifrichtungsgesetz aufgrund eigener Beobachtungen begründet ab. Schönfeld geht kritisch mit überkommenen Wissen um, hinterfragt und modifiziert es; er betont nicht nur ebenfalls die Relevanz von Beobachtung als methodische Notwendigkeit, sondern präsentiert die so gewonnenen Daten als Gut der wissenschaftlichen Kommunikation. Er steht nicht nur mit anderen Gelehrten in Kontakt, sondern tritt durch den Aufruf zum Austausch mit seinen Rezipienten in einen reziproken Dialog. Die Kometenflugschriften sind Medien dieses Austauschs, da sie vergleichsweise einfach, günstig und schnell zu produzieren sind. Eine rasche Verbreitung umfassender Information sowie Aktualität sind bei so plötzlichen Ereignissen wie Kometenerscheinungen allein aus Gründen des kommerziellen Absatzes für die Autoren entscheidend. Die beiden Kometenwerke Fabricius’ werden unmittelbar nach Beendigung der Observation und noch vor Ende der Sichtbarkeit des Kometen in zwei verschiedenen Städten und zwei verschiedenen Sprachen publiziert. Sein lateinischer Einblattdruck enthält nicht nur die detailreichere und damit präzisere Illustration, sondern auch quantitative Angaben zu den Kometenpositionen und Beobachtungszeiten. Der Einblattdruck ist jedoch nicht nur bezüglich der Beobachtungsergebnisse, sondern genauso hinsichtlich der astrologischen und theologischen Deutung ausführlicher und elaborierter. Beide Dimensionen – die beschreibende Erklärung und die Interpretation – gehören zum Spektrum dessen, was ein Verfasser einer Kometenflugschrift im Dienste einer umfassenden und vollständigen Darstellung des Themas zu behandeln hat. Die Kometendeutung zeigt sich bei Fabricius als Amalgam von astrologischen und theologisch-eschatologischen Elementen und seine Charakterisierung der astrologischen Deutung als „philosophisch“ bestätigt, dass unter diesem Lemma naturkundliche und astrologische Elemente gleichermaßen zusammengefasst verstanden werden. Die Beispiele der Einblattdrucke Fabricius’ und Gassers verdeutlichen, dass selbst diese vermeintlich rein popularisierenden oder sensationalistischen Medien zur Vermittlung nüchterner Information dienen und sich zudem oft auf Höhe des aktuellen Wissenstands befinden können. Lediglich drei der in den letzten beiden Kapiteln untersuchten Kometenflugschriften – die zwei anonymen Einblattdrucke zum Kometen 1556 und die Werke Paracelsus’ – behandeln die Thematik der natürlichen Verursachung von Kometen nicht. In allen anderen Schriften ist deren Betonung und ausführliche Erläuterung ein elementarer inhaltlicher Aspekt, der im Argumentationszusammenhang verschiedene Funk-
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tionen erfüllt. Das Herausstellen der Natürlichkeit von Kometen verweist zunächst darauf, dass diese Ansicht keine Allgemeingültigkeit genossen hat. Hierbei geht es einerseits um die Legitimation von Kometen als validen Untersuchungsgegenstand: Sie sind nicht nur kein Teufelswerk, sondern auch keine rein übernatürlichen Wunderzeichen Gottes, die sich einer rationalen Erfassung entziehen. Nur wenn ihre Entstehung, Eigenschaften und Wirkungen kausal erklärt werden können, macht ihre naturkundliche Beobachtung und Erklärung überhaupt Sinn. Kometen haben demnach natürliche Ursachen, z. B. Finsternisse bei bestimmten Gestirnskonstellationen, und sind ihrerseits Ursachen der negativen Kometenfolgen als Wirkungen, was diese genau wie das Erscheinen von Kometen zumindest im Prinzip prognostizierbar macht. Zum zweiten dient der Verweis auf die Natürlichkeit der Rationalisierung und Entängstigung: Die Informationsgabe vermittelt Erklärbarkeit und bis zu einem gewissen Grad auch Beherrschbarkeit, da vor den negativen Folgen gewarnt wird, diese spezifiziert und damit auch eingeschränkt werden und durch den Bußaufruf eine Handlungsoption geboten wird. Auch als natürliche Phänomene sind Kometen Unglücksboten, der durch sie ausgelöste Schrecken erhält jedoch einen nachvollziehbaren Zweck. Eine Beschäftigung mit ihnen ist damit eine christliche Pflicht, da sie als göttliche Zeichen der Deutung bedürfen, welche aufgrund des natürlichen Charakters von Kometen einen kompetenten Naturkündiger erfordert. Der duale Charakter von Kometen als natürlichen Phänomenen und göttliche Fingerzeige besteht zumeist in einer Verbundenheit oder Parallelität von Natürlichkeit und Übernatürlichkeit. So werden Kometen als in Entstehung und Wirkung komplett natürlich konzeptualisiert, wobei sie als Teil einer göttlichen Weltordnung durch ihren Schöpfer final organisiert sind. Eine oft bemühte Analogie ist die der Finsternisse, denen bei völliger Erklärbarkeit als naturalistisch-kausal verstandenen Prozessen eine Zeichenhaftigkeit eigen ist, die in ihrer Instrumentalisierung durch Gott begründet liegt. Gott bedient sich dieser Naturprozesse oder -phänomene, um eine Botschaft zu vermitteln; deren Zustandekommen und auch deren Folgen bedürfen aber keines übernatürlichen Eingriffs an der Regelhaftigkeit der Natur vorbei. Die Kometenfolgen sind demnach Wirkungen, die ursächlich erklärt werden können, wenn sie auch nach göttlicher Intention geschehen. Paracelsus hingegen negiert die Natürlichkeit von Kometen generell, indem er sie rein theologisch konzeptualisiert, vertritt damit zu seiner Zeit aber keine verbreitete Ansicht. Gasser hält Kometen für Neuschöpfungen Gottes und bringt damit das übernatürliche Element in die Erklärung ihres Ursprungs ein; er sieht dies jedoch nicht als im Widerspruch zu ihrer Natürlichkeit stehend. Die Struktur seines Einblattdruckes verdeutlicht, dass er die natürliche und zeichenhafte Dimension der Kometen in ihrem Nebeneinander behandelt: Kometen als Naturphänomene im Kontext naturkundlicher Theoriebildung und Kometen als Wunderzeichen Gottes im theologisch-exegetischen Kontext. Die Betonung der natürlichen Verursachung von Kometen ist durch den beschriebenen dualen Charakter von Kometen sowohl mit dem Kontextgebiet der Theologie
3.3 Zusammenfassendes Fazit
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als auch mit dem der Astrologie kompatibel, da die naturkundliche Perspektive astrologische Theoretisierungen als feste Bestandteile in den kausal zu verstehenden Kreislauf der Bildung, Erscheinung und Wirkung von Kometen integriert hat – so sehr, dass diese astrologischen Elemente nicht als eigenständig oder supplementierend angesehen werden, sondern als mit den naturkundlichen zu einer Einheit verschmolzen erscheinen. Sichtbar ist dies etwa in der Vorstellung der Effizierung von Kometen durch Planeten, die z. B. Krautwadel physikalisch konzeptualisiert, sowie der besonders bei Pruckner behandelten Form der Kometentypologie, die phänomenologische Unterschiede einzelner Kometenerscheinungen mit den meteorologischen Prozessen ihrer Entstehung auf der einen und ihrer planetarischen Natur auf der anderen Seite erklärt. Aus bestimmten Kometenparametern astrologisch prognostizierte Kometenfolgen werden im Rahmen der augmentierten Kometentheorie als Wirkungen verstanden, insofern als der Komet sie als causa efficiens physisch verursacht. Die Astrologie plausibilisiert demnach nicht nur die Annahme der Natürlichkeit von Kometen, sondern wird ihrerseits durch Kometen legitimiert: die vermeintlich erfolgreiche Vorhersage eines Kometen oder die korrekte Prognose seiner späteren negativen Folgen illustrieren die Daseinsberechtigung und Nützlichkeit der Deutungskunst und belegen gleichzeitig das theoretische Kausalmodell der Entstehung, Erscheinung und Wirkung von Kometen. Diese Legitimierung kann in Zeiten zunehmender grundsätzlicher Kritik an der Astrologie ein wichtiges Moment sein und wird von den Verfassern zur Demonstration der eigenen Kompetenz gebraucht. Darüber hinaus fungiert die Astrologie als argumentatives Bindeglied zwischen den Kontextfeldern Naturkunde und Theologie, was insbesondere darin begründet liegt, dass sie in Bezug auf Kometen sowohl deren naturkundlich-physikalische, als auch deren deutungsbezogene Dimension berührt. Diese Doppelrolle, die sich in der beschriebenen Kompatibilität mit den Kontextgebieten manifestiert, zeigt sich bereits an der Grundunterscheidung zwischen einer natürlichen und einer judizierenden Astrologie: die natürliche ist dabei sowohl mit naturkundlich-meteorologischer Theoriebildung verknüpft, als auch mit der Astronomie, deren Beobachtungen die Datenbasis der Deutung liefert. Die prognostische Seite erscheint vor dem Hintergrund der Theologisierung der Kometen als Wunderzeichen als Instrument der Ausbuchstabierung göttlichen Willens. Die Erforschung von Kometen ist damit auch theologisch legitimiert, da sie als deutungsbedürftige Phänomene nach Interpretation verlangen. Beschreibung, Erklärung und Deutung ist das, was die Verfasser von Kometenflugschriften leisten müssen, weshalb Elemente der Theologie, Astrologie und Naturkunde ein Amalgam in der Untersuchung und Präsentation von Kometen bilden. Aus dem Zusammenspiel der Elemente und ihrer Dynamik erwächst das integrierte Kometenbild. Die einzelnen Publikationen setzen verschiedene Schwerpunkte und thematisieren einzelne Aspekte des integrierten Bildes in unterschiedlicher Ausführlichkeit; die Grundzüge der zu behandelnden Dimensionen von Kometen sind jedoch die gleichen, im gelehrten Traktat ebenso wie im profanliterarischen Einblattdruck.
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Das integrierte Kometenbild ist besonders im Rahmen des melanchthonisch geprägten Zugangs zur Naturphilosophie präsent, da sich hier die Relevanz und Notwendigkeit der Astrologie daraus ergibt, dass ein kommunizierender Gott sich in und durch die Natur zeichenhaft mitteilt. Die oben beschriebene Dualität von Natürlichkeit und Zeichenhaftigkeit findet ihr Pendant in der zweifachen Offenbarung Gottes: im heiligen Buch der Bibel sowie im Buch der Natur. Naturforschung wird somit zur Christenpflicht und die Bibel zum Beleg für die Präsenz Gottes in der Heils-, Menschen- und Weltgeschichte. Als historische Exempla sind Kometen sowohl Warnungen vor drohendem Unheil als auch – über den Kausalzusammenhang mit den negativen Folgen – mit den göttlichen Strafen selbst identifiziert. Sie sind Ausdruck göttlicher Gnade und göttlichen Zorns, was sich sprechend in der Metapher des himmlischen Bußpredigers manifestiert. Eine bloße Kometenfurcht wird in diesem Zusammenhang oft als heidnisch charakterisiert, wohingegen die vernunftgemäße Betrachtung im Konnex mit und im Dienste der Ausdeutung des Phänomens – wobei die Astrologie als naturkundliche Wissenschaft der Deutung das technische Rüstzeug liefert, um die Spezifika der zu erwartenden Kometenwirkung zu explizieren – durch den Bußaufruf eine Handlungsmöglichkeit offeriert, die es dem rechtschaffenen Christen ermöglicht, das drohende Unglück abzuwenden. Nicht nur das Naturphänomen selbst, auch einzelne Aspekte seiner Theorie werden dabei theologisiert: Die Sündhaftigkeit der Menschen als Anlass des göttlichen Zorns wird etwa mit den elementarischen Dämpfen als Ursprung der Kometenmaterie und damit Materialursache der Kometen parallelisiert. Umgekehrt liegt der Zweck der Kometenerscheinung, also die causa finalis, in der göttlichen Botschaft. Der natürlich entstandene Komet wird dabei zum Werkzeug dieser göttlichen Predigt und ist für den vernunftbegabten Menschen dual – rational und theologisch – zu erfassen. Diese Dualität gebraucht Neodomus, um für eine bestimmte Kometentheorie zu argumentieren: In seiner doxographisch orientierten Darstellung der naturkundlichen Kometensichtweise wird die meteorologische Theorie u. a. deshalb favorisiert, weil ein Komet nur dann im kausalen Sinne als Zeichen fungieren könne, da er die durch ihn indizierten Folgen auf physische Weise bewirkt. Als ein ätherischer Himmelskörper wäre er nicht nur dem irdischen Bereich soweit entzogen, dass diese Art der ursächlichen Wirkmechanismen nicht bestehen könnte, sondern zudem entweder ewig existierend oder in einem willkürlichen Akt von Gott geschaffen, was ihn wiederum unvorhersagbar machen würde. Dass ein Komet prognostiziert werden kann, spreche daher ebenso für seinen meteorologisch erklärbaren Ursprung als auch für seinen Charakter als göttliches Zeichen. Auch bei Paracelsus, für den Kometen rein übernatürliche und eschatologisch zu verstehende Zeichen Gottes sind, zeigt sich der theoriekonstituierende Charakter der theologischen Kometensichtweise, die bei ihm jedoch gerade zu einer Ablehnung oder zumindest Marginalisierung ihrer natürlichen Verursachung – und infolgedessen auch einer spezifischen astrologischen Auslegung – führt. Das Göttliche drückt sich für ihn in den Naturwundern aus, diese entziehen sich
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aber gerade aufgrund dieser Epistemologie der Art von Untersuchung und Erklärung, wie sie reinen Naturphänomenen zukomme. Bei Paracelsus überlagert die Zweckursache des Kometen als Zeichen Gottes zu fungieren dessen natürliche Dimension. Gerade, wenn der Bußaufruf besonders eindringlich gestaltet wird, tritt dieses Negieren des natürlichen Charakters von Kometen zutage, wenn auch teilweise nur als Ausdruck einer rhetorischen Strategie. In den beiden untersuchten Einblattdrucken von 1556 bildet die Kometenerscheinung nur mehr den Aufhänger zur Übermittlung des zum Zweck der Verhaltensnormierung erfolgenden moraltheologischen Appells des Bußaufrufs. Dazu wird zukünftiges Unheil bildlich und sprachlich ausgemalt, im Dienste einer „Pädagogik des heilsamen Schreckens“165. Diese Schriften propagieren damit nicht zuletzt Gehorsam – gegenüber einem strafenden Gott ebenso wie gegenüber den Obrigkeiten, und können so sozialstabilisierend wirken. Das Verneinen des epistemologischen Anspruchs der Welterklärung verdeutlicht zudem die Sorge einiger durch die Autoren repräsentierten gesellschaftlichen Gruppen, die Deutungs- und Erklärungsmacht – in diesem Fall über Naturphänomene – zu verlieren. Durch die Reduktion des Kometen auf seine Zeichenhaftigkeit verändert sich die Funktion des Kometenflugblattes vom Nachrichtenmedium hin zur Erbauungsliteratur: es geht um Vergegenwärtigung und Emotion, nicht mehr um Information.166 Die üblen Kometenfolgen erscheinen beispielsweise nicht in der Reihenfolge ihres Auftretens, da der Kausalzusammenhang zwischen Kometenursachen, dessen Erscheinung und den Wirkungen hier nicht relevant ist, sondern nur der negative Charakter als Strafe Gottes. Die Bedeutung ergibt sich aus dem theologischen Gehalt des Kometen als göttlichem Zeichen und nicht aus seiner physikalischen Existenz oder Wirkung als natürliches Phänomen. Die theologische Kometendeutung ist nicht zuletzt „Produkt einer sinnstiftenden Arbeit“167, die sowohl positiv als auch negativ instrumentalisiert werden kann: Negativ als Instrument der Sozialsteuerung und positiv durch die Rationalisierung der Kometenfurcht, den Beitrag zur Komplexitätsreduktion und durch die tröstend-erbauliche Funktion, die eine zweckhafte und damit qualifizierende Erklärung der Kometen als Zeichen und deren Folgen als Strafen Gottes innehaben kann. In ergänzender Weise stellt auch die Astrologie eine Methode der Kontingenzbewältigung dar.168 Die integrierende Rolle der Astrologie ist oben ausführlich herausgearbeitet worden. Eine 165 Hille: Providentia Dei, Reich und Kirche, S. 372. 166 Vgl. Zangger, Kurt: Kometeneinblattdrucke des 17. Jahrhunderts in der Zentralbibliothek Zürich, Lizentiatsarbeit Universität Zürich 1979, S. 63–65. 167 Mauelshagen: Illustrierte Kometenflugblätter in wahrnehmungsgeschichtlicher Perspektive, S. 109. 168 Siehe dazu Sparn, Walter: Aufstieg und Fall der prognostischen Astrologie im Wissenschaftskonzept des frühneuzeitlichen Protestantismus, in: Selected Lectures des International Consortium for Research in the Humanities. Fate, Freedom and Prognostication. Strategies for Coping with the Future in East Asia and Europe, Erlangen 2013, S. 1–20 (http://ikgf.fau.de/content/articles/ Walter_Sparn-Aufstieg_und_Fall_der_ prognotischen_Astrologie.pdf, abgerufen am 13.01.2015).
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ähnliche Funktion im Kontext des vieldimensionalen Kometenbildes erfüllt der Verweis auf die Historizität dieser Himmelsphänomene. Kann man die Beobachtung als empirische Technik par excellence bezeichnen, funktioniert auch die historische Argumentation empirisch und geht über die historische Legitimation oder Würdigung der eigenen Disziplin durch das Anführen autoritativer Koryphäen, relevanter Anwendungsbereiche sowie vergangener erfolgreicher Prognosen, deutlich hinaus. Das chronikale Auflisten vergangener Kometenerscheinungen dient einer zweifachen Belegfunktion: zum einen für die meteorologisch-astrologische Kometentheorie, da der Kausalzusammenhang von Kometenursachen, Kometenerscheinung und Kometenwirkungen durch das erfolgreiche Prognostizieren eines Kometen und dessen Folgen in der Vergangenheit für gegenwärtige und zukünftige Kometen erwiesen wird. So listet etwa Hebenstreit nicht nur historische Kometenerscheinungen und deren Effekte auf, sondern auch die verursachenden vorherigen Finsternisse oder Planetenaspekte. Die historische Erfahrung dient zudem als Beweis- und Interpretationsmittel für die Sichtweise der Kometen als göttliche Zeichen, nicht nur im eschatologischen Sinne. Dass Kometen die prognostizierten Folgen haben, die bereits die Bibel als göttliche Strafen präsentiert, belegt das Entstehen und Wirken der Kometen nach göttlicher Fügung und Ordnung. Es zeigt sich hier eine Verbindung von Naturverständnis und Historizität, die für eine melanchthonisch geprägte astrologisch-theologische Natursicht charakteristisch ist. Es ist kein Zufall, dass ungefähr in der Jahrhundertmitte die Blütezeit der Prodigienliteratur beginnt, die sich häufig in chronikaler Form präsentiert und zu der die Cometen historiae in enger Verwandtschaft steht. Bei beiden geht es weniger um die Aktualität der Ereignisse oder deren individuelle Eigenheiten, sondern um die Darstellung ihres gesetzmäßigen Auftretens, wobei die Beweiskraft in ihrer Menge, in den langen Zeiträumen der Betrachtung und des übergreifend zugeschriebenen theologischen Interpretationszusammenhangs liegt, der die Kometen als Prodigien zum Teil einer letztlich heilsgeschichtlichen Historiographie macht.169 Die hier untersuchten Publikationen zu den Kometenerscheinungen der 1530er und 1550er Jahre verdeutlichen ein insgesamt gewachsenes Interesse an diesen Phänomenen und die Notwendigkeit, Informationen und Deutungen darüber für breite Kreise rezipierbar zu kommunizieren. Das ganze Panorama an Zugängen zu und Darstellungsweisen von Kometen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, deren Relevanz und Verflechtungen, wird damit sichtbar. Die Grundelemente der vorherigen Werke werden aufgegriffen, z. T. ausgebaut und insofern konsolidiert, als sich ein lockeres Schema der thematischen und stilistischen Aspekte herauskristallisiert, die in einer typischen Kometenflugschrift behandelt werden. Dieser Kanon bildet die Grundlage für die in den nächsten Kapiteln analysierten Werke zum Großen Kometen von 1577.
169 Siehe dazu Mauelshagen: Die „portenta et ostenta mines lieben herren unsers säligen …“
TEIL III: Der Große Komet 1577 Der Komet von 1577, in der Literatur mitunter auch als Tychos Komet bezeichnet, gehört zu den sogenannten Großen Kometen:1 Diese sind weniger über spezifische astronomische oder astrometrische Parameter, also etwa das Erreichen bestimmter Werte von Größe oder Helligkeit definiert, sondern über ihre Wahrnehmung und Rezeption: Ein historischer Komet gilt dann als Großer Komet, wenn er von Nicht-Astronomen oder zufälligen Beobachtern mit dem bloßen Auge gesichtet worden ist, in zeitgenössischen Quellen wie Chroniken, Annalen oder monographischen Werken Erwähnung findet und an den man sich über Generationen erinnert.2 Offenkundig ist das der Fall, wenn die Kometenerscheinung besonders eindrücklich ist, wovon man bei dem von 1577 sicher ausgehen kann: er ist zeitweise bei Tag zu sehen, strahlt dabei mindestens so hell wie die hellsten Sterne des Himmels und zeigt mitunter einen Schweif, der mehr als die Hälfte des Nachthimmels einnimmt. Eine der ersten Sichtungen des Kometen in Europa gelingt dem Görlitzer Astronomen Bartholomäus Scultetus am 10. November, als sich der Komet in größter Erdnähe befindet, doch ebenso in Amerika und Asien ist das Himmelsphänomen bis in den Januar des Folgejahres gut sichtbar.3 Dieser Komet „mit einem langen fewrigen Schwantz und erschrecklichen ansehen“4 wird aufgrund seiner aufsehenerregenden Helligkeit5, seiner rötlichen Farbe und raschen
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Es handelt sich dabei um den Kometen C/1577 V1, vgl. Kronk: Cometography, S. 317–320. Der Ausdruck von „Tycho’s Comet“ findet sich meistens in der englischsprachigen Literatur, z. B. bei Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 44 sowie in zahlreichen populärwissenschaftlichen Büchern und Artikeln, darunter Fraser, Craig G.: The Cosmos. A Historical Perspective, Westport 2006, S. 58 sowie Couper, Heather / Henbest, Nigel: Encyclopedia of Space, London 2009, S. 276. Vgl. u. a. die Ausführungen im Vorwort bei Seargent: The Greatest Comets in History, S. vii–xi. Die Kometenschrift von Scultetus wird in Kap. 5.2 ausführlicher thematisiert. [4.14] Steinmetz, Valentin: Von dem Cometen welcher im November des 1577. Jars erstlich erschienen, und noch am Himmel zusehen ist, wie er von Abend und Mittag, gegen Morgen und Mitternacht zu, seinen Fortgang gehabt, observiret und beschrie ben in Leipzig, Magdeburg 1577 (VD16 ZV 14686), Bl. A 3r. Ronald Stoyan beschreibt den Kometen als „one of the intrinsically brightest comets ever“ mit einer zeitweisen scheinbaren Helligkeit (Magnitude) von –7, vgl. Stoyan: Atlas of Great Comets,
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Bewegung allgemein als außerordentliches Schreckenszeichen wahrgenommen und avanciert auch jenseits der akademischen Sphäre zum Medienereignis. Diese Charakterisierung spiegelt sich allein im quantitativen Sprung der die Erscheinung rezipierenden deutschsprachigen Flugschriften wider:6 Für die konkret auf den Kometen von 1577 bezogenen Schriftwerke konnte ein Gesamtbestand von 102 Titeln ermittelt werden, der sich aus 65 deutschsprachigen und 37 lateinischen Schriftwerken zusammensetzt.7 Das sind etwa 2,5 mal so viele Publikationen wie die 41 Titel, die sich zur nur fünf Jahre früheren Supernova von 1572 – zeitgenössisch häufig als Komet oder zumindest kometenartige Erscheinung interpretiert8 – ausmachen lassen.9 Zu den letzten größeren Kometen von 1556 und 1558 habe ich insgesamt 35 deutsche und lateinische Publikationen eruiert.10 Hier überwiegen die deutschsprachigen Schriften mit (gerundeten) 58 Prozent die lateinischen mit 42 Prozent, während das Verhältnis beim Kometen 1577 schon mit 64 Prozent deutschsprachigen zu 33 Prozent lateinischen Drucken ausfällt. Es zeigt sich also nicht nur ein kontinuierlicher Anstieg in der Quantität der Schriftenproduktion insgesamt, sondern auch ein deutlicheres Anwachsen der volkssprachigen Publikationen gegenüber den lateinischen. Dieses Verhältnis und das Ansteigen der absoluten Zahl der Schriftwerke sind bei den weiteren Großen Kometen des 17. Jahrhunderts bis zum Jahr 1681 noch eindeutiger sichtbar. Ebenso deutlich wie das Ansteigen der Kometenschriftenproduktion nach 1577 ist das geradezu schlagartige Abebben der Zahlen nach 1680. Der Komet dieses Jahres markiert damit das Ende des in dieser Arbeit fokussierten Kometendiskurses.11 Die sich in den volkssprachigen Schriften zum Kometen 1577 auf gesamtgesellschaftlicher Ebene manifestierende gesteigerte Aufmerksamkeit für ein solches Himmelswunder und das darin widergespiegelte Bedürfnis nach Erklärung, historischer Einordnung und sinnstiftender Deutung finden ihr Pendant in – und sind zum großen Teil auch inspiriert von – dem gewachsenen wissenschaftlichen Interesse am Phänomen als Objekt astronomischer Beobachtung, naturkundlicher Beschreibung und astrologisch-theologischer Interpretation. Die wissenschaftshistorische Signifikanz des Kometen ergibt sich somit daraus, dass zu einer Zeit, in der die praktischen, theoretischen und intellektuellen Voraussetzungen vorhanden sind – neben der curiositas der Erscheinung gegenüber z. B. instrumentelle Mittel, mathematische Methoden, Medien der Distribution und Kommunikation in einem geistigen Klima der Erneue-
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S. 58–62. Siehe dazu das Diagramm (Abb. 1.1) in Kap. 1.2.2. Der Anteil von Einblattdrucken in beiden Gruppen ist mit knapp 11 Prozent bei den deutschsprachigen sowie guten 12 Prozent bei den lateinischen Publikationen fast gleich. Vgl. Kapitel 7 in Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 447–524. Diese Zahl setzt sich zusammen aus 25 deutschsprachigen (19 Schriften und 6 Einblattdrucke) und 16 lateinischen (14 Schriften und 2 Einblattdrucke) Publikationen. Siehe dazu Kap. 3.2. Siehe dazu Kap. 9.
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rung – ein eindrucksvoller Komet lange genug sichtbar ist, um umfassend und systematisch beobachtet, interpretiert und diskutiert zu werden. Der Komet wird von allen namhaften zeitgenössischen Astronomen observiert, wobei die Beobachtung Tycho Brahes, der den Kometen am 13. November erstmals sieht, als die bedeutendste gilt. Diese herausragende Rolle des dänischen Astronomen liegt nicht nur in der bis dato unerreichten Präzision der Observation begründet, welche tatsächlich eine neue Qualität in der Untersuchung von Kometen markiert, sondern auch in dem Erfolg eines historiographischen Narrativs, das Brahe selbst auf den Weg gebracht hat: Wie erwähnt, publiziert er bereits kurz nach Erscheinen des Kometen eine deutschsprachige Schrift zum Thema, in der er auf seine Beobachtung, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen und die Bedeutung des Kometen eingeht.12 Wichtiger ist in diesem Kontext jedoch sein umfassendes gelehrtes Werk De Mundi aetherei recentioribus phaenomenis von 1588.13 Wie der Titel verrät, geht es Brahe darin um die jüngsten Phänomene in der ätherischen Region, womit er neben dem Kometen 1577 die ebenfalls von ihm gründlich observierte Supernova von 1572 meint, deren Supralunarität und damit himmlische Natur als primäre und bedeutsamste Charakteristika herausgestellt werden. Brahe präsentiert in diesem Traktat nicht nur seine eigenen Beobachtungen, sondern liefert eine detaillierte Analyse und kritische Kommentierung der Observationsdaten anderer Beobachter, die zu den renommiertesten Astronomen seiner Zeit gehören, darunter z. B. Michael Mästlin, Thaddeus Hagecius, Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, Bartholomäus Scultetus oder Andreas Nolthius. Die besondere Bedeutung des Kometen 1577 besteht darin, dass Brahe damit nicht nur seine Ablehnung der peripatetischen Meteorologie sowie der Vorstellung solider Himmelssphären begründet, sondern die Himmelserscheinung zum entscheidenden Faktor seiner Spekulationen über die Natur und Ordnung des Planetensystems macht, also seiner Entwicklung eines neuen kosmologischen Modells, des geoheliozentrischen Weltsystems. Die diesem Narrativ folgenden Charakterisierungen der historischen Relevanz des Kometen 1577 sehen mit ihm eine wissenschaftshistorische Zäsur markiert, die infolgedessen auf zwei wesentlichen Säulen ruht: Zum einen der Idee, dass mit diesem Kometen bewiesen und etabliert worden sei, dass diese Himmelsphänomene entgegen der traditionellen Theorie über dem Mond zu verorten sind und zum anderen, dass diese Entdeckung nicht nur die überkommene Kometentheorie obsolet mache, sondern durch ihre vermeintliche Unvereinbarkeit mit der aristotelischen Physik und Kosmologie auch einen wichtigen Faktor des Niedergangs des vorherrschenden Weltbilds darstelle.
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[4.1] Vonn der Cometten Uhrsprung was die alten unnd neuen Philosophi inn denselben vermaint unnd davon zuhalten sei, Uraniborg 1578 [Dreyer, Johan L. E. (Hrsg.): TBDOO IV, S. 381–396]. Siehe dazu Christianson: Tycho Brahe’s German Treatise on the Comet of 1577. Für die bibliographische Erfassung dieses Werkes und dessen Relevanz im Kontext der Entwicklung der Kometentheorie siehe die Ausführungen in Kap. 2.4.2.
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TEIL III: Der Große Komet 1577
Tofigh Heidarzadeh konstatiert in seiner Geschichte der physikalischen Kometentheorie, dass von allen drei großen „anti-Aristotelian events“ der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – die Einführung von Copernicus’ heliozentrischer Planetentheorie sowie die Supralunarität der Nova 1572 und des Kometen 1577 – der letztgenannte der wichtigste bezüglich der Abkehr von der aristotelischen Kosmologie ist.14 Owen Gingerich spricht in diesem Zusammenhang enthusiastisch von einem der bedeutendsten Kometen aller Zeiten, der alle anderen in seinem Einfluss auf die Entwicklung astronomischer Ideen übertreffe.15 Damit folgt Gingerich im Wesentlichen der Einschätzung Clarisse Doris Hellmans, die 1944 die erste umfassende Monographie zum Thema publiziert hat, welche vor allem durch ihre bibliographische Forschungsarbeit in Form umfassender Inhaltsangaben und Kommentierungen wertvoll ist.16 Wenn Hellman später auch dafür argumentiert hat, Brahes Bedeutung als singulären Revolutionär der Kometentheorie oder gar Kosmologie nicht zu überschätzen, ist ihre Studie zum Kometen 1577 nicht nur strukturell als Kommentar zu Tychos diesbezüglichem Werk angelegt.17 Diese Überbetonung der historischen Relevanz des Kometen von 1577 und der Rolle Tycho Brahes ist nicht zuletzt einer wirkmächtigen historiographischen Tradition geschuldet, die in der erfolgreichen rhetorischen Strategie und der einflussreichen Position des dänischen Astronomen wurzelt. Adam Mosley18 hat aufgezeigt, dass diese Interpretation der Geschichte mit Kepler beginnt, der in seiner Astronomia Nova19 Tycho Brahe die Dissolution der kristallinen Himmelsphären zuschreibt – wohl nicht nur, weil dieses Werk ohne die astronomischen Beobachtungsdaten seines großen Vorgängers als kaiserlichen Astronomen nicht denkbar gewesen wäre, sondern auch, weil es für die überzeugende Präsentation seiner eigenen Kosmologie von Vorteil war, die Nichtexistenz fester Himmelssphären als bewiesenes Faktum darzustellen.20 Auch spätere Astronomen wie z. B. Johannes Hevelius (1611–1687) oder
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Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 48. Vgl. Gingerich, Owen: Tycho Brahe and the Great Comet of 1577, in: Sky and Telescope 54 (1977), S. 452–458, S. 452. Hellman: The Comet of 1577. Hellman, C. Doris: Was Tycho Brahe as Influential as He Thought?, in: The British Journal for the History of Science 1/4 (1963), S. 295–324. Vgl. Mosley: The History and Historiography of Early Modern Comets. Kepler schreibt in der Einleitung des ersten Teils: „quandoquidem solidi orbes, ut Braheus ex trajectionibus cometarum demonstravit, nulli sunt (…).“ [4.6] Kepler, Johannes: Astronomia nova aitiologetos, seu physica coelestis, tradita commentariis de motibus stellae martis: Ex observationibus g. v. Tychonis Brahe, Heidelberg 1609 [Caspar, Max (Hrsg.): KGW III, S. 5–424, S. 34]. Der Philosoph Giordano Bruno erhebt schon in den letzten Dekaden des 16. Jahrhunderts den Anspruch, die Nichtexistenz der himmlischen Sphären als erster propagiert zu haben, vgl. dazu Granada, Miguel Á.: El debate cosmologicó en 1588: Bruno, Brahe, Rothmann, Ursus, Röslin, Neapel 1996. Die jüngere historische Forschung hat zudem nachgewiesen, dass Brahe in seiner Annahme der Fluidität des Himmels stark von den Ideen Jean de la Pènes und besonders Christoph Rothmanns beeinflusst worden ist, vgl. Barker/Goldstein: The Role of Rothmann in the Dis-
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Alexandre Guy Pingré (1711–1796) haben in ihren kometographischen Werken aus verschiedenen Gründen die besondere Relevanz des Kometen 1577 betont.21 Es steht außer Frage, dass die Novelties in the Heavens22 – die neuen Sterne und Kometen in den letzten Dekaden des 16. Jahrhunderts und die Reflexion und Kommunikation über diese Phänomene – zu Debatten um deren Wesen und Ursprung, ihre astrologische Bedeutung oder theologische Signifikanz führen. Fragen von kosmologischer Relevanz, etwa nach der Substanz des Himmels, nach der Realität oder Natur kristalliner Himmelssphären oder nach der Haltbarkeit der aristotelischen Dichotomie von sub- und supralunarem Bereich werden aufgeworfen und durchaus unterschiedlich beantwortet. Die wenigsten jedoch reagieren auf die Herausforderung, die die Interpretation der neuen Himmelsereignisse bildet, mit einer völligen Ablehnung der etablierten Konzeptionen oder einer dadurch induzierten Annahme der kopernikanisch-heliozentrischen Astronomie. Auch wenn Hellman das in dieser überspitzten und verkürzten Form nicht behauptet hat, untersucht sie ihr reiches Quellenmaterial doch vornehmlich darauf, ob und in welcher Weise die Autoren „Neues“ zum Wissen über Kometen beitragen, was sich für sie genauso wie für Brahe hauptsächlich in der Akzeptanz der Supralunarität oder der korrekten Anwendung der neuen beobachtungstechnischen Methoden manifestiert. Ihre Interpretation der exzeptionellen Bedeutsamkeit des Kometen von 1577 für die Überwindung der aristotelischen Kosmologie, die ihrerseits auf eine lange Geschichte zurückblickt, ist in der jüngeren Forschung einer nuancierteren Betrachtung gewichen. Diese Nuancierung wird in ver-
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solution of the Celestial Spheres sowie Granada, Miguel Á.: The Elimination of the Celestial Spheres and Astronomical Hypotheses in a Previously Unpublished Text by Christoph Rothmann, the ‚Observationum Stellarum Fixarum Liber Primus‘. The Influence of Jean Pena and the Polemics with Petrus Ramus, in: Rivista di storia della filosofia 52/4 (1997), S. 785–821. Vgl. Mosley: The History and Historiography of Early Modern Comets, S. 288–291. Dieser Ausdruck wird von Jean Dietz Moss als Titel seiner Untersuchung über die Rolle der Rhetorik im Zusammenhang mit der Etablierung der kopernikanischen Kosmologie, insbesondere bezogen auf die Arbeiten Galileis, gewählt. Der Satz versinnbildlicht einen eher generellen Zusammenhang zwischen den neuen kosmologischen Theoriebildungen, Galileis empirischen Entdeckungen durch das Teleskop ( Jupitermonde, Venusphasen, Sonnenflecken) und der Art und Weise, wie Galilei beides in seinen Werken wirkmächtig verbindet, vgl. Dietz Moss, Jean: Novelties in the Heavens. Rhetoric and Science in the Copernican Controversy, Chicago 1993. In der vorliegenden Arbeit bezieht sich der Ausdruck konkreter auf die Himmelsereignisse wie Novae und Kometen selbst, deren Erklärung im Kontext etablierter Theoriekonzeptionen nicht ohne weiteres möglich ist und deshalb dazu führt, die Gültigkeit oder den Anwendungsbereich dieser Theorien kritisch zu hinterfragen. In dieser Weise verwenden die Begrifflichkeit z. B. auch Tessicini, Dario/Boner, Patrick J. (Hrsg.): Celestial Novelties on the Eve of the Scientific Revolution 1540–1630, Florenz 2013 (Biblioteca die Galilaeana III); Granada, Miguel Á.: Novelties in the Heavens between 1572 and 1604 and Kepler’s Unified View of Nature, in: Journal for the History of Astronomy 40/4 (2009), S. 393–403; Navarro Brotons, Victor: Continuity and Change in Cosmological Ideas in Spain between the Sixteenth and Seventeenth Centuries. The Impact of Celestial Novelties, in: Boner, Patrick J. (Hrsg.): Change and Continuity in Early Modern Cosmology, Dordrecht 2011 (Archimedes 27), S. 33–50 sowie das 13. Kapitel „Las novedades celestes: entre 1572 y 1618“ bei Navarro Brotons, Victor: Disciplinas, saberes y practicas: Filosofia natural, matematicas y astronomia en la sociedad espanola de la epoca moderna, Valencia 2014, S. 255–278.
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schiedenen Arbeiten auf unterschiedliche Weise erreicht, deren wichtigste Aspekte nun überblicksartig vorgestellt werden. Ein Ansatzpunkt für die kritische Bewertung des historiographischen Narrativs besteht darin, die Verbindung zwischen der Neuinterpretation der Kometen und der Transformation kosmologischer Theorien in den Blick zu nehmen. Für einzelne Forscher scheinen die Beobachtungen der neuen himmlischen Phänomene und die Ergebnisse ihrer vermessenden Beobachtung und deren Interpretation tatsächlich größere Relevanz in der Entwicklung ihres kosmologischen Weltbilds gehabt zu haben: So hat Tycho Brahes Biograf Victor E. Thoren die These aufgestellt, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kometen 1577 Brahe den entscheidenden Input geboten hat, sein neues Weltsystem zu entwickeln und zu präsentieren.23 Robert Westman propagiert die noch stärkere These über den vermeintlichen Konversionsprozess Johannes Keplers, der durch die neuen Erkenntnisse zur Bahn des Kometen von 1577 zum Kopernikaner geworden sein soll.24 Dies sei über die Vermittlung des Tübinger Astronomen Michael Mästlin geschehen, der im Übrigen unabhängig von Brahe die Supralunarität des Kometen konstatiert und eine Hypothese über seine Bewegungsweise aufgestellt hat.25 Weniger starke Schlussfolgerungen sind das Ergebnis der jüngeren Forschungen Miguel Á. Granadas über den Einfluss der celestial novelties auf die kosmologische Weltsicht von Mästlin, Brahe, Kepler und Rothmann.26 Seiner Meinung nach verkennt die Komplexität der historischen Situation, wer einen linearen Entwicklungsweg oder eine monokausale Erklärung des Zusammenhangs zwischen den herausfordernden Himmelsphänomenen und der Durchsetzung des heliozentrischen Weltbilds propagiert.27
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Thoren, Victor E.: The Comet of 1577 and Tycho Brahe’s System of the World, in: Archives Internationales d’Histoire des Sciences 29/104 (1979), S. 53–67. Zur Biographie des dänischen Astronomen siehe Thoren, Victor E.: The Lord of Uraniborg. A Biography of Tycho Brahe, Cambridge 1990. Westman, Robert S.: The Comet and the Cosmos. Kepler, Mästlin and the Copernican Hypothesis, in: Dobrzycki, Jerzy (Hrsg.): The Reception of Copernicus’ Heliocentric Theory, Dordrecht 1973 (Studia Copernicana 5), S. 7–30. Vgl. dazu Goldstein, Bernard R.: What’s New in Kepler’s New Astronomy, in: Earman, John / Norton, John D. (Hrsg.): The Cosmos of Science. Essays of Exploration, Konstanz 1997 (PittsburghKonstanz Series in the Philosophy and History of Science 6), S. 3–23, hier S. 5–7. Granada, Miguel Á.: Sfere solide e Cielo fluido. Momenti del dibattito cosmologico nella seconda meta del Cinquecento, Mailand 2002; außerdem personenspezifischer die Artikel Granada: Novelties in the Heavens between 1572 and 1604; Ders.: Michael Maestlin and the New Star of 1572, in: Journal for the History of Astronomy 38/1 (2007), S. 99–124 sowie Ders. (Hrsg.): Novas y cometas entre 1572 y 1618. Revolucion cosmologica y renovacion politica y religiosa, Barcelona 2012. Die Betonung der Bedeutung von Kometen für die Entwicklung des astronomischen Wissens ist indes ein Phänomen, das bereits in der Renaissance auftritt: So unterstreicht etwa Rothmann in seinem Werk zum Kometen 1585, in welcher Weise die Erforschung dieser Himmelsphänomene zu einem Wissensfortschritt in der Astronomie von Hipparch bis Regiomontanus beigetragen hätte und verweist zumindest indirekt auf dieses Forschungsproblem als Motivation seiner Beschäftigung mit der kopernikanischen Kosmologie, siehe Granada/Mosley/Jardine: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585, S. 179–185 sowie Granada, Miguel Á.: Christoph Rothmann und der Copernicanismus. Die Evidenz im „Scriptum de cometa“, in: Gaulke, Karsten / Hamel, Jür-
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Peter Barker und Bernard R. Goldstein haben bereits 1988 überzeugend gezeigt, dass die Beobachtung von und theoretische Reflexion über Kometen weder als durch die kopernikanische Theorie ausgelöst, noch in ihren Auswirkungen auf die zeitgenössische Kometentheorie oder allgemeiner die Kosmologie als revolutionär im Kuhnschen Sinne verstanden werden können.28 Sie sehen unter anderem die an die Kometenerscheinung 1577 geknüpften wissenschaftlichen Entwicklungen nicht unbedingt als Zäsur, sondern betonen vielmehr die Kontinuität, die in der Behandlung der Kometen bestanden hat. Diese beruht z. B. auf der Tatsache, dass schon vor 1577 Alternativen zur aristotelischen Kometentheorie existieren.29 Eine wichtige Rolle nimmt in diesem Zusammenhang die sogenannte optische Kometentheorie ein, die schon vor Brahe etabliert und nach ihm noch gültig ist, so dass von einem abrupten und durch die Arbeiten des dänischen Astronomen maßgeblich herbeigeführten Ende der meteorologischen Kometensichtweise keine Rede sein könne.30 Im Gegenteil, gerade die in diesem alternativen theoretischen Rahmen angestellten Spekulationen über einen supralunaren Kometenort bilden den intellektuellen Hintergrund für die empirische Überprüfung dieser Idee, die anlässlich der Himmelsphänomene der 1570er Jahre umgesetzt wird. Schon die Studien von Jane Jervis und Wolfgang Kokott zur Rezeption der Kometen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts haben eher das Bild einer Kontinuität in der Erforschung dieser Himmelsphänomene als das eines radikalen Bruches gezeichnet.31 Diese Kontinuität erstreckt sich im Übrigen auch weit über das Jahr 1577 hinaus, wie z. B. Granada, Mosley und Jardine für den weniger bekannten und daher in seiner astronomiehistorischen Rolle unterschätzten Astronomen Christoph Rothmann und sein Werk zum Kometen 1585 gezeigt haben.32 Neben der Betonung der besonderen Rolle Tycho Brahes für die Transformation der Kometentheorie ist auch seine spezifische Herangehensweise als singulär relevanter Aspekt der Entwicklung des neuen Kometenbildes fokussiert worden. In der dieser Lesart folgenden historiographischen Interpretation wird nicht nur die Bedeutung der Anwendung und Weiterentwicklung astronomischer Beobachtungsmethoden, sondern insbesondere deren wichtigstes Resultat, die Erkenntnis der Supralunarität der Kometen, herausgestellt. Sicherlich stellen die technisch-instrumentellen und methodischen Innovationen unter Tycho Brahe und auch Wilhelm IV. von Hessen-Kassel einen qualitativen Sprung in der astronomischen Beobachtung dar, erhöht sich damit doch die Beobachtungsgenauigkeit um ungefähr eine Größenordnung und liegt nun im Bereich
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gen (Hrsg.): Kepler, Galilei, das Fernrohr und die Folgen, Frankfurt am Main 2010 (Acta Historica Astronomiae 40), S. 35–46. Barker/Goldstein: The Role of Comets in the Copernican Revolution. Vgl. Barker: Stoic Alternatives to Aristotelian Cosmology. Vgl. Barker: The Optical Theory of Comets from Apian to Kepler. Jervis: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe und Kokott: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539. Granada/Mosley/Jardine: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585.
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von ein bis zwei Bogenminuten.33 Von der inhaltlichen Programmatik her besteht aber Kontinuität: Gerade die Forschungen Tycho Brahes bilden eher den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, der bereits seit dem 15. Jahrhundert theoretisch und praktisch der Weg geebnet worden ist und in deren Rahmen Kometen zunehmend als naturkundliche Objekte quantitativ-mathematisch und positionsastronomisch untersucht werden. Eine Verortung der Kometen über dem Mond ist als theoretische Idee indes alles andere als neu und bereits in der Antike formuliert worden, wobei Seneca einer der bekanntesten Vertreter dieser Sichtweise ist.34 Auf diesen bezieht sich z. B. auch ein anonymer Kommentar zu Aristoteles’ Meteorologie aus dem 14. Jahrhundert, in dem eine supralunare Kometenposition klar propagiert wird.35 Auch im Denken der Renaissance taucht diese Vorstellung auf, so konstatierte etwa Pena aufgrund optischer Überlegungen, dass Kometen supralunar sind, während Cardano dies aus der kosmologischen Hypothese abgeleitet hat, dass sich langsamer als der Mond bewegende Objekte auch weiter entfernt sein müssen als dieser.36 Zudem stellt sich die Frage, wie überzeugend die auf parallaktischen Messungen basierende These der Supralunarität von Kometen wirklich gewesen ist oder ob die folgende Aussage Donald Yeomans nicht etwas zu optimistisch ist: „At the end of the sixteenth century, the intelligentsia generally believed that comets were celestial phenomena.“37 Noch nahezu ein Jahrhundert nach dem Kometen 1577 stellt z. B. der jesuitische Universalgelehrte Giovanni Battista Riccioli (1598–1671) es in seinem Almagestum novum (1651) als keineswegs sicher dar, dass alle Kometen immer über dem Mond zu verorten seien, wenn er das auch für eine wahrscheinliche Hypothese hält.38 Ein paar Jahrzehnte früher, aber immer noch lange nach Brahe, zeigt sich Galilei von der Aussage- und Überzeugungskraft parallaktischer Messungen zur astronomischen Entfernungsbestimmung nicht überzeugt, was ein
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Vgl. dazu Hamel (Hrsg.): Die astronomischen Forschungen in Kassel unter Wilhelm IV., S. 65. Diese Erhöhung war nur zum Teil auf präzisere Instrumente – in Brahes Fall zumeist größere und in Wilhelms Fall genauer konstruiertere – zurückzuführen, sondern insbesondere auch auf die Anwendung statistischer Methoden bei der Beobachtung, siehe: Wesley, Walter: The Accuracy of Tycho Brahe’s Instruments, in: Journal for the History of Astronomy 9/2 (1978), S. 42–53. Siehe dazu Kap. 2.1.1. Vgl. dazu Kirschner, Stefan: An Anonymous Medieval Commentary on Aristotle’s Meteorology Stating the Supralunar Location of Comets, in: Folkerts, Menso / Lorch, Richard (Hrsg.): Sic itur ad astra. Studien zur Geschichte der Mathematik und Naturwissenschaften. Festschrift für den Arabisten Paul Kunitzsch zum 70. Geburtstag, Wiesbaden 2000, S. 334–361. Kirschner hält es für wahrscheinlich, dass dieser scholastische Kommentar von Averroes’ Diskussion um die Supralunarität der Milchstraße beeinflusst war, da dort das gleiche – rein theoretische – Parallaxenargument zu finden ist. Siehe dazu Barker: Jean Pena and Stoic Physics in the Sixteenth Century. Das Kometenbild des Cardano ist stark von seinen Vorstellungen einer astrologischen Kosmologie geprägt, die Grafton ausführlich beschreibt, vgl. Grafton, Anthony: Cardanos Kosmos. Die Welten und Werke eines Renaissance-Astrologen, Berlin 1999, S. 239–289. Yeomans: Comets, S. 42. Siehe dazu Kap. 8.2.1.
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wichtiges Element seiner publizistisch ausgefochtenen Debatte mit den Jesuiten um den Kometen 1618 darstellt.39 Ein weiterer in den neueren Forschungen zum frühneuzeitlichen Kometenbild präsenter Ansatzpunkt besteht darin, den Einfluss der Himmelserscheinungen auf die Entwicklung astronomischer und kosmologischer Theoretisierungen breiter kontextualisiert zu haben. Dies entspricht nicht zuletzt einer allgemeineren Tendenz in der Wissenschaftsgeschichte, die Rolle der „wretched subjects“40, also der vermeintlich pseudowissenschaftlichen oder irrationalen Felder intellektueller Betätigung – z. B. die der Magie oder der Astrologie – bei der Formation der modernen Naturwissenschaften in den Blick zu nehmen.41 Konkreter auf Kometen bezogen ist die umfassende Monographie von Sara J. Schechner, in der sie den Einfluss populärer Vorstellungen auf die Entwicklung der wissenschaftlichen Kometenforschung untersucht, dabei die strenge Dichotomie eines gelehrt-akademischen und eines populären Kometenbildes infrage stellt und stattdessen die komplexe Verbundenheit beider Sphären konstatiert, die noch in den kosmogonischen Theorien des 18. Jahrhunderts spürbar ist.42 Das herausragende Werk The Age of Two-Faced Janus von Tabitta van Nouhuys gilt vielen als Nachfolger der Monographie Hellmans zum Kometen 1577.43 Obwohl Nouhuys den Geltungsbereich ihrer Studie im Vergleich zu Hellman gleichzeitig sowohl eingrenzt als auch ausweitet, indem sie einerseits den Kometen 1618 in ihre Untersuchung mit einbezieht und sie andererseits geographisch auf die Niederlande beschränkt, liefert sie wertvolle und allgemeingültige Erkenntnisse. Der damit verbundene Beitrag zur Revision der klassischen Historiographie ruht auf zwei Säulen: Zum einen auf der Einsicht, dass eine ganze Bandbreite von Traditionen und Interpretationsweisen – darunter neuplatonisches, atomistisches oder vitalistisches Denken – für das frühneuzeitliche Kometenverständnis relevant sind, wobei Nouhuys insbesondere die Rolle der stoischen Naturphilosophie als intellektuelle Quelle für die Modifikationen des scholastisch-peripatetischen Bildes herausarbeitet. Zum zweiten stellt sie richtig, dass diese Modifikationen nicht nur aus mannigfaltigen Gründen motiviert, sondern auch
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Siehe dazu die Einleitung zu Kap. 7. Vgl. für den Fall der Astrologie die Einleitung in: Oestmann, Günther / Rutkin, Darrel H. / Stuckrad, Kocku von (Hrsg.): Horoscopes and Public Spheres. Essays on the History of Astrology, Berlin 2005 (Religion and Society 42) S. 1–9 sowie Newman, William R. / Grafton, Anthony: The Problematic Status of Astrology and Alchemy in Premodern Europe, in: Newman, William R. / Grafton, Anthony (Hrsg.): Secrets of Nature. Astrology and Alchemy in Early Modern Europe, London 2001, S. 1–37. Geradezu klassisch ist in diesem Zusammenhang das achtbändige Opus magnum Thorndikes geworden: Thorndike, Lynn: A History of Magic and Experimental Science, New York 1923–1958. Vgl. außerdem Parish, Helen (Hrsg.): Superstition and Magic in Early Modern Europe. A Reader, London 2015 sowie spezifischer zur Astronomiegeschichte und der Bedeutung der Astrologie für das kosmologische Weltbild des Copernicus Westman: The Copernican Question. Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus.
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sehr kleinteilig und eklektisch gewesen sind. Sie scheinen nicht darauf ausgelegt, das aristotelische Weltbild oder auch nur die meteorologische Kometentheorie radikal vom Thron zu stoßen, sondern vielmehr das traditionelle Bild so wenig wie möglich zu verändern. Die aristotelische Kosmologie hat als monolithischer Block klar abgrenzbarer theoretischer und interpretativer Elemente weder in der Frühen Neuzeit noch weit vorher überhaupt bestanden und wird daher in vielen Varianten bis ins beginnende 18. Jahrhundert weitertradiert.44 In dieser historiographischen Entwicklung manifestiert sich eine in der gesamten Wissenschaftsgeschichte spürbare Verschiebung von linearen Fortschrittsnarrativen hin zur stärkeren Betonung diskursiver Praktiken. Der Fokus auf den Kometen von 1577 wird auch in dieser Arbeit – namentlich in den Kapiteln vier, fünf und sechs – beibehalten, allerdings durch die Analyse der Rezeption vorheriger und späterer Kometenerscheinungen historisch-chronologisch ergänzt und im Sinne des mittlerweile ausgewogeneren historiographischen Narrativs breiter kontextualisiert, indem der Vieldimensionalität der Darstellung und Interpretation des Phänomens Komet in der Frühen Neuzeit Rechnung getragen wird. Der Zusammenhang zwischen der naturkundlichen Kometentheorie, der astrologischen Signifikanz von Kometen sowie ihrer Sichtweise als göttliche Zeichen ist im dritten Kapitel durch das Konzept des integrierten Kometenbildes beschrieben worden. Gleichzeitig sind dort die relevanten Themen und Fragestellungen der zeitgenössischen Autoren von Kometenflugschriften und die konsolidierte Struktur dieser Textform umrissen worden. Das stellt die Grundlage für die Quellenanalysen der folgenden drei Kapitel dar, welche die Weiterentwicklung des Kometendiskurses untersuchen. Die relevanten Kontextgebiete der Naturkunde, der Astrologie und der Theologie bilden in jeweils einem dieser Kapitel den thematischen Schwerpunkt, um die verschiedenen Facetten des Kometenbildes herauszuarbeiten und andererseits in der Gesamtschau deren Relationen und argumentative Verflechtungen in den Blick zu nehmen. Zudem sind die drei Kapitel geeignet, sich mit drei wichtigen Fragen, die in der Rezeption und Historiographie des Kometen 1577 gestellt werden, kritisch auseinanderzusetzen: 1. Mit der Frage nach der Bedeutung der Supralunarität als beherrschende Problemstellung des Diskurses, 2. Mit der Frage nach der Rolle der Astrologie als Beispiel einer vermeintlich außerwissenschaftlichen und zur Domäne des populären Aberglaubens gehörenden Form intellektueller menschlicher Tätigkeit sowie 3. Mit der Frage nach der übergeordneten Relevanz von Kometen als göttlichen Zeichen. Letztere ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung, zum einen bezüglich des Zusammenhangs zwischen dieser semiotischen Sichtweise und der Kometenerklärung mittels einer natürlichen Kausalität und zum anderen hinsichtlich der Möglichkeit, Kometen als Mittel der Sozialsteuerung oder der religiösen Propaganda zu verwenden. Mit dieser Thematik setzt sich das erste der nun folgenden drei Kapitel auseinander.
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Vgl. Ariew: Theory of Comets at Paris during the Seventeenth Century.
4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
In diesem Kapitel werden zwei Erscheinungsformen der Kometenflugschriften näher betrachtet, die die Zeichenhaftigkeit von Kometen in den Mittelpunkt stellen. Es handelt sich dabei um eine Chronik in Gedichtform von Johann Georg Schinbain (ca. 1541–1611) und eine Kometenpredigt von Jacob Heerbrand (1521–1600). Die beiden Werke sind trotz dieser thematischen Gemeinsamkeit recht unterschiedlich: Schinbains Chronik ist mit über 150 Seiten eine der längsten Schriften des Corpus, während Heerbrands Predigt mit einem Umfang von weniger als 20 Seiten zu den kürzesten gehört. Ist Schinbain ein vergleichsweise unbekannter Kartograph, Schulmeister und Erbauungsschriftsteller, gehört Heerbrand zu den profiliertesten lutherischen Theologen seiner Zeit, der 1552 am Konzil von Trient teilnimmt und später Professor und Kanzler seiner Alma Mater in Tübingen wird. Seine Schriften sind sicherlich weiter verbreitet; die hier in Rede stehende Kometenpredigt wird z. B. neben Tübingen auch in Heidelberg45 veröffentlicht und später von Vitalis Kreidweiss in einem sermonartigen Gedicht verarbeitet.46 Heerbrand ist für seine Predigten berühmt, wobei die hier behandelte als schriftliche Fassung einer Sonntagspredigt in Tübingen vom 17. November 1577 noch im selben Jahr im Druck erscheint. Die Veröffentlichung erfolgt damit noch während der Sichtbarkeit des Kometen, während die eigentliche Predigt kurz nach der erstmaligen Entdeckung des Kometen über Deutschland stattfindet. Schinbains Werk ist eine Kometenchronik in Gedichtform, die im Sommer 1578, also Monate nach Ende der Sichtbarkeit des Kometen in Ingolstadt veröffentlicht wird.
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Vgl. Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 61. [4.7] Kreidweiss, Vitalis: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung zur Büss an die allgemeine Christenheit und sonderlich noch Teutschland uber das schröckliche Wunderzeichen den Cometen oder Pfawenschwantz der jetzt eine gutte zeitlang am Himmel ist gesehen worden. Auss der Christlichen und Eyfferigen Predig des Ehrwürdigen und Hochgelehrten Herrn D. Jacob Heerbrands gehalten zu Tübingen den 17. Novemb. Anno 1578, Tübingen 1580 (VD16 ZV 22780).
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
4.1 Schinbains Kometenchronik Johann Georg Schinbain – auch bekannt unter seinem latinisierten Namen Tibianus – wird 1541 in Freiburg geboren und stirbt wahrscheinlich um 1611 in Überlingen.47 In seiner Heimatstadt besucht er die Universität und übernimmt danach verschiedene Anstellungen als Hilfslehrer und schließlich lateinischer Schulmeister in Mengen, Biberach und Überlingen. Schinbain ist zudem als Kartograph tätig, verfasst Landschaftsund Stadtbeschreibungen, Werke etwa zur Geschichte und Bedeutung der christlichen Wallfahrt, der Marien- und Heiligenverehrung oder auch ein Memorial über historische Mirakel und Wunderzeichen.48 Er gehört damit zu den wenigen katholischen49 Autoren von Prodigienschriften und seine Kometenchronik fügt sich in diesen Rahmen ein. Schinbains Sternen oder Cometen Buch50, entstanden in seiner Biberacher Zeit, wird 1578 in Ingolstadt bei David Sartorius publiziert. Es handelt sich um eine Schrift von 76 Blatt im Quartformat und damit 150 Textseiten.
Abb. 4.1 Titelillustration von Schinbains Sternen oder Cometen Buch (1578)51 47
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Die biographischen Angaben beruhen im Wesentlichen auf Diemer, Kurt: Die Biberacher Reimchronik des Johann Georg Schinbain, in: Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach 14/2 (1991), S. 4–12 sowie Oehme, Ruthardt: Johannes Georgius Tibianus. Ein Beitrag zur Kartographie und Landesbeschreibung Südwestdeutschlands im 16. Jahrhundert, Remagen 1956 (Forschungen zur deutschen Landeskunde 91). Alle in diesem Kapitel erwähnten Werke sind in VD16 unter dem Autorennamen Tibianus erfasst. Vgl. dazu die prosopographischen Überlegungen in Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 127–128. [4.12] Schinbain, Johann Georg: Sternen oder Cometen Buch, in welchem die fürnemsten Cometen, deren bey 180. so hin und her, vor und nach Christi Geburt, an dem Firmament erschienen, sampt andern Meteorologicis so sich in Lüfften zugetragen: was auch gleich in jedem Jar besunder für Effect oder Würckung darauff gefolget, Ingolstadt 1578 (VD16 S 2843). Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 514,21, Titelseite, urn:nbn: de:bvb:12-bsb00074357–8.
4.1 Schinbains Kometenchronik
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Das Titelblatt zeigt in der unteren Hälfte einen rechteckigen Holzschnitt (siehe Abbildung 4.1), auf dem die Ansicht der Stadt Biberach und oben links am Himmel ein Komet neben einer figürlichen Darstellung des Sternbilds Schütze zu sehen ist. Rechts davon befindet sich eine nicht eindeutig zu interpretierende Formation, bei der es sich z. B. um Wolkenbänder, die Milchstraße oder weitere Sternbilder handeln könnte. Die vier Seiten des Bildrahmens sind mit den vier Himmelsrichtungen in lateinischer Fassung von Occidens bis Meridies bezeichnet. Sie dienen, so wie auch die Sternbilddarstellung, der Verortung des Kometen am Himmel, der demnach in südwestlicher Richtung zu sehen gewesen ist, sich nach Norden bewegt hat und zeitweise im Zeichen des Schützen stand. In diesem Zusammenhang muss Hellmans Einschätzung widersprochen werden, die bezugnehmend auf die Titelseite konstatiert hat, dass sich Schinbains Schrift nicht auf den Kometen 1577 beziehen könne.52 Zeitgenössische Quellen, z. B. von Mästlin, haben die Nähe des Kometen zum Bogen des Schützen erwähnt und auch seine Form eines hinten breiter werdender Schweifes, wie auf dem Holzschnitt dargestellt, beschrieben.53 Der Astronom und Kalenderschreiber Andreas Nolthius (ca. 1536–1597) verortet den Kometen etwa nahe der Milchstraße, was die gezeichnete Formation im Bildviertel oben rechts erklären könnte.54 Dem Titelblatt folgt eine lateinische Elegie Nikolaus Gaupps, eines Biberacher Kollegen von Schinbain, der auch als Beiträger zu einigen anderen seiner Schriften fungiert. In der folgenden Widmungsepistel an den als seinen Mäzen bezeichneten Junker Johann Georg von Freyberg,55 gibt Schinbain das Erscheinen des jüngsten Kometen – der in Biberach vom 12. November 1577 bis zum 4. Januar 1578 zu sehen gewesen ist – als ausschlaggebendes Ereignis zur Abfassung seiner Kometenchronik an. Er umschreibt hier grob Inhalt und Zielsetzung seines Werkes, in dem es ihm um eine kurze Darstellung aller bekannten historischen Kometenerscheinungen und anderer „Luftwürckungen / so sich auch hin und wider an Sonn und Mon ubernatürlicher weiß / zugetragen“56 und deren üble Folgen geht. Der auf die Widmung folgende Text ist in 20 Kapitel unter-
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Hellman: The Comet of 1577, S. 412. Vgl. [4.8] Mästlin, Michael: Observatio & demonstratio cometae aetherei, qui anno 1577 et 1578 constitutus in sphaera Veneris, apparuit, cum admirandis eius passionibus, varietate scilicet motus, loco, orbe, distantia a Terrae centro, etc. adhibitis demonstrationibus geometricis & calculo arithmetico, cuiusmodi de alio quo quam cometa nunquam visa est, Tübingen 1578 (VD16 M 101), Bll. B 1r–B4r. Siehe dazu Kronk: Cometography, S. 318. Vgl. [4.9] Nolthius, Andreas: Observatio und Beschreibung des Cometen, welcher im Novembri und Decembri des 77. und noch im Januario dieses 78. Jhars erschienen, Erfurt 1578 (VD16 N 1812), Bl. C 1v. Eine längerfristige Tätigkeit Schinbains ist nur für den Freiherrn Johann Jacob von Königsegg nachgewiesen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass diese Widmung aufgrund der finanziellen Förderung oder Bezuschussung der Druckkosten erfolgte, vgl. Oehme: Johannes Georgius Tibianus, S. 103. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. A 4r.
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
teilt. Er beginnt mit einem definitorischen Abschnitt zur Einleitung der Chronik, in dem die Natur der Kometen, ihre Klassifikation und die wichtigsten Folgen beschrieben werden. Diese Einleitung endet mit einem Holzschnitt, der sehr grob eine Stadt und einen darüberstehenden Kometen abbildet und in dem umlaufenden Bildrahmen folgendes Zitat enthält, das die Quintessenz des zeitgenössischen Volksglaubens über Kometen prägnant formuliert: „Cometa est signum / Terraemotus / Bellorum / Mutationis Regnorum / Et Flagelli Dei Nuntius“57, also: Der Komet ist ein Zeichen von Erdbeben und Kriegen, der Veränderung der Reiche und ein Bote der Strafe Gottes. Die nächsten Kapitel entstehen aus der chronologischen Kompilation der historischen Kometen und werden jeweils durch einen einfachen Holzschnitt unter dem Titel eingeleitet: Zunächst werden die Kometenerscheinungen des Alten Testaments und damit vor Christi Geburt behandelt, worauf die des Neuen Testaments folgen. Die folgenden Kapitel behandeln jeweils einen Zeitraum von einhundert Jahren beginnend mit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert bis zum zeitgenössisch aktuellen 16. Jahrhundert. Die Holzschnitte sind drei leicht voneinander abgewandelte stilisierte Darstellungen eines Kometen vor himmlischen Hintergrund, auf dem z. T. Wolken oder Sterne zu sehen sind. Die Informationen zu den 180 historischen Kometenerscheinungen „sampt etlichen Meteorologicis oder andern Luftwürckungen“ hat Schinbain aus Schriften anderer Autoren kompiliert und anlässlich des Kometen von 1577 zusammengestellt.58 Interessant und für Kometenschriften recht ungewöhnlich ist jedoch, dass die Schrift bis auf die Widmungsepistel komplett in Reimform verfasst ist. Schinbain hat bereits eine Reimchronik über die Stadt Biberach publiziert und auch seine Werke über Maria Magdalena oder die Nützlichkeit des Wallfahrens in Versen abgefasst.59 Dies lässt auf die popularisierende und didaktische Dimension des Werkes schließen, die angesichts der beruflichen Tätigkeit des Autors naheliegt, und weist auf den Adressatenkreis des gebildeten Laien hin. Die Information und Belehrung des gemeinen Mannes über die Bedeutung des aktuellen Kometen ist christliche Pflicht, da dieser die entsprechenden Informationen doch weder den lateinischen Schriften entnehmen, noch die Himmelserscheinung selbst interpretieren kann. Kometen als 57 58 59
[4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. B 4v. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. A 4r. Als Quellen nennt er u. a. Peucer, Macrobius, Conrad Lycosthenes, Job Fincel, Pruckner, Fabricius, Gasser, Johannes Nauclerus und Markus Fritzsche. Vgl. Diemer: Die Biberacher Reimchronik des Johann Georg Schinbain. [4.13] Schinbain, Johann Georg: Teutsche Rhytmi oder Verss, wie Maria Magdalena mit etlichen Büssern und Büsserin verglichen mag werden, die sie doch alle in der Buss weit übertrifft gestelt, Überlingen 1603 (VD17 12:117458H); [4.10] Ders.: Kurtze historische, wahraffte und gründliche Narration oder Beschreibung von dem Anfang, Ursprung, Herkommen, Frucht und Nutzbarkeiten dess Wallfahrtens. Mit Erzehlung etwelcher fuernehmer Oerther Personen unn stattlicher Mirackel oder Wunderzeychen (…). Auss Goettlicher Heiliger Schrifft (…) Zusammen getragen und in teutsche Rhytmos gestellt, Konstanz 1598 (VD16 S 2840).
4.1 Schinbains Kometenchronik
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Wunderzeichen haben, wie Mauelshagen treffend formuliert hat, Offenbarungscharakter.60 Sie korrekt zu verstehen und über die durch den Rekurs auf die historische Chronologie der Kometenerscheinung empirisch fundierte Erwartung konkreter Folgen informiert zu sein, ist im Kontext des Prodigienglaubens essentiell. Schinbain präsentiert Kometen als göttliche Warn- oder Strafzeichen und stellt sie in eine Reihe mit anderen übernatürlichen Wunderzeichen, z. B. Blutzeichen an Sonne und Mond. Diese göttlichen Zeichen sind Ausdruck von Gottes Gnade, die er der sündigen Menschheit zu teil werden lässt, indem er sie aufgrund ihrer Abkehr von seinem Wort nicht sofort bestraft, sondern zunächst davor warnt und ihnen damit die Chance auf Buße und Umkehr und ultimativ die Abwendung des Strafgerichts einräumt. Die Prodigien sind daher indizierende Zeichen, die nicht selbst die üblen Folgen verursachen, sondern sie nur ankündigen: Dann das Gestirn soll nit anderst / weder wie es der Allmächtig Gott / sein Schöpffer selbst gelobt / von uns menschen / on alle superstition / gerümbt werden. Dann es kann nit in dem gewalt des Gestirns stehen / diß oder jenes geschehen müssen: Sonder es steht in dem allain mächtigisten gewalt und ewigen Rhatschlag Gottes. Der Himmel oder das Gestirn ist nur ain Lehrmaister der Creaturen auff Erdreich / doch bleibt er allwegen ain Lehrjunger seines Praeceptoris, hoc est, Gott des Allmächtigen / der nit mehr gwalt wider die Creaturen auff Erden fürwenden kann und mag / weder im von seinem Praeceptore, das ist / von Gott vergunnet werden mag.61
Die Zeichen sind also Ausdruck göttlichen Willens und stehen in einer Kette von Instrumenten göttlicher Kommunikation und Belehrung. Gott offenbart sich zunächst durch die Bibel, dann durch die Priester, die sein Wort verkünden, und schließlich, wenn die Menschen auch die „nicht mehr hören wöllen / dieselbige in den lufft schlagen / ob wir uns vielleicht ab des firmaments erschreckenlichen sternen unn zaichen entsetzten.“62 Dann folgen die Strafen in Form von Erdbeben, Dürre, Stürmen, Teuerung, Seuchen sowie politischen und religiösen Veränderungen als Ausdruck göttlichen Zorns und gleichzeitig letztem pädagogischen Mittel in dem Ansinnen, die Sünder zur Umkehr zu bewegen. Die folgende Kometenchronik listet die historischen Erscheinungen und deren Folgen jeweils mit Jahreszahl, Angaben zur Dauer der Sichtbarkeit und des Tierkreiszeichens der Ersterscheinung auf und bietet damit eine empirisch fundierte Exemplifizierung dieser heilsgeschichtlichen Ereigniskette. Die Chronik wird mit fortlaufender Zeit immer ausführlicher: Werden den Jahrhunderten des ersten Jahrtausends durchschnittlich je fünf Seiten Text in Versform gewidmet, werden es vom 11. bis zum 15. Jahrhundert im Schnitt acht. Die Behandlung des aktuellen 16. Jahrhunderts umfasst dann mehr als 50 Seiten. 60 61 62
Mauelshagen: Verbreitung von Wundernachrichten als christliche Pflicht, S. 137. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. A 4v. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. B 1r.
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
4.1.1 Die moraltheologische Instrumentalisierung von Kometen Unterscheidet sich das darin sichtbare Bild von Kometen als Prodigien nicht von entsprechenden Ausführungen protestantischer Autoren, sieht man die katholische Konfession Schinbains in seiner Darstellung der Jahre kurz vor und nach Beginn der Reformation durchscheinen.63 Er konstatiert hier nicht nur eine Häufung von Wunderzeichen, sondern beschreibt vornehmlich solche, die ein Kreuz involvieren und damit auf die Betroffenheit der Religion oder Kirche hinweisen. Zudem betonen Formulierungen wie „Ein blutig Schwert ein jede zaigt / Zum Blutvergiessen warens gnaigt“ oder Beobachtungen eines „fewrig Creutz“ am blutfarbenen Himmel des Weihnachtstages 1517 die düstere Prognose der kommenden Ereignisse und deren negative Bewertung durch den Chronisten.64 Schinbain ist zeitlebens ein überzeugter Katholik, wovon nicht zuletzt die Themenwahl seiner Erbauungsschriften zeugt, die oft einen mariologischen oder hagiographischen Fokus haben. Gerade die Marienfrömmigkeit erhält nach dem Konzil von Trient bei Altgläubigen einen hohen Stellenwert und ist oft Gegenstand gegenreformatorischer Propaganda.65 In einem Memorial Schinbains von 1598, das eine Mischung aus geistigem Testament und Erbauungsschrift darstellt, bilden Miracula ein wichtiges Themenfeld.66 Diese werden hier entweder von Heiligen gewirkt und begründen deren Status oder erscheinen als Strafe Gottes für die Missachtung seiner Gebote. Im Sinne einer historisch-kasuistischen Empirie, die auch seiner Kometenchronik zugrunde liegt, liefert Schinbain „nachfolgende Historien (…) daß auch der Allmächtig Gott die jetzige rochlose Welt (bey deren schier alle Andacht / Gottsforcht und Gehorsame erloschen) mit so mancherley Gaißlen / Ruthen unnd Straffen / züchtiget unnd heymsucht (…).“67 So wird etwa ein Lutheraner zu Stein verwandelt, der den Feiertag nicht achtet und ein Zwinglianer gar in einer Kirche von Gott niedergestreckt, da er seine Angestellten angewiesen hatte, das Arbeitsverbot am Sonntag zu missachten. Diese offenkundig konfessionspolemische Dimension ist in Schinbains Kometenchronik nicht so konkret zu spüren, sondern zeigt sich eher als gedanklich-konzeptu-
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Hille: Providentia Dei, Reich und Kirche, S. 150. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. R 1v. Obwohl Prodigien oder Omina als indizierend und daher als Mittel der Zukunftsvoraussage oder Divination theoretisch neutral sind, werden sie in der Frühen Neuzeit doch fast ausschließlich negativ konnotiert und als böse Vorzeichen gedeutet. Vgl. Aßfalg, Winfried: Johann Georg Tibianus. Magister, Kartograph, Dichter, in: Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach 17/2 (1994), S. 19–26, S. 21. [4.11] Schinbain, Johann Georg: Memorial oder Gedenckzedel. von der Forcht Gottes, besonder aber vom Sabbath, Feyrabendt, Sonn, und Festtagen nach göttlicher und christenlicher Kirchen Eynsatzung und Ordnung Recht und Wolzuhalten. auch von Straff der Verächter solcher heiliger gebottner Zeyten und Tagen. Mit Vermeldung etwelcher namhaffter und dieser Zeyt schier vergessner oder unbekandter Historien, Miracklen oder Wunderzeichen, so sich in disem Fall zugetragen, Konstanz 1598 (VD16 S 2841). [4.11] Schinbain: Memorial oder Gedenckzedel, Bl. A 3r.
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eller Überbau. Kometen als Warnzeichen Gottes zu präsentieren, denen dann dessen Strafen folgen, passt demnach gut in eine gegenreformatorische Agenda der Sozialdisziplinierung, in deren Rahmen Kometen als Wunder- oder vielmehr Strafzeichen durch Schinbain instrumentalisiert werden. Diese Programmatik zeigt sich in seiner Behandlung des Kometen 1577. Der Abschnitt zu der Erscheinung selbst ist in der Chronik relativ kurz gehalten68, aber informativ: Schinbain gibt mit dem 12. November das Datum der Ersterscheinung des Kometen an, beschreibt seine enorme Größe, die bisher nur von drei historischen Kometen erreicht worden sei, und dessen Farbe. Er liefert auch quantitative Daten, etwa mit der Position des Kometen im 5. Grad des Steinbocks, dessen Länge mit 34° oder der Dauer der Erscheinung vom 12. November bis zum 5. Januar. Weitere Angaben sind qualitativer Natur, etwa der Kometenlauf in der Milchstraße, die gebogene Form des Schweifes oder dessen eindrucksvolle Helligkeit. Schinbain verweist für weitere Details auf die Schrift Paulus Fabricius’ zu diesem Kometen.69 Über die durch den Kometen angekündigten Folgen sagt Schinbain nichts, er geht also auf keinerlei spezifische oder unspezifische astrologische Deutung ein. Er konstatiert recht allgemein, dass der Jüngste Tag nicht weit sei, wird aber in der Schilderung der Verfehlungen der Menschen als Diagnose einer fehlgeleiteten Gesellschaft detaillierter: Dann es hilfft weder zaichen mehr / Noch die Catholisch raine Lehr / Es sey gleich Weib oder sey Man/ So nimpt niemandts kain warnung an / Der Mensch ist jetzt allnthalb verstockt / Nimpt warnung an gleich wie ain plock: Man sing / man sag / man schreib / man schrey / So helt er sich als sey er frey. Kain Obrigkait er mehr will leyden / Kain sünd / wie groß die sey / mehr meyden. Gar arg ist jetzt die Christenhait / Ain seltsam Vogel Hailigkait. Alls unglück ist sehr eingerissen / Gantz rho ist aller menschen gwissen: Die Mannspersonen sind gar wild / Wie unverschämbt ist Weiblichs Bild. Die Jugent läßt sich nit mehr ziehen / All straff und Gotsforscht thut sie fliehen. Das jung Kind auf der Gassen gar /
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[4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bll. S 2v–S 3r. Siehe dazu Kap. 3.2.4.
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
Das Alter nur verachten thut / (…) Darumb die Jugent wächst jetzt auff In dieser Welt / der mehrer hauff / Ohn forcht / ohn straff / ohn zucht und lehr / Umb kain Schulmaister gebens mehr (…).70
In diesem Stil geht Schinbain plastisch und wortreich auf einzelne Missstände und konkrete Verfehlungen der Menschen ein. Die Aussage „Der Religion nit vil mehr acht. Jetzt glaubt er das / jetzt glaubt er diß / Gleich als ob ihm der Himmel gwiß“71 ist charakteristisch für Schinbains kritische Einschätzung basaler Überzeugungen der lutherischen Theologie. In seiner Darstellung ist der Protestantismus wenn nicht Ursache, so doch mindestens Symptom des beklagenswerten Zustands der Menschen und ihres sündhaften Tuns. Die Kritik einer zu großen Freiheit im Denken und der Missachtung der Obrigkeiten kann als Generalkritik am reformatorischen Grundprinzip der Ablehnung einer vermittelnden oder interpretierenden Instanz zwischen den Gläubigen und Gott gelesen werden. Die geschilderten Übel werden als konkrete Folgen dieser Theologie präsentiert und in ihren destabilisierenden Effekten für die Gesellschaft in düsteren Farben ausgemalt: Sünden und Laster aller Art hielten Einzug in allen Teilen der Gesellschaft, Gottes Wort würde verachtet, Glaubensinhalte verzerrt und Gebote nach eigenem Gutdünken zurechtgebogen. Für Schinbain bedeutet dies ein Wegbrechen nicht nur des moralischen Rahmens der christlichen Lebensführung für den Einzelnen, sondern eine reale Bedrohung der weltlichen Macht der Altkirche, die sich in ihren Ämtern, Einflusssphären und gesellschaftlichen Hierarchien ausdrückt. Die regulierende, ordnungserhaltende Funktion der katholischen Lebensführung und ihrer Institutionen glaubt Schinbain bedroht oder bereits verschwunden, und wo solchermaßen Zucht und Ordnung fehlten, müsse Gott diese als strafender Lehrmeister wieder herstellen. An Schinbains Ausführungen zeigen sich somit recht deutlich Elemente gegenreformatorischer Propaganda gepaart mit sozialdisziplinierender Intention. Die erschreckendste Strafe Gottes, die durch den Kometen verkündet wird, ist „der Türcke“ und hier zeigt sich die Instrumentalisierung aktueller Politik mit religiöser Ermahnung. Die Gefahr durch die osmanischen Heere, die mit Unterbrechungen im gesamten 16. Jahrhundert an den Grenzen oder auf Boden des christlichen Europa präsent ist, wird als Ergänzung der zahlreichen konfessionell-politischen Krisen im Inneren empfunden. Zudem erscheinen die Expansionsbestrebungen des islamischen Reichs als Bedrohung für die Christenheit insgesamt. In diesem Sinne deutet auch Schinbain das Bedrohungsszenario als göttliche Geißel:
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[4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bll. S 2v–S 3r. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. S 4v.
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Den Christen hat er vil abtrungen / Und die von ihrem Glauben zwungen. Umb sich er laider gfressen hat / Gar weit / und ist auch noch nit sat / Daß laider zu besorgen / Er hab noch nit genug erworben. Weil wir von sünden nit abstond / Sonder in selben fürbas gond. Gott kann die Rhut nit zu im ziehen / Weil wir den sünden nit entfliehen.72
Angesichts der irregeleiteten Menschen und ihres sündhaften Lebens seien die Strafen gerecht und wohlverdient, ihr Ausbleiben könne nur aufgrund eines reinen Gnadenaktes Gottes erfolgen. So erscheint Schinbains Text weniger als ein appellativer, der zu Buße und Umkehr als Mittel der Abwendung des göttlichen Strafgerichts ermahnt, sondern als eine Moralpredigt, die zeitgemäß in ein flehendes Gebet mündet: O Herr in deine hailge Händ / Befilch ich dir das Teutsche Land / Das bhüt vor Laster und vor Schand / Das außerwelte Völcklin dein / Dieweil der hauff ist mächtig klein / Wer das begert in Gottes namen / Der sprech von grund seins hertzens / Amen.73
Mit diesem Abschnitt endet der chronikale Teil von Schinbains Werk. Die hier untersuchten Ausführungen zum Kometen 1577 verdeutlichen, wie Schinbain die aktuelle Kometenerscheinung in seiner spezifischen Interpretation von Wunderzeichen als Verkünder göttlicher Strafen präsentiert. Dabei wird der Zusammenhang von Kometen und negativen Folgen zunächst durch die Chronik in Gestalt des argumentativ-empirischen Rekurses auf historische Erscheinungen und darauf eingetretene Folgen etabliert. Im Anschluss an die Informationen zum aktuellen Kometen erfolgt eine ausführliche und drastische Diagnose zeitgenössischer Missstände und Krisen, die als Folge der Sündhaftigkeit der Menschen dargestellt werden, von denen die bedeutsamste die Hinwendung zur protestantischen Lehre ist.74 So gelingt Schinbain eine vergleichsweise subtile Instrumentalisierung der Kometenerscheinung für eine gegenreformatorische Agenda.
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[4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. T 1v. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bll. T 1r–T 1v. Zum Zusammenhang zwischen den zeitgenössischen Urteilen einer gefallenen Welt der Sündhaftigkeit und der Wahrnehmung der Zeit als krisenhaft sowie der sinngebenden Funktion dieser Deutung siehe Schnadenberger, Eva: „Die böse Welt mit ihrer Sünd“. Zeitdiagnose in Liedflugblät-
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
4.1.2 Das naturkundliche Kometenbild Schinbains Die moraltheologische Programmatik von Schinbains Werk basiert auf seiner Interpretation von Kometen als Wunderzeichen; das Motiv der Belehrung und Information ist in seiner Chronik ebenfalls präsent, wobei die vermittelten Inhalte die Basis für ein grundlegendes Verständnis von Kometen und damit die naturkundlich-astrologische Ergänzung zur theologischen Dimension bilden. Dies spiegelt sich allein in der Struktur der Schrift wieder, da der chronikale Part, der mit dem Kometen von 1577 endet, von zwei kurzen Textteilen eingerahmt ist: in einem einleitenden Teil werden Kometen definiert, während in dem abschließenden Abschnitt Hinweise zur astrologischen Deutung von bestimmten Kometenpositionen im Zusammenhang mit den sie beherrschenden Planeten gegeben werden. Der erste Teil umfasst sechs Seiten und behandelt in drei Unterabschnitten eine Definition von Kometen, die zwei wichtigsten Typen von Kometen und ihre allgemeinen Folgen. Deutlicher als der chronikale Part gibt er Aufschluss über Schinbains Sichtweise des Wesens von Kometen. Er folgt in den entsprechenden Ausführungen großenteils der aristotelisch-meteorologischen Exhalationstheorie, wonach Kometen aus irdischen Ausdünstungen entstehen. Aufgrund seiner inhaltlichen Relevanz wird der definitorische Abschnitt hier annähernd in Gänze zitiert: Wie Aristoteles der weys Beschreiben thut / mit gantzem fleiß: Ist ain Comet kain gmainer Stern / Wie auch die Glerten glauben gern. Dann er wirdt an dem gstirn creiert / Auß Exhalation causiert. Doch muß die Exhalation / Gar haiß / als warm und trucken ston. Derhalb so du wilt wissen frey / Was d Substantz ains Cometen sey / So merck auff lieber frommer Christ / Was er für ain Materie ist: Die für sich selbst kain aignen glantz / Deßgleichen kain aigne substantz. Ein Materi so gar vermischt / Unbständig und zergänglich ist. Die von der Erden erstlich reucht / Und biß ans Firmament nauff schleicht.
tern über Wunderzeichen des 17. Jahrhunderts, in: Schlögl, Rudolf / Hoffmann-Rehnitz, Philip R. / Wiebel, Eva (Hrsg.): Die Krise in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2016 (Historische Semantik 26), S. 55–84.
4.1 Schinbains Kometenchronik
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Allda an ein besonders ort / Des Himmels sich thut stellen dort. Und bey dem Gstirn darbey sie stat / Ihr mehrung an sich gnomen hat. Und dann ihr inflammation / Von aim Planeten anfacht gon. Oder von aim irrenden Stern / Wie die Gelerten glauben gern. Wie ich von etlichen gelesen / So seind sie dieser mainung gewesen. Daß vil Sternen kommen beysamen / Die geben dann ain Fewrflammen. Wann diese also zsamen kommen / So scheinens gleich als wärs die Sonne. Etlich die schreiben auch darvon / Wie sie am Himmel sollen gon. Daß sie nie ziehen hin und her / Wie die andern ans Himmels Sphaer. Jedoch zun zeiten sey ihr lauff / Wie etlicher Planeten auch / Und wachsen auß den Planetis Oder auß den stellis Fixis.75
Aristoteles’ Meteorologie ist die explizit gemachte Grundlage der hier dargestellten Kometentheorie, recht deutlich erscheint sie allerdings in ihrer augmentierten Form, die die kausale Rolle der Planeten nicht nur für die Entstehung, sondern etwa auch den Lauf oder allgemein den Charakter der Kometenwirkung betont. Darauf weist bereits der oben erwähnte letzte Teil von Schinbains Schrift hin, der gesondert auf die spezifischen astrologischen Deutungsweisen von Kometen eingeht, die von den einzelnen Planeten beherrscht werden. Kometen werden in Schinbains Formulierung durch Himmelskörper kreiert, diese ziehen die terrestrischen Ausdünstungen nach oben, sammeln sie dort an und entzünden sie schließlich. Diese Vorstellung der planetarischen Effizierung von Kometen hat ihre Wurzel in der augmentierten aristotelischen Meteorologie.76 Mit der Konsolidierung einer auf Kometen anwendbaren Astrologie nach Ptolemaios rücken die Planeten selbst als deutbare Ursache in den Vordergrund. Die damit einhergehende Ausweitung ihrer Rolle im Vergleich zur aristotelischen Theorie ist eines der Hauptmerkmale der augmentierten Kometentheorie.
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[4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bll. B 2r–B 2v. Siehe dazu Kap. 2.2.1.
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
Diese findet bei Schinbain hier Darstellung, da er Planeten oder Sterne grundsätzlich als causa efficiens der Kometentstehung ansieht, wobei diese auch jeden weiteren Schritt im Werden des Kometen – die Ansammlung der Materie, die Entzündung der Materie, die Orientierung des Laufs und schließlich die zu deutende Wirkung nach der Natur des beherrschenden Planeten – beeinflussen. Formulierungen wie „biß ans Firmament“ oder „ein besonders ort des Himmels“ könnten vermuten lassen, dass Schinbain hier einen supralunaren Kometenort propagiert. ‚Firmament‘ und ‚Himmel‘ bezeichnen strenggenommen den supralunaren Bereich, in einer eher alltagssprachlichen Verwendung aber durchaus auch den „ganzen“ Himmel im Gegensatz zur Erde, was nach überkommener Theorie auch die verschiedenen Luftschichten als Ort meteorologischer Phänomene einschließt. Außerdem muss zwischen tatsächlichem und scheinbarem Kometenort unterschieden werden. Die Aussage, dass ein Komet sich im Sternbild Schütze befindet, bedeutet nicht, dass er tatsächlich in der Höhe der entsprechenden Sterne steht, sondern die durch den Zodiak gehende Ekliptik den Bezugskreis für die Messung bildet. Diese beschränkt sich auf Breite und Länge als Positionsangaben und enthält meist keine Tiefenangabe in der Art eines dreidimensionalen Abstands. In ähnlicher Weise spricht z. B. Georg Busch in seiner Kometenschrift von 1577 von dem „Comet unter dem 9. Himel“77, in dem sich „die unsichtbaren zwölff Zeichen / in welcher der gantze laufft der Sonnen / Mon / Planeten / und aller Sternen gesucht und gefunden wird“78 befinden. Gemäß seiner Parallaxenmessung schreibt er dem Kometen eine Entfernung von 24 Erdhalbmessern zu und verortet ihn damit eindeutig sublunar im oberen Teil der elementarischen Luft.79 In der so beschriebenen Bedeutung wird der Begriff vom Ort des Kometen meistens verwendet und es ist eben dieser Ort im Sinne einer relativen und auf den irdischen Beobachter bezogenen Position, der für astrologische Deutungen wichtig ist. Entfernungsangaben wie die von Busch sind von dieser Frage der geometrischen Verortung des Kometen an der Himmelssphäre unabhängig. Dass sie in den Kometenflugschriften zunehmend Darstellung finden, ist Ausdruck der Einkehr astronomischer Methoden in der Herangehensweise an das Kometenthema – das lange als rein dem Kontext der Meteorologie zugehörig betrachtet worden ist – und damit zusammenhängend ein verändertes Erkenntnisinteresse, das sich auch in physikalisch-naturkundlichen Fragen der Entfer-
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[4.2] Busch, Georg: Beschreibung von zugehörigen Eigenschafften und natürlicher Influenz des grossen und erschrecklichen Cometen welcher in diesem 1557. Jahre erschienen. Zu Ehren und gnedigem Wolgefallen Dem Wolgebornen und Edlen Herrn Herrn Wilhelmen der vier Graffen des heiligen römischen Reichs Graffen zu Schwartzburg (…) Meinem Gnedigen Graffen und Herrn, Erfurt 1577 (VD16 ZV 2727), Titelblatt. [4.2] Busch: Beschreibung von zugehörigen Eigenschafften, Bl. B 3v. Vgl. [4.2] Busch: Beschreibung von zugehörigen Eigenschafften, Bl. C 2v.
4.1 Schinbains Kometenchronik
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nung, Größe oder Masse von Kometen verdeutlicht.80 Schinbain nimmt wahrscheinlich eine sublunare Kometenposition an, denn wäre es ihm tatsächlich darum gegangen, die Supralunarität zu befürworten, hätte er dies wahrscheinlich ausführlicher und deutlicher getan, da diese Ansicht zu seiner Zeit zwar nicht neu, aber doch keinesfalls etabliert und daher durchaus erklärungsbedürftig ist. Dafür spricht außerdem der von Schinbain anvisierte Adressatenkreis, über den er am Ende der Widmungsepistel schreibt: Hab ich diß mein Büchlin auff das aller kürtzest / so müglich / in Teutsche Rhytmos gestelt. Darinnen ich mich nicht hochtrabender / sonder gemainer / schlechter wörter / ainem jeden schlechten Layen zuverstehen / gebraucht hab. Was ich hin unnd wider mehrer thails in Lateinischen Scribenten bekommen mögen / vor und nach Christi geburt percursorie, beschriben.81
Schinbain stellt sich auch inhaltlich auf seine Leserschaft ein und beschränkt sich daher auf eine kurze Übersicht über die Grundlagen der Kometentheorie. So erwähnt er in dem auf den definitorischen Part folgenden Textabschnitt etwa zwei Typen von Kometen – die ohne und die mit Schweif – und bemerkt dazu: „Bey der Division sols bleiben / Wiewol ander vil mehr beschreiben.“82 Eine weitere Unterscheidung von Kometentypen, wie sie etwa von Plinius und arabischen Autoren unternommen worden ist, erwähnt Schinbain nicht, obwohl sie im chronikalen Teil mitunter namentlich auftauchen; für ihn ist an dieser Stelle eine knappe Zusammenfassung der gesicherten Informationen zu Kometen wichtig, weshalb auch die Schilderung aktueller Debatten oder ungelöster theoretischer Fragen unterbleibt. In diesem Sinne erwähnt Schinbain im Abschnitt über die zwei hauptsächlichen Kometentypen die von Apian und anderen gemachte Entdeckung, dass Kometenschweife immer von der Sonne wegzeigen, die man heute als Schweifrichtungsgesetz83 bezeichnet: Die ander art des Pfawenschwantz / Ist / welche ihres flammen glantz Gestracks vom liecht der Sonnen weck Wie ain angstreckter schwantz hinstreckt.84
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Das Diskutieren der Frage der Entfernung von Kometen zeugt zudem von Kenntnis der aktuellen wissenschaftlichen Debatte und wird daher zur Kompetenzdemonstration gebraucht. Eigene Messungen und Berechnungen betonen diese Expertise und fungieren als zusätzliche Legitimation des Kometenwerks. Parallaxenmessungen werden im Übrigen nicht nur zur Stützung der Propagierung eines supralunaren Kometenortes angeführt, sondern avancieren langfristig zum methodisch notwendigen Instrument auch für diejenigen, die wie Busch, Hagecius oder der im nächsten Kapitel näher untersuchte Scultetus meinen, mit eigenen parallaktischen Messungen gerade die Sublunarität des Kometenortes nachgewiesen zu haben. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. B 1v. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. B 3r. Siehe dazu Kap. 2.4.1. [4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. B 3r.
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
Interessant ist, dass Schinbain diese Tatsache nicht nur ohne weitere Erläuterung anführt, sondern auch auf deren Allgemeingültigkeit rekurriert. In seiner Schilderung trifft sie nämlich auf alle geschweiften Kometen zu, die im Vergleich zu den Schweiflosen auch die weit häufiger vorkommenden und daher die geradezu klassische Gruppe von Kometen darstellen. Das zeigt, dass diese Entdeckung nicht mehr den Status einer ungesicherten Erkenntnis hat, sondern einen selbstverständlich zu berücksichtigenden Teil der zu vermittelnden Grundlagen der Kometentheorie bildet.85 Die auch als Reaktion auf diese Entdeckung erfolgte theoretische Entwicklung einer optischen Kometentheorie findet bei Schinbain keine explizite Erwähnung. Dabei muss offenbleiben, ob er sie schlicht nicht gekannt, sie abgelehnt oder sie als für den Laien unbedeutendes Detail betrachtet hat. Hinsichtlich der materiellen Beschaffenheit von Kometen stellt Schinbain die überkommene Theorie dar. Kometen bestehen demnach aus keiner spezifisch eigenen Substanz, sondern aus warmer und trockener elementarischer Materie, die unbeständig und vergänglich ist. Schinbain spricht von der „inflammation“ dieser Materie, angefacht durch einen Planeten, was auf die Vorstellung von Kometen als Verbrennungsprozessen rekurriert. Selbst in dem kurzen Abschnitt, in dem Schinbain eine alternative Kometentheorie skizziert, wonach Kometen aus einer scheinbaren, möglicherweise konjunktionenähnlichen Verbindung von Himmelskörpern entstehen, hält er sich an Aristoteles, der in dem doxographischen Abschnitt seiner Meteorologie eben diese Ansicht86, die er Anaxagoras und Demokrit zuschreibt, referiert hat. Insgesamt zeigt Schinbain damit eine konservative Grundhaltung, indem er, wenn auch nur skizzenhaft und oberflächlich, den aktuell gängigen Kenntnisstand zum Thema vermittelt. Es ist zu vermuten, dass dieser Kenntnisstand seinem eigenen entspricht. Schinbain hat die Universität bis zum Grad des Baccalaureus besucht und lässt abgesehen von seiner etwas intensiveren Beschäftigung auf dem Gebiet der Kartographie keine größere Beteiligung an gelehrten Debatten erkennen. Er ist ein Schulmeister, der sich in dieser Phase seines Lebens mit profanen Wissensgebieten auseinandersetzt, zumeist aber auf der Ebene des interessierten und gebildeten Laien verbleibt.87 Eigene Observationen oder Elemente einer exakt-mathematischen Astronomie tauchen in seinem Kometenwerk nicht auf, spielen sie doch für seine religiös geprägte Herangehens- und Präsentationsweise des Themas keine Rolle. Naturkundliche Inhalte werden in dem Maße vermittelt, wie sie
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Bei der letzten größeren Kometenerscheinung Ende der 1550er Jahre hat z. B. Hebenstreit das Gesetz unter Verweis auf eigene Beobachtungen abgelehnt, siehe Kap. 3.2.1. Siehe dazu Gilbert: Die meteorologischen Theorien des griechischen Altertums, S. 638–662. Schinbains Kometenchronik ist am Ende seiner Zeit in Biberach entstanden, das er wenig später aufgrund der „liderlichen Religion“ verlässt. Oehme spekuliert, dass diese Lebensstation in einer überwiegend protestantisch geprägten Stadt zu Schinbains Hinwendung zu eher erbaulichen Schriften beigetragen habe, da diese sein schriftstellerisches Schaffen in der nachfolgenden Zeit nahezu ausschließlich prägen. Das Kometenwerk könne in dieser Hinsicht als „Brücke zwischen den profanen wissenschaftlichen Arbeiten und dem Erbauungsschrifttum“ betrachtet werden, vgl. Oehme: Johannes Georgius Tibianus, S. 103.
4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen
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ein Verständnis von Kometen als Zeichen unterstützen. Dazu gehören die theoretischen Grundlagen über die Natur von Kometen ebenso wie eine christlich gefärbte Kometologie, da diese erlaubt, die Botschaft des göttlichen Zeichens zu entschlüsseln. Diese Astrologie rekurriert nicht auf Kometen als Ursachen der ihnen zugeschriebenen Folgen. Schinbain formuliert das sehr deutlich und verwahrt sich damit auch gegen eine deterministische Interpretation der Unausweichlichkeit der astrologischen Deutungen oder der Macht der Gestirnskonstellationen über das menschliche Schicksal: „Nit daß solches [die üblen Kometenfolgen] dem gestirn gewaltsweiß (welches wider den rechten Christianismum wäre) zugelegt werden solle: sonder / daß solche zaichen allain außgesandte / der zukünftigen unn fürgenomnen Gotes straf / vorbotten und warnungszaichen geachtet sein sollen.“88 Die naturkundliche Dimension der Astrologie, die Ursachenketten zur kausalen Erklärung der Kometenfolgen als tatsächliche Wirkungen heranzieht, ist bei Schinbain daher nicht präsent. Auch im chronikalen Teil geht er viel stärker auf die Kometenfolgen im Bereich des politisch-religiösen Zeitgeschehens, als auf die klassischen meteorologisch-klimatischen Folgen wie Erdbeben, Dürren oder Stürme ein. Die Kometen interessieren hier nur als Prodigien, wobei das, was sie anzeigen, von Schinbain ausführlich und eindrücklich ausgemalt wird. Die Darstellung in einfachen Versen unterstützt die unterhaltende und gleichzeitig moralisch-belehrende Wirkung der Inhalte. Im Gegensatz zu klassischer Prodigienliteratur, die oftmals durch einen eher nüchternen Stil und gelehrten Duktus gekennzeichnet ist, kann man bei Schinbain deutlicher eine Intention der Popularisierung89 erkennen, die im Dienste seiner Zielsetzung der Erbauung und Ermahnung im katholischen Kontext steht. Die moralisierenden Ausführungen über die Folgen sündhaften Lebens, das oftmals als Konsequenz der Abwendung von katholischen Lehren und Praktiken präsentiert wird, dienen in diesem Sinne primär einer Aufmunterung der Glaubensgenossen, und in indirekter Weise einer zuweilen kämpferischen Ansprache der Protestanten.90 4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen Eine andere Akzentuierung in der Präsentation von Kometen als Prodigien bietet die Kometenpredigt des protestantischen Theologen Jacob Heerbrand (1521–1600) aus dem Jahre 1577.91 Es handelt sich dabei um die schriftliche Fassung einer Predigt, die Heerbrand am 17. November in Tübingen hält, wo er zu dieser Zeit seit 20 Jahren Pro88 89 90 91
[4.12] Schinbain: Sternen oder Cometen Buch, Bl. A 4v. Vgl. Schenda: Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Sp. 682. Oehme: Johannes Georgius Tibianus, S. 105. [4.5] Heerbrand, Jacob: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen am Himmel dem newen Cometen oder Pfawenschwantz. Gehalten zu Tübingen den 24. Sontag nach Trinitatis wölcher ist der 17. Wintermonats, Tübingen 1577 (VD16 H 1064).
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
fessor für Theologie, zeitweise Rektor und später Kanzler der Universität und seit 1561 Dekan der Stiftskirche ist.92 Er hat bei Luther und Melanchthon in Wittenberg studiert und avanciert zum führenden Reformator und hoch angesehenen Theologen seiner Zeit. Zu seinen Schülern gehören Michael Mästlin und Johannes Kepler. Heerbrand gilt als Begründer der lutherischen Orthodoxie und hat zahlreiche theologische Werke, Streitschriften und Disputationen verfasst; sein Compendium Theologiae von 1573 gehört zu den bekanntesten Lehrbüchern und wird vielfach wieder aufgelegt und übersetzt.93 Es handelt sich dabei um die erste evangelische Glaubenslehre, die streng an die Konkordienformel gebunden ist und im nachreformatorischen Deutschland einigen Einfluss entwickelt. Heerbrand ist ein talentierter Prediger, der seit seiner Jugend entsprechende kirchliche Ämter versieht. In Tübingen ist die Theologieprofessur zudem mit dem Gemeindeamt verknüpft, weshalb Heerbrand auch jenseits der akademischen Welt für seine Predigten bekannt wird; bereits zu seinen Lebzeiten werden 1586 18 derselben gesammelt publiziert.94 In einer Zeit, in der Kirchenordnungen den Gottesdienstbesuch verbindlich vorschreiben, erreichen Predigten zunächst als gesprochenes Wort und dann nachhaltig in gedruckter Form die Masse der Menschen.95 Als Medien sind sie von überkonfessioneller Relevanz, erfahren aber durch die Reformation einen deutlichen Aufschwung und spielen im frühneuzeitlichen Protestantismus daher eine größere Rolle als im Katholizismus. Noch heute bildet die Predigt den Kern des evangelischen Gottesdienstes, ganz dem lutherischen sola scriptura Prinzip folgend, welches das Wort Gottes ins Zentrum stellt, wobei dessen Verkündung und Erklärung wichtigste Aufgabe der Pfarrer ist. In beiden Konfessionen fungieren Predigten mitunter als polemisches Kampfmittel und generell als Möglichkeit, religiöse Vorstellungen von Lehre und Leben zu den Menschen zu tragen und damit in sozialethische Anweisungen für eine Umsetzung in die Alltagspraxis zu übersetzen. Predigten lassen sich in zahlreiche Subtypen96 differenzieren, wobei die Kernaufgaben immer darin bestehen, zu belehren, zu erbauen, zu trösten, zu mahnen und zu warnen. Damit ist die Predigt ein
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Vgl. Bautz, Friedrich W.: „Heerbrand, Jacob“, in: Biographisches Kirchenlexikon 2, Hamm 1990, Sp. 638. [4.4] Heerbrand, Jacob: Compendium theologiae quaestionibus methodi tractatum, Tübingen 1573 (VD16 H 965). [4.3] Heerbrand, Jacob: Achtzehen Predigten von mancherley Gott seliger Materien. Zu Tübingen nach und nach zu underschiedlichen Zeitten gehalten, Tübingen 1586 (VD16 H 951). Sabine Holtz konstatiert für die Tübinger Theologen, dass Predigten als Literaturform einen wesentlichen Teil ihrer theologischen Schriftproduktion ausmachen, vgl. Holtz: Theologie und Alltag, S. 39. Die Ausführungen zu Aufgaben, Erscheinungsformen und Funktionen der Predigt in der Frühen Neuzeit stützen sich maßgeblich auf Holtz: Predigt. Religiöser Transfer über Postillen. Zu nennen wären hier etwa anlassgebundene wie Leichen-, Huldigungs- oder Hochzeitspredigten oder sachthematische wie Erziehungs-, Türken- oder Kirchweihpredigten sowie politische Predigten.
4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen
205
„integrativer Bestandteil eines die soziale Lebenswelt begründenden, sichernden und Zukunft garantierenden Normensystems.“97 In einer Zeit, in der stetige Unsicherheit, existentielle Sorgen und lebensbedrohliche Krisen zur kollektiven Grunderfahrung der frühneuzeitlichen Gesellschaft gehören, können Predigten Sinn vermitteln, Hoffnung spenden und so zur Bewältigung eines oftmals wenig beeinflussbaren Lebens beitragen. Die Wirklichkeit eines allmächtigen, zürnenden und gnädigen Gottes wird betont, weil sein Wirken das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft unmittelbar durchdringt.98 In diesem Kontext können Predigten daher auch eine sozialdisziplinierende und herrschaftsstabilisierende Funktion ausüben, da sie die gesellschaftliche Ordnung als gottgegeben und -gewollt darstellen und auf die moralische oder sittliche Lebensführung der Menschen dahingehend einwirken, dieses Abbild der göttlichen Ordnung auf Erden nicht infrage zu stellen. Wie im zweiten Kapitel näher ausgeführt, entspricht die göttliche Ordnung einem Kommunikationsraum, in dem Gott sich und seinen Willen den Menschen über Zeichen und Wunder mitteilt.99 In diesem Kontext werden insbesondere die außergewöhnlichen Naturereignisse als Prodigien interpretiert, als Fingerzeige Gottes. Himmelserscheinungen wie Kometen, Nordlichter oder Finsternisse, aber auch irdisches Naturgeschehen wie Blutregen, Missgeburten oder Erdbeben, können der Sphäre des Wunderhaften zugerechnet und damit zum Thema einer Predigt werden. Als göttliche Zeichen bedürfen sie der Deutung, so dass es zur christlichen Pflicht des Predigers wird, diese Auslegung zu leisten und die Botschaft Gottes zu verbreiten. In den Predigten anlässlich ungewöhnlicher Himmelsphänomene erfolgt oft eine Auseinandersetzung mit der ebenfalls auf den Zeichencharakter des Ereignisses rekurrierenden Astrologie, deren Deutungspotential und z. T. auch -procedere in diesen theologischen Rahmen integriert, aber auch als Konkurrenz um die Deutungsmacht empfunden werden kann. Der Komet wird theologisch zum Bedeutungsträger und als Ausdruck göttlichen Zorns, als Warnung vor bevorstehender Strafe und als Gnadenakt Gottes interpretiert, der durch die den Strafen vorangestellte Warnung eine Handlungsoption zur Abwendung der Bestrafung offeriert. Daher inkorporiert eine solche Predigt nahezu immer einen Appell zur Verhaltensänderung an die Gläubigen. Der generelle Aufruf zu Reue, Buße und Abkehr vom sündigen Tun dient äußerlich der Besänftigung göttlichen Zorns und auf sozialpsychologischer Ebene dazu, ein angstauslösendes Ereignis wie eine Kometenerscheinung rational zu bewältigen, ihm Sinn zu verleihen und der ursprünglichen Botschaft ihre Unausweichlichkeit und Härte zu nehmen.100
97 98
Vgl. Holtz: Predigt. Religiöser Transfer über Postillen, S. 1. Vgl. Haag, Norbert: Predigt und Gesellschaft. Die lutherische Orthodoxie in Ulm, 1640–1740, Mainz 1992 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 145), S. 348. 99 Siehe Kap. 2.5.1. 100 Vgl. Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 46–47.
206
4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
Die hier im Fokus stehende Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen am Himmel, dem newen Cometen / oder Pfawenschwantz wird bei Georg Gruppenbach gedruckt und umfasst 17 Seiten im Quartformat. Nach einer kurzen Einleitung, die die der Predigt zugrunde gelegte Perikope101 und die Struktur des Textes knapp erläutert, folgen zwei Hauptabschnitte. Der erste behandelt den Kometen und seine Bedeutung und der zweite legt dar, wie man sich angesichts der Kometenerscheinung zu verhalten habe. Wie oben erwähnt, wird diese Druckfassung einer Predigt vom 17. November 1577 noch im selben Jahr publiziert, wobei der Komet von den meisten Beobachtern im deutschen Sprachraum am und kurz nach dem Martinstag erstmals gesichtet worden ist. Heerbrand hält seine Predigt damit am ersten Sonntag nach Erscheinen des Kometen und auch die Druckversion wird höchstwahrscheinlich noch in der Phase guter Sichtbarkeit des Kometen, der seit Anfang Dezember kleiner und lichtschwächer wird, veröffentlicht. Diese Aktualität veranschaulicht zum einen, wie dieser Komet zum Medienereignis avanciert und zum anderen, wie eine solche Erscheinung und ihre Deutung genutzt werden kann. Heerbrands im Titel gebrauchter Ausdruck des erschrockenlichen Wunderzeichen verdeutlicht die prodigienhafte Ausrichtung der Schrift und bringt ihre zwei wichtigsten Aspekte prägnant auf den Punkt: der Komet ist ein wunderhaftes, und damit göttliches Zeichen, das Schrecken auslöst. Der Charakter des Wunderhaften verleiht dem Zeichen Bedeutung und erfordert dessen Beachtung, die Zeichenhaftigkeit verlangt nach Interpretation und dem Erschrecken kann mit informierender Erklärung und Trost begegnet werden. Mit dieser Programmatik kann Heerbrand auf die Sach-, die Bedeutungs- und die emotionale Dimension der Wahrnehmung des aktuellen Kometen eingehen. Seine einleitenden Ausführungen zur Perikope leisten dabei die Einbettung dieser Dimensionen in den theologischen Rahmen: Das neunte Kapitel des Matthäusevangeliums behandelt mehrere Wunder Jesu, darunter z. B. die Heilung eines Gelähmten, zweier Blinder und eines Stummen. Die von Heerbrand kurz umrissene Bibelstelle beruht auf Vers 18 bis 26. Dort wird berichtet, wie Jesus eine junge Frau von den Toten auferweckt und eine andere von einer schweren Krankheit geheilt hat. Diese Wunderwerke Jesu verdeutlichen nicht nur göttliche Barmherzigkeit und Omnipotenz; es wird ebenso herausgestellt, dass nur der in den Genuss dieser Güte Gottes kommt, der glaubt. Dieses Vor-Augen-führen der Gemeinschaft der Gläubigen und eines helfend eingreifenden Gottes erfüllt eine erbauliche Funktion: „Wölches zu disen kümmerlichen zeitten unnd geschwinden Leuffen / gantz tröstlich / damit wir
101
Perikopen sind die Bibelabschnitte, die für jeden Sonn- und Feiertag im Kirchenjahr als Grundlagentexte für die Lesungen im Gottesdienst, wovon eine die Predigt ist, festgelegt sind und eine thematische Einheit bilden. Das Perikopenbuch fasst diese Texte für das ganze Kirchenjahr zusammen und weist jedem Sonn- und Feiertag in der Regel mindestens einen Abschnitt aus den Evangelien, einen aus den Episteln und einen aus dem Alten Testament zu. Die der Predigt Heerbrands zugrunde liegende Perikope entstammt dem 9. Kapitel des Matthäus-Evangeliums, Vers 18–26.
4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen
207
lehrnen / unn wissen / zu wem wir unser zuflucht in ängsten und nöten haben sollen.“102 Mit diesem Satz schließt die erste Seite der Predigt und gleichermaßen auch Heerbrands Kommentar zur Perikope, da etwas anderes von größerer Wichtigkeit und daher zum Thema der Predigt zu machen ist. So hat uns aber der Allmächtig unnd gerechte Gott / ein andern Prediger dieser tagen erwecket / und auff ein sehr hohe Cantzel / an den Himmel / auffgestellet / Nemlich das gantz erschrockenlich / groß unnd grewlich Wunderzeichen am Himmel / den Cometen / oder wie mans nennet / den Pfawenschatz / dardurch er der gantzen Welt / ein andere Predigt thut / unnd fürhelt / den wir sollen anschawen / und hören / was er uns predige.103
Der Komet ist damit nicht nur Zeichen Gottes, er wird vom passiven Bedeutungsträger zum direkten Verkünder des göttlichen Wortes. Dies entspricht einer Bedeutungserhöhung, die außerdem durch den Ort der Verkündung – der himmlischen Kanzel im Gegensatz zur irdischen – hergestellt wird. Diese Darstellung des Kometen als „Realprediger“104 erfüllt mehrere Funktionen. Zunächst wird die Relevanz des Kometen als beachtenswert betont. Daher sind das Kometenereignis und die Deutung seiner Botschaft auch wichtiger als das eigentliche Predigtthema aus dem Evangelium. Die göttliche Predigt erfolgt vom Himmel selbst herab, sie ist direkterer Ausdruck göttlichen Willens als eine Predigt durch Gottes irdische Vertreter. Gott bedient sich dieses Zeichens überhaupt erst, weil die Menschen nicht mehr auf die irdischen Prediger hören. Gott muss in der Kette der Instrumente seiner Kommunikation zu einem anderen greifen und dieses über seine Erscheinungsweise als „erschrockenlich, groß und grewlich“ eindrucksvoll und damit wirkmächtig gestalten. Auf diese Weise wird nun aber nicht die Rolle des Predigers geschmälert, denn dieser ist weiterhin für die Auslegung der Botschaft notwendig. Er bekommt vielmehr einen himmlischen Mitstreiter und damit Gottes Unterstützung in der Vermittlung seines Worts. Die Zeichenhaftigkeit des Kometen verbindet den religiösen mit dem astronomischen Himmel; der deutende Prediger als Vermittlungsinstanz in der persönlichen Beziehung zwischen Gläubigem und Gott verbindet den göttlichen mit dem irdisch-menschlichen Bereich. Die Aufgabe des Predigers wird durch den Kometen damit begründet, legitimiert und ergänzt: er liefert die entsprechende Deutung, ordnet sie theologisch ein, erläutert ihre Relevanz in Bezug zur Lebenswelt der Rezipienten und trägt all dies durch seine Predigt nach außen und erhöht damit – insbesondere durch die Druckfassung – den Verbreitungs- und Wirkungsgrad der Botschaft ungemein. Der nach der Einleitung folgende erste Teil der Predigt umfasst ungefähr sechs Textseiten und behandelt „wie wir diß Himmelisch Wunderzeichen den Cometen
102 [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. A 2r. 103 [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. A 2v. 104 Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 373.
208
4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
sollen anschawen / auch was er bedeute.“105 Interessant ist, dass Heerbrand zunächst gar nicht thematisiert, was ein Komet überhaupt ist, also auf Theorien zu Ursprung oder Wesen von Kometen allgemein als naturkundliche Phänomene eingeht, sondern direkt auf der Ebene der Perzeption und Interpretation einsteigt. Die Kometen sind ein Ereignis allein aufgrund ihrer Dimension als göttliche Wunderzeichen und werden über die Wahrnehmung durch den Menschen überhaupt erst als relevant konstituiert. Als vernunftbegabte Wesen sehen wir den Kometen nicht „wie die Kühe ein new Schewrenthor“106, sondern erkennen die hinter dem Phänomen stehende Bedeutung. Die gottgegebene Ratio ist somit das, was die Beachtung des Kometen geradezu erzwingt und die inkorporierte Botschaft erkennbar werden lässt. Heerbrand präsentiert den Kometen als „ein grewlich Zeichen deß erschrockenlichen Zorns Gottes wider die Welt / von wegen ihrer Sünden / und unbußfertigen Lebens seie / da er sich auffmachet / die Rut unn sein Schwerdt in die Hand nemet / erschwinget unnd sehen laßt / dieselbige heimsuchen und straffen will.“107 Historisch-empirisch sei durch die Beobachtung von „weise und gelehrte Leut“108 erwiesen, dass auf Kometen immer Unglück erfolge. Heerbrand referiert die wichtigsten dieser negativen Folgen und präsentiert sie als durch den Kometen verursacht: So führt das Verlöschen der Kometen zu einer Vergiftung der Luft, großer Hitze und Dürre, Viehsterben und Verderben der Feldfrüchte, was wiederum zu Teuerung und in der Folge Aufruhr und letztlich Krieg führt. Begleitet von Seuchen komme es so zum Tod großer Herren, der Zerstörung von Ländern und Völkern und zu Änderungen in den weltlichen und sittlichen Strukturen. In einem einzigen Satz geht Heerbrand nun auf naturkundliche Vorstellungen zu Kometen ein, wonach diese aus terrestrischen Dämpfen entstehen, die kraft der Gestirne in die obere Luft gezogen und dort entzündet werden. Er präsentiert hier also die aristotelisch-meteorologische Kometentheorie, die er dann in Form einer Analogie für seine moraltheologische Botschaft instrumentalisiert: „Also seind auch die Sünden der Menschen / so auff Erden wohnen / ein stinckender Dampff unn Rauch / der ubersich steiget für Gott (…).“109 Durch biblische Gleichnisse wird diese Analogie untermauert. Die menschlichen Sünden „verursachen / reitzen und zünden seinen [Gottes] Zorn an / daß er entbrennet / wie ein Fewr / und laßt sich sehen und mercken durch diß eusserlich und sichtbar Zeichen (…).“110 Die Konzeption von Kometen als Verbrennungsprozessen wird damit theologisch aufgeladen und geht als Metapher in den Appell zur Verhaltensänderung ein, den Heerbrand in seinem zweiten Teil der Predigt ausformuliert: „Also zeigt uns der groß Comet an / daß ein groß 105 106 107 108 109 110
[4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. A 2v. Ebd. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. A 3r. Ebd. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. A 3v. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bll. A 3v– A 4r.
4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen
209
fewr und Brunst vorhanden seie / nemlich / das Gottes Zorn angebrunnen sey / wie ein grausames fewr / das ist ein gemeine Brunst / und geht uns / wie zubesorgen / alle an. Da sollen wir alle unnd jede Wasser zutragen / und helffen löschen.“111 Das könnten am besten die Tränen der Buße, „die auß bußfertigem unnd zerschlagnem hertzen entspringen / und fliessen uber die Backen herab.“112 Diese Buße ist eine individuelle Angelegenheit, so wie in protestantischer Lehre auch die Sünde nicht primär als mangelndes ethisch-moralisches Verhalten, sondern als Zerstörung der persönlichen Beziehung zwischen Gott und Mensch betrachtet wird.113 Es sind demnach die sündigen Verhaltensweisen, die Gottes Zorn verursachen. Obwohl von Individuen ausgehend, werden sie als Breitenphänomen dargestellt und zur diagnostischen Charakterisierung der Gesellschaft gebraucht. Analog dazu bezieht sich demnach auch die Relevanz des Kometen auf alle – zumindest alle Sünder – und es sind ebenso alle, und nicht Einzelne, die durch die Kometenfolgen bestraft werden. 4.2.1 Das Prodigium im straftheologischen Kontext Heerbrand integriert den Kometen als Wunderzeichen auf diese Weise in ein Konzept der Buß- und Straftheologie. Andere Dimensionen des Kometen, etwa naturkundliche Aspekte, werden dafür nutzbar gemacht, sind aber diesem Konzept und damit dem theologischen Primat vom Willen und der Omnipotenz Gottes untergeordnet. Die Wunderzeichen haben in diesem Kontext mehrere Funktionen: als Warn- und Gnaden- sowie als Zorn- und Strafzeichen: Der Schreckenscharakter der plötzlichen Erscheinung eines großen Kometen macht ihn zu einem eindrücklichen Abbild des göttlichen Zorns und zum Indikator für die darauf folgenden Strafen. Der Komet wird als Drohung Gottes verstanden, wenn Heerbrand schreibt, Gott habe „sein Schwerdt gewetzt / seinen Bogen gespannen / unnd tödtliche Pfeil darauff gelegt.“ 114 Diese Drohgebärde wird umso eindrücklicher, da Heerbrand die Außergewöhnlichkeit des jetzigen Kometen betont, eine „erscheinung dises so grossen Cometen / dergleichenn innerhalb hundert Jaren nicht gesehen“115, und auf die Erkenntnisse der „Gelerte / und erfarne Leut“116 rekurriert, wenn er erwähnt, dass je grösser ein Komet und je länger er am Himmel zu sehen ist, umso größeres und heftigeres Unglück zu erwarten sei. Der Komet erscheint damit als „Rutten und Schwerdt Gottes / wölches er in sein Hand genommen / schwingt / drewet unnd sehen laßt / darmit sich auffmachet / und die 111 112 113 114 115 116
[4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. B 2r. Ebd. Vgl. Holtz: Theologie und Alltag, S. 101. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. B 1v. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bll. B 1r– B 1v. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. B 1r.
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
sichere / rholose / unbußfertige Welt / von wegen ihrer Sünden / mit allen ungnaden Straffen unnd heimsuchen will.“117 Die negativen Kometenfolgen sind daher die gerechten Strafen eines ob des menschlichen Fehlverhaltens erzürnten Gottes. Das Fehlverhalten ist Ursache für Gottes Zorn und Bestrafung, analog zu alttestamentarischen Vorstellungen werden daher die Übel der Welt durch die bösen Taten der Menschen verursacht.118 Ein Komet ist in diesem Denkrahmen genauso göttliches Instrument wie die Menschen selbst oder ganze Völker: Der Komet als Ursache von Missernten und in Konsequenz Teuerung, die Individuen als Durchführer von Aufruhr und Krieg oder ein ganzes Volk – „der Türke“ – als Personifikation der existentiellen Bedrohung.119 So wird der Erfahrung der Widrigkeiten des menschlichen Daseins Sinn verliehen, da sich in allem das zielgerichtete Heilshandeln Gottes offenbart. Die von Heerbrand ausgewählten historischen Beispiele von Kometenerscheinungen, mit denen er das erste Kapitel seiner Predigt abschließt, dienen vor diesem Hintergrund als historische Kasuistik für die Wahrscheinlichkeit des Eintretens der üblen Kometenfolgen. Anders als Schinbain, dem es auch um Vollständigkeit in der Präsentation der historischen Kometenerscheinungen geht, wählt Heerbrand den Zwecken der Botschaft und Intention seiner Predigt entsprechend spezifische Beispiele aus: Das erste Beispiel bildet eine biblische Exemplifizierung des Zusammenhangs von Kometen und den negativen Folgewirkungen und liefert damit neben dem empirischen Beleg des Kausalzusammenhangs durch die Autorität der Heiligen Schrift eine weitere Legitimationsebene, um das historische Geschehen im theologischen Rahmen von Sünde, Zorn und Strafe zu interpretieren. Es geht dabei um die Zerstörung Jerusalems: Zuvor ist ein Komet in Gestalt eines Schwertes ein Jahr lang zu sehen gewesen, Ikon des göttlichen Zorns. Die Menschen haben dieses Zeichen und den Appell Gottes allerdings ignoriert. Daraufhin tritt all das ein, was Heerbrand weiter oben als Kometenfolgen präsentiert hat, die Zerstörung der Stadt, Verheerung des Landes, Krieg, Aufruhr, Seuchen und Hungersnot, womit das jüdische Volk „von Gott endtlich verstossen und verworffen“120 worden sei. Auf den Zorn Gottes sind keine Verhaltensänderung und daher die gerechten Strafen gefolgt. Bei den anderen historischen Beispielen handelt es sich um jene Kometen, die zu Lebzeiten Heerbrands erschienen sind, was bedeutet, dass die Kometenerscheinungen selbst und der geschilderte Zusammenhang zwischen der Erscheinung und dem nachfolgenden Übel durch persönliche Beobachtung belegt sind. Mit den Kometen, die Heerbrand hier anbringt, um „nicht von alten frembden Geschichten allein“121 zu reden, stellt er eine weitere Ebene der Legitimation her, die über sein Amt als Prediger und
117 118 119 120 121
[4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. B 1v. Vgl. Holtz: Theologie und Alltag, S. 270–271. Vgl. Holtz: Theologie und Alltag, S. 278. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. A 4r. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. A 4v.
4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen
211
damit Sachwalter Gottes auf Erden hinausgeht, nämlich durch die beglaubigende Funktion der persönlichen Augenzeugenschaft. Das eigene Sehen und als Erweiterung das Beobachten und damit die persönliche Erfahrung gewinnen seit Mitte des 16. Jahrhunderts nicht nur an epistemischer Relevanz. Als Argument der Autorität wird schon lange auf die Erfahrung ehrbarer und kompetenter Leute verwiesen. Neben diesem Beglaubigen durch Autorität tritt eine Legitimation durch Erfahrung, was angesichts von der Sphäre des Wunderbaren zugeordneten Gegenstandsbereichen, insbesondere behandelt in dem flüchtigen Medium der Flugschrift, von nicht unerheblicher Bedeutung ist. Heerbrands zweites Kapitel formuliert nun die Konsequenzen aus seiner im ersten Teil entwickelten Kometeninterpretation, wobei hier die zweite Funktion der Kometen als Gnaden- oder Warnzeichen zum Tragen kommt: So wie der Komet eine Strafe für die Sünder bedeutet, ist er eine Warnung an die Gottesfürchtigen. Die Menschen sollen reumütig umkehren, ihr sündiges Tun unterlassen und ein gottgefälliges Leben führen. Dies macht nur unter der Annahme Sinn, dass durch Einsicht und Buße das drohende Strafgericht abgewendet werden kann. Darin liegt der barmherzige Gnadenakt Gottes und die Macht des durch die Bußpredigt formulierten Appells. Dieser Deutung liegt zugrunde, was Gindhart ein „dualistisches Gottesbild“122 nennt: einerseits das von einem zürnenden und strafwilligen Gott, der seine Rute bereits in der Hand hat, und andererseits das eines gnädigen, der sich angesichts von Beten und Buße umstimmen lässt. Dieser Doppelcharakter überträgt sich auf den Kometen als seinem Sprachrohr123 und Werkzeug, der zugleich Straf- und Warnzeichen, Ausdruck von göttlichem Zorn und göttlicher Gnade ist. Das bildreiche Heraufbeschwören dieses Drohszenarios in Form der Kometeninterpretation und die plastische Schilderung der Übel, die bis dato auf Kometen erfolgt sind, stehen im Dienst einer Pädagogik des heilsamen Schreckens und verdeutlichen die didaktisch-disziplinierende Intention Heerbrands. Mit dem auf die emotionale Seite seiner Rezipienten zielenden Appell, kann er auf diese moralisch einwirken, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Dazu wird im ersten Teil der Predigt der Strafaspekt betont – notwendig aufgrund der menschlichen Sündhaftigkeit und Missachtung des göttlichen Worts. Die fehlgeleiteten Menschen sind damit Ursache ihres eigenen Unglücks, jedoch bietet die Gnade und Liebe Gottes, die dem bußfertigen Sünder sicher sei, eine Handlungsoption als Ausweg. Davon spricht Heerbrand in der zweiten Hälfte der Predigt, zitiert entsprechende Bibelstellen und betont unablässig die Notwendigkeit, angesichts des göttlichen Zorns aktiv zu werden. Ganz
122 123
Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 71. Döring charakterisiert in seiner medienhistorischen Analyse französischer Kometenflugschriften diesen Zusammenhang als ein metaphorisch geprägtes Kommunikationsschema, in dem der Komet zum Träger der von Gott ausgesandten und durch den Menschen zu decodierenden Information, zum Container des göttlichen Sprechaktes wird, der nach intendierter Interpretation zu gottesfürchtigem Handeln führt, vgl. Döring: Von der Wundergeschichte zum ‚Fait divers‘.
212
4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
folgerichtig behandelt er hier konkrete Verhaltensweisen, die der Mensch nun an den Tag zu legen habe. Auch hier bedient sich der Verfasser einer sehr bildhaften Sprache, wiederholt im Prinzip die immer gleichen Inhalte in anderen Worten und erläutert sie in verständlichen Analogien: So müssten die Menschen frommen Kindern gleich vor ihrem Vater mit der Rute in der Hand auf die Knie fallen, um Verzeihung bitten und Gehorsam geloben. Diese Buße ist eine Herzens- und Glaubensangelegenheit, sie soll aus Einsicht und nicht nur aus Angst vor Strafe erfolgen: „Da wir in uns selber gehen sollen / ein jegliches seine Sünde von hertzen erkennen / berewen unnd beweinen / dem Allmächtigen Gott zu Füssen / und also in die Rutten und Schwert fallen (…).“124 Die reuige Buße ist zunächst auch Sache des Einzelnen: „Unnd da soll keiner auff den andern sehen / sonder ein jeder an ihme unnd in seinem hauß anheben. Wann nun ein jetweder vor seinem Hauß kehret / unn vor seiner Thür sauber würdt machen / so würdt es allenthalben sauber.“125 Neben dieser individuellen Seite empfiehlt Heerbrand auch allgemeine Maßnahmen wie z. B. Fasten, das Unterlassen von Hochzeiten, Zechen und Tanzfesten oder den häufigeren Gang zur Kirche. Biblische Beispiele wie das der Niniviter exemplifizieren die Möglichkeit der Besänftigung göttlichen Zorns und der Abwendung seines Strafgerichts. Eine Bußpredigt wie diese ist häufig eingebettet in eine Reihe weiterer Maßnahmen der religiösen Sozialsteuerung, wie etwa andere Formen von Bußschriften, Bußgottesdienste oder obrigkeitlich angeordnete Bußtage.126 Predigten zu Wunderzeichen können ebenso von oben verordnet werden, wie das Beispiel des Herzogs Ludwig von Württemberg zeigt: Anlässlich eines Erdrutsches 1588 setzt der Herzog mit seinem Hofprediger Lukas Osiander ein Schreiben auf, das die Pfarrer des Fürstentums anhielt, die Gläubigen in ihren Predigten zu ermahnen, fleißiger zu beten und Buße zu tun, um die mit dem Ereignis angedrohten göttlichen Strafen abzuwenden.127 Ähnlich wie bei Schinbain, identifiziert Heerbrand in seiner diagnostischen Bewertung der Zeit das gegnerische konfessionelle Lager als hauptverantwortlich für die menschliche Misere: Es hatt uns der Gnädige unnd Barmhertzige Gott / auß sonderer hoher und grosser Gnade / nach langwüriger grewlicher dicker Fünsternuß / Blündtheit / Irrthumb und Abgötterey deß
124 [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bll. B 2r–v. 125 [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. B 4r. 126 Stegemann zitiert beispielsweise aus einer behördlichen Anordnung über die Maßnahmen zur Kometenabwehr anlässlich des Kometen von 1618 aus Hessen und konstatiert, dass noch 1680 anlässlich der aktuellen Kometenerscheinung in Österreich nächtliche Vergnügungen verboten und wöchentliche Buß- und Bettage angeordnet worden sind, vgl. Stegemann: „Komet“, Sp. 137–141. Siehe dazu außerdem: Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 31–33 sowie Haag, der allgemeiner auf die soziale Funktion von Buß- und Bettagen eingeht, Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 208–209. 127 Ehmer, Hermann: Zeichen und Wunder. Die theologische Deutung von Naturereignissen im nachreformatorischen Württemberg, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 88 (1988), S. 178–200, S. 179.
4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen
213
Bapstumbs / das helle Liecht seines heiligen Worts / zu disen letsten zeitten widerumm angezindet / darauß wir seinen Willen erlehrnen und wissen / thun aber denselbigen nicht.128
Heerbrand beschreibt dann wortreich die Verfehlungen der Menschen und beklagt, dass Gottes Wort und seine Zeichen nicht beachtet oder gar verlacht werden. Was ist also zu tun? „Auffwachen sollen wir / auß dem tieffen Schlaff der Sünden / und grosser sicherheit / dann es ist grosse zeit / ehe und dann Gott der Herr anfahe ernstlich darein zuschlagen / dann wann es angeht / so ist es dann zuspat.“ Neben der aktiven Abkehr von der Sündhaftigkeit, liegt die Antwort im protestantischen Grundprinzip des sola fide, dem unbedingten Glauben: Zu dir Herr Christ alleine / vergossen ist dein thewres Blut / das gnug für die Sünde thut / unsere Sünden hertzlich und inniglich / wie hievor gemeldt / unnd bitterlichen beweinen / Christum den Herren unsern einigen Sündenbüsser / Mittler / Versöner und Fürsprechen / den rechten Gnadenstul / mit rechtem warem unnd festem glauben ergreiffen / und ihne anrüffen / daß er zu der rechten deß ewigen Vaters sitzend / uns bey Gott seinem Himmelischen Vatter vertretten wölle / damit er seinen gerechten Zorn uber unsere Sünden / gnädiglich wölle fallen lassen (…).129
Den erfahrenen Misslichkeiten der jüngeren Vergangenheit, die in der ein oder anderen Weise zum kollektiven Gedächtnis der Rezipienten der Predigt gehören, wird durch diese Deutung Sinn verliehen.130 Damit wird die Realität der Präsenz Gottes – manifest in Strafe und Gnadenakt – in der Welt belegt, was durch Paraphrasierungen passender biblischer Textstellen untermauert wird. Zudem eröffnet die Option des Aktivwerdens einen Ausweg aus dem rein passiven Hinnehmen des offenkundig heilsgeschichtlichen Geschehens. Diese Aspekte der Sinngebung und der trostspendenden Deutung fungieren in mehrerlei Hinsicht als praktische Lebenshilfe. Das deutliche vor Augen führen des menschlichen Fehlverhaltens ist Grundlage für das Erkennen der Sünde als Ursache allen Übels, die es zu überwinden gilt und die zu überwinden durch eine Hinwendung zu Gott möglich ist. Das Ziel der Verhaltensänderung ist extern legitimiert und wird damit in das Individuum verlagert. Der lasterhaften Lebensführung werden Tugenden und mit dem Wort und Willen Gottes in Einklang stehende Verhaltensweisen als vorbildlich und beispielhaft gegenübergestellt. Die bereits erwähnten Empfehlungen Heerbrands, größere Feierlichkeiten zu unterlassen und häufiger zur Kirche zu gehen, gehören ebenso dazu wie eine neu oder wieder zu erlangende Demut und Gottesfurcht, auch im Alltag und im Kleinen, z. B. indem man nicht flucht, schwört oder Gottes Namen missbraucht. 128 129 130
[4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. B 2v. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. B 3v. Siehe dazu das Kapitel „Kontingenzbewältigung: Die Chiffre vom ‚Zorn Gottes‘“ in Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 47–54.
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
4.2.2 Die Kometenmetapher als Medium der Sozialsteuerung Durch solchermaßen spezifische Anleitung für das eingeforderte Verhalten kann die als Flugschrift gedruckte Predigt neben der theologischen Literatur auch der Gebrauchsliteratur zugeordnet werden, weil sie ihren Rezipienten ganz konkret einen praktischen Nutzen verspricht, der in der offerierten Hilfe zur Lebensbewältigung besteht. Dies zeigt sich bei Heerbrands Predigt bereits in ihrer zweigeteilten Struktur. Zunächst wird thematisiert was ein Komet sei und wie es um seine Bedeutung bestellt ist, während es im zweiten Abschnitt darum geht, wie man sich als gläubiger Christ angesichts seines Erscheinens zu verhalten habe. Dieser appellative Charakter von Heerbrands Predigt steht auch mit der intentional grundsätzlich angestrebten Funktion einer protestantischen Predigt in Einklang: Der Tübinger Theologe Tobias Wagner betont noch Mitte des 17. Jahrhunderts in einer homiletischen Schrift, dass ein usus practicus gleichrangig neben der Verkündigung der wahren Lehre im Zentrum der lutherischen Predigt stehen müsse.131 Zudem darf die Predigt als Teil einer Strategie der Entängstigung nicht unterschätzt werden, also in ihrer psychologischen Wirkung auf eine Gesellschaft, die das diesseitige Dasein oft als sehr fragil und sich in ihrem Handlungs- und Gestaltungshorizont als ohnmächtig oder passiv erlebt. Eine umfassend erklärte und theologisch interpretierte Kometenerscheinung fungiert hier als Ventil zur Reflexion auf Krisenerfahrung und wird zur Projektionsfläche für Ängste und Hoffnungen, die durch die erbauliche und trostspendende Dimension der Predigt aufgegriffen werden. Olaf Briese hat in diesem Zusammenhang auf die doppelte Funktion einer Metaphorik mit Bezug zur Natur hingewiesen: Die von ihm untersuchten Kometenmetaphern – ebenso wie die zu Erdbeben und Blitzen – dienen nicht nur der Inszenierung und Bewältigung von Geschichte, sondern auch zur Bewältigung von Natur, da der als bedrohlich empfundene Komet durch die entlastend wirkende Metaphorisierung selbst kognitiv bewältigt wird. Solche Naturmetaphern „vermittlen nicht nur eine bestimmte Sicht auf Kultur und Politik, sondern sie festigten auch vermenschlichende Bilder der Natur. Stillschweigend bestärkten sie die Annahme ihrer menschlichen Ausrichtung und konnten damit dem Phänomen ziellos zuschlagender katastrophaler Ereignisse begegnen.“132 Die bildhafte Sprache ist ein wesentliches Kennzeichen von Heerbrands Stil, das eng mit einem weiteren zusammenhängt: So zeigt sich in seiner Predigt die Bibelzentriertheit der Protestanten, gerade auch im Vergleich zu Schinbain. Heerbrand hat seinen Text sehr eng an der Heiligen Schrift orientiert und zitiert in den textbegleitenden
131 132
Holtz: Predigt. Religiöser Transfer über Postillen, S. 14. Briese, Olaf: Die Macht der Metaphern. Blitz, Erdbeben und Kometen im Gefüge der Aufklärung, Stuttgart 1998, S. 8.
4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen
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Marginalien133 die Bibelstellen als Literaturverweise, die er im Fließtext paraphrasiert. Die Predigt beginnt mit der Perikope und endet mit einem an Paulus’ Brief an die Römer angelehntem Gebet, in dem es um die aus Gottes Liebe entspringende Hoffnung und die Gewissheit des Heils geht.134 Thematisch bildet sich dadurch ein Rahmen der Predigt, der die Frohe Botschaft, Jesu Wunderhandeln und die sich darin ausdrückende Liebe und Fürsorge Gottes behandelt und damit sowohl eingangs als auch zum Ende der Predigt einen positiven Tenor entwickelt. Dazwischen finden sich ausschließlich alttestamentarische Bezüge, neben der Genesis und den Psalmen bezieht sich Heerbrand am häufigsten auf die Bücher der Propheten – die großen Jesaja und Jeremia und die kleinen Joel, Jona und Daniel.135 Die Propheten sind Kritiker und Mahner ihrer Zeit und verkünden von Gott inspirierte Botschaften. Inhaltlich geht es dabei also um die Kommunikation zwischen Gott und den Menschen, um biblische Episoden, in denen die Sünder durch Gott bestraft oder aufgrund von reumütiger Umkehr von Gottes Zorn verschont und zu diesem bekehrt worden sind. Der in der Predigt präsente Doppelcharakter von Kometen als zeichenhaft für Gottes Zorn und Strafe sowie für seine Gnade und sein Heilsversprechen wird somit durch die Heilige Schrift exemplifiziert und fundiert. Auch Heerbrands Stil ist biblisch gefärbt, etwa über seine gleichnishaften Analogien, die insbesondere den zweiten Predigtteil prägen. Einige der von ihm gewählten bildhaften Beispiele sind dabei außerdem lebensweltlich oder alltagsnah, was die erbauliche Wirkung der Predigt erhöht und die theologischen Inhalte verständlicher macht. So erläutert Heerbrand die im Kometen inkorporierte Botschaft Gottes durch das Procedere weltlicher Gerichte, die vor dem Angeklagten zunächst eine „Rechtsglöcklin“ dreimal läuten, ihm daraufhin ein Schwert zeigen und somit die Ernsthaftigkeit der Situation und seiner Vergehen vor Augen führen.136 Die im zweiten Predigtkapitel thematisierte menschliche Reaktion auf das göttliche Wunderzeichen behandelt Heerbrand in Bezug auf das bekannte Bild Gottes als Vater: Wir sollen nicht thun / wie etwa böse mutwillige Leckersbuben thun / die / wann sie sehen / daß ir Vatter zornig / und die Rutten in der Hand hat / fahen sie an zulachen / dardurch dann der Vatter je lenger je mehr erzürnet / unn erbittert / und sagt: Narr Lecker / ich will dir das lachen vertreiben / und hebt ihme dester baß hinan. Sonder sollen thun / wie fromme Kinder / die vor dem Vatter auff die Knü niderfallen / umb gnad und verzeihung 133
134 135 136
Dies entspricht der ersten Variante, die Ann Blair in ihrer funktionalen Typologie von Marginalien identifiziert, die zwei anderen sind Schlagworte und Überschriften, vgl. Blair, Ann: Annotating and Indexing Natural Philosophy, in: Frasca-Spada, Marina / Jardine, Nick (Hrsg.): Books and the Sciences in History, Cambridge 2000, S. 69–89, S. 72. Röm 8,18–33. Gen 4 und 18 behandeln die Ursünde des Brudermords von Abel an Kain sowie die Sündhaftigkeit von Sodom und Gomorra. Vgl. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bll. A 3v–A 4r. [4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bl. A 3r.
216
4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
bitten / und sagen: Ach lieber Vatter verzeihe mir / und vergib mir das / ich hab unrecht gethon / ich wils mein lebenlang nicht mehr thun / ich will ein frommes gehorsames Kind sein / etc.137
Mit Gott als Richter und als Vater bemüht Heerbrand nicht nur thematisch passende, sondern sehr sprechende Bilder, da sie einerseits auf die Sphäre der äußeren Gewalt, der Gerichtsbarkeit der Obrigkeit, verweisen und andererseits auf die Familie als Fundament lutherischer Lebensführung, als sozialen Ort von Geborgenheit und Nähe, aber auch von Erziehung zu Gehorsam und Gottesfurcht durch Zucht und Ordnung. Dies entspricht gleichsam der innersten äußeren Gewalt und zeigt die letzte Stufe, bevor normative Verhaltensdisziplinierung über das Gewissen als persönliche und rein innere Instanz läuft, was wohl dem Idealziel einer protestantischen Predigt am nächsten kommt.138 In der evangelischen Lehre ist die Rolle des Vaters als patriarchalischem Familienoberhaupt gestärkt worden, ihm unterliegt die gesellschaftsrelevante Aufgabe, die Kinder zu produktiven und gottgefälligen Mitgliedern der Gemeinschaft zu erziehen. Diese Auffassung transportiert Heerbrand nun, wenn er hier Gott mit der Metapher des strafenden Vaters umschreibt, der autoritäre Härte mit gütiger Milde verbindet. So wird nicht nur auf subtile Weise protestantische Lehre vermittelt, sondern wieder die Dualität des göttlichen Zeichens als Warnung und Bestrafung, als geißelnde Rute und als eindrücklicher Prediger an der himmlischen Kanzel und ebenso Gott in seiner Doppelrolle als gnädig Warnender und als zornig Strafender anschaulich gemacht. Die Sprache der Predigt mit ihren eindringlichen Metaphern und alltagsweltlichen Bezügen begibt sich ganz auf die Ebene der anvisierten Rezipienten. Obwohl Heerbrand wiederholt auf Gelehrte und erfahrene Leute und deren Erkenntnisse rekurriert, sind seine einzigen Verweise die auf die Bibel, auch verzichtet er komplett auf lateinische Zitate. Die Länge von 19 Seiten, die einfache Struktur der Predigt und der repetitive Stil unterstützen die Memorierbarkeit des Gesagten und sprechen nicht notwendig für ein einfaches, aber zumindest für ein unspezifisches, größeres Publikum, wie es beim Adressatenkreis einer Predigt zu erwarten ist. Die klare Struktur, die inhaltliche Redundanz, die rhetorischen Fragen und die plastische Metaphorik erinnern stark an den oralen Duktus des gesprochenen Worts. Die biblischen Paraphrasierungen markieren die religiöse Eingebundenheit der Inhalte und exemplifizieren die Interpretation historisch: Der Komet ist eine reale Verkörperung der theologischen Konzeption der zeichenhaften göttlichen Schöpfung; um diese Zeichen als die eines kommunizierenden Gottes zu interpretieren, bedarf es der biblischen Deutungsschemata.139 137 138 139
[4.5] Heerbrand: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen, Bll. B 1v–B 2r. Vgl. Holtz: Theologie und Alltag, S. 367–369. Siehe insbesondere Leppins Äußerungen zum Wechselverhältnis von Realität und zeichenhafter Deutung in Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 85–86.
4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen
217
Bei Heerbrand hat der Komet in einer weiteren Hinsicht einen Doppelcharakter, als göttliches Zeichen und als natürlich erklärbares Phänomen. Der Komet entsteht gemäß aristotelisch-meteorologischer Theorie aus terrestrischen Dämpfen und dessen beschriebene – und über die historische Kasuistik begründet zu erwartende – Folgen führt Heerbrand auf natürliche Ursachen zurück, die im Verderben der Luft durch das Verlöschen des Kometen ihren Ursprung haben. Gleichzeit fungiert er als göttlich instrumentalisiertes Zeichen, das komplett dem Willen und den unergründbaren Zielen des Allmächtigen unterliegt. Heerbrand hat sich der Mirakelfrage ausführlich und systematisch 1571 in einer Disputation und 1573 in seiner bereits erwähnten lutherischen Dogmatik Compendium Theologiae gewidmet. Demnach gebe es zwei Arten von Miracula, die von Gott und die vom Teufel gewirkten, wobei auch der Teufel nur aus Zulassung Gottes wirken könne. So zeugen Wunder von der Omnipotenz Gottes und sind daher mittels der Bibel als solche zu identifizieren. Heerbrands philippistisches Theologie- und Naturverständnis zeigt sich nun auch in einer Differenzierung des Wunderglaubens, indem er konstatiert, dass Wunder sich auch daran erweisen, auf natürliche Ursachen zurückzugehen.140 Das Wunderhafte ist hier nur noch in potentia vorhanden, da Gott von der Naturordnung abweichen und ihren regelhaften Verlauf jederzeit ändern kann; es ist hier aber klar vom Bereich des Magischen und Abergläubischen abgegrenzt. Die auf konfessionelle Bestätigung ausgerichtete Textsorte der Predigt kann Heerbrand nutzen, um diese Unterschiede zur katholischen Wundersicht oder anderen Glaubenspraktiken – Exorzismen, Talismane, Teilhabe an Heiligenwundern durch Wallfahrten – subtil zu betonen. Weichenhan spricht in diesem Zusammenhang von einer kontroverstheologischen Nivellierung des Unterschieds zwischen Mirakel und gewöhnlicher Naturordnung.141 4.2.3 Die Popularisierung des Kometenmotivs Die Predigt Heerbrands regt den württembergischen Schulmeister Vitalis Kreidweiss aus Leonberg zu einem Kometengedicht an, das dieser 1580 in Tübingen anlässlich der erneuten Kometenerscheinung in diesem Jahr bei Alexander Hock veröffentlicht.142 Diese Schrift von 12 Blatt bezieht sich explizit auf Heerbrands Predigt, folgt ihr inhaltlich, intentional und stilistisch sehr eng und verdeutlicht damit nicht nur die Popularität Heerbrands, sondern auch die kommunikative Dimension seiner Kometenschrift, die von Kreidweiss popularisiert wird: Er kopiert Heerbrand zum Teil bis auf den Wortlaut, behandelt die Themen in derselben Reihenfolge und gebraucht dieselben 140 Vgl. Ehmer: Zeichen und Wunder, S. 188. 141 Vgl. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 78. 142 [4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung. Zum Kometen 1580 siehe Kronk: Cometography, S. 321–322.
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
Bilder und Beispiele. Kreidweiss liefert geradezu ein Kondensat der Botschaft Heerbrands und fokussiert dabei den oben angesprochenen Aspekt des Nebeneinanders von naturkundlicher und theologischer Kometeninterpretation: Die Glehrten wöllen ursachen sagen / Die all Cometen sollend haben: Die ich jetzund will lassen stohn / Und ire Causas faren lohn. Keim Doctor ich ins Handtwerck fall. Wir solln die Ehr Gotts fürdern all: Ein jedem laß ich seinen won / Und sag nur was ich halt darvon. Kein Physicum ich mich selbs nenn / Allein die warnung Gottes erkenn. Die Physicam veracht ich nit: Hie neben doch den leser bitt / Er wöll anhören andrerley / Was dises zeichens ursprung sey. Die grossen Sünd und missethat / Darab die Welt kein schewen hat / Die Causae naturales sind / (Wie ich in meiner Bibel find) Daher uns der Comet entspringt / Und in den Lüfften würt anzündt.143
Vielleicht noch deutlicher als bei Heerbrand wird hier eine relativ konfliktfreie oder harmonische Parallelität von Naturkunde und Theologie in der Erklärung des Phänomens Komet präsentiert. Gleichzeitig scheint aber auch eine klare Abgrenzung ihrer Aufgabenbereiche durch, so dass die Relation eher als Nebeneinander denn als Miteinander charakterisiert werden kann. Kreidweiss akzeptiert die physikalische Sichtweise, fühlt sich aber selbst nicht berufen, diese weiter auszuführen oder zu kommentieren, sondern beschränkt sich auf seine Kernkompetenz der theologischen Deutung des Kometen als göttliches Zeichen. Naturkundliche Elemente werden in ihrem Bezug zu dieser theologischen Dimension dargestellt, wenn Kreidweiss schreibt: „Der Comet ist ein dunst voll gifft / Von Gott auffzogen in die Lüfft / Ein böser dampf und schädlich dufft / Der uns verfälscht den gutten Lufft.“144 Ähnlich wie bei Heerbrand spielt daher auch die Astrologie keine große Rolle. Diese wird als Teil der naturkundlichen Dimension gesehen, die nicht primär Domäne der Theologen ist: „Die Glehrten schreibent vil darvon / Wie lang
143 [4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung, Bl. A 2v. 144 [4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung, Bl. A 4v.
4.2 Heerbrands Predigt vom erschrockenlichen Wunderzeichen
219
der gröst Comet mög stohn: Je länger solche zeichen stehn / Je grösser Straffen nach her gehen. Wie lang der stehn soll / weist Gott woll“145 Kreidweiss rekurriert nicht auf astrologische Kausalketten zur Erklärung des Zustandekommens der Kometenwirkungen; die von ihm erwähnten Kometenfolgen erscheinen daher auch nicht in der Reihenfolge, die nach einer solchen Kausalität der natürlichen Verursachung zu erwarten wäre. Der Komet ist ein Strafzeichen Gottes und die Ursachen für sein Erscheinen liegen im sündigen Handeln und Leben der Menschen. Entsprechend wird die Deutungsmacht über das Phänomen allein dem theologischen Rahmen zugesprochen: Was aber diser [der aktuelle Komet] uns bedeut / Das weist allein die war Gottheit. Der trewe Vatter warnet vil Dannoch sich niemand besser will. Daß Gottswort man mit füssen trit / Die Predig will man hören nit: Darumb Gott selbs ein Predig helt / Und tröwet nun der gantzen welt / Ob sie doch wolt umb warnung geben / Und bessern das gottlose leben.146
Ebenfalls stärker als Heerbrand verknüpft Kreidweiss seine Kometendeutung mit aktuellem Geschehen und liefert damit eine Reflexion auf die zeitgenössische Bedrohungserfahrung durch die Expansionsbestrebungen des osmanischen Reiches. Die politische Dimension interessiert hier weniger als die religiöse; ähnlich wie die naturkundlichen Aspekte von Kometen – und in Verbindung damit – wird auch dieses Geschehen in ein theologisches Deutungsschema integriert: „Hierauff so will ich zeigen an Mein schlechte Speculation, Wie sich diser Comet vergleich Mit Mahmets lehr / gewalt und Reich.“147 Kreidweiss identifiziert die Lehre der Mohammedaner mit dem „böse[n] dampff “148, der als göttliche Strafe in Form des Kometen seine üble Wirkung ausübt: Der Stern in seinem Circk herumb / Bedeut das Türckisch Keiserthumb / Das war zum ersten auch nit groß / Doch bald gar hefftig umb sich fraß: Als wie der Stern auch von sich streckt Ein Schwantz / der immer mehr zu legt / Wirt immer breiter / biß zu end.
145 146 147 148
[4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung, Bl. B 1v. [4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung, Bl. A 4r. [4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung, Bl. A 4v. [4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung, Bl. B 1r.
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4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
Also der Türck mit seim geländ / Erweytert und zerbreitet sich / Mit seim gewalt gar grausamlich. So sieht auch enlich einem Bäsen Dieser Comet / in seinem wesen. (…) Auß bäsen man gut ruten macht Deß mancher böser bub nit lacht / Wan er darmit soll gstrichen werden. Also der Türck / auff diser Erden / Ist Gottes Rut / darmit er strafft / Wan andere zucht kein nutzen schafft.149
Kreidweiss’ interpretatorische Identifizierung des Kometen mit „der Türkengefahr“ rekurriert also auf einige seiner empirisch ermittelbaren Eigenschaften, etwa dessen Form. An anderer Stelle bezieht er sich auf den Lauf des Kometen: So wie der Komet um einige Grad am Himmel aufgestiegen ist, so wird auch das Vorrücken des türkischen Heeres von Erfolg gekrönt sein.150 Diese analogische Ausdeutung des Kometen unter Bezug auf das politische Geschehen, das gleichzeitig in den theologischen Deutungsrahmen einer Welt, die vom zeichenhaft offenbarten Handeln Gottes bestimmt ist, eingeordnet wird, unterstützt nicht nur die Wirksamkeit des von Kreidweiss formulierten Appells zur Verhaltensänderung und Rückbesinnung auf eine tugendhafte und gottgefällige Lebensführung. Der Komet als erschreckendes Phänomen wird damit genauso erklärt wie das noch beängstigendere Szenario einer existentiellen Bedrohung durch ein feindliches Heer. Beiden Erfahrungen wird durch Rückbezug auf deren zweckhafte Verursachung durch Gott Sinn verliehen, womit sie emotional und rational bewältigt werden können.151 Durch diese teleologische Perspektive kann die Welt trotz aller Widrigkeiten insgesamt positiv gewürdigt werden.152 Um seine Botschaft zu komplettieren, versäumt Kreidweiss nicht, eine konfessionspolemische Komponente unterzubringen, indem er den Kometen mit dem Papst vergleicht, der als Unterstützer der politischen und häretischen Absichten der Mohammedaner präsentiert wird.153 Es ist die durch den Teufel in Form der römischen Kirche verursachte Uneinigkeit der Christenheit, die den Invasoren in die Hände spiele. Ähnlich wie Heerbrand schließt Kreidweiss seine Schrift mit einem Gebet. 149 [4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung, Bll. B 1r–B 1v. 150 Vgl. [4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung, Bl. B 1v. 151 Rienk Vermij hat in Bezug auf die frühneuzeitliche Interpretation von Naturkatastrophen (Erdbeben) überzeugend auf die Funktion der Deutung solcher Ereignisse im Rahmen einer Straftheologie als eine Art Rationalisierung hingewiesen, siehe Vermij: Erschütterung und Bewältigung. 152 Holtz: Theologie und Alltag, S. 68. 153 Vgl. [4.7] Kreidweiss: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung, Bl. B 2r.
4.3 Zusammenfassendes Fazit
221
4.3 Zusammenfassendes Fazit Sowohl Schinbain als auch Heerbrand und Kreidweiss nutzen das Erscheinen des Kometen, um mit ihren Schriften eine moraltheologische Botschaft zu vermitteln. Sie präsentieren den Kometen in einer heilsgeschichtlich verstandenen Welt als Zeichen göttlichen Zorns über eine Zeit, in welcher der Großteil der Menschen ein sündiges Leben führt sowie Gottes Wort und Gebote missachtet, und bauen darauf einen Aufruf zu Reue, Buße und Umkehr. Ihnen geht es dabei um die Vermittlung theologisch fundierter sozialethischer Anweisungen als ein „auf Besserung gerichteter Imperativ“.154 Aufgrund des von ihnen gewählten Mediums der volkssprachigen Flugschrift, dem Stil und der inhaltlichen Ausgestaltung des Themas lässt sich auf einen ähnlichen Adressatenkreis schließen. Zudem reflektieren und instrumentalisieren die Autoren, wenn auch in verschiedenem Umfang, zeitgenössisches Geschehen, insbesondere die als Bedrohung empfundenen Expansionsbestrebungen des osmanischen Reiches. Konfessionspolemische Elemente finden sich ebenfalls in allen drei Schriftwerken, stehen aber nicht im Vordergrund. Stattdessen zielen die Autoren eher auf eine Festigung oder Bestätigung bereits bestehender religiöser Überzeugungen ihrer Rezipienten, indem sie ihre theologische Kometeninterpretation durch konfessionsspezifische Aspekte untermauern und einbetten. Bei allen dient das auch einer Außenpräsentation der Geschlossenheit und Legitimation ihrer konfessionellen Gruppe und ist damit weniger kämpferisch als auf Normierung von Anschauungen gerichtet.155 Ihre Schriften eint damit der erbaulich-kontemplative und appellative Charakter: dem erschreckenden Ereignis einer eindrucksvollen Kometenerscheinung wird durch Erklärung und vor allem Deutung Sinn verliehen, was eine tröstende Funktion hat und – auch durch die offerierte Komplexitätsreduktion – zur Bewältigung einer als widrig und unbeeinflussbar empfundenen Lebensrealität beiträgt. Gleichzeitig werden das Phänomen und die damit verbundene persönliche Betroffenheit pädagogisch zur „didaktische[n] Funktionalisierung im Hinblick auf das Herbeiführen einer christlichen Lebensführung“ aufgegriffen.156 Trotz aller Gemeinsamkeit in Grundintention und -inhalten, zeigen sich bei den in diesem Kapitel analysierten Quellen gerade im Detail auch Unterschiede. Sie stehen sicherlich mit der unterschiedlichen Konfession der Autoren in Zusammenhang, haben aber auch formale – durch die Unterschiedlichkeit der Textsorten Chronik und Predigt – und soziale Gründe, da hier Autoren mit verschiedenem Bildungshintergrund und aktueller Lebens- bzw. Professionssituation agieren, was die konkrete Ausgestaltung der Inhalte beeinflusst. Es zeigt sich, dass bei Schinbain und Heerbrand die theologische Dimension des Kometen als göttliches Zeichen im Vordergrund steht 154 155 156
Ehmer: Zeichen und Wunder, S. 193. Vgl. Leppin: Antichrist und jüngster Tag, S. 37. Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 53.
222
4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
und die Kontextfelder Naturkunde und Astrologie diesem Primat untergeordnet sind. Die Zeichenhaftigkeit des Kometen verbindet den religiösen mit dem natürlich-astronomischen Himmel, wobei die Deutung der Botschaft die Verbindung zwischen göttlichem und menschlichem Bereich expliziert. Der Kreis schließt sich, wenn das sündige Verhalten der Menschen als Ursache für Gottes Zorn und damit das Erscheinen und die Folgen des Kometen dargestellt wird. Welche Rolle spielt nun die Dimension des Kometen als Naturphänomen? Schinbain konstatiert gleich zu Beginn, dass er Kometenerscheinungen und andere „Luftwürckungen“ behandelt, die sich übernatürlicher Weise zutragen. Ontologisch gesehen befinden sie sich als meteorologische Phänomene, die aus terrestrischen Exhalationen entstehen, in der Atmosphäre und damit in der Natur; der Anlass ihres Erscheinens und des auf sie folgenden Geschehens ist aber teleologisch durch Gott gesetzt: Kometen als Warnzeichen Gottes sind rein indizierend, ihre Folgen sind göttliche Strafen, die nicht kausal, sondern metaphysisch auf den Kometen zurückgeführt werden. Diese Indikatorfunktion der Kometen wird über die historische Kasuistik belegt, wobei die Astrologie das technische Handwerkszeug zur konkreten Ausdeutung der Erscheinung bietet. Diese Astrologie rekurriert nicht auf Kometen als Ursachen der ihnen zugeschriebenen Folgen, da das für Schinbain ihrem übernatürlichen Charakter widerspräche; die astrologische Deutung buchstabiert die göttliche Botschaft aus, denn nicht Gestirnskonstellationen determinieren das menschliche Schicksal, sondern Gottes Wille. Die von Schinbain durchaus – und auch weit ausführlicher als bei Heerbrand – thematisierte naturkundliche Kometentheorie bildet die Grundlage für ein physikalisches Verständnis des Phänomens. Die ursächliche Beteiligung der Planeten an der Entstehung von Kometen als Kennzeichen der augmentierten meteorologischen Theorie legitimiert die Rolle der Astrologie als Wissenschaft der Ausdeutung. Die Ausführlichkeit der Gegenwartsanalyse und -bewertung bei Schinbain ist methodisch gesehen eine Grundlage für diese Ausdeutung und Veranschaulichung des historisch-empirisch belegten Zusammenhangs zwischen menschlicher Sünde und göttlicher Strafe. Heerbrand beschreibt den Kometen in seiner Predigt bereits im Titel als Wunderzeichen. Das Wunderhafte liegt bei ihm nicht in der Abweichung von der Naturordnung begründet, sondern in der Instrumentalisierung durch Gott, der ein Naturphänomen zum Realprediger seiner Botschaft macht. Die Entstehung und Wirkung des Kometen kann daher durch natürliche Ursachen erklärt werden und diese naturkundliche Dimension wird analogisch in die theologische Konzeptualisierung integriert, indem z. B. konkrete Elemente religiös aufgeladen werden – etwa in Form der Vorstellung terrestrischer Exhalationen als Sündendämpfe. Heerbrand verwendet diese Verbindung von naturkundlicher und theologischer Dimension auch über die Inhalte hinausgehend, indem er sie etwa auf die Ebene des literarischen Stils und der Metaphorik überträgt, wenn er vom Löschen des Kometenfeuers mit den Tränen der Buße spricht. Die Kometenfolgen sind bei ihm tatsächlich Wirkungen, die ihren Ursprung
4.3 Zusammenfassendes Fazit
223
in der Verschlechterung der Luft durch das Verlöschen des Kometen haben, woraus sich kausal alle weiteren ergeben. Die Betonung der Natürlichkeit von Phänomenen, die in dieser Weise theologisch-zeichenhaft gedeutet werden, ist auch deshalb wichtig, weil nur so das Studium der Natur überhaupt zu Gott führen kann. In der melanchthonisch geprägten Verbindung von Naturphilosophie und lutherischer Theologie muss die Natur als „providential creation“ dem menschlichen Intellekt und seiner Ratio zugänglich sein.157 Die Astrologie interessiert nur als Teil der naturkundlichen Erklärung des Phänomens und beide werden in der Publikation nur am Rande erwähnt. Die astrologische Kometendeutung erlaubt auf diese Weise, im naturkundlich-kausalen Denkschema verbleiben zu können, ohne zum Auslegungsanspruch der Theologie in Konkurrenz zu treten. Diese prinzipiell bestehende Konkurrenzsituation im Anspruch auf Weltdeutung zwischen der Astrologie als Teil der Naturkunde und der Theologie scheint Kreidweiss deutlicher zu spüren, weshalb die bei Heerbrand schon anklingende Parallelität von naturkundlicher und theologischer Kometeninterpretation bei Kreidweiss etwas expliziter ausgeführt wird. Die Analyse zeigt, dass die beiden untersuchten Kometenflugschriften nicht als gegensätzlich zu charakterisieren sind, da sie sich im Grundtenor ähneln, aber auf der Detailebene einige Unterschiede aufweisen: Die theologische Konzeptualisierung von Kometen und ihre Instrumentalisierung für einen Bußaufruf behandeln beide Autoren, wenn die Publikationen auch durch unterschiedliche, z. T. konfessionell spezifische Akzentsetzungen geprägt sind. Bei Schinbain überwiegt die erbauliche, bei Heerbrand vielleicht die auf praktische Lebensführung zielende Intention. Die herausgearbeiteten Unterschiede veranschaulichen einmal mehr, was für ein komplexes Bild der Anschauungen sich in der theologischen Kometeninterpretation manifestiert, je quellennäher die Analyse ist: Der lutherische Heerbrand ist hier, obwohl Anhänger Melanchthons, nicht so sehr der Astrologie zugeneigt wie der Katholik, auch sind seine Ausführungen zur naturkundlichen Kometentheorie viel spärlicher, so dass das Ziel der Vermittlung von Orientierungswissen zum Verstehen des Naturphänomens eher durch Schinbain erreicht wird. Trotzdem ist bei diesem der Komet als übernatürliches, rein indizierendes Zeichen präsentiert, was der katholischen Sichtweise von Wundern entspricht, während Heerbrand die kausale Verursachung und Wirkweise des Naturphänomens betont, insoweit sie sein theologisches Verständnis der Welt als zeichen- und zweckhafte Schöpfung Gottes unterstützen. Im Ergebnis scheint die protestantische Wunderzeichensicht in der Kometendeutung eine harmonischere Verbindung von Elementen der drei Kontextgebiete zu ermöglichen – was auch Teil der Erklärung des quantitativen Übergewichts der Kometenflugschriftenautoren dieser konfessionellen Zugehörigkeit sein könnte.
157
Vgl. Barker, Peter / Goldstein, Bernard R.: Theological Foundations of Keplers Astronomy, in: Osiris 16 (2001), S. 88–113, S. 97.
224
4 Die theologische Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen
Heerbrand sieht Kometen als Zeichen Gottes, rekurriert aber auf ihre Natürlichkeit, da die Natur als Offenbarung Gottes gesehen wird und ihre Untersuchung ein Weg ist, Wissen über Gott zu erlangen, dessen Providenz durch die Natur manifestiert ist. Kometen haben natürliche Ursachen wie alle natürlichen Wirkungen, jedoch ist Gott der Natur als prima causa vorgeordnet, was das Hauptmerkmal melanchthonischer Naturphilosophie ist, die Volkhard Wels als eine Verschmelzung von natürlicher Theologie und Naturphilosophie charakterisiert.158 Die bei Melanchthon sehr präsente Astrologie scheint bei Heerbrand keine so große Bedeutung zu haben, zumindest nicht in der hier untersuchten Kometenpredigt. Dies kann als ein Hinweis auf die beginnende Marginalisierung der Astrologie gelesen werden, die nicht so sehr aus ihrer Konkurrenz zur Theologie im Anspruch auf Deutungshoheit zu entspringen scheint – was eher bei Kreidweiss durchscheint – als vielmehr in ihrer sinkenden Relevanz in der adäquaten Behandlung oder Darstellung des Themas begründet liegt.159 Die Quellenanalysen des nächsten Kapitels beleuchten daher eingehender die Rolle und die verschiedenen Facetten der Astrologie in den Kometenflugschriften.
158 159
Vgl. Wels: Manifestationen des Geistes, S. 128. Zu dieser These siehe Vermij, Rienk: The Marginalization of Astrology Among Dutch Astronomers in the First Half of the 17th Century, in: History of Science 52/2 (2014), S. 153–177.
5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung In diesem Kapitel werden einige Facetten der Astrologie in den Blick genommen, um zu konkretisieren, welche Ausprägungsformen und argumentativen Positionen Elemente dieser Disziplin in den Flugschriften zum Großen Kometen von 1577 einnehmen. Im dritten Kapitel ist durch die Analyse der Schriften der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts insbesondere die verbindende Rolle der Sterndeutungskunst herausgearbeitet worden, die auf ihrer Konnektivität zu den anderen beiden Kontextfeldern Naturkunde und Theologie beruht, wobei die Astrologie in diesem Zusammenspiel primär eine explikative und legitimierende Funktion innehat. Die Untersuchung ihrer Präsentationsweise, ihrer interpretativen Bezugspunkte und ihrer Position in verschiedenen Funktions- und Argumentationszusammenhängen soll nun ermöglichen, die Entwicklung des integrierten Kometenbildes im letzten Jahrhundertdrittel allgemeiner zu betrachten. Die Werke des Wiener Klerikers Johann Rasch (1540–1612), des Görlitzer Astronomen Bartholomäus Scultetus (1540–1614) und des Danziger Mathematikprofessors Matthias Meine (1544–1601) stehen dabei schwerpunktmäßig im Fokus der Analyse. Diese Schriften sind nicht nur in drei recht verschiedenen geographischen Kulturräumen entstanden, sondern auch von Autoren unterschiedlicher professioneller, sozialer und konfessioneller Provenienz verfasst worden. Während Scultetus und Meine in einem protestantischen Umfeld wirken, steht das publizistische Schaffen Raschs im Zeichen seiner gegenreformatorischen Überzeugungen. Scultetus gehört als Gymnasiallehrer und Ratsherr zum herrschenden Bürgertum in Görlitz, während Meine Teil des Baltischen Netzwerkes1 astronomischer Gelehrter und Rasch als Schulmeister und Erbauungsschriftsteller im katholischen Wien tätig ist. Alle drei Autoren haben einen akademischen Hintergrund, sind umfangreich schriftstellerisch tätig und publizieren sowohl auf Deutsch als auch auf Latein. Die nun zu analysierenden volkssprachigen Kometenschriften richten sich primär an die illiterati, wobei Rasch bereits in seinem Titel explizit „den gemainen Mann“ adressiert. Die Werke von Scultetus und Meine 1
Vgl. dazu Omodeo, Pietro D.: Metaphysics Meets Urania. Daniel Cramer and the Foundations of Tychonic Astronomy, in: Granada, Miguel Á. / Boner, Patrick J. / Tessicini, Dario (Hrsg.): Unifying Heaven and Earth. Essays in the History of Early Modern Cosmology, Barcelona 2016, S. 159–188.
226
5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
werden 1578 veröffentlicht; das von Rasch erst 1582. Es ist in mehrerlei Hinsicht eine untypische Kometenflugschrift – was nicht nur an der katholischen Konfession des Autors liegt – und soll daher einleitend untersucht werden. 5.1 Johann Rasch: Kometenwissen im katholischen Profil Johann Rasch wird 1540 in Niederösterreich geboren und beginnt nach einer musikalischen Ausbildung in Wittenberg und Wien – hier als Schüler des Arztes und Astronomen Bartholomäus Reisacher – zu studieren.2 Er reist viel, nimmt erste Tätigkeiten als katholischer Kleriker auf und lässt sich schließlich 1570 in Wien nieder, wo er als Organist und Komponist im Schottenstift beschäftigt ist. Nebenbei betreibt er einen Buchhandel und beginnt schriftstellerisch tätig zu werden, später wird er zwischenzeitlich auch als Schulmeister angestellt. Seine frühesten Publikationen sind musikalischer Natur, Ende der 1570er Jahre folgen die ersten kalendarischen und prognostischen Werke.3 Daneben hat er historische, genealogische, prophetische und erbaulich-religiöse Schriften verfasst, wobei seine bis heute bekannteste ein Buch über Anbau, Pflege und Anwendungsweisen des Weines ist.4 Der Münchner Drucker Adam Berg, der als Hauptverleger gegenreformatorischer Schriften im deutschen Sprachraum gilt, scheint von Anfang an mit Druck und Verlegung der meisten Publikationen Raschs betraut gewesen zu sein. Dessen erbaulich-religiösen Werke behandeln dezidiert katholische Themen, so schreibt er etwa über das Fasten, über Heilige oder ein Blutwunder in einer lokalen Kirche. Als überzeugter und strenggläubiger Katholik bezieht er durchaus Stellung im literarisch ausgefochtenen Streit der Konfessionen5: 2 3 4
5
Die biographischen Angaben beruhen wesentlich auf Schoene, Renate: Nachwort zu Rasch, Johann: Das Weinbuch, Nachdruck der Ausgabe um 1580, Dortmund 1981 (Die bibliophilen Taschenbücher 263), S. 125–127. [5.10] Rasch, Johann: Canticulae pascales. Ad reverendum Dominum Abbatem Gärstensem. Tenor. (discantus.) (altus.) (bassus.), München 1572 (VD16 ZV 2921) und [5.22] Ders.: Quatuor nihil valet, München 1574 (VD16 R 321). Es handelt sich dabei um eins der ältesten Weinbücher in deutscher Sprache: [5.25] Rasch, Johann: Weinbuch. Das ist: Vom Baw und Pflege des Weins wie derselbig nützlich sol gebawet was ein jeder Weinziher oder Weinhawer zuthun schuldig auch was für Nutz und Schaden durch sie kan aussgericht werden. Allen Weingart Herren sehr nothwendig zu wissen. Daneben auch wie man allerley Kreuter und Brantwein, Essig, Meth, und Bier, machen, erhalten, und welche abgestanden, wie denselbigen wider zuhelffen sey, München 1580 (VD16 R 324). In VD16 finden sich 35 von Rasch verfasste Titel gelistet, darunter auch wenige Wiederauflagen. Hille charakterisiert Rasch als Kontroverstheologen, vgl. Hille: Providentia Dei, Reich und Kirche, S. 146–147. Raschs am meisten eindeutige Werk in dieser Richtung ist [5.18] Rasch, Johann: Kirch Gottes. gründliche lauttere Erinderungen von der heiligen allgemainen ainigen christlichen Kirch auff Erden darinn die Gmainschafft der Heyligen wie unter und aus so unzehlig villerlay Spaltungen Secterey und Schwörmerey welche doch die war (…) Religion, oder die falsch Synagog (…) sey in der Weld an
5.1 Johann Rasch: Kometenwissen im katholischen Profil
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So schreibt er etwa eine Replik auf eine polemische Schrift des oben behandelten protestantischen Theologen Jacob Heerbrand.6 Auch in seinem Weinbuch widmet Rasch der theologischen Bedeutung des Weins in der katholischen Messe ein eigenes Kapitel und argumentiert gegen die seiner Meinung nach diesbezüglichen falschen Lehren und die Missachtung der Sakramente im Luthertum.7 In vielen seiner Schriften – fast alle deutschsprachig und einige in Reimform – geht es Rasch explizit um die Ansprache, Information und Aufklärung des gemeinen Mannes. So verfasst er 1590 z. B. eine allgemeinverständliche Einführung in die Kalenderkomputistik8, nachdem er bereits mit seinen Kalenderschriften der vorangegangenen Dekade den illiterati die gregorianische Kalenderreform zu erklären und die Bedenken dagegen zu vertreiben suchte, dass der Papst sich anmaße, durch das Überspringen von zehn Tagen den natürlichen Lauf der Dinge zu manipulieren.9 Neben diesem Ansinnen, gleichsam Werbung für die Reform Papst Gregors zu machen, geht es Rasch in diesen Werken auch darum, seinen Lesern die Grundlagen des Kalenderund Praktikenwesens nahezubringen, nicht zuletzt um ihnen zu ermöglichen, Prognostiken besser zu verstehen und sie kritisch einzuschätzen. Es verwundert nicht, dass der Altgläubige insbesondere die Prognostiken protestantischer Autoren anprangert, wobei seine Kritik inhaltlicher und methodologischer Natur ist. In Gegenpraktiken10
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der Arch Noe an dem Schiff Petri (…) und an den Früchten sicher zuerkennen und standhafft zu bekennen sey. Anno 1584, Wien 1598 (VD16 R 309). [5.17] Rasch, Johann: Ketzer Katz. Inhalt des Tractatus lau. alb. doct. herbrando eingreimt, Graz 1591 (VD16 R 308). Bei der Polemik Heerbrands, auf die Rasch sich bezieht, handelt es sich um: [5.8] Heerbrand, Jacob: Ketzer Katzen, christlicher Bericht: Von, uber, unnd wider das ungegründet Ketzterkatzen Gemäld und Geschrey, so newlicher Zeit, von einem ungenannten Papisten aussgesprengt: unter dem Tittel Ketzter Katzen: darumb dass die Ketzer Katzenart haben. in welchem augenscheinlich erwiesen, welchen Parthen, die Papisten, oder die lutherischen (wie man sie nennet) die rechte Ketzerkatzen seien; etc., Tübingen 1589 (VD16 H 1041). Vgl. [5.25] Rasch: Weinbuch, Bl. A 4r–C 3r. [5.19] Rasch, Johann: Neu Kalendar. Das erste Buch. Von computistischen Kirch Calenders Besserung und Wunder von neues gregorischen Ostercycli Änderung von astronomisch georndten Neu Jars Zeits Anfang der resolvirten Tabulen Canonen, Schaltungs Ubermass Aequinoctien, Revolution der Sunnen und alles dess Wesens zu guter Gedechtnus etlich notwendige Bedencken oder Retractation (…) gar verständlich (…) wie volgends Blat weiter innhelt, Rorschach 1590 (VD16 ZV 12958). Vgl. Mahlmann-Bauer: Die Bulle ‚contra astrologiam iudicariam‘ von Sixtus V., S. 184. Zu nennen wären hier etwa Repliken auf Schriften des calvinistischen Predigers Wilhelm Misocacus aus Danzig: [5.16] Rasch, Johann: Gegenpractic wider etliche Aussgangen Weissag Prognostik und Schrifften sonderlich des Misocaci uber das 84. und 88. Jare von Untergang hohes Geschlachts Änderung der Reich und Religion newem Calen der letzten Zeit Antichrist und End der Welt, München 1584 (VD16 R 302); [5.21] Ders.: Practica wider etliche Weissagungen und Prognostica, sonderlich des Misocaci vom Antichrist letzter Zeit und End der Welt von Undergang hohes Geschlechts von Änderung der Reich und Religion ein Urtheil und allgemeiner Bericht auss den Zufällen des 67. und 88. Wunderschaltjars, München 1586 (VD16 R 320) sowie [5.15] Ders.: Gegenpractic. Urthail und allgemainer khurtzer Bericht wider etlich auss-
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
oder Werken scheinbar rein kalendarisch-prognostischen Charakters11 kritisiert er die „Propheten der wittenbergischen Einfalt“12 dafür, das Gebiet angemessener astrologischer Praxis durch ihre Fokussierung auf die astrologia iudicaria und das Integrieren eschatologischer Spekulationen unlauter auszudehnen – nicht zuletzt da ihnen die Kompetenz für die gebotene Form ihrer Durchführung fehle – und damit das einfache Volk zu beunruhigen und zu ängstigen.13 Im selben Jahr wie das nachfolgend zu analysierende Kometenwerk, das Rasch 1582 in Rückblick auf den Kometen 1577 und den „Stern“ von 1572 verfasst, veröffentlich er ein ähnliches Werk zum Thema Erdbeben.14 Diese Schriften vermitteln seine Sichtweise von Wunderzeichen und bilden den Anfang der oben beschriebenen literarischen Agenda Raschs. Besonders das Wunderjahr 1588, in dem einer alten Prophezeiung15 gemäß die Wirkung der Großen Konjunktion von 1584 ihren Höhepunkt erreichen sollte, ist Anlass für zahlreiche Publikationen, die große Veränderungen oder gar den Weltuntergang prophezeit und zur Verunsicherung breiter Kreise geführt haben, wogegen Rasch sich beschwichtigend positionieren und informierend aufklären will. Er glaubt zu durchschauen, welche
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gangene Weissag Prognostic Practic und Troeschrifften ausz den zuefällen des 84. unnd 88. Wunderjaren sunderlich des Misocacs von Undergang hoches Geschlechts und der röm: Clerisey von Änderung der Reich und Religion von Antichrist von lester Zeit und End der Weld, München 1588 (VD16 R 305). [5.13] Rasch, Johann: Ein new all järiger Calender darin sonderlich zu finden der Sunnen Auff und Untergang: Tags Anbruch und Schaidung: Tag und Nacht Leng: Grösse der Planeten Stund: Bewegliche unnd stäte Fest: Sunnen Lauff: Gulden Zal und Epacta der Newmonden: Tabulae directorii et cicli ecclesiasti, München 1584 (VD16 R 312). [5.11] Rasch, Johann: Cometen Buech. Von dem newen Stern des 73. unnd von den Cometen des 77. unnd 81. Jars auch von allen anderen Cometen unnd newen Stern Erscheinungen geschicklicher Erforschung zu urtheilen wie die Beschreibungen derselben hiedurch zuverstehen sey, München 1582 (VD16 R 310), Bl. F 3r. Vgl. dazu die Analyse bei Mahlmann-Bauer: Die Bulle ‚contra astrologiam iudicariam‘ von Sixtus V. [5.24] Rasch, Johann: Von Erdbiden, etliche Tractät alte und newe hocherleuchter und bewärter Scribenten: Inn welchen klärlich angezeigt, was dieselbigen jederzeit Gutes oder Böses mitgebracht: Auch was darauff erfolget sey: Weil nach des Herrn Christi Weissagung, zu den letzten Zeiten, vil Erdbiden geschehen söllen. Dieser Zeit jeder menigklich sehr tröstlich unnd nützlich zu wissen, München 1582 (VD16 ZV 11372). Knapp zehn Jahre später folgt [5.14] Ders.: Erdbidem Chronic nach Art eines Calenders sambt einem kurtzen Bericht unn Catalogo autorum. Darinn allerley Erdbiden und Erdklüfften vor Christi Geburt 1569 und sovil deren biss auff diss 1591. Jar her beschrieben: Diese seyen von innerlichem Erdrich herauss oder vom Himmel herab von Lufft Wind und Wetter verursacht darauss zusehen und zulernen was desto tröstlicher sich menniglich darnach zurichten hat, München 1591 (VD16 R 299). Rasch konstatiert in seiner Praktik zum Wunderjahr 1588, dass viele diese Weissagung Melanchthon oder Luther, andere Regiomontanus oder Peurbach, wieder andere sie neueren Autoren zuschreiben. Er vermutet ihren Ursprung bei einem deutschen Prognostiker des späten 15. Jahrhunderts, vgl. [5.20] Rasch, Johann: Practica auff das Grosswunder Schaltjar M. D. LXXXVIII, Graz 1587 (VD16 R 318), Bl. A 4v. Zur Tradition und publizistischen Bedeutung der Prophezeiung siehe Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 64–67.
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politischen16 und polemischen Funktionen die wiederholten Weltuntergangsprognosen seines konfessionellen Gegners haben sollten und nutzt seinerseits wunderhafte Himmelsereignisse, um die katholische Sichtweise zu propagieren. In diesem Kontext ist Raschs Kometenschrift, die 1582 bei seinem bevorzugten Drucker Adam Berg in München erscheint und 29 Blatt im Quartformat umfasst, zu verstehen. Der Titel informiert treffend über die Intention des Werkes und macht dessen strukturelle Anlage verständlich, weshalb er hier in Gänze zitiert wird: Cometen Buech. Von dem newen Stern des 73. unnd von den Cometen des 77. unnd 81. Jars / auch von allen anderen Cometen unnd newen Stern erscheinungen / geschicklicher erforschung zu urtheilen / wie die beschreibungen derselben / hiedurch zuverstehen sey / für den gemainen Mann so auff frembde wort und art von Astronomischen circkelwerck zu reden / nit geübt / allen frommen Christen zum trost und dieser zeit sehr notwendig zu wissen.17
Auf dem Titelblatt findet sich darunter ein einfacher Holzschnitt (siehe Abbildung 5.1), der drei stilisierte, verschieden große Kometendarstellungen zeigt, wobei es sich wahrscheinlich um eine Illustration der drei im Titel genannten astronomischen Ereignisse handelt:
Abb. 5.1 Titelillustration von Raschs Cometen Buech (1582)18
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Rasch ist ein treuer Anhänger des Hauses Habsburg, dessen Untergang u. a. Misocacus in einer seiner Schriften prophezeit hat. Raschs zunehmend kritischere Haltung gegenüber astrologischer Prognostik hat daher neben der konfessionellen Dimension durch seine Auseinandersetzung mit solchen anti-habsburgischen Schriften auch eine politische Komponente. [5.11] Rasch: Cometen Buech. Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 363, Titelseite, urn:nbn: de:bvb:12-bsb10198623–5.
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Es geht Rasch nicht nur um diese Himmelserscheinungen selbst, sondern darum, dass der gemeine Mann ein kompetentes Verständnis und informiertes Urteil über die Phänomene und ihre Beschreibungen erlangt. Entsprechend hat Raschs Werk eine deutliche kompilatorisch-didaktische Komponente, da „alle vorigen Authores, die von solcher materi geschrieben / ire in truck außgangne Schrifften außfürlich vermeldet werden / damit man sehen künne / was jeder kopff newes / feines oder eines andern / fürbringe / was darin notwendig und gut / oder uberflüssig und rathsam sey / etc.“19 In der Widmungsepistel an Herzog Wilhelm von Bayern20 betont Rasch die Notwendigkeit einer solchen allgemeinverständlichen Einführung in die Kometenthematik unter Berücksichtigung der autoritativen Quellen21, daneben will er insbesondere Orientierung im umfangreichen Schrifttum zum Kometen 1577 bieten, das er von „Ketzerische[n] Astrologen“22 dominiert sieht. Ihm geht es also weniger um eine eigene Prognostik der Kometenfolgen, was allein angesichts des späten Publikationsdatums23 nur begrenzt sinnvoll gewesen wäre, sondern um eine kommentierte Bestandsaufnahme der in den entsprechenden prognostischen Werken präsenten Topoi, deren Bewertung Rasch im Kontext der gegenreformatorischen Meinungsbildung vornimmt. Den von ihm anvisierten Adressatenkreis des gemeinen Mannes definiert Rasch in seinem Vorwort als „ungelehrte / das ist / für die / die in künsten unn sprachen wenig / oder wol gar nichts gelehret noch gegründet / etwo nur blößlich lesen künnen / oder lesen hören“24. Er will daher das Grundlagenwissen zum Kometenthema, das prinzipiell für alle von Interesse ist, aus den lateinischen Werken für die lesekundige Bevölkerung ohne akademische Bildung auf Deutsch und vereinfacht darstellen, um ihnen zu ermöglichen, solche Ereignisse und ihr publizistisches Echo adäquat verstehen und einordnen zu können. Diesem didaktischen Anspruch ist die ungewöhnliche Struktur des Cometen Buech[s] geschuldet, das stark untergliedert ist, wobei einzelne inhaltliche Abschnitte in lockerer Katechismusform, also in Frage- und Antwortblöcken, Darstellung finden. Rasch spricht von einem Bericht, der die drei Hauptthemen von Kometenschriften „was des Cometens wesen / lauff und würckung sey“25 behandelt. Aus den für
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[5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. A 1v. Es handelt sich hierbei um Wilhelm V., der von 1579 bis 1597 das Herzogtum Bayern regiert und die gegenreformatorische Politik seines Vaters fortführt. Neben den für das Thema klassischen antiken Koryphäen Aristoteles, Ptolemaios, Plinius und Seneca nennt und paraphrasiert Rasch auch jüngere oder zeitgenössische Autoritäten, darunter Apian, Friedrich Nausea, Cyprian von Leowitz, Johannes Pontanus, Cardano, Hagecius, Georg Tannstetter, Bartholomäus Reisacher, Vögelin und Schöner. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. A 3v. Wie ebenfalls aus dem Widmungsbrief hervorgeht, hat Rasch sein Werk schon im Dezember 1577 fertiggestellt, wobei die Drucklegung sich jedoch verzögert. Veranlasst durch das neuerliche Erscheinen eines Kometen 1580 bemüht er sich ein zweites Mal – nunmehr erfolgreich – um finanzielle Förderung. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. A 4r. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. B 1r.
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diese Unterthemen jeweils zuständigen disziplinären Bereichen Physica, Mathematica und Astrologia ergibt sich die grundlegende Dreiteilung des Werkes. In jedem Teil definiert Rasch einleitend zunächst die wichtigsten Begriffe, um die Materie anschließend in Frageform knapp zu umreißen und dann in einzelnen Antworten auszuführen. 5.1.1 Struktur und Thesen von Raschs Cometen Buech Der erste Teil behandelt die Natur des Phänomens Komet, was Gegenstand der Meteorologie als Teil der Physik ist, die wiederum zum übergeordneten Gebiet der Philosophie gehört. Die Meteorologie befasse sich mit „allen sachen / die ob uns in der höch wunderlich und veränderlich beschehen / es sey natürlich oder nit (…).“26 Die 14 von Rasch formulierten Fragen berücksichtigen die hier anklingende Problematik der Natürlichkeit auf mehreren Ebenen, zunächst z. B. methodisch in der ersten Frage, ob es natürlich sei, über himmlische Zeichen zu urteilen und später dahingehend, was genau „aigentlich recht natürliche Cometen sein“27. Der Mensch als vernunftbegabtes Wesen ist von Gott dazu erschaffen, die Natur zu erkennen und die Wunder des Himmels zu betrachten. Diese theologische Legitimation der Naturforschung unterstreicht Rasch damit, dass er Abraham als denjenigen bezeichnet, der „Egypten zum erstenmal Astrologiam und Arithmeticam gelehret“28. Gleichzeitig kritisiert er die fehlende Fundierung der Erforschung von Himmelswundern: „Gottes werck seind unerforschlich / das stätwehrend natürlich wesen ist noch nit alles ergründet / der Himel nit gar auß unnd abgemessen / von wunderdingen noch kein richtige kunst verfast (…).“29 Im Folgenden erklärt Rasch die Grundlagen des Aufbaus der Welt, basierend auf der Elementenlehre und Meteorologie als Teil der aristotelischen Physik. Bereits die dritte Frage greift ein Thema der aktuellen Kometendebatte auf, nämlich die Problematik des natürlichen Orts dieser Himmelsphänomene. Rasch referiert kurz verschiedene Ansichten und Argumente dazu und verortet die Kometen als natürlich wirkende Verbrennungsprozesse in der elementarischen Luft und nicht am unveränderlichen Firmament. Er zitiert Cardano als Vertreter der Meinung, dass Kometen auch supralunar sein können, schließt sich aber der Ansicht der von ihm ausgemachten Mehrheit der Gelehrten an, dass nur ein übernatürlicher Komet dazu in der Lage sei – entgegen seiner Natur als mächtiges Zeichen Gottes an diesen Ort gesetzt. Den an der klaren Abweichung vom üblichen Lauf der Dinge sichtbaren übernatürlichen Charakter eines solchen Wunders betont Rasch durch die Abgrenzung zu dem in der Bibel genannten Wunder vom Stillstand der Sonne oder zu den Phänomenen von Nebensonnen 26 27 28 29
[5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. B 1v. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. B 2r. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. B 2v. Ebd.
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und -monden.30 Selbst das biblische Sonnenwunder habe nur in dem vorrübergehenden Aufhalten des natürlichen Laufs bestanden, aber nicht in einer „veränderung oder newerung des wercks geschöpff “31. Raschs Kometenbild fügt sich in diesen Wunderbegriff ein: Als natürliche Kometen werden die meteorologischen Phänomene bezeichnet, die aus der Vermischung irdischer Elemente resultieren und kraft der Planeten und Sterne aufgezogen und entzündet werden, wobei ihre Wirkungen ebenso wie ihr Ursprung auf natürlichen Ursachen beruhen. Aufgrund dieser Kausalität, etwa in Bezug zu bestimmten Wetterlagen oder planetarischen Konstellationen, können solche natürlichen Kometen prognostiziert werden. Es sind allein die übernatürlichen Kometen, die als göttliche Zeichen fungieren und von dem oben beschriebenen innerhalb des theoretischen Rahmens der augmentierten aristotelischen Meteorologie und der historischen Erfahrung zu erwartenden Verhalten abweichen: Sie sind supralunar, haben einen irregulären oder gar keinen Lauf, sie verweilen ungewöhnlich lange am Himmel oder entstehen zu ungewöhnlichen Zeiten oder in anderen Himmelsregionen32: Welche anderstwo am Himel / fern von disen bemelten haubt unnd angel orten / entspringen / oder entzündt gesehen werden / die seind entweder gar geringschätzige Cometen / und weniger kräfften / wie die kleinen Finsternussen unachtsam / oder aber unnatürliche zeichen / sundere mirackel / sonderer sachen andeuttung.33
Der Charakter des Wunderhaften liegt für Rasch also gerade in der Abweichung vom regelhaften Naturgeschehen. Durch diese Abweichungen wird die Außergewöhnlichkeit des Phänomens betont, die der Indienstnahme durch Gott als kommunikativem Zeichen entspricht. Als Beispiele führt Rasch den Kometen von Jerusalem34 und den
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Diese Phänomengruppe gehört zu den Haloerscheinungen und beruht auf der Brechung von Lichtstrahlen an in der Luft befindlichen Wasserkristallen. Wenn auch nicht in dem Ausmaß wie Kometen, werden diese Ereignisse als himmlische Wunderzeichen in frühneuzeitlichen Flugschriften ebenfalls erörtert. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. B 4r. Nach aristotelischer Vorstellung sind Kometen als meteorologische Phänomene z. B. von klimatischen Veränderungen beeinflusst, weshalb sie etwa eher zur Winter- als Sommerzeit gebildet werden. Aus verschiedenen theoretischen Gründen und Erfahrungswerten ist man lange der Ansicht, Kometen würden nicht außerhalb des Tierkreises oder nur innerhalb der beiden Wendekreise sichtbar sein. Rasch gibt als weiteres Indiz eines übernatürlichen statt natürlichen Kometen dessen Entstehung in einem von der Sonne entfernten Tierkreiszeichen an, vgl. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. C 1r. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. C 4r. Dieser Komet wird in zahlreichen frühneuzeitlichen Kometenschriften erwähnt und als göttliche Warnung vor der Zerstörung der Stadt interpretiert. Als Quelle wird meist das Werk des jüdisch-römischen Historikers Josephus Flavius De bello Iudaico genannt. Von Stuckrad rekonstruiert, dass es sich dabei um denselben Kometen handeln könnte, über den später Tacitus in seinen Annales berichtet, also um den von 64 n. Chr., vgl. Stuckrad: Das Ringen um die Astrologie, S. 291–293. Kronk verzeichnet diesen Kometen unter Bezugnahme auf Tacitus, vgl. Kronk: Cometography, S. 33.
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neuen Stern von 157235 an, die beide ungewöhnlich lange zu sehen waren und still am Himmel standen. Im zweiten und mit nur vier Seiten kürzesten Teil des Cometen Buechs befasst sich Rasch mit der astronomisch-mathematischen Dimension des Kometenthemas. Dieser für einen Nicht-Fachmann anspruchsvollste oder am schwersten verständliche Bereich wird recht knapp und oberflächlich behandelt, trotzdem erläutert Rasch die Wichtigkeit und Nützlichkeit der Observation. Er geht hier nicht so sehr auf das Wie der Beobachtung ein, liefert aber eine recht detaillierte Übersicht über die interessierenden astronomischen Parameter eines Kometen. Er betont zudem die Schwierigkeit astronomischer Observation und konstatiert, dass echte Gelehrte ihre Beobachtungsdaten mit denen anderer vergleichen, ergänzen und für konstruktive Kritik, Verbesserung oder Widerlegung offen seien. Die medialen, dokumentarischen und kommunikativen Möglichkeiten des Buchdrucks seien maßgeblich für die Existenz solcher methodischen Konventionen und damit den hohen Entwicklungsstand der Künste, wenn damit auch gleichsam die Gefahr einhergehe, dass sich Fehlurteile und falsche Lehren ebenso verbreiten oder solche Standards missachtet werden. Gerade aufgrund der diffizilen Materie müssten Observationen, die schließlich Grundlage für Theoretisierungen oder Deutungen werden, auf der Kompetenz der Astronomen und den methodisch gesicherten Erkenntnissen ihrer Disziplin basieren. Manche der Schlussfolgerungen oder Ergebnisse der Gelehrten könne „der ungelehrte / wann es ihm fürgehalten wird / schwerlich verstehn / glauben und annemen / helts mehrers erdicht und thorheit / aber die underwisenen / wissen es für gewiß auß gewisser maß und ursachen.“36 Diese hohe Wertschätzung für die Gebildeten und die Abneigung gegenüber der Anmaßung vermeintlich Ungelehrter, die mit möglicherweise fatalen Folgen ihren Kompetenzbereich verlassen oder überhaupt Kompetenz vorgaukeln und damit die Disziplin insgesamt in Misskredit bringen, spiegelt sich in einer Auflistung verschiedener Typen von Astronomen wieder, die Rasch seinem Kapitel voranstellt: Die ohne adäquate Ausbildung bezeichnet Rasch als Astronomastri37 oder Astronomi ferentarii, nur wenig besser seien die Tabularii, die dogmatisch und unflexibel „bey den büchern und alten Tafeln bleiben / und nit weiter kommen.“38 Die Regularii oder Instrumentarii schließlich sind die Praktiker, die zu utilitaristischem Zwecke den Himmel vermessen und deuten. Das Bild des idealen Gelehrten mit angemessener Methodik und wissenschaftlichem Ethos verkörpern die „Astrarii, Specularii, Metaphy35 36 37 38
Die Deutung der Nova als Komet ist zeitgenössisch sehr verbreitet, siehe dazu grundlegend Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 447–524. Rasch identifiziert die Erscheinung mit dem Kometentyp Argenteus oder Rosa, vgl. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. C 3r. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bll. D 2r–D 2v. Das lateinische Suffix -aster hat pejorativen Charakter, weshalb man das Wort vielleicht mit Pseudooder Antiastronom übersetzen könnte. Luther hat das Wort theologaster in ähnlicher Weise zur Verunglimpfung seiner Gegner als unbedeutende Scharlatane gebraucht. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. D 1r.
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sici“ als „die grösten und höchsten / die witzigisten und geschicktisten / die wenig der alten raittung [Rechnung] und bücher nachgehen / sonder mit sinn und gedancken selbst in Himel steigen / selbst alles erfahren und erforschen wöllen.“39 Der hier durchscheinende Aspekt der Grenzziehung ist das prägende Element des dritten Teils, in dem Rasch die astrologische und historische Seite des Kometenthemas beleuchtet. Er beginnt diesen mit Abstand längsten Part, der ungefähr die Hälfte des Gesamttextes ausmacht, mit der Grundunterscheidung zwischen Astronomie und Astrologie. Letztere nutzt die Ergebnisse der ersteren für (Zukunfts-)Deutungen und ist damit eine nützliche Ergänzung, die auf Philosophie und Mathematik basiert. Sie ist legitimer Teil der artes liberales und der akademischen Kultur; epistemologisch gesehen produziert sie aber nicht in gleicher Weise gesichertes Wissen40 wie z. B. die Geometrie, sondern ähnelt hier der zeitgenössischen Medizin, die ebenfalls in einen theoretischen und praktischen Teil differenziert ist. Diesen praktischen Bereich der Astrologie sieht Rasch als nicht zu den Künsten, sondern „besser gen Marckt dann in die Schule“41 zugehörig und charakterisiert ihn nicht unpolemisch als „allein ein lust unn kurtzweil müssiger leut unn grosser Herren“42. Strukturiert in zehn einzelnen Punkten unternimmt Rasch den Versuch einer definitorischen Abgrenzung der Astrologie unter Rekurs auf ihren gesellschaftlichen und epistemologischen Status, zunächst in allgemeiner Form und dann auch konkret in Bezug auf Kometen. Er beklagt den schlechten Ruf der Astrologie, verursacht durch betrügerische Scharlatane, die nicht über das notwendige Wissen zum angemessenen Praktizieren der Kunst verfügen und diese aus ihrem eigentlichen Zuständigkeitsbereich herauslösen. Einerseits sei dies eine Folge des epistemologischen Status der Disziplin, die „nit demonstrationes oder gewißheit / wie andere (sunderlich) Mathematische kunst“43 habe und die Rasch insgesamt als reformbedürftig betrachtet. Andererseits eine Folge des sozialen Ortes der Disziplin, die „auß lieb und erfahrung der kunst“ von „gelehrten / auß hand / stand / ambt und dienst / so sie bey schulen und obrigkeiten zuverrichten und auffzuwarten haben“ 44 versehen werden solle. Seit dem 15. Jahrhundert und besonders beflügelt durch die medial-kommunikativen Möglichkeiten des Buchdrucks, ist die Astrologie aus diesem engen Kontext der höfischen und akademisch-universitären Kultur herausgelöst worden und zu einem Populärphänomen avanciert. Rasch beklagt, dass die tatsächlich über die notwendige Ausbildung für eine adäquate Ausübung astrologischen Prognostizierens verfügenden Gelehrten diese aufgrund ihrer Reputation und der disziplininhärenten Unsicherheiten mieden, weshalb das Feld von vielen Schriften schlechter Qualität dominiert wird, 39 40 41 42 43 44
Ebd. Die Kennzeichnung von Astronomie und Astrologie als rechnende und deutende, oder auch quantitative und qualitative, Sternkunde macht diese epistemologische Unterscheidung deutlich. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. D 4v. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. D 3v. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. D 3v. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. A 4r.
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die dem Bedürfnis der Menschen nach erklärender Deutung nicht gerecht werden, sondern nur Unglück oder den Weltuntergang vorhersagen. Hier zielt Rasch auf die prognostischen Schriften seiner konfessionellen Gegner, die er als „nur lugen büchel intituliert / darumb die newen Astrologi, fürnemblich die Ketzerischen / wie ire Lugenden zu sehen / lieber Theologisch dann Ptolomeisch practiciern.“45 In diesem Vorwurf steckt der Kern seiner Astrologiekritik. Dabei geht Rasch über die katholische Ächtung der Judizialastrologie als nicht erlaubte Divinationsform hinaus, da es ihm insbesondere um die unlautere Verbindung von Astrologie und Theologie geht. Wie er an späterer Stelle dazu ausführt: „Astrologia waiß und helt nichts in sich von newen Sternen die der Welt end verkünden sollen: ist darumb nit Astrologisch also zuurtheilen / sonder Evangelisch / auff andern grund stehend“, solche Prophezeiungen kämen nur von „den Propheten der Wittenbergischen einfalt“.46 Auch aus theologischen Gründen sei es illegitim, solche Himmelsphänomene überhaupt als Zeichen der Endzeit zu interpretieren, weshalb er „dem sectischen Leser“ nicht weniger als neun biblische Kapitel zur Lektüre empfiehlt und erläutert, was nach katholischer Lehre zum Jüngsten Tag zu sagen ist.47 Rasch lehnt also insbesondere apokalyptische Prognosen ab, betrachtet die Astrologie aber durchaus auch als Divinationskunst, die göttlich inspiriert ist und nicht erlernt werden könne. Wie andere Altgläubige beschäftigt er sich in diesem Zusammenhang eher mit Weissagungen48 – mitunter auch kritisch – und einer spezifisch katholischen Deutung der Antichristfrage.49 45 46 47 48
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[5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. D 4v. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bll. F 2v–F 3r. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bll. F 3v–F 4r. Siehe hierzu seine Werke [5.26] Rasch, Johann: Weissag der Zeit. Allgemaine Himels und Weldpractic so nit allein auf diese jetztgegenwertige sundern auch immer fort auff alle kunfftigfolgende Jahr aus der sternseherischen Warsagens Kunst aus maisterlichem Prognosticirens Grund aus weiser Vernunfft aus vermercklicher Geschichten Ausgang und augenscheinlicher Erfahrung der landbreüchigen Propheceysachen von Jarszeiten die durch Gestierns Leüff unnd Krafft verursacht den Lufft zu seuchen Erdensgewächs zu allerley Zueständ Zuefäll vorab zu Kriegswesen zu Ände rung der gsaz Zerstehrung der Reich zu Untergang hohes Geschlächts des Menschens Raht Weishait Fürsichtigkait unnd freyen Willen gelertistes Sinns bewähret (…) den bekummerten Leüten (…) fürzuhalten was vorhin nit also auff die Ban bracht Anno 1596, München 1597 (VD16 R 326); [5.12] Ders.: Drey greuliche Weissagung Daniels des Propheten nemlich vom Fall des geistlichen Lebens: Von Abnemung der kirchischen Würdigkeit: Von Undergang des Catholischen Glaubens: auch von Zukunfft des Antichrists und vom End der Welt. Durch den h. Vincentium Prediger Orden vor lengst erkläret und zu disen Zeiten allen unnd jeden Christen nützlich und fast notwendig zu wissen verteutschet, München 1582 (VD16 V 1211) sowie [5.23] Ders.: Vaticiniorum liber primus Prophetiae, Revelationes, Visiones, Praesagitiones et Practicae vel Prognosticationes quaedam praecipue Vulgares ac memorabiles, praesertim de ultimis mundi temporibus: latino sermone scriptae, hincinde inventae, ex pluribus libris, cum alijs notatu dignis, contra Mysocacum illum et quosdam malevolos pseudoprophetas, Anno Domini 1584, s. l. 1584 (VD16 R 323). Vgl. Smolinsky: Deutungen der Zeit im Streit der Konfessionen, S. 30–34.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
Gegliedert in nunmehr 20 Unterpunkten, in denen er seine Kritik im Detail ausführt, widmet sich Rasch anschließend dem Gebiet der Kometenastrologie. Die Überschriften einiger dieser Abschnitte – „Woher und wovon bei Kometen zu urteilen sei“, „Soll ein Astrologe auch theologisch und prophetisch vorhersagen“ oder „Wovon Astrologen reden sollen“ – verweisen auf Raschs Grundkritik einer unangemessenen Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs der Astrologie. Was er oben als „Ptolomeisch practiciern“ bezeichnet hat, beschreibt die zulässige und nutzbringende Anwendung der Astrologie, also etwa, aus der Gestalt, dem Lauf, der Farbe oder der Position eines Kometen zu prognostizieren, welche Wirkung für wen in welcher Stärke zu erwarten sei. Von der Grundidee, dass alle Geschehnisse am Himmel in einer Wirkrelation mit der irdischen Welt stehen, ist Rasch überzeugt und schreibt den Kometen eine besondere astrologische Relevanz zu, die unter anderem in ihrer schwierigen Prognostizierbarkeit und Interpretation – etwa im Vergleich zu Finsternissen oder Konjunktionen – begründet liege. Manche hielten Kometen fälschlicherweise für ein „fatum, naturs lauff der ewigwehrenden / unveränderlichen / gemüssigten natürlichen ordung / unnd nit ein new besonder (zu etwo einer deutung) zeichen Gottes“50. Da Kometen – in einem allgemeinen Sinne – immer Warnungen oder Zornruten Gottes seien, verursacht durch die menschliche Sündhaftigkeit, sei es auch legitim, angesichts einer solchen Erscheinung zu Buße und Gebet aufzurufen. Dabei sei aber zu beachten, „daß der Astrologus bey seiner Philosophia allein bliebe, und den Geistlichen nit in iren beruff stünde (…) die Geistliche außleger sein / nach und auß der schrifft zu reden / und umb die sünd der Welt von des Cometens ursach zu predigen wissen unnd Tractat außgehen lassen“51. Raschs Beobachtung, dass bei den katholischen Astrologen diese „form zu Theologisiern weniger im brauch“52 sei, betont noch einmal seine Zuweisung dieser Praxis zu den Protestanten. 5.1.2 Die Grenzen legitimer theologischer Kometenprognostik In Beantwortung der Frage, welche Vorhersagen bezüglich Kometen christlich seien, rekurriert Rasch auf verschiedene Deutungen oder Sichtweisen von Kometen, die sich nicht notwendigerweise widersprechen müssen. Die Zeichenhaftigkeit von Kometen als göttliche Kommunikation steht ihrem Ursprung durch natürliche Ursachen nicht entgegen, die natürlichen Ursachen beschneiden wiederum nicht die Vorstellung, dass ein Komet aus den Sünden der Menschen entspringe, die Gott bestrafen will. Es sind dies die verschiedenen Dimensionen des Phänomens, von denen bestimmte herausgesondert fokussiert werden, will man das Phänomen philosophisch erörtern oder 50 51 52
[5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. E 4r. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. E 4v. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. F 1r.
5.1 Johann Rasch: Kometenwissen im katholischen Profil
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theologisch betrachten. Ein Kernpunkt des Problems besteht in der Frage, ob Kometen „nur bedeutten / oder selbst würcken“53, also ob sie indizierende Zeichen oder kausal wirkende Ursachen der ihnen zugeschriebenen Kometenfolgen sind. Letztere Interpretation von Kometen als am Beginn einer natürlichen Ursachenkette stehend, die mit der Wirkung auf die Luft beginnt und an deren Ende die Veränderung großer Reiche oder das Sterben eines Herrschers steht, sieht Rasch als „ein gemaine redt und glaub oder wahn“; er hält es mit den „gelehrten Philosophi unnd Theologi, daß die Cometen nit außrichter oder volbringer / sonder nur anzeiger / verkünder / oder vorzeichen seind der folgenden ding / die nit von Cometen / sonder eben von denen ursachen / darauß der Comet entsteht / herkommen.“54 In seinem ebenfalls 1582 erschienenen Werk über Erdbeben, geht Rasch auf den Zusammenhang von natürlicher Verursachung und göttlicher Zeichenhaftigkeit näher ein: Begerte dann jemands zuwissen / oder so erwo einer den Leuten fürsagen sol und wil / ob der erdbidmens großmächtiger verwunderlicher gewalt / allein durch sonderichen Gottes willen / ordnung / schickung oder verhengknuß zur straff der sünden und besserung unsers lebens beschehe und ergehe / oder aber / ob es auch auß natürlichen und Himlischen ursachen vielleicht herkommen und bewegt werde / wie donder / hagel / etc. Handlet Gott je was uber und ausser naturs lauff / so ist es doch darumben nit almal wider die natur / als etwo (mirackel) wunderzeichen / sondern geschicht durch gleiche mittel / als wann Gott Pestilentz schicken will / daß er den lufft vergifftet laßt werden / da auch der lufft natürlicher weiß kan unrain werden: Item / wann Gott hunger und thewrung machen will / so gibt er böse / unartige / unzeitliche wetter / zur verderbung oder mißrathung der frücht / als wär es des geschöpffs lauff.55
Die hier zum Ausdruck kommende Haltung scheint den Widerspruch zwischen der Zeichen- und der Ursachensicht sowie den verschiedenen Perspektiven zur Erklärung und Deutung des Kometenphänomens geschickt zu umgehen: Weil auff jeden Cometen erfolgt / hitz / wind / erdbiben / etc. so ists müglich / daß die Cometen natürlich ursach haben / und Philosophia nit ein vergeblich ding sein muß. Natürlicher Comet bedeut natürlich wesen / ubernatürlicher oder unelementischer / haimbliche werck: hierauß eröffnet sich offt das verborgne urtel Gottes: Wann der Comet ist elementischer natur / so wird er (als ein ursach) andeutten alles das wir vor augen sehen / als dörrung / kranckheiten / etc.56
Der letzte Satz dieses Zitats deutet bereits darauf hin, dass Rasch die Möglichkeit der Existenz nicht-elementarischer und damit nicht natürlicher Kometen gegeben sieht. 53 54 55 56
[5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. E 2r. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. E 3r. [5.24] Rasch: Von Erdbiden, etliche Tractät, Bl. A 2v. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. F 4r.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
Wie oben ausgeführt, manifestiert sich der übernatürliche Charakter eines Kometen in der Abweichung seines zu erwartenden Verhaltens von der regelhaften Naturordnung: Obwohl Kometen immer göttliche (Vor-)Zeichen seien, da nichts auf Erden ohne Mitwirkung des Himmels geschehe, sind es diese, die tatsächlich eine spezifische göttliche Botschaft verkünden, mitunter auch eine gute. Rasch nennt das Beispiel des Sterns von Bethlehem, der für die Ankunft des Messias gestanden habe.57 Ein weiteres Beispiel ist das ebenfalls biblische der Niniviter, die sich aufgrund des göttlichen Zeichens in Form eines Kometen bekehren und von ihrem sündigen Tun abließen, fasteten, beteten und daraufhin von Gottes gerechter Strafe verschont worden seien. Nur die Folgen eines solchen übernatürlichen Kometen könnten überhaupt durch menschliches Verhalten abgewendet werden. „Eines natürlichen Comets würckung kann nit außbleiben / so wenig als im Sommer die Wärm (…)“58, da es sich dabei um natürliche Kausalprozesse handelt. Diese natürlichen Kometen sind im allgemeinen Sinne auch göttliche Zeichen, da sich Gott ihrer instrumentenhaft bedient, um sein Missfallen über menschliches Fehlverhalten auszudrücken. Daher ist es auch legitim – aber eben auch nur in allgemeiner Weise – zu Umkehr, Buße und Gebet aufzurufen. Rasch geht es hier nicht nur um Klärung der Zuständigkeitsbereiche oder disziplinären Grenzen, sondern auch um die Legitimation einer christlichen, d. h. in diesem Fall katholischen Astrologie. Die Grenze zum unlauteren theologischen Prognostizieren ist für Rasch dann überschritten, wenn Kometen als eschatologische Zeichen interpretiert oder dazu genutzt werden, um das Volk zu verunsichern, zu ängstigen oder bewusst zu betrügen. Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass die mit den Kometenurteilen verbundenen Bußmahnungen suggerieren, dass die gerechte Strafe Gottes für sündhaftes Verhalten immer abgewendet werden könne. Nach katholischer Überzeugung sind nicht nur der Glaube (sola fide), sondern auch die Taten heilsbringend. Kometen als Warnungen Gottes ernst zu nehmen, heißt, eine wahre Umkehr einzufordern – z. B. durch Bekehrung zum katholischen Glauben – und die Menschen nicht von der Verantwortung für ihre Sünden freizusprechen.59 Diese sind der Auslöser des göttlichen Zorns und seiner in den Kometenfolgen verkörperten Strafen. Diese Betonung der Eigenverantwortlichkeit menschlichen Handelns passt zu Raschs Propagierung der katholischen Ächtung der Judizialastrologie, der vorgeworfen wird, ein deterministisches Welt-, Gesellschafts- und Geschichtsbild zu fördern, in dem der freie Wille des Menschen ebenso eingeschränkt erscheint wie die Allmacht Gottes. Wie oben erläutert, glaubt Rasch nicht, dass rein natürliche Kometen ohne Zutun Gottes existieren oder entstehen. Als natürlich verursachte meteorologische Phänomene gehören sie in das Gebiet der Physik, wobei die Deutung astrologisch zu erfolgen 57 58 59
Vgl. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. F 1v. [5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. G 3v. Vgl. Mahlmann-Bauer: Die Bulle ‚contra astrologiam iudicariam‘ von Sixtus V., S. 187.
5.1 Johann Rasch: Kometenwissen im katholischen Profil
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habe. Übernatürliche Kometen sind Gegenstand theologischer Betrachtung. Für Rasch ist wichtig, dass die entsprechenden Disziplinen in ihrem Zuständigkeitsbereich ausgeübt werden und Autoren von Kometenschriften nur das behandeln, für das sie kompetent sind. Diesen Anspruch stellt er im Übrigen genauso an sich selbst, weshalb sein Werk kaum eigene Deutungen bietet: Und war zwar wolgedacht anfangs mein selbst aigen wohn und vermerckung von disem Cometen neben andern mir gleichenden / auch zu offenbaren / do ich aber sihe / daß die hochgelehrtisten ihr urtel zu publiciern besorgsam / und einzogen sein / und was jedem / seinem stand nach zu lernen / lehren / uben / schreiben unnd auffgeben / gebüren wölle oder nit / in potestate vil davon berathschlagt wird / bevorab in Astrologia, do jeder uber sich unnd sein schwachheit selbst klagt / hab ich als noch ungeschickter discipel / in solcher hoheit / mein schulerwerck so frey und frölich an tag zugeben / mich billich nie understehen söllen (…).60
Philosophie, Astrologie und Theologie haben ihre Berechtigung in der Behandlung des vieldimensionalen Phänomens der Kometen, jedoch kann Raschs Betonung verschiedener und voneinander getrennter Deutungsarten oder die damit in Zusammenhang stehende Unterscheidung verschiedener Kometentypen so interpretiert werden, dass die disziplinären Verflechtungen des integrierten Kometenbildes lockerer werden und die epistemologische Relevanz der beteiligten Disziplinen problematisiert wird. Allein die strenge thematische Unterteilung von Raschs Werk in verschiedene Bereiche, die in der Behandlung und Präsentation des Phänomens Komet relevant sind, unterstützt deren Wahrnehmung als eher abgegrenzt denn als aufeinander bezogen. Besonders die Unterscheidung zwischen natürlichen und übernatürlichen Kometen zeigt, wie diese diskursive Entwicklung auch die theoretische Konzeption und Präsentation von Kometen beeinflusst. Diesen Aspekt verdeutlicht auch die Schrift Graminaeus’, die nun abschließend kurz betrachtet wird. 5.1.3 Die interpretative Abgrenzung verschiedener Kometenkonzepte Ebenso wie Rasch gehört der gebürtige Belgier Theodor Diederich Gras (1530 – nach 1594), latinisiert Graminaeus, zu den überzeugten Katholiken, die Prognostiken und Kalender veröffentlichen und sich mit apokalyptischen Argumenten oder der Kalenderreform auseinandersetzen. Graminaeus studiert in Köln, ist dort zeitweise Mathematik- und Rechtsprofessor, als Verleger und für den Rat der Stadt juristisch sowie für den Landesfürsten als Präzeptor, Generalanwalt und Landschreiber tätig.61 Er publiziert bereits anlässlich der Supernova 1573 eine Kometenschrift mit massiv
60 61
[5.11] Rasch: Cometen Buech, Bl. A 4v. Vgl. Hille: Providentia Dei, Reich und Kirche, S. 149.
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gegenreformatorischen Zügen.62 Deutlicher als Rasch betont er, dass zur Deutung von Kometen als göttliche Zeichen auch die Heilige Schrift herangezogen werden müsse. In Bezug auf seine Auslegung einzelner Sternbilder – etwa des der Cassiopeia als Sinnbild der katholischen Kirche – kann man von einer biblizistischen Astrologie sprechen. Graminaeus’ Sichtweise von Wunderzeichen zeigt sich durch eine joachimistische Geschichtsphilosophie geprägt, die nicht so sehr die Endzeit fokussiert, sondern das Bevorstehen eines neuen Zeitalters erhofft.63 1578 veröffentlicht Graminaeus sein Werk Weltspiegel64, das den Kometen des Vorjahres behandelt. Bereits im Titel listet er mit „Physice, Astrologice, Metaphysice, oder aber Formaliter“ die disziplinären Felder auf, die für Kometen relevant sind und ähnlich wie Rasch thematisiert er die damit korrelierten verschiedenen Interpretationsweisen der Himmelsphänomene in eigenen Kapiteln: Zunächst die göttliche Bedeutung des Kometen, dann die natürliche Deutung, schließlich die astrologische und abschließend die „erklerung / so die natur unnd die Himmelische krefften ubertreffet“65, worunter sich eine metaphysische oder theologisch-prophetische Deutung verbirgt. Die damit im ersten und letzten Kapitel propagierte Interpretation von Kometen als prodigienhaften Zeichen, mit denen „Gott der Allmechtig / so seine göttliche macht und herrlichkeyt den Menschen vilfeltig offenbaret / durch verborgener schrifft / und sondern büchstaben / dunckeler und bedeckter weiß / seinen willen und zukünfftige ding zuvor anzeige unnd verkündige“66, bildet den Rahmen von Graminaeus’ Kometenbetrachtung. Hinsichtlich der naturkundlichen Seite bezieht es sich auf die augmentierte Kometentheorie. Die Astrologie erscheint von dieser deutlicher abgegrenzt als bei Rasch, da Graminaeus z. B. betont, dass die physikalische Kometentheorie mit der Materie und Natur von Kometen befasst sei; auch die klassischen Kometenwirkungen wie Dürre, Trockenheit, Erdbeben, Krankheiten, etc. seien dadurch bestimmt und nicht durch des Kometen Ort oder Gestalt. Letztere seien Gegenstand astrologischer Deutung, für die wiederum die physikalische Dimension keine große Bedeutung habe. Da in der aristotelischen Elementenlehre der Ort und die materielle Beschaffenheit von Körpern konzeptuell verbunden sind, liegt hier ein Konfliktpotential, das sich in der zeitgenössischen Debatte um die Theorie und Deutung von Kometen widerspiegelt: 62 63 64
65 66
Vgl. Smolinsky: Deutungen der Zeit im Streit der Konfessionen, S. 8. Brüning listet außerdem ein Werk zum Kometen 1580, siehe Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 100. Vgl. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 514–521. [5.6] Graminaeus, Theodor: Weltspiegel oder algemeiner Widerwertigkeit dess fünfften Kirchen Alters, kürtze Verzeignuss. Darinnen dess Cometen oder aussgereckter Rüthen, so im Jar Christi 1577. den 11. Novembris, am hohen Himmel vernomen Stand, Lauff, und Bedrewung zuersehen, so Physice, Astrologice, Metaphysicae, oder aber formaliter erklert und aussgelagt wirt, Köln 1578 (VD16 G 2809). Diese Kometenschrift ist mit arabischen Zahlen paginiert, auf die in den folgenden Zitationen referenziert wird. [5.6] Graminaeus: Weltspiegel, S. 79. [5.6] Graminaeus: Weltspiegel, S. 1.
5.1 Johann Rasch: Kometenwissen im katholischen Profil
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So ist dann zwischen den Physicis unnd etlichen Mathematicis ein underscheidlicher streit / als nemlich / da die Physici ein Elementalische materiam / unnd auch die Cometen in den Elementen / Die bemelte Mathematici aber / als Anaxagoras, Democritus und Pytagorici, Hypocrates Chius67, Hypparchus, Seneca, unn etliche Astrologi / dieselbe am Himmel stellen.68
Dieser naturphilosophischen Frage danach, ob Kometen sub- oder supralunar sind, begegnet Graminaeus mit einer Unterscheidung verschiedener Kometentypen: So seint dann unserer meinung nach / etliche Cometen Elementalischer Materien / und auch sitzes / als die selbe so bey der lufft underem bezirck des Monds befunden und vernomen werden / etliche aber / ob sie schon von wegen ihrer materien Elementalisch / so seind sie doch etherischer oder himlischer art / von wegen irer subtiler und außgeseuberter materia / auch ihres sitzes halben / dieweil sie / bei den sternen am Himel vernomen werden.69
Durch die damit konstatierte materielle Gleichheit der Kometentypen können die supralunaren in den konzeptuellen Rahmen der augmentierten Kometentheorie eingeordnet werden; die Theorie wird somit marginal modifiziert, indem man annimmt, die elementarische Materie würde kraft der Gestirne über den Mond hinausgezogen. Diese Modifikation stellt aber doch eine so deutliche Abweichung von der überkommenen Theorie und dem in deren Rahmen zu Erwartenden dar, dass sie einer Begründung bedarf, die teleologisch durch die Theologie geliefert wird. Graminaeus spricht von dem „dritte[n] geschlegt der Cometen“70, wobei „dieselben mögen formales oder Metaphysici genannt werden“71. Es sind diese himmlischen Kometen, die eine über der Natur stehende Erklärung fordern, die nicht physikalisch oder astrologisch, „sonder divina & Metaphysica“72 gedeutet werden müssen. Diese Deutung gibt Graminaeus in seinem letzten Kapitel, wobei er sich auf die Bibel und Sybillinische Weissagungen stützt.73 Sowohl der aktuelle Komet als auch die Supernova von 1572 werden als Zeichen der Erfüllung dieser Prophetien gesehen und im Kontext einer anti-luthe67
68 69 70 71 72 73
Chius bezeichnet die griechische Insel Chios als Geburtsort und geographisches Epithet des von Graminaeus zuvor genannten Mathematikers und Astronomen Hippokrates von Chios, den Aristoteles als Pythagoräer charakterisiert und dessen Ansicht zu Kometen er in seiner Meteorologie kurz referiert hat. [5.6] Graminaeus: Weltspiegel, S. 55. [5.6] Graminaeus: Weltspiegel, S. 57. Ebd. [5.6] Graminaeus: Weltspiegel, S. 58. [5.6] Graminaeus: Weltspiegel, S. 79. Er bezieht sich hier auf die seit dem Mittelalter weit verbreiteten Orakelschriften der Traditionslinien der Eritreischen und der Tiburtinischen Sibylle. Graminaeus zitiert zwei längere lateinische Abschnitte, in denen u. a. ein schwertähnlicher Komet, dessen üble Folgen und das Erscheinen eines Sterns über Europa prophezeit wird, vgl. [5.6] Graminaeus: Weltspiegel, S. 82–85.
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rischen Polemik instrumentalisiert: Die „widerwertigkeit (…) der Religion“74, also die Häresie der Reformation, sei Auslöser für den Zorn Gottes sowie die üblen Folgen in Europa und nur eine Bekehrung zum wahren Glauben könne ihn milde stimmen oder das göttliche Strafgericht abwenden. Graminaeus’ Argumentationsmuster ist also dasselbe wie Raschs und auch seine Beispiele für solche übernatürlichen Kometen sind dieselben, die Rasch nennt: der Komet von Jerusalem und die Nova 1572. Diese theologische Legitimation ist gleichzeitig eine Antwort auf das konflikthafte Ringen um eine zufriedenstellende Kometentheorie, die offenkundig im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts zunehmend als im Umbruch begriffen, modifikationsbedürftig oder zumindest als infrage gestellt gesehen wird. Interessant ist z. B., dass Graminaeus – stärker noch als Rasch – die Existenz supralunarer Kometen nicht grundsätzlich infrage stellt, sondern als Tatsache präsentiert, mit der theoretisch umgegangen werden müsse. Die theologische Kometeninterpretation bildet hier das Werkzeug, um die Veränderungen der naturkundlichen Kometentheorie zu legitimieren. Der nun folgende Autor hat sich der Frage nach dem sub- oder supralunaren Kometenort empirisch gewidmet und aufgrund einer messbaren Parallaxe den Kometen 1577 unter dem Mond verortet.75 Er vermittelt die augmentierte meteorologische Theorie als gängiges Modell, formuliert allerdings Zweifel an einigen ihrer Aspekte. Diese Zweifel gründen u. a. in naturkundlichen Überlegungen z. B. zur Kometengröße oder -länge. Diese Herangehensweise der theoretischen Reflexion auf empirische Erkenntnisse dient einer umfassenden Erfassung des Phänomens – in der Tradition von Regiomontanus, Peurbach und Apian – weniger der Überprüfung oder gar Falsifikation der aristotelischen Theorie, wenn dadurch auch ein kritisches Hinterfragen der theoretischen Grundlagen inspiriert werden kann. Zu dieser umfassenden Erfassung des Phänomens Komet gehört seine Ausdeutung zweifelsohne dazu. Diese zu liefern, durch die Observationsdaten fundiert sowie ausführlich und verständlich erläutert, ist die Hauptintention des nun im Fokus stehenden Werkes.
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[5.6] Graminaeus: Weltspiegel, S. 83. Scultetus ermittelte trigonometrisch eine Parallaxe von über 5° auf Basis zweier Beobachtungen des Kometen in Relation zu benachbarten Sternen, vgl. dazu Hellman: The Comet of 1577, S. 215– 216. Tycho Brahe, der in seinem De Mundi Aetherei Recentioribus Phaenomenis (1588) einige zeitgenössische Werke zum Kometen 1577 und insbesondere die darin präsentierten Observationsdaten rezensiert, hat Scultetus’ Schrift auf über 50 Seiten kritisch analysiert und dessen Schlussfolgerungen zur Parallaxe begründet widerlegt, vgl. Helfricht, Jürgen: Fünf Briefe Tycho Brahes an den Görlitzer Astronomen Bartholomäus Scultetus (1540–1614), in: Dick, Wolfgang R. / Hamel, Jürgen (Hrsg.): Beiträge zur Astronomiegeschichte 2, Frankfurt am Main 1999 (Acta Historica Astronomiae 5), S. 11–33, S. 22–23.
5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus
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5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus Barthel Schulz (1540–1614), der seinen Namen seit der Schulzeit in seiner Geburtsstadt Görlitz in der latinisierten Variante Bartholomäus Scultetus verwendet und darunter bis heute bekannt ist, begeistert sich schon früh für Mathematik und Astronomie.76 Er beginnt 1557 ein Studium in Wittenberg, wo er Caspar Peucer hört, und wechselt zwei Jahre später nach Leipzig. Hier wird Johannes Hommel sein Lehrer, bei dem er wohnt und den er bei astronomischen Beobachtungen, Berechnungen und dem Bau von Instrumenten unterstützt. Einer seiner dortigen Kommilitonen ist Tycho Brahe, mit dem ihm eine lebenslange Freundschaft und Korrespondenz verbindet. 1564 erhält Scultetus die Magisterwürde und nimmt Vorlesungstätigkeiten in Leipzig und Wittenberg auf. Da er allerdings keine feste Anstellung hat, kehrt er 1567 in seine Heimatstadt zurück. Zunächst ist er hier als Mathematiklehrer am Görlitzer Gymnasium tätig, 1578 wird er Ratsherr. In der Folgezeit übernimmt er zahlreiche Ämter im Dienst der Stadt, ist unter anderem Kämmerer, Braumeister, Verwalter, Stadtrichter und ab 1592 insgesamt sechsmal Bürgermeister. Scultetus ist ein vielseitiger und hochgeschätzter Gelehrter, neben Brahe gehören auch Kepler und Christoph Clavius zu seinen Korrespondenten. Scultetus beschäftigt sich unter anderem mit Kartographie, biblischer Chronologie, Historiographie und Medizin. Er kommentiert z. B. das paracelsische Pestwerk. Auch baut er Sonnenuhren und publiziert mit Gnomonice de Solariis77 ein Standardwerk zum Thema, das noch ein Jahrhundert später wieder aufgelegt und übersetzt wird. Sein Hauptinteresse und sein schriftstellerisches Schaffen konzentrieren sich auf die Astronomie; neben Instrumentenbau und Astromedizin interessieren ihn dabei besonders Zeitmessung und Kalendarik. Über 40 Jahre lang publiziert er Jahreskalender, Almanache und Praktiken. Obwohl Lutheraner, setzt er sich seit 1571 für die Gregorianische Kalenderreform ein, wobei es wohl wesentlich seinem Einsatz zu verdanken ist, dass sie in der Oberlausitz schon 1584 – und damit viel früher als in anderen protestantischen Gebieten – umgesetzt worden ist. Bereits Scultetus’ erste Publikation über die Sonnenfinsternis von 1567 ist ein Werk prognostischen Charakters, ebenso wie das vier Jahre später erscheinende über die Interpretation meteorologischer Phänomene.78 Nach Ende der Sichtbarkeit des Kome-
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Die biographischen Angaben folgen im Wesentlichen Bahlcke, Joachim: „Scultetus, Bartholomäus“, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 99–100. [5.30] Scultetus, Bartholomäus: Gnomonice de solariis, sive doctrina practica tertiae partis astronomiae. Von allerley Solarien das ist himmlischen Circuln und Uhren wie man dieselben an die auffgerichten Planicien oder Wende und in allerhand hole Instrument künstlich verzeichnen und repraesentiren sol (…) jetzundt auffs new zugericht und perficirt, Görlitz 1572 (VD16 S 5164). [5.32] Scultetus, Bartholomäus: Prognosticon novilunii ecliptici. Das annder Theil von der Sonnen Finsternuss so im Aprill des 1567. Jahrs ist gesehen worden. Darinnen angezeigt werden die zukuenfftigen Geschichten auff Erden so in den
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ten von 1577 publiziert Scultetus zwei Werke zum Thema, zunächst ein lateinisches und kurz darauf das hier im Fokus stehende deutschsprachige.79 Beide Schriften werden beim Drucker Ambrosius Fritsch 1578 in Görlitz publiziert, umfassen je 52 Blatt im Quartformat und sind dem Rat der Stadt Görlitz gewidmet. Trotz dieser Gemeinsamkeiten handelt es sich nicht um eine bloße Übersetzung.80 Die lateinische Abhandlung besteht aus drei Teilen, wobei die ersten beiden die beobachtbaren Parameter des Kometen behandeln, detaillierte quantitative Daten, Tabellen, geometrische Skizzen und zahlreiche systematische trigonometrische Berechnungen bieten.81 Scultetus führt seine Observationen zwischen Mitte November und Mitte Dezember 1577 als Grundlage seiner Ausführungen an.82 Aus diesen – darunter auch parallaktische Messungen – ermittelte er nicht nur die Distanz zwischen Komet und Erde, sondern auch den Kometenlauf, seine Größe und Länge oder dessen Position in Relation zu anderen Himmelskörpern. Wenn Scultetus auch an die Bedeutung Brahes als Beobachter nicht heranreicht, gehört er doch zu den fähigsten und bekanntesten Astronomen seiner Zeit. Es sind diese ersten beiden Teile von Scultetus’ lateinischer Schrift, die Brahe im zehnten Kapitel seines Werkes De mundi aetherei recentioribus Phaenomenis (1588) ausführlich diskutiert, wobei der dänische Astronom seinem Freund unerbittlich Fehler, eine schwache Methodik und falsche Schlussfolgerungen nachweist. Es zeugt von der
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Jahren nach Christi Geburt 1568 1569 1570 und den andern nachfolgenden sich zutragen sollen. Beschrieben und geordnet, Görlitz 1568 (VD16 S 5171); [5.31] Ders.: Prognosticon meteorographicum perpetuum. Ein ewigwerend Prognosticon von aller Witterung in der Lufft und den Wercken der andern Element: So viel betrifft die Ankunfft Natur und Wirckung aller Wind Regen Schnee Thaw Reiff Dünst Nebel etc. (…) darauß jedermenniglich aller fürnemen meteorischen Werck ihre augensichtige Krafft und Wirckung hernieden in den Erdgewechsen und allen empfindlichen Creaturen genugsam zuerkennen und dieselben im teglichen Leben nützlich anzuwenden hat. geordnet und beschrieben, Görlitz 1572 (VD16 S 5169). [5.28] Scultetus, Bartholomäus: Cometae, anno humanitatis i. c. M. D.Lxx.Vii. a 10. viiiibris per xbrem in 13. ianuarii sequentis anni, continuis lx. & v. d. in sublunari regione adparentis, descriptio. De illius motu visibili & vero, adiectis cognitu dignioribus calculi, tabularum & demonstrationum ocularium fundamentis. Denique de huius meteoricae impressionis significatione, ex praemissa descriptione, concepta, Görlitz 1578 (VD16 S 5161) und [5.29] Ders.: Des grossen und wunderbaren Cometen so nach der menschlichen Geburth Jhesu Christi im 1577. jahr von dem 10. Tag Novembris durch den gantzen Decembrem biss in den 13. Ianuarii des folgenden Jahrs gantzer 65. Tag unter des Monden Sphär uber der Wolcken Region gesehen worden: Astronomische und natürliche Beschreibung: Von seiner sonderlichen Bedeutung und gewaltigen Wirckung anfahend auff den negsten Augustum vom 1578. biss uber fünff gantzer Jahre in den Eingang des 1583. wehrend, Görlitz 1578 (VD16 S 5162). Davon scheint Brüning auszugehen, der von der ersten deutschen Ausgabe und dem lateinischen Original spricht, vgl. Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 89. Eine knappe Zusammenfassung bietet Hellman: The Comet of 1577, S. 213–216. Helfricht hält es für fraglich, ob Scultetus den Kometen tatsächlich selbst beobachtet habe oder vielmehr entsprechende Daten vom Astronomen Paul Wittich bekam, vgl. Helfricht: Fünf Briefe Tycho Brahes an den Görlitzer Astronomen Bartholomäus Scultetus, S. 19–20.
5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus
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Größe und dem Wissenschaftsethos von Scultetus, dass er diese Kritik annimmt und sich von Brahes Argumenten überzeugen lässt.83 Der knapp mehr als die Hälfte der Schrift ausmachende und damit längste dritte Part ist mit der astrologischen Ausdeutung der in den beiden ersten Teilen erarbeiteten Ergebnisse befasst. Er ist in zwölf Kapitel gegliedert, die sich jeweils den verschiedenen Parametern widmen, die traditionell zur Deutung herangezogen werden, z. B. Größe, Farbe, Bewegung oder Schweifausrichtung des Kometen. Nicht nur aufgrund dieser Schwerpunktsetzung kann man davon ausgehen, dass die astrologische Deutung keine reine Zugabe an entsprechend interessierte Gelehrte gewesen ist, sondern vielmehr eines der Hauptanliegen des Werkes. Hellmans Statement, die Schwäche von Scultetus’ Kometenbuch habe in der „inclusion of many details which proved repetitious and many which had no bearing on the comet“ gelegen, deren alleiniger Zweck darin bestehe „useful for finding the comet’s supposed astrological significance“84 zu sein, verkennt, dass das Eruieren der astrologischen Bedeutung ein valider Teil dessen ist, was der frühneuzeitliche Rezipient – unabhängig vom Bildungsgrad – über einen aktuellen Kometen erfahren möchte. Scultetus’ Kometenbeobachtung ist auf diesen Zweck der Interpretation geradezu ausgerichtet, die ein bedeutendes Element der Motivation darstellt, den Kometen systematisch zu observieren. Die nun zu analysierende deutsche Kometenschrift ist nach diesem damit grob beschriebenen dritten Teil strukturell modelliert, weshalb sie auch zwölf Kapitel umfasst, die die einzelnen beobachtbaren und zu deutenden Kometenparameter fokussieren. Die primäre Intention von Scultetus deutscher Schrift Des grossen und wunderbaren Cometen ist daher ebenfalls die „Beschreibung von der Bedeutung und Influentz des Cometen“85. Wie erwähnt, bilden auch hier Observationsdaten den grundlegenden Ausgangspunkt, zu Beginn des ersten Kapitels konstatiert Scultetus ausdrücklich, dass er sich auf die im lateinischen Werk erarbeiteten Ergebnisse beruft „so mit der doctrina Triangulorum sphæricorum und planorum examiniert und erkleret worden“86. Scultetus’ Schrift beginnt mit einem Vorwort, in dem eine Legitimation apologetischen Charakters für die Astrologie als notwendige und nützliche Ergänzung der Astronomie gegeben wird. Scultetus präsentiert sie als „die vorsagung und wissenschaft zukünfftiger Bedeutung und Wirckung des Himels“87, deren Grundlage Beobachtungen und mathematische Reflexionen sind. Der ursprünglichen Konzeption Ptolemaios’ folgend, sieht Scultetus Astronomie und Astrologie als zwei Seiten derselben Medaille an, er spricht von „zwey stück der Astronomy so fest und genaw aneinenader stehen / das
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Diese Kritik kommuniziert Brahe schon 1581 brieflich an Scultetus, siehe Helfricht: Fünf Briefe Tycho Brahes an den Görlitzer Astronomen Bartholomäus Scultetus, S. 21–22. Hellman: The Comet of 1577, S. 214. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. A 2r. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. C 3r. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. A 2v.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
eins ohn das ander nicht sein mag / und das ander auff dem ersten stehet gleich als eine starcke Festung auff irem wolgelegten grunde.“88 Entsprechend formuliert er den Untertitel seines Werkes, worin er die astrologische Ausdeutung des Kometen als dessen „Astronomische und natürliche Beschreibung“ bezeichnet. Damit wird nicht nur die enge Verbindung von Astronomie und Astrologie betont, sondern letztere epistemologisch legitimiert. Eine weitere Ebene der Legitimation entwickelt Scultetus, indem er auf die theologische Dimension der Naturphilosophie rekurriert. Wenn er von „etlichen Kunstfeinden unn schendern der Astronomy zu unsern zeiten“89 spricht, reagiert er auf eine zeitgenössisch prävalente Form der Astrologiekritik, oftmals theologischen Ursprungs, indem er sich gegen diejenigen verwahrt, die „die Kunst Heidnisch / Abgöttisch / ungegründet / verdampt / etc. heissen.“90 In ähnlicher Weise argumentiert der Pastor und Kalenderschreiber Georg Caesius (1542–1604) in seiner Kometenchronik von 1579, in der er Noah als ersten Astronomen präsentiert, der aus Himmelserscheinungen weissagen konnte und dafür verehrt worden ist, und die Astrologie damit biblisch „wider etliche Theologen / so die Astrologiam gantz unn gar on allen unterschid verachten und verdammen / so doch in solcher kunst die heiligten Ertzvätter sich geübet / und von inen aus Gottes offenbarung herkumt“91 verteidigt. Auch in anderen prognostischen Werken betont Caesius explizit, dass astrologisches Wissen notwendig für ein korrektes Verständnis der Bibel sei und verweist auf Melanchthons Liebe zur Astrologie.92 Für ihn wie für Scultetus ist die Natur im melanchthonischen Sinne als Offenbarung Gottes zu sehen.93 Charakteristisch für diese im Luthertum der zweiten Hälfte des 16. und den ersten Dekaden des 17. Jahrhunderts sehr verbreitete Sichtweise ist eine christliche Konzeptualisierung und theologische Legitimierung der Naturphilosophie und im Speziellen
88 89 90 91
92 93
[5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. A 3r. Ebd. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. A 3v. [5.2] Caesius, Georg: Chronick, oder ordentliche Verzeichnuss unnd Beschreibung aller Cometen, von der algemeinen Sündflut an nach Erschaffung der Welt 1656. Biss auff dis gegenwertiges jtztlauffends nach Christi unsers Herrn und Seligmachers Geburt 1579. Jar, und was darauff für Zufell traffen und verenderungen erfolget von Kriegen, Theuerung, Pestilenz etc. auch ein sonderliche Erklerung und Exempel, was der Cometstern durch alle 12 himlische Zeichen Wirckung sey: Auss welchem der vernünfftige Leser forthin von einem jeden Cometen leichtlich wird urtheilen können, etc. Auss vilen Scribenten mit sonderm Fleiss und Bedencken, auch auff das kurtzest zusamen gezogen, Nürnberg 1579 (VD16 C 154), Bl. B 2r. Vgl. Barnes: Prophecy and Gnosis, S. 151. Eine alternative, da paracelsisch orientierte Konzeptualisierung der Natur als Offenbarung Gottes bietet z. B. der protestantische Theologe Johann Arndt mit seinem einflussreichen Werk Vier Bücher vom wahren Christentum, das zwischen 1605 und 1610 erscheint, siehe dazu Sommer, Wolfgang: Gottes Odem in der Schöpfung. Zum Bild der Natur bei Johann Arndt und Jakob Böhme, in: Sommer, Wolfgang: Politik, Theologie, Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1999, S. 206–226.
5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus
247
der Astronomie.94 Gerade die Gestirne und der Himmel sind zeichenhafte Mittel, mit denen Gott sich ausdrückt, daher sei es eine christliche Pflicht, diese „zu einer besondern ergetzung und höchstem nutz / neben andern zeitlichen uns Christen verliehenen Gaben“95 zu beachten und zu erforschen. Das Menschsein gebiete geradezu eine rationale und informierte Herangehensweise an die Natur als Gottes Schöpfung und ihren Botschaften: „Denn alle die Zeichen / so an Sonn / Mond / Sternen und meteoricis impreßionibus erscheinen / sollen nicht viehischer weise angesehen werden / das ist / ohne erkentnus der gebehrung / oder ursprung und qualitet / oder Natur derselben.“96 Die göttliche Geschaffenheit der Natur ist der Grund, aus „welchem wir keine absonderung Astronomicarum prædictionum ab illa ipsa arte (cui ita copulatæ ut salva ea separari nequeant) gestatten sollen.“97 5.2.1 Die Komplementarität von theologischer und astrologisch-naturkundlicher Kometendimension Die beschriebene theologische Legitimation der Naturerfassung untermauert Scultetus – wie Caesius – durch Rekurs auf die Bibel: „Als uns auch die H. Schrifft zuerkennen gibt und bezeuget / das die Luminaria [d. h. Sonne und Mond] (sampt dem andern Gestirn) unzertheilet / so wol signa sind als mensores temporum, etc.“98 Obwohl nicht wörtlich und ohne expliziten Verweis, paraphrasiert Scultetus hier Genesis 1,14 und damit gerade die Bibelstelle, die Melanchthon in seinem Vorwort zur von Simon Grynaeus in Wittenberg herausgegebenen Sphaera des Sacrobocso von 1531 anführt.99 In diesem Vorwort, das fast alle Wittenberger Sphaera-Ausgaben bis ins 17. Jahrhundert hinein begleitet, wird die Nützlichkeit der Astronomie damit begründet, dass Gott sich in der Natur zeichenhaft offenbart und die Naturphilosophie ein Weg ist, Wissen über Gott zu erlangen. Weitere Bibelstellen stützen die Nützlichkeit und Notwendigkeit einer christlichen Astronomie, zudem verweist Scultetus auf die biblischen Patriarchen und die Kirchenväter als Verfechter dieser Ansicht. Das frühneuzeitlich oft
94 95 96 97 98 99
Siehe dazu grundlegend Kusukawa, Sachiko: The Transformation of Natural Philosophy. The Case of Philip Melanchthon, Cambridge 1995 sowie das dritte Kapitel „Melanchthons antispiritualistische Anthropologie und Naturphilosophie“ bei Wels: Manifestationen des Geistes, S. 89–130. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. A 4v. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. B 4r. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. A 4v. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bll. A 4v–B 1r. [5.27] Sacrobosco, Johannes de: Liber Johannis de Sacro Busto, de sphaera. Addita est praefatio in eundem librum Philippi Mel. ad Simonem Gryneum, Wittenberg 1531 (VD16 J 720). Ich habe die der editio princeps folgende Ausgabe von 1536 konsultiert; hier findet sich die Stelle auf Bl. A 3v. Zum Vorwort siehe Lalla: Über den Nutzen der Astrologie.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
verwendete Argument der Dignität der Disziplin – Subtyp eines Arguments der Autorität – integriert Scultetus damit geschickt in seine Legitimierungsstrategie. Astronomie und Theologie gehen hier konzeptuell eine Verbindung ein, die sich für Scultetus am Beispiel der Rezeption und Interpretation von Kometen als Wunderzeichen manifestiert und veranschaulichen lässt. Diese Verbindung mache es notwendig, beide Disziplinen entsprechend zu bemühen: Es sollen sie [die Theologen] / oder gebüre inen allein von diesen sachen zuberichten / was man sonst pfleget in den Praedictionibus vorzubringen: Dann es ihrem standt zustehe ein Himlisch Zeichen und Wunderwerck außzulegen / etc. setzen noch ein Problema hinzu / man solle dieser Kunst subiecta durch die H. Schrifft simpliciter unn ohne vorgehende unterricht des Naturlauffs oder doctrinæ Astronomicæ / erkleren.100
Die Auslegung von Wunderzeichen rein theologisch vorzunehmen, ist für Scultetus nicht nur aufgrund obiger Legitimierung der Astronomie als christliche Wissenschaft unstatthaft, sondern aus ganz praktischen Gründen: „Wo stehet in der H. Schrifft vom Cometen / wie man seinen lauff / stelle / höhe und grösse / etc. ermessen sol?“101 Diese Aspekte könne nur ein entsprechend kompetenter Gebildeter eruieren und die Kenntnis dieser Details habe wiederrum Einfluss auf Theologie und Alltagsleben. Beide Disziplinen ergänzen sich also. Der Theologe braucht den Astronomen, denn wer könnte sonst behülflich erscheinen in gründlicher betrachtung und außlegung aller Zeichen und Himels krefften: Mögen auch ferner mit irer hülff lernen erforschen / wann ein newer Sectirer entstehet / ob derselbe nach seiner Natur und Wirckung der complexion mehr / dann nach Gottes willen und macht des H. Geistes / seine Lehre und Leben zubringt. Gleich als das natürliche vom Astronomo auß des Himels configuration / also das geistliche vom Theologo auß Gott und dem rechten verstandt in H. Schrifft / mag examiniert und geurtheilt werden.102
Die Relation zwischen beiden Gebieten kann als funktional komplementär bezeichnet werden, worin eingeschlossen ist, dass jedes Gebiet seinen eigenen Zuständigkeitsund Kompetenzbereich hat:103 Bleibet also ein jetweder Profession in iren Wirden / und ist keine wider die ander / sind mehr mit einander / in deme / das eines ist das natürliche / das ander in das geistliche gegründet und gerichtet wird. So lange auch solche praxes oder processus operationis auff
100 101 102 103
[5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. B 3v. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. B 4r. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bll. B 4r–B 4v. Das bedeutet nicht, dass beiden Gebieten nicht auch hierarchisch eine unterschiedliche Relevanz beigemessen werden kann, sondern allein, dass in diesem argumentativen Kontext das sich gegenseitig befruchtende Nebeneinander betont werden soll.
5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus
249
beiden theilen gehalten werden / und keines dem andern einen einfall beweiset / oder des andern stel zuvertretten sich unterfenget / Also lange bleiben sie auch auff beiden theilen recht Christlich / wol gegründet / unverdamlich / Göttlich / und in summa unsträflich vor Gott unn den Menschen / und mögen mit reinem Gewissen zur Ehre Gottes mit grossem nutz und frucht / vielen Menschen zum besten Seliglich inn diesem Leben beysamen bleiben und erhalten werden.104
Auf den ersten Blick entsprechen diese Ausführungen im Kern einer Neuauflage des mittelalterlichen Arguments der naturphilosophischen Künste als ancilla theologiae105, das Primat der Theologie wird nicht infrage gestellt. Durch die Betonung der Komplementarität und die melanchthonisch inspirierte Auffassung der Gebotenheit und Notwendigkeit der Naturforschung als Erkenntnismittel göttlichen Willens, wird jedoch im Vergleich eine enorme Aufwertung der Wissenschaften, in diesem Fall der Astronomie und Astrologie, erreicht. Nach diesem Prolog widmet sich Scultetus der systematischen Ermittlung von Bedeutung und Wirkung des aktuellen Kometen. Wie oben erwähnt, beruft er sich hierbei auf die in seinem lateinischen Werk erarbeiteten und auf Observationen basierenden Ergebnisse, da nur solche eine fundierte Deutung ermöglichten. Deren theoretisch-methodische Grundlage bilden die autoritativen Werke des Ptolemaios und Cardanos106, die Scultetus häufig referenziert und paraphrasiert. Im ersten Kapitel behandelt er Parameter wie „grösse / Stelle und proportion“107 des Kometen, die er auf Grundlage parallaktischer Distanzmessungen eruiert. Er berechnet die Entfernung zwischen Komet und Erdoberfläche zu 7 597 deutschen Meilen108, den Durchmesser des Kometenkopfes zu 324 und die Schweiflänge zu 2 623 Meilen. Ferner gibt Scultetus an, dass der Erdradius 859 Meilen entspricht und eine Meile etwa 4 000 geometrischen
104 [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. B 4v. 105 Das Argument hat ältere Wurzeln, ich beziehe mich hier auf die thomistische Deutung. Siehe dazu allgemein Seckler, Max: ‚Philosophia ancilla theologiae‘. Über die Ursprünge und den Sinn einer anstößig gewordenen Formel, in: Theologische Quartalsschrift 171/3 (1991), S. 161–187. 106 Für Ptolemaios erwähnt er ausdrücklich die Tetrabiblos, bei Cardano bleibt er unspezifisch. Es scheint nicht zu abwegig, anzunehmen, dass Scultetus sich hier auf dessen Ptolemaioskommentar und/oder Teile der enzyklopädischen Werke De subtilitate und De rerum varietate bezieht, da hier nicht nur Naturphilosophie und Astronomie, sondern auch das Kometenthema behandelt werden. Vgl. zu diesen Werken und den Umständen ihrer Entstehung Cardano selbst in: Hefele, Hermann: Des Girolamo Cardano von Mailand (Buergers von Bologna) eigene Lebensbeschreibung, Jena 1914, S. 160–174. 107 [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. C 3r. 108 Die geographische Meile (Landmeile, Postmeile) ist bestimmt als 1/15 eines Breitengrades. Davon abgeleitet ist die deutsche Meile, deren Wert regional stark schwankte, aber ungefähr 7 bis 7,5 modernen Kilometern entspricht. Siehe dazu Verdenhalven, Fritz: Alte Maße, Münzen und Gewichte aus dem deutschen Sprachgebiet, Neustadt an der Aisch 1968, S. 36.
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Schritten.109 Die Entfernungsangabe bewegt sich in der Größenordnung, die Schleusinger für den Kometen 1472 angibt (8 200 dt. Meilen) – in einem Werk, das zeitgenössisch und noch bis ins 20. Jahrhundert Regiomontanus zugeschrieben worden ist.110 Die Distanz entspricht bei beiden knapp neun Erdradien, womit der Komet theoriekonform unter dem Mond verortet ist, genauer „in der höhisten Lufft oder Element Fewer“.111 Scultetus’ Komet ist allerdings viel größer als der vermeintlich von Regiomontanus behandelte; in dem ihm zugeschriebenen Kometentraktat wird der Durchmesser des Kometenhauptes mit 26 Meilen und die Schweiflänge (Coma) mit 81 Meilen angegeben.112 Auch der von Vögelin beobachtete Komet ist viel kleiner. Scultetus erwähnt diese Diskrepanzen und veranschaulicht die enormen Ausmaße des Kometen 1577 durch einen Vergleich mit der Größe von Mond und Erde: Der Kometenkopf sei fast 19 mal kleiner als der Mond und 734 mal kleiner als die Erdkugel.113 Aus diesen ungewöhnlichen Dimensionen des aktuellen Kometen schließt Scultetus auf die Unzulänglichkeit der zeitgenössisch überkommenen Theorie: Wie ist es möglich, dass ein mehr als 700 mal kleineres Objekt als die Erde einen Schweif hat, dessen Länge den Erddurchmesser übersteigt? Woher soll ein so großer Körper den Nachschub an Verbrennungsmaterial bekommen bzw. wie kommen überhaupt solche Mengen elementarischer Exhalationen so hoch in die Atmosphäre und warum steigen sie noch höher? Warum zeigt der Komet als elementarisches und klar sublunares
109 Diese Angaben sind die von mir gerundeten Werte aus der lateinischen Kometenschrift, vgl. [5.28] Scultetus: Cometae, anno humanitatis i. c. m. d.lxx.vii., Bll. F 1r–F 4r. In der deutschen Kometenschrift gibt Scultetus dieselben Werte in geometrischen Schritten an, liefert aber auch den Umrechnungsfaktor zu Meile und Erdhalbmesser, vgl. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bll. C 3r–C 3v. 110 Siehe dazu auch Stotz/Roelli: Eberhard Schleusinger. De cometis, S. 111 sowie Jervis, die erstmals begründeten Zweifel an der Autorschaft Regiomontanus geäußert hat, Jervis: Cometary Theory in Fifteenth-Century Europe, S. 114–120. 111 [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. C 3v. Diese Formulierung lässt darauf schließen, dass die von Aristoteles als Ort der Kometenentstehung genannte elementarische Feuerschicht bei Scultetus entweder als oberster Part der Atmosphäre unter dem Wort Luftschicht subsummiert wird, ganz verschwunden ist bzw. keine räumliche Ausdehnung aufweist oder in diesem Zusammenhang eine genaue Unterscheidung zwischen beiden nicht relevant ist. Dafür spricht, dass Scultetus in seinem lateinischen Werk den Abstand zwischen Erde und Mond mit (von mir umgerechneten und gerundeten) guten 52 Erdradien angibt und ihn mit der größten Ausdehnung der obersten Luftschicht gleichsetzt, vgl. [5.28] Scultetus: Cometae, anno humanitatis i. c. m. d.lxx.vii., Bl. F 1v. 112 Diese vom modernen Standpunkt aus gesehen viel zu kleinen, bzw. bezogen auf die Parallaxe viel zu großen Werte kommen nicht so sehr aufgrund einer fehlerhaften Methodik, sondern vielmehr wegen unpräzisen Instrumenten heraus. Hinzukommen Beobachterfehler, Verzerrungen aufgrund der Refraktion und das Ignorierens der Eigenbewegung des Kometen. Zeitgenössische Distanzmessungen und darauf basierende Größenabschätzungen, z. B. von Peurbach oder später Johannes Vögelin (Komet 1532), bewegen sich in ähnlicher Größenordnung wie die von Schleusinger oder Scultetus. Siehe dazu auch das 4. Kapitel „Those Whose Computations of Parallax Placed the Comet Beneath the Moon“ bei Hellman: The Comet of 1577, S. 184–233. 113 [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Comete, Bl. C 3v.
5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus
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Phänomen Eigenschaften, die eigentlich ätherischen Himmelskörpern vorbehalten sind, z. B. die Tagesbewegung? Diese Fragen oder Widersprüchlichkeiten114 sind für Scultetus gewichtig genug, um die klassische Kometenlehre insgesamt anzuzweifeln, da sich hier ein epistemologisches Problem zeigt. Dessen Lösung möchte er „denen zu verantworten ubergeben / so die Physicam mit der Astronomia zuvereinigen wissen.“115 Scultetus reagiert also anders als Rasch nicht mit einer Abgrenzung verschiedener Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Disziplinen in der Behandlung der Kometenfrage, sondern sieht im Gegenteil deren Verbindung als Grundlage einer Reform der Theorie an, er argumentiert also genau vom Standpunkt des integrierten Kometenbilds aus. Eine fundierte Astrologie ist für ihn als wissenschaftliches Instrument der Kometendeutung ein legitimer Part der Astronomie, auf der sie beruht. Die physikalische Seite erhellt das Wesen und Verhalten von Kometen als natürlichen Körpern. Es sei aber nicht möglich, hinder allen grundt solcher sachen / mit hülff der Astronomia und Physica / zukommen / Und derhalben unsern gebrechen des erkendtnus müssen in die allmechtigkeit Gottes heimstellen / von welches gunst und gnaden von solchen heimligkeiten einem viel dem andern weniger zuerkennen geben unn verliehen wird.116
Beide disziplinären Bereiche werden daher sinnvoll durch die theologische Dimension ergänzt, die sich daraus ergibt, dass Kometen durch Gott zum Zeichen gemacht werden. Die bereits im Vorwort entwickelte Idee der Komplementarität der Disziplinen wird hier also weitergeführt: Wöllen in des / ehe uns die solution dieser Fragen gäntzlich zukömpt / statuieren und es darfür halten / das solches ubernatürliche unn uns den mehrentheil allzu hohe sachen sind / die wol auß mittel der Natur geschehen mögen / aber nicht ohne sonderliche Göttliche Ordnung / so vielfaltig wider den Lauff der Natur iren Werckzeug richtet unn gehen lesset / Doch aber auff solchen weg / das die Physica doctrina darumb nicht zerrüttet wird.117
Auch hier ist die Abweichung vom zu Erwartenden ein Indiz für die Wunderhaftigkeit des Phänomens und dahinterstehendes göttliches Wirken, jedoch vollzieht sich dies im Rahmen der Naturordnung als göttliche Schöpfung. Ist die Ordnung an sich ein Beweis für das „Dasein Gottes als ewiger Vernunft“, so will der so verstandene Schöpfer aus diesem seinem Werk erkannt und verherrlicht werden, womit das Ziel der Welt
114 115 116 117
[5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bll. C 4r–D 1r. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. D 1v. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. C 3v–C 4r. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. D 1v.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
theologisch und damit zugleich intellektuell und doxologisch bestimmt ist.118 Eine Verletzung dieser Ordnung ist nur eine scheinbare, soweit sie einen göttlichen Zweck, im Falle der Kometen in Gestalt ihrer kommunikativen Funktion, erfüllt. Scultetus erwähnt Seneca als jemanden, der über dieselben Problemlagen reflektierend zu dem Schluss gekommen sei, Kometen müssen ätherische Körper sein, was der Görlitzer Astronom allerdings ablehnt: Und gefellt uns in diesen bedencklichen Fragen viel besser des frommen Damasceni119 iudicium / der da saget / Ein Comet sey ein Göttlich Werck (darumb auch ein Wunderzeichen) so mit seiner gebehrung nicht in den gegebenen krefften der Natur / auß der ersten Schöpffung / gelegen / Und sey ein Zeichen / welchem nach einem gutes dem andern böses widerfahre (dieses mehr / jenes minder) Nicht aber vom Zeichen tanquam causa simplici [als einfache Ursache] / sondern als einem mittel / das Gott hierzu erfordert und gebrauchet. Wie dann auch die andern Himlischen Cörper / so perpetua sind / zu zeiten wider ire eigenschafft und Natur als sie verordnet unn selbst mechtig sind / sich erzeigen und wircken / Wann sie nemlich a prima causa von Gott selbst anders geführet werden.120
Die Kometenastrologie als Mittel der Dechiffrierung der in den Kometen inkorporierten göttlichen Botschaft beruht auf der Grundidee der Natur als Offenbarung Gottes, die erkannt werden will und muss. Die Relevanz und Dignität des Gegenstands erfordern ein sicheres Fundament – das durch eine sowohl epistemologische als auch theologische Legitimierung der Astrologie geliefert wird – als auch die Sorgfalt und Kompetenz desjenigen, der sie zu diesem Zweck gebraucht. Eine Elaboration dieser Rolle der Astrologie inklusive ihrer vorbildlichen Anwendung liefert Scultetus in den verbleibenden Kapiteln: Und wie wir erst angezeigt / Das ein Comet sey ein Zeichen von Gott in die ober Lufft uns vorgestellt / So ist wol zubetrachten / wie man möge ein solch Zeichen nach seinem orth / gestallt und andern qualiteten oder umbstenden / recht erkennen und außlegen. Das nun aber solch erkendtnuß desto eigentlicher angestellet werden könne / sind uns von Göttlicher gnaden die guten Künste (so der ankunfft von Chaldeern / Egyptiern / Griechen / etc.) als Gaben Gottes in diesem zeitlichen Leben / verliehen / dadurch wie zur gründtlichen betrachtung solcher qualiteten kommen mögen.121
118
Vgl. Hübner, Jürgen: Die Theologie Johannes Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft, Tübingen 1975 (Beiträge zur historischen Theologie 50), S. 193–194. 119 Damit ist der Kirchenvater Johannes von Damaskus gemeint, der in seinem De fide orthodoxa das Kometenthema knapp behandelt und daher in vielen frühneuzeitlichen Kometenschriften paraphrasiert oder erwähnt wird. Vgl. die deutsche Übersetzung bei Steinhofer: Des Johannes von Damaskus genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, S. 61. 120 [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. D 2r. 121 [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bll. D 3r–D3v.
5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus
253
Die Notwendigkeit der Integration der verschiedenen relevanten Disziplinen ergibt sich aus dem dualen Charakter der Kometen: als natürlich entstehende und wirkende Körper – Gegenstand der Physik – deren Einfluss auf die irdische Welt durch Astronomie und Astrologie fundiert ermittelt werden muss, um damit deren zeichenhafte Botschaft theologisch zu ergründen, „so es aus sonderlicher verhengnus Gottes geschicht / das wider den erschaffenen natürlichen Lauff und einfluß / viel wunderbarliche / offentliche und heimliche operationes aus inen erfolgen / von denen ein Astronomus nicht mag seine rationes gründlichen oder genugsam offenbaren.“122 Die Astrologie erfüllt damit eine verbindende Funktion. Scultetus exerziert das Procedere einer umfassenden astrologischen Ausdeutung des Kometen systematisch und ausführlich durch, aufbauend auf seinen eigenen quantitativen Daten und den autoritativen theoretischen und methodischen Grundlagen, hauptsächlich Ptolemaios und Plinius. Er bemüht sich um eine klare, verständliche, aber auch exakte Sprache. Er verwendet häufig lateinische Begriffe, insbesondere Fachvokabular, wobei längere lateinische Zitate selten unübersetzt bleiben. Seine Deutungen gehen dabei zum Teil über die klassischen Elemente der astrologischen Kometologie hinaus, etwa wenn Scultetus nicht nur die vom Kometen durchlaufenen Tierkreiszeichen, sondern z. B. geometrische Figuren, die vom Kometen und umliegenden Sternen gebildet werden, unter Bezugnahme auf die mythisch-historischen Geschichten der jeweiligen Sternbilder interpretiert. So habe der Komet bei seinem ersten Erscheinen mit drei Sternen des Sternbildes Antinoos ein Trapez gebildet, weshalb Scultetus die Legende um den Kaiser Hadrian und den Jüngling Antinoos in seine Deutung integriert – beziehungsweise jenes Detail derselben, welches in sein Deutungsnarrativ am besten hineinpasst. Auf sehr subtile Weise, im allegorischen Gewand und ohne jede Polemik, kann so z. B. auch aktuelles politisches oder religiöses Geschehen kommentiert werden. In diesem konkreten Fall fungiere der Komet als Erinnerung daran, dass selbst Fürsten und Herren Gottes Zorn erregen können, so sie auf die falschen Berater hören, wie Kaiser Hadrian auf die ägyptischen Priester.123 Diese Art der Deutung bietet eine weitere Ebene der Dechiffrierung der im Kometen inkorporierten göttlichen Botschaft; eine Möglichkeit, mithilfe astrologisch gedeuteter astronomisch-geometrischer Daten göttlichen Willen erkennbar zu machen und diesen als entfaltet in einer geschichtlichen Schöpfung darzustellen, in der auch kleinste Details auf ihren Schöpfer verweisen und kein Phänomen beziehungslos steht – sowohl bezüglich der Weltkonzeption von Mikro- und Makrokosmos, als auch temporal gesehen bezogen auf eine Verbindung von Welt-, Menschen- und Heilsgeschichte.
122 123
[5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. G 2v. [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bll. I 1r–I 1v.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
5.2.2 Die Astrologie als Bindeglied zwischen meteorologischer Wirkung und zeichenhafter Bedeutung Ebenso wie Scultetus, ist der gebürtige Schweizer Conrad Dasypodius (1531–1601) ein zeitgenössisch bekannter Mathematiker und Astronom.124 Der Sohn eines Humanisten wird nach seinem Studium in Löwen und Paris Kanonikus, Mathematiklehrer und später Professor in Straßburg, wo er die astronomische Uhr des dortigen Münsters konzipiert.125 Dasypodius ediert u. a. Euklid, Herons Automata sowie Cardanos Ptolemaioskommentar und gibt anonym ein Werk zur Planetentheorie heraus, das wahrscheinlich auf Erasmus Reinhold und Caspar Peucer zurückgeht.126 Neben mathematischen Werken schreibt er über sphärische Astronomie, aristotelische Meteorologie und veröffentlicht Kalender und Prognostiken. Wie andere humanistisch geprägte Gelehrte unterhält Dasypodius eine umfangreiche Korrespondenz; zu seinen Briefpartnern gehörten z. B. Tycho Brahe, Johannes Kepler, Joachim Camerarius und Heinrich von Rantzau. Letzterem widmet er 1578 seinen Tetrabiblos-Kommentar und stellt dem Werk ein Horoskop Rantzaus nebst Ausdeutung voran.127 Diese praktische Beschäftigung mit der Astrologie zeigt sich auch in den Werken des Straßburger Mathematikprofessors zum Kometen 1577. Genau wie Scultetus publiziert er sowohl eine lateinische als auch eine deutschsprachige Schrift128, wobei beide Titelseiten dasselbe Motiv ziert: ein Kometenhoroskop (siehe Abbildung 5.2). Die runde Horoskopfigur ist mit dem 11. November 1577 datiert, was der Erstsichtung des Kometen über Straßburg entspricht, für dessen Polhöhe das Horoskop berechnet ist. Der Kometenkopf befindet sich im 6. Haus, ebenso wie der „neue Stern“ von 1572, womit nun auch im Bildprogramm die in zeitgenössischen Flugschriften oft betonte Verbindung zwischen den beiden astronomischen Ereignissen hergestellt ist.
124 Die biobibliographischen Angaben folgen Oestmann, Günther: Die astronomische Uhr des Straßburger Münsters. Funktion und Bedeutung eines Kosmos-Modells des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1993, S. 37–41. 125 Vgl. [5.5] Dasypodius, Conrad: Wahrhafftige Ausslegung des astronomischen Uhrwercks zu Strassburg, Straßburg 1578 (VD16 D 235). 126 Es handelt sich hierbei um die Hypotyposes orbium coelestium (1568), vgl. Barker, Peter: The Hypotyposes orbium coelestium (Strasbourg, 1568), in: Granada, Miguel Á./Mehl Édouard (Hrsg.): Nouveau Ciel, Nouvelle Terre. La Révolution Copernicienne dans l’Allemagne de la Réforme (1530–1630), Paris 2009, S. 85–108. 127 Vgl. Oestmann: Die astronomische Uhr des Straßburger Münsters, S. 39–41. 128 [5.3] Dasypodius, Conrad: Brevis doctrina de cometis & cometarum effectibus, Straßburg 1578 (VD16 D 232) und [5.4] Ders.: Von Cometen und ihrer Würckung, Straßburg 1578 (VD16 D 242).
5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus
255
Abb. 5.2 Kometenhoroskop des Dasypodius (1578)129
Die deutschsprachige Schrift Dasypodius’ von 1578 ist mit 18 Blatt im Quartformat durchschnittlich lang und neben dem Vorwort in vier Kapitel gegliedert, die Theorie und Beobachtung von Kometen allgemein, die Beschreibung des aktuellen und eine Chronologie vergangener Kometenerscheinungen thematisieren. Der durch das Titelbild illustrierte astrologische Rahmen der Schrift entspricht Dasypodius’ Grundüberzeugung eines himmlischen Einflusses auf die irdische Welt, der teleologisch von Gott gestaltet sowie durch den Menschen erkannt und deutend ausbuchstabiert werden müsse. Himmelskörper wie Sonne und Mond spenden Licht und dienen der Zeiteinteilung, es gebe sie aber auch, damit sie „ihre offenbarliche und heimliche kräfften
129
Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 528,6, Titelseite, urn:nbn: de:bvb:12-bsb10198877–4.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
unnd wirckungen haben sollen / im lufft / im wasser / unn auff der erden / so wol an allem was athem und leben hat / als an anderen geschöpffen so kein leben haben.“130 Generell haben Himmelsphänomene und -prozesse eine durch Kräfte vermittelte Wirkung, die sich in der sublunaren Welt fortsetzt. Daher haben auch elementarische Phänomene Eigenschaften und Wirkungen, „welche alle zu erkundigen und zu wissen Gott nicht verbotten / sonder gebotten hat / doch mit dieser bescheidenheit / das wir in den Schöpffer durch seine geschöpff erkennen / und nicht mehr die geschöpff anbetten (…).“131 Phänomene wie Kometen wirkten zudem nicht nur, sondern haben zusätzlich noch eine besondere Bedeutung, die in ihrer Instrumentalisierung als göttliche Zeichen gründet. Die in Dasypodius’ zweitem Kapitel behandelten Methoden astronomischer Beobachtung sind dem Ziel der Ermittlung dieser astrologischen Signifikanz untergeordnet. Die Erforschung der Kometen legitimiert Dasypodius damit theologisch. Das vornehmste Wissen der Welt sei die Erkenntnis des göttlichen Willens, die „ander weißheit aber ist / erkandtnuß und wissens allen denen geschöpff / so Gott der Allmechtig von anfang der welt erschaffen hat / so sehr menschliche vernunfft / solche heimlichkeit der natur erreichen mag (…).“132 Die Zeichenhaftigkeit der Kometen und die Tatsache, dass sie die ihnen zugeschriebenen negativen Wirkungen kausal verursachen, werden durch Rekurs auf die historische Erfahrung belegt. Als natürlich erklärbare Phänomene sind Kometen Träger göttlicher Bedeutung. Diese natürliche Erklärung im Rahmen der augmentierten meteorologischen Theorie ist gleichsam die Basis ihrer Interpretation: Weil die Cometen werden [d. i.: entstehen] durch der Planeten krafft und würckung / welche zuvor auch kann calculiert und außgerechnet werden / so folget hierauß / das auch zu vor unnd ehe die Cometen erschinen / solche von den Astronomis können wahrgenommen unnd erkandt / auch verkündiget werden / jedoch nicht also gewiß wie die Finsternussen Sonn unnd Mons / sonder beyleuffig auß fürfallener schein und gegenschein der Planeten und anderer ursachen (…).133
Gerade weil die Kometen unter Beteiligung der Himmelskörper entstehen, können sie wie diese für Zukunftsvoraussagen genutzt werden. Komplexe Deutungsschemata, die beobachtbare Parameter von Kometen im Zusammenhang mit Gestirnskonstellationen, Tierkreiszeichen und Sternbildern interpretieren, basieren auf dieser Grundidee. Damit wird außerdem der epistemologische Status der Astrologie als empirische Wissenschaft legitimiert, die zwar nicht die höchste Form sicheren – mathematisch
130 131 132 133
[5.4] Dasypodius: Von Cometen und ihrer Würckung, Bl. A 2r. [5.4] Dasypodius: Von Cometen und ihrer Würckung, Bl. B 2r. [5.4] Dasypodius: Von Cometen und ihrer Würckung, Bl. A 4r. [5.4] Dasypodius: Von Cometen und ihrer Würckung, Bl. E 1r.
5.2 Das integrierte Kometenbild des Bartholomäus Scultetus
257
demonstrierbaren – Wissens darstellt, aber durch die Grundlage der Astronomie als exakten Wissenschaft doch auf dieser Art von Wissen beruht. Diese enge Verflechtung von naturkundlicher Erklärung und astrologischer Konzeption ist z. B. in der Klassifikation verschiedener Kometentypen präsent. Die hauptsächlichen Klassifikationskriterien sind Farbe und Form des Kometen, die dessen Natur determinieren. Der beherrschende und für die Entstehung des Kometen verantwortliche Planet prägt dessen Eigenschaften, neben Farbe und Form etwa auch seine Bewegung, seine Bahn und insbesondere auch seine Wirkweise. Gleichzeitig erscheint dieses astrologische Konzept einer Kometentypologie als Elaboration der rein naturkundlichtheoretisch basierten Unterscheidung Aristoteles’ von Haar-, Bart- und Schweifsternen. Die hier sichtbare und zuvor134 ausführlicher thematisierte integrierende Funktion der Astrologie im frühneuzeitlichen Kometenverständnis beruht auf ihrer engen Verbindung zur kausalen Erklärung der Entstehung und Wirkung von Kometen im Rahmen einer naturkundlichen Theorie einerseits, bei gleichzeitiger Relevanz für die Interpretation von Kometen als deutungsbedürftigen Naturphänomenen andererseits. Die Astrologie ist das Werkzeug zur Ermittlung der spezifischen Kometenbedeutung und ist auf diese Weise ebenso mit der theologisch-religiösen Konzeptualisierung von Kometen als göttlicher Botschaft verbunden, da beide auf deren Zeichenhaftigkeit rekurrieren. In eher allgemeiner Weise präsentiert Dasypodius Kometen als göttliche Warn- oder Zornzeichen und den in ihnen inkorporierten Aufruf zu Umkehr und Buße. Er ergeht sich nicht in detailreichen Schilderungen menschlicher Verfehlungen, ebenso wenig macht er Gebrauch metaphorischer Umschreibungen eines strafenden Gottvaters, der den Kometen als Rute oder Schwert an den Himmel gesetzt habe. Die Chronologie von Kometenerscheinungen aus der Perspektive der historischen Kasuistik erweist, dass auf Kometen „grosse straff unn vil ubels durch Gottes verhencknuß“ folgen.135 Dasypodius nennt hier die klassischen Kometenfolgen, die er dann detailliert nach Ort, planetarischer Natur und Lauf des Kometen konkretisiert. Vielmehr als der Appell zur Buße scheint hier die Informationsvermittlung im praktischen Sinne im Fokus zu stehen: es geht um divinatorisches Wissen, das eine Rationalisierung und damit intellektuelle Kontrolle des Kometen als beeindruckenden und erschreckenden Phänomens ermöglicht. Die explikative Funktion der Astrologie hat damit auch eine praktische, lebensweltliche Dimension. Das steht der eben kurz umrissenen Einbettung der Astrologie in den theologischen Rahmen nicht entgegen. Dieser ist klar durch Vorstellungen der theologisierten Naturphilosophie Melanchthons geprägt, dessen valider Teil die Astrologie ist. In Dasypodius’ Kometeninterpretation scheint aber weniger die Verkündung von Unheil als gerechte Strafe Gottes im Vordergrund zu stehen, sondern die Präsentation von Kometen als Zeichen einer göttlich verfassten Welt:
134 135
Siehe dazu Kap. 3.1.3. [5.4] Dasypodius: Von Cometen und ihrer Würckung, Bl. D 3r.
258
5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
Derhalben ein jeder so luft und liebe hat zu den anderen (davon jetz gemeldt) weißheit unnd erkundigung der natur / derselbige solle mit Gottes forcht und erkandtnuß den anfang machen / und wissen das Gott ein zil den menschen gesetzet hatt / in erkandtnuß unn erforschung der natur unn alles des daß verborgen ist / auch will er nicht allein in seinem wort und gebott erkandt sein / sondern auch durch seiner geschöpff ordnung unnd würckung / wie dann solches die Propheten und Apostolen bezeugen / als namlich die Himmel erzelen und heblen uns dar / die glori unnd herrligkeit Gottes / weiters das firmament / die erd / die element / und was darinnen zeygen und beweysen die krafft / herrligkeit / und almechtige macht Gottes / so auch der spruch / durch erkundigung und erforschung er geschöpff Gottes / kommen wor zu erkandtnuß des ewigen allmechtigen Gottes und schöpffers aller ding.136
Der Dualität göttlicher Offenbarung – biblisch und natürlich – entsprechen menschliche Erkenntnisweisen Gottes, eine religiöse und eine rationale, die in der Dualität verbunden sind, aber doch auf zwei verschiedene Bedeutungsebenen verweisen. Weniger noch als bei Scultetus erscheint das Verhältnis zwischen theologischer und astrologischer Kometendeutung bei Dasypodius als spannungsgeladen. Während Scultetus zwar anders als Rasch nicht für eine deutliche Abgrenzung von Astrologie und Theologie plädiert, spiegelt sich die Wahrnehmung einer Konkurrenz um die Deutungshoheit über Kometen und ähnliche prodigienhafte Phänomene in seiner Schrift doch zumindest wider. Gerade im Vorwort, in dem er um die Legitimation der Astrologie als christliche Wissenschaft bemüht ist, schwingt ein apologetischer Ton mit. Wie oben ausgeführt, konstatiert Scultetus ein komplementäres Verhältnis von Theologie und Astrologie. Dasypodius und Scultetus veranschaulichen in geradezu klassischer Weise das integrierte Kometenbild, wenn auch mit leicht unterschiedlichen Akzentuierungen. Es ist bezeichnend, dass dieses eng verbundene Konglomerat an Zugängen, Theoretisierungen und Interpretationsweisen gerade bei jenen am deutlichsten zu Tage tritt, bei deren Kometenpräsentation die astrologische Dimension eine zentrale Rolle spielt. Dies ist in der nun abschließend zu betrachtenden Kometenschrift ebenfalls der Fall, wobei auch hier die bei Dasypodius schon durchscheinende Parallelität von theologischer und naturkundlich-astrologischer Dimension festzustellen ist. 5.3 Matthias Meines naturkundliche Kometenastrologie Matthias Meine (1544–1601) wird in Danzig geboren und studiert, gefördert durch den Rat seiner Heimatstadt, in Wittenberg, wo er unter anderem Vorlesungen von Melanchthon und Peucer hört.137 Nach Erhalt der Magisterwürde kehrt er 1571 nach 136 137
[5.4] Dasypodius: Von Cometen und ihrer Würckung, Bl. A 4v. Zeitgenössisch scheint die Schreibweise „Meyne“ verbreiteter gewesen zu sein. Im Bemühen um größere Leserfreundlichkeit bzw. Auffindbarkeit behandelter historischer Personen wird hier die
5.3 Matthias Meines naturkundliche Kometenastrologie
259
Danzig zurück, um dort Positionen zunächst als Rektor der Johanniter-Schule und im Folgejahr als Professor für Astronomie am Danziger Gymnasium anzutreten. 1579 erhält Meine einen Ruf an die Universität Königsberg – die für lange Zeit ein Hort protestantischer Orthodoxie und lutherisch geprägter Gelehrsamkeit ist – wo er eine ordentliche Professur für Mathematik antritt und später Rektor wird. Seit 1586 ist er außerdem als fürstlicher Bibliothekar am Königsberger Hof von Herzog Albrecht Friedrich von Preußen beschäftigt, für dessen Familie er gegen ein zusätzliches Gehalt auch prognostische Werke verfasst.138 Die Herausgabe jährlicher Kalender, von denen bis heute mehr als zehn Jahrgänge erhalten geblieben sind, gehört ebenfalls zu seinen beruflichen Obligationen. Die prestigeträchtige Position des Hofbibliothekars in Verbindung mit der Königsberger Professur lassen vermuten, dass Meine, obwohl heute nicht mehr sehr bekannt, zeitgenössisch in Gelehrtenkreisen gut vernetzt und angesehen ist, insbesondere für seine Beobachtungsgenauigkeit.139 Brahe gehört ebenso zu seinen Korrespondenten wie die Astronomen Johannes Stadius und Cyprian von Leowitz; der oben behandelte Scultetus zitiert in seiner Kometenschrift einige Observationsdaten des „wolgelährte[n] M. Matthias Menius.“140 Nur wenige Werke seines schriftstellerischen Schaffens sind bis heute erhalten geblieben, darunter Schreibkalender und kalendarisch-prognostische Schriften sowie die hier im Fokus stehende Kometenflugschrift.141 Meine publiziert sowohl deutschsprachig als auch auf Latein und verwendet dabei auch die latinisierte Namensform „Menius“. Ebenso wie ein Traktat zur Nova 1572 ist das Kometenwerk noch in seiner Danziger Zeit entstanden. Die textinterne Datierung weist darauf hin, dass Meine die Schrift in den letzten Tagen des Jahres 1577 abschließt, also noch vor Ende der Sichtbarkeit des Kometen.142 Das mit 16 Blatt im Quartformat eher kurze Werk wird 1578 beim Danziger Drucker Jacob Rhode publiziert. Bereits der Titelholzschnitt (siehe Abbildung 5.3), der eine himmelsrichtungsmäßig verortete, stilisierte Kometendarstellung und eine Horoskopfigur des dem Kometen vorangegangenen Neumondes zeigt, modernisierte Schreibweise der einschlägigen Bibliographien verwendet. Die biographischen Angaben folgen den Ausführungen von Buck, Friedrich Johann: Lebensbeschreibungen derer verstorbenen Preußischen Mathematiker überhaupt und des vor mehr denn hundert Jahren verstorbenen großen Preußischen Mathematikers P. Christian Otters, Königsberg 1764, S. 45–47 sowie Siebert, Hartmut: Leben und Werk der Königsberger Mathematiker, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg 16, Würzburg 1966 (Veröffentlichung des Göttinger Arbeitskreises 333), S. 137–170. 138 Shevchenko, Nadezda N.: Eine historische Anthropologie des Buches. Bücher in der preußischen Herzogsfamilie zur Zeit der Reformation, Göttingen 2007, S. 107. 139 Vgl. Siebert: Leben und Werk der Königsberger Mathematiker, S. 144. 140 [5.29] Scultetus: Des grossen und wunderbaren Cometen, Bl. F 2v. 141 [5.9] Meine, Matthias: Von aller Geschlecht der Cometen jeder Zeit wan die erscheinen zugebrauchen und von dessen Wirkungen der uns zu Dantzigk den 12. Novembris dieses 1577. Jar erschienen ist, Danzig 1578 (VD16 M 2248). 142 Der Haupttext endet mit der Datierung 20., 21., 22. und 23. Dezember, während die Widmungsepistel mit dem 6. Januar datiert ist.
260
5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
versinnbildlicht die naturkundlich-astrologische Perspektive der Schrift, da hier eine kausale Relation zwischen Mond und Komet suggeriert und gleichzeitig das Augenmerk auf die interpretative Dimension der Kometenthematik gelegt wird. Ebenso wie Scultetus entwickelt Meine in seinem Werk eine theologische Untermauerung dieses Astrologieverständnisses, wenn auch mit anderen Nuancierungen.
Abb. 5.3 Titelillustration der Kometenschrift Meines (1578)143
Der astrologische Fokus von Meines Kometenwerk spiegelt sich ebenfalls in dessen Titel wider: Von aller geschlecht der Cometen / jeder zeit / wan die erscheinen zugebrauchen / und von dessen wirckungen / der uns zu Dantzigk den 12. Novembris dieses 1577. Jar erschienen ist.144 Meine spricht nicht nur von den Wirkungen des Kometen, sondern auch davon, wie solche Erscheinungen zu gebrauchen seien und berührt damit allgemein die Dimension von Kometen als deutungsbedürftigen Phänomenen und den einer entsprechenden Ausdeutung zugesprochenen praktisch-utilitaristischen Anspruch als klassischem Argument für die Nützlichkeit der Astrologie. Das Diktum verschiedener Kometengeschlechter weist auf die bereits thematisierte Idee der Typo143
Abbildung der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle, Saale, Alv. Mg 177 (22), urn:nbn:de:gbv:3:1–708366. 144 [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen.
5.3 Matthias Meines naturkundliche Kometenastrologie
261
logisierung von Kometen hin, in der sich die Verwobenheit naturkundlicher und astrologischer Elemente besonders eindrücklich manifestiert, was bereits im vorherigen Abschnitt über Dasypodius kurz angerissen worden ist. Ebenso wie das Konzept effizierender Planeten145 bei der Entstehung von Kometen ein maßgeblicher Bestandteil der astrologisch augmentierten Kometentheorie ist, ist die von Plinius kanonisierte Klassifikation unterschiedlicher Kometentypen das Ergebnis einer Astrologisierung der meteorologischen Kometentheorie. Beide Aspekte spielen in Meines Darstellung eine zentrale Rolle, sind z. T. recht detailliert ausgearbeitet und argumentativ verbunden: Die Grundidee, dass Planeten die trockenen terrestrischen Exhalationen in die oberen Regionen der Atmosphäre ziehen und dort an ihrer Zusammenballung und Entzündung beteiligt sind, konkretisiert er dahingehend, dass er etwa Mars für die Erhitzung der Exhalationen, Merkur für deren in die Höhe Ziehen und Saturn für deren Zusammentreiben verantwortlich erklärt.146 Nach ihrer Entzündung bewegten sich Kometen „in gleicher bewegunge derer sternen / daher sie entstanden“147. Die Art der Exhalationen bestimmt nicht nur die planetarische Natur des Kometen, sondern etwa auch dessen Form und Farbe: Kometen, die aus einer dichten Ansammlung dicker und grober Dämpfe entstehen, erscheinen z. B. rötlich, während subtilere, dünne und weniger dichte Kometenmaterie zu einem weißlichen Licht führe.148 Die erstgenannten Kometen brennen auch länger als die anderen und bedeuten „langwirige dinge“, d. h. die erwartete Wirkung wird überdurchschnittlich lang oder heftig andauern. Hier wird also ein Kriterium zur Feststellung der astrologischen Signifikanz von Kometen mit naturkundlich-theoretischen Vorstellungen ihrer Entstehung bzw. ihren Eigenschaften verbunden. Ähnliches gilt nun für die Präsentation der Kometentypologie. Die enge Verflechtung naturkundlich-theoretischer und astrologischer Elemente zeigt sich bereits darin, dass Meine die plinianische Klassifikation verschiedener Kometenarten als Ausdifferenzierung der aristotelischen Unterscheidung von Haar- und Bartsternen, also schweiflosen und geschweiften Kometen, darstellt.149 Auf diese Grundformen lässt sich die kleinteiligere Unterscheidung von – je nach Zählung – neun bis elf Kometentypen zurückführen, die insbesondere auf Differenzierungen nach der Form von Kometen beruht.150 Ein weiteres Einteilungsschema unklareren Ursprungs klassifiziert
145 146 147 148 149
150
Siehe dazu Kap. 2.2.1. Vgl. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. A 3v. Ebd. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. A 4r. Die schweiflosen Haar- oder Strobelsterne (cometes, stella crinita) sind rund, wobei eventuelle Strahlen kreisförmig vom Kometenkörper ausgehen. Die Bartsterne (pogonias, stella barbata) entwickeln hingegen einen vom Kometenkörper ausgehenden Schweif. Die letztgenannten konnten noch weiter unterteilt werden (barbata und caudata), je nachdem ob der Schweif gleich einem Bart nach unten zeigt oder seitlich vom Kometenkörper ausgeht. Siehe dazu Kap. 2.1.1.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
Kometentypen eher nach Farbigkeit, planetarischer Natur und Wirkung, was auf den astrologischen Charakter der Typologisierung hinweist.151 Beide Schemata – ohne sie explizit oder in Gänze zu benennen – werden von Meine verbunden, womit er das naturphilosophische Prinzip der Kausalerklärung der aristotelischen Meteorologie mit dem diagnostisch-prognostischen Potential des Klassifikationsschemas der astrologischen Deutung verknüpft: Schon bei der Beschreibung des zweiten aristotelischen Typs des geschwänzten Kometen konstatiert er, dass der Schweif so wie der Zeiger einer Sonnenuhr die Stunde anzeige, „den ort der Welt oder die Lande und Stette zeigen und weisen / die des Cometen wirckungen unterworffen sind“152 – eine Idee, die auf die wissenschaftliche Astrologie des Ptolemaios zurückgeht. Zum Typen des Hornplaneten schreibt Meine: „Und so sich der Schwantz neiget oder krümmet wie ein Horn / das grosser Donner und Blixe / Erdbeben und ander dinge mehr dadurch sollen vorstanden werden / nach der Planeten art und Natur denen er zugeeignet wird.“153 Einen solchen Hornkometen identifiziert Meine als merkurisch und entsprechend könne man aus der Farbe und anderen Charakteristika die planetarische Natur jedes Kometen ableiten und darauf dessen Ausdeutung aufbauen. Hieran zeigt sich erneut, wie eng verbunden die Aspekte der erklärenden Beschreibung und der Interpretation des Phänomens im integrierten Kometenbild erscheinen. Die aristotelische Meteorologie erklärt die optisch wahrnehmbare Verschiedenheit der Kometentypen kausal durch die ihnen zugrundeliegenden Entstehungsprozesse, insbesondere bezogen auf ihre materielle Beschaffenheit, also der Natur und Zusammensetzung der terrestrischen Exhalationen und der Art und Weise, wie diese zur Bildung eines Kometen führen. Die plinianische Klassifikation – bei Meine erweitert durch die Typologisierung nach Farbigkeit und damit konnotierter planetarischer Kometennatur – scheint nun weniger diese explikative Funktion zu haben, als vielmehr eine formale Reflexion auf eine Form historischer Empirie darzustellen, gewissermaßen eine Systematisierung der optisch diagnostizierten Unterschiede dokumentierter Kometenerscheinungen. Der aristotelisch-meteorologischen Theorie geht es um kausale Erklärung sublunarer und damit nicht zum Erkenntnis- oder Zuständigkeitsbereich der Astrologie gehörender Phänomene. Ihre Augmentierung, insbesondere die darin hergestellte Nähe zu Himmelskörpern, erlaubt nun eine über die überkommene kometomantische Tradition der Interpretation von Kometen als Unglücksboten hinausgehende Deutung dieser Himmelsphänomene im Rahmen einer wissenschaftlichen Astrologie. Diese Relation zwischen naturkundlich-kausaler Erklärung und Ermittlung der astrologischen Signifikanz ermöglicht zudem die Prognostizierung von Kometen – ein Faktum, auf das auch Meine eingeht und das sowohl als Argument für die Richtigkeit der Theoriekonzeption als auch zur Kompetenzdemonstration gebraucht wird. Zudem 151 152 153
Vgl. Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 143. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. B 1r. Ebd.
5.3 Matthias Meines naturkundliche Kometenastrologie
263
ist damit eine Perspektive auf das Phänomen Komet etabliert, die naturphilosophische Fragestellungen mit der sich aus dem Deutungsbedürfnis ergebenden Notwendigkeit einer exakten Beobachtung und der mathematischen Verarbeitung dieser Daten verbindet. Die Astrologisierung und ihre Betonung in der Renaissance stellen damit nicht nur selbst eine Weiterentwicklung der aristotelisch-meteorologischen Theorie dar, sondern bilden auch einen Schlüssel zu ihrer weiteren Transformation. Ebenso wie Scultetus beginnt Meine seine Kometenschrift mit einem Vorwort apologetischen Charakters. Eine grundsätzliche Kritik an der Astrologie hält Meine für nicht angebracht, seiner Meinung nach resultiere eine solche nur daraus, dass die Astrologie von inkompetenten Leuten in missbräuchlicher Weise betrieben werde: Es werden jtzige zeit Gestrenge Edle Ehrnveste / Achbare / Hochgelerte / Erbare / Wolweise / Weise / Namhaffte / Ersame unn Vorsichtige / Großgünstige / günstige unn gebietende Herren und Förderer wenig Leute gefunden / die etwas besonder halten ob den hohen fürtrefflichen Künsten Astronomia unnd Astrologia / Darumb das unter diesen die letzte von etlichen / der Künste rechte und eigentliche gebreuche / unwissenden leuten gemißbraucht wird.154
Kann die Kometenschrift selbst schon als Exposition der Relevanz und Nützlichkeit der Astrologie verstanden werden, belegt Meine diese außerdem unter Rekurs auf das klassische Argument der Autorität. Er liefert eine lange Liste großer Denker, die sich dem Thema im Laufe der Geschichte gewidmet haben und präsentiert sich selbst rhetorisch geschickt als Nachfolger dieser „præceptores“155. Wichtiger erscheint mir jedoch Meines Legitimation der Dignität und Utilität der Astrologie durch ihre theologisch untermauerte Notwendigkeit. Er präsentiert sie als christliche Kunst, die nicht nur „von dem aller ersten und fürtrefflichen Astronomo dem Adamo gelernet / fleissig beschrieben unn augenscheinlich demonstriret uberkommen“156, sondern deren Anwendung Gottes Gebot sei, da dieser sich – wie biblisch bezeugt – durch himmlische Geschehnisse und Zeichen offenbare und astronomisches Wissen z. B. für die Berechnung christlicher Feste notwendig ist sei. 5.3.1 Die theologische Kometenkonzeption als Wunderzeichen der Natur Im Rahmen der oben ausgeführten augmentierten meteorologischen Theorie, führt Meine zur Erklärung von Entstehung und Wirkung von Kometen natürliche Ursachen an, z. B. Finsternisse und bestimmte himmlische Konstellationen besonders der oberen Planeten. Dass ein sicheres Prognostizieren von Kometen bisher nicht mit Gewiss154 155 156
[5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. A 1v. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. A 2v. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. A 2r.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
heit möglich ist, liege daran, dass „offters andere ursachen in der Natur für fallen / die uns Menschen unmüglich zu sehen / die die dinge die wir sehen hinweg nehmen und auffheben“157. Meine verweist also auf die Komplexität der Natur und die Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit – was gleichzeitig eine indirekte Legitimierung der Notwendigkeit weiterer Beobachtungen darstellt – und nicht auf übernatürliche Elemente in Form eines göttlichen Eingriffs am regulären Lauf der Natur vorbei oder konträr dazu. Da Gott sich durch Zeichen offenbart, können Kometen als Ausdruck seines Zorns und Missfallens und als Verkünder von Strafen in Gestalt der Kometenwirkungen verstanden werden. In ähnlicher Weise berichtet Meine, man habe in Danzig am 12. Dezember 1577, als der Friede zu Marienburg158 geschlossen wurde, einen ganzen Tag lang einen Regenbogen gesehen welchen Gott der Allmechtige nach der Sündflut mit einem sonderlichen gnadenzeichen zwischen im unnd uns Menschen gesetzet damit zu ermanen / wan wir denselben ansehen / uns erinnern sollen seines Göttlichen Zornes wider die Sünde / davon abzustehen / unn seiner Barmherzigkeit gewertig zu sein.159
In relativ allgemeiner Weise und nicht sehr detailliert präsentiert Meine Kometen als Zornzeichen Gottes und konstatiert, dass Buße und Gebet das angedrohte göttliche Strafgericht abwenden könnten: Drumb der aller beste weg diesem Unglück zu entfliehen / oder dasselbe ohn bewegunge gedüldig zu tragen / ist und kunfftig sein wird / dz wir also unsere dinge anfangen und fortstellen / das dadurch Gott nicht ferner erzürnet / die vorsehene straffe schleunig ins werck zu stellen und das unser gewissen rein / unn mit Gotte wol daran sey. Wer sich hiezu also schicken und befleissigen wird / der wird alle wirckunge dieses Cometen ganz leicht und geringe achten und schetzen können / welches Gott der Vater unsers Herren unnd Heilandes Jesu Christi uns allen mit einander verleihen wölle / Amen.160
Reuige Buße kann deshalb effektiv sein, da die theologische Konzeptualisierung von Kometen als göttliche Zeichen auf eine andere, übernatürliche Ebene rekurriert und nicht auf die physikalisch-kausale Dimension. Ihre Zeichenhaftigkeit beruht auf der Instrumentalisierung der Natur und deren Phänomene durch Gott. Diese Unterscheidung der genannten Ebenen entspricht einer epistemologischen Abgrenzung disziplinärer Erkenntnis-, Zuständigkeits- oder Anwendungsbereiche. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. A 4v. Dieser Friedenschluss beendet den Konflikt zwischen der nach Autonomie strebenden Stadt Danzig und dem 1575 neugewählten polnischen König, der die Stadt belagert hat, da sie ihm seine Anerkennung verweigerte. Siehe dazu: Lakeberg, Beata: „Pommerellen/Westpreußen“, in: OnlineLexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013 (ome-lexikon.unioldenburg.de/54164.html, abgerufen am 15.04.2015). 159 [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. C 2r. 160 [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. D 4r.
157 158
5.3 Matthias Meines naturkundliche Kometenastrologie
265
Meine spricht in diesem Zusammenhang von drei verschiedenen Arten der Kometendeutung, einer natürlichen, einer weltlichen und einer geistlichen.161 Bei den ersten beiden handelt es sich um die klassischen Kometenfolgen, die er gegliedert nach der planetarischen Natur der Kometen und damit wieder fokussiert auf ihre Bedeutungsebene referiert: Saturnische Kometen bedeuteten demnach Mord und Totschlag, langwierige Krankheiten, Erdbeben, Unfruchtbarkeit und Hungersnöte, während jovialische Kometen etwa Zank und Streit, besonders im Bereich der Religion, zur Folge hätten, was wiederrum in kriegerischen Auseinandersetzungen münde.162 Die Vorstellung von Kausalketten, mit denen diese Folgen als Serie von Wirkungen auf natürliche Ursachen zurückgeführt werden, scheint hierbei präsent zu sein, ohne explizit ausgeführt zu werden. Die „geistliche“, also theologische Dimension ist diesen Deutungsarten zu- oder in gewisser Weise übergeordnet – funktional gesehen komplementär dazu – aber doch ohne inhärente Verbindung. Meine argumentiert, dass diese Beschränkung auf natürliche Ursachen in der Erklärung von Kometen einem Verständnis der Welt als intentionale, teleologisch organisierte Schöpfung eines omnipotenten und vorrausschauenden Gottes sogar angemessener sei, wenn er schreibt: Das wir aber irer erscheinungen natürliche ursachen sezen geschicht darumb / das wir dadurch bekennen die grosse Weißheit und allmacht des unendlichen waren Gottes / der alle dinge auch noch so geschehen sollten / nicht alleine unter den Menschen/sondern in der ganzen natur und Schöpffunge / zuvor gesehen hat / un der natur also iren lauff zugeeignet / das je eins dem andern respondiret / oder mit einander uberein treffen. Dann sonsten wehren in solchen erscheinungen keine bedeutungen / würden auch nicht auff Erden oder inn der lufft erwecket werden / wenn Gott solchs nicht von anfang also geordnet / und noch regieret / das dadurch künfftiger dinge bedeutunge entstünden.163
Aktive Eingriffe Gottes von supranaturalem Charakter seien eines allmächtigen Schöpfers unwürdig, würde das doch bedeuten, dass dieser zu Beginn nicht alles vorausschauend so eingerichtet habe, dass spätere „Korrekturen“ unnötig sind. Diese schöpfungstheologische Verbindung von Theologie und Astrologie entwirft ein positives Gottes- und Naturbild – das Leppin mit dem gubernator-Gedanken charakterisiert164 – als die ebenfalls in vielen Kometenschriften präsente straftheologische Perspektive. Beide Vorstellungen beruhen auf der theologisierten Naturphilosophie Melanchthons und der Idee, dass der Zeichencharakter gerade in dem von Gott gelenkten Naturlauf besteht und nicht in der Abweichung davon. Während die straftheologische Perspektive die Drohgebärde Gottes, die Schwere der Strafen – die mit der Schwere der menschlichen Sündhaftigkeit und allgemein der Idee einer gefallenen Welt korrespondiert – 161 162 163 164
[5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. B 2r. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. B 2v. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bll. B 1r–B 2r. Vgl. Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 185–186.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
betont, fokussieren Meines diesbezügliche Ausführungen den Providenzgedanken und die Idee eines umsorgenden, gnädigen Gottes, wobei diese Wesenszüge aus der zweckvollen Ordnung, deren Phänomene an sich wunderhaft erscheinen, erschlossen werden können und sollen. Dazu passt nicht nur die oben erwähnte Feststellung Meines, dass die Gottesfürchtigen die durch den Kometen angedrohten Strafen leichtnehmen können, sondern auch die in seiner Schrift nur am Rande vorkommende Verbindung des Zeichencharakters von Kometen mit apokalyptischem Gedankengut. Er erwähnt die Möglichkeit des bevorstehenden Jüngsten Gerichts, wozu er „neben diesem Cometen auch noch andere ursachen habe / die aus dem lauffe der Himlischen Lichter genommen / die mit der heiligen Schrifft fein uberein treffen (…)“165, geht aber nicht weiter auf Details ein. Er nennt einige wenige, biblisch basierte Weissagungen, betont jedoch vielmehr die astrologische Seite dieser Deutungen. Die knappe und eher allgemeine Form seiner Behandlung der eschatologischen Thematik lässt vermuten, dass es Meine primär um deren legitimatorische Funktion geht, um den christlichen Charakter der deutenden Sternkunst zu erweisen. Er parallelisiert metaphorisch die Rolle himmlischer Lichter und „das klare helle Licht des Göttlichen Wortes“166: So wie die Sonne die Erde von „bösen und uberflüssigen dæmpffen und dunsten“ befreie, könne Gottes Wort die heilige Ordnung menschlichen Daseins etablieren oder restaurieren. Dessen Nichtbeachtung mache nun aber göttliche Ermahnung in Form von Zeichen notwendig. Den Zeichen- oder Vorbedeutungscharakter himmlischer Phänomene belegt Meine nun aber nicht theologisch, sondern mit einer historischen Kasuistik zehn vergangener Kometenerscheinungen zwischen 1456 und 1538, mit der er seine Schrift abschließt.167 Meine fokussiert jene Eigenschaften dieser Kometen, die mit der Determinierung ihrer planetarischen Natur zusammenhängen, um anschließend kurz die mit ihrem Erscheinen konnotierten Folgen zu umreißen. Er beschränkt sich hierbei auf die ersten beiden der oben erwähnten Arten der Kometendeutung, und damit auf die die natürlich-klimatischen sowie weltlich-politischen Folgen. Meine scheint nicht einfach nur die jüngsten Kometenerscheinungen ausgewählt zu haben, sondern jene, die dem aktuellen Kometen in irgendeiner Weise ähneln – z. B. hinsichtlich des Tierkreiszeichens der Erstsichtung, der Schweiflänge oder der Farbe – und die die von ihm zuvor beschriebenen spezifischen Kometenwirkungen je nach planetarischer Natur belegen: So schreibt er, dass infolge des Kometen von 1527168 unter anderem eine neue Krankheit, der sogenannte Englische Schweiß169, entstanden sei. Das Entstehen neuer [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. E 4r. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. E 4v. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bll. D 1r–D 3r. Für das Jahr 1527 ist keine Kometenerscheinung, jedoch ein Nordlicht dokumentiert, das zeitgenössisch in einigen Schriftwerken als Komet interpretiert worden ist. 169 Dabei handelt es sich um eine heute verschwundene Infektionskrankheit, siehe Keil, Gundolf: „Englischer Schweiß“, in: Gerabek, Werner et al. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte 1, Ber-
165 166 167 168
5.3 Matthias Meines naturkundliche Kometenastrologie
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Krankheiten ist eine relativ spezifische und nicht zum klassischen Kanon gehörende Kometenwirkung, die Meine zuvor explizit saturnischen Kometen zugeschrieben hat. Seine historisch-chronikalen Ausführungen dienen also ganz konkret auch der Untermauerung der Richtigkeit des von ihm präsentierten astrologischen Deutungsschemas. Dass die dritte, geistliche Art der Kometendeutung hier vollständig ausgeklammert wird, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die theologische Dimension von Kometen in Meines Augen eine von der natürlich-kausalen Dimension abgegrenzte Bedeutungsebene berührt. Meine formuliert ausdrücklich, dass seine Schrift sich an einfache Leute richtet, denn „die gelehrten haben andere nachrichtungen“170. Nichts desto weniger enthält sein Werk einen Aufruf an andere beobachtende Astronomen, mit ihm über Observationsdaten des aktuellen Kometen, der bei Veröffentlichung der Schrift ja noch sichtbar gewesen ist, zu korrespondieren.171 Er geht also durchaus davon aus, dass auch Fachkollegen seine und ähnliche Schriften rezipieren. Dies unterstreicht die Kommunikationsfunktion, die auch vermeintlich rein populäre Medien wie Kometenflugschriften auszeichnet. Wie oben erwähnt, genießt Meine als angesehener Astronom den Ruf eines kompetenten und sehr genauen Beobachters, der mit seiner Schrift tageweise Beobachtungsbeschreibungen und quantitative Daten bietet.172 Aber auch Werke, deren Verfasser nicht diesen Kreisen entstammen und deren Intention nicht in der Kommunikation exakter Observationsdaten oder der Vermittlung ausführlichen Orientierungswissens zum aktuellen Kometen liegt, können einen vergleichbaren Zugang zum Phänomen präsentieren. Daher werden die Untersuchungen dieses thematischen Abschnitts nun abschließend durch den Blick auf einen Einblattdruck ergänzt. Es handelt sich hierbei um das in Augsburg bei Valentin Schönig gedruckte und bei Hans Schultes verlegte Flugblatt Newe Zeytung von dem Cometen / So jetzt im November dises 1577. Jars erschinen / und beschreibung der bedeütung desselbigen.173 Bild und Text nehmen je ungefähr die Hälfte des Blattes ein, wobei es sich bei ersterem um einen kolorierten Holzschnitt handelt, der den Kometen über der östlichen Stadtsilhouette Augsburgs zeigt (siehe Abbildung 5.4).
170 171 172 173
lin 2007, S. 355–356. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. A 3r. Vgl. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bl. B 4r. [5.9] Meine: Von aller Geschlecht der Cometen, Bll. B 3r–C 1r. [5.1] Anon.: Newe Zeytung von dem Cometen, so jetzt im November dises 1577. Jars erschinen, und beschreibung der bedeütung desselbigen, Augsburg 1577 [Abgedruckt in Strauss, Walter L. (Hrsg.): The German Single-Leaf Woodcut 1550–1600. Vol. 3: S–Z. A Pictorial Catalogue, New York 1975, S. 939.] Hierbei handelt es sich um das Exemplar der Graphischen Sammlung der Universität Zürich, das der Sammlung Johann Jakob Wicks entnommen ist.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
Abb. 5.4 Holzschnitt des anonymen Einblattdrucks Newe Zeytung (1577)174
Der knappe Text liefert einleitend eine sehr grobe, qualitative Beobachtungsbeschreibung, um gleich darauf die natürliche Verursachung solch eines himmlischen Zeichens zu konstatieren, namentlich die letzten beiden Finsternisse und die „fewrigen schwefelichen dämpffen / so auß krafft der herrschenden Planeten / als Martis und Saturni auffgehoben worden“. Die Deutung des Zeichens erfolge „nach lehr und erfarnuß der Astrologen unnd Naturkündiger“, was sich etwa an der Auflistung der Kometenfolgen zeigt, die nach der oben erläuterten Differenzierung Meines zu den ersten beiden Gruppen gehören und als Wirkungen zu verstehen sind: klimatisch-natürliche wie große Hitze und Dürre, Stürme und Erdbeben sowie politisch-weltliche wie Krieg oder Herrschertod. Erst die sechste und letzte Folge betrifft den Kometen als göttliches Zorn- und Mahnzeichen, das zu Buße und Gebet aufrufe. Die Zeichenhaftigkeit des Phänomens wird durch Verweis auf „alle Historien“ belegt, wobei hier keine spezifischen Beispiele genannt werden. Die Menschen, die das Zeichen „recht bedencken“,
174
Abbildung der Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Titelillustration, PAS II 14/14.
5.4 Zusammenfassendes Fazit
269
könnten es jedoch in ein Gnadenzeichen umkehren und so das göttliche Strafgericht abwenden. Der Einblattdruck wirkt damit insgesamt nicht (straf)theologisch aufgeladen oder instrumentalisiert, das Thema der menschlichen Sündhaftigkeit z. B. taucht überhaupt nicht auf. Der Tenor des Textes ist nicht reißerisch, sondern eher nüchtern, was dem Flugblatt einen informativen Nachrichtencharakter verleiht, worauf bereits die Titulierung als Newe Zeytung hinweist.175 Eine naturalistische Perspektive auf das Phänomen Komet und die explanative Beschreibung seiner Ursachen und Wirkungen im Rahmen der augmentierten meteorologischen Theorie steht im Vordergrund, wobei hier allein aus Platzmangel keine konkreten astrologischen Deutungen angeführt werden. Die theologische Dimension ist der natürlich-astrologischen beigeordnet, sie erscheint als davon abgegrenzte weitere Bedeutungsebene. Es zeigt sich also auch in diesem Einblattdruck eine bei aller Knappheit und fehlender Elaboration merkliche Tendenz, den Kometen primär als Naturphänomen zu interpretieren, das als solches eine astrologisch zu ermittelnde Signifikanz aufweist und zudem theologisch als Zeichen Gottes relevant ist. 5.4 Zusammenfassendes Fazit Die in diesem Kapitel analysierten Schriftwerke veranschaulichen erneut, wie Kometen als deutungsbedürftige Phänomene im größeren Kontext des publizistisch ausgeführten politisch-religiösen Diskurses um die Bemächtigung der Öffentlichkeit vereinnahmt werden. Die Flugschriften zeigen einerseits die Bandbreite und den Facettenreichtum der Erscheinungsweise der Astrologie und ihre Rolle als verbindendes Element im integrierten Kometenbild. Zudem wird an den apologetischen Vorreden der ihr wohlwollend zugeneigten Autoren wie Scultetus, Dasypodius oder Meine zunächst deutlich, dass die Astrologie unter Legitimationsdruck steht: in erster Linie beruht dieser nicht so sehr auf einer grundsätzlichen Kritik an dem metaphysischen Fundament der Astrologie, sondern vielmehr auf einer Kritik an der spezifischen Art theologischer Vereinnahmung astrologischer Prognostik wie sie typisch für den Protestantismus melanchthonischer Prägung ist.176 Sowohl Kritik als auch Legitimation manifestieren sich in epistemologischen Debatten um die Astrologie gerade in ihrer Relation zu den anderen relevanten 175 176
Siehe dazu Hillgärtner, Jan: Die Entstehung der periodischen Presse. Organisation und Gestalt der ersten Zeitungen in Deutschland und den Niederlanden, Erlangen 2013 (Studien der Erlanger Buchwissenschaft), S. 17–21. Dahinter verbergen sich freilich nicht nur ein breites Spektrum der Zustimmung und Ablehnung der Astrologie oder eine rein apokalyptische Interpretation von Wunderzeichen. Brosseder hat darauf hingewiesen, dass die biblisch-theologische Legitimation der Sterndeutung durch Wittenberger Astrologen des 16. Jahrhunderts in der Geschichte der Astrologie einzigartig ist, vgl. Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 257–271.
270
5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
Wissensfeldern Astronomie und Theologie. Während der protestantische Pfarrer Georg Caesius in seiner Kometenchronik die Astrologie „wider etliche Theologen / so die Astrologiam gantz unn gar on allen unterschid verachten und verdammen“177 vehement verteidigt, kritisiert der Katholik Rasch mitunter recht harsch die Kometendeutungen der „priesterlichen practicanten“178, also das astrologisch-theologische Argumentieren in prognostischen Schriften lutherischer Provenienz, der er – freilich katholisch-gegenreformatorisch gefärbte – Aufklärung durch Information entgegensetzt. Beide Positionen verdeutlichen das Ringen um den wissenschaftstheoretischen Status der Astrologie, dem einerseits durch definitorische Abgrenzungsprozesse ihrer Erkenntnis- und Zuständigkeitsbereiche begegnet wird und andererseits mittels Strategien, durch welche die Astrologie gerade durch eine verknüpfende Rückbindung an die relevanten disziplinären Felder legitimiert wird. Allen Autoren geht es darum, Orientierungswissen zu bieten und das Bedürfnis nach Erklärung und Deutung des Phänomens Komet zu befriedigen. Sie alle haben ihre Schriften explizit, wenn auch nicht ausschließlich, für ungelehrte Rezipientenkreise verfasst. Sie präsentieren in ihren Werken eine Form des integrierten Kometenbildes in dem Sinne, dass Kometen als beschreib- und erklärbare Naturphänomene gefasst werden, die sowohl astrologisch gedeutet als auch als göttliches Zeichen konzeptualisiert werden, wobei das vermittelte naturkundliche Bild von Kometen auf der augmentierten meteorologischen Kometentheorie beruht. Diese Sichtweisen schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich zu einem Gesamtbild, das die ontologische Ebene der physikalischen Natur der Kometen ebenso wie die metaphysische ihrer Bedeutung und semiotischen Signifikanz erfasst. Interessant sind die Unterschiede und Nuancierungen bei der Verbindung der disziplinären Kontextfelder und die ihnen zugesprochene epistemologische Relevanz und zugeordneten Anwendungsbereiche. Übereinstimmend betonen alle Verfasser die Zugehörigkeit des Kometenphänomens zu verschiedenen Erkenntnis- und Erklärungskontexten, womit verschiedene darstellungsmäßige und methodische Zugänge und Interpretationsweisen verbunden sind oder auch Prozesse der Unterscheidung verschiedener Kometentypen: Während Rasch z. B. Physica, Mathematica und Astrologia als relevante Disziplinen für die naturkundliche Erklärung, die astronomische Beobachtung und die deutende Interpretation von Kometen eruiert und diese Bereiche in seinem Werk auch strukturell voneinander trennt, spricht Meine analog von drei Arten der Kometendeutung, einer natürlichen, einer weltlichen und einer geistlichen. Graminaeus konstatiert bereits im Titel seiner Schrift, dass Kometen physikalisch, astrologisch, metaphysisch und formaliter zu beschreiben und zu interpretieren seien, während Scultetus hinsichtlich der Aufgabenverteilung von Theologen und Astronomen in Bezug auf die Erklärung
177 178
[5.2] Caesius: Chronick, oder ordentliche Verzeichnuss unnd Beschreibung, Bl. B 2r. [5.26] Rasch: Weissag der Zeit, Bl. C 1v.
5.4 Zusammenfassendes Fazit
271
und Interpretation von Kometen propagiert, dass jeder in seinem Feld operieren solle, um durch ein anschließendes Kombinieren zu einer umfassenden und erschöpfenden Betrachtung von Kometen zu kommen, was ihrem dualen Charakter als natürlichem Phänomen und göttlichem Zeichen adäquat sei. Selbst der am Ende der Fallstudie untersuchte Einblattdruck zeigt trotz seiner Kürze dieses Phänomen der Abgrenzung von für die Kometendarstellung und -interpretation relevanten Zuständigkeits- und Deutungsbereichen, wobei hier die theologische Dimension als weitere Bedeutungsebene der natürlich-astrologischen beigeordnet erscheint. Der wichtigste Unterschied der hier betrachteten Autoren liegt in der konkreten Ausgestaltung und Begründung dieser Prozesse der Grenzziehung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Konzeptionierung von Kometen als Wunderzeichen. Raschs Anfechtung der Astrologie basiert auf theologischen und wissenschaftstheoretischen Argumenten: Es ist nicht nur die politisch-polemische Funktion solcher Werke – die Ängstigung und Verunsicherung des Volkes –, sondern allgemeiner die populäre Form der judizierenden Astrologie, die er ganz im Einklang mit der den päpstlichen Bullen zugrundeliegenden Denkweise179 – ablehnt. Rasch stört sich an der missbräuchlichen Ausweitung der Zuständigkeit der Astrologie und deren unlauteren Ausdehnung auf Bereiche, über die sie seiner Meinung nach keine Aussagen treffen könne – also an dem von ihm den lutherischen Predigern zugeschriebene „theologisch practicirn“ und insbesondere der eschatologischen Vereinnahmung der Astrologie. Anders als Graminaeus, der insbesondere die Bibel zur Grundlage einer theologischen Kometendeutung macht, will Rasch gerade nicht mit dieser prognostizieren, sondern sich höchstens an alten Prophetien und Weissagungen orientieren. Eine Charakterisierung von Raschs Haltung als rein astrologiekritisch greift meiner Meinung nach zu kurz, da damit insbesondere seine epistemologische Kritik einer Übertragung der Astrologie aus ihrem angemessenen Gegenstandsbereich heraus nicht adäquat erfasst wird. Hille hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass man aus Raschs Ausführungen zur Astrologie mitunter einen selbstironischen Unterton herauslesen kann, da er sich selber als Sterndeuter bezeichnet habe und astrologisch durchaus versiert gewesen ist.180 Seine späteren Werke zeigen aber, dass Rasch mit der Zeit zurückhaltender hinsichtlich der Verwendung der Astrologie wird und sie immer grundsätzlicher kritisiert. Neben der oben genannten Kritik betont er dort noch deutlicher als im Cometenbuch, dass die Astrologie reformbedürftig und keine mathematische Kunst sei und ihre Prognosen schlichtweg oft nicht einträfen bzw. von vornherein widersprüchlich seien.181 Auch Scultetus und Meine monieren eine missbräuchliche Praxis der Astrologie durch Scharlatane oder inkompetente Astronomen, jedoch formulieren sie keine 179 Vgl. Mahlmann-Bauer: Die Bulle ‚contra astrologiam iudicariam‘ von Sixtus V., S. 184–185. 180 Vgl. Hille: Providentia Dei, Reich und Kirche, S. 147. 181 Siehe hierzu die Vorreden von [5.26] Rasch: Weissag der Zeit sowie [5.20] Rasch: Practica auff das Grosswunder Schaltjar M. D.LXXXVIII.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
grundsätzliche Kritik, sondern begegnen dem entstehenden Legitimationsdruck gerade durch eine Anbindung der Astrologie an die Theologie und die naturkundliche Dimension – so wie es der vom Grundsatz her theologisch fundierten melanchthonischen Naturphilosophie entspricht: Die Daseinsberechtigung der Astrologie wird teleologisch aus der Deutungsbedürftigkeit der Natur als Mitteilungsraum Gottes und epistemologisch als notwendige Ergänzung der Astronomie abgeleitet, die damit als christliche Wissenschaft legitimiert wird. Der rein theologischen Auslegung von Wunderzeichen fehle diese wissenschaftliche Seite, die entsprechende Kompetenz erfordere. Es verwundert nicht, dass gerade Scultetus, Dasypodius und Meine als versierte Astronomen die Notwendigkeit exakter Beobachtungsdaten für eine fundierte Kometendeutung hervorheben und insgesamt deutlicher die Wichtigkeit und Notwendigkeit astronomischer Observation sowie die Kommunikation, die Ergänzung und den Vergleich der so gewonnenen Daten betonen. Scultetus z. B. hat sein ganzes Werk nach den beobachtbaren Kometenparametern kapitelweise strukturiert. Epistemologisch ist die Legitimität der Astrologie auch dadurch gegeben, dass sie als praktisch-utilitaristischer Teil der Sternkunde auf dem exakten Wissen der Astronomie beruht. Neben der theologischen Untermauerung der Astrologie erscheint sie im hier präsenten Kometenbild auch eng verbunden mit naturkundlicher Theoriebildung. Dies zeigt sich z. B. darin, wie deutlich die Rolle der Himmelskörper in den Prozessen der Bildung und Wirkung von Kometen hervorgehoben wird. Sowohl Dasypodius als auch Meine gehen in ihren Schriften auf die für eine astrologische Prognostik spezifischer Kometenfolgen relevante Klassifikation von Kometen ein. Deren Deutung erfolgt unter anderem entsprechend ihrer planetarischen Natur, die sich aus beobachtbaren Eigenschaften von Kometen wie z. B. Farbigkeit oder Form eruieren lässt. Im Rahmen der augmentierten Kometentheorie werden diese Kometennaturen als Ausdifferenzierung der rein meteorologischen, auf Aristoteles zurückgehenden Typologisierung von Kometen betrachtet. Insgesamt erscheinen die Kometenflugschriften lutherischer Provenienz aufgrund der im vorherigen Absatz beschriebenen Betonung der Rolle der Astrologie und ihrer engen Anbindung an die anderen relevanten disziplinären Felder das integrierte Kometenbild deutlicher zu transportieren. Gerade um die wissenschaftstheoretische Gültigkeit der Kometentheorie zu fundieren und bestehende Anomalien zu überwinden, fordert Scultetus z. B. eine Vereinigung von Physik und Astronomie. Dem Urteil des Brandenburger Stadtarztes Joachim Gropler in seiner Schrift zum Kometen 1577, dass „zur zeit die doctrina de causis und Origine Cometarum nicht fundamentaliter declariret und expliciret ist“182, werden sich wohl einige Zeitgenossen angeschlossen haben. Von 182
[5.7] Gropler, Joachim: Astrologische Beschreibung des erschrecklichen, langschwentzigen und ungehewren Cometen, so im Novembre des 77. Jares in Dodecatimorio Capricorni, mit dem newen Liecht des Christmonats, bey uns erstlich erschienen, und fast drey gantzer Monschein gewehret, und auch das dritte
5.4 Zusammenfassendes Fazit
273
den hier betrachteten Autoren ist Scultetus derjenige, der die größten naturphilosophisch motivierten Zweifel an der überkommenen Kometenkonzeption formuliert. Die Verortung in der oberen Luftsphäre ist für ihn weniger problematisch, hat er diese durch parallaktische Messungen doch selbst vermeintlich bestätigen können. Die enorme Größe des aktuellen Kometen und die damit verbundene Frage nach Ursprung und Transport des Verbrennungsmaterials oder jenen Eigenschaften des Kometen, die ätherischen Himmelskörpern eher adäquater scheinen als sublunaren Phänomenen, haben Scultetus auf die Unzulänglichkeit der traditionellen Kometentheorie schließen lassen. Interessanterweise ist es der Katholik Rasch, der weder beobachtender Astronom noch Universitätsprofessor und somit Autor der vermeintlich am wenigsten wissenschaftlichen Kometenschrift ist, jedoch die Möglichkeit supralunarer Kometen am deutlichsten anerkennt, obwohl er nun gerade nicht dem dualen Kometenbild anhängt. Seine konfessionelle Überzeugung ist insofern ein Erklärungsfaktor dieses zunächst paradox anmutenden Umstands, da damit eine spezifische Konzeption des Wunders und somit auch des Wunderzeichens einhergeht, die sich in seinem Kometenbild niederschlägt. Er unterscheidet hier natürliche und übernatürliche Kometen, wobei erstere die sind, die sich unter dem Mond befinden und nach der meteorologischen Lehre erklärt werden können, während die göttliche Zeichenhaftigkeit den übernatürlichen, die nicht aufgrund von natürlichen Ursachen entstehen und wirken und deren Eigenschaften auch vom regelhaften Naturlauf abweichen können – z. B. durch ihren supralunaren Ort oder eine ungewöhnlich lange Verweildauer am Himmel – zugeschrieben wird. Solche Kometen seien dann auch Zeichen und keine Ursachen der ihnen zugeschriebenen negativen Folgen. Dasypodius greift dieses Grundproblem auf und spricht in seiner Kometenschrift von zwei Arten von Naturphänomenen, solchen, die nur eine Wirkung haben und solchen, die wirken und bedeuten. Kometen gehörten zu den letztgenannten, weshalb auch er die Möglichkeit supralunarer Kometen zumindest erwähnt. Die Aufspaltung in natürliche und übernatürliche Kometen ist für die lutherischen Autoren gewissermaßen nicht notwendig, da gemäß melanchthonischer Naturphilosophie die Wunder in der Natur sind. Die Natur als zweite Offenbarung Gottes verlangt nach ihrer Erforschung durch den Menschen als rationales Wesen – etwa dadurch, dass dieser die in den Naturprozessen und -phänomenen inkorporierten Botschaften dechiffriert. Die Zeichenhaftigkeit ist also gerade nicht mit der Abweichung vom regelhaften Naturgeschehen konnotiert, sondern liegt in der Natur selbst. Wie oben erwähnt, referenziert Scultetus in diesem Zusammenhang gerade die Bibelstelle, die Melanchthon in seinem die Astrologie rühmenden Vorwort zu Sacrobocsos Sphaera von 1531 anführt. Es ist diese, die nach Leppins Analyse für die Sichtweise von Wundern als innerhalb Dodecatimorion Zodiaci erreicht hat, nach Anweisung und Lehr des hochgelarten und weitberuembten Medici und Astrologi d. Hieronymi Cardani, Wittenberg 1578 (VD16 G 3387), Bl. E 3r.
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5 Dimensionen astrologischer Wissensvermittlung
der Natur charakteristisch ist (Gen. 1,14), im Gegensatz zu derjenigen (Lk 21,25), wonach göttliche Wunder als über der Natur stehend gedacht werden.183 Im Rahmen der theologisierten Naturphilosophie wird dieser Zeichencharakter aufgegriffen, die Kometen sind demnach Buchstaben Gottes: sie stehen nicht in Konkurrenz zu Gott als ihrem Beherrscher, sondern sind dessen Instrumente oder Multiplikatoren seiner Botschaften; sie sind nicht zu fürchten, sondern leiten zu Gottesfurcht und Verständnis göttlichen Willens an. In diesem Rahmen ist es zu verstehen, wenn Meine auf Adam als Urvater der Astrologie verweist, um diese als christliche Wissenschaft zu untermauern. Wenn Dasypodius schreibt, dass die Himmel von der Herrlichkeit Gottes erzählen, meint man die Ankündigung eines Wandels des Gottesund Menschenbildes zu spüren: Der prophetische oder apokalyptische Charakter von Kometen – als göttliche Rute eingebettet in eine Buß- und Straftheologie – steht parallel zu ihrer semiotischen Dimension. Der Mensch wird weniger als gefallener Sünder, sondern als rationales Wesen und Teil einer wunderbaren Schöpfung, die zu erkennen möglich und nötig ist, konzeptualisiert, während Gott weniger als zornig und strafend, denn als vorausschauender Schöpfer einer providentialen Ordnung gesehen wird. Dieser theologische Wandlungsprozess wird freilich nicht vor Ablauf weiterer 100 Jahre zur vollen Blüte kommen. Auf das Kometenbild bezogen ergibt sich daraus aber schon Ende des 16. Jahrhunderts eine Rationalisierung der Zeichenkonzeption, die daraus entsteht, dass den (Natur-)Wundern das Übernatürliche abgesprochen wird. Auch Rasch und Graminaeus weisen Phänomenen wie Kometen einen natürlichen Charakter und natürliche Ursachen zu. Die zeichenhaften – bei Rasch übernatürlichen – Kometen entziehen sich aber einer rein naturalistischen Erklärung und verlangen nach Gott oder göttlichem Eingriff als alleinig unfehlbarem Erklärungsmittel.184 Die auf der maßgeblich astrologisch fundierten Konzeption von Kometen als Ursachen beruhende Idee ihrer kausalen Wirkung steht einer solchen Sichtweise eher entgegen. Trotz der integralen Rolle der Astrologie und ihrer Anbindung an die anderen Kontextfelder der Naturkunde und der Theologie, ist auch bei den protestantischen Autoren eine Tendenz zur Abgrenzung der im integrierten Kometenbild verbundenen Disziplinen deutlich. Scultetus’ Vorstellungen, dass die Entwicklung eines umfassenden Kometenverständnisses sowohl den Theologen als auch den Astronomen brauche, sind durch eine funktionale Komplementarität gekennzeichnet. Man kann hier auch von einer Parallelität des naturkundlich-astrologischen und theologischen Zugangs zum Phänomen Komet sprechen. Für Meine hat z. B. die historische Kasuistik eine größere Belegfunktion als der theologische Überbau, da sie als Teil einer empirischen Methodik funktioniert. Sie gehört damit epistemologisch gesehen zum
183 Vgl. Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 185–189. 184 Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 192.
5.4 Zusammenfassendes Fazit
275
naturkundlichen Teil der Kometenbetrachtung. Die theologische Dimension kennzeichnet demgegenüber eine ebenfalls relevante, aber doch abgegrenzte Bedeutungsebene. Beide Dimensionen ergänzen sich, verbleiben aber in separaten Erkenntnisund Zuständigkeitsbereichen und erscheinen nicht mehr so eng verwoben wie in den Kometenflugschriften des frühen 16. Jahrhunderts. Der Problematik, die hinter der Frage nach Kometen als bedeutenden oder wirkenden Wunderzeichen steht, wird also entweder mit einer Unterscheidung natürlicher und übernatürlicher Kometen begegnet oder mit einer Verlegung des Wunders in die Natur selbst. Letzteres mag einem Bedürfnis nach Kohärenz und Widerspruchsfreiheit eher entgegenkommen, geht aber gleichsam mit einer Separierung verschiedener Ebenen einher, die für die Erklärung und Interpretation von Kometen wichtig sind. Ob die Differenzierung einer natürlichen und einer übernatürlichen Kometendimension auch in primär naturkundlich orientierten Kometenschriften präsent ist und welche Rolle dabei die Positionierung dieser Himmelsphänomene über dem Mond spielt, zeigen die Quellenanalysen des folgenden Kapitels.
6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität In ihrer klassischen Monographie zum Kometen 1577 führt Hellman als Befürworter der Supralunarität dieses Kometen Tycho Brahe, Michael Mästlin, Helisäus Röslin, Wilhelm IV. von Hessen-Kassel und Cornelius Gemma an.1 Diese Astronomen, die zu den profiliertesten Gelehrten ihrer Zeit gehören, begründen diese Annahme vornehmlich mit ihren astronomischen Beobachtungen, welche keine messbare Parallaxe ergeben hätten. Hamel dehnt Hellmans Blick auf die zeitgenössische Forscherelite auf die breitere astronomische Kultur jenseits der Gelehrtensphäre aus, indem er die deutschsprachige astronomisch-astrologische Kleinliteratur um 1600 fokussiert.2 Neuere Monographien, wie etwa van Nouhuys’ Studie zur Kometenrezeption in den Niederlanden oder Weichenhans Untersuchung zum Einfluss der Supernova 1572 auf das zeitgenössische Weltbild, haben diese historiographische Perspektive hinsichtlich ihrer geographischen und thematischen Dimensionen erweitert.3 Damit treten nicht nur weitere Anhänger einer Verortung der celestial novelties über dem Mond auf den Plan – darunter bei Hamel beispielsweise David Fabricius (1564– 1617), Johannes Krabbe (1553–1616) oder David Herlitz (1557–1636) – sondern außerdem andere Begründungsargumente für diese Verortung.4 Insbesondere van Nouhuys hat eine wichtige Kontextualisierung und Nuancierung des tychonischen Narrativs geleistet und gezeigt, dass die Supralunarität bei weitem nicht so schnell allgemein akzeptiert worden ist, wie häufig behauptet.5 Die geringe Zahl der Befürworter spräche vielmehr dafür, in ihnen „representatives of only one (and probably not even the most plausible one) of many possible positions“ zu sehen, also eine – aufgrund des Einflusses ihrer Ver1 2 3 4
5
Vgl. das 3. Kapitel in Hellman: The Comet of 1577, S. 118–183. Hamel: Die Kometen in der deutschsprachigen astronomisch-astrologischen Kleinliteratur. Nohuys: The Age of Two-Faced Janus; Weichenhan: „Ergo perit coelum …“ Hellman behauptet nicht, die Gruppe der Befürworter erschöpfend umrissen zu haben, nichts desto weniger liegt ihrer Auswahl eine Perspektive zugrunde, die letztlich auf die Brahes zurückgeht, der ja selbst die seiner Meinung nach wichtigsten Werke der Literatur zum Kometen 1577 zusammengestellt und kritisch rezensiert hat, wobei diese Zusammenstellung einer bestimmten Kommunikationsstrategie und Agenda entspricht. Siehe dazu die Einleitung zu Teil III.
6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
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treter wie beispielsweise Brahe jedoch nicht zu umgehende – Minderheitenmeinung, welche im Widerspruch zur vorherrschenden opinio communis steht.6 Dieser Widerspruch kann indes durch die Unterscheidung von zwei Arten von Kometen, sub- und supralunaren, umgangen werden. Schechner nennt mit Libert Froidmont (1587–1653) und Francis Bacon (1561–1626) beispielhaft Gelehrte, die Brahes Entdeckung akzeptieren können ohne die überkommene Theorie grundsätzlich abzulehnen.7 Ein weiterer Aspekt der historiographischen Nuancierung besteht in der Erkenntnis, dass die Idee einer Positionierung der Kometen über dem Mond aus mannigfaltigen Gründen heraus propagiert wird und keineswegs nur aufgrund der Interpretation parallaktischer Messungen. Die Ende der 1580er Jahre vor allem brieflich ausgetragenen Debatten um die Beobachtung und Natur von Kometen zwischen den Astronomen Brahe und Rothmann verdeutlichen, in welcher Weise naturphilosophische, kosmologische und theologische Erwägungen in der Konzeption, Beschreibung und Erklärung der Himmelsphänomene eine Rolle spielen.8 So erklärt Brahe Kometen als Neuschöpfungen Gottes, da er wegen des für ihn erwiesenen supralunaren Orts deren Entstehung in der Luft nach meteorologischer Vorstellung ablehnt. Der Kometenursprung über dem Mond kann für ihn nicht auf natürliche Ursachen zurückgeführt werden und wird daher dem Willen Gottes zugeschrieben, was im Zusammenhang mit der Idee der Kometen als göttliche Warnzeichen umso plausibler erscheint. Diese Diskussionen werden in volkssprachigen Werken nicht nur repräsentiert, sondern auch reflektiert und im Kontext vielgestaltiger Zwecksetzungen und disziplinärer Interpretationstraditionen instrumentalisiert und transformiert. Diese Gedanken aufgreifend, werden in diesem Kapitel zwei Quellenschriften näher betrachtet, in denen die Supralunarität des Kometen 1577 konstatiert wird, ohne dass dies primär empirisch durch astronomische Beobachtungen und Berechnungen begründet würde. Zudem handelt es sich bei den Autoren mit dem Berliner Alchemisten Leonhard Thurneysser zum Thurn (1531–1596) und dem Utrechter Stadtarzt Johannes Heurnius (1543–1601) zwar nicht um Randfiguren des akademisch-gelehrten Diskurses, aber doch um zwei von dessen weniger bekannten oder einflussreichen Akteuren, die durch ihre Werke den Facettenreichtum der Kometendebatte jedoch ebenso veranschaulichen wie deren Verankerung in breiteren intellektuellen Strömungen und interpretativen Traditionen. Ihr kultureller, sozialer und politischer Lebenskontext ist recht unterschiedlich, trotzdem weisen die von ihnen präsentierten Kometenbilder einige interessante Übereinstimmungen auf, die zum einen auf ihren professionellen Hintergrund als Ärzte und zum anderen auf die Herausforderung, eine konsistente und bestimmte Funktionen erfüllende Erklärung für das Phänomen Komet zu propagieren, zurückgeführt werden können. 6 7 8
Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 136. Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 261. Siehe dazu Granada, Miguel Á.: Tycho Brahe, Caspar Peucer, and Christoph Rothmann on Cosmology and the Bible, in: Meer, Jitse M. van der / Mandelbrote, Scott (Hrsg.): Nature and Scripture in the Abrahamitic Religions. Bd. 1: Up to 1700, Leiden 2008 (Brill’s Series in Church History 36), S. 563–584.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
6.1 Das Kometenbild des Leonhard Thurneysser Leonhard Thurneysser zum Thurn ist eine schillernde, ambivalente und lange Zeit unterschätzte Person der Wissenschaftsgeschichte der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, dessen Charakterisierung von der des innovativen Gelehrten bis zu jener des betrügerischen Wunderdoktors und Scharlatans reicht.9 Diese polarisierenden Einschätzungen begründet Paul H. Boerlin mit dem geradezu faustischen Charakter Thurneyssers als Kind seiner widersprüchlichen Zeit zwischen Wissenschaft und Aberglaube, Phantastik und Rationalismus, Aufklärung und Mystizismus.10 Der aus Basel stammende gelernte Goldschmied genießt keine höhere Bildung, unternimmt in seinen Lehr- und Wanderjahren jedoch weite Reisen, die ihn sogar über die Grenzen Europas bis in den Nahen Osten führen, und eignet sich autodidaktisch umfangreiche Kenntnisse auf den Gebieten der Alchemie, Medizin, Botanik, Pharmazie, Mineralogie, Metallurgie, Astronomie und zahlreicher Sprachen an. Schon früh wird er als Assistent im Dienste des Arztes Johann Huber mit Schriften des Paracelsus vertraut gemacht und bleibt zeitlebens ein überzeugter Anhänger von dessen Ansichten, die eine Art intellektuelle Klammer seines vielfältigen Schaffens bilden.11 Nach Ausübung unterschiedlicher Tätigkeiten als Apotheker, Soldat oder in Bergwerken sowie der Veröffentlichung erster Schriften12 wird er schließlich 1571 bei besten Bedingungen und
9
10 11 12
Zu Leben und Werk siehe Herbst, Klaus-Dieter: „Thurneysser, Leonhardt“, in: Herbst, Klaus-Dieter: Biobibliographisches Handbuch der Kalendermacher 1550–1750 (http://www.presseforschung. uni-bremen.de/dokuwiki/doku.php?id=thurneysser_leonhardt, abgerufen am 11.10.15). Eine ausführliche Biographie bietet Spitzer, Gabriele: … und die Spree führt Gold: Leonhard Thurneysser zum Thurn, Astrologe, Alchimist, Arzt und Drucker im Berlin des 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 1996 (Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz 3). Vgl. Boerlin, Paul H.: Leonhard Thurneysser als Auftraggeber. Kunst im Dienste der Selbstdarstellung zwischen Humanismus und Barock, Stuttgart 1976, S. 30. Zu Thurneysser als Paracelsisten siehe Morys, Peter: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurneissers zum Thurn (1531–1596), Husum 1982 (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaft 43). Zu seinen frühen Werken gehören z. B. [6.16] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Archidoxa dorin der recht war Motus, Lauff und Gang auch Heymlikait Wirkung und Krafft der Planeten Gstirns und gantzen Firmaments, Mutierung, und Ausziechung aller Suptiliteten, und das finfte Wesen auss den Metallen, Mineralia, Kreyter, Wurtzen, Seften, Steinen und aller andren wesenlichen Dingen (…), Münster 1569 (VD16 T 1165), [6.21] Ders.: Quinta essentia das ist die höchste Subtilitet Krafft und Wirkung beider der furtrefelichisten (und menschlichem Gschlecht den nutzlichisten) Könsten der Medicina und Alchemia, auch wie nahe dise beide mit Sibschafft gefrint verwant (…) Vergleichung der alten und newen Medicin (…) in dreyzehen Bücheren reymenwyess an Tag gebn, Münster 1570 (VD16 T 1207) und [6.19] Ders.: Pison. Das erst Theil. Von kalten warmen minerischen und metallischen Wassern sampt der Vergleichungen der Plantarum und Erdgewechsen 10 Bücher, Frankfurt an der Oder 1572 (VD16 T 1183).
6.1 Das Kometenbild des Leonhard Thurneysser
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unter Zahlung eines großzügigen Salärs Leibarzt und Berater des Brandenburger Kurfürsten Johann Georg.13 In dieser Funktion wirkt er bis 1584 in Berlin, betreibt eine eigene Druckerei und Schriftgießerei sowie Laboratorien, richtet ein naturwissenschaftliches Kabinett, eine Bibliothek, eine Apotheke und später einen botanischen und zoologischen Garten ein, unternimmt alchemistische Studien sowie astronomische Beobachtungen und publiziert zahlreiche Werke. Thurneysser weiß durch einen ausgeprägten Geschäftssinn aus seinem Wissen Kapital zu schlagen und avanciert zu einem erfolgreichen frühkapitalistischen Unternehmer, der zeitweise bis zu 200 Beschäftigte hat, darunter Drucker, Papiermacher, Metallarbeiter, Mathematiker, Künstler, Setzer, Formschneider, Kupferstecher, Apotheker, Laboranten, Schreiber und Übersetzer.14 Er vermarktet alchemistische Prozeduren und ist auf vielfältige Weise als Berater tätig, so schreibt er prognostisch-medizinische Gutachten sowie solche über Gesteinsproben und montanistische Lagerstätten, stellt astrologische Nativitäten für Mitglieder europäischer Fürstenhäuser und entwickelt insbesondere ein Verfahren der Harndiagnostik: Gegen Zahlung einer Gebühr analysiert er ihm zugeschickte Harnproben, verschreibt individuell von ihm produzierte Arzneien und verkauft personalisierte Talismane und Kosmetika.15 Er druckt, verlegt und bewirbt seine Bücher, unterhält diplomatische Beziehungen, betreibt Bankgeschäfte und erwirbt sich durch seine vielfältigen Tätigkeiten eine europaweite Reputation. Berufliche Konflikte, Krankheit und private Tragödien lassen ihn schließlich seine Position in Berlin aufgeben, was den langsamen Niedergang seiner Karriere und seines Vermögens einleitet. Nach einer Zeit als Leibarzt des Kardinals Markus Sittikus in Rom, wo er auch zum Katholizismus konvertiert, kehrt Thurneysser 1594 nach Deutschland zurück und stirbt schließlich zwei Jahre später verarmt in Köln.16 Aufgrund seines Reichtums, seines extravaganten und extrovertierten Auftretens, seiner fehlenden akademischen Bildung und seiner selbstbewussten, selbstherrlichen und zuweilen skrupellosen Art macht sich Thurneysser viele Feinde.17 Insbesondere stu-
13 14 15
16 17
Siehe dazu Bauer, Barbara: Die Rolle des Hofastrologen und Hofmathematicus als fürstlicher Berater, in: Buck, August (Hrsg.): Höfischer Humanismus, Weinheim 1989 (Acta humaniora; Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung 16), S. 93–117. Vgl. dazu Spitzer: … und die Spree führt Gold, S. 37–55. Siehe dazu Schmitz, Rudolf: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurnheissers zum Thurn, in: Bergier, Jean-François (Hrsg.): Zwischen Wahn, Glaube und Wissenschaft. Magie, Astrologie, Alchemie und Wissenschaftsgeschichte, Zürich 1988, S. 141–166. Zu dieser Thematik hat Thurneysser auch publiziert, siehe [6.20] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Prokatalepsis oder praeoccupatio, durch zwölff verscheidenlicher Tractaten gemachter Harm Proben durch Leonhart Thurneisser zum Thurn erfunden unn gemeinem Nutz zu gutem an Tag geben. Das 59. Buch, Frankfurt an der Oder 1571 (VD16 T 1206). Siehe für Thurneyssers letzte Jahre Schumacher, Yves: Leonhard Thurneysser. Arzt, Alchemist, Abenteurer, Zürich 2011, S. 278–294. Spitzer sieht in Thurneyssers bildlichen und literarischen Selbstinszenierungen als bürgerlichen Auftraggeber, mit denen er sich auf eine Stufe mit Adeligen stellt, etwas in der zweiten Hälfte des
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dierte Ärzte und Paracelsusgegner wie die Medizinprofessoren Thomas Erastus, Caspar Hofmann oder Franz Joel bringen eine Mischung aus methodologischer und wissenschaftlicher Kritik gegen Thurneysser vor, die teilweise an Verleumdung grenzt.18 Da dabei insbesondere dessen prognostische Kompetenz infrage gestellt wird, reagiert er mit Entgegnungen in den Vorworten zu seinen Kalendern, bevor er 1580 eine ausführliche Apologie als Antwort auf seine Kritiker schreibt.19 Die Kalender, die Thurneysser mindestens zwischen 1572 und 1584 herausgibt, verdeutlichen einmal mehr sein kommerzielles Geschick, da er darin nicht nur all seine Kenntnisse auf den verschiedenen Gebieten darstellen und eine breite Leserschaft ansprechen kann, sondern z. B. auch Prognosen in kryptischen Versalien integriert, deren Auflösung er nur gegen Zahlung eines Schreiberlohns mitteilt.20 Durch seine eigene Position bei Hofe und seine Kontakte zu Fürstenhäusern ganz Europas, kann er aktuelle politische Informationen mit seinen astrologischen Kenntnissen verbinden und auch drucktechnisch so attraktive Werke kreieren, dass es ihm möglich ist Nachdruckprivilegien – z. B. nach Straßburg oder Prag – zu verkaufen.21 Nicht autorisierte Nachdrucke und Kalenderschriften von Autoren, die sich unberechtigterweise als seine Schüler ausgeben oder sogar unter seinem Namen veröffentlichen, verdeutlichen den Ruf Thurneyssers als Prognostiker. 6.1.1 Eine alchemistische Wunderzeichenkonzeption Der umtriebige „Alchemico-Astrologe“22 weiß seine Vorhersagen durchaus mit astronomischem Wissen zu fundieren. In seinem Berliner Domizil richtet er ein kleines Obser vatorium ein und beobachtet regelmäßig den Himmel. Später berechnet er als erster Gelehrter Berlins Ephemeriden für die Jahre 1580 bis 1590.23 Bereits 1573 hat
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16. Jahrhunderts sehr Außerordentliches und Zeichen einer neuen Gesinnung, vgl. Spitzer: … und die Spree führt Gold, S. 89. Siehe dazu Boerlin: Leonhard Thurneysser als Auftraggeber, S. 23–24. [6.18] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Kurtze Verantworttung unn notwendige Eren rettung des edlen, hoch und weitberümbten Herren Leonhardt Thurneissers zum Thurn Churfürstlichs Brandenburgischs Bestalten Leibs Medici und Bürgers zu Basel auff die unbesunnenen, ubelgegründten, mit Neidt und falscher Anklag (…) vorlognen ehrendiebischen Theses, Disputationes und Schmehschrifften Frantz Ioels dess Leugcentiaten zu Grypsswaldt in Pommern, Basel 1580 (VD16 ZV 28258). Eine spezifische Untersuchung der Kalender Thurneyssers bietet Juntke, Fritz: Über Leonhard Thurneisser zum Thurn und seine deutschen Kalender 1572–1584, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 19 (1978), Sp. 1356–1422. Siehe Spitzer: … und die Spree führt Gold, S. 101–107. Vgl. Juntke: Über Leonhard Thurneisser zum Thurn und seine deutschen Kalender, Sp. 1360–1389. Nach dieser treffenden Charakterisierung durch Brosseder verbinden sich in Thurneyssers Schaffen Naturwissenschaft und Astrologie an den Grenzen zur Magie, vgl. Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 17 und S. 78. Schumacher: Leonhard Thurneysser, S. 138.
6.1 Das Kometenbild des Leonhard Thurneysser
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Thurneysser anlässlich der Erscheinung der Supernova den Einblattdruck Τηρήσεις μετεωρολογικαί Stellae prodigiosae publiziert und damit das Feld der himmlischen Prodigien betreten.24 Das zweiseitige Werk im Format Großoktav stellt seine Beobachtungen und Deutungen des Phänomens dar: Die Position der Nova ist dabei in den Ausschnitt einer stereographisch projizierten Himmelshemisphäre eingezeichnet und liegt auf einer mit Via Stellae bezeichneten Linie, wobei die drei Observationen Thurneyssers mit ihren wichtigsten Parametern in einem knappen Begleittext beschrieben werden. Die prognostische Ausdeutung ist ikonographisch-allegorisch in einen großen Holzschnitt mit einer Fülle von politischen und apokalyptischen Anspielungen gefasst und wird von einem Gedicht begleitet. Dessen 356 Verse sind dreispaltig und zusammen mit kalendarisch relevanten Daten wie Aspekten oder Mondphasen dargeboten. Jede Zeile entspricht dabei einem Tag des Jahres und korreliert mit einer Wirkungsdauer des Phänomens von 33 Monaten und neun Tagen. Eingerahmt wird diese Prognostik von insgesamt 24 Bibelversen, darunter einige eschatologischen Charakters. Thurneyssers ganze Präsentationsweise der Nova als theologisch und politisch relevantes Prodigium zeigt, dass er die Erscheinung traditionell meteorologisch als Kometen interpretiert, so gibt er ihre Entfernung etwa mit 15 Erdhalbmessern und damit klar sublunar an und konstatiert außerdem eine – wenn auch sehr langsame – Bewegung in der Breite.25 Auch den Kometen 1577 präsentiert Thurneysser in seiner gut 70 Seiten umfassenden Kometenschrift Ein Kurtzer unn Einfeltiger bericht als ein Wunderzeichen im theologisch-astrologischen Kontext.26 Das Titelblatt enthält drei biblische Zitate der alttestamentarischen Propheten Amos, Jeremia und Ezechiel, die den religiös-theologischen Anspruch des Werkes unterstreichen.27 Die Bibelverse handeln davon, dass man Prophezeiungen ernst nehmen solle, diese oft Ankündigungen großen Übels seien und dass das Verkünden von Gottes Wort eine Pflicht sei – unabhängig davon, ob Ungläubige der Botschaft Beachtung schenken oder nicht. Diese Zitate verdeutlichen damit nicht nur die semiotische Dimension des Himmelsphänomens als Medium der 24
25 26 27
[6.22] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Τηρησεισ μετεωρολογικαι Stellae prodigiosae, anno 1572 den 8. Tag Novembris in dodecatemorio Tauri am understen Teil des Halses des himlischen Bildes der Cassiopeae genandt erstlich erschienen, s. l. 1573. Die Übersetzung des griechisch-lateinischen Titels lautet „Meteorologische Beobachtungen des prodigiösen Sterns“. Siehe zu diesem Werk und dessen Rezeption Granada, Miguel Á.: Entre Allemagne et France: la nova de 1572 et l’avenir de la monarchie française. À propos de la Nouvelle estoile apparue sur tous les climats du monde, in: Mehl, Édouard / Roudet, Nicolas (Hrsg.): Le Temps des astronomes. L’astronomie et le décompte du temps de Pierre d’Ailly à Kepler, Paris 2017. In diesem Aufsatz findet sich ein vollständiger Abdruck des Werkes vom Exemplar der Berliner Staatsbibliothek (Sig. 2, Libri impr. rari 602). Damit steht Thurneysser nicht allein da, auch Cyprian von Leowitz meint, in seinen Beobachtungen eine Bewegung des Neuen Sterns festgestellt zu haben, vgl. Granada: Entre Allemagne et France. [6.17] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht (…) uber den 136. unnd inn disem lauffenden 77. Jar am 19 Tag Octobris erstlich erschinenen Cometen aller Welt zum Dienst und getrewer Warnung publicirt, Berlin 1577 (VD16 T 1177). Es handelt sich dabei um: Am 3,8; Ez 2,6–7 und Jer 14,17.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
göttlichen Offenbarung, sondern die Rolle Thurneyssers als Interpret und Verkünder der Botschaft Gottes.28 Nicht nur der Komet ist ein Prophet, sondern auch dessen Deuter: „So nun der Herr Gott redet / Wer will nicht prophetirn“, schreibt Thurneysser und legitimiert damit die Schrift und sich selbst als ihren autorisierten Verfasser.29 Das Zusammenspiel der zeichenhaften und der natürlichen Kometendimension manifestiert sich in der Definition von drei Arten von Wunderzeichen oder Terata30, mit der Thurneysser sein Werk, das weder Widmungsepistel noch Vorwort enthält, beginnt. Diese Arten unterscheiden sich entsprechend den Ursachen, aus denen sie entstehen und werden allesamt durch biblische Beispiele belegt: Erstens gebe es die übernatürlich-göttlichen, also reinen Wunderzeichen Gottes „bey denen man fürnemlich Göttliche Allmacht / Krafft / und Herrligkeit / spüren / sehen / und erkennen (…) sol.“31 Dabei handelt es sich also um Wunder als supranaturalistisches Geschehen, wofür Thurneysser unter anderem eine Bibelstelle anführt, in der Jesus einen Toten zum Leben erweckt.32 An zweiter Stelle stehen die nächst vornehmen Gedenkzeichen, welche „seind gleichwol auch Göttlich / aber darneben mit etwas natürlicher ursach vermischt“, für die beispielhaft die biblischen zehn Plagen über Ägypten genannt werden.33 Die dritte Art bilden die Zorn- und Warnzeichen, die „nicht allein Göttlich und Natürlich / sonder auch darzu Influentisch seind“, zu Buße aufrufen und Strafe androhen, wofür Thurneysser etwa den Regenbogen als Zeichen des göttlichen Bundes mit den Menschen oder auch die (Vor-) Zeichen der Endzeit – wie z. B. Erdbeben, Seuchen, Krieg sowie Zeichen an Sonne, Mond und Sternen – anführt.34 Nur um diese dritte Art von Zeichen geht es Thurneysser in seinen Ausführungen, wobei er diese Kategorie von Wunderzeichen in weitere Species unterteilt und als solche hauptsächlich Naturphänomene im weiteren Sinne, etwa Konstellation, Aspekt, Konjunktion, Finsternis, Chasma, Horn- und Scheinstern, Feuer-, Wind- und Wasserstrahlen, Nebensonnen, Regenbogen und Kometen auflistet.35 Das Entstehen dieser Phänomene ist unter Rekurs auf natürliche Ursachen erklärbar, wobei deren Signifikanz in ihrer wunderhaft-göttlichen Dimension liegt. Damit ist auch die Interpretation der natürlich verursachten und astrologisch wirksamen „influentischen“ Zeichen in einem theologischen Gesamtrahmen verortet, da nicht allein nach 28 29 30 31 32 33 34 35
Mauelshagen spricht in diesem Zusammenhang von einem kosmischen Kommunikationsraum, in welchem die göttlichen Wunderzeichen in den Rang einer heiligen Schrift erhoben sind, vgl. Mauelshagen: Verbreitung von Wundernachrichten als christliche Pflicht, S. 152–153. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, (Titelblatt). Von diesem von Thurneysser verwendeten Wort leitet sich der Begriff der Teratologie ab, die in Kap. 2 näher thematisiert wurde. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. A 2r. Diese Episode findet sich in Luk 7; als weitere Exempel werden Jos 3 sowie 2Sam 4 angeführt. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. A 2r. Die zehn Plagen finden sich in Ex 7, daneben nennt Thurneysser Jdt 6 sowie 2Sam 3. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. A 2v. Die genannten Bibelstellen sind Gen 9, Jes 38 und das traditionell im eschatologischen Kontext angegebene Luk 21. Vgl. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. A 2v.
6.1 Das Kometenbild des Leonhard Thurneysser
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Art der „Medicorum / als Hippocratis / Aristotelis / Galeni / unnd anderer fürtrefflicher Naturkündiger“, also Astrologen und Physiker, gedeutet wird, sondern „auch auß dem warhafftigen mundt Gottes / der Lehr unnd underweisung fast aller altväter und Propheten / fürnemlich aber Ezechiel 7. daß wegen der Sünd unn / boßheit / ein Unglück uber daß ander khummen solle / daß auch das End verhanden / unn der Tag deß Jammers nahe sein werde (…).“36 Gerade die hier sichtbare eschatologische Komponente unterstreicht die Notwendigkeit der Deutung und ihre Kommunikation, „weil die Welt je etwas schließliches zu Prognosticiren begert“.37 Die Kometen sind natürliche Wunderzeichen, die einen göttlichen Appell inkorporieren, den der Mensch verstehen soll ohne Superstition unnd aberglauben / allein als Creaturen (die nicht auß irer eigner Substantz entstanden / auch nicht für sich selbs auß eigner macht / art / oder natur / sunder auß Göttlicher Allmacht und Ewigem willen / etwas anzuzeigen / zubedeüten / oder zuwirckhen haben / und die derhalben nur für Warnungen) halten / daß wir uns auch nicht für solchen zeychen fürchten / oder denen zu lieb sunder auß rechter Kindtlicher anmut / Lieb und Forcht / so wir gegen Gott unserem getreüen Vater haben / besseren (…).38
Thurneysser entwickelt seine Kategorisierung von Wunderzeichen entlang des ontologisch-metaphysischen Spektrums von „göttlich“ – im Sinne von supra naturam – bis „natürlich“, wobei die Wunderzeichen durch absteigende Teilhabe am ersten und respektive wachsende Teilhabe am zweiten Ende dieses Spektrums gekennzeichnet sind. Entlang dieses Spektrums lassen sich ebenfalls die drei disziplinären Felder Theologie, Astrologie und Naturkunde als Quellkontexte explanativer Versatzstücke und interpretatorischer Zugänge anordnen. Da mit wachsender Gottesferne ein gradueller Verlust der Dignität des Wunderzeichens einhergeht, muss dessen Bedeutung z. B. über dessen außergewöhnlichen Charakter belegt werden. Diese Argumentationsweise ist bereits bei der Interpretation der Nova 1572 sichtbar, der eine umso größere – ebenfalls häufig eschatologische – Signifikanz zugeschrieben worden ist, je deutlicher sich ihre Differenz zu einem gewöhnlichen Kometen darstellt, weshalb Weichenhan treffend konstatiert, dass die Autoren, die im wunderbaren Stern des Jahres 1572 ein supralunares, stellares Zeichen gesehen haben, diesen weniger an Hand der Bücher des Aristoteles als vielmehr anhand der Bibel interpretiert hätten.39 Thurneysser klassifiziert den Kometen analog zu den biblischen Naturwundern als natürliches Wunderzeichen, dessen zeichenhafte Signifikanz in der Abweichung vom normalen Naturlauf begründet liegt: Wolan / so hat Gott jetz in diesem Siben und Sibenzigsten Jahr (…) Ein Recht Grosses / ja (ausgenohmen drey andere) fast das aller gröste / unnd Ernsthafftigests zorns und warnungs-
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[6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. E 4v–F 1r. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. F 1r. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. H 3v–H 4r. Siehe Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 618–619.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
zeichen / Namlich ein Cometen / oder beweglichen Stern und schein / under das ander / und vor langest erschaffen Gestirn / doch uber das Gewülck / (aber zwar / weil die Landtschafft oder die Region der Elementen / ein unbestendige / und sich alle zeit verendrende Substantz ist / nicht in der Refier derselbigen wie etliche gemeint haben) gesetzt (…).40
Der Komet fungiert als Zorn- und Warnzeichen und ist deshalb supralunar, da eine Verortung in der Region der unbeständigen und Veränderungen unterworfenen Elemente seiner physikalischen Natur widersprechen würde.41 Zudem wäre eine Position unter dem Mond auch der Bedeutung des Kometen nicht angemessen. Seiner Würde als göttliches Zeichen und seiner Relevanz hinsichtlich einer Deutung entspräche vielmehr eine supralunare Positionierung im Haus des Saturns „damit man ja sehe / daß der Ernstliche zorn Gottes / und die Rache aller Boßheit verhanden sey / an ein solliches Ortt / Namlich in deß Feindts Menschlichs geschlechts / unnd deß verderbers aller Natürlichen dingen“42. Göttlicher Wille ist der Initiator des Wunderzeichens, dessen kommunikative Dimension astrologisch ausgedrückt ist und so erschlossen werden müsse. Die Abweichung vom regelhaften Naturlauf konstituiert und unterstreicht den wunderhaften Charakter des Naturphänomens: „Es hat aber dieser [der Komet] / gleicher gestalt wie er frembd / groß / unnd erschrecklich / also auch sein Motum / gang od bewegung wunderbarlich angefangen / aber noch wunderbarlicher geendet“43, nämlich entgegen der Ordnung der Zeichen und dem Lauf der Fixsterne. Der Komet entsteht und wirkt natürlich, ist aber doch aufgrund dieser Eigenschaften der ausschließlich natürlichen, elementarischen Sphäre entrückt oder einer vollständigen Erklärbarkeit – anders als „kleine unnd geringe“ Wunderzeichen wie Konstellationen, Planetenkonjunktionen oder Chasmata – entzogen, womit unterstrichen wird, dass der aktuelle Komet noch schlimmere Folgen haben müsse als diese.44 Diese Folgen sind also göttlich intendiert und werden zeichenhaft kommuniziert, ihrem Entstehen nach sind sie aber entsprechend der natürlichen Dimension von Kometen deren kausale Wirkungen. Diese Wirkung ist bei Thurneysser alchemistisch konzeptualisiert: Auf Kometen folge ein Wüten der Elemente, nichts anders dann ein gewisse verenderung der Lüfften / und auß denen ein sideratio oder Verhinderung deß Wachstumbs der Erdfrüchten / (Deren beyden alle lebende Creaturen geleben müsten) entsten unn erfolgen würde / und weil dieselbigen also bescheidigt / unzeit40 41
42 43 44
[6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. B 4r–C 1r. Hamel hat darauf hingewiesen, dass Röslin in seiner Schrift zum Kometen von 1596 genau das gleiche Argument bringt: Er begründet die supralunare Kometennatur ebenfalls empirisch mit der Kometenbewegung, welche die untere, stets notwendig Veränderungen und völlige Unregelmäßigkeit hervorbringende Luftregion niemals ermöglichen würde, vgl. Hamel: Die Kometen in der deutschsprachigen astronomisch-astrologischen Kleinliteratur, S. 20. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. C 4v. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. C 1r. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. B 3v.
6.1 Das Kometenbild des Leonhard Thurneysser
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tig / oder aber zu gar faul / und derhalben Teüerungen und Hunger einfallen müsste / von welchen der Tieren narung verderbt / unn die Natur deß Menschen (so hernach solche Thier und Frücht auf den gelitnen Hunger / niessen / Essen Und sein Leben dardurch zuerhalten gedrungen wurde) der ursach halber Corrumpirt, und eintweders darvon Inflammirt, oder erkalt / oder entweders zuvil uberfluß der Feüchte in im sich samlete / oder aber seine natürliche feüchte ime eindorret unn vertrucknet / dardurch das Geblüet entzündt / inficirt / der lebliche Geist geschwecht / und doher nicht allein weil Krankcheiten / Mißgeburten / Pestilentz und Sterbent einfallen / sunder auch die gemüetter der Menschen verendert / die Hertzen gegeneinander verbittert / die hirner mit melancolischer schartzer Gallen uberschüt / darauß Neid / Zanck / Hader / Ketzereyen / Auffrhur / Ungehorsamkeit / Verreterey / Lügen / Gewalthat / und auß denselbigen allen / Krieg / Mordt / Todtschlag / un Blutvergiessen / Feüer Raub / Diebstal / und alles unglück folgen müste (…).45
Der Komet hat demnach nicht nur atmosphärisch-klimatische Folgen; über Wirkmechanismen der Humoralpathologie wird auch der Mensch gemäß seinen Temperamenten in Körper und Seele betroffen. Es handelt sich bei diesen Wunderzeichen also prinzipiell um natürliche Phänomene, die durch natürliche Ursachen erklärbar sind und eine natürliche Kette von Ereignissen hervorrufen, aber anlässlich des göttlichen Zorns von diesem instrumentalisiert werden. Diesem Verständnis nach ist es nur richtig, auf solche Ereignisse zwecks Besänftigung mit besonderer Demut, Fastentagen oder Opfergaben zu reagieren. Von solch einem Verhalten wussten laut Thurneysser bereits die römischen Geschichtsschreiber Livius, Plutarch und Iustinus zu berichten, wobei dieses in ihrer Zeit freilich nicht an den christlichen Gott gerichtet gewesen sei.46 Da also selbst in diesen „heidnischen“ Zeiten eine Ehrfurcht vor solchen Wunderzeichen präsent gewesen ist, sei es besonders schlimm, diese Himmelswunder wie die „törechtigen Peripatetici“ und „Epicurischen Gesellen“ nicht zu fürchten; der jetzige Komet sei überhaupt nur notwendig gewesen, weil das letzte göttliche Warnzeichen nicht beachtet worden sei, nämlich die Supernova von 1572.47 Diese beschreibt Thurneysser hier als „frembdes und ungewohnlichs gestirn“48 der 8. Sphäre – und verortet sie damit anders als in seinem oben erwähnten Einblattdruck supralunar. Diese Positionierung und auch die im Vergleich zu Kometen unge-
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48
[6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. A 3r–A 3v. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. A 3r. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. S. A 4v–B 1r. Die durchaus geläufige Brandmarkung eines Gegners als ‚epikuräisch‘ und damit als ein dem Wohlleben hingegebener Atheist bringt an dieser Stelle auf den Punkt, was das Interesse der theologisch-eschatologischen Kometendeutung ausmacht: Die Götter Epikurs überlassen, selbst friedlich einem kontemplativen Leben hingegeben, die Welt ihrem Schicksal, während der christliche Gott durch das Senden von Zeichen vorhersorgend in den Lauf der Welt und die menschlichen Geschicke eingreift, siehe Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 395. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. B 3v.
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wöhnlich lange Dauer der Erscheinung deutet er teleologisch, da so die Sichtung des Sterns durch möglichst viele Menschen und damit die Eindrücklichkeit des Bußaufrufs am ehesten gesichert gewesen sei. Der naturkundliche Wissensbefund dient daher als Stütze der theologischen Interpretation der Erscheinung als Prodigium. Die in diesen Ausführungen sichtbare Wunderzeichenkonzeption Thurneyssers erinnert deutlich an die Vorstellungen seines in vielerlei Hinsicht großen Vorbilds Paracelsus, weicht jedoch in einigen Aspekten auch unverkennbar davon ab. Der wichtigste Unterschied besteht wohl darin, dass Paracelsus Kometen als über der Natur stehende Objekte ansieht, die eine Bedeutung haben, aber keine Wirkung ausüben, womit er sich gegen eine traditionelle astrologische Ausdeutung stellt. Die Signifikanz der Kometen ist für ihn rein theologisch zu verstehen und zu eruieren, da sie als übernatürliche Phänomene die menschliche Seele und nicht Körper oder Vernunft ansprechen würden.49 Weichenhan spricht in diesem Zusammenhang von einer „Allegorisierung“ der tradierten Kometenlehre, mit welcher der Unheil prophezeiende Komet als Semiphore in die Welt von Sünde und Buße eingeordnet wird und damit aufhört, ein Gegenstand der Natur zu sein.50 Thurneysser sieht Kometen hingegen als natürliche Phänomene an, die aufgrund ihres außergewöhnlichen Wesens jedoch eine über der Natur stehende – wunderhafte oder göttliche – Komponente in sich vereinen. Dieser intermediäre Charakter der Kometen als Grenzgänger zwischen elementarischer und himmlischer Welt sowie zwischen göttlicher Transzendenz und irdischer Vergänglichkeit korreliert mit Thurneyssers kosmologischen Vorstellungen, die in der Verbindung eines christlichen Weltbilds mit paracelsischen und neuplatonisch-hermetischen Einflüssen wurzeln. Sein Naturverständnis ist dabei von einer Ganzheitlichkeit geprägt, die Mensch und Gott sowie Mikro- und Makrokosmos in eine enge Beziehung zueinander setzt. Diese ganzheitliche Perspektive spiegelt sich auch in seinem Schaffen wider, das sich mittels heutiger disziplinärer Grenzziehungen nicht adäquat charakterisieren lässt. Dies liegt nicht nur an der Nähe zum magischen Denken, sondern zudem an den übergreifenden Prinzipien, die Thurneyssers Weltbild organisieren sowie seinem originellen und zuweilen unbedarften Zugang zu Natur und Wissen. Aufgrund seiner Bildungsbiographie liegt sein Schwerpunkt dabei weniger auf systematischem Wissen, wie es der formalen Struktur zeitgenössischer akademischer Lehre entspricht, sondern eher auf praktischem, das seiner Tätigkeit im Bergbau oder als praktizierender Apotheker entstammt. Die theoretische Klammer dieser heterogenen Ideen und Überzeugungen bildet der Paracelsismus, dem Thurneysser ein spezifisches Gepräge gibt. So übernimmt er beispielsweise den seinen eigenen epistemologischen Vorstellungen nahe kommenden empirischen Naturzugang, der die Notwendigkeit der 49 50
Für das paracelsische Kometenverständnis siehe Kahn, Didier: Paracelsus’ Ideas on the Heavens, Stars and Comets, in: Granada, Miguel Á. / Boner, Patrick J. / Tessicini, Dario (Hrsg.): Unifying Heaven and Earth. Essays in the History of Early Modern Cosmology, Barcelona 2016, S. 59–115. Vgl. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 392–394.
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unmittelbaren Beobachtung der Natur als Grundlage allen Wissens und jeder Erfahrung betont, wobei sich für ihn hier wissenschaftliches und kommerzielles Interesse verknüpfen.51 Diese Empirie ist in ein hochgradig qualitatives, auf Sympathien und Analogien beruhendes Weltverständnis eingebettet, das eine Magia naturalis mit ihrer Grundidee einer Beseeltheit des Kosmos integriert.52 Thurneysser glaubt an unsichtbare Naturkräfte und befürwortet die Signaturenlehre der spirituellen Astromedizin – ein Kernelement des Paracelsismus. Ebenso zeigt sich sein Naturdenken christlich-religiös durchdrungen, weshalb er von einem allem Irdischen gegenüberstehenden Himmel als Bereich Gottes und der Engel ausgeht, dessen Bedeutung allein im Religiösen liege.53 Gemäß der ganzheitlichen Perspektive auf die Welt als komplexem und sich mitunter in Dualitäten manifestierenden Zusammenhang von Mikro- und Makrokosmos, sind Himmel und Erde ontologisch, metaphysisch, strukturell und prinzipiell verbunden. Diese Verbundenheit zeigt sich bei Thurneysser zum einen im Konzept des imprimierenden Denkens und zum anderen in der Idee des Stufenkosmos. Impression bedeutet hierbei, dass alles Irdische einem himmlischen Einfluss unterliegt, der sich auf verschiedene Weise in den Wesen, Dingen und Prozessen der terrestrischen Welt widerspiegelt oder in diese imprimiert wird:54 Die Signaturenlehre im Bereich der Botanik sind dafür ein Beispiel, ebenso aber auch chemische Prozesse, das Entstehen von Krankheiten im menschlichen Körper oder das von Metallen in der Erde. Aus diesem Grund erfordert die Herstellung von Arzneien oder Talismanen die Berücksichtigung des Stands der Gestirne und die Integration horoskopischer Informationen, ebenso wie das Ausführen alchemistischer Prozeduren wie die Harnanalyse oder das Sammeln pharmakologisch nützlicher Pflanzen.55 Dass auf diese Weise alle irdischen Belange in Abhängigkeit von den Sternen gedacht sind, erklärt die zentrale Rolle der Astrologie in Thurneyssers Denken.56 Gott ist nach diesem Verständnis nicht nur Schöpfer der himmlischen Ordnung und Lenker der Gestirne, der durch diese seinen Willen ausdrückt, etwa in Form von auszudeutenden Konstellationen. Als Urheber aller Dinge vereint er in sich alle Kräfte und Tugenden, die in die irdische Welt vermittelt werden und sich dort in allen Lebewesen und Dingen manifestieren. Die Vermittler dieser Wirkung sind nun die Gestirne, auch die Kometen, die in 51 52 53 54 55 56
Moran, Bruce: The Subtleties of Enterprise. Curiosities, Preparations, and Performances in the Printed Luxuries of Leonhard Thurneysser, Vortrag History of Science Society Annual Meeting, 21.11.2015 San Francisco [Eigene Mitschrift]. Siehe dazu Müller-Jahncke, Wolf-Dieter: Die Renaissance-Magie zwischen Wissenschaft und Dämonologie, in: Bergier, Jean-Francois (Hrsg.): Zwischen Wahn, Glaube und Wissenschaft. Magie, Astrologie, Alchemie und Wissenschaftsgeschichte, Zürich 1988, S. 127–140. Vgl. Morys: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurneissers, S. 26. Vgl. Morys: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurneissers, S. 27. Siehe Schmitz: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurnheissers, S. 146–147. Zur Harnanalyse als paracelsischem Konzept bei Thurneysser vgl. Stolberg, Michael: Die Harnschau: eine Kultur- und Alltagsgeschichte, Köln 2009, S. 87–93. Vgl. Morys: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurneissers, S. 34.
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einem hierarchischen System der Emanation als Bindeglieder zwischen Gott und der materiellen-irdischen Welt fungieren:57 Die Kraftübertragung erfolgt dabei zunächst auf den Geist oder spiritus – hier scheinen die intelligentiae des hermetischen Denkens durch –, der schlussendlich auf alle lebenden und wachsenden Dinge wirkt.58 Es ist dieser spiritus, diese göttliche Komponente, an der die Kometen teilhaben und die sie zu göttlichen Kommunikationsmedien und Wunderzeichen macht, die eine prognostisch ermittelbare Wirkung ausüben. 6.1.2 Die Inszenierung paracelsischen Kometenwissens Alles Entstehen, Werden und Vergehen in der terrestrischen Welt ist somit dem stetigen Wandel unterworfen, der einer Veränderung des Zusammenspiels der Elemente und der mit ihnen assoziierten Qualitäten entspricht, die wiederum durch den himmlischen Einfluss determiniert ist. In Thurneyssers Vorstellung ersetzt diese himmlische Influenz das traditionelle Element des Feuers. Er übernimmt damit die die aristotelische Elementenlehre ersetzende paracelsisch-alchemistische Konzeption der tria prima, wonach Sulphur, Mercurius und Sal die Grundbausteine aller Dinge, aber auch Struktur- und Funktionsprinzipien des Kosmos sind, deren geistige Gegenstücke Spiritus, Anima und Corpus ebenfalls in jedem Werk göttlicher Schöpfung enthalten sind.59 Die von Paracelsus stammende Idee der tria prima60 erhält bei Thurneysser eine ausgeprägte theologische Bedeutung, z. B. da die Entstehung dieser Prinzipien an das Johannes-Evangelium angelehnt ist – wonach Seele und Körper aus dem Wort, also göttlichem Geist, geschaffen worden sind – oder insofern als sich die religiöse Relevanz des Zusammenspiels von Körper, Geist und Seele für den Menschen im christlichen Trinitätskonzept widerspiegelt.61 Hier zeigt sich erneut, wie eng das Menschen-, Religions- und Naturbild im Denken Thurneyssers verbunden sind, das um die Ganzheit von Gott, All, Natur und Geschöpf entwickelt ist.62 Die Idee der Dreiheit als des-
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Die Sterne als Konstituenten der Korrespondenz zwischen Mikro- und Makrokosmos zu betrachten ist eine paracelsische Grundidee, die bei diesem allerdings weniger als kosmologische oder astronomische, denn als anthropologische Konzeption zu verstehen ist: „In Paracelsus’ view, the stars are both in the heavens and in man himself: they cannot but interact from above to below.“ Kahn: Paracelsus’ Ideas on the Heavens, Stars and Comets, S. 62. Diese Vorstellung der himmlischen Einflussnahme ist grundverschieden von jener der traditionellen Astrologie, die von einer tatsächlichen Übertragung von Licht, Kraft und influentia ausgeht. Thurneysser folgt hier der auch von Paracelsus aufgegriffenen neuplatonischen Grundkonzeption des Stufenkosmos, vgl. Morys: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurneissers, S. 39–40. Vgl. Schmitz: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurnheissers, S. 144–145. Siehe dazu ausführlich Kahn: Paracelsus’ Ideas on the Heavens, Stars and Comets, S. 83–95. Vgl. Morys: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurneissers, S. 32–34. Vgl. Schmitz: Medizin und Pharmazie in der Kosmologie Leonhard Thurnheissers, S. 157.
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sen Wesens- und Strukturprinzip manifestiert sich schließlich auch in der oben thematisierten Trias von Wunderzeichen und deren drei Dimensionen natürlich, göttlich und influentisch. Dies korreliert mit den drei relevanten Kontextgebieten und daraus abgeleiteten Interpretations- und Zugangsweisen zum Phänomen Komet, wonach Thurneysser sein Kometenwerk strukturiert, indem er in insgesamt drei thematischen Abschnitten zunächst einen Kurtze[n] Bericht vom Commeten liefert, dann die Natürlichen Ursachen unnd Artt der Cometen thematisiert und abschließend Von der Wirckhung handelt.63 Es verwundert wenig, dass er zudem „Dreyerley Lauf “ des Kometen oder „drey causae“ der Kometenprognose konstatiert.64 Thurneysser präsentiert auf diese Weise eine etwas andere Art des integrierten Kometenbildes, das nicht zuletzt eine strategisch geschickte Antwort auf die Unsicherheit darstellt, die bezüglich der Erklärung und Interpretation von Kometen zeitgenössisch besteht und Fragen ihrer Verortung, ihres Ursprungs, ihrer materiellen Natur, ihrer Bewegungsweise und ihrer Signifikanz betrifft. Thurneysser legitimiert dadurch erneut seine eigene Schrift als Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen „damit das durch fleissige auffmerckung solche im zanck und streit stehende Artickel / durch diejenigen / welche diese Cometen also fleissig observiren / als harte knotten auffgeloset / darduch der streit entscheiden / unn die schlußreden einsmals conferirt unn befestiget werden.“65 Schon bei Paracelsus gehen Kosmologie, Theologie, Natur- und Menschenkunde eng zusammen, wobei er keines dieser Gebiete systematisch entwickelt hat. Thurneysser macht diesen interdisziplinären Ansatz für sein Kometenbild fruchtbar, indem er in seinem Weltbild nicht nur Naturkunde und Theologie eng miteinander verknüpft, sondern aus dieser Verknüpfung heraus insbesondere eine Harmonie zwischen astrologischer Prognostik und theologischer Prophetie legitimiert. Zum Abschluss seines Kapitels über die Kometenwirkung integriert Thurneysser den Abschnitt „Von den gar Allten Antiquischen Cabalischen Oraculen / oder Sibyllischen Weissagungen“ über drei antike Prophezeiungen.66 Diese haben eine Doppelfunktion des göttlichen Lobpreises und der Zukunftsdeutung. Sie sind spezifisch relevant, da ihre Erfüllung in den zehn auf den Kometen 1577 folgenden Jahren anstehe und „veil grosser Mysterien / und nicht allein veil hohen und nieder standes Personen / sunder auch den Monarchien / Künigreichen / Fürstenthumen / Herrschafften / Stedten unnd Lenderen / verenderungen / hendel und zufel / zu gar deütlich und außtruckhelich darin begriffen“, weshalb der brandenburgische Leibarzt „zur warnung daß Vaticinium ans licht zu bringen nit wollen underlassen“.67 Wie schon in den Thur-
63 64 65 66 67
Siehe [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. A 2r–C 4v; 2. Teil: Bll. D 1r–E 3r sowie 3. Teil Bll. E 3r–H 3v. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. C 4v–D 1r. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. D 4r. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. H 3v–I 4r. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. I 1r–I 1v.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
neysserschen Schreibkalendern und im Rahmen seiner Novadeutung 1573 zeigt sich hier, wie Himmelsphänomene für eine astrologische Interpretation der Gegenwart und eine Kommentierung der aktuellen politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit natürlichen Vorgängen genutzt werden können.68
Abb. 6.1 Die dritte Weissagung in Thurneyssers Kometenschrift (1577)69
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Vgl. dazu Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 462. Abbildung der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Astron.440, Bl. I 4r, http://digital.slub-dresden.de/id273535625/75.
6.1 Das Kometenbild des Leonhard Thurneysser
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Die Art der Präsentation der drei Weissagungen – jede mit einem allegorischen Holzschnitt, fremdsprachigem Begleittext sowie einer interpretierenden Erläuterung auf Deutsch – verdeutlicht den für Thurneyssers Schaffen und für seinen Erfolg maßgeblichen Aspekt der Inszenierung. Zunächst unterstreicht er z. B. die Exklusivität des Wissens, da Gelarte unnd erfarne Menner / solche weissagungen (welche der gemein man allein schlecht unnd einfaltig den Buchstaben nach / den Göttern zu ehren auffgericht geachtet) auß den Schrifften der alten Sibyllischen bücheren gezogen / unn nicht mit geringerer Celeritate oder behendigkeit / dan arbeit / diselbigen Buchstaben / Wort und Reden nicht Vertirt / sunder nach Cabalischer / Magischer unn Philosophischer weiß70
gedeutet hätten und suggeriert damit seine eigene Zugehörigkeit zu diesem Kreis, womit er sein Werk, sich selbst als dessen kompetenten Autor sowie die darin transportierte Deutung legitimiert. Abbildung 6.1 zeigt die Darstellung der dritten „Türckische[n] weissagung“, die Thurneysser „mit siryscher schrifft“ geschrieben nebst einer lateinischen Transkription des Persischen präsentiert.71 Er demonstriert damit nicht nur einmal mehr die Leistungsfähigkeit seiner Druckerei72, in der unter seiner Aufsicht mitunter exotische Drucktypen entworfen und hergestellt werden, sondern auch seine prophetische Autorität und astrologische Kompetenz. Aufgrund der besonders zum Ende seiner Berliner Zeit hin schärfer werdenden Anfeindungen ist es für Thurneysser besonders wichtig, seine prognostische Methode zu legitimieren: Er konstatiert etwa, dass viele „Arrogantes“ ihn abfällig als Weissager („Ariolus“) bezeichnet hätten, zumal doch so ehrenwerte Gelehrte wie Johannes Carion, Johannes Lichtenberger, Nostradamus, Paracelsus, Cardano oder Luca Gaurico das Gleiche getan hätten.73 Ein gängiges Argument für die Qualität von Prognosen besteht auch darin, auf vergangene eingetroffene Vorhersagen zu verweisen, weshalb Thurneysser anführt, in seinem Kalender von 1576 für den 5. Oktober des Folgejahres ein „neüw und frembd gestirn“ prognostiziert zu haben, was mit dem aktuellen Kometen schließlich auch eingetreten sei.74 Gemäß seiner Profession verwundert es nicht, dass er recht genau bestimmte Krankheiten als Folge des Kometen prognostiziert, nämlich Blasen-, Nieren-, Rücken- und Lendenleiden, Wasser- oder Schwindsucht.75 Gleichzeitig betont er aber, er hätte nur das Offenkundige „nach alter und eines theils neüwer Astrologorum und Physicorum Regulas“, nach der „alten weissagungen außlegungen“ aus den sichtba70 71 72 73 74 75
[6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. I 1r. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. I 3v–I 4r. Die eigene Druckerei, die Thurneysser schon 1576 an seinen Mitarbeiter Michael Hentzken verkauft hat, ist als „graphisches Großunternehmen“ eine wesentliche Säule seines Erfolges, siehe dazu Schumacher: Leonhard Thurneysser. Arzt, Alchemist, Abenteurer, S. 238–247. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. D 1r. Ebd. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. G 3v.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
ren Grundlagen geschlussfolgert, was einem „jeden weisen und verstendigen selbert“ möglich sei.76 Er verwahrt sich damit nicht nur gegen eine zu spezifische Prognostik, sondern reiht sich selbst in den Kreis dieser Weisen und Verständigen ein. Die Abbildung 6.1 demonstriert außerdem Thurneyssers Sprachkompetenz und damit subtil auch seine Weltgewandtheit als weitgereister, umfassend Gebildeter und in die Geheimnisse fremder Welten Eingeweihter, was seiner Prognostik nicht zuletzt eine Eindruck machende mystische Aura verleiht.77 Bruce Moran hat den performativen Aspekt von Thurneyssers wissenschaftlicher Tätigkeit betont, z. B. was dessen alchemistische Prozeduren betrifft, die er im höfischen Kontext vermarktet und die von einer rhetorischen Performativität in seinen Texten, die gleichzeitig informieren und unterhalten sollen, ergänzt und widergespiegelt werden.78 Besonders sein schriftstellerisches Schaffen ist durch diese Verbindung von wissenschaftlichem und kommerziellem Interesse geprägt, was sich darin manifestiert, dass Thurneysser sich und das von ihm präsentierte Wissen inszeniert. Als Leibarzt des Brandenburger Kurfürsten verfügt er über ausgezeichnete diplomatische Kontakte, die er z. B. durch Geschenke besonders aufwendig gestalteter Exemplare seiner Kalender und Bücher pflegt. Seine Angestellten, die diese Art der Vermarktung vor Ort unternehmen, informieren ihn über das dortige Geschehen und politische Entwicklungen, die Thurneysser wiederrum klug in seinen Werken unterzubringen weiß.79 Die Integration kryptischer Prognosen, die Anspielungen auf magischhermetisches Gedankengut, der Rekurs auf wenig geläufige Wissensbestände, die womöglich noch in fremden Sprachen Darstellung finden, sowie Gerüchte über seine Tätigkeit als Wunderdoktor und Alchemist, tragen zur Mystifizierung seiner Person bei. Obwohl er weder adeliger Abstammung, noch akademisch ausgebildet ist, zeigt er sich äußerst selbstbewusst, zuweilen selbstherrlich, und pflegt ein extravagantes Auftreten. Auf diese Weise inszeniert sich Thurneysser als Berater der Mächtigen und suggeriert seine eigene Zugehörigkeit zu solch elitären Zirkeln: „Und dises sey also vom lauff und gang dises Cometen / so veil dem gemeinen man derhalb zu wissen von nöten gnugsam / Waß aber weiters hiervon zureden / daß nit gemein sein sol / ist den jenigen / denen es dienstlich / weitleüfftiger und gnugsamlicher bericht gethon worden.“80 Hier präsentiert Thurneyssers Wissen als Ware und nutzt seine Verfügbarkeit darüber als Möglichkeit der sozialen Abgrenzung.
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[6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bll. H 1r–H 1v. Der Topos des Geheimwissens, gerade das aus dem ägyptischen und nahöstlichen Raum, ist ein Grundelement der hermetischen Alchemie, siehe dazu Alt, Peter-André: Imaginäres Geheimwissen. Untersuchungen zum Hermetismus in literarischen Texten der Frühen Neuzeit, Göttingen 2012 (Berliner Mittelalter und Frühneuzeitforschung 12). Moran: The Subtleties of Enterprise. Vgl. Juntke: Über Leonhard Thurneisser zum Thurn und seine deutschen Kalender, Sp. 1361. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. C 4v.
6.1 Das Kometenbild des Leonhard Thurneysser
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Die paracelsische Fundierung ist in Thurneyssers Denken deutlich zu spüren, jedoch kann er sich davon inhaltlich auch lösen: So teilt er z. B. nicht die anti-astrologische Grundeinstellung des Paracelsus, macht die sterndeuterische Ermittlung des himmlischen Einflusses auf die Welt und ihre Geschöpfe doch ein Kernelement seines Denkens aus.81 Auch bei Paracelsus ist eine Kenntnis von Himmel und Gestirnen von elementarer Wichtigkeit, jedoch nur in einem anthropologischen oder astromedizinischen Rahmen, etwa zur Erklärung von Krankheiten.82 Thurneysser folgt diesen Ideen, erweitert oder modifiziert sie jedoch auch und interpretiert sie für seine Zwecke neu. Bei ihm sind Kometen nicht rein theologisch konzeptualisiert, sondern Naturwunder, die intermediär zwischen terrestrischer und himmlischer Welt zu verorten und zu charakterisieren sind und deshalb in sein System astrologischer Prognostik integriert werden können. Ihre Signifikanz besteht in einem ursächlichen Vermittlungszusammenhang, weshalb ihre astrologische Bedeutung als Wirkung durch Kausalketten im alchemistischen Gewand dargestellt werden kann. Auch die dezidiert anti-aristotelische Haltung seines Vorbilds teilt Thurneysser nicht völlig, wobei diese ohnehin nicht nur inhaltlich begründet ist, sondern wesentlich auf einer Kritik der institutionalisierten Scholastik beruht. Thurneyssers Kometentheorie wurzelt jedenfalls klar in der letztlich auf Aristoteles zurückgehenden Meteorologie, zeigt sich aber in verschiedener Hinsicht modifiziert: Zunächst hinsichtlich des supralunaren Kometenortes, zum Zweiten bezüglich der gegenläufigen Bewegungsweise des Kometen, die darauf zurückzuführen sei, „daß ihn sein Inflammator der Saturnus (der in der nehe bey im gestanden) also zuruck getriben / und besser gegen der Ecliptica / und der Milchstraß oder dem weissen weg S. Jacobs fort zuweichen genötet hat (…).“83 Thurneysser gebraucht die Außergewöhnlichkeit des Kometenlaufs nicht nur als Argument für die Wundernatur des Phänomens, sondern vertritt mit der Annahme einer kausalen Rolle der Planeten ein Konzept astrologischen Ursprungs, das nunmehr ein klassisches Element der augmentierten Kometentheorie darstellt. Gleichzeitig übernimmt er eine der Grundideen der optischen Kometentheorie, wenn er schreibt, der Kometenschweif werde „von dem schein oder den Radiis der sunnen generirt“.84 In dem in Thurneyssers Kometenschrift präsenten eklektischen Konglomerat an theoretischen Vorstellungen und Interpretationsweisen manifestieren sich nicht nur seine originelle Sicht auf die Welt und sein epistemologischer Zugang zu deren Wissensbeständen, der wenig von Autoritätengläubigkeit oder Systematik geprägt ist. 81
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Die Gegnerschaft des Paracelsus bezieht sich auf eine bestimmte Form der Astrologie, denn auch in seiner Naturphilosophie spielen astrologische Grundvorstellungen einer himmlischen Influenz eine wichtige Rolle. Eine kurze Übersicht der wesentlichen Unterschiede einer solchen paracelsischen und einer melanchthonisch geprägten Astrologie bietet Mahlmann-Bauer: Sprüche in Prognostiken des 16. Jahrhunderts, S. 185. Siehe Kahn: Paracelsus’ Ideas on the Heavens, Stars and Comets, S. 61–64. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. C 1r. [6.17] Thurneysser: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht, Bl. C 1v.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
Zudem zeigt sich darin das, was Tobias Bulang als „innovative Wissensdiskursivierung“ bezeichnet hat:85 Diskursivierung meint hier, überkommenes Wissen inhaltlich zu verändern oder in neuer Form verfügbar zu machen, indem es etwa in eine neue Ordnung oder neues mediales Format gebracht und damit auf andere Weise präsentiert, autorisiert und legitimiert wird. Durch die Verwendung der eher unüblichen Folio-Formate, außergewöhnlichen Darstellungsformen, besonderen Gestaltungsmerkmalen und neuen Wegen des Marketings und Vertriebs zielen alle Bücher Thurneyssers auf die „Autorisierung und Auratisierung ihres Verfassers“.86 So wie er sich im persönlichen Auftreten und in beruflichen Kontexten in Szene setzt, inszeniert er auch das Wissen in seinen Werken, z. B. durch den holistischen Rahmen, in dem Wissenselemente rekombiniert und klassifikatorisch geordnet werden,87 wobei z. B. die Einteilung in Wunderzeichenkategorien und ihre historische Untermauerung nicht nur auf Deskription zielen, sondern einen dezidierten Erklärungsanspruch erheben, der durch die konstitutive Einordnung in das naturphilosophisch-kosmologische Weltbild untermauert und durch eine auf der Kombination von Astrologie und sibyllinischen Weissagungen beruhende prognostische Interpretation ergänzt wird. Thurneysser verbleibt nah genug an traditionellen Wissenssystemen, z. B. dem aristotelischen Weltverständnis oder der ptolemäischen Astrologie, um für eine Massenkompatibilität zu sorgen und entfernt sich gleichsam weit genug davon, um seine eigene Innovationsleistung zu unterstreichen. Durch eine Synthese und „Zentrierung der vielfältigen Diskurse, Traditionen und Wissensbestände auf den eigenen Namen“ gelingt ihm als Paracelsisten eine Relativierung des durch Paracelsus herbeigeführten Bruchs in der Naturphilosophie und auch Theologie sowie eine Abschwächung der paracelsischen Radikalität, womit er sich von seinem Vorbild distanziert, sich selbst legitimiert und somit Reputationsaufbau und -sicherung betreibt.88 6.2 Johannes Heurnius’ neuplatonisches Kometenverständnis Ebenfalls zur Gruppe der Naturphilosophen und astronomisch interessierten Mediziner zählt Johannes Heurnius, der zur Zeit der Kometenerscheinung als Arzt in seiner Geburtsstadt Utrecht wirkt.89 Er studiert und lebt unter anderem in Löwen bei Cornelius Gemma (1535–1577), bevor er nach Paris zieht, wo Pierre de la Ramée (1515–1572) sein Lehrer wird. Hier erwirbt Heurnius seinen Magister und geht anschließend in 85 86 87 88 89
Vgl. dazu Bulang, Tobias: Zur Diskursivierung pflanzenkundlichen Wissens bei Leonhard Thurneysser zum Thurn, in: Burkard, Thorsten et al. (Hrsg.): Wissensdiskursivierungen. Themen, Medien und Räume des Wissens vom 14.–18. Jahrhundert, Berlin 2011, S. 39–61. Bulang: Zur Diskursivierung pflanzenkundlichen Wissens bei Leonhard Thurneysser, S. 40. Siehe Bulang: Zur Diskursivierung pflanzenkundlichen Wissens bei Leonhard Thurneysser, S. 49–50. Vgl. Bulang: Zur Diskursivierung pflanzenkundlichen Wissens bei Leonhard Thurneysser, S. 56–61. Die geläufigsten Namensvarianten sind Johannes Heurnius, Janus Heurne, Janns van Horne und Johan van Heurn.
6.2 Johannes Heurnius’ neuplatonisches Kometenverständnis
295
eines der damaligen Zentren der medizinischen Lehre – nach Padua – wo er 1571 promoviert wird.90 Nach verschiedenen Zwischenstationen als Leibarzt sowie Stadtarzt in Leiden kehrt er 1573 in seine Geburtsstadt zurück, um dort Medizin zu praktizieren. 1581 wird er als Professor für Medizin an die junge Universität Leiden berufen, an der er bis zu seinem Lebensende bleibt und zwischen 1583 und 1600 insgesamt sechs mal das Amt des Rektors übernimmt.91 Hier prägt er die medizinische Lehre entscheidend durch den Fokus auf die Anatomie, wie er sie in Italien kennengelernt hat, und die praktische Heilkunde; auf theoretischem Gebiet bemüht er sich um eine Reform der Medizin durch die Rückkehr zu ihren hippokratischen und galenischen Wurzeln.92 Heurnius publiziert hauptsächlich lateinische Werke, darunter zahlreiche medizinische Lehrbücher.93 In seinen späten Jahren ist er zusätzlich zu seiner Lehr- und Forschungstätigkeit Leibarzt einiger Mitglieder des Fürstenhauses von Oranien. Diese Beschäftigungen lassen auf seinen hohen gesellschaftlichen Status und seine professionelle Reputation schließen. Allein durch seine umfassende klassische Bildung und seine akademische Anstellung ist Heurnius viel stärker in gelehrten Kreisen und Strukturen verankert als Thurneysser. In Leiden zählen z. B. der Theologe Franz Junius der Ältere oder der Humanist Justus Lipsius zu seinen engen Freunden.94 Dieser Hintergrund zeigt sich auch in Heurnius’ Schrift zum Kometen 1577, die zweisprachig auf Niederländisch und Deutsch unter den Titeln De Historie, Natuere ende Beduidenisse der erschrickelicke Comeet sowie Die Histori / Natur / unnd Bedeutnuß des erschöcklichen Cometen erscheint.95 Es handelt sich bei der deutschen um eine Über-
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Eine Einführung zu Leben und Werk Heurnius’ bietet Bellemare, Pierre M.: „Heurnius, Johannes“, in: Hockey, Thomas et al. (Hrsg.): Biographical Encyclopedia of Astronomers, New York 20142, S. 965–967. Sein Sohn Otto folgt ihm in Leiden als Medizinprofessor nach. Dieser verfasst zudem die erste Biographie seines Vaters, die er seiner Ausgabe von dessen gesammelten Werken in zwei Bänden voranstellt: [6.13] Heurnius, Johannes: Opera omnia, tam ad theoriam, quam ad praxin medicam speciantia, ab othone heurnio in duos tomos distributa ac edita, Leiden 1609. Zu Heurnius als Mediziner siehe Müller, Ingo W.: Iatromechanische Theorie und ärztliche Praxis im Vergleich zur galenistischen Medizin. Friedrich Hoffmann, Pieter van Foreest, Jan van Heurne, Stuttgart 1991 (Historische Forschungen 17). Darunter zum Beispiel [6.12] Heurnius, Johannes: Institutiones medicinae, exeptae e dictantis euis ore. accessit modus studendi eorum qui medicinae operam suam dicarunt. Ad Henricum Ranzovium vicarium regium, Hanau 1593 (VD16 H 3304); [6.14] Ders.: Praxis medicinae nova ratio; qua libris tribus methodi ad praxim medicam aditus facillimus aperitur, ad omnes morbos curandos, Leiden 1567 oder [6.9] Ders.: De morbis qui in singulis partibus humani capitis insidere consueverunt. Hic artificiosa methodo, incredibili facilitate, morborum ideae, causae, et cuiusque causae morbificae, partesque aegrae signa, prognoses, curatio rationalis empyrica graphice discribuntur, Leiden 1594. Bellemare: „Heurnius, Johannes“, S. 966. [6.8] Heurnius, Johannes: De Historie, Natuere Ende Beduidenisse der erschrickelicke Comeet, die geopenbaert is int Jaer ons Heren 1577, Köln 1578; [6.11] Ders.: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen welcher gesehen
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
setzung der niederländischen Schrift, wobei beide bei demselben Drucker in Köln verfertigt und publiziert werden.96 Wie Nouhuys richtigerweise feststellt, handelt es sich hier nicht um einen Kometentraktat astronomischen Charakters, in dem z. B. Observationsdaten dargestellt oder alternative Kometentheorien diskutiert werden.97 Heurnius’ Intention besteht weniger in der Information über das Himmelsphänomen, sondern in einer mahnenden und erbaulichen Ansprache an seine Landsleute anlässlich dessen Deutung. Trotz des relativ geringen Umfangs von acht Blatt und der volkssprachlichen Fassung ist dem Werk ein gelehrter Duktus nicht abzusprechen, der sich beispielsweise in zahlreichen Verweisen auf humanistisches Bildungsgut – etwa klassische Poesie – zeigt, das in unübersetzten griechischen und lateinischen Zitaten seinen Ausdruck findet. Zudem ist eine gewisse Abgrenzung gegenüber dem gemeinen Mann festzustellen, die allerdings weniger auf dessen sozialen Status als auf dessen Position bezüglich bestimmter Inhalte oder Überzeugungen rekurriert. Diese Abgrenzung nutzt Heurnius in seiner Widmungsepistel an die Bürger und Herren der Stadt Utrecht zur Präsentation der Astrologie als legitimen wissenschaftlichen Kunst: „Jha sie [die Astrologie] ist alle zeit so hoch gehalten gewesen / daß niemandt zweyfelt / daß der gemeine Man (der an nichts dann zeitliche und irdische guter und slechte dinge gedencke) zu solcher hochwürdiger kunst nicht kommen kan.“98 Rhetorisch geschickt charakterisiert er die Gegner der himmlischen Sterndeutung als das Göttliche missachtend, stumpf und epikuräisch, wenn er von „zweyerley art der Menschen“ spricht, die eine als liebhaber der Göttlichen gütigkeit / unn verwunderer an seiner weißheit und Allmechtigkeit. Die ander / als die verachter der jhenigen die solche begreiffen / und selbs nichtes sehen oder mercken / dann das Irdisch ist / allzeit waltzerende in des würmes aaß / unn fleischlichen eytlen wollusten / nichts begreiffende von Geistlichen freuden: Jha wöllen die Himmelisch gesinneten mit verspotten zu ihrer grobheit ziehen. Ich halte solche Polyphemische Monstra unredlicher / dann Creaturen denen kein rede gegeben ist.99
Das Gebot der Gottesfürchtigkeit und die den Menschen eigene Ratio erforderten ein Beachten der Sterne, denn diese veranschaulichten den Lauf der Natur und die darin
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ist im Jar unsers Herren 1577. (…) auss den Niderteutschen transferiert, Köln 1578 (VD16 ZV 7894). Brüning erwähnt außerdem eine lateinische Schrift, über die ich jedoch keinen weiteren Nachweis finden konnte: [6.10] Heurnius, Johannes: De natura et praesagio horrendi cometae, qui anno M. D. LXXVII orbem terrarum terruit, Köln 1577, siehe dazu Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 62. Vgl. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 189. [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 1v. [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 2r.
6.2 Johannes Heurnius’ neuplatonisches Kometenverständnis
297
inkorporierte Göttlichkeit. Es bedürfe eines „aller edelste[n] verstandt[s]“, diese Kommunikationsdimension der teleologisch verfassten Natur und ihrer auf das Erkanntwerden ausgerichteten Zeichenhaftigkeit überhaupt zu ergründen und zu verstehen.100 „Verstünden die Elephanten das vorkommen eines frembden Sternen / sonder zweifel würden sie darinn ein sonderlich genugen haben: Und die Menschen / umb welcher willen Gott Cometen / unn frembde Sterren laßt scheinen / wöllen das nicht sehen.“101 Heurnius präsentiert damit eine theologische Legitimation der Astrologie, die in ihrer Einbettung in ein neuplatonisch-hermetisches Weltbild die Grundlage seiner Kometenvorstellung und -interpretation bildet. Zunächst beschreibt er dazu die Sichtung des aktuellen Kometen, wobei er keine systematischen Beobachtungen, sondern eher qualitativ dessen Position, tägliche Bewegung, Farbigkeit oder Schweifausrichtung thematisiert.102 Die Distanz des Kometen von der Erde – also die Frage nach seiner sub- oder supralunaren Verortung – interessiert ebenfalls nicht im Kontext der Observation und wird daher auch nicht rechnerisch-quantitativ behandelt, sondern erscheint relevant bezogen auf die Bedeutung „dieser seltzamen meteorischen Impression“, für deren Verständnis „wir sehen [müssen,] in was gegend der Welt / Gott diese gestelt hat / und was Nutzbarkeit sie pflegen da fort zubringen.“103 Dass die Signifikanz der Kometen von ihrer Verortung in einer bestimmten Weltgegend – der himmlischen – abhängt, ist hier nicht nur der theologischen Bedeutungsüberhöhung zuzuschreiben, sondern den naturphilosophischen und kosmologischen Vorstellungen Heurnius’. Beide Aspekte sind in seinem Weltbild eng verbunden, wie seine folgende Beschreibung der Konstitution des Kosmos verdeutlicht: Zum ersten schuffe Gott Himmel unn Erden / das Wasser umb die Erde / dardurch es drange / als durch ein schwammen / ja wo es Gott nit verhütet hette / mit ordenlichen mitteln / so hette es die Erde uberschwemmet: dann umb unn durch diß Wasser / wehet der Lufft: umb und durch die Lufft scheinet das Element des Feurs (das es auch durchtringt) aber rings herumb und durch das Element des Feurs / scheinet ein himmlische / liechte / durchscheinende substantz / darinn die Planeten unnd Sternen ihren lauff volbringen. (hierauß mercket / daß die oberste Wesen und Würckungen in uns / wie auch in allen dingen seind / dann sie dar durch leben.)104
100 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 1v. 101 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 2v. 102 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 3r. 103 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 3v. 104 Ebd.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
Diese ätherische Substanz ist die quinta essentia, die einer neuplatonisch-alchemistischen Interpretation des aristotelischen ersten Körpers entspricht.105 Nach dieser ist das fünfte Element als reine Himmelsmaterie nicht grundsätzlich von den vier anderen geschieden, sondern etwas, was auch den irdischen Körpern innewohnt, während zudem aufgrund der Vorstellung einer Transmutierbarkeit der Elemente ineinander die Himmelskörper ihrerseits auch aus den vier Elementen bestehen.106 Bei dieser Vorstellung verschwindet daher der ontologische Gegensatz zwischen sub- und supralunaren Körpern, da alle aus derselben Materie bestehen, während die Universalität der quinta essentia zur konzeptuellen Grundlage der Idee der Einflussnahme des Himmels auf die terrestrische Welt wird.107 Dieser Äther ist ein Kernelement der neuplatonischen Anthropologie, die sich beispielsweise im Stufenkosmos manifestiert, da er als räumliche und ontologische Träger- und Vermittlungsinstanz fungiert: Er konstituiert die Verbindung zwischen Mikro- und Makrokosmos, da er sich im Inneren der Menschenseele befindet und mit dem himmlischen Äther in Korrespondenz steht. Aufgrund dieses Zusammenhangs von Kosmologie und Anthropologie können Geschehnisse am und im Himmel auf eine Weise astrologisch gedeutet und damit auf den Menschen bezogen werden, bei der es nicht nur um himmlische Einflüsse im Sinne eines einseitigen Wirkens, sondern direkte Entsprechungen geht, die sich in Analogieverhältnissen ausdrücken.108 In dieses Welt- und Menschenbild fügt sich Heurnius’ Kometenvorstellung ein: Im nidersten theil von disem fünfften Element / das astralisch Element genant / is dieser Comet entsprungen / auß ursachen daß er verunreiniget ist / von den beyden Finsternussen des Mons / die erscheinen seind / (…) im mittel von disem / in dem quadragel zwischen dem Wider unn der Wag (nemlich im Steinbock) ist dieser Comet entstanden / als Mars kam in die Wag / an statt der ersten Finsternuß. Durch solches vergifft der himmlischen Harmoney / verfälschet sich diß fünfft Element / unn also verunreinigt scheidet oder theilet sich / zupurgieren von seiner unreinigkeit: darumb haben etliche Pythagorische Philosophen (welche der wolgelehrt Doctor Gemma in seinen Cosmocriticis erzelet) sich nit onvermeldet lassen düncken / daß der Comet anders nichts ist / dann ein versamlete substantz mit der Sonnen / under sich verbergende / unn auff sichere zeit von dannen scheydende / uns etwas bedeutende. Dann alles dings (nechst Gott) henget sein
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Die Lehre vom ersten Körper findet sich in Aristoteles’ Schrift Über den Himmel. Dass aus dem Äther als erstem Körper ein weiteres Element neben den vier empedokleischen wird, ist ein Ergebnis der nacharistotelischen Rezeption: Die Frage nach der Himmelssubstanz ist seit Anbeginn umstritten, wobei im Laufe der Zeit jede denkbare, aus der aristotelischen Begrifflichkeit ableitbare Theorie tatsächlich vertreten worden ist. Siehe dazu ausführlich Knobloch, Eberhard: Materie des Himmels – neue Antworten des 16. und 17. Jahrhunderts auf eine alte astronomische Frage, in: Acta historica Leopoldina 31 (2000), S. 89–107. 106 Auf diese Unterschiedlichkeit hat Weichenhan im Zusammenhang mit der Kometenvorstellung von Robert Grosseteste hingewiesen, vgl. Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 415–416. 107 Weichenhan: „Ergo perit coelum …“, S. 417. 108 Vgl. Lalla: Über den Nutzen der Astrologie, S. 152–153.
6.2 Johannes Heurnius’ neuplatonisches Kometenverständnis
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leben an disem fünfften Element / welches in ihme ist / und unser quinta essentia volgt der quinta Essentia des himmels / als ein Magnet dem Pole.109
Heurnius präsentiert hier eine originelle Kometentheorie110, die von neuplatonischen und stoischen Elementen geprägt ist, welche die Basis seiner alchemistisch-astrologischen Vorstellungen bilden: Astrologisch signifikante Ereignisse wie zwei Mondfinsternisse oder bestimmte Aspekte wirken so auf das astrale Element ein, dass dessen Harmonie gestört wird, was sich im Sichtbarwerden eines Kometen manifestiert. Die Verbundenheit zwischen Himmel und Erde ist naturphilosophisch-physikalisch über den Äther hergestellt, da der irdische dem himmlischen wie ein Magnet folgt, weshalb alles irdische Geschehen seine Ursache in himmlischen Bewegungen hat. Heurnius verweist explizit auf die pythagoräische Idee, dass Kometen nur zeitweise sichtbare, immerwährende Himmelskörper seien, die vor ihrem Auftauchen oder nach ihrem Verschwinden von den Strahlen der Sonne verdeckt würden.111 Kometen seien daher keine Neuschöpfungen, sondern bei der ursprünglichen Schöpfung z. B. auch der Sonne geschaffen worden und stehen in enger, nicht nur räumlicher Verbindung zu dieser: In zwei medizinischen Schriften betont Heurnius ebenfalls den himmlischen Einfluss auf die Erde und schreibt ihn primär der Kraft der Sonne zu, die er mit dem stoischen pneuma und der platonischen Weltseele in Verbindung bringt.112 Dies korreliert damit, dass die Loslösung des Kometen aus dem „Dunstkreis“ der Sonne nur zum Zwecke der zeichenhaften Verkündigung geschieht:113 Der Komet ist als sicht-
109 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bll. A 3v–A 4r. 110 Eine Rekonstruktion der z. T. nicht immer eindeutigen Gedankengänge, auf denen Heurnius’ Kometentheorie basiert, und die auch die Relation von Kometen als gleichermaßen ewigen sowie sich unter bestimmten Umständen „neu“ manifestierenden Phänomenen beleuchtet, bietet Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 189–198. 111 Siehe dazu Gundel: „Kometen“, Sp. 1170–1171 sowie Gilbert: Die meteorologischen Theorien des griechischen Altertums, S. 642–645. 112 Es handelt sich hierbei um die bereits genannten Werke [6.14] Heurnius: Praxis medicinae und [6.12] Ders.: Institutiones medicinae, vgl. dazu Vermij: The Marginalization of Astrology, S. 160–161. 113 Auch David Fabricius interpretiert in seiner Schrift zur Nova 1604 die pythagoräische Idee in ähnlicher Weise wie Heurnius theologisch: Fabricius hält Kometen und neue Sterne für dauernd existierende, aber nicht immer erkennbare Weltkörper und begründet das damit, dass eine ständige Sichtbarkeit deren Status als etwas Besonderes untergraben und sie damit ihrer Zwecksetzung als göttliche Zeichen berauben würde, siehe [6.3] Fabricius, David: Kurtzer und gründtlicher Bericht von Erscheinung und Bedeutung des grossen newen Wunder-sterns welcher den 1. Octobr. dess 1604. Jahrs gegen dem Südtwesten nach der Sonnen Untergang zu leuchten angefangen und noch anjetzo zu sehen ist: Darbey auch von dem achthundertjährigen Climacterio, das ist: Von dem grossen und weitberuffenem Reichsstage der zween öbersten himmlischen Churfürsten und Planeten Saturni und Iovis, in Decembri dess 1603. Jahrs gehalten gehandelt wird, Lüneburg 16222 (VD17 7:703309V), Bll. B 2r–B 3r. Auf diesen Aspekt bei Fabricius hat Hamel hingewiesen,
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
bare Veränderung im Himmel Anzeichen für kommende Veränderungen im irdischen Bereich. Zudem passt diese Betonung der Sonnennähe zu der von Cornelius Gemma gemachten Aussage, der Komet bewege sich in ähnlicher Weise wie der Planet Merkur und daher in dessen Sphäre.114 Insgesamt zeigt sich Heurnius hier deutlich beeinflusst von Gemma, dessen ars cosmocritica er in obigem Zitat bereits andeutend erwähnt. Die Grundzüge dieser Kunst, die ermöglicht, christliche Prophetie und ptolemäische Astrologie zum Zwecke insbesondere politischer Prognostik zu verbinden, hat Gemma in den zwei Schriften De arte cyclognomica (1569) und De divinis characterismis naturae (1575) entwickelt:115 Erstere ist eine methodologische Abhandlung, die eine Synthese hippokratischen, platonischen, galenischen, aristotelischen und neuplatonischen Gedankenguts herstellt, während in letztgenannter das Prinzip der universalen Analogie, konstituiert durch ein harmonisches Netzwerk von Korrespondenzen, Darstellung findet.116 Diese theoretische Basis des Universums als metaphysischen Hierarchie wird mit einer augustinischen Perspektive auf dessen Harmonie verbunden.117 Bezüglich Kometen propagiert Gemma, dass diese aus Himmelskörpern wie der Sonne, angeregt etwa durch bestimmte Aspekte, insofern entspringen, als sie aus deren Leib in Momenten großer Bedeutung heraustre-
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vgl. Hamel: Die Kometen in der deutschsprachigen astronomisch-astrologischen Kleinliteratur um 1600, S. 23–24. [6.7] Gemma, Cornelius: De prodigiosa specie, naturaque cometae, qui nobis effulsit altior lunae sedibus, insolita prorsus figura, ac magnitudine, anno 1577 plus septimannis 10. apodeixis tum physica tum mathematica. Adjuncta his explicatio duorum chasmaton anni 1575, nec non ex cometarum plurium phaenomenis epilogistica quaedam assertio de communi illorum natura, generationum causis atque decretis, Antwerpen 1578. Vgl. dazu Hellman, S. 182–183. [6.4] Gemma, Cornelius: De arte cyclognomica, tomi III. doctrinam ordinum universam, una que philosophiam Hippocratis, Platonis, Galeni & Aristotelis in unius communissimae, ac circilaris methodi speciem referentes, quae per animorum triplices orbes ad sphaera caelestis similitudinem fabricatos, non medicinae tantum arcana pandit mysteria, sed & inveniendis, constituendisquem artibus, ac scientiis caeteris viam compendiariam patefacit, Antwerpen 1569 sowie [6.5] Ders.: De naturae divinis characterismis; seu rarus & admirandis spectaculus, causis, indi ciis, proprietatibus rerum in partibus singulis universi, libri II, Antwerpen 1575. Siehe zum erstgenannten Werk auch Mulsow, Martin: Seelenwaagen und Ähnlichkeitsmaschine. Zur Reichweite der praktischen Geometrie in der Ars cyclognomica von Cornelius Gemma, in: Berns, Jörg J. / Neuber, Wolfgang (Hrsg.): Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen und Leistungsgrenzen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne, Wien 2000 (Frühneuzeit-Studien 5), S. 249–278. Das zweite Werk wird auch als Cosmocritice, seu de naturae divinis charactersimis veröffentlicht und scheint unter diesem Titel zeitgenössisch geläufiger gewesen zu sein. Vgl. Hallyn, Fernand: A Poem on the Copernican System: Cornelius Gemma and his Cosmocritical Art, in: Hirai, Hiro (Hrsg.): Cornelius Gemma. Cosmology, Medicine and Natural Philosophy in Renaissance Louvain, Rom 2008 (Bruniana & Campanelliana Supplementi XXIV, Studi 10), S. 13–31, S. 14–15. Siehe dazu Vanden Broecke, Steven: The Limits of Influence: Pico, Louvain, and the Crisis of Renaissance Astrology, Leiden 2003 (Medieval and Early Modern Science 4), S. 215.
6.2 Johannes Heurnius’ neuplatonisches Kometenverständnis
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ten.118 Heurnius interpretiert das so, dass diese Aspekte oder auch Finsternisse die Harmonie des astralen Elements stören oder vergiften. Dieser untere Teil des Äthers reinige sich gewissermaßen selbst oder kehre zu einem Zustand der Harmonie zurück, indem ein Komet generiert wird. Dies alles geschieht in unmittelbarer Nähe der Sonne, aus deren Strahlen der Komet dann heraustritt und sichtbar wird. Der Komet ist nun deshalb ein Verkünder kommender Veränderungen, da sein Entstehen in der Harmonieverletzung der kosmischen Kräfte und Elemente begründet liegt, der aufgrund der Korrespondenz zwischen Himmel und Erde eine Harmonieverletzung in der terrestrischen Welt entspricht. Auf dieser Korrespondenz beruht die Zeichenhaftigkeit der Kometen, sie stehen insofern mit dem durch sie verkündeten Unheil in Verbindung, als beide auf denselben Ursachen beruhen. Das bedeutet gleichwohl, dass die Kometen selber nicht als Ursachen der negativen Ereignisse betrachtet werden können: Nit daß ich will sagen / daß Cometen oder dergleichen Zeichen / die zukommende Veränderungen fortbringen oder machen: nein keines wegs / dann es seind natürliche zeichen / daß die Natur durch Gottes gebott / ihr ursach der veränderung zu uns hernider sendet / wann sie nun rieff seind.119
Die neuplatonische Konzeption des hierarchischen Stufenkosmos, die dieser Vorstellung der natürlichen Zeichenhaftigkeit zugrunde liegt, erscheint bei Heurnius wie Gemma im christlichen Gewand und damit theologisch legitimiert, was der Utrechter Arzt in Bildern antiker Poesie umschreibt: Darumb sagt der alte Homerus / das Jupiter Himmel unn Erden mit einer ketten umbfangen hab / unn die subtil nach sich ziehe / darbey er uns abmahlet ein allmechtige Krafft / damit alle lebendige Creaturen von Gott durchgossen seind / also das ihr naturliche bewegnuß / mit einer freundtlichen vereynigung zusammen stimmen / als die ring an einer ketten. Dann die Menschen versaumen gleich als tröumende / die grosse Maiestat des wunderbarlichen Gottes / dann sie keinen zeichen nachdencken, von zukünfftiger veränderung / die Gott am anfang von der ketten (das ist der himmlisch Lauff unn seine krafft) ansahet heimlich zuziehen: dann natürlich können wir kein merckliche veränderung auff erden spüren / die natur muß uns zuvor davon ein Vorbild am Himmel fürbilden, wie wir auch sehen / das keine schwäre Kranckheyten in unseren Leichnamen (als Hipocrates schreibt) zum todt oder leben möge verändern / ohn vorgehende Zeichen.120
Wenn er die himmlischen Zeichen analysiert, verrichtet der Himmelsdeuter also dieselbe Arbeit wie der Mediziner bei der Diagnostik von Krankheiten. In dieser Analo-
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Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 195. [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 4r. 120 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. B 1v.
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gie zur Medizin manifestiert sich der Zusammenhang von Mikro- und Makrokosmos: „Nuhn, als Heraclitus sagt / ist die kleine Welt (das ist der Mensch) der grossen in allem gleich.“121 Dieser Zusammenhang verdeutliche sich aber nicht nur im Menschen, sondern in der gesamten irdischen Natur, denn in ähnlicher Weise weiß der Fischer die Zeichen zu deuten, die ihm sagen, wo er seine Netze auszuwerfen oder der Bergarbeiter, wo er Metalle zu suchen habe.122 Krankheit bedeute demnach eine Störung der körperlichen Harmonien und das Auftauchen von Kometen eine Störung der himmlischen Harmonien. Die Verbindung zur augustinischen Theologie zeigt sich darin, dass die Abwesenheit von Harmonie sich auf irdischer Ebene im Problem des Bösen und der menschlichen Sündhaftigkeit manifestiert, was zu einer Transitivität von moralischen und physikalischen Strukturen führt.123 Auf diese Weise erhält der oft proklamierte Zusammenhang zwischen menschlichem Fehlverhalten und moralischem Verfall sowie dem Erscheinen eines Kometen als Zeichen göttlichen Zorns und kommender Bestrafung eine naturphilosophische Begründung. Auch die Polarität von ursächlichem und zeichenhaftem Kometenverständnis ist in Heurnius’ Kosmosbild nicht mehr als scharfer Gegensatz vorhanden. Da alles mit allem zusammenhängt, ist eine Trennung von Geschehnissen im Himmel von denen auf der Erde und selbst denen in menschlichen Gesellschaften nicht möglich, weshalb diese Geschehnisse zu deutbaren Zeichen der mit ihnen korrespondierenden Ereignisse und Phänomene werden. 6.2.1 Die Deutung des Kometen als politisches Prodigium Diese universale Korrespondenz manifestiert sich daher in der menschlichen Kreatur als das harmonische Zusammenspiel zwischen Körper, Geist und Seele; im Kosmos als die durch den Äther vermittelte Verbindung von sublunaren Elementen und himmlischem Bereich und hat ihr Pendant auf der gesellschaftlich-politischen Ebene des Staats im Verhältnis von Untertanen, Herrscher und Gott.124 Die Interpretation der critica signa – der seltsamen Himmelswunder, Prodigien und Monstren – nimmt bei Gemma die Form einer Art Teratologie an, die einer Erweiterung der medizinischen Semiotik entspricht.125 Von diesem Denken ist Heurnius – der ja wie sein ehemaliger Lehrer auch als Arzt tätig ist – maßgeblich beeinflusst, denn es ermöglicht die Verbindung der Teratologie als Divinationsform mit einer astrologischen Prognostik auf Basis ptolemäisch-arabischer Vorstellungen und damit eine theologisch-biblische und
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Ebd. [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. B 2r. 123 Siehe Vanden Broecke: The Limits of Influence, S. 216–219. 124 Vanden Broecke: The Limits of Influence, S. 216. 125 Hallyn: A Poem on the Copernican System, S. 16.
6.2 Johannes Heurnius’ neuplatonisches Kometenverständnis
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gleichzeitig naturphilosophische Interpretation. Gerade die Kombination dieser Interpretationsweisen kann für eine politische Deutung vereinnahmt werden, die über die Betonung der Geschichtlichkeit von Wunderzeichen historisch legitimiert wird. Dieser konzeptuelle Rahmen zeigt sich in den Kometenschriften von Gemma und Heurnius an der Einordnung des Himmelsphänomens in den durch die Interpretation überhaupt geschaffenen Kontext jüngerer oder relevanter Prodigien: Gemma führt in seinem Werk einleitend beispielsweise die Nova von 1572126 und das Doppelchasma vom Februar des Jahres 1575 an; in einem poetischen Dialog zum Ende seiner Schrift diskutieren die Figuren Belgica Virgo und Sybilla Eritrea den Kometen 1556, die Nova 1572 und den aktuellen Kometen von 1577.127 Hier verdeutlichen sich die prophetische Dimension und der spezifische Bezug auf die lokale Situation der Zukunftsprognostik, die in einem begleitenden Holzschnitt (siehe Abbildung 6.2) emotiv-allegorisch gefasst sind.
Abb. 6.2 Allegorische Darstellung der Kometendeutung bei Gemma (1578)128
126
127 128
Er veröffentlichte dazu [6.6] Gemma, Cornelius: De peregrina stella quae superiore anno primum apparere coepit, clariss. virorum Corn. Gemmae Lovaniensis Germani. et Guliel. Postelli Barentani Galli, ex philosophiae naturalis, mysticaeque; theologiae penetralibus deprompta judicia, Basel 1575 (VD16 G 1109), siehe dazu Tessicini, Dario: Cornelius Gemma and the New Star of 1572, in: Boner, Patrick J. (Hrsg.): Change and Continuity in Early Modern Cosmology, Dordrecht 2011 (Archimedes 27), S. 51–64 und allgemeiner Céard, Jean: La notion de prodige selon Cornelius Gemma, in: Hirai, Hiro (Hrsg.): Cornelius Gemma. Cosmology, Medicine and Natural Philosophy in Renaissance Louvain, Rom 2008 (Bruniana & Campanelliana Supplementi XXIV, Studi 10), S. 67–76. [6.7] Gemma: De prodigiosa specie, naturaque cometae, siehe dazu Hellman: The Comet of 1577, S. 182–183. Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Astr. Sp. 52, Bl. E 2v, urn:nbn:de:bvb: 12-bsb10173619–2.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
Die Darstellung der Personifikation Belgiens als weinende Jungfrau, die vor den Ruinen einer brennenden Stadt sitzt, während die Sybille auf den Kometen über sich weist, deckt sich mit der Grundaussage von Gemmas Prognose von großem Aufruhr in den Niederlanden, die durch Flammen gereinigt würden.129 Die Metapher des reinigenden Feuers bildet eine treffende Analogie für das himmlische Geschehen, da auch der Komet als feuriges Phänomen in beschriebener Art und Weise als Ergebnis eines Selbstreinigungsprozesses der quinta essentia gedacht werden kann. Auch Heurnius betont in seiner Schrift den politischen Charakter der Kometenfolgen, indem er in einem historischen Abriss solche Erscheinungen auswählt, die mit weltgeschichtlichen Zäsuren in Verbindung gebracht worden sind, z. B. die Erbauung Roms, die Geburt Kaiser Augustus’, der Untergang Karthagos oder die Zerstörung Jerusalems.130 Aktueller werdend rekapituliert er die Geschehnisse im Nachgang der Kometen 1533 und 1556 sowie der Nova 1572, um schließlich mit der Beschreibung eines Himmelszeichens über Utrecht zeitlich und geographisch die größte Nähe zu seinen potentiellen Lesern herzustellen: Nuhn von uns selbs zu reden / haben wir nicht alhie zu Utrecht im Jar 1574 auff den 2. Februarii zu nacht / ein erschröckliche Kriegsrustung oben in der Lufft gesehen / also das es sich ansehen ließ / als ob viertzig tausent Man zugegen weren? Unn der gröste hauff kam auß Suidosten / unn der schwechst dar gegen auß Nordwesten sehr forchtsam / zurück weichende: Da setzt sich ein weisser Wolcken zwisschen beide / biß beide hauffen in ein schlachtordnung gestellt würden / da fiengen sie an ein ander dapffer zuschlagen / mit Spiessen / Schwertern / unn Geschutz / unn die von Noordwesten worden dapffer zu ruck getriben / nach dem sie sich aber widerumb stercketen / haben sie die von Suidosten erschlagen / da sahe man den Himel von ihrem Blut rot werden.131
Obwohl Heurnius bezüglich dieser Himmelserscheinung auf eine spezifische Deutung nicht näher eingeht, ist die Lokalität der zu erwartenden Folgen bzw. der Entsprechungen dieses himmlischen Geschehens im irdischen Bereich implizit. Allgemein konstatiert er zu diesem Zusammenhang: Darumb sag ich das alle Länder / welche diser Sternen beschinen / Veränderung sollen leyden / ja die auch treffentlich unn groß sollen sein / zu gutem oder zu bösem / nach dem wir seind: wöllen wir das gut / so müssen wir gut sein / welches wie fern es von uns seye / eröffnet uns Gott durch die natur / welche uns ein Exempel vom gestirn nun vorsetzt / gleich als die zu uns spreche (die natur selber sag ich). Sehet der Herr stellet euch ein Cometen für / welcher nicht ohne nachfolgende wunder gesehen ist / zubedeuten durch 129 130 131
Siehe Hellman: The Comet of 1577, S. 182. [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bll. A 4v–B 1r. [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 4v.
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naturliches dröwen / als durch ein merckzeichen / wie es seiner rechtfertigkeit gefalle zustraffe: aber dises gehet so subtil in der naturlichen beweglichkeit / daß der mensch diß Göttlich werck mit sehenden augen nit sehet.132
Hinsichtlich des Kometen 1577 wird diese chorographische Deutung konkretisiert und ergänzt „nach beschreibung der alten Philosophen“133, indem Heurnius die bedrohten Länder oder Städte nennt und z. B. die Ersterscheinung des Kometen im Südwesten, dessen Schweifausrichtung und dessen astrologisches Haus folgendermaßen interpretiert: Und wann er im neundten Hauß des Himmels erscheinet, so möchte wol ein Reformation kommen, und ein Inquisition in der Inquisition, unn ihnen wirt auch etwas herkommen auß den Nordwesten. Dann Cometa est acronichos vespertinus in occasu Solis, und solches auch durch ein Schiffrüstung. Dieweyl ich auch disem Cometen finde in der Coniunctional figur gentzlich gegen Norden, dieweyl auch Saturnus unn Mercurius die Herren seind des Ascendentis, kompt unser Feyndt auß dem sudosten, unn darumb das er ist in dem fünfften Hauß, bedeutet uns ein unaußsprechliche pracktick die gebraucht wird, Eynigkeit und Blutsverwandten zu scheiden / darauß etwas Tragedischer art will entspringen / und soll sich erschröcklich offenbaren (…).134
Der Hintergrund dieser und ähnlicher Deutungen ist die politische und religiöse Instabilität der Niederlanden, die in den 1570er Jahren ihren Höhepunkt erreicht und der Interpretation von Wunderzeichen ein scharfes politisches Profil gibt, das propagandistisch instrumentalisiert werden kann:135 1572 beginnen die separatistischen Bestrebungen niederländischer Provinzen gegen die spanische Herrschaft unter der Führung von Wilhelm von Oranien, was in zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen mündet. Daraus entwickelt sich die niederländische Revolution, in der 1576 die südlichen und nördlichen Provinzen gegen die spanischen Habsburger zunächst vereint sind. Diese Allianz zerbricht jedoch mit dem Ergebnis, dass sich zwei Regionen mit unterschiedlichen religiösen und politischen Vorstellungen separieren – grob gesprochen einem katholischen Süden, in dem es zu einer Restauration der spanischen Hoheitsrechte kommt, und einem protestantischen Norden, dessen Provinzen sich
132 133 134 135
[6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. B 1v. [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. B 2r. [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bll. B 2v–B 3r. Vgl. Jorink, Eric: Reading the Book of Nature in the Dutch Golden Age, 1575–1715, Leiden 2010 (Brill’s Studies in Intellectual History 191), S. 124.
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1579 zu einer Union zusammenschließen.136 Heurnius’ Heimats- und Wirkungsstätte Utrecht schließt sich 1577 der Revolte an und vor diesem politischen Hintergrund sind seine Ausführungen etwa zum aus dem Süden kommenden Feind zu verstehen.137 Die „unaußsprechliche pracktick die gebraucht wird, Eynigkeit und Blutsverwandten zu scheiden“138 könnte sich auf das Zerbrechen der Einheit von Süden und Norden im Kampf gegen die spanische Herrschaft beziehen, das sich in den letzten Jahren des Jahrzehnts abzeichnet. In dem Widmungsbrief seiner Kometenschrift wendet sich Heurnius an die Stadtherren Utrechts – also an die Vertreter der neuen politischen Ordnung – und prognostiziert: „Utrecht mag dann auch wol für sich sehen, ja auch im Jar 1579 im Mertzen.“139 Insgesamt möchte er sein Werk als Warnung verstanden wissen, insbesondere für die „Regenten des Volks / daß sie mit fürsichtigkeit vorkommen das böse daß wir zukünfftig besorgen.“140 Die politische Relevanz der Beachtung und Interpretation himmlischer Vorgänge hat auch Gemma betont, wobei seine Vorhersagen pro-spanischer Färbung sind.141 Heurnius wie auch Gemma untermauern ihre Vorstellungen zur Signifikanz von Kometen mit einem relativ elaborierten theoretischen Unterbau. Das Beispiel des Löwener Medizinprofessors illustriert, dass eine auf der ars cosmocritica beruhende Astrologie mit einem heliozentrischen Weltbild harmonisch verbunden werden kann: Beginnend mit Rheticus’ Narratio Prima (1541) entsteht eine Art kopernikanischer Lesart der Astrologie, in welcher astronomische Zyklen wie z. B. die variable Exzentrizität der Sonne oder bestimmte Punkte in diesen Zyklen mit historischen Zäsuren korreliert werden, z. B. mit dem Aufstieg oder Niedergang von Weltreichen, dem Entstehen von Religionen oder gar den Momenten von Schöpfung oder Weltuntergang.142 136
Siehe dazu das 2. Kapitel in Gelderen, Martin van: The Political Thought of the Dutch Revolt, 1555–1590, Cambridge 1992, S. 13–59. 137 Nouhuys sieht hierin eine klare Anspielung auf die Unterstützung des Herzogs von Parma Alexander Farnese für seinen Cousin und Statthalter der habsburgischen Niederlande Don Juan de Austria zu Beginn des Jahres 1578 gegen das Heer der Generalstände, was zur Grundlage der Offensive der Königstreuen in den südlichen Niederlanden gegen die protestantischen Stände des Nordens wird, vgl. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 465. 138 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bll. B 2v–3r. 139 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. B 3r. 140 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 2v. 141 Vanden Broecke: The Limits of Influence, S. 222. 142 Vgl. [6.15] Rheticus, Georg Joachim: De libris revolutionum eruditissimi viri, & mathematici excellentissimi, reverendi d. doctoris nicolai copernici torunnaei, canonici varmiensis, per quendam iuvenem, mathematicae studiosum narratio prima, Danzig 1541 (VD16 J 268) [Nobis, Heribert M. / Folkerts, Menso / Kirschner, Stefan et al. (Hrsg.): Nicolaus Copernicus Gesamtausgabe VIII/I: Receptio Copernicana. Texte zur Aufnahme der Copernicanischen Theorie, Berlin 2002, S. 3–48], Bl. B 2r [S. 11]. Siehe dazu Hallyn: A Poem on the Copernican System, S. 17–18.
6.2 Johannes Heurnius’ neuplatonisches Kometenverständnis
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Auch die eschatologische Prodigiendeutung Gemmas ist von solchen Ideen beeinflusst. Umgekehrt entwickelt sich mit der Leidener Interpretation des Heliozentrismus eine astrologische Lesart der Kosmologie, bei der im Gegensatz zum mathematischen Fokus der Wittenberger Deutung die Harmonie und Symmetrie der kopernikanischen Hypothese betont werden.143 Diese kosmologische Harmonie fungiert als stützendes Argument für die theoretische Konzeptualisierung des himmlischen Einflusses, auf der Gemmas und Heurnius’ Astrologievorstellungen beruhen.144 Diese in neuplatonischem und stoischem Gedankengut wurzelnde physikalische Fundierung der Astrologie durch die Idee der influentia coelestis ist der prägende Kontext für Heurnius’ Kometeninterpretation. Der himmlische Einfluss ist Teil des theoretischen Bildes der Konstitution des Universums und der Natur von dessen Elementen, weshalb Kometen bei ihm eher in diesem physikalischen als in einem rein astrologischen Diskurs diskutiert werden.145 Vermij hat darauf hingewiesen, dass gerade volkssprachige und vermeintlich populäre Werke ihren Autoren die Möglichkeit – und Freiheit – bieten, etwa ihre Ansichten zum Weltbild umfassend darzulegen, da sie nicht den inhaltlich, thematisch und strukturell strikteren Genrekonventionen gelehrter Schriften unterliegen: Der Heliozentriker Philipp Lansbergen (1561–1632) äußert sich in seinen lateinischen Traktaten z. B. kaum zu seinen kosmologischen Vorstellungen, stellt diese aber ausführlich in seinen volkssprachigen Werken dar und bezieht hier auch die religiöse Dimension mit ein.146 In ähnlicher Weise zeigt sich Heurnius in seinen gelehrten Schriften zurückhaltend oder sogar kritisch in Bezug zur Astrologie, präsentiert sie jedoch in seinem Kometenwerk als integralen Bestandteil seines naturphilosophischen Weltbilds.147 Diese theoretische Untermauerung der Astrologie bedeutet gleichsam weder, dass traditionelle astrologische Kometomantik – z. B. bezogen auf die vom Kometen durchlaufenen Sternzeichen und -bilder sowie hinsichtlich seiner Schweifrichtung oder Farbigkeit – in Heurnius’ Kometentraktat nicht zu finden wären und ebenso wenig, dass Kometen generell nicht zu prognostischen Zwecken interpretiert werden. Die auf diesen Methoden beruhende zeichenhaft-theologische Deutung von Kometen als himmlische Prodigien lässt sich durch ihre naturphilosophische Erklärung legi-
143
Vgl. dazu Vermij, Rienk: The Calvinist Copernicans. The Reception of the New Astronomy in the Dutch Republic, 1575–1750, Amsterdam 2002 (History of Science and Scholarship in the Netherlands 1), S. 15–42 sowie Westman, Robert S.: The Melanchthon Circle, Rheticus, and the Wittenberg Interpretation of the Copernican Theory, in: Isis 66/2 (1975), S. 164–193. 144 Vgl. dazu Vanden Broecke, Steven: Astrological Reform, Calvinism, and Cartesianism: Copernican Astronomy in the Low Countries, 1550–1650 [Essay Review], in: Studies in History and Philosophy of Science 35 (2004), S. 363–381, S. 366–367. 145 Vermij: The Marginalization of Astrology, S. 166. 146 Siehe Vermij: Seventeenth-Century Dutch Natural Philosophers on Celestial Influence, S. 299– 300. 147 Vermij: Seventeenth-Century Dutch Natural Philosophers on Celestial Influence, S. 294.
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timieren. Es ist dieser argumentative Kontext, in dem Heurnius die Supralunarität des Kometen anbringt. Es ist die ontologische Überlegenheit des Himmels, die einem ätherischen Kometen seine Signifikanz verleiht: „Können nuhn solche grobe substantzen als Erd unn Wasser / solche zeichen eröffnen / wie vil desto mehr dann sollen die zeichen sich erzeygen in den himmlischen durchscheinlichen Leichnamen?“148 Man wisse ja, „daß der allmechtig Gott durch seine Wunderwerck gesehen will sein: Jha so nahe offenbart er sich uns darinn / das wir ihn mit den händen unsers verstandts begreiffen / was dann von seiner art ist / laßt uns das gebrauchen.“149 Auch andere niederländische Philosophen wie z. B. Nicolaus Müller (1564–1630) oder Willebrord Snel (1580–1626) interpretieren die Verortung von Kometen über dem Mond als Beleg für deren göttliche Zeichenhaftigkeit und sehen sich darin bestärkt, biblische Passagen über himmlische Zeichen und kometomantische Vorstellungen der Astrologie für die Deutung dieser Phänomene heranzuziehen.150 Wie bei Thurneysser haben die Kometen auch bei Heurnius eine intermediäre Position und Natur und auch bei ihm hängt die Relevanz des Prodigiums von dessen Status in der ontologischen Welthierarchie ab. In dem diesen Vorstellungen zugrundeliegenden Weltbild ist auch die göttliche Kraft und Omnipräsenz hierarchisch im Kosmos verteilt und in der Materie in unterschiedlichem Grad manifest.151 Der göttliche Ursprung der in Kometen inkorporierten Botschaft rekurriert auf genau diesen Zusammenhang: In disem platz stehet dieser Comet / ich sage in dem astralischen Element / das halb von natur sterblich oder vergenglich / unnd halb unsterblich geschaffen ist: dann er sich halb an den unveränderlichen Himmelt rürt / und halb an das vergengliche Element des Feurs. Nuhn mag ein jeder verstehen / ob er etwas bedeutet oder nichts / dann ein jegliches ding volbringt sein werck / da es von Gott zu geordnet ist (…) dann da ist kein Geschöpff so klein / es bezeuget die glori des Allmechtigen / in ihrem letsten / darumb daß sie von Gott geschaffen seind. Meinet ihr dann daß diser schwebende feurflammende Stern / daß sein vergessen solte? Da er wohnet an dem platz welcher besayet ist mit samen / da von alle zukünfftige natürliche dinge entspringen?152
148 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. B 2r. 149 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. B 2r. 150 Die beiden Genannten konstatieren dies im Zusammenhang mit dem Kometen von 1618, siehe dazu Jorink: Reading the Book of Nature, 128–129 sowie Vermij: The Marginalization of Astrology, S. 166. 151 Vanden Broecke: The Limits of Influence, S. 219. 152 [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bl. A 4r, vgl. zur Interpretation dieser Passage auch Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 192– 195.
6.2 Johannes Heurnius’ neuplatonisches Kometenverständnis
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Die Ebene, auf der Heurnius’ Supralunaritätsaffirmation erfolgt, ist also die der Bedeutung des Kometen und nicht die der astronomischen Beschreibung. Die Frage der Erdentfernung des Himmelsobjekts, der parallaktischen Herangehensweise an diese Problemstellung oder auch nur eine Erwähnung der zeitgenössischen Debatte um diese Themen finden in der Schrift des Utrechter Arztes keinerlei Erwähnung.153 Auch der Aspekt der Bewegung des Kometen, z. B. von Gemma in der Sphäre des Merkur verortet und von einigen Supralunaritätsbefürwortern als Argument angeführt, wird bei Heurnius nicht thematisiert. Wie oben erwähnt, unternimmt er keine systematischen Kometenobservationen und berücksichtigt relative Kometenpositionen nur insofern als sie für eine traditionelle Ausdeutung relevant sind, also etwa den Ort der Ersterscheinung des Kometen oder die durchlaufenen Tierkreiszeichen.154 Seine Verortung des Kometen im untersten Bereich des astralischen Elements direkt über der Feuersphäre zeigt dessen seinsmäßige Verbundenheit mit der sublunaren Welt. Heurnius sieht in dem Phänomen einen „feurflammende[n] Stern“, jedoch keinen klassischen Himmelskörper, sondern eine „seltzame meteorische Impression“.155 Allein diese Wortwahl verweist auf die Wirkmächtigkeit aristotelischen Denkens in Heurnius Kometenkonzeption. Die angeführten Elemente dieser Konzeption – neben der Positionierung des Kometen über dem Mond z. B. dessen materieller Ursprung in größter Sonnennähe oder auch die Anspielungen auf die metaphysische Hierarchie des Kosmos – sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Heurnius’ grundlegende Ansichten aristotelisch geprägt sind: So betont er etwa die prinzipielle Dichotomie von sub- und supralunarer Welt, sieht erstere ganz traditionell als den Bereich von Vergänglichkeit und den Himmel hingegen als unveränderlich an. Gerade die Integration der pythagoräischen Idee von Kometen als ewigen, aber zeitweise nicht sichtbaren Himmelskörpern erlaubt Heurnius, die supralunare Verortung von Kometen mit der Separation von zwei physikalisch und ontologisch geschiedenen Weltsphären in Einklang zu bringen, da er auf diese Weise das Problem des Werdens und Vergehens dieser Himmelsphänomene umgeht. Nichts desto weniger ist eine Art von Veränderung im Himmel möglich, z. B. insofern als es aufgrund von Störungen des harmonischen Gleichgewichts dazu kommt, dass ein Komet als Resultat dieser Harmonieverletzung sichtbar wird.
153 154
155
Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 191. Brahe kritisiert Heurnius wegen seiner unpräzisen Beobachtungsdaten, nach denen er den Kometen fälschlicherweise als durch Mars generiert und im Zeichen der Waage zum ersten Mal erschienen angesehen hätte: [6.1] Brahe, Tycho: De Mundi Aetherei recentioribus phaenomenis liber secundus. Qui est de illustri Stella caudata ab elapso fere triente Novembris anni 1577, usque in finem Ianuarii sequentis conspecta, Uraniborg 1588 [Dreyer, Johan L. E. (Hrsg.): TBDOO IV, Kopenhagen 1913, S. 1–378] Vgl. dazu Jorink: Reading the Book of Nature, S. 126. [6.11] Heurnius: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen, Bll. A 3v–A 4r.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
Diese Fähigkeit zur Veränderung wird dem Äther zugeschrieben, der dies jedoch ausschließlich nach göttlicher Intention und Instrumentalisierung vermag, was nicht nur einer teleologischen Logik entspricht, sondern auch durch den Charakter des Wunderhaften ausgezeichnet ist. Begründbar wäre dies auch durch das alchemistische Konzept der Transmutation, jedoch stellt Heurnius den Legitimationszusammenhang hier primär theologisch her. Die Idee der Bedeutung von Kometen als natürlichen Zeichen, die mit der irdischen Welt in einem kettenartigen Wirkungszusammenhang stehen, ist ebenfalls in dem konzeptuellen Rahmen aristotelischer Kausalität einzuordnen, wobei Heurnius vage bleibt, wie genau ein Mechanismus der Wirkungsübertragung zwischen Himmel und Erde zu denken ist, aber eher von einer Korrespondenz als von einer materiellen Kraftvermittlung auszugehen scheint.156 Es zeigt sich also, dass Heurnius von diesem aristotelischen Rahmen nur dort abweicht, wo es sein muss und sich für solche Modifikationen in eklektischer Weise bei neuplatonischem, hermetischem und stoischem Gedankengut bedient. 6.3 Zusammenfassendes Fazit Die beiden hier betrachteten Protagonisten verdeutlichen durch ihr Schaffen, dass die Frage nach der Supralunarität der Kometen keine ist, deren Lösung allein als Problemstellung der astronomischen Messung betrachtet oder die ausschließlich im Kontext der Naturkunde behandelt wird. Johannes Heurnius etwa thematisiert weder die Distanz des Kometen zur Erde, noch die darum entbrannte Debatte und hat auch keine systematischen Beobachtungen angestellt – oder solche berücksichtigt – um diese Fragen anzugehen. Leonhard Thurneysser observiert den Kometen zwar, unternimmt jedoch keinen Versuch zur Messung einer Parallaxe. Er begründet die Position des Kometen über dem Mond damit, dass es der Natur und sichtbaren Bewegung des Himmelsphänomens nicht entspräche, in der unbeständigen und Veränderungen unter worfenen Region der Elemente verortet zu werden. Wie wenig eindeutig solche Beobachtungen sind, zeigt z. B. die Interpretation des Arztes Nikolaus Winckler (1529–1613) aus Schwäbisch Hall, der in seiner Schrift zum Kometen 1577 konstatiert, dieser müsse sich aufgrund seiner ungleichförmigen Bewegung unter dem Mond befinden wie die übrigen elementarischen Phänomene.157 Diese Schlussfolgerung hält er für empirisch bestätigt, da seine Messung eine größere Paral-
156 157
Vgl. Vermij: Seventeenth-Century Dutch Natural Philosophers on Celestial Influence, S. 296–297. [6.23] Winckler, Nicolaus: Cometa Pogonias, qui anno labente 1577 mense Novembri et Decembri apparuit, demonstratus una cum parallaxi, distantia a centro Terrae, & significatione eius, Nürnberg 1578 (VD16 W 3444), Bll. A 3r–A 3v.
6.3 Zusammenfassendes Fazit
311
laxe als die des Mondes ergeben hätte.158 Winckler und der Görlitzer Astronom Scultetus sehen in der Sublunarität eine Bestätigung der meteorologischen Kometentheorie des Aristoteles; man kann sich aber auch auf dessen Vorstellungen berufen, um das Gegenteil zu untermauern: Cardano argumentiert z. B. mit dem aristotelischen Prinzip, dass die Geschwindigkeit der Himmelskörper umgekehrt proportional zu ihrer Erdentfernung ist und schließt daraus, dass sich langsamer als der Mond bewegende Kometen weiter entfernt sein müssen als dieser.159 Der Zusammenhang zwischen Bewegung und ontologischer Natur der Weltelemente ist ein Kerngedanke aristotelischer Kosmologie, in welcher der qualitative Unterschied zwischen elementarischen und ätherischen Körpern gerade in ihrer Bewegungsweise – die geradlinig oder kreisförmig ist – besonders offenkundig wird. Dieser Zusammenhang ist aus naheliegenden Gründen für die Kometentheorie besonders relevant. Selbst Copernicus, in dessen Werk Kometen nur ganz am Rande thematisiert werden, führt sie in De Revolutionibus (1543) als Beweis dafür an, dass die obersten Schichten der Erdatmosphäre als traditioneller Kometenort an der Tagesbewegung der Erde nicht (mehr) teilnehmen, weshalb Kometen mit den Sternen auf- und unterzugehen scheinen.160 Für Thurneysser und Heurnius spielen solche Überlegungen eine weniger große Rolle, da bei ihnen die Supralunaritätsaffirmation zwar ebenfalls durch den ontologischen Status von Kometen determiniert ist, jedoch insbesondere mit der astrologisch-theologischen Signifikanz der Himmelsphänomene als göttlichen Zeichen verknüpft erscheint. Der konzeptuelle Rahmen dieser Vorstellungen ist der eines christianisierten neuplatonischen Stufenkosmos, in dem die Kraft und der Wille Gottes, ja die Göttlichkeit selbst, in einer von oben nach unten laufenden metaphysischen Hierarchie präsent sind und vermittelt werden. Den Kometen ist in diesem Kontext ein intermediärer Charakter eigen, da sie an beiden Welten, der himmlisch-ätherischen und der irdisch-elementarischen, partizipieren und als Vermittler fungieren. Dies betrifft auch ihren Ursprung, da sie z. B. aufgrund natürlicher Ursachen oder zumindest unter deren Beteiligung entstehen und bestimmte Eigenschaften gewöhnlicher meteorischer Phänomene aufweisen. Ihre Signifikanz liegt jedoch in der Instrumentalisierung durch Gott, da ihr Zweck darin besteht, ein Zeichen zu sein. Ihre Position über dem Mond und die damit sichtbare Gottesnähe und Verbundenheit mit dessen ontologischem Weltbereich des Himmels machen diese Zeichenhaftig-
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Auch der in Kap. 5.2 untersuchte Scultetus meint, durch seine Beobachtungen die Sublunarität des Kometen belegt zu haben. 159 Im Allgemeinen vertritt Cardano eine Kometentheorie, die recht deutlich von aristotelischen Vorstellungen abweicht, vgl. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 85–86. Den Umgang Cardanos mit dem traditionellen Aristotelismus untersucht Schütze, Ingo: Die Naturphilosophie in Girolamo Cardanos De subtilitate, München 2000 (Humanistische Bibliothek. Texte und Abhandlungen 49) [zugl. Diss. Universität München 1998]. 160 Siehe dazu Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 262.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
keit überhaupt erkennbar, wobei gerade die Differenz zum gewöhnlichen Meteor die besondere Bedeutung und die Notwendigkeit der Ausdeutung unterstreicht. Die Wundernatur von Kometen und damit deren theologische Relevanz können auf diese Weise mit der Supralunarität betont werden. Die Verweise auf die empirische Bestätigung dieses Kometenorts durch die führenden zeitgenössischen Astronomen und das z. B. von Brahe mit seinen entsprechenden Werken propagierte wirkmächtige Narrativ führen daher zu einem Erstarken des Glaubens an den ominösen und prodigiösen Charakter von Kometen.161 Die sowohl bei Thurneysser als auch Heurnius sichtbare eschatologische Dimension sowie die Integration von biblisch fundierter Prophetie in ihre Kometenprognostiken, erkennbar z. B. an den sibyllinischen Weissagungen, können dadurch legitimiert werden. Ähnliches gilt für die Kometomantik: Durch die ontologische Nähe der Kometen zu den ätherischen Himmelskörpern ist ihre astrologische Interpretation ebenso legitim wie die des Planetenlaufs oder anderer Gestirnskonstellationen. Ihre durch die Supralunarität gewachsene Distanz zur terrestrischen Welt bildet hierbei keine Einschränkung der Idee, dass die Kometen als Teil der himmlischen Sphäre einen Einfluss auf die irdische Welt ausüben können. Die Vermittlung von Licht, Kraft und Influenz auf den sublunaren Bereich als Grundvorstellung der Astrologie ist prinzipiell nicht auf eine bestimmte Größe der Entfernung beschränkt. Was deutlicher infrage gestellt wird, ist eine meteorologisch konzeptualisierte Wirkung von Kometen als Ursachen des mit ihnen konnotierten Unheils. Thurneysser ist in dieser Frage näher an der augmentierten aristotelischen Theorie, da er die Idee der Kausalketten im alchemistischen Gewand präsentiert, beispielsweise die Wirkung auf den Menschen über humoralpathologische Mechanismen. Auf der anderen Seite führt ihn der sein ganzes Schaffen durchziehende Paracelsismus – man denke etwa an die Elementenlehre der tria prima, die Signaturenlehre in der Botanik oder die Konzepte der Impression und Emanation – weiter weg vom aristotelischen Rahmen als es bei Heurnius der Fall ist. Beide beziehen sich auf neuplatonisches Gedankengut, jedoch erscheint Thurneyssers Wunderzeichenkonzeption deutlicher theologisch gefärbt, wobei auch diese Dimension bei ihm paracelsisch inspiriert ist. Die kosmische Mittelposition der Kometen ist nicht nur räumlich zu verstehen, sondern metaphysisch, da sie sich nicht nur zwischen elementarischer und himmlischer Welt befinden, sondern auch zwischen den Polen göttlicher Transzendenz und irdischer Materialität und Natürlichkeit. Der Brandenburger Alchemist unterscheidet drei Arten von Wunderzeichen, die durch ihre Verortung entlang dieser Skala charakterisiert und allesamt unter Rekurs auf verschiedene Typen biblischer Wunder erläutert werden. Bei Phänomenen der obersten Stufe – also größtmöglicher Partizipation am Göttlichen – handelt es sich daher um echte Wunder, die supra naturam geschehen. Heurnius’ Kometenkonzep-
161
Vgl. dazu Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 111–113.
6.3 Zusammenfassendes Fazit
313
tion ist demgegenüber eher naturphilosophisch-kosmologisch verfasst: Der Utrechter Arzt betont explizit, dass er Kometen für Zeichen und nicht Ursachen der ihnen zugeschriebenen negativen Folgen hält. Die zeichenhafte Bedeutung der Himmelsphänomene beruht auf der Universalität der quinta essentia, die das verbindende Element zwischen Himmel und Erde sowie zwischen Mikro- und Makrokosmos darstellt. Die himmlische Einflussnahme drückt sich in materiell durch den Äther vermittelten Analogieverhältnissen aus, einer Art korrespondenzhafter Teilhabe und keiner einseitigen Wirkungsübertragung. Ebenso wie Thurneysser kann Heurnius diese Vorstellungen mit traditionellen astrologischen Elementen verknüpfen, was sich z. B. darin zeigt, dass er zwei Finsternisse oder bestimmte planetarische Aspekte als Ursachen der Manifestation eines Kometen anführt. Der konkrete Wirkmechanismus besteht dabei in der Verletzung der kosmischen Harmonie, wobei die himmlische Materie sich durch die Formierung eines Kometen selbst reinigt und zum harmonischen Ursprungszustand zurückkehrt. Aufgrund des universalen Zusammenhangs zwischen Himmel und Erde entsteht so eine physikalische Fundierung der Erklärung der Zeichenhaftigkeit des Kometen oder anderer Prodigien. Hinsichtlich dieser Ideen zeigt sich Heurnius deutlich von der ars cosmocritica Cornelius Gemmas beeinflusst. Keiner der beiden hier Betrachteten gehört zur ersten Liga der bedeutsamen Astronomen in dieser Zeit, jedoch sind sie durchaus über die Grenzen ihrer lokalen Wirkstätten hinaus bekannt. Aufgrund ihres professionellen Hintergrunds als Leibärzte verfolgen sie eine ähnliche Herangehensweise an das Phänomen Komet, die sich z. B. in den von beiden betonten medizinischen Analogien verdeutlicht: Heurnius vergleicht wie Gemma die Tätigkeit des Interpreten himmlischer Wunderzeichen mit der des Arztes, der Symptome als Zeichen von Krankheit deutet, deren Interpretation Grundlage der Diagnostik ist. Auch in anderen Bereichen – er erwähnt z. B. die Fischer und Bergbauer – gehe es darum, die Zeichen der Natur zu deuten. Dieser semiotische Ansatz ist bei Heurnius theoretisch fundiert und zeigt sich im Schaffen Thurneyssers in seiner praktischen Dimension. Der Brandenburger lehrt anders als sein Kollege in Utrecht nicht Medizin an einer Universität und verfügt auch über keine entsprechende akademische Ausbildung. Er ist als praktischer Arzt beschäftigt, der in seinem Alchemistenlabor Harndiagnostik betreibt, experimentiert, aus Pflanzen Arzneien und Kosmetika herstellt und astronomische Beobachtungen für die Erstellung von Horoskopen und Talismanen nutzt. In seinen zahlreichen Unternehmungen verbindet er Medizin, Botanik, Pharmazie, Metallurgie, Mineralogie und Astrologie und verknüpft gleichzeitig wissenschaftliche und kommerzielle Interessen. Heurnius hingegen hat eine umfassende akademische Ausbildung an verschiedenen Universitäten durchlaufen und wird schließlich selbst Professor. In Leiden prägt er die medizinische Lehre entscheidend und verfasst in dieser Funktion nahezu ausschließlich lateinische Werke, vornehmlich Lehrbücher. Die hier im Fokus stehende Schrift des Niederländers kann als primär philosophische Behandlung des Kometenthemas mit utilitaristischem Anspruch charakterisiert
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
werden. Heurnius berücksichtigt weder Observationsdaten, noch diskutiert er alternative Theorien; Kometen interessieren ihn als Teil einer Naturordnung und dienen in ihrer Erklärung dem Verständnis eines größeren naturphilosophisch-kosmologischen Weltbilds. Von diesem ist seine Deutung des Kometen als Prodigium abhängig, die er historisch einordnet, politisch besetzt und als mahnende und erbauliche Ansprache an seine Landsleute richtet. Als Paracelsist betont Thurneysser die Notwendigkeit einer unmittelbaren Beobachtung der Natur und auch wenn sein Kometenwerk nicht als Observationsbericht charakterisiert werden kann, steht es doch im Kontext einer praktischen Prognostik, die im Zusammenhang mit Thurneyssers empirischer Epistemologie zu verstehen ist. Als in vielerlei Hinsicht aus dem akademischen Betrieb Ausgeschlossener muss er sein Werk, sich selbst als dessen Autor, seine Methode sowie seine Kompetenz viel stärker legitimieren als Heurnius. Dies erreicht er unter anderem durch eine Strategie der Inszenierung. Sein interdisziplinärer Ansatz des Zugangs zu und der Darstellung von Naturerkenntnis ist auf die Diskursivierung dieses Wissens ausgerichtet, was es ihm ermöglicht, auf autoritativen Quellen aufzubauen und gleichzeitig seine originelle Eigenleistung herauszustellen. Sein Image als extravaganter Wunderdoktor sowie die Integration mystisch-magischer Elemente und kryptischer Anspielungen in seine Werke unterstützen diese Form der Repräsentation nach außen. Heurnius’ Kometenschrift ist demgegenüber viel eher durch einen gelehrten Duktus geprägt mit zahlreichen unübersetzten Zitationen und Verweisen auf klassisch akademisches Bildungsgut, z. B. antike Mythologie und Poesie. Den aristotelischen Rahmen modifizieren beide nur an einzelnen Stellen und auch wenn man sie nicht als Verfechter der augmentierten meteorologischen Kometentheorie bezeichnen kann, behalten sie grundlegende Elemente aristotelischer Kausalität, Naturphilosophie und Kosmologie bei: So gehen beide von einer dichotomischen Teilung der Welt in einen sub- und einen supralunaren Bereich aus, wobei die terrestrische Sphäre von der ätherischen beeinflusst wird. Bei Thurneysser ist z. B. der Einfluss des Kometen durchaus auch als kausale Wirkung konzeptualisiert, während die Relation sich bei Heurnius eher zeichenhaft darstellt. Für beides bieten aristotelische Vorstellungen Ansatzpunkte. Die Integration der pythagoräischen Idee, dass Kometen immerwährend sind, erlaubt dem Utrechter Arzt, das aristotelische Dogma der Unveränderlichkeit des Himmels beizubehalten und die auch theologisch problematische Idee einer Neuschöpfung von Himmelskörpern zu negieren – wobei die Analyse gezeigt hat, dass dies nicht ganz ohne Inkonsistenzen möglich ist. Entgegen der traditionellen Sichtweise verorten beide Kometen als natürlich entstehende Phänomene supralunar, wobei gerade diese supranaturalistische Dimension deren göttliche Signifikanz nicht nur stützt, sondern überhaupt erfahrbar macht. Die Abweichung vom üblichen Lauf der Natur oder von dem durch die traditionelle Theorie Vorhergesagten fungiert daher vielmehr als Argument für diese theologische Interpretation, denn als Motivation, die naturkundliche Theorie insgesamt infrage zu stellen. Diese erweist sich überhaupt als relativ anpassungsfähig, insofern als etwa Thurneysser die
6.3 Zusammenfassendes Fazit
315
Vorstellung von Kometen als Verbrennungsprozessen ablehnt und stattdessen ein Element der optischen Theorie anführt, nach dem der Schweif von Kometen durch Sonnenstrahlen generiert wird. Auch Heurnius weicht von der meteorologischen Kometenvorstellung ab, da er die Himmelsphänomene z. B. als aus ätherischer Materie und nicht terrestrischen Exhalationen bestehend ansieht. Beide Protagonisten vereint insgesamt eine eklektische Herangehensweise an die Konzeption ihrer Kometenbilder, für die sie Versatzstücke antiker und zeitgenössischer Theorien, verschiedener disziplinärer Felder und philosophischer Weltvorstellungen oder auch populärer und gelehrter Kontexte zusammenführen und teilweise neu interpretieren. Sie präsentieren damit ein integriertes Kometenbild, da innerhalb ihrer Konzeptionen die Dimensionen der Astrologie und Theologie keine Anhängsel der naturkundlichen Erfassung von Kometen bilden, sondern einen wesentlichen Bestandteil der Welterklärung darstellen. Die beiden Autoren nutzen ihre Ideen zum aktuellen Kometen und dessen Deutung auch zu spezifischen Zwecken, nach denen sich die Präsentationsweise und rhetorische Strategie ihrer Schriften richtet: Bei Thurneysser ist das beispielsweise die oben erwähnte innovative Art der Wissensdiskursivierung zum Zwecke der Kompetenzdemonstration und Legitimation als Naturforscher und Prognostiker, während Heurnius seine Kometendeutung in einen politisch-propagandistischen Rahmen stellt. Die bei beiden sichtbare Zeichenhaftigkeit von Kometen beruht auf der Vorstellung, dass Mikro- und Makrokosmos qualitativ und materiell verbunden sind und sich Änderungen in dem einen Bereich analogisch auch in dem anderen manifestieren. Dies ist die Grundlage der semiotischen Gemeinsamkeit von z. B. medizinischer Diagnostik und astrologischer oder auch politischer Prognostik. Beide verbinden hierzu ein christlich-neuplatonisches Weltbild mit hermetischem Gedankengut. Es ist nicht ungerechtfertigt, sie in diesem Schaffen als Vertreter von zwei verschiedenen Richtungen des Hermetismus zu charakterisieren, die Florian Ebeling als italienischen Renaissanceplatonismus einerseits und Alchemico-Paracelsismus andererseits bezeichnet hat.162 Während ersterer auf die italienischen Denker Marsilio Ficino (1433–1499) und Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) zurückgeht und eine humanistisch-akademische Rezeption des Corpus hermeticum sowie die Naturphilosophie Platons ins Zentrum stellt, fokussiert die zweitgenannte Richtung eine medizinisch ausgerichtete Naturphilosophie mit der Alchemie als Leitwissenschaft. Letztere ist eher nördlich der Alpen verortet und hat ihre geistige und soziale Heimat seltener an den Universitäten, beruft sie sich doch unter anderem – wie Thurneysser – auf den akademischen Outsider Paracelsus. Der in gelehrten Kreisen verwurzelte Heurnius bezieht sich auf die systematischeren Ideen Gemmas und untermauert seine Vorstellungen zur Signifikanz
162
Vgl. Ebeling, Florian: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus von der Antike bis zur Neuzeit, München 2005, S. 88–125.
316
6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
von Kometen, die jenen Thurneyssers im Grunde gleichen, mit einem elaborierteren theoretischen Unterbau. Ebenfalls weniger deutlich als beim Brandenburger Alchemisten ist bei ihm die Verbindung zu kabbalistischem und magischem Denken zu spüren, mit dem letzterer geradezu kokettiert – nicht zuletzt um sich als Person und seinen Zugang zu exklusivem Wissen zu mystifizieren. Der Utrechter Arzt betont eher die physikalische Fundierung z. B. der Astrologie, wenn er schreibt, dass das „astralische“ Element des terrestrischen Bereichs dem himmlischen Pendant folge wie Eisen dem Magneten. Die Transitivität von moralischen und physikalischen Strukturen bietet zudem eine naturphilosophische Begründung für den Zusammenhang von menschlicher Sünde und Kometen als Zorn- und Strafzeichen Gottes. Diese christlich-augustinische Perspektive auf die kosmische Harmonie, das Verständnis des Universums als metaphysische sowie Anthropologie und Kosmologie verbindende Hierarchie, die Betonung der Kraft und Rolle der Sonne und Vorstellungen einer universalen Weltseele als Kernelemente des neuplatonischen Hermetismus bezeugen die Präsenz dieses Denkens auch bei Heurnius. Der positivistischen Historiographie des 19. Jahrhunderts gelten der Hermetismus und seine Ausprägungsformen des Paracelsismus, der Alchemie oder Astrologie als „Verirrung der Kulturgeschichte“, als per se irrationale Unterfangen, die schließlich von der rationalen Wissenschaftlichkeit eines Galilei, Bacon oder Newton verdrängt worden seien.163 Gerade der Paracelsismus mit seiner Nähe zu Magie und Okkultismus wird dabei als ein dem Rückständigen verhaftetes Weltbild interpretiert. Die in diesem Kapitel analysierten Kometenbilder von Heurnius und Thurneysser verdeutlichen hingegen, welche Innovativität mit diesem Weltbild einhergehen kann und zudem, in welcher Weise vermeintlich überholtes oder irrationales Denken mit scheinbar Modernem verknüpft ist. Hermetisches Denken gehört zum Kanon der Wissensbestände und Diskurstraditionen, auf die Autoren von Kometenflugschriften zurückgreifen. Besonders die Betonung der Originalität Thurneyssers in Kombination mit seinem extravaganten Auftreten verschleiern die Verbreitung und damit auch Normalität oder Gewöhnlichkeit, die dieses Gedankengut hat. Interessanterweise ist es auch bei demjenigen zu finden, der in der Geschichte der Kometenforschung als erstes in Verbindung mit dem Thema der Supralunarität genannt wird und dem selber sehr daran gelegen war, ein Narrativ zu etablieren, das die astronomisch-messtechnische Dimension dieser Entdeckung vor allen anderen Aspekten betont: Tycho Brahe. Didier Kahn hat auf die paracelsische Wurzel der von Brahe in seinem deutschen Kometentraktat von 1578 geäußerten Vorstellungen zu Kometen als Neuschöpfungen Gottes hingewiesen.164 Brahe beschreibt die Lehre Paracelsus’ zunächst so:
163 Siehe Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos, S. 137–139. 164 Vgl. Kahn: Paracelsus’ Ideas on the Heavens, Stars and Comets.
6.3 Zusammenfassendes Fazit
317
Die Paracelsisten die weil si den Himmel für das fierte Ellement deß feuers halten unnd erkennen, das darinnen auch generationes unnd corruptiones sich können zutragen, ist es nach irer philosophia nicht unmoglich, das die Cometten im himel geporen werden, gleicher weiß wie zu zeiten unerhörte gewechß aus der erden unnd in den mettalen wie auch monstra under den tieren sich befinden, denn Paracelsus vermaint, das die penates superi, welche ir wonung im himel unnd gestirn haben, zu besonderer zeit aus gottes verhengknus [ex] materia celesti, dessen si genueg finden, solche neu stern und Cometten fabricieren unnd den menschen augenscheinlich fürstellen zu einem zaichen zukonfftiger ding (…).165
Hier tauchen also ebenfalls die Metalle in der Erde, die Monster im Reich der Lebewesen sowie die Korrespondenz von Mikro- und Makrokosmos auf, die den ganzheitlichen und interdisziplinären Rahmen charakterisieren, in dem Thurneysser und Heurnius Kometen behandeln und darstellen. Brahe bezeichnet sich selbst nicht explizit als Paracelsisten, scheint diesen Ansichten aber positiv zugetan, wobei er die aristotelische Lehre ausdrücklich ablehnt: Darumben ist die mainung Aristottelis ganntz falsch, das er für gibt, die Cometten werden von der erden in die luft aufgezogen, unnd das si nicht im himel konden genneriert werden, dann er hatt dises aus seinem guet geduncken unnd aus kainer mattematischer observation oder demonstration bewisen, die weil si aber im Himel ir generation haben, sollen si sovil desto mehr für ain wunder zaichen geacht werden, das in dem himel, der auß der allersubtilisten durchleuchtigßte unverzerliche materia componiert ist, ein sollich neu gepurt herfürkombt (…).166
Die Abkehr vom aristotelischen Rahmen nutzt Brahe hier, um seine eigenen epistemologischen Vorstellungen bezüglich der Untersuchung von Kometen zu präsentieren, so wie Heurnius und Thurneysser die Kometeninterpretationen nutzen, um damit ihre spezifischen Weltbilder zu veranschaulichen und darzulegen. Ebenso gebraucht der dänische Astronom die Position der Kometen über dem Mond für eine Legitimation des theologischen Charakters dieser Himmelsphänomene als Wunderzeichen. Der Paracelsismus ist damit nicht nur ein Beispiel für eine theoretische Alternative zur aristotelischen Kosmologie vor Copernicus.167 Die mit ihm einhergehende Betonung eines auf eigenständiger, unmittelbarer und unvoreingenommener Beobachtung beruhenden Naturzugangs stützt eine Methodologie, die von der scholastisch fundierten Epistemologie abweicht. Dieser Zugang steht harmonisch neben dem qualitativ-analogischen Denken oder ist in dieses integriert und muss mit einem mathematisch-quan-
[6.2] Brahe, Tycho: Vonn der Cometten Uhrsprung was die alten unnd neuen Philosophi inn denselben vermaint unnd davon zuhalten sei, Uraniborg 1578 [Dreyer, Johan L. E. (Hrsg.): TBDOO IV, S. 381–396]. 166 [6.2] Brahe: Vonn der Cometten Uhrsprung, S. 383. 167 Vgl. Kahn: Paracelsus’ Ideas on the Heavens, Stars and Comets, S. 60. 165
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
titativen Ansatz der Naturbeschreibung und -erklärung – der traditionell häufig als primär relevantes Kennzeichen der Wissenschaftlichen Revolution angeführt wird – nicht zwangsläufig verknüpft sein. Die empirische Herangehensweise spielt eine wichtige Rolle in Thurneyssers Epistemologie und ersetzt zumindest zu einem gewissen Grad den nicht hinterfragbaren Bezug auf antike Wissensbestände als methodische Notwendigkeit. Die Zuwendung zum Empirismus und das schwindende Vertrauen in überkommenes Wissen als vornehmliche Quelle der Theoriebildung sieht Nouhuys als wichtige Elemente des sich mit diesen Entwicklungen andeutenden Wandels an, der u. a. auf einer graduellen Ablehnung des teleologischen und der Hinwendung zum kausal-mechanischen Denken beruht.168 In den letzten Dekaden des 16. Jahrhunderts ist man freilich noch nicht so weit: In seiner Studie zur niederländischen Interpretation des Buches der Natur legt Jorink überzeugend dar, dass alle von ihm untersuchten Gelehrten unabhängig von ihrer Profession als Theologen, Philologen oder Mediziner den Kometen 1577 von derselben intellektuellen Warte aus als Verkünder kommenden Unglücks deuten und sich dabei auf die kanonischen Texte und klassischen Wissenstraditionen berufen.169 Diese Interpretation kann man daher weder als Aberglauben bezeichnen, noch als ein charakteristisches Phänomen einer rein populären oder laienhaften Volksastrologie. Die auf die britische Historikerin Frances Yates zurückgehende These170, dass das hermetisch-magische Weltbild für die Herausbildung der modernen Naturwissenschaften von essentieller Relevanz und der mit okkulten Kräften operierende und der Natur experimentell ihre Geheimnisse entlockende Renaissancemagus der Prototyp des modernen Wissenschaftlers gewesen sei, gilt heute als weitgehend widerlegt.171 Die Richtigkeit des Kerns ihres Arguments, dass der Hermetismus als Teil der neuplatonischen Philosophie einen legitimen Teil der intellektuellen und wissenschaftlichen Weltvorstellung der Renaissancedenker darstellt, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen.172 Die wachsende Ablehnung vermeintlich irrationaler Praktiken und Gedankengebäude – darunter die Astrologie, die Alchemie, die Magie und ihre zahlreichen Unterformen – die im Laufe des 17. Jahrhunderts zum historischen Faktum wird, kann demnach nicht einfach auf ein Zurückdrängen des Aberglaubens durch ein rationales Wissenschaftskonzept zurückgeführt werden, da die historische Realität sich schlichtweg komplexer darstellt. Um es mit den Worten Christoph Meinels zu sagen: Die 168 Siehe Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 378–379. 169 Vgl. Jorink: Reading the Book of Nature, S. 124–125. 170 Diese These entwickelt Yates erstmals in ihrem Werk Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. 1.3.3. Eine historische Analyse von Bedeutung und Rezeption der Yates-These bietet Cohen, H. Floris: The Scientific Revolution. A Historiographical Inquiry, Chicago 1994, S. 285–296. 171 Vgl. Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos, S. 138–139. 172 Siehe für den Fall der Alchemie z. B. Moran, Bruce: Distilling Knowledge. Alchemy, Chemistry and the Scientific Revolution, Cambridge 2005, besonders S. 182–189.
6.3 Zusammenfassendes Fazit
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neuen Naturwissenschaften sind nicht etwa entstanden, weil die sich durchsetzende mechanische Philosophie die okkulten Kräfte eliminiert, sondern weil es ihr gelingt, diese Vorstellungen in ein einheitliches und umfassendes Erklärungsschema zu integrieren.173 Die astrologisch-politische Prophetie eines Heurnius oder die alchemistische Harndiagnostik von Thurneysser mögen heute als Scharlatanerie erscheinen, werden zeitgenössisch wahrscheinlich aber als durchaus folgerichtige Konsequenzen eines ganzheitlichen Natur-, Menschen- und Weltbildes angesehen. Die Schriften von Thurneysser und Heurnius verdeutlichen, wie breit das thematische und disziplinäre Spektrum des Kometendiskurses ist und wie eine primär naturkundliche Herangehens- und Präsentationsweise von Kometenbildern, -wissen und -deutungen aussehen kann, die nicht ausschließlich auf Vorstellungen der augmentierten meteorologischen Theorie rekurriert. Ebenso wie die Analysen des vierten und fünften Kapitels gezeigt haben, wird die Himmelserscheinung auch von diesen Autoren in spezifischer Weise genutzt, wobei einzelne Elemente der theoretischen Ideen – z. B. das der Verortung von Kometen – in diesen interpretativen Kontexten fruchtbar gemacht werden. Die Idee der Supralunarität von Kometen erscheint bei beiden z. B. nicht als Problemstellung der astronomischen Observation, sondern hängt vielmehr mit der semiotischen Signifikanz von Kometen zusammen. Dies ist nur ein Beispiel für den Facettenreichtum sowie die Vielschichtigkeit und Komplexität der propagierten Kometenvorstellungen und den Umstand, dass bestimmte Auffassungen nicht so eindeutig mit externen Faktoren wie etwa dem konfessionellen, dem intellektuellnaturphilosophischen oder dem professionellen Hintergrund in Verbindung zu bringen sind, wie mitunter vermutet worden ist: So erkennt der Katholik Rasch die Möglichkeit supralunarer Kometen am deutlichsten an, da er diese mit übernatürlichen Wunderzeichen identifiziert, wobei gerade die Abweichung vom regelhaften Naturlauf diese supranaturalistische Interpretation stützt bzw. ermöglicht.174 Heurnius und Thurneysser argumentieren ähnlich, jedoch finden sich bei ihnen die supranaturalistische und die natürliche Dimension beide im Kometenphänomen selbst wieder und konstituieren so dessen besonderen ontologischen Status. Dieser Dualismus ist ansonsten Kennzeichen einer melanchthonisch inspirierten Kometenauffassung und geht oft mit einer Betonung der integralen Rolle der Astrologie einher. Konkret zeigt sich jedoch der lutherische Heerbrand nicht so sehr der Sterndeutungskunst zugeneigt wie der Katholik Schinbain.175 Beide zentrieren ihre Überlegungen unter anderem auf die Frage, ob Kometen Zeichen oder Ursachen des mit ihnen konnotierten zukünftigen Unheils sind, die ebenfalls von Thurneysser und Heurnius unterschiedlich beantwortet wird. Letzterer ist Akademiker und in gelehrten Kreisen tief verwurzelt, die Thematisierung der Beobachtung von Kometen und ihrer 173 174 175
Meinel: Okkulte und exakte Wissenschaften, S. 24. Siehe dazu Kap. 5.1. Siehe dazu die Kap. 4.1 und 4.2.
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6 Die naturkundliche Debatte um die Supralunarität
Wichtigkeit zur Entscheidung ungelöster theoretischer Probleme unternimmt jedoch der intellektuelle Freigeist und Alchemist Thurneysser. Der versierte Astronom Scultetus176, der einen empirisch-quantitativen Zugang zum Kometen 1577 propagiert und sein ganzes Werk nach beobachtbaren Parametern strukturiert, kommt nicht nur zu dem Schluss, dass Kometen sublunar zu verorten sind, sondern richtet sein Observationsprogramm und dessen Darstellung primär nach dem astrologischen Interesse der Deutung aus, wobei es ihm darum geht, die Sterndeutungskunst epistemologisch und theologisch zu legitimieren. Die bei einigen Flugschriftenautoren präsente eschatologisch-apokalyptische Kometendeutung – die bei Heurnius und Thurneysser mit einer politisch-historischen Prophetie verknüpft erscheint – und die damit einhergehende Betonung der Zeichenhaftigkeit von Naturphänomenen, könnte einer sich z. B. bei Meine andeutenden Entwicklung den Boden bereitet haben, wonach Kometen aus dem engen Kontext einer Buß- und Straftheologie herausgelöst und als Zeichen göttlicher Ordnung, Herrlichkeit und Providenz interpretiert werden.177 Wie sich diese in der Rezeption des Kometen 1577 manifesten Deutungsweisen, theoretischen Vorstellungen und methodischen Zugänge entwickeln und vier Jahrzehnte später konkret darstellen ist Thema der Quellenanalysen des folgenden Kapitels.
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Siehe dazu Kap. 5.2. Zu Meine siehe Kap. 5.3.
TEIL IV: Kometen im 17. Jahrhundert
7 Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts ist der Große Komet von 1618 nach der Supernova von 1604 und dem Kometen von 1607 das erste astronomische Phänomen, das aufgrund seiner spektakulären Erscheinung auch jenseits der Fachwelt große Aufmerksamkeit auf sich zieht. In jenem Jahr erscheinen tatsächlich drei Kometen, deren Rezeption sich in mindestens 96 deutschsprachigen Publikationen widerspiegelt: Diese Zahl setzt sich zusammen aus 88 Flugschriften und acht Einblattdrucken und steht einer Zahl von 37 lateinischen Publikationen gegenüber.1 Das entspricht einem Verhältnis von 72 zu 28 Prozent, womit das Übergewicht volkssprachiger Werke im Vergleich zu den lateinischen noch deutlicher ist als beim Kometen 1577.2 Es ist davon auszugehen, dass die große Mehrheit dieser Druckwerke sich auf den zweiten Kometen, den sogenannten Winterkometen bezieht, der von November 1618 bis etwa Mitte Januar des Folgejahres sichtbar ist.3 Er ist deutlich heller als die beiden anderen, auch am Tage zu sehen und zeigt zeitweise einen sehr langen Schweif. Die maßgebliche Studie zur Rezeption des Großen Kometen von 1618 hat Marion Gindhart vorgelegt.4 Sie baut nicht nur auf älteren Untersuchungen auf, sondern liefert eine umfassende und kenntnisreiche Analyse der Bandbreite des Schrifttums, das 1
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Die Gesamtzahl von 134 Druckwerken ist aufgrund meiner Auswahlkriterien deutlich niedriger als die Angabe bei Brüning, der von 298 Druckwerken ausgeht, wobei er sich dabei allerdings auf den Veröffentlichungszeitraum von 1618–1642 bezieht, alle Sprachen berücksichtigt und darüberhinaus auch weitere Auflagen, Neueditionen und allgemeine kometologische Werke, die nicht ausschließlich den Bezug zum aktuellen Kometen herstellen, mitzählt, vgl. Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. VIII. Hier entspricht das Verhältnis 63 zu 37 Prozent, siehe dazu die Quellenstatistik (Abb. 1.1) in Kap. 1.2.2. Dieser Komet wird als 1618 II bezeichnet und hat die astronomische Kennung C/1618 W1. Der Komet 1618 I (C/1618 Q1) ist im August und September des Jahres sichtbar, 1618 III (C/1618 V1) ist im November und Anfang Dezember zu sehen. Beide sind unscheinbarer, nur wenige Wochen sichtbar und werden außerhalb astronomischer Fachkreise kaum wahrgenommen. Vgl. dazu Kronk: Cometography, S. 333–341. Gindhart: Das Kometenjahr 1618.
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7 Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität
zum Kometen 1618 im deutschen Sprachraum publiziert worden ist. Daher greift dieses Kapitel zwei von Gindhart nicht thematisierte Quellen heraus, die eine wichtige Facette des Kometendiskurses zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu illustrieren erlauben, die sich an der Schnittstelle zwischen beschreibender Erklärung und Bedeutungsermittlung von Kometen befindet. An dieser Schnittstelle liegen auch die Ideen Keplers, dessen deutlicher Einfluss bei beiden Autoren sichtbar ist. Kepler als einer der zeitgenössisch wichtigsten Gelehrten hat nicht nur die Kometen von 1618 teleskopisch beobachtet und im Folgejahr eine umfassende Monographie zum Thema publiziert, sondern auch einen ernsthaften Versuch unternommen, die Astrologie zu reformieren. Seine Aspektastrologie wird in der Folgezeit auch für die Deutung von Kometen relevant, insbesondere je mehr die klassische Astrologie im Verlaufe des 17. Jahrhunderts an Boden verliert.5 Die Kometen von 1618 sind die ersten, die mit dem Teleskop beobachtet werden, von dem Schweizer Jesuiten Johann Baptist Cysat in Ingolstadt und – wie erwähnt – Kepler in Linz.6 Beide verarbeiten ihre Beobachtungen in astronomischen Schriftwerken, die im Jahr 1619 erscheinen.7 Auch der englische Astronom John Bainbridge observiert den Kometen teleskopisch, trotzdem wird diese Art von Beobachtung noch für lange Zeit als zweitraging gegenüber der Observation mit dem bloßen Augen angesehen.8 Aufgrund seiner Beobachtungen der Kometenbewegung spekuliert Cysat, dass Kometen sich entweder auf kreisförmigen Bahnen zwischen Venus und Mars oder geradlinig bewegen müssen.9 Die Determination der Bewegungsbahn von Kometen primär als 5
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Zu Keplers astrologischem Kometenverständnis siehe das 4. Kapitel in Boner, Patrick J.: Kepler’s Cosmological Synthesis. Astrology, Mechanism and the Soul, Leiden 2013 (History of Science and Medicine Library. Medieval and Modern Science 20), S. 105–134. Zum schleichenden Niedergang der Astrologie siehe Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 295–314. Kepler beobachtet die ersten beiden Kometen von 1618 und Cysat mindestens den zweiten, von dem er sogar Zeichnungen anfertigt, vgl. Green, Daniel W. E.: Assessment of Earlymodern Observations of Comets and Supernovae. Focus on Pre-telescopic European Astrometric and Physical Data, Diss. Durham University 2004, S. 38–40. [7.4] Cysat, Johann Baptist: Mathemata astronomica de loco, motu, magnitudine et causis cometae, qui sub finem anni 1618. et initium anni 1619. in coelo fulsit. Ex assiduis legitimisque variorum phaenomenorum observationibus derivata auctore Jo. Baptista Cysato, Societatis Jesu Ingolstadii mathematicae professore ordinario. Publiceque proposita et demonstrata ab (…) Volperto Mozelio mathematicae & physicae studioso. anno 1619. die decembris, Ingolstadt 1619 (VD17 12:153525S) und [7.11] Kepler, Johannes: De cometis libelli tres. I. Astronomicus, theoremata continens de motu cometarum, ubi demonstratio apparentiarum & altitudinis cometarum qui annis 1607 & 1618 conspecti sunt, nova & paradoxos. II. Physicus, continens physio logiam cometarum novam & paradoxon. III. Astrologicus, de significationibus cometarum annorum 1607 & 1618, Augsburg 1619 (VD17 23:286985C) [Hammer, Franz (Hrsg.): KGW VIII, S. 131–262]. Zu Schickard siehe Mauder, Horst: Die Kometenschriften von Schickard und Kepler, in: Seck, Friedrich (Hrsg.): Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard. Zweites Tübinger Schickard Symposium, Sigmaringen 1995 (Contubernium 41), S. 151–166. Vgl. Seargent: The Greatest Comets in History, S. 112. Vgl. Kronk: Cometography, S. 339–340.
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Aufgabe der Observation anzusehen, bleibt jedoch dem späteren 17. Jahrhundert vorbehalten. Bei der Rezeption des Kometen 1618 steht die Frage nach dessen Entfernung im Vordergrund, die beobachtungsmäßig angegangen wird. Beide Problemstellungen sind traditionell eng mit der Natur von Kometen verknüpft. Kepler etwa leitet ausgehend von der Vorstellung, dass Kometen vergängliche und nicht immerwährende Phänomene seien, ihre geradlinige Bewegungsweise ab, da Kreisförmigkeit nur ewigen Himmelskörpern gebühre.10 Einen physikalischen Ansatz zur Bahnbestimmung verfolgt er nicht.11 Dies haben z. B. Mästlin oder Brahe bereits beim Kometen 1577 versucht, ihre Schlussfolgerung der kreisförmigen Kometenbewegung jedoch ebenfalls mit der für sie durch die parallaktischen Entfernungsbestimmungen bestätigten Supralunarität und der ätherischen Natur von Kometen begründet. Der Komet 1618 verleiht dieser Debatte um die Aussagekraft und Verlässlichkeit parallaktischer Distanzmessungen und besonders der um die naturphilosophischen Konsequenzen eines supralunaren Kometenortes eine neue Aktualität sowie eine Möglichkeit ihrer empirischen Überprüfung. Die Erscheinung und ihre Interpretation sind nicht zuletzt deshalb Gegenstand von Kontroversen, weil sich hier auch die Grundfrage nach der Legitimität der aristotelischen Naturphilosophie sowie alternativer Kosmologien diskutieren lässt. Als wohl prominentestes Beispiel einer solchen Auseinandersetzung ist die Kometendebatte zwischen Galilei, dessen Positionen durch seinen Schüler Mario Guiducci (1585–1646) veröffentlicht werden, und dem Jesuiten Horazio Grassi (1583–1654) zu nennen.12 Letzterer konstatiert aufgrund des Fehlens einer messbaren Parallaxe die Supralunarität der Kometen und negiert deren terrestrischen Ursprung.13 In Einklang mit den Theorien Brahes betont er die Ähnlichkeit der Bahnen von Kometen und Planeten. Darauf antwortet Galilei über sein Sprachrohr Guiducci mit einem Traktat, in dem er die geradlinie Bewegung von Kometen betont und die Beobachtungsresultate stattdessen als Effekt einer sich bewegenden Erde deutet. Seiner Meinung nach sind Kometen sublunare Erscheinungen, die aufgrund der Reflexion von Sonnenlicht an aufsteigenden terrestrischen Exhalationen entstehen.14 Es handele sich also weder um Verbrennungsprozesse im aristoteli-
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Siehe dazu Hammer, Franz: Nachbericht KGW VIII, S. 463–468. Vgl. List, Martha: „Kepler, Johannes“, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 494–508. Vgl. dazu Drake, Stillman / O’Malley, Charles D.: The Controversy on the Comet of 1618. Galileo Galilei, Horazio Grassi, Mario Guiducci, Johann Kepler, Philadelphia 1960 sowie Gal, Ofer / Chen-Morris, Raz: Empiricism without the Senses. How the Instrument Replaced the Eye, in: Wolfe, Charles T. / Gal, Ofer (Hrsg.): The Body as Object and Instrument of Knowledge. Embodied Empiricism in Early Modern Science, Dordrecht 2010 (Studies in the History and Philosophy of Science 25), S. 121–147, besonders S. 122–130. Vgl. Kronk: Cometography, S. 340–341. Siehe zu Galileos Kometentheorie Heidarzadeh: A History of Physical Theory of Comets, S. 61– 64.
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schen Sinne, noch um tatsächliche Körper, bei denen die parallaktische Methode der Entfernungsbestimmung überhaupt angewendet werden könne. Galileo präsentiert damit eine qualitative Kometenbeschreibung, die, anders als die vom Lager seiner Gegner verteidigte Theorie, nicht auf der rechnerischen Verarbeitung und physikalischen Interpretation von Beobachtungsdaten beruht. Auch Kepler schaltet sich 1625 mit einer Schrift in die Debatte ein, in der er die Ansichten Brahes gegen den italienischen Aristoteliker Scipione Chiaramonti (1565–1652) verteidigt und einen kritischen Kommentar zu Galileis Polemik Il Saggiatore (1623) formuliert.15 Es zeigt sich damit, dass das Problem des Orts und der Natur von Kometen nicht nur einen Ansatzpunkt für weitere theoretische, methodische und epistemologische Fragen bietet, sondern indirekt auch Ausdruck des Konfliktes um die Richtigkeit des tychonischen oder kopernikanischen Weltsystems sein kann.16 Eine ebenfalls publizistisch ausgetragene Debatte, die im deutschen Sprachraum stattfindet, ist der sogenannte Ulmer Kometenstreit.17 1618 haben die politischen und konfessionellen Spannungen im deutschsprachigen Raum einen Höhepunkt erreicht, verschärft auch durch das öffentliche und propagandistisch genutzte Reformationsjubiläum 1617. Daher wird der große Komet hier schon bald als besonders bedeutsames Prodigium und als göttliches Strafgericht betrachtet sowie bereits in der Wahrnehmung der Zeitgenossen mit dem Ausbruch des 30jährigen Krieges verbunden.18 Der Ulmer Rechenmeister und Chiliast Johannes Faulhaber (1580–1635) bezieht sich allerdings auf den weniger eindrucksvollen Kometen 1618 I, der seit Ende August des Jahres für etwa einen Monat schwach sichtbar ist und dessen Erscheinen er aufgrund einer kabbalistischen Deutung biblischer Zahlen in Kombination mit astronomischen Beobachtungsdaten Keplers erfolgreich prognostiziert zu haben glaubt.19 Er rühmt sich dieser Vorhersage in der von dem Rosenkreuzer Daniel Mögling unter Pseudo-
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[7.15] Kepler, Johannes: Tychonis Brahei Dani hyperaspistes adversus Scipionis Claramontii anti-Tychonem, Frankfurt am Main 1625 [Hammer, Franz (Hrsg.): KGW VIII, S. 265–437]. Der Appendix gegen Galilei ist von Drake und O’Malley ins Englische übersetzt worden, siehe Drake/O’Malley: The Controversy on the Comets of 1618, S. 337–355. Biagioli hat in der Debatte zwischen Galileo und den Jesuiten zudem einen Ausdruck der Konkurrenz zweier Gelehrter im dynamischen System der Patronage gesehen, vgl. Biagioli: Galileo, Courtier, S. 274. Siehe dazu Schneider, Ivo: Der Kometenstreit des Jahres 1618. Wunderwerk Gottes oder ganz natürliche Erscheinung?, in: Damals 12 (1994), S. 32–39 und ausführlicher Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 87–102. Siehe dazu Krusenstjern, Benigna von: Prodigienglaube und Dreißigjähriger Krieg, in: Lehmann, Hartmut / Trepp, Anne-Charlott (Hrsg.): Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Institut für Geschichte 152), S. 53–78. Faulhaber soll zeitweise Lehrer des jungen Descartes gewesen sein, der in seinen Lehrjahren im Winter 1619 in Ulm weilt und dort an dem Kolloquium teilnimmt, auf dem der sogenannten Ulmer Kometenstreit verhandelt wird, vgl. die Darstellung bei Hawlitschek, Kurt: Johann Faulhaber (1580–1635) und René Descartes (1596–1650). Auf dem Weg zur modernen Wissenschaft, Ulm 2006, S. 48–51.
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nym herausgegebenen Flugschrift Fama Sydera Nova von 1619,20 präsentiert sich als ausgewählte Person, die göttliche Botschaften entschlüsseln könne und den Kometen als apokalyptisches Zeichen des nahenden Weltendes.21 Daraufhin beginnt die Debatte durch Schriften und Gegenschriften, Angriffen und Parteiergreifungen gegen und für Faulhaber und schließlich ein öffentliches Kolloquium auf Antrag des Ulmer Gymnasialdirektors Johann Baptist Hebenstreit und des Ulmer Superintendenten Konrad Dieterich.22 Hebenstreit – ein Anhänger der meteorologischen Kometentheorie und mathematischer Laie – stellt nicht nur die prinzipielle Möglichkeit der Prognose von Kometen, sondern speziell die apokalyptische Zahlenmystik Faulhabers infrage. Insbesondere die Selbststilisierung Faulhabers als Propheten wird von gelehrter und theologischer Seite aus scharf kritisiert, zumal er bereits 1613 mit dem Rat der Stadt Ulm wegen seiner spirituellen Neigungen und religiösem „Schwärmertum“ aneinandergeraten ist. Eine eher epistemologische Kritik besteht in dem Vorwurf, die Kometenprognose nicht auf Basis einer exakt-objektiven oder zumindest nachvollziehbaren sowie überprüfbaren Grundlage gemacht zu haben. Der Disput endet schließlich ohne weitere obrigkeitliche Konsequenzen für Faulhaber, schlägt jedoch noch Wellen bis in die 1620er Jahre. Dieser erste Ulmer Kometenstreit23 ist damit ein Beispiel für die politisch-eschatologische Instrumentalisierung eines Kometenereignisses, die auf der chiliastischen Zahlenmystik Faulhabers beruht, die Gindhart als eine eher seltene, aber nicht unbekannte Ausprägungsform des theologischen Zugangs zur Kometenthematik charakterisiert.24 Zudem drückt sich in dem Streit auch die Debatte um legitime Methoden der Kometeninterpretation aus. In der historiographischen Rezeption des Ulmer Kometenstreits findet sich oft die Charakterisierung, dass es in dem Disput im Kern um die Frage gegangen sei, ob Kometen als natürliche Phänomene oder von Gott gesandte Warnzeichen anzusehen seien.25 Wenn Ivo Schneider daher von den „Vertreter[n] einer auf dem unverbrüchlichen Glauben an das Wunderbare und damit an das Unerklärliche beruhenden Welt20 21
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Siehe dazu Schneider, Ivo: Between Rosicrucians and Cabbala – Johannes Faulhaber’s Mathematics of Biblical Numbers, in: Koetsier, Teun / Bergmans, Luc (Hrsg.): Mathematics and the Divine. A Historical Study, Amsterdam 2005, S. 311–330, S. 324. [7.6] Goldtbeeg, Julius Gerhard: Fama syderea nova. Gemein offentliches Aussschreiben dess (…) Herrn Johannis Faulhaberi (…) anlangend den newen und durch ein sonderbare Invention lang zuvor prognosticirten Cometstern so den 6. Monatstag Decembr. dess ablauffenden 1618 Jahrs an alle Philosophos, Mathematicos, sonderlich Astronomos und Gelehrte dess gantzen Teutschlands authoris manu propria schrifftlichen verfast und abgangen nun aber (…) in offenen Druck publi cirt, Nürnberg 1619 (VD17 3:660034Q). Vgl. für die Umstände der Publikation Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 89–90. Vgl. Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 96–102. Zum zweiten Ulmer Kometenstreit der 1680er Jahre siehe Kap. 9.2. Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 87–102. Siehe z. B. Pronk, Theo: „Ulm“, in: Adam, Wolfgang / Westphal, Sigrid (Hrsg.): Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum 2, Ber-
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sicht“ einerseits und „ihre auf eine durchgängige Erklärbarkeit der erfahrbaren Welt pochenden Gegner“ auf der anderen Seite schreibt und konstatiert, dass erstere Kometen für Gottes wunderbare Zeichen des göttlichen Zorns und letztere sie für natürliche Erscheinungen ohne negative Folgen hielten26, verschleiert diese Art der polarisierenden Darstellung die Vielseitigkeit und Differenziertheit der Kometendebatte Anfang des 17. Jahrhunderts. Nicht nur die Ansichten der beiden in diesem Kapitel analysierten Autoren von Kometenflugschriften sind durch die eine oder die andere Zuschreibung nicht adäquat charakterisiert, ebensowenig ist es die historische Komplexität des Diskurses. Auch Volker Leppin hat in seiner Untersuchung protestantischer Flugschriften des nachreformatorischen Deutschlands zwei antagonistische Positionen ausgemacht und diese verschiedenen Gruppen lutherischer Theologen zugeschrieben: humanistisch orientierten Philosophen, die nach astrologischen Erklärungen und natürlichen Ursachen suchten und eher biblisch orientierten, dem Gnesioluthertum Nahestehenden, deren Verständnis von göttlicher Allmacht sie natürliche Verursachung ablehnen ließ.27 Ohne bestreiten zu wollen, dass es diese Vorstellungen so auch gegeben hat, ist ein Spektrum gradueller Ablehnung oder Zustimmung dazu, ebenso wie Kombinationen beider Positionen, ebenfalls präsent. Rienk Vermij hat dazu treffend kommentiert, dass der – vermeintliche – Widerspruch in den Schriften und den Köpfen ihrer Verfasser selbst zu finden sei.28 Die folgende Untersuchung der Kometenflugschriften des Pfarrers Theodor May und des Astronomen Peter Crüger verdeutlichen, wie sehr die anhaltende Diskussion um die Natur von Kometen mit Fragen ihrer theologischen und astrologischen Signifikanz verbunden ist und welche Auswirkungen z. B. Modifikationen der theoretischen Kometenbeschreibung und -erklärung auf die epistemische Rolle dieser Kontextfelder haben. Während der vergleichsweise unbekannte Theologe Wittenberger Prägung Theodor May kein Problem zu haben scheint, Kometen gleichzeitig als Zeichen Gottes und als natürliche Phänomene zu betrachten, lehnt der versierte Mathematiker Peter Crüger als berühmter Danziger Gymnasialprofessor und Stadtastronom die natürliche Verursachung von Kometen ab. Beide stellen damit zwei, vielleicht aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds nicht ganz erwartbare Formen des Umgangs und der Präsentation von Kometenwissen Anfang des 17. Jahrhunderts dar. Beide Protagonisten partizipieren in Debatten um das Wesen und die Bedeutung von Kometen und beide, wenn auch in verschiedener Weise und unterschiedlichem Ausmaß, disqualifizieren die enge Verbindung zwischen Naturkunde und Astrologie des integrierten Kometen-
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lin 2012, S. 2005–2060, S. 2032 oder etwas ausführlicher das oben erwähnte Werk Ivo Schneiders: Der Kometenstreit des Jahres 1618. Schneider: Der Kometenstreit des Jahres 1618, S. 33–36. Vgl. Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 182–205. Vermij, Rienk: A Science of Signs. Aristotelian Meteorology in Reformation Germany, in: Early Science and Medicine 15/6 (2010), S. 648–674, S. 673.
7.1 Theodor Mays Meinungswandel bezüglich Kometen
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bildes und damit einhergehend die klassische kausale Sichtweise der Kometenfolgen als direkt durch das Naturphänomen verursachte Wirkungen, ohne aber die Astrologie grundsätzlich abzulehnen. Zudem zeigen sich beide Autoren beeinflusst von Kepler und veranschaulichen durch ihre volkssprachigen Werke die Art und Weise der Rezeption und Vermittlung gelehrt-akademischer Inhalte. An den von ihnen gestellten Fragen, was Kometen sind, wo am Himmel sie zu verorten sind, ob und wie man sie beobachten kann und welche tiefere Bedeutung ihnen zuzuschreiben ist, zeigt sich nicht nur der noch immer kontroverse Status dieser Himmelsphänomene innerhalb der Naturforschung. Das Kometenthema wird darüber hinaus zu einem Kondensationskern für eine grundsätzlichere Debatte um die Rolle und Aussagekraft von Beobachtung und Mathematik innerhalb der Naturphilosophie – gerade im Verhältnis zum Erkenntnisbereich der Physik – und, damit verknüpft, den epistemologischen Status der für das Themenfeld relevanten Disziplinen. 7.1 Theodor Mays Meinungswandel bezüglich Kometen Über den astronomisch und astrologisch interessierten Theologen Theodor May (ca. 1569–1623) ist heute wenig bekannt.29 Er ist vermutlich der jüngere Bruder des gnesiolutherischen Theologieprofessors Heinrich May – besser bekannt unter der Latinisierung Maius – und studiert wie dieser zeitweise in Wittenberg.30 Sein schriftstellerisches Schaffen, belegbar zwischen 1605 und 1623, liefert textintern die Information, dass er in kirchlichen Diensten steht, wobei sein Wirkungskreis im Magdeburgischen liegt. Er erhält seinen Magister 1614 in Helmstedt, ist Diakon in Wolmirstedt und später Pastor in Ebendorf und Ampfurt, wo er vermutlich 1623 stirbt. Das Erscheinen des Kometen 1607 veranlasst ihn zur Veröffentlichung der Schrift Kurtzer bericht von dem Strobelstern, während 1618 die Werke Zorn Ruthe und Historische warhafftige Beschreibung von dem Cometen folgen.31 Diese Kometenschriften stehen hier primär im Fokus, daneben 29 30 31
Namensvarianten sind Mai oder Mey sowie die Latinisierungen Maius oder Majus. Jacobs, Eduard: „Maius, Heinrich“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 20 (1884), S. 121–123. Es handelt sich dabei um den Kometen 1P/1607 S1 (Halley), vgl. Kronk: Cometography, S. 331–332. [7.21] May, Theodor: Kurtzer bericht von dem Strobelstern oder Cometen so in diesem 1607. Jahr ihm Herbstmonat am Himmel erstlich (…) erschienen (…) durch welchen Gott der Allmechtige (…) die Menschen zur Busse reitzen will menniglich zur Warnung geschrieben, Magdeburg 1607 (VD17 23:266192M); [7.25] Ders.: Zorn Ruthe. So der ewige Gott und Vater unsers Herrn und Heylandes Jesu Christi unter dem Himmel in der Lufft in Gestalt eines roth fewrigen Sterns mit einem erschrecklichen langen Schwantz oder Besem lodernd und brennend erzeiget so in gleicher Gestalt von etzlichen im Augusto in Nordosten sol gesehen worden sein so sich auffs new (…) im Octobri (…) und weiter den 17. und 18. Novembris in Osten (…) gesehen worden zu trewer Warnung beschrieben, Magdeburg 1618 (VD17
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7 Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität
hat May 1605 und 1612 zu zwei Feuerzeichen32 sowie 1610 und 1623 zwei medizinische Werke publiziert: ein Werk zur Krankheit Ruhr und das als Hausväterliteratur charakterisierbare Urinbüchlein, das übersetzt und noch Mitte des 18. Jahrhunderts neu aufgelegt wird.33 Außerdem verfasst er Jahresprognostiken, von denen sich bis heute eine erhalten hat, und reagiert mit einer Replik auf den astrologiekritischen Calenderbutzer des Huldericus Schothusius von 1614.34 Der Fall May ist deshalb aufschlussreich, weil sich anhand seiner genannten Werke zu Kometen und Feuerzeichen ein Wandel seiner diesbezüglichen Auffassungen nachvollziehen lässt, der, wie hier gezeigt wird, auf Mays Rezeption der Schriften Keplers
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23:685928R); [7.20] Ders.: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen auch des erschrecklichen newen Cometen Sterns welcher am Firmament des Himmels in Novemb. des abgewiechenen 1618. Jahrs sich hat sehen lassen und noch gesehen wird. In welcher gründlichen Beschreibung gewiss zubefinden was auff die Cometen für grosse Verenderung (…) auch wir erfahren werden, Magdeburg 1618 (VD17 3:658629L). [7.16] May, Theodor: Admonitio oder Erinnerung. Von dem schrecklichen Fewerzeichen welches im jüngst verlauffenen Jahre Dominica 2. Adventis Domini, so war der 9. Decembris, ist erschienen und von seinen Ursachen und Bedeutungen, Magdeburg 1605 (VD17 23:630963R); [7.24] Ders.: Zorn Glocke Gottes unter dem Himmel in der Lufft fast nächtlich durch die gantze Erndten Zeit dieses 1612 Jhars nicht mit geringen Schrecken anzuschawen geleutet wegen der grossen Sicherheit und sündlichem Leben der Menschen kürtzlich sampt seinen Ursachen und Bedeü tungen beschrieben, Magdeburg 1612 (VD17 23:270979X). [7.23] May, Theodor: UrinBüchlin. Darinnen einem jeden frommen Menschen zu seiner Gesundtheit ein fruchtbarer und nötiger Unterricht mitgetheilet wird was er sich auff das Wasser oder Urin zuverlassen und wie dasselbe zu besehen sey sampt allen Umbständen und Missbräuchen. Item ein kurtzer doch nötiger Bericht wie man die Kranckheiten an seinem Leibe gewiss erkunden sol, Magdeburg 1610 (VD17 23:297013A); [7.22] Ders.: Ruhrtractätlin worinnen aussführlich und deutlich gehandelt wird von den jetzo grassierenden Hoffgang oder Durchlauff darmit der gerechte Gott die Welt heimsucht. Auff Begehr vieler ehrlicher Leute zu Nutz und Nachrichtung frommer christlicher Haussväter und Haussmütter gestellet und in Druck verfertiget, Magdeburg 1623 (VD17 14:627953M). Siehe im Einzelnen: [7.18] May, Theodor: Gross Prognosticon oder Practica astrologica & physica auff das Jahr nach der gnadenreichen Geburt und Menschwerdung unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi. M. DC. XIX. (…) auss wahrem astronomischen Grunde mit Fleiss gerechnet und trewlich gestellet, Magdeburg 1619 (VD17 12:641110Z). [7.27] Schothusius, Huldericus: Calenderbutzer das ist was von den Calender-Schreiber Prognosticis zu halten und wie weit ein gottesfürchtiger Christ ihre Practica mit guten Gewissen in Acht nehmen könne gestellet, s. l. 1614 (VD17 1:027353R). Wahrscheinlich handelt es sich dabei um das Pseudonym des thüringischen Pfarrers Melchior Mengewein. [7.17] May, Theodor: Astrologia vindicata. Das ist warhafftige unn gründtliche Ableinung der ungegründeten und unerfindlichen Aufflag darmit itziger zeit die Astrologia, in einem Tractätlin der Calender Butzer genant unter einem ertichteten Namen newlicher zeit aussgegangen Heydnisch Abgöttisch Unchristlich Aberglaubisch Gotterlesterisch Tülpisch und Bübisch gantz lesterisch und felschlich (wieder allen Ehrliebenden Christlichen Prognosticanten meinung und fürgeben) verdampt wird, s. l. 1615 (VD17 39:115308M).
7.1 Theodor Mays Meinungswandel bezüglich Kometen
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zurückzuführen ist, insbesondere dessen deutschsprachige Kometenschrift von 1608.35 Bereits in seinem kurzen Werk von 1605, das May anlässlich eines Feuerzeichens36 vom 9. Dezember 1604 verfasst, zeigt sich, dass es dem Autoren darum geht, die theologische und astrologische Bedeutung solcher Wunderzeichen zu klären, zu denen er auch die Kometen zählt. Seine Position entwickelt er anhand der Frage der kausalen Verursachung und Wirkung solcher Phänomene, also der zentralen Problemstellung zwischen ihrer Charakterisierung als kausal wirkend oder indizierend zeichenhaft. May schreibt diesen „ignitae impressiones“ neben ihren natürlichen Ursachen – die Kraft der Himmelskörper als causa efficiens – eine weitere Bedeutungsebene zu, eine zeichenhafte als „Fürboten / und Verkündiger uberaus grosses Unglücks und Straffen“, was durch die Erfahrung belegt sei.37 Interessanterweise wirft May unter anderem explizit den Theologen vor, solche Zeichen zu missachten, da sie „nicht mehr den[n] naturales quosdam effectus mit sich sollen bringen / als da sind gelinde und weich Wetter / dürre Lufft / und trockene Winde (…).“38 Er konstatiert damit, dass solchen Phänomenen – auch wenn sie durch natürliche Ursachen erklärt werden können – eine „sonderliche Bedeutung“ zukomme, die „nicht von wegen etlicher Ursachen in der materia, sondern von wegen einer verborgenen / und uns unerforschlichen Eigenschaft“ herrühre.39 Die sonderliche Bedeutung ist an den Folgen sichtbar, die damit also nicht primär als durch das Phänomen kausal verursacht dargestellt werden. Der Zusammenhang zwischen solchen Zeichen und den mit ihnen konnotierten negativen Ereignissen wird vielmehr historisch-empirisch mittels einer rückschauenden Chronologie solcher Zeichen belegt. Ein weiteres Argument sieht May in dem Fehlen natürlicher Ursachen für die weniger klimatisch-meteorologischen, sondern eher menschenbezogenen Folgen dieser Prodigien, z. B. Teuerung, Mord und Aufruhr.40 Diese hingen zwar mit den Auswirkungen der Phänomene zusammen – nämlich
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37 38 39 40
[7.10] Kepler, Johannes: Aussführlicher Bericht von dem newlich im Monat Septembri und Octobri diss 1607. Jahrs erschienenen Haarstern oder Cometen und seinen Bedeutungen. Sampt vorgehendem ganz newem und seltsamen aber wolgegründetem Discurs. Was eigentlich die Cometen seyen woher sie kommen durch wen ihre Bewegung geregieret werden und welcher Gestallt sie dem menschlichen Geschlecht etwas anzudeuten haben, Halle 1608 (VD17 12:642149S) [Caspar, Max / Hammer, Franz (Hrsg.): KGW IV, S. 57–76]. May beschreibt das Phänomen nicht näher und charakterisiert es als zu den ignitae impressioenes zugehörig, vgl. [7.16] May: Admonitio oder Erinnerung, Bl. A 3r. Der Titelholzschnitt lässt ein Halo- oder Parheliaphänomen vermuten. In einer anderen zeitgenössischen Quelle wird die Erscheinung als roter und feuriger Himmel beschrieben, vgl. Gruner, Paul: Beiträge zur Kenntnis der Dämmerungs-Erscheinungen und des Alpenglühens, Bd. 1: Historisch-chronologische Übersicht der schweizerischen Beobachtungen und Veröffentlichungen über Dämmerungsfärbungen und Alpenglühen, Basel 1921, S. 2. [7.16] May: Admonitio oder Erinnerung, Bl. A 3r. Ebd. [7.16] May: Admonitio oder Erinnerung, Bl. A 3v. [7.16] May: Admonitio oder Erinnerung, Bl. B 1r.
332
7 Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität
deren Infizieren der Luft, der sich der Mensch nicht entziehen könne und die auf dessen Gemüt, Geist und Temperament einwirke – seien aber nicht direkt auf diese als Ursache zurückzuführen. Obwohl May hier also eine Dualität von Ursächlichkeit und Zeichenhaftigkeit konstatiert, scheint der zeichenhafte Charakter im Vordergund zu stehen. In seiner Kometenflugschrift von 1607 wird Mays vornehmlich theologische Interpretation der Prodigien greifbarer. Er charakterisiert Kometen hier als göttliche Zornzeichen und beschreibt einleitend, dass Gott sich zur Warnung oder Bestrafung der Menschen verschiedener Mittel bediene, neben Propheten und Landstrafen auch besonderer Zeichen auf der Erde und am Himmel. Bibelstellen belegen diese Einordnung des Kometen als zur Buße mahnendes Warnzeichen, das als gewetztes Schwert Gottes denjenigen drohe, die nicht umkehren mögen, und diesen gleichzeitig – durch die inhärente prophetisch-divinatorische Dimension – das zu erwartende Unglück konkret vor Augen führe. In diesen theologischen Interpretationsrahmen ist Mays Intention des Werkes eingebettet, dem „günstige[n] Leser auffs kürtzte vollstendigen bericht (…) / dieses jtzigen und dergleichen Cometen / was sie nemlich sein / und was sie andeuten“41, also Orientierungswissen, zu vermitteln. Der folgende Abschnitt rekapituliert die klassische augmentierte meteorologische Kometentheorie, charakterisiert den jetzigen als Bartkometen (pogonias) und macht als seine natürlichen Ursachen die Sonnenund Mondfinsternisse des aktuellen Jahres, die Konjunktionen von Mars und Sonne sowie von Sonne und Merkur – beide im feurigen Zeichen Löwen – und die von Mars und Merkur aus. Letztere bedeute ganz spezifisch z. B. einen ungewissen Lauf, während eine weitere Konjunktion von Sonne und Merkur im Luftzeichen Waage die Vermehrung der Kometenmaterie verursacht habe. Es zeigt sich hier, wie die meteorologische Kausalität der Kometenentstehung mit astrologischen Elementen eng verwoben ist. Ähnliches gilt für die Kometenfolgen, die May nach einer knappen Beschreibung der Sichtung des Kometen auflistet und erläutert.42 Das Muster der kausalen Erklärung der Folgen als Wirkungen ist besonders bei den ersten vier sichtbar, die den Bereich der Naturwelt oder Witterung betreffen, also Stürme, Dürre, Krankheiten, Fluten und Erdbeben. Sie alle werden auf die durch den Kometen verursachte Veränderung der Luft oder allgemeiner auf dessen Einfluss auf den sublunaren Bereich zurückgeführt: Der Komet als Verbrennungsprozess trockener terrestrischer Materie führe zu Rauch, der sich in ungewöhnliche und starke Winde umwandelt. Diese führten zu Überflutungen oder, wenn sie in die Erde eindringen oder dort eingeschlossen sind, zu deren Erschütterung. Die warmen Dämpfe vergifteten die Luft und verursachten so Fieber und andere Krankheiten. Außerdem entziehe der Komet der Erde ihren Saft, was zu Dürre, Missernten und schließlich Teuerung führe. In diesen Ausführungen manifestiert sich also klar die Idee der Kausalketten. Die letzten beiden Kometenfolgen bezie-
41 42
[7.21] May: Kurtzer Bericht von dem Strobelstern oder Cometen, Bl. A 3r. [7.21] May: Kurtzer Bericht von dem Strobelstern oder Cometen, Bll. A 4r–A 4v.
7.1 Theodor Mays Meinungswandel bezüglich Kometen
333
hen sich auf die Ebene menschlichen Miteinanders, im Großen und Kleinen: Neben Aufruhr, Krieg und Blutvergießen nennt May auch Zank, Neid, Betrügerei oder Diebstahl. Außerdem das Sterben hoher Herren, Verheerung der Länder und Städte sowie „grosse verenderung in den Regimenten / beides im Geistlichen und Weltlichen Stande“43. Diese Folgen werden in ihrer Entstehung nicht näher erklärt und weniger mit der naturkundlichen Dimension des ursächlich wirkenden Kometen, sondern mit dessen zeichenhaft-astrologischen Aspekten verbunden, z. B. seinem Lauf im „grimmigen Löwen“44. Beide Ebenen werden durch die theologische Interpretation als Klammer konzeptuell verbunden, was sich an der anschließenden Spezifikation der konkreten Folgen des aktuellen Kometen bzw. deren Reihenfolge erkennen lässt: Der jtzige Postreuter Gottes aber zeiget an / das der liebe Gott anfenglich uns mit faulen / nassen / und ungesunden wetter will heimsuchen / darnach ferner mit Pestilentz unnd hitzigen Fiebern / endlich mit unvermutlicher dürre / mißwachs / tewer zeit / Krieg / Auffruhr und Blutvergiessen / und das er auch den Regenten Baum / unter dessen Schatten wir in gutter ruhe unser leben volbringen können / schütteln unnd schwechen will / wo wir nicht mit Bußfertigen leben unnd fleissigen gebet ihm in die Arm fallen hertzen unnd küssen / und sein Zorniges hertz wider unsere Sünde stillen.45
May beklagt dann, dass solche Zeichen oft missachtet würden von „etliche hönische hertzen / spötter und verächter der Löblichen freyen Künsten / so alles widersinnisch und abergleubisch deuten / mus ich dir / günstiger Leser / dieses mit Exempeln / und also aus teglicher erfahrung darthun / damit sie dir dein hertz nicht einnehmen (…).“46 Man beachte, dass sich Mays Kritik hier vornehmlich an diejenigen richtet, die Kometen nicht der Kunst gemäß – was bei ihm astrologisch-naturkundlich bedeutet – oder abergläubisch, also unchristlich deuten. Die anschließende Chronologie vergangener Kometenerscheinungen fungiert als empirischer Beleg für die Zeichenhaftigkeit von Kometen und deren Folgen. 7.1.1 Der Komet als natürliches Zeichen Gottes Das Erscheinen des Großen Kometen von 1618 wird von May in zwei separaten Schriften verarbeitet, der Zorn Ruthe und der Historische[n] warhafftige[n] Beschreibung, im Folgenden als Historische Beschreibung bezeichnet, die beide mehrfach aufgelegt werden und mit 14 bzw. 12 Blatt im Quartformat etwa gleich lang sind.47 Das erstgenannte
43 44 45 46 47
[7.21] May: Kurtzer Bericht von dem Strobelstern oder Cometen, Bl. A 4v. Ebd. Ebd. [7.21] May: Kurtzer Bericht von dem Strobelstern oder Cometen, Bl. B 1r. Für die bibliographischen Angaben siehe Fußnote 31.
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7 Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität
Werk erscheint mindestens zweimal in Magdeburg bei Mays hauptsächlichem Verleger Johann Francke sowie einmal in Goslar.48 Die zweite Schrift, deren Erscheinen May in der Zorn Ruthe ankündigt, wird ebenfalls 1618 in Magdeburg publiziert und im Folgejahr noch einmal von Francke textgleich, aber unter etwas anderem Titel verlegt.49 Die Titel beider Schriften deuten bereits darauf hin, dass der theologische Interpretationsrahmen von Kometen als göttlichen Zornzeichen prominent präsent ist. Gegenüber der Kometenflugschrift von 1607 weisen sie jedoch einige Unterschiede auf, insbesondere hinsichtlich der theoretischen Darstellung von Kometen, aber auch was ihre theologische und astrologische Signifikanz angeht. Diese Unterschiede sind in der Zorn Ruthe weniger deutlich als in der Historischen Beschreibung, aber trotzdem aufschlussreich bezüglich der Evolution von Mays Denkens, weshalb diese Schrift nun einleitend betrachtet wird. In einem astrologieapologetischen Vorwort beklagt May zunächst, dass neben den Gelehrten nun auch der gemeine Mann die Astrologie ablehne, was er auf Unwissenheit, Unerfahrenheit und Vor- bzw. Fehlurteile zurückführt.50 Das Wort ‚Erfahrung‘ bezieht er hier nicht nur auf eine lang entwickelte fachliche Kompetenz, sondern auch ganz konkret auf eine historisch-kausale Astrologie, wie sie auch in den Chroniken der Kometenerscheinungen begegnet: „Also wenn erfahren ist / das solch gestirn solche wirckung hat / so sucht man die ursach und helt es dafür.“51 Die astrologiekritische Haltung Picos führt er nicht nur darauf zurück, dass dieser jung – also vergleichsweise erfahrungsarm – gestorben sei, sondern darauf, dass ihm die Einsicht in die kausale Wirkweise der Astrologie gefehlt habe: „so hat er doch die ursachen nicht wissen können / warumb die Planeten / wenn sie mit Aspecten zusammen conspiriren, solche wirckung haben (…).“52 Dies lässt sich nicht nur grundsätzlich als Hinweis auf Keplers Neufundierung der Astrologie als aspektbasiert53 lesen, sondern könnte auch dafür sprechen, dass May Keplers Werk zur Nova 1604 gekannt hat, in dem dieser sich intensiv mit den Argumenten Picos auseinandergesetzt hat.54 Diese Stelle berührt bereits das Kernproblem der Konzeption von Kausalität in Bezug auf Kometen.
48 49
50 51 52 53 54
Vgl. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 34. [7.19] May, Theodor: Historischer Bericht von dem Cometen was bey Zeiten Lutheri unserm teutschen Propheten so im Jahr Christi 1483 gebohren und seidthero binnen hundert Jahren auss derselben erscheinung für Unheil in der Welt entstanden und wessen man sich nach der Lehr der alten Naturkündiger auch diessmahl wegen des itzigen Cometen schnellen Lauff (…) zu besorgen habe beschrieben, Magdeburg 1619 (VD17 23:264815M). [7.25] May: Zorn Ruthe, Bll. A 2r–A 4r. [7.25] May: Zorn Ruthe, Bl. A 2v. [7.25] May: Zorn Ruthe, Bl. A 3r. Vgl. dazu: Boner: Kepler’s Cosmological Synthesis, S. 49–68 sowie S. 158–162. [7.12] Kepler, Johannes: De stella nova in pede serpentarii, et qui sub eius exortum de novo iniit, trigono igneo. libellus astronomicis, physicis, metaphysicis, meteorologicis & astrologicis disputationibus endoxois & paradoxois plenus, Prag 1606
7.1 Theodor Mays Meinungswandel bezüglich Kometen
335
Den eigentlichen Text seines Werkes beginnt May mit umfangreichen inhaltlichen und strukturellen Wiederholungen seiner Schrift von 1607 und ordnet den aktuellen Kometen wie dort als Zornzeichen Gottes ein, was er biblisch und literarisch belegt.55 Er entwickelt in diesem Zusammenhang eine Art Taxonomie der Stern-, also dem Sprachgebrauch folgend der Himmelskörperarten, die er als Geschöpfe Gottes und gleichzeitig natürliche Phänomene präsentiert:56 May unterscheidet ewige, also bei der Genesis geschaffene und für immer existierende Himmelskörper – darunter die Fixsterne und die Planeten – von solchen, die nach ihrer Schöpfung vergehen oder erst nach der Genesis überhaupt erschaffen worden sind. Bei den Supernovae der Jahre 1572 und 1604 handele es sich z. B. um Himmelskörper, die nicht bei der ursprünglichen Schöpfung entstanden und später vergangen seien. Ähnlich verhalte es sich auch mit Kometen, die ihren eigenen Lauf in der Region der Planeten hätten, wo sie aus nicht so kompakter Äthermaterie entstehen und durch die Sonnenstrahlen erleuchtet werden, was durch Brechung auch die Erscheinung des Kometenschweifes erklärbar mache. Diese Idee, dass Kometen aus himmlischer und nicht terrestrischer Materie bestehen und supralunar sind, schreibt May Kepler und Röslin zu, denen er darin explizit folgt.57 Er grenzt diese Ansicht in zwei Richtungen ab, nämlich hinsichtlich der peripatetischen Sichtweise der augmentierten meteorologischen Theorie, indem hier eine Variante der optischen Kometentheorie propagiert wird, aber auch in Bezug auf jene, die Kometen als reine Neuschöpfungen Gottes sehen, zum Zeichen der Buße von diesem geschaffen und später, wenn sie ihren Dienst getan haben, wieder verworfen. „Diese habens zwar getroffen / was den Dienst und Bedeutung der Cometen anlanget“58, konstatiert May, aber wohl nicht hinsichtlich der Erklärung ihrer natürlichen, also kausalen Entstehung, da sie – wofür auch das von ihnen angeführte Beispiel des Regenbogens spreche – auf die wunderhafte, übernatürliche Dimension und damit ausschließlich die Zeichenhaftigkeit des Phänomens rekurrieren. May betont hingegen das Spezifikum der Keplerschen Überlegung zur ätherischen Natur von Kometen, dass „der Himmel an allen orten qualificirt und bequemlich sey / auß seiner eigenen
55 56 57 58
(VD17 23:324889B) [Caspar, Max (Hrsg.): KGW I, S. 149–390]. Siehe dazu die maßgebliche deutsche Übersetzung und Kontextualisierung der Schrift in Kepler, Johannes: Über den neuen Stern im Fuß des Schlangenträgers. Nachwort von Eberhard Knobloch, deutsche Übersetzung von Otto und Eva Schönberger und Eberhard Knobloch, Würzburg 2006 sowie Boner, Patrick J.: Astrology on Trial. Kepler, Pico and the Preservation of the Aspects, in: Culture and Cosmos 14 (2010), S. 209–234. May führt hier etwa eine Passage der Argonautika des griechischen Dichters des 3. vorchristlichen Jahrhunderts Apollonios von Rhodos sowie Zitate von Pontanus, Vergil (Aeneis), Lucanus und Cicero an. Vgl. [7.25] May: Zorn Ruthe, Bll. B 3v–B 4v. [7.25] May: Zorn Ruthe, Bll. C 1r–C 1v. Eine konzise Zusammenfassung von Keplers Kometentheorie bietet Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 163–181. [7.25] May: Zorn Ruthe, Bl. B 4v.
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substanz Materiam der Cometen zu suppeditiren (…).“59 Kepler hat diese Idee der Urzeugung in seiner deutschsprachigen Kometenschrift von 1608 unter anderem durch eine bekannte Metapher ausgedrückt, in der die göttliche Geschaffenheit und die natürliche Verursachung von Kometen verbunden werden: Von den Cometen ist diß mein einfältige Meynung / das wie es natürlich / das auß jeder Erden ein Kraut wachse / auch ohne Saamen / und in jedem Wasser / sonderlich im weiten Meer / Fische wachsen / und darinnen umbschweben / also auch das grosse öde Meer Oceanus nicht allerdings leer bleibe / sondern auß sonderm wolgefallen Gottes deß Schöpffers die grosse Wahlfische und Meerwunder / dasselbig mit iren weitschüchtigen straiffen hin und her besuchen / und durchwandern. Allermaßen sey es auch mit der himlischen / uberall durchgängigen und ledigen Lufft beschaffen / daß nemlich dieselbige diese Art habe / auß ihr selber die Cometen zu gebären / damit sie / wie weit die auch sey / an allen Orten von den Cometen durchgangen werde / und also nicht allerdings läer bleibe.60
Etwas abgewandelt hat auch May dieses Bild in der Einleitung seiner Taxonomie verschiedener Himmelskörpertypen gebraucht, um zu belegen, dass es mehr Sterne gibt, als die Menschen gemeinhin sehen und auch, um zu betonen, dass Wunderhaftigkeit und natürliche Verursachung sich nicht ausschließen: Dieser natürlichen erschaffenen Sternen ist nun eine grosse menge / so die Menschen zum theil nicht alle sehen / zum theil auch nicht zehlen können. Denn gleich wie in dem grossen Oceano auff Erden oder im Meer / viel unnd mancherley Fische gefunden werden / deren etliche auch durch auß den Menschen gantz frembdt unnd unbekandt fürkommen / Dannenhero auch sie für Wunder gehalten werden wenn man die fänget: Ebener massen seyn auch im Obern Oceano Im lieben Himmel in den Wolcken viel unnd mancherley Sternen / daß sie der Mensch auß angeborner Schwachheit nicht sehen / viel weniger kennen und zehlen mag (…).61
Die Signifikanz von Kometen als göttlichen Kommunikationsmedien ergibt sich aus ihrer Vergänglichkeit als neu und damit zweckvoll geschaffenen Himmelskörpern, was durch die Zurückführung ihrer Entstehung auf natürliche Ursachen nicht beschnitten wird, sondern im Gegenteil damit zusammenhängt. Die theologische Kritik an dieser in der Kometentheorie inkorporierten vitalistischen Idee der Hervorbringung des Kometen sowie der Neuschöpfung der diesen bewegenden Intelligenz verhindert den Druck einer lateinischen Fassung von Keplers Kometenschrift und zwingt ihn zu einer naturwissenschaftlichen Präzisierung: Auch der den Kometen bewegende Geist – dessen Neuschöpfung seitens einer biblizistischen Theologie, der es auf Gottes Heilshandeln in der Welt ankommt, abgelehnt wird – gehe aus der Materie des Himmels durch 59 60 61
[7.25] May: Zorn Ruthe, Bl. C 1v. [7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 59]. [7.25] May: Zorn Ruthe, Bl. B 3r.
7.1 Theodor Mays Meinungswandel bezüglich Kometen
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Gottes Willen hervor, was einer Verschiebung der theologischen Argumentation auf das Gebiet der Natur entspricht.62 Später wird der Kometengeist bei Kepler dann zur facultas, also zur Kraft der himmlischen Natur, die als Ausdruck und Mittel göttlichen Willens erscheint.63 7.1.2 Die Belegfunktion der kausalen Meteorologie Für May ergibt sich die Evidenz von Kometen als Zeichen Gottes aus der Erfahrung; die empirische historia belegt die negativen Folgen der Himmelsphänomene. Die Liste der sechs klassischen Kometenfolgen erscheint zu großen Teilen bis auf den Wortlaut identisch mit dem Abschnitt aus Mays Kometenschrift von 1607. Die meteorologische Kausalität der Kometenfolgen als direkte Wirkungen, oft erscheinend in Ketten aufeinanderfolgender Ursachen, an deren Beginn der Komet und seine Wirkung auf die Luft stehen, wird jedoch nicht mehr explizit ausgeführt. Hier geht es May um die theologische Dimension der Kometen, ihre göttliche Signifikanz als indizierende Zeichen. Auf diese Belegfunktion rekurriert die historische Kasuistik vergangener Himmelserscheinungen, wobei May die einschlägigen Autoren Camerarius, Milich und Peucer anführt.64 May geht ebensowenig auf die konkrete Verursachung der Kometenfolgen Herrschertod, Aufruhr oder Krieg ein, die er in seiner früheren Schrift explizit als nicht kausal durch Kometen verursacht dargestellt hat, im Gegensatz zu den klimatischmeteorologischen. Dieser Bruch ist hier nicht mehr so offenkundig, da die historische Empirie nun primär den zeichenhaften Zusammenhang zwischen Kometen und Kometenfolgen, also den Kometen als bedeutend und nicht wirkend, illustrieren soll. Zudem bietet May keine konkrete Zukunftsprognostik, was ebenfalls an die Position Keplers in seiner deutschsprachigen Kometenschrift erinnert:65 Was gewiß und eigentlich in künfftiger Zeit kommen unn geschehen soll und wird / das kann kein Mensch gewiß und eigentlich schreiben und verkündigen / Es sey dann das es i[h]m Gott durch seinen Geist oder durch sein Wort offenbahrete: So bleiben dennoch oben gesatzte Sprüche der zuvor auß vielen Scribenten schrifften angezogen / auch wa[h]r (…).66
Der in diesen Ausführungen von May anklingende Widerspruch zwischen einer scheinbar weiterhin propagierten meteorologisch-kausalen Konzeptualisierung von Kome62 63 64 65 66
Der Keplers Manuskript begutachtende Leipziger Theologe Georg Weinrich lehnt die Publikation der lateinischen Schrift ab, woran auch Keplers Korrektur nichts mehr zu ändern vermochte, vgl. Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 240–243. Vgl. Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 244. [7.25] May: Zorn Ruthe, Bl. C 3v. Vgl. [7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 65–66]. [7.25] May: Zorn Ruthe, Bl. D 1r.
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tenfolgen bei gleichzeitiger Übernahme der Ideen Keplers, wird in der zweiten Schrift Mays zum Kometen 1618, der Historischen Beschreibung, deutlicher aufgeklärt. Zudem präzisiert er hier den Zusammenhang zwischen theologischer Zeichenhaftigkeit, also göttlicher Geschaffenheit, und natürlicher Verursachung von Kometen. Dass bereits im Titel das Wort Historisch gebraucht wird, ist ein erster Hinweis auf die sich schon in der Zorn Ruthe im Vergleich zur Kometenschrift 1607 ankündigende Verschiebung des Legitimationsbereichs der Astrologie, nämlich weg vom meteorologischen Kausalmodell hin zu einer vielschichtigen historischen Empirie. Strukturell spiegelt sich dies allein darin wieder, dass May dieses Werk weder mit astrologieapologetischen Ausführungen, noch mit theoretischen Informationen zum Kometen, sondern mit einer theologisch eingebetteten historischen Argumentation beginnt: Wenn man die Augen auff thun will / und mit Verstandt der Geschichtschreiber Schrifften lesen / so wird man auch unter andern diß befinden / daß Gott der Herr jederzeit / auch durch erscheinung der Cometen / Wunderbarlicher weise / hoher und fürnehmer Leute / Geistliches und Weltliches Standes / untergang / beneben andern Unheil / Als Krieg / Verenderung der Regimenten und dergleichen Landes beschwerung / so daraus erfolget seyn / angedeutet haben / welches die Philosophi und Astronomi, aus erfahrung / auch jederzeit gelehret (…).67
Der rationale Blick auf die Erfahrung der Geschichte belegt also die Folgenhaftigkeit von Kometen als Instrumenten Gottes, autoritativ untermauert durch die Lehren der relevanten wissenschaftlichen Disziplinen. Man beachte, dass May hier ausschließlich auf die menschenbezogenen statt klimatisch-meteorologischen Folgen rekurriert und diesen in ihrer historischen Erfahrbarkeit eine memoria-Funktion zuschreibt, also nicht nur den Kometen selbst, sondern auch dessen Folgen als zeichenhaft interpretiert: So erweisen die Folgen, dass Gott ein aktiver Gott ist, der den Lauf der Welt nach deren Schöpfung nicht passiv wachend geschehen lässt, sondern in die Weltgeschichte eingreift „und die Regimenten selbst bestelle und erhalte / auch verenderung in denselben fürnehme“68. Geistliche und weltliche Funktionsträger sollten sich daher in der Ausübung ihrer Macht als „seines Reichs Amptleute“ begreifen, die Untertanen gehorsam ihre Pflichten erfüllen und ein gottgefälliges Leben führen.69 Der wunderhafte Charakter der Kometen liegt in ihrer Indienstnahme durch Gott, der sich eines natürlichen Phänomens in besonderer Weise bedient, um sich auszudrücken und eine Verhaltensänderung zu erwirken: „Der ist glückselig und kluger Mann / Der sich aus frembder straff bessern kann“70. Die historisch belegte Quantität solcher Zeichen und auch deren Nichtbeachtung gefolgt durch die ebenfalls als 67 68 69 70
[7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. A 2r. [7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. A 2r. [7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bll. A 2r–A 2v. [7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. A 2v.
7.1 Theodor Mays Meinungswandel bezüglich Kometen
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zeichenhaft zu interpretierenden Strafen, untermauern und wiederholen die göttliche Botschaft. Der Aktivierung dieser Erinnerungsfunktion dient Mays Rückschau auf die historischen Kometenerscheinungen der letzten 100 Jahre, die den ersten und mit Abstand ausführlichsten Part seiner Schrift ausmacht. Auch in dieser Rekapitulation vergangener Kometen fokussiert er nach einer knappen Beschreibung die politischreligiösen Folgen und behandelt solche wie Feuer, Hagel oder Sturmwinde meist nachrangig. Interessanterweise erfolgt vor allem bei den historisch jüngeren Kometen gar keine Phänomenbeschreibung mehr, sondern nur noch die immer detaillierter werdende Aufzählung der Folgen. Also auch bei den Kometenerscheinungen, für die solche Beschreibungen oder auch Beobachtungsdaten am umfangreichsten vorhanden sind, geht es um die Folgenhaftigkeit an sich, nicht um die Ermittlung der Planetennatur des Kometen oder die für eine Ausdeutung relevanten konkreten Parameter seiner Erscheinung. Eine spezifische astrologische Deutung hat solche Parameter traditionell mit bestimmten Kometenfolgen in Verbindung gebracht, was gleichzeitig als Legitimation der Kausalkette zwischen Ursprung, Existenz und Wirkung der Kometen als Element der augmentierten meteorologischen Kometentheorie fungiert hat. Hier geht es aber weniger um die Deutung, sondern Bedeutung der Kometen als historische exempla, wobei der gewollte Eindruck ihres kumulierten Auftretens deren Charakter als willentlich-zweckvolle Botschaft unterstreicht. Als signa sind sie damit zunächst ganz allgemein Zeichen der Präsenz Gottes in der Welt, haben aber einen historisch erfahrbaren und sich historisch entfaltenden konkreten Einfluss: „Dann die Cometen seyn in gemein gleich / der Welt critica signa, und der Regimenten / welche auch gleich mit kranckheiten angegrieffen werden / ihr Critica signa hat am 3. 4. oder 7. Tag / also etwan im dritten / vierden / oder siebenden Jahr sich erst erzeigen thut / was die Cometen bedeutet haben.“71 Mays Urteil zum aktuellen Kometen zeigt, dass er einer astrologischen Prognostik spezifischer Kometenfolgen nicht grundsätzlich abgeneigt ist und diese auch an bestimmten Eigenschaften des Kometen festmacht: Was will noch aber wol dieser Comet bringen / den wir jetzo noch täglich Abendes und Morgendes / auch fast die gantze Nacht herdurch sehen / Freylich nicht viel gutes / wie seine prodomi die bösen Constellationes, darvor im Prognosticis zu sehen / angekündiget haben / daß nach Absterben hoher Potentaten / wünderliche Verenderung der Regimenten / theils in Osten / theils in Westen / weil er an beyden theilen Verticalis ist / entstehen werden / auch viel Auffruhr und Kriegßwesen wegen der religion / so dann bereit an beyden Orthen auch im schwang und geschehen ist.72
71 72
[7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. B 1r. [7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. C 2r.
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Wieder erwähnt May hier ausschließlich die menschenbezogenen, politisch-religiösen Folgen und nicht klimatisch-meteorologische. Was sind nun die bösen Konstellationen, die die Kometenfolgen angekündigt – aber nicht verursacht – haben? Der folgende Abschnitt, in dem May die peripatetische Ansicht zu Kometen referiert, erhellt diesen Zusammenhang: so viel ihre Wirckung belangen thut / wollen sie daß sie viel Wider bedeuten / Nach dieser meynung setze ich nun / daß er [der Komet] die vielfeltigen Winde / so wir bißhero gehabt / und noch folgen werden / errege / darzu ihme dann der Quadrat Jovis und Solis, am Tage Martini / die Opositio Saturni und Solis, die Wochen hernacher / der Quadrat Jovis und Mercurii, am Freytag vor Advent geholfen / und ferner der Quadrat Saturni und Mercurii den 10. Decemb. Item / Quadrat Martis und Mercurii, Item / Saturni unn Martis, den 18. Decemb. tapffer helfen werden. Eins wil ich aber hie erinnern / daß Aristoteles und seine Schüler / hiedurch / die rechte und gründliche ursach der Winde nicht gewust. Solchs halten mit denen / die es besser treffen wollen / und sagen: Daß der Comet ein Brand sey / vermeynen sie / daß die Lufft dadurch vergifftet werde / dannenhero / viel böser hitzige Fieber und Kranckheiten erfolgen. Item / Pestilentz / Sterben und abgang des Vihes und der Menschen / und sonderlich grosser Herren / dieweil sie zart erzogen / und der vergiffte Lufft ihnen leichter schaden thue / auch gewiß zugleich Krieg und Auffruhr daher entstehe / dieweil die angezündete Lufft auch die Choleram und Bilem im Menschen vermehren sol / also die Gegenmüther erhitzigt und verbittert / und aneinander verhetzet werden (…).73
May gibt hier eine knappe und tendenziell ablehnende Zusammenfassung der Idee der meteorologischen Kausalität, also der Kausalketten, welche die Kometenfolgen ursächlich mit dem Kometen und der durch ihn herbeigeführte Veränderung der Luft, in der ein Komet entsteht und verbrennt, verbinden und betont zudem, dass dies ein Element der nach-aristotelischen Theorieentwicklung ist. Dieser Konzeption der Verursachung setzt er die Aspekte der Planetenkonstellationen entgegen, die zur Zeit der Kometenerscheinung präsent sind und die er mit der Kometenwirkung zu assoziieren scheint. Dies ist ein klarer Hinweis auf Keplers reformiertes Astrologiekonzept, bei dem die Aspekte als bestimmte, geometrisch ausgezeichnete Winkelabstände zwischen den Planeten die entscheidende Grundlage der astrologischen Wirkung bilden. May lehnt in seiner doxographischen Schilderung der Kometentheorien aber nicht nur die meteorologische ab, sondern auch die derjenigen, die „etwas gelehrter seyn wollen“ und die optische Kometentheorie favorisieren, wonach Kometen keine Verbrennungsprozesse, sondern von der Sonne erleuchtete Körper seien.74 Das Problem dabei liegt für May nicht in der naturkundlichen Erklärung des Wesens von Kome-
73 74
[7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bll. C 2r–C 2v. [7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. C 2v.
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ten, sondern in der daraus gezogenen Schlussfolgerung, dass man einerseits deswegen „auch nichts daraus sagen [könne]“, also keine Deutung möglich sei, und das die Vertreter dieser Ansicht nicht glaubten, „daß es sondere Wunderzeichen seyn / sondern es gehe alles also natürlich zu / sey doch nich zu wissen / wie es zugehe / die Christen sollen auch nicht achten (…).“75 Er kritisiert hier also, dass die Zurückführung auf natürliche Ursachen in der Erklärung von Kometen deren Zeichenhaftigkeit negiere und zwar sowohl ihre Qualität als astrologische Zeichen als Grundlage einer Zukunftsprognostik, als auch als signa einer verkörperten göttlichen Botschaft, die mit ersterer zusammenhängt. Wie das folgende Zitat verdeutlicht, sieht May in dieser Qualität nicht nur die Notwendigkeit der Wahrnehmung solcher Zeichen durch gottesfürchtige Christen begründet, sondern weitergefasst auch eine Motivation ihrer umfassenden naturkundlichen Erforschung. Demnach damit mir es nicht neben ihn also ergehe [wie der zweiten Gruppe der Gelehrteren] / halte ichs mit denen / so aus grossen / fleissigen observationibus der Geometrischen Instrumenten ersehen / daß die Cometen nicht in der Lufft ihren stand und lauff haben / Sondern in den himlischen Sphæren und Regionen der Planeten / auch ihren Lauff nach art der himlischen Sphæren oder der Planeten richten / daß sie einen gewissen Lauff wie die Fixen Sternen / oder wie die Planenen [sic!] haben / nach art der himlischen Ætherischen Cörper / nicht nach art der Elementischen Cörper / derowegen halten sie / daß ihr Natur unnd Eigenschafften viel höher zu bedencken seynd / dann die ersten [die Peripatetiker] thun / seyn aber nicht müssig / fäul oder treg / wie der ander hauff [die Gelehrteren] / sondern forschen der Natur der Cometen nach / als Naturkündiger / daß sie ihren Lauff nach / gewissen Circul und auch orbibus fassen und begreiffen / auch zuverantworten wissen / und so viel ihre bedeutung anlanget / halten sie wider die andern / daß es sonderbare Warnung Zeichen von Gott seyn / derwegen GOtt der HErr dieselbige auch stell an End und Ort des Himmels / und mit solchen umbstenden und accidentibus begebe / daraus man etwas könne und wisse abzunehmen / doch das Prognosticum nicht aus den auffriechenden Dünsten oder Dempffen führen / wie die ersten thun / Sondern vielmehr aus der Harmonia und Vergleicherung / welche die Cometen ihren Circuln und Lauff nach gegen dem Firmament / und gegen der gantzen Welt / obern und untern Welt haben und führen.76
Wie bei Kepler hat hier die wissenschaftliche Arbeit des Naturforschers eine klar theologische Dimension. Die sich aus Beobachtung und theoretischer Reflexion ergebende Supralunarität von Kometen verleiht diesen eine Nobilität, die ihrer Qualität als göttliche Zeichen adäquater ist. Ihr dualer Charakter als Naturphänomen von theologischer Relevanz erfordert eine Erforschung, die diejenigen nicht aufbieten oder
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Ebd. [7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. C 3r.
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für nicht notwendig erachten, die Kometen ausschließlich auf natürliche Ursachen zurückführen. Ein nicht nur legitimer, sondern konstitutiver Teil dieser Erforschung ist, gewissermaßen als Nebenprodukt einer umfassenden naturkundlichen Untersuchung, die Erkenntnis der divinatorischen Signifikanz des Phänomens. Diese ergibt sich nun nicht mehr aus der traditionellen meteorologischen Kausalität zwischen dem Kometen und dessen Folgen, sondern aus seiner sympathetischen Korrespondenz oder Konsonanz mit der sublunaren Welt, die von der Harmonie seiner geometrischen Verhältnisse – „Circuln und Lauff “ – bestimmt ist, auf welche Erd- und Menschenseele aufmerken. 7.1.3 Exkurs zu Keplers Astrologie Diese Art der Konsonanz oder Affektierung funktioniert deshalb, da in Keplers Weltsicht Mikro- und Makrokosmos, sub- und supralunare oder „obern und untern Welt“ durch ein geometrisches Urprinzip verbunden sind.77 In seiner deutschsprachigen Schrift zur Nova 1604 beschreibt Kepler dies so: Damit ich aber doch auch ein kleine vorbereittung mache / die bedeutung mit der zeit zuerkundigen / so nim ich diesen Sterne an / wie einen andern / sonderlich einen Planeten / und achte es der Natur gemäß / das er / so lang er stehen / an der witterung unn nativiteten der Menschen / so wol gmeinschafft haben werde / als er am Liecht gemeinschafft hat: Nemlich weil die ganze Natur / und alle deren krefften (animales facultates) eine verborgene art haben /die aspectus der Himmlischen Liechtstralen zu mercken / unnd sich nach denselben zureguliren / werden sie ohne zweyffel auch dieses Sternens empfinden. Derohalben auff diejenige tage achtung zugeben / in welchen er mit den Planeten configurirt wird.78
Bei Kepler ist die Natur geometrisch konstituiert und erscheint als beseeltes Ganzes, in dem alle Elemente miteinander verbunden sind, wobei die göttliche Geschaffenheit der Welt sich in ihrer Harmonie manifestiert. Auf diesen Grundideen beruht seine Astrologie.79 Die Aspekte als besonders ausgezeichnete geometrische Konstellationen
77 78 79
Vgl. dazu Boner, Patrick J.: Kepler’s Living Cosmology. Bridging the Celestial and Terrestrial Realms, in: Centaurus 48/1 (2006), S. 32–39. [7.13] Kepler, Johannes: Gründtlicher Bericht von einem ungewohnlichen newen Stern wellicher im October diss 1604. Jahrs erstmahlen erschienen, Straßburg 1604 (VD17 12:642091H) [Caspar, Max (Hrsg.): KGW I, S. 393–400, S. 397]. Die in diesem Unterkapitel erwähnten Schriften thematisieren spezifischer Keplers Ansichten zur astrologischen Deutung von Kometen. In seinem wichtigsten programmatischen Werk zur Astrologie verteidigt er diese sowohl gegenüber einer zu starken Ablehnung als auch einer zu starken Zustimmung und propagiert stattdessen – wie der Titel vermuten lässt – einen dritten Weg [7.14] Kepler, Johannes: Tertius interveniens. Das ist Warnung an etliche Theo-
7.1 Theodor Mays Meinungswandel bezüglich Kometen
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der Himmelskörper sind astrologisch deutbare Zeichen, da zwischen ihnen und irdischem Geschehen ein natürlicher Zusammenhang besteht, wenn auch nicht der einer Wirkursächlichkeit im traditionellen Sinne: Die während der Schöpfung von Gott eingepflanzte Erdseele kann die Himmelskörper und insbesondere ihre geometrischen Proportionen wahrnehmen, ebenso spricht die menschliche Seele und überhaupt die sublunare Welt auf diese Art der Anregung an, u. a. dann, wenn eine Disposition zu dieser Empfindung oder Affektierung besteht, etwa über eine spezifische Prägung durch die Gestirnskonstellation bei der Geburt.80 Dadurch ist sowohl eine Individualhoroskopie legitimiert, als auch eine allgemeine Prognostik des historisch-politischen Geschehens, da beides mit den zeichenhaften Erscheinungen des Himmels korrespondiert – allerdings in einer Weise, die spezifische Deutungen doch stark limitiert und sowohl Raum für den freien Willen der Menschen als auch den durch den Einfluss der Konstellationen zwar affektierten, aber doch nicht determinierten Gang der irdischen Ereignisse lässt. Bezogen auf Kometen ergeben sich drei Arten des astrologisch relevanten Einflusses, zunächst eine natürlich-physikalische Wirkung, die auf der physischen Nähe von Erde und Kometenschweif beruht. Nur diese kann als klassisch kausal bezeichnet werden. Auf den meteorologischen Bereich und die natürlichen Witterungsverhältnisse der Erde wirkt ein Komet sympathetisch – also über die korrespondenzhafte Anregung und aufmerkende Reaktion darauf – ein, wie es in obigem Zitat Keplers zur Nova 1604 bereits anklingt. Die durch die Astrologie zu erschließende signifikative Funktion von Kometen beruht auf dessen ebenfalls sympathetischen Einfluss auf die Seelen und Gemüter der Menschen, was sich historisch, theologisch, politisch und psychologisch manifestiert. In seiner deutschsprachigen Kometenschrift bezeichnet Kepler die teils von Aristoteles und später den Kalenderschreibern postulierten kausal-meteorologischen Wirkungsweisen von Kometen als lächerlich, die auf der Idee beruhen, Kometen seien in der Nähe der Erde stattfindende Verbrennungsprozesse: dass ein Komet als bren-
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logos, Medi cos und Philosophos, sonderlich d. Philippum Feselium, dass sie bey billicher Verwerffung der sternguckerischen Aberglauben nicht das Kindt mit dem Badt aussschütten und hiermit ihrer Profession unwissendt zuwider handlen: Mit vielen hochwichtigen zuvor nie erregten oder erörterten philosophischen Fragen gezieret allen wahren Liebhabern der natürlichen Geheymnussen zu nohtwendigem Unterricht, Frankfurt 1610 (VD17 547:738138C) [Caspar, Max / Hammer, Franz (Hrsg.): KGW IV, S. 147–258]. Siehe dazu Kepler, Johannes: Tertius Interveniens. Warnung an die Gegner der Astrologie. Mit Einführung, Erläuterung und Glossar herausgegeben von Fritz Krafft, München 1971 sowie Krafft, Fritz: Tertius Interveniens. Johannes Keplers Bemühungen um eine Reform der Astrologie, in: Buck, August (Hrsg.): Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance, Wiesbaden 1992, S. 197–225. Eine umfassende Darstellung der Bedeutung der Astrologie in Keplers Leben und Karriere bietet Bauer, Katrin: Der andere Kepler – Vom Aufstieg eines frühneuzeitlichen Gelehrten mit Hilfe der Astrologie [unv. Diss. Universität Erlangen-Nürnberg 2014]. Vgl. Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 231–236.
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nende Fackel durch schnell bewegten Rauch die Luft oder auch das Meer aufwirbele und es so zu Stürmen, Fluten und unter der Erde zu Erdbeben komme; dass er der Erde Kraft und Feuchtigkeit entziehe, die Luft vergifte und so Dürre und Krankheiten führe.81 Die einzige Weise, auf die ein Komet Sturm, Überschwemmung, Trockenheit und Dürre, Erdbeben und Pest „verursacht und also vorbedeutet“ ist für Kepler folgende: Wenn am Himmel starke Konstellationen oder Kometen sind, so empfindet solche und entsetzet sich gleichsam darob die ganze Natur und alle lebhaffte Kräfften aller natürlichen dinge. Diese sympathia mit dem Himel gehet sonderlich die jenige lebhaffte Krafft an so in der Erden stecket und deroselben innerliche Wercke regieret davon sie gleichsam entsetzet an einem Ort nach dessen qualitet viel feuchte Dämpffe aufftreibet und herfür schwitzet; darauß langwiriger Regen und Gewässer und damit (weil wir auß der Lufft leben) allgemeine Landseuchen Hauptwehe Schwindel Catharr (wie Anno 1582) auch gar die Pestilenz (wie Anno 1596) entstehet.82
Diese sympathetische Astrologie beruht also auf einer animistisch-geometrischen Weltsicht einer harmonischen Verbundenheit von Himmel und Erde und ihren Geschöpfen. Die Einflussnahme durch einen Kometen ist vorhanden, allerdings ist der Komet nicht im klassischen Sinne die Ursache der ihm zugeschriebenen Wirkungen, sondern als Teil des Himmels in Aktion und Reaktion mit der sublunaren Welt verbunden. Dies entspricht tatsächlich einer anderen Art der Kausalität der astrologischen Wirkbeziehung zwischen Himmel und Erde, da die Ursache des Sterneneinflusses in die Erde verlegt wird, da er von deren geometrischem Verhältnis zu den Himmelskörpern abhängt. Die aufmerkende, aktiv-kausale Rolle der Erdseele ist das entscheidende Element der astrologischen Vermittlung in Keplers aspektbasierter Astrologie.83 Die theologische Relevanz eines Kometen ist für Kepler essentiell, da dessen Zweck in seinem Charakter als göttlichen Zeichen liegt: ob wol ein Comet ein natürlich ding und sein Schuß oder Strich trajectio, durch die himlische Lufft auch natürlich: nicht weniger zuvermuten daß solcher Cometen täglich und stündlich wegen der grossen weite deß Himels unzahlbar viel seyn: So kan doch nichts desto weniger ein solcher Comet welcher so nahend bey der Erden fürüber streicht daß er von da auß wargenommen und in zimlicher quantitet gesehen werden mag durch einen himmlischen Geist eben daher geleitet worden seyn den Menschen das jenige zuvermelden was Gottes Will oder Verhengniß gewest.84
81 82 83
84
[7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 61–62]. [7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 62]. Westman spricht in diesem Zusammenhang von der „responding agency of the Earth’s soul“ und erklärt diese Konzeption Keplers ideengeschichtlich mit seinem Wunsch, die Sonderstellung der Erde beizubehalten und ihr der kopernikanischen Kosmologie gemäß eine Bewegung zuzuschreiben, vgl. Westman: The Copernican Question, S. 380. [7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 65].
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Ein Komet ist damit nicht nur allgemein ein Zeichen für die Autorschaft Gottes der von Geometrie und Geist durchwirkten Welt, sondern soll die Menschen an ihre Vergänglichkeit erinnern, sie zur Versöhnung mit Gott bringen, die Sündigen abmahnen und die Unterdrückten und Schwachen trösten.85 Auch in Bezug auf die Menschen liegt die Wirkung eines Kometen in deren individuell-spezifischen Reaktionen auf dessen Einfluss: Weil aber hierauß folget / daß ein Comet nichts bedeuten würde / wenn nicht etliche Menschen entweder Gott / oder einem solchen Geist bekandt weren / die von Natur / oder auß anderer Anregung / auff die Cometen / und ihre Bedeutung achtung zugeben disponirt: Als will sich fast schliessen / dass ein Mathematicus eines Cometens eigentliche special Bedeutung / die auff solche der Menschen Auffmerckung gericht / nicht wissen könne; in ansehung ihme nicht aller Menschen Sinn und Gedancken offenbar.86
Aus diesen Vorstellungen erwächst Keplers Zurückhaltung hinsichtlich spezifischer Ausdeutungen, sowohl was das individuelle Schicksal von Menschen, als auch den Gang der irdischen Geschichte angeht. Gerade in Bezug auf politische Prognostik hält Kepler sich als im Dienste verschiedener Herrscher stehender Gelehrter ersten Ranges in Zeiten deutlicher religiöser und politischer Spannungen zumeist an seine Vorgabe, nichts Spezifisches, sondern nur Allgemeines zu deuten und agiert sehr vorsichtig.87 Abgesehen von seinen irenischen Ansichten, die ihn eine vermittelnde Stellung zwischen den konfessionellen Konfliktparteien einnehmen lassen, ergibt sich diese Zurückhaltung aber auch aus der Konzeptualisierung und Methodologie seiner Astrologie. Spezifische Deutungen sind in diesem Rahmen möglich, aber doch recht eingeschränkt. Gindhart hat darauf hingewiesen, wie fließend die Grenzen zwischen seiner fundierten Form der Prognostik und der traditionellen zum Teil verlaufen und wie viel Freude Kepler am Deuteln hat, wobei er in seinen Schriften immer sehr klar versucht, sich von den vermeintlich verblendeten Sternsehern abzugrenzen.88 So liefert Kepler in seinem Bericht zum Kometen 1607 alle relevanten Daten der für eine Spezialdeutung wichtigen Kometenparameter, will deren Ausdeutung aber anderen überlassen: Diß ist also die Beschreibung der Umbstände / mit welchen der Comet erschienen: Welchen alle und jede / auff unterschiedliche Bedeutungen zuziehen / mißlich und ungewiß ist / wie dann anfangs gemeldet. Derhalben ich diese Beschreibung / mehr andern zum Behelff und Nachrichtung hiebey gefügt / damit sie darauß ihres gefallens deuten und außlegen können.89 85 86 87
88 89
[7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 66–68]. [7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 65]. Die Möglichkeit spezifischer oder weitreichender Prognosen politischer Art ist unter anderem auch Gegenstand der Debatten um die Legitimität der Astrologie, die Kepler mit David Fabricius und Helisäus Röslin führt und denen Kepler hier zu zurückhaltend gewesen ist, siehe Boner, Patrick J.: Kepler v. the Epicureans. Causality, Coincidence and the Origins of the New Star of 1604, in: Journal for the History of Astronomy 38/2 (2007), S. 207–221, S. 214–217. Vgl. Gindhart: Kometenjahr 1618, S. 173–179. [7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 72].
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Bestimmte Elemente, etwa eine Deutung der Bahn des Kometen durch die astrologischen Häuser, dessen Schweifausrichtung in Bezug zu bestimmten Tierkreiszeichen und andere, insbesondere judizialastrologische Deutungsweisen hält Kepler „nicht allein für unrecht / sondern gar für kindisch und nichtig.“90 Eine chorographische Interpretation des Kometenlaufs findet sich in allgemeiner Form trotzdem bei ihm, wobei die betroffenen geographischen Regionen über die Polhöhe des Kometen ausgemacht werden. Insgesamt bleibt Kepler in seinen Ausführungen eher vage, er verweist mitunter auf Astrologen, die konkrete Bedeutungen für diejenigen herausfinden könnten, deren individuelle Geburtshoroskope die entsprechenden vom Kometen durchwanderten Zeichen als Aszendenten enthalten. Er misst auch der Tatsache Bedeutung bei, dass der Komet sich auf den Ort zu bewege, an dem 1604 die Nova erschienen ist und sieht darin einen Hinweis auf die Fortsetzung der durch sie angekündigten politischen Entwicklungen. Kepler schreibt dem Kometen eine kleine Wirkung zu, da er selber klein und bleich sei, unter anderem Trockenheit „durch Erhitzung der innerlichen facultet der Erden“91, was zu Erdbeben und Krankheiten führen könne. Dass Kometen in der von ihm konkretisierten Weise Wirkung ausüben, ist für Kepler evident und unter anderem auch über die historische Chronologie vergangener Kometenerscheinungen empirisch belegt. Welche Wirkungen zu erwarten sind, könne jedoch nicht sicher vorhergesagt werden. Die universale Bedeutung von Kometen als Zeichen der Providenz Gottes bleibt davon unberührt. 7.1.4 Der Zusammenhang von historischer Empirie und Astrologie Dieser grundlegenden Prämisse von Kometen als Kommunikationsmedien Gottes folgt May in seiner Historischen Beschreibung programmatisch, die er mit folgendem Lutherzitat einleitet: „Ich habe auch meinen lieben Sohn / meinen höchsten und liebsten Schatz / geschencket / wolt gern mit euch reden / euch lehren und unterweisen zum ewigen Leben / so habe ich niemand der mit will zuhören. Darumb muß ich die Straffe gehen lassen (…).“92 Die Missachtung Gottes und seiner Zeichen schreibt May jenen zu, die unter Berufung auf die natürlichen Ursachen von Kometen diese nicht mehr als Wunderzeichen betrachten, während bei Kepler die naturkundliche und theologische Dimension von Kometen eng verbunden erscheint. May folgt dann auch Keplers Theorie und sieht z. B. in der Supralunarität und himmlischen Natur der Kometen geradezu eine Bestätigung für deren Zeichenhaftigkeit: Dieweil ich aber befinde / das dieser meynung nicht allein auch etliche alte Philosophi gewesen / Sondern auch die alten Christliche Kirchen Lehrer / bekenne ich mich billich
90 91 92
[7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 75]. [7.10] Kepler: Aussführlicher Bericht [KGW IV, S. 66]. [7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. A 1v.
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auch hierzu. Dann dieser Meynung handeln nicht Heydnischer / Aristotelischer weise von den Cometen und Wunderwercken Gottes / wie die ersten [die Peripatetiker] thun / derer oben gedacht / auch nicht Epicurischer / sicherer / verächtlicher und spöttischer weise / wie die andern [die Gelehrteren] thun / Sondern Christlicher und Gottseliger weise / daß Gott der HERR die Ehr in solchem seinen Wercken und Wundern gegeben / und die Menschen ihres Ampts und beruffs / aus diesem ungewonsamen und zum theil auch zuvor unerhörten Zeichen erinnert und zu ihrer besserung und bekehrung ermahnet werden.93
Die Verbindung der zweiten, von May als unchristlich abgelehnten Sichtweise von Kometen mit der Epikuräischen Lehre ist ebenfalls ein Motiv, das schon bei Kepler begegnet. Zwar ist die Charakterisierung eines Gegners als Atheist mit hedonistischer Ader durchaus allgemein verbreitet, in Bezug auf die Interpretation von Kometen hat sie aber eine zusätzliche Ebene, die sich in Keplers Verwendung der Zuschreibung zeigt: Insbesondere in seiner Schrift zur Nova 1604 kritisiert er die Anhänger der epikuräischen Lehre nicht nur als unchristlich, sondern zudem als Feinde der Philosophie, da sie das Element des Zufalls in die Naturerklärung hereinbrächten.94 Das bedeute nicht nur eine Absage an die Idee der Sicherheit oder Gewissheit von Wissen, sondern auch an die Vorstellung einer göttlich und providential-zweckhaft geordneten Welt. Gleich zu Beginn seiner Schrift betont May, wie „Er der HERR im Himel nicht sitze auff einen grossen Stuel und schlaffe / oder todt sey / sondern wache und lebe (…).“95 Der christliche Gott ist ein aktiver Gott, keiner, der die Welt und ihre Geschöpfe ihrem Schicksal überlässt, sondern sie umsorgt, von ihnen erkannt werden will und über Zeichen mit ihnen kommuniziert. Außerdem wirft Kepler der epikuräischen Philosophie vor, kausale Erklärungen als Grundprinzip von Naturforschung zu negieren. Für ihn wie auch May sind neue Sterne oder Kometen Phänomene, deren zufriedenstellende Erfassung und Beschreibung beides umfassen muss, kausale Erklärung und Berücksichtigung der göttlichen Zeichenhaftigkeit. Wie erläutert, beruht die Neukonzeption der Astrologie Keplers, der May folgt, auf einem Wirkmodell, das mit der meteorologischen Kausalität nicht mehr viel zu tun hat. Diese Astrologie ist, wie Keplers gesamte Auffassung von Naturwissenschaft, in ein tief theologisches Weltbild eingebunden. Die sympathetisch wirksamen Aspekte stehen in einer Verbindung mit der sublunaren Welt, auf die sie Einfluss ausüben. Auch Kometen üben diese Art von Einfluss auf die terrestrische Welt aus, der greifbar ist über ihre zeichenhafte Bedeutung, die – in vergleichsweise engen Grenzen – astrologisch zu eruieren ist. Durch die damit verbundene Ablösung des Kausalmodells der Kometenwirkung von der meteorologischen Theorie beginnt die Astrologie einen Teil ihrer integrativen und explikativen Funktion zu verlieren. Im traditionellen Kometen93 94 95
[7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. C 3v. Vgl. Boner: Kepler v. the Epicureans. [7.20] May: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen, Bl. A 2r.
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bild ist sie mit der naturkundlichen Erklärung aufs Engste verknüpft – in Form der kausalen Erklärung der Kometenfolgen als Wirkungen. Eine Schwächung dieser Verknüpfung bedeutet daher eine Begrenzung des Gegenstands- und Erkenntnisbereichs der Astrologie, was nicht ohne Folgen für ihren epistemologischen Status bleibt. Dies manifestiert sich z. B. in Keplers ambivalenter Haltung zur Praxis der Sterndeutung. Im Blick auf Mays Historische Beschreibung fällt auf, dass die Belegfunktion für die Zeichenhaftigkeit von Kometen auf die historia übertragen wird. Die historische Chronologie vergangener Kometenerscheinungen und deren Folgen bilden den Schwerpunkt seines Werks und werden thematisiert, bevor es um die naturkundliche Beschreibung des Phänomens geht. Innerhalb der historischen Argumentation wird den observablen Kometenparametern, die für eine astrologische Deutung essentiell sind, immer weniger Raum gegeben. Die funktionale Rolle der historia – das zeigt auch die Fokussierung auf die politischen Folgen – ist auf einen theologischen Rahmen bezogen, in dem Kometen als Zeichen eines Gottes verstanden werden, der die Geschicke seiner Schäflein überwacht, lenkt, mit den Menschen kommuniziert und sich dazu der Natur bedient. Die Relevanz der Astrologie als technisches Rüstzeug zur Ermittlung einer spezifischen Kometenprognostik tritt damit in den Hintergrund. Weder bei Kepler, noch bei May bedeutet diese Entwicklung, dass der Astrologie keine Bedeutung oder Legitimation mehr zugesprochen würde. Im Gegenteil, Keplers Reformversuch beruhte ja gerade darauf, die Astronomie und die Astrologie auf gemeinsame, kausale Prinzipien zurückzuführen und letztere dadurch metaphysisch zu fundieren. In der publizistisch ausgetragenen Debatte Mays mit Huldericus Schothusius um die Legitimität der Astrologie bringt May neben den üblichen Argumenten der Nützlichkeit, Dignität und theologischen Relevanz der Astrologie auch an, dass diese Form der Divination auf natürlichen Ursachen beruhe:96 Die Zeichen Gottes als übernatürliche „miraculosa“ anzusehen und die vermeintliche Wirkung der Gestirne auf die sublunare Welt auf kontingente Faktoren der irdischen Natur zurückzuführen, wie es Schothusius tue, bedeute nicht nur, dem göttlichen Kommunikationsangebot – vermittelt durch die causae secundae – nicht zu folgen und dessen Willensoffenbarung nicht zu erkennen, sondern auch, auf einen grundlegenden und methodologisch gerechtfertigtem Teil der rationalen Naturerkenntnis zu verzichten.97 Diese Debatte um den Status der Astrologie zeigt nicht nur, wie sehr diese unter Legitimationsdruck steht, sondern auch, welchen spezifischen Formen der Kritik sie sich ausgesetzt sieht, nämlich einer methodologischen, einer epistemologischen, naturkundlichen und theologischen. In den im Folgenden fokussierten Schriften Peter Crügers zeigen sich einige Formen dieser Kritik ebenfalls. Bevor nun insbesondere seine Kometenschriften näher analysiert werden, lohnt ein Blick in sein Werk Cupediæ Astro-
96 97
Vgl. [7.17] May: Astrologia vindicata, Bll. E 2v–E 7v. Vgl. [7.27] Schothusius: Calenderbutzer, Bll. A 6v–A 8v.
7.2 Peter Crüger und die astronomische Beobachtung göttlicher Zeichen
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sophicæ von 1631, das seine Position bezüglich der Astrologie verständlicher macht.98 Ebenso wie May ist Crüger ein Bewunderer Keplers, mit dem er auch korrespondiert:99 „Finsternissen und Aspecten belangende / hat mich Keplerus (dem ich dißfals viel zu dancken hab) aus guten gründen lengst gelehrt / das diese fast das einige sein / darauff etwas in Astrologie zu bawen (…).“100 Finsternisse und Aspekte betreffen die Himmelskörper, die auf eine indirekte sympathetische Weise eine Wirkung auf die irdische Welt haben, vermittelt durch ihre Lichtstrahlen.101 Auf Kometen treffe das aber nicht zu, weil sie von Gott nicht allein zu anderm end erschaffen / sondern auch ihre materia (welchs aus ihrer zergengligkeit offenbahr) nicht so gnugsamlich und vollkommlich / wie anderer Sternen / condensiret unnd so gedeichtet / das ihre stralen und influentz kräfftig gnug sein kündten / hienieden / tanquam cauſæ efficientes, etwas mercklichs zuverrichten.102
Die Bedeutung der Kometen liegt für Crüger in ihrer Geschaffenheit als göttliche Zeichen. Ob und wie sie trotzdem einer astrologischen Deutung zugänglich sind und ob Crüger – wie May und Kepler – von einer natürlichen Verursachung von Kometen ausgeht, ist Thema der folgenden Ausführungen. 7.2 Peter Crüger und die astronomische Beobachtung göttlicher Zeichen Der in Königsberg geborene Astronom Peter Crüger (1580–1639) studiert in seiner Heimatstadt sowie in Leipzig und Wittenberg Mathematik.103 Als zwanzigjähriger Student reist er nach Prag, wo sich zu dieser Zeit auch Brahe und Kepler aufhalten, mit denen er auch persönlich in Kontakt kommt.104 Er wird Tutor zweier junger Adeliger, mit denen er 1603 nach Danzig reist, um am dortigen Gymnasium bei dem aristotelischen Philosophen Bartholomäus Keckermann zu studieren, bevor Crüger 1606 in [7.1] Crüger, Peter: Cupediae astrosophicae Crügerianae, das ist Frag und Antwort. Darinnen die allerkunstreichsten und tieffesten Geheimbnüsse der Astronomiae, dess Calender-Schreibens der Astrologiae, und der Geographiae dermassen deutlich und verständlich ausgeführet sind (…) auss den jährlichen Schreibcalendern dess (…) M. Petri Crügeri (…) zusammen getragen, Breslau 1631 (VD17 23:231527U). 99 Siehe dazu das Kapitel „Keplerian Astrology in Danzig“ bei Jensen, Derek: The Science of the Stars in Danzig. From Rheticus to Hevelius, San Diego 2006, S. 118–125. 100 [7.1] Crüger: Cupediae astrosophicae Crügerianae, Bl. B 3v. 101 Vgl. [7.1] Crüger: Cupediae astrosophicae Crügerianae, Bll. G 4r–H 1v. 102 [7.1] Crüger: Cupediae astrosophicae Crügerianae, Bl. N 2v. 103 Die biographischen Details sind der Leichenpredigt Daniel Dilgers entnommen, vgl. [7.5] Dilger, Daniel: Christliche Leich-predigt bey dem Begräbnüss des Herrn M. Petri Crügeri der Stadt Dantzigk wolbestalten Mathematici. Welcher den 6. Junij dieses 1639. Jahrs gottselig von dieser Welt abgeschieden und den 8. Junii darauff zur Erden bestattet, Danzig 1639 (http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN= 62365296X&PHYSID=PHYS_0019&USE=800, abgerufen am 10.07.2015). 104 Jensen: The Science of the Stars in Danzig, S. 54–55. 98
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Wittenberg seinen Abschluss macht. Ab 1607 ist er am Danziger Gymnasium als Professor für Poetik und Mathematik tätig und wird als städtischer Astronom, Mathematiker und Geograph vom Rat Danzigs gefördert.105 Johannes Hevelius wird hier sein bekanntester Schüler und insbesondere seine Arbeiten im Bereich der Entwicklung astronomischer Instrumente fortsetzen. Crüger ist ein herausragender beobachtender Astronom und verfasst zahlreiche mathematische, chronologisch-kalendarische und astronomische Werke, darunter in Erfüllung seiner Amtspflicht mindestens seit 1609 jährliche Praktiken in Form der populären Schreibkalender, die auch nach seinem Tod noch weiter unter seinem Namen erscheinen.106 In diesen Medien, die Crüger z. B. durch umfangreiche Blöcke von Fragen und Antworten didaktisch aufbereitet, rezipiert und vermittelt er den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs: so diskutiert er beispielsweise die heliozentrische Kosmologie und berichtete von der teleskopischen Beobachtung der Venusphasen durch Galilei.107 In seinen Werken und Disputationen positioniert er sich zu aktuellen Fragen, wozu er in seinem Werk Cupediæ Astrosophicæ von 1631, das er auf Grundlage seiner Schreibkalender verfasst, konstatiert: Die freyen Künste weren nimmermehr so hoch gekommen / wenn es nicht die Philosophi für und für mit disputiren so hoch getrieben. Wo siehet man aber das vor zeiten gelährte Leute mit solchen Hundszähnen in einander gefallen / als zu unsern zeiten? Ich halte gerne fried / ethice, aber ich differire gern mit gelährten Leuten von sachen die zweifelhafftig / sonderlich die meine Profession etwas angehen / keines Reputation dadurch benommen.108
Fragen nach der Natur und Bedeutung von Kometen109 und Neuen Sternen sowie die damit zusammenhängende nach der legitimen Form astrologischer Prognostik – wobei er sich hier insbesondere mit den Schriften des chiliastischen Astrologen Paul Nagel auseinandersetzt – interessieren ihn dabei besonders.110 Über den Kometen von 1618 publiziert Crüger zwei Werke, zunächst noch 1618 während der Sichtbarkeit des Kometen einen 105
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Zur astronomischen Kultur der Stadt Danzig im 17. Jahrhundert siehe Grell, Chantal: Dantzig au XVIIe Siècle, in: Grell, Chantal (Hrsg.): Correspondance de Johannes Hevelius. Tome 1. Prolégomènes critiques, Turnhout 2014 (Collection of Studies from the International Academy of the History of Science 94), S. 27–48. Kremer, Richard L.: Galileo in Danzig, as Portrayed in Peter Crüger’s Schreibkalender, in: Albrecht, Andrea / Cordibella, Giovanna / Remmert, Volker R. (Hrsg.): Tintenfass und Teleskop. Galileo Galilei im Schnittpunkt wissenschaftlicher, literarischer und visueller Kulturen im 17. Jahrhundert, Berlin 2014 (Spectrum Literaturwissenschaft 46), S. 103–124, S. 107. Kremer: Galileo in Danzig, S. 109–112. [7.1] Crüger: Cupediae astrosophicae Crügerianae, Bl. H 2r. Darüber hat Crüger bereits 1605 als Respondent mit Keckermann disputiert, wobei er hier den aristotelischen Vorstellungen seines Lehrers zustimmend folgt. Die Disputation Theoremata exegetica De Cometis ist u. a. abgedruckt in [7.8] Keckermann, Bartholomäus: Disputationes philosophicae, physicae praesertim. quae in gymnasio dantisacano ad lectionum philosophicarum cursum paulo plus biennio publice institutae & habitae sunt sub preasidio bartholomaei keckermanni philosophiae, Hanau 1606, S. 344–376. Vgl. dazu Jensen: The Science of the Stars in Danzig, S. 51–86.
7.2 Peter Crüger und die astronomische Beobachtung göttlicher Zeichen
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kürzeren Bericht und im Folgejahr den ausführlichen Traktat Uranodromus Cometicus.111 Diese Praxis vermehrter Veröffentlichungen ist bei Kometenflugschriften ein verbreitetes Phänomen: die erste Schrift hat dabei zwar vorläufigen Charakter, sichert aber Priorität und Käuferschaft; etwaige Mängel können auf die schnelle Veröffentlichung geschoben und für die Folgepublikation geworben werden.112 Im Kurtze[n] Bericht, bestehend aus sechs Seiten im Quartformat und beim Danziger Drucker Andreas Hünefeld publiziert, entschuldigt sich Crüger tatsächlich für die Unausgegorenheit der Schrift, die er nur „durch guter Leute ermahnung“113 überhaupt veröffentlicht habe und verweist sowohl für Details zu seinen Beobachtungen als auch für Antworten zu bestimmten Fragen die Länge und Größe des Kometen oder seinen Abstand zur Erde betreffend auf den längeren Traktat, da dieser auch die Ergebnisse der mathematischen Verarbeitung der Observationsdaten enthalten werde. Nichts desto weniger ist auch aus diesem kurzen Werk sofort ersichtlich, dass Crüger sich seinem Gegenstand als beobachtender Astronom widmet. Aus dieser Perspektive folgen seine Überzeugungen zur Kometentheorie sowie zur Deutung dieser Phänomene und letztendlich bestimmt diese professionelle Identität auch Crügers Wissenschaftsverständnis und epistemologischen Auffassungen. Seine Schrift beginnt mit einer knappen, eher qualitativen Darstellung der Beobachtung, wobei Crüger neben Details zur optischen Erscheinung des Kometen besonders dessen Schweiflänge und Ausrichtung sowie dessen Position in Bezug zu bestimmten Fixsternen und Tierkreiszeichen angibt. Zur Frage der Deutung bemerkt er „Da ich mich auch so gewiß nicht zu resolviren weiß / und ist die gewißheit allein Gott bekandt. Das aber solche grosse Cometen / dergleichen wir nun in 40 jahren keinen gehabt haben / nichts friedlichs bedeuten / ist aus den historien offenbar.“ Die Kometeninterpretation wird damit zunächst in einen theologischen Rahmen gestellt, Crüger beschreibt den Kometen als Rute, von Gott als Drohung an den Himmel gestellt. Die Relevanz des göttlichen Zeichens wird mit dem Verweis auf weitere aktuelle Wunderzeichen betont, z. B. einer Erscheinung von Nebensonnen, die Crüger knapp behandelt. Das Thema der astrologischen Signifikanz des Kometen präsentiert er mit einer gewissen Distanz und beginnt gleich mit einer Einschränkung: die nach Lehre der alten Astrologen chorographische Deutung der Schweifs – also aus der Schweifrichtung die von den Kometenfolgen
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[7.2] Crüger, Peter: Kurtzer Bericht von dem grossen noch zur Zeit scheinenden Cometen. Prodromus subsecuturi Tractatus plenioris: concipiret den 18. Decemb. anno 1618, Danzig 1618 (VD17 14:072834G); [7.3] Ders.: Uranodromus cometicus. Ein aussführlicher Tractat vom grossen Cometen dess 1618 Jahrs. Darinnen seine Erscheinung und Lauff seine Höhe von der Erden und andere daraus folgende Sachen durch astronomische Rechnung dargethan und seine Bedeutungen durch gebührliche Muthmassung gesucht werden. Neben eingefügtem Discurs von Cometen in gemein beschrieben, Danzig 1619 (VD17 23:266337W). Vgl. Gindhart, Kometenjahr 1618, S. 132–133. [7.2] Crüger: Kurtzer Bericht von dem grossen noch zur Zeit scheinenden Cometen, Bl. A 1v.
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bedrohte geographische Region zu erschließen – hält er aufgrund der empirisch bestätigten Schweifstellungsregel naturphilosophisch für unbegründet: „Ich will aber / wie vorgesagt / nicht aus seiner Schwantzstreckung urtheilen / sondern sonsten etliche Astrologische Regeln / die sich auff ihn reimen / aus ihren Autoribus hieher setzen / aus welchen ein jeder den schluß machen mag / wie ihm seine vernunft eingeben wird.“114 In der nun folgenden Auflistung und Erläuterung der zur Deutung notwendigen Kometenparameter beschränkt sich Crüger auf drei: den Ort, die Relation zur Sonne und die Bewegung des Kometen. Er zitiert die darauf bezogenen astrologischen Regeln und schreibt sie Autoritäten wie Albumasar, Cardano oder Pontanus zu. Dass Kometen negative Folgen haben, z. B. den Tod eines Potentaten, steht für ihn außer Frage. Crüger will die astrologische Deutung aber auf die Elemente beschränken, die er für naturphilosophisch fundiert hält: „Das er grossen Häubtern dräwe / ist wol gewiß: Das aber die außtheilung der Länder und Städte unter die 12 Himmlischen Zeichen wenig grundt in der natur habe / ist auch gewiß (…).“115 Die von Crüger erwähnten Deutungen beziehen sich auf die beobachtungsbezogenen Parameter des Kometen, die quantitativ-exakt ermittelbaren. Die traditionell ebenfalls relevanten qualitativen wie Farbigkeit, Schein oder Form, an denen die planetarische Natur von Kometen festgemacht wird, fehlen völlig. Ein jeder mag aus dieser kurtzen andeutung (…) nun ferner spinnen und schliessen / was ihn dünckt. Er sehe sich nur mit Politischen augen ein wenig in der Welt umbher so wird er leichtlich applicationes machen können: Denn das ichs thun solt / were nicht zu rathen Crede mihi, bene qui latuit, bene vixit. Zu deme stehet die particularis præscientia nur allein GOTT dem Herrn zu.116
Crüger lehnt die Astrologie nicht rundheraus ab, akzeptiert sie aber nur in begrenzter Form und stellt sie passiv-distanziert dar. Rhetorisch geschickt präsentiert er sich als Mathematiker, der die notwendigen Grundlagen liefert, die Deutung aber anderen überlässt. Auf der Ebene der Folgen fokussiert Crüger eher die menschenbezogenen als die natürlich-klimatischen. Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass er die Kometen nicht als Ursachen, sondern als Zeichen der mit ihnen konnotierten Folgen ansieht. Diese Frage behandelt Crüger allerdings explizit nicht, ebenso klammert er die Frage nach der naturkundlichen Theorie von Kometen aus und begründet dies damit, dass dies keine originär astronomische Problemstellung sei: „Zum Beschluß wundere sich niemand / das ich hie von deß Cometen Natur und Wesen / ob er nemlich ein bren-
114 115 116
[7.2] Crüger: Kurtzer Bericht von dem grossen noch zur Zeit scheinenden Cometen, Bl. A 4v. [7.2] Crüger: Kurtzer Bericht von dem grossen noch zur Zeit scheinenden Cometen, Bl. B 1v. Ebd.
7.2 Peter Crüger und die astronomische Beobachtung göttlicher Zeichen
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nender dampff oder was anders sey / nichts dencke: Denn das ist nicht eines Mathematici, sondern eines Physici Ampt.“117 Diese Zurückhaltung ist nicht nur der Form der Publikation als erstem Bericht geschuldet, der eine knappe Übersicht über das Phänomen liefert. Crüger schreibt, vieles werde „sich hernacher aus Geometrischer Rechnung deß rechten Tractats wol befinden.“118 Und in der Tat werden in diesem längeren Traktat sowohl naturphilosophische als auch astrologische Fragen ausführlich thematisiert. Sie sind aber in ihren Erkenntnisbereichen und Anwendungsgebieten durch den Rahmen determiniert, den die Beobachtung und die rechnerische Verarbeitung der Beobachtungsdaten ihnen setzt. Methodisch und epistemologisch geht es Crüger daher auch um eine Abgrenzung der für die Kometenbetrachtung relevanten disziplinären Felder. Was das genau bedeutet, wird nun anhand der Analyse von Crügers Hauptwerk zum Kometen 1618, dem Uranodromus Cometicus, erläutert. Die mit 144 Seiten recht umfangreiche Publikation weist ein Inhaltsverzeichnis auf, an dem der Fokus auf die mathematische Astronomie in der Herangehensweise und Darstellung des Kometenthemas besonders deutlich greifbar wird (siehe Abbildung 7.1):
Abb. 7.1 Inhaltsverzeichnis von Crügers Uranodromus Cometicus (1619)119
117 118 119
[7.2] Crüger: Kurtzer Bericht von dem grossen noch zur Zeit scheinenden Cometen, Bl. B 2r. [7.2] Crüger: Kurtzer Bericht von dem grossen noch zur Zeit scheinenden Cometen, Bl. A 3v. Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 517,15, Inhaltsverzeichnis, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10873880–0.
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Die ersten zehn der insgesamt 20 Kapitel sind direkt mit der Beobachtung des Kometen und der rechnerischen Verarbeitung der so gewonnenen Daten befasst. Die eher technischen Kapitel drei und fünf haben nicht nur lateinische Titel, sondern sind größtenteils in lateinischer Sprache verfasst und enthalten nur einleitend und mitunter zwischendurch knappe deutschsprachige Zusammenfassungen oder Erklärungen. Sie bestehen aus teilweise langen Rechnungen, Skizzen und Tabellen. Crüger schreibt dazu: „Diß und folgende etliche Capitel / darinnen die Astronomischen rechnungen enthalten / dienen nicht für jederman zu lesen / und ich hab sie dennoch umbstendlich setzen müssen für die Astronomos und Philosophos, die da gerne rationem calculi indubitatam haben wollen.“120 Auch die Kapitel zwei, vier und sechs haben längere lateinische Passagen, nämlich immer dann, wenn Crüger sich auf die astronomischen Daten oder Rechnungen bezieht. Diese präsentiert er systematisch, detailliert und – für den entsprechend Kundigen – nachvollziehbar. Man erkennt bereits an der Schwerpunktsetzung dieser technischen Kapitel, dass es Crüger hier darum geht, auf Grundlage der Kometenbeobachtung begründete Aussagen zu ihrer Natur und bestimmten Eigenschaften zu treffen, die in der aktuellen Debatte kontrovers diskutiert werden. Insgesamt erscheint die Schrift als logische Entwicklung eines Argumentes, das in den einzelnen Kapiteln schrittweise aufgebaut wird: So berechnet Crüger für jeden einzelnen Beobachtungstag den Ort des Kometen in Bezug zu den Sternen Spica und Arktur, um dann im nächsten Kapitel daraus die Kometenbewegung zwischen den einzelnen Obser vationen und die Bewegung pro Tag abzuleiten. Aus dem so konstituierten Kometenlauf lassen sich weiterhin die Schnittpunkte mit Äquator und Ekliptik berechnen. Das erlaubt Crüger nicht nur, andere Observations- oder Sichtungsberichte kritisch zu bewerten – so widerlegt er etwa mehrere Berichte einer früheren Sichtung des Kometen vor dem 24. November, die er im ersten Kapitel referiert hat, da sich der Komet zu diesem Zeitpunkt noch unter dem Horizont befunden hat. Zudem ist es ihm dadurch möglich, die räumliche Form und Orientierung des „Orbitæ Cometalis“121 zu ermitteln: So folgt hierauß / das dieselben Stellen des Cometen am 8. 9. 15. und 29. Decemb. alle in einem perfecten und einigen Himmelszirckel / in uno eodemque circulo cœli maximo, müssen gewesen sein / und das also des Cometen Lauff oder Motus keineswegs vagabundus & irregularis, unrichtig und unförmlich gewesen / sondern das der Comet einen gantz richtigen förmlichen bestendigen ZirckelLauff nach art der himlischen Cörper die gantze zeit seiner erscheinung gehalten hab.122
Damit sieht Crüger empirisch bestätigt, dass die von Kepler geäußerte Vorstellung einer geradlinigen Kometentrajektorie „durch dieses Cometen lauff nicht könte con-
120 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 8. 121 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 26. 122 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 29.
7.2 Peter Crüger und die astronomische Beobachtung göttlicher Zeichen
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firmiret werden“123 und konstatiert, dass die Eigenbewegung des aktuellen Kometen kreisförmig sei.124 Dies ist nach der traditionellen Theorie bei elementarischen Meteoren nicht zu erwarten und wird daher von Crüger dazu genutzt, um für die himmlische Natur von Kometen zu argumentieren. Auch die im folgenden siebten Kapitel untersuchte Frage nach der Relation des Kometenschweifs zur Sonne behandelt Crüger als Problemstellung oder offene Forschungsfrage, die – obwohl von den besten Astronomen schon seit Jahrzehnten in bestimmter Weise beantwortet – mittels der Beobachtung empirisch zu entscheiden sei. Die notwendigen Rechnungen sind erneut auf lateinisch, die Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse deutschsprachig dargestellt. Daraus schlussfolgert Crüger: Hierauß folgt / das der Comet mit nichten ein fewriger dampff oder sein Schwantz die flamm gewesen sey. Denn eine flamme richtet sich keinesweges nach der Sonnen / sondern fehret stets ohn einigen respect ubersich / oder auch da das brennende corpus fortscheust / streckt sich die flamm immer hinderwerts / wie das die tägliche erfahrung außweiset. Denn das etliche Peripatetici meinen / die flamm werde von der Sonnen allso hindersich getrieben / das sie sich für den Sonnenstralen gleichsam verkriechen muß / ist zwar eine subtile speculation, aber die nicht in recessu hat / und der allgemeinen erfahrung zu wieder ist / (…).125
Crüger findet somit nicht nur das Schweifrichtungsgesetz bestätigt, sondern kann auch ausschließen, dass der Kometenschweif sich stattdessen in Gegenrichtung zu Venus oder Merkur ausgerichtet habe. Diese Planeten seien zu der Zeit nicht nur zu weit von der Sonne entfernt gewesen; auch ihr Licht sei zu schwach, um einen solchen Schweif entstehen zu lassen. Das zeigt, dass Crüger die optische Kometentheorie favorisiert, worauf er an späterer Stelle noch näher eingeht. Wie er bereits in seiner vorherigen Publikation zum Kometen 1618 angedeutet hat, ist der im Schweifrichtungsgesetz gefasste Zusammenhang zwischen der Sonne und der Richtung des Kometenschweifs für Crüger ausschlaggebend, eine astrologische Deutung der Schweifrichtung abzulehnen: Da die Sonne die physikalische Ursache für die Ausrichtung des Schweifes ist, mache es keinen Sinn, dieser eine tiefere Bedeutung zuzuschreiben. Dies ist ein Beispiel dafür, wie Crüger die Astrologie – wenn auch nicht in ihrer Gesamtheit – aus naturphilosophischer Perspektive heraus infrage stellt.
123 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 31. 124 Eine ausführliche Beschreibung und Evaluation der Kometentheorie Keplers, insbesondere ihrer physikalischen Aspekte, bietet Ruffner: The Background and Early Development of Newton’s Theory of Comets, S. 94–118. 125 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 34.
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7.2.1 Die Parallaxe als mathematisches Argument Das nun folgende achte Kapitel ist das mit Abstand längste, denn es behandelt den in den Augen Crügers überzeugendsten Teil seiner Argumentation für die Supralunarität von Kometen, die Parallaxe, „weil auff rechter ergründung der parallaxeos der gantze Status controversiæ zwischen erfahrnen Astronomis unnd etlichen eifferigen Peripateticis beruhet und darauß kan decidiret, wie auch die gantze Natur der Cometen auß diesem grunde kann erforschet werden.“126 Zunächst liefert Crüger eine ausführliche Definition, worum es sich dabei handelt, nebst erklärenden Skizzen und verständlichen Erläuterungen. Seine Korrektur der Ansicht eines ungenannten, „sonsten weitberühmbten Philosophi“127, der Umfang der Ausführungen und die Tatsache, dass sie deutschsprachig sind, zeigt, wie groß Crüger den Informationsbedarf oder auch den Grad der Missinformation selbst bei Gebildeten hier einschätzt. Es sei an dieser Stelle an den sehr fähigen Mathematiker und Astronomen Scultetus erinnert, der – wie viele seiner Vorgänger und Zeitgenossen – aufgrund eigener Observationen und Rechnungen den Kometen 1577 sublunar verortet, ihm also fälschlicherweise eine messbare Parallaxe zuschreibt.128 Noch Jahrzehnte später konstatiert der jesuitische Astronom Giovanni Battista Riccioli in seinem Almagestum Novum (1651), dass die auf parallaktischen Messungen beruhende Positionierung von Kometen über dem Mond wahrscheinlich sei, die gegenteilige Ansicht jedoch nicht unwahrscheinlich.129 Neben praktischen Schwierigkeiten und der großen Fehlerempfindlichkeit der erforderlichen astronomischen Messungen, liegt das Problem auch in der Unzulänglichkeit der theoretisch-mathematischen Grundlage, die Regiomontanus geliefert hat. Diese Mangelhaftigkeit lässt sich nicht auf die Kompetenz des Königsberger Mathematikers, sondern vielmehr auf einige seiner Grundannahmen zurückführen, die die Anwendung der Methodik erschwert haben. Schon Tycho hat in De mundi aetherei recentioribus phaenomenis (1588) darauf hingewiesen, dass Regiomontanus den Kome-
126 127 128 129
[7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 53. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 36. Siehe dazu Kap. 5.2. Der Thematik der Kometen und neuen Sterne widmet Riccioli in diesem Werk nahezu 200 Seiten, in denen er insbesondere historische Beobachtungsdaten kritisch evaluiert. Es handelt sich dabei um das 8. Buch des 2. Teils des ersten Bandes. Die erwähnte Bemerkung findet sich in dem konkludierenden Abschnitt zur Beobachtung des Kometen 1585, vgl. [7.26] Riccioli, Giovanni Battista: Almagestum novum, astronomiam veterem novamque complectens, observationibus aliorum et propriis, novisque theorematibus; problematibus, ac tabulis promotam, in tres tomos distributam (…), Bologna 1651, S. 92–95. Siehe dazu Westman, Robert S.: Weighing Extraordinary Phaenomena: Giovanni Battista Riccioli on Novas and Comets, in: Granada, Miguel Á. (Hrsg.): Novas y cometas entre 1572 y 1618. Revolucion cosmologica y renovacion politica y religiosa, Barcelona 2012, S. 333–352. Zur praktischen Umsetzung parallaktischer Messungen in der Kometenforschung vgl. Kokott: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539, S. 129–153.
7.2 Peter Crüger und die astronomische Beobachtung göttlicher Zeichen
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ten keine oder höchstens eine konstante Eigenbewegung zuschreibt.130 Dies merkt auch Crüger in seinem vierten Kapitel im Rahmen der Ermittlung der Tagesbewegung des Kometen an. Die Regiomontansche Methode erfordere daher Modifikationen und Ergänzungen, was Crüger bei deren Anwendung auf den aktuellen Kometen demonstriert und umsetzt. Dieser Teil ist wieder auf Latein verfasst, wobei Crüger hier nicht nur ausführliche Zitate aus dem entsprechenden Werk Regiomontanus’ und erläuternde Skizzen integriert, sondern auch die notwendigen Rechnungen darstellt, „damit die jenigen / welche an den Observationibus & supputationibus Cometarum Astronomicis meinen fehl zu haben / suchen und mir anzeigen mögen / wo ich geirret hette.“131 Insgesamt liefert Crüger hier vier unterschiedliche Argumente – alle auf verschiedenen Beobachtungen beruhend – für das Fehlen der Parallaxe des Kometen.132 Auf die Applikation einer weiteren Methode, die auf dem Vergleich von Beobachtungsdaten unterschiedlicher geographischer Breiten beruht, muss er aufgrund mangelnder geeigneter Daten weitgehend verzichten: Die Autoren, deren Werke er bisher gesehen habe, „haben sich in Astronomicis nicht hoch verstiegen / und ist fast wenig oder nichts in ihren Schrifften zu finden / das zur sachen dienet“.133 Andere Observationsergebnisse – z. B. die des Krakauer Astronomieprofessors Johannes Broscius – habe er bekommen, jedoch seien sie für die Beantwortung dieses Aspekts der Parallaxenfrage unbrauchbar. Die einzige Ausnahme bildet die Kometenbeobachtung des Gymnasiallehrers Adam Freitag in Thorn:134 Die von diesem an Crüger kommunizierte Kometenposition zeigt sich als mit einer messbaren Parallaxe unvereinbar.135 Für Crüger ist die Frage aufgrund seiner detaillierten Überlegungen dennoch empirisch eindeutig entschieden, weshalb er in den folgenden zwei Kapiteln die naturphilosophischen Schlussfolgerungen aus dem Fehlen einer Kometenparallaxe zieht, da – wie er eingangs erwähnt hat – das „Judicium autem de distantia & magnitudine Cometæ non est parallaxis sed est quiddam consequens parallaxin.“136 Da die Konsequenzen auf mathematischen und damit sicheren Grundlagen beruhen, ist deren Beweiskraft von ähnlichem epistemologischen Status – dieser Zusammenhang ist für Crüger so klar,
130
131 132 133 134 135
136
Mosley, Adam: A Brief Note on Cometary Parallax, in: Granada, Miguel Á. / Mosley, Adam / Jardine, Nicholas: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585. An Edition and Translation with Accompanying Essays, Leiden 2014 (History of Science and Medicine Library. Medieval and Modern Science 22), S. 326–339, S. 329–331. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 40. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 41–51. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 52. Ebd. Die Beweiskraft liegt hier in Form eines argumentum ex negativo vor: Hätte der Komet eine Parallaxe gehabt, hätte er an einer anderen Stelle zu sehen gewesen sein müssen. Generell gilt: Da eine geringe Entfernung mit einer großen Parallaxe einhergeht, bedeutet ihr Fehlen einen großen Abstand. Da der Mond eine messbare Parallaxe habe, könne die Kometenentfernung sicher als größer als die Entfernung Erde–Mond angenommen werden. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 35.
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dass er sie gar nicht als naturphilosophische Argumente charakterisiert: „Ich kündt auch rationes Physicas einführen / warumb dieser Comet ein himmlisch Corpus müsse gewesen seyn: Aber will mich jtzo mit Mathematischen Demonstrationibus, omni exceptione majoribus, behelffen.“137 Im ersten dieser zwei Kapitel behandelt Crüger die Entfernung des Kometen von der Erde. Dieses Kapitel entfaltet sich als sukzessiver Beweis der Supralunarität des Kometen und greift dabei die wichtigsten Argumente der vorangegangenen Abschnitte auf: Zunächst ist das die Regularität der Bewegung, die Crüger im fünften Kapitel begründet und mit der himmlischen Natur der Kometen in Verbindung bringt: Meteorologische Luftphänomene hätten überhaupt keinen richtigen Lauf und schon gar keinen kreisförmigen, da dieser nicht „Elementarischen meteoro sondern allein den himmlischen corporibus zu stehet.“138 Auch Tycho hat dieses Argument in Bezug auf den Kometen 1577 gebraucht, um die ätherische Natur von Kometen durch die Ähnlichkeit ihrer Bewegung mit der anderer ätherischer Körper zu begründen.139 An späterer Stelle bezeichnet Crüger Kometen in diesem Sinne als „pseudoplanetas“, wobei er sie ausdrücklich von den Neuen Sternen unterscheidet, die – aufgrund ihrer fehlenden Eigenbewegung, ihres funkelnden und hellen Lichts sowie ihres Standorts am Firmament bei den Fixsternen – „pseudoasteres“ seien.140 Das nächste Argument ist ein altbekanntes naturphilosophisches, das Crüger auf Aristoteles zurückführt, nach dem Körper sich umso langsamer bewegen, je weiter sie von der Erde entfernt sind.141 Da der Komet sich langsamer bewege als der Mond, müsse er weiter entfernt sein als dieser. Schließlich spricht das Schweifrichtungsgesetz nach Ansicht Crügers ebenfalls für die Supralunarität von Kometen, da es nicht nur auf den Zusammenhang zwischen Komet und Sonne, sondern auch darauf hindeute, dass Kometen keine Verbrennungsprozesse terrestrischer Materie darstellen. Diese könne definitionsgemäß höchstens in die obere Luftschicht aufsteigen, welche sich aufgrund optischer Überlegungen maximal 20 Meilen hoch erstrecken kann. Würde sich ein Komet nun tatsächlich in 20 Meilen Entfernung von der Erde befinden, dürfte er nur in der Morgenröte und nie um Mitternacht sichtbar sein, was offenkundig der Erfahrung widerspricht. Der überzeugendste Beweis für die Supralunarität von Kometen besteht für Crüger in dem Argument der Parallaxe, das er „als eine unfehlbare demonstration“142 ansieht: Selbst nach der aus verschiedenen Gründen nicht ganz adäquaten Berechnungsmethode des Regiomontanus ergebe sich eine Mindestentfernung von 100 Erdradien [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 57. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 53. Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 44–45. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 75. Das Argument findet sich in Aristoteles: Über den Himmel II, 10, S. 70 und wird z. B. auch von Cardano in seiner Argumentation für eine supralunare Kometenposition verwendet, siehe dazu Kap. 2.4.1. 142 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 54. 137 138 139 140 141
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zwischen Komet und Erdzentrum, nach Crügers modifizierter Methode sogar eine Mindestdistanz von 336 Erdradien.143 In beiden Fällen ist das deutlich über dem Mond, dessen Abstand zur Erde sich zwischen 52 und 61 Erdradien bewegt. Eine Kombination dieser Argumente führt Crüger zu der Vermutung, der aktuelle Komet sei zwischen Venus und Merkur zu verorten.144 Obwohl es ihm hier um den Beleg der Supralunarität und keine exakte Distanzangabe geht, ist die Entfernung für die Berechnung der Größe und Länge des Kometen doch relevant. Die dazu notwendige Ermittlung der scheinbaren Kometengröße stellt sich für Crüger schwieriger dar als vermutet: „Aber diese speculation ist so fruchtbar als deß Regiomontani de Parallaxibus. Leicht ists gesagt / auch leicht verstanden / aber schwerlich zu practiciren.“145 Diese Bemerkung ist ein weiterer Hinweis darauf, wie diffizil die Kometenobservation in der praktischen Umsetzung ist. Crüger vergleicht nun die eigenen Beobachtungen mit denen Brahes zum Kometen 1577 und ermittelt so einen Kometenkopfdurchmesser von fünf Minuten, was in Kombination mit der konservativen Entfernungsschätzung von 100 Erdradien einen Kopfdurchmesser von 125 deutschen Meilen ergibt. Danach folgt die Berechnung der Schweiflänge, die Crüger detailliert und schrittweise darlegt, da er hier erneut die Regiomontansche Methode und die ihr zugrundeliegende Kometentheorie, die davon ausgeht, dass „die flamm vom Centro der erden gerad uber sich gekehret sey / so das die linea ex centro terræ per corpus Cometæ zugleich der axis coni fumei sey“146 als unrichtig deklarieren und eine Alternative präsentieren kann. Das ist nicht nur deshalb von Bedeutung, da keine alternative Methode zur mathematischen Behandlung von Kometen existiert und Crüger durch seine Modifikationen diese theoretische Grundlage verbessert und damit nicht zuletzt seine Kompetenz als Mathematiker demonstriert. Diese kritische Evalutation der Regiomontanschen Methode, der ihr zugrundeliegenden Beobachtungen und theoretischen Annahmen, die Crüger an späterer Stelle weiter ausführt, ist auch argumentativ von großem Wert: Crüger demonstriert damit einmal mehr den Zusammenhang zwischen solchen theoretischen Annahmen und der mathematischen Verarbeitung von Observationsdaten und damit die Notwendigkeit, mit der seine Schlüsse darauf folgen. Sein ganzes Werk ist in diesem Sinne eine Veranschaulichung der epistemologischen Überzeugung, dass der empirisch-mathematische Naturzugang deren Interpretation determiniert: „Es ist wol ein wunderbar ding / das man gestritten und rationes Physicas herfür gebracht / warumb die Cometen nicht können im himmel entstehen / da man doch vor nie untersucht / Ob auch etwan einst Cometen im Himmel befunden.“147
143 144 145 146 147
[7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 55–56. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 57. Ebd. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 59. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 62.
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In diesem Kontext ist der zweite Teil des Uranodromus zu verstehen, der auf den in den ersten zehn Kapiteln entwickelten Daten interpretatorisch aufbaut. Ist der zentrale Punkt des ersten Teils die Supralunarität von Kometen, geht es im zweiten Part um die Konsequenzen dieses Faktums für die Theorie und Deutung dieser Himmelsphänomene. Für Crüger ist die astrologische Deutung ausdrücklich mit der meteorologischen Kometentheorie verknüpft: Weil aber die ursachen dieser bedeutungen gegründet werden auff deß Aristotelis meinung / das die Cometen oben in der lufft entstehen und daselbst wie ein grosser Schwefelberg brennen / dieser unser Comet aber mit nichten in der lufft sondern hoch im himmel geschwebt / und also nicht von unreiner sondern himmlischer materia muß entstanden sein: So scheint es / das ich mein judicium von dieses Cometen bedeutung nicht gründlich fellen kann (…).148
Er beruft sich hier also auf ein naturkundlich-kausales Verständnis der Astrologie, deren Legitimation daher mit der Richtigkeit der meteorologischen Kometentheorie zusammenhängt, die wiederum auf der Vorstellung beruht, dass Kometen sublunare Verbrennungsprozesse darstellen. Zwar hätten „die newen vortreffliche Astronomi“ Brahe, Rothmann, Mästlin, Hagecius, Thomas Digges und andere – Crüger integriert sich unausgesprochen selbst in diesen illustren Kreis – „durch unwiederlegliche demonstrationes befunden / das ein Comet nicht in der Lufft sondern im himmel seinen ursprung und lauff habe“, was die Peripatetiker aber ablehnten, weshalb „darauß ein grosser streit entstanden / welcher noch heutigs tages wehret.“149 Crüger erörtert daher im folgenden Kapitel die diese Position bestätigenden und widersprechenden Argumente. Im Sinne seiner Persuasionsstrategie rhetorisch geschickt widmet er sich zunächst den Pro-Argumenten für die meteorologische Kometentheorie, die er einzeln widerlegt, um dann sowohl mathematische als auch physikalische Contra-Argumente zu diskutieren. 7.2.2 Der Beweis der himmlischen Kometennatur Die sieben peripatetischen Pro-Argumente widerlegt Crüger, indem er entweder die ihnen zugrundeliegende Erfahrung, die theoretischen Annahmen oder die Eindeutigkeit ihrer Belegfunktion infrage stellt: Dass Kometen etwa Funken und Flammen von sich werfen, sei Einbildung, außerdem müssten solche Funken sehr groß sein, um vom irdischen Standpunkt überhaupt sichtbar zu sein. Der Venus würde man auch ein Strahlen oder Funkeln zuschreiben und trotzdem halte sie niemand für einen Brand.150 148 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 61. 149 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 62. 150 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 63.
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Dass nach historischen Augenzeugenberichten Steine und schwefelige Ausdünstungen von Kometen auf die Erde fallen, beweise weder, dass solche Steine tatsächlich vom Kometen stammen, noch, dass dieser ein Verbrennungsprozess ist. Zudem sei fraglich, wie ein solcher den Stein zuvor überhaupt habe festhalten können.151 Die Behauptung, Kometen müssten in der Luft sein, da dieselbe nach ihrem Verlöschen vergiftet ist, was sich z. B. an dem anschließenden Aufkommen der Pest festmachen ließe, beantwortet Crüger damit, dass er die diesem Argument zugrundeliegende Vorstellung einer kausalen Verursachung der Kometenfolgen negiert: Das Auftreten der Pest als Folge eines Kometen sei historisch belegt, nicht aber, dass dieser dafür die Ursache sei.152 Die Tatsache, dass Kometen vor ihrem Verschwinden meistens kleiner werden, spreche zwar dafür, dass ihre Materie verzehrt wird, das könne aber nicht nur durch einen Verbrennugsprozess erklärt werden, sondern auch durch die Kraft der Sonnenstrahlen.153 Crüger geht auf diese Thematik im 18. Kapitel noch näher ein und verweist an dieser Stelle darauf. Die Gegenargumente Crügers fokussieren entweder durch Beobachtung nachvollziehbare Aspekte, die gegen die gesamte augmentierte Kometentheorie oder einzelne ihrer Elemente sprechen, oder appelieren – wie bereits in der Widerlegung der ProArgumente – an eine intuitive Grundvernunft, indem sie die größere Plausibilität der präferierten Alternative betonen. So sei es zwar nicht ausgeschlossen, aber doch wenig wahrscheinlich oder schwer vorstellbar, dass die Erde die riesigen Mengen an Exhalationen produziere, die als Materie für einen Kometen als andauernden Verbrennungsprozess notwendig sind, selbst wenn man einer sehr konservativen – und damit nicht Crügers eigener154 – Größenabschätzung folge.155 Warum sollte ein schwerer Körper wie ein Komet überhaupt in der Luft schweben können? Die Antwort Scaligers, diesen Umstand mit dem beherrschenden Planeten zu erklären, dessen Kraft er mit einem Magneten vergleicht, lehnt Crüger unter Verweis auf die Empirie ab: „Wer solt aber der kräfftige stern sein? Siehet man doch das die Cometen von einem stern ab zum andern lauffen / und ist nichts dran / das man vorgibt / als sollten etliche Cometen sich stets bey einem stern gehalten haben (…).“156 Diese Ablehnung eines Grundelementes der augmentierten Kometentheorie ist ein Hinweis darauf, warum Crüger die traditionelle astrologische Kometendeutung und die damit zusammenhängende kausale Konzeptualisierung einer Kometenwir151 152 153 154
155 156
Ebd. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 64. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 65. Freilich wird das Argument umso überzeugender, wenn man nach Crügers Berechnung von einer Schweiflänge von 119 Erdradien und einer „Masse“ des Kometenkopfes von 1023375 kubischen Meilen ausgeht, vgl. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 58. Bei dieser Berechnung ist die Supralunarität allerdings eine Prämisse. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 67. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 69.
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kung verneint. Abschließend repetiert Crüger knapp bereits erwähnte mathematische Argumente, die im Wesentlichen auf optisch-astronomischen Erwägungen beruhen. Diese Argumentation bezieht sich darauf, dass mit einer sublunaren Kometenhöhe einhergehende Effekte, z. B. dass sie aufgrund ihrer Überdeckung durch den Erdschatten in der Morgen- und Abenddämmerung nicht sichtbar sein dürften, nicht beobachtet werden.157 Dies gilt freilich nur für den Fall, dass man Kometen nicht als Verbrennungsprozesse, sondern als durch die Sonne erleuchtete Körper ansieht. Crüger negiert damit auch eine Art Hybridform von meteorologischer und optischer Kometentheorie, die Kometen zwar nicht mehr als verbrennende terrestrische Materie ansieht, sie aber trotzdem unter dem Mond verortet.158 Diese Evaluation der Argumente in Kombination mit Ergebnissen früherer Kapitel mündet schließlich in dem zusammenfassenden 13. Kapitel, dessen Programmatik im Beweis der himmlischen Natur von Kometen besteht. Crüger erläutert hier die seiner Meinung nach wichtigsten Argumente, kontextualisiert und begründet sie ausführlich. Zunächst fokussiert er die Bewegung von Kometen, die „circulo maximo perfecte subordinatus sey“ und nicht „irregularis, vagabundus, tortuosus“.159 Crüger bezeichnet seine Ausführungen eingangs als mathematische Demonstrationen, hier geht es aber klar um die naturphilosophische Konsequenz aus der mathematisch erwiesenen Kreisbewegung: Die stehe nämlich allein Himmelskörpern und nicht elementarischen zu, womit Crüger klar im Rahmen der aristotelischen Kosmologie verbleibt. Bewegungsweise und Ort sind in dieser Form der Physik eng verbunden: Nicht nur gebührt eine ungeordnete oder regellose Bewegung den sublunaren Phänomenen und die geordnete, kreisförmige den ätherischen Körpern. Die Differenzierung geht noch weiter, da Bewegungslosigkeit den Körpern des Firmaments, also den Fixsternen, zugeschrieben wird. Darauf beruht die oben erwähnte deutliche Unterscheidung Crügers zwischen Kometen und neuen Sternen. Erstere seien „pseudoplanetas“, letztere „pseudoasteres“, da auch sie keine Eigenbewegung aufwiesen.160 Folgerichtig befänden sich Kometen daher in der Sphäre der Planeten, denn auch sie zeigen eine reguläre, kreisförmige und mitunter sogar retrograde Eigenbewegung.161 Die fehlende Gleichförmigkeit ist dabei für Crüger unproblematisch:162 „Schnell sind die wol / und halten nicht allzeit gleiche [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 70–74. Zuvor hat Crüger diese Ansicht z. B. Apian, Gemma Frisius und Scaliger zugeschrieben, vgl. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 61–62. 159 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 75. 160 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 75. 161 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 78. 162 Brahe begründet dies z. B. damit, dass die Kometen eben weniger perfekte Körper als die Planeten seien und daher nicht in jeder Hinsicht deren gleichförmige Bewegung zeigen, vgl. Heidarzadeh: A History of Physical Theory of Comets, S. 44–45. Rothmann meint, dass die Veränderlichkeit der Kometenbewegung einer gewissen Proportion folge, was ihm erlaubt, in der Ungleichförmigkeit Ordnung zu postulieren, vgl. Granada/Mosley/Jardine: Christoph Rothmann’s Discourse on the Comet of 1585, S. 92. 157 158
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schnelligkeit / sondern nehmen am lauff ab und zu / item sie lauffen offtmals den himmel die quer (ut ita loquar) Aber darümb lauffen sie nicht krum / sondern halten just ihren zirckel.“163 Allein die Kreisförmigkeit beweise, dass es sich um eine geordnete und regelhafte Bewegung handelt, die mathematisch darstellbar ist, was bei sublunaren Meteoren nicht zutreffe. Um dieses Themenfeld abzuschließen, referiert, diskutiert und widerlegt Crüger historische Berichte von vermeintlich irregulären Kometenbewegungen, darunter die von Lavater, Scaliger, Regiomontanus und Pontanus.164 Damit gibt Crüger der historischen Argumentationsweise, die seit jeher ein wesentliches Element in der Behandlung des Kometenthemas darstellt, eine neue Dimension: Er betreibt hier eine textbasierte Empirie, indem er historische Observationsberichte wissenschaftlich evaluiert, also sie hinsichtlich ihres astronomischen Gehalts untersucht. Traditionell dienen chronikale Listungen vergangener Kometenerscheinungen einerseits dazu, die Verbindung zwischen Kometenerscheinung und negativen Folgen zu belegen und letztere mit spezifischen Eigenschaften des Kometen zu konnotieren, etwa seiner planetarischen Natur, dem Tierkreiszeichen seiner Ersterscheinung oder der Richtung seines Laufes. In ihrer Gesamtheit ist diese historia ein Beleg nicht nur für den Chrakter von Kometen als göttlichen Zeichen, sondern auch für den kausalen Zusammenhang zwischen Ursprung, Erscheinung und Wirkung dieser Himmelsphänomene. Dieser naturkundlich-astrologische Fokus erscheint bei Crüger ersetzt durch einen astronomischen.165 In ähnlicher Weise argumentiert er bezüglich der Schweifrichtung von Kometen. Deren Antisolarität sei durch zahlreiche historische Beispiele belegt und das nicht erst seit den 1530er Jahren mit den entscheidenden Arbeiten von Apian und Fracastoro. Systematisch untersucht Crüger Berichte früherer Kometenerscheinung auf diese Frage hin und konstatiert die Richtigkeit dieser Regel für die Kometen der Jahre 1506, 1472 und sogar 1264 und 1211.166 Weitere Exempel anzuführen sei an nicht ausreichenden Informationen in den Chroniken gescheitert. Vielmehr als zum Beleg der Allgemeingültigkeit des Schweifrichtungsgesetzes, dienen diese Beispiele Crüger dazu, die Supralunarität von Kometen zu beweisen. Wie oben erwähnt, ist die Akzeptanz dieser Tatsache bei ihm untrennbar damit verbunden, die Kometen als erleuchtete und nicht brennende Körper zu denken. Crügers Argumente zielen daher darauf, zu belegen, dass die Konzeptualisierung von Kome-
163 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 76. 164 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 76–79. 165 Es ist dieser epistemische Wandel, dem die Entwicklung von Kometenchroniken zu Kometenkatalogen entspricht: Kometographien wie die des französischen Astronomen Alexandre G. Pingré von 1783, der aufgrund historischer Berichte die Bahnen unzähliger Kometen berechnet hat, entstehen aus einer ähnlichen historisch-empirischen Perspektive heraus, wie sie Crüger hier zeigt. Die in der vorliegenden Arbeit oft zitierte Kometographie von Gary Kronk aus dem Jahr 1999 stellt die moderne Form einer solchen historia dar. Zu dieser Thematik siehe auch Mosley: Past Portents Predict. 166 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 79–80.
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ten als Verbrennungsprozessen mit dem im Schweifrichtungsgesetz manifestierten Zusammenhang zwischen Sonne und Komet unvereinbar sei:167 So argumentierten die Anhänger dieser Ansicht, die Sonne würde die zu ihr gewandten aus dem Kometen entspringenden Flammen von jenem lösen, so dass nur die von ihr wegweisenden Flammen – als Schweif sichtbar – übrigblieben. Einen derartigen Einfluss der Sonne auf ein Feuer hält Crüger für unbegründet. Zudem sollte in diesem Fall ein Komet in allen Richtungen Flammen aufweisen, sobald er sich im Erdschatten und damit nicht mehr im Einflussbereich der Sonne befinde. Ferner wäre es unmöglich, durch einen flammenartigen Schweif dahinterliegende Sterne zu sehen, was Crüger jedoch eindeutig beim aktuellen Kometen beobachtet habe. Die veränderliche Länge von Kometenschweifen sei hingegen ein Beleg für ihre optische Natur, da diese Veränderung tatsächlich nicht erratisch auftrete, wie bei einer Flamme zu erwarten. Die Schweiflänge verändere sich nicht wirklich, sondern erscheine nur so, je nach relativer Position von Komet, Erde und Sonne: Demnach wirkt ein Schweif umso kürzer, je näher er der Sonne ist.168 Diese Erklärung sei mit den Beobachtungen des aktuellen Kometen sowie historisch belegten gut vereinbar. Es zeugt von Crügers Ethos als Wissenschaftler ebenso wie von seiner Vorstellung einer adäquaten wissenschaftlichen Methode, dass er die seiner Auffasung – jedoch nicht den Beobachtungsdaten – widersprechende Ansicht Keplers einer geradlinigen Kometentrajektorie hier anführt. Dieser Position kann Crüger sich nicht anschließen, da er die Jahresbewegung der Erde ablehnt.169 Auch dieses Kapitel beschließt Crüger mit dem Argument der Parallaxe, denn „die Regel bleibt gewiß und warhafftig“170. Der Versuch, die Gültigkeit dieses Arguments durch historische Observationsberichte für die Zeit vor 1577 zu belegen, scheitere an deren Ungenauigkeit bzw. der Ungeeignetheit der darin enthaltenen Daten. Zwar sei die Idee der Supralunarität historisch nicht neu – Crüger erwähnt eine von Hagecius genannte Quelle, die den Kometen von 1315 in der Sphäre des Mars verortet habe, oder den persischen Astronomen Albumasar, der einen Kometen als über der Venus befindlich beschrieben habe. Diese Berichte seien jedoch nicht geeignet, die Supralunarität tatsächlich zu beweisen, weshalb Crüger lakonisch bemerkt: „Wolte Gott / man hette in vorigen zeiten / da die Druckerey auffkommen / solchen fleiß an die Cometen gewandt / als jetzo / so würden wir deß langwirigen disputirens nicht benötigt sein.“171 Er macht die Überzeugungskraft und Vorherrschaft der aristotelischen Lehre dafür verantwortlich, dass selbst große Astronomen wie Ptolemaios oder Copernicus keine eigenen oder für diese Frage adäquaten Kometenbeobachtungen angestellt hätten und 167 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 82–83. 168 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 83–84. Dass dies nur für Kometen gilt, die der Erde näher sind als die Sonne, erwähnt Crüger und zeigt dies auch in seiner erklärenden Skizze. 169 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 84. Diese Argumentation Crügers ist insofern aufschlussreich, als sie Keplers Kometentheorie eindeutig durch dessen Heliozentrismus bestimmt sieht. 170 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 85. 171 Ebd.
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betont in diesem Zusammenhang die grundlegende Bedeutung der Regiomontanschen Methode nicht nur zur Messung einer Kometenparallaxe, sondern überhaupt zur Wahrnehmung dieses Aspekts als empirisch anzugehende Problemstellung. Dass Regiomontanus und auch Vögelin beim Kometen 1532 auf Basis dieser Theorie eine sublunare Kometenpositionierung ermittelt haben, zeige einerseits die Unausgereiftheit oder Modifikationsbedürftikeit des theoretischen Modells sowie die Schwierigkeit bei dessen praktischer Umsetzungung, und andererseits, dass auch die besten und gelehrtesten Astronomen irren können. Im folgenden Kapitel evaluiert Crüger daher die Beobachtungen der genannten Astronomen in gewohnter Weise durch umfangreiche Zitationen aus den Originalquellen, die er ausführlich kommentiert.172 Wobei Vögelins Problem im Grunde im Mangel guter Instrumente und in einer fehlerhaften Umsetzung der theoretischen Methode bestanden habe, wiegt Regiomontanus’ Fehlinterpretation in Crügers Augen schwerer, da dieser seine Daten an eine vorgefasste Meinung angepasst hätte: So habe er z. B. keine „distantiam ex parallaxi“ gemessen, sondern „parallaxin e præsupposita distantia“ genommen, wobei er die Entfernung bzw. die Ausdehnung der einzelnen elementaren Schichten aus den Vorstellungen der traditionellen scholastischen Naturphilosohie übernommen habe.173 Regiomontanus habe einen „regelmäßigen Zirkellauf “ ermittelt, aber „dennoch gilt ihm Aristotelis autoritet mehr als sein eigner augenschein.“174 Obwohl er als Mathematiker die optischen Einwände gegen ein hohes Aufsteigen terrestrischer Exhalationen gekannt habe, verortet er den Kometen in neun Erdradien Entfernung, denn es „gilt ihm die Aristotelis autoritet mehr als die demonstrationes Mathematicæ und seine eigne vernunft / gleich als ob Aristoteles kein Mensch / der fehlen kan / sondern Gott were.“175 Diese epistemologische Haltung des Regiomontanus präsentiert Crüger als der seinen nahezu entgegengesetzt; für ihn gebührt der Mathematik das Primat und die physikalischen oder naturphilosophischen Schlussfolgerungen sind durch diese determiniert: Wenn parallaktische Messungen die Supralunarität von Kometen beweisen, ist das der Ausgangspunkt für die Konzeption der naturkundlichen Theorie, die dieses Observationsfaktum berücksichten müsse; die Position des Kometen könne aber nicht die Prämisse sein. Diese Haltung ist kennzeichnend für Crüger und seine Kritik an den Vertretern der meteorologischen Kometentheorie. Es sei eine Sache, dieser Ansicht aufgrund fehlender Kenntnisse zu folgen – eine andere aber, sie wider besseren Wissens zu vertreten. Ob dieser deutliche Vorwurf an Regiomontanus gerechtfertigt ist, da es diesem ja nie um die empirische Überprüfung der meteorologischen Theorie, sondern eher um die Auslotung theoretischer Methoden in Bezug auf Kometen ging, 172 173 174 175
[7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 87–92. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 88–89. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 88. Ebd.
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die damit überhaupt erst als astronomisch zu behandelnde Phänomene etabliert worden sind, sei dahingestellt. Mir scheint, Crüger möchte damit der aktuellen Debatte um die Supralunarität von Kometen eine überzeitliche Relevanz verleihen und sich selbst und seine Wissenschaftsauffassung legitimieren und profilieren. 7.2.3 Die Debatte um den epistemologischen Status der Astronomie Aus dieser Perspektive heraus hat Crüger in den bisherigen Kapiteln speziell die Supralunarität als astronomisches Problem und die Kritik an der Validität dieser Annahme thematisiert. Er widmet sich nun gezielt der Kritik von anderen Gelehrten, indem er die Relevanz und epistemologische Gültigkeit der Astronomie insgesamt hervorhebt, um damit die Legitimatität des neuen Kometenbildes zu begründen. Das 15. Kapitel evaluiert und widerlegt daher zusammenfassend die „argumenta so beschaffen / das sie die gantze Astronomiam bey etlichen Leuten verdächtig machen“176. Im Fokus stehen hierbei entsprechende Äußerungen des venezianischen Philosophen Francesco Patrizi (1529–1597), des französischen Politikers Jean Bodin (1529/30–1596), des Arztes Philipp Feselius und des Philologen und Dichters Nicodemus Frischlin (1547– 1590). Ihre Positionen zeugen teilweise schlicht von fehlender Sachkenntnis, aber auch von einer divergierenden Auffassung, auf welcher methodisch-epistemologischen Grundlage Wissenschaft, besonders die Astronomie, zu betreiben sei. Patrizi stellt z. B. infrage, mit welcher Gültigkeit überhaupt Aussagen über Größen oder Entfernungen von Himmelskörpern durch irdische Beobachter gemacht werden können. Mit seinem Zweifel an der Möglichkeit, durch Beobachtung und Rechnung etwa die Reihenfolge der Planeten festzustellen, offenbart er nicht nur eine grobe Unkenntnis von basalen Sachverhalten, sondern kritisiert den Geltungsanspruch der Astronomie ganz grundsätzlich. Frischlin macht das von theologischer Warte aus, indem er die Verlässlichkeit astronomischer Messungen auf Grundlage zweier Bibelstellen hinterfragt. Ein anderer von allen hier behandelten Autoren geäußerter Kritikpunkt ist z. B. die Frage nach der Verlässlichkeit der Instrumente und damit einhergehend der durch diese ermittelbaren Ergebnisse: „Wer ist jemals in Himmel hinauff gestiegen zu erfahren ob Tychonis Instrumenta gar eigentlich zutreffen?“177 habe Feselius gefragt, worauf Crüger spöttisch antwortet, dass dies niemand getan habe, da es einfach nicht notwendig sei. Er korrigiert Missinterpretationen, z. B. des Bodin, der Röslin die Feststellung unterstellt, dass jenseits der Venus keine akkuraten Messungen mehr möglich seien.178 Crüger widerlegt diese Kritikpunkte knapp und verständlich und fällt folgendes resümierendes Urteil: „Bodinum in Politicis, Feselium in Medicis, Patritium in 176 177 178
[7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 93. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 96. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 97.
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Physicis, Frischlinum in Poeticis & Philologicis lesset man in ihrem wehrt: Das sie aber in subtilitatibus Astronomicis, die sie doch wenig verstehen / ihre autoritet interponiren wollen / kann man keines wegs passiren lassen.“179 Crüger adressiert damit nicht nur scheinbar gängige Fehlurteile und Missverständisse – insbesondere solche, die sich aus der Überzeugung von der Richtigkeit der Anschauung und einer naiv-simplifizierenden Herangehensweise an komplexe und zuweilen unintuitive Sachverhalte ergeben. Er betont zudem die trivial anmutende Tatsache, dass zu Beurteilung solcher Dinge Sachverstand notwendig sei und dass selbst angesehene Gelehrte nicht unbedingt über diesen verfügen. Ihm geht es also darum, solche Fragen und deren Beantwortung der Domäne entsprechend kompetenter Fachleute zuzuschreiben, denen die alleinige Autorität dazu gebühre. Damit hängt außerdem eine definitorische Abgrenzung des Erkenntnisbereiches und Geltungsanspruches der Disziplin Astronomie in Relation zu anderen Disziplinen, insbesondere der Physik und der Theologie, zusammen. Die Kometenproblematik spielt hier konkret gar keine Rolle, sondern bildet den Kondensationskern, an dem sich dieser epistemologische Konflikt entzündet. Besonders deutlich und spezifischer auf die Kometenkontroverse bezogen zeigt sich das in den nächsten zwei Kapiteln, in denen sich Crüger mit den Positionen seines früheren Lehrers und überzeugten Peripatetikers Bartholomäus Keckermann auseinandersetzt. Dieser ist von 1602 bis zu seinem Tode 1609 Rektor und Professor für Theologie am Danziger Gymnasium und hat sich in zahlreichen Schriften um eine systematische Ordnung des traditionellen Wissenskanons bemüht.180 Über seine weitverbreiteten Lehrbücher entwickelt Keckermanns analytische Methodik einen spürbaren Einfluss auf die europäische Wissenschaftslandschaft Anfang des 17. Jahrhunderts.181 Wie oben erwähnt, hat Crüger bereits 1605 mit seinem Lehrer über Kometen und Neue Sterne disputiert, wobei diese Thesensammlung als Disputationes philosophicae von Keckermann erstmals 1606 veröffentlicht wird.182 Konkret bezieht Crüger sich hier auf einen Anhang der Disputation mit dem Titel Diaskepsis de observationibus cometarum per instrumenta Astronomica sowie auf eine weitere Disputation, die der Philosoph und Mathematiker Christoph Hunnich 1608 als Antwort auf Keckermanns Thesen und in Reaktion auf den Kometen 1607 verfasst hat und die Crüger bekannt machen möchte.183 Auch Hunnich
179 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 98. 180 Diese und die folgenden Angaben zu Keckermanns Leben und Werk beruhen wesentlich auf Jensen, Derek: „Bartholomew Keckermann“, in: Hockey, Thomas et al. (Hrsg.): Biographical Encyclopedia of Astronomers, New York 20142, S. 1167–1169. 181 Vgl. Jensen: The Science of the Stars in Danzig, S. 42–45. 182 Siehe Fußnote 109. 183 Der Anhang ist in der Hanauer Ausgabe von 1606 auf den Seiten 377–417 zu finden. Das Werk Hunnichs lässt sich als Handschrift nachweisen: [7.7] Hunichius, Christoph: De cometis disputationes duae. prior de eorum ortu, posterior de significatinobus. Habitae in illustri paedagogio stetinensi, Stettin 1608 [Ms 0377 in der Universitätsbibliothek Leipzig].
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ist zeitweise Crügers Lehrer184 und zum Zeitpunkt der Disputation Direktor des Stettiner Pädagogiums. Im folgenden 17. Kapitel setzt Crüger sich mit Keckermanns Werk Systema Physicum auseinander, in dem Kometen und Meteore umfangreich behandelt werden.185 Beide Kapitel sind diskursiven Charakters, im 16. fasst Crüger nach einer Einführung in die Debatte die Inhalte einzelner Thesen Keckermanns zusammen, z. T. thematisch gruppiert, oder zitert Abschnitte wörtlich. Dann folgt die Antwort durch Hunnich, die Crüger teilweise ausführlich kommentiert und das Gesagte so entweder ergänzt oder näher erläutert. Im 17. Kapitel nimmt Crüger selbst ausführlich zu einzelnen Aussagen Keckermanns Stellung und widerlegt oder korrigiert sie. Disputationen oder Lehrbücher bilden die Grundlage beider Kapitel, die durch ihren ganzen Aufbau als verschriftlichtes Streitgespräch mit genauen Quellen- und Literaturangaben ihrerseits zu einem akademischen Debattenbeitrag werden. Folgerichtig sind sie komplett auf Latein verfasst und fügen sich als Element gelehrter Kultur in den Traktat Crügers ein, der insgesamt zwar ein breiteres Publikum anspricht, von dem die Gelehrten jedoch einen validen Teil ausmachen. Ähnlich wie bei den von Crüger zuvor behandelten Gelehrten, besteht Keckermanns Strategie darin, die Verlässlichkeit astronomischer Beobachtung in Zweifel zu ziehen, insbesondere in Bezug auf eine instrumentengestütze Observation und die mathematische Verarbeitung dieser Daten sowie deren Interpretation. Gleichzeitig argumentiert er für eine epistemologische Position, die das Primat der Naturphilosophie vor der Mathematik im Zugang zur Natur sowie eine scholastisch inspirierte und weniger empiriebasierte Methodik der Naturerkenntnis betont. Obwohl Keckermann beispielsweise ein Exemplar von Copernicus’ De Revolutionibus besessen und andere moderne Astronomen wie Brahe, Peucer oder Rheticus gelesen hat und sehr schätzt, vermittelt er in der Lehre das traditionelle ptolemäische Weltbild und geht beispielsweise von soliden Himmelssphären aus.186 Crüger wirft ihm außerdem vor, z. B. hinsichtlich der Refraktionstheorie, mit der Keckermann die Möglichkeit einer präzisen Höhenbestimmung von Himmelskörpern infrage stellt, veralteten und überholten Vorstellungen anzuhängen.187 Abgesehen von dieser sehr traditionellen Sichtweise der Astronomie und Kosmologie sind Keckermanns astronomische Kenntnisse schlichtweg deutlich unter dem Niveau Crügers. Diesem fällt es zuweilen spürbar schwer, auf manche von Keckermanns Argumenten anders als mit unverhohlenem Spott zu reagieren.
184 Vgl. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 100. 185 [7.9] Keckermann, Bartholomäus: Systema physicum septem libris adornatum, Hanau 1610 (VD17 1:089703H). Das Werk gehört zu den erwähnten einflussreichen Lehrbüchern Keckermanns und wird bis 1623 mindestens dreimal neu aufgelegt. 186 Jensen: The Science of the Stars in Danzig, S. 43–45. 187 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 102.
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Zunächst betont Crüger gegen die Einwände und Zweifel Keckermanns, dass die Astronomie seit Jahrhunderten eine sichere, da auf mathematischen Demonstrationen beruhende Wissenschaft sei, die basierend auf Beobachtungen ebenso gesicherte Aussagen über weit entfernte himmlische Objekte machen könne: Auch wenn nicht alle Instrumente perfekt sind, so habe doch schon Copernicus gezeigt, dass ein fähiger Beobachter mit kleinen Instrumenten brauchbare Ergebnisse erzielt, umso eher gelte das für die Qualität der Beobachtungen mit größeren Instrumenten, wie sie Tycho durchgeführt habe.188 Keckermann stellt zudem die prinzipielle Beobachtbarkeit von Kometen infrage, da sie nicht rund seien, keine reuläre Bewegung aufwiesen und man zudem andere kurzlebige feurige Meteore auch nicht sinnvoll beobachten könne. Hunnich entgegnet darauf, dass weder die geometrische Form, noch die Bewegungsweise die Möglichkeit der Beobachtung beinträchtigten und die Eigenschaften der Kometen belegten, dass sie keine kurzlebigen Meteore seien, weshalb ein Vergleich mit diesen sinnlos sei.189 An anderer Stelle konstatiert Keckermann, dass mittels „tychonischer Instrumente“ nur Himmelskörper, jedoch keine Kometen beobachtet werden könnten.190 Nicht nur sei dies, laut Hunnich, eine falsche Aussage; die Unterscheidung zwischen Kometen und Himmelskörpern, auf der Keckermanns These hier basiert, beruhe auf der sublunaren Verortung der Kometen in der elementarischen Region und sei daher genau das, was festgestellt werden soll. Die Gegensätzlichkeit der epistemologischen Positionen oder Wissenschaftsauffassung wird besonders deutlich, wenn Keckermann als Prämisse voraussetzt, was in den Augen Crügers als kontrovers zur Debatte steht. So negiert Keckermann etwa die Entstehung von Kometen im Himmel, da Exhalationen nicht bis dahin aufsteigen könnten. Crüger kommentiert, dass Astronomen nicht behaupten, dass Exhalationen in den Himmel aufsteigen, sondern aufgrund ihrer Distanzmessungen konstatieren, dass Kometen im Himmel stehen und deshalb nicht aus Exhalationen bestehen können.191 Weiter zweifelt Keckermann daran, dass Verbrennungsphänomene mit mathematischen Instrumenten beobachtet und insbesondere hinsichtlich ihrer Entfernung beurteilt werden könnten. Abgesehen davon, dass das nicht zutreffe, betont Crüger mit Hunnich, dass nicht die Astronomen, sondern nur einige wenige Peripatetiker behaupten, dass es sich bei Kometen überhaupt um Verbrennungsprozesse handele.192 In eine ähnliche Richtung zielt Keckermanns Argument, dass die den Kometen von Brahe zugeschriebene Größe – und damit dessen Kometentheorie insgesamt – nicht stimmen könne, da die Erde eine solche Menge an Materie, die in Form von Exhala-
188 189 190 191 192
Ebd. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 103. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 106. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 101. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 104–105.
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tionen aufsteige, nicht produzieren könne.193 Erneut entlarvt Crüger dieses Argument als petitio principii, das nur stichhaltig sei, wenn man von der terrestrischen Entstehung von Kometen ausgeht. Die Verschiedenheit des Wissenschaftsverständnisses von Crüger und Keckermann wird z. B. daran deutlich, dass letzterer aus den unterschiedlichen Ansichten und Erklärungen, die Astronomen bezüglich der himmlischen Erscheinungen von 1572, 1577 und 1604 entwickelt hätten, schlussfolgert, dass prinzipiell keine sicheren Aussagen über diese Phänomene möglich seien.194 Für Crüger hingegen sind solche Diskrepanzen und die Diskussion darüber kosntruktiv und erwünscht, da sie zur Wahrheitsfindung beitragen und somit geradezu ein Kennzeichen guter wissenschaftlicher Praxis sind. Was Crüger an der Auffassung Keckermanns stört, ist nicht nur dessen Bereitschaft einer Kometentheorie kompromisslos anzuhängen, die seit geraumer Zeit und – in den Augen Crügers – aufgrund fundierter Einwände in Zweifel gezogen wird. Schwerer wiegt für ihn wohl die Tatsache, dass Keckermann die Kometentheorie aus epistemologischen Gründen nicht als der Überprüfung zugänglichen oder überhaupt der Überprüfung bedürfenden Problemstellung ansieht. Ähnlich wie bei Regiomontanus kritisiert Crüger aber nicht nur die dogmatische Überzeugung von der Richtigkeit der peripatetischen Lehre, sondern auch die ihr damit zugeschriebene wissenschaftstheoretische Position. Aus der blinden Anhängerschaft an diese Lehre ergebe sich eine unlautere Ausdehnung oder Vermischung der disziplinären Erkenntnis- oder Gegenstandsbereiche. So sei es die Aufgabe der Astronomie „locum & situm Cometarum und stellarum“195 zu eruieren und nicht die der Physik. Diese sei in ihren möglichen Aussagen vielmehr durch erstere determiniert. In diesem Sinne habe sich auch Aristoteles selbst zur Feststellung der Dimensionen des Kosmos als nicht zuständig gefühlt, sondern sei in dieser Frage den ägyptischen und babylonischen Astronomen gefolgt.196 Insgesamt tritt bei Keckermann eine konservative pädagogische Haltung zu tage, er glaubt an die Überlegenheit der Tradition gegenüber originellen wissenschaftlichen Annahmen und dass etabliertes, nicht kontrovers diskutiertes Wissen gelehrt werden sollte.197 Wenn er schreibt, dass die astronomischen Kometenobservationen gegen die Prinzipien der Physik verstoßen und dass, sollte diese diskreditiert werden, auch andere Disziplinen verworfen werden könnten, zeigt, warum Keckermann ein so entschiedener Gegner der Ablehnung der meteorologischen Kometentheorie gewesen ist:198 Er verbindet damit die Gefahr einer Aushöhlung der aristotelischen Naturphilosophie insgesamt
193 194 195 196 197 198
[7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 108. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 105. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 100–101. Crüger zitiert zum Beleg Textstellen aus den aristotelischen Schriften Über den Himmel, Meteorologie und Metaphysik, vgl. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 101. Jensen: The Science of the Stars in Danzig, S. 44. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 100.
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und dem darauf beruhenden Universitätswesen.199 Dass Crüger sich mit Keckermanns Kritik so intensiv und detailliert auseinandersetzt – und darin bleibt er nicht alleine200 – verdeutlicht zum einen, wie groß dessen Einfluss auch nach seinem Tod noch ist und zum anderen, welche Akzeptanz die peripatetische Kometentheorie noch genießt und mit welcher Vehemenz und auf welcher argumentativen Grundlage sie verteidigt wird. 7.2.4 Die theologische Verursachung und Signifikanz von Kometen In den letzten drei Kapiteln des Uranodromus cometicus legt Crüger nun dar, was Kometen seiner Meinung nach sind und bedeuten, obwohl er im Einklang mit seiner umfassend entwickelten Kritik an Keckermann gleich betont, dass diese Fragen nicht zum eigentlichen Aufgabenfeld des Astronomen gehören: „Ob zwar eines Mathematici profession nicht ist von der Cometen Natur und generatione zu handeln / So muß ich doch hievon meine meinung mit dreyen worten hieher setzen / nicht das ich mich dadurch mit den Physicis in eine disputation einzulassen gedencke / sondern das ich gleichwol den Leuten / so mich darüber fragen / antworte / was ich davon halte.“201 Crüger hält Kometen für supralunare, ätherische Körper, wobei seine definitorische Beschreibung anschaulich verdeutlicht, warum deren Wesen und Bedeutung für ihn zusammenhängen und warum er aufgrund der Ablehnung der traditionellen meteorologischen Kometentheorie auch die traditionelle Form der Astrologie verwirft: Ein Wunderstern von Gott gemacht und durch krafft der Sonnenstralen am hohen Himmel leuchtende / den Menschen mit warnung zukünfftige dinge zuverkündigen. Das ich causam efficientem supernaturalem statuire, bewegt mich dieses / das ich in so fleissiger durchsuchung aller umbstende bey den Cometen keine natürliche gnugsame ursach solche condensationis æthereæ finde.202
Crüger kann also mittels natürlicher Ursachen nicht erklären, wie Kometen entstehen, wohl aber deren Erscheinung, wobei er hier im Wesentlichen der optischen Kometentheorie Keplers folgt: Wenn nun die materia durch Gottes macht und willen condensiret und conglobiret, so fallen die Sonnenstralen drein / und durchleuchten sie / das die einen hellen schein von sich
199 Vgl. Gindhart: Das Kometenjahr 1618, S. 250–251. 200 Siehe dazu Granada, Miguel Á.: Mästlin on the Comet of 1618, in: Granada, Miguel Á. / Boner, Patrick J. / Tessicini, Dario (Hrsg.): Unifying Heaven and Earth. Essays in the History of Early Modern Cosmology, Barcelona 2016, S. 238–288. Mästlin bezieht sich in seiner Kritik auf dieselben Schriften Keckermanns, die auch Crüger hier behandelt. Weitere Kritiker sind z. B. der Leipziger Mathematikprofessor Philip Müller und der Straßburger Astronom Isaak Habrecht. 201 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 113. 202 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 113–114.
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gibt: In dem sie aber diesen globum durchleuchten / brechen sie sich / so wol drinnen ds hinden an im außgang / secundum rationes Opticas, fallen nit weit hinder dem Cometen zusammen und durchschneiden sich in einem punct breiten sich dann wiederumb vonander / und fahren in die leng hinauß / in welcher mehlich außgetriebener dünner materia die Sonnenstralen hafften / (sententia acutissimi Keppleri) dadurch sie einen grossen langen schwantz erregen (…).203
Die Sonnenstrahlen erleuchten den Kometen, führen zur Entstehung seines Schweifs und schlussendlich auch zu seiner Verzehrung, da sie beim Durchtritt durch den Kometenkörper einen Teil seiner Materie mitnehmen – ansonsten wären Kometen gar nicht sichtbar – und so langsam zu deren Auflösung beitragen.204 Die Sonnenstrahlen sind aber nicht für die Zusammenballung der ätherischen Materie, also die Entstehung von Kometen, verantwortlich zu machen. Wenn man die Generierung eines Kometen nicht kausal erklären kann, ist auch dessen Prognostizierung unmöglich. Die These Cornelius Gemmas, bestimmte Aspekte der drei oberen Planeten als ursächlich anzusehen, weist Crüger daher zurück:205 „es könne niemandt ex astrorum configuratione einen Cometen gewiß prognosticiren. So halt ich auch der Planeten stralen nicht krefftig gnug materiam cælestem zu coaguliren.“206 Diese Frage nach der tatsächlichen Generierung von Kometen ist für Crüger selbst in der traditionellen meteorologischen Theorie ein Problem: Wie könne ein am primus motus teilnehmender Komet bei stillstehender Erde überhaupt entstehen, da sich aufgrund der schnellen Bewegung doch alle Materie zerstreuen müsste?207 Diese Problematik besteht bei einem supralunaren, himmlischen Entstehungsort noch immer, solange der Komet nicht in der ruhenden Fixsternsphäre positioniert wird. In Ermangelung einer vernünftigen natürlichen Ursache konstatiert Crüger daher eine übernatürliche: Es ist Gott selbst, der durch seine Macht und seinen Willen die ätherische Materie zu einem Kometen kondensiert und ihn so entstehen lässt. Auch für dessen Bewegung ist Gott die Erklärung, da solide Himmelssphären als materielle Trägerkörper ebenso ausscheiden wie die Führung durch einen beherrschenden Planeten. „Es gibt aber Gott der Herr diesem Wunderstern einen impetum, das er / so bald er entstanden / seinen richtigen lauff nimt / da hinauß / wo es ihm Gott befohlen.“208 Dass Fehlen natürlicher Ursachen bedeutet einerseits, dass eine Prognostizierung von Kometen und eine Prognose von Kometenfolgen als Wirkungen unmöglich sind, da 203 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 114–115. 204 Vgl. zu diesem Aspekt der Keplerschen Kometentheorie Heidarzadeh: A History of Physical Theory of Comets, S. 64–67. 205 Crüger verweist auf Gemmas Werk Cosmocritice, seu de naturae divinis charactersimis, Buch 1, Kap. 8. Siehe dazu Kap. 6.2 und die Primärquelle [6.5]. 206 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 114. 207 Vgl. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 69. 208 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 115.
7.2 Peter Crüger und die astronomische Beobachtung göttlicher Zeichen
373
beides nur auf Grundlage eines kausalen Zusammenhangs denkbar ist. Ersteres schließ Crüger aus geschilderten Gründen aus und letzteres, da die Verursachung der Kometenfolgen durch den Kometen selbst seiner Ansicht nach nur im Rahmen der meteorologischen Kometentheorie, die den Kometen eine sublunare Position und daher einen Effekt auf die elementarische Luftschicht zuschreibt, denkbar ist. Zudem seien die möglichen Kometenwirkungen – sollte es sie denn in analoger Weise etwa zum astrologischen Einfluss der Planeten auf die irdische Welt geben – für „solchen hendeln / die sich auff die Cometen erheben“ viel zu schwach und „zu weit hergesucht“209. Auf der anderen Seite ist das Fehlen natürlicher Ursachen in der Entstehung von Kometen die Voraussetzung dafür, diese als Zeichen zu betrachten. Die göttliche Zeichenhaftigkeit von Kometen ergibt sich aus ihrer übernatürlichen Verursachung und da sie wie gnugsam bewiesen / himmlische Wundersterne sind / und keine gnugsame natürliche causam efficientem haben / müssen sie fürwar was sonderlichs bedeuten / und wird sie unser Herr Gott nicht ohngefehr und vergeblich uns darstellen. Denn Gott redet mit den Menschen nicht allein durch sein wort / sondern auch offtmals durch zeichen.210
Die klassischen Kometenfolgen wie Stürme, Dürre und Krankheiten, die nach der augmentierten meteorologischen Theorie durch den Kometen verursacht werden, erscheinen Crüger zu allgemein oder alltäglich, gewissermaßen zu wenig besonders. Da Kometen göttliche Zeichen seien, gebührten ihnen außergewöhnliche Folgen wie Erdbeben, Überflutungen sowie Geburt oder Tod eines Potentaten.211 Die Relevanz der Folgen wird über ihre Seltenheit betont, so könne auch nicht jeder Krieg als durch einen Kometen angezeigt oder vorbedeutet angesehen werden, sondern entweder unverhoffte irruptiones und feindliche grausame Einfälle / oder solche Kriege welche mit untergang grösser Städte und grosser verenderung in Religionssachen und Politischen Regimenten ablauffen. Also wil ich auch unter die bedeutung der Cometen nicht die Persecutiones zehlen / als welche für und für getrieben worden (…) und noch getrieben werden.212
Crüger listet nun neun historische Beispiele für solche Kriege aus der Antike sowie 18 weitere Kometenerscheinungen aus den „newen Historien“ und deren Folgen.213 Die Folgenhaftigkeit von Kometen ergibt sich aus ihrem Charakter als göttlichen Zeichen, was durch die historischen Exempel untermauert wird. Der Fokus dieser historischen Chronologie liegt einzig auf den Folgen, die der jeweilige Komet als Zeichen ankündigt. Beobachtungsdetails oder spezifische Eigenschaften des Kometen fehlen völlig, selbst bei den jüngeren historischen Beispielen. Der Komet bedeutet nicht in seiner
209 210 211 212 213
[7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 116. Ebd. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 117. Ebd. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 117–124, Zitat S. 119.
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7 Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität
Individualität – etwa, weil er in einem bestimmten Tierkreiszeichen erscheint, eine bestimmte Farbe oder Dauer hat oder sich auf eine bestimmte Art bewegt. Seine Relevanz beruht auf seiner Schöpfung und Instrumentalisierung als göttlichem Zeichen. Die oftmals als Einwand dagegen vorgebrachte Tatsache, dass auf manche Kometen nichts Schlimmes gefolgt wäre, sei im Gegenteil ein weiterer Beleg dafür, insofern das beweise, dass der gnädige Gott sich eben manchmal durch Buße und Gebet von der Durchführung der angedrohten Strafen abbringen lasse.214 Bei einer natürlich-kausalen Verursachung der Folgen durch den Kometen müssten diese ja notwendig immer eintreten. Daher bedeuten Kometen, aber wirken nicht, sie bringen keine Könige um oder verwüsten Städte und Länder: Der Comet thuts freylich nicht (wiewol er nach Aristotelis Lehre dazu ursach geben würde / wie solchs auch die Peripatetici behaupten wollen) sondern der Comet ist nur ein zeichen dessen / das Gott für hat. Gott ist die causa efficiens, durch welche ein König von der Welt abgefordert / und ein Königreich von einem Volck auff das andere versetzt wirdt.215
Die Bedeutung von Kometen wird damit allein im theologischen Rahmen entwickelt. Die Astrologie hat im Kontext der Bedeutungsermittlung wohl Relevanz, allerdings nicht in ihrer traditionellen, auf die meteorologische Kausalität rekurrierenden Form: ich halt auch noch nicht davon / was Astrologiam ordinariam anlangt / die von wirckung der Sternen handelt / da gelehret wirdt das eine configuration der Planeten oder eine Finsterniß / die mit dem zeichen deß Landes oder der Stadt gemeinschafft hat / krefftig an den Ort seine natürliche wirckung ausgiesse. Aber hie red ich nicht von wirckung (denn / wie in vorhergehendem Cap. gelehret / die Cometen sind nicht causæ efficientes der dinge so geschehen sollen) sondern von bedeutung / welche per aliquam signorum analogiam geschehen kann / und spreche also: Weil uns Gott durch Cometen was sonderliches anzeigen will / so bequemet er sich auch aus sonderlicher gnade auch dahin und auff die art / durch welche wir nach unserm gebreuchlichen verstande der bedeutung nachgehen können.216
So habe auch Gott sich zur Verkündung der Geburt Jesu einer Astrologie bedient, die die Weisen aus dem Morgenland verstehen konnten; „Gleicher gestalt erachte ich / das sich unser Herr Gott noch heutiges Tages mit den Cometen unserer Astrologiæ bequeme (…).“217 Aufgrund dieser akkomodationalen Konzeption des göttlichen Wirkens ist es geboten, auf Kometen aufzumerken und ihre Bedeutung zu eruieren. Die dazu notwendige Astrologie erscheint im Vergleich zu ihrer klassischen Form deutlich reduziert, denn die „Astrologischen Regeln von bedeutung der Cometen haben nicht alle gleichen grundt. Derwegen ich nur die jenigen adhibiren wil / die da qualiter cun214 215 216 217
[7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 116. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 125. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 128. Ebd.
7.2 Peter Crüger und die astronomische Beobachtung göttlicher Zeichen
375
que bestehen können / und so es die sache leiden wirdt / etwas von dem meinigen hinzu thun.“218 Wie schon im Kurtzen Bericht zu sehen, beschränkt Crüger sich in der Deutung auf die drei Parameter, die durch astronomische Observation zunächst ermittelt werden: den Ort, die Relation zur Sonne und die Bewegung des Kometen. So listet Crüger alle Länder auf, in deren Zeichen der Komet steht, ebenso wie jene, die den Zodia zugeordnet sind, die der Komet durchlaufen hat, und kommentiert: „Das alle diese Städte und Lender mit dem Cometen zu thun haben / halt ich nicht / sondern diß ist meine meinung / das er etliche unter denselben treffen werde / nemlich die jenigen so sonst benachbart unnd aus folgenden Regeln mehr deutung auff sich für andern haben.“219 Er erwähnt dann einige dieser Regeln, z. B. des Albumasar, scheint sie aber eher der Vollständigkeit halber anzuführen und nicht, weil er sie für konkret wichtig hält. Dass ein Komet Veränderungen bedeutet, stehe außer Frage: „Und wenn wir uns ein wenig in der Welt umbsehen / so finden wir gnug muhtmassungen / wohin dieser Comet zielen und was er bringen möchte.“220 In ähnlicher Weise lässt Crüger auch andere astrologische Deutungsweisen nur in reduzierter Form gelten: so glaubt er nur jene Herrscher als durch den Kometen bedroht, die eines der Tierkreiszeichen, in dem der Komet gestanden hat, an prominenter Stelle in ihrem Geburtshoroskop haben.221 Dass ein gegen die Ordnung des Tirekreises laufender Komet große „verenderung der Gesetz und Statuten“ bedeutet, zeigten aktuell die Geschehnisse in Böhmen: „Denn es lauff auf eine oder andere seit / so wird es ohne verenderung der Statuten unnd Landsordnung / so wol was geistliche als was Politische hendel betrifft / nicht ablauffen. Und diß mag ich auch wol offentlich herauß reden / weils doch Weltkündig / und keiner prognostication bedarff.“222 Für Crüger scheinen die astrologischen Regeln keiner konkreten Zukunftsvorhersage den Boden zu bereiten, als vielmehr eine mögliche generelle Tendenz anzugeben, wie sich die Dinge entwickeln könnten. So sind sie eher Orientierungshilfe bei der Frage, wohin man den Blick der Analyse des Zeitgeschehens wendet oder aus welcher Richtung Veränderungen zu erwarten sind. Auch wenn Crüger einige recht spezifische Deutungsregeln anführt, macht er selbst keine konkreten Vorhersagen: So bedeute ein aus dem Osten in den Norden laufender Komet laut Cardano, dass aus dem Morgenland „entweder eine Pest / oder newe Gesetz oder ein Potentat“ mit bösen Absichten zu den Völkern des Nordens kommen werde, „Wer aber der sein möchte / und welche Lender er uberziehn solte / kann ich nicht errahten.“223
218 219 220 221 222 223
[7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 126. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 128. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 129. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 130. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 131. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 132.
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7 Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität
Neben diesen Einschränkungen oder Verallgemeinerungen der astrologischen Deutungsregeln, lehnt Crüger manche auch rundheraus ab: „Es sind derselben zwar noch mehr / aber zum theil diesen Cometen nicht angehörig / zum theil auch für sich selbst auff ungründtlichen præsuppositis beruhende.“224 Dazu gehören etwa bestimmte Folgen, die mit stillstehenden Kometen assoziiert werden, aus dem einfachen Grund, dass Kometen nicht stillstünden. Zudem die Idee, dass der Schweif dahin weise, wo die Folgen zu erwarten sind, da die Schweifrichtung nur durch die Sonne bestimmt werde. Oder dass die himmlischen Häuser, in denen der Komet zuerst erschien, eine Bedeutung haben, da einzelne Beobachter einen Kometen zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten sichten und daher mit gleicher Berechtigung unterschiedliche Häuser ermitteln. „Nun pflegt auch in prognostication der bedeutung eines Cometen auff die coincidentes Aspectus zu sehen: Weil aber die Cometen / wie in vorigem Cap. zu lesen / nicht wircken / wie die rechten Sterne / sondern bedeuten / so hab ich diese consideration hieher nicht ziehen können.“225 Ebenso wenig mache es Sinn, die Sternbilder, welche von Kometen durchlaufen werden, zu deuten. Die Astrologie, ebenso wie die historia, erlauben eine Einordnung der Bedeutung des Kometen, die im konkreten gesellschaftlich-politischen Kontext zur Entfaltung komme. Ultimativ liege die Relevanz des Phänomens in dessen Zeichenhaftigkeit und müsse vornehmlich als göttliche Mahnung am Himmel verstanden werden. Um auf diese angemessen zu reagieren, bedürfe es keiner spezifischen Ausdeutung: Wenn ein Comet erscheint / leufft jederman den Astrologum an fragende / was er doch davon halte oder was doch der Comet bedeuten möge. Aber niemandt ist der jemals gefragt hette Ob und wie man der bedeutung entgehen könne oder wie man sich in solche Ruten GOttes schicken solle. Ja wenn der Comet auß den augen verschwunden / so verschwindet er auch den meisten außm sinn / das sie dencken / es hat nun keine gefahr mehr.226
Reuige Buße sei angesichts der göttlichen Zornrute angezeigt und nur dann könne man erwarten, dass Gott vom angedrohten Strafgericht absieht. Der Anlass des Kometen ist der göttliche Zorn über die menschliche Sünde. In diesem Zusammenhang sei jeder schuldig und daher auch jeder zu Umkehr und Besserung aufgerufen. Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, warum eine zu große Spezifikation der Kometendeutung – abgesehen von der prinzipiellen Möglichkeit, sie zu ermitteln – überhaupt nicht erwünscht ist, schwächt sie doch die Allgemeinheit dieses Bußaufrufs nur ab, was Crüger mit folgendem Luther-Zitat unterstreicht: „Wenn ein Comet scheinet und Fewer in den Lüfften ist / wie das zugehe / ist dir nicht nütz und noth zu wissen / Es ist gnug / das du Gottes zorn darann erkennest / und dich besserst.“227 224 225 226 227
[7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 133. Ebd. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 137. [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 138.
7.3 Zusammenfassendes Fazit
377
7.3 Zusammenfassendes Fazit Die Schriften des Theologen May und des Astronomen Crüger anlässlich des Großen Kometen von 1618 veranschaulichen, wenn auch in unterschiedlicher Weise, den kontroversen Status von Kometen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts. Beide Autoren halten Kometen für supralunare Himmelskörper aus ätherischer Materie, die entsprechend der optischen Kometentheorie durch die Sonne erleuchtet werden. Die Art, der Umfang und die Vehemenz ihrer Argumentation für diese Aufassung verdeutlichen, wie wenig etabliert sie immerhin 40 Jahre nach dem Kometen 1577 noch ist. Weiterhin sehen May und Crüger Kometen als Zeichen Gottes an, welche die mit ihnen konnotierten negativen Folgen – die historisch-empirisch belegt werden – vorbedeuten oder anzeigen, aber nicht kausal verursachen. Sie sehen die Phänomene als legitime Objekte der Naturforschung an, die es astronomisch zu beobachten, mathematisch zu behandeln und theoretisch-naturkundlich zu reflektieren gelte, denen allerdings ebenso eine übernatürliche Bedeutungsdimension zukomme, wodurch sie in einen theologischen Interpretationsrahmen gestellt werden. Nicht zuletzt zeigen ihre Werke, in welcher Form aktuelles Wissen über Kometen – insbesondere die entsprechenden Ansichten Keplers – rezipiert, vermittelt, argumentativ genutzt und gemäß der spezifischen Intention der Autoren verarbeitet und dargestellt wird. Crügers Schrift ist die eines Astronomen, in dessen Fokus die empirische Überprüfung der Frage des Kometenortes steht – der Problemstellung, die er als entscheidend für die kontroverse Natur der Kometen ansieht. Er geht dieses Problem als Mathematiker an und legitimiert seine naturphilosophischen Schlussfolgerungen durch die Unfehlbarkeit mathematischer Demonstrationen. Das Wissen der Physik ist dieser Gewissheit des mathematischen Wissens untergeordnet und muss daher auf diesem beruhen. Trotzdem sind Crügers Beteuerungen, er würde ausschließlich aufgrund mathematischer Demonstration argumentieren, eher rhetorisch zu verstehen, da er die physikalischen Gründe seiner Überzeugungen aus der Mathematik heraus entwickelt, diese argumentativ jedoch eine bedeutsdame Rolle spielen. Diese Rhetorik ist nicht zuletzt der Kontrastierung seiner Epistemologie zu derjenigen Keckermanns geschuldet. Crügers Werk erscheint somit als langes Argument für die Supralunarität von Kometen und den Konsequenzen, die sich daraus für ihn ergeben: Die meteorologische Kometentheorie ist für ihn klar obsolet, ebenso allgemeiner die Idee eines terrestrischen Ursprungs der Kometenmaterie oder die Vorstellung, dass es sich bei Kometen um Verbrennungsprozesse handeln könne, denn alle diese Aspekte hängen in seinen Augen zusammen. Da Kometen sich nicht in den sublunaren Luftschichten befinden, schließt Crüger ihre direkte Einwirkung auf irdische Lebewesen oder Geschehnisse aus, was nicht nur bedeutet, dass Kometen keine Ursachen der ihnen zugeschriebenen Folgen sind, sondern auch, dass die damit oftmals argumentativ eng verbundene traditionelle Astrologie abgelehnt wird.
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7 Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität
Durch diese Argumentationsweise macht Crüger einen scharfen Gegensatz nicht nur zwischen zwei vermeintlich antagonistischen Theoriealternativen auf, sondern subsummiert darunter Elemente, die gar nicht originär zur Theorie selbst gehören. Das ist strategisch geschickt, da er damit nicht nur Hybridtheorien ablehnen kann, sondern auch bestimmte Elemente, die traditionell mit der Theorie verbunden, aber kein notwendiger Teil von ihr sind. Zudem kann so durch eine Diskreditierung einzelner Elemente gleich die ganze Theorie kritisiert oder als absurd dargestellt werden. Neben diesen inhaltlichen Vorstellungen und ihrer rhetorisch-argumentativen Präsentation, ist ein bedeutsames Merkmal an Crügers Werk die darin sichtbare epistemologische Position des Autors, wonach er für sich als Astronomen das Recht proklamiert – und damit steht er in der Tradition von Copernicus, Brahe oder Mästlin – auf Basis mathematischer Voraussetzungen naturphilosophische, hier kosmologische Aussagen zu machen. In dieser Haltung steckt zudem das Bedürfnis nach Abgrenzung der Erkenntnis- und Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Disziplinen: Die naturkundliche Kometentheorie dürfe nicht im Widerspruch zu den Beobachtungsresultaten stehen und sei daher durch diese determiniert, ihre genaue Ausarbeitung aber sei Aufgabe der Physiker. Dies ist der Kern der Auseinandersetzung mit Keckermann, der in Crügers Augen das Anwendungsfeld der peripatetischen Physik unlauter ausgedehnt und das der mathematischen Astronomie eingeschränkt habe. Der grundlegende Konflikt liegt hierbei in der divergierenden Wissenschaftsauffassung: Die Empirie als Grundlage kausaler Naturerklärung anzusehen ist auch der peripatetischen Philosophie nicht fremd. Ihre Grundannahmen – etwa die Unveränderlichkeit des Himmels – jedoch selbst zum Gegenstand naturphilosophischer Untersuchung zu machen, sie als etwas anzusehen, das z. B. durch die Ergebnisse astronomischer Beobachtung legitim infrage gestellt werden kann, das widerspricht der epistemologischen Position Keckermanns grundsätzlich.228 Crüger sieht Kometen als beobachtbare Phänomene an, deren Position am Himmel ermittelt werden, deren Schweif als Produkt der Refraktion von Sonnenstrahlen erklärt und deren Bewegung mathematisch beschrieben werden kann. Gleichzeitig hält er sie für göttliche Wunderzeichen und schließt ihre natürliche Verursachung aus – im Gegensatz zu vielen Anhängern der traditionellen Kometentheorie, die die Natürlichkeit des Phänomens und dessen Erklärbarkeit durch natürliche Ursachen gerade betonen. Crüger konstatiert, keine natürlichen Ursachen zur Erklärung der Entstehung von Kometen gefunden zu haben. So wie er die kausale Verursachung der Kometenfolgen ablehnt – diese Sichtweise ist für ihn klar an die meteorologische Theorie und
228 Diese Problematik hat Granada in seiner Untersuchung des Kometentraktats von Mästlin ausführlich analysiert: Nach Keckermanns Auffassung gehörten Kometen zum Gegenstandsbereich der Physica, während es den Astronomen oblieg, sich mit den tatsächlichen Himmelsphänomenen zu befassen. In seinen Augen sind es die Anhänger der Supralunarität der Kometen, die die epistemologischen Zuständigkeiten von mathematischer Astronomie und Physik unlauter vermischen. Vgl. Granada: Mästlin on the Comet of 1618.
7.3 Zusammenfassendes Fazit
379
eine sublunare Kometenposition gekoppelt – negiert er damit auch die Kausalität der Entstehung von Kometen. Im Rahmen seiner optischen Kometentheorie wird beides nicht auf natürliche Ursachen, sondern auf Gott als causa efficiens zurückgeführt. Diese Erklärung durch Gott steht nicht im Gegensatz zu einer naturwissenschaftlichen, sondern ist mit dieser verbunden; sie folgt geradezu aus Crügers Vorstellungen bezüglich Empirie und Epistemologie, denn da, wo es keine belegbare alternative Erklärung aufgrund natürlicher Ursachen gibt, ist Gott die beste und am nächstliegende. Zweifellos passt dieser Rekurs auf Gott zu der dazu komplementären theologischen Konzeptualisierung von Kometen als Zeichen und betont diese Dimension nicht nur, sondern unterstützt sie rational und damit auch den damit verknüpften Bußaufruf. Gerade im protestantischen Denken der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, das den deutschen Kometendiskurs ja maßgeblich prägt, gilt dieses Integrieren einer übernatürlichen Erklärungsdimension als vorteilhaft gegenüber einer rein naturalistischen Erklärung.229 Theodor May, anders als Crüger viel mehr Theologe denn Naturforscher, macht viel deutlicher Gebrauch von dieser Argumentationslinie. Die Supralunarität von Kometen ist für ihn eine Bestätigung ihres zeichenhaften Charakters: als im Himmel befindlich und den ewigen ätherischen Körpern ähnlich, partizipieren die Kometen an der damit verbundenen Dignität und sind somit viel eher dazu geeignet, göttliche Botschaften zu transportieren als sublunare Meteore. May wendet sich einerseits gegen die Peripatetiker, die den Kometen die Verursachung ihrer Folgen als Wirkungen zuschreiben, und andererseits gegen jene Anhänger der optischen Theorie, die die Kometen rein natürlich erklären. Bei beiden Positionen sieht er keinen Raum dafür, Kometen als deutbare Wunderzeichen zu verstehen. Diese übernatürliche Dimension ist jedoch wichtig, um Kometen theologisch zu interpretieren und z. B. auch, um die ihnen zugeschriebenen Folgen primär als göttliches Wirken zu erklären. Von dieser theologischen Konzeptualisierung geht May aus und sieht sie durch die „neue“ naturkundliche Kometentheorie bestätigt. May betont ausdrücklich seine Anhängerschaft zu Kepler, er ist jedoch kein beobachtender Astronom, sondern folgt in den technischen Details jenen, die er für kompetent hält und deren Resultate seine vornehmlich theologische Botschaft unterstützen. Crüger ist ebenfalls Verehrer Keplers und dessen wissenschaftlichen Leistungen – so schreibt er am Ende des Uranodromus cometicus, dass jedes Lob für dieses Werk eigentlich Kepler gebühre.230 Allerdings geht er mit dessen Vorstellungen durchaus auch kritisch um: So lehnt Crüger etwa Keplers These einer geradlinigen Kometentrajektorie ab und scheint auch bezüglich einer astrologischen Deutung von Kometen etwas skeptischer zu sein, obwohl er grundsätzlich dem Konzept der Aspektastrologie folgt. Der sympathetische Einfluss der Sterne und Planeten auf die irdische Sphäre beruht laut
229 Siehe zu den Hintergründen dieser Entwicklung Vermij: A Science of Signs. 230 [7.3] Crüger: Uranodromus cometicus, S. 142.
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Kepler auf einer Art Kraft und deren Licht, die in bestimmten geometrischen Konstellationen so auf die sublunare Welt treffen, dass dortige Seelen mit entsprechender Disposition auf diesen Einfluss aufmerken. Diese Art von Wirkung könne Kometen laut Crüger nicht zugeschrieben werden, da sie lediglich aus subtiler Himmelsmaterie bestünden und kein eigenenes Licht ausstrahlten. Damit ist der zeichenhafte – und nicht ursächlich-kausale – Charakter der Kometen von naturkundlicher Warte aus belegt, ihre Relevanz oder Bedeutung besteht allein auf theologischer Ebene und liegt in ihrer göttlichen Geschaffenheit: ihr Zweck ist, ein Zeichen zukünftiger negativer Folgen zu sein, die auf Gottes Veranlassung anderweitig gewirkt werden. Dass man in sehr eingeschränkter Weise aus bestimmten Eigenschaften eines Kometen Rückschlüsse auf die Natur oder den Verlauf der Folgen ziehen könne, liege nur daran, dass Gott verstanden werden will und sich daher auf eine Art und Weise ausdrückt – eben astrologisch –, die der Mensch deuten könne. Auch Kepler sieht die astrologische Bedeutung von Kometen eher in ihrer Zeichenhaftigkeit, insbesondere in Bezug auf astro-historische Zyklen der Welt- und Menschheitsgeschichte wie etwa die Trigone, jedoch geht es ihm zudem um eine Reform der Astrologie durch eine Fundierung ihrer metaphysischen Grundlage. Crüger hält die Astrologie für eine nützliche, aber in Verruf geratene Kunst, jedoch nicht für einen legitimen Teil unfehlbarer, auf mathematischen Demonstrationen beruhender Wissenschaft. Die astrologische Prognostik gehört zu seinen Amtspflichten und er ist weit davon entfernt, sie grundsätzlich abzulehnen, jedoch ist ihm – allein aus Gründen der Reputationswahrung – daran gelegen, sie auf adäquater methodologischer Grundlage zu betreiben, also in deutlicher Abgrenzung zur Astronomie und auch Theologie: In den von Jensen intensiver untersuchten Debatten um die Legitimatität der Astrologie mit dem Chiliasten Paul Nagel geht es Crüger z. B. darum, die astrologische Prognostik von einer illegitimen Form der Prophetie und damit gegenüber dem disziplinären Feld der Theologie abzugrenzen.231 Bezogen auf den Zusammenhang und den unterschiedlichen epistemologischen Status von Astronomie und Astrologie schreibt Crüger in seinem bereits erwähnten Werk Cupediæ Astrosophicæ: Die erste [die Astronomie] kan wol vollkommen sein ohn die andere [die Astrologie] / Aber nicht die andere ohn die erste: denn die andere muß zu ihrem vorhaben der ersten deß Himmelslauff etc. entlehnen / die erste darff zu ihren sachen von der anderen gantz nichts entlehnen. Diesen unterscheidt hab ich auch vor etlichen Jahren in meinem Apologetico erkläret / und hette dißmal davon still geschwiegen / wenn nicht ein berümter Astrologus, Theodorus Majus, in seiner diß jahr außgegangnen Astrologia vindicata das wiederspiel den Leuten zu bereden sich unterstanden.232
231 232
Vgl. Jensen: The Science of the Stars in Danzig, S. 67–82. [7.1] Crüger: Cupediae astrosophicae Crügerianae, Bl. E 4v.
7.3 Zusammenfassendes Fazit
381
Hier klingt durch, dass Crüger sich deutlich astrologiekritischer positioniert als May, den er – wohl ironisch – als „berühmten Astrologen“ bezeichnet. Zu bedenken ist jedoch, dass May in der von Crüger erwähnten Schrift die Legitimität der Astrologie insgesamt gegen einen scharfen Kritiker verteidigen möchte und sich daher einer hoch apologetischen Rhetorik bedient, die klassischerweise den epistemologischen Status der Astrologie über den ihres astronomischen Fundaments begründet und die Nähe und Aufeinanderbezogenheit beider Disziplinen betont. Der größte Unterschied ihrer Positionen besteht darin, dass May deutlicher als Crüger eine sich gegenseitig stützende Verbindung zwischen der klassischen Astrologie und der Theologie sieht. Das liegt daran, dass bei May ein in seinen Schriften nachvollziehbarer Meinungswandel stattfindet, nicht nur bezüglich der Kometentheorie, sondern auch hinsichtlich seiner astrologischen Vorstellungen. Er ist in seinen Schriften von 1618 ein überzeugter Anhänger Keplers und an dessen Ideen und Theorien viel näher dran – dabei auch unkritischer und weniger reflektierend – als Crüger. Er übernimmt z. T. nicht nur einzelne Argumentationsstränge und Metaphern, sondern auch Keplers Konzeption einer aspektbasierten Astrologie. Gerade in der chronologischen Entwicklung seines Denkens ist die graduelle Abkehr von der meteorologisch-kausalen Astrologie nachvollziehbar. Anklänge an diese sind jedoch weiterhin zu spüren, etwa in der Beschreibung der Kometenfolgen, die in Mays Schrift von 1607 noch sehr deutlich an das Modell der Kometenwirkung durch Kausalketten erinnert, oder in der zu Beginn noch stärker präsenten Dualität von Kometen als Zeichen und als Ursachen. Für May sind Kometen natürliche Phänomene, deren Entstehung auf natürliche Ursachen zurückgeführt werden kann, wobei er hier Keplers Idee der Urzeugung folgt. Vielleicht schließt er deshalb eine natürliche Verursachung der negativen Folgen durch den Kometen selbst nicht völlig aus, doch auch bei ihm zeigt sich eine stärker werdende Tendenz, Kometen als reine Zeichen zu verstehen. Im Verbund mit dieser Tendenz rückt bei May die historische Argumentation immer mehr in den Vordergund. In seiner Historischen Beschreibung – wo sich diese Entwicklung bereits im Titel manifestiert – steht die chronologische Liste vergangener Kometenerscheinungen nicht nur am Anfang der Schrift und nimmt den quantitativ größten Teil derselben ein, es fehlen außerdem eine detaillierte Phänomenbeschreibung oder die Nennung spezifischer Kometenparameter, die für eine astrologische Ausdeutung relevant sind. Stattdessen zeigt sich – wie bei Crüger – eine Fokussierung auf die Kometenfolgen und zwar ebenfalls auf die „menschenbezogenen“, also die politischen und religiösen. Die Signifikanz der Kometen ergibt sich aus der historischen Induktion: die vergangenen Erscheinungen und ihre verbürgten Folgen erlauben die Vorhersage zukünftiger Folgen, nicht bestimmte Eigenschaften des Kometen, die kausal spezifische Folgen determinieren. Damit erhält das historische Argumentieren eine quasi-empirische Funktion. Dass Kometen negative Folgen haben, ist für Kepler, Crüger und May eine über die historische Erfahrung bewiesene Tatsache. Die Folgenhaftigkeit der Kometen
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7 Der Komet 1618: Zeichen versus Ursache und das Problem der Kausalität
wird über ihre Funktion als Zeichen begründet, über ihre Instrumentalisierung und Zwecksetzung durch Gott, der sich ihrer als Mahn- und Warnzeichen bedient und sie als Kommunikationsmedien gebraucht. In ihrem historisch dokumentierten Auftreten fungieren die Kometen als exempla, Zeichen der Präsenz und der Providenz Gottes. Damit erscheint deren Folgenhaftigkeit ganz im theologischen Rahmen, in den auch die Astrologie eingebunden ist. Crüger und May akzeptieren sie nur noch in eingeschränkter Form: die beobachtungsmäßig feststellbaren und objektiv-exakten Parameter wie der Lauf des Kometen, dessen Geschwindigkeit oder Position in Bezug zum Tierkreis gelten weiterhin als relevant, qualitative wie der Schein oder die Farbigkeit von Kometen – die klassischerweise auf dessen planetarische Natur hindeutend interpretiert werden – nicht mehr. Ebenso lehnt etwa Crüger die Einteilung in astrologische Häuser als menschengemacht und auf willkürlicher und nicht physikalischer Grundlage beruhend ab, ebenso wie eine Ausdeutung der Schweifausrichtung, die seiner Meinung nach nicht mit der Antisolarität des Kometenschweifes in Einklang zu bringen ist. Durch den engen Konnex mit der theologischen Zeichenhaftigkeit wird die Legitimatät der Astrologie zunehmend über die empirische Induktion aus der historia begründet und verliert ihre Verbindung zur physikalischen Kausalität – umso deutlicher, je mehr die augmentierte meteorologische Kometentheorie angezweifelt wird: die historische-chronikale Dokumentation der Kometenerscheinungen und -folgen übernimmt funktional gesehen die Rolle der Kausalketten. Die Astrologie wird so zum Diagnosemittel der Gegenwart, erscheint aber weniger als naturkundliche Deutungstechnik. Ihre Neufundierung durch Kepler hat zwar Anhänger gefunden, sie in ihrem Gegenstandsbereich aber weiter begrenzt und daher das Problem der schwindenden Kompatibilität – z. B. mit einer kausal-mechanistischen Naturerklärung – nicht lösen und somit den Prozess ihrer Verschiebung in einen anderen Begründungs- und Anwendungskontext nicht aufhalten können. So dient die Astrologie weiterhin als Werkzeug der Ausbuchstabierung der göttlichen Strafen und bildet im Verbund mit der historischen Argumentation den intellektuellen Rahmen für eine vornehmlich theologische Interpretation von Kometen. Die in dieser Entwicklung sichtbare beginnende Dissolution des integrierten Kometenbildes ist ein Faktor der Erklärung der im Verlaufe des 17. Jahrhunderts verstärkt sichtbaren Marginalisierung der Astrologie:233 Die klassische Astrologie ist durch ihre Stützung des kausal-meteorologischen Modells des traditionellen Kometenbildes und durch ihre enge Verbindung zur melanchthonischen Theologie der Prodigiendeutung zu einem Bindeglied der disziplinären Felder Naturkunde und Theologie geworden. Für beide funktionalen Domänen ist sie nun jedoch immer weniger relevant, so dass diese Funktionen vermehrt innerhalb der Kontextfelder selbst erfüllt werden: die Astronomie liefert die mathematische Beschreibung sowie
233
Siehe dazu die ausführlichen Ausführungen in Kap. 8.2.1.
7.3 Zusammenfassendes Fazit
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zumindest Ansätze einer physikalischen Erklärung und eine auf die historia rekurrierende Theologie behandelt die Bedeutungsdimension des himmlischen Zeichens. Dieses Kapitel hat einmal mehr die facettenreiche Vielschichtigkeit der zeitgenössischen Positionen zu Kometen veranschaulicht, die sich oft nicht in polaren Zuschreibungen sich gegenseitig ausschließender Ansichten fassen lassen – auch wenn die rhetorische Strategie einzelner Akteuere dies nahe zu legen scheint. Dies gilt für die verschiedenen Formen der Astrologie ebenso wie für die Ansichten zur Kometentheorie: Der konservative Peripatetiker und erklärte Gegner der Supralunarität von Kometen Keckermann ist z. B. der Meinung, dass Kometen die ihnen zugeschriebenen Folgen nicht kausal verursachen, sondern sie als Instrumente Gottes anzeigen.234 May erwähnt hingegen Anhänger der vermeintlich modernen optischen Theorie, die die Zeichenhaftigkeit der Kometen rundheraus negieren. Crüger zeigt sich sehr getroffen durch die harsche Zurückweisung seiner Reformvorschläge der Judizialastrologie durch den Stargarder Astronomen David Herlitz, der in vielerlei Hinsicht mit Crügers Vorstellungen übereinstimmt, aber die auf Keplers Ideen basierende Aspektastrologie scharf zurückweist.235 Crüger hingegen lehnt Mays Form der Astrologie ab, obwohl sie sich beide auf Kepler berufen und auch bezüglich Kometen recht ähnliche Vorstellungen haben. Schon die vorhergehenden Kapitel haben gezeigt, dass natürliche Kometenerklärung und ihre prodigiöse Dimension oder Wundernatur sich nicht ausschließen, sondern meist in verschiedener Weise in einer dualen Konzeptualisierung von Kometen gefasst sind. Auch bei May und – etwas weniger deutlich – bei Crüger ist diese Dualität vorhanden, sie erscheint allerdings nicht mehr so eng wie sie noch in der Rezeption der Kometenerscheinung des Jahres 1577 gewesen ist. Gleichzeitig veranschaulichen ihre Schriften im Kontext der zeitgenössischen Kometendebatte, dass das Kometenthema, in dem sich verschiedene Disziplinen, Traditionen und Wissensformen treffen – die sich ihrerseits in stetigen Wandlungsprozessen befinden – für eine Vielfalt an Positionen und einem eher eklektischen Kombinieren einzelner Elemente weiterhin prädestiniert ist. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird sich diese Diversifizierung der theoretischen Konzeptualisierungen und der interpretativen Ansichten von Kometen fortsetzen. Wie sich hier bereits andeutet, kann diese Entwicklung als Ausdruck der Dissolution des integrierten Kometenbildes verstanden werden.
234 Vgl. Thorndike, Lynn: A History of Magic and Experimental Science 7, New York 1958, S. 375–379. 235 Vgl. Jensen: The Science of the Stars in Danzig, S. 56–57.
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In den 1660er Jahren erscheinen insgesamt vier Kometen, deren Beobachtung und Interpretation der Debatte um die Natur dieser Himmelsphänomene neuen Aufwind geben.1 Wie die Erscheinungen der Jahre 1577 und 1618 gehört der von 1664 zu den Großen Kometen, der am Tage sichtbar gewesen und zum europaweiten Medienereignis avanciert ist. Mit ihm wird das Interesse an den seit dem 16. Jahrhundert aufgeworfenen Problemstellungen des Ursprungs, der Bewegung und des Ortes der Kometen erneut entfacht, welche eingebettet in allgemeinere astronomisch-kosmologische Fragen – etwa nach dem Aufbau des Universums, der Dynamik des Planetensystems und deren Ursachen sowie der Natur der einzelnen Himmelskörper – angegangen werden. Die traditionelle aristotelische Kometentheorie wird spätestens seit Ende des 16. Jahrhunderts unter Bezug auf neuplatonische, vitalistische, atomistische oder mechanistische Naturphilosophien infrage gestellt und auch im 17. Jahrhundert bietet die Kometenbeobachtung und -interpretation vielen Gelehrten einen Ansatzpunkt für ihre Überlegungen zu alternativen kosmologischen Modellen oder naturphilosophischen Erklärungssystemen. Ein zweiter wichtiger Aspekt besteht in einem zunehmend veränderten methodischen Zugang zum Kometenphänomen. Die astronomiehistorisch bedeutsame Erfindung des Teleskops wird für die Entwicklung der Kometentheorie und des Kometenbildes erst jetzt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts relevant, insbesondere in Verbindung mit der systematischen Nutzung des von William Gascoigne erfundenen Mikrometers und theoretischen Entwicklungen im Bereich des
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Neben den beiden in diesem Abschnitt hauptsächlich fokussierten Kometen von 1664 und 1665, erscheinen in dem Jahrzehnt zwei weitere 1661 (C/1661 C1) und 1668 (C/1668 E 1). Während der von 1661 in weniger als 15 deutschsprachigen Flugschriften verhandelt wird, ruft der von 1668 kein entsprechendes Echo hervor. Beide sind nicht sehr hell oder eindrucksvoll und finden jenseits der Gelehrtenwelt daher kaum Beachtung. Zu den Publikationen vgl. Brüning: Bibliographie der Kometenliteratur, S. 189–193. Zur Rezeption dieser Kometenerscheinungen insgesamt siehe Kronk: Cometography, S. 348–350 und S. 360–362.
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Rechnens mit Logarithmen.2 Auf dieser Grundlage beginnt eine Phase der Akkumulation von systematischen und präzisen Beobachtungsdaten, die zur Basis der Überlegungen zu Theorien über Wesen, Ursprung und Bahn von Kometen werden. Der Astronom Johann Elert Bode, der mehr als 100 Jahre später selber einen Kometen entdeckt, schreibt über die Himmelserscheinung von 1664: „Über keinen Kometen haben die Astrologen und Kometomanen so viel geschrieben und ein grösseres Schröcken verbreitet, wie über diesen vom Jahr 1664.“3 Dieser Komet bleibt für vier Monate bis Mitte März 1665 sichtbar, wird von zahlreichen Astronomen Europas beobachtet und aufgrund seiner Eindrücklichkeit zu einem breit rezipierten und für Aufsehen sorgenden Himmelsphänomen.4 Er ist nicht nur ebenso hell wie der Komet 1618, sondern auch besonders schnell. Ende März 1665 erscheint ein weiterer Komet, der von vielen für denselben gehalten wird.5 Als Einzelphänomen wird dieser jenseits der astronomischen Fachwelt wenig rezipiert, hier jedoch befördert und erhält er das Interesse an den durch den Kometen des Vorjahres aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen. Im deutschen Sprachraum wird das Erscheinen des ersten Kometen in mindestens 111 volkssprachigen Publikationen verarbeitet, wobei es sich konkret um 84 Schriften und 27 Einblattdrucke handelt. Demgegenüber stehen 26 lateinische Werke – 24 Schriften und zwei Einblattdrucke. Damit ist nicht nur die Gesamtzahl von 96 Schriftwerken zur letzten großen Kometenerscheinung von 1618 übertroffen, sondern auch das Verhältnis der deutschsprachigen zu den lateinischen Drucken: Sind es 1618 noch 72 zu 28 Prozent, sind es nun sogar 81 zu 19 Prozent. Darin findet nicht nur das von Bode konstatierte Aufsehen und mediale Interesse am Kometen 1664 quantitativen Ausdruck, sondern auch ein konkreterer Bezug auf einen spezifischen Rezipientenkreis als Folge der in diesem Kapitel thematisierten Differenzierung des Diskurses, da die ehemals in lateinischen Flugschriften angesprochene und als Autoren präsente Gelehrtenwelt – z. B. aufgrund von alternativen Publikationsorganen der sich institutionalisierenden Akademien und Gesellschaften – in wachsendem Maße aus dem volkssprachlichen Diskurs verschwindet.
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Vgl. Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 84–87. Bode, Johann E.: Sammlung astronomischer Abhandlungen, Beobachtungen und Nachrichten. Erster Supplementband, Berlin 1793, S. 40. Es handelt sich dabei um den Kometen C/1664 W1, vgl. dazu Kronk: Cometography, S. 350–357. Er wird Mitte November 1664 entdeckt und in Europa erstmals Anfang Dezember von Christiaan Huygens gesichtet. Ende Dezember ist er der Erde am nächsten und in diesen Tagen ein beeindruckendes Himmelsphänomen. Hierbei handelt es sich um den Kometen C/1665 F1, vgl. dazu Kronk: Cometography, S. 357–360. Weidemann konstatiert, dass diese Identifikation auch darauf zurückzuführen ist, dass der zweite Komet in Verlängerung der Bahn erscheint, auf welcher der erste Komet im März gelaufen und verschwunden ist, vgl. Weidemann, Volker: Theatrum Cometicum. Hamburg und Kiel im Zeichen der Kometen von 1664 und 1665, Göttingen 1987 (Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius Gesellschaft des Wissens 5/3), S. 28.
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Im Gegensatz zu den Erscheinungen von 1577 und 1618 gibt es zur Rezeption des Kometen 1664 keine monographische Studie. Kleinere Sondierungen fokussieren einzelne Beobachter in ihren jeweiligen institutionellen Kontexten, etwa Luciano Boschieros Arbeit über den italienischen Astronomen Giovanni Borelli (1608–1679) oder Thomas Krohns vergleichende Studie zu den Kometenobservationen von Christoph Nothnagel, Erhard Weigel und Tobias Beutel.6 Daneben spielt der Komet eine Rolle im Wirken größerer Gelehrter und wird daher im Kontext eher personenbezogener Arbeiten thematisiert, die sich mit der Leistung dieser Astronomen befassen: Ein wichtiger Beobachter des Kometen ist z. B. Hevelius, der über Fragen der Methodik und Interpretation seiner Beobachtungen kontrovers mit zeitgenössischen Gelehrten disputiert, worauf weiter unten näher eingegangen wird.7 Schließlich soll es der Komet von 1664 gewesen sein, der Isaac Newton zum Studium der Astronomie anregt.8 In all diesen Arbeiten stehen vielmehr Methodik und Bedeutung der Beobachtung des Kometen im Vordergrund als eine darüber hinausgehende Interpretation dessen kultureller und wissenschaftshistorischer Signifikanz. Diese spielt in Meinels diachroner Schau auf die deutsche Kometenliteratur eine größere Rolle; seine diesbezüglichen Ausführungen zur Bedeutung des Kometen 1664 vermitteln einen guten ersten und pointierten Überblick.9 Die folgenden Ausführungen vertiefen diesen Überblick und greifen in der Analyse der Quellenschriften drei charakteristische Aspekte heraus. Donald Yeomans hat in seinem Werk über die Geschichte der Erforschung und Deutung von Kometen seinem Kapitel über den von 1664 den Untertitel ‚Confusion Reigns’10 gegeben, um auszudrücken, welche Vielfalt an theoretischen Erklärungsansätzen und daraus abgeleiteten Interpretationen der Kometennatur, die sich teilweise konträr widersprechen, zu dieser Zeit präsent sind. Obwohl die astrologisch augmentierte meteorologische Kometentheorie deutlich ins Hintertreffen geraten ist, bleiben aristotelische Vorstellungen in vielen dieser theoretischen Entwürfe konzeptuell präsent:11 So stellt sich die Idee, dass Kometen aus einer Art exhalativer Materie bestehen, insofern transformiert dar, als nun als Quelle der Kometenmaterie nicht mehr die Erde, sondern
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Vgl. Boschiero, Luciano: Giovanni Borelli and the Comets of 1664–65, in: Journal for the History of Astronomy 40/1 (2009), S. 11–30 und Krohn, Thomas: Kometenobservationen in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die deutschsprachigen Kometenschriften von Christoph Nothnagel, mit einem Vergleich zu themengleichen Ausarbeitungen von Erhard Weigel und Tobias Beutel, Hamburg 2011 (Mathematische Forschung und Lehre an der Universität Wittenberg 2). Siehe Chantal Grells Kapitel „La querelle de la comète“ und „La querelle des observations“ in Grell, Chantal (Hrsg.): Correspondance de Johannes Hevelius. Tome 1. Prolégomènes critiques, Turnhout 2014 (Collection of Studies from the International Academy of the History of Science 94), S. 99–117. Vgl. McGuire, James E. / Tamny, Martin: Newton’s Astronomical Apprenticeship. Notes of 1664/65, in: Isis 73/3 (1985), S. 349–365. Vgl. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 78–90. Siehe dazu Yeomans: Comets, S. 69–94. Vgl. Yeomans: Comets, S. 93–94.
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die Planeten oder die Sonne angeführt werden. Auch die Grundüberzeugung, dass die Art der Bewegung der Weltkörper auf ihre Natur verweist, entstammt als mentales Modell12 der aristotelischen Physik, worauf beispielsweise die Dichotomie von geradlinig terrestrischen und sich kreisförmig bewegenden ätherischen Körpern beruht. In der Kometentheorie findet das darin Ausdruck, dass rektilineare Bahnen mit der Vorstellung verknüpft werden, dass Kometen vergängliche Phänomene sind, während kreisförmige Bahnen auf ihren ewigen Charakter verweisen. Ersteres ist damit kompatibel, dass Kometen vor ihrem Erscheinen neu entstehen oder geschaffen werden, aber auch mit der Idee, dass sie von der irdischen Position aus nur zeitweise sichtbar sind. Gekrümmte Bahnen lassen die Annahme von Periodizität naheliegend erscheinen, etwa bei kreisförmigen oder elliptischen Kometenorbits, wobei parabolische oder hyperbolische Bewegungskurven offenen Bahnen entsprechen, die auch dadurch erklärt werden können, dass Kometen sich um verschiedene Zentren bewegen. Descartes etwa sieht Kometen als nicht periodische, aber trotzdem immerwährende Phänomene an, die sich entlang der kosmischen Wirbel zwischen verschiedenen Sonnensystemen bewegen.13 Insgesamt ermöglicht eine bestimmte Form der Bewegungsbahn der Kometen daher viele Erklärungsweisen hinsichtlich der Natur dieser Himmelskörper. Diese Interpretationsoffenheit vergrößert sich noch, wenn man einerseits die Ebene des metaphysischen Überbaus – also etwa die zugrunde gelegte Kosmologie sowie den naturphilosophischen Diskurs über die Beschaffenheit der Welt oder das Wesen der Naturgesetze – und auf der anderen Seite die Frage der (Be-)Deutung des Phänomens miteinbezieht. Descartes ist z. B. von der Richtigkeit der heliozentrischen Kosmologie überzeugt und sieht in seinem streng mechanistischen Weltkonzept keinen Raum für Astrologie, die aber ebenso von Peripatetikern oder Tychonikern abgelehnt – oder befürwortet – werden kann. Für die Haltung zur theologischen Kometendimension – greifbar z. B. an den Fragen, ob Kometen ursächlich wirken oder zeichenhaft andeuten und was genau sie bedeuten – gilt diese Indifferenz bezüglich naturphilosophischer Systeme oder spezifischer Kometentheorien ebenso. Der Kometendiskurs ist in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts daher insgesamt durch Kontroversen gekennzeichnet, in welchen die spätestens mit dem Kometen 1577 aufgeworfenen Fragen nach der Natur und Bedeutung von Kometen fokussiert diskutiert und deren Beantwortung zunehmend als Aufgabe der Observation und des rechnerischen Zugangs betrachtet werden. Spätestens mit dem Kometen 1618 ist die Frage der Entfernung von Kometen und damit verknüpft deren Charakter als sublunare Meteore oder ätherische Himmelsphänomene zum Problem der Beobachtung geworden. Die Kometenerscheinungen der zweiten Jahrhunderthälfte motivierten ihre Beobachter besonders in Bezug auf die Frage der Bahnbewegung und somit ebenfalls 12 13
Zum Konzept des mentalen Modells siehe Kap. 1.3.2. Siehe zu Descartes’ Kometentheorie Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 67–83.
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der damit zusammenhängenden nach der Kometennatur, einen physikalischen Ansatz zu verfolgen. Grundlage dafür ist neben theoretischen Entwicklungen auf den Gebieten der Astronomie, Mathematik und Optik nicht zuletzt das Teleskop. Es ist bereits vor nahezu einem halben Jahrhundert von Galilei für die Astronomie genutzt worden, wobei Kepler, Cysat und der englische Astronom John Bainbridge (1582–1643) damit den Kometen 1618 beobachtet haben. Vollständig durchgesetzt hat es sich aber nur langsam, so dass z. B. Hevelius es etwa für seine Beobachtungen des Mondes verwendet, die in sein erstes großes Werk der Selenographia (1647) münden, für Fragen der Positionsastronomie jedoch die Beobachtung mit dem bloßen Auge vorzieht und für sicherer hält. Hevelius ist seit Cysat der zweite, von dem Illustrationen teleskopischer Kometenbeobachtungen bekannt sind, wobei es ihm hier aber primär um die optische Beschaffenheit von Schweif und Kometenkern geht.14 Über diese Fragen gerät Hevelius in einen Disput mit dem französischen Astronomen Adrien Auzout (1622–1691) und ferner Robert Hooke (1635–1703) als zentraler Figur der Royal Society, über deren Netzwerk und Publikationsorgan der Philosophical Transactions die Kontroverse ausgetragen wird.15 Im Kern geht es bei der Debatte um widersprüchliche Angaben der beobachteten Position des Kometen 1664 und seiner Bewegungsbahn.16 Auzout bringt aufgrund seiner Beobachtung die Hypothese vor,
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Vgl. Green: Assessment of Earlymodern Observations of Comets, S. 39. Eine Abbildung von Cysats Zeichnungen des Kometenkerns bietet Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 110. Siehe die folgenden Berichte in der allerersten Ausgabe dieses Organs: [8.36] Oldenburg, Henry „The motion of the late comet praedicted“, in: Philosophical Transactions 1/1 (1665), S. 3–8; [8.33] Ders.: „Extract of a letter, lately written from rome, touching the late comet, and a new one“, in: Philosophical Transactions 1/2 (1665), S. 17–18; [8.34] Ders.: „Extract of a letter, written from paris, containing some reflections on part of the precedent roman letter“, in: Philosophical Transactions 1/2 (1665), S. 18–20; [8.37] Ders.: „The motion of the second comet predicted, by the same gentleman, who predicted that of the former“, in: Philosophical Transactions 1/3 (1665), S. 36–40; [8.32] Ders.: „An account of hevelius his prodromus cometicus, together with some animadversions made upon it by a french philosopher“, in: Philosophical Transactions 1/6 (1665), S. 104–118; [8.35] Ders.: „Of the judgement of some of the english astronomers, touching the difference between two learned men, about an observation made of the first of the two late comets“, in: Philosophical Transactions 1/9 (1665), S. 150–151. Im Dienste der Übersichtlichkeit und besseren Auffindbarkeit firmieren diese Berichte hier unter der Autorschaft Henry Oldenburgs, der als erster Sekretär der Royal Society in vielen Fällen wohl der tatsächliche Verfasser der Texte gewesen ist, die oft jedoch auf Briefen oder Werken anderer Beiträger – in diesen Fällen Hevelius, Auzout oder G. D. Cassini – beruhen. Zur Rolle des Autors in den frühen Ausgaben der Philosophical Transactions siehe Grünfeld, Martin: The Construction of the Truth-Teller in the Early Issues of the Philosophical Transactions from 1665: The Relationship between Author Functions and Enunclatory Power, in: Pulse. A History, Sociology and Philosophy of Science Journal 4 (2016), S. 29–43. Siehe Hetherington, Norris S.: The Hevelius-Auzout Controversy, in: Notes and Records of the Royal Society of London 27/1 (1972), S. 103–106 sowie die Analyse bei Jensen: The Science of the Stars in Danzig, S. 209–231.
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dass Kometen sich regulär auf Kreisbahnen bewegen und bittet die englischen Astronomen der Royal Society um eine Überprüfung dieser Vermutung mittels ihrer eigenen Observationsdaten. Hevelius’ Beobachtungen legen eine andere Bewegungsbahn nahe, weswegen sein entsprechendes Werk – der Prodromus Cometicus (1664) – von Auzout deutlich kritisiert wird, wobei dieser seine Kritik im Wesentlichen auf eine seiner Meinung nach falsche Positionsmessung des Kometen durch Hevelius aufbaut.17 Die hinzugezogenen englischen Astronomen schlagen sich auf die Seite Auzouts und begründen das mit der Übereinstimmung seiner Observationsdaten mit jenen von Huygens aus den Niederlanden und denen von Giovanni A. Borelli und Giovanni D. Cassini (1625–1712) aus Italien. Damit wird der Disput auf die Frage nach der Korrektheit, Präzision und ferner Methodik von astronomischen Beobachtunen reduziert, denn insbesondere Hooke kritisiert Hevelius’ Bevorzugung der Observation mit dem bloßen Auge und somit die dieser Herangehensweise zugrundeliegende Epistemologie.18 Auf diese Weise wird jedoch der größere Zusammenhang der Form der Bewegungstrajektorie des Kometen und damit zusammenhängend die Frage nach dessen Natur ausgeblendet. Diese Konzeptualisierung der Problematik der Kometenbewegung als eine der Beobachtung und mathematischen Beschreibung bleibt jedoch insgesamt Teil der umfassenderen Fragestellung nach der physikalisch-naturkundlichen Interpretation dieser Himmelsphänomene, womit die Diskussion kosmologischer Fragen verbunden werden kann. So interpretiert Borelli seine Beobachtungen des Kometen 1664 im Kontext eines heliozentrischen Weltsystems und schlägt eine parabolische Bewegungsbahn der Kometen als supralunaren Himmelsobjekten vor.19 Auch Hevelius hat parabolische, also offene Bewegungsbahnen vorgeschlagen und sieht Kometen – womit er Kepler folgt – als transitorische und damit nicht wiederkehrende oder ewige Phänomene an, die aus Ausdünstungen der äußeren Planeten bestehen.20 Der italienische Astronom Cassini hält Kometen für supralunar, schreibt ihnen eine kreisförmige Bewegung jenseits der Saturnbahn zu und konzeptualisiert sie im Rahmen einer tychonischen Kosmologie.21 Hooke z. B. glaubt zunächst, dass Kometen sich kreisförmig bewegen und periodisch wiederkehren, vermutet später, dass ihre Bahnen aus geraden und kreisförmigen Komponenten bestehen – je nach den auf sie wirkenden gravitativen Einflüssen anderer Himmelskörper – und kommt schließlich mit 17 18
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Vgl. Jensen: The Science of the Stars in Danzig, S. 221–225. Siehe dazu Gal/Chen-Morris: Empiricism without the Senses sowie Saridakis, Voula: The Hevelius-Hooke Controversy in Context. Transforming Astronomical Practice in the Late Seventeenth Century, in: Kremer, Richard L. / Wlodarczyk, Jaroslaw (Hrsg.): Johannes Hevelius and His World. Astronomer, Cartographer, Philosopher and Correspondent, Warschau 2013 (Studia Copernicana 44), S. 103–135. Siehe dazu Boschiero: Giovanni Borelli and the Comets of 1664–65. Vgl. dazu Yeomans: Comets, S. 81–86. Vgl. Boschiero: Giovanni Borelli and the Comets of 1664–65, S. 15–16.
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den Ideen des Oxforder Astronomen Christopher Wren (1633–1722) in Kontakt, die ihn von der Annahme einer geradlinigen Kometenbewegung überzeugen.22 Huygens behält die Idee der gleichförmigen Kometenbewegung bei, sieht sie jedoch nicht als geradlinig, sondern als gekrümmt an und vermutet den Ursprung der Kometenmaterie in der Sonne.23 Während also auf gelehrter Ebene die Supralunarität von Kometen und damit deren Natur als Himmelskörper nicht mehr ernsthaft angezweifelt wird, ist man sich bezüglich ihrer Bewegungsweise und ihres Charakters als immerwährend oder vergänglich alles andere als einig. Diese theoretische Uneinigkeit ist kennzeichnend für das letzte Drittel des 17. Jahrhunderts. Auch auf der Bedeutungsebene der Kometeninterpretation ist diese Vielfalt der Ansichten präsent und zwar sowohl hinsichtlich der astrologischen als auch der theologischen Dimension. Sie spiegelt sich insbesondere in der breit debattierten Problematik wider, ob und in welcher Weise Kometen mit dem ihnen traditionell zugeschriebenen Unglück verbunden sind. Diese Uneinheitlichkeit und Indifferenz, die theoretische Vielfalt sowie die Kompatibilität oder prinzipielle Offenheit für Kombinationen der einzelnen Elemente der verschiedenen methodischen Zugänge, der Erklärungsweisen und Interpretationsansätze von Kometen, können die Vielgestaltigkeit der in den Flugschriften kolportierten Kometenbilder erklären helfen. Neben den inhaltlichen und epistemologischen Fragen, die auf die thematische Schwerpunktsetzung und disziplinäre Verankerung des Kometendiskurses Einfluss haben, verändert sich ebenso dessen soziale Struktur. Eine Ursache dafür ist die Institutionalisierung der Wissenschaft, die sich in der zweiten Jahrhunderthälfte in der Entstehung gelehrter Gesellschaften, Akademien und entsprechender Publikationsorgane widerspiegelt, die parallel zur persönlichen Korrespondenz als primärem Veröffentlichungs- und Kommunikationsmodus zunehmend wichtig werden. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist die bereits erwähnte Kometenkontroverse um Hevelius, die wesentlich über die Philosophical Transactions der Royal Society ausgetragen wird. Die entsprechenden Korrespondenznetzwerke sowie Freundschafts- und Konkurrenzbeziehungen der beteiligten Gelehrten führen zu einer gesamteuropäischen Debatte über die Kometen, an der prominente Figuren wie z. B. der Jesuit Athanasius Kircher teilnehmen und die auch in den volkssprachigen Werken stattfindet. Die Kommunikation über die Publikationsorgane der Gelehrtengesellschaften steht jedoch auch in Konkurrenz zu der mittels Flugschriften. Ist der Flugschriftendiskurs hinsichtlich Produktion und Rezeption sozial offen, stellt sich die Partizipation an der Gelehrtenkommunikation als mit höheren Hürden verbunden dar, sei es hinsichtlich der bildungsmäßigen Voraussetzungen oder des sozialen Status. 22 23
Siehe dazu Bennett, James A.: Hooke and Wren and the System of the World. Some Points Towards an Historical Account, in: The British Journal for the History of Science 8/1 (1975), S. 32–61. Vgl. dazu Yeomans: Comets, S. 89–92.
8.1 Die Vielfalt der theoretischen und interpretativen Positionen
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Diese Entwicklungen sind ein Faktor, der zu einer sozialen Differenzierung des Kometendiskurses beiträgt, die sich zunächst etwa in einer genremäßigen Segmentierung der Schriften und enger abgegrenzten Adressatenkreisen manifestiert.24 Diese Segmentierung und die Spezialisierung auf kleinere Rezipientengruppen sind gleichermaßen Ausdruck einer Diskursdifferenzierung auf disziplinärer Ebene. Die Kometenflugschriften verändern sich zunehmend strukturell und inhaltlich insofern als sie themenspezifischer verfasst sind und nicht mehr alle im Kontext des Kometenthemas möglichen Zugänge und Interpretationsweisen in ihrer Gesamtheit oder Aufeinanderbezogenheit präsentieren, sondern sich auf einzelne beschränken und diese isolierter darstellen. 8.1 Die Vielfalt der theoretischen und interpretativen Positionen Das oben beschriebene Nebeneinander mannigfaltiger Theorien und interpretativer Sichtweisen von Kometen – Yeomans Konfusion der Gelehrten – spiegelt sich auch in den volkssprachigen Flugschriften wider. Zunächst einmal strukturell auf der Ebene der literarischen Darstellungsformen oder Genres. Man findet vermehrt kompendienhafte Kataloge, Übersichtsdarstellungen oder als Dialoge konzipierte Schriften, wobei Titulierungen wie Discurs, Cometologia oder Cometenspiegel auf diesen kompilativen, dokumentarischen und auf Orientierung zielenden Charakter verweisen. Der Schulmeister und Kalenderschreiber Johann Heinrich Voigt (1613–1691), der im norddeutschen Stade lebt und über die Kometen 1664/65, 1677 und 1680 publiziert, beschreibt diese theoretische Vielfalt in seinem Werk Kurtzer Extract von 1676.25 Dabei handelt es sich um eine Rückschau auf die Kometen 1664 und 1665, zu denen er zuvor eigene, kleinere Schriften veröffentlich hat.26 Er begründet diese Erinnerung – „ein grosses Unterfangen / in einer solchen / noch so gar unausgearbeiteten Sache“ – damit, dass
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Meinel verbindet eine diskursive Segmentierung der Debatte zeitlich mit dem Kometen von 1680, siehe dazu Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 91–112. [8.52] Voigt, Johann Heinrich: Kurtzer Extract und Vortrab des grössern cometischen Mass-stabs darinnen zu finden: (1) wie die in den Jahren 1664 und 1665 erschienene Cometen am Himmel ihren Lauff geführet. (2) was in dem untern Welt-lauffe in den verflossenen zwölff Jahren schon darauff erfolget sey. (3) und was ferner in bevorstehenden und vielen künfftigen Jahren vor hochwichtige Verenderungen in Welt und geistlichen Regimenten noch zu vermuthen. der wehrten Christenheit zum besten und courieusen Kunstforschern zum Dienste aus christ- und natürlicher Betrachtung ohne Aberglauben mit Fleiss beschrieben, Hamburg 1676 (VD17 39:122863E). [8.54] Voigt, Johann Heinrich: Stadischer vermehrter Cometen Spiegel von den beyden Cometen Aussgangs 1664. und Anfangs 1665. Jahres, Hamburg 1665 (VD17 12:195269D) und [8.53] Ders.: Observatio und Bericht von dem andern Cometen oder des Cometen anderer Erscheinung. 1665, Hamburg 1665 (VD17 12:195272G).
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die Bedeutung der Kometen auch zwölf Jahre später noch relevant sei und dass ein solcher historischer Rückblick als allgemeine Anleitung fungieren soll „aus dem vergangenen auffs künfftige zu muthmaßen“, insbesondere um „in vielen Stücken / darinnen man bißhero zweiffelhafft gewesen / etwas gewisses zuerreichen.“ 27 Voigt behandelt seinen Gegenstand in 38 thematischen Abschnitten, von denen die letzte Hälfte der Ermittlung der astrologisch-theologischen Signifikanz gewidmet ist und die insgesamt den unklaren Stand der Kometenbeschreibung und die Vielfalt der Erklärungsansätze deutlich abbilden: „Vom Uhrsprunge der Cometen / woher und worauß sie entstehen / sind der Meynungen so viel / das es heist Quot capita tot sensus, wie viel Köpffe / so viel Sinne“, schreibt Voigt, sowie „Wie viel solcher Cometen oder besonderer Sternen an der Zahl seyn mügen / ist noch nicht gewiß erkündiget“ oder „Von der Bewegung differiren die Meynungen gleich wie von der Materie“.28 Auch hinsichtlich der interpretativen Dimension herrsche keine Einigkeit, sondern ein scheinbar ebenso deutlicher Dissenz: „Von der Cometen Bedeut- oder Würckung. Da heist es abermahl / wie viel Köpfe so viel Sinne: wie viel Meynungen / so viel gegen-Meynungen: Und ist noch keiner unbeantwortet oder ungeschlagen von dieser Fecht-schule kommen.“29 Voigt referiert und präsentiert diese Meinungen und theoretischen Ansichten zumeist weitgehend neutral, äußert mitunter Zustimmung oder Ablehnung und wirkt daran interessiert, einen Überblick über das Wichtigste zu liefern, weshalb er bei einigen Aspekten explizit konstatiert, gerade nicht ins Detail zu gehen. Seine eigene Meinung verhehlt er nicht, sondern stellt sie sich aus dem Potpourri der Möglichkeiten geradezu eklektisch zusammen. Für ihn sind Kometen „gewisse Sterne mit Wolcken bekleidet“, sie sind ewige Körper wie die Planeten und bewegen sich auf so exzentrischen Bahnen, dass sie von der Erde in der Regel weit entfernt und nicht sichtbar sind, ihr manchmal aber auch sehr nahe kommen und dann „aus denen Elementen die Materien an sich [ziehen] / wie der Magnet das Eisenteil“.30 Diese Materiewolke wird dann von der Sonne erleuchtet und führt so zur Erscheinung des Schweifes, der damit elementarisch ist.31 Entfernt sich der Kometenkörper wieder, verliert er die angezogene Materie, die „Stück- und Funckenweise“ zur Erde fällt und so zu den Luft- und Feuerzeichen führt, die gemeinhin einen Kometen begleiten und die dann auf der Erde zu Dürre oder Vergiftung der Luft oder ähnlichen Geschehnissen führen.32 Auf diese Weise verbindet Voigt die optische Kometentheorie mit Überlegungen zur Bahnbewegung und Natur der Kometen als immerwährenden Himmelskörpern sowie einer Erklärung ihrer phänomenologi-
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[8.52] Voigt: Kurtzer Extract und Vortrab, Bl. A 2v. [8.52] Voigt: Kurtzer Extract und Vortrab, Bll. A 2v–A 3v. [8.52] Voigt: Kurtzer Extract und Vortrab, Bl. A 4r. [8.52] Voigt: Kurtzer Extract und Vortrab, Bl. A 3r. Ebd. Ebd.
8.1 Die Vielfalt der theoretischen und interpretativen Positionen
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schen Erscheinung, sie begleitender Phänomene und der mit ihnen assoziierten Wirkungen. Diese werden – indirekt – durch die Kometen verursacht, wenn auch nicht nach Art der meteorologischen Kometentheorie. Obwohl Voigt einer vergleichsweise traditionellen Kometenastrologie zu folgen scheint, die immerhin nahezu die Hälfte der hier im Fokus stehenden Schrift ausmacht, betont er die Notwendigkeit, eine legitime von einer illegitimen Praxis zu trennen und begegnet damit apologetisch dem wachsenden Legitimationsdruck, dem sich die Disziplin der Astrologie ausgesetzt sieht.33 Zudem erscheint seine astrologische Deutung losgelöst von der naturkundlichen Kometendimension. Er berücksichtigt dabei Parameter wie die Relation des Kometen zur Sonne, dessen Bewegungsweise oder durchlaufene Sternbilder, nennt aber keinerlei Deutungsregeln oder Werke und Ansichten traditioneller Autoritäten der Astrologie. Der Begründungszusammenhang seiner astrologischen Kometeninterpretation ist weder kausal-meteorologisch, noch aspektal im Keplerschen Sinne; es sei irrelevant, wie ein Komet zukünftiges Geschehen vorbedeute, sondern nur wichtig, dass er es tue. Voigts Deutungen sind dabei allegorisch-metaphorischen Charakters: So interpretiert er die Tatsache, dass der Kometenschweif auf das Sternbild der Wasserschlange weise in der Form, dass Krieg in den Wasserländern zu erwarten sei.34 Bei den Kometenfolgen – wobei Voigt dieses Wort nie gebraucht, sondern nur von Bedeutung spricht – handelt es sich um die politischgesellschaftlichen wie Kriege, größere Umwälzungen oder Veränderungen im Bereich der Religion und nicht um natürlich-klimatische wie Dürren oder Erdbeben. Diese Folgenhaftigkeit erweist Voigt historisch, wobei die Legitimation ausschließlich im theologischen Kontext erfolgt: GOTT der HERR hat nicht allein / (1) durch seine Allwissenheit vorher alles gesehen / wie es ergehen werde; Sondern hat auch (2) durch seine Allmacht zu dessen Vorbedeutung / besondern (zu gewissen Zeiten erscheinende) Zeichen erschaffen / und (3) aus seiner Väterlichen Güte / uns Menschen gegönnet / dieselben zum gewissen Theile zu verstehen (…).35
Kometen entstehen und verhalten sich natürlich und sind damit beobachtbar, beschreibbar und erklärbar; ihre Bedeutungsdimension liegt dabei ausschließlich in ihrem theologischen Charakter als göttlichen Wunderzeichen begründet. Voigt schränkt allerdings die prodigiöse Dimension der Kometen als Zornzeichen Gottes 33
34 35
Diese Haltung und ihre Propagierung begleiten Voigts weiteres publizistisches Werk, siehe dazu z. B. seine Schrift: [8.51] Voigt, Johann Heinrich: Astrologische Mittel-strasse. Zur Unter scheidung des rechten Gebrauchs und Missbrauchs. bevorab aber zum rechten Verstande des Nativität-stellens, sampt etlichen Beweissthümen, Grund-ursachen und andern Bewandnüssen denen curieusen Kunst-liebhabern zum Dienste aussgefertiget und fürgestellet, Stade 1680 (VD17 39:122867L). [8.52] Voigt: Kurtzer Extract und Vortrab, Bl. C 4v. [8.52] Voigt: Kurtzer Extract und Vortrab, Bl. C 3r.
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8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
ein: Sie sollten nicht in heidnischer Manier als Vorboten des Bösen gefürchtet werden, „denn gleich wie es Abergläubisch und Abgöttisch / wenn man den himmelszeichen zu viel beymisset / also ists Unchristlich / wenn man Gottes Wunderwerck verkleinerlich hält und verachtet. Man muß allwege mehr auff den Schöpffer sehen als auff das Geschöpff.“36 In diesen beiden Zitaten deutet sich bereits ein Wandel des theologischen Kometenverständnisses an, wonach diese Himmelsphänomene in ihrer Geschaffenheit und auch durchaus unter Bezug auf ihre semiotische Kommunikationsdimension vielmehr als Ausdruck göttlicher Schöpfermacht und der von dieser intendierten sinnvollen Naturordnung betrachtet werden, denn als göttliches Erziehungsmittel. Während Voigt in seinem Kurtzen Extract also mit seinen Ansichten nicht hinter dem Berg hält, treten in dieser Zeit vermehrt Textformen auf, in denen eine Verfassermeinung wenig oder gar nicht präsent ist und der Urheber der Schrift weniger Autor als vielmehr Kompilator oder Berichterstatter ist. Der Züricher Drucker und Verleger Michael Schaufelberger37 (†1667), publiziert z. B. mit seinem Philologischen Discurs eine kommentierte Übersicht über die vorherrschenden Ansichten zum Thema, um damit eine verständliche Einführung zu bieten, damit nicht „einfaltige Leuth von der rechten straaß abgeführt / und in Abergläubige irrweg gebracht werden.“38 Als Inhaber einer erfolgreichen Offizin hat Schaufelberger das mediale Echo auf den spektakulären Kometen von 1664 sicher in einem Umfang und einer Bandbreite erfahren wie wenige seiner Zeitgenossen. Sein Anspruch besteht daher darin, Orientierung in der Meinungsvielfalt zu geben und dabei – ähnlich Voigt – eine vermittelnde Position einzunehmen durch Präsentation „der jenigen Opinion / so nach werständiger Leuthen beduncken / für den sichersten mittelweg gehalten werden kan“39. Dabei bezieht er sich auf zwei hauptsächliche Ansichten zu Kometen, unter die er historische wie zeitgenössische Theorien klassifizierend subsummiert. Zur ersten Kategorie gehören diejenigen, die die prognostisch-zeichenhaften Kometendimension überbewerten, die also „der Cometen bedeutung / auf gewüsse Zeit / Ort / Straffen und Personen richten“, die „auß den Aspecten und stand des Gestirns / die würckung und bedeutung schliessen“, die „den gestirnten Heidnischen Zeichen / dardurch / oder bey welchen der Comet seinen Lauff hat / vil kraft bey-
36 37 38
39
[8.52] Voigt: Kurtzer Extract und Vortrab, Bl. A 4v. Zur Person Schaufelbergers siehe Reske, Christoph: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden 2007 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 51), S. 1048. [8.47] Schaufelberger, Michael (Drucker): Philologischer Discurs über der Cometen Bedeu tung oder grundtliche Zusammenfassung underschidlicher Meinungen über die Bedeutung und Würckung der Cometen ins gemein und der beyden jüngsthin erschinenen sonderbar. Da zugleich auch etwas von der Astrologia Judicaria oder Sternen-deutung anhangs Weis beygefügt wird, Zürich 1665 (VD17 1:050573U), Bl. A 1v. Ebd.
8.1 Die Vielfalt der theoretischen und interpretativen Positionen
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messen“, die „der Cometen farb / schweiff / erhebung / verenderung / anfang / mittel und end / gewüsse würckung zuschreiben“ sowie jene, die „dises alles specificierlich vorsagen dörffen / ehe es geschicht.“40 Schaufelberger listet hier nahezu alle für eine Deutung notwendigen Kernelemente der traditionellen Kometenastrologie auf und bezieht sich mit dem ersten und letzten Punkt auf die seit jeher kritisierte Problematik der zu spezifischen und deterministischen Vorhersage. Dass er hier auch die Vorstellung der rein meteorologischen Verursachung von klimatischen Kometenfolgen dazuzählt – etwa Sturmwinde oder Trockenheit – und in diesem Kontext Aristoteles nennt, zeigt, wie eng verbunden die naturkundliche und die astrologische Kometeninterpretation zu dieser Zeit wahrgenommen werden und damit nicht zuletzt den Erfolg des integrierten Kometenbildes. Weitere Belege für die Ansicht der ersten Kategorie findet der Verleger in den Schriften der antiken Autoren Plinius, Tacitus, Arat oder Pontanus; er zitiert Textstellen aus Vergil, Lucanus, Silius, Tibull, Valerius Flaccus, Ptolemaios oder Johannes von Damaskus und umreißt knapp deren Vorstellungen zur Kometenastrologie. Er beschränkt sich aber keineswegs auf weit vergangene Zeiten: „Der verrühmte Keplerus gehet auch in etlichen stucken zuweitt“, wenn er schreibt, „Ob schon der Comet ob dem Mon schwebe / so könne er gleichwol in denen sachen / so under dem Mon seyen / enderung verursachen.“ 41 Neben Keplers Astrologie wird auch die des Cardano etwas ausführlicher erläutert. Dann widmet sich Schaufelberger der Gegenwart, indem er kurz die Kernaussage einiger Kometenschriften von 1665 referiert und mitunter kommentiert. An Autoren nennt er hier Tobias Jacob Heintzel, Johann Matthias Schneuber, Peter Megerlin, Christoph Schorer oder Jacobus Rosius. Schorers Werk hält er z. B. im Prinzip für einen „trefflichen Discurs“, da dieser jedoch „den Calenderschreibern gemäß / mit determinierten bedeutungen aufzeucht / so dienet er billich auch in diser Claß.“42 Als zu dieser zweiten Klasse oder Kategorie zugehörig definiert Schaufelberger daraufhin jene, die „Cometen für läre Zeichen / und blosse ungefährliche Naturwerck halten / so keine bedeutung auf sich haben“ oder die meinen, dass Kometen „zwaren Vorbotten seyen / aber eben so bald guter alß böser dingen.“43 Hier nennt er z. B. Scaliger, Vincentius Guinisius, Matthias Bernegger und mehrere französische Schriften, „darinn die Cometen gar spöttisch und schimpflich angezogen werden“44. Ebenso wie Schaufelberger zuvor erwähnte „Possen“ als Ausdruck übermäßiger Kometenfurcht verwirft, ist er mit der völligen Missachtung der Zeichenhaftigkeit von Kometen nicht einverstanden: „Wie könten doch dise Wundergeschöpfe deß Allerhöchsten / auch
40 41 42 43 44
[8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bl. A 2r. [8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bll. A 3v– A 4r. [8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bl. B 1v. [8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bl. B 2r. [8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bl. B 3r.
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8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
schimpflicher / spöttischer / ja mit schnöderer Gottlosigkeit angezogen werden.“45 Seiner Meinung nach ist ein Mittelweg zwischen den beiden Extrempositionen der richtige, wie er beispielsweise Libert Froidmont (1587–1653) vorgeschwebt hätte: „Die Cometen seyen kein natürliche ursach der straffen / sonder vilmehr ein zeichen dessen sich Gott gebrauche / die sterblichen menschen von dem bösen abzuschrecken / und zu dem guten zu verleiten.“46 Als weitere Vertreter dieser Ansicht sieht er beispielsweise Brahe, Cysat, Riccioli, die Züricher Theologen Johann Heinrich Hottinger und Johann Heinrich Heidegger, die er ausführlich zitiert, sowie – wenn auch nur teilweise – Abdias Trew. Dieser hätte „vil nutzliche und Christliche erinnerungen gethan“, rede jedoch „von den wohnsinnigen Astrologis sehr nachdencklich.“47 Trew unternimmt einen der letzten ernsthaften Versuche, die Astrologie zu reformieren, folgt dabei jedoch nicht Keplers pythagoräisch und neuplatonisch inspirierter Aspektastrologie und lehnt ebenso die traditionelle prognostische Judizialastrologie ab, sondern propagiert stattdessen eine astronomisch-mathematisch fundierte Astrologie, die er auch theologisch legitimiert.48 Schaufelbergers Kompilation zeigt dagegen, wie man gerade mit theologischen Argumenten gegen die Astrologie zu Felde ziehen kann49 und lehnt die meisten ihrer Grundideen als unfundiert ab und erwähnt sie daher erst gar nicht: Noch mehr wunderlichs dings wurde in das Prognosticon kommen / wann ich alles das jenige einbrächt / was von den 12 himmlischen Zeichen (…) von den Astrologis fabuliert wird (wer es nit weißt / der lese nur ihre Planeten bücher / was darinn von den himmelischen Zeichen stehen / dann warlich solche sachen es nicht meritieren / daß man das Papier noch einmal damit verderbe / und die Leuth in nichtige forcht / oder torächte Hoffnung / mit solchem Lappenwerck jagte.)50
Für Schaufelberger sind Kometen keine Ursachen der ihnen zugeschriebenen Wirkungen und auch nicht Anzeichen spezifischer, prognostizierbarer Strafen, wohl aber Fingerzeige Gottes mit übernatürlicher Bedeutung. Sie sind nicht primär zur Buße mahnende oder Strafe verkündende Zeichen, sondern eher indizierend als Geschichtszeichen51 mit größeren politischen, gesellschaftlichen oder religiösen Umwälzungen
45 46 47 48 49 50 51
[8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bl. B 4r. [8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bl. B 4v. [8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bl. D 2r. Siehe dazu Sparn: Aufstieg und Fall der prognostischen Astrologie sowie Clark: Der Untergang der Astrologie in der deutschen Barockzeit, S. 458. Diese spezifisch theologische Kritik fasst Schaufelberger am Ende seiner Schrift pointiert in einem eigenen Appendix „Anhang von der Astrologia Judicaria“ zusammen, vgl. [8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bll. E 1r–E 4v. [8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bl. D 2r. Völkel charakterisiert Kometen treffend als Verbindungsglied zwischen Himmel und Geschichte, vgl. Völkel, Markus: Im Blick der Geschichte. historia und Historiographie in gelehrten Diskursen
8.1 Die Vielfalt der theoretischen und interpretativen Positionen
397
verbunden und prinzipiell Ausdruck göttlicher Allmacht, Weisheit, Schöpferkraft und Vorhersorge. Trotz der anfänglich propagierten Neutralität, entwickelt Schaufelberger als Kondensat dieser umfassenden bibliographischen Exegese sein eigenes Kometenurteil in 20 Aphorismen, in denen er eine primär theologische Kometeninterpretation präsentiert, die in der Instrumentalisierung der natürlichen Himmelsphänomene durch Gott besteht, der durch die Natur / kein ding / so schlecht es auch immer seye / umsonst und vergebens sehen lasse: geschweigen eine so grosse / in allen seinen umstehenden hochbedenkliche Massam. Gleich wie aber jenner Sternen im Evangelio die Weisen zu Christo geleitet hat / also sollen die Cometen und andere Wunder / und allein Christo und seinem geoffenbareten heiligen Wort wägweisung geben / darinn uns zu genügen geoffenbaret ist / was zu unserem zeitlichen und ewigen heil dienet.52
Dies entspricht im Grunde einer transformierten Form des dualen Kometenverständnisses: Insbesondere protestantische Autoren von Kometenflugschriften im 16. und frühen 17. Jahrhundert propagieren, dass Kometen als natürlich verursachte und kausal wirkende Phänomene zu verstehen seien, denen gleichzeitig und darauf bezogen eine übernatürliche Relevanz als göttlichen Zorn- und Warnzeichen zukomme, wobei die im Rahmen der melanchthonischen Naturphilosophie hochgeschätzte Astrologie eine integrierende Funktion ausübt. Nunmehr hat die Astrologie diese Funktion verloren, wird grundsätzlich infrage gestellt und ist für eine Ermittlung der Signifikanz der Kometen nicht mehr notwendig. Die interpretative Dimension erscheint dabei völlig im theologischen Kontext verortet. Während Schaufelberger in seinem Werk als Berichterstatter auftritt, der die Vielfalt der verschiedenen Ansichten gemäß seiner Meinung kategorisiert und präsentiert, erscheint sein Frankfurter Verlegerkollege Wilhelm Serlin (1625–1674) in seinem Kometenwerk Cometologia oder Gründliche Beschreibung als reiner Kompilator.53 In der Widmungsepistel vom 21. März 1665 an seinen Gönner und Frankfurter Bürger Georg Eckhard Briede schreibt Serlin, es hätten sich:
52 53
der Frühen Neuzeit. 1500–1750, in Jauman, Herbert (Hrsg.): Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch, Berlin 2011, S. 859–902. [8.47] Schaufelberger: Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung, Bl. D 4r. [8.50] Serlin, Wilhelm: Cometologia oder gründliche Beschreibung dess neulichsthin in dem zu End lauffenden 1664. Jahr erschienenen und biss in das nächst drauff erfolgte 1665. Jahr gestandenen grossen Cometens wie selbiger hin und wieder, so wol ausser- als innerhalb dem Heil. Röm. Reich, gesehen und von unter schiedlichen wolbekanten und gelehrten Astronomis und Astrologis, Astro nomice, Physice, Astro logice und Theologice, betrachtet und beschrieben worden. Darauss dann eigentlich zuvernehmen was desselben Natur Gestalt Zeit Farbe Grösse und Lauff gewesen auch was seine muthmassliche Bedeutung seyn möge, Frankfurt am Main 1665 (VD17 12:641325E).
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8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
inzwischen unterschiedliche Gelehrte / und in der löblichen Astronomia / oder SternKunst / wolerfahrne Männer mit ihrem Fleiß hervor gethan / daß sie diesen Wunder-Stern mit dem Licht der Vernunft / so viel uns Gott in dieser menschlichen Schwachheit und Unvollkommenheit gönnet / beleuchtet / und was desselben Natur / oder Ursprunge / Gestalt / Zeit / Farbe / Grösse und Lauff wäre / auch was seine muthmaßliche Bedeutung seyn möchte / in der Rathstub ihres / durch fleissiges Studieren und emsiges Nachsinnen / geschärfften Verstands erwogen / und so dann auffs Papier entworffen: So hab auch ich an meinem Ort dieses himmlische Wunder Licht / durch Unachtsamkeit / keines wegs verdunckeln / sondern (nachdem es nunmehr vergangen) der vergeßlichen Welt / als die deß vergangenen wenig oder nichts achtet / und sich nur nach etwas Neuem umsihet / noch alleweil / und desto mehr brennend vorstellen wollen / und zu dem End aller vorgedachter Gelehrter Männer rühmliche Arbeit / als ein nützliches und leßwürdiges Werck / auff Einrathen und Zuschreiben vieler verständiger Leute / zusammen getragen (…).54
An dieser Umschreibung und der Wortwahl Serlins zeigt sich, dass er sich nicht zum Kreise der „Gelehrten Männer“ zählt, über deren Überlegungen er – als außenstehender Beobachter – berichtet. In seinem massiven Werk von annähernd 250 Seiten Umfang bietet er ein Kompendium von 20 teilweise recht unterschiedlichen Schriften. Die meisten sind aktuell zum Kometen 1664 verfasst, er integriert aber auch die über 80 Jahre alte scholastische Kometeninterpretation des Humanisten Andreas Dudith De cometarum significatione.55 Daneben finden sich Auszüge eher gelehrterer Werke wie etwa ein lateinischer Kometenkommentar des in Utrecht lehrenden Philologen Johannes Georg Graevius, anonyme Observationsberichte aus Regensburg oder Prag, astrologische Iudicia z. B. von Jacob Rosius, Tobias Jacob Haintzel oder Johannes Praetorius sowie ausführlichere Kometenschriften des Gymnasialdirektors Stephan Spleiss oder des Jenaer Mathematikprofessors Erhard Weigel. Serlin kommentiert nicht, sondern versieht seine Auswahl lediglich mit fortlaufenden Seitenzahlen, dem erwähnten Widmungsbrief und einem Autorenindex. Er liefert damit einen Querschnitt des Schrifttums zum Kometen 1664, der durch inhaltliche und hinsichtlich der Provenienz auch soziale und geographische Varianz gekennzeichnet ist. Ein ähnliches Unterfangen unternimmt der in Hamburg ansässige polnische Adelige und Sozinianer Stanislaw Lubienietzki (1623–1675), allerdings deutlich systema54 55
[8.50] Serlin: Cometologia oder gründliche Beschreibung, Bll. 3r–3v. [8.16] Dudith, Andreas: De cometarum significatione commentariolus. In quo non minus eleganter, quam docte & vere, mathematicorum quorundam in ea re vanitas refutatur. Addidimus d. Thomae Erasti eadem de re sententiam, Basel 1579 (VD16 D 2846). Dieses Werk erschien außerdem in einer Schriftensammlung mit dem Titel De Cometis Dissertationes Novae Clariss. Virorum Thom. Erasti, Andr. Dudithii, Marc. Squarcialupi, Symon. Grynaei 1580 in Basel, siehe dazu Mosley: The History and Historiography of Early Modern Comets, S. 312–317.
8.1 Die Vielfalt der theoretischen und interpretativen Positionen
399
tischer und in viel größerem Maßstab. Sein Werk Theatrum cometicum56 – ein dreiteiliger, überwiegend lateinischer Foliant von über 1500 Seiten Umfang – ist mit seinen Dutzenden Kupferstichen von Kometenbahnen, Sternkarten und Himmelsansichten nicht nur ein herausragendes Beispiel barocker Buchkunst57, sondern Resultat einer gesamteuropäischen Kometenkommunikation mit dem Ziel der Dokumentation der Daten-, Theorie- und Meinungsvielfalt zu den zeitgenössisch aktuellen Kometen von 1664 und 1665 und – über einen chronikalen Katalog aller historischen Kometenerscheinungen – einer allgemeinen und interdisziplinären Annäherung an das Phänomen Komet sowie dessen mathematische, physikalische, politische, historische und ethische Interpretation. In seinen Jugend- und Lehrjahren bereist Lubienietzki Holland, Frankreich, Preußen, Dänemark und Schweden, trifft dort mit vielen Gelehrten zusammen und baut ein umfassendes Netzwerk auf, von dem er nun profitiert. Er beobachtet beide Kometen in Hamburg und beginnt schon im Dezember 1664 damit, eine umfangreiche europaweite Korrespondenz mit mindestens 39 Briefpartnern aufzunehmen, darunter Hevelius, Kircher, Riccioli, Auzout, Caspar Schott, Ismael Boulliau, Henry Oldenburg, Johannes Placentinus oder Otto von Guericke.58 Auszüge dieser geographische und konfessionelle Grenzen überspannenden Korrespondenz über Daten und Meinungen zum Kometen bilden den ersten Teil seines Werkes, wobei das Spektrum von nüchternen Observationsberichten bis hin zu „sagenhaften Darstellungen und Deutungsversuchen“59 reicht. Lubienietzki hat in seinen Anfragen ausdrücklich darum gebeten, sich nicht nur auf Beobachtungsdaten des Kometen zu beschränken – obwohl diese ihm besonders wichtig sind und den Großteil des Korrespondenzteils ausmachen –, sondern auch die Frage nach der zeichenhaften Bedeutung zu diskutieren.60 Einige seiner Korrespondenzpartner sind selber im Mittelpunkt weitläufiger Gelehrtennetzwerke und damit frühe Forschungsorganisatoren, etwa der jesuitische Universalgelehrte Kircher, dessen weltweite Korrespondenz mit über 760 Briefpart-
56
57
58 59 60
[8.24] Lubienietzki, Stanislaw: Theatrum cometicum, duabus partibus constans, quarum altera frequenti senatu philosophico conspicua, cometas anni 1664 & 1665 variis virorum per europam clariss. cum quibus auctor de hoc argumento contulit, observationibus, dissertationibus, animadversionibus descriptos, & quinquaginta novem figuris aeneis illustratos, exhibet (…) et theatri cometici exitus, sive de significatione cometarum, (…) opus mathematicum, physicum, historicum, politicum, theologicum, ethicum, oeconomicum, chronologicum, Amsterdam 1668. Siehe dazu Choptiany, Michal: The Theater of Cosmic and Human History, Blogeintrag des Forschungsprojektes der Universität Warschau „Calendars and Chronology in the Intellectual Culture of Central Europe, 1400–1700“ v. 30.01.2014 (https://chronologiauniversalis.wordpress.com/tag/ theatrum-cometicum/, abgerufen am 23.04.2015). Vgl. Weidemann: Theatrum cometicum, S. 10–15. Weidemann: Theatrum cometicum, S. 7. Vgl. Weidemann: Theatrum cometicum, S. 29.
400
8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
nern – darunter Wissenschaftlern, Kaisern und Päpsten – mehr als 14 Bände füllt,61 oder auch Henry Oldenburg als Sekretär und zentrale Figur der Royal Society in London. Neben solch illustren Gelehrten ersten Ranges berücksichtigt Lubienietzki aber auch eher periphere oder unbekanntere Teilnehmer der frühneuzeitlichen Respublica litteraria, darunter die Hamburger Bibliothekare Heinrich Sievers und Johannes Blum, Gymnasialprofessoren wie Johannes Müller und Michael Kirsten in Hamburg, die Mathematikprofessoren Friedrich Büthner in Danzig oder Samuel Reyher in Kiel sowie den Regensburger Hofrat Johann Ernst von Rautenstein oder den Diplomaten Nicolaus Heinsius in Stockholm, um nur einen Bruchteil zu nennen.62 Diese Kontakte ermöglichen Lubienietzki die Kollation von Observationsberichten aus Stockholm, Helsingför, Wismar, Lübeck, Rostock, Nürnberg, Breslau, Warschau, Danzig, Königsberg, Antwerpen, Rotterdam, Leiden, Wien, Paris, Venedig, Mailand oder Rom, um wieder nur einige zu nennen. Nicht nur diese beeindruckende geographische Breite rechtfertigt die Charakterisierung seines Unterfangens als „gigantic research report“, Lubienietzki geht es um eine umfassende Darstellung des aktuellen und historischen Kometendiskurses in all seinen Dimensionen, indem er astronomische Beobachtungen auf ihre theologischen Implikationen hin untersucht und in den übergreifenden Kontext einer chronikalen Historiographie von Natur- und Weltgeschichte stellt.63 In einem Brief an den Kieler Mathematikprofessor Samuel Reyher schreibt er über seine Intention – zumindest der ersten beiden Bände: Ich habe mein Theatrum Cometicum in zwei Teile getrennt: der eine wird den vollständigen philosophischen Senat [so bezeichnete Lubienietzki die gesammelten Daten und Meinungen zur Kometenthematik seiner Korrespondenzpartner], der andere die Geschichte der Kometen umfassen. Dort werde ich, mit Hilfe Gottes, ein Muster eines philosophischen Kompendiums geben, hier das einer Universalgeschichte. In beiden Bereichen bemühe ich mich immer mehr, Angenehmes und für das Leben Nützliches, wie ich es neulich sagte, zu äußern in dem Wunsch dem öffentlichen Interesse in jeder Hinsicht zu dienen.64
Nicht nur ungeklärte theoretisch-naturkundliche Fragen – etwa, ob es sich um einen, zwei oder sogar drei Kometen gehandelt habe –, sondern auch die metaphysisch-theologische nach der Signifikanz der Kometen bilden den Anlass für Lubienietzkis umfassende Analyse, in der er die kompilative Auswertung von empirischen Daten und Ansichten der Autoritäten methodisch neben die chronikale Empirie stellt, im Sinne 61 62 63 64
Siehe dazu Fletcher, John E.: Athanasius Kircher and his Correspondence, in: Fletcher, John (Hrsg.): Athanasius Kircher und seine Beziehungen zum gelehrten Europa seiner Zeit, Wiesbaden 1988 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 17), S. 139–178. Vgl. Weidemann: Theatrum cometicum, S. 15 und S. 29–34. Choptiany: The Theater of Cosmic and Human History. Vgl. die Analyse und Übersetzung bei Weidemann: Theatrum cometicum, S. 11–29; das Zitat findet sich auf S. 17.
8.1 Die Vielfalt der theoretischen und interpretativen Positionen
401
einer interdisziplinären Hermeneutik zur Entwicklung und argumentativen Untermauerung eines sich aus der Vielfalt der Vorstellungen herauskristallisierenden Kometenbildes. Die Erklärungs- und Bedeutungsdimension der Kometen erscheinen darin nicht verknüpft: Diesen [den Kometen] gestehe ich nämlich keine Wirksamkeit auf die selbstbestimmten Handlungen der Menschen zu, (wohl aber) eine gewisse auf eine Luftschicht, wenn einige von ihnen, wie viele meinen, in der Luft erzeugt werden, oder wenigstens, was Hevelius meint, unsere Luft durchdringen. Dazu aber, daß die Kometen in moralischer Hinsicht dem Guten Gutes, den Bösen aber Böses ankündigen, gleich einem treuen Ratgeber und Prediger, pflege ich laut zu verkünden, daß Sterne dienen und nicht wüten, daß sie ebensowenig zu fürchten wie zu verachten sind.65
Das Nebeneinander verschiedener Kometentheorien und Interpretationsmuster sowie das eklektische Zusammenstellen eigener Konzeptionen daraus spiegeln sich in den Korrespondenzen Lubienietzkis wider, wobei neben der anhaltend diskutierten Fragestellung, ob Kometen Zeichen kommenden Unheils seien, deren physikalische Natur und Eigenschaften in den Vordergrund rücken. Nach Reyhers Vorstellungen etwa sind Kometen nur in Erdnähe sichtbar, „wenn einer aber zu nahe herankommt, wird er von der Sonne, die, wie ich glaube, der einzige Grund der Bewegungsänderung ist, zurückgestoßen und unseren Blicken entzogen“.66 Diese dynamische Erklärung der Kometenbewegung mit der Sonne als Ursache veranschaulicht nicht nur eine Physikalisierung der Kometendebatte insgesamt, sondern zeigt zudem, auf welche Weise die Kometenkonzepte durch theoretische Entwicklungen modifiziert und transformiert werden können: Reyher glaubt, Kometen seien seit Anbeginn der Schöpfung existent oder aus Fixsternen entstanden, genauer, aus deren „dichten Wolken und Flecken, an denen man bisweilen auch unsere Sonne leiden sieht“. Diese hüllten den Kometen ein, der zwar kurzzeitig – wenn er die Flecken durch seine Hitze verzehrt hat – auch einen festen Platz einnehmen könne und dann als Nova erscheine, allerdings „gegen Ende viel von seinem Glanz einbüßte & endlich, gänzlich von den Flecken verdunkelt, von den Nachbarsternen fortgetrieben und unseren Blicken entzogen“ würde. Auf diese Weise verbindet Reyher hier – wenn auch nicht explizit – cartesische Vorstellungen zu Kometen mit den Theorien über Sonnenflecken. Lubienietzkis Werk ist eines der letzten herausragenden Beispiele für eine Kometenhistoriographie im Dienste einer Bedeutungsermittlung basierend auf der überzeitlichen Relevanz von Kometen als Geschichtszeichen und damit der Verbindung verschiedener intellektueller Traditionen, die im Begriff sind, sich sukzessive vonei-
65 66
Weidemann: Theatrum cometicum, S. 23. Siehe für die hier zitierten Ansichten Reyhers Weidemann: Theatrum cometicum, S. 19–22.
402
8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
nander zu trennen. Methodisch versucht er eine Synchronisierung zweier verschiedener Phänomengruppen und damit der himmlischen und irdischen Gegenstandssphären, nämlich die Geschichte astronomischer Ereignisse mit einer Geschichte der Menschheit.67 Die klassische Astrologie ist in diesem Unterfangen kaum wiederzuerkennen, sie erscheint stattdessen in historisierter Form.68 Das zeigt sich bereits bei früheren Kometenchroniken darin, dass der in der Form der Darstellung der Kometenerscheinungen repräsentierte Blick auf den Kausalzusammenhang zwischen Ursprung, Erscheinung und Wirkung von Kometen sich auf eine Fokussierung der reinen Folgenhaftigkeit des Phänomens verlagert. Aus dieser Perspektive interessiert weniger die Frage, wie Kometen die ihnen zugeschriebenen Wirkungen hervorrufen, sondern ihre zeichenhafte Dimension als zweckhaft geschaffene Naturprozesse, die der Interpretation von Geschichte dienen. Diese darin sichtbare und sich somit schon zu Anfang des Jahrhunderts andeutende Funktionsverschiebung der Domäne der Deutung von der Astrologie auf die historia ist ein Faktor, der langfristig zum epistemologischen Statusverlust der Astrologie beiträgt. 8.2 Die Transformation(en) der traditionellen Astrologie In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts manifestieren sich in den Kometenflugschriften mehrere – oft miteinander zusammenhängende – Prozesse eines Wandels der Astrologie. Sie sind einerseits Faktor und Ausdruck des schleichenden Niedergangs der Sterndeutungskunst als wissenschaftlich anerkannten Disziplin, in ihrer Komplexität und Flexibilität, die sie für eine Anpassung der Astrologie an veränderte soziokulturelle, politische und wissenschaftliche Kontexte schaffen, jedoch andererseits auch Grundlage für ihr Weiterleben in transformierter Form sowie in anderen Bedeutungsund Anwendungszusammenhängen.69 Einige dieser Transformationsprozesse können als Reaktion auf eine kontinuierliche Kritik von naturkundlicher, methodologischer und theologischer Seite und dem daraus entstehenden wachsenden Rechtfertigungsdruck verstanden werden, während andere sich aus einer Verschiebung der traditionell von der Astrologie erfüllten diskursiven, argumentativen und explikativen Funktionen in andere disziplinäre Felder ergeben. Zudem ist die soziale Dimension dieses Wandels – sichtbar etwa im Reputationsverlust der Astrologie und ihrer Praktiker sowie der Verdrängung der Disziplin aus dem universitären oder politisch-diplomatischen Kontext – ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Einige Aspekte dieser Entwicklungen werden im Folgenden anhand ausgewählter Quellenbeispiele illustriert.
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Vgl. dazu Choptiany: The Theater of Cosmic and Human History. Siehe Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 312–314. Vgl. Stuckrad: Geschichte der Astrologie, S. 264–286.
8.2 Die Transformation(en) der traditionellen Astrologie
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Ähnlich wie der oben behandelte Lubienietzki verbindet der Dresdner Mathematiker und kurfürstliche sächsische Hofastronom Tobias Beutel (ca. 1627–1690) einen beobachtungszentrierten Kometenzugang mit einer historischen Interpretation.70 Seit 1658 ist er in Dresden Kunstkämmerer und gibt 1671 eine umfassende und mehrfach wieder aufgelegte Sammlungsbeschreibung heraus.71 Daneben verfasst er zahlreiche Werke hauptsächlich im Bereich der Mathematik, der Geographie und der Astronomie, darunter mehrere Schriften zu den Kometen 1664, 1665 und 1680.72 Im Folgenden steht primär seine Außführliche Beschreibung von 1665 im Fokus (siehe Abbildung 8.1).73
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Zu Leben und Werk Beutels siehe Helfricht, Jürgen: Tobias Beutel – sächsischer Astronom, Kunstkämmerer, Mathematiker und Kartograph des 17. Jahrhunderts (um 1627–1690), in: Hermann, Dieter B. / Helfricht, Jürgen (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Astronomie in Deutschland, Berlin 1989 (Veröffentlichungen der Archenhold-Sternwarte 21), S. 5–27. [8.9] Beutel, Tobias: Chur-fürstlicher sächsischer stets grünender hoher Cedernwald, auf dem grünen Rauten-grunde, oder kurtze Vorstellung der chur-fürstl. sächs. hohen Regal-wercke nehmlich: Der fürtrefflichen Kunst-kammer (…) hochschätzbaren unvergleichlich wichtigen Dinge allhier bey der Residentz Dressden (…) gantz kürtzlich in lateinischer und teutscher Sprache beschrieben (…), Dresden 1683 (VD17 14:052132X). Vgl. [8.8] Beutel, Tobias: Admirabilia in aere et aethere oder kurtze Beschreibung der wunderbahren Wercke gottes so sich zu begeben pflegen in der Lufft und am gestir neten Himmel: Durch Veranlassung des im Decembri Anno 1664. erschienenen und observirten Cometen wovon hierinnen absonderlich gehandelt wird, Leipzig 1665 (VD17 14:072842Y); [8.10] Ders.: Dreyfache Zugabe der Admirabilium in aere et aethere oder wunderbaren Wercke Gottes in der Lufft und am gestirnten Himmel: So auff vorher erschienenen grossen Cometen, sich noch ferner begeben an dreyen Sonnen und Regenbogen. An erschrecklichen Feuer-zeichen. Und an einen neuen Cometen. Welche anderweit vor- in- und nach denen heiligen Osterfeyertagen dieses 1665. Jahres observiret worden, Leipzig 1665 (VD17 14:072842Y); [8.12] Ders.: Mathematische Schönheiten und auffgesteckte Coronides, oder Beschlusszieraden und Bekrönungen uber die vollbrachte Arbeit der gehaltenen Observationum vergangener Cometen, zuletzt nachgefertiget: Bestehend 1. In mathematischer Haupt-zierde oder Beschreibung der schönheit und des herrlichen Nutzens mathematischer Künste. 2. In Verfertigung eines Kunst-altars (…) 3. In Fortpflantzung mathematischer Gold-rosen (…) 4. In Stillstehung der Erden und Fortlauffung der Sonnen oder einer (…) Beweisung dass die Erde und nicht die Sonne stille stehe (…), Leipzig 1666 (VD17 23:238814M) sowie [8.11] Ders.: Kurtzes Bedencken von dem jetzt ungewöhnlich-grossen Cometen: Welcher anfänglich im November und darauff im December des 1680sten Jahres biss in jetzt laufendes 1681ste Jahr ist observiret worden, Halle 1681 (VD17 23:280867Y). [8.13] Beutel, Tobias: Nun folget eine aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, wie solcher nicht nur im Decembri Anno 1664 sondern auch im Januario 1665 observiret worden, Leipzig 1665 (VD17 23:287989N).
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Abb. 8.1 Titelillustration von Beutels Außführlicher Beschreibung (1665)74
Die Schrift umfasst 47 Seiten im Quartformat und besteht aus drei Teilen: einem Observationsbericht, einem ausdeutenden Iudicium und einem offenbar etwas später verfassten Part in Katechismus-Form, in dem grundsätzliche Fragen etwa nach der Definition von Kometentypen oder der Natur ihres Schweifs, aber auch ungeklärte Problemstellungen, z. B. ob es sich bei dem aktuellen Kometen um ein oder zwei Phänomene gehandelt habe, beantwortet werden. Beutel leitet sein Werk mit der Formel „Pondere, Mensura, Numero Deus omnia fecit“75 ein, was sinngemäß bedeutet, Gott habe
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Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, 4 Astr. Sp. 45 u, Titelseite, urn:nbn:de:bvb: 12-bsb10049070–8. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. A 2r. Diese Formel beruht auf der Bibelstelle des in der protestantischen Tradition apokryphen Buchs der Weisheit (11,21). Der auf Salomon zurückgehende Ausspruch ist schon bei Augustinus so interpre-
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alles nach Gewicht, Maß und Zahl geordnet, und bereits auf Beutels Grundüberzeugung hindeutet, die Natur und deren Phänomene als erfass- und beschreibbare Schöpfung eines allmächtigen und sich mitteilenden Gottes zu verstehen, wobei die Methode der Naturerkenntnis mathematisch und empirisch ist. Im Messbaren und in der geometrischen Beschreibung manifestiere sich die göttliche Ordnung und das Wesen der Welt, was deshalb auch für die Kometenbahn und deren irdischen Beobachter gilt, wenn Beutel schreibt: und der die Welt mit einem Dreyling (das ist / nur mit dreyen Fingern / so zu sagen) fassen kann / der hat auch den itzt am Himmel auffgesteckt gewesenen Cometen / ein solch richtiges Maaß seines Lauffs abgezirckelt gehabt / daß man billich der Göttlichen Finger Werck / daraus mit erkennen mögen (…).76
Es ist bezeichnend, dass Beutel die dem Observationsbericht folgende Kometeninterpretation mit „Christliches Bedencken über Die Bedeutung des Cometen“ tituliert und dieses umgehend von einem klassisch astrologischen Iudicium abgrenzt: Anfänglich muß man in dergleichen hohen und wichtigen / und tieff in Gottes Geheimnüß hineinsehenden Sachen / alles Chaldäische und andere / auch wol unter denen Christen im schwange gehende Fabelwerck beyseit setzen / und res tam arduas & divinas [so schwierige und göttliche Sachen] keines weges nach denenselben reguliren (…).77
Stattdessen möchte er sich an den christlichen Urvätern orientieren sowie durch Exempla und mit der Experientz reden. Sein Ansatz dazu ist der einer historischen Kasuistik, die er an empirisch Beobachtbaren festmacht: Der aktuelle Komet sei in seinem Verhalten und seinen Eigenschaften demnach dem von Regiomontanus beobachteten von 1475 ähnlich,78 so habe er sich beispielsweise nicht nur in gleicher Weise bewegt, sondern sei auch in dem jeweils gleichen Zeichen entstanden bzw. vergangen: Denn ist zumahl sehr denckwürdig / daß Gott diese beyde Cometen / als den von Anno 1475 (da er in seiner Kirche und in weltlichen Regiment grosse reformation vorgehabt / so auch in selbigen und folgendem seculo hernach erfolget) und den jetzigen / beyde in dem
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tiert worden, Gott als großen Geometer und weltbaumeister zu präsentieren, dessen Weisheit sich in den Grundelementen Maß, Zahl und Gewicht prinzipiell ausdrückt. Zur Bedeutung der Formel in den Naturwissenschaften vgl. grundlegend Folkerts, Menso / Knobloch, Eberhard / Reich, Karin (Hrsg.): Maß, Zahl und Gewicht: Mathematik als Schlüssel zu Weltverständnis und Weltbeherrschung, Weinheim 1989 (Acta humaniora; Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 60), insbesondere S. 11–12 und S. 265–328. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. A 2r. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. B 2r. Es handelt sich hierbei um einen Übertragungsfehler, da nicht 1475, sondern 1472 ein Komet erschienen ist. Über diesen Kometen verfasst Schleusinger die Schrift Tractatus de cometis, welche in Teilen von Ziegler 1548 unter Regiomontanus’ Namen veröffentlicht und in dieser Form mit falscher Jahreszahl rezipiert wird, vgl. Kokott: Die Kometen der Jahre 1531 bis 1539, S. 18–19.
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himmlischen Zeichen / darinnen die Welt erschaffen worden / und da zur Zeit der Schöpffung die Sonne und die meisten Planeten gestanden / nehmlich in der Wage entstehen lassen / und sie beyde auff ihren gegen-Punckt den Widder / (von dem von Erschaffung der Welt her / auch aller Anfang des HimmelsLauffs gezehlet wird) so Circul rund und richtig herumb geleitet / welches mir niemand von keinen unter allen andern Cometen also wird darthun und beybringen können.79
Wie in diesem Zitat bereits anklingt, erstreckt sich die Ähnlichkeit der Kometen auch auf ihre historische Signifikanz: „Und muß man sich verwundern / wenn man die Historias ansiehet / wie sich selbige Zeit mit der unsrigen der Geschichte halben so gar conformirt (…).“80 Beutel beschreibt ausführlich die politischen Entwicklungen von 1475/6 und zieht als Bedeutungsprognostik Parallelen zur Jetztzeit, durchaus auch mit apokalyptischem Anklang. Er sieht also ähnlich Lubienietzki eine Synchronizität zwischen einer in den Kometenerscheinungen sichtbaren Naturgeschichte sowie der Geschichte menschlicher Kultur und irdischer Geschehnisse. Die Bedeutungsdimension von Kometen verortet Beutel somit im Kontext einer gottgewollten – menschlichen und natürlichen – historia, während er einer astrologischen Ausdeutung im klassischen Sinne sehr skeptisch gegenüber steht: Ob ein Komet etwa einer bestimmten Gruppe von Ländern drohe, da er „ihnen allen Vertical gewesen“, oder den die See beherrschenden Nationen Niederlagen ankündige, wenn er in einem der wasserbezogenen Sternbilder steht, sei ungewiss, „weil sich Gott nicht daran hindern lässet / ob der Comet diesem oder jenem Lande Vertical oder nicht (…).“81 Zudem lehnt Beutel weitere Elemente der traditionellen astrologischen Kometendeutung – etwa aus ihrer Erscheinungsdauer auf die Dauer der Wirkung von Kometen zu schließen oder aus ihrem Lauf durch die Sternbilder analogisch ein Bedeutungsnarrativ zu entwickeln – als naturphilosophisch unfundiert ab. Vielmehr müsse man „dißfals auff die Exempla sehen die vorher geschehen / und muß sie mit denselben conferirn / und betrachten was Gott vormahls damit angezeiget habe / und was darauff erfolget sey / das übrige aber allein Gott und seiner Allwissenheit befehlen.“82 Der beobachtbare Kometenparameter der Farbigkeit, der im Rahmen der augmentierten meteorologischen Kometentheorie Aufschluss über die planetarische Natur des Kometen gibt, was einen wesentlichen Teil seiner astrologischen Folgen determiniert, interessiert bei Beutel ebenfalls, allerdings als Element der naturkundlichen Theorie: er konstatiert, dass die Farbe des Kometen saturnisch sei, weil „der Saturnus habe von seiner ausgeworffenen Materia demselben am meisten zu theilen müssen.“83 Das astro-
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[8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. B 4r. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. B 3r. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. B 4v. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. F 1r. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. E 1r.
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logische Konzept der Effizierung des Kometen durch einen Planeten, das in der augmentierten meteorologischen Theorie insofern auch physikalisch konzeptualisiert ist, als der jeweilige Planet nicht nur den Kometen beherrscht und dessen Deutung determiniert, sondern kausal seine Entstehung aus terrestrischer Materie mit verursacht, ist nicht mehr präsent. Was bleibt, ist die Vorstellung einer ursächlichen, nämlich materiellen Beteiligung von Planeten bei der Entstehung von Kometen, die nun zur Quelle der Exhalationen werden, aus welchen diese Himmelskörper bestehen. Beutel stellt deutlich klar, dass diese Rolle der Planeten bei der Entstehung von Kometen in keiner Weise Basis von Prognostik sein könne – weder, dass Kometen bestimmte Wirkungen hätten, noch, dass ihr Erscheinen kausal auf bestimmte Gestirnskonstellationen zurückgefüht werden könne. Obwohl man bei Kometen heute einige ihrer natürlichen Ursachen kenne, könne man sie nicht vorhersagen, und dass Finsternisse oder große Konjunktionen Kometen verursachen, sei durch die Erfahrung widerlegt: Daß es aber nu heuer also zugetroffen / und auff die conjunctionem magnam, so sich im Octobri Anno 1663 begeben / der itzt vergangene Comet entstanden / darauß ist kein Gesetz zumachen / es ist nach dem Willen und Rathschlag Gottes geschehen / uns dergleichen Warnungs-Zeichen auffzustecken / wir haben es also nicht eben nothwendig an die natürlichen Ursachen und Wirckungen dieser beyden Planeten des Jovis und Saturni zubinden / weil die etwa in ihrer conjunction die Materiam darzu beygetragen / darauß hernach dieser Comet generirt werden / und entstehen können.84
Neben der teleologischen Erklärung durch Gott rekurriert Beutel damit auf eine historische Empirie. Auch die Frage, ob es sich bei dem aktuellen Phänomen um ein oder zwei Kometen gehandelt habe, beantwortet er unter Bezugnahme auf aktuelle und historische Observationsdaten. Beutel liefert zunächst eine Liste historischer exempla, wann bereits zwei Kometen zu sehen gewesen seien, um dann die Identität der vermeintlich zwei Phänomene von Dezember 1664 und Januar 1665 zu konstatieren, da „auff eben die Zeit / da man vermeynt einen andern gesehen zu haben / und eben an dem Ort des Himmels da neue sollen gestanden seyn / der erst enstanden nothwendig kommen müssen / weil sein Circul Stück alle diselben Orte präcise berührt / überzogen und durchschnitten hat (…).“85 Später begegnet er der Frage, ob Kometen gemeinhin im Sommer- oder Winter entstehen mit einer Auflistung historischer Beispiele des ganzjährigen Erscheinens von Kometen.86 Auch hier erweist der Bezug auf die historia, „daß sich Gott an keine Zeit binden lassen / sondern er hat Cometen auffgestecket / wenn und zu welcher Zeit des Jahrs es ihm gefallen (…).“87
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[8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. E 4r. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bll. D 1r–D 1v. Vgl. [8.13] Beutel: aussssführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bll. E 2v–E 3r. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. E 3r.
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Für Beutel sind Kometen sich kreisförmig im Bereich der Planeten bewegende Himmelskörper und er zitiert Galilei und dessen Teleskopbeobachtungen, um zu belegen, dass der aktuelle Komet der Erde nicht näher gewesen sei als Saturn.88 Er erwähnt aber auch die theoretischen Unklarheiten und die Unentschiedenheit in der Konzeption und Erklärung von Kometen: Hierauß siehet man wie diese wichtige Sache von der Materia der Cometen / so hochgelahrten tapffern Leuten zu schaffen gemacht / daß einer dieser ein ander einer andern Meynung ist / dahero man wol hierinnen einen SchiedsMann bedürffte / der aber niemand anders wird seyn können / als Gott im Himmel selbst.89
Kometen entstehen für Beutel aus natürlichen Ursachen, aber aus göttlichem Anlass, und für eine umfassende Erklärung müssten beide Dimensionen bemüht werden.90 Die Himmelsphänomene stehen in einem intellektuellen Rahmen mit anderen Prodigien, wobei Beutel damit eine Form des dualen Kometenbildes vertritt, in dem die Bedeutungsdimension rein zeichenhaft-historisch und nicht meteorologisch-kausal konzeptualisiert ist. 8.2.1 Die Ablehnung der deutenden Sternkunst Ebenso wie Beutel negiert der Zeitzer Schulmeister und Kalenderschreiber Johannes Vulpius (1645–1714) – der vielfach unter den Pseudonymen Matthias Dannewaldt oder Damerwaldt publiziert – die klassische Form der Astrologie ohne sie gänzlich abzulehnen und propagiert stattdessen eine historisch fundierte Prognostik.91 Diese konzeptuelle Verortung zeigt sich bereits im Titel seiner chronikalen Schrift zum Kometen 1664 Cometologia oder Historischer Discurs.92 In einem einleitenden doxographischen Teil referiert Vulpius die verschiedenen Kometentheorien, wobei er grundsätzlich mit der peripatetischen Vorstellung sympathisiert, obwohl es an dieser berechtigte Zweifel
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Vgl. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bll. D 4r– D 4v. [8.13] Beutel: aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, Bl. C 3v. Siehe dazu Krohn: Kometenobservationen in der Mitte des 17. Jahrhunderts, S. 44–47. Zu Leben und Werk von Vulpius siehe Herbst, Klaus-Dieter: „Vulpius, Johannes“, in: Herbst, Klaus-Dieter: Biobibliographisches Handbuch der Kalendermacher von 1550–1750 (http://www. presseforschung.uni-bremen.de/dokuwiki/doku.php?id=vulpius_johannes, abgerufen am 10.10.15). [8.55] Vulpius, Johannes: Cometologia oder historischer Discurs, was von vielen Seculis her auff cometische Erscheinungen sich begeben. Ingleichen deroselben kürtzliche Betrachtung und was etwa der im Decembr. dieses 1664sten Jahres entstandene Comet vor muthmassliche Bedeutung nach sich ziehen möchte. Mit beygefügten Abrissen wie er zu Augsburg Nürnberg Hambrug und allhier zu Leipzig gesehen worden. Darbey auch der annoch als eine göttliche Zornruthe am Himmel stehende anderwertige Comet kürtzlich berühret, Leipzig 1664 (VD17 12:642179M).
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gebe. So sei ein Komet beispielsweise groß und schwer und könne daher „nicht leichtlichen von der Erden in eine solche grosse geheure Höhe sich hinauff zuschwingen“, da alles Schwere gemeinhin nach unten sinke und nicht nach oben steige.93 Aus der unglaublichen Höhe der Kometen weit über dem Mond folge zudem eine Größe, die sogar die der Erde übersteigen könne, weshalb ein terrestrischer Ursprung der Kometenmaterie aus rein quantitativen Erwägungen heraus ausgeschlossen sei. Es sind dies recht traditionelle Einwände, die so schon fast ein Jahrhundert früher geäußert worden sind. Diese Anomalien interpretiert Vulpius als grundsätzliche Unzulänglichkeit einer Kometenerklärung durch natürliche Ursachen und schlussfolgert daraus, dass Kometen vielmehr als göttliche Zeichen zu verstehen seien: Wir halten ohne allen Zweiffel / nebenst vielen andern andächtigen Anschauern der grossen Wunderwercke des lieben Gottes gäntzlichen darfür / daß die neuen Sterne und Cometen auß keinen natürlichen Ursachen / sondern aus der verborgenen Schatzkammer Göttlicher Geheimnüsse ihr Wesen und Ursprung nehmen / und nicht allererst damals / wenn sie sich von uns sehen lassen / und zu scheinen anfangen / von Gott erschaffen werden / sondern im Anfange der Schöpffung neben andern Fixsternen und Himmlischen Cörpern auß nichts gemachet / un welche der liebe Gott unterweilen auff eine gewisse Zeit uns Menschen sehen lässet zu einen Zeichen (…).94
Diese Reaktion, in Ermangelung einer zufriedenstellenden theoretischen Erklärung des Ursprungs von Kometen auf Gott als deren causa efficiens zu rekurrieren, begegnet schon in Crügers Traktat zum Kometen von 1618.95 Der Danziger Astronom hat darin die grundsätzliche Möglichkeit einer kausalen Erklärung allerdings nicht ausgeschlossen, sondern sie eher als aktuell noch nicht ausreichend gelöstes Problem der theoretischen Interpretation von Beobachtungsdaten dargestellt, die in seiner Epistemologie die Basis und das Richtmaß der naturphilosophischen Kometenbeschreibung bilden. Diese steht für Crüger klar im Vordergrund und der Rekurs auf Gott findet lediglich dort Erwähnung, wo das natürliche Kometenbild konzeptuelle Lücken aufweist. Vulpius betont hingegen einen fundamentaleren Gegensatz zwischen der Ebene der beschreibenden und ursächlichen Erklärung von Kometen und deren Bedeutungsdimension. Ohne ersteres zu negieren, ist doch das zweite für ihn primär relevant: „Und wäre denen Physicis ziemlich viel eingeräumet / würden auch die Menschen es umb desto geringer achten / wenn solche Wunder alleine der Natur und nicht dem Allmächtigen Gott selbsten zugeeignet werden sollten.“96 Die von Vulpius damit betonte theoretische Annahme einer durch Gott verursachten Kometenentstehung, ist in Einklang mit dieser hierarchischen Ordnung der Erklä93 94 95 96
[8.55] Vulpius: Cometologia oder historischer Discurs, Bl. C 4r. [8.55] Vulpius: Cometologia oder historischer Discurs, Bll. C 4r–C 4v. Siehe dazu Abschnitt 7.2.4. [8.55] Vulpius: Cometologia oder historischer Discurs, Bl. C 4v.
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rungsebenen. Sein insgesamt sehr traditionelles Kometenbild – so führt er etwa das Argument der Verzehrung des Kometen an, was für die zugrunde liegende Vorstellung eines Verbrennungsprozesses97 spricht – ist immerhin nahezu ein halbes Jahrhundert nach Crüger nicht nur Ausdruck einer geringen Verbundenheit oder fehlenden Kenntnis der aktuellen naturkundlich-theoretischen Debatten, sondern auch ein Indiz dafür, dass Vulpius die theologisch-zeichenhafte Kometendimension gegenüber ihrer rein natürlich-kausalen Erklärung apologetisch zu betonen müssen glaubt. Die Natur interessiert als Repertoire für Gottes zweckhafte Instrumentalisierung: Neben Kometen gebe es generell viele Sterne am Himmel, „welche nicht können gesehen werden / und die nicht fürnehmlich lucendi causa, als die andern geschaffen / sondern daß durch ihre Erscheinung zu gewissen Zeiten Gott der Allmächtige etwas neues andeuten lasse (…).“98 Im Dienste dieser theologischen Kometenkonzeptualisierung steht auch Vulpius’ Bezug auf die historia, mit der er „zu einen Beweiß vor Augen stellen [möchte] / wie von vielen hundert Jahren anhero es leider gewiß / und aus vieler Erfahrung observiret worden / was Gott bey Außsteckung der Cometen denen Menschen zuvor ankündigen lassen.“99 Diese Chronik vergangener Kometenerscheinungen bildet den Großteil seiner Schrift, aus der er empirisch-historisch die Existenz der acht allgemeinen Kometenfolgen Flut, Teuerung, Pest, Krieg, Feuer, Erdbeben, Herrschersterben und Veränderung der Regime ableitet.100 Seine Interpretation der Kometenfolgen als göttlichen Strafen der menschlichen Sünden und daher die zeichenhafte Bedeutung der Kometen sind somit historisch begründet – kein kausales Modell von Ursprung, Erscheinung und Wirkung der Kometen. Die kontroverse Frage der Kometennatur als zeichenhaft bedeutend oder ursächlich wirkend findet bei Vulpius keine Erwähnung, da die Theologie der für die Deutung relevante Kontext ist. Bezüge zur Astrologie verbleiben allgemein und erscheinen insgesamt als argumentativ wenig relevant. Wie folgendes Zitat aus seiner Schrift zum Kometen 1680 zeigt, kann dies als eine Form der Marginalisierung der Astrologie charakterisiert werden, was nicht nur auf deren Einschätzung als unfundiert beruht, sondern schlichtweg daran liegt, dass sie für die beiden bei Kometen relevanten Dimensionen – Erklärung und Deutung – als nicht mehr notwendig erachtet wird:
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Tatsächlich vertritt Vulpius in seinem späteren Werk zum Kometen 1680 die klassische peripatetisch-meteorologische Theorie, siehe [8.56] Vulpius, Johannes: Wunder-neuer Glücks- Comet: oder vestgegründeter Discurs, von Ursprung Erscheinung und Bedeutung des am 4. Novembris anno 1680 entstandenen und bis in Jenner anno 1681 geschienenen cometischen Wunder-Lichts: dass solch Phaenomenon unserm geliebten Vaterlande für diesesmal kein Unglücks- sondern Glücks-Bote sey aus der Natur-Kunst gründlich eröffnet, s. l. 1681 (VD17 14:072996S). 98 [8.55] Vulpius: Cometologia oder historischer Discurs, Bl. C 4v. 99 [8.55] Vulpius: Cometologia oder historischer Discurs, Bl. B 1r. 100 [8.55] Vulpius: Cometologia oder historischer Discurs, Bll. B 1r–C 3v.
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Nun werden zwar die Astrologi (ich meine nur diejenigen / so aus denen am Himmel abgebildeten Zeichen und Figuren schlechter Dinges solche Deutung machen) allerley Unglück von dieses Cometen Lauf anzeigen / bloß aus solcher ihrer elenden Astrologia / und alt verlegenene Heydnisch-Chaldaeisch oder Arabischen Regeln / ohne Rationes / da muß nur allein dieses gelten / Albumasar, Haly, Buzahan oder ein anderer sagets. Ich lasse ihnen ihre Tandeleyen / und behelfe mich in Deutung unsers Cometen mit der ohnfehlbaren Physica oder Natur-Kunst (…).101
Die ablehnende Haltung zur Astrologie ist hier umso interessanter, als Vulpius in dieser späteren Kometenschrift – deren Intention darin besteht, Kometen als Glück verheißende Himmelszeichen und keine Unglücksboten zu propagieren – der traditionellen aristotelisch-meteorologischen Theorie, inklusive einer sublunaren Verortung der Kometen „nach Art solcher feurigen Meteoren“ und ihrer terrestrischen Entstehung, explizit folgt.102 Obwohl den Kometen eine Rolle in der kausalen Verursachung der mit ihnen konnotierten Konsequenzen zugeschrieben wird, erscheint die in dieser Schrift auftauchende Astrologie in rudimentärer Form, da sie mit dieser Kausalität nicht verbunden und damit ihres Begründungszusammenhangs entledigt und gleichzeitig nur noch bedingt für die zeichenhafte Bedeutung der Kometen – hier nun positiv besetzt – relevant ist. Damit ist die meteorologische Kometentheorie ihres astrologischen Überbaus, der einst die Zuschreibung „augmentiert“ rechtfertigte, beraubt. Ein weiterer peripatetischer Traditionalist findet sich in dem im Sächsischen geborenen Revaler Stadtarzt und Festungsbaumeister Gebhard Himsel (1603–1676), der 1665 das Werk Cometologia oder Anmerckung und Natürliche Muthmassung von den Cometen publiziert.103 In der 36 Seiten langen Schrift behandelt Himsel das Kometenthema systematisch durch drei konkrete Fragestellungen: 1. Ob Kometen sich über oder unter dem Mond befinden, 2. ob die Aspekte ursächlich an ihrer Entstehung beteiligt seien und 3. ob z. B. aus dem Kometenlauf eine Wirkung prognostiziert werden könne. Er berührt damit also die Kernthemen der theoretischen Beschreibung von Kometen, ihrer kausalen Erklärung und mit der Frage nach deren prognostischem Potential auch die Bedeutungsdimension. Himsels peripatetische Grundüberzeugung spiegelt sich allein darin wider, dass die erste Frage in seiner Diskussion den größten Raum einnimmt, da die Debatte um die Verortung von Kometen das historisch erste 101 102 103
[8.56] Vulpius: Wunder-neuer Glücks-Comet, S. B 2v. [8.56] Vulpius: Wunder-neuer Glücks-Comet, Bll. A 4r, B 3r–B 4r. [8.21] Himsel, Gebhard: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung von den Cometen. In dreyen Fragen als I. Ob die Cometen unter oder über den Mond zusetzen? II. Ob die Aspecten der Planeten einige Würckung selbige hervor zubringen haben? III. Ob auss den himmlischen Zeichen in welchen sie erschei nen etwas von derer Würckung könne vorher verkündiget werden?, Hamburg 1665 (VD17 12:641765C). Siehe dazu Klöker, Martin: Biobibliographischer Abriss zu Gebhard Himsel (http://kulturportal-west-ost.eu/biographien/himsel-gebhard-2, abgerufen am 10.10.15).
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und immer noch deutlichste Element der Ablehnung der meteorologischen Kometentheorie darstellt. Um diesen Aspekt kreisen zwei Traktate des im letzten Kapitel kurz erwähnten italienischen Philosophen und Mathematikers Scipione Chiaramonti (1565–1652) aus den 1620er Jahren, auf die Himsel sich hauptsächlich bezieht und die er ausführlich zitiert.104 In seinem polemischen Antitycho, auf den Kepler 1625 mit einer Replik105 reagiert, möchte Chiaramonti unter Gebrauch Brahes eigener Methoden beweisen, dass dessen Verortung der Nova 1572 über dem Mond falsch sei und konstatiert stattdessen aufgrund einer vergleichenden Betrachtung von Beobachtungsdaten aus ganz Europa die sublunare Position des neuen Sterns. Galilei, der im Il Saggiatore (1623) Chiaramontis Position wegen seiner eigenen Ablehnung der tychonischen Kosmologie und auch eines supralunaren Kometenortes nur mild kritisiert hat,106 wird im 3. Tag seines Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo (1632) deutlicher: Er macht sich geradezu lustig über Chiaramontis Schlussfolgerungen, widerlegt sie und kritisiert besonders dessen methodischen Ansatz, aus den astronomischen Daten systematisch nur diejenigen ausgewählt zu haben, die seine Überzeugung stützen und die viel zahlreicheren widersprechenden ignoriert zu haben.107 Himsel überzeugen die Ausführungen Chiaramontis hingegen und er scheint auch dessen methodischen Zugang zu favorisieren.108 In seiner Kometenschrift referiert
104 [8.14] Chiaramonti, Scipione: Antitycho Scipionis Claramontii, in quo contra Tychonem Brahe et nonnullos alios rationibus eorum ex opticis, et geometricis principiis solutis demonstratur, cometas esse sublunares non caelestes, Venedig 1621 und [8.15] Ders.: De tribus novis stellis quae annis 1572, 1600, 1604. Comparuere libri 3, Cesena 1628. 105 Siehe dazu die Einleitung des siebten Kapitels sowie Kap. 7.2.1. 106 [8.18] Galilei, Galileo: Il saggiatore nel quale con bilancia esquisita, e giusta si ponderano le cose contenute nella libra astronomica, e filosofica di lotario sarsi sigensano, Rom 1623 [Favaro, Antonio et al. (Hrsg.): Le Opere di Galileo Galilei, Ed. Nazionale IV, S. 199–372]. 107 [8.17] Galilei, Galileo: Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo tolemaico e copernicano: Proponendo indeterminatamente le ragioni filosofiche e naturali tanto per l’ una quanto per l’ altra parte, Florenz 1632 [Favaro, Antonio et al. (Hrsg.): Le Opere di Galileo Galilei, Ed. Nazionale VII, S. 23–489]. Siehe zur Kritik an Chiaramonti Peterson, Mark A.: Galileo’s Muse. Renaissance Mathematics and the Arts, Cambridge 2011, S. 264–265. 108 Riccioli hat in dem Kapitel über Kometen seines Almagestum novum von 1651 ebenfalls die Position Chiaramontis referiert und sie keinesfalls rundheraus abgelehnt, vgl. dazu Kap. 7.2.1 und die Primärquelle [7.26]. Auch Riccioli konstatiert, dass die Frage nach dem sub- oder supralunaren Kometenort noch nicht endgültig entschieden sei, hält eine supralunare Verortung aber für nicht unwahrscheinlich. Mosley kommentiert: „Though hardly a ringing endorsement, this verdict is one of several pieces of evidence which can be used to chart the gradual and sometimes grudging acceptance of the idea that all comets were celestial rather than meteorological phenomena, despite the arguments to the contrary of Chiaramonti and his ilk.“ Mosley: A Brief Note on Cometary Parallax, S. 339. Diese Haltung Ricciolis Mitte des 17. Jahrhunderts zeigt, dass von einer vollständigen und unwidersprochenen Akzeptanz und Durchsetzung der Supralunarität von Kometen nicht ganz so selbstverständlich auszugehen ist, wie es manche ihrer Befürworter darstellten.
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und kollationiert er einleitend ebenfalls zeitgenössische Observationsdaten und konstatiert, selber aufgrund des Fehlens geeigneter Instrumente keine Beobachtungen gemacht zu haben. Zudem äußert er prinzipielle Zweifel an der Sicherheit und Überzeugungskraft parallaktischer Messungen – auch jener der astronomischen Koryphäen Brahe oder Kepler – und weist deren Schlussfolgerungen bezüglich der Entfernung und Größe von Kometen, wie das „von dem Italiäner Claremontio, der solches mit geometrischen demonstrationen dar thut (denen man nicht leicht wird wiedersprechen [sic!] können)“ gezeigt worden sei, zurück.109 Zumindest zeigten die Einwände Chiaramontis, dass die Frage des Kometenortes noch nicht endgültig geklärt sei und viele sich vorschnell auf die vermeintlichen Autoritäten stützen würden, ohne deren Ansichten konkret zu überprüfen.110 Ebensolche Zweifel und zumindest die Uneinigkeit der Gelehrten merkt Himsel auch in der Frage nach Ursprung und Materie der Kometen und damit verknüpft deren Natur an, wobei er neben der aristotelisch-meteorologischen drei realistische Theoriealternativen beschreibt: in der ersten sind Kometen optische, aber sublunare Phänomene, in der zweiten befinden sie sich stattdessen im himmlisch-ätherischen Bereich, während sie in der dritten und aktuellsten nach den Ideen Kirchers aus Sonnenmaterie entstehen. Himsels Ausführungen behandeln die Vorstellungen Kirchers, der den Kometenursprung in die Sonne verlegt und mit deren Flecken verbindet, am ausführlichsten.111 Dies deshalb, da er diese Vorstellungen zur Stützung seiner eigenen Überzeugungen verwendet, so wie Chiaramonti auch die Supralunaristen mit ihren eigenen Ideen und Argumenten widerlegen wollte. Das Kernkonzept Himsels besteht in dem Ursprung der Kometen aus terrestrischen Exhalationen, was er dadurch gestützt sieht, dass in den neuen Theorien seiner Interpretation nach ebenfalls die Ausdünstungen oder Teile der Atmosphäre von Himmelskörpern die Kometenmaterie bilden: „so nun sage ich / die Erde [ist] mit eben solchen privilegiis begabet als die andere Planeten / warumb wollte man ihr denn die generationes der Cometen (…) abschneiden (…)?“112 Das Argument der zu geringen Exhalationsmenge zur Erhaltung des Kometen als Verbrennungsprozess sei nicht stichhaltig, denn sonst müsse es ja genauso für die anderen Planeten gelten; zudem seien die Kometen gar nicht so groß, wie viele meinen, wofür Himsel die Berechnungen des dänischen Astronomen Christen Sørensen Longomontanus zum Kometen 1618 anführt.113 Die Betonung der gemeinsamen Natur der Erde und der Planeten ist ein klassischer Topos des Kopernikanismus, den der Revaler Arzt ebenfalls argumentativ nutzt: Der natürliche Ort der aus feurigen Exhalationen bestehenden Kometen
109 [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 4. 110 [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 8. 111 Vgl. [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 20–23. 112 [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 13. 113 [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 14.
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sei die Region des elementarischen Feuers über den Wolken, wo sie natürlicherweise dem motus primi mobilis folgten. Wie wenn man sagen wolte die Erde gienge herumb / nach ihrer täglichen Bewegung / und diese φαινόμενα oder Cörper stünden in der Ober-Lufft stille / hätten nur blos ohne die tägliche Herumbweltzung / vom Auffgang zum Niedergang ihre eygene Bewegung / von einem Ort zum andern / gar langsam / würde man meines Erachtens so gar ungereimt nicht sprechen. Mir zwar deucht hieraus könne nicht ein gering Argument und Beweisthumb / von Beweglichkeit der Erden genommen werden (…).114
Würden sie nämlich als sublunare Meteore gewaltsam bewegt, müssten sie dies sehr schnell tun um in 24 Stunden einmal die Erde zu umkreisen, ganz zu schweigen von der Geschwindigkeit, die sie haben müssten, wenn sie supralunar wären. „Wenn sie aber in der Ober-Lufft oder wo sie denn ihre Stelle haben / stille stünden / und nur etliche wenig Grad / ihrer eigenen Bewegung nach von einem Stern oder Zeichen zum andern fortgiengen / wäre solches ihrer Natur / und der Vernunfft viel gemesser und begreifflicher (…).“115 Die wesensmäßige Verwandtschaft zwischen Erde und Kometen sei schließlich auch historisch dadurch erwiesen, dass Kometen irdische Folgen haben und diesen Wirkungen dieselben Ursachen zugrunde liegen wie den Himmelsphänomenen selbst, denn wenn man alle secula durchgehet fast bey allen Cometen verspüret worden / starcke Donner / Erdbeben / Sturmwinde / dürre Zeit / darauff denn Hunger / Theurung/Mißwachs und Pest erfolget; welches sie nicht blos als ein Signum significans sondern als eine causa efficiens und mitwürckende Ursache mit ihren hitzigen / sonder zweiffel auch öfftermahls gifftigen Dünsten zu wege gebracht.116
Dass Kometen aber die Kraft hätten, selber verheerende Wirkungen auszuüben, wie die Astrologen konstatieren, „ist etwas weit gesuchet / insonderheit / da mehr nähere Ursachen / nach Gottes Verhängniß und Straffe vorhanden.“117 Demnach seien die Kometen nicht Ursachen der ihnen zugeschriebenen Wirkungen und wie Himsel in Bezug auf die zweite von ihm formulierte Frage schreibt, ist auch eine weitere Kernidee der Astrologen, dass Aspekte ihrerseits die Ursachen der Kometen sind, nicht haltbar: Nicht nur treten sie zu selten oder zu häufig auf, zudem gebe es überhaupt kein einheitliches Konzept, welche Aspekte wie genau wirken.118 Kometen seien in – und nicht über – der Natur geschehende Wunder, die aufgrund göttlicher Veranlassung entstehen und daher überhaupt keine anderen Ursachen erfor-
114 115 116 117 118
[8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 17. Ebd. [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 16. Ebd. [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 25.
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derten. Aspekte seien zudem „nur blosse relationes, accidentia und Zufälle und viel zu schwach und unvermögen / einige Substantiam oder Cörperlich Wesen herfür zu bringen (…).“119 Kometen zu prognostizieren sei daher prinzipiell nicht möglich. Himsel kritisiert die Astrologie aber über diese spezifische Frage hinausgehend in grundsätzlicher Weise, indem er z. B. das naturphilosophische Fundament ihrer Regeln infrage stellt. So habe etwa die Präzession der Äquinoktien die Tierkreiszeichen von ihrem ursprünglichen Ort um nahezu ein ganzes Zeichen entfernt, was sich doch in einer Änderung der diesen zugeschriebenen Deutungsweisen niederschlagen müsse und was vor heiß und trocken seyn sollen / ist nun kalt und feucht / kommts aber blos von der Abtheilung und Zahlen her / wie mans denn jetzo rechnet so ist es non ens, und nichtes / denn die Zahlen nur ein accidens und ein zufällig Ding seyn / und in der Natur nichtes würcken und endern können.120
Himsel sieht diese Art der Astrologie gebaut auf „Trübsand und loser Grund“121, denn sie folge keinen einheitlichen, sondern willkürlichen Prinzipien und menschlichen Illusionen. „Ich kan mir mein Tage nicht einbilden / daß solches prognosticiren und vorher verkündigen / verständiger Leute Ernst und wahre Meynung sey; mich düncket nur / daß sie so in favorem vulgi was auffsetzen / damit Herr Vorwitz etwas zu lesen habe.“122 Diese Ausführungen zeigen, dass Himsel die astrologische Signifikanz von Kometen rein kausal konzeptualisiert: Deren Auswirkungen auf Klima und Wetter „wegen ihrer hitzigen feurigen materia und sonder zweiffel schweffelichten Dünste und Ausblasung“ sind für ihn erwiesen und unproblematisch, hinsichtlich „Krieg und Blutvergiessen“ ist er schon skeptischer. Den Kometen jedoch „einigen Gewalt über der Menschen Gemüther und freyen Willen zueignen / ist wider Gottes Wort / und können viel böse consequentien und Folgereyen daraus gemacht werden (…).“123 Die Formel Astra inclinant non necessitant ändere daran nichts, denn der Fakt einer Zuschreibung eines Einflusses der Gestirne auf die Menschen als apologetische Erklärung für deren Laster oder Sünden bleibt davon doch unberührt: „Da frage ich dich jetzo ob du den Stern / der droben am Himmel stehet / nicht dem Teuffel vergleichest?“124 Der hätte Eva schließlich auch nicht zum Essen der Früchte vom Baum der Erkenntnis gezwungen, sondern ihr „nur eine Neigung und Lust eingestreichet“, was aber am Endresultat nichts ändere.125 Himsel sieht generell keine Vereinbarkeit zwischen einem ernsthaften Christentum und der mit obigem Ausspruch legitimierten Form einer theologisierten Astrologie, da man damit 119 120 121 122 123 124 125
[8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 27. [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 28. [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 33. [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 34. [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 35. [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 36. Ebd.
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verbinde, was nicht zusammengehört: eine auf natürlich-kausalen Prozessen beruhende astrologische Prognostik und eine theologische Reflexion auf Gottes Wirken und Kommunizieren in der Welt. Eine so verstandene Astrologie greift in das ein, was nur Gott wissen könne und sei daher von ihrer Grundlage her unchristlich, was Himsel dadurch unterstreicht, dass er ihren heidnischen Ursprung und Charakter betont.126 Einer theologischen Vereinnahmung der Astrologie in einem chiliastischen Kontext und damit eine primär theologisch kontextualisierte Zeichenhaftigkeit der Kometen bezeichnet er als „eitele Einbildung Phantasey und Thorheit“.127 Himsels naturphilosophische Überzeugungen basieren auf einem aristotelischen Naturalismus, der noch immer starke Argumente gegen eine astrologische Deutung liefern kann.128 Sein Kometenbild zeigt, wie überzeugend die meteorologische Theorie immer noch ist, was zum einen an ihrer Verankerung in der peripatetischen Naturphilosophie und Kosmologie liegt, die ein ebenso kohärentes wie anpassungsfähiges theoretisches Erklärungsmodell der Natur liefert, und zum anderen an ihrer Flexibilität hinsichtlich der Integration oder zumindest Konnotation neuer empirischer, methodischer oder theoretischer Entwicklungen. So konservativ seine Kometentheorie erscheint, sie bietet in seinen Augen keinen Raum für eine kausal verstandene Astrologie und nur in dieser Form scheint sie für ihn überzeugend. 8.2.2 Dimensionen der Zustimmung zur Astrologie Die Beispiele von Vulpius und Himsel belegen, dass das Verteidigen eines traditionellen Kometenbildes oder die Propagierung einer konservativen Naturphilosophie sowie eine positive Haltung zur Astrologie nicht unbedingt korreliert sein müssen. In diese Richtung – wenn auch mit entgegengesetztem Vorzeichen – weisen auch die Werke des Juristen und Mathematikers Peter Megerlin (1623–1686), der seit 1676 in Basel Mathematikprofessor ist und astronomische, historisch-chronologische sowie prognostische Arbeiten publiziert.129 Er schreibt über die Kometen der Jahre 1661, 1664 und 1680 – zu diesem Kometen veröffentlicht er einen Einblattdruck – und ist ein überzeugter Anhänger des heliozentrischen Weltbilds.130 Diese Überzeugung bringt Megerlin in Konflikt
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[8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 30. [8.21] Himsel: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung, S. 32. Vgl. dazu Meinel: Kometen als Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 95. Zu Leben und Werk Megerlins siehe Folkerts, Menso: „Megerlin, Peter“, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 610–611. Vgl. [8.28] Megerlin, Peter: Matematischer Discurs von dem jüngst erschienenen Cometen: Bey einer löblichen Universität zu Basel offentlich gehalten den 15. Hornung dieses 1661. Jahrs, Basel 1661 (VD17 12:626671P); [8.26] Ders.: Discursus mathematicus de cometa nuper viso, in inclyta academia basiliensi publice habitus, die 15. febr. anno 1661, Basel 1661 (VD17 12:642694P); [8.25] Ders.: Astrologische Muthmassungen von der
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mit seiner Universität und der kirchlichen Zensurbehörde in Basel, welche den Druck seines Werkes Systema mundi copernicanum (1682), in dem er durch 17 Argumente die Richtigkeit der kopernikanischen Kosmologie beweisen möchte, verhindert.131 In seiner Schrift von 1661 argumentiert er zunächst ausführlich für die Supralunarität der Kometen und widerlegt die gegenteilige Ansicht unter Bezug auf naturphilosophische und astronomisch-parallaktische Argumente, die er für so überzeugend hält, dass er diese Problematik als einstmals kontroverse Frage darstellt, die nun gelöst sei.132 Er rekurriert bezüglich der Größenabschätzung des Kometen auf die astronomischen Methoden der versierten Beobachter Hevelius und Lorenz Eichstädt (1596– 1660), erwähnt im Kontext der parallaktischen Argumentation Observationsdaten und -methoden von Pierre Gassendi (1592–1655) und diskutiert kurz die cartesische Kometentheorie und zeigt sich daher vertraut mit jüngeren Entwicklungen des Forschungsdiskurses. Die meteorologische Exhalationstheorie lehnt er mit den Worten ab „Es ist aber diese Meinung nunmehr langsten als ein Rauch vergangen.“133 Hinsichtlich der theoretischen Konzeptualisierung weist Mergelin explizit die Meinungen Kirchers und anderer, dass Kometen aus der Planeten- oder Sonnenmaterie – insbesondere in Zusammenhang mit den Sonnenflecken – entstünden, unter Verweis auf die historisch belegte Tatsache der Entstehung, also Erstsichtung von Kometen sehr weit von der Sonne entfernt, zurück. Stattdessen geht er davon aus, dass Kometen in der Milchstraße entstehen: Bey so mancherley widerwertigen Meinungen / belieben mir vor andern deß hoch-Edlen Dennemärckers und Weltberühmten Verbesserers der Sternkunst Tychonis Brahe Gedanken, daß nemlich der Cometen Saamen bey anfänglicher Erschaffung aller Dingen in die Galaxiam oder Milchstraß am Himmel von Gott gelegt worden seye / allda er mit der Zeit reiff werde / und einen Cometen auß zusammenschiessung vieler Sternlin herfür bringe / welcher durch seinen eigenen innerlichen Trieb von der Milchstraß abgerissen / und einen zimblichen Weg durch den Himmel geführt werde; Die Sonnen-stralen aber so ihne beleuchten / tringen durch seinen dünnen Cörper / und hencken ihme auff der andern gegenüberstehenden Seiten einen Schweiff an / biß diese krafft wieder abnemme / und der Comet in kleine Sternlin zerstrewet vergehe.134
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Bedeuttung des jüngst entstandenen Cometen, Basel 1665 (VD17 23:287516X); [8.27] Ders.: Eygentlicher Abriss des Anno 1680. entstandenen Cometen, Basel 1681 (VD17 23:647328D). [8.29] Megerlin, Peter: Systema mundi copernicanum argumentis invictis demonstratum, et conciliatum theologiae, Amsterdam 1682. Siehe dazu Siebert, Harald: Die große kosmologische Kontroverse. Rekonstruktionsversuche anhand des Itinerarium exstaticum des Athanasius Kirchner SJ (1602–1680), Stuttgart 2006 (Boethius 55), S. 283. [8.28] Megerlin: Matematischer Discurs von dem jüngst erschienenen Cometen, S. 4–8. [8.28] Megerlin: Matematischer Discurs von dem jüngst erschienenen Cometen, S. 10. [8.28] Megerlin: Matematischer Discurs von dem jüngst erschienenen Cometen, S. 12.
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Diese Theorie sieht er historisch durch Beobachtungsdaten des Kometen von 1652 bestätigt. Die in dem Zitat erwähnte Rolle Gottes in der kausalen Erklärung des Kometenursprungs findet auf der Ebene der Bedeutungsdimension ihre Entsprechung darin, dass Megerlin die Astrologie als Ausdrucksform Gottes begreift: „Unter das vornembste Lob der Edlen Sternkunst solle billich gezehlet werden / daß der Allgewaltige Gott dieselbe zu einem mittel gebraucht / die Erstlinge der Heyden zur Erkandtnus seines Sohns unsers Heylandts zu bringen.“135 Die astrologische Signifikanz eines Kometen zu eruieren ist daher eine theologisch legitimiertes und sogar erforderliches Unterfangen. Megerlins Schrift von 1665 weist durch ihre Titelgebung Astrologische Muthmassungen Von Der Bedeuttung Des jüngst entstandenen Cometen und die Titelillustration eines Kometenhoroskops (siehe Abbildung 8.2) vom 23.11.1664 bereits deutlich darauf hin, dass der Fokus des Werkes ein astrologischer ist:
Abb. 8.2 Titelillustration der Astrologischen Muthmassungen Megerlins (1665)136
135 136
[8.28] Megerlin: Matematischer Discurs von dem jüngst erschienenen Cometen, S. 3. Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res 4 Astr. Sp. 520,28, Titelseite, urn:nbn: de:bvb:12-bsb11072756–2.
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In der Schrift zum Kometen 1664 präsentiert Megerlin ein auf der Deutung von optisch ermittelbaren Parametern des Kometen beruhendes Judicium Astrologicum, das in großen Teilen auch einer Kometenschrift von vor 100 Jahren entnommen sein könnte. In der einleitenden knappen Beobachtungsbeschreibung fokussiert er nicht quantitative Daten, sondern die deutungsrelevanten Kometeneigenschaften, also etwa, welche Tierkreiszeichen oder Sternbilder in welcher Geschwindigkeit und Weise der Komet durchlaufen oder welche Farbe er hat. Die Berücksichtigung der astrologischen Häuser – im astrologiekritischen Diskurs schon seit langem als in der Natur nicht fundiert zurückgewiesen – wird von ihm ebenso verteidigt wie eine Interpretation des Kometenlaufes in Relation zu Sternbildern oder -zeichen: Dann ob zwar dieselbige in sich selbsten ein solche Krafft und würckung nicht haben / so ist doch wohl gläublich / daß weil der gestirnte Himmel von allbereit uber die 2000. Jahr hero in solche bilder abgetheilt worden / es bediene sich Gott in der Natur derselbigen / als gleichsamb einer heimblichen Schrifft / dadurch den verständigen die künfftige zufäll und enderungen muthmaßlich zu offenbahren (…).137
Megerlin erläutert die astrologische Methodik der spezifischen Ausdeutung des Kometen am Beispiel eines weiteren Kometenhoroskops vom 7. Dezember 1664 – wobei er sich ganz der traditionellen Regeln des Ptolemaios und Cardano bedient – unter Bezug auf den Stand der Planeten in den astrologischen Häusern, die Mondphasen und andere astrologisch relevante Daten wie das Medium Coeli138 der beherrschenden Himmelskörper.139 Eine chorographische Deutung der von der Kometenwirkung betroffenen Länder und Regionen fehlt ebenso wenig wie eine Interpretation der Schweifrichtung. Das Thema der metaphysischen Begründung der Astrologie berührt Megerlin auf folgende Weise: Solche aber beduncke mich müsse auß der Harmonia Naturae oder ubereinstimmung der himmlischen und irdischen Geschöpffen hergenommen werden / da man von vihlen Seculis hero boebachtet / wann etwas newes / als Cometen und andere dergleichen phaenomena am Himmel entstanden / daß auch die Natura sublunaris mit ungewohnlichen zufällen in ihrem ordinari lauff turbiert und verstört worden seye.140
In folgendem Zitat zeigt sich diese Idee eines analogischen Zusammenhangs zwischen einzelnen Elementen der Natur, die in einem geschaffenen harmonischen Ganzen
[8.25] Megerlin: Astrologische Muthmassungen von der Bedeuttung, S. 4. Medium Coeli bedeutet die Himmelsmitte, also den Punkt am Himmel, in dem die Zeichen und Planeten mittags kulminieren, siehe dazu Stuckrad: Geschichte der Astrologie, S. 25. 139 [8.25] Megerlin: Astrologische Muthmassungen von der Bedeuttung, S. 6–7. 140 [8.25] Megerlin: Astrologische Muthmassungen von der Bedeuttung, S. 15.
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nicht nur zeichenhaft aufeinander verweisen, sondern im Rahmen einer spirituellen und historischen Synchronizität verbunden sind, noch deutlicher: Also auch wird die Elementarische Natur durch entstehung eines Cometen dermassen starck bewegt oder (wie man allhie pflegt zu reden) ergelstert / daß sie hernach in solche ungewohnliche zufäll außbricht / nach dem an einem oder anderm Ort die disposition oder zuneigung zuvor verhanden war: Wann man nun von einem Cometen judicieren solle / ob er ubermässige Hitz oder Kälte / Dürre oder Gewässer / Wind oder Erdbidem / Pest oder andere Seuchen / Item ob er eusser: oder innerliche Krieg / Auffruhr / Regiments: oder Religions-Enderung / und zwar in welchem Land er solches bedeutte / so wird zu einem guten Prognosticanten nicht nur ein tieffsinniger Physicus oder Natur-kündiger / sondern auch ein weit-aufsehender Politicus oder Welt-weiser Mann erfordert (…); Wo er nun ein solche disposition findet / welche mit den regulis Astrologicis von der Cometen würckung wohl ubereinstimbt / so kann er von desselbigen Lands künfftigen zufällen desto hertzhaffter urtheilen.141
Megerlins Astrologie erscheint losgelöst von der meteorologischen Kausalität und ist stattdessen lose an die Ideen Keplers angelehnt, wenn er auch das Element der Aspekte nicht sonderlich stark macht. Er rekurriert auf den theologischen Legitimationszusammenhang und ebenso findet die historia-Dimension Erwähnung, allerdings weniger in Form einer historisch-empirischen Argumentation, sondern vielmehr als intellektueller Rahmen, in dem die Kometen als Geschichtszeichen an der Theaterbühne des Himmels sichtbar werden, worin sich die Konzeption des Synchronismus der irdischen und himmlischen Ereignisse manifestiert.142 Damit präsentiert sich die Astrologie hier als ein Element der Tradition, das Megerlin allerdings nicht nur aus Gründen der Konvention in seine Kometenschriften inkorporiert, sondern weil er tatsächlich von ihrer Nützlichkeit überzeugt ist. Weder für seine Kometentheorie noch für seine kosmologischen Vorstellungen bedeutet das einen Widerspruch. Megerlin ist in seiner befürwortenden Haltung zur Astrologie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts keine singuläre Erscheinung. Als weiteres Beispiel soll nun Johannes Praetorius (1630–1680) Erwähnung finden, der ebenfalls deutschsprachige Kome141 [8.25] Megerlin: Astrologische Muthmassungen von der Bedeuttung, S. 15–16. 142 Siehe Völkel: Im Blick der Geschichte: historia und Historiographie. In folgendem Werk Megerlins findet sich die Konzeption von Wissen als Theater umfassend entwickelt: [8.30] Megerlin, Peter: Theatrum divini regiminis: a mundo condito usque ad nostrum seculum, delineatum in tabula mathematico-historica: qua secundum revolutiones coniunctionum & oppositionum magnarum saturni & iovis post octo proxime secula redeuntes (…) adiectus est commentarius chronologicus (…) cum cyclis planetarum et eclipsium, Basel 1683 (VD17 23:240452U). Siehe dazu Friedrich, Markus: Das Buch als Theater. Überlegungen zu Signifikanz und Dimensionen der Theatrum-Metapher als frühneuzeitlichem Buchtitel, in: Stammen, Theo / Weber, Wolfgang E. J. (Hrsg.): Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung: Das europäische Modell der Enzyklopädien, Berlin 2004, S. 205–232.
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tenflugschriften publiziert und sich darin für die deutende Sternkunst stark macht. Der in Leipzig wirkende Polyhistor, Dichter und „Vielschreiber“143 verfasst Mitte der 1660er Jahre nicht weniger als neun Werke zu dieser Thematik, davon allein fünf konkret zu Kometen.144 In der Schrift Adunatus Cometologus präsentiert Megerlin eine in vielerlei Hinsicht klassische Form der Astrologie mit einem chorographischen Fokus auf der Ausbuchstabierung des Kometeneinflusses auf bestimmte geographische Regionen. Die traditionelle meteorologische Kometentheorie lehnt er hingegen ab, sondern entwickelt sein Kometenbild „aus etlichen neuesten Cometologis“, gemessen an demonstrationibus Mathematicis und einer „Historia (…) die ist oculus veritatis & testis temporum: daran kann und muß ein jeder vergnügen haben; weil sie invariabel und beständig ist“.145 Praetorius unterscheidet klar zwischen einer in seinen Augen abergläubischen Vulgärastrologie und einer wissenschaftlich begründeten Prognostik, die
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Scholz Williams, Gerhild: Ways of Knowing in Early Modern Germany. Johannes Praetorius as a Witness to His Time, Burlington 2006, S. 12. 144 [8.43] Praetorius, Johannes: Indicium aquilonis. Das ist der nordische Comet und mörderische Prophet. So im Ausgange des verwichenen und Anfange des angetretenen 1665. Jahrs am Himmel nicht ohne Verwunderung vieler tausend Menschen angeblicket worden: Welchen aussführlich nach seinen Umbständen und Erschei nungen erkläret und (…) vorgestellet als den dritten Theil nebenst einem andern Anhange von dem ietzigen in Martio erschienenen und annoch im April so früe so auffn Abend scheinenden neuesten grausamen Cometen, Leipzig 1665 (VD17 14:072868G); [8.41] Ders.: Bellerophon vulnerandorum. Das ist: Der neulichste und ungeheure Wunder-comet. Welcher sich in diesem auffwachsenden 1665. Jahre nach dem 26. Martii im geflügelten oder See-pferde gegen Ost-nordosten oder circa ortum solstitialem, allhier und anderswo weit und breit zu erste angefunden: Und biss in den April hinein (…) an selbiger gegend des Himmels auffgehalten hat: (…) Gründlich beschrieben und bester massen ausgedeutet (…), Leipzig 1665 (VD17 23:287923C); [8.39] Ders.: Adunatus cometologus, oder ein geographischer Cometenextract. Aus allen und jeden Scribenten deren bey 60. heraus seyn (vide finem huius opellae im register:) wegen alle eintzelne und bey ihnen insonderheit verdächtige oder wegen beyder Crinit-stern gefährlichgedachte Landschafften auff Erden: Drinnen diese Frage erörtert wird: Wie sich bey solchem cometischen Paare befinden oder was davon zu empfinden haben (…), Leipzig 1665 (VD17 23:287546S); [8.42] Ders.: Eine deutliche Abbildung des neuligsten und oesterlichen Cometen: Wie und wenn sich solcher allhier und anderswo am Himmel dargezeiget hat; nebenst seinem ohngefährlichen Willen, Leipzig 1665 (VD17 23:676360Z); [8.45] Ders.: Urano dromus lacteus, oder der silberfarbene Strobel-stern welcher sich vom 22. Decemb. an des verschienen Jahrs biss in den Februar, dieses angehobenen M. DC. LXV. Jahrs (…) am hohen Firmament in Eridano, Balena und Ariete nordenwerts hinauff nach unserer Gegend zu allgemählig steigend von vielen tausend Leuten und Lanschafften mit Bestürtzung flugs nach angebrochenen Abend die Nacht durch hat ansehen lassen: Betrachtet und nach seiner Farbe und vermutheten Materie, beschrieben und aussgedeutet als der andere Theil, Leipzig 1665 (VD17 14:072860W). 145 [8.39] Praetorius: Adunatus cometologus, oder ein geographischer Cometenextract, S. 42–47; die Zitate finden sich auf S. 43 und S. 46. Siehe dazu Scholz Williams: Ways of Knowing, S. 115–121.
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im Wesentlichen historisch a posteriori legitimiert ist. Die Intention seiner Schriften ist dabei durchaus popularisierend durch die Vermittlung praktischer Information.146 Im Untertitel seiner Reformata Astrologia Cometica umreißt er diesen Zweck programmatisch so: Daß ein jeder Ungelehrter / flugs ohne alt-astrologische und vergebliches Kopffbrechen / oder weiter-benöthigtem bessern Nach- und Unterrichte / auch ohne zweiffelhafften Irrthume / daraus allezeit nutzbarlich erlenen könne / was ihme ein neuer HaarBart- Schwantz- oder kahler Strobel-Stern wolle / unn auff was für Völcker er mit seiner Dräwunge oder Warnunge ziehle: Wer der Feind seyn solle / und wannenhero dergestalt die Antipathia Nationum rühre / und warum die Himmlischen Asterismi solche und solche Gestalt in Uhralten Zeiten erhalten haben.147
Dasselbe Werk erscheint im gleichen Jahr auch unter dem Titel Astrologia Germanica et Germana, wobei Praetorius sein Unternehmen hier selbstbewusst als „neu-erfundene Geographische Astrologie“ charakterisiert.148 Abgesehen von dem geographischen Fokus, der das althergebrachte Grundkonzept einer astrologischen Chorographie ausbaut, ist die Schrift Praetorius’ allerdings nicht wirklich auf eine Reform der Astrologie ausgerichtet, sondern zeigt die zeitgenössisch verbreitete Tendenz ihrer Legitimierung durch die historia und die häufig damit verbundene Abkehr von einer physikalischen Konzeptualisierung der Kometenwirkung. Durch diese Änderung des Begründungskontextes verliert der Komet seinen Status als natürliche Ursache und wird in seiner Signifikanz auf eine vorbedeutende Zeichen-
146 In der Forschung wird Praetorius oftmals als origineller Kuriositätenschriftsteller charakterisiert, der Gelehrsamkeit mit dem Hang zum Wunderbaren zu verbinden und damit ein großes Publikum zu belehren und zu unterhalten weiß, vgl. Mańko-Matysiak: Das Teufelsmotiv in der schlesischen Wunderzeichenliteratur, S. 77. 147 [8.44] Praetorius, Johannes: Reformata astrologia cometica. Das ist: Eine ver blümte Vermählung des höchsten Himmels mit der untersten Erden Kugel: Welche Gott der Schöpfer so offte durch eine sonderbahre Braut-fackel zu verstehen giebet oder wiederholet als er einen Comet wie den Bräutigam aus seiner geheimen Kammer in dieses oder jenes Gestirn am Sahl des Firmaments hervor lauffen heisset; und damit einem oder mehren straffbahren Landschafften eine Reisse und weinoder blutreiche Hochzeit anmeldet. Durch die Gnade Gottes aus einer frischen und also unerhörten Invention, der Gestalt deutlich und vernehmlich beschrieben (…), Leipzig 1665 (VD17 23:287507Y), Titelblatt. 148 [8.40] Praetorius, Johannes: Astrologia germanica et germana: Das ist: Eine neuerfundene geographische Astrologie: Drinnen der eigentliche und unfehlbahre Dieterich zur höchsten Wunder-kammer Gottes an zu treffen stehet und die zeither unerforschliche auch allen Mercuriis unbewuste Vermählung des Himmels mit der Erden dergestalt augenscheinlich dargethan und mit unleugbaren Beyspielen durch alle und einzelne Plätze des Firmaments beleget wird; dass auch ein jeder ungelahrter nach diesem die Sterne-kunst drauss verstehen und dero Krafft oder Zeichen unschwer erlernen kan (…), Leipzig 1665 (VD17 14:073118R).
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haftigkeit reduziert, weshalb Ursache und Zeichen im Kometenbild nicht mehr dual verbunden sind, sondern getrennte Aspekte darstellen.149 Wie oben erwähnt, unternimmt der Altdorfer Mathematikprofessor Abdias Trew (1579–1669) einen der letzten ernsthaften Reformversuche der Astrologie als Wissenschaft, der wesentlich in ihrer deutlichen Begrenzung hinsichtlich des Deutungspotentials im Rahmen einer judizialen Individualhoroskopie sowie bezüglich ihrer theologischen Dimension als Erkenntnisinstrument des göttlichen Willens besteht.150 Brosseder charakterisiert Trews Unterfangen als Versuch, die Astrologie als Instrument zu konservieren, das Einblicke in das physikalische und physiologische Geschehen erlaube und damit auf ihre Nützlichkeit rekurriere.151 Seine sowie die Ausführungen Megerlins bezeugen jedoch, dass selbst Verfechter einer positiven Haltung zur Astrologie Mitte des 17. Jahrhunderts diese nur in transformierter – oft reduzierter – Form akzeptieren können. Auf der anderen Seite veranschaulichen diese Vorstellungen eindrücklich die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität der Astrologie als wissenschaftlichen Disziplin und in Bezug auf ihre funktionale Rolle als Medium der Kontingenzbewältigung. So bedeuten Entwicklungen auf theoretischem Gebiet oder neue Erkenntnisse nicht per se ein Zurückdrängen der Astrologie, sondern können vielmehr integriert und für eine neuartige Interpretation der Kometenbedeutung fruchtbar gemacht werden.152 Die Vorstellung, dass Kometen aus den Ausdünstungen oder allgemeiner der Materie von Planeten bestehen, wird z. B. von Hevelius als Untermauerung der astrologischen Deutung der Farbigkeit von Kometen als Indikator ihrer planetarischen Natur herangezogen, das astrologische Konzept also mit dem erklärenden Element der Theorie begründet.153 Die Präsenz „kopernikanischer“ – wie bei Megerlin – oder auch „cartesischer“154 Astrologien verdeutlicht die kosmologische Invarianz der Sterndeutungs-
149 Der Wittenberger Astronomieprofessor Christoph Nothnagel verknüpft mit der historischen Legitimierung der Kometenbedeutung die ursächliche Erklärung der Kometen durch Gott im Gegensatz zu einer natürlichen Kausalität, vgl. dazu Krohn: Kometenobservationen in der Mitte des 17. Jahrhunderts, S. 37–40. 150 Vgl. dazu Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 297–299. 151 Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 298. 152 Siehe dazu Brosseder: Im Bann der Sterne, S. 304–308. 153 [8.20] Hevelius, Johannes: Cometographia, totam naturam cometarum; utpote sedem, parallaxes, distantias, ortum & interitum, capitum, caudarumque diversas facies, affectionesque, nec non motum eorum summe admirandum, beneficio unius, ejusque fixae & convenientis hypotheseos exhibens. in qui, universa super phaenomena, quaestionesque de cometis omnes, rationibus evidentibus deducuntur, demonstrantur, ac iconibus aeri incisis plurimis illustrantur. comprimis vero cometae anno 1662, 1661, 1664 & 1665 (…), cum peculiari tabula cometarum universali, Danzig 1668, S. 388. 154 Ein Beispiel dafür bilden die Werke des cartesianischen Mathematikers Johannes Placentinus, siehe z. B. [8.38] Placentinus, Johannes: Astronomica & astrologica observatio cometae terribilis (…) Das ist astronomische und astrologische Observation des er-
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8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
kunst und gleichsam deren Adaptation an sich wandelnde epistemologische Standards.155 Gerade die langsame Entwicklung und graduelle transformative Anpassung der Astrologie sichert dabei langfristig ihr Überleben in anderen Kontexten und in anderer Form.156 Dennoch ist beginnend mit der zweiten Jahrhunderthälfte ein schleichender Prozess der Marginalisierung der Astrologie im Kanon der Wissenschaften sichtbar. 8.3 Die Aufspaltung der Diskurse Der im vorangegangenen Abschnitt angerissene graduelle Niedergang der Astrologie als wissenschaftlicher Disziplin ist kein linearer oder kohärenter, sondern komplexer Prozess, dessen vielfältige Ursachen, Faktoren und Folgen ein eigenes Thema bilden, das in seiner Breite hier nicht annähernd dargestellt werden kann. Die Analyse der Entwicklung des volkssprachlichen Kometendiskurses offenbart jedoch, auf welche Weise die Marginalisierung der Astrologie in einem begrenzten Themenfeld und Diskursraum ablaufen und mit welchen Begleitumständen sie verbunden sein kann. Dazu gehören z. B. soziale Abwertungsprozesse, welche die Disziplin selber und auch diejenigen, die sie praktizieren, betreffen und die z. B. am Reputationsverlust der Astrologie sichtbar sind. Dies kann sich darin ausdrücken, dass deren metaphysisches Fundament negiert sowie ihre Prognosen als unsicheres Wissen charakterisiert werden oder z. B. auch darin, dass sie zum Gegenstand von Parodie wird.157 Es zeigt sich aber auch da-
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schrecklichen und noch in dem Februario dieses Jahrs scheinenden Comet-sterns wie auch der traurigen Verfinsterung des königl. Fixsterns oculi tauri, welcher im vergangnen Jahr den 21. Mart. s. v. umb 9 uhr des Abends von dem Mond ist bedecket und umb 10 uhr widerumb gesehen worden, Frankfurt an der Oder 1665 (VD17 1:071383A). Siehe dazu Omodeo, Pietro D.: Central European Polemics over Descartes: Johannes Placentinus and His Academic Opponents at Frankfurt on Oder (1653–1656), in: History of Universities 29/1 (2016), S. 29–64. Der französische Cartesianer Claude Gadroys veröffentlicht mit seinem Discours sur les influences des astres (1671) eine mechanistische Form der Astrologie, um die Disziplin zu rehabilitieren und gegen Angriffe zu verteidigen, vgl. dazu Bowden, Mary Ellen: The Scientific Revolution in Astrology. The English Reformers, 1558–1686, Diss. Yale University 1974, S. 197–202 sowie Bachelard, Gaston: Un livre d’un nommé R. Descartes, in: Archéion XIX (1937), S. 161–171. Die historische Interpretation, dass der „Konsens der Gelehrten in der Ablehnung“ der Astrologie „der Verbreitung und Anerkennung des gewandelten Weltbildes“ zuzuschreiben sei – hier von Baasner formuliert, aber auch an anderen Stellen zu finden – greift daher zu kurz, vgl. Baasner: Das Lob der Sternkunst, S. 207. Siehe dazu Stuckrad: Geschichte der Astrologie, S. 264–286. Ebenso wie das generelle Thema der Astrologiekritik ist auch deren Parodierung ein älteres Phänomen, vgl. dazu Pfister, Silvia: Parodien astrologisch-prophetischen Schrifttums. 1470–1590. Textform, Entstehung, Vermittlung, Funktion, Baden-Baden 1990 (Saecula spiritalia 22) [zugl. Diss. Universität Bamberg 1988].
8.3 Die Aufspaltung der Diskurse
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rin, dass die „heavenly practitioners“158 schlichtweg aufhören, Astrologie zu betreiben ohne sie explizit abzulehnen oder gar konkret zu bekämpfen, sondern eher, indem sie als relevantes Themen- und Beschäftigungsfeld mehr und mehr vernachlässigt wird.159 Auf diese Weise kann man zwei Arbeiten Kirchers zum Kometen 1664 verstehen. Der jesuitische Universalgelehrte observiert das Himmelsphänomen in Rom vom 20. Dezember 1664 bis zum 11. März 1665 und verbreitet seine Beobachtungen in dem Einblattdruck Kurtzer Bericht von dem Cometen und dessen Lauf, den er an seine astronomisch interessierten Korrespondenten verschickt.160 Der primäre Adressat des Observationsberichtes ist Herzog August der Jüngere zu Braunschweig und Lüneburg, der durch seinen Kunstagenten Philipp Hainhofer angeregt worden ist, die Wolfenbütteler Flugschriftensammlung anzulegen und die Drucklegung des Berichts auf der Grundlage eines handschriftlichen Autografs von Kircher und einer beigelegten Grafik veranlasst.161 Es gibt von diesem Flugblatt eine lateinische Variante Iter Cometae anni 1664, die ebenfalls auf Veranlassung des Herzogs erscheint.162 Er möchte durch die Publikation von Kirchers Bericht nicht zuletzt mit Stolz seine Teilhabe an der ausgedehnten Korrespondenz dokumentieren, welche die europäische Bildungselite über den Kometen führt.163 Die inhaltliche und formale Gestaltung entspricht dieser Funk-
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Westman benutzt diesen Ausdruck als Sammelbegriff für diejenigen, die sich in der Frühen Neuzeit an verschiedenen Wissensstätten mit Astrologie beschäftigten, vgl. Westman: The Copernican Question, S. 247. 159 Rienk Vermij hat einen ähnlich gelagerten Prozess für die niederländische Astronomie des 17. Jahrhunderts beschrieben, siehe Vermij: The Marginalization of Astrology. 160 [8.23] Kircher, Athanasius: Kurtzer Bericht von dem Cometen und dessen Lauf welcher Gestalt derselbe den 4/14. Decembris des vorigen 1664 Jahrs in Rom gesehen und daselbst von gemeltem Dato an biss auf den 20/30 desselben Monats observiret werden können ubergesandt an den durchleuchtigsten Fürsten und Herrn Herrn Augustum Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg, s. l. 1665 (VD17 12:640826L). Siehe dazu Fletcher, John E.: Astronomy in the Life and Correspondence of Athanasius Kircher, in: Isis 61/1 (1970), S. 52–67. Zu Kircher als Astronomen siehe die umfassende Monographie von Siebert: Die große kosmologische Kontroverse. 161 Zu Details und Umständen der Publikation des Kometendrucks siehe Gehrke, Stefanie: Die Kometen der Jahre 1664/65 und ihre Deutung, in: Heitzmann, Christian (Hrsg.): Die Sterne lügen nicht. Astrologie und Astronomie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2008 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 90), S. 170–177. 162 [8.22] Kircher, Athanasius: Iter Cometae anni 1664 a 14. Decemb. usque ad 30 Romae observatum. ad serenissimum principem Augustum, Ducem Brusvic. et Luneburg. Rom, 3. Januar 1665, s. l. 1665. Zur Beziehung Kirchers mit Herzog August siehe Strasser, Gerhard F.: Athanasius Kirchers Verbindungen mit Herzog August und dem Haus Braunschweig-Lüneburg, in: Fletcher, John E. (Hrsg.): Athanasius Kircher und seine Beziehungen zum gelehrten Europa seiner Zeit, Wiesbaden 1988 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 17), S. 69–78 sowie Fletcher, John E.: Athanasius Kircher and Duke August of Brunswick-Lüneburg. A Chronicle of Friendship, in: Fletcher, John E. (Hrsg.): Athanasius Kircher und seine Beziehungen zum gelehrten Europa seiner Zeit, S. 99–138. 163 Vgl. Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit, S. 98.
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8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
tion: Der Einblattdruck ist sachlich und auf die Beobachtungsbeschreibung reduziert, quantitative Daten werden in exakter Form, wenn auch gerundet geliefert. Der Observationsbericht ist nach den folgenden sechs Parametern strukturiert, die bei einer Kometenerscheinung zu beachten seien: Sitz, Lauf, Gestalt, Schein, Ort und Schweifrichtung. Im Vergleich zum traditionellen Parameterkatalog der klassischen Kometenflugschrift fehlen hier Größe, Farbe, Dauer der Erscheinung und Stellung zur Sonne und damit genau jene Punkte, die primär für eine astrologische Kometenexegese und weniger für die mathematische Beschreibung und das theoretische Verständnis der Kometennatur relevant sind. So stehen etwa die Größe oder die Erscheinungsdauer nach kometomantischer Tradition in einem direkten Verhältnis zu Intensität und Dauer der zu erwartenden Kometenwirkung, sind aber anders als etwa der Kometenlauf oder Kometenort keine entscheidenden Elemente einer spezifischen naturkundlichen Theorie im Vergleich zu einer anderen. Den Schein – der nach astrologischer Deutung ebenfalls den Grad der Kometenwirkung bestimmt – behandelt Kircher als Phänomen der Observation: Die teleskopisch für ihn erkennbaren Strukturen im Kometenkopf, der „ein helles Corpus zu seyn bemercket worden / und hat ein Ansehen wie der Mond / wan Dünste vor ihme stehen“164, lassen Rückschlüsse auf die materielle Zusammensetzung des Kometen zu, die Kircher zwar nicht expliziert, die vor dem Hintergrund der von ihm propagierten Idee, dass Kometen aus den Exhalationen anderer Himmelskörper be- und entstehen, für einen mit diesen theoretischen Fragen vertrauten Rezipienten durchaus relevant sind. Die Kometenposition in Bezug zu Sternbildern, also der Ort der Ersterscheinung des Kometen in der Wasserschlange und unter dem Schnabel des Raben, erscheint als reine Ortsangabe und liefert Kircher keinen Anlass für eine Bedeutungsinterpretation dieser Sternbilder. Planetenaspekte finden ebenso wenig Erwähnung wie eine Ausdeutung der vom Kometen durchlaufenen Tierkreiszeichen. Kirchers Einblattdruck ist bilingual, da sich die deutschsprachige und die lateinische Fassung nicht unterscheiden. Harms sieht hier die curiositas als Bindeglied zwischen einer lateinisch fundierten und einer über die Volkssprache vermittelten Gelehrsamkeit, die sich in einem lebhaften Interesse an empirischen Daten beim Autor wie beim Adressaten sowie einer gewissen Distanz zum landläufigem Interesse an Deutungen manifestiere.165 Eine Segmentierung des Kometendiskurses lässt sich daher nicht zwangsläufig an der sprachlichen Form ablesen, die andere oder spezifischere Inhalte für die deutschsprachige und die des Lateinischen mächtige Leserschaft – was ja meistens mit einem bestimmten Bildungsgrad einherging – anbietet. Der Observationsbericht steht seiner Form und Funktion nach im Zeichen der naturkundlichen Erklärung und dient dem Datenaustausch zum Zweck einer fundierten Hypothesenbildung
164 [8.23] Kircher: Kurtzer Bericht von dem Cometen. 165 Harms: Der kundige Laie und das naturkundliche illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit, S. 242.
8.3 Die Aufspaltung der Diskurse
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im Kontext der gesamteuropäischen Kometenkorrespondenz. Wie oben erwähnt, ist Kircher die zentrale Figur in einem weltweiten Kommunikationsnetzwerk über Astronomie und konzipiert und gestaltet seine Kometenschrift spezifisch für diese Funktion und diesen Adressatenkreis. Er entschuldigt sich gegenüber einem Vertreter dieser Zielgruppe, Hevelius, für die „imbecility of my mind“, die in dem seinem Brief beigefügten Einblattdruck durchscheine, den er abwertend-apologetisch als Pamphlet beschreibt, „encouraged by the constant urgings of countless princes“.166 Kircher ist es wichtig, sich von dieser Art kometomantischer Ausdeutung zu distanzieren. So konstatiert er etwa: „Von seinen Wirckungen und was er bedeutet weis ich nichts zu sagen! demnach uns nicht geziemet vorwitziglich viel zu beschreiben / was Gott der Herr / der alle zukünfftige Dinge voraus weis / hiemit anzeigen wolle.“167 Astrologische Implikationen der gelieferten Beobachtungsdaten deutet er in seinem kurzen Text höchstens an und schreibt nach der Beschreibung der Farbe des Kometen z. B.: „Daher die Astrologi und Sternseher wollen / das er Martialisch und Saturnisch sey / und haben diese Stadt Rom mit ihren subtilen Wahrsagungen nicht ohne etlicher Leute Gefahr fast Thorhafft gemachet.“168 Dass Kircher hier durchaus auch seine Kollegen anspricht, zeigen die Geschehnisse um die sogenannten Kometeneier: Über diese wird im Zusammenhang mit den Kometen 1664 in Warschau – von Lubienietzki kolportiert – und 1680 in Rom berichtet, was sich auch in deutschen Flugschriften niederschlägt.169 Die Eier zeigen Abbildungen der Kometen sowie von Schwertern und Sternen auf ihren Schalen und sorgen für einigen Aufruhr, der auch vor den Gelehrten des Collegium Romanum, also der höchsten Bildungsinstanz der Jesuiten sowie dem französischen Journal des Scavans nicht Halt macht, welches 1681 einen bebilderten Bericht über das römische Kometenei abdruckt.170 Kirchers implizite Kritik der Astro-
166 Es handelt sich hierbei um übersetzte Zitate des letzten bekannten Brief Kirchers an Hevelius, in dem dieser den Danziger Astronomen um seine Meinung zum Kometen von 1665 bittet, zitiert nach Fletcher: Astronomy in the Life and Correspondence of Athanasius Kircher, S. 67. 167 [8.23] Kircher: Kurtzer Bericht von dem Cometen. 168 Ebd. 169 Vgl. z. B. [8.1] Anon.: Der erschreckliche und recht wunderseltzsam geschwänzte Comet, welcher am 16. Novembr. N. Cal. 1680 im Marggraffthumb Meissen OberLausitz auch vielen andern Provintzien und Orthen mit Erstaunung vieler frommer Christen ist gesehen worden. Wie solchen etliche vornehme Gelehrte Astrologi observiret und beschrieben. Dabey auch das wunder-neue und den 4. Decembr. 1680 In Rom von einer Henne gelegte Ey von welchem auch zum Ende weniger Nachricht zu finden ist, s. l. 1680 (VD17 3:628850N) sowie [8.7] Anon.: Wahre Abbildung des Cometen wie solcher über Rom den 2 Decemb. Monntags in der Nacht in diesem 1680 Jahr erschienen un im Zeichen der Jungfrauen des 13 Grads gesehen worden eben in dieser Nacht ungefähr um 8 Uhr hat eine Henne so niemals ein Ey geleget, mit grossem Geräusch un ungewöhnlichen Geschrey ein ey von gegenwärtiger Grösse und Gestalt mit Sternen und Strahlen wie hier abgebildet zu sehen, geleget, Nürnberg 1680 (VD17 12:666995M). 170 Vgl. dazu Schnechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 120–123.
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8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
logie bezieht sich also auf ihre „Gefahren“ und seiner Ansicht nach lächerlichen Auswüchse. Die Kometeneier werden von gelehrter Seite zwar sehr skeptisch dargestellt, jedoch nicht rundheraus als zu ignorierender Unsinn abgelehnt. Insgesamt geht es hier aber weniger um inhaltliche oder wissenschaftstheoretische Fragen, sondern um eine Abgrenzung zu einer Form von Vulgärastrologie, nicht zuletzt als Folge des oben thematisierten epistemologischen Prozesses der Marginalisierung der Sterndeutungskunst. Die Zurückweisung der Astrologie durch deren Diffamierung als rein populärer Volks- oder Aberglauben ist Ausdruck des Reputationsverlusts und der sozialen Abwertung der Disziplin.171 Diese Segmentierung des Kometendiskurses auf sozialer Ebene zeigt sich demnach in Form einer deutlicheren Adressierung begrenzter Rezipientengruppen, ist jedoch auch auf Autorenseite sichtbar. Das heißt nicht nur, dass Fachleute vermehrt für Fachleute schreiben und diejenigen, die keine direkten Angehörigen der universitär-akademischen Welt sind, aus dem Kreis der Verfasser von Kometenschriften verschwinden, sondern dass auch letztere ihre Werke an spezifischere Adressaten richten. Der berühmte gemeine Mann als explizit Angesprochener sowie die in formelhaften Wendungen gefassten Verweise einiger Autoren auf ihre lateinischen Traktate, die in verschiedener Weise andere, detailliertere oder anspruchsvollere Inhalte böten als die deutschsprachigen, sind seit jeher sichtbarer Ausdruck einer Verschiedenheit von gelehrter und ungelehrter oder populärer Wissenskultur. Trotzdem sind beide Kulturen in den Flugschriften auf vielfältige Weise präsent und in dieser Präsenz miteinander verbunden. Wenn der oben bereits behandelte Vulpius jedoch bestimmte Fragen etwa der aktuellen Kometendebatte als für seine Leser irrelevant ausschließt oder nahezu ehrfurchtsvoll von den „tiefsinnigen Gelehrten“172, deren Instrumenten und Beobachtungen spricht, so suggeriert er subtil einen Abstand zwischen diesen und sich selbst. Als Autor fungiert er als referierender, aber distanzierter Berichterstatter, der weder eigene Observationen unternommen hat noch auf der Höhe der aktuellen Forschungsdiskussion ist. Diese soziale Segmentierung spiegelt sich zudem auf der Ebene der Aufbereitung und Präsentation von Kometenwissen und -bildern wider, greifbar an der genremäßigen Differenzierung der Kometenliteratur. Ein Beispiel dafür ist das vermehrte Auftreten von Dialogen oder ähnlichen Werken, die sowohl in der gelehrten als auch populären Literatur eine lange Tradition haben. Über ihre textsortenspezifischen Konventionen bieten sie nicht nur die Möglichkeit, die Vielfalt oder das Nebeneinander theoretischer
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Nouhuys hat gegenüber dieser von Schechner stark gemachten soziologischen Erklärung des Niedergangs der prognostischen oder divinatorischen Kometendeutung betont, dass die epistemologische Dimension des Problems, das sich im Übrigen auch in zeitgleich stattfindenden und ebenso komplexen Ablehnungsprozessen der Magie oder Alchemie manifestiere, nicht zu unterschätzen sei, vgl. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 377–380. [8.55] Vulpius: Cometologia oder historischer Discurs, Bl. C 4r.
8.3 Die Aufspaltung der Diskurse
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Konzepte und Meinungen darzustellen, indem etwa die Verfassermeinung und -intention verborgen oder gar nicht erst thematisiert wird. Dieses literarische Genre erlaubt zudem, den Dialog- oder Gesprächsteilnehmern verschiedene inhaltliche Positionen zuzuordnen oder sie unterschiedliche disziplinäre Zugehörigkeiten vertreten zu lassen und den Gegenstand damit aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten oder kontroverse Standpunkte zu diskutieren. Beispielhaft dafür ist etwa die Kometenflugschrift Vertraulich und Erbaulich Cometen-Gespräch, in der sich ein Weltgesinnter und ein Gottesfürchtiger unterhalten.173 Der anonyme Verfasser begründet die dialogische Darstellungsform damit „weil doch diese Art zu handeln und zu schreiben / denen Einfältigen am bequemsten scheinet.“174 Im Reise Discurs des niederländischen Priesters und reformierten Theologen Franciscus Ridderus (1620–1683), der erstmals in Rotterdam und übersetzt in Leipzig erscheint, debattieren ein Student, ein Bürger und ein Reisender über die Natur und Bedeutung von Kometen.175 Diese Gestaltung der Protagonisten erfolgt damit weniger entlang disziplinärer Grenzen, als vielmehr der von Status und besonders Bildung. Der Student und der Reisende stellen hierbei die Vertreter der Bildungsschicht dar, die den Bürger informieren und belehren, wobei der Student eine recht traditionelle Kometentheorie präsentiert und Kometen als natürliche Ursachen darstellt, während der ebenfalls informierte und offenkundig akademisch gebildete Reisende die Position vertritt, dass sie tatsächlich vorbedeutende Zeichen seien, wovon er den Studenten schließlich auch überzeugt. Nicht nur wird damit eine scharfe Trennlinie zwischen einer naturkundlichen und einer theologischen Kometenkonzeption gezogen, sondern letzterer auch eine größere Relevanz zugeschrieben. Ridderus konstatiert, dass die „Sternen-Guckerey“ zwar nicht seine Profession sei, er aber die große Ungewissheit sehe, die diese
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[8.6] Anon.: Vertraulich und erbaulich Cometen-gespräch sonderlich des Inhalts ob Cometen Gutes oder Böses bedeuten. Bey den neulich zu End des 1664sten Jahrs entstandnen schrecklichen Cometen von zwey ungleichen Personen Pyrrhonio einen Weltgesinnten und Eusebio einen Gottesfürchtigen gehalten. Beyläufig gemercket und in Druck gegeben, s. l. 1665 (VD17 12:642247G). Dieselbe Schrift erscheint 1681 mit einer Widmungsepistel an den sächsischen Geheimrat Gebhardt von Alvensleben unter anderem Titel erneut: [8.2] Anon.: Dialogus de tempore oder Zeitgespräch, sonderlich über der Frage: Ob Cometen Gutes oder Böses bedeuten? Vormahls bey dem Cometen des 1664sten Jahres von zwo ungleich-gesinnten Personen gehalten angemerckt und in Druck gegeben: Itzo aber nach Veranlassung dess unlängst zu Aussgang dess 1680. und Anfang des itzt lauffenden 1681sten Jahres abermahls erschienenen weit schrecklichern und ungeheuer-grossen Comet-sterns, auf vielfältiges Ersuchen verneuert und wieder aufgelegt, Halle 1681 (VD17 7:694959S). [8.6] Anon.: Vertraulich und erbaulich Cometen-gespräch, Bl. A 2v. [8.46] Ridderus, Franciscus: Reise-discurs auff die Erscheinung des Comet-sterns der vors erste Mahl gesehen worden am 5. (15.) Decembr. 1664 und noch ferner im Jahre 1665. Zwischen einem Studenten Bürger und Reisenden, Leipzig 1665 (VD17 14:072879W). Diese Schrift erscheint im selben Jahr auch auf Niederländisch unter dem Titel Reys-Discours, siehe Jorink: Reading the Book of Nature, S. 151.
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8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
hervorbringe: „Wie viel die Lehrmeister selbst differiren und streiten in ihren Judiciis und Observationen / wissen die am besten / die ihre Bücher gelesen haben.“176 Er suggeriert damit eine Distanz zwischen den Gelehrten und sich selbst und auch seiner anvisierten Leserschaft. Ridderus ist ein Vertreter der sogenannten ‚Further Reformation‘ – also der Bewegung in der niederländisch-reformierten Kirche, die Reformation weiterzuführen bzw. zu vertiefen – und sieht ein wichtiges Ziel seines volkssprachlichen literarischen Schaffens darin, die einfachen Leute gegenüber allen Formen des Atheismus zu instruieren.177 Vor diesem Hintergrund kann die Intention seines Kometenwerkes verstanden werden; gleichzeitig veranschaulicht sich darin eine konkrete Ausgestaltung bezüglich einer bestimmten und recht eng gefassten Zielgruppe. Häufig ist diese Form der beschriebenen sozialen Differenzierung des Kometendiskurses mit einer Segmentierung auf disziplinärer Ebene verbunden. Diese zeigt sich zunächst als strukturelle Trennung innerhalb einzelner Werke, indem einzelne Zugänge oder Interpretationsweisen des Kometenphänomens vermehrt separat und unverbunden dargestellt werden. Zudem werden einige Schriften oberflächlicher in dem Sinne, dass sie einen diskursabbildenden Überblick bieten, der bewusst Details auslässt, weniger persuasiv verfasst ist und in welchem sich viele Autoren auch nicht mehr eindeutig positionieren. Damit werden auch die argumentativen Bezüge zwischen den einzelnen Kontextgebieten weniger, da die Legitimierung vermehrt innerhalb der disziplinären Kontexte selbst erfolgt. Dies mündet in einer Zunahme von Schriften, die das Kometenthema lediglich aus einer dieser inhaltlichen Perspektiven heraus behandeln und die anderen Dimensionen ausblenden. Als beispielhaft zu nennen wären hier etwa reine Observationsberichte, die sich tatsächlich auf die Vermittlung von Beobachtungsergebnissen in Form quantitativer Daten oder deren Visualisierungen beschränken, wie folgender bilingualer Einblattdruck zum Kometen 1652 (siehe Abbildung 8.3) veranschaulicht, dessen Begleittext sich jeder Art von Deutung ebenso enthält wie einer Erwähnung der göttlichen Zeichenhaftigkeit von Kometen, aber auch einer Thematisierung ihrer Theorie.178
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[8.46] Ridderus: Reise-discurs auff die Erscheinung des Comet-sterns, Bl. A 1v. Vgl. dazu Wall, Ernestine van der: The Religious Context of the Early Dutch Enlightenment. Moral Religion and Society, in: Bunge, Wiep van (Hrsg.): The Early Enlightenment in the Dutch Republic, 1650–1750, Leiden 2003 (Brill’s Studies in Intellectual History 120), S. 39–61, S. 44. [8.5] Anon.: Observationes cometae anni 1652. Fere vespertinae cum meridiabat stilo novo, Köln 1653 (VD17 12:640965K).
8.3 Die Aufspaltung der Diskurse
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Abb. 8.3 Kupferstich des anonymen Einblattdrucks Observationes Cometae Anni 1652179
Die ebenfalls anonyme Schrift Kurtzverfasster Historischer Bericht von 1664 beschränkt sich auf eine Liste der Kometenerscheinungen der letzten 100 Jahre sowie deren Folgen ohne jede Art von naturphilosophischer oder theologischer Einbettung, zusätzlichen Erläuterungen oder Definitionen, während das Werk Astrologische Gedanken des Kalenderschreibers und Pfarrers Christoph Neubarth auf immerhin mehr als 30 Seiten ausschließlich die Frage der astrologischen Ausdeutung von Kometen allgemein und der aktuellen Erscheinungen thematisiert und z. B. nur jene astronomischen Daten integriert, die von kometomantischer Bedeutung sind.180 Der bereits erwähnte Tobias Beutel behandelt dagegen verschiedene Kometendimensionen in eigenen 179
Abbildung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res 2 Astr. Sp. 20, Titelillustration, http:// www.gbv.de/vd/vd17/12:640965K. 180 [8.3] Anon.: Kurtzverfasster historischer Bericht aller der jenigen Cometen so innerhalb hundert Jahren das ist vom Jahre 1566 biss auff das jetzige 1664. Jahr. sonderlichs den 18. Decem. st. n. zu Augspurg und dann ferner zu Nürnberg Strassburg Hamburg Lübeck Leipzig und anderer Orten ist erschienen. Samt dero darauf erfolgeten Würckungen, s. l. 1664 (VD17 12:642177W) sowie [8.31] Neubarth, Christoph: Astro logische Gedancken uber die zween neulich entstandene erschreckliche Comet- sterne: Deren einer im Christ-monat verwichenen 1664. Jahres und der ander
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8 Die Kometen der 1660er Jahre: Die Differenzierung des Diskurses
Schriften mit entsprechendem thematischen Fokus: Sein Werk Dreyfache Zugabe der Admiribilium in Aere et Aethere hat z. B. einen theologischen Schwerpunkt, was Beutel damit begründet, dass er in seinen anderen Traktaten bereits die physikalische Seite und damit die natürlichen Kometenursachen behandelt habe.181 Das folgende Beispiel eines Regensburger Einblattdrucks (siehe Abbildung 8.4) zeigt, dass Kometenschriften auch als reine Sensationsbilder funktionieren, die vollständig reduziert auf das Ereignis der Erscheinung sind und weder quantitative Daten, noch theoretische Erläuterungen und auch keinerlei astrologische oder theologische Ausdeutung beinhalten:182
Abb. 8.4 Anonymer Einblattdruck über den Kometen 1665 in Regensburg183
Als letztes Beispiel für die Aufspaltung des Kometendiskurses wird nun die Schrift Umständliche Beschreibung deß grossen Cometen des Straßburger Dichters und Gymnasialprofessors Johann Matthias Schneuber (1614–1665) näher betrachtet, wobei die
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im Ianuario, dess draufffolgenden 65. Jahre erschienen und gesehen worden einfältig und ohne Affecten, auffgesetzt und an Tag gegeben, Breslau 1665 (VD17 23:287351Z). Zum Beispiel in diesem: [8.10] Beutel: Dreyfache Zugabe der Admirabilium in aere et aethere. [8.4] Anon.: [Ein Komet über Regensburg] Nuhn lest sich widerum ein Cometh sehen zu Regenspurg, s. l. 1665. Siehe dazu Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 86. Abbildung der Universitätsbibliothek JCS Frankfurt am Main, Gesamtdokument, urn:nbn:de: hebis:30:2–39740.
8.3 Die Aufspaltung der Diskurse
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Segmentierung des einstmals integrierten Kometenbildes sich hier darin zeigt, dass das Kometenmotiv oder vielmehr dessen Deutung in einen anderen disziplinären Kontext, nämlich einen poetisch-allegorischen, übertragen wird.184 In seiner 52 Seiten umfassenden Schrift präsentiert Schneuber den Kometen als Objekt der astronomischen Beobachtung und fachwissenschaftlichen Analyse, dem eine theologische Bedeutungsdimension als Zeichen Gottes zukomme, die in poetischer Form auszubuchstabieren sei. Eine zufriedenstellende naturkundliche Erklärung als Teil dieses dualen Kometenbildes müsse daher auf einer systematischen Observation und der kompetenten Kenntnis und Anwendung einer fundierten Kometentheorie beruhen, jedoch sollte auch die Frage der Siginifikanzermittlung methodisch abgesichert angegangen werden: Den fürwitzigen Pöbel zu befridigen ist eyne leichte Sach / das können auch ungelehrte thun; wie wir dann sehen / daß sie mit nüchterem Geschwätz und kalter Außlegung den gemeynen Man allbereyt abgespeiset haben. Wer sich understehet klugen und verständigen Leuten hierinn genug zu thun / dem fallt solches zumal schwer / und gefährlich. Schwer / weil es keyn geringes Ding ist / solche Sachen zuerforschen / die nicht bloß natürlich seind / sondern immer etwas Göttliches in sich begreiffen / bevorab wann man keyne genugsame Beweißthüm und gründe haben kann / darauff man steiff und gewiß fussen möchte; Gefährlich / weil man mit dergleichen Vorsagungen leichtlich kann zuschanden werden.185
Kometen seien daher nicht nur Zeichen, sondern übten einen physikalischen Einfluss auf die irdische Welt aus: Eynmal ist nicht zulaügnen / daß die andere himmlische Cörper eben so wol ihre stralen / atomos oder Dunststäublin von sich auffschikken und in diesen underen Weltkreys ergiessen / als Sonn und Mon / und die Erde selbs. Dahero ihre wunderbarliche Vermischung auch ihre sonderbahre Krafft und Würkung haben / welche in der Lufft so mancherley Gewitter verursachen / auff Erden die fruchtbarkeyt hindern oder fürdern / ja selbs in dem Menschlichen Leib und gemüth grosse Enderung erwekken.186
184 [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen welcher im Anfang dess Christmonats 1664 erschinen und biss zu End dess Jenners 1665 gestanden: samt beigefügter Abbildung dess gantzen Lauffs und beiläuffiger Bedeutung in underschidliche Kurtzgedichte verfasst, Straßburg 1665 (VD17 23:288074Y). Ebenfalls zum Kometen 1664 publiziert er ein kurzes Sonett in Flugblattform [8.48] Schneuber, Johann Matthias: Epigramma, Straßburg 1664 (VD17 23:698490Q). Zu Schneubers Leben und Werk siehe Dünnhaupt, Gerhard: „Johann Matthias Schneuber“, in: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock 5, Stuttgart 1991, S. 3696–3723. Speziell zu seinem dichterischen Schaffen siehe Jones, William Jervis: Sprachhelden und Sprachverderber. Dokumente zur Erforschung des Fremdwortpurismus im Deutschen (1478–1750), Berlin 1995 (Studia linguistica Germanica 38), S. 375–379. 185 [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. C 2v. 186 [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. C 3r.
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Die Astrologie sollte daher nicht grundsätzlich verworfen werden, bedürfe aber der historisch-empirischen Untermauerung, denn es „können auch etliche Zufäll geschehen ohne vorhergehende Bedeutung / etliche aber und eben dergleichen pflegen sich zuzutragen / die man vorher an gewissen Zeychen kann muthmassen und merken.“187 Um diesen Bedeutungszusammenhang prognostisch zu nutzen, sei die traditionelle Form der Kometomantik nur bedingt sinnvoll, da sie auf keinem sicheren Fundament ruhe: Zu behaupten, ein merkurischer Komet habe diese Bedeutung, einer im Widder jene oder dass ein Komet entsprechend seiner Schweifrichtung bestimmte geographische Regionen oder Völker bedrohe, kommentiert Schneuber folgendermaßen: Das alles / sag ich / scheinet keynen genugsamen Grund zuhaben. Ist es gleich nicht gäntzlich zu verwerffen / sondern mögen wohl etliche muthmassungen dahero geschöpft werden / so hat man sich doch nicht abergläubischer weiß daran zukehren / noch eynen heydnischen schräcken ihm einjagen zulassen. Rathen kann jederman / aber errathen ist eynes spitzfindigern Geystes.188
Auch die Möglichkeit einer Ausdeutung der von einem Kometen durchlaufenen Sternbilder sieht Schneuber skeptisch: Darauff ist zu wissen / das solche Himmelsbilder nichts als eyn lauteres Gedicht seind / von den Stern-Lehrern in Chaldea und Egypten zu dem end erfunden / damit ihre Jünger die Sternen deßto leichter möchten fassen und underscheyden. (…) Aber ich halte solches für keyne Astrologische Gründe; sondern sind vielmehr Gleichnußen und Allegorische Blumen / davon irgend die Poeten ihre Erfindungen hernemmen mögen.189
Letztlich unterliege die konkrete Signifikanz eines Kometen Gottes Allmacht und Willen, daher bleibe jede Form der Ausdeutung nur Mutmaßung. In diesem eingeschränkten Rahmen erscheint eine poetisch-allegorische Interpretation Schneuber angemessener, da sie zum einen eine größere Freiheit der Deutung zulässt und so erlaubt, sich von der engen Sichtweise des Kometen als göttliches Warnzeichen zu emanzipieren.190 Zum anderen korreliert dieser literarische Zugang der Poesie eher mit der epistemischen Relevanz des kometomantischen Unterfangens. Die Bedeutungseruierung ist der Beschreibung und Erklärung des Kometen als natürlichem Phänomen bei- oder nebengeordnet, es besteht jedoch weder ein expliziter Zusammenhang noch eine argumentative Relation.
187 188 189 190
[8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. C 3v. [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. D 1r. [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bll. D 3r–D 4r. Siehe dazu Martin, Dieter: Kometen in der deutschen Barockdichtung, in: Mahlmann-Bauer, Barbara (Hrsg.): Scientiae et artes. Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik, Wiesbaden 2004 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 38), S. 425–444, S. 440.
8.3 Die Aufspaltung der Diskurse
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Schneuber betont grundsätzlich das Primat der Beobachtung in der Erforschung von Kometen, denn vielleicht würde ein mancher noch ohnerörteter Streit in Erkantnus der Cometen / auß gegenhaltung so viler wolgegründter observationum, könen geschlichtet werden. Und würde man erfahren / ob der Scaliger oder Cardanus recht hab? Ob die Cometen under oder über dem Mon gezeüget werden. Ob ihr Lauff grad über sich / wie ein Raket / steige / oder einen zirkelbogen mache? Ob sie eine Parallaxin haben / oder nicht? Und was dergleichen widerwärtige Meynung mehr vorkommen. (…) Solcher nutz / sag ich / würde darauß erfolgen / wann man an vilen underschidlichen Orten rechtschaffene anstalt machte / dergleichen Phaenomena und erscheinung / als die Cometen seind / Kunstgemäß in acht zunemmen.191
Obwohl kein Mathematicus, beobachtet auch er den Kometen und sieht die Veröffentlichung der Ergebnisse als seine Pflicht an, wenn er auch betont, dass er aufgrund des Fehlens geeigneter Instrumente nur ungenaue Daten liefern könne. Im ersten Teil seines Werkes geht Schneuber die Frage der theoretischen Erklärung der Himmelsphänomene daher doxographisch an, indem er verschiedene alte und jüngere Kometentheorien diskutiert und deren Plausibilität im Lichte zeitgenössischer Entwicklungen bewertet. Nachdem er die allgemeine Bedeutung von Kometen als „erschröckliches Zeychen / eine dreüende Ruthe / ein Verkhündiger Göttlichen Zorns / und Vorbott viler künfftigen Plagen“192 charakterisiert, referiert er zunächst die aristotelisch-meteorologische Theorie, um dann zu betonen, dass Apian erwiesen habe, dass Kometen keine Flammen, sondern von der Sonne erleuchtete Körper seien: „Nimt mich also wunder / daß bei den obangeregten abrissen / so mir under die hand kommen / etliche in der Beschreibung des jetzigen Cometen noch an der alten meynung hangen / und mit dünstiger Brunst / ihren brünstigen Dunst zu behaupten sich understehen.“193 Schneuber meint im Gegensatz zu einigen seiner Zeitgenossen, dass Kometen natürlicherweise und ohne „eyne ohnmittelbare Göttliche Erschaffung / alte oder neüe“ entstehen, was auch die korrekte Prognose von Kometen, etwa von David Herlitz oder Eberhard Welper, bestätigen würde, wenn auch immer „etwas Göttliches mit einlauffe / welches die gantze Verrichtung des Cometen in seinem bedeutenden Lauff regiere / leyte und führe.“194 Die meisten und bedeutendsten Gelehrten würden Kometen heute für supralunare, ätherische Körper halten und diese Theorie hält auch Schneuber für plausibel, wenn er nach einer Diskussion der wesentlichen Argumente dafür jedoch auch zu dem Schluss kommt, dass Kometen nicht notwendig oder immer über dem Mond sein müssten und es nicht auszuschließen sei, dass ihre Materie irdi191 192 193 194
[8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. B 1r. [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. A 3r. [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. B 2r. [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bll. B 2v, B 3r.
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schen Ursprungs sei. Über die von ihm abschließend dargestellte neueste Theorie, dass planetarische Ausdünstungen die Kometen als kristalline Körper entstehen ließen, urteilt er daher zurückhaltend: „Was von dieser meynung zuhalten / will ich gelehrtere Leut darüber urtheylen lassen / und mit keinem gefährlichen Vorgriff mich übereilen.“195 Nach diesem einleitenden theoretischen Teil folgt Schneubers Observationsbericht, strukturiert nach den 13 Tagen seiner Beobachtung zwischen dem 8. Dezember und dem 24. Januar. Zu jeder Beobachtung hat er ein – auf Latein und auf Deutsch dargebotenes – Epigramm verfasst, das die Signifikanz des Kometen umschreibt, was Schneuber aber nicht als unfehlbare Weissagung verstanden wissen will, sondern als freie poetische Anspielung.196 Nüchterne Daten und allegorische Deutung werden verbunden, um im Gewand von Dichtung moralische Mahnungen, erbauliche Interpretationen und prognostisch-diagnostische Kommentare zu aktuellem politisch-gesellschaftlichen oder religiösen Geschehen zu geben.197 Damit spiegelt sich die oben angesprochene Parallelität von exakter Observation und poetischer Deutung in der Struktur der Kometenflugschrift des Straßburger Dichters wider, wie das folgende Beispiel seiner Darstellung der dritten Kometenbeobachtung zeigt (siehe Abbildung 8.5):
Abb. 8.5 Observation und Deutung in Schneubers Umständlicher Beschreibung (1665)198
Schon die Ersterscheinung des Kometen und dessen Aussehen stellt Schneuber zu Beginn des Observationsberichts mittels eines Sonnetts199 dar und auch nun nimmt er die aus den systematisch aufgeführten und mit Fachtermini bezeichneten Beobachtungsergebnissen extrahierte Position des Kometen am Himmel zum Anlass, die [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. C 2r. Vgl. [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. B 1v. Siehe dazu Martin: Kometen in der deutschen Barockdichtung, S. 438–440. [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bll. E 2r–E 2v. Abbildung des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte, http://echo.mpiwg-berlin.mpg. de/MPIWG:3BHGTHQT. 199 Vgl. [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. D 4v.
195 196 197 198
8.3 Die Aufspaltung der Diskurse
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Information poetisch zu verarbeiten. Zu den Observationsparametern gehören z. B. die Entfernung des Kometen zu zwei nahen Fixsternen, dessen Länge, Breite und Horizonthöhe oder seine an diesem Tag zurückgelegte Entfernung. Dies sind astronomisch relevante Daten und nicht solche, die klassischerweise Grundlage einer astrologischen Ausdeutung sind. Die Bedeutungsermittlung ist vom Bereich der Beobachtung, Beschreibung und Erklärung des Kometen geschieden, sie findet stattdessen im Kontext literarischer Kunst statt, was einer transformativen Umformung der Interpretationsweise von Naturphänomenen entspricht. Diese Behandlung des Kometenmotivs im Rahmen der Dichtung und Poesie bedeutet einerseits eine Öffnung des Kometendiskurses durch die Herauslösung des Kometenmotivs aus gängigen Deutungsmustern200 und ist damit Ausdruck zunehmend unterschiedlicher Darstellungsintentionen seitens der Autoren der Flugschriften sowie divergierender Erkenntnisinteressen, die auf Rezipientenseite präsent sind. Wie Schneuber konstatiert, sind Kometen aufsehenerregende Medienereignisse: „Man schreibt davon in Zeitungen / man lauf zusammen / man zeygt sie mit Fingern / man redet in jeden Gesellschafften davon / man fragt wie oder wann / und in was grösse oder schnellem lauff Sie da und dorten gesehen worden seien.“201 Das publizistische Echo, was diese Himmelsphänomene hervorrufen, erscheint aber immer weniger einheitlich insofern als spezifischer gestaltete Schriften für verschiedene Adressatenkreise veröffentlicht werden, die nicht mehr alle traditionell relevanten Aspekte des Kometenthemas behandeln, sondern nur einige: Schneuber selbst z. B. beschränkt sich in seinem Werk im Wesentlichen auf Beobachtung, Beschreibung und Deutung des Kometen, bezüglich der konkreten theoretischen Erklärung bleibt er vage und dokumentierend: Er positioniert sich hier nicht klar, da er sich als Poet für nicht geeignet und kompetent genug hält, um diese Fragen eindeutig zu beantworten. Die thematisierten Aspekte werden dafür mit größerer interpretatorischer und darstellerischer Freiheit auf der einen und engeren genrekonventionellen oder methodologischen Vorgaben auf der anderen Seite dargestellt. Epistemologisch bedeutet das, dass bisherige disziplinäre Erkenntnis- und Zuständigkeitsbereiche abgewertet, andere in transformierter Form aufgewertet sowie neue erschlossen werden. Der traditionelle Diskurs und dessen disziplinäre Verankerung werden auf diese Weise auf soziokultureller und inhaltlicher Ebene segmentiert.
200 Siehe Martin: Kometen in der deutschen Barockdichtung. 201 [8.49] Schneuber: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen, Bl. A 2v.
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8.4 Zusammenfassendes Fazit Dieses Kapitel hat drei Aspekte des Wandels während der 1660er Jahre in der Sichtund Interpretationsweise von Kometen sowie die diskursinhärenten und -externen Prozesse, die zu diesem Wandel beitragen, näher beleuchtet. In diesem Fazit geht es nun darum, besonders die Zusammenhänge zwischen diesen Entwicklungen der Diskursdifferenzierung herauszustellen, die sich auf disziplinärer und sozialer Ebene manifestieren. Eine disziplinäre Segmentierung des Diskurses ist zunächst z. B. Folge der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der präsenten Kometenbilder, die dadurch eine Potenzierung erfährt, dass sich einzelne theoretische Vorstellungen mit verschiedenen Ansichten allgemeineren Charakters – etwa zur naturphilosophischen Weltkonzeption, zum kosmologischen System oder auch zu Fragen der theologischen oder astrologischen Signifikanz von Himmelsphänomenen – kompatibel zeigen. Während einige Autoren Kometen für immerwährende Himmelskörper halten, die sich auf periodischen Bahnen bewegen, halten andere sie für transitorische Objekte oder Neuschöpfungen Gottes; die Kometenvorstellung eines die deutende Sternkunst befürwortenden Kopernikaners steht neben der des Peripatetikers und Astrologiegegners. Wenn auch nur noch von einer Minderheit, wird die Ansicht einer sublunaren Kometenposition noch immer verteidigt und prinzipiell erscheinen klassische aristotelische Konzepte – etwa, dass Kometen aus einer Art exhalativen Materie bestehen oder dass die Natur eines Weltkörpers dessen Bewegungsweise determiniert – auch bei jenen als theorieprägende mentale Modelle präsent, die die meteorologische Kometentheorie strikt ablehnen. Das Beispiel des Traditionalisten Himsel zeigt, wie nah etwa die Idee, dass Kometen Produkte der Atmosphäre von Planeten sind, der aristotelischen Konzeption noch ist, da Himsel in dieser neuen und häufig mit Kircher in Verbindung gebrachten Vorstellung einen Beleg für die Richtigkeit des terrestrischen Kometenursprungs sieht. Der Aspekt des Zusammenhangs von Natur und Bewegungsweise von Kometen erhält z. B. durch die Integration der dynamischen Komponente – wie sie etwa in jenen Ansätzen sichtbar wird, welche die Kometenbewegung auf die Sonne als Ursache zurückführen – eine neue Qualität, die einer Physikalisierung der Kometendebatte insgesamt entspricht, die nun jedoch viel stärker auf der quantitativ-empirischen Basis der Beobachtungen beruht. Auf diese Weise werden traditionelle theoretische und epistemologische Vorstellungen modifiziert und transformiert. Die Vielfalt der Sichtweisen führt auf der Ebene der literarischen Rezeption und Repräsentation dazu, dass vermehrt kompendienhafte Werke oder Übersichtsdarstellungen publiziert werden, die diese Vielfalt dokumentieren ohne selbst eine bestimmte Position oder aber eine vermittelnde zu favorisieren. In dialogischen Publikationen werden die einzelnen Positionen verschiedenen Personen zugeschrieben, die über das Thema diskutieren. Dadurch werden nicht nur die unterschiedlichen Kometentheorien separat dargestellt, sondern auch die sich aus den verschiedenen disziplinären Fel-
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dern und Traditionen speisenden Zugänge zum Kometenthema zunehmend getrennt voneinander behandelt, als parallele Ansätze oder Betrachtungsweisen, die untereinander kaum Verbindungen aufweisen. Dadurch verschwindet nicht nur ein insofern umfassendes Kometenbild, das die verschiedenen Zugänge und Interpretationsweisen zu integrieren trachtet, sondern es kommt zudem zu einer stärker sichtbaren (Be-) Wertung der Relevanz dieser Zugänge. Infolgedessen werden die Kometenflugschriften monothematischer, indem sie nicht mehr alle Zugänge darstellen, sondern einen oder wenige primär fokussieren. Die disziplinäre Differenzierung spiegelt sich daher in einer genremäßigen Aufgliederung der Kometenflugschriften wider: Einige Einblattdrucke kommunizieren nüchterne Beobachtungsdaten, während andere einen Kometen als sensationelles Ereignis thematisieren, wobei der Nachrichtenwert in der Erscheinung selbst, aber nicht der sachlichen Information darüber liegt. Chronikale Werke beschränken sich häufiger auf eine Listung historischer Kometenerscheinungen, während Kometenpredigten über die theologische Bedeutung der Himmelszeichen reflektieren ohne ihre natürliche Dimension zu erwähnen. Wieder andere Schriften gehen hauptsächlich auf eine astrologische Interpretation ein. Diese thematische Spezialisierung ist einerseits den Ansprüchen geschuldet, die mit einer zufriedenstellenden Darstellung bestimmter Aspekte des Themas mittlerweile einhergehen: Die Ermittlung von Observationsdaten, die z. B. für die Problematik der mathematischen Beschreibung eines Kometenorbits brauchbar sein sollen, erfordern Präzision und eine systematische Methodik, die außerhalb des Kreises fähiger Astronomen mit entsprechenden Instrumenten und Beobachtungsmitteln kaum erreicht werden kann und daher möglicherweise gar nicht erst versucht wird. Darin spiegelt sich nicht zuletzt ein Wandel der durch die Kometenschriften und nunmehr in den sich ausgestaltenden Genresegmenten spezifisch zu erfüllenden Funktionen. Auf der anderen Seite antwortet die thematische Spezialisierung damit auf enger gefasste und ausgerichtete Vermittlungsintentionen und Leseinteressen. Lubienietzkis Kometographie bedient mit ihrem interdisziplinären Ansatz als eines der letzten Werke dieser Art den Anspruch, Beschreibung, Erklärung und Deutung von Kometen zu verbinden, weshalb der polnische Adelige seine Korrespondenzpartner z. B. ausdrücklich darum gebeten hat, sich in ihren Berichten nicht auf Beobachtungsdaten zu beschränken, sondern auch die Frage der zeichenhaften Relevanz von Kometen zu erörtern. Die Auswertung dieser Daten und Ansichten steht bei Lubienietzki methodisch neben einer chronikalen Empirie, wobei beides der argumentativen Untermauerung des sich gerade aus der Vielfalt der Vorstellungen herauskristallisierenden Kometenbildes dient. Allerdingst erscheint auch bei ihm die Ermittlung der Erklärungs- und Bedeutungsdimension der Kometen weniger verknüpft denn vielmehr als parallele Unterfangen. Die Historisierung der Kometen als Geschichtszeichen stellt so eine Verbindung verschiedener intellektueller Traditionen her, die zeitgenössisch im Begriff sind, sich sukzessive voneinander zu trennen. Auch Megerlin bezieht sich auf diese historia-Dimension als intellektuellen Rahmen, in dem er einen
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Synchronismus von irdischen und himmlischen Ereignissen konzeptualisiert. Die Signifikanz von Kometen liegt hierbei in ihrer historischen Position – sowohl als die Erfahrbarkeit von Geschichte strukturierenden exempla, als auch als Fingerzeige des Lenkers von Geschichte und chronologisch immer vor dem von diesem intendierten Lauf der Welt. Mit dieser Historisierung der Astrologie geht eine zunehmende Ablehnung ihrer traditionellen Elemente einher – beispielsweise die Vorstellung astrologischer Häuser, die Ausdeutung der vom Kometen durchlaufenen Tierkreiszeichen oder Sternbilder, eine chorographische Interpretation der Schweifausrichtung oder die Idee der planetarischen Effizierung eines Kometen –, was einer Begrenzung ihres Erkenntnis- und Zuständigkeitsbereichs entspricht. Wie bereits die Analysen des siebten Kapitels gezeigt haben, verliert die Astrologie ihre integrierende Funktion zunächst dadurch, keine Rolle mehr in der Kausalerklärung von Kometen zu übernehmen, die im Rahmen der traditionellen augmentierten Kometentheorie die Verursachung, Erscheinung und Wirkung von Kometen in einem kohärenten explanativen Modell zusammengeführt hat. Dieser Kausalzusammenhang ist in den Kometenchroniken präsent, bevor diese den Fokus zunehmend und singulär auf die Folgenhaftigkeit der Kometen legen und den Kontext sowohl ihrer Verursachung als auch den des ursächlichen Zustandekommens der ihnen zugeschriebenen negativen Konsequenzen ausblenden. Aus Wirkungen werden Folgen, die von Kometen indizierend bedeutet und nicht kausal verursacht werden. Zudem werden die Ursachen von Kometen selbst negiert, etwa Finsternisse oder ausgewählte Aspekte in bestimmten Zeichenkonstellationen und damit klassisch astrologische Vorstellungen. Himsel oder auch Schneuber kritisieren auf diese Weise ganz prinzipiell das naturphilosophische Fundament der Astrologie als unzureichend und deren Regeln als willkürliche Setzungen und damit letztlich kontingente menschliche Konventionen ohne eine in der Natur bestehende Grundlage. Bestimmte traditionelle Elemente der Astrologie verschwinden schlichtweg oder werden umgedeutet: Die Farbigkeit eines Kometen erlaubt in der Kometomantik z. B. den Rückschluss auf dessen planetarische Natur, woraus spezifische Prognosen über die Kometenfolgen abgeleitet werden. Dieser Zusammenhang bleibt im neuen theoretischen Rahmen präsent, wird aber nicht mehr astrologisch konzeptualisiert, wenn Beutel konstatiert, dass ein Komet deshalb „saturnisch“ erscheint, da er materiell aus der Atmosphäre dieses Planeten entsteht. Durch diese graduelle Transformation wird die Astrologie aus ihren klassischen naturkundlichen und metaphysischen Begründungszusammenhängen herausgelöst, was auch für die Befürworter der deutenden Sternkunst gilt: Praetorius propagiert in seinen Schriften eine wissenschaftlich begründete Prognostik, die im Wesentlichen historisch a posteriori legitimiert ist, während Megerlin sie als Ausdrucksform Gottes und als Erkenntnisinstrument dessen Willens sieht. Der sich aus historischer Perspektive im Naturgeschehen manifestierende Synchronismus zwischen Natur- und Weltgeschichte, menschlichen Geschicken und himmlischen Zeichen transformiert die alte Vorstellung des Mikro- und Makrokosmos und
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löst diese schließlich ab, womit neue disziplinäre Bezüge eröffnet und damit andere Wege der Erkenntnis und Legitimation ermöglicht werden. Ein Beispiel dafür ist das Kometenwerk Schneubers, der auch auf die historia rekurriert und die Astrologie auf das Feld der Deutung begrenzt, diese dabei jedoch in einen anderen disziplinären Kontext, nämlich einen poetisch-allegorischen, überträgt. Damit erzielt Schneuber angesichts der vielgestaltigen Kritik an der traditionellen Astrologie nicht nur eine methodologische Absicherung der Signifikanzermittlung, sondern eine größere Interpretationsfreiheit, die eine Emanzipation von der engen Sichtweise der Kometen als göttlichen Zorn- und Strafzeichen erlaubt. Zudem korreliert dieser literarische Zugang der Poesie eher mit der epistemischen Relevanz des kometomantischen Unterfangens, da diese Bedeutungseruierung der Beschreibung und Erklärung des Kometen als Naturobjekt nicht nur bei-, sondern ohne expliziten Zusammenhang nachgeordnet ist. Der Beobachtung gebührt nicht nur das Primat im Zugang zum Phänomen Komet, sondern sie wird um ihrer selbst willen betrieben und nicht in den Dienst einer Ausdeutung gestellt, da diese auf einer völlig anderen Ebene erfolgt. Dies zeigt sich z. B. an den beobachtbaren Kometenparametern, die Schneuber in diesem Zusammenhang präsentiert. Ähnliches findet sich im Einblattdruck Kirchers, dessen Observationsbericht Position, Lauf, Gestalt, Schein, Ort und Schweifrichtung des Kometen berücksichtigt, jedoch nicht die traditionell deutungsrelevanten Parameter Größe, Farbe, Dauer der Erscheinung und Relation zur Sonne. Das Interpretationsbedürfnis ist nicht verschwunden, wird aber nicht mehr an die naturkundliche Erklärung des Phänomens geknüpft, die auf den Beobachtungsdaten insofern basiert, als die mathematische Beschreibung einer fundierten Hypothesenbildung oder -prüfung dient. In diesen und weiteren Transformationsprozessen manifestiert sich ein Funktionsverlust der Astrologie: Im Kontext der augmentierten Kometentheorie hat sie sowohl an der Kausalerklärung als auch an der Bedeutungsermittlung von Kometen partizipiert und auf diese Weise einen universalhermeneutischen Anspruch vertreten. Beide Domänen werden ihr in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts streitig gemacht, da Beschreibung und Erklärung von Kometen zunehmend im Kontext einer mathematischen Astronomie sowie einer physikalisierten Kosmologie stattfinden, die viele Bezüge untereinander, aber nur wenige zur Meteorologie aufweisen. In der Frage der Deutung treten die historia und die Theologie in den Vordergrund. Letztere hat mit der Astrologie seit jeher um die Deutungsmacht von Naturphänomenen konkurriert, was im dualen Kometenbild einer melanchthonisch geprägten theologisierten Naturphilosophie jedoch verdeckt gewesen ist, da theologische und astrologische Deutung dort in einer komplementären Relation zueinanderstehen. Neben der beschriebenen naturphilosophisch und epistemologisch begründeten Ablehnung der Sterndeutungskunst aktualisiert – und verstärkt – sich nun eine theologische Astrologiekritik, etwa sichtbar in der Betonung des heidnischen Ursprungs und Wesens der Disziplin, aber auch in der Behauptung ihrer grundsätzlichen Unvereinbarkeit mit einem christlichen Welt- und Naturverständnis. Gerade diejenigen, die die Astrologie in reformierter
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Form befürworten, betonen ihre Vereinbarkeit mit der Theologie. Für Beutel fußt eine legitime und christliche Astrologie auf einer historischen Kasuistik, in der Empirie und theologische Reflexion verbunden sind. Es verwundert nicht, dass vor dem Hintergrund solcher Konstellationen der Bedarf nach oder der Nutzen der Astrologie immer weniger gesehen wird. Bei Vulpius zeigt sich beispielhaft diese Form ihrer Marginalisierung, da er die Astrologie für die beiden bei Kometen relevanten Dimensionen – Erklärung und Deutung – als nicht mehr notwendig erachtet. Des Weiteren wird diese Entwicklung durch einen allgemeinen Reputationsverlust der Disziplin und deren Praktiker verstärkt, z. B. spürbar in ihrer Verdrängung aus dem universitären sowie höfisch-politischen Kontext sowie in Verbindung mit sozialen Abwertungsprozessen. Diese Marginalisierung der Astrologie ist nicht zuletzt Folge der Separierung der für den Kometendiskurs relevanten Kontextgebiete voneinander und der damit verknüpften Differenzierung des Diskurses. Das manifestiert sich u. a. im Verschwinden der argumentativen Bezüge zwischen den disziplinären Kontextfeldern. Die deskriptive und explanative Leistung sowie die epistemologische Legitimierung erfolgen nun vermehrt innerhalb der Disziplinen selbst. Die mit der oben beschriebenen Historisierung häufig verbundene Abkehr von einer physikalischen Konzeptualisierung der Wirkung von Kometen reduziert deren Signifikanz auf eine vorbedeutende Zeichenhaftigkeit, weshalb Ursache und Zeichen im Kometenbild nicht mehr dual verbunden sind, sondern getrennte Aspekte darstellen, die in verschiedenen disziplinären Kontexten behandelt werden. Beispielsweise wird die Interpretation der göttlichen Zeichenhaftigkeit nahezu völlig im Feld theologischer Reflexion verortet, das unverbunden neben dem natürlichen steht und außerdem selbst zunehmend kritisch debattiert wird. Die Aufspaltung des Diskurses entspricht daher auf disziplinärer Ebene einer Dissolution des integrierten Kometenbildes. Indem die argumentativen Relationen zwischen den drei Kontextgebieten der Naturkunde, der Astrologie und der Theologie schwächer werden, verändert sich nicht nur die epistemologische Relevanz dieser disziplinären Bereiche in Bezug auf das Kometenbild, sondern auch deren Repräsentation innerhalb der Kometenflugschriften und damit letztlich die Struktur und Intention der Medien selbst. Diese Diskurssegmentierung ist auch auf der sozialen Ebene sichtbar und zeigt sich beispielsweise in enger definierten Adressatenkreisen der monothematischer werdenden Schriften, die deutlicher auf eingegrenzte Rezipientenbedürfnisse antworten. Wie etwa Kirchers bilinguales Kometenflugblatt zeigt, lässt sich dies weniger an der sprachlichen Form ablesen, sondern vielmehr an der inhaltlichen Gestaltung der Publikationen im Dienste einer spezifischeren Funktion. Lubienietzki, der mit seinem Theatrum Cometicum ein massives Kompendium in lateinischer Sprache vorlegt, hat mit diesem Werk weniger Einfluss auf die konkrete Kometendebatte als ein englischsprachiger Artikel Hookes zum Thema in den Philosophical Transactions. Es unterscheiden sich hier nicht nur Intention und Adressatenkreis der Arbeiten, sondern auch das soziale
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oder symbolische Kapital ihrer Verfasser.202 Der polnische Adelige steht im Kontext der res publica litterarum trotz seiner umfangreichen Korrespondenz und weitreichenden Kontakten auf einer anderen Stufe der wissenschaftlichen Reputation und akademischen Anerkennung als die Gelehrten der Royal Society. Die Differenzierung des Diskurses ist damit insofern auch auf Autorenseite sichtbar, als dass bestimmte Personengruppen schlichtweg aufhören, volkssprachige Kometenflugschriften zu verfassen und damit aus dem Diskurs verschwinden. Dass hochkompetente Astronomen wie Apian oder Schöner als in ihrer Zeit Gelehrte ersten Ranges ihre Kometenbeobachtungen und -interpretationen in deutschen Schriften erstmals bekannt machen und auch wie sie es tun, ist Ende des 17. Jahrhunderts zwar nicht völlig undenkbar, aber doch sehr viel seltener geworden. Diese Entwicklung hat auch mir der Institutionalisierung der Wissenschaft zu tun, die mit einer größeren Zusammengehörigkeit der Gelehrten als sozial geschlossenere Gruppe mit Abgrenzungsprozessen nach außen und besonders nach unten, einem ausgeprägteren Standesbewusstsein und der Verfestigung von spezifischen Modi des Austauschs und der Kommunikation einhergehen. Diese Abgrenzung manifestiert sich nicht nur darin, dass Fachleute vermehrt für Fachleute schreiben, sondern dass sie, wenn sie für größere Adressatenkreise schreiben, dies mit einer aufklärerischen Absicht tun. Der explizit angesprochene gemeine Mann steht als Rezipient und Produzent von Kometenbildern damit in einem veränderten Verhältnis zur gelehrten Wissenskultur. Der bereits genannte Vulpius, der Buchdrucker Serlin oder der Theologe Ridderus verdeutlichen diese wachsende Distanz von der anderen Seite: Wenn sie beispielsweise bestimmte Fragen der aktuellen Kometendebatte als für ihre Leser irrelevant ausschließen oder ehrfurchtsvoll von den „tiefsinnigen Gelehrten“, deren Instrumenten und Beobachtungen sprechen, wird damit subtil ein Abstand zwischen diesen und ihnen selbst suggeriert, der dazu führt, dass sie eher als Berichterstatter denn als aktive Gestalter der Forschungsdiskussion erscheinen. Die in diesem Kapitel analysierten Themen sind nicht spezifisch für die Zeit der 1660er Jahre charakteristisch, sondern kennzeichnend für die Entwicklung des Kometendiskurses in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts insgesamt. Der damit verbundene Wandel des Kometenkonzepts ist Ausdruck der epistemologischen, wissenschaftlichen und sozialen Entwicklung, die über den Schritt der Differenzierung schließlich das Ende des Diskurses selbst begleitet. Dieses Ende, das sich recht konkret an der Rezeption der Kometen von 1680 und 1682 festmachen lässt, ist Thema des folgenden abschließenden Kapitels.
202 Siehe dazu Omodeo, Pietro D.: Asymmetries of Symbolic Capital in 17th Century Scientific Transactions. Placentinus’s Cometary Correspondence with Hevelius and Lubieniecki, in: Feingold, Mordechai / Giannini, Giulia (Hrsg.): The Institutionalization of Science in Early Modern Europe, Leiden 2020 (Scientific and Learned Cultures and Their Institutions 27), (in Druck).
9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses Anfang der 1680er Jahre erscheinen zwei Kometen: Der Komet von 1680 gehört ebenso wie die der Jahre 1577 und 1618 zu den Großen Kometen, der zwischenzeitlich bei Tage und weltweit als eindrucksvolles Phänomen mit bis zu 90 Grad Schweiflänge sichtbar ist und als so hell wie ein Stern der ersten Größe beschrieben wird.1 Der Astronom Gottfried Kirch (1639–1710) entdeckt ihn am 14. November in Coburg und beobachtet außerdem einen schwachen Gegenschweif, bevor der Komet im Februar 1681 zu verschwinden beginnt, wobei er von Newton allerdings noch bis Mitte März observiert wird.2 Wissenschaftshistorische Bedeutung hat dieser Komet vor allem aus drei Gründen: er ist der erste, der mit dem Teleskop entdeckt wird und der erste, für den durch den lutherischen Pfarrer Georg Samuel Dörffel (1643–1688) eine parabolische Bewegungsbahn nachgewiesen wird.3 In der Rezeption wird Dörffels Leistung jedoch bald von der Newtons überschattet, der – u. a. beeinflusst von der Theorie der geschlossenen Kometenbahnen des englischen Hofastronomen John Flamsteed (1646–1719) – spätestens seit 1684 von elliptischen Kometenbewegungen ausgeht und deren mathematische Beschreibung in sein dynamisches Modell des Sonnensystems integriert, wobei die Entwicklung der Methode der mathematischen Darstellung von Kometenorbits einen der entscheidenden Schritte in der Evolution seiner Theorie der universellen Gravitation darstellt, für die der Komet 1680 als Fallstudie fungiert.4 Der englische Astronom Edmond Halley (1656–1742) nutzt schließlich die Methode
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Vgl. Seargent: The Greatest Comets in History, S. 112–113. Es handelt sich dabei um den Kometen C/1680 V1, vgl. Kronk: Cometography, S. 369–373. Siehe dazu: Hamel, Jürgen: „Dörffel, Georg Samuel“, in: Hockey, Thomas et al. (Hrsg.): Biographical Encyclopedia of Astronomers, New York 2007, S. 307. Forbes konstatiert in diesem Zusammenhang, dass es das Scheitern des Versuchs ist, die Bewegung des Kometen von 1680 mittels einer in den 1660er Jahren von Christopher Wren entwickelten geometrischen Methode zu beschreiben, die Newton dazu bringt, seine Fluxionstheorie als mathematisches Kernstück seiner Principia auf dieses Problem anzuwenden, vgl. Forbes, Eric G.: The Comet of 1680–1681, in: Thrower, Norman J. W. (Hrsg.): Standing on the Shoulders of Giants. A Longer View of Newton and Halley. Essays Commemorating the Tercentenary of Newton’s „Principia“ and the 1985–1986 Return of Comet Halley, Berkeley 1990, S. 312–323, S. 315–318.
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Newtons, um ab 1695 die Bahnen von 24 historischen Kometenerscheinungen zu berechnen und entdeckt eine erstaunliche Ähnlichkeit der Kometenbahnen von 1607, 1531 und der des Kometen von 1682, den Hevelius Ende August des Jahres 1682 erstmals sichtet und der viel weniger hell und eindrucksvoll als der von 1680 ist.5 1705 veröffentlicht Halley schließlich die Interpretation seiner Entdeckung der Periodizität der Kometenumlaufbahn und prognostiziert – erfolgreich – die Wiederkehr des Kometen für 1759.6 Neben diesem seitdem nach Halley benannten Kometen erscheinen in den 1680er Jahren noch drei weitere, jedoch kann keiner ein publizistisches Echo hervorrufen, das mit dem von 1680 vergleichbar wäre.7 Der Komet 1680 verursacht tatsächlich die letzte große Flut von Kometenflugschriften im deutschen Sprachraum, was zunächst rein quantitativ greifbar ist: Betrachtet man alle großen Kometenerscheinungen seit 1577, führt der Komet 1680 zur absolut betrachtet größten Publikationsschwemme von insgesamt 176 Titeln.8 Davon sind 87 Prozent – also 153 – in deutscher Sprache verfasst. Die Kometen 1664 und 1665 sind dagegen in 137 Schriften thematisiert worden, davon 81 Prozent deutschsprachig. Der quantitative Sprung der absoluten Zahlen ist von 1664/65 zu 1681 damit ebenso groß wie der von 1618 zu 1664/65. Somit ist seit dem Großen Kometen von 1577, der die erste Flut von Kometendrucken auslöst, ein stetiges Ansteigen der Schriftenproduktion zu verzeichnen, die mit dem Kometen 1680 ihren Höhepunkt erreicht. Dieser Klimax ist gleichzeitig ein Wendepunkt, da die Zahlen nach 1681 geradezu schlagartig abebben: Halleys Komet im Folgejahr wird in weniger als 15 Publikationen verhandelt. Damit kommt der in dieser Arbeit untersuchte Kometendiskurs zu einem abrupten Ende, was die Frage nach den Ursachen dafür aufwirft. Diese Frage wird in diesem Schlusskapitel von drei Perspektiven aus beleuchtet, die nicht so ausführlich auf umfassende Quellenanalysen aufbauen wie die Fallstudien zu den Kometen von 1577, 1618 und 1664/65, sondern vielmehr die in diesen herausgearbeiteten thematischen Entwicklungsstränge innerhalb der Kontextgebiete Naturkunde, Astrologie und Theologie gezielt aufgreifen, an einem pointierten Beispiel erläutern und so eine Reflexion auf den Status der Kometendebatte gegen Ende des 17. Jahrhunderts sowie eine resümierende Charakterisierung und historische Bewertung des Diskurses erlauben: Zum einen geht es um die Natur der Kometen als nunmehr astronomische Himmelskörper, die sich in der Region der Planeten auf berechenbaren Bahnen bewegen. Zum zweiten wird die Debatte um die Frage der Zeichenhaftigkeit von Kometen thematisiert, die 5 6 7 8
Stoyan: Atlas of Great Comets, S. 91. Siehe zu diesem Kometen 1P/1682 Q1 (Halley) Kronk: Cometography, S. 373–376 sowie Hughes: Edmond Halley: His Interest in Comets. [9.16] Halley, Edmond: A Synopsis of the Astronomy of Comets, London 1705. Bei diesen Kometen handelt es sich um C/1683 O1, C/1684 N1 sowie C/1686 R1, vgl. Kronk: Cometography, S. 376–380. Diese Zahl setzt sich zusammen aus 153 deutschsprachigen (123 Schriften und 30 Einblattdrucke) sowie 23 lateinischen Werken (22 Schriften und 1 Einblattdruck). Siehe dazu die Grafik der Quellenstatistik (Abb. 1.1) in Kap. 1.2.2.
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beispielsweise im Zentrum des zweiten Ulmer Kometenstreits steht.9 Der verstärkte Rekurs auf physiko- oder allgemein naturtheologische Argumentationsfiguren zeugt von einem grundlegenden Wandel der theologischen Kometeninterpretation und manifestiert sich u. a. auch in einem gegenüber dem 16. Jahrhundert veränderten Begriff des Wunders, einer transformierten Rolle Gottes und allgemein einer gewandelten Konzeption des Verhältnisses von Gott, Mensch und Natur. Bei beiden Perspektiven stehen damit Prozesse der Veränderung im Vordergrund, mit denen das Ende des Diskurses zusammenhängt. Neben solchen inhaltlichen Aspekten naturkundlicher und theologischer Natur, ist das Ende der Kometenfurcht insgesamt auf die beginnende Aufklärung und dem damit verknüpften Erheben der Ratio zur Grundmaxime zurückgeführt worden. Als Schlüsselwerk, gerade im kometographischen Kontext, gilt hier die Schrift des französischen Philosophen Pierre Bayle Pensées diverses sur la comète von 1683, in der er nicht nur zu einem Schlag gegen die Astrologie ausholt, sondern eine umfassende Kritik jeglicher Form des Aberglaubens formuliert.10 Obwohl dieses Werk nicht zu den deutschsprachigen Kometenflugschriften gehört, wird es aufgrund seiner historiographischen Relevanz an dieser Stelle ausführlicher behandelt. 9.1 Newton, Dörffel, Kirch: Kometen als Himmelskörper Eine einfache Beantwortung der Frage, warum es zu dem rapiden Abfall der Zahl der Kometenflugschriften nach 1681 kommt, liegt nicht auf der Hand, wobei der Verweis auf die größere Unscheinbarkeit des Kometen von 1682 im Vergleich zu seinem unmittelbaren Vorgänger sicher nicht ausreichend ist. Eine traditionelle Historiographie sieht die Hauptursache darin, dass die populäre Vorstellung von Kometen als Unglücksboten dann obsolet wird, wenn die Himmelsphänomene vollends wissenschaftlich beschreib- und erklärbar sind, wobei diese Leistung zumeist Newton zugeschrieben wird: In seiner monographischen Rezeptionsstudie zum Kometen 1680, die den vielsagenden Untertitel „A Study in the History of Rationalism“ trägt, konstatiert James H. Robinson aufgrund der Analyse zahlreicher zeitgenössischer Quellen das Ende der Kometenfurcht und sieht den Beginn der rein rational-naturalistischen Erklärung und Behandlungsweise von Kometen und damit den Triumph der Vernunft über den Aberglauben früherer Zeiten markiert.11 Wie wirkmächtig diese historiographische These auch am Ende des 20. Jahrhunderts noch ist, zeigt sich an folgender Charakterisierung, mit der Eric Forbes seinen Aufsatz zum Kometen 1680 einleitet: „Prior to the appearance of the comet of 1680–81, cometary theory was speculative, empirical, and 9 10 11
Der erste Ulmer Kometenstreit entbrennt um den Chiliasten Johannes Faulhaber anlässlich des Kometen von 1618, siehe dazu die Einleitung von Kap. 7. Siehe dazu Kap. 9.3. Robinson: The Great Comet of 1680.
9.1 Newton, Dörffel, Kirch: Kometen als Himmelskörper
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closely linked with astrology and superstition. Only afterwards did it become scientific, being founded on reliable astronomical observations and rigorous mathematical demonstrations.“12 Auch wenn die bisherigen Kapitel dieser Studie gezeigt haben, dass insbesondere die letzten beiden Punkte so nicht richtig sind, bleibt doch der Eindruck, dass mit dem Kometen 1680 eine Zäsur in der Sichtweise von Kometen verbunden ist. Diese Zäsur wird häufig durch Newtons mathematische Beschreibung der Kometenbahnen, die ein wesentliches Element seines bahnbrechenden Hauptwerkes Philosophiae naturalis principia mathematica (1687) darstellen, und dem damit verbundenen Beweis ihrer Periodizität und prinzipiellen Prognostizierbarkeit begründet.13 Was man erklären und vorhersagen kann, so die Argumentationsweise, löse auch keinen Schrecken mehr aus. Jürgen Hamel konstatiert, dass mit der Durchsetzung der Erkenntnis der Kometen als kosmischen Körpern, die sich periodisch bewegen „der Kometenastrologie der Boden so offensichtlich entzogen war, daß die Furcht vor diesen Himmelskörpern fortan nur noch als ein Kuriosum in der Weltgeschichte fortlebte. Lediglich bei Leichtgläubigen oder ungebildeten Zeitgenossen riefen sie Schrecken hervor.“14 Gemäß einer solchen Interpretation lässt sich zudem in Zweifel ziehen, ob Kometen zeichenhafte Fingerzeige Gottes sind, da ihnen im Rahmen dieser kommunikativen Funktion doch eine wunderhafte Dimension oder zumindest Außergewöhnlichkeit zugeschrieben werden muss, die mit einer ausschließlich natürlichen Erklärung des Himmelsphänomens nicht einfach in Einklang zu bringen scheint. Ein Ziel dieses Kapitels besteht darin, das Problematische dieser historiographischen Narrative herauszuarbeiten: Sie sind weniger grundsätzlich falsch als vielmehr überzogen und irreführend, indem sie Dinge kausal korrelieren, die bei genauerer Betrachtung keinen so engen Zusammenhang aufweisen, während ein anderer Zusammenhang unausgesprochen bleibt: So hat Simon Schaffer nachgewiesen, dass die symbolisch-prophetische Dimension der Kometen im Prozess ihrer Naturalisierung nicht einfach wegfällt oder negiert wird, sondern vielmehr den Kern eines Transformationsprozesses darstellt, durch den Newton und Halley die Bedeutung von Kometen für Astronomen und Naturphilosophen umdeuten und re-definieren.15 Zudem beruhen diese Interpretationen zumindest teilweise auf fragwürdigen unausgesprochenen Grundannahmen,
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Forbes: The Comet of 1680–1681, S. 312. Koyré, Alexandre / Cohen, I. Bernard (Hrsg.): Isaac Newton’s Philosophiae naturalis principia mathematica, 3d Ed. with variant Readings, Cambridge 1972. Für eine deutsche Übersetzung siehe Newton, Isaac: Die mathematischen Prinzipien der Physik. Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. Übers. u. herausgegeben von Volkmar Schüller, Berlin 1999. Hamel: Astrologie – Tochter der Astronomie, S. 109. Siehe dazu Schaffer, Simon: Newton’s Comets and the Transformation of Astrology, in: Curry, Patrick (Hrsg.): Astrology, Science and Society. Historical Essays, London 1987, S. 219–243 sowie Ders.: Godly Men and Mechanical Philosophers: Souls and Spirits in Restoration Natural Philosophy, in: Science in Context 1/1 (1987), S. 53–85.
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9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
darunter ein teleologischer Rationalitätsbegriff16, ein ahistorisches Epistemologiekonzept17 und die Vorstellung einer linear-progressiven Wissenschaftsentwicklung, in deren Verlauf irrationale Elemente durch naturalistische Erklärungen verdrängt werden. Newtons Theorie löst zunächst einmal das dynamische Problem der Kometenbeschreibung und klärt die wichtige Frage nach der Bewegungsbahn der Kometen.18 Auf dieser Problemstellung und der empirischen Herangehensweise an deren Lösung liegt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts das Hauptinteresse der Kometenforschung – nicht zuletzt, weil eine Antwort Aufklärung über die ontologische Natur der Kometen verspricht. So ist denn durch die Gravitationstheorie das Wesen der Kometen als kosmische Körper, die sich aufgrund der Einwirkung der Schwerkraft auf kegelschnittförmigen Bahnen um die Sonne bewegen, auch tatsächlich erwiesen.19 Newton sieht Kometen als feste, planetenähnliche Himmelskörper an, die nicht selber leuchten, sondern das Licht der Sonne reflektieren, einen materiellen Schweif und auch eine Art Atmosphäre haben, jedoch ihrerseits nicht aus irdischer oder planetarischer Materie entstehen, sondern vielmehr am Ende einer Art der evolutiven Entwicklung von ätherischen Körpern stehen.20 Der englische Wissenschaftler entwickelt diese durchaus originellen Vorstellungen, insbesondere zur Entstehung des Kometenschweifs, aufbauend auf der theoretischen Reflexion seiner systematischen Kometenbeobachtungen sowie einer Synthese der optischen Kometentheorie in Verbindung mit den physikalischen Ideen von Descartes, Kepler, Hooke und Flamsteed. Der Schweif eines Kometen hat bei Newton die Funktion, die Planeten durch seine Exhalationen mit Materie zu versorgen, die diese durch Transmutationsprozesse fortwährend verlieren, obwohl sie für das organische Leben auf den Planeten von essentieller Bedeutung sind.21 Auf dieser teleologisch-vitalistischen Interpretation bauen Vorstellungen des 18. Jahrhunderts auf – z. B. von Halley oder dem englischen Mathematiker und Theologen William Whiston (1667–1752) –, dass Kometen ursächlich für katastrophales Geschehen auf der Erde verantwortlich gemacht werden können.22 16 17
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Einen solchen schreibt Martin Friedrich James Robinson zu, vgl. Friedrich: Der Komet von 1680/81 im Urteil evangelischer Theologen, S. 413. Zum Konzept der historischen Epistemologie siehe Daston, Lorraine: „Historical Epistemology“, in: Chandler, James / Davidson, Arnold D. / Harootunian, Harry D. (Hrsg.): Questions of Evidence. Proof, Practice, and Persuasion Across the Disciplines, Chicago 1994, S. 282–289 sowie Renn, Jürgen: Historical Epistemology and the Advancement of Science, Berlin 1996 (MPIWG Preprint 36). Vgl. Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 109. Vgl. Ruffner: The Background and Early Development of Newton’s Theory of Comets, S. 345–351. Siehe dazu ausführlich Heidarzadeh: A History of Physical Theories of Comets, S. 93–124. Schechner Genuth, Sara J.: Newton and the Ongoing Teleological Role of Comets, in: Thrower, Norman J. W. (Hrsg.): Standing on the Shoulders of Giants. A Longer View of Newton and Halley. Essays Commemorating the Tercentenary of Newton’s „Principia“ and the 1985–1986 Return of Comet Halley, Berkeley 1990, S. 299–311. Diese These findet sich umfassend entwickelt in Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, insbesondere S. 156–177. William Whiston veröffentlicht 1696 seine New Theory of the Earth, in der er u. a. einen Kometen für die biblische Sintflut und sogar für die
9.1 Newton, Dörffel, Kirch: Kometen als Himmelskörper
449
Eine weitere kosmologische Funktion der Kometen besteht laut Newton darin, dass sie am Ende ihrer Existenz in die von ihnen umkreisten Sterne stürzen, dadurch deren Masse erhöhen und auf diese Weise das gravitative Gleichgewicht in Planeten- und Sternsystemen wieder herstellen helfen oder aufrechterhalten.23 Newtons mathematische Beschreibung der Kometenbewegung und ihre Erklärung durch die Gravitation als erste rationale Kometentheorie zu charakterisieren, negiert einerseits die explanative Leistung und den epistemologischen Status der aristotelischen oder auch der optischen Kometentheorie, die aus heutiger Sicht vielleicht nicht korrekt sein mögen, aber sehr wohl auf klaren methodischen und wissenschaftstheoretischen Prinzipien beruhende Versuche der rationalen Erklärung des Phänomens Komet darstellen. Zum anderen wird die Leistung Newtons damit zwar nicht überschätzt, aber doch in ihrer Tragweite für eine umfassende Kometeninterpretation missdeutet. So ist Newtons Ideen zur physikalischen Beschaffenheit und zum Ursprung der Kometen keine nachhaltige Akzeptanz beschieden, weshalb Heidarzadeh richtigerweise konstatiert, dass Newton die Kometendebatte nicht beendet, ihr jedoch einen vernünftigen Rahmen und dem Theoretisieren eine Richtung gegeben habe.24 Zudem bezieht sich diese Debatte nur auf den Aspekt der theoretischen Beschreibung von Kometen, wohingegen das Problem ihrer metaphysischen Relevanz ungelöst bleibt. Die Frage, ob ihnen als Himmelskörper eine wie auch immer geartete astrologische Signifikanz oder theologische Bedeutung zukommt, ist nicht direkt Gegenstand der newtonschen Kometentheorie, wird durch diese aber auch nicht obsolet, sondern – wie Schaffer betont – nunmehr in anderer Weise gestellt und beantwortet: „Halley and Newton did not reduce the moral and theological function of comets. They made them an integral part of a natural philosophy whose task was to locate the restorative, transformative and prophetic effects of astronomical signs.”25 So wenig wie die Akzeptanz der Supralunarität diese interpretative Dimension überflüssig macht, so wenig bedeutet die Etablierung der Vorstellung von Kometen als periodisch wiederkehrenden Körpern eine grundsätzliche Bedrohung der Kometologie, denn auch Finsternissen oder Konjunktionen wird z. B. trotz ihrer Periodizität und Vorhersagbarkeit eine astrologische Bedeutung zugeschrieben. Die Frage, in welcher Weise eine theologische Interpretation vor dem Hintergrund der erfahrungsbasierten und auf Objektivierung gerichteten mathematisch-theoretischen Beschreibung von Kometen Geltung haben kann, lässt sich am Beispiel Dörffels illustrieren. Der lutherische Theologe studiert bei Erhard Weigel in Jena Mathematik und Astronomie sowie in Leipzig Theologie, bevor er Pfarrer in Plauen wird. Nachdem der ver-
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Entstehung der Erde verantwortlich macht, siehe dazu Baasner, Rainer: Aberglaube und Apokalypse. Zur Rezeption von Whistons Kometentheorie in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Schade, Richard E. (Hrsg.): Lessing Yearbook 19 (1987), S. 191–206. Vgl. Heidarzadeh: A History of Physical Theorie of Comets, S. 101–104. Heidarzadeh: A History of Physical Theorie of Comets, S. 83. Schaffer: Newton’s Comets and the Transformation of Astrology, S. 219.
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9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
sierte Amateurastronom bereits zum Kometen von 1672 eine Publikation verfasst hat, verarbeitet und interpretiert er seine systematischen Observationen des Kometen 1680 in zwei Schriften.26 Wie viele andere zeitgenössische Beobachter – darunter auch Kirch und Newton – geht Dörffel in seinem Werk Observationes zunächst davon aus, dass es sich um zwei Kometen gehandelt habe: Er widmet dieser Frage ein eigenes Kapitel, in dem er einräumt, dass einiges dafür sprechen würde, von einem einzigen Phänomen auszugehen, für ihn jedoch die Gründe für die gegenteilige Ansicht überwiegen:27 Aus seinen umfassenden Beobachtungen, die er in den ersten drei Kapiteln systematisch darlegt, rechnerisch verarbeitet und deren Resultate er tabellarisch und graphisch aufbereitet, schließt er, dass die Bewegungsbahnen der vermeintlich zwei Kometen sich als Bogenstücke eines Großkreises beschreiben lassen, allerdings nicht auf demselben Großkreis liegen könnten.28 Der Komet hätte, um vom ersten zum zweiten Bahnstück zu kommen, eine „Lineam spiralem / oder andere noch unförmlichere“ Linie beschreiben müssen.29 Dieses empirische Resultat sieht Dörffel in Einklang mit den Kometenvorstellungen des Hevelius, die er großenteils übernimmt und vielfach zitiert. Das wichtigste Ergebnis seiner zweiten Schrift Astronomische Betrachtung charakterisiert Dörffel bereits im Titel als „Verbesserung der Hevelischen Theoriae Cometarum“ und unterstreicht damit ebenfalls, dass seine Ideen auf der durch die Cometographia geschaffenen Grundlage aufbauen. So folgt er Hevelius z. B. darin, dass er Kometen nicht für kugelförmige, sondern scheiben- oder tellerförmige Körper hält, geht aber durchaus auch kritisch mit den Vorstellungen des versierten Astronomen um.30 So ist Dörffel im Gegensatz zu Hevelius beispielsweise kein vollends überzeugter Anhänger der heliozentrischen Kosmologie.31 Er widmet der Frage, ob sich aus der Kometentheorie ein Beweis für die Erdbewegung ableiten lasse, ein eigenes Kapitel, 26
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[9.10] Dörffel, Georg Samuel: Warhafftiger Bericht Von dem Cometen Welcher im Mertzen dieses 1672. Jahrs erschienen. Dessen Lauff Art und Beschaffenheit sambt der Bedeutung hiermit fürgestellet wird, Plauen 1672 (VD17 7:690665K); [9.9] Dörffel, Georg Samuel: Observationes, Und Kunstmässige Untersuchung Derer Im November 1680 und Januario 1681 am Himmel erschienenen beyden grossen Cometen: Sam[m]t angehengtem Bedencken Von deroselben Vermuthlichen Bedeutung, Breslau 1681 (VD17 3:658679T); [9.8] Dörffel, Georg Samuel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen welcher im ausgehenden 1680. und angehenden 1681. Jahre höchstverwunderlich und entsetzlich erschienen. Dessen zu Plauen im Voigtlande angestellte tägliche Observationes, Nebenst etlichen sonderbahren Fragen und neuen Denckwürdigkeiten sonderlich von Verbesserung der Hevelischen Theoriae Cometarum, Plauen 1681 (VD17 14:073184F). Vgl. [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bll. C 3v–D 1v. Vgl. [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bll. C 4r–C4v. [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bl. D 1r. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bl. C 4r. Zur Kometentheorie des Hevelius, die aufbauend auf den theoretischen Vorstellungen Keplers eine Synthese von Kosmologie, Kometographie und Dynamik darstellt, siehe Ruffner, James A.: The Curved and the Straight: Cometary Theory From Kepler to Hevelius, in: Journal for the History of Astronomy 2 (1971), S. 178–194, insbesondere S. 187–191.
9.1 Newton, Dörffel, Kirch: Kometen als Himmelskörper
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an dessen Ende er zu einer begründeten Verneinung gelangt:32 Auch wenn er den Wert der heliozentrischen Hypothese insbesondere im Kontext der Kometenbeschreibung anerkennt – sein Diagramm33 der Kometenbewegung ist z. B. heliozentrisch – bemerkt er auch deren Schwachstellen, z. B. die Annahme einer extrem großen Ausdehnung des Kosmos oder einer sehr großen Bewegungsgeschwindigkeit der Fixsternsphäre, und betrachtet das tychonische Kosmosmodell, das ihm insbesondere aus theologischen Gründen attraktiv erscheint, nicht als widerlegt. Zumindest sieht er – anders als Kepler, dem er den Beweis der Erdbewegung aufgrund der Kometenbetrachtung zuschreibt und der auch Hevelius mit Einschränkungen zu folgen scheint – keine Möglichkeit, aufgrund der Kometenbewegung und -theorie zwischen den beiden Alternativen zu entscheiden, da die empirischen Daten sowohl mit der kopernikanischen als auch der tychonischen Kosmologie in Einklang zu bringen seien. Überhaupt ist die Empirie der Ausgangspunkt aller Überlegungen und Argumente Dörffels. So zeigt er sich z. B. skeptisch gegenüber der Theorie des Hevelius zum Kometenursprung, wonach Kometen ähnlich den Wolken auf der Erde in den Atmosphären von Sonne und Planeten, die um diese Himmelskörper rotieren, entstehen und von dort schließlich herausgeschleudert werden, wodurch sie ihren Bewegungsantrieb erhalten.34 Die Zweifel Dörffels sind nun nicht inhaltlich begründet, sondern rühren daher, dass Hevelius seine Vorstellungen „mit keinem einzigen Exempel dargethan“ und stattdessen aber Megerlin eine Beobachtung angeführt habe, die dagegen spreche.35 Schon in den Observationes lehnt Dörffel ein reines Argument der Autorität ab, da es „wie bei allen Philosophis / also insonderheit bey den Mathematicis / nicht bräuchlich sey / einem / wie groß auch sonsten sein Ansehen ist / auf sein blosses sagen / ohne einige angeführte Rationem oder Beweiß / so schlecht hin zu Gefallen etwas zu glauben.“36 Auf methodologischer Ebene befürwortet er das heuristische Prinzip der Sparsamkeit und konstatiert, man würde bei strittigen Punkten „am sichersten aus dem so genannten Philosophischen Pferde OCCAMI bey diesem Zweifel-Streit durchkommen: Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem; Man soll ohne Noth aus einem Dinge nicht mehr machen.“37 Schließlich ist auch seine Entdeckung der parabolischen Kometenbahn etwas, das Dörffel aus seinen Beobachtungen schlussfolgert, detailliert belegt und argumentativ absichert. Hevelius hat wie auch Borelli bereits anlässlich der Kometen der 1660er
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[9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bll. D 4r–D 1v. Siehe Abb. 9.1. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bl. C 3v. Hevelius präsentiert diese Ideen hauptsächlich in seinem Werk Cometographia von 1668, vgl. dazu Kampa, Irena: Bärtige Kometen – die „Cometographia“ von Johannes Hevelius, in: Wolfschmidt, Gudrun (Hrsg.): Astronomie in Franken. Von den Anfängen bis zur modernen Astrophysik. 125 Jahre Dr. Remeis-Sternwarte Bamberg, Hamburg 2015 (Nuncius Hamburgensis 31), S. 571–593. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bl. C 3v. [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bl. D 1v. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bll. C 2v–C 3r.
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Jahre darüber spekuliert, dass Kometen auf gekrümmten und kegelschnittförmigen Bahnen die Sonne umlaufen.38 Dörffel untermauert diese Hypothese empirisch und präzisiert sie dahingehend, dass er z. B. eine hyperbolische Bewegung ausschließt und das Sonnenzentrum in den Brennpunkt der Parabel setzt (siehe Abbildung 9.1).39
Abb. 9.1 Darstellung der parabolischen Kometenbahn bei Dörffel (1681)40 38 39
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Vgl. Ruffner, James A.: The Curved and the Straight, S. 190–191. Vgl. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bl. D 2v, die graphische Darstellung findet sich auf Bl. A 4v. Tatsächlich bewegen sich Kometen zumeist auf Ellipsen, nur die aperiodischen zeigen eine hyperbolische Bahn. Die Parabel stellt einen mathematischen Grenzfall dar, der in der Natur nicht vorkommen kann (Bahnexzentrizität mit e = 1,0; eine kleinere Bahnexzentrizität führt zu Ellipsen, eine größere zu Hyperbeln). Gerade bei neu entdeckten Kometen, von denen man zunächst nur kurze Bahnstücke beobachtet, werden erst parabolische Bahnen berechnet, die von langgestreckten Ellipsen nicht – oder erst nach längerer Observation – unterschieden werden können, vgl. Tammann/Véron: Halleys Komet, S. 5–8. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen. Abbildung der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle, Saale, Pon Yd 3837, QK, Bl. A 4v, urn:nbn: de:gbv:3:1–63278.
9.1 Newton, Dörffel, Kirch: Kometen als Himmelskörper
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Bei der Begründung widmet sich Dörffel nach einem ausführlichen Observationsbericht zunächst den Argumenten, die ihn zuvor bewogen haben, von zwei Kometen statt einem auszugehen und widerlegt sie Schritt für Schritt. Gerade die starke Krümmung der Kometentrajektorie in Sonnennähe, die Geschwindigkeitsänderung des Kometen ebenfalls relativ zum Sonnenabstand – einmal langsamer in Sonnenferne und schneller in Sonnennähe – sowie das scheinbare Umkehren seiner Bewegungsrichtung und die verschiedene Erscheinungsweise des Schweifs ließen sich mit der Vorstellung der Kometenbewegung entlang eines Großkreises nicht in Einklang bringen. Sie ergeben sich aber ganz folgerichtig aus der Annahme einer parabolischen Bahn und einer unterbrochenen Sichtbarkeit ein und desselben Kometen während seines Periheldurchgangs. Eine physikalische Begründung findet Dörffel wieder bei Hevelius, der die Kometen wie Planeten als durch die Sonne beherrscht ansieht und deren Bewegung durch den von der Sonne beeinflussten Ätherstrom erklärt, der bei größerer Sonnennähe umso stärker gebeugt wird.41 Damit ist das Konzept der parabolischen Bewegungsbahn keine rein deskriptive Leistung Dörffels, der konstatiert, das Problem damit „durch einen richtigen und Naturmäßigen Lehr-Satz zu salviren“, wofür er eine systematische astronomisch-theoretische Begründung liefert.42 Dies ist ein Beispiel für die im letzten Kapitel angesprochene Physikalisierung der Kometendebatte: Sie besteht nicht nur in dem Anspruch, dass theoretische Hypothesen sich an empirischem Datenmaterial messen lassen müssen, sondern auch darin, dass Naturbeschreibung und -erklärung konzeptuell zusammengehen, indem mathematisch-quantitative, theoretisch-deskriptive und physikalisch-naturphilosophische Elemente verbunden werden. Die Begründung Dörffels erstreckt sich wohlgemerkt auf den Kometenorbit und nicht auf den Kometenursprung. Diesbezüglich hält er die Theorie des Hevelius – wie oben erwähnt – für unzureichend und bemerkt dazu, dass der Kometenursprung ohnehin nicht nur in der Natur liege, sondern vielmehr ein ausserordentliches Werck des Allerhöchsten [sei] / Denn, wenn Gott will / brennet ein Comet / saget der H. Lutherus (…) / so lassen wir Gottes Allmacht es anheim gestellt / wenn und wie Er Cometen aus seiner uns verborgenen hohen Schatzkammer / und darinnen habenden Vorrathe der hiezu bequemen sternichten Materie / lasse herfür kommen / und gleichwie dem ordentlichen Gestirne im Anfang der Schöpfung eine beständige / also diesen Neben-Sternen zu seiner Zeit eine kurtzwährende Bewegungs-Krafft mittheile; Gnug / daß wir nun ferner diesen einmal angefangen und auff eine gewisse Gegend gerichteten Cometen-Gang / nach naturmäßigen Gesetzen / auch in gegenwärtigen Exempel erklären können.43
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Vgl. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bll. C 4r–D 2r. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bl. C 3r. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bl. C 3v.
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9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
Hier wird eine Dualität von naturkundlicher und theologischer Erklärung offenbar. Dörffels Epistemologie verlangt nach einer Begründung theoretischer Ideen; wenn diese nicht aus der Empirie heraus entwickelt werden kann, wird sie demjenigen zugeschrieben, der ohnehin für die zweckvolle Einrichtung der Welt zuständig ist. Martin Friedrich bezieht sich ebenfalls auf diese Dualität, wenn er Dörffels Werk dadurch charakterisiert, dass exakte Beobachtungen der Kometenbahn neben einer flammenden Bußpredigt stünden, die der Plauener Pfarrer durch seine Kometenbeobachtungen zu konkretisieren trachte.44 Kometen als Propheten bedürften der Deutung, was für Dörffel die wichtigste Aufgabe angesichts einer Kometenerscheinung zu sein scheine, während die astronomische Erkenntnis ein Nebenprodukt dieses Zugangs sei. Die beiden hier im Fokus stehenden Kometenschriften Dörffels zeigen die von Friedrich beschriebene Parallelität von theologischer und naturkundlicher Betrachtungsweise, jedoch meiner Meinung nach in einer umgekehrten hierarchischen Ordnung: Der Zeichencharakter von Kometen wird von Dörffel nicht infrage gestellt und ist sicherlich auch ein Movens seiner astronomischen Forschungen. Die theologische Interpretation liefert jedoch eher den sinnhaften Überbau der Naturerfassung als eine tragende Rolle in der Kometenbeschreibung und theoretischen Begründung zu spielen. Diese muss sich in erster Linie an der Empirie messen und mit deren Resultaten vereinbar sein. Zudem konzeptualisiert Dörffel die Kometen weniger als prophetische Bußmahner, denn als Zeichen, die wir Menschen „mit Verwunderung betrachten solle[n]“; wir sollen die Augen zum Himmel erheben, damit wir durch genaue Betrachtung derselben Göttlichen Wunder-Geschöpffe / die unerforschliche Weisheit / unermäßliche Macht / und unendliche Gütigkeit des Schöpffers / als dessen Ehre sie erzehlen / erkennen / und weil wir wissen / daß solches alles uns zu Nutz Anfangs erschaffen / und annoch erhalten werden / Ihm hertzlich dafür dancken sollen.45
Die astronomische Naturerforschung ist hier ein in sich methodologisch und epistemologisch abgesichertes Unterfangen, dessen Ergebnisse als Beleg für die zweckhafte Geschaffenheit der Welt und die in ihr manifeste Vorhersorge Gottes herangezogen werden können. Darin erschöpft sich gleichsam der Nutzen dieser theologisch konzeptualisierten Bedeutung, denn eine astrologische Kometenprognose und das davon abgeleitete Versprechen der Zukunftsbeherrschung stünden auf unsicherem Fundament: „Allein es erstrecket sich solcher Nutzen leider ! selten weiter als auf ein blosses Wissen“, schreibt Dörffel, der sich von dieser Art der fruchtlosen Vorhersagen abgrenzt.46 Auf die „Wahrsagerey“ dieser „Prognosticanten“ reagierten die Menschen mit der Hoffnung, dass sie, wie so viele vor ihnen, nicht eintreffen und es gebe unter 44 45 46
Vgl. Friedrich: Der Komet von 1680/81 im Urteil evangelischer Theologen, S. 417. [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bl. A 2r. [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bl. D 2r.
9.1 Newton, Dörffel, Kirch: Kometen als Himmelskörper
455
100 Menschen wohl ohnehin nur einen, der angesichts eines Kometen sein gewohntes Leben ändere.47 Dörffel will sich daher auf diese Art der Interpretation nicht weiter einlassen / weil ich versichert bin / daß Gott an aller solcher Zeichendeuterey ein Mißfallen hat / selbige in seinem heiligen Worte ernstlich verbothen / und mit schweren Bedrohungen beleget: sondern ihm das / was er seiner Allwissenheit vorbehalten hat / anheim stellend / vielmehr seine grosse Herrligkeit / Güte und Liebe / zu derer Erkändniß er uns unwürdige Menschen / durch Vorstellung so herllicher WunderGeschöpfffe / auffmuntert / preissen (…).48
Der Theologe Dörffel verrichtet seinen Dienst an Gott durch astronomische Erforschung der Natur, denn in dieser Erkenntnis liege der Schlüssel zur Erkenntnis Gottes durch seine Schöpfung. Es ist dies ein Gott, der sich vielmehr in der Ordnung und Herrlichkeit der Natur als durch seinen Willen zur Strafe mittels zeichenhafter Kometen ausdrückt, deren konkrete Botschaften dann der astrologischen Dechiffrierung bedürfen. Das darin durchscheinende Verständnis des Aufgaben- und Erkenntnisbereichs der Naturforschung zeigt damit nicht nur eine Verschiebung in Richtung deskriptiver statt kausaler Erklärung, sondern zudem eine Trennung der Ermittlung von Erklärung und Bedeutung von Natur. Während Dörffel in den Observationes einige wenige astrologischen Deutungen für jene, denen so etwas wichtig sei, noch anführt, konstatiert er in der Astronomischen Beschreibung entsprechend: „Was uns in übrigen dieser himlische Herold von Bedeutung ankündige / ist zwar sonst die allergemeinste und fast erste Frage / alleine der gegenwärtigen Astronomischen Betrachtung (so nunmehro ihr fürgestecktes Ziel erreichet) wird man die darauf gehörige Beantwortung nicht zumuthen noch auffbürden.“49 Wie das Schweifrichtungsgesetz durch Apian, wird also auch die Erkenntnis der parabolischen Kometenbahn fast 150 Jahre später in einer deutschsprachigen Flugschrift erstmals kommuniziert. Allerdings beschränkt sich Dörffel in seinen Werken nahezu ausschließlich auf die astronomische Kometendimension, indem er einen ausführlichen Observationsbericht liefert und darauf aufbauend systematisch begründete theoretische Hypothesen diskutiert. Eine wesentliche Funktion seiner Schriften besteht daher darin, Medien des Datenaustauschs und der gelehrten Kommunikation zu sein. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei einer weiteren Form der astrologischastronomischen Kleinliteratur, dem Kalender, feststellen, der wie die Kometenflugschriften ebenfalls lange als bloßes Populärmedium wenig beachtet und für die astronomiehistorische Forschung als Quelle kaum fruchtbar gemacht worden ist.50
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Vgl. [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bll. D 2v–D 3r. [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bll. D 3r–D 3v. [9.8] Dörffel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen, Bl. F 2v. Siehe dazu Herbst, Klaus-Dieter: Von Astronomie bis Volksaufklärung. Neue Forschungen und Perspektiven, in: Herbst, Klaus-Dieter (Hrsg.): Astronomie – Literatur – Volksaufklärung. Der Schreib-
456
9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
Der oben erwähnte Entdecker des Kometen 1680, Gottfried Kirch, ist einer der profiliertesten Kalendermacher der zweiten Jahrhunderthälfte. Der Coburger Astronom, der unter anderem bei Hevelius in Danzig gelernt hat, astronomische Instrumente baut und ein hervorragender Beobachter ist, wird als Königlicher Astronom und Rektor der Berliner Sternwarte zu einem der führenden Gelehrten Deutschlands.51 Seit 1667 gibt er Kalender heraus – zeitweise bis zu 18 verschiedene Reihen pro Jahrgang unter eigenem Namen und Pseudonym – darunter z. B. einen Astronomischen Wunder-Kalender, einen Historisch-Geographischen-Calender, einen Curiositäten-Calender oder Zigeuner-Kalender, wobei das Spektrum vom Schreibkalender über Kanzleikalender, Handkalender oder Reisekalender bis hin zum Wandkalender reicht.52 „Kirch hat das Neue in der Form des Alten verpackt“ lautet die treffende Charakterisierung des Schaffens des Astronomen durch Klaus-Dieter Herbst:53 Ohne mit alten Gewohnheiten radikal zu brechen, verstünde Kirch es, durch behutsames Kürzen bis hin zum Weglassen einzelner traditioneller Kalenderkapitel – z. B. dem zu Krieg und Frieden – Raum zu schaffen für das Vorbringen neuer Gedanken, etwa die Bewertung des Zeitunglesens als ein besseres Mittel zur politischen Information als das astrologische Deuten der Himmelserscheinungen.54 Er betont ähnlich wie Dörffel eher die Mängel des astronomischen Fundaments der Astrologie als diese von vornherein als Ganzes abzulehnen.55 Kirch spricht seine Leser konkret an, vermittelt astronomisches Grundwissen, ruft zu eigenen Beobachtungen im Dienste einer Verbesserung der Astronomie auf, liefert aktuelle und didaktisch aufbereitete Informationen, zeigt Missstände im Kalenderwesen auf oder betont die Gefahren des Aberglaubens.56 Hierin gleicht ihm Christoph Richter (1618–1680), dessen Kalenderreihe Kirch nach dessen Tod weiterführt: Richter kritisiert die „Kalenderstümper“ und deren Art der illegitimen Prognostik und weist auf die Unsinnigkeit bestimmter astrologischer Mutmaßungen hin; er betont seine ablehnende Haltung gegenüber Zukunftsprophetien und allem, was der Vernunft zuwiderlaufe, möchte jedoch die auf astronomischem und
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kalender der Frühen Neuzeit mit seinen Text- und Bildbeigaben, Bremen 2012 (Acta Calendariographica. Forschungsberichte 5), S. 15–44. Zu Leben und Werk Kirchs siehe Herbst, Klaus-Dieter: „Kirch, Gottfried“, in: Herbst, Klaus-Dieter: Biobibliographisches Handbuch der Kalendermacher von 1550–1750, (http://www.pressefor schung.uni-bremen.de/dokuwiki/doku.php?id=kirch_gottfried, abgerufen am 12.01.2016). Siehe Herbst, Klaus-Dieter: Die Kalender von Gottfried Kirch, in: Beiträge zur Astronomiegeschichte 7, Frankfurt am Main 2004 (Acta Historica Astronomiae 23), S. 115–159. Herbst, Klaus-Dieter: Ein Gelehrter zwischen den Welten: Gottfried Kirch und seine aufklärerischen Visionen, in: Beiträge des Kolloquiums am 6. März 2010 in Berlin-Treptow, Frankfurt am Main 2010 (Acta Historica Astronomiae 41), S. 133–153, S. 136. Vgl. Herbst: „Kirch, Gottfried“. Herbst: Ein Gelehrter zwischen den Welten, S. 139. Vgl. Herbst: Ein Gelehrter zwischen den Welten, S. 142–146.
9.1 Newton, Dörffel, Kirch: Kometen als Himmelskörper
457
erfahrungsgemäßem, also natürlichem Grunde stehenden astrologischen Mutmaßungen – etwa die allgemeinen zum Wetter – beibehalten.57 Kirch veröffentlicht Artikel in Fachzeitschriften wie den Philosophical Transactions oder den Acta Eruditorum, Kometenschriften und andere kleinere Druckwerke; insbesondere die Himmels-Zeitung und astronomischen Ephemeriden für die Jahre 1681 bis 1692 werden international beachtet.58 Die Hauptmedien zur Bekanntgabe seiner astronomischen Entdeckungen sind jedoch die Kalender. Einige Kalenderreihen tragen bereits seit den 1670er Jahren Züge eines astronomischen Jahrbuches und sind Medien der gelehrten Kommunikation.59 Es geht dabei ebenso um die Verbreitung astronomischer Beobachtungsdaten – z. B. exakte Berechnungen zu Finsternissen, Planeten- und Sternbedeckungen oder Observationsprotokolle zu Kometen, Sternhaufen, oder Sonnenflecken –, wie um die Vermittlung von Detail- oder Fachwissen zu Instrumenten und Methoden.60 Der hohe Verbreitungsgrad und das Bildungspotential solcher Kalender machen Kirch und Richter zu Vertretern der Frühaufklärung.61 Noch deutlicher als Dörffel schreiben sie gegen das an, was sie unter Aberglauben verstehen, argumentieren gegen Dogmatismus und geistige Bevormundung und rufen zu eigenständigem Denken auf. Auch Dörffel betont die Notwendigkeit vernunftgeleiteten kritischen Denkens und exerziert in seinen Kometenschriften die Umsetzung eines solchen epistemologischen Programms durch, indem er die Empirie zum Ausgangspunkt und Bewertungskriterium seiner Naturerfassung macht. Ebenso wie in seinen Kalendern, spielt die Beobachtung in dem Kirchschen Werk Brevis in Cometam (…) observatum animadversio zum Kometen 1680 eine zentrale
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Herbst, Klaus-Dieter: Der Jahres-Zeiger Schreib-Kalender von Christoph Richter (1618–1680), (http://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jpjournal_00000107, abgerufen am 12.06.2016). [9.21] Kirch, Gottfried: Neue Himmels-Zeitung. Darinnen sonderlich und ausführlich von den zweyen neuen grossen im 1680. Jahr erschienenen Cometen Deren Gestalt Grösse Stand und Bewegung wie auch andern in solchem Jahr am Himmel vorgegangen merckwürdigen Begebenheiten Umständiger und gründlicher Bericht zu finden. Dem in einem Gespräch mit beygefüget worden Etliche unvorgreifliche Muthmassungen was hieraus auf Erden erfolgen möchte, Nürnberg 1681 (VD17 39:123057Q), [9.20] Ders.: Kurtzer Bericht Von dem neu-erschienenen Cometen Welcher itzt im Monat Augusti des 1682. Jahres am Himmel zusehen ist: Geschrieben an einen guten Freund, Leipzig 1682 (VD17 14:051974C). Flemming Schock bezeichnet Kirch als Vermittler zwischen Gelehrsamkeit und Popularität, siehe Schock, Flemming: Enzyklopädie, Kalender, Wochenblatt. Wissenspopularisierung und Medienwandel im 17. Jahrhundert, in: Greyerz, Kaspar von / Flubacher, Silvia / Senn, Philipp (Hrsg.): Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog – Connecting Science and Knowledge, Göttingen 2013, S. 155– 186, S. 169. Siehe dazu Herbst, Klaus-Dieter: Die Jahreskalender – Ein Medium für gelehrte Kommunikation, in: Herbst, Klaus-Dieter / Kratochwil, Stefan (Hrsg.): Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 2009, S. 189–224. Vgl. Herbst: Ein Gelehrter zwischen den Welten, S. 140–141. Herbst: „Kirch, Gottfried“.
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9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
Rolle.62 Der Observationsbericht selbst stellt zwar nur einen von sieben Abschnitten der Schrift dar, jedoch erscheinen die meisten anderen als durch diesen determiniert, da nur das thematisiert wird, was aus den Beobachtungen sicher geschlossen werden kann. So gibt es z. B. keine ausführliche Erläuterung zur Kometentheorie, sondern eine Erwähnung der beiden Vorstellungen zum Kometenursprung, die mit dem Observationsergebnis in Einklang stehen, wobei die Frage als nicht endgültig entschieden dargestellt wird. Eine andere traditionelle Ansicht, dass Kometen nicht länger als 80 Tage sichtbar seien, wird empirisch durch Verweis auf die Dauer der Sichtbarkeit des aktuellen Kometen widerlegt. Kirch beschreibt den Lauf des Kometen am Himmel sowie Aussehen und Größe des Schweifs. Zur Deutung konstatiert er „Davon wollen prognosticiren / kann nichts gewisses ohne Vermessenheit geschrieben werden“, aufgrund der Fehler der Sterndeuter und der Schwachheit des menschlichen Urteils sei die Deutungspraxis insgesamt fragwürdig und ein bloßes Mutmaßen.63 Selbst die Frage der göttlichen Zeichenhaftigkeit wird im Konjunktiv gestellt. Kirch neigt einer Antwort zu, die die Zeichennatur der Kometen anerkennt, aber den traditionell damit konnotierten strafenden Zorngott in den Hintergrund stellt: „ob dieses der Zorn Gottes, oder vielmehr Barmhertzigkeit gewesen? Ohne allen Zweiffel hat der gütigste Vatter wollen mit Schröcken züchtigen / nicht mit dem Untergang straffen.“64 Es scheint ihm eher darum zu gehen, allgemein die nachlassende Frömmigkeit zu kommentieren und die Vorteile eines gottesfürchtigen Lebens herauszustellen. In der Kalenderliteratur wie in den Kometenflugschriften setzt sich damit die im letzten Kapitel beschriebene Entwicklung der Diskursdifferenzierung fort. Kirchs Kometenschrift ist z. B. bilingual auf Deutsch und Latein verfasst; ihre Inhalte scheinen daher auch für ein Fachpublikum jenseits der deutschen Landesgrenzen von Interesse. Insgesamt ist seine Schrift vielmehr als relativ knapper und nüchterner Obser vationsbericht zu charakterisieren – und damit ohnehin für einen spezifischen Rezipientenkreis eines bestimmten Bildungsgrades intendiert – als eine umfassende Darstellung aller Facetten des Kometenthemas wie sie in traditionellen Kometenflugschriften begegnet. Die Deutungsfrage wird thematisiert, aber nicht mehr astrologisch beantwortet, sondern in einen physikotheologischen Rahmen gestellt. Insgesamt zeigen sich die Aspekte der beschreibenden Erklärung und Deutung sowie die damit verknüpften Erkenntnisansprüche und disziplinären Felder deutlicher getrennt; beide Sphären sind zwar wesenhaft aufeinander bezogen, bilden aber doch unabhängig voneinander bearbeitbare Bereiche der Wirklichkeitserfahrung.65 Diese Bestrebungen zur 62
63 64 65
[9.19] Kirch, Gottfried: Brevis in cometam Anno 1680 & Anno 1681 (quantum in defectu optimorum Instrumentorum fieri potuit) observatum animadversio. Kurtze Anmerckung über den im Jahr Christi 1680 und 1681 im Bresslauischen Horizont wahrgenommenen Cometsterns, Breslau 1681. [9.19] Kirch: Brevis in cometam, Bl. A 3v. [9.19] Kirch: Brevis in cometam, Bl. A 4v. Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 253.
9.2 Die theologische Kometeninterpretation im Wandel
459
Quantifizierung und Objektivierung von Natur sind Ausdruck eines Abstraktionsvorganges, der sich gegenüber einer noch stark am ganzheitlichen Erleben der Wirklichkeit orientierten Naturforschung, wie sie das 16. Jahrhundert prägt, sukzessive deutlicher manifestiert.66 Die Entwicklung des Kometendiskurses bietet damit ein Beispiel für die Ausdifferenzierung dieser ursprünglichen Ganzheitlichkeit, zunächst disziplinär und methodisch und schließlich auf epistemologischer Ebene. 9.2 Die theologische Kometeninterpretation im Wandel: Der zweite Ulmer Kometenstreit und die Physikotheologie Die Idee der kausalen Verursachung der mit den Kometen konnotierten negativen Ereignissen ist aus der Debatte um die Bedeutungsdimension der Himmelsphänomene verschwunden, nicht aber die der Folgenhaftigkeit und Zeichenhaftigkeit von Kometen. Ausdruck findet dies in einer Kontroverse, die sich Anfang der 1680er Jahre im deutschsprachigen Raum entspinnt und als zweiter Ulmer Kometenstreit bezeichnet wird.67 Hier geht es nun tatsächlich um die bereits dem ersten Ulmer Kometenstreit von 1618 zugeschriebene Frage nach der metaphysischen oder übernatürlichen Bedeutung von Kometen.68 Der Nürnberger Theologe und Poet Simon Bornmeister (1632–1688) publiziert anlässlich des Kometen 1680 eine Schrift, in der er negiert, dass Kometen Ursachen oder auch nur Anzeichen kommenden Unglücks seien und bringt damit die gesamte Ulmer Geistlichkeit gegen sich auf.69 Deren Sprachrohr wird der Gymnasialprofessor und Münsterprediger Johann Frick (1634–1689), wobei bereits 1677 der Superintendent Elias Veiel (1635–1706) sowie im Jahr 1680 der Pfarrer Jacob Honold d. J. (um 1662–1727) die traditionelle Sichtweise der Kometen als göttlichen Warn- oder Strafzeichen gepredigt und veröffentlicht haben.70 Auf Bornmeisters Linie ist hingegen die 66 67 68 69
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Vgl. Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 254–255. Siehe dazu das 18. Kapitel „Kometenfurcht und neuzeitliche Naturwissenschaft“ bei Wallmann, Johannes: Pietismus-Studien. Gesammelte Aufsätze II, Tübingen 2008, S. 323–341 sowie Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 373–379. Siehe dazu die Einleitung von Kap. 7. [9.5] Bornmeister, Simon: Christlich-vernünfftige Cometen-Betrachtung aus Gelegenheit dess im Monat December 1680 erschienenen grossen Cometen auffgesetzt und mit einem wenigen Zusatz nunmehr zum andernmahl verbessert heraus gegeben, Nürnberg 1681 (VD17 7:658974W). [9.25] Veiel, Elias: Dess hoch-erleuchten Propheten Jeremiae Wackerer Stab: In einer Cometen-Predigt Christlich zu betrachten fürgestellet Und Auf Ansuchen in Truck gegeben, Ulm 1677 (VD17 23:240398L); [9.18] Honold, Jacob: Novus hominum excitator. Das ist: Kurtze Vorstellung Dess Ungewohnlich grossen Cometen Wie solcher im Christmonat dess 1680sten Jahrs dess Abends in Ulm erschienen, Ulm 1680 (VD17 12:642734E) und [9.17] Ders.: Monitor hominum novissimus. Das ist: Kurtzer Bericht Von dem Ungewohnlich grossen Cometen: Welcher in verwichner
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9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
anonyme Schrift Cometa Scepticus (1681), auf die der Nürnberger Universalgelehrte Erasmus Francisci (1627–1694) unter dem Pseudonym Gottlieb Unverrucht antwortet.71 Auch Bornmeister verfasst auf Fricks Replik hin eine Verteidigungsschrift, die eine weitere Antwort Fricks provoziert.72 Bornmeister als Vertreter der skeptischen Richtung sieht Kometen demnach nicht als Bußprediger und widerspricht einer kausalen sowie einer semiotischen Verknüpfung ihres Erscheinens und ihrer vermeintlichen Folgen, versteht die Himmelsphänomene aber sehr wohl als Schöpfungen Gottes und Anlass, diesen zu ehren.73 Seine Auffassung gleicht der des pietistischen Theologen Philipp Jacob Spener, der sich zwar nicht öffentlich in der Kontroverse positioniert, Kometen aber natürlich erklärt und konstatiert, ihre Sichtweise als Strafzeichen Gottes habe keinen Grund „in der schrifft, noch in der natur, noch in der erfahrung“.74 Die Kontroverse kann daher nicht als eine zwischen frommen Theologen auf der einen und skeptischen Naturphilosophen auf der anderen Seite charakterisiert werden, sondern hat ihre Wurzeln in widersprüchlichen erkenntnistheoretischen Positionen. Bei Bornmeister zeigt sich ein ähnliches Wissenschaftsverständnis wie bei Dörffel und Kirch, nach dem man in wissenschaftlichen Fragen der Vernunft und nicht Autoritäten oder theologischen Dogmen zu folgen sowie theoretische Ideen empirisch zu belegen habe. Im Unterschied zum ersten Ulmer Kometenstreit scheinen die Kontrahenten sich hier auf die gleiche wissenschaftstheoretische Grundlage zu stellen, denn
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Winters-Zeit erschienen wie er seinen Stand und Lauff nach dem Zodiaco und Aequatore gehabt: Und dann Was seiner Bedeutung halben von uns Christlich und erbaulich zu merken seye, Ulm 1681 (VD17 12:641533G). Vgl. Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 374. [9.1] Anon.: Cometa Scepticus. Oder Kurtzer Discurss Uber Jüngst-Erschienenen Cometen, s. l. 1681 (VD17 1:050555W); [9.12] Francisci, Erasmus: Verwerffung des Cometen-gespötts oder gründliche Erörterung der Frage: Ob der Comet ein oder kein Straff-zeichen sey: Etwas oder nichts Gutes oder Böses bedeute? Worinnen die Vor-bedeutlichkeit mit unverwerfflichen Beweissthümern begründet wird die Ungründe aber der Widersprecher klärlich entdeckt neben dem auch die vielfältige Gedancken von dem Ursprunge des Cometens mit eingeführet werden, s. l. 1681 (VD17 1:048668N). Siehe dazu Martin: Kometen in der deutschen Barockdichtung, S. 427. [9.13] Frick, Johannes: Philosophisches und theologisches Bedencken in welchem die vornehmste Meynungen von den Cometen vorgetragen und examiniret werden. wo auss was und woher sie entspringen auch warum sie an den Himmel gestellet werden; hernach auss der gesunden Vernunfft heiliger Schrifft und der Erfahrung gründlich erwiesen wird dass sie seyen Vorbotten der Straffe auch Schröck- und Zorn-Zeichen Gottes. samt einem kurtzen Anhang darinnen auf Herrn M. Simon Bornmeisters (…) Vertheidigung zur Gnüge geantwortet wird, Ulm 1681 (VD17 39:123060T); [9.6] Bornmeister, Simon: Vertheidigte Cometen-Betrachtung. Worinnen (Tit.) Herrn M. Johann Friken Predigers und Profess. PuBl. zu Ulm Seine von der CometenBedeutung heraus gegebene Epistel auf die Probe gesetzt und seine Einwürffe genüglich beantwortet werden, Nürnberg 1681 (VD17 23:623866T). Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 375. Vgl. dazu Wallmann: Pietismus-Studien, S. 330–336; das Zitat findet sich auf S. 333.
9.2 Die theologische Kometeninterpretation im Wandel
461
auch Frick will die Wahrheit der traditionellen Meinung durch „bessere rationes und Gründe“ erweisen, beruft sich also ebenfalls auf die Vernunft als Richter; beide verstehen darunter jedoch etwas Grundverschiedenes:75 Während Bornmeister empirisch zu überprüfen gedenkt, ob eine kausale Verbindung zwischen dem Auftreten des Kometen und dem ihm zugeschriebenen Unglück besteht, entwickelt Frick eine an die Scholastik erinnernde Argumentationslinie, nach der er die zeichenhafte Bedeutung von Kometen für vernunftmäßig erwiesen hält. Für Frick ist offenkundig, dass der Komet sich nicht gemäß den natürlichen Gesetzmäßigkeiten verhält und daher in diesem Rahmen auch nicht erklärbar, sondern übernatürlich sei. Da Gott in der Natur nichts umsonst schaffe, müsse die Kometenbedeutung in ihrer Bezogenheit auf den Menschen liegen, also im Charakter des Himmelsphänomens als göttlichem Warnzeichen, was gleichzeitig mit der Bibel übereinstimme. Während Bornmeisters Methodik der empirischen Überprüfbarkeit des Beobachtbaren die Frage nach dem Wesen des Kometen prinzipiell ausschließt, will Frick gerade diese Frage beantworten. Im Kontext einer aristotelisch geprägten Erkenntnistheorie mit ihrem Anspruch, das Innere der Dinge zu erklären, ist diese Frage legitim und durch die syllogistische Methode im Rahmen einer kausalen Welterklärung zu beantworten.76 Während Bornmeister ein solches Unterfangen als hypothetisch-spekulativ kritisiert, empfindet Frick den experimentell-induktiven Ansatz seines Kontrahenten als nicht umfassend und in seiner vermeintlichen Reduktion auf eine reine Deskription als nicht befriedigend. Die fundamentale Differenz dieser Epistemologien, die sich z. B. auch schon in der Kritik Crügers an Keckermann manifestiert hat, liegt darin, dass die eine Seite in letzter Konsequenz alles in der Natur auf die Natur selbst zurückführt, während die andere gemäß einem traditionellen philosophischen Wissensverständnis dem theologischen Grundanliegen gerecht wird, alles auf Gott zurückzuführen.77 Die Übernatürlichkeit ist dabei ein Element der Kometenerklärung, auf das noch beide Seiten rekurrieren. Diese abzulehnen, bzw. zunächst einmal auszuklammern, bedeutet letztlich, das Konzept des göttlichen Willens als potentia absoluta abzulehnen und damit Gott zu begrenzen.78 Auch diese Art der Parallelität von natürlicher und übernatürlicher Erklärung ist ein Ergebnis der Differenzierung und Segmentierung des Diskurses, die sich auf disziplinärer Ebene in einer zunehmenden Entkopplung von naturphilosophischem und religiösem Wissen zeigt.79 Eine Folge dieser Ausdifferenzierung besteht
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Dieser Abschnitt ist der Analyse bei Haag verpflichtet, siehe Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 374–378. Siehe dazu ausführlich Pietsch, Christian: Prinzipienfindung bei Aristoteles. Methoden und erkenntnistheoretische Grundlagen, Stuttgart 1992 (Beiträge zur Altertumskunde 22). Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 377. Zum Konzept der potentia absoluta siehe Kap. 2.3.1 dieser Arbeit. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 101.
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9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
darin, dass Gott und dessen Rolle im Naturprozess zu einem nur noch in seinen Ausmaßen unbekannten Kausalfaktor gemacht werden.80 Obwohl man mit einigem Recht sagen kann, dass hier der Prozess beginnt, Gott auf die Rolle des Mechanikers zu reduzieren,81 der darin enden wird, ihn völlig aus der Naturerklärung auszuschließen, bedeutet das nicht, dass Naturphänomenen wie Kometen ihre zeichenhafte Dimension völlig abgesprochen würde. Epistemisch beruht dies auf der Annahme einer schöpfungstheologisch begründbaren Harmonie zwischen Vernunft und Offenbarung und deren naturtheologischer Manifestation in Form der Physikotheologie:82 Praktisch bedeutet das eine Aufwertung und Umdeutung der Kometen, die nicht mehr als Unglück verheißende Künder göttlichen Zorns und eines baldigen Strafgerichts interpretiert werden, sondern als Beleg der göttlichen Schöpfermacht, als Zeichen einer sinn- und zweckvoll geordneten Weltharmonie, wobei in der Regelmäßigkeit und Erklärbarkeit ihrer vielfältigen bewunderungswürdigen Details Gott selbst als vorhersorgender Schöpfer und kluger Mechaniker erkannt werden kann. Bezogen auf die Astronomie bedeutet das, dass aus den Sternen nicht nur die Existenz Gottes, sondern seine Allmacht, Weisheit und Güte erschlossen werden kann. Hier ist zu sehen, wie sehr das Grundmuster des physikotheologischen Denkens durch das lutherische Providenzkonzept vorgeprägt ist. Auch die Dualität der bedeutungstragenden Himmelsphänomene als Zeichen und Ursache, wie sie in der theologisierten Naturphilosophie Melanchthons zu finden ist, kann für die Physikotheologie und der für sie grundlegenden semiotischen Natursicht fruchtbar gemacht werden: Aus dem „natürlichen“ Zeichencharakter folgt die Idee von Sternen oder allgemeiner Himmelszeichen als Buchstaben, die von Gott an den Himmel gesetzt werden, um gelesen zu werden. Die Kometen als himmlische Prediger oder Propheten rekurrieren auf diese Metapher vom Buch der Natur und gewinnen darüber eine eigene Dignität, da sie selbst zu einem Wort im göttlichen Buch, und die Natur zu einer Art zweiter Bibel werden.83 Sie stehen damit weder in Konkurrenz zu Gott, der sie ja beherrscht, sondern sind vielmehr dessen Multiplikatoren, die nicht zu fürchten sind, sondern stattdessen zu Gottesfurcht und Gotteserkenntnis anleiten. Aberglauben heißt daher in diesem Kontext nicht, die Kometen überhaupt als göttliche Zeichen, sondern sie als Zorn- und Strafzeichen Gottes anzusehen. So argumentiert der evangelische Theologe und Gymnasialprofessor Caspar Neumann (1648–1715) in zweierlei Richtungen, wenn er in seiner Kometenschrift von 1681 schreibt: 80 81 82
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Vgl. Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 245–246. Haag: Predigt und Gesellschaft, S. 378. Vgl. Friedrich: Der Komet von 1680/81 im Urteil evangelischer Theologen, S. 419–421. Zur Einführung in die Physikothoelogie siehe z. B. Schilson, Arno: Die Wiederentdeckung der Natur durch die Physikotheologie. Aspekte „natürlicher Religion“ in nachkopernikanischer Zeit, in: Zeller, Dieter (Hrsg.): Religion und Weltbild, Münster 2002 (Marburger Religionsgeschichtliche Beiträge 2), S. 91–116. Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 186.
9.2 Die theologische Kometeninterpretation im Wandel
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Der eine ist ein Spötter / der unter dem Vorwand seiner Philosophie die Wunder Gottes und also Gott selber verachtet. Der andere ein Abergläubischer / welcher aus Astrologischen Gründen nicht nur ohngefehr Gottes Rache über die Sünder / sondern gewisser Personen ihren Tod / gewisser Städte / Völcker und Länder ihr Glück und Unglück so gewiß will errathen / daß er sich biß zum Grund seiner Gottes-Furcht setzet / und das Wort Gottes darüber verlässet.84
Es sei demnach ebenso töricht, göttliche Wunder zu negieren, wie dem Irrglauben der Astrologie anzuhängen, da beides nicht der Vernunft gemäß sei. Die menschliche Vernunft ist daher das, was Natur- wie Gotteserkenntnis ermöglicht und aus diesem Grund ist Naturforschung Gottesdienst, den prinzipiell jeder ausüben kann, wie der Mathematiker und Theologe Johann Georg Brand (1645–1703) in seiner Kometenschrift von 1681 mit dem vielsagenden Titel Vernunfft- und Schrifftmässiger Bericht ausführt: Jedoch aber findt sichs / daß das grosse Buch der Geschöpffe Gottes so wol vor den Augen des gemeinen Mannes / als der Gelehrten / gleich als täglich auffgeschlagen ja Tag und Nacht weit offen stehen / damit alle vernünfftige Geschöpffe von denen übrigen Creaturen / als von so viel stummen Lehrmeistern / des Schöpffers Allmacht und Gottheit nicht nur durch die Vernunfft wahrnehmen / sondern auch mit der Zunge einander anpreissen / Gott daraus erkennen / und ihme würdiglich dienen und dancken möchten. (…) Die Himmel insonderheit lassen gleichsam ihre Stimme allenthalben erschallen / und erzehlen die Herrligkeit Gottes / und reitzen alle Menschen zu betrachten den Macht-Finger Gottes / wormit er Sonne und Mond und Sternen bereitet und gemacht hat / auch in so beständiger Ordnung und Lauff erhält und regieret (…).85
Die Sterne und Himmelskörper sieht Brand allesamt als Zeichen, die Licht und Finsternis scheiden und die, wie die Sonne, das Zeitmaß des Jahres und, wie der Mond, das des Monats geben.86 Kometen hingegen seien Zeichen
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[9.23] Neumann, Caspar: Des Noah Regenbogen Und Der itzt Brennende Comet Einer des anderen Ausleger: Beyde In einer öffentlichen Predigt gewiesen Mittwochs nach der heiligen Drey Könige Fest war der 8. Ianuarii des 1681 Jahres, Breslau 1681 (VD17 39:149239L), Bl. A 1v. [9.7] Brand, Johann Georg: Vernunft und Schriftmässiger Bericht Von Cometen und insonderheit von demjenigen ungeheuren Schweif-Stern der sich nechts-verwichenen Winder- und Christ-Monat 1680. und diesen Jenner 1681. in Ost und West hat sehen lassen: Allen denen so sich über Sonne Mond und Sternen verwundern und ihren Allmächtigen Schöpffer in kindlicher Furcht darüber preisen zum besten Auffs einfältigste verfasset und auff begehren in Druck gegeben, Marburg 1681 (VD17 14:070384D), Bl. A 2r. Brand rekurriert damit auf Gen. 1, 14. Zur Bedeutung dieser Bibelstelle im Rahmen der Debatte um natürliche Wunderzeichen siehe die Analyse in Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 185– 189.
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so uns Menschen auff Erden ohn Unterscheid bezeichnen und andeuten die ewige Krafft und Gottheit des allmächtigen und einigen Schöpffers / der sich durch die Erschaff- und Erhaltung Himmels und der Erden / und durch seine kräfftige Vorsehung von allen erdichteten Göttern und eitelen Götzen unterscheidet / als der alleine Wunder thut auff Erden und im Himmel / sonderlich durch Herfürbringung und Regierung des mancherley Gestirnes (…).87
Brand legt ausführlich dar, dass Kometen weder als Gnadenzeichen, noch als Zornoder Strafzeichen Gottes anzusehen seien.88 Ihr Erscheinen löse zwar Erschrecken und Furcht aus, jedoch berechtigterweise nur bei den Ungläubigen, die Gott nicht als ihren gnädigen Vater anerkennen. Problematisch sei hingegen vielmehr eine Missachtung der göttlichen Zeichen generell: „es könne ein Christ viel eher durch Verringerunge solch eines Wunder-Sternes Gott dessen Schöpffer erzörnen / als durch Erstaun- und Verwunderung über denselben.“89 Diese wenigen Beispiele illustrieren, dass aus dem zürnenden und strafenden Richter ein wohlwollender und gütiger Gott der Providenz geworden ist, der väterlich tröstet und barmherzig Gnade spendet. Diese Verschiebung der Gotteskonzeption, die Andreas Gestrich als „Domestikation des Zorngottes“90 charakterisiert, ist auch in einem Wandel der Metaphorik greifbar, den Schenda beschreibt: Statt von dem flammenden Schwert und der erhobenen Rute ist von der Wunderhand Gottes, der Segens-Hand oder milder Vater-Treue die Rede.91 Die auf der düsteren Vorstellung einer gefallenen Welt der Sünder basierende und um Buße und Strafe zentrierte Moraltheologie weicht langsam der Vorstellung einer von Gott harmonisch und zweckhaft geordneten Natur. Diese eher nominelle und zunehmend positiver konnotierte Rolle Gottes kann als Reflexion auf eine sich wandelnde Theologie verstanden werden, mit der eine neue Art des Naturzugangs und des Naturverständnisses einhergeht. Dieser Transformationsprozess spiegelt sich in der Bezugnahme auf theologische Elemente in der Kometeninterpretation und einem veränderten Wunderbegriff wider. Auf der Ebene der Empfindungen bedeutet das eine Abkopplung von Staunen und Furcht; das Entzücken über die Naturwunder wird auf Kosten der ehrfurchtheischenden göttlichen Intervention betont, wobei die Betrachtung der Natur zur Bewunderung der Werke Gottes anregen und nicht zum Erschaudern vor seinem Zorn führen soll: Hevelius schreibt entsprechend, Kometen sollten: „eher bewundert denn gefürchtet werden, da sich in der Tat kein zwingender Grund dafür findet, warum der Urheber 87 88 89 90 91
[9.7] Brand: Vernunft und Schriftmässiger Bericht Von Cometen, Bl. C 3v. Vgl. [9.7] Brand: Vernunft und Schriftmässiger Bericht Von Cometen, Bll. C 3r–D 2v. [9.7] Brand: Vernunft und Schriftmässiger Bericht Von Cometen, Bl. D 1r. Gestrich, Andreas: Religion in der Hungerkrise von 1816/1817, in: Jakubowski-Tiessen, Manfred / Lehmann, Hartmut (Hrsg.): Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003, S. 275–293, hier S. 279–280. Schenda: Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Sp. 665.
9.2 Die theologische Kometeninterpretation im Wandel
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der Natur sie nicht eher als Sinnbilder seines Ruhmes und seiner Größe, statt seines Zorns oder Mißfallens, angelegt haben möchte.“92 Mit dem Rückgang der extremen Sündenbezogenheit flaut daher auch die Prodigienbegeisterung, die in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht hat, langsam ab. Parallel dazu bildet sich die lutherische Orthodoxie heraus, die insbesondere apokalyptische Prophezeiungen verurteilt.93 Auch im Pietismus ist die Aufmerksamkeit für Zeichen der Endzeit noch vorhanden, jedoch nicht mehr in der Form einer ausschließlich negativ interpretierten Eschatologie. Beispielhaft ist das etwa bei dem Theologen Johann Jakob Schütz (1640–1690) zu sehen, der in seinem Neujahrsgedicht 1683 über die Wunderhaftigkeit der Natur und ihre soteriologische Funktion reflektiert: Die auf das Reich Gottes Wartenden, so Schütz, suchten in allen Werken und Worten Gottes nach Erkenntnis und Trost.94 Gerade im Luthertum ist ja die Heilsunsicherheit prinzipiell und das Sündersein Teil der christlichen Existenz.95 So wenig, wie Gott die sündige Menschheit durch eine Instrumentalisierung der Natur konkret bestrafen muss, so wenig muss er auf übernatürliche Weise in die Natur eingreifen, um sich zu offenbaren. Eine solchermaßen zeichenhaft verstandene Natur offenbart weniger ihr eigenes Ende als vielmehr die Präsenz eines Schöpfergottes. Diese Offenbarung ist jedoch nicht in der Abweichung von den regelhaften und rational verstehbaren natürlichen Prozessen zu erkennen, sondern vielmehr gerade in diesen, was einer Umkehrung des traditionellen straftheologisch konnotierten Deutungsmusters entspricht. Daher hören die Kometen auch nicht auf wundersam zu sein, sobald sie als periodische Himmelskörper erkannt sind und „die Singularität des himmlischen Unglücksboten zu einem mathematischen Rechenexempel“96 reduziert ist; sie sind nun wundersam gerade wegen ihrer Periodizität, drückt sich doch hier die vorausschauende Organisation und Kompetenz des göttlichen Baumeisters aus.97 Die Rolle Gottes wird damit positiv besetzt, aber auch passiver; der aktiv eingreifende Gott wird der vorausschauend planerische, dessen Wirken sich indirekt zeigt. Sind Prodigien Zeichen, die Gott in der Natur wirkt – zu seinen Zwecken und mit spezifischer Intention – so verlagert sich das Wunderhafte nun in die Natur selbst und liegt theologisch gesehen in der Existenz des Phänomens selbst, seinen Eigenschaften und Verhaltensweisen oder kurz gesagt in seiner Geschaffenheit durch einen allmächtigen
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94 95 96 97
Daston/Park: Wunder und die Ordnung der Natur, S. 396. Haude, Sigrun: Zorn und Schrecken, Buße und Gnade. Diskurse in astrologischen Schriften des 17. Jahrhunderts, in: Heitzmann, Christian (Hrsg.): Die Sterne lügen nicht. Astrologie und Astronomie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2008 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 90), S. 178–200, S. 198. Deppermann, Andreas: Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietismus, Tübingen 2002 (Beiträge zur historischen Theologie 119), S. 140–141. Vgl. Haude: Zorn und Schrecken, Buße und Gnade, S. 199–200 Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 91. Daston/Park: Wunder und die Ordnung der Natur, S. 380.
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und weisen Gott. Dieser manifestiert sich primär als Finalursache der Schöpfung, die in all ihren Teilen auf ihren Schöpfer verweist, weshalb das Erfassen, Beschreiben und Verstehen dieser natürlichen Weltordnung ein Dienst an Gott ist und eine Möglichkeit darstellt, ihm zu huldigen, ihn zu preisen und ihm so näher zu kommen. Dadurch werden die Unterschiede zwischen Wunderlichem und Natürlichem nivelliert, was darin resultiert, dass letztlich alles in der Natur ein Wunder sein kann. Die Kometen sind nunmehr weniger Wunderzeichen als abstrakte Zeichen einer göttlichen und rational erfassbaren Naturordnung. Das Wunderzeichen wird in diesem Prozess der Naturalisierung nicht des Wunderbaren beraubt, vielmehr wird das Wunderbare vom Übernatürlichen geschieden und an das Natürliche gekoppelt. Mit diesem Naturalisierungsprozess geht eine Profanisierung der Kometen einher, die nicht zuletzt Ausdruck einer zunehmenden Unsicherheit bezüglich der Deutung von Natur und des Verhältnisses von Natur und Gott ist. Rebekka Habermas spricht in diesem Zusammenhang von der Säkularisierung der Deutungsmuster von Natur:98 Noch im Mittelalter sind Wunder Deutungsmuster mit Realitätsanspruch und Kennzeichen eines Denkens der „veralltäglichten Sakralität“, in der das Eingreifen Gottes in der Welt erwartbar sei und keiner besonderen Erklärung bedürfe.99 Auch die Interpretation der Kometen als Prodigien stellt ein sakrales Deutungsmuster dar, wobei dieses im dualen Bild der Kometen als Wunderzeichen mit einer Kausalerklärung im Kontext der augmentierten meteorologischen Kometentheorie verbunden wird. Die daraus erwachsende Parallelität von theologischer und natürlicher Erklärung illustriert den Zweifel an einer rein supranaturalistischen Interpretation und außerdem wird auch diese nun näher hinterfragt, z. B. hinsichtlich einer Kompatibilität mit theoretischen Vorstellungen oder Beobachtungsresultaten. An den Ermahnungen, die göttlichen Zeichen ernst zu nehmen oder dem Klagen darüber, dass die göttlichen Botschaften verlacht werden, zeigt sich, dass die Rezipienten von dieser Deutungsweise nun überzeugt werden müssen.100 Das Wunder ist in seiner Übernatürlichkeit nicht mehr evident, sondern erfordert eine Erklärung. Diese Entwicklungen sind nicht zuletzt Ausdruck eines Mentalitätswandels und einer damit zusammenhängenden Änderung der Lebensbedingungen oder deren Wahrnehmung und somit der intellektuell-emotionalen Bedürfnislage der Menschen. Wie oben erwähnt, weicht die negative Vorstellung einer Welt der gefallenen Sünder, die dem willkürlichen Handeln eines übermächtigen Gottes ausgesetzt sind, einer optimistischeren Weltsicht, die durch eine zukunftsorientierte Grundhaltung, einem Vertrauen auf die Leistungskraft menschlicher Ratio sowie der Betonung von Individualität und menschlicher Eigenverantwortlichkeit geprägt ist: statt passiver Erwartung erfolgt die
98 Habermas, Rebekka: Wunder, Wunderlicher, Wunderbares, S. 38–66. 99 Vgl. Habermas: Wunder, Wunderlicher, Wunderbares, S. 46–48. 100 Habermas: Wunder, Wunderlicher, Wunderbares, S. 60.
9.3 Vom Schreckenszeichen zum Kuriosum
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Angst- und Kontingenzbewältigung nun eher durch Tätigkeit.101 Gerade die kollektive Leiderfahrung des 30jährigen Kriegs öffnet Erwartungshorizonte, die nicht durch traditionelle Zukunftsprognosen zu befriedigen sind, weshalb alte Wege der Sinnfindung und Welterklärung – darunter die Astrologie und deren Instrumentarium zur Trostund Sinnstiftung oder das Prodigiendenken und seine moraltheologische Verankerung – infrage gestellt werden.102 Dieser Wandel des geistigen Klimas in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, der dazu beiträgt, dass die Kometen ihre Bedrohlichkeit verlieren, kann als Ankünder der nahenden Aufklärung betrachtet werden.103 9.3 Vom Schreckenszeichen zum Kuriosum: Pierre Bayle und das Ende des „Kometenaberglaubens“ Werden Kometen im Rahmen einer physikotheologischen Natursicht durchaus zeichenhaft gedeutet, zeigen die Debatten im Kontext des Ulmer Kometenstreits, dass die Annahme von Kometen als indizierenden Zeichen grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt wird. Ein vehementer Gegner der zeichenhaften Interpretation ist der französische Philosoph Pierre Bayle (1647–1706), der als ein früher Vertreter der Aufklärung gilt und eine scharfe Opposition gegenüber allen Formen des Aberglaubens propagiert.104 Das Dictionnaire historique et critique von 1695 ist seine wichtigste Schrift, die zum Grundlagenwerk der Enzyklopädisten avanciert. Bayles Attacke gegen die Kometenfurcht, die er in Reaktion auf den Kometen von 1680 zunächst als Sendschreiben und im Folgejahr in erweiterter Form als Pensées diverses publiziert, verneint die Zeichenfrage sowohl a priori als auch a posteriori.105 Die Schrift ist in der historiographischen Rezeption daher als paradigmatisches Werk für das Ende des Kometen-
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Siehe dazu Sparn: Astrologie im frühneuzeitlichen Luthertum. Haude: Zorn und Schrecken, Buße und Gnade, S. 200. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 91 Siehe dazu Bizeul, Yves: Pierre Bayles Kritik des Aberglaubens als Plädoyer für die Toleranz, in: Vollhardt, Friedrich (Hrsg.): Toleranzdiskurse in der Frühen Neuzeit, Berlin 2015 (Frühe Neuzeit 198), S. 177–216. [9.2] Bayle, Pierre: Lettre à M. L. A. D. C. Docteur de Sorbonne. Où il est prouvé par plusieurs raisons tirées de la Philosophie, & de la Theologie, que les Cometes ne sont point le presage d’aucun malheur. Avec plusieurs Réflexions Morales & Politiques, & plusieurs Observations Historiques; & la Refutation de quelques erreurs populaires, Köln 1682; [9.3] Ders.: Pensées diverses écrites à un docteur de Sorbonne à l’occasion de la Comète qui parut au mois de décembre 1680, Rotterdam 1683. Zur Publikationsgeschichte siehe Beaujot, Jean-Pierre / Mortureux, Marie-Françoise: Genèse et fonctionnement du discours. Les «Pensées diverses sur la Comète», de Bayle et les «Entretiens sur la pluralité des Mondes», de Fontenelle, in: Langue française. Langage et histoire 15/1 (1972), S. 56–78. Die von mir verwendete und hier zitierte Edition ist [9.4] Bayle, Pierre: Pensées diverses sur la comète, Rotterdam 1683 [Edition critique avec une introduction et des notes, publiée par A. Prat, Tome 1, Paris 1911].
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aberglaubens und z. B. von Robinson als Beleg für das endgültige Durchsetzen eines nunmehr rationalen Naturverständnisses gelesen worden.106 Aufgrund dieser Relevanz der Bayleschen Schrift und aufgrund ihres vermeintlich paradigmatischen Status als Ausdruck einer Geisteshaltung und eines Naturbezugs, die nicht nur für das Ende des 17. Jahrhunderts charakteristisch, sondern insbesondere für das Ende des in dieser Arbeit analysierten Diskurses ursächlich verantwortlich zu sein scheinen, muss dieses Werk – auch wenn es sich dabei um keine deutschsprachige107 Flugschrift handelt – hier eingehender untersucht werden. Die Pensées diverses sind mit knapp 350 Seiten eine umfangreiche Schrift, die sehr kleinteilig strukturiert ist. Nach einigen Vorbemerkungen stellt Bayle insgesamt acht Gründe gegen den Kometenaberglauben dar, die in 132 Paragraphen unterteilt sind und im Umfang zwischen vier und mehr als 120 Seiten schwanken. Hier erläutert er systematisch eine Vielzahl verschiedener Argumente, diskutiert und widerlegt Einwände, untermauert seine Ausführungen durch zahlreiche Beispiele und Quellenverweise und legt somit eine fundierte und umfassende Begründung seiner Kritik an der Kometenfurcht dar. Das Urteil von Nouhuys, dass Bayle „deprived comets of every kind of meaning they had ever carried“ erscheint zunächst als treffende Charakterisierung:108 Weder durch Erfahrung noch durch logische Argumente sieht Bayle belegt, dass Kometen mit Katastrophen oder negativen Ereignissen in Verbindung stehen.109 Er bezieht das sowohl auf eine kausale Relation im Sinne einer Verursachung von Kometenwirkungen als auf auch eine indizierende und weist damit sowohl die meteorologisch-physikalische Divinationsform der klassischen Astrologie als auch ihre tera-
106 Robinson widmet Bayle ein eigenes Kapitel, vgl. Robinson: The Great Comet of 1680, S. 91–106. Wie wirkmächtig diese Historiographie auch in jüngerer Zeit ist, hat Jorink betont und in diesem Zusammenhang auf die Werke von Rosalie L. Colie und David W. Hughes hingewiesen, die Bayles Schrift z. B. als Schlüsselwerk für die Etablierung des mechanistischen Weltbilds, das die symbolische Naturinterpretation der Renaissance ersetzt, angeführt und – worauf es hier ankommt – einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden Prozessen unterstellt haben, vgl. Jorink, Eric: Comets in Context. Some Thoughts on Bayle’s Pensées diverses, in: Bunge, Wiep van / Bots, Hans (Hrsg.): Pierre Bayle (1647–1706), Le Philosophe de Rotterdam: Philosophy, Religion and Reception. Selected Papers of the Tercentenary Conference Held at Rotterdam, 7–8 December 2006, Leiden 2008 (Brill’s Studies in Intellectual History 167), S. 51–67, hier S. 52–53. Colie, Rosalie L.: Constantijn Huygens and the Rationalist Revolution, in: Tijdschrift voor Nederlandse Taal-en Letterkunde 73 (1955), S. 193–209; Hughes: Edmond Halley: His Interest in Comets. 107 Auf Deutsch erscheint die Schrift erstmals 1741 in der Übersetzung von [9.15] Gottsched, Johann Christoph: Herrn Peter Baylens, weyland Prof. der Philosophie zu Rotterdam, verschiedene Gedanken bey Gelegenheit des Cometen, der im Christmonate 1680 erschienen: an einen Doctor der Sorbonne gerichtet Aus dem Französischen übersetzet, und mit Anmerkungen und einer Vorrede ans Licht gestellet, Hamburg 1741 (VD18 11375116). 108 Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 386. 109 Bayle vergleicht z. B. das Auftreten von Katastrophen oder anderem unglücklichen Geschehen in den Jahren vor und nach dem Kometen 1668, vgl. [9.4] Bayle: Pensées diverses sur la comète, S. 104–127.
9.3 Vom Schreckenszeichen zum Kuriosum
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tologische Erscheinungsweise, die sich beispielsweise auf die Idee einer universalen Korrelation im Kosmos bezieht, zurück.110 Kometen seien keine göttlichen Zeichen oder Botschaften, sondern natürliche Körper, die sich nach allgemeinen Regeln verhalten und bewegen. Auf diese natürliche Erklärung der Kometenerscheinungen geht Bayle jedoch kaum ein und führt entsprechende Andeutungen nicht aus; er weist die Kometenfurcht nicht durch astronomische, physikalische, geometrische oder allgemein naturphilosophische Argumente zurück und geht auch nicht auf aktuelle Kometentheorien etwa von Descartes, Hevelius oder Bernoulli ein.111 Demnach scheint die rationale Naturwissenschaft nicht das Schwert zu sein, mit welchem Bayle gegen den Aberglauben zu Felde zieht. Jorink stellt zurecht die Frage, was unter diesem Aberglauben überhaupt genau zu verstehen sei, da die zeichenhafte Interpretation von Naturphänomenen ebenso wie die der Astrologie zugrunde liegende Annahme eines himmlischen Einflusses auf die irdische Welt keinesfalls nur Überzeugungen eines populären Volksglaubens sind, sondern vielmehr über Jahrhunderte hinweg einen legitimen Teil der intellektuellen Kultur einer humanistischen Elite darstellen, der seinen Ursprung in autoritativen Texten der griechisch-römischen Antike hat und zudem biblisch sanktioniert ist.112 Bayles umfassende Kritik an der Kometenfurcht ist primär religiös motiviert und hängt mit seiner Biographie zusammen: Als Calvinist im katholischen Frankreich ist er großem sozialen Druck und Repressalien ausgesetzt, 1681 schließt die protestantische Akademie in Sedan, an der er als Philosophieprofessor tätig ist und zwingt ihn zur Emigration nach Rotterdam, während seine in Frankreich zurückbleibende Familie sehr unter der religiösen Verfolgung zu leiden hat.113 Bayle wird zu einem Verfechter unbedingter Toleranz und zum Gegner religiöser Bevormundung:114 obwohl selbst kein Atheist, konstatiert er in seinem Kometenwerk, dass eine atheistische Gesellschaft nicht weniger rechtschaffen sei als eine der Gläubigen, zählt zahlreiche Beispiele historischer Figuren von tugendhaften Ungläubigen auf und ebenso viele Beispiele für
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Vgl. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 384–385. Jorink: Comets in Context, S. 58. Jorink: Comets in Context, S. 54–57. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 112. Siehe dazu Bots, Hans: Pierre Bayle et les Catholiques, in: Bunge, Wiep van / Bots, Hans (Hrsg.): Pierre Bayle (1647–1706), Le Philosophe de Rotterdam: Philosophy, Religion and Reception. Selected Papers of the Tercentenary Conference Held at Rotterdam, 7–8 December 2006, Leiden 2008 (Brill’s Studies in Intellectual History 167), S. 69–82 sowie Bost, Hubert: Pierre Bayle, un „protestant compliqué“, in: Bunge, Wiep van / Bots, Hans (Hrsg.): Pierre Bayle (1647–1706), Le Philosophe de Rotterdam: Philosophy, Religion and Reception. Selected Papers of the Tercentenary Conference Held at Rotterdam, 7–8 December 2006, Leiden 2008 (Brill’s Studies in Intellectual History 167), S. 83–101. Bayle reflektiert in seinem Werk z. B. über den Schaden, den der Glaube an die Überlegenheit einer Religion anrichtet und äußert sich auch zur Lage der Hugenotten, vgl. [9.4] Bayle: Pensées diverses sur la comète, S. 225–235.
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begangenes Unrecht im Namen der Religion, z. B. die Kreuzzüge.115 Fragen der Naturforschung sollten in eben diesem Rahmen beantwortet werden und nicht unter Bezug auf Religion oder Kirche, das Kometenthema sei demnach Sache der Astronomen und nicht der Kleriker oder auch Politiker.116 Diese Haltung Bayles geht auf seine Überzeugung einer strikten Trennung von Vernunft und Glauben zurück und beeinflusst die seinem ganzen Schaffen zugrunde liegende Epistemologie.117 Es ist diese neue Art der Epistemologie und die methodologische Kritik, auf der sie beruht, mit der Bayle seine Zurückweisung des Kometenaberglaubens begründet. Erkenntnisleitend ist für ihn dabei die Frage der Autorität und deren Rolle im Wissenschaftsdiskurs, die er in der Tradition des Skeptizismus ganz grundsätzlich hinterfragt.118 Konkret geht es dabei um eine kritische Evaluation der traditionellen Quellen für Kometenwissen, im Wesentlichen also um klassische Texte der griechisch-römischen Antike: Diese Quellen müssten als etwas wahrgenommen werden, was in einer bestimmten Zeit in bestimmten Kontexten zu bestimmten Zwecken konzipiert worden sei und daher nicht einfach unreflektiert übernommen werden könne.119 Problematisch erscheint Bayle in diesem Zusammenhang auch eine unlautere Ausdehnung des Erkenntnis- und Anwendungsbereichs dieser Quellen. So wie er die Theologen in der Frage der Interpretation von Himmelserscheinungen als nicht zuständig betrachtet, so sieht er bestimmte Elemente antiker Wissensbestände als ungeeignete Grundlage für die Begründung theoretischer Positionen an. Christopher Johnson spricht in diesem Kontext von Bayles entschiedener Zurückweisung der analogischen Argumentation, die er z. B. in der Tradition antiker Poesie nach Vergil und Lucan ausmacht und deren Werke er als legitime Quellen für die Idee, dass Kometen Unheilverkünder seien, diskreditiert.120 Die Fragen nach der Natur oder dem Ursprung von Kometen sind für 115
Madigan, Timothy J.: The Comet Cometh, in: Philosophy Now 103 (2016) (https://philosophy now.org/issues/103/The_Comet_Cometh, abgerufen am 10.08.2016). Die Pensée diverses sind mitunter redundant, so dass sich einige der hier erwähnten Aspekte an mehreren Stellen des Werkes finden. Ein längerer Abschnitt, in dem Bayle eine atheistische Position verteidigt, findet sich z. B. am Ende der Schrift, vgl. [9.4] Bayle: Pensées diverses sur la comète, S. 336–350. 116 Siehe dazu [9.4] Bayle: Pensées diverses sur la comète, S. 290–295. 117 Bartlett kommentiert dazu in seiner englischen Übersetzung der Pensées diverses: „I therefore agree with the older generation of Bayle scholars (to say nothing of the philosophers) according to whom Bayle denies the truth of revealed religion as such, however great may have been the lengths he was willing to go to conceal this fact.“ Vgl. Bayle, Pierre: Various Thoughts on the Occasion of a Comet. Translated with Notes and an Interpretive Essay by Robert C. Bartlett, New York 2000, S. xlv. 118 Jorink: Comets in Context, S. 57. 119 Siehe dazu die einleitenden Abschnitte De l’autorité des Poètes, De l’autorité des Historiens und De l’autorité de la Tradition sowie insbesondere den achten und ausführlichsten Grund, den Bayle gegen den Kometenaberglauben anführt. [9.4] Bayle: Pensées diverses sur la comète, S. 27–38 sowie S. 201–351. Allein dieser Umfang beweist, welche Bedeutung Bayle dieser Thematik zuschreibt. 120 Johnson, Christopher: ‚Periwigged Heralds‘: Epistemology and Intertextuality in Early American Cometography, in: Journal of the History of Ideas 65/3 (2004), S. 399–419.
9.3 Vom Schreckenszeichen zum Kuriosum
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Bayle naturkundliche und nicht poetische, zudem folge die Poesie einer Methodologie und Epistemologie, die kein sicheres Naturwissen generieren, sondern vielmehr literarische Unterhaltung bieten könne.121 Poeten und auch Historiker, Theologen oder Politiker transformierten Kometen durch ihre spezifischen Interpretationen und Instrumentalisierungen „into mere ornaments of preconceived ideas.“122 Bayle rekkuriert mit seiner Kritik damit genau auf die symbolische Dimension der Kometen, auf der ihre kulturelle Relevanz ja gerade beruht, indem sie nicht nur als z. B. meteorologische Zeichen betrachtet werden, sondern in dieser Zeichenhaftigkeit zur Metapher und zur Projektionsfläche avancieren. Diese metaphorisch-symbolische Kometendimension bildet zudem die Grundlage der Verbindung zwischen physikalischem und spirituellem Weltbereich, durch die Kometen als Objekte jenseits der reinen Natur etabliert worden sind. Das Zusammengehen von Natürlichkeit und Übernatürlichkeit ist im Laufe der Entwicklung des Kometendiskurses auf verschiedene Weise konzeptualisiert worden. Im Kontext der augmentierten Kometentheorie erscheinen die Himmelserscheinungen als meteorologisch erklärbare Phänomene, deren sich Gott als Ausdrucksmittel bedient. Besonders im Protestantismus melanchthonischer Prägung mit dessem Fokus auf Prodigien, der Begeisterung für die Astrologie und der Betonung eschatologischen Denkens ist ein duales Kometenbild der natürlichen Wunderzeichen vorherrschend, in dem die natürliche und übernatürliche Kometendimension eng verknüpft erscheinen und aufeinander bezogen sind. Im Nachgang der Entdeckung der Supralunarität der Kometen und durch das Wiederaufleben der teratologischen Divinationsform gewinnt hingegen die supranaturalistische Konzeptualisierung von Kometen an Bedeutung, was so weit gehen kann, dass eine Kometenerklärung durch natürliche Ursachen prinzipiell abgelehnt wird und Kometen ausschließlich zeichenhaft interpretiert werden. Diese Entwicklung verkehrt sich bei Bayle ins Gegenteil, der Kometen als natürliche Phänomene betrachtet, denen keinerlei Zeichenhaftigkeit zukomme. Er kommt der traditionellen Vorstellung des Wunders als etwas der Erklärung prinzipiell Entzogenes wieder sehr nahe, wenn er schreibt, dass „man niemals seine Zuflucht zu einem Wunderwerk nehmen [müsse], wenn sich Sachen natürlich erklären lassen.“123 Damit ist aus dem engen Zusammengehen in Form der Dualität, über das mehr oder weniger unverbundene Nebeneinander als Parallelität, nicht nur rhetorisch ein Gegeneinander von natürlicher und übernatürlicher Erklärung geworden. Die oben beschriebene Entwicklung, die das Wunder in die Natur verlegt hat, wird hier noch einen Schritt weiter getrieben, indem Bayle allen natürlichen Phänomenen den Wunderstatus abspricht.
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[9.4] Bayle: Pensées diverses sur la comète, S. 327–333. Johnson: ‚Periwigged Heralds‘, S. 401. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 112. Die Natürlichkeit der Kometen behandelt Bayle u. a. in Paragraph 66, vgl. [9.4] Bayle: Pensées diverses sur la comète, S. 171–173
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Auf diese Weise entzieht Bayle den maßgeblichen Annahmen des klassischen integrierten Kometenbildes den Boden und zwar weniger, weil ihn die heliozentrische Kosmologie oder die mechanistische Physik von deren Falschheit überzeugen, sondern weil sie auf einem inadäquaten Fundament beruhen und den methodischen Prinzipien Bayles nicht genügen. Dadurch werden die traditionellen und zumeist antiken Wissensbestände und Quellen nicht nur inhaltlich diskreditiert, sondern verlieren ihre Autorität als primäre Bezugspunkte der Theoriebildung – langfristig zugunsten eines vornehmlichen und vor allem auch anderen Erwägungen vorgelagerten Bezugs auf eine direkte Empirie, also etwa einer unvoreingenommenen Beobachtung, worin Nohuys einen wesentlichen Schritt der Entwicklung des modernen Wissenschaftskonzepts und einen Teil der Antwort auf die Frage, warum Gebiete wie die Astrologie oder Magie in diesem Diskurs ihre Glaubwürdigkeit und Legitimation verlieren, erkennt.124 Der Kern der Ursache liegt für Nouhuys im Verschwinden der Finalursachen aus der Naturerklärung: Indem Bayle die Kometen sowohl als Ursachen zukünftiger Katastrophen als auch als deren Anzeichen widerlegt, spricht er ihnen ab, als causa efficiens und als causa finalis zu fungieren und berührt damit sowohl ihre astrologischprognostische Dimension als auch ihre theologische als göttlich intendierte Botschaften; dies sei genau das, was den Skeptizismus bezüglich der Kometenbedeutung eines Scaligers von der eines Pierre Bayles unterscheide, das, was ersteren als Denker der Renaissance und letzteren als ein modernes Wissenschaftsverständnis vertretend erscheinen lasse.125 Die historisch-kritische Bewertung der Argumente der Antike nimmt diesen ihre überzeitliche Relevanz und entspricht dem Wahrnehmen einer Distanz zwischen deren Schöpfern und der Jetztzeit. Bayle stellt damit nicht weniger als den Kern des humanistischen Wissenschaftsideals, das ja in der philologischen Antikenrezeption wurzelt, infrage und erklärt die kritische Methode zum epistemologischen Grundsatz.126 In Bezug auf die Kometenthematik wird damit insbesondere die historia als Modus der quasi-empirischen Argumentation und als erkenntnis- und deutungsleitendes Rahmenkonzept kritisiert. Besonders in den Kometenchroniken, in denen vergangene Himmelserscheinungen und deren vermeintliche Folgen dokumentiert sind, zeigt sich diese Form der unkritischen Tradierung und deren autoritative Interpretation ja in Reinform. Eine kritische Evaluation dieser Chroniken und der dahinterstehenden Methodik unternimmt der stark vom cartesischen Rationalismus127 geprägte 124 Sie bezeichnet dies als „Cessation of Dialogue“, vgl. Nouhuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 378– 379. 125 Vgl. Nohuys: The Age of Two-Faced Janus, S. 379–386. 126 Jorink: Comets in Context, S. 59. 127 Zum Einfluss der cartesianischen Philosophie auf den methodologischen und historiographischen Diskurs des 17. und 18. Jahrhunderts siehe Szegedi, Edit: Geschichtsbewußtsein und Gruppenidentität. Die Historiographie der Siebenbürger Sachsen zwischen Barock und Aufklärung, Köln 2002 (Studia Transylvanica 28), S. 116–123.
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Utrechter Naturphilosoph Johannes Graevius (1632–1703), der in dieser historischen Tradition die Wurzel des Kometenaberglaubens sieht und von dem Bayle wahrscheinlich beeinflusst worden ist.128 Graevius ist zudem sehr skeptisch hinsichtlich der biblischen Grundlage der Ansicht von Kometen als Zornzeichen Gottes. Darin folgt ihm der niederländische Philosoph Balthasar Bekker (1634–1698), der oft in einem Atemzug mit Bayle genannt wird und ebenfalls eine Schrift gegen den Kometenaberglauben verfasst hat.129 Bekker beruft sich in seiner Ablehnung der zeichenhaften und auch eschatologischen Kometeninterpretation auf eine eigene kritische Bibelexegese sowie eine Analyse der hebräischen und griechischen Urtexte. Auch bei ihm zeigt sich damit das Entstehen einer neuen Methode und die Überzeugung, die überkommenen Quellen oder autoritativen Theorien – bis hin zur Bibel als Legitimationsgrundlage theologischer Ansichten – zum Gegenstand von kritischer Evaluation und systematischer Untersuchung zu machen.130 Bayles Überzeugung von der Richtigkeit dieses epistemologischen Ansatzes zeigt sich allein darin, dass er eine rein natürliche Erklärung der Kometen für so sicher hält, dass es kein Manko ist, dass er sie selbst nicht liefern kann. Wie oben erwähnt, argumentiert er nicht mit naturphilosophischen Argumenten für eine bestimmte theoretische Vorstellung von Kometen. Wenige Hinweise lassen erahnen, dass er von der cartesischen Wirbeltheorie überzeugt ist, jedoch beschränkt Bayle sich darauf, wiederholt zu betonen, dass Kometen natürliche Körper und keine wie auch immer gearteten Wunderzeichen seien.131 Die Vorstellung von Kometen als unheilverkündend oder Unglücksboten hält er für völlig unbegründet und macht sich entsprechend über die darauf zurückgehende Furcht vor diesen Himmelserscheinungen lustig. Mit dieser Haltung steht er nicht alleine da, wie das Beispiel des Schriftstellers Bernard Le Bouvier de Fontenelle (1657–1757) zeigt, der 1681 das parodistische Theaterstück La Comète publiziert.132 Ebenso wie Bayle kann Fontenelle zu den Frühaufklärern gezählt werden, dem es in seinem Schaffen insbesondere um die Popularisierung von Wissenschaft geht. Sein bekanntestes Werk Entretiens sur la pluralité des mondes (1687) ist z. B. in Dialogform verfasst und diskutiert unter Bezugnahme auf das zeitgenössische Wissen zur Astronomie und Himmelsmechanik die Möglichkeit extraterrestrischen Lebens. Fontenelle ist religionskritisch und Rationalist, auch er räumt dem wissenschaftlichen Den128 129 130 131 132
Jorink: Comets in Context, S. 59–65. Fix, Andrew: Bekker and Bayle on Comets, in: Geschiedenis van de wijsbegeerte in Nederland 11 (2000), S. 81–96. Jorink: Comets in Context, S. 66–67 Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 112. In seinem 7. Grund gegen den Kometenaberglauben argumentiert Bayle rein theologisch gegen die Annahme, dass Kometen Zeichen Gottes seien, vgl. [9.4] Bayle: Pensées diverses sur la comète, S. 154–200. [9.11] Fontenelle, Bernard Le Bouvier de: La Comète. Comedie, Paris 1681 [in: Niderst, Alain (Hrsg.): Oeuvres complètes de Fontenelle 4, Paris 1992, S. 127–166].
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9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
ken in seinen Werken den höchsten Stellenwert ein: In seiner utopischen Schrift La Republique des Philosophes – geschrieben um 1682, aber zu Fontenelles Lebzeiten nicht veröffentlicht – setzt er die theoretische Idee Bayles einer Gesellschaft tugendhafter Atheisten in fiktiv-literarischer Form um.133 Im Zentrum von Fontenelles komödiantischem Theaterstück La Comète steht ein Astrologe, der aufgrund der unerwarteten Erscheinung des Kometen von 1680 die Liebesheirat seiner Tochter absagt und sich dabei auf seine Wissenschaft beruft. Der Astrologe wird als töricht verlacht und dessen pseudowissenschaftliche Wissensansprüche werden als Instrument der Manipulation entlarvt.134 Daneben verspottet Fontenelle seiner Meinung nach überholte theoretische Annahmen, etwa die Vorstellung, dass Kometen Verbrennungsprozesse sind, die durch terrestrische Exhalationen gespeist werden.135 Bereits seit Mitte des 16. Jahrhunderts sind die Astrologie und ihre Anhänger Gegenstand von Spott und Satire, was sich sogar in einem eigenen Subgenre parodistischer Schriften manifestiert hat.136 Genauso wie satirische Almanache publiziert werden – man denke etwa an die Spottprognostik von Johannes Fischart oder Sebastian Brants Narrenschiff – gibt es Ende des 17. Jahrhunderts entsprechende Kometenflugschriften.137 Der bloße Umstand, dass etwas Gegenstand von Spott und Parodie wird, ist ein Indiz dafür, wie ernst es trotzdem genommen wird, „because parody cannot function in the absence of that which it parodies.“138 In diesem Spott liegt immer auch eine methodische und soziale Kritik, die in der umfassenden Ablehnung des „Aberglaubens“ bei Bayle oder Fontenelle in den Vordergrund gerückt ist. Die Stigmatisierung dieses Aberglaubens als vulgär ist ein Zeichen dafür, dass diese Abwertungsprozesse nicht zuletzt dem Zweck der sozialen Abgrenzung einer sich formierenden wissenschaftlichen Elite dienen. Die vehemente Zurückweisung der Vorstellung von Kometen als zeichenhaften Boten und ihre Diskreditierung als unbedingt lächerlich durch Bayle zeigt zum einen, dass die Ablehnung etwa der Astrologie entgegen der älteren Tradition der Astrologiekritik nunmehr grundsätzlicher Natur ist und sich nicht auf eine Bemängelung einzelner Aspekte oder der unbefriedigenden und fehleranfälligen
133 134 135 136 137 138
Siehe dazu ausführlich das 4. Kapitel „Der ‚beste Staat‘ als Republik der Atheisten. Zu Fontenelles Histoire des Ajaoiens“ bei Saage, Richard: Utopische Profile: Aufklärung und Absolutismus, Münster 2001 (Politica et Ars 2), S. 53–74. Elm, Veit: Wissenschaftliche Geschichte und Literatur bei Fontenelle, Montesquieu, Voltaire und Rousseau, in: Elm, Veit (Hrsg.): Wissenschaftliches Erzählen im 18. Jahrhundert. Geschichte, Enzyklopädik, Literatur, Berlin 2010, S. 111–142, S. 122. Johnson: ‚Periwigged Heralds‘, S. 402. Siehe dazu Pfister: Parodien astrologisch-prophetischen Schrifttums. Siehe dazu Martin: Kometen in der deutschen Barockdichtung. Eamon, William: Astrology and Society, in: Dooley, Brendan (Hrsg.): A Companion to Astrology in the Renaissance, Leiden 2014 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 49), S. 141–192, S. 190.
9.3 Vom Schreckenszeichen zum Kuriosum
475
Umsetzung theoretischer Vorstellungen in die Praxis beschränkt.139 Zum anderen wird hier der Wandel der Wahrnehmung von Kometen deutlich: Sich über das Erschrecken angesichts des Erscheinens von Kometen und den Glauben an ihre Macht oder Einflussnahme im Bereich des Irdischen lustig zu machen, illustriert das Verschwinden der Kometenfurcht und den damit verknüpften Transformationsprozess der Kometen vom prodigiösen Schreckenszeichen hin zur Kuriosität. Diese Neukonzeption der Kometen, die u. a. auf dem oben angedeuteten mentalitätsgeschichtlichen Wandel im Bereich der Theologie, einer Privilegierung der genauen Naturbeobachtung vor anderen Erkenntniswegen, einer skeptischen Grundhaltung bezüglich überkommener wie aktueller Wissensbestände sowie der Etablierung einer kritischen Methodologie beruht, bedeutet nicht zwangsläufig eine Ablehnung des Wunderbegriffs insgesamt, wie sie bei Bayle begegnet. Häufig lässt sich eine Transformation des Zeichenkonzeptes feststellen, das im Kontext der Physikotheologie als Zweck fortlebt und dabei durchaus noch im Konnex mit der Vorstellung der göttlichen Kommunikation über Naturzeichen erscheinen kann. Ein Beispiel dafür bietet der amerikanische Harvard Präsident und Pfarrer Increase Mather (1639–1723), dessen puritanischer Glaube ihn noch eher für die Überzeugung eines direkten göttlichen Wirkens oder Willensbekenntnisses in der Alltagswelt empfänglich macht.140 In seiner Schrift zum Kometen 1683 präsentiert er die Himmelsphänomene nicht als Ursachen kommenden Unheils, sondern in eingeschränkter Form als Zeichen: „they are signs of such things to follow only in respect of their Universal and supernatural cause, God having ordained them for that end that to the Inhabitants of the World, when they behold such fearful sights might thereby be awakened into repentance.“141 Während Mather der an die zeichenhafte Konzeptualisierung von Kometen geknüpften epistemologischen Unsicherheit durch einen Rekurs auf universelle theologische Wahrheiten begegnet, ist es ebenso möglich, sie als Wunder losgelöst von Gottes guten oder bösen Absichten, unpolemisch und ohne jegliche offene oder versteckte Tendenz im negativen Sinne zu betrachten, jedoch als Wunder der Natur zu interpretieren, als
139
Der dritte von Bayles acht Gründen, die gegen den Kometenaberglauben sprechen, befasst sich mit der Astrologie und hat den aufschlussreichen Titel „Que l’Astrologie qui est le fondement des predictions particulieres des Cometes, est la chose du monde la plus ridicule“, vgl. [9.4] Bayle: Pensées diverses sur la comète, S. 56. 140 Siehe dazu Hall, Michael G.: The Last American Puritan. The Life of Increase Mather, Hanover 1988. 141 [9.22] Mather, Increase: Kometographia, Or, A Discourse Concerning Comets: Wherein the Nature of Blazing Stars is Enquired Into. With an Historical Account of All Comets which Have Appeared from the Beginning of the World Unto this Present Year, MDCLXXXIII. Expressing the place in the heavens, where They Were Seen, Their Motion, Forms, Duration, and the Remarkable Events which have followed in the world, so far as thay have been by learned men observed. as Also Two Sermons Occasioned by the Late Blazing Stars, Boston 1683; hier zitiert nach Johnson: ‚Periwigged Heralds‘, S. 416–417.
476
9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
erstaunliche, berichtenswerte, zur Unterhaltung dienliche oder denk- und merkwürdige Begebenheiten.142 In dieser Weise äußert sich z. B. der evangelische Theologe Benjamin Gerlach (1633– 1683) in seiner Schrift zum Kometen 1680, wenn er schreibt: „Die Cometen sind ein Spiel der Natur / welches sie / wenn es sie gut däucht / anstellet / den Allmächtigen Gott zu preisen / und die Sterblichen zu gleichem Lobe aufzufrischen / ohne daß sie was trauriges und erschröckliches fürbedeuten sollten.“143 Die Kometen sind keine Unheilskünder und entspringen der Natur, in deren Rahmen sie auch zu erklären sind. Sie erscheinen weniger göttlich intendiert als vielmehr in ihrer wunderhaften Natürlichkeit dazu existent, die göttliche Verfasstheit der Natur zu vermitteln und damit der Gotteserkenntnis und -preisung zu dienen. Die Zeichenhaftigkeit der Kometen erschöpft sich in diesem begrenzten Rahmen der Physikotheologie, die sich gleichermaßen auf die Bibel und die menschliche Ratio beruft: „Wir leben in der Welt / als auf einem grossen Schau-Platze der grossen und verwunderlichen Wercke Gottes. So wir der Göttlichen Natur theilhafftig seyn wollen / gebühret uns dieselbigen wol zu betrachten / und auf des Herrn Lob bedacht zu seyn. Die beste Betrachtung ist / welche die Schrifft und Vernunft zur Wegweiserin hat.“144 Die Kometen als Wunder der Natur sollen mit Verwunderung und nicht mehr mit Erschrecken angesehen werden; ihre Erforschung dient dabei nicht mehr der Ermittlung einer spezifischen Folgenprognose, sondern der Ergründung der göttlichen Schöpfung zur tieferen Erkenntnis des Wesens und Willens ihres Urhebers. Auch Dörffel spricht in ähnlicher Weise von diesem „ungemeine[n] Sternen-Licht, das jeder mit Verwunderung anschauet und nach Vermögen seines Verstandes betrachtet.“145 Damit erhält die Naturforschung eine rationale und theologische Legitimierung: Ob nun zwar ins gemein dergleichen Neugierigkeit nicht allezeit zu loben ist (…) so ist doch diese / die den Himmel betrifft / wenn sie anders recht angewendet wird / keines Weges zu schelten; massen der Mensch / auch nach jenes Heydens Ausspruch / um deß willen / also mit aufrechtem Antlitz von Gott gebildet ist / daß er den Himmel beschauen / und die darinnen enthaltenen herrlichen Geschöpffe mit Verwunderung betrachten solle.146
Dieses Zitat Dörffels veranschaulicht die tiefgreifende Neubewertung der curiositas, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts stattfindet: Während Augustinus sie als der Wollust ähnliche Begierde der Augen, als ersten Schritt auf dem Weg zu Hochmut und Überheblichkeit sowie als Illustration eines Mangels an Ehrfurcht und Bescheidenheit cha-
142 Schenda: Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Sp. 664–665. 143 [9.14] Gerlach, Benjamin: Unvorgreifliches Urteil Von der Cometen Würckung und Bedeutung, Schweidnitz 1681 (VD17 14:072875R), Bl. A 2r. 144 [9.14] Gerlach: Unvorgreifliches Urteil, Bl. A 1v. 145 [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bl. A 2r. 146 [9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bl. A 2r.
9.3 Vom Schreckenszeichen zum Kuriosum
477
rakterisiert hat, ist sie für den englischen Philosophen Thomas Hobbes (1588–1679) das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, das Merkmal des rationalen Denkens schlechthin, kein körperlicher Trieb, sondern Werkzeug der Produktion von Wissen, das Vergnügen bereitet.147 Diese neue emotionale Empfindung der Neu- und Wissbegierde überträgt sich auf ihre Gegenstände – auf materieller Ebene etwa Objekte des Sammelns, die in Kuriositäten- und Naturalienkabinetten Platz finden und deshalb kurios erscheinen, weil sie selten, neuartig und extravagant sind; kurios ist aber ebenso das, was der Erforschung wert erscheint, da es Aufschluss über das Wesen der Dinge zu geben vermag – also die Natur und ihre Phänomene selbst, die durch ihre Untersuchung als Meisterstücke der Schöpferkraft verstanden werden.148 Wie bei Dörffel anklingt, ist die Verwunderung Auslöser, Antrieb und Ziel der neu konzeptualisierten curiositas und das Staunenmachen wesentliche Motivation der Ergründung von Natur und damit Triebfeder einer darauf bezogenen Wissenschaft, in deren Rahmen nunmehr Seltenes, Merkwürdiges, Verborgenes oder Geheimes – eben all das, was traditionell aufgrund der Unkenntnis der Ursachen als Wunder deklariert worden ist – verstanden werden soll.149 Aus Furcht wird Staunen und daraus schließlich Belustigung oder wissenschaftliche Neugierde, die sich auf die wundersamen Naturphänomene als Forschungsobjekte oder kuriose Denkwürdigkeiten und Skurillitäten beziehen, die vom Volk auf dem Marktplatz begafft werden, jedoch nicht mehr zu erbaulich-religiösem Zweck, sondern „vulgarisiert zum ästhetischen Vergnügen“.150 Der Beginn dieses Prozesses, mit dem aus Prodigien Kuriosa werden, manifestiert sich z. B. bei Johannes Praetorius, der im vergangenen Kapitel bereits behandelt worden ist.151 Ähnlich wie oben Gerlach von Kometen als Spiel der Natur spricht,152 sind auch bei Praetorius die prodigienhaften Phänomene „zum Spielzeug geworden“, zum Kuriosum, mit dem er den Leser verblüffen und ein manieristisch verzerrtes Bild der Welt liefern, nicht moralisieren, sondern unterhalten und Staunenmachen will.153 Wenn er in seinem Werk Astrologia Germanica z. B. eine Auflistung der ihm bekannten Verfasser von Schriften zum Kometen 1618 liefert und konstatiert: „Allhier hastu 69 Autores, die kunterbunte Sachen von selbigem Cometen herausgegeben haben“154, 147 148 149 150 151 152 153 154
Vgl. Daston: Neugierde als Empfindung und Epistemologie, S. 38–41. Daston: Neugierde als Empfindung und Epistemologie, S. 44–45. Daston: Neugierde als Empfindung und Epistemologie, S. 46–47. Habermas: Wunder, Wunderlicher, Wunderbares, S. 65. Siehe Kap. 8.2.2. Zur Metapher des Spiels und ihrer Bedeutung für die frühneuzeitliche Wissenschaft und Historiographie siehe Findlen, Paula: Jokes of Nature and Jokes of Knowledge: The Playfulness of Scientific Discourse in Early Modern Europe, in: Renaissance Quarterly 43 (1990), S. 292–331. Schenda: Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Sp. 650. [9.24] Praetorius, Johannes: Astrologia germanica et germana: Das ist: Eine neuerfundene geographische Astrologie: Drinnen der eigentliche und unfehlbahre Dieterich zur höchsten Wunder-kammer Gottes an zu treffen stehet und die zeit-
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9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
so scheint sein Fokus weniger auf dem Zusammentragen nüchterner Beobachtungsdaten oder theoretischer Positionen zu liegen, sondern vielmehr auf der Illustration der kulturellen Relevanz von Kometen und ihrer Charakterisierung als Faszinosa mit Unterhaltungswert. In diesem Wandel der Präsentation von Kometen zeigt sich die „curieuse“ Mode, die das Barockdenken des späten 17. Jahrhunderts prägt.155 Diese Entwicklung, die sich bis zum Ende des Jahrhunderts fortsetzt, manifestiert sich somit nicht nur auf der Empfindungsebene, sondern auch in den Darstellungsformen der Kometenthematik und den Rezeptionsinteressen, die an die entsprechende Literatur herangetragen werden, wobei auch dieser Prozess ein langfristiger ist und sich bereits in den Jahrzehnten vor 1680 andeutet. Die Kometen werden mehr und mehr zum Gegenstand gelehrter Unterhaltungsliteratur, ihre Deutung geht vom Konkreten ins Allegorische und befriedigt das Bedürfnis nach Sinnstiftung und nicht akademischer Erklärung.156 Dies ist nicht zuletzt Ausdruck der im vergangenen Kapitel geschilderten Diskursdifferenzierung und der damit verknüpften Dissolution des integrierten Kometenbildes, die sich z. B. darin zeigt, dass die ehemals verbundenen Aspekte der Interpretation und Erklärung separiert erscheinen und in verschiedenen disziplinären Feldern verhandelt werden. Bayle rekurriert genau auf diese Abgrenzung von Erkenntnisbereichen, wenn er den poetischen Werken der Antike ihre Legitimität als Quellen für Kometenwissen abspricht. Auch der Dichter Schneuber trennt die deskriptivexplanative Ebene von jener der Deutung, indem er exakte Beobachtungsdaten nutzt, um darauf eine poetische Interpretation zu gründen, die auf Erbauung und ästhetische Anregung zielt, aber von der naturkundlich-wissenschaftlichen Dimension separiert ist und damit auch nicht deren epistemologischen Kriterien genügen muss, sondern sich dem Wortsinne nach auf die „dichterische Freiheit“ berufen kann.157 Es fällt auf, dass im Kontext des physikotheologischen Denkens die Rolle, die traditionell Gott zugeordnet worden ist – z. B. Kausal- oder zumindest Finalursache von Kometen zu sein, mit solchen bestimmte kommunikative Intentionen zu verfolgen oder allgemein durch aktives Wirken in der irdischen Welt seine Schöpfermacht zu demonstrieren –, zumindest teilweise auf die unbestimmte Natur selbst übergeht. Dass Gerlach von Kometen als „Spiel der Natur“ spricht, die Gott in ihrer Natürlich-
155 156
157
her unerforschliche auch allen Mercuriis unbewuste Vermählung des Himmels mit der Erden dergestalt augenscheinlich dargethan und mit unleugbaren Beyspielen durch alle und einzelne Plätze des Firmaments beleget wird; dass auch ein jeder ungelahrter nach diesem die Sterne-kunst drauss verstehen und dero Krafft oder Zeichen unschwer erlernen kan (…), Leipzig 1665 (VD17 14:073118R), S. 67. Ist gleichzeitig [8.40]. Mańko-Matysiak: Das Teufelsmotiv in der schlesischen Wunderzeichenliteratur, S. 77. Vgl. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 98–100. Ein berühmtes Beispiel für eine poetische Reflexion auf den Wandel des kosmologischen Weltbilds ist das epische Gedicht Paradise Lost (1667) des englischen Poeten John Milton, siehe dazu Danielson, Dennis: Paradise Lost and the Cosmological Revolution, Cambridge 2014. Zu Schneuber siehe Kap. 8.3.
9.4 Zusammenfassendes Fazit
479
keit und rationalen Verstehbarkeit zwar zur Ehre gereichen, aber keine konkrete durch ihn bestimmte Funktion erfüllen, zeigt, dass Gottes Rolle passiver geworden ist und er hinter das Naturgeschehen, dessen Regelhaftigkeit und Erklärbarkeit zurücktritt. Diese oben im Zusammenhang mit Wundern bereits erwähnte „Verschiebung der Gotteskonzeption“ – sichtbar auch an dem Bedeutungsverlust der melanchthonischen Astrologie und der Fokussierung auf die Endzeit – bedingt einen signifikanten Wandel im Zugang zur Natur sowie der Konzeptualisierung des Verhältnisses von Natur und Gott.158 Die innerhalb des Protestantismus spürbare Rückkehr zu lutherischen Idealen oder die Propagierung naturtheologischer Denkmuster laufen beide auf eine deutlichere Trennung von naturwissenschaftlichem und religiösem Wissen hinaus.159 Durch die Parallelität beider Dimensionen werden die daraus entwickelten Erkenntnisinteressen und epistemologischen Kriterien zunehmend als miteinander konkurrierend oder auch widersprüchlich wahrgenommen. Zunächst treten daher theologische Deutungen hinter naturwissenschaftlichen Erklärungen zurück, bevor – in den Anfängen sichtbar bei Bayle – im Verlaufe des 18. Jahrhunderts vollends mit den religiösen Deutungsmustern gebrochen wird.160 9.4 Zusammenfassendes Fazit Dieses Kapitel hat drei Entwicklungen näher beleuchtet, die verdeutlichen, warum der durch die deutschsprachigen Kometenflugschriften konstituierte Diskurs 1681 seinen Höhepunkt und gleichzeitig seinen Endpunkt erreicht. Zum einen werden Kometen nun nicht mehr als sublunare Meteora, sondern als Himmelskörper angesehen, die sich auf berechenbaren Orbits bewegen und im Kontext einer astronomiebasierten Himmelsphysik oder -mechanik zu beobachten, zu beschreiben und zu erklären sind. Zweitens manifestiert sich ein tiefgreifender Wandel theologischen Denkens und religiöser Praxis in einer veränderten Gottes- und Wunderkonzeption sowie in einer Neuinterpretation des Verhältnisses von Gott und Natur, dem Zugang zu und der Deutung von Natur. Diese Transformationen sind nicht zuletzt mit mentalitätsgeschichtlichen Wandlungsprozessen verbunden, die den Beginn der Aufklärung markieren. Deren Vertreter wenden sich gegen religiöse Bevormundung und erklären die Vernunft zur universalen Richtinstanz, sie gehen durch Information gegen Formen des Aberglaubens vor und verbinden Wissenschaftspopularisierung mit Volksbildung. Vor diesem Hintergrund etabliert sich eine kritische Methode als epistemologisches Paradigma, das die starke Antikenfokussierung des Humanismus ablöst. Die Anwendung dieser kritischen Methodik und die Diskreditierung der antiken Quellen, Autoritäten und 158 Gestrich: Religion in der Hungerkrise von 1816/1817, S. 280. 159 Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 91. 160 Habermas: Wunder, Wunderlicher, Wunderbares, S. 64.
480
9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
tradierten Ansichten ist schließlich die dritte Entwicklung, deren Folgen zum Ende des Kometendiskurses beitragen. All diese Prozesse spiegeln sich in der Dynamik, die das Kometenwissen als kulturelles System entwickelt, wider und sind ihrerseits durch diese Dynamik geprägt. Die Schriften von Dörffel und Kirch illustrieren mehrere der genannten Entwicklungsprozesse und verdeutlichen damit deren Allgemeinheit. Beide beschränken sich fast ausschließlich auf die astronomische Kometendimension: Die Resultate systematischer Observation bilden den Kern ihrer Erörterungen und gleichzeitig den begrenzenden Rahmen und Bewertungsmaßstab theoretischer Positionen. So leiten beide aus ihren Beobachtungsdaten Aussagen über die theoretische Kometennatur ab, stellen jedoch solche Annahmen, die nicht empirisch untermauert sind, neutral bzw. als bis dato ungelöste Problemfelder dar. So kann Dörffel nicht den Vorstellungen des von ihm hochgeschätzten Hevelius zum Ursprung von Kometen folgen, da er ein reines Argument der Autorität als nicht überzeugend ansieht, die Position aber auch nicht durch empirische Daten legitimiert findet. Ebenso sieht er keine Möglichkeit, aufgrund der Kometenbewegung und -theorie zwischen der tychonischen und der kopernikanischen Kosmologie zu entscheiden. Neben diesem Fokus auf die Beobachtung kennzeichnen eine skeptische Grundhaltung und das Rationalitätsprinzip nach Ockhams Messer die Epistemologie Dörffels. Die darauf basierende und systematisch begründete Ableitung der parabolischen Kometenbahn hat für ihn den Status eines „naturmäßigen Lehr-Satzes“; er sieht darin keine rein deskriptive Beschreibung, sondern eine umfassende Erklärung der Kometenbewegung sowie eine Verbesserung der hevelianischen Theorie, deren physikalische Interpretation Dörffel in seine Argumentation integriert. Dass Dörffel seine Entdeckung in Form einer volkssprachigen Flugschrift publiziert, verdeutlicht deren Funktion als Medium der gelehrten Kommunikation und des Datenaustauschs. Auch Kirch macht seine astronomischen Entdeckungen in seinen Kalendern bekannt, in denen er zudem astronomisches Grundwissen vermittelt und aktuelles Forschungsgeschehen diskutiert. Deutlicher als Dörffel nutzt er das Bildungspotential seiner Werke für aufklärerische Zwecke, wobei er das Neue in der Form des Alten verpackt: Durch das Aufzeigen der Missstände im Kalenderwesen, der Mängel der Astrologie oder von illegitimen Formen der Prognostik informiert Kirch seine Leser, um sie zu einem eigenständigen Urteil zu befähigen und anzuregen, das der Vernunft und nicht überkommenen Dogmen rechenschaftspflichtig ist. Aus der Darstellung ist ersichtlich, dass Kirch der Astrologie grundsätzlich kritisch gegenübersteht, eben weil sie diesem Anspruch nicht gerecht wird. Auch Dörffel lehnt die astrologische „Wahrsagerey“ als unfundiert und nutzlos ab und äußert theologische Einwände bezüglich ihrer Legitimität. Die Zeichennatur der Kometen ist für beide Autoren evident, jedoch allein im theologischen Rahmen zu verstehen. Hierbei geht es beiden nicht mehr um die prophetische Dimension der Kometen als zur Buße mahnenden Zeichen eines zornigen Gottes, sondern um deren physikotheologische
9.4 Zusammenfassendes Fazit
481
Bedeutung, die ihnen als Wunder der Natur zukommt. Ihre Erklärbarkeit ist Beleg für die Leistungsfähigkeit der menschlichen Vernunft und die Perfektion der göttlichen Schöpfung. Die Erforschung der Natur dient daher seiner Erkenntnis und seinem Lobpreis. Die theologische Interpretation liefert auf diese Weise eher den sinnhaften Überbau der Naturerfassung als eine tragende Rolle in der Kometenbeschreibung und deren theoretischer Begründung zu spielen. Diese Dualität von naturkundlicher und theologischer Kometendimension besteht demnach in einer Aufeinanderbezogenheit der Resultate, läuft aber de facto auf eine Trennung von Erklärung und Deutung hinaus. Die astronomiebasierte Erforschung der Kometen ist ein in sich methodologisch und epistemologisch abgesichertes Unterfangen, dessen Ergebnisse als Beleg für die zweckhafte Geschaffenheit der Welt und die in ihr manifeste Vorhersorge Gottes herangezogen werden. Die Deutung ist demnach sekundär und der deskriptiven Phänomenerfassung nachgeordnet, sie stellt genauso wie die Erklärung der Kometen einen davon unabhängig zu bearbeitenden Bereich der Wirklichkeitserfahrung dar. Daraus folgt, dass eine Kometenerklärung nicht nur unabhängig, sondern auch schlichtweg ohne Berücksichtigung der interpretativen Frage denkbar geworden ist und das ist genau das, was Bayle so vehement propagiert, da er die Indienstnahme der Himmelsphänomene zu verschiedensten Zwecken – seien sie religiöser, moralischer oder politischer Natur – nicht nur als unfundiert und unlauter ansieht, sondern deren missbräuchliches Potential fürchtet. Seine Antwort darauf ist die Abgrenzung von Erkenntnis- und Zuständigkeitsbereichen, die einer epistemologischen Hierarchie folgen: Kometen als Naturphänomene seien in diesem und nur diesem Rahmen zu beschreiben und zu erklären; alles andere sei abergläubisch oder diene, wie im Fall der Poesie, dem ästhetischen Vergnügen, jedoch nicht einer methodologisch untermauerten Wissensproduktion. Die argumentative Trennung der Dimensionen Erklärung und Deutung ist damit Ausdruck der im vorangegangenen Kapitel näher thematisierten Diskursdifferenzierung auf disziplinärer Ebene, da die explanative Leistung im Rahmen einer deskriptiven Astronomie und deren mathematisch-physikalischer Interpretation, die Deutung hingegen im Kontext der Theologie erfolgt. Hübner charakterisiert diesen Prozess als Verselbständigung der wissenschaftlichen Astronomie, der ihre Ablösung von hermeneutischen Gesichtspunkten zur Folge hat, die bis dato funktional durch die Bibel und die Astrologie übernommen worden sind: Während Physik und Mathematik in der astronomischen Kometenerklärung über das Quantitative verbunden bleiben, wird die nicht quantifizierbare Bedeutungsebene abgetrennt.161 Die Marginalisierung der Astrologie lässt sich also ganz wesentlich auf einen Funktionsverlust zurückführen: Sie verliert ihren Platz in der Kometeninterpretation demnach zunächst dadurch, dass
161
Vgl. Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 256–257.
482
9 Der Komet 1680 und das Ende des Diskurses
ihr theoretischer Bezugspunkt in Form der aristotelischen Meteorologie diskreditiert wird und sie somit keine Rolle in der Kausalerklärung von Kometen mehr spielen kann. Auch bei der Beantwortung der Frage nach der Kometenbedeutung schwindet ihre Relevanz, da für eine spezifische Folgenprognostik dann keine Notwendigkeit mehr besteht, wenn man davon ausgeht, dass zwischen Kometenerscheinungen und nachfolgendem katastrophalen Geschehen kein Zusammenhang existiert. Bleibt eine zeichenhafte Kometenvorstellung vorhanden, wird diese ausschließlich im theologischen Kontext begründet und zudem so konzeptualisiert, dass zur Erkenntnis der inkorporierten göttlichen Botschaft eine naturwissenschaftliche und nicht mehr astrologische Erfassung des Phänomens notwendig ist. Auf sozialer Ebene des Diskurses ist der Ausdifferenzierungsprozess ebenfalls sichtbar und zeigt sich in der monothematischen Gestaltung der Schriften und dem Fokus auf einen spezifischen Adressatenkreis. Kirch und Dörffel fokussieren nahezu ausschließlich die astronomische Kometendimension und innerhalb dieser wiederum im Wesentlichen Observationsdaten und deren physikalische Interpretation. Kirchs Kometenschrift ist zudem bilingual, was einerseits auf einen nicht deutschsprachigen und damit tendenziell größeren intendierten Adressatenkreis schließen lässt, auf der anderen Seite aber höhere Anforderungen an den Bildungsgrad der Rezipienten stellt. Astrologische Erwägungen spielen eine untergeordnete Rolle und scheinen z. B. von Dörffel nur widerwillig erwähnt zu werden, wenn er nach Äußerung seiner Kritik an dieser Art von Prognostik schreibt: Weil aber diejenigen / welche diese Dinge für so ungewiß nicht halten / und durch die vermeinte Erfahrung / daß der Ausgang mehrmalen / mit der Vorhersagung zu getroffen / sich bereden lassen / Cometen wären Propheten / sich hiermit nicht werden abweisen lassen: muß ich / sie wo nicht gäntzlich zu vergnügen / doch zum Theil zu befriedigen / hier einige Anleitung geben (…).162
An dieser Formulierung ist erkennbar, dass es nicht die im Zitat genannten Anhänger der Astrologie sind, für die Dörffel seine Schrift primär verfasst hat. So wie nunmehr die Dimensionen der Erklärung und Deutung von Kometen nicht mehr miteinander verbunden oder zumindest gemeinsam behandelt und dargestellt werden, so wenig ist eine heterogene Rezipientengruppe, in der z. B. Bildungsgrad oder soziale Herkunft deutlich variieren, der anvisierte Adressatenkreis. Spezifische Bedürfnisse oder Rezeptionsinteressen werden nun gezielter in je eigenen Schriften befriedigt. Dadurch kommt es zu einer klarer sichtbaren Trennung von Hoch- und Populärkultur:163 Eine gelehrte Elite grenzt sich nach unten ab, indem sie etwa bestimmte Wissensformen,
162 163
[9.9] Dörffel: Observationes Und Kunstmässige Untersuchung, Bl. D 2v. Vgl. Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 123–129.
9.4 Zusammenfassendes Fazit
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Praktiken oder Diskurstraditionen als vulgär oder lächerlich diskreditiert. Die Elite schreibt für sich selbst oder für andere zum Zweck der Unterhaltung oder Belehrung. Mit dem graduellen Niedergang der Astrologie ist die Frage nach der metaphysischen Bedeutung von Kometen keinesfalls obsolet, jedoch wird im Zuge der oben beschriebenen Entwicklungsprozesse auch die zeichenhafte Konzeptualisierung von Kometen insgesamt hinterfragt und transformiert. Dass dies im Wesentlichen eine epistemologische Debatte und keine zwischen frommen Theologen auf der einen und skeptischen Naturphilosophen auf der anderen Seite ist, zeigt der Ulmer Kometenstreit. Bornmeister widerspricht einer kausalen sowie einer semiotischen Verknüpfung zwischen der Erscheinung eines Kometen und dessen vermeintlichen Folgen, da er diese Annahmen weder empirisch noch biblisch untermauert sieht. Er verfolgt einen induktiven und kritischen Ansatz und zieht ähnlich wie Dörffel oder Kirch nur dort theoretische Schlussfolgerungen, wo er sie durch Beobachtungen gestützt sieht. Seinem Kontrahenten Frick hingegen geht es nach scholastischer Tradition darum, das Wesen der Dinge zu ergründen, wobei auch er sich dabei auf die Ratio als oberste Richtinstanz beruft. Frick findet das beobachtbare Verhalten des Kometen als nicht durch natürliche Gesetzmäßigkeiten erklärbar und leitet daraus den übernatürlichen Status des Phänomens ab, wodurch die göttliche Zeichenhaftigkeit für ihn erwiesen erscheint, die er zudem teleologisch begründet. Die fundamentale Differenz dieser erkenntnistheoretischen Positionen liegt darin, dass die eine Seite in letzter Konsequenz alles in der Natur auf die Natur selbst zurückführt, während die andere gemäß einem traditionellen philosophischen Wissensverständnis dem theologischen Grundanliegen gerecht wird, alles in ultimo auf Gott zurückzuführen. Letztlich geht es hier um die Frage, ob man mithilfe einer Empirie ohne Metaphysik zu legitimen Aussagen oder gesicherten Erkenntnissen über die Natur der Dinge kommen kann oder ob eine auf dem Prinzip des Zweifels basierende Naturerklärung das geistige Deutungsmonopol und damit den Führungsanspruch der Theologie gegenüber anderen Wissenschaften oder Disziplinen angreift. Auch diese Art der Parallelität bzw. Abgrenzung von natürlicher und übernatürlicher Erklärung ist ein Ergebnis der Ausdifferenzierung und Segmentierung des Diskurses, die sich hier in einer zunehmenden Entkopplung von naturphilosophischem und religiösem Wissen manifestiert. Diese Entkopplung bedeutet nun nicht, dass zwischen beiden Wissensformen und ihren entsprechenden disziplinären Feldern kein Zusammenhang mehr bestünde: Bornmeister versteht die Himmelsphänomene durchaus als Schöpfungen Gottes und Anlass, diesen zu ehren. Dies ist die zentrale Denkfigur der Physikotheologie, in deren Rahmen die Zeichenhaftigkeit von Naturphänomenen nun gedacht wird. Diese Transformation von einer moraltheologischen zu einer naturtheologischen Sichtweise hat maßgebliche Folgen nicht nur für das Verständnis von Kometen, sondern auch für die Gottes- und Wunderkonzeption: Aus dem zürnenden Richter ist der gütige Gott der Providenz geworden, dessen Schöpfung von Perfektion und Harmonie gekennzeichnet ist und keine gefallene Welt der Sünder, die fortwährend erzieherisch gemaßregelt
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werden müssen, mehr darstellt. An der Spitze dieser Schöpfung steht der Mensch, auf den die Natur zweckhaft zugeschnitten ist und der durch seine Vernunft nicht nur dazu in der Lage ist, die Natur zu verstehen, sondern durch dieses Verständnis den dahinterstehenden Baumeister zu erkennen. Dieser muss demnach seinen Willen nicht mehr durch die Instrumentalisierung von Naturphänomenen prodigienhaft verkünden und durch deren Außergewöhnlichkeit die Dringlichkeit und Autorität seiner Botschaft unterstreichen, sondern durch die planerische und vorhersorgende Einrichtung der Welt sicherstellen, dass er in deren Prozessen und Phänomenen durch die dazu befähigten Menschen erkannt wird. Naturforschung wird damit christliche Pflicht. Die Kometen als Medien der göttlichen Offenbarung leiten somit zu Gottesfurcht und -erkenntnis an, ohne als Zorn- oder Strafzeichen zu fungieren. Gottesfurcht bedeutet hier daher nicht mehr, angesichts eines drohenden Strafgerichts zu verzweifeln und reuig Buße zu tun, sondern vielmehr mit Ehrfurcht und Erstaunen auf die bewunderungswürdigen Werke der Natur und ihren allmächtigen Schöpfer zu blicken. Statt Prodigien oder Zeichen der Endzeit finden sich in der Natur Zeichen der harmonischen Ordnung der Welt, die durch ihren Architekten im Moment der Schöpfung so perfekt und vorausschauend eingerichtet worden ist, dass ihr natürlicher Gang und ihre Regelhaftigkeit als wundersam erscheinen. Daraus ergibt sich eine Umkehrung des straftheologischen Deutungsmusters: Das Wunder liegt nun in der Natur und nicht mehr über ihr und kann demnach durch natürliche Ursachen erklärt werden. Mit dieser Säkularisierung des sakralen Deutungsmusters geht eine Naturalisierung und Profanisierung der Kometen einher. Durch die Naturalisierung werden die Unterschiede zwischen Wunderlichem und Natürlichem nivelliert: Ein Komet hört nicht auf, wunderhaft zu sein, da z. B. seine Bewegung als periodisch erkannt und er damit prognostizierbar geworden ist. Er ist vielmehr gerade wegen seiner Periodizität wundersam, da sich hier die vorausschauende Organisation und Kompetenz des göttlichen Baumeisters ausdrückt. Nach Newtons Vorstellung hat diese Periodizität eine wichtige kosmologische Funktion: Die Kometen versorgen auf ihren das ganze Sonnensystem durchlaufenden Bahnen die Planeten mit notwendiger Materie, die sie im nahen Vorbeiflug mittels ihres Schweifs abgeben und stürzen am Ende ihrer Existenz in die von ihnen umkreisten Sterne, womit sie deren Masse erhöhen und so das gravitative Gleichgewicht in Planeten- und Sternsystemen restituieren und stabilisieren. An diesem Beispiel verdeutlicht sich die teleologische Naturinterpretation der Physikotheologie. Gottes Rolle beschränkt sich auf diese Finalursächlichkeit, womit er einen wesentlichen Teil als Faktor der Kausalerklärung von Natur eingebüßt hat. Diese zweckhafte Natursicht ist sicherlich ein Movens von Naturforschung, auf deren Ergebnissen sie beruht, übernimmt aber anders als zuvor keinen integralen Anteil an der Produktion dieser Ergebnisse. Noch zur Zeit Keplers erscheint die Kausalanalyse als Suche nach der causa finalis und fragt dann zurück zur causa efficiens: Seine Sichtweise der Kometen als göttlichen Wunderzeichen ist für ihn ein empirisch begründeter logischer Schluss, der aus seinen naturwissenschaftlichen Überlegungen folgt, da
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der Schöpfungsglaube eine Funktion der Naturerkenntnis darstellt, in die sich auch die Astrologie einfügt.164 Bei Newton erscheinen theologische und natürliche Naturerklärung gleichzeitig verbunden und separiert. Er rekurriert in seiner teleologischen Kometendeutung nicht mehr auf die zeichenhafte Kometendimension im traditionellen Sinne, sondern konzeptualisiert diese natürlich, womit die Kometenbedeutung wieder als kausale Wirkung gedacht wird – nun allerdings nicht mehr im Kontext einer astrologisch augmentierten meteorologischen Theorie, sondern im Rahmen einer kosmologischen Interpretation der Gravitationstheorie. Die Sprache Gottes in der Natur ist nun naturwissenschaftlich erkennbar und als Kausalzusammenhang verstehbar,165 was nicht zuletzt das astrologische Lesen dieser Sprache obsolet werden lässt. Die Profanisierung der Kometen zeigt sich z. B. an den an ihr Erscheinen geknüpften Emotionen: Aus dem Erschrecken angesichts des göttlichen Zorns ist Erstaunen angesichts der Allmacht und Güte Gottes sowie Bewunderung für dessen Werke geworden. Diese Bewunderung mündet einerseits in einer neubewerteten curiositas als wissenschaftlicher Neugierde, also in dem Bestreben der tieferen Ergründung der Natur wunder, was einer physikotheologischen Legitimation der Naturforschung als Gottesdienst entspricht. Zum anderen dient diese Bewunderung nun der Unterhaltung: Kometen als Spiel der Natur zu betrachten oder sie zum Gegenstand von Theaterstücken oder gelehrter Unterhaltungsliteratur zu machen, bedeutet, sie nicht mehr aus erbaulich-kontemplativen Gründen zu betrachten, sondern zur Belustigung. In diesem Zusammenhang bedürfen die Kometen als Kuriosum weniger der akademischen Erklärung, sondern dienen als skurrile Merkwürdigkeit dem ästhetischen Vergnügen. Auf diese Weise verschiebt sich die Deutung der Kometen vom Konkreten ins Allegorische, was auch als Resultat eines Ausdifferenzierungsprozesses des Kometendiskurses verstanden werden kann, bei dem nicht nur die Grenzen und Zuständigkeiten der disziplinären Felder neu ausgehandelt werden, sondern sich die in den Feldern bisher erfüllten Funktionen verschieben, hier also die Deutung als traditionelle Domäne der Astrologie und Theologie in den Bereich des Poetischen. An solchen Verschiebungen lässt sich der Wandel von Rationalitätskriterien und die Formation einer neuen Epistemologie erkennen. Wenn Bayle antike Poesie als legitime Quelle für Kometenwissen ablehnt oder konstatiert, dass auch den diesbezüglichen Ansichten der Kleriker oder Politiker keine Autorität zukomme, sondern bei den Astronomen und Naturphilosophen liege, dann geht es ihm um eine klare Grenzziehung zwischen Erkenntnis- und Zuständigkeitsbereichen und um die Definitionsmacht darüber, durch welche Methodik rationales Wissen über die Natur zu generieren ist. Er sieht einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Vernunft und Glauben, die beide ihre Berechtigung haben, aber getrennt voneinander betrieben
164 Siehe dazu Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 146–248 und S. 265. 165 Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 257.
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werden müssten. Ein vernunftgeleiteter Ansatz der Naturerfassung beschränkt sich für ihn auf Überprüfbares, weshalb die symbolische oder zeichenhafte Kometendimension nicht nur aus der Erörterung ausgeschlossen, sondern grundsätzlich negiert wird. Bayle spricht natürlichen Prozessen jede Art von Wunderstatus ab und hält sie prinzipiell für natürlich und vollständig erklärbar. Zudem ist er von der Leistungsfähigkeit menschlicher Ratio überzeugt und tritt in frühaufklärerischer Manier für Toleranz und gegen religiöse Bevormundung ein. Sein Werk zeigt beispielhaft, dass nicht nur bestimmte naturwissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch religiös-theologische Motive hinter aufklärerischem Wirken stehen können. Aus diesen Gründen ist Bayles Kometenschrift als Manifest gegen den Aberglauben und als Meilenstein der Durchsetzung eines rationalen Naturbildes gelesen worden, obwohl der französische Philosoph weniger mit naturwissenschaftlichen, als mit theologischen und vor allem methodologischen Aspekten argumentiert: Er propagiert einerseits eine skeptisch-kritische Herangehensweise an überkommenes Wissen und autoritative Quellen. Beides dürfe nicht unreflektiert übernommen, sondern müsse mit geeigneten methodischen Mitteln einer Überprüfung unterzogen werden – naturkundliche Annahmen also etwa durch empirische Daten oder theologische durch eine kritische Textexegese der Bibel. In dieser Haltung manifestiert sich das schwindende Vertrauen in die Bezugnahme auf antike Wissensbestände oder Autoritäten als methodische Priorität und Grundprinzip humanistischen Wissenschaftsverständnisses zugunsten einer eigenständigen und epistemologisch abgesicherten Entwicklung eines unvoreingenommenen Urteils. Was der Naturphilosoph Graevius als ein intellektueller Wegbereiter Bayles in diesem Zusammenhang insbesondere kritisiert, ist die historia als Ausdruck des unreflektierten Bezugs auf autoritativ tradierte, aber letztlich nicht überprüfte oder überprüfbare Aussagen. Gerade die quasi-empirische Funktion dieser historischen Argumentation in der Kometographie und ihr Status als wichtiger Interpretationsrahmen für das Etablieren der Relation von Ursprung, Erscheinung und Wirkung bzw. Folgen von Kometen als heilsgeschichtlichen Zusammenhang, erscheinen vor diesem Hintergrund als unlauter und unfundiert. Mit dieser Aushöhlung der historischen Argumentationsweise gerät die letzte Säule, auf der die Astrologie ruht – nachdem sie zunächst aus der Kausalerklärung der Kometen ausgeschlossen und dann als Werkzeug der Ausbuchstabierung göttlichen Willens obsolet worden ist – ins Wanken. Das Theaterstück Fontenelles zeigt, dass der Glaube an die astrologische Zeichenhaftigkeit von Kometen nicht mehr ernsthaft diskutiert wird, sondern Gegenstand von Parodie geworden ist. Auch die Theologie ist als maßgeblicher Erklärungsfaktor von Kometen ins Hintertreffen geraten und zeigt sich nunmehr in Form physikotheologischer Kontemplationen über eine Natur als providentielle und zweckhafte Ordnung und damit auf die teleologische Dimension beschränkt. Das bedeutet eine deutliche Begrenzung Gottes, wenn auch noch nicht seinen Ausschluss aus der Erklärung der Naturprozesse, sondern vielmehr ein Neu-Denken des Verhältnisses Gott und Natur sowie der Relation von Theologie oder Religion auf
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der einen und Naturwissenschaft auf der anderen Seite.166 Die Marginalisierung der Astrologie und die Abkehr von traditionellen theologischen Deutungsmustern sind jedoch weniger Ergebnis eines aktiven Verdrängungsprozesses des Irrationalen durch das Rationale. Diese polarisierende Charakterisierung entstammt nicht zuletzt einer aufklärerischen Rhetorik, die verkennt oder verhüllt, dass das, was sie als vulgären Aberglauben betrachtet, lange Zeit zu den legitimen Wissensbeständen und Beschäftigungsfeldern der akademischen Elite gehört. Ebenso wenig können neue Erkenntnisse oder Theorien allein zum Umsturz des Alten führen: Weder die Entdeckung des Schweifrichtungsgesetzes, noch die der Supralunarität oder Periodizität der Kometen haben deren Konzeptualisierung als Unglücksboten oder göttlichen Zeichen obsolet werden lassen, sondern zu Modifikationen und Transformationen dieser Vorstellung geführt. Warum kommt nun also der durch die Kometenflugschriften konstituierte Diskurs Anfang der 1680er Jahre zu einem Ende? Zunächst einmal ist zu sagen, dass nicht die Kometendebatte insgesamt aufhört, sondern die Art und Weise der Verhandlung und Präsentation dieser Thematik sowie ihr medialer Ort. Die in diesem und dem letzten Kapitel beschriebene Segmentierung, Ausdifferenzierung und Separation des Diskurses führt dazu, dass monothematische Werke verfasst werden, die spezifisch auf eingegrenzte Rezipientengruppen zugeschnitten sind, die sich klarer als zuvor nach Bildungsgrad und Bildungsinteressen unterscheiden: Nüchterne Observationsberichte dienen primär der Kommunikation von Beobachtungsdaten unter Akademikern und Fachkundigen, die sich zudem an gelehrter Unterhaltungsliteratur erfreuen oder popularisierende Schriften verfassen, die das Volk, von dem sie sich abgrenzen, belehren und aufklären sollen. Sie präsentieren und diskutieren theoretische Fragen in wissenschaftlichen Traktaten, die sich an Fachkollegen richten und aufgrund ihrer Spezialisierung und ihres Anspruchs von einem gebildeten Laien kaum mehr rezipiert werden können. Auch Werke mit theologischem oder astrologischem Schwerpunkt existieren weiterhin und haben eine Leserschaft, jedoch konstituieren auch sie ihre eigenen Diskursräume.167 Die mit den beschriebenen Entwicklungen und mentalitätsgeschichtlichen Wandlungsprozessen einhergehende Entmystifizierung des Kometenbildes und die Neutralisierung der Naturfurcht168 schwächen den Charakter der Kometen als Sensation und Medienereignis zudem spürbar ab. Im Gegensatz zu den Kalendern, die sich mit ihrer thematischen Breite und alltagspraktischen Relevanz den sich wandelnden Rezeptionsinteressen besser anpassen können und in sich stetig transformierender Form weiter existieren, geht die Zahl der Kometenflugschriften nach 1682 so rapide zurück, dass man von einem Ende des Diskurses sprechen kann. Kometen sind als Objekte der Naturforschung nach wie vor von höchstem Interesse 166 Siehe dazu z. B. Trepp: Von der Glückseligkeit alles zu wissen. 167 Vgl. Meinel: Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, S. 91–115. 168 Siehe dazu Kempe: Von „lechzenden Flammen“, „geflügelten Drachen“ und anderen „LuftGeschichten“.
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und haben auch weiterhin eine darüber hinausgehende Bedeutung – beides wird jedoch nicht mehr in Kometenflugschriften dargestellt und verhandelt. Die Analysen dieser Arbeit zeigen, dass ein wichtiger Grund für diese Entwicklung in der Dissolution des integrierten Kometenbildes liegt. Die Segmentierung und Differenzierung des Diskurses ist das erste Anzeichen dieser Dissolution, die sich in einem Verschwinden der argumentativen Bezüge zwischen den Kontextgebieten Naturkunde, Astrologie und Theologie manifestiert. Die duale Natur der Astrologie, die im Kontext der augmentierten Kometentheorie sowohl an der kausalen Erklärung von Kometen als meteorologischen Naturereignissen als auch an deren Ausdeutung als zeichenhaften Phänomenen beteiligt und damit maßgebliche Basis der dualen Natur von Kometen als Ursache und Zeichen ist, bildet die Grundlage der integrierenden Funktion der Sterndeutungskunst und ihres Status als Bindeglied zwischen den drei Kontextfeldern. Diese integrierende Funktion ist auch dadurch deutlich geworden, dass sich in diesem Kometenbild die quantitativ-theoretische mathematische Astronomie und die qualitativ-physikalische Kausalerklärung aristotelischer Naturphilosophie über die Brücke der Astrologie verbunden haben. Das Verschwinden dieser Verbindung führt daher sowohl zu einer Entkopplung der ursächlichen und der zeichenhaften Kometendimension als auch zu einer Separation von Erklärung und Deutung. Ihre integrative Rolle und ihr grundlegender Bezug auf die Korrelation von Mikro- und Makrokosmos zeigen, wie sehr die Astrologie auf einer ganzheitlichen Konzeption von Natur, Mensch und Welt beruht. Die Entwicklung des Kometendiskurses illustriert letztlich die Ausdifferenzierung dieser ursprünglichen Ganzheitlichkeit, zunächst disziplinär und methodisch, und schließlich auf epistemologischer Ebene. Die Kometenflugschriften können als mediale Manifestation dieser Ganzheitlichkeit betrachtet werden: Das in ihnen traditionell präsentierte integrierte Kometenbild liefert Beschreibung, Erklärung und Deutung des Himmelsphänomens, wodurch verschiedene Funktionen wie z. B. Datenaustausch, Kommunikation, Wissensvermittlung, Sinnstiftung, Kontingenz- und Alltagsbewältigung oder auch Unterhaltung erfüllt werden, die – in unterschiedlicher Ausprägung – die Bedürfnisse und Interessen einer großen und heterogenen Gruppe von Rezipienten befriedigen. Durch die Dissolution des integrierten Kometenbildes beginnt eine Diskursdifferenzierung, die zu einer Separation und Verlagerung dieser Bedürfnisse, Rezeptionsinteressen und Funktionen führt; Beschreibung, Kausalerklärung und Deutung werden nicht mehr als gemeinsame Fragestellung untersucht und präsentiert. Manche dieser Bedürfnisse und Funktionen werden innerhalb der Kontextfelder, aber getrennt voneinander befriedigt oder erfüllt, wie z. B. die deskriptive Erklärung von Kometen im Rahmen einer physikalisierten Astronomie oder eine sinnstiftende Interpretation im Kontext naturtheologischer Argumentationsmuster. Dass z. B. die Deutung von Kometen zunehmend im Rahmen allegorischer Poesie stattfindet, verdeutlicht, dass manche Bedürfnisse komplett aus dem traditionellen Rahmen herausfallen oder in ihrer Relevanz marginalisiert werden. Je weniger erschreckend oder bedrohlich ein Komet erscheint, desto weniger groß ist
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dessen Deutungsbedürftigkeit insgesamt, umso weniger wichtig ist die Funktion der Angstbewältigung und desto eher kann das Phänomen zum Objekt des Vergnügens werden. Die somit getrennten Bedürfnisse und Rezeptionsinteressen werden in je eigenen medialen Repräsentationsformen aufgegriffen und beginnen, eigene und voneinander getrennte Diskurse aufzubauen, womit die klassische Kometenflugschrift als literarisches Genre zu verschwinden beginnt. Die Dissolution des integrierten Kometenbildes ist Ergebnis und Ausdruck eines komplexen Zusammenspiels vieler Einzelentwicklungen innerhalb der disziplinären Felder und tiefgreifender Veränderungen der religiösen, soziopolitischen und wissenschaftlichen Situation und damit allgemein der zeitgenössischen intellektuellen Kultur, die unter anderem in den Prozessen der sich konsolidierenden Wissenschaftlichen Revolution und der beginnenden Aufklärung greifbar sind. Das sich in diesen Prozessen manifestierende Ende des Dialogs mit der Antike resultiert in veränderten methodischen Herangehensweisen und Bezugspunkten der Wissensproduktion, die zu neuen epistemologischen Ansprüchen, Standards und Rationalitätskriterien führen. Neben dem Auseinandergehen von ehemals eng verzahnten Elementen der Disziplinen Theologie, Naturkunde und Astrologie, löst sich auch die das traditionelle Kometenbild kennzeichnende Verbindung philosophischer Felder, nämlich des antiken Rationalismus mit dem Naturalismus des Spätmittelalters und einer teleologischen Epistemologie, die nach Zweck und Bedeutung von Wissen und Natur fragt. Es ist die Trennung dieser Verbindung, die zu einer Verselbständigung von Wissensbereichen und Diskurstraditionen führt, was z. B. dadurch illustriert wird, dass Zeichen und ihre Inhalte sich voneinander separieren und eigene Sachzusammenhänge bilden: Der vormals bestehende Funktionszusammenhang von Ziel- und Wirkursachen als Zusammenwirken von Gott und Natur – sichtbar in der Verbindung einer teleologischen Zeichenhaftigkeit mit dem philosophischen Axiom der Kausalkette – löst sich auf.169 Die sich im Ende des Diskurses widerspiegelnde tiefgreifende Veränderung der Sichtweise von Kometen beruht damit auf denselben Prozessen, die zum Umbruch in der Kosmologie und zum epistemologischen Wandel, den man mit der Wissenschaftlichen Revolution verknüpft, geführt haben und die auf der anderen Seite im Niedergang des aristotelischen Weltbilds oder im Ausschluss der Astrologie aus dem Feld legitimer Wissenschaften münden. Aus diesem Grund bildet die Untersuchung des Kometendiskurses einen paradigmatischen Fall zur Illustration dieser Veränderungsprozesse und gestattet, konkrete Mechanismen dieses Wandels zu konturieren ohne letztere zur Ursache des ersten zu machen. So haben die Analysen der vorliegenden Studie etwa gezeigt, dass z. B. der Kopernikanismus keinen direkten Einfluss auf das Kometenbild entwickelt, aber eine indirekte Wirkung hat, insofern als nun der Gegenstandsbereich der Astronomie neu ausgehandelt wird und sich die Perspekti-
169 Vgl. Hübner: Die Theologie Johannes Keplers, S. 260–265.
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ven auf das Denkmögliche ändern, wodurch überhaupt erst vorher Selbstverständliches oder das Stellen bestimmter Fragen sinnvoll und zum Gegenstand der Debatte werden kann: Erst nachdem die kopernikanische Theorie in den wissenschaftlichen Diskurs Eingang gefunden hat, wird ernsthaft diskutiert, ob Kometen sub- oder supralunare Phänomene sind, denn erst jetzt wird nicht nur die dichotomische Trennung von himmlischer und irdischer Sphäre angezweifelt, sondern vor verändertem Hintergrund die Frage gestellt, welcher Natur die Erde, die Planeten oder die Kometen sind und was über ihre physische Beschaffenheit gesagt werden kann.170 Auch wenn Bayle Anhänger der cartesischen Wirbeltheorie ist und Kometen in diesem Rahmen versteht, spielt die mechanistische Physik des Descartes in seiner Argumentation gegen den Kometenaberglauben keine Rolle. Die Privilegierung des Denkens und die strenge Scheidung von Geist und Körper der cartesischen Philosophie unterminieren jedoch das ganzheitliche Naturkonzept, welches das Denken des 16. Jahrhundert maßgeblich prägt und intellektuelle Grundlage des integrierten Kometenbildes ist. Der Wandel des Kometenbildes ist ein gradueller und nicht an eine bestimmte wissenschaftliche Entdeckung oder theoretische Innovation geknüpft. Er beruht u. a. auf einer Transformation der Methodologie, die ultimativ zur Etablierung eines neuen Wissenschaftsparadigmas führt. Die Dissolution des integrierten Kometenbildes reflektiert diese Transformation, die vor dem Hintergrund neuer philosophischer Strömungen, des Wandels des theologischen Denkens sowie des sozialen, politisch-gesellschaftlichen und historischen Kontextes zu verstehen ist und veranschaulicht so die Dynamik von in dieser Weise kulturell eingebundenem Wissen und dessen Veränderung. Was durch die Dissolution des integrierten Kometenbildes letztlich zerstört wird, ist die Interdisziplinarität und Mehrdimensionalität und damit die Natur der Kometen als Grenzgänger zwischen den physikalischen, diskursiven und epistemologischen Welten: Das Verschwinden der symbolischen und vermeintlich irrational-abergläubischen Kometendimension ursächlich auf die Etablierung der experimentellen Naturwissenschaft zurückzuführen, verkennt, dass Kometen nicht nur Gegenstand von Naturphilosophie und Kausalerklärung, sondern als Prodigien auch Teil eines historischen, theologisch-religiösen und literarischen Diskurses sind. Es ist demnach das Infragestellen dieser Zugehörigkeiten der Kometen und den an diese Verortungen geknüpften epistemologischen Ansprüchen, die das Ende des integrierten Kometenbildes und des darüber geführten Diskurses herbeiführen. Dieses Ergebnis wird neben anderen im nun folgenden Fazit dieser Studie unter Bezug auf die eingangs formulierten Fragen und theoretischen Konzepte abschließend zusammengefasst und interpretiert.
170 Siehe dazu Schmidt, Ursula: Wie wissenschaftliche Revolutionen zustande kommen. Von der vorkopernikanischen Astronomie zur Newtonschen Mechanik, Würzburg 2010 (Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften, Reihe Philosophie 481), S. 205 und S. 273–277.
TEIL V: Schluss
10 Fazit Als erschreckende, schwer erklärbare und von Gott gesandte Phänomene avancieren Kometen in der Frühen Neuzeit zum Kondensationskern von Versuchen der Wissensproduktion und Weltdeutung. In einer Zeit, in der sich gerade im deutschen Sprachgebiet die Debatte um die Natur in einer durch Reformation und Buchdruck neuartig formierten Kommunikationskultur und Öffentlichkeit abspielt, findet die gewachsene wissenschaftliche und kulturelle Relevanz der Kometen ihren medial-literarischen Ausdruck in einer Flut deutschsprachiger Kleinschriften, deren Zahl zwischen ca. 1530 und 1682 ein Ausmaß annimmt, das weder vorher noch nachher erreicht wird.1 Es ist die spezifische historische Situation einer Zeit der empfundenen Verunsicherung durch religiöse und politische Instabilitäten und dem Wegbrechen vertrauter sozialer und intellektueller Ordnungen, in der sich das Bedürfnis nach Naturerklärung und Alltagsbewältigung in der Bezugnahme auf den Himmel und seine unerklärlichen Phänomene ausdrückt. Zudem ist nun durch die technischen, theoretischen und praktischen Methoden der Beobachtung und mathematisch-physikalischen Beschreibung die empirische Erforschung der Kometen auf vorher unbekannte Weise möglich, was im 16. Jahrhundert zur Entdeckung des Schweifrichtungsgesetzes und der Supralunarität von Kometen führt. Solche im gängigen Theoriekonzept nur unzureichend erklärbare Beobachtungsresultate machen die Kometen zum herausfordernden Objekt2: vor dem Hintergrund des in Renaissance und Humanismus erneuerten geistigen Nährbodens – geprägt durch das Wiederaufkommen diverser antiker Wissensbestände und Traditionen – werden sie als Objekte theoretischer Konzeptualisierung und symbolischer Interpretation interessant und regen dazu an, überkommene Erklärungs- und Deutungsmodelle zu überprüfen, zu verändern und alte Fragen auf neue Weise zu stellen und zu beantworten. Die umfassende historische Analyse und Rekonstruktion des Diskurses über die Erklärung und Interpretation der Himmelsphänomene, der sich in diesem zeitlich und geographisch klar abgegrenzten Quellencorpus der Kometenflugschriften wider-
1 2
Siehe dazu die Quellenstatistik (Abb. 1.1) in Kap. 1.2.2. Vergleiche zum Thema des challenging object die Ausführungen in Kap. 1.3.2.
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10 Fazit
spiegelt, ist die wesentliche Leistung dieser Studie. Dieser Diskurs ist Ausdruck eines für die Frühe Neuzeit paradigmatischen historischen Prozesses des Wissenswandels: Werden Kometen zu Beginn des 16. Jahrhunderts als sublunare Verbrennungsphänomene betrachtet, deren Botschaft als Zorn- und Strafzeichen Gottes mit den Mitteln einer kausal-meteorologischen Astrologie über die technische Ausdeutung beobachtbarer Parameter zu eruieren ist, gelten sie Ende des 17. Jahrhunderts als sich auf kegelschnittförmigen Bahnen bewegende Himmelskörper, die den Gesetzen der Gravitation gehorchen und in ihrer Berechenbarkeit Ausdruck der planvollen Schöpfung eines gütigen und vorhersorgenden Gottes sind. Die Analysen dieser Studie, die auf einem integrativ-relationalen methodischen Ansatz beruhen, an dessen Ausgangspunkt die Annahme der Vielgestaltigkeit und kulturellen Eingebundenheit des Wissens steht, haben gezeigt, dass sich dieser Prozess des Wissenswandels durch die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes beschreiben und erklären lässt: Dieses beruht auf einem dualen Kometenkonzept, in dem die Sichtweisen der Kometen als ursächlich wirkend und zeichenhaft bedeutend sowie ihre kausal-meteorologische Erklärbarkeit und ihre astrologische und theologische Interpretierbarkeit eng miteinander verknüpft sind. Die Kometenflugschriften sind literarische Ausdrucksform einer Debatte, die den frühneuzeitlich charakteristischen Facettenreichtum und die Ambivalenz im Denken und den kulturellen Praktiken zur Herstellung kollektiv geteilter Meinungen über Wirklichkeit, Wahrheit, Mensch und Natur auf einzigartige Weise erfahrbar macht. Als mediale Repräsentation des integrierten Kometenbildes erfüllen die Schriften die Funktionen der Beschreibung, Erklärung und Deutung der Himmelsphänomene, die prinzipiell für alle Adressatenkreise gleichermaßen von Interesse sind. Der in diesen Druckwerken manifeste Diskurs überwindet daher die vermeintlichen Grenzen zwischen populärer Volks- und akademischer Hochkultur und stellt sich als dynamischer, reziproker und vielstimmiger Dialog dar, der seine eigene Öffentlichkeit geschaffen und dabei Formen der Praxis, Partizipation und Kommunikation von Wissen reflektiert und transformiert hat. Im Laufe des 17. Jahrhunderts kommt es zur graduellen Dissolution des integrierten Kometenbildes, die sich auf verschiedene Weise manifestiert: Auf sozialer Ebene kommt es zu einer genremäßigen Ausdifferenzierung, Segmentierung und schließlich Separation des gemeinsamen Diskurses, die ultimativ im Verschwinden der Kometenflugschriften münden. Auf disziplinärer Ebene kommt es zu Abgrenzungsprozessen der Erkenntnis- und Zuständigkeitsbereiche der beteiligten Wissensfelder und Verschiebungen der durch sie erfüllten Funktionen: Die Beschreibung und Erklärung der Kometen wandert von der Meteorologie in die Domäne einer physikalisierten Astronomie ab, während die Interpretation im Rahmen einer die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sinnhaft interpretierenden, aber nicht mehr determinierenden Theologie erfolgt. Inhaltlich bedeuten diese epistemischen Veränderungen eine Neuformation des Zusammenhangs von Gott und Natur, die sich z. B. in einem Wandel des Wunderbegriffs und des Gottesbildes niederschlägt. Die Kontextfelder der Astrologie und Theologie werden so als legi-
10.1 Überblick über die Ergebnisse
495
time Bezugspunkte zur Konstruktion von Kometenwissen und -deutung marginalisiert und diskreditiert, womit sich die engen Verknüpfungen des integrierten Kometenbildes auflösen. Die deutschsprachigen Kometenflugschriften als mediale Repräsentation des integrierten Kometenbildes verlieren mit dessen Ende ihre wesentliche Funktion und verschwinden daher aus der literarisch-publizistischen Debatte. Traditionelle historiographische Narrative charakterisieren diese Entwicklungen nicht zu Unrecht als paradigmatisches Beispiel der für das 17. Jahrhundert typischen Modernisierungsprozesse des Wissens, als deren Ergebnis die Durchsetzung rationaler Konzepte – in diesem Fall eines naturalisierten Kometenbildes – angesehen wird. Das Problematische an diesen historischen Deutungsweisen ist weniger die Interpretation dieses Resultats als Zäsur, sondern vielmehr die Begründung dafür: So werden etwa kausale Relationen postuliert, wo tatsächlich Korrelationen bestehen, etwa in der Etablierung neuer physikalischer oder kosmologischer Theorien und dem Niedergang traditioneller Vorstellungen wie dem aristotelischen Weltbild oder der Astrologie. Zudem konnte in dieser Studie gezeigt werden, dass das entmystifizierte Kometenbild sich – überspitzt formuliert – nicht trotz seiner Verbindung zum astrologischen und theologischen Kontext durchgesetzt hat, sondern gerade wegen diesen Relationen, die zu bestimmten Zeitpunkten und in verschiedener Art und Weise konstitutive Faktoren und damit Katalysatoren der Modernisierung waren, indem Elemente aus der Astrologie und Theologie das neue Naturbild und damit den Wissenswandel befördert und geformt haben. Schon Cassirer hat festgestellt, dass die Wissensentwicklung weniger als linear-kumulative Progression, sondern vielmehr als Nebeneinander von Altem und Neuem, als „fluktuierende[s] Hin und Her“3 charakterisiert werden muss. Unter anderem der Bezug auf die Idee des mentalen Modells gestattet, diese Ambivalenz von kumulativer Weiterentwicklung und Diskontinuität – hier am deutlichsten greifbar in der Zäsur als epistemischem Bruch, mit dem der Flugschriftendiskurs endet – als historische Realität zu erfassen. Damit ist diese Arbeit ein Beitrag zu einer Historiographie des epistemologischen Wandels in Form einer kontextualisierten Kulturgeschichte des Wissens, das durch Prozesse der Umstrukturierung, Re-Organiation und Neuinterpretation transformiert wird. 10.1 Überblick über die Ergebnisse Die folgende Tabelle bietet einen chronologischen Überblick über die wesentlichen Entwicklungen des in den Kometenflugschriften präsenten Diskurses. Ist bei solchen – naturgemäß unvollständigen – Darstellungen eine gewisse schematische Starrheit nicht zu vermeiden, so überwiegt doch hier der Vorteil einer konzisen Übersicht
3
Cassirer: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, S. 119.
496
10 Fazit
über die einzelnen Phasen des Kometendiskurses, der jeweils prägenden inhaltlichen Aspekte und der beteiligten Akteure: Abb. 10.1 Tabelle zur Entwicklung des Kometendiskurses Kometen
Entwicklungsphasen
Wesentliche Charakteristika
Vor 1530
Die Entstehung der augmentierten Kometentheorie • Astrologisierung u. Theologisierung der meteorologischen Kometentheorie
1530er u. 1550er
Die Formation des integrierten Kometenbildes
1P/1531 P1
Duales Kometenbild im Sinne eines Ineinanders: Komet ist gleichzeitig natürlich (Ursache) u. semiotisch (Zeichen) zu verstehen
C/1532 R1 C/1533 M1
C/1556 D1 C/1558 P1
Enge Verbindung von Elementen der drei Kontextgebiete
• Primat der Beobachtung u. Etablierung der Beobachtung als epistemische Technik • Funktion der Kometenflugschrift: Trias von Beschreibung, Erklärung und Deutung • Gemeinsamer, sozial offener und übergreifender Diskurs, der Hochund Populärkultur verbindet • Historisch belegter Kausalzusammenhang zwischen Ursprung (meteorologisch erklärbar), Erscheinung (astronomisch observierbar) u. Wirkung von Kometen (astrologisch und theologisch deutbar) • integrierende Rolle der Astrologie: partizipiert an u. verbindet Kausalerklärung u. Bedeutungsermittlung (Kausalketten)
Kap./ Akteure Kap. 2: Aristoteles Seneca, Plinius Ptolemaios
Kap. 3.1: Apian, Schöner, Krautwadel, Pruckner, Gasser, Paracelsus
Kap. 3.2: Hebenstreit, Neodomus, Flock, Schönfeld, Fabricius
497
10.1 Überblick über die Ergebnisse
Kometen
Entwicklungsphasen
Wesentliche Charakteristika
1577
Die Konsolidierung des integrierten Kometenbildes
C/1577 V1
Duales Kometenbild im Sinne eines Miteinanders und Nebeneinanders
Konfessionsspezifische Kometendeutung: Protestanten:
Verschiedene Ausprä- • moral- u. straftheologische Instrumentalisierung, Komet als Medium der gungsformen u. beginSozialsteuerung nende Sichtbarkeit von Instabilitäten • Komet ist gleichzeitig natürlich (Ursache) u. semiotisch (Zeichen) zu Abgrenzungsprozesse verstehen von verschiedenen • Harmonie oder funktionale KompleErklärungs- u. mentarität von naturkundlich-astroErkenntnisbereichen logischer u. theologischer Kometendimension Katholiken: • Trennung von natürlicher (meteorologisch-kausal) u. übernatürlicher (teratologisch-zeichenhaft) Kometendimension in verschiedene Kometentypen • Abgrenzung von theologischer u. astrologischer Prognostik • Debatte um Supralunarität: keine rein astronomisch-messtechnische Frage • Inszenierung paracelsischen Kometenwissens, neuplatonische Kometendeutung als politisches Prodigium • Hybridformen von meteorologischer u. optischer Kometentheorie
Kap./ Akteure Kap. 4: Schinbain, Heerbrand, Kreidweiss
Kap. 5: Rasch, Graminaeus, Scultetus, Dasypodius, Meine
Kap. 6: Thurneysser, Heurnius, Gemma
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10 Fazit
Kometen
Entwicklungsphasen
1618
Die Beginnende Dissolution des integrierten Kometenbildes
1P/1607 S1
Kontroverser Status von Kometen: Zeichen vs. Ursache: (1. Ulmer Kometenstreit)
• Disqualifizierung der Verbindung von Naturkunde u. Astrologie als Kernelement des integrierten Kometenbildes zugunsten einer Stärkung der Verbindung von Naturkunde u. Theologie
Kometen werden zum Kondensationskern einer epistemologischen Debatte: Rolle von Beobachtung, Mathematik u. Astrologie (challenging object)
• Legitimität der Astrologie wird zunehmend über die empirische Induktion aus der historia begründet, verliert ihre Verbindung zur physikalischen Kausalität
C/1618 Q1 C/1618 W1 C/1618 V1
Debatte um Supralunarität als naturphilosophische Problemstellung
Wesentliche Charakteristika
• aus Wirkungen werden Folgen: historisch-chronikale Dokumentation der Kometenerscheinungen übernimmt funktional die Rolle der Kausalketten • Akzeptanz der Astrologie in reduzierter oder modifizierter Form (Keplers Aspekt-Astrologie beruht auf Idee der Konsonanz u. Weltharmonie) • Kometenbild wird gleichzeitig supranaturalistischer u. naturalistischer: Crüger betreibt textbasierte Empirie durch wiss. Auswertung historischer Observationsberichte, astronomische Empirie bildet den Ausgangspunkt naturphilosophischer Theoriebildung; konzeptualisiert Kometenursprung jedoch rein theologisch-übernatürlich • Crüger-Keckermann-Debatte um den epistemologischen Status der Astronomie als mathematischer Wissenschaft
Kap./ Akteure Kap. 7: May, Kepler, Crüger, Keckermann
499
10.1 Überblick über die Ergebnisse
Kometen
Entwicklungsphasen
1664/65
Die Differenzierung und Segmentierung des Diskurses
C/1661 C1
Transformiertes duales Kometenbild: Parallelität von Deutung auf der einen sowie Beschreibung u. Erklärung davon separiert im Kontext von Astronomie u. Physik auf der anderen Seite, dadurch Trennung von Ursache u. Zeichen
C/1664 W1 C/1665 F1 C/1668 E 1
Debatte um Bewegung u. Natur der Kometen als empirische Problemstellung: Physikalisierung u. Quantifizierung
Wesentliche Charakteristika
Disziplinäre Ausdifferenzierung: • Kontextgebiete u. Kometenzugänge oder Erkenntnisbereiche werden getrennt dargestellt u. bringen Legitimierung aus sich selbst heraus hervor • genremäßige Differenzierung und thematische Spezialisierung • Vielfalt eklektischer Kometenbilder Soziale Ausdifferenzierung: • engere Adressatenkreise, neutrale Dokumentation der Vielfalt von Daten, Theorien u. Meinungen in kompilatorischen u. dialogischen Werken • Abgrenzung der Gelehrten als sozial geschlossenere Gruppe mit wachsendem Standesbewusstsein Transformation der Astrologie: • Reformversuche u. Modifizierung als Antwort auf naturkundliche, methodologische, epistemologische u. theologische Kritik; wird aus klassischen naturkundlichen u. metaphysischen Begründungszusammenhängen herausgelöst (von Befürwortern u. Gegnern) • Deutung erfolgt im Kontext von Theologie, allegorischer Poesie oder chronikaler Historiographie als Synchronizität von Natur- und Weltgeschichte • Reputationsverlust u. soziale Abwertungsprozesse
Kap./ Akteure Kap. 8: Voigt, Schaufelberger, Serlin, Lubienietzki, Beutel, Vulpius, Himsel, Megerlin, Praetorius, Trew, Kircher, Ridderus, Schneuber
500
10 Fazit
Kometen
Entwicklungsphasen
Wesentliche Charakteristika
1680
Die Dissolution des integrierten Kometenbildes u. das Ende des Diskurses
C/1577 V1
Debatte um ZeichenVerschiebung von Funktionen u. Zustänhaftigkeit von Kometen digkeiten: (2. Ulmer Kometen• Trias von Beschreibung, Kausalerklästreit, Bayle): wird rung u. Deutung ist disziplinär sepaprinzipiell abgelehnt riert, während Physik u. Mathematik oder rein physikotheoin der astronomischen Kometenerklälogisch konzeptualirung über das Quantitative verbunden siert bleiben, wird die nicht quantifizierbare Bedeutungsebene abgetrennt Aus Zeichen werden wieder Ursachen • Hierarchische Dualität von natur(Newton) kundlicher u. theologischer Erklärung: Theologie liefert sinnhaften Überbau der mathematisch-theoreAufspaltung des Diskurtischen Beschreibung von Kometen, ses: Spezifische Rezepspielt jedoch keine tragende Rolle bei tionsinteressen werden Beschreibung u. Erklärung gezielter in je eigenen Schriften befriedigt, • Wandel von Rationalitätskriterien: gelehrte Elite grenzt Observation u. Empirie als Ausgangssich nach unten ab, punkt und Bewertungskriterium der indem sie WissensforNaturerfassung, kritische Evaluation men, Praktiken oder u. Diskreditierung traditioneller Diskurstraditionen als Quellen (antike Texte, Autoritäten) vulgär diskreditiert u. Methoden (historia, analogisches Argumentieren, Poesie u. Literatur)
• Marginalisierung der Astrologie: Ablehnung der Zeichenhaftigkeit, Aushöhlung der historischen Argumentationsweise, Funktionen der Kontingenzbewältigung und Sinnstiftung werden anderweitig erfüllt • Säkularisierte Kometenfurcht als Prozess der Umdeutung: symbolisch-theologische Dimension fällt nicht weg, sondern erscheint als kausal-teleologische Konzeption der Bedeutung von Kometen im Rahmen einer kosmologischen Interpretation der Newtonschen Gravitationstheorie
Kap./ Akteure Kap. 9: Newton, Halley, Dörffel, Hevelius, Kirch, Bornmeister, Frick, Bayle, Graevius, Praetorius
501
10.1 Überblick über die Ergebnisse
Kometen
Entwicklungsphasen
Wesentliche Charakteristika
Die Kometenflugschriften als mediale Manifestation des integrierten Kometenbildes verschwinden
Transformation des Kometenbildes
Kap./ Akteure
• Naturalisierung des Wunders: das Wunderbare wird vom Übernatürlichen geschieden u. an das Natürliche gekoppelt, das moraltheologische Prodigium wird zum physikotheologischen Zeichen einer rational verstehbaren harmonischen Naturordnung eines planerischen Schöpfers • Profanisierung der Kometen u. Neubewertung der curiositas: Kometen werden Kuriosum u. dienen ästhetischer Anregung u. Unterhaltung, aus Furcht wird Staunen u. daraus Belustigung oder wissenschaftliche Neugierde
Um insbesondere die in der obigen Tabelle unter Entwicklungsphasen eher abstrakt charakterisierten Wandlungs- und Transformationsprozesse durch konkrete Inhalte zu veranschaulichen, sind in folgender Tabelle die Positionen einzelner Protagonisten dieser Studie zu bestimmten in der frühneuzeitlichen Kometendebatte relevanten Kernaussagen erfasst. Aus naheliegenden Gründen kann hier nur eine kleine Auswahl von Akteuren und Aussagen dargestellt werden, die jedoch trotzdem erkennbar werden lässt, dass der im Kometendiskurs sichtbare Prozess der Rationalisierung und Naturalisierung nicht als linear-progressiv, sondern vielmehr als vielschichtig und fluktuierend interpretiert werden muss.
502
10 Fazit
Abb. 10.2 Tabelle zum Wandel des Kometenbildes
Auch diese Tabelle erlaubt nur eine Annäherung an die Komplexität der historischen Realität: So kann die Verschiedenheit der naturkundlichen Beschreibung innerhalb einzelner Zuschreibungen wie meteorologisch oder optisch ebenso wenig dargestellt werden wie die Unterschiedlichkeit in der Konzeption von Kometen als ursächliche Bewirker oder indizierende Anzeichen kommenden Unheils. Die teilweise Zustimmung zur supralunaren Kometenposition resultiert bei Rasch daraus, dass er Kometen eigentlich für sublunare meteorologische Körper hält, die unheilvolle Folgen als Wirkungen kausal verursachen, jedoch auch die Möglichkeit supralunarer Kometen zulässt, die dann rein theologisch zu erklärende Zeichen Gottes sind. Vulpius und Schneuber halten die Auffassung eines supralunaren Kometenortes für plausibel, sehen aber durchaus auch die Möglichkeit sublunarer Kometen. Während Scultetus grundsätzlich als Anhänger des meteorologischen Kometenkonzepts bezeichnet werden kann, äußert er jedoch auch deutliche Zweifel an einzelnen Elementen und sieht das als Beleg für die Notwendigkeit der Modifikation der Theorie. Gleiches gilt für den Peripatetiker Himsel in Bezug auf die astrologische Kometendeutung, die er nur in sehr eingeschränkter Form für legitim hält, sie aber dennoch meteorologisch-kausal
10.1 Überblick über die Ergebnisse
503
konzeptualisiert – ebenso wie der Kopernikaner Megerlin, der sie jedoch in keiner Weise einschränkt. Während Schönfeld eine Hybridform von meteorologischer und optischer Kometentheorie favorisiert, folgt May zunächst der einen und dann der anderen Auffassung, jedoch beiden nicht vollends überzeugt. Kirch kann die Idee einer moraltheologischen Zeichenhaftigkeit weder be- noch widerlegen und präsentiert bezüglich der Frage des Kometenursprungs zwei verschiedene Theorien, die jeweils mit den Observationsergebnissen in Einklang zu bringen sind. Auf die Erklärung des Kometenursprungs bezieht sich die Aussage in Relation zur Sonne hauptsächlich: Die Idee, dass Kometen aus Sonnen- oder planetarischer Materie entstehen, begegnet sowohl bei Heurnius – der hier Gemma folgt – als auch bei Dörffel, der Hevelius’ Vorstellungen anhängt. Ebenso wie Megerlin und auch Himsel sieht er jedoch auch die Vorteile einer heliozentrischen Kometenbetrachtung, die bei Newton ein Grundelement seiner Theorie der Gravitation darstellt und auch im cartesischen Kometenbild, das Bayle für plausibel hält, eine maßgebliche Rolle spielt. Die Tabelle macht sowohl einige zentrale Wandlungsprozesse des Kometenbildes als auch manch interessantes Detailresultat anschaulich deutlich: So zeigt sich etwa, dass die fehlende Kometenparallaxe erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – und damit deutlich später als auch in der jüngeren Forschung noch behauptet – ein etabliertes Argument für die supralunare Position der Himmelsphänomene wird. Generell wird die Frage der Verortung und daran anknüpfend der Natur von Kometen lange primär als naturphilosophische Problemstellung betrachtet und erst in der Behandlung der Kometen der 1660er Jahre zeigt sich, dass die empirische Beobachtung zum maßgeblichen theoriedeterminierenden Kriterium avanciert ist.4 Auch der in der historischen Kometenforschung proklamierte Zusammenhang zwischen der Durchsetzung des modernen Kometenbildes und der Etablierung der heliozentrischen Kosmologie – oft verknüpft mit der simultanen Entwicklung des Niedergangs des aristotelischen Weltbilds und der Astrologie – ist zumindest in dieser Simplizität nicht zu belegen: Der einzige überzeugte Kopernikaner vor 1680 ist mit Megerlin gleichzeitig ein ebenso überzeugter Anhänger der Astrologie, und zwar der traditionellen meteorologisch-kausalen Astrologie. In Bezug auf die Sterndeutungskunst lässt sich einerseits eine generelle Zustimmung bis in die 1680er Jahre hinein konstatieren. Erkennbar ist außerdem ihre graduelle Transformation: Mit dem Verschwinden der Akzeptanz der meteorologischen Erklärbarkeit von Kometen geht die Zustimmung zu einer veränderten Form der Astrologie einher – konkret zu einer historisierten und meistens auch reduzierten Form oder einer reformierten Variante, die auf der Vorstellung einer universalen kosmischen Konsonanz beruht.5
4 5
Siehe dazu Kap. 8. Siehe dazu Kap. 7.
504
10 Fazit
Die Existenz des integrierten Kometenbildes, das auf der Dualität der zeichenhaften und ursächlichen Kometenvorstellung beruht, wird durch die Tabelle anschaulich deutlich gemacht: Erst mit dem Kometen von 1618 beginnt sich die simultane Zustimmung zur natürlichen und übernatürlichen Erklärbarkeit der Phänomene langsam zu lösen. Die übernatürliche Dimension der Kometen wird überhaupt nur von Bayle abgelehnt; es zeigt sich insgesamt, dass die damit verknüpfte zeichenhafte Konzeptualisierung zunächst moraltheologisch und dann physikotheologisch erfolgt. Die ursächliche Sichtweise der Kometen geht im selben Maße zurück wie deren Erklärbarkeit durch die meteorologische Theorie, die für einige Zeit durch die optische Theorie und schließlich durch andere theoretische Konzepte ersetzt wird, in denen Kometen als supralunare Himmelskörper gesehen und daher häufig in Zusammenhang mit der Sonne oder den Planeten erklärt werden. Da sowohl die meteorologische Theorie als auch die traditionelle astrologische Deutung sowie die moraltheologische Interpretation der Kometen Kernelemente des integrierten Kometenbildes sind, illustriert die Tabelle schließlich auch dessen Dissolution gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Nach diesem Überblick über die wesentlichen Resultate dieser Studie, erfolgt nun eine ausführlichere Erläuterung und interpretierende Bewertung der Ergebnisse, strukturiert nach den wichtigsten Wandlungsprozessen innerhalb der diskursprägenden Kontextgebiete. 10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes Der in dieser Arbeit rekonstruierte Entwicklungsprozess ist charakterisiert durch die Formation und schließlich die graduelle Dissolution des integrierten Kometenbildes als frühneuzeitlich vorherrschendem Interpretationsparadigma von Kometen, das im nachreformatorischen Protestantismus melanchthonischer Prägung zu besonderer Blüte, Leistungsfähigkeit und Verbreitung gelangt.6 Die hauptsächlichen Quellen der im Kometenbild verbundenen Wissensbestände sind die Gebiete der Naturkunde, der Astrologie und der Theologie, die daher in dieser Studie als die Analyse strukturierende Kontextfelder firmieren. Nach den Prozessen der Astrologisierung und der nachfolgenden Theologisierung der aristotelisch-meteorologischen Theorie, verbinden sich im integrierten Kometenbild die auf astronomischer Observation basierende deskriptive Erfassung, die Kausalerklärung und die prognostische Interpretation von Kometen im Rahmen einer christlichen Naturphilosophie.7 Naturkunde und Theologie
6
7
Die Formation des integrierten Kometenbildes wird schwerpunktmäßig im 2. und 3. Kap. dargestellt, während die Dissolution desselben im 7., 8. und 9. Kap. thematisiert wird. Die im 4., 5. und 6. Kap. behandelte Rezeption des Kometen von 1577 markiert den Höhe- und gleichzeitig Wendepunkt des integrierten Kometenbildes. Siehe dazu die Kap. 2.2.1 und 2.3.
10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes
505
bilden dabei die Legitimations- und Begründungskontexte einer Kometologie, in der qualitative Erklärung, abstrakt-mathematische Beschreibung und sinnhafte Deutung harmonisch verknüpft erscheinen. Die Integrationsleistung beruht im Wesentlichen auf der Astrologie, welche die epistemologischen modi der Erklärung und Deutung zusammenbringt und gleichzeitig die Konzeptualisierungen von Kometen als Zeichen und als Ursachen miteinander verknüpft. Sie fungiert als argumentatives Bindeglied zwischen Naturkunde und Theologie, indem sie den beschriebenen Kausalzusammenhang plausibilisiert und im Verbund mit der historia in Vergangenheit und Zukunft zieht. Durch die Bekräftigung der Natürlichkeit von Kometen werden sie als legitime Objekte naturkundlicher Untersuchung etabliert, während die ex post Interpretation unheilvollen Geschehens als Kometenwirkung dessen leidvolle Erfahrung mit Sinn belegt. Die Astrologie wird ihrerseits dadurch legitimiert, dass sie als technisches Instrument der Ausbuchstabierung des göttlichen Willens dient, da sie astrale Ereignisse zwar dingfest machen, eine Deutung aber nicht aus sich selbst heraus hervorbringen kann, sondern dazu des kulturellen Bezugskontexts der Theologie bedarf. Die Sinnhaftigkeit der Deutung erwächst aus der Natur der Kometen als Kommunikationsmedien Gottes, wobei die Dualität von Natürlichkeit und Zeichenhaftigkeit in der zweifachen Offenbarung Gottes wurzelt, im heiligen Buch der Bibel sowie im Buch der Natur. Als historische exempla belegen Kometen die Präsenz Gottes in der Heils- und Weltgeschichte, was ihre Erforschung christlich legitimiert. Der Kausalrelation zwischen Ursprung und Wirkung der Kometen ist ein metaphysischer Zusammenhang von Sünde und Strafe beigeordnet: Das durch die Kometen angedrohte Unheil wird als göttliche Strafe für menschliches Fehlverhalten interpretiert, wobei die Warnung vor diesem Unglück einem Akt göttlicher Barmherzigkeit als in der Zukunft liegendem Gnadenversprechen entspricht, da so die Handlungsoption der Abkehr vom sündigen Weg offeriert und damit ein Ablassen vor dem bereits angekündigten Strafgericht in Aussicht gestellt wird. Der natürlich entstandene Komet wird dadurch zum Werkzeug der göttlichen Predigt und ist für den vernunftbegabten Menschen dual – rational und theologisch – zu erfassen. In diesem Rahmen wird die natürliche Ordnung als ein von Gott gestifteter und durch Finalursachen organisierter Wirkungszusammenhang verstanden, worin der Grund für die Doppelnatur von Kometen als göttlichen Wundern und natürlichen Phänomenen, als Zeichen und Ursachen kommenden Unheils, für die in ihnen manifeste Dualität von natürlicher und übernatürlicher Erklärung und der verknüpften Ermittlung ihrer causa efficiens und ihrer causa finalis sowie für die Verbundenheit von meteorologisch-kausaler und teratologisch-divinatorischer Astrologie liegt. Hier veranschaulicht sich die Vielgestaltigkeit des Wissens, das mehr ist als rein theoretisches Wissen, das von einzelnen Individuen durch Abstraktion und dem Befolgen einer rationalen Methodik generiert wird. Die Wissensproduktion ist vielmehr kulturell eingebunden und daher mit anderen Sphären menschlichen Denkens und Handelns verbunden, was sich beispielsweise in den Bedürfnissen nach Weltdeutung, Kontin-
506
10 Fazit
genzbewältigung und Sinnstiftung ausdrückt, die nicht allein durch Wissen befriedigt werden können, sondern auf die Interpretation dieses Wissens rekurrieren. Trotz seiner Leistungsfähigkeit als Erklärungskonzept und Deutungsmuster hat das integrierte Kometenbild den Charakter einer Kompromisslösung, da die dahinterstehende Verknüpfung der drei Kontextgebiete von Anfang an nicht unproblematisch gewesen ist: Gerade im Zusammenhang mit Debatten um alternative Kosmologien oder dem Erstarken nicht-aristotelischer Natur- und Weltbilder werden Fragen nach der Relation zwischen Himmel und Erde auf neue Weise aktuell, was sich nicht zuletzt an dem Legitimationsdruck zeigt, unter dem die Astrologie steht. Tatsächlich stellt das integrierte Kometenbild einen Versuch dar, mit bestehenden Widersprüchlichkeiten zwischen den theoretischen Konzepten und Deutungstraditionen umzugehen: So ist etwa die aristotelische Meteorologie als kausale Naturbeschreibung ursprünglich völlig a-religiös und somit weder mit der Astrologie noch mit der Theologie kompatibel. Und auch diese beiden Disziplinen stehen klassischerweise in einem Konkurrenzverhältnis um die Deutungshoheit über Naturphänomene sowie als Quelle von Bewältigungsstrategien durch Erbauung, Sinnstiftung und Zukunftsbeherrschung. Die Leistung des integrierten Kometenbildes besteht gerade darin, diese Inkompatibilitäten insofern zu verdecken, als die Erklärungslücken des einen disziplinären Feldes durch Elemente des anderen gefüllt werden, um damit eine reziproke Legitimation herzustellen. Hier zeigt sich der prozessuale Charakter nicht nur der Wissensgenese, sondern des Wissens selber: Wo welche Art von Wissen relevant ist und welche Funktionen und Geltungsansprüche mit den Bildern dieses Wissens verknüpft sind, ist das Ergebnis kollektiv-dynamischer Aushandlungsprozesse, wobei das integrierte Kometenbild einen metastabilen Zustand als temporär erfolgreiches und akzeptiertes Resultat dieser Prozesse repräsentiert. Die Interdisziplinarität und der Facettenreichtum des integrierten Kometenbildes, das sich 1577 auf dem Höhepunkt seiner Verbreitung befindet, sind im dritten Teil dieser Arbeit herausgearbeitet worden:8 Die Analyse der Schriften mit primär theologischem9 Fokus hat illustriert, wie die Zeichenhaftigkeit der Kometen den religiösen mit dem natürlich-astronomischem Himmel verbindet und durch die Autoren didaktisch instrumentalisiert wird, um auf die Festigung bestehender religiöser Überzeugungen durch konfessionsspezifische und auf Normierung von Anschauungen gerichtete Ansprache der Gläubigen hinzuwirken. Die Kometen sind Teil einer heilsgeschichtlich verstandenen Welt und leisten in ihrer erklärenden Interpretation als moraltheologische Botschaft einen Beitrag zu Sinnstiftung durch Information zum Zwecke der Komplexitätsreduktion als Bewältigungsstrategie. Das konfessionell unterschiedliche Kon8 9
In diesem Teil geht es um die Rezeption des Großen Kometen von 1577, die im 4., 5. und 6. Kap. – strukturiert nach den drei Kontextgebieten der Naturkunde, Theologie und Astrologie – ausführlich dargestellt worden ist. Siehe hierzu Kap. 4.
10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes
507
zept der Kometen als Prodigien – indizierend zeichenhaft als übernatürliche Wunder beim Katholiken Schinbain10 und kausal verursacht und wirkend als in der Natur stattfindende Wunder beim lutherischen Theologen Jacob Heerbrand11 – stellt einen Teil der Erklärung des quantitativen Übergewichts der Kometenflugschriftenautoren protestantischer Konfession dar, da deren Kometendeutung eine harmonischere Verbindung von Elementen der drei Kontextgebiete im integrierten Kometenbild ermöglicht. Die Kometenwerke des Utrechter Arztes Johannes Heurnius und des Berliner Alchemisten Leonhard Thurneysser illustrieren die Verbreitung hermetischen Denkens, indem diese Akteure Kometen im Rahmen eines christianisierten Neuplatonismus interpretieren und sie als intermediär zwischen Himmel und Erde, zwischen Astronomie und Meteorologie, zwischen Natürlichkeit und Göttlichkeit, zwischen elementarischer Natur und göttlicher Transzendenz verorten.12 Beide verbinden dabei eine biblisch fundierte Prophetie mit astrologischer Prognostik und modifizieren den aristotelischen Rahmen geringfügig und eklektisch. Auch bei ihnen sind astrologische und theologische Elemente oder Ansichten theoriekonstituierend und keine bloßen Anhängsel der naturkundlichen Konzeptualisierung. Gerade durch ihren verschiedenen intellektuellen Hintergrund verdeutlichen diese Protagonisten die Heterogenität des Kometendiskurses auf Seiten der Verfasser und bezeugen das insgesamt gewachsene Interesse am Kometenphänomen, die Notwendigkeit, Information und Deutung für breite Kreise rezipierbar zu kommunizieren sowie die Vereinnahmung von Kometen im größeren Kontext der publizistisch ausgeführten Debatte um die Bemächtigung der Öffentlichkeit: Im Falle von Thurneysser etwa zur Wissensdiskursivierung und zur legitimatorischen Kompetenzdemonstration und bei Heurnius im Rahmen einer politisch-propagandistischen Deutung. Beide Autoren eint, dass sie nicht die traditionelle Form einer meteorologisch-kausalen Astrologie propagieren. Das beginnende Ringen um den epistemologischen Status der Astrologie verdeutlicht sich auch in der Betonung der Zugehörigkeit der Sterndeutungskunst zu verschiedenen Erkenntnis- und Erklärungskontexten, dem Konstatieren und Problematisieren unterschiedlicher methodischer Zugänge und Interpretationsweisen von Kometen sowie in Abgrenzungsbestrebungen dieser Zugangs- und Sichtweisen, die im fünften Kapitel thematisiert worden sind. Beim Katholiken Johann Rasch zeigt sich etwa die Unterscheidung verschiedener Kometentypen als eine Möglichkeit, ihren dualen Charakter als natürliche Phänomene und göttliche Zeichen zu denken. Demgegenüber wird diese Dualität in lutherischen Schriften eher im Kometen selber verortet und damit die Wunderhaftigkeit auch in der Natürlichkeit und nicht nur in der Abweichung vom regelhaften Naturlauf gesehen. Während es Rasch um eine Ab10 11 12
Siehe dazu Kap. 4.1. Siehe dazu Kap. 4.2. Siehe hierzu Kap. 6.
508
10 Fazit
grenzung von Theologie und legitimer astrologischer Prognostik geht, richtet Bartholomäus Scultetus sein ganzes Werk nach der Deutungsfrage aus; bei ihm zeigt sich eine funktionale Komplementarität von Astrologie und Naturkunde, die ihm erlaubt, beide Disziplinen als separate, aber aufeinander bezogene disziplinäre Felder zu betrachten und gleichzeitig die Astrologie epistemologisch und theologisch zu legitimieren. An der klassischen meteorologischen Theorie äußert Scultetus deutliche Kritik. Ebenso wie die in den Kometenflugschriften präsenten Abgrenzungsprozesse bezeugt dies die gewachsene Aufmerksamkeit für die Widersprüchlichkeiten im integrierten Kometenbild und die Versuche, diese zu nivellieren. Es ist diese Entwicklung, die als Beginn der Dissolution des integrierten Kometenbildes interpretiert werden kann. Diese Dissolution manifestiert sich in Transformationsprozessen, die sich unter dem Stichwort der Ausdifferenzierung zusammenfassend charakterisieren lassen: Die durch das integrierte Kometenbild repräsentierte Phase des Ineinanders oder Miteinanders von Elementen der drei Kontextgebiete wird durch ein Nebeneinander – zunächst als Dualität und dann als Parallelität – abgelöst, das sich schließlich zu einem Auseinander separiert und differenziert. Damit lässt sich an dem eingegrenzten Feld der Kometenthematik nachvollziehen, wie sich Wissensfelder eingebunden in kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen verändern, neu formieren und transformieren, was die Bedingungen und wer die Träger dieser Transformationen sind sowie schließlich auch, durch welche Mechanismen und mit welchem Ergebnis bestimmte Wissensformen und -praktiken epistemologisch und sozial als pseudowissenschaftlich diskreditiert oder marginalisiert werden. Die Begleitumstände, die Konsequenzen und die Manifestationsweise der Dissolution auf den verschiedenen disziplinären Ebenen werden im Folgenden zusammenfassend erläutert. 10.2.1 Naturkunde: Wissenswandel durch mentale Modelle Die oben beschriebenen inhaltlich-disziplinären Abgrenzungsprozesse werden auf diskursiver Ebene von einer inhaltlichen Segmentierung und schließlich genremäßigen Aufspaltung der Kometenflugschriften – die spezialisierter und konkreter auf bestimmte Bedürfnisse und Erkenntnisinteressen zugeschnitten werden – begleitet.13 Zunächst werden beispielsweise die verschiedenen Ansätze und Sichtweisen von Kometen in eigenen Segmenten desselben Werkes separat und zunehmend unverbunden dargestellt, bevor sie zum alleinigen Gegenstand monothematischer Schriften werden. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts wird die Vielfalt der Kometenbilder zudem vermehrt in kompendienhaften oder dialogischen Übersichtswerken neutral dokumentiert. Ist zu Beginn des Untersuchungszeitraums von einem gemeinsamen Diskurs die Rede,
13
Siehe dazu insbesondere Kap. 8.3.
10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes
509
entstammen nun die Produzenten und Konsumenten von Kometenflugschriften nicht mehr demselben heterogenen Personenkreis, da bestimmten Rezeptionsbedürfnissen homogenere Adressatenkreise entsprechen; zudem hören bestimmte Personengruppen schlichtweg auf, volkssprachige Kometenflugschriften zu verfassen und publizieren z. B. stattdessen in wissenschaftlichen Journalen. Wie sich u. a. an den auch die Kometenthematik berührenden Debatten zwischen Johannes Hevelius, Adrien Auzout und Robert Hooke zeigt, sehen die Gelehrten sich zunehmend als Vertreter einer institutionalisierten Wissenschaft und damit als sozial geschlossene Gruppe, die sich nach außen und unten abgrenzt, für ihresgleichen publiziert oder in frühaufklärerischer Manier das Volk belehrt. Der gemeine Mann steht vermehrt in einem distanzierten Verhältnis zur gelehrten Wissenskultur, er ist eher Berichterstatter über oder Empfänger gelehrten Wissens, denn aktiver Gestalter der Forschungsdiskussion. Auf inhaltlich-thematischer Ebene ist diese Zeit durch die Vielfalt der Kometenbilder und das Nebeneinander unterschiedlicher theoretischer Konzepte von Kometen geprägt. Während 1618 die Supralunarität und der ontologische Status von Kometen als himmlischen oder meteorologischen Phänomenen die beherrschende naturphilosophische Problemstellung darstellt, ist das knapp 50 Jahre später die Frage nach deren Bewegung und Natur. Die bereits bei Thurneysser sichtbare Betonung des empirischen Naturzugangs gewinnt in den Jahrzehnten nach 1577 zunehmend an Relevanz, wobei z. B. das Kometenwerk Peter Crügers und dessen Kritik an den peripatetischen Positionen Bartholomäus Keckermanns bezüglich des Status der Mathematik in der Behandlung physikalisch-naturkundlicher Problemstellungen verdeutlicht, dass und wie die Empirie – im Verbund mit einer theoretisch-mathematischen Naturbeschreibung – zum primären Maßstab der Theoriebildung und Evaluation überkommener Konzepte avanciert ist.14 Beim Kometen 1664 steht das Problem der Ermittlung der Kometentrajektorie im Zentrum und die an die jeweilige Lösung geknüpften theoretischen Positionen müssen sich zunächst an empirischen Daten messen lassen. Des Weiteren müssen sie dann mit den verschiedenen Kometenbildern, die eklektisch aus verschiedenen theoretischen, naturphilosophischen, kosmologischen, theologischen und astrologischen Elementen zusammengefügt sind, in Einklang gebracht werden. Aufgrund des in der aristotelischen Kosmologie grundlegenden Zusammenhangs zwischen Bewegung und Natur eines Körpers hat die Form der Kometenbahn – kreisförmig oder geradlinig, offen oder geschlossen – weitreichende Konsequenzen für die Konzeptualisierung von Kometen: Ob sie etwa als Neuschöpfungen Gottes oder als immerwährende Phänomene gesehen oder z. B. aus ätherischer, terrestrischer oder planetarischer Materie bestehend gedacht werden, lässt sich durch diesen Zusammenhang begründen.
14
Zu dieser Thematik vgl. Kap. 7.2.
510
10 Fazit
Dies ist ein treffendes Beispiel dafür, wie langlebig gerade kognitive Strukturen als wichtige Elemente theoretischer Naturvorstellungen sein können, auch wenn ihr ursprünglicher konzeptueller Rahmen bereits Gegenstand ernsthafter Kritik und begründeten Zweifels ist. Die Idee, dass das Wesen eines Körpers sich an seiner Bewegungsweise festmachen lässt, insofern als etwa kreisförmige Bewegung den Himmelskörpern und geradlinige sublunaren Phänomenen zukommt, ist die leitende und andere Theorieaspekte determinierende Vorstellung z. B. des Keplerschen Kometenkonzepts.15 Kepler ist alles andere als ein peripatetischer Naturphilosoph, die Relation zwischen Bewegung und Natur eines Körpers ist jedoch als mentales Modell von so grundlegender Bedeutung, dass sie die kosmologische Theoriebildung bis weit ins 18. Jahrhundert – und damit lange nach Ende der allgemeinen Akzeptanz des aristotelischen Weltbilds – prägt. Die mentalen Modelle bilden das Werkzeug, um z. B. neue Entdeckungen in ein kognitives Netzwerk vergangener Erfahrungen einzuordnen und sind damit Vehikel der Transformation, die auf Restrukturierungen von Wissenssystemen beruhen, die ihren Ursprung in der Reflexion über die herausfordernden Objekte haben.16 Die deutende Erklärung von Kometen ist dabei nicht per se herausfordernd, sondern wird es in einem bestimmten historischen Kontext unter spezifischen Umständen.17 Ein weiteres Beispiel eines die Kometentheorie prägenden mentalen Modells ist die Idee, dass Kometen aus Exhalationen entstehen, im Kontext der aristotelisch-meteorologischen Theorie etwa aus elementarisch-terrestrischen Ausdünstungen, die in die feurige Luftschicht emporsteigen und dort zusammengeballt und entzündet werden. Die Macht solcher Vorstellungen zeigt sich z. B. daran, dass der Astronom Christoph Rothmann daraus ein Argument gegen die Existenz fester Himmelssphären ableitet, da die Kometen, die er als supralunar ansieht, diese während ihrer Entstehung auf dem Weg von der Erde in den ätherischen Himmel durchstoßen oder von ihnen aufgehalten werden müssten.18 Auch Anhänger der Idee eines fluiden Himmels, die oftmals in Verbindung zur optischen Kometentheorie steht, können die Vorstellung, dass Kometen aus Exhalationen bestehen in ihre Konzeptionen integrieren, wonach Kometen 15 16 17
18
Siehe dazu Kap. 7.1.3. Zum Konzept des mentalen Modells siehe Kap. 1.3. Mitte des 16. Jahrhunderts ist das z. B. die Existenz alternativer Kosmologien: Erst nachdem die kopernikanische Theorie in den wissenschaftlichen Diskurs Eingang gefunden hat, wird ernsthaft diskutiert, ob Kometen sub- oder supralunare Phänomene sind, denn erst jetzt wird der Gegenstandsbereich der Astronomie neu ausgehandelt, die dichotomische Trennung von himmlischer und irdischer Sphäre angezweifelt und vor verändertem Hintergrund die Frage gestellt, welcher Natur die Erde, die Planeten oder die Kometen sind und was über ihre physische Beschaffenheit gesagt werden kann, vgl. Schmidt: Wie wissenschaftliche Revolutionen zustande kommen, S. 205 und S. 273–277. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die durch theoretische, mathematische und instrumentelle Entwicklungen gesteigerte astronomische Beobachtungsgenauigkeit, die ermöglicht, das Problem der Kometenposition empirisch anzugehen. Siehe dazu Granada: The Elimination of the Celestial Spheres and Astronomical Hypotheses.
10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes
511
weniger Verbrennungsprozesse als vielmehr optische Phänomene sind, die durch Brechung des Sonnenlichts entstehen. Nachdem einerseits die Hypothese einer supralunaren Kometenposition an Plausibilität gewinnt und zudem die Dimensionen des Kosmos, aber auch des Kometenkörpers, realistischer eingeschätzt werden, verliert die Idee eines irdischen Ursprungs der Kometenmaterie an Boden. Das Exhalationskonzept wird daher in den ätherischen Bereich des Himmels verlegt: Im Nachgang der Entdeckung der Sonnenflecken und der darum entbrannten Debatte schlägt u. a. Athanasius Kircher vor, dass Kometen aus Sonnenmaterie entstehen.19 Der beobachtende Astronom Johannes Hevelius propagiert hingegen, dass Kometen aus atmosphärischem Material der Planeten bestehen und kann dadurch eine physikalische Erklärung für die mitunter zu beobachtende Nähe von Kometen und bestimmten Planeten oder der Ähnlichkeit ihrer Bewegungsweise liefern. Vor allem erlaubt ihm seine Theorie eine naturkundliche Konzeptualisierung der planetarischen Kometennatur, die traditionell an der Farbigkeit eines Kometen festgemacht worden ist. Die Berücksichtigung der Farbigkeit von Kometen – eigentlich aus rein astrologischen Gründen relevant – ist somit zum Gegenstand physikalischer Theoriebildung geworden. Durch solche Umdeutungen und Neuinterpretationen verändert sich das Kometenbild fortwährend, ohne dass es zunächst zu einem singulären revolutionären Bruch kommt. Man kann vielmehr von einer dynamischen Hybridisierung sich wandelnder Hypothesen sprechen, z. B. indem Vorstellungen der optischen und der meteorologischen Theorie verbunden werden oder aber, indem Elemente theoretischer Kometenkonzeptionen mit Versatzstücken anderer Wissensformen, Glaubensinhalte und Deutungstraditionen eklektisch verknüpft werden, wie es z. B. in der Vielfalt von Kometenbildern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sichtbar ist. Der zur Vielfalt der Kometenbilder führende methodische Eklektizismus ist Ausdruck der verschiedenen Versuche, mit den vermehrt auftretenden oder wahrgenommenen Widersprüchen in bestehenden Wissenssystemen umzugehen. Auch die Erklärung der Entdeckungen der Supralunarität der Kometen oder des Schweifrichtungsgesetzes hat zu Widersprüchen in der gängigen Theorietradition geführt, wodurch alternative, periphere oder aus anderen Gründen nicht plausible Ideen vermehrt evaluiert worden sind, an Relevanz gewonnen haben und zum Anlass weiterer Reflexion und Modifikation geworden sind. Solche Modifikationen, meistens so wenige und so konservativ wie möglich, können im Laufe der Zeit zum Ausgangspunkt theoretischer Weiterentwicklungen avancieren, die schließlich den Punkt der Inkompatibilität mit der ursprünglichen Theorie erreichen. Diese Art der Reorganisation des Wissens kann schließlich – wie im Falle des Kometenwissens und der daran geknüpften Bilder – zum epistemischen Bruch führen, der am konkret lokalisierbaren Endpunkt des Kometendiskurses greifbar ist. 19
Johannes Heurnius spekuliert bereits 1577 über den Ursprung von Kometen in der Sonne, maßgeblich inspiriert durch die ars cosmocritica Cornelius Gemmas, die stark von neuplatonischen Vorstellungen durchdrungen ist. Siehe dazu Kap. 6.2; zu Kircher siehe Kap. 8.3.
512
10 Fazit
Es ist hilfreich, sich hier wieder die Unterscheidung von bodies und images of knowledge sowie die komplexe Architektur des Wissens vor Augen zu führen:20 Die Bilder von Kometen beruhen auf verschiedenen Wissenstraditionen, methodischen Prinzipien oder epistemologischen Vorstellungen, die harmonisch verknüpft, in friedlicher Koexistenz oder auch antagonistischer Polarität – als Enden eines breiten Spektrums von Graustufen – miteinander in Beziehung stehen können. Auch vermeintlich inkompatible Vorstellungen aus den Bereichen der aristotelischen Meteorologie, des neuplatonischen Hermetismus oder der theologischen Divination treffen sich im Kontext eines Kometenbildes, dessen Funktionen und Geltungsansprüche über den engen Kern des reinen Wissens hinausreichen. Ändern sich diese Bilder, so hat dies Auswirkungen nicht nur auf die sozialen Strukturen der Wissensproduktion, -organisation und -kommunikation sowie auf die diskursiven Praktiken der Verhandlung und Legitimation dieses Wissens, sondern auch auf die Akzeptanz oder den epistemologischen Status von bodies of knowledge wie dem der Astrologie oder dem der aristotelischen Kosmologie. Die Langlebigkeit gerade dieser Wissenstraditionen beruht darauf, dass sie vielfältige Anknüpfungspunkte bieten, Raum für verschiedene Interpretationsweisen lassen und sich insbesondere als modifizierbar und adaptierbar erweisen. Die Idee des mentalen Modells erlaubt also, das diskontinuierliche Fortschreiten und die konservative Stabilität in der Wissensentwicklung in einem Erklärungskonzept zusammenzubringen. Dies lässt sich am Beispiel Newtons in Bezug auf ein extrem langlebiges Bild von Kometen illustrieren, nämlich die Vorstellung dieser Himmelsphänomene als Unglücksboten. Der im folgenden Abschnitt ausführlicher thematisierte Denk- und Argumentationsrahmen der Physikotheologie bietet einen gangbaren Weg, die theologische Zeichenhaftigkeit der Welt mit deren wissenschaftlicher Beschreib- und Erklärbarkeit in Einklang zu bringen. Die zeichenhafte Dimension der Kometen beruht auf der Überzeugung, dass ihnen eine tiefere Bedeutung zukommt, die klassischerweise in der Intention des Zeichengebers gesehen worden ist. Newtons Kometentheorie schreibt den im Vorfeld physikotheologisch rein zeichenhaft gedachten Himmelsphänomenen eine Art teleologisch-kosmologischer Funktion zu, nämlich als Quellen materieller Substanz, mit der die Kometen auf ihren Umlaufbahnen als vermittelnde Träger andere Himmelskörper versorgen und so das gravitative Gleichgewicht im Kosmos aufrecht erhalten.21 Nachdem der Zusammenhang zwischen Kometenerscheinungen und meteorologisch verstandenen Wirkungen über Kausalketten durch die zeichenhaft konzeptualisierte Relation zwischen Kometen und den ihnen zugeschriebenen Folgen abgelöst worden ist und diese Ende des Jahrhunderts ebenfalls vermehrt negiert wird, kommt es somit auf Grundlage dieser teleologischen Interpretation zu einer wieder kausal und naturphilosophisch gedach-
20 21
Siehe zu diesem Aspekt Kap. 1.3.2. Siehe dazu Kap. 9.
10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes
513
ten Kometenbedeutung – z. B. indem sie aufgrund der Möglichkeit von Kollisionen zwischen Kometen und Planeten wieder potentielle Ursachen katastrophalen Geschehens sein können.22 Der mit Newton und Halley verknüpfte Transformationsprozess veranschaulicht, wie aus der zeichenhaft-symbolischen Kometendimension deren Sichtweise als zweckvoll erwächst. Die Frage der Kometenbedeutung ist damit nicht obsolet, sondern wieder innerhalb des Rahmens und mit den Mitteln der Naturphilosophie zu beantworten. Zu Recht hat Sara Schechner dies als säkularisierte oder verwissenschaftlichte Neuauflage der Kometenfurcht beschrieben und auch Simon Schaffer hat konstatiert, dass Kometen von vielen Naturphilosophen und Theologen noch im 18. Jahrhundert als „the most divinely significant objects in the heavens“ betrachtet werden.23 Es ist genau dieser Zusammenhang, den Johann Heinrich Lambert Mitte des 18. Jahrhunderts im ersten seiner kosmologischen Briefe erfasst, wenn er schreibt: „Ist es nicht so, die Cometen sind nun nimmer durch ihre Bedeutung, sondern durch ihre Wirkung furchtbar?“24 Ironischerweise ist es gerade derjenige, auf dessen wissenschaftliche Leistungen das Ende des Kometenaberglaubens gemeinhin zurückgeführt wird, mit dem das Weiterleben dieses Aberglaubens im neuen Gewand legitimiert wird, nämlich Isaac Newton. Auch hier liegt der Grund für diese Konstanz in der Langlebigkeit mentaler Modelle und der an sie geknüpften Kometenbilder. Nichts desto weniger sind die Kometen Newtons von grundlegend anderer Natur als die der augmentierten Kometentheorie: Sie sind nun Himmelskörper, die sich entsprechend den Gesetzen der Gravitation auf berechenbaren Bahnen um Zentralgestirne bewegen. Eine physikalisierte Astronomie hat – grob gesagt – die Rolle der naturkundlichen Astrologie übernommen, etwa als Quelle naturalistischer Information und als theoretischer Rahmen für Beobachtung und Erklärung von Kometen als Naturphänomenen, während die Deutung in das Kontextfeld der Theologie als rationalen Naturtheologie und Physikotheologie verschoben ist, das zum Auffangbecken für astrologische Versatzstücke wird. Dieser Wandlungsprozess, der aus der Ferne als Paradigmenwechsel erscheint, beruht bei näherer Betrachtung maßgeblich auf der Konservierung alter Ideen, die in neuen Kontexten weiterentwickelt und re-interpretiert werden.
22 23 24
Diese Vorstellungen baut William Whiston zu einer ganzen Theorie aus, vgl. Kap. 9.1. Vgl. Schechner: Comets, Popular Culture, and the Birth of Modern Cosmology, S. 216–224; Schaffer: Newton’s Comets and the Transformation of Astrology, S. 237 (Zitat) sowie Ders.: Authorized Prophets: Comets and Astronomers after 1759. [10.1] Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues, Augsburg 1761 (http://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_1761/37, abgerufen am 05.12.2016), S. 4.
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10 Fazit
10.2.2 Theologie: Vom moraltheologischen Wunderzeichen zum physikotheologischen Naturwunder Mit Blick auf die theologische Ebene ist zunächst der Einfluss der Reformation herauszustellen: Sie hat als Medienereignis in Verbindung mit den technischen Möglichkeiten des Buchdrucks nicht nur maßgeblich dazu beigetragen, den oben angesprochenen Markt für volkssprachige Kleinliteratur und eine darauf fußende Kommunikationskultur und Öffentlichkeit entstehen zu lassen. Der lutherische Protestantismus betont neben seiner Begeisterung für Wunderzeichen die Notwendigkeit, dass Christen das Wort Gottes verstehen müssen – auch ohne einen vermittelnden Priester – und ist daher als Konfession wortorientiert und nicht wie der Katholizismus ritualorientiert. Damit ist die Autorität der Institution Kirche auf die Autorität der Schrift übergegangen. Eine starke Betonung des Individuums und seiner geistigen Fähigkeiten, aber auch das Streben nach Bildung oder zumindest Lesefähigkeit waren die mittelbaren Folgen. Neben der melanchthonisch geprägten theologisierten Naturphilosophie, deren Präsenz an deutschen Universitäten und der damit einhergehenden Astrologiebegeisterung sind es auch strukturelle Gründe, durch die die Vielzahl deutschsprachiger Publikationen im Vergleich zu anderen geographischen Regionen Europas zumindest partiell erklärt werden kann. Zunächst einmal wäre als wichtiger Faktor die Größe der deutschsprachigen Bevölkerung der Frühen Neuzeit – nach Frankreich die zweitgrößte Europas – zu nennen.25 Ein weiterer Grund ist in der politischen und religiösen Struktur des deutschen Sprachgebietes zu sehen, das nicht nur konfessionell gespalten, sondern auch de-zentralistisch organisiert ist und über viele einzelne, mitunter konkurrierende Höfe und Herrscher, aber auch freie Städte als Druckzentren und Horte des aufstrebenden und gebildeten Bürgertums verfügt. Dieses bildet die klassische Rezipientenschicht der Prodigienliteratur. Für die geringe Repräsentation katholischer Autoren im deutschsprachigen Kometendiskurs ist auch die Tatsache entscheidend, dass seit dem Schwinden der naturfeindlichen Haltung der christlichen Kirchenväter und der theologischen Legitimierung der Naturerforschung als christlichen Wissens- und Wahrheitssuche ein wesentlicher Teil des katholischen Dogmas im Rahmen aristotelischer Philosophie formuliert und konzeptualisiert worden war, so dass von protestantischer Seite der aristotelische Kontext der Theologie – und im Nachgang dann auch seine Naturphilosophie – einfacher abzulehnen oder zumindest infrage zu stellen war.26 Am bedeutsamsten ist jedoch die konfessionell verschiedene Konzeption des Wunders: Funktional gesehen entsprechen der protestantischen Prodigienbegeisterung im Katholizismus die Heiligenwun25 26
Vgl. Cipolla, Carlo M. / Borchardt, Knut (Hrsg.): Bevölkerungsgeschichte Europas. Mittelalter bis Neuzeit, München 1971, S. 81. Vgl. Harrison, Peter: The Bible, Protestantism, and the Rise of Natural Science, Cambridge 1998, S. 103.
10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes
515
der. Bei den Lutheranern entwickelt sich jedoch aus dem neuen Selbstverständnis und Zugang zur Bibel ein veränderter Zugang zur Natur: Auch diese ist als Offenbarung Gottes prinzipiell rational und ohne Vermittlerinstanz eigenständig zu erkennen, wobei diese Erkenntnis als Christenpflicht und Gottesdienst verstanden wird. Nicht zuletzt aus dieser Haltung erwächst ein Wunderbegriff, der entgegen der in katholischen Kreisen propagierten Sichtweise des Wunders als supranaturalistisch das Wunder in die Natur selbst verlegt, womit es einer Erklärbarkeit überhaupt zugänglich ist. Diese Entwicklung ist nicht nur ein wichtiger Grund für die maßgebliche Rolle der Theologie – funktional betrachtet als Katalysator – für die Etablierung des modernen Kometenverständnisses. In einer Zeit der „veralltäglichten Sakralität“27 – etwa während des christlichen Mittelalters – gilt das Wunder traditionell als übernatürlich, als ein außerhalb der Natur stattfindendes Ereignis, das keiner weiteren Erklärung bedarf und als Zeichen der Durchdringung menschlichen Daseins durch die Omnipräsenz eines allmächtigen und aktiv in das Weltgeschehen eingreifenden Gottes als wenig außergewöhnlich wahrgenommen wird. Neben dieser Selbstevidenz des Wunders steht davon losgelöst die Kausalerklärung von Natur. Im Prodigiendenken des 16. Jahrhunderts verbinden sich beide epistemologischen modi: Ein Prodigium wird in der Natur durch Gott als Willensbekundung und Machterweis bewirkt und erfordert daher eine natürliche und übernatürliche Erklärung. Neben die theoretische Kausalerklärung des Naturprozesses tritt die Interpretation der Kometen als prophetisch-apokalyptischen und bußtheologischen Zeichen. Realität und Deutung stehen dabei in einem Wechselverhältnis zueinander, da die deutende Interpretation der Konstruktion von Bedeutung und Wirklichkeit entspricht, die sich innerhalb eines dynamischen Kontexts von Wissen und Glauben als kulturellen Systemen vollzieht, verschiedenen Zwecken dienen und unterschiedliche Funktionen erfüllen kann. Insbesondere die Deutung der zeichenhaften Kometen als Gottes Strafen ermöglichen eine theologische Verarbeitung des von Krisen und Katastrophen geprägten Alltagslebens, womit sowohl Naturereignisse als auch kontingentes Geschehen in Form der von den Widrigkeiten des Daseins ausgehenden existentiellen Bedrohung an menschliches Handeln zurückgebunden werden.28 Durch die Dualität von Zeichenhaftigkeit und kausaler Natürlichkeit ist das Wunder in die Natur verlegt und damit erklärungsbedürftig und das sakrale Deutungsmuster hinterfragbar geworden. Der Wunderstatus von Kometen erfordert nun eine legitimatorische Absicherung, die häufig durch Verweis auf die Supralunarität als vermeintlich vom regelhaften Naturlauf abweichendes und damit die Dignität und zeichenhafte Relevanz des Kometen unterstreichendes Verhalten erfolgt. Daher ist die Akzeptanz der modern anmutenden Tatsache der Kometenposition über dem Mond so häufig
27 28
Vgl. Habermas: Wunder, Wunderlicher, Wunderbares, S. 46. Vgl. Leppin: Antichrist und Jüngsater Tag, S. 153.
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10 Fazit
mit der Betonung des übernatürlichen Charakters von Kometen korreliert. Insbesondere im Nachgang des Kometen 1577 zeigt sich, dass die Himmelsphänomene zunehmend rein übernatürlich und zeichenhaft und weniger als ursächlich wirkend interpretiert werden, wie man z. B. bei den Katholiken Johann Rasch und Johannes Schinbain, aber auch bei Christoph Rothmann sehen kann. Die kausale Betrachtungsweise schlägt damit in eine vornehmlich teleologische Betrachtungsweise um, wodurch die kausalontologische Dimension der Zeichen verschwindet und eine rein signifikative zurück bleibt.29 Diese Entwicklung gipfelt in der Haltung Peter Crügers, der Gott zur causa efficiens und finalis der Kometen erklärt.30 Im Resultat führt das Wachsen der naturkundlichen Erkenntnisse über Kometen also dazu, dass sie zunächst weniger naturalistisch, sondern vielmehr theologisch konzeptualisiert werden,31 da auf diese Weise bisher nicht erklärbares, nicht erwartetes oder nicht regelkonformes Verhalten von Kometen nicht nur verständlich wird, sondern auch deren Charakter als zeichenhaften Schöpfungen Gottes entspricht.32 Diese Abkehr von der kausalen Kometenkonzeptualisierung lässt sich an der Rolle der historia als Argumentationsmodus veranschaulichen: Seit Ende des 16. Jahrhunderts werden die wunderhafte Zeichenhaftigkeit und der vorbedeutende Charakter der Kometen zunehmend historisch und nicht mehr physikalisch belegt. In den Kometenchroniken spiegelt sich diese Entwicklung darin wider, dass die traditionellen und astrologisch konnotierten Ursachen der Entstehung eines Kometen – etwa bestimmte planetarische Aspekte oder Finsternisse – aus den Auflistungen verschwinden, ebenso wie klassische meteorologische Kometenwirkungen, die auf die durch den Kometen verursachten Veränderungen der Luftschicht zurückzuführen sind, wie z. B. Stürme, Dürren, Überschwemmungen oder Erdbeben. Stattdessen konzentriert man sich auf die Nennung der Kometenerscheinungen und deren auf die Menschen bezogenen Konsequenzen etwa politisch-religiöser Natur. Kometen interessieren hier als historische exempla, deren Relevanz auf der Verbindung von Natur- und Heilsgeschichte beruht, und nicht als singuläre Ereignisse mit individuellen Eigenschaften. Auf diese Weise entwickeln sie ihre geschichtsstrukturierende Bedeutung und ihre empirische Belegfunktion. Bei Theodor May, Johannes Kepler und Peter Crüger wird nicht mehr das Kausalmodell von Ursachen, Erscheinung und Wirkung von Kometen belegt, sondern der göttlich gestiftete Zusammenhang von diesen als Zeichen entsprechender Folgen.33 29 30 31 32
33
Vgl. Cassirer: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, S. 128–129. Zu Schinbain siehe Kap. 4.1, zu Rasch Kap. 5.1 sowie zu Crüger Kap. 7.2. Vgl. dazu Mosley: Past Portents Predict, S. 31–32. In dieser Weise äußert sich z. B. der Spanier Rodrigo Zamorano in seiner Chronologie von 1594, für den die Supralunarität der Kometen ihre außerordentliche Bedeutung unterstreicht, wenn er schreibt „And if they are made in heaven, it is no wonder they have so great effects“, siehe Navarro: Prophecy and Politics in Spain, S. 53. Siehe dazu das 7. Kap.
10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes
517
Kometen und deren Folgenhaftigkeit werden damit im theologischen Rahmen konzeptualisiert, sie dokumentieren die Präsenz und Providenz Gottes und gestatten über die chronikal verbürgten vergangenen Erscheinungen und deren Folgen eine legitime Zukunftsprognostik. Peter Megerlin bezieht sich auf diese historia-Dimension als intellektuellen Rahmen, in dem er den Synchronismus von irdischen und himmlischen Ereignissen konzeptualisiert, während Stanislaw Lubienietzki die kompilative Auswertung von empirischen Daten und theoretischen Positionen methodisch im Sinne einer interdisziplinären Hermeneutik neben die chronikale Empirie stellt, um die Geschichte astronomischer Ereignisse mit einer Geschichte der Menschheit zu verbinden.34 Seine Kometographie steht im Dienste einer Ermittlung der Bedeutungsdimension von Kometen basierend auf ihrer überzeitlichen Relevanz und damit der Verbindung verschiedener intellektueller Traditionen, die im Begriff sind, sich sukzessive voneinander zu trennen. Beide Beispiele der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigen, dass die auf Analogierelationen beruhende Vorstellung des Mikro- und Makrokosmos langsam durch eine metaphysische und symbolische Synchronizität ersetzt wird, bis es schließlich zu einer Separation von Naturgeschichte und Naturwissenschaft oder einer Trennung von symbolischer Deutung und physikalischer Erklärung kommt. Dies ist ein weiteres Beispiel für einen Prozess der Umdeutung, Neuinterpretation und Re-Definition der Kometen: Lubienietzki lehnt eine Zeichenhaftigkeit von Kometen im moralischen Sinne z. B. ab, während etwa Pierre Bayle diese Ablehnung auf die Spitze treibt und den Kometen oder Naturphänomenen generell jegliche Form einer übergeordneten Bedeutung abspricht.35 Häufiger aber weicht die Betonung der symbolischen Dimension der Betonung einer zweckvoll gestalteten und nützlichen Natur: Zeichenhaftigkeit, die Ordnung kreiert, wird durch Zweckhaftigkeit ersetzt, die die Ordnung der Natur darstellt und in abstrakten mathematischen Relationen gefasst werden kann.36 Es zeigt sich hier, dass für die Entwicklung des Kometenbildes neben der veränderten Konzeption des Wunders auch der damit zusammenhängende Transformationsprozess des Gottesbegriffs relevant ist. Die mit dem Prodigienwesen verknüpfte moraltheologische Vorstellung eines Gottes als zürnenden Vaters, der seinen Willen kundtut, Reue und Umkehr einfordert und die sündigen Menschen bestraft, weicht langsam dem Bild eines milden und gnädigen Gottes, dessen zeichenhafte Kommunikation weniger eschatologisch oder bußparänetisch, sondern als Ausdruck seiner sich in der zweckvollen und harmonischen Ausgestaltung der Schöpfung manifestierenden Vorhersorge zu verstehen ist. Aus dem aktiv strafenden wird der passiv-planerische Gott, der die Welt ursprünglich so geschaffen hat, dass er selbst aus der Perfektion dieser Schöpfung zu erkennen ist, wobei diese Erkenntnis und damit Naturforschung zur Christenpflicht und zum Anlass des Lobpreises Gottes avanciert. Sowohl der eschato34 35 36
Zu Megerlin siehe Kap. 8.2.2 und zu Lubienietzki Kap. 8.1. Zu Bayle siehe Kap. 9.3. Vgl. Harrison: The Bible, Protestantism, and the Rise of Natural Science, S. 162.
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10 Fazit
logische als auch der straftheologische Deutungskontext haben sich mit ihrer Kopplung von gesellschaftlichem Wandel an das menschliche Sündenverhalten zudem als unflexibles und wenig funktionales Erklärungsmodell erwiesen, um genau diesen Wandel überzeugend zu erfassen.37 Mentalitätsgeschichtlich betrachtet weicht das dunkle Bild einer gefallenen Welt der Sünder, auch im Kontext veränderter Lebensbedingungen oder deren Wahrnehmung, einem insgesamt positiveren Blick auf die Wirklichkeit: Die kollektive Leiderfahrung des Dreißigjährigen Kriegs hat nicht nur die Erwartung in die Leistungsfähigkeit von Prognostik enttäuscht, sondern nach der Einkehr einer ruhigeren Zeit das aus politischer Instabilität, konfessionellen Krisen und gesellschaftlicher Verunsicherung erwachsende Bedürfnis nach Orientierung und Sinnstiftung insgesamt verringert. Anstatt sich als passiver Teil eines unbeeinflussbaren Netzes von Beziehungen zwischen Natur, Welt und Gott und den daher stammenden als Kontingenzen erfahrenen Widrigkeiten der Lebensrealität ausgeliefert zu sehen, schaut man zunehmend optimistischer in eine gestaltbare Zukunft und betont Individualisierung und Eigenverantwortlichkeit – eine schließlich in der Aufklärung gipfelnde Entwicklung. Diese Verschiebung von der bußtheologischen zur naturtheologischen Denkfigur mündet in einer physikotheologischen Kometenbetrachtung, die sich in Ansätzen bereits bei Matthias Meine, spätestens aber bei den meisten Autoren der Schriften zum Kometen 1680 zeigt:38 Während Newton die funktionale Rolle der Kometen in einer durch göttlich gesetzte Zwecke sinnbehafteten natürlichen Ordnung fokussiert, die mathematisch zu beschreiben und kausal zu erklären ist, erscheinen Kometen bei Dörffel auf die semiotische Dimension als Zeichen der göttlichen Ordnung reduziert.39 Kometen sind nunmehr gerade in ihrer Natürlichkeit und Erklärbarkeit wunderbar und nicht, weil sie mit ihrem Verhalten vom regelhaften Naturlauf abweichen. Mit dieser Entwicklung ändert sich das Kometenbild und die mit seiner Präsentation intendierten Funktionen: Die Himmelsphänomene avancieren vom Schrecken und Furcht auslösenden Warn- und Strafzeichen zum bewunderungswürdigen Zeichen göttlicher Schöpfermacht und Providenz. In diesem Kontext werden sie zum Kuriosum und damit zum Gegenstand gelehrter Unterhaltungsliteratur. Johannes Praetorius z. B. will seine Leser verblüffen und Staunenmachen, nicht moralisieren: er sieht Kometen als Faszinosa mit Unterhaltungswert, deren Deutung vom Konkreten ins Allegorische geht und das Bedürfnis nach Sinnstiftung und nicht akademischer Erklärung befriedigt.40
37 38 39 40
Schnadenberger: „Die böse Welt mit ihrer Sünd“. Zu Meine siehe Kap. 5.3 und zur Interpretation des Kometen von 1680 siehe Kap. 9. Vgl. Kap. 9.1. Zu Praetorius siehe Kap. 8.2.2.
10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes
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10.2.3 Astrologie: Marginalisierung durch Funktionsverlust Das verbindende Element des integrierten Kometenbildes ist die Kausalität als Grundlage sowohl der augmentierten meteorologischen Theorie und auch als Teil einer Theologie, die das göttliche Einwirken auf die irdische Welt nicht nur zeichenhaft, sondern auch in Form von sekundären Ursachen konzeptualisiert, deren sich Gott instrumentell bedient. Diese Dualität der Sichtweisen von Kometen als Zeichen und als Ursachen bildet den Kern des interdisziplinären Kometenbildes, dessen Integrationsleistung sowohl in thematischer als auch methodischer Hinsicht ganz wesentlich auf der Astrologie beruht, die als argumentatives Bindeglied nicht nur zwischen Naturkunde und Theologie, sondern auch zwischen mathematischer Astronomie und qualitativ-kausaler Naturphilosophie fungiert. Die Katalysatorfunktion der Sterndeutungskunst bei der Etablierung des modernen Kometenbildes und generell deren Bedeutung in der Entstehung der Naturwissenschaften beruht zunächst darauf, dass sie nicht göttliche Willkür, sondern naturalistische Kausalität in der Erklärung und Prognostizierung von Ereignissen in der Natur betont und damit Wissen an die Stelle des Glaubens setzt.41 Indem die Astrologie als naturkundlich fundierte Wissenschaft der Deutung Kausalerklärung und Prognostik verbindet, liefert sie eine quasi-physikalische Erklärung der Kometenwirkung. Eine prophetische Astrologie braucht notwendig Datenmaterial zur Ausdeutung, das ihr astronomische Beobachtung und historia liefern. Die astrologische Kausalität ist dabei nicht nur das Prinzip von Naturerklärung, sondern auch das konstitutive Prinzip der Geschichte, da auch die historische Entwicklung als der Macht der Sterne unterstehend gedacht wird. Gerade die historia, die relativ eindeutig aus theologisch-eschatologischer Perspektive auf die Welt und den Menschen ausgerichtet ist, hat auf Empirie rekurriert lange bevor die Beobachtung als wesentliches epistemisches Charakteristikum der experimentellen Methode etabliert war. Die Aufmerksamkeit für ältere und zeitgenössische Observationsberichte ist damit ebenso motiviert worden wie eigene Beobachtungen eines aktuellen Kometen; das Ideal empirischer Wissenschaft, etwa in Form einer kritischen Haltung gegenüber anderen Beobachtungen sowie eine Methodik des systematischen Sammelns, Bewertens und Vergleichens von empirischen Daten wurde gefördert, was sich wiederum positiv auf die Entwicklung einheitlicher Standards ausgewirkt haben dürfte. Die Funktion der Cometenhistoriae als Quelle eines strukturierten und erbaulichen Narrativs des Weltgeschehens in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hat eine reflektierende und explikative Dimension, was ein Verstehen der Welt bis hin zu einem gewissen Grad der Kontrolle über sie – z. B. über die Handlungsmöglichkeit der Buße als Antwort auf die im Kometen inkorporierte göttliche 41
Cassirer hat diese Entwicklung am Beispiel der rationalen Astrologie des Pietro Pomponazzi (1462– 1525) dargestellt, vgl. Cassirer: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, S. 121–122.
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10 Fazit
Androhung von Strafe – suggeriert. In dieser engen Verbindung von Astrologie und historischer Argumentationsweise liegt eine der Ursachen der Transformation der Sterndeutungskunst, deren Legitimität vermehrt über die empirische Induktion aus der historia begründet wird und so zunehmend als Diagnosemittel der Gegenwart und immer weniger als naturkundliche Deutungstechnik erscheint. Diese Entwicklung lässt sich am Beispiel Theodor Mays nachvollziehen.42 Das Argumentieren mit Geschichte steht erkenntnistheoretisch betrachtet genau zwischen einer auf natürliche Ursachen als maßgeblichen Begründungszusammenhang bezogenen Kausalastrologie und dem symbolischen Denken einer zeichenhaft-semiotischen Natursicht, die den Himmel als durch Form- und Zweckursachen gestaltet versteht und auf Analogien rekurriert. Ähnlich wie die diagnostische Medizin bezieht sich auch die historia auf Beobachtung und Ähnlichkeitsbeziehungen. Mit der Historisierung der Astrologie geht nun ihre Verdrängung aus der Kausalerklärung von Kometen einher; die historisch-chronikale Dokumentation der Kometenerscheinungen und -folgen übernimmt dabei funktional gesehen die Rolle der Kausalketten.43 In der Renaissance ist die Astrologie Teil der legitimen Wissenschaften, da sie dem kognitiven Stil der Zeit entspricht, der „experiential not experimental“ ist.44 Der Unterschied liegt z. B. in der methodisch verschieden umgesetzten Legitimation der Erfahrung, die zunächst auf Autorität, aber zunehmend mehr auf Quantifizierbarkeit, Reproduzierbarkeit und damit anderen Art der Überprüfbarkeit liegt. Es entstehen neue Arten der Wissenslegitimierung und Kriterien der Wissensdefinition. Die Astrologie wird schließlich weder den methodischen Anforderungen gerecht, noch erfüllt sie die neu etablierten Kriterien der Wissensdefinition. Damit steht eine zunehmende Ablehnung der traditionellen astrologischen Elemente der Kometeninterpretation in Verbindung – beispielsweise die Vorstellung astrologischer Häuser, die Ausdeutung der von Kometen durchlaufenen Tierkreiszeichen oder Sternbilder, eine chorographische Interpretation der Schweifausrichtung oder die Idee der planetarischen Effizierung eines Kometen, was nicht nur einer Begrenzung ihres Erkenntnis- und Zuständigkeitsbereichs, sondern einer regelrechten Aushöhlung der astrologischen Kometomantik entspricht. Die sich somit schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts andeutende Funktionsverschiebung der Domäne der Deutung von der Astrologie auf die historia ist ein Faktor, der langfristig zum epistemologischen Statusverlust der Astrologie beiträgt und gleichzeitig die Hinwendung zu einer transformierten Theologie einläutet. Nachdem die Astrologie damit zunächst aus der Kausalerklärung von Kometen ausgeschlossen worden ist, erfährt sie einen weiteren Funktionsverlust hinsichtlich der Interpretation der Himmelsphänomene. Wenn etwa Matthias Schneuber die Kometendeutung im Kontext allegorischer Poesie verortet, dann zielt er damit zum einen 42 43 44
Die Analyse der Kometenschriften Theodor Mays findet sich in Kap. 7.1. Siehe dazu Kap. 8.2. Dooley: Astrology and Science, S. 233.
10.2 Die Formation und Dissolution des integrierten Kometenbildes
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auf Erbauung und ästhetische Anregung und trennt zum anderen die Domäne der Interpretation von der deskriptiven Observationsebene und der Behandlung wissenschaftlich-theoretischer Fragen strikt ab.45 Diese epistemischen Funktionen werden nun innerhalb der Kontextgebiete erfüllt: Erfassung, Beschreibung und Erklärung im Kontext einer physikalisierten Astronomie, die Deskription und Kausalerklärung integriert, und die Deutung zumeist im Rahmen theologischer Sinnstiftung, jedoch in transformierter Form, wie sich z. B. an der Physikotheologie zeigt. Da Kometen ihren erschreckenden Charakter verlieren, verschwindet die moralethische und sozialdisziplinierende Dimension in den diskurskonstituierenden Medien; sie werden als Kuriosum betrachtet, Gegenstand von Parodie und Satire oder als Manifestation eines abergläubischen Weltbilds interpretiert.46 Darin zeigen sich eine veränderte Deutung von Natur sowie ein Wandel der Mentalität und der Wahrnehmung von Lebensrealität, die sich in veränderten Bedürfnissen und Rezeptionsinteressen ausdrücken. Die Astrologie wird für eine Kometeninterpretation obsolet, da die Deutungsbedürftigkeit der Kometen verschwindet oder anders gesagt die Funktionen der Weltdeutung und Kontingenzbewältigung nicht mehr von der Astrologie übernommen werden. Diese Idee des Funktionsverlusts als Folge der mit der Dissolution des integrierten Kometenbildes verbundenen Ausdifferenzierung und Separation der Kontextgebiete stellt eine Alternative oder wesentliche Ergänzung zu den traditionellen historischen Narrativen dar, durch die das Verschwinden der Astrologie aus dem Wissenschaftsdiskurs erklärt worden ist und die Steven Vanden Broecke als „status loss“- und als „censorship“-Interpretation bezeichnet hat:47 Die erste Sichtweise geht davon aus, dass die Akzeptanz der Astrologie von externen Faktoren abhängt – z. B. dem Glauben an eine himmlische Einflussnahme, an die aristotelische Kosmologie oder den ptolemäischen Geozentrismus – und dass mit deren Ablehnung auch die Astrologie negiert wird, was einem eher passiven Vorgang entspricht. Einen solchen Prozess beschreibt Rienk Vermij mit seiner These von der Marginalisierung der Astrologie oder auch Kocku von Stuckrad, wenn er schreibt, dass die Bindung der Sterndeutungskunst an qualitative Prinzipien, etwa in Form des aristotelischen Denkens, dazu führt, dass sie sich sowohl einer empirischen Überprüfung als auch einer umfassenden Reformierung entzieht und daher mit diesen traditionellen Konzepten an Glaubwürdigkeit verliert. Der Niedergang der Astrologie ist demnach ein Nebeneffekt oder Kollateralschaden der Modernisierung des Weltbilds. Die zweite Interpretationsweise geht davon aus, dass die Astrologie, z. B. von den politischen Eliten, aktiv unterminiert worden sei, etwa
45 46 47
Zu Schneuber siehe Kap. 8.3. Siehe dazu Kap. 9.3 Vgl. Vanden Broecke, Steven: From Cosmic Governance to Governmentality. Shaping Sublunary Order in Seventeenth-Century French Critiques of Astrology, in: Granada, Miguel Á. / Boner, Patrick J. / Tessicini, Dario (Hrsg.): Unifying Heaven and Earth. Essays in the History of Early Modern Cosmology, Barcelona 2016, S. 315–340.
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10 Fazit
durch Zensurgebote, der Abschaffung von Lehrstühlen oder anderen Maßnahmen der Diskurskontrolle, mit denen die Astrologie ihre öffentliche Reputation einbüßt. Beide Interpretationsweisen verbindet, dass sie eher die intellektuell-theoretische Ebene betrachten, wie es zum Beispiel im konkreten Bezug auf die Kometenthematik auch Tabitta van Nouhuys tut, die den sich diskursiv manifestierenden epistemologischen Wandel primär als einen des Denkens charakterisiert. Die Studie von Sara Schechner fokussiert demgegenüber eher die soziale Ebene, indem sie z. B. herausarbeitet, dass die Astrologie, gerade in ihrer öffentlichen Erscheinungsform, insbesondere in humanistischen Kreisen zunehmend als vulgär abgelehnt wird, als Aberglaube der ungebildeten Masse, was einem soziokulturellen Prozess der Abgrenzung nach unten entspricht, die aus unterschiedlichen Motiven von Geistlichkeit, Adel und Bürgertum betrieben wird und nun tatsächlich zu einer Trennung von Hoch- und Populärkultur und damit konnotierten Kultur-, Glaubens- und Wissensformen führt.48 Der epistemologische Wandel als gradueller Prozess lässt sich an dem Ringen um die Deutungshoheit über Naturprozesse und deren legitimer Beschreibung und Interpretation festmachen, welche die grundlegende Problemstellung der Kritik Crügers an den Positionen des Peripatetikers Keckermann Anfang des 17. Jahrhunderts sowie auch des zweiten Ulmer Kometenstreits in den 1680er Jahren darstellt.49 Während alle der eben genannten Autoren darin übereinstimmen, dass der Niedergang der Astrologie nicht auf eine Widerlegung ihrer Grundannahmen oder aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit neuen Entdeckungen oder Theorien zurückzuführen sei, sondern stattdessen in einer komplexen Gemengelange von intellektuellen, sozialen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Faktoren wurzele, so illustrieren die Ergebnisse dieser Arbeit einen Weg der Synthese dieser verschiedenen Erklärungsansätze und erlauben so die Konturierung eines erweiterten historiographischen Narrativs. Das Verschwinden des ontologischen Bereichs des praeter naturam als Ort von Dämonologie, Magie oder auch Astrologie kann demnach als eine Folge der Dissolution des integrierten Kometenbilds und als weitere Manifestation der Differenzierung des ganzheitlichen Welt- und Naturbilds der Renaissance beschrieben werden. Während die Theologie nach wie vor den metaphysischen Unterbau der Bedeutungsermittlung bilden kann, hat die Astrologie ihre Bindung sowohl daran als auch an die Kausalerklärung von Kometen verloren. Durch diesen Desintegrationsprozess bleiben das Übernatürliche als Bereich der echten Wunder und der Theologie sowie das Natürliche als Domäne quantitativer und erklärender Naturwissenschaft als zwei antagonistische Pole übrig.50 Der von beseelten Sternen und anderen Geistern erfüllte ontologische
48 49 50
Diese Abgrenzungsprozesse können als Konsequenz der Diskursdifferenzierung interpretiert werden, siehe dazu Kap. 8.2. Zur Crüger-Keckermann-Debatte siehe Kap. 7.2, zum zweiten Ulmer Kometenstreit siehe Kap. 9.2. Daston beschreibt diesen Prozess als Dämonisierung oder auch als „Naturalization of the Preternatural“, vgl. Daston: Marvelous Facts and Miraculous Evidence in Early Modern Europe, beson-
10.3 Theoretische und historiographische Interpretation
523
Zwischenbereich, in dem etwa Johannes Heurnius und Leonhard Thurneysser die Kometen als intermediäre Phänomene verorten, verschwindet hingegen.51 Die Kometenkonzepte dieser beiden Protagonisten illustrieren mit ihrer Integration hermetischen Denkens genau das oben erwähnte Zwischenstadium des Nebeneinanders von Neuem und Altem, das jedoch weniger durch die Gegensatzpaare rational-irrational oder progressiv-rückständig charakterisiert werden kann. Wie an der Epistemologie Thurneyssers erkennbar, ist es gerade sein Streben, den okkulten Kräften in der Welt auf die Spur zu kommen, in dem seine Methodik des unvoreingenommenen empirischen Naturzugangs wurzelt. Auf diese Weise sind fundamentale Aspekte z. B. der hermetischen Tradition in das sich entwickelnde moderne Wissenschaftsverständnis integriert worden.52 10.3 Theoretische und historiographische Interpretation Die Rekonstruktion und Interpretation des im volkssprachigen Kometendiskurs sichtbaren epistemischen Wandels in Form einer kontextualisierten Kulturgeschichte des Wissens, war Ziel dieser Studie. Ihr integrativer Ansatz versteht Wissen als kulturelles System kollektiven Charakters und hat dessen Dynamik durch den Fokus auf die relationalen Verbindungen dieses Systems mit spezifischen Wissensfeldern und anderen kulturellen Systemen untersucht. Die diachrone Analyse der historischen Entwicklung des Kometenbildes zwischen ca. 1530 und 1682 lässt erkennen, das hier sowohl ein klar lokalisierbarer epistemischer Bruch stattgefunden hat – mit diesem endet der Diskurs – als auch eine Summierung miteinander verschränkter und sich teilweise gegenseitig beeinflussender Prozesse der graduellen Transformation. Diese Transformationsprozesse haben die Erklärungs- und Deutungsweise der Kometen so verändert, dass deren diskursiver Ort in andere Bezugskontexte verlagert und fragmentiert wird, womit die Kometenflugschriften ihre Grundfunktion als medial-literarische Repräsentationsformen der Diskussion dieser Fragen verlieren.53 Wollte man Beginn und Ende des Diskurses durch zwei Namen charakterisieren, sollten diese Petrus Apian und Pierre Bayle sein und nicht Tycho Brahe und Isaac Newton, da es
51 52
53
ders S. 115–123. Zu diesen beiden siehe Kap. 6.1 und 6.2. Es ist diese Katalysatorfunktion der Astrologie, deren Wichtigkeit Cassirer betont, wenn er schreibt: „Astrologie und Magie stehen daher in der Epoche der Renaissance sowenig in Widerstreit gegen den modernen Naturbegriff, daß sie vielmehr beide zu seinem mächtigsten Vehikel werden. Die Astrologie und die neue empirische ‚Wissenschaft‘ der Natur treten zueinander in eine ebensowohl persönliche wie sachliche Union.“ Cassirer: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, S. 118. Anders als die Kirchschen Kalender, die die Transformationen mitmachen und daher als Medien, die gelehrte und populäre Welt verbinden, erhalten bleiben, siehe dazu Kap. 9.1.
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10 Fazit
beim integrierten Kometenbild um die größere Dimension der facettenreichen kulturellen Relevanz der Kometen und deren diskursive Verhandlung geht und nicht nur um den wissenschaftlichen Kern ihrer theoretischen Beschreibung. Die Analysen dieser Studie haben zum einen gezeigt, dass die mit den beiden genannten Protagonisten verbundenen Leistungen nicht so einschneidende Zäsuren darstellen, wie zuweilen behauptet. Während die Entdeckung der Supralunarität durch Tycho Brahe traditionell als Beginn einer neuen Ära im Verständnis und der Zugangsweise zu Kometen interpretiert worden ist, ist das Ende der Kometenfurcht – und infolgedessen auch des vermeintlich davon dominierten Kometendiskurses der volkssprachigen Kleinschriften – auf die rationale Beschreibung und Erklärung der Kometen als den Gesetzen der Gravitation unterworfene, periodische Himmelskörper durch Isaac Newton zurückgeführt worden. Eine supralunare Kometenposition z. B. wurde jedoch sowohl lange vor Brahe in unterschiedlichen disziplinären Kontexten – etwa der optischen Kometentheorie – bereits propagiert und war zum anderen selbst in der Fachwelt in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts alles andere als allgemein akzeptiert. Zudem ist festzuhalten, dass die Frage der Supralunarität der Kometen in den Flugschriften zumindest des 16. und auch zu Beginn des folgenden Jahrhunderts nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. In den wenigsten wird sie als empirisch anzugehende Problemstellung – und auf diese Dimension erscheint sie mit dem tychonischen Narrativ54 ja reduziert – überhaupt thematisiert. Es ist zwar richtig, dass die empirische Beobachtung in der zeitlichen Entwicklung des hier untersuchten Kometendiskurses einen immer größer werden Raum einnimmt, z. B. in Form detaillierter Observationsberichte in textueller und bildlicher Form. Dies jedoch als Indiz für eine zunehmende Wissenschaftlichkeit in der Behandlung des Kometenthemas zu werten, wie es nicht nur die ältere Forschung oftmals propagiert hat, erscheint im Lichte der hiesigen Untersuchungsergebnisse zumindest als fragwürdig: Es ist nicht nur so, dass die Frage der Verortung der Kometen kein rein messtechnisches Problem gewesen ist, das mit der erfolgreichen Anwendung der Methode der parallaktischen Entfernungsbestimmung zufriedenstellend gelöst worden wäre, sondern sich vielmehr eingebunden in größere naturphilosophische, kosmologische und theologisch-religiöse Debatten zeigt. Zudem sind gerade die empirisch zu ermittelnden Kometenparameter – also etwa der Ort und der Lauf eines Kometen am Himmel, dessen Bewegungsweise oder aber auch dessen Helligkeit, Farbe und Form – primär zum Zwecke einer astrologischen Ausdeutung überhaupt eruiert worden. Diese Zielsetzung und Funktion der empirischen Kometenforschung lässt sich von den Inhalten der verschiedenen Wissensbestände und Deutungstraditionen gar nicht trennen, was nur unterstreicht, wie wenig sinnvoll eine Charakterisierung der frühneuzeitlichen Wissensentwicklung als linearer Rationalisierungsprozess ist.
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Siehe dazu die Einleitung zu Teil III dieser Arbeit.
10.3 Theoretische und historiographische Interpretation
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Die Relevanz dieser das Wissen über die Natur kontextualisierenden und determinierenden Debatten ist ebenso die Ursache dafür, dass die metaphysische Kometendimension mit den Newtonschen Arbeiten nicht einfach obsolet geworden ist, sondern diese vielmehr zur Grundlage einer transformierten und wissenschaftlich begründeten Form der Kometenfurcht wird und einen Legitimationskontext für eine teleologisch fundierte theologische Kometeninterpretation bildet. Dass die Zahl der Kometenflugschriften nach 1681 so rapide und scheinbar abrupt zurückgeht, ist daher weniger der nunmehr rationalen Erklärung der Kometen durch die Newtonsche Theorie der Gravitation geschuldet, welche die Frage nach deren Bedeutung vermeintlich überflüssig macht. Diese These ist allein deshalb fragwürdig, da die meteorologisch-astrologische Beschreibung von Ursprung, Erscheinung und Wirkung von Kometen durch Kausalketten schließlich ebenfalls ein rationaler Versuch der Erklärung der Himmelsphänomene und deren Folgen darstellt. Es ist vielmehr die Dissolution des prozessual zu verstehenden integrierten Kometenbildes als Ausdruck des Wegfalls einer temporär harmonischen Stabilität und des fragilen Zusammenschlusses von durchaus auch widersprüchlichen Wissens- und Deutungstraditionen in Bezug auf Kometen. Das, was sich auf der medialen Ebene als Ausdifferenzierung und Separation zeigt, führt auf der disziplinären Ebene zur Marginalisierung der Astrologie und einer veränderten Konzeptualisierung der Relation von Gott und Natur. Wie beschrieben, werden die Kometen als natürliche Wunderzeichen aus dem im integrierten Kometenbild durch die Verknüpfung der teratologisch-divinatorischen und astrologisch-meteorologischen Traditionslinie hergestellten Kausalzusammenhang herausgelöst und stattdessen mittels Konzepten der Konsonanz, der Analogie oder Synchronizität konzeptualisiert, was häufig theologisch begründet wird. Durch das Verschwinden der Kausalität verändert sich der Zeichencharakter, die Himmelsphänomene werden zu reinen Zeichen, die als Botschaft auf ihre semiotische Dimension reduziert erscheinen. Mit diesen Transformationsprozessen geht ein Wandel der Rationalitätskriterien und der Methodologie einher, der insbesondere durch eine Abwertung der traditionellen Quellen gekennzeichnet ist: Das Wissen über Kometen beruhte üblicherweise auf biblisch-theologischen sowie klassischen literarischen und wissenschaftlichen Texten, an die man philologisch, historisch und exegetisch herangegangen ist, wohingegen zeitgenössische naturphilosophische Debatten oder auch die empirische Evidenz – wenn überhaupt – erst in zweiter Linie relevant gewesen sind. Diese Zugangsweise kehrt sich langsam um, bis schließlich die antiken Wissensbestände als legitime Quellen oder Bezugspunkte der Theoriebildung diskreditiert sind. Wie sich besonders eindrücklich bei Bayle zeigt, steht insbesondere ein unreflektierter Autoritätenbezug – sei es in Gestalt der mit großen Namen verbundenen theoretischen Konzepte, in Bezug auf die naturkundliche Kanonizität der Bibel oder in Form
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10 Fazit
chronikal überlieferter Observationsdaten – im Zentrum der Kritik.55 Damit wird die historische Methode als elementarer Aspekt des humanistischen Wissenschaftsverständnisses wie auch der Kometographie und außerdem als letztes Standbein einer astrologischen Kometendeutung entscheidend unterminiert. Demgegenüber werden nun die Ideale der Aufklärung betont und die naturwissenschaftliche Wahrheitssuche zunehmend nicht mehr als Frage der Interpretation einer Tradition und ihrer als normativ geltenden Texte, sondern als Arbeit an der Natur verstanden.56 William Clark hat die Kometen als die letzten Reste des astrologischen Kosmos der Renaissance charakterisiert, da ihnen noch bis Mitte des 18. Jahrhunderts eine theologische und teleologische Bedeutung zugeschrieben worden sei.57 Diese symbolische Bedeutungsebene der Kometen ist jedoch – anders als im 16. Jahrhundert – vom Feld ihrer wissenschaftlichen Erfassung und Erklärung abgespalten. Das in dieser Form entmystifizierte Kometenbild hat sich, überspitzt formuliert, jedoch nicht trotz seiner Verbindung zum astrologischen und theologischen Kontext durchgesetzt, sondern gerade wegen dieser Relationen, die zu bestimmten Zeitpunkten und in verschiedener Art und Weise konstitutive Faktoren auf dem Weg der Modernisierung des Kometenbildes waren. Diese Art der Beziehungen und Einflussnahme wird hier deshalb als Katalysatorfunktion charakterisiert, da Elemente aus der Astrologie und Theologie das neue Naturbild und damit den Wissenswandel befördern und formen, dessen Entwicklung jedoch schließlich an einen Punkt gerät, an dem für beide Gebiete, zumindest in ihrer traditionellen Form, kein Platz mehr ist. Gerade das Schicksal der Astrologie verdeutlicht, wie zäh und langlebig Weltbilder sein können und dass sie sich weniger total ändern oder untergehen, sondern vielmehr als Resultat einer Umstrukturierung, Reorganisation und Neuinterpretation von Wissen und der Bilder dieses Wissens fragmentiert und transformiert werden und in dieser Form in neuen Weltvorstellungen zumindest teilweise aufgehen oder weiterleben.58 10.4 Ausblick Die historische Analyse des Kometendiskurses verdeutlicht, dass es bei den Modernisierungsprozessen des Wissens im 17. Jahrhundert nicht primär um die Durchsetzung einer rationalen Methode gegenüber abergläubischen Irrwegen und den Geltungsansprüchen einer fehlgeleiteten Religiosität ging, sondern um die Wandlungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit von Wissenssystemen, die in dynamischen Relationen mit
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Siehe zu Bayle Kap. 9.3. Vgl. Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos, S. 145. Clark: Der Untergang der Astrologie in der deutschen Barockzeit, S. 470. Es gibt die Astrologie ja heute noch, allerdings nur noch im Bereich der Esoterik oder der spirituellen Psychologie, siehe dazu Stuckrad: Geschichte der Astrologie, S. 344–357.
10.4 Ausblick
527
anderen kulturellen Feldern stehen und Elemente dieser Felder integrieren, exkludieren, rekombinieren, umfunktionalisieren, ignorieren oder uminterpretieren und auf diese Weise sich selbst und diese Felder fortwährend verändern. Durch den analytischen Fokus auf die Art der Beziehungen zwischen diesen kulturellen Feldern, können nicht nur die eigene Standortgebundenheit als Historiker kritisch reflektiert werden, sondern auch die Tragfähigkeit, die Grenzen und die wissenschaftstheoretischen Grundlagen historiographischer Interpretationstraditionen. Ein traditionelles Fortschrittsnarrativ hat insofern seine Berechtigung, als am Ende des 17. Jahrhunderts tatsächlich ein Kometenbild vorherrscht, das zumindest teilweise als rationaler charakterisiert werden kann, als es z. B. neue wissenschaftliche Erkenntnisse theoretisch erklären kann und dabei des Bezugs auf nunmehr diskreditierte Wissensbestände, etwa der Astrologie, nicht mehr bedarf. Eine kontextualisierte Geschichte des Wissens, wie sie diese Studie am Beispiel der frühneuzeitlichen Kometenthematik entwickelt hat, zeigt dabei jedoch auf, dass die Gründe für diesen Fortschritt andere sind, als zuweilen vermutet. Die entscheidenden Transformationsprozesse entstehen aus der den Wissenssystemen inhärenten Dynamik und ihren Korrelationen, dem fluktuierenden Hin und Her Cassirers oder dem nur der Nachwelt paradox erscheinenden Nebeneinander von Altem und Neuen. Es sind diese Korrelationen, die sich weder durch die Idee einer umfassenden Kontingenz historischen Geschehens, noch durch simple UrsacheWirkungs-Relationen adäquat fassen lassen, sondern die am konkreten Beispiel qualifiziert werden müssen, um ihre epistemische Relevanz herauszuarbeiten. Es ist erhellend, dabei nicht nur wissenschaftlich-theoretisches Wissen, sondern auch andere Formen des Wissens – das praktische astrologischer Prognostik oder das Heilswissen der Theologie – sowie dessen kollektive Natur und sozial-kulturelle Determiniertheit und Einbettung in den Blick zu nehmen. Diese Studie hat insbesondere die Rolle der Materialität des Wissenswandels herausgearbeitet, indem sie einen an eine bestimmte Medienform gebundenen Diskurs analysiert und rekonstruiert hat. Es ist die Dynamik des Diskurses, die den epistemischen Wandel nicht nur sichtbar werden lässt, sondern diesen mit ermöglicht und formt. Der Diskurs ist Ausdruck des Wechselverhältnisses zwischen Medien- und Wissenswandel, die von den durch die Kometen als herausfordernden Objekten hervorgerufenen intensiven Kommunikationsprozessen in der Frühen Neuzeit verursacht worden sind und sich reziprok beeinflussen und verstärken. Das in den Flugschriften verhandelte Kometenwissen und dessen Deutungen sind Gegenstand eines gemeinsamen Diskurses, worin sich die Ausbreitung einer Wissenskultur in die Breite widerspiegelt – zunächst durch die durch die Medien erhöhte Frequenz des Wissensaustauschs und die Beschleunigung von Kommunikation und Wissenswandel, aber auch durch eine Demokratisierung des Wissens: Die Kometenflugschriften sind Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Debatte um Kometen, in der Wissen und Glauben verhandelt werden. Sie haben nicht direkt zur Durchsetzung neuer Theorien wie z. B. der des Heliozentrismus geführt, den zeitgenössischen Diskurs jedoch auf subtilere und nachhaltigere Art beeinflusst,
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indem sie für ein breites Publikum Wissenschaft, deren Methoden und deren Bedeutung sichtbar gemacht und ihre Rezipienten zur intensiven Beschäftigung und aktiven Beteiligung daran motiviert haben. Der in den Kometenflugschriften sichtbare Diskurs reflektiert Formen der Praxis, Partizipation und Kommunikation von Wissenschaft, während seine Akteure im dynamischen und fortwährenden Dialog mit Traditionen, alten und neuen Wissensformen sowie Interpretationsmustern deren epistemische Grenzen ausloten. Für zukünftige Forschungen bieten sich daher zwei wesentliche Anknüpfungspunkte an die Ergebnisse dieser Studie an. Bezugnehmend auf die Materialität des hier untersuchten Wissensdiskurses in Form der deutschsprachigen Kometenflugschriften, könnte eine lohnenswerte Erweiterung darin bestehen, andere Medien und ihr Verhältnis zu den Flugschriften in den Blick zu nehmen. Werden das Wissen oder die Bilder von Kometen anders dargestellt, je nachdem, ob sie in einer Flugschrift oder einem Traktat in Buchform erscheinen? In welchen Medien und für welche Rezipienten wird Kometenwissen verhandelt, nachdem die Kometenflugschriften zumindest in ihrer klassischen Form verschwinden? Welchen Einfluss hat das mediale Format auf die Kommunikationskultur und die durch die Produktion und Rezeption von Wissen verbundene Öffentlichkeit? Umfassende prosopographische Untersuchungen hinsichtlich der Verfasser von Kometenflugschriften, die im Rahmen dieser Arbeit nicht notwendig waren, könnten zudem genauer herausarbeiten, wie diese Öffentlichkeit konstituiert ist, in welchen Netzwerken die Akteure verbunden sind und wie Wissenskommunikation jenseits von institutionalisierten Strukturen und persönlichen Korrespondenzbeziehungen organisiert ist. Eine weitere durch diese Studie aufgeworfene Frage ist die nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Religion. Ein Ergebnis der vorliegenden Arbeit ist z. B. die Tatsache, dass die protestantische Konfession unter den Verfassern von deutschen Kometenflugschriften deutlich überrepräsentiert ist. Die hier dafür angeführten Gründe könnten durch einen Blick auf andere Kultur- und Sprachräume entscheidend ergänzt werden: Wie stellt sich z. B. die Situation in England, Frankreich oder Italien dar: gibt es hier Kometenflugschriften in vergleichbarer Zahl? Wie sind Kometenerscheinungen im islamischen oder chinesischen Kulturkreis wahrgenommen, erklärt und interpretiert worden und welchen medialen und wissenschaftlichen Wiederhall hat das gefunden? Wer sind die Autoren, was die Inhalte und welche Rolle spielen religiöse Überzeugungen? Während die Merton-These beispielweise einen engen und positiven Zusammenhang zwischen dem protestantischen Ethos und der Herausbildung der modernen Naturwissenschaften konstatiert, ist gerade der katholischen Kirche – man denke an die Historiographie des Galilei-Prozesses – eine fortschritts- und forschungsfeindliche Haltung zugeschrieben worden. Der in dieser Studie herausgearbeitete und in der Entwicklung des Kometenbildes greifbare Wandel des Wunder- und Gottesbegriffs ist nicht nur ein innertheologischer, sondern steht in engem Zusammenhang mit der sich verändernden Konzeptualisierung und Deutung von Natur. Gerade in
10.4 Ausblick
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Zeiten, in denen naturtheologische Argumentationsmuster im Kontext vermeintlich wissenschaftlicher Religiositätsvorstellungen wie dem Intelligent Design an Zuspruch und auch politischer Relevanz gewinnen, sind historische Analysen des Verhältnisses von Wissenschaft und Religion von nicht zu unterschätzendem Wert. Die Umstände und Ursachen konkreter geschichtlicher Prozesse zu untersuchen, durch die einstmals legitime intellektuelle Traditionen und Betätigungsfelder als pseudowissenschaftlich diskreditiert werden, erlaubt, epistemologische Kriterien der Wissenschaftlichkeit zu formulieren und zu bewerten, die in aktuellen Debatten von ebenso großer Bedeutung sind wie in historischen. Auch heute sind Kometen als kosmische Objekte faszinierend genug, um für ihre Erforschung milliardenschwere Raumfahrtmissionen zu rechtfertigen. Die Landung einer Raumsonde auf einem Kometen wird daher ebenso zum Medienereignis wie z. B. eine totale Sonnenfinsternis. Dies bezeugt nicht zuletzt die Kontinuität der wissenschaftlichen und kulturellen Bedeutung solcher astronomischen Phänomene und der Relevanz ihrer Erklärung und Interpretation für ein umfassendes Natur- und Weltbild – heute wie in der Frühen Neuzeit.
11 Bibliographie Im Folgenden werden zunächst die zeitgenössischen Primärquellen des Untersuchungszeitraums kapitelweise angeführt. Die wenigen Dopplungen sind zweifach genannt und firmieren daher unter zwei unterschiedlichen kapitelspezifischen Nummern. Wo vorhanden, werden bei bekannteren Autoren die jeweiligen Werkseditionen sowie bei dort bibliographisch erfassten frühneuzeitlichen Drucken die VD16 oder VD17-Nummern angegeben. Im Anschluss folgt die Forschungsliteratur in alphabetischer Ordnung sowie abschließend ein Verzeichnis der verwendeten Abbildungen nebst Standortnachweis. 11.1 Verzeichnis der Primärquellen Kapitel 1 [1.1] Creutzer, Peter: Ausslegung, Nürnberg 1527 (VD16 ZV 22438). [1.2] Grünpeck, Joseph: Ein newe Auszlegung der seltzamen Wunderzaichen, Augsburg 1507 (VD16 G 3631) [1.3] Schneuber, Johann Matthias: Umständliche Beschreibung Dess grossen Cometen Welcher im Anfang dess Christmonats 1664 erschinen und biss zu end dess Jenners 1665 gestanden: Samt beigefügter Abbildung dess gantzen Lauffs und beiläuffiger Bedeutung in underschidliche Kurtzgedichte verfasst, Straßburg 1665. [1.4] Virdung von Haßfurt, Johannes: Auslegung und Beteütung der wun der barlichen Zeichen, Oppenheim 1520. [1.5] Virdung von Haßfurt, Johannes: Usslegung und Erclerung der wunder barlichen kunfftigen erschrockenlichen Ding, Nürnberg 1506 (VD 16 V 1260). Kapitel 2 [2.1] Apian, Petrus: Astronomicum Caesareum, Ingolstadt 1540 (VD16 A 3073). [2.2] Apian, Petrus: Practica auff dz 1532. Jar, Landshut 1531 (VD16 A 3105).
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[2.3] Brahe, Tycho: De Mundi Aetherei recentioribus phaenomenis liber secundus. Qui est de illustri Stella caudata ab elapso fere triente Novembris anni 1577, usque in finem Ianuarii sequentis conspecta, Uraniborg 1588 [Dreyer, Johan L. E. (Hrsg.): TBDOO IV, Kopenhagen 1913, S. 1–378]. [2.4] Cardano, Girolamo: De subtilitate [Opera Omnia III, Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, S. 353–713]. [2.5] Cardano, Girolamo: De rerum varietate [Opera Omnia III, Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, S. 1–351]. [2.6] Fracastoro, Girolamo: Homocentrica. Eiusdem de causis criticorum dierum in nobis sunt, Venedig 1538. [2.7] Gemma Frisius, Rainer: De radio astronomico et geometrico liber, Antwerpen 1545. [2.8] Graminaeus, Theodor: Weltspiegel oder algemeiner Widerwertigkeit dess fünfften Kirchen Alters, kürtze Verzeignuss. Darinnen dess Cometen oder aussgereckter Rüthen, so im Jar Christi 1577 den 11. Novembris, am hohen Himmel vernomen Stand, Lauff, und Bedrewung zuersehen, so physice, astrologice, metaphysicae, oder aber formaliter erklert und aussgelagt wirt, Köln 1578 (VD16 G 2809). [2.9] Mästlin, Michael: Observatio & demonstratio cometae aetherei, qui anno 1577 et 1578 constitutus in sphaera Veneris, apparuit, cum admirandis eius passionibus, varietate scilicet motus, loco, orbe, distantia a Terrae centro, etc. adhibitis demonstrationibus geometricis & calculo arithmetico, cuiusmodi de alio quoquam cometa nunquam visa est, Tübingen 1578 (VD16 M 101). [2.10] Milich, Jacob: Commentarii in librum secundum historiae mundi C. Plinii, Hagenau 1535 (VD16 P 3538). [2.11] Pena, Joannes. „De usu optices praefatio“, in: Ders.: Euclidis optica et catoptrica, Paris 1557. [2.12] Regiomontanus, Johannes: De cometae magnitudine, longitudine [que] ac de loco eius vero problemata XVI, Nürnberg 1531 (VD16 M 6522). [2.13] Schinbain, Johann Georg: Sternen oder Cometen Buch, in welchem die fürnemsten Cometen, deren bey 180. so hin und her, vor und nach Christi Geburt, an dem Firmament erschienen, sampt andern Meteorologicis so sich in Lüfften zugetragen: was auch gleich in jedem Jar besunder für Effect oder Würckung darauff gefolget, Ingolstadt 1578 (VD16 S 2843). [2.14] Taust, Johann Gottfried: Cometa redivivus das ist der aus der Aschen viel entsetzlicher als zuvor hervorflammende und aufs Neue sich unserm Gesichte präsentirende Unglücks Prophete oder der nach gemeiner Art Genannte Comet und Schwantz Stern welcher seinen Curs und Lauff geändert und nach dem er unter der Sonnen Strahlen 3 Wochen verdecket gewesen nun mehr des Abends alsbald nach der Sonnen Untergang sich sehn lässet, Halle 1681 (VD17 14:073221Z). Kapitel 3 [3.1] Anon.: Verzeychnus des Cometen so im Anfang des Mertzens erschynen ist M. D.LVI, Nürnberg 1556. [3.2] Anon.: Warhafftige Beschreibung was auff einen jeden sollichen Cometen geschehen sey, die gesehen sind von Anfang der Welt her biss auff disen
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Jetzgesehenen Cometen in dem 56 Jar, auch was sich an etlichen Orten darnach verloffen hat unnd in welchem Jar ein jeder gesehen ist worden, [Straßburg] 1556. [3.3] Apian, Petrus: Ein kurtzer Bericht der Observation und Urtels des jüngst erschinnen Cometen im Weinmon unn Wintermon dises XXXII. Jars, Ingolstadt 1532 (VD16 A 3093). [3.4] Apian, Petrus: Practica auff dz 1532. Jar, Landshut 1531 (VD16 A 3105). [3.5] Aurifaber, Johannes / Stoltz, Johannes: Kurtze Verlegung der unchristlichen Practica Magistri Johannis Hebenstreits auff das Jar 1554 zu Erffurd aus gangen, Jena 1554 (VD16 S 9266). [3.6] Fabricius, Paulus: Cometa visis mense martio lvi. anno, Wien 1556. [3.7] Fabricius, Paulus: Der Comet im Mertzen des LVI. Jahrs zu Wien in Osterreych erschinen, Nürnberg 1556 (VD16 F 457). [3.8] Flock, Erasmus: Von dem jüngsten unnd achten Cometen, deren, so von dem jar M. D.XXXI an, biss auff das yetzig lauffend M. D.LVIII Jar, erschinen sein, im Augustmonat gesehen, Nürnberg 1558 (VD16 F 1653). [3.9] Flock, Erasmus: Von dem Lauff mancherley Orten des Cometen der im Mertzen und Aprilln des M. D.LVI Jars erschinen ist, Nürnberg 1557 (VD16 F 1654). [3.10] Gasser, Achilles Pirmin: Ain kurtze Underricht von dem Cometen und harigen Sternen so den Sumer des M. D.XXXIII. Jars etlich Zeit zu Morgens darnach auch lang zu Abendts ersehen ist worden, Augsburg 1533 (VD16 G 496). [3.11] Gasser, Achilles Pirmin: Beschrybung unnd Abnemen über den Cometen, so imm Herbst dess M. D.XXXII. Jar zu morgens allweg erschinen ist, sampt einer kurtzen Erklärung siner erschrockenlichen Bedütnuss, Zürich 1532 (VD16 G 489). [3.12] Gasser, Achilles Pirmin: Von dem Cometen oder Pfawenschwantz so in etlichen Hochteutschen Land X. Tag des Augusten sich zu erst erzeygt und darnach vil Nächt ob aines Raissspiess lang anderthalb Schüch brayt am Himel gesehen ist worden, o. O. 1531 [Archenhold, Friedrich Simon: Alte Kometeneinblattdrucke, Berlin 1917, Nr. 3]. [3.13] Hebenstreit, Johannes: Des Cometen so dieses 1556. Jars von dem 5.Tag Marcii an bis auff den 20. Aprilis zu Wittemberg erschienen Bedeutung. darinne auch derer Meinung so zween Cometen gesatzt gründtlich refutirt wird, Wittenberg 1556 (VD16 H 875). [3.14] Hebenstreit, Johannes: Prognosticon historicum physicum auffs Jhar 1567. Darinne allerley Zufell aus nechst verschinenen Wunder und kuenfftigen Zornzeichen auch aus alten Propheceyung hoher Leute vergangenen gleichen Zeichen und drauff erfolgeten Exempeln genommen angezeigt werden, warnungsweise Gestalt, Erfurt 1566 (VD16 ZV 23992). [3.15] Hebenstreit, Johannes: Prognosticon historicum und physicvm. auffs M. D. LXVI. Jhar darinne allerley kuenfftige Voranderung auff vorgangene gleiche Exempla gegruendet werden warnungsweise Gestalt, Erfurt 1565 (VD16 ZV 7497). [3.16] Heller, Joachim: Practica auf das M. D.LVII. Jar sampt Anzeygung unnd Erclerung was die Erscheinung unnd Bewegung des vergangenen unnd zuvor angezeygten Cometen im sechs und funffzigstem Jar gewesen und bedeutet habe, Nürnberg 1556 (VD16 H 1693).
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[3.17] Krautwadel, Michael: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen der Natur Wachsung Underscheyd Farben Gestalt Bewegung Bedeütnus etc. aller unn sunderlich diss newlich erschinen Cometen auss fürnemer Philosophorum unn Astronomorum ler dem durchleüchtigen hochgepornen Fürsten und Herren Wilhalmen Pfaltzgrafen bey Reyn Herzogen in obern unn nidern Bayern etc zu eeren beschriben, Augsburg 1531 (VD16 K 2311). [3.18] Lycosthenes, Conrad: Prodigiorum ac ostentorum chronicon quae praeter naturae ordinem, motum, et operationem, et in superioribus & his inferioribus mundi regionibus, ab exordio mundi usque ad haec nostra tempora acciderunt. Lycosthenes Wunderwerck durch Johann Herold verteütscht, Hildesheim 2007 (Nachdruck der Ausgabe Bern 1557). [3.19] Neodomus, Nicolaus: Von des Cometen Bedeutung welcher in dem jetzt lauffenden M. D.LVIII. Jar im Augstmond erschienen ist ein kurtzer Bericht aus gutem Grund der Astrologey gestellet vnd beschrieben, Erfurt 1558 (VD16 ZV 11443). [3.20] Paracelsus: Usslegung des Commeten erschynen im Hochbirg zu mitlem Augs ten Anno 1531, Zürich 1531 (VD16 P 411). [3.21] Paracelsus: Usslegung dess Fridbogens so erschinen ist im Winmon gstanden uff den bodenseeischen Grentzen im Jar 1531. der do abkündt den Unfriden so der Comet in Augstmon erschinen angezaigt hat, Konstanz 1531 (VD16 P 410). [3.22] Paracelsus: Usslegung desz Cometen und Virgulte in hohen tütschen Landen erschinen, Konstanz 1532 (VD16 P 412). [3.23] Paracelsus: Uszlegung der erdbidem beschehen nach Ussganng dess Cometens in den alpischen Birgen. im M. D.XXXI., Konstanz 1531 (VD16 P 406). [3.24] Paracelsus: Von den wunderbarlichen ubernatürlichen Zeychen so inn vier Jaren ein ander nach imm Hymmel Gewülcke und Lufft ersehen von Sternen Regenbögen Fewrregen Plutregen wilde Thierer Tracken schiessen Fewrin mann mit sampt ander dergleychen. auch Ausslegung der zweyen Cometen so biss her yrrig aussgelegt seynd, Augsburg 1534 (VD16 P 636). [3.25] Pruckner, Nicolaus: Was ein Comet sey; wo her er kome und seinen Ursprung habe un in was Form un Gestalt sye erscheynen auch von jrer Bedeütung mit Anzeygung etlicher Historie und Geschichten so denen Cometen nach gevolget und sonderlich von dem Cometen erschinen im Weinmonat des XXXIJ. Jars, Straßburg 1532 (VD16 P 5167). [3.26] Schöner, Johannes: Coniectur odder ab nemliche Auslegung uber den Cometen so im Augustmonat des M.CCCCC.XXXI Jars erschinen ist, Leipzig 1531 (VD16 S 3471). [3.27] Schönfeld, Victorin: Verzeychnus unnd Erklerung des ungewönlichenn fewrigen Comet Sterns welcher dieses lauffende M. D.LVIII Jar im Augustmonat von vilen Menschen in Lüfften vermerckt ist worden gestellet und beschriben, s. l. 1558 (VD16 ZV 22710). [3.28] Virdung von Haßfurt, Johannes: Auslegung und Bedeütniss des Cometen der gesehen worden ist im Augustmon im 1531. Jahre zu Eren Herrn Ludwigen Paltzgravenn bey Rheyn Hertzogen in Bayern unnd zu eyner Warnung Yedermenniglichen wann es ist nye kein Comet gesehen worden der nit etwas gross erschröcklichs bracht hab, Speyer 1531 (VD16 V 1255).
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Kapitel 4 [4.1] Brahe, Tycho: Vonn der Cometten Uhrsprung was die alten unnd neuen Philosophi inn denselben vermaint unnd davon zuhalten sei, Uraniborg 1578 [Dreyer, Johan L. E. (Hrsg.): TBDOO IV, S. 381–396]. [4.2] Busch, Georg: Beschreibung von zugehörigen Eigenschafften und natürlicher Influenz des grossen und erschrecklichen Cometen welcher in diesem 1557. Jahre erschienen. Zu Ehren und gnedigem Wolgefallen Dem Wolgebornen und Edlen Herrn Herrn Wilhelmen der vier Graffen des heiligen römischen Reichs Graffen zu Schwartzburg (…) Meinem Gnedigen Graffen und Herrn, Erfurt 1577 (VD16 ZV 2727). [4.3] Heerbrand, Jacob: Achtzehen Predigten von mancherley Gott seliger Materien. Zu Tübingen nach und nach zu underschiedlichen Zeitten gehalten, Tübingen 1586 (VD16 H 951). [4.4] Heerbrand, Jacob: Compendium theologiae quaestionibus methodi tractatum, Tübingen 1573 (VD16 H 965). [4.5] Heerbrand, Jacob: Ein Predig von dem erschrockenlichen Wunderzeichen am Himmel dem newen Cometen oder Pfawenschwantz. Gehalten zu Tübingen den 24. Sontag nach Trinitatis wölcher ist der 17. Wintermonats, Tübingen 1577 (VD16 H 1064). [4.6] Kepler, Johannes: Astronomia nova aitiologetos, seu physica coelestis, tradita commentariis de motibus stellae martis: Ex observationibus g. v. Tychonis Brahe, Heidelberg 1609 [Caspar, Max (Hrsg.): KGW III, S. 5–424]. [4.7] Kreidweiss, Vitalis: Ein trewe Warnung und gutthertzige Vermanung zur Büss an die allgemeine Christenheit und sonderlich noch Teutschland uber das schröckliche Wunderzeichen den Cometen oder Pfawenschwantz der jetzt eine gutte zeitlang am Himmel ist gesehen worden. Auss der Christlichen und Eyfferigen Predig des Ehrwürdigen und Hochgelehrten Herrn D. Jacob Heerbrands gehalten zu Tübingen den 17. Novemb. Anno 1578, Tübingen 1580 (VD16 ZV 22780). [4.8] Mästlin, Michael: Observatio & demonstratio cometae aetherei, qui anno 1577 et 1578 constitutus in sphaera Veneris, apparuit, cum admirandis eius passionibus, varietate scilicet motus, loco, orbe, distantia a Terrae centro, etc. adhibitis demonstrationibus geometricis & calculo arithmetico, cuiusmodi de alio quoquam cometa nunquam visa est, Tübingen 1578 (VD16 M 101). [4.9] Nolthius, Andreas: Observatio und Beschreibung des Cometen, welcher im Novembri und Decembri des 77. und noch im Januario dieses 78. Jhars erschienen, Erfurt 1578 (VD16 N 1812). [4.10] Schinbain, Johann Georg: Kurtze historische, wahraffte und gründliche Narration oder Beschreibung von dem Anfang, Ursprung, Herkommen, Frucht und Nutzbarkeiten dess Wallfahrtens. Mit Erzehlung etwelcher fuernehmer Oerther Personen unn stattlicher Mirackel oder Wunderzeychen (…). Auss Goettlicher Heiliger Schrifft (…) Zusammen getragen und in teutsche Rhytmos gestellt, Konstanz 1598 (VD16 S 2840). [4.11] Schinbain, Johann Georg: Memorial oder Gedenckzedel. von der Forcht Gottes, besonder aber vom Sabbath, Feyrabendt, Sonn, und Festtagen nach göttlicher und christenlicher Kirchen Eynsatzung und Ordnung Recht und Wolzuhalten.
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auch von Straff der Verächter solcher heiliger gebottner Zeyten und Tagen. Mit Vermeldung etwelcher namhaffter und dieser Zeyt schier vergessner oder unbekandter Historien, Miracklen oder Wunderzeichen, so sich in disem Fall zugetragen, Konstanz 1598 (VD16 S 2841). [4.12] Schinbain, Johann Georg: Sternen oder Cometen Buch, in welchem die fürnemsten Cometen, deren bey 180. so hin und her, vor und nach Christi Geburt, an dem Firmament erschienen, sampt andern Meteorologicis so sich in Lüfften zugetragen: was auch gleich in jedem Jar besunder für Effect oder Würckung darauff gefolget, Ingolstadt 1578 (VD16 S 2843). [4.13] Schinbain, Johann Georg: Teutsche Rhytmi oder Verss, wie Maria Magdalena mit etlichen Büssern und Büsserin verglichen mag werden, die sie doch alle in der Buss weit übertrifft gestelt, Überlingen 1603 (VD17 12:117458H). [4.14] Steinmetz, Valentin: Von dem Cometen welcher im November des 1577. Jars erstlich erschienen, und noch am Himmel zusehen ist, wie er von Abend und Mittag, gegen Morgen und Mitternacht zu, seinen Fortgang gehabt, observiret und beschrieben in Leipzig, Magdeburg 1577 (VD16 ZV 14686). Kapitel 5 [5.1] Anon.: Newe Zeytung von dem Cometen, so jetzt im November dises 1577. Jars erschinen, und beschreibung der bedeütung desselbigen, Augsburg 1577 [Abgedruckt in Strauss, Walter L. (Hrsg.): The German Single-Leaf Woodcut 1550–1600. Vol. 3: S–Z. A Pictorial Catalogue, New York 1975, S. 939]. [5.2] Caesius, Georg: Chronick, oder ordentliche Verzeichnuss unnd Beschreibung aller Cometen, von der algemeinen Sündflut an nach Erschaffung der Welt 1656. Biss auff dis gegenwertiges jtztlauffends nach Christi unsers Herrn und Seligmachers Geburt 1579. Jar, und was darauff für Zufell traffen und verenderungen erfolget von Kriegen, Theuerung, Pestilenz etc. auch ein sonderliche Erklerung und Exempel, was der Cometstern durch alle 12 himlische Zeichen Wirckung sey: Auss welchem der vernünfftige Leser forthin von einem jeden Cometen leichtlich wird urtheilen können, etc. Auss vilen Scribenten mit sonderm Fleiss und Bedencken, auch auff das kurtzest zusamen gezogen, Nürnberg 1579 (VD16 C 154). [5.3] Dasypodius, Conrad: Brevis doctrina de cometis & cometarum effectibus, Straßburg 1578 (VD16 D 232). [5.4] Dasypodius, Conrad: Von Cometen und ihrer Würckung, Straßburg 1578 (VD16 D 242). [5.5] Dasypodius, Conrad: Wahrhafftige Ausslegung des astronomischen Uhrwercks zu Strassburg, Straßburg 1578 (VD16 D 235). [5.6] Graminaeus, Theodor: Weltspiegel oder algemeiner Widerwertigkeit dess fünfften Kirchen Alters, kürtze Verzeignuss. Darinnen dess Cometen oder aussgereckter Rüthen, so im Jar Christi 1577. den 11. Novembris, am hohen Himmel vernomen Stand, Lauff, und Bedrewung zuersehen, so Physice, Astrologice, Metaphysicae, oder aber formaliter erklert und aussgelagt wirt, Köln 1578 (VD16 G 2809). [5.7] Gropler, Joachim: Astrologische Beschreibung des erschrecklichen, langschwentzigen und ungehewren Cometen, so im Novembre des 77. Jares in
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Dodecatimorio Capricorni, mit dem newen Liecht des Christmonats, bey uns erstlich erschienen, und fast drey gantzer Monschein gewehret, und auch das dritte Dodecatimorion Zodiaci erreicht hat, nach Anweisung und Lehr des hochgelarten und weitberuembten Medici und Astrologi d. Hieronymi Cardani, Wittenberg 1578 (VD16 G 3387). [5.8] Heerbrand, Jacob: Ketzer Katzen, christlicher Bericht: Von, uber, unnd wider das ungegründet Ketzterkatzen Gemäld und Geschrey, so newlicher Zeit, von einem ungenannten Papisten aussgesprengt: unter dem Tittel Ketzter Katzen: darumb dass die Ketzer Katzenart haben. in welchem augenscheinlich erwiesen, welchen Parthen, die Papisten, oder die lutherischen (wie man sie nennet) die rechte Ketzerkatzen seien; etc., Tübingen 1589 (VD16 H 1041). [5.9] Meine, Matthias: Von aller Geschlecht der Cometen jeder Zeit wan die erscheinen zugebrauchen und von dessen Wirkungen der uns zu Dantzigk den 12. Novembris dieses 1577. Jar erschienen ist, Danzig 1578 (VD16 M 2248). [5.10] Rasch, Johann: Canticulae pascales. Ad reverendum Dominum Abbatem Gärstensem. Tenor. (discantus.) (altus.) (bassus.), München 1572 (VD16 ZV 2921). [5.11] Rasch, Johann: Cometen Buech. Von dem newen Stern des 73. unnd von den Cometen des 77. unnd 81. Jars auch von allen anderen Cometen unnd newen Stern Erscheinungen geschicklicher Erforschung zu urtheilen wie die Beschreibungen derselben hiedurch zuverstehen sey, München 1582 (VD16 R 310). [5.12] Rasch, Johann: Drey greuliche Weissagung Daniels des Propheten nemlich vom Fall des geistlichen Lebens: Von Abnemung der kirchischen Würdigkeit: Von Undergang des Catholischen Glaubens: auch von Zukunfft des Antichrists und vom End der Welt. Durch den h. Vincentium Prediger Orden vor lengst erkläret und zu disen Zeiten allen unnd jeden Christen nützlich und fast notwendig zu wissen verteutschet, München 1582 (VD16 V 1211). [5.13] Rasch, Johann: Ein new all järiger Calender darin sonderlich zu finden der Sunnen Auff und Untergang: Tags Anbruch und Schaidung: Tag und Nacht Leng: Grösse der Planeten Stund: Bewegliche unnd stäte Fest: Sunnen Lauff: Gulden Zal und Epacta der Newmonden: Tabulae directorii et cicli ecclesiasti, München 1584 (VD16 R 312). [5.14] Rasch, Johann: Erdbidem Chronic nach Art eines Calenders sambt einem kurtzen Bericht unn Catalogo autorum. Darinn allerley Erdbiden und Erdklüfften vor Christi Geburt 1569 und sovil deren biss auff diss 1591. Jar her beschrieben: Diese seyen von innerlichem Erdrich herauss oder vom Himmel herab von Lufft Wind und Wetter verursacht darauss zusehen und zulernen was desto tröstlicher sich menniglich darnach zurichten hat, München 1591 (VD16 R 299). [5.15] Rasch, Johann: Gegenpractic. Urthail und allgemainer khurtzer Bericht wider etlich aussgangene Weissag Prognostic Practic und Troeschrifften ausz den zuefällen des 84. unnd 88. Wunderjaren sunderlich des Misocacs von Undergang hoches Geschlechts und der röm: Clerisey von Änderung der Reich und Religion von Antichrist von lester Zeit und End der Weld, München 1588 (VD16 R 305). [5.16] Rasch, Johann: Gegenpractic wider etliche Aussgangen Weissag Prognostik und Schrifften sonderlich des Misocaci uber das 84. und 88. Jare von Unter-
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gang hohes Geschlachts Änderung der Reich und Religion newem Calender letzten Zeit Antichrist und End der Welt, München 1584 (VD16 R 302). [5.17] Rasch, Johann: Ketzer Katz. Inhalt des Tractatus lau. alb. doct. herbrando eingreimt, Graz 1591 (VD16 R 308). [5.18] Rasch, Johann: Kirch Gottes. gründliche lauttere Erinderungen von der heiligen allgemainen ainigen christlichen Kirch auff Erden darinn die Gmainschafft der Heyligen wie unter und aus so unzehlig villerlay Spaltungen Secterey und Schwörmerey welche doch die war (…) Religion, oder die falsch Synagog (…) sey in der Weld an der Arch Noe an dem Schiff Petri (…) und an den Früchten sicher zuerkennen und standhafft zu bekennen sey. Anno 1584, Wien 1598 (VD16 R 309). [5.19] Rasch, Johann: Neu Kalendar. Das erste Buch. Von computistischen Kirch Calenders Besserung und Wunder von neues gregorischen Ostercycli Änderung von astronomisch georndten Neu Jars Zeits Anfang der resolvirten Tabulen Canonen, Schaltungs Ubermass Aequinoctien, Revolution der Sunnen und alles dess Wesens zu guter Gedechtnus etlich notwendige Bedencken oder Retractation (…) gar verständlich (…) wie volgends Blat weiter innhelt, Rorschach 1590 (VD16 ZV 12958). [5.20] Rasch, Johann: Practica auff das Grosswunder Schaltjar M. D.LXXXVIII, Graz 1587 (VD16 R 318). [5.21] Rasch, Johann: Practica wider etliche Weissagungen und Prognostica, sonderlich des Misocaci vom Antichrist letzter Zeit und End der Welt von Undergang hohes Geschlechts von Änderung der Reich und Religion ein Urtheil und allgemeiner Bericht auss den Zufällen des 67. und 88. Wunderschaltjars, München 1586 (VD16 R 320). [5.22] Rasch, Johann: Quatuor nihil valet, München 1574 (VD16 R 321). [5.23] Rasch, Johann: Vaticiniorum liber primus Prophetiae, Revelationes, Visiones, Praesagitiones et Practicae vel Prognosticationes quaedam praecipue Vulgares ac memorabiles, praesertim de ultimis mundi temporibus: latino ser mone scriptae, hincinde inventae, ex pluribus libris, cum alijs notatu dignis, contra Mysocacum illum et quosdam malevolos pseudoprophetas, Anno Domini 1584, s. l. 1584 (VD16 R 323). [5.24] Rasch, Johann: Von Erdbiden, etliche Tractät alte und newe hocherleuchter und bewärter Scribenten: Inn welchen klärlich angezeigt, was dieselbigen jederzeit Gutes oder Böses mitgebracht: Auch was darauff erfolget sey: Weil nach des Herrn Christi Weissagung, zu den letzten Zeiten, vil Erdbiden geschehen söllen. Dieser Zeit jeder menigklich sehr tröstlich unnd nützlich zu wissen, München 1582 (VD16 ZV 11372). [5.25] Rasch, Johann: Weinbuch. Das ist: Vom Baw und Pflege des Weins wie derselbig nützlich sol gebawet was ein jeder Weinziher oder Weinhawer zuthun schuldig auch was für Nutz und Schaden durch sie kan aussgericht werden. Allen Weingart Herren sehr nothwendig zu wissen. Daneben auch wie man allerley Kreuter und Brantwein, Essig, Meth, und Bier, machen, erhalten, und welche abgestanden, wie denselbigen wider zuhelffen sey, München 1580 (VD16 R 324). [5.26] Rasch, Johann: Weissag der Zeit. Allgemaine Himels und Weldpractic so nit allein auf diese jetztgegenwertige sundern auch immer fort auff alle
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kunfftigfolgende Jahr aus der sternseherischen Warsagens Kunst aus maisterlichem Prognosticirens Grund aus weiser Vernunfft aus vermercklicher Geschichten Ausgang und augenscheinlicher Erfahrung der landbreüchigen Propheceysachen von Jarszeiten die durch Gestierns Leüff unnd Krafft verursacht den Lufft zu seuchen Erdensgewächs zu allerley Zueständ Zuefäll vorab zu Kriegswesen zu Änderung der gsaz Zerstehrung der Reich zu Untergang hohes Geschlächts des Menschens Raht Weishait Fürsichtigkait unnd freyen Willen gelertistes Sinns bewähret (…) den bekummerten Leüten (…) fürzuhalten was vorhin nit also auff die Ban bracht Anno 1596, München 1597 (VD16 R 326). [5.27] Sacrobosco, Johannes de: Liber Johannis de Sacro Busto, de sphaera. Addita est praefatio in eundem librum Philippi Mel. ad Simonem Gryneum, Wittenberg 1531 (VD16 J 720). [5.28] Scultetus, Bartholomäus: Cometae, anno humanitatis i. c. M. D.Lxx.Vii. a 10. viiiibris per xbrem in 13. ianuarii sequentis anni, continuis lx. & v. d. in sublunari regione adparentis, descriptio. De illius motu visibili & vero, adiectis cognitu dignioribus calculi, tabularum & demonstrationum ocularium fun damentis. Denique de huius meteoricae impressionis significatione, ex prae missa descriptione, concepta, Görlitz 1578 (VD16 S 5161). [5.29] Scultetus, Bartholomäus: Des grossen und wunderbaren Cometen so nach der menschlichen Geburth Jhesu Christi im 1577. jahr von dem 10. Tag Novembris durch den gantzen Decembrem biss in den 13. Ianuarii des folgenden Jahrs gantzer 65. Tag unter des Monden Sphär uber der Wolcken Region gesehen worden: Astronomische und natürliche Beschreibung: Von seiner sonderlichen Bedeutung und gewaltigen Wirckung anfahend auff den negsten Augustum vom 1578. biss uber fünff gantzer Jahre in den Eingang des 1583. wehrend, Görlitz 1578 (VD16 S 5162). [5.30] Scultetus, Bartholomäus: Gnomonice de solariis, sive doctrina practica tertiae partis astronomiae. Von allerley Solarien das ist himmlischen Circuln und Uhren wie man dieselben an die auffgerichten Planicien oder Wende und in allerhand hole Instrument künstlich verzeichnen und repraesentiren sol (…) jetzundt auffs new zugericht und perficirt, Görlitz 1572 (VD16 S 5164). [5.31] Scultetus, Bartholomäus: Prognosticon meteorographicum perpetuum. Ein ewigwerend Prognosticon von aller Witterung in der Lufft und den Wercken der andern Element: So viel betrifft die Ankunfft Natur und Wirckung aller Wind Regen Schnee Thaw Reiff Dünst Nebel etc. (…) darauss jedermenniglich aller fürnemen meteorischen Werck ihre augensichtige Krafft und Wirckung hernieden in den Erdgewechsen und allen empfindlichen Creaturen genugsam zuerkennen und dieselben im teglichen Leben nützlich anzuwenden hat. geordnet und beschrieben, Görlitz 1572 (VD16 S 5169). [5.32] Scultetus, Bartholomäus: Prognosticon novilunii ecliptici. Das annder Theil von der Sonnen Finsternuss so im Aprill des 1567. Jahrs ist gesehen worden. Darinnen angezeigt werden die zukuenfftigen Geschichten auff Erden so in den Jahren nach Christi Geburt 1568 1569 1570 und den andern nachfolgenden sich zutragen sollen. Beschrieben und geordnet, Görlitz 1568 (VD16 S 5171).
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Kapitel 6 [6.1] Brahe, Tycho: De Mundi Aetherei recentioribus phaenomenis liber secundus. Qui est de illustri Stella caudata ab elapso fere triente Novembris anni 1577, usque in finem Ianuarii sequentis conspecta, Uraniborg 1588 [Dreyer, Johan L. E. (Hrsg.): TBDOO IV, Kopenhagen 1913, S. 1–378]. [6.2] Brahe, Tycho: Vonn der Cometten Uhrsprung was die alten unnd neuen Philosophi inn denselben vermaint unnd davon zuhalten sei, Uraniborg 1578 [Dreyer, Johan L. E. (Hrsg.): TBDOO IV, S. 381–396]. [6.3] Fabricius, David: Kurtzer und gründtlicher Bericht von Erscheinung und Bedeutung des grossen newen Wunder-sterns welcher den 1. Octobr. dess 1604. Jahrs gegen dem Südtwesten nach der Sonnen Untergang zu leuchten angefangen und noch anjetzo zu sehen ist: Darbey auch von dem achthundertjährigen Climacterio, das ist: Von dem grossen und weitberuffenem Reichsstage der zween öbersten himmlischen Churfürsten und Planeten Saturni und Iovis, in Decembri dess 1603. Jahrs gehalten gehandelt wird, Lüneburg 16222 (VD17 7:703309V). [6.4] Gemma, Cornelius: De arte cyclognomica, tomi III. doctrinam ordinum universam, una que philosophiam Hippocratis, Platonis, Galeni & Aristotelis in unius communissimae, ac circilaris methodi speciem referentes, quae per animorum triplices orbes ad sphaera caelestis similitudinem fabricatos, non medicinae tantum arcana pandit mysteria, sed & inveniendis, constituendisquem artibus, ac scientiis caeteris viam compendiariam patefacit, Antwerpen 1569. [6.5] Gemma, Cornelius: De naturae divinis characterismis; seu rarus & admirandis spectaculus, causis, indiciis, proprietatibus rerum in partibus singulis universi, libri II, Antwerpen 1575. [6.6] Gemma, Cornelius: De peregrina stella quae superiore anno primum apparere coepit, clariss. virorum Corn. Gemmae Lovaniensis Germani. et Guliel. Postelli Barentani Galli, ex philosophiae naturalis, mysticaeque; theologiae penetralibus deprompta judicia, Basel 1575 (VD16 G 1109). [6.7] Gemma, Cornelius: De prodigiosa specie, naturaque cometae, qui nobis effulsit altior lunae sedibus, insolita prorsus figura, ac magnitudine, anno 1577 plus septimannis 10. apodeixis tum physica tum mathematica. Adjuncta his explicatio duorum chasmaton anni 1575, nec non ex cometarum plurium phaenomenis epilogistica quaedam assertio de communi illorum natura, generationum causis atque decretis, Antwerpen 1578. [6.8] Heurnius, Johannes: De Historie, Natuere Ende Beduidenisse der erschrickelicke Comeet, die geopenbaert is int Jaer ons Heren 1577, Köln 1578. [6.9] Heurnius, Johannes: De morbis qui in singulis partibus humani capitis insidere consueverunt. Hic artificiosa methodo, incredibili facilitate, mor borum ideae, causae, et cuiusque causae morbificae, partesque aegrae signa, prognoses, curatio rationalis empyrica graphice discribuntur, Leiden 1594. [6.10] Heurnius, Johannes: De natura et praesagio horrendi cometae, qui anno M. D. LXXVII orbem terrarum terruit, Köln 1577. [6.11] Heurnius, Johannes: Die Histori Natur unnd Bedeutnuss des erschröcklichen Cometen welcher gesehen ist im Jar unsers Herren 1577. (…) auss den Niderteutschen transferiert, Köln 1578 (VD16 ZV 7894).
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[6.12] Heurnius, Johannes: Institutiones medicinae, exeptae e dictantis euis ore. accessit modus studendi eorum qui medicinae operam suam dicarunt. Ad Henricum Ranzovium vicarium regium, Hanau 1593 (VD16 H 3304). [6.13] Heurnius, Johannes: Opera omnia, tam ad theoriam, quam ad praxin medicam speciantia, ab othone heurnio in duos tomos distributa ac edita, Leiden 1609. [6.14] Heurnius, Johannes: Praxis medicinae nova ratio; qua libris tribus methodi ad praxim medicam aditus facillimus aperitur, ad omnes morbos curandos, Leiden 1567. [6.15] Rheticus, Georg Joachim: De libris revolutionum eruditissimi viri, & mathematici excellentissimi, reverendi d. doctoris nicolai copernici torunnaei, canonici varmiensis, per quendam iuvenem, mathematicae studiosum narratio prima, Danzig 1541 (VD16 J 268) [Nobis, Heribert M. / Folkerts, Menso / Kirschner, Stefan et al. (Hrsg.): Nicolaus Copernicus Gesamtausgabe VIII/I: Receptio Copernicana. Texte zur Aufnahme der Copernicanischen Theorie, Berlin 2002, S. 3–48]. [6.16] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Archidoxa dorin der recht war Motus, Lauff und Gang auch Heymlikait Wirkung und Krafft der Planeten Gstirns und gantzen Firmaments, Mutierung, und Ausziechung aller Suptiliteten, und das finfte Wesen auss den Metallen, Mineralia, Kreyter, Wurtzen, Seften, Steinen und aller andren wesenlichen Dingen (…), Münster 1569 (VD16 T 1165). [6.17] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht (…) uber den 136. unnd inn disem lauffenden 77. Jar am 19 Tag Octobris erstlich erschinenen Cometen aller Welt zum Dienst und getrewer Warnung publicirt, Berlin 1577 (VD16 T 1177). [6.18] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Kurtze Verantworttung unn notwendige Erenrettung des edlen, hoch und weitberümbten Herren Leonhardt Thurneissers zum Thurn Churfürstlichs Brandenburgischs Bestalten Leibs Medici und Bürgers zu Basel auff die unbesunnenen, ubelgegründten, mit Neidt und falscher Anklag (…) vorlognen ehrendiebischen Theses, Disputationes und Schmehschrifften Frantz Ioels dess Leugcentiaten zu Grypsswaldt in Pommern, Basel 1580 (VD16 ZV 28258). [6.19] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Pison. Das erst Theil. Von kalten warmen minerischen und metallischen Wassern sampt der Vergleichungen der Plantarum und Erdgewechsen 10 Bücher, Frankfurt an der Oder 1572 (VD16 T 1183). [6.20] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Prokatalepsis oder praeoccupatio, durch zwölff verscheidenlicher Tractaten gemachter Harm Proben durch Leonhart Thurneisser zum Thurn erfunden unn gemeinem Nutz zu gutem an Tag geben. Das 59. Buch, Frankfurt an der Oder 1571 (VD16 T 1206). [6.21] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Quinta essentia das ist die höchste Subtilitet Krafft und Wirkung beider der furtrefelichisten (und menschlichem Gschlecht den nutzlichisten) Könsten der Medicina und Alchemia, auch wie nahe dise beide mit Sibschafft gefrint verwant. Und das eine on Beystant der andren kein nutz sey und in meschlichen Cörpern zu wircken kein Krafft hab. Vergleichung der alten und newen Medicin, und wie alle Subtiliteten aufgezogen die Element gescheiden alle Corpora gemutiert unnd das die minerischen Corpora allen andren Simplicibus, es seyen Kreiter Wurtzen Confecten Steinen etc. nit alein gleich sondern an Kreften (auss unnd inerhalb
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menschlichs Cörpels) uberlegen syen (…) in dreyzehen Bücheren reymenwyess an Tag gebn, Münster 1570 (VD16 T 1207). [6.22] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Τηρησεισ μετεωρολογικαι Stellae prodigiosae, anno 1572 den 8. Tag Novembris in dodecatemorio Tauri am understen Teil des Halses des himlischen Bildes der Cassiopeae genandt erstlich erschienen, s. l. 1573. [6.23] Winckler, Nicolaus: Cometa Pogonias, qui anno labente 1577 mense Novembri et Decembri apparuit, demonstratus una cum parallaxi, distantia a centro Terrae, & significatione eius, Nürnberg 1578 (VD16 W 3444). Kapitel 7 [7.1] Crüger, Peter: Cupediae astrosophicae Crügerianae, das ist Frag und Antwort. Darinnen die allerkunstreichsten und tieffesten Geheimbnüsse der Astronomiae, dess Calender-Schreibens der Astrologiae, und der Geographiae dermassen deutlich und verständlich ausgeführet sind (…) auss den jährlichen Schreibcalendern dess (…) M. Petri Crügeri (…) zusammen getragen, Breslau 1631 (VD17 23:231527U). [7.2] Crüger, Peter: Kurtzer Bericht von dem grossen noch zur Zeit scheinenden Cometen. Prodromus subsecuturi Tractatus plenioris: concipiret den 18. Decemb. anno 1618, Danzig 1618 (VD17 14:072834G). [7.3] Crüger, Peter: Uranodromus cometicus. Ein aussführlicher Tractat vom grossen Cometen dess 1618 Jahrs. Darinnen seine Erscheinung und Lauff seine Höhe von der Erden und andere daraus folgende Sachen durch astronomische Rechnung dargethan und seine Bedeutungen durch gebührliche Muthmassung gesucht werden. Neben eingefügtem Discurs von Cometen in gemein beschrieben, Danzig 1619 (VD17 23:266337W). [7.4] Cysat, Johann Baptist: Mathemata astronomica de loco, motu, magnitudine et causis cometae, qui sub finem anni 1618. et initium anni 1619. in coelo fulsit. Ex assiduis legitimisque variorum phaenomenorum observationibus derivata auctore Jo. Baptista Cysato, Societatis Jesu Ingolstadii mathematicae professore ordinario. Publiceque proposita et demonstrata ab (…) Volperto Mozelio mathematicae & physicae studioso. anno 1619. die decembris, Ingolstadt 1619 (VD17 12:153525S). [7.5] Dilger, Daniel: Christliche Leich-predigt bey dem Begräbnüss des Herrn M. Petri Crügeri der Stadt Dantzigk wolbestalten Mathematici. Welcher den 6. Junij dieses 1639. Jahrs gottselig von dieser Welt abgeschieden und den 8. Junii darauff zur Erden bestattet, Danzig 1639 (http://digital.staatsbibliothekberlin.de/werkansicht/?PPN=62365296X&PHYSID=PHYS_0019&USE=800, abgerufen am 10.07.2015). [7.6] Goldtbeeg, Julius Gerhard: Fama syderea nova. Gemein offentliches Aussschreiben dess (…) Herrn Johannis Faulhaberi (…) anlangend den newen und durch ein sonderbare Invention lang zuvor prognosticirten Cometstern so den 6. Monatstag Decembr. dess ablauffenden 1618 Jahrs an alle Philosophos, Mathematicos, sonderlich Astronomos und Gelehrte dess gantzen Teutschlands authoris manu propria schrifftlichen verfast und abgangen nun aber (…) in offenen Druck publicirt, Nürnberg 1619 (VD17 3:660034Q).
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[7.7] Hunichius, Christoph: De cometis disputationes duae. prior de eorum ortu, posterior de significatinobus. Habitae in illustri paedagogio stetinensi, Stettin 1608 [Ms 0377 in der Universitätsbibliothek Leipzig]. [7.8] Keckermann, Bartholomäus: Disputationes philosophicae, physicae praesertim. quae in gymnasio dantisacano ad lectionum philosophicarum cursum paulo plus biennio publice institutae & habitae sunt sub preasidio bartholomaei keckermanni philosophiae, Hanau 1606. [7.9] Keckermann, Bartholomäus: Systema physicum septem libris adornatum, Hanau 1610 (VD17 1:089703H). [7.10] Kepler, Johannes: Aussführlicher Bericht von dem newlich im Monat Septembri und Octobri diss 1607. Jahrs erschienenen Haarstern oder Cometen und seinen Bedeutungen. Sampt vorgehendem ganz newem und seltsamen aber wolgegründetem Discurs. Was eigentlich die Cometen seyen woher sie kommen durch wen ihre Bewegung geregieret werden und welcher Gestallt sie dem menschlichen Geschlecht etwas anzudeuten haben, Halle 1608 (VD17 12:642149S) [Caspar, Max / Hammer, Franz (Hrsg.): KGW IV, S. 57–76]. [7.11] Kepler, Johannes: De cometis libelli tres. I. Astronomicus, theoremata continens de motu cometarum, ubi demonstratio apparentiarum & altitudinis cometarum qui annis 1607 & 1618 conspecti sunt, nova & paradoxos. II. Physicus, continens physiologiam cometarum novam & paradoxon. III. Astrologicus, de significationibus cometarum annorum 1607 & 1618, Augsburg 1619 (VD17 23:286985C) [Hammer, Franz (Hrsg.): KGW VIII, S. 131–262]. [7.12] Kepler, Johannes: De stella nova in pede serpentarii, et qui sub eius exortum de novo iniit, trigono igneo. libellus astronomicis, physicis, metaphysicis, meteorologicis & astrologicis disputationibus endoxois & paradoxois plenus, Prag 1606 (VD17 23:324889B) [Caspar, Max (Hrsg.): KGW I, S. 149–390]. [7.13] Kepler, Johannes: Gründtlicher Bericht von einem ungewohnlichen newen Stern wellicher im October diss 1604. Jahrs erstmahlen erschienen, Straßburg 1604 (VD17 12:642091H) [Caspar, Max (Hrsg.): KGW I, S. 393–400]. [7.14] Kepler, Johannes: Tertius interveniens. Das ist Warnung an etliche Theologos, Medicos und Philosophos, sonderlich d. Philippum Feselium, dass sie bey billicher Verwerffung der sternguckerischen Aberglauben nicht das Kindt mit dem Badt aussschütten und hiermit ihrer Profession unwissendt zuwider handlen: Mit vielen hochwichtigen zuvor nie erregten oder erörterten philosophischen Fragen gezieret allen wahren Liebhabern der natür lichen Geheymnussen zu nohtwendigem Unterricht, Frankfurt 1610 (VD17 547:738138C) [Caspar, Max/Hammer, Franz (Hrsg.): KGW IV, S. 147–258]. [7.15] Kepler, Johannes: Tychonis Brahei Dani hyperaspistes adversus Scipionis Claramontii anti-Tychonem, Frankfurt am Main 1625 [Hammer, Franz (Hrsg.): KGW VIII, S. 265–437]. [7.16] May, Theodor: Admonitio oder Erinnerung. Von dem schrecklichen Fewerzeichen welches im jüngst verlauffenen Jahre Dominica 2. Adventis Domini, so war der 9. Decembris, ist erschienen und von seinen Ursachen und Bedeutungen, Magdeburg 1605 (VD17 23:630963R). [7.17] May, Theodor: Astrologia vindicata. Das ist warhafftige unn gründtliche Ableinung der ungegründeten und unerfindlichen Aufflag darmit itziger zeit die Astrologia, in einem Tractätlin der Calender Butzer genant unter
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einem ertichteten Namen newlicher zeit aussgegangen Heydnisch Abgöttisch Unchristlich Aberglaubisch Gotterlesterisch Tülpisch und Bübisch gantz lesterisch und felschlich (wieder allen Ehrliebenden Christlichen Prognosticanten meinung und fürgeben) verdampt wird, s. l. 1615 (VD17 39:115308M). [7.18] May, Theodor: Gross Prognosticon oder Practica astrologica & physica auff das Jahr nach der gnadenreichen Geburt und Menschwerdung unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi. M. DC. XIX. (…) auss wahrem astronomischen Grunde mit Fleiss gerechnet und trewlich gestellet, Magdeburg 1619 (VD17 12:641110Z). [7.19] May, Theodor: Historischer Bericht von dem Cometen was bey Zeiten Lutheri unserm teutschen Propheten so im Jahr Christi 1483 gebohren und seidthero binnen hundert Jahren auss derselben erscheinung für Unheil in der Welt entstanden und wessen man sich nach der Lehr der alten Naturkündiger auch diessmahl wegen des itzigen Cometen schnellen Lauff (…) zu besorgen habe beschrieben, Magdeburg 1619 (VD17 23:264815M). [7.20] May, Theodor: Historische warhafftige Beschreibung von den Cometen auch des erschrecklichen newen Cometen Sterns welcher am Firmament des Himmels in Novemb. des abgewiechenen 1618. Jahrs sich hat sehen lassen und noch gesehen wird. In welcher gründlichen Beschreibung gewiss zubefinden was auff die Cometen für grosse Verenderung (…) auch wir erfahren werden, Magdeburg 1618 (VD17 3:658629L). [7.21] May, Theodor: Kurtzer bericht von dem Strobelstern oder Cometen so in diesem 1607. Jahr ihm Herbstmonat am Himmel erstlich (…) erschienen (…) durch welchen Gott der Allmechtige (…) die Menschen zur Busse reitzen will menniglich zur Warnung geschrieben, Magdeburg 1607 (VD17 23:266192M). [7.22] May, Theodor: Ruhrtractätlin worinnen aussführlich und deutlich gehandelt wird von den jetzo grassierenden Hoffgang oder Durchlauff darmit der gerechte Gott die Welt heimsucht. Auff Begehr vieler ehrlicher Leute zu Nutz und Nachrichtung frommer christlicher Haussväter und Haussmütter gestellet und in Druck verfertiget, Magdeburg 1623 (VD17 14:627953M). [7.23] May, Theodor: UrinBüchlin. Darinnen einem jeden frommen Menschen zu seiner Gesundtheit ein fruchtbarer und nötiger Unterricht mitgetheilet wird was er sich auff das Wasser oder Urin zuverlassen und wie dasselbe zu besehen sey sampt allen Umbständen und Missbräuchen. Item ein kurtzer doch nötiger Bericht wie man die Kranckheiten an seinem Leibe gewiss erkunden sol, Magdeburg 1610 (VD17 23:297013A). [7.24] May, Theodor: Zorn Glocke Gottes unter dem Himmel in der Lufft fast nächtlich durch die gantze Erndten Zeit dieses 1612 Jhars nicht mit geringen Schrecken anzuschawen geleutet wegen der grossen Sicherheit und sündlichem Leben der Menschen kürtzlich sampt seinen Ursachen und Bedeü tungen beschrieben, Magdeburg 1612 (VD17 23:270979X). [7.25] May, Theodor: Zorn Ruthe. So der ewige Gott und Vater unsers Herrn und Heylandes Jesu Christi unter dem Himmel in der Lufft in Gestalt eines roth fewrigen Sterns mit einem erschrecklichen langen Schwantz oder Besem lodernd und brennend erzeiget so in gleicher Gestalt von etzlichen im Augusto in Nordosten sol gesehen worden sein so sich auffs new (…) im Octobri (…) und weiter den 17. und 18. Novembris in Osten (…) gesehen worden zu trewer Warnung beschrieben, Magdeburg 1618 (VD17 23:685928R).
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[7.26] Riccioli, Giovanni Battista: Almagestum novum, astronomiam veterem novamque complectens, observationibus aliorum et propriis, novisque theo rematibus; problematibus, ac tabulis promotam, in tres tomos distributam (…), Bologna 1651. [7.27] Schothusius, Huldericus: Calenderbutzer das ist was von den CalenderSchreiber Prognosticis zu halten und wie weit ein gottesfürchtiger Christ ihre Practica mit guten Gewissen in Acht nehmen könne gestellet, s. l. 1614 (VD17 1:027353R). Kapitel 8 [8.1] Anon.: Der erschreckliche und recht wunderseltzsam geschwänzte Comet, welcher am 16. Novembr. N. Cal. 1680 im Marggraffthumb Meissen Ober-Lausitz auch vielen andern Provintzien und Orthen mit Erstaunung vieler frommer Christen ist gesehen worden. Wie solchen etliche vornehme Gelehrte Astrologi observiret und beschrieben. Dabey auch das wunder-neue und den 4. Decembr. 1680 In Rom von einer Henne gelegte Ey von welchem auch zum Ende weniger Nachricht zu finden ist, s. l. 1680 (VD17 3:628850N). [8.2] Anon.: Dialogus de tempore oder Zeitgespräch, sonderlich über der Frage: Ob Cometen Gutes oder Böses bedeuten? Vormahls bey dem Cometen des 1664sten Jahres von zwo ungleich-gesinnten Personen gehalten angemerckt und in Druck gegeben: Itzo aber nach Veranlassung dess unlängst zu Aussgang dess 1680. und Anfang des itzt lauffenden 1681sten Jahres abermahls erschienenen weit schrecklichern und ungeheuer-grossen Comet-sterns, auf vielfältiges Ersuchen verneuert und wieder aufgelegt, Halle 1681 (VD17 7:694959S). [8.3] Anon.: Kurtzverfasster historischer Bericht aller der jenigen Cometen so innerhalb hundert Jahren das ist vom Jahre 1566 biss auff das jetzige 1664. Jahr. sonderlichs den 18. Decem. st. n. zu Augspurg und dann ferner zu Nürnberg Strassburg Hamburg Lübeck Leipzig und anderer Orten ist erschienen. Samt dero darauf erfolgeten Würckungen, s. l. 1664 (VD17 12:642177W). [8.4] Anon.: [Ein Komet über Regensburg] Nuhn lest sich widerum ein Cometh sehen zu Regenspurg, s. l. 1665. [8.5] Anon.: Observationes cometae anni 1652. Fere vespertinae cum meridiabat stilo novo, Köln 1653 (VD17 12:640965K). [8.6] Anon.: Vertraulich und erbaulich Cometen-gespräch sonderlich des Inhalts ob Cometen Gutes oder Böses bedeuten. Bey den neulich zu End des 1664sten Jahrs entstandnen schrecklichen Cometen von zwey ungleichen Personen Pyrrhonio einen Weltgesinnten und Eusebio einen Gottesfürchtigen gehalten. Beyläufig gemercket und in Druck gegeben, s. l. 1665 (VD17 12:642247G). [8.7] Anon.: Wahre Abbildung des Cometen wie solcher über Rom den 2 Decemb. Monntags in der Nacht in diesem 1680 Jahr erschienen un im Zeichen der Jungfrauen des 13 Grads gesehen worden eben in dieser Nacht ungefähr um 8 Uhr hat eine Henne so niemals ein Ey geleget, mit grossem Geräusch un ungewöhnlichen Geschrey ein ey von gegenwärtiger Grösse und Gestalt mit Sternen und Strahlen wie hier abgebildet zu sehen, geleget, Nürnberg 1680 (VD17 12:666995M).
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[8.8] Beutel, Tobias: Admirabilia in aere et aethere oder kurtze Beschreibung der wunderbahren Wercke gottes so sich zu begeben pflegen in der Lufft und am gestirneten Himmel: Durch Veranlassung des im Decembri Anno 1664. erschienenen und observirten Cometen wovon hierinnen absonderlich gehandelt wird, Leipzig 1665 (VD17 14:072842Y). [8.9] Beutel, Tobias: Chur-fürstlicher sächsischer stets grünender hoher Cedernwald, auf dem grünen Rauten-grunde, oder kurtze Vorstellung der churfürstl. sächs. hohen Regal-wercke nehmlich: Der fürtrefflichen Kunstkammer (…) hochschätzbaren unvergleichlich wichtigen Dinge allhier bey der Residentz Dressden (…) gantz kürtzlich in lateinischer und teutscher Sprache beschrieben (…), Dresden 1683 (VD17 14:052132X). [8.10] Beutel, Tobias: Dreyfache Zugabe der Admirabilium in aere et aethere oder wunderbaren Wercke Gottes in der Lufft und am gestirnten Himmel: So auff vorher erschienenen grossen Cometen, sich noch ferner begeben an dreyen Sonnen und Regenbogen. An erschrecklichen Feuer-zeichen. Und an einen neuen Cometen. Welche anderweit vor- in- und nach denen heiligen Osterfeyertagen dieses 1665. Jahres observiret worden, Leipzig 1665 (VD17 14:072842Y). [8.11] Beutel, Tobias: Kurtzes Bedencken von dem jetzt ungewöhnlich-grossen Cometen: Welcher anfänglich im November und darauff im December des 1680sten Jahres biss in jetzt laufendes 1681ste Jahr ist observiret worden, Halle 1681 (VD17 23:280867Y). [8.12] Beutel, Tobias: Mathematische Schönheiten und auffgesteckte Coronides, oder Beschluss-zieraden und Bekrönungen uber die vollbrachte Arbeit der gehaltenen Observationum vergangener Cometen, zuletzt nachgefertiget: Bestehend 1. In mathematischer Haupt-zierde oder Beschreibung der schön heit und des herrlichen Nutzens mathematischer Künste. 2. In Verfertigung eines Kunst-altars mit mathematischen Gold-rosen bestreuet. 3. In Fortpflantzung mathematischer Gold-rosen als fürtrefflichen (…) Propositionen. 4. In Stillstehung der Erden und Fortlauffung der Sonnen oder einer (…) Beweisung dass die Erde und nicht die Sonne stille stehe (…) zum endlichen Beschluss seine bisshero von denen Cometen in Druck publicirten Berichte heraus gegeben (…), Leipzig 1666 (VD17 23:238814M). [8.13] Beutel, Tobias: Nun folget eine aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, wie solcher nicht nur im Decembri Anno 1664 sondern auch im Januario 1665 observiret worden, Leipzig 1665 (VD17 23:287989N). [8.14] Chiaramonti, Scipione: Antitycho Scipionis Claramontii, in quo contra Tycho nem Brahe et nonnullos alios rationibus eorum ex opticis, et geo metricis principiis solutis demonstratur, cometas esse sublunares non cae lestes, Venedig 1621. [8.15] Chiaramonti, Scipione: De tribus novis stellis quae annis 1572, 1600, 1604. Comparuere libri 3, Cesena 1628. [8.16] Dudith, Andreas: De cometarum significatione commentariolus. In quo non minus eleganter, quam docte & vere, mathematicorum quorundam in ea re vanitas refutatur. Addidimus d. Thomae Erasti eadem de re sententiam, Basel 1579 (VD16 D 2846). [8.17] Galilei, Galileo: Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo tolemaico e copernicano: Proponendo indeterminatamente le ragioni filosofiche e
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naturali tanto per l’ una quanto per l’ altra parte, Florenz 1632 [Favaro, Antonio et al. (Hrsg.): Le Opere di Galileo Galilei, Ed. Nazionale VII, S. 23–489]. [8.18] Galilei, Galileo: Il saggiatore nel quale con bilancia esquisita, e giusta si ponderano le cose contenute nella libra astronomica, e filosofica di lotario sarsi sigensano, Rom 1623 [Favaro, Antonio et al. (Hrsg.): Le Opere di Galileo Galilei, Ed. Nazionale IV, S. 199–372]. [8.19] Galilei, Galileo: Sidereus nuncius magna: Longeque admirabilia spectacula pandens, suspiciendabque proponens unicuique praesertim vero philosophis atq[ue] astronomis (…), Venedig 1610 [Favaro, Antonio et al. (Hrsg.): Le Opere di Galileo Galilei, Ed. Nazionale III/1, S. 53–298]. [8.20] Hevelius, Johannes: Cometographia, totam naturam cometarum; utpote sedem, parallaxes, distantias, ortum & interitum, capitum, caudarumque diversas facies, affectionesque, nec non motum eorum summe admirandum, beneficio unius, ejusque fixae & convenientis hypotheseos exhibens. in qui, universa super phaenomena, quaestionesque de cometis omnes, rationibus evidentibus deducuntur, demonstrantur, ac iconibus aeri incisis plurimis illustrantur. comprimis vero cometae anno 1662, 1661, 1664 & 1665 ab ipso auctore, summo studio observati, aliquanto, prolixius, pensiculatiusque exponuntur, expenduntur, atque rigidismo calculo subjiciuntur. accesit, omnium cometarum, a mundo condito hucusque as historicis, philosophis, & astronomis annotatorum, historia, notis & animadversionibus auctoris locupletata, cum peculiari tabula cometarum universali, Danzig 1668. [8.21] Himsel, Gebhard: Cometologia oder Anmerckung und natürliche Muthmassung von den Cometen. In dreyen Fragen als I. Ob die Cometen unter oder über den Mond zusetzen? II. Ob die Aspecten der Planeten einige Würckung selbige hervor zubringen haben? III. Ob auss den himmlischen Zeichen in welchen sie erscheinen etwas von derer Würckung könne vorher verkündiget werden?, Hamburg 1665 (VD17 12:641765C). [8.22] Kircher, Athanasius: Iter Cometae anni 1664 a 14. Decemb. usque ad 30 Romae observatum. ad serenissimum principem Augustum, Ducem Brusvic. et Luneburg. Rom, 3. Januar 1665, s. l. 1665. [8.23] Kircher, Athanasius: Kurtzer Bericht von dem Cometen und dessen Lauf welcher Gestalt derselbe den 4/14. Decembris des vorigen 1664 Jahrs in Rom gesehen und daselbst von gemeltem Dato an biss auf den 20/30 desselben Monats observiret werden können ubergesandt an den durchleuchtigsten Fürsten und Herrn Herrn Augustum Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg, s. l. 1665 (VD17 12:640826L). [8.24] Lubienietzki, Stanislaw: Theatrum cometicum, duabus partibus constans, quarum altera frequenti senatu philosophico conspicua, cometas anni 1664 & 1665 variis virorum per europam clariss. cum quibus auctor de hoc argumento contulit, observationibus, dissertationibus, animadversionibus descriptos, & quinquaginta novem figuris aeneis illustratos, exhibet (…) et theatri cometici exitus, sive de significatione cometarum, (…) opus mathematicum, physicum, historicum, politicum, theologicum, ethicum, oeconomicum, chrono logicum, Amsterdam 1668. [8.25] Megerlin, Peter: Astrologische Muthmassungen von der Bedeuttung des jüngst entstandenen Cometen, Basel 1665 (VD17 23:287516X).
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[8.26] Megerlin, Peter: Discursus mathematicus de cometa nuper viso, in inclyta academia basiliensi publice habitus, die 15. febr. anno 1661, Basel 1661 (VD17 12:642694P). [8.27] Megerlin, Peter: Eygentlicher Abriss des Anno 1680. entstandenen Cometen, Basel 1681 (VD17 23:647328D). [8.28] Megerlin, Peter: Matematischer Discurs von dem jüngst erschienenen Cometen: Bey einer löblichen Universität zu Basel offentlich gehalten den 15. Hornung dieses 1661. Jahrs, Basel 1661 (VD17 12:626671P). [8.29] Megerlin, Peter: Systema mundi copernicanum argumentis invictis demonstratum, et conciliatum theologiae, Amsterdam 1682. [8.30] Megerlin, Peter: Theatrum divini regiminis: a mundo condito usque ad nostrum seculum, delineatum in tabula mathematico-historica: qua secundum revolutiones coniunctionum & oppositionum magnarum saturni & iovis post octo proxime secula redeuntes (…) adiectus est commentarius chronologicus (…) cum cyclis planetarum et eclipsium, Basel 1683 (VD17 23:240452U). [8.31] Neubarth, Christoph: Astrologische Gedancken uber die zween neulich entstandene erschreckliche Comet-sterne: Deren einer im Christ-monat verwichenen 1664. Jahres und der ander im Ianuario, dess draufffolgenden 65. Jahre erschienen und gesehen worden einfältig und ohne Affecten, auffgesetzt und an Tag gegeben, Breslau 1665 (VD17 23:287351Z). [8.32] Oldenburg, Henry: „An account of hevelius his prodromus cometicus, together with some animadversions made upon it by a french philosopher“, in: Philosophical Transactions 1/6 (1665), S. 104–118. [8.33] Oldenburg, Henry: „Extract of a letter, lately written from rome, touching the late comet, and a new one“, in: Philosophical Transactions 1/2 (1665), S. 17–18. [8.34] Oldenburg, Henry: „Extract of a letter, written from paris, containing some reflections on part of the precedent roman letter“, in: Philosophical Transactions 1/2 (1665), S. 18–20. [8.35] Oldenburg, Henry: „Of the judgement of some of the english astronomers, touching the difference between two learned men, about an observation made of the first of the two late comets“, in: Philosophical Transactions 1/9 (1665), S. 150–151. [8.36] Oldenburg, Henry: „The motion of the late comet praedicted“, in: Philosophical Transactions 1/1 (1665), S. 3–8. [8.37] Oldenburg, Henry: „The motion of the second comet predicted, by the same gentleman, who predicted that of the former“, in: Philosophical Transactions 1/3 (1665), S. 36–40. [8.38] Placentinus, Johannes: Astronomica & astrologica observatio cometae terribilis, mense februario, hujus currentis anni adhuc spectati, nec non tristis eclipsis stellae fixae regiae, primae magnitudinis, aldebaran seu palilicii, die 21. martii, st. vet. hora 9. vespertina disparentis, & 10 hora iterum apparentis, instituta, Das ist astronomische und astrologische Observation des erschrecklichen und noch in dem Februario dieses Jahrs scheinenden Comet-sterns wie auch der traurigen Verfinsterung des königl. Fixsterns oculi tauri, welcher im vergangnen Jahr den 21. Mart. s. v. umb 9 uhr des Abends von dem Mond ist bedecket und umb 10 uhr widerumb gesehen worden, Frankfurt an der Oder 1665 (VD17 1:071383A).
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[8.39] Praetorius, Johannes: Adunatus cometologus, oder ein geographischer Cometenextract. Aus allen und jeden Scribenten deren bey 60. heraus seyn (vide finem huius opellae im register:) wegen alle eintzelne und bey ihnen insonderheit verdächtige oder wegen beyder Crinit-stern gefährlichgedachte Landschafften auff Erden: Drinnen diese Frage erörtert wird: Wie sich bey solchem cometischen Paare befinden oder was davon zu empfinden haben (…), Leipzig 1665 (VD17 23:287546S). [8.40]Praetorius, Johannes: Astrologia germanica et germana: Das ist: Eine neuerfundene geographische Astrologie: Drinnen der eigentliche und unfehlbahre Dieterich zur höchsten Wunder-kammer Gottes an zu treffen stehet und die zeither unerforschliche auch allen Mercuriis unbewuste Vermählung des Himmels mit der Erden dergestalt augenscheinlich dargethan und mit unleugbaren Beyspielen durch alle und einzelne Plätze des Firmaments beleget wird; dass auch ein jeder ungelahrter nach diesem die Sterne-kunst drauss verstehen und dero Krafft oder Zeichen unschwer erlernen kan was und wen sie allemahl wahrhafftig bedeuten. Fürwahr eine unerhörte gantz richtige und höchstnützliche Invention, welche Gott nicht ohne Ursach biss auff gegenwärtige weit hinaussehende Zeit verspahren wollen. drinnen auch unter andern Exempeln und Proben der neuen Warsagerey (…) der curiosen Welt zeitig vor Augen gemahlet wird, Leipzig 1665 (VD17 14:073118R). [8.41] Praetorius, Johannes: Bellerophon vulnerandorum. Das ist: Der neulichste und ungeheure Wunder-comet. Welcher sich in diesem auffwachsenden 1665. Jahre nach dem 26. Martii im geflügelten oder See-pferde gegen Ost-nordosten oder circa ortum solstitialem, allhier und anderswo weit und breit zu erste angefunden: Und biss in den April hinein mit seiner eigentlichen Bewegung von Abend gegen Morgen nach derer himmlischen Zeichen Ordnung zu unsere gesichts- oder Horizont-linie allgemählich mehr und mehr schrämigt hinunter weichend an selbiger gegend des Himmels auffgehalten hat: Da er früh morgens zum öfftern biss an das herein brechende Tagesliecht mit seinem erschrecklich-langem Schweiffe nach Südwesten hinauff gestrecket anzuschauen gewesen. Gründlich beschrieben und bester massen ausgedeutet (…), Leipzig 1665 (VD17 23:287923C). [8.42] Praetorius, Johannes: Eine deutliche Abbildung des neuligsten und oesterlichen Cometen: Wie und wenn sich solcher allhier und anderswo am Himmel dargezeiget hat; nebenst seinem ohngefährlichen Willen, Leipzig 1665 (VD17 23:676360Z). [8.43] Praetorius, Johannes: Indicium aquilonis. Das ist der nordische Comet und mörderische Prophet. So im Ausgange des verwichenen und Anfange des angetretenen 1665. Jahrs am Himmel nicht ohne Verwunderung vieler tausend Menschen angeblicket worden: Welchen aussführlich nach seinen Umbständen und Erscheinungen erkläret und mit gründlichen Vermuthungen unserm lieben Vaterlande allhier auffm Papier vorgestellet als den dritten Theil nebenst einem andern Anhange von dem ietzigen in Martio erschienenen und annoch im April so früe so auffn Abend scheinenden neuesten grausamen Cometen, Leipzig 1665 (VD17 14:072868G). [8.44] Praetorius, Johannes: Reformata astrologia cometica. Das ist: Eine verblümte Vermählung des höchsten Himmels mit der untersten Erden Kugel:
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Welche Gott der Schöpfer so offte durch eine sonderbahre Braut-fackel zu verstehen giebet oder wiederholet als er einen Comet wie den Bräutigam aus seiner geheimen Kammer in dieses oder jenes Gestirn am Sahl des Firmaments hervor lauffen heisset; und damit einem oder mehren straffbahren Landschafften eine Reisse und wein- oder blutreiche Hochzeit anmeldet. Durch die Gnade Gottes aus einer frischen und also unerhörten Invention, der Gestalt deutlich und vernehmlich beschrieben; dass ein jeder ungelehrter flugs ohne alt-astrologisches und vergebliches Kopffbrechen oder weiter benöthigtem bessern nach- und unterrichte auch ohne zweiffelhafften Irrthume daraus allezeit nutzbarlich erlernen könne was ihme ein neuer Haar-bart-schwantzoder kahler Strobel-stern wolle (…), Leipzig 1665 (VD17 23:287507Y). [8.45] Praetorius, Johannes: Urano dromus lacteus, oder der silberfarbene Strobel-stern welcher sich vom 22. Decemb. an des verschienen Jahrs biss in den Februar, dieses angehobenen M. DC. LXV. Jahrs nach unsers Herrn und Heylandes Jesu Christi Geburt am hohen Firmament in Eridano, Balena und Ariete nordenwerts hinauff nach unserer Gegend zu allgemählig steigend von vielen tausend Leuten und Lanschafften mit Bestürtzung flugs nach angebrochenen Abend die Nacht durch hat ansehen lassen: Betrachtet und nach seiner Farbe und vermutheten Materie, beschrieben und aussgedeutet als der andere Theil, Leipzig 1665 (VD17 14:072860W). [8.46] Ridderus, Franciscus: Reise-discurs auff die Erscheinung des Comet-sterns der vors erste Mahl gesehen worden am 5. (15.) Decembr. 1664 und noch ferner im Jahre 1665. Zwischen einem Studenten Bürger und Reisenden, Leipzig 1665 (VD17 14:072879W). [8.47] Schaufelberger, Michael (Drucker): Philologischer Discurs über der Cometen Bedeutung oder grundtliche Zusammenfassung underschidlicher Meinungen über die Bedeutung und Würckung der Cometen ins gemein und der beyden jüngsthin erschinenen sonderbar. Da zugleich auch etwas von der Astrologia Judicaria oder Sternen-deutung anhangs Weis beygefügt wird, Zürich 1665 (VD17 1:050573U). [8.48] Schneuber, Johann Matthias: Epigramma, Straßburg 1664 (VD17 23:698490Q). [8.49] Schneuber, Johann Matthias: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen welcher im Anfang dess Christmonats 1664 erschinen und biss zu End dess Jenners 1665 gestanden: samt beigefügter Abbildung dess gantzen Lauffs und beiläuffiger Bedeutung in underschidliche Kurtzgedichte verfasst, Straßburg 1665 (VD17 23:288074Y). [8.50] Serlin, Wilhelm: Cometologia oder gründliche Beschreibung dess neulichsthin in dem zu End lauffenden 1664. Jahr erschienenen und biss in das nächst drauff erfolgte 1665. Jahr gestandenen grossen Cometens wie selbiger hin und wieder, so wol ausser- als innerhalb dem Heil. Röm. Reich, gesehen und von unterschiedlichen wolbekanten und gelehrten Astronomis und Astrologis, Astronomice, Physice, Astrologice und Theologice, betrachtet und beschrieben worden. Darauss dann eigentlich zuvernehmen was desselben Natur Gestalt Zeit Farbe Grösse und Lauff gewesen auch was seine muthmassliche Bedeutung seyn möge, Frankfurt am Main 1665 (VD17 12:641325E). [8.51] Voigt, Johann Heinrich: Astrologische Mittel-strasse. Zur Unterscheidung des rechten Gebrauchs und Missbrauchs. bevorab aber zum rechten Verstande
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des Nativität-stellens, sampt etlichen Beweissthümen, Grund-ursachen und andern Bewandnüssen denen curieusen Kunst-liebhabern zum Dienste aussgefertiget und fürgestellet, Stade 1680 (VD17 39:122867L). [8.52] Voigt, Johann Heinrich: Kurtzer Extract und Vortrab des grössern cometischen Mass-stabs darinnen zu finden: (1) wie die in den Jahren 1664 und 1665 erschienene Cometen am Himmel ihren Lauff geführet. (2) was in dem untern Welt-lauffe in den verflossenen zwölff Jahren schon darauff erfolget sey. (3) und was ferner in bevorstehenden und vielen künfftigen Jahren vor hochwichtige Verenderungen in Welt und geistlichen Regimenten noch zu vermuthen. der wehrten Christenheit zum besten und courieusen Kunstforschern zum Dienste aus christ- und natürlicher Betrachtung ohne Aberglauben mit Fleiss beschrieben, Hamburg 1676 (VD17 39:122863E). [8.53] Voigt, Johann Heinrich: Observatio und Bericht von dem andern Cometen oder des Cometen anderer Erscheinung. 1665, Hamburg 1665 (VD17 12:195272G). [8.54] Voigt, Johann Heinrich: Stadischer vermehrter Cometen Spiegel von den beyden Cometen Aussgangs 1664. und Anfangs 1665. Jahres, Hamburg 1665 (VD17 12:195269D). [8.55] Vulpius, Johannes: Cometologia oder historischer Discurs, was von vielen Seculis her auff cometische Erscheinungen sich begeben. Ingleichen deroselben kürtzliche Betrachtung und was etwa der im Decembr. dieses 1664sten Jahres entstandene Comet vor muthmassliche Bedeutung nach sich ziehen möchte. Mit beygefügten Abrissen wie er zu Augsburg Nürnberg Hambrug und allhier zu Leipzig gesehen worden. Darbey auch der annoch als eine göttliche Zornruthe am Himmel stehende anderwertige Comet kürtzlich berühret, Leipzig 1664 (VD17 12:642179M). [8.56] Vulpius, Johannes: Wunder-neuer Glücks-Comet: oder vestgegründeter Discurs, von Ursprung Erscheinung und Bedeutung des am 4. Novembris anno 1680 entstandenen und bis in Jenner anno 1681 geschienenen cometischen Wunder-Lichts: dass solch Phaenomenon unserm geliebten Vaterlande für diesesmal kein Unglücks- sondern Glücks-Bote sey aus der Natur-Kunst gründlich eröffnet, s. l. 1681 (VD17 14:072996S). Kapitel 9 [9.1] Anon.: Cometa Scepticus. Oder Kurtzer Discurss Uber Jüngst-Erschienenen Cometen, s. l. 1681 (VD17 1:050555W). [9.2] Bayle, Pierre: Lettre à M. L. A. D. C. Docteur de Sorbonne. Où il est prouvé par plusieurs raisons tirées de la Philosophie, & de la Theologie, que les Cometes ne sont point le presage d’aucun malheur. Avec plusieurs Réflexions Morales & Politiques, & plusieurs Observations Historiques; & la Refutation de quelques erreurs populaires, Köln 1682. [9.3] Bayle, Pierre: Pensées diverses écrites à un docteur de Sorbonne à l’occasion de la Comète qui parut au mois de décembre 1680, Rotterdam 1683. [9.4] Bayle, Pierre: Pensées diverses sur la comète, Rotterdam 1683 [Edition critique avec une introduction et des notes, publiée par A. Prat, Tome 1, Paris 1911]. [9.5] Bornmeister, Simon: Christlich-vernünfftige Cometen-Betrachtung aus Gelegenheit dess im Monat December 1680 erschienenen grossen Cometen
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auffgesetzt und mit einem wenigen Zusatz nunmehr zum andernmahl verbessert heraus gegeben, Nürnberg 1681 (VD17 7:658974W). [9.6] Bornmeister, Simon: Vertheidigte Cometen-Betrachtung. Worinnen (Tit.) Herrn M. Johann Friken Predigers und Profess. PuBl. zu Ulm Seine von der CometenBedeutung heraus gegebene Epistel auf die Probe gesetzt und seine Einwürffe genüglich beantwortet werden, Nürnberg 1681 (VD17 23:623866T). [9.7] Brand, Johann Georg: Vernunft und Schriftmässiger Bericht Von Cometen und insonderheit von demjenigen ungeheuren Schweif-Stern der sich nechtsverwichenen Winder- und Christ-Monat 1680. und diesen Jenner 1681. in Ost und West hat sehen lassen: Allen denen so sich über Sonne Mond und Sternen verwundern und ihren Allmächtigen Schöpffer in kindlicher Furcht darüber preisen zum besten Auffs einfältigste verfasset und auff begehren in Druck gegeben, Marburg 1681 (VD17 14:070384D). [9.8] Dörffel, Georg Samuel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen welcher im ausgehenden 1680. und angehenden 1681. Jahre höchstverwunderlich und entsetzlich erschienen. Dessen zu Plauen im Voigtlande angestellte tägliche Observationes, Nebenst etlichen sonderbahren Fragen und neuen Denckwürdigkeiten sonderlich von Verbesserung der Hevelischen Theoriae Cometarum, Plauen 1681 (VD17 14:073184F). [9.9] Dörffel, Georg Samuel: Observationes, Und Kunstmässige Untersuchung Derer Im November 1680 und Januario 1681 am Himmel erschienenen beyden grossen Cometen: Sam[m]t angehengtem Bedencken Von deroselben Vermuth lichen Bedeutung, Breslau 1681 (VD17 3:658679T). [9.10] Dörffel, Georg Samuel: Warhafftiger Bericht Von dem Cometen Welcher im Mertzen dieses 1672. Jahrs erschienen. Dessen Lauff Art und Beschaffenheit sambt der Bedeutung hiermit fürgestellet wird, Plauen 1672 (VD17 7:690665K). [9.11] Fontenelle, Bernard Le Bouvier de: La Comète. Comedie, Paris 1681 [in: Niderst, Alain (Hrsg.): Oeuvres complètes de Fontenelle 4, Paris 1992, S. 127–166]. [9.12] Francisci, Erasmus: Verwerffung des Cometen-gespötts oder gründliche Erörterung der Frage: Ob der Comet ein oder kein Straff-zeichen sey: Etwas oder nichts Gutes oder Böses bedeute? Worinnen die Vor-bedeutlichkeit mit unverwerfflichen Beweissthümern begründet wird die Ungründe aber der Widersprecher klärlich entdeckt neben dem auch die vielfältige Gedancken von dem Ursprunge des Cometens mit eingeführet werden, s. l. 1681 (VD17 1:048668N). [9.13] Frick, Johannes: Philosophisches und theologisches Bedencken in welchem die vornehmste Meynungen von den Cometen vorgetragen und examiniret werden. wo auss was und woher sie entspringen auch warum sie an den Himmel gestellet werden; hernach auss der gesunden Vernunfft heiliger Schrifft und der Erfahrung gründlich erwiesen wird dass sie seyen Vorbotten der Straffe auch Schröck- und Zorn-Zeichen Gottes. samt einem kurtzen Anhang darinnen auf Herrn M. Simon Bornmeisters (…) Vertheidigung zur Gnüge geantwortet wird, Ulm 1681 (VD17 39:123060T). [9.14] Gerlach, Benjamin: Unvorgreifliches Urteil Von der Cometen Würckung und Bedeutung, Schweidnitz 1681 (VD17 14:072875R). [9.15] Gottsched, Johann Christoph: Herrn Peter Baylens, weyland Prof. der Philosophie zu Rotterdam, verschiedene Gedanken bey Gelegenheit des Cometen,
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der im Christmonate 1680 erschienen: an einen Doctor der Sorbonne gerichtet Aus dem Französischen übersetzet, und mit Anmerkungen und einer Vorrede ans Licht gestellet, Hamburg 1741 (VD18 11375116). [9.16] Halley, Edmond: A Synopsis of the Astronomy of Comets, London 1705. [9.17] Honold, Jacob: Monitor hominum novissimus. Das ist: Kurtzer Bericht Von dem Ungewohnlich grossen Cometen: Welcher in verwichner Winters-Zeit erschienen wie er seinen Stand und Lauff nach dem Zodiaco und Aequatore gehabt: Und dann Was seiner Bedeutung halben von uns Christlich und erbaulich zu merken seye, Ulm 1681 (VD17 12:641533G). [9.18] Honold, Jacob: Novus hominum excitator. Das ist: Kurtze Vorstellung Dess Ungewohnlich grossen Cometen Wie solcher im Christmonat dess 1680sten Jahrs dess Abends in Ulm erschienen, Ulm 1680 (VD17 12:642734E). [9.19] Kirch, Gottfried: Brevis in cometam Anno 1680 & Anno 1681 (quantum in defectu optimorum Instrumentorum fieri potuit) observatum animadversio. Kurtze Anmerckung über den im Jahr Christi 1680 und 1681 im Bresslauischen Horizont wahrgenommenen Cometsterns, Breslau 1681. [9.20] Kirch, Gottfried: Kurtzer Bericht Von dem neu-erschienenen Cometen Welcher itzt im Monat Augusti des 1682. Jahres am Himmel zusehen ist: Geschrieben an einen guten Freund, Leipzig 1682 (VD17 14:051974C). [9.21] Kirch, Gottfried: Neue Himmels-Zeitung. Darinnen sonderlich und ausführlich von den zweyen neuen grossen im 1680. Jahr erschienenen Cometen Deren Gestalt Grösse Stand und Bewegung wie auch andern in solchem Jahr am Himmel vorgegangen merckwürdigen Begebenheiten Umständiger und gründlicher Bericht zu finden. Dem in einem Gespräch mit beygefüget worden Etliche unvorgreifliche Muthmassungen was hieraus auf Erden erfolgen möchte, Nürnberg 1681 (VD17 39:123057Q). [9.22] Mather, Increase: Kometographia, Or, A Discourse Concerning Comets: Wherein the Nature of Blazing Stars is Enquired Into. With an Historical Account of All Comets which Have Appeared from the Beginning of the World Unto this Present Year, MDCLXXXIII. Expressing the place in the heavens, where They Were Seen, Their Motion, Forms, Duration, and the Remarkable Events which have followed in the world, so far as thay have been by learned men observed. as Also Two Sermons Occasioned by the Late Blazing Stars, Boston 1683. [9.23] Neumann, Caspar: Des Noah Regenbogen Und Der itzt Brennende Comet Einer des anderen Ausleger: Beyde In einer öffentlichen Predigt gewiesen Mittwochs nach der heiligen Drey Könige Fest war der 8. Ianuarii des 1681 Jahres, Breslau 1681 (VD17 39:149239L). [9.24] Praetorius, Johannes: Astrologia germanica et germana: Das ist: Eine neu-erfundene geographische Astrologie: Drinnen der eigentliche und unfehlbahre Dieterich zur höchsten Wunder-kammer Gottes an zu treffen stehet und die zeither unerforschliche auch allen Mercuriis unbewuste Vermählung des Himmels mit der Erden dergestalt augenscheinlich dargethan und mit unleugbaren Beyspielen durch alle und einzelne Plätze des Firmaments beleget wird; dass auch ein jeder ungelahrter nach diesem die Sterne-kunst drauss verstehen und dero Krafft oder Zeichen unschwer erlernen kan was und wen sie allemahl wahrhafftig bedeuten. Fürwahr eine
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unerhörte gantz richtige und höchstnützliche Invention, welche Gott nicht ohne Ursach biss auff gegenwärtige weit hinaussehende Zeit verspahren wollen. drinnen auch unter andern Exempeln und Proben der neuen Warsagerey (…) der curiosen Welt zeitig vor Augen gemahlet wird, Leipzig 1665 (VD17 14:073118R). [9.25] Veiel, Elias: Dess hoch-erleuchten Propheten Jeremiae Wackerer Stab: In einer Cometen-Predigt Christlich zu betrachten fürgestellet Und Auf Ansuchen in Truck gegeben, Ulm 1677 (VD17 23:240398L). Kapitel 10 [10.1] Lambert, Johann Heinrich: Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues, Augsburg 1761 (http://www.deutschestextarchiv.de/lambert_einrichtung_ 1761/37, abgerufen am 05.12.2016).
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11.3 Abbildungsverzeichnis [1.1] Übersichtsstatistik zum Quellenmaterial [3.1] Titelillustration der Praktik Apians (1531) [3.4] Apian, Petrus: Practica auff dz 1532. Jar, Landshut 1531 (VD16 A 3105). Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. p. 511,29, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00069205–4.
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[3.2] Titelillustration des Observationsberichts Apians (1532) [3.3] Apian, Petrus: Ein kurtzer Bericht der Observation und Urtels des jüngst erschinnen Cometen im Weinmon unn Wintermon dises XXXII. Jars, Ingolstadt 1532 (VD16 A 3093). Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. p. 511,30, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00087403–5. [3.3] Titelillustration der Coniectur Schöners (1531) [3.26] Schöner, Johannes: Coniectur odder ab nemliche Auslegung uber den Cometen so im Augustmonat des M.CCCCC.XXXI Jars erschinen ist, Leipzig 1531 (VD16 S 3471). Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle, Saale, an 62 A 2372 (4), urn:nbn: de:gbv:3:1–114732. [3.4] Titelillustration der Anzaygung Krautwadels (1531) [3.17] Krautwadel, Michael: Anzaygung grüntlicher natürlicher Ursachen der Natur Wachsung Underscheyd Farben Gestalt Bewegung Bedeütnus etc. aller unn sunderlich diss newlich erschinen Cometen auss fürnemer Philosophorum unn Astronomorum ler dem durchleüchtigen hochgepornen Fürsten und Herren Wilhalmen Pfaltzgrafen bey Reyn Herzogen in obern unn nidern Bayern etc zu eeren beschriben, Augsburg 1531 (VD16 K 2311). Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 528,44, urn:nbn:de:bvb:12-bsb1019 8906–2. [3.5] Titelillustration der Kometenflugschrift Hebenstreits (1556) [3.13] Hebenstreit, Johannes: Des Cometen so dieses 1556. Jars von dem 5.Tag Marcii an bis auff den 20. Aprilis zu Wittemberg erschienen Bedeutung. darinne auch derer Meinung so zween Cometen gesatzt gründtlich refutirt wird, Wittenberg 1556 (VD16 H 875). Universitätsbibliothek Leipzig, Astron.425-d, urn:nbn:de:bsz:15-0005-22838. [3.6] Titelillustration von Fabricius’ Cometa Visus Mense (1556) [3.6] Fabricius, Paulus: Cometa visis mense martio lvi. anno, Wien 1556. GC5.F1149.556c, Houghton Library, Harvard University. [3.7] Titelillustration von Fabricius’ Der Comet im Mertzen (1556) [3.7] Fabricius, Paulus: Der Comet im Mertzen des LVI. Jahrs zu Wien in Osterreych erschinen, Nürnberg 1556 (VD16 F 457). Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, H61/4 TREW.T 330. [3.8] Holzschnitt des anonymen Einblattdrucks Warhafftige Beschreibung (1556) [3.2] Anon.: Warhafftige Beschreibung was auff einen jeden sollichen Cometen geschehen sey, die gesehen sind von Anfang der Welt her biss auff disen Jetzgesehenen Cometen in dem 56 Jar, auch was sich an etlichen Orten darnach verloffen hat unnd in welchem Jar ein jeder gesehen ist worden, [Straßburg]1556. Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, PAS II 14/14. [4.1] Titelillustration von Schinbains Sternen oder Cometen Buch (1578) [4.12] Schinbain, Johann Georg: Sternen oder Cometen Buch, in welchem die fürnemsten Cometen, deren bey 180. so hin und her, vor und nach Christi Geburt, an dem Firmament erschienen, sampt andern Meteorologicis so sich in Lüfften zugetragen: was auch gleich in jedem Jar besunder für Effect oder Würckung darauff gefolget, Ingolstadt 1578 (VD16 S 2843). Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 514,21, Titelseite, urn:nbn:de:bvb:12bsb00074357–8.
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[5.1] Titelillustration von Raschs Cometen Buech (1582) [5.11] Rasch, Johann: Cometen Buech. Von dem newen Stern des 73. unnd von den Cometen des 77. unnd 81. Jars auch von allen anderen Cometen unnd newen Stern Erscheinungen geschicklicher Erforschung zu urtheilen wie die Beschreibungen derselben hiedurch zuverstehen sey, München 1582 (VD16 R 310). Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 363, Titelseite, urn:nbn:de:bvb:12bsb10198623–5. [5.2] Kometenhoroskop des Dasypodius (1578) [5.4] Dasypodius, Conrad: Von Cometen und ihrer Würckung, Straßburg 1578 (VD16 D 242). Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 528,6, Titelseite, urn:nbn:de:bvb:12bsb10198877–4. [5.3] Titelillustration der Kometenschrift Meines (1578) [5.9] Meine, Matthias: Von aller Geschlecht der Cometen jeder Zeit wan die erscheinen zugebrauchen und von dessen Wirkungen der uns zu Dantzigk den 12. Novembris dieses 1577. Jar erschienen ist, Danzig 1578 (VD16 M 2248). Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle, Saale, Alv. Mg 177 (22), urn:nbn: de:gbv:3:1–708366. [5.4] Holzschnitt des anonymen Einblattdrucks Newe Zeytung (1577) [5.1] Anon.: Newe Zeytung von dem Cometen, so jetzt im November dises 1577. Jars erschinen, und beschreibung der bedeütung desselbigen, Augsburg 1577). Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Titelillustration, PAS II 14/14. [6.1] Die dritte Weissagung in Thurneyssers Kometenschrift (1577) [6.17] Thurneysser zum Thurn, Leonhardt: Ein kurtzer unn einfeltiger Bericht (…) uber den 136. unnd inn disem lauffenden 77. Jar am 19 Tag Octobris erstlich erschi nenen Cometen aller Welt zum Dienst und getrewer Warnung publicirt, Berlin 1577 (VD16 T 1177), Bl. I 4r. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Astron.440, Bl. I 4r, http://digital.slub-dresden.de/id273535625/75. [6.2] Allegorische Darstellung der Kometendeutung bei Gemma (1578) [6.7] Gemma, Cornelius: De prodigiosa specie, naturaque cometae, qui nobis efful sit altior lunae sedibus, insolita prorsus figura, ac magnitudine, anno 1577 plus septimannis 10. apodeixis tum physica tum mathematica. Adjuncta his explicatio duorum chasmaton anni 1575, nec non ex cometarum plurium phaenomenis epilogistica quaedam assertio de communi illorum natura, generationum causis atque decretis, Antwerpen 1578, Bl. E 2v. Bayerische Staatsbibliothek München, Astr. Sp. 52, Bl. E 2v, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10173619–2. [7.1] Inhaltsverzeichnis von Crügers Uranodromus Cometicus (1619) [7.3] Crüger, Peter: Uranodromus cometicus. Ein aussführlicher Tractat vom grossen Cometen dess 1618 Jahrs. Darinnen seine Erscheinung und Lauff seine Höhe von der Erden und andere daraus folgende Sachen durch astronomische Rechnung dargethan und seine Bedeutungen durch gebührliche Muthmassung gesucht werden. Neben eingefügtem Discurs von Cometen in gemein beschrieben, Danzig 1619 (VD17 23:266337W). Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 Astr. Sp. 517,15, Inhaltsverzeichnis, urn:nbn: de:bvb:12-bsb10873880–0.
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[8.1] Titelillustration von Beutels Aussführlicher Beschreibung (1665) [8.13] Beutel, Tobias: Nun folget eine aussführliche Beschreibung des erschienenen Cometen, wie solcher nicht nur im Decembri Anno 1664 sondern auch im Januario 1665 observiret worden, Leipzig 1665 (VD17 23:287989N). Bayerische Staatsbibliothek München, 4 Astr. Sp. 45 u, Titelseite, urn:nbn:de:bvb:12-bsb100 49070–8. [8.2] Titelillustration der Astrologischen Muthmassungen Megerlins (1665) [8.25] Megerlin, Peter: Astrologische Muthmassungen von der Bedeuttung des jüngst entstandenen Cometen, Basel 1665 (VD17 23:287516X). Bayerische Staatsbibliothek München, Res 4 Astr. Sp. 520,28, Titelseite, urn:nbn:de:bvb:12bsb11072756–2. [8.3] Kupferstich des anonymen Einblattdrucks Observationes Cometae Anni 1652 [8.5] Anon.: Observationes cometae anni 1652. Fere vespertinae cum meridiabat stilo novo, Köln 1653 (VD17 12:640965K). Bayerische Staatsbibliothek München, Res 2 Astr. Sp. 20, Titelillustration, http://www.gbv.de/ vd/vd17/12:640965K. [8.4] Anonymer Einblattdruck über den Kometen 1665 in Regensburg [8.4] Anon.: [Ein Komet über Regensburg] Nuhn lest sich widerum ein Cometh sehen zu Regenspurg, s. l. 1665. Universitätsbibliothek JCS Frankfurt am Main, Gesamtdokument, urn:nbn:de:hebis:30:2–39 740. [8.5] Kometenbeobachtung und -deutung in Schneubers Umständlicher Beschreibung (1665) [8.49] Schneuber, Johann Matthias: Umständliche Beschreibung dess grossen Cometen welcher im Anfang dess Christmonats 1664 erschinen und biss zu End dess Jenners 1665 gestanden: samt beigefügter Abbildung dess gantzen Lauffs und beiläuffiger Bedeutung in underschidliche Kurtzgedichte verfasst, Straßburg 1665 (VD17 23:288074Y), Bll. E 2r–E 2v. Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Bibliothek, http://echo.mpiwg-berlin.mpg. de/MPIWG:3BHGTHQT. [9.1] Darstellung der parabolischen Kometenbahn bei Dörffel (1681) [9.8] Dörffel, Georg Samuel: Astronomische Betrachtung des Grossen Cometen welcher im ausgehenden 1680. und angehenden 1681. Jahre höchstverwunderlich und entsetzlich erschienen. Dessen zu Plauen im Voigtlande angestellte tägliche Observationes, Nebenst etlichen sonderbahren Fragen und neuen Denckwürdigkeiten sonderlich von Verbesserung der Hevelischen Theoriae Cometarum, Plauen 1681 (VD17 14:073184F), Bl. A 4v. Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle, Saale, Pon Yd 3837, QK, Bl. A 4v, urn:nbn:de:gbv:3:1–63278. [10.1] Tabelle zur Entwicklung des Kometendiskurses [10.2] Tabelle zum Wandel des Kometenbildes
boethius Texte und Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften
Begründet von Joseph Ehrenfried Hofmann, Friedrich Klemm und Bernhard Sticker. Fortgeführt von Menso Folkerts. Herausgegeben von Christina Brandt, Richard L. Kremer und Friedrich Steinle.
Franz Steiner Verlag
ISSN 0523–8226
58. Hartmut Hecht / Regina Mikosch / Ingo Schwarz / Harald Siebert / Romy Werther (Hg.) Kosmos und Zahl Beiträge zur Mathematik- und Astronomiegeschichte, zu Alexander von Humboldt und Leibniz 510 S. mit zahlr. Abb., geb. ISBN 978-3-515-09176-3 59. Horst Kranz / Walter Oberschelp Mechanisches Memorieren und Chiffrieren um 1430 Johannes Fontanas Tractatus de instrumentis artis memorie 2009. 167 S. mit 33 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09296-8 60. Anne-Marie Vlasschaert (Éd.) Le Liber mahameleth Édition critique et commentaires 2010. 613 S. mit zahlr. Abb., geb. ISBN 978-3-515-09238-8 61. Renate Tobies „Morgen möchte ich wieder 100 herrliche Sachen ausrechnen“ Iris Runge bei Osram und Telefunken. Mit einem Geleitwort von Helmut Neunzert 2010. 412 S. mit 21 Abb., 13 Tab. und Dokumentenanh. sowie 52 Abb. auf 16 Taf., geb. ISBN 978-3-515-09638-6 62. Paul Kunitzsch / Richard Lorch (Hg.) Theodosius: Sphaerica Arabic and Medieval Latin Translations 2010. 431 S. mit 77 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09288-3 63. Gregor Schuchardt Fakt, Ideologie, System Die Geschichte der ostdeutschen Alexander von Humboldt-Forschung 2010. 370 S. mit 1 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09777-2 64. Bernd Klengel Über Galvanismus und deutsche Träumereien Zur Rezeption romantischer Naturforschung
65.
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70.
in Frankreich zwischen 1800 und 1820 2010. 180 S. mit 1 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09780-2 Horst Kranz (Hg.) Johannes Fontana: Opera iuvenalia de rotis horologiis et mensuris / Jugendwerke über Räder, Uhren und Messungen 2011. 544 S. mit 132 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09909-2 Horst Kranz (Hg.) Johannes Fontana: Liber instrumentorum iconographicus / Ein illus triertes Maschinenbuch 2014. 192 S. mit 136 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10660-3 Harald Siebert Die ptolemäische „Optik“ in Spät antike und byzantinischer Zeit Historiographische Dekonstruktion, textliche Neuerschließung, Rekontextualisierung 2014. 575 S. mit 12 Abb., geb. ISBN 978-3-515-10812-6 Horst Kranz (Hg.) Methoden des Erinnerns und Vergessens Johannes Fontanas Secretum de thesauro experimentorum ymaginationis hominum 2016. 249 S. mit 52 Abb. 7 Graf. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11583-4 Gunthild Peters Zwei Gulden vom Fuder Mathematik der Fassmessung und praktisches Visierwissen im 15. Jahrhundert 2018. 344 S. mit 83 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12052-4 Erdmann Görg Raum, Gott, Gravitation Eine Untersuchung zum Verhältnis von Wissenschaft und Metaphysik anhand des ‚absoluten Raumes‘ von Newton über Kant zu Fries 2018. 279 S., kt. ISBN 978-3-515-11780-7
Am dunklen Nachthimmel der vormodernen Zeit sind Kometen äußerst eindrucksvoll und erschreckend. Als gleichzeitig nach Beschreibung, Erklärung und Deutung verlangende Naturereignisse und als zeichenhafte Phänomene des Wunderbaren werden sie zwischen 1530 und 1682 zu Kondensationspunkten intensiver Kommunikationsprozesse, die ihren literarischen Ausdruck in einer Flut von Kometenflugschriften finden. Anna Jerratsch analysiert diesen Kometendiskurs: Sie zeigt, dass gerade die vermeintlich irrationalen oder übernatürlichen Elemente des traditionellen Kometenbildes, z. B. der Theologie oder Astrologie,
ISBN 978-3-515-12517-8
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zu Katalysatoren eines Wissenswandels werden, indem sie umgedeutet, re-definiert und in das moderne Kometenbild integriert werden. Das zeitty pische Nebeneinander von Altem und Neuem ist dabei nicht unverständliche Ambivalenz, sondern konstitutiv. Jerratsch kommt zu dem Schluss, dass es bei den Modernisierungsprozessen des Wissens im 17. Jahrhundert nicht primär um die Durchsetzung einer rationalen Methode gegenüber abergläubischen Irrwegen und den Geltungsansprüchen einer fehlgeleiteten Religiosität ging, sondern vielmehr um die Wandlungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit von Wissenssystemen.
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